Custodia: Garantiehaftung im römischen Recht? [1 ed.] 9783428587278, 9783428187270

Die Quellen zur custodia-Haftung sind auf den ersten Blick von einem grundlegenden Widerspruch geprägt: Einerseits ersch

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Custodia: Garantiehaftung im römischen Recht? [1 ed.]
 9783428587278, 9783428187270

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 205

Custodia Garantiehaftung im römischen Recht?

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

JAN DIRK HARKE

Custodia

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 205

Custodia Garantiehaftung im römischen Recht?

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18727-0 (Print) ISBN 978-3-428-58727-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung

7

I. Konfusion in Konstantinopel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

II. Ein Pendel: die moderne Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

Zweites Kapitel Custodia und furtum

19

I. Diebstahl als Haftungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein Automatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein periculum aus custodia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 25

II. Differenzierung nach dem Verschulden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Culpa als Grund für die Aktivlegitimation zur actio furti . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein furtum sine culpa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 33

Drittes Kapitel Custodia und culpa

45

I. Custodia- als culpa-Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fahrlässigkeit als allgemeiner Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vis maior als gemeinsame Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 51

II. Doch ein Nebeneinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

Viertes Kapitel Custodia und diligentia

63

I. Bewachung und Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

II. Eine Kontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

6

Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel Befund und Deutung

79

I. Die Quadratur des Kreises? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Zwei Parallelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Das Verlieren einer Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Die Sklavenflucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Sechstes Kapitel Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

90

I. Custodia als Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Custodia als vertragliche Haupt- und Nebenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein vielgestaltiger Vertrag: die locatio conductio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Custodia als Nebensache: societas und mandatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Custodia und periculum: der Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 97 98 107 113

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Erstes Kapitel

Einleitung I. Konfusion in Konstantinopel Für die byzantinischen Juristen müssen die klassischen Quellen zur custodia verwirrend gewesen sein. So verwirrend, dass sie in die justinianischen Institutionen in kurzem Abstand zwei Aussagen aufnahmen, die in handgreiflichem Widerspruch zueinander stehen. Im Abschnitt über den Kaufvertrag erklären sie die Einstandspflicht eines Verkäufers für einen vor Übergabe an den Käufer gestohlenen oder entlaufenen Sklaven zum Ergebnis einer besonderen Haftungsübernahme. Nur wenn der Verkäufer dem Käufer eigens zugesagt hat, für custodia einzutreten, soll ihn die Gefahr von Diebstahl oder Flucht treffen: IJ 3.23.3a Quod si fugerit homo qui veniit aut subreptus fuerit, ita ut neque dolus neque culpa venditoris interveniat, animadvertendum erit, an custodiam eius usque ad traditionem venditor susceperit. sane enim, si susceperit, ad ipsius periculum is casus pertinet: si non susceperit, securus erit. idem et in ceteris animalibus ceterisque rebus intellegimus. utique tamen vindicationem rei et condictionem exhibere debebit emptori, quia sane, qui rem nondum emptori tradidit, adhuc ipse dominus est. idem est etiam de furti et de damni iniuriae actione. Flieht aber ein verkaufter Sklave oder wird er gestohlen, ohne dass Arglist oder Fahrlässigkeit des Verkäufers im Spiel ist, muss untersucht werden, ob sein Verkäufer die Bewachung bis zu seiner Übergabe übernommen hat. Hat er sie übernommen, geht dieser Zufall nämlich auf seine Gefahr; hat er sie nicht übernommen, ist er vor Haftung sicher. Dasselbe gilt auch bei anderen Lebewesen und Sachen. In jedem Fall muss er dem Käufer aber die Vindikation und die Kondiktion abtreten, weil er, solange er die Sache dem Käufer noch nicht übergeben hat, noch ihr Eigentümer ist. Dies gilt auch für die Diebstahlsklage und die Klage wegen widerrechtlich zugefügten Schadens.

Die Wendung ,periculum is casus‘ ist mit Bedacht gewählt. Denn die Sklavenflucht und der Diebstahl, für den es auf die custodia ankommen soll, sind als Umstände bezeichnet, bei denen dem Verkäufer weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zur Last fallen (,neque dolus neque culpa venditoris interveniat‘). Dies lässt offen, ob ein Verlust des Sklaven durch Flucht oder Diebstahl auch so vorkommen kann, dass der Verkäufer dem Käufer für sein Verschulden einzustehen hat. Die Haftung für custodia, um die es hier geht, wird jedenfalls erst dann relevant,

8

1. Kap.: Einleitung

wenn der Sklave zufällig verlorengegangen ist.1 Sie ist das Ergebnis einer Garantie, die der Verkäufer folglich auch im Wege einer besonderen Zusage übernehmen muss.2 Völlig anders ist die Bedeutung von custodia in dem unmittelbar anschließenden Abschnitt über die locatio conductio: IJ 3.24.5 Conductor omnia secundum legem conductionis facere debet et, si quid in lege praetermissum fuerit, id ex bono et aequo debet et, si quid in lege praetermissum fuerit, id ex bono et aequo debet praestare. qui pro usu aut vestimentorum aut argenti aut iumenti mercedem aut dedit aut promisit, ab eo custodia talis desideratur, qualem diligentissimus pater familias suis rebus adhibet. quam si praestiterit et aliquo casu rem amiserit, de restituenda ea non tenebitur. Ein Mieter muss in jeder Hinsicht die Bestimmungen des Mietvertrags einhalten und, wenn hierin etwas übergangen worden ist, dafür einstehen, was sich aus Recht und Billigkeit ergibt. Hat jemand für den Gebrauch von Kleidung oder Silbergeschirr oder eines Zugtieres ein Entgelt geleistet oder versprochen, wird von ihm eine solche Bewachung erwartet, wie sie ein überaus sorgfältiger Hausvater bei seinen Sachen vornimmt. Hat er sie vorgenommen und die Sache durch irgendeinen Zufall verloren, haftet er nicht für ihre Rückgewähr.

Ein Mieter von Kleidung, Essgeschirr oder Zugtieren hat bei deren Bewachung diejenige Sorgfalt einzuhalten, die ein überaus sorgfältiger Hausvater im Umgang mit seinen Sachen walten lässt. Nur wenn der Mieter diesen Standard nicht wahrt, ist er dem Vermieter einstandspflichtig, ansonsten vor einer Inanspruchnahme sicher. Seine Pflicht zur custodia folgt nicht etwa aus einer besonderen Zusage, sondern umgekehrt daraus, dass er mangels einer besonderen Vereinbarung befolgen muss, was sich nach ,bonum et aequum‘ gehört. Und die Haftung für custodia deckt nicht den Zufall ab, sondern dieser beschreibt gerade den Gegenfall, in dem die Mietsache so verlorengeht, dass der Mieter mangels Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt nicht einzustehen hat (,si praestiterit et aliquo casu rem amiserit‘). Formal betrachtet, bedeutet es natürlich keinen Widerspruch, wenn ein Verkäufer aufgrund einer speziellen Garantieübernahme für Zufall einzustehen hat und ein Mieter ohne eine solche besondere Vereinbarung eben nicht. Schwerlich nachvollziehen lässt sich aber, warum die Zufallshaftung im einen Fall mit dem Begriff custodia belegt ist, während dieser im anderen für das Gegenteil steht. Noch mehr verstört ein Blick auf die klassischen Vorlagen für den Institutionentext. Die beiden Passagen zur Bewachung bei Kauf- und Mietvertrag haben keine Entsprechung in Gaius’ Originalwerk, sondern gehen auf zwei Abschnitte aus dem zehnten Buch des Kommentars zurück, den derselbe Jurist zum Edikt der 1 Daher lässt sie sich entgegen Robaye, L’obligation de garde, S. 370 beim besten Willen nicht als eine verschuldensabhängige Haftung deuten. 2 Zur Besonderheit des Sklavenkaufs will sie Kaser, SZ 96 (1979) 89, 109 ff. erklären.

I. Konfusion in Konstantinopel

9

Provinzstatthalter verfasst hat. Die Einleitungsworte von IJ 3.24.5 (,Conductor omnia secundum legem conductionis facere debet.‘) stammen aus D 19.2.25.3, wo Gaius im Folgenden aber nicht etwa die Miete, sondern die Pflichten eines colonus, also eines Landpächters, behandelt.3 Im Übrigen haben beide Texte eine gemeinsame Quelle in einer Aussage, die sich allein auf den Kaufvertrag bezieht: D 18.1.35.4 Gai 10 ed prov Si res vendita per furtum perierit, prius animadvertendum erit, quid inter eos de custodia rei convenerat: si nihil appareat convenisse, talis custodia desideranda est a venditore, qualem bonus pater familias suis rebus adhibet: quam si praestiterit et tamen rem perdidit, securus esse debet, ut tamen scilicet vindicationem rei et condictionem exhibeat emptori. . . . Ist eine verkaufte Sache durch Diebstahl verlorengegangen, ist zunächst zu untersuchen, was zwischen den Parteien über die Bewachung der Sache vereinbart worden ist; erhellt dies nicht, ist vom Verkäufer diejenige Bewachung zu fordern, die ein guter Familienvater bei seinen Sachen vornimmt; hat er sie vorgenommen und die Sache trotzdem verloren, muss er sicher sein; freilich muss er dem Käufer die Vindikation und die Kondiktion abtreten. . . .

Hier finden sich sowohl der Hinweis, dass auf die Parteivereinbarung zur custodia zu achten ist (,prius animadvertendum erit, quid inter eos de custodia rei convenerat‘), als auch eine Regel für den Fall, dass eine solche Vereinbarung nicht erhellt (,si nihil appareat convenisse‘). Und diese Regel sieht ausgerechnet für den Kaufvertrag vor, was Justinians Juristen für die Miete behaupten, nämlich dass eine Bewachung in dem Maße zu „erwarten“ ist,4 wie sie ein zum Vorbild genommener Familienvater bei seinen Sachen für angebracht halten darf (,talis custodia desideranda est . . ., qualem bonus pater familias suis rebus adhibet‘).5 Die byzantinischen Autoren steigern lediglich diesen Maßstab zu dem eines ,diligentissimus pater familias‘6 und lassen sich hierbei vermutlich von zwei weiteren Aussagen Gaius’ zur Haftung eines Entleihers leiten.7 Das Resultat einer gehörigen Mühe des Verkäufers beschreibt Gaius in D 18.1.35.4 in der Weise, dass er vor einer Haftung „geschützt“ (,securus‘) ist.8 Die Verfasser der justinia3 Hierzu eingehend Harke, Locatio conductio, Kolonat, Pacht, Landpacht, Berlin 2005, S. 25 ff. 4 Und nicht etwa keine Bewachung, wie Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 293 f. unter Annahme einer abweichenden Bedeutung von custodia an dieser Stelle behauptet. 5 Es geht, wie Krückmann, SZ 63 (1943) 1, 45 und MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 176 zu Recht bemerken, um die gehörige und nicht etwa um die Sorgfalt, die eine bestimmte Person gewöhnlich in eigenen Angelegenheiten an den Tag legt. 6 Dass sich Gaius mit dem ,bonus pater familias‘ begnügt hat, führt Krückmann, SZ 63 (1943) 1, 45 f. darauf zurück, dass er noch auf die grundsätzliche Gefahrbelastung des Käufers Rücksicht genommen habe. 7 D 13.6.18pr Gai 9 ed prov, D 44.7.1.4 Gai 2 aur; s. u. S. 52 f., 67 f. 8 Die Haftung entscheidet sich damit, wie Robaye, L’obligation de garde, S. 373 in diesem Fall zu Recht behauptet, an einem subjektiven Kriterium; und es gibt entgegen Cardilli, L’obligazione di praestare, S. 494 auch keinen Hinweis darauf, dass sich Gaius

10

1. Kap.: Einleitung

nischen Institutionen erklären dies in ihrem Text zum Kaufvertrag zur Konsequenz einer fehlenden Vereinbarung zur custodia9 und übernehmen auch den Zusatz, dass der Verkäufer dem Käufer zumindest Vindikation und Kondiktion abzutreten hat.10 Ein weiteres Produkt der Verwertung des gaianischen Textes findet sich in einem vorangehenden Passus der Institutionen, in dem es um die Realverträge geht. In der Darstellung, wie ein Pfandgläubiger für den Verlust der Pfandsache haftet, stoßen wir ebenfalls auf eine Verknüpfung von custodia und Sorgfalt, die hier allerdings nicht superlativisch beschrieben, sondern ,diligentia exacta‘ genannt ist. Ferner erscheint als Gegenbegriff der Sachverlust ,aliquo casu‘, an dieser Stelle noch mit dem Zusatz ,fortuito‘, und schließlich die daran geknüpfte Rechtsfolge, dass der Schuldner, diesmal der Pfandgläubiger, bei einem zufälligen Sachverlust ,securus‘ sein soll: IJ 3.14.4 Creditor quoque qui pignus accepit re obligatur, qui et ipse de ea ipsa re quam accepit restituenda tenetur actione pigneraticia. sed quia pignus utriusque gratia datur, et debitoris, quo magis ei pecunia crederetur, et creditoris, quo magis ei in tuto sit creditum, placuit sufficere, quod ad eam rem custodiendam exactam diligentiam adhiberet: quam si praestiterit et aliquo fortuitu casu rem amiserit, securum esse nec impediri creditum petere. Auch ein Gläubiger, der ein Pfand erhält, wird durch Sachhingabe verpflichtet, und er haftet für die Rückgewähr der Sache, die er erhalten hat, mit der Pfandklage. Da aber ein Pfand im beiderseitigen Interesse bestellt wird, nämlich sowohl im Interesse des Schuldners, dem so eher Geld als Darlehen gegeben wird, als auch im Interesse des Gläubigers, dessen Darlehen so besser gesichert ist, genügt es anerkanntermaßen, dass er bei der Bewachung der Sache genaue Sorgfalt walten lässt; hat er sie eingehalten und die Sache aus irgendeinem Zufall verloren, ist er vor Haftung sicher und nicht daran gehindert, die Rückzahlung des Darlehens zu fordern.

Dass diese Schilderung auf Justinians Juristen zurückgeht, ist deshalb sehr wahrscheinlich, weil die hier im Übrigen verwendete Vorlage in den gaianischen aurea nur mit dem ersten Satz des justinianischen Textes überliefert ist:11 an einer Diskussion darüber beteiligt, ob die custodia Gegenstand einer Garantie- oder Verschuldenshaftung ist. 9 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 296 will dabei dem Umstand besondere Bedeutung zumessen, dass Justinians Juristen von periculum sprechen. Dieser Begriff ist im Zusammenhang mit custodia aber schon in den klassischen Quellen zu finden; s. u. S. 25 ff. 10 Gerade diese Abweichung beim Kaufvertrag schließt aus, dass der Auszug aus Gaius’ Ediktskommentar, wie Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 69 ff., Metro, L’obligazione di custodire, S. 199 f. und noch Kaser, SZ 96 (1979) 89, 108 f. meinen, nach dem Vorbild von IJ 3.24.5 interpoliert worden ist. Für seine Echtheit tritt auch Robaye, L’obligation de garde, S. 373 f. ein. 11 Vgl. Nörr, SZ 73 (1956) 68, 87. Daher kann man entgegen Ankum, La responsabilità, S. 594 f. auch nicht annehmen, die ,diligentia exacta‘ sei an die Stelle der von Gaius noch erwähnten custodia getreten.

I. Konfusion in Konstantinopel

11

D 44.7.1.6 Gai 2 aur Creditor quoque, qui pignus accepit, re tenetur: qui et ipse de ea ipsa re quam accepit restituenda tenetur. Auch ein Gläubiger, der ein Pfand erhält, haftet für Sachhingabe, und er haftet für die Rückgewähr der Sache, die er erhalten hat.

Die Verfasser der justinianischen Institutionen schreiben diese knappe Bemerkung fort, indem sie das Haftungsregime in Anlehnung an die Regel schildern, die sie auf der Basis von Gaius’ Aussage zur emptio venditio für den Mietvertrag aufgestellt haben. Um die Vergleichbarkeit beider Konstellationen darzutun, verweisen sie auf den gegenseitigen Nutzen, den der Pfandvertrag für seine Parteien mit sich bringt und ihn einem Austauschvertrag wie der locatio conductio ähnlich macht. Selbst wenn Gaius’ aurea hiervon schweigen, entspricht es freilich auch durchaus klassischem Recht, dass ein Pfandgläubiger für custodia einzustehen hat.12 Was könnte die byzantinischen Autoren dazu bewogen haben, den Text von D 18.1.35.4 derart zu zerlegen, seine Aussage auf andere Vertragstypen zu beziehen und für den Kaufvertrag selbst ein ganz anderes Regime zu statuieren, als in der klassischen Vorlage vorgesehen ist? Eine naheliegende Erklärung ist, dass sie die von Gaius erwartete custodia, wie sie ein ordentlicher Familienvater walten lässt, schon durch den Begriff der culpa abgedeckt sehen. Dass ein Verkäufer für sein Verschulden einzustehen hat, stellen sie indirekt in dem unmittelbar vorangehenden Abschnitt der Institutionen (3.23.3) fest. Dort heißt es mit Bezug auf einen Sachverlust durch Zerstörung der Kaufsache: . . . quidquid enim sine dolo et culpa venditoris accidit, in eo venditor securus est . . . . . . bei den Dingen, die sich ohne Arglist oder Fahrlässigkeit des Verkäufers ereignen, ist der Verkäufer vor Haftung sicher . . .

Eine weitergehende Haftung können sich die byzantinischen Juristen anscheinend nur als Folge einer besonderen Vereinbarung vorstellen, die sowohl vom Verschuldensprinzip als auch von dem ebenfalls in IJ 3.23.3 erwähnten Grundsatz des periculum emptoris abweicht. Möglich wird ein solches Räsonnement aber erst dadurch, dass die Autoren der justinianischen Institutionen custodia an dieser Stelle in einem ganz anderen Sinne als Gaius und in seiner von ihnen eigens auf den Mietvertrag gemünzten Aussage verstehen. Der Begriff steht damit im einen Fall für eine Garantiehaftung, die ohne jegliches Verschulden des Pflichtigen aktiviert wird, im anderen für seine Einstandspflicht wegen Vernachlässigung des geforderten Sorgfaltsstandards. Kommt diese wegen ihrer Orientierung am ,diligentissimus pater familias‘ 12 Anders sieht dies Paris, La responsabilité de custodia, S. 181 ff. Die custodia-Haftung des Pfandgläubigers ist, wie Ankum, La responsabilità, S. 603 f. zu Recht gegen Metro, L’obligazione di custodire, S. 181 ff. geltend macht, auch keineswegs an die Existenz einer formula in ius concepta der actio pigneraticia geknüpft.

12

1. Kap.: Einleitung

auch einer verschuldensunabhängigen Haftung nahe, bleiben es zumindest in der Theorie doch zwei völlig verschiedene Konzepte, deren Divergenz Justinians Juristen schwerlich entgangen sein kann. Erkennen sie in der Bedeutungsvarianz kein Problem, kann dies nur daran liegen, dass auch die klassischen Quellen aus ihrer Sicht eine doppelte Interpretation von custodia zulassen.

II. Ein Pendel: die moderne Forschung Haben Justinians Juristen keine einheitliche Vorstellung davon, was mit custodia gemeint ist, kann man ihnen auch nicht unterstellen, sie hätten die von ihnen verwerteten Quellen mit einer bestimmten Absicht verfälscht. Genau dies tun aber nicht wenige Vertreter der modernen Forschung, die bei der Rekonstruktion des klassischen Rechts zumeist zwischen den beiden Konzepten schwanken, die sich auch in den justinianischen Institutionen wiederfinden. Während die einen glauben, die klassischen Juristen verstünden unter ,custodiam praestare‘ eine verschuldensunabhängige Haftung, nehmen die anderen an, bei der Verwendung dieses Ausdrucks sei stets vorausgesetzt oder ausgeblendet, dass der Schuldner den haftungsbegründenden Sachverlust mindestens fahrlässig mitverursacht habe. Noch zum Gemeinen Recht hat Baron die Ansicht vertreten, mit custodia sei eine Haftung gemeint, die den Schuldner bis zur Grenze der höheren Gewalt auch in dem Fall treffe, dass es ohne seine Schuld zum Sachverlust gekommen sei.13 Wenn in den Quellen von einer ,diligentia exactissima‘ die Rede sei, handele es sich dabei nur um eine Chiffre für den Gedanken einer Garantiehaftung.14 Diese custodia im ,technischen‘ Sinn obliege allen, die eine fremde bewegliche Sache zum eigenen Vorteil in ihrem Gewahrsam haben oder sich zum Abschluss eines Geschäfts aufdrängen, das einen solchen Besitz mit sich bringt.15 Aus rechtshistorischer Perspektive hat sich diese Auffassung Seckel zu eigen gemacht: In der 1907 erschienenen Bearbeitung von Heumanns Wörterbuch bescheinigt er den Klassikern, custodia als Haftung für niederen Zufall zu begreifen, der „durch spezielle Bewachung von der Sache hätte abgewendet werden können“.16 Mit der Aufbietung einer diligentia in custodiendo begnügten sich erst die Kompilatoren, die in den Quellen stets zu Wort kämen, wenn die Bewachung als Gegenstand einer Verpflichtung zur Aufwendung gehöriger Sorgfalt beschrieben oder der höheren Gewalt gegenübergestellt werde.17 Damit bezieht 13 Baron, Diligentia exactissima, diligentissimus paterfamilias oder die Haftung für Custodia, AcP 52 (1869) 44, 46 ff. 14 Baron, AcP 52 (1869) 44, 93 ff. 15 Baron, Die Haftung bis zur höheren Gewalt, AcP 78 (1892) 203, 277. 16 Heumann/Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Jena 1907, S. 116. 17 Heumann/Seckel, (Fn. 16), S. 117.

II. Ein Pendel: die moderne Forschung

13

Seckel die Gegenposition zu Lusignani, der dem Thema am Anfang des 20. Jahrhunderts ein mehrbändiges Werk gewidmet hat: Für ihn ist custodia Anknüpfungspunkt einer Haftung, die nie über culpa hinausgeht. Alle Texte, die auf den ersten Blick den Eindruck einer verschuldensunabhängigen Einstandspflicht vermitteln, seien entweder anders zu verstehen oder interpoliert.18 Die Auffassung von Seckel verteidigt Schulz in zwei einflussreichen Aufsätzen aus den Jahren 1911 und 1912. Obwohl er den Kompilatoren attestiert, ein „unklares Durcheinander“ hinterlassen zu haben,19 ist er gleichwohl überzeugt, die Klassiker verstünden unter ,custodiam praestare‘ eine Haftung für niederen Zufall.20 Alle widersprechenden Aussagen gingen auf die Kompilatoren zurück, die in die klassischen Quellen das Konzept einer auf Verschulden begrenzten Einstandspflicht hineingetragen hätten.21 Dies ist auch die Ansicht von Haymann, der sich 1919 mit einer ausführlichen textkritischen Studie zu Wort meldet. Dank noch weiterreichender Interpolationsvermutungen will er den Anwendungsbereich der custodia-Haftung aber enger als Schulz ziehen.22 Anders als dieser glaubt er zudem, die Einstandspflicht sei nicht von vornherein auf casus minor beschränkt, vielmehr grundsätzlich unbedingt und nur in bestimmten Fällen ausgeschlossen, in denen typischerweise kein Verschulden vorliegt.23 Den in der deutschen Romanistik vertretenen Ansichten ähnlich ist die Auffassung, die Luzzatto in seiner 1938 erschienenen Monographie vertritt. Für das klassische Recht rechnet er ebenfalls mit dem Konzept einer objektiven Haftung. Erst in nachklassischer Zeit mutiere sie zu einer subjektiven ,diligentia custodiendae rei‘ und werde von den Kompilatoren noch mit einer Abstufung nach dem jeweiligen Vertragsnutzen angereichert.24 Während die byzantinischen Juristen eine übergreifende Theorie der Verschuldenshaftung entwickelt und durch Überarbeitung der klassischen Quellen zur Geltung gebracht hätten, seien diese ursprünglich von einer elastischen Risikozuweisung geprägt gewesen.25 Ansätze zu einer Distanzierung von dieser Lehre gibt es in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Krückmann, der sich 1947 äußert, will die Einstandspflicht für custodia nicht als Zufallshaftung gelten lassen. Er betrachtet sie zwar als Unterfall der sogenannten ,Versicherungshaftung‘, hält sie aber nicht für objektiv, weil sie entweder fremdes Verschulden oder eigenes Unterlassen 18

Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, 38 ff. und passim. Schulz, SZ 32 (1911) 23, 31 f. Mit Bezug zur Gehilfenhaftung auch ders., Die Haftung für das Verschulden der Angestellten im klassischen römischen Recht, GrünhutsZ (1911) 9 ff. 20 Schulz, SZ 32 (1911) 23, 27. 21 Schulz, SZ 32 (1911) 23, 29 ff., KritVjschr 14 (1912) 22, 24 ff. 22 Haymann, SZ 40 (1919) 167, 202 ff., 213 ff. 23 Haymann, SZ 40 (1919) 167, 174 ff. 24 Luzzatto, Caso fortuito, S. 73 ff. und passim. 25 Luzzatto, Caso fortuito, S. 263 ff. 19

14

1. Kap.: Einleitung

sanktioniere.26 Dieses schwer eingängige Konzept erntet verständlicherweise schon 1954 die Kritik von Sargenti.27 Dieser wehrt sich aber seinerseits gegen die Annahme einer Alternativität von culpa und custodia28 und glaubt, diese sei als generelles Haftungskriterium erst ein Werk der modernen Theorie und bei den klassischen Juristen auf die Fälle von Entleiher, Kleiderreiniger und Schneider begrenzt gewesen.29 Wieder zur Idee eines allgemeinen Haftungskriteriums, das einen Schuldner ohne Rücksicht auf sein Verschulden einstandspflichtig macht, kehrt zur gleichen Zeit Kaser zurück. Auch wenn er die Quellen nicht in gleichem Maße einem Interpolationsverdacht aussetzen will wie Haymann, übernimmt er inhaltlich doch vor allem dessen Position: Aus Kasers Sicht steht custodia für eine typisierte Verschuldenshaftung, die sich aus einer reinen Erfolgshaftung auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigend übernommenen Garantie entwickelt habe. Während der Schuldner eigentlich schon durch den Sachverlust verpflichtet werde, könne er sich ausnahmsweise auf bestimmte Umstände berufen, in denen ihm typischerweise nicht der Vorwurf des Verschuldens gemacht werden kann.30 Ähnlich und später mit Kasers Ansicht zuweilen kombiniert31 ist die Auffassung, die Cannata in seiner wirkungsreichen Monographie von 1966 vorstellt. Für ihn ist custodia kein Haftungskriterium, sondern bezeichnet den Inhalt einer Pflicht zu einem Verhalten, das an seinem Erfolg gemessen wird.32 Die Eignung dieses Verhaltens zur Erreichung des Erfolgs hätten die klassischen Juristen abstrakt beurteilt, weshalb sie im Fall eines Diebstahls auch automatisch zu einer Haftung gelangt seien.33 Erst in nachklassischer Zeit habe diese objektive Einstandspflicht das Gewand einer Verschuldenshaftung erhalten.34 Zu demselben Ergebnis kommt von einem geradezu entgegengesetzten Ausgangspunkt auch Metro in seiner im gleichen Jahr veröffentlichten Arbeit: Er bestreitet zwar, dass die klassischen Juristen die Haftung für Sachverlust als Konse26

Krückmann, Versicherungshaftung im römischen Recht, SZ 63 (1943) 1, 48 ff. Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 139 ff. 28 Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 160 ff. 29 Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 211 ff., 223 ff. 30 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 1. Aufl. München 1955, S. 425, 2. Aufl. München 1971, S. 507; vgl. auch ders., SZ 96 (1979) 89, 99 ff. Ebenso Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 519. Als Alternative zu einer reinen Garantiehaftung erwägt dies auch Schermaier, §§ 276–278 Rn. 18, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. 2.1, Tübingen 2007. 31 Vgl. etwa Reichard, Stipulation und Custodiahaftung, SZ 107 (1990) 46, 62 f. 32 Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 39 ff.; vgl. auch Cannata, Sul problema della responsabilità, S. 69 ff. 33 Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 56 ff., 128 ff. 34 Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 114 ff.; vgl. auch Cannata, Sul problema della responsabilità, S. 73 ff. 27

II. Ein Pendel: die moderne Forschung

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quenz des Verstoßes gegen eine Verpflichtung zur Bewachung betrachtet hätten.35 In den Kategorien des modernen Schuldrechts sei custodia eher als Gegenstand einer Obliegenheit anzusehen, der ein Schuldner gerecht werden muss, um seiner Einstandspflicht zu entgehen.36 Diese setzt nach Metros Meinung aber eben kein Verschulden voraus, sondern ergebe sich unmittelbar aus dem Sachverlust, wenn er auf einen Umstand zurückgeht, der sich durch eine aufmerksame Bewachung typischerweise hätte vermeiden lassen. Ähnlich wie nach Cannatas Modell entscheidet also eine ,abstrakte Wahrscheinlichkeit‘37 und keine Beurteilung des individuellen Verhaltens. Die Konsequenz sind wiederum zahlreiche Interpolationsvermutungen, denen Metro ebenso wie Cannata die Texte unterwerfen muss, in denen die custodia-Haftung in Zusammenhang mit einem bestimmten Sorgfaltsstandard gebracht wird. Die Renaissance der Theorie einer objektiven Haftung,38 die bis in rezente Publikationen zu spüren ist,39 provoziert naturgemäß eine Gegenbewegung. Sie setzt schon zeitgleich mit den Arbeiten von Cannata und Metro ein, als Thomas die Vorstellung einer custodia im „technischen“ Sinn zu einem Produkt des 19. Jahrhunderts erklärt40 und Alzon in einer Arbeit zum Lagergeschäft die These wagt, die Haftung unterscheide sich nicht von der gewöhnlichen Einstandspflicht für culpa.41 Den Nachweis hierfür versuchen MacCormack und Robaye in zwei groß angelegten Studien aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre zu erbringen. Für MacCormack ist die Bewachung einer Sache weder Haftungsstandard noch Gegenstand einer Erfolgspflicht, sondern Inhalt einer gewöhnlichen Sorgfaltsflicht des Schuldners. Vom Fall einer besonderen Risikoübernahme abgesehen, sei er hierfür wie sonst auch nur dann verantwortlich, wenn ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt.42 Robaye unterscheidet zwar zwischen einer custodia im materiellen Sinn, die den Inhalt einer Verpflichtung des Schuldners ausmache, und einer ,technischen‘ custodia, die er als Haftungskriterium dolus und culpa an die Seite stellt.43 Er hält diese aber, wenn auch mit gewissen Bedeutungsschwankungen, gleichermaßen für einen subjektiven Maßstab, der einer 35

Metro, L’obligazione di custodire, S. 147 ff. Metro, L’obligazione di custodire, S. 161 ff. 37 Metro, L’obligazione di custodire, S. 109. 38 Sie setzt sich noch in der auf das Pfandrecht bezogenen Arbeit von Rascon, Pignus y custodia en el derecho romano classico, Oviedo 1976, S. 133 ff. fort. 39 Vgl. Pelloso, Custodia, receptum e responsabilità contrattuale, SD 29 (2016) 263 ff., der mit Blick auf das geltende italienische Recht custodia zu einem Kriterium der Haftung für Nichterfüllung deutet. 40 Thomas, RIDA 13 (1966) 353, 365; so später auch van Bergh, Custodiam praestare: custodia-liability or liability for failing custodia?, TR 43 (1975) 59, 65 ff. 41 Alzon, Problèmes relatifs à la location des entrepôts en droit romain, Paris 1965, S. 51 ff. 42 MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 155 f. 43 Robaye, L’obligation de garde, S. 428 ff. 36

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1. Kap.: Einleitung

culpa in custodiendo gleichkommt.44 Können MacCormack und Robaye sich so die zahllosen Interpolationsvermutungen ersparen, zu denen die Vertreter der Lehre einer objektiven Haftung gezwungen sind, bereiten ihnen aber die Quellen Schwierigkeiten, in denen aus einem eingetretenen Sachverlust ohne Weiteres auf die Haftung des Schuldners geschlossen wird. Hier müssen beide fast durchgängig zu der Annahme greifen, ein Sorgfaltsverstoß des Schuldners sei entweder stillschweigend unterstellt oder bleibe unerwähnt, weil der Jurist sich jeweils auf ein anderes Thema konzentriere.45 Nichtsdestoweniger bekennt sich noch Anfang der 90er Jahre auch Voci zur Ansicht von MacCormack und erklärt die Deutung der custodia als Kriterium einer objektiven Haftung zum Ergebnis einer petitio principii.46 Lässt sich die moderne Forschung ungeachtet aller Variationen en détail im Wesentlichen zwei Lagern zuordnen, fehlt es doch auch nicht an Versuchen, die beiden Deutungen der custodia-Haftung bei der Ermittlung des klassischen Rechtszustands miteinander zu vereinbaren. Erwogen wird dabei sowohl eine zeitliche als auch eine sachliche Differenzierung nach dem Sinn, der dem Begriff custodia in bestimmten Kontexten zukommt: Für eine zeitliche Unterscheidung nach verschiedenen Phasen der Rechtsentwicklung tritt Pernice ein. Die Vorstellung, custodia führe zu einer durch den bloßen Sachverlust aktivierten unbedingten Haftung, schreibt er den republikanischen Juristen zu. Spätestens seit Julian habe man hingegen zwischen einem abwendbaren und einem unvermeidbaren Sachverlust unterschieden und die objektive Haftung nur noch teilweise neben der nun obwaltenden Einstandspflicht für culpa in custodiendo beibehalten.47 Bedeutet dies, dass custodia zumindest ab der Wirkungszeit des Hochklassikers einen doppelten Sinn hat, will Paris ihn in seiner 1926 erschienenen Monographie auf Unterschiede zwischen den einzelnen Verträgen und einschlägigen Klagen zurückführen. Eine verschuldensunabhängige Haftung für Sachverlust treffe nur einen Entleiher aufgrund der älteren Tatsachenklage sowie einen Werkunternehmer im Rahmen der locatio conductio. Ansonsten stehe ihr das in den bonae fidei iudicia verankerte Gebot der guten Treue entgegen.48 Die hierdurch motivierten Interpolationen der justinianischen Gesetzesredaktoren gründen für Paris damit durchaus auf einem klassischen Konzept, das für eine objektive custodia-Haftung im technischen Sinn nur wenig Raum lässt.49 44

Robaye, L’obligation de garde, S. 418 f. Vgl. beispielhaft Robaye, L’obligation de garde, S. 266 ff. 46 Voci, SDHI 56 (1990) 29, 63 f., 86. 47 Pernice, Labeo. Das römische Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Bd. 2, Halle 1878 (Neudruck Aalen 1963), S. 352 ff. 48 Paris, La responsabilité de la custodia, S. 59 ff., 112 ff. 49 Vgl. Paris, La responsabilité de la custodia, S. 146 ff., 181 ff., 201 ff. 45

II. Ein Pendel: die moderne Forschung

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Nach dem Krieg will Rosenthal ebenfalls nach den Anwendungsfeldern der custodia differenzieren. Als Unterscheidungsmerkmal macht er aber statt der Klageformeln zum einen die Bedeutung aus, die der Bewachung als vertraglich zu erbringender Leistung beigemessen wird, zum anderen das Stigma sozialer Minderwertigkeit, das einem Entleiher und den Vertretern bestimmter Berufsgruppen anhafte.50 Dem von Paris eingeschlagenen Weg folgt hingegen Pastori. Den Anwendungsbereich der objektiven custodia-Haftung fasst er aber noch enger, indem er in ihr ein Phänomen der actio in factum erkennt, die beim commodatum exklusiv für die Rückgabe der Leihsache zuständig sei. Schon die dem Verleiher für andere Ansprüche zur Verfügung stehende actio in ius concepta gebiete eine Beurteilung nach einem subjektiven Maßstab.51 Spaltet die Diskrepanz von subjektiver und objektiver Haftung damit sogar denselben Vertragstyp, macht dies zwar teilweise die von Pastori gleichwohl angestellten Interpolationsvermutungen entbehrlich, bietet aber keine befriedigende Erklärung für andere Verträge, die nicht mit verschieden konzipierten Klagen sanktioniert sind. Dieses Defizit versucht Serrano-Vicente zu vermeiden, dessen Auffassung gleichsam eine Umkehrung der Ansicht Pastoris, verknüpft mit einer zusätzlichen zeitlichen Differenzierung, darstellt. In seiner 2006 veröffentlichten Arbeit erklärt der spanische Romanist custodia im Anschluss an Cannata zum Gegenstand einer strikt erfolgsbezogenen Leistungspflicht.52 Ihre Anerkennung führt er aber gerade auf das Gebot der bona fides zurück. Dementsprechend sieht er ihren Ursprung bei Bewachungsleistungen im Rahmen der locatio conductio, während sie bei der Leihe erst mit Einführung der actio in ius concepta an die Stelle einer älteren Risikozuweisung im Umgang mit der actio in factum trete.53 Nach dieser Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Haftung setze mit Gaius eine Tendenz zu ihrer Subjektivierung ein, die schließlich zur Integration von custodia in das Konzept der Verschuldenshaftung führe.54 Vermeiden lässt sich die auch hier unterstellte Doppelbedeutung von custodia nur, wenn man einem Gedanken folgt, den Pflüger in einem 1947 postum veröffentlichen Aufsatz äußert. Verborgen in einer unstrukturierten Darstellung und unter einem Wust von zügellosen Interpolationsannahmen erwägt er ebenso wie ansatzweise schon Seckel, dass der Sachverlust durch Diebstahl den klassischen Juristen als ein Umstand gegolten haben könnte, den man durch gehörige Bewachung verhindern könne.55 Aufgegriffen wird diese Überlegung im 21. Jahr-

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Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 229 ff., 262 ff. Pastori, Commodato, contratto, responsabilitá, Mailand 1982, S. 319 ff., 384 ff., 410 ff. 52 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 354 ff. 53 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 223 ff. 54 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 364 ff. 55 Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 132. 51

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1. Kap.: Einleitung

hundert, zum einen verknüpft mit Haymanns und Kasers Lehre vom typisierten Verschulden durch Nelson und Manthe in ihrem Gaiuskommentar,56 zum anderen von Cardilli, der freilich von einer systematisierenden Tendenz der römischen Juristen ausgeht57 und sich damit der ,abstrakten‘ Beurteilung im Sinne von Cannata und Metro annähert. So schlicht sie auch erscheinen mag, bietet Pflügers Idee gleichwohl den einzigen Ausweg aus dem Dilemma, vor das die Quellen zur custodia stellen. Denn weder lässt sich leugnen, dass dieses Kriterium gegenüber der culpa eine gewisse Eigenständigkeit beweist und für einen Haftungsautomatismus steht; noch kann man die Verknüpfung mit culpa und diligentia leugnen, ohne auf die Annahme gravierender Bedeutungsverschiedenheiten oder erheblicher Textverfälschungen zu verfallen. Will man die überlieferten Texte als echte Zeugnisse eines einheitlichen Konzepts deuten, gelingt dies nur, wenn man die trennenden und verbindenden Elemente integriert. So wird aus der Einstandspflicht für custodia zwar einerseits ein Anwendungsfall der culpa-Haftung; wegen der Besonderheiten, die der Verschuldensvorwurf bei einem einfachen Diebstahl mit sich bringt, kommt sie andererseits ohne die sonst übliche Beurteilung des individuellen Schuldnerverhaltens aus und unterscheidet sich daher vom Normalfall der culpa.

56 57

Nelson/Manthe, Gai Institutiones III 182–225, Berlin 2007, S. 316 f. Cardilli, L’obligazione di praestare, S. 499 ff.

Zweites Kapitel

Custodia und furtum I. Diebstahl als Haftungstatbestand 1. Ein Automatismus Zahlreiche Quellen bezeugen einen unbedingten Zusammenhang zwischen der Haftung für custodia und der Aktivlegitimation zur actio furti. Es geht dabei vor allem um drei Personen: fullo, sarcinator und Entleiher. Kommt einem von ihnen die vom Verleiher oder Auftraggeber überlassene Sache durch furtum abhanden, ist er automatisch befugt, die Diebstahlsklage zu erheben. Nur er, nicht der Eigentümer hat das maßgebliche Interesse am Unterbleiben der Tat, weil er dem Eigentümer für die Bewachung der überlassenen Sache verantwortlich ist. Anders verhält es sich nur, wenn er insolvent ist. Da der Schaden in diesem Fall doch den Eigentümer trifft, kann er selbst gegen den Dieb vorgehen. Der prominenteste Beleg für diesen Haftungsmechanismus stammt aus dem gaianischen Original der Institutionen:58 Gai 3.205–206 Item si fullo polienda curandave aut sarcinator sarcienda vestimenta mercede certa acceperit eaque furto amiserit, ipse furti habet actionem, non dominus, quia domini nihil interest ea non periisse, cum iudicio locati a fullone aut sarcinatore suum consequi possit, si modo is fullo aut sarcinator rei praestandae sufficiat: nam si solvendo non est, tunc quia ab eo dominus suum consequi non potest, ipsi furti actio conpetit, quia hoc casu ipsius interest rem salvam esse. (206) Quae de fullone aut sarcinatore diximus, eadem transferemus et ad eum, cui rem commodavimus: nam ut illi mercedem capiendo custodiam praestant, ita hic quoque utendi commodum percipiendo similiter necesse habet custodiam praestare. Auch wenn ein Reiniger gegen einen bestimmten Lohn Kleider zum Reinigen oder Pflegen oder ein Schneider zum Ausbessern erhalten und sie durch Diebstahl verloren hat, hat er die Diebstahlsklage und nicht der Eigentümer, weil es nicht sein Interesse ist, dass sie nicht verlorengegangen wären, da er mit seiner Klage aus dem Werkvertrag von dem Kleiderreiniger oder Schneider das ihm Gebührende erlangen kann, vorausgesetzt, dass der Kleiderreiniger oder Schneider zur Leistung in der Lage ist; ist er aber nicht zahlungsfähig, steht dem Eigentümer, da er von ihm das 58 Seine Aussagekraft für die Verschuldensfrage müssen Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, S. 43 ff., MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 161 und Robaye, L’obligation de garde, S. 174 in Abrede stellen. Hiergegen wendet sich insbesondere Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 160.

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2. Kap.: Custodia und furtum ihm Gebührende nicht erlangen kann, selbst die Diebstahlsklage zu, weil er in diesem Fall ein eigenes Interesse daran hat, dass die Sache nicht verlorengegangen wäre. (206) Was wir vom Kleiderreiniger und Schneider gesagt haben, können wir auf denjenigen übertragen, dem wir eine Sache geliehen haben. Denn wie jene für Bewachung einzustehen haben, während sie ihren Lohn verdienen, so muss dieser ebenfalls für Bewachung einstehen, weil er seinen Nutzen aus dem Gebrauch zieht.

Die byzantinischen Redaktoren übernehmen diesen Passus fast wortgetreu in ihre Version des Textes. Ergänzt ist bloß ein Hinweis auf die Aktivlegitimation eines gutgläubigen Erwerbers und eines Pfandgläubigers, deren Klagebefugnis freilich aus einem ganz anderen Grund, nämlich wegen ihres dinglichen Rechts,59 besteht, ferner eine Bemerkung zur teilweisen Leistungsfähigkeit des Schuldners: Kann der Unternehmer oder Entleiher den Eigentümer nicht in vollem Umfang befriedigen, soll die Diebstahlsklage ebenfalls dem Eigentümer zustehen: IJ 4.1.15–16 Item si fullo polienda curandave aut sarcinator sarcienda vestimenta mercede certa acceperit eaque furto amiserit, ipse furti habet actionem, non dominus, quia domini nihil interest eam rem non perire, cum iudicio locati a fullone aut sarcinatore rem suam persequi potest. sed et bonae fidei emptori subrepta re quam emerit, quamvis dominus non sit, omnimodo competit furti actio, quemadmodum et creditori. fulloni vero et sarcinatori non aliter furti competere placuit, quam si solvendo sint, hoc est si domino rei aestimationem solvere possint: nam si solvendo non sunt, tunc quia ab eis suum dominus consequi non possit, ipsi domino furti actio competit, quia hoc casu ipsius interest rem salvam esse. idem est et si in parte solvendo sint fullo aut sarcinator. (16) Quae de fullone et sarcinatore diximus, eadem et ad eum cui commodata res est transferenda veteres existimabant: nam ut ille fullo mercedem accipiendo custodiam praestat, ita is quoque, qui commodum utendi percipit, similiter necesse habet custodiam praestare. . . . Auch wenn ein Reiniger gegen einen bestimmten Lohn Kleider zum Reinigen oder Pflegen oder ein Schneider zum Ausbessern erhalten und sie durch Diebstahl verloren hat, hat er die Diebstahlsklage und nicht der Eigentümer, weil es nicht sein Interesse ist, dass sie nicht verlorengegangen wären, da er mit seiner Klage aus dem Werkvertrag von dem Reinigungsunternehmer oder Schneider den Wert seiner Sache erlangen kann. Aber auch einem gutgläubigen Erwerber steht nach einem Diebstahl der gekauften Sache, obwohl er nicht ihr Eigentümer ist, unbedingt die Diebstahlsklage zu, und zwar ebenso wie einem Pfandgläubiger. Einem Kleiderreiniger oder Schneider steht sie aber anerkanntermaßen nur dann zu, wenn sie zahlungsfähig sind, also wenn sie dem Eigentümer den Wert der Sache leisten können; sind sie aber nicht zahlungsfähig, steht dem Eigentümer, da er von ihnen das ihm Gebührende nicht erlangen kann, selbst die Diebstahlsklage zu, weil er in diesem Fall ein eigenes Interesse daran hat, dass die Sache nicht verlorengegangen wäre. Dasselbe gilt, wenn der Reinigungsunternehmer oder Schneider nur teilweise zahlungsfähig ist. (16) Was wir vom Reinigungsunternehmer und Schneider gesagt haben, können wir, wie die alten Juristen glaubten, auf denjenigen übertragen, dem wir eine Sache geliehen ha59

S. u. S. 42 ff.

I. Diebstahl als Haftungstatbestand

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ben. Denn wie jene für Bewachung einzustehen haben, während sie ihren Lohn verdienen, so muss dieser ebenfalls für die Bewachung einstehen, weil er seinen Nutzen aus dem Gebrauch zieht. . . .

Das besondere Interesse, das Justinian diesem Fall schenkt, manifestiert sich darin, dass er seine Lösung im Fortgang des Textes korrigiert: Er will dem Eigentümer die Wahl lassen, ob er gegen seinen Vertragspartner vorgehen oder diesen verschonen und den Dieb selbst in Anspruch nehmen will. So sollen die Probleme einer teilweisen und nachträglichen Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners bewältigt werden. Dies und die Folgefragen, die sich dann stellen, wenn der Eigentümer seine Entscheidung wieder rückgängig machen will oder in Unkenntnis des Diebstahls gegen seinen Vertragspartner vorgeht, sind Gegenstand einer ausführlichen Reformkonstitution.60 Weder in ihr noch in seinen Institutionen stellt Justinian aber den Ausgangspunkt in Frage, nämlich dass einem Unternehmer oder Entleiher infolge seiner Haftung für custodia automatisch die Aktivlegitimation für die actio furti zufällt. Eine Differenzierung danach, ob ihm der Diebstahl wegen seines Verhaltens auch den Vorwurf des Verschuldens einträgt, findet hier ebenso wenig wie bei Gaius statt. Dasselbe gilt für einen Auszug aus Modestins libri differentiarum, der jenseits der justinianischen Kompilation überliefert ist. Auch der Spätklassiker spricht einem Entleiher für den Fall seiner Zahlungsfähigkeit vorbehaltlos die Befugnis zur Erhebung der Diebstahlsklage zu und deutet durch den Vergleich mit einem Verwahrer an, dass er im Gegensatz zu diesem ein hinreichend schutzwürdiges Interesse am Unterbleiben des furtum hat: Coll 10.2.6 Mod 2 diff Res deposita si subripiatur, dominus dumtaxat habet furti actionem, quamvis eius apud quem res deposita est intersit ob inpensas in rem factas rem retinere. is vero cui res commodata sit furti experiri debebit, si modo solvendo fuerit. Wird eine in Verwahrung gegebene Sache entwendet, hat nur der Eigentümer die Diebstahlsklage, obwohl der Verwahrer ein Interesse daran hat, die Sache wegen der auf sie gemachten Aufwendungen zurückzuhalten. Ein Entleiher kann aber die Diebstahlsklage erheben, wenn er zahlungsfähig ist.

Dass sich dieses Interesse des Entleihers just aus der custodia-Haftung gegenüber dem Eigentümer ergibt, sagt Ulpian gleich an mehreren Stellen ausdrücklich.61 Besondere Bedeutung kommt dem Argument bei einer Entscheidung zu, 60 CJ 6.2.22.pr-2 (17. Nov. 530). Hierzu und zu den zugrunde liegenden Ansätzen im klassischen Recht Ankum, Justinien C.6.2.22.pr-3a de 530 après J.-C. et la légitimation active de l’actio furti en cas de vol d’une chose pêtée dans le droit romain classique, RIDA 47 (2000) 463, 467 ff. und neuerdings Willems, Justinian als Ökonom, Köln u. a. 2017, S. 347 ff. (mit dem Versuch, die singuläre Regelung zugunsten des Entleihers aus der Unentgeltlichkeit der Sachüberlassung zu rechtfertigen). 61 Unergiebig sind im Gegensatz zu den im Folgenden aufgeführten Texten hingegen D 12.7.2 Ulp 32 ed und D 47.2.52.9 Ulp 37 ed. Hier ist zwar ebenso wie in D 19.2.60.2 Lab 5 post Iav ep und D 47.2.91 Iav 9 post Lab der Zusammenhang zwischen der Haf-

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2. Kap.: Custodia und furtum

die aus seinem Sabinuskommentar62 überliefert ist. Sie gilt der schwierigen Frage, ob ein Dieb selbst zur Erhebung der actio furti befugt sein kann. Ulpian bejaht dies in dem Fall, dass ein Kleiderreiniger die ihm überlassenen Kleidungsstücke ohne Zustimmung ihres Eigentümers verliehen hat und sie dann dem Entleiher entwendet werden. Der Reiniger, der sich durch die Weitergabe der Kleidung selbst eines furtum in Gestalt einer Unterschlagung schuldig gemacht hat, soll nach Ulpians Ansicht seinerseits gegen den Dieb klagen können, weil er dem Eigentümer für custodia einzustehen hat: D 47.2.48.4 Ulp 42 Sab Si ego tibi poliendum vestimentum locavero, tu vero inscio aut invito me commodaveris Titio et Titio furtum factum sit: et tibi competit furti actio, quia custodia rei ad te pertinet, et mihi adversus te, quia non debueras rem commodare et id faciendo furtum admiseris: ita erit casus, quo fur furti agere possit. Habe ich dir Kleidung zur Reinigung überlassen und hast du sie ohne mein Wissen oder gegen meinen Willen dem Titius geliehen und ist sie Titius gestohlen worden, steht sowohl dir die Diebstahlsklage zu, weil du für die Bewachung der Sache verantwortlich bist, als auch mir gegen dich, weil du die Sache nicht verleihen durftest und dadurch, dass du es getan hast, einen Diebstahl begangen hast; dies ist folglich ein Fall, in dem ein Dieb wegen Diebstahls klagen kann.

Mit dieser Begründung begegnet Ulpian einem von Quintus Mucius und Pomponius formulierten Einwand. Beide fordern, dass sich das Interesse, das die Aktivlegitimation zur actio furti trägt, aus einer causa honesta ergibt.63 Kommt tung eines Kleiderreinigers gegenüber dem Eigentümer und seiner Aktivlegitimation zur actio furti dokumentiert, aber der Grund der Haftung offengelassen. Zu D 13.6.5.15 Ulp 28 ed s. u. S. 59 f. 62 Zum palingenetischen Zusammenhang Harke, Libri, S. 82 ff. 63 Vgl. D 47.2.77.1 Pomp 38 QM: Si quis alteri furtum fecerit et id quod subripuit alius ab eo subripuit, cum posteriore fure dominus eius rei furti agere potest, fur prior non potest, ideo quod domini interfuit, non prioris furis, ut id quod subreptum est salvum esset. haec Quintus Mucius refert et vera sunt: nam licet intersit furis rem salvam esse, quia condictione tenetur, tamen cum eo is cuius interest furti habet actionem, si honesta ex causa interest. . . . („Hat jemand zum Nachteil eines anderen einen Diebstahl begangen und ein Dritter von ihm das Diebesgut entwendet, kann der Eigentümer dieser Sache zu Recht die Diebstahlsklage gegen den späteren Dieb erheben, der frühere kann es hingegen nicht, weil es im Interesse des Eigentümers, nicht des früheren Diebs liegt, dass die gestohlene Sache nicht entwendet worden wäre. Dies berichtet Quintus Mutius, und es ist richtig; denn obwohl der Dieb, weil er mit der Kondiktion haftet, ein Interesse daran hat, dass die Sache nicht entwendet worden wäre, hat gegen jenen doch nur die Diebstahlsklage, wer ein ehrenvolles Interesse daran hat. . . .“) Vgl. zum depositum auch D 47.2.14.4 Ulp 29 Sab: Iulianus quoque libro vicensimo secundo digestorum scribit: quia in omnium furum persona constitutum est, ne eius rei nomine furti agere possint, cuius ipsi fures sunt, non habebit furti actionem is, apud quem res deposita est, quamvis periculo eius esse res coeperit qui eam contrectavit. („Julian schreibt ferner im 22. Buch seiner Digesten: Da für alle Arten von Dieben gilt, dass sie nicht wegen der von ihnen selbst gestohlenen Sachen die Diebstahlsklage erheben können, hat auch ein Verwahrer nicht die Diebstahlsklage, obwohl eine Sache, die er entwendet hat, auf seine Gefahr geht.“).

I. Diebstahl als Haftungstatbestand

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deshalb die Haftung des Kleiderreinigers wegen des von ihm selbst verübten furtum nicht als Anknüpfungspunkt für das klagebegründende Interesse in Betracht,64 gilt etwas anderes für die Einstandspflicht für custodia.65 Sie ist durch den Abschluss des Leihvertrags mit dem Eigentümer begründet und daher nicht mit dem Makel behaftet, der aus der unberechtigten Weitergabe der Sache resultiert. Ergiebig ist ferner Ulpians Traktat zur Aktivlegitimation bei der actio furti aus dem 29. Buch seines Sabinuskommentars.66 Eine hieraus stammende Passage betrifft einen Entleiher, dem Ulpian attestiert, auch im Hinblick auf das Zubehör einer Leihsache oder den Nachwuchs eines geliehenen Tieres für custodia einstehen zu müssen: D 47.2.14.15 Ulp 29 Sab Non solum autem in re commodata competit ei cui commodata est furti actio, sed etiam in ea, quae ex ea adgnata est, quia et huius custodia ad eum pertinet. nam et si servum tibi commodavero, et vestis eius nomine furti ages, quamvis vestem, qua vestitus est, tibi non commodaverim. item si iumenta tibi commodavero, quorum sequella erat eculeus, puto competere furti actionem etiam eius nomine, quamvis ipse non sit commodatus. Einem Entleiher steht nicht nur wegen der geliehenen Sache die Diebstahlsklage zu, sondern auch wegen zugehöriger Sachen, weil ihm deren Bewachung ebenfalls obliegt. Denn auch wenn ich dir einen Sklaven geliehen habe, kannst du wegen seiner Kleidung klagen, obwohl ich dir die Kleidung, die er trägt, nicht geliehen habe. Auch wenn ich dir ein Zugtier geliehen habe, dem ein Fohlen folgt, steht, so glaube ich, dir deshalb die Diebstahlsklage zu, obwohl es nicht selbst verliehen worden ist.

Einem Entleiher gleich steht ein Gutachter, dem ein Eigentümer seine Sache ohne eigenes Interesse überlassen hat. Auch in seinem Fall besteht aus Ulpians

64 Das vom Kleiderreiniger verübte furtum wirkt sich aber offenbar insofern aus, als der Entleiher selbst nicht für custodia verantwortlich ist; andernfalls könnte man ihm schwerlich die actio furti absprechen, weil ihn der durch den Diebstahl entstandene Schaden träfe; vgl. Schulz, SZ 32 (1911) 23, 40 f., der aber glaubt, dem fullo würde schlechthin die actio commodati versagt; so schafft er unnötigerweise einen Widerspruch zu der unter anderem in D 13.6.16 Marcell 5 dig belegten Auffassung Marcells. 65 Dies erkennen Schulz, SZ 32 (1911) 23, 39 und Molnár, Verantwortung, S. 599. Da Ulpian ganz bewusst auf die custodia-Haftung und eben nicht auf das vom Entleiher verübte furtum abstellt, lässt sich die Aussagekraft des Textes entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 169 und Robaye, L’obligation de garde, S. 184 gerade nicht mit dem Argument in Frage stellen, den Kleiderreiniger treffe hier wegen der begangenen Unterschlagung der Vorwurf des Verschuldens; vgl. Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 161. Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, S. 46 f. und Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 261 sehen sich denn auch zu einer Interpolationsannahme veranlasst. 66 Er erstreckt sich über die Fragmente Ulp 2732 bis Ulp 2735. Der Zusammenhang zum eigentlichen Thema des der emptio venditio gewidmeten Buchs ist kaum nachzuvollziehen. Lenel sieht ihn just wegen der custodia-Haftung des Verkäufers gegeben; vgl. Palingenesia, Bd. 2, Sp. 1124.

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2. Kap.: Custodia und furtum

Sicht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der custodia-Haftung gegenüber dem Eigentümer67 und der Befugnis zur Erhebung der Diebstahlsklage:68 D 13.6.10.1, 12pr Ulp 29 Sab Si rem inspectori dedi, an similis sit ei cui commodata res est, quaeritur. et si quidem mea causa dedi, dum volo pretium exquirere, dolum mihi tantum praestabit: si sui, et custodiam: et ideo furti habebit actionem. sed et si dum refertur periit, si quidem ego mandaveram per quem remitteret, periculum meum erit: si vero ipse cui voluit commisit, aeque culpam mihi praestabit, si sui causa accepit (12pr) si mei causa, dolum tantum. Habe ich eine Sache einem Gutachter gegeben, stellt sich die Frage, ob er in einer ähnlichen Lage wie ein Entleiher ist. Und wenn ich sie in meinem Interesse gegeben habe, weil ich ihren Wert ermitteln will, hat er mir nur für Arglist einzustehen, habe ich sie ihm aber in seinem Interesse gegeben, auch für Bewachung; und deshalb hat er die Diebstahlsklage. Aber auch wenn sie auf dem Rückweg verlorengeht, trifft mich die Gefahr, wenn ich denjenigen beauftragt habe, durch den sie zurückgebracht werden sollte; hat er jemanden nach seinem Willen beauftragt, muss er mir auch für Fahrlässigkeit einstehen, wenn er sie in seinem eigenen Interesse erhalten hat, hingegen nur für Arglist, wenn er sie in meinem Interesse erhalten hat.

Außerdem bescheinigt Ulpian einem fullo, dass seine custodia-Haftung gegenüber dem locator automatisch die Aktivlegitimation für die actio furti nach sich zieht. Und er spricht bei einer mangelnden Zahlungsfähigkeit des Kleiderreinigers sogar davon, dass dieser, wenn er nichts zu verlieren habe, auch keine Gefahr trage:69 D 47.2.12pr Ulp 29 Sab Itaque fullo, qui curanda poliendave vestimenta accepit, semper agit: praestare enim custodiam debet. si autem solvendo non est, ad dominum actio redit: nam qui non habet quod perdat, eius periculo nihil est. Auch der Reiniger, der Kleidung zur Reinigung übernommen hat, kann stets klagen; er muss nämlich für Bewachung einstehen. Ist er aber zahlungsunfähig, fällt die Klage an den Eigentümer zurück; wer nichts zu verlieren hat, trägt nämlich auch keine Gefahr.

67 Dass custodia hier in Kombination mit dem dolus erscheint, auf den die Haftung eines fremdnützig tätigen inspector beschränkt ist, begründet keine Echtheitszweifel, vgl. Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 56 f. Auch die Abstufung der Haftung nach dem Vertragsnutzen begegnet keinen Bedenken; vgl. Nörr, SZ 73 (1956) 68, 77 f. 68 Entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 171 und Robaye, L’obligation de garde, S. 282 gibt es hier kein Anzeichen dafür, dass Ulpian auch nach einer subjektiven Verantwortlichkeit des Entleihers oder culpa fragt. 69 Schulz, SZ 32 (1911) 23, 59 f. stört sich hier an dem nicht ganz korrekten ,semper‘ und vermutet eine Urheberschaft der Kompilatoren, die statt der Haftung des Unternehmers dessen Interesse an seiner Vergütung für entscheidend gehalten hätten. Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, S. 50 verdächtigt hingegen den gesamten Text.

I. Diebstahl als Haftungstatbestand

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Für den Fall der Solvenz des fullo kann man hieraus schließen: Die Einstandspflicht wegen custodia schafft für den Kleiderreiniger ein periculum. Denn sie trifft ihn stets, wenn die Sache bei ihm gestohlen wird.70 2. Ein periculum aus custodia Indirekt weist Ulpian eine solche Gefahr an anderer Stelle auch einem Entleiher zu. In seinem Ediktskommentar stellt er im Rahmen seiner Erläuterung der Formel der actio commodati71 einen besonderen Fall vor, dem sich schon Labeo gewidmet hat: D 13.6.5.14 Ulp 28 ed Si de me petisses, ut triclinium tibi sternerem et argentum ad ministerium praeberem, et fecero, deinde petisses, ut idem sequenti die facerem et cum commode argentum domi referre non possem, ibi hoc reliquero et perierit: qua actione agi possit et cuius esset periculum? Labeo de periculo scripsit multum interesse, custodem posui an non: si posui, ad me periculum spectare, si minus, ad eum penes quem relictum est. ego puto commodati quidem agendum, verum custodiam eum praestare debere, penes quem res relictae sunt, nisi aliud nominatim convenit. Du hast mich gebeten, dir eine Tafel einzurichten und Silbergeschirr zu überlassen; ich habe dies getan, und du hast mich daraufhin gebeten, dass ich es am kommenden Tag erneut tue; und ich habe das Silbergeschirr, da ich es nicht einfach mit nach Hause nehmen konnte, bei dir zurückgelassen, und dort ist es verschwunden; welche Klage kann erhoben werden, und wer trägt die Gefahr? Labeo schreibt zur Frage der Gefahr, es komme vor allem darauf an, ob ich einen Wächter gestellt habe oder nicht; habe ich einen Wächter gestellt, treffe mich die Gefahr, habe ich keinen gestellt, treffe sie denjenigen, bei dem das Silbergeschirr zurückgelassen worden ist. Ich glaube, dass die Klage aus der Leihe erhoben werden muss und auch derjenige, bei dem die Sachen zurückgelassen worden sind, für Bewachung einzustehen hat, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist.

Hat jemand für einen anderen eine Tafel hergerichtet und das Geschirr auf Bitten des Gastgebers bei diesem zurückgelassen, kommt es für die Zuweisung der Gefahr eines Sachverlustes aus Labeos Sicht darauf an, ob der Eigentümer des Geschirrs einen Wächter zurückgelassen hat. Ist dies der Fall, ist es ersichtlich nicht zum Abschluss eines Leihvertrags gekommen, weil der Eigentümer die Kontrolle über das Geschirr behalten hat, sei es, dass der Wächter sein eigener Sklave ist, sei es, dass er ein Freier ist, der die Bewachung unentgeltlich als Verwahrer oder gegen Lohn im Rahmen einer locatio conductio übernommen hat. Anders verhält es sich, wenn der Eigentümer das Geschirr unbewacht bei dem Gastgeber gelassen hat. Hier liegt ein commodatum vor, das den Gastgeber als 70 Entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 162 und Robaye, L’obligation de garde, S. 175 kann man sich dieser Schlussfolgerung kaum mit dem Argument verschließen, Ulpian gehe an dieser Stelle nicht eigens auf das Thema des Verschuldens ein. 71 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 582 (Ulp 805).

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2. Kap.: Custodia und furtum

Entleiher für custodia haftbar macht. Beantwortet Ulpian mit Hinweis auf diese Einstandspflicht die von Labeo aufgeworfene Frage nach dem periculum, muss sich diese Gefahr ebenso wie bei der Einsetzung eines Wächters durch den bloßen Verlust des Geschirrs verwirklichen und kann nicht von einer weiteren Prüfung des Verhaltens der Beteiligten abhängen.72 Von einem periculum des custodia-Pflichtigen spricht Ulpian explizit in einem weiteren Passus aus dem Traktat zur actio furti im 29. Buch seines Sabinuskommentars:73 D 47.2.14.16 Ulp 29 Sab Qualis ergo furti actio detur ei, cui res commodata est, quaesitum est. et puto omnibus, quorum periculo res alienae sunt, veluti commodati, item locati pignorisve accepti, si hae subreptae sint, omnibus furti actiones competere: condictio autem ei demum competit, qui dominium habet. Fraglich ist, inwiefern die Diebstahlsklage jemandem zu gewähren ist, dem eine Sache überlassen worden sind. Und ich glaube, dass allen, die die Gefahr für fremde Sachen tragen, beispielsweise, wenn diese verliehen, verdungen oder verpfändet sind, bei ihrer Entwendung die Diebstahlsklage zustehe; die Kondiktion steht aber nur demjenigen zu, dem das Eigentum zukommt.

Während die sachverfolgende condictio furtiva stets dem Eigentümer zusteht, ist die als Strafklage konzipierte actio furti allen eröffnet, die das Risiko des Verlustes einer fremden Sache tragen. Als Grundlage nennt Ulpian die Leihe, den Pfandvertrag und die locatio conductio. Damit kann sowohl ein Werkvertrag gemeint sein, wie er mit einem fullo oder sarcinator eingegangen wird, als auch ein Miet- oder Pachtvertrag, bei dem die Sachüberlassung selbst entgolten wird. Aus Ulpians Sicht trägt der conductor jedenfalls ebenso wie ein Entleiher oder Pfandgläubiger das periculum res alienae, also die durch den bloßen Diebstahl realisierte Gefahr einer Entwendung der überlassenen fremden Sache. Eben dies ist auch das Kennzeichen der Haftung von Gastwirten und Schiffern, die Ulpian im unmittelbar anschließenden Textabschnitt als Träger eines ,periculum rerum‘ erwähnt. Anlass bietet ihm ein Fall, in dem ein Brief auf dem Weg vom Absender zum Empfänger gestohlen wird. Die Zuständigkeit der actio furti richtet sich hier zunächst einmal nach dem Eigentum an dem Schriftstück. Es kann beim Absender verbleiben, aber auch schon mit der Übergabe an einen vom Empfänger geschickten Sklaven oder freien Überbringer wechseln. Vorrangig ist jedoch die Frage, ob es unabhängig vom Eigentum ein Interesse daran gibt, dass der Brief nicht entwendet worden wäre. Ein solches Interesse kann auch in der Person des Überbringers begründet sein. Dies gilt insbesondere, 72 Diesen Zusammenhang verkennt Robaye, L’obligation de garde, S. 279, der meint, es komme allein auf eine Bewertung des Verhaltens des Gastgebers an. Entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 214 lässt sich auch nicht in Abrede stellen, dass es hier um Haftung und nicht etwa nur um Bewachung als Gegenstand einer Pflicht geht. 73 Für interpoliert erklärt sie Haymann, SZ 40 (1919) 167, 248 f.

I. Diebstahl als Haftungstatbestand

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wenn der Absender den Empfänger in dem Brief bittet, dem Überbringer einen Vorteil zu gewähren, aber auch, wenn der Bote die Bewachung des Briefs übernommen oder für dessen Übermittlung ein Entgelt erhalten hat.74 Dass er für custodia einstehen muss, ist hier im einen Fall ausdrücklich, im anderen konkludent mit der Lohnvereinbarung verabredet, die ihn ebenso wie einen fullo und sarcinator zum conductor macht.75 Ulpian vergleicht seine Haftung mit der von Schiffs- und Wirtsleuten, deren Befugnis zur Erhebung der actio furti bei Entwendung der bei ihnen eingebrachten Sachen aus ihrem periculum rerum folge:76 D 47.2.14.17 Ulp 29 Sab Si epistula, quam ego tibi misi, intercepta sit, quis furti actionem habeat? et primum quaerendum est, cuius sit epistula, utrum eius qui misit, an eius ad quem missa est? et si quidem dedi servo eius, statim ipsi quaesita est, cui misi: si vero procuratori, aeque (quia per liberam personam possessio quaeri potest) ipsius facta est, maxime si eius interfuit eam habere. quod si ita misi epistulam, ut mihi remittatur, dominium meum manet, quia eius nolui amittere vel transferre dominium. quis ergo furti aget? is cuius interfuit eam non subripi, id est ad cuius utilitatem pertinebant ea quae scripta sunt. et ideo quaeri potest, an etiam is, cui data est perferenda, furti agere possit. et si custodia eius ad eum pertineat, potest: sed et si interfuit eius epistulam reddere, furti habebit actionem. finge eam epistulam fuisse, quae continebat, ut ei quid redderetur fieretve: potest habere furti actionem: vel si custodiam eius rei recepit vel mercedem perferendae accipit. et erit in hunc casum similis causa eius et cauponis aut magistri navis: nam his damus furti actionem, si sint solvendo, quoniam periculum rerum ad eos pertinet. Ist ein Brief abhandengekommen, den ich dir geschickt habe, ist fraglich, wer die Diebstahlsklage hat. Und zunächst ist zu prüfen, wem der Brief gehört, entweder dem Absender oder dem Empfänger. Und habe ich ihn dessen Sklaven gegeben, hat der Empfänger sogleich das Eigentum erworben; habe ich ihn einem Vertreter gegeben, hat er gleichfalls sofort das Eigentum erworben (weil man durch einen freien Menschen den Besitz erwerben kann), insbesondere wenn er ein Interesse am Erhalt des Briefes hatte. Habe ich den Brief aber geschickt, damit er mir zurückgeschickt wird, verbleibt das Eigentum bei mir, weil ich es nicht aufgeben oder übertragen will. Wer soll also die Diebstahlsklage erheben? Derjenige, der ein Interesse daran hat, dass er nicht entwendet worden wäre, also derjenige, dem das Schreiben von Nutzen war. Und daher kann man auch erwägen, ob derjenige, dem der Brief zur Übermittlung gegeben worden ist, die Diebstahlsklage erheben kann. Und wenn ihm die Bewachung obliegt, kann er es; aber auch wenn ihm am Zugang des Briefs etwas 74 Für allgemeingültige Kriterien zur Bestimmung einer custodia-Haftung hält dies Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 165. 75 Dies scheint Robaye, L’obligation de garde, S. 203 in Frage zu stellen. 76 Schulz, SZ 32 (1911) 23, 64 f. hat hier inhaltlich wenig auszusetzen, rechnet aber nichtsdestoweniger mit Texteingriffen der Kompilatoren, die im Gegensatz zu den klassischen Juristen nicht von einer durchgängigen custodia-Haftung eines Unternehmers ausgegangen seien. Einen weitergehenden Interpolationsverdacht erhebt Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, S. 53 ff. Ihm stimmt Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 200 f. zu, der eine custodia-Haftung nur im Fall der Vereinbarung einer Vergütung für angebracht hält.

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2. Kap.: Custodia und furtum lag, hat er die Diebstahlsklage. Nimm an, der Brief habe die Anweisung enthalten, dass ihm etwas gegeben oder für ihn etwas getan werden solle; dann kann er die Diebstahlsklage haben; oder dass er seine Bewachung übernommen oder einen Lohn für die Übermittlung erhalten hat. In diesem Fall verhält es sich wie bei einem Gastwirt oder Schiffer; denn ihnen gewähren wir die Diebstahlsklage, wenn sie zahlungsfähig sind, weil sie das Sachrisiko trifft.

Andernorts nennt Ulpian das Risiko, aus dem sich die Aktivlegitimation eines caupo oder nauta zur Diebstahlsklage ergibt, eigens das periculum custodiae:77 D 47.5.1.4 Ulp 38 ed Quod si receperit salvum fore caupo vel nauta, furti actionem non dominus rei subreptae, sed ipse habet, quia recipiendo periculum custodiae subit. Hat ein Gastwirt oder Schiffer aber etwas zur Obhut übernommen, hat nicht der Eigentümer der entwendeten Sache die Diebstahlsklage, sondern er selbst, weil er durch die Annahme die Gefahr der Bewachung übernommen hat.

Die Haftung der Schiffs- und Wirtsleute aufgrund des einschlägigen Edikts über das receptum78 tritt eigentlich ohne Rücksicht auf ihr Verschulden ein. Erst später wird sie aufgrund einer von Labeo vorgeschlagenen Einrede um die Fälle höherer Gewalt verkürzt.79 Nichtsdestoweniger belegt Ulpian sie mit dem bei anderen Unternehmern und Entleihern gängigen Begriff ,custodia‘ und hält einen Vergleich für angebracht.80 Besteht das Schiffs- und Wirtsleuten obliegende periculum grundsätzlich unabhängig davon, ob sie zu der Entwendung der Sache beigetragen haben, muss sich auch das Risiko, das andere custodia-Pflichtige tragen, 77 Der Text entstammt einem Abschnitt über die actio furti adversus nautas caupones stabularios; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 682 (Ulp 1069). 78 Zur Frage, ob mit ,recipere quod salvum fore‘ die bloß tatsächliche Entgegennahme von Sachen oder das Versprechen von Obhut gemeint ist, ausführlich Meyer-Termeer, Die Haftung der Schiffer im griechischen und römischen Recht, Zutphen 1978, S. 201 ff. m.w. N. Die dort verteidigte herrschende Ansicht, wonach die Haftung der Schiffs- und Wirtsleute an ein mindestens unförmliches Garantieversprechen anknüpft, stellt den Sinn des einschlägigen Edikts in Frage und widerspricht seiner Erklärung aus dem schlechten Charakter der nautae, caupones und stabularii; vgl. D 4.9.1.1 und 3.1 Ulp 14 ed (s. u. S. 106 f.). Der Prätor kann sich zur Statuierung einer besonderen Einstandspflicht nur dann veranlasst gesehen haben, wenn es an einem solchen Versprechen, auf das im Rahmen eines bonae fidei iudicium ohne Weiteres Rücksicht genommen werden könnte, fehlt. Es ist eher umgekehrt denkbar, dass gerade aufgrund des Edikts später in die Entgegennahme einer Sache oder eines Tieres durch Schiffs- oder Wirtsleute ein konkludentes Versprechen hineingelesen wurde. – Dass die Rückführung der Haftung auf ein besonders Versprechen erst dem Bemühen der Kompilatoren zur Harmonisierung mit ihrem Prinzip einer subjektiven Haftung geschuldet ist, glaubt Luzzatto, Caso fortuito, S. 157 ff. 79 D 4.9.3.1 Ulp 14 ed; s. u. S. 57 f. 80 Dass es um custodia im eigentlichen Sinne geht, bestreiten Robaye, L’obligation de garde, S. 87 f. und Földi, RIDA 40 (1993) 263, 284. Anders zu Recht Feenstra, Deux textes, S. 110 ff. und Molnár, Verantwortung, S. 592. Für das Werk der byzantinischen Juristen hält den Vergleich und Rekurs auf custodia de Robertis, Receptum nautarum, Bari 1952, S. 95 ff.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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allein durch den Diebstahl verwirklichen.81 Er genügt, um die Haftung gegenüber dem Eigentümer auszulösen und die Aktivlegitimation zur actio furti zu begründen.82 Nur auf custodia gründen kann schließlich auch das periculum venditoris, von dem schon bei Alfen die Rede ist: D 18.6.15.1 Paul 3 epit Alf Materia empta si furto perisset, postquam tradita esset, emptoris esse periculo respondit, si minus, venditoris: videri autem trabes traditas, quas emptor signasset. Ist verkauftes Holz durch Diebstahl verlorengegangen, geht dies, wie er befunden hat, auf die Gefahr des Käufers, falls es schon übergeben worden ist, ansonsten auf die Gefahr des Verkäufers; Balken, die der Käufer gekennzeichnet hat, seien aber als übergeben anzusehen.

Die Gefahr, die den Verkäufer bis zur Übergabe der Kaufsache83 treffen soll, muss dem periculum emptoris entsprechen, das dafür sorgt, dass eine spätere Entwendung zulasten des Käufers geht.84 Da die Gefahrbelastung des Käufers jeglichen Sachverlust und auch Fälle höherer Gewalt abdeckt, ist in seinem Fall evident, dass sich das Risiko ohne jegliches Zutun des Betroffenen verwirklicht. Dann darf aber nichts anderes für das periculum venditoris gelten, das sich durch einen Diebstahl der noch nicht übergebenen Kaufsache realisiert und nur auf die custodia-Haftung des Verkäufers zurückgehen kann.85 Zwar betrifft diese im Gegensatz zum periculum emptoris strenggenommen nicht die Preisgefahr. Im praktischen Ergebnis ist es aber einerlei, ob der Käufer das vereinbarte Entgelt deshalb nicht zahlen muss, weil ihm die Preisgefahr abgenommen ist, oder ob er sich zur Vermeidung seiner Inanspruchnahme auf eine gegenläufige Einstandspflicht des Verkäufers berufen kann.

II. Differenzierung nach dem Verschulden? 1. Culpa als Grund für die Aktivlegitimation zur actio furti Der mannigfach belegte Automatismus, mit dem ein Diebstahl die Einstandspflicht für custodia und damit auch die Aktivlegitimation für die actio furti be81

Dies räumt auch MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 164 ein. Der Vergleich zu caupo und magister navis kann sich anders, als Robaye, L’obligation de garde, S. 204 meint, nicht auf die bloße Zuständigkeit der actio furti beziehen, ohne dadurch jeglichen Aussagewert einzubüßen. Sogar MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 165 räumt zumindest für den Fall der besonderen Übernahme von custodia ein, dass hier ein ähnliches Risiko wie im Fall der Haftung von Schiffs- und Wirtsleuten bestehe. 83 Zu deren Vollzug durch Kennzeichnung Pennitz, Das periculum, S. 382 ff. 84 Richtig Pernice (Fn. 47), S. 357. 85 Richtig Kaser, SZ 96 (1979) 89, 113; Pennitz, Das periculum, S. 382, 384 f. Anders zu Unrecht Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 219 f. 82

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2. Kap.: Custodia und furtum

gründet, wird nicht durch Entscheidungen in Frage gestellt, bei denen die Zuständigkeit der Diebstahlsklage aus einer Haftung für culpa hergeleitet wird. Sie sind deutlich in der Minderheit und betreffen nicht die klassischen Fälle des Kleiderreinigers, Schneiders oder Entleihers. Stattdessen geht es Ulpian an einer Stelle etwa um einen Verwahrer, dem er die Aktivlegitimation zur Raubklage abspricht:86 D 47.8.2.23 Ulp 56 ed Et generaliter dicendum est, ex quibus causis furti mihi actio competit in re clam facta, ex hisdem causis habere me hanc actionem. dicet aliquis: adquin ob rem depositam furti actionem non habemus. sed ideo addidi ,si intersit nostra non esse raptam‘: nam et furti actionem habeo, si in re deposita culpam quoque repromissi vel pretium depositionis non quasi mercedem accepi. Und allgemein gilt, dass in den Fällen, in denen mir bei einer heimlichen Tat die Diebstahlsklage zustünde, ich auch diese Klage habe. Nun wende jemand ein, dass man wegen einer in Verwahrung gegebenen Sache nicht die Diebstahlsklage habe! Aber darum habe ich hinzugefügt: „wenn ich ein Interesse daran habe, dass die Sache nicht geraubt worden wäre“; denn auch die Diebstahlsklage habe ich nur, wenn ich versprochen habe, wegen der in Verwahrung gegebenen Sache für Verschulden einzustehen, oder wenn ich einen Preis für die Verwahrung erhalten habe, der nicht als Vergütung anzusehen ist.

Obwohl ein Verwahrer eine Sache in Obhut nimmt, um sie dem Eigentümer zu erhalten, hat er doch nicht für custodia einzustehen, weil sich seine Verantwortlichkeit auf dolus beschränkt.87 Folglich kann er im Normalfall auch nicht die Diebstahlsklage erheben. Denn eine Haftung, die seine Aktivlegitimation rechtfertigen könnte, bestünde nur in dem Fall, in dem er vorsätzlich zu der Entwendung beigetragen und so sein Interesse am Unterbleiben der Tat gerade verwirkt hätte.88 Ulpian stellt dies ausdrücklich in seinem Traktat zur Diebstahlsklage aus dem 29. Buch seines Sabinuskommentars fest:89

86 Der Text stammt aus dem Kommentar zum Formular der actio vi bonorum raptorum; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 763 (Ulp 1321). 87 S. u. S. 92 ff. 88 Dasselbe gilt bei einem precarium, das den Prekaristen zunächst nur für dolus haftbar macht; vgl. D 47.2.14.11 Ulp 29 Sab: Is qui precario servum rogaverat subrepto eo potest quaeri an habeat furti actionem. et cum non est contra eum civilis actio (quia simile donato precarium est) ideoque et interdictum necessarium visum est, non habebit furti actionem. plane post interdictum redditum puto eum etiam culpam praestare et ideo et furti agere posse. („Man kann die Frage stellen, ob derjenige, der bittweise um die Überlassung eines Sklaven ersucht hat, nach dessen Entwendung die Diebstahlsklage hat. Und da gegen ihn keine zivilrechtliche Klage gewährt wird (weil die bittweise Überlassung der Schenkung ähnlich ist) und deshalb das Interdikt notwendig erscheint, hat er nicht die Diebstahlsklage. Ich glaube freilich, dass er nach dem Erlass des Interdikts auch für Verschulden einzustehen hat und daher die Diebstahlsklage erheben kann.“) Vgl. hierzu Harke, Precarium. Besitzvertrag im römischen Recht, Berlin 2016, S. 45 f. Robaye, L’obligation de garde, S. 186 will aus diesem Text zu Unrecht auf die Haftung im Rahmen der locatio conductio folgern. Schulz, SZ 32 (1911) 23, 78 f.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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D 47.2.14.3 Ulp 29 Sab Is autem, apud quem res deposita est, videamus, an habeat furti actionem. et cum dolum dumtaxat praestet, merito placet non habere eum furti actionem: quid enim eius interest, si dolo careat? quod si dolo fecit, iam quidem periculum ipsius est, sed non debet ex dolo suo furti quaerere actionem. Wir wollen zusehen, ob der Verwahrer die Diebstahlsklage haben kann. Und wenn er nur für Arglist einzustehen hat, ist zu Recht anerkannt, dass er die Diebstahlsklage nicht hat; worin besteht nämlich sein Interesse, wenn er Arglist vermeidet? Hat er sich aber arglistig verhalten, ist dies sein eigenes Risiko; und er darf nicht aufgrund seiner Arglist die Diebstahlsklage erlangen.

Etwas anderes soll aber gelten, wenn der Verwahrer zugesagt hat, auch für culpa verantwortlich zu sein,90 oder wenn er ein ,pretium depositionis‘ erhalten hat, das aber nicht als merces gilt. Wäre es eine regelrechte Vergütung, läge keine Verwahrung mehr vor, die definitionsgemäß unentgeltlich ist.91 Stattdessen handelte es sich um eine locatio conductio, wie sie auch beim Vertrag mit einem Lagerhalter92 zustande kommt. Ein „Preis der Verwahrung“, der keinen Lohn bedeutet, kann nur in einer Sachleistung bestehen, deren Austausch mit der Leistung des Verwahrers den Vertrag zu einem Innominatvertrag macht. Die verschärfte Haftung, die im Fall ihrer besonderen Zusage noch nicht den Rahmen des depositum sprengt, gilt hier wegen der vom Verwahrer erwarteten Gegenleistung als stillschweigend versprochen und wird im Wege einer actio praescriptis verbis durchgesetzt. Dass ein Verwahrer unter besonderen Umständen für culpa einzustehen hat und deshalb ein hinreichendes Interesse für die Aktivlegitimation zur actio furti hat, ist, für sich genommen, ohne Relevanz für das Verhältnis von custodia-Haf-

und Luzzatto, Caso fortuito, S. 154 ff. glauben, culpa sei hier an die Stelle der ursprünglich erwähnten custodia getreten. 89 Ausdrücklich auf custodia gemünzt ist der vermutlich auf dieser Grundlage geschaffene Passus in den Institutionen Justinians; vgl. IJ 4.1.17: Sed is, apud quem res deposita est, custodiam non praestat, sed tantum in eo obnoxius est, si quid ipse dolo malo fecerit: qua de causa si res ei subrepta fuerit, quia restituendae eius nomine depositi non tenetur nec ob id eius interest rem salvam esse, furti agere non potest, sed furti actio domino competit. („Aber derjenige, dem eine Sache zur Verwahrung überlassen worden ist, hat nicht für Bewachung einzustehen und ihm schadet es nur, wenn er etwas arglistig getan hat; daher kann er nicht die Diebstahlsklage erheben, weil er, wenn die Sache gestohlen worden ist, deshalb nicht für die Rückgewähr mit der Verwahrungsklage haftet und er kein Interesse daran hat, dass die Sache nicht verlorengegangen wäre; stattdessen steht die Diebstahlsklage dem Eigentümer zu.“). 90 Schulz, SZ 32 (1911) 23, 36 glaubt, Ulpian habe ursprünglich von einer Zusage von custodia gesprochen. 91 Hierauf gründet sich denn auch der unberechtigte Interpolationsverdacht von Robaye, L’obligation de garde, S. 43 f. 92 S. u. S. 99 f.

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2. Kap.: Custodia und furtum

tung und furtum.93 Etwas anderes könnte sich nur daraus ergeben, dass die verschärfte Haftung, die ein Verwahrer zusagt, eigentlich in einer Einstandspflicht für custodia bestehen müsste. Ist die Bewachung der niedergelegten Sache schon im Regelfall des depositum Zweck und Gegenstand des Vertrags, darf man erwarten, dass sie auch zum Anknüpfungspunkt der eigens übernommenen Haftung wird.94 Zu diesem Ergebnis kommt Ulpian denn auch ausdrücklich im Rahmen seiner Kommentierung der actio depositi.95 Belegt er die Haftung in seinen Ausführungen zur Raubklage mit dem Begriff ,culpa‘, liegt nahe, dass er beides identifiziert, die custodia-Haftung für ihn also ein Unterfall der Einstandspflicht für culpa ist. Auch dies geriete aber nicht in Konflikt mit dem beobachteten Zusammenhang zwischen custodia und furtum. Es hieße nur, dass ein Diebstahl demjenigen, der für die Bewachung der entwendeten Sache einzustehen hat, automatisch als Verschulden zugerechnet wird. Dass sich Ulpian beim Raub für den weiteren Begriff der culpa entscheidet, findet ein plausibles Motiv darin, dass er sich hier mit einem Delikt befasst, das wegen der mit ihm verbundenen Gewalteinwirkung gewöhnlich nicht von der Einstandspflicht für custodia abgedeckt ist96.97 Die automatische Zurechnung eines Diebstahls als culpa des custodia-Pflichtigen böte auch eine passende Erklärung für eine knappe Aussage zur Aktivlegitimation eines conductor, die sich in der Abhandlung zur actio furti im 29. Buch von Ulpians Sabinuskommentar findet: D 47.2.14.12 Ulp 29 Sab Quod si conduxerit quis, habebit furti actionem, si modo culpa eius subrepta sit res. Hat jemand etwas übernommen, hat er die Diebstahlsklage, falls die Sache durch sein Verschulden entwendet worden ist.

Während Ulpian die Klagebefugnis eines Kleiderreinigers in D 47.2.12pr eigens auf dessen Einstandspflicht für custodia zurückführt, spricht er hier allge93 Erst recht gilt dies, wenn die Aktivlegitimation zur actio furti trotz culpa des Obhutspflichtigen verneint wird, wie Paulus dies im Fall eines Vormunds oder Pflegers tut; vgl. D 47.2.86 Paul 2 man: . . . is autem, qui sua voluntate vel etiam pro tutore negotia gerit, item tutor vel curator ob rem sua culpa subreptam non habet furti actionem. item is, cui ex stipulatu vel ex testamento servus debetur, quamvis intersit eius, non habet furti actionem: sed nec is, qui fideiussit pro colono. („. . . Wer aber freiwillig oder auch anstelle eines Vormunds Geschäfte führt, hat keine Diebstahlsklage, wenn eine Sache aufgrund seines Verschuldens entwendet wird; dies gilt auch für einen Vormund oder Pfleger. Auch wem aus einem Stipulationsversprechen oder Testament ein Sklave geschuldet wird, hat keine Diebstahlsklage, obwohl er ein Interesse hat; und auch nicht der Bürge eines Pächters.“) Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 218 will hier den Hinweis auf culpa streichen, sieht aber eine custodia-Haftung vorausgesetzt. 94 Dementsprechend will Nörr, SZ 73 (1956) 68, 73 culpa auch kurzerhand durch custodia ersetzen. 95 D 16.3.1.35 Ulp 30 ed; s. u. S. 60 f., 96 f. 96 S. u. S. 51 ff. 97 Hierauf weist zu Recht Voci, SDHI 56 (1990) 29, 69 hin.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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mein von einem conductor und macht die Aktivlegitimation zur Diebstahlsklage von dessen culpa abhängig.98 Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass er dabei nicht an die locatio conductio operis, sondern ausschließlich an einen Mieter oder Pächter denkt. Einem colonus hat Ulpian schon eingangs desselben Fragments die Befugnis zur Erhebung der actio furti zugesprochen: D 47.2.14.2 Ulp 29 Sab Praeterea habent furti actionem coloni, quamvis domini non sint, quia interest eorum. Außerdem haben Pächter, obwohl sie keine Eigentümer sind, die Diebstahlsklage, weil sie ein Interesse haben.

Und auch Paulus erklärt einen Mieter oder Pächter für aktivlegitimiert: D 47.2.86 Paul 2 man Is, cuius interest non subripi, furti actionem habet, si et rem tenuit domini voluntate, id est veluti is cui res locata est. . . . Wer ein Interesse daran hat, dass eine Sache nicht entwendet wird, hat die Diebstahlsklage, auch wenn er die Sache mit dem Willen des Eigentümers innehat, wie zum Beispiel ein Pächter. . . .99

Bedenkt man, dass Justinian einen Mieter ausdrücklich als custodia-pflichtig bezeichnet,100 gibt es auch keinen plausiblen Grund, daran zu zweifeln, dass die locatio conductio rei einen Anwendungsfall dieser Haftung darstellt. Selbst wenn Ulpians Aussage hier ebenso wenig eindeutig wie in § 16 seines Traktats101 ist und offenbleiben muss, ob er sämtliche oder nur bestimmte conductores im Sinne hat, bezieht er sich jedenfalls auf Personen, die für custodia einzustehen haben. Macht er deren Aktivlegitimation zur Diebstahlsklage an dieser Stelle von ihrer Verpflichtung wegen culpa abhängig, bedeutet dies aber keinen Widerspruch. Man muss nur unterstellen, dass aus Sicht des Hochklassikers ein während der Bewachung vorgekommenes furtum zwangsläufig den Vorwurf der culpa rechtfertigt. 2. Ein furtum sine culpa? In Frage stellen lässt sich der Automatismus der custodia-Haftung allenfalls durch Entscheidungen, in denen einerseits ein furtum vorausgesetzt, andererseits ein Verschulden eines custodia-pflichtigen Vertragspartners verneint wird. Dies 98 Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 1, S. 45 erkennt hierin einen Beleg dafür, dass custodia- eine Form der Verschuldenshaftung ist. Ebenso wohl Mayer-Maly, Locatio conductio, Wien 1956, S. 214. Hoffman-Riem, SZ 86 (1969) 394, 397 und Kaser, Grenzfragen, S. 321 entledigen sich dieses Problems noch, indem sie den Bedingungssatz ebenso wie Schulz, SZ 32 (1911) 23, 66 und Haymann, SZ 40 (1919) 167, 245 f. für interpoliert erklären. 99 Zum zweiten Teil des Textes s. o. Fn. 93. 100 IJ 3.24.5 – S. 8 ff. 101 S. o. S. 26 f.

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2. Kap.: Custodia und furtum

könnte ein Indiz dafür sein, dass ungeachtet der Haftung für custodia der individuelle Beitrag des Schuldners zur Tat Berücksichtigung findet. Solche Entscheidungen, die von einem furtum ohne culpa des custodia-Pflichtigen sprechen, gibt es in der Tat.102 Sie gehen sämtlich auf Papinian zurück oder sind zumindest von ihm angeregt und betreffen mit Verkäufer und Pfandgläubiger zwei Akteure, deren Aktivlegitimation zur actio furti im Normalfall gerade nicht an ihre Haftung gegenüber ihrem Vertragspartner anknüpft.103 Mit einem Verkäufer, dem die Kaufsache vor ihrer Übergabe an den Käufer entwendet wird, befasst sich Papinian in D 47.2.81pr Pap 12 quaest: Si vendidero neque tradidero servum et is sine culpa mea subripiatur, magis est, ut mihi furti competat actio: et mea videtur interesse, quia dominium apud me fuit vel quoniam ad praestandas actiones teneor. Habe ich einen Sklaven verkauft und noch nicht übergeben und wird er ohne mein Verschulden entwendet, spricht mehr dafür, dass mir die Diebstahlsklage zusteht; und ich habe ein Interesse, weil das Eigentum bei mir liegt oder weil ich darauf hafte, dass ich die Klagen abtrete.

Der Spätklassiker bietet zwei Erklärungen dafür an, warum die Aktivlegitimation zur actio furti dem Verkäufer zufällt. Beide haben nichts mit der custodia102 Nicht dazu gehört der Schlussabschnitt des langen Fragments D 18.4.21 Paul 16 quaest: . . . quid si rem quam vendidi alio possidente petii et litis aestimationem accepi, utrum pretium illi debeo an rem? utique rem, non enim actiones ei, sed rem praestare debeo: et si vi deiectus vel propter furti actionem duplum abstulero, nihil hoc ad emptorem pertinebit. nam si sine culpa desiit detinere venditor, actiones suas praestare debebit, non rem, et sic aestimationem quoque: nam et aream tradere debet exusto aedificio. („. . . Was gilt aber, wenn ich eine Sache, die ein anderer besitzt, verkauft, dann herausverlangt und den Schätzwert erhalten habe, schulde ich den Wert oder die Sache? Jedenfalls die Sache, denn ich schulde ihm nicht die Abtretung der Klagen, sondern die Leistung der Sache; und auch wenn ich etwas wegen meiner Vertreibung von einem Grundstück oder mit Hilfe der Diebstahlsklage das Doppelte erlange, gebührt dies dem Käufer nicht. Denn wenn der Verkäufer ohne sein Verschulden den Besitz einbüßt, schuldet er nur die Abtretung der Klagen, nicht die Leistung der Sache; er muss nämlich ein Grundstück auch nach der Zerstörung des Gebäudes übergeben.“) Hier wird aus der Schuldlosigkeit des Verkäufers lediglich darauf geschlossen, dass sich seine Haftung in der Abtretung von Forderungen erschöpft, ohne dass ein klarer Bezug zu der zuvor erwähnten actio furti hergestellt würde; vgl. Kaser, SZ 96 (1979) 89, 125 im Gegensatz zu Pennitz, Das periculum, S. 393. Zum Zusammenhang mit dem vorangehenden Fall, in dem eine vom Verkäufer von vornherein nicht besessene Sache verkauft wird, und der folgenden Konstellation, in der ein Verkäufer einem Käufer die Überreste eines verkauften Hausgrundstücks überlassen soll, Schmidt-Ott, Pauli quaestiones, Berlin 1993, S. 141 ff. 103 Während Haymann, SZ 40 (1919) 167, 230 ff. noch zu Interpolationsvermutungen greift, entledigt sich Ankum, La responsabilità, S. 629 des Problems, indem er die beiden Texte zum pignus kurzerhand auf die fiducia bezieht. So teilweise vorher schon Schulz, SZ 32 (1911) 23, 58 f. und Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 256 f. Nur im Fall von D 13.7.22pr Ulp 30 ed hat dies wegen des palingenetischen Zusammenhangs eine gewisse Berechtigung (s. u. S. 38 ff.); die Herkunft aus einem Abschnitt über die fiducia schließt aber natürlich nicht aus, dass Ulpian gleichwohl das Pfandrecht behandelt hat.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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Haftung zu tun.104 Für Papinian ist stattdessen entscheidend, dass der Verkäufer bis zur Übergabe der Kaufsache noch deren Eigentümer und damit in einer Position ist, die regelmäßig die Befugnis zur Erhebung der Diebstahlsklage vermittelt.105 In dieser Rolle ist er sogar berechtigt, den Käufer zu belangen, wenn dieser die Kaufsache vor der Zahlung des Kaufpreises entwendet. Dies stellt Ulpian im Rahmen seiner Abhandlung im 29. Buch seines Sabinuskommentars fest: D 47.2.14.1 Ulp 29 Sab Adeo autem emptor ante traditionem furti non habet actionem, ut sit quaesitum, an ipse subripiendo rem emptor furti teneatur. et Iulianus libro vicensimo tertio digestorum scribit: si emptor rem, cuius custodiam venditorem praestare oportebat, soluto pretio subripuerit, furti actione non tenetur. plane si antequam pecuniam solveret, rem subtraxerit, furti actione teneri, perinde ac si pignus subtraxisset. Hat der Käufer vor der Übergabe nicht die Diebstahlsklage, stellt sich die Frage, ob er selbst wegen einer Entwendung der Sache mit der Diebstahlsklage haften muss. Und Julian schreibt im 23. Buch seiner Digesten: Hat der Käufer die Sache, für deren Bewachung der Verkäufer einzustehen hat, nach der Zahlung des Kaufpreises entwendet, hafte er nicht mit der Diebstahlsklage. Hat er die Sache freilich vor der Zahlung des Kaufpreises entwendet, hafte er mit der Diebstahlsklage, und zwar so, wie wenn er ein Pfand entwendet hätte.

Ulpian erwähnt hier zwar die custodia-Haftung des Verkäufers. Diese kann aber deshalb nicht entscheidungserheblich sein, weil sie offensichtlich versagt, wenn der Käufer selbst als Täter die Verantwortung für den Verlust der Sache trägt. Maßgeblich ist vielmehr allein das durch das Eigentum vermittelte Interesse. Hat der Käufer den Kaufpreis schon gezahlt, besteht es nicht mehr, weil der Verkäufer die Kaufsache dem Käufer ja unbedingt überlassen muss. Ist der Preis hingegen noch nicht bezahlt, bietet das Eigentum dem Verkäufer eine Sicherheit gegen den Ausfall der Kaufpreisforderung. Obwohl er verpflichtet ist, einen Eigentumserwerb des Käufers zu dulden, kann er sein Recht doch bis zur Preiszahlung zurückhalten und es damit wie ein Pfandrecht einsetzen. Papinians alternatives Argument für die Klagebefugnis des Verkäufers lautet, dass dieser verpflichtet ist, dem Käufer seine Klagen abzutreten. Auch dies bestätigt Ulpian, der sich für die Zuweisung der actio furti an den Verkäufer auf Celsus beruft:106 D 47.2.14pr Ulp 29 Sab Eum qui emit, si non tradita est ei res, furti actionem non habere, sed adhuc venditoris esse hanc actionem Celsus scripsit. mandare eum plane oportebit emptori furti actionem et condictionem et vindicationem, et si quid ex his actionibus fuerit conse104 Dass diese aber zumindest für Sabinus den Ausschlag gegeben haben könnte, vermutet Pennitz, Das periculum, S. 394 ff. 105 Dass die Aktivlegitimation des Käufers zur actio furti allein hierauf beruht, meint auch Kaser, SZ 96 (1979) 89, 119; vgl. auch ders., Grenzfragen, S. 295 und Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 214 ff. 106 Gegen einen Interpolationsverdacht, wie er noch von Voci, SDHI 56 (1990) 29, 74 geäußert wird, wendet sich zu Recht Robaye, L’obligation de garde, S. 377.

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2. Kap.: Custodia und furtum cutus, id praestare eum emptori oportebit: quae sententia vera est, et ita et Iulianus. et sane periculum rei ad emptorem pertinet, dummodo custodiam venditor ante traditionem praestet. Celsus schreibt, dass ein Käufer, wenn ihm die Kaufsache nicht übergeben worden ist, keine Diebstahlsklage habe, sondern diese dem Verkäufer zustehe. Er muss dem Käufer freilich die Diebstahlsklage und die Kondiktion und die Vindikation abtreten, und was er hieraus erlangt, dem Käufer leisten; diese Ansicht ist richtig, und dies glaubt auch Julian. Und freilich trägt der Käufer die Gefahr der Sache, wenn nur der Verkäufer bis zur Übergabe für Bewachung einzustehen hat.

Wieder kommt Ulpian auf die custodia-Haftung des Verkäufers zu sprechen. Diesmal hat sie für die Falllösung durchaus eine gewisse Bedeutung.107 Denn sie entwertet einen wesentlichen Einwand gegen die Aktivlegitimation des Verkäufers:108 Dass dessen Eigentum keinen vom Kaufvertrag unabhängigen Wert hat, lässt sich nämlich aus dem Grund behaupten, dass der Käufer ab dem Vertragsschluss die Gefahr eines zufälligen Verlustes der Sache trägt.109 Hiergegen kann man aber nicht nur die pfandrechtsähnliche Funktion des Eigentums ins Feld führen, die bloß bis zum Moment der Preiszahlung besteht. Man kann auch darauf verweisen, dass die Gefahrbelastung des Käufers mit einer Einstandspflicht des Verkäufers einhergeht.110 Sie verringert das Risiko eines Sachverlustes für den Käufer erheblich. Dieser hat zudem einen Anspruch auf Abtretung aller Klagen, die der Verkäufer im Verhältnis zu Dritten erlangt. Hiervon erfasst sind nicht nur Vindikation und Kondiktion, sondern auch die actio furti.111 Kommt diese Klage so schließlich dem Käufer zugute, wenn dieser nur den Kaufpreis zahlt, gibt es keinen hinreichenden Grund, sie ihm schon vor seinem Eigentumserwerb zuzusprechen. 107 Dies verkennt Robaye, L’obligation de garde, S. 376, wenn er meint, Ulpian spreche nicht von custodia als Gegenstand einer Haftung, sondern von einer tatsächlich erfolgten Bewachungsleistung. 108 Entgegen Schulz, SZ 32 (1912) 23, 71 ff., KritVjschr 14 (1912) 22, 66 f. begründet sie sie aber nicht. Deshalb bedarf es aber auch nicht der umgekehrten Interpolationsvermutung von Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 2, S. 31. 109 Daher kann man entgegen Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 253 f. nicht einfach auf die Einrede des nichterfüllten Vertrags verweisen. 110 Richtig Bauer, Periculum emptoris, Berlin 1998, S. 62, der den maßgeblichen Satz freilich aus dem Kontext löst und isoliert interpretiert. – Die Verknüpfung von periculum emptoris und custodia-Haftung des Verkäufers kommt auch dann zum Ausdruck, wenn man an dem überlieferten Wortlaut festhält und nicht mit Kaser, SZ 96 (1979) 89, 121 f. annimmt, das überlieferte ,dummodo‘ sei infolge eines Abschreibeversehens an die Stelle von ,dum‘ getreten. 111 Deren Erwähnung hält Schulz, SZ 32 (1911) 23, 72 ff. für das Ergebnis einer Interpolation. Obwohl diese Textkritik unberechtigt ist, kann man entgegen Kaser, SZ 96 (1979) 89, 119 ff. aber auch nicht aus der Verpflichtung zur Abtretung der Diebstahlsklage darauf schließen, dass die Aktivlegitimation allein aus dem Eigentum und nicht etwa aus einer custodia-Haftung des Verkäufers folgt. Da Papinian die Klagezession als alternative Begründung für die Klagebefugnis des Verkäufers anführt, kann er dabei gerade nicht den Rekurs auf das Eigentum voraussetzen.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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Während Ulpian diese für und gegen die Aktivlegitimation des Verkäufers sprechenden Gesichtspunkte besonders aufführt, beschränkt sich Papinian darauf, die Pflicht zur Zession zu erwähnen. Mit ihr reagiert er auf ein Bedenken, das er in der Fallbeschreibung mit der Wendung ,sine culpa‘ andeutet:112 Ist der Verkäufer für den Verlust der Sache nicht verantwortlich, greift normalerweise die Regel, wonach der Schaden zulasten des Käufers geht. Dass sie kein tragfähiges Argument für die Zuweisung der actio furti an den Käufer abgibt, zeigt Papinian daran, dass diese Klage ebenso wie die anderen Ansprüche, die dem Verkäufer gegenüber Dritten zustehen, gegen Zahlung des Kaufpreises an den Käufer abgetreten werden muss.113 Den Hinweis auf eine eventuell fehlende culpa des Verkäufers kann man daher nicht zu dem Satz umkehren, dass es zur Aktivierung der custodia-Haftung eines im Einzelfall festzustellenden Fehlverhaltens des Pflichtigen bedarf.114 Papinian kommt es überhaupt nicht auf dessen Haftung an. Er will lediglich klarstellen, dass die Entscheidung für die Aktivlegitimation des Verkäufers auch bei fehlender Verantwortlichkeit des Verkäufers und ausschließlicher Gefahrbelastung des Käufers richtig ist. Der Grund, aus dem die Haftung des Verkäufers ausfällt, ist belanglos. Er kann etwa darin liegen, dass sie vertraglich abbedungen ist.115

112 Dagegen glaubt Kaser, Grenzfragen, S. 323, das fehlende Verschulden des Verkäufers sei der entscheidende Gesichtspunkt, der ihn schutzwürdiger mache als den Käufer. Papinian trifft seine Entscheidung jedoch auch für den Fall, dass den Verkäufer der Vorwurf von culpa trifft (,et is sine culpa mea subripiatur‘). Und es gibt keine klassische Entscheidung, die einem Käufer die Aktivlegitimation zur actio furti zuspricht. Erst der Verfasser der Paulussentenzen nimmt eine Doppelzuständigkeit für Käufer und Verkäufer an; vgl. PS 2.31.17: Si res vendita ante traditionem subrepta sit, emptor et venditor furti agere possunt: utriusque enim interest rem tradi vel tradere. („Ist eine verkaufte Sache vor der Übergabe entwendet worden, können sowohl der Käufer als auch der Verkäufer die Diebstahlsklage erheben; beide haben nämlich ein Interesse daran, sie übergeben zu bekommen und zu übergeben.“) Robaye, L’obligation de garde, S. 387 vermutet vielleicht nicht zu Unrecht, das hier nur die Konsequenz einer Klagezession auf den Käufer ausgesprochen wird. Das für die Abtretung erforderliche Prozessmandat kann man nämlich schon im Kaufvertrag selbst erkennen, falls der Käufer den Kaufpreis zahlt. Er allein hätte es danach in der Hand, durch eine Anzeige gegenüber dem Schuldner auszuschließen, dass dieser noch mit befreiender Wirkung an den Verkäufer leistet. (Vgl. zum Abtretungsregime Harke, Zum römischen Recht der Forderungsübertragung, TR 76 (2008) 1, 15 ff.) Kaser, SZ 96 (1979) 89, 126 f. vermutet, der Autor der Paulussentenzen denke an die Möglichkeit eines Eigentumsübergangs vor Übergabe. Haymann, SZ 40 (1919) 167, 273 ff. sieht in der Äußerung hingegen seine These der fehlenden Klassizität von periculum emptoris und custodia-Haftung des Verkäufers bestätigt. 113 Dagegen glaubt Voci, SDHI 56 (1990) 29, 73 f., Papinian meine anders als Ulpian nur sachverfolgende Klagen, die der Verkäufer an den Käufer abtreten muss. 114 So aber MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 190 und Robaye, L’obligation de garde, S. 385 f. 115 Kaser, SZ 96 (1979) 89, 123 f. glaubt, bei einem Sklavenkauf greife die gewöhnliche custodia-Haftung auch ohne besondere Abrede nicht ein.

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2. Kap.: Custodia und furtum

In einem vergleichbaren Kontext steht die Erwähnung der culpa auch in einer Entscheidung, die Ulpian in Anknüpfung an Papinian trifft. Dem überlieferten Text zufolge gilt sie dem Pfandrecht, das eine custodia-Haftung des Gläubigers mit sich bringt. Nach dem palingenetischen Zusammenhang spricht aber Einiges für einen Bezug auf die fiducia,116 bei der eine custodia-Haftung nicht belegt und eher unwahrscheinlich ist:117 D 13.7.22pr Ulp 30 ed Si pignore subrepto furti egerit creditor, totum, quidquid percepit, debito eum imputare Papinianus confitetur, et est verum, etiamsi culpa creditoris furtum factum sit. multo magis hoc erit dicendum in eo, quod ex condictione consecutus est. sed quod ipse debitor furti actione praestitit creditori vel condictione, an debito sit imputandum videamus: et quidem non oportere id ei restitui, quod ipse ex furti actione praestitit, peraeque relatum est et traditum, et ita Papinianus libro nono quaestionum ait. Hat ein Gläubiger nach der Entwendung der Pfandsache die Diebstahlsklage erhoben, müsse er, wie Papinian zugibt, alles, was er erlangt hat, auf die Schuld anrechnen, und dies ist auch dann richtig, wenn der Diebstahl aufgrund des Verschuldens des Gläubigers geschehen ist. Umso mehr gilt dies für das, was er mit der Kondiktion erlangt hat. Wir müssen aber zusehen, ob auch auf die Schuld anzurechnen ist, was der Schuldner selbst dem Gläubiger auf die Diebstahlsklage oder die Kondiktion geleistet hat; hierzu wird gleichlautend berichtet und überliefert, dass ihm nicht herausgegeben werden müsse, was er selbst auf die Diebstahlsklage geleistet hat; und dies schreibt auch Papinian im neunten Buch seiner Rechtsfragen.

Statt um die Aktivlegitimation zur actio furti geht es hier um die Frage, inwieweit der Gläubiger eine vom Dieb eingezogene Bußleistung auf die gesicherte Forderung anrechnen darf und muss. Ebenso wie beim Käufer beruht seine Befugnis zur Inanspruchnahme des Täters nicht auf einer Haftung gegenüber dem Vertragspartner. Bei der fiducia ergibt sie sich schlicht aus dem Eigentum des Gläubigers; und auch beim Pfandrecht resultiert sie primär aus dem durch das dingliche Verwertungsrecht geschützten Sicherungsinteresse des Pfandgläubigers.118 Es besteht, solange die Belastung andauert, ganz unabhängig davon, in wessen Besitz sich die Sache befindet. Zu einer Einstandspflicht des Pfandgläubigers für custodia kann es ohnehin nur kommen, wenn die Sache dem Gläubiger als Faustpfand übergeben ist; und selbst in diesem Fall scheidet sie aus, wenn es der Eigentümer selbst ist, der die Sache im Wege einer Pfandkehr ent-

116

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 618 (Ulp 902). S. u. S. 113. 118 Richtig Haymann, SZ 40 (1919) 167, 213 ff.; Kaser, SZ 96 (1979) 89, 103 ff., SZ 89 (1972) 249, 255 ff.; und ders., Grenzfragen, S. 291 f.; Robaye, L’obligation de garde, S. 224 f., 227. Ähnlich Ankum, La responsabilità, S. 605. Anders Schulz, SZ 32 (1911) 23, 43 ff., Rascon (Fn. 38), S. 159 ff., 193 f. und Nelson/Manthe (Fn. 56), S. 193, die glauben, die Aktivlegitimation des Pfandgläubigers ergebe sich allein aus seinem Interesse an der Vermeidung einer Haftung gegenüber dem Eigentümer der verpfändeten Sache. 117

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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wendet.119 Dementsprechend behandelt Gaius in seinen Institutionen die Aktivlegitimation des Pfandgläubigers zur actio furti vor derjenigen der custodia-Pflichtigen unmittelbar im Anschluss an die des Eigentümers und erstreckt sie ausdrücklich auf den Fall der Pfandkehr:120 Gai 3.203–204 Furti autem actio ei conpetit, cuius interest rem salvam esse, licet dominus non sit. itaque nec domino aliter conpetit, quam si eius intersit rem non perire. (204) Unde constat creditorem de pignore subrepto furti agere posse; adeo quidem, ut quamvis ipse dominus, id est ipse debitor, eam rem subripuerit, nihilo minus creditori conpetat actio furti. Die Diebstahlsklage steht demjenigen zu, der ein Interesse daran hat, dass die Sache nicht entwendet worden wäre, auch wenn er nicht der Eigentümer ist. Daher steht sie dem Eigentümer nur zu, falls er ein Interesse daran hat, dass sie nicht verlorengegangen wäre. (204) Deshalb steht fest, dass ein Pfandgläubiger wegen Entwendung des Pfandes die Diebstahlsklage erheben kann; und dies sogar so, dass ihm selbst dann die Diebstahlsklage zusteht, wenn der Eigentümer, also der Schuldner selbst, die Sache entwendet hat.

Auch Ulpian berichtet hiervon in seiner Abhandlung über die Aktivlegitimation zur actio furti. Er ergänzt, dass diese keineswegs auf den Fall beschränkt sei, in dem der Schuldner insolvent und das Sicherungsinteresse des Pfandgläubigers damit akut ist:121 D 47.2.12.2 Ulp 29 Sab Sed et si res pignori data sit, creditori quoque damus furti actionem, quamvis in bonis eius res non sit: quin immo non solum adversus extraneum dabimus, verum et contra ipsum quoque dominum furti actionem, et ita Iulianus scripsit. nec non et ipsi domino dari placet, et sic fit, ut non teneatur furti et agat. ideo autem datur utrique, quia utriusque interest. sed utrum semper creditoris interest an ita demum, si debitor solvendo non est? et putat Pomponius semper eius interesse pignus habere, quod et Papinianus libro duodecimo quaestionum probat: et verius est ubique videri creditoris interesse, et ita et Iulianus saepissime scripsit. Ist aber eine Sache verpfändet worden, gewähren wir dem Gläubiger die Diebstahlsklage, obwohl die Sache nicht zu seinem Vermögen gehört; wir gewähren die Diebstahlsklage sogar nicht nur gegen Dritte, sondern auch gegen den Eigentümer selbst; und dies schreibt auch Julian. Dem Eigentümer selbst wird sie anerkanntermaßen ebenfalls gewährt, so dass vorkommen kann, dass er nicht mit der Diebstahlsklage haftet und sie erheben kann. Sie wird deshalb beiden gewährt, weil beide ein Interesse haben. Besteht das Interesse des Gläubigers aber stets oder nur dann, wenn der Schuldner nicht zahlungsfähig ist? Und Pomponius glaubt, er habe immer ein Interesse daran, ein Pfand zu haben, was auch Papinian im zwölften Buch seiner Rechts119 Dass dies das Eigeninteresse des Gläubigers an der Diebstahlsklage unterstreicht, erkennen Kaser, SZ 89 (1972) 249, 263 und Robaye, L’obligation de garde, S. 226. 120 Richtig Haymann, SZ 40 (1919) 167, 213 f. und Kaser a. a. O. (Fn. 119). 121 Als Beleg für die Bedeutung des Eigeninteresses wertet dies zu Recht Robaye, L’obligation de garde, S. 226. Schulz, SZ 32 (1911) 23, 45 f. muss hier zu einer Interpolationsannahme greifen.

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2. Kap.: Custodia und furtum fragen befürwortet; und es ist richtig, dass der Gläubiger stets ein Interesse hat; und dies schreibt auch Julian häufig.

Nicht ganz klar ist hier die Aussage zur Konkurrenz mit dem Eigentümer, wenn der Diebstahl von einem Dritten begangen worden ist.122 Kommt es nicht auf die Zahlungsfähigkeit des Schuldners an, müsste der Gläubiger eigentlich auch in diesem Fall stets allein zur Inanspruchnahme des Diebs nach Maßgabe des Wertes der Pfandsache berechtigt sein. An anderer Stelle spricht sich Ulpian aber dafür aus, die Klage in der Weise zu teilen, dass der Pfandgläubiger den Dieb nur in Höhe der gesicherten Forderung,123 der Eigentümer ihn hingegen auf einen überschüssigen Wert der Pfandsache in Anspruch nehmen kann:124 D 47.2.46.4 Ulp 42 Sab Et si quis proposuerit hunc servum etiam pigneratum esse, eveniet, ut etiam is qui pignori accepit habeat furti actionem: hoc amplius etiam debitor, si modo plus valeat, quam pro pignore debetur, habet furti actionem. Und wenn jemand vorbringt, dass der Sklave auch verpfändet sei, hat dies zur Folge, dass der Pfandgläubiger ebenfalls die Diebstahlsklage hat; und darüber hinaus auch der Schuldner, wenn der Sklave mehr wert ist, als die Schuld beträgt, für die er als Pfand gegeben worden ist.

Paulus nimmt eine solche Beschränkung der Aktivlegitimation des Pfandgläubigers nur an, wenn dieser den Eigentümer selbst wegen Pfandkehr belangt: D 47.2.88 Paul 1 decr Creditori actio furti in summam pignoris, non debiti competit. sed ubi debitor ipse subtraxisset pignus, contra probatur, ut in summam pecuniae debitae et usurarum eius furti conveniretur. Dem Gläubiger steht die Diebstahlsklage auf den Wert der Pfandsache, nicht nur in Höhe der Schuld zu. Hat der Schuldner die Pfandsache aber selbst entwendet, verhält es sich umgekehrt, nämlich dass er mit der Diebstahlsklage auf den Betrag der Geldschuld und der Zinsen belangt wird.

Ist die Tat von einem Dritten verübt worden, soll er zumindest nach Paulus’ Auffassung den gesamten Wert der Pfandsache bei der Berechnung der Bußleistung des Diebs zugrunde legen können. Die Aufteilung vollzieht sich erst im Innenverhältnis zum Eigentümer, dem der Pfandgläubiger zur Herausgabe der Differenz zwischen dem Wert der Pfandsache und dem Betrag der gesicherten Forderung verpflichtet ist:125 122 Kaser, SZ 89 (1972) 249, 262 f. und Ankum, La responsabilità, S. 601 ff. denken hier ebenso wie Schulz, SZ 32 (1911) 23, 52 f. an den Fall eines zweifachen Diebstahls. 123 Dies erscheint ausweislich von D 47.2.14.5, 7 Ulp 29 Sab auch die Ansicht von Papinian zu sein; vgl. Harke, CRRS III.2: Ansprüche aus Delikten am Sklaven, Stuttgart 2012, S. 143 f. (Texte 208, 210). 124 Kaser, SZ 89 (1982) 249, 275 f. hält dies für die ältere Lösung, die auf dem Gedanken einer funktionalen Teilung des Pfandeigentums beruhe. Einen Interpolationsverdacht äußert Schulz, SZ 32 (1911) 23, 48. 125 An eine Interpolation glaubt Schulz, SZ 32 (1911) 23, 57 f.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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D 47.2.15pr Paul 5 Sab Creditoris, cuius pignus subreptum est, non credito tenus interest, sed omnimodo in solidum furti agere potest: sed et pigneraticia actione id quod debitum excedit debitori praestabit. Das Interesse eines Gläubigers, dem eine verpfändete Sache entwendet worden ist, beschränkt sich nicht auf das Darlehen, sondern er kann die Diebstahlsklage auf das Ganze erheben; aber er wird durch die Pfandklage gezwungen, den über die Schuld hinausgehenden Betrag dem Schuldner auszukehren.

Diese Aufteilung stellt keineswegs in Frage, dass sich die Aktivlegitimation des Pfandgläubigers grundsätzlich allein aus seinem Sicherungsinteresse und nicht etwa einer möglichen Haftung für custodia gegenüber dem Eigentümer ergibt.126 Denn die Pfandsache steht dem Gläubiger nicht nur anteilig, sondern in Gänze als Sicherheit zu. Dies bringen die Redaktoren der justinianischen Institutionen vereinfacht, aber im Kern treffend in einem Satz zum Ausdruck,127 den sie in den gaianischen Text zur Aktivlegitimation eines Pfandgläubigers128 einschieben: IJ 4.1.13 f. Furti autem actio ei competit, cuius interest rem salvam esse, licet dominus non sit: itaque nec domino aliter competit, quam si eius intersit rem non perire. (14) Unde constat creditorem de pignore subrepto furti agere posse, etiamsi idoneum debitorem habeat, quia expedit ei pignori potius incumbere quam in personam agere: adeo quidem ut, quamvis ipse debitor eam rem subripuerit, nihilo minus creditori competit actio furti. Die Diebstahlsklage steht demjenigen zu, der ein Interesse daran hat, dass die Sache nicht verlorengegangen wäre, auch wenn er nicht der Eigentümer ist. Daher steht sie dem Eigentümer nur zu, falls er ein Interesse daran hat, dass sie nicht verlorengegangen wäre. (14) Deshalb steht fest, dass ein Pfandgläubiger wegen Entwendung des Pfandes die Diebstahlsklage auch dann erheben kann, wenn er einen zahlungsfähigen Schuldner hat, weil es ihm von Nutzen sein kann, eher die Pfandsache zu verwerten als gegen den Schuldner zu klagen; und dies sogar so, dass dem Gläubiger selbst dann die Diebstahlsklage zusteht, wenn der Eigentümer, also der Schuldner selbst, die Sache entwendet hat.

Kann ein Pfandgläubiger daher jedenfalls mit der actio furti gegen einen Dieb vorgehen, stellt sich nur die Frage, inwieweit die so erlangte Bußleistung auf die gesicherte Forderung anzurechnen ist. Nach Ulpians Darstellung in D 13.7.22pr entspricht es ganz herrschender und auch von Papinian geteilter Auffassung, dass dies nicht in Betracht kommt, wenn der Eigentümer selbst die Pfandsache ent126 So aber Schulz, SZ 32 (1911) 23, 44. Auch Kaser, SZ 89 (1982) 249, 258 ff., Ankum, La responsabilità, S. 596 ff. und Voci, SDHI 56 (1990) 29, 70 wollen in der umfassenden Berechtigung des Pfandgläubigers ein Anzeichen dafür sehen, dass zumindest sekundär auch dessen Haftungsinteresse im Spiel ist. Zu einer Interpolationsvermutung greift Haymann, SZ 40 (1919) 167, 216 f. 127 Für unklassisch erklärt diesen Gedanken Schulz, SZ 32 (1911) 23, 45. 128 Gai 3.203 f., s. o. S. 39.

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2. Kap.: Custodia und furtum

wendet hat. Könnte er durch die Bußzahlung seine Schuld verringern, liefe dies eindeutig dem Strafzweck der actio furti zuwider. Die entsprechende Entscheidung Papinians, für die sich Ulpian ausdrücklich auf das neunte Buch von dessen quaestiones beruft, ist sogar, wenn auch wahrscheinlich in verkürzter Form, direkt überliefert: D 47.2.80 Pap 9 quaest Si debitor pignus subripuit, quod actione furti solvit nullo modo recipit. Hat der Schuldner die Pfandsache entwendet, erhält er keineswegs zurück, was er auf die Diebstahlsklage gezahlt hat.

Versieht Ulpian in der überlieferten Fassung von D 13.7.22pr diese Lösung mit dem Zusatz, dass sie sogar bei einem Verschulden des Gläubigers zum Zuge kommt,129 ist dies nicht ohne Weiteres eingängig. Denn ein Beitrag des Gläubigers zum Sachverlust spricht zumindest bei unbefangener Betrachtung allein für und keineswegs gegen eine Entlastung des Schuldners. Daher drängt sich die Vermutung auf, es könne ein Ausdruck der Verneinung, etwa in Gestalt eines ,sine‘, entfallen sein, so dass Ulpian in Wahrheit davon gesprochen hätte, der Gläubiger könne sich gegen eine Anrechnung auf die Schuld auch nicht mit dem Argument wehren, er habe den Diebstahl nicht schuldhaft herbeigeführt. Die überlieferte Aussage ist allenfalls dann sinnvoll, wenn man unterstellt, andere Juristen hätten sich im Fall einer culpa aus dem Grund gegen eine Anrechnung ausgesprochen, dass der Gläubiger infolge seiner Verantwortlichkeit gegenüber dem Schuldner auch das Diebstahlsrisiko trägt.130 Wofür auch immer man sich in dieser Frage entscheidet, lässt die Aussage aber jedenfalls den Schluss zu, dass ein furtum an der verpfändeten oder fiduziarisch übereigneten Sache sowohl in der Weise vorkommen kann, dass der Gläubiger hierfür verantwortlich ist, als auch dergestalt, dass ihm dieser Vorwurf erspart bleibt. Folgerte man nun weiter, dass die custodia-Haftung des Pfandgläubigers an die Beurteilung seines individuellen Verhaltens anknüpfte,131 ginge dies aber zu weit. Selbst wenn man den Text allein auf das Pfandrecht bezöge, würde man dabei die Funktion übersehen, die dem Hinweis auf eine culpa des Pfandgläubigers oder deren Fehlen im Zusammenhang der Textaussage zukommt: Ebenso wie schon in Papinians Äußerung zum Kaufvertrag dient die Bemerkung nur dazu, einen möglichen Einwand auszuräumen. Ihre Bedeutung erschöpft sich daher in der Feststellung, dass es Fälle geben kann, in denen der Pfandgläubiger nicht für einen Diebstahl verantwortlich ist und es dennoch zur Anrechnung kommen kann. Damit bleibt offen, warum der Pfandgläubiger nicht für einen von dritter Seite verübten Diebstahl einzustehen hat. Eine solche Haftung kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn sich die Pfandsache im Zeitpunkt des 129 130 131

Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 146 f. erklärt ihn kurzerhand für interpoliert. So Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht, Amsterdam 1999, S. 233. Dies tut namentlich Robaye, L’obligation de garde, S. 227.

II. Differenzierung nach dem Verschulden?

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Diebstahls gar nicht in seiner Obhut, sondern beim Schuldner befindet. Da die Entscheidung über die Anrechnung auf die gesicherte Forderung auch für einen solchen Fall gelten muss, erlaubt der Hinweis auf die Möglichkeit eines furtum mit oder ohne culpa des Pfandgläubigers keinesfalls die Annahme, die custodiaHaftung setze eine Prüfung der konkreten Tatumstände voraus. Dasselbe gilt schließlich für den dritten Text, in dem nach der culpa eines custodia-Pflichtigen differenziert wird. Er stammt wieder aus Ulpians Abhandlung zur Aktivlegitimation bei der actio furti im 29. Buch seines Sabinuskommentars und betrifft den Fall des doppelten Diebstahls einer verpfändeten Sache: D 47.2.14.6 Ulp 29 Sab Idem scribit, si, cum mihi decem deberentur, servus pignori datus subtractus sit, si actione furti consecutus fuero decem, non competere mihi furti actionem, si iterum subripiatur, quia desiit mea interesse, cum semel sim consecutus. hoc ita, si sine culpa mea subripiatur: nam si culpa mea, quia interest eo quod teneor pigneraticia actione, agere potero. quod si culpa abest, sine dubio domino competere actio videtur, quae creditori non competit. quam sententiam Pomponius quoque libro decimo ad Sabinum probat. Papinian schreibt ferner, dass, wenn mir zehn geschuldet waren, ein verpfändeter Sklave entwendet worden ist und ich zehn erlangt habe, mir nicht die Diebstahlsklage zustehe, wenn er erneut entwendet wird, weil ich kein Interesse mehr daran hätte, wenn ich den Betrag einmal erlangt habe. Dies gilt, wenn er ohne mein Verschulden entwendet worden ist. Ist es aber durch mein Verschulden geschehen, kann ich klagen, ich habe nämlich deshalb ein Interesse, weil ich mit der Pfandklage hafte. Ist aber kein Verschulden im Spiel, steht zweifellos dem Eigentümer die Klage zu, die nicht dem Gläubiger zusteht. Diese Ansicht befürwortet auch Pomponius im zehnten Buch zu Sabinus.

Anders als bei den beiden schon untersuchten Entscheidungen ist hier nun erstmals ausdrücklich von einer Haftung des Pfandgläubigers gegenüber dem Eigentümer der Pfandsache die Rede; und Ulpian erwähnt sogar die actio pigneraticia als einschlägige Klage. Die hiermit durchgesetzte Einstandspflicht macht zwangsläufig das Interesse eines Gläubigers aus, wenn die gesicherte Forderung schon durch Realisierung einer Diebstahlshaftung und Anrechnung der Bußleistung erfüllt worden ist. Denn mit ihr hat der Pfandgläubiger auch sein Pfandrecht eingebüßt.132 Statt des untergegangenen dinglichen Rechts kann er für die Aktivlegitimation zur actio furti allenfalls noch seine Haftung gegenüber dem Eigentümer ins Feld führen.133 Soll seine Befugnis zur Erhebung der Diebstahlsklage 132 Daher kann man in der Entscheidung auch schwerlich mit Kaser, Grenzfragen, S. 319 ff. eine Abkehr von dem mit der actio furti verbundenen Strafgedanken erkennen. 133 Da es zumindest in diesem Fall nicht auf das dingliche Recht des Pfandgläubigers ankommen kann, sondern allein seine Haftung gegenüber dem Eigentümer der Pfandsache entscheidet, wird die vorrangige Berechtigung aufgrund des dinglichen Rechts auch nicht durch Ulpians Darstellung zur actio vi bonorum raptorum in D 47.8.2.22

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2. Kap.: Custodia und furtum

nun von seiner culpa abhängen,134 heißt dies aber wiederum nicht mehr, als dass es auf die Verantwortlichkeit des Pfandgläubigers ankommt. Wie sie begründet ist – dazu verhält sich Ulpian nicht. Ist der Gläubiger dem Schuldner für die Entwendung der Sache haftbar, kann dies an seiner custodia-Haftung liegen; ist er hierfür nicht verantwortlich, kann dies darauf beruhen, dass sie abbedungen oder die Sache im Zeitpunkt der Tat schon in den Händen des Schuldners gewesen ist. Die drei Texte, in denen die mögliche culpa eines custodia-Pflichtigen ins Spiel gebracht wird, vermögen folglich nicht den Eindruck zu widerlegen, den die ganz überwiegende Mehrheit der Quellen vermittelt, nämlich dass ein Diebstahl automatisch zur Haftung desjenigen führt, der eine Sache inne- und für ihre Bewachung einzustehen hat.135 Will man der Erwähnung von culpa überhaupt eine Aussage zur Einstandspflicht für custodia entlocken, kann man ihnen allenfalls entnehmen, was schon die Entscheidungen ergeben, in denen die Aktivlegitimation zur actio furti von der culpa eines Beteiligten abhängig gemacht wird: Ist er für Bewachung haftbar, gilt ein Diebstahl den klassischen Juristen offenbar automatisch als ein Fall von Verschulden, und zwar ohne dass es auf das konkrete Geschehen im Einzelfall ankäme.136

Ulp 56 ed in Frage gestellt: In hac actione non utique spectamus rem in bonis actoris esse: sive in bonis sit sive non sit, si tamen ex bonis sit, locum haec actio habebit. quare sive commodata res sit sive locata sive etiam pignerata proponatur sive deposita apud me sic, ut intersit mea eam non auferri, sive bona fide a me possideatur, sive usum fructum in ea habeam vel quod aliud ius, ut intersit mea non rapi: dicendum est competere mihi hanc actionem, ut non dominium accipiamus, sed illud solum, quod ex bonis meis, hoc est ex substantia mea res ablata esse proponatur. („Bei dieser Klage kommt es nicht stets darauf an, ob die Sache zum Vermögen des Klägers gehört oder nicht; die Klage greift auch dann Platz, wenn sie zum Nachteil des Vermögens des Klägers verlorengegangen ist. Die Sache kann daher geliehen oder gemietet oder verpfändet oder bei mir in Verwahrung gegeben worden sein, so dass ich ein Interesse daran habe, dass sie nicht entwendet worden wäre, oder von mir nach guter Treue besessen werden, oder es kann mir ein Nießbrauch an ihr zustehen oder ein anderes Recht, so dass ich ein Interesse daran habe, dass sie nicht geraubt worden wäre: es ist zu befinden, dass mir die Klage zusteht, so dass nicht das Eigentum entscheidet, sondern allein, dass ich geltend machen kann, die Sache sei zum Nachteil meines Vermögens entwendet worden.“) Zwar erscheint hier der Pfandgläubiger in einer Reihe von Besitzern, die gerade wegen der Überlassung der gestohlenen Sache haftbar sind; zugleich ist aber auch ein Nießbraucher genannt, der die Diebstahlsklage wegen seines dinglichen Rechts erheben kann. Zu einer Interpolationsannahme muss Schulz, SZ 32 (1911) 23, 49 f. greifen. 134 Dies glaubt Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 255. Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 145 f. entledigt sich des Problems wiederum durch eine Interpolationsvermutung. 135 Im Ergebnis, wenn auch aufgrund eines anderen Verständnisses von custodia, richtig Kaser, SZ 89 (1982) 249, 254. 136 Dies erwägt nicht Kaser, Grenzfragen, S. 319.

Drittes Kapitel

Custodia und culpa I. Custodia- als culpa-Haftung 1. Fahrlässigkeit als allgemeiner Standard Der Befund, dass ein Diebstahl dem custodia-Pflichtigen als culpa zugerechnet wird, passt zu den Texten, in denen sich die Juristen allgemein zum Haftungsstandard äußern. Hier bleibt die custodia nämlich häufig unerwähnt, obwohl sie genannt sein müsste, wenn sie eine eigene und verschuldensunabhängige Art der Einstandspflicht darstellte. Dies gilt etwa für einen Abschnitt aus Ulpians Kommentar zum Edikt über das commodatum, in dem er das hier geltende Haftungsregime vorstellt: D 13.6.5.2–3 Ulp 28 ed Nunc videndum est, quid veniat in commodati actione, utrum dolus an et culpa an vero et omne periculum. et quidem in contractibus interdum dolum solum, interdum et culpam praestamus: dolum in deposito: nam quia nulla utilitas eius versatur apud quem deponitur, merito dolus praestatur solus: nisi forte et merces accessit (tunc enim, ut est et constitutum, etiam culpa exhibetur) aut si hoc ab initio convenit, ut et culpam et periculum praestet is penes quem deponitur. sed ubi utriusque utilitas vertitur, ut in empto, ut in locato, ut in dote, ut in pignore, ut in societate, et dolus et culpa praestatur. (3) Commodatum autem plerumque solam utilitatem continet eius cui commodatur, et ideo verior est Quinti Mucii sententia existimantis et culpam praestandam et diligentiam et, si forte res aestimata data sit, omne periculum praestandum ab eo, qui aestimationem se praestaturum recepit. Nun müssen wir zusehen, was Gegenstand der Klage aus Leihe ist, nur Arglist oder auch Fahrlässigkeit oder sogar jegliche Gefahr. Und bei Verträgen müssen wir zuweilen nur für Arglist, zuweilen auch für Fahrlässigkeit einstehen; bei der Verwahrung für Arglist; da für den Verwahrer kein Nutzen entsteht, ist zu Recht nur für Arglist einzustehen, falls nicht ein Entgelt hinzukommt (dann nämlich ist, wie entschieden worden ist, auch für Fahrlässigkeit einzustehen) oder wenn von vornherein vereinbart ist, dass der Verwahrer auch für Fahrlässigkeit oder Gefahr einzustehen hat. Entsteht aber für beide Seiten ein Nutzen, wie beim Kauf, bei der Verdingung, bei der Mitgift, bei der Verpfändung oder bei der Gesellschaft, ist sowohl für Arglist als auch für Fahrlässigkeit einzustehen. (3) Ein Leihvertrag erbringt aber häufig einen Nutzen nur für den Entleiher, und deshalb ist die Ansicht von Quintus Mucius richtig, der glaubt, es sei für Fahrlässigkeit und Sorgfalt und, falls die Sache zum Schätzwert überlassen worden ist, von demjenigen, der die Leistung des Schätzwertes übernommen hat, auch für jegliche Gefahr einzustehen.

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3. Kap.: Custodia und culpa

Wie im Fall der Überlassung einer Sache an einen Gutachter137 leitet Ulpian auch hier den Haftungsstandard aus dem Vertragsnutzen ab. Er gelangt so aber nicht zu einer custodia-Haftung, sondern im Anschluss an Quintus Mucius zu dem Ergebnis, dass der Entleiher wegen seines Interesses an der Sachüberlassung für culpa einstehen muss. Hierin liegt ein Unterschied zur Verwahrung, wo wegen des umgekehrten Vertragsnutzens grundsätzlich nur Raum für eine Arglisthaftung des Verwahrers ist. Etwas anderes gilt bei besonderer Übernahme einer weitergehenden Haftung und außerdem, wenn ein Lohn für die Verwahrung vereinbart worden ist, so dass der Vertrag unter die locatio conductio fällt.138 In diesem Fall greift die für Austauschverträge geltende Regel ein, dass beide Seiten einander für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen haben. Außer der Verdingung, der auch die Tätigkeit von fullo und sarcinator zuzurechnen ist, erwähnt Ulpian noch den Kaufvertrag, der eine custodia-Haftung des Verkäufers zeitigt. Einem Austauschvertrag immerhin ähnlich sind wegen des bi- oder multilateralen Vertragsnutzens noch Mitgift, Gesellschaft und der Pfandvertrag. Obwohl zumindest auch letzterer als Anwendungsfall der custodia-Haftung etabliert ist, spricht Ulpian dennoch bloß von culpa; und dies erkennbar nicht nur mit Blick auf bestimmte Fälle des Sachverlustes, sondern generell und damit auch mit Bezug auf einen von dritter Seite verübten Diebstahl.139 Ulpians Stillschweigen zur Frage der custodia geht mit einer abweichenden Verwendung des Begriffs periculum einher. Bedient er sich seiner zuweilen, um das aus custodia folgende Haftungsrisiko zu beschreiben,140 steht er hier für die Fälle, in denen eine Einstandspflicht gewöhnlich ausscheidet. Angedeutet ist der Unterschied dadurch, dass Ulpian eingangs und am Ende des Textes von ,omne periculum‘ spricht. Einen Schuldner soll dieses umfassende Risiko nur im Fall seiner besonderen Übernahme treffen. Bei der Verwahrung ist es Gegenstand einer zweistufigen Steigerung der Haftung, die zunächst einmal von dolus auf culpa ausgeweitet werden muss. Bei der Leihe ergänzt die Risikoübernahme die gewöhnliche Einstandspflicht für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Schon Quintus Mucius will sie in der Vereinbarung eines Schätzwertes erkennen. Dieser muss nämlich unabhängig davon geleistet werden, welches Schicksal der überlassenen Sache widerfahren ist. Wie bei der Bestellung einer Mitgift macht er den Vertrag

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D 13.6.10.1 Ulp 29 Sab; s. o. S. 24. Hier geht es Ulpian im Unterschied zu D 47.8.2.23 Ulp 56 ed um einen echten Lohn und nicht etwa um ein anderes ,pretium depositionis‘, das die Vereinbarung zu einem Innominatvertrag macht; s. o. S. 30 f. 139 Entgegen Nörr, SZ 73 (1956) 68, 73 f. und Cannata, Sul problema della responsabilità, S. 156 ff. gibt es keinen Anlass für die Annahme, Ulpian habe ursprünglich von custodia gesprochen. Gegen den Verdacht einer Interpolation des Textes, wie ihn etwa Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 122 ff. gegen diesen und die folgenden Abschnitte von Ulpians Kommentar richtet, wendet sich zu Recht Robaye, L’obligation de garde, S. 301 ff. 140 S. o. S. 25 ff. 138

I. Custodia- als culpa-Haftung

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zu einem kaufähnlichen Geschäft141 und trägt dem Schuldner das periculum emptoris ein, das weit über culpa- oder custodia-Haftung hinausgeht. Den Kontrast zwischen der auf dolus beschränkten Einstandspflicht des Verwahrers und der culpa-Haftung des Entleihers verknüpft Modestin in seinen libri differentiarum mit der Infamiefolge: Da die Verurteilung des Verwahrers an die Feststellung seines arglistigen Verhaltens geknüpft ist, zieht sie im Gegensatz zu der schon bei bloßer Fahrlässigkeit begründeten Haftung des Entleihers einen Ehrverlust nach sich. Während Modestin ebenso wie Ulpian die Privilegierung des Verwahrers auf den einseitigen Nutzen des Vertrags für den Niederleger zurückführt,142 ordnet er den Leihvertrag anders ein: Er sieht in ihm keineswegs ein allein zum Nutzen des Entleihers abgeschlossenes Geschäft, sondern hält, wenn auch wohl nicht für zwingend, so doch immerhin für denkbar, dass der Verleiher ebenfalls von der Sachüberlassung profitiert.143 Dies ändert für ihn freilich nichts daran, dass der Entleiher für culpa einzustehen hat, weil dies ja auch der Haftungsstandard für andere Verträge im bilateralen Interesse ist.144 Als solche nennt Modestin noch Mitgift und fiducia:145 Coll 10.2.1–4 Mod 2 diff Commodati iudicio conventus et culpam praestare cogitur: qui vero depositi convenitur, de dolo, non etiam de culpa condemnandus est. commodati enim contractu, quia utriusque contrahentis utilitas intervenit, utrumque praestatur: in depositi vero causa sola deponentis utilitas vertitur et ibi dolus tantum praestatur. (2) Sed in ceteris quoque partibus iuris ista regula custoditur: sic enim et in fiduciae iudicium et in actionem rei uxoriae dolus et culpa deducitur, quia utriusque contrahentis utilitas intervenit. (3) In mandati vero iudicium dolus, non etiam culpa deducitur. Quamvis singulariter denotare liceat in tutelae iudicium utrumque deduci, cum solius pupilli, non etiam tutoris utilitas in administratione versetur. (4) Depositi damnatus infamis 141

D 23.3.10, 12, 14, 16 Ulp 34 Sab; hierzu neuerdings Harke, Libri, S. 136 ff. Dies sieht jedenfalls Paulus, vielleicht auch Ulpian anders; vgl. D 17.1.26.7 Paul 32 ed, D 17.1.10.1 Ulp 31 ed, D 50.17.23 Ulp 29 Sab (s. u. S. 86 f.). Die theoretische Grundlage liefert die Einsicht in die Selbstbindung des Auftragnehmers und das korrespondierende Vertrauen des Auftraggebers; vgl. D 17.1.22.11 Paul 32 ed und sowie hierzu Harke, Freigiebigkeit und Haftung, Würzburg 2006, S. 17 ff. 143 Für interpoliert halten den Text deshalb Haymann, SZ 40 (1919) 167, 189 f. und Nörr, SZ 73 (1956) 68, 99 f. 144 Ulpian sieht in einem Fall, in dem der Leihvertrag im Interesse des Verleihers abgeschlossen wird, die Haftung des Entleihers dagegen auf Vorsatz beschränkt; D 13.6.5.10 Ulp 28 ed: Interdum plane dolum solum in re commodata qui rogavit praestabit, ut puta si quis ita convenit: vel si sua dumtaxat causa commodavit, sponsae forte suae vel uxori, quo honestius culta ad se deduceretur, vel si quis ludos edens praetor scaenicis commodavit, vel ipsi praetori quis ultro commodavit. („Zuweilen haftet der Entleiher im Hinblick auf die entliehene Sache bloß für Arglist, wie zum Beispiel, wenn jemand dies vereinbart oder die Sache nur in seinem Interesse verliehen hat, etwa seiner Verlobten oder Ehefrau, damit sie umso vornehmer vor ihm aufträte, oder wenn ein Prätor, der Spiele veranstaltet, etwas den Schauspielern geliehen oder jemand etwas dem Prätor selbst freiwillig geliehen hat.“). 145 Hierzu Noordraven (Fn. 130), S. 225 ff. 142

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3. Kap.: Custodia und culpa est: qui vero commodati damnatur, non fit infamis: alter enim propter dolum, alter propter culpam condemnatur. Wer mit der Leihklage belangt wird, muss auch für Fahrlässigkeit einstehen. Wer hingegen mit der Verwahrungsklage belangt wird, ist wegen Arglist, nicht auch wegen Fahrlässigkeit zu verurteilen. Beim Leihvertrag ist, da er im Interesse beider Parteien steht, für beides einzustehen; bei der Verwahrung geht es nur um das Interesse des Niederlegers und daher ist dort nur für Arglist einzustehen. (2) Aber auch in anderen Rechtsbereichen ist diese Regel zu beachten, so sind bei der Klage aus Treuhand und der Klage wegen des Frauengutes sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit zu berücksichtigen, weil es um das Interesse beider Parteien geht. (3) Bei der Auftragsklage ist nur Arglist, nicht auch Fahrlässigkeit zu berücksichtigen. Es ist aber anzumerken, dass bei der Vormundschaftsklage beides berücksichtigt wird, obwohl die Verwaltung allein im Interesse des Mündels, nicht auch im Interesse des Vormunds, erfolgt. (4) Wer wegen einer Verwahrung verurteilt wird, ist ehrlos; wer aber wegen einer Leihe verurteilt wird, ist nicht ehrlos; der eine wird nämlich wegen seiner Arglist, der andere wegen Verschuldens verurteilt.

Wegen der Allgemeinheit der Aussage kann man wiederum nicht annehmen, der in der Collatio und damit außerhalb der justinianischen Kodifikation überlieferte Text146 beziehe sich ausschließlich auf andere Arten des Sachverlustes als den Diebstahl. Dasselbe gilt für eine Konstitution aus der Regierungszeit von Alexander Severus. Sie gilt der Haftung eines Pfandgläubigers. Obwohl dieser anerkanntermaßen für custodia einzustehen hat, macht die kaiserliche Kanzlei seine Haftung von seiner culpa abhängig und stellt dieser einen Sachverlust ,sine vitio suo‘ gegenüber:147 CJ 4.24.5 (19. April 224) Imp. Alexander Severus A. Dioscoridae. Si creditor sine vitio suo argentum pignori datum perdidit restituere id non cogitur: sed si culpae reus deprehenditur [vel non probat manifestis rationibus se perdidisse], quanti debitoris interest condemnari debet. Kaiser Alexander an Dioscorida. Hat ein Gläubiger ohne sein Fehlverhalten ihm verpfändetes Silber verloren, wird er nicht zur Erstattung gezwungen; wird er aber eines schuldhaften Verhaltens überführt [oder weist er nicht durch liquide Beweismittel nach, dass er es verloren hat], muss er zur Leistung des Interesses des Schuldners verurteilt werden.

146 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 702 (Mod 9) übernimmt hierfür die in der Collatio aufgeführte Titelrubrik: ,de deposito et commodato‘. 147 Der zweite Teil des Bedingungssatzes weist nicht nur den verdächtigen Hinweis auf ,rationes manifestae‘ auf; er ist auch offensichtlich widersinnig; denn er fordert vom Pfandgläubiger den Nachweis eines Sachverlustes, der aber nur dann zu seiner Entlastung hinreichen würde, wenn ihm kein Fehlverhalten zur Last fällt. Dieses ist aber just Gegenstand der ersten Bedingung, die hierzu im Alternativverhältnis stehen soll. Wegen dieser Ungereimtheiten muss man aber noch nicht mit Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 144 auch die Erwähnung von culpa auf eine Textverfälschung zurückführen.

I. Custodia- als culpa-Haftung

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Ist damit für die meisten der Fälle, in denen ein Vertragspartner für Bewachung einzustehen hat, culpa als genereller Haftungsmaßstab bezeugt, gibt es sogar zwei Texte, in denen sie synonym mit custodia oder diese als ein Unterfall von culpa erscheint.148 Beide betreffen Drei-Personen-Konstellationen, in denen jemand für das Fehlverhalten seines Gewaltunterworfenen oder freien Gehilfen einzustehen hat. Der eine stammt wieder aus dem Traktat im 29. Buch von Ulpians Sabinuskommentar und enthält ein Zitat des Hochklassikers Julian:149 D 47.2.14.10 Ulp 29 Sab An pater, cuius filio commodata res est, furti actionem habeat, quaeritur. et Iulianus ait patrem hoc nomine agere non posse, quia custodiam praestare non debeat: sicut, inquit, is qui pro eo, cui commodata res est, fideiussit, non habet furti actionem. neque enim, inquit, is, cuiuscumque intererit rem non perire, habet furti actionem, sed qui ob eam rem tenetur, quod ea res culpa eius perierit: quam sententiam Celsus quoque libro duodecimo digestorum probat. Fraglich ist, ob ein Vater, dessen Sohn eine Sache geliehen worden ist, die Diebstahlsklage hat. Und Julian schreibt, der Vater könne deshalb nicht klagen, weil er nicht für Bewachung einstehen müsse; ebenso wie, schreibt er, auch derjenige, der sich für einen Entleiher verbürgt hat, keine Diebstahlsklage habe. Es habe nämlich, wie er schreibt, nicht jeder die Diebstahlsklage, der ein Interesse daran habe, dass eine Sache nicht verlorengehe, sondern wer deshalb hafte, weil die Sache durch sein Verschulden verlorengegangen ist; diese Ansicht befürwortet auch Celsus im zwölften Buch seiner Digesten.

Steht die actio furti dem Vater eines Haussohnes zu, dem eine Sache geliehen und dann entwendet worden ist? Julian verneint dies aus dem Grund, dass der pater familias selbst nicht für custodia hafte.150 Zur Unterstützung dieses Arguments verweist er auf einen Bürgen, der sich für einen Entleiher verbindlich gemacht und dem Verleiher nach Julians Meinung offenbar ebenfalls nicht für einen Diebstahl einzustehen hat.151 Seine Ansicht spitzt Julian zu dem anscheinend 148

Für das Ergebnis einer Interpolation erklärt dies Schulz, SZ 32 (1911) 23, 90 f. Hierzu Harke, Libri, S. 273 f. 150 Die Konsequenz ist, dass die Diebstahlsklage dem Eigentümer zusteht, nicht etwa dem gewaltunterworfenen Sohn; vgl. Wacke, Actiones suas praestare debet, Berlin 2010, S. 190 ff. 151 Die Entscheidung gegen eine custodia-Haftung des Vaters verträgt sich nicht ohne Weiteres mit einer Falllösung, von der Ulpian in seinem Ediktskommentar berichtet; vgl. D 47.2.52.9 Ulp 37 ed: Si servus tuus vel filius polienda vestimenta susceperit, an furti actionem habeas, quaeritur. et si quidem peculium servi solvendo sit, potes habere furti actionem, si non fuerit solvendo, dicendum est non competere furti actionem. („Hat dein Sklave oder Haussohn Kleider zur Reinigung übernommen, stellt sich die Frage, ob du die Diebstahlsklage hast. Und wenn das Sondergut des Sklaven solvent ist, kann dir die Diebstahlsklage zustehen; ist es nicht solvent, ist zu entscheiden, dass dir die Diebstahlsklage nicht zusteht.“) Hier ist vorausgesetzt, dass der pater familias, wenn ein gewaltunterworfener Sohn oder Sklave Kleidung zur Reinigung übernommen hat, für einen Diebstahl zumindest mit der actio de peculio einstehen muss. Denn nur in diesem Fall kann die Solvenz des Sonderguts den Ausschlag dafür geben, ob er oder der Eigentümer die actio furti erheben kann. Nichts anderes darf gelten, wenn ein Sohn 149

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3. Kap.: Custodia und culpa

auch von Celsus befürworteten Grundsatz zu, dass sich das anspruchsbegründende Interesse an der Vermeidung des Diebstahls nur aus einer Haftung für den Sachverlust ergeben könne. Statt des zu erwartenden Hinweises auf custodia begnügt sich Julian aber an dieser Stelle mit einem Rekurs auf culpa.152 Da mit der so gebildeten Regel auch der Ausgangsfall des Familienvaters bewältigt werden kann und soll, kommt dem Begriff erkennbar dieselbe oder zumindest eine Bedeutung zu, die custodia einschließt.153 Nahezu von einer ,culpa in custodiendum‘ ist in dem folgenden Auszug aus Ulpians Ediktskommentar die Rede.154 Er stammt aus dem Abschnitt über die Klagen aus emptio venditio,155 betrifft aber ebenso wie die anderen Teile desselben Fragments einen Fall, in dem es gerade nicht zum Abschluss eines Kaufvertrags kommt, sondern eine Sache nur zur Probe oder Ansicht überlassen wird:156 D 19.5.20.2 Ulp 32 ed Si, cum emere argentum velles, vascularius ad te detulerit et reliquerit et, cum displicuisset tibi, servo tuo referendum dedisti et sine dolo malo et culpa tua perierit, vascularii esse detrimentum, quia eius quoque causa sit missum. certe culpam eorum, quibus custodiendum perferendumve dederis, praestare te oportere Labeo ait, et puto praescriptis verbis actionem in hoc competere. Hat dir ein Schmied, weil du Silberwaren kaufen wolltest, solche gebracht und bei dir gelassen und hast du sie, weil sie dir nicht gefielen, deinem Sklaven überlassen, oder Sklave eine Sache geliehen hat. Ein Widerspruch zwischen beiden Texten lässt sich nur verneinen, wenn man unterstellt, Julian behandle den Fall, in dem der Haussohn nicht über ein Sondergut verfügt. Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 42 und Kaser, Grenzfragen, S. 320 nehmen hingegen an, Ulpian referiere in D 47.2.14.10 nur die Ansicht des Hochklassikers und gebe im Ediktskommentar seine eigene Meinung kund; ebenso Wacke (Fn. 150), S. 195 f. 152 Für interpoliert erklärt ihn Haymann, SZ 40 (1919) 167, 185 ff. Dass er erst auf Ulpian zurückgeht, behauptet ungeachtet der ausdrücklichen Kennzeichnung als Zitat (,inquit‘) Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 242. 153 Richtig insoweit MacCormack, SZ 89 (1972) 149 170, Robaye, L’obligation de garde, S. 268 f. und Wacke (Fn. 150), S. 198 ff., der hierin freilich das Ergebnis einer Entwicklung in der Spätklassik erkennen will. Anders zu Unrecht Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 43, der ebenso wie Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 134 glaubt, bei ,quod ea res culpa eius perierit‘ handele es sich um ein Glossem. Mit ihm werde erst der Gedanke einer Haftung in den Text eingeführt, während es Julian um eine Verpflichtung zur Bewachung gehe. Hiergegen wendet sich wiederum Metro, Labeo 13 (1967) 60, 64 f. 154 Er fügt sich deshalb glänzend in das Konzept von Robaye, L’obligation de garde, S. 398, der sich zu Recht gegen die Annahme einer Interpolation wendet, wie sie etwa bei Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 136 f. zu finden ist. 155 Zum Zusammenhang Harke, Libri, S. 210 ff. 156 Richtig Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts, Köln/Wien 1973, S. 130. Anders Misera, Der Kauf auf Probe im klassischen römischen Recht, in: Temporini (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. II.14, Berlin u. a. 1982, S. 552 und Artner, Praescriptis verbis agere, Berlin 2002, S. 186, die in der Annahme eines auflösend bedingten Kaufs immerhin eine Alternative zur gewählten Falllösung sehen.

I. Custodia- als culpa-Haftung

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damit er sie zurückbringt, und hat er sie ohne deine Arglist oder Schuld verloren, gehe dies auf Gefahr des Schmieds, weil der Sklave auch seinetwegen geschickt worden sei. Labeo schreibt, dass du sicherlich für das Verschulden derjenigen einstehen musst, denen du die Silberwaren zur Bewachung und zum Transport überlassen hast; und ich glaube, dass deshalb die Klage mit vorgeschriebener Formel zusteht.

Hat ein Schmied einem Kaufinteressenten Silberwaren zur Ansicht geschickt, geht deren Verlust, da die Regel vom periculum emptoris noch nicht eingreifen kann, auf seine Gefahr. Vorausgesetzt ist dabei, dass sich der potentielle Käufer nicht den Vorwurf eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Fehlverhaltens gefallen lassen muss. Diese Entscheidung eines ungenannten Juristen ergänzt Labeo um den Hinweis, dass der Kaufinteressent sich auch ein Verschulden der Personen zurechnen lassen muss, derer er sich zur Bewachung und Rückbeförderung der Silberwaren bedient. Es bleibt offen, ob es sich bei diesen, wie in der Schilderung des Falles erwähnt, um eigene Gewaltunterworfene oder freie Gehilfen handelt. Hier wie dort soll sich der potentielle Käufer seiner Haftung nicht dadurch entziehen können, dass er die Silberwaren nicht selbst zurückbringt. Wenn es heißt, dass die mit dem Transport betraute Person zur „Bewachung“ der Silberwaren bestellt ist, könnte dies einen Bezug zur custodia-Haftung haben. Ihr könnte der Kaufinteressent deshalb ausgesetzt sein, weil das Verhältnis zum Schmied, wenn auch im beiderseitigen Interesse begründet, so doch einer Leihe nicht unähnlich ist. In diesem Fall schlösse der Vorbehalt der fehlenden Fahrlässigkeitshaftung auf Seiten des Kaufinteressenten auch die Einstandspflicht für custodia als Unterfall der Haftung für culpa ein. 2. Vis maior als gemeinsame Grenze Für die Zuordnung der custodia- zur culpa-Haftung spricht außer diesen Belegen noch ein weiterer Umstand. Es ist die Grenze, die beide gemein haben.157 Sowohl die Einstandspflicht für culpa als auch die Haftung für custodia reichen nur so weit, wie nicht ein Fall höherer Gewalt vorliegt.158 Für die Haftung eines Entleihers stellt Ulpian dies unmittelbar im Anschluss an die Ableitung des culpa-Standards aus dem Vertragsnutzen dar: D 13.6.5.4 Ulp 28 ed Quod vero senectute contigit vel morbo, vel vi latronum ereptum est, aut quid simile accidit, dicendum est nihil eorum esse inputandum ei qui commodatum accepit, nisi aliqua culpa interveniat. proinde et si incendio vel ruina aliquid contigit vel aliquid damnum fatale, non tenebitur, nisi forte, cum possit res commodatas salvas facere, suas praetulit. Ist aber jemandem etwas wegen seines Alters oder einer Krankheit zugestoßen oder etwas von Räubern gewaltsam entwendet worden oder etwas Ähnliches geschehen, 157

Dies leugnet kurzerhand Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 87 f. Gemeinsam erscheinen culpa und custodia dabei sogar in D 13.7.13.1 Ulp 38 ed, CJ 8.13.19 und CJ 4.65.28; s. u. S. 61 f. 158

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3. Kap.: Custodia und culpa ist zu sagen, dass nichts hiervon dem Entleiher zuzurechnen ist, falls nicht irgendein Verschulden mitgewirkt hat. Daher haftet er auch nicht, wenn etwas durch ein Feuer, einen Gebäudeeinsturz oder einen sonstigen Schicksalsschlag geschehen ist, es sei denn, er hätte seine eigenen Sachen vorgezogen, während er auch die geliehenen hätte retten können.

Der Entleiher hat nicht für ein damnum fatale einzustehen, es sei denn, er hätte verhindern können, dass es die entliehene Sache trifft. Dies gilt etwa, wenn er die Möglichkeit hatte, sie zu retten, es aber vorzog, seine eigenen Sachen in Sicherheit zu bringen. In diesem Fall bleibt ihm der Vorwurf der culpa nicht erspart, weil es in seiner Hand lag, die Sachen des Verleihers vor dem Unglück zu bewahren. Als Beispiele für ein damnum fatale nennt Ulpian außer Feuersbrunst, Gebäudeeinsturz und dem natürlichen Tod von Sklaven auch einen räuberischen Angriff, der ebenso wie ein einfacher Diebstahl zu einer Sachentwendung führt. Als Gegensatzpaar begegnen uns culpa und vis maior schon bei Alfen. Er befasst sich mit dem Fall, dass ein von einem Gläubiger festgehaltenes Floß durch die Gewalt des Flusses weggerissen wird.159 Hat der Gläubiger nicht eigenmächtig gehandelt, sondern das Floß mit Einverständnis des Schuldners und damit als Pfand zurückbehalten, ist er nur für sein Verschulden und nicht für die von den Wassermassen ausgehende höhere Gewalt verantwortlich:160 D 13.7.30 Paul 5 epit Alf dig Qui ratiario crediderat, cum ad diem pecunia non solveretur, ratem in flumine sua auctoritate detinuit: postea flumen crevit et ratem abstulit. si invito ratiario retinuisset, eius periculo ratem fuisse respondit: sed si debitor sua voluntate concessisset, ut retineret, culpam dumtaxat ei praestandam, non vim maiorem. Der Kreditgeber eines Flößers hat, als dieser den Geldbetrag nicht rechtzeitig zahlte, dessen Floß eigenmächtig auf dem Fluss festgehalten; danach schwoll der Fluss an und hat das Floß mit sich gerissen. Hat er es ohne den Willen des Flößers festgehalten, gehe das Floß, wie er befunden hat, auf seine Gefahr; hat der Schuldner der Zurückhaltung aber freiwillig zugestimmt, sei nur für Verschulden einzustehen, nicht für höhere Gewalt.

Die von Ulpian genannten Fälle führt auch Gaius als Beispiele höherer Gewalt in einem Abschnitt aus seinem Kommentar zum Edikt des Provinzstatthalters auf:161 D 13.6.18pr Gai 9 ed prov In rebus commodatis talis diligentia praestanda est, qualem quisque diligentissimus pater familias suis rebus adhibet, ita ut tantum eos casus non praestet, quibus resisti 159 Auch wenn kein direkter Bezug zu einem Diebstahl erkennbar ist, ordnet es Lenel, Palingenesia, Bd. 1 Sp. 52 (Alf 70) im Originalwerk Alfens dem Abschnitt ,de furtis‘ zu. 160 Da es nicht um den Eingriff eines Dritten geht, ist der Fall, wie Robaye, L’obligation de garde, S. 245 zu Recht bemerkt, ohne direkten Aussagewert für die Haftung wegen custodia. Er zeigt aber immerhin die Verbindung von vis maior und culpa. 161 Das Fragment D 13.6.18 vereint sämtliche Auszüge aus dem Abschnitt über die Klagen aus dem Leihvertrag; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 210 (Gai 208).

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non possit, veluti mortes servorum quae sine dolo et culpa eius accidunt, latronum hostiumve incursus, piratarum insidias, naufragium, incendium, fugas servorum qui custodiri non solent. quod autem de latronibus et piratis et naufragio diximus, ita scilicet accipiemus, si in hoc commodata sit alicui res, ut eam rem peregre secum ferat: alioquin si cui ideo argentum commodaverim, quod is amicos ad cenam invitaturum se diceret, et id peregre secum portaverit, sine ulla dubitatione etiam piratarum et latronum et naufragii casum praestare debet. haec ita, si dumtaxat accipientis gratia commodata sit res, at si utriusque, veluti si communem amicum ad cenam invitaverimus tuque eius rei curam suscepisses et ego tibi argentum commodaverim, scriptum quidem apud quosdam invenio, quasi dolum tantum praestare debeas: sed videndum est, ne et culpa praestanda sit, ut ita culpae fiat aestimatio, sicut in rebus pignori datis et dotalibus aestimari solet. Bei der Leihe ist für diejenige Sorgfalt einzustehen, die ein überaus sorgfältiger Hausvater bei seinen Sachen walten lässt, so dass nur für diejenigen Zufälle nicht einzustehen ist, die man nicht verhindern kann, Beispiele sind der Tod von Sklaven, der ohne Arglist oder Fahrlässigkeit des Entleihers eintritt, Angriffe von Räubern oder Feinden, Überfälle von Piraten, Schiffbruch, Feuer oder die Flucht von Sklaven, die man gewöhnlich nicht bewacht. Was wir von Räubern, Piraten und dem Schiffbruch gesagt haben, verstehen wir jedoch so, dass es nur dann gilt, wenn jemandem eine Sache geliehen worden ist, damit er sie mit auf Reisen nimmt; andernfalls muss jemand, wenn ich ihm Silbergeschirr geliehen habe, weil er behauptete, er werde Freunde zum Abendessen einladen, und er es mit auf Reisen genommen hat, auch in den Fällen eines Angriffs von Piraten oder Räubern oder eines Schiffbruchs einstehen. Dies gilt, wenn die Sache nur im Interesse des Empfängers überlassen worden ist; für den Fall, dass sie im beiderseitigen Interesse überlassen worden ist, wie etwa wenn wir gemeinsam einen Freund zum Abendessen eingeladen haben und du hierfür Sorge trägst und ich dir Silbergeschirr geliehen habe, habe ich bei manchen geschrieben gefunden, du müsstest nur für Arglist einstehen; aber man muss zusehen, ob nicht auch für Fahrlässigkeit einzustehen ist, wobei sie so zu beurteilen ist wie gewöhnlich bei als Pfand oder Mitgift überlassenen Sachen.

Gaius ergänzt Ulpians Liste noch um einen Schiffbruch, einen Angriff von Piraten und die Flucht eines Sklaven, bei dem keine Bewachung zu erwarten ist. Die beiden zuletzt genannten Konstellationen sind in ihrer Struktur einem Diebstahl ähnlich, weil es ebenfalls zu einer Entwendung kommt, die im einen Fall unter Anwendung von Gewalt, im anderen gewissermaßen durch das Objekt selbst erfolgt.162 In all diesen Situationen muss sich ein Entleiher nicht den Vorwurf von culpa gefallen lassen; und dies, obwohl Gaius hohe Anforderungen stellt und von ihm die Anwendung der Sorgfalt fordert, die ein ,diligentissimus pater familias‘ in seinen Angelegenheiten walten lässt.163 Dieser Maßstab, den die Kompilatoren auch bei der locatio conductio anlegen wollen,164 geht aus 162

S. u. Fn. 277. Hiergegen richtet sich der Interpolationsverdacht von Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 130, der aber den Bezug auf die eigenen Angelegenheiten des Entleihers stehen lassen will. Für verfälscht erklärt den Text auch Luzzatto, Caso fortuito, S. 131 ff. 164 IJ 3.24.5; s. o. S. 8 ff. 163

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3. Kap.: Custodia und culpa

Gaius’ Sicht darüber hinaus, was bei einer Sachüberlassung verlangt wird, die im beiderseitigen Interesse erfolgt.165 Den Besitzer einer Sache will Gaius hier zwar ebenfalls für culpa und nicht wie andere Juristen bloß für dolus einstehen lassen; er verweist aber auf eine Beurteilung, wie sie beim Pfandvertrag oder bei der Bestellung einer Mitgift stattfindet.166 In dem schon untersuchten Text D 13.6.5.2167 nennt Ulpian diese beiden Geschäfte ebenfalls als Beispiele für Verträge zum beiderseitigen Nutzen, bei denen für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen ist. Im Gegensatz zu Gaius differenziert der Spätklassiker aber nicht ausdrücklich im Sorgfaltsniveau. Während sich dies aus der Sicht Modestins ohnehin verböte, weil er den Leihvertrag für ein Geschäft zum bilateralen Nutzen erklärt (Coll 10.2.1168), deutet Ulpian immerhin an, dass er ebenfalls von einem besonders strengen Standard für einen Entleiher ausgeht. Denn er macht ihm sogar zum Vorwurf, dass er sich im Unglücksfall für die Rettung seiner eigenen statt der Sachen des Verleihers entscheidet. Gaius nennt als Beispiel für ein solchermaßen mitwirkendes Verschuldens des Entleihers hingegen den zweckwidrigen Einsatz der geliehenen Sache: Nimmt er sie unabgesprochen mit auf Reisen, muss er für einen dabei vorgekommenen Schiffbruch, Raub- oder Piratenüberfall einstehen, weil er den so bewirkten Sachverlust durch seinen bestimmungswidrigen Gebrauch der Leihsache provoziert hat. Der Sorgfaltsmaßstab, der hinter dem Standard eines ,diligentissimus pater familias‘ zurückbleibt und jedenfalls nach Gaius’ Meinung beim Austauschvertrag zum Zuge kommt, könnte die gewöhnliche ,diligentia‘ sein, von der Gaius in seinen res cottidianae im Zusammenhang mit der Haftung eines Verkäufers spricht:169 D 18.6.2.1 Gai 2 cott rer Custodiam autem [ante admetiendi diem] qualem praestare venditorem oporteat, utrum plenam, ut et diligentiam praestet, an vero dolum dumtaxat, videamus. et puto eam diligentiam venditorem exhibere debere, ut fatale damnum vel vis magna sit excusatum. Wir müssen zusehen, für welche Bewachung der Verkäufer [bis zum Tag der Zumessung] einstehen muss, entweder für die volle, so dass er auch für Sorgfalt einzustehen hat, oder aber nur für Arglist. Und ich glaube, der Verkäufer muss eine solche Sorgfalt walten lassen, dass ihn nur Schicksalsschläge oder große Gewalt entschuldigen. 165 Für Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 113 ff. (vgl. auch ders., Sul problema della responsabilità, S. 73 ff.) ist dies der nachklassische Versuch, die objektive custodia-Haftung klassischen Musters mit den Instrumenten einer Verschuldenshaftung zu erfassen. 166 Diesen Vergleich hält Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 131 wiederum für interpoliert. 167 S. o. S. 45 f. 168 S. o. S. 47 f. 169 Zu dem Bezug auf die mensura beim Weinkauf, der nachträglich zur Anknüpfung an den in der Kompilation vorangehenden Text von Ulpian hergestellt worden ist, s. u. Fn. 398.

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Wieder beschreibt die höhere Gewalt, an dieser Stelle ,damnum fatale‘ und ,vis magna‘ genannt,170 den Kreis der Ereignisse, für die ein Schuldner nicht einzustehen hat.171 Als Gegenbegriff verwendet Gaius hier aber nicht culpa. Stattdessen ist es die custodia, für die ein Verkäufer bis zur Übergabe der Kaufsache haftet. Sie kommt in zwei Varianten vor, entweder in Gestalt einer bloßen Vorsatzhaftung oder als ,custodia plena‘, die einen Sorgfaltsverstoß bis hin zur höheren Gewalt abdeckt.172 Die Gegenüberstellung zur Haftung für ,dolum dumtaxat‘ deutet an, dass die „volle Bewachung“ eine Haftung für culpa zeitigt. Sie unterliegt nicht nur denselben Grenzen wie die Einstandspflicht für custodia, sondern schließt diese erkennbar ein.173 Auch Ulpian kontrastiert custodia und vis maior im Fall einer leiheähnlichen Vereinbarung, die einem Kaufvertrag vorgeschaltet ist: D 19.5.17.4 Ulp 28 ed Si, cum mihi vestimenta venderes, rogavero, ut ea apud me relinquas, ut peritioribus ostenderem, mox haec perierint vi ignis aut alia maiore, periculum me minime praestaturum: ex quo apparet utique custodiam ad me pertinere. Habe ich dich, als du mir Kleider verkaufen wolltest, gebeten, sie bei mir zu lassen, damit ich sie Fachleuten zeige, und sind sie dann durch Feuer oder höhere Gewalt verlorengegangen, muss ich für diese Gefahr nicht einstehen; hieraus ergibt sich, dass mir nur die Bewachung obliegt.

Bittet ein Käufer, ihm vom Verkäufer angebotene Kleider zunächst einmal zur Prüfung zu überlassen, handelt es sich dabei nicht um einen regelrechten Leihvertrag. Zwar widmet sich Ulpian dem Fall im Rahmen seiner Kommentierung des Edikts über die actio commodati;174 und er enthält sich auch einer genauen Bezeichnung der in diesem Fall einschlägigen Klageart. Da er in sämtlichen anderen Entscheidungen, die in diesem Fragment überliefert sind, für die Gewährung der actio praescriptis verbis eintritt, müssen wir davon ausgehen, dass er und der ungenannte Jurist, den er zitiert, auch in dieser Konstellation einen Innominatvertrag annehmen. Dieser gehorcht aber offensichtlich dem Haftungsregime des Leihvertrags; denn Ulpian weist dem potentiellen Käufer die custodia zu. Nicht von ihr umfasst ist ein Verlust der überlassenen Sachen durch eine Feuersbrunst oder andere höhere Gewalt.175 Dabei ist im Hinblick auf eine Sachentwendung vor allem an einen Raubüberfall zu denken. 170

Für interpoliert erklärt deren Erwähnung Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 133. Krückmann, SZ 63 (1943) 1, 47 identifiziert die von Gaius hier befürwortete Haftung daher kurzerhand mit derjenigen für größtmögliche Sorgfalt. 172 Hierzu s. u. S. 91 f. 173 Cannata, Sul problema della responsabilità, S. 148 f. sieht hierin ein Zeugnis nachklassischen Rechtsdenkens. 174 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 582 (Gai 806). 175 Diese Verallgemeinerung hält Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 134 für interpoliert. Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 101 und Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 255 sehen hier nur den spätklassischen Rechtszustand wiedergegeben. 171

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3. Kap.: Custodia und culpa

Ausdrücklich erscheint dieser in einem Bescheid Caracallas, der zur Wirkungszeit Ulpians ergeht und sowohl im Codex Iustinianus als auch in der Collatio überliefert ist. Im Codex hat er folgenden Wortlaut: CJ 4.65.1 (4. Jan. 213) Imp. Antoninus A. Iulio Aggripino. Dominus horreorum periculum vis maioris vel effracturam latronum conductori praestare non cogitur. His cessantibus si quid extrinsecus ex depositis rebus inlaesis horreis perierit, damnum depositarum rerum sarciri debet. Kaiser Antoninus an Julius Aggripinus. Der Eigentümer eines Lagerhauses ist nicht gezwungen, einem Mieter für die Gefahr einer höheren Gewalt oder eines Räubereinbruchs einzustehen. Ist es aber nicht dazu gekommen und etwas von den eingelagerten Sachen durch äußere Ursache verlorengegangen, muss er den Schaden an den eingelagerten Sachen ausgleichen.

In der Collatio176 ist das Reskript als ein Zitat aus Paulus’ Responsen177 gekennzeichnet und mit einer Erläuterung des Spätklassikers versehen: Coll 10.9 Paulus respondit satis praepositam constitutionem declarare his, qui horrea locant, maiorem vim inputari non posse. Paulus erklärt, die vorangestellte Verordnung bestimme, dass denjenigen, die Speicher vermieten, höhere Gewalt nicht zugerechnet werden könne.

Ein Lagerhalter hat seinen Kunden im Rahmen der locatio conductio für custodia einzustehen.178 Diese Haftung, die einen Sachverlust oder eine gewaltlos verübte Sachbeschädigung179 abdeckt, findet ihre Grenze in einem Einbruch von Räubern, die sich der eingelagerten Sachen unter Anwendung von Gewalt bemächtigen. Ihr Eingriff bedeutet einen Fall von höherer Gewalt,180 wie er auch

176 Die hier wiedergegebene Fassung unterscheidet sich außer im Tempus des Bedingungssatzes noch dadurch, dass ,extrinsecus‘ zwischen ,inlaesis‘ und ,horreis‘ eingefügt ist. 177 Sie soll dem Titel über die Klagen ,ex locato et conducto‘ entstammen, dem Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1230 f. (Paul 1485 f.) noch das Fragment D 19.2.54 zuordnet. 178 Dass der Lagerhalter hier als dominus horreorum bezeichnet wird, bedeutet nicht, dass es sich um einen Eigentümer handelt, der seinen Speicher den eigentlichen Lagerhaltern für ihr Geschäft zur Verfügung stellt (hierzu s. u. S. 101). Vielmehr geht es um einen Eigentümer, der selbst als horrearius Lagerverträge abschließt; vgl. Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 510 und Thomas, RIDA 6 (1959) 371, 380 sowie ders., RIDA 13 (1966) 353, 355 ff., der vermutet, in der Severerzeit habe das direkte Lagergeschäft durch Speichereigentümer zugenommen. 179 Richtig Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 514 ff. Die Erfassung solcher Fälle entspricht der seit Marcell durchgedrungenen Auffassung; s. u. S. 73 ff. Sie muss entgegen Wubbe nicht daraus abgeleitet werden, dass der Lagerhalter den Schiffs- oder Wirtsleuten nahesteht, die der Haftung nach dem einschlägigen Edikt unterliegen. 180 Richtig Molnár, Verwantwortung S. 609. Für ein Produkt einer Rechtsentwicklung der späten Klassik hält dies Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 112.

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bei anderen Arten des Sachverlustes von der Haftung für culpa ausgenommen ist.181 Schließlich stößt auch die Einstandspflicht von Schiffs- und Wirtsleuten, die Ulpian eigens mit dem Begriff custodia belegt,182 auf eine Grenze im Fall von vis maior. Anders als sonst ergibt sich diese Beschränkung aber nicht daraus, dass die Verpflichtung zum Schadensersatz an die Voraussetzung von culpa oder custodia geknüpft ist. Vielmehr ist die eigentlich unbeschränkte Haftung aufgrund des Edikts über das receptum nautarum erst nachträglich so begrenzt worden, dass ein Sachverlust durch höhere Gewalt von ihr ausgenommen ist. Ausgangspunkt ist eine Entscheidung Labeos, der einem Schiffer zugestanden hat, sich der Haftung im Fall eines Schiffbruchs durch exceptio zu entziehen. Diese Lösung ist dann in doppelter Hinsicht verallgemeinert, nämlich sowohl auf Wirtsleute als auch auf jegliche Konstellationen einer vis maior oder eines damnum fatale ausgedehnt worden: D 4.9.3.1 Ulp 14 ed Ait praetor: ,nisi restituent, in eos iudicium dabo‘. ex hoc edicto in factum actio proficiscitur. sed an sit necessaria, videndum, quia agi civili actione ex hac causa poterit: si quidem merces intervenerit, ex locato vel conducto: sed si tota navis locata sit, qui conduxit ex conducto etiam de rebus quae desunt agere potest: si vero res perferendas nauta conduxit, ex locato convenietur: sed si gratis res susceptae sint, ait Pomponius depositi agi potuisse. miratur igitur, cur honoraria actio sit inducta, cum sint civiles: nisi forte, inquit, ideo, ut innotesceret praetor curam agere reprimendae improbitatis hoc genus hominum: et quia in locato conducto culpa, in deposito dolus dumtaxat praestatur, at hoc edicto omnimodo qui receperit tenetur, etiam si sine culpa eius res periit vel damnum datum est, nisi si quid damno fatali contingit. inde Labeo scribit, si quid naufragio aut per vim piratarum perierit, non esse iniquum exceptionem ei dari. idem erit dicendum et si in stabulo aut in caupona vis maior contigerit. Der Prätor bestimmt: „ich gewähre eine Klage, wenn sie nicht zurückgeben“. Mit diesem Edikt ist eine Tatsachenklage vorgesehen. Fraglich ist aber, ob sie erforderlich ist, weil man aus demselben Grund ja auch eine zivilrechtliche Klage erheben kann; ist ein Entgelt vereinbart, kann aus Verdingung geklagt werden; ist aber ein gesamtes Schiff vermietet worden, kann der Mieter auch wegen der fehlenden Sachen klagen; hat ein Schiffer freilich den Transport von Sachen übernommen, kann er aus der Verdingung verklagt werden; hat er aber Sachen unentgeltlich übernommen, könne, wie Pomponius schreibt, die Klage aus Verwahrung erhoben werden. Er wundert sich deshalb, warum die honorarrechtliche Klage eingeführt worden ist, wo es doch zivilrechtliche Klagen gibt; es sei denn deshalb, wie er schreibt, damit der Prätor kundtut, dafür Sorge zu tragen, dass der Schlechtigkeit dieser Art von Menschen Einhalt geboten wird, und weil bei der Verdingung für Fahrlässigkeit, bei der Verwahrung nur für Arglist eingestanden wird, nach diesem Edikt aber derjenige, der 181

Im Ergebnis richtig Robaye, L’obligation de garde, S. 150. D 47.2.14.17 Ulp 29 Sab und D 47.5.1.4 Ulp 38 ed; s. o. S. 27 ff. Robaye, L’obligation de garde, S. 94 versucht vergeblich, dies in Abrede zu stellen. 182

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3. Kap.: Custodia und culpa etwas übernimmt, unter allen Umständen und auch dann haftet, wenn eine Sache verlorengeht oder beschädigt wird, falls sich nicht etwas durch einen Schicksalsschlag ereignet. Daher schreibt Labeo, es sei nicht ungerecht, einem Schiffer eine Einrede zu gewähren, wenn etwas durch Schiffbruch oder einen Überfall von Seeräubern verlorengegangen ist. Dasselbe gilt, wenn sich in einem Stall oder Gasthof ein Fall höherer Gewalt ereignet.

Erst nach der Ausnahme der Fälle höherer Gewalt kann die Haftung der Schiffs- und Wirtsleute mit custodia bezeichnet worden sein.183 Strenggenommen hätte man sie auch mit dem Namen culpa belegen können,184 die ja ebenfalls bis zu den Fällen einer vis maior reicht und gleichsam der Oberbegriff ist, unter den auch die custodia-Haftung fällt.185 So hätte man sich freilich offen in Widerspruch zu der mit dem receptum verfolgten Regelungsabsicht gesetzt, die ja auf die Einführung einer verschuldensunabhängigen Einstandspflicht gerichtet war.186 Um zu verbergen, dass sie infolge der labeonischen exceptio zu einer Haftung für culpa gestutzt und damit von praktischer Bedeutung nur noch bei der unentgeltlichen Verwahrung ist, drängt sich die Bezeichnung mit custodia geradezu auf. Denn der Automatismus, mit dem ein Diebstahl zur Haftung des Obhutspflichtigen führt, beschert ihr ungeachtet ihrer inhaltlichen Zuordnung zur culpa-Haftung doch eine gewisse Sonderstellung.

II. Doch ein Nebeneinander Diese Sonderstellung der custodia macht sich vor allem in den Aufzählungen von Haftungsgründen bemerkbar. Bei Ulpian verteilen sie sich auf drei verschiedene Passagen des Ediktskommentars, die jeweils einem anderen Vertragstyp ge183 Richtig Kaser, Grenzfragen, S. 294. Dass es eine gegenseitige Annäherung von receptum- und custodia-Haftung gab, glaubt hingegen Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 108 ff. 184 Richtig van Oven, TR 24 (1956) 137, 139 f. Unrichtig hingegen, und zwar auch von seinem eigenen Standpunkt, Robaye, L’obligation de garde, S. 414 f., der glaubt, die ediktale Haftung aufgrund des receptum nautarum gehe weit über die Vertragshaftung hinaus. 185 Im Ergebnis haben damit MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 192 und Robaye, L’obligation de garde, S. 180 f. nicht Unrecht, wenn sie meinen, die Haftung der Schiffsund Wirtsleute biete keinen Beleg dafür, dass die Einstandspflicht für custodia verschuldensunabhängig sei. 186 Földi, RIDA 40 (1993) 263, 278 f. glaubt, das Edikt über das receptum nautarum gehe auf ein förmliches Haftungsversprechen zurück (zu dieser Frage o. Fn. 78) und der Ausbildung des vertraglichen Haftungsstandards voran. Dagegen nehmen Brecht, Zur Haftung der Schiffer im antiken Recht, München 1962, S. 100 ff. und Kordasiewicz, Receptum nautarum and custodia revisited, RIDA 58 (2011) 193, 208 ff. an, es habe seit jeher eine vertragliche custodia-Haftung ohne Rücksicht auf Verschulden gegeben. Während Brecht glaubt, die Einstandspflicht der Schiffs- und Wirtsleute sei anfangs nur für Gepäck und mitgeführte Tiere der Reisenden gedacht gewesen, erkennt Kordasiewicz, die Funktion des receptum nautarum in der Schaffung einer einheitlichen Regel, die eine Unterscheidung nach der Vertragsart entbehrlich macht.

II. Doch ein Nebeneinander

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widmet sind. In den Ausführungen zur actio commodati187 findet sich eine eher beiläufige Bemerkung von Celsus im Rahmen eines längeren Zitats des Hochklassikers zu der Frage, wie die Haftung einer Mehrheit von Entleihern oder Mietern beschaffen ist:188 D 13.6.5.15 Ulp 28 ed Si duobus vehiculum commodatum sit vel locatum simul, Celsus filius scribit libro sexto digestorum quaeri posse, utrum unusquisque eorum in solidum an pro parte teneatur. et ait duorum quidem in solidum dominium vel possessionem esse non posse: nec quemquam partis corporis dominum esse, sed totius corporis pro indiviso pro parte dominium habere. usum autem balinei quidem vel porticus vel campi uniuscuiusque in solidum esse (neque enim minus me uti, quod et alius uteretur): verum in vehiculo commodato vel locato pro parte quidem effectu me usum habere, quia non omnia loca vehiculi teneam. sed esse verius ait et dolum et culpam et diligentiam et custodiam in totum me praestare debere: quare duo quodammodo rei habebuntur et, si alter conventus praestiterit, liberabit alterum et ambobus competit furti actio . . . Ist zwei Personen gemeinsam ein Wagen geliehen oder vermietet worden, könne man, wie der jüngere Celsus schreibt, fragen, ob jeder von beiden auf das Ganze oder nur für seinen Anteil haftet. Und er schreibt, zweien könne zwar nicht jeweils das Eigentum oder der Besitz im Ganzen zustehen, und sie könnten auch nicht das Eigentum an einem Teil der Sache, sondern nur das Eigentum an der ungeteilten Sache zu einem Anteil haben. Der Gebrauch eines öffentlichen Bades oder einer Säulenhalle oder eines Platzes sei hingegen ungeteilt (ich könne sie nämlich nicht deshalb weniger gebrauchen, weil ein anderer sie gebraucht); bei einem verliehenen oder vermieteten Wagen hätte ich, weil ich nicht alle Plätze innehaben kann, den Gebrauch tatsächlich nur zu einem Teil. Er schreibt aber, es sei richtiger, wenn ich für das Ganze sowohl für Arglist als auch für Fahrlässigkeit sowie für Sorgfalt und Bewachung einstehen muss; deshalb gelten sie als Gesamtschuldner, und wenn einer belangt wird und leistet, befreit er auch den anderen, und beiden steht die Diebstahlsklage zu . . .

Dem Ergebnis, dass die beiden Entleiher oder Mieter als Gesamtschuldner jeweils in vollem Umfang für eine Beschädigung oder den Verlust der entliehenen oder gemieteten Sache einzustehen haben, widerstrebt bei unbefangener Betrachtung ein Blick auf die Nutzungsmöglichkeiten: Während bei öffentlichen Orten der Gebrauch durch eine Person nicht die Nutzung durch andere ausschließt, verhält es sich bei einer Leih- oder Mietsache wie bei einem Wagen anders. Soweit er von einem Entleiher oder Mieter gebraucht wird, kann der andere ihn nämlich nicht verwenden. Dennoch lässt Celsus beide als Gesamtschuldner haften, weil ihr Recht zum Gebrauch der Sache Miteigentum und Mitbesitz ähnelt.189 Ob187

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 583 (Ulp 807). Dass der Bezug auf die locatio conductio erst das Ergebnis einer Textveränderung durch die Kompilatoren ist, glaubt Robaye, L’obligation de garde, S. 408. 189 Vgl. Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, Berlin 2012, S. 20 f. Geradewegs entgegengesetzt ist die Deutung von Schmieder, Duo rei, Berlin 2007, 188

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3. Kap.: Custodia und culpa

wohl sie weder über ein dingliches Recht noch auch nur eine possessio im Rechtssinne verfügen, sind sie doch beide jeweils zur Nutzung der ungeteilten Sache befugt. Folglich sind sie dem Vertragspartner auch beide in solidum verpflichtet und berechtigt, gegen einen Dieb mit der actio furti vorzugehen. Ihre Einstandspflicht beschreibt Celsus durch die Aufzählung von dolus, culpa, diligentia und custodia.190 Lässt sich die Sorgfalt nicht von der Fahrlässigkeit trennen, deren Maßstab sie ist, gilt dasselbe für die Bewachung der Sache. Wird sie gleichwohl separat genannt, zeigt dies eine Besonderheit an, die eine Haftung von Mietern oder Entleihern von der anderer Schuldner unterscheidet. Beim depositum, das eigentlich nur zur Vermeidung von dolus verpflichtet, kann es ausnahmsweise auch zu einer Haftung für custodia kommen, wenn der Verwahrer die Gefahr für die hinterlegten Sachen übernimmt.191 Damit ist nicht etwa gemeint, dass er wie bei einer Leihe zum Schätzbetrag192 jegliches Risiko des Sachverlustes trägt; denn dies käme einer bedingten Schenkung gleich. Vielmehr dehnt er so lediglich seine Haftung von Vorsatz auf Fahrlässigkeit aus.193 Da der Zweck der Verwahrung gerade die Obhut der hinterlegten Sache ist,194 bedeutet dies aber zwangsläufig, dass der Verwahrer in diesem Rahmen auch für custodia einzustehen hat. In seiner Kommentierung zur actio depositi195 erwähnt Ulpian sie daher wiederum eigens neben culpa:196 D 16.3.1.35 Ulp 30 ed Saepe evenit, ut res deposita vel nummi periculo sint eius, apud quem deponuntur: ut puta si hoc nominatim convenit. sed et si se quis deposito obtulit, idem Iulianus scribit periculo se depositi illigasse, ita tamen, ut non solum dolum, sed etiam culpam et custodiam praestet, non tamen casus fortuitos. Es kommt häufig vor, dass eine hinterlegte Sache oder Geld auf die Gefahr des Verwahrers geht, wie zum Beispiel, wenn dies ausdrücklich vereinbart ist. Aber auch wenn sich jemand für die Verwahrung anbietet, habe er, wie Julian ebenfalls

S. 175 f. und Steiner, Die römischen Solidarobligationen, München 2009, S. 240, die beide annehmen, Celsus überwinde einen früher vertretenen Schluss von Miteigentum und -besitz auf das Haftungsregime. 190 Wie Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 56 f. zu Recht bemerkt, bietet die Kumulation von Ausdrücken für Verhaltenserwartung und Fehlverhalten keinen Anlass für Interpolationsvermutungen. Erscheinen dolus, culpa, diligentia und custodia nebeneinander, heißt dies, dass ein Schuldner für die Absenz der beiden ersteren und für die Präsenz der beiden letzteren einzustehen hat. 191 Dass hierfür kein bloßes Anerbieten ausreicht, sondern ein eigenes Interesse des Verwahrers erforderlich ist, glaubt Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 228. 192 S. o. S. 46 f. 193 Hierzu Robaye, L’obligation de garde, S. 40 ff. 194 S. u. S. 92 ff. 195 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 615 (Ulp 896). 196 Entgegen Robaye, L’obligation de garde, S. 46 ff. kann man sie daher nicht als gewöhnliche Haftung für culpa verstehen.

II. Doch ein Nebeneinander

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schreibt, die Gefahr der Verwahrung übernommen, freilich so, dass er nicht nur für Arglist, sondern auch für Fahrlässigkeit und Bewachung einzustehen hat, nicht aber für Zufall.

Ebenso verfährt er beim Pfandvertrag. Im Rahmen seiner Kommentierung zur actio pigneraticia197 führt er die Einstandspflicht für custodia sogar gesondert von dolus und culpa in einem eigenen Halbsatz auf und benennt als übergreifende Grenze der Haftung wiederum vis maior:198 D 13.7.13.1 Ulp 38 ed Venit autem in hac actione et dolus et culpa, ut in commodato: venit et custodia: vis maior non venit. Gegenstand dieser Klage sind ebenso wie bei der Leihe Arglist und Fahrlässigkeit, auch Bewachung, aber nicht höhere Gewalt.

Gemeinsam mit der höheren Gewalt und abermals getrennt von dolus und culpa erscheint die custodia-Haftung eines Pfandgläubigers auch in einer Konstitution der diokletianischen Reskriptenkanzlei von 293:199 CJ 8.13.19 (16. Dez. 293) Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Maximo. Sicut vim maiorem pignorum creditor praestare necesse non habet, ita dolum et culpam, sed et custodiam exhibere cogitur. Kaiser Diokletian und Maximian an Maximus. Wie der Pfandgläubiger nicht für höhere Gewalt einzustehen hat, muss er dies doch für Vorsatz und Fahrlässigkeit und wird sogar gezwungen, für Bewachung zu sorgen.

Ein weiterer Bescheid aus dem Jahre 294 betrifft locatio conductio. Da er ausdrücklich auf beide hieraus entspringenden Klagen bezogen ist, darf man annehmen, dass er sich nicht nur auf Miet-, Pacht- und Werkverträge bezieht, wo dem 197 Vermutlich ist die überlieferte Inskription unrichtig und der Text statt dem 38. dem 28. Buch des Kommentars entnommen; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 584 f. Fn. 5 (Ulp 811). 198 Robaye, L’obligation de garde, S. 234 f. will zu Unrecht in Abrede stellen, dass custodia hier die Bedeutung eines Haftungskriteriums hat (so richtigerweise Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 49 ff.). Im Gegensatz zu Ankum, La responsabilità, S. 588 hält er es für möglich, dass sich die Aussage auf die im principium des Fragments behandelte Klage des Eigentümers gegen einen Käufer der Pfandsache bezieht, der sie unter dem Vorbehalt ihrer späteren Auslösung erworben hat. In diesem Fall ergäbe jedoch der Zusatz: ,ut in commodato‘, keinen Sinn, der ja gerade auf die Ähnlichkeit der im prätorischen Edikt nacheinander und bei Ulpian im selben Buch behandelten Realverträge commodatum und pignus abzielt. Zum Gegenstand von Interpolationsvermutungen machen den Text Haymann, SZ 40 (1919) 167, 217 ff. und Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 242. 199 In diesem Fall sieht sogar Robaye, L’obligation de garde, S. 237 f., 252, 421 eine unbedingte Haftung für custodia gemeint; unter Hinweis auf die Autorenschaft Diokletians will Robaye der Entscheidung aber jegliche Bedeutung für das klassische Recht absprechen. Verteidigt wird die inhaltliche Klassizität der Entscheidung hingegen von Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 49 ff. Einen Interpolationsverdacht erheben wiederum Haymann, SZ 40 (1919) 167, 220 f. und Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 242 f.

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3. Kap.: Custodia und culpa

conductor die Rolle des custodia-Pflichtigen zukommt.200 Vielleicht um sich eine Zuordnung zu einer bestimmten Art der Verdingung und eine Auswahl zwischen actio locati und actio conducti zu ersparen, will die Kanzlei auch einen Dienstvertrag einbeziehen, bei dem eine custodia-Haftung nur auf Seiten des dienstverpflichteten locator in Betracht kommt.201 Die andernorts als solche benannte vis maior führt sie hier als unwiderstehlichen Zufall auf und stellt sie dolus und custodia gegenüber: CJ 4.65.28 (17. Sept. 294) Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Tusciano Neoni. In iudicio tam locati quam conducti dolum et custodiam, non etiam casum, cui resisti non potest, venire constat. Kaiser Diokletian und Maximian und die Cäsaren an Tuscianus Neo. Es steht fest, dass mit der Verdingungsklage für Arglist und Bewachung, nicht aber für Zufall gehaftet wird, dem man nicht widerstehen kann.

Indem sie custodia hier sogar an die Stelle von culpa treten lässt,202 bringt die Kanzlei einerseits zum Ausdruck, dass die Einstandspflicht zur Haftung für culpa zählt,203 die normalerweise im Paar mit dolus erscheint. Andererseits unterstreicht sie, dass die mit custodia verbundene Einstandspflicht zumindest keine gewöhnliche culpa-Haftung ist. Grund kann nur sein, dass es im Fall eines Sachverlustes durch Diebstahl nicht zu einer Prüfung des konkreten Verhaltens des Schuldners kommt, dieser seinem Vertragspartner vielmehr automatisch einzustehen hat.

200

S. o. S. 19 ff. Vgl. Molnár, Verantwortung, S. 613 und Harke, Iuris prudentia Diocletiana. Kaiserliche Rechtsprechung am Ende des dritten Jahrhunderts, Berlin 2019, S. 192. Dass der Text keine Schlussfolgerung für die locatio conductio rei zulässt, glaubt Robaye, L’obligation de garde, S. 407. Für interpoliert hält ihn Haymann, SZ 40 (1919) 167, 235. 202 Dass culpa bei der Textüberlieferung ausgefallen ist, glaubt MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 205. Mayer-Maly (Fn. 98), S. 214, Robaye, L’obligation de garde, S. 407 und Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 169 meinen hingegen, sie finde keine Erwähnung, weil es der Kanzlei allein um den Ausschluss einer Haftung bei höherer Gewalt gehe. 203 Nur diesen Aspekt erkennt Robaye, L’obligation de garde, S. 293. 201

Viertes Kapitel

Custodia und diligentia I. Bewachung und Sorgfalt Mustert man die Texte durch, die das Verhältnis von custodia und diliegentia erhellen, stößt man auf dasselbe Phänomen, dem man auch im Fall der culpa begegnet. Es gibt sowohl Aussagen, in denen beide Haftungskriterien nebeneinander stehen, als auch hinreichend Belege für ihre Integration. Zusammen mit dolus und culpa erscheinen sie als Glieder einer Reihung in dem schon untersuchten Zitat von Celsus zur Haftung einer Mehrheit von Entleihern.204 Ohne die beiden Aspekte von Fehlverhalten findet sich die Wendung ,custodiam et diligentiam praestare‘205 ebenfalls in einem Passus aus den Paulussentenzen. Er betrifft den auch von Gaius behandelten Fall eines zweckwidrigen Gebrauchs einer Leihsache:206 PS 2.4.3 Servus vel equus a latronibus vel in bello occisi, si in aliam causam commodati sunt, actio commodati datur: custodia enim et diligentia rei commodatae praestanda est. Ist ein Sklave oder Pferd von Räubern oder im Krieg getötet worden, wird die Klage aus der Leihe gewährt, wenn sie zu einem anderen Zweck geliehen worden sind; es ist nämlich für Bewachung und Sorgfalt im Umgang mit der geliehenen Sache einzustehen.

Bei der Tötung eines geliehenen Pferdes durch Räuber oder im Krieg handelt es sich eigentlich um einen Fall von vis maior, der dem Entleiher weder den Vorwurf von culpa einträgt noch seine Einstandspflicht für custodia auslösen kann. Wegen der eigenmächtigen Verwendung des Pferdes zu einem anderen als dem vereinbarten Zweck ist der Entleiher gleichwohl haftbar. Der doppelte Rekurs auf custodia und diligentia ist dabei wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass die Tötung eines Pferdes durch Räuber eher einem Diebstahl ähnlich, sein Ver-

204

D 13.6.5.15 Ulp 28 ed; s. o. S. 59 f. Da er die Einstandspflicht für custodia als Haftung für fremdes Verschulden deutet (s. o. S. 13 f.), will Krückmann, SZ 63 (1943) 1, 49 f. die Kombination mit diligentia in der Weise verstanden wissen, dass es einmal um die unmittelbare persönliche Sorgfalt, das andere Mal um die Sorgfalt mit Bezug auf das Verhalten eines Dritten geht. 206 Vgl. D 13.6.18pr Gai 9 ed prov; s. o. S. 52 f. 205

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4. Kap.: Custodia und diligentia

enden im Krieg hingegen von diesem typischen Fall der custodia weit entfernt ist.207 Nicht ohne Weiteres einem Diebstahl gleichzustellen ist auch die Beeinträchtigung der Kaufsache durch den Einsturz oder die Errichtung eines Gebäudes auf einem Nachbargrundstück, denen durch eine cautio damni infecti vorgebeugt wird.208 Paulus hält es für die Pflicht eines Grundstücksverkäufers, sich diese stellen zu lassen, damit der Käufer hieraus nach der Übereignung des Grundstücks vorgehen kann:209 D 19.1.36 Paul 7 Plaut Venditor domus antequam eam tradat, damni infecti stipulationem interponere debet, quia, antequam vacuam possessionem tradat, custodiam et diligentiam praestare debet et pars est custodiae diligentiaeque hanc interponere stipulationem: et ideo si id neglexerit, tenebitur emptori. Der Verkäufer eines Hausgrundstücks muss vor der Übergabe dafür sorgen, dass ein Versprechen wegen drohenden Schadens übernommen wird, weil er bis zur Übertragung des Besitzes für Bewachung und Sorgfalt einzustehen hat und es Teil dieser Bewachung und Sorgfalt ist, für ein solches Versprechen zu sorgen; und daher haftet er dem Käufer, wenn er diese Pflicht vernachlässigt.

Die Haftung für einen Ausfall einer cautio damni infecti führt Paulus darauf zurück, dass der Verkäufer für Bewachung und Sorgfalt einzustehen habe. Auch diese Dopplung ist keineswegs zufällig, sondern offenbar bewusst gewählt; Paulus wiederholt sie nämlich im zweiten Teil des Begründungssatzes, in dem er die Einholung der Sicherheitsleistung zur ,pars custodiae diligentiaeque‘ erklärt.210

207 Dies nimmt der Kombination von custodia und diligentia allemal die Absurdität, die ihr Pastori (Fn. 51), S. 300 ff. attestiert und als Ausdruck einer beginnenden Annäherung von objektiver custodia- und subjektiver culpa-Haftung deutet. 208 Die Ausdehnung von custodia auf Immobilien erklärt Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 306 zu einer auf Paulus zurückgehenden Neuerung. Sie ergibt sich ohne Weiteres aus der Ausdehnung der custodia-Haftung auf abwendbare Gewalteinwirkungen; s. u. S. 70 ff. 209 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1158 Fn. 5 (Paul 1139) ordnet diesen Auszug aus dem Plautiuskommentar dem Abschnitt ,de furtis‘ zu und beruft sich dabei auf die Erwähnung der custodia-Haftung im Kontext der Entscheidung über die Aktivlegitimation zur actio furti in D 47.2.14pr Ulp 29 Sab (s. o. S. 35 f.). Diese Verbindung erscheint zu assoziativ, um wirklich überzeugen zu können. Zu den beiden anderen Themen des siebten Buchs ad Plautium, Tutel und Patronatsrecht, passt die Aussage aber gleichfalls nicht. 210 Während Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 65 f. und Haymann, SZ 40 (1919) 167, 290 ff. weitreichende Interpolationsvermutungen aufstellen, erklären Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 43 f. und Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 306 immerhin die Erwähnung von diligentia zum Produkt einer Textveränderung; MacCormack, SZ 89 (1972), 149, 176 will sie in Kombination mit custodia verstanden wissen und übergeht damit einen möglichen Unterschied.

I. Bewachung und Sorgfalt

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Dass die Reihung aber nicht Ausdruck einer strikten Sonderung, etwa als Gegenüberstellung von Verschuldens- und Garantiehaftung gemeint, ist,211 zeigen die zahlreichen Texte, in denen beide Begriffe zueinander in Beziehung gesetzt werden. Zwei dieser Texte stammen von Paulus und betreffen abermals den Fall einer cautio damni infecti für ein verkauftes Grundstück.212 Der eine entstammt Paulus’ Kommentierung des einschlägigen Edikts:213 D 39.2.18.8–9 Paul 48 ed Venditorem autem aedium prius, quam possessionem tradat, stipulari oportet, quia huius quoque rei culpam praestat. (9) Sed quid fiet, si venditor sine culpa stipulari non potuerit et ob hoc emptor stipulatus fuerit? nonne damnum patitur? an hoc damnum in aliena re acciderit, revolvitur autem ad emptorem, quia actionem ex empto non habet? sed nihil in hac causa proficit stipulatio, nisi in id, quod post traditionem accidit, quia, dum venditoris custodia est, is stipulari debet omnemque diligentiam emptori praestare: et quod alia actione quaeri potest, id in stipulationem damni infecti omnino non deducitur. Der Verkäufer eines Hausgrundstücks ist verpflichtet, sich vor der Übertragung des Besitzes ein Versprechen geben zu lassen, weil er auch im Hinblick auf die Sache für Verschulden einzustehen hat. (9) Aber was geschieht, wenn sich der Verkäufer, ohne dass sein Verschulden im Spiel wäre, kein Versprechen geben lassen konnte und sich deshalb der Käufer ein Versprechen hat geben lassen? Erleidet er keinen Schaden? Oder hat sich dieser Schaden an einer fremden Sache ereignet, trifft aber den Käufer, weil er nicht die Klage aus dem Kauf hat? Aber das Versprechen ist nur insoweit von Nutzen, als sich etwas nach der Übergabe ereignet, weil der Verkäufer, solange ihm die Bewachung obliegt, sich das Versprechen geben lassen muss und dem Käufer für jegliche Sorgfalt einzustehen hat; und was durch eine andere Klage erlangt werden kann, wird von dem Versprechen wegen drohenden Schadens keineswegs abgedeckt.

Da ein Käufer frühestens mit Übergabe des verkauften Grundstücks dessen Eigentümer wird, kann eine Sicherheitsleistung, die er sich selbst von dem Nachbarn geben lässt, nur Wirkung für Schäden entfalten, die nach dem Eigentümerwechsel eintreten. Bezogen auf ältere Schäden, handelt es sich bei der Kaution um einen unzulässigen Vertrag zugunsten Dritter. Der Verkäufer ist nicht nur noch Eigentümer der Kaufsache; er ist im Verhältnis zum Käufer auch für deren Bewachung und die Aufbietung jeglicher Sorgfalt verantwortlich. Daher liegt die Stellung der Sicherheit in seinem und erst dann im Interesse des Käufers, wenn dieser in die Eigentümerstellung eingerückt ist.

211 So aber mit Bezug auf D 13.6.5.15 Cardilli, L’obligazione di praestare, S. 451 ff., der im Anschluss an Cannata von einer typisierenden Betrachtung ausgeht, die im Ergebnis auf eine Haftung ohne Verschulden hinausläuft; richtig dagegen MacCormack, SZ 89 (1982) 149, 173 f., 211 (mit Blick auf D 13.6.5.15 und PS 2.4.3). 212 Einem Interpolationsverdacht unterwirft die entscheidenden Passagen Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 62 ff. 213 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1055 ff. (Paul 625).

66

4. Kap.: Custodia und diligentia

Während es hier so scheint, als dulde Paulus keine Ausnahme von dieser Regel, vermittelt der andere Text, der aus seinem Sabinuskommentar214 stammt, einen anderen Eindruck. Hier geht Paulus eigens auf den auch schon in den libri ad edictum erwähnten Fall ein, dass der Verkäufer, ohne dass ihm ein Verschulden zur Last fällt, nicht für eine Sicherheit sorgen kann. Ist er dem Käufer nicht haftbar, handelt dieser, wenn er sich selbst eine stellen lässt, allein im eigenen und nicht im fremden Interesse, so dass auch kein unzulässiger Vertrag zugunsten Dritter vorliegt. Dies soll etwa gelten, wenn der Verkäufer dem Käufer die Sache schon im Wege eines precarium und damit auch die custodia des Grundstücks übertragen hat. Dieser Schritt verringert die Pflicht des Verkäufers, dem Käufer für ,diligentia omnis‘ einzustehen: D 39.2.38pr Paul 10 Sab Emptor aedium ante traditam sibi possessionem ideo inutiliter stipulatur, quia venditor omnem diligentiam ei praestare debet. tunc certe utiliter stipulatur, cum omnis culpa a venditore aberit, veluti si precario emptori in his aedibus esse permisit custodiamque ei afuturus tradidit. Ein Käufer kann sich vor der Übertragung des Besitzes deshalb nicht wirksam ein Versprechen geben lassen, weil der Verkäufer für jegliche Sorgfalt einzustehen hat. Er kann sich aber dann wirksam ein Versprechen geben lassen, wenn es auf Seiten des Verkäufers an Verschulden fehlt, wie zum Beispiel, wenn er dem Käufer das Gebäude bittweise überlassen und ihm wegen seiner Abwesenheit die Bewachung übertragen hat.

Während die im Plautiuskommentar verwendete Formulierung ,custodia et diligentia‘ beider Verhältnis offenlässt, erscheinen die Begriffe hier in einer klaren Beziehung zueinander: Diligentia bezeichnet den Maßstab der Haftung, custodia den Bereich, in dem der Schuldner die Sorgfalt walten lassen muss.215 Er muss die Sache, um die es geht, mit der gehörigen diligentia bewachen. In eben dieser Verbindung haben wir das Begriffspaar schon in zwei bereits untersuchten Texten von Gaius kennengelernt.216 Im dem einen unterscheidet Gaius zwischen einfacher und „voller“ custodia, bei der nicht nur für Vorsatz gehaftet, sondern auch diligentia geschuldet wird. In dem anderen, dem von den Kompilatoren doppelt ausgewerteten Abschnitt aus seinem Ediktskommentar,217 erlegt er einem Verkäufer diejenige custodia auf, die ein bonus pater familias bei seinen Angelegenheiten zum Zuge kommen lässt. Auch wenn er nicht ausdrücklich von diligentia spricht, ist diese in dem Rekurs auf den guten Hausvater doch enthalten. Eine Steigerung bedeutet der Standard, den ein ,diligentissimus pater

214 Auch er gehört zu einem Abschnitt ,de damno infecto‘; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1280 (Paul 1813). 215 So richtig MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 176. 216 D 18.6.2.1 Gai 2 cott rer; s. o. S. 54 f. 217 D 18.1.35.4 Gai 10 ed prov; s. o. S. 9 ff.

I. Bewachung und Sorgfalt

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familias‘ bei seinen Sachen anwendet.218 An einer anderen Stelle seines Ediktskommentars macht er ihn einem Entleiher zur Aufgabe.219 In seinen aurea spricht er ebenfalls superlativisch von einer ,diligentia exactissima‘ und bezieht sie unmittelbar auf die custodia der entliehenen Sache:220 D 44.7.1.4 Gai 2 aur Et ille quidem qui mutuum accepit, si quolibet casu quod accepit amiserit, nihilo minus obligatus permanet: is vero qui utendum accepit, si maiore casu, cui humana infirmitas resistere non potest, veluti incendio ruina naufragio, rem quam accepit amiserit, securus est. alias tamen exactissimam diligentiam custodiendae rei praestare compellitur, nec sufficit ei eandem diligentiam adhibere, quam suis rebus adhibet, si alius diligentior custodire poterit. sed et in maioribus casibus, si culpa eius interveniat, tenetur, veluti si quasi amicos ad cenam invitaturus argentum, quod in eam rem utendum acceperit, peregre proficiscens secum portare voluerit et id aut naufragio aut praedonum hostiumve incursu amiserit. Zwar bleibt auch, wer ein Darlehen aufgenommen hat, wenn er das Erhaltene aus irgendeinem Zufall verloren hat, nichtsdestoweniger verpflichtet; wer aber etwas zum Gebrauch erhalten hat, ist sicher, wenn er die erhaltene Sache aus höherem Zufall, dem Menschen wegen ihrer Unterlegenheit nicht widerstehen können, wie etwa durch ein Feuer, einen Gebäudeeinsturz oder Schiffbruch, verloren hat. Er wird hingegen gezwungen, die größtmögliche Sorgfalt bei der Bewachung der Sache walten zu lassen, und es reicht nicht, wenn er dieselbe Sorgfalt wie bei seinen eigenen Sachen walten lässt, falls ein anderer die Sache sorgfältiger bewachen könnte. Aber auch bei höherem Zufall haftet er, wenn sein Verschulden im Spiel ist, wie zum Beispiel wenn ich Silbergeschirr erhalten habe, um Freunde zum Abendessen einzuladen, und es dann auf Reisen mitgenommen habe und es bei einem Schiffbruch oder einem Angriff von Räubern oder Feinden verloren habe.

Die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten ist hier anders als im Ediktskommentar kein Attribut des zum Vorbild genommenen Hausvaters, sondern der tatsächlich angewandte Standard des Entleihers. Er genügt nicht, wenn ein anderer, dem die Einhaltung einer ,diligentia exactissma‘ attestiert werden kann, die Leihsache sorgfältiger bewacht hätte. Die Grenze bildet der ,casus maior‘, den nur ein Darlehensnehmer zu tragen hat. Wie ebenfalls schon in Gaius’ Ediktskommentar ausgeführt, vermag auch er einen Entleiher ausnahmsweise dann nicht zu entlasten, wenn er die entliehene Sache zweckwidrig verwendet, insbesondere unab-

218 Krückmann, SZ 63 (1943) 1, 43 ff. erkennt hierin ein praktisch nicht zu erreichendes Ideal, das gleichsam eine Chiffre für eine verschuldensunabhängige Versicherungshaftung bilde. 219 D 13.6.18pr Gai 9 ed prov; s. o. S. 52 f. 220 Während Luzzatto, Bd. 1, S. 78 ff., 119 ff. hier eine stufenweise Veränderung des klassischen Rechts in nachklassischer und byzantinischer Zeit und Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 117 f. (vgl. ders., Sul problema della responsabilità, S. 73 fd.) zumindest ein nachklassisches Konzept am Werke sieht, wendet sich MacCormack, SZ 89 (1972) 149 174 f., 209 wiederum zu Recht gegen den Verdacht mangelnder Authentizität der Aussagen.

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4. Kap.: Custodia und diligentia

gesprochen auf Reisen mitnimmt und so einem erhöhten Risiko aussetzt, zum Opfer höherer Gewalt zu werden. Während die byzantinischen Juristen den Maßstab eines ,diligentissimus‘ oder einer ,diligentia exactissima‘ bei der locatio conductio übernehmen,221 weichen sie bei der Übernahme des Textes aus den aurea in die justinianischen Institutionen just in diesem Punkt ab. Sie fordern bei der Bewachung der Leihsache lediglich eine ,diligentia exacta‘ und beweisen so erneut die Konfusion, in die sie die Lektüre der klassischen Quellen zur custodia gestürzt haben muss: IJ 3.14.2 Item is cui res aliqua utenda datur, id est commodatur, re obligatur et tenetur commodati actione. sed is ab eo qui mutuum accepit longe distat: namque non ita res datur, ut eius fiat, et ob id de ea re ipsa restituenda tenetur. et is quidem qui mutuum accepit, si quolibet fortuito casu quod accepit amiserit, veluti incendio ruina naufragio aut latronum hostiumve incursu, nihilo minus obligatus permanet. at is qui utendum accepit sane quidem exactam diligentiam custodiendae rei praestare iubetur nec sufficit ei tantam diligentiam adhibuisse, quantam suis rebus adhibere solitus est, si modo alius diligentior poterit eam rem custodire: sed propter maiorem vim maioresve casus non tenetur, si modo non huius culpa is casus intervenerit: alioquin si id quod tibi commodatum est peregre ferre tecum malueris et vel incursu hostium praedonumve vel naufragio amiseris, dubium non est, quin de restituenda ea re tenearis. commodata autem res tunc proprie intellegitur, si nulla mercede accepta vel constituta res tibi utenda data est. alioquin mercede interveniente locatus tibi usus rei videtur: gratuitum enim debet esse commodatum. Auch derjenige, dem irgendeine Sache zum Gebrauch überlassen, also geliehen wird, ist durch Sachhingabe verpflichtet und haftet mit der Klage aus Leihe. Er unterscheidet sich aber erheblich von demjenigen, der ein Darlehen aufnimmt. Denn ein Darlehensnehmer bleibt nichtsdestoweniger verpflichtet, wenn er das, was er erhalten hat, durch irgendeinen Zufall verliert, zum Beispiel durch Brand, Gebäudeeinsturz, Schiffbruch, Räuber- oder Feindesangriff. Dagegen muss derjenige, der etwas zum Gebrauch erhalten hat, zwar für jegliche Sorgfalt bei der Bewachung der Sache einstehen, und es genügt nicht, diejenige Sorgfalt walten zu lassen, die er bei eigenen Sachen gewöhnlich walten lässt, falls ein anderer die Sache sorgfältiger bewachen könnte; aber er haftet nicht wegen höherer Gewalt oder höheren Zufalls, falls sich dieser nicht aufgrund seines Verschuldens ereignet hat; ansonsten besteht kein Zweifel, dass du für die Rückgewähr der Sache haftest, wenn du etwa die geliehene Sache auf Reisen mitgenommen und bei einem Angriff von Feinden oder Räubern oder bei einem Schiffbruch verloren hast. Eine Sache gilt aber nur dann im eigentlichen Sinne als geliehen, wenn sie dir ohne Zahlung oder Vereinbarung eines Entgelts zum Gebrauch überlassen worden ist. Ansonsten gilt, wenn ein Entgelt vereinbart worden ist, der Gebrauch der Sache als dir vermietet; die Leihe muss nämlich unentgeltlich sein.

Zurückhaltend mit Superlativen haben sich schon in der Klassik andere Juristen gezeigt. So spricht Ulpian in seiner Kommentierung des Edikts über das com221

IJ 3.24.5; s. o. S. 8 ff.

I. Bewachung und Sorgfalt

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modatum222 bloß von einer ,custodia diligens‘ oder schlicht von der diligentia, für die bei der Bewachung der entliehenen und zugehöriger Sachen einzustehen ist:223 D 13.6.5.5 Ulp 28 ed Custodiam plane commodatae rei etiam diligentem debet praestare. Er muss freilich auch für eine sorgfältige Bewachung der geliehenen Sache einstehen. D 13.6.5.9 Ulp 28 ed Usque adeo autem diligentia in re commodata praestanda est, ut etiam in ea, quae sequitur rem commodatam, praestari debeat: ut puta equam tibi commodavi, quam pullus comitabatur: etiam pulli te custodiam praestare debere veteres responderunt. Für Sorgfalt im Umgang mit der geliehenen Sachen ist in der Weise einzustehen, dass für sie auch wegen einer zugehörigen Sache einzustehen ist, wie zum Beispiel, wenn ich dir eine Stute geliehen habe, die ein Fohlen hat; die alten Juristen haben entschieden, dass du auch für die Bewachung des Fohlens einstehen musst.

Demgegenüber weist Paulus ebenso wie Gaius immerhin darauf hin, dass sich ein Schuldner nicht darauf berufen kann, die eigenübliche Sorgfalt eingehalten zu haben, wenn ,diligentia exactior‘ am Platz gewesen wäre.224 Er bezieht dies gleichermaßen auf Entleiher und Verkäufer und sieht dabei offenbar von Gaius’ Differenzierung zwischen gegenseitigen und Verträgen mit einseitigem Nutzen225 ab:226 D 18.6.3 Paul 5 Sab Custodiam autem venditor talem praestare debet, quam praestant hi quibus res commodata est, ut diligentiam praestet exactiorem, quam in suis rebus adhiberet. 222

Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 580 (Ulp 802). Die Echtheit dieser Aussagen verteidigen zu Recht MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 175 und Robaye, L’obligation de garde, S. 279 ff. gegen Metro, L’obligazione di custodire, S. 154, 196 f., der ebenso wie Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 88 glaubt, an diesen Stellen kämen die byzantinischen Gesetzesredaktoren zu Wort. Dass es zumindest Ulpian ist, der den veteres hier den Ausdruck ,custodiam praestare‘ in den Mund legt, glaubt Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 255 f. 224 Für das Ergebnis einer Interpolation nach dem Vorbild von IJ 3.24.5 (s. o. S. 8 ff.) erklärt dies Metro, L’obligazione di custodire, S. 200 f. Eine nachklassische Ergänzung vermutet Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 303 f. Sogar Robaye, L’obligation de garde, S. 384 bekundet zumindest insoweit Zweifel an der Echtheit des überlieferten Textes, als die eigenübliche Sorgfalt Erwähnung findet. Sie ist hier aber gerade nicht als Haftungserleichterung gedacht und stellt demnach auch nicht in Frage, dass der Maßstab das Verhalten eines bonus pater familias ist. 225 S. o. S. 54. 226 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1267 (Paul 1722) nimmt diesen Text zum Anlass, für Paulus’ Sabinuskommentar einen eigenen Abschnitt über die custodia im Anschluss an die Ausführungen zum Kaufvertrag zu fordern, wie er ihn auch in Ulpians Traktat über die Aktivlegitimation zur actio furti im 29. Buch von dessen libri ad Sabinum wiederkennt (s. o. Fn. 66). Zwar lassen noch die Fragmente D 47.2.13 (Paul 1725) und 15 (Paul 1726) einen Bezug zur Haftung für furtum erkennen; um die custodia geht es ansonsten aber nicht. 223

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4. Kap.: Custodia und diligentia Der Verkäufer muss aber für eine solche Bewachung einstehen, für die ein Entleiher einzustehen hat, so dass er für eine größere Sorgfalt einstehen muss, als er sie in eigenen Angelegenheiten anwendet.

Bezogen auf die von einem Verkäufer erwartete Sorgfalt, ergänzt Alfen das Adjektiv diligens immerhin um den Zusatz: ,frugi‘:227 D 18.6.12 Alf 2 dig Si vendita insula combusta esset, cum incendium sine culpa fieri non possit, quid iuris sit? respondit, quia sine patris familias culpa fieri potest neque, si servorum neglegentia factum esset, continuo dominus in culpa erit, quam ob rem si venditor eam diligentiam adhibuisset in insula custodienda, quam debent homines frugi et diligentes praestare, si quid accidisset, nihil ad eum pertinebit. Was gilt, wenn ein verkaufter Wohnblock abgebrannt ist, wo sich doch ein Feuer nicht ohne Verschulden ereignen kann? Er hat befunden, dass, da es sich ohne Verschulden des Familienvaters ereignen könne und dem Eigentümer, wenn es sich durch die Nachlässigkeit seiner Sklaven ereignet hat, nicht ohne weiteres ein Verschulden vorgeworfen werden kann, es ihn nicht treffe, wenn der Verkäufer bei der Bewachung des Wohnblocks diejenige Sorgfalt hat walten lassen, die ordentliche und sorgfältige Menschen zur Anwendung kommen lassen.

In all diesen Texten ist das Verhältnis von diligentia und custodia dasselbe: Die Sorgfalt, die von einem guten oder gar besonders gewissenhaften Hausvater erwartet werden kann, bildet den Maßstab für das Verhalten des Schuldners; die Bewachung der betroffenen Sache ist der Gegenstand, an dem sich diese Sorgfalt erweisen muss.228 Eine Sonderrolle von custodia tritt dabei nicht hervor.

II. Eine Kontroverse Dass es eine solche Sonderstellung gibt, erhellt aber, wenn auch nur indirekt, eine gut dokumentierte Auseinandersetzung der klassischen Juristen über die Frage, inwieweit ein Schuldner für die von einem Dritten verübte Gewalt einzustehen hat. Sie markiert den einzigen Punkt, in dem die blassen Aussagen zu diligentia und custodia ansatzweise konkret werden. Während sie ansonsten kaum über die theoretische Beschreibung des Haftungsstandards hinausgehen und allenfalls noch um den leicht zu lösenden Fall eines zweckwidrigen Einsatzes von Leihsachen angereichert sind, erfährt man hier, gegen welche Gefahren ein Schuldner die Sache abschirmen muss. Die Angaben bleiben aber auch in diesem Fall vergleichsweise abstrakt und verraten am meisten durch das, was sie gerade nicht sagen:

227 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 40 (Alf 12) ordnet ihn bei der Rekonstruktion der digesta einem Titel über den Kaufvertrag zu. 228 Für interpoliert hält dies Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 207 ff.

II. Eine Kontroverse

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Die beiden Hauptquellen229 beziehen sich nach ihrer Position in Ulpians Ediktskommentar und Julians Digesten auf eine Klageverheißung, die im prätorischen Edikt zwischen den Titeln ,de in ius vocando‘ und ,de postulando‘ zu finden war. Sie bieten aber nicht genug Anhaltspunkte, um auch nur eine Hypothese über den Inhalt des Edikts zuzulassen.230 Der Auszug aus Julians digesta gibt nur die Meinung des Hochklassikers wider; erst bei Ulpian erfahren wir von der Gegenposition, die Marcell in einer nota zu Julian formuliert und der Spätklassiker übernommen hat. Während nur Ulpian auch eindeutig die Verbindung zur custodia-Haftung herstellt, gibt Julians Aussage den bei Ulpian bloß über die Stellung in der Kompilation zu ermittelnden Bezug auf Leihe und locatio conductio preis. Die Kompilatoren haben die Aussage des Hochklassikers in den Schlussteil des Titels über das commodatum eingeordnet:231 D 13.6.19 Iul 1 dig Ad eos, qui servandum aliquid conducunt aut utendum accipiunt, damnum iniuria ab alio datum non pertinere procul dubio est: qua enim cura aut diligentia consequi possumus, ne aliquis damnum nobis iniuria det? Es besteht kein Zweifel, dass diejenigen, die eine Sache zur Aufbewahrung übernehmen oder zum Gebrauch erhalten, nicht der von einem Dritten widerrechtlich zugefügte Schaden trifft; wie können wir nämlich durch Mühe und Sorgfalt erreichen, dass niemand uns widerrechtlich Schaden zufügt?

Aus Julians Sicht unterliegt es keinem Zweifel, dass weder ein Entleiher noch ein conductor, der eine Sache in seine Obhut genommen hat, für einen von dritter Seite widerrechtlich zugefügten Schaden einzustehen hat. Er fragt rhetorisch, wie man einen solchen denn überhaupt durch cura oder diligentia verhindern können soll.232 Das ,damnum iniuria datum‘, von dem Julian spricht, muss technisch im Sinne einer Sachbeschädigung gemeint sein, die den Tatbestand der lex Aquilia erfüllt. Auch wenn der Hochklassiker im Gegensatz zu anderen Juristen kein Kronzeuge für die custodia-Haftung infolge eines Diebstahls ist, gibt es doch keinen Anhaltspunkt dafür, er könnte sie in Frage stellen. Vielmehr belegt zumindest seine Stellungnahme zur Einstandspflicht eines pater familias für den Diebstahl einer seinem Sohn geliehenen Sache, dass er hierin ebenso wie die übrigen

229 Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 203 erklärt sie ohne Begründung für „rätselhaft“ und spricht ihnen kurzerhand jegliche Aussagekraft ab. 230 Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., Leipzig 1927, S. 74 f. Der durch das Thema der vis gegebene Zusammenhang mit dem vorangehenden Edikt ,ne quis eum, qui in ius vocabitur, vi eximat‘ ist zu vage, um irgendwelche Schlüsse zu erlauben. 231 Zur Stellung im Originalwerk Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 321 (Iul 24). 232 Dass beide Begriffe bei einer Überarbeitung des Textes an die Stelle von custodia getreten sind, glaubt Metro, L’obligazione di custodire, S. 120. Gegen Interpolationsannahmen wenden sich hingegen zu Recht Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 67, Robaye, L’obligation de garde, S. 290 ff. und Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 231 f.

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4. Kap.: Custodia und diligentia

Juristen einen klassischen Anwendungsfall der custodia-Haftung sieht.233 Kann es daher nicht die Unrechtmäßigkeit des Täterverhaltens sein, die aus Julians Sicht bei einer Sachbeschädigung eine Verantwortlichkeit wegen custodia ausschließt, kann sich der maßgebliche Unterschied nur aus der Art der Tatbegehung und ihrer möglichen Abwehr ergeben. Da ein furtum keine Gewaltanwendung einschließt, lässt es sich auch ohne eine solche verhindern. Eine Sachbeschädigung vollzieht sich hingegen typischerweise durch gewaltsame Einwirkung auf die Sache, die sich auch häufig nur durch ein gewaltsames Einschreiten vereiteln lässt. Dies gilt sowohl für eine vorsätzlich verübte Schädigung als auch im Fall bloßer Fahrlässigkeit. Selbst wenn es darum geht, einen unabsichtlich in Gang gesetzten Geschehensablauf anzuhalten, der in einer Beeinträchtigung der Sachsubstanz zu münden droht, bedarf es regelmäßig eines körperlichen Dazwischentretens, um diese zu verhüten. Markiert die Gewaltanwendung den maßgeblichen Unterschied zwischen furtum und Sachbeschädigung, liegt aber zugleich die Schwachstelle von Julians Gedanken zutage: Die gewaltsame Einwirkung auf eine Sache und eine körperliche Aktivität zu ihrer Verhinderung sind eben nur häufig auftretende Merkmale des damnum iniuria datum, aber keineswegs zwingend mit ihm verbunden. Es ist durchaus denkbar, dass ein Schaden durch ein Unterlassen angerichtet wird, so dass zu seiner Verhinderung kein körperlicher Eingriff, sondern lediglich eine Ermahnung des Täters, vielleicht sogar nur ein Hinweis auf die Gefahr, erforderlich ist. Und auch bei einem durch aktive Gewalteinwirkung herbeigeführten Schaden liegt auf der Hand, dass man ihm zuweilen mit denselben Schutzmaßnahmen begegnen kann, die auch vor einem Diebstahl schützen: Hält der Schuldner die Sache unter Verschluss, verhindert er damit nicht nur ihre Entwendung, sondern bis zu einem gewissen Grad auch eine Gewalteinwirkung auf sie. Es ist kaum vorstellbar, dass Julian diese Einwände gegen seine Ansicht entgangen sein sollten.234 Ein plausibles Motiv dafür, warum er sie hintanstellt, ist die Unsicherheit des Kausalverlaufs:235 Während sich bei einem furtum behaupten lässt, dass die Tat durch eine umfassende Beaufsichtigung der Sache hätte verhindert werden können, hängt dies bei einer Sachbeschädigung vom Maß der Bereitschaft zur Gewaltanwendung oder der Kraft ab, die der Täter unabsichtlich ins Werk gesetzt hat. Ob der Schuldner bei Aufbietung der gehörigen diligentia

233 234

Vgl. D 47.2.14.10 Ulp 29 Sab; s. o. S. 49 f. Hierauf gründet Haymann, SZ 40 (1919) 167, 195 ff. seinen Interpolationsver-

dacht. 235 Hingegen nimmt Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 75 ff. an, Julian halte sich stur an ein Verständnis von custodia im Sinne von ,Aufsicht‘, die nichts gegen Gewalt ausrichten könne.

II. Eine Kontroverse

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die seiner Obhut überlassene Sache erfolgreich hätte beschützen können, ist meist nicht mit letzter Sicherheit zu beurteilen.236 Keine Rolle kann dieser Aspekt nur bei der auf besonderem Edikt beruhenden Haftung der Schiffs- und Wirtsleute spielen: Da sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihr Verschulden für einen Sachverlust verantwortlich sind,237 kann es hier keiner Diskussion unterliegen, dass sie auch für ein von dritter Seite herbeigeführtes damnum haften können:238 D 4.9.5.1 Gai 5 ed prov Quaecumque de furto diximus, eadem et de damno debent intellegi: non enim dubitari oportet, quin is, qui salvum fore recipit, non solum a furto, sed etiam a damno recipere videatur. Was wir über Diebstahl gesagt haben, muss auch für eine Beschädigung gelten; denn es kann kein Zweifel bestehen, dass jemand, der eine Sache zur Obhut übernimmt, sie ersichtlich nicht nur zur Abwehr eines Diebstahls, sondern auch zur Vermeidung eines Schadens übernimmt.

Dies gilt auch, nachdem die Schiffs- und Wirtsleute seit Labeo zur Berufung auf höhere Gewalt zugelassen sind. Zwar ist ihre Einstandspflicht damit praktisch zu einer Verschuldenshaftung geworden;239 es bleibt jedoch dabei, dass die Haftung in jedem Fall bis zur vis maior reicht.240 Da es nicht auf diligentia ankommt, gibt es keinen Ansatzpunkt, um noch vor Erreichen dieser Schwelle bestimmte Schäden von der Einstandspflicht auszunehmen.241 Julians vergleichsweise schematische Lösung für die gewöhnliche custodiaHaftung242 muss natürlich Widerspruch wecken und hat ihn auch bei Marcell erfahren. Dieser verweist zum einen auf die Möglichkeit, die Sache effektiv auch

236 Wie Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 81, wenn auch auf anderer Grundlage, zu Recht bemerkt, ist Julians Ansicht bestenfalls kritikwürdig und keineswegs absurd. 237 D 4.9.3.1 Ulp 14 ed; s. o. S. 57 f. 238 Der folgende Text aus Gaius’ Ediktskommentar entstammt der Rubrik über das receptum nautarum; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 198 (Gai 119). Zum principium des Fragments und dem von Lenel hinzugezogenen Text D 19.2.40 s. u. S. 99. 239 Dies übersieht Földi, RIDA 40 (1993) 263, 281, der glaubt, zumindest im Hinblick auf eine Sachbeschädigung sei die Haftung aufgrund des receptum nautarum strenger als die Vertragshaftung. 240 Vgl. auch Feenstra, Deux textes, S. 116. 241 Dass es Gaius darum geht, diesen Unterschied zwischen der gewöhnlichen custodia-Haftung und der Einstandspflicht der Schiffs- und Wirtsleute herauszustellen, nehmen Földi, RIDA 40 (1993) 263, 282 und Fercia, Criterî di responsabilità dell’exercitor, Turin 2002, S. 207 wohl nicht zu Unrecht an. 242 Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 77 ff. bezeichnet sie im Ergebnis durchaus richtig als eine Betrachtung ,in blocco‘; Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, Diss. Freiburg 1980, S. 202 nennt sie ,formalistisch‘.

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4. Kap.: Custodia und diligentia

vor einer Beschädigung zu bewahren, zum anderen auf den Fall, in dem sie just durch einen eingesetzten Wächter beschädigt wird. Überliefert ist seine Stellungnahme in Ulpians Ediktskommentar:243 D 19.2.41 Ulp 5 ed Sed de damno ab alio dato agi cum eo non posse Iulianus ait: qua enim custodia consequi potuit, ne damnum iniuria ab alio dari possit? sed Marcellus interdum esse posse ait, sive custodiri potuit, ne damnum daretur, sive ipse custos damnum dedit: quae sententia Marcelli probanda est. Julian schreibt aber, dass wegen eines Schadens, der von einem Dritten zugefügt wird, nicht geklagt werden könne; wie könne nämlich durch Bewachung erreicht werden, dass von einem anderen nicht widerrechtlich Schaden zugefügt wird? Aber Marcell schreibt, zuweilen könne die Klage zustehen, sei es, dass jemand sie so hätte bewachen können, dass kein Schaden zugefügt wird, sei es, dass der Wächter selbst einen Schaden zufügt; diese Ansicht Marcells ist zu befürworten.

Der Hinweis auf eine Beschädigung durch einen custos könnte auf eine grundlegende andere Haltung zur Zurechnung des Verhaltens von Hilfspersonen deuten.244 Lehnt Julian eine custodia-Haftung des pater familias für eine Sache ab, die sein gewaltunterworfener Sohn entliehen hat,245 liegt nicht fern, dass er sich auch gegen die Zurechnung eines Verhaltens des Sohnes oder zumindest das eines anderen freien Wächters wendet, wenn der Familienvater die Sache selbst entliehen hat. Unabhängig von diesen Zurechnungsfragen ist jedenfalls das Argument Marcells, eine gehörige Bewachung der Sache könne sie auch vor einer Beschädigung bewahren. Mit ihm zielt Marcell auf den Formalismus der julianischen Ansicht und fordert, sie durch eine Beurteilung des konkreten Falles246 unter Inkaufnahme der Ungewissheiten zu ersetzen, denen die Rekonstruktion eines hypothetischen Kausalverlaufs gewöhnlich unterliegt.247 Diese Ansicht findet nicht nur den Zuspruch Ulpians, sondern auch den seines Zeitgenossen Paulus. Er will die für Tierschaden zuständige actio de pauperie auch einem Entleiher

243

Zur Position im Originalwerk Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 439 (Ulp 272). Dass es hierum gehen könnte, verkennt Mayer-Maly (Fn. 98), S. 206. 245 S. o. S. 49 f. 246 Richtig Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 90. 247 Während MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 172 und Robaye, L’obligation de garde, S. 199 hierin den Beleg für eine Rücksicht auf das individuelle Verhalten schon in klassischer Zeit sehen, handelt es sich für Metro, L’obligazione di custodire, S. 201 f. um das Produkt einer Interpolation. Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 95 f. will Marcells Aussage gegen den Wortlaut nicht auf eine Sorgfalt im eigentlichen Sinne, sondern auf eine geschuldete Aktivität beziehen. Ähnlich hat sie vorher schon Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 517 verstanden, der annimmt, Marcell habe eine strikte Überwachung gefordert, wie sie in der Praxis überhaupt nicht hätte erfolgen können. Dass sowohl Marcell als auch Julian dem Schuldner nicht mehr abverlangen wollen, als er leisten kann, glaubt hingegen Voci, SDHI 56 (1990) 29, 79. 244

II. Eine Kontroverse

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oder conductor zugestehen, sofern sie dem Eigentümer der beschädigten Sache haftbar sind:248 D 9.1.2pr Paul 22 ed Haec actio non solum domino, sed etiam ei cuius interest competit, veluti ei cui res commodata est, item fulloni, quia eo quod tenentur damnum videntur pati. Diese Klage steht nicht nur dem Eigentümer, sondern auch demjenigen zu, der ein Interesse hat, wie zum Beispiel einem Entleiher, ferner einem Kleiderreiniger, weil sie durch ihre Haftung ersichtlich einen Schaden erleiden.

Grundlage der Einstandspflicht kann nur die Verantwortlichkeit für custodia sein, die in diesem Fall durch den Eingriff eines fremden Herdentieres aktiviert wird.249 Nähme man mit Julian jegliches ,damnum iniuria datum‘ von der custodia-Haftung aus, wäre für diese auch bei einem Tierschaden kein Platz, so dass eine Aktivlegitimation von Entleiher oder conductor zur Klage gegen den Tierhalter überhaupt nicht in Betracht käme.250 Dass es Julian und auch seinem Kritiker Marcell neben der Sachbeschädigung noch um einen anderen Streitfall geht, zeigt ein weiterer Auszug aus Ulpians Ediktskommentar. Er muss im Originalwerk mit D 19.2.41 in Verbindung gestanden haben251 und handelt ebenfalls von einer nota Marcells zu Julian:252 D 50.16.9 Ulp 5 ed Marcellus apud Iulianum notat verbo ,perisse‘ et scissum et fractum contineri et vi raptum. Marcell bemerkt zu Julian, das Verb ,untergehen‘ erfasse auch, dass etwas zerschnitten, zerbrochen oder gewaltsam entwendet wird.

Obwohl sich der genaue Zusammenhang nicht aufklären lässt, liegt doch auf der Hand, dass Julian in seinen digesta nicht nur von einer Sachbeschädigung gesprochen haben kann. Auf diese beziehen sich die Fälle von ,fractum‘ und ,scissum‘. Während der erste eine in der lex Aquilia gesetzlich vertypte Tathandlung der Sachbeschädigung bezeichnet, fällt der zweite in den durch Ausdehnung

248 In diesem Kontext steht der Satz nicht erst in der justinianischen Kompilation, sondern auch schon in Paulus’ Ediktskommentar; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1010 (Paul 357). 249 Dass dies aber kein Verzicht auf das Erfordernis von culpa bedeutet, bemerkt Robaye, L’obligation de garde, S. 177 zu Recht. 250 Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 98 f. hat Recht, wenn er hier die ältere Entscheidung gegen eine custodia-Haftung für Sachbeschädigung überwunden sieht, versteht Paulus aber sicher nicht richtig, wenn er glaubt, es solle keine Differenzierung nach seiner Vermeidbarkeit im konkreten Fall stattfinden. 251 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 439 (Ulp 273). 252 Hier machen unter anderem Mayer-Maly (Fn. 98), S. 206 und Metro, L’obligation di custodire, S. 117 ff., 205 den wahren Kern der Ansicht von Marcell aus, der lediglich gesagt habe, dass sich die custodia-Haftung aus dem Verlust der zu bewachenden Sache ergebe. Gegen diese Annahme wendet sich zu Recht Rastätter (Fn. 242), S. 200.

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4. Kap.: Custodia und diligentia

der Haftung auf jegliche corruptio eröffneten Anwendungsbereich des Gesetzes.253 Mit dem an dritter Stelle genannten Raub ist hingegen die gewaltsame Alternative zum furtum angesprochen. Kommt es für Julian maßgeblich darauf an, ob der Täter gewaltsam vorgegangen ist, muss der Meinungsgegensatz zu Marcell und den Spätklassikern auch diese Art der Sachentwendung erfassen:254 Da Julian eine Haftung bei Gewaltanwendung schlechthin ablehnt, muss die custodia-Haftung nach seiner Auffassung auf das furtum beschränkt bleiben; für die jüngeren Juristen ist sie hingegen je nach den Umständen des Einzelfalles auch bei einem Raub einschlägig. Voraussetzung ist nur, dass die gewaltsame Entwendung der Sache mit Vorkehrungen verhindert worden wäre, die ein ordentlicher oder gar überaus sorgsamer Familienvater getroffen hätte. Eben hiervon geht Ulpian aus, wenn er in einem bereits untersuchten Text255 davon spricht, dass die Aktivlegitimation zur Raubklage von denselben Kriterien wie die Zuständigkeit der actio furti abhängt. Und auch für die ältere Gegenauffassung Julians gibt es in dieser Hinsicht ein ausdrückliches Zeugnis.256 Es ist eine direkt überlieferte Entscheidung von Neraz zur Haftung eines Verkäufers:257 253

Vgl. Gai 3.217. Für die von Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 96 vermutete Differenzierung danach, ob sich die Gewalt gegen eine Person oder eine Sache richtet, spricht nichts. 255 D 47.8.2.23 Ulp 56 ed; s. o. S. 30 f. 256 Keine Bedeutung kommt im vorliegenden Zusammenhang dagegen der in D 19.2.29 Alf 7 dig mitgeteilten Entscheidung zu: In lege locationis scriptum erat: ,redemptor silvam ne caedito neve cingito neve deurito neve quem cingere caedere urere sinito‘. quaerebatur, utrum redemptor, si quem quid earum rerum facere vidisset, prohibere deberet an etiam ita silvam custodire, ne quis id facere possit. respondi verbum sinere utramque habere significationem, sed locatorem potius id videri voluisse, ut redemptor non solum, si quem casu vidisset silvam caedere, prohiberet, sed uti curaret et daret operam, ne quis caederet. („In der Klausel eines Pachtvertrags hieß es: ,Der Pächter darf weder den Wald abholzen noch entrinden noch abbrennen noch zulassen, dass jemand den Wald abholzt, entrindet oder abbrennt.‘ Es wurde gefragt, ob der Pächter, wenn er jemanden bei solchen Handlungen beobachtet, dies verhindern oder auch den Wald bewachen müsse, damit niemand solche Handlungen vornimmt. Ich habe befunden, das Wort ,zulassen‘ habe beide Bedeutungen; der Verpächter wolle aber ersichtlich, dass der Pächter nicht nur jemanden hindert, den er bei der Abholzung des Waldes beobachtet, sondern Sorge dafür trägt und Mühe walten lässt, dass niemand den Wald abholzt.“) Zwar geht es hier um die Verhinderung einer Gewalteinwirkung auf die Pachtsache; diese ist jedoch Gegenstand einer besonderen Vereinbarung. Auch wenn diese mit dem Verb ,custodire‘ belegt ist, handelt es sich doch nicht um die gleichnamige Haftung, die automatisch Teil einer vertraglichen Einstandspflicht ist. Der Text bietet daher entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 195, Robaye, L’obligation de garde, S. 412 und Voci, SDHI 56 (1990) 29, 64 keinen Beleg für eine Fallbeurteilung nach dem individuellen Verhalten des Schuldners schon vor Marcells Vorstoß. Man kann auch nicht mit Robaye a. a. O., S. 411 f. darauf schließen, dass einen Pächter ohne Aufnahme einer speziellen Klausel in den Vertrag keine Einstandspflicht für custodia treffe. 257 Dass Neraz und Julian einer Meinung sind, glaubt auch Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 75. 254

II. Eine Kontroverse

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D 19.1.31pr Ner 3 membr Si ea res, quam ex empto praestare debebam, vi mihi adempta fuerit: quamvis eam custodire debuerim, tamen propius est, ut nihil amplius quam actiones persequendae eius praestari a me emptori oporteat, quia custodia adversus vim parum proficit. actiones autem eas non solum arbitrio, sed etiam periculo tuo tibi praestare debebo, ut omne lucrum ac dispendium te sequatur. Ist mir die Sache, die ich aus einem Kaufvertrag leisten musste, gewaltsam entwendet worden, ist es, obwohl ich zu ihrer Bewachung verpflichtet war, besser, wenn ich dem Käufer nur die Klagen zu ihrer Verfolgung leisten muss, weil eine Bewachung gegen Gewalt wenig ausrichtet. Die Klagen muss ich dir aber nicht nur nach deinem Belieben, sondern auch auf deine Gefahr leisten, so dass dich jeglicher Gewinn und Verlust trifft.

Zwar tritt der Prokulianer nicht mit derselben Entschiedenheit auf wie Julian, für den der Ausfall der custodia-Haftung bei Gewalt unzweifelhaft ist. Neraz hält es lediglich für „besser“ (,propius‘), wenn ein Verkäufer nach einem Raub258 der Kaufsache seinem Vertragspartner bloß die hieraus entspringenden Klagen abtreten259 und keinen Ersatz leisten muss. Er bedient sich aber genau derselben Argumentation wie Julian, indem er sich darauf beruft, dass die vom Schuldner zu erwartende Bewachung gegen den Einsatz von Gewalt nicht verfängt.260 Wiederum darf man unterstellen, dass der Jurist nicht verkannt hat, dass sich eine gewaltsame Sachentwendung zuweilen auch ohne eigene Gewaltanwendung verhindern lässt. Ebenso wie Julian zieht Neraz es aber offenbar vor, die damit verbundenen Unsicherheiten durch einen generellen Ausschluss der Haftung in diesem Fall zu umgehen.261 Bemerkenswert ist, dass die auf Marcell zurückgehende Gegenauffassung keineswegs konsequent umgesetzt wird. Sie dient zwar dazu, im Fall von Sachbeschädigung und Raub zu einer Einzelfallbeurteilung zu kommen. Ihr Potential für eine gegenläufige Lösung beim einfachen Diebstahl bleibt jedoch ersichtlich ungenutzt. Nicht nur von Marcell gibt es keine Entscheidung, mit der die Haftung eines custodia-Pflichtigen im Fall eines furtum verneint wird; auch an-

258 Vis hat hier erkennbar nichts mit vis maior zu tun; vgl. Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 103. 259 Dass mit den ,actiones persequendae eius‘ nur die sachverfolgenden Klagen im eigentlichen Sinne gemeint sind, glaubt Pennitz, Das periculum, S. 389 f. Zumindest Celsus und Ulpian sehen den Verkäufer aber auch zur Abtretung der actio furti verpflichtet; vgl. D 47.2.14pr Ulp 29 Sab (s. o. S. 35 f.). 260 Dass Neraz die Bewachung in dem mit ,quamvis‘ eingeleiteten Konzessivsatz erwähnt, will Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 300 f., so deuten, dass sie nur im Fall einer besonderen Vereinbarung durch pactum adiectum geschuldet ist. 261 Entgegen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 188 und Robaye, L’obligation de garde, S. 373 f. kann man Neraz’ Entscheidung also nicht als Beleg für eine gewöhnliche culpa-Haftung ansehen. Dies bedeutet aber auch nicht, dass Neraz, wie Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 44 f. meint, custodia im Sinne einer Aktivität und nicht als Haftungskriterium versteht.

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4. Kap.: Custodia und diligentia

sonsten und insbesondere für die Spätklassiker Ulpian und Paulus ist sie nicht belegt. Ungeachtet der von Marcell propagierten Rücksicht auf die Umstände des einzelnen Falles bleibt es dabei, dass ein von dritter Hand verübter Diebstahl unbedingt die Verantwortlichkeit für custodia auslöst. Die zahlreichen Bekundungen zum Maßstab der einzuhaltenden Sorgfalt haben also nur dort ein Anwendungsfeld, wo dieses erst durch Marcells Ansicht erschlossen wird.

Fünftes Kapitel

Befund und Deutung I. Die Quadratur des Kreises? Überblicken wir die bislang untersuchten Quellen, die den Großteil der überlieferten Aussagen zur custodia ausmachen, stoßen wir durchgängig auf dieselbe Antinomie, die Justinians Juristen verwirrt und die moderne Forschung in zwei Lager gespalten hat: Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass der Diebstahl einer in Obhut gegebenen Sache automatisch die Haftung des custodia-Pflichtigen und damit auch seine Aktivlegitimation zur actio furti zeitigt. Zwar gibt es zugleich Texte, die zeigen, dass diese Klage auch dann zuständig ist, wenn dem Schuldner culpa zur Last fällt; es fehlt aber ein Zeugnis dafür, dass ein furtum nicht zur Haftung führt, weil dem Schuldner nicht der Vorwurf eines konkreten Fehlverhaltens gemacht werden kann. Die Einstandspflicht für custodia greift im Fall eines Diebstahls zwangsläufig und ohne Prüfung des Einzelfalls ein, weshalb die Juristen auch von einem periculum (custodiae) sprechen. Die Aussagen zu culpa und furtum legen allerdings nahe, dass die Haftung für custodia den Juristen als eine solche für culpa gilt. Eben diesen Eindruck vermitteln die Quellen, die den Zusammenhang zwischen culpa und custodia weiter ausleuchten: Es sind zum einen Texte, in denen der Haftungsstandard in den klassischen Fällen einer Einstandspflicht für custodia auf culpa festgelegt wird und diese sogar synonym oder als Oberbegriff für custodia erscheint. Zum anderen handelt es sich um die Aussagen, die mit vis maior eine gemeinsame Grenze von culpa- und custodia-Haftung ziehen. Ihnen stehen aber wiederum die Stellen gegenüber, in denen beide Kriterien nebeneinander genannt sind. Sie erweisen die Einstandspflicht für custodia doch als ein besonderes Phänomen, das nicht einfach Teil der gewöhnlichen culpa-Haftung ist. Auch der Eindruck, den die Aussagen zur diligentia hinterlassen, ist zwiespältig: Einerseits gibt es zahlreiche Texte, in denen die bei der Bewachung einer Sache einzuhaltende Sorgfalt anhand des Vorbilds eines ordentlichen oder überaus sorgsamen pater familias definiert wird. Die so bestimmte diligentia bildet hier den Maßstab einer Haftung, die durch custodia ihren Gegenstand erlangt. Andererseits gibt es aber auch wieder Anzeichen für eine Sonderrolle der Verantwortlichkeit für custodia gegenüber der allgemeinen Haftung für Nachlässigkeit. Hierauf deutet weniger die eher sporadisch anzutreffende Kumulation von custo-

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5. Kap.: Befund und Deutung

dia und diligentia als vielmehr das einzige Zeugnis einer Kontroverse unter den klassischen Juristen in diesem Bereich: Es ist die Diskussion um die Frage, ob eine Haftung für custodia auch bei Gewaltanwendung und damit bei Sachbeschädigung und Raub in Betracht kommt. Während Neraz und Julian dies noch verneinen, sprechen sich die Juristen ab Marcell dafür aus, den Schuldner dann einstehen zu lassen, wenn er die gewaltsame Beschädigung oder Entwendung der Sache hätte verhindern können. Die auf die Kontroverse bezogenen Texte, die den blassen Quellen zum Haftungsmaßstab ein wenig konkreten Inhalt geben, sprechen vor allem durch ihr Schweigen: Die durch sie belegte Auseinandersetzung dreht sich allein um die Frage, ob bei einer gewaltsamen Einwirkung auf eine Sache oder Person nach den Umständen des Einzelfalles eine Haftung des custodia-Pflichtigen denkbar ist. Ausgeblendet bleibt das umgekehrte Problem, ob eine Haftung bei Diebstahl ausscheiden kann, wenn dem custodia-Pflichtigen in der konkreten Situation nicht der Vorwurf einer Vernachlässigung der zu erwartenden diligentia gemacht werden kann. Sie führen damit zu dem Ergebnis zurück, das auch die Untersuchung der Quellen zum Zusammenhang mit der actio furti und der culpa-Haftung erbringt: Die Einstandspflicht für custodia gilt zwar als eine Haftung für Verschulden, wird im Fall eines Diebstahls aber ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles, vielmehr automatisch aktiviert. Sie ist zwar Erscheinungsform der culpa-Haftung, nimmt aber doch eine Sonderrolle ein. Es hieße, diesen merkwürdigen Befund einfach zu ignorieren, wenn man den Vertretern der Ansicht folgt, die in der Verantwortlichkeit für custodia bloß eine Variante der culpa-Haftung sieht. Will man die Quellen ohne Zuhilfenahme willkürlicher Interpolationsvermutungen deuten, kann man aber auch nicht dem von der Gegenansicht eingeschlagenen Weg folgen und annehmen, ein custodiaPflichtiger würde ausschließlich am Erfolg seines Handelns gemessen. Dies widerspräche allen Quellen, die custodia zum Gegenstand einer Sorgfaltspflicht und die hieraus resultierende Haftung zu einer solchen für culpa erklären.

II. Zwei Parallelfälle 1. Das Verlieren einer Sache Einer Lösung des Problems nähert man sich durch den Blick auf eine in den Quellen zwar nicht völlig übergangene, aber kaum behandelte, weil unproblematische Situation: Was geschieht, wenn ein Schuldner, der eine Sache für einen anderen in Obhut hat, sich nicht auf den Eingriff eines Dritten beruft, sondern einfach behauptet, sie verloren zu haben? Die Antwort liegt auf der Hand: Ist seine Haftung nicht auf dolus beschränkt, muss er für den Verlust einstehen, weil dieser selbst schon zur Genüge beweist, dass er nicht die Sorgfalt an den Tag gelegt hat, die von ihm erwartet wird. Wer eine Sache verliert, hat nicht in gehö-

II. Zwei Parallelfälle

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riger Weise auf sie aufgepasst und muss sich den Vorwurf von culpa gefallen lassen. Eine Ausnahme gilt nur nicht in den Fällen höherer Gewalt, weil sie den Schuldner so in Bedrängnis bringen können, dass er auf die Sache nicht mehr in der gebotenen Weise Acht geben kann. Beim Verlieren einer Sache kommt es damit zu eben jenem Automatismus, den wir im Fall des furtum beobachten konnten: Der eingetretene Schaden belegt schon das Verschulden, ohne dass man auf den Gedanken einer Erfolgshaftung oder einer Verschuldensvermutung verfallen müsste. Der Schluss vom Sachverlust auf die Haftung ist zeitlos und in der römischen Antike nicht minder angebracht als heute. Wegen seiner Evidenz zeugen von ihm freilich nur eher beiläufige Bemerkungen. Sie betreffen freilich just die klassischen Fälle, in denen ein Schuldner auch für custodia einzustehen hat. So lässt Ulpian einen fullo dafür haften, dass er unabsichtlich den Mantel eines Kunden mit dem eines anderen vertauscht hat:262 D 19.2.13.6 Ulp 32 ed Si fullo vestimenta polienda acceperit eaque mures roserint, ex locato tenetur, quia debuit ab hac re cavere. Et si pallium fullo permutaverit et alii alterius dederit, ex locato actione tenebitur, etiamsi ignarus fecerit. Hat ein Kleiderreiniger Kleidung zur Reinigung erhalten und haben Mäuse sie zerfressen, haftet er aus der Verdingung, weil er dafür hätte Vorsorge treffen müssen. Und wenn der Kleiderreiniger einen Mantel vertauscht hat und ihn einem anderen gegeben hat, haftet er mit der Verdingungsklage auch dann, wenn er es unwissentlich getan hat.

An anderer Stelle beschäftigt er sich mit dem Fall, dass der fullo nach dem Verlust der ihm überlassenen Kleidung Ersatz geleistet und die Kleidung dann wieder gefunden und an den locator zurückgegeben hat. Um die schon erbrachte Zahlung zurückzuerhalten, kann er sich sicherlich der actio conducti bedienen. Schwieriger fällt die Antwort auf die Frage, ob er auch die condictio erheben kann. Während der von Ulpian zitierte Cassius dies ohne Weiteres bejaht, hält Ulpian der Ansicht des Frühklassikers entgegen, dass die Zahlung keineswegs ohne Rechtsgrund erfolgte; sie könnte ihn erst nachträglich durch Auffindung der Kleidung wieder verloren haben:263

262 Robaye, L’obligation de garde, S. 185 und Voci, SDHI 56 (1990) 29, 85 haben ganz Recht, wenn sie hier eine Haftung für Verschulden am Werk sehen, ebenso Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 91, wenn er eine Haftung für einen Fall jenseits von Gewaltanwendung ausmacht, nicht aber Molnár, Verantwortung, S. 597 f., der glaubt, einen Fall von casus minor vor sich zu haben, und diesen der custodia-Haftung zuweisen zu können. 263 Das Fragment stammt aus demselben Buch von Ulpians Ediktskommentar wie D 19.2.13.6, wird von Lenel in seiner Rekonstruktion des Werks aber dem Abschnitt über die actio conducti zugeordnet und damit in einem gewissen Abstand von diesem Text eingestellt; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 639, 641 (Ulp 948, 951). Dies schließt nicht aus, dass Ulpian eine gewisse gedankliche Verknüpfung hergestellt hat.

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5. Kap.: Befund und Deutung D 12.7.2 Ulp 32 ed Si fullo vestimenta lavanda conduxerit, deinde amissis eis domino pretium ex locato conventus praestiterit posteaque dominus invenerit vestimenta, qua actione debeat consequi pretium quod dedit? et ait Cassius eum non solum ex conducto agere, verum condicere domino posse: ego puto ex conducto omnimodo eum habere actionem: an autem et condicere possit, quaesitum est, quia non indebitum dedit: nisi forte quasi sine causa datum sic putamus condici posse: etenim vestimentis inventis quasi sine causa datum videtur. Hat ein Kleiderreiniger Kleidung zur Reinigung übernommen und, als er nach ihrem Verlust vom Eigentümer aus der Verdingung auf ihren Wert verklagt wurde, diesen geleistet und der Eigentümer danach seine Kleidung wiedergefunden, stellt sich die Frage, mit welcher Klage er den erstatteten Wert erlangen kann. Und Cassius schreibt, er könne nicht nur aus Verdingung klagen, sondern auch vom Eigentümer kondizieren; ich glaube, er habe die Klage aus der Verdingung; ob er auch kondizieren könne, ist aber fraglich, weil er nicht auf eine Nichtschuld geleistet hat; es sei denn, wir nehmen an, dass er es als gleichsam ohne Rechtsgrund geleistet kondizieren könne; nach dem Fund der Kleider kann man es nämlich so ansehen, als ob gleichsam ohne Rechtsgrund geleistet worden ist.

Zumindest nach Ulpians Ansicht reicht der vom fullo nicht zu erklärende Verlust der überlassenen Kleidung also aus, um seine Haftung zu begründen. Diese kann allenfalls erst später wieder wegfallen, wenn er die aufgefundenen Kleider seinem Auftraggeber zurückgibt.264 Komplizierter liegt der Fall, von dem Ulpian in seiner Kommentierung des Edikts über die Klagen aus Leihvertrag berichtet:265 D 13.6.5.13 Ulp 28 ed Si me rogaveris, ut servum tibi cum lance commodarem et servus lancem perdiderit, Cartilius ait periculum ad te respicere, nam et lancem videri commodatam: quare culpam in eam quoque praestandam. plane si servus cum ea fugerit, eum qui commodatum accepit non teneri, nisi fugae praestitit culpam. Hast du mich gebeten, dir einen Sklaven mit einer Schale zu leihen und hat der Sklave die Schale verloren, treffe, wie Cartilius schreibt, dich die Gefahr; denn auch die Schale sei als verliehen anzusehen, weshalb im Hinblick auf sie ebenfalls für Verschulden einzustehen sei. Ist der Sklave aber mit ihr geflohen, hafte der Entleiher nicht, wenn er nicht für eine schuldhafte Mitwirkung an der Flucht einzustehen hat.

Hat jemand einen Sklaven entliehen, der nicht zu bewachen war, bedeutet seine Flucht einen Fall höherer Gewalt, für den der Entleiher nicht einzustehen hat.266 Daher ist er auch nicht für eine Schale haftbar, die ihm gemeinsam mit dem Sklaven überlassen und von diesem mit auf die Flucht genommen wird. An-

264 Robaye, L’obligation de garde, S. 177 hat Recht, wenn er sich gegen den hieraus etwa von Molnár, Verantwortung, S. 597 gezogenen Schluss wehrt, der fullo hafte ohne Rücksicht auf sein Verschulden. 265 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 582 (Ulp 805). 266 S. u. S. 53 f.

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ders verhält es sich, wenn der Sklave beim Entleiher verbleibt, die Schale aber dort verliert. Da sie ebenfalls Gegenstand des Leihvertrags ist, muss der Entleiher für den so eingetretenen Schaden einstehen. Der von Ulpian zitierte Jurist Cartilius, der ansonsten nur noch in einem Text von Proculus als Gegner einer von Trebaz geäußerten Ansicht genannt wird,267 verweist darauf, dass der Entleiher für culpa hafte.268 Dieses Verschulden kann sich nur aus dem Fehlverhalten des entliehenen Sklaven ergeben, das nicht etwa dem Verleiher, sondern dem Entleiher zugerechnet wird, in dessen Händen sich der Sklave befindet. Es folgt schlicht aus dem Verlust der Schale. Den Automatismus, mit dem die Einstandspflicht ausgelöst wird, beschreibt Cartilius in auffallender Ähnlichkeit zur custodia-Haftung wegen Diebstahls anschaulich, indem er von einem ,periculum‘ spricht. In einem Zitat, das bei Ulpian wohl in der Nähe des von Cartilius zu finden war,269 beschäftigt sich Papinian mit der Haftung eines inspector. Seine Einstandspflicht folgt in Abhängigkeit von dem Interesse an der Begutachtung entweder dem Regime von Leihe und locatio conductio oder dem Vorbild der Verwahrung:270 D 19.5.17.2 Ulp 28 ed Papinianus libro octavo quaestionum scripsit, si rem tibi inspiciendam dedi et dicas te perdidisse, ita demum mihi praescriptis verbis actio competit, si ignorem ubi sit: nam si mihi liqueat apud te esse, furti agere possum vel condicere vel ad exhibendum agere. Secundum haec, si cui inspiciendum dedi sive ipsius causa sive utriusque, et dolum et culpam mihi praestandam esse dico propter utilitatem, periculum non: si vero mei dumtaxat causa datum est, dolum solum, quia prope depositum hoc accedit. Papinian schreibt im achten Buch seiner Rechtsfragen, dass mir, wenn ich dir eine Sache zur Begutachtung überlassen habe und du behauptest, sie verloren zu haben, dir die Klage mit vorgeschriebener Formel zustehe, wenn ich nicht weiß, wo sie sich befindet; denn wenn mir klar ist, dass sie sich bei dir befindet, könne ich mit der Diebstahlsklage oder mit der Kondiktion oder auf Vorlegung klagen. Danach sage ich, dass jemand, wenn ich ihm eine Sache zur Begutachtung entweder in seinem eigenen oder in unser beider Interesse überlassen habe, er mir wegen seines Interesses für Arglist und Fahrlässigkeit einstehen müsse, hingegen nur für Arglist, wenn sie nur in meinem Interesses überlassen worden ist, weil annähernd eine Verwahrung vorliegt.

267

D 28.5.70 Proc 2 ep. Robaye, L’obligation de garde, S. 285 muss hierin natürlich einen Beleg für seine Deutung der custodia als Gegenstand einer gewöhnlichen Verschuldenshaftung sehen. Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 220 schreibt die Erwähnung von culpa ungeachtet der indirekten Rede Ulpian zu und erkennt hier einen inhaltlichen Unterschied zu dem periculum, von dem Cartilius spricht. Er hält dies für das Kriterium, an dem sich die älteren Juristen im Umgang mit der actio commodati in fachtum orientiert hätten (vgl. S. 212 ff.). 269 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 582 (Ulp 806). 270 S. o. S. 24. 268

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5. Kap.: Befund und Deutung

Behauptet der Gutachter, er habe die ihm überlassene Sache verloren, genügt dies noch nicht für die Annahme, er habe sie unterschlagen. Der Schluss auf ein vom Gutachter verübtes furtum ist erst dann gerechtfertigt, wenn dargetan wird, dass er noch über die Sache verfügt oder sie unberechtigt weitergegeben hat. Nach Papinians Ansicht ist aber jedenfalls die actio praescriptis verbis einschlägig. Dabei übergeht er die erst von Ulpian aufgeworfene Frage nach dem Vertragsnutzen und Haftungsregime,271 sei es, dass er sich nur zur Art der Klage und nicht auch dazu äußern will, ob sie im Einzelfall wirklich zuständig ist, sei es, dass er unterstellt, dass der inspector nicht allein im Interesse des Sacheigentümers tätig wird. Vermag die Behauptung, die Sache verloren zu haben, ihn in diesem Fall vielleicht vor einer Haftung zu bewahren, unterliegt er ihr zweifellos, wenn er auch für culpa einzustehen hat.272 Bemerkenswert an Papinians Entscheidung ist die Verknüpfung zwischen Verlustbehauptung und Diebstahlsverdacht. Sie prägt auch einen Bescheid, den die kaiserliche Reskriptenkanzlei für Philippus Arabs zur Haftung eines Pfandgläubigers entworfen hat: CJ 4.24.8 (22. Feb. 246) Imp. Philippous A. et Philippous C. Saturnino. Si nulla culpa seu segnitia creditori imputari potest, pignorum amissorum dispendium ad periculum eius minime pertinet. sane si simulata amissione etiam nunc eadem pignora, ut adseveras, a parte diversa possidentur, adversus eum experiri potes. Kaiser Philipp und Cäsar Philipp an Saturninus. Ist dem Gläubiger keine Fahrlässigkeit oder Trägheit zuzuschreiben, geht ein Nachteil, der sich aus dem Verlust der Pfandsachen ergibt, keineswegs auf seine Gefahr. Werden die Pfandsachen freilich, wie du behauptest, unter Vortäuschung ihres Verlustes von dem Gegner besessen, kannst du gegen ihn klagen.

Die Kanzlei differenziert zwischen einem Sachverlust, zu dem es ohne culpa oder segnitia des Pfandgläubigers gekommen ist,273 und dem Fall, in dem ein solcher Verlust nur vorgetäuscht wird und sich die verpfändete Sache in Wahrheit noch bei dem Pfandgläubiger befindet. Mit der Behauptung, die verpfändete Sache verloren zu haben, setzt er sich unweigerlich dem Verdacht einer Unterschlagung aus.

271 Nörr, SZ 73 (1956) 68, 89 erklärt diese Ausführungen zumindest teilweise zum Ergebnis einer Interpolation. Gegen eine solche Vermutung wendet sich zu Recht Robaye, L’obligation de garde, S. 397 ff. 272 Diese trifft wiederum der Interpolationsverdacht von Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 137 f. 273 Es besteht kein hinreichender Anlass für die Vermutung, ,segnitia‘ sei an die Stelle von custodia getreten; vgl. Harke (Fn. 201), S. 111. Die kumulative Nennung von culpa und custodia würde den Sinn der Entscheidung freilich auch nicht verändern. Dass die Erwähnung von culpa echt sein kann, gesteht sogar Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 145 zu.

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Sowohl Papinians Entscheidung als auch das kaiserliche Reskript bezeugen den Argwohn, der die Behauptung eines Schuldners weckt, er habe die von ihm zu behütende Sache verloren. Auch wenn er nicht hinreicht, um ihn für ein furtum haftbar zu machen, muss sich der andere Teil aber nicht mit seinem Verdacht begnügen, sondern kann den Schuldner zumindest dann, wenn dessen Haftung nicht auf Arglist beschränkt ist, ohne Weiteres mit der Vertragsklage belangen. Kann sich der Schuldner nicht auf einen Fall höherer Gewalt berufen, schließt die Behauptung des Sachverlustes nämlich zwangsläufig das Eingeständnis unzureichender Sorgfalt ein, so dass der Vorwurf von culpa gerechtfertigt ist.274 Warum sollte man eine vergleichbare Überlegung nicht auch dann anstellen, wenn statt eines selbst verursachten Sachverlustes der von einem Dritten begangene Diebstahl im Raum steht? Im praktischen Fall lassen sich diese beiden Konstellationen ohnehin nicht auseinanderhalten: Wer nicht mehr über eine Sache verfügt, die er einem anderen herauszugeben hat, kann im Regelfall nur vermuten, was geschehen ist: Entweder hat er sie selbst irgendwo liegen gelassen; oder sie ist ihm heimlich von einem Dritten entwendet worden. Welche der beiden Varianten zutrifft, kann noch weniger der Gläubiger überprüfen. Will man ihn nicht schutzlos gegenüber möglichen Vorspiegelungen des Schuldners stellen, darf man die beiden Fälle nicht ungleich behandeln, sondern muss den Schuldner, der den Nachweis von vis maior schuldig bleibt, hier wie dort einstehen lassen. Hierzu bedarf es auch keineswegs einer Fiktion. Man muss nur die Frage stellen, ob sich bei Aufbietung der gehörigen Sorgfalt die heimliche Entwendung einer Sache durch einen Dritten zuverlässig verhindern lässt. Die Antwort lautet zweifellos: ja. Denn man kann die Sache entweder nicht aus den Augen lassen oder aber unter Verschluss halten.275 Eine Grenze ist, wenn auch vielleicht nicht vor dem Hintergrund moderner Technologie, so doch sicher in Rom, erst dann erreicht, wenn der Täter Gewalt anwendet,276 sei es, dass er sie gegenüber dem Schuldner oder einem von ihm bestellten Wächter verübt, sei es, dass er mit ihrer Hilfe in einen verschlossenen Raum eindringt. Hier kommt eine Haftung wegen custodia nach der älteren Lehre von Neraz und Julian aber überhaupt nicht mehr in Betracht und bedarf nach der jüngeren Auffassung von Marcell, Ulpian und Paulus zumindest einer Einzelfallbetrachtung. Kann der Schuldner zu 274 Entgegen Robaye, L’obligation de garde, S. 239 ff. bietet die Konstitution also keinen Beleg für die Deutung der custodia-Haftung als einer Einstandspflicht für konkret festzustellendes Fehlverhalten. 275 So ansatzweise schon Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 132 f., der in dem Maßstab eines diligentissimus pater familias einen byzantinischen Ausdruck für einen schon in der Klassik angelegten strengen Maßstab hält. 276 Dies übersieht Baron, AcP 52 (1869) 44, 93, der das in der custodia-Haftung liegende Verschuldenselement mit der Begründung in Abrede stellen will, jemand, der sein Vermögen verwalten oder seinen Lebensunterhalt verdienen müsse, könnte eine Sache nicht in andauernder „Obsicht“ behalten.

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5. Kap.: Befund und Deutung

seiner Verteidigung gar nicht erst auf eine Form der Gewaltanwendung verweisen, ist der Schluss vom Sachverlust auf den Sorgfaltspflichtverstoß unabweislich; und es kann dahinstehen, ob der Schuldner die Sache schlicht selbst verloren oder ihren Besitz durch die heimliche Tat eines Dritten eingebüßt hat. Die simple Erwägung, dass er das eine wie das andere unbedingt hätte vermeiden können, ist die Basis des Automatismus, mit dem die Kombination von Sachverlust und custodia-Pflicht des Schuldners zu dem Ergebnis seiner Haftung führt. Im Unterschied zu anderen Fällen, in denen jemand für das ,perire‘ einer Sache einzustehen hat, konzentriert sich die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen, wenn ein Diebstahl oder das bloße Verlieren der Sache im Raum steht, auf die vom Schuldner übernommene Pflicht. Ist er für die Bewachung einer Sache verantwortlich, folgt aus ihrem Verlust zwangsläufig auch die Haftung, sofern keine höhere Gewalt vorliegt. Bringt der Schuldner sie nicht vor, reicht die Feststellung, dass custodia zu der von ihm geschuldeten Sorgfalt gehört. 2. Die Sklavenflucht Eine ganz entsprechende Vorgehensweise können wir in einem weiteren Parallelfall zum furtum ausmachen. Es ist die verwandte Konstellation der Flucht eines Sklaven, der gleichsam einen Diebstahl an sich selbst begeht.277 Nach dem schon betrachteten Zeugnis von Gaius löst sie grundsätzlich keine Haftung für culpa aus, sondern zählt zu den Fällen höherer Gewalt, sofern es sich um einen Sklaven handelt, der gewöhnlich nicht bewacht wird.278 Unter diesem Vorbehalt erscheint sie auch in einer Reihe mit dem natürlichen Tod, Feuersbrunst und Flut sowie Raub und Tumult in Ulpians bekannter Aufzählung der Haftungsmaßstäbe aus dem 29. Buch seines Sabinuskommentars:279 D 50.17.23 Ulp 29 Sab Contractus quidam dolum malum dumtaxat recipiunt, quidam et dolum et culpam. dolum tantum: depositum et precarium. dolum et culpam mandatum, commodatum, venditum, pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae, negotia gesta: in his quidem et diligentiam. societas et rerum communio et dolum et culpam recipit. . . . animalium vero casus mortesque, quae sine culpa accidunt, fugae servorum qui custodiri non solent, rapinae, tumultus, incendia, aquarum magnitudines, impetus praedonum a nullo praestantur.

277 Vgl. D 47.2.61 Afr 7 quaest und CJ 6.1.1 (9. Dez. 286); hierzu Klingenberg, CRRS X.6: Servus fugitivus, Stuttgart 2005, S. 12 f. Die Überlegung bewährt sich vor allem, wenn es wie in dem diokletianischen Reskript darum geht, die Ersitzung eines servus fugitivus durch einen Dritten zu verhindern. 278 D 13.6.18pr Gai 9 ed prov; s. o. S. 52 f. 279 Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 1124 (Ulp 2731) ordnet sie ebenso wie das lange Traktat zur Aktivlegitimation bei der actio furti einem Abschnitt über die custodia zu, den Ulpian wegen der entsprechenden Haftung eines Verkäufers an dieser Stelle eingefügt habe.

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Bei manchen Verträgen kommt es nur auf Arglist, bei anderen auf Arglist und Fahrlässigkeit an. Nur auf Arglist kommt es bei Verwahrung und bittweiser Überlassung an; auf Arglist und Fahrlässigkeit bei Auftrag, Leihe, Verkauf, Verpfändung, Verdingung, Mitgiftbestellung und Geschäftsführung; hier zählt auch die Sorgfalt. Bei der Gesellschaft und Gemeinschaft kommt es auch auf Arglist und Fahrlässigkeit an . . . Niemand hat einzustehen für den Tod von Tieren, der sich ohne sein Verschulden ereignet, die Flucht von Sklaven, die gewöhnlich nicht bewacht werden, Raub, Aufruhr, Feuer, eine Flut oder einen Angriff von Räubern.

Mit dem Vorbehalt, dass ein Entleiher nicht schuldhaft zu der Tat beigetragen haben darf, erwähnt auch der von Ulpian zitierte Cartilius die Flucht eines entliehenen Sklaven als einen Umstand, der den Entleiher entlastet.280 Da eine Haftung für culpa nicht auf vertragliche Verhältnisse beschränkt ist, kann die Sklavenflucht auch zu einer Einstandspflicht im Rahmen einer dinglichen Klage führen.281 Für Gaius zählt sie daher ebenso wie die Bestimmung eines Sklaven zu einem gefährlichen Verhalten zu den Umständen, die eine Verurteilung eines beklagten Besitzers tragen, obwohl dieser nicht mehr über den vom Eigentümer herausverlangten Menschen verfügt:282 D 6.1.36.1 Gai 7 ed prov Qui in rem convenitur, etiam culpae nomine condemnatur. culpae autem reus est possessor, qui per insidiosa loca servum misit, si is periit, et qui servum a se petitum in harena esse concessit, et is mortuus sit: sed et qui fugitivum a se petitum non custodit, si is fugit . . . Wer dinglich belangt wird, ist auch wegen Fahrlässigkeit zu verurteilen. Fahrlässig verhält sich ein Besitzer, der einen Sklaven in eine gefährliche Gegend schickt, wenn er dort umkommt, oder wer erlaubt, dass der von ihm geforderte Sklave in einer Arena auftritt, wenn dieser dort stirbt, aber auch wer einen von ihm geforderten Sklaven, der zur Flucht neigt, nicht bewacht, wenn dieser flieht . . .

Dass der Besitzer auch zur Bewachung des Sklaven angehalten ist, ergibt sich hier daraus, dass es sich bei ihm um einen fugitivus handelt, der seine Bereitschaft zur Flucht schon einmal unter Beweis gestellt hat. Paulus formuliert in seinem Ediktskommentar283 allgemeiner und macht die Haftung davon abhängig, ob sich die Bewachung des Sklaven nach dessen Eigenart gehört: Ist er von untadeligem Ruf, darf der Besitzer darauf vertrauen, dass er 280

D 13.6.5.13 Ulp 28 ed; s. o. S. 82 f. Dies spricht gegen die von Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 44 ff. auch mit Blick auf die Sklavenflucht vertretene These, custodia sei nicht Haftungskriterium, sondern Gegenstand einer vertraglich geschuldeten Aktivität. 282 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 202 (Gai 154) stellt den Text in die Rubrik ,de rei vindicatione‘ ein. Er ist umgeben von weiteren Einzelaussagen zur dinglichen Klage. 283 Auch dieser Text stammt aus dem Abschnitt über die rei vindicatio und steht im Zusammenhang mit weiteren Aussagen zu der Frage, ob ein Besitzer dem Eigentümer für dolus oder culpa verantwortlich ist; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1006 (Paul 335). 281

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5. Kap.: Befund und Deutung

nicht fliehen werde. Vom Eigentümer belangt, wird er folglich freigesprochen, falls er ihm nur diejenigen Klagen abtritt, die ihm als bonae fidei possessor aus einer während der Flucht weiterlaufenden Ersitzung erwachsen. Ansonsten wird er zum Wertersatz verurteilt, kann aber mit Hilfe der exceptio doli erzwingen, nun seinerseits vom Eigentümer dessen Vindikation und Kondiktion übertragen zu bekommen:284 D 6.1.21 Paul 21 ed Si a bonae fidei possessore fugerit servus, requiremus, an talis fuerit, ut et custodiri debuerit. nam si integrae opinionis videbatur, ut non debuerit custodiri, absolvendus est possessor, ut tamen, si interea eum usuceperat, actionibus suis cedat petitori et fructus eius temporis quo possedit praestet. . . . si vero custodiendus fuit, etiam ipsius nomine damnari debebit, ut tamen, si usu eum non cepit, actor ei actionibus suis cedat. . . . Entflieht einem Besitzer nach guter Treue ein Sklave, müssen wir untersuchen, ob er von der Art war, dass er bewacht werden musste. Hatte er einen guten Ruf, so dass er nicht bewacht werden musste, ist der Besitzer freizusprechen, freilich mit der Maßgabe, dass er dem Kläger, wenn er ihn in der Zwischenzeit ersessen hat, seine Klage abtritt und die mittlerweile gezogenen Früchte herausgibt . . . Musste der Sklave aber bewacht werden, ist er auch seinetwegen zu verurteilen, freilich mit der Maßgabe, dass der Kläger ihm seine Klagen abtritt, falls er ihn noch nicht ersessen hat. . . .

Da den Eigentümer mit dem Besitzer nicht notwendig ein Vertragsverhältnis verbindet, kann die Haftung in diesem Fall nicht daran anknüpfen, dass der Sklave unter Vereinbarung seiner Beaufsichtigung überlassen worden ist. Ausschlaggebend ist hingegen die bisherige Erfahrung mit dem Sklaven, die darüber bestimmt, ob der mit einer culpa-Haftung bewehrte Sorgfaltsstandard unterschritten wird. Hat sich der Sklave schon als fugitivus erwiesen, muss der Besitzer ihn bewachen; hat er sich den Ruf eines treuen Sklaven erworben, muss der Besitzer nicht mit seiner Flucht rechnen. Dass die Haftung für Sklavenflucht auch im Fall einer vertraglichen Verbindung von objektiven Umständen abhängen kann, zeigt ein Passus, der ebenso wie das Cartilius-Zitat aus Ulpians Kommentierung des Edikts über den Leihvertrag stammt.285 Er belegt zugleich, dass die Sklavenflucht nicht lediglich Thema der Haftung für culpa im Allgemeinen, sondern konkreter auch als eine Frage der custodia anzusehen ist: D 13.6.5.6 Ulp 28 ed Sed an etiam hominis commodati custodia praestetur, apud veteres dubitatum est. nam interdum et hominis custodia praestanda est, si vinctus commodatus est, vel

284 Hierzu auch Wimmer, Besitz und Haftung des Vindikationsbeklagten, Köln u. a. 1995, S. 51 ff., 80 f. und Klingenberg (Fn. 277), S. 44 f. (Text 11); ferner Wacke (Fn. 150), S. 75 ff. 285 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 581 (Ulp 802).

II. Zwei Parallelfälle

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eius aetatis, ut custodia indigeret: certe si hoc actum est, ut custodiam is qui rogavit praestet, dicendum erit praestare. Bei den alten Juristen war umstritten, ob auch für die Bewachung eines geliehenen Sklaven eingestanden werden müsse. Denn zuweilen ist auch für die Bewachung eines Sklaven einzustehen, falls er gefesselt überlassen wird oder in einem solchen Alter ist, dass er der Bewachung bedarf; sicherlich muss man auch sagen, dass der Entleiher für Bewachung einzustehen hat, wenn dies eigens vereinbart ist.

Ulpian führt als Beispiele dafür, dass sich die Bewachung eines verliehenen Sklaven von selbst versteht, die Fälle auf, dass er gefesselt übergeben oder so jung ist, dass man ihm noch nicht vertrauen darf. Hier ist konkludent vereinbart, dass der Entleiher Vorkehrungen für eine Sklavenflucht treffen muss. Ansonsten bedarf es hierzu einer besonderen Abrede.286 Erst sie bewirkt, dass der Entleiher nicht darauf vertrauen darf, der Sklave werde bei ihm bleiben. Muss er den Sklaven hingegen bewachen, gilt dasselbe wie im Fall eines Diebstahls: Kann sich der Entleiher nicht auf vis maior berufen, beweist schon dessen Verlust, dass er nicht gehörig auf ihn Acht gegeben hat. Denn auch die Sklavenflucht lässt sich zumindest durch Einsperren oder Anketten zuverlässig bis zur Grenze einer Gewaltanwendung verhindern. Die Flucht mündet damit automatisch in einer Haftung. Wurde hierüber zur Zeit der veteres auch noch diskutiert,287 sind die Dinge zu Ulpians Wirkungszeit nicht mehr umstritten.

286 Metro, L’obligazione di custodire, S. 151 ff. hält den hierauf bezogenen Schlusssatz für interpoliert und meint, die custodia als objektives Haftungskriterium erfordere eine abstrakte Beurteilung. 287 Wegen des von ihm behaupteten Zusammenhangs zwischen custodia und der actio commodati in ius concepta muss Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 252 f. bezweifeln, dass Ulpian auch die Wortwahl der veteres trifft.

Sechstes Kapitel

Was ist custodia und von wem wird sie erwartet? I. Custodia als Aufgabe Der zuletzt betrachtete Fall der Sklavenflucht lenkt die Untersuchung auf die bislang nur gestreifte Frage, was ,custodiam praestare‘ eigentlich bedeutet und auf welcher Grundlage die so bezeichnete Einstandspflicht beruht. Vom Standpunkt heutiger Schuldrechtsdogmatik sieht man sich dabei vor eine einfache Alternative gestellt: Ist custodia ein reines Haftungskriterium oder Gegenstand einer Leistungspflicht, an deren Ausfall sich die Haftung anschließt? Dass man mit einer solchen Auswahlentscheidung das Denken der römischen Juristen verfehlt, zeigt sich schon daran, dass diese dolus oder culpa ganz unbefangen neben diligentia oder custodia nennen, ja sich sogar nicht scheuen, von ,et dolum et culpam et diligentiam et custodiam praestare‘ zu sprechen.288 Obwohl zumindest das Räsonnement der spätklassischen Juristen nicht mehr auf den Formularprozess fixiert und in vielfacher Hinsicht ,materiellrechtlich‘ ist,289 hat man doch auch in dieser Phase sicher nicht die Vorstellung einer Dichotomie von Pflicht und Haftung entwickelt. Beides fällt in Rom zusammen. Man kann daher weder von einer geschuldeten Bewachungsleistung und einer hieran anknüpfenden Haftung ausgehen; noch empfiehlt sich Vorstellung, ein Schuldner habe für die Nichterfüllung seiner Pflicht zur Herausgabe einer Sache nach dem Kriterium der custodia einzustehen. Sind Schuld und Haftung noch ungetrennt, bedeutet dies aber nicht, dass auch keine Differenzierung zwischen einem Haftungsmaßstab und dem Gebiet zulässig wäre, in dem er Anwendung findet: Um dem Schuldner culpa oder die Missachtung der gehörigen diligentia vorwerfen zu können, muss feststehen, in welchem Bereich er sich bewähren soll. Und hierfür genügt nicht schon der Verweis auf die Pflicht zur Herausgabe einer Sache. Nur wenn der Schuldner aktiv für ihren Untergang oder ihre Beschädigung sorgt, kann man leicht feststellen, dass er dem Gläubiger haftbar ist. Geht die Störung hingegen von einem Dritten aus, bedarf es einer Entscheidung darüber, ob deren Abwehr zu den Aufgaben des Schuldners gehört. Hier liegt nun die Funktion der custodia: Wird sie von dem Schuldner erwartet, hat er bis zur Grenze der höheren Gewalt auch für den Ein288

D 13.6.5.15 Ulp 28 ed; s. o. S. 59 f. Vgl. etwa Harke, Actio utilis. Anspruchsanalogie im römischen Recht, Berlin 2016, S. 11 ff. 289

I. Custodia als Aufgabe

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griff des Dritten einzustehen, ansonsten bleibt er haftungsfrei. Besonders deutlich tritt dies im Fall der Sklavenflucht zutage: Eigentlich gehört ihre Verhinderung nicht zu den Aufgaben eines Schuldners, weil er sich darauf verlassen darf, dass ein in seiner Obhut befindlicher Sklave nicht versucht, sich seinem Besitzer zu entziehen. Kann man von ihm aber wegen der Eigenart des Sklaven oder aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung erwarten, dass er seine Flucht verhindert, gereicht ihm diese zu dem Vorwurf, die einzuhaltende Sorgfalt missachtet zu haben. Im Fall eines Diebstahls versteht sich ebenfalls nicht selbst, dass ein Schuldner diesen abzuwehren hat. Eine solche Erwartung muss sich vielmehr aus dem Rechtsverhältnis ergeben, das ihn mit dem Gläubiger verbindet. Nur wenn es dem Schuldner zur Aufgabe macht, für die Sicherheit der Sache zu sorgen, kann ein von dritter Seite verübtes furtum in einer Haftung münden. Hinzukommen muss freilich, dass der Schuldner dem Gläubiger auch generell für culpa einzustehen hat. Denn bloß in diesem Fall ist der Schluss vom Sachverlust auf den Haftungsgrund zulässig. Nur wenn der Schuldner auch für Fahrlässigkeit haftet, verfängt die Überlegung, dass es zur Missachtung der gebotenen Sorgfalt gekommen sein muss, weil der Schuldner die Sache verloren hat, ohne sich auf vis maior und insbesondere die Anwendung körperlicher Gewalt berufen zu können. Hat der Schuldner bloß für Vorsatz einzustehen, schließt dies zwar nicht aus, dass ihm auch der von einem Dritten verübte Diebstahl zur Last fällt. Im Normalfall, in dem er nicht wissentlich zu der Sachentwendung beigetragen hat, scheidet eine Haftung aber aus, und dies selbst dann, wenn es eigentlich seine Aufgabe ist, die Sache in sichere Obhut zu nehmen. Auf den Punkt gebracht finden wir diesen Zusammenhang in einem schon betrachteten Auszug aus Gaius’ res cottidianae:290 D 18.6.2.1 Gai 2 cott rer Custodiam autem [ante admetiendi diem] qualem praestare venditorem oporteat, utrum plenam, ut et diligentiam praestet, an vero dolum dumtaxat, videamus. et puto eam diligentiam venditorem exhibere debere, ut fatale damnum vel vis magna sit excusatum. Wir müssen zusehen, für welche Bewachung der Verkäufer [bis zum Tag der Zumessung] einstehen muss, entweder für die volle, so dass er auch für Sorgfalt einzustehen hat, oder aber nur für Arglist. Und ich glaube, der Verkäufer muss eine solche Sorgfalt walten lassen, dass ihn nur Schicksalsschläge oder große Gewalt entschuldigen.

Um die Haftung eines Verkäufers für den Verlust der verkauften Sache einzuordnen, unterscheidet Gaius zwischen einer gewöhnlichen Bewachung und der ,custodia plena‘.291 Diese liegt nur vor, wenn der Schuldner auch für eine Ver290

S. o. S. 54 f. Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 133 hält diesen Ausdruck zwar für interpoliert, erkennt in ihm aber den Ausdruck eines klassischen Gedankens. 291

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

nachlässigung der gebotenen diligentia einzustehen hat. Haftet er bloß für seinen Vorsatz, ändert dies nichts daran, dass ihm die Bewachung der betroffenen Sache zur Aufgabe gemacht ist;292 die ,einfache‘ custodia, die nicht mit einer Einstandspflicht für culpa kombiniert ist, führt aber normalerweise nicht zu einer Haftung des Schuldners, geschweige denn zu dem beobachteten Automatismus. Kommt ein Käufer in den Genuss einer ,custodia plena‘, weil der Verkäufer ohne besondere Vereinbarung bis zur Grenze der höheren Gewalt auch für eine Sorgfaltspflichtverletzung haftbar ist, verhält es sich anders beim depositum. Da von diesem Vertrag mangels Gegenleistung nur der Niederleger profitiert, hat der Verwahrer im Regelfall nur für seinen dolus einzustehen. Deshalb verneint Gaius hier für den Regelfall ein ,custodiam praestare‘ und mit ihm die Aktivlegitimation zur actio furti:293 Gai 3.207 Sed is apud quem res deposita est, custodiam non praestat tantumque in eo obnoxius est, si quid ipse dolo malo fecerit; qua de causa si res ei subrepta fuerit, quia restituendae eius nomine depositi non tenetur nec ob id eius interest rem salvam esse, furti itaque agere non potest, sed ea actio domino conpetit. Aber ein Verwahrer hat nicht für Bewachung einzustehen und haftet nur dann, wenn er etwas arglistig begangen hat; aus diesem Grund kann er, wenn ihm eine Sache entwendet worden ist, weil er deshalb nicht aus der Verwahrung haftet und daher kein Interesse daran hat, dass die Sache nicht verlorengegangen wäre, nicht die Diebstahlsklage erheben, sondern diese Klage steht dem Eigentümer zu.

Diese Beschränkung seiner Haftung ändert aber nichts daran, dass der Vertragszweck gerade in der untrennbar mit der Rückgewähr verbundenen294 Aufbewahrung, die vom Verwahrer mit dem Vertragsschluss übernommene Aufgabe also in custodia besteht. Besonders deutlich kommt dies in dem eher unbeholfenen Versuch einer Definition des depositum durch den Autor der Paulussentenzen zum Ausdruck. Unter begrifflicher Unterscheidung zwischen deponere und servare sowie der Aufzählung konkreter Fälle, die teilweise den im Edikt genannten Auslösern einer Verdopplung der Haftung295 entsprechen, fordert er, dass diese ,custodiae causa‘ erfolgt und der Empfänger die Sache bewachen soll (,res custodienda‘):296

292

Dies erkennt MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 177. Metro, Labeo 13 (1967) 60, 65 f. erkennt hierin ein Argument gegen Cannatas These von der Erfolgspflicht. 294 Insoweit richtig Robaye, L’obligation de garde, 55 f.; anders hingegen Metro, L’obligazione di custodire, S. 132 ff., der in Rückgabe und Bewachung Gegenstände unterschiedlicher Pflichten erkennt. 295 D 16.3.1.1 Ulp 30 ed. 296 Dass diese Formulierung ausdrucksstärker als ,custodiae causa‘ ist, meint Metro, L’obligazione di custodire, S. 129 f. 293

I. Custodia als Aufgabe

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PS 2.12.2–4 Depositum est quasi diu positum. Servandum est, quod ad breve tempus custodiendum datur. (3) Deponere videtur qui in metu ruinae incendii naufragii apud alium custodiae causa deponit. (4) Deponere videtur et is, qui suspectam habens vel minus idoneam custodiam domus vel vim latronum timens apud aliquem rem custodiendam commodat. Niederzulegen bedeutet, etwas für lange Zeit zu überlassen. Zu bewahren ist, was für eine kurze Zeit zur Bewachung überlassen wird. (3) Jemand legt etwas nieder, wenn er es aus Furcht vor einem Gebäudeeinsturz, Feuer oder Schiffbruch bei einem anderen zur Bewachung niederlegt. (4) Jemand gibt auch etwas in Verwahrung, wenn er den Verdacht hat, dass die Bewachung in seinem Haus nicht hinreichend ist, oder er die Gewalt von Räubern fürchtet und eine Sache einem anderen zur Bewachung überlässt.

Nicht wesentlich anders fällt die Definition aus, die Ulpian an die Spitze seiner Kommentierung des Edikts über die Klagen aus Verwahrung stellt.297 Auch der Spätklassiker spricht von ,quod custodiendum‘ und versucht, die ,custodia rei‘ als Aufgabe des Verwahrers gar aus der Konstruktion des Verbs ,deponere‘ abzuleiten:298 D 16.3.1pr Ulp 30 ed Depositum est, quod custodiendum alicui datum est, dictum ex eo quod ponitur: praepositio enim de auget depositum, ut ostendat totum fidei eius commissum, quod ad custodiam rei pertinet. In Verwahrung gegeben ist, was einem anderen zur Bewachung überlassen ist; der Begriff stammt von ,hinlegen‘; das Präfix ,de‘ verstärkt dies, um zu zeigen, dass der Treue des Verwahrers alles überlassen ist, was zur Bewachung der Sache gehört.

Gleichberechtigt neben der Rückgabe der niedergelegten Sache erscheint die custodia auch in einer Definition der sequestratio bei Paulus:299 D 16.3.6 Paul 2 ed Proprie autem in sequestre est depositum, quod a pluribus in solidum certa condicione custodiendum reddendumque traditur. In Sequestration gegeben heißt strenggenommen, dass etwas von mehreren gemeinsam unter bestimmten Bedingungen zur Bewachung und Rückgewähr überlassen wird.

Ungeachtet der ihm obliegenden custodia hat der Verwahrer nur für dolus einzustehen. Für Gaius bedeutet dies keinen Widerspruch. In einem weiteren Text

297

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 612 (Ulp 885). Vgl. auch D 16.3.1.8–9 Ulp 30 ed; s. u. S. 99, 103 f. 299 Der Text entstammt der Kommentierung des Edikts ,de vadimonio Romam faciendo‘; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 968 (Paul 101). Dass sich Paulus in diesem Rahmen mit der Sequestration beschäftigt, könnte an der Infamiefolge liegen, die für die Zuständigkeit der Munizipalgerichtsbarkeit und eine Verweisung nach Rom maßgeblich ist; vgl. Walter, Die Funktionen der actio depositi, Berlin 2011, S. 103 f. 298

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

aus dem zweiten Buch seiner aurea,300 der auch in Justinians Institutionen Eingang gefunden hat,301 sieht er sich aber immerhin zu der Erklärung veranlasst, ein Niederleger müsse es sich selbst zuschreiben, wenn er die Bewachung einer Sache einem nachlässigen Bekannten anvertraue:302 D 44.7.1.5 Gai 2 aur Is quoque, apud quem rem aliquam deponimus, re nobis tenetur: qui et ipse de ea re quam acceperit restituenda tenetur. sed is etiamsi neglegenter rem custoditam amiserit, securus est: quia enim non sua gratia accipit, sed eius a quo accipit, in eo solo tenetur, si quid dolo perierit: neglegentiae vero nomine ideo non tenetur, quia qui neglegenti amico rem custodiendam committit, de se queri debet. magnam tamen neglegentiam placuit in doli crimine cadere. Auch jemand, bei dem wir irgendeine Sache in Verwahrung gegeben haben, haftet uns durch Sachhingabe; auch er haftet auf Rückgabe der erhaltenen Sache. Hat er sie aber durch nachlässige Bewachung verloren, ist er sicher; da er sie nämlich nicht im eigenen Interesse erhalten hat, sondern im Interesse desjenigen, von dem er sie erhalten hat, haftet er nur dann, wenn sie aufgrund seiner Arglist verlorengegangen ist; wegen Nachlässigkeit haftet er hingegen nicht, weil derjenige, der einem nachlässigen Freund eine Sache zur Bewachung übergibt, sich dies selbst zuzuschreiben hat. Grobe Nachlässigkeit fällt aber anerkanntermaßen unter den Tatbestand der Arglist.

300 Er stammt aus demselben Abschnitt über die Vertragsobligationen wie die Darstellung der custodia-Haftung beim Kaufvertrag; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 257 (Gai 498). 301 Vgl. IJ 3.14.3: Praeterea et is, apud quem res aliqua deponitur, re obligatur et actione depositi, qui et ipse de ea re quam accepit restituenda tenetur. sed is ex eo solo tenetur, si quid dolo commiserit, culpae autem nomine, id est desidiae atque neglegentiae, non tenetur: itaque securus est qui parum diligenter custoditam rem furto amisit, quia, qui neglegenti amico rem custodiendam tradit, suae facilitati id imputare debet. („Außerdem wird auch derjenige, dem eine Sache zur Verwahrung überlassen worden ist, durch Sachhingabe verpflichtet; und er haftet mit der Verwahrungsklage auf Rückgewähr der erhaltenen Sache. Aber er haftet nur dann, wenn er etwas arglistig getan hat; wegen Fahrlässigkeit, also Untätigkeit oder Nachlässigkeit, haftet er nicht; daher ist er sicher, wenn er eine nicht sorgfältig genug bewachte Sache durch Diebstahl verliert, weil derjenige, der einem nachlässigen Freund eine Sache zur Bewachung übergibt, dies seinem eigenen Leichtsinn zuzuschreiben hat.“). 302 Diese Erwägung ähnelt der Begründung, die Ulpian für die Differenzierung zwischen der gewöhnlichen Haftung mit der actio depositi und ihrer Verdopplung im Unglücksfall findet; vgl. D 16.3.1.4 Ulp 30 ed: Haec autem separatio causarum iustam rationem habet: quippe cum quis fidem elegit nec depositum redditur, contentus esse debet simplo, cum vero extante necessitate deponat, crescit perfidiae crimen et publica utilitas coercenda est vindicandae rei publicae causa: est enim inutile in causis huiusmodi fidem frangere. („Die Unterscheidung dieser Fälle hat einen rechten Sinn, weil man sich, wenn man jemandem Vertrauen schenkt und die verwahrte Sache nicht zurückgegeben wird, mit dem einfachen Betrag zufrieden sein muss, hingegen, wenn man etwas in einer Notlage in Verwahrung gibt, der Unrechtsgehalt der Untreue steigt und die öffentliche Ordnung im Interesse des Gemeinwesens durchzusetzen ist; es ist nämlich unerträglich, in solchen Fällen das Vertrauen zu enttäuschen.“).

I. Custodia als Aufgabe

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Interessant ist der am Schluss angebrachte Hinweis auf die Gleichstellung von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit.303 Sie geht bekanntlich auf Nerva und Celsus zurück und entspringt der Überlegung, dass jemand sich den Vorwurf einer vorsätzlichen Schädigung gefallen lassen muss, wenn er sich dazu entscheidet, eine ihm überlassene fremde Sache schlechter zu behandeln als seine eigene Sachen. Er kann sich nur dadurch entlasten, dass er dartut, auch mit ihnen gewöhnlich nachlässig zu verfahren. Dieses Argument nützt ihm aber dann nichts, wenn er die im Verkehr übliche Sorgfalt in besonders grober Weise verletzt hat, weil dann anzunehmen ist, dass er die überlassene Sache doch schlechter als seine eigenen behandelt hat:304 D 16.3.32 Cels 11 dig Quod Nerva diceret latiorem culpam dolum esse, Proculo displicebat, mihi verissimum videtur. nam et si quis non ad eum modum quem hominum natura desiderat diligens est, nisi tamen ad suum modum curam in deposito praestat, fraude non caret: nec enim salva fide minorem is quam suis rebus diligentiam praestabit. Was Nerva sagte, nämlich dass schwere Fahrlässigkeit Vorsatz sei, missfiel Proculus, erscheint mir aber sehr richtig. Denn auch wer nicht in dem Maße sorgfältig ist, wie es die Natur des Menschen verlangt, handelt doch arglistig, wenn er bei der Verwahrung nicht zumindest die Sorgfalt aufbringt, die seinem Maße entspricht. Ohne Verletzung des Treuegebots kann er nämlich nicht weniger Sorgfalt walten lassen als in eigenen Angelegenheiten.

Die bei Gaius hervorscheinende Verselbständigung zu einem Standard der ,magna neglegentia‘ kommt auch in einer Konstitution der kaiserlichen Reskriptenkanzlei aus dem Jahre 234 zum Ausdruck: CJ 4.34.1 (15. Juli 234) Imp. Alexander A. Mestrio militi. Si incursu latronum vel alio fortuito casu ornamenta deposita apud interfectum perierunt, detrimentum ad heredem eius qui depositum accepit, qui dolum solum et latam culpam, si non aliud specialiter convenit, praestare debuit, non pertinet. quod si praetextu latrocinii commissi vel alterius fortuiti casus res, quae in potestate heredis sunt vel quas dolo desiit possidere, non restituuntur, tam depositi quam ad exhibendum actio, sed etiam in rem vindicatio competit. Kaiser Alexander an den Soldaten Mestrius. Ist bei einem Feindeseinfall oder einem anderen Ereignis höherer Gewalt Schmuck, der bei einem Getöteten hinterlegt war, verlorengegangen, trifft der Schaden nicht den Erben desjenigen, der das Hinterlegte angenommen hat und ohne besondere Vereinbarung nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet. Werden Sachen, die sich in der Gewalt des Erben befinden oder deren Besitzes er sich vorsätzlich begeben hat, nur unter dem Vorwand eines Raubes oder eines anderen Ereignisses höherer Gewalt nicht zurückgewährt, stehen sowohl die Verwahrungs- als auch die Vorlegungsklage sowie die dingliche Vindikation zu. 303 Für interpoliert erklärt ihn kurzerhand Walter (Fn. 299), S. 162 und zwar bemerkenswerterweise gerade unter Hinweis darauf, dass er in der justinianischen Fassung des Textes fehlt. 304 Hierzu Harke (Fn. 189), S. 47 und Harke (Fn. 142), S. 14 ff. Anders deutet den von der ,natura hominom‘ geforderten Standard etwa Walter (Fn. 299), S. 172 ff.

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

Zweifel an der Echtheit der Erwähnung von ,culpa lata‘ ergeben sich hier freilich daraus, dass sie in der Parallelüberlieferung in der Collatio fehlt.305 Auch wenn sie sich im Anschluss an die Ansicht von Nerva und Celsus als ein Haftungsmaßstab neben dem dolus etabliert haben sollte, bleibt dies doch ohne Auswirkung auf die custodia-Haftung. Denn man kann nicht mit derselben Sicherheit, mit der sich von einem Sachverlust auf eine Vernachlässigung der gewöhnlichen diligentia folgern lässt, auch darauf schließen, dass der Schuldner nicht einmal ein Mindestmaß an Sorgfalt eingehalten hat. Anders liegen die Dinge, wenn sich die Parteien auf eine Erweiterung der Haftung verständigt haben, so dass sie jegliche culpa umfasst. Ulpian stellt eigens die Wirksamkeit einer solchen Abrede fest, die, wenn auch vielleicht nicht mit der auf dolus gestellten actio in factum, so doch zumindest mit der auf das ius bezogenen Formel der actio depositi306 durchsetzbar ist:307 D 16.3.1.6 Ulp 30 ed Si convenit, ut in deposito et culpa praestetur, rata est conventio: contractus enim legem ex conventione accipiunt. Ist vereinbart, dass bei der Verwahrung auch für Fahrlässigkeit einzustehen ist, gilt diese Vereinbarung; Verträge erhalten ihren Gegenstand nämlich aus Vereinbarungen.

Das Ergebnis ist, dass ein Diebstahl ohne Weiteres zur Haftung des Verwahrers führt. In einem schon untersuchten Abschnitt308 seines Kommentars zu dieser Klage legt Ulpian dies im Anschluss an Julian dar: D 16.3.1.35 Ulp 30 ed Saepe evenit, ut res deposita vel nummi periculo sint eius, apud quem deponuntur: ut puta si hoc nominatim convenit. sed et si se quis deposito obtulit, idem Iulianus scribit periculo se depositi illigasse, ita tamen, ut non solum dolum, sed etiam culpam et custodiam praestet, non tamen casus fortuitos. Es kommt häufig vor, dass eine hinterlegte Sache oder Geld auf die Gefahr des Verwahrers geht, wie zum Beispiel, wenn dies ausdrücklich vereinbart ist. Aber auch wenn sich jemand für die Verwahrung anbietet, habe er, wie Julian auch schreibt, die Gefahr der Verwahrung übernommen, freilich so, dass er nicht nur für Arglist, sondern auch für Fahrlässigkeit und Bewachung einzustehen hat, nicht aber für Zufall.

Der Automatismus der Haftung, dem Ulpian mit der kumulativen Nennung von culpa und custodia zum Ausdruck verhilft, ist die Folge des Zusammentreffens von Bewachungsaufgabe und voller Sorgfalt als Haftungsmaßstab: Die in allen Fällen des depositum bestehende Erwartung einer custodia wird durch die Kombination mit diligentia in der Weise aktiviert, dass ein Sachverlust auf ein 305 Vgl. Coll. 10.8. Für die Annahme einer Interpolation daher Walter (Fn. 299), S. 160 f. 306 Vgl. Gai 4.47. 307 Vgl. auch D 47.8.2.23 Ulp 56 ed; s. o. 308 S. o. S. 60 f.

II. Anknüpfungspunkte

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schuldhaftes Verhalten schließen lässt und automatisch zur Einstandspflicht des Verwahrers führt.309

II. Anknüpfungspunkte 1. Custodia als vertragliche Haupt- und Nebenleistung Zu einer custodia-Haftung im eigentlichen Sinn kommt es nur unter Vertragsparteien. Es gibt zwar Entscheidungen zur Haftung eines Besitzers gegenüber dem Eigentümer eines entflohenen Sklaven.310 Zum Anwendungsfall der custodia-Haftung wird die Sklavenflucht aber nur beim commodatum, bei dem die Parteien Vertragspartner sind. Auch wenn ein vom Eigentümer belangter Besitzer, um sich den Vorwurf der culpa zu ersparen, einen Sklaven von einer zu erwartenden Flucht abzuhalten hat, darf er sich anscheinend doch darauf verlassen, dass er ihm nicht gestohlen wird.311 Den rechtswidrigen Eingriff eines Dritten zu verhindern braucht nur jemand, der diese Aufgabe selbstbestimmt übernommen hat. Dies gilt auch für einen Pfandgläubiger, der nicht nur Inhaber eines dinglichen Verwertungsrechts, sondern dem Eigentümer zugleich durch einen Pfandvertrag verbunden ist. Und es gilt sogar für einen Nießbraucher, für den eine custodia-Haftung in einem knappen Auszug aus dem 75. Buch von Paulus’ Ediktskommentar bezeugt ist: D 7.9.2 Paul 75 ed Nam fructuarius custodiam praestare debet. Denn ein Nießbraucher hat für Bewachung einzustehen.

Nur auf den ersten Blick passt diese Aussage zu dem vorangehenden Passus aus Ulpians libri ad edictum, die den Kompilatoren hier als Leittext dienen. 309 Anders naturgemäß Robaye, L’obligation de garde, S. 40 ff., der die custodia- als Verschuldenshaftung deutet. 310 D 6.1.36.1 Gai 7 ed prov, D 6.1.21 Paul 21 ed; s. o. S. 87 f. 311 Neben den Quellen zur Sklavenflucht könnte auf eine außervertragliche custodiaHaftung allenfalls noch eine Entscheidung Papinians zur Aktivlegitimation eines vorlegungspflichtigen Erben hindeuten; vgl. D 47.2.81.2 Pap 12 quaest: Si ad exhibendum egissem optaturus servum mihi legatum et unus ex familia servus subreptus, heres furti habebit actionem: eius interest: nihil enim refert, cur praestari custodia debeat. („Klage ich auf Vorlegung, um einen mir vermachten Sklaven auszuwählen, und wird einer der Sklaven aus der Familie entwendet, hat der Erbe die Diebstahlsklage; er hat das Interesse; es spielt nämlich keine Rolle, warum er Bewachung leisten muss.“) – Die Bemerkung, dass es auf den Grund einer Einstandspflicht für custodia nicht ankommt, ist zu vage, als dass man ihr entweder mit Schulz, SZ 32 (1911) 23, 88 die Regel entnehmen könnte, ein Vorlegungspflichtiger habe für custodia einzustehen, noch auch nur mit Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 349 behaupten dürfte, es sei von einem besonderen Leistungsversprechen der custodia die Rede. Die Aussage gehört in den Kontext weiterer Entscheidungen zugunsten einer Zufallshaftung als Folge des dolus, den jemand durch die Weigerung zur Vorlegung beweist; vgl. Harke, Actio ad exhibendum. Vorlegungsklage im römischen Recht, Berlin 2019, S. 102 f.; ferner Kaser, Grenzfragen, S. 303 und Wimmer (Fn. 284), S. 81 Fn. 360.

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

Auch wenn Ulpian an dieser Stelle davon spricht, dass ein Nießbraucher ,omnis cura rei‘ schuldet, bezieht er sich dabei doch auf die Frage, ob ein Nießbraucher auch eine Ersitzung der Sache durch einen Dritten verhindern muss.312 Nichtsdestoweniger besteht kein Anlass zu zweifeln, dass Paulus die custodia-Haftung im eigentlichen Sinne meint und sein Text auch im richtigen Titel der Digesten untergebracht ist.313 Denn nicht nur hier, auch im paulinischen Originalwerk gehört er zu einem Abschnitt über die cautio usufructuaria.314 Mit ihr muss ein Vermächtnisnehmer, dem der Nießbrauch an einer Sache vermacht ist, dem Eigentümer versprechen, ihm nach dem Ende seiner Berechtigung herauszugeben, was noch von der belasteten Sache übrig ist (,restituturum quod inde exstabit‘).315 Erst durch diese, wenn auch vom Prätor erzwungene, so doch selbstbestimmt eingegangene, Verpflichtung gerät der Nießbraucher in dieselbe Position wie ein Entleiher, der die Verpflichtung zur Rückgabe der entliehenen Sache durch regelrechten Vertrag übernommen hat. a) Ein vielgestaltiger Vertrag: die locatio conductio Das Gegenstück zum depositum , bei dem die custodia im Regelfall nur Aufgabe, aber mangels einer Einstandspflicht für culpa nicht haftungsbegründend ist, bildet ein Vertrag, der dem Verwahrer ein Entgelt in Gestalt eines Lohns einbringt. Wie Ulpian in seiner Kommentierung anhand der Vereinbarung zwischen Badegästen und Bademeister ausführt, handelt es sich um eine Verdingung, bei 312 D 7.9.1.7 Ulp 79 ed: Sed quod diximus id quod inde exstabit restitutu iri, non ipsam rem stipulatur proprietarius (inutiliter enim rem suam stipulari videretur), sed stipulatur restitutu iri quod inde exstabit. interdum autem inerit proprietatis aestimatio, si forte fructuarius, cum possit usucapionem interpellare, neglexit: omnem enim rei curam suscipit. („Was wir gesagt haben, nämlich dass zurückzugewähren ist, was noch vorhanden ist, bedeutet nicht, dass sich der Eigentümer die Sache selbst versprechen lässt (das Versprechen einer eigenen Sache des Gläubigers ist nämlich unwirksam), sondern dass die Rückgewähr dessen versprochen wird, was noch vorhanden ist. Zuweilen kommt dabei aber der Wert des Eigentums zum Ansatz, wenn etwa der Nießbraucher es versäumt hat, eine Ersitzung der Sache zu unterbrechen; er übernimmt nämlich die eine umfassende Sorge für die Sache.“). 313 So aber Reichard, SZ 107 (1990) 46, 49 ff., der die Aussage auf die actio in factum beziehen will, die der Prätor bei Vernachlässigung der Nießbrauchssache gewährt (vgl. Lenel (Fn. 230), S. 368 f.). In D 7.1.13.2 Ulp 18 Sab, der einzigen Stelle in der Kompilation, in der die Klage Erwähnung findet, wird sie aber als Rechtsbehelf für den Fall aufgeführt, in dem der Nießbraucher die Sache durch mangelnde Bewirtschaftung schädigt. Dies passt schwerlich zu der auf Diebstahl konzentrierten custodia-Haftung und würde Paulus’ Aussage den Gehalt nehmen, den man nach ihrem Wortlaut erwarten dürfte. Auf die custodia-Haftung aus einer cautio usufructuaria im eigentlichen Sinn beziehen den Text denn auch zu Recht Voci, SDHI 56 (1990) 29, 66 und SerranoVicente, Custodiam praestare, S. 345 f., der einen Vergleich zu Paulus’ Entscheidungen zur cautio damni infecti zieht; vgl. D 19.1.36 Paul 7 Plaut, D 39.2.18.8–9 Paul 48 ed, D 39.2.38pr Paul 10 Sab, s. o. S. 64 ff. 314 Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 1093 (Ulp 813). 315 D 7.9.1pr Ulp 79 ed.

II. Anknüpfungspunkte

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der dem Bademeister die Rolle eines locator, also eines Dienstverpflichteten im Rahmen einer locatio conductio operarum, zukommt:316 D 16.3.1.8 Ulp 30 ed Si vestimenta servanda balneatori data perierunt, si quidem nullam mercedem servandorum vestimentorum accepit, depositi eum teneri et dolum dumtaxat praestare debere puto: quod si accepit, ex conducto. Ist Kleidung verlorengegangen, die einem Bademeister zur Aufbewahrung überlassen worden ist, haftet er, wenn er keine Vergütung für die Aufbewahrung der Kleidung erhalten hat, mit der Verwahrungsklage und muss, so glaube ich, nur für Vorsatz einstehen; hat er eine Vergütung erhalten, haftet er aus Verdingung.

Die Aussage, ein mit der actio depositi belangter Verwahrer habe grundsätzlich nur für Vorsatz einzustehen, provoziert den unausgesprochenen Gegenschluss, dass er im Rahmen der Verdingung auch für culpa haftet.317 Trifft sie mit der einem jeden Verwahrungsvertrag inhärenten Aufgabe der Bewachung zusammen, bedeutet dies, dass der Verwahrer für einen Sachverlust, der sich ohne Gewalteinwirkung ereignet, ohne Weiteres einzustehen hat. Gaius stellt dies in einem knappen Auszug aus seinem Ediktskommentar fest,318 in dem er dem entgeltlich tätigen Verwahrer das ,periculum custodiae‘ zuweist:319 D 19.2.40 Gai 5 ed prov Qui mercedem accipit pro custodia alicuius rei, is huius periculum custodiae praestat. Wer für die Bewachung irgendeiner Sache ein Entgelt erhält, muss auch für die Gefahr dieser Bewachung einstehen.

Ein Anwendungsfall dieser Regel ist die Haftung eines Lagerhalters.320 Auch wenn sich füglich darüber streiten lässt, ob es sich bei der von ihm erbrachten Leistung in erster Linie um eine Form der Raumüberlassung,321 eine Werk-322 316 Dass Ulpian stattdessen von einem Werkvertrag ausgeht, nimmt Robaye, L’obligation de garde, S. 197 f. an, indem er unterstellt, ,ex conducto‘ sei infolge eines Schreibversehens an die Stelle des eigentlich gemeinten ,ex locato‘ getreten. SerranoVicente, Custodiam praestare, S. 138 glaubt, ,ex conducto‘ könne auch für eine Haftung mit der actio locati stehen. Dass auch bei der locatio conductio operarum eine custodiaHaftung denkbar ist, nimmt hingegen zu Recht Metro, L’obligazione di custodire, S. 171 an. 317 Dass es sich hier um den klassischen Utilitätsgedanken handelt, erkennt auch Nörr, SZ 73 (1956) 68, 71 an. 318 Auf die locatio conductio operarum beziehen ihn Metro, L’obligazione die custodire, S. 172 und Molnár, Verantwortung, S. 614 f. 319 Zum palingenetischen Kontext dieser Aussage s. u. S. 73 Fn. 238. 320 Dass er hiervon erfasst ist, glaubt auch Thomas, RIDA 13 (1966) 353, 364. Anders sieht dies Robaye, L’obligation de garde, S. 126 f. 321 Hierzu tendiert Thomas, RIDA 13 (1966) 353, 362, nachdem er die Frage der Qualifikation zunächst noch für anachronistisch erklärt hat; vgl. ders., RIDA 6 (1959) 371, 373 ff. Ebenso Marini, La custodia di merci dell’horrearius: a propsito di CIL VI 33747, SZ 132 (2015) 154, 170 f. 322 So vorsichtig Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 512 f.

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

oder Dienstleistung oder gar eine Kombination solcher Leistungen323 handelt, steht die zentrale Bedeutung der custodia in diesem Fall doch außer Frage. Der Lagerhalter hat nicht nur einen Platz für die eingelagerte Sache zur Verfügung zu stellen, sondern muss auch auf sie Acht geben. Dies ergibt sich nicht erst aus dem schon untersuchten Reskript von Caracalla aus dem Jahre 213, in dem die kaiserliche Kanzlei einen dominus horreorum bis zur Grenze der höheren Gewalt für einen Sachverlust einstehen lässt.324 Schon Labeo setzt eine Verantwortlichkeit des Lagerhalters für custodia in zwei Entscheidungen voraus, die in der von Javolen herausgegebenen Epitome überliefert sind.325 Die eine betrifft einen auf besonders wertvolle Sachen bezogenen Haftungsausschluss durch Aushang, von dem der Lagerhalter326 konkludent wieder Abstand nimmt, indem er die Einlagerung von Sachen eben dieser Art duldet:327 D 19.2.60.6 Lab 5 post Iav epit Locator horrei propositum habuit se aurum argentum margaritam non recipere suo periculo: deinde cum sciret has res inferri, passus est. proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si propositum fuit, remissum videtur. Der Vermieter eines Lagers hat durch Aushang erklärt, dass er Gold, Silber und Perlen nicht auf seine Gefahr übernehme; danach hat er wissentlich geduldet, dass solche Sachen eingebracht wurden. Ich sage, dass er dir so haftet, als wenn die darin enthaltene Erklärung ersichtlich zurückgenommen worden ist.

Die Gefahr, die durch den Aushang vermieden werden soll und dann doch zu einer Haftung des Lagerhalters führt, kann nur das periculum custodiae sein, von dem Gaius spricht:328 Der Lagerhalter, der hier als locator und damit wohl eher in seiner Rolle als Vermieter denn als Dienstverpflichteter angesprochen ist, muss für einen Sachverlust nicht unbedingt, wohl aber dann einstehen, wenn er sich nicht auf vis maior und insbesondere nicht darauf berufen kann, dass der Speicher von Räubern gewaltsam aufgebrochen worden ist.

323 Hierfür sind Wacke, Labeo 26 (1980) 299, 309 und Robaye, L’obligation de garde, S. 121 ff. 324 CJ 4.65.1; s. o. S. 56. 325 In der von Javolen herausgegebenen Sammlung waren sie unter der Rubrik ,de emptionibus et locationibus‘ zu finden; vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 311 (Iav 212). 326 Er ist vielleicht nicht zufällig ,locator horrei‘ genannt, um ihn von dem ,locator totorum horreorum‘ abzugrenzen, von dem in § 9 die Rede ist; vgl. Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 509 und Thomas, RIDA 13 (1966) 353, 358. 327 Vgl. Wacke, Labeo 26 (1980) 299, 318 f. Dass Labeo einer Haftungsfreizeichnung wegen der Eigenart des Lagergeschäfts Grenzen setzt, glaubt hingegen Marini, SZ 132 (2015) 154, 174 ff. 328 Anders sehen dies MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 202 und Robaye, L’obligation de garde, S. 127 f.

II. Anknüpfungspunkte

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Ausdrücklich von custodia spricht Labeo denn auch in dem zweiten Text, in dem es um ein gestuftes Überlassungsverhältnis geht: D 19.2.60.9 Lab 5 post Iav epit Rerum custodiam, quam horrearius conductoribus praestare deberet, locatorem totorum horreorum horreario praestare non debere puto, nisi si in locando aliter convenerit. Für die Bewachung der Sachen, für die ein Lagerhalter seinen Kunden einstehen muss, hat der Vermieter des ganzen Lagerhauses einem Lagerhalter, wie ich glaube, nicht einzustehen, falls bei der Vermietung nicht etwas anderes vereinbart worden ist.

Während der dominus horreorum, von dem in der Caracalla-Konstitution die Rede ist, selbst als Lagerhalter fungiert und Lagergeschäfte tätigt,329 ist der ,locator totorum horreorum‘, mit dem sich Labeo hier beschäftigt, ein Gebäudeeigentümer, der seinen Speicher einem oder mehreren Lagerhaltern zur Verfügung stellt.330 Da er selbst kein Lagergeschäft betreibt,331 sondern schlicht ein Gebäude oder Räume vermietet,332 wird mangels einer abweichenden Vereinbarung333 von ihm auch keine custodia erwartet. Für diese haben nur die Lagerhalter ihren Kunden einzustehen.334 Auch wenn Labeo diese Kunden conductores nennt und damit wiederum in erster Linie als Parteien eines weiteren Mietvertrags ansieht, unterscheidet sich dieser von dem Vertrag zwischen Eigentümer und Lagerhalter doch dadurch, dass die Bewachung der eingelagerten Sachen die vornehme Aufgabe des Lagerhalters ist. Nicht ganz klar sind die Art des Sachverlustes und die Rolle des dominus horreorum in einem Reskript aus der Regierungszeit von Alexander Severus, in dem dieser auf Ulpian als seinen praefectus praetorio verweist: CJ 4.65.4 (1. Dez. 222) Imp. Alexander A. Arrio Sabino. Et divi Pii et Antonini litteris certa forma est, ut domini horreorum effractorum eiusmodi querellas deferentibus custodes exhibere necesse habeant nec ultra periculo subiecti sint. (1) Quod vos quoque adito praeside 329

S. o. S. 56. Richtig Mayer-Maly (Fn. 98), S. 210; Thomas, RIDA 13 (1966) 353, 354 f.; Wacke, Labeo 26 (1980) 299, 302; Robaye, L’obligation de garde, S. 100 ff.; und Marini, SZ 132 (2015) 154, 166. 331 Dass er kein horrearius ist, glaubt auch Robaye, L’obligation de garde, S. 102. 332 Richtig Molnár, Verantwortung, S. 610; Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 131. 333 Dass der entsprechende nisi-Satz das Ergebnis einer Interpolation ist, glauben Thomas, RIDA 6 (1959) 371, 378 und Robaye, L’obligation de garde, S. 105 f. Dagegen wendet sich Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 131 f., der glaubt, im Fall einer solchen Vereinbarung verschiebe sich das Vertragsgefüge. 334 Für MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 193 ist custodia hier im Sinne einer Pflicht im Rahmen gewöhnlicher culpa-Haftung gemeint. Robaye, L’obligation de garde, S. 126, 139 f. will hingegen aus dem konjunktivischen ,deberet‘ folgern, dass diese Haftung zusätzlich vereinbart sein muss. 330

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

provinciae impetrabitis. qui si maiorem animadversionem exigere rem deprehenderit, ad Domitium Ulpianum praefectum praetorio et parentem meum reos remittere curabit. (2) Sed qui domini horreorum nominatim etiam custodiam repromiserunt, fidem exhibere debent. Kaiser Alexander an Arrius Sabinus. Durch Briefe der göttlichen Kaiser Antoninus Pius und Caracalla ist festgelegt, dass die Eigentümer von aufgebrochenen Lagerhäusern denjenigen, die sich deshalb beschweren, die Wächter ausliefern müssen und ansonsten keine Gefahr tragen. (1) Dies erreicht auch ihr durch Anrufung des Provinzstatthalters. Erkennt er aber, dass die Sache einer besonderen Untersuchung bedarf, wird er dafür sorgen, dass die Angeklagten an den Prätorianerpräfekten und meinen Verwandten Domitius Ulpianus überstellt werden. (2) Haben die Eigentümer der Lagerhäuser aber ausdrücklich die Bewachung versprochen, müssen sie dieses Versprechen erfüllen.

Dem Verfasser der Paulussentenzen erschien dieser Bescheid derart wichtig, dass er dessen ratio in seine Sammlung aufnimmt: D 19.2.55pr = PS 2.18.3 Dominus horreorum effractis et compilatis horreis non tenetur, nisi custodiam eorum recepit: servi tamen eius cum quo contractum est propter aedificiorum notitiam in quaestionem peti possunt. Die Eigentümer von Lagerhäusern haften nicht, wenn diese aufgebrochen und geplündert worden sind, falls sie nicht deren Bewachung übernommen haben; die Sklaven desjenigen, mit dem der Vertrag geschlossen worden ist, können wegen ihrer Kenntnis der Gebäude zur Folter herangezogen werden.

Mit der zitierten Entscheidung Caracallas könnte ein verlorengegangener Teil des Reskripts von 213 gemeint sein, in dem ein Lagerhalter ungeachtet seiner Einstandspflicht für custodia freigesprochen wird, wenn der Speicher von Räubern aufgebrochen worden ist. Auf einen solchen Fall bezieht sich auch der Bescheid des Antoninus Pius, der bei Paulus überliefert ist: D 1.15.3.2 Paul sing off praef Effracturae fiunt plerumque in insulis in horreisque, ubi homines pretiosissimam partem fortunarum suarum reponunt, cum vel cella effringitur vel armarium vel arca: et custodes plerumque puniuntur, et ita divus Antoninus Erucio Claro rescripsit. ait enim posse eum horreis effractis quaestionem habere de servis custodibus, licet in illis ipsius imperatoris portio esset. Einbrüche erfolgen meist in Häuser oder Speicher, wo die Menschen die wertvollsten Gegenstände ihres Vermögens aufbewahren und Kammern, Schränke und Truhen aufgebrochen werden; und meist werden die Wächter bestraft, und so hat es der göttliche Kaiser Antoninus in einem Bescheid an Erucius Clarus befunden. Er hat nämlich geschrieben, er könne nach einem Einbruch in einen Speicher die als Wächter tätigen Sklaven selbst dann foltern, wenn ein Anteil an ihnen dem Kaiser gehört.

Hier geht es ersichtlich allein um die kriminalrechtliche Bewältigung des Falles. Sie soll durch eine Folterung der als Wächter eingesetzten Sklaven befördert werden, weil es sich hierbei häufig selbst um die Täter handelt. Antoninus Pius

II. Anknüpfungspunkte

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lässt sie sogar dann zu, wenn sie in einem dem Kaiser gehörenden Speicher tätig sind und ihm ein Anteil an ihnen zusteht. Vielleicht hat schon Caracalla dies auch für andere Speicher befunden. Zumindest die Entscheidung von Alexander Severus bezieht sich offenbar auf ein privates Lagerhaus,335 das in einer Provinz belegen ist. Und sie beschränkt sich nicht auf strafrechtliche Fragen, sondern gilt auch der zivilrechtlichen Haftung. Diese soll einen dominus horreorum grundsätzlich nicht und nur ausnahmsweise dann treffen, wenn er die Bewachung eigens versprochen hat.336 Dies erinnert an den von Labeo erwähnten ,locator totorum horreorum‘, der den Lagerhaltern für den Verlust der in den Speicher eingebrachten Sachen ihrer Kunden nur im Fall einer speziellen Vereinbarung haftbar sein soll. Bezieht man die Konstitution auf ihn,337 bleibt aber das Problem, dass der gewaltsame Einbruch in den Speicher als vis maior eigentlich auch nicht mehr von der custodia-Haftung abgedeckt ist.338 Es muss sich also um eine besondere Bewachung handeln, die über die Verantwortung eines Lagerhalters hinausgeht und vom Eigentümer vielleicht wegen seiner Kontrolle über das gesamte Gebäude übernommen werden kann.339 Mit einer Konstellation, die ebenfalls auf der Grenze verschiedener Arten der locatio conductio liegt und überdies einen typengemischtem Vertrag und die Verwahrung einschließt, befasst sich Ulpian in seinem Ediktskommentar im Anschluss an den Fall des Bademeisters: D 16.3.1.9–10 Ulp 30 ed Si quis servum custodiendum coniecerit forte in pistrinum, si quidem merces intervenit custodiae, puto esse actionem adversus pistrinarium ex conducto: si vero mercedem accipiebam ego pro hoc servo, quem in pistrinum accipiebat, ex locato me

335

Richtig Robaye, L’obligation de garde, S. 130. Einen Interpolationsverdacht erhebt insoweit außer Haymann, SZ 40 (1919) 167, 210 f. noch Thomas, RIDA 6 (1959) 371, 382 f.; vgl. auch ders., RIDA 13 (1966) 353, 368. 337 Robaye, L’obligation de garde, S. 139 f., 149 f. will sie hingegen als Beleg dafür werten, dass auch ein Lagerhalter gewöhnlich nicht für custodia einzustehen hat. 338 MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 166 f. und Robaye, L’obligation de garde, S. 131 f., 150 ff., 416 f. deuten sie in diesem Fall hingegen als eine besonders übernommene Haftung, die in Ergänzung zu der gewöhnlichen Einstandspflicht für culpa auch einen Sachverlust aufgrund höherer Gewalt einschließt. Thomas, RIDA 6 (1959) 371, 376, 379 führt den Unterschied zur gewöhnlichen custodia-Haftung hingegen darauf zurück, dass sie sich auf das gesamte Gebäude bezieht. Dass der Vorbehalt einer Haftungsübernahme interpoliert ist, glauben hingegen Wubbe, SZ 76 (1959) 508, 518 f. und Molnár, Verantwortung, S. 609. 339 Vgl. Alzon (Fn. 41), S. 157 ff.; – Mayer-Maly (Fn. 98), S. 212 glaubt, der Bescheid gelte dem Fall, dass ein schon aufgebrochener Speicher bewacht wird. Stattdessen nimmt Robaye, L’obligation de garde, S. 137 f. an, es könne um einen gewaltlosen Einbruch gehen, der einen gewöhnlichen Diebstahl bedeute. Hiergegen wendet sich zu Recht Wacke, Labeo 26 (1980) 299, 304. Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 135 f. vergleicht das Versprechen von custodia mit dem receptum nautarum; die hieraus entspringende Haftung findet jedoch ebenfalls eine Grenze in der höheren Gewalt. 336

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agere posse: quod si operae eius servi cum custodia pensabantur, quasi genus locati et conducti intervenit, sed quia pecunia non datur, praescriptis verbis datur actio: si vero nihil aliud quam cibaria praestabat nec de operis quicquam convenit, depositi actio est. (10) In conducto et locato et in negotio, ex quo diximus praescriptis verbis dandam actionem, et dolum et culpam praestabunt qui servum receperunt: at si cibaria tantum, dolum dumtaxat. sequemur tamen, ut Pomponius ait, et quid habuerunt proscriptum aut quid convenerit, dummodo sciamus et si quid fuit proscriptum, dolum tamen eos praestaturos qui receperunt, qui solus in depositum venit. Hat jemand einen von ihm zu bewachenden Sklaven in einer Mühle eingesetzt, ist, so glaube ich, wenn ein Lohn für die Bewachung bestimmt worden ist, die Klage wegen Übernahme gegen den Müller zuständig; habe hingegen ich einen Lohn für den Sklaven erhalten, den der Müller zur Arbeit in der Mühle aufgenommen hat, kann ich die Klage wegen Überlassung erheben; sollen hingegen die Dienste des Sklaven durch seine Bewachung entgolten werden, liegt gleichsam eine Mischung von Überlassungsverträgen vor; da aber kein Geld gezahlt wird, ist die Klage mit vorgeschriebener Formel zu gewähren; soll er aber nur für die Ernährung einstehen und ist nichts zu seiner Arbeit vereinbart, ist die Verwahrungsklage zuständig. (10) Bei der Verdingung und bei Geschäften, aus denen, wie gesagt, die Klage mit vorgeschriebener Formel zu gewähren ist, haben diejenigen, die den Sklaven übernehmen, sowohl für Arglist als auch für Fahrlässigkeit einzustehen, hingegen nur für Arglist, wenn sie nur für Nahrung sorgen. Wir müssen uns danach richten, was durch Aushang oder Vereinbarung bestimmt worden ist, aber beachten, dass diejenigen, die Sklaven aufnehmen, auch dann, wenn sie es ausgeschlossen haben, für Arglist einzustehen haben, deren Vermeidung unbedingt Gegenstand der Verwahrung ist.

Die Einordnung einer Vereinbarung, mit der ein Müller einen fremden Sklaven in seine Mühle übernimmt, hängt von Existenz und Art der Gegenleistung ab: Soll der Müller ein Entgelt in Form einer Geldzahlung erhalten, kann er mit der actio ex conducto belangt werden: Mit der Beaufsichtigung des Sklaven erbringt er als locator für den Eigentümer des Sklaven eine Dienstleistung, die dieser als conductor vergütet. Umgekehrt ist die Rollenverteilung, wenn der Müller ein in Geld bemessenes Entgelt an den Eigentümer zu leisten hat: Hier vermietet dieser als locator den Sklaven, für dessen Dienste der Müller als conductor einen Mietzins zu zahlen hat. Ist keine Geldzahlung vereinbart, liegt überhaupt keine locatio conductio vor. Welche Klage gegen den Müller zuständig ist, hängt davon ab, ob zwischen den Parteien ein Austausch gewollt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Aufsicht über den Sklaven durch dessen Dienste in der Mühle vergütet werden soll. Unter diesen Umständen werden zwei Varianten der locatio conductio miteinander kombiniert: Während der Müller die typische Leistung eines Dienstverpflichteten übernimmt, fällt dem Eigentümer des Sklaven die charakteristische Leistung eines Vermieters zu.340 Durchgesetzt werden kann diese Vereinbarung freilich nur mit der actio praescriptis verbis, weil die locatio conductio auf die

340 Es ist ein ,pretium depositionis non quasi mercedem‘, von dem Ulpian in D 47.8.2.23 Ulp 56 ed spricht; s. o. S. 30 f.

II. Anknüpfungspunkte

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Vergütung in Geld festgelegt ist.341 Soll der Sklave hingegen nicht in der Mühle arbeiten, der Müller ihn lediglich beaufsichtigen und unterhalten, liegt mangels Entgelt ein depositum vor, aus dem der Müller lediglich, aber auch unbedingt und ohne die Möglichkeit eines Haftungsausschlusses342 für seinen Vorsatz einzustehen hat. Bei allen Arten eines Leistungsaustauschs muss er hingegen auch für Fahrlässigkeit einstehen. Dies bedeutet, dass er bei Entwendung oder Flucht des Sklaven automatisch haftet; denn ganz unabhängig von der Ausgestaltung des Vertrags gilt, dass er ihn zur Bewachung erhalten hat (,servum custodiendum‘).343 Diese Aufgabe steht beim Dienstvertrag, dem gemischten Austauschvertrag und beim depositum im Zentrum der von ihm erwarteten Leistung. Er hat sie aber auch dann zu erfüllen, wenn der Sklave vermietet wird. Entscheidend ist allein, dass der Sklave im Zuge der Verdingung in die Obhut des Vertragspartners gerät und wieder zurückgewährt werden muss. Die Haftung für custodia ist damit ein durchgängiges Merkmal der locatio conductio und nicht daran gebunden, dass die Bewachung der Hauptzweck der Überlassung ist.344 Eben dies stellt Gaius in einem Text dar, der vermutlich eine Einheit mit seiner Sentenz zum ,mercedem accipere pro custodia‘ bildete.345 Er enthält die Komplementäraussage zu Fällen, in denen gerade kein Lohn für die Bewachung selbst vereinbart und der Schuldner dennoch einem ,periculum custodiae‘ unterworfen ist:346 D 4.9.5pr Gai 5 ed prov Nauta et caupo et stabularius mercedem accipiunt non pro custodia, sed nauta ut traiciat vectores, caupo ut viatores manere in caupona patiatur, stabularius ut permittat iumenta apud eum stabulari: et tamen custodiae nomine tenentur. nam et fullo et sarcinator non pro custodia, sed pro arte mercedem accipiunt, et tamen custodiae nomine ex locato tenentur. Schiffsleute, Gast- und Stallwirte erhalten ihren Lohn nicht für Bewachung, Schiffsleute vielmehr für den Transport von Passagieren, die Gastwirte für die Beherbergung von Reisenden und die Stallwirte für die Unterbringung von Tieren in ihrem Stall; und trotzdem haben sie für Bewachung einzustehen. Denn auch Reiniger und Schneider erhalten ihren Lohn nicht für Bewachung, sondern für ihr Handwerk und haben trotzdem aus der Verdingung für Bewachung einzustehen.

Die Bewachung muss keineswegs die Leistung sein, für die ein Vertragspartner bezahlt wird, um eine Haftung für custodia auszulösen.347 Dies zeigt nicht nur 341

S. Artner (Fn. 156), S. 190 f. In dieser Hinsicht nimmt Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 141 eine Interpolation des Textes an. 343 Vgl. MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 197 f. 344 Vgl. auch Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 223. 345 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 198 (Gai 119). 346 So für die Schiffs- und Wirtsleuten D 47.5.1.4 Ulp 38 ed; s. o. S. 28 f. 347 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 332 f. weist darauf hin, dass Gaius custodia in diesem Kontext nicht mit dem Verb ,praestare‘ verbindet, hält die Fälle aber trotzdem für ähnlich. 342

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der Fall der Schiffs- und Wirtsleute,348 die ihre Vergütung für Transport oder Unterkunft von Menschen oder Tieren erhalten.349 Es gilt auch in den klassischen Fällen des fullo und sarcinator, bei denen es nicht Bewachung, sondern die Reinigung oder Bearbeitung der ihnen überlassenen Kleider ist, die in einem Austauschverhältnis zum Lohn ist.350 Obwohl die Bewachung der überlassenen Sachen nicht besonders vergütet wird, müssen sie doch alle hierfür einstehen. Bei nauta, caupo und stabularius ist die Einstandspflicht nach dem einschlägigen Edikt eigentlich objektiv und erst nachträglich durch eine Ausnahme für höhere Gewalt auf eine Verschuldenshaftung reduziert worden;351 bei fullo und sarcinator handelt es sich von vornherein um eine Haftung für culpa, die aber in Kombination mit ihrer Bewachungsaufgabe zu einer automatisch einsetzenden Einstandspflicht für gewaltlosen Sachverlust führt.352 Grundlage ist hier wie dort die Pflicht zur Rückgabe der ihnen anvertrauten Sachen. Sie erlaubt es, ungeachtet des anders gearteten Hauptzwecks des Vertrags davon zu sprechen, dass ihnen Sachen zur custodia überlassen worden sind.353 Dies stellt Ulpian in seiner laudatio des Edikts zum receptum nautarum eigens fest:354 D 4.9.1.1 Ulp 14 ed Maxima utilitas est huius edicti, quia necesse est plerumque eorum fidem sequi et res custodiae eorum committere. ne quisquam putet graviter hoc adversus eos constitutum: nam est in ipsorum arbitrio, ne quem recipiant, et nisi hoc esset statutum,

348

S. o. S. 73. Dass custodia hier als Oberbegriff erscheint, unter den auch die eigentlich nicht dazugehörende Haftung aufgrund des receptum nautarum fällt, glaubt Földi, RIDA 40 (1993) 263, 284 ff. Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 153 f. nimmt hingegen an, dass es sich um eine Sondermeinung von Gaius handelt. Dass es weder um die custodia-Haftung im technischen Sinne noch um die Haftung aus dem receptum, sondern um die Verschuldenshaftung aus Vertrag geht, meint Robaye, L’obligation de garde, S. 93 f., 179 ff. Eine Aussage über den Haftungsstandard vermissen Lusignani, Studi sulla responsabilià, Bd. 1, S. 42 und MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 163 f., während Cannata, Ricerche sulla responsabilità, S. 49 sie gerade in ,custodia nomine teneri‘ erkennt. Ebenso Cardilli, L’obligazione di praestare, S. 492 f. 350 Dass deren Haftung inhaltlich mit der aufgrund des receptum nautarum übereinstimmt, will Robaye, L’obligation de garde, S. 181 f. in Abrede stellen. Eine Differenz erkennt auch Fercia (Fn. 241), S. 206 f. – Zum Gegenstand einer nachträglich entstandenen Glosse erklärt den Vergleich mit fullo und sarcinator Feenstra, Deux textes, S. 114 f., 118. Weiterreichende Interpolationsvermutungen stellt van Oven, TR 24 (1956) 137, 151 ff. an. 351 S. o. S. 57 ff. 352 S. o. S. 19 ff. 353 Dies gilt entgegen Robaye, L’obligation de garde, S. 86, Kordasiewicz, RIDA 58 (2011) 193, 198 f. auch für eine locatio navis, sofern der conductor nicht auch die Schiffsleitung stellt. 354 Robaye, L’obligation de garde, S. 88 sieht hier die von der Haftung gelöste ,materielle‘ custodia im Sinne einer Bewachungsaktivität angesprochen. 349

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materia daretur cum furibus adversus eos quos recipiunt coeundi, cum ne nunc quidem abstineant huiusmodi fraudibus. Dieses Edikt ist von größten Nutzen, weil man ihnen [den Schiffs- und Wirtsleuten] häufig vertrauen und Sachen zur Bewachung überlassen muss. Und niemand soll glauben, dass gegen sie zu hart verfahren würde; denn es steht in ihrem Belieben, jemanden aufzunehmen, und wenn es diese Bestimmung nicht gäbe, würde ihnen die Gelegenheit gegeben, mit Dieben gegen die aufgenommenen Personen gemeinsame Sache zu machen, zumal sie noch nicht einmal jetzt vor solchen Missetaten zurückschrecken.

b) Custodia als Nebensache: societas und mandatum Gibt es Verträge, die nicht geradezu auf die Bewachung gerichtet sind, diese dem Schuldner aber gleichwohl als Nebenleistung aufbürden, verwundert nicht, dass wir auf eine custodia-Haftung auch jenseits der locatio conductio treffen. Um die Einstandspflicht eines Gesellschafters geht es in dem folgenden Passus aus Ulpians Kommentierung des Edikts über die actio pro socio:355 D 17.2.52.3 Ulp 31 ed Damna quae imprudentibus accidunt, hoc est damna fatalia, socii non cogentur praestare: ideoque si pecus aestimatum datum sit et id latrocinio aut incendio perierit, commune damnum est, si nihil dolo aut culpa acciderit eius, qui aestimatum pecus acceperit: quod si a furibus subreptum sit, proprium eius detrimentum est, quia custodiam praestare debuit, qui aestimatum accepit. haec vera sunt, et pro socio erit actio, si modo societatis contrahendae causa pascenda data sunt quamvis aestimata. Für Schäden, die unvorhergesehen, also durch Schicksalsschlag, eintreten, brauchen die Gesellschafter nicht einzustehen; daher ist, wenn Vieh zum Schätzwert überlassen worden und durch Raub oder Feuer verlorengegangen ist, der Schaden gemeinschaftlich zu tragen, wenn keine Arglist oder Fahrlässigkeit desjenigen im Spiel ist, der das Vieh zum Schätzwert übernommen hat; ist es aber von Dieben entwendet worden, fällt es zu seinem Schaden aus, weil für Bewachung einstehen muss, wer es zum Schätzwert übernommen hat. Dies alles gilt und die Gesellschafterklage ist zuständig, wenn das Vieh, und sei es zum Schätzwert, im Rahmen des Gesellschaftsvertrags zum Weiden überlassen worden ist.

Obwohl die Gesellschaft kein Austauschvertrag ist, müssen die socii, wie Ulpian im unmittelbar vorangehenden Abschnitt seiner Kommentierung allgemein festgestellt hat,356 einander auch für culpa einstehen.357 Dies führt im Fall eines Diebstahls automatisch zur Haftung eines Gesellschafters mit der actio pro so355

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 626 (Ulp 922). D 17.2.52.2 Ulp 31 ed.; Lenel a. a. O. schiebt zwischen die beiden Abschnitte noch D 17.2.26 und D 17.2.49 ein. Wieacker, Haftungsformen des römischen Gesellschaftsrechts, SZ 54 (1934) 35, 46 ff. nimmt an, schon in § 2 des Fragments habe Ulpian ursprünglich statt von culpa von custodia gesprochen, wobei der zitierte Celsus das Regime der locatio conductio auf den Arbeitsgesellschafter übertragen habe. Ebenso noch Harke, Argumenta Iuventiana, Berlin 1999, S. 101 f. 357 Vgl. auch D 50.17.23 Ulp 29 Sab; s. o. S. 86 f. 356

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cio,358 wenn er in Vollzug der Gesellschaft Sachen seines Partners in seine Obhut und custodia damit zumindest als Nebenaufgabe übernommen hat.359 Er muss aber nicht für höhere Gewalt einstehen,360 und dies sogar dann, wenn er die Sachen seines Sozius zum Schätzwert übernommen hat. Anders als bei der Mitgift, wo eine solche Vereinbarung zur Folge hat, dass Sachen als gekauft gelten und in jeder Hinsicht auf die Gefahr des Ehemannes gehen,361 kommt eine vergleichbare Wirkung bei der societas nicht in Betracht.362 Dabei muss man nicht unterstellen, die Bestimmung des Schätzwertes diene bloß der Ergebnisverteilung,363 sondern kann durchaus annehmen, dass sie auch oder allein dazu gedacht ist, den Haftungsumfang für den Fall eines Sachverlustes festzulegen.364 Denn der Gesellschafter, dem die Sachen überlassen werden, soll sie nicht zu Eigentum erwerben, und wird im Rahmen des von allen Vertragspartnern zu verfolgenden Gesellschaftszwecks tätig. Immerhin genügt die Übernahme der Sachen aber, um einen Vertrag, dessen Zweck die gemeinschaftliche und gemeinnützige Geschäftsführung ist,365 um eine Aufgabe anzureichern, die zusammen mit dem Haftungsstandard von culpa zu einer automatischen Haftung für gewaltlosen Sachverlust führt.366 In gleicher Weise kann die custodia-Haftung auch beim anderen vertraglichen Geschäftsführungsverhältnis, dem mandatum, begründet werden. Ungeachtet des einseitigen Vertragsnutzens führt es zumindest nach einer umstrittenen Ansicht367 zu einer umfassenden Haftung des Auftragnehmers für Fahrlässigkeit. Dies macht die Abgrenzung zum depositum wichtig, das den Verwahrer im Fall seines dolus einstandspflichtig macht. Einer Entscheidung über die Zuordnung zu einer der beiden Vertragsarten bedarf es insbesondere in dem folgenden Fall, von

358 Zum Verhältnis zu der Entscheidung für eine actio praescriptis verbis in D 19.5.13.1 Ulp 30 ed Meissel, Societas. Struktur und Typenvielfalt des römischen Gesellschaftsvertrags, Wien 2004, S. 186. 359 Dass es hier um eine custodia-Haftung wie bei der locatio conductio geht, nehmen zu Recht Kaser, Grenzfragen, S. 292 und Meissel (Fn. 358), S. 182 f. an. 360 Den entsprechenden Einschub verdächtigt Paris, La responsabilité de custodia, S. 144. 361 S. o. S. 47 f. 362 Vgl. Rosenthal, SZ 68 (1951) 217, 229. 363 Dies glaubt Meissel (Fn. 358), S. 183. 364 Die aestimatio erscheint hier als ratio dubitandi für den Ausschluss einer Haftung für höhere Gewalt und nicht etwa, wie MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 168, 215 meint, als Grund der Haftung. 365 Vgl. Harke, Societas als Geschäftsführung und das klassische römische Obligationensystem, TR 72 (2005) 43 ff. 366 Dies nimmt trotz umfangreicher Kritik an dem überlieferten Text im Ergebnis auch Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 191 f. an. 367 S. o. Fn. 142.

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dem Ulpian in seiner Kommentierung des Edikts über die Klagen aus Verwahrung368 berichtet: D 16.3.1.12–13 Ulp 30 ed Quod si rem tibi dedi, ut, si Titius rem non recepisset, tu custodires, nec eam recepit, videndum est, utrum depositi tantum an et mandati actio sit. et Pomponius dubitat: puto tamen mandati esse actionem, quia plenius fuit mandatum habens et custodiae legem. (13) Idem Pomponius quaerit, si tibi mandavero, ut rem ab aliquo meo nomine receptam custodias, idque feceris, mandati an depositi tenearis. et magis probat mandati esse actionem, quia hic est primus contractus. Habe ich dir eine Sache gegeben, damit du sie bewachst, wenn Titius sie nicht übernimmt, und hat er sie nicht übernommen, müssen wir zusehen, ob nur die Verwahrungs- oder auch die Auftragsklage zuständig ist. Und Pomponius hat Zweifel; ich glaube aber, dass die Auftragsklage zuständig ist, weil er einen weiterreichenden Auftrag mit der Bewachung als besonderer Vorgabe hatte. (13) Pomponius wirft auch die Frage auf, ob du dann, wenn ich dir aufgegeben habe, eine Sache zu bewachen, die du von einem Dritten in meinem Namen erhalten hast, und du dies tust, mit der Auftrags- oder mit der Verwahrungsklage haftest. Und er spricht sich eher dafür aus, dass die Auftragsklage zuständig sei, weil dieser Vertrag vorangeht.

Soll jemand eine Sache beaufsichtigen, die er nicht von ihrem Eigentümer bekommen, sondern in seinem Namen von einem Dritten abgeholt hat, ist nach Ansicht des von Ulpian zitierten Pomponius allein die Auftragsklage zuständig.369 Denn die zeitlich vorangehende und in der Sache überwiegende Leistung ist die Empfangnahme der Sache im Namen des Eigentümers. Sie kann nur Gegenstand eines mandatum sein. Für diesen Vertragstyp entscheidet sich Ulpian auch in einem weiteren Fall, zu dessen Lösung sich Pomponius vielleicht noch nicht durchringen konnte: Erhält jemand eine Sache vom Eigentümer, um sie einem Dritten zur Bewachung anzuvertrauen oder, falls dieser dazu nicht bereit ist, selbst zu bewachen, ist aus Ulpians Sicht gleichfalls die actio mandati die richtige Klage. Der Schwerpunkt der Leistung liegt für ihn auch hier in dem Auftreten gegenüber dem Dritten, das nicht zu einem reinen Verwahrungsverhältnis passt und sich nur in dem weiterreichenden Vertragstyp des Auftrags (,plenius fuit mandatum habens‘) unterbringen lässt. Zwar ist umgekehrt das mandatum eigentlich nicht auf eine Bewachungsleistung zugeschnitten; sie widerstrebt seiner Natur aber auch nicht. Der Auftrag lässt durchaus Raum für eine ,lex custodiae‘ und 368

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 613 (Ulp 890). In D 17.1.8pr Ulp 31 ed beruft sich Ulpian in einem verwandten Fall auf Labeo: Si procuratorem dedero nec instrumenta mihi causae reddat, qua actione mihi teneatur? et Labeo putat mandati eum teneri nec esse probabilem sententiam existimantium ex hac causa agi posse depositi: uniuscuiusque enim contractus initium spectandum et causam. („Habe ich einen Prozessvertreter bestellt und gibt dieser mir nicht die Prozessunterlagen zurück, stellt sich die Frage, mit welcher Klage er mir haftet. Labeo glaubt, er hafte mit der Auftragsklage, die Ansicht derer, die meinen, aus diesem Grund könne die Verwahrungsklage erhoben werden, sei nicht zu teilen. Es sei nämlich bei allen Verträgen auf den Beginn und Grund zu sehen.“). 369

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ermöglicht damit auch hier die vertragliche Begründung einer Haftung für Bewachung. Dies bekundet Paulus eigens im Rahmen seines bekannten Traktats zu den gemischten Verträgen:370 D 19.5.5.4 Paul 5 quaest Sed si facio ut facias, haec species tractatus plures recipit. nam si pacti sumus, ut tu a meo debitore Carthagine exigas, ego a tuo Romae, vel ut tu in meo, ego in tuo solo aedificem, et ego aedificavi et tu cessas, in priorem speciem mandatum quodammodo intervenisse videtur, sine quo exigi pecunia alieno nomine non potest: quamvis enim et impendia sequantur, tamen mutuum officium praestamus et potest mandatum ex pacto etiam naturam suam excedere (possum enim tibi mandare, ut et custodiam mihi praestes et non plus impendas in exigendo quam decem): et si eandem quantitatem impenderemus, nulla dubitatio est. Sin autem alter fecit, ut et hic mandatum intervenisse videatur, quasi refundamus invicem impensas: neque enim de re tua tibi mando. sed tutius erit et in insulis fabricandis et in debitoribus exigendis praescriptis verbis dari actionem, quae actio similis erit mandati actioni, quemadmodum in superioribus casibus locationi et emptioni. In dem Fall, dass ich etwas tue, damit du etwas tust, bedarf es aber einiger Überlegungen. Haben wir nämlich vereinbart, dass du eine Schuld von meinem Schuldner in Karthago einziehst und ich von deinem in Rom oder dass du auf meinem Grund baust, ich auf deinem baue, und habe ich gebaut und du nicht, ist im ersten Fall ersichtlich ein Auftrag zustande gekommen, ohne den man nicht in fremdem Namen einen Geldbetrag einziehen kann; obwohl nämlich Aufwendungen damit verbunden sind, leisten wir uns gegenseitig Dienste, und der Auftrag kann aufgrund eines Pakts über seinen eigentlichen Inhalt hinausgehen (ich kann dich nämlich beauftragen, dass du mir für Bewachung einzustehen hast und beim Einzug nicht mehr als zehn aufwendest); und wenn wir denselben Betrag aufwenden, besteht kein Zweifel. Wenn der andere tätig geworden ist, so dass auch hier ein Auftrag vorliegt und wir uns gegenseitig die Aufwendungen erstatten müssen; und ich beauftrage dich auch nicht zur Erledigung deiner eigenen Angelegenheiten. Aber es ist sicherer, auch bei der Errichtung von Wohnblöcken und beim Einzug von Schuldnern die Klage mit vorgeschriebener Formel zu gewähren; sie ist ähnlich der Auftragsklage, so wie sie in den oben genannten Fällen den Klagen aus Verdingung und Kauf ähnelt.

Obwohl die Überlieferung insoweit gestört ist, als der mit ,sin autem‘ eingeleitete Konditionalsatz im überlieferten Text keine Anknüpfung in einem passenden Hauptsatz findet,371 liegt der Sinn der Ausführungen doch klar zutage: Paulus behandelt einen Fall, in dem sich zwei Kontrahenten gegenseitig mit derselben Tätigkeit, namentlich dem Einzug von Forderungen oder der Errichtung von Wohnblöcken, betrauen. Paulus hält es zwar im Ergebnis für ,tutius‘, bei einer Störung der Vertragsdurchführung eine actio praescriptis verbis nach dem Vorbild der Auftragsklage zu gewähren. Zuvor stellt er aber dar, warum die Grenzen 370 Lenel, Paligenesia, Bd. 1, Sp. 1195 (Paul 1322) ordnet ihn im Originalwerk der quaestiones einem Abschnitt über den Kaufvertrag zu. 371 Während Mommsen hier eine Passage einfügen will, die den Fall der Beauftragung zur Bauführung betrifft, spricht sich Schmidt-Ott (Fn. 102), S. 228 dafür aus, den Satz auf das Vorangegangene zu beziehen.

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des Auftragsrechts keineswegs zwingend erreicht sind. Man kann die Vereinbarung nämlich so deuten, dass beide Parteien der jeweils anderen ein mandatum erteilen und zugleich bestimmen, dass die hieraus entspringenden Ansprüche auf Aufwendungsersatz verrechnet werden sollen.372 Dies gelingt freilich nur, wenn sie sich auch decken. Soll eine Seite einen zu ihren Gunsten bestehenden Überschuss geltend machen können, ist eher ein Austausch der vereinbarten Leistungen bezweckt. Eine vollständige Deckung muss sich aber nicht von selbst ergeben und damit dem Zufall überlassen sein, sondern kann auch durch eine Vereinbarung erreicht werden, wonach der Aufwendungsersatz jeweils auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist.373 Paulus hält eine solche Vereinbarung noch mit der ,natura‘ des mandatum für vereinbar und fügt hinzu, dass dieser auch aufnahmefähig für ein ,custodiam praestare‘ ist. Die Folge einer solchen Abrede, die vor allem zu dem Fall des gegenseitigen Forderungseinzugs passt, wäre, dass der Auftragnehmer automatisch für einen Sachverlust einzustehen hat, den er nicht auf höhere Gewalt zurückführen kann. Vor der Wahl zwischen einem nur durch dolus-Haftung bewehrten depositum und einem mandatum, das auch eine Einstandspflicht für culpa mit sich bringen kann, stehen die Juristen auch im Fall des sogenannten Frauenguts, der paraferna. In seinem Sabinuskommentar unterscheidet Ulpian es von der Mitgift374 und widmet sich ausführlich den einschlägigen Rechtsfragen: D 23.3.9.3 Ulp 31 Sab Ceterum si res dentur in ea, quae Graeci ðáñÜöåñíá dicunt quaeque Galli peculium appellant, videamus, an statim efficiuntur mariti. et putem, si sic dentur ut fiant, effici mariti, et cum distractum fuerit matrimonium, non vindicari oportet, sed condici, nec dotis actione peti, ut divus Marcus et imperator noster cum patre rescripserunt. plane si rerum libellus marito detur, ut Romae volgo fieri videmus (nam mulier res, quas solet in usu habere in domo mariti neque in dotem dat, in libellum solet conferre eumque libellum marito offerre, ut is subscribat, quasi res acceperit, et velut chirographum eius uxor retinet res quae libello continentur in domum eius se intulisse): hae igitur res an mariti fiant, videamus. et non puto, non quod non ei traduntur (quid enim interest, inferantur volente eo in domum eius an ei tradantur?), sed quia non puto hoc agi inter virum et uxorem, ut dominium ad eum transferatur, sed magis ut certum sit in domum eius illata, ne, si quandoque separatio fiat, negetur: et plerumque custodiam earum maritus repromittit, nisi mulieri commissae sint. videbimus harum rerum nomine, si non reddantur, utrum rerum amotarum an depo372

Insoweit richtig Schmidt-Ott (Fn. 102), S. 228 f. Dies verkennt Artner (Fn. 156), S. 194 f., der glaubt, die Erledigung des gegenläufigen Auftrags könne selbst schon als eine Form von Aufwendungsersatz angesehen werden. Mit der forma mandati in Einklang zu bringen ist aber allenfalls eine Kompensation der beiderseitigen Erstattungsansprüche. Geht man hiervon aus, besteht umgekehrt auch kein Anlass für den von Schmidt-Ott (Fn. 102), S. 230 f. geäußerten Interpolationsverdacht. 374 Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 1136 (Ulp 2557) ordnet es dem Abschnitt ,de rebus in dotem datis‘ zu; vgl. auch Harke, S. 129 ff. 373

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siti an mandati mulier agere possit. et si custodia marito committitur, depositi vel mandati agi poterit: si minus, agetur rerum amotarum, si animo amoventis maritus eas retineat, aut ad exhibendum, si non amovere eas connisus est. Werden hingegen Sachen übergeben, um in das Vermögen zu gelangen, das die Griechen Frauengut, die Gallier Sondergut nennen, müssen wir zusehen, ob sie sofort dem Ehemann gehören. Und ich glaube dies, wenn sie so überlassen werden, dass sie dem Ehemann gehören; und wenn die Ehe aufgelöst wird, können sie nicht vindiziert, sondern müssen kondiziert werden, und sie können auch nicht mit der Mitgiftklage gefordert werden, wie der göttliche Mark Aurel und unser Kaiser zusammen mit seinem Vater befunden haben. Sind die Sachen freilich nach einem Verzeichnis überlassen worden, wie wir dies in Rom gewöhnlich beobachten können (denn eine Frau trägt die Sachen, die sie gewöhnlich in Gebrauch hat und die sie nicht als Mitgift überlässt, üblicherweise in ein Verzeichnis ein und gibt dieses dem Ehemann, damit er durch seine Unterschrift den Empfang bestätigt, und die Ehefrau behält es als Bestätigung über die Einbringung der in dem Verzeichnis aufgeführten Sachen in seinen Haushalt), müssen wir zusehen, ob sie dem Ehemann gehören. Und ich glaube dies nicht, und zwar nicht, weil sie ihm nicht übergeben seien (was macht es denn für einen Unterschied, ob sie mit seinem Willen in seinen Haushalt eingebracht oder ihm regelrecht übergeben werden), sondern deshalb, weil die Ehegatten nicht bezwecken, das Eigentum auf den Mann zu übertragen, sondern vielmehr festzustellen, was in sein Haus eingebracht worden ist, damit dies im Fall der Scheidung nicht geleugnet wird; und häufig verspricht der Ehemann die Bewachung der Sachen, sofern sie nicht der Frau überlassen sind. Wir müssen zusehen, ob die Frau wegen dieser Sachen, wenn sie nicht zurückgegeben werden, die Klage wegen entwendeter Sachen, die Verwahrungs- oder die Auftragsklage erheben kann. Und falls sie dem Ehemann zur Bewachung überlassen worden sind, kann sie die Verwahrungs- oder die Auftragsklage erheben, falls nicht, die Klage wegen entwendeter Sachen, falls der Ehemann sie in der Absicht, sie zu entwenden, zurückbehält, oder die Vorlegungsklage, falls er nicht vorhatte, sie zu entwenden.

Die von der Ehefrau neben der Mitgift in die Ehe eingebrachten Sachen sind vor allem solche ihres täglichen Gebrauchs.375 Ebenso wie die Dotalgegenstände können sie in das Vermögen des Ehemannes übergehen. Als treuhänderisch zu verwaltendes Gut sind sie nach Auflösung der Ehe mit der condictio zurück zu gewähren. Eher anzunehmen ist aus Ulpians Sicht aber, dass die Frau Eigentümerin der zu ihrem Sondergut gehörenden Sachen bleibt. Hiergegen spricht auch nicht der Brauch, sie in ein Register aufzunehmen, das Ulpian weniger als Zeichen ihrer Übereignung denn als Quittung ansieht, mit der ihre Rückforderung erleichtert wird. Diese erfolgt entweder unter dem Vorwurf der Unterschlagung mit der actio rerum amotarum376 oder zumindest mit der Vorlegungsklage, die den Eigentumsherausgabeanspruch der Frau begleitet377. In dem häufigen Fall, dass der Ehemann die Bewachung der in sein Haus eingebrachten Sachen zuge375 Dass der von Ulpian in Bezug genommene Begriff der paraferna nicht scharf ist, zeigt Wolff, Zur Geschichte der parapherna, SZ 72 (1955) 335 ff. 376 Hierzu Wacke, Actio rerum amotarum, Köln/Graz 1963, S. 71 f. 377 Hierzu Harke, Libri, S. 63 f.

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sagt hat, will Ulpian die actio depositi oder actio mandati gewähren.378 Während die versprochene custodia dort den Hauptzweck des Vertrags, hier dagegen nur eine mögliche Ergänzung der geschuldeten Geschäftsführung bedeutet, sind die Haftungsfolgen wohl gleich: Beim mandatum bewirkt das Zusammentreffen der Bewachungszusage mit der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung, dass der Ehemann automatisch für einen gewaltfreien Sachverlust einzustehen hat; beim depositum ergibt sich dies daraus, dass die eigentlich auf Vorsatz beschränkte Einstandspflicht durch das besondere Versprechen von Bewachung auf culpa erstreckt wird.379 2. Custodia und periculum: der Kaufvertrag Deutet Ulpian auch nur an, dass es bei der paraferna zu einer custodia-Haftung kommt, gibt seine Darstellung immerhin einen Hinweis darauf, warum sie bei Dotalsachen eben nicht zum Zuge kommt, obwohl die Haftung mit der actio rei uxoriae auch den Fall culpa einschließt:380 Ulpian erwägt eine Haftung aus übernommener Bewachung von vornherein nur bei Sachen, die nicht in das Eigentum des Mannes gewechselt sind. Eben dies geschieht aber mit den Dingen, die zur dos gehören. Auch wenn sie ein Sondervermögen bilden, das der Frau schon vor seiner Auskehr in gewisser Weise zugeordnet ist,381 wirkt sich der Übergang in das Eigentum des Mannes doch zumindest in der Weise aus, dass ihm keine Bewachung wie in den Fällen obliegen kann, in dem ihm eine fremde Sache überlassen ist.382 Für eine custodia-Haftung ist also grundsätzlich nur dann Raum, wenn der Schuldner selbst Eigentümer der zu bewachenden Sachen ist. Daher kommt sie vermutlich auch bei einer fiducia nicht zum Zuge,383 obwohl diese, wenn sie als Sicherungsübereignung mit einem Gläubiger eingegangen wird, dieselbe Funktion wie ein Pfandvertrag hat. Nur scheinbar im Widerspruch zu dieser Regel steht die custodia-Haftung eines Verkäufers. Sie beruht auf dem Veräußerungscharakter der emptio venditio, der bewirkt, dass die Kaufsache im Verhältnis der Parteien untereinander schon ab dem Vertragsschluss dem Vermögen des Käufers zugerechnet wird.384 Hieraus 378 Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 348 erkennt hier einen Beleg für seine These, dass custodia gewöhnlich Gegenstand eines ausdrücklichen oder unterstellten Leistungsversprechens ist. 379 S. o. S. 96. 380 D 23.3.17pr Paul 7 Sab, D 23.4.72.1 Paul 8 resp; vgl. auch D 50.17.23 Ulp 29 Sab, s. o. S. 86 ff. 381 Hierzu vor allem Stagl, Favor dotis, Wien u. a. 2009 passim. 382 Hingegen glaubt Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 147 ff., der Ehemann hafte zwar für culpa, aber nicht für Einhaltung von diligentia. 383 Zu D 13.7.22pr Ulp 30 ed s. o. S. 38 ff. 384 Vgl. etwa Ernst, Periculum est emptoris, SZ 96 (1979) 216 ff.; Bauer (Fn. 110), S. 62; und Wolf, Per una storia della emptio venditio: l’acquisto in contanti quale sfondo della compravendita romana, IVRA 52 (2001) 29 ff.

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folgt nicht nur die Regel vom periculum emptoris, sondern auch eine besondere Haftung des Verkäufers: Obwohl er noch bis zur Übergabe ihr Eigentümer ist, steht er dem Käufer gegenüber doch wie ein Entleiher, der eine fremde Sache innehat und diese an den Berechtigten herausgeben muss. Dies sagt Paulus eigens in einem schon untersuchten Passus aus seinem Sabinuskommentar: D 18.6.3 Paul 5 Sab Custodiam autem venditor talem praestare debet, quam praestant hi quibus res commodata est . . . Der Verkäufer muss aber für eine solche Bewachung einstehen, für die ein Entleiher einzustehen hat . . .

Folgt die Einstandspflicht für custodia aus dem Veräußerungscharakter als einem wesentlichen Strukturmerkmal der emptio venditio, muss sie im klassischen Recht auch automatisch mit dem bloßen Abschluss eines Kaufvertrags einsetzen. Zu ihrer Rückführung auf ein besonderes Garantieversprechen sehen sich erst die Verfasser der justinianischen Institutionen veranlasst.385 Jenseits der gewöhnlichen Bedeutung von custodia liegt die Verwendung des Begriffs in Ulpians Traktat zum Weinkauf 386 aus dem 28. Buch seines Sabinuskommentars.387 Hier widmet sich Ulpian zwei verschiedenen Risiken, die jeweils durch eine besondere vertragliche Bestimmung bewältigt werden. Zum einen geht es um die Gefahr eines Qualitätsmangels durch Säure- oder Schimmelbildung, die mit Hilfe einer degustatio verteilt wird, zum anderen um das Risiko eines Sach- oder Quantitätsverlustes, über dessen Zuordnung eine mensura entscheidet. Zuerst legt er dar, dass die Gefahr eines Qualitätsverlustes bis zur Verkostung den Verkäufer und danach den Käufer trifft.388 Erst ab diesem Zeitpunkt ist der Wein ,plenissime‘ verkauft, so dass die Grundregel des periculum emptoris eingreifen kann:389 D 18.6.1pr Ulp 28 Sab Si vinum venditum acuerit vel quid aliud vitii sustinuerit, emptoris erit damnum, quemadmodum si vinum esset effusum vel vasis contusis vel qua alia ex causa. sed si venditor se periculo subiecit, in id tempus periculum sustinebit, quoad se subiecit: quod si non designavit tempus, eatenus periculum sustinere debet, quoad degustetur vinum, videlicet quasi tunc plenissime veneat, cum fuerit degustatum. aut igitur con385

Vgl. IJ 3.23.3a; s. o. S. 7 ff. Gegenläufigen Interpolationsannahmen von erheblicher Tragweite unterwerfen es Lusignani, Studi sulla responsabilità, Bd. 2, S. 58 ff. und Schulz, KritVjschr 14 (1912) 22, 76 ff. 387 Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 1121 f. (Ulp 2717 f.). Zu dieser Abhandlung im Ganzen Harke, Libri, S. 240 ff. 388 Dabei kann es entgegen Jakab, Periculum und Praxis: Vertragliche Abreden beim Verkauf von Wein, SZ 121 (2004) 213 ff. keinen Unterschied machen, in welchem Moment der Weinproduktion und -vermarktung die degustatio erfolgen soll. 389 Deshalb gelten Säure- oder Schimmelbildung aber entgegen Pennitz, Das periculum, S. 304 nicht als eine Form des Sachuntergangs. 386

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venit, quoad periculum vini sustineat, et eatenus sustinebit, aut non convenit et usque ad degustationem sustinebit. sed si nondum sunt degustata, signata tamen ab emptore vasa vel dolia, consequenter dicemus adhuc periculum esse venditoris, nisi si aliud convenit. Ist verkaufter Wein sauer oder auf andere Weise mangelhaft geworden, geht dies zulasten des Käufers, und zwar ebenso, wie wenn Wein durch Zerstörung der Gefäße oder aus einem anderen Grund ausgelaufen ist. Hat der Verkäufer aber die Gefahr übernommen, muss er diese für den Zeitraum tragen, für den er sie übernommen habt; hat er aber keine Zeit angegeben, muss er die Gefahr bis zur Verkostung tragen, weil er nämlich mit der Verkostung vollkommen verkauft ist. Es ist also entweder vereinbart, wie lange der Verkäufer die Gefahr in Bezug auf den Wein trägt, und dann trägt er sie so lange; oder es ist nichts vereinbart, und er trägt sie bis zur Verkostung. Hat der Käufer aber vor der Verkostung die Gefäße oder Fässer gekennzeichnet, müssen wir folgerichtig sagen, dass die Gefahr noch den Verkäufer trifft, falls nichts anderes vereinbart ist.

Die Zuweisung der Gefahr eines Qualitätsverlustes vermag aber nichts daran zu ändern, dass den Käufer schon das Risiko eines Quantitäts- oder gar völligen Sachverlustes trifft. Umverteilt wird diese Gefahr entweder nur bei vollständiger Übernahme des gesamten periculum durch den Verkäufer390 oder durch die Vereinbarung einer gemeinsamen Zumessung:391 D 18.6.1.1 Ulp 28 Sab Sed et custodiam ad diem mensurae venditor praestare debet: priusquam enim admetiatur vinum, prope quasi nondum venit. post mensuram factam venditoris desinit esse periculum: et ante mensuram periculo liberatur, si non ad mensuram vendidit, sed forte amphoras vel etiam singula dolia. Aber auch für Bewachung muss der Verkäufer bis zu dem Termin der Zumessung einstehen; vor der Zumessung des Weines ist dieser nämlich gleichsam nicht verkauft. Nach der Zumessung endet die Gefahrtragung durch den Verkäufer; und schon vor der Zumessung ist er von der Gefahr befreit, wenn er nicht unter Vereinbarung einer Zumessung verkauft hat, sondern etwa Amphoren oder auch einzelne Fässer.

Ebenso wie bei der Verkostung ist der Schluss auf die Risikozuweisung auch in diesem Fall unabweisbar:392 Wollen beide Parteien die Erfüllung der vertragliche Mengenvorgabe durch einen besonderen Akt sicherstellen, kann sich der Verkäufer nicht darauf berufen, ein vorher eingetretener Verlust, müsse nach der Regel vom periculum emptoris beurteilt werden. Diese kann erst ab der Zumessung eingreifen, während der Verkäufer bis dahin das Risiko trägt. Ulpian begründet dies damit, der Wein sei vorher ,prope quasi‘ noch gar nicht verkauft. Diese besonders

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Vgl. Pennitz, Das periculum, S. 307 f., 326 f. Den Unterschied zwischen Verkostung und Zumessung stellt auch Paulus in D 18.1.34.5 Paul 33 ed heraus; vgl. auch Jakab (Fn. 388), S. 207 f. 392 Und daher entgegen Pennitz, Das periculum, S. 326 f. durchaus auf den Parteiwillen zurückzuführen. 391

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vage Formulierung erhellt, dass Ulpian den Kauf nicht etwa mangels ausreichender Konkretisierung seines Gegenstands für gänzlich unwirksam393 oder etwa mit Sabinus394 für nur bedingt abgeschlossen hält. Nach Ulpians Auffassung ist der Kauf, auch soweit er sich auf einen Anteil eines bestimmten Vorrats bezieht,395 gültig zustande gekommen und unbedingt; seine gewöhnlichen Rechtsfolgen bleiben aber wegen der Vereinbarung einer mensura suspendiert.396 Diese bewirkt, dass der Verkäufer den Kaufpreis nur für die Menge Wein verlangen kann, die er dem Käufer bei der mensura vorzuweisen hat. Spricht Ulpian hier von ,custodiam praestare‘, meint er also keine Haftung.397 Vielmehr sucht er nach einem Ausdruck, um die zuvor gemachte Aussage, der Wein sei gleichsam noch gar nicht verkauft, zu konkretisieren. Statt eine automatisch einsetzende Haftung für gewaltfreien Sachverlust zu beschreiben, möchte er verdeutlichen, dass der Verkäufer insofern die Gefahr trägt.398 Dementsprechend spricht Gaius, der sich anders als Ulpian nicht um eine Abgrenzung von Quantitäts- und Qualitätsverlust bemüht, auch unumwunden davon, dass der Verkäufer bis zur Zumessung ,omne periculum‘ zu tragen hat: D 18.1.35.7 Gai 10 ed prov Sed et si ex doleario pars vini venierit, veluti metretae centum, verissimum est (quod et constare videtur) antequam admetiatur, omne periculum ad venditorem pertinere: 393 Dies nimmt aber Pennitz, Das periculum, S. 326 f. an; vgl. auch ders., Die Gefahrtragung beim Weinverkauf im klassischen römischen Recht, TR 62 (1994) 282 f., 291. 394 D 18.1.35.5 Gai 10 ed prov. Ebenso entscheidet die kaiserliche Kanzlei noch zu Ulpians Wirkungszeit; vgl. CJ 4.48.2pr (28. März 223). 395 Vgl. D 18.1.35.7 Gai 10 ed prov, sogleich im Text. 396 Ernst, Gattungskauf und Lieferungskauf im römischen Recht, SZ 114 (1997) 272, 302 f., 312 will dieses Phänomen mit Hilfe der Differenzierung zwischen Rechtsakt und Rechtsverhältnis bewältigen. 397 Dies erkennen Pflüger, SZ 65 (1947) 121, 211 und Sargenti, SDHI 20 (1954) 127, 224 f., die den Text aber einem umfangreichen Interpolationsverdacht unterwerfen. Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 310 will custodia durch periculum ersetzen. Anderer Ansicht ist anscheinend Jakab (Fn. 388), S. 240 f. und SZ 121 (2004) 228, die aber zugibt, dass es hier nicht auf die gewöhnliche Unterscheidung zwischen gewaltfreiem Sachverlust und vis maior ankommt. Vgl. auch Pennitz, Das periculum, S. 399. – Dass Ulpian eine gewöhnliche culpa-Haftung meint, nehmen MacCormack, SZ 89 (1972) 149, 183 ff. und Robaye, L’obligation de garde, S. 380 f. an. Von einer Interpolation geht hingegen Metro, L’obligazione di custodire, S. 200 f. aus. 398 Anders ist die Bedeutung von custodia ersichtlich in den Aussagen von Gaius und Paulus in D 18.6.2.1 Gai 2 rer cott (s. o. S. 54 f., 91 f.) und D 18.6.3 Paul 5 Sab (s. o. S. 69 f., 114), die von den byzantinischen Gesetzesredaktoren in das Ulpian-Traktat eingeflochten worden sind. Im Text des Paulus-Fragments ist überhaupt kein Bezug zum Weinkauf erkennbar; bei Gaius wird er erst durch ,ante admetiendi diem‘ hergestellt. So gelingt den Kompilatoren zwar formal eine Anknüpfung an die Ausführungen Ulpians; inhaltlich verfehlen sie diese aber völlig, weil sich die von Gaius behandelte Frage nach dem Haftungsstandard (dolus, culpa, diligentia) überhaupt nicht stellt, wenn custodia für eine Risikoübernahme durch den Verkäufer steht. Für echt hält den Bezug auf den Weinkauf hingegen Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 313 f.

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nec interest, unum pretium omnium centum metretarum in semel dictum sit an in singulos eos. Ist aber aus einem Weinkeller ein Anteil, wie etwa hundert Metreten, verkauft, ist völlig richtig (und steht geradezu fest), dass bis zur Zumessung die gesamte Gefahr den Verkäufer trifft; und es spielt keine Rolle, ob ein Gesamtpreis für alle hundert oder ein Preis für die einzelnen Metreten vereinbart ist.

Von einer regelrechten custodia-Haftung trennt diese Gefahrzuweisung zwar theoretisch, dass es dort um eine Ersatzpflicht, hier um die Preisgefahr geht. Im praktischen Ergebnis läuft beides jedoch vielfach auf dasselbe hinaus. Denn ein Käufer kann die durch das periculum emptoris verstärkte Verpflichtung zur Preiszahlung just dadurch abwenden, dass er auf eine gegenläufige Haftung des Verkäufers verweist. Bietet sich der Begriff custodia in gleichsam metaphorischer Verwendung also durchaus an, um eine Umverteilung der Gefahr auf den Verkäufer anzuzeigen, gilt dies erst recht im Fall einer mensura; denn der Verkäufer muss, um die ihm so aufgebürdete Gefahr zu beherrschen, eben das tun, was ihn auch vor dem Risiko einer gewaltfreien Sachentwendung schützt: Er muss die Kaufsache bewachen. Ist die Sanktion auch nicht der Haftung für culpa, sondern dem Synallagma überlassen, wird die custodia durch die Abrede über die Zumessung dennoch zu seiner Aufgabe. In dieser Bedeutung erscheint custodia auch im weiteren Verlauf des Traktats. Ulpian erwähnt hier den Kauf „in Bausch und Bogen“ (aversione), bei dem keine degustatio erfolgen und der Käufer mit dem Risiko eines Qualitätsmangels belastet sein soll.399 Dass die Parteien eine solche Rechtsfolge herbeiführen wollen, erscheint ihm derart unwahrscheinlich, dass er eine degustatio auch ohne besondere Abrede für stillschweigend vereinbart hält. Um den Verkäufer nicht übermäßig zu belasten, nimmt er aber an, dass die degustatio bis zu dem Moment erfolgen soll, in dem der Käufer sie im regulären Geschäftsgang vornehmen kann:400 D 18.6.4.1 Ulp 28 Sab Si aversione vinum venit, custodia tantum praestanda est. ex hoc apparet, si non ita vinum venit, ut degustaretur, neque acorem neque mucorem venditorem praestare debere, sed omne periculum ad emptorem pertinere: difficile autem est, ut quisquam sic emat, ut ne degustet. quare si dies degustationi adiectus non erit, quandoque degustare emptor poterit et quoad degustaverit, periculum acoris et mucoris ad venditorem pertinebit: dies enim degustationi praestitutus meliorem condicionem emptoris facit. Ist Wein pauschal verkauft worden, ist nur für Bewachung einzustehen. Hieraus folgt, dass, wenn der Wein nicht mit der Maßgabe verkauft worden ist, dass er verkostet wird, der Verkäufer weder für Säure- noch für Schimmelbildung einstehen 399 Treffend Pennitz, TR 62 (1994) 286; anders anscheinend ders., Das periculum, S. 318 f. und Jakab (Fn. 388), S. 255 f., wonach der Kauf aversione vor allem eine mensura entbehrlich machen soll. Der Begriff kann seine konkrete Bedeutung aber nur aus dem Kontext gewinnen, in dem es um einen Verkauf ohne degustatio geht. 400 Richtig Pennitz, Das periculum, S. 320 ff.

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6. Kap.: Was ist custodia und von wem wird sie erwartet?

muss, sondern alle Gefahr den Käufer trifft; es ist aber schwerlich anzunehmen, dass jemand ohne Verkostung Wein kauft. Ist kein Termin für die Verkostung vereinbart worden, trägt der Verkäufer daher die Gefahr von Versauerung und Schimmelbildung bis zu dem Moment, in dem der Käufer die Verkostung vornehmen konnte oder vorgenommen hat; die Bestimmung eines Termins für die Verkostung verbessert nämlich die Rechtsposition des Käufers.

Falls sich die Parteien doch bewusst gegen eine degustatio entscheiden, gilt, dass der Käufer im Hinblick auf die Qualität ,omne periculum‘ trägt und der Verkäufer „nur“ (tantum) für custodia eintreten muss. Gemeint ist damit wieder das Risiko des Quantitäts- oder vollständigen Sachverlusts, das von einer Vereinbarung über die degustatio unberührt bleibt.401 Es kann nur durch eine Regelung zur mensura beeinflusst werden. Auch insoweit ist theoretisch ein Kauf ,per aversionem‘ denkbar,402 aber praktisch nahezu ausgeschlossen, weil sich die Zumessung ebenso von selbst versteht wie die Verkostung: D 18.6.4.2 Ulp 28 Sab Vino autem per aversionem vendito finis custodiae est avehendi tempus. quod ita erit accipiendum, si adiectum tempus est: ceterum si non sit adiectum, videndum, ne infinitam custodiam non debeat venditor. et est verius secundum ea quae supra ostendimus, aut interesse, quid de tempore actum sit, aut denuntiare ei, ut tollat vinum: certe antequam ad vindemiam fuerint dolia necessaria, debet avehi vinum. Ist aber Wein pauschal verkauft worden, endet die Pflicht zur Bewachung mit der Abholung. Dies ist dann anzunehmen, wenn ein Termin bestimmt worden ist; ist er hingegen nicht bestimmt worden, müssen wir zusehen, ob der Verkäufer die Bewachung ohne zeitliche Begrenzung schuldet. Und nach dem, was wir oben darstellt haben, ist es richtiger, dass es entweder auf die Vereinbarung des Zeitpunkts ankommt oder der Verkäufer den Käufer zur Abholung gemahnt hat; sicherlich muss er den Wein abholen, bevor die Fässer für die neue Weinernte gebraucht werden.

Ist von der konkludenten Vereinbarung einer Zumessung auszugehen, bedeutet dies, dass der Verkäufer das hiermit verbundene Risiko bis zu ihrer Vornahme trägt. Er kann den Käufer aber mahnen und so den Gefahrübergang herbeiführen. Auch wenn er hiervon absieht, endet seine custodia spätestens in dem Moment, in dem er die Behälter für die neue Ernte braucht. Gemeint ist wiederum nicht eine Haftung des Verkäufers, sondern das Risiko des Quantitäts- oder Sachverlustes, das mangels Vollwirksamkeit des Kaufs vor der mensura noch den Verkäufer trifft. Abschirmen kann er es am besten durch die Bewachung der Kaufsache, die ihm hier zwar zur Aufgabe gemacht, aber nicht zum Anknüpfungspunkt einer Verschuldenshaftung, sondern der Gefahrverteilung wird.403 401 Ungeachtet seiner Interpolationsvermutung für D 18.6.1.1 (s. o. Fn. 397) geht Serrano-Vicente, Custodiam praestare, S. 311 f. davon aus, dass custodia hier echt und auch im wörtlichen Sinne von Bewachung gemeint ist. 402 Hierauf bezieht sich Modestin, wenn er in D 18.1.62.2 (5 reg) dem Käufer die gesamte Gefahr zuweist. 403 Anders Pennitz, Das periculum, S. 403, der auch insoweit wieder von einer custodia-Haftung im technischen Sinne ausgeht.

Fazit Die Summe ist rasch gezogen: Custodia bezeichnet keine Garantie-, sondern eine Verschuldenshaftung, die aber zumindest bei einem von dritter Seite verübten Diebstahl ohne Rücksicht auf das individuelle Verhalten des Schuldners einsetzt. Grund ist die Unterscheidung zwischen einer gewaltfreien Sachentwendung und einem Eingriff, bei dem der Täter Gewalt anwendet. Da sich die gewaltlose Sachentwendung durch eine gehörige Beaufsichtigung der Sache oder ihren Verschluss zuverlässig verhindern lässt, erlaubt der bloße Sachverlust den Schluss auf eine Vernachlässigung der gebotenen Sorgfalt durch den Schuldner. Der Diebstahl unterscheidet sich insoweit nicht von dem Fall, in dem der Schuldner die Sache selbst verloren hat. Auch hier ist evident, dass der Schuldner nicht die gehörige Sorgfalt hat walten lassen. Praktisch lassen sich beide Konstellationen zumeist ohnehin nicht auseinanderhalten, weil der Schuldner nur jeweils den Sachverlust einzugestehen hat, ohne sich auf eine Gewaltanwendung berufen zu können. Der Automatismus, mit dem ein gewaltloser Sachverlust dem Schuldner den Vorwurf der culpa einträgt, erklärt, warum die Einstandspflicht für custodia den römischen Juristen einerseits als Verschuldenshaftung gilt, andererseits aber auch eine Sonderrolle spielt. Belegt der ohne Gewaltanwendung herbeigeführte Sachverlust ohne Weiteres die culpa des Schuldners, gibt es keinen Widerstreit zwischen den Quellen, die einem custodia-Pflichtigen automatisch die Haftung aufbürden sowie die Aktivlegitimation zur actio furti zusprechen, und den Aussagen, die custodia mit einem Verschuldensvorwurf in Verbindung bringen. Hierzu gehören nicht nur die Texte, in denen custodia geradezu synonym mit culpa oder als deren Unterfall erscheint. Daneben gibt es zahlreiche klassische Quellen, in denen entweder allgemein der Standard der Haftung eines custodiaPflichtigen auf ein bestimmtes Maß an diligentia festgelegt wird oder diese sogar direkt zur Beschreibung der zu erwartenden Bewachungsleistung dient. Zu einer Beurteilung nach dem individuellen Handlungsspielraum, den der Schuldner im konkreten Fall hat, kommt es aber nur in den Fällen von Gewaltanwendung, nachdem diese in Überwindung der älteren Ansicht von Neraz und Julian nicht mehr generell von der Haftung ausgenommen sind. Da sich die hier gebotene Einzelfallbetrachtung in der Grundkonstellation des einfachen Diebstahls nach wie vor erübrigt, bleibt die hierdurch begründete custodia-Haftung auch in der Spätklassik eine Besonderheit, die plausibel erscheinen lässt, warum sie auch in Quellen aus dieser Zeit zuweilen neben culpa und diligentia erwähnt wird. Es gibt hingegen keinen einzigen Beleg dafür, dass die Haftung

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Fazit

für ein gewöhnliches furtum daran scheitert, dass es an einer culpa des custodia-Pflichtigen fehlt. Diese strenge Haftung für Sachverlust trifft nicht jeden Schuldner, der für sein Verschulden einzustehen hat. Culpa als Haftungskriterium ist nur ein Faktor, der um einen weiteren ergänzt werden muss, um eine automatische Einstandspflicht für gewaltfreien Sachverlust zu zeitigen. Es ist die Aufgabe der Bewachung, die einem Schuldner deshalb gestellt ist, weil er im Rahmen einer vertraglichen Verbindung eine Sache erhält, die seinem Vertragspartner gehört und diesem zurückgegeben werden muss. Beim depositum ist diese Aufgabe geradezu prägend für den Vertragstyp. Just hier fehlt es jedoch an einer umfassenden Verantwortlichkeit für culpa, die auch durch Ausdehnung der Arglisthaftung auf Fälle grober Fahrlässigkeit nicht erreicht wird und sich nur aus einer besonderen Vereinbarung ergeben kann. Zu einer Kombination von vertraglich übernommener Bewachungsaufgabe und culpa-Haftung kommt es hingegen bei einer Verpfändung und auch bei einem Nießbrauch, wenn die Parteien durch eine cautio usufructuaria verbunden sind. Sie besteht ferner beim commodatum, in allen Fällen der locatio conductio und kann sich auch aus einer societas oder einem mandatum ergeben. Bei der emptio venditio trifft die custodia-Haftung den Verkäufer, weil die Kaufsache, obwohl sie sich bis zur Übergabe noch in seinem Eigentum befindet, ab dem Vertragsschluss schon dem Vermögen des Käufers zugerechnet wird. Eine vergleichbare Zuschreibung findet aber weder bei der Mitgift noch bei einer fiducia statt, wo jeweils das Eigentum des zur Rückgabe verpflichteten Schuldners einer custodia-Haftung entgegensteht. Von dieser gibt es auch keine Spuren bei nicht vertraglich begründeten Herausgabepflichten. Zwar kann den Schuldner hier die parallele Haftung für die Flucht eines Sklaven treffen, wenn er mit dieser zu rechnen hat. Ob er dem rechtswidrigen Eingriff eines Dritten wehren muss, entscheidet sich jedoch im Einzelfall und versteht sich mangels selbstbestimmt übernommener Bewachungsaufgabe auch bei gewaltfreier Sachentwendung nicht von selbst.

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39, 41 Fn. 128 39, 41 Fn. 128 19 ff. 19 ff. 92 76 Fn. 253

Pauli sententiae 2.4.3 2.12.2 2.12.3 2.12.4 2.18.3 2.31.17

63 f. 93 93 93 102 37 Fn. 112

Collatio legum Mosaicarum et Romanarum 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.6 10.8 10.9

47 f., 54 47 f. 47 f. 47 f. 21 f. 96 Fn. 305 56

Corpus Iuris Civilis Insitutiones Iustiniani 3.14.2 3.14.3 3.14.4 3.23.3 3.23.3a 3.24.5 4.1.13

68 f. 94 Fn. 301 10 f. 11 7 ff., 114 Fn. 385 8 ff., 52 Fn. 164, 68 Fn. 221, 69 Fn. 224 41 f.

124 4.1.14 4.1.15 4.1.16 4.1.17

Quellenverzeichnis 41 f. 20 ff. 20 ff. 31 Fn. 89

Digesta 1.15.3.2 4.9.1.1 4.9.3.1 4.9.5pr 4.9.5.1 6.1.21 6.1.36.1 7.1.13.2 7.9.1pr 7.9.1.7 7.9.2 9.1.2pr 12.7.2 13.6.5.2 13.6.5.3 13.6.5.4 13.6.5.5 13.6.5.6 13.6.5.9 13.6.5.10 13.6.5.13 13.6.5.14 13.6.5.15 13.6.10.1 13.6.12pr 13.6.18pr 13.6.19 13.7.13.1 13.7.22pr 13.7.30 16.3.1pr 16.3.1.4 16.3.1.6 16.3.1.8 16.3.1.9 16.3.1.10

102 f. 28 Fn. 78, 106 f. 28 Fn. 79, 57 f., 73 Fn. 237 105 f. 73 88, 97 Fn. 310 87, 97 Fn. 310 98 Fn. 313 98 Fn. 315 98 Fn. 312 97 75 21 f. Fn. 61, 82 45 f., 54 45 f. 51 f. 69 88 f. 69 47 Fn. 144 82 f., 87 Fn. 280 25 f. 22 Fn. 61, 59 f., 63 Fn. 204, 65 Fn. 211, 91 Fn. 288 24, 46 Fn. 137 24 9 Fn. 7, 52 ff., 63 Fn. 206, 67 Fn. 219, 86 Fn. 278 71 ff. 51 Fn. 158, 61 34 Fn. 103, 38 ff., 113 Fn. 380 52 93 94 Fn. 302 96 93 Fn. 298, 99 93 Fn. 298, 103 f. 103 f.

Quellenverzeichnis 16.3.1.12 16.3.1.13 16.3.6 16.3.1.35 16.3.32 17.1.10.1 17.1.18pr 17.1.26.7 17.2.26 17.2.49 17.2.52.3 17.2.52.3 18.1.35.4 18.1.35.7 18.1.62.5 18.4.21 18.6.1pr 18.6.1.1 18.6.2.1 18.6.3 18.6.4.1 18.6.4.2 18.6.12 18.6.15.1 19.1.31pr 19.1.36 19.2.13.6 19.2.29 19.2.40 19.2.41 19.2.55pr 19.2.60.2 19.2.60.6 19.2.60.9 19.5.5.4 19.5.13.1 19.5.17.2 19.5.17.4 19.5.20.2 23.3.9.3 23.3.10 23.3.12

109 f. 109 f. 93 f. 32 Fn. 95, 60 f., 96 f. 95 47 Fn. 142 109 Fn. 369 47 Fn. 142 107 Fn. 356 107 Fn. 356 107 Fn. 356 107 f. 9 ff., 66 Fn. 217 116 f. 118 Fn. 402 34 Fn. 102 114 f. 115 f., 118 Fn. 401 54 f., 66 Fn. 216, 91 f., 116 Fn. 398, 116 Fn. 398 69 f., 114, 116 Fn. 398 117 f. 118 70 29 77 64 f., 98 Fn. 313 81 76 Fn. 256 73 Fn. 238, 99 74 ff. 102 21 Fn. 61 100 101 110 f. 108 Fn. 358 83 f. 55 50 f. 111 ff. 47 Fn. 141 47 Fn. 141

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126 23.3.14 23.3.16 23.3.17 23.4.72.1 28.5.70 39.2.18.8 39.2.18.9 39.2.38pr 44.7.1.4 44.7.1.5 44.7.1.6 47.2.12pr 47.2.12.2 47.2.14pr 47.2.14.1 47.2.14.2 47.2.14.3 47.2.14.4 47.2.14.5 47.2.14.6 47.2.14.7 47.2.14.10 47.2.14.11 47.2.14.12 47.2.14.15 47.2.14.16 47.2.14.17 47.2.15pr 47.2.46.4 47.2.48.4 47.2.52.9 47.2.77.1 47.2.80 47.2.81pr 47.2.86 47.2.88 47.2.91 47.5.1.4 47.8.2.22 47.8.2.23 50.16.9 50.17.23

Quellenverzeichnis 47 Fn. 141 47 Fn. 141 113 Fn. 380 113 Fn. 380 83 Fn. 267 65 f., 98 Fn. 313 65 f., 98 Fn. 313 66, 98 Fn. 313 67 f. 94 f. 11 24 f., 32 f. 39 f. 35 f., 64 Fn. 208, 77 Fn. 259 35 33 31 22 Fn. 63 40 Fn. 123 43 f. 40 Fn. 123 49 f., 72 Fn. 233 30 f. Fn. 88 32 f. 23 f. 26 f., 33 27 f., 57 Fn. 182 41 40 22 f. 21 f. Fn. 61, 49 f. Fn. 151 22 Fn. 63 42 34 ff. 32 Fn. 93, 33 40 21 f. Fn. 61 28 f., 57 Fn. 182, 105 Fn. 36 43 f. Fn. 133 30 f., 46 Fn. 138, 76 Fn. 255, 105 Fn. 340 75 47 Fn. 142, 86 f., 107 Fn. 357, 113 Fn. 380

Quellenverzeichnis Codex Iustinianus 4.24.5 4.24.8 4.34.1 4.65.1 4.65.4 4.65.28 6.2.22 8.13.19

48 f. 84 95 f. 56, 100 Fn. 324 101 f. 51 Fn. 158, 62 21 Fn. 60 51 Fn. 158, 61 f.

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