128 47 9MB
German Pages 851 [852] Year 2015
I
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 195
II
III
Philipp S. Fischinger
Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht
Mohr Siebeck
Philipp S. Fischinger, geboren 1979 in Schwäbisch Hall, aufgewachsen in Ellwangen-Hardt; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg; 2006 Promotion; 2008–09 LL.M. Studium an der Harvard Law School (USA); 2009–10 Visiting Researcher an der Harvard Law School (USA); 2010–14 Akademischer Rat a.Z. und Habilitand bei Prof. Dr. Martin Löhnig, Universität Regensburg; seit 2014 Ordinarius an der Universität Mannheim.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
e-ISBN PDF 978-3-16-153866-7 ISBN 978-3-16-153539-0 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel-Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
V
Meiner Mutter, meinem Vater (1931–1990) sowie meinem Bruder Johannes (1962–2015) in Liebe und Dankbarkeit
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VII
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 als Habilitationsschrift von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg angenommen. Größten Anteil nicht nur an diesem Werk, sondern meinem gesamten beruflichen Werdegang der letzten zehn Jahre hatte mein verehrter Habilitationsbetreuer, Herr Professor Dr. Martin Löhnig, der mir stets ein Höchstmaß an Unterstützung und akademischer Freiheit angedeihen ließ. Ein besserer Chef und Förderer ist nicht denkbar. Nicht nur dafür danke ich ihm von ganzem Herzen. Herzlich danken möchte ich ferner Herrn Professor Dr. Herbert Roth (Regensburg), vor allem für die Erstellung des Zweitgutachtens in Rekordzeit, ohne das der Ruf an die Universität Mannheim vermutlich nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus danke ich den Mitgliedern des Fachmentorats, Herrn Professor Dr. Jürgen Kühling und Herrn Professor Dr. Reinhard Richardi (beide Regensburg). Herrn Richardi gebührt zudem ein herausragender Dank dafür, dass er meine ersten Schritte in der akademischen Welt zielsicher gesteuert und – vor nachgerade Urzeiten – meine Promotion betreut und mich an seinem Lehrstuhl aufgenommen hat. Nicht nur deshalb ist er mir sehr ans Herz gewachsen. Dem Verlag Mohr Siebeck danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Studien zum Privatrecht“. Für das Korrekturlesen des – viel zu lang geratenen – Werks danke ich Frau Rechtsreferendarin Stefanie Franz, Frau Julia Güthling (LL.B.), Frau Jana Retkowsky, Frau Christine Straub (LL.B.), Herrn Benedikt Brüß, Herrn Jonathan Godwyll, Herrn Jan Phillip Hamm (LL.B.), Herrn Pierre Klotz und Herrn Manuel Scheiber. Dank gebührt auch meiner Sekretärin, Frau Ulrike Müller, die eine unverzichtbare Hilfe ist. Danken möchte ich ferner allen Mitarbeitern des Lehrstuhls Löhnig an der Universität Regensburg, vor allem Frau Caroline Berger, für all die schönen und lustigen Stunden während der letzten Jahre. Diese in gewisser Weise viel zu schnell verflossene Zeit wird mir stets in allerbester Erinnerung bleiben. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. em. Rainer Gömmel und seiner lieben Ehefrau Heiderose, ohne die ich niemals an der Universität Regensburg gelandet wäre und mein Leben mit Sicherheit eine ganz andere Richtung genommen hätte.
VIII
Vorwort
Schließlich danke ich meiner Mutter, Frau Olga Fischinger-Traub, für die uneingeschränkte und bedingungslose Unterstützung während der (allzu?) langen Jahre des Studierens und Forschens. Ihr, meinem 1990 verstorbenen Vater und meinem 2015 verstorbenen Bruder Johannes, ist die Arbeit in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Rechtsprechung und Literatur sind grundsätzlich bis einschließlich Januar 2014 eingearbeitet, vereinzelt konnten auch noch später erschienene Quellen berücksichtigt werden. Philipp S. Fischinger
Regensburg/Mannheim im Mai 2015
IX
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
§ 1 Grundlagen A. Einleitung
........................................................
1
B. Begriff der „Haftung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
C. Haftungsbegründung und -begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
D. Untersuchungsgegenstand und Gang der weiteren Darstellung . . . . . . .
14
E. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
F. Der verfassungsrechtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente A. Haftungshöchstsummen
.........................................
29
B. Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH . . . . . . . 243 E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
§ 3 Übergreifende Aspekte A. Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen:
Abzugsrecht des Richters?
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten . . . . . . . . . . . 657
X
Inhaltsübersicht
D. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industrie-
gesellschaften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse A. Die wichtigsten Ergebnisse des Grundlagenkapitels (§ 1)
. . . . . . . . 763
B. Die wichtigsten Ergebnisse in Bezug auf die einzelnen
Haftungsbeschränkungsinstrumente (§ 2)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
C. Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Kapitel
„Übergreifende Aspekte“ (§ 3)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
Sach- und Paragraphenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811
XI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
§ 1 Grundlagen A. Einleitung
.........................................................
1
B. Begriff der „Haftung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
I. Der Haftungsbegriff als Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
II. Die klassische Lehre der Dichotomie von „schulden“ und „haften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
III. Abweichende Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
IV. Haftungsbegriff im Sinne dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung als „verpflichtet sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Beschränkung auf Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 8 9
C. Haftungsbegründung und -begrenzung
..........................
9
I. Haftungsbeschränkung bei Abweichung vom gesetzlichen „Regelfall“ ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. Orientierung an den Beweislastregelungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 III. Orientierung an den Einwendungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herausnahme rechtshindernder Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht zu untersuchende rechtsvernichtende/-hemmende Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Untersuchungsgegenstand und Gang der weiteren Darstellung E. Forschungsstand
12 12 12 12
. . 14
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
XII
Inhaltsverzeichnis
F. Der verfassungsrechtliche Rahmen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
I. Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Zum sachlichen Schutzbereich der Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . 16 2. Abgrenzung Enteignung versus Inhalts- und Schrankenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen „Formeln“ zur Inhaltsbestimmung des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Formeln . . . . . . . 3. Grundlagen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen eines Gleichheitsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 21 23 25
III. Die Schutzpflichtdimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausprägung: Pflicht zum Normerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26 27 28
19
§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente A. Haftungshöchstsummen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
I. Begriff und dogmatische Verortung als Schuldbeschränkung . . . . 29 II. Systematisierung und Bestandsaufnahme des geltenden Rechts . . 29 1. Anwendungsbereich: Charakteristikum von Tatbeständen verschuldensunabhängiger Haftung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Typisierungen der Haftungshöchstsummen . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Gesetzliche Anordnung versus „Vertragslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Globalgrenzen versus Einzelgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Abstrakte Haftungshöchstsummen versus Anküpfung an einzelfallrelevante Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
III. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation von Haftungshöchstsummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Beschränkung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Rechtstradition als Rechtfertigung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Isoliert) Schutz vor ruinöser und damit prohibitiv wirkender Haftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) (Isoliert) Versicherbarkeit des Haftungsrisikos? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Gerechter“ Ausgleich für strenge Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 37 39 39 40 42
Inhaltsverzeichnis
XIII
aa) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zweispurigkeit des geltenden Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sachgerechter Interessenausgleich; Zusammenhang zum Versicherbarkeitsargument und zum Schutz vor potentiell ruinöser, prohibitiv wirkender Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kein Gegenargument aus atypischen Konstellationen . . . . . . . . ee) Änderung durch Einführung der Restschuldbefreiung? . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 43
46 49 49 51
2. Beschränkung verschuldensabhängiger Haftungstatbestände . 51 a) Die verschiedenen Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
IV. Verfassungsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Verfassungskonformität von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen . . . . . . . . . . . 54 a) Verstoß gegen Art. 3 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen Art. 14 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstoß gegen staatliche Schutzpflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geltung auch bei Verdrängung der allgemeinen (deliktischen) Haftungsregelungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 55 55 55 58 63
2. Verstößt die Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen gegen Art. 3 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Genus proximum der weiteren Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsmaßstab . . . . . . . . . . bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfolgen des Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) §§ 29, 30 BJagdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 53 I LuftVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) § 14 S. 2 BImSchG, § 11 LuftVG, § 7 VI AtomG, § 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) § 906 II 2 BGB (analog) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) §§ 414, 451, 455 II, 468 III HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 65 65 65 68 68 69 70 70 71 75
3. Unvereinbarkeit der Bereichsausnahme für Grundstücke (§ 10 III HaftpflichtG, § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG) mit Art. 3 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) § 10 III HaftpflichtG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
4. Verfassungswidrigkeit der summenmäßigen Beschränkung verschuldensabhängiger Tatbestände ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
XIV
Inhaltsverzeichnis
a) § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) . . . . . aa) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Legitimes Differenzierungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eignung und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) §§ 18, 12, 12a StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 675v I 2, 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Verfassungswidrige Berechnungsmaßstäbe im handelsrechtlichen Transportrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) b) c) d) e)
Fracht- und Speditionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umzugsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seefrachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Neuregelungsvorschläge für den Fracht-, Speditionsund Umzugsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 82 82 83 83 86 86 88 89 89 92 93 93 94
V. Problematik der „Überalterung“ von Haftungshöchstsummen .
95
VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation . . . . . . . . . . . . a) Verschuldensunabhängige Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschuldensabhängige Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 96 97 97 99
3. Verfassungsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
a) Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bereichsausnahmen für Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftungshöchstsummen bei Verschuldenstatbeständen . . . . . . . . . e) Berechnungsmaßstäbe im handelsrechtlichen Transportrecht . . . .
99 100 100 101 101
4. Aktualisierung von Haftungshöchstbeträgen . . . . . . . . . . . . . . . 101
B. Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
I. Hintergründe, Bedeutung und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Restschuldbefreiungsverfahrens – Verletzung von Art. 14 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung? . . . . . . . . . 105 c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Restschuldbefreiung . . 109
Inhaltsverzeichnis
aa) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit des Restschuldbefreiungsverfahrens zur Erreichung dieses Ziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens . . . . . . . dd) Angemessenheit/Proportionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 109 112 114 115
2. Verfassungswidrigkeit einzelner Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Zivilrechtsdogmatische Einordnung der Restschuldbefreiung . . 123 1. Unvollkommene Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Die Restschuldbefreiung als unvollkommene Verbindlichkeit mit untypischem Entstehungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die Erteilung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Begründet der Beschluss über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags (§ 287a I InsO) ein „Anwartschaftsrecht“ auf Schuldumwandlung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3. Rechtsfolgen der Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) b) c) d) e)
Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Abtretung, § 398 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Unbegründetheit einer Klage auf Erfüllung der von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4. Dogmatische Einordnung des Widerrufs der Restschuldbefreiung (§ 303 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Zivilrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
I. Einführung: Einstandsverbindlichkeit des Erben . . . . . . . . . . . . . . 1. Arten der Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die konfligierenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 140 141 141 142 142 142 143
a) b) c) d) e)
Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigengläubiger des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenausgleich als Aufgabe des erbrechtlichen Haftungsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
4. Gang der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Die einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . 145 1. (Inventarerrichtung, §§ 1993 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
XVI
Inhaltsverzeichnis
a) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Heutige Gesetzesfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
2. Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Zweck der Nachlassverwaltung vor dem historischen Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) (Praktische) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Das Schicksal der Haftungsbeschränkung bei Beendigung der Nachlassverwaltung, insbesondere: §§ 1990 ff. BGB analog? . . . . . 148
3. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Zweck und Rechtsfolge der Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen bei Beendigung des Nachlassinsolvenzverfahrens . . aa) Unproblematische Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gantverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfragen des § 1989 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 153 153 154 154
4. Das Aufgebotsverfahren samt Ausschließungseinrede, §§ 1970 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5. Die Verschweigungseinrede, § 1974 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit auf nach Fristablauf entstandene Forderungen . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Argumente Muschelers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 160 160 160 161 161
6. Die Dürftigkeitseinrede, § 1990 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Historischer Hintergrund: Die Abzugseinrede des Ersten Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweck der heutigen Gesetzesregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die verschiedenen Einreden des § 1990 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflichten des Erben infolge der Einredeerhebung . . . . . . . . . . . . . . e) Abmilderung der asymmetrischen Haftungsstruktur via § 784 II ZPO analog, §§ 1991 I, 1978 I, 280 BGB . . . . . . . . . . . . aa) Problembeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 165 165 167 168 168 169 170 179
7. Die Überschwerungseinrede des § 1992 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
8. Die dilatorischen Einreden der §§ 2014, 2015 BGB . . . . . . . . . . 182 a) Dreimonatseinrede, § 2014 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Einrede des Aufgebotsverfahrens, § 2015 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Inhaltsverzeichnis
XVII
9. Haftung des Erben bei Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . 183 a) Keine Beschränkung der Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Schutz des Nachlasses vor den Eigengläubigern . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Dogmatische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
10. Keine Wirkung auf Sicherungsgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Dogmatische Einordnung der Vermögenssonderung . . . . . . . . . . . 186 1. Die verschiedenen Erklärungsmodelle (anhand der §§ 1975 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Vollständiger Wegfall der Schuld des Erben (Die Lehre vom „Nachlass als [Quasi-] Rechtssubjekt“ beziehungsweise „selbständiges Sondervermögen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbe als persönlicher Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Lehre von der Verengung der persönlichen Schuld“ . . . . . . . bb) „Theorie der reinen Haftungsbeschränkung“ . . . . . . . . . . . . . . cc) Verdopplung der Subjektsqualität des Erben (Die „Lehre von der Personalunion des Erben“) . . . . . . . . . . . .
186 188 188 188 189
2. Anwendung dieser Auffassungen auf §§ 1973 f., 1990 ff. BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Ablehnung der Lehren vom „Nachlass als (Quasi-) Rechtssubjekt“ beziehungsweise vom „Nachlass als selbständiges Sondervermögen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorzugswürdigkeit der „Theorie der reinen Haftungsbeschränkung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Deklaratorischer Charakter des § 1629a III BGB . . . . . . . . . . . dd) Kein Widerspruch zwischen vollumfänglicher Schuld und eingeschränkter Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Widersprüchlichkeit und Nähe Marotzkes zur „Theorie vom Nachlass als (Quasi-)Rechtssubjekt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Entkräftung der Einwände Schröders gegen die hier vertretene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 192 192 193 193 194 195 195 205
4. Folgerungen aus der Qualifikation als reiner Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Schuldnerverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bei der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Im Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bei den Einreden der §§ 1973 f., 1990 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . b) Rückforderungsanspruch aus § 813 I 1 BGB bei Befriedigung eines Nachlassgläubigers aus dem Eigenvermögen? . . . . . . . . . . . . .
205 205 206 207 207
XVIII
Inhaltsverzeichnis
aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berücksichtigung im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 208 211 211
5. Sonderfall (1): Einreden aus §§ 2014, 2015 BGB . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Dogmatische Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befriedigung der Nachlassgläubiger; Fälligkeit; Fälligkeitszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eintritt von Schuldnerverzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 214 214 215
6. Sonderfall (2): Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7. Sonderformen der Beschränkung der Einstandsverbindlichkeit des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Originäre Haftung cum viribus, § 5 V 4 KonsularG . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung schon der Schuld des Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 1371 IV BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 1586b I 1, 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836 I 2, 1908i BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 218 218 219 220 222
IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der einzelnen Instrumente . . 224 1. Haftungsbeschränkung als Eingriff in Art. 14 GG . . . . . . . . . . 224 2. Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
3. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
4. § 1990 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
5. § 1992 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Eigengläubiger; nicht betroffene Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . 229 b) Betroffene Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
6. §§ 1973, 1974 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Eigengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Betroffene Nachlassgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
7. §§ 2014, 2015 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 8. Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 V. De lege ferenda: Diskussion punktueller Änderungsvorschläge . 234
XIX
Inhaltsverzeichnis
1. Schaffung einer explizit-zweiseitigen Haftungsstruktur im Rahmen des § 1990 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Anpassung der §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB sowie § 5 V 4 KonsularG an das allgemeine System der Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Ausgestaltung der Nachlassverwaltung als dauerhafte Haftungsbeschränkung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitfragen bei den einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Qualifikation als Haftungsbeschränkung . . . . . 3. Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorschläge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
238 238 240 242 243
. 243
I. Einleitung; Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . 243 II. Beschreibung und dogmatische Einordnung als Schuldbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimität des § 13 II GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Notwendigkeit einer Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Schutz des Gesellschafters/Förderung der Unternehmerinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Schutz des Gesellschafters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Förderung der Unternehmerinitative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Historischer Zweck der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitgehende Zweckkontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Änderung durch Schaffung der §§ 286 ff. InsO? . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 252 252 253 255 256
3. Einwand 1: Verminderter Sorgfaltsstandard der Geschäftsführer ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 4. Einwand 2: Missbrauchsgefahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5. Einwand 3: Korrespondenz von Herrschaft und Haftung als Funktionsbedingung einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Der ordoliberale Ansatz (Korrespondenzthese) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgangspunkt: Haftung als Baustein der marktwirtschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutungslosigkeit der Gesellschafterhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . d) Unbeherrschbarkeit des Unternehmerrisikos? . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Protektion gegen Kapitalverschleuderung/Sicherung vorsichtiger Kapitaldispositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259 260 261 262 263
XX
Inhaltsverzeichnis
f) Monopolisierungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Notwendiges Instrument zur „Bestenauslese“ . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haftungsbeschränkung als Gegenstand des Leistungswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Empirische Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265 268 270 270 272 274
6. Einwand 4: Korrespondenz von Herrschaft und Haftung als (bindendes) Rechtsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Meinungsstand und Gang der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . b) Zwingende Vorgabe für den Gesetzgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prägendes Dogma des geltenden Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Analyse des geltenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwendung auf die GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 276 278 278 282 282 284
7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 IV. Gläubigerschützende Instrumentarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Schutz durch Information (Publizitätspflichten) . . . . . . . . . . . . 285 a) b) c) d) e)
Personenbezogene Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe der Stammkapitalziffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweis auf die Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Publikation der Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 286 287 288 289
2. Selbstschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 3. Schutz durch das gesetzliche Mindeststammkapital . . . . . . . . . 290 a) Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Sonderfall Unternehmergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
4. Schutz durch Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO . . . . . . . . . . . 296 a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c) Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
5. Schutz per insolvenzrechtlicher Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen (§§ 39 I Nr. 5, 135 InsO) . . . . . . . . . . . . . 299 a) Rechtslage bis zum MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heutige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsdogmatische Legitimation der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO . . . . . aa) Entwurfsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zweckkontinuität: Fortbestand der Finanzierungsfolgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besonderes Näheverhältnis, Steuerungsmöglichkeit und Informationsvorsprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gegenstück zur Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
300 301 303 303 304 306 308
Inhaltsverzeichnis
XXI
ee) Gleichlauf von Chance und Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 ff) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 gg) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
6. Schutz vor Masseschmälerung bei insolvenzreifer GmbH, § 64 S. 1, 2, 4 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) b) c) d)
Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streit um die Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivlegitimation; Passivlegitimation der Gesellschafter? . . . . . . .
313 313 315 317
7. Schutz durch Insolvenzverursachungshaftung, § 64 S. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Normzweck; Verhältnis zu anderen Schutzinstrumenten . . . . . . . . 318 b) Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
8. Schutz bei existenzvernichtenden Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die frühere Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die aktuelle Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Meinungsstand in der Literatur (Skizze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsdogmatische Legitimation der Haftung . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruch der Gesellschaft aus §§ 280, 311 I BGB . . . . . . . . . . cc) Anspruch der Gesellschaft aus § 43 II GmbHG analog? . . . . . dd) Anspruch der Gesellschaft aus § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Außenhaftung infolge teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus § 826 BGB . . . . . . . gg) Verhältnis der Ansprüche von Gesellschaft und Gesellschaftsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320 322 322 323 326 327 327 329 343 344 344 345 350 353
9. Schutz vor materieller Unterkapitalisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Außenhaftung (Durchgriffshaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Innenhaftung (Normanwendungslehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ablehnung eines eigenständigen Haftungstatbestands … . . . . dd) … aber: eigenständige Fallgruppe bei § 826 BGB? . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische und systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
354 355 355 356 357 357 358 358 359 363
10. Schutz bei Vermögensvermischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 b) Voraussetzungen (nach BGH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 c) Rechtsfolgen und Methodik (nach BGH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
XXII
Inhaltsverzeichnis
d) Meinungsspektrum in der Literatur (Skizze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung der echten Durchgriffslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Außenhaftung im Gefolge einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Haftung gegenüber der Gesellschaft aus §§ 280, 311 I BGB . . ee) Verhältnis der Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger und der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367 369 369 369 374 374 377 381
11. Zusammenfassender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 V. Verfassungskonformität der geltenden Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Keine Verletzung von Art. 14 I GG als Abwehrrecht . . . . . . . . 383 2. Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 14 I GG? . . . . 383 VI. Bewertung der geltenden Rechtslage und Diskussion ausgewählter Neuregelungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Säule 1: Schadenssozialisierung mittels Pflichtversicherung . . 385 2. Säule 2: Privatautonomer informationeller Gläubigerschutz . . 388 a) Hinwendung zu einem System informationellen Gläubigerschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Punktueller Ausbau der Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nennung der Stammkapitalziffer auf Geschäftsbriefen . . . . . . bb) Eigenkapitalauskünfte auf Geschäftsbriefen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusätzlich: Pflicht zur rechtlichen Information potentieller Geschäftspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strengere „Sanktionen“ bei Publizitätsverstößen . . . . . . . . . . . . . . .
388 392 392 393 394 395
3. Säule 3: Kapitalorientierte Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . 395 a) Schaffung einer Unterkapitalisierungshaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansatz beim Stammkapital? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Traditionelle Funktionen des Stammkapitals und Kritik . . . . bb) Bewertung des Stammkapitalsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung der UG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Weiterentwicklung des geltenden Stammkapitalrechts . . . . . . c) (Pauschale) Beteiligung am Ausfallrisiko per Nachschusspflicht? . d) Ersetzung/Ergänzung der realen Kapitalaufbringung durch eine Kapitaldeckungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395 399 399 401 402 404 408 410
4. Säule 4: Erweiterung der „Verhaltenshaftung“ . . . . . . . . . . . . . . 415 a) Kein grundsätzliches Reformbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personelle Erweiterung des § 64 GmbHG auf Gesellschafter . . . . . c) Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . aa) Abschaffung der Rechtsprechungsregeln (§ 30 I 3 GmbHG n.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415 416 417 417 420
Inhaltsverzeichnis
XXIII
5. Säule 5: Schutz per Einschränkung des „Einsatzbereichs“ der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 a) Modellbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 b) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 c) Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
6. Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 VII. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Legitimität der Rechtsform der GmbH . . . . . 2. Streitfragen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorschläge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalorientierte Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Verhaltenshaftung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zum Formwechsel in AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
426 426 426 427 427 427 428 428 429
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429
a) b) c) d) e)
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 II. Erfasste Fallkonstellationen und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 1. Erfasste Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 a) b) c) d)
Haftung des schädigenden Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung gegenüber Arbeitskollegen/dem Unternehmer . . . . . . . . . Haftung anderer Personen, § 106 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Geschädigtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausschluss der Haftungsprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
430 430 432 434 434
2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 a) b) c) d)
Ausschluss von Personenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Ausschluss von Ansprüchen wegen Sachschäden . . . . . . . . . . Exkurs: Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung . . . aa) Versichertenrente, §§ 56 ff. SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungen an Hinterbliebene, §§ 63 ff. SGB VII . . . . . . . . . . . e) Keine cessio legis (§ 104 I 2 SGB VII) … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) … aber: Rückgriff nach § 110 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anrechnung, § 104 III SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anrechnung auf Schmerzensgeldansprüche . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
435 435 436 437 437 441 442 443 443 443 444 449
III. Dogmatische Qualifikation der §§ 104 ff. SGB VII . . . . . . . . . . . . . 450 1. Grundsatz: Vollständige Schuldbeschränkung in Form einer rechtshindernden Einwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
XXIV
Inhaltsverzeichnis
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 b) Verhältnis zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . 452
3. Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 a) Regress nach § 110 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 b) § 104 III SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
IV. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung der §§ 104–106 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 1. Liquiditätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
2. Friedensargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 a) b) c) d)
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
457 458 460 463
3. Finanzierungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 104 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 105 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 106 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463 463 463 464 467 469 472
4. Betriebs-/Gefahrengemeinschaftsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 a) b) c) d)
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
473 473 474 476
5. Die §§ 104 ff. SGB VII als Teil einer „sozialen Haftpflichtversicherung“ ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 6. Besondere Schutzbedürftigkeit des Schädigers bei fremdbestimmter und -nütziger Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) §§ 104, 105 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 106 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477 478 478 479 481
7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 V. Verfassungsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 1. Grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der §§ 104 ff. SGB VII . 486
Inhaltsverzeichnis
XXV
a) Verstoß gegen Art. 14 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 2 II 1 GG . . . . . . . c) Verstoß gegen Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungleichbehandlung auf Geschädigtenseite . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ungleichbehandlung auf Schädigerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis; Rechtsfolgen des Verfassungsverstoßes . . .
486 486 489 489 497 498
2. Vereinbarkeit des Ausschlusses von Schmerzensgeldansprüchen mit Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 VI. Schlussfolgerungen de lege ferenda: Streichung/ Änderung der §§ 105, 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII . . . . . . 504 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrechtliche Bewertung und Neuregelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
505 505 505 507
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
I. Einleitung; Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 II. Konzeptionelle Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 1. Alternative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 a) Tatbestandslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 b) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 c) Lösungsansätze auf Verschuldensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
2. Die Rechtsfolgenmodifikation der herrschenden Ansicht . . . . 513 a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 b) Rechtsfolge: Haftungsreduzierung nach Gesamtabwägung . . . . . . 514
III. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . 517 1. „Betriebsrisiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Organisationshoheit des Arbeitgebers/Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Cuius commodum, eius periculum/Fremdnützigkeit . . . . . . . cc) Menschliche Unzulänglichkeiten in einem Dauerschuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Weitere (Hilfs-)Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bewertung; Parallelen zu § 105 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung des Betriebsrisikos als „Schadensverursachungszurechnungsgrund“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tragweite des Betriebsrisikogedankens Teil 1 – Grundsätzliche Ausgestaltung der Haftungsprivilegierung . . . . . . aa) Keine Haftung bei leichtester Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . bb) Volle Haftung bei Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
517 518 519 520 520 522 523 524 524 524
XXVI
Inhaltsverzeichnis
cc) Schadensteilung bei mittlerer Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . dd) Haftungsentlastung auch bei grober/gröbster Fahrlässigkeit? d) Tragweite des Betriebsrisikogedankens Teil 2 – Legitimität einzelner Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangsüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung der mangelnden Perfektion der menschlichen Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einbeziehung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Berücksichtigung der Schadenshöhe (Missverhältnis LohnSchadensrisiko/Haftungsbegrenzung wegen Existenzgefährdung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Versicherbarkeit des Schadensrisikos durch den Arbeitgeber . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
525 525 529 529 530 532 534
535 537 538
2. Grundrechtliches Schutzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundrechtsdogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Methodische Einwände gegen die Ableitung konkreter Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inhaltliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
538 540 540 544 545 549
3. Fürsorgegedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche Tauglichkeit des „Fürsorgegedankens“ . . . . . bb) Tragfähigkeit für einzelne Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549 550 550 556 563
4. Billigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 5. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 a) Nicht berücksichtigungsfähige Kriterien und Faktoren . . . . . . . . . b) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeitnehmerähnliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Leitende Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) GmbH-Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vorstände von Aktiengesellschaften und Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Freie Dienstverpflichte, Werkunternehmer, Frachtführer und Spediteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verwahrer und Lagerhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Beauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Ehrenamtliche Vereinsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565 566 566 567 569 572 578 578 580 581 583 583
Inhaltsverzeichnis
XXVII
IV. Verfassungskonformität der beschränkten Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung der Eigentumsfreiheit (Abwehrkomponente)? . . . 2. Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 14 I GG? . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
583 583 584 585
V. Normative Verankerung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 1. Betriebsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 a) Traditionell: Verortung bei § 254 I BGB analog . . . . . . . . . . . . . . . . 586 b) Änderung durch die Schuldrechtsreform 2002? . . . . . . . . . . . . . . . . 587 c) Tragweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
2. Fürsorgegedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 VI. Dogmatische Qualifikation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung als Schuldbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung . . . . . . . . . 3. Personeller Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Normative Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Arbeitnehmerhaftung als Schuldbeschränkung . . . . . . . . . . . . .
591 591 591 594 595 595 596
§ 3 Übergreifende Aspekte A. Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen: Abzugsrecht des Richters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
598
I. Einleitung; Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . 598 II. Historischer Hintergrund und aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskussionen auf dem 43. Deutschen Juristentag 1960 . . . . . . . 2. Normtext des § 255a BGB-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Begründung der Entwurfsverfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktuelle Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
599 599 600 600 602
III. De lege lata: Schutz vor existenzvernichtender Haftung über § 242 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
XXVIII
Inhaltsverzeichnis
1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 a) Die Auffassung von Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 b) Weitere Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 a) Verfassungsrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsunsicherheit/Uferlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entgegenstehender Wille des Gesetzgebers, Kompetenz- und Funktionsordnung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestehen einer Schutzlücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldnerberatungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftungshöchstsummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutz über § 1629a BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schutz über § 287 I ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Schutz über § 765a ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) §§ 811 ff., 850 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Restschuldbefreiung, §§ 286 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV als spezialgesetzliche Reduktionsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608 609 611 613 613 614 614 615 616 617 618 628
4. Zwischenergebnis und Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 IV. De lege ferenda: Richterliche Reduktionsklausel als Alternative ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 V. De lege ferenda: Richterliche Reduktionsklausel als Ergänzung ? ............................................... 1. Systemwidrigkeit der Berücksichtigung pönaler Elemente? . . 2. Prozessökonomische Erwägungen ? ........................ 3. Handhabbarkeit späterer Änderungen als Gegenargument? . 4. Rechtsunsicherheit/Stellung des Richters im Verfassungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Disproportionalität zivil- und strafrechtlicher Folgen? . . . . . . 6. Bedürfnis nach der Korrektur einer „einäugigen Gerechtigkeit“ des Alles-oder-Nichts-Prinzips? . . . . . . . . . . . . 7. Verbesserung des Schädigerschutzes; Abwägung . . . . . . . . . . . .
635 635 637 638 639 644 648 650
VI. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 1. De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 2. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
. . . . . . 657
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 II. Ausgangspunkt: Vertragsfreiheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 III. Untersuchung der erörterten Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
Inhaltsverzeichnis
XXIX
1. Dispositivität der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antizipierte Neubegründungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz öffentlicher Interessen: Gleichlauf mit Verzicht auf Vollstreckungsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerschutz: Unzulässige Sonderabkommen nach § 294 II InsO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unzulässigkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen zum Schutz des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gläubigerschutz: Unzulässige Sonderabkommen nach § 294 II InsO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentliche Interessen: Keine Unterminierung des Restschuldbefreiungsverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schuldnerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Exkurs: Vertragstypologische Qualifikation nachfolgender Neubegründungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
660 660 660 663 668 673 674 674 675 675 681
2. Abdingbarkeit gesetzlicher Haftungshöchstsummen . . . . . . . . 685 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analyse des einfachen Gesetzesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz des schwächeren Schädigers (positive Privatautonomie)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übereilungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zeitliche Grenze des Übereilungsschutzgedankens . . . . . . . . . d) Abbedingung vor Schadenskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sittenwidrigkeit, § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verstoß gegen § 307 I, II Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abbedingung nach Schadenskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Exkurs: Vertragstypologische Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . .
685 686 687 687 689 691 692 692 694 695 695
3. Dispositivität der erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 a) Grundsätzliche Dispositivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 b) Einschränkungen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
4. Dispositivität der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 a) Einleitung und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Ableitung der Abdingbarkeit aus den Materialien zur Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfachgesetzliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) (Unzulässiger) Eingriff in die negative Privatautonomie? . . . . dd) Schranken haftungsmodifizierender Absprachen . . . . . . . . . . . ee) Vertragstypologische Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
699 700 700 701 702 704 711
XXX
Inhaltsverzeichnis
5. Dispositivität der §§ 104–106 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abbedingung zulasten des Arbeitgebers (§ 104 SGB VII) . . . . . . . c) Abbedingung zulasten des Arbeitnehmers (§ 105 SGB VII) . . . . . . aa) Abbedingung vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abbedingung nach Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Verhältnis zu den Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vertragstypologische Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
711 712 715 715 720 720 723
6. Disponibilität von § 13 II GmbHG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Generelle Abbedingung der Haftungsbeschränkung im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualvertraglich begründete Einstandsverpflichtung . . . . . . . d) Gesellschaftsvertragliche Pflicht zur Mithaftung . . . . . . . . . . . . . .
723 723 724 725
IV. Synthese: Die Übereilungsschutzdimension von Haftungsbeschränkungsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 V. Transfer: Verjährungserschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 2. Die geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 a) Vereinbarungen/Verzichte vor Verjährungseintritt . . . . . . . . . . . . . 730 b) Vereinbarungen/Verzichte nach Verjährungseintritt . . . . . . . . . . . . 732
3. Legitimation der Dispositivitätsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . 732 a) Schutz der positiven Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 b) Übereilungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 c) Bedeutung des Übereilungsschutzgedankens mit Blick auf die Verjährungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735
VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 1. Abdingbarkeit der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 a) b) c) d) e) f) g)
Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungshöchstsummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkte Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §§ 104 ff. SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 II GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737 737 738 738 739 739 739
2. Übereilungsschutz als übergreifender Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . 740
XXXI
Inhaltsverzeichnis
D. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industriegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
741
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 II. Historischer Entstehungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 III. Faktoren für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 1. Anstieg der Schädigungspotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 a) „Vermassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 b) „Technisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 c) Bedeutung für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
2. Gewandeltes Menschenbild; Stellung des Menschen . . . . . . . . . 752 a) b) c) d)
Die Welt um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wandlungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
752 753 755 756
3. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
E. Fazit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse A. Die wichtigsten Ergebnisse des Grundlagenkapitels (§ 1)
. . . . . . . . 763
B. Die wichtigsten Ergebnisse in Bezug auf die einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente (§ 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
I. Gesetzliche Haftungshöchstsummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 II. Die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 III. Die Beschränkung der Erbenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 IV. Die institutionelle Haftungsbeschränkung per GmbH-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 V. Die Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz nach §§ 104 ff. SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 VI. Die beschränkte Arbeitnehmerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771
XXXII
Inhaltsverzeichnis
C. Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Kapitel „Übergreifende Aspekte“ (§ 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
774
I. Allgemeine Reduktionsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 II. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten . . . . . 775 III. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industriegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
Sach- und Paragraphenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811
1
§ 1 Grundlagen A. Einleitung Haftungsnormen sind ein integraler Bestandteil jeder (Zivil-)Rechts- und Wirtschaftsordnung und dienen in prominentester Weise dem Ausgleich kollidierender privater und oftmals auch öffentlicher Interessen. Dabei spiegelt sich die Vielgestaltigkeit des Lebens im Facettenreichtum der Haftungsordnung wieder, entsprechend werden Haftungsfragen in allen Teildisziplinen des Zivilrechts virulent, sei es – mit zum Beispiel dem (kaufrechtlichen) Gewährleistungsrecht, dem Delikts- und Schadensrecht oder dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis – im allgemeinen Zivilrecht, sei es in den „Nebengebieten“ des Familien- und Erbrechts oder auf dem weitgespannten Feld des Wirtschaftsrechts. Es kann dabei nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, dass ohne ein funktionierendes zivilrechtliches Haftungssystem – wobei „Haftung“ an dieser Stelle noch ganz unspezifisch als eine wie auch immer geartete Einstandsverpflichtung gegenüber einem anderen zu verstehen ist – der nicht nur aufgrund grundrechtlicher Erwägungen gebotene individuelle Rechtsgüterschutz nicht zu gewährleisten wäre. Denn – in Teilen flankiert durch das Strafrecht und das Öffentliche Recht – das Haftungsrecht dient in doppelter Weise dem Schutz (möglicher) Geschädigter: Zum einen, indem es im Sinne der ökonomischen Analyse des Rechts präventiv einen wirtschaftlichen Anreiz dazu gibt, sich erst gar nicht durch ein vertragswidriges oder deliktisches Handeln Ansprüchen anderer auszusetzen,1 sowie zum anderen dadurch, dass es ein nicht den von der Rechtsordnung aufgestellten Standards gerecht werdendes Verhalten sanktioniert. 2 Auch wenn also die Etablierung eines Haftungssystems zweifellos eine Notwendigkeit jeder Gesellschaftsordnung ist, gilt auch hier die allgemeine Lebensweisheit, dass wo Licht ist, notwendigerweise immer auch Schatten ist. Über1 Zu dieser Präventivfunktion des (deliktischen) Haftungsrechts vgl. z.B. G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 359, 380 ff., 422 ff.; Deutsch, FS Medicus, S. 55, 61; Gerda Müller, VersR 2006, 1289, 1294; Körner, NJW 2000, 241, 242 ff.; Staudinger/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. (1999), Rn. 10; BeckOK-BGB/Spindler § 823 Rn. 0.7; NK-BGB/Katzenmeier, Vor §§ 823 ff., Rn. 56 ff.; Soergel/Spickhoff, Vor § 823, Rn. 31 ff. 2 Zur Ausgleichs- oder Kompensationsfunktion vgl. z.B. Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 414 f.; Soergel/Spickhoff, Vor § 823, Rn. 30; Staudinger/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. (1999), Rn. 9; Deutsch, FS Medicus, S. 55, 62; NK-BGB/Katzenmeier, Vor §§ 823 ff., Rn. 54 f.
2
§ 1 Grundlagen
setzt auf den vorliegenden Kontext: Wo Haftungstatbestände geschaffen werden, entsteht zugleich das Bedürfnis nach einer sachgemäßen Begrenzung eben dieser Haftung. Sei es der Arbeitnehmer, der infolge eines Fehlers eine teure Produktionsmaschine beschädigt, der Erbe, der sich mit dem vom Erblasser hinterlassenen Schuldenberg konfrontiert sieht, der Kaufmann, der vor dem Scherbenhaufen seiner einstmals hochfliegenden Unternehmensträume steht, der nicht haftpflichtversicherte Fahrradfahrer, der einen Passanten schwer verletzt oder schließlich die geschäftsunerfahrene Ehefrau, die sich „gutgläubig“ für eine sie im Sicherungsfall heillos überfordernde Darlehensforderung verbürgt: Sie alle werden – mehr oder weniger berechtigt – einen Schutz durch die Rechtsordnung vor einer zu weitreichenden, auch unter Berücksichtigung der Belange der „Gegenseite“ nicht gebotenen, Haftung einfordern. Schon diese Beispiele illustrieren die überragende Bedeutung, die der Suche nach der richtigen Balance, der „goldenen Mitte“ zwischen Haftung auf der einen und Haftungsbeschränkung auf der anderen Seite zukommt. Sie ist nicht nur essentiell zur Erreichung „gerechter“ Ergebnisse für die einzelnen Betroffenen, die Schaffung eines wohl austarierten Haftungsregimes entspricht darüber hinaus volkswirtschaftlichen und allgemeinen gesellschaftspolitischen Erfordernissen. Ein Zuwenig an Haftung kann nämlich ebenso zu unerwünschten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen führen wie ein Zuviel an Haftung: Ersteres, weil eine zu laxe Haftungsordnung die Gefahr impliziert, dass die ökonomischen Anreize für einen sorgfältigen Umgang mit fremden Gütern und Interessen zu gering sind und es deshalb zu eigentlich mit vertretbarem Aufwand vermeidbaren, volkswirtschaftlich nachteiligen Schädigungen kommt, letzteres beispielsweise, weil potentielle (ausländische) Investoren angesichts drohender Haftungsrisiken von einem Investment abgeschreckt werden oder Hersteller ihre Produkte angesichts als zu rigide empfundener Produkthaftungsregelungen nicht an einem nationalen Markt anbieten.3 Die vorliegende Arbeit widmet sich mit einer Untersuchung unterschiedlicher Instrumente, mittels derer eine andernfalls bestehende zivilrechtliche Haftung auf verschiedene Weise beschränkt oder sogar vollständig ausgeschlossen wird, schwerpunktmäßig der für die Erreichung eines ideal austarierten „Haftungs3 Beispielsweise sah VW davon ab, sein „Park Assist“-System in den USA einzuführen, vgl. Handelsblatt vom 26.8.2010, S. 1 („Die Riskanten Staaten von Amerika“), abzurufen unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/unternehmen-sind-alarmiert-die-ris kanten-staaten-von-amerika/3524280.html. – Ein Gegenbeispiel ist die gesetzliche Begrenzung von Schadensersatzansprüchen bei Atomunfällen, mittels derer Indien vor einigen Jahren internationalen Investoren einen Anreiz zu einem schnellen Ausbau der Kernkraft liefern wollte, vgl. Handelsblatt vom 25.8.2010, S. 18 („Indien lockt Atomkonzerne“), abzurufen unter http://www.handelsblatt.com/politik/international/energieknappheit-indi en-lockt-atomkonzerne/3523604.html.
B. Begriff der „Haftung“
3
gleichgewichts“ bedeutsamen zweiten „Waagschale“. Zu diesem Behufe wird im Folgenden zunächst (unter B.) der der Arbeit zugrunde liegende Haftungsbegriff erörtert sowie (sub C.) die notwendige Abgrenzung zwischen der nicht den Gegenstand der Untersuchung bildenden Haftungsbegründung von der im Fokus stehenden Haftungsbeschränkung vorgenommen. Im Anschluss daran wird der Untersuchungsgegenstand präzisiert und das weitere Vorgehen erläutert (dazu D.) sowie der Stand der bisherigen Forschung kurz skizziert (unter E.). Den Abschluss des Grundlagenkapitels bildet die Erläuterung des der weiteren Arbeit zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Verständnisses (siehe F.).
B. Begriff der „Haftung“ I. Der Haftungsbegriff als Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung Notwendiger Ausgangspunkt einer Untersuchung zivilrechtlicher Haftungsbegrenzungsinstrumente ist die Festlegung dessen, was im Sinne der Arbeit unter „Haftung“/„haften“ zu verstehen ist. Denn nur wenn hierüber Klarheit geschaffen ist, kann in einem weiteren Schritt4 die Haftungsbegründung, die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist, von der Haftungsbegrenzung unterschieden werden. Die Begriffe „Haftung“ und „haften“ haben zwar Eingang in zahlreiche (zivilrechtliche) Normen gefunden – nur beispielhaft und ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit seien hier genannt: §§ 54 I 2, 287 S. 2, 427, 521, 733 I 1, 755 I, 769, 774 II BGB, §§ 28 I, 128, 161 I HGB, §§ 1 I, 41 I, 56 III 2, IV, 64 IV 2 AktG, §§ 11 II, 13 II, 40 III, 43 GmbHG.5 An einer – gar übergreifenden – verbindlichen Legaldefinition fehlt es jedoch. Es verwundert daher nicht, dass über den Bedeutungsinhalt dieser Begriffe Uneinigkeit besteht und sie in unterschiedlichen Zusammenhängen auf unterschiedliche Weise verstanden werden.
II. Die klassische Lehre der Dichotomie von „schulden“ und „haften“ Der Haftungsbegriff wird traditionell vorwiegend im Zusammenhang mit und in Abgrenzung zu dem der „Schuld“ diskutiert und definiert. „Schuld“ meint in diesem Kontext nicht Schuld im Sinne von „Verschulden“ oder „Vertretenmüssen“ (zum Beispiel § 276 I BGB), sondern ist als „etwas schulden“ respek4
Siehe § 1 C. Zu einer Übersicht für das BGB in seiner ursprünglichen Fassung vgl. Weyl, System, S. 494 ff., 546 ff., 561. 5
4
§ 1 Grundlagen
tive „geschuldet sein“ zu verstehen.6 Sie ist somit Synomym für die „Leistungspflicht“7, das heißt das „leisten müssen“8 oder „rechtliche Sollen“9 des Schuldners. Auch wenn es sich hierbei nicht nur um eine bloße sittliche, sondern um eine rechtliche Verpflichtung handle,10 der Gläubiger sie also rechtlich zwar fordern11 dürfe, sei sie aber dadurch gekennzeichnet, dass sie ihm weder die Macht gebe, die geschuldete Leistung zu erzwingen, noch sich – im Falle der Nichtleistung – Ersatz zu beschaffen.12 Um der „Schuld“ die „irdische Schwere“13 zu verleihen, sei sie daher um die Haftung zu ergänzen, die das Vermögen14 des Schuldners dem Zugriff des Gläubigers unterwerfe und der Gefahr der Zwangsvollstreckung aussetze,15 mithin das „Einstehenmüssen für eine aus einem Schuldverhältnis herrührende Schuld“16 bezeichne und dem Gläubiger die Möglichkeit gewähre, „sich wegen der unerfüllten Schuld an das, was für sie haftet, zu halten, um Erfüllung zu erzwingen oder Genugtuung für die Nichterfüllung zu erlangen“17.
6
Staudinger/Weber 11, Einl v 214, K 1; Jauernig/Mansel, § 241, Rn. 18. RGRK-BGB/Alff, § 241, Rn. 10; Wenzel, Die „Restschuldbefreiung“ in den neuen Bundesländern, S. 176; ähnlich Roth, Einrede, S. 312; Grunsky, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort „Haftung“. 8 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 30. 9 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 9, 31; vgl. auch Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 IV; O. Schreiber, Schuld und Haftung, S. 21. 10 Vgl. Staudinger/Weber 11, Einl v 214, K 2. 11 Terminologisch umstritten ist, ob dem „Schulden“ des Schuldners ein „Anrecht“ des Gläubigers (so O. Schreiber, Schuld und Haftung, S. 21) oder ein „Forderndürfen“ (dafür v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 32 mit Fn. 97) gegenübersteht; praktische Unterschiede ergeben sich daraus nicht. 12 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 13; Staudinger/Weber 11, Einl v 214, K 2 13 Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 IV. 14 Mehrheitlich wird betont, dass nicht der Schuldner persönlich hafte, sondern sein Vermögen (z.B. v. Tuhr, AT, S. 110; RGRK-BGB/Alff, § 241, Rn. 10). Das ist insoweit richtig, als die Zwangsvollstreckung heute fast ausschließlich in die Vermögensgegenstände des Schuldners erfolgt, die im germanischen Recht noch weitverbreitete Haftung des Schuldners mit Leib und Leben (dazu v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 16 ff.) also weitgehend abgeschafft ist. Jedoch ist nicht zu verkennen, dass auch das moderne Zwangsvollstreckungsrecht noch eine persönliche Haftung des Schuldners kennt (vor allem Zwangshaft nach § 888 I 1, 3 ZPO oder §§ 918, 933, 901, 904, 913 ZPO). 15 Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 IV; Wertenbruch, Haftung von Gesellschaften, S. 1; MüKo-BGB/Kramer, Einl v § 241, Rn. 46; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 30; Jauernig/Mansel, § 241, Rn. 19. 16 O. Schreiber, Schuld und Haftung, S. 20; Creifelds/Weidenkaff, Rechtswörterbuch, Stichwort „Haftung“; ähnlich Köbler, Juristisches Wörterbuch, Stichwort „Haftung“; PWW/ Schmidt-Kessel, § 241, Rn. 25; RGRK-BGB/Alff, § 241, Rn. 10; Staudinger/Olzen, Einl. zum Schuldrecht, Rn. 236. 17 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 13. 7
B. Begriff der „Haftung“
5
III. Abweichende Deutungen Da es an einer Legaldefinition mangelt, überrascht es nicht, dass die Begriffe „Haftung“ und „haften“ in der Literatur auch anders verstanden werden. So kann Haftung nach Zeiss nicht nur im klassischen Sinne als Bezeichnung dafür, womit der Schuldner für eine bestehende Verbindlichkeit einzustehen hat, zu verstehen sein, sondern kann unter dem Schlagwort des „Haften als Schulden“ auch die Voraussetzungen kennzeichnen, unter denen eine Person eine Verantwortung trifft.18 Auch nach Esser/Schmidt hat der Haftungsbegriff noch eine weitere Bedeutung, meine er doch auch die Einstandspflicht des Schuldners im Falle der Verletzung seines primären Pflichtenprogramms; zu dieser sekundären Einstandspflicht gehöre im Vertragsrecht der Schadensersatz und die durch den Rücktritt ausgelösten Rechtsfolgen19 sowie im Delikts- und Bereicherungsrecht die Folgen der Nichterfüllung oder verzögerten Erfüllung des primären Delikts-/Herausgabeanspruchs. 20
IV. Haftungsbegriff im Sinne dieser Untersuchung 1. Haftung als „verpflichtet sein“ a) Es ist gar nicht zu bestreiten, dass die „klassische“ Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung ihre Vorzüge besitzt, vermag sie doch den dogmatischen Unterschied zwischen dem bloßen Verpflichtetsein des Schuldners beziehungsweise dem Forderungsrecht des Gläubigers einerseits, dem tatsächlichen Einstehenmüssen des Schuldners beziehungsweise seines Vermögens respektive der tatsächlichen Realisierbarkeit des Forderungsrechts durch den Gläubiger andererseits begrifflich zu illustrieren. 21 Zudem werden in vereinzelten Vorschriften die Begriffe „Haftung“ und „haften“ tatsächlich entsprechend dieser Unterscheidung verwendet. Prominentes Beispiel ist § 1975 BGB, der es dem Erben ermöglicht, seine „Haftung“, mit der (in diesem Fall) das Einstehenmüssen mit seinem Vermögen gemeint ist, 22 auf den Nachlass zu beschränken. Dem vergleichbar führt § 1629a BGB zur Entstehung zweier getrennter Vermögensmassen und beschränkt den Zugriff der Altgläubiger auf das Altvermögen.23 18
Zeiss, in: Staatslexikon, Stichwort „Haftung“ sub. 1. Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/1 § 7 mit Fn. 3, 4 (nicht aber Nachbesserung und -lieferung, da es sich hierbei nur um eine Modifikation der primären Erfüllungsschuld handle, die ebenfalls auf Äquivalenzanpassung gerichtet sei). 20 Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/1 § 7 I 3. 21 Ähnlich Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, S. 127; auch die dogmatische Unterscheidung bei den (Grund-)Pfandrechten kann damit verdeutlicht werden, vgl. Fikentscher/ Heinemann, Schuldrecht, Rn. 30: Der persönliche Schuldner schuldet, der Gegenstand des Eigentümers haftet. 22 Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 2. 23 Ausführlich Staudinger/Coester, § 1629a, Rn. 54. 19
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§ 1 Grundlagen
b) Allerdings ist diese Begriffsbestimmung schon mangels gesetzlicher Legaldefinition nicht zwingend. Zudem werden – wie auch die Anhänger der traditionellen Auffassung einräumen 24 – die Begriffe „Haftung“ und „haften“ im BGB und anderen Gesetzen auch in anderen Sinnzusammenhängen verwendet. 25 So ist mit „Haftung“ manchmal – gewissermaßen gerade diametral entgegengesetzt zur traditionellen Unterscheidung von Haftung und Schuld – die der Schuld vorgelagerte Frage gemeint, unter welchen Bedingungen eine Person eine Verantwortung trifft, wofür sie also einzustehen hat. 26 Beispiel hierfür ist § 276 I BGB, nach dem der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, „wenn eine strengere oder mildere Haftung“ weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Eine spezielle Bedeutung hat der Haftungsbegriff in der Abgabenordnung (§§ 33 I, 69 ff. AO), meint er hier doch ausschließlich das Einstehenmüssen für eine fremde Schuld, 27 so dass der Steuerschuldner selbst nicht Haftender sein kann. 28 Wohl am häufigsten werden die Termini „Haftung“ und „haften“ aber im Sinne von „etwas schulden“ verwendet. So meint „haften“ in § 613a II BGB das „Weiterverpflichtetsein“ des Erwerbers29 und in § 25 I HGB sowie § 840 I BGB „Leistensollen“30. In § 767 II BGB ist trotz der Tatsache, dass dort von der Haftung des Bürgen die Rede ist, dessen eigene Schuld, verstanden als „verpflichtet sein“, gemeint;31 Gleiches gilt für die auf die Bürgenhaftung verweisende Vorschrift des § 566 II BGB32. Und auch die Haftung des Erben für die Nachlass24 Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 IV; MüKo-BGB/Kramer, Einl v § 241, Rn. 46; v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 30 f.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 30; O. Schreiber (Schuld und Haftung, S. 10 f.) geht sogar so weit, daraus den Schluss zu ziehen, dass „auch die Ausdrücke haften und Haftung, wo das Gesetz sie verwendet, niemals in der technischen Bedeutung verstanden werden können, die sie erst durch die Lehre von Schuld und Haftung gewinnen.“. 25 Nur am Rande hingewiesen sei auf den Sonderfall des § 133 BGB, wo „haften“ in dem ganz anderen Sinn, dass die Auslegung von Willenserklärungen nicht auf deren Wortlaut zu beschränken ist, verwendet wird. 26 So auch Zeiss, in: Staatslexikon, Stichwort „Haftung“ sub. 1; Köbler, Juristisches Wörterbuch, Stichwort „Haftung“. 27 Vgl. z.B. BFH 12.10.1999 – VII R 98/98, BFHE 190, 25 (juris Rn. 16); zum Sonderfall der steuerrechtlichen Sachhaftung siehe § 76 AO. 28 Intemann, in: Pahlke/Koenig, AO, § 69, Rn. 1. 29 Grunsky, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort „Haftung“; vgl. statt vieler auch ErfK/Preis, § 613a, Rn. 136; MüKo-BGB/Müller-Glöge, §613a, Rn. 164; BeckOK-ArbR/Gussen, § 613a, Rn. 108, nach denen Betriebsveräußerer und -erwerber Gesamtschuldner sind. 30 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 30; MüKo-BGB/Kramer, Einl v § 241, Rn. 46; vgl. für § 840 I BGB Motive II, S. 737 (zu § 713–E): „Gesamtschuldner“, „allein verpflichtet“ (Hervorhebung hier). 31 MüKo-BGB/Kramer, Einl v § 241, Rn. 46 mit Fn. 217; vgl. auch Staudinger/Horn, § 767, Rn. 1: „eigenständige Schuld“; Motive II, S. 664 f. (zu § 672–E): „Verpflichtung“, „einzustehen hat“. 32 Vgl. auch Staudinger/Emmerich, § 566, Rn. 60 und Schmidt-Futterer/Blank, § 566 BGB, Rn. 76, die jeweils von Gesamtschuldnerschaft zwischen Veräußerer und Erwerber sprechen;
B. Begriff der „Haftung“
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verbindlichkeiten nach § 1967 I BGB ordnet – anders als bei § 1975 BGB – seine persönliche Verpflichtung an, so dass die Nachlassgläubiger ihn nicht nur auf Duldung der Zwangsvollstreckung, sondern unmittelbar auf Leistung verklagen können.33 Bei den §§ 54 I 2, 3, 563b I, 651b II BGB zeigt schon der weitere Wortlaut der Vorschriften, dass mit „Haftung“ in Wahrheit die „Schuld“ im klassischen Sinne gemeint ist, wird dort doch – unter bestimmten Voraussetzungen – eine Gesamtschuldnerschaft angeordnet, was nur dann Sinn macht, wenn damit ein originäres Leistenmüssen gemeint ist; das gilt auch in Bezug auf § 41 I 2 AktG, § 40 III GmbHG, § 128 S. 1 HGB.34 Auch in § 171 I HGB wird der Haftungsbegriff im Sinne von „verpflichtet sein“ verwendet, ist doch gemeint, dass die Schuld des Kommanditisten auf die Einlagenhöhe begrenzt ist – für diese Schuld hat er dann aber mit seinem gesamten Vermögen unbeschränkt einzustehen.35 Schließlich statuiert auch die Lehre der beschränkten Arbeitnehmerhaftung entgegen ihrem Wortlaut keine Haftungsbegrenzung im Sinne der traditionellen Unterscheidung von Schuld und Haftung, sondern beschränkt schon die Schuld des Arbeitnehmers.36 c) Es zeigt sich also, dass sich die von der traditionellen Auffassung vorgenommene klare Begriffsunterscheidung nicht in einer entsprechend exakten Handhabung durch den Gesetzgeber widerspiegelt, sondern dieser vielmehr von „haften“ häufig dann spricht, wenn er das Einstehenmüssen des Schuldners für eine Verbindlichkeit meint. Das mag nun in manchen Fällen sprachliche Gründe haben, weil unschöne Formulierungen à la „der Schuldner schuldet“ vermieden werden sollen (vergleiche zum Beispiel §§ 54 I 2 Hs. 2, 733 I 1, 755 I BGB). Es finden sich aber auch genügend Beispiele, in denen sprachliche Gründe für die Verwendung von „haften“ nicht angeführt werden können.37 d) Lässt sich also eine verbindliche gesetzliche Handhabung der Begriffe „Haftung“ und „haften“ nicht ausmachen, spricht nichts dagegen, diese Termini anders als die traditionelle Auffassung zu verstehen.38 Mit ihnen wird daProtokolle II, S. 140 (zu § 509–E): „nach dem Inhalte des Mietvertrags Geschuldete […] von dem Eigentümer in natura verlangen“. 33 Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 2. 34 Vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 40, Rn. 18. 35 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 171, Rn. 1. 36 Zur begrenzten Arbeitnehmerhaftung ausführlich § 2 F. 37 So könnte z.B. § 563b I 2 BGB auch wie folgt gefasst werden: „Im Verhältnis zu diesen Personen ist der Erbe alleiniger Schuldner, soweit […].“; § 54 I 2 Hs. 1 BGB könnte ohne Mühe so formuliert werden: „Ein Rechtsgeschäft, das […] begründet eine persönliche Verpflichtung des Handelnden“; § 676c II könnte lauten: „In den Fällen des Absatzes 1 Satz 3 Halbsatz 2 trifft die Verpflichtung das von dem Überweisenden vorgegebene zwischengestaltete Kreditinstitut anstelle des überweisenden Kreditinstituts.“. 38 Nach Auffassung von O. Schreiber (Schuld und Haftung, S. 10 f.) müsse sich die Diskussion für und wider die Lehre von Schuld und Haftung „jeder terminologischen Beweisführung an der Hand der Gesetzesworte streng enthalten“, da das BGB von der begrifflichen Trennung von Schuld und Haftung nichts wisse. Das überzeugt schwerlich, ist doch nicht
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her im Rahmen dieser Untersuchung nicht nur das Zugriffsrecht des Gläubigers auf das Vermögen des verpflichteten Schuldners bezeichnet (Haftung im klassischen Sinn), sondern auch die Verpflichtung des Schuldners, das heißt das, was klassischerweise als Schuld verstanden wird.39 Abgesehen davon, dass auch der Gesetzgeber diese Begriffe in beiden Ausprägungen verwendet, wird damit einer (vorzeitigen) Einengung des Themas, insbesondere auf die wenigen unter Zugrundelegung der traditionellen Unterscheidung vorhandenen Haftungsbegrenzungsinstrumente40, vorgebeugt. Dafür spricht schließlich, dass es aus Sicht der Beteiligten in praxi kaum einen Unterscheid macht, ob schon die Schuld oder erst die Haftung, jeweils im klassischen Sinne verstanden, beschränkt wird. 2. Keine Beschränkung auf Schadensersatzansprüche Werden die Termini „Haftung“ und „haften“ im Rahmen dieser Untersuchung sozusagen schon in der „Tiefe“ weit verstanden, so soll dies auch gewissermaßen in der „Breite“ der erfassten Anspruchsarten gelten. Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung sollen daher nicht nur (gar lediglich deliktische)41 Sekundär-, das heißt vor allem Schadensersatzansprüche erfasst sein,42 sondern auch vertragliche Primäransprüche,43 zum Beispiel aus § 433 I 1 BGB, sowie (beeinzusehen, warum bei der Definition juristischer Begriffe nicht besonderes Gewicht auf die wichtigste Rechtsquelle – das geschriebene Recht – zu legen sein soll. 39 In diese Richtung bzw. ähnlich auch Soergel/Teichmann, Vor § 241, Rn. 5; Westermann, Vertragsfreiheit, S. 273 mit Fn. 111; Brockhaus Enzyklopädie, Stichwort „Haftung“; ähnlich Reifferscheid/Böckel/Benseler, Lexikon des Rechts, Stichwort „Haftung der juristischen Person“. 40 Unzweifelhaft haftungs- (und nicht bereits schuld-)begrenzende Wirkung hätten neben Naturalobligationen (einschließlich der Restschuldbefreiung, siehe § 2 B III) danach nur die Fälle der gegenständlich beschränkten Haftung, das heißt die Haftung nur mit einem Sondervermögen bzw. die Sachhaftung bei (Grund-)Pfandrechten (vgl. v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 37 ff.). Dagegen müsste man Haftungshöchstsummen wie z.B. §§ 12, 12a StVG entgegen v. Gierke (a.a.O., S. 36 f.) und Larenz (Schuldrecht I [AT], § 2 IV) richtigerweise nicht als Begrenzung der Haftung, sondern bereits als solche der Schuld ansehen, beschränken diese doch schon die Verpflichtung des Schuldners (Muscheler, Erbrecht II, Rn 3382, 3490; Rabe, Seehandelsrecht, LondonHBÜ 1976, Art. 10, Rn. 2; Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 315; ebenso Staudinger/Weber 11, Einl v 241, K 24, der inkonsequent aber auch z.B. § 254 BGB oder die Lehre vom Rechtswidrigkeitenzusammenhang als Haftungsbegrenzung bezeichnet, K 14 f.; iE wie hier auch Staudinger/Olzen, Einl zu §§ 241 ff., Rn. 241: „Schuldbeschränkungen“; Rinck, Gefährdungshaftung, S. 22; Doose, Haftpfl cht, S. 40; so implizit auch BGH 24.9.1996 – VI ZR 315/95, NJW 1996, 3418, 3419). 41 So Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 1, dem es aber wohl weniger um eine allgemeingültige Begriffsbestimmung als vielmehr um eine Begrenzung seines Untersuchungsgegenstandes geht. 42 Dafür aber z.B. Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 3; vgl. auch Zeiss, in: Staatslexikon, Stichwort „Haftung“ sub. 2; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT/1 § 7 (mit Fn. 3, 4). 43 So wohl auch Reifferscheid/Böckel/Benseler, Lexikon des Rechts, Stichwort „Haftung der juristischen Person“.
C. Haftungsbegründung und -begrenzung
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reicherungsrechtliche) Herausgabeansprüche. Auch hier lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen diese Begriffe im Sinne der hier zugrunde gelegten weiten Definition verwendet werden. So können dafür, dass auch im nicht-deliktischen Bereich von „Haftung“ gesprochen werden kann, pars pro toto die §§ 496 III 4, 528 II, 586 II BGB sowie die Überschriften der §§ 444, 639, 819, 820 BGB angeführt werden. Für die Ausdehnung des Haftungsbegriffs auch auf Primäransprüche spricht zum Beispiel § 457 BGB, der nach seiner Überschrift die „Haftung des Wiederverkäufers“ regelt, wozu nach dessen Abs. 1 primär die Pflicht zur Herausgabe, das heißt Übergabe und Übereignung,44 gehört; ferner rekurriert der Haftungsausschluss des § 179 III BGB auf dessen Abs. 1, der den falsus procurator nach Wahl des Gläubigers zu Schadensersatz oder Erfüllung verpflichtet. Angeführt werden kann schließlich die Handelndenhaftung gemäß § 11 II GmbHG/§ 41 I AktG, die sich sowohl auf Primär- wie Sekundäransprüche erstreckt.45 3. Zwischenergebnis Im Rahmen dieser Untersuchung werden die Begriffe „Haftung“ und „haften“ weit verstanden. Umfasst ist nicht nur das Zugriffsrecht des Gläubigers auf das Vermögen des verpflichteten Schuldners, mit anderen Worten also das, was von der traditionellen, von der Dichotomie von Schuld und Haftung ausgehenden Lehre als Haftung bezeichnet wird, sondern auch die (vorgelagerte) Verpflichtung des Schuldners – mithin die Schuld im klassischen Sinne. Darüber hinaus werden in Bezug auf die Anspruchstypen alle möglichen Arten erfasst, das heißt nicht nur Sekundäransprüche (vor allem solche auf Schadensersatz), sondern auch auf Erfüllung gerichtete Primäransprüche, Unterlassungsansprüche und so weiter.
C. Haftungsbegründung und -begrenzung Nachdem der Bedeutungsinhalt der Begriffe „Haftung“/„haften“ für die Zwecke dieser Untersuchung geklärt wurde, ist im nächsten Schritt zwischen Haftungsbegründung und -begrenzung zu unterscheiden, ist doch nur letztere Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Weil es – wie beim Haftungsbegriff selbst – auch insoweit an einer verbindlichen gesetzlichen Vorgabe fehlt, sind im Folgenden unterschiedliche Vorgehensweisen daraufhin zu untersuchen, ob sie die erforderliche Abgrenzung von Haftungsbegründung und -begrenzung zu leisten imstande sind. 44 45
Vgl. Staudinger/Mader, § 457, Rn. 3. Vgl. MüKo-AktG/Pentz, § 41, Rn. 142 f.; BeckOK-GmbHG/Jaeger, § 11, Rn. 75.
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I. Haftungsbeschränkung bei Abweichung vom gesetzlichen „Regelfall“? Denkbar erschiene es zunächst, unter Haftungsbeschränkung all diejenigen Regeln, Rechtsinstitute, Paragraphen, richterrechtlichen Rechtsgrundsätze und so weiter zu verstehen, die eine andernfalls, das heißt nach normalen Regeln bestehende Haftung beschränken.46 Illustrieren lässt sich dies anhand der §§ 521, 599, 680, 708, 1359, 1664 BGB: Sieht man als Regelfall die Haftung für jede Art von Verschulden, beginnend bei leichter Fahrlässigkeit bis hin zum Vorsatz, an, so müssten diese Normen als haftungsbeschränkend charakterisiert werden, weil nach ihnen – abweichend vom Regelfall – der Schädiger nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beziehungsweise eigenübliche Sorgfalt zu vertreten hat. Bereits dieses einfache Beispiel zeigt die mannigfachen Probleme, die mit einem derartigen Ansatz verbunden wären. Erstens drohte eine uferlose „Ausfransung“ des Begriffs der Haftungsbeschränkung, ließen sich doch eine Unmenge an Vorschriften als haftungsbeschränkend interpretieren. So wären beispielsweise gesetzliche Formvorschriften als haftungsbegrenzend anzusehen, weil abweichend vom Grundsatz der Formfreiheit47 eine Einstandsverpflichtung nur bei Formwahrung entsteht. Eine derartige Ausdehnung des Bereichs der Haftungsbegrenzung würde in der Sache schwerlich überzeugen. Denn mit einer derartigen Begriffsbestimmung würden zweitens die Unterschiede zwischen (echten) haftungsbegründenden, -begründungsmodifizierenden und -beschränkenden Umständen verdeckt. So ist es zum Beispiel für die Beschränkung des Vertretenmüssens oder die von der Rechtsprechung bei Eingriffen in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beziehungsweise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verlangten besonderen Anforderungen des Rechtswidrigkeitsmaßstabs48 sowohl semantisch überzeugender wie „lebensnäher“, sie als (bloße) Modifikationen der Haftungsvoraussetzungen statt als Haftungsbeschränkungen zu begreifen. Vor Schwierigkeiten stünde eine solche Abgrenzungsmethode schließlich in Konstellationen, in denen bereits die vorgelagerte Frage nach der Bestimmung des gesetzlichen Regelfalls Probleme bereitet. So kann man heute beispielsweise – anders als noch bei Inkrafttreten des BGB – angesichts der massiven Ausdehnung der Gefährdungshaftungstatbestände, dem Übergang zu einer Haftung für vermutetes Verschulden 46 In diese Richtung im Ergebnis auch Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 3, nach dem sowohl auf der Ebene des Tatbestandes (z.B. Milderung des Sorgfaltmaßstabes) wie auf Rechtsfolgenseite (z.B. Ausschluss der Verantwortlichkeit für bestimmte Schädigungsfolgen oder summenmäßige Beschränkung) eine Haftungsbeschränkung stattfinden kann. 47 Staudinger/Hertel, § 125, Rn. 3; Soergel/Hefermehl, vor § 125, Rn. 1. 48 Für das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vgl. BGH 21.4.1998 – VI ZR 196/97, NJW 1998, 2141, 2143; 24.1.2006 – XI ZR 384/03, NJW 2006, 830, 840; Palandt/ Sprau, § 823, Rn. 133; für das allgemeine Persönlichkeitsrecht siehe z.B. BGH 5.10.2006 – I ZR 277/03, NJW 2007, 684, 685; NK-BGB/Katzenmeier, § 823, Rn. 191 m.w.N.
C. Haftungsbegründung und -begrenzung
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im vertraglichen Bereich (§ 280 I 2 BGB) sowie der von der Rechtsprechung vorgenommenen „Aufweichung“ des Verschuldensprinzips durch den Ausbau der Verkehrspflichten – zum Beispiel im Bereich der Arzthaftung – durchaus darüber streiten, ob die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung im Kern eine (strikte) Verschuldenshaftung, eine Haftung für vermutetes Verschulden oder eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung ist.49 Die Antwort auf diese Frage wäre für die Abgrenzung von Haftungsbegründung und -beschränkung zentral, weil bei einer Charakterisierung als Gefährdungshaftung bereits das Verschuldenserfordernis bei zum Beispiel § 823 I BGB als Haftungsbeschränkung anzusehen wäre (!). Eine auf ein unter Umständen ungesichertes Fundament aufbauende Abgrenzungsmethode liefe aber Gefahr, je nach Vorverständnis einen (viel) zu engen oder einen (viel) zu weiten Untersuchungsrahmen aufzuspannen. Sie ist deshalb abzulehnen.
II. Orientierung an den Beweislastregelungen? Denkbar erschiene es ferner, sich daran zu orientieren, ob nach der Rosenbergschen Beweislastregel, nach der jede Partei die Beweislast für die sie begünstigenden Tatsachen trägt,50 der Anspruchssteller oder der -gegner für eine bestimmte Tatsache darlegungs- und beweisbelastet ist. Haftungsbegründend wäre dann all dasjenige, für was der Anspruchssteller beweisbelastet wäre, haftungsbegrenzend das, für was den Anspruchsgegner die Beweislast trifft. Gegen diesen Ansatz spricht aber, dass er die Problematik nachgerade „auf den Kopf stellt“ und das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht verkennt. Denn der (Zivil-)Prozess hat allein die „dienende Funktion“, dem materiellen Recht in der Rechtswirklichkeit zum Siege zu verhelfen.51 Notwendig ist er, weil dem Anspruchsinhaber – sieht man von den Ausnahmefällen des § 229 BGB ab – eine Selbsthilfe nicht gestattet und dieser deshalb auf die staatliche Hilfe bei der Anspruchsdurchsetzung angewiesen ist. Angesichts dieses bloßen Hilfscharakters des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht verbietet es sich nun aber, die materiell-dogmatische Qualifikation von der zivilprozessualen Darlegungs- und Beweislast diktieren zu lassen. Abgesehen von diesem fundamentalen Aspekt spräche gegen eine Orientierung an den Beweislastregeln auch, dass es zu nicht konsistenten Ergebnissen führen würde. So wäre beispielsweise angesichts der Beweislastumkehr des § 280 I 2 BGB das 49
Siehe dazu näher in anderem Zusammenhang unten § 2 A III 1 d) bb). Rosenberg, Beweislast, S. 98. 51 Vgl. dazu z.B. MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 25; Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Vorbemerkung vor § 17, Rn. 14; MüKo-ZPO/Prütting, § 286, Rn. 138; dazu, dass das Zivilprozessrecht der Verwirklichung der subjektiven materiellen Rechte dient vgl. z.B. auch Grunsky, Zivilprozessrecht, Rn. 4, 12; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, Rn. 7; Adolphsen, Zivilprozessrecht, § 2, Rn. 3; vgl. in rechtshistorischer Hinsicht Löhnig, FS Klippel, S. 417, 420, 422 ff. 50
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Verschulden im Bereich der vertraglichen Schadensersatzhaftung als haftungsbeschränkend anzusehen, wohingegen es bei § 823 I BGB zum haftungsbegründenden Tatbestand gehört. Ein und dasselbe materielle Kriterium – Vertretenmüssen – einmal als haftungsbegründend, in anderem Zusammenhang aber als haftungsbeschränkend anzusehen, vermag nicht zu überzeugen.
III. Orientierung an den Einwendungskategorien 1. Ausgangspunkt Vorzugswürdig erscheint es hingegen, die klassischen Einwendungskategorien als Ausgangspunkt für die Abgrenzung zwischen haftungsbegründenden und -beschränkenden Umständen zu wählen. Das hat unter anderem den Vorzug, dass die Unterteilung in rechtshindernde, -vernichtende und -hemmende Einwendungen einer langen Rechtstradition entspricht und heute Allgemeingut sein dürfte.52 Zudem ist in den meisten Fällen unumstritten, in welche dieser Kategorien ein Gegenrecht fällt, so dass damit im Grundsatz eine praktikable Abgrenzung möglich ist. Allerdings können die Einwendungskategorien nur als erste Richtschnur herangezogen werden, die eine nähere Betrachtung im Einzelfall nicht entbehrlich macht. 2. Herausnahme rechtshindernder Einwendungen Geht man so vor, so sind aus dem Bereich der Haftungsbeschränkung im Grundsatz alle rechtshindernden Einwendungen (zum Beispiel §§ 104, 117, 118, 125, 134, 138 BGB) auszuscheiden, weil bei ihnen ein Anspruch und damit eine Einstandsverpflichtung erst gar nicht entsteht und sie daher systematisch ins Reich der Haftungsbegründung gehören.53 Nur in einem Falle – der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz nach den §§ 104 ff. SGB VII – ist es angezeigt, ausnahmsweise auch ein richtigerweise als rechtshindernde Einwendung zu charakterisierendes Gegenrecht zu untersuchen, und zwar schon deshalb, weil diese Qualifikation nicht unumstritten ist.54 3. Nicht zu untersuchende rechtsvernichtende/-hemmende Einwendungen Auch wenn nach diesem ersten Grobraster rechtsvernichtende und -hemmende Einwendungen übrig bleiben, bedeutet das nicht, dass sie alle in der vorliegenden Arbeit untersucht werden können und sollen. Erstens besteht im Bereich der Einreden angesichts der Habilitationsschrift von Herbert Roth (Die 52 Vgl. pars pro toto Medicus, AT, Rn. 92 ff.; Bork, AT, Rn. 312, 314; Wolf/Neuner, AT, § 21, Rn. 12 ff. 53 Vgl. z.B. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 732. 54 Dazu näher § 2 E III 1.
C. Haftungsbegründung und -begrenzung
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Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988), der mit tiefschürfenden, dogmengeschichtliche Aspekte einbeziehenden Erörterungen deren zweigliedrigen, materiell-prozessualen Tatbestand und ihre Funktion und Wirkung herausarbeitete, so gut wie kein Forschungsbedarf mehr, und zweitens lassen sich einige rechtsvernichtenden beziehungsweise -hemmenden Einwendungen schlicht nicht als haftungsbegrenzend einordnen. Unter letztere Kategorie fällt zunächst die Erfüllung und ihre Surrogate (§§ 362, 364, 378, 389, 397 BGB), weil sich hier die Haftung ja gerade realisiert. Auch Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Vertragsaufhebung, Unmöglichkeit, Eintritt einer auflösenden Bedingung (§ 158 II BGB) oder der Zeitablauf bei einer Befristung (§ 163 BGB) bleiben im Folgenden außer Betracht, weil hier – anders als zum Beispiel bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung oder der Beschränkung der Erbenhaftung – der Haftungsgrund vollständig aufgehoben oder umgewandelt wird. Nicht untersucht werden ferner die lediglich dilatorisch wirkende Einrede der Stundung sowie die Zurückbehaltungsrechte aus §§ 273, 320, 1000 BGB, weil mit diesen keine echte dauerhafte Haftungsbeschränkung verbunden ist und die rechtliche Verpflichtung als solche unberührt bleibt.55 Keine gesonderte Untersuchung erfahren ferner solche Regelungen, die – wie beispielsweise §§ 1381, 1578b I, 1579, 1611 I BGB – als reines Billigkeitsrecht eine bloße spezialgesetzliche Ausformung des § 242 BGB darstellen und dogmatisch damit als solches nicht von näherem Interesse sind. Keine nähere Darstellung erfahren trotz ihres eindeutig haftungsbeschränkenden Charakters ferner die Einreden der §§ 1480 S. 2, 1504, 1629a I 2, 2036, 2145, 2187 III BGB, weil diese sich in einem Verweis auf den im Kapitel Erbenhaftung abgehandelten § 1990 BGB erschöpfen und ihre Darstellung daher keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn verspricht.56 Ebenfalls nicht zu erläutern sind die speziellen Haftungsbeschränkungen im Bereich des Staatshaftungsrechts (vor allem § 839 I 2, II, III BGB), weil es sich dabei um eine Spezialmaterie im Schnittbereich von Zivilrecht und Öffentlichem Recht ohne verallgemeinerungsfähige Aussagen handelt. Auch sind vertragliche Haftungsbeschränkungen nicht Thema der Arbeit. Erstens ist die Fragestellung bei diesen genau umgekehrt, weil sie aufgrund der Vertragsfreiheit im Grundsatz zulässig sind und daher „nur“ geklärt werden muss, inwieweit diese Freiheit durch Gesetz und so weiter eingeschränkt wird. Und zweitens besteht insoweit angesichts der Habilitationsschrift von Alexander Bruns (Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003) keine zu schließende Forschungslücke mehr. Weil es sich um eine Spezialmaterie handelt, wird schließlich ebenfalls nicht untersucht, inwieweit eine Haftungsbeschränkung per Rechtswahl möglich ist. 55 Eine Ausnahme wird nur für §§ 2014, 2015 BGB gemacht. Diese werden zur Abrundung im Kapitel über die Beschränkung der Erbenhaftung mitbehandelt. 56 Im Ergebnis das Gleiche gilt für § 1489 II BGB, der nicht nur auf § 1990 BGB, sondern auf das gesamte System der Erbenhaftung Bezug nimmt.
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D. Untersuchungsgegenstand und Gang der weiteren Darstellung Legt man die herausgearbeiteten Abgrenzungskriterien von Haftungsbegründung und -begrenzung zugrunde und scheidet von den letzteren diejenigen aus, die nach dem oben Gesagten nicht Gegenstand einer weiteren Untersuchung sein sollen, so verbleiben folgende, im Weiteren näher zu beleuchtende Haftungsbeschränkungsinstrumente: – – – – – –
Haftungshöchstsummen Restschuldbefreiung, §§ 286 ff. InsO Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz nach §§ 104 ff. SGB VII Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1970 ff. BGB Institutionelle Haftungsbeschränkung durch Gründung einer GmbH, § 13 II GmbHG
Diese Haftungsbegrenzungsinstrumente werden zunächst unter § 2 isoliert analysiert. Dabei wird jeweils im Wesentlichen in fünf respektive sechs Schritten und nach Möglichkeit parallel vorgegangen: Zunächst wird stets – je nach Bedarf – mehr oder weniger ausführlich und meist unkritisch beschrieben, wie das Modell unter Zugrundelegung der einschlägigen herrschenden Meinung funktioniert, mit anderen Worten: Was seine Voraussetzungen und Rechtsfolgen sind. In weiteren Schritten wird sodann erörtert, ob sich die jeweilige Haftungsbegrenzung isoliert betrachtet rechtspolitisch und rechtsdogmatisch legitimieren lässt und ob die mit ihr verbundene Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Überdies wird das jeweilige Haftungsbegrenzungsmittel zivilrechtsdogmatisch qualifiziert, das heißt vor allem danach gefragt, ob es nach der oben skizzierten klassischen Unterscheidung57 als Schuld- oder Haftungsbeschränkung anzusehen ist, und welche Rechtsfolgen mit dieser Einordnung im konkreten Fall verbunden sind. Auf Basis der dadurch gewonnenen Erkenntnisse werden in der Regel Reformvorschläge unterbreitet, die auf eine Verbesserung der geltenden Rechtslage zielen. Unter § 3 werden sodann übergreifende (Querschnitts-)Aspekte erörtert: – Dabei wird zunächst diskutiert, ob das bestehende, vor allem aus den unter § 2 analysierten Haftungsbeschränkungsmitteln bestehende Instrumentarium genügt, um den Schuldner/Schädiger ausreichend vor den Gefahren einer exorbitanten, ruinös wirkenden Haftung zu schützen, oder ob entweder bereits de lege lata (über § 242 BGB) oder zumindest de lege ferenda 57
Siehe oben § 1 B II.
E. Forschungsstand
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(per Schaffung einer sogenannten Reduktionsklausel) ein weiterreichendes Schutzniveau erforderlich ist.58 – In einem weiteren Schritt wird sodann die Dispositivität der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente untersucht. Weil Normcharakter und Schutzzweck einerseits sowie Dispositivität andererseits in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen, erlauben die durch eine Untersuchung der Abdingbarkeit zu gewinnenden Ergebnisse wichtige Rückschlüsse auf Charakter und Telos von Haftungsbeschränkungsinstrumenten.59 – Abschließend wird – gewissermaßen auf einer Metaebene – der Frage nachgegangen, welche sozialen, ökonomischen, geistesgeschichtlichen, historischen und technischen Umstände die (gesetzgeberische) Schaffung von Haftungsbeschränkungsinstrumenten erfordert oder begünstigt haben und daraus Folgerungen für die künftige Bedeutung von Haftungsbegrenzungsmitteln gezogen.60 Im letzten Kapitel (§ 4) werden abschließend die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst.
E. Forschungsstand Die rechtswissenschaftliche Forschung hat eine dem hier verfolgten Forschungsansatz entsprechende Studie bislang nicht vorgelegt. Es liegen entweder nur Einzelstudien zu Teilaspekten vor, die nicht auf die Herausarbeitung übergeordneter Zusammenhänge und Prinzipien zivilrechtlicher Haftungsbegrenzungsinstrumente und ihre systemkonforme Rechtsfortbildung zielen,61 oder aber die vorhandenen Gesamtdarstellungen berühren zwar den hier ange58
Dazu unten § 3 B. Näher § 3 C. 60 Im Einzelnen unten § 3 D. 61 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien pars pro toto genannt: Lüer, Begrenzung der Haftung bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen (1969); Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht (1993); Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts (1999); Annuß, Die Haftung des Arbeitnehmers (1998); Busemann, Die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber und Dritten (1999); Fuhlrott, Der geschädigte Arbeitnehmer (2006); Otto/ Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers (1998); Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten (2001); Taube, Die Haftung des Arbeitnehmers nach der Schuldrechtsreform (2005); Konz, Die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung volljährig Gewordener gem. § 1629a i.V. mit §§ 1990, 1991 BGB (2006); Ehrenkönig, Die Erbenhaftung (1991); Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung (1997); Forsblad, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz im künftigen deutschen Insolvenzrecht (1997); Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH (2006); J. Meyer, Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften (2000); Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals im europäischen Wettbewerb (2006); Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981); Rinck, Gefährdungshaf59
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sprochenen Themenkreis, beleuchten ihn aber nicht unter dem hier eingenommenen Blickwinkel.62 Die Untersuchung stößt daher in eine Forschungslücke und soll es der künftigen Forschung und Rechtspraxis zu Einzelfragen erleichtern, eine Rückbindung in den dogmatischen Gesamtzusammenhang vorzunehmen.
F. Der verfassungsrechtliche Rahmen Im Zuge der weiteren Untersuchung wird immer wieder die Frage virulent werden, inwieweit die einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumente mit den Vorgaben des Grundgesetzes, vor allem den Grundrechten, vereinbar sind. Von zentraler Bedeutung sind dabei vor allem Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG), allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und staatliche, aus Grundrechten ableitbare, Schutzpflichten. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden und einen gemeinsamen, der übrigen Arbeit zugrunde liegenden Rahmen aufzuspannen, werden im Folgenden die im vorliegenden Kontext relevanten Fragen im Sinne eines „Allgemeinen Teils“ abstrakt erörtert. Die grundsätzliche Bindung auch des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte kann angesichts des weiten, sich nicht auf das Öffentliche Recht oder das Strafrecht beschränkenden Wortlautes von Art. 1 III GG nicht zweifelhaft sein.63
I. Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG 1. Zum sachlichen Schutzbereich der Eigentumsfreiheit Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung sind in Bezug auf den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit mehrere Aspekte von Relevanz. Erstens ist der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff des Art. 14 I 1 GG nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG – trotz einer Orientierung an den einfachgesetzlichen Regelungen – weiter als der des (vor allem: § 903) BGB.64 In den sachtung (1959); Wolfensberger, Die summenmäßige Beschränkung der Haftung für Personenschäden (1966); Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht (2000). 62 Als derartige Gesamtdarstellungen seien insbesondere die Habilitationsschriften von Herbert Roth (Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988), Alexander Bruns (Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003) und Werner Rother (Haftungsbeschränkung im Schadensrecht, 1965) sowie die Dissertationen von Lorenz-Meyer (Haftungsstruktur und Minderung der Schadensersatzpflicht durch richterliches Ermessen, 1971) und Schwamb (Die schadensersatzrechtliche Reduktionsklausel – § 255a BGB Referentenentwurf 1967, 1984) zu nennen. 63 Vgl. auch Canaris, JZ 1987, 993, 993 f.; Krause, JR 1994, 494, 495 f. 64 BVerfGE 58, 300, 335; 74, 129, 148; 83, 182, 195; aus der Literatur vgl. z.B. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 35 ff.; Böhmer, NJW 1988, 2561, 2566 ff.; BeckOK-GG/Axer, Art. 14, Rn. 43.
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lichen Schutzbereich fallen daher unter anderem auch privatrechtliche Forderungen,65 so dass Haftungsbeschränkungsregelungen potentiell geeignet sind, eine derart verstandene Eigentumsfreiheit des Gläubigers zu beeinträchtigen. Zweitens schützt Art. 14 GG nach der bekannten Formel nur das bereits Erworbene, das heißt Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber die bloße Möglichkeit des Erwerbs weiterer Rechtspositionen.66 Führt das Haftungsbeschränkungsinstrument mithin dazu, dass schon gar kein oder jedenfalls kein vollumfänglicher Anspruch entsteht, liegt (insoweit) kein Eingriff in Art. 14 GG vor. Drittens schützt Art. 14 GG nicht das Vermögen als solches, Eigentum kann nur die „rechtsatzmäßig geprägte und anerkannte, die zur Rechtstellung erhobene und verdichtete Vermögensposition sein“67. Eine einfachgesetzlich statuierte Zahlungs-/Haftungsverpflichtung berührt daher grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit des Schuldners; Schutz bietet insofern lediglich Art. 2 I GG. Relevant wird dies vor allem bei Steuern und Abgaben, die das BVerfG traditionell nicht an Art. 14 GG, sondern an Art. 2 I GG misst.68 Eine Prüfung von öffentlichen Geldleistungspflichten am Maßstab des Art. 14 GG nimmt das BVerfG nur vor, wenn diese den Bürger übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen („erdrosselnde Wirkung“)69. 2. Abgrenzung Enteignung versus Inhalts- und Schrankenbestimmung Wird durch eine Haftungs(begrenzungs)regelung in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit von Gläubiger oder Schuldner eingegriffen, so ist für die verfassungsrechtliche Bewertung von zumindest vorentscheidender Bedeutung, ob es sich dabei um eine Enteignung (Art. 14 III GG) oder „nur“ um eine Inhaltsund Schrankenbestimmung (Art. 14 I 2 GG) handelt. Beide Eingriffsarten sind strikt voneinander zu unterscheiden.70 65 BVerfGE 45, 142, 197; 83, 201, 208; 68, 193, 222; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 14, Rn. 152. 66 BVerfGE 20, 31, 34; 31, 212, 220; 74, 129, 148; 81, 70, 96; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12, Rn. 181, Art. 14, Rn. 183; Manssen, Staatsrecht II – Grundrechte, Rn. 655; vgl. auch BVerfGE 31, 8, 32; 77, 84, 117. 67 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 160. 68 BVerfGE 4, 7, 17; 75, 108, 154; 91, 207, 220; 93, 121, 137; 97, 332, 349. 69 BVerfGE 30, 272 m.w.N. – Dass das BVerfG im Jahre 2006 in einer Entscheidung Steuervorschriften am Maßstab des Art. 14 I GG überprüfte, obwohl es an einer derartig erdrosselnden Wirkung fehlte (BVerfGE 115, 97 ff.), bleibt im Folgenden außer Betracht. Denn inwieweit dieses Beispiel Schule machen wird, bliebt abzuwarten, so dass die weitere Untersuchung auf dem Boden der tradierten, gefestigten Rechtsprechung erfolgt. 70 Seit der Naßauskiesungsentscheidung ( BVerfGE 58, 300 ff.) ist insbesondere geklärt, dass eine die verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen überschreitende, weil dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegende Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht in eine Enteignung umschlägt, sondern die Enteignung ein aliud zur Inhalts- und Schrankenbestimmung ist.
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Unter einer Inhalts- und Schrankenbestimmung ist die zukunftsbezogene Festlegung genereller und abstrakter Rechte und Pflichten hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum geschützt werden, zu verstehen.71 Bei einer Enteignung wird hingegen eine konkrete eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositition vollständig oder teilweise im Interesse der Allgemeinheit und zum Zwecke der Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben entzogen.72 Nach der überwiegenden Rechtsprechung des BVerfG und der herrschenden Lehre ist weiteres konstitutives Begriffselement für die Enteignung, dass der entzogene Gegenstand auf die öffentliche Hand übertragen wird.73 Daran fehlt es, wenn der Staat die in Anspruch genommene Eigenposition nicht unmittelbar oder mittelbar nutzen möchte.74 Legt man diese zutreffende Auffassung zugrunde, sind Haftungs(beschränkungs)regelungen schon deshalb in aller Regel nicht als Enteignung zu werten, weil es an dem erforderlichen hoheitlichen Güterbeschaffungsvorgang fehlt. Aber selbst wenn man das anders sähe, würde sich im Ergebnis nichts ändern. Denn unbestrittenes Erfordernis des Enteignungsbegriffs ist, dass die Maßnahme das Ziel der Erfüllung einer konkreten öffentlichen Aufgabe verfolgt. Der Entzug bestehender Rechtspositionen zum Zwecke des Ausgleichs privater Interessen ist somit keine Enteignung, sondern kann nur Inhalts- und Schrankenbestimmung sein.75 Anders formuliert: Nur dann, wenn damit Gemeinwohlinteressen verfolgt werden, stellt eine „Enteignung“ zugunsten Privater eine Enteignung im Sinne von Art. 14 III GG dar.76 Dementsprechend werden Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, die den Interessen der privaten Gläubiger, nicht aber der Erfüllung von Staatsaufgaben dienen, ebenso wenig als „privatnützige Enteignung“ beziehungsweise „Enteignung zugunsten Privater“ angesehen77, wie die Baulandumlegungsvorschriften 71
BVerfGE 110, 1, 24 f. m.w.N. BVerfG 104, 1, 10; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 401; BeckOK-GG/Axer, Art. 14, Rn. 75, 78. – Was die Form der Enteignung betrifft, so ist zwischen Legislativ- und Administrativenteignung zu unterscheiden. Bei ersterer erfolgt die Enteignung unmittelbar durch Gesetz, bei letzterer liegt hingegen noch ein zwischengeschalteter Akt der Verwaltung oder eines Gerichts vor (vgl. BVerfGE 45, 297 [1. Leitsatz]). Dabei hat der Gesetzgeber nicht die freie Wahl zwischen beiden Arten; der Legislativenteignung darf er sich – schon wegen des erschwerten Rechtsschutzes gegen Gesetze – nur in Ausnahmefällen bedienen (BVerfGE 45, 297, 332; 95, 1, 22; Manssen, Staatsrecht II – Grundrechte, Rn. 685 f.). 73 BVerfGE 104, 1, 10; 112, 93, 109; 114, 1, 59; Jarass/Pieroth, GG, Art. 14, Rn. 72, 75; Deppenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 414; vgl. auch Bryde, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 14, Rn. 53; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14, Rn. 77; anders noch BVerfGE 24, 367, 394; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 80. 74 Deppenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 414. 75 BVerfGE 104, 1, 9 f.; 112, 93, 109; 114, 1, 59; so auch Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14, Rn. 77; E. Haas, NVwZ 2002, 272, 274. 76 BVerfGE 74, 264, 279 ff.; 104, 1, 9 f.; 114, 1, 59; BeckOK-GG/Axer (Rn. 17), Art. 14 Rn. 75. 77 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 468; Wieland, in: Dreier, 72
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(§§ 45 ff. BauGB)78, die Regelungen über den „squeeze-out“ (§§ 327a ff. AktG)79 oder diejenigen des Konkursrechts (heute: Insolvenzrecht).80 Misst man Haftungs(beschränkungs)bestimmungen an diesen Vorgaben, stellen sie regelmäßig keine Enteignungen dar. Denn sie zielen in aller Regel „lediglich“ auf einen Ausgleich zwischen den Interessen Privater, dienen also nicht (primär) dem Interesse der Allgemeinheit und der Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben. Weil sie in abstrakter Art und Weise die eigentumsrechtlich geschützten Rechte und Pflichten regeln, handelt es sich vielmehr um Inhaltsund Schrankenbestimmungen. Anders als für die Enteignung81 gelten für Inhalts- und Schrankenbestimmungen keine besonderen Anforderungen an ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung; erforderlich ist allerdings insbesondere die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.82 II. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG Neben der Eigentumsfreiheit sind Haftungsbegrenzungsregelungen oftmals anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes kritisch zu hinterfragen. Ganz allgemein gesprochen gebietet dieser, wesentlich Gleiches gleich, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.83 Dabei ist er – anders als Freiheitsrechte – zweistufig zu prüfen: Zunächst sind unter einem gemeinsamen Oberbegriff (genus proximum) Vergleichsgruppen zu bilden und zu untersuchen, ob und inwieweit diese ungleich84 behandelt werden.85 Im Anschluss daran ist gegebenenfalls nach der Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung zu fragen. Das Ergebnis dieser Prüfung hängt regelmäßig davon ab, welcher Maßstab angelegt wird. Die Frage, wie der im konkreten Fall anzulegende Maßstab zu bestimmen ist, ist deshalb auch der wohl schwierigste Aspekt des Art. 3 I GG. Dem ist im Folgenden nachzugehen, wobei erstens der Schwerpunkt auf die für die Praxis wichtige Rechtsprechung des BVerfG gelegt wird und zweitens die Ausführungen darauf beschränkt werden, die groben Linien der Rechtmäßigkeitskontrolle GG, Art. 14, Rn. 83; BeckOK-GG/Axer, Art. 14, Rn. 75; vgl. auch BVerfGE 46, 325, 334 f.; Lege, Zwangskontrakt, S. 74. 78 BVerfGE 104, 1, 9 f.; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 471. 79 BVerfG 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, NJW 2007, 3268, 3269. 80 Bryde, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 66 a.E.; explizit anerkannt für § 6 I KO (entspricht im Wesentlichen § 80 InsO) hat das BVerfGE 51, 405, 408; siehe auch Lege, Zwangskontrakt, S. 74 mit Fn. 67. 81 Zu nennen ist insbesondere die Junktim-Klausel (Art. 14 III GG), ohne die das die Enteignung durchführende oder erlaubende Gesetz verfassungswidrig ist ( BVerfGE 4, 219; 46, 268, 287; 58, 300, 319). 82 BVerfGE 100, 226; 102, 1 ff. 83 BVerfGE 1, 14, 52; 3, 58, 135 f.; 71, 255, 271; 90, 145, 195 f. 84 Bzw. – soweit es um die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem geht – ob und inwieweit sie gleich sind. 85 Vgl. z.B. Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 23 m.w.N.
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nachzuzeichnen. Hingegen besteht für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung weder der Raum noch die Notwendigkeit, den gesamten, vor allem in der Literatur nahezu unübersehbaren Meinungsstand en détail wiederzugeben. 1. Die verschiedenen „Formeln“ zur Inhaltsbestimmung des allgemeinen Gleichheitssatzes Zur Bestimmung des Inhalts des Gleichheitssatzes oder – anders formuliert – der Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung werden seit nunmehr über 30 Jahren im Ausgangspunkt zwei unterschiedliche „Formeln“ verwendet, wobei – wie noch zu zeigen sein wird – mittlerweile auch Zwischenstufen entwickelt wurden. Nach der traditionellen Willkürformel liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG nur vor, wenn eine gesetzliche Regelung evident unsachlich gleich oder ungleich behandelt,86 muss doch wesentlich Gleiches gleich, wesentlich Ungleiches entsprechend ungleich behandelt werden.87 Umgekehrt formuliert genügt bereits irgendein sachlicher Grund, mittels dessen die Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann, um eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verneinen zu können. Entscheidend ist hierbei nicht der subjektive Wille des Gesetzgebers, sondern allein die objektive Lage.88 Nach der 1980 erstmals verwendeten „Neuen Formel“ ist Art. 3 I GG hingegen verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.89 Unter Zugrundelegung der Neuen Formel ist somit auch im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen: Die Ungleichbehandlung muss einem legitimen Zweck dienen, geeignet, erforderlich und nach den Umständen des Einzelfalles proportional sein.90 Während also die Willkürformel eine staatliche Gleich- oder Ungleichbehandlung schon dann hinnimmt, wenn sich dafür irgendein sachlicher Grund finden lässt, stellt die Neue Formel eine Verknüpfung zwischen dem Grad der (Un-)Gleichbehandlung und dem sie rechtfertigenden sachlichen Grund her
86
BVerfGE 12, 326, 333; 14, 142, 150; 23, 135, 143; 52, 277, 281; 89, 132, 142. BVerfGE 3, 58, 135 f.; 71, 255, 271; 90, 145, 195 f. 88 BVerfGE 2, 226, 281; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 4. 89 BVerfGE 55, 72, 88; 84, 113, 157; 85, 238, 244; 102, 41, 54. 90 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 14; der genaue Inhalt dieser Verhältnismäßigkeitskontrolle ist allerdings umstritten, vgl. z.B. Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn.27; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 37 („Die für die Verhältnismäßigkeit kennzeichnende Zweck-Mittel-Relation wird der Besonderheit des Gleichheitsbegriffs nicht gerecht.“); ders., AöR 124 (1999), 174, 191 f. 87
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und ist damit der wesentlich strengere Prüfungsmaßstab.91 Das wirft die im Folgenden zu erörternde Frage auf, wann welcher Prüfungsmaßstab heranzuziehen ist. 2. Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Formeln a) Um zu bestimmen, welcher Rechtfertigungsmaßstab im konkreten Einzelfall anzuwenden ist, stellte vor allem der Erste Senat des BVerfG zunächst ganz maßgeblich darauf ab, ob es sich um eine personen- oder um eine sachverhaltsbezogene Unterscheidung handelt.92 Bei ersterer wurde eine strenge Prüfung anhand der Neuen Formel durchgeführt, bei letzterer dagegen großzügig nach der Willkürformel verfahren. Problematisch an dieser Herangehensweise war, dass die für das spätere Ergebnis oft vorentscheidende und in der Theorie auch durchaus nachvollziehbare Abgrenzung anhand der Kriterien personen- versus sachverhaltsbezogenen Differenzierung in der Praxis häufig auf (Subsumtions-) Schwierigkeiten traf, vor allem da die meisten Sachverhalte zumindest mittelbar auch einen personalen Bezug aufweisen.93 Das BVerfG war denn auch „genötigt“, noch zwei weitere, in der Mitte angesiedelte Kategorien zu entwickeln: Erstens die Ungleichbehandlung von Personengruppen, die aber nicht an personenbezogene Merkmale anknüpft, sowie zweitens die unmittelbar sachverhaltsbezogene, sich aber mittelbar in einer Ungleichbehandlung von Personen auswirkende Differenzierung; während bei ersterer ein milderer Maßstab anzulegen sei (Berücksichtigung der Besonderheiten des geregelten Lebens- und Sachbereichs)94, erfordere letztere eine strengere Prüfung.95 Diese feinere Ziselierung hat zwar den Vorteil, dass mittels ihr den ganz unterschiedlichen Lebenssachverhalten, auf die das Recht in einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft eine Antwort finden muss, besser Rechnung getragen werden kann. Wenn man sich aber für eine klare Trennung dieser vier Fallgruppen aussprechen würde, würden sich die Abgrenzungsschwierigkeiten weiter vergrößern.96 b) Aus diesem Grund ist ein eher integrativer Ansatz vorzuziehen, nach dem sich aus Art. 3 I GG, je nach Differenzierungsmerkmalen und Regelungsgegenstand, verschiedene Beschränkungen der Staatsgewalt ergeben.97 Mit anderen Worten enthält Art. 3 I GG ein „Kontinuum von einer sehr großzügigen Prüfung über eine mittlere Prüfungsintensität bis zu einer sehr strengen Prü-
91
Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 6. BVerfGE 55, 72, 89; 60, 329, 346. 93 Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 21. 94 BVerfGE 62, 256, 274; 89, 365, 375 f. (unterschiedliche Kassenzugehörigkeit). 95 Z.B. BVerfGE 88, 87, 96. 96 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3, Anhang, Rn. 9; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 21; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14. 97 BVerfGE 88, 87, 96; 89, 15, 22; 89, 365, 375; 95, 267, 316; 95, 267, 316; 99, 367, 388. 92
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fung.“98. Willkürformel und Neue Formel sind daher nicht als scharf voneinander zu scheidende Gegensätze, sondern als „Teile eines einheitlichen Rechtfertigungsmaßstabs“ zu begreifen, bei dem die Kontrolldichte je nach Schwere der Ungleichbehandlung ansteigt.99 Auch bei Zugrundelegung einer derartigen „gleitenden Skala“ müssen aber natürlich Aspekte identifiziert werden, anhand derer bestimmt werden kann, welche Rechtfertigungsanforderungen anzulegen sind. Herauszuarbeiten ist auch insoweit zunächst, ob es sich um eine personen- oder sachverhaltsbezogene Differenzierung handelt. Bei personenbezogenen Unterscheidungen, bei denen als Differenzierungskriterium Eigenschaften der Person gewählt werden, ist der strenge Maßstab der Neuen Formel anzuwenden; gleiches gilt, wenn eine ungleiche Behandlung von Sachverhalten mittelbar eine ungleiche Behandlung von Personengruppen bewirkt.100 Nähern sich die personenbezogenen Merkmale gar den in Art. 3 III GG genannten an, ist eine noch strengere Prüfung geboten,101 ohne dass gesagt wird, welcher Maßstab hier gelten solle. Bei rein sachverhaltsbezogenen Differenzierungen, das heißt solchen, bei denen persönliche Eigenschaften des Betroffenen für die Unterscheidung keinerlei Rolle spielen,102 genügt zwar im Ausgangspunkt eine Kontrolle anhand der Willkürformel, es ist aber weiter danach zu fragen, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird; je näher das Unterscheidungsmerkmal die Betroffenen in ihren vorgegebenen, unbeeinflussbaren Merkmalen betrifft und deshalb den geschützten Kern ihrer Individualität erfasst, umso strenger ist die Prüfung zu handhaben.103 Unabhängig davon, ob es sich (primär) um eine sachverhalts- oder personenbezogene Differenzierung handelt, ist ferner ein eventueller Bezug zu den Freiheitsgrundrechten zu berücksichtigen: Je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann, umso höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung.104 Beim Eingriff in Freiheitsrechte unterliegt der Staat damit größeren Bindungen als im Bereich der ge98 Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 17; ähnlich Kischel, AöR 124 (1999), 174, 189 („Einheitslösung“) m.w.N. 99 BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 26. 100 BVerfGE 91, 346, 362 f.; 95, 267, 316; 99, 367, 388. 101 BVerfGE 88, 87, 96; 99, 367, 388. 102 Epping, Grundrechte, Rn. 717 f. 103 BVerfGE 99, 88, 94; 111, 160, 169 f.; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 44; im Grundgedanken zustimmend etwa Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 69; Dreier/ Heun, GG, Art. 3, Rn. 31. 104 BVerfGE 60, 123, 134; 82, 126, 146; 88, 87, 96; 89, 15, 22; 90, 46, 56; 106, 166, 176; 111, 160, 169; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3, Rn. 11; Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 21; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 48 ff.; Steiner, in: Spickhoff, MedR, Art. 3 GG, Rn. 1; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14.
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währenden Staatstätigkeit wie zum Beispiel Subventionen, bei denen Freiheitsrechte nicht oder weniger stark als bei einem direkten Eingriff betroffen sind.105 Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei einem Eingriff in Freiheitsrechte ebenfalls entsprechend der Neuen Formel geprüft werden muss, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können.106 c) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine einfach zu subsumierende, für alle Einzelfälle Geltung beanspruchende Abgrenzungsformel nicht existiert, eine solche sich angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse vermutlich aber auch nicht finden lassen wird. Kirschels Fazit, das BVerfG wende seine eigene Stufenlehre und Merkmale nicht schulmäßig an, sondern es würden „nur einzelne Elemente verbunden mit diversen anderen Formulierungen aus der Rechtsprechung oder einzelfallbezogenen Konkretisierungen in unterschiedlicher Kombination wiedergegeben“107, vermag deshalb nicht zu überraschen.108 Es ist daher in jedem Einzelfall unter Heranziehung der oben genannten Kriterien der „richtige“ Prüfungsmaßstab zu ermitteln. 3. Grundlagen für die weitere Untersuchung Auf die Frage, welcher Prüfungsmaßstab im Rahmen der einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumente anzulegen ist, soll und kann angesichts des soeben Gesagten hier noch nicht näher eingegangen werden. Dies wird vielmehr – auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen – an der jeweils geeigneten Stelle erfolgen. Unabhängig von den Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung des „richtigen“ Prüfungsmaßstabes verbunden sind, lassen sich für die Anwendung von Art. 3 I GG aber immerhin einige einigermaßen gesicherte Grundfeststellungen treffen, die der folgenden Untersuchung zugrundeliegen: Erstens statuiert Art. 3 I GG kein Optimierungsgebot, mit anderen Worten es wird zwar die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in unterschiedlicher Strenge begrenzt, er darf aber nicht auf die aus Sicht des erkennenden Richters zweckmäßigste, beste oder gerechteste Lösung verpflichtet werden.109
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Vgl. z.B. BVerfGE 106, 166, 176; 111, 160, 169. BVerfGE 95, 267, 316. 107 BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 43 m.w.N. 108 Vgl. auch BVerfGE 105, 73, 111: „Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen.“. 109 BVerfGE 3, 162, 182; 11, 245, 254; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 95; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 113; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 33. 106
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Zweitens ist eine (Rechts-)Tradition als solches kein Legitimationsgrund für Ungleichbehandlungen.110 Denn auch wenn eine lange Tradition dafür sprechen mag, dass in der Vergangenheit sachliche Differenzierungsgründe bestanden, „taugt sie zur fortdauernden Legitimation nur, wenn diese Gründe weiterhin vorhanden oder durch tragfähige neue abgelöst worden sind. Wo solche Gründe fehlen, kann die Regelungstradition sie nicht ersetzen“111. Von einer derartigen, unbeachtlichen Tradition ist jedoch die langjährige praktische Bewährung einer Vorschrift zu unterscheiden, die durchaus Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung sein kann.112 Drittens ist der Gesetzgeber – vor allem bei Massenerscheinungen wie im Steuer- und Sozialrecht – zu Typisierungen berechtigt.113 Er muss lediglich sachgerecht und realitätsgerecht typisieren, das heißt seine Regelung am typischen Fall orientieren.114 Die mit einer derartigen Typisierung fast notwendigerweise einhergehenden einzelnen Härtefälle sind im Grundsatz hinzunehmen, unter Umständen kann es aber geboten sein, durch gesetzliche Härteklauseln oder Billigkeitsregelungen dafür Vorsorge zu treffen.115 Viertens verlangt das BVerfG die Folgerichtigkeit einfachgesetzlicher Wertungen, mit anderen Worten bedürfen gegensätzliche Regelungen einer folgerichtigen Begründung.116 Diese Forderung darf nicht dergestalt verstanden werden, die Systemwidrigkeit (auf der Ebene des einfachen Rechts) als solche begründe bereits einen Gleichheitsverstoß; sie ist vielmehr „allenfalls“117 ein Indiz hierfür, genügt als solche aber noch nicht.118 Umgekehrt stellt richtigerweise 110 BVerfGE 62, 256, 279; M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 87; Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 16; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 61; vgl. auch BK-GG/Rüfner, Art. 3 I, Rn. 40. – Zu Recht genügte dem BVerfG z.B. das Argument, die Arbeitsbedingungen von Arbeitern seien traditionell schlechter als die von Angestellten, nicht, um die in der Festsetzung unterschiedlich langer Kündigungsfristen in § 622 II BGB liegende Ungleichbehandlung beider Gruppen von Arbeitnehmern im Sinne von Art. 3 I GG zu rechtfertigen ( BVerfGE 82, 126 ff.). – Ein weiteres Beispiel ist die Strafbarkeit der Homosexualität: Allein die Tatsache, dass diese lange Zeit strafrechtlich sanktioniert war, rechtfertigt nicht den Fortbestand dieses Verbots. 111 BVerfGE 99, 367, 393 f., 399. 112 BVerfGE 99, 367, 393 f.; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 61. 113 BVerfGE 21, 12, 27 f.; 78, 214, 226 f.; 84, 348, 359; 103, 310, 319; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 105; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 113; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 33. 114 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 26; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 108; vgl. BVerfGE 39, 316, 328 f. 115 Vgl. BVerfGE 48, 102, 116; 60, 16, 39 f., 50 ff.; 68, 155, 173 ff.; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 111. 116 BVerfGE 84, 239, 271. 117 BVerfGE 81, 156, 207. 118 BVErfGE 59, 36, 49: „Nach welchem System der Gesetzgeber eine Materie ordnen will, obliegt, ebenso wie die Zweckmäßigkeit einer Regelung, seiner Entscheidung; das Bundesverfassungsgericht kann eine solche Regelung nur nach den Maßstäben der Verfassung, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der Systemwidrigkeit für verfassungswidrig erklären.“;
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aber auch Systemtreue als solche keinen Rechtfertigungsgrund dar.119 Entscheidend ist daher nicht die (In-)Konsistenz der Gesetzessystematik, sondern allein das Ergebnis einer Regelung für die Betroffenen. Relevant wird der Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit vor allem, wenn es darum geht, ob schon die Zugehörigkeit vergleichbarer Fälle zu verschiedenen Ordnungssystemen zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Handhabung genügt.120 Fünftens: Da die Willkürformel die Untergrenze an Rechtfertigungsvoraussetzungen darstellt, kann bei Verletzung des Willkürverbots unabhängig von den obigen Abgrenzungskriterien auf sie abgestellt werden und offen gelassen werden, ob sogar die Neue Formel oder ein sonstiger strengerer Prüfungsmaßstab anwendbar wäre.121 Ist eine Ungleichbehandlung umgekehrt schließlich sechstens selbst unter Zugrundelegung der strengen Neuen Formel gerechtfertigt, kann wiederum offen bleiben, welcher Maßstab konkret anzulegen wäre. 4. Rechtsfolgen eines Gleichheitsverstoßes Wird gegen ein Grundrecht verstoßen, ist die Handlung grundsätzlich rechtswidrig, das heißt im Falle eines Gesetzes ist dieses nichtig (vergleiche § 78 BVerfGG). Bei Art. 3 I GG macht das BVerfG davon allerdings regelmäßig insofern eine Ausnahme, als es nicht die Nichtigkeit, sondern lediglich die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit Art. 3 I GG feststellt. Hintergrund dessen ist, dass dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen ist, wie er dem Verstoß gegen Art. 3 I GG abhelfen will.122 Denn das kann auf zumindest zwei Arten geschehen: Beseitigung der Begünstigung respektive Belastung für alle oder Erstreckung der Begünstigung/Belastung auf die bisher nicht Begünstigten/Belasteten.123 Dementsprechend weitet das BVerfG eine begünstigende Regelung nur aus, wenn entweder keine Zweifel daran bestehen, dass der Gesetzgeber dies gewünscht hätte, oder wenn andere Verfassungsnormen dies zwingend erfordern.124
BVerfGE 61, 138, 149; 75, 382, 395 f.; 85, 238, 247; Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 29 (für Indiz); BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 88; BK-GG/Rüfner, Art. 3 I, Rn. 42. 119 Kischel, AöR 124 (1999), 174, 196. 120 Vgl. z.B. BVerfGE 84, 348, 363 f.; 85, 176, 186; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 101; Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 29; vgl. dazu auch unten § 2 E V 2. 121 So zu Recht Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14. 122 BVerfGE 85, 191, 211 f.; 99, 280, 298; 116, 243, 269 f. 123 BeckOK-GG/Kischel, Art. 3, Rn. 63; ausf. Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 363 ff. mit Hinweis auf weitere Möglichkeiten. – Entscheidet sich der Gesetzgeber für die Ausdehnung der Begünstigung, hat dies rückwirkend zu erfolgen; laufende Verfahren, auf die das bemängelte Gesetz Anwendung findet, sind auszusetzen ( BVerfGE 91, 389, 404 f.; 94, 241, 267; 100, 104, 136 f.; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 132). 124 BVerfGE 27, 391, 399; 85, 191, 211 f.; 115, 81, 93.
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§ 1 Grundlagen
III. Die Schutzpflichtdimension der Grundrechte Im Rahmen der weiteren Arbeit wird schließlich der sogenannten Schutzpflichtdimension der Grundrechte immer wieder (erhebliche) Bedeutung zukommen. Es ist daher angezeigt, deren wesentlichen Grundlagen, Ausprägungen und Grenzen – soweit für die vorliegende Untersuchung relevant – kurz zu skizzieren. 1. Grundlagen Zwar sind die Grundrechte geistesgeschichtlich und verfassungshistorisch als Abwehrrechte und fundamentale Schutzinstrumente gegen den Staat konzipiert.125 Dieser limitierten Aufgabenstellung sind sie jedoch längst entwachsen. So trat im Gefolge des Fristenlösungs-Urteils des BVerfG126 aus dem Jahr 1975 die Lehre von der staatlichen Schutzpflicht ihren Siegeszug an und dürfte heute allgemein anerkannt sein.127 Die Schutzpflicht zielt nicht auf Abwehr eines staatlichen Eingriffs in grundrechtlich geschützte Positionen – also ein staatliches Unterlassen –, sondern darauf, dass der Staat aktiv wird und sich „schützend und fördernd“128 vor das Grundrecht stellt. Relevant werden kann diese Schutzpflicht zum einen im bloßen Zweipersonenverhältnis Staat – Grundrechtsträger (zum Beispiel Verpflichtung zur Rettung eines Selbstmörders)129, zum anderen, wenn ein Grundrecht durch das Verhalten anderer Grundrechtsträger bedroht ist. In der letzten, durch das Dreieck: Staat – Bürger 1 – Bürger 2 gekennzeichneten Konstellation kann der Staat verpflichtet sein, als Garant der Grundrechte aktiv zugunsten eines der beiden Grundrechtsträger und damit zwangsläufig zulasten des anderen einzu125
Vgl. z.B. das Lüth-Urteil des BVerfGE 7, 198, 204 f. BVerfGE 39, 1 ff. 127 Die Literatur ist kaum überschaubar, vgl. z.B. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (1983); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht (1987); Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1–19, Rn. 17 m.w.N. – Explizit anerkannt hat das BVerfG bis jetzt solche Schutzpflichten unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 96, 56, 64; 99, 185, 194 f.), Art. 2 II 1 GG (BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160; 49, 89) und Art. 14 GG (BVerfG 26.5.1998 – 1 BvR 180/88, NJW 1998, 3264, 3265 f.); richtigerweise haben aber alle Grundrechte nicht nur Abwehr-, sondern auch Schutzcharakter (Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 266; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 89). – Die genaue dogmatische Begründung der Schutzpflichten ist umstritten. Das BVerfG leitetet sie zum Teil daraus ab, dass die Grundrechte auf alle Rechtsgebiete ausstrahlen und eine objektive Werteordnung errichten ( BVerfGE 49, 89, 141; 99, 185, 196; 97, 169, 175 f.); in anderen Entscheidungen wird hingegen auch oder gar ausschließlich auf Art. 1 I 2 GG abgestellt ( BVerfGE 39, 1, 41 f; 88, 203, 251 f.). Schon die Judikatur gibt demnach „kein klares Bild“ und die Begründungsvielfalt in der Literatur ist durchaus beachtlich (näher Stern, Staatsrecht, Band III, § 69 IV 4, 5 [S. 937 ff.]; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 231, 232 ff.; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 77 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 251). 128 BVerfGE 46, 160, 164. 129 Fischinger, JuS 2007, 808, 812. 126
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greifen.130 Adressaten dieser Pflicht sind nach Art. 1 III GG alle drei Staatsgewalten. Für den Gesetzgeber ergibt sich daraus die Verpflichtung, die Rechtsordnung so zu gestalten, dass „in ihr und durch sie die Grundrechte gesichert sind und die von ihnen gewährleisteten Freiheiten sich wirksam entfalten können“131, wobei die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung sich, je nach ihrer besonderen Aufgabenstellung, an der Erfüllung dieser Schutzpflicht auszurichten haben.132 2. Ausprägung: Pflicht zum Normerlass Aus dem oben Gesagten folgt zunächst, dass der Gesetzgeber grundrechtliche Schutzpflichten zu beachten hat, wenn er – quasi von sich aus – die Rechtsordnung aktiv weiterentwickelt. Dem Postulat, der Gesetzgeber müsse die Rechtsordnung so gestalten, dass sich die grundrechtlich geschützten Freiheiten wirksam entfalten können, kann aber nur dann genügt werden, wenn man noch einen Schritt weitergeht und es im Grundsatz für möglich hält, aus der Schutzgebotsfunktion eine Pflicht zum Erlass einfachen Gesetzesrechts abzuleiten. Das BVerfG hat dies in seiner Fristenlösungsentscheidung133 für § 218 StGB konsequenterweise ausdrücklich anerkannt. Weil es mit seiner Präventiv- und Kompensationsfunktion für den Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter wie Eigentum oder Leib und Leben neben dem Strafrecht eine wichtige Rolle spielt,134 gilt das gerade auch für das privatrechliche Haftungsrecht. Präventiv soll ein potentieller Schädiger durch die Androhung, für einen einem anderen angerichteten materiellen oder immateriellen Schaden einstehen zu müssen, von 130 Vgl. BVerfGE 56, 54, 73; 39, 1, 42; 46, 160, 164 f.; 88, 203, 251 f. – Das Handeln des Staates wird dann – je nach Standpunkt – als freiheitssichernde oder -beschränkende Maßnahme verstanden werden. Um es illustrativ mit den Worten Abraham Lincolns auszudrücken: „The shepherd drives the wolf from the sheep’s throat, for which the sheep thanks the shepherd as his liberator, while the wolf denounces him for the same act as the destroyer of liberty.“ (zit. nach McPherson, Lincoln, S. 44). 131 Klein, DVBl 1994, 489, 491; vgl. allg. HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 12 ff. 132 BVerfGE 39, 1, 41; für Beispiele vgl. HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 139. 133 BVerfGE 39, 1, 42 ff. 134 Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 128: „Die deliktsrechtlichen Normen setzen die grundrechtliche Schutzpflicht im System des Privatrechts um.“ – Auch in der Rechtsprechung ist die Bedeutung des privatrechtlichen Haftungsrechts im Rahmen der Schutzpflichtdimension der Grundrechte seit langem anerkannt. So hob das BVerfG in der Blinkfüer-Entscheidung das angegriffene BGH-Urteil auf, da dieses dem klagenden Presseunternehmen nicht den durch Art. 5 I GG gebotenen Mindestschutz gewährt hatte (BVerfGE 25, 256, 268). Ein weiteres Beispiel ist die Rechtsprechung des BGH zum Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das es entgegen § 253 I BGB gewährte, weil die „unter dem Einfluß der Wertentscheidung des Grundgesetzes erfolgte Ausbildung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes […] lückenhaft und unzureichend [wäre], wenn eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts keine der ideellen Beeinträchtigung adäquate Sanktion auslösen würde.“ (BGH 19.9.1961 – VI ZR 259/60, BGHZ 35, 363, 367 f.; bestätigt von BGH 5.3.1963 – VI ZR 55/62, BGHZ 39, 124, 131 f.).
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§ 1 Grundlagen
sorgfaltswidrigem Verhalten abgehalten beziehungsweise – positiv gewendet – ihm ein Anreiz dafür gegeben werden, mit den Rechtsgütern anderer sorgfältig umzugehen.135 Auch die Kompensationsfunktion dient dem Grundrechtsgüterschutz, weil die Rechtsgutsbeschädigung idealiter über eine Naturalrestitution (§ 249 BGB) ungeschehen gemacht wird, sie zumindest aber per Entschädigungszahlung (§ 251 BGB) abgemildert wird.136 3. Grenzen Auch wenn sich aus grundrechtlichen Schutzpflichten also grundsätzliche Vorgaben für die Gestaltung der Rechtsordnung ergeben können, ist aber zugleich unbestritten, dass sich aus ihnen nur in extremen Ausnahmefällen konkrete, detaillierte Handlungspflichten ableiten lassen, im Übrigen dem Gesetzgeber aber ein erheblicher Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zukommt.137 Begründen lässt sich dies vor allem mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der es gebietet, die primäre Verantwortung samt Abwägung der widerstreitenden Interessen der Betroffenen unter Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu überlassen.138 Eine Grundrechtsverletzung kommt demnach nur in Betracht, wenn das gebotene Schutzminimum unterschritten wird, die Schutzpflichtverletzung mithin evident ist.139 Als Maßstab hierfür wird – quasi spiegelverkehrt zum Übermaßverbot bei staatlichen Eingriffen – das sogenannte Untermaßverbot herangezogen.140
135 Vgl. MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823, Rn. 43 („Vermeidung zukünftiger Schäden durch Vermittlung von Anreizen zu kosteneffizienten Sorgfaltsmaßnahmen“); BeckOK-BGB/ Spindler, § 823, Rn. 0.7 („ökonomische Verhaltenssteuerung“). 136 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht Rn. 17: Ausgleich für den „materiellen Schaden und die erlittene Unbill“. 137 BVerfGE 49, 89, 142; 56, 54, 80; 77, 381, 404 f.; 79, 174, 198; NJW 2007, 3268, 3270; für ein Beispiel, in dem ein Verstoß gegen die Schutzpflicht bejaht und sich das Ermessen auf ein einziges zwecktaugliches Mittel reduzierte, vgl. BVerfGE 77, 170, 214 f.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 253 f.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 128. 138 Brüning/Helios, JURA 2001, 155, 162. 139 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227 f. 140 HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 164 f.; HdBStR/Götz, Band III, § 79, Rn. 30 f.; zuerst wurde der Begriff von Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228 verwendet.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente A. Haftungshöchstsummen I. Begriff und dogmatische Verortung als Schuldbeschränkung Ein Instrument, um eine an sich bestehende Einstandsverpflichtung zu begrenzen, sind sogenannte gesetzliche Haftungshöchstsummen1. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Einstandsverpflichtung dem Grunde nach unberührt lassen, sie aber auf einen bestimmten Geldbetrag begrenzen. Im Sinne der klassischen Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung beschränken sie daher schon die Schuld des Einstandsverpflichteten, so dass dieser zum Beispiel im Erkenntnisverfahren nicht zu einem die Höchtssumme übersteigenden Betrag verurteilt werden darf. Eine weitergehende Wirkung kommt den Höchstsummen allerdings nicht zu: Anders als bei der Restschuldbefreiung handelt es sich bei den durch Höchstsummen gedeckelten Ansprüchen um vollgültige, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbare Forderungen, für die der Schuldner – anders als bei Geltendmachung der beschränkten Erbenhaftung – grundsätzlich 2 mit seinem gesamten Vermögen einzustehen hat. Haftungshöchstsummen sind daher kein Fall einer gegenständlich beschränkten Haftung und damit Haftungsbeschränkung im klassischen Sinne, sondern vielmehr einer rechnerischen Schuldbeschränkung.
II. Systematisierung und Bestandsaufnahme des geltenden Rechts 1. Anwendungsbereich: Charakteristikum von Tatbeständen verschuldensunabhängiger Haftung? Haftungshöchstsummenregelungen finden sich klassischer- und typischerweise dort, wo es um die Beschränkung verschuldensunabhängiger Haftung geht. Beispiele hierfür sind die §§ 1, 15 UmweltHG, §§ 88, 84 AMG, §§ 1, 2, 9, 10 1 Im Folgenden auch Haftungshöchstbeträge oder Haftungshöchstgrenzen genannt. – Die Frage, inwieweit Haftungshöchstsummen durch privatautonome Vereinbarung begründet werden können, bleibt im Folgenden als nicht zur Fragestellung der vorliegenden Untersuchung gehörend (vgl. oben § 1 C 3) außer Betracht. 2 Eine gewisse Ausnahme stellt § 8 SVertO dar, nach dem sich die Haftung des Reeders (§ 485 HGB) und des Schiffseigners nach §§ 3 ff. BinSchG auf die eingezahlte Haftungssumme beschränkt.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Haftpfl chtG, §§ 32, 33 GenTG, §§ 675v I 13, 702 I BGB4, §§ 37, 45 II 1 LuftVG5, §§ 7 I, 12 StVG, §§ 25, 31 I 2, III 1 AtomG, § 8 I, III 1 BDSG. Abweichungen von dieser Grundregel finden sich jedoch in beide Richtungen: Erstens existieren verschuldensunabhängige Haftungstatbestände, die jegliche Haftungshöchstgrenzen vermissen lassen, nämlich § 89 WHG (§ 22 WHG a.F.)6 , § 53 LuftVG7, §§ 29, 30 BJagdG8, § 833 S. 1 BGB, §§ 414 I, 451, 455 II, 468 III HGB9 sowie die Aufopferungsansprüche10 der § 14 S. 2 BImSchG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 11 LuftVG beziehungsweise § 7 VI AtomG), § 23 S. 2 GenTG und § 16 I 3 WHG. Keine Haftungshöchstsummenregelungen enthalten ferner die verschuldensunabhängig ausgestalteten materiell-rechtlichen Schadensersatzansprüche der §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO; deren dogmatische Qualifikation als Gefährdungshaftung ist zwar äußerst umstritten, praktische Unterschiede erwachsen aus diesem Streit aber nicht.11 Eine 3 § 675v I 1 BGB wird zum Teil als Zufallshaftung (Hk-BGB/Schulte-Nölke, §§ 675v, 675w, Rn. 3), zum Teil als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung eingestuft (Staudinger/Omlor, § 675v, Rn. 6). 4 Umstritten ist zwar, ob es sich bei § 701 BGB um eine Erfolgs- (MüKo-BGB/Henssler, § 701, Rn. 3 f.) bzw. Zufallshaftung aus gesetzlichem Schuldverhältnis (Staudinger/Werner, Vorbem 5 zu §§ 701 ff; P. Koch, VersR 1966, 705, 709) oder um eine Gefährdungshaftung (BGH 4.4.1960 – III ZR 91/59, BGHZ 32, 149, 151; BeckOK-BGB/Gehrlein, § 701, Rn. 1) handelt. Klar ist aber, dass sie verschuldensunabhängig ist. Relevant ist das Verschulden des Gastwirts oder seiner Leute nur insoweit, als es zum Wegfall der Haftungsbeschränkung führt, § 702 II, III BGB. 5 Wie bei § 702 II BGB gilt die Höchstgrenze aber dann nicht, wenn der Schaden durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln oder Unterlassen des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursachte wurde (§ 45 II Nr. 1 LuftVG). 6 BeckOK-UmweltR/Hilf, § 22 WHG, Rn. 34; Staudinger/Kohler, § 89 WHG, Rn. 69; J. Schröder, BB 1976, 63. 7 Weil § 37 LuftVG explizit nicht anwendbar ist. 8 § 29 BJagdG soll aber keine Gefährdungshaftung, sondern ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch bzw. Einstandspfl cht sein, Lorz/Metzger/Stöckel, JagdR, § 29 BJagdG, Rn. 2; die Einstufung von § 30 BJagdG als Verschuldens- oder Gefährdungshaftung ist umstritten, Metzger a.a.O., § 30 BJagdG, Rn. 3 m.w.N. 9 Die frühere Haftungshöchstsumme des § 414 I 2 HGB wurde samt der auf sie Bezug nehmenden Vorschriften (§§ 451c, 455 II 2, 468 III 2 HGB jeweils a.F.) durch Gesetz vom 25.4.2013 (BGBl. I S. 831) mit Wirkung zum 22.7.2013 gestrichen. – Ist Ab-/Versender bzw. Einlagerer allerdings ein Verbraucher, so haftet er nur verschuldensabhängig (§§ 414 III, 455 III, 468 IV HGB). 10 Zur Charakterisierung des § 14 S. 2 BImSchG als bürgerlich-rechtlichen, von Rechtswidrigkeit und Verschulden unabhängigen Aufopferungsanspruch vgl. OLG München 5.6.1986 – 1 U 1510/86, NVwZ 1986, 691; E. Rehbinder, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 14 BImSchG, Rn. 54; Jarass, BImSchG, § 14, Rn. 26; BeckOK-UmweltR/Giesberts, § 14 BImSchG, Rn. 26. – Zu § 23 GenTG: Staudinger/Kohler, § 23 GenTG, Rn. 2, 10. – Auch bei § 16 I 3 WHG handelt es sich um einen solchen Anspruch, lehnte sich der Gesetzgeber bei seiner Schaffung doch bewusst an der Regelung des § 14 BImSchG an (BT-Drucks. 16/12275, S. 57; vgl. auch BeckOK-UmweltR/Guckelberger, § 16 WHG, Rn. 13 f.). – Zu § 7 AtomG: Fischerhof, AtomG, § 7, Rn. 31. 11 Für Gefährdungshaftung: BGH 5.10.1982 – VI ZR 31/81, NJW 1983, 232; 25.11.1993 –
A. Haftungshöchstsummen
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analoge Anwendung der für andere verschuldensunabhängige Haftungstatbestände normierten Haftungshöchstsummen auf diese Ansprüche scheidet aus. Weil dem Gesetzgeber die Problematik jeweils bekannt gewesen sein dürfte, fehlt es schon an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.12 Im Übrigen könnte angesichts des disparaten Inhalts der einzelnen Höchstbetragsvorschriften (siehe sogleich unter 2.) vom Rechtsanwender überhaupt nicht überzeugend bestimmt werden, auf welche Höchstsummenregelung für die Analogie in concreto zurückzugreifen ist. Umgekehrt regelt das Gesetz zweitens Fälle, in denen auch die Verschuldenshaftung der Höhe nach begrenzt wird. Zu nennen sind zunächst die §§ 12, 12a StVG, die nicht nur für die verschuldensunabhängige Halterhaftung nach § 7 StVG, sondern auch für die Ersatzpflicht des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden aus § 18 I StVG gelten.13 Regelungstechnisch entspricht dem die Verweisung auf § 675v I 1 BGB, durch die auch die Verschuldenshaftung des § 675v I 2 BGB14 auf einen Höchstbetrag von € 150 begrenzt wird. § 323 II HGB beschränkt die Haftung von Abschlussprüfern, § 49 AktG die der Gründungsprüfer gegenüber dem zu prüfenden Unternehmen bei (auch: grob)15 fahrlässiger Pflichtverletzung auf eine beziehungsweise vier Millionen Euro. Je nachdem, wie man § 1 ProdHaftG qualifiziert,16 beinhaltet schließlich § 10 ProdHaftG eine Höchstsumme für eine zumindest auch durch Verschuldenselemente geprägte Haftung.
IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413, 1415; Saenger, JZ 1997, 222, 224; Zöller/Herget, ZPO, § 717, Rn. 3; Musielak/Lackmann, ZPO, § 717, Rn. 4; für Haftung aus unerlaubter Handlung i.w.S.: Vollkommer, ZIP 2008, 2060, 2063; ders., in: Zöller, ZPO, § 945, Rn. 3 m.w.N.; für Risikohaftung: BGH 22.3.1990 – IX ZR 23/89, NJW 1990, 2689, 2690; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 717, Rn. 9; für privatrechtliche Aufopferung: Baur, Studien, S. 110. 12 Ebenso Finke, Minderung, Rn. 354. 13 BGH 5.12.1967 – VI ZR 116/66, VersR 1968, 303; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 20, Rn. 4; implizit auch BGH 21.1.1986 – VI ZR 63/85, NJW 1986, 2703, 2704. 14 Vgl. „Sicherheitsmerkmale nicht sicher aufbewahrt hat“ und „sonstige missbräuchliche Verwendung“; BT-Drucks. 16/11643, S. 113; Derleder, NJW 2009, 3195, 3197; Staudinger/Omlor, § 675v, Rn. 12 ff. 15 Vgl. statt aller Hüffer, AktG, § 49, Rn. 4. 16 Für reine Gefährdungshaftung: Hübner, NJW 1988, 441, 445; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 10 ff.; Taschner, NJW 1986, 611, 612; Hollmann, DB 1985, 2389; für verschuldensunabhängige Haftung für objektives Verhaltensunrecht: Brüggemeier/Reich, WM 1986, 149, 154; Wieckhorst, VersR 1995, 1005, 1014; für ein vom jeweiligen Fehlertyp abhängiges Mischsystem aus Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängiger Verhaltenshaftung: Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn 615; vgl. Lüderitz, in: FS Rebmann, S. 755, 762 f.; für ein Mischsystem aus Haftung für Verhaltensunrecht und Gefahr: Soergel/Krause, vor § 1 ProdHaftG, Rn 5; Staudinger/Oechsler, Einl. zum ProdHaftG, Rn. 27 ff.; für eine Kombination aus Verschuldens- und strikter Haftung: MüKo-BGB/G. Wagner, Einl. zum ProdHaftG, Rn. 19.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
2. Typisierungen der Haftungshöchstsummen Während unter 1. das „Ob“ der Beschränkung mittels Haftungshöchstsummen dargestellt wurde, ist nun zu untersuchen, „wie“ – mit anderen Worten: auf welchem „technischen“ Wege – diese Beschränkung jeweils verwirklicht wurde. Hierbei lassen sich verschiedene Unterscheidungen herausarbeiten: a) Gesetzliche Anordnung versus „Vertragslösung“ Typischerweise werden Haftungshöchstsummen unmittelbar durch Gesetz geregelt, so zum Beispiel bei §§ 12, 12a StVG, § 88 AMG, §§ 10, 11 ProdHaftG, § 15 UmweltHG, § 117 I BBergG, § 8 III BDSG, § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG), §§ 675v I, 702 BGB, §§ 9, 10 HaftpflichtG, § 31 AtomG, §§ 431 I, 433, 451, 451e, 461 I HGB. In einigen Fällen hingegen werden die Höchstsummen nicht gesetzlich normiert, sondern es werden nur explizit Parteiabreden erlaubt, mittels derer die Haftung auf einen bestimmten Betrag beschränkt werden kann, vergleiche § 651h BGB, § 67a I StBerG, §§ 449 II 2, 451h II 3, 466 II 2 HGB, § 54a I WPO und § 51 IV 2 BRAO17. b) Globalgrenzen versus Einzelgrenzen Gesetzliche Haftungshöchstsummen lassen sich weiter danach unterscheiden, ob sie Global- oder Einzelgrenzen enthalten. Mit einer Globalgrenze wird an die Schädigung mehrerer Geschädigter durch ein Ereignis angeknüpft und die Gesamtverantwortlichkeit des Schuldners für all diese Ansprüche auf einen bestimmten Höchstbetrag gedeckelt; der Schuldner haftet daher unabhängig von der Zahl der Geschädigten insgesamt nur bis zu einem festgelegten Maximalbetrag. Beispiele hierfür sind § 10 I ProdHaftG, § 15 S. 1 UmweltHG, § 33 S. 1 GenTG (jeweils € 85 Millionen), § 12 I 1 StVG (€ 5 Millionen für Personen-, € 1 Million für Sachschäden), § 10 I HaftpflichtG (€ 300.000 für Sachschäden), § 8 III 1 BDSG (€ 130.000), § 651k I BGB (€ 110 Millionen).18 Dagegen beschränken Einzelgrenzen den Anspruch jedes einzelnen Gläubigers dergestalt, dass dieser den Ersatzpflichtigen nur bis zu einem bestimmten Betrag in Anspruch nehmen kann;19 ob weitere Gläubiger vorhanden sind, spielt hier also keine Rolle. Zu nennen sind zum Beispiel § 9 HaftpflichtG, § 117 I Nr. 1 BBergG (für Personenschäden jeweils bis zu € 600.000 beziehungsweise einer jährlichen Rente 17 Zur Notwendigkeit einer entsprechenden Vereinbarung im Versicherungsvertrag vgl. Stobbe, in: Henssler/Prütting, BRAO, § 51, Rn. 30. 18 Übersteigen die Schäden aus dem jeweiligen Schadensereignis den Höchstbetrag, erfolgt eine anteilige Kürzung; zu den damit verbundenen Problemen vergleiche ausführlich Fischinger, Kürzungsregelungen, passim. 19 Vgl. Lülling, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTR/BioMedR, § 33 GenTG, Rn. 6 f.
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von € 36.000), §§ 46 II, 47 IV, 54 I, II LuftVG, § 702 I BGB20. Die Besonderheit einer Kombination aus Einzel- (Nr. 1) und Globalgrenze (Nr. 2) findet sich in § 88 S. 1 AMG. c) Abstrakte Haftungshöchstsummen versus Anknüpfung an einzelfallrelevante Umstände aa) Verbreitet nennt das Gesetz einen abstrakten, in Geld ausgedrückten Haftungshöchstbetrag, ohne in irgendeiner Weise an die Umstände des konkreten Einzelfalls anzuknüpfen. Zum Teil wurden diese Beträge harmonisiert. So normieren die § 9 HaftpflichtG, § 37 II LuftVG, § 117 II Nr. 1 BBergG, § 88 AMG21 bei Personenschäden je Person einen Höchstbetrag von € 600.000 beziehungsweise einen Rentenbetrag von jährlich maximal € 36.000, und sehen § 10 ProdHaftG, § 33 GenTG, § 15 UmweltHG für Personenschäden eine Globalgrenze von jeweils € 85 Millionen vor. Davon vollständig abweichend enthält § 12 I 1 StVG eine grundsätzlich 22 absolute Höchstgrenze von € 5 Millionen bei Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Menschen durch dasselbe Ereignis. Auch für Sachschäden weichen die Regelungen zum Teil stark voneinander ab: § 12 I 1 Nr. 2 StVG sieht – vorbehaltlich einer Erhöhung auf € 10 Millionen nach § 12a I 1 Nr. 2 StVG – eine Globalgrenze von € 1 Million, § 15 UmweltHG eine solche von € 85 Millionen vor. § 1 ProdHaftG enthält hingegen keine Haftungshöchstsumme für Sachschäden, sondern nur eine Selbstbeteiligung des Geschädigten von € 500 (§ 11 ProdHaftG).23 § 10 HaftpflichtG schließlich enthält eine Globalgrenze von € 300.000 für Sachbeschädigungen, auch wenn durch dasselbe Ereignis mehrere Sachen beschädigt wurden, nimmt aber Grundstücke samt wesentlicher Bestandteile24 hiervon vollständig aus, so dass für Schäden an solchen unbeschränkt zu haften ist. Sonderregelungen enthalten § 8 III BDSG für durch unzulässige Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten entstandene Schäden (€ 130.000) und § 675v I BGB für Schäden bei missbräuchlicher Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments (€ 150). 20 Jeder Gast hat für sich jeweils einen Ersatzanspruch bis zum gesetzlichen Höchstbetrag; das gilt auch bei Benutzung desselben Zimmers durch mehrere Gäste (BGH 11.7.1974 – III ZR 114/72, NJW 1974, 1818, 1819; MüKo-BGB/Henssler, § 702, Rn. 4). 21 Bei § 88 AMG besteht aber die Besonderheit, dass neben dieser individuellen Höchstgrenze zugleich eine absolute Höchstgrenze bei Tötung oder Verletzung mehrerer Menschen durch das gleiche Arzneimittel von insgesamt € 120 Millionen bzw. einem Rentenbetrag von jährlich € 7,2 Millionen festgelegt wird. 22 Die aber bei geschäftsmäßiger Personenbeförderung (§ 12 I 1 Nr. 1 Hs. 2 StVG) sowie bei Beförderung gefährlicher Güter (§ 12a I StVG) erhöht wird. 23 Kritisch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 654. Es handelt sich um einen Sockelbetrag, der stets abzuziehen ist (Staudinger/Oechsler, § 11 ProdHaftG, Rn. 2) – ob das mit den Vorgaben der RL 85/374/EWG vereinbar ist, ist umstritten (kritisch Oechsler a.a.O.; PWW/Schaub, § 11 ProdHaftG, Rn. 2; bejahend MüKo-BGB/G. Wagner, § 10 ProdHaftG, Rn. 3). 24 Amtl. Begründung zu § 4 III Gesetz über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschäden vom 29. 4. 1940 (RGBl. I S. 691), DJ 1940, 544, 545.
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bb) Von diesen vollkommen situationsunabhängigen, rein abstrakten Höchstsummen sind Regelungen zu unterscheiden, die zur Bestimmung der Höhe der Haftungshöchstsumme zwar auch auf einen abstrakten Wert abstellen, aber zusätzlich an ein sich nach den Umständen des Einzelfalls richtendes Kriterium anknüpfen. Zu diesen Kriterien gehören zum Beispiel das Rohgewicht des versendeten Gutes (§§ 431 I, 461 I 2 HGB), der zur Beförderung des Umzugsgutes benötigte Laderaum (§ 451e HGB), eine Kombination aus Schiffsart, Leistungsfähigkeit der Antriebsmaschinen und der Wasserverdrängung (§ 5e BinSchG), die Höchstabfl gmasse eines Flugzeugs bei § 37 I LuftVG, der Reisepreis bei § 651h BGB, das Prüfungsobjekt bei § 323 II HGB und der Beherbergungspreis bei § 702 I BGB. § 31 III AtomG und § 117 Nr. 2 BBergG wiederum knüpfen an den gemeinen Wert der beschädigten Sache an, unterscheiden sich aber insoweit, als dies beim AtomG auch für Grundstücke gilt, 25 während beim BBergG – insoweit zum Teil der Regelung des § 10 HaftpflichtG (siehe oben) vergleichbar – für Schäden an Grundstücken, Grundstücksbestandteilen und -zubehör unbeschränkt gehaftet wird. Um Fälle von sich an den Einzelfallumständen orientierenden Haftungshöchstsummen handelt es sich auch bei den §§ 1371 IV, 1586b I 1, 3, 1836e I 2, 1908i BGB, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, die an verschiedene Faktoren anknüpfen; sie bleiben im Folgenden außer Betracht und werden stattdessen aufgrund der thematischen Verknüpfung im Kapitel „Beschränkte Erbenhaftung“26 behandelt. cc) Mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG wird vor allem die Herausnahme von Grundstücken aus den Höchstsummenregelungen in § 10 III HaftpflichtG und § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG kritisch zu hinterfragen sein. 27 Dagegen kann schon an dieser Stelle ein Verstoß gegen Art. 3 I GG insoweit ausgeschlossen werden, als bei der Haftung nach § 1 ProdHaftG nur eine Höchstsumme für Personen-, nicht aber Sachschäden existiert; denn eine andersartige Regelung wäre auf nationaler Ebene gar nicht möglich, weil Art. 16 I Produkthaftungsrichtlinie (RL 85/374/EWG) eine Höchstsumme nur für Personenschäden erlaubt. 28 Auch verstößt es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, dass die einzelnen Haftungshöchstsummenregelungen in der Höhe nicht harmonisiert wurden, mit anderen Worten unterschiedliche Höchstbeträge vorsehen. Zwar liegt insoweit eine Ungleichbehandlung vor, diese wird man angesichts der Unterschiede der jeweils geregelten Lebenssachverhalte allerdings selbst dann, wenn man angesichts des Bezugs zu Freiheitsgrundrechten einen
25 Und nach dem AtomG auch die Kosten für die Sicherung gegen die von der Sache ausgehende Strahlengefahr zu ersetzen sind. 26 Siehe unten § 2 C III 7 b). 27 Dazu ausführlich unten § 2 A IV. 3. 28 Kritisch gegenüber dieser unterschiedlichen Handhabung in der RL Hollmann, DB 1985, 2439, 2440.
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strengen Maßstab anlegt, 29 für gerechtfertigt halten dürfen, weil dem Gesetzgeber insoweit eine weite Einschätzungsprärogative einzuräumen ist, wobei maßgebliche Kritierien vor allem die (typisierten) möglichen Schadensrisiken einerseits, die Leistungsfähigkeit des potentiell Ersatzpflichtigen andererseits sind.30
III. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation von Haftungshöchstsummen Es vermag kaum zu überraschen, dass die Legitimität von Haftungshöchstsummen seit Jahrzehnten umstritten ist, können sie doch nicht nur dazu führen, dass bei vielen Geschädigten jeder nur für einen geringen Teil seines erlittenen Schadens Ersatz verlangen kann,31 sondern auch, dass Schwerstgeschädigte – und damit eigentlich besonders Schutzwürdige – keine vollständige Schadenskompensation erhalten, wohingegen kleine Vermögenseinbußen, die zur Not vom Geschädigten (teilweise) selbst getragen werden könnten, voll ersetzt werden.32 Die früher so heftig geführte Kontroverse ist in den letzten Jahren allerdings abgeflaut und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gegner von Höchstsummen vor der Persistenz des Gesetzgebers kapituliert haben. 1. Beschränkung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände a) Rechtstradition als Rechtfertigung? Zugunsten von Haftungshöchstsummen wird teilweise angeführt, in Deutschland entspräche die Begrenzung der strikten Haftung einer Rechtstradition.33 Rechtsdogmatisch rechtfertigen lässt sich ihre Existenz damit aber aus zwei Gründen nicht: Erstens ist eine solche Tradition gar nicht feststellbar.34 Schon ein Blick auf das geltende Recht zeigt, dass verschuldensunabhängig ausgestaltete Tatbe29 Siehe zur Frage, an welchem Maßstab sich eine Ungleichbehandlung rechtfertigen lassen muss oben § 1 F II 1, 2. 30 Vgl. dazu auch allgemein Hannak, Verteilung, S. 69 ff. 31 Vgl. den Düsseldorfer-Propangasflaschen-Fall vom 5.10.1957, bei dem jeder Geschädigte nur einen Schadensersatz von zehn Pfennig (!) erhielt, vgl. Der Spiegel v. 3.10.1962, S. 61, abzurufen unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45141747.html. 32 So die Kritik bei Scherer, Haftpflicht, S. 142: Es stelle einen „unhaltbaren Zustand“ dar, der beseitigt werden müsse, „daß jeder kleine Unfall oft noch so zweifelhafter Art ohne Karenzzeit gleich vom ersten Tage an voll und ganz entschädigt wird, während der dauernd, total oder in hohem Maße Erwerbsunfähige, für den doch das Haftpflichtgesetz in erster Linie erlassen wurde, keinen Rappen mehr als besten Falls das Maximum von 6000 Fr. erhält.“; vgl. auch Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 317; Rinck, Gefährdungshaftung, S. 23, Fn. 114. 33 Z.B. BT-Drucks. 11/2447, S. 12, 24; vgl. auch BT-Drucks. 11/7104, S. 21; K. Mayer, MDR 1991, 813, 817. 34 Staudinger/Oechsler, § 10 ProdHaftG, Rn. 2; vgl. auch Cahn, ZIP 1990, 482, 486; Kötz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, II, S. 1779, 1825; Landsberg/Lülling, Umwelthaftungsrecht, § 15 UmweltHG, Rn. 5.
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stände nicht stets durch Haftungshöchstbeträge begrenzt werden: Mit § 89 WHG (§ 22 WHG a.F.), § 14 S. 2 BImSchG, § 53 LuftVG, §§ 29, 30 BJagdG, §§ 414 I, 451, 455 II, 468 III HGB und § 833 S. 1 BGB existieren zahlreiche verschuldensunabhängig ausgestaltete Tatbestände, bei denen sich überhaupt keine Höhenbegrenzung findet.35 Zudem enthalten zwar die § 117 BBergG und § 10 HaftpflichtG grundsätzlich Haftungshöchstsummen, die Beschädigung von Grundstücken wird aber ausgenommen, so dass hier die Haftung unbegrenzt ist (§ 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG, § 10 III HaftpflichtG). Und schließlich beschränken § 31 III AtomG, § 117 I Nr. 2 Hs. 1 BBergG die Haftung zwar auf den gemeinen Wert der Sache, bei Beschädigung entsprechend werthaltiger Sachen kann die Haftung aber auch hier mangels einer absoluten Obergrenze einen ganz erheblichen Umfang annehmen. Es kann also keinesfalls die Rede davon sein, dass der „Grundsatz der Haftungsbeschränkung [mittels Haftungshöchstsummen] […] seine endgültige Bestätigung gefunden“36 habe.37 Dieser Befund wird durch einen Blick auf die historische Entwicklung bestätigt. Zu keiner Zeit herrschte ein Zustand, in dem sämtliche verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände durch Haftungshöchstsummen beschränkt waren. So enthielten weder das preußische Eisenbahngesetz von 183838 noch das Reichshaftpflichtgesetz von 187139 Haftungshöchstsummen. Im BGB wurde dann zwar mit § 702 BGB die erste Haftungshöchstsumme geschaffen, gleichzeitig mit § 833 S. 1 BGB aber auch eine der Höhe nach nicht beschränkte verschuldensunabhängige Einstandspflicht normiert. Auch in der Folgezeit wurden zwar immer wieder summenmäßig beschränkte (zum Beispiel § 12 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen [KFG]40 oder § 23 LVG41), aber genauso auch unbeschränkte verschuldensun35 In Bezug auf die §§ 414 I, 451, 455 II, 468 III HGB gilt dies aber erst seit dem 22.7.2013, davor enthielten die §§ 414 I 2, 451c, 461 I 2, 468 III 2 HGB a.F. Haftungshöchstsummenregelungen. 36 Hannak, Verteilung, S. 45, bezogen auf §§ 1a, 7a, 7b RHG, die durch Gesetz v. 15.8.1943 (DRGBl. I S. 489) eingeführt worden waren. 37 So aber Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 307 f.; ähnlich wie hier Staudinger/Oechsler, § 10 ProdHaftG, Rn. 2; Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz, § 10, Rn. 3; Cahn, ZIP 1990, 482, 486. 38 Gesetz v. 3.11.1838, Textauszug bei Unger, Handeln auf eigene Gefahr, S. 83. 39 Gesetz v. 7.6.1871, Text abzurufen unter: http://de.wikisource.org/wiki/Gesetz,_betreffend_ Schadenersatz_f%C3 %BCr_die_in_Betrieben_herbeigef%C3 %BChrten_ Unf%C3 %A4lle. 40 RGBl. 1909, S. 437: Für Personenschäden war die Haftung danach auf einen Kapitalbetrag von 50.000 Mark bzw. einen jährlichen Rentenbetrag von 3.000 Mark beschränkt, bei Verletzung/Tötung mehrerer Personen insgesamt auf 150.000 Mark bzw. jährliche Rentenbeträge von 9.000 Mark; bei Sachschäden betrug die Grenze auch bei Beschädigung mehrerer Sachen 10.000 Mark. Der erste Entwurf des Gesetzes enthielt dagegen noch keine Haftungshöchstsumme (vgl. BT-Drucks. 8/108, S. 6). 41 Gesetz v. 1.8.1922, RGBl. I, S. 681.
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abhängige Haftungsnormen (beispielsweise § 29k I LVG42, § 7b III RHG43 und § 4 III SHG44) erlassen. Die an sich ja grundsätzlich mögliche Begründung einer Rechtstradition wurde damit im Keim erstickt. Selbst wenn man das anders sähe, würde dies zweitens nichts ändern, denn die Berufung auf eine traditionelle Handhabung begründet weder die rechtspolitische/-dogmatische Legitimität einer Regelung noch entbindet sie von der Notwendigkeit ihrer kritischen Hinterfragung. Das zeigt zum Beispiel ein Blick ins Arbeitsrecht: Nach der zutreffenden Rechtsprechung des BVerfG genügte das Argument, die Arbeitsbedingungen von Arbeitern seien traditionell schlechter als die von Angestellten, nicht, um die in der Festsetzung unterschiedlich langer Kündigungsfristen in § 622 II BGB liegende Ungleichbehandlung beider Gruppen im Sinne von Art. 3 I GG zu rechtfertigen.45 b) (Isoliert) Schutz vor ruinöser und damit prohibitiv wirkender Haftung? Haftungshöchstsummen kann man richtigerweise auch nicht isoliert damit legitimieren, dass sie den Einstandsverpflichteten vor einer potentiell ruinösen und damit – was die Ausübung der jeweiligen haftungsverursachenden Handlungen betrifft – möglicherweise prohibitiven Haftung bewahren. aa) Bei einigen Haftungshöchstsummen folgt dies bereits daraus, dass sie so niedrige Höchstbeträge nennen, dass es offenkundig nicht um einen Schutz vor ruinöser Haftung gehen kann. Das gilt vor allem für § 675v I 1 BGB, beträgt der Höchstbetrag hier doch entsprechend der Vorgabe in Art. 61 I RL 2007/64/ EG gerade einmal € 150 – auch wenn man diese Summe auf das Zehnfache erhöhen würde, würde das für den durchschnittlichen Kreditkartennutzer weder den Ruin bedeuten noch ihn vom Gebrauch solcher Zahlungsinstrumente abhalten. Gleiches gilt für die Beschränkung der Gastwirtshaftung durch § 702 I BGB auf maximal € 3.500, würden Gastwirte doch in aller Regel selbst durch das zum Beispiel Fünffache dieses Betrages nicht ruiniert werden. Und auch § 8
42 Summenmäßig unbeschränkte Haftung des Halters militärischer Luftfahrzeuge (heute § 53 I LuftVG); mit § 29k LVG v. 26.1.1943 (RGBl. I S. 69) sollte eine Gleichstellung der durch Luftwaffenfl gzeuge Geschädigten mit den durch sonstige Wehrmachtsunfälle oder durch feindliche Flugzeuge geschädigten Personen erreicht werden (Amtl. Begründung, DJ 1943, 123). 43 Keine Haftungshöchstsumme bei Beschädigung von Grundstücken für die Haftung der Betreiber von Eisenbahnen, Bergwerken, Steinbrüchen, Gräbereien und Fabriken (§§ 1, 2 ReichshaftpflichtG 1871 [RGBl. I S. 207]). 44 Die Beschränkung der Haftung durch Haftungshöchstsumme gilt nicht bei Beschädigung von Grundstücken, § 4 III Gesetz über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschäden v. 29.4.1940 (RGBl. I. S. 691), vgl. Amtl. Begründung, DJ 1940, 544, 545. 45 BVerfGE 82, 126 ff.; so auch Manssen, TranspR 2010, 140, 141 mit Fn. 15; vgl. allgemein dazu, dass eine bloße (Rechts-)Tradition kein genügender Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung ist, oben § 1 F II 3.
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III BDSG kann schwerlich damit gerechtfertigt werden, der Träger der falsch handelnden öffentlichen Stelle solle vor dem Ruin bewahrt werden. bb) In anderen Situationen scheinen Haftungshöchstsummen hingegen prima vista einen derartigen Schutz vor ruinöser Haftung zu bieten, zum Beispiel indem für nach dem ProdHaftG abzuwickelnde Schäden der maximal zu leistende Schadensersatz auf einen für einen großen Hersteller „erträglichen“ Betrag von € 85 Millionen begrenzt wird. Einer genaueren Analyse hält diese These allerdings nicht stand: (1) Bei Haftungshöchstsummen, die eine vom konkreten Lebenssachverhalt abstrahierte Globalgrenze normieren (§ 10 ProdHaftG46 , § 33 GenTG, § 15 UmweltHG, § 12 I 1 StVG, § 10 I HaftpflichtG, § 88 S. 1 Nr. 2 AMG), folgt dies daraus, dass sie zur Erreichung eines derartigen Zwecks nicht hinreichend „passgerecht“ sind und daher nur in absoluten Ausnahmefällen – und damit gewissermaßen zufälligerweise – dafür geeignet und erforderlich wären. In der übergroßen Mehrzahl an Fällen sind abstrakt-typisierende Höchstgrenzen hingegen zum Schutz der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers entweder nicht geeignet, weil sie so hoch bemessen sind, dass er trotz ihrer heillos überschuldet wäre47, oder aber sie sind hierfür nicht erforderlich, weil sie die Haftung auf eine Höhe begrenzen, die ihn zwar immer noch finanziell „trifft“, nicht aber in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet.48 Mit anderen Worten: Wäre wirklich der Schutz vor ruinöser Haftung das Regelungsziel, müsste man die Höhe der Haftungssumme maßgeblich an der Finanzkraft des einzelnen Schädigers ausrichten, abstrakte Höchstbeträge sind dafür nicht sachdienlich. (2) Eine Einzelgrenze (§ 9 HaftpflichtG, §§ 37 II, 45 II 1 LuftVG, § 117 II Nr. 1 BBergG) kann schon deshalb nicht mit dem Schutz der wirtschaftlichen Existenz des Schädigers legitimiert werden, weil hier gar keine unverrückbare, abstrakte Obergrenze existiert, bis zu der der Schädiger maximal einzustehen hat. Entsprechend viele Geschädigte vorausgesetzt, kann die Haftung daher leicht astronomische Ausmaße annehmen, die den Einstandsverpflichteten trotz der Begrenzung der Einzelansprüche ruinieren kann.49 46 Die Haftung nach § 1 ProdHaftG wird hier als verschuldensunabhängige angesehen, vgl. zu dieser umstrittenen Frage die Nachweise in Fn. 16. 47 Man denke nur an einen kleinen Hersteller von Kinderspielzeug mit einem jährlichen Umsatz von € 5 Millionen, der unerkannt giftige Materialien verwendet und dadurch einen Schaden in Höhe von € 100 Millionen verursacht. Die Haftungsbeschränkung auf € 85 Millionen durch § 10 ProdHaftG nützt diesem Hersteller wenig bis gar nichts. 48 Das wäre der Fall, wenn man das Beispiel in Fn. 47 derart abwandelt, dass das fragliche Kinderspielzeug von einem Unternehmen mit Jahresumsatz im hohen dreistelligen Millionenbereich produziert wurde. 49 Beispiel: Infolge des Abbaus von Bodenschätzen (§ 2 I Nr. 1 BBergG) in einem Bergwerk kommt es zu einem fatalen Erdrutsch, bei dem ein ganzes Dorf verschüttet wird und allein 300 Schwerstgeschädigte jeweils den Maximalbetrag des § 117 I Nr. 1 BBergG (€ 600.000) verlangen können. Für diese Geschädigten allein beliefen sich die Schadensersatzverpflich-
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(3) Andererseits wäre es voreilig, dem Schutz vor einer ruinösen und damit prohibitiv wirkenden Haftung jede Bedeutung für die Legitimation von Haftungshöchstsummen abzusprechen – darauf wird zurück zu kommen sein. Als Zwischenergebnis bleibt aber nichtsdestotrotz festzuhalten, dass ohne Berücksichtigung weiterer Umstände Haftungshöchstsummen nicht geeignet sind, diese „negativen“ Haftungsfolgen zuverlässig zu verhindern. c) (Isoliert) Versicherbarkeit des Haftungsrisikos? aa) Meinungsstand Der wohl am häufigsten zugunsten von Haftungshöchstsummen ins Feld geführte Grund dürfte derjenige der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos sein. Argumentiert wird, dass der Abschluss von Haftpflichtversicherungen nur möglich sei, wenn das Haftungsrisiko der Höhe nach überschaubar und damit kalkulierbar bleibe.50 Drohe hingegen eine der Höhe nach unbeschränkte verschuldensunabhängige Einstandspflicht, sei es für den potentiell Ersatzpflichtigen entweder unmöglich, das Risiko überhaupt zu versichern, oder aber er müsse exorbitante Versicherungsprämien zahlen, weil die Versicherer bei der Prämienkalkulation ein worst-case-Szenario zugrundelegten.51 Die Kritiker von Haftungshöchstsummen bestreiten demgegenüber, dass die Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ein Problem darstelle, das die Normierung von Höchtsbeträgen erfordere.52 Auch der Höhe nach unbeschränkte Einstandstungen schon auf insgesamt 180 Millionen Euro, eventuelle Leichtverletzte und Sachschäden noch gar nicht mitgerechnet. 50 AblEG Nr. C 241/10; Larenz, VersR 1963, 593, 599; Canaris, Systemdenken, S. 120; Finke, Minderung, Rn. 394; Rinck, Gefährdungshaftung, S. 24 f.; P. Koch, VersR 1966, 705, 712 (zu § 702 BGB); Kloesel/Cyran, ArzneimittelR, § 88 AMG, Anm. 1 (zu § 88 AMG); Mankowski, Haftung nach dem Wasserhaushaltsgesetz, S. 14, 23 (zu § 22 WHG a.F./§ 89 WHG n.F.); BT-Drucks. 13/8445, S. 66; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 431, Rn. 1 (jeweils zu § 431 HGB); Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 27, Rn. 2 (zu § 43 LuftVG); BT-Drucks. 13/9712, S. 29; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 73 (jeweils zu § 323 HGB); BTDrucks 12/5354, S. 12 (für § 651k II BGB – Rückversicherbarkeit); vgl. für das Straßburger Übereinkommen vom 4.11.1988 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschifffahrt (CLNI), auf das die Regelungen in §§ 4 ff. BinSchG zurückzuführen sind, auch BT-Drucks. 13/8446, S. 17 (Ziel, „die Versicherungsprämien möglichst auf dem selben Niveau zu halten, auf dem sie heute stehen“); Hurlin, Haftungsregelung, S. 9 (zu § 33 GenTG). 51 Vgl. BGH 17.4.1964 – VI ZR 129/63, NJW 1964, 1898; Dr. Roth, in: Der Spiegel v. 3.10.1962, S. 61, abzurufen unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45141747.html. 52 Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 310 f.; P. Döring, Haftung, S. 110 ff.; Taschner, NJW 1986, 611, 613; Staudinger/Kohler, § 15 UmweltHG, Rn. 5; kritisch auch Lülling, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTR/BioMedR, § 33 GenTG, Rn. 11; Landsberg/ Lülling, Umwelthaftungsrecht, § 33 GenTG, Rn. 3; vorsichtig kritisch BGH 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380. Verwiesen wird zudem darauf, dass die Einführung von Haftungshöchstsummen empirisch zum Teil gerade auch unter dem Aspekt der Versicherungsprämien sogar kontraproduktiv wirken kann; berichtet wird, dass sich kleine Unternehmen vor Einführung entsprechender Höchstbeträge einfach im Umfang des von
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pflichten seien nämlich versicherbar, gegebenenfalls dergestalt, dass der Versicherer nur bis zu einer bestimmten Höchstsumme einzustehen sich verpflichtet und darüber hinausgehende Schäden vom Versicherungsnehmer zu tragen sind.53 Die Situation sei hier nicht anders als bei der der Höhe nach potentiell uferlosen Verschuldenshaftung, bei der der Abschluss von Betriebshaftpflichtversicherungen keine Probleme aufwerfe und die Versicherung (nur) bis zu einem Maximalbetrag gängiger Praxis entspreche.54 bb) Stellungnahme Haftungshöchstsummen können den – wohl unbestreitbaren – Vorteil haben, das maximale Haftungsrisiko kalkulierbar zu machen und damit dessen vollständige Versicherung zu Prämien zu ermöglichen, deren Tragung dem potentiellen Einstandsverpflichteten möglich und zumutbar ist. Das ist dort, wo eine Höchstgrenze fehlt, so nicht möglich. Zwar wäre es auf der einen Seite verfehlt, das Haftungsrisiko nur dort für im Grundsatz versicherbar zu erklären, wo eine Höchstsumme existiert. Das zeigt bereits ein Blick auf andere europäische Jurisdiktionen, die trotz fehlender Höchstgrenzen bei Tatbeständen verschuldensunabhängiger Haftung offenbar keine Probleme mit der Versicherbarkeit dieser Risiken haben.55 Anders ist es beispielsweise auch kaum zu erklären, dass nur Deutschland von der durch Art. 16 I ProdHaftRL (RL 85/374/EWG) den nationalen Gesetzgebern eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Höchstsummenregelungen für die Produkthaftung einzuführen, wohingegen zum Beispiel England56, Frankreich57, Irland58
ihnen prognostizierten Risikos versichert hatten, nach Normierung der Beträge aber aufgeschreckt wurden und auf eine Erhöhung der Versicherungssumme mit der Konsequenz einer Prämiensteigerung drängten (Schmidt-Salzer, VersR 1991, 9, 12; ähnlich P. Döring, Haftung, S. 89). 53 Taschner, NJW 1986, 611, 613; Kötz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, II, S. 1779, 1828; Landfermann, RIW 1980, 161, 169; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 312; ähnlich BT-Drucks. 8/108, S. 7; so auch noch die Entwurfsverfasser von § 33 GenTG, BT-Drucks. 11/5622, S. 34 (dort wurde letztlich aber doch eine Haftungshöchstsumme normiert). 54 Kötz, AcP 170 (1970), 1, 38; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 312. 55 Vgl. BT-Drucks. 8/108, S. 7 (wobei jedoch die Haftungshöchstsummen beibehalten wurden, weil die oben angestrengten Überlegungen erst noch einer „sorgfältigen Prüfung im Hinblick auf ihre Auswirkungen bedürfen und sich voraussichtlich nicht kurzfristig verwirklichen ließen“). 56 Consumer Protection Act 1987, abzurufen unter http://www.opsi.gov.uk/acts/acts1987/ pdf/ukpga_19870043_en.pdf. 57 Art. 1386-1 bis 1386-18 Civil Code, englische Fassung abzurufen unter http://195.83. 177.9/code/liste.phtml?lang=uk&c=22&r=495. 58 Irischer Liability For Defective Products Act, 1991, abzurufen unter http://www.iris hstatutebook.ie/1991/en/act/pub/0028/index.html.
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oder die Niederlande59 davon absahen.60 Für diese Erkenntnis muss man im Übrigen nicht einmal einen Blick über den Tellerrand der eigenen Rechtsordnung werfen, ist es der Versicherungswirtschaft doch auch in Deutschland gelungen, bei den verschuldensunabhängigen, aber nicht der Höhe nach begrenzten Haftungstatbeständen der § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG und §§ 29 f. BJagdG das typische Haftungsrisiko zu erfassen und finanzierbare Versicherungsprämien festzulegen, wobei die Versicherer unterschiedliche, vor allem an der gewünschten Deckungssumme orientierte Tarife anbieten.61 Allerdings darf das auf der anderen Seite nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne Haftungshöchstgrenzen theoretisch nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis besteht: Entweder beschränkt sich die Versicherungssumme auf den Betrag des nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise maximal anfallenden Schadens mit der Folge, dass der Versicherungsnehmer für einen ausnahmsweise darüber hinausgehenden Schaden vollständig aus eigener Tasche aufkommen muss, oder aber die Versicherung verpflichtet sich zu einem summenmäßig unbeschränkten Einstehen, was dann allerdings nach versicherungsmathematischen Gesichtspunkten zu sehr hohen Versicherungsprämien führen würde. In der Praxis dürften die Versicherer in aller Regel nur bereit sein, die erste Option (= Versicherung bis zu einer bestimmten Summe) anzubieten. Auch wenn also mit dem Versicherungsaspekt zwar ein gewichtiger Aspekt angesprochen ist, wird sich mit ihm, jedenfalls isoliert, die Legitmität gesetz59 Art. 6:110 Burgerlijk Wetboek (abzurufen unter: http://www.wetboek-online.nl/ wet/BW1.html) sieht zwar die Möglichkeit vor, durch ein Königliches Dekret („Koninklijk Besluit“) eine Haftungshöchstsumme einzuführen, das aber ist bis jetzt nicht erfolgt (Giesen/Loos, Liability, sub II; Finke, Minderung, Rn. 182). Hinzuweisen ist zwar darauf, dass Art. 6:109 Burgerlijk Wetboek es den Gerichten ermöglicht, nach ihrem Ermessen den Schadensersatz im Einzelfall zu begrenzen; der Oberste Gerichtshof der Niederlande („Hoge Raad“) hat die Instanzgerichte aber darauf hingewiesen, dass sie mit diesem Instrument sehr vorsichtig umzugehen haben (HR 28 May 1999, NJ 1999, 510 [G./H.]). 60 Auch im Übrigen sind Haftungshöchstsummen in den allermeisten europäischen Rechtsordnungen (mit Ausnahme Österreichs sowie der Beförderungshaftung) kaum verbreitet. So werden sie z.B. im schweizerischen Recht als Fremdkörper und „fremde Rechtsfigur“ (Wolfensberger, Summenmäßige Beschränkung, S. 24 f.) weitgehend abgelehnt, weil sie zu einer „Privilegierung einzelner Gruppen von Haftpflichtigen“ (Oftinger/Stark, Schweiz. Haftpfl chtrecht I, S. 415) führen; es gilt daher das Prinzip der vollen Schadensdeckung, das nur für die Haftung der Gast- und Stallwirte sowie bei Transportunternehmen durchbrochen wird (Oftinger/Stark a.a.O., S. 414 f.). 61 Übersichten finden sich für die Tierhalterhaftung z.B. unter http://www.comfort plan.de/hundehaftpflicht/hundehaftpflicht.html (z.B. € 45,81 Jahresbeitrag bei Deckungssumme von € 10.000.000 bei Hunden oder http://www.vergleichen-und-sparen.de/pferde haftpfl cht_bedingungen.php: € 58,79 Jahresbeitrag bei Deckungssumme € 3.000.000 für Pferde), für die Haftung nach § 89 WHG z.B. unter http://www.versicherungsalphabet.de/ oeltankversicherung-vergleich.htm (z.B. € 60,81 Jahresbeitrag für einen Kellertank mit einem Fassungsvermögen von 10.000 Litern bei einer Deckungssumme von € 10.000.000). Für die Haftung nach §§ 29, 30 BJagdG vgl. z.B. http://www.gothaer.de/de/zg/pk/pk_p/jagd/ jagd-haftpfl cht/pue_26/PK_PUe_Jagdhaftpfl cht-KS.htm.
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licher Haftungshöchstsummen wohl nicht begründen lassen. Zunächst ließe er sich ohnehin nur bei Globalgrenzen heranziehen, weil allein bei diesen das maximale Haftungsrisiko ex ante feststeht. Nicht tragfähig ist er hingegen bei Einzelgrenzen (zum Beispiel § 9 HaftpflichtG, § 117 I Nr. 1 BBergG), da dort eine generelle Obergrenze, bis zu der sich der potentielle Schädiger versichern könnte, gar nicht existiert. Die Situation entspricht hier letztlich derjenigen bei § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG, §§ 29 f. BJagdG: Der Versicherer wird nur eine Absicherung des typischen Schadensrisikos anbieten, bei einem darüber hinausgehenden „Horrorszenario“ mit sehr vielen Geschädigten muss der Einstandsverpflichtete ab einem gewissen Punkt dann doch wieder den Schaden alleine tragen.62 Gleiches gilt für diejenigen Haftungshöchstsummen, bei denen die Beschädigung von Grundstücken ausgenommen ist (§ 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG, § 10 III HaftpflichtG).63 Vor allem aber, und das ist entscheidend, spricht gegen die (allein) legitimierende Kraft des Versicherungsgedankens, dass sich das Problem der Versicherbarkeit des Schadensrisikos bei der allgemeinen (deliktischen) Verschuldenshaftung praktisch64 in gleicher Weise stellt, ohne dass dort jemand daraus ableiten würde, zum Schutze des Schädigers müsse die Haftung der Höhe nach begrenzt werden, um ihm eine vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos zu ermöglichen. Es ist daher nach einem weiteren Umstand zu suchen, der die Normierung von Haftungshöchstsummen bei der verschuldensunabhängigen Haftung erklären kann. d) „Gerechter“ Ausgleich für strenge Haftung aa) Einleitung Ein derartiger Umstand könnte in der Erwägung zu sehen sein, die Beschränkung der Haftung in der Höhe sei der dogmatisch „gerechte“ Ausgleich dafür, dass ein (vermutetes) Verschulden des Schädigers keine Voraussetzung für seine Einstandsverpflichtung ist. Diesen Aspekt betonen der Gesetzgeber und die wohl herrschende Meinung65, handele es sich bei Haftungshöchstsummen doch um ein „unverzichtbares Regulativ für die verschuldensunabhängige Haf62 Z.B. ein ICE-Zugunglück mit 400 Schwerverletzten, die jeweils den Maximalbetrag verlangen können: € 240.000.000!). 63 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Bereichsausnahmen siehe unten § 2 A IV 3. 64 Ein Unterschied besteht lediglich in Bezug auf die Höhe der Versicherungsprämien, weil diese bei einer vom Verschulden abgekoppelten Haftung angesichts des gesteigerten Einstandsrisikos des Versicherers höher sein dürften. 65 BT-Drucks. 11/2447, S. 24; BT-Drucks. 11/7881, S. 35; BT-Drucks. 13/8445, S. 66, S. 69: „Die Erhöhung der Haftungssumme […] ist daher wiederum Ausdruck des als allgemeingültig erkannten Grundsatzes, daß Haftungstatbestand und -umfang zueinander in Wechselwirkung stehen.“; OLG München 8.3.2002 – 10 U 4648/01, R + S 2003, 215, 216; Bollweg, in: Kölner Kompendium Luftrecht, Band 3, Teil II B, Rn. 15; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 425, Rn. 1 und § 431, Rn. 1; Gola/Schomerus, BDSG, § 8, Rn. 3; Larenz, VersR 1963, 593, 603 (notwendiges Korrektiv gegen „ruinöse Unglückszurechnungen“).
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tung“66, weil nur auf diese Weise die Schalen der Waage der Gerechtigkeit wieder auf gleiche Höhe gebracht würden. Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass die Gefährdungshaftung als Prinzip richtig und es mithin inkonsequent sei, sie ab einem bestimmten Betrag wieder für falsch zu erklären und den Gläubiger auf die Verschuldenshaftung zu verweisen.67 Daher fehle es an einem rechtsdogmatischen Grund für die mit der Normierung von Haftungshöchstsummen einhergehende Ungleichbehandlung;68 letztlich stellten Haftungshöchstsummen einen Rückfall in jene Zeit dar, in der man die strikte Haftung noch als systemwidriges soziales Zugeständnis an die Geschädigten, als „abnormes Phänomen, ein garstig Ding“69 ansah.70 Es ist nicht zu verkennen, dass die strengen Haftungsvoraussetzungen – anders als die isolierte Frage nach der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos – einen Umstand darstellen, der grosso modo die Haftungstatbestände, bei denen sich Haftungshöchstsummen typischerweise finden, von den allgemeinen vertraglichen und deliktischen Schadensersatzvorschriften unterscheidet. Haftungshöchstsummen damit zu legitimieren, dass sie einen „gerechten“ Ausgleich für die strikten Haftungsvoraussetzungen darstellten, liegt daher nahe. Ob diese These auch einer näheren Untersuchung standhält, ist im Folgenden zu klären. bb) Zweispurigkeit des geltenden Haftungsrechts Für die Antwort darauf spielt zunächst eine Rolle, von welcher Grundstruktur des Haftungsrechts man ausgeht: Wer die Verschuldenshaftung als den althergebrachten und immer noch gültigen Grundsatz für eine vertragliche oder deliktische Einstandsverpflichtung sieht, wird die verschuldensunabhängige (Gefährdungs-)Haftung als Abweichung von der Grundregel mit der Folge begreifen, dass für sie durchaus Sonderregelungen (in concreto: Haftungshöchstsummen) möglich, ja gegebenenfalls sogar geboten sind.71 Viel schwieriger ist dies hingegen zu begründen, wenn man Verschuldenshaftung einerseits, Gefährdungs66
Hollmann, DB 1985, 2439. H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 91; vgl. Wolfensberger, Summenmäßige Beschränkung, S. 35, 76 f: „Bekennt sich der Gesetzgeber zur Richtigkeit der Kausalhaftung und führt diese Errungenschaft des modernen Haftpflichtrechts ein, so scheint nicht einzuleuchten, warum die strengere Haftung nur bis zu einem bestimmten Schadensausmass ihre Gültigkeit besitzen, darüber hinaus aber ihre Berechtigung verlieren soll. Es ist eben nicht möglich, dass die Voraussetzungen für eine Kausalhaftung von einem im Gesetze umschriebenen Betrage an nicht mehr gegeben sind.“. 68 Kötz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band II, S. 1779, 1827; Staudinger/Kohler, § 15 UmweltHG, Rn. 5; Taschner, NJW 1986, 611, 613; auch BT-Drucks. 8/108, S. 6 geht davon aus, dass die summenmäßige Begrenzung „nicht notwendig aus dem Prinzip der Gefährdungshaftung“ folge (Hervorhebung hier). 69 Kötz, AcP 170 (1970), 1, 38 f. 70 Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 309 f. 71 So RGZ 147, 353, 355; Bollweg, in: Kölner Kompendium Luftrecht, Band 3, Teil II B, Rn. 15; BT-Drucks. 13/8445, S. 66; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 425, Rn. 1 und § 431, Rn. 1; Gola/Schomerus, BDSG, § 8, Rn. 3; Larenz, VersR 1963, 593, 603; Hollmann, DB 1985, 67
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haftung andererseits, als gleichberechtigt nebeneinander stehende Haftungsformen betrachtet, die beide jeweils auf einer – wenn auch verschiedenen – „echten“ Verantwortlichkeit des Schuldners beruhen.72 Für beide Positionen lassen sich Argumente finden. Historisch betrachtet kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Verschuldenshaftung das Grundprinzip des im BGB kodifizierten (deliktischen) Haftungsrechts war. Trotz Kritik am Verschuldensprinzip wurde daran bei Schaffung des BGB im Sinne des Jehring’schen „nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld“73 festgehalten und das von den Kritikern befürwortete Veranlassungsprinzip abgelehnt, wurde doch befürchtet, dieses lege der „Bewegungsfreiheit auf dem Gebiete des Privatrechts zu weitgehende, die Verkehrsinteressen schädigende Schranken“74 auf. In den Motiven heißt es daher, die Verletzung einer Verpflichtung setze „im Sinne des Entwurfes immer ein Verschulden voraus“75. Zwei vor dem Hintergrund einer entsprechenden Tradition im römischen Recht erklärbare Ausnahmen bestanden nur für die Haftung des Gastwirts beziehungsweise des Tierhalters, die in §§ 701, 833 BGB jeweils verschuldensunabhängig ausgestaltet wurde.76 Für eine echte Zweispurigkeit des Haftungssystems des heutigen Rechts spricht dagegen, dass die Gefährdungshaftung als Instrument zur Haftungsregelung breitflächig anerkannt ist und seine grundsätzliche Legitimität nicht mehr ernstlich bezweifelt wird. Auch enthält das geltende Recht eine Reihe von Tatbeständen verschuldensunabhängiger Haftung, und zwar gerade in praxisnahen, wichtigen Bereichen – prominentestes Beispiel hierfür ist vermutlich § 7 StVG. Die Gefährdungshaftung hat daher ihren festen Platz im geltenden Recht und führt alles andere als ein „Mauerblümchendasein“. Andererseits spricht eine genauere Analyse des geltenden Rechts dafür, dass es sich bei der Verschuldenshaftung immer noch um den Grundsatz und bei der verschuldensunabhängigen Haftung demzufolge um die Ausnahme handelt. So 2439; Hannak, Verteilung, S. 45, 66; Rinck, Gefährdungshaftung, S. 27; Fischerhof, AtomG, Vorbem. vor § 25, Rn. 1. 72 v. Bar, Gutachten für den 62. DJT, A 29; H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 91; vgl. Wolfensberger, Summenmäßige Beschränkung, S. 35, 76 f.; Kötz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band II, S. 1779, 1827; Staudinger/Kohler, § 15 UmweltHG, Rn. 5; Taschner, NJW 1986, 611, 613; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 309 f.; Leser, AcP 183 (1983), 568, 600; vgl. auch Jansen, Struktur, S. 371 f.; M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 80, der davon ausgeht, „daß wir heute kurz vor Anerkennung eines allgemeinen Gefährdungshaftungstatbestandes stehen“ und sogar von einer „Ersetzung des Prinzips der Verschuldenshaftung durch die Gefährdungshaftung“ spricht (a.a.O., S. 85). 73 Jhering, Schuldmoment, S. 40. 74 Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, §§ 652–853, S. 892. 75 Motive I, S. 281. 76 Zur Gesetzesgeschichte vgl. MüKo-BGB/G. Wagner, § 833, Rn. 1; Staudinger/ Eberl-Borges, § 833, Rn. 2 m.w.N. sowie Staudinger/Werner, Vorbem 3 f. zu §§ 702 ff.; MüKoBGB/Henssler, § 701, Rn. 2; P. Koch, VersR 1966, 705, 705 f.
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sind die zwei großen Haftungssysteme des BGB durch Verschuldenshaftungstatbestände gekennzeichnet: Im Deliktsrecht sind die „drei kleinen Generalklauseln“77 (§§ 823 I, 823 II und 826 BGB) jeweils von einem positiven Verschuldensnachweis abhängig, und im Vertragsrecht statuiert § 280 I BGB als zentrale Schadensersatznorm ebenfalls ein Verschuldenserfordernis. Dass wegen der in § 280 I 2 BGB enthaltenen Beweislastumkehr ein positiver Nachweis des Verschuldens nicht erforderlich ist und deshalb der die Pflichtverletzung Begehende im Falle eines non liquet hinsichtlich des Verschuldens haftet, ist für die alltägliche (Gerichts-)Praxis von Bedeutung, an der Grundkonzeption als einer von einem Verschulden abhängigen Haftung ändert dies aber nichts. Auch im übrigen Vertrags- und Deliktsrecht des BGB steht klar der Grundsatz der Verschuldenshaftung im Vordergrund, genannt seien zum Beispiel die §§ 628 II, 651f I, 694, 824, 825, 831, 832, 833 S. 2, 834, 836, 837, 838, 839, 839a BGB. Dieser Befund wird durch einen Blick in zivilrechtliche Spezialkodifikationen bestätigt, dominiert doch auch dort klar die Verschuldenshaftung. Pars pro toto sei auf §§ 46 I, III, 93 II AktG, § 43 GmbHG, § 34 II 1 GenG, § 9 S. 1 UWG, § 33 III 1 GWB, § 14 VI 1 MarkenG, § 139 II 1 PatG, § 12 I, II WpÜG, §§ 37b I, II, 37c I, II WpHG, § 23 I BBiG verwiesen. Eine Haftung ohne Verschulden hat der Gesetzgeber im allgemeinen Zivilrecht nur in besonderen Fällen vorgesehen (§§ 701, 833 BGB); für Zufall haftet der Schädiger nur, wenn er nicht schutzwürdig ist, weil er sich im Verzug befi det (§ 287 S. 2 BGB) oder zur Rückgabe einer durch unerlaubte Handlung entzogenen Sache verpflichtet ist, § 848 BGB. Es spricht angesichts dessen mehr dafür, die Haftung für jeden Grad von Verschulden (leichte Fahrlässigkeit bis Vorsatz) als gewissermaßen „Normal Null“ mit der Folge einzustufen, dass jede Abweichung nach unten (Haftung auch ohne Verschulden) oder oben (zum Beispiel Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit/Vorsatz [§§ 521, 599 BGB] oder eigenübliche Sorgfalt [§§ 708, 1664 I BGB]) als Sonderfall anzusehen ist. So betrachtet ist es systemgerecht, einen derartigen Sonderfall nur unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel Unentgeltlichkeit bei §§ 521, 599 BGB) vorzusehen oder ihn besonderen Regelungen – wie eben Haftungshöchstsummen – zu unterwerfen. Dem könnte lediglich entgegengehalten werden, dass das traditionelle Verschuldensprinzip in seinem originären Anwendungsbereich heute durch eine Reihe von Umständen erheblich „verdünnt“78 wurde. Beispiele hierfür sind der Ausbau der Verkehrspflichten, die Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabes sowie Beweislasterleichterungen für den Geschädigten, zum Beispiel im Bereich der Produzenten- oder Arzthaftung. Allerdings: Auch wenn anzuerkennen ist, dass für die alltägliche (Verfahrens-)Praxis die Unterschiede zwischen einer derart verwässerten Verschuldens- und einer reinen Gefährdungshaftung oft 77 78
Staudinger/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff., Rn. 19. Leser, AcP 183 (1983), 568, 600.
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„nur noch hauchdünn erschein[en]“79 mögen, ändert dies ebenso wenig wie die Beweislastumkehr in beispielsweise § 280 I 2 BGB etwas daran, dass konzeptionell zwischen einer – wenn auch unter Umständen sehr weitreichenden – verschuldensabhängigen und einer verschuldensunabhängigen Haftung ein (gravierender) dogmatischer Unterschied besteht. Summa summarum: Auch wenn sich die Gefährdungshaftungstatbestände ihren Platz im heutigen Recht erkämpft haben und daher nicht mehr als systematischer Fremdkörper angesehen werden können, sind sie nach wie vor Ausnahmeinstrumente zur Regelung besonderer Fallkonstellationen.80 Bewegt man sich damit aber schon im Ansatzpunkt außerhalb der ausgetrampelten Pfade klassischer Haftungsdogmatik, lassen sich auch im Übrigen konzeptionelle Besonderheiten – wie die Anordnung einer Haftungshöchstgrenze – leicht(er) rechtfertigen. cc) Sachgerechter Interessenausgleich; Zusammenhang zum Versicherbarkeitsargument und zum Schutz vor potentiell ruinöser, prohibitiv wirkender Haftung Von diesem rechtsdogmatischen Gesichtspunkt abgesehen, kann man die Normierung von der Höhe nach begrenzten, verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen auch als das sachgerechte Ergebnis einer vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessensabwägung ansehen. Gefährdungshaftungstatbestände erfassen typischerweise Aktivitäten, an deren Durchführung Staat und Gesellschaft einerseits aus den verschiedensten Gründen ein Interesse haben. So ist zum Beispiel die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln oder (gentechnischer) Produkte sozial wünschenswert und sind der Betrieb von Eisenbahnen und Flugzeugen sowie die Benutzung von Autos in einer mobilen Gesellschaft auf absehbare Zeit unabdingbar. Andererseits handelt es sich aber zugleich um Verhaltensweisen, denen eine gesteigerte Gefährlichkeit innewohnt, weil selbst bei Anwendung eines sehr hohen oder gar höchstmöglichen Maßes an Sorgfalt der Eintritt von (weitreichenden) Schäden an Rechtsgütern Dritter nicht mit absoluter Sicherheit verhindert werden kann.81 Zugleich besteht oftmals das Problem, dass dem Geschädigten der Nachweis des für beispielsweise § 823 I BGB erforderlichen Verschuldens in vielen Fällen nicht gelingen wird, Abhilfe wäre – wenn überhaupt – nur über dogmatische Hilfskonstruktionen möglich. Um diese Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und um den Tatsachen Rechnung zu tragen, dass es sich erstens um besonders gefährliche Handlungen handelt und zweitens der Anlagenbe79
Leser, AcP 183 (1983), 568, 600. Vgl. auch die Begründung des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, S. 2 f. 81 Vgl. auch die Begründung des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, S. 5 f. 80
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treiber, Arzneimittelhersteller und so weiter am Schaden „näher dran“ ist, weil er die Gefahrenquelle geschaffen hat, sie – in gewissem Umfang – beherrschen kann und auch die unmittelbaren wirtschaftlichen oder sonstigen Vorteile aus ihr zieht, war die Schaffung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände in einem gewissermaßen ersten Schritt ein adäquates Mittel.82 Schwenkt das Pendel der Gerechtigkeit bei den Haftungsvoraussetzungen aber (weit) zugunsten des Geschädigten aus, so ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber es in einem zweiten Schritt auf Rechtsfolgenseite wieder in die „Ruhelage“ zurückbringen und dadurch eine „gerechte“ Verteilung von Schäden aus – letztendlich nicht vollständig verhinderbaren – Unglücksfällen herbeiführen möchte. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die Haftungsbeschränkung auf einen bestimmten Betrag aus Sicht des Einstandsverpflichteten isoliert noch nicht zwingend in der Lage sein muss, einen adäquaten Ausgleich für die strikten Haftungsvoraussetzungen zu leisten. Annehmen kann man das zwar bei § 675v I 1 BGB mit seiner wohl für jeden Zahlungsdienstnutzer zumutbaren Höchstgrenze von € 150, bei § 702 BGB angesichts des für den Gastwirt tragbaren Maximalbetrags von € 3.500 sowie bei § 8 III BDSG, der die Einstandspflicht des „Staates“ auf einen für diesen schulterbaren Betrag von € 130.000 beschränkt. Anders stellt sich die Lage aber bei den „klassischen“ Gefährdungshaftungstatbeständen dar. Durch die Beschränkung der Haftung auf zum Beispiel € 85 Millionen ist einem mittelständischen Unternehmen zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln83 in der Regel zunächst ebenso wenig geholfen wie einem kleinen Hersteller von (unerkannt) krebserregendem Kinderspielzeug oder „Otto Normalverbraucher“ mit der Begrenzung der Einstandsverantwortlichkeit für Personenschäden nach dem StVG auf € 5 Millionen. Ob der schuldlose Verursacher eines Verkehrsunfalls den zwei querschnittsgelähmten Opfern € 5 Millionen oder € 7,2 Millionen84 schuldet, spielt für ihn in aller Regel letztlich auch keine Rolle mehr. Ginge es also darum, direkt mittels einer gesetzlichen Regelung die Haftung auf ein Maß zu beschränken, das auch unter Berücksichtigung der Interessen des Schädigers akzeptabel wäre, wäre eine allgemeine Reduktionsklausel, wie sie in den 1960er Jahren (§ 255a BGB-E) erwogen wurde, letztlich aber – zu Recht85 – fallengelassen wurde, „passgenauer“. An Überzeugungskraft gewinnt der Gedanke eines „gerechten“ Ausgleichs vermittels Haftungshöchstsummen allerdings im Zusammenspiel mit dem Versicherbarkeitsargument: Die Beschränkung der Haftung auf einen bestimmten 82
Vgl. Larenz, JuS 1965, 373, 374; vgl. auch Jansen, Struktur, S. 626 f. Nr. 46 Anhang zu § 1 UmweltHG. 84 Bei einer Querschnittslähmung betrug der vom Schädiger zu ersetzende Gesamtaufwand im Jahr 2006 durchschnittlich ca. € 3,6 Millionen (vgl. C. Hoffman, VW 2008, 1298, 1299; L. Jaeger, VersR 2009, 159, 160, 162). 85 Siehe ausführlich unten § 3 B. 83
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Maximalbetrag ermöglicht es dem potentiellen Einstandsverpflichteten, mit vertretbarem finanziellen Aufwand das gesamte Haftungsrisiko zu versichern und damit sicherzustellen, dass er bei fehlendem Verschulden ökonomisch keiner Schadensersatzverpflichtung ausgesetzt ist.86 Und auch in anderer Hinsicht „schließt sich der Kreis“, wird durch die mit der Haftungshöchstregelung einhergehenden Versicherbarkeit des Schadensrisikos doch zugleich der Gefahr einer potentiell ruinösen Haftung vorgebeugt und den verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen ihre anderenfalls bestehende, möglicherweise prohibitive Wirkung genommen. Das dient nicht nur den Interessen des Schädigers, sondern zugleich denen der Allgemeinheit, wird dadurch doch verhindert, dass die auch im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten – aus Sorge vor einer zu weitreichenden und auch bei Anwendung höchstmöglicher Sorgfalt unter Umständen nicht zu verhindernden Haftungsbelastung – unterbleiben. Diese Überlegungen treffen jedenfalls bei Globalgrenzen zu, weil hier angesichts des ex ante feststehenden Maximalhaftungsbetrags eine vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos gewährleistet ist. Bei Einzelgrenzen kann dieser Gedanke hingegen nur eingeschränkt fruchtbar gemacht werden, existiert hier doch kein derartiger fixer Höchstbetrag, die Einstandsverbindlichkeit hängt vielmehr von der im Voraus nicht sicher prognostizierbaren Zahl der Geschädigten ab. Damit aber ist gerade nicht sichergestellt, dass der potentielle Schädiger sein Haftungsrisiko vollständig versichern kann. Bei Einzelgrenzen kann damit in der Hauptsache allein der Gedanke des „gerechten“ Ausgleichs für die strenge Haftung angeführt werden. Schon diese gewissermaßen „schwächere“ rechtsdogmatische Legitimation spricht dafür, rechtspolitisch Globalgegenüber Einzelgrenzen vorzuziehen. Für das nämliche Ergebnis lassen sich auch die Interessen der unmittelbar Beteiligten – Schädiger, dessen Versicherung und Geschädigter – anführen. Globalgrenzen haben für den Schädiger – oder besser: seine Versicherung – zwar den Nachteil, dass bei einzelnen Geschädigten ein höherer Haftungsbetrag zu liquidieren sein kann als dies bei einer Einzelgrenze der Fall wäre.87 Das wird gerade vor dem Hintergrund der skizzierten rechtsdogmatischen Legitimation von Haftungshöchstsummen aber mehr als dadurch aufgewogen, dass das Gesamthaftungsrisiko sicher prognostizier- und damit versicherbar ist.88 Sieht man von absoluten Katastrophensze86 Außer Betracht bleibt hier die Möglichkeit einer versicherungsrechtlichen Selbstbeteiligung. 87 Werden beispielsweise durch einen Zugunfall zehn Fahrgäste geschädigt und beträgt die Schadenshöhe jeweils € 2 Millionen, steht der Bahnbetriebsunternehmer/seine Versicherung de lege lata besser, weil die Einstandsverpflichtung nach § 9 Haftpfl chtG „nur“ (10 x € 600.000 =) € 6 Millionen beträgt. Würde de lege ferenda eine Globalgrenze mit z.B. € 85 Millionen geschaffen, wäre hingegen der gesamte Schaden in Höhe von € 20 Millionen zu liquidieren. 88 Wandelt man das Beispiel in Fn. 87 dahingehend ab, dass 300 Fahrgäste mit im Durchschnitt € 500.000 geschädigt werden, beträgt die Haftungssumme de lege lata bereits € 150
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narien, in denen die Globalgrenze erschöpft ist und sich daher die de lege lata oftmals schwierig zu beantwortende Frage nach der Kürzung des Haftungsbetrages89 stellt, ab, dürften Globalgrenzen auch für den Geschädigten vorzugswürdig sein. Denn er läuft nicht Gefahr, dass sein Anspruch selbst dann auf eine Einzelgrenze beschränkt wird, wenn eine weitergehende Haftung mangels Vorhandenseins anderer Geschädigter für den Schädiger unproblematisch, weil noch spielend von der Versicherungssumme gedeckt, wäre.90 Es zeigt sich also: Sowohl mit Blick auf die dogmatische Begründung von Haftungshöchstsummen als auch die Interessenlage der Beteiligten sind Global- gegenüber Einzelgrenzen vorzugswürdig. Die wenigen Einzelgrenzen des geltenden Rechts sollten dementsprechend auf Globalgrenzen „umgestellt“ werden. dd) Kein Gegenargument aus atypischen Konstellationen Gegen die Annahme, Haftungshöchstsummen seien maßgeblich durch den Gedanken eines „gerechten“ Ausgleichs gerechtfertigt, lässt sich auch nicht überzeugend anführen, dass einige verschuldensunabhängige Haftungstatbestände nicht durch einen Höchstbetrag beschränkt sind (zum Beispiel § 833 S. 1 BGB), während umgekehrt Verschuldenshaftungsnormen existieren, die der Höhe nach auf einen Maximalbetrag limitiert sind (beispielsweise § 18 StVG). Diese Sonderfälle erlauben keinen Rückschluss auf die generelle Legitimität von Haftungshöchstsummen bei der verschuldensunabhängigen Haftung, sie sind vielmehr selbst wegen ihres Ausnahmecharakters einer kritischen Würdigung zu unterziehen.91 ee) Änderung durch Einführung der Restschuldbefreiung? Erscheint es mithin überzeugend, die Existenz von Haftungshöchstsummen mit dem Ziel eines „gerechten“ Ausgleichs, gegebenenfalls in Verbindung mit dem Schutz vor potentiell ruinöser und damit unter Umständen prohibitiver Haftung durch Ermöglichung der Versicherbarkeit des Schadensrisikos, zu legitimieren, bleibt zu klären, ob dies auch noch nach Schaffung der Restschuldbefreiungsvorschriften (§§ 286 ff. InsO) zum 1.1.1999 gelten kann. Inwieweit die Einführung der Restschuldbefreiung Rückwirkungen auf das materielle (Haftungs-)Recht hat, wird in Literatur und Rechtsprechung teilweise kontrovers diskutiert. Während Auswirkungen auf die Sittenwidrigkeitskontrolle von Angehörigenbürgschaften von der zutreffenden herrschenden Meinung92 verMillionen. Da ein moderner ICE ca. 600 Sitzplätze hat, sind entsprechend hohe Schäden denkbar. 89 Siehe dazu ausführlich Fischinger, Kürzungsregelungen, S. 9 ff. 90 Vgl. auch Fischinger, Kürzungsregelungen, S. 77 ff. 91 Siehe unten § 2 A IV 2 und 4. 92 BGH 16.6.2009 – XI ZR 539/07, NJW 2009, 2671, 2673 f.; noch offen gelassen BGH 14. 10. 2003 – XI ZR 121/02, NJW 2004, 161, 161 f.; MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 92; Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 37; PWW/Ahrens, § 138, Rn. 82; FK-InsO/Ahrens, § 286,
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neint werden, sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung hingegen richtigerweise teilweise davon betroffen.93 Für eine Verschiebung der Gewichte auch bei den Haftungshöchstsummen mag man anführen, dass die Gefahr einer lebenslangen Überschuldung durch exorbitante Haftung angesichts der Möglichkeit eines „fresh starts“ nunmehr bannbar ist, was dem Haftungsrisiko zugleich ein Stück weit seine prohibitive Wirkung nehmen kann. Überzeugend ist das allerdings nicht. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass nach geltendem Recht nur natürliche Personen in den Genuss einer Restschuldbefreiung gelangen können, § 286 InsO. Unternehmen, die gerade im Bereich von zum Beispiel dem ProdHaftG, dem AMG, dem UmweltHG oder dem GenTG haftungsverantwortlich sind, werden nicht erfasst.94 Zumindest bei ihnen kann die Legitimität von Haftungshöchstsummen mithin nicht mit einem Verweis auf die §§ 286 ff. InsO bezweifelt werden. Unabhängig davon mag die prohibitive Wirkung der Haftungsregelungen durch die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung zwar in der Tat abnehmen, dieser Effekt dürfte aber verschwindend gering sein. Denn auch wenn keine lebenslange Überschuldung mehr droht, dürfte die „Aussicht“, wegen eines ohne Verschulden verursachten Schadensfalls das mühselige, mindestens dreijährige und in der Regel mit einer sozialen Stigmatisierung verbundene Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen zu „müssen“, weiterhin Abschreckung genug sein. Die durch Haftungshöchstsummen erreichte vollständige Versicherbarkeit des Schadensrisikos stellt sich hier als das weit geeignetere Instrument zur Verhinderung eines solchen Abschreckungseffekts dar. Von diesen praktischen Erwägungen abgesehen lässt sich die Weitergeltung von Haftungshöchstgrenzen neben den Regelungen der Restschuldbefreiung auch dogmatisch begründen. Beide Normkomplexe verfolgen zwar teilweise mit dem Schutz vor lebenslanger Überschuldung ein identisches Ziel, die Legitimation von Haftungshöchstsummen erschöpft sich darin aber – wie ausgeführt – nicht. Vielmehr soll davon abstrahiert bereits auf der Ebene des materiellen Rechts ein „gerechter“ Ausgleich für die strenge Haftung geschaffen werden, was mit den §§ 286 ff. InsO gerade nicht möglich wäre. Vergleichbar dem Verhältnis von Restschuldbefreiung und Angehörigenbürgschaftsrechtsprechung besteht somit losgelöst vom Schutz vor ruinöser Haftung ein legitimer Grund, der die Haftungsbeschränkung rechtfertigt. Rn. 28a; S. Wagner, NJW 2005, 2956, 2957; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 396 ff. m.w.N. auch zur Gegenauffassung. 93 Dazu näher unten § 2 F III 2 cc). 94 Ob der Gesetzgeber de lege ferenda die Restschuldbefreiung auch für Unternehmen vorsehen könnte, sei angesichts der Rechtfertigung der §§ 286 ff. InsO durch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners bezweifelt (siehe unten § 2 B II 1 c] aa]). Das kann letztlich aber offen bleiben, weil derartiges nicht geplant ist und auch nicht zu erwarten ist
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Dass es sich insoweit nicht um den gleichen Grund handelt – steht doch bei der Angehörigenbürgschaftsrechtsprechung der Schutz der materiell verstandenen Privatautonomie des Bürgen im Vordergrund95 –, ist dabei irrelevant. Entscheidend ist allein, dass sich über den bloßen Schutz vor lebenslanger Überschuldung hinaus ein weiterer tragender Grund benennen lässt. Zusammengefasst bleibt die Legitimität von Haftungshöchstsummenregelungen durch die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung unberührt. e) Zwischenergebnis Haftungshöchstsummen zur Beschränkung einer verschuldensunabhängigen Haftung sind rechtsdogmatisch und -politisch durch ein Zusammenspiel von vier Überlegungen gerechtfertigt: Sie lassen sich (1) als „gerechter“ Ausgleich für die strikte Haftung begreifen, die (2) die vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ermöglichen und damit sicherstellen, dass dem (potentiellen) Schädiger (3) keine ruinöse und damit letztlich unter Umständen (4) prohibitiv wirkende Haftung droht. Uneingeschränkt gilt dies aber nur bei Globalgrenzen. Einzelgrenzen sind hierzu hingegen angesichts des ex ante nicht feststehenden Maximalhaftungsbetrags nicht in gleicher Weise in der Lage. Deshalb und weil den Interessen der Beteiligten durch Globalgrenzen in aller Regel besser gedient ist, sollten sie abgeschafft und durch Globalgrenzen ersetzt werden. 2. Beschränkung verschuldensabhängiger Haftungstatbestände Vereinzelt werden auch verschuldensabhängige Haftungstatbestände durch gesetzliche Haftungshöchstsummen beschränkt (§§ 18, 12, 12a StVG, § 675v I 2, 1 BGB, § 323 I 3, II 1 HGB [gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG] und §§ 434, 431, 433, 435, 451, 451e, 461 HGB). Dies lässt sich selbstverständlich nicht damit rechtfertigen, dass auf diese Weise ein „gerechter“ Ausgleich für eine strikte Haftung erreicht werden soll, und zwar nicht einmal bei der im praktischen Ergebnis einer Gefährdungshaftung oft nahekommenden Haftung für vermutetes Verschulden des § 18 StVG; erst recht passt dieser Gedanke nicht, wo – wie bei §§ 323 II HGB, 435 HGB96 – die Haftungsbeschränkung selbst bei grober Fahrlässigkeit eingreift. Es ist daher zu fragen, ob diese Vorschriften jeweils anders legitimiert werden können.
95 S. Wagner, AcP 205 (2005), 715, 720; ders., NJW 2005, 2956, 2958; Staudinger/Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 399. 96 „Normale“ grobe Fahrlässigkeit genügt bei § 435 HGB nicht, das Handeln muss vielmehr leichtfertig gewesen und in dem Bewusstsein vorgenommen worden sein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
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a) Die verschiedenen Haftungstatbestände Die Haftungsbeschränkung für Abschluss-/Gründungsprüfer in § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) rechtfertigt der Gesetzgeber damit, dass ohne eine derartige Höchstgrenze eine finanzierbare Versicherbarkeit des Prüferhaftungsrisikos nicht gewährleistet sei und die Prüfer daher existentiellen Haftungsrisiken ausgesetzt wären.97 Denn erfahrungsgemäß führe bei solchen Prüfungen selbst ein geringfügiges Versehen zu exorbitanten Schäden.98 Zugleich sollten negative Auswirkungen auf die Struktur des Berufsstandes verhindert werden, weil andernfalls nur noch große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften große Mandate übernehmen könnten.99 In der Sache können diese Ziele mittels der abstrakten Globalgrenze von einer beziehungsweise vier Millionen Euro auch tatsächlich erreicht werden, ermöglicht sie doch eine vollständige Versicherung des Haftungsrisikos. Die auch für allgemeine (deliktische) Ansprüche geltende (vergleiche § 4 I 2 BinSchG) Haftungsprivilegierung der §§ 5d ff. BinSchG für Partikulierschiffer begründet der Gesetzgeber damit, dass ein für diese Berufsgruppe wirtschaftlich schwer zu verkraftender Anstieg der Versicherungsprämien verhindert werden solle.100 Auch dies erscheint plausibel, handelt es sich doch ebenfalls um eine konkrete – weil an einen Mix aus Wasserverdrängung und Antriebskraft anknüpfende – Globalgrenze, so dass auch hier das maximale Schadensrisiko ex ante sicher bestimmt werden und entsprechend versichert werden kann. Obwohl dies der Gesetzgeber – soweit ersichtlich – nicht ausspricht, dürfte auch für die höhenmäßige Beschränkung der Haftung des Fahrzeugführers für vermutetes Verschulden nach § 18 StVG durch die Globalgrenzen der §§ 12, 12a StVG der Gedanke der Versicherbarkeit des Schadensrisikos treibende Kraft gewesen sein. Ein anderer überzeugender Grund lässt sich nämlich insoweit nicht finden. Weder lässt sich dies mit dem Wunsch nach Harmonisierung mit der verschuldensunabhängigen Haftung des Halters begründen, noch mit der praktischen Nähe einer Haftung für vermutetes Verschulden zur Gefährdungshaftung, müsste dann doch bei allen Tatbeständen der Haftung
97 BT-Drucks. 13/9712, S. 29; Stellungnahme der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1997, 100, 106; WPK-Mitt. 1998, 35, 36 f.; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 8; Habersack/Schürnbrand, in: Straub, HGB, § 323, Rn. 46. 98 Quick, BB 1992, 1675, 1677; Schmölder, JW 1930, 3687. 99 BT-Drucks. 13/9712, S. 29; Stellungnahmen der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1998, 35, 37. 100 Vgl. BT-Drucks. 13/8446, S. 17: „[…] das Bemühen im Vordergrund stand, die Versicherungsprämien möglichst auf demselben Niveau zu halten, auf dem sie heute stehen.“. – Wie Manssen (TranspR 2010, 140, 142) zu Recht betont, ging es dem Gesetzgeber aber nicht um einen Schutz des Schiffseigners vor ruinöser Haftung, weil auch das BinSchG durchaus Ansprüche kennt (z.B. § 5 Nr. 4 BinSchG i.V.m. § 89 WHG), in denen die Haftung schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann.
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für vermutetes Verschulden (zum Beispiel § 836 BGB) eine Haftungshöchstsumme vorgesehen werden. Was schließlich die Begrenzung der Verschuldenshaftung des Zahlungsdienstnutzers in § 675v I 2 BGB angeht, lässt sich dies rechtspolitisch zwar damit begründen, dass der Gesetzgeber die Vorgaben von Art. 61 RL 2007/64/EG umsetzen wollte.101 Rechtsdogmatisch ist das aber natürlich keine ausreichende Legitimation. Auch die Richtlinie nennt im zugehörigen Erwägungsgrund 32 keinen Grund.102 Mit Verbraucherschutzerwägungen kann dies nicht begründet werden, gilt § 675v BGB doch auch dann, wenn der Zahlungsdienstnutzer Unternehmer ist (vergleiche § 675e IV BGB). Auch das Versicherbarkeitsargument dürfte hier keine Rolle spielen, weil kaum ein Bankkunde auf die Idee kommen dürfte, dieses Risiko zu versichern. Maßgebliches Motiv für die Beschränkung der Einstandsverpflichtung dürfte daher die sozialpolitisch motivierte Überlegung gewesen sein, der Zahlungsdienstnutzer sei schutzwürdig, weil schon bei leichter Fahrlässigkeit hohe Schäden durch missbräuchliche Verwendung entstehen können, die außer Verhältnis zu den mit der üblichen Verwendung des Zahlungsauthentifizierungsinstruments verbundenen Vorteilen stehen.103 Damit wird zugleich einer anderenfalls möglicherweise bestehenden prohibitiven Wirkung der Haftungsregelung vorgebeugt. b) Zwischenergebnis Mit der Normierung von Höchstbeträgen im Bereich der Verschuldenshaftung will der Gesetzgeber in der Regel die Versicherbarkeit des Haftungsrisikos sicherstellen. Das ist an sich ein legitimes Ziel und Höchstsummen sind zu dessen Erreichung auch grundsätzlich ein geeignetes Instrument. Dennoch wird für alle durch eine Haftungshöchstsumme beschränkten verschuldensabhängigen Haftungstatbestände zu untersuchen sein, ob ihre Sonderbehandlung mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 I GG) zu vereinbaren ist.104 Eine Sonderstellung nimmt die Beschränkung der Einstandsverantwortlichkeit eines Zahlungsdienstnutzers (§ 675v I 2, 1 BGB) ein, die nicht auf den Versicherbarkeitsgedanken gestützt werden kann; maßgeblich dürfte hier die Überlegung gewesen sein, ein nur leicht fahrlässig Handelnder solle keiner potentiell sehr weitreichenden und damit prohibitiv wirkenden Haftung ausgesetzt sein.
101
BT-Drucks. 16/11643, S. 113. Ausgeführt wird dort nur, „der Nutzer [solle] für einen begrenzten Betrag selbst haften“. 103 Das gilt vor allem für Universalkreditkarten, weil bei deren Einsatz in aller Regel keine PIN, sondern nur eine Unterschrift oder gar nur die Kartennummer erforderlich ist (vgl. auch Staudinger/Omlor, Vorbem 131 zu §§ 675c-676c). 104 Siehe unten § 2 A IV 4. 102
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IV. Verfassungsrechtliche Fragen Nun folgt daraus, dass Haftungshöchstsummen als rechtspolitisch und -dogmatisch überzeugend angesehen werden können, noch nicht, dass sie auch vor dem strengen Auge des Grundgesetzes Bestand haben. Soweit ersichtlich fehlt eine detaillierte Auseinandersetzung darüber bislang.105 In diesem Zusammenhang sind mehrere Fragen zu unterscheiden: Zu untersuchen ist zunächst, ob das Grundgesetz der Normierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Tatbeständen entgegensteht (dazu 1.). Da dies zu verneinen ist, ist im Anschluss einerseits zu klären, ob umgekehrt die (partielle) Nichtbeschränkung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände verfassungskonform ist (dazu 2. und 3.). Andererseits ist der Frage nachzugehen, inwieweit die Beschränkung auch der verschuldensabhängigen Haftung mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist (sub 4.). Schließlich ist als Sonderfrage zu prüfen, ob und inwieweit die Bemessungsmaßstäbe für die Haftungsbeschränkung im Transportrecht mit Art. 3 I GG im Einklang stehen (unter 5.). 1. Verfassungskonformität von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen Zu untersuchen ist ein möglicher Verstoß gegen Art. 3 I GG oder Art. 14 I GG einerseits, aus Grundrechten ableitbare Schutzpflichten des Staates andererseits. a) Verstoß gegen Art. 3 I GG? Zu fragen ist zunächst, ob es eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes darstellt, dass typischerweise106 nur strikte Haftungstatbestände, nicht aber solche verschuldensabhängiger Haftung, durch Haftungshöchstsummen beschränkt werden. Die Frage, anhand welches Rechtfertigungsmaßstabes (Schlagworte: Willkürformel, Neue Formel, gleitende Skala) diese Ungleichbehandlung zu messen ist,107 kann dabei offen bleiben, wenn sie nach keiner Formel gegen Art. 3 I GG verstößt. Das ist hier der Fall. Denn selbst wenn man sich entgegen der hier vertretenen Auffassung108 rechtsdogmatisch auf den Standpunkt stellte, dass es sich bei Gefährdungs- und Verschuldenshaftung um zwei gleichberechtigte Haftungssysteme handelt, ist nicht zu beanstanden, dass 105 Vereinzelte Zweifel an der Verfassungskonformität, aber ohne nähere Diskussion finden sich bei Staudinger/Kohler, § 15 UmweltHG, Rn. 5 und P. Döring, Haftung, S. 89 (jeweils für den Fall, dass kein anderweitiger Ersatzanspruch vorgesehen ist) sowie Salje/Peter, UmweltHG, § 15, Rn. 2, der Haftungshöchstsummen nur für zulässig hält, wenn gegebenenfalls der Staat einspringt (z.B. § 34 AtomG) oder wenn sich die potentiell Geschädigten leicht selbst versichern können, was bei § 15 UmweltHG aber nicht der Fall sei. 106 Zu Ausnahmen in beide Richtungen vgl. oben § 2 A IV 2 und 4. 107 Siehe zum Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes und vor allem der Frage, wie der „richtige“ Rechtfertigungsmaßstab zu bestimmen ist, oben § 1 F II 1, 2. 108 Siehe oben § 2 A III 1 d) bb).
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der Geschädigte den Vorteil, ein Verschulden des Schädigers nicht beweisen beziehungsweise nicht befürchten zu müssen, dass dieser sich entlastet, mit dem Nachteil eines der Höhe nach beschränkten Anspruchs „bezahlen“ muss (beziehungsweise umgekehrt der Schädiger das Privileg einer umfangsmäßig limitierten Haftung damit „erkauft“, dass er auch ohne – nachweisbares – Verschulden einstandspflichtig ist). Damit sind die Unterschiede in den Haftungsvoraussetzungen in der Diktion der „Neuen Formel“ von so großem Gewicht, dass die Ungleichbehandlung in den Haftungsfolgen geeignet, erforderlich und auch proportional ist. b) Verstoß gegen Art. 14 I GG? Ein Verstoß gegen Art. 14 I GG mit dem Argument, der Anspruch sei der Höhe nach beschränkt, scheidet aus. In den Schutzbereich von Art. 14 I GG fällt nach allgemeiner Meinung nämlich nur das bereits Erworbene, das heißt Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber die bloße Möglichkeit des Erwerbs weiterer Rechtspositionen.109 Entsteht schon gar kein vollumfänglicher Anspruch, liegt insoweit somit kein Eingriff in Art. 14 I GG vor. Genauso verhält es sich aber bei Haftungshöchstsummen, weil hier ein Anspruch von Anfang an nur in maximal der durch die Haftungshöchstsumme vorgezeichneten Höhe entsteht und dem Gläubiger mithin mittels dieser Höchstgrenze nicht etwas genommen wird, was ihm zuvor bereits einmal zustand. Damit fehlt es schon an der Eröffnung des Schutzbereichs. c) Verstoß gegen staatliche Schutzpflichten? aa) Grundsatz (1) Wie im Grundlagenkapitel110 ausgeführt, wird den Grundrechten heute nicht nur eine Abwehr-, sondern auch eine Schutzpflichtkomponente entnommen, aus der im Grundsatz auch die Pflicht des Staates zum Erlass grundrechtsschützender Normen erwachsen kann. Dies gilt gerade auch für das private Haftungsrecht. Konkrete Handlungspflichten lassen sich aus dieser Schutzpflichtdimension aber nur in extremen Ausnahmefällen ableiten, weil dem Gesetzgeber ein erheblicher Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zukommt. (2) Die Normierung von Haftungshöchstsummen könnte eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten darstellen, weil der (potentielle) Gläubiger unter Umständen nur einen Teil seiner erlittenen Schäden liquidieren kann und daher nicht ausreichend durch das geltende Haftungsrecht geschützt wird. Be109 BVerfGE 20, 31, 34; 31, 212, 220; 74, 129, 148; 81, 70, 96; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12, Rn. 181, Art. 14, Rn. 183; Manssen, Staatsrecht II – Grundrechte, Rn. 655; vgl. auch BVerfGE 31, 8, 32; 77, 84, 117. 110 Siehe § 1 F III.
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troffene Grundrechtspositionen sind dabei typischerweise Art. 2 II GG (soweit es um Ansprüche wegen Verletzung von Körper und/oder Gesundheit geht)111, Art. 14 I GG (bei Sachbeschädigungen) sowie Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Haftungshöchstsummen beschränken – wie oben dargelegt – typischerweise Tatbestände verschuldensunabhängiger Haftung, lassen aber insbesondere die allgemeine deliktische Haftung nach §§ 823 ff. BGB in aller Regel112 unberührt. Angesichts dessen kann die Einführung von Haftungshöchstsummen denklogisch überhaupt nur dann eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten darstellen, wenn der Gesetzgeber – quasi in einem ersten Schritt – aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I, 2 II, 14 I GG überhaupt verpflichtet war, verschuldensunabhängige Haftungstatbestände zu schaffen. Nun ist es zwar möglich, dass aus der Schutzpflichtkomponente eine konkrete Pflicht zum Normerlass folgt, das aber ist – wie ausgeführt113 – nur in den absoluten Ausnahmefällen anzunehmen, in denen das Schutzminimum evident unterschritten wird und dieser Missstand nur durch eine einzige Maßnahme beseitigt werden kann. Für eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Schaffung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände ließe sich anführen, dass diese für den Schutz des Geschädigten von besonderer Bedeutung sind, weil sie ihm den Nachweis des Verschuldens des Schädigers in Konstellationen ersparen, in denen ihm ein solcher typischerweise nahezu unmöglich ist, weil er keinen Einblick in die Betriebsvorgänge beim Schädiger (zum Beispiel bei § 1 ProdHaftG, §§ 1, 2 HaftPflichtG, § 84 AMG) beziehungsweise keine Kenntnis von dessen Verhalten vor der Schädigung (zum Beispiel bei § 7 StVG, § 833 S. 1 BGB) hat oder auch nur haben kann. Auch wenn diese Beweisproblematik nicht zu bestreiten ist, lässt sich aus ihr aber richtigerweise keine – gegebenenfalls gar per Verfassungsbeschwerde einklagbare – Pflicht des Gesetzgebers ableiten, für ausgewählte Bereiche verschuldensunabhängige Haftungstatbestände zu schaffen. Denn der geschilderten Beweisproblematik kann auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen werden, zum Beispiel durch die Schaffung von Tatbeständen der Haftung für vermutetes Verschulden wie § 18 StVG. Möglich ist ferner, das Verschulden bei einem festgestellten Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB zu vermuten,114 bei einer feststehenden wesentlichen Beeinträchtigung im Sinne des § 906 BGB dem Emittenten die Beweislast für sein fehlendes Verschulden 111 Vgl. auch BVerfGE 49, 304, 321: Durch die vom BGH (18.12.1973 – VI ZR 113/71, NJW 1974, 312) befürwortete Haftungsbeschränkung für gerichtliche Sachverständige werde die Rechtsstellung des Geschädigten verschlechtert und „damit ein Weg beschritten, der den Intentionen des Grundrechts aus Art. 2 II GG eher zuwiderläuft“. 112 Vgl. aber unten § 2 A IV 1 c) bb). 113 § 1 F III 2, 3. 114 Vgl. BGH 26.11.1968 – VI ZR 212/66, NJW 1969, 269, 274; 13.12.1984 – III ZR 20/83, NJW 1985, 1774, 1775; Staudinger/Kohler, Einl zum UmweltHR, Rn. 282 m.w.N.
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aufzubürden115 oder es über die Grundsätze des prima-facie-Beweises bei typischen Geschehensabläufen dem Schädiger aufzuerlegen, den Beweis des ersten Anscheins durch Gegenbeweis zu erschüttern.116 Der Gefährdungshaftung nahekommende Ergebnisse lassen sich zudem auch im Bereich des „klassischen Deliktsrechts“ (§§ 823 ff. BGB) durch den Ausbau der Verkehrspflichten in Verbindung mit einem stark objektivierten Fahrlässigkeitsbegriff erzielen.117 In Anbetracht dieser vielen verschiedenen Wege, dem Geschädigten aus seiner Beweisnot zu helfen, sowie eingedenk der aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz abzuleitenden weitreichenden gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative ginge es zu weit, ein Gebot zur Schaffung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände zu postulieren.118 Wenn folglich aber aus den Grundrechten schon richtigerweise keine Pflicht des Gesetzgebers zur Schaffung verschuldensunabhängiger Anspruchsgrundlagen abzuleiten ist, kann die summenmäßige Beschränkung dennoch geschaffener Haftungstatbestände nicht gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verstoßen. Aber selbst wenn man aus Art. 2 I in Verbindung mit 1 I, 2 II, 14 I GG eine Pflicht zur Schaffung strikter Haftungsnormen herleiten wollte, wäre damit das letzte Wort über Haftungshöchstsummen nicht gesprochen. Denn der Gesetzgeber kann bei der Ausgestaltung des Haftungsrechts als Folge der von ihm vorzunehmenden Abwägung119 der konfligierenden Interessen der Normunterworfenen Kompromisslösungen verwirklichen.120 Schon bei der Gegenüberstellung der Interessen der Geschädigten und Schädiger ist es deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn er dasjenige, was er mit der einen Hand den Geschädigten durch die mit der Schaffung strikter Haftungstatbestände einhergehende Privilegierung gibt, durch die andere 115
So BGH 18.9.1984 – VI ZR 223/82, NJW 1985, 47, 48; Staudinger/Kohler, Einl zum UmweltHR, Rn. 283 m.w.N. 116 Vgl. z.B. BGH 18.10.1988 – VI ZR 223/87, NJW-RR 1989, 670, 671; weitere Nachweise bei Musielak/Foerste, ZPO, § 286, Rn. 26. 117 Staudinger/Kohler, § 1 UmweltHG, Rn. 2; vgl. auch Palandt/Sprau, Einführung zum ProdHaftG, Rn. 5 („Die praktische Auswirkung [des ProdHaftG] ist im Hinblick auf die Beweislastumkehr und die sehr hohen Sorgfaltsanforderungen im Deliktsrecht nicht sehr erheblich.“); ähnlich Staudinger/Kohler, Einl zum UmweltHR, Rn. 105 a.E. 118 Würde man anders entscheiden, müsste man sich die Frage stellen, ob nicht auch zwingend eine strikte Haftung für z.B. Ärzte oder Rechtsanwälte grundrechtlich geboten wäre, fällt es Patienten/Mandanten ohne entsprechende Vorbildung doch auch in diesen Bereichen oftmals schwer, haftungsbegründende Fehler überhaupt zu erkennen, geschweige denn zu beweisen. – Vgl. auch Manssen, TranspR, 2010, 140, nach dem die Versagung von Ansprüchen aus Gefährdungshaftung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Binnenschiffes vom gesetzgeberischen Ausgestaltungsspielraum für das Haftungsrecht gedeckt sein dürfte. 119 Zu diesem Abwägungsvorgang vgl. BVerfGE 56, 54, 80 f.; 77, 170, 214 f.; 77, 381, 405; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 162. 120 So explizit BVerfGE 49, 304, 321; vgl. Pelzer, Haftung im deutschen Atomrecht, S. 30 f.
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zumindest teilweise wieder mittels der summenmäßigen Beschränkung dieser Haftung nimmt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Normschaffung nicht nur die Interessen der unmittelbar Betroffenen, sondern auch die der Allgemeinheit zu berücksichtigen hat.121 Letztere sprechen dafür, Gefährdungshaftungstatbestände für zwar gefährliche, aber zugleich gesellschaftlich wünschenswerte Verhaltensweisen durch eine Höchstgrenze zu beschränken, weil anderenfalls die mögliche Haftung prohibitive Wirkung entfalten könnte.122 bb) Geltung auch bei Verdrängung der allgemeinen (deliktischen) Haftungsregelungen? (1) Das soeben Gesagte gilt unproblematisch, wenn die Höchstsummenregelung ausschließlich die strikte Haftung einschränkt, eine mögliche parallele Haftung aus Vertrag oder allgemeinem Deliktsrecht also unberührt bleibt. Denn dann ist sichergestellt, dass der Geschädigte – wenn auch nur unter der Voraussetzung, dass dem Schädiger ein Verschuldensvorwurf zu machen beziehungsweise (bei der Haftung für vermutetes Verschulden) er sich nicht exkulpieren kann – vollen Ersatz der erlittenen Schäden erhalten kann. Unproblematisch sind daher die Höchstbeträge in §§ 12, 12a StVG, § 10 ProdHaftG, § 88 AMG, § 15 UmweltHG, § 117 I BBergG, §§ 9, 10 HaftpflichtG, §§ 32, 33 GenTG, §§ 37, 53 LuftVG, § 8 III BDSG und § 702 BGB, weil hier jeweils entweder gesetzlich explizit die Haftung nach anderen Vorschriften unberührt bleibt123 oder dies auch ohne ausdrückliche Regelung von der ganz herrschenden Meinung anerkannt ist.124 (2) Fraglich ist, ob diese „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ auch summenmäßig begrenzten Anspruchsgrundlagen erteilt werden kann, die entweder andere vertragliche, vertragsähnliche und außervertragliche Ansprüche verdrängen oder aber deren Haftungshöchstsumme auch auf konkurrierende Anspruchsgrundlagen anwendbar ist. Hierbei ist zu differenzieren: (a) Unter dem Blickwinkel der grundrechtlichen Schutzpflichten unbedenklich sind solche Normen, wenn die Haftung auf einem Vertragsverhältnis beruht beziehungsweise auf dieses zurückzuführen ist und die haftungsbegrenzenden Regelungen nicht automatisch, sondern – wie vor allem bei § 651h BGB – erst nach einer entsprechenden Vereinbarung gelten.125 Dass dann möglicherweise 121
Vgl. etwa BVerfGE 77, 170, 214 f.; 77, 381, 405. Siehe näher § 2 A III 1 d) cc). 123 Vgl. § 16 StVG, § 15 II ProdHaftG, § 91 AMG, § 18 I UmweltHG, § 121 BBergG, § 12 Haftpfl chtG, § 37 III GenTG, § 42 LuftVG. 124 So bei § 8 III BSGB (vgl. Gola/Schomerus, BDSG, § 8, Rn. 2) sowie § 702 BGB (vgl. z.B. MüKo-BGB/Henssler, § 701, Rn. 5 m.w.N.). 125 Während völlig unstrittig ist, dass sich Vereinbarungen nach § 651h BGB auf andere vertragliche Ansprüche gegen den Reiseveranstalter – so solche überhaupt relevant werden können (vgl. dazu Lettmaier/Fischinger, JuS 2010, 99) – erstrecken können (vgl. z.B. BGH 12.3.1987 – VII ZR 37/86, NJW 1987, 1931), ist umstritten, ob dies auch für deliktische Ansprüche gilt (ablehnend z.B. MüKo-BGB/Tonner, § 651h, Rn. 5; bejahend Staudinger/Eckert, § 651h, Rn. 16; ob die frühere Entscheidung des BGH 12.3.1987 – VII ZR 37/86, NJW 1987, 122
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auch deliktische Ansprüche betroffen sind, ist unschädlich, weil die damit einhergehende Verkürzung des deliktischen Schutzes auf eine freiwillige Mitwirkungshandlung (Zustimmung zur Haftungsbegrenzung) des (potentiell) Geschädigten zurückzuführen ist. Wer sich darauf einlässt, ist vermindert schutzwürdig, was sich grundrechtsdogmatisch mit dem Instrument des (Grundrechts-)Verzichts auf die staatliche Schutzpflicht begründen lässt (volenti non fit iniuria).126 (b) Anders könnte sich dies in Situationen darstellen, in die der Geschädigte nolens volens gerät und an denen er zudem nichts ändern kann. Dazu zählen zunächst die §§ 3 ff. BinSchG. Erfasst ist hier nicht nur die Schädigung beförderter Personen oder Sachen, sondern alle in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betrieb eines Schiffes eintretenden Schäden. Wer sich beispielsweise zum Zeitpunkt der Kollision des Schiffes mit einer Brücke auf selbiger befindet und Quetschungen erleidet, kann vom Schiffseigner maximal den nach §§ 5d, e, f BinSchG zu berechnenden Haftungshöchstbetrag verlangen.127 Die Haftungsbegrenzung gilt unabhängig davon, ob es sich um vertragliche oder deliktische Ansprüche handelt (§ 4 I 2 BinSchG), so dass insbesondere über die §§ 823 ff. BGB kein weitergehender Ersatz zu erlangen ist. Bei Sachschäden besteht für geschädigte Privatpersonen zudem das Problem, dass ihr Sachschadensersatzanspruch gegenüber den Ansprüchen wegen Beschädigung von Hafenanlagen und -becken, Wasserstraßen, Schleusen, Brücken und Navigationshilfen, die regelmäßig in öffentlicher Hand sind, nachrangig ist, § 5f II BinSchG.128 Der Schiffseigner kann sich nur dann nicht auf die Haftungsbegrenzung berufen, wenn der Schaden absichtlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass 1931, 1937 f., in der dies abgelehnt wurde, noch herangezogen werden kann, ist fraglich, weil sie sich wohl maßgeblich auf die heute schon nach dem Wortlaut des § 651h BGB generelle Beschränkung der Haftung für Personenschäden stützte). 126 Vgl. zum Verzicht auf die staatliche Schutzpflicht Fischinger, JuS 2007, 808, 813. – Die Ausführungen zu § 651h BGB würden entsprechend auch bei § 67a I StBerG gelten. Sie dürften dort aber insoweit keine Rolle spielen, als nach dessen Wortlaut nur der Anspruch „aus dem zwischen [dem Auftraggeber] und dem Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten bestehenden Vertragsverhältnis“ (Hervorhebung hier) durch die Vereinbarung beschränkt werden kann. Daher spricht hier viel dafür, dass sich eine solche Vereinbarung nicht auf mögliche deliktische Ansprüche beziehen kann; sieht man das anders, gilt das zu § 651h BGB Gesagte entsprechend, mit anderen Worten, die Regelung ist unter dem Blickwinkel der Schutzpflicht unbedenklich. 127 § 5k BinSchG, der einen gesonderten Haftungshöchstbetrag regelt, ist vorliegend nicht einschlägig, da er ausschließlich für geschädigte Reisende gilt (vgl. auch v. Waldstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, § 5k BinSchG, Rn. 1). Bei den Reisenden stellt sich die Problematik angesichts der obigen Ausführungen nicht, da sie sich durch Eingehung des Beförderungsvertrages mit der Haftungsbeschränkung (konkludent) einverstanden erklärt haben. 128 Der Gesetzgeber hielt dies für notwendig, um im Interesse der gesamten Schifffahrt die Bereitstellung leistungsfähiger Hafenanlagen usw. sicherzustellen, vgl. BT-Drucks. 13/8446, S. 29. Der Vorrang gilt nicht gegenüber Personenschäden, a.a.O. (zu § 5g BinSchG). – Dass § 5f II BinSchG durchaus einmal praktisch relevant werden kann, zeigt ein Vorfall in Regensburg im Jahre 2008, vgl. http://www.mittelbayerische.de/index.cfm?pid=10071&pk=210486&p=1; Manssen, TranspR 2010, 140 ff.
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ein solcher Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, herbeigeführt wurde, § 5b I BinSchG; für letzteres genügt grob fahrlässiges Handeln nicht unbedingt, weil dieses das Bewusstsein des möglichen Schadenseintritts nicht voraussetzt.129 Zu nennen ist zudem die Haftungsregelung des § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG), die nach wohl überwiegender Meinung auch auf konkurrierende deliktische und vertragliche Ansprüche anwendbar ist130 und die selbst bei grober Fahrlässigkeit die Haftung auf eine beziehungsweise vier Millionen beschränkt.131 Zwar ließe sich gegen eine Gleichstellung mit den Fällen der §§ 3 ff. BinSchG einwenden, dass der zuvor von den Gesellschaftern gewählte (§ 318 I HGB) Abschlußprüfer stets auf Basis eines Vertrags132 mit der Gesellschaft tätig wurde, so dass es prima vista nahe läge, die obigen Maßstäbe des freiwilligen Einlassens auf den Vertragspartner (sub [a]) heranzuziehen. Dabei bliebe aber erstens unberücksichtigt, dass Kapitalgesellschaften – mit Ausnahme kleiner Gesellschaften im Sinne von § 267 I HGB – gar nicht die Wahl haben, ob sie einen Abschlußprüfer zur Prüfung von Jahresabschluß und Lagebericht bestellen, sondern hierzu nach § 316 HGB verpflichtet sind. Zweitens darf nach § 16 der Berufssatzung der Wirtschaftsprüferkammer nicht einmal durch Individualabrede eine weitergehende Haftung vereinbart werden, da es gegen standesrechtliche Berufsgrundsätze verstoßen soll, sich durch Haftungserweiterungen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.133 Auch wenn aus einem solchen Verstoß nicht die Unwirksamkeit der Abrede folgen soll,134 ist davon auszugehen, dass die Prüfer den Abschluss solcher Abreden verweigern, so dass eine Gleichstellung mit den §§ 3 ff. BinSchG geboten ist. Selbst wenn also dem Schiffseigner/Abschlussprüfer der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, haftet er der Höhe nach nur begrenzt. Der durch den Schiffsunfall Geschädigte kann daher möglicherweise teilweise oder – bei Sachschäden in einem worst case scenario – sogar ganz mit seinem Schadensersatzanspruch ausfallen; und die geprüfte Kapitalgesellschaft trägt bei großen Vermögens- oder Sachschäden135 durch Fehler des Prüfers einen nicht unerheb129
v. Waldstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, § 5b, Rn. 4. Bejahend Zimmer, in: GK-HGB, § 323, Rn. 46; MüKo-AktG/Pentz, § 49, Rn. 38; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 323, Rn. 9; a.A. Koller/Roth/Morck, HGB, § 323, Rn. 7; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 323, Rn. 16. 131 Unstrittig, vgl. statt aller Hüffer, AktG, § 49, Rn. 4. 132 Es handelt sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), der i.d.R. Dienstvertragscharakter hat (vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], Vorbemerkungen zu §§ 611 ff., Rn. 186). 133 Vgl. die Begründung unter http://www.wpk.de/pdf/bs-wpvbp.pdf, S. 46. – Aus der Literatur Koller/Roth/Morck, HGB, § 323, Rn. 7; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 73 m.w.N. 134 MüKo-AktG/Pentz, § 49, Rn. 41; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 323, Rn. 18; siehe auch näher unten § 3 Fn. 360. 135 Typischerweise drohen durch das Handeln des Prüfers „nur“ Vermögensschäden; 130
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lichen Teil selbst. Das wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber mit den §§ 3 ff. BinSchG, § 323 II HGB staatliche Schutzpflichten verletzt. Dafür ließe sich anführen, dass rechtsdogmatisch Haftungshöchstsummen dem Ausgleich der für den Schädiger gefährlichen verschuldensunabhängigen Haftung dienen, sie bei der anderweitig beschränkten Verschuldenshaftung also ein Fremdkörper sind, der nur hinzunehmen ist, soweit dem Geschädigten der Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen (vor allem §§ 823 ff. BGB) offen bleibt. Wo – wie bei § 5b I BinSchG beziehungsweise der herrschenden Meinung zu § 323 II HGB – letzteres nicht gewährleistet ist, erscheint es nicht angemessen, den schuldhaft handelnden Schädiger auf Kosten des Geschädigten, dem kein Vorwurf zu machen ist, zu entlasten. Nun ist es aber nicht so, dass zur Rechtfertigung der Regelungen der §§ 3 ff. BinSchG, § 323 II HGB keine Gründe angeführt würden.136 Ob diese letztendlich vollkommen zutreffen, ist dabei vorliegend gar nicht entscheidend. Denn es geht nicht um die Rechtfertigung eines konkreten Grundrechtseingriffs, sondern „nur“ darum, ob der Gesetzgeber der staatlichen Schutzpflicht genügt hat. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden besteht im erheblichen Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der Ausfüllung der Schutzpflicht einzuräumen ist.137 Ein Verstoß gegen das Untermaßverbot kann ihm nur dann vergleichsweise leicht vorgeworfen werden, wenn er offenkundig keinerlei Abwägung der widerstreitenden Belange vorgenommen hat; wo er dies aber tat, ist das Resultat aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes und der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative grundsätzlich hinzunehmen, denn eine perfekte Regelung musste er nicht treffen. Erforderlich, an dieser Stelle aber eben auch ausreichend, ist vielmehr, dass er nach der Interessenabwägung eine vereine Verletzung von Rechtsgütern im Sinne des § 823 I BGB ist kaum denkbar (Koller/Roth/ Morck, HGB, § 323, Rn. 6). 136 Damit sollen vor allem die Versicherungsprämien niedrig(er) gehalten werden (für § 323 II HGB z.B. BT-Drucks. 13/9712, S. 29; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 73; Stellungnahmen der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1998, 35, 36 f.; WPK-Mitt. 1997, 100, 105 f.; für §§ 3 ff. BinSchG vgl. Manssen, TranspR 2010, 140, 142, der daraus aber nicht die Legitimität der Regelung herleitet). Im Bereich des § 323 II HGB wird ferner angeführt, dass das Haftungsrisiko für Abschlussprüfer anderenfalls zu hoch sei (BT-Drucks. a.a.O.), negative Auswirkungen auf die Struktur des Berufsstandes zu befürchten seien (weil nur noch große Wirtschaftsprüfergemeinschaften große Mandate übernehmen könnten), die Beschränkung der Einstandspflicht die Interessenneutralität des Prüfers stärke und es sich ferner um eine besonders gefahrengeneigte Arbeit handle, die mit typischerweise extremen Risiken behaftet sei und bei der schon leichte Fehler zu nicht mehr tragbaren Schäden führten (Quick, BB 1992, 1675, 1677; Stellungnahmen der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1998, 35, 37). Last but not least wollte der Gesetzgeber den „irreführenden Eindruck einer Art Garantiehaftung für den Fortbestand geprüfter Unternehmen“ vermeiden (BT-Drucks. a.a.O.). 137 Vgl. BVerfGE 88, 203, 262: „Ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum kommt dem Gesetzgeber auch dann zu, wenn er […] verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen.“.
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tretbare, das heißt keine vollkommen unangemessene und einseitige Regelung traf.138 Von derart einseitigen Regelungen wird man hier nicht ausgehen können. Erstens haften sowohl Abschlussprüfer wie Schiffseigner bei Vorsatz, letztere zudem unter Umständen bei leichtfertigem Verhalten. Zweitens ist selbst bei grober Fahrlässigkeit des Schädigers die Haftung nicht a priori völlig ausgeschlossen, sondern eben „nur“ der Höhe nach begrenzt. Auch wenn – zugegebenermaßen – Extremszenarien vorstellbar sind, in denen einzelne Gläubiger kaum eine ausreichende Kompensation erhalten, zeigt dies, dass der Gesetzgeber einen Interessenausgleich vorgenommen hat. Hinzu kommt, dass das Haftungsrecht nicht das einzige Mittel ist, um die Aufforderungen der grundrechtlichen Schutzpflichten zu erfüllen.139 So wird den Interessen vieler (potentiell) durch Binnenschiffsunfälle Geschädigter zum Beispiel auch dadurch Rechnung getragen, dass die mit Personenschäden einhergehenden finanziellen Kosten wenigstens zum Teil durch die von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Leistungen abgefedert werden. Zu nennen sind ferner das Strafrecht, insbesondere § 229 StGB, dessen generalpräventive Wirkung mittelbar auch dem Rechtsgüterschutz dient,140 sowie das öffentliche Recht mit seinen Vorgaben für den Betrieb und das Führen von Schiffen141 beziehungsweise die Vorschriften über Zulassung zum und Bestellung als Abschlussprüfer.142 Soweit es um § 323 II HGB geht, darf schließlich nicht übersehen werden, dass bei Fehlern von Abschlussprüfern in aller Regel „nur“ Vermögensschäden entstehen.143 Das Vermögen als solches wird aber – wie die Beschränkung des allgemeinen Deliktsrechtsschutzes des § 823 I BGB auf absolute Rechtsgüter, zu denen das bloße Vermögen nicht gehört,144 zeigt – im Bürgerlichen Recht traditionell als weniger schutzwürdig eingestuft. Aus der Warte der Systemkonformität ist es daher nicht zu beanstanden, dass die durch § 323 II HGB erfolgte systemdurch138
Vgl. BVerfGE 88, 203, 262. Vgl. auch BVerfGE 88, 203, 261 f., wonach der Staat zum Schutz des ungeborenen Lebens ein Konzept entwickeln muss, in dem präventive und repressive Elemente miteinander verbunden sind, wobei es ihm aber überlassen bleibt, „wie er das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs im übrigen in den verschiedenen Bereichen der Rechtsordnung zur Wirkung bringt“ (Hervorhebung hier). 140 Vgl. statt aller Schönke/Schröder/Stree, StGB, Vorbemerkungen zu den §§ 38 ff., Rn. 2. 141 Genannt seien z.B. die Binnenschiffsuntersuchungsordnung (BinSchUO), die Binnenschifferpatentverordnung (BinSchPatentV) oder die Gefahrgutverordnung Binnenschifffahrt (GGVBinSch). 142 Vor allem die §§ 5 ff., 15 ff. WPO; hinzuweisen ist insbesondere auch auf § 57a WPO, nach dem derjenige, der gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfungen durchführen möchte, einer Qualitätskontrolle unterliegt, sowie auf die Vorschriften über die Berufsaufsicht über Wirtschaftsprüfer (§§ 61a ff. WPO). 143 Koller/Roth/Morck, HGB, § 323, Rn. 6. 144 Einhellige Meinung, vgl. nur RGZ 51, 92, 93; BGH 4.2.1964 – VI ZR 25/63, NJW 1964, 720, 722; MüKo-BGB/G. Wagner, § 823, Rn. 184 m.w.N. 139
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brechende Erweiterung der Haftung auch für bloße Vermögensschäden zumindest der Höhe nach beschränkt wird.145 Zusammengefasst scheidet daher auch hinsichtlich § 323 II HGB, § 5b I BinSchG ein Verstoß gegen grundrechtliche Schutzpflichten aus.146 (c) Gewissermaßen zwischen den Fällen (a) und (b) angesiedelt sind Konstellationen, in denen die auf einem Vertragsverhältnis beruhenden, auch für sonstige Anspruchsgrundlagen geltenden haftungsbegrenzenden Regelungen zwar grundsätzlich Geltung beanspruchen, aber (eingeschränkt) abdingbar sind. Relevant wird dies bei der Haftung des Luftfrachtführers für Personen oder Gepäck, die im Luftfahrzeug befördert werden. So ordnet § 48 LuftVG an, dass die Haftungsbeschränkung des § 47 IV 1 LuftVG auch für alle anderen Anspruchsgrundlagen gilt. Nach dem unter (a) und (b) Gesagten verstößt eine solche gesetzgeberische Gestaltung erst Recht nicht gegen grundrechtliche Schutzpflichten, ist die Haftung doch auch hier „nur“ der Höhe nach beschränkt, nicht aber generell ausgeschlossen, und entfällt das Haftungsprivileg zudem bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, § 47 V LuftVG. Überdies kommt hier – im Gegensatz zur Fallkonstellation (b) – hinzu, dass die Haftungsbeschränkung auf einem Vertragsverhältnis beruht, dem der Geschädigte zugestimmt hat, obwohl sie – wie ein Gegenschluss zu § 49c LuftVG zeigt – uneingeschränkt abdingbar ist. d) Zwischenergebnis Haftungshöchstsummen für verschuldensunabhängige Haftungstatbestände sind grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar, sie verstoßen weder generell gegen Art. 3 I oder Art. 14 I GG noch verletzen sie staatliche Schutzpflichten aus Art. 2 II, Art. 14 I beziehungsweise Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass die nähere Ausgestaltung einzelner Regelungen mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Das ist im Folgenden zu beleuchten. 2. Verstößt die Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen gegen Art. 3 I GG? Problematisch ist zuvörderst, dass eine Reihe von verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen existiert, bei denen keinerlei Haftungshöchstgrenzen normiert wurden. Dabei handelt es sich um § 89 WHG (§ 22 WHG a.F.), § 14 S. 2 BImSchG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 11 LuftVG beziehungsweise 145 Eine weitergehende Haftung aus §§ 823 I, 826 BGB ist zwar möglich, setzt aber die Verletzung eines absolut geschützten Rechts bzw. eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung voraus; hingegen ist § 323 I HGB kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB (Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 323, Rn. 16). 146 Denkbar ist aber ein Verstoß gegen Art. 3 GG, weil eine Ungleichbehandlung mit anderen Verschuldenshaftungstatbeständen vorliegt (siehe dazu unten § 2 A IV 4).
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§ 7 VI AtomG147), § 16 I 3 WHG, § 23 S. 2 GenTG, § 906 II 2 BGB (analog), § 53 LuftVG, §§ 29, 30 BJagdG, § 833 S. 1 BGB, §§ 414, 451, 455 II, 468 III HGB, §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob dies mit Art. 3 I GG vereinbar ist. a) Genus proximum der weiteren Prüfung Rechtfertigungsbedürftig ist eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 I GG nur, wenn mehrere Personen, Gruppen oder Sachverhalte unter dem Maßstab eines gemeinsamen Oberbegriffs verschieden behandelt werden.148 Genus proximum und damit tragender Grund für die Vergleichbarkeit mehrerer Normkomplexe ist im Folgenden (allein) die Verschuldensunabhängigkeit der Einstandsverpflichtung. Keine Rolle spielt hingegen, ob die Anspruchsgrundlage zivilrechtlich als Gefährdungs-, Zufalls-, Erfolgs- oder Aufopferungshaftung charakterisiert wird. Denn daran kann schon deshalb nicht angeknüpft werden, weil die dogmatische Qualifikation in vielen Fällen äußerst umstritten ist und jeweils mehrere Möglichkeiten durchaus gut vertretbar sind.149 Entscheidend für die verfassungsrechtliche Bewertung unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG ist ohnehin, ob Haftungsvoraussetzungen und -folgen vergleichbar sind. Aus diesem Grund sind richtigerweise auch verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlagen auf Schadensersatz und solche, die – wie zum Beispiel § 906 II 2 BGB – auf Zahlung einer Entschädigung gerichtet sind, vergleichbar, wenn letztere in der Praxis so gehandhabt werden, dass sie zu ähnlichen Rechtsfolgen führen. Ein Vergleich wird dabei auf Schädiger- wie auf Geschädigtenseite relevant: Die Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen könnte bei bestimmten verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen zunächst insofern gegen Art. 3 I GG verstoßen, als dadurch die von diesen Tatbeständen erfassten potentiellen Ersatzpflichtigen schlechter stehen als die möglichen Einstandsverpflichteten bei zum Beispiel § 1 UmweltHG oder § 32 GenTG; denn in beiden Konstellationen sind die Verpflichtungen potentiell uferlos und für den Schuldner ruinös, es stellt sich damit jeweils gleichermaßen die Frage, ob die Haftung zum Schutz des Schuldners einer Eingrenzung bedarf. Darüber hinaus könnte es (spiegelverkehrt) mit Art. 3 I GG unvereinbar sein, dass die Geschädigten bei beispielsweise § 1 UmweltHG wegen des Haftungshöchstbetrages unter Umständen schlechter stehen als beispielsweise bei § 89 WHG.
147 Die Haftungshöchstsumme des § 31 AtomG gilt für diesen Anspruch gerade nicht, GK-BImSchG/Roßnagel, § 14, Rn. 128 m.w.N. 148 Zum Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes siehe auch oben § 1 F II. 149 Siehe die Nachweise in den Fn. 4, 8, 10, 11 und 16.
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b) § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB aa) Ungleichbehandlung und Rechtfertigungsmaßstab Weil es sich sowohl bei § 89 WHG wie § 833 S. 1 BGB um Gefährdungshaftungstatbestände handelt, liegt im Sinne von Art. 3 I GG unproblematisch eine Ungleichbehandlung mit zum Beispiel § 1 UmweltHG, § 7 StVG, §§ 1, 2 HaftpflichtG vor. Fraglich ist, welche Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen sind. Wie dargelegt150, hängt dies bei Anlegung einer gleitenden Skala maßgeblich davon ab, ob es sich um eine sach- oder eine personenbezogene Differenzierung handelt und inwieweit sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Vorliegend spricht mehr für die Anwendung der strengeren Neuen Formel. Zwar wird vordergründig sachverhaltsbezogen angeknüpft, weil nicht die Person des Haftungsverantwortlichen im Mittelpunkt steht, sondern der Haftungsfall als solcher. Allerdings wirkt sich diese Differenzierung mittelbar in einer Ungleichbehandlung von Personen (Einstandsverantwortlicher nach zum Beispiel § 7 I StVG versus solcher nach § 833 S. 1 BGB beziehungsweise – umgekehrt – die jeweils Geschädigten) aus, was schon eine strengere Prüfung gebietet.151 Im Übrigen weisen Haftungs(begrenzungs)regelungen einen engen Bezug zur Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten von Schädiger und Geschädigtem auf: Eine unbeschränkte verschuldensunabhängige Haftung greift (stark) in die allgemeine Handlungsfreiheit des Schädigers ein; umgekehrt nimmt eine Haftungshöchstsumme dem Geschädigten unter Umständen die Chance, vollumfänglich Kompensation für erlittene Schäden an grundrechtlich geschützten Rechtsgütern zu erlangen. Angesichts dessen wäre die Ungleichbehandlung nur gerechtfertigt, wenn sich ein legitimes Differenzierungsziel ausmachen ließe und die unterschiedliche Haftungsausgestaltung zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen wäre. bb) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung? Nach dem oben Gesagten lassen sich für die rechtspolitische und -dogmatische Legitimation von Haftungshöchstsummen vier Faktoren anführen: „Gerechter“ Ausgleich, Versicherbarkeit des Haftungsrisikos, Schutz vor ruinöser sowie Schutz vor prohibitiver Haftung.152 Ein legitimes Differenzierungsziel liegt mithin nur vor, wenn im Hinblick auf wenigstens einen dieser Umstände ein Unterschied zwischen den § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB einerseits und zum Beispiel den § 1 UmweltHG, § 7 StVG, §§ 1, 2 HaftpflichtG andererseits besteht. – Bezüglich des Aspekts eines „gerechten“ Ausgleichs für die strengen Haftungsvoraussetzungen lässt sich das nicht annehmen, weil im Hinblick auf 150 151 152
Siehe § 1 F II 1, 2. Vgl. z.B. BVerfGE 88, 87, 96. Näher § 2 A III 1.
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das (fehlende) Verschuldenserfordernis keine Unterschiede zwischen den beiden Konstellationen existieren. – Übereinstimmung herrscht ferner insoweit, als auch im Bereich der § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB mittels Globalgrenzen sichergestellt werden könnte, dass – anders als bisher – der potentiell Einstandsverpflichtete sein Haftungsrisiko vollständig versichern und damit selbst bei exorbitanten Schadensfällen mit hundertprozentiger Sicherheit jegliche direkte eigene wirtschaftliche Belastung vermeiden könnte. – Richtigerweise lässt sich ein Unterschied auch nicht mit der Behauptung begründen, bei den § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB drohte dem Inhaber/Halter anders als bei den anderen genannten Anspruchsgrundlagen keine weitreichende, potentiell ruinöse Haftung. Denn das stimmt rein tatsächlich nicht, weil sowohl bei § 89 WHG wie § 833 S. 1 BGB exorbitante Haftungssituationen nicht ausgeschlossen werden können. Führt man sich vor Augen, dass beispielsweise bereits durch einen Liter ausgelaufenen Öls circa eine Million Liter Grundwasser verseucht werden können,153 wird das Ausmaß des einem Öltankbesitzer drohenden Haftungsrisikos offensichtlich. Und auch im Bereich der Tierhalterhaftung sind weitreichende Haftungsrisiken denkbar, zum Beispiel durch ein in den Straßenverkehr laufendes Pferd oder einen einem Starpianisten einen Finger abbeißenden Hund.154 Insoweit lässt sich auch nicht anführen, dass bei den § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB die möglichen Haftungskonstellationen und -folgen derart disparat sind, dass die Normierung einer einheitlichen Haftungshöchstsumme nicht möglich ist. Denn erstens ist hier schon kein Unterschied zu den „normalen“, durch einen Höchstbetrag beschränkten Haftungstatbeständen ersichtlich, weil beispielsweise auch die Höchstgrenze nach § 88 AMG für alle Konstellationen von durch den Gebrauch von Arzneimitteln ausgelösten Schäden gelten, angefangen bei Kopfweh bis hin zu karzinogenen Wirkungen. Zweitens wäre es – so gewünscht – gegebenenfalls unschwer möglich, unterschiedlichen Haftungsszenarien gerecht zu werden, indem – wie dies beispielsweise bei § 5e BinSchG oder § 37 I 1 LuftVG geschehen ist – Staffelbeträge festgelegt werden, die sich bei § 89 WHG zum Beispiel an der Größe und dem Standort der Anlage und bei § 833 S. 1 BGB beispielsweise an der Tierart orientieren könnten. – Ein Unterschied zwischen zum Beispiel § 1 UmweltHG, §§ 1, 2 HaftpflichtG, § 32 GenTG, § 7 StVG einerseits, den § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG andererseits könnte daher höchstens insoweit bestehen, als bei letzteren selbst das nicht vollständig versicherbare Risiko keine vergleichbare prohibitive Wirkung zu 153 Vgl. http://www.versicherung-in.de/gewaesserschadenhaftpflicht-versicherung-bzwoeltankversicherung-vergleichen-834/. 154 Ein Beispiel für einen hohen Schaden im sechsstelligen Bereich durch einen „bloßen“ Hundebiss findet sich bei OLG Celle 11.6.2012 – 20 U 38/11 (n.v.).
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entfalten vermag. So ließe sich argumentieren, dass eine solche Wirkung in der Rechtspraxis nicht empirisch nachzuweisen und auch wenig plausibel sei: Wer ein Haustier möchte, werde kaum wegen des unwahrscheinlichen Risikos eines von der Tierhalterversicherung nicht vollständig gedeckten Schadenseintritts darauf verzichten. Und dass zum Beispiel bei der Entscheidung zwischen Öl- und Elektroheizung die Gefahr eines exorbitanten, nicht in seiner Gänze von der Versicherung gedeckten Schadensfalls infolge eines lecken Öltankes ein relevantes Kriterium ist, könne mit Fug und Recht bezweifelt werden. Als legitimes Differenzierungskriterium könnte demnach nur angeführt werden, dass – anders als bei den § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG – die Statuierung von Haftungshöchstsummen bei zum Beispiel § 7 I StVG, § 32 GenTG notwendig ist, um eine prohibitive Haftungswirkung zu vermeiden. Allerdings ist dieses Argument schon in rechtstatsächlicher Hinsicht nicht allzu stark, weil sich erstens eine gewisse prohibitive Wirkung der § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG nicht sicher ausschließen lässt und zweitens auch über die hypothetische prohibitive Wirkung einer der Höhe nach unbeschränkten Haftung bei zum Beispiel § 7 StVG oder § 1 UmweltHG nur spekuliert werden und daher nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass diese auch ohne Höchstbegrenzung nicht in nennenswertem Umfang abschreckende Wirkung entfalten würde. Dementsprechend ist bereits das Vorliegen eines legitimen Differenzierungsmerkmals zweifelhaft. Letztlich kommt es hierauf im Ergebnis aber gar nicht an, weil selbst dann, wenn man ein legitimes Differenzierungskriterium noch bejahte, die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung spätestens bei ihrer Angemessenheit scheitert. Wie ausgeführt, bestehen bei drei von vier der für die rechtspolitische/-dogmatische Legitimation von Haftungshöchstsummen relevanten Umstände keine Unterschiede. Schon „quantitativ“ spricht dies dafür, dass die Unterschiede zwischen den beiden Konstellationen nicht von derartigem Gewicht sind, dass sie die erhebliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen. Dieses Resultat lässt sich auch „qualitativ“ absichern, weil die übrigen drei Kriterien von jeweils größerem Gewicht sind: So ist das erste Kriterium – der Gedanke des „gerechten“ Ausgleichs – das maßgebliche rechtsdogmatische Argument und daher von erheblichem Gewicht. Hinzu kommt: Was die vollständige Versicherbarkeit des Schadensrisikos und den damit einhergehenden gewährleisteten Schutz vor einer potentiell ruinösen Haftung anbelangt, lässt sich konstatieren, dass beides mit Hilfe von Haftungshöchstsummen sicher erreichbar ist. Die Verhinderung einer prohibitiven Wirkung ist hingegen ein zwar plausibles, aber eben kein durch empirische Studien zweifelsfrei nachweisbares Anliegen. Sie ist deshalb das schwächste Argument für die Existenz von Haftungshöchstsummen. Angesichts dessen könnte sie selbst dann, wenn insoweit zweifelsfrei
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ein Unterschied zwischen den beiden Konstellationen feststellbar wäre, nicht isoliert gegen die „Übermacht“ der anderen Kriterien die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Summa summarum ist die Nichtaufnahme von Haftungshöchstsummen bei § 89 WHG und § 833 S. 1 BGB gleichheitswidrig.155 cc) Rechtsfolgen des Verstoßes Zwar muss, bevor eine Norm für nichtig beziehungsweise unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird, zunächst geprüft werden, ob der drohende Verfassungsverstoß nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden kann.156 Diese findet ihre Grenze aber dort, „wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen der Gesetzgebung in Widerspruch treten würde“157. Demnach ist bei § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich, weil deren Wortlaut keinerlei Spielraum zulässt. Es bleibt daher bei dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Praktische Konsequenzen erwachsen aus dieser Feststellung aber insoweit zunächst nicht, weil das BVerfG – wie im Grundlagenkapitel158 ausgeführt – bei Verstößen gegen Art. 3 I GG regelmäßig nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Unvereinbarkeit mit Art. 3 I GG feststellt. Damit bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, ob er dem Gleichheitsverstoß abhilft, indem er entweder – was sehr unwahrscheinlich ist – alle existierenden Haftungshöchstsummen streicht oder indem er auch für § 89 WHG und § 833 S. 1 BGB Höchstbeträge normiert. c) §§ 29, 30 BJagdG Während bei § 29 BJagdG die Qualifikation als verschuldensunabhängiger Tatbestand unzweifelhaft ist,159 ist dies bei § 30 BJagdG zwar umstritten, aber richtigerweise ebenfalls zu bejahen, da die Haftung auch dann eintritt, wenn das Gehege durch höhere Gewalt oder Dritte beschädigt und dadurch dem Wild der Austritt erst ermöglicht wurde.160 Schon weil es sich bei den §§ 29 f. BJagdG 155 So für § 22 WHG a.F. auch Canaris, Systemdenken, S. 120, 128 f. (anders aber für § 833 S. 1 BGB); hingegen „wohl auch“ für § 833 S. 1 BGB Canaris, JZ 1987, 993, 1002; Larenz, VersR 1963, 593, 603; Ehrenberg, Beschränkte Haftung, S. 22 f.: „Wir vermissen hier durchaus den ordnenden Sinn, welcher Gleiches mit gleichem Maasse zu messen versteht […].“; a.A. v. Caemmerer, Reform, S. 24. 156 Vgl. z.B. BVerfGE 49, 148, 157; 67, 70, 88. 157 Vgl. z.B. BVerfGE 18, 97, 111; 64, 229, 242; 88, 203, 331. 158 § 1 F II 4. 159 Strittig ist allein, ob es sich um eine Gefährdungshaftung (dafür Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, § 84 III 2a, S. 618; Soergel/Krause, § 835, Rn. 4) oder um eine Aufopferungsentschädigung handelt (so Erman/G. Schiemann, § 835, Rn. 2; MüKo-BGB/G. Wagner4, § 835, Rn. 9); teilweise wird auch zwischen beiden differenziert und § 29 BJagdG als Aufopferungs- und § 30 BJagdG als Gefährdungshaftung eingestuft (Staudinger/Belling, § 835, Rn. 3). 160 Staudinger/Belling, § 835, Rn. 12; Lorz/Metzger/Stöckel, JagdR, § 30 BJagdG, Rn. 3 m.w.N. auch zur Gegenauffassung.
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um Sonderfälle der Tierschadenshaftung handelt,161 gelten im Grunde die Ausführungen zu § 833 S. 1 BGB entsprechend. Einen Unterschied könnte man allein darin sehen, dass die Gefahr exorbitanter Schäden samt damit einhergehender ruinöser Einstandsverpflichtungen bei den §§ 29 f. BJagdG angesichts der dort erfassten Schäden geringer sein dürfte. Ganz auszuschließen ist sie wohl aber auch hier nicht, so dass auch insoweit die Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen gegen Art. 3 I GG verstößt.162 Für die Folgen des Verstoßes gelten die Ausführungen zu § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB entsprechend. d) § 53 I LuftVG Zu prüfen ist des Weiteren, ob die Nichtaufnahme von Haftungshöchstbeträgen bei § 53 I LuftVG gegen Art. 3 I GG verstößt. Im Hinblick auf die Schädigerseite ist das schon mangels Grundrechtsbetroffenheit zu verneinen, kann sich der im Vergleich zu anderen Einstandsverpflichteten schlechter stehende Staat, der als Halter des Luftfahrzeugs der Schuldner ist,163 doch selbst nicht auf Art. 3 I GG berufen. Art. 3 I GG könnte aber insofern verletzt sein, als die nach § 53 I LuftVG anspruchsberechtigten Geschädigten besser stehen als zum Beispiel die Geschädigten eines Straßenverkehrsunfalls (vergleiche §§ 12, 12a StVG). Selbst unter Zugrundelegung der Neuen Formel ist diese Differenzierung aber gerechtfertigt. Von den die Normierung von Haftungshöchstsummen tragenden Gesichtspunkten kann vorliegend allein derjenige eines „gerechten“ Ausgleichs für die mit der strengen Haftung einhergehenden Härten angeführt werden, nicht aber die übrigen Überlegungen: Dem Staat droht selbst durch exorbitante Schadensersatzverpflichtungen nicht der Ruin, die potentielle Schadensersatzverpflichtung wirkt daher trotz fehlender Haftungshöchstsumme nicht prohibitiv. Dementsprechend ist es auch nicht notwendig, über einen Höchstbetrag die vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos zu ermöglichen. Daher 161
Vgl. dazu MüKo-BGB/G. Wagner4, § 835, Rn. 4. Zwar sind Jagdgenossenschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts (BGH 26.2.1964 – V ZR 196/61, MDR 1964, 586; vgl. BVerwG 9.2.1967 – I C 4765, BeckRS 1967, 31299483; OVG Magdeburg 28.10.2010 – 2 L 39/09, BeckRS 2010, 56928), und sind juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht grundrechtsberechtigt, weil wer Grundrechtsverpflichteter ist, nicht zugleich Grundrechtsberechtigter sein kann (sogenanntes Konfusionsargument, BVerfGE 21, 362, 367 ff.; 39, 302, 312 ff.; 61, 82, 100; 75, 192, 195). Das steht vorliegend einer Prüfung am Maßstab des Art. 3 I GG aber nicht entgegen. Denn maßgeblicher Grund für diese Rechtsprechung ist, dass hinter juristischen Personen des öffentlichen Rechts regelmäßig nicht natürliche Personen, sondern der Staat steht (vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 170). Das ist hier aber ausnahmsweise anders, denn die Jagdgenossenschaft wird durch die privaten Eigentümer der Flächen einer Gemeinde, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören, gebildet (§ 9 I 1 BJagdG). Hinter der Jagdgenossenschaft steht also gerade nicht der Staat, sondern Private – und damit Grundrechtsträger. 163 Zum Halterbegriff im Sinne von § 53 I LuftVG vgl. Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, § 53, Rn. 3. 162
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
liegen hier – anders als bei den § 833 S. 1 BGB, § 89 WHG, §§ 29 f. BJagdG – drei der vier die Schaffung von Haftungshöchstsummen tragenden Säulen nicht vor. Die Unterschiede zur Situation bei beispielsweise den §§ 12, 12a StVG sind mithin derart gewichtig, dass der zulasten des Staates wirkende Verzicht des Gesetzgebers auf einen Ausgleich für die strengen Haftungsvoraussetzungen nicht zu beanstanden ist und ein Verstoß gegen Art. 3 I GG ausscheidet. e) §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO Ebenfalls keinen Verstoß gegen Art. 3 I GG stellt es dar, dass bei den §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO keine Höchstsummen normiert wurden. Zwar statuieren auch diese eine verschuldensunabhängige materiell-rechtliche Schadensersatzhaftung,164 darin erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten zum Beispiel zu den §§ 1, 15 UmweltHG, §§ 88, 84 AMG, § 45 II 1 LuftVG, § 7 I StVG, §§ 1, 2, 9, 10 HaftpflichtG, §§ 32, 33 GenTG aber auch schon. Konzeptionell und vom Regelungszweck her bestehen zwischen der Einstandspflicht für eine Betriebsgefahr und derjenigen für eine „voreilige“ und (im Ergebnis) materiell-rechtlich nicht berechtigte Vollstreckung derart große Unterschiede, dass man sie selbst dann, wenn man die Neue Formel anwenden will, als gewichtig genug einstufen kann. Zudem: Wer die Vollstreckung betreibt, obwohl er noch keinen rechtskräftigen Titel besitzt, geht „sehenden Auges“ die konkrete Gefahr ein, dass er dem Geschädigten bei „Korrektur“ der Entscheidung Schadensersatz zu leisten hat. Im Vergleich zum Betreiber einer Anlage oder dem Halter eines PKWs, bei denen nur die abstrakte Gefahr eines Schadenseintritts besteht, ist er daher weniger schutzwürdig. Auch deshalb war es nicht gleichheitswidrig, hier von der Normierung eines Haftungshöchstbetrages abzusehen. f) § 14 S. 2 BImSchG, § 11 LuftVG, § 7 VI AtomG, § 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG Hingegen erscheint prima vista die Nichtnormierung einer Haftungshöchstgrenze bei § 14 S. 2 BImSchG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 11 LuftVG beziehungsweise § 7 VI AtomG165), § 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG problematisch, da es sich ebenfalls um potentiell weitreichende166, verschuldensunab164
MüKo-ZPO/Krüger, § 717, Rn. 9; Musielak/Musielak, ZPO, § 302, Rn. 16. Die Haftungshöchstsumme des § 31 AtomG gilt für diesen Anspruch gerade nicht, GK-BImSchG/Roßnagel, § 14, Rn. 128 m.w.N. 166 Das gilt zum einen wegen des weiten personellen Anwendungsbereichs, sind doch nicht nur die unmittelbaren Nachbarn, sondern alle geschützt, die in einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung zum emittierenden Grundstück stehen (BVerwG 22.10.1982 – 7 C 50/78, NJW 1983, 1507, 1507 f.). Weitreichend kann die Haftung vor allem auch dann werden, wenn man zum anderen mit der wohl h.M. (z.B. Staudinger/H. Roth, § 906, Rn. 77; Staudinger/Kohler, § 14 BImSchG, Rn. 9; Jarass, BImSchG, § 14, Rn. 22; E. Rehbinder, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 14 BImSchG, Rn. 74 m.w.N. auch zur Gegenauffassung) § 14 S. 2 BImSchG auch auf Gesundheitsverletzungen anwendet. 165
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hängige Betreiberhaftungstatbestände handelt, die konzeptionell derjenigen aus zum Beispiel §§ 1, 15 UmweltHG, § 7 I StVG, §§ 1, 2, 9, 10 HaftpflichtG zumindest ähnlich sind. Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG kann aber dennoch verneint werden, wenn man – wie dies in der Literatur167 für § 14 S. 2 BImSchG zu Recht befürwortet wird – dem Betreiber der Anlage schon auf anderem Wege hilft und damit Ergebnisse erzielt, die denen bei Normierung einer Haftungshöchstsumme zumindest ähnlich sind: Danach wird der Schadensersatzanspruch des Nachbarn durch die Kosten derjenigen Schutzvorkehrungen begrenzt, die für den Betrieb wirtschaftlich vertretbar wären; die Ersatzleistung steht also unter dem Vorbehalt ihrer wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Das überzeugt, weil der durch § 14 BImSchG verfolgte Zweck der Bestandsschutzsicherung vereitelt wäre, wenn die den Anlagenbetreiber schützende Verkürzung primärer privatrechtlicher Abwehransprüche durch die Hintertür des sekundären Ersatzanspruchs konterkariert würde. Da die §§ 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG dem § 14 S. 2 BImSchG nachgebildet wurden168 und die § 11 LuftVG, § 7 VI AtomG sich auf einen Verweis auf § 14 BImSchG beschränken, gilt das soeben Gesagte auch bei diesen Ansprüchen. Unter dieser Prämisse verstößt die Nichtnormierung expliziter Haftungshöchstsummen bei diesen Vorschriften nicht gegen Art. 3 I GG, weil durch diese Auslegung die wesentlichen, mit Hilfe von Haftungshöchstsummen verfolgten Ziele erreicht werden: Nicht nur findet ein Ausgleich für die strenge, verschuldensunabhängige Haftung statt, sondern es wird zugleich einer ruinösen und damit potentiell prohibitiven Haftung vorgebeugt; überdies dürfte angesichts der Orientierung anhand der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eine vollständige oder zumindest weitreichende Versicherbarkeit des Schadensrisikos ermöglicht werden. g) § 906 II 2 BGB (analog) Ebenfalls keine explizite Haftungshöchstsumme wurde bei § 906 II 2 BGB normiert, bei dem es sich um einen verschuldensunabhängigen169 bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch handelt. Analog wird § 906 II 2 BGB angewandt, wenn eine unzumutbare, nicht ortsübliche Beeinträchtigung eines Grundstücks vorliegt, sofern der davon betroffene Eigentümer aus rechtlichen oder faktischen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 I BGB zu unterbinden.170 In dogmatisch äußerst zweifelhafter Weise wendet der BGH ihn selbst 167 Staudinger/Köhler, § 14 BImSchG, Rn. 28; E. Rehbinder, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 14 BImSchG, Rn. 76 – Gegenstimmen hierzu sind nicht ersichtlich. 168 Für § 16 WHG vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 57; für § 23 GenTG BT-Drucks. 11/6778, S. 44 f.; GK-BImSchG/Roßnagel, § 14 BImSchG, Rn. 131. 169 BGH 8.3.1990 – III ZR 141/88, NJW 1990, 3195, 3196. 170 Z.B. BGH 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2378 m.w.N.; MüKo-BGB/Säcker, § 906, Rn. 141.
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bei Unfällen in Form von zum Beispiel Wasserrohrbruch-171, Kurzschluß-172 oder Brandschäden173 analog an; auch wenn das nicht überzeugt, weil damit die Grenze zur Gefährdungshaftung überschritten174 und die Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 I BGB ausgehöhlt werden, ist im Rahmen der weiteren Überlegungen diese gefestigte Rechtsprechung als Faktum hinzunehmen. Liegen die Haftungsvoraussetzungen des § 906 II 2 BGB (analog) vor, hat der Ersatzpflichtige „einen angemessenen Ausgleich in Geld“ zu leisten. Nach herrschender Meinung sind die Grundsätze über die öffentlich-rechtliche Enteignungsentschädigung entsprechend anzuwenden.175 Dem Grunde nach bedeutet diese Entschädigung zwar keinen vollumfänglichen Schadensersatz nach den §§ 249 ff. BGB.176 Vor allem bei den im vorliegenden Zusammenhang besonders relevanten Substanzschädigungen wird dem Geschädigten aber dennoch im Ergebnis oft ein voller Ersatz für die erlittenen Schäden zugebilligt;177 das geht so weit, dass der BGH einen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Nutzung des betroffenen Grundstücks für möglich hält, was bei gewerblicher Nutzung auf Kompensation für die eingetretene Ertragseinbuße und einen Ersatz der Aufwendungen für eine durch die Grundstücksbeschädigung notwendig werdende Verlagerung des Betriebs sowie die Kosten anfänglicher Betriebsanlaufsschwierigkeiten hinausläuft.178 Zwar betont der BGH, dass „Raum für eine wertende Entscheidung [besteht], die zu einem Zurückbleiben des Ausgleichsanspruchs hinter einem Anspruch auf Schadensersatz führen kann“179. Aber wohlgemerkt „kann“ der Anspruch nur hinter einem Anspruch auf Schadensersatz zurückbleiben, müssen tut er dies nicht. Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass über § 906 II 2 BGB (analog) in vielen Fällen identische oder zumindest
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BGH 19.4.1985 – V ZR 33/84, WM 1985, 1041; 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003,
BGH 1.2.2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992. OLG Rostock 16.5.2008 – 5 U 105/08, OLGR Rostock 2008, 736. 174 So insbesondere die Kritik von Staudinger/H. Roth, § 906, Rn. 69; ders., LMK 2009, 294262 (sub. 2. a]); ders., JZ 2004, 918; a.A. BGH 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2378. 175 BGH 8.7.1988 – V ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1291, 1292; 20.4.1990 – V ZR 282/88, NJW 1990, 1910, 1912; 7.4.2000 – V ZR 39/99, NJW 2000, 2901, 2903; 23.2.2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1867; 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380; H. Roth, JuS 2001, 1161, 1163. 176 BGH 23. 2. 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1867 f. 177 BGH 11.6.1999 – V ZR 377/89, NJW 1999, 2896, 2897; 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380; PWW/Lemke, § 906, Rn. 36; BeckOK-BGB/Fritzsche, § 906, Rn. 77, 79; stets für Ersatz des vollen Schadens z.B. MüKo-BGB/Säcker, § 906, Rn. 138; Palandt/Bassenge, § 906, Rn. 27; Hk-BGB/Staudinger, § 906, Rn. 16. 178 BGH 23. 2. 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1867 f. (aber: eine Zuwachsrate für künftige Gewinnerwartungen ist nicht auszugleichen); 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380. 179 BGH 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380. 173
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sehr ähnliche Ergebnisse erzielt werden wie über originäre Gefährdungshaftungstatbestände. Zusammengefasst ist daher § 906 II 2 BGB in den Haftungsvoraussetzungen wie -folgen den zum Beispiel § 15 UmweltHG, §§ 1, 2 HaftpflichtG, § 32 GenTG, § 7 StVG derart ähnlich, dass es vor dem wachsamen Auge des Art. 3 I GG mindestens eines sachlichen Grundes bedarf, nur die letzteren, nicht aber den allgemeinen zivilrechtlichen Aufopferungsanspruch der Höhe nach zu begrenzen.180 Die unterschiedliche dogmatische Ausgestaltung (Aufopferungshaftung hier, Gefährdungshaftung dort) ist kein sachlicher Grund in diesem Sinne; denn maßgeblich ist nicht die Einordnung in die zivilrechtliche Dogmatik, sondern allein, dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen in einem entscheidenden Punkt, nämlich der Kombination von Verschuldensunabhängigkeit und – ohne Höchstbegrenzung – potentiell uferlose, ruinöse Haftung faktisch identisch sind. Zu „retten“ ist § 906 II 2 BGB (analog) aber gegebenenfalls über eine – der Unvereinbarkeits-/Nichtigkeitserklärung vorgehende181 – verfassungskonforme Auslegung, die an den Haftungsfolgen ansetzt. Anders als zum Beispiel bei § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB ist dies möglich, weil der Wortlaut mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „angemessen“ ausreichend Interpretationsspielraum lässt. Was den Inhalt der verfassungskonformen Auslegung angeht, läge es zunächst nahe, sich insoweit an den zu § 14 S. 2 BImSchG entwickelten Grundsätzen zu orientieren, weil dieser nur eine spezielle Form des allgemeinen Aufopferungsanspruchs ist.182 Jedoch ist die dort befürwortete Begrenzung auf die 180 Hingegen besteht nach dem BGH kein Bedürfnis nach einer Haftungsbegrenzung, weil es sich bei dem Aufopferungsanspruch um die Kompensation für den Ausschluss an sich gegebener, aber undurchsetzbarer primärer Abwehransprüche handelt (BGH 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2379). Das überzeugt nicht. Erstens setzt sich das Gericht in Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen. Denn wenn es den Ersatzanspruch nach den Grundsätzen über die öffentlich-rechtliche Enteignungsentschädigung bestimmen will (siehe Nachweise in Fn. 175), führt die danach notwendig werdende Abwägung der Interessen der Beteiligten letztlich auch zu einer Art Haftungsbeschränkung, weil dabei unter anderem das Anliegen des Einstandsverpflichteten, keiner ruinösen Haftung ausgesetzt zu sein, zu berücksichtigen ist (siehe sogleich im Haupttext). Zweitens kann man alle (Gefährdungs-) Haftungsnormen als bloße Kompensation für den eine juristische Sekunde vor der Rechtsgutsverletzung theoretisch bestehenden, praktisch aber so gut wie nie durchsetzbaren quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch aus § 1004 I 2 BGB analog deuten. Wenn allein die Tatsache, dass beispielsweise das Opfer eines Verkehrsunfalls in der juristischen Sekunde vor dem Unfall einen Anspruch auf Unterlassung der Beeinträchtigung seiner Gesundheit und seines Eigentums hatte, einer summenmäßigen Begrenzung der verschuldensunabhängigen Haftung des § 7 StVG (natürlich) nicht entgegensteht, kann es sich bei § 906 II 2 BGB (analog) richtigerweise nicht anders verhalten. 181 Siehe dazu sowie zu den Voraussetzungen der verfassungskonformen Auslegung oben § 2 A IV 2 b) cc). 182 Vgl. zur Rechtsnatur des § 14 S. 2 BImSchG z.B. BeckOK-UmweltR/Giesberts, § 14 BImSchG, Rn. 54.
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Kosten derjenigen Schutzvorkehrungen, die für den Benutzer wirtschaftlich vertretbar wären, entscheidend durch die Notwendigkeit der Bestandsschutzsicherung motiviert.183 Dieser Gedanke lässt sich im direkten beziehungsweise analogen Anwendungsbereich von § 906 II 2 BGB mangels Vorhandenseins einer bestandskräftigen Anlagengenehmigung aber nicht fruchtbar machen, so dass diese Maßstäbe nicht herangezogen werden können. Eine höhenmäßige Begrenzung der Einstandsverpflichtung ist aber dadurch zu erreichen, dass bei der Bestimmung des „angemessenen Ausgleichs in Geld“ nicht nur die Interessen des Geschädigten, sondern auch die des „Benutzers“ (Einstandsverpfl chteten)184 berücksichtigt werden. Konkret: Da es sich bei § 906 II 2 BGB (analog) um eine Billigkeitshaftung handelt,185 darf sie für den Benutzer keine ruinösen Züge annehmen. Dafür spricht zunächst ein Vergleich mit der Billigkeitshaftung186 des § 829 BGB, bei dem der Schadensersatz nicht so weit gehen darf, dass dem Schädiger die Mittel entzogen werden, „deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf“. Für eine derartige Begrenzung spricht ferner der vom BGH gebetsmühlenartig bemühte Verweis auf das Recht der öffentlich-rechtlichen Enteignung,187 ist dort die Entschädigung doch auch „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ (Art. 14 III 3 GG) zu bestimmen. Schließlich handelt es sich bei den Fällen des § 906 II 2 BGB (analog) oft um aus Alltagsumständen erwachsende Schäden, die in menschlichen Gesellschaften mit hoher Bevölkerungsdichte oft schlicht unvermeidbar sind und bei denen die jeweilige „Rolle“ (Einstandsverpflichteter oder Gläubiger) gewisserweise vom Zufall abhängt und durchaus im Laufe der Jahre wechseln kann. Mit anderen Worten: Ein Nachbar trägt stets das Risiko, dass er durch vom Grundstück seines Nachbarn ausgehende Immissionen geschädigt wird – und vice versa. Vor diesem Hintergrund entspricht es den wohlverstandenen Interessen beider, nicht einer potentiell uferlosen, ruinösen Haftung ausgesetzt zu sein – auch wenn das bedeutet, dass sie gegebenenfalls keinen vollständigen Ersatz für Schäden erhalten, die ihnen ohne Verschulden des Nachbarn entstehen. Im Ergebnis ist § 906 II 2 BGB daher dahingehend auszulegen, dass die daraus resultierende Einstandsverpflichtung keine ruinösen Züge annehmen darf; 183
Siehe näher § 2 A IV 2 f. Zur umstrittenen Terminologie hinsichtlich des Anspruchsgegners bei § 906 II 2 BGB vgl. PWW/Lemke, § 906, Rn. 39. 185 So zu Recht Staudinger/H. Roth, § 906, Rn. 69. 186 Auch wenn die genauere dogmatische Einordnung strittig ist (näher MüKo-BGB/G. Wagner, § 829, Rn. 1), ist man sich einig, dass § 829 BGB eine Billigkeitshaftung darstellt (vgl. z.B. BGH 10.4.1962 – VI ZR 63/61, NJW 1962, 1199, 1200; BeckOK-BGB/Spindler, § 829, Rn. 1). 187 Vgl. BGH 8.7.1988 – V ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1291, 1292; 20.4.1990 – V ZR 282/88, NJW 1990, 1910, 1912; 7.4.2000 – V ZR 39/99, NJW 2000, 2901, 2903; 23.2.2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1867; 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377, 2380. 184
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insbesondere darf – wie bei § 829 BGB – der eigene angemessene Unterhalt des Benutzers sowie die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht gefährdet werden. Dass die Grenzziehung bei § 906 II 2 BGB daher im Vergleich zu den „starren“ Haftungshöchstsummen eher flexibel erfolgt, ist unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG unschädlich. Entscheidend ist nämlich, dass mittels der hier vorgeschlagenen Begrenzung des § 906 II 2 BGB – wie bei gesetzlichen Haftungshöchstsummen – ein Ausgleich für die strikte, verschuldensunabhängige Haftung erreicht wird. Wie bei der oben entwickelten Eindämmung der Haftung des § 14 S. 2 BImSchG genügt es, dass die Erreichung dieses Ziels sichergestellt ist, um einen Verstoß gegen Art. 3 I GG zu verneinen. h) §§ 414, 451, 455 II, 468 III HGB Während nach früherer Rechtslage die Haftung des Absenders, Versenders oder Einlagerers beim Fracht-, Speditions-, Umzugs- und Lagervertrag zwar verschuldensunabhängig, dafür aber der Höhe nach beschränkt war, statuieren die §§ 414 I, II, 451, 455 II, 468 III HGB seit dem zum 25.4.2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts188 eine zugleich verschuldensunabhängige wie der Höhe nach unbeschränkte Haftung.189 Mit Blick auf Art. 3 I GG ist das dann problematisch, wenn man diese Vorschriften dem Haftungsregime für die „Dienstleisterseite“, das heißt der Spediteure, Frachtführer und Lagerhalter, gegenüberstellt: Spediteure und Frachtführer haften nach §§ 425, 451, 461 I 1 HGB zwar ebenfalls verschuldensunabhängig, ihre Haftung ist allerdings – gekoppelt an das Rohgewicht der Sendung beziehungsweise den zur Beförderung benötigten Laderaum – eine der Höhe nach beschränkte, §§ 431, 451e, 461 I 2 HGB; Lagerhalter wiederum haften zwar in unbeschränkter Höhe, jedoch handelt es sich bei § 475 S. 1 HGB um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Die Haftung der „Auftraggeber“ (Ver-/ Absender, Einlagerer) ist also eine ungleich strengere. Nun ginge es zwar zu weit, aus Art. 3 I GG das Gebot abzuleiten, die Haftungsregime von Spediteur/Frachtführer und Lagerhalter einerseits, Ab-/Versender und Einlagerer andererseits müssten in jedem Detail übereinstimmen. Vorliegend handelt es sich angesichts der eklatanten Unterschiede in den Haftungsfolgen bei gleichen Haftungsvoraussetzungen (Speditions-, Umzugs- und Frachtführervertrag) beziehungsweise identischen Rechtsfolgen bei unterschiedlichen Voraussetzungen (Lagervertrag) aber um eine weitreichende und damit rechtfertigungsbedürftige Schlechterstellung der „Auftraggeberseite“. Sie beruht auf der Streichung der früher bestehenden, für einen Gleichlauf mit der Haftung der „Dienstleister“ sorgenden Einzelhaftungshöchstgrenzen auch für 188
Vom 20.4.2013, BGBl. I. S. 831. Unproblematisch ist die Situation allein, wenn Ab-/Versender bzw. Einlagerer ein Verbraucher ist, setzt dessen Haftung doch ein Verschulden voraus, §§ 414 III, 451, 455 III, 468 IV HGB. 189
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Ab-/Versender und Einlagerer (§§ 414 I 2, 451c, 455 II 2, 468 III 2 HGB a.F.) zum 25.4.2013. Diesen Schritt begründete der Gesetzgeber zum einen damit, dass sich für derartige Vorschriften keine Vorbilder in internationalen Übereinkommen fänden, zum anderen wollte er der in der Literatur geäußerten Kritik, die gewählten Parameter (Rohgewicht der Ladung/benötigter Laderaum) wiesen keinen Bezug zu den Güterschäden beim Frachtführer/Spediteur/Lagerhalter auf,190 Rechnung tragen.191 Die dadurch entstehende Divergenz in den Haftungsregimen von „Auftraggeber-“ und „Dienstleisterseite“ sah der Gesetzgeber zwar nun selbst nicht als wünschenswert an, zugleich aber hielt er es offenkundig für ausreichend, ihre Überwindung in die Hände der Beteiligten zu legen, indem er in den §§ 449 II 2, 451h II 3, 466 II 2 HGB die Möglichkeit schuf, selbst in AGB Haftungshöchstsummen zu vereinbaren.192 Unabhängig davon, ob man die strengen Kriterien der Neuen Formel anlegt oder ob man allein das Willkürverbot heranzieht, vermag keines der vom Gesetzgeber angeführten Argumente die genannte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen: Das (Nicht-)Vorhandensein einer vorbildhaften Vorschrift in internationalen Übereinkommen ist zumindest dann kein sachlicher, eine Differenzierung tragender Grund, wenn aus derartigen Übereinkommen keine den nationalen Gesetzgeber bindenden Vorgaben resultieren. Solche sind hier nicht ersichtlich. Auch das Argument, die Anknüpfung an das Rohgewicht der Sendung beziehungsweise den benötigten Laderaum sei kein sachgerechtes Kriterium, trägt die Ungleichbehandlung nicht. Zwar ist es – wie noch zu erläutern sein wird193 – in der Sache zutreffend, weil diese Parameter, an die im Rahmen der Haftungsbeschränkung zugunsten der Spediteure und Frachtführer auch nach neuer Rechtslage noch angeknüpft wird, selbst keiner Kontrolle anhand von Art. 3 I GG standhalten. Allein: Dies rechtfertigt es nicht, sie unter Beibehaltung in den §§ 431, 451e, 461 I 2 HGB nur auf Seiten der „Auftraggeber“ zu streichen und diese damit schlechterzustellen. Geboten wäre es vielmehr gewesen, auf diese unsachgemäßen Parameter gänzlich, das heißt auch für Spediteure und Frachtführer, zu verzichten. Schließlich rechtfertigt auch der Verweis des Gesetzgebers auf die – im neuen § 449 HGB erweiterte – Möglichkeit der Parteien, per Einzelvertrag oder AGB eine Haftungshöchstsumme zu vereinbaren, diese Ungleichbehandlung nicht. Denn eine verfassungswidrige Norm wird nicht dadurch „geheilt“, dass sie dispositiv ist. Vielmehr ist der Gesetzgeber selbst in der Pflicht, mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Regelungen zu schaffen, den – juristisch oftmals unbewanderten – Bürger kann er insoweit 190 Vgl. vor allem Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 383 f.; in diese Richtung auch Koller, TransportR, HGB, § 425, Rn. 1 mit Fn. 3; Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 38 ff., 79; a.A. Herber, TranspR 2000, 384, 385 f. 191 BT-Drucks. 17/10309, S. 53. 192 BT-Drucks. 17/10309, S. 53. 193 Siehe unten § 2 A IV 5 a).
A. Haftungshöchstsummen
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nicht als „Hilfssheriff“ heranziehen. Abgesehen davon erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass in der Praxis flächendeckend oder auch nur regelmäßig Vereinbarungen über Haftungshöchstsummen getroffen werden. Denn auch wenn sich die Problematik der verschuldensunabhängigen und zugleich der Höhe nach unbeschränkten Haftung nur bei „Auftraggebern“ stellt, die nicht als Verbraucher handeln – haften diese doch nur verschuldensabhängig, §§ 414 III, 451, 455 III, 468 IV HGB –, wird man davon ausgehen können, dass selbst an sich erfahrene Geschäftsleute über keine Kenntnisse über das gesetzliche Haftungsregime der §§ 414, 451, 455, 468 HGB verfügen, es sei denn, sie schließen regelmäßig entsprechende Rechtsgeschäfte ab. Selbst wo dies im Einzelfall anders und der „Auftraggeber“ entsprechend eine höhenmäßige Beschränkung seiner potentiellen Einstandsverbindlichkeit erreichen möchte, muss er erst einmal über eine entsprechende Markt- und Verhandlungsmacht verfügen, um dies gegenüber den regelmäßig auf Basis ihrer AGB operierenden Spediteuren und Frachtführern durchzusetzen. Weil auch ansonsten keine Argumente ersichtlich sind, die die aktuelle Schiefl ge im transportrechtlichen Haftungsrecht zu legitimieren vermögen, liegt ein Verstoß gegen Art. 3 I GG vor. Angesichts des im Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts klar zu Tage getretenen gesetzgeberischen Willens kann dem auch nicht über eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass die für die „Dienstleister“ geltenden Haftungshöchstsummenregelungen analog auf die Ab- oder Versender angewandt werden, abgeholfen werden. Es bleibt daher bei dem Verfassungsverstoß, der aber – wie bei zum Beispiel § 89 WHG oder § 833 S. 1 BGB – nicht die Nichtigkeit der Norm zur Folge hat, sondern den Gesetzgeber nur zum Neuerlass verpflichtet.194 Weil – wie angedeutet und wie noch näher zu zeigen sein wird195 – die für die Bestimmung der konkreten Haftungshöchstsumme für die Spediteur- und Frachtführerhaftung heranzuziehenden Kriterien ihrerseits nicht sachgerecht sind, sollte die Neuregelung sich nicht an diesen Vorschriften orientieren (und damit letztlich eine „Rolle rückwärts“ zurück zu den §§ 414 I 2, 451c, 455 II 2, 468 III 2 HGB a.F. machen). Stattdessen erscheint es vorzugswürdig, den verfassungsrechtlich gebotenen Gleichlauf dadurch herzustellen, dass die transportrechtliche Haftung für „Dienstleister-“ wie „Auftraggeberseite“ gleichermaßen als der Höhe nach unbeschränkte (vermutete) Verschuldenshaftung ausgestaltet wird.196
194 195 196
Vgl. oben § 2 A IV 2 b) cc) sowie § 1 F II 4. Siehe unten § 2 A IV 5 a). Vgl. auch unten § 2 A IV 5 e).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
3. Unvereinbarkeit der Bereichsausnahme für Grundstücke (§ 10 III HaftpflichtG, § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG) mit Art. 3 I GG? §§ 9, 10 HaftpflichtG und § 117 I BBergG normieren zwar Haftungshöchstsummen für Personen- und Sachschäden, nehmen aber Grundstücke, ihre Bestandteile und – bei § 117 BBergG197 – Grundstückszubehör198 aus. Das Grundstückseigentum wird daher besser geschützt als bewegliche Sachen, ja selbst als Personen. Spiegelverkehrt werden Schuldner, die für Schäden an Grundstücken einstandspflichtig sind, schlechter gestellt als solche, die für einen Personenschaden oder einen Schaden an einer beweglichen Sache einzustehen haben. Da insoweit vergleichbare Sachverhalte (Verletzung von Personen/Beschädigung beweglicher versus unbeweglicher Sachen) ungleich behandelt werden, ist fraglich, ob dies gegen Art. 3 I GG verstößt. a) § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG Um die Verfassungskonformität des § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG bewerten zu können, ist ein kurzer Blick auf die Struktur der Haftung für Grundstücksschäden nach den §§ 114 ff. BBergG erforderlich: Nach § 114 II Nr. 3 BBergG ist ein Schaden kein nach dem BBergG kompensationsfähiger Bergschaden, wenn er durch Einwirkungen entsteht, die nach § 906 BGB nicht verboten werden können. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Einwirkungen, die nach § 906 I, II 1 BGB zu dulden sind, nur ein Ausgleich nach § 906 II 2 BGB möglich ist und die §§ 114 ff. BBergG verdrängt werden. Einschlägig sind die §§ 114 ff. BBergG dagegen, wenn der Schaden auf Einwirkungen beruht, die zwar eigentlich nach § 906 I, II 1 BGB verboten werden könnten, hinsichtlich derer der Grundstückseigentümer aber den besonderen Duldungspflichten nach §§ 7 I, 8 I, 9 I BBergG unterliegt und die er deshalb nicht abwehren kann.199 Die §§ 7 I, 8 I, 9 I BBergG verpflichten die „Eigentümer der Grundstücke auf dem [über dem Bergwerkseigentum] liegenden Gebirge […], alle nachteiligen Einwirkun197 E contrario § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG fällt Grundstückszubehör bei § 10 HaftPflichtG unter die Haftungshöchstsumme (so i.E. auch Filthaut, HaftPflG, § 10, Rn. 3; in diese Richtung auch BGH 17. 2. 1956 – VI ZR 334/54, NJW 1956, 748, 749; a.A. aus Billigkeitsgründen für die inhaltsgleiche Vorgängernorm des § 4 III SHG Finger, Eisenbahngesetze, § 4 SHG Anm. 2). 198 Fraglich ist, ob es sich gerade um Bestandteile/Zubehör des beschädigten Grundstücks handeln muss, oder ob es ausreicht, dass es Bestandteile/Zubehör irgendeines, selbst nicht beschädigten und gegebenenfalls noch so weit entfernt liegenden Grundstücks ist (für letzteres mit der Einschränkung, dass ein räumlich zusammenhängendes und geschlossenes Gelände gefordert wird, BGH 27.10.1969 – III ZR 214/96, WM 1970, 936 [juris Rn. 39], wobei diese Entscheidung noch zur alten Rechtslage nach § 148 PrBergG erging, unter der die Abgrenzung schon bei der Haftungsbegründung relevant wurde, weil nur für Schäden an Grundstücken, deren Bestandteile und Zubehör gehaftet wurde; ebenso zur heutigen Rechtslage Staudinger/Kohler, §§ 114–121 BBergG, Rn. 27). 199 Staudinger/Kohler, §§ 114–121 BBergG, Rn. 35; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, § 114, Rn. 49.
A. Haftungshöchstsummen
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gen des Abbaus auf ihre Grundstücke, selbst deren völlige Entwertung, hinzunehmen“200. Im Ergebnis unterliegen Grundeigentümer also einer viel weitergehenden Duldungspflicht gegenüber bergbaulichen wie gegenüber sonstigen Einwirkungen. Während sie letztere unter der Voraussetzung, dass die Grenzen des § 906 I oder II 1 BGB überschritten werden, schon im Vorfeld abwehren können, müssen sie bergbauliche Einwirkungen nicht nur bei Überschreitung dieser Grenzen, sondern selbst dann hinnehmen, wenn sie zur völligen Entwertung ihres Grundstücks führen. Rechtsdogmatischer Hintergrund der Bereichsausnahme für Grundstücke in § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG ist deshalb der Grundsatz des „dulde und liquidiere“. 201 Mit diesem wäre es aber nicht vereinbar, den Schadensersatzanspruch der Höhe nach zu beschränken, da er anderenfalls seiner Funktion als Ausgleich für die weiterreichenden Duldungspflichten nicht mehr gerecht werden würde. 202 Diese Erwägungen treffen aber weder bei Schäden an beweglichen Sachen noch bei Personenschäden zu, da bei diesen durch die §§ 114 ff. BBergG das Maß dessen, was der Geschützte an Beeinträchtigungen hinzunehmen hat, nicht gegenüber den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen modifiziert wird. Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG scheidet deshalb schon auf Tatbestandsebene aus, weil gar nichts wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Wenn man das anders sähe, würde sich am Ergebnis nichts ändern, weil dann die Unterschiede zwischen den §§ 114 ff. BBergG und zum Beispiel §§ 1 ff. UmweltHG so gewichtig wären, dass die Differenzierung selbst nach der strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle der Neuen Formel gerechtfertigt wäre. b) § 10 III HaftpflichtG Fraglich ist, ob das – zumindest im Ergebnis – auch für § 10 III HaftpflichtG gilt. Anders als das BBergG legt das HaftpflichtG Grundeigentümern keine besonderen Duldungspflichten gegenüber Bahnbetriebsunternehmern respektive den Inhabern von Energieanlagen (§§ 1, 2 HaftpflichtG) auf. Die zu § 117 I Nr. 2 Hs. 2 BBergG angestrengten Überlegungen können folglich hier nicht fruchtbar gemacht werden. Der Gesetzgeber der Vorläuferregelung des heuti-
200 Vgl. BGH 19.9.2008 – V ZR 28/08, NJW 2009, 762, 763; s.a. BGH 16.2.1970 – III ZR 136/68, NJW 1970, 747. – Rechtspolitischer Hintergrund ist, dass der Bergbau als volkswirtschaftlich bedeutend eingestuft und daher davor geschützt wird, durch Unterlassungsansprüche behindert zu werden (Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, § 114, Rn. 49; vgl. auch BGH 16.2.1970 – III ZR 136/68, NJW 1970, 747). 201 Vgl. H. Roth, LMK 2009, 280109 (sub. 1. a]). 202 So i.E. auch BT-Drucks. 8/1315, S. 143: „Die Ausnahme im zweiten Halbsatz von Absatz 1 ist allerdings mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Bergschadensrechts erforderlich. Soweit nämlich der Grundeigentümer auf Grund des Bergrechts zur Duldung bergbaulicher Einwirkungen verpflichtet ist, behält der Bergschadensersatzanspruch seine bisherige Ausgleichsfunktion, die eine Haftungsbeschränkung nicht zulässt.“.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
gen § 10 III HaftpflichtG (§ 4 III SHG)203 sah von einer Haftungshöchstsumme vielmehr ab, weil es im Bahnbetrieb nur „verhältnismäßig selten“ zu Grundstücksbeschädigungen komme, das Ausmaß solcher Schäden dann aber „unübersehbar“ sei.204 Diese Begründung ist in sich widersprüchlich. Unabhängig davon, ob die Annahme, Grundstücke würden durch die von §§ 1, 2 HaftpflichtG erfassten Umstände verhältnismäßig selten geschädigt werden, überhaupt zutrifft, ist dies jedenfalls kein Grund für die Nichtnormierung einer Haftungshöchstsumme. Dass sie gegebenenfalls nur in wenigen Fällen praktische Relevanz entfalten würde, lässt den Regelungsbedarf nicht entfallen. Geradezu grotesk mutet sodann das „Argument“ an, bei Grundstücken würden „unübersehbare Schäden“ drohen. Das wäre gerade dann, wenn man mittels Haftungshöchstsummen rechtsdogmatisch einen Ausgleich für die strikte Haftung schaffen und zugleich den (potentiell) Ersatzpflichtigen vor einer ruinösen Haftung schützen möchte, gerade ein Argument dafür, einen Haftungshöchstbetrag vorzusehen. Wo, wenn nicht dort, wo „unübersehbare Schäden“ zu befürchten sind, werden Haftungshöchstsummen praktisch relevant? Wo, wenn nicht dort, sind sie zum Schutz des Ersatzpflichtigen geboten?205 Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe vermögen daher nicht die durch § 10 III HaftpflichtG bewirkte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Auch sonst206 ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, warum die Eigentümer beweglicher Sachen gegenüber Grundeigentümern schlechter behandelt werden. Noch umso weniger lässt sich rechtfertigen, dass der durch einen Eisenbahnunfall körperlich schwerst Geschädigte nach § 9 HaftpflichtG maximal € 600.000 erhält, der Eigentümer eines Grundstücks aber vollumfänglichen Schadensersatz – zum Beispiel für die Beschädigung einer Fabrikhalle – verlangen kann. Anders als willkürlich, ja „skandalös“207 und damit – selbst unter Zugrundelegung der nur geringe Anforderungen stellenden Willkürformel – mit Art. 3 I GG nicht zu vereinbaren, kann das nicht bezeichnet werden. 208 Als Folge des Verfassungsverstoßes ist jedoch wiederum nicht die Nichtigkeit, son203 Gesetz über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschäden v. 29.4.1940 (RGBl. I. S. 691). 204 DJ 1940, 544; vgl. auch Begründung zum Gesetz zur Änderung des ReichshaftpflichtG vom 15.8.1943 (RGBl. I S. 489) in DJ 1943, 430, 431. 205 Kritisch auch Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 306. 206 Im Rahmen des Art. 3 I GG ist nicht der subjektive Wille des Gesetzgebers, sondern die objektive Lage entscheidend, vgl. BVerfGE 2, 226, 281; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 4. 207 Kötz, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, II, S. 1779, 1826. 208 Hingegen scheint der BGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu haben, jedenfalls hat er solche in der Entscheidung vom 7.3.1989 – VI ZR 191/88, VersR 1989, 633 nicht angesprochen, sondern § 10 III HaftpflichtG schlicht angewendet.
A. Haftungshöchstsummen
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dern nur die Unvereinbarkeit des § 10 III HaftpflichtG mit Art. 3 I GG auszusprechen. Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, wie er diesen Verstoß beseitigt – entweder per Normierung eines Haftungshöchstbetrags auch für Grundstücke oder aber durch Streichung der Haftungshöchstsumme für Personenschäden und Schäden an beweglichen Sachen. 209 4. Verfassungswidrigkeit der summenmäßigen Beschränkung verschuldensabhängiger Tatbestände? Die Normierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensabhängigen Spezialhaftungstatbeständen (§§ 18, 12, 12a StVG, § 675v I 2, 1 BGB, § 323 I 3, II 1 HGB [gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG]) stellt zwar keinen Verstoß gegen staatliche, aus Grundrechten des Geschädigten ableitbare Schutzpflichten dar, 210 führt aber sowohl mit Blick auf den Schädiger wie den Geschädigten zu einer Ungleichbehandlung mit dem übrigen vertraglichen beziehungsweise deliktischen Schadensersatzrecht: Der Schädiger steht besser als der „normale“ vertragliche/deliktische Schädiger, weil er trotz seines Verschuldens nur der Höhe nach begrenzt haftet beziehungsweise das gesamte theoretische Haftungsrisiko versichern kann. Dem entspricht spiegelbildlich die Schlechterstellung des Geschädigten, dem trotz des schuldhaften Handelns des Schädigers unter Umständen ein teilweiser „Verlust“ seiner Ersatzforderung droht. Ob dies mit Art. 3 I GG vereinbar ist, ist im Folgenden, getrennt nach den einzelnen Tatbeständen, zu klären. a) § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) aa) Ungleichbehandlung Nach § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) haften Abschluss- beziehungsweise Gründungsprüfer bei – auch: grob – fahrlässigem 209
Vgl. die Ausführungen zu § 89 WHG und § 833 S. 1 BGB oben § 2 A IV 2 b) cc). Das wurde für § 323 II HGB bereits oben unter § 2 A IV 1 c) bb) erläutert. Im Ergebnis kann für § 18 StVG sowie § 675v I 2, 1 BGB nichts anderes gelten. Bei § 18 StVG folgt dies schon daraus, dass nach dem gemäß § 18 II StVG anwendbaren § 16 StVG der Rückgriff auf das allgemeine Deliktsrecht unberührt bleibt und der Geschädigte daher unter den dortigen Voraussetzungen seinen Schaden vollständig ersetzt verlangen kann. § 675v BGB ist dagegen zwar eine abschließende Regelung (BT-Drucks. 16/11643, S. 113; BeckOK-BGB/Schmalenbach, § 675v, Rn. 14), von einer Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten des Zahlungsdienstleisters ist aber nicht auszugehen. Art. 14 GG scheidet aus, weil es sich bei den dem Zahlungsdienstleister entstehenden Schäden um reine Vermögensschäden handelt, Art. 14 GG aber das Vermögen als solches nicht erfasst (vgl. z.B. BVerfGE 65, 196, 209; Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 14, Rn. 160). Auch eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG wegen der finanziellen Schäden infolge der missbräuchlichen Verwendung ist abzulehnen, weil es sich diesen Schäden schon wegen der regelmäßigen Obergrenzen für bargeldlose Transaktionen (Stichwort: „Kartenlimit“) um aus Sicht des Zahlungsdienstleisters vergleichsweise geringe Beträge handelt. 210
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Handeln maximal auf eine beziehungsweise vier Millionen Euro. Unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt insoweit ein Vergleich mit anderen freiberuflich Tätigen wie Ärzten, Rechtsanwälten und Steuerberatern nahe. Für diese Berufsgruppen existieren keine gesetzlichen Haftungshöchstsummen, eine Ungleichbehandlung auf Schädigerseite im Sinne von Art. 3 I GG liegt daher vor. Auch auf Seiten der Geschädigten liegt eine Ungleichbehandlung vor, kann die geschädigte Kapitalgesellschaft doch bei einem Abschluß-/ Gründungsprüfer unter Umständen nicht den gesamten Schaden liquidieren, wohingegen dies zum Beispiel bei der schadensverursachenden Falschberatung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater möglich ist. bb) Prüfungsmaßstab Fraglich ist daher, ob diese Ungleichbehandlungen gerechtfertigt werden können. Dabei ist vorab zu klären, ob sie anhand der Willkürformel, der Neuen Formel oder – legt man bei Art. 3 I GG richtigerweise eine gleitende Skala an – an einem in der Mitte zwischen beiden Polen angesiedelten Maßstab zu bewerten sind. Nach dem oben Gesagten 211 hängt dies vor allem davon ab, ob es sich um eine sach- oder personenbezogene Differenzierung handelt und inwieweit sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Hier spricht mehr für die Anwendung der strengeren Neuen Formel. Erstens wollte der Gesetzgeber unter anderem negative Auswirkungen auf den Berufsstand der Prüfer verhindern, 212 mit anderen Worten diese Berufsgruppe besonders behandeln, so dass es sich um eine personenbezogene Privilegierungsregelung handelt. Und zweitens weisen Haftungs(begrenzungs)regelungen, wie bereits betont, einen engen Bezug zur Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auf, nimmt der Staat dem Geschädigten durch die Haftungshöchstsumme doch unter Umständen die Chance, vollumfänglich Kompensation für die erlittenen Schäden zu erhalten. Nach der Neuen Formel ist daher nicht nur das Vorliegen eines legitimen Grundes, sondern auch die Verhältnismäßigkeit der Differenzierung zu prüfen. cc) Legitimes Differenzierungsziel Mittels der gesetzlichen Haftungshöchstsumme von einer beziehungsweise vier Millionen Euro wollte der Gesetzgeber zum einen die Versicherbarkeit des andernfalls existenzbedrohenden Haftungsrisikos sicherstellen, zum anderen negative Auswirkungen auf die Struktur des Berufsstandes verhindern, weil ohne eine solche Regelung nur noch große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften große Mandate übernehmen könnten. 213 Die Sicherstellung der Versicherbarkeit ist 211
Siehe § 1 F II 1, 2. Vgl. BT-Drucks. 13/9712, S. 29. 213 BT-Drucks. 13/9712, S. 29; Stellungnahme der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1997, 100, 106; WPK-Mitt. 1998, 35, 36 f.; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 8; Habersack/Schürnbrand, in: Straub, HGB, § 323, Rn. 46. 212
A. Haftungshöchstsummen
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unzweifelhaft im Grundsatz ein legitimes Ziel. Ob das auch für die Bewahrung der Struktur des Berufsstandes angenommen werden kann, ist hingegen zweifelhaft. Immerhin ließe sich anführen, es sei rechtspolitisch gerade wünschenswert, dass nur große Prüfergesellschaften Großunternehmen prüfen, weil diese typischerweise nicht nur über mehr Expertise und Erfahrung, sondern auch über die zur Durchführung eines solchen Projekts erforderlichen strukturellen Voraussetzungen verfügen. Letztlich wird man aber aufgrund demokratietheoretischer Überlegungen dem Gesetzgeber insoweit eine Einschätzungsprärogative einzuräumen haben, so dass auch insoweit ein legitimes Ziel angenommen werden kann. dd) Eignung und Erforderlichkeit Zur Sicherung der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos sind Haftungshöchstsummen – wie oben dargelegt214 – geeignet. Sie sind hierfür auch erforderlich, weil ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel nicht ersichtlich ist; insbesondere wäre eine allgemeine Reduktionsklausel, die eine richterliche Haftungsreduzierung nach Billigkeitsgesichtspunkten vorsähe, angesichts der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit und erschwerten vollständigen Versicherbarkeit kein gleichwertiges Mittel215. Auch in Bezug auf das Ziel der Verhinderung negativer Auswirkungen auf die Struktur des Berufsstandes lassen sich – gerade vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative – Eignung und Erforderlichkeit der Haftungshöchstsummen nicht bestreiten. ee) Angemessenheit Fraglich ist daher nur, ob die Ungleichbehandlung auch angemessen ist, mit anderen Worten zwischen den Vergleichsgruppen derartige Unterschiede bestehen, dass die Ungleichbehandlung gerechtfertigt erscheint. Hierbei ist zwischen den zwei Vergleichspaaren zu trennen: (1) Schädigerseite Wie ausgeführt, bewirken § 323 II HGB, § 49 AktG eine Besserstellung der Abschluß-/Gründungsprüfer im Vergleich zu zum Beispiel Ärzten, Steuerberatern und Rechtsanwälten. Die Unterschiede zwischen diesen Berufsgruppen und den Prüfern sind, wie zu zeigen sein wird, richtigerweise aber nicht so groß, dass sie durch die zur Begründung der besonderen Haftungsprivilegierung angeführten Argumente gerechtfertigt werden könnten. Das erste Argument des Gesetzgebers – Sicherstellung der Versicherbarkeit zur Vermeidung eines existenzbedrohenden Haftungsrisikos – vermag schwerlich zu überzeugen, und zwar selbst dann, wenn man konzidiert, dass bei solchen Prüfungen selbst kleinste Versehen zu großen Schäden führen kön-
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Siehe oben § 2 A III 1. Näher zu allgemeinen Reduktionsklauseln vgl. unten § 3 B.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nen. 216 Denn auch bei den genannten anderen Berufsständen können bereits kleine Fehler (zum Beispiel Fristversäumnis um wenige Minuten) leicht exorbitante Schadensersatzverpflichtungen zur Folge haben, die den betroffenen Schädiger bei fehlender vollständiger Versicherungsdeckung ruiniert zurücklassen können.217 Der Unterschied zwischen ihnen und Abschluß-/Gründungsprüfern ist mithin nicht derart von Gewicht, dass dies eine solch weitreichende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen erlaubte, die dadurch sogar noch verschärft wird, dass im Bereich der Arzt- und Anwaltshaftung eine faktische Haftungsverschärfung in Form von zum Beispiel Beweiserleichterungen gängige Praxis218 ist oder zumindest diskutiert219 wird. Das zweite angeführte Argument – Verhinderung negativer Auswirkungen auf die Struktur des Berufsstandes, weil anderenfalls nur noch große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften große Mandate übernehmen könnten 220 – mag zwar im Vergleich zu zum Beispiel Ärzten als angemessenes Differenzierungsziel angesehen werden. Anders verhält es sich aber bei einem Vergleich mit Steuerberatern oder Rechtsanwälten, bei denen genau dieses Phänomen die Rechtspraxis prägt, erfolgt die Beratung großer Unternehmen doch vorwiegend durch große Steuerberatungsgesellschaften wie KPMG beziehungsweise Großkanzleien wie Gleiss Lutz, Hengeler Mueller oder Freshfields Bruckhaus Deringer. Besonderheiten des Prüferberufes gegenüber diesen verwandten Berufsfeldern, die es geboten erscheinen ließen, nur bei ersteren, nicht aber bei letzteren eine derartige Marktaufteilung zu verhindern, sind nicht ersichtlich. Überzeugen aber schon die vom Gesetzgeber angeführten Argumente nicht, so spricht gegen die Angemessenheit der Differenzierung weiter, dass § 323 II HGB eine Haftungserleichterung nicht nur bei leichter, sondern sogar bei grober Fahrlässigkeit vorsieht. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung Prüfer im Vergleich zu zum Beispiel Rechtsanwälten deswegen als besonders schutzwürdig ansieht, weil selbst bei einem geringfügigen Versehen
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So Quick, BB 1992, 1675, 1677; Schmölder, JW 1930, 3687. Pars pro toto sei der Fall der Anwaltskanzlei Haarmann Hemmelrath genannt, die sich nach einem – im Übrigen in der Sache nicht zutreffenden (vgl. BGH 19.3.2009 – IX ZR 214/07, NJW 2009, 2949) – Vorwurf der Falschberatung in Steuerangelegenheiten einer Schadensersatzforderung in Höhe von € 430 Millionen ausgesetzt sah und daraufhin selbst liquidierte (vgl. Tödtmann, „Wie ein unberechtigter Vorwurf eine große Law Firm zerstörte: Der Fall Haarmann Hemmelrath“, Wirtschaftswoche vom 11.10.2009, abzurufen unter: http://blog.wiwo.de/management/2009/10/11/wie-ein-unberechtigter-vorwurf-eine-grosse-law-firm-zerstorte-der-fall-haarmann-hemmelrath/#more-637366). 218 Vgl. für die Arzthaftung z.B. Greiner, in: Spickhoff, MedR, §§ 823 ff. BGB, Rn. 155 ff., 161 ff. m.w.N. 219 So für den Bereich der Anwaltshaftung (vgl. z.B. Fischer, in: Zugehör/Fischer/Vill, Anwaltshaftung, Rn. 1064 m.w.N.). 220 BT-Drucks. 13/9712, S. 29; Stellungnahmen der WPK zum KonTraG, WPK-Mitt. 1998, 35, 37. 217
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exorbitante Schäden drohten, 221 ließe sich das zum einen jedenfalls bei grob fahrlässigem Handeln nicht mehr anführen. Zum anderen stößt eine Haftungsbeschränkung für grobe Fahrlässigkeit auch auf systematische Bedenken, entspricht es doch der Grundsystematik des Zivilrechts, Haftungserleichterungen nur bei leichter Fahrlässigkeit zuzulassen. 222 (2) Geschädigtenseite Unabhängig von der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung auf Schädigerseite, ist § 323 II HGB auch mit Blick auf die geschädigte Kapitalgesellschaft zu beanstanden. Schon im Ausgangspunkt ist schwerlich ein überzeugender Grund dafür zu finden, warum diese bei einer unter Umständen sogar grob fehlerhaften Abschluß-/Gründungsprüfung auf einem – gegebenenfalls großen – Teil des Schadens „sitzen bleiben“ soll, wohingegen sie den durch eine vielleicht nur leicht fahrlässige Pflichtverletzung zum Beispiel eines Rechtsanwalts entstandenen Schaden vollständig liquidieren kann. Mit dem Interesse des Berufsstandes an der Versicherbarkeit seines Haftungsrisikos und der Bewahrung seiner Struktur lässt sich das kaum rechtfertigen. Dafür spricht zudem, dass sich diese Ungleichbehandlung deshalb als besonders krass darstellt, als erstens anders als bei der zumindest außergerichtlich stets fakultativen Einschaltung eines Rechtsanwalts die erfassten Kapitalgesellschaften gar keine Wahl haben, ob sie einen Prüfer beauftragen, weil sie hierzu gesetzlich verpflichtet sind, § 316 I 1 HGB. Mit anderen Worten werden sie nolens volens in eine Situation gedrängt, in der sie dem Risiko ausgesetzt sind, einen hohen Schaden zu erleiden, den sie nur in begrenztem Umfang beim eigentlich Verantwortlichen liquidieren können. Zudem können sie zweitens in aller Regel keine vertragliche Erhöhung der gesetzlichen Haftungshöchstsumme erreichen, weil der Prüfer diese – nachvollziehbarerweise – als standeswidrig ablehnen wird. 223 Sie stehen also auch insoweit deutlich schlechter als bei der Mandatierung eines Rechtsanwalts, ist dessen Haftung doch im Grundsatz eine unbeschränkte und kann nur – in be221
So aber Quick, BB 1992, 1675, 1677. Das zeigen zunächst die §§ 31a I 1, 300 I, 521, 599, 617 S. 1, 675v II, 680, 968 BGB. Anführen lässt sich ferner, dass auch die Verschuldensmaßstabsmodifik tion auf die diligentia quam in suis (z.B. §§ 690, 708, 1359, 1364 BGB, § 4 LPartG) nicht von der Einstandspflicht für grobe Fahrlässigkeit (§ 277 BGB) dispensieren. Auch darauf zielenden vertraglichen Vereinbarungen setzt das BGB Schranken: Ein formularmäßiger Haftungsausschluss für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ist nach § 309 Nr. 7 lit. b) BGB für „sonstige Schäden“ generell unzulässig; individualvertraglich ist das zwar grundsätzlich anders (arg. e contr. § 276 III BGB), zum Teil aber ebenfalls untersagt (§§ 651h I Nr. 1, 702a I 2 BGB). Und was die Reichweite eines stillschweigenden Haftungsverzichts angeht, beschränkt der BGH diese stets auf die Haftung für leichte Fahrlässigkeit (BGH 7.6.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972, 1363; 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979, 643, 644; 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980, 1681, 1683; 29.3.1988 – VI ZR 311/87, NJW-RR 1988, 985, 986; 13.12.1995 – VIII ZR 41/95, NJW 1996, 715, 716 f.; 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1484; 4.3.2009 – XII ZR 198/08, NZM 2009, 543, 544). 223 Zur Standeswidrigkeit siehe auch § 3 Rn. 360. 222
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
stimmtem Umfang – vertraglich begrenzt werden (§ 51a BRAO). Diese doppelte Benachteiligung der geprüften Gesellschaft kann nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, durch Prüfungsfehler entstünden fast ausnahmslos bloße Vermögensschäden. 224 Das ist zwar in der Sache zutreffend und es ist auch nicht zu verkennen, dass die Schlechterstellung reiner Vermögensschäden ein Grundprinzip des zivilrechtlichen (deliktischen) Schadensersatzrechts ist, wie die Beschränkung des allgemeinen Deliktsrechtsschutzes des § 823 I BGB auf absolute Rechtsgüter, zu denen das bloße Vermögen nicht gehört, 225 zeigt. Im vorliegenden Zusammenhang ist das aber schon deshalb irrelvant, weil auch bei anwaltlichen Fehlern meist nur Vermögensschäden entstehen, ohne dass daraus der Schluss gezogen würde, ihre Haftung sei gesetzlich der Höhe nach zu begrenzen. ff) Ergebnis und Konsequenzen Die selbst bei grob fahrlässig verursachten Schäden eingreifende summenmäßige Haftungsprivilegierung aus § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dem kann über eine verfassungskonforme Auslegung der Norm nicht vorgebeugt werden, weil einer solchen der Wille des Gesetzgebers und der klare Wortlaut entgegenstehen. 226 Bei Gleichheitsverstößen ist angesichts des dem Gesetzgeber einzuräumenden Gestaltungsspielraums227 zwar grundsätzlich nicht die Nichtigkeit der Norm, sondern nur ihre Unvereinbarkeit mit Art. 3 I GG auszusprechen. Da hier von den beiden theoretisch denkbaren Optionen – Schaffung einer entsprechenden Haftungsprivilegierung für alle vergleichbaren Berufsstände einerseits, Streichung des § 323 II HGB andererseits – aber nur die Abschaffung der Prüferhaftungsprivilegierung praktisch denkbar erscheint, weil sich ein abgrenzbarer Kreis vergleichbarer Berufsstände kaum ausmachen lassen dürfte, wird man hier ausnahmsweise direkt von der Nichtigkeit des § 323 II HGB ausgehen können. b) §§ 18, 12, 12a StVG Während die Haftung des Fahrzeugführers nach § 18 StVG der Höhe nach gedeckelt ist, haftet zum Beispiel der Halter eines Hausnutztiers (§ 833 S. 2 BGB) oder der Grundstücksbesitzer (§ 836 BGB) unbeschränkt, obwohl es sich auch insoweit jeweils um eine Haftung für vermutetes Verschulden handelt. Angesichts paralleler Haftungsvoraussetzungen bei disparaten Rechtsfolgen liegt – wiederum gleichermaßen auf Geschädigten- wie auf Schädigerseite – eine vor 224
Vgl. Koller/Roth/Morck, HGB, § 323, Rn. 6. Einhellige Meinung, vgl. nur RGZ 51, 92, 93; BGH 4.2.1964 – VI ZR 25/63, NJW 1964, 720, 722; MüKo-BGB/G. Wagner, § 823, Rn. 184 m.w.N. 226 Zu diesen Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung vgl. z.B. BVerfGE 18, 97, 111; 64, 229, 242; 88, 203, 331. 227 Vgl. Grundlagenkapitel § 1 F II 4. 225
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dem allgemeinen Gleichheitssatz rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor. Als Unterscheidungskriterium könnte man zunächst erwägen, dass im StVG neben der Haftung für vermutetes Verschulden eine Gefährdungshaftung besteht, deren höhenmäßige Beschränkung zum Schutz des Halters nicht ausgehebelt werden können soll, wenn dieser selbst das Fahrzeug führte, als es zum Unfall kam, 228 wohingegen Vergleichbares bei §§ 833 S. 2, 836 BGB mangels eines entsprechenden, den Haftungsbetrag der Höhe nach beschränkenden Gefährdungshaftungstatbestandes nicht möglich ist. Das ist aber aus zwei Gründen abzulehnen: Erstens besteht zwischen § 7 StVG und § 18 StVG der zumindest rechtstheoretisch bedeutsame Unterschied, dass es sich einenfalls um eine strikte Gefährdungs- und andernfalls um eine vermutete Verschuldenshaftung handelt. Angesichts dieser unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen lässt sich ein Gebot, durch einen Gleichlauf in den Rechtsfolgen die Aushöhlung der Haftungsprivilegierung für die Gefährdungshaftung zu verhindern, nicht ableiten. Zweitens: Ginge es wirklich um den Schutz des das Kraftfahrzeug selbst führenden Halters, hätte § 18 StVG den persönlichen Anwendungsbereich der §§ 12, 12a StVG auf diesen beschränken und Fahrer, die nicht Halter sind, davon ausnehmen müssen. Weil es sich dabei um das zum Schutz des Halters gleich geeignete, für die Geschädigten aber weniger belastende Mittel gehandelt hätte, wäre die gegenwärtige Fassung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als nicht erforderlicher Eingriff in die Belange der Geschädigten anzusehen. Als legitimen Differenzierungsgrund wird man aber ansehen können, dass mittels einer Beschränkung auch der Führerhaftung wahrscheinliche, im gesamtgesellschaftlichen Interesse äußerst schädliche und im Verhältnis zu zum Beispiel §§ 833 S. 2, 836 BGB deutlich gesteigerte prohibitive Haftungswirkungen verhindert werden sollen und können. Kommt es zum Schwur, besteht für den in einen Verkehrsunfall verwickelten Fahrzeugführer nämlich das konkrete Risiko, die Verschuldensvermutung nicht widerlegen zu können. Fänden die §§ 12, 12a StVG hier keine Anwendung, ließe sich angesichts der dann uferlosen und de facto nicht vollständig versicherbaren Haftung die Gefahr, dass aus Angst vor unabsehbaren Haftungsrisiken auf den Gebrauch von PKW verzichtet würde oder nur verhältnismäßig Reiche diese Risiken auf sich nehmen, nicht von der Hand weisen. Dem kann mittels der Haftungshöchstsumme vorgebeugt und zugleich die Versicherungsprämien auf einem Niveau gehalten werden, das von weiten Teilen der Bevölkerung geschultert werden kann. Nun ließe sich dieser Gedanke zugegebenermaßen zum Beispiel zwar auch bei der Hausnutztierhalter- und Grundstücksbesitzerhaftung fruchtbar 228 Nach zutreffender Auffassung ist § 18 StVG auch auf diesen anwendbar, wobei das in der Praxis kaum Bedeutung hat (Luckey, in: Lütkes, Straßenverkehr, § 18 StVG, Rn. 2; a.A. Schaefer, in: Xanke, Straßenverkehrsrecht, § 18 StVG, Rn. 4).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
machen, im Ergebnis wird man aber dennoch diese Sonderbehandlung für noch hinnehmbar halten können. Die private PKW-Nutzung ist für den Einzelnen wie die Gesellschaft auf unabsehbare Zeit von überragender Bedeutung, angefangen bei dem Weg zur Arbeit über die Teilnahme am alltäglichen öffentlichen Leben bis hin zu Urlauben. Vor allem aber ist das statistische Schadensrisiko des unfallanfälligen Straßenverkehrs – und damit die Abschreckungswirkung des Schadensrisikos – ein unvergleichlich höheres als bei Hausnutztieren und Gebäuden, was sich in den deutlich geringeren Fallzahlen, in denen sich die Gerichte im Vergleich zu § 18 StVG mit den §§ 833 S. 2, 836 BGB auseinandersetzen mussten, widerspiegelt.229 Auch unter Berücksichtigung der Geschädigteninteressen wird man diese Rechtslage noch akzeptieren können. Zwar wäre für sie natürlich eine unbeschränkte Haftung des Fahrzeugführers auch im Rahmen von § 18 StVG vorzugswürdig. Nicht zu übersehen ist aber, dass ihre Schlechterstellung gegenüber dem zum Beispiel durch ein Hausnutztier Geschädigten nicht so groß ist, wie die Benachteiligung eines beispielsweise durch ein Binnenschiff Geschädigten gegenüber einem durch einen Fahrradfahrer Verletzten. Denn anders als bei § 4 I 2 Hs. 1 BinSchG bleibt dem Geschädigten nach § 16 StVG stets der Rückgriff auf das allgemeine Deliktsrecht offen, gelingt ihm der positive Nachweis des Verschuldens des Fahrzeugführers, kann er daher auch einen die Höchstsummen der §§ 12, 12a StVG übersteigenden Schaden ersetzt verlangen. Zusammengefasst wird man die summenmäßige Beschränkung der Fahrzeugführerhaftung des § 18 StVG als noch mit dem Grundgesetz vereinbar ansehen können. c) § 675v I 2, 1 BGB Anders als die bisher erörterten Tatbestände dürfte hinter § 675v I 2, 1 BGB nicht der Gedanke der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos stehen, sondern die sozialpolitischen Überlegungen, der Zahlungsdienstnutzer solle nicht bereits bei einem leichten Verschulden einer uferlosen und deshalb – was die Bereitschaft angeht, sich solcher Zahlungsmittel zu bedienen – potentiell abschreckenden Haftung ausgesetzt sein.230 Vor diesem Hintergrund wird man eine Verletzung von Art. 3 I GG nicht annehmen können. Zwar stellt es keine Besonderheit des Zahlungsdienstrechts dar, dass bereits bei leichter Fahrlässigkeit hohe Schäden entstehen können, sondern ist dies vielmehr im Kern bei vielen Vertragstypen und -konstellationen denkbar. Allerdings stellt das skizzierte Ziel, den bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht mit prohibitiven Haf229 So fördert eine juris-Rechtsprechungsrecherche (Stand 10.8.2012) für § 833 S. 2 BGB 113, für § 836 BGB 219 und für § 837 BGB 40 Treffer zutage, bei § 18 StVG finden sich hingegen 1.269 Eintragungen. 230 Siehe oben § 2 A III 2.
A. Haftungshöchstsummen
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tungsrisiken zu belasten, einen ausreichenden Sachgrund dar, um diese Besonderheit zu rechtfertigen. 5. Verfassungswidrige Berechnungsmaßstäbe im handelsrechtlichen Transportrecht Auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand zu stellen sind schließlich die Parameter, anhand derer im handelsrechtlichen Transportrecht der Haftungshöchstbetrag zu ermitteln ist. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts231 zum 25.4.2013 betrifft dies nur noch die Haftung der „Dienstleisterseite“ – das heißt Frachtführer, Spediteur und Verfrachter – und somit die §§ 431 I, II, 451e, 461 I 2, 504 I 1 HGB, die alle keine abstrakten Höchstbeträge normieren, sondern mittels unterschiedlicher Kriterien an die Umstände des konkreten Einzelfalls anknüpfen. Was hingegen die Haftung des Ver-/Absenders oder Einlagerers anbelangt, stellt sich diese Problematik seit dem 25.4.2013 nicht mehr, weil die früheren §§ 414 I 2, 451c, 455 II, 468 III HGB232 ersatzlos gestrichen wurden. a) Fracht- und Speditionsvertrag Die Haftung des Frachtführers beziehungsweise Spediteurs für Verlust/Beschädigung des Frachtgutes aus § 425 I HGB respektive § 461 I HGB ist doppelt beschränkt: Auf den – hier nicht näher zu interessierenden – Wert des Gutes (näher § 429 HGB), so dass Folgeschäden wie zum Beispiel entgangener Gewinn nicht ersetzt werden 233 und zusätzlich auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten (Sonderziehungsrecht des Internationalen Währungsfonds) für jedes Kilogramm des Rohgewichts der Sendung, §§ 431 I, II, 461 I 2 HGB, was ungefähr einem Betrag von 10 €/kg entspricht. 234 Diese Regelungen haben zwar auf den ersten Blick den Charme, dass sie mit der Anknüpfung an die Einzelfallumstände den Interessen der Parteien konzeptionell eher Rechnung tragen können, als dies bei Statuierung situationsunabhängiger abstrakter Höchstbeträge möglich wäre. Problematisch ist jedoch, ob der vom Gesetzgeber mit der Anknüpfung an das Rohgewicht der 231
Vom 20.4.2013, BGBl. I. S. 831. Danach wurde entweder an das Rohgewicht der Sendung (§§ 414 I 2, 455 II, 468 III 2 HGB) oder an den zum Transport erforderlichen Laderaum (§ 451c HGB) angeknüpft. 233 Vgl. MüKo-HGB/Herber, § 429, Rn. 11; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 429, Rn. 1. 234 Canaris, HandelsR § 31, Rn. 23; Die „Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen“ (ADSp) beschränken die Haftung noch weitergehend auf € 5 pro Kilogramm (ADSp Nr. 23.1.1. und 24.1.1.) sowie zusätzlich auf maximal € 1 Million oder 2 Sonderziehungsrechte/ kg, je nachdem, welcher Betrag höher ist, ADSp Nr. 23.1.4. Eine weitere Grenze enthält ADSp Nr. 23.4, wenn ein Schadensereignis zu mehr als € 2 Millionen ersatzfähigem Schaden geführt hat (näher Koller, TranspR, Komm. zu ADSp Ziff. 23). 232
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Sendung für die Bestimmung der Höchstsumme gewählte Maßstab mit Art. 3 I GG zu vereinbaren ist, könnte es sich doch um eine nicht zu rechtfertigende Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem handeln: Während bei der Versendung leichter, aber sehr wertvoller Güter (zum Beispiel Elektronikteile oder Schmuck) die Haftungshöchstsumme sehr niedrig ist und dem Absender/Versender kaum eine Kompensation für den erlittenen Schaden bietet, vermag sie bei der Versendung schwerer, aber billiger Güter wie Äpfeln oder Brennholz durchaus den entstandenen Sachschaden auszugleichen. Die Verknüpfung von Haftungssumme und Gewicht der Ladung ist also völlig unangemessen und geht am Regelungsbedürfnis vorbei. 235 Bemerkenswerterweise hat der BGH im Jahr 1978 der AGB-Klausel eines Frachtführers, die den Umfang der Haftung für den Fall einer von ihm zu vertretenden, anfänglichen Fahruntüchtigkeit oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes vom Gewicht der Ladung abhängig machte, die Wirksamkeit versagt, da sie „in keiner Weise an den Wert der ihm jeweils zur Beförderung übergebenen Güter anknüpft und mehr oder weniger willkürlich erscheint“236. Schließlich hat selbst der Gesetzgeber – bei der jüngsten Reform des Seehandelsrechts – eingesehen, dass das Gewicht des beförderten Gutes „systemwidrig“ ist und „keinen Bezug zu den Güterschäden in der Obhut des Frachtführers“ aufweist237 – leider hat er dies aber nur zum Anlass genommen, die früher ebenfalls auf das Gewicht rekurrierenden Haftungshöchstsummen für die Haftung von Absender beziehungsweise Versender (§§ 414 I 2, 455 II, 468 III 2 HGB a.F.) zu streichen, die Spediteur- und Frachtführerhaftung aber bedauerlicherweise nicht angetastet. Fragt man nach der Rechtfertigbarkeit dieser Regelungen, muss man sich zunächst drei Dinge vor Augen halten: Da es hier um eine direkte Grundrechtsprüfung anhand von Art. 3 I GG geht, ist der Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers erheblich geringer als bei der Frage, ob diese Regelungen eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht beinhalten. Zweitens gilt die Haftungsbegrenzung nicht nur bei leichter, sondern gegebenenfalls sogar bei grober Fahrlässigkeit, § 435 HGB. 238 Drittens ist sie nicht nur 235 So auch Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 383 f.; in diese Richtung auch Koller, TransportR, HGB, § 425, Rn. 1 mit Fn. 3; Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 38 ff., 79; a.A. Herber, TranspR 2000, 384, 385 f. 236 BGH 20.3.1978 – II ZR 19/76, NJW 1978, 1314, 1315. 237 BT-Drucks. 17/10309, S. 53 (zu § 414 HGB). – Vgl. insoweit (wiederum zu Ab-/Versenderhaftung) auch den ursprünglichen Gesetzentwurf, der bewusst keine den späteren Regelungen der §§ 414 I 2, 455 II 2 HGB (nunmehr: a.F.) entsprechende Vorschriften vorsah, weil ein „sachgerechter Anknüpfungspunkt für eine summenmäßige Haftungsbegrenzung […] hier nicht ersichtlich [ist]“ (BT-Drucks. 13/8445, S. 43). 238 Letzteres lässt sich damit begründen, dass Leichtfertigkeit nur bei einem besonders schweren Pflichtenverstoß vorliegt, bei dem die Sicherheitsinteressen des Absenders krass missachtet werden, BGH 25.3.2004 – I ZR 205/01, NJW 2004, 2445; 11.11.2004 – I ZR 120/02, TranspR 2006, 164 („Unterlassen elementarer Sorgfaltsanforderungen“). Ein „bloß“ grob
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auf die HGB-Anspruchsgrundlagen, sondern auch auf konkurrierende deliktische Ansprüche anwendbar, was es Absender respektive Versender unmöglich macht, wenigstens hierüber einen angemessenen Ausgleich zu erhalten. 239 All das spricht gegen die Rechtfertigbarkeit der Regelung. Überdies ist ein sachlicher Grund für die Anknüpfung an das Gewicht nicht ersichtlich. Rechtfertigen lässt sich dies insbesondere nicht damit, dass es zum Schutz des Frachtführers/Spediteurs vor einer unbegrenzten, gar ruinösen Haftung erforderlich wäre. Denn selbst wenn man ein derartiges Schutzbedürfnis im Grunde bejaht – wofür immerhin spricht, dass der Frachtführer/Spediteur in der Regel den Inhalt der Ladung nicht kennt und daher seine Haftungsrisiken nicht abschätzen kann –, ist das Gewicht der Ladung in keinster Weise ein adäquater Maßstab zur Bemessung seiner maximalen Einstandsverpflichtung. Ebenso wenig ist der Verweis überzeugend, Absender beziehungsweise Versender könnten sich ja selbst um ihren Schutz kümmern, zum Beispiel indem sie eine Transportversicherung abschließen. Denn erstens ist der Abschluss einer Versicherung grundsätzlich Aufgabe desjenigen, der möglicherweise den Fehler macht, 240 und zweitens dürften die Haftungsregelungen des HGB derart ungewöhnlich sein, dass der typische Verwender/Absender damit nicht rechnet und folglich keine Versicherung abschließt. Schließlich kann auch nicht angeführt werden, dass die Vertragspartner, so sie eine abweichende Regelung wünschen, per Vereinbarung diese sachwidrige Rechtslage korrigieren können. Denn eine verfassungswidrige Norm wird nicht dadurch „geheilt“, dass sie dispositiv ist; der Gesetzgeber selbst ist in der Pflicht, mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Regelungen zu schaffen, den – juristisch in aller Regel nicht bewanderten – Bürger kann er insoweit nicht „vor seinen Karren spannen“. Unabhängig davon sind die Bestimmungen über die Frachtführer-/Spediteurhaftung sowieso nur äußerst eingeschränkt abdingbar: Bei Verträgen zwischen Unternehmern kann die Haftung per Formularabrede nur auf maximal 40 Rechnungseinheiten (entspricht ungefähr € 50/kg) ausgedehnt werden, §§ 449 II 1 Nr. 1, 466 II 1 Nr. 1 HGB. Damit kann zwar eine Haftungserweiterung vereinbart werden, die sachwidrige Anknüpfung an das Gewicht der Sendung kann aber nicht durchbrochen werden. Nun ist zwar in Individualvereinbarungen eine Abweichung „nach oben“ unbegrenzt möglich (vergleiche §§ 449 I 1, 466 I HGB), angesichts des Massenfahrlässiges Handeln erfüllt diese Voraussetzung nicht unbedingt. – Zu Beweiserleichterungen hinsichtlich des qualifizierten Verschuldens vgl. Gran, NJW 2013, 910, 912 m.w.N. 239 Vgl. Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 26; damit soll verhindert werden, dass die für das Frachtgeschäft geschaffenen Sonderregelungen durch die Anwendung des allgemeinen Deliktsrechts ausgehebelt werden (BT-Drucks. 13/8445, S. 69). Auch die §§ 280 ff. BGB helfen dem Geschädigten nicht weiter, weil sie entweder durch die leges speciales der §§ 425 ff. HGB verdrängt werden (so OLG Hamburg 28.2.2002 – 6 U 215/00, TranspR 2003, 21; Koller, TransportR, HGB, vor §§ 425 ff., Rn. 2) oder aber zwar anwendbar sind, jedoch a fortiori auch § 434 I HGB auf sie angewendet wird (dafür Canaris, HandelsR § 31, Rn. 28). 240 Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 41.
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charakters von Fracht-/Speditionsverträgen ist dieses Instrument aber ein vollkommen Unpraktikables und es wäre unrealistisch davon auszugehen, dass die mit der geltenden Gesetzeslage einhergehenden Härten damit im Alltag korrigiert würden. Das gilt vor allem, aber nicht nur, bei Beteiligung von Verbrauchern: Dass der Frachtführer/Spediteur eine Haftungsverschärfung zu seinen Lasten von sich aus anbietet, ist ebenso unwahrscheinlich wie dass ein rechtlich nicht vorgebildeter Laie sich der Problematik bewusst ist und daher auf eine entsprechende Vereinbarung drängt. Zusammengefasst fehlte es selbst dann, wenn man nur die vergleichsweise großzügige Willkürformel anwendete, an den Mindestanforderungen für eine Rechtfertigung nach Art. 3 I GG. Die Frachtführer-/Spediteurhaftungsregelungen können somit nur als „Triumph des transportunternehmerischen Lobbyismus“241 bezeichnet werden, dem die verfassungsrechtlichen Weihen zu versagen sind. Für die Rechtsfolgen dieses Verfassungsverstoßes gilt das zu § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB Gesagte242 entsprechend, die Regelungen sind mithin nicht für nichtig, sondern nur für verfassungswidrig zu erklären und vom Gesetzgeber zu ändern. 243 b) Umzugsvertrag Beim Umzugsvertrag, der eine Sonderform des Frachtvertrags darstellt, 244 werden die Haftungshöchstbeträge für die Frachtführerhaftung dahingehend modifiziert, dass nicht an das Gewicht der Ladung, sondern an den zur Vertragserfüllung erforderlichen Laderaum (620 € pro m3) angeknüpft wird, § 451e HGB. 245 Nach Auffassung von Canaris ist diese Anknüpfung mit Art. 3 I GG vereinbar, weil der Wert des Umzugsguts bei typisierender Betrachtungsweise proportional zu dessen Volumen zu steigen pflege; gegebenenfalls könne auch eine Transportversicherung abgeschlossen werden. 246 Dem ist entgegenzuhalten, dass der benötigte Laderaum nichts über den Wert des Umzugsguts und damit über die mögliche Schadenshöhe aussagt, so dass wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird. 247 Wer zum Beispiel mit teuren, aber zierlichen Biedermei241 Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 38; gegen Verfassungswidrigkeit hingegen MüKo-HGB/ Herber, § 431, Rn. 3. 242 Oben § 2 A IV 2 b) cc). 243 Ebenso Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 42; zu Änderungsvorschlägen siehe unten § 2 A IV 5 e). 244 Vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 451, Rn. 1. 245 Der frühere § 451c HGB, der eine entsprechend bemessene Haftungshöchstsumme für die Haftung des Absenders normierte, wurde durch das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts (vom 20.4.2013, BGBl. I. S. 831) zum 25.4.2013 ersatzlos gestrichen. 246 Canaris, HandelsR, § 31, Rn. 65. – Anders hingegen ders. für die korrespondierende Regelung bei der Absenderhaftung, § 451c HGB a.F. (a.a.O.). 247 So auch Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 384 mit Fn. 18.
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er-Möbeln, Wagenfeldlampen und Designerelektrogeräten umzieht, wird gleich beziehungsweise sogar schlechter (!) behandelt als derjenige, der dies mit einer billigen, aber sperrigen furnierten Schrankwand samt fünfteiliger Ecksofakombination vom Möbeldiscounter und Billigstereoanlage tut. An diesem Verdikt ändert auch § 451g 1 Nr. 1 HGB nichts, nach dem sich der Frachtführer gegenüber einem Verbraucher-Absender auf die Haftungsbeschränkung nur berufen kann, wenn er ihn vor248 Vertragsschluss über die Haftungsbestimmung informiert und auf die Möglichkeit hingewiesen hat, eine weitergehende Haftung zu vereinbaren oder das Gut zu versichern. Zwar kann sich der Verbraucher-Absender nicht überzeugend darauf berufen, von den Härten des gesetzlichen Haftungsregimes unvorbereitet überrascht worden zu sein und keinen Anlass gehabt zu haben, auf eine zulässige Verschärfung der Frachtführerhaftung (vergleiche § 451h II 2 HGB) zu drängen. Wie oben ausgeführt, ändert die Abdingbarkeit des einfachen Rechts aber ebenso wenig etwas an einem Verfassungsverstoß der disponiblen Norm wie die Versicherbarkeit des Schadensrisikos. Richtigerweise verstößt daher selbst bei Anwendung der relativ großzügigen Willkürformel die an den Laderaum anknüpfende Vorschrift des § 451e HGB gegen Art. 3 I GG. Wie gehabt führt dies aber nicht zur Nichtigkeit der Vorschrift, sie ist „lediglich“ für verfassungswidrig zu erklären und vom Gesetzgeber zu ändern. 249 c) Lagervertrag Beim Lagervertrag nach §§ 467 ff. HGB besteht heute kein Problem mehr: Die Haftung des Lagerhalters für den Verlust oder die Beschädigung des Guts war schon in der Vergangenheit und ist auch heute noch – anders als die Haftung des Frachtführers/Spediteurs – keine verschuldensunabhängige, sondern eine solche für vermutetes Verschulden, die dafür aber in der Höhe unbegrenzt ist, § 475 HGB. Das Problem, einen sachgerechten Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Höchstbetrags zu finden, stellt sich mithin hier überhaupt nicht. Und was die Haftung des Einlagerers betrifft, stellt sich die Problematik nicht mehr, weil der frühere, sich auf das Rohgewicht des eingelagerten Guts beziehende § 468 III 2 HGB zum 25.4.2013 ersatzlos gestrichen wurde. d) Seefrachtvertrag Für Verlust oder Beschädigung der transportierten Güter haftet der Verfrachter grundsätzlich nur bis zu einem Betrag von 666,67 Rechnungseinheiten (circa 773 €) für das Stück oder die Einheit oder einem Betrag von 2 Rechnungseinheiten (circa 2,30 €) pro Kilogramm des Rohgewichts der verlorenen oder beschä248
Rn. 1. 249
Koller/Roth/Morck, HGB, § 451g, Rn. 1; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 451g, Zu Neuregelungsvorschlägen siehe unten § 2 A IV 5 e).
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digten Güter, je nachdem, welcher Betrag höher ist, § 504 I 1 HGB250. Anders als im Frachtführer-, Speditions-, Umzugs- und Lagervertragsrecht wird also an zwei Kriterien angeknüpft, was eine flexible Handhabung ermöglicht: Bei Verlust oder Beschädigung von Gütern mit geringem Gewicht richtet sich die Haftung nach dem Stück oder der Einheit, bei schweren Gütern dagegen nach dem Gewicht.251 Damit besteht bei § 504 I 1 HGB, anders als bei den §§ 431 I, II, 451e, 461 I 2 HGB, die Möglichkeit einer sachgerechten Differenzierung. Weil somit nicht wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird, scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 I GG insoweit aus. 252 e) Fazit und Neuregelungsvorschläge für den Fracht-, Speditions- und Umzugsvertrag Die Bemessungsmaßstäbe beim Fracht-, Speditions- und Umzugsvertrag sind nach hier vertretener Auffassung für die Haftung des Frachtführers/Spediteurs nicht mit Art. 3 I GG vereinbar. Aber selbst wenn man nicht soweit gehen wollte, darin jeweils einen Verstoß gegen Art. 3 I GG zu sehen, ist angesichts der Sachfremdheit der bisherigen Berechnungsanknüpfungspunkte de lege ferenda eine andere Lösung zu suchen. Verfehlt wäre es insofern, entsprechend den Vorschriften über die Ver-/Absenderhaftung eine zugleich verschuldensunabhängige und der Höhe nach unbegrenzte Haftung zu normieren.253 Denkbar erscheinen daher vor allem zwei Alternativen: Will man es bei der verschuldensunabhängigen Haftung des Frachtführers/ Spediteurs belassen, müsste ein sachgerechter Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Haftungshöchstsumme gefunden werden. Sinnvoll erscheint es insoweit, allein an den objektiven Wert des transportierten Guts anzuknüpfen (wie das heute schon in § 429 HGB geschieht), das heißt § 431 HGB schlicht zu streichen. Zur Wahrung der Interessen des Frachtführers/Spediteurs böte es sich dann allerdings an, flankierend eine Auskunftspflicht des Ab-/Versenders über den Wert des Guts zu normieren und seine Haftung auf den angegebenen Betrag oder – wenn dieser niedriger ist – den objektiven Wert des Guts zu beschränken. Ist dem Frachtführer/Spediteur das Haftungsrisiko angesichts des genannten Wertes zu hoch, kann er entweder den Vertragsschluss ablehnen oder eine entsprechende Transportversicherung abschließen, deren Kosten er auf den Ver-/Absender abwälzen kann. Alternativ könnte das System der Frachtführer-/Spediteurshaftung aber auch an dasjenige beim Lagerhaltervertrag angeglichen werden, das heißt, statt einer der Höhe nach beschränkten verschuldensunabhängigen eine höhenmäßig unbegrenzte Haftung für vermutetes Verschulden geschaffen werden (vergleiche § 475 HGB). Welches dieser beiden 250 251 252 253
Früher: § 660 I HGB. Rabe, Seehandelsrecht, § 660, Rn. 4; Herber, Seehandelsrecht, S. 328. So i.E. auch BGH 20.3.1978 – II ZR 19/76, NJW 1978, 1314, 1315. Siehe oben § 2 A IV 2 h).
A. Haftungshöchstsummen
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Modelle praxistauglicher und unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen „gerechter“ ist, lässt sich abstrakt kaum bestimmen. Beide wären jedenfalls der geltenden Rechtslage überlegen, der Gesetzgeber sollte sich daher für eines der beiden entscheiden.
V. Problematik der „Überalterung“ von Haftungshöchstsummen Wie ausgeführt sind Haftungshöchstsummen im Grundsatz ein legitimes Instrument der Haftungsbegrenzung. Das kann jedoch zum Schutz des Geschädigten nur gelten, wenn ausreichend Vorsorge gegen ihre „Überalterung“ getroffen wird. Ursprünglich der Höhe nach adäquate Höchstsummen können zu einer potentiell unverhältnismäßigen Anspruchsbeschränkung führen, wenn durch die laufende Geldentwertung die Schadenspositionen absolut höher werden, ohne dass dem über eine Anpassung der Haftungshöchstbeträge Rechnung getragen wird. 254 Beispiel für eine derartige „Überalterung“ im geltenden Recht ist § 702 I BGB, nach dem die Haftung des Gastwirts grundsätzlich auf das Hundertfache des Beherbergungspreises beschränkt ist, aber mindestens € 600 und höchstens € 3.500 beträgt; die Begrenzung auf € 3.500 passt angesichts der Tatsache, dass Hotelübernachtungen in Deutschland im Schnitt € 101 kosten, 255 schlicht nicht mehr zur Haftung bis zum Hundertfachen des Beherberungspreises.256 Hier täte mithin eine Änderung der Spanne auf circa € 4.000 bis € 12.000 dringend Not. Zur Vorbeugung dieses Problems ist es geboten, die Höchstsummen regelmäßig auf ihre Angemessenheit zu überprüfen und damit zu klären, ob eine Korrektur des Höchstbetrags – typischerweise nach oben – zu erfolgen hat. Gesetzliche Mechanismen, die eine Pflicht zur zyklischen Kontrolle vorsehen, existieren aber grundsätzlich nicht. 257 Eine Ausnahme enthält lediglich Art. 18 II RL 85/374/EWG (Produkthaftungs-Richtlinie), der den Rat verpflichtet, auf Vorschlag der Kommission alle fünf Jahre unter anderem die möglichen Haftungshöchstbeträge des Art. 16 I RL 85/374/EWG „unter Berücksichtigung der 254 Vgl. z.B. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 703; v. Bar, Gutachten für den 62. DJT, A 73. – Ein historischer Überblick über erfolgte Anpassungen findet sich bis zum Jahr 1980 bei Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 314 f. – Die Inflationsrate bewegt sich seit 1990 meist bei ca. 2 %, mit einem Maximalwert von 5,1 % (1992) und einem Minimalwert von 0,4 % in 2009 (Quelle: http://www.unciatrends.com/inflation-entwicklung-historische-infla tionsraten-deutschland/). Die jüngste Anpassung erfolgte durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften zum 1.8.2002 (BGBl. I S. 2674, vgl. BTDrucks. 14/7752, S. 11, 17). 255 Vgl. http://www.focus.de/reisen/urlaubstipps/hotellerie/hotelpreise-deutschlandwas-die-nacht-im-schnitt-kostet_aid_356504.html. 256 Kritisch auch MüKo-BGB/Henssler, § 702, Rn. 6. 257 Eine Ausnahme enthielt der mittlerweile entfallene § 7a II RHG, nach dem bei „wesentlicher Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ die Reichsregierung befugt wurde, „mit Zustimmung des Reichsrates den Haftungshöchstbetrag anderweitig zu gestalten.“.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
wirtschaftlichen und monetären Entwicklung in der Gemeinschaft“ zu überprüfen und gegebenenfalls durch eine Richtlinie zu ändern; § 17 ProdHaftG knüpft daran an und ermächtigt den Bundesminister der Justiz, durch Rechtsverordnung die Beträge der §§ 10, 11 ProdHaftG auf eine entsprechende Richtlinie hin zu ändern. 258 De lege ferenda erscheint die Einführung einer Art. 18 II RL 85/374/EWG vergleichbaren drei- bis fünfjährigen Prüfungspflicht für sämtliche Haftungshöchstsummen sinnvoll. Das könnte jeweils entweder durch ein formelles Parlamentsgesetz oder aber durch Rechtsverordnung der Bundesregierung erfolgen. Letzteres ist mit Art. 80 I GG vereinbar: Gesetzesändernde Rechtsverordnungen werden von der ganz herrschenden Meinung zugelassen, wenn dies auf einer entsprechenden formell-gesetzlichen Ermächtigung beruht. 259 Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung können den Vorgaben des Art. 80 I 2 GG entsprechend angegeben werden: Zweck ist der Inflationsausgleich, Inhalt ist eine Überprüfungs- und gegebenenfalls Anpassungspflicht alle drei bis fünf Jahre und Ausmaß die Anpassung an die vom Statistischen Bundesamt festgestellte Geldwertentwicklung. 260
VI. Zusammenfassung 1. Erscheinungsformen a) Haftungshöchstsummen beschränken zwar typischerweise Haftungstatbestände, die kein Verschulden voraussetzen. Das gilt aber nicht ausnahmslos, Abweichungen finden sich vielmehr in beide Richtungen. So existiert eine Reihe verschuldensunabhängiger Haftungsnormen, die der Höhe nach unbegrenzt sind (zum Beispiel § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB), umgekehrt werden dafür aber auch einige Verschuldenshaftungstatbestände durch Höchstsummen „gedeckelt“ (zum Beispiel §§ 12, 12a StVG, § 675v I 2 BGB, § 323 II HGB). 261 b) Haftungshöchstsummen lassen sich nach verschiedenen Kategorien typisieren: So sind von solchen, die bereits durch einfaches Gesetzesrecht ange258 Davon wurde bisher noch kein Gebrauch gemacht, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Umstellung von DM- auf Euro-Beträge durch formelles Parlamentsgesetz (Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 19. 7. 2002, BGBl. I S. 2674) erfolgte, MüKo-BGB/G. Wagner, § 17 ProdHaftG, Rn. 1. 259 BVerfGE 8, 155, 171; Mann, in: Sachs, GG, Art. 80, Rn. 11 m.w.N. 260 Für § 431 HGB hatte der Gesetzgeber eine entsprechende Verordnungsermächtigung erwogen, diese aber unter anderem deswegen wieder verworfen, weil er daran zweifelte, ob diese derart gestaltet werden könne, dass sie sowohl den Erfordernissen des Art. 80 GG genüge als auch für die jeweils zu treffende Anpassungsentscheidung eine hinreichend fl xible Grundlage biete (BT-Drucks. 13/8445, S. 67). Gegen diese Bedenken lässt sich anführen, dass § 17 ProdHaftG als mit Art. 80 GG vereinbar angesehen wird (MüKo-BGB/G. Wagner, § 17 ProdHaftG, Rn. 1) und die hier vorgeschlagene Regelung sich materiell daran orientiert. 261 Im Einzelnen siehe § 2 A II 1.
A. Haftungshöchstsummen
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ordnet wurden (vergleiche zum Beispiel § 88 AMG), solche zu unterscheiden, bei denen der Gesetzgeber den Vertragsparteien nur explizit eine entsprechende Vereinbarung erlaubt (siehe zum Beispiel § 651h BGB, § 67a I StBerG). Des Weiteren ist zwischen Globalgrenzen, die sämtliche aus einem bestimmten Schadensfall resultierende Schäden insgesamt begrenzen (zum Beispiel § 12 I 1 StVG) und Einzelgrenzen, die den Anspruch jedes einzelnen Gläubigers beschränken (vergleiche § 9 HaftpflichtG), zu differenzieren. Schließlich nennen einige Höchstsummen einen abstrakten, stets gültigen Geldbetrag (beispielsweise § 15 UmweltHG), wohingegen andere an die Umstände des Einzelfalls anknüpfen (pars pro toto: § 431 HGB). 262 c) Gemessen an der klassischen Abschichtung von Schuld und Haftung stellen Haftungshöchstsummen eine falsa demonstratio dar, weil sie nicht erst die Haftung, sondern bereits die Schuld des Schädigers beschränken. 2. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation a) Verschuldensunabhängige Tatbestände aa) Die höhenmäßige Begrenzung verschuldensunabhängiger Haftungstatbestände lässt sich isoliert betrachtet nicht damit begründen, dass sie dem Schutz vor einer ruinösen und damit prohibitiv wirkenden Haftung dient. Bei Einzelgrenzen liegt das schon deshalb auf der Hand, weil diese nur den Anspruch eines einzelnen Geschädigten auf einen Maximalbetrag deckeln und somit nicht verhindern, dass der Schädiger durch die Addition vieler Einzelansprüche insgesamt ruiniert wird. Das ist bei abstrakten Globalgrenzen nur auf den ersten Blick anders. In Wahrheit sind diese nämlich nur in absoluten Ausnahmefällen „passgenau“. Stattdessen sind sie typischerweise entweder viel zu hoch, um den Schädiger effektiv schützen zu können, oder aber umgekehrt hierzu gar nicht erforderlich, weil sie die Haftung auf einen Betrag begrenzen, der ihn zwar finanziell belastet, nicht aber seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. 263 bb) Zwar trifft es zu, dass ohne einen ausnahmslos geltenden Maximalhaftungsbetrag eine umfassende Haftpflichtversicherung von den Versicherern entweder nur zu exorbitanten Prämien oder – typischerweise – überhaupt nicht angeboten wird. Dennoch lässt sich die Existenz von Haftungshöchstsummen isoliert auch nicht mit dem Anliegen, eine vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos zu ermöglichen, rechtfertigen. Bei Einzelgrenzen verfängt dieses Argument schon im Ansatzpunkt nicht, lässt sich dort doch ein Gesamtbetrag möglicher Haftungsverbindlichkeiten im Vorfeld angesichts der Ungewissheit, wie viele Personen geschädigt werden, ohnehin nicht ermitteln. Gleiches gilt für Haftungshöchstsummen mit Bereichsausnahmen für Grund262 263
Ausführlich oben § 2 A II 2. Siehe § 2 A III 1 b).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
stücke, zum Beispiel § 10 III HaftpflichtG. Auch wo dieses Argument – wie bei Globalgrenzen – nicht greift, spricht gegen die (allein) legitimierende Kraft des Versicherungsarguments, dass sich die Versicherbarkeitsproblematik im allgemeinen (Delikts-)Recht ebenfalls stellt, ohne dass man dort auf die Idee käme, im Interesse des Schädigerschutzes und zur Ermöglichung der vollständigen Versicherbarkeit des Haftungsrisikos eine höhenmäßige Haftungsbegrenzung anzustreben.264 cc) Auch wenn weder der Schutz vor einer potentiell ruinösen und somit prohibitiven Haftung noch das Versicherbarkeitsargument isoliert betrachtet in der Lage sind, die mit Haftungshöchstsummen einhergehenden Anspruchsbeschränkungen zu rechtfertigen, so sind es doch bedeutsame Faktoren, die nur um einen weiteren Umstand ergänzt werden müssen, um eine tragfähige rechtspolitische und -dogmatische Basis zu liefern. Es ist dies die Überlegung, dass die höhenmäßige Anspruchsbegrenzung einen „gerechten“ Ausgleich für die Härten darstellt, die sich aus dem Verzicht auf ein Verschuldenserfordernis für den Schädiger ergeben. Dogmatisch steht hinter dieser Auffassung die Vorstellung, dass sich die Gefährdungshaftung heute zwar einen legitimen Platz im System des Haftungsrechts erkämpft hat, sie aber zugleich immer noch ein vom gesetzlichen Normalfall abweichendes Ausnahmeinstrument für besonders gelagerte Fallkonstellationen ist, das deshalb besonderen Regelungen unterworfen werden darf. Das geltende Recht ist insoweit das sachgerechte Ergebnis einer vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessenabwägung. Aus Sicht des Geschädigten lässt sich das so beschreiben, dass er den Vorteil, Beweisstreitigkeiten hinsichtlich des Verschuldens enthoben zu sein, mit dem Nachteil eines der Höhe nach nur beschränkten Anspruchs bezahlt. Blickt man auf die Schädigerseite, wird zudem der oben angedeutete Zusammenhang zum Versicherbarkeitsargument sowie dem wünschenswerten Schutz vor einer ruinösen Haftung sichtbar: Dem Nachteil, selbst ohne Verschulden einstandspflichtig zu sein, steht der Vorzug gegenüber, angesichts des Höchstbetrags das Haftungsrisiko zu (verkraftbaren) Versicherungsprämien vollständig versichern und damit einer potentiell ruinösen Haftung vorbeugen zu können. Da die Mehrzahl der von Gefährdungshaftungstatbeständen erfassten Verhaltensweisen mittelbar auch im Interesse der Allgemeinheit liegen (zum Beispiel die Produktion von Medikamenten oder der Betrieb von Eisenbahnen), wird durch Haftungshöchstsummen zugleich in ihrem Interesse verhindert, dass die Haftung prohibitive, abschreckende Züge entwickelt.265 dd) Zusammengefasst ist es ein Mix aus vier Faktoren, der die Existenz von Haftungshöchstsummen zur Beschränkung verschuldensunabhängiger Haf264 265
Näher § 2 A III 1 c). Dazu ausführlich oben § 2 A III 1 d).
A. Haftungshöchstsummen
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tung rechtspolitisch und -dogmatisch rechtfertigt: Sie sind (a) ein „gerechter“ Ausgleich für die strikte Haftung, der (b) die vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ermöglicht und damit (c) dem potentiell Haftungsverantwortlichen ein geeignetes Instrument an die Hand gibt, einer möglicherweise ruinösen Haftung vorzubeugen. Damit wird schließlich (d) verhindert, dass das Haftungsrisiko prohibitive Wirkung entfaltet. b) Verschuldensabhängige Haftungstatbestände Vereinzelt werden auch Haftungstatbestände, die ein nachgewiesenes oder ein vermutetes Verschulden voraussetzen, durch Haftungshöchstsummen beschränkt. Damit will der Gesetzgeber meist die Versicherbarkeit des Haftungsrisikos erreichen, was zwar an sich ein legitimes Ziel ist, 266 problematisch ist allerdings die Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot.267 3. Verfassungsrechtliche Fragen Die (Nicht-)Normierung von Haftungshöchstsummen wirft eine Reihe verfassungsrechtlicher Fragen auf, wobei man sich der Problematik aus verschiedenen Perspektiven nähern kann. a) Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen aa) Soweit Höchstsummen Haftungstatbestände beschneiden, die kein (vermutetes) Verschulden voraussetzen, verstößt dies richtigerweise nicht gegen Art. 3 I GG, sind doch angesichts des Verzichts auf das Verschuldenserfordernis die Unterschiede in den Haftungsvoraussetzungen von so großem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung zu zum Beispiel § 823 I BGB zu rechtfertigen vermögen. 268 bb) Die Normierung von Haftungshöchstbeträgen verletzt bei solchen Haftungsnormen auch nicht staatliche Schutzpflichten aus Art. 2 II, Art. 14 I beziehungsweise Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG. Das folgt schon daraus, dass den Gesetzgeber richtigerweise gar keine aus Grundrechten ableitbare Pflicht trifft, verschuldensunabhängige Haftungstatbestände zu schaffen. Selbst wenn man das anders sähe, wären Schutzpflichten eingedenk der dem Gesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsprärogative nicht verletzt. Insbesondere kann ihm nicht vorgeworfen werden, rein einseitige, allein auf die Interessen der (potentiellen) Schädiger schielende Regelungen erlassen und damit die gebotene Abwägung der widerstreitenden Anliegen der Beteiligten versäumt zu haben. Das gilt selbst für solche Haftungsregime, die den Rückgriff auf das allgemeine 266 267 268
Siehe näher § 2 A III 2. Siehe dazu näher oben § 2 A IV 4. Siehe § 2 A IV 1 a).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
vertrags- und deliktsrechtliche Schadensrecht sperren beziehungsweise dieses ebenfalls einer höhenmäßigen Beschränkung unterwerfen (zum Beispiel §§ 3 ff. BinSchG, § 323 II HGB). 269 b) Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungsnormen Wird eine Haftungshöchstsumme trotz der Verschuldensunabhängigkeit der Haftung nicht vorgesehen, verstößt dies – in Gegenüberstellung mit zum Beispiel §§ 84, 88 AMG oder §§ 7, 12, 12a StVG – wegen Benachteiligung des Schädigers beziehungsweise Bevorzugung des Geschädigten gegen Art. 3 I GG, wenn sich nicht ein legitimes Differenzierungsziel ausmachen lässt und die unterschiedliche Haftungsausgestaltung zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Gemessen daran ist zwar die nicht erfolgte Höhenbegrenzung der Ansprüche aus § 53 I LuftVG, §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO, § 14 S. 2 BImSchG, § 11 LuftVG, § 7 VI AtomG, § 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG nicht zu beanstanden. 270 Auch § 906 II 2 BGB (analog) verstößt im Ergebnis nicht gegen Art. 3 I GG, allerdings nur deshalb, weil dies durch eine verfassungskonforme Auslegung verhindert werden kann.271 Dagegen verstößt die Nichtnormierung eines Haftungshöchstbetrags in Bezug auf die § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB, §§ 29, 30 BJagdG und §§ 414 I, II, 451, 455 II, 468 III HGB gegen Art. 3 I GG. Aus der Verfassungswidrigkeit folgt jedoch nicht die Nichtigkeit dieser Vorschriften, es ist lediglich ihre Unvereinbarkeit mit Art. 3 I GG festzustellen und der Gesetzgeber zu einer verfassungskonformen Neuregelung zu verpflichten.272 c) Bereichsausnahmen für Grundstücke Unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG zu würdigen sind ferner die bei § 10 III HaftpflichtG und § 117 I BBergG jeweils erfolgte Bereichsausnahme für die Beschädigung von Grundstücken, für die der Schädiger mithin der Höhe nach unbeschränkt haftet. Während dies bei § 117 I BBergG angesichts der besonderen bergbaurechtlichen Duldungspflichten gerechtfertigt werden kann, ist bei § 10 III HaftpflichtG kein sachlich anerkennenswerter Grund für eine Ungleichbehandlung gegenüber zum Beispiel § 15 UmweltHG ersichtlich; entsprechend liegt insoweit ein Verstoß gegen Art. 3 I GG vor. Wie beispielsweise bei § 833 S. 1 BGB ist als Folge des Verfassungsverstoßes nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Unvereinbarkeit des § 10 III HaftpflichtG mit Art. 3
269 270 271 272
Ausführlich oben § 2 A IV 1 b), c). Im Einzelnen siehe oben § 2 A IV 2 d) – f). Näher § 2 A IV 2 g). Ausführlich § 2 A IV 2 a) – c).
A. Haftungshöchstsummen
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I GG auszusprechen und der Gesetzgeber zur verfassungskonformen Neuregelung aufzurufen. 273 d) Haftungshöchstsummen bei Verschuldenstatbeständen Die Vereinbarkeit mit Art. 3 I GG kann zudem problematisch sein, wenn verschuldensabhängige (Spezial-)Haftungstatbestände durch Haftungshöchstsummen begrenzt werden (zum Beispiel § 323 I 3, II 1 HGB, §§ 18, 12, 12a StVG). So verstößt die sogar bei grob fahrlässig verursachten Schäden eingreifende summenmäßige Haftungsprivilegierung aus § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) gegen Art. 3 I GG. 274 Hingegen ist die summenmäßige Beschränkung der Fahrzeugführerhaftung des § 18 StVG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Gleiches gilt für § 675v I 2, 1 BGB. 275 e) Berechnungsmaßstäbe im handelsrechtlichen Transportrecht Die §§ 431 I, II, 451e, 461 I 2, 504 I 1 HGB enthalten keine abstrakten Höchstgrenzen, sondern knüpfen den Maximalhaftungsbetrag mittels verschiedener Kriterien an typisierte Einzelfallumstände an. Die dabei vom Gesetzgeber gewählten Bemessungsmaßstäbe genügen allerdings größtenteils nicht dem Postulat des Art. 3 I GG, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Zu „halten“ ist allein die Vorschrift des § 504 I 1 HGB, weil diese durch die Anknüpfung an zwei verschiedene Umstände eine sachgerechte Differenzierung erlaubt. 276 Hingegen handelt es sich bei den für die Haftung des Frachtführers beziehungsweise Versenders im Fracht-, Speditions- und Umzugsrecht (§§ 431 I, II, 451e, 461 I 2, 504 I 1 HGB) maßgeblichen Parametern des Rohgewichts der Sendung beziehungsweise dem zur Vertragserfüllung erforderlichen Laderaum um völlig sachfremde Kriterien. 277 Es bedarf dementsprechend einer Änderung der geltenden Rechtslage. Vorzugswürdig dürfte dabei – in Orientierung an der Haftung des Lagerverwalters, § 475 HGB – ein Übergang zu einer der Höhe nach unbeschränkten Haftung für (vermutetes) Verschulden sein. 278 4. Aktualisierung von Haftungshöchstbeträgen Um eine inflationsbedingte Aushöhlung von Höchstbeträgen zu verhindern, sollten diese in regelmäßigen Abständen (drei bis fünf Jahre) auf ihre „Zeitgemäßheit“ überprüft werden und gegebenenfalls entweder per Parlamentsgesetz 273 274 275 276 277 278
Näher § 2 A IV 3. Dazu § 2 A IV 4 a). Siehe oben § 2 A IV 4 b), c). Dazu § 2 A IV 5 d). Näher § 2 A IV 5 a), b). Ausführlich § 2 A IV 5 c), e).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
oder – auf eine entsprechende Ermächtigung hin – per Rechtsverordnung angepasst werden. 279
B. Restschuldbefreiung I. Hintergründe, Bedeutung und Ablauf Die Überschuldung von Unternehmen und Privathaushalten bewegt sich seit Jahren auf hohem Niveau; insbesondere die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist seit Inkrafttreten der §§ 304 ff. InsO im Jahre 1999280 kontinuierlich von jährlich knapp 3.400 auf mehr als 100.000 im Jahr 2007 angestiegen. 281 Gerade in Folge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise wurde der Gang in die Insolvenz oft unabwendbar. Nun führen aber weder das reguläre Insolvenzverfahren noch die Sonderregelungen über das Verbraucherinsolvenzverfahren dazu, dass der Schuldner von seiner Verbindlichkeit befreit wird. Denn die Forderungen der Gläubiger erlöschen im Insolvenzverfahren nur insoweit, als es zu Ausschüttungen kommt, das heißt in Höhe der Insolvenzquote. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können die restlichen Forderungen wieder unbeschränkt gegen den Schuldner geltend gemacht werden, § 201 I InsO (gegebenenfalls in Verbindung mit § 304 I 1 InsO), der dafür mit seinem gesamten Vermögen bis zur vollständigen Tilgung der Verbindlichkeiten haftet. 282 Um den Schuldner vor einem Leben auf dem bescheidenen Niveau pfändungsfreier Beträge zu schützen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine wirtschaftliche Freiheit wiederzuerlangen, wurde mit Wirkung zum 1.1.1999 das Restschuldbefreiungsverfahren (§§ 286 ff. InsO) geschaffen. 283 Hierdurch kann sich der Schuldner durch „Ablieferung“ seiner Erwerbseinkünfte oberhalb der Pfändungsgrenze über die Dauer von bis zu sechs Jahren die Befreiung von den Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO)284 „verdienen“, §§ 286, 279
Siehe § 2 A V. BGBl. 1994 I, S. 2866. – Zur Notwendigkeit einer Ablösung der vorherigen, vor allem durch KO und VerglO geprägten Rechtslage durch eine gesetzliche Neuregelung vgl. z.B. H. Roth, Verfassungsungsrecht, 187, 188 ff. 281 Statistisches Bundesamt, vgl. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/ destatis/Internet/DE/Navigation/Publikationen/STATmagazin/Wirtschaftsrechnungen 2008__1,templateId=renderPrint.psml__nnn=true. – Auf die Gründe für diese Entwicklung soll hier nicht näher eingegangen werden, vgl. z.B. Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 3; MüKoInsO/Stephan, § 286, Rn. 6. 282 Vgl. BGH 28. 6. 2007 – IX ZR 73/06, NZI 2007, 670, 671; OLG Stuttgart 13.6.2007 – 5 W 11/07, NZI 2007, 527. 283 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 187 f. – Zur historischen Entwicklung vgl. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 7 ff. 284 Die Forderungen von Neugläubigern, das heißt solchen, die ihre Ansprüche erst nach Insolvenzeröffnung erworben haben, werden im Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt; 280
B. Restschuldbefreiung
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301 I InsO. Die §§ 286 ff. InsO wurden mehrmals geändert, zuletzt in erheblichem Umfang mit Wirkung zum 1.7.2014 durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013285. Im Folgenden wird – wenn nicht anders gekennzeichnet – die neue Rechtslage zugrunde gelegt. Die Restschuldbefreiung erfolgt nur auf Antrag des Schuldners (erste Phase), der entweder zusammen mit seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem gerichtlichen Hinweis auf eine Restschuldbefreiung (§ 20 II 2 InsO) gestellt werden muss, § 287 I 1, 2 InsO. Im Antrag muss er nicht nur erklären, ob ein dessen Unzulässigkeit begründender Fall des § 287a II InsO vorliegt, sondern auch den pfändbaren Teil der ihm für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – die sogenannte Abtretungsfrist – zustehenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt oder an dessen Stelle tretender laufender Bezüge an einen Treuhänder abtreten, § 287 I 3, II 1 InsO. Anders als nach früherer Rechtslage – wo das Gericht erst im Schlusstermin über den Antrag des Schuldners befand und ihm entweder die Restschuldbefreiung wegen Vorliegens eines Versagungsgrundes versagte (§§ 289, 290 InsO a.F.) oder, so dies nicht der Fall war, die Restschuldbefreiung ankündigte (§ 291 InsO a.F.) – entscheidet das Insolvenzgericht nunmehr bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags, § 287a InsO. Damit soll frühzeitig Rechtsklarheit für die Beteiligten geschaffen und dem Schuldner die Chance gegeben werden, sich im Falle eines unzulässigen Restschuldbefreiungsbegehrens (§ 287a II InsO) durch Rücknahme des Insolvenzantrags die mit dem letztlich überfl ssigen Insolvenzverfahren verbundenen Kosten und Mühen zu ersparen. 286 Ist der Antrag hingegen zulässig und liegt zudem kein Grund dafür vor, dass dem Schuldner nach § 290 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen ist, stellt das Gericht fest, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen wird, wenn er den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommt und kein Versagungsgrund nach §§ 290, 297–298 InsO vorliegt, § 287a I InsO. 287 Es beginnt damit die zweite Phase des Restschuldbefreiungsverfahrens, in der der vom Gericht bestimmte Treuhänder die Einkünfte des Schuldners einzieht und sie einmal pro Jahr auf die Gläubiger verteilt, § 292 I 2 InsO. 288 Während dieser Zeit treffen den Schuldner die Obliegenheiten des § 295 InsO. 289 Kommt er diesen schuldhaft nicht dafür bleiben sie von der Restschuldbefreiung unberührt (statt aller Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 301, Rn. 6). 285 BGBl. 2013 I, 2379. 286 BT-Drucks. 17/11268, S. 24, 25. 287 Diese Feststellung ersetzt die Ankündigung des früheren Rechts, § 291 InsO a.F. 288 Ist der Schuldner als Selbständiger tätig, so trifft ihn nach § 295 II InsO die Obliegenheit, den Treuhänder durch Zahlungen so zu stellen, wie wenn er einer angemessenen unselbständigen Tätigkeit nachginge (vgl. zu § 295 II InsO näher Fischinger, KTS 2013, 459). 289 Zu beachten ist, dass den Schuldner nach neuem Recht stets eine Erwerbsobliegenheit
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nach, versagt das Insolvenzgericht auf Antrag die Restschuldbefreiung, § 296 InsO; Gleiches gilt, wenn der Schuldner sich Insolvenzstraftaten oberhalb einer bestimmten Bagatellgrenze zu Schulden kommen ließ (§ 297 InsO), die von ihm abgelieferten Beträge die Mindestvergütung des Treuhänders nicht decken (§ 298 InsO) oder nachträglich Versagungsgründe nach § 290 InsO bekannt werden, § 297a InsO. Liegt kein Versagungsgrund vor, erteilt das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung, § 300 I 1 InsO (dritte Phase). Wann dies geschieht, hängt – anders als nach früherer Rechtslage, die nur eine starre sechsjährige Verfahrensdauer kannte – von den Umständen ab: Wurden entweder keine Forderungen angemeldet oder diese vollständig befriedigt, so ist die Restschuldbefreiung unmittelbar zu erteilen, § 300 I 2 Nr. 1 InsO. 290 Ist beides nicht der Fall, schafft der Schuldner es aber, einen Betrag abzuliefern, der eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35 %291 ermöglicht, kann er nach drei Jahren Restschuldbefreiung erlangen, § 300 I 2 Nr. 2 InsO. Gelingt ihm zwar dies nicht, berichtigt er aber wenigstens die Verfahrenskosten, kann er nach fünf Jahren frei werden, § 300 I 2 Nr. 3 InsO. Nur wenn ihm auch das nicht glückt, kann er – wie bislang – erst nach sechs Jahren Restschuldbefreiung erlangen.292 Deren Rechtsfolge ist die Umwandlung der vormals vollgültigen Forderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten, § 301 I InsO. 293 Etwas anderes gilt nur in den Fällen des § 302 InsO. Die einmal erteilte Restschuldbefreiung kann unter den abschließenden Voraussetzungen des § 303 InsO widerrufen werden (vierte Phase). Geschieht dies, leben die Forderungen wieder auf und können von den Gläubigern auch gegen den Willen des Schuldners durchgesetzt werden. vom Beginn der Abtretungsfrist (das heißt ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 287 II 1 InsO) bis zu ihrem Ende trifft. Dies folgt aus dem Zusammenspiel der §§ 287b, 295 I Nr. 1 InsO. Damit wird der unbefriedigende Zustand des vormaligen Rechts geändert, wonach zwar die Abtretungsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens lief, eine Erwerbsobliegenheit grundsätzlich – Ausnahme bei Verfahrenskostenstundung, § 4c Nr. 4 InsO – aber erst ab Ankündigung der Restschuldbefreiung (§ 291 InsO a.F.) bestand (BT-Drucks. 17/11268, S. 29). 290 Damit wurde die vormalige Rechtsprechung des BGH kodifiziert, die sich in diesen Fällen mangels gesetzlicher Regelung mit einer Analogie zu § 299 InsO behalf (vgl. BGH 17.5.2005 – IX ZB 214/04, NJW-RR 2005, 1363, 1364; 18.7.2007 – IX ZB 115/04, BeckRS 2007, 18754; 29.11.2011 – IX ZB 219/10, NZI 2011, 947, 947 f.; 29.1.2009 – IX ZB 290/08, BeckRS 2009, 05953). 291 Im ursprünglichen Gesetzentwurf waren noch 25 % vorgesehen (vgl. BT-Drucks. 17/11268, S. 8, 30), die Erhöhung auf 35 % erfolgte erst auf eine entsprechende Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 17/13535, S. 12 f., 28). 292 In allen Fällen ist es möglich, dass die Restschuldbefreiung erteilt wird, bevor das Insolvenzverfahren beendet wird. In einem solchen Fall gilt § 300a InsO. 293 Zur dogmatischen Qualifikation der Restschuldbefreiungserteilung siehe unten § 2 B III.
B. Restschuldbefreiung
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II. Verfassungsrechtliche Bewertung 1. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Restschuldbefreiungsverfahrens – Verletzung von Art. 14 I GG? Durch die Erteilung der Restschuldbefreiung werden die erfassten Forderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten umgewandelt, §§ 286, 301 I, III InsO. 294 Da sie als Folge nicht mehr gegen den Willen des Schuldners durchgesetzt werden können, sind die §§ 286 ff. InsO an der Eigentumsfreiheit der betroffenen Insolvenzgläubiger zu messen. a) Schutzbereich In den sachlichen Schutzbereich des Art. 14 GG fallen unter anderem die privatrechtlichen Forderungen der (Insolvenz-)Gläubiger gegen den Schuldner. 295 Art. 14 GG schützt nicht nur die Rechtsinhaberschaft, sondern gibt dem Eigentümer – angesichts des staatlichen Gewaltmonopols – auch einen Anspruch gegen den Staat auf effektive Rechtsdurchsetzung einschließlich Zwangsvollstreckung. 296 Spätestens die mit der Erteilung der Restschuldbefreiung verbundene Umwandlung der bis dato de jure vollgültigen Forderungen in Naturalobligationen (§ 301 I, III InsO)297 ist eine Beschränkung der durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsposition.298 b) Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung? Wie oben ausgeführt, ist zwischen den beiden Eingriffsarten des Art. 14 I GG – Enteignung einerseits, Inhalts- und Schrankenbestimmung andererseits – strikt zu trennen. 299 Zu fragen ist dabei zunächst, ob eine Enteignung vorliegt; ist das nicht der Fall, kann es sich nur um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handeln.
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Zur zivilrechtsdogmatischen Einordnung siehe im Einzelnen unten § 2 B III. Vgl. BVerfGE 45, 142, 197; 68, 193, 222; 83, 201, 208; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 152. 296 Vgl. BVerfGE 24, 367, 407; 34, 348, 361; 45, 297, 333; 49, 252, 257. 297 Zu dieser zivilrechtsdogmatischen Folge der Restschuldbefreiungserteilung siehe ausführlich unten § 2 B III 1. 298 Nach Auffassung des AG München (9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456) beeinträchtigte bereits die in § 291 I InsO a.F. vorgesehene Ankündigung der Restschuldbefreiung (nunmehr: Beschluss über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags, § 287a I InsO) die Eigentumsfreiheit, weil der Gläubiger in der Folge keinen Einfluss mehr darauf ausüben kann, ob dem Schuldner diese erteilt wird. Das überzeugt nicht, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gläubiger während der Abtretungsfrist vollumfänglich befriedigt wird, z.B. weil der Schuldner eine unerwartete Erbschaft macht (§ 295 I Nr. 2 InsO) oder durch die von ihm erzielten Einkünfte die Forderungen begleichen kann (§§ 287b, 295 I Nr. 1 InsO). 299 Siehe näher § 1 F I 2. 295
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Zählt man zu den konstitutiven Elementen des Enteignungsbegriffs richtigerweise nicht nur den vollständigen oder teilweisen Entzug des Eigentums im Interesse der Allgemeinheit und zum Zwecke der Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben, sondern verlangt man darüber hinaus auch einen staatlichen Güterbeschaffungsakt,300 ist die Erteilung der Restschuldbefreiung unproblematisch nicht als Enteignung zu werten, denn die öffentliche Hand erwirbt durch sie keine zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Güter. Mehr Begründungsaufwand erfordert das gleiche Ergebnis, wenn man den Entzugsanstelle des Übertragungscharakters in den Mittelpunkt der Enteignungsdefinition stellt. Zwar erlischt die Forderung in Folge der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht, dem Gläubiger wird sie aber dennoch faktisch entzogen, weil sie in eine nicht erzwingbare Naturalobligation umgewandelt wird (§§ 286, 301 I InsO). Daher wird die Erteilung der Restschuldbefreiung vereinzelt als Administrativenteignung angesehen: Da von der Forderung nichts mehr übrig bleibe, werde das Eigentum total entzogen, so dass es sich nicht um eine bloße Inhaltsund Schrankenbestimmung handle.301 Folgerichtig kommt diese Auffassung zur Verfassungswidrigkeit der §§ 286 ff. InsO in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung, und zwar schon deshalb, weil es an der nach Art. 14 III 2 GG zwingend erforderlichen Junktimklausel fehlt.302 Selbst wenn man – wenig überzeugend – auf den Zweck der Güterbeschaffung als conditio sine qua non für die Annahme einer Enteignung verzichtet, folgt daraus aber richtigerweise noch nicht, dass es sich bei der Erteilung der Restschuldbefreiung um eine (Administrativ-)Enteignung handelt. Denn auch dann ist der Entzug von Privateigentum im Interesse der Allgemeinheit und zum Zwecke der Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben Charakteristikum einer Enteignung. Der Entzug bestehender Rechtspositionen zum Zwecke des Ausgleichs privater Interessen ist dagegen keine Enteignung, sondern kann nur Inhalts- und Schrankenbestimmung sein.303 Die „Enteignung“ zugunsten Privater – zum Beispiel durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, per „squeeze-out“ (§§ 327a ff. AktG)304 oder nach den Baulandumlegungsvorschriften (§§ 45 ff. BauGB)305 – ist daher keine Enteignung im Sinne von Art. 14 III GG.306 Das wirft die Frage auf, ob die §§ 286 ff. InsO allein oder zumindest weit überwiegend im privaten oder im öffentlichen Interesse geschaffen wurden. 300 So BVerfGE 104, 1, 10; BeckOK-GG/Axer, Art. 14, Rn. 75, 78; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 401; siehe dazu näher § 1 F I 2. 301 Christmann, DGVZ 1992, 177, 179. 302 Christmann, DGVZ 1992, 177, 179. 303 BVerfGE 104, 1, 9 f; 112, 93, 109; 114, 1, 59; so auch Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14, Rn. 77; E. Haas, NVwZ 2002, 272, 274. 304 BVerfG 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, NJW 2007, 3268, 3269. 305 BVerfGE 104, 1, 9 f.; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 471. 306 BVerfGE 74, 264, 279 ff.; BeckOK-GG/Axer, Art. 14, Rn. 75.
B. Restschuldbefreiung
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Dass mit den §§ 286 ff. InsO maßgeblich die privaten Interessen des Schuldners befördert werden, indem er durch die mit der Erteilung der Restschuldbefreiung verbundene Umwandlung der Forderungen in Naturalobligationen faktisch frei und vor einer lebenslangen Überschuldung bewahrt wird, bedarf keiner näheren Begründung.307 Der Gesetzgeber308 und mit ihm die ganz herrschende Meinung309 gehen aber weitergehend zu Recht davon aus, dass durch das Restschuldbefreiungsverfahren auch die Stellung der Gläubiger typisiert eher gestärkt denn geschwächt wird. Ausgangspunkt hierfür ist die Überlegung, dass das Nachforderungsrecht des § 201 I InsO (§ 164 I KO) – wenn überhaupt – nur de jure, nicht aber de facto besteht:310 So wird ihm bei juristischen Personen beziehungsweise Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person persönlich haftender Gesellschafter ist, schon de jure die Grundlage entzogen, indem die Gesellschaft in der Regel aufgelöst (§§ 161 II, 131 I Nr. 3, II 1 Nr. 1 HGB, § 60 I Nr. 4, 5 GmbHG, § 262 I Nr. 3, 4 AktG) und im Handelsregister gelöscht wird.311 Hingegen besteht es bei natürlichen Personen zwar de jure fort, de facto sind Forderungen bei völlig überschuldeten Anspruchsgegnern in der Regel aber kaum mehr eintreibbar und erzielen daher auf dem Vermögensmarkt auch nur einen Bruchteil ihres Nominalwertes. 312 Dass die Außenstände im Laufe der Zeit noch eingetrieben werden können, ist umso unwahrscheinlicher, als der Schuldner angesichts der ihm drohenden lebenslangen Überschuldung oftmals keine Motivation mehr haben wird, seine Arbeitskraft einzusetzen, weil er letztlich sowieso nur für die Gläubiger arbeiten würde.313 Rein ökonomisch betrachtet lohnt sich für ihn die Leistung auf dem legalen Arbeitsmarkt nicht mehr.314 Dann aber ist es äußerst wahrscheinlich, dass er entweder „die Hände in den Schoß legt“ und sich auf die – unpfändbare – Sozialhilfe verlässt, oder aber – für die Gläubiger praktisch nicht kontrollierbar – 307
Vgl. auch BT-Drucks. 12/2443: „Für den ehemaligen Gemeinschuldner bedeutet das Nachforderungsrecht der Gläubiger jedoch ein wesentliches Hindernis für einen wirtschaftlichen Neubeginn. Er muß sich nicht selten sein Leben lang mit dem pfändungsfreien Teil seines Arbeitseinkommens begnügen.“ (S. 188). – „Infolgedessen sind selbst junge Schuldner häufig bis an ihr Lebensende der Rechtsverfolgung der Konkursgläubiger ausgesetzt.“ (S. 81). 308 BT-Drucks. 12/2443, S. 82, 188. 309 KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 62; ders., DGVZ 1993, 81, 82, 84; MüKo-InsO/Stephan, § 286, Rn. 8; Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 306; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 28 ff.; vgl. auch FK-InsO/Ahrens, § 286, Rn. 9 f.; Nerlich/Römermann, InsO, Vorbemerkung vor §§ 286–303, Rn. 3; kritisch hingegen Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 56a a.E. 310 Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 56. 311 BT-Drucks. 12/2443, S. 188; BVerfG 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125 (juris Rn. 23). 312 BT-Drucks. 12/2443, S. 188; Kocher, DZWIR 2004, 187, 189; BVerfG 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125 (juris Rn. 23); Hoppe, Recht auf Existenz, S. 171. 313 Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 306; Pape, ZInsO 2002, 951. 314 Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 306; Pape, ZInsO 2002, 951.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
seine Arbeitskraft in der Schattenwirtschaft anbietet. Das Ergebnis ist in beiden Fällen identisch: Die an sich bestehenden Forderungen sind in praxi nicht mehr zu realisieren. Während also das freie Nachforderungsrecht typischerweise kein geeignetes Verfahren zur effektiven Haftungsverwirklichung im Zwangsvollstreckungsverfahren darstellt,315 bietet das Restschuldbefreiungsverfahren angesichts seiner für den Schuldner überschaubaren und damit seine Motivation nicht oder kaum beeinträchtigenden, maximal sechsjährigen Abtretungsfrist samt der Obliegenheit, während dieser Zeit eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben beziehungsweise sich um eine solche zu bemühen (§§ 287b, 295 I Nr. 1 InsO), den Gläubigern immerhin die Chance, einen Teil ihrer Forderungen – über die bereits erlangte Insolvenzquote hinaus – realisieren zu können. Zusammengefasst lässt sich somit festhalten, dass das Restschuldbefreiungsverfahren unzweifelhaft den Interessen der unmittelbar von ihm Betroffenen dient. Nun kann und soll zwar auch gar nicht geleugnet werden, dass mit den §§ 286 ff. InsO auch Interessen der Allgemeinheit gedient werden soll, wie insbesondere die Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte zeigt: Wenn mittels des Restschuldbefreiungsverfahrens verhindert werden kann, dass ein von der Last seiner Verbindlichkeiten erdrückter Schuldner kapituliert und jegliches Bemühen um die Bestreitung seines Lebensunterhalts durch eigene Arbeitsleistung einstellt, wird nicht nur „Mut zum Aufbruch in die Selbständigkeit“316 gemacht, sondern es werden auch volkswirtschaftliche Kosten vermieden, und zwar direkte (vor allem Aufwendungen für Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII) wie indirekte (anderenfalls erfolgende Verschwendung von Humankapital, Abgleiten in die Schattenwirtschaft, Kaufkraftverlust).317 Aber: Das Restschuldbefreiungsverfahren wurde eben nicht dieser Vorzüge willen eingeführt, sondern um dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen. Eventuelle (positive) Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind somit als bloße Reflexe der primär auf die Regelung des Verhältnisses der Privatrechtssubjekte Gläubiger und Schuldner zugeschnittenen §§ 286 ff. InsO zu bewerten. Das sieht auch Christmann – der in der Restschuldbefreiung eine (unzulässige) Administrativenteignung erblickt – nicht anders,318 verkennt dann aber im Folgenden, dass gerade aus diesem Grund keine Enteignung vorliegt. 315
KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 62. BT-Drucks. 17/11268, S. 13. 317 BT-Drucks. 17/11268, S. 20; vgl. auch schon BT-Drucks. 12/2443, S. 81: „Auch geeignete Persönlichkeiten werden von der Gründung einer selbständigen Existenz abgeschreckt. Der regelmäßig geringe wirtschaftliche Wert des Nachforderungsrechts steht schwerlich in einem angemessenen Verhältnis zu den gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Kosten der häufig lebenslangen Schuldenhaftung.“. 318 Christmann, DGVZ 1992, 177, 179: Die Restschuldbefreiung diene in Wahrheit gar nicht dem Wohle der Allgemeinheit, geschützt würden nur die Interessen des nicht die Allgemeinheit repräsentierenden Schuldners. 316
B. Restschuldbefreiung
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Stattdessen sind die §§ 286 ff. InsO als Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu charakterisieren, die durch die richterliche Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung aktualisiert werden.319 Denn sie beschränken das mit der Inhaberschaft an einer obligatorischen Forderung verbundene grundrechtlich geschützte Eigentum in genereller und abstrakter Weise dergestalt, dass der Forderung durch die Erteilung der Restschuldbefreiung die Durchsetzbarkeit genommen wird.320 c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Restschuldbefreiung Als Inhalts- und Schrankenbestimmung ist die Restschuldbefreiung zulässig, wenn die Vorgaben des Art. 14 I, II GG erfüllt sind, das heißt sie insbesondere einem legitimen Ziel dient und verhältnismäßig ist. aa) Legitimes Ziel Das Restschuldbefreiungsverfahren, an dessen Ende idealiter die Schuldbefreiung steht, soll dem Schutz des Schuldners dienen. Im vorliegenden Zusammenhang relevant ist das aber nur, wenn sich dieses Interesse verfassungsrechtlich verorten lässt. Als Anknüpfungspunkt kommt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 I, 2 I GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip in Betracht. Dagegen ist richtigerweise Art. 14 GG nicht heranzuziehen, da das Eigentum des Schuldners insoweit nur in seiner Haftungsfunktion betroffen ist.321 Auch die Menschenwürde sollte nicht bemüht werden,322 weil eine extensive Auslegung des Art. 1 I GG den Nachteil hat, dass angesichts ihrer von der ganz herrschenden Meinung323 befürworteten und mit Blick auf den Wortlaut des Art. 1 I 1 GG („unantastbar“) auch zutreffenden Nichteinschränkbarkeit der Spielraum für den flexiblen Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen 319 Smid, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 139, 152; vgl. auch Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 280 ff.; für Inhalts- und Schrankenbestimmung ohne Betonung der richterlichen Aktualisierung z.B. Ahrens, ZInsO 2002, 1010, 1015; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 54; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 286, Rn. 12; AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676 (das sie als solches aber für unzulässig hält); vgl. auch BVerfGE 92, 262, 269 ff., nach dem der vormalige § 14 I 1 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO), demzufolge der Verwalter nach Ablauf der Anmeldefrist eingehende Forderungsanmeldungen nur unter bestimmten Voraussetzungen noch anzuerkennen hatte, so dass ein zu spät kommender Gläubiger unter Umständen nicht einmal mehr die Insolvenzquote erhielt, eine Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellte. 320 Zur zivilrechtsdogmatischen Qualifikation siehe näher § 2 B III. 321 Ebenso KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 67; ähnlich Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 288. 322 Anders die h.M., die meist auch auf die Menschenwürde des Schuldners verweist, vgl. z.B. Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 286, Rn. 12; Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 289; Pehl, in: Braun, InsO, § 286, Rn. 4; KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 67; FK-InsO/ Ahrens, § 286, Rn. 5e; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht II, 5.57 und 6.24; Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 161; ähnlich wie hier dagegen Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 528. 323 BVerfGE 75, 369, 380; 93, 266, 293; BeckOK-GG/Hillgruber, Art. 1, Rn. 10 m.w.N.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
auf null reduziert wird. Mit anderen Worten ist der Gefahr vorzubeugen, durch eine vorschnelle Überdehnung des Schutzbereichs der Menschenwürde die in einer pluralistischen Gesellschaft notwendige Balance verschiedener Interessen nicht mehr herbeiführen zu können.324 Das „nur“ über Art. 2 I, 1 I GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht hingegen ist einer solchen Abwägung durchaus zugänglich.325 Unabhängig von diesem allgemeinen grundrechtsdogmatischen Ausgangspunkt überzeugt es auch in der Sache nicht, den Schutz vor Überschuldung zum Ausfluss der Menschenwürde zu erklären. Denn dies suggeriert, dass ein Leben in Überschuldung mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist, womit aber gerade verkannt wird, dass die Würde des menschlichen Lebens nicht von materiellen Reichtümern abhängt. Irreführend sind auch die Versuche, die Einschlägigkeit der Menschenwürde durch einen Vergleich mit der Rechtsprechung des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe326 zu begründen.327 Denn die mit einer persönlichen Freiheitsentziehung verbundenen Beschränkungen und Belastungen sind qualitativ ganz andere als diejenigen, die mit einem zwar am Existenzminimum gefristeten, aber in Freiheit verbrachten Leben einhergehen. Dieser Unterschied droht durch reißerische (Kampf-)Rhetorik à la „lebenslanger Schuldturm“ oder „Schuldknechtschaft“ verdeckt zu werden. Schließlich lässt sich daraus, dass nach ganz herrschender Meinung328 aus Art 1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG) ein subjektiv-öffentliches Recht auf Existenzminimum hergeleitet wird, nicht begründen, dass die §§ 286 ff. InsO unter die Menschenwürde fallen. Denn um die Sicherung des Existenzminimums geht es bei den §§ 286 ff. InsO nicht, das wird vielmehr über öffentliche Sozialleistungen und Pfändungsfreigrenzen (§§ 850 ff. ZPO) gewährleistet. Anders als die Menschenwürde ist aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners durch seine dauerhafte Beschränkung auf den pfändungsfreien Betrag (§§ 850 ff. ZPO) seines Einkommens betroffen.329 Wer derart wirtschaftlich eingeengt ist und strukturell angesichts des drückenden Schuldenbergs selbst bei Anstrengung all seiner Kräfte keinerlei Aussicht auf eine Verbesse324
Ähnlich Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1, Rn. 73. Z.B. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2, Rn. 37; BeckOK-GG/Lang, Art. 2, Rn. 52. 326 BVerfGE 45, 187, 245: „Der Kern der Menschenwürde wird getroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muss.“. 327 KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 67 mit Fn. 112. 328 BVerfGE 40, 121, 133; 45, 187, 228; BVerwGE 1, 159, 161 f.; 82, 364, 368; BSGE 57, 59, 63 ff.; Neumann, NVwZ 1995, 426 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1, Rn. 121 m.w.N. 329 Vgl. auch BVerfGE 92, 262, 273: Zur Rechtfertigung des Ausschlusses von verschuldet zu spät angemeldeter Forderungen von der Quotenbefriedigung nach § 14 I 1 GesO bezog sich der 1. Senat zwar nicht explizit auf das Persönlichkeitsrecht des Schuldners, aber doch auf dessen (berechtigtes) Interesse daran, einen wirtschaftlichen Neuanfang wagen zu können. 325
B. Restschuldbefreiung
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rung seiner Situation hat, wird in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht unerheblich beeinträchtigt.330 Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist dann in vielen Bereichen nur äußerst eingeschränkt möglich, umso mehr, als mit der wirtschaftlichen Beengung, die den Zugang zu vielen in konsumorientierten Gesellschaften als wichtig angesehenen Errungenschaften und Möglichkeiten naturgemäß beschränkt, oftmals auch eine soziale Ausgrenzung und Ächtung verbunden ist, die sich – anders als vielleicht materielle Schulden durch eine glückliche Fügung – meist kaum überwinden lassen.331 Eine „Chance zum Neuanfang“ hat vor allem derjenige Schuldner verdient, der schicksalsbedingt in diese Situation geraten ist, zum Beispiel weil er infolge einer allgemeinen Wirtschaftskrise oder einer Erkrankung seinen Arbeitsplatz verloren hat und deshalb noch zu guten Zeiten eingegangene Schulden nicht mehr bedienen kann.332 Die Möglichkeit eines „fresh-start“ entspricht in solchen Fällen biblischen Gerechtigkeitsvorstellungen und dem in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung Ausdruck verliehenen Gedanken des „pursuit of happiness“.333 Nichts anderes ist anzunehmen, wenn die Schuldenlast auf leicht fahrlässigem oder noch vertretbar riskantem Verhalten beruht. Ein Beispiel für ersteres ist der von einem nicht haftpflichtversicherten Fahrradfahrer verursachte Unfall, der zu erheblichsten Personenschäden führt,334 für zweiteres der Einzelkaufmann, der eine risikoreiche und – wie sich später herausstellt – falsche unternehmerische Entscheidung trifft, die ihn in den Ruin treibt. Auch mit dem in Art. 20 I 2, 28 I 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip wäre es schwerlich vereinbar, solchen Schuldnern keinen Schutz angedeihen zu lassen. Pfändungsschutz (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO) und Restschuldbefreiung sind hierfür wichtige Bausteine.335 330 Vgl. auch BVerfGE 97, 350, 371: „Geld ist geprägte Freiheit; es kann frei in Gegenstände eingetauscht werden.“ (Hervorhebung hier). 331 In diese Richtung auch BVerfG 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859, 1860: Danach verstieß es gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes, dass Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten können, insbesondere über das ererbte Vermögen hinaus. Denn damit werde es möglich, dass die Eltern Regelungen treffen, die verhindern, „daß der volljährig Gewordene nicht mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreicht“. Volljährigen müsse aber ein Raum bleiben, „um ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die sie nicht zu verantworten haben.“ In Umsetzung der Entscheidung schuf der Gesetzgeber § 1629a BGB (zur Entstehungsgeschichte vgl. Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 1 ff. m.w.N.). 332 KBP/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 67; vgl. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 26.02. 333 Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ (Hervorhebung hier); vgl. auch MüKo-InsO/Stürner, Einleitung, Rn. 93; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht II, 6.24. 334 Beispiel nach Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht II, 6.24. 335 Zu weitgehend allerdings Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 308: In einem „so-
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Dagegen ist ein Schuldner, der vorsätzlich oder leichtfertig seine Überschuldung herbeigeführt hat, zwar ebenfalls schutzbedürftig, aber nicht vergleichbar schutzwürdig – eine lebenslängliche Forthaftung würde hier vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund vertretbar erscheinen.336 Angesichts dessen überrascht es nicht, dass auch der Gesetzgeber des Restschuldbefreiungsverfahrens den „redlichen Schuldner“ im Blick gehabt hat, der mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche zu einem „gläubigerfreundlichen Verhalten vor, während und nach dem Insolvenzverfahren motiviert“ werden sollte (vergleiche § 1 S. 2 InsO).337 Zumindest der Schutz solcher Schuldner ist unzweifelhaft ein legitimes Ziel, das dem Eigentumsgrundrecht der Gläubiger entgegengehalten werden kann.338 bb) Geeignetheit des Restschuldbefreiungsverfahrens zur Erreichung dieses Ziels Hinsichtlich der Eignung eines Mittels zur Erreichung der mit ihm erstrebten legitimen Ziele ist dem Gesetzgeber ein beträchtlicher Prognosespielraum einzuräumen339, so dass nur offenkundig ungeeigneten Maßnahmen die verfassungsrechtlichen Weihen zu versagen sind.340 An der Eignung des Restschuldbefreiungsverfahrens daran, die angestrebte Befreiung des Schuldners von seiner Schuldenlast und den damit bezweckten zialen Rechtsstaat [sei es] nicht hinnehmbar […], einen Schuldner lebenslang an selbstbestimmter wirtschaftlicher Betätigung zu hindern.“ Damit wird übersehen, dass die Möglichkeit der Pfändung des über den Grenzen der §§ 850 ff. ZPO hinausgehenden Einkommens zwar den Anreiz des Schuldners, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, senken mag, er daran aber weder von staatlicher noch dritter Seite irgendwie gehindert wird. 336 Ebenso Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht II, 6.24; vgl. BVerfGE 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859, 1860 zu § 1629a BGB: Volljährigen müsse ein Raum bleiben, „um ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die sie nicht zu verantworten haben.“ (Hervorhebung hier). 337 BT-Drucks. 12/2443, S. 188. 338 Überzogen erscheint es hingegen, aus Art. 1 I, 2 I GG unter dem Aspekt der gesetzgeberischen Schutzpflicht gar ein verfassungsrechtliches Gebot zur Schaffung eines Restschuldbefreiungsverfahrens herzuleiten (in diese Richtung aber Wochner, BB 1989, 1065, 1067; MüKo-InsO/Stürner, Einleitung, Rn. 93; Bruns, KTS 2008, 43, 49: wie hier AG Duisburg 15.6.1999 – 60 IK 16/99, NZI 1999, 373, 380). Denn selbst wenn man aus der Menschenwürde des Schuldners bzw. seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine Chance auf einen Neuanfang herleiten will, ist es zunächst dem Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen, wie er eine lebenslange Überschuldung verhindert (allgemein zur staatlichen Schutzpflicht oben und dem dort bestehenden Prognosespielraum vgl. § 1 F III). So beständen durchaus Alternativen, z.B. die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel (siehe dazu unten § 3 B) oder die Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff. ZPO. Welchen dieser Wege er wählt, muss aber dem Gesetzgeber überlassen bleiben. 339 BVerfGE 53, 257, 293; KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 65; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 1, Rn. 281. 340 Der Prüfungsansatz ist daher letztlich ein eher negativer, weil nur schlechthin ungeeignete Maßnahmen ausgeschieden werden, Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1, Rn. 279 m.w.N.
B. Restschuldbefreiung
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Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu fördern, bestehen keine Bedenken. Zwar ist der Schuldner über einen Zeitraum von immerhin bis zu sechs Jahren auf den pfändungsfreien Teil seines Einkommens beschränkt, im Vergleich zum freien Nachforderungsrecht (§ 201 I InsO/§ 164 I KO), das ein „wesentliches Hindernis für einen wirtschaftlichen Neubeginn“341 des Schuldners darstellt, steht er aber dennoch deutlich besser. Fraglich könnte allein sein, ob die §§ 286 ff. InsO genügend Mechanismen enthalten, um sicherzustellen, dass auch wirklich nur schutzwürdige – in der Diktion des Gesetzgebers: redliche (§ 1 S. 2 InsO) – Schuldner Gelegenheit zur Schuldbefreiung erhalten.342 Das AG München verneint das, insbesondere weil die Versagungsgründe des § 290 I InsO meist leerliefen, da das Insolvenzgericht sie nicht von sich aus prüfen muss, sondern erst nach einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch einen Gläubiger (§ 290 II InsO), die von deren Vorhandensein aber kaum Kenntnis erlangen könnten;343 auch von Verstößen gegen die Obliegenheiten des § 295 InsO könnten Gläubiger mangels gesetzlich angeordneter Überwachung meist keine Kenntnis erlangen, so dass sie den für die Versagung der Restschuldbefreiung erforderlichen Antrag (§ 296 InsO) nicht stellen könnten.344 Unabhängig von einer möglichen rechtspolitischen Kritik an der genauen Ausgestaltung der §§ 286 ff. InsO ist im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Bewertung der weite Prognosespielraum des Gesetzgebers zu beachten. Dieser hat unter anderem mit den §§ 290, 295 ff. InsO Regelungen erlassen, die er als erforderlich, aber offenkundig auch als ausreichend ansah, um sicherzustellen, dass nur redliche Schuldner, die sich ihren Gläubigern gegenüber nichts haben zuschulden kommen lassen, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung erhalten sollen (§ 290 InsO)345 beziehungsweise um zu gewährleisten, dass sich der Schuldner nach Kräften bemüht, seine Gläubiger so weit wie möglich zu befriedigen (§§ 287b, 295 InsO)346. Der Gesetzgeber war also erkennbar bestrebt, das allgemeine Postulat des § 1 S. 2 InsO, nur redlichen Schuldnern den Weg zur Schuldenbefreiung zu eröffnen, umzusetzen. Entgegen der pauschalen Behauptung des AG München ist nicht zu erkennen, dass dies dem Gesetzgeber nicht gelungen ist. Im Gegenteil, sind doch zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Gerichte entweder bereits nach §§ 290, 291 InsO (a.F.)347 die Ankündi341
BT-Drucks. 12/2443, S. 188. Kritisch und auch aus diesem Grund die §§ 286 ff. InsO für verfassungswidrig haltend AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676, 677; 9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456, 457. 343 AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676, 678; 9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456, 460. 344 AG München 9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456, 461. 345 BT-Drucks. 12/2443, S. 190 zu § 239–E. 346 BT-Drucks. 12/2443, S. 192 zu § 244–E. 347 Als kleine Auswahl seien genannt: BayObLG 8.10.2001 – 4Z BR 28/01, ZInsO 2001, 342
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
gung (heute: § 287a I InsO – Zulässigkeitserklärung) beziehungsweise in der Folge wegen Obliegenheitsverletzungen die Erteilung der Restschuldbefreiung versagten, §§ 295, 296 InsO348. Hinzu kommt, dass gerade durch die jüngste Reform der §§ 286 ff. InsO die Mechanismen, die unredliche Schuldner „auszusortieren“ helfen sollen, verbessert wurden. Zu nennen ist in formeller Hinsicht vor allem die Änderung des § 290 I InsO, nach der es nicht mehr erforderlich ist, dass ein Versagungsantrag bei persönlicher Anwesenheit im Schlusstermin gestellt werden muss, sondern vielmehr ein schriftlicher Antrag genügt; damit will der Gesetzgeber verhindern, dass – wie in der Vergangenheit öfters beobachtet – Versagungsanträge nur deshalb unterbleiben, weil die Gläubiger den mit der Anreise zum Schlusstermin verbundenen Aufwand scheuen.349 Anzuführen ist ferner die Schaffung von § 297a InsO, wonach entgegen bisheriger Rechtslage die Versagungsgründe nach § 290 InsO auch dann noch geltend gemacht werden können, wenn der Restschuldbefreiungsantrag vom Gericht nach § 287a I InsO für zulässig erklärt wurde. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Restschuldbefreiung nur deshalb erteilt werden muss, weil ein Versagungsgrund zum Zeitpunkt des Schlusstermins nicht bekannt war.350 Angesichts dieses Befundes kann keine Rede davon sein, die §§ 286 ff. InsO seien zur Erreichung des Ziels der Befreiung nur redlicher Schuldner vollkommen ungeeignet.351 cc) Erforderlichkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens Erforderlich ist ein Mittel dann, wenn es das relativ mildeste ist, mit anderen Worten unter mehreren, zur Erreichung des angestrebten Ziels gleich geeigneten Mitteln dasjenige ist, das den Betroffenen am weitestgehenden schont.352 Auch insoweit ist dem Gesetzgeber ein weiter Prognosespielraum einzuräumen und sind nur Fälle eindeutig fehlender Erforderlichkeit zu beanstanden.353 Es ist nicht ersichtlich, auf welchem anderen, gleich geeigneten, die Gläubiger aber schonenderen Weg das mit der Restschuldbefreiung erstrebte Ziel hätte ver1061; OLG Celle 5.4.2001 – 2 W 8/01, ZInsO 2001, 414 (jeweils zu § 290 I Nr. 1 InsO a.F.); BGH 12.11.2009 – IX ZB 98/09, n.v.; LG Stuttgart 9.1.2001 – 19 T 394/2000, ZInsO 2001, 134; (jeweils zu § 290 I Nr. 2 InsO); AG Göttingen 6.5.2010 – 71 IN 14/04, ZInsO 2010, 1012; LG Stralsund 18.6.2008 – 2 T 369/07, ZInsO 2009, 53 (jeweils zu § 290 I Nr. 4 InsO a.F.); BGH 15.4.2010 – IX ZB 175/09, ZInsO 2010, 926; LG Potsdam 21.4.2009 – 5 T 263/09, ZInsO 2009, 1415 (je zu § 290 I Nr. 5 InsO a.F.); BGH 22.2.2007 – IX ZB 120/05, ZInsO 2007, 446; 12.7.2007 – IX ZB 129/04, WuM 2007, 469 (jeweils zu § 290 I Nr. 6 InsO a.F.). 348 Vgl. z.B. BGH 24.9.2009 – IX ZB 288/08, ZInsO 2009, 2069 (zu § 295 I Nr. 1 InsO); AG Mannheim 29.4.2010 – IK 323/04, NZI 2010, 490 (zu § 295 I Nr. 3 InsO); AG Göttingen 2.3.2009 – 74 IN 137/02, ZInsO 2009, 934 (zu § 295 I Nr. 4 InsO). 349 BT-Drucks. 17/11268, S. 27. 350 BT-Drucks. 17/11268, S. 15, 29. 351 So i.E. auch KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 65. 352 St. Rspr., vgl. z.B. BVerfGE 100, 313, 375; 110, 141, 164. 353 St. Rspr., vgl. z.B. BVerfGE 25, 1, 19 f.; 102, 197, 218; 116, 202, 225.
B. Restschuldbefreiung
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wirklicht werden können. Insbesondere wäre mit der Erhöhung der Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff. ZPO kein gleichermaßen effektiver Schutz des Schuldners vor einer lebenslangen Schuldenfalle verbunden gewesen – im Gegenteil, da der Schuldner monatlich dann weniger abliefern müsste, müsste er seine Schulden noch um einen entsprechend längeren Zeitraum hinweg abtragen. Auch einzelne Haftungsbegrenzungsinstrumente, die den Schuldner in bestimmten Situationen vor einer zu weitgehenden Haftung schützen sollen, sind nicht gleichermaßen geeignet wie das Restschuldbefreiungsverfahren, eine lebenslange Überschuldung zu verhindern. Das gilt zum Beispiel für Haftungshöchstsummen, die zwar einer ruinösen Haftung vorbeugen sollen354, aber schon angesichts ihrer zum Teil erheblichen Beträge nicht immer verhindern können, dass ein Schuldner durch einen einzigen Haftungsfall derart verschuldet wird, dass er die Verbindlichkeit – ohne Restschuldbefreiungsverfahren – sein Leben lang abtragen müsste. Gleiches gälte für die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel, die eine richterliche Anspruchskürzung auf ein mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schuldners zu vereinbarendes Maß ermöglichen würde. Denn auch sie böte keinen gleichwertigen Schutz, weil erstens der Schuldner dann vollständig dem typischerweise bei solchen Klauseln weiten Ermessen des erkennenden Richters ausgeliefert wäre und sie zweitens ohnehin nur bei Schadensersatzansprüchen weiterhelfen könnte.355 Schließlich wäre die Schaffung einer „beschränkten Restschuldbefreiung“356 vergleichbar der des mittlerweile außer Kraft getretenen § 18 II 3 GesO357, nach der eine Vollstreckung nach Bestätigung des sogenannten Verteilungsvorschlags zwar grundsätzlich ausgeschlossen, bei Vermögensneuerwerb des Schuldners über ein angemessenes Einkommen hinaus aber ausnahmsweise zulässig war, zwar ein die Gläubiger schonenderes, aber kein gleich geeignetes Mittel zum Schuldnerschutz gewesen.358 dd) Angemessenheit/Proportionalität Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle im engeren Sinne ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigung des Grundrechts in einem angemessenen, vernünftigen Verhältnis zu den mit der Beeinträchtigung verfolgten Zielen 354
Siehe ausführlich § 2 A III 1. Zu Reduktionsklauseln siehe näher unten § 3 B. 356 So die treffende Charakterisierung des § 18 II 3 GesO von Steder, ZIP 1997, 59; Rendels, WiB 1997, 91. 357 § 18 Abs. 2 GesO lautete: „Nach Bestätigung des Verteilungsvorschlags durch das Gericht hat der Verwalter die Verteilung vorzunehmen und den Gläubigern, deren Forderungen ganz oder teilweise nicht erfüllt wurden, […] mitzuteilen, daß die nichterfüllte Forderung gegen den Schuldner im Wege der Vollstreckung geltend gemacht werden kann. […] Eine Vollstreckung fi det nur statt, soweit der Schuldner über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt; dies gilt nicht, wenn der Schuldner vor oder während des Verfahrens vorsätzlich oder grob fahrlässig zum Nachteil seiner Gläubiger gehandelt hat.“ (Hervorhebungen hier). 358 Ebenso Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 286. 355
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
steht.359 Die geförderten Belange und das Ausmaß des angestrebten Nutzens sind den beeinträchtigten Rechtsgutspositionen und dem Gewicht ihrer Verkürzung gegenüberzustellen.360 (1) Der Verlust des freien Nachforderungsrechts als Argument gegen die Angemessenheit der §§ 286 ff. InsO? Insbesondere das AG München, nach dessen Aussagen die Gläubiger in „nahezu allen [Restschuldbefreiungs-]Verfahren völlig leer“ ausgehen, sieht die Rechte und Pflichten von Schuldner und Gläubiger als nicht in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht.361 In der Tat lässt sich schwerlich leugnen, dass auf den ersten Blick die Gläubiger durch das Restschuldbefreiungsverfahren eine ganz erhebliche Einbuße zu erleiden scheinen, weil angesichts der – aus ihrer Sicht – zwangsweisen Umwandlung ihrer Forderungen in Naturalobligationen diese nicht nur de facto, sondern mangels Durchsetzbarkeit auch de jure wertlos werden. Im „worst case“ erhalten die Gläubiger während der Abtretungsfrist nichts und ihnen wird mit § 301 I InsO die – immerhin theoretisch bestehende – Hoffnung genommen, dass der Schuldner zu einem späteren, innerhalb der Verjährungsfrist liegenden Zeitraums doch noch zu Geld kommt und sie sich dann befriedigen können. Hinzu kommt, wie das AG München362 moniert, dass die Chance der Gläubiger, während der Abtretungsfrist ihre Forderungen zu realisieren, dadurch vermindert wird, dass der Schuldner – e contrario § 295 I Nr. InsO – Schenkungen und Lottogewinne zu 100 % behalten darf.363 Überdies kann der Schuldner dem letzten Jahr der Abtretungsfrist entkommen, wenn er – was den Gläubigern aber nichts nützt – die Verfahrenskosten begleichen kann (§ 300 I 2 Nr. 3 InsO). Bei einem genaueren Blick sind diese Argumente aber letztlich nicht überzeugend. Das beginnt damit, dass die Befriedigungsquoten zwar in der Tat nicht berauschend sind, entgegen der pessimistischen Einschätzung des AG München die Gläubiger aber nicht in praktisch allen Verfahren „völlig leer[ausgehen]“. Auch wenn verlässliche bundesweite statistische Daten momentan noch fehlen, geht der Gesetzgeber auf Basis vereinzelter lokaler Erhebungen und Schätzungen der Bundesländer beziehungsweise mit der Materie in der Praxis Vertrauter von einer durchschnittlichen Befriedigungsquote im Insolvenzverfahren selbst – das heißt ohne Berücksichtigung der nach § 287 II 1 InsO abgetretenen Beträge – von 359 Vgl. z.B. BVerfGE 90, 145, 185; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1, Rn. 278 (soweit es dort um die Vorteile für die Allgemeinheit geht, sind die Aussagen entsprechend auf die vorliegende Konstellation eines primär auf den Ausgleich konfligierender privater Interessen gerichteten Verfahrens zu münzen). 360 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 154. m.w.N. 361 AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676 (über 90 % der Verfahren). 362 AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676, 677; 9.6.2004 – 1507 IN 39/02, NZI 2004, 456, 461. 363 Ganz h.M., vgl. nur FK-InsO/Ahrens, § 295, Rn. 40 m.w.N.
B. Restschuldbefreiung
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circa 4–9 % aus.364 Sollte die zum 1.7.2014 geschaffene Möglichkeit des Schuldners, durch Begleichung von mindestens 35 % der Forderungen frühzeitig Restschuldbefreiung erlangen zu können (§ 300 I 2 Nr. 2 InsO), tatsächlich wie vom Gesetzgeber erhofft zu einer deutlichen Anreizsteigerung für den Schuldner führen, könnten sich die Befriedigungsquoten der Gläubiger weiter erhöhen. Aber selbst wenn die Befriedigungsquoten in der Tat sehr gering sein sollten und sich das auch künftig nicht ändern sollte, wäre die Sichtweise des AG München insoweit „schief“, als es offenbar dem geltenden Recht der Restschuldbefreiung einen – überspitzt formuliert – paradiesischen Zustand effektiver Forderungsdurchsetzungsmöglichkeit bei einem freien Nachforderungsrecht (§ 164 I KO/§ 201 I InsO) gegenüberstellt. Es darf aber nicht übersehen werden, dass dieses Nachforderungsrecht in den meisten Fällen schon immer wirtschaftlich wenig, in Extremsituationen sogar gar nichts wert war, vor allem bei Schuldnern, bei denen das Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren nur durch eine Stundung der Verfahrenskosten (§§ 4a ff. InsO) ermöglicht wird.365 Denn nur in den seltensten Fällen waren und sind Gläubiger in der Lage, bei einem hoffnungslos überschuldeten Schuldner noch Jahre oder gar Jahrzehnte nach Verfahrensbeendigung ihre Forderungen einzutreiben. Erstens sind die Chancen, dass der Schuldner durch einen späteren Lottogewinn, eine reiche Erbschaft oder großzügige Schenkung vermögend wird, statistisch betrachtet äußerst gering (und müsste der Gläubiger davon auch erst einmal Kenntnis erlangen).366 Und zweitens steigt – wie oben bereits ausgeführt367 – bei einem freien Nachforderungsrecht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuldner, der letztlich nur für die Befriedigung seiner Gläubiger arbeiten würde, jeglichen Anreiz dafür verliert, sich beruflich zu engagieren und damit für die Gläubiger verwertbare (Mehr-)Einkünfte zu erzielen.368 Diese Gesichtspunkte dürfen aber bei der Bewertung, wie stark die Restschuldbefreiung in das Eigentumsgrundrecht der Insolvenzgläubiger eingreift, nicht außer Acht gelassen werden. Es wäre daher ein Trugschluss, das Restschuldbefreiungsverfahren mit einem ideal gedachten, zur weitgehenden oder gar vollständigen Gläubigerbefriedigung führenden Nachforderungsrecht zu vergleichen. Gegenüberzustellen sind vielmehr die mit dem Restschuldbefreiungsverfahren einhergehenden Beeinträchtigungen für die Gläubiger einerseits, ihre realistischen Möglichkeiten, im Wege des Nachforderungsrechts ihre 364
BT-Drucks. 17/11268, S. 14 m.w.N. Siehe auch schon oben § 2 B II 1 b). 366 FK-InsO/Ahrens, § 286, Rn. 5d; vgl. auch BVerfGE 92, 262, 271 zu § 14 I 1 GesO: „Bei einer natürlichen Person liegt es kaum anders. Daß diese nach Abschluß des Gesamtvollstreckungsverfahrens zu Vermögen gelangt, ist wenig wahrscheinlich. Der Ausschluß bewirkt demnach in aller Regel, daß der Gläubiger seine Forderung noch nicht einmal mit der Quote des Gesamtvollstreckungsverfahrens durchsetzen kann.“. 367 § 1 F I 2. 368 BT-Drucks. 12/2443, S. 188; KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 62; Balz, ZRP 1986, 12, 16. 365
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Forderungen durchzusetzen, andererseits. Von dieser Warte aus betrachtet ist nun aber die Annahme des Gesetzgebers, dass die Insolvenzgläubiger durch das Restschuldbefreiungsverfahren typischerweise nicht nur nicht schlechter, sondern sogar besser gestellt werden, nicht zu beanstanden.369 Denn während das Nachforderungsrecht in aller Regel ein stumpfes Schwert ist, erscheint die Hypothese des Gesetzgebers durchaus plausibel, dass der Schuldner durch eine Kombination aus Anreizen (überschaubarer, durch erhebliche Anstrengungen sogar auf drei Jahre abkürzbarer Zeitraum) und Druck – Damoklesschwert der Versagung der Restschuldbefreiung bei Obliegenheitsverletzung, §§ 287b, 295 ff. InsO – dazu motiviert wird, während der Abtretungsfrist seine Arbeitskraft bestmöglich (auch) im Interesse der Gläubiger einzusetzen. Zwar mag es Fälle geben, in denen ex post ein freies Nachforderungsrecht für die Gläubiger günstiger gewesen wäre, weil der Schuldner überraschend später doch noch zu Geld kommt. Dabei dürfte es sich aber um Ausnahmefälle handeln, die hier vernachlässigt werden können, weil der Gesetzgeber beim Erlass abstrakt-genereller Normen berechtigt ist, sich an der typischen Situation (dem „Normalfall“) zu orientieren und eine darauf zugeschnittene Regelung zu erlassen. Auch das Argument des AG München 370, der mit dem Restschuldbefreiungsverfahren verbundene Ausfall von Forderungen könne gerade für kleine oder mittlere Handwerksbetriebe zu einer existenziellen Bedrohung führen, verfängt letztlich selbst dann nicht, wenn man die gesetzgeberische Annahme, dass auch die Gläubiger durch das Restschuldbefreiungsverfahren in aller Regel besser gestellt werden als beim freien Nachforderungsrecht, nicht teilt. Denn es ist nicht einzusehen, warum solche Handwerksbetriebe durch die Möglichkeit der Restschuldbefreiung von Privatpersonen stärker getroffen werden als durch die Insolvenz großer Kapitalgesellschaften. Das Gegenteil ist richtig: Die Gläubiger einer Privatperson stehen unter Umständen weit besser als die zum Beispiel einer GmbH; denn die GmbH wird durch das Insolvenzverfahren aufgelöst (§ 60 I Nr. 4, 5 GmbHG), eine Nachhaftung gibt es nicht. Konsequent zu Ende gedacht müssten viel eher diese Regelungen, aufgrund derer der Gläubiger stets auf die Insolvenzquote beschränkt ist, verfassungsrechtlich problematisch sein.371 (2) Schutzwürdigkeit des Gläubigers Zu dieser zumindest de facto typischerweise nicht erfolgenden Schlechterstellung der Gläubiger im Vergleich zu einem freien Nachforderungsrecht kommt hinzu, dass all diejenigen Gläubiger, die sich ihren Schuldner selbst 369
KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 66. AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676, 677. 371 Ähnlich Pape, ZInsO 2002, 951, 952; vgl. auch Ahrens, ZInsO 2002, 1010, 1016: Restschuldbefreiung ist nur die Angleichung der für die natürlichen Person geltenden Haftungsregelung an die nachinsolvenzrechtliche Haftung der Kapitalgesellschaften. 370
B. Restschuldbefreiung
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aussuchen konnten und eine entsprechend starke Verhandlungsposition innehatten, nur vermindert schutzwürdig erscheinen. So verhält es sich typischerweise dort, wo die schuldnerische Verpflichtung aus einem Vertragsverhältnis resultiert. Denn hier stellt das Zivilrecht eine Fülle von Instrumenten bereit, mit denen die Gläubiger schon bei Vertragsschluss das Risiko, bei Insolvenz ihres Schuldners mit ihrer Forderung auszufallen, wenn auch nicht ganz ausschalten, so doch zumindest erheblich reduzieren können.372 Pars pro toto seien genannt: Bei auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Vertragsverhältnissen kann sich der Gläubiger schon dadurch effektiv schützen, dass er auf Zug-um-Zug-Leistung besteht, § 320 BGB.373 Er kann ferner zum Beispiel auf einer dinglichen Absicherung per (Grund-)Pfandrechten oder der Stellung eines Bürgen oder weiteren Schuldners bestehen. In diesem Fall ist er geschützt, weil diese Sicherheiten von der Befreiungswirkung des § 301 I InsO nicht erfasst werden, § 301 II 1 InsO.374 Auch informativ kann sich der Schuldner schützen, zum Beispiel indem er eine SCHUFA-Auskunft einholt oder Einsicht in das elektronische „Insolvenzregister“ unter www.insolvenzbekanntmachungen.de nimmt; dort werden zum Beispiel die Daten über die Erteilung beziehungsweise Versagung einer Restschuldbefreiung für drei Jahre (SCHUFA)375 beziehungsweise sechs Monate (§ 3 II, I Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet) gespeichert. Seit dem 1.7.2014 wurde der informationsbasierte Gläubigerschutz ferner dadurch verbessert, dass gemäß § 303a ZPO Schuldner für drei Jahre (§ 882e I ZPO) ins Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) einzutragen sind, denen die Restschuldbefreiung versagt wurde oder denen gegenüber sie widerrufen wurde.376
372 Vgl. auch BVerfG 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125 (juris Rn. 19); Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 56a. 373 Wegen § 103 InsO ist er in diesem Fall insbesondere auch davor geschützt, dass zwischen Vertragsschluss und -erfüllung das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Denn wenn sich der Insolvenzverwalter dafür entscheidet, Erfüllung des Vertrags zu verlangen, muss er den Gläubiger als Massegläubiger (§ 55 I Nr. 2 InsO) befriedigen (vgl. Wegener, in: Uhlenbruck, InsO, § 103, Rn. 11). Hat der Gläubiger dagegen schon vor der Insolvenzeröffnung teilweise geleistet, wird sein Anspruch aufgesplittet (vgl. näher BGH 27.2.1997 – IX ZR 5/96, ZIP 1997, 688). 374 Das betont auch MüKo-InsO/Stephan, § 286, Rn. 13. 375 Ungerer, FPR 2006, 81, 82. – Da die Löschung immer erst zum Kalenderende des dritten Jahres erfolgt, beträgt die Speicherdauer bei einer im Januar erteilten/versagten Restschuldbefreiung fast vier Jahre. 376 Vgl. BT-Drucks. 17/11268, S. 33: „Das Fehlen einer zentralen Erfassung dieser Daten ist mit Blick auf das Informationsbedürfnis des Geschäftsverkehrs problematisch. Gerade die Kenntnis, dass einem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt oder widerrufen wurde, kann für die Einschätzung seiner Kreditwürdigkeit von erheblicher Bedeutung sein.“.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
(3) Sozialstaatlicher Schutz des Persönlichkeitsrechts des Schuldners Selbst wenn man entgegen der hier geteilten Auffassung des Gesetzgebers die Gläubiger durch die Schaffung des Restschuldbefreiungsverfahrens als schlechtergestellt ansähe,377 folgte daraus noch nicht die Verfassungswidrigkeit der §§ 286 ff. InsO. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Restschuldbefreiung – wie ausgeführt – dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners dient. Durch die §§ 286 ff. InsO erlangt er die Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang, den er bei einem freien Nachforderungsrecht meist nicht hat, umso mehr, als die Gläubiger bei Eintragung ihrer Forderungen in die Insolvenztabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil vollstrecken können (§§ 178 III, 201 II 1 InsO) und die Verjährung dreißig Jahre beträgt, § 197 I Nr. 5 BGB. Diese Chance auf einen „fresh-start“ kann dazu beitragen, die ansonsten mit dauerhafter Verschuldung einhergehende psycho-soziale Destabilisierung des Schuldners, die sich in Form gesteigerten Suchtverhaltens, Ehe- und Familienkrisen, sozialer Ausgrenzung bis hin zu Selbsttötungen äußern kann, zu verhindern.378 Zu bedenken ist ferner, dass durch die lebenslange Überschuldung nicht nur der Schuldner selbst, sondern auch sein familiäres Umfeld – vor allem Ehegatte und Kinder – betroffen sind, was insbesondere bei Kindern eine Einschränkung ihrer Erfahrungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten zur Folge hat.379 Die hohe Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Verein mit der allenfalls geringfügigen Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen und der – teilweisen – verminderten Schutzbedürftigkeit der Gläubiger spricht für die Verfassungskonformität der mit der Restschuldbefreiungserteilung verbundenen Eigentumsbeeinträchtigung der Gläubiger. (4) Interessen der Allgemeinheit Die §§ 286 ff. InsO wurden nun zwar primär zum Schutz des Schuldners eingeführt, eventuelle Reflexwirkungen auf die Interessen der Allgemeinheit sind aber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung dennoch zu berücksichtigen. Insoweit könnte man zunächst kritisch fragen, ob nicht die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung negative Auswirkungen hat, weil es zu einer Erosion der Zahlungs- und Sparmoral mit der Folge eines Anstiegs der Zahl der überschuldeten Haushalte kommen könnte, indem durch diese Regelungen der Eindruck vermittelt wird, dass die Nichterfüllung eingegangener Verpflichtungen von der Rechtsordnung toleriert wird und sich in gewisser Weise sogar auszahlen kann. Nun lässt sich zwar tatsächlich die Gefahr nicht ganz von der Hand 377 So z.B. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 56a, der daraus zu Recht aber nicht die Verfassungswidrigkeit der §§ 286 ff. InsO herleitet. 378 Vgl. KPB/Wenzel, InsO, § 286. Rn. 32. 379 BT-Drucks. 14/5990, S. 116 (Erster Armutsbericht).
B. Restschuldbefreiung
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weisen, dass einzelne Schuldner um kurzfristiger (Konsum-)Vorteile willen bereit sind, das Risiko hinzunehmen, später in die Privatinsolvenz samt Restschuldbefreiung gehen zu müssen. Angesichts der für den betroffenen Schuldner mit den §§ 286 ff. InsO verbundenen Härten und Nachteilen, insbesondere der immerhin bis zu sechsjährigen Reduktion auf das pfändungsfreie Existenzminimum, der im Vergleich zum BGB-Unterhaltsrecht strenger zu handhabenden Erwerbsobliegenheiten der §§ 287b, 295 I Nr. 1 InsO380 und der sonstigen Melde- und Mitwirkungspflichten während der Abtretungsfrist erscheint es aber unwahrscheinlich, dass sich eine solche Einstellung zu einem Massenphänomen entwickelt.381 Zudem wird durch das zeitlich beschränkte Wiederholungsverbot des § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO verhindert, dass ein Schuldner einen zulässigen Restschuldbefreiungsantrag stellen kann, wenn ihm in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag schon einmal Restschuldbefreiung erteilt wurde. Damit soll sichergestellt werden, dass das Restschuldbefreiungsverfahren als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dient und nicht Zuflucht für diejenigen ist, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen und die Rechtswohltat der Restschuldbefreiung wiederholt zur Verminderung der Schuldenlast einsetzen wollen.382 Angesichts des insgesamt 13–16jährigen Verfahrens- und Nachwirkungszeitraumes (drei bis sechs Jahre Abtretungsfrist plus zehn Jahre Wartefrist) dürfte es äußerst unwahrscheinlich sein, dass ein Schuldner in seinem Leben mehr als maximal zwei Restschuldbefreiungsverfahren durchläuft. Das gilt umso mehr, als es angesichts des dreijährigen SCHUFA-Eintrags von der erteilten Restschuldbefreiung an dem Schuldner schwerfallen dürfte, in dieser Zeit neue Schulden anzuhäufen, da Versandhäuser, Banken und so weiter regelmäßig eine SCHUFA-Auskunft einholen werden. Faktisch erhöht sich der Zeitraum für einen „Verschuldenszyklus“ daher auf 16–19 Jahre. Eine die öffentliche Zahlungsmoral untergrabende missbräuchliche Verwendung der §§ 286 ff. InsO ist daher nur in absoluten Einzelfällen zu befürchten, die im Rahmen einer generellen verfassungsrechtlichen Betrachtung vernachlässigt werden können.
380 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 192 (zu § 244–E): „Die Obliegenheit hat jedoch auch zum Inhalt, dass der Schuldner das ihm Mögliche tun muss, um durch die Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit oder, falls er ohne Arbeit ist, die Annahme einer zumutbaren Arbeit seinen Teil zur Gläubigerbefriedigung beizutragen. An die Zumutbarkeit im Sinne dieser Vorschrift sind strenge Anforderungen zu stellen. Anzunehmen ist zum Beispiel auch eine berufsfremde Arbeit, eine auswärtige Arbeit, notfalls auch eine Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeit. […] Die Obliegenheiten des Schuldners sind insoweit immer auch unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger zu sehen.“; siehe auch KPB/ Wenzel, § 295, Rn. 3 f.; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 544. 381 Vgl. auch Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch InsO, Kap. 8, Rn. 266: Die Gefahr „hemmungsloser Schuldenmacherei“ sei „völlig unbegründet“. 382 BT-Drucks. 12/2443, S. 190 (zu § 239–E).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Statt mit negativen ist – wie oben383 bereits ausgeführt – vielmehr insoweit mit günstigen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und damit die Interessen der Allgemeinheit zu rechnen, als der Schuldner, der wieder Hoffnung schöpfen kann, seinen Schulden irgendwann zu entkommen, eher bereit sein dürfte, sich durch eigene Arbeitsleistungen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn das führt nicht nur (positiv) zu einer Steigerung der Kaufkraft, des Steueraufkommens und der Investitionsbereitschaft, sondern verhindert zudem (negativ) ein Abgleiten des Schuldners in die Schattenwirtschaft. Die Interessen der Allgemeinheit sprechen somit ebenfalls für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. (5) Gesamtschau/Zusammenfassung Bei Abwägung aller Umstände ist die mit der Umwandlung der Insolvenzforderungen in Naturalobligationen prima vista verbundene Schlechterstellung der Insolvenzgläubiger nicht als Verletzung ihrer durch Art. 14 I GG geschützten Eigentümerstellung anzusehen.384 Erstens ist schon durchaus fraglich, ob sich die Position der Gläubiger im Vergleich zur Situation beim freien Nachforderungsrecht wirklich verschlechtert, oder ob sie nicht typischerweise sogar verbessert wird. Unabhängig davon sind die Gläubiger zweitens dann nur vermindert schutzwürdig, wenn sie – wie oftmals bei vertraglicher Grundlage der schuldnerischen Verpflichtung – das Risiko eines insolvenzbedingten Ausfalls zumindest hätten verringern können. Drittens ist auf Seiten des Schuldners das besondere Interesse, eine Chance auf einen Neuanfang zu erhalten, zu berücksichtigen, umso mehr, als oft nicht nur der Schuldner selbst von den Vorzügen einer Restschuldbefreiung profitiert, sondern auch sein familiäres Umfeld, vor allem seine Kinder. Das lebenslängliche Niederhalten des Schuldners auf dem Niveau pfändungsfreier Beträge ist in einem Sozialstaat nicht akzeptabel, wenn damit kaum oder nur geringe Vorteile für die Gläubiger verbunden sind.385 Schließlich ist auch den Interessen der Allgemeinheit in aller Regel mit dem Restschuldbefreiungsverfahren besser gedient. Die §§ 286 ff. InsO stellen daher insgesamt betrachtet und unter Berücksichtigung von Allgemeinwohlbelangen einen angemessenen Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger dar. Da es sich um eine definierte und begrenzte Ausnahmeregelung handelt, ist somit hinnehmbar, dass die vom Schuldner eigentlich zu erwartende Erreichung des Erfüllungserfolgs durch sein bloßes – wenn auch ernsthaftes – bis zu sechsjähriges Bemühen um die Herbeiführung dieses Erfolgs ersetzt wird.386 383
Siehe § 2 B II 1 b). So i.E. auch Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, Vorbemerkung zu § 286, Rn. 57; Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305, 306; FK-InsO/Ahrens, Vor §§ 286 ff., Rn. 5a ff.; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 286, Rn. 12; KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 56 ff.; Fischer, Rpfl ger 2007, 173 mit Fn. 2; MüKo-InsO/Stephan, § 286, Rn. 13 ff. jeweils m.w.N. 385 Ebenso Bruns, KTS 2008, 43, 49. 386 KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 35; Wimmer, BB 1998, 386, 387. 384
B. Restschuldbefreiung
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2. Verfassungswidrigkeit einzelner Regelungen Verstößt die Einführung eines Restschuldbefreiungsverfahrens also grundsätzlich nicht gegen das Grundgesetz, so schließt das nicht aus, dass einzelne Vorschriften aus dem Bereich der §§ 286 ff. InsO verfassungsrechtlich problematisch sind. So ist richtigerweise § 301 I 2 InsO insoweit verfassungswidrig, als selbst solche Forderungen von der Restschuldbefreiung erfasst werden, die vom jeweiligen Insolvenzgläubiger unverschuldet nicht angemeldet wurden.387 Und auch daran, ob es mit der Eigentumsfreiheit der Insolvenzgläubiger vereinbar ist, dass Erbschaften nur zu 50 % sowie zum Beispiel Lottogewinne und Schenkungen überhaupt nicht auszuschütten sind,388 kann man durchaus Zweifel hegen.389 Die Liste ließe sich verlängern.390 Ob die Regelungen aber nur rechtspolitisch bedenklich oder ob sie darüber hinausgehend verfassungswidrig sind, würde an dieser Stelle zu weit führen und wird daher nicht näher untersucht.
III. Zivilrechtsdogmatische Einordnung der Restschuldbefreiung Nachdem die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung geklärt wurde, geht es im Folgenden um die Einordnung der Restschuldbefreiung in die Zivilrechtsdogmatik. Untersucht wird die Rechtsnatur der Erteilung der Restschuldbefreiung sowie deren zivilrechtliche Folgen. 1. Unvollkommene Verbindlichkeit Nach ganz herrschender Meinung wird die Forderung durch die Erteilung der Restschuldbefreiung materiell in eine Naturalobligation391, unvollkommene („natürliche“) Verbindlichkeit 392 beziehungsweise „Schuld ohne Haftung“393 umgewandelt. Damit ist ein Themenkreis berührt, der sich durch die Vielzahl der verwendeten, mangels Legaldefinition in ihrem Bedeutungsgehalt meist unklaren Begriffe auszeichnet, die überdies in Rechtsprechung und Literatur munter vermischt werden.394 Terminologisch dürfte es noch am treffendsten sein, 387
Ausführlich Fischinger, KTS 2011, 51 ff. Vgl. statt aller Vallender, in: Uhlenbruck, § 295, Rn. 42. 389 So vor allem das AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676, 677. 390 Vgl. vor allem die Kritik im Urteil des AG München 30.8.2002 – 1506 IN 656/02, NZI 2002, 676 ff. 391 Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 228; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 301, Rn. 10; MüKo-InsO/Stephan, § 301, Rn. 18. 392 BT-Drucks. 12/2443, S. 194; FK-InsO/Ahrens, § 301, Rn. 8; HambKommInsO/Streck, § 301, Rn. 8; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 301, Rn. 8 ff.; Fischer, Rpfl ger 2007, 173, 174. 393 Obermüller, in: Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 1205; Kilger/K. Schmidt, KO/ VglO/GesO, § 193 KO, Anm. 4a. 394 Ähnlich Henssler, Risiko, S. 432 f.; Stech, ZZP 77 (1964), 161. – Weitere Bezeichnungen sind z.B. Konventionalschuld (Larenz, Schuldrecht I [AT], § 2 III), „erfüllbare Nichtforde388
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
von unvollkommenen Verbindlichkeiten (in einem weiteren Sinne) zu sprechen, schon weil dieser Begriff im BGB – als Überschrift des 19. Titels – Verwendung findet. Zu ihnen zählt die überwiegende Meinung neben § 301 InsO Spiel und Wette (§ 762 BGB), den Lotterie- und Ausspielvertrag im Falle des § 763 S. 2 BGB, den Ehemaklervertrag (§ 656 BGB), das Verlöbnis (§ 1297 BGB), die verjährte Forderung (§ 214 BGB)395 und schließlich die über den Insolvenzplan hinausgehende Befriedigung des Gläubigers bei § 254 III InsO.396 Ihnen allen sind zwei Charakteristika gemeinsam:397 Erstens kann der Schuldner freiwillig leisten, der Gläubiger ist aber nicht in der Lage, dies gegen den Willen des Schuldners zwangsweise durchzusetzen.398 Legt man die klassische Unterscheidung von Schuld und Haftung399 zugrunde, „schuldet“ der Schuldner zwar, er „haftet“ aber nicht, weil seiner Schuld die „irdische Schwere“400 fehlt, mit der sein Vermögen dem (zwangsvollstreckungsrechtlichen) Zugriff des Gläubigers ausgesetzt wird, er also für seine Schuld nicht einzustehen hat.401 Erst Recht stellt sich die Restschuldbefreiung als eine Haftungs- und nicht bereits Schuldbeschränkung dar, wenn man dem hier402 vertretenen, weiten Haftungsbegriff folgt. Die unvollkommene Verbindlichkeit/Naturalobligation und so weiter stellt aber zweitens einen rechtlich anerkannten Erwerbsgrund (causa acquirendi) mit der Folge dar, dass vom Schuldner trotz der fehlenden Durchsetzbarkeit erbrachte Leistungen nicht über § 812 I BGB zurückgefordert werden können.403 Damit grenzen sie sich zu unwirksamen oder nicht existierenden Verbindlich-
rung“ (Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 69) und „bloßer Erwerbsgrund“ (Soergel/ Häuser, § 762, Rn. 2). 395 A.A. z.B. Stech, ZZP 77 (1964), 161, 218 f.: vollkommene Verbindlichkeit, der nur ein Leistungsverweigerungsrecht entgegensteht. 396 Z.B. K. Schreiber, JURA 1998, 270 ff.; MüKo-BGB/Kramer, Einl zum SchuldR, Rn. 49. – Inzwischen abgeschafft ist die früher in § 31 I GastG kodifizierte „Schnapsschuld“, die ebenfalls als unvollkommene Verbindlichkeit eingestuft wurde, sowie das Börsentermingeschäft des § 764 BGB, vgl. dazu Stech, ZZP 77 (1964), 161, 172 ff., 187 ff. 397 Etwas anderes gilt allein für das Verlöbnis, auf das die folgenden Überlegungen nur vereinzelt zugeschnitten sind; zur Rechtsnatur und dogmatischen Verortung des Verlöbnisses siehe ausführlich Soergel/Fischinger, § 1297, Rn. 3 ff. m.w.N. 398 Staudinger/Olzen, Einl zum SchuldR, Rn. 245; MüKo-BGB/Kramer, Einl zum SchuldR, Rn. 49; Soergel/Teichmann, Einl zum SchuldR, Rn. 6. 399 Siehe dazu § 1 B II. 400 Vgl. Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 IV. 401 Folgt man der dichotomischen Unterscheidung von Schuld und Haftung, sollten Naturalobligationen besser als „Schulden ohne Haftung“ bezeichnet werden (so zutreffend MüKo-BGB/Kramer, Einl zum SchuldR, Rn. 49; falsch daher Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 316 f., die die Restschuldbefreiung als Schuldeinschränkung einstuft). 402 Siehe oben § 1 B IV. 403 Staudinger/Olzen, Einl zum SchuldR, Rn. 245; für § 762 BGB z.B. Staudinger/Engel, Vorbem zu §§ 762 ff., Rn. 3.
B. Restschuldbefreiung
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keiten ab, bei denen der Leistende – vorbehaltlich eines Ausschlussgrundes wie zum Beispiel § 814 BGB – kondizieren kann.404 Wie eine Analyse der §§ 286, 301 InsO zeigt, stellt die Erteilung der Restschuldbefreiung – gemessen an diesen Kategorien – eine Umwandlung der vormals vollgültigen Forderung in eine unvollkommene Verbindlichkeit, Naturalobligation und so weiter dar. Wie sich aus § 286 InsO ergibt, wird der Schuldner gegenüber den Insolvenzgläubigern „befreit“. Das ließe sich zwar prima vista auch so deuten, dass der Forderung nicht nur einfach die Durchsetzbarkeit genommen, sondern sie direkt zum Erlöschen gebracht wird, so dass nicht einmal mehr eine unvollkommene Verbindlichkeit vorliegt. Auf den zweiten Blick ist das aber nicht haltbar, weil der Schuldner nur „nach Maßgabe der §§ 287 bis 303“ befreit wird. Ein vollständiges Erlöschen der Forderung mit der Folge, dass diese zu existieren aufhört, ließe sich aber nicht mit dem Kondiktionsausschluss des § 301 III InsO vereinbaren. Aus § 301 III InsO lassen sich somit beide konstitutiven Elemente einer unvollkommenen Verbindlichkeit ableiten. Fraglich ist, ob mit dieser Charakterisierung viel gewonnen ist. Sieht man von den oben genannten, im Wesentlichen unstrittigen Elementen ab, ergeben sich nämlich zwischen den einzelnen, unter die genannten Sammelbegriffe gefassten Rechtsinstitute und Vertragstypen durchaus erhebliche Unterschiede.405 Zum Beispiel haften Ehemaklervertrag, Spiel und Wette und Verlöbnis der „Makel“ – so man sie als solche bezeichnen will – der unvollkommenen Verbindlichkeit von Anfang an an und ist dies auch nicht durch Parteiabrede abänderbar, während bei der Verjährung die Verbindlichkeit nur unter der doppelten Voraussetzung des Ablaufs der Verjährungsfrist und der Einredeerhebung zu einer unvollkommenen wird. Die Qualifikation als unvollkommene Verbindlichkeit, Naturalobligation oder bloßer Erwerbsgrund vermag daher nicht mehr als eine holzschnittartige Umschreibung zu liefern, die eine nähere Untersuchung der Rechtslage bei den einzelnen Vorschriften nicht entbehrlich macht.406
404 Anders aber der Ansatz von Henssler, Risiko, S. 435 ff., der Spiel- und Wettschuldverträge als schlechthin unwirksam ansieht und den Kondiktionsausschluss als Spezialfall des § 814 BGB bzw. des Verbots widersprüchlichen Verhaltens interpretiert (zustimmend Erman/H. F. Müller, § 762, Rn. 1, 6). 405 Auf Details der jeweiligen dogmatischen Qualifikation kann und soll hier nicht näher eingegangen werden, vgl. dazu z.B. Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 12; Staudinger/Engel, Vorbem zu §§ 762 ff., Rn. 3; Erman/H. F. Müller, § 762, Rn. 1; Henssler, Risiko, S. 435 ff. 406 Ähnlich Soergel/Teichmann, Einl zum SchuldR, Rn. 6.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
2. Die Restschuldbefreiung als unvollkommene Verbindlichkeit mit untypischem Entstehungstatbestand a) Die Erteilung der Restschuldbefreiung Eine systematische Einordnung der Restschuldbefreiung lässt sich durch die vergleichende Gegenüberstellung mit anderen „unvollkommenen Verbindlichkeiten“ (i.w.S., das heißt §§ 214 I, 656, 762, 1297 BGB, § 254 III InsO) erreichen, die zahlreiche Unterschiede aufzeigt. aa) In zeitlicher Hinsicht lassen sich die unvollkommenen Verbindlichkeiten in zwei Gruppen sortieren. Die erste Gruppe bilden die §§ 656, 762 f., 1297 BGB, bei denen von Anfang an niemals eine vollgültige, das heißt insbesondere gegen den Willen des Schuldners durchsetzbare (Haupt-)Forderung bestand. So wird zum Beispiel dem Verlöbnisversprechen zwar auch heute noch verbreitet eine Rechtspflicht zur Eheschließung entnommen,407 einklagbar ist sie aber – wie § 1297 I BGB klarstellt – zu keinem Zeitpunkt.408 Hingegen „trifft“ die Restschuldbefreiung auf eine ursprünglich vollwirksame, durchsetzbare Forderung und wandelt diese um; sie fällt daher insoweit in die gleiche Kategorie wie die Verjährung und die im Insolvenzplan teilweise erlassenen Forderungen.409 Anders als die in die erste Gruppe fallenden Forderungen können diese also bei rechtzeitiger Beitreibung auch gegen den Willen des Schuldners realisiert werden.410 bb) Differenzieren lässt sich ferner hinsichtlich des „Anwendungsbereichs“ der Regelungen. Am engsten ist dieser bei den §§ 656, 762 f., 1297 BGB, die jeweils nur eine ganz bestimmte Art von Forderung erfassen. Hingegen können – von einigen Ausnahmen411 abgesehen – alle Forderungen verjähren. Die Restschuldbefreiung steht insoweit (wie § 254 InsO) gewissermaßen in der Mitte: Im Gegensatz zu den §§ 656, 762 f., 1297 BGB erfasst sie zwar nicht nur eine bestimmte Forderung, anders als die Verjährung greift sie aber nur bei einem bestimmten Typ von Forderungen, nämlich „Vermögensansprüchen“, das heißt solchen, die auf Geldzahlung gerichtet oder zumindest in einen Geldwert umrechenbar sind (vergleiche §§ 38, 45 f. InsO).412 407 Für Rechtspflicht Erman/Kroll-Ludwigs, Vor § 1297, Rn. 15; § 1297, Rn. 1; MüKoBGB/A. Roth, § 1297, Rn. 17; Soergel/Fischinger, § 1297, Rn. 29; für bloß sittliche Pflicht hingegen Canaris, AcP 165 (1965), 1, 4 ff. 408 Gleiches gilt ungeachtet des Streits um die Rechtsnatur von Ehemaklervertrag bzw. Spiel und Wette (zu den Streitständen Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 12; Staudinger/Engel, Vorbem zu §§ 762 ff., Rn. 3) auch für §§ 656, 762 f. BGB. 409 Wird eine Forderung zum Teil im Insolvenzplan erlassen, wird sie insoweit zur unvollkommenen Verbindlichkeit (vgl. MüKo-InsO/M. Huber, § 254, Rn. 33). 410 Vgl. auch KPB/Wenzel, InsO, § 301, Rn. 1, der die durch die Restschuldbefreiung modifzierte Insolvenzverlustforderung daher als stärker bezeichnet als die Ansprüche aus §§ 656. 762, 1297 BGB. 411 Vgl. Staudinger/Jacoby, § 195, Rn. 53. 412 Vgl. statt aller MüKo-InsO/Ehricke, § 38, Rn. 14; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 38, Rn. 5.
B. Restschuldbefreiung
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cc) Besonderheiten bestehen schließlich bei den Entstehungsmodalitäten der unvollkommenen Verbindlichkeit. Bei den §§ 656, 762, 1297 BGB entsteht sie bereits mit der „Parteiabrede“, bei der Verjährung durch Zeitablauf plus Einredeerhebung durch den Schuldner. Hingegen setzt die Umwandlung in eine unvollkommene Verbindlichkeit bei der Restschuldbefreiung – wie beim Insolvenzplan (§ 248 I InsO) – eine gerichtliche Entscheidung voraus und ist daher insoweit der Parteidisposition entzogen. Die Bedeutung dieses „formalen“ Erfordernisses wird aber immerhin dadurch geschmälert, dass das Gericht bei der Entscheidung (§ 300 I InsO) keinen Ermessensspielraum hat, das heißt, es muss die begehrte Restschuldbefreiung erteilen, wenn entweder kein Versagungsgrund vorliegt oder aber weder ein Insolvenzgläubiger noch der Treuhänder einen Versagungsantrag gestellt hat.413 Der die Restschuldbefreiung erteilende Beschluss ändert die Rechtslage unmittelbar, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedarf. Er ist daher – vergleichbar der Ehescheidung (§ 1564 BGB)414 oder der Gesellschaftsauflösung (§ 133 HGB)415 – ein rechtsgestaltender richterlicher Hoheitsakt. Ein weiterer Unterschied zwischen Verjährung und Restschuldbefreiung besteht darin, was die Parteien tun müssen, um die Umwandlung zu erreichen, beziehungsweise – spiegelverkehrt – was sie unternehmen können, um dies zu verhindern. Während bei der Verjährung der Schuldner einfach nur den Zeitablauf abzuwarten braucht, dann aber immerhin Einrede erheben muss, ist die einmal erteilte Restschuldbefreiung zwar eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung416 , er gelangt aber nur dann in diesen Genuss, wenn er bestimmte Vorgaben, insbesondere die Obliegenheiten des § 295 InsO, erfüllt. Umgekehrt kann der Gläubiger zwar den Eintritt der Verjährung „einfach“ dadurch verhindern, dass er einen Hemmungs- oder Neubeginnstatbestand herbeiführt, zum Beispiel Klage erhebt (§ 204 I Nr. 1 BGB), die Ankündigung/Erteilung der Restschuldbefreiung kann er aber nicht verhindern, wenn nur der Schuldner hierfür keinen Grund lieferte. Durch letzteres unterscheiden sich die §§ 286, 303 InsO konzeptionell auch vom Insolvenzplan, der im Prinzip der Annahme durch die Gläubiger bedarf (§§ 235 ff. InsO).417 dd) Zusammengefasst ergeben sich bereits hinsichtlich der Modalitäten, unter denen die unvollkommene Verbindlichkeit durch die Erteilung der Restschuldbefreiung entsteht, erhebliche Unterschiede zu den „klassischen“ unvollkom413
MüKo-InsO/Stephan, § 300, Rn. 29; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 300, Rn. 10. Seit dem 1.9.2009 geschieht das – wie hier – auch durch Beschluss und nicht mehr durch Urteil (§ 116 I FamFG). – Zum Gestaltungscharakter vgl. NK-BGB/Bisping, § 1564, Rn. 16. 415 Zum Gestaltungscharakter vgl. MüKo-HGB/K. Schmidt, § 133, Rn. 58. 416 KPB/Kübler/Prütting, InsO, § 301, Rn. 1; daher ist z.B. der Erlass eines Versäumnisurteiles gegen den Schuldner ausgeschlossen. 417 Durchbrochen/eingeschränkt wird dieser Grundsatz allerdings durch das Obstruktionsverbot des § 245 InsO, nach dem fehlende Zustimmungen unter bestimmten Voraussetzungen als erteilt gelten. 414
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
menen Verbindlichkeiten der §§ 656, 762 f., 1297 BGB; die Überschneidungen zu § 214 I BGB sind zwar größer, dennoch bestehen signifikante Abweichungen. Es bestätigt sich also, dass mit der Qualifikation als „unvollkommene Verbindlichkeit“ im Ergebnis nur ein äußerst begrenzter Mehrwert verbunden ist. b) Begründet der Beschluss über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags (§ 287a I InsO) ein „Anwartschaftsrecht“ auf Schuldumwandlung? Fraglich ist, ob der Schuldner eine Art „Anwartschaftsrecht“ auf die Umwandlung der Forderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten erlangt, wenn das Gericht seinen Antrag auf Restschuldbefreiung nach § 287a I InsO für zulässig hält. Im Allgemeinen wird ein Anwartschaftsrecht angenommen, wenn von einem mehraktigen Erwerbstatbestand schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der Veräußerer nicht mehr einseitig zerstören kann.418 Auf die vorliegende Konstellation müsste man das dahingehend abwandeln, dass die Restschuldbefreiung von den Insolvenzgläubigern nicht mehr verhindert werden könnte beziehungsweise – umgekehrt formuliert – die Erlangung der Restschuldbefreiung allein vom nunmehrigen Verhalten des Schuldners abhinge. Darüber ließ sich vor der Änderung des Restschuldbefreiungsverfahrens zum 1.7.2014 ab Rechtskraft der die Restschuldbefreiung ankündigenden Entscheidung (§ 291 InsO a.F.) durchaus diskutieren, weil damals ab diesem Zeitpunkt die Versagungsgründe des § 290 InsO für die Zukunft präkludiert waren.419 Es schien daher allein vom zukünftigen Verhalten des Schuldners abzuhängen, ob er die Restschuldbefreiung erreicht oder nicht, während sein Verhalten in der Vergangenheit unberücksichtigt blieb.420 Angesichts dessen konnte man in der Tat auf die Idee kommen, von einer Art „Befreiungsanwartschaftsrecht“ zu sprechen.421 Allerdings war diese Sichtweise schon damals zumindest zweifelhaft, weil immer noch eine Versagung nach § 297 InsO wegen einer bereits vor der Ankündigung begangenen Insolvenzstraftat nach §§ 283 – 283c StGB möglich war, die Restschuldbefreiungserteilung somit nicht allein vom Verhalten des Schuldners ab Ankündigung der Restschuldbefreiung abhing. Unabhängig davon, wie man die alte Rechtslage bewertete, kann eine Befreiungsanwartschaft nach neuerer Rechtslage jedenfalls nicht mehr ab dem Be418 PWW/Prütting, § 929, Rn. 21. – Zur umstrittenen dogmatischen Qualifikation siehe Staudinger/Beckmann, § 449, Rn. 60 ff. 419 Vgl. z.B. BGH 25.10.2007 – IX ZB 187/03, NZI 2008, 48; Nerlich/Römermann, InsO, § 290, Rn. 9; MüKo-InsO/Stephan, § 290, Rn. 17. 420 Vgl. FK-InsO/Ahrens, § 291, Rn. 1; Nerlich/Römermann, InsO, § 291, Rn. 2. 421 Auch der Gesetzgeber spricht der Ankündigung der Restschuldbefreiung eine „Art Vertrauensschutzfunktion“ zu (BT-Drucks. 17/11268, S. 28).
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schluss über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags (§ 287a I InsO) angenommen werden. Grund hierfür ist die Schaffung von § 297a InsO, wonach die Restschuldbefreiung auch dann auf Antrag eines Insolvenzgläubigers versagt werden kann, wenn sich erst nach dem Schlusstermin herausstellt, dass ein Versagungsgrund nach § 290 I InsO vorgelegen hatte. Damit reagierte der Gesetzgeber auf Forderungen der Praxis, die zu Recht die Ungerechtigkeit monierte, dass einem Schuldner nur deshalb die Restschuldbefreiungserteilung nicht versagt werden konnte, weil der Versagungsgrund bis zur rechtskräftigen Ankündigung der Restschuldbefreiung unbekannt blieb.422 Im vorliegenden Zusammenhang hat diese Änderung zur Folge, dass es ein Schuldner trotz des Beschlusses nach § 287a I InsO nicht (mehr) ausschließlich in seiner Hand hat, ob ihm die Restschuldbefreiung auch tatsächlich erteilt wird, sondern er vielmehr von seinem eigenen früheren Verhalten abhängig ist. Von einer Befreiungsanwartschaft kann damit zu diesem Zeitpunkt richtigerweise nicht gesprochen werden. Eine solche könnte man höchstens ab dem Zeitpunkt annehmen, in dem für alle Insolvenzgläubiger die einjährigen, ab Kenntnis des jeweiligen Gläubigers individuell laufenden Antragsfristen der §§ 297 II, 296 I 2 beziehungsweise § 297a I 2 InsO verstrichen sind (eine Wiedereinsetzung ist nicht möglich)423. Dass das jemals praktisch relevant wird, erscheint aber zweifelhaft, weil in aller Regel mindestens einer der Insolvenzgläubiger einen Antrag stellen dürfte. 3. Rechtsfolgen der Umwandlung a) Grundsätzliches Für die von der Restschuldbefreiung erfasste Forderung gilt zunächst, was für alle unvollkommene Verbindlichkeiten gilt: Erstens ist die Forderung zwar erfüllbar, aber nicht mehr gegen den Willen des Schuldners durchsetzbar. Dennoch bildet zweitens die unvollkommene Verbindlichkeit aber einen Erwerbsgrund im Sinne von § 812 BGB, so dass das freiwillig zur Erfüllung Hingegebene nicht aufgrund des „minderen“ Charakters der Verbindlichkeit zurückgefordert werden kann. Wie bei den §§ 214, 656, 762, 1297 BGB wird die gesamte Forderung erfasst.424
422
BT-Drucks. 17/11268, S. 29. MüKo-BGB/Stephan, § 297, Rn. 12. 424 Anders verhält es sich nur beim Insolvenzplan, bei dem das nur für den erlassenen Teil der Forderung gilt (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 213 [zu § 301 III InsO-E]; MüKo-InsO/M. Huber, § 254, Rn. 6; so schon zur Rechtslage unter der VerglO BGH 9.4.1992 – IX ZR 304/90, NJW 1992, 1834, 1835). 423
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
b) Aufrechnung aa) Die Aufrechnung setzt nach § 387 BGB voraus, dass die Aktivforderung vollwirksam und durchsetzbar ist, das heißt im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden könnte.425 Eine Aufrechnung mit unvollkommenen Verbindlichkeiten scheidet daher grundsätzlich aus.426 Dementsprechend kann der Gewinner bei § 762 BGB beziehungsweise der Ehemakler bei § 656 BGB nicht aufrechnen;427 eine Aufrechnung des Verlierers respektive des Auftraggebers ist aber möglich.428 Bei der Verjährung durchbricht § 215 BGB diesen Grundsatz und lässt unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Aufrechnung mit429 der verjährten Forderung zu. Ob mit Forderungen, die in einem angenommenen und vom Gericht rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan erlassen worden sind, noch aufgerechnet werden kann, ist hingegen umstritten.430 Im Folgenden ist zu untersuchen, ob der Gläubiger431 trotz erteilter Restschuldbefreiung mit seiner Forderung noch aufrechnen kann. Unproblematisch und unstreitig zu bejahen ist dies nur, wenn die Forderung von den Wirkungen der Restschuldbefreiung 425
Staudinger/Gursky, § 387, Rn. 132. BGH 16.3.1981 – II ZR 110/80, NJW 1981, 1897; MüKo-BGB/Schlüter, § 387, Rn. 36. 427 Für § 762 BGB vgl. Stech, ZZP 77 (1964), 161, 171; MüKo-BGB/Habersack, § 762, Rn. 18; für § 656 BGB vgl. Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 13; K. Schreiber, JURA 1998, 270, 271. 428 Für § 762 vgl. Staudinger/Engel, § 762, Rn. 10; für § 656 vgl. Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 13. 429 Gegen die verjährte Forderung kann natürlich uneingeschränkt aufgerechnet werden, Staudinger/Peters/Jacoby, § 215, Rn. 1, 4. 430 Bejahend OLG Celle 23.12.08 – 14 U 108/08, ZIP 2009, 140; MüKo-InsO/Brandes, § 94, Rn. 45; KPB/Otte § 254, Rn. 16; HambKommInsO/Jacoby, Vorbemerkung zu §§ 94 bis 96, Rn. 11a; in diese Richtung – vor allem für vertragliche Aufrechnungsvereinbarungen – KPB/Lüke, § 94, Rn. 94 f.; a.A. OLG Celle 13.11.08 – 16 U 63/08, NZI 2009, 59; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 94, Rn. 85 m.w.N. – Die Diskussion verläuft zum Teil parallel zu der im Folgenden für die Restschuldbefreiung zu entwickelnden Argumentation. Allerdings besteht insoweit ein gravierender Unterschied, der eine Übertragung des dortigen Meinungsstandes nicht zulässt: Während die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht von einer Zustimmung der Insolvenzgläubiger abhängt, ja von ihnen nicht einmal verhindert werden kann, wenn der Schuldner sich regelkonform verhält, setzt das Wirksamwerden des Insolvenzplans grundsätzlich die Zustimmung aller Gläubiger voraus. Zu Recht wird aber angeführt, es stelle ein unzulässiges venire contra factum proprium dar, zunächst dem mit dem Plan verbundenen teilweisen Forderungserlass zuzustimmen, nur um dann später mit dem erlassenen Teil aufrechnen zu wollen (Flöther/Wehner, ZInsO 2009, 503, 506). Selbst wenn der Gläubiger dem Insolvenzplan nicht zugestimmt hatte, sondern überstimmt wurde oder das Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) eingriff, war der Gläubiger nicht schutzlos. Er konnte nämlich gemäß § 251 I InsO auf Versagung der Planbestätigung dringen, da er durch diesen voraussichtlich schlechter gestellt wird; hat er dies nicht getan, ist er wiederum wegen widersprüchlichen Verhaltens nicht schutzwürdig. 431 Die Aufrechnungsbefugnis des Schuldners ist nicht zweifelhaft, weil die Erfüllbarkeit der Passivforderung genügt (vgl. MüKo-BGB/Schlüter, § 387, Rn. 38). Eine „Rückforderung“ des Schuldners, die auf Wiederherstellung seiner Aktivforderung gerichtet wäre, scheidet wegen § 301 III InsO aus (MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 57). 426
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gar nicht erfasst wird, weil sie entweder unter § 302 InsO fällt432 (und damit voll durchsetzbar bleibt) oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und daher gar keine Insolvenzforderung ist.433 bb) Ob außerhalb dieses eng begrenzten Ausnahmebereichs eine Aufrechnung mit der von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung möglich ist, ist hingegen umstritten. Zum Teil wird dies unter Verweis auf den Charakter als unvollkommene Verbindlichkeit sowie mit dem Argument, anderenfalls werde der Zweck des Restschuldbefreiungsverfahrens verfehlt, vollständig verneint.434 Die wohl herrschend zu nennende Gegenauffassung hält zwar eine Aufrechnung durch den Gläubiger grundsätzlich ebenfalls für ausgeschlossen, differenziert dabei jedoch wie folgt:435 Bestand die Aufrechnungslage schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so sei auch nach erteilter Restschuldbefreiung eine Aufrechnung möglich, weil nach § 94 InsO das bestehende Recht zur Aufrechnung „durch das Verfahren nicht berührt“ wird. Tritt die Aufrechnungslage erst während des Verfahrens ein, bleibe eine Aufrechnung möglich, wenn die Aufrechnungslage nach Maßgabe des § 95 InsO geschützt ist. Nur bei nach Erteilung der Restschuldbefreiung entstehenden Aufrechnungslagen sei eine Aufrechnung apodiktisch ausgeschlossen. cc) Es kann nicht zweifelhaft sein, dass eine Aufrechnung durch den Gläubiger nach Restschuldbefreiungserteilung prima vista angesichts des unvollkommenen Charakters seiner Forderung nicht mehr möglich ist. Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich eine Norm finden lässt, die – vergleichbar § 215 BGB – vom Erfordernis der Durchsetzbarkeit der Aktivforderung dispensiert. Da sich eine analoge Anwendung des § 215 BGB nicht begründen lässt – insbesondere existieren keinerlei Anhaltspunkte für die erforderliche planwidrige Regelungslücke –, kommen lediglich die §§ 94, 95 InsO in Betracht, die die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Aufrechnung regeln. Letztlich kommt es daher auf die Interpretation dieser Normen im Verhältnis zu den §§ 286, 301 InsO an. (1) Dafür, dass in den Fällen der §§ 94, 95 InsO eine Aufrechnung durch den Gläubiger auch noch nach Erteilung der Restschuldbefreiung möglich ist, lässt sich zunächst der Wortlaut des § 94 InsO anführen, nach dem das Recht zur 432
So auch Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 94, Rn. 81. Vgl. statt aller HambKommInsO/Streck, § 301, Rn. 9; Grote, ZInsO 2001, 452, 455. 434 Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, § 94, Rn. 82; MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 57; unklar Vallender, in: Uhlenbruck, § 301, Rn. 11, der lediglich schreibt, dass keine Aufrechnung gegen eine während der Laufzeit der Abtretungserklärung entstandene Forderung des Schuldners erfolgen dürfe; unklar auch Grote, ZInsO 2001, 452, 455: nach der Überschrift IV. ist von einer nach der Erteilung der Restschuldbefreiung entstehenden Aufrechnungslage die Rede, im Text findet sich dagegen keine derartige Beschränkung. 435 FK-InsO/Ahrens, § 301, Rn. 10; MüKo-InsO/Stephan, § 301, Rn. 18; HambKommInsO/Streck, § 301, Rn. 9; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 294, Rn. 18; § 301, Rn. 12. 433
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Aufrechnung unter den dort genannten Voraussetzungen „durch das Verfahren nicht berührt“ wird. Mit „Verfahren“ ist hier unzweifelhaft auch das Restschuldbefreiungsverfahren gemeint. Das zeigt ein Blick in die sonstigen Vorschriften der InsO, vor allem dessen Allgemeinen Teil. So spricht zum Beispiel § 1 InsO von den Zielen des Insolvenzverfahrens und bezieht sich in seinem S. 2 auf die Restschuldbefreiung, die damit zum Teil des Insolvenzverfahrens wird; ganz deutlich folgt das auch aus § 4a I 1 InsO, nach dem die Kosten des „Insolvenzverfahrens“ bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung gestundet werden können. Wenn unter „Verfahren“ in § 94 InsO auch das Restschuldbefreiungsverfahren fällt, dann muss das aber auch für die Erteilung der Restschuldbefreiung (und damit deren Rechtsfolgen) gelten, ist diese doch wiederum Teil des Restschuldbefreiungsverfahrens. Für diese Auffassung spricht des Weiteren, dass der Gesetzgeber mit § 94 InsO sicherstellen wollte, dass der „weitere Ablauf des Verfahrens, insbesondere die Annahme und Bestätigung eines Sanierungsplans“, die einmal begründete Aufrechnungsbefugnis nicht beeinträchtigen solle, weil die derart gesicherte Rechtsstellung auch im Insolvenzverfahren „uneingeschränkt anerkannt wird“;436 da der Sanierungs-(Insolvenz-)Plan nur beispielhaft erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass von dieser Aussage auch das Restschuldbefreiungsverfahren erfasst wird. (2) Fraglich ist, ob sich aufgrund einer systematischen Auslegung daraus ein anderes ergibt, dass § 286 InsO von der „Befreiung“ des Schuldners durch die Restschuldbefreiung spricht. Das könnte im Sinne einer echten wirtschaftlichen Freistellung zu verstehen sein, die auf eine rechnerische Besserstellung des Schuldners zielt und daher die Versagung der Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers fordert; rechtstechnisch ließe sich dies durch eine entsprechend einschränkende Auslegung des Verfahrensbegriffs in § 94 InsO erreichen. Umgekehrt könnte § 286 InsO aber auch als bloße Forderung nach einer rein rechtlichen Befreiung interpretiert werden, die sich darauf beschränkt, die Forderung in eine nicht mehr durchsetzbare unvollkommene Verbindlichkeit umzugestalten; in diesem Fall würde der Schuldner – bei unterstellter Solvenz des Gläubigers – wirtschaftlich nicht besser gestellt werden, weil er den Vorteil, selbst nicht mehr leisten zu müssen, mit dem Verlust der eigenen Forderung durch die Aufrechnung des Gläubigers bezahlen müsste. Angesichts der Ambivalenz des Wortlauts ist für die Auslegung des § 286 InsO – und damit mittelbar der §§ 94, 95 InsO – der vom Gesetzgeber mit der Restschuldbefreiung verfolgte Zweck entscheidend. Wie oben ausgeführt, sollen die §§ 286 ff. InsO den Schuldner in die Lage versetzen, seinen Schuldenberg abzubauen und ein neues Leben zu beginnen, das er möglichst aus eigenen Einkünften bestreitet. Daher ist es unzweifelhaft erforder436
BT-Drucks. 12/2443, S. 140 (zu § 106 InsO-E), Hervorhebung hier.
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lich, dass der Schuldner im obigen Sinne rechtlich frei wird, sprich die Forderungen entweder ganz erlöschen oder in unvollkommene Verbindlichkeiten umgewandelt werden; denn anderenfalls könnte der Gläubiger die Lebensführung des Schuldners durch Zwangsvollstreckung und damit – bildlich gesprochen – die Wegnahme von Vermögensgegenständen beeinträchtigen. Hingegen erfordert es der Zweck der Restschuldbefreiung nicht, den Schuldner vor wirtschaftlichen Nachteilen zu schützen, ja, ihn sogar wirtschaftlich (deutlich) besser zu stellen.437 Die bloße „Wegnahme“ einer dem Schuldner gegen den Gläubiger zustehenden Forderung per Aufrechnung stellt keine mit der Zwangsvollstreckung vergleichbare Belastung für den Schuldner dar, weil diese Forderung wirtschaftlich betrachtet insoweit immer schon den Wert Null hatte, als sie der Gläubiger forderung der Höhe nach entsprach. Mit anderen Worten: Es ist ein aliud, ob der Gläubiger dem Schuldner die Mittel wegnimmt, die er zur Lebensführung benötigt, oder ob er ihm nur per Aufrechnung die Chance nimmt, weitere Mittel zu erwerben. Wenn damit eine Befreiung des Schuldners in rechtlicher Hinsicht zur Erreichung des vom Gesetzgeber angestrebten Ziels genügt, sprechen auch verfassungsrechtliche Gründe für die Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers. Denn – wie dargelegt – stellen die §§ 286, 301 I InsO einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Gläubiger dar und sind nur insoweit zu rechtfertigen, wie sie zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners erforderlich sind. Etwas anderes könnte – wenn überhaupt – nur gelten, wenn der Gläubiger zugleich der Arbeitgeber des Schuldners ist und er mit einer ihm zustehenden, von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung gegen eine Lohnforderung des Schuldners (Arbeitnehmers) aufrechnen will. Denn die Aufrechnung hätte hier – wie § 394 BGB zeigt – vergleichbare Auswirkungen auf die Lebensführungsmöglichkeiten des Schuldners wie eine Lohnpfändung durch einen sonstigen Gläubiger. Untersucht man die Aufrechnungsmöglichkeiten des Gläubigers (Arbeitgebers) nach Restschuldbefreiung unter Zugrundelegung der oben referierten herrschenden Meinung genauer, zeigt sich aber, dass dies nur scheinbar ein Problem ist: – Gegen Lohnforderungen, die noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, ist wegen § 94 InsO zwar eine Aufrechnung des Arbeitgebers (Gläubigers) möglich. Dabei dürfte es sich aber um eine rein theoretische Alternative handeln, weil diese Forderungen mindestens drei Jahre (vergleiche § 300 I 2 Nr. 2 InsO) vor Erteilung der Restschuldbefreiung entstanden sind. Es erscheint vollkommen unrealistisch, dass sie nicht längst erloschen sind, entweder weil sie erfüllt wurden (§ 362 BGB) oder weil der Arbeitge437 Vgl. auch Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 275, der den gleichen Gedanken allerdings nur insoweit fruchtbar macht, als er die Aufrechnung durch den Schuldner für zulässig erklärt.
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ber gegen sie aufgerechnet hat.438 Selbst wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, kann nicht angenommen werden, dass durch die Aufrechnung gegen solche Forderungen nach Erteilung der Restschuldbefreiung die gegenwärtige Lebensführung des Schuldners und seine Chance auf einen „fresh start“ beeinträchtigt wird. – Gegen Lohnforderungen, die erst während der Abtretungsfrist entstanden sind, kann der Arbeitgeber (Gläubiger) nach Erteilung der Restschuldbefreiung selbst nach herrschender Meinung nicht aufrechnen. Denn der Grundsatz, dass mit der zur unvollkommenen Verbindlichkeit gewordenen ehemaligen Insolvenzforderung nicht mehr aufgerechnet werden kann, wird hier nicht durch die §§ 94, 95 InsO durchbrochen: Für § 94 InsO fehlt es an einer Aufrechnungslage zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und auch § 95 InsO scheidet aus, weil er nur das Vertrauen des Gläubigers darauf, dass später eine Aufrechnungslage entstehen wird, schützt439 und folglich voraussetzt, dass die aufzurechnenden Forderungen bei Insolvenzeröffnung zumindest entstanden waren.440 – Schließlich scheidet auch hinsichtlich der für die gegenwärtige und zukünftige Lebensführung des Schuldners essentiellen, nach der Restschuldbefreiungserteilung monatlich neu entstehenden Lohnforderungen eine Aufrechnung durch den Gläubiger mit einer von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung aus. Denn auch insoweit greifen die §§ 94, 95 InsO nicht ein, weil die Aufrechnungslage erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung entstand. Angesichts dieser Überlegungen ist eine Sonderbehandlung der Konstellation, in der der Gläubiger zugleich Arbeitgeber des Schuldners ist, nicht erforderlich. (3) Zusammengefasst sind die §§ 286, 301 I InsO so zu interpretieren, dass eine rechtliche Befreiung des Schuldners im obigen Sinne genügt. Hingegen ist zur Erreichung des vom Gesetzgeber mit dem Restschuldbefreiungsverfahren verfolgten Schuldnerschutzes eine wirtschaftliche Befreiung des Schuldners dergestalt, dass er vor Aufrechnungen durch den Gläubiger stets zu schützen wäre, nicht erforderlich. Die §§ 286, 301 I InsO rechtfertigen daher keine einschränkende Auslegung des Verfahrensbegriffs in §§ 94, 95 InsO im Sinne einer Herausnahme der Restschuldbefreiungserteilung. dd) Ergebnis: Mit der wohl herrschenden Meinung ist daher zwar grundsätzlich eine Aufrechnung durch den Gläubiger nach Erteilung der Restschuldbefreiung ausgeschlossen. Etwas anderes gilt aber, wenn die Aufrechnungslage 438 Vgl. auch MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 54 („in aller Regel wird der Verpflichtete ein Interesse daran haben, seine Forderung umgehend gegen die Forderung des Schuldners auf Bezüge aufzurechnen“). 439 BT-Drucks. 12/2443, S. 141 (zu § 107 InsO-E). 440 Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 199 a.E.
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schon bei Insolvenzeröffnung bestand (§ 94 InsO) oder während des Insolvenzverfahrens eintrat und die Voraussetzungen des § 95 InsO vorlagen. c) Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB Fraglich ist, ob der Gläubiger wegen seiner zur unvollkommenen Verbindlichkeit gewordenen Forderung ein Zurückbehaltungsrecht ausüben kann. § 273 I BGB setzt voraus, dass die Forderung, wegen der ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werden soll, besteht, fällig sowie klagbar ist.441 Unvollkommene Verbindlichkeiten begründen daher grundsätzlich kein Zurückbehaltungsrecht;442 etwas anderes kann nur gelten, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist, wie das bei § 215 BGB für die Verjährung der Fall ist. In der InsO findet sich – anders als für die Aufrechnung, §§ 94 ff. InsO – für das Zurückbehaltungsrecht keine dem § 215 BGB entsprechende Vorschrift. Für eine analoge Anwendung ist kein Raum, da – wie die §§ 94 ff. InsO zeigen – der Gesetzgeber die Problematik kannte und daher davon auszugehen ist, dass er bewusst keine Regelung traf. De lege lata scheidet ein Zurückbehaltungsrecht wegen der von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung daher aus. Ob das rechtspolitisch angesichts der oft nur schwer anhand der „Gleichartigkeit der Forderungen“ zu ziehenden Grenze443 zwischen Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht überzeugend ist, sei dahingestellt. d) Abtretung, § 398 BGB Keine Probleme stellen sich hinsichtlich der Abtretbarkeit: Wie auch sonst kann die Forderung abgetreten werden, auch wenn es sich nur noch um eine unvollkommene Verbindlichkeit handelt.444 Wegen § 404 BGB ändert sich aber der Charakter als unvollkommene Verbindlichkeit nicht, der Zessionar erwirbt also keine durchsetzbare Forderung.445 Der Ausschluss der Kondiktion nach § 301 III InsO gilt aber auch, wenn an den Zessionar geleistet wird.446
441 MüKo-BGB/Krüger, § 273, Rn. 31; BeckOK-BGB/Unberath, § 273, Rn. 14; Staudinger/Bittner, § 273, Rn. 32. 442 Vgl. für § 762 BGB Staudinger/Engel, § 762, Rn. 10; Stech, ZZP 77 (1964), 161, 171; K. Schreiber, JURA 1998, 270, 271; für § 656 BGB Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 13. 443 MüKo-BGB/Schlüter, § 387, Rn. 34, 49; vgl. BGH 13.12.1973 – VII ZR 40/72, NJW 1974, 367, 368. 444 Vgl. allgemein BeckOK-BGB/Rohe, § 398, Rn. 44; MüKo-BGB/G. Roth, § 398, Rn. 62; Staudinger/Busche, § 398, Rn. 77 f. – Etwas anderes gilt nur für die unvollkommene Verbindlichkeit des § 1297 BGB, die angesichts des höchstpersönlichen Charakters des Verlöbnisses selbstverständlich nicht abtretbar ist. 445 Für § 656 BGB vgl. MüKo-BGB/H. Roth, § 656, Rn. 1. 446 Für § 656 BGB vgl. Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 13.
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e) Unbegründetheit einer Klage auf Erfüllung der von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung Die Klage eines Insolvenzgläubigers aus einer der Restschuldbefreiung unterfallenden Forderung ist angesichts deren Charakters als unvollkommene Verbindlichkeit unzweifelhaft abzuweisen. Auch insoweit bestehen zwischen den einzelnen unvollkommenen Verbindlichkeiten Unterschiede: Eine Klage auf Eheschließung wird als unzulässig angesehen, weil § 1297 I BGB dem Wortlaut nach die Klagbarkeit des Anspruchs ausschließt.447 Hingegen führt die Erhebung der Einrede der Verjährung im Prozess nur zur Abweisung als unbegründet.448 Bei den §§ 656, 762 BGB ist umstritten, ob die Klage unzulässig449 oder unbegründet450 ist. Entscheidend ist, ob der Anspruch „nur“ nicht durchsetzbar ist, oder ob ihm schon die Klagbarkeit fehlt und die Klage daher unzulässig ist.451 Richtigerweise ist bei der Restschuldbefreiung vergleichbar der Verjährung ersteres anzunehmen: Anders als § 1297 I BGB ordnen die §§ 286, 301 I InsO nicht an, dass die der Restschuldbefreiung unterfallenden Forderungen nicht mehr „eingeklagt“ werden können, sondern beschränken sich darauf, eine Befreiung des Schuldners von seiner Verbindlichkeit auszusprechen. Zudem spricht hierfür ein Vergleich mit zum Beispiel durch Anfechtung erloschene Verbindlichkeiten: Die materiell-rechtliche Wirkung der Anfechtung geht mit der ex-tunc-Nichtigkeit (§ 142 I BGB) wesentlich weiter als die den Bestand der Forderung unberührt lassenden §§ 286, 301 I InsO, dennoch käme man nicht auf die Idee, eine (Leistungs-)Klage deshalb als unzulässig abzuweisen, weil die streitgegenständliche Forderung durch Anfechtung erloschen ist. Dann kann es sich bei der Restschuldbefreiung (wie im Übrigen richtigerweise bei §§ 656, 762 BGB) nicht anders verhalten. Die Klage ist dementsprechend „nur“ als unbegründet abzuweisen,452 wobei die Erteilung der Restschuldbefreiung – da sie
447 MüKo-BGB/Wacke, § 1297, Rn. 14; Soergel/Fischinger, § 1297, Rn. 28; BeckOK-BGB/ Hahn, § 1297, Rn. 18. 448 Meller-Hannisch, JZ 2005, 656, 661; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 89, Rn. 22; vgl. Stech, ZZP 77 (1964), 161, 162, 217 f. 449 OLG Bremen 9.10.1953 – 1 U 169/63, NJW 1954, 1369; Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 12; so wohl auch BGH 25.5.1983 – IVa ZR 182/81, NJW 1983, 2817, 2818 (jeweils zu § 656 BGB); so für § 762 BGB wohl auch PWW/Brödermann, BGB, § 762, Rn. 19 („nicht einklagbar“). 450 BGH 4.3.2004 – III ZR 124/03, FamRZ 2004, 775, 777; AG Rendsburg 11.8.1989 – 11 C 277/89, n.v. (juris Rn. 16); LG Mönchengladbach 14.7.1994 – 10 O 87/93, WM 1994, 1374 (jeweils zu § 762 BGB); Zöller/Greger, ZPO, vor § 253, Rn. 19; MüKo-BGB/H. Roth, § 656, Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 89, Rn. 22; Musielak/Foerste, ZPO, vor § 253, Rn. 6 (jeweils zu § 656 BGB). 451 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 89, Rn. 21. 452 So i.E. wohl auch MüKo-InsO/Stephan, § 301, Rn. 22, nach dem allerdings in „Einzelfällen“ auch die Klagbarkeit fehlen könne, ohne dass erläutert würde, wann dies der Fall sei.
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eine Einwendung, keine Einrede ist – anders als die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen ist.453 Ein praktischer Unterschied zwischen einer Abweisung als unzulässig beziehungsweise unbegründet ergäbe sich im Übrigen nicht. In beiden Fällen steht die Rechtskraft (§ 322 ZPO) einer erneuten Klage entgegen, solange nicht der Kläger den Abschluss einer Neubegründungsvereinbarung geltend macht.454 4. Dogmatische Einordnung des Widerrufs der Restschuldbefreiung (§ 303 InsO) Unter den dort genannten Voraussetzungen kann die Erteilung der Restschuldbefreiung innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft gemäß § 303 InsO widerrufen werden. Folge ist die Rückumwandlung der durch die Restschuldbefreiung zur unvollkommenen Verbindlichkeit gewordenen Forderung in eine vollgültige, gegen den Willen des Schuldners durchsetzbare Forderung.455 Anders als bei der vertraglichen Neubegründung der Forderung456 kann beim Widerruf nach § 303 InsO nicht zweifelhaft sein, dass nicht nur die Folgen des § 301 I InsO, sondern auch die des § 301 II InsO aufgehoben werden.457 Relevant ist das vor allem mit Blick auf § 301 II 2 InsO, weil nach dessen Wegfall der den Gläubiger befriedigende Sicherungsgeber wieder Rückgriff beim Schuldner nehmen kann. Als actus contrarius zur Erteilung ist auch der Widerruf ein rechtsgestaltender gerichtlicher Hoheitsakt. § 303 InsO ist eine singuläre Erscheinung im Bereich der unvollkommenen Verbindlichkeiten: Bei den §§ 656, 762, 1297 BGB ist eine Umwandlung in eine vollwirksame Forderung nie denkbar. Hingegen ist bei § 214 BGB und im Insolvenzplanverfahren zwar eine Rückumwandlung der zuvor zur unvollkommenen Verbindlichkeit gewordenen Forderung in eine vollgültige möglich. Jedoch geschieht dies nicht durch richterlichen Hoheitsakt, sondern durch Verzicht auf die Verjährungseinrede458 beziehungsweise gemäß § 255 InsO kraft Gesetzes.459 Der konstruktive Unterschied zu einem Verzichtsmodell wie bei der Verjährung erklärt, warum der Widerruf der Restschuldbe453 So auch bei § 762 BGB Staudinger/Engel, § 762, Rn. 14; MüKo-BGB/Habersack, § 762, Rn. 18. 454 Auch bei Prozessurteilen ist anerkannt, dass die materielle Rechtskraft eine Sperre für wiederholte, auf den gleichen Streitgegenstand gerichtete Klagen ist, die denselben prozessualen Mangel aufweisen (OLG Brandenburg 7.7.1999 – 13 U 61/99, NJW-RR 2000, 1735; Musielak/Musielak, ZPO, § 322, Rn. 44; MüKo-ZPO/Gottwald, § 322, Rn. 172). 455 MüKo-InsO/Stephan, § 303, Rn. 35. 456 Siehe dazu ausführlich unten § 3 C 2 f). 457 Andeutungsweise FK-InsO/Ahrens, § 303, Rn. 20. 458 Zu den Voraussetzungen für einen wirksamen Verzicht auf die Verjährungseinrede vgl. H. Roth, Einrede, S. 141 ff.; Staudinger/Peters/Jacoby, § 214, Rn. 30 ff.; zur Wirkung vgl. Peters/Jacoby, a.a.O., Rn. 36. 459 FK-InsO/Jaffé, § 255, Rn. 21; Rattunde, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 255, Rn. 3; KPB/Kübler/Prütting, § 255, Rn. 5.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
freiung nicht nur zugunsten des antragsstellenden Gläubigers, sondern für alle Insolvenzgläubiger wirkt.460 Die Möglichkeit, sie unter den in § 303 InsO genannten Voraussetzungen zu widerrufen, ist eine mit der Erteilung der Restschuldbefreiung untrennbar verbundene „Schwäche“. Bei einer Gesamtvermögensübertragung (§ 311b III BGB, vor allem aber §§ 1922, 1967 BGB) kann daher der Widerruf gegenüber und mit Wirkung für den Vermögensnachfolger ausgesprochen werden.461
IV. Zusammenfassung 1. Verfassungskonformität a) Die Restschuldbefreiungserteilung greift in Gestalt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 I 2 GG in das Eigentumsgrundrecht der Gläubiger ein. Um eine Enteignung handelt es sich aber entgegen einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung nicht, weil es nicht nur an dem erforderlichen staatlichen Güterbeschaffungsakt fehlt, sondern die Restschuldbefreiung auch ganz vorrangig privaten und nicht öffentlichen Interessen dient, eine „Enteignung“ zugunsten Privater aber nicht unter Art. 14 III GG fällt. b) Die in der Restschuldbefreiungserteilung liegende Beschränkung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes lässt sich im Grundsatz rechtfertigen und ist deshalb nicht verfassungswidrig. aa) Die Restschuldbefreiung dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners (entgegen der wohl herrschenden Meinung aber nicht dessen Menschenwürde). Denn durch die Chance auf einen „fresh start“ soll der Schuldner davor bewahrt werden, ein Leben am Rande des Existenzminimums ohne Aussicht auf Besserung fristen zu müssen. bb) Zur Erreichung dieses Ziels sind die §§ 286 ff. InsO auch geeignet sowie erforderlich. Insbesondere wäre eine Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen (§§ 850 ff. ZPO) kein gleich geeignetes Mittel, vermochte doch auch dies den Schuldner gegebenenfalls nicht vor einer lebenslänglichen Überschuldung zu schützen. cc) Schließlich beeinträchtigen die §§ 286 ff. InsO die Eigentumsfreiheit der Gläubiger auch nicht in unangemessener Weise. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das – ohne eine Restschuldbefreiung bestehende – freie Nachforderungsrecht nach § 201 I InsO in der Praxis oftmals de jure beziehungsweise zumindest de facto wenig wert ist, weil bei hoffnungslos überschuldeten Schuldnern nur in den seltensten Fällen noch nach Jahren oder gar Jahrzehnten die Forderungen realisiert werden können. Darüber hinaus sind zumindest solche Vertragsgläubiger, die über ausreichend Verhandlungsmacht verfügten, diese aber 460 461
FK-InsO/Ahrens, § 303, Rn. 20; MüKo-BGB/Stephan, § 303, Rn. 35. Siehe auch bei Fischinger, Erbenhaftung, S. 8.
B. Restschuldbefreiung
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nicht nutzten, um sich – zum Beispiel über Bürgschaften, Realsicherheiten und so weiter – zu schützen, nur begrenzt schutzwürdig. Überdies ist ein Schutz des Schuldners vor einer lebenslangen Überschuldung auch durch sozialstaatliche Überlegungen geboten und liegt zudem im Interesse der Allgemeinheit.462 c) Auch wenn somit die Restschuldbefreiung generell als verfassungskonform anzusehen ist, schließt das nicht aus, dass einzelne Regelungen – wie beispielsweise § 301 I 2 InsO – verfassungswidrig sind.463 2. Zivilrechtsdogmatik a) Durch die Restschuldbefreiungserteilung werden die Forderungen der Gläubiger durch rechtsgestaltenden richterlichen Hoheitsakt in unvollkommene Verbindlichkeiten mit der Folge umgewandelt, dass der Schuldner sie zwar noch freiwillig erfüllen kann, der Gläubiger aber nicht ihretwillen vollstrecken kann. Erfüllt der Schuldner allerdings freiwillig, kann er das Geleistete nicht kondizieren. b) Angesichts der Undurchsetzbarkeit der Forderung gegen den Willen des Schuldners beschränkt die Restschuldbefreiung nicht bereits die Schuld, sondern erst die Haftung des Schuldners. c) Der Beschluss des Insolvenzgerichts, der den Antrag auf Restschuldbefreiung für zulässig erklärt (§ 287a I InsO), begründet keine gesicherte (Befreiungs-)Anwartschaft des Schuldners auf die spätere Erteilung der Restschuldbefreiung.464 d) Eine Aufrechnung des Gläubigers mit einer von der Restschuldbefreiungserteilung erfassten Forderung gegen einen Anspruch des Schuldners ist zwar grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt aber in den Fällen der §§ 94, 95 InsO.465 Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen einer solchen Forderung ist dem Gläubiger hingegen apodiktisch verwehrt.466 Jedoch ist er nicht gehindert, die Forderung abzutreten, am Charakter als unvollkommene Verbindlichkeit ändert das aber nichts, § 404 BGB. e) Eine (Leistungs-)Klage des Gläubigers einer von einer Restschuldbefreiungserteilung erfassten Forderung ist nicht schon unzulässig, sondern erst unbegründet. f) Ein gerichtlicher Widerruf der Restschuldbefreiungserteilung nach § 303 InsO ist – entsprechend der actus contrarius Theorie – ein rechtsgestaltender gerichtlicher Hoheitsakt.467 462 463 464 465 466 467
Siehe im Einzelnen oben § 2 B II 1 c). Siehe auch oben § 2 B II 2. Näher § 2 B III 2 b). Ausführlich oben § 2 B III 3 b). Siehe § 2 B III 3 c). Siehe dazu § 2 B III 4.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB I. Einführung: Einstandsverbindlichkeit des Erben Sieht man von unvererblichen Verbindlichkeiten ab, gehen nach dem Grundsatz der Universalsukzession mit dem Tode einer Person alle Aktiva und Passiva auf den beziehungsweise die Erben über. Ob dies bereits aus § 1922 BGB oder erst durch die explizite Anordnung in § 1967 I BGB folgt, ist fraglich, kann aber in Ermangelung praktischer Unterschiede dahinstehen.468 1. Arten der Nachlassverbindlichkeiten Hinsichtlich der Frage, für was der Erbe einstandspflichtig sein kann, lassen sich die Nachlassverbindlichkeiten in drei Gruppen einteilen: – Erblasserschulden, das heißt die in der Person des Erblassers begründeten und daher von ihm herrührenden Schulden, § 1967 II Alt. 1 BGB. – Erbfallschulden, die erst mit dem Erbfall entstehen und den Erben als solchen treffen, § 1967 II Alt. 2 BGB; dazu gehören als Erbfallschulden im engeren Sinne469 vor allem Verpflichtungen aus Vermächtnissen, Auflagen, Pflichtteilsansprüchen, auf den Voraus (§ 1932 BGB), auf den Dreißigsten (§ 1968 BGB), aus Zugewinnausgleichsansprüchen nach § 1371 II, III BGB470, aus Ausbildungsbeihilfen nach § 1371 IV BGB sowie gegebenenfalls öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten.471 Zu ihnen können auch die Nachlasskostenschulden, das heißt Kosten, die ursächlich auf dem Erbfall beruhen, aber erst nach ihm entstanden sind (zum Beispiel Beerdigungskosten nach § 1968 BGB, Kosten der Testamentseröffnung, der Nachlassverwaltung oder des Gläubigeraufgebots)472, sowie die Nachlassverwaltungsschulden, die aus der Tätigkeit eines Vertreters oder einer Amtsperson (beispielsweise Nachlassverwalter, Testamtentsvollstrecker) erwachsen, gezählt werden. – Nachlasseigenschulden (zum Teil auch Nachlasserbenschulden genannt) schließlich sind Verbindlichkeiten, die ein Vorerbe, ein vorläufig r Erbe oder der endgültige Erbe vor Nachlasssonderung (§§ 1975, 1990 ff. BGB) in ord-
468
So auch Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967–2014, Rn. 5 m.w.N. Terminologie nach Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3394. 470 Vgl. BGH 21.3.1962 – IV ZR 251/61, NJW 1962, 1719, 1721. 471 Ob auch die Erbschaftsteuer zu den Nachlassverbindlichkeiten zählt, ist umstritten (dafür z.B. OLG Naumburg 20.10.2006 – 10 U 33/06, ZEV 2007, 381, 382 f.; a.A. [für reine Erbenschuld] hingegen z.B. BFH 28.4.1992 – VII R 33/91, NJW 1993, 350, 350 f.; OLG Hamm 3.7.1990 – 15 W 493/89, OLGZ 1990, 393, 395; OLG Düsseldorf 18.12.1998 – 7 U 72/98, FamRZ 1999, 1465). 472 Weitere Beispiele bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3396. 469
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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nungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses eingeht (zum Beispiel Fortführung eines Stromlieferungsvertrags).473 2. Bedeutung der Unterscheidung Wichtig ist die Differenzierung zwischen Erblasser-, Erbfall-, Nachlasskostenund Nachlassverwaltungsschulden auf der einen Seite und Nachlasseigenschulden auf der anderen vor allem für die Frage, inwieweit der Erbe es per Haftungsbeschränkungen vermeiden kann, mit seinem persönlichen Vermögen einstehen zu müssen. Für die Nachlassverbindlichkeiten der ersten Gruppe gilt, dass der Erbe für diese unbeschränkt haftet, durch die erbrechtlichen Haftungsbegrenzungsinstrumente seine Haftung aber auf den Nachlass beschränken kann. Die Nachlasseigenschulden weisen hingegen zwei Besonderheiten auf: Hat der Erbe sie in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses begründet, so haftet er grundsätzlich nicht nur mit dem Nachlass, sondern auch mit seinem Eigenvermögen, und zwar selbst dann, wenn es zum Beispiel durch Anordnung der Nachlassverwaltung zu einer Trennung der Vermögensmassen kommt;474 die Haftung ist hier also nicht nur eine vorläufig unbeschränkte, aber beschränkbare, sondern eine gänzlich unbeschränkte und unbeschränkbare.475 Der Erbe kann aber auch von Anfang an eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass mit dem Gläubiger vereinbaren, so dass sein Eigenvermögen selbst dann nicht haftet, wenn keines der gesetzlichen Haftungsbegrenzungsinstrumente eingreift.476 3. Die konfligierenden Interessen Wie jede Regelung von Haftung und ihrer Beschränkung, so stehen sich auch bei der Erbenhaftung mehrere – meist widerstreitende – Interessenlagen verschiedener Beteiligter gegenüber. In concreto lassen sich vier unterschiedliche Betroffene ausmachen: Erblasser, Erbe, Nachlass- und Eigengläubiger.
473 Siehe z.B. BGH 24.1.1973 – IV ZR 140/71, WM 1973, 361; kritisch gegen die Lehre von den Nachlasserbenschulden Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, S. 120, 142, 163. 474 Eine exklusive, von einer erbrechtlichen Haftungsbeschränkung erst Recht nicht betroffene Haftung mit dem Eigenvermögen besteht nach jeweils h.M., wenn entweder eine solche Beschränkung (konkludent) vereinbart wurde, die Maßnahme nicht als ordnungsgemäße Verwaltung anzusehen ist (Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3397, 3399; Staudinger/Marotzke § 1967, Rn. 43) oder wenn bei einer Erbengemeinschaft die Eingehung der Verbindlichkeit nicht von der internen Kompetenzordnung gedeckt wird (Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3398 m.w.N.; a.A. Staudinger/Marotzke § 1967, Rn. 49, § 2058, Rn. 42). 475 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 47 V 1. 476 Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 40.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
a) Erblasser Der Erblasser hat im Wesentlichen zwei Interessen: Hat er die Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen geregelt oder davon bewusst abgesehen, weil die gesetzliche Erbfolge zu seinem Willen entsprechenden Ergebnissen führt, hat er – gerade vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 14 I 1 Alt. 2 GG477 – ein legitimes Interesse daran, dass dieser Wille nicht dadurch konterkariert wird, dass der Erbe ökonomisch geradezu genötigt ist, die Erbschaft auszuschlagen.478 Erreichen lässt sich dies nur dadurch, dass das BGB mindestens einen Weg vorgibt, der es dem Erben bei Annahme der Erbschaft ermöglicht, im worst-case-Szenario weder Verlust noch Gewinn zu machen. Unabhängig davon hat der Erblasser oftmals den Wunsch, es möge infolge der Abwicklung seines Nachlasses nicht zu postmortalen Rufschädigungen kommen; dies kann nur geschehen, wenn vor dem Tode angehäufte Schulden möglichst ohne öffentliches Forum bereinigt werden können. b) Erbe Die Interessen des Erben sind mit denen des Erblassers in weitem Umfang identisch. Er will infolge des Erbfalls finanziell nicht schlechter stehen und – typischerweise – nichts unternehmen, was dem Ansehen des Erblassers abträglich wäre. An der Möglichkeit einer Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass ohne Ausschlagung hat er daher ein Interesse, wenn der Nachlass überschuldet ist. Umgekehrt ist es für ihn zumindest nicht von Nachteil, wenn seine Eigengläubiger auf den Nachlass zugreifen können, wenn er selbst überschuldet, der Nachlass aber „im Plus“ ist. c) Nachlassgläubiger Am komplexesten ist die Interessenlage der Gläubiger der Nachlassverbindlichkeiten. Im Ausgangspunkt haben diese sicherlich ein berechtigtes Interesse daran, nicht nur auf den Nachlass, sondern auch auf das Eigenvermögen des Erben zugreifen zu können. Das folgt zunächst aus der Annahme, dass es nach dem Erbfall sukzessive zu einer für Außenstehende immer unentwirrbareren Vermischung von Eigenvermögen und Nachlass kommt; ist der Erbe nur mit dem Nachlass einstandspflichtig, läuft der vollstreckende Nachlassgläubiger stets Gefahr, in das Eigenvermögen zu vollstrecken, was zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann, in denen der Erbe dies erfolgreich – und für den Nachlassgläubiger kostenpflichtig – rügt. Überdies verlieren die Nach477 Dass Art. 14 I 1 Alt. 2 GG die Freiheit des Erblassers umfasst, zu vererben, ist unstrittig, vgl. nur Maunz/Dürig/Papier, GG, Art. 14, Rn. 295 m.w.N. 478 Letztlich entspricht dies auch dem Allgemeininteresse, weil ohne die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung im Extremfall alle (Privat-)Erben die Erbschaft ausschlagen und letztlich der Staat mit Steuergeldern (§ 1936 BGB) den Nachlass abwickeln müsste (Börner, JuS 1968, 53, 55).
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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lassgläubiger mit dem Tod des Erblassers dessen Erwerbspotential und damit die Hoffnung, dass er sein Vermögen (= den Nachlass) durch Einkünfte beziehungsweise gute Vermögensverwaltung mehrt;479 ist der Zugriff auch auf das Eigenvermögen des Erben eröffnet, wird dieser Verlust (typisiert) durch das Erwerbspotential des Erben kompensiert. Ist hingegen das Eigenvermögen des Erben schon wegen der Forderungen seiner Eigengläubiger überschuldet, besteht regelmäßig kein Interesse der Nachlassgläubiger an einem Zugriff auf dieses. Im Gegenteil, dann sind sie – zumindest bei einem solventen Nachlass – gerade daran interessiert, eine Trennung der beiden Vermögensmassen herbeiführen und damit einen Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass verhindern zu können. Sie werden daher erwarten, dass die Erbrechtsordnung ihnen ein Instrument an die Hand gibt, mit dem sie sich entsprechend schützen können. Ist umgekehrt der Nachlass überschuldet, der Erbe aber solvent, so stellt sich der Erbfall für die Nachlassgläubiger als unverdientes „Geschenk des Himmels“ dar. Das geht – bei Verschmelzung der beiden Vermögensmassen – zulasten des Erben wie seiner Eigengläubiger, die daher ein berechtigtes Interesse daran haben, die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass beschränken zu können. Noch verkompliziert wird die Lage dadurch, dass es nicht nur einen Typ Nachlassgläubiger gibt. So erscheinen diejenigen Gläubiger, die eine Forderung gegen den Erblasser aufgrund zum Beispiel eines Kaufvertrags erworben haben, schutzwürdiger als beispielsweise Vermächtnisnehmer. Denn sie erwarben die Forderung nur um den Preis (des Versprechens) ihrer eigenen Gegenleistung, während es sich für den Vermächtnisnehmer oft um einen „unentgeltlichen Erwerb“ handelt, auf den zudem niemals ein Anspruch bestand.480 Diese Unterscheidung wird zum Beispiel bei §§ 1990, 1992 BGB relevant. d) Eigengläubiger des Erben Was schließlich die Interessenlage der Eigengläubiger des Erben betrifft, so wollen auch diese nicht schlechter stehen als vor dem Erbfall. Ist das Eigenvermögen überschuldet, der Nachlass aber nicht, so ist für sie – logischerweise reziprok zur Interessenlage der Nachlassgläubiger – eine Vermögensverschmelzung mit gegenseitigen Zugriffen vorzugswürdig, während es bei überschuldetem Nachlass und solventem Eigenvermögen genau umgekehrt ist.
479 Vgl. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3482 mit Fn. 189: „Nicht vermeiden lässt sich freilich, dass der Nachlassgläubiger nicht mehr vom Erwerbspotential des Erblassers profi iert.“. 480 Hinzu kommt, dass es ohne einen entsprechenden Vorrang der zuerst genannten Nachlassgläubiger vor z.B. Vermächtnisnehmern dem Erblasser ein leichtes wäre, deren Forderungen durch die Aussetzung vieler, zur Nachlassüberschuldung führender Vermächtnisse weitgehend zu entwerten.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
e) Interessenausgleich als Aufgabe des erbrechtlichen Haftungsregimes Idealiter austariert sind die Interessen der Betroffenen, wenn der Erbfall – sieht man von einem möglichen Wertzuwachs beim Erben durch den Nachlass ab – ökonomisch zumindest neutral ist, also keiner schlechter steht als zuvor. Dies sicherzustellen ist Aufgabe der §§ 1967 ff. BGB. Hierfür geben sie aber nur dem Erben und den Nachlassgläubigern, nicht jedoch seinen Eigengläubigern Instrumente an die Hand.481 Das ist insofern unschädlich, als die Interessenlagen von Erben und Eigengläubiger insoweit weitgehend parallel verlaufen, so dass der Erbe – gewissermaßen mittelbar – deren Belange mit wahrnehmen kann. Das zeigt die folgende Tabelle: Eigenvermögen
Nachlass
Vermögenstrennungsinteresse der Eigengläubiger
Vermögenstrennungsinteresse des Erben
Vermögenstrennungsinteresse der Nachlassgläubiger
Solvent
Überschuldet
Ja
Ja
Nein
Überschuldet
Solvent
Nein
Nein
Ja
4. Gang der weiteren Untersuchung Im Folgenden werden zunächst (unter II.) die einzelnen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente dargestellt und die sich bei diesen stellenden, im Rahmen der Arbeit relevanten Rechtsfragen erörtert. Dies bereitet den Boden für die dogmatische Einordnung der einzelnen Instrumente (sub. III.). Im Anschluss wird kurz dazu Stellung genommen, ob die untersuchten Vorschriften mit dem Grundgesetz, vor allem der Eigentumsfreiheit, vereinbar sind (dazu IV.), um schließlich eventuelle Neuregelungsalternativen aufzuzeigen (V.). Von einer Auseinandersetzung mit den §§ 1942 ff. BGB wird im Folgenden abgesehen. Zwar ist dies der radikalste Weg des Erben, einer Haftung zu entkommen, gilt der Erbschaftsanfall an ihn doch als nicht erfolgt (§ 1953 I BGB), so dass auch § 1967 BGB nicht anwendbar ist. Vergleichbar der Anfechtung eines Vertrags oder dem Rücktritt von einem solchen handelt es sich hier aber nicht um die Beschränkung einer an sich bestehenden Haftung, sondern um eine vollständige Haftungsvermeidung. Die Ausschlagung ist daher in der Diktion dieser Arbeit kein Haftungsbegrenzungsinstrument. Ebenfalls nicht erörtert werden die speziellen Fragen der Haftung von Vorund Nacherben sowie von Miterben, weil diese für die hier interessierenden Fragen keine weitergehenden Erkenntnisse zu liefern vermögen. 481 In gewisser Weise kann man bei diesen Instrumenten auch von „Haftungsgestaltungsrechten“ sprechen, vgl. H. Roth, Einrede, S. 61; Raape, IherJB 72, 292, 295.
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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II. Die einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumente 1. (Inventarerrichtung, §§ 1993 ff. BGB) a) Historische Entwicklung Während das klassische Römische Recht keine Haftungsbeschränkung im heutigen Sinne kannte, der Erbe sich mithin nur durch Ausschlagung vor einem überschuldeten Nachlass „retten“ konnte, war er nach der Justinian’schen Reform um 530 in der Lage, durch die Errichtung eines Inventars, in dem er in einem Verzeichnis die vorhandenen Aktiva und Passiva gegenüberstellte, seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken (C.6,30,22, „benefi ium inventarii“).482 Die „Rechtswohlthat des Inventarii“ fand sich auch in den Kodifikationen der Aufklärungszeit, namentlich dem Allgemeinen Preußischen Landrecht (I 9 § 413 ff.,).483 Und auch der erste Entwurf zum BGB räumte dem Erben noch ein solches „Inventarrecht“ im traditionellen Sinne ein, das ihm „Schutz dagegen [gewähren solle], daß er über die Kräfte des Nachlasses hinaus für die Befriedigung der Nachlaßgläubiger aufzukommen hat“484. Zu diesem Zweck gab er ihm das Recht, die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten „wegen Unzulänglichkeit des Nachlasses zur Berichtigung aller Nachlassverbindlichkeiten nach Massgabe der §§ 2093–2150 zu verweigern“, § 2092 I BGB-E. b) Heutige Gesetzesfassung Von dieser Konzeption wurde in der Zweiten Kommission Abstand genommen. Der Schutz des Gläubigers wurde im Falle einer nur „papierenen Sanktion“ offenkundig als nicht ausreichend angesehen.485 Dementsprechend führt die Inventarerrichtung heute nicht mehr dazu, dass der Erbe seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann. Ganz im Gegenteil, die §§ 1993 ff. BGB sind heute in erster Linie eine Gefahrenquelle für den Erben. Denn er haftet in den Fällen der §§ 1194 I 2, 2005 I BGB gegenüber allen, in denen des § 2006 III BGB gegenüber dem antragsstellenden Gläubiger endgültig unbeschränkt, das heißt unbeschränkbar (§ 2013 I 1 BGB, Ausnahmen: §§ 2013 I 2, 2063 II, 2144 III BGB): Die Einreden der §§ 1973, 1974, 1989–1992 BGB kann er nicht mehr erheben, und Anordnung beziehungsweise Eröffnung von Nachlassverwaltungs- und Nachlassinsolvenzverfahren führen nicht mehr zur Haftungsbeschränkung auf den Nachlass, da § 1975 BGB ebenfalls ausgeschlossen ist; der Erbe verliert auch die Einreden der §§ 2014, 2015 BGB, vergleiche § 2016 BGB.486 482 Dazu Siber, Haftung, S. 14 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 II 1; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 333; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 483. 483 Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 116 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 92 II; Siber, Haftung, S. 21 f. 484 Protokolle V, S. 604. 485 Vgl. auch Kipp/Coing, Erbrecht, § 92 III 2 a. 486 Das BGB ist hier an mehreren Stellen ungenau, wenn es von der „unbeschränkten“
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Die Inventarerrichtung ist daher kein Mittel der Haftungsbeschränkung mehr. Gleichzeitig ist sie aber auch grundsätzlich keine Voraussetzung dafür, dass der Erbe seine Haftung im Wege zum Beispiel der Nachlassverwaltung oder der Berufung auf eine Einrede nach §§ 1990–1992 BGB beschränken kann. Dieses Bild ändert sich nur, wenn dem Erben wirksam eine Inventarfrist nach § 1994 I 1 BGB gesetzt wurde. Denn dann ist die (rechtzeitige) Inventarerrichtung Voraussetzung und damit Mittel zur Erhaltung der Haftungsbeschränkungsmöglichkeit.487 Zusammengefasst ist aus dem Inventarrecht des Erben daher im Wesentlichen ein Inventarrecht der Nachlassgläubiger geworden,488 die für den Erben eine „Mäusefalle“ und für die Nachlassgläubiger eine Angriffswaffe ist.489 2. Nachlassverwaltung a) Zweck der Nachlassverwaltung vor dem historischen Hintergrund Schon das prätorische Recht gab den Nachlassgläubigern die Möglichkeit, per richterlicher Anordnung die durch den Erbfall vereinigten Vermögensmassen zu trennen, um damit einen Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass zu verhindern (beneficium separationis).490 Deshalb war auch eine Überschuldung des Erben nicht erforderlich, sondern es genügte bereits die Gefährdung der Nachlassgläubiger.491 Ein der heutigen Nachlassverwaltung ähnliches Instrument war der erbschaftliche Liquidationsprozess der Allgemeinen Preußischen Gerichtsordnung von 1793 (AGO I, 51, §§ 53 ff).492 Da dieser vor allem den Erben von der Last entbinden wollte, bei der Verteilung des Nachlasses die Rangvorrechte beachten zu müssen, konnte nur der Erbe, nicht aber die Nachlassgläubiger die Durchführung beantragen.493 Der Entwurf der Ersten Kommission für das BGB enthielt noch keine Nachlassverwaltung, was angesichts der dort Haftung des Erben spricht (z.B. §§ 1994 I 2, 2013 I 1, 2016 I); denn die unbeschränkte Haftung ist nach der gesetzlichen Konzeption gerade der Normalfall, gemeint ist vielmehr die unbeschränkbare Haftung. 487 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3738. 488 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3496. – Wenn hier von Inventarrecht die Rede ist, dann ist damit aber nicht gemeint, dass die Nachlassgläubiger einen erzwingbaren Anspruch auf Inventarerrichtung gegen den Erben haben, mit dem eine entsprechende Pflicht des Erben korrespondieren würde; die Inventarerrichtung ist vielmehr bloße Obliegenheit des Erben (vgl. RGZ 129, 241, 243 f.; v. Venrooy, AcP 186 [1986], 356, 362 ff.; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1994, Rn. 3, § 2006, Rn. 6; falsch daher Thüringer OLG 10.9.2008 – 9 W 395/08, NJW-RR 2009, 304 [305], das von einer „Pflicht zur Inventarerrichtung“ spricht). 489 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 III 2; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1993, Rn. 14. 490 Gaius, 2,153–155; Dig.42,6; C.7.72; näher Siber, Haftung, S. 12 ff.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 92 II; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 333; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 358; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 482. 491 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3466. 492 Zu diesem vgl. auch Hillebrand, Nachlaßverwaltung, S. 5 f. 493 Siehe näher Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3476.
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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noch vorgesehenen Abzugseinrede494 verständlich ist. Mit deren weitgehenden Streichung entstand im Verlauf der Beratungen der Zweiten Kommission beziehungsweise der Redaktionskommission jedoch ein Bedürfnis für die Schaffung der Regelungen über die Nachlassverwaltung.495 Die heutigen Regelungen über die Nachlassverwaltung nehmen Anleihen bei beiden Ansätzen und mischen diese zu einem neuartigen System.496 In der Tradition des Römischen Rechts steht, dass die Nachlassgläubiger ein Antragsrecht haben, mittels dem sie die „Ausplünderung“ des Nachlasses durch die Eigengläubiger des Erben verhindern können. Die Nachlassverwaltung spielt daher immer noch ihre klassische Rolle des beneficium separationis aus. Zugleich ist ihre Bedeutung als Mittel zur Begrenzung der Haftung des Erben heute angesichts der Denaturierung des Inventarrechts vom Erben- zum Nachlassgläubigerrecht eine unvergleichlich höhere. In Anlehnung an den erbschaftlichen Liquidationsprozess des Preußischen Rechts ist sie für den Erben auch deshalb von Bedeutung, weil sie ihm die Mühen der Nachlassabwicklung erspart. Die Nachlassverwaltung ist daher heute „Diener zweier Herrn“.497 Ausfluss dieser „Doppelstellung“ ist neben dem erwähnten Antragsrecht von Erbe (§ 1981 I BGB) und Nachlassgläubigern vor allem § 1985 II 1 BGB, nach dem der Nachlassverwalter beiden gegenüber (haftungs-)verantwortlich ist. b) (Praktische) Rechtsfolgen Ähnlich dem Römischen Recht tritt mit dem gerichtlichen Anordnungsbeschluss (§ 38 FamFG) ex tunc auf den Erbfall Vermögenstrennung ein. Auch wenn diese Rechtsfolge nirgends explizit ausgesprochen wird, können darüber keine Zweifel bestehen, weil ohne sie zum Beispiel die §§ 1976, 1977 BGB nicht erklärbar wären. Sie blitzt zudem in den im vorliegenden Kontext relevanten §§ 1975, 1984 I 3, II BGB auf: Nach §§ 1975, 1984 I 3 BGB kann der Erbe die Nachlassgläubiger an den Nachlassverwalter verweisen und damit ihren Zugriff auf sein Eigenvermögen verhindern, gegebenenfalls durch Vollstreckungsgegenklage nach §§ 767, 785, 780 f., 784 ZPO;498 etwas anderes gilt für Nachlasseigenschulden, wenn der Erbe für sie mit seinem Eigenvermögen haftet,499 sowie generell für Ansprüche, die – wie zum Beispiel Auskunftsansprüche – nur der Erbe erfüllen kann.500 Umgekehrt dürfen die Eigengläubiger des Erben nicht in den Nachlass vollstrecken (§ 1984 II BGB); versuchen sie es dennoch, kann 494
Dazu unten § 2 C II 6 a). Vgl. Kipp/Coing, Erbrecht, § 92 III 1; Staudinger/Marotzke, § 1975, Rn. 15 f. 496 Vgl. auch Hillebrand, Nachlaßverwaltung, S. 6. 497 Vgl. BGH 30.3.1967 – II ZR 102/65, NJW 1967, 1961; Leipold, Erbrecht, Rn. 706; nicht richtig hingegen NK-BGB/Krug, § 1975, Rn. 1, der den Eindruck vermittelt, dass allein der Schutz des Erben Zweck der Norm sei. 498 FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1984, Rn. 11; NK-BGB/Krug, § 1975, Rn. 14. 499 Siehe dazu oben § 2 C I 2. 500 Staudinger/Marotzke, § 1975, Rn. 23; vgl. a.a.O. Vorbem zu §§ 1976–2017, Rn. 8. 495
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
dies der Nachlassverwalter mit vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen abwehren.501 Selbstverständlich bleibt aber jeweils das Recht der Eigengläubiger, ins Eigenvermögen des Erben, beziehungsweise der Nachlassgläubiger, in den Nachlass zu vollstrecken, unberührt. c) Das Schicksal der Haftungsbeschränkung bei Beendigung der Nachlassverwaltung, insbesondere: §§ 1990 ff. BGB analog? Für die Frage, wie der Erbe nach Beendigung der Nachlassverwaltung haftet, ist nach dem Grund für die Verfahrensbeendigung zu unterscheiden. Stellt der Nachlassverwalter die Überschuldung des Nachlasses fest, muss er ein Nachlassinsolvenzverfahren beantragen (§§ 1985 II, 1980 I 1 BGB).502 An der Erbenhaftung ändert sich nichts, führt nach § 1975 BGB doch auch die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zur Haftungsbeschränkung; da die Nachlassverwaltung erst mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens und ohne Aufhebungsbeschluss endet (§ 1988 I BGB), setzt sich die Haftungsbeschränkung nahtlos fort, wird also insbesondere nicht für eine juristische Sekunde durch die Aufhebung der Nachlassverwaltung unterbrochen, um dann sofort neubegründet zu werden.503 Lag der Anordnung der Nachlassverwaltung kein ordnungsgemäßer Antrag zugrunde, und wird sie deshalb aufgehoben, haftet der Erbe unbeschränkt.504 Ist der Nachlass zwar nicht überschuldet, aber dürftig, können aus ihm also mit anderen Worten die Kosten der Verwaltung nicht gedeckt werden, so ist die Nachlassverwaltung aufzuheben (§ 1988 II BGB); damit endet die nach § 1975 BGB herbeigeführte Vermögenstrennung, der Erbe ist allerdings über die §§ 1990 ff. BGB geschützt.505 War der Nachlass hingegen weder überschuldet noch dürftig, so hat der Nachlassverwalter die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen (§ 1985 I BGB) und dem Erben den Rest auszuantworten (§ 1986 I BGB); die Nachlassverwaltung wird sodann wegen Zweckerreichung aufgehoben.506 Damit endet die Anordnung der Nachlassverwaltung und ihre Wirkungen, so dass die Eigengläubiger – mangels Geltung des § 1984 II BGB – wieder in den Nachlass vollstrecken können. Fragen der Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten und ihre Begrenzung stellen sich hier grundsätzlich nicht mehr. Schwierigkeiten können allerdings auftreten, wenn sich nach Ausantwortung des Restnachlasses an den Erben weitere Nachlassgläubiger melden. Haftete er bereits vor Anordnung 501 Zu den verschiedenen Fallkonstellationen vgl. Soergel/Stein, § 1984, Rn. 9; Staudinger/ Marotzke, § 1975, Rn. 28 jeweils m.w.N. 502 Vgl. auch NK-BGB/Krug, § 1980, Rn. 9, 13. 503 Ebenso Soergel/Stein, § 1988, Rn. 1, § 1975, Rn. 13 a.E. 504 Ebenso Soergel/Stein, § 1975, Rn. 13; RGRK/Johannsen, § 1986, Rn. 9. 505 Vgl. RGRK/Johannsen, § 1986, Rn. 9; Staudinger/Marotzke, § 1988, Rn. 9; siehe dazu § 2 C II 5. 506 FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1988, Rn. 2; Soergel/Stein, § 1988, Rn. 2.
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der Nachlassverwaltung gegenüber allen Nachlassgläubigern unbeschränkbar, so ändert daran die Durchführung der Nachlassverwaltung selbstverständlich nichts;507 der Erbe muss daher den später kommenden Nachlassgläubiger gegebenenfalls auch mit Mitteln des Eigenvermögens befriedigen. Hatte der Erbe hingegen das Recht zur Haftungsbeschränkung noch nicht verloren, so kann er seine Haftung unter den Voraussetzungen der §§ 1973 f., 1990 ff. BGB begrenzen.508 Es stellt sich aber die Frage, ob der Erbe nach zweckerreichender Durchführung des Nachlassverwaltungsverfahrens nicht generell durch eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass zu schützen ist. Die heute herrschende Meinung bejaht dies und räumt der Haftungsbeschränkung der Nachlassverwaltung dauerhafte Wirkung ein.509 Technisch geschieht dies durch eine Analogie zu §§ 1990, 1991 BGB unter Verzicht auf die Voraussetzung der Dürftigkeit des Nachlasses. Der Erbe kann dann eine Zwangsvollstreckung der Nachlassgläubiger in sein Eigenvermögen nach §§ 780, 781, 785, 767 ZPO abwehren, auch ohne ein erneutes Nachlassverwaltungsverfahren einleiten zu müssen. Preis für dieses Haftungsprivileg ist wegen § 1991 I BGB allerdings die Anwendbarkeit der §§ 1978–1980 BGB.510 Die herrschende Meinung stützt sich vor allem darauf, dass der Erbe in seinem Vertrauen darauf, nach Abschluss der amtlichen Abwicklung einen schuldenfreien Nachlass zu erhalten, schutzwürdig sei, und er auch nicht gezwungen werden dürfe, erneut Nachlassverwaltung beziehungsweise erstmalig ein Nachlassinsolvenzverfahren beantragen zu müssen, um sein Eigenvermögen zu schützen.511 Zudem enthalte der Wortlaut des § 1975 BGB keine zeitliche Beschränkung á la „solange … angeordnet … ist“ und werde zudem nirgends ausgesprochen, dass die Wirkung der Nachlassverwaltung mit Aufhebung ihrer Anordnung wegfällt.512 Schließlich könne aus § 1989 BGB nichts abgeleitet werden, weil ja nicht dieser – und
507
Vgl. nur MüKo-BGB/Küpper, § 1986, Rn. 6. Dabei ist unstrittig, dass ein vom Nachlassverwalter initiiertes Aufgebotsverfahren auch zugunsten des Erben wirkt, vgl. statt aller Kipp/Coing, Erbrecht, § 97 XI 1. 509 BGH 17.12.1953 – IV ZR 101/53, NJW 1954, 635, 636; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 12 ff.; MüKo-BGB/Küpper, § 1975, Rn. 6, § 1986, Rn. 6; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1975, Rn. 6, § 1988, Rn. 3; Palandt/Weidlich, § 1986, Rn. 1; Frank/Helms, Erbrecht, S. 235; Erman/Horn, § 1975, Rn. 5; RGRK/Johannsen, § 1986, Rn. 6 ff.; Roth, Einrede, S. 61; Lettmann, RNotZ 2002, 538, 546; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 VI 2; Kipp/Coing, Erbrecht, § 97 XI 2; Joachim, Haftung, S. 119 f.; NK-BGB/Krug, § 1975, Rn. 36; Staudinger/Lehmann11, § 1975, Rn. 4. 510 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 VI 2 mit Fn. 149; so auch Soergel/Stein, § 1975, Rn. 13 mit zutreffendem Hinweis, dass hier die abgeschwächte Haftung des § 1973 BGB (über § 1989 BGB) nicht angemessen erscheint. 511 BGH 17.12.1953 – IV ZR 101/53, NJW 1954, 635, 636; RGRK/Johannsen, § 1986, Rn. 6; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 13. 512 Kipp/Coing, Erbrecht, § 97 XI 2; RGRK/Johannsen, § 1986, Rn. 6; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 13. 508
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damit die für den Erben günstigere Regelung des § 1973 BGB –, sondern vielmehr die §§ 1990, 1991, 1978 ff. BGB angewandt werden sollten.513 Mit der früheren herrschenden Meinung, heute aber nur noch vereinzelt vertretenen Gegenauffassung ist diese analoge Heranziehung der §§ 1990 ff. BGB auf die Phase nach Aufhebung der Nachlassverwaltung abzulehnen.514 Entsprechend seines Charakters als „Verfahren auf Zeit“515 beschränken sich die Wirkungen des Nachlassverfahrens richtigerweise auf dessen Dauer und enden daher mit dem Aufhebungsbeschluss. Der Erbe haftet danach wieder unbeschränkt auch mit seinem Eigenvermögen; entkommen kann er dem nur unter den Voraussetzungen der §§ 1990–1992 (direkt), 1973 f. BGB beziehungsweise durch Einleitung eines (erneuten) Nachlassverwaltungs- oder Nachlassinsolvenzverfahrens. Vorzuwerfen ist der herrschenden Meinung in dogmatischer Hinsicht vor allem, dass sie sich nicht darum bemüht, die für eine Analogie erforderliche, am Plan des Gesetzgebers gemessene planwidrige Regelungslücke516 nachzuweisen, wofür sie und nicht etwa die Gegenauffassung – für das Gegenteil – „beweispflichtig“ ist.517 Gegen die herrschende Meinung sprechen zudem insbesondere der Wortlaut der §§ 1975, 1990 BGB sowie der gesetzgeberische Wille. So enthält der Wortlaut des § 1975 BGB entgegen der herrschenden Meinung bereits eine zeitliche Beschränkung, heißt es doch „angeordnet […] ist“ und nicht zum Beispiel „angeordnet […] worden ist“.518 Die Nachlassverwaltung ist aber nur angeordnet, solange sie nicht durch Aufhebungsbeschluss wieder beendet wurde. Schon aufgrund dieses Wortlauts ist eine – zugegebenermaßen um der Rechtssicherheit willen vielleicht wünschenswerte – explizite gesetzliche Anordnung, dass die Wirkung des § 1975 BGB mit der Beendigung der Nachlassverwaltung entfällt, entbehrlich. Außerdem ist die Trennung der Vermögensmassen gesetzessystematisch die Ausnahme, die sowohl für ihre Herbeiführung wie ihren Fortbestand bei Wegfall ihrer ursprünglichen Voraussetzungen einer klaren gesetzlichen Anordnung bedarf – an einer Regelung, nach der die Haftungsbeschränkung die Beendigung der Nachlassverwaltung über513
Soergel/Stein, § 1975, Rn. 13. Siehe heute Staudinger/Marotzke, § 1986, Rn. 9 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3623 ff.; Christopeit, Haftung des Erben, S. 56 ff.; Hillebrand, Nachlaßverwaltung, S. 45 f.; aus der älteren Literatur: Siber, Haftung, S. 36 f.; Riesenfeld, Erbenhaftung II, S. 89; Planck, DJZ 1899, 366, 367 f.; das gilt insbesondere, wenn parallel zur Nachlassverwaltung eine Testamentsvollstreckung besteht, vgl. insoweit Muscheler, a.a.O., Rn. 3625; ders., Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 140 f. 515 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3623. 516 Vgl. zu diesem Erfordernis z.B. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, S. 393 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 868, 889. 517 Vgl. zu dieser „argumentative[n] Beweislast“ desjenigen, der eine Analogie behauptet, J. Koch, Patronatserklärung, S. 566. 518 So auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3626. 514
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dauert, fehlt es aber gerade. Das von der herrschenden Meinung reklamierte Schweigen des Gesetzes ist dementsprechend kein Argument für, sondern gegen sie.519 Angeführt werden kann ferner der Wortlaut des § 1990 BGB. Zwar kann dem Wortlaut einer analog anzuwendenden Norm grundsätzlich kein Argument gegen die Analogie entnommen werden, ist Wesen der Analogie doch gerade eine Anwendung der Norm über ihren Wortlaut hinaus.520 Etwas anderes muss aber gelten, wenn die Voraussetzungen der Norm und die zugrundeliegende gesetzgeberische Wertung im Wege der Analogie vollkommen ausgehöhlt würden.521 So liegt es bei § 1990 BGB, der die Dürftigkeitseinrede des Erben auf Fälle beschränkt, in denen die Nachlassverwaltung aus einem ganz speziellen Grund (mangelnde Masse) aufgehoben wurde. Es hieße den sich darin widerspiegelnden gesetzgeberischen Willen zu ignorieren, wenn man § 1990 BGB auch bei Aufhebung der Nachlassverwaltung wegen Zweckerreichung anwenden würde.522 Gegen die herrschende Meinung streitet des Weiteren die historische Auslegung. Denn die Erste Kommission lehnte es ab, den Erben „nach der Beendigung der Pflegschaft immer nur auf die Bereicherung haften zu lassen“; vielmehr solle „der Erbe nach der Beendigung der Nachlaßpflegschaft […] in gleicher Weise hafte[n], wie wenn eine Pflegschaft nicht bestellt gewesen wäre.“523 Wolle der Erbe „nur auf die Bereicherung haften […], so stehe ihm der Antrag auf die Erlassung des Aufgebots […] frei.“524 Diese Aussagen gelten auch für die Nachlassverwaltung, weil sie nur ein Sonderfall der Nachlasspflegschaft ist (vergleiche den Wortlaut des § 1975 BGB).525 Sie lassen nur den Schluss zu, dass die Mitglieder der Ersten Kommission dem zeitlich beschränkten Verfahren der Nachlasspflegschaft keine dauerhafte Wirkung beimessen wollten; eine Analogie zu § 1990 BGB würde dieses Anliegen gerade konterkarieren.526 Für die hier vertretene Auffassung spricht ferner ein Gegenschluss zu § 1989 BGB, der nur für das Nachlassinsolvenzverfahren, nicht aber für die Nachlassverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen durch den Verweis auf § 1973 BGB eine Fortgeltung der Haftungsbeschränkung anordnet.527 Zwar ist der herrschenden Meinung zuzugeben, dass die Analogie zu § 1990 BGB zu teilweise anderen Rechtsfolgen führt als die §§ 1989, 1973 BGB, das ändert aber 519
Ähnlich Christopeit, Haftung des Erben, S. 59 f. Vgl. statt aller Palandt/Sprau, Einleitung, Rn. 48. 521 I.E. ebenso Christopeit, Haftung des Erben, S. 57 f. 522 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3626; a.A. ohne Argument BGH 17.12.1953 – IV ZR 101/53, NJW 1954, 635, 636. 523 Protokolle V, S. 817. 524 Protokolle V, S. 818. 525 Unstrittig, vgl. nur Soergel/Stein, § 1975, Rn. 7; RGRK/Johannsen, § 1975, Rn. 12. 526 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3626. 527 So auch schon Riesenfeld, Erbenhaftung II, S. 89. 520
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nichts daran, dass sich im Angesicht des § 1989 BGB eine planwidrige Regelungslücke nicht mehr begründen lässt. Denn die Existenz des § 1989 BGB zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem der Fortgeltung der Haftungsbeschränkung nach Verfahrensbeendigung erkannt hat, so dass aus der mangelnden Regelung für die Nachlassverwaltung nur der Schluss gezogen werden kann, der Gesetzgeber habe die haftungsbegrenzende Wirkungen auf die Dauer des Verfahrens beschränken wollen. Fehl geht die herrschende Meinung schließlich auch, soweit sie sich auf die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Erbens in die Schuldenfreiheit nach Verfahrensbeendigung beruft. Zwar mag dieser der (irrigen) Annahme sein, sein Privatvermögen dauerhaft durch die Nachlassverwaltung schützen zu können – nur: seit wann sind Fehlvorstellungen in der Laiensphäre für die Gesetzesauslegung relevant? Im Übrigen ist der Erbe nicht in dem von der herrschenden Meinung angenommenen Maße schutzwürdig, und zwar deshalb, weil er sich – worauf schon die Erste Kommission hingewiesen hat528 – selbst dadurch schützen kann, dass er vor oder während des Nachlassverwaltungsverfahrens ein Aufgebotsverfahren initiiert;529 gegenüber sich nicht (rechtzeitig) meldenden Nachlassgläubigern hat er dann die Einrede des § 1973 BGB. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der eine Ungleichbehandlung von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren rechtfertigt, ist bei letzterem doch der Erlass des Aufgebots in der Regel nicht möglich, vergleiche § 457 FamFG. Letztlich wird sich die herrschende Meinung in der Rechtspraxis entgegen ihrer Intention zum Schutz des Erben in einigen Fällen sogar kontraproduktiv auswirken: Der Anreiz, ein Aufgebotsverfahren zu beantragen, wird einem rechtlich nicht vorgebildeten – oder von juristisch wenig bewanderten Anwälten beratenen – Erben geringer erscheinen, wenn er schon über die Nachlassverwaltung zu einer dauerhaften Haftungsbeschränkung gelangen kann. Er wird angesichts der damit verbundenen Kosten häufig kein Aufgebotsverfahrens einleiten – und damit übersehen, dass seine Situation bei § 1973 BGB in einigen Punkten günstiger ist als bei §§ 1990 ff. BGB.530 Zusammengefasst ist die herrschende Meinung mit der geltenden Rechtslage nicht vereinbar. § 1990 BGB ist nach Ende der Nachlassverwaltung nicht analog anzuwenden, der Erbe haftet daher wieder unbeschränkt auch mit dem Privatvermögen.
528
Protokolle V, S. 817 f.; wie hier Staudinger/Marotzke, § 1986, Rn. 10. Sein Antragsrecht besteht auch während der Nachlassverwaltung (ebenso Soergel/ Stein, § 1970, Rn. 1); im Übrigen profitiert er von einem eventuell vom Nachlassverwalter eingeleiteten Aufgebotsverfahren (Kipp/Coing, Erbrecht, § 97 XI 1). 530 Z.B.: (1) Abwendungsmöglichkeit, die nur bei § 1973 II 2 BGB, nicht aber bei § 1990 BGB existiert; (2) Anwendbarkeit der §§ 1978, 1979 BGB nur im Falle des § 1991 BGB, nicht aber bei § 1973 BGB. 529
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3. Nachlassinsolvenzverfahren a) Zweck und Rechtsfolge der Insolvenzeröffnung Während die Nachlassverwaltung für Situationen konzipiert ist, in denen der Nachlass zur Befriedigung aller Nachlassgläubiger als ausreichend erscheint, ist bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit das Nachlassinsolvenzverfahren einzuleiten (§§ 1980 I 1, 1985 II 2 BGB, § 320 S. 1 InsO).531 Wie die Nachlassverwaltung, so dient auch das Nachlassinsolvenzverfahren den Interessen der Nachlassgläubiger (gleichmäßige Befriedigung) und denen des Erben (Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass).532 Deshalb haben unter anderem der Erbe und jeder Nachlassgläubiger – wobei bei letzterem die Frist des § 319 InsO zu beachten ist – das Recht, die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen, § 317 I InsO. Rechtsfolge ist die Trennung der Vermögensmassen Nachlass und Eigenvermögen, § 1975 BGB; es gilt das zur Nachlassverwaltung Gesagte entsprechend. Dementsprechend scheidet – auch wenn es für das Nachlassinsolvenzverfahren an einer § 1984 I 3, II BGB entsprechenden Vorschrift fehlt – ein Zugriff der Nachlassgläubiger auf das Eigenvermögen und umgekehrt ein solcher der Eigengläubiger auf den Nachlass aus.533 b) Rechtsfolgen bei Beendigung des Nachlassinsolvenzverfahrens Im Hinblick auf das Schicksal der durch § 1975 BGB für das laufende Nachlassinsolvenzverfahren angeordneten Haftungsbeschränkung ist nach dem Grund für die Beendigung des Verfahrens zu unterscheiden: aa) Unproblematische Fallgruppen Wird der Eröffnungsbeschluss aufgehoben, so entfällt die Wirkung des § 1975 BGB ex tunc, der Erbe haftet unbeschränkt, verliert aber nicht das Recht, seine Haftung in der Zukunft durch die gesetzlichen Mittel zu beschränken.534 Gleiches gilt, wenn das Insolvenzverfahren nach § 212 InsO eingestellt wird, weil der Nachlass (nicht mehr) überschuldet oder zahlungsunfähig ist (mangelnder Eröffnungsgrund), vergleiche §§ 215, 201 I InsO. Keine Schwierigkeiten ergeben sich ferner, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse schon gar nicht eröffnet worden war (§ 26 InsO) oder wenn es aus diesem Grund später wieder eingestellt wird (§ 207 InsO); dann greift jeweils § 1990 BGB ein.
531
Lettmann, RNotZ 2002, 538, 542. Leipold, Erbrecht, Rn. 711; Frank/Helms, Erbrecht, § 18, Rn. 9. 533 Staudinger/Marotzke, § 1975, Rn. 6; vgl. auch FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1975, Rn. 12; siehe näher oben § 2 C II 2 b). 534 FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1989, Rn. 4; Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 2; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3653; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 14. 532
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bb) Gantverzicht Wird das Insolvenzverfahren auf einen entsprechenden Antrag des Schuldners, der nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgläubiger hierzu beibringt, eingestellt (Gantverzicht, § 213 InsO), ist § 1989 BGB nicht anwendbar. Eine Haftungsbeschränkung kann sich gegenüber solchen Gläubigern, die am Gantverzicht teilgenommen haben, aber aus der Vereinbarung ergeben.535 Weitergehend plädieren allerdings Horn536 und Lehmann537 für eine analoge Anwendung der §§ 1990–1992, 1978–1980 BGB, die mithin auch dann eingreifen, wenn ihr Tatbestand nicht erfüllt ist. Das ist – wie nach Beendigung der Nachlassverwaltung durch Zweckerreichung – abzulehnen.538 Die §§ 1990, 1992 BGB greifen nur, wenn die dort normierten Voraussetzungen vorliegen. cc) Rechtsfragen des § 1989 BGB (1) Anwendung auch auf angemeldete Forderungen? Wird das Nachlassinsolvenzverfahren infolge Verteilung der Masse539 beziehungsweise durch Insolvenzplan beendet, findet nach § 1989 BGB die Regelung des § 1973 BGB entsprechende Anwendung.540 Das ist im Hinblick auf „säumige“ Gläubiger rechtspolitisch gerechtfertigt, da der Versäumnis der Anmeldung im Aufgebotsverfahren die Nichtanmeldung der Insolvenzforderung trotz öffentlicher Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses (§§ 28, 30, 9 InsO) gleichgestellt werden kann.541 Hingegen wurde die Anwendbarkeit des § 1989 BGB auch auf Nachlassgläubiger, die ihre Forderung rechtzeitig im Nachlassinsolvenzverfahren angemeldet hatten, teilweise kritisiert. Da diese Gläubiger alles zur Erfüllung ihrer Forderungen erforderliche taten, können sie nach Riesenfeld nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden wie die anderen Nachlassgläubiger; ihnen gegenüber habe der Erbe nach Maßgabe der §§ 1978, 1980 BGB einzustehen.542 Gegen seine Auffassung spricht jedoch die Entstehungsgeschichte, vermied es der Gesetzgeber doch bewusst, „ausschließlich von den im Konkurse nicht gemeldeten Gläubigern zu sprechen, da selbst gemeldete Forderungen unter Umständen […] nicht zur Befriedigung gelangen 535 Siehe auch Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 4; Kipp/Coing, Erbrecht, § 98 IV 4; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 14; MüKo-BGB/Küpper, § 1989, Rn. 3; Lettmann, RNotZ 2002, 538, 549. 536 Erman/Horn, § 1989, Rn. 1 mit Verweis auf § 1975, Rn. 5. 537 Staudinger/Lehmann11, § 1989, Rn. 1. 538 Siehe ausführlich oben § 2 C II 2 c). 539 § 1989 BGB ist insoweit ungenau, als das Insolvenzverfahren niemals durch Verteilung der Masse, sondern durch den sich daran anschließenden gerichtlichen Aufhebungsbeschluss (§ 200 I InsO) beendet wird. 540 Eine analoge Anwendung des § 1989 BGB auf andere Arten der Beendigung wird einhellig abgelehnt, vgl. statt aller Soergel/Stein, § 1975, Rn. 12 f., § 1989, Rn. 1. 541 RGRK/Johannsen, § 1989, Rn. 1. 542 Riesenfeld, Erbenhaftung II, S. 202 f.
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und den Konkurs überdauern.“543 Zudem stehen beide Gläubigergruppen entgegen Riesenfeld auch tatsächlich nicht auf einer Stufe, und zwar deshalb, weil nur diejenigen Nachlassgläubiger, die ihre Forderung angemeldet haben, von einer eventuellen Nachverteilung (§ 203 InsO) profitieren.544 (2) Sonderfragen bei Beendigung durch Insolvenzplan Wurde das Insolvenzverfahren durch einen Insolvenzplan beendet, kann fraglich sein, ob und – wenn ja – gegenüber welchen Nachlassgläubigern sich der Erbe auf die §§ 1989, 1973 BGB berufen kann. Da im Insolvenzplan die Haftung des Schuldners545 abweichend geregelt werden kann (vergleiche § 217 InsO), kann vorgesehen werden, dass der Erbe auch mit seinem Eigenvermögen für die im Nachlassinsolvenzverfahren unbefriedigt gebliebenen Forderungen haftet; er kann sich dann nicht auf § 1989 BGB berufen.546 In Ermangelung einer solchen Abrede greifen allerdings die §§ 1989, 1973 BGB ein. Lässt sich dem Insolvenzplan nicht eindeutig entnehmen, ob der Erbe mit dem Eigenvermögen haften oder ob es beim gesetzlichen Regelfall bleiben soll, so geht die heute – soweit ersichtlich – einhellige Meinung davon aus, dass keine Abbedingung der §§ 1989, 1973 BGB gewollt war;547 das trifft zu, weil eine gegenteilige „Auslegungsregel“ mit der gesetzlichen Anordnung in § 1989 BGB nicht vereinbar ist. Ist hingegen tatsächlich eine Haftung des Erben auch mit seinem Eigenvermögen vereinbart worden, ist fraglich, ob sich darauf auch Gläubiger berufen können, die ihre Forderung im Insolvenzverfahren nicht angemeldet hatten. Nach § 254 I 3, 1 InsO ist das prima vista zu bejahen, weil der gestaltende Teil des Insolvenzplans auch für solche Insolvenzgläubiger gilt. Die heute wohl einhellige Meinung548 will es beim Nachlassinsolvenzverfahren aber bei den §§ 1989, 1973 BGB belassen, mit anderen Worten: § 254 I 3, 1 InsO im Wege der teleologischen Reduktion nicht anwenden. Den Vorteil, anders als die anderen Gläubiger nicht auf die im Insolvenzplan vereinbarte Quote beschränkt zu sein (vergleiche § 201 I InsO), bezahlt der Nachlassgläubiger, der seine Forderung nicht angemeldet hat, folglich damit, dass er nur in den Nachlass, nicht aber in das Eigenvermögen des Erben vollstrecken kann.549 Dem ist grund543
Motive V, S. 640. So auch Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 1, 9. 545 Der Erbe ist Schuldner im Sinne der InsO, auch wenn die Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit nicht durch ihn verursacht wurde und er zudem zugleich Insolvenzgläubiger sein kann (vgl. BGH 16.5.1969 – V ZR 86/68, NJW 1969, 1349). 546 Lettmann, RNotZ 2002, 538, 548. 547 Siehe z.B. Soergel/Stein, § 1989, Rn. 3; Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 15; PWW/ Tschichoflos, § 1989, Rn. 5; anders noch MüKo-BGB3/Siegmann, § 1989, Rn. 6, der diese Auffassung aber ab der 4. Auflage aufgegeben hat. 548 Soergel/Stein, § 1989, Rn. 3; MüKo-BGB/Küpper, § 1989, Rn. 6; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1989, Rn. 4; Kipp/Coing, Erbrecht, § 98 IV 2 b; Lettmann, RNotZ 2002, 538, 549; wenn auch mit Zweifeln, aber i.E. doch zustimmend Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 18. 549 RGRK/Johannsen, § 1989, Rn. 12. 544
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sätzlich angesichts der unterschiedlichen Ausgangslage von Regelinsolvenzund Nachlassinsolvenzverfahren zuzustimmen. Denn bei ersterem kennt der Schuldner seine Gläubiger oder muss sie zumindest kennen, ist also nicht schutzwürdig, während es sich bei letzterem um ererbte Verbindlichkeiten handelt, von denen auch der sorgfältigste Erbe unter Umständen keine Kenntnis hatte oder auch nur haben konnte, umso mehr, als er während des Nachlassinsolvenzverfahrens regelmäßig kein Gläubigeraufgebot herbeiführen kann (§ 457 I FamFG). Um aber andererseits dem § 254 I 3 InsO soweit wie möglich gerecht zu werden, darf dessen teleologische Reduktion auch nur so weit gehen, wie sie zum Schutz des Erben vor einem „bösen Erwachen“ nach Planbestätigung wirklich erforderlich ist. Von den Wirkungen des Insolvenzplanes nicht ausgeschlossen sind daher richtigerweise Nachlassgläubiger, die ihre Forderung zwar angemeldet haben, dann aber gegen den Insolvenzplan gestimmt haben,550 sowie Nachlassgläubiger, die ihre Forderungen zwar nicht angemeldet haben, von deren Forderungen der Erbe aber aufgrund anderer Umstände zuverlässig Kenntnis hatte.551 Denn in beiden Fällen ist kein schutzwürdiges Vertrauen des Erben dahingehend, dass die Gläubiger ihre Forderungen nicht geltend machen, anzuerkennen. (3) Rechtsfolge des § 1989 BGB Durch die Verweisung auf § 1973 BGB wird zunächst klargestellt, dass der Erbe den Zugriff der Nachlassgläubiger auf sein Eigenvermögen auch nach Beendigung des Nachlassinsolvenzverfahrens abwehren kann – so er nicht bereits für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkbar haftet, § 2013 I 1 BGB. § 1989 BGB schränkt daher § 201 I InsO ein, nach dem der Erbe eigentlich mit Beendigung des Verfahrens wieder unbeschränkt haften würde.552 Da in den Fällen des § 1989 BGB ein Antrag auf Inventarerrichtung wegen § 2000 S. 3 BGB unzulässig ist,553 ist die Haftung des Erben hier vielmehr eine endgültig beschränkte.554 Wegen des Vorrangs der Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) kann der Erbe über §§ 1989, 1973 BGB zudem den Zugriff auch auf 550
So ähnlich (zur alten Rechtslage bei § 191 KO) RGRK/Johannsen, § 1989, Rn. 12. Die Beweislast trägt insofern der jeweilige Nachlassgläubiger. 552 Palandt/Weidlich, § 1989, Rn. 1; Erman/Horn, § 1989, Rn. 2; Lettmann, RNotZ 2002, 538, 548. 553 Vgl. FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2000, Rn. 3; Staudinger/Marotzke, § 2000, Rn. 5. 554 Soergel/Stein, § 1975, Rn. 14, § 1989, Rn. 3. – Nach h.M. gilt das selbst dann, wenn der Erbe sich im Rahmen eines während oder nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens freiwillig errichteten Inventars der Inventaruntreue (§ 2005 I 1 BGB) schuldig gemacht oder eine eidesstattliche Versicherung (§ 2006 III BGB) verweigert hat (RGRK/Johannsen, § 2000, Rn. 6; Palandt/Weidlich, § 2000, Rn. 2; BeckOK-BGB/Lohmann, § 2000, Rn. 3; MüKo-BGB/ Küpper, § 2000, Rn. 5). Nach der Gegenauffassung hingegen verwirkt der Erbe auch hier sein Haftungsbeschränkungsrecht (Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 8 f.). Vermittelnd wird zwar der h.M. zugestimmt, dafür aber eine Anwendung des § 2009 BGB abgelehnt (Soergel/Stein, § 2000, Rn. 2; NK-BGB/Odersky, § 2000, Rn. 9). 551
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Nachlassgegenstände abwehren, hinsichtlich derer eine Nachtragsverteilung zu erfolgen hat.555 4. Das Aufgebotsverfahren samt Ausschließungseinrede, §§ 1970 ff. BGB Die heutigen Vorschriften der §§ 1970 ff. BGB haben ihre Vorläufer im preußischen und lübischen Recht des erbschaftlichen Gläubigeraufgebots aus dem 19. Jahrhundert.556 Sie sollen es dem Erben ermöglichen, sich einen Überblick über die bestehenden Nachlassverbindlichkeiten zu verschaffen, damit er prüfen kann, ob die Umstände es „wünschenswerth erscheinen lassen“, Nachlassverwaltung beziehungsweise ein Nachlassinsolvenzverfahren zu beantragen.557 Im Aufgebot werden die Gläubiger aufgefordert, ihre Forderungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Gericht anzumelden (§ 434 II 2 Nr. 2 FamFG), sowie auf die Rechtsnachteile im Falle der unterlassenen beziehungsweise verspäteten Meldung hingewiesen (§§ 434 II 2 Nr. 3, 458 I Hs. 1 FamFG); die Aufgebotsfrist beträgt zwischen sechs Wochen und sechs Monaten (§§ 437, 458 II FamFG). Von den im Folgenden zu beschreibenden Rechtswirkungen des Aufgebotsverfahrens sind allerdings die in §§ 1971, 1972 BGB genannten Gläubiger ausgenommen. Für die Einordnung des Aufgebotsverfahrens in das System der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: a) Das Aufgebotsverfahren ist kein allgemeines Haftungsbegrenzungsinstrument für den Erben. Denn anders als Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenz führt es nicht zu einer Trennung der Vermögensmassen. Gegenüber den nicht ausgeschlossenen Gläubigern haftet der Erbe daher unbeschränkt auch mit seinem Eigenvermögen. Sinnlos ist das Aufgebotsverfahren aber auch insoweit nicht, kann der Erbe doch mit seiner Hilfe in einem ersten Schritt feststellen, ob er Maßnahmen ergreifen soll beziehungsweise muss (§ 1980 I BGB), um per Nachlassverwaltung/-insolvenz in den Genuss einer globalen, gegenüber allen Nachlassgläubigern wirkenden Haftungsbeschränkung zu kommen. b) Das Aufgebotsverfahren kann jedoch zu einer quasi punktuellen Haftungsbeschränkung gegenüber einzelnen Gläubigern führen. Als Folge des Ausschließungsbeschlusses (§ 439 FamFG) erlöschen zwar die nicht (rechtzeitig) angemeldeten Forderungen des Säumigen nicht, so dass er den Erben nach wie vor auf Leistung verklagen kann. Allerdings kann ihm der Erbe zwei Einreden
555
Näher Staudinger/Marotzke, § 1989, Rn. 7 f. Siehe Motive V, S. 643; in gewisser Weise kann bereits auf den erbschaftlichen Liquidationsprozess der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793 (AGO I, 51, §§ 53 ff.) verwiesen werden, der ebenfalls mit einem Aufgebot der Nachlassgläubiger, verbunden mit der Warnung, dass nicht rechtzeitig angemeldete Ansprüche hinter den rechtzeitig angemeldeten zurückstehen, begann (vgl. dazu näher Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3476). 557 Vgl. Motive V, S. 643; Soergel/Stein, Vor § 1970, Rn. 1; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1970, Rn. 1. 556
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
entgegensetzen, die oft miteinander vermischt werden558, richtigerweise aber zu unterscheiden sind: aa) Geltend machen kann er zunächst die Ausschlusseinrede, womit er sein Eigenvermögen vor dem Zugriff der Nachlassgläubiger schützen kann.559 Leicht zu Missverständnissen würde es führen, wenn man hier von einer der durch Anordnung der Nachlassverwaltung beziehungsweise Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens vergleichbaren Trennung der in seiner Hand durch den Erbfall vereinigten Vermögensmassen sprechen würde. Zwar lässt sich dies mit Blick auf die ausgeschlossenen Nachlassgläubiger so beschreiben, man muss sich dabei aber vor Augen halten, dass diese Rechtsfolge weder für die nicht ausgeschlossenen Nachlassgläubiger noch für die Eigengläubiger des Erben eintritt.560 Letztere können mangels Anwendbarkeit des § 1984 II BGB weiterhin in den Nachlass vollstrecken. Das gilt selbst dann, wenn alle Nachlassgläubiger mit ihren Forderungen durch den Ausschlussbeschluss ausgeschlossen sind; in einer solchen Konstellation führt § 1973 I BGB zu einer haftungsrechtlichen „Einbahnstraße“. bb) Zudem kann der Erbe mittels der Erschöpfungseinrede die Leistung insoweit verweigern, als der Nachlass durch die Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Gläubiger erschöpft wird, mit anderen Worten, soweit der Nachlass zur Befriedigung des ausgeschlossenen Gläubigers an der diesem gesetzlich zugewiesenen Rangstelle nicht ausreicht;561 eine tatsächliche Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Gläubiger muss noch nicht erfolgt sein.562 Einen eventuellen Überschuss hat er ihnen gegenüber nur nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen herauszugeben, wobei er die Herausgabe durch Zahlung abwenden kann (§ 1973 II 1, 2 BGB). Die Erschöpfungseinrede schützt zwar mittelbar auch das Eigenvermögen, primär geht es aber darum, eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Verteilung des Nachlasses unter den Nachlassgläubigern herbeizuführen. Wie Muscheler zu Recht bemerkt, wird der Erbe hier zu einer Art Privat-Insolvenzverwalter, jedoch ohne an insolvenzrechtliche Verteilungskriterien gebunden zu sein.563 558
Z.B. Soergel/Stein, § 1973, Rn. 1; Erman/Horn, § 1973, Rn. 5. Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3712; vgl. auch BeckOK-BGB/Lohmann, § 1973, Rn. 1; in Fortsetzung des Streits um die Dürftigkeitseinrede bei § 1990 BGB (siehe dazu § 2 C II 6 c]) ist allein streitig, ob der Erbe diese Ausschlusseinrede nur erheben kann, wenn der Nachlass voraussichtlich nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht (so Marotzke, ebd.) oder ob der Erbe sie selbst dann hat, wenn der Nachlass nachweisbar für alle Nachlassgläubiger genügt (dafür Muscheler, a.a.O.). 560 Anders als bei § 1990 BGB (siehe dazu unten § 2 C II 6 e]) führt diese asymmetrische Haftungsstruktur nicht zu Friktionen, da die Benachteiligung der Nachlassgläubiger gegenüber den Eigengläubigern auf deren Versäumnis der rechtzeitigen Forderungsanmeldung beruht. 561 Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 1. 562 Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 11. 563 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3713. 559
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cc) Die Einrede des § 1973 BGB kann der Erbe nur erheben, wenn er nicht bereits nach §§ 1194 I 2, 2005 I, 2006 III BGB gegenüber dem jeweiligen Nachlassgläubiger unbeschränkt haftet, § 2013 I 1 BGB; ist die zeitliche Reihenfolge umgekehrt, kann er die Ausschluss- und Erschöpfungseinreden in den Fällen der §§ 1194 I 2, 2005 I BGB aber weiterhin geltend machen, § 2013 I 2 BGB.564 dd) Nach wohl herrschender Meinung werden von § 1973 BGB solche Gläubiger nicht erfasst, deren Forderungen erst nach der öffentlichen Bekanntmachung des Aufgebots durch Aushang an der Gerichtstafel und einmaliger Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger565 (§ 435 FamFG) entstanden sind.566 Das ist zutreffend, weil sie vom Aufgebotsverfahren typischerweise gar nichts wissen, so dass die Statuierung eines Anmeldeerfordernisses nicht zumutbar wäre. 5. Die Verschweigungseinrede, § 1974 BGB a) Allgemeines § 1974 BGB wurde erst auf Anregung der bayerischen Regierung von der zweiten BGB-Kommission aufgenommen.567 Er soll den Erben gegen die Nachteile schützen, die ihm daraus entstehen können, dass ihm Nachlassverbindlichkeiten erst nach langer Zeit bekannt werden.568 Da § 1974 BGB hinsichtlich seiner Rechtsfolgen auf § 1973 BGB verweist, gilt das oben Gesagte entsprechend, mit anderen Worten: Der Erbe kann dem derart spät kommenden Gläubiger die Ausschluss- sowie die Erschöpfungseinrede entgegenhalten, auch ohne dass es zu einer Trennung der Vermögensmassen qua amtlichem Verfahren kommt. Relevant ist § 1974 BGB vor allem, wenn kein Aufgebotsverfahren durchgeführt wurde. Ist ein solches aber erfolgt, so hat er nur in zwei Konstellationen Bedeutung: Erstens für Pflichtteilsrechte, Vermächtnisse und Auflagen (§ 1972 564 Verweigert der Erbe allerdings nach Einritt der Haftungsbeschränkungsmöglichkeit die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem ausgeschlossenen Gläubiger (§ 2006 III BGB), kann er sich richtigerweise nicht mehr auf § 1973 BGB berufen. Denn die Nichtnennung des § 2006 III BGB in § 2013 I 2 BGB beruht auf dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers (Protokolle VI, S. 395; ebenso Soergel/Stein, § 1973, Rn. 10 m.w.N.). 565 www.ebundesanzeiger.de. 566 So Staudinger/Marotzke, § 1970, Rn. 19; Soergel/Stein, § 1970, Rn. 4; BeckOK-BGB/ Lohmann, § 1970, Rn. 3; RGRK/Johannsen, § 1970, Rn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 48 IV 2 mit Fn. 39. – Die Gegenansicht will hingegen grundsätzlich nur Gläubiger ausnehmen, deren Forderungen nach Erlass des Ausschlussbeschlusses entstanden sind; ausnahmsweise kommt es aber auch nach dieser Auffassung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Aufgebots für Forderungen, die auf Rechtshandlungen von Nachlasspfl gern oder Testamentsvollstreckern beruhen, an (PWW/Tschichoflos, § 1970, Rn. 6; Dt. ErbRK/Jülicher, § 1970, Rn. 6; Palandt/ Weidlich, § 1970, Rn. 2). 567 Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 153. 568 Protokolle V, S. 795.
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BGB), ist er doch anders als § 1973 BGB auch auf diese anwendbar;569 und zweitens für Forderungen, die erst nach der öffentlichen Bekanntmachung des Aufgebots entstanden sind, weil § 1973 BGB hier richtigerweise nicht anwendbar ist. b) Anwendbarkeit auf nach Fristablauf entstandene Forderungen Umstritten ist, ob § 1974 BGB auch auf Forderungen Anwendung findet, die erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden sind und die darum vom Nachlassgläubiger gar nicht rechtzeitig geltend gemacht werden konnten. aa) Meinungsstand Von der wohl herrschenden Meinung wird dies uneingeschränkt bejaht.570 Stein und Marotzke stimmen dem zwar im Grundsatz zu, lassen aber Ausnahmen zu: Beide wollen im Ergebnis solche Forderungen ausklammern, die nach Fristablauf durch Rechtshandlungen des Erben oder eines Nachlassverwalters, Testamentsvollstreckers und so weiter begründet wurden.571 Nach Stein sind zusätzlich solche Erbfallschulden auszunehmen, die „erst geraume Zeit nach dem Tod des Erblassers geltend gemacht werden können und ihre wesentliche Ursache im Umfang oder der Werterhöhung der Nachlassteilhabe finden“, wobei er als Beispiel die Ansprüche des vorläufig n Erben und den Ausbildungsanspruch nach § 1371 IV BGB nennt.572 Allein auf weiter Flur streitet nur Muscheler konzeptionell gegen die Anwendbarkeit des § 1974 BGB in diesen Konstellationen.573 bb) Relevanz Bei Erbfallschulden stellen sich hier selten Probleme, da sie dem Erben regelmäßig ohnehin bekannt sind, so dass § 1974 I 1 BGB schon seinem Wortlaut nach nicht eingreift. Ganz auszuschließen ist aber auch bei diesen nicht, dass der Erbe keine Kenntnis von ihnen hatte. So möge beispielsweise erst sechs Jahre nach dem Erbfall ein weiteres Testament auftauchen, das sich in der Anordnung eines weiteren Vermächtnisses erschöpft, oder aber ein Abkömmling des Erblassers macht erst nach zehn Jahren den Ausbildungsanspruch aus § 1371 IV BGB geltend. Bei Erblasserschulden sind noch leichter Szenarien denkbar, in denen die Forderung des Nachlassgläubigers erst nach Ablauf der Fünfjahres569
Staudinger/Marotzke, § 1974, Rn. 2. MüKo-BGB/Küpper, § 1974, Rn. 5; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1974, Rn. 3; Erman/ Horn, § 1974, Rn. 2; PWW/Tschichoflos, § 1974, Rn. 3; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1974, Rn. 2. 571 Während Staudinger/Marotzke, § 1974, Rn. 7 und Joachim, Haftung, Rn. 408 § 1974 BGB offenkundig konzeptionell teleologisch reduzieren wollen, kommt Soergel/Stein § 1974, Rn. 3 zum selben Ergebnis, indem er darauf abstellt, dass der Erbe regelmäßig Kenntnis von der Verbindlichkeit hat oder ihm diese zugerechnet wird, so dass § 1974 BGB aus diesem Grund ausscheidet. 572 Soergel/Stein, § 1974, Rn. 3 mit Fn. 11. 573 Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 153 ff. 570
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frist entsteht. Zum Beispiel kann dem Nachlassgläubiger, der eine Sache vom Erblasser gekauft hatte, 15 Jahre nach dem Erbfall infolge eines Rechtsmangels im Sinne von § 438 I Nr. 1 BGB ein Schaden entstanden sein. Geht schließlich der Erbe im siebten Jahr nach dem Erbfall in ordnungsgemäßer Verwaltung eine Nachlasseigenschuld ein, stellt sich auch bei dieser die Frage, ob § 1974 BGB eingreift. cc) Die Argumente Muschelers Um die Nichtanwendbarkeit des § 1974 BGB in diesen Fällen zu begründen, stützt sich Muscheler vor allem auf zwei Überlegungen: Erstens sei § 1974 BGB konzeptionell nicht nur ein reines Schutzinstrument zugunsten des Erben, sondern entspringe einer vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung der konfligierenden Interessen von Erbe und Nachlassgläubiger. Das folge zunächst daraus, dass in den Gesetzesmaterialien besonders betont wurde, eine außergerichtliche Geltendmachung reiche aus.574 Zudem zeige § 1974 I 2 BGB, nach dem die Fünfjahresfrist bei der Für-tot-Erklärung beziehungsweise Feststellung der Todeszeit nach dem VerschG erst mit Rechtskraft des Beschlusses zu laufen beginne, dass der Gesetzgeber die Nachlassgläubiger vor einem Fristablauf schützen wolle, bevor sie überhaupt objektiv in der Lage waren, ihre Forderungen geltend zu machen. Zweitens sei es widersprüchlich, wenn die herrschende Meinung Forderungen, die erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden sind, unter § 1974 BGB subsumiert, zugleich aber § 1973 BGB nicht anwenden will, wenn die Forderung erst nach Erlass des Aufgebots entstand. dd) Stellungnahme (1) Ausgangspunkt ist auch insoweit der Wortlaut, der gerade nicht nach dem Entstehungszeitpunkt der Forderung differenziert. Die Auffassung Muschelers bedeutet somit eine teleologische Reduktion der Norm, die nur möglich ist, wenn sich positiv nachweisen lässt, dass der Wortlaut der Norm, gemessen am Regelungswillen des Gesetzgebers, zu weit geraten ist.575 Dieser Beweis kann aber nicht geführt werden, die Ansicht Muschelers ist daher abzulehnen. (2) Auch wenn Muscheler insoweit zuzustimmen ist, als der Gesetzgeber bei § 1974 BGB nicht einseitig die Interessen des Erben im Blick hatte, sondern eine Interessenabwägung vornahm, folgt daraus kein Argument für eine teleologische Reduktion. Denn allein aus der ganz allgemeinen Erkenntnis, der Gesetzgeber habe auch die Interessen der Gläubiger berücksichtigen wollen, lässt sich kein konkretes gesetzgeberisches Versehen bei der weiten Wortlautfassung ableiten. Hierfür bedürfte es konkreterer Hinweise in den vorhandenen Materialien. Das Ergebnis dieser Interessenabwägung durch den Gesetzgeber mag man vielleicht nicht als die beste Lösung ansehen, unangemessen erscheint es 574
Protokolle V, S. 795. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 848, 902 f.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621. 575
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
darum aber noch nicht. Zwar ist auf den ersten Blick die Erfassung von Nachlassgläubigern, die mangels Entstehung der Forderung vor oder innerhalb der ersten fünf Jahre nach dem Erbfall diese gar nicht rechtzeitig geltend machen können, hart.576 Zu bedenken ist allerdings, dass erstens die Frist mit fünf Jahren nicht gerade kurz ist. Zweitens erlischt die Forderung nach Fristablauf weder, noch wird sie – wie zum Beispiel bei der Verjährung, § 214 BGB – in eine überhaupt nicht mehr im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbare unvollkommene Verbindlichkeit umgewandelt. Es wird vielmehr „nur“ die dem Gläubigerzugriff offenstehende Haftungsmasse verkleinert. Das Risiko, dass nach zum Beispiel zehn Jahren nicht mehr aufklärbar ist, ob der Gegenstand, in den der Nachlassgläubiger vollstrecken will, zum Nachlass gehörte oder nicht, trägt drittens auch nicht der Gläubiger, sondern der für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1974 BGB im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage (§ 785 ZPO) darlegungs- und beweispflichtige Erbe. Und viertens hat der Gesetzgeber den Erben in den vorliegenden Fällen zu Recht als sehr schutzwürdig angesehen. Denn wenn der Erbe zum Schutz seines Eigenvermögens gezwungen wäre, Nachlassverwaltung zu beantragen, müsste er über § 1978 I 1 BGB nach §§ 667, 668 BGB alle gezogenen Nutzungen herausgeben, Ersatz für verbrauchte Nachlassgegenstände leisten, Nachlassgelder verzinsen und so weiter;577 dass ihn eine derartige, sich auf viele Jahre beziehende Pflicht äußerst hart treffen würde, liegt auf der Hand. Es lässt sich auch nicht überzeugend einwenden, die Frist des § 1974 BGB sei im Vergleich zu den Verjährungshöchstfristen zu kurz. Zwar ist richtig, dass dort mit dreißigjährigen Höchstfristen wesentlich längere Fristen normiert wurden, wenn der Fristlauf nicht an die Entstehung der Forderung (dann zehn Jahre, § 199 III 1 Nr. 1, IV BGB) anknüpft (vergleiche § 199 II, III 1 Nr. 2, IIIa BGB). Gegen eine Übertragbarkeit dieser Wertungen spricht aber schon der bereits angesprochene Unterschied, dass die Verjährung den Gläubiger mit ihrem vollständigen Ausschluss der Vollstreckbarkeit konzeptionell stärker belastet als die mit §§ 1973, 1974 BGB einhergehende Begrenzung der Haftungsmasse. Überdies kennt das geltende Verjährungsrecht auch eine Reihe wesentlich kürzerer Verjährungsfristen (zum Beispiel in § 438 I Nr. 3 BGB), so dass ein allgemeiner Orientierungsmaßstab, mit dem § 1974 BGB zu harmonisieren wäre, nicht bestimmt werden kann. Zugunsten einer teleologischen Reduktion lässt sich entgegen Muscheler auch nicht § 1974 I 2 BGB anführen. Zwar soll dieser in seinem Anwendungsbereich verhindern, dass die Nachlassgläubiger einen Rechtsverlust in Gestalt der Beschränkung der Haftungsmasse erleiden, bevor es ihnen überhaupt möglich war, die Forderung anzumelden.578 Daraus lässt sich aber kein allgemeiner, für 576
Staudinger/Marotzke, § 1974, Rn. 7; Soergel/Stein, § 1974, Rn. 3. Protokolle V, S. 795; MüKo-BGB/Küpper, § 1978, Rn. 6 ff. 578 Vgl. MüKo-BGB/Küpper, § 1974, Rn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 IX 2 mit Fn. 246. 577
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den gesamten § 1974 BGB geltender Rechtsgedanke ableiten. Denn wenn der Gesetzgeber die Gefahr des Fristablaufs vor Forderungsentstehung erkannte, eine Lösung aber nur für die von § 1974 I 2 BGB erfassten Fälle normierte, so spricht das dafür, dass es im Übrigen bei der Grundregel des § 1974 I 1 BGB sein Bewenden haben solle. Unabhängig davon ist die zeitliche nach-hinten-Verlagerung des Fristbeginns bei § 1974 I 2 BGB nicht nur mit Blick auf die Interessen der Nachlassgläubiger, sondern auch auf die Situation des Erben gerechtfertigt. Die von § 1974 I 2 BGB erfassten, ganz spezifischen Konstellationen bestehen nämlich darin, dass sich der Erbe – anders als in den „Normalfällen“ – aufgrund der Ungewissheit über das Schicksal des Erblassers der möglichen Vorläufi keit seiner Erbenstellung bewusst sein muss. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Erblasser noch gar nicht gestorben ist, weiß der Erbe, dass er den an sich genommenen Nachlass an den Totgeglaubten herausgeben muss, wenn dieser wieder auftauchen sollte. Bis zur Todeserklärung kann er daher den Nachlass nicht berechtigterweise als sein eigenes Vermögen betrachten. Er ist daher gut beraten, ihn vom Eigenvermögen getrennt zu halten und vor allem Nachlassmittel nicht zur Verfolgung seiner ureigensten Interessen zu verwenden. Anders als in den Normalfällen, in denen der Erbe sich als neuer, endgültiger Eigentümer fühlt und fühlen darf, ist das Hinausschieben des Fristbeginns daher für ihn durchaus zumutbar. Schließlich rechtfertigt auch der Verweis darauf, dass nach zutreffender herrschender Meinung von § 1973 BGB Nachlassgläubiger, deren Forderung erst nach Erlass des Aufgebots entstanden ist, nicht erfasst werden579, kein anderes Ergebnis. Da die Aufgebotsfrist maximal sechs Monate betragen soll (§ 458 II FamFG) und vom Erbe unmittelbar nach dem Erbfall beantragt werden kann, ist die Zeitspanne, die zwischen dem Erbfall und dem Ablauf der Anmeldefrist liegt, in der Regel gravierend kürzer als die Fünfjahresfrist des § 1974 BGB. Würde man bei § 1973 BGB die genannte Ausnahme nicht machen, würden Nachlassgläubiger, deren Forderungen erst nach dem Erbfall entstehen, wesentlich häufiger und schneller einen Rechtsverlust in Gestalt der Verkürzung der Haftungsmasse erleiden als bei § 1974 BGB. Da nach dem oben Gesagten die Länge der Fünfjahresfrist ein gewichtiges Argument dafür ist, dass § 1974 BGB einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen herstellt, ist der Fristenunterschied zwischen § 1973 BGB und § 1974 BGB ein ausreichender Grund für die von Muscheler zu Unrecht monierte Ungleichbehandlung. (3) Als Zwischenergebnis lässt sich damit festhalten, dass eine generelle teleologische Reduktion des § 1974 I 1 BGB abzulehnen ist. Daraus folgt aber nicht im Sinne der herrschenden Meinung, dass § 1974 BGB stets anzuwenden ist, wenn die Forderung erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden ist. Vielmehr sind zwei Ausnahmen zu machen: 579
Siehe oben § 2 C II 4 a) dd).
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Erstens ist Muscheler insoweit zuzustimmen, als § 1974 BGB (aufgrund einer teleologischen Reduktion) nicht anwendbar ist, wenn eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet wurde. Wie ausgeführt, dient § 1974 BGB dem Schutz des Erben davor, nach langer Zeit die Nachlassseparation durchführen, die gezogenen Nutzungen herausgeben und gegebenenfalls auf Schadensersatz nach §§ 1978, 280 I BGB haften zu müssen. Da bei der Testamentsvollstreckung der Nachlass vom Eigenvermögen getrennt bleibt, stellt sich das Problem hier nicht in vergleichbarer Weise.580 Und zweitens sind Nachlassverbindlichkeiten, die durch eine Rechtshandlung des Erben oder eines Nachlassverwalters, Testamentsvollstreckers und so weiter nach Ablauf der Fünfjahresfrist in ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung begründet wurden, per teleologischer Reduktion vom Anwendungsbereich des § 1974 BGB auszunehmen.581 Denn für diese Nachlasseigenschulden haftet der Erbe konzeptionell nicht nur mit dem Nachlass, sondern mit dem Eigenvermögen, was durch eine „per-se“-Anwendung des § 1974 BGB konterkariert würde; zudem kann der Erbe geschützt werden, indem mit dem Gläubiger bei Abschluss des die Nachlasseigenschuld begründenden Rechtsgeschäfts vereinbart wird, dass der Erbe nur mit dem Nachlass haftet.582 6. Die Dürftigkeitseinrede, § 1990 BGB583 a) Historischer Hintergrund: Die Abzugseinrede des Ersten Entwurfs §§ 1990–1992 BGB stellen in veränderter Gestalt den Überrest der noch im Entwurf der Ersten Kommission enthaltenen „Abzugseinrede“ dar.584 Im Ersten Entwurf war ein Nachlassverwaltungsverfahren noch nicht vorgesehen, der Erbe konnte seine Haftung nur durch ein Nachlasskonkursverfahren oder per Abzugseinrede beschränken. Letztere erlaubte es ihm, auch ohne Konkursverfahren die Forderungen der Nachlassgläubiger so zu kürzen, wie sie in einem Nachlasskonkursverfahren gekürzt worden wären.585 Die Abzugseinrede wurde letztlich aber fallen gelassen, weil erstens der Erbe der Aufgabe, die Gläubiger nach konkursmäßigen Grundsätzen zu befriedigen, mangels Rechtskenntnissen „in der Regel nicht gewachsen sein werde“586 , und weil zweitens eine Verwaltung und Verteilung durch einen unabhängigen Nachlassverwal580 581
Rn. 3. 582
Ausführlich Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 157 f. Staudinger/Marotzke, § 1974, Rn. 7; Joachim, Haftung, Rn. 408; Soergel/Stein § 1974,
Siehe dazu oben § 2 C I 2. Auf die auf § 1990 BGB verweisenden Vorschriften der §§ 1480 S. 2, 1504, 1629a I 2, 2036, 2145, 2187 III BGB und 1489 II BGB kann hier nur hingewiesen werden, aus Platzgründen können sich dort eventuell ergebende Sonderprobleme aber nicht behandelt werden. 584 Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 1. 585 Vgl. Planck/Flad, BGB, vor § 1967, Anm. 5. 586 Protokolle V, S. 800. 583
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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ter auch den Interessen der Nachlassgläubiger besser gerecht wird.587 Stattdessen wurde die Nachlassverwaltung als zweites amtliches Separationsverfahren neben dem Nachlassinsolvenzverfahren geschaffen und mögliche verbleibende Schutzlücken durch die §§ 1990–1992 BGB zu schließen versucht. b) Zweck der heutigen Gesetzesregelung Ist der Nachlass dürftig, das heißt mit anderen Worten so gering, dass der Antrag auf Nachlassverwaltung respektive Nachlassinsolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt werden (§ 1982 BGB) beziehungsweise das Verfahren später aufgehoben werden kann (§ 1988 II BGB)588, sähe sich der Erbe einem Dilemma gegenüber: Entweder er schießt aus seinem Eigenvermögen so viel Kapital zu, dass genügend Masse vorhanden ist – dann muss analog §§ 26 I 2, 207 I 2 InsO das Verfahren eröffnet/fortgeführt werden589 – und nimmt diese ökonomische Einbuße um des Vorteils der durch die amtlichen Verfahren zu erreichenden Haftungsbeschränkung (§ 1975 BGB) in Kauf, oder er verzichtet auf die Haftungsbeschränkung und trägt das Risiko, am Ende mit dem Eigenvermögen für den überschuldeten Nachlass einstehen zu müssen. Beides wird als unbillig und für den Erben unzumutbar angesehen, insbesondere, weil er typischerweise gerade in Fällen, in denen der Nachlass dürftig ist, besonders schutzwürdig ist.590 Um den Erben vor solchen Konfliktsituationen zu bewahren und zugleich zu verhindern, dass ihm aus ökonomischer Perspektive wenig anderes übrig bleibt, als die Erbschaft auszuschlagen,591 wurden die §§ 1990 ff. BGB mit den dort normierten Dürftigkeits- und Überschuldungseinreden geschaffen. In ihnen setzt sich das Konzept der Abzugseinrede insoweit fort, als der Erbe auch außerhalb von Nachlassverwaltung beziehungsweise Nachlassinsolvenzverfahren eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass erreichen kann. c) Die verschiedenen Einreden des § 1990 I BGB Essentiell für das Verständnis des § 1990 BGB und seiner Einreden ist die Unterscheidung zwischen einem dürftigen, das heißt die Verfahrenskosten zwar nicht deckenden, damit aber noch nicht notwendigerweise überschuldeten Nachlass einerseits, und einem dürftigen sowie überschuldeten Nachlass andererseits. Nach zutreffender herrschender Meinung erfasst § 1990 BGB beide Fallkonstellationen.592 Eine Analyse des Gesetzeswortlauts spricht zumindest 587
Planck, DJZ 1899, 366, 367. Die Entscheidung liegt jeweils im Ermessen des Gerichts, FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1982, Rn. 1. 589 Staudinger/Marotzke, § 1982, Rn. 4; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1982, Rn. 1. 590 Lettmann, RNotZ 2002, 538, 549; MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3657; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1990, Rn. 1; Soergel/Stein, § 1990, Rn. 1. 591 Vgl. Soergel/Stein, § 1990, Rn. 1, der zu Recht darauf hinweist, dass mit den §§ 1990 ff. BGB letzten Endes ein ausuferndes Staatserbrecht verhindert wird. 592 KG 21. 11. 2002 – 12 U 32/02, NJW-RR 2003, 941, 942; MüKo-BGB/Küpper, § 1990, 588
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nicht dagegen: Zwar ist dort einerseits davon die Rede, dass der Erbe die Befriedigung insoweit verweigern kann, „als der Nachlass nicht ausreicht“, was gegen die hier vertretene Auffassung zu sprechen scheint. Andererseits wird in § 1990 BGB aber auch auf die Nachlassverwaltung abgestellt, die in Abgrenzung zum Nachlassinsolvenzverfahren gerade auf Fälle zugeschnitten ist, in denen der Nachlass nicht überschuldet ist beziehungsweise erscheint. Zudem lässt sich der zitierte Passus des § 1990 I 1 BGB als bloßer Hinweis auf eine der Einredearten interpretieren. Schließlich kann oft erst in der Zwangsvollstreckung geklärt werden, ob der Nachlass überschuldet ist oder ob er zur Befriedigung der Gläubiger ausreicht. Weil der Erbe gerade dann besonders schutzwürdig ist, wenn der Nachlass nicht kostendeckend ist, kann der Zweck des § 1990 BGB nur erreicht werden, wenn er auch solche Konstellationen umfasst. Legt man dieses Normverständnis zugrunde, umfasst § 1990 BGB drei voneinander zu unterscheidende Einreden:593 aa) Die Dürftigkeitseinrede wird relevant, wenn der Nachlass entsprechend der obigen Definition zwar dürftig, das heißt keine kostendeckende Masse vorhanden ist, er aber nicht überschuldet ist.594 In solchen Fällen, die nur bei kleinen Nachlässen denkbar sind, können alle Nachlassgläubiger befriedigt werden. Die Dürftigkeitseinrede gibt dem Erben hier daher nur das Recht, einer Vollstreckung in sein Eigenvermögen zu widersprechen und dieses dadurch zu schützen; das Verlangen auf Befriedigung aus dem Nachlass hingegen kann er nicht abwehren.595 Soweit es um die Durchsetzbarkeit der Nachlassforderungen geht, ähnelt § 1990 I 1 BGB der durch die Anordnung der Nachlassverwaltung respektive Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens entstehenden Trennung der Vermögensmassen.596 Wie bei § 1973 I BGB ist diese Trennung aber zunächst nur semipermeabel, weil § 1990 I 1 BGB einen Zugriff der Eigengläubiger des Erben auf den Nachlass nicht ausschließt. Allerdings wird diese Asymmetrie nach zutreffender herrschender Meinung über § 784 II ZPO analog, §§ 1991 I, 1978 I, 280 I BGB teilweise ausgeglichen.597
Rn. 2; PWW/Tschichoflos, § 1990, Rn. 2; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1990, Rn. 1, 4; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3664; Soergel/Stein, § 1990, Rn. 2; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 1; vgl. auch Roth, Einrede, S. 60; a.A. Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 3, der eine Überschuldung des Nachlasses verlangt, dem Erben aber dennoch die Dürftigkeitseinrede des § 1990 BGB geben will, wenn er dartun kann, dass die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass eine auf den Nachlass begrenzte Zwangsvollstreckung nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers führt. 593 Wie bei den anderen erbrechtlichen Haftungsbegrenzungsinstrumenten kann sich der Erbe nicht auf § 1990 BGB berufen, wenn er unbeschränkbar haftet, § 2013 I 1 BGB. 594 Soergel/Stein, § 1990, Rn. 2. 595 MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 11. 596 Vgl. auch FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1991, Rn. 1. 597 Siehe dazu ausführlich unten § 2 C II 6 e).
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bb) Die Unzulänglichkeitseinrede hat von der Dürftigkeitseinrede verschiedene Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Neben der Dürftigkeit des Nachlasses setzt sie dessen Überschuldung voraus. Mit ihrer Hilfe kann der Erbe dies geltend machen und den Nachlassgläubiger, dessen Forderung vom Nachlass nicht mehr gedeckt ist, auf den Nachlassrest verweisen,598 das heißt er muss ihm diesen im Wege der Zwangsvollstreckung herausgeben, § 1990 I 2 BGB, was er – anders als bei der Erschöpfungseinrede des § 1973 BGB – nicht durch Zahlung abwenden kann.599 Indem der Erbe den Nachlassgläubiger auf den Nachlassrest verweisen kann, ist durch die Trennung der beiden Vermögensmassen zugleich ein Zugriff auf sein Eigenvermögen ausgeschlossen. cc) Die Erschöpfungseinrede, die einen Unterfall der Unzulänglichkeitseinrede darstellt,600 greift, wenn überhaupt kein Nachlass mehr vorhanden ist. Dementsprechend kann der Nachlassgläubiger nicht einmal mehr auf einen Nachlassrest verwiesen werden, auch eine Herausgabepflicht nach § 1990 I 2 BGB besteht nicht. Wie die Unzulänglichkeitseinrede dient die Erschöpfungseinrede zugleich dem Schutz des Eigenvermögens vor einem Zugriff des Nachlassgläubigers. d) Pflichten des Erben infolge der Einredeerhebung aa) Im Gegenzug zur Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass hat der Erbe diesen zum Zwecke der Befriedigung der Nachlassgläubiger „im Wege der Zwangsvollstreckung“ herauszugeben, § 1990 I 2 BGB. Darunter ist keine Pflicht zur Herausgabe oder gar Übereignung außerhalb der Zwangsvollstreckung, sondern nur deren Duldung und Ermöglichung zu verstehen.601 Möglich bleibt aber natürlich, dass der Erbe die Nachlassgläubiger freiwillig befriedigt.602 An eine bestimmte Befriedigungsreihenfolge ist er dabei grundsätzlich nicht gebunden, das heißt er muss weder das Prioritätsprinzip noch das insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgebot beachten. Das gilt allerdings wegen §§ 1991 I, 1979 BGB nur solange, wie nach den Umständen anzunehmen ist, dass der Nachlass zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht.603 Sobald das nicht mehr der Fall ist, muss er entweder nach § 1980 I 1 BGB analog604 das Nachlassinsolvenzverfahren beantragen oder – bei Dürftigkeit des Nachlas598
Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 17; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1990, Rn. 4. Für Analogie zu §§ 1973 II 2, 1992 S. 2 BGB hingegen FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 3. 600 Vgl. auch NK-BGB/Krug, § 1990, Rn. 4; MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 11. 601 RGZ 137, 50, 53; MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 13, § 1973, Rn. 6; NK-BGB/Krug, § 1990, Rn. 31. 602 Soergel/Stein, § 1990, Rn. 9; PWW/Tschichoflos, § 1990, Rn. 16. 603 MüKo-BGB/Küpper, § 1991, Rn. 7. 604 Vgl. BGH 2.7.1992 – IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695 (obiter dictum); MüKoBGB/Küpper, § 1991, Rn. 4, § 1980, Rn. 13 f.; Staudinger/Marotzke, § 1980, Rn. 19, § 1991, Rn. 8. 599
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ses – nun die folgende Befriedigungsreihenfolge einhalten:605 Zuerst sind die Titelgläubiger (§ 1991 III BGB), dann die „normalen“ Nachlassgläubiger, anschließend die nach §§ 1973 f. BGB ausgeschlossenen Gläubiger und schließlich die unter § 1991 IV BGB fallenden Ansprüche zu befriedigen. Verletzt er diese Befriedigungsreihenfolge, so haftet er den besserrangigen Nachlassgläubigern auf Schadensersatz,606 wofür er gerade mit seinem Eigenvermögen einstandspflichtig ist. Zum Schutz des Erben wird ihm verbreitet auch ein Kondiktionsanspruch aus § 813 I 1 BGB gegen den nachrangigen Nachlassgläubiger gewährt, demgegenüber er trotz Möglichkeit, die Leistung wegen der vorrangig Berechtigten zu verweigern, geleistet hat.607 bb) Der Erbe ist zudem nach §§ 1991, 1978 I, II BGB entsprechend der §§ 662 ff. beziehungsweise §§ 677 ff. BGB zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses verpflichtet. Im Interesse der Nachlassgläubiger hat er daher den Nachlass zu erhalten608 und ihn zuvörderst zu deren Befriedigung zu verwenden.609 Erfüllt der Erbe daher (freiwillig) Eigenverbindlichkeiten mit Mitteln des Nachlasses, kann dies Schadensersatzansprüche der Nachlassgläubiger begründen, §§ 1991, 1978 I, 280 BGB; etwas anderes gilt nur, wenn alle Nachlassgläubiger bereits befriedigt sind oder wenn durch die Leistung an den Eigengläubiger die Befriedigungschancen der noch nicht befriedigten Nachlassgläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gefährdet werden – letzteres ist nur bei einem deutlich sich „im Plus“ befindlichen Nachlass denkbar. e) Abmilderung der asymmetrischen Haftungsstruktur via § 784 II ZPO analog, §§ 1991 I, 1978 I, 280 BGB aa) Problembeschreibung Während die Anordnung der Nachlassverwaltung beziehungsweise die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu einer „echten“, zweiseitigen Trennung der Vermögensmassen führt, ist Konsequenz des § 1990 I 1 BGB zunächst die Entstehung einer asymmetrischen Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger: Während der Erbe per Einrede einen Zugriff der Nachlassgläubiger auf sein Eigenvermögen ausschließen kann, können seine Eigengläubiger durchaus in den Nachlass vollstrecken; dem steht weder der Wortlaut des § 1990 BGB noch § 1984 II BGB, auf den gerade nicht verwiesen wird, entgegen. Insoweit hilft den Nachlassgläubigern regelmäßig auch nicht, dass ihnen der Erbe, der einen Eigengläubiger freiwillig aus dem Nachlass befriedigt, auf Schadens605
PWW/Tschichoflos, § 1991, Rn. 9 f.; Soergel/Stein, § 1991, Rn. 4, 7, 8. Soergel/Stein, § 1991, Rn. 8; Staudinger/Marotzke, § 1991, Rn. 6; PWW/Tschichoflos, § 1991, Rn. 12. 607 Ausführlich zu der Problematik unten § 2 C III 4 b). 608 BGH 13.7.1989 – IX ZR 227/87, NJW-RR 1989, 1226, 1227. 609 Soergel/Stein, § 1991, Rn. 2, § 1978, Rn. 5; Staudinger/Marotzke, § 1978, Rn. 23. 606
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ersatz haftet.610 Denn von einer freiwilligen Befriedigung kann hier ja keine Rede sein, und daraus, dass der Erbe die Entstehung einer Situation, in der für die Eigengläubiger ein Bedürfnis nach Zwangsvollstreckung entsteht, nicht verhindert, kann ihm in aller Regel kein Vorwurf gemacht werden – eine gegenteilige Sichtweise würde ihn nämlich faktisch dazu zwingen, titulierte Forderungen seiner Eigengläubiger stets „freiwillig“ im Vorfeld einer möglichen Zwangsvollstreckung zu erfüllen. bb) Meinungsspektrum Diese Folge der Dürftigkeitseinrede wird vielfach als unbefriedigend empfunden. Die wohl herrschende Meinung sucht eine Lösung über eine entsprechende Anwendung des § 784 II ZPO, der – so verstanden – dem Erben das Recht gibt, sich mit der Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung eines Eigengläubigers in den Nachlass zu wehren.611 Dafür wird angeführt, der Erbe fungiere im Falle des § 1990 BGB wie ein Nachlassverwalter. Eine andere Auffassung lehnt diese Analogie ab. Für sie bestehe kein Bedürfnis, weil der Erbe in Höhe der erloschenen Eigenverbindlichkeit auf Kosten des Nachlasses bereichert sei und die Nachlassgläubiger daher über den in den Nachlass fallenden (§ 1978 II BGB) Kondiktionsanspruch aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB hinreichend geschützt seien.612 Eine weitere Auffassung schützt die Nachlassgläubiger dadurch, dass der Erbe ihnen für das, was er infolge der Befriedigung der Eigengläubiger erlangt hat, nach §§ 1978, 280 I BGB Ersatz leisten muss.613 Bereicherungs- und Schadensersatzlösung kommen insbesondere dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn eine zum Nachlass gehörende Sache unter ihrem Wert versteigert wurde; während § 812 BGB hier nur auf das Erlangte (= Versteigerungserlös) geht, ist über §§ 1978, 280 I BGB der Wert der Sache zu ersetzen.614 Eine letzte Auffassung lehnt all diese Lösungswege ab, de lege lata bleibe es bei der beschriebenen asymmetrischen Haftungslandschaft.615
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Siehe näher oben § 2 C II 6 d). Staudinger/Lehmann11, § 1990, Rn. 10; Soergel/Stein, § 1990, Rn. 9; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 9; MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 7; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1990, Rn. 10; NK-BGB/Krug, § 1990, Rn. 35; MüKo-ZPO/K. Schmidt, § 784, Rn. 3, § 783, Rn. 7; Dt. ErbRK/Jülicher, § 1990, Rn. 9; dagegen RGRK/Johanssen, § 1990, Rn. 18. 612 Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 28. 613 MüKo-BGB4/Siegmann, § 1990, Rn. 7; so wohl auch Kipp/Coing, Erbrecht, § 99 III 3 („muß natürlich der Erbe den entsprechenden Betrag den Nachlaßgläubigern vergüten“); Strohal, Erbrecht II, S. 304 mit Fn. 12 („Für dasjenige, was den Nachlassgläubigern infolge einer solchen Zwangsvollstreckung entgeht, muß aber der Erbe Ersatz leisten.“). – Für einen solchen Anspruch hätte der Erbe mit seinem Eigenvermögen einzustehen, selbst wenn seine Haftung ansonsten wirksam auf den Nachlass beschränkt ist (vgl. statt aller BGH 13.7.1989 – IX ZR 227/87, NJW-RR 1989, 1226 [1227 f.]). 614 Darauf weist zu Recht Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3575 mit Fn. 300 hin. 615 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659. 611
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cc) Stellungnahme Es dürfte wenig zweifelhaft sein, dass die aus §§ 1990 ff. BGB prima vista resultierende semipermeable Haftungsstruktur rechtspolitisch angesichts der mit ihr verbundenen klaren Benachteiligung der Nachlass- gegenüber den Eigengläubigern wenig überzeugend ist.616 Es wäre daher zu begrüßen, wenn dies auf dem Boden des geltenden Rechts mit methodisch zulässigen Instrumenten „korrigierbar“ wäre. (1) Kombination aus §§ 1991, 1978, 280 BGB und Analogie zu § 784 II ZPO Der Vorschlag, diese Problematik (allein) durch Gewährung eines Anspruchs aus §§ 1991 I, 1978, 280 BGB zu lösen, übersieht, dass dieser eine Pflichtverletzung des Erben voraussetzt, was wiederum nur denkbar ist, wenn der Erbe überhaupt in der Lage war, gegen die Nachlassschmälerung durch die Vollstreckung seines Eigengläubigers einzuschreiten. Das ist ihm – ohne eine Analogie zu § 784 II ZPO – aber gerade nicht möglich.617 Der Verweis auf § 1978 BGB ist daher ohne eine – quasi: vorgelagerte – Analogie zu § 784 II ZPO wertlos. Umgekehrt ist es aber auch nicht zielführend, bei einer Analogie zu § 784 II ZPO stehen zu bleiben.618 Die dafür plädierende herrschende Meinung übersieht, dass der Erbe dann zwar gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Eigengläubigers vorgehen könnte, darauf aber auch sanktionslos verzichten könnte.619 Ein ökonomisch denkender Erbe wird nun aber gerade gegen seinen in den Nachlass vollstreckenden Eigengläubiger nicht gerichtlich vorgehen: Unterliegt er mit der Vollstreckungsgegenklage, trägt er die Verfahrenskosten (§ 91 ZPO). Obsiegt er hingegen im Prozess, so wirkt sich dies für ihn finanziell keinesfalls positiv aus. Bestenfalls ist es für ihn ein Nullsummenspiel, in vielen Konstellationen wird er sogar schlechter stehen, weil es für ihn ökonomisch vorteilhaft gewesen wäre, wenn der Eigengläubiger sich vor den Nachlassgläubigern aus dem Nachlass befriedigt hätte.620 Wenn überhaupt, müssten daher beide Lösungsvorschläge miteinander kombiniert werden: Über eine Analogie zu § 784 II ZPO wäre der Erbe in die Lage zu versetzen, gegen die Vollstreckung des Eigengläubigers in den Nachlass vorzugehen, und für den Fall, dass er dies nicht tut, wäre den Nachlassgläubigern ein Ersatzanspruch aus §§ 1991 I, 1978, 280 BGB einzuräumen, mit dem sie auch auf sein Eigenvermögen zugreifen können.621 Voraussetzungen für eine derartige Kombinationslösung ist aber, dass sich eine Analogie 616
Näher Fischinger, Hereditare 2014, 213, 215 f. So zu Recht Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 28; Soergel/Stein, § 1990, Rn. 9 mit Fn. 44; Muscheler, WM 1998, 2271, 2286 mit Fn. 125. 618 Vorsichtig in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659: „(wird er es auch tun?)“. 619 Vgl. MüKo-ZPO/K. Schmidt, § 784, Rn. 3 („Befugnis“); Musielak/Lackmann, ZPO, § 784, Rn. 2 („berechtigt“); Zöller/Stöber, ZPO, § 784, Rn. 4. 620 Siehe dazu näher die Berechnungsbeispiele bei Fischinger, Hereditare 2014, 213, 216 ff. 621 So konsequent Erman/Schlüter 13, § 1990, Rn. 9. 617
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zu § 784 II ZPO überhaupt begründen lässt (dazu 2) und keine durchschlagenden sonstigen Einwände gegen sie bestehen (dazu 3). (2) Voraussetzung: Analogiefähigkeit des § 784 II ZPO (a) Conditio sine qua non für diesen Lösungsvorschlag ist die dogmatische Zulässigkeit einer analogen Heranziehung des § 784 II ZPO, mit anderen Worten: der Nachweis einer planwidrigen Regelungslücke nebst vergleichbarer Interessenlage. Dagegen ließe sich mit Muscheler622 anführen, dass das BGB immer dort, wo es die Dürftigkeitseinrede mit Nachlassverwaltung/-insolvenz gleichstellen will, auf die Vorschriften der §§ 1975 ff. BGB verweist. Hinzu kommt, dass die §§ 780–785 ZPO klar zwischen für alle Haftungsbeschränkungsinstrumente des Erben geltende Vorschriften (§§ 780 I, 781, 785 ZPO), für die nur auf die §§ 2014 f. BGB zugeschnittenen Regelungen der §§ 782, 783 ZPO sowie den nach seinem Wortlaut allein auf Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren anzuwendenden § 784 ZPO differenzieren. Das sowie ein Gegenschluss zu §§ 1991 I, IV BGB spricht daher prima facie dagegen, eine planwidrige Regelungslücke annehmen und sie mittels einer Analogie zu § 784 II ZPO schließen zu können. (b) So bestechend dies zunächst auch klingt, vermag es im Ergebnis doch nicht zu überzeugen. Fundament dieser These ist, dass das erbrechtliche Haftungssystem des BGB mit den prozessualen Regelungen der §§ 780 ff. ZPO perfekt abgestimmt ist. Das aber ist nicht der Fall. Das zeigt sich zunächst bei § 1990 II BGB, der den Erben schützen soll, wenn dieser sich der Nachlassunzulänglichkeit erst bewusst wird, nachdem ein Nachlassgläubiger nach dem Erbfall per Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung ein Pfandrecht oder eine Hypothek erlangt hat.623 Nach einhelliger und zutreffender Meinung624 ist hier § 784 I ZPO analog anwendbar, weil das aus § 1990 II BGB folgende materielle Recht des Erben schlicht bedeutungslos wäre, wenn er es nicht auch prozessual „umsetzen“ könnte. Die ZPO hat diese Problematik in ihrem § 784 I nur bruchstückhaft für die Nachlassverwaltung und die Nachlassinsolvenz geregelt; die Interessenlage ist dort aber nicht anders, als sie bei den Einreden der §§ 1973 f., 1990, 1992 BGB ist. Daher kann es dort keine ernsthaften Zweifel am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke geben. Allein deshalb, weil in § 1991 BGB nur auf bestimmte Vorschriften des Nachlassverwaltungsrechts Bezug genommen wird, ist eine Analogie zu anderen für die Nachlassverwaltung geltenden Vorschriften also nicht a priori ausgeschlossen.625 Entscheidend ist daher die 622
Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659. Vgl. Soergel/Stein, § 1990, Rn. 12. 624 Z.B. MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 6; RGRK/Johannsen, § 1990, Rn. 17; NK-BGB/ Krug, § 1990, Rn. 36; Börner, JuS 1968, 55; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 784, Rn. 2; MüKoZPO/K. Schmidt, § 784, Rn. 2; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1387; Musielak/Lackmann, ZPO, § 784, Rn. 2. 625 Vgl. auch MüKo-BGB/Küpper, § 1990, Rn. 7. 623
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Frage, ob eine Analogie zu § 784 II ZPO ebenso zur Umsetzung der Vorgaben des materiellen Rechts erforderlich ist, wie eine entsprechende Anwendung des § 784 I ZPO bei § 1990 II BGB. Schaut man allein auf die Interessen des Erben, so wäre das zu verneinen. Denn während die Analogie zu § 784 I ZPO der denklogisch notwendige „Transmissionsriemen“ ist, um der materiellen Rechtsposition des § 1990 II BGB auf prozessualer Ebene zur Wirksamkeit zu verhelfen, kann dies von § 784 II ZPO insoweit nicht behauptet werden. Die prozessuale Umsetzung der das Eigenvermögen des Erben schützenden Einrede des § 1990 I BGB erfolgt bereits über die §§ 785, 767, 780, 781 ZPO,626 einer Analogie zu der den Nachlass (oder besser: die Nachlassgläubiger) schützenden Bestimmung des § 784 II ZPO bedarf es hierfür nicht. Anders formuliert: Während § 1990 II BGB nur stehen kann, wenn er als zweites Standbein durch einen analogen § 784 I ZPO gestützt wird, bedarf der durch § 1990 I BGB intendierte Schutz des Eigenvermögens des Erben keiner prozessualen Umsetzung durch eine entsprechende Heranziehung des § 784 II ZPO. Jedoch kann man richtigerweise bei dieser auf die Interessen des Erben verkürzten Betrachtungsperspektive nicht stehenbleiben. Zwar dient § 1990 I BGB in allererster Linie dem Schutz des Eigenvermögens des Erben und scheint die durch ihn errichtete Haftungsstruktur zunächst einmal eine semipermeable, asymmetrische zu sein. Der Gesamtsystematik der Dürftigkeitseinrede wird man aber nur gerecht, wenn man auch § 1991 BGB in die Betrachtung mit einbezieht. Durch diesen wird der Erbe – gewissermaßen im Gegenzug zur Gewährung der Einrede des § 1990 BGB – im Interesse der Nachlassgläubiger gleichsam zum Nachlassverwalter.627 Der Erbe ist danach den Nachlassgläubigern für die Verwaltung des Nachlasses entsprechend § 1978 I BGB verantwortlich (Abs. 1). Das zeigt sich auch daran, dass er zwar grundsätzlich frei darin ist, in welcher Reihenfolge er die Nachlassgläubiger befriedigt628, er unter gewissen Voraussetzungen aber eine bestimmte Abfolge beachten muss (vor allem Abs. 4).629 Hat man diese – zugegebenermaßen etwas versteckte – gesetzgeberische Grundentscheidung für eine „Quasi-Nachlassverwalterschaft“ des Erben erst einmal „herausgeschält“, liegt eine planwidrige Regelungslücke des § 784 II ZPO auf der Hand. Denn zur Aufgabe eines (auch: Quasi-)Nachlassverwalters gehört es nicht nur, den Nachlass auf die Nachlassgläubiger zu verteilen, sondern – als Vorstufe hierzu – auch, ihn gegen den Zugriff konkurrierender 626 BayOblG 7.10.1999 – 2Z BR 73/99, FamRZ 2000, 909; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 5. 627 Vgl. Staudinger/Lehmann11, § 1990, Rn. 10; Soergel/Stein, § 1990, Rn. 9; FAKommErbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 1, 9; Dt. ErbRK/Jülicher, § 1990, Rn. 11. 628 Protokolle V, S. 800 f.; Staudinger/Marotzke, § 1991, Rn. 12; MüKo-BGB/Küpper, § 1991, Rn. 3. 629 Siehe auch NK-BGB/Krug, § 1991, Rn. 4.
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Eigengläubiger zu schützen (vergleiche für den originären Bereich der Nachlassverwaltung § 1984 II BGB630). Dass auch den Erben bei § 1990 BGB eine entsprechende Verpflichtung trifft, ist mit Blick auf die Grundwertungen des erbrechtlichen Haftungssystems systemgerecht: Nur so kann verhindert werden, dass die §§ 1990 f. BGB zu einer reinen, die Nachlassgläubiger vollkommen einseitig benachteiligenden, den Erben und seine Eigengläubiger hingegen bevorzugenden „Einbahnstraße“ werden. Ein diesen materiellen Wertungen entsprechendes Ergebnis kann aber nur erreicht werden, wenn dem Erben als (Quasi-) Nachlassverwalter auch eine entsprechende prozessuale „Waffe“ – eben § 784 II ZPO – an die Hand gegeben wird. (c) Gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht letztlich auch nicht § 786 I ZPO. Dafür spricht bereits, dass er zur Anwendbarkeit der §§ 780–785 ZPO nur im Hinblick auf die von ihm erfassten Vorschriften eine Aussage trifft, nicht aber für den originär erbrechtlichen Bereich, der bereits durch die §§ 780–785 ZPO direkt geregelt wird. Nun könnte man zwar auf die Idee kommen, ihm dennoch Bedeutung zuzumessen, weil er für die §§ 1480, 1504, 1629a, 2187 BGB, die sämtlich auf §§ 1990 f. BGB (beziehungsweise im Falle des § 2187 BGB: auf § 1992 BGB) Bezug nehmen, nur auf die §§ 780 I, 781, 785 ZPO, nicht aber auf den hier „streitgegenständlichen“ § 784 II ZPO verweist.631 Das könnte dafür sprechen, dass § 784 II ZPO auch im direkten Anwendungsbereich der §§ 1990 ff. BGB nicht herangezogen werden kann. Gegen eine derartige Interpretation des § 786 I ZPO spricht allerdings die Differenzierung zwischen § 1489 BGB einerseits, den §§ 1480, 1504, 1629a, 2187 BGB andererseits. In den Fällen des § 1489 BGB, der auf sämtliche erbrechtliche Haftungsbeschränkungsinstrumente verweist632, wird gerade die Geltung der gesamten §§ 780 I, 781–785 ZPO angeordnet. Diese klare Unterscheidung zeigt, dass der Gesetzgeber zwischen Fällen einer rein isolierten Anwendung der §§ 1990 f. BGB im Rahmen einer (Rechtsfolgen-)Verweisung und solchen, in denen dem Schuldner grundsätzlich sämtliche erbrechtliche Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten zur Seite stehen, es mangels Masse aber bei §§ 1990 ff. BGB bewendet, bewusst trennen wollte. Diese Unterscheidung ist auch nicht etwa willkürlich, sondern vielmehr sach- und systemgerecht. Denn bei § 1489 BGB und im originären Bereich des erbrechtlichen Haftungsbeschränkungssystems ist die Dürftigkeitseinrede nur eine Art „Notlösung“, ein „Lückenbüßer“, ein „Notanker“, der eingreift, wenn und weil mangels ausreichender Masse die eigentlichen Haftungsinstrumente Nachlassverwaltung beziehungsweise Nachlassinsolvenz nicht zur Verfügung stehen. Es ist 630
Zu dessen prozessualer Umsetzung vgl. FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1984, Rn. 8 ff. Die Anwendbarkeit des § 784 II ZPO wird auch bei diesen Vorschriften zum Teil bejaht, was allerdings mit Blick auf den klaren Wortlaut des § 786 I ZPO nicht überzeugt (vgl. beispielhaft zum Streitstand bei § 1629a BGB Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 83 ff.). 632 NK-BGB/Völker, § 1489, Rn. 5. 631
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nun aber nicht einsichtig, warum es von der – gewissermaßen – Zufälligkeit, ob der Nachlass dürftig ist oder nicht, abhängen soll, ob – über § 784 II ZPO direkt bei der Nachlassverwaltung beziehungsweise die Abtrennung des Nachlasses im Nachlassinsolvenzverfahren – eine symmetrische oder (im Rahmen des §§ 1990 f. BGB) eine asymmetrische Haftungsstruktur entsteht. Die Dürftigkeit des Nachlasses ist hierfür kein sachgerechtes Unterscheidungskriterium, umso mehr, als es gemäß §§ 1982, 1988 II BGB im pflichtgemäßen Ermessen633 des Nachlassgerichts steht, ob es nicht trotz Dürftigkeit das Nachlassverwaltungsverfahren anordnet respektive fortlaufen lässt. Ebenso wenig einsichtig ist, warum das Verhältnis der Nachlass- zu den Eigengläubigern (totale, wechselseitige Abschirmung einerseits, einseitige Bevorzugung andererseits) fundamental von dem insofern sachfremden Faktor „Dürftigkeit“ abhängen solle. Denn unabhängig davon, ob der Nachlass dürftig ist oder nicht, haben die Nachlassgläubiger jedenfalls immer dann ein legitimes Interesse daran, dass die Eigengläubiger nicht auf ihn zugreifen können, wenn er bereits zuvor überschuldet war oder zumindest nach dem Zugriff des Eigengläubigers nicht mehr zu ihrer Befriedigung ausreichen würde. Die Ausschaltung dieses in diesem Rahmen erkennbar sachwidrigen Elements „Dürftigkeit“ ist gesetzestechnisch nur dadurch zu erreichen, dass die Stellung des Erben als „Quasi-Nachlassverwalter“ – oder besser vielleicht: „Notverwalter“ – der eines „richtigen“ Nachlassverwalters so weit als eben notwendig und möglich angeglichen, das heißt in concreto: § 784 II ZPO analog angewandt wird. Der Gedanke der Notwendigkeit einer „Synchronisierung“ der Ergebnisse lässt sich im Bereich der nicht auf das gesamte Instrumentarium der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung, sondern nur auf die §§ 1990 f. BGB verweisenden Normen §§ 1480, 1504, 1629a, 2187 BGB gerade nicht fruchtbar machen. Ein der Nachlassverwaltung beziehungsweise dem Nachlassinsolvenzverfahren entsprechendes, zu einer „sauberen“ Trennung der beiden Vermögensmassen und Gläubigergruppen führendes Procedere ist im dortigen gesetzgeberischen „Programm“ schon ex tunc – unabhängig von der „Dürftigkeit“ des zum Beispiel Altvermögens (§ 1629a BGB) – nicht vorgesehen.634 Dementsprechend kann daraus, dass dort, wo die §§ 1990 f. BGB nur mittelbar gelten, § 784 II ZPO explizit nach § 786 I ZPO keine Anwendung beansprucht, nichts für den hier untersuchten originären Anwendungsbereich der §§ 1990 ff. BGB abgeleitet werden. (d) Dass angesichts der skizzierten Nähe zur Nachlassverwaltung die von § 784 II ZPO erfasste und die vorliegend untersuchte Interessenlage im Sinne 633 MüKo-BGB/Küpper, § 1982, Rn. 1, § 1988, Rn. 3 mit Fn. 1. – Bei §§ 26 I 1, 207 I 1 InsO besteht hingegen kein Ermessensspielraum (Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, § 26, Rn. 32; MüKo-InsO/Hefermehl, § 207, Rn. 48). 634 Zur Irrelevanz der Dürftigkeit für die Anwendbarkeit der §§ 1990 f. BGB im Rahmen des § 1629a BGB vgl. Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 60.
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der Analogievoraussetzungen miteinander vergleichbar sind, bedarf keiner weiteren Erläuterung. (3) Entkräftung möglicher Einwände gegen diesen Lösungsweg (a) Gegen die hiesige Lesart, die den Erben zum (Quasi-)Nachlassverwalter macht, lässt sich nicht anführen, dass dies mit der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung gegen eine Abzugseinrede635 nicht vereinbar wäre. Zwar ist es richtig, dass der Gesetzgeber es als zu große Belastung für rechtsunkundige Erben angesehen hat, sie im Rahmen einer Abzugseinrede zu vollständigen, zur Befriedigung der Gläubiger nach konkursmäßigen Grundsätzen verpflichteten Nachlassverwaltern zu machen.636 Aber erstens schränkt auch das geltende Recht diese Grundentscheidung insofern ein, als es den Erben in bestimmtem Umfang doch zu einer gewissen Befriedigungsreihenfolge verpflichtet.637 Vor allem aber steht zweitens eine Pflicht, die Angriffe von Eigengläubigern auf den Nachlass abzuwehren, mit dieser gesetzgeberischen Wertung gar nicht in Widerspruch. Denn die Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage ist von ihrer Komplexität her mit einer Verteilung des Nachlasses nach insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten nicht vergleichbar und – wie auch sonst die Abwehr von Vollstreckungsversuchen – selbst rechtsunkundigen Laien zumutbar. (b) Muscheler lehnt die Kombinationslösung nicht nur ab, weil § 784 II ZPO nicht analog herangezogen werden könne, sondern auch, weil die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs gegen den nicht gegen die Vollstreckung eines Eigengläubigers in den Nachlass vorgehenden Erben „graue Theorie“ bleibe. Denn wenn schon der Eigengläubiger nicht auf das Eigenvermögen, sondern auf den Nachlass zugreift, verfüge der Erbe praktisch nie über pfändbares Eigenvermögen, das Rückgriffsrecht auf das Privatvermögen des Erben sei also faktisch wertlos.638 Das überzeugt jedoch nicht, und zwar deshalb, weil es auf der unzutreffenden Hypothese beruht, der Eigengläubiger greife stets bewusst auf den Nachlass zu, weil kein Eigenvermögen mehr vorhanden ist. Der Eigengläubiger wird aber meist gar nicht wissen, ob der zu pfändende Gegenstand aus dem Eigenvermögen oder dem Nachlass stammt. Er beauftragt vielmehr den Gerichtsvollzieher, so viel als irgend möglich zu pfänden. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass der Eigengläubiger (unwissentlich) in den Nachlass vollstrecken lässt, obwohl auch das Eigenvermögen zu seiner Befriedigung ausgereicht hätte. Hier kann ein Ersatzanspruch gegen den Erben aus §§ 1991 I, 1978, 280 BGB durchaus von praktischem Nutzen sein. (c) Gegen den skizzierten Lösungsweg lässt sich ferner nicht einwenden, dass es auch bei § 1973 BGB hinsichtlich der ausgeschlossenen Gläubiger zu einer 635 636 637 638
Siehe oben § 2 C II 6 a). Siehe oben § 2 C II 6 a). Siehe NK-BGB/Krug, § 1991, Rn. 4. So aber Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659.
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asymmetrischen (semipermeablen) Haftungsstruktur kommt, dort aber niemand eine Analogie zu § 784 II ZPO samt eines Anspruchs aus § 1978 BGB diskutiert. Denn das ist auf die sachlichen Unterschiede zwischen § 1973 BGB einerseits, § 1990 BGB andererseits zurückzuführen. Erstens sind die ausgeschlossenen Gläubiger bei § 1973 BGB im Vergleich zu den Nachlassgläubigern bei § 1990 BGB weniger schutzwürdig, ist die Verschlechterung ihrer Rechtsposition prima vista doch auf ihr eigenes Verhalten (= die nicht oder nicht rechtzeitige Meldung) zurückzuführen, während die von § 1990 BGB geregelte Situation ohne Zutun der Nachlassgläubiger, und ohne dass sie dagegen etwas unternehmen könnten, eintritt. Zweitens sind die ausgeschlossenen Gläubiger bei § 1973 BGB auch nicht schutzlos, können sie doch nach wie vor ohne finanziellen Einsatz Nachlassverwaltung beziehungsweise -insolvenz beantragen639 und damit zumindest im Verhältnis zu den Eigengläubigern wieder „Waffengleichheit“ herstellen. Hingegen können sich die Nachlassgläubiger in den Fällen des § 1990 BGB nur dann die Vorteile einer Nachlassverwaltung sichern, wenn sie dessen Kosten vorschießen640 – und damit das Risiko tragen, nicht nur mit ihrer ursprünglichen Forderung auszufallen, sondern auch auf diesen Kosten sitzen zu bleiben. Drittens schließlich trifft den Erben im Falle der §§ 1973 f. BGB anders als bei §§ 1990 ff. BGB gerade keine Verwaltungspflicht gegenüber den ausgeschlossenen Gläubigern nach §§ 1978–1980 BGB641 – damit entfällt aber das entscheidende Argument für die Analogie zu § 784 II ZPO, ist doch anders als bei der Dürftigkeitseinrede diese zur Umsetzung der materiell-rechtlich konstruierten Verwalterstellung hier gerade nicht erforderlich. (d) Gegen das hier befürwortete „Widerstandsrecht“ des Erben analog § 784 II ZPO wird ferner angeführt, dass es ein Widerspruch sei, dieses dem Erben, nicht aber den maßgeblich betroffenen Nachlassgläubigern einzuräumen.642 Dernburg schlug daher sogar vor, den Nachlassgläubigern den Rechtsbehelf des § 784 II ZPO zu geben.643 So einleuchtend und – de lege ferenda möglicherweise sogar vorzugswürdig – das sein mag, de lege lata lässt es sich schlicht nicht begründen. Denn die bei der Nachlassverwaltung dem Nachlassverwalter entsprechende Person ist bei der Dürftigkeitseinrede der Erbe, war es doch gerade seine durch § 1991 BGB geprägte Position als (Quasi-)Nachlassverwalter, die die Analogie zu § 784 II ZPO erst rechtfertigte. Auch wenn die Nachlassgläubiger unmittelbar vom Tun beziehungsweise Unterlassen des Erben betroffen sind, sind sie mit dem Nachlassverwalter nicht vergleichbar. Die Zubilligung eines Widerspruchsrechts an sie würde daher die Grenzen der Analogie spren639
Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 8; NK-BGB/Krug, § 1973, Rn. 8. Vgl. dazu Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 VIII 1 a). 641 Vgl. MüKo-BGB/Küpper, § 1973, Rn. 4; Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 20. 642 Muscheler, WM 1990, 2271, 2286. 643 So Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, Bd. 5, § 170, Rn. 15. 640
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gen. Der von Muscheler monierte Widerspruch lässt sich also auf dem Boden des geltenden Rechts nicht lösen. Das ist aber erstens kein Argument gegen die hier vertretene Auffassung, wird diese doch den Interessen der Nachlassgläubiger allemal besser gerecht als seine eigene Ansicht. Und zweitens sind die Chancen, dass der Erbe von dem Recht, nach § 784 II ZPO gegen die Vollstreckung eines Eigengläubigers in den Nachlass vorzugehen, Gebrauch macht, angesichts der ihm anderenfalls drohenden wirtschaftlichen Nachteile gar nicht so gering. (e) Marotzke hält der Analogie zu § 784 II ZPO vor allem entgegen, dass für sie kein Bedürfnis bestehe.644 Denn die Nachlassgläubiger seien schon ausreichend durch einen (zum Nachlass gehörenden, § 1978 II BGB) Anspruch gegen den Erben aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB (Rückgriffskondiktion) geschützt. Angesichts des in § 1991 II BGB kodifizierten Gedankens der Vermögenstrennung sei der Erbe auf Kosten des Nachlasses bereichert, soweit er infolge der Vollstreckung des Eigengläubigers diesem gegenüber frei wurde. Dem ist zwar insoweit zuzustimmen, als bei der Befriedigung eines Eigengläubigers aus dem Nachlass – sei es „freiwillig“ durch den Erben oder per Zwangsvollstreckung – in der Tat eine Rückgriffskondiktion möglich ist. Marotzkes Auffassung überzeugt aber dennoch nicht. Zu kritisieren ist zunächst, dass sie zu einer unnötig komplizierten Abwicklung „übers Eck“ führt. Das ist zwar auch Folge der hier befürworteten Kombinationslösung, wenn der Erbe schuldhaft keine auf § 784 II ZPO gestützte Vollstreckungsabwehrklage erhebt und die Nachlassgläubiger sich daher über §§ 1991, 1978, 280 BGB bei ihm persönlich schadlos halten müssen. Marotzkes Ansicht ist aber strukturell auf diese Lösung angelegt, weil der Erbe den Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass gar nicht abwehren kann. Das überzeugt insbesondere deswegen nicht, weil jede Abwicklung „übers Eck“ das Risiko der Insolvenz des Erben auf die Nachlassgläubiger verlagert; nach allgemeinen Grundsätzen im bereicherungsrechtlichen Dreipersonenverhältnis ist aber nach Möglichkeit zu vermeiden, dass jemand das Insolvenzrisiko einer Person tragen muss, die er sich nicht als Vertragspartner ausgesucht hat.645 Während das Gegenteil bei Marotzkes Auffassung aber gewissermaßen „Programm“ ist646 , besteht nach der hier vertretenen Ansicht durchaus eine reelle Chance, dass dies durch ein rechtzeitiges Eingreifen des Erben verhindert werden kann. Das oben gegen die auf eine bloße Analogie zu § 784 II ZPO sich beschränkende, von der herrschende Meinung angeführte Argument, ein ökonomisch denkender Erbe werde sich gegen die Vollstreckung seiner Eigengläubiger in den Nachlass nicht wehren, fällt nämlich weg, wenn er sich dadurch schadensersatzpflichtig gegenüber dem Nachlass macht. In aller Regel wird sich der Versteigerungserlös unterhalb des 644
Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 28; siehe auch Strohal, Erbrecht II, § 81 mit Fn. 12. Vgl. BGH 8.6.1988 – IVb ZR 51/87, NJW 1989, 161 m.w.N.; Canaris, FS Larenz 1973, 799 ff., 814 ff.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 667 f. 646 Vgl. auch FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1990, Rn. 9. 645
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Wertes des Nachlassgegenstands bewegen. Das hat zur Folge, dass der Erbe gegenüber dem Eigengläubiger in geringerem Umfang frei wird, als er gegenüber den Nachlassgläubigern auf Schadensersatz haftet. Insgesamt steht er daher finanziell schlechter.647 (f) Gegen den Weg über § 784 II ZPO analog/§§ 1978, 280 BGB wird ferner ins Feld geführt, dass es nicht sachgerecht sei, dem Erben das Kostenrisiko der Vollstreckungsabwehrklage aufzubürden.648 Zwar lässt sich dieses Argument nicht vollständig von der Hand weisen, ein anderes Ergebnis gebietet es aber letztlich nicht. Eingeschränkt wird seine Strahlkraft schon dadurch, dass der Erbe, dem infolge der Verteidigung des Nachlasses Kosten entstehen, einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Nachlass erwirbt, §§ 1991 I, 1978 III BGB, mit dem er faktisch gegenüber den sonstigen Nachlassgläubigern privilegiert ist, weil es § 1991 I BGB nicht verbietet, dass er zunächst seinen eigenen Anspruch aus dem Nachlass befriedigt.649 Zudem ist das Prozess- und damit Kostenrisiko der Vollstreckungsabwehrklage überschaubar, wenn die Voraussetzungen des § 1990 BGB eindeutig erfüllt sind; ist hingegen eher unwahrscheinlich, dass § 1990 BGB erfüllt ist, kann eine Schadensersatzverpflichtung (§§ 1978 I, 280 BGB) des Erben, der gegen die Vollstreckung seines Eigengläubigers in den Nachlass nicht vorgeht, ausscheiden. Unabhängig davon spricht aber vor allem eine Gegenüberstellung der jeweiligen Interessen von Erbe und Nachlassgläubiger dagegen, dem Kostenrisikoargument entscheidendes Gewicht beizumessen. Das Kostenrisiko ist für den Erben nämlich ein vergleichbar trag- und überschaubares, wohingegen die Interessen der Nachlassgläubiger massiv beeinträchtigt werden können, wenn der Erbe den Zugriff seiner Eigengläubiger auf den Nachlass nicht verhindert; weil damit eine unsachgemäße Verlagerung des Insolvenzrisikos auf die Nachlassgläubiger verbunden ist, wird diese Interessenbeeinträchtigung über den von Marotzke befürworteten Bereicherungsanspruch nicht ausreichend kompensiert. (h) Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Schadensersatzanspruch des §§ 1991 I, 1978 I, 280 BGB selbstverständlich ein Verschulden des Erben voraussetzt. Da dieses nach § 280 I 2 BGB vermutet wird, ist es seine Sache, Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, aufgrund derer er ausnahmsweise die Pflichtverletzung (= Nichterhebung der Vollstreckungsabwehrklage) nicht zu vertreten hat. Am Vertretenmüssen kann es fehlen, wenn zum Zeitpunkt des Vollstreckungsversuchs des Eigengläubigers nach objektivem Empfängerhorizont keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass dadurch die Befriedigungschancen der Nachlassgläubiger beeinträchtigt würden, vor allem weil der Nachlass weit „im Plus“ war. Tendenziell wird man aber an647 648 649
Siehe näher das Berechnungsbeispiel bei Fischinger, Hereditare 2014, 213, 219 f. Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 28. Vgl. Staudinger/Marotzke, § 1991, Rn. 13; MüKo-BGB/Küpper, § 1991, Rn. 2, 7 m.w.N.
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gesichts der obigen Interessenabwägung einen strengen Maßstab anlegen müssen; der Erbe ist demnach selbst bei geringen Anhaltspunkten dafür, dass durch die Vollstreckung des Eigengläubigers die Interessen der Nachlassgläubiger gefährdet werden könnten, verpflichtet, nach § 784 II ZPO analog vorzugehen. Tut er es nicht, ist von Verschulden auszugehen. f) Zusammenfassung Wie bei §§ 1973, 1974 BGB kann der Erbe im Rahmen von § 1990 I 1 BGB einen Zugriff der Nachlassgläubiger auf sein Eigenvermögen auch ohne amtliches Separationsverfahren verhindern; anders als bei Ausschließungs- und Verschweigungseinrede geht dies bei § 1990 I BGB nicht nur zulasten der ausgeschlossenen/säumigen, sondern zulasten aller Nachlassgläubiger. Die dadurch zunächst entstehende semipermeable, asymmetrische Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger wird insoweit abgemildert, als der Erbe nach § 784 II ZPO analog Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen seiner Eigengläubiger in den Nachlass abwehren kann. Tut er dies nicht, macht er sich nach §§ 1991 I, 1978 I, 280 BGB gegenüber den Nachlassgläubigern (§ 1978 II BGB) schadensersatzpflichtig, wofür er mit seinem Eigenvermögen haftet. 7. Die Überschwerungseinrede des § 1992 BGB a) Zweck Beruht die Überschuldung des Nachlasses auf vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen oder Auflagen und ist der Nachlass zudem dürftig, hilft dem Erben nach dem oben Gesagten bereits § 1990 BGB unmittelbar; auf § 1992 BGB kommt es dann nicht an.650 Ist ein überschuldeter Nachlass hingegen nicht dürftig, kann der Erbe seine Haftung eigentlich nur durch Einleitung eines Nachlassinsolvenzverfahrens, zu dem er nach § 1980 I 1 BGB verpflichtet ist,651 auf den Nachlass begrenzen. Da es typisiert aber nicht dem Erblasserwillen entsprechen dürfte, dass der Erbe nur deshalb ins Nachlassinsolvenzverfahren muss,652 weil der Nachlass aufgrund der angeordneten Vermächtnisse oder Auflagen überschuldet ist, gewährt § 1992 BGB ihm eine spezielle Überlastungs- 653 oder Überschwerungseinrede654, mit der er die Nachlassgläubiger auf den Nachlass 650 FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1992, Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3679. – Liegen aber die übrigen Voraussetzungen des § 1992 BGB vor, gilt richtigerweise auch im unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 1990, 1991 BGB die Abwendungsbefugnis des § 1992 S. 2 BGB (ebenso Muscheler, a.a.O.). 651 Vgl. BGH 2.7.1992 – IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695 (obiter dictum); MüKoBGB/Küpper, § 1991, Rn. 4, § 1980, Rn. 13 f.; Staudinger/Marotzke, § 1980, Rn. 19, § 1991, Rn. 8. 652 Protokolle V, S. 762 f., 803. 653 So die Terminologie bei Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 1. 654 So die Terminologie bei Soergel/Stein, § 1992, Rn. 1.
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verweisen kann. Eines Nachlassinsolvenzverfahrens bedarf es dann nicht mehr, entsprechend ist der Erbe zu einem darauf gerichteten Antrag zwar weiterhin berechtigt, aber entgegen § 1980 I 1 BGB nicht mehr verpflichtet.655 b) Voraussetzungen Abgesehen davon, dass der Erbe noch nicht unbeschränkbar haftet (§ 2013 I 1 BGB), setzt § 1992 BGB nach heute ganz herrschender Meinung656 die Überschuldung des Nachlasses voraus.657 Nach dem Wortlaut ist weiter Voraussetzung, dass die Überschuldung gerade auf den Vermächtnissen/Auflagen „beruht“. Das wird von der heute herrschenden Meinung so verstanden, dass § 1992 BGB grundsätzlich nur greift, wenn der Nachlass ohne die Vermächtnisse und Auflagen nicht überschuldet wäre.658 Maßgebend ist demnach, dass die anderen Nachlassverbindlichkeiten für sich betrachtet die Überschuldung noch nicht begründen, sondern erst aus Addition dieser mit den Vermächtnissen/Auflagen Überschuldung vorliegt.659 Die Gegenauffassung will § 1992 BGB hingegen auch dann anwenden, wenn der Nachlass unabhängig von den Vermächtnissen/Auflagen überschuldet ist.660 Zur Begründung beruft sie sich auf den Zweck des § 1992 BGB, nach dem ein 655 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3675; Soergel/Stein, § 1992, Rn. 1; Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 1. – Zu Recht wird von den zitierten Autoren bemängelt, dass durch den ersatzlosen Wegfall des § 219 I 2 KO, nach dem ein Vermächtnisnehmer bzw. ein durch eine Auflage Begünstigter die Eröffnung des Nachlasskonkursverfahrens nur beantragen konnte, wenn über das Eigenvermögen des Erben der Konkurs eröffnet war, § 1992 BGB teilweise konterkariert werden kann. Denn nach der InsO ist es nicht ausgeschlossen, dass der Vermächtnisnehmer respektive der durch die Auflage Begünstigte Antrag auf Nachlassinsolvenz stellt. 656 Anders nur Siber, Haftung, S. 54, nach dem die Einfügung des Überschuldungskriteriums auf einem Redaktionsversehen beruht. Der Erbe habe daher über § 1992 BGB eine Einrede gegen Vermächtnisansprüche/Auflagen selbst dann, wenn der Nachlass nicht überschuldet ist. Das überzeugt mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut nicht. Aus der Entstehungsgeschichte kann entgegen Siber nichts anderes abgeleitet werden, im Gegenteil, spricht ein Gegenschluss zu den von ihm zitierten ersten Entwurf doch gerade dafür, dass der Gesetzgeber das Überschuldungskriterium bewusst eingefügt hat. 657 Im Einzelnen ist strittig, ob diese zweifelsfrei feststehen muss (so BeckOK-BGB/Lohmann, § 1992, Rn. 4 m.w.N.) oder ob die ernsthafte Möglichkeit einer Überschuldung genügt (dafür Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 2). 658 Protokolle V, S. 803; OLG München 3.12.1996 – 5 U 2597/96, ZEV 1998, 100; MüKoBGB/Küpper, § 1992, Rn. 5; Palandt/Weidlich, § 1992, Rn. 1; NK-BGB/Krug, § 1992, Rn. 5; PWW/Tschichoflos, § 1992, Rn. 2; Soergel/Stein, § 1992, Rn. 2; BeckOK-BGB/Lohmann, § 1992, Rn. 4; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3683. – Ausnahmen werden zutreffenderweise dann gemacht, wenn die nicht von § 1992 BGB betroffenen Gläubiger damit einverstanden sind, dass kein Antrag auf Nachlassinsolvenz gestellt wird, sowie dann, wenn die Überschuldung des Nachlasses auf der Berücksichtigung von Forderungen von nach §§ 1973 f. BGB ausgeschlossenen Nachlassgläubigern beruht (Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 4; Soergel/Stein, § 1992, Rn. 2; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3683). 659 Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 3. 660 Erman/Schlüter 13, § 1992, Rn. 2; Kipp/Coing, Erbrecht, § 99 VI 1; RGRK/Johannsen, § 1992, Rn. 2; Staudinger/Lehmann11, § 1992, Rn. 2.
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Nachlassinsolvenzverfahren möglichst verhindert werden solle. Selbst wenn man dem noch zustimmen würde, ist diese Auffassung abzulehnen, weil sie zu zwei gleichermaßen nicht überzeugenden Alternativen führt: Entweder man erlaubt dem Erben, dass er sich gegenüber allen Nachlassgläubigern auf § 1992 BGB beruft, oder man gestattet ihm nur, hinsichtlich der Vermächtnisse beziehungsweise Auflagen § 1992 BGB geltend zu machen. Die erste Alternative ist mit dem klaren Wortlaut des § 1992 BGB („die Berichtigung dieser Verbindlichkeiten“) nicht zu vereinbaren; zudem ist nicht einzusehen, warum der Erbe gegenüber den „normalen“ Nachlassgläubigern die Privilegien des § 1992 BGB genießen sollte, nur weil der Nachlass auch durch Vermächtnisse/Auflagen überschuldet ist.661 Geht man hingegen von der zweiten Alternative aus, so verfehlt die Gegenauffassung das von ihr gegen den klaren Wortlaut befürwortete Ziel: Denn wenn sich der Erbe hinsichtlich der Vermächtnisse/Auflagen auf § 1992 BGB berufen kann, bleibt er dennoch angesichts der auch im Übrigen bestehenden Überschuldung des Nachlasses nach § 1980 I 1 BGB verpflichtet, Nachlassinsolvenz zu beantragen; ein Nachlassinsolvenzverfahren wird somit gar nicht vermieden. Wird es aber ohnehin durchgeführt, so greift der Zweck, ein nur wegen der Vermächtnisse/Aufl gen stattfindendes Nachlassinsolvenzverfahren zu verhindern, nicht mehr ein. Damit ist aber auch nicht einleuchtend, warum der Erbe seine Haftung bezüglich der Vermächtnisse und Auflagen außerhalb des Nachlassinsolvenzverfahrens beschränken können sollte.662 Mit der ganz herrschenden Meinung ist deshalb davon auszugehen, dass § 1992 BGB nur eingreift, wenn der Nachlass ohne die Vermächtnisse beziehungsweise Auflagen nicht überschuldet wäre. c) Rechtsfolgen Liegen diese Voraussetzungen vor, muss der Erbe zunächst die nicht von § 1992 BGB erfassten Verbindlichkeiten erfüllen; bei der Befriedigung der Vermächtnisse/Auflagen hat er § 327 InsO zu beachten (§§ 1992 S. 1, 1991 IV BGB).663 Im Übrigen gilt: Da § 1992 BGB in Abgrenzung zu § 1990 BGB gerade nicht bei Dürftigkeit des Nachlasses eingreift, gibt es keine Dürftigkeitseinrede. Soweit der Nachlass zur vollständigen Erfüllung der Vermächtnisse/Auflagen nicht (mehr) ausreicht, kann er die Gläubiger beziehungsweise Vollziehungsberechtigten (§ 2194 BGB) auf den Nachlassrest verweisen und damit sein Eigenvermögen schützen (Unzulänglichkeitseinrede).664 Er hat dann den Nachlass zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben, anders als bei § 1990 BGB kann er dies aber grundsätzlich durch 661 662 663 664
So zu Recht Soergel/Stein, § 1992, Rn. 2. Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 3; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3683. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3684. FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1992, Rn. 2; Staudinger/Marotzke, § 1992, Rn. 10.
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Zahlung abwenden. Nicht einmal mehr diese Herausgabepflicht besteht, wenn überhaupt kein Nachlass mehr vorhanden ist (Erschöpfungseinrede). Anders als bei § 1990 BGB, ist § 784 II ZPO nicht analog anzuwenden, der Erbe kann daher einen Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass nicht abwehren, es bleibt bei der asymmetrischen Haftungsstruktur zulasten der betroffenen Vermächtnisnehmer/Auflagenbegünstigten. Alles andere würde zu völlig unsachgemäßen Ergebnissen führen. Denn es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Eigengläubiger über eine Analogie zu § 784 II ZPO schlechter gestellt werden sollten, nur weil wenige oder einer der Nachlassgläubiger zum Kreis der von § 1992 BGB erfassten Gläubiger zählten. Das gilt umso mehr, als durch eine Analogie nicht nur der Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass gesperrt wäre, sondern es zu einer asymmetrischen Haftungsstruktur zulasten der Eigengläubiger käme, weil die nicht von § 1992 BGB erfassten Nachlassgläubiger sich selbstverständlich weiterhin an das Eigenvermögen halten könnten. 8. Die dilatorischen Einreden der §§ 2014, 2015 BGB Vor Annahme der Erbschaft können Nachlassverbindlichkeiten nicht gerichtlich geltend gemacht (§ 1958 BGB) und wegen ihnen nicht ins Eigenvermögen des vorläufig n Erben vollstreckt werden (§ 778 I ZPO). Mit Annahme entfallen diese Schutzmechanismen. Die dadurch entstehende Lücke füllen die §§ 2014, 2015 BGB, die dem Erben eine weitere „Schonfrist“ gewähren können. a) Dreimonatseinrede, § 2014 BGB § 2014 BGB, nach dem der Erbe die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten für maximal drei Monate nach Annahme verweigern kann, soll ihm die notwendige Zeit verschaffen, um den Nachlass zu sichten und sich darüber klar zu werden, ob und welches Haftungsbegrenzungsinstrument er geltend macht.665 Indem er drängende Nachlassgläubiger abwehren kann, wird er zugleich davor geschützt, sich im Rahmen eines eventuell notwendig werdenden Nachlassinsolvenzverfahrens den anderen Nachlassgläubigern gegenüber schadensersatzpflichtig (§§ 1978 I, 280 I BGB) zu machen.666 Angesichts dieser Zielsetzung scheidet die Einrede aus, wenn entweder der Erbe bereits ein Inventar errichtet hat (§ 2014 a.E. BGB) oder er unbeschränkbar haftet (§ 2016 I BGB).667 665 FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2014, Rn. 1; MüKo-BGB/Küpper, § 2014, Rn. 1; PWW/ Tschichoflos, § 2014, Rn. 2. 666 NK-BGB/Krug, § 2014, Rn. 2; vgl. auch FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2014, Rn.7. 667 Daneben wird eine Einredeerhebung für treuwidrig und damit unzulässig gehalten, wenn der Erbe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alle Nachlassgläubiger kennt und mit der gleichen Sicherheit davon ausgehen kann, dass der Nachlass zu deren Befriedigung ausreicht (Soergel/Stein, § 2014, Rn. 2; PWW/Tschichoflos, § 2014, Rn. 5; strenger Staudinger/Marotzke, § 2014, Rn. 6: Grenze erst dort, wo die vorübergehende Leistungsverweigerung auf eine sittenwidrige Schädigung des Gläubigers hinausliefe).
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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b) Einrede des Aufgebotsverfahrens, § 2015 BGB Wie § 2014 BGB, so soll auch § 2015 BGB dem Erben Zeit verschaffen, um per Aufgebotsverfahren weitere, bisher unbekannte Nachlassgläubiger zu ermitteln.668 Indem während eines laufenden Aufgebotsverfahrens der Zugriff einzelner Nachlassgläubiger zum Nachteil anderer verhindert wird, dient § 2015 BGB zugleich der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung.669 Die Begrenzung auf ein Jahr soll dabei verhindern, dass der Erbe die Gläubigerbefriedigung verschleppt.670 9. Haftung des Erben bei Testamentsvollstreckung Ordnet der Erblasser eine Testamentsvollstreckung an (§ 2197 BGB), so werden die der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassgegenstände und das Eigenvermögen des Erben nicht mit dem Erbfall vereinigt, sondern bleiben voneinander getrennt; es entsteht eine Art „Sondervermögen“,671 und zwar unabhängig davon, ob ein Testamentsvollstrecker bereits bestimmt und/oder er sein Amt angetreten hat672. Wie ein Blick auf die Haftungsfolgen und auf die Lage in einem möglichen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erben zeigt, entspricht das aber nicht der strikten Vermögenstrennung, wie sie bei Nachlassverwaltung beziehungsweise Nachlassinsolvenz (§§ 1975, 1976 BGB) erfolgt: a) Keine Beschränkung der Nachlassgläubiger Anders als bei Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren können sich die Nachlassgläubiger trotz angeordneter Testamentsvollstreckung an das Eigenvermögen des Erben halten (vergleiche § 2213 BGB), eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass findet nicht statt.673 Da somit der Erbe insoweit nicht geschützt ist, muss es ihm möglich sein, auf die „üblichen“ Instrumente zur Haftungsbegrenzung (§§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB) zurückgreifen zu können. Daher kann er nach heute ganz herrschender Meinung diese grundsätzlich auch gegen den Willen des Testamentsvollstreckers beantragen (vergleiche auch § 2206 II BGB).674 Das ist mit Blick auf die Stellung des Testamentsvollstreckers 668
Soergel/Stein, § 2015, Rn. 1. FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2015, Rn. 1; PWW/Tschichoflos, § 2015, Rn. 1. 670 Staudinger/Marotzke, § 2015, Rn. 1. 671 BGH 1.6.1967 – II ZR 150/66, NJW 1967, 2399; NK-BGB/Weidlich, § 2214, Rn. 1; Staudinger/Reimann, Vorbem zu §§ 2197–2228, Rn. 7. 672 Soergel/Damrau, § 2214, Rn. 1; Staudinger/Reimann, § 2214, Rn. 3; Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 95. 673 Kipp/Coing, Erbrecht, § 72 II; MüKo-BGB/Zimmermann, § 2214, Rn. 1; Soergel/ Damrau, Vor § 2197, Rn. 13, § 2213, Rn. 9. 674 Soergel/Damrau, Vor § 2197, Rn. 14; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3590. – Letzterer will aber bei Fällen offensichtlichen Missbrauchs für die Nachlassverwaltung eine Ausnahme machen; ein Missbrauch liege insbesondere nahe, wenn der Erbe zeitnah nach Abschluss einer Nachlassverwaltung schon wieder Antrag auf diese stellt, ohne dass es bereits Versuche der 669
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unproblematisch; zwar verliert dieser analog §§ 81, 82 InsO beziehungsweise § 1984 I BGB die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über den Nachlass, sein Amt erlischt aber nicht, und ihm bleiben alle Befugnisse, die sonst der Erbe hätte.675 b) Schutz des Nachlasses vor den Eigengläubigern Umgekehrt können sich die Eigengläubiger nach § 2214 BGB nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände „halten“, mit anderen Worten: der Nachlass wird gegen ihren Zugriff im Wege der Zwangsvollstreckung geschützt.676 Versuchen sie es dennoch, kann der Testamentsvollstrecker Erinnerung (§ 766 ZPO) und gegebenenfalls Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) erheben.677 Gerade bei der Dauertestamentsvollstreckung können somit die Eigengläubiger für lange Zeit vom Nachlass ferngehalten werden.678 Anders als § 1984 II BGB, dient § 2214 BGB nicht primär dem Schutz der Nachlassgläubiger, sondern soll vielmehr sicherstellen, dass der Testamentsvollstrecker in der Erfüllung seiner Aufgaben nicht durch die Eigengläubiger des Erben behindert wird.679 Dass der mittelbar durch § 2214 BGB bewirkte Schutz der Nachlassgläubiger ein „bloßer Reflex“680 ist, zeigt sich schon daran, dass die Nachlassgläubiger keine Testamentsvollstreckung „beantragen“ können, sondern diese alleine vom Willen des Erblassers abhängt. Das ist auch sachgerecht, weil sie sich ausreichend durch einen Antrag auf Nachlassverwaltung beziehungsweise Nachlassinsolvenzverfahren schützen können.
Nachlassgläubiger gegeben hatte, auf sein Eigenvermögen zuzugreifen (a.a.O., Rn. 3593 und Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 106 ff.). 675 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3591 f. 676 Soergel/Damrau, § 2214, Rn. 1, § 2213, Rn. 7. – Etwas anderes gilt für Inhaber dinglicher Rechte und unter Umständen für Nutzungen, Staudinger/Reimann, § 2214, Rn. 2, 6; Soergel/Damrau, § 2214, Rn. 2. Zudem ist eine Pfändung der dem Erben nach §§ 2216, 2217 I BGB zustehenden Ansprüche sowie des Erbanteils eines Miterben (§ 859 II ZPO) möglich, Reimann a.a.O., Rn. 7 f.; vgl. BGH 14.5.2009 – V ZB 176/08, FamRZ 2009, 1321, 1322; der Pfändende kann dann zwar grundsätzlich Auseindersetzung verlangen, das gilt aber solange nicht, wie dies durch eine entsprechende Anordnung des Erblassers ausgeschlossen ist, MüKo-BGB/Zimmermann, § 2214, Rn. 4; BeckOK-BGB/J. Mayer, § 2214, Rn. 7 jeweils m.w.N. 677 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 V mit Fn. 145; NK-BGB/Weidlich, § 2214, Rn. 2. 678 NK-BGB/Weidlich, § 2214, Rn. 1. 679 Soergel/Damrau, § 2214, Rn. 1; Staudinger/Reimann, § 2214, Rn. 1; BeckOK-BGB/J. Mayer, § 2214, Rn. 1. – Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung kann aus Sicht des Erblassers daher insbesondere auch deshalb sinnvoll sein, um sein materielles „Vermächtnis“ gegen die allgemeine Lebens- und Wirtschaftslage des Erben zu schützen (vgl. Staudinger/ Reimann, Vorbem zu §§ 2197–2228, Rn. 8, § 2214, Rn. 1). 680 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 2717.
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c) Dogmatische Bewertung Während die §§ 1973 f. BGB und – lehnt man anders als hier vertreten eine Analogie zu § 784 II ZPO ab – die §§ 1990 ff. BGB zu einer semipermeablen Haftungsstruktur zulasten der (ausgeschlossenen) Nachlassgläubiger führen, begründet das Zusammenspiel aus §§ 2213, 2214 BGB eine semipermeable, asymmetrische „Haftungslandschaft“ zulasten der Eigengläubiger des Erben.681 Eine „Korrektur“ dieses Ergebnisses über vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe ist anders als bei § 1990 BGB nicht möglich, weil es genau dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel entspricht. 10. Keine Wirkung auf Sicherungsgeber Die erörterten erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsmittel berühren nicht das Verhältnis des Gläubigers zu eventuellen Sicherungsgebern. Bei nicht-akzessorischen Sicherheiten liegt das mangels Abhängigkeit der Sicherung von der gesicherten Forderung auf der Hand. Bei den akzessorischen Sicherheiten wäre dies zwar grundsätzlich anders, allerdings wird die Akzessorietät hier kraft expliziter gesetzlicher Anordnung durchbrochen (vergleiche §§ 768 I 2, 1137 I 2, 1211 I 2 BGB), weil sie mit dem Sicherungszweck nicht vereinbar wäre.682 Der Erbe ist aber nicht nur gegen den Gläubiger geschützt, sondern auch gegen einen Rückgriff des Sicherungsgebers. Befriedigt dieser den Gläubiger, so geht die Forderung gegen den Erben bei akzessorischen Sicherheiten zwar auf ihn über (§§ 774 I 1, 1143 I 1, 1225 S. 1 BGB); bei einer cessio legis kann der Erbe allerdings nach §§ 412, 406 f. BGB die gegen die Forderung bestehenden Einwendungen auch gegen den Sicherungsgeber geltend machen, mit anderen Worten: er kann sich insoweit auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente berufen. Gleiches gilt gegenüber Ansprüchen aus dem Innenverhältnis von Sicherungsgeber und Erbe. In aller Regel wird zwischen dem Erblasser und dem Sicherungsgeber ein Auftragsverhältnis vorgelegen haben, das mit dem Tode des Erblassers auf den Erben überging (§ 672 S. 1 BGB). Befriedigt der Sicherungsgeber den Gläubiger, hat er zwar – gerade auch bei nicht-akzessorischen Sicherheiten – einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Erben (§ 670 BGB), es handelt sich dabei aber um eine Erblasserschuld (§ 1967 II Alt. 1 BGB), weil der Rechtsgrund für sie noch vom Erblasser gelegt wurde.683
681 Muscheler, Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, S. 105 spricht hier vom „gespaltenen Haftungsregime“ der Testamentsvollstreckung. 682 Vgl. als pars pro toto für die Bürgschaft MüKo-BGB/Habersack, § 768, Rn. 7. 683 Zur Maßgeblichkeit des Entstehens des Rechtsgrunds bei Lebzeiten des Erblassers für die Annahme einer Erblasserschuld vgl. Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 19 ff.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
III. Dogmatische Einordnung der Vermögenssonderung Die dogmatische Verortung der §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992, 2014 f. BGB in das System von Schuld und Haftung – an diese Stelle im Sinne der „klassischen“ dichotomischen Unterscheidung684 verstanden – ist seit Entstehung des BGB umstritten. Im Folgenden werden in einem ersten Schritt die denkbaren Erklärungsmodelle vorgestellt, wobei sie der Einfachheit halber zunächst nur auf die Qualifikation von Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren angewendet werden (unter 1.). Die Übertragbarkeit des jeweiligen Modells auf die anderen erbrechtlichen „Haftungs“beschränkungsinstrumente wird in einem zweiten Schritt untersucht (dazu 2.). Im Anschluss daran wird zu den einzelnen Modellen Stellung genommen (siehe 3.), um anschließend die praktischen Auswirkungen der hier vertretenen Auffassung auf Schuldnerverzug, Anwendbarkeit von § 813 BGB und Behandlung der „Haftungs“beschränkungsinstrumente im Prozess zu erläutern (sub 4.). 1. Die verschiedenen Erklärungsmodelle (anhand der §§ 1975 ff. BGB) Für die Einordnung der Auswirkungen von Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren auf Schuld und Haftung kommen theoretisch zwei Möglichkeiten in Betracht: (1) Der Erbe schuldet überhaupt nicht mehr, wobei dann die Frage zu stellen ist, wer oder was an seiner statt schuldet (dazu a]). (2) Der Erbe bleibt im Grundsatz persönlicher Schuldner, wobei fraglich ist, ob sich die §§ 1975 ff. BGB nur auf die Haftung auswirken, oder ob sie auch die an sich bestehende Schuld beeinflussen (unter b]). a) Vollständiger Wegfall der Schuld des Erben (Die Lehre vom „Nachlass als [Quasi-] Rechtssubjekt“ beziehungsweise „selbständiges Sondervermögen“) Ein Entfallen der Schuld des Erben kann konstruktiv nur angenommen werden, wenn diese auf einen „anderen“ übergeht, weil anderenfalls dem Forderungsrecht der Nachlassgläubiger kein Schuldner mehr gegenüberstünde. In Betracht kommen insoweit theoretisch zwei Optionen: Entweder wird „der Nachlass“ Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten oder der Nachlass-/Insolvenzverwalter. Letzteres wird – soweit ersichtlich – von niemandem vertreten und bleibt daher im Folgenden außer Betracht. Hingegen ist ersteres die logische, wenn auch nicht explizit ausgesprochene Konsequenz der vor allem von Kohler und Hellwig vertretenen Auffassungen. Nach Kohler ist der Nachlass bei Nachlassverwaltung und -insolvenz als „konstruktive juristische Person“ ein (Quasi-)Rechtssubjekt mit dem Nach-
684
Dazu § 1 B II.
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lass- beziehungsweise Insolvenzverwalter als Organ.685 Im Unterschied zur „normalen“ juristischen Person entsteht es „von selber durch die Entwicklung der Verhältnisse […], und zwar darum, weil die Ausführung der Gedanken der Rechtsordnung nur durch Vermittlung einer juristischen Person erfolgen kann“686. Die Konstruktion als juristische Person sei zur Erreichung rechtlicher Ziele notwendig. Der Nachlass wird also selbst Träger von Rechten (Gläubiger) und Pfl chten (Schuldner). Zu den Vertretern dieser Auffassung wird oft auch Hellwig gezählt, was zumindest formal nicht richtig ist. In begrifflicher Abgrenzung zu dieser betont er nämlich explizit, dass es sich beim Nachlass nicht um eine juristische Person handele.687 Jedoch sei der Nachlass trotzdem so lange gleich einer juristischen Person zu behandeln, als er vom Eigenvermögen getrennt sei. Während dieser Zeit liege ein „Sondervermögen [vor], dessen Subjekt zwar der Erbe […] ist, welches aber trotzdem in gewisser Beziehung als eine selbständige rechtliche Einheit behandelt wird, so als ob es einer anderen Person gehörte“688. Das kann nur so verstanden werden, dass der Nachlass weder die „Qualität“ eines Rechtssubjekts erreicht, noch „nur“ Rechtsobjekt ist; notwendigerweise ist er damit ein aliud, ein hybrides Rechtsgebilde, für das durch das Handeln des Verwalters „Rechte und Pflichten […] erzeugt“689 werden. Beiden Spielarten ist – wenn man sie der Einfachheit halber an dieser Stelle noch in einen Topf wirft – gemeinsam, dass Voraussetzung der „Sonderstellung“ des Nachlasses die Begründung durch besonderen Rechtsakt (Anordnung Nachlassverwaltung/Eröffnung Nachlassinsolvenzverfahren) und eine selbständige, diejenige des Erben ausschließende Verwaltung ist.690 Unter diesen Bedingungen sei es möglich, dass das Sondervermögen als eine geschlossene Einheit in den Rechtsverkehr eintritt. Durch das Handeln des Nachlassverwalters beziehungsweise Nachlassinsolvenzvollstreckers würden – vergleichbar dem Handeln des Vorstands bei einer juristischen Person – „Rechte und Pflichten für das Sondervermögen erzeugt“691. Einig sind sich Kohler und Hellwig schließlich insoweit, als die Existenz der konstruktiven juristischen Person beziehungsweise selbständigen rechtlichen Einheit mit Aufhebung der Nachlassverwaltung ende. Während Kohler sich darüber ausschweigt, welche
685 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, S. 354 ff.; Bötticher, ZZP 77 (1964), 55, 58 („Rechtsträger“). 686 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, S. 354. 687 Hellwig, Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts I, S. 295; offen Fabricius, Relativität, S. 4. 688 Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 236. 689 Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 239. 690 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 237; ders., Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts I, S. 295. 691 So explizit Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 239.
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Folgen dies zeitigt – denkbar ist nur die Annahme einer Rechtsnachfolge auf den Erben –, erklärt Hellwig, dass es nicht zu einer Rechtsnachfolge komme, sondern die Beendigung der Nachlassverwaltung nur die separatio bonorum aufhebe und das Sondervermögen in die Verfügungsgewalt des Subjekts (= Erben) zurückgelange.692 b) Erbe als persönlicher Schuldner In Ablehnung der Lehren von Hellwig und Kohler wird der Nachlass heute einhellig nicht als (Quasi-)Rechtssubjekt, konstruktive juristische Person oder selbständiges Sondervermögen, das selbst Träger von Rechten und Pflichten sein kann, angesehen. Stattdessen ist man sich einig, dass trotz Anordnung der Nachlassverwaltung oder Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens der Erbe Rechtsträger und damit im Grundsatz in irgendeiner Form persönlicher Schuldner bleibt. Umstritten ist jedoch, ob sich die §§ 1975 ff. BGB nur auf seine Haftung auswirken, oder ob sie auch die vorgelagerte Ebene der Schuld modifizieren. aa) „Lehre von der Verengung der persönlichen Schuld“ Nach Marotzke führen die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsrechte zwar nicht dazu, dass sich die persönliche Schuld vom Erben auf „den Nachlass“ verlagere. Allerdings verenge sich seine persönliche Schuld dergestalt, dass er die Erfüllung aus dem Eigenvermögen mittels echter, materieller Einrederechte verweigern könne.693 bb) „Theorie der reinen Haftungsbeschränkung“ Nach der herrschenden, hier als Theorie der reinen Haftungsbeschränkung bezeichneten Auffassung begrenzen Nachlassverwaltung und -insolvenzverfahren ausschließlich die Haftung des Erben, lassen seine Einstandspflicht (Schuld) aber unberührt.694 Dementsprechend verengt sich seine Schuld nicht im Sinne Marotzkes dergestalt, dass er noch aus dem Nachlass zu leisten verpflichtet wäre; der Erbe „schuldet“ vielmehr umfassend, „haftet“ aber nur beschränkt.695
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Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 242. Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 8, § 1990, Rn. 36, § 2059, Rn. 18. 694 Gaa, AcP 161 (1962), 433, 450; Esser/Schmidt, Schuldrecht Band I6 , § 6 IV 4 (S. 107); Buch, Schuld und Haftung, S. 53; A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 2 V 2 b, S. 19; vgl. Palandt/Weidlich, § 1967, Rn. 8 („einheitliches Schuldverhältnis mit doppeltem Haftungsgegenstand“ [zu Nachlasserbenschulden]); NK-BGB/Krug, § 1967, Rn. 3, 135; PWW/Tschichoflos, § 1967, Rn. 1, § 1975, Rn. 1, 9; Windel, Modi, S. 210; vgl. zu dieser klassischen Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung oben § 1 B II. 695 Vgl. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3384. 693
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cc) Verdopplung der Subjektsqualität des Erben (Die „Lehre von der Personalunion des Erben“) Nach einer vor allem von Jan Schröder vertretenen Auffassung696 „ist eine mehrfache Subjektsrolle und sind Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen Vermögensmassen desselben Rechtssubjekts denkbar, wenn wenigstens eine dieser Vermögensmassen durch Einsetzung eines ständigen Vertreters […] organisatorisch verselbständigt ist“697. So verhalte es sich angesichts der selbständigen Rolle des Verwalters bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren. Dementsprechend komme es zu einer Verdoppelung der Subjektsqualität des Erben, die sich auf seine Haftung und seine Schuld auswirke. Es trete gewissermaßen eine Schuld- und eine Haftungsspaltung ein, so dass der Erbe nur noch in seiner Eigenschaft als Träger des Nachlasses Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten sei. Während nach der herrschenden Theorie der reinen Haftungsbeschränkung der Erbe insgesamt als Person nur einmal schuldet und dafür mit einer Vermögensmasse haftet, ist er nach dieser Anschauung quasi zweimal Schuldner, der für jede dieser Schulden aber auch nur mit der jeweils zugehörigen Vermögensmasse haftet. Aus der Sicht des Erben lässt sich das so beschreiben, dass er gewissermaßen „in Personalunion“698 Träger zweier unterschiedlicher Rechtskreise wird, aus der Warte des Nachlasses hingegen so, als sei er einem besonderen Rechtssubjekt zugeordnet.699 Daher könnten zwischen dem Erben als Träger seines Privatvermögens und dem Erben als Träger des Nachlasses besondere selbständige Rechtsbeziehungen bestehen. 2. Anwendung dieser Auffassungen auf §§ 1973 f., 1990 ff. BGB? Bevor im Folgenden zu den einzelnen Auffassungen Stellung genommen wird, ist zunächst zu klären, für welche erbrechtlichen „Haftungs“begrenzungsinstrumente sie jeweils überhaupt (konsistente) Erklärungsmuster zu liefern im Stande sind. Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren stellen keine der obigen Auffassungen vor Probleme, wurden sie typischerweise doch gerade für diese Instrumente entwickelt.700 696 Schröder, JZ 1978, 379, 382 f.; in diese Richtung auch Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 5, der bei Einzelfragen aber zu anderen Ergebnissen gelangt (z.B. bei der Frage, ob bei Leistungen des Erben aus seinem Eigenvermögen zur Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten § 267 BGB eingreift; siehe dazu unten § 2 C III 3 b] ff] [1]); für Nachlasserbenschulden ebenso MüKo-InsO/Siegmann, § 331, Rn. 5: sie richteten sich „quasi gegen zwei Schuldner […], den Träger des Eigenvermögens und den Träger des Nachlasses“. 697 Schröder, JZ 1978, 379, 383. 698 v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, S. 345. 699 Schröder, JZ 1978, 379, 383. 700 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, S. 355 f. erwähnt zwar nur die Nachlassverwaltung, es ist aber davon auszugehen, dass seine Ausführungen auch für das Nachlassinsolvenzverfahren gelten sollen.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Weder auf dem Boden der herrschenden „Theorie von der reinen Haftungsbeschränkung“ noch auf dem der von Marotzke befürworteten „Lehre von der Verengung der persönlichen Schuld“ wirft die Einordnung der Einreden aus §§ 1973 f. BGB und §§ 1990–1992 BGB dogmatische Schwierigkeiten auf. Denn beide Erklärungsmodelle benötigen nicht mehr, als dass die Voraussetzungen der jeweiligen Einrede vorliegen und der Erbe sie geltend macht. Hingegen sind die Lehren vom „Nachlass als (Quasi-)Rechtssubjekt“ beziehungsweise „selbständiges Sondervermögen“ nicht in der Lage, eine stimmige dogmatische Erklärung für diese Einreden zu liefern, fehlt es doch jeweils zumindest an der von diesen Auffassungen vorausgesetzten erbenfremden Verwaltung.701 Fraglich ist, ob die „Lehre von der Personalunion des Erben“ auf die genannten Einreden anwendbar ist. Schröder selbst geht davon aus, weil der Erbe hier – gegebenenfalls rückwirkend (§§ 1991, 1978 I BGB) – als Verwalter eines Vermögens anzusehen sei.702 Zwar sei der Sondervermögenscharakter des Nachlasses hier eingeschränkt, dies sei für die Schuldbeschränkung aber „belanglos“.703 Das ist zweifelhaft, weil Schröder damit die von ihm zuvor aufgestellte und zum maßgeblichen Umstand erklärte Voraussetzung, es müsse zu einer organisatorischen Verselbständigung durch Einsetzung eines ständigen Vertreters kommen, zur formalen Hülse degradiert, denn bei einer Verwaltung des Nachlasses durch den Erben selbst wird man schwerlich von einem ständigen Vertreter und einer organisatorischen Verselbständigung sprechen können. 3. Stellungnahme a) Ablehnung der Lehren vom „Nachlass als (Quasi-) Rechtssubjekt“ beziehungsweise vom „Nachlass als selbständiges Sondervermögen“ Weder die von Kohler noch die von Hellwig vertretene Auffassung überzeugt. Beide sind vielmehr mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.704 Die Annahme eines Quasi-Rechtssubjekts beziehungsweise einer konstruktiven juristischen Person übersieht, dass die juristischen Gebilde, denen das BGB Rechtssubjekti701 Ferner dürfte es an der notwendigen Entstehung durch besonderen Rechtsakt fehlen. Hellwig ist hier nicht hinreichend deutlich, einerseits lässt er „Parteianordnung[en]“ genügen (Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts I, S. 295), andererseits scheint er darunter nur die Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch den Erblasser zu verstehen (Anspruch und Klagerecht, S. 237 mit Fn. 11). 702 Siehe Schröder, JZ 1978, 379, 384. 703 Schröder, JZ 1978, 379, 384, Fn. 46, 50. 704 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 IV 4; FK-InsO/Schallenberg/Rafiqpoor, Vor §§ 315, Rn. 29; vgl. auch die Motive zum Entwurf einer Konkursordnung, S. 452: „Aus der Zulassung eines Nachlaßkonkurses darf indeß [nicht] gefolgert werden, daß der Entwurf den Nachlaß als juristische Person auffasse.“. – Das RG hatte zunächst die Konkursmasse nicht als juristische Person (RGZ 53, 350, 352) bzw. nicht als selbständige juristische Persönlichkeit eingestuft (RGZ 52, 330, 332), um später für den Nachlass auf diese Judikate zu verweisen (RGZ 65, 287, 289 f.).
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vität beimessen will, in den §§ 21 ff. BGB mit Verein und Stiftung abschließend aufgezählt sind.705 Daran ändert auch die Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der GbR706 nichts, geht es Kohler doch gerade um eine Vollrechtsfähigkeit des Nachlasses. Zudem besteht hier gerade insoweit ein Unterschied, als die GbR als Rechtsträger logisch von ihrem Gesellschaftsvermögen zu trennen ist, mit anderen Worten: zwischen der GbR als Schuldnerin/ Einstandsverpflichtete und ihrem Vermögen als Haftungsmasse kann gedanklich wie dogmatisch unterschieden werden. Demgegenüber mutet es äußerst kurios an, den Nachlass als sich durch den Schuldenabbau selbst „verzehrendes“ Quasi-Rechtssubjekt und damit gleichzeitig als Schuldner wie Haftungsobjekt anzusehen. Aus diesen Gründen ist auch die Auffassung Hellwigs abzulehnen, so man diese weniger formal, denn realistisch betrachtet und sie so interpretiert, dass sie den Nachlass dem Wesen nach in eine Reihe mit den juristischen Personen stellt.707 Nimmt man Hellwig hingegen beim Wort und sieht den Nachlass als „selbständiges Sondervermögen“, das als Sonderrechtsfi ur gleichsam zwischen der Rechtsobjekts- und Rechtssubjektssphäre schwebt, so greift zwar vor allem das Argument, das BGB normiere abschließend die juristischen Personen, nicht mehr, jedoch muss man sich dann fragen, ob es für ein derartiges hybrides, dem BGB ansonsten unbekanntes Rechtsgebilde überhaupt ein Bedürfnis gibt. Das ist zu verneinen, und zwar deshalb, weil – wie noch zu zeigen sein wird – die durch den Umgang mit der Sondervermögensmasse Nachlass verbundenen Probleme mit den normalen Instrumentarien des Zivilrechts gelöst werden können. Dass zum (und nicht: dem) Nachlass und zum Eigenvermögen jeweils Ansprüche gehören können, die letztlich darauf gerichtet sind, aus der jeweils anderen Vermögensmasse befriedigt zu werden, lässt sich systemgerecht mit der Trennung beider Vermögensgesamtheiten in der Hand eines Rechtsträgers (= Erbe) begründen.708 Daher überzeugt es nicht, wenn durch das Handeln des Nachlassverwalters – systemfremd – „Rechte und Pflichten für das Sondervermögen erzeugt werden“709 sollen. Das Sondervermögen ist kein Rechtsträger, sondern bloßes Rechtsobjekt, das selbst keine Rechte und Pflichten hat, sondern nur Bezugspunkt von Rechten und Pflichten sein kann. Rechtsträger bleibt stets ein Rechtssubjekt, in concreto: der/die Erbe(n). Etwas anderes lässt sich insbeson705 So schon Schröder, JZ 1978, 379, 382; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, S. 454 mit Anm. 11; Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 5. 706 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056. 707 So v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, S. 347. 708 Nicht richtig daher Hellwig (Anspruch und Klagerecht, S. 240), nach dem (nur) nach seinem Modell erklärbar ist, warum zwischen dem Sondervermögen Nachlass und dem Eigenvermögen Rechte und Pflichten entstehen können, die sonst nur zwischen zwei verschiedenen Personen entspringen können. 709 So aber Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 239 (Hervorhebungen hier).
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dere nicht aus § 1978 II BGB ableiten, nach dem die im Interesse der Nachlassgläubiger bestehenden Ansprüche nach § 1978 I BGB als „zum Nachlass gehörend“ betrachtet werden. Schon der Wortlaut spricht dagegen, dass es sich hier um Forderungen handelt, die „diesem Sondervermögen gegen das freie Vermögen zusteh[en]“710. Denn es heißt eben nur, dass die Ansprüche als „zum Nachlass gehörend“ angesehen werden, nicht aber, dass sie dem Nachlass „zustehen“ oder ihm „gehören“. Deshalb begründet § 1978 II BGB keinen Rechtsanspruch einer selbständigen Rechtsperson „Nachlass“, sondern erweitert nur den Nachlass als Rechtsobjekt (oder genauer: Haftungsmasse), indem er die Forderungen nach Abs. 1 zum Bestandteil des Nachlasses erklärt. Ein Unterschied zu den anderen, in den Nachlass fallenden Ansprüchen – mögen sie gegen den Erben oder gegen sonstige Dritte gerichtet sein – besteht nicht. Schließlich überzeugt es nicht, wenn Kohler die Annahme zweier Vermögensmassen in der Hand des Erben mit dem Argument zurückweist, der Erbe trete hinsichtlich des Nachlasses „völlig vom Schauplatze ab“711. Nur weil der Rechtsträger (temporär) nicht über sein Vermögen verwalten und darüber verfügen kann, wird dieses nicht selbst zum Rechtsträger. Wäre dies der Maßstab, so wären konsequenterweise eine Vielzahl von Vermögensmassen ganz unterschiedlicher Lebensbereiche konstruktive juristische Personen (zum Beispiel das von einem Betreuer verwaltete Vermögen eines Geschäftsunfähigen oder das vom Insolvenzverwalter verwaltete Vermögen des Insolvenzschuldners). b) Vorzugswürdigkeit der „Theorie der reinen Haftungsbeschränkung“ Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist der herrschenden Meinung, nach der die §§ 1967 ff. BGB die Schuld des Erben völlig unangetastet lassen und nur seine Haftung beschränken, zuzustimmen. aa) Wortlaut Für eine Einstufung als „bloße“ Haftungsbeschränkungen spricht zunächst der Wortlaut der einschlägigen Regelungen. Am offensichtlichsten ist dies bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren: „Die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten beschränkt sich auf den Nachlass“. Zunächst nicht so eindeutig ist dies zwar bei §§ 1973 f., 1990 ff. BGB, weil nach diesen Vorschriften der Erbe die Befriedigung des Gläubigers „insoweit verweigern [kann], als der Nachlass“ nicht ausreicht (§ 1990 BGB) beziehungsweise durch die Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Gläubiger (§ 1973 BGB) erschöpft wird. Allerdings zeigt der Wortlaut anderer Vorschriften, dass auch die §§ 1973 f., 1990 ff. BGB lediglich haftungsbeschränkend wirken sollen. So spricht § 780 ZPO davon, dass der Erbe die „Beschränkung seiner
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So jedoch Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 241. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, S. 356.
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Haftung nur geltend machen kann, wenn […]“. Bestätigt wird dies durch einen Blick auf diejenigen Vorschriften, die auf §§ 1990 f. BGB Bezug nehmen. So heißt es in §§ 1480 S. 2 Hs. 2, 1504 S. 2 Hs. 2, 1629a I 2, 419 II 2 a.F. BGB jeweils, die „für die Haftung des Erben geltenden Vorschriften der §§ 1990, 1991 [finden] entsprechende Anwendung“712. Einzuräumen ist aber, dass der Wortlautinterpretation in diesem Kontext nur äußerst geringe Bedeutung beigemessen werden kann, weil der Gesetzgeber die Worte „Schuld“ und „Haftung“ im Sinne der klassisch-dichotomischen Unterscheidung selten lege artis verwendet.713 Mehr als ein Indiz wird man dem Wortlaut daher nicht entnehmen können. bb) Systematische Stellung Nach der gesetzlichen Konzeption der ZPO werden die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff. BGB durch die §§ 780 ff. ZPO prozessual umgesetzt. Danach muss – verkürzt ausgedrückt – der Erbe die ihm im Erkenntnisurteil vorbehaltene Haftungsbeschränkung (§ 70 ZPO) im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen, § 785 ZPO. Nach dem gesetzgeberischen Regelungsplan sollen die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff. BGB daher offenbar vor allem im Rahmen der Zwangsvollstreckung praktische Bedeutung gewinnen. Mit der Forderungsverwirklichung ist damit der klassische Bereich der Haftung – und nicht bereits des vorgelagerten Verpflichtetseins (= Schuld) – betroffen.714 cc) Deklaratorischer Charakter des § 1629a III BGB Ein Argument dafür, dass es sich bei den §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB nur um Haftungsbeschränkungsnormen handelt, lässt sich mittelbar aus § 1629a III BGB herleiten. Danach bleiben durch die Regelung des § 1629a BGB die Rechte der Gläubiger (unter anderem) gegen Mitschuldner und Mithaftende unberührt. Wenn § 1629a BGB wirklich bereits die Schuld des volljährig Gewordenen beschränken würde, müsste man § 1629a III BGB bei akzessorischen Sicherheiten als konstitutiv ansehen, weil er dann den Sicherungsgebern die anderenfalls möglichen Einreden aus zum Beispiel §§ 768 I 1, 1137 I BGB nähme. Ausweislich der Entwurfsbegründung maß der Gesetzgeber § 1629a III BGB aber explizit nur klarstellende Funktion zu.715 Das lässt nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber in § 1629a BGB eine Haftungs- und nicht bereits eine Schuld712 § 2187 III BGB verweist im Übrigen wortlautgleich auf § 1992 BGB. – Der Charakter als Haftungsbeschränkung klingt – wenn auch nicht ganz so deutlich – auch in den Verweisungsvorschriften §§ 2036 S. 2, 2145 II BGB, § 7 IV 2 VermG an. 713 Siehe ausführlich oben § 1 IV 1 a). 714 Zu der damit im Zusammenhang stehenden Frage, inwieweit die Einreden aus §§ 1973 f., 1990–1992 BGB bereits im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigen sind, vgl. näher unten § 2 C III 4 c). 715 BT-Drucks. 13/5624, S. 13: „Klarstellung, dass die Berufung des volljährig gewordenen Kindes auf die Haftungsbeschränkung nicht Dritten zugute kommen soll […]“ (Hervorhebung hier).
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beschränkung sah.716 Da § 1629a BGB hinsichtlich seiner Rechtsfolgen auf die §§ 1990 f. BGB verweist, ist nicht einzusehen, warum dort etwas anderes gelten solle. Und wenn dies für §§ 1990 f. BGB gilt, dann lässt sich wiederum kein Grund finden, dies nicht auf §§ 1973 f., 1975 BGB zu übertragen. dd) Kein Widerspruch zwischen vollumfänglicher Schuld und eingeschränkter Vollstreckbarkeit Gegen die Qualifikation als reine Haftungsbeschränkung kann auch nicht überzeugend eingewandt werden, die Annahme einer (vollumfänglichen) Schuld bei einer lediglich beschränkten Haftung sei ein Widerspruch in sich. Denn auch außerhalb der erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente geht das Gesetz an mehreren Stellen von der Existenz einer rechtlichen Leistungsverpflichtung („Schuld“) aus, obwohl diese nicht oder nur eingeschränkt zwangsweise durchsetzbar ist („Haftung“). Beispielsweise ergibt sich daraus, dass die Vollstreckung eines einen Arbeitnehmer zur Leistung von Diensten aus dem Arbeitsvertrag verpflichtenden Urteils nach § 888 III ZPO nicht zulässig ist, nicht, dass er nicht einer entsprechenden Hauptleistungspflicht („Schuld“) unterläge, die überdies vom Arbeitgeber im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden kann.717 Obwohl ein die Verpflichtung zur Herstellung des ehelichen Lebens (§ 1353 BGB) aussprechendes Leistungsurteil nicht vollstreckbar ist (§ 120 III FamFG), sind dennoch beide Ehegatten materiell-rechtlich dazu verpflichtet und können darauf per Leistungsklage in Anspruch genommen werden.718 Selbst wenn ein Anspruch gar nicht klagbar ist, ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass eine entsprechende Rechtspflicht besteht. Beispiel ist das Verlöbnis, bei dem nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1297 I BGB zwar eine Leistungsklage ausgeschlossen ist, das aber nach zutreffender Auffassung dennoch eine Rechtspflicht zur Eheschließung begründet.719 Wenn nicht einmal die vollständig fehlende Vollstreckbarkeit der Annahme einer Leistungsverpflichtung entgegensteht, muss das erst recht gelten, wenn – wie im Falle der erbrechtlichen „Haftungs“begrenzungsinstrumente – die Vollstreckbarkeit gar nicht vollständig ausgeschlossen ist, sondern nur die Haftungsmasse auf einen Teil des Schuldnervermögens begrenzt wird. Die hier untersuchte Konstellation ähnelt den Pfändungsschutzvorschriften der ZPO (vor allem §§ 811, 850 ff.). Dort käme auch niemand auf die Idee, eine Leistungsverpflichtung nur deshalb zu verneinen, weil der Schuldner vermutlich (oder sogar 716
So zutreffend auch Konz, Haftungsbeschränkung, S. 166 f. Vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 566 f. 718 MüKo-BGB/Roth, § 1353, Rn. 19, 54; Hk-BGB/Kemper, § 1353, Rn. 9; Jauernig/Berger, BGB, § 1353, Rn. 8. – Wie Roth (a.a.O., Rn. 54) zu Recht betont, kann einer Klage auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, da das angestrebte Urteil zumindest Appellwirkung haben kann. 719 Soergel/Fischinger, § 1297, Rn. 29 m.w.N.; dementsprechend ist auch eine darauf gerichtete Feststellungsklage möglich, Fischinger, a.a.O., Rn. 28. 717
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höchstwahrscheinlich) die Zwangsvollstreckung unter Berufung zum Beispiel auf § 811 BGB abwenden können wird.720 ee) Widersprüchlichkeit und Nähe Marotzkes zur „Theorie vom Nachlass als (Quasi-)Rechtssubjekt“ Gegen die Auffassung Marotzkes spricht, dass sie erstens zum Teil widersprüchlich ist und sich zweitens in gewisser Weise der „Theorie vom Nachlass als (Quasi-)Rechtssubjekt“ annähert. Beides zeigt sich bei der Frage, ob bei Eingreifen von beispielsweise § 1990 BGB ein Schuldnerverzug möglich ist. Marotzke hält einen „persönlichen Verzug“ des Erben für ausgeschlossen, möglich sei aber ein „Verzug ‚des Nachlasses‘“721. Das ist zunächst widersprüchlich, weil Marotzke an anderer Stelle betont, dass sich die persönliche Schuld vom Erben gerade nicht auf „den Nachlass“ verlagere722 – dann ist aber auch kein Verzug dieses Nachlasses möglich. Überdies kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Marotzke letztlich den Nachlass doch wieder als eine Art Rechtssubjekt behandelt. Weil dem geltenden Recht der Verzug einer Vermögensmasse ohne eigene Rechtssubjektsqualität fremd ist723, ließe sich die Auffassung, „der Nachlass“ gerate in Schuldnerverzug, nämlich nur annehmen, wenn dieser Nachlass nicht nur Haftungsmasse, sondern ein eigenes Rechtssubjekt wäre. Letzteres überzeugt aber – wie oben ausgeführt724 – nicht.725 ff) Entkräftung der Einwände Schröders gegen die hier vertretene Auffassung Zugunsten seiner „Lehre von der Personalunion“ des Erben führt Schröder am Beispiel der Nachlassverwaltung die im Folgenden zu erörternden Konstellationen an, in denen – seiner Meinung nach – auf dem Boden der herrschenden Meinung keine befriedigenden Ergebnisse zu erzielen sind. Wie zu zeigen sein wird, greifen Schröders Bedenken nicht nur nicht durch, sondern sprechen diese Konstellationen sogar für die herrschende Auffassung. (1) Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten durch den Erben Die ganz herrschende Meinung hält den Erben stets für berechtigt, Nachlassverbindlichkeiten aus seinem Eigenvermögen zu erfüllen.726 Für die Rechtsfolgen ist dann zu unterscheiden: Lagen die Voraussetzungen des § 1979 BGB 720
Zutreffend Konz, Haftungsbeschränkung, S. 163 f. (für § 1629a BGB). Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 36; Gleiches nimmt er für §§ 2014, 2015 BGB und bei § 2058 BGB an, Staudinger/Marotzke, § 2014, Rn. 8, § 2058, Rn. 18. 722 Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 8. 723 Konz, Haftungsbeschränkung, S. 164. 724 § 2 C III 3 a). 725 Siehe auch die deutliche Kritik an der Auffassung Marotzkes bei Bittner, FamRZ 2000, 325, 328 („Unsinn“); vgl. auch FG Baden-Württemberg 25.9.2001 – 11 K 167/98, EFG 2002, 135 (juris Rn. 38); Löwisch, NJW 1999, 1002, 1003; Konz, Haftungsbeschränkung, S. 161, 164 (jeweils zu § 1629a BGB). 726 Soergel/Stein, § 1977, Rn. 2; Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 12, § 1979, Rn. 14 f.; 721
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vor, erwirbt der Erbe einen vollen Rückgriffsanspruch gegen den Nachlass aus §§ 1979, 1978 III, 670 BGB; in der Nachlassinsolvenz ist er insoweit nach § 324 I Nr. 1 InsO Massegläubiger.727 Waren die Voraussetzungen des § 1979 BGB nicht erfüllt, hat der Erbe nur einen Bereicherungsanspruch gegen den Nachlass, §§ 1978 III, 684 BGB; im Nachlassinsolvenzverfahren ist er gemäß § 326 II InsO so gestellt, wie der befriedigte Gläubiger gestanden hätte.728 Schröder hält es hingegen für verfehlt, dass der Erbe Nachlassverbindlichkeiten auch „gegen den Willen des Nachlassverwalters und des Nachlassgläubigers, die vielleicht aufrechnen wollen“, befriedigen können soll; demgegenüber sei es vorzugswürdig, den Erben insofern als „Dritten“ im Sinne von § 267 BGB einzustufen mit der Folge, dass er nicht gegen den gemeinsamen Willen von Nachlassverwalter und jeweiligem Nachlassgläubiger erfüllen kann.729 Für die Frage, inwieweit diese Bedenken berechtigt sind, ist zu unterscheiden: (a) Grundkonstellation Unproblematisch sind Konstellationen, in denen der Nachlassgläubiger eine aus dem Nachlass zu befriedigende Forderung hat, der kein gleichartiger, in den Nachlass fallender und gegen diese Forderung aufrechenbarer Anspruch gegenübersteht. Das mit § 267 BGB einhergehende Ablehnungsrecht von Nachlass-/ Insolvenzverwalter und Nachlassgläubiger ist hier ohne jede praktische Bedeutung.730 Denn in diesem Fall würde der Nachlassgläubiger die Zahlung ohnehin nicht im Sinne von § 267 II BGB ablehnen, erhält er doch durch den Erben dasjenige, was er auch aus dem Nachlass erhalten hätte; und auch der Nachlass-/ Insolvenzverwalter würde der Zahlung regelmäßig nicht gemäß § 267 II BGB widersprechen, weil der Nachlass durch das Handeln des Erben nicht beeinträchtigt wird, findet doch nur ein Gläubigerwechsel weg vom Nachlassgläubiger und hin zum Erben (§§ 1979, 1978 III, 670 BGB beziehungsweise §§ 1978 III, 684 BGB) statt. Der Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit aus dem Eigenvermögen stehen in diesem Fall auch die § 1984 BGB, §§ 80–82 InsO nicht entgegen. Danach verliert der Erbe mit Anordnung der Nachlassverwaltung respektive Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zwar die Befugnis, über den Nachlass zu verfügen, und stellt die im Falle ihrer Wirksamkeit zum Erlöschen führende For-
PWW/Tschichoflos, § 1979, Rn. 8; Palandt/Weidlich, § 1979, Rn. 3; MüKo-BGB/Küpper, § 1979, Rn. 4. 727 NK-BGB/Krug, § 1978, Rn. 34, 39; MüKo-BGB/Küpper, § 1979, Rn. 4, 5. 728 MüKo-BGB/Küpper, § 1979, Rn. 5; Soergel/Stein, § 1979, Rn. 4; Erman/Horn, § 1979, Rn. 4; RGRK/Johannsen, § 1979, Rn. 4; für analoge Anwendung des § 326 II InsO auch bei der Nachlassverwaltung Staudinger/Marotzke, § 1979, Rn. 15. 729 Schröder, JZ 1978, 379, 382, 383. 730 Fairerweise muss man sagen, dass Schröder diese Konstellationen angesichts seines Einschubs „die vielleicht aufrechnen wollen“ wohl gar nicht im Blick hatte.
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derungserfüllung entsprechend der allgemeinen Definition731 eine „Verfügung“ dar, weil dadurch unmittelbar auf den Bestand der Forderung im Wege der Aufhebung eingewirkt wird.732 Es wäre aber voreilig, daraus abzuleiten, die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten aus dem Eigenvermögen des Erben sei stets unwirksam. Entscheidend sind nämlich Sinn und Zweck des Verfügungsentzugs: Dieser soll eine Beeinträchtigung der Stellung des Nachlass-/Insolvenzverwalters sowie der Rechte der (in unserem Fall: anderen) Nachlassgläubiger verhindern.733 Außerhalb der sogleich zu erörternden Aufrechnungskonstellationen werden durch die freiwillige Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit aus dem Eigenvermögen durch den Erben weder die Stellung des Nachlass-/ Insolvenzverwalters noch die Rechte der anderen Nachlassgläubiger negativ beeinträchtigt. Der Verwalter verliert hier keine Aufrechnungsbefugnis und die anderen Nachlassgläubiger haben ebenfalls keine Nachteile: Ist der Nachlass werthaltig, erwirbt der Erbe einen der ursprünglichen Nachlassverbindlichkeit in der Höhe entsprechenden Rückgriffsanspruch – es findet also gewissermaßen nur ein Gläubigerwechsel statt – und liegen die Voraussetzungen des § 1979 BGB nicht vor, hat der Erbe erstens nur einen Bereicherungsanspruch und zweitens im Nachlassinsolvenzverfahren nur die Stellung des befriedigten Nachlassgläubigers, § 326 II InsO. (b) Vereitelung der Aufrechnungsbefugnis Problematisch sind daher nur Konstellationen, in denen nicht nur der Nachlassgläubiger einen Anspruch hat, sondern in den Nachlass auch eine aufrechenbare Gegenforderung fällt. In einem solchen Fall kann die Zahlung vor allem die Position des Nachlasses nicht unerheblich beeinträchtigen. Denn vor der Zahlung lag in Bezug auf die aufrechenbaren Forderungen ein „Nullsummenspiel“ vor: Der Nachlass-/Insolvenzverwalter brauchte sich um die tatsächliche Realisierbarkeit der in den Nachlass fallenden Forderung nicht zu kümmern, weil er insoweit das rechtstechnisch elegantere Instrument der Aufrechnung zur Verfügung hatte; damit stellte sich insbesondere nicht das Problem einer möglichen Zahlungsunfähigkeit des Nachlassgläubigers. Nach Befriedigung des Nachlassgläubigers stehen Verwalter/Nachlassgläubiger insofern unter Umständen schlechter, als dem Verwalter dieses Instrument aus der Hand geschlagen wurde 731 Allgemein zur Verfügungsdefinition als unmittelbare Einwirkung auf den Bestand eines Rechts durch dessen Übertragung, Belastung, Änderung oder Aufhebung siehe z.B. BGH 4.11.2009 – XII ZR 170/07, NJW-RR 2010, 483, 484; Staudinger/Gursky, § 185, Rn. 4; Staudinger/S. Lorenz, § 816, Rn. 4; BeckOK-BGB/Wendehorst, § 816, Rn. 4; BeckOK-BGB/ Bub, § 185, Rn. 2; MüKo-BGB/Schramm, § 185, Rn. 8. 732 Vgl. PWW/Pfeiffer, § 362, Rn. 18: Erfüllung stehe der Verfügung über die Forderung gleich. – Dass die Erfüllung einer Forderung eine Verfügung darüber ist, zeigt gerade auch der Verweis in § 362 II BGB auf § 185 BGB. 733 Siehe Staudinger/Marotzke, § 1984, Rn. 9; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3578; vgl. auch BGH 9.11.1966 – V ZR 176/93, BGHZ 46, 221, 229 (juris Rn. 15): „soweit […] die Zwecke der Nachlaßverwaltung berührt werden konnten“; Palandt/Weidlich, § 1984, Rn. 2.
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und zugleich der Nachlass einem Rückgriffsanspruch des Erben ausgesetzt ist. Summa summarum würden die nicht freiwillig vom Erben aus dessen Eigenvermögen befriedigten Nachlassgläubiger das Risiko tragen, dass die in den Nachlass fallende Forderung gegen den befriedigten Nachlassgläubiger mangels dessen Solvenz nicht eintreibbar ist, zugleich aber der Nachlass einem Rückgriffsanspruch des Erben ausgesetzt ist, was die Quote der anderen Nachlassgläubiger in einem möglichen Nachlassinsolvenzverfahren schmälern würde. Schröder will dem Problem mit einer Anwendung von § 267 BGB entgehen und leitet – da dies eine Schuldnerspaltung dergestalt voraussetzt, dass der Erbe „Dritter“ ist – daraus die Erkenntnis ab, allein die „Lehre von der Personalunion des Erben“ sei geeignet, diese Problematik zu lösen. Das überzeugt nicht, weil § 267 BGB schon kein geeignetes Instrument dafür ist, Verwalter und die anderen Nachlassgläubiger vor der geschilderten Gefahr zu schützen. Schröder übersieht, dass allein der Widerspruch des Nachlass-/Insolvenzverwalters gegen die Zahlung durch den Erben die wirksame Erfüllung und damit den Eintritt der oben beschriebenen Konsequenzen nicht verhindert.734 Erforderlich ist darüber hinaus eine Ablehnung der angebotenen Zahlung durch den Nachlassgläubiger – was dieser aber in aller Regel nicht tun wird, weil er durch die Zahlung das erhält, was er begehrt.735 Unabhängig davon kann § 267 II BGB nach seinem Wortlaut nur relevant werden, wenn der Nachlass-/Insolvenzverwalter vor der Zahlung durch den Erben widerspricht; das aber stößt insofern auf praktische Schwierigkeiten, als der Verwalter von der Absicht des Erben, an den Nachlassgläubiger zu leisten, oftmals nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen wird und er daher gar nicht widersprechen kann. Als Zwischenergebnis lässt sich damit festhalten, dass § 267 BGB entgegen der Auffassung Schröders das von ihm zutreffend beschriebene Problem in der Praxis regelmäßig gar nicht zu lösen imstande ist. Schon deshalb lässt sich aus dem Problem kein Argument für die „Lehre von der Personalunion des Erben“ herleiten. Im Gegenteil: Wie zu zeigen sein wird, kann es auf dem Boden der herrschenden Meinung einer effektiven und zugleich dogmatisch stimmigen Lösung zugeführt werden. Wie oben ausgeführt, ist die zum Erlöschen führende Forderungserfüllung eine Verfügung über die Forderung. Der Erbe verliert nach § 1984 BGB, §§ 80– 82 InsO aber mit Anordnung der Nachlassverwaltung beziehungsweise Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens die Befugnis zur Verfügung über den Nachlass. Unwirksam ist die Erfüllung einer gegen den Nachlass gerichteten Forderung durch den Erben zwar grundsätzlich dennoch nicht, weil normalerweise die Rechtsstellung des Verwalters und der übrigen Nachlassgläubiger 734
Vgl. Staudinger/Bittner, § 267, Rn. 49. Etwas anderes ist in den wohl seltenen Fällen denkbar, in denen der eigentlich begünstigte Nachlassgläubiger gerade gegenüber dem Verwalter aufrechnen wollte, weil er sich die Mühen einer Anspruchserfüllung ersparen will. 735
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dadurch nicht negativ beeinträchtigt wird und der Normzweck der § 1984 BGB, §§ 80–82 InsO mithin nicht einschlägig ist (siehe oben). Das kann aber in den hier untersuchten Konstellationen wie gezeigt anders sein. Dementsprechend wird man hier die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit aus dem Eigenvermögen des Erben als nach § 1984 BGB, §§ 80–82 InsO unzulässige und damit absolut736 unwirksame Verfügung anzusehen haben, die nicht geeignet ist, die Forderung des Nachlassgläubigers zum Erlöschen zu bringen.737 Der Nachlass-/ Insolvenzverwalter ist dementsprechend weiterhin nicht daran gehindert, die in den Nachlass fallende Forderung gegen die Nachlassverbindlichkeit aufzurechnen. Der Erbe kann sich nicht an den Nachlass halten, sondern nur versuchen, die erbrachte Leistung vom Nachlassgläubiger nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB zu kondizieren.738 Zwar könnte man auf den Gedanken kommen, diese Rechtsfolgen nur anzunehmen, wenn die Interessen von Verwalter/Nachlassgläubiger im konkreten Einzelfall durch den Erfüllungsversuch tatsächlich beeinträchtigt werden und dieser ihrem Willen widerspricht. Dagegen spricht aber, dass mit einer derartigen Differenzierung ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit einherginge. Es ist daher vorzugswürdig, die Begleichung einer Nachlassverbindlichkeit durch den Erben aus seinem Eigenvermögen immer für zunächst unwirksam zu erklären, wenn in den Nachlass eine aufrechenbare Forderung gegen den begünstigten Nachlassgläubiger fällt. In Situationen, in denen dies nicht den Interessen des Verwalters und der anderen Nachlassgläubiger entspricht, kann die wünschenswerte Flexibilität dadurch hergestellt werden, dass der Verwalter die Erfüllung genehmigen kann, so dass sie nachträglich wirksam wird, §§ 184 I, 185 II 1 Alt. 1 BGB.739 (2) Aufrechnungsproblematik Zur Begründung seiner „Lehre von der Personalunion des Erben“ führt Schröder des Weiteren an, dass nur mittels ihrer widerspruchsfrei erklärt werden könne, warum ein Nachlassgläubiger nach Herbeiführung der separatio bonorum nicht mehr gegen eine ins Eigenvermögen des Erben und umgekehrt ein Eigengläubiger nicht mehr gegen eine in den Nachlass fallende Forderung 736 Allgemeine Meinung, vgl. statt aller MüKo-BGB/Küpper, § 1984, Rn. 3; Hk-BGB/ Hoeren, § 1984, Rn. 3; PWW/Tschichoflos, § 1984, Rn. 8. 737 Hingegen wird man die Unzulässigkeit der Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten nicht damit begründen können, dass darin eine Verfügung über die in den Nachlass fallende Forderung liege. Zwar kann der Verwalter mit dieser im Falle einer wirksamen Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit durch den Erben nicht mehr aufrechnen, das ist aber nur mittelbare Folge der Erfüllung. An der für die Annahme einer Verfügung erforderlichen Unmittelbarkeit (s. Fn. 731) fehlt es dementsprechend. 738 Vgl. allgemein zum Bestehen von Kondiktionsansprüchen bei fehlgeschlagener Erfüllung Hk-BGB/Schulze, § 362, Rn. 11; Soergel/Schreiber, § 362, Rn. 14. 739 Vgl. Staudinger/Marotzke, § 1984, Rn. 10.
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aufrechnen kann.740 In der Tat würde eine Aufrechnung unproblematisch mangels der erforderlichen Gegenseitigkeit der Forderungen ausscheiden, wenn in der Person des Erben zwei „Schuldnerherzen“ schlagen würden. Hingegen lässt sich auf dem Boden der herrschenden Meinung das gleiche Ergebnis nicht mit mangelnder Gegenseitigkeit begründen, bleibt der Erbe doch trotz Anordnung der Nachlassverwaltung beziehungsweise Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens in Bezug auf Nachlass- wie Eigenforderung ein Gläubiger und ein Schuldner.741 Zu Recht bemängeln es Schröder und Stein daher, wenn auf dem Boden der herrschenden Meinung – vor allem in der älteren Literatur742 – versucht wurde, den Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis der Gläubiger mit mangelnder Gegenseitigkeit zu begründen. Dennoch folgt auch aus den „Aufrechnungskonstellationen“ kein Argument für die „Lehre von der Personalunion des Erben“. Denn der Ausschluss der Aufrechenbarkeit von Nachlass- beziehungsweise Eigengläubiger lässt sich auch dann zwanglos und dogmatisch überzeugend mit einer teleologischen Reduktion der §§ 389 ff. BGB begründen, wenn man den §§ 1975 ff. BGB eine reine Haftungsbeschränkung entnimmt. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass die Aufrechnung nur ein Erfüllungssurrogat ist und daher nicht weitergehen kann als die originäre Erfüllung;743 entsprechend reicht das Recht des Aufrechnenden zur Aufrechnung nicht weiter als umgekehrt die Erfüllungspflicht des Aufrechnungsgegners. Die Aufrechnung wird daher in Rechtsprechung und Literatur zutreffend als eine Art Privatzwangsvollstreckung, als „außergerichtlicher Selbsthilfezugriff“744 und „Selbstexekution“745 beschrieben, die „Ähnlichkeiten mit der Zwangsvollstreckung“746 aufweise. Zwar erhält der Aufrechnende anders als bei „typischen“ Zwangsvollstreckungsmaßnahmen keinen Befriedigungsgegenstand, wirtschaftlich betrachtet macht es aber keinen Unterschied, ob zu seinen Gunsten zum Beispiel eine Forderung gepfändet und überwiesen wird oder ob er per Aufrechnung von einer Verbindlichkeit befreit wird. Auch die Wirkung auf den Schuldner ist in beiden Fällen identisch, verliert er doch einen vermögenswerten Gegenstand gegen seinen Willen. Angewendet auf die hier untersuchte Fragestellung gilt somit: Wenn die §§ 1975 ff. BGB als Haftungsbeschränkung zwar den Anspruch zum Beispiel eines Nach740
Schröder, JZ 1978, 379, 381; Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 5. So auch Staudinger/Gursky, § 387, Rn. 30, 41; Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 4. 742 Siehe die Nachweise bei Schröder, JZ 1978, 379, 381 mit Fn. 20; vertreten wird dies heute – soweit ersichtlich – nur noch von Erman/Horn, § 1977, Rn. 2a. 743 Vgl. auch Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 11; NK-BGB/Krug, § 1977, Rn. 12 jeweils zur (unzulässigen) Aufrechnung eines Eigengläubigers gegen eine zum Nachlass gehörende Forderung. 744 Staudinger/Gursky, Vorbem zu §§ 387 ff., Rn. 6; vgl. MüKo-BGB/Schlüter, § 387, Rn. 1. 745 Motive II, S. 113; BGH 28.4.1987 – VI ZR 1, 43/86, NJW 1987, 2297, 2998; vgl. Staudinger/Gursky, Vorbem zu §§ 387 ff., Rn. 6. 746 BGH 21.7.2005 – IX ZR 115/04, NJW 2005, 2988, 2990. 741
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lassgläubigers darauf, aus dem gesamten Vermögen des Erben einschließlich seines Eigenvermögens befriedigt zu werden, unberührt lassen, ihm aber die Möglichkeit nehmen, dies per Zwangsvollstreckung gegen den Willen des Erben durchzusetzen, so ist auch eine Aufrechnung als „Privatvollstreckungsmaßnahme“ insoweit ausgeschlossen, als er mit der gegen den Nachlass gerichteten Forderung nicht gegen eine Forderung, die ins Eigenvermögen des Erben fällt, aufrechnen kann.747 Bestätigt wird dies durch § 1977 I BGB, wonach eine vor der Anordnung der Nachlassverwaltung oder vor der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung eines Nachlassgläubigers gegen eine zum Eigenvermögen des Erben zählende Forderung nach Anordnung/Eröffnung „als nicht erfolgt anzusehen“ ist, wenn diese Aufrechnung ohne Zustimmung des Erben erfolgte. Das zeigt: Weil per Aufrechnung dem Erben ohne/ gegen dessen Willen etwas „weggenommen“ werden kann, muss dies unzulässig sein, wenn auch eine „normale“ Zwangsvollstreckungsmaßnahme unzulässig wäre; wo der Erbe als Schuldner aber freiwillig der Maßnahme zustimmte, ist er nicht (mehr) schutzwürdig. Daher lässt sich angesichts der mit der Vermögensmassentrennung einhergehenden Vollstreckungsbeschränkung der Nachlassgläubiger (ins Eigenvermögen) beziehungsweise Eigengläubiger (in den Nachlass) unschwer und systemgerecht erklären, warum entsprechende, zum selben wirtschaftlichen Ergebnis führende Aufrechnungen trotz bestehender Gegenseitigkeit durch die Gläubiger unzulässig sein müssen – und zwar gerade auch dann, wenn man den §§ 1975 ff. BGB keine Schuld-, sondern nur eine Haftungsbeschränkung entnimmt. Die von Schröder und Stein ins Feld geführte Aufrechnungsproblematik spricht also schon nicht gegen die herrschende Auffassung. Darüber hinaus wird man sie sogar als Argument für die herrschende Meinung ansehen müssen. Nach der „Lehre von der Personalunion des Erben“ muss nämlich nicht nur eine Aufrechnung von Nachlassgläubigern ins Eigenvermögen, sondern – auch insoweit wieder mangels Gegenseitigkeit der Forderungen – eine solche des Erben mit einer in sein Eigenvermögen fallende Forderung gegen eine Nachlassverbindlichkeit ausgeschlossen sein.748 Das überzeugt aber weder rechtsdogmatisch wie -politisch, diese Aufrechnungsbefugnis des Erben wird vielmehr durch die Anordnung der Nachlassverwaltung/Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens grundsätzlich nicht beeinträchtigt.749 Entscheidend für die Versagung des Aufrechnungsrechts der Nachlassgläubiger spricht, dass sie andernfalls auf diesem Umweg entgegen der separatio bonorum doch wie747
Joachim, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 1990, Rn. 23. Dafür Erman/Horn, § 1977, Rn. 2a; zwar i.E. zutreffend, aber m.E. inkonsequent Soergel/Stein, § 1977, Rn. 2, 7, der eine derartige Aufrechnung für zulässig hält. 749 So auch MüKo-BGB/M. Schlüter, § 387, Rn. 21; Palandt/Weidlich, § 1977, Rn. 3; Staudinger/Gursky, § 387, Rn. 41; Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 12. 748
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der zwangsweise auf das Eigenvermögen des Erben zugreifen könnten. Dieser „erbenschützende“ Gedanke lässt sich bei einer Aufrechnung durch den Erben selbst aber gerade nicht fruchtbar machen, weil sich der Erbe hier ja selbst und bewusst für die „Aufopferung“ einer in sein Privatvermögen fallenden Forderung zum Zwecke der Befriedigung eines Nachlassgläubigers entscheidet. Dafür mag er seine Gründe haben, zum Beispiel weil er die Eintreibung seiner eigenen Forderung für schwierig hält oder allgemein mit dem betreffenden Nachlassgläubiger nichts mehr zu tun haben will. Die Versagung des Aufrechnungsrechts wäre mit Blick auf den Erben auch insoweit inkonsequent, als er grundsätzlich berechtigt ist, trotz Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren Nachlassverbindlichkeiten „in natura“ zu erfüllen. Da die Aufrechnung nur Erfüllungssurrogat ist, müssen insoweit die gleichen Maßstäbe gelten. Nach dem zur „originären“ Erfüllung nach § 362 BGB Gesagten spricht daher auch der Schutz der Nachlassgläubiger grundsätzlich nicht für ein anderes Ergebnis: Der Nachlassgläubiger, gegen dessen Forderung der Erbe aufrechnet, ist insoweit nicht schutzwürdig, als er durch die Aufrechnung keinen wirtschaftlichen Nachteil erlangt, wird er doch gegenüber dem Erben selbst frei; er steht sogar insoweit rechtstatsächlich besser, als er sich nicht mehr um die Durchsetzung seiner gegen den Nachlass gerichteten Forderung kümmern muss. Und auch der Verwalter sowie die übrigen Nachlassgläubiger erleiden grundsätzlich keine Nachteile, für sie ist das Vorgehen des Erben vielmehr nur ein „Nullsummenspiel“ im Sinne eines „Gläubigertausches“.750 Daher scheitert eine solche Aufrechnung grundsätzlich ebenso wenig an § 1984 BGB, §§ 80–82 InsO wie die freiwillige Befriedigung des Nachlassgläubigers durch den Erben aus seinem Eigenvermögen nach § 362 BGB.751 Etwas anderes gilt, wenn durch die Aufrechnung des Erben dem Verwalter die Möglichkeit genommen wird, eine in den Nachlass fallende Forderung gegen den betreffenden Nachlassgläubiger aufzurechnen. In einem solchen Fall ist die vom Erbe erklärte Aufrechnung mit der in sein Eigenvermögen fallenden Forderung als unzulässige Verfügung über den Nachlass zunächst unwirksam; nur wenn der Verwalter sie genehmigt, wird sie rückwirkend wirksam (§§ 185 II 1 Alt. 1, 184 I BGB). Abgesehen von diesen Sonderfällen ist es aber nicht überzeugend, dem Erben das Recht und die Möglichkeit abzusprechen, mit einer ins Eigenvermögen fallenden Forderung gegen eine Nachlassverbindlichkeit aufzurechnen. Damit ist die „Lehre von der Personalunion des Erben“ auch deshalb abzulehnen, weil sie – zwar konsequent, aber im Ergebnis unbefriedigend – mangels Gegenseitigkeit auch den Erben für nicht aufrechnungsbefugt hält oder aber, weil sie (inkonsequent) dennoch eine Aufrechnung zulassen will.752 750 Zutreffend RGRK/Johannsen, § 1977, Rn. 9; Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 12; Palandt/Weidlich, § 1977, Rn. 3. 751 Ebenso Staudinger/Marotzke, § 1977, Rn. 12. 752 Für letzteres Soergel/Stein, § 1977, Rn. 2, 6.
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Zum gleichen – zutreffenden – Ergebnis kommen die „Lehre von der Personalunion des Erben“ und die herrschende Meinung nur insoweit, als bei Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenzverfahren eine Aufrechnung des Erben mit einer in den Nachlass fallenden Forderung gegen eine gegen sein Eigenvermögen gerichtete Forderung ausgeschlossen ist. Während dies nach der Personalunionlehre schon daraus folgt, dass es an der Gegenseitigkeit fehlt, ergibt sich auf Grundlage der herrschenden Meinung Gleiches aus der fehlenden Verfügungsbefugnis des Gläubigers (§ 1984 I 1 BGB, §§ 80–82 InsO). (3) Konkurrenzverbotsproblematik Zugunsten seiner Auffassung führt Schröder ferner die Problematik des Übergangs der von ihm als sogenannte „inhaltlich variable Verpflichtungen“ bezeichneten Forderungen an. Darunter versteht er zum Beispiel Konkurrenzverbote, denen der Erblasser mit all seinen Betrieben unterlag.753 Problematisch werde dies, wenn der Erbe selbst – das heißt mit Mitteln seines Eigenvermögens – in dieser Branche ein Geschäft betreibe, mit dem er dem vom Konkurrenzverbot Begünstigten Konkurrenz macht. Denn Schröder geht davon aus, dass der Erbe mit Annahme der Erbschaft insgesamt an das Konkurrenzverbot gebunden sei, mit anderen Worten: nicht nur mit den ererbten Betrieben, sondern auch mit seinem originär eigenen Betrieb. Davon ausgehend nütze dem Erben die separatio bonorum nichts, wenn diese nur eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass bewirke, weil dies nichts daran ändere, dass der Erbe dennoch umfassend schulde und mit seinem gesamten Vermögen dem Konkurrenzverbot unterliege.754 Einen Ausweg aus dem Dilemma liefere nur die Auffassung, nach der Nachlassverwaltung/-insolvenz nicht nur zu einer Haftungs-, sondern zu einer Schuldumfangsbeschränkung auf den Nachlass führten.755 Das überzeugt nicht. Entgegen Schröder lässt sich aus den Konkurrenzverbotsfällen kein Argument für seine Auffassung gewinnen. Denn die Lösung dieser Konstellationen ist nicht in einem gewissermaßen zweiten Schritt über die erbrechtlichen Haftungs- (respektive: Schuld-)Beschränkungsinstrumente zu suchen, sondern bereits auf (quasi) erster Stufe: Die Schuld aus dem Konkurrenzverbot beschränkte sich richtigerweise von Anfang an auf die Betriebe des Erblassers, der Erbfall ändert daran nichts. Anders formuliert: Der in derselben Branche ein ins Eigenvermögen fallendes Geschäft betreibende Erbe unterliegt dem geerbten Konkurrenzverbot stets nur in Bezug auf die geerbten Betriebe, nicht aber mit seinem originär eigenen Betrieb.756 Auf die §§ 1975 ff. 753 Weitere Beispiele sind nach Schröder Stimmrechtsbindungsverträge sowie Verträge über ausschließliche Geschäftsbeziehungen. 754 Zu den nach Ansicht Schröders aus einem Verstoß gegen das Konkurrenzverbot entstehenden Schadensersatzansprüchen siehe näher JZ 1978, 379, 381. 755 Schröder, JZ 1978, 379, 381, 383. 756 So auch Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 11; MüKo-BGB/Leipold, § 1922, Rn. 38 (mit Fn. 7); Soergel/Stein, § 1922, Rn. 52 (analog der 1994 außer Kraft getretenen §§ 346 III 2, 353
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BGB kommt es mithin überhaupt nicht an. Für den hier vertretenen Lösungsweg spricht, dass sich die Konkurrenzverbotsabrede typischerweise nur auf die vom Erblasser geführten Geschäfte bezieht, nicht aber auf die des Erben. Eine Inhaltsänderung bei Erbfall ist dort nicht vereinbart und einer solchen bedarf es zur Erreichung des mit der Abrede angestrebten Erfolgs auch gar nicht. Denn das Ziel der ursprünglichen Vertragspartner war ein Konkurrenzverbot bezogen auf die vom Erblasser geführten Betriebe, und dieses wird auch nach dem Erbfall weiterhin erreicht. Eine Erweiterung des Verbots im Gefolge des Erbfalls wäre dagegen aus Sicht des vom Konkurrenzverbot Begünstigten ein (vollkommen unverdientes) „Geschenk des Himmels“, das weder der Intention der ursprünglichen Konkurrenzabrede noch den Interessen des Erben gerecht wird. Dementsprechend genügt der Erbe – unabhängig von einer Geltendmachung erbrechtlicher Haftungsbeschränkungsinstrumente – dem Konkurrenzverbot, wenn er sich mit den geerbten Betrieben an dieses hält. Mit den in sein Eigenvermögen fallenden Betrieben kann er hingegen unbeschwert vom Konkurrenzverbot wirtschaften. Das zum Konkurrenzverbot Gesagte gilt für andere Fälle inhaltlich variabler Verpflichtungen – wie zum Beispiel Verträge über ausschließliche Geschäftsbeziehungen – gleichermaßen. Für die dogmatische Qualifikation der §§ 1975 ff. BGB sind sie ohne Bedeutung, weil die Problematik jeweils schon auf der vorrangig ersten Stufe einer „Schuldbegrenzung aus der Natur der Sache“ einer Lösung zuzuführen ist. (4) Haftung für Pflichtverletzungen des Nachlass-/Insolvenzverwalters Schröder hält der herrschenden Meinung schließlich vor, sie sei insofern inkonsequent (und damit letztlich verfehlt), als sie den Nachlassverwalter als gesetzlichen Vertreter im Sinne von § 278 BGB einstufe757, eine persönliche Haftung des Erben bei Pflichtverletzungen des Verwalters aber ablehne. Dieses – zutreffende – Ergebnis lasse sich konsistent nur erzielen, wenn man den Erben schon gar nicht mehr als Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten ansehe.758 Diese Argumentation geht am Kern der Sache vorbei. Unabhängig davon, ob man den Nachlassverwalter als Vertreter des Erben oder mit der heute ganz herrschenden Meinung als Partei kraft Amtes759 ansieht, ist es konstruktiv völV 3 AktG); daher auch nicht überzeugend Gaa, AcP 161 (1962), 433, 450: Bindung auch mit dem eigenen Unternehmen, aber Anspruch auf Umgestaltung des Schuldverhältnisses. 757 So in der Tat RGRK/Alff, § 278, Rn. 6; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 278, Rn. 117; Jauernig/Stadler, § 278, Rn. 17; BeckOK-BGB/Unberath, § 278, Rn. 9; Hk-BGB/Schulze, § 278, Rn. 4. 758 Schröder, JZ 1978, 379, 381. 759 Dafür BGH 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019, 1020; KG 29.11.2005 – 1 W 180/03, ZErb 2006, 98 (juris Rn. 6); Nk-BGB/Krug, § 1975, Rn. 17, § 1985, Rn. 2; MüKo-BGB/ Küpper, § 1985, Rn. 2; Soergel/Stein, § 1975, Rn. 7 m.w.N.; die weitgehende praktische Irrelevanz des Meinungsstreits betonen Stein a.a.O.; Küpper a.a.O.; Staudinger/Marotzke, § 1985, Rn. 2 ff.
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lig unproblematisch und konsistent, den Erben durch das Handeln des Nachlassverwalters zwar als verpflichtet (und berechtigt) und mithin als Schuldner dadurch begründeter Verbindlichkeiten anzusehen, seine Haftung aber auf den Nachlass zu begrenzen.760 Es ist gar nicht einzusehen, warum insoweit etwas anderes gelten sollte als bei anderen Nachlassverbindlichkeiten auch. (5) Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die von Schröder angeführten Bedenken gegen die herrschenden Meinung nicht nur ausgeräumt werden können, sondern dass seine Auffassung die von ihm aufgeworfenen Probleme oftmals nicht gleichermaßen praxistauglich wie dogmatisch befriedigend zu lösen im Stande ist, wie dies unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung möglich ist. Das gilt insbesondere für die Frage, inwieweit der Erbe – sei es durch „originäre“ Erfüllung im Sinne von § 362 BGB, sei es im Wege der Aufrechnung – eine Nachlassverbindlichkeit aus seinem Eigenvermögen befriedigen kann (oben aa] und bb]). Gegen die Auffassung Schröders spricht ferner, dass er nicht in der Lage ist, die §§ 1973 f., 1990 ff. BGB dogmatisch stimmig zu erklären.761 gg) Ergebnis Die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff. BGB lassen die Schuld des Erben völlig unberührt und schränken nur seine Haftung ein. Es handelt sich dabei nicht um eine wertmäßige, sondern um eine gegenständlich beschränkte Haftung (cum viribus).762 4. Folgerungen aus der Qualifikation als reiner Haftungsbeschränkung a) Schuldnerverzug Erfüllt der Erbe oder ein eventuell vorhandener Nachlassverwalter eine fällige Nachlassverbindlichkeit trotz Mahnung nicht, stellt sich die Frage, ob und – wenn ja – von wem und unter welchen Voraussetzungen ein Schuldnerverzug denkbar ist. Entgegen Marotzke763 ist jedenfalls kein Verzug „des Nachlasses“ denkbar, weil es diesem an der dafür notwendigen Rechtssubjektqualität fehlt. In Betracht kommt nur ein Verzug des Rechtsträgers, das heißt – trotz der Haftungsbeschränkungsinstrumente – des Erben. Hier ist zu unterscheiden: aa) Bei der Nachlassverwaltung Während einer angeordneten Nachlassverwaltung kann der Erbe durch sein eigenes Verhalten nicht in Schuldnerverzug gegenüber den Nachlassgläubigern geraten. Angesichts seiner dennoch fortbestehenden Schuld können zwar die Voraussetzungen von § 286 I BGB vorliegen, an dem nach § 286 IV BGB erfor760 761 762 763
Vgl. Staudinger/Marotzke, § 1985, Rn. 5. Siehe oben § 2 C III 2. Zu Ausnahmen davon siehe unter § 2 C III 7. Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 36.
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derlichen Vertretenmüssen fehlt es aber: Verlangt ein Nachlassgläubiger Leistung aus dem Eigenvermögen des Erben, so ist dieser angesichts der separatio bonorum berechtigt, die Leistung zu verweigern – erlaubt das Gesetz dies in § 1984 I 3 BGB, kann es das gleiche Verhalten nicht an anderer Stelle mit der Annahme eines Vertretenmüssens sanktionieren. Verlangt der Nachlassgläubiger hingegen vom Erben Befriedigung aus dem Nachlass, fehlt es ebenfalls am erforderlichen Verschulden, weil der Erbe insoweit zu Verfügungen gar nicht berechtigt ist (§ 1984 I 1, 2 BGB). Da die Schuld des Erben durch die Nachlassverwaltung unberührt bleibt, ist ein Schuldnerverzug des Erben aber über eine Zurechnung des Verschuldens des Nachlassverwalters, der gesetzlicher Vertreter des Erben im Sinne von § 278 BGB ist764, denkbar. Hat ein Nachlassgläubiger eine fällige Forderung, liegen die übrigen Voraussetzungen von § 286 I, II BGB vor und hat der Nachlassverwalter die Nichtleistung zu vertreten765, befindet sich der Erbe als „unteilbarer Schuldner“ richtigerweise im Schuldnerverzug. Die Schuld des Erben für die sich aus diesem Verzug ergebenden Ansprüche ist eine umfassende, beschränkt sich also nicht auf den Nachlass, sondern bezieht sich auch auf sein Eigenvermögen. Allerdings ist die Haftung des Erben auch für diese Nachlassverwaltungsschulden auf den Nachlass begrenzt, wenn ein erbrechtliches Haftungsbeschränkungsinstrument eingreift. Problematisch scheint der Schuldnerverzug aus Sicht des Erben daher nur insofern zu sein, als mittels ihm die Nachlassverbindlichkeiten wachsen und er nach Befriedigung der Verbindlichkeiten weniger ausgeantwortet bekommt (§ 1986 I BGB); in der Praxis wird aber selbst dieses Problem meist dadurch entschärft, dass der Nachlassverwalter, der den Schuldnerverzug zu vertreten hat, dem Erben nach §§ 1975, 1915 I 1, 1833 I 1 BGB haftet.766 Wirtschaftlich kann der Schaden daher auf den Verwalter abgewälzt werden, solange dieser nur selbst solvent ist. bb) Im Nachlassinsolvenzverfahren Wie bei der Nachlassverwaltung scheidet ein durch das Verhalten des Erben selbst begründeter Schuldnerverzug im Nachlassinsolvenzverfahren aus, da die Verweigerung einer Leistung aus dem Eigenvermögen angesichts der separa764 So die ganz h.M., vgl. z.B. RGRK/Alff, § 278, Rn. 6; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 278, Rn. 117; Jauernig/Stadler, § 278, Rn. 17; BeckOK-BGB/Unberath, § 278, Rn. 9; HkBGB/Schulze, § 278, Rn. 4. 765 Ein derartiges Verschulden ist insbesondere anzunehmen, wenn der Nachlassverwalter, nachdem er nach entsprechender Prüfung zu dem Ergebnis kommen durfte, dass der Nachlass zur Berichtigung aller Nachlassverbindlichkeiten ausreichen wird (§§ 1985 II 2, 1979 BGB), die Erfüllung der geltend gemachten Nachlassverbindlichkeit dennoch verweigert (zur Pflicht zur Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten durch den Nachlassverwalter vgl. näher Soergel/Stein, § 1985, Rn. 15; Staudinger/Marotzke, § 1985, Rn. 26 ff.; MüKo-BGB/ Küpper, § 1985, Rn. 8). 766 Vgl. zur Verwalterhaftung Staudinger/Marotzke, § 1985, Rn. 39; Soergel/Stein, § 1985, Rn. 14.
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tio bonorum ebenso berechtigt ist wie die aus dem Nachlass, fehlt dem Erben doch insoweit nach § 80 I InsO die Verfügungsbefugnis. Weil mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens die Forderungen der Insolvenzgläubiger bis zur Befriedigung durch den Insolvenzverwalter nach erfolgter Verwertung der Insolvenzmasse gewissermaßen „eingefroren“ sind, scheidet auch insoweit ein dem Erbe zurechenbarer Schuldnerverzug aus. cc) Bei den Einreden der §§ 1973 f., 1990 ff. BGB Auch die Erhebung der Einreden aus §§ 1973 f., 1990 ff. BGB ändert nichts an der persönlichen Schuld des Erben. Dementsprechend ist ein Schuldnerverzug des Erben, der eine fällige Nachlassverbindlichkeit trotz Mahnung beziehungsweise Entbehrlichkeit der Mahnung nicht erfüllt, denkbar.767 Durch die Einredeerhebung ist der Erbe aber berechtigt, seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken. Verweigert er daher eine Befriedigung aus seinem Eigenvermögen, so begründet dies mangels Vertretenmüssen des Erben (§ 286 IV BGB) keinen Schuldnerverzug. Im Übrigen ist danach zu unterscheiden, ob noch ausreichend Nachlass vorhanden ist, um die geltend gemachte Nachlassverbindlichkeit bedienen zu können: Ist nicht mehr genügend Masse vorhanden, kommt der Erbe richtigerweise nicht in Verzug, weil es am erforderlichen Vertretenmüssen fehlt;768 nach der Gegenauffassung gerät er zwar in Verzug, kann seine Haftung aber auch in Bezug auf die Verzugsfolgen auf den Nachlass beschränken.769 Ist hingegen noch genügend Nachlass vorhanden, um die geltend gemachte fällige Nachlassverbindlichkeit zu erfüllen, gerät der Erbe durch die Verweigerung der Leistung aus dem Nachlass in Verzug; da es für den Nachlassgläubiger keinen Unterschied macht, ob der Schuldnerverzug noch durch den Erblasser oder erst durch den Erben begründet wurde, handelt es sich aber um eine reine Nachlassschuld, für die die Haftung nach §§ 1973 f., 1990 ff. BGB auf den Nachlass beschränkt werden kann. b) Rückforderungsanspruch aus § 813 I 1 BGB bei Befriedigung eines Nachlassgläubigers aus dem Eigenvermögen? In den Fällen der §§ 1973 f., 1975, 1990–1992 BGB beschränkt sich die Haftung des Erben auf den Nachlass. Er kann mithin die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten aus seinem Eigenvermögen gegenüber allen beziehungsweise den ausgeschlossenen/zu spät kommenden Nachlassgläubigern (§§ 1973 f. BGB) verweigern. Das schließt eine freiwillige Befriedigung einzelner/aller Nachlassgläubiger aus dem Eigenvermögen aber nicht aus.770 Tut er dies, hat er einen 767 768
BGB.
Joachim, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 1990, Rn. 21. Zutreffend Konz, Haftungsbeschränkung, S. 161, 167 f. (mit Fn. 661, 662) für § 1629a
769 Vgl. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665; Roth, Einrede, S. 69; O. Schreiber, Schuld und Haftung, S. 246 f. 770 Siehe zu der abzulehnenden These Schröders, der Erbe sei Dritter im Sinne von § 267
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Aufwendungs- (§§ 1979, 1978 III, 670 BGB) oder einen Bereicherungsanspruch (§§ 1978 III, 684 BGB) gegen den Nachlass.771 Ist der Nachlass überschuldet, ist dieser Anspruch in aller Regel aber wenig bis nichts wert. Es stellt sich daher die Frage, ob der Erbe die erbrachte Leistung nach § 813 I 1 BGB wieder vom Nachlassgläubiger kondizieren kann. Das hängt dem Wortlaut nach davon ab, ob der Nachlassverbindlichkeit eine „Einrede entgegenstand, durch welche die Geltendmachung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen wurde“.772 aa) Meinungsstand Die ganz herrschende Meinung stuft die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente als dauernde Einreden im Sinne von § 813 I 1 BGB ein und gesteht dem Erben – vorbehaltlich § 814 BGB773 – einen Rückforderungsanspruch zu.774 Nach der Gegenauffassung775 scheidet § 813 I 1 BGB hingegen aus, wobei die Begründungen hierfür im Einzelnen differieren. Teilweise wird betont, die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB beschränkten nur die Haftung und nicht schon die Schuld, so dass sie nicht geeignet seien, das „Behaltendürfen als Element der Rechtsposition [zu] zerstören“776; andere stellen auf § 1977 I BGB777 oder darauf ab, dass der Schutzzweck der §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB eine Rückforderung nicht erfordere.778 bb) Stellungnahme Gegen einen Rückforderungsanspruch aus § 813 I 1 BGB scheint zu sprechen, dass die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB nur die Haftung, nicht aber die Schuld BGB, so dass er nicht gegen den gemeinsamen Willen von Nachlass-/Insolvenzverwalter und Nachlassgläubiger erfüllen könne, oben unter § 2 C III 3 b) ff) (1). 771 Siehe dazu oben unter § 2 C III 3 b) ff) (1). 772 Bei den lediglich dilatorischen Einreden der §§ 2014, 2015 BGB stellt sich die Frage schon von vornherein nicht, eine Rückforderung scheidet hier aus. – Die folgenden Überlegungen gelten nicht nur für §§ 1973 f., 1990 ff. BGB, sondern auch für Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren, weil insoweit kein Grund für eine Ungleichbehandlung ersichtlich ist (ebenso Roth, Einrede, S. 67). 773 Zur Anwendbarkeit von § 814 BGB auf § 813 BGB vgl. Staudinger/S. Lorenz, § 813, Rn. 2. 774 OLG Stuttgart 29.6.1989 – 7 U 293/88, NJW-RR 1989, 1283; Staudinger/S. Lorenz, § 813, Rn. 8; Staudinger/Marotzke, § 1973, Rn. 31, § 1990, Rn. 40; MüKo-BGB/Schwab, § 813, Rn. 7; RGRK/Heimann-Trosien, § 813, Rn. 4; Erman/Buck-Heeb, § 813, Rn. 2; BeckOKBGB/Wendehorst, § 813, Rn. 5; Palandt/Sprau, § 813, Rn. 3; Joachim, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 1990, Rn. 22; PWW/Leupertz, § 813, Rn. 3; PWW/Tschichoflos, § 1991, Rn. 13; Soergel/Stein, § 1991, Rn. 8; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665; vgl. auch Riesenfeld, Erbenhaftung II, S. 228; so i.E. auch Konz, Haftungsbeschränkung, S. 169 ff. (erweiternde Auslegung). 775 Roth, Einrede, S. 63 ff.; de Boor, Kollision, S. 48 ff. mit Fn. 57; Buch, Schuld und Haftung, S. 53; Löwisch, NJW 1999, 1002, 1003; BGB-RGRK/Scheffler 11, § 813, Rn. 1; O. Schreiber, Schuld und Haftung I, S. 162; Olshausen, Gläubigerrecht, S. 212, Fn. 44. 776 Roth, Einrede, S. 68; der nur haftungsbeschränkende Charakter ist wohl auch für Löwisch, NJW 1999, 1002, 1003 entscheidend. 777 Olshausen, Gläubigerrecht, S. 212, Fn. 44. 778 So ist wohl O. Schreiber, Schuld und Haftung I, S. 162, zu verstehen.
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des Erben beschränken. Das legt es nahe, dass es sich nicht um die „Geltendmachung des Anspruchs“ dauernd ausschließende Einrede handelt, denn sie hindern den Nachlassgläubiger weder an der außerprozessualen noch an der gerichtlichen Geltendmachung der Nachlassverbindlichkeit; und selbst wenn man die Vollstreckbarkeit eines Anspruchs als seinen notwendigen materiell-rechtlichen Bestandteil ansehen wollte779, scheint § 813 I 1 BGB seinem Wortlaut nach nicht einzugreifen, weil durch die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente die Vollstreckbarkeit ja nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern nur die Vollstreckungsmasse begrenzt wird.780 Eine derartige Interpretation würde aber die Entstehungsgeschichte des heutigen § 813 BGB missachten. So führte die erste Kommission zu der mit § 813 BGB im Wesentlichen inhaltsgleichen Entwurfsnorm § 737 II BGB-E aus, es sei „zu prüfen, ob aus einem bestimmten Verhältnisse oder Vorgange eine peremtorische Einrede erfließt“ und ergänzte dies in einer Fußnote wie folgt: „Dies trifft zum Beispiel zu hinsichtlich der Einrede des Inventars (§ 2092)“.781 Das ist im vorliegenden Zusammenhang deshalb von entscheidender Bedeutung, weil die in Bezug genommene Inventareinrede zum damaligen Zeitpunkt noch als Inventarrecht des Erben im klassischen Sinne als Haftungsbeschränkung ausgestaltet war, die ihm Schutz dagegen gewähren sollte, „daß er über die Kräfte des Nachlasses hinaus für die Befriedigung der Nachlaßgläubiger aufzukommen hat“782. Das zeigt, dass die Entwurfsverfasser das erbrechtliche Haftungsbeschränkungsinstrument „Inventareinrede“ als Einrede im Sinne von § 737 BGB-E ansahen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dieser gesetzgeberische Wille nur für das Inventarrecht in seiner ursprünglichen Fassung, nicht aber für die Gesetz gewordenen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten gelten solle. Zwar spricht – wie gezeigt – der Wortlaut zunächst dagegen, die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB als Einreden im Sinne von § 813 I 1 BGB zu begreifen. Der Wortlaut ist aber nur ein erster Anhaltspunkt für die Auslegung, deren oberstes Ziel nach der zutreffenden subjektiven Methode die Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens im „denkenden Gehorsam“783 ist. Im Wege der historischen Auslegung ist § 813 I 1 BGB daher auch auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente zu erstrecken. Auch aus § 1977 I BGB folgt nichts anderes. Danach ist eine vor Anordnung der Nachlassverwaltung/Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erfolgte Aufrechnung eines Nachlassgläubiger gegen eine ins Eigenvermögen des Erben fallende Forderung unzulässig, wenn sie ohne Zustimmung des Erben erfolgte. 779 780 781 782 783
Dafür Roth, Einrede, S. 67 f.; Jahr, JuS 1964, 218, 224. Konz, Haftungsbeschränkung, S. 169 f.; Roth, Einrede, S. 68. Motive II, S. 832 mit Fn. 2. Protokolle V, S. 604; siehe näher oben § 2 C II 1. Heck, AcP 112 (1914), 1, 20, 51.
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Entgegen Olshausen lässt sich daraus kein generelles Prinzip des Inhalts ableiten, der Erbe müsse sich an der freiwilligen Entscheidung, aus seinem Eigenvermögen zu leisten, festhalten lassen784 – was gegen einen Rückforderungsanspruch aus § 813 I 1 BGB spräche. Dagegen spricht, dass § 1977 I BGB selbst dann eingreift, wenn dem Erben im Zeitpunkt der Zustimmung zur Aufrechnung deren unter Umständen erheblichen Auswirkungen in der Zukunft noch gar nicht bewusst sein konnten. Beispielsweise möge der Erbe mit der Aufrechnung einverstanden gewesen sein, weil er nicht davon ausging und auch nicht davon ausgehen durfte, dass es jemals zur Nachlassverwaltung kommen würde; es ist aber nicht auszuschließen, dass er die Zustimmung nicht erteilt hätte, wenn er ein künftiges Separationsverfahren vorausgesehen hätte. Dass ihn das Gesetz mit § 1977 I BGB an dieser unter Umständen auf Basis mangelnder Informationen getroffenen Entscheidung apodiktisch festhält, ist rechtspolitisch fragwürdig. Übertragen auf die hier untersuchte Fragestellung spricht das dafür, danach zu unterscheiden, ob der Erbe aufgrund einer Fehleinschätzung der rechtlichen beziehungsweise tatsächlichen Lage, oder ob er bewusst trotz bestehender Haftungsbeschränkungsmöglichkeit aus dem Eigenvermögen geleistet hat. Während bei einem bewussten Einsatz des Eigenvermögens kein Bedürfnis besteht, dem Erben eine Rückforderungsmöglichkeit zu eröffnen, spricht in den Fällen irrtümlicher Weggabe des Eigenvermögens der Schutzzweck der Haftungsbeschränkungsinstrumente – Protektion des Eigenvermögens des Erben – für einen Rückforderungsanspruch. Verwirklichen lässt sich dieses Anliegen allerdings nur, wenn man nicht bereits bei der Anwendbarkeit des § 813 I 1 BGB ansetzt, sondern die Problematik auf § 814 Alt. 1 BGB verlagert.785 Dem Grunde nach greift § 813 I 1 BGB deshalb ein, das tatsächliche Bestehen eines Rückforderungsrechts hängt aber von der Kenntnis- und Willenslage des Erben bei Leistung ab: Erfüllte er die Nachlassverbindlichkeit aus dem Eigenvermögen, weil er entweder gar keine Kenntnis von den die Einrede begründenden Umständen hatte (praktisch schwer vorstellbar) oder diese zwar kannte, aber nicht aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ auch den erforderlichen786 Schluss auf sein Leistungsverweigerungsrecht zog, ist in der Hingabe aus dem Eigenvermögen keine bewusste Aufgabe, kein bewusster Verzicht auf sein Haftungsbeschränkungsrecht zu sehen; Gleiches gilt, wenn der Erbe zwar die erforderlichen Rechtskenntnisse hatte, aber irrtümlich einen Gegenstand des Eigenvermögens als zum Nachlass gehörend ansah und damit den Nachlassgläubiger befriedigte. Der durch die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB intendierte Schutz des Privatvermögens wird hier durch einen Rückforderungsanspruch verwirklicht. Erfüllte hingegen umgekehrt der Erbe in voller Kenntnis 784
Olshausen, Gläubigerrecht, S. 212, Fn. 44. Vgl. auch BeckOK-BGB/Wendehorst, § 813, Rn. 5. 786 Vgl. z.B. BGH BAG 9.2.2005 – 5 AZR 175/04, NZA 2005, 816; Staudinger/S. Lorenz, § 814, Rn. 4 m.w.N. 785
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der Rechts- und Tatsachenlage eine Nachlassverbindlichkeit mit Mitteln des Eigenvermögens, besteht entsprechend der insoweit zutreffenden Wertung des § 1977 I BGB kein Bedürfnis, ihm eine Korrektur der von ihm freiverantwortlich herbeigeführten Lage zu ermöglichen. cc) Fazit Im Ergebnis ist, aufgrund einer historischen Auslegung, mit der herrschenden Meinung einem aus seinem Eigenvermögen eine Nachlassverbindlichkeit erfüllenden Erben ein Kondiktionsanspruch aus § 813 I 1 BGB gegen den Nachlassgläubiger zu gewähren. Als – notwendiges – Anspruchskorrektiv fungiert § 814 BGB. c) Berücksichtigung im Erkenntnisverfahren Für die Frage, welche Auswirkungen die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente auf eine Leistungsklage des Nachlassgläubigers gegen den Erben haben, ist im Ausgangspunkt zu unterscheiden: Mit Anordnung der Nachlassverwaltung beziehungsweise Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens verliert der Erbe die aktive wie passive Prozessführungsbefugnis, § 1984 I 1, 3 BGB, § 80 I InsO;787 klagt der Nachlassgläubiger wegen eines gegen den Nachlass gerichteten Anspruchs gegen den Erben, so ist die Klage unproblematisch als unzulässig abzuweisen.788 Bei den §§ 1973 f., 1990–1992 BGB ist mangels Übergang der Prozessführungsbefugnis auf einen besonderen Verwalter hingegen fraglich, ob diese Einreden im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigen sind.789 Die ganz herrschende Meinung hält das für möglich, wobei im Einzelnen manches strittig ist.790 Diese Einzelheiten bleiben im Folgenden aus787 Vgl. OLG Celle 20.5.2009 – 9 U 159/08, WM 2009, 2235, 2236 f. [juris Rn. 31 f.]; MüKo-BGB/Küpper, § 1984, Rn. 7 für Nachlassverwaltung; RGZ 26, 66, 68; 29, 29, 37; Nerlich/Römermann/Wittowski, InsO, § 80, Rn. 23; Kroth, in: Braun, InsO, § 80, Rn. 12 für Nachlassinsolvenzverfahren. 788 OLG Celle 20.5.2009 – 9 U 159/08, WM 2009, 2235, 2236 f. (juris Rn. 31 f.); MüKoBGB/Küpper, § 1984, Rn. 7 (beachte aber auch §§ 240, 241 III, I ZPO: bloße Unterbrechung, wenn die Klage schon vor Anordnung der Nachlassverwaltung/Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erhoben war). 789 Dabei ist die Erhebung der Einrede vom bloßen Begehren, den Vorbehalt des § 780 ZPO aufzunehmen, zu unterscheiden. Den gewünschten Vorbehalt hat das Gericht grundsätzlich zu erteilen (näher Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 12; vgl. auch KG 21.11.2002 – 12 U 32/02, NJW-RR 2003, 941, 942 f.). 790 Das gilt vor allem für die Frage, ob das Erkenntnisgericht Beweis erheben darf oder gar muss, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen der Einrede umstritten ist. Zum Teil wird es hier analog § 301 I ZPO für verpflichtet gehalten, den Erben (nur) unter dem Vorbehalt des § 780 ZPO zu verurteilen, also keinen Beweis über die Einredevoraussetzungen zu erheben (Staudinger/Marotzke, § 1990, Rn. 13), weil es andernfalls zu einer den Nachlassgläubiger benachteiligenden Verzögerung käme. Genau umgekehrt wird das Gericht für verpflichtet gehalten, eine Entscheidung über das Vorliegen der Einredevoraussetzungen zu treffen (Boehmer, Erbfolge, S. 174.; v. Lübtow, Erbrecht II, S. 1171). Vermittelnd räumt der BGH dem Prozessgericht ein Ermessen ein (BGH 17.12.1953 – IV ZR 101/53, NJW 1954, 635; 29.5.1964 –
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geblendet, untersucht wird allein die Frage, ob das Gericht die Klage des Nachlassgläubigers ganz oder zum Teil abweisen darf, wenn zu seiner Überzeugung feststeht, dass der Nachlass vollständig/teilweise erschöpft ist.791 Das wird fast einhellig bejaht: Der BGH scheint dabei eine Klageabweisung als unbegründet zu befürworten, führte er doch in einem Urteil zu § 2325 BGB aus: „Wenn […] kein Nachlass von wirtschaftlichem Wert vorhanden ist, dann fehlt es an einem Haftungsgegenstand. Der auf § 2325 BGB gestützte Anspruch gegen den Erben ist durch die Unzulänglichkeit des Nachlasses materiell entkräftet, die Zahlungsklage ist als unbegründet abzuweisen.“792
Das überzeugt nicht. Wenn die §§ 1973 f., 1990–1992 BGB nur die Haftung des Erben beschränken, seine Schuld aber anders als zum Beispiel Haftungshöchstsummen unberührt lassen, ist es dogmatisch verfehlt, dass der BGH bei einem beispielsweise dürftigen, erschöpften Nachlass von einer „materiellen Entkräftung“ des Anspruchs spricht. § 1990 BGB berührt eben nur die Möglichkeit des Nachlassgläubigers, die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung zu realisieren, ihren Bestand lässt er aber unangetastet. Der Weg des BGH wird daher auch in der Literatur verbreitet abgelehnt und stattdessen für eine Klageabweisung als zur Zeit unzulässig plädiert;793 einer erneuten Klage des Nachlassgläubigers zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem neue Nachlassgegenstände aufgetaucht sind, steht dann nichts, insbesondere nicht die Rechtskraft des ersten Prozessurteils, im Wege.794 Für den Lösungsweg der Literatur spricht, dass es im Ausgangspunkt vertretbar erscheint, eine Klage wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis als zur V ZR 47/62, NJW 1964, 2298, 2300; 9.3.1983 – IVa ZR 211/81, NJW 1983, 2378, 2379; 11.7.1991 – IX ZR 180/90, NJW 1991, 2839, 2840). 791 RGZ 61, 221; OLG Celle 16.4.1987 – 5 U 142/86, NJW-RR 1988, 133 (im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage nach §§ 785, 757 ZPO); Dt. ErbRK/Jülicher, § 1990, Rn. 14; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 VIII 8 b), c) hält dies für Theorie, weil das Prozessgericht die Frage in aller Regel dem Vollstreckungsverfahren überlasse; einschränkend Staudinger/ Marotzke, § 1990, Rn. 21 f., § 1973, Rn. 30. 792 BGH 5.4.2000 – IV ZR 145/98, ZEV 2000, 274 (Hervorhebungen hier); ebenso BGH 8.2.1961 – V ZR 137/59, MDR 1961, 491. 793 Soergel/Stein, § 1973, Rn. 6; MüKo-Küpper, § 1973, Rn. 8; Palandt/Weidlich, Vor § 1967, Rn. 5; v. Lübtow, Erbrecht II, S. 1120 mit Fn. 6; vgl. auch Roth, Einrede, S. 68 f., der aber eine Feststellungsklage für zulässig hält; für § 1629a BGB auch Konz, Haftungsbeschränkung, S. 110; Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 56. 794 Gleiches gilt aber wohl auch auf dem Boden der Auffassung des BGH. In einem Urteil aus dem Jahre 1953 führte der 4. Senat nämlich aus: „Entscheidet das Gericht allerdings sachlich über das Bestehen oder Nichtbestehen der Haftungsbeschränkung, dann ist die Frage auch für spätere Prozesse – abgesehen von nachträglich eintretenden Umständen – rechtskräftig entschieden […].“ (BGH 17.12.1953 – IV ZR 101/53, NJW 1954, 635, 635 f., Hervorhebungen hier). Das Auftauchen neuer Nachlassgegenstände dürfte als derartige nachträglich eintretenden Umstände anzusehen sein.
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Zeit unzulässig abzuweisen, wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt feststeht, dass das vom Kläger erstrebte Urteil mangels Haftungsmasse keine praktische Bedeutung entfalten können wird. Dennoch ist auch der Weg der Literatur im Grundsatz abzulehnen.795 Überzeugend ist er nur in den – praktisch kaum denkbaren – Fällen, in denen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass weitere Nachlassgegenstände auftauchen werden. Ist das nicht gewährleistet, führt (auch) die Literaturansicht zu dem für den klagenden Nachlassgläubiger gravierenden Nachteil, dass er keinen Vollstreckungstitel erhält und daher – so er meint, es seien neue Nachlassgegenstände aufgetaucht – erst wieder erneut Leistungsklage erheben muss. Selbst wenn er mit dieser zweiten Klage obsiegt, besteht die Gefahr, dass in der Zwischenzeit andere Nachlassgläubiger, die ihren Vollstreckungstitel vielleicht noch rechtzeitig vor Erschöpfung des Nachlasses erstritten haben, in den neuen Nachlassgegenstand vollstreckt haben und er dann wieder mit leeren Händen dasteht; er selbst kann in der Regel Vollstreckungsmaßnahmen aber erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergreifen (vorläufige Vollstreckbarkeit), ein vorheriger Arrest scheitert nach herrschender Meinung daran, dass die Konkurrenz anderer Gläubiger keinen Arrestgrund bildet.796 Besser ist es daher, dem Nachlassgläubiger im Hinblick auf mögliche neue Nachlassgegenstände die gleichen vollstreckungsrechtlichen Startchancen zu geben wie den vor Nachlasserschöpfung ihre Vollstreckungstitel erlangenden Nachlassgläubigern. Neben diesem gläubigerschützenden Gesichtspunkt spricht gegen eine „Erledigung“ im Erkenntnisverfahren, dass es sich um Fragen der Haftung und nicht der Schuld des Erben handelt. Diese gehören aber konzeptionell ins Vollstreckungsverfahren, in dessen Rahmen dann auch jeweils unschwer geprüft werden kann, ob der Gegenstand, in den vollstreckt wird, zum Nachlass oder zum Eigenvermögen gehört. Dass dem Erben – und nicht dem Nachlassgläubiger – unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung die Gefahr droht, mit den Kosten des Erkenntnisverfahrens belastet zu werden und damit persönlich und unbeschränkbar zu haften, gebietet kein anderes Ergebnis. Erstens handelt es sich dabei nicht um ein Spezifikum der hier untersuchten Konstellation, sondern gilt dies für alle Arten von Rechtsstreitigkeiten, die der Erbe über den Nachlass selbst führt.797 Und zweitens kann der Erbe diesen Kosten über § 93 ZPO leicht entkommen, wenn er nur dem klagenden Nachlassgläubiger keinen Anlass zur Klageerhebung gibt und im Prozess die Nachlassverbindlichkeit sofort anerkennt, wobei er sich die beschränkte 795
So schon Krüger, MDR 1951, 664, 665. BGH 19.10.1995 – IX ZR 82/94, NJW 1996, 321, 324; MüKo-ZPO/Drescher, § 917, Rn. 8 m.w.N. 797 Vgl. Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 47 mit umfassenden Nachweisen. 796
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Haftung nach § 780 ZPO vorbehalten kann, ohne die Anwendung des § 93 ZPO zu gefährden.798 Zusammengefasst ist die Leistungsklage eines Nachlassgläubigers bei den §§ 1973 f., 1990–1992 BGB entgegen der ganz herrschenden Meinung selbst bei momentaner vollständiger Erschöpfung des Nachlasses weder als (zur Zeit) unzulässig noch als unbegründet abzuweisen. Vielmehr ist der Erbe antragsgemäß zu verurteilen und die Problematik in das dafür einschlägige Vollstreckungsverfahren zu verlagern. 5. Sonderfall (1): Einreden aus §§ 2014, 2015 BGB a) Dogmatische Qualifikation Die Dreimonats- (§ 2014 BGB) beziehungsweise Aufgebotsverfahrenseinrede aus § 2015 BGB wurden bisher nicht erörtert. Sie sind insofern „schwächer“ als die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB, als sie zeitlich (eng) begrenzt sind. Hingegen sind sie insofern „stärker“, als der Erbe die Nachlassgläubiger nicht nur von seinem Eigenvermögen fernhalten und sie auf den Nachlass verweisen kann, sondern eine Befriedigung während dieser Zeit vollständig, das heißt auch aus dem Nachlass, verweigern kann. Aus Sicht der Nachlassgläubiger kann man ihre Wirkung damit als die einer Art gesetzlich angeordneter „Zwangsstundung“ charakterisieren. Wie die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB, so beschränken auch die §§ 2014, 2015 BGB nicht bereits die Schuld, sondern erst die Haftung des Erben. Er bleibt weiter zur Leistung verpflichtet, er kann nur zeitweise den zwangsweisen Zugriff der Nachlassgläubiger abwehren. Das zeigt gerade auch der Umgang der ZPO mit diesen Einreden. Nach § 305 I ZPO hindert die Geltendmachung der §§ 2014 f. BGB eine Verurteilung des Erben im Erkenntnisverfahren nicht, diese hat allein unter dem Vorbehalt der beschränkten Haftung zu erfolgen.799 Damit ist die Annahme einer bereits schuldbegrenzenden Wirkung der §§ 2014 f. BGB nicht zu vereinbaren. Denn wenn der Erbe für die Dauer der Einrede schon nicht „schulden“ würde und also rechtlich nicht zur Leistung verpflichtet wäre, dürfte er im Erkenntnisverfahren überhaupt nicht verurteilt werden. b) Folgen aa) Befriedigung der Nachlassgläubiger; Fälligkeit; Fälligkeitszinsen Weil §§ 2014 f. BGB nur die Haftung, nicht aber die Schuld begrenzen, ist eine trotz Erhebung der Einrede erfolgte Befriedigung der Nachlassgläubiger wirksam und kann nicht über §§ 812 ff. BGB rückabgewickelt werden: § 812 I 1 Alt. 1 BGB greift angesichts der fortbestehenden Verpflichtung und des darin liegen798 OLG München 27.6.1995 – 7 W 1669/95, JurBüro 1995, 659; BeckOK-ZPO/Jaspersen/ Wache, § 93, Rn. 23; Staudinger/Marotzke, § 1967, Rn. 47. 799 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 48 III 2.
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den Rechtsgrunds nicht ein. § 813 I 1 BGB ist schon deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei den §§ 2014 f. BGB nur um dilatorische Einreden handelt. Der Eintritt der Fälligkeit der Nachlassverbindlichkeit wird ebenso wenig gehindert wie der Anfall von Zinsen, die allein an die Fälligkeit anknüpfen (zum Beispiel §§ 291 BGB, 353 HGB).800 bb) Eintritt von Schuldnerverzug? Die Auswirkungen (oder besser: fehlenden Auswirkungen) der §§ 2014 f. BGB auf die Befriedigung der Nachlassgläubiger oder den Eintritt der Fälligkeit zeigen, dass es sich ganz vorwiegend um prozessual wirkende Einreden handelt. Fraglich ist aber, ob sie nicht doch insoweit eine „Ausstrahlungswirkung“ auf das materielle Recht entfalten, als sie geeignet sind, einen Schuldnerverzug des Erben zu verhindern. Die herrschende Meinung801 verneint das, die §§ 2014 f. BGB seien rein prozessual wirkende Einreden mit der Folge, dass der Erbe auch bei ihrer Erhebung in Verzug gerate. Da nur Erblasser und Erbe das Risiko der Unübersichtlichkeit des Nachlasses beherrschten, die Nachlassgläubiger hingegen daran nicht nur unschuldig seien, sondern auch nichts dagegen unternehmen könnten, sei es nicht unbillig, den Erben die Folgen dieser Unübersichtlichkeit tragen zu lassen. Nach anderer Auffassung ist zwar ein Verzug des Erben persönlich wegen § 286 IV BGB ausgeschlossen. Denkbar sei aber ein Verzug „des Nachlasses“, da die Unzulänglichkeit oder Unübersichtlichkeit des Nachlasses vom Erblasser nach dem Grundsatz der unbeschränkten Vermögenshaftung ohne Rücksicht auf Verschulden zu vertreten sei; der Erbe hafte für die sich daraus ergebenden Folgen mit, könne diese Haftung aber auf den Nachlass beschränken.802 Nach einer dritten Auffassung schließlich scheidet ein Schuldnerverzug generell aus.803 Der herrschenden Meinung ist insoweit zuzustimmen, als die Einstufung der §§ 2014 f. BGB als rein haftungsbegrenzende Einreden das Vorliegen der Voraussetzungen des § 286 I BGB nicht verhindern kann. Der Schuldner schuldet trotz der Einredeerhebung, die Nachlassverbindlichkeiten können auch fällig werden; dementsprechend muss auch eine Mahnung möglich sein, wenn sie nicht ohnehin nach § 286 II, III BGB entbehrlich ist. Auch kann man es rechtspolitisch für zweifelhaft halten, dass sich die Unübersichtlichkeit des Nachlasses, die eindeutig in die Sphäre von Erblasser und Erbe fällt, über die Ablehnung eines Schuldnerverzugs zulasten des Nachlassgläubigers auswirkt.804 800
Staudinger/Marotzke, § 2014, Rn. 7; Kipp/Coing, Erbrecht, § 100 IV 1. RGZ 79, 201, 204 ff.; Soergel/Stein, § 2014, Rn. 4; Erman/Horn, Vor § 2014, Rn. 4; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2014, Rn. 7; NK-BGB/Krug, § 2014, Rn. 14 f.; PWW/Tschichoflos, § 2014, Rn. 6; BeckOK-BGB/Lohmann, § 2014, Rn. 8; so i.E. auch Roth, Einrede, S. 196 f. 802 Staudinger/Marotzke, § 2014, Rn. 8; Schröder, JZ 1978, 379, 384 mit Fn. 49; MüKoBGB/Küpper, § 2014, Rn. 5. 803 So auch Kipp/Coing, Erbrecht, § 100 IV 1; RGRK/Johannsen, § 2014, Rn. 7. 804 Vgl. Soergel/Stein, § 2014, Rn. 4. 801
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Im Ergebnis muss de lege lata entgegen der herrschenden Meinung ein Schuldnerverzug wegen § 286 IV BGB aber dennoch ausscheiden. Dafür spricht zunächst, dass, wenn die §§ 2014 f. BGB den Erben berechtigen, die Erfüllung der Forderung zeitweise zu verweigern, die Ausübung dieses Rechts nicht zugleich ein Verschulden des Erben an dieser vorübergehenden Nichterfüllung begründen kann; das gilt umso mehr, als der Erbe zur Vermeidung anderweitig entstehender Schadensersatzverpflichtungen (§§ 1978, 280 I BGB) geradezu gezwungen ist, die Einrede zu erheben.805 Überdies hat sich der Gesetzgeber explizit dagegen entschieden, eine verzugshemmende Wirkung der §§ 2014 f. BGB auszuschließen; diese materiell-rechtliche Implikation war vielmehr gewollt, und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass die Einredeerhebung den anderen Nachlassgläubigern zugute kommt, weil mittels ihrer verhindert wird, dass sie zugunsten desjenigen Nachlassgläubigers, dessen Forderungen (zufällig) schon fällig sind, benachteiligt werden.806 Da nach der zutreffenden „subjektiven Methode“ das Ziel jeder Auslegung die Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens im „denkenden Gehorsam“807 ist, kann von einem entsprechend klar formulierten Regelungszweck des Gesetzgebers nur abgewichen werden, wenn sich seit Erlass der Norm derart grundlegende Veränderungen in der Rechtswirklichkeit ergeben haben, dass die Gesetzesregelung lückenhaft wurde.808 Diese Voraussetzung wird von der herrschenden Meinung noch nicht einmal behauptet, geschweige denn liegt sie vor, fand doch keinerlei Änderung der tatsächlichen Umstände statt. Daher lässt sich dem – de lege ferenda möglicherweise zutreffenden – rechtspolitischen Argument der herrschenden Meinung der klare gesetzgeberische Wille entgegenhalten. Wenn demnach nach hier vertretener Auffassung ein Verzug des Erben ausscheidet, so steht dies – entgegen Roth809 – nicht im Widerspruch zur obigen Aussage, die Geltendmachung der §§ 2014 f. BGB hinderten die Entstehung von Zinsansprüchen nach §§ 291 BGB, 352 HGB nicht. Denn diese Vorschriften statuieren im Wesentlichen – sieht man vom Eintritt der Fälligkeit beziehungsweise der Rechtshängigkeit ab – keine weiteren Voraussetzungen. Während diese Voraussetzungen durch die rein haftungsbegrenzend wirkenden §§ 2014 f.
805 Das räumt auch FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2014, Rn. 7 ein, der i.E. aber dennoch der h.M. zustimmt. 806 Protokolle V, S. 744 (E § 2130), 785, 790 f.; dies wird dadurch sichergestellt, dass die Vollstreckungsmaßnahmen im Nachlassinsolvenzverfahren keinen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung begründen, Staudinger/Marotzke, § 2014, Rn. 13. 807 Heck, AcP 112 (1914), 1, 20, 51. 808 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 719 ff., 859 ff., 871 ff. 809 Roth, Einrede, S. 196 f.: „Anerkannt ist für die §§ 2014, 2015 jedenfalls auch von den Gegnern der hier im Anschluß an die h.L. vertretenen Auffassung, daß für fällige Forderungen gegen den Nachlaß die Zinsen aus den §§ 291 BGB, 452, 353 HGB anfallen, auch wenn die Einreden durchgreifen.“.
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BGB nicht berührt werden, ist dies bei dem im Rahmen von § 286 BGB erforderlichen Verschulden – wie ausgeführt – anders. Nicht überzeugend ist es schließlich, einen Verzug des Erben zwar abzulehnen, dafür aber einen solchen „des Nachlasses“ für möglich zu halten. Auch insoweit gilt wie im Bereich der §§ 1973 f., 1975, 1990 ff. BGB810, dass in Schuldnerverzug nur ein Schuldner, das heißt ein Rechtsträger geraten kann. Der Nachlass ist aber nur eine reine Vermögensmasse, es fehlt ihm mithin an der notwendigen Rechtssubjektqualität. Im Übrigen führt diese Ansicht dazu, dass diejenigen Nachlassgläubiger, deren Forderungen „zufällig“ schon fällig sind, zugunsten der anderen Nachlassgläubiger bevorzugt werden – das aber widerspricht dem nach wie vor gültigen Willen des historischen Gesetzgebers.811 6. Sonderfall (2): Testamentsvollstreckung Wie dargestellt, führt die Testamentsvollstreckung zu einer semipermeablen, asymmetrischen „Haftungslandschaft“ zulasten der Eigengläubiger des Erben, weil sie sich während der Testamentsvollstreckung nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten können (§ 2214 BGB), der Zugriff der Nachlassgläubiger auf das Eigenvermögen aber durch die Testamentsvollstreckung unberührt bleibt. Auf die Schuld des Erben – oder in diesem Kontext besser: des Schuldners – wirkt sich die Testamentsvollstreckung nicht aus. Vor wie nach dem Erbfall ist er seinen Eigengläubigern verpflichtet, sein gesamtes Vermögen zur Begleichung der Forderungen einzusetzen. Beschränkt wird durch die Testamentsvollstreckung aber seine Haftung gegenüber den Eigengläubigern, wobei dies nicht in seinem, sondern im Interesse des Testamentsvollstreckers an einer ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erfolgt; konsequenterweise kann daher nicht der Erbe den Vollstreckungsversuch eines Eigengläubigers in den Nachlass abwehren, sondern ist dies vielmehr Aufgabe des Vollstreckers. Hingegen beschränkt die angeordnete Testamentsvollstreckung nicht die Haftung – und erst recht nicht die Schuld – des Erben gegenüber den Nachlassgläubigern. 7. Sonderformen der Beschränkung der Einstandsverbindlichkeit des Erben Wie oben ausgeführt, normieren die §§ 1973 ff. BGB eine auf den Nachlass bezogene gegenständliche Haftungsbeschränkung (cum viribus). An vereinzelten Stellen weicht das Gesetz aber von diesem Konzept ab:
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Siehe oben § 2 C III 4. Vgl. Protokolle V, S. 744 (E § 2130), 785, 790 f.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
a) Originäre Haftung cum viribus, § 5 V 4 KonsularG Hilft ein Konsularbeamter einem Deutschen, der in seinem Konsularbezirk hilfsbedürftig wird, so hat der Empfänger die dem Konsularbeamten entstehenden Auslagen zu erstatten, § 5 I 1, V 1 KonsularG.812 Diese Verpflichtung geht auf den Erben über, er haftet aber von Anfang an gegenständlich auf den Nachlass beschränkt (§ 5 V 3, 4 KonsularG), der üblichen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsmethoden bedarf er angesichts dieser originären cum-viribus-Haftung nicht. Weil § 5 V 4 KonsularG in § 2013 I BGB nicht genannt ist, ist die Haftung des Erben auch dann eine lediglich beschränkte, wenn er nach den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften (§§ 1994 I 2, 2005 I, 2006 III 1 BGB) unbeschränkt haftet. b) Beschränkung schon der Schuld des Erben aa) § 1371 IV BGB Hinterlässt ein verstorbener Ehegatte einen erbberechtigten Abkömmling, der nicht aus der durch den Tod aufgelösten Ehe stammt, muss der überlebende Ehegatte dem Abkömmling die Mittel für eine angemesse Ausbildung gewähren, allerdings nur „aus dem nach Absatz 1 zusätzlich gewährten Viertel“, § 1371 IV BGB.813 Prima vista scheint es sich im Sinne der klassisch-dichotomischen Unterscheidung um eine Haftungsbeschränkung zu handeln, weil der Anspruch nur „aus“ dem zusätzlichen Viertel zu erfüllen ist.814 Die ganz herrschende Meinung stuft die Beschränkung auf das zusätzliche Viertel aber als rechnerische und damit Schuldbeschränkung ein (pro viribus).815 Das überzeugt, weil das genannte Viertel keine bestimmte Haftungsmasse, kein bestimmter, pfändbarer Erbteil, sondern lediglich eine Rechnungseinheit ist.816 Der Erbe schuldet daher zwar im Umfang begrenzt, haftet für diese Schuld aber mit seinem gesamten Vermögen. § 1371 IV BGB kann daher dogmatisch auch als eine an die Einzelfallumstände anknüpfende Haftungshöchstsumme charakterisiert werden.817 812 Einzelheiten dazu in § 25 KonsularG, §§ 1 I, 7 I AKostG; siehe auch BVerwG 28.5.2009 – 7 C 13/08, NJW 2009, 2905. 813 Es handelt sich um eine Erbfallschuld (§ 1967 II Alt. 2 BGB), weil sie erst mit dem Erbfall entsteht und den Erben als solchen trifft, NK-BGB/Löhnig, § 1371, Rn. 12; Erman/ Budzikiewicz, § 1371, Rn. 22. 814 Dafür Dölle, Familienrecht I, S. 785 mit Fn. 41. 815 NK-BGB/Löhnig, § 1371, Rn. 12; Erman/Budzikiewicz, § 1371, Rn. 22; BeckOK-BGB/ Mayer, § 1371, Rn. 46; Palandt/Brudermüller, § 1371, Rn. 10; BeckOK-BGB/Mayer, § 1371, Rn. 46; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 37, Rn. 47; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 VI. 5. – Weil es sich um eine Schuldbeschränkung handelt, ist § 1371 IV BGB schon im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigen (MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 4 mit Fn. 13); eine Klage, mit der ein höherer als dem zusätzlichen Viertel entsprechender Betrag geltend gemacht wird, ist daher teilweise abzuweisen. 816 Staudinger/Thiele, § 1371, Rn. 124; MüKo-BGB/Koch, § 1371, Rn. 61 f. 817 Zu Haftungshöchstsummen siehe oben § 2 A.
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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Umstritten ist, ob die §§ 1973 ff. BGB auf den Anspruch aus § 1371 IV BGB anwendbar sind, das heißt mit anderen Worten, ob die Haftung für den ohnehin schon der Höhe nach limitierten Anspruch zusätzlich unter den dort genannten Voraussetzungen auf den Nachlass beschränkt werden kann. Das wird vereinzelt ohne Begründung abgelehnt818 oder ein Bedarf für eine zusätzliche Haftungsbeschränkung pauschal geleugnet819. Beides überzeugt zumindest dann nicht, wenn man mit der ganz herrschenden Meinung820 in Anlehnung an § 2311 I 1 BGB den für die Anspruchshöhe maßgeblichen Wert des Viertels nach dem Zeitpunkt des Erbfalls bestimmt.821 Denn in diesem Fall muss der Erbe die Chance bekommen, sich davor zu schützen, dass durch einen (dramatischen) Wertverfall der Nachlassgegenstände nach dem Erbfall im Extremfall seine Zahlungsverpflichtung trotz der Schuldbeschränkung höher ist als der Wert des Nachlasses. Schuldbeschränkung auf das zusätzliche Viertel und Haftungsbeschränkung auf den Nachlass können also miteinander kombiniert werden. Das zeigt: Würde man § 1371 IV BGB abschließende Wirkung beimessen, würde er entgegen seinem Zweck zum „Bumerang“ für den Erben. bb) § 1586b I 1, 3 BGB Stirbt ein zum nachehelichen Unterhalt Verpflichteter, erlischt der Unterhaltsanspruch nicht, sondern richtet sich nunmehr gegen den Erben, der dafür allerdings „nicht über einen Betrag hinaus, der dem Pflichtteil entspricht, welcher dem Berechtigten zustände, wenn die Ehe nicht geschieden worden wäre [, haftet]“, § 1586b I 1, 3 BGB. Deutlicher als bei § 1374 IV BGB zeigt hier schon der Wortlaut, dass es sich nicht erst um eine gegenständliche Haftungsbeschränkung, sondern bereits um eine rechnerische Schuldbeschränkung handelt.822 Anders als bei § 1374 IV BGB ist hier – soweit ersichtlich – unbestritten, dass der Erbe sich nicht nur auf diese Schuldbeschränkung berufen kann, sondern kumulativ unter den dort genannten Voraussetzungen die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente geltend machen kann.823 818 Erman/K. Gamillscheg 12 , § 1371, Rn. 20; anders nun Erman/Budzikiewicz, § 1371, Rn. 22. 819 Palandt/Brudermüller, § 1371, Rn. 10. 820 Staudinger/Thiele, § 1371, Rn. 125; BeckOK-BGB/Mayer, § 1371, Rn. 47; Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 37, Rn. 47; MüKo-BGB/Koch, § 1371, Rn. 65; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 37 VI. 5.; so selbst Erman/K. Gamillscheg 12, § 1371, Rn. 20; Palandt/ Brudermüller, § 1371, Rn. 10; a.A. K. Meyer, Ausbildungsanspruch, S. 83 ff. – Die Stiefabkömmlinge tragen somit das Risiko einer Wertsteigerung des Viertels sowie einer inflationsbedingten Entwertung (MüKo-BGB/Koch, § 1371, Rn. 65); umgekehrt trägt der Erbe zunächst das Risiko einer Wertminderung, dieses ist allerdings – so man die §§ 1973 ff. BGB für anwendbar hält – immerhin insoweit begrenzt, als er seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann. 821 So zu Recht MüKo-BGB/Koch, § 1371, Rn. 65; MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 7; Staudinger/Thiele, § 1371, Rn. 127; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 37, Rn. 47. 822 Ebenso MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 8. 823 BGH 29.11.2000 – XII ZR 165/98, NJW 2001, 828, 829; 28.1.2004 – XII ZR 259/01,
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
cc) §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836 I 2, 1908i BGB Nach § 102 SGB XII ist der Erbe gegenüber dem Sozialhilfeträger unter bestimmten Voraussetzungen zum Ersatz der an den Erblasser geleisteten Sozialhilfe verpflichtet.824 Auch § 35 II 1 SGB II verpflichtet den Erben eines Leistungsbeziehers nach dem SGB II zum Ersatz bestimmter Leistungen. Befriedigt die Staatskasse einen Vormund oder Gegenvormund, geht deren Anspruch gegen das Mündel auf die Staatskasse über; verstirbt das Mündel, so haftet der Erbe (§ 1836e I 1, 2 BGB). Entsprechendes gilt im Betreuungsrecht, § 1908i I 1 BGB. In allen vier Fällen „haftet“ der Erbe aber nur jeweils „mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses“. Seine Einstandsverpflichtung ist also auf den Bestand des Nachlasses (Aktiva ./. Passiva) zu diesem Zeitpunkt begrenzt.825 Wie bei §§ 1374 IV, 1586b I 3 BGB handelt es sich daher jedenfalls um eine wertmäßige/rechnerische Beschränkung bereits der Schuld.826 Insbesondere in Bezug auf § 102 II 2 SGB XII ist umstritten, ob ihm über die „bloße“ Schuldbeschränkung hinaus auch eine gegenständliche Haftungsbegrenzung auf den Nachlass qua Gesetzes – also ohne dass es einer Geltendmachung der §§ 1973 ff. BGB bedürfte – zu entnehmen ist;827 wäre dies zu bejahen, müsste entsprechendes auch für die weitgehend gleichlautenden §§ 1836e I 2, 1908i BGB, § 35 II 3 SGB II gelten. Eine derartige Wirkung des § 102 II 2 SGB XII und der anderen Vorschriften ist aber abzulehnen.828 Sie ist schon nicht mit deren Wortlaut vereinbar, bezieht sich dieser doch immer auf den Wert des Nachlasses und meint damit offenkundig eine rein rechnerische, nicht aber eine gegenständliche Haftungs- (beziehungsweise besser: Schuld-)Begrenzung. Das legt auch der systematische Vergleich mit dem klar anders formulierten § 5 V 4 KonsularG nahe. Für die hier vertretene Auffassung spricht ferner die Gesetzesgeschichte. Die Vorläufernorm des § 102 II 2 SGB XII, der § 92c II BSHG, NJW 2004, 1326; Jauernig/Chr. Berger, § 1586b, Rn. 4; PWW/Kleffmann, § 1586b, Rn. 4; BeckOK-BGB/Beutler, § 1586b, Rn. 2; vgl. auch BGH 6.11.2002 – XII ZR 259/01, NJW-RR 2003, 505. 824 Im Ergebnis nichts anderes gilt für den Kostenersatz bei schuldhafter Herbeiführung der Voraussetzungen der Sozialhilfe, § 103 II 2 SGB XII. 825 BayOblG 3.3.2005 – 3Z BR 192/04, NJW-RR 2005, 1315, 1316; Soergel/Zimmermann, § 1836e, Rn. 16; Palandt/Götz, § 1836e, Rn. 3; NK-BGB/Fritsche, § 1836e, Rn. 4; BeckOKBGB/Bettin, § 1836e, Rn. 4. – Daneben gelten die hier nicht näher zu erörternden Beschränkungen des § 102 III, IV SGB XII (§§ 1908i, 1836e II 2 Hs. 2 BGB). 826 VGH Baden-Württemberg 28.7.1988 – 6 S 2148/86, FEVS 38, 384; Soergel/Zimmermann, § 1836e, Rn. 16; MüKo-BGB/Wagenitz, § 1836e, Rn. 18; Grube/Wahrendorf/Bieback, SGB XII, § 102, Rn. 37. 827 Dafür BayObLG 3.3.2005 – 3Z BR 192/04, NJW-RR 2005, 1315, 1317; Conradis, ZEV 2005, 379, 381; Ruby/Schindler, ZEV 2006, 468, 470; Littig/Mayer, Sozialhilferegress, Rn. 193; Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 102, Rn. 16. 828 Ebenso BeckOK-SozR/Hölzer, § 102 SGB XII, Rn. 6; MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 4 mit Fn. 13; offen gelassen, in der Tendenz aber wie hier BayVGH 15.7.2003 – 12 B 99.1700, FamRZ 2004, 489, 491 (juris Rn. 21).
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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lautete zeitweise: „der Erbe haftet nur mit dem Nachlaß“. Die damit statuierte originär-gegenständliche Haftungsbeschränkung interpretierte das BVerwG dergestalt, dass der Erbe zum Beispiel durch Schenkung des Nachlassvermögens an Dritte dem Regressanspruch des Sozialhilfeträgers den Boden entziehen konnte, indem er sich der Haftungsmasse vollständig entledigte.829 Der Gesetzgeber wollte dem mit dem 2. SKWPG vom 21.12.1993830 einen Riegel vorschieben, indem er die Verpflichtung des Erben allein vom Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls abhängig machte.831 Zur Erreichung dieses Ziels genügt es aber, die Schuld des Erben wie dargelegt auf den Nachlasswert am Stichtag zu beschränken; demgegenüber würde die Annahme einer zusätzlichen, aus § 102 II 2 SGB XII ableitbaren Haftungsbeschränkung auf den Nachlass dem Wortlaut widersprechen, und zwar vor allem auch, weil in bestimmten Fällen der Sozialhilfeträger weniger beim Erbe liquidieren könnte, als es dem Nachlasswert am Stichtag entspricht: Kommt es nach dem Erbfall nämlich zu einem Wertverlust der Nachlassgegenstände und würde der Erbe schon nach § 102 II 2 SGB XII nur mit diesen nun weniger werthaltigen Nachlassgegenständen haften, entspräche seine Einstandsverbindlichkeit faktisch nicht – wie von § 102 II 2 SGB XII angeordnet – dem Nachlasswert bei Erbfall, sondern dem niedrigeren aktuellen Wert des Nachlasses. Schließlich lässt sich auch aus der folgenden Passage in der Entwurfsbegründung richtigerweise nicht ableiten, der Erbe solle unabhängig von den §§ 1975 ff. BGB nur mit dem Nachlass haften: „Es soll vermieden werden, dass in diesen besonderen Fällen erst eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlasskonkurs eröffnet sein muss […].“832 Der Aussagewert dieser Passage beschränkt sich auf eine Rechtfertigung für die Einführung einer Schuldbeschränkung in Abweichung vom allgemeinen Erbrecht, mittels derer verhindert werden sollte, dass der Erbe nur wegen der Regressansprüche in ein aufwendiges und kostenintensives amtliches Separationsverfahren gehen muss; eine dem § 1975 BGB entsprechende, automatisch eintretende Haftungsbeschränkung lässt sich daraus nicht herleiten. Unberührt bleibt aber richtigerweise die Möglichkeit des Erben, nach den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften und unter den dort genannten Voraussetzungen zusätzlich zu der Schuldbeschränkung nach § 102 II 2 SGB XII und so weiter seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken.833 Wie bei §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB gilt auch hier, dass der Erbe vor der Gefahr eines (massiven) Wertverlustes der Nachlassgegenstände nach dem Erbfall geschützt werden muss. Gegen die Anwendbarkeit der §§ 1973 ff. BGB spricht auch nicht, 829
BVerwG 25.6.1992 – 5 C 67/88, NJW 1993, 1089, 1090. BGBl. I S. 2374. 831 BT-Drucks. 12/5930, S. 4. 832 BT-Drucks. 12/5930, S. 4. 833 Andere Ansicht BayVGH 15.7.2003 – 12 B 99.1700, FamRZ 2004, 489, 491 (juris Rn. 21). 830
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
dass dadurch – wie dargelegt – der Sozialhilfeträger unter Umständen nur einen geringeren Betrag beim Erben liquidieren kann als es dem Wert der Nachlassgegenstände am Stichtag entspricht. Denn § 102 II 2 SGB XII et cetera dient dem Schutz des Erben vor einer finanziellen Überforderung, nicht aber soll er einen bestimmten Mindestbetrag garantieren, den der Sozialhilfeträger in jedem Fall durchsetzen können soll. c) Dogmatische Bewertung aa) Angesichts der soeben erörterten Vorschriften ist zu konstatieren, dass die geltende (Zivil-)Rechtsordnung kein vollständig homogenes System der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung kennt. Zwar dominiert mit den §§ 1973 ff. BGB klar der Grundsatz der unbeschränkten, auf den Nachlass gegenständlich beschränkbaren Haftung. Durchbrochen wird er aber einerseits durch Normen, die bereits rechnerisch die Schuld des Erben beschränken, die Haftung des Erben mit seinem gesamten Vermögen aber unberührt lassen, sowie anderereits durch § 5 V 4 KonsularG, nach dem die Haftung des Erben von Anfang an gegenständlich auf den Nachlass beschränkt ist. bb) Unschwer rechtspolitisch wie -dogmatisch erklären und rechtfertigen lässt sich die vom Gesetzgeber gewählte Schuldbeschränkung in §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB auf das zusätzliche Viertel beziehungsweise den hypothetischen Pflichtteil. Denn der Gesetzgeber sah die Interessen der Betroffenen offenkundig nur dann als ideal austariert an, wenn der Erbe den Anspruchsinhabern gegenüber zwar verpflichtet ist, die Verpflichtung aber eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Die somit vom Gesetzgeber gewünschte summenmäßige Begrenzung war nur durch die Normierung einer situationsabhängigen Haftungshöchstsumme, nicht aber auf dem „traditionellen“ Weg über die §§ 1973 ff. BGB zu erreichen. cc) Problematisch sind hingegen die mit § 5 V 4 KonsularG, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB verbundenen Systembrüche, für die der Gesetzgeber weder eine rechtspolitisch noch -dogmatisch überzeugende Begründung gibt.834 Während er sich zu § 5 V 4 KonsularG vollständig ausschweigt,835 scheint es Zweck der Sonderregelungen der §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, §§ 1836e I 2, 1908i BGB zu sein, zu verhindern, dass der Erbe (nur) dieser Verbindlichkeiten willen das Erbe ausschlägt oder Nachlassverwaltung beziehungsweise -insolvenz beantragt;836 damit werde das Verfahren ver-
834 Kritisch auch Windel, Modi, S. 211 f. mit Fn. 60; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490; a.A. Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1273, 1279 (für § 1836e BGB). 835 An der entsprechenden Stelle der Entwurfsbegründung findet sich zu § 14 V 4 KonsularG-E hierzu kein Wort, vgl. BT-Drucks. 7/131, S. 20. 836 BT-Drucks. 13/7158, S. 32; BayObLG 14.11.2001 – 3Z BR 334/01, NJW-RR 2002, 1229, 1230; BayObLG 3.3.2005 – 3Z BR 192/04, NJW-RR 2005, 1315, 1316; OLG Zweibrü-
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einfacht, ohne den Schutz des Erben zu beeinträchtigen.837 Allein: Zufriedenstellend ist diese „Begründung“ vor allem deshalb nicht, weil sie nicht darlegt, worin die Besonderheiten in den von §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB (und auch § 5 V 4 KonsularG) geregelten Konstellationen bestehen, die eine Abweichung vom allgemeinen System erbrechtlicher Haftungsbeschränkungen rechtfertigen. Warum wird der Erbe in diesen Fällen privilegiert, während er sich gegenüber geerbten Steuerschulden, für die nach § 45 II 1 AO explizit die allgemeinen Grundsätze gelten838, oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Forderungen nur mit den üblichen Haftungsbegrenzungsmitteln „wehren“ kann? Anders als bei den §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB lässt sich bei den §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB auch nicht anführen, der Gesetzgeber habe den Umfang der Einstandsverpflichtung des Erben auf einen Teil des Nachlasses beschränken wollen, so dass zwangsläufiges Mittel der Wahl eine Schuld- statt eine Haftungsbeschränkung war. Denn der Erbe soll bei diesen Vorschriften gerade nicht davor geschützt werden, gegebenenfalls einen dem gesamten Nachlasswert am Stichtag entsprechenden Betrag zur Schuldenbegleichung aufwenden zu müssen und damit wirtschaftlich betrachtet den gesamten Nachlass zu verlieren. Ein dem wirtschaftlich entsprechendes Ergebnis hätte sich aber genauso durch Anwendung der allgemeinen Grundsätze der unbeschränkten Schuld, für die die Haftung auf den Nachlass beschränkt werden kann, erzielen lassen. Erklärbar sind die atypischen Regelungen in den §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB daher wohl vor allem vor dem Hintergrund der bereits oben angesprochenen Problematik: Auf Basis des bis 31.12.1993 geltenden, rein haftungsbeschränkend wirkenden § 92c II Hs. 2 BSHG („der Erbe haftet nur mit dem Nachlaß“) war es möglich, durch Übertragung aller Nachlassgegenstände die Haftung vollständig auszuhebeln.839 Dieses Ergebnis konnte damals nach der Auffassung des BVerwG auch nicht durch eine direkte oder auch nur analoge Anwendung des § 1978 BGB ausgeschlossen werden, weil § 92 II Hs. 2 BSHG insofern als Sonderregelung zu verstehen war.840 Der Gesetzgeber zog daraus offenkundig den Schluss, dieser unbefriedigenden Situation nur über ein Schuldbegrenzungsmodell entkommen zu können. Wie bereits ausgeführt, ist aber kein Grund ersichtlich, warum insoweit nicht – wie bei anderen öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten auch – die cken 22.9.2003 – 3 W 196/03, Rpfl ger 2004, 488; OLG Frankfurt 10.11.2003 – 20 W 269/03, NJW 2004, 373. 837 Vgl. BT-Drucks. 12/5930, S. 4 (zur Vorgängernorm des § 102 II 2 SGB XII, dem § 92c II BSHG). 838 Vgl. Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 45, Rn. 18. 839 BVerwG 25.6.1992 – 5 C 67/88, NJW 1993, 1089, 1090. 840 BVerwG 25.6.1992 – 5 C 67/88, NJW 1993, 1089, 1090.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
allgemeinen Vorschriften über die unbeschränkte, aber beschränkbare Erbenhaftung für anwendbar erklärt wurden.
IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der einzelnen Instrumente 1. Haftungsbeschränkung als Eingriff in Art. 14 GG Wie ausgeführt, beschränken die §§ 1973 f., 1975, 1990 ff., 2014 f. BGB die Haftung des Erben in unterschiedlicher Art und Weise. Im Folgenden ist in der gebotenen Kürze zu untersuchen, ob dies mit der Eigentumsfreiheit der davon jeweils betroffenen Gläubiger zu vereinbaren ist. Art. 14 I GG schützt auch privatrechtliche Forderungen841 und gibt dem Eigentümer vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols einen Anspruch gegen den Staat auf effektive Rechtsdurchsetzung samt Zwangsvollstreckung.842 Beschränkt eine zivilrechtliche Vorschrift die Haftung des Schuldners, so wird die Chance des Gläubigers auf erfolgreiche Rechtsverwirklichung vermindert. Zwar kann darin mangels Entzug einer geschützten Rechtsposition im Interesse der Allgemeinheit und zum Zwecke der Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben keine Enteignung gesehen werden,843 die jeweilige Zivilrechtsnorm beschränkt aber in abstrakter und genereller Weise die als Eigentum geschützten Rechtspositionen und beinhaltet mithin eine rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung.844 2. Nachlassverwaltung Durch die Nachlassverwaltung wird die durch den Erbfall zunächst eintretende Vermögensverschmelzung wieder zeitweise aufgehoben, so dass sich die Eigengläubiger nur noch ans Eigenvermögen (§ 1984 II BGB) und die Nachlassgläubiger sich nur noch an den Nachlass (§§ 1975, 1984 I 3 BGB) halten können. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung dessen ist zu beachten, dass wegen §§ 1980 I, 1990 BGB Nachlassverwaltung regelmäßig nur bei solventen, nicht dürftigen Nachlässen beantragt und angeordnet wird. a) Eigengläubiger Die mit der Anordnung der Nachlassverwaltung einhergehende Haftungsverkürzung ist mit Blick auf die Eigengläubiger schon deshalb weitgehend unproblematisch, weil dadurch lediglich der Zustand wiederhergestellt wird, der vor dem Erbfall bestand. Die Eigengläubiger verlieren somit infolge des Erbfalls 841
Vgl. BVerfGE 45, 142, 197; 83, 201, 208; 68, 193, 222. Vgl. BVerfGE 24, 367, 407; 34, 348, 361; 45, 297, 333; 49, 252, 257; 53, 352, 358; Bruns, Haftungsbeschränkung, S. 159. 843 Zum Enteignungsbegriff siehe näher oben § 1 F I 2. 844 Zum Begriff der Inhalts- und Schrankenbestimmung vgl. BVerfGE 110, 1, 24 f. m.w.N. 842
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in toto nichts. Hinzu kommt, dass sie nach Ausantwortung des bei solventen Nachlässen regelmäßig verbleibenden Restnachlasses an den Erben (§ 1986 I BGB) darauf zurückgreifen können. Unabhängig von dieser vergleichsweise geringfügigen Betroffenheit der Eigengläubiger rechtfertigen die Interessen der Nachlassgläubiger die mit der Nachlassverwaltung einhergehende Haftungsverkürzung. Die Nachlassgläubiger werden Antrag auf Nachlassverwaltung typischerweise dann stellen, wenn der Nachlass solvent, der Erbe selbst aber zahlungsunfähig ist oder dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.845 In diesem Fall haben die Nachlassgläubiger aber ein legitimes Interesse daran, die Eigengläubiger vom Nachlass fernhalten zu können. Für sie stellt der Wegfall des von ihnen ausgewählten Schuldners und die „Oktroyierung“ eines (potentiell) zahlungsunfähigen Erben als neuen Schuldner eine erhebliche Gefährdung ihrer Interessen dar, derer sie nur dadurch vorbeugen können, dass sie den Nachlass als Sondervermögensmasse abtrennen und damit in gewisser Weise den vor Erbfall bestehenden status quo ante wiederherstellen können. b) Nachlassgläubiger Ein/mehrere Nachlassgläubiger wird/werden die Nachlassverwaltung in Situationen beantragen, in denen der Nachlass solvent, der Erbe aber (möglicherweise) zahlungsunfähig ist. Die Vermögensmassentrennung ist dann für die Nachlassgläubiger insoweit positiv, als sie die Eigengläubiger vom Nachlass fernhalten können. Dass sie diesen Vorteil mit dem Nachteil erkaufen, nicht mehr auf das Eigenvermögen zugreifen zu können, verletzt ihre Eigentumsfreiheit nicht. Erstens ist das in der Praxis selbst aus ihrer Sicht regelmäßig kein Problem, weil der Nachlass – voraussichtlich – zu ihrer vollständigen Befriedigung ausreichen wird. Und zweitens gebieten es die Eigentumsinteressen der Eigengläubiger, dass wenn ihnen mittels Nachlassverwaltung schon der Zugriff auf den Nachlass abgeschnitten wird, sie nicht auch noch in Bezug auf das Eigenvermögen einer Konkurrenz durch die Nachlassgläubiger ausgesetzt sind. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, nach der nach Aufhebung der Nachlassverwaltung der Erbe nicht automatisch über eine Analogie zu den §§ 1990 ff. BGB nur noch beschränkt haftet,846 ergeben sich auch mit Blick auf die Eigentumsfreiheit derjenigen Nachlassgläubiger, die sich erst nach Verfahrensende beim Erben melden (können), keine Schwierigkeiten.847
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Vgl. auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 16, 25 f. Ausf. oben § 2 C II 2 c). 847 Ob das auch unter Zugrundelegung der h.M., die §§ 1990 ff. BGB stets analog unter Verzicht auf die Voraussetzung der Dürftigkeit des Nachlasses anwenden will, gilt, ist hier nicht näher zu erläutern. 846
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3. Nachlassinsolvenzverfahren Die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens führt für die Dauer des Verfahrens zu haftungsrechtlich vergleichbaren Rechtsfolgen wie die Anordnung der Nachlassverwaltung. Im Unterschied zur Nachlassverwaltung kann der Erbe bei regulärer Beendigung des Nachlassinsolvenzverfahrens – durch Aufhebungsbeschluss (§ 200 I InsO) in Folge der Masseverteilung – gemäß §§ 1989, 1973 BGB aber auch nach Verfahrensabschluss seine Haftung den Nachlassgläubigern gegenüber auf den Nachlass beschränken.848 Für die verfassungsrechtliche Würdigung von Bedeutung ist, wer typischerweise aus ökonomischen Motiven in welcher Situation Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens stellt. Antragsberechtigt sind unter anderem der Erbe und jeder Nachlassgläubiger, nicht aber die Eigengläubiger, § 317 I InsO. Der Erbe wird den Antrag typischerweise stellen, wenn nur der Nachlass überschuldet ist, oder aber wenn zwar auch sein Eigenvermögen überschuldet ist, im Vergleich zum Nachlass die Überschuldung aber geringer ist; der Erbe schützt damit zunächst sich selbst, mittelbar aber auch die Eigengläubiger.849 Umgekehrt werden die Nachlassgläubiger das Nachlassinsolvenzverfahren beantragen, wenn das Eigenvermögen stärker überschuldet ist als der Nachlass.850 a) Nachlassgläubiger Die Nachlassgläubiger werden das Nachlassinsolvenzverfahren nur beantragen, wenn sie von der Vermögensmassentrennung ökonomisch profitieren, weil für sie der mit dem Ausschluss vom Eigenvermögen verbundene Nachteil geringer ist als die ihnen aus der Zugriffsmöglichkeit der Eigengläubiger auf den Nachlass erwachsenden Nachteile. Für den das Nachlassinsolvenzverfahren beantragenden Gläubiger scheidet eine Verletzung seiner Eigentumsfreiheit schon wegen des Grundsatzs „volenti non fit inuria“ aus.851 Gleiches gilt im Ergebnis für die anderen Nachlassgläubiger, weil die Vermögensmassentrennung insgesamt für sie günstiger ist. Beantragt hingegen der Erbe das Nachlassinsolvenzverfahren, so wird dies typischerweise in einer Situation geschehen, in der die Nachlassgläubiger durch dieses Verfahren schlechter gestellt werden. Diese Beeinträchtigung ihrer Eigentumsfreiheit kann aber gerechtfertigt werden. Hätte der Erbe nicht die Möglichkeit, sein Eigenvermögen mittels Vermögensmassentrennung oder sonst gegen den Zugriff der Nachlassgläubiger zu schützen, müsste er aus ökonomischen Motiven die Erbschaft häufig ausschlagen. Das wäre nicht nur aus seiner 848 Zu den hier nicht weiter interessierenden Folgen, wenn das Nachlassinsolvenzverfahren auf andere Weise beendet wird vgl. oben § 2 C II 3 c). 849 Siehe auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 17 f. 850 Vgl. Fischinger, Erbenhaftung, S. 18, 30. 851 Zum Grundrechtsverzicht vgl. Fischinger, JuS 2007, 808.
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Sicht ein höchst problematisches Ergebnis, weil er trotz der Überschuldung des Nachlasses ein Interesse an der Erbschaft haben kann. Vor allem würde auf diese Weise der letzte Wille des Erblassers ausgehöhlt werden, weil die von ihm gewünschte Vermögensnachfolge durchkreuzt würde. Das Bürgerliche Recht muss angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie der Testierfreiheit852 aber Mechanismen vorsehen, die eine Verwirklichung dieser Freiheit in der Praxis ermöglichen – und zwar nicht nur für solvente, sondern auch für zahlungsunfähige Erblasser. Ohne ein Instrument des Erben vorzusehen, mit dem er sein Eigenvermögen – und damit mittelbar den Erblasser(-willen) und seine Eigengläubiger – schützen kann, wäre diesem verfassungsrechtlichen Postulat nicht Rechnung getragen. Weil – wie noch zu zeigen sein wird – § 1973 BGB keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist,853 ist auch der Verweis auf § 1973 BGB in § 1989 BGB, durch den auch nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens der Erbe dauerhaft seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann, nicht zu beanstanden. Zusammengefasst verletzt die mit der separatio bonorum einhergehende Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens nicht die Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger. b) Eigengläubiger Wird der Antrag auf Nachlassinsolvenzverfahren in einer Situation gestellt, in denen der Nachlass (stärker) überschuldet ist als das Eigenvermögen des Erben, ist das für die Eigengläubiger insgesamt betrachtet günstiger.854 Sie verlieren damit zwar – in der Regel angesichts dessen Zahlungsunfähigkeit: dauerhaft – den Zugriff auf den Nachlass. Zugleich sind sie aber – ebenfalls dauerhaft, §§ 1989, 1973 BGB – davor geschützt, dass sich die Nachlassgläubiger an das Eigenvermögen halten können. Angesichts der (stärkeren) Überschuldung des Nachlasses ist dies für sie insgesamt günstiger, eine Verletzung ihrer Eigentumsfreiheit kann somit nicht angenommen werden. Wird die Nachlassinsolvenz hingegen von den Nachlassgläubigern beantragt, weil der Nachlass weniger stark überschuldet ist als das Eigenvermögen, ist das für die Eigengläubiger von Nachteil, weil sich durch die Beteiligung des zwar überschuldeten, aber eben weniger stark überschuldeten Nachlasses am Gesamtinsolvenzverfahren ihre Befriedigungsquote erhöht hätte.855 Die mit der Verkürzung der Haftungmasse einhergehende Beeinträchtigung kann aber mit 852 Dazu, dass die Testierfreiheit zum Wesensgehalt des durch Art. 14 I 1 GG geschützten Erbrechts gehört, vgl. BVerfGE 58, 377, 398; 67, 329, 341; 91, 346, 358; 99, 341, 350; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 303. 853 Siehe unten § 2 C IV 6. 854 Vgl. auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 17 f. 855 Siehe auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 18.
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den ebenfalls durch Art. 14 GG geschützten Interessen der Nachlassgläubiger gerechtfertigt werden. Es gilt insoweit das Gleiche wie oben zur Nachlassverwaltung Gesagte.856 4. § 1990 BGB a) Nachlassgläubiger § 1990 BGB erlaubt es dem Erben auch ohne amtliches Separationsverfahren, seine Haftung gegenüber den Nachlassgläubigern auf den Nachlass zu beschränken. Wie bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren ist die darin liegende Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger aber gerechtfertigt. Könnte der Erbe sein Eigenvermögen nicht vor den Nachlassgläubigern schützen, müsste er oftmals aus ökonomischen Gründen die Erbschaft ausschlagen,857 was mit dem grundrechtlich über die Testierfreiheit geschützten Erblasserwillen unvereinbar wäre. Überdies darf nicht verkannt werden, dass den Erben bei Geltendmachung der Einrede des § 1990 BGB die Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses trifft (§§ 1991 I, 1978 BGB) und er bei Verletzung dieser Pflicht auch mit seinem Eigenvermögen auf Schadensersatz haftet. Damit aber stehen die Nachlassgläubiger in gewisser Weise sogar besser als vor dem Erbfall und vor Erhebung der Einrede aus § 1990 BGB, weil damals weder den Erblasser noch den Erben eine entsprechende Pflicht traf. Schließlich muss für die verfassungsrechtliche Bewertung auch deshalb das Gleiche gelten wie bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren, weil es letztlich in gewisser Weise Zufall ist, ob der Nachlass dürftig ist oder nicht. An der Verfassungsmäßigkeit des § 1990 BGB könnte man deshalb – wenn überhaupt – nur unter dem Aspekt zweifeln, dass dieser prima vista zu einer einseitig die Nachlassgläubiger benachteiligenden asymmetrischen Haftungsstruktur führt. Wendet man mit der hier vertretenen Auffassung § 784 II ZPO im Rahmen des § 1990 BGB aber analog an und kombiniert dies mit der Möglichkeit einer Schadensersatzverpflichtung nach §§ 1978, 280 BGB, so wird – mittelbar – das „Gleichgewicht der Kräfte“ wieder hergestellt,858 ein Verfassungsverstoß scheidet auch insoweit aus.
856 Anders als bei der Nachlassverwaltung kann aber nicht der Gedanke fruchtbar gemacht werden, die Eigengläubiger könnten sich nach Befriedigung der Nachlassgläubiger an den dem Erben ausgeantworteten Restnachlass halten. Denn ein solcher wird angesichts der Überschuldung des Nachlasses typischerweise nicht verbleiben. 857 Vgl. Soergel/Stein, § 1990, Rn. 1. 858 Siehe oben § 2 C II 6 e).
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b) Eigengläubiger § 1990 BGB selbst beeinträchtigt die Eigentumsfreiheit der Eigengläubiger nicht, im Gegenteil: Weil sie weiter auf den Nachlass zugreifen können, die Nachlassgläubiger aber vom Eigenvermögen ferngehalten werden, vergrößert sich faktisch die Chance, ihre Forderungen realisieren zu können. Dieser Vorteil wird auf dem Boden der hier befürworteten analogen Anwendung des § 784 II ZPO und der aus der Verwaltungspflicht des Erben (§§ 1991 I, 1978 BGB) resultierenden (schadensersatzbewehrten) Pflicht zur Abwehr von Zwangsvollstreckungen der Eigengläubiger in den Nachlass aber faktisch nivelliert. Eine Verletzung der Eigentumsfreiheit der Eigengläubiger wird man aber auch daraus nicht herleiten können, denn dies ist zum Schutz der gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte der Nachlassgläubiger gerechtfertigt. Deren Position würde nämlich ganz erheblich beeinträchtigt, wenn sie sich selbst nur noch an den Nachlass halten könnten, dieser aber einem uneingeschränkten Zugriff der Eigengläubiger ausgesetzt wäre. Weil es zudem, wie erwähnt, in gewisser Weise Zufall ist, ob der Nachlass dürftig ist oder nicht, ist es auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG sachgerecht, in beiden Fällen eine ähnliche Haftungsstruktur zu schaffen. Mit anderen Worten: Wenn in Fällen, in denen der Nachlass die Kosten des Nachlassinsolvenzverfahrens deckt, eine symmetrische Haftungsstruktur statuiert wird, ist es zumindest gerechtfertigt – wenn nicht sogar wegen Art. 3 I GG geboten –, Gleiches bei Dürftigkeit des Nachlasses zu schaffen. 5. § 1992 BGB a) Eigengläubiger; nicht betroffene Nachlassgläubiger Die Eigengläubiger erleiden durch § 1992 BGB keine Nachteile, im Gegenteil (siehe oben zu § 1990 BGB).859 Da im Rahmen des § 1992 BGB noch nicht einmal § 784 II ZPO anwendbar ist, entsteht auch insoweit kein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in Art. 14 I GG. Gleiches gilt im Ergebnis für die nicht betroffenen Nachlassgläubiger. b) Betroffene Nachlassgläubiger Die Beschränkung auf den Nachlass greift in die Eigentumsfreiheit der von § 1992 BGB erfassten Vermächtnisnehmer/Auflagenbegünstigten ein. Anders als im Fall des § 1990 BGB wird dies auch nicht dadurch teilweise kompensiert, dass über eine analoge Anwendung des § 784 II ZPO den Eigengläubigern der Zugriff auf den Nachlass versagt wäre. § 1992 BGB fügt sich damit in eine Kette von Vorschriften ein, die Vermächtnisnehmer/Auflagenbegünstigte ge-
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Vgl. auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 19.
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zielt als Nachlassgläubiger „2. Klasse“ behandeln (vergleiche § 5 AnfG, §§ 322, 327 I Nr. 2 InsO, § 1991 IV BGB).860 Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist das nicht, sind die genannten Vorschriften doch nur Ausdruck des richtigen Gedankens, der Nachlass diene vorrangig der Befriedigung der („originären“) Nachlassgläubiger und nicht der Erfüllung erbrechtlicher Ansprüche aus Vermächtnissen und Auflagen.861 Anderenfalls könnten durch die Anordnung von Vermächtnissen und Aufl gen die Interessen der „originären“ Nachlassgläubiger massiv beeinträchtigt werden, was mit deren Eigentumsfreiheit in Konflikt geraten würde. Gerade § 1992 BGB hat die wichtige Funktion, zu verhindern, dass der Erbe nur wegen angeordneter Vermächtnisse beziehungsweise Auflagen ins Nachlassinsolvenzverfahren muss. Zwar sind die Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen und Auflagen nachrangig (§ 327 I Nr. 2 InsO) und stehen daher einer vorherigen Befriedigung der restlichen Nachlassgläubiger nicht entgegen; schon wegen der nachlassschmälernden Verfahrenskosten ist eine „Privatabwicklung“ der vermögensrechtlichen Folgen des Erbfalls über § 1992 BGB aber für die anderen Nachlassgläubiger vorzugswürdig. Dass anders als bei § 1990 BGB keine annähernd symmetrische Haftungsstruktur über eine analoge Anwendung des § 784 II ZPO erreicht wird, steht der Verfassungsmäßigkeit des § 1992 BGB nicht entgegen. Denn es wäre überhaupt nicht einzusehen, warum die Eigengläubiger nur wegen zum Beispiel eines einzigen Vermächtnisses insgesamt daran gehindert sein sollten, auf den Nachlass zuzugreifen. Zudem würde ein anderes Ergebnis wiederum zu einer schwer mit der Eigentumsfreiheit der Eigengläubiger zu vereinbarenden haftungsrechtlichen Schieflage in ihrem Verhältnis zu den „originären“, das heißt nicht unter § 1992 BGB fallenden Nachlassgläubigern führen. 6. §§ 1973, 1974 BGB a) Eigengläubiger Weil die §§ 1973, 1974 BGB nur zu einer punktuellen semipermeablen Haftungslandschaft zulasten der ausgeschlossenen/zu spät kommenden Nachlassgläubiger führen,862 ist die Eigentumsfreiheit der Eigengläubiger nicht beeinträchtigt.863
860 Vgl. Soergel/Wolf, § 2174, Rn. 21; Staudinger/Otte, Vorbem zu §§ 2147–2196, Rn. 8; MüKo-BGB/Schlichting, § 2174, Rn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 47 VII 1; Erman/Nobis, Vor § 2147, Rn. 3. 861 Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvollstreckung, § 5 AnfG, Rn. 1. 862 Siehe oben § 2 C I 4. 863 Vgl. auch Fischinger, Erbenhaftung, S. 19.
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b) Betroffene Nachlassgläubiger Die §§ 1973 f. BGB beeinträchtigen die Eigentumsfreiheit der ausgeschlossenen/ zu spät kommenden Nachlassgläubiger zwar, verletzen sie aber nicht. Erstens sind die betroffenen Nachlassgläubiger – anders als in den Fällen der §§ 1975, 1990 BGB – schon gar nicht schutzwürdig, weil sie durch Anmeldung/rechtzeitige Forderungsgeltendmachung die Beeinträchtigung ihrer Vollstreckungsmöglichkeiten hätten verhindern können. Anders ausgedrückt: Wer Gläubiger einer Forderung ist, ist in erster Linie selbst für deren Sicherung und Durchsetzung verantwortlich; wahrt er gesetzliche oder vertragliche Fristen nicht oder kommt er sonstigen Anforderungen nicht nach, kann er sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dies beeinträchtige seine Eigentumsfreiheit. Zweitens stehen der mangelnden Schutzwürdigkeit der betroffenen Nachlassgläubiger legitime Interessen des Erben an der Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass gegenüber. Im Fall des § 1973 BGB folgt dies daraus, dass nur dadurch das mit dem Aufgebotsverfahren verfolgte Ziel, sich einen Überblick über die bestehenden Nachlassverbindlichkeiten verschaffen und prüfen zu können, ob er Nachlassverwaltung oder -insolvenz beantragen will, erreicht werden kann. Und für § 1974 BGB lässt sich sein berechtigtes Interesse an Rechtssicherheit864 und daran, nicht noch lange Zeit nach dem Erbfall in dessen Abwicklung ein aufwendiges offizielles Separationsverfahren durchführen lassen zu müssen, anführen. Problematisch könnte allein sein, dass die §§ 1973 f. BGB auch dann eingreifen, wenn der Nachlassgläubiger unverschuldet seine Forderung nicht angemeldet beziehungsweise nicht rechtzeitig geltend gemacht hat;865 sollte Stein866 Recht haben und die Rechtsfolge des § 1973 BGB wegen der „fehlenden tatsächlichen Öffentlichkeit häufig eintreten“, so stellt sich diese Frage umso dringlicher. In Anlehnung an die zu § 301 I 2 InsO vertretene Auffassung867 bestehen mit Blick auf Art. 14 I und Art. 103 I GG Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Durchgreifen dürften diese aber letztlich nicht. Erstens führen die §§ 1973 f. BGB anders als die §§ 286, 301 I InsO nicht zu einer Umwandlung der Forderungen in überhaupt nicht mehr zwangsweise durchsetzbare unvollkommene Verbindlichkeiten, sondern beschränken „nur“ die für die Zwangsvollstreckung 864
Hk-BGB/Hoeren, § 1974, Rn. 1; vgl. MüKo-BGB/Küpper, § 1974, Rn. 1. So wird z.B. im Rahmen von § 1974 BGB eine analoge Anwendung des § 206 BGB, unter dessen Begriff „höhere Gewalt“ auch eine schwere Erkrankung fallen kann (BGH 13.11.1962 – VI ZR 228/60, VersR 1963, 93, 94), explizit abgelehnt (BeckOK-BGB/Lohmann, § 1974, Rn. 2; Staudinger/Marotzke, § 1974, Rn. 3; FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 1974, Rn. 2). 866 Soergel/Stein, Vor § 1970, Rn. 1 (allerdings noch auf Basis des § 948 ZPO i.d.F. 2001, nach dem nicht wie in der ab dem 1.4.2005 geltenden, dem heutigen § 435 I 2 FamFG ähnelnden Fassung auch eine Publikation in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem zulässig war). 867 Siehe oben § 2 B II 2 sowie ausf. Fischinger, KTS 2011, 51 ff. 865
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zur Verfügung stehende Vollstreckungsmasse. Auch wenn dies bei Erschöpfung des Nachlasses dazu führt, dass die Forderung faktisch nicht verwirklicht werden kann, hat eine systematisch rechtliche Undurchsetzbarkeit wie bei §§ 286, 301 I InsO eine andere Eingriffsqualität als eine mit der bloßen Beschränkung der Haftungsmasse einhergehende nur mögliche Unrealisierbarkeit. Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen §§ 1973 f. BGB und §§ 286, 301 InsO besteht darin, dass der Erbe im ersten Fall fremde Schulden erbt, von deren Vorhandensein er oftmals keine Kenntnis hat, wohingegen bei der Restschuldbefreiung durchaus Konstellationen vorstellbar sind, in denen die Nichtanmeldung von Forderungen maßgeblich auf einem Verschulden des Schuldners beruhen.868 Der Erbe erscheint damit insoweit typischerweise schutzwürdiger als der sich einem Restschuldbefreiungsverfahren unterziehende Schuldner. Schließlich ist zu beachten, dass die Fristen der §§ 1973 f. BGB wesentlich großzügiger bemessen sind als die im Bereich der §§ 286, 301 I 2 InsO unter Umständen relevant werdenden:869 § 1974 BGB sieht von sich aus eine fünfjährige Frist vor. Nur auf den ersten Blick kürzer ist die Frist zur Anmeldung im Aufgebotsverfahren, die nach § 458 II FamFG höchstens sechs Monate betragen soll.870 Zu beachten ist aber, dass ein ausgeschlossener Nachlassgläubiger gegen den Ausschließungsbeschluss Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) erheben kann;871 versäumt er dabei die einmonatige Beschwerdefrist (§ 63 I FamFG), weil er unverschuldet trotz öffentlicher Zustellung nach § 441 FamFG keine Kenntnis vom eingetretenen Rechtsnachteil hatte, kann er Wiedereinsetzung verlangen, deren Frist fünf Jahre beträgt, § 439 IV 1 FamFG.872 Der Gesetzgeber hat diese Fristen bewusst so lang gefasst, weil der betroffene Gläubiger oftmals erst nach längerem Zeitablauf von der Durchführung des Verfahrens und dem Beschluss Kenntnis erlangt; vor dem Hintergrund des Art. 19 IV GG müsse ihm die Möglichkeit eröffnet werden, auch nach Ablauf der regulären Beschwerdefrist gegen die Entscheidung vorzugehen.873 Die Fristen von fünf (§ 1974 BGB) beziehungsweise – wegen der Dauer des Aufgebotsverfahrens – sogar über fünf Jahren (§ 1973 BGB) erscheinen aber mehr als ausreichend, um den grundrechtlich geschützten Eigentumsinteressen der Nachlassgläubiger adäquat Rechnung zu tragen. Summa summarum verletzen somit auch die §§ 1973 f. BGB die Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger nicht. 868
Siehe Fischinger, KTS 2011, 51, 58 f. Während Regelinsolvenzverfahren meist mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen, werden Verbraucherinsolvenzen oftmals innerhalb weniger Monate abgewickelt, vgl. auch Fischinger, KTS 2011, 51, 68. 870 Die Mindestfrist beträgt nach § 437 FamFG sechs Wochen; eine Überschreitung der Höchstfrist des § 458 II FamFG begründet nicht die Anfechtbarkeit des Beschlusses, BeckOK-FamFG/Schlögel, § 458, Rn. 1. 871 Vgl. Zimmermann, in: Keidel, FamFG, § 458, Rn. 7. 872 BeckOK-FamFG/Schlögel, § 439, Rn. 9; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, § 439, Rn. 9. 873 BT-Drucks. 16/6308, S. 295. 869
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7. §§ 2014, 2015 BGB Die mit §§ 2014 f. BGB einhergehende „Zwangsstundung“ ihrer Forderungen874 greift insoweit in die Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger ein, als der Erbe über §§ 782, 785, 767 ZPO ihren zwangsvollstreckungsrechtlichen Zugriff auf Arrestmaßnahmen (§§ 930 ff. ZPO) beschränken kann. Für verfassungswidrig wird man das nicht halten können. Erstens ist die Beeinträchtigung der Gläubiger zeitlich überschaubar (bei § 2014 BGB drei Monate, bei § 2015 BGB wegen § 458 II FamFG in der Regel maximal sechs Monate). Zweitens besteht kein umfassendes Vollstreckungsverbot, Sicherungsmaßnahmen in Form von Forderungs-/Sachpfändung beziehungsweise Eintragung einer Zwangssicherungshypothek bleiben möglich. Und drittens schließlich dienen die §§ 2014, 2015 BGB legitimen Interessen: In erster Linie soll dem Erben Zeit verschafft werden, den Nachlass sichten und sich darüber klar werden zu können, ob er ein Haftungsbegrenzungsinstrument geltend machen möchte respektive – wegen § 1980 I 1 BGB – muss. Die §§ 2014, 2015 BGB dienen ferner der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, indem sie einen vorschnellen Zugriff derjenigen Nachlassgläubiger, deren Forderungen gewissermaßen „zufällig“ schon fällig sind, verhindern.875 8. Testamentsvollstreckung Vom Gesetzgeber gewollt, begründet die Testamentsvollstreckung für die Dauer ihres Bestands eine semipermeable, asymmetrische Haftungsstruktur zulasten der Eigengläubiger, weil sich diese nach § 2214 BGB nicht an den Nachlass halten können, wohingegen die Nachlassgläubiger nicht gehindert sind, in das Eigenvermögen zu vollstrecken (vergleiche § 2213 BGB). Verletzt sein könnte somit – wenn überhaupt – nur die Eigentumsfreiheit der Eigen-, nicht aber die der Nachlassgläubiger. Es ist aber schon äußerst fraglich, ob überhaupt ein Eingriff in Art. 14 I GG vorliegt. Dagegen spricht, dass den Eigengläubigern nicht wie bei Nachlassverwaltung/-insolvenz eine nach dem Erbfall zunächst zur Verfügung stehende Haftungsmasse wieder entzogen wird, sondern dass die Testamentsvollstreckung schon mit dem Erbfall die Verschmelzung von Nachlass und Eigenvermögen verhindert, den Eigengläubigern der Nachlass also für keine juristische Sekunde als Vollstreckungsmasse offen stand; Art. 14 I GG schützt aber nur das bereits Erworbene, nicht den Erwerb oder die Möglichkeit dazu.876 874
Siehe näher oben § 2 C II 8 und § 2 C III 5. FAKomm-Erbrecht/Löhnig, § 2015, Rn. 1; PWW/Tschichoflos, § 2015, Rn. 1; rechtstechnisch geschieht dies dadurch, dass die Vollstreckungsmaßnahmen im Nachlassinsolvenzverfahren keinen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung begründen, Staudinger/ Marotzke, § 2014, Rn. 13. 876 BVerfGE 81, 70, 96; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12, Rn. 181, Art. 14, Rn. 183; Mans875
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Selbst wenn man einen Eingriff annehmen wollte, wäre dieser aber jedenfalls mit der Testierfreiheit des Erblassers zu rechtfertigen.877 Durch § 2214 BGB soll sichergestellt werden, dass der Testamentsvollstrecker bei Erfüllung seiner Aufgaben nicht durch die Eigengläubiger behindert wird.878 Weil die Tätigkeit des Testamentsvollstreckers der Verwirklichung des Erblasserwillens dient, schützt § 2214 BGB mittelbar die Testierfreiheit. Der Erblasser wird oftmals legitime Interessen daran haben, die Eigengläubiger seines Erben vom Nachlass fernhalten zu können. So mag er den Wunsch haben, sein materielles „Vermächtnis“ gegen die allgemeine Lebens- und Wirtschaftslage des Erben zu schützen, zum Beispiel um es möglichst ungeschmälert der übernächsten Generation zukommen lassen zu können.879 Oder er möchte mittels Testamentsvollstreckung sicherstellen, dass die von ihm angeordnete Verteilung nicht durch das Dazwischengehen einzelner Eigengläubiger gestört wird. Diese Interessen des Erblassers gehen denen der Eigengläubiger des Erben, für die es ohnehin ein unverdientes „Geschenk des Himmels“ darstellen würde, wenn ihr Schuldner eine wertige Erbschaft machen würde, vor. 9. Zusammenfassung Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente greifen zwar mehrheitlich in die Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger beziehungsweise der Eigengläubiger ein. Diese Eingriffe können aber jeweils gerechtfertigt werden und führen deshalb nicht zur Verfassungswidrigkeit.
V. De lege ferenda: Diskussion punktueller Änderungsvorschläge Man kann sicherlich lange darüber streiten, ob das im BGB verwirklichte System einer zunächst unbeschränkten, aber – vorbehaltlich des § 2013 BGB – auf den Nachlass beschränkbaren Erbenhaftung das denkbar beste Modell ist. Dementsprechend gab es im Laufe der letzten hundert Jahre verschiedentlich Vorschläge und Versuche, das geltende Recht zu ändern, sei es durch eine den §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB entsprechende allgemeine pro-viribus-Haftung880, sei es durch die Normierung einer sen, Staatsrecht II – Grundrechte, Rn. 655; vgl. auch BVerfGE 31, 8, 32; 77, 84, 117; siehe auch oben § 1 F I 1. 877 Die Testierfreiheit umfasst insbesondere auch das Recht des Erblassers, Testamentsvollstreckung anzuordnen, vgl. BVerfG 25.3.2009 – 1 BvR 909/08, NJW-RR 2010, 156; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 303. 878 Soergel/Damrau, § 2214, Rn. 1; Staudinger/Reimann, § 2214, Rn. 1; BeckOK-BGB/J. Mayer, § 2214, Rn. 1. 879 Vgl. Staudinger/Reimann, Vorbem zu §§ 2197–2228, Rn. 8, § 2214, Rn. 1; NK-BGB/ Weidlich, § 2214, Rn. 1; PWW/Schiemann, § 2214, Rn. 1. 880 Boehmer, Erbfolge, S. 58 f.; dagegen Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 I 3.
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originären cum-viribus-Haftung wie im heutigen § 5 V 4 KonsularG881. Dazu soll hier nicht näher Stellung genommen werden. Erstens sind diese Fragen schon an den zitierten Stellen ausführlich erörtert worden, zweitens ist ohnehin höchst unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber die Gesamtkonzeption des geltenden Rechts vollständig umkrempeln würde und drittens ist auch durchaus fraglich, ob dieses Gesamtkonzept wirklich reformbedürftig ist, scheint das Modell der unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung in der Praxis doch weitestgehend zu funktionieren.882 Es wird daher im Folgenden nur darum gehen, punktuelle Vorschläge zur Verbesserung der konzeptionell nicht in Frage gestellten geltenden Rechtslage zu unterbreiten. 1. Schaffung einer explizit-zweiseitigen Haftungsstruktur im Rahmen des § 1990 BGB Wie erläutert, führt § 1990 BGB zunächst zu einer semipermeablen und damit asymmetrischen Haftungsstruktur, weil die Nachlassgläubiger nicht mehr gegen den Willen des Erben auf das Eigenvermögen zugreifen, umgekehrt aber die Eigengläubiger sich weiterhin an den Nachlass halten können. Nach hier vertretener Meinung kann dieses Problem zwar auch auf dem Boden des geltenden Rechts gelöst werden, und zwar dadurch, dass erstens der Erbe über eine Analogie zu § 784 II ZPO in die Lage versetzt wird, gegen die Vollstreckung des Eigengläubigers in den Nachlass vorzugehen, und zweitens für den Fall, dass er dies nicht tut, den Nachlassgläubigern ein Schadensersatzanspruch aus §§ 1991 I, 1978, 280 BGB eingeräumt wird, mit dem sie auch auf das Eigenvermögen des Erben zugreifen können.883 Schon aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint es jedoch vorzugswürdig, ein „Abwehrrecht“ des Erben gegen Vollstreckungshandlungen der Eigengläubiger in den Nachlass explizit zu normieren.884 Darüber hinausgehend ließe sich auch erwägen, ein entsprechendes „Widerstandsrecht“ der Nachlassgläubiger zu schaffen.885 Denn weil es vor allem deren Interessen sind, die einen Ausschluss der Eigengläubiger vom Nachlass bei Erhebung der Einrede des § 1990 BGB gebieten, spräche manches dafür, gleich ihnen die Rechtsverfolgung zu überlas881 Vor allem Siber, Haftung für Nachlaßschulden, S. 137; dem zustimmend Staudinger/ Marotzke, Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 49 ff.; Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 38; vgl. auch die Vorschläge bei Ehrenkönig, Erbenhaftung, S. 85 ff. 882 Ähnlich Ehrenkönig, Erbenhaftung, S. 67. 883 Siehe dazu ausführlich oben § 2 C II 6 e). 884 Vorschlag für einen § 784 III ZPO-E: „Hat der Erbe die Einrede des § 1990 BGB erhoben, so steht ihm das gleiche Recht gegenüber Maßregeln der Zwangsvollstreckung zu, die zugunsten eines anderen Gläubigers als eines Nachlassgläubigers in den Nachlass erfolgt sind.“. 885 Dafür schon de lege lata Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, Bd. 5, § 170, Rn. 15. – Regelungsvorschlag in Ergänzung des Vorschlags in Fn. 884: „Hat der Erbe die Einrede des § 1990 BGB erhoben, so steht ihm und jedem Nachlassgläubiger das gleiche Recht […].“.
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sen, anstatt den Umweg über die schadensersatzbewehrte Pflicht des Erben zu gehen.886 Wenn man diesen Weg befürwortet, sollte man allerdings kein ausschließliches Recht der Nachlassgläubiger vorsehen, sondern kumulativ auch den Erbe dazu berechtigen und – wegen §§ 1991 I, 1978, 280 BGB faktisch verpflichten –, sich per Vollstreckungsabwehrklage gegen den Eigengläubiger zu wehren. Denn anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die Nachlassgläubiger erst nach vollständigem Abschluss des Zwangsvollstreckungsverfahrens und damit zu einem Zeitpunkt, in dem sie den Eintritt eines Rechtsnachteils nicht mehr verhindern können, von der Pfändung Kenntnis erlangen.887 Dass die Haftungslandschaft in den Fällen der §§ 1973 f., 1992 BGB eine semipermeable, asymmetrische zulasten der betroffenen Nachlassgläubiger ist, ist hingegen sowohl de lege lata wie de lege ferenda sachgerecht. Denn es wäre überhaupt nicht einzusehen, warum die Eigengläubiger vom zwangsweisen Zugriff auf den Nachlass ausgeschlossen sein sollten, nur weil einzelne Nachlassgläubiger sich nicht mehr ans Eigenvermögen halten können. 2. Anpassung der §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB sowie § 5 V 4 KonsularG an das allgemeine System der Erbenhaftung Anders als für die §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB gibt es weder rechtspolitisch noch -dogmatisch überzeugende Gründe für die Sonderformen der Erbenhaftung in den §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB (pro viribus-Haftung) beziehungsweise § 5 V 4 KonsularG (orginäre cum- viribusHaftung).888 Schon deshalb sollten diese Regelungen an das allgemeine System der unbeschränkten, aber beschränkbaren Erbenhaftung angeglichen werden.889 Hinzu kommt, dass es durch das Nebeneinander von spezialgesetzlicher pro-viribus-Haftung und den allgemeinen Haftungsregelungen zu Sonderproblemen kommt.890
886
Näher Fischinger, Hereditare 2014, 213, 218 ff. Zur Unzulässigkeit einer Vollstreckungsabwehrklage wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis nach vollständigem Ende der Zwangsvollstreckung vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, § 767, Rn. 18. 888 Näher oben § 2 C III 7. 889 So für die Fälle der pro-viribus-Haftung auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490; kritisch auch MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 4. 890 Vgl. OVG Koblenz 5.4.2001 – 12 A 10133/01, NVwZ 2002, 1009; BayObLG 14.11.2001 – 3 Z BR 334/01, FamRZ 2002, 699; OLG Frankfurt 10.11.2003 – 20 W 269/03, NJW 2004, 373; BayVGH 15.7.2003 – 12 B 99.1700, FamRZ 2004, 489; MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen vor § 1967, Rn. 4; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490. 887
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3. Ausgestaltung der Nachlassverwaltung als dauerhafte Haftungsbeschränkung? Wird die Nachlassverwaltung wegen Zweckerreichung nach Befriedigung der Nachlassverbindlichkeiten und Auskehr des Restes an den Erben (§§ 1985 I, 1986 I BGB) aufgehoben, treten später aber noch unbefriedigte Nachlassgläubiger an den Erben heran und verlangen Erfüllung ihrer Forderungen, so ist umstritten, ob der Erbe aufgrund einer Analogie zu § 1990 BGB unter Verzicht auf die Tatbestandsvoraussetzung der Dürftigkeit des Nachlasses stets insoweit geschützt ist, als er den Nachlassgläubiger auf den verbliebenen Nachlassrest verweisen kann; eine derartige Analogie ist de lege lata entgegen der herrschenden Meinung richtigerweise aber nicht möglich, der Erbe kann daher nur unter den „normalen“ Voraussetzungen der §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff. BGB in den Genuss der Haftungsprivilegierung gelangen.891 Das wirft die Frage auf, ob das geltende Recht in Richtung der herrschenden Meinung fortgebildet, also ein Mechanismus geschaffen werden sollte, mittels dessen der Erbe nach regulärem Ende der Nachlassverwaltung ohne weitere Umstände dauerhaft nur noch mit dem Nachlass haftet. Zu beachten wäre dabei in jedem Fall, dass sich die Neuregelung keinesfalls darauf beschränken sollte, eine dem § 1989 BGB entsprechende Vorschrift für die Nachlassverwaltung zu schaffen. Denn damit bliebe außer Betracht, dass die Publizität des Eröffnungsbeschlusses bei der Nachlassinsolvenz mit der Veröffentlichung im Internet (§§ 30 I, 9 I InsO) tendenziell eine deutlich größere ist als bei der Nachlassverwaltung, die nach § 1983 BGB weder im Internet noch im Bundesanzeiger, sondern nur in „normalen“ Tageszeitungen und zudem auch nur einmalig zu erfolgen hat.892 Da die Interessen der Nachlassgläubiger durch die Schaffung einer § 1989 BGB entsprechenden Regelung nicht unerheblich beeinträchtigt würden, ließe sich dies nur vertreten, wenn auch bei der Nachlassverwaltung eine dem (Nachlass-)Insolvenzverfahren vergleichbare Publizität durch eine zugleich erfolgende Modifikation des § 1983 BGB sichergestellt wäre. Selbst wenn das gewährleistet wäre, ist zweifelhaft, ob eine § 1989 BGB vergleichbare Vorschrift für die Nachlassverwaltung geschaffen werden sollte. Dafür spricht zwar, dass zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren ein haftungsrechtlicher Gleichlauf hergestellt wäre, was insoweit zu begrüßen wäre, als es nicht von dem Zufall, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, abhängen sollte, wie sich die Haftung des Erben nach Durchführung des Verfahrens darstellt. Zu beachten ist allerdings, dass die Rechtsfolge 891
Siehe ausführlich oben § 2 C II 2 d). Zu den Publizitätsmodalitäten bei § 1983 BGB vgl. BeckOK-BGB/Lohmann, § 1983, Rn. 1; NK-BGB/Krug, § 1983, Rn. 3; MüKo-BGB/Küpper, § 1983, Rn. 1 mit Fn. 1; Gottwald, in: Damrau/Tanck, Erbrecht, § 1983, Rn. 2. 892
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des § 1973 BGB im Rahmen der Neuregelung jedenfalls dann quasi automatisch – das heißt ohne, dass es eines gerichtlichen Ausschließungsbeschlusses im Sinne der § 1973 BGB, § 439 FamFG bedürfte – einträte, wenn man sich auch insoweit am heutigen § 1989 BGB orientierte. Fehlt es aber an einem förmlichen Ausschließungsbeschluss, kommt auch ein Rechtsmittel gegen diesen in Form einer Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) nicht in Betracht. Das ist insofern misslich, als damit den betroffenen Nachlassgläubigern – anders als im originären Anwendungsbereich des § 1973 BGB – nicht die äußerst großzügig bemessene Wiedereinsetzungsfrist des § 439 IV FamFG (fünf Jahre) zugute kommt. Mit anderen Worten: Handelt es sich um einen vergleichsweise einfach gelagerten Fall (wenige Nachlassgläubiger mit unstrittigen Forderungen) und kann daher der Nachlassverwalter die Nachlassverwaltung zügig durchführen, kann die Frist, innerhalb derer die Nachlassgläubiger ihre Forderungen melden müssen, faktisch sehr kurz sein. Das wäre mit Blick auf die Wertungen des § 439 IV FamFG, dem dahinter stehenden Art. 19 IV GG sowie die Eigentumsfreiheit der Nachlassgläubiger problematisch.893 Angesichts dessen sollte davon abgesehen werden, eine dem § 1989 BGB entsprechende Regelung für die Nachlassverwaltung zu schaffen. Teilt man diese Auffassung nicht, sollten aber zumindest Vorkehrungen getroffen werden, dass Nachlassgläubiger, die ihre Forderung unverschuldet nicht rechtzeitig gegenüber dem Nachlassverwalter geltend machten, dies innerhalb eines ihren Interessen angemessenen Zeitraumes gegenüber dem nach Beendigung der Nachlassverwaltung wieder zuständigen Erben nachholen und sich damit die Zugriffsmöglichkeit auch auf dessen Eigenvermögen sichern können.
VI. Zusammenfassung 1. Streitfragen bei den einzelnen Haftungsbegrenzungsinstrumenten a) Wird die Nachlassverwaltung nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten und der Auskehr eines eventuellen Rests an den Erben (§§ 1985 I, 1986 I BGB) wegen Zweckerreichung aufgehoben, so ist umstritten, ob der Erbe in der Folge generell in den Genuss einer Haftungsbeschränkung auf den Nachlass kommt. Entgegen der heute ganz herrschenden Meinung, die dies im Wege analoger Heranziehung der §§ 1990, 1991 BGB unter Verzicht auf die Voraussetzung der Dürftigkeit des Nachlasses bejaht, ist das zu verneinen. Vielmehr haftet der Erbe wieder unbeschränkt auch mit seinem Eigenvermögen. Eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass kann er nur unter den Voraussetzungen 893 Zur Bedeutung des Art. 19 IV GG für die Regelung des § 439 IV FamFG vgl. BTDrucks. 16/6308, S. 295. – Letztlich könnte man auch in Frage stellen, ob der geltende § 1989 BGB rechtspolitisch überzeugend oder gar verfassungsrechtlich haltbar ist. Da (Nachlass-) Insolvenzverfahren stets geraume Zeit in Anspruch zu nehmen pfl gen, stellt sich diese Frage allerdings nicht in der Schärfe wie bei der Nachlassverwaltung.
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der §§ 1990–1992 (direkt), 1973 f. BGB beziehungsweise durch Einleitung eines (erneuten) Nachlassverwaltungs- oder Nachlassinsolvenzverfahrens herbeiführen. Für diese Auffassung sprechen der Wortlaut der §§ 1975, 1990 BGB und der gesetzgeberische Wille. Vor allem aber fehlt es an der für eine analoge Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.894 Nach hier vertretener Auffassung ist es auch nicht angezeigt, de lege ferenda das geltende Recht in die von der herrschenden Meinung befürworteten Richtung fortzuentwickeln.895 b) Ob der Erbe die Verschweigungseinrede des § 1974 BGB auch solchen Nachlassforderungen entgegenhalten kann, die erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden sind, und die der Nachlassgläubiger daher gar nicht rechtzeitig geltend machen konnte, ist umstritten. Während die herrschende Meinung dies pauschal bejaht, plädiert Muscheler für eine teleologische Reduktion. Keine dieser „Extrempositionen“ vermag zu überzeugen, die Lösung ist vielmehr in der Mitte zu suchen. Zwar scheidet eine generelle teleologische Reduktion aus, weil der Wortlaut des § 1974 BGB – gemessen am Regelungswillen des Gesetzgebers – nicht zu allgemein geraten ist. Etwas anderes muss aber bei angeordneter Dauertestamentsvollstreckung sowie für solche Nachlassverbindlichkeiten gelten, die durch eine Rechtshandlung des Erben, eines Nachlassverwalters, Testamentsvollstreckers und so weiter nach Ablauf der Fünfjahresfrist in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses begründet wurden. c) Die Geltendmachung der Einrede des § 1990 I 1 BGB führt zunächst zu einer semipermeablen, asymmetrischen Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger. Während nämlich der Erbe ihren Zugriff auf sein Eigenvermögen abwehren kann, sind seine Eigengläubiger nicht daran gehindert, in den Nachlass zu vollstrecken. Die in der bisherigen Literatur unterbreiteten Vorschläge, dieser Problematik mit (a) der Gewährung eines Anspruchs aus §§ 1991 I, 1978, 280 BGB oder (b) einer analogen Anwendung des § 784 II ZPO Herr zu werden, vermögen insoweit nicht zu überzeugen, als sie jeweils zu kurz springen. Denn entweder (Vorschlag [a]) werden dem Erben nicht die Mittel an die Hand geben, um die Vollstreckung der Eigengläubiger in den Nachlass abwehren zu können, oder aber (so bei Vorschlag [b]) er hat zwar die Mittel, kann aber auf deren Einsatz sanktionslos verzichten. Die zutreffende Lösung besteht deshalb in der Kombination beider Vorschläge, weil dadurch der Erbe – über die Analogie zu § 784 II ZPO – in die Lage versetzt wird, die Eigengläubiger abzuwehren und den Nachlassgläubigern für den Fall, dass er dies unterlässt, ein Ersatzanspruch eingeräumt wird. Die notwendige Voraussetzung dafür, dass dieser Lösungsweg funktioniert – die Analogiefähigkeit von § 784 II ZPO – ist zu bejahen. Auch sonst lassen sich keine durchgreifenden Einwände gegen diesen Vorschlag ausmachen. Durch diese 894 895
Ausführlich § 2 C II 2 c). Dazu § 2 C V 3.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Kombination lässt sich die semipermeable, asymmetrische Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger bei § 1990 BGB zumindest abmildern.896 De lege ferenda sollte allerdings – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – explizit ein § 784 II ZPO entsprechendes „Abwehrrecht“ des Erben gegen Vollstreckungshandlungen der Eigengläubiger in den Nachlass normiert werden. Erwägenswert wäre es darüber hinaus, kumulativ auch den Nachlassgläubigern ein derartiges Abwehrrecht einzuräumen.897 2. Dogmatische Qualifikation als Haftungsbeschränkung a) Ob die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992, 2014, 2015 BGB bereits des Erben Schuld oder erst seine Haftung beschränken, ist umstritten. aa) Soweit eine Schuldbeschränkung damit zu begründen versucht wird, dass der Nachlass durch die Geltendmachung des Haftungsbegrenzungsinstruments zum (Quasi-)Rechtssubjekt oder einem rechtsfähigen selbständigen Sondervermögen erhoben wird, das alleiniger Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten ist, überzeugt das schon deshalb nicht, weil die juristischen Gebilde, denen das BGB Rechtssubjektivität beimessen will, in den §§ 21 ff. BGB mit Verein und Stiftung abschließend aufgezählt sind. Überdies lässt sich auch die Interpretation des Nachlasses als ein sich durch die Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten selbst „verzehrendes“ Quasi-Rechtssubjekt, das gleichermaßen Schuldner wie Haftungsobjekt ist, dogmatisch nicht halten. bb) Auch sonstige Versuche, eine Schuldbeschränkung zu begründen – sei es in Gestalt einer Verengung der persönlichen Schuld oder einer Verdoppelung der Subjektsqualität des Erben –, vermögen nicht zu überzeugen. Dafür spricht die systematische Stellung der die materiellen Haftungsbeschränkungsinstrumente im Prozessrecht umsetzenden §§ 780 ff. ZPO im Reich des Zwangsvollstreckungsrechts sowie der deklaratorische Charakter des § 1629a III BGB. Auch ist die „Lehre von der Verengung der persönlichen Schuld“ in sich widersprüchlich und nähert sich zudem stark der nicht überzeugenden „Theorie vom Nachlass als (Quasi-)Rechtssubjekt“ an. Schließlich lassen sich zahlreiche Problemlagen (zum Beispiel Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten aus dem Privatvermögen des Erben) bei einer Interpretation der §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992, 2014 f. BGB als reine Haftungsbeschränkungsinstrumente dogmatisch überzeugender und praxisgerechter als bei Annahme einer Schuldbeschränkung lösen. b) Die zutreffende Einstufung der §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992, 2014, 2015 BGB als Haftungsbeschränkungen hat praxisrelevante Auswirkungen: 896 Ausführlich § 2 C II 6 e). – Bei §§ 1973 f., 1992 BGB ist § 784 II ZPO hingegen nicht analog anwendbar, alles andere würde zu völlig unsachgemäßen Ergebnissen führen (siehe Fn. 560 und § 2 C II 7 c]). 897 Näher § 2 C V 1.
C. Beschränkte Erbenhaftung, §§ 1967 ff. BGB
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aa) Das gilt zunächst für die Frage, ob ein Schuldnerverzug möglich ist, wenn der Erbe nach Geltendmachung eines erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstruments eine fällige Nachlassverbindlichkeit trotz Mahnung nicht erfüllt. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist ein Verzug „des Nachlasses“ mangels dessen Rechtssubjektsqualität keinesfalls möglich. Denkbar wäre daher – wenn überhaupt – nur ein Verzug des Erben selbst. Insoweit ist nach den einzelnen Instrumenten zu differenzieren: Bei Nachlassverwaltung und -insolvenz scheidet ein Verzug des Erben stets aus. Zwar können – weil seine Schuld durch die Haftungsbeschränkungsinstrumente unberührt bleibt – die Voraussetzungen von § 286 I BGB erfüllt sein, es fehlt jedoch an dem nach § 286 IV BGB erforderlichen Verschulden. In Bezug auf eine Nichtleistung aus dem Nachlass folgt dies daraus, dass er schon gar nicht verfügungsbefugt ist, und hinsichtlich des Eigenvermögens daraus, dass er die Leistung hieraus berechtigerweise verweigern kann. Gleiches gilt – soweit er eine Leistung aus dem Eigenvermögen verweigert – bei den Einreden der §§ 1973 f., 1990 ff. BGB; die Verweigerung der Leistung aus dem Nachlass begründet hingegen nur dann beziehungsweise insoweit mangels Verschulden keinen Verzug, als der Nachlass zur Befriedigung der Nachlassverbindlichkeit nicht ausreicht.898 Für die Dauer der Einreden der §§ 2014, 2015 BGB schließlich scheidet ein Schuldnerverzug mangels Verschuldens sowie dem aus den Protokollen ableitbaren gesetzgeberischen Willen stets aus. bb) Die Qualifikation als Haftungsbeschränkung wird ferner bei der Frage relevant, inwieweit sich die Geltendmachung eines erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstruments im Erkenntnisverfahren, das heißt insbesondere bei einer Leistungsklage des Nachlassgläubigers gegen den Erben, auswirkt. Im Falle der Nachlassverwaltung oder -insolvenz ist die Klage mangels (passiver) Prozessführungsbefugnis des Erben (§ 1984 I 1, 3 BGB, § 80 I InsO) als unzulässig abzuweisen. Umstritten ist hingegen, wie im Erkenntnisverfahren mit den Einreden nach §§ 1973 f., 1990–1992 BGB umzugehen ist, wenn feststeht, dass der Nachlass vollständig/teilweise erschöpft ist. In Rechtsprechung und Literatur wird in solchen Fällen fast einhellig für eine Klageabweisung – sei es als unbegründet (BGH) oder als zur Zeit unzulässig – plädiert. Das überzeugt nicht. Erstens gehören Fragen der Haftung konzeptionell ins Vollstreckungs- und nicht bereits ins Erkenntnisverfahren und können in ersterem auch sachgerechter behandelt werden. Zweitens kann die Gegenauffassung den Nachlassgläubiger in erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn später weitere Nachlassgegenstände auftauchen. Die durch die Notwendigkeit eines erneuten Erkenntnisverfahrens entstandene Verzögerung kann sich für ihn im Wettlauf mit den anderen Gläubigern dann nämlich als sehr nachteilig darstellen. Daher ist entgegen der ganz herrschenden Meinung der Erbe antragsgemäß zu verur898
Siehe oben § 2 C III 4 a).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
teilen und die Problematik in das dafür einschlägige Vollstreckungsverfahren zu verlagern.899 cc) Keine Unterschiede zu einer Qualifikation als Schuldbeschränkung ergeben sich allein bei der Frage, ob ein Erbe, der trotz eines wirksam geltend gemachten Haftungsbeschränkungsinstruments eine Nachlassverbindlichkeit freiwillig aus seinem Eigenvermögen befriedigt hat, diese Leistung beim Nachlassgläubiger nach § 813 I 1 BGB kondizieren kann.900 Während dies diejenigen, die bereits eine Beschränkung der Schuld annehmen, unproblematisch bejahen können, ist das bei Annahme einer Haftungsbeschränkung zwar prima vista anders, weil dann – wörtlich verstanden – keine Einrede begründet wird, die – wie es in § 813 I BGB heißt – die „Geltendmachung des Anspruchs“ dauerhaft ausschließt. Jedoch gebietet die historische Auslegung des § 813 I 1 BGB dessen Anwendung auch auf die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992 BGB. Mit der herrschenden Meinung ist daher ein Kondiktionsanspruch zu bejahen, etwas anderes gilt – mangels Dauerhaftigkeit der Einrede – nur für die §§ 2014, 2015 BGB. c) Vereinzelt finden sich im deutschen Recht auch Sonderformen der beschränkten Einstandsverpflichtung des Erben. So normiert § 5 V 4 KonsularG eine originär auf den Nachlass beschränkte Haftung cum viribus. Noch weiter vom allgemeinen System entfernen sich die §§ 1371 IV, 1586b I 1, 3, 1836e I 2, 1908i BGB, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, die bereits die Schuld des Erben wertmäßig/rechnerisch beschränken (pro viribus); zutreffenderweise kann der Erbe kumulativ zu diesen Schuldbeschränkungen seine Haftung über die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990–1992, 2014, 2015 BGB beschränken.901 Rechtspolitisch und -dogmatisch lässt sich zwar – angesichts der dortigen Besonderheiten – der bei den §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB eingeschlagene Sonderweg erklären, hingegen können die mit § 5 V 4 KonsularG, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB einhergehenden Systembrüche nicht gerechtfertigt werden. De lege ferenda sollten diese Vorschriften daher an das allgemeine System der unbeschränkten, aber beschränkbaren Erbenhaftung angeglichen werden.902 3. Verfassungskonformität Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente greifen mehrheitlich in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung in die Eigentumsfreiheit der Nachlass- und/oder der Eigengläubiger ein. Daraus folgt aber nicht ihre Verfassungswidrigkeit, können diese Eingriffe doch jeweils gerechtfertigt werden.903 899 900 901 902 903
Siehe § 2 C III 4 c). Dazu § 2 C III 4 b). Ausführlich oben § 2 C III 7. Siehe näher § 2 C V 2. Siehe im Einzelnen oben § 2 C IV.
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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4. Vorschläge de lege ferenda a) Erhebt der Erbe die Einrede des § 1990 BGB, so kann zwar nach geltender Rechtslage über eine Kombination aus den §§ 1991 I, 1978, 280 BGB und einer analogen Anwendung von § 784 II ZPO eine semipermeable, asymmetrische Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger vermieden werden. Schon aus Gründen der Rechtsklarheit ist es aber angezeigt, explizit ein „Abwehrrecht“ des Erben gegen Vollstreckungshandlungen der Eigengläubiger in den Nachlass zu regeln. Darüber hinaus spricht manches dafür, kumulativ auch den Nachlassgläubigern ein derartiges Abwehrrecht einzuräumen.904 b) Schon weil sich die §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB, § 5 V 4 KonsularG nicht in das geltende System der Erbenhaftung einfügen und auch keine Gründe für ihre Sonderbehandlung ersichtlich sind, sollten sie an das allgemeine System der unbeschränkten, aber beschränkbaren Erbenhaftung angeglichen werden. Hinzu kommt, dass die jetzige Rechtslage zu vermeidbaren Sonderproblemen führen kann.905 c) Nicht angezeigt ist es hingegen, das geltende Recht der Nachlassverwaltung dahingehend fortzubilden, dass der Erbe nach dem regulären Ende der Nachlassverwaltung entsprechend dem heutigen § 1989 BGB ohne weiteres dauerhaft nur noch mit dem Nachlass haftet.906
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH I. Einleitung; Gegenstand und Gang der Untersuchung Eine weitere Methode, zivilrechtliche Einstandsverpflichtungen zu vermeiden, kann die „Zwischenschaltung“ einer juristischen Person als neues Rechtssubjekt, in dem die Rechte und Pflichten der geschäftlichen Unternehmungen gebündelt werden, darstellen. Exemplarisch erläutert werden soll dies anhand der GmbH als der in der Praxis verbreitetsten Kapitalgesellschaftsform.907 Zu beantworten ist die Frage, ob – und wenn ja unter welchen Voraussetzungen – es zulässig ist, die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen als abgegrenztes Sondervermögen zu konzentrieren. Dabei haben die folgenden Ausführungen weder den Anspruch noch die Aufgabe, das Haftungssystem in der GmbH personell umfassend und zeitlich von der „Wiege bis zur Bahre“ im Stile eines Handbuchs aufzuarbeiten. Im Mittelpunkt steht allein das haftungsrecht904
Näher § 2 C V 1. Siehe näher § 2 C V 2. 906 Dazu § 2 C V 3. 907 Vgl. z.B. das Zahlenmaterial bei Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 8 ff.; J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 492 f.; ders., GmbHR 2004, 1417. 905
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
liche „Markenzeichen“ des GmbH-Rechts, das heißt die Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG, wirft doch nur diese die oben genannte Frage nach der Legitimität einer derartigen „institutionellen Haftungsbeschränkung“ auf. Weil sie erst ab Eintragung und damit Entstehung der GmbH als solcher eingreift, bleiben die sich im Gründungsstadium stellenden Haftungsfragen908 außer Betracht. Die Geschäftsführerhaftung wiederum wird selbst dann, wenn der haftende Geschäftsführer zugleich Gesellschafter ist,909 nur periphär und insoweit angesprochen, als ihre Existenz und Wirkungen Rückkopplungen auf die Bewertung der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG entfaltet. Nach einer kurzen Beschreibung des einfachgesetzlichen Haftungssystems der GmbH und einer dogmatischen Qualifikation des § 13 II GmbHG im System von Schuld und Haftung (dazu II.) wird ausführlich untersucht, ob die institutionelle Haftungsbeschränkung rechtspolitisch/-dogmatisch im Grundsatz legitim ist (dazu III.). Im Anschluss an eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen gläubigerschützenden Instrumenten des geltenden Rechts (unter IV.) und der Verfassungskonformität (V.) werden sodann eventuelle Regelungsalternativen de lege ferenda diskutiert (dazu VI.). Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (VII.).
II. Beschreibung und dogmatische Einordnung als Schuldbeschränkung Mit ihrer Eintragung ins Handelsregister entsteht die GmbH als juristische Person (vergleiche § 11 I GmbHG), die nach dem § 13 I GmbHG zugrunde liegenden Trennungsprinzip910 selbst Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann. Weiterer Ausfluss des Trennungsprinzips ist § 13 II GmbHG, nach dem für die Verbindlichkeiten der GmbH nur diese selbst mit ihrem Vermögen haftet, nicht aber die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen. Dieser Haftungsausschluss gilt – anders als für Kommanditisten bei der KG, § 171 I HGB – im Außenverhältnis selbst dann, wenn der Gesellschafter seine Einlageverpflichtung noch nicht (vollständig) erfüllt hat.911 908
Dazu instruktiv z.B. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1010 ff. m.w.N. Bei Geschäftsführer-Gesellschaftern gelten nach der zutreffenden h.M. zwei „Haftungssysteme“ parallel, nämlich einerseits das des Geschäftsführers und andereseits das des Gesellschafters (vgl. BGH 23.4.2012 – II ZR 252/10, NZG 2012, 667, 670; Boujong, FS Odersky, S. 739, 745; kritisch gegen eine solche Trennung und für eine haftungsrechtliche Berücksichtigung der „Doppelrolle“ dagegen G. Roth, LMK § 13 GmbHG, Nr. 24 sub. 2). 910 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 2; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 305. 911 Der Gesellschafter ist in diesem Fall allein gegenüber der Gesellschaft zur Einlage verpflichtet. § 13 II GmbHG steht zwar nicht entgegen, dass ein Gesellschaftsgläubiger diese Einlageforderung der Gesellschaft gegen den Gesellschafter gemäß §§ 835, 829 ZPO pfänden und sich überweisen lässt, um sich auf diese Weise an den Gesellschafter zu halten (Ulmer/ Raiser, GmbHG, § 13, Rn. 47, § 19, Rn. 145 f.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 66; Wicke, 909
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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Ordnet man diese „Haftungs“beschränkung ins klassisch-dichotomische System von Schuld und Haftung ein, so liegt auch hier eine „falsa demonstratio“ vor, und zwar sowohl, wenn man auf die Gesellschafter, als auch wenn man auf die GmbH selbst blickt. In Bezug auf die Gesellschafter wird nämlich nicht erst die Haftung ausgeschlossen, sie sind vielmehr schon im Ansatz nicht zur Leistung verpflichtet und schulden mithin erst gar nicht. Und was die GmbH betrifft, so liegt hier gar keine Beschränkung vor, weil sie sowohl vollumfänglich schuldet, wie auch mit ihrem gesamten Gesellschaftsvermögen für diese Schuld haftet.912 Wenn im Folgenden dennoch von Haftungsbeschränkung die Rede ist, so ist das allein der tradierten terminologischen Handhabung in Gesetz, Rechtsprechung und Literatur geschuldet. III. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimität des § 13 II GmbHG 1. Notwendigkeit einer Rechtfertigung? Wie schon ihr Name zeigt, ist die GmbH – anders als die AG, die signifikanterweise in ihrer Frühzeit keine Haftungsfreistellung kannte913 – konzeptionell in allererster Linie ein Instrument zur Beschränkung der Einstandsverpflichtung ihrer Kapitalgeber. Die Frage nach der Legitimität des Haftungsausschlusses des § 13 II GmbHG ist deshalb im Kern nichts anderes, als diejene nach der Legitimiät der Rechtsform der GmbH selbst – und vice versa.914 Grundlegend wird sie heute kaum noch gestellt,915 vielmehr scheint man verbreitet ihre Existenz für selbstverständlich und nicht mehr hinterfragungsbedürftig zu halten.916 Das ist
GmbHG, § 13, Rn. 3), dogmatisch handelt es sich aber nicht um eine persönliche Schuld des Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern (Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 5; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rn. 762). 912 Zutreffend Esser/Schmidt, Schuldrecht Band I6 , § 6 IV 3. 913 Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 103 f. 914 Vgl. auch Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 279 f. 915 So auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 150; vgl. auch Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 18 I 4 b), die es für wünschenswert halten, der „vernachlässigte[n] Grundfrage […] nach dem wirtschaftspolitischen Zusammenhang von Haftungstrennung und gesellschaftsrechtlichem Gläubigerschutz“ nachzugehen; umgekehrt sollte die Legitimität nach Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 17 „heute nicht mehr ernstlich bestritten werden“. – Nennenswerte Ausnahmen, die sich grundlegend mit der Legitimität der GmbH-rechtlichen Haftungsbeschränkung auseinandersetzten, stellten in den letzten Jahren vor allem die Arbeiten von Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 18 ff.; Bitter, a.a.O., S. 50 ff. und J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 951 ff. dar. 916 Vgl. pars pro toto BGH 17.3.1966 – II ZR 282/63, NJW 1966, 1309, 1310: „Denn wie die Rechtsentwicklung der letzten 50–60 Jahre lehrt, ist die Führung eines Handelsgeschäfts mit einer nur beschränkten Haftung durch eine einzelne oder durch mehrere natürliche Personen aus unserem Rechtsleben überhaupt nicht mehr fortzudenken. Man braucht insoweit nur auf die Rechtsfiguren der Einmanngesellschaft und der GmbH und Co. zu verweisen.“.
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misslich. Denn die GmbH ist zwar insofern ein „Erfolgsmodell“917, als sich die Gründungszahlen trotz der Konkurrenz durch ausländische Rechtsformen wie der englischen limited auf konstant hohem Niveau bewegen,918 ein „weniger erfreuliches Bild“919 ergibt sich aber, wenn man die Insolvenzstatistiken in die Betrachtung miteinbezieht, in denen die GmbH regelmäßg in relativen wie absoluten Zahlen „Tabellenführer“ ist.920 Für die Gläubiger bedeutet dies, dass sie bei Gesellschaften mbH ein gesteigertes Risiko laufen, im Falle deren Insolvenz nur auf den sich oftmals allein auf das gesetzliche Mindeststammkapital beschränkenden Haftungstopf zugreifen zu können, im Übrigen aber selbst dann leer auszugehen, wenn die Gesellschafter noch über (erhebliches) Privatvermögen verfügen.921 Trotz dieser oftmals unbefriedigenden Situation mag man sich, bevor man in die nähere Auseinandersetzung um die Legitimität der GmbH einsteigt, fragen, ob die Haftungskonzentration für Gesellschaftsverbindlichkeiten auf die GmbH überhaupt rechtfertigungsbedürftig ist. Prima vista könnte man daran nämlich durchaus zweifeln. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Einmann-GmbH: Würden deren Geschäfte nicht von der GmbH, sondern von ihrem Alleingesellschafter als natürliche Person getätigt, würde sicherlich niemand auf die Idee kommen, in der Tatsache, dass er allein mit seinem Vermögen für die daraus resultierenden Geschäftsverbindlichkeiten einzustehen hat, eine unzulässige Haftungsbeschränkung zu sehen und daraus zum Beispiel abzuleiten, es sei auch sein näheres Umfeld im Stile einer „zivilrechtlichen Sippenhaft“ miteinzubeziehen. Das deutsche Recht ist vielmehr auch insoweit durch einen individualistischen Ansatz gekennzeichnet, dessen Durchbrechungen – wie beispielsweise die Gesamtschuldnerschaft (§ 421 BGB) oder die Mitverpflichtung im Rahmen der „Schlüsselgewalt“ (§ 1357 I 2 BGB) – begründungsbedürftige und nur unter bestimmten Voraussetzungen eingreifende Ausnahmen sind. Warum besteht angesichts dessen ein Legitimationsbedürfnis, wenn einziger Schuldner eine juristische Person des Privatrechts ist? Die Antwort darauf kann nicht allein aus rechtlichen Kriterien deduziert werden, vielmehr wird man hier ein empirisches, psychologisch unterfüttertes Datum als dem Rechtssystem vorgelagert anerkennen müssen. Entscheidend ist danach, dass natürliche und juristische Personen über stark voneinander abweichende Anreizsysteme verfügen: Der in die moderne marktwirtschaftliche 917 Beschluss der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 5.9.2006, abzurufen unter https://www.unternehmergesellschaft.de/cms/download/GmbH-Reform/ RechtspolitikerBeschluss.pdf. 918 Aktuelle Nachweise z.B. bei Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 9 f.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einleitung, Rn. 16 f. 919 Schärtl, Doppelfunktion, S. 23. 920 Vgl. näher J. Meyer, GmbHR 2004, 1417, 1418 ff.; Michalski, in: Michalski, GmbHG, Einleitung, Rn. 198 ff.; MüKo-GmbHG/Fleischer, Einleitung, Rn. 207 ff. 921 Vgl. Blaurock, FS Stimpel, S. 553.
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Ordnung eingebettete Mensch zeichnet sich typischerweise durch das ihm inhärente Streben nach Existenzsicherung, (materieller) Verbesserung, Besitzaquisition, Fortschritt und persönlichem Glück – in den Worten von Thomas Jefferson: „pursuit of Happiness“922 – aus.923 Dieser natürliche Drang übersteht in der Regel auch Krisenzeiten und führt nach deren Überwindung dazu, einen Neuanfang zu versuchen, um zukünftig die genannten Ziele nach Möglichkeit zu erreichen. Auch wenn dieses Streben vordergründig allein dem jeweils Betroffenen zugute kommt, wirken sich Einkommenstatbestände und Vermögenszuwächse des Schuldners mittelbar typischerweise zugunsten seiner Gläubiger (und der Allgemeinheit) aus.924 Selbst dann, wenn er wegen zum Beispiel Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit zeitweise oder dauerhaft nicht (mehr) in der Lage ist, aktiv seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bleibt den Gläubigern immer noch die Hoffnung, die dem Schuldner zustehenden Sozialleistungen wenigstens teilweise pfänden zu können. Bei juristischen Personen stellt sich die Lage hingegen anders dar. Sie verfügen über keine originären Interessen, ein natürliches Streben nach „lebenslanger“ materieller Sicherung samt des damit einhergehenden „reflexhaften“ Gläubigerschutzes fehlt bei ihnen ebenso wie die Möglichkeit, diese selbständig zu verfolgen.925 Juristische Personen führen daher ein „Sklavendasein“926 und sind vollständig in der Hand ihrer Gesellschafter (um im Bild zu bleiben: „Halter“), deren Schicksal zwar – abhängig von der Höhe des „Einsatzes“, den sie zu verlieren drohen – mehr oder minder stark mit dem ihren verknüpft, niemals aber untrennbar verbunden ist, können sie doch jederzeit beschließen, die Gesellschaft angesichts deren unrentablen „Lebenswandels“ aufzugeben. Besonders drastisch wirkt sich der Unterschied zwischen natürlicher und juristischer Person bei einer – untechnisch gesprochen – Überschuldung aus. Parallelen bestehen hier nur insoweit, als bei beiden in der Regel ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird. Damit enden die Gemeinsamkeiten in – im vorliegenden Zusammenhang: entscheidender Hinsicht – jedoch: Während der „Bestand“, also die Existenz der natürlichen Person, durch das Insolvenzverfahren unberührt bleibt, wird die GmbH durch die Eröffnung des Insolvenz922 Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ (Hervorhebung hier). 923 Dies sowie die Annahme, dass der Mensch sich in ökonomisch möglichst optimaler Weise für sich und damit – mittelbar – auch für die gesamte Volkswirtschaft verhält, ist der Kern jeder freien marktwirtschaftlichen Ordnung, vgl. pars pro toto Goerdeler, Das Ziel, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 13; Erhard, Das Programm, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 40. 924 Ebenso Raiser, FS Lutter, S. 637, 647; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 6 f. 925 Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 6. 926 Raiser, FS Lutter, S. 637, 647.
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verfahrens nach § 60 Nr. 4 GmbHG aufgelöst – das heißt in eine Liquidationsgesellschaft umgewandelt927 –, um nach durchgeführtem Insolvenzverfahren durch Löschung im Handelsregister (§ 394 I 2 FamFG) vollbeendet928 zu werden, wenn kein Vermögen mehr vorhanden ist. Das wirkt sich unmittelbar auf die Haftung nach Verfahrensbeendigung aus: Während die natürliche Person für die nicht vollständig befriedigten Insolvenzforderungen weiterhin haftet (§ 201 I InsO), die Gläubiger also insbesondere auf ihren Neuerwerb zugreifen können, fällt bei der juristischen Person mit ihr zugleich der Schuldner ersatzlos weg, gilt doch auch im/nach dem Insolvenzverfahren das Trennungsprinzip mit der Folge, dass die Gesellschafter nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben, § 13 II GmbHG.929 Nun ist zwar „neuerdings“ zu beachten, dass dieser drastische Unterschied zwischen einer „bis zur Bahre“ haftenden natürlichen und einer sich durch Vollbeendigung ins Nichts auflösenden juristischen Person ein Stück weit eingeebnet wurde, weil für natürliche Personen seit 1999 die Möglichkeit besteht, sich durch Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO langfristig Schuldenfreiheit zu „erkaufen“. Aber auch wenn dadurch eine gewisse Annäherung an die GmbH erfolgt, ändert sich nichts an dem Bedürfnis, die Haftungsbeschränkung via Gesellschaftsgründung zu legitimieren. Denn auch wenn der Gläubiger eines (hohen) Schadensersatzanspruchs nun nicht mehr erwarten kann, auf die (rest-) lebenslangen Einkünfte eines ihn schädigenden Einzelkaufmanns zugreifen zu können, verbleiben zwischen beiden Szenarien mindestens psychologische, in aller Regel aber auch (erhebliche) wirtschaftliche Unterschiede: Während der Gesellschafter einer GmbH „lediglich“ den Verlust seiner Einlageverpflichtung befürchten muss, nach deren Aufbringung – oder Zahlung an einen Gläubiger nach dessen Pfändung der Gesellschaftseinlagenforderung930 – er also schuldenfrei ist, haftet der Einzelkaufmann nicht nur mit seinem bei Insolvenzeröffnung vorhandenen Privatvermögen, sondern ihn treffen bis zum Ablauf der maximal sechsjährigen (§§ 287 II 1, 300 I 1 InsO) Abtretungsfrist die Obliegenheiten der §§ 287b, 295 InsO, wenn er in den Genuss der Restschuldbefreiung gelangen will, um mit dem Einmanngesellschafter dauerhaft „gleichzuziehen“.931 Der Einzelkaufmann steht mithin unter einem viel größeren psychologischen und wirtschaftlichen Erfolgsdruck – oder vielleicht besser: geht ein weit größeres Verlustrisiko ein – als der Einmann-GmbH-Gesellschafter. Umgekehrt sind 927 MüKo- GmbHG/Berner, § 60, Rn. 122; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 60, Rn. 24. 928 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 60, Rn. 62. 929 Scholz/Schmidt/Bitter, GmbHG, Vor § 64, Rn. 88; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 60, Rn. 54. 930 Zu dieser Möglichkeit vgl. schon oben Fn. 911. 931 Relevant sind vor allem die Obliegenheiten zur Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit (Nr. 1) sowie zur Ablieferung von 50 % des Wertes der unter Nr. 2 fallenden Vermögenserwerbstatbestände.
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die Befriedigungschancen der Gläubiger ungleich besser, wenn Schuldner nicht eine (Einmann-)GmbH, sondern ein Einzelkaufmann ist. Es zeigt sich also: Auch wenn das heute nicht mehr en vogue sein mag, erscheint eine (kritische) Auseinandersetzung mit der GmbH und ihrer Haftungsprivilegierung gewinnbringend. Denn auch wenn – was noch zu erörtern ist – die institutionelle Haftungsbeschränkung im Grundsatz legitim sein mag, verspricht die Rückbesinnung auf ihre Grundlagen doch einen Mehrwert dergestalt, dass sie Anhaltspunkte für die „richtige“ Ausgestaltung des GmbHRechts liefert und damit eine fundierte Überprüfung des heutigen Rechtszustands samt Erarbeitung eventueller Verbesserungsvorschläge ermöglicht. Bedarf die Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG mithin einer gesonderten Legitimation, so kann diese – so viel sei vorausgeschickt – nicht bereits darin gesehen werden, dass es sich bei der GmbH um eine juristische Person handelt. Denn aus dem Charakter als juristischer Person lässt sich nur deren Rechts- und Parteifähigkeit sowie rechtliche Selbständigkeit folgern, ein Haftungsprivileg ihrer Mitglieder – quasi: „ex offi io“ – kann daraus hingegen nicht deduziert werden.932 Das ergibt sich schon aufgrund der grundlegenden Überlegung, dass nicht die formelle „Hülse“, in der Geschäfte betrieben werden, entscheidend sein kann, ist die Haftungskonzentration auf eine juristische Person als solche doch nur eine Methodik der Haftungsbeschränkung, die sie als solche selbstverständlich aber – ebenso wenig wie zum Beispiel die haftungsfolgenmodifizierenden Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung – noch nicht materiell rechtfertigt. Überdies zeigt die Existenz der KGaA, dass eine zwingende Haftungsbeschränkung ihrer Mitglieder gar nicht Charakteristikum juristischer Personen sein muss. Denn obschon die KGaA juristische Person ist, haftet bei ihr mindestens einer der Gesellschafter unbeschränkt, § 278 I AktG.933 Historisch handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall, kannte doch – bis zum Gesetz vom 20.12.1933 – auch das GenG zwei „Spielarten“ von Genossenschaften (und damit juristischen Personen934), bei denen die Mitglieder unmittelbar entweder bis zu einem bestimmten Betrag beschränkt (eGmbH) oder sogar unbeschränkt (eGmuH) gegenüber den Genossenschaftsgläubigern hafteten.935
932 So auch O. Schreiber, Kommanditgesellschaft, S. 33, 37; Tielsch, Beschränkte Haftung, S. 12, 33 f.; Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 102 f.; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 403 f.; Lehmann, ZGR 1986, 345, 350; Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 13, Rn. 47. 933 Zum Charakter der KGaA als juristische Person vgl. z.B. Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, § 278 AktG, Rn. 4; MüKo-AktG/Perlitt, § 278, Rn. 2. – Für ausländische Beispiele siehe Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 103. 934 Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, § 1, Rn. 1; Henssler/Strohn/Geibel, Gesellschaftsrecht, § 1 GenG, Rn. 1. 935 Müller, GenG, § 2, Rn. 3 f.; Schulte, in: Lang/Weidmüller, GenG, § 2, Rn. 2 f.; Henss-
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2. Schutz des Gesellschaftes/Förderung der Unternehmerinitiative a) Schutz des Gesellschafters? Fragt man nach der Legitimität der Haftungsprivilegierung der GmbH-Gesellschafter, so liegt naturgemäß zunächst der Gedanke nahe, sie mit berechtigten Anliegen der Gesellschafter zu beantworten. Es kann auch gar keinen Zweifel geben, dass nahezu jeder Gesellschafter ein Interesse daran hat, nicht für die Schulden der Gesellschaft einstehen zu müssen. Das gilt für den Gesellschafter, der mit den unter dem Banner der GmbH betriebenen Geschäften seinen gesamten Lebensunterhalt finanzieren möchte, aber es gilt ebenso für solche Gesellschafter, die sich mit einer kleinen Kapitalbeteiligung an einer GmbH lediglich ein Zubrot verdienen wollen. Dass sie alle daran interessiert sind, eine potentiell uferlose Haftung schon im Vorfeld und mit der notwendigen Rechtssicherheit zu vermeiden, ist in der Sache nachvollziehbar. Allein: Ein derartiges Schuldnerinteresse ist gleichermaßen allgemein wie trivial und vermag daher keine legitimatorische Kraft zu entfalten.936 Denn natürlich will jeder Schuldner auf die eine oder andere Weise in den Genuss einer Haftungsprivilegierung gelangen – rechtfertigen lässt sich diese damit jedoch nicht, ließe sich andernfalls doch mit diesem Wunsch im Ausgangspunkt für jeden Personenkreis und jede Situation die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung begründen. Die Richtigkeit dieser These zeigt pars pro toto ein Vergleich mit den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, deren Legitimität eben nicht aus dem allgemeinen Schutzinteresse des Arbeitnehmers, sondern aus seiner besonderen, aus der Fremdbestimmtheit und -nützigkeit seiner Tätigkeit gespeisten Schutzwürdigkeit herzuleiten ist.937 Mit den in der Person der Gesellschafter liegenden Interessen ließe sich § 13 II GmbHG mithin nur rechtfertigen, wenn sich spezielle, über das allgemeine Interesse jedes Schuldners an einer Haftungsverschonung hinausgehende berechtigte Anliegen identifizieren ließen. Angesichts des erheblichen Geschäftsvolumens vieler Gesellschaften mbH läge es insoweit zunächst nahe, der Haftungsprivilegierung die Funktion eines Schutzes vor einer potentiell ruinösen, lebenslangen Überschuldung beizumessen. So ließe sich argumentieren, nicht nur, vor allem aber ein „Freizeitgesellschafter“, der sich nur mit einem geringen Betrag beteiligt, müsse sich davor schützen können, wegen eben dieser Kleinbeteiligung einem unübersehbaren, seine wirtschaftliche Lebensgrundlage gefährdenden Haftungsrisiko ausgesetzt zu sein (Äquivalenz von Chance und Risiko). Ob dieser Gedanke jemals ler/Strohn/Geibel, Gesellschaftsrecht, § 2 GenG, Rn. 1; vgl. auch BGH 3.2.1964 – II ZB 6/63, NJW 1964, 766, 767. 936 Möglicherweise anderer Auffassung Blaurock, FS Stimpel, S. 553, der dieses Interesse immerhin für „ganz legitim“ hält. 937 Siehe dazu ausführlich unten § 2 F 1 a).
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tragend war, kann hier dahingestellt bleiben. Angesichts der seit dem 1.1.1999 mit den §§ 286 ff. InsO jeder natürlichen Person eingeräumten Chance, sich per Restschuldbefreiung vor einer lebenslangen Überschuldung zu schützen, lässt er sich jetzt jedenfalls nicht mehr fruchtbar machen.938 Rechtsdogmatisch ist ferner zu erwägen, die Haftungsprivilegierung damit zu legitimieren, dass derjenige, der sich mit anderen zu einer Gesellschaft zusammenschließt, besonders schutzwürdig ist, weil er typischerweise nicht mehr allein über das Schicksal der auch in seinem Interesse getätigten Geschäfte entscheiden kann und zudem stets befürchten muss, durch den Fehler oder Federstrich eines Mitgesellschafters ruiniert zu werden.939 Zwar sind beide Überlegungen nicht von der Hand zu weisen, die Legitimität der Haftungsprivilegierung begründen sie aber dennoch nicht. Zunächst ließe sich dieser Gedanke ohnehin nur bei einer mehrgliedrigen GmbH mit zumindest annährend gleichstarken Gesellschaftern fruchtbar machen, bei einer Einmann-GmbH versagt er hingegen notwendigerweise ebenso wie bei einem faktisch im Alleingang über die Geschicke der GmbH entscheidenden und damit keinerlei Fremdbestimmung unterliegenden Mehrheitsgesellschafter. Unabhängig davon wäre es vor allem aber überhaupt nicht unbillig, die Gesellschafter für die in Verfolgung der gemeinsamen Interessen unterlaufenen Fehler ihrer Mitgesellschafter mithaften zu lassen.940 Anders als zumindest deliktisch Geschädigte haben sie sich nämlich nicht nur ihre Mitgesellschafter samt deren jeweiligen Stärken und Schwächen ausgesucht, sondern sich auch aus freien Stücken auf ein arbeitsteiliges Zusammenwirken mit all dessen Vor- wie Nachteilen eingelassen. Entsprechend dem alten Sprichwort gilt daher: „mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“. Weil andere Gesichtspunkte, die eine besondere Schutzwürdigkeit der GmbH-Gesellschafter begründen könnten, nicht ersichtlich sind, lautet das – wohl einigermaßen überraschende – Zwischenfazit somit, dass die unmittelbar alleine den GmbH-Gesellschaftern zugute kommende Haftungsprivilegierung des § 13 II GmbHG nicht mit deren ureigenen Interessen gerechtfertigt werden kann. Legitimieren lässt sie sich also, wenn überhaupt, nur mit einem von ihrer Person abstrahierten Ziel. Wie nunmehr zu erörtern ist, war und ist dies die Verfolgung volkswirtschaftlicher Interessen im Wege der Stärkung der Unternehmerinitiative.
938 Das gilt auch, wenn Gesellschafter der Gesellschaft selbst wieder eine Gesellschaft ist, denn am Ende der „Gesellschafterkette“ stehen letztlich doch wieder natürliche Personen als Gesellschafter. 939 Vgl. zu diesem Gedanken Oechelhäuser, Denkschrift, S. 51. 940 Tatsächlich geschieht dies – ökonomisch betrachtet – durchaus selbst bei der GmbH, führt eine Schadensersatzverpflichtung der Gesellschaft doch dazu, dass der Geschäftsanteil jedes Gesellschafters einen Wertverlust erleidet.
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b) Förderung der Unternehmerinitative aa) Historischer Zweck der GmbH Schon dem historischen Gesetzgeber ging es mit der GmbH nicht um den Schutz der Gesellschafter als solcher, sondern es standen, wie die Entstehungsgeschichte des GmbHG zeigt, handfeste volkswirtschaftliche und letztlich sogar machtpolitische Interessen im Mittelpunkt.941 Die Schaffung des GmbHG koinzidierte nicht zufällig mit den letzten Verteilungskämpfen um Kolonien,942 waren im Rennen um einen „Platz an der Sonne“943 doch nicht nur Kanonen, sondern auch geeignete Rechts- und Wirtschaftsstrukturen gefragt. Es musste daher – um es mit den Worten Oechelhäusers, eines der „Väter“ des GmbHG auszudrücken – „[d]asjenige Land, welches die sichersten, einfachsten und mannigfachsten Rechtsformen für die Vereinigung von Kapital und Personen [bietet] vor anderen Nationen […] einen wirthschaftlichen Vorsprung gewinnen.“944 Es überrascht daher nicht, dass die Debatten um die Einführung der GmbH eng mit denen um die Kreierung einer „Kolonialgesellschaft“ verbunden waren und sich beide gegenseitig befruchteten.945 Obwohl daran ein „großes wirthschaftliches Interesse des Staates“ bestand, krankte die wirtschaftliche Nutzung der erworbenen Kolonien und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands allgemein (auch) daran, dass das geltende Gesellschaftsrecht keine passgerechte Gesellschaftsform zur Verfügung stellte, mittels derer sich „Unternehmungen im Kleinen mit unbestimmten Anfängen und unbestimmten Zielen unter dem Prinzip der beschränkten Haftbarkeit entwickeln können.“946 Aktiengesellschaft und bergrechtliche Gewerkschaft947 genügten hierfür entweder nicht oder stellten überzogene (Gründungs-)Anforderungen.948 Mit Schaffung des GmbHG sollte diese Lücke geschlossen und mit der Stärkung des Unterneh941 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des GmbHG z.B. Koberg, Entstehung, S. 35 ff.; J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 290 ff. 942 Den ersten überseeischen Landgewinn verbuchte Deutschland 1884 mit dem sogenannten „Lüderitzland“, dem Kern des späteren Deutsch-Südwestafrikas. Es folgten eine Reihe weiterer Erwerbungen (Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Togo). Mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag mit England (1890) war die Hauptphase bereits abgeschlossen, es folgten lediglich einzelne Inseln und Inselgruppen in Fernost (z.B. Kiautschou [1897/98], Karolinen, Marianen, Palau und Samoa [1899]), vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonien_ und_Schutzgebiete. 943 So die berühmte Wendung Bernhard von Bülows in der Reichstagsdebatte vom 6.12.1897 (zit. nach http://de.wikipedia.org/wiki/Platz_an_der_Sonne). 944 Oechelhäuser, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, 1884, S. 221; vgl. auch Hadding, FS Reichsjustizamt, S. 263, 308; Scholz/ Westermann, GmbHG, Einleitung, Rn. 59; Ulmer/Ulmer, GmbHG, Einl. A 5. 945 Vgl. Koberg, Entstehung, S. 41, 62 ff. m.w.N. 946 So das Mitglied des Reichstags Hammacher, Entwicklung, Nr. 18, S. 4. 947 Bei dieser haftete zwar auch nur sie selbst als juristische Person für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, ihre Gründung bedurfte jedoch einer staatlichen Konzession (näher Koberg, Entstehung, S. 31 ff.). 948 Vgl. Koberg, Entstehung, S. 41 f., 429.
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mergeists die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen vor allem gegenüber den englischen Kolonialgesellschaften gestärkt werden,949 wodurch nicht nur eine schädliche Kapitalflucht ins Ausland,950 sondern auch verhindert werden sollte, dass – vergleichbar dem englischen „Vorbild“ – die Rechtspraxis auf den Ausweg verfällt, die Rechtsform der AG durch Gründung kleiner „Pseudo-Aktiengesellschaften“ zu missbrauchen.951 bb) Weitgehende Zweckkontinuität Zwar kann die GmbH nach dem Ende der kurzen deutschen Kolonialzeit nicht mehr als Hilfsmotor für die Förderung geographischer Weltverteilungskämpfe betrachtet und damit legitimiert werden. Die schon vom historischen Gesetzgeber betonte Funktion der volkswirtschaftlich wünschenswerten Stärkung der Unternehmerinitiative wird aber auch von der heute noch ganz herrschenden Meinung zu Recht bejaht und mit ihr die Haftungsbeschränkung im Ausgangspunkt gerechtfertigt.952 Hintergrund ist dabei die Erkenntnis, dass zahlreiche wirtschaftliche Unterfangen neben einem riesigen Kapitalbedarf auch ein erhebliches Ausfall- und/ oder Schadensersatzrisiko aufweisen. Das galt in der Frühzeit der Industrialisierung – man denke pars pro toto an die enormen Kosten für Eisenbahnunternehmen oder Bergwerke – und gilt heute nicht weniger.953 Wo aber Unternehmer beziehungsweise Kapitalinvestoren Gefahr laufen, unbeschränkt mit ihrem gesamten Privatvermögen für die potentiell gewaltigen und ruinösen Haftungsrisiken einstehen zu müssen, ist es menschlich verständlich und ökonomisch sinnvoll, von einer derartigen wirtschaftlichen Unternehmung selbst dann Abstand zu nehmen, wenn einerseits die Gefahr der Realisierung dieses Haftungsrisikos äußerst gering und andererseits die Wahrscheinlichkeit großer
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Schubert, FS 100 Jahre GmbH, S. 1, 5; J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 291; vgl. auch die Aussage des Mitglieds des Reichstags Hammacher, Entwicklung, Nr. 6, S. 3, 9. 950 Staatssekretär Bosse schätzte in der Sitzung des Reichstags vom 11.2.1892 (Stenographische Berichte und Verhandlungen des Reichstages, VIII. Legislaturperiode, 1890/1892, S. 4303 ff.), dass mit jeder ins Ausland abfließenden Millarde Reichsmark 200.000 Arbeitsplätze im Inland geschaffen werden könnten. 951 Oechelhäuser, Denkschrift, S. 51. 952 Vgl. z.B. Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 39; Lehmann, ZGR 1986, 345, 353 f.; Raiser, ZGR 1995, 156, 165; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287; U. Haas, WM 2003, 1929, 1930; Kübler, FS Heinsius, S. 397, 405; Erlinghagen, Organschaftsvertrag, S. 70; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 97 f. Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 13, Rn. 47; Lutter/ Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 11; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 55; Roth/Altmeppen, GmbHG, Einl., Rn. 20; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 54; Saenger/Inhester/Greiteman, GmbHG, § 13, Rn. 82; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 11; Wicke/Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 3; Ensthaler/Füller/Schmidt, GmbHG, § 13, Rn. 12; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 43; Schärtl, Doppelfunktion, S. 77; Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445. 953 Vgl. Schmoeckel, Rechtsgeschichte, S. 156.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Gewinne hoch ist.954 Neben dem Steuer- und Arbeitsrecht ist das Haftungsrecht somit der wohl wichtigste Parameter dafür, ob ein investitionsfeindliches Klima geschaffen oder der Unternehmergeist gestärkt wird.955 Das ist im hier vorliegenden Zusammenhang wiederum insoweit von Bedeutung, als die staatliche Förderung von Unternehmensgründungen angesichts der damit regelmäßig einhergehenden mittelbaren volkswirtschaftlichen Vorteile (Schaffung von Arbeitsplätzen, Generierung von Steuereinnahmen und so weiter) von höchstem Allgemeinwohlinteresse sind.956 Eine den privaten Pioniergeist erstickende, weil potentiell exorbitante und zudem auch das gesamte Vermögen der Gesellschafter erfassende Haftung könnte demgegenüber leicht zu der misslichen Konsequenz führen, dass derartige Unternehmungen entweder vollständig unterblieben oder – was aus Sicht einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung ebenfalls nicht begrüßenswert wäre – fast ausschließlich unter der Ägide der öffentlichen Hand erfolgen würden.957 Dass dies mittels einer Haftungsprivilegierung für (potentielle) Unternehmensgründer und Investoren verhindert werden kann, erscheint nicht nur plausibel, die Instrumentalisierung des Haftungs-(begrenzungs-)rechts für volkswirtschaftliche Zwecke ist zudem ein legitimes, über den Bereich der gesellschaftsrechtlich-institutionellen Haftungsbeschränkung hinausreichendes Vorgehen.958 Die vorstehenden Ausführungen dürfen dabei nicht so verstanden werden, dass sie sich nur auf Großunternehmen, deren Bedeutung für eine Region oder gar das gesamte Bundesgebiet offenkundig sind, beziehen. Volkswirtschaftlich besteht gerade auch ein Interesse an der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmungen, und zwar nicht nur, weil sich aus diesen – gegebenenfalls über Generationen hinweg – größere Unternehmungen entwickeln können, sondern auch, weil gerade diese Unternehmen das Rückgrat jeder Volkswirtschaft bilden und von elementarer Bedeutung für die Generierung von Umsätzen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Ausbildung von Nachwuchskräften, die Zahlung von Steuern und so weiter sind.959 954 Vgl. Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 39; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 11; Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445; Erlinghagen, Organschaftsvertrag, S. 70; Kübler, FS Heinsius, S. 397, 405; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 55; so auch schon vor/während der Diskussionen um den Entwurf des GmbHG z.B. Oechelhäuser, Denkschrift, S. 51; kritisch hingegen J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1035 f., 1042 f. 955 Vgl. Hommelhoff, FS Müller, S. 449. 956 Vgl. Lehmann, ZGR 1986, 345, 353 f.; Goldschmidt, Actiengesellschaftswesen, S. 32; Kübler, FS Heinsius, S. 397, 405; Raiser, ZGR 1995, 156, 165. 957 Vgl. Goldschmidt, Actiengesellschaftswesen, S. 32; Erlinghagen, Organschaftsvertrag, S. 70. 958 Vgl. die Parallelproblematik bei Haftungshöchstsummen (oben § 2 A III 1 d]). 959 Nach den Erhebungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn sind 99,6 % aller Unternehmen in Deutschland kleine oder mittlere Unternehmen, sie erwirtschaften 36,9 % aller Umsätze, beschäftigen 60 % aller Arbeitnehmer und bilden 83 % aller Auszubildenden
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cc) Änderung durch Schaffung der §§ 286 ff. InsO? Ist also im Grundsatz die Förderung der skizzierten volkswirtschaftlichen Interessen als legitimes, die Haftungsprivilegierung des § 13 II GmbHG rechtfertigendes Ziel anzusehen, so fragt sich, ob daran auch nach Einführung der Regelungen über die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) zum 1.1.1999 festzuhalten ist. Dagegen ließe sich anführen, dass angesichts der durch die §§ 286 ff. InsO gewährleisteten Chance eines wirtschaftlichen „fresh starts“ die Gefahr, infolge einer Einstandsverpflichtung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten einer exorbitanten, lebenslangen Haftung ausgesetzt zu sein, gebannt werden kann. Dies wiederum, so ließe sich weiter argumentieren, nimmt dem Haftungsrisiko zumindest teilweise seine befürchtete, die Unternehmerinitiative erdrosselnde Wirkung, so dass aus volkswirtschaftlicher Sicht kein Bedürfnis nach einer gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung mehr besteht. Wie bei der Frage nach der rechtsdogmatischen und -politischen Rechtfertigung von Haftungshöchstsummen960 überzeugt das aber auch hier nicht. Der durch die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung bewirkte Schutz des Gesellschafters ist im Vergleich zu demjenigen des § 13 II GmbHG nämlich ein äußerst geringer. Denn auch wenn keine lebenslange „Schuldknechtschaft“ mehr zu befürchten ist, dürfte die Gefahr, wegen einer – gegebenenfalls geringfügigen – Gesellschaftsbeteiligung ins mühselige und langwierige Restschuldbefreiungsverfahren zu müssen, immer noch abschreckend genug sein, um die Investititionsbereitschaft nachhaltig zu beeinträchtigen. Der Haftungsausschluss des § 13 II GmbHG ist demgegenüber weitaus eher geeignet, ein volkswirtschaftlich wünschenswertes Investitionsklima zu schaffen, und zwar umso mehr, als es in der Hand jedes Gesellschafters selbst liegt, dessen (faktische) Einschränkung in Form der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe, materielle Unterkapitalisierung und Vermögensvermischung zu vermeiden.961
aus („Kennzahlen zum Mittelstand 2010/2012 in Deutschland“, abzurufen unter http://www. ifm-bonn.org/index.php?id=99). – Diese überragende Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen verkennt Tielsch, Beschränkte Haftung, S. 41, nach dem ein volkswirtschaftliches Interesse – wenn überhaupt – nur bei großen, spektakulären Unternehmen und neuen Erfindungen anzunehmen sei, nicht hingegen bei kleinen Familiengesellschaften. 960 Siehe dazu oben § 2 A III 1 d) ee). 961 Alle drei Haftungsregime setzen nach dem BGH ein subjektives Zurechnungsmoment voraus: So lehnte der BGH in einem Fall die Haftung einer als Geschäftsführerin tätigen Minderheitsgesellschafterin wegen Vermögensvermischung mit der Begründung ab, diese sei hierfür nicht verantwortlich gewesen (BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802). Die Existenzvernichtungshaftung „2. Generation“ wird nach dem Gericht über § 826 BGB „abgewickelt“, der sogar mindestens bedingten Vorsatz verlangt (BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 ff. [Trihotel]; bestätigt in BGH 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR 2008, 918, 919; 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438 ff. [Gamma]; 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2128 f. [Sanitary]; 21.2.2013 – IX ZR 52/10, NJW-RR 2013, 1321, 1323). Und auch die materielle Unterkapitalisierung ist nach dem BGH – wenn überhaupt –
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
dd) Zwischenergebnis Summa summarum bleibt zu bilanzieren, dass die Haftungsprivilegierung von GmbH-Gesellschaftern zwar nicht mit deren eigenen Interessen, aber im Grundsatz mit der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit einer Förderung der Unternehmerinitiative legitimiert werden kann. Sie ist damit ein rechtstechnisches Instrument, das nicht den Schutz der dadurch Geschützten um ihrer selbst Willen erstrebt, sondern das dazu dient, mittelbar den das Allgemeinwohl begünstigenden Investitionen keine Steine in den Weg zu legen und letztlich durch seine Anreizwirkung den (potentiellen) Gesellschafter „vor den volkswirtschaftlichen Karren zu spannen“. Auch wenn eine derartige Zielsetzung im Grundsatz rechtspolitisch legitim ist, sah sich das Modell der institutionellen Haftungsbeschränkung per Gesellschaftsgründung im Allgemeinen sowie die Rechtsform der GmbH im Speziellen stets auch Vorbehalten und Einwänden von – zum Teil äußerst prominenten – Kritikern ausgesetzt. Erst wenn man sich mit diesen en détail auseinandergesetzt hat, kann ein Urteil über die rechtsdogmatische/-politische Legitimität der institutionellen Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG gefällt werden. 3. Einwand 1: Verminderter Sorgfaltsstandard der Geschäftsführer? Einen ersten Einwand gegen Kapitalgesellschaften, deren Geschäfte nicht von den Gesellschaftern selbst, sondern von Fremdgeschäftsführern geführt werden, formulierte bereits Adam Smith. Er befürchtete, dass ein Geschäftsführer, der nicht eigenes, sondern fremdes Kapital verwaltet, nur ein geringeres Maß an Sorgfalt an den Tag lege und Nachlässigkeiten an der Tagesordnung seien: „The directors of such companies [= joint-stock companies], however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot well be expected that they should watch over it with the same anxious vigilance with which partners in a private copartnery frequently watch over their own. Like the steward of a rich man, they are apt to consider attention to small matters as not for their master’s honour, and very easily give themselves dispensation from having it. Negligence and profusion, therefore, must always prevail, more or less, in the management of the affairs of such a company.“962
Auch wenn diese Kritik ursprünglich auf Aktiengesellschaften gemünzt war, ließe sie sich auch bei solchen Gesellschaften mbH anführen, deren Geschäfte (hauptsächlich) durch Fremdgeschäftsführer geführt werden. Unabhängig davon, ob man diese Befürchtung für plausibel hält, lässt sich mit ihr nicht die Illegitimität der GmbH-Rechtsform begründen. Grundlage nur über den verschuldensabhängigen § 826 BGB justiziabel (BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2440). 962 Smith, Wealth of Nations, V.1, Bd. 22, S. 229; ähnlich später auch Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 299, 343; ders., JZ 1956, 705, 708.
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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des geltenden deutschen Rechts ist sie jedenfalls nicht, geht dieses doch gerade nicht davon aus, dass in eigenen Angelegenheiten typischerweise sorgfältiger gehandelt wird als in fremden. § 277 BGB zeigt vielmehr, dass der Gesetzgeber es nicht nur für möglich hielt, dass umgekehrt in eigenen Angelegenheiten ein geringeres Sorgfaltsmaß an den Tag gelegt wird, sondern dies sogar als so häufig und gegebenenfalls akzeptabel einstufte, dass er für einige Konstellationen (zum Beispiel §§ 708, 1356, 1664 BGB) eine Haftungsmilderung ermöglichte, wenn im konkreten Fall die eigenübliche Sorgfalt den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab unterschreitet.963 Unabhängig davon wäre es jedenfalls unverhältnismäßig, aus der von Smith beschworenen Gefahr ein Totalverbot von Gesellschaften mbH abzuleiten. Denn dieser Gefahr kann im Interesse der Gesellschaft – und damit mittelbar der Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger – begegnet werden, indem eine ordnungsgemäße Geschäftsführung per Statuierung einer darauf gerichteten, schadensersatzbewehrten Pflicht zum ureigensten Anliegen des Geschäftsführers gemacht wird, wie dies ja auch – vor allem964 in § 43 I, II – im GmbHG geschehen ist.965 Ein Verbot der GmbH-Rechtsform wäre angesichts dieses wohl gleich geeigneten Mittels schon nicht erforderlich, jedenfalls aber nicht angemessen. Dies gilt umso mehr, als es einer arbeitsteiligen Welt immanent ist, dass zahlreiche Aufgaben in dem Sinne „outgesourct“ werden, dass sie nicht von dem unmittelbar Betroffenen selbst, sondern unter Hinzuziehung anderer, im Fremdinteresse tätig Werdender, erledigt werden.966 Man denke nur an einen Arbeitgeber, der sich eines Arbeitnehmers bedient, an einen Bauherrn, der sein Haus von einem Bauunternehmer errichten lässt, oder – um näher am GmbH-Geschäftsführer zu bleiben – an einen Banker, der fremdes Kapital verwaltet. Es bedarf keiner Begründung, dass ein Totalverbot derartiger Fremdaktivitäten weder praktisch umsetzbar noch grundrechtlich zu rechtfertigen wäre. Notwendig, aber auch hinreichend ist es in diesen Beispielen wie bei der GmbH daher allein, dass – unter anderem – über den vom vertraglichen beziehungsweise deliktischen Scha963 § 277 BGB – samt der auf ihn verweisenden Normen – statuiert mit seinem Rekurs auf die eigenübliche Sorgfalt nach allgemeiner Meinung nur eine Haftungsbeschränkung, nicht aber -erweiterung (vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, § 277, Rn. 1, 3; MüKo-BGB/Grundmann, § 277, Rn. 1, 3; BeckOK-BGB/Unberath, § 277, Rn. 8; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 277, Rn. 3; Staudinger/Habermeier, § 708, Rn. 7; Soergel/Hadding/Kießling, § 708, Rn. 7; Staudinger/Voppel, § 1359, Rn. 4; Staudinger/Engler, § 1664, Rn. 4; MüKo-BGB/Huber, § 1664, Rn. 2). 964 Zu nennen sind ferner die §§ 9a I, 57 IV, 64 GmbHG. 965 Zur präventiven verhaltenssteuernden Wirkung Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 1; U. Haas, WM 2006, 1417, 1417 ff.; BeckOK- GmbHG/Ziemons, § 43, Rn. 4; vgl. auch BGH 24.2.1997 – II ZB 11/96, NJW 1997, 1923, 1925, wo die potentielle negative Kehrseite (übertrieben defensives Verhalten, infolge dessen neue risikobehafte Geschäftschancen nicht wahrgenommen werden) einer solchen Verhaltenssteuerung betont wird. 966 Zur Bedeutung der Rechtsform der GmbH für eine arbeitsteilige Wirtschaftsordnung vgl. auch Kaube, „Die Erfindung der Waghalsigkeit“, FAS v. 3.10.2010, S. 56.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
densersatzrecht ausgehenden Druck sichergestellt ist, dass die im Fremdinteresse liegende Tätigkeit einen bestimmten Qualitätsstandard wahrt. 4. Einwand 2: Missbrauchsgefahr? Diametral entgegengesetzt zu Smith sah Bähr das Problem nicht in der Gefahr unsorgfältigen Umgangs mit dem Gesellschaftskapital, sondern ging sogar davon aus, dass die Zulassung der Rechtsform der GmbH „zu einem gewissen Aufschwung des Geschäftslebens führen würde.“967 Dennoch verneinte er „die Frage, ob dieser Aufschwung auch für unser Volksleben wohlthätig wäre“, weil er befürchtete, dass mit ihm „voraussichtlich ein Schwindel ohne gleichen verbunden sein [würde].“968. Das Argument, die GmbH biete mannigfache Missbrauchsgelegenheiten, hat zwar – gerade angesichts der Möglichkeit von Einmann-Gesellschaften – eine gewisse Plausibilität für sich. Wie stets, so gilt aber auch hier, dass aus der bloßen Möglichkeit, ein(e) Rechtsfigur/-instrument zu missbrauchen, zumindest solange kein Argument gegen deren/dessen grundsätzliche Existenz abzuleiten ist, wie nicht prospektiv zu erwarten beziehungsweise empirisch zu beobachten ist, dass in der Rechtspraxis ausschließlich oder wenigstens ganz überwiegend ein derartiger Missbrauch stattfindet.969 Stattdessen ist von Legislative und Judikative durch geeignete („Binnen-“)Schranken sicherzustellen, dass ein derartiger Missbrauch schon im Vorfeld nach Möglichkeit verhindert beziehungsweise zumindest für Fälle, in denen das nicht gelang, effektive Sanktionen vorgesehen werden. Das lässt sich exemplarisch am Beispiel von Scheidungsfolgenvereinbarungen illustrieren: Allein weil dieses Instrument dazu benutzt werden kann, stark einseitige, unbillige Vereinbarungen durchzusetzen, ist es nicht in toto unzulässig, sondern es ist im Wege der Vertragskontrolle (§§ 138, 242, 313 BGB) Vorsorge gegen solche Auswüchse zu treffen.970 Entsprechend muss bei der GmbH dafür Sorge getragen werden, dass die institutionelle Haftungsbeschränkungsmöglichkeit nicht zu „falschen“, weil vom Gesetzeszweck nicht gedeckten Zielen ge- und somit missbraucht wird.971 Ob die de lege lata zur Verfügung stehenden Mechanismen zum Schutz vor allem der Gesellschaftsgläubiger ausreichen, wird zwar noch zu erörtern sein, an dieser Stelle genügt aber der Hinweis, dass eine vollständige Abschaffung der Rechts967
Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 219. Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 219. 969 Ebenso Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 44. 970 Vgl zu diesem Problemkreis näher z.B. Soergel/Althammer, § 1408, Rn. 17 ff.; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 572 ff. jeweils m.w.N. – Ein weiteres Beispiel sind Angehörigenbürgschaften, die zwar nicht generell unzulässig sind, zum Schutz des Bürgen aber einer strengen Kontrolle anhand von § 138 unterliegen (näher und m.w.N. Sack/Fischinger, a.a.O., Rn. 370 ff.). 971 So auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 990. 968
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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form der GmbH eine unverhältnismäßige Überreaktion auf die Missbrauchsgefahr darstellte. 5. Einwand 3: Korrespondenz von Herrschaft und Haftung als Funktionsbedingung einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung? Der wohl populärste Einwand gegen die institutionelle Haftungsbeschränkung der GmbH lässt sich unter dem Stichwort der Verletzung des Korrespondenzprinzips von Herrschaft und Haftung zusammenfassen, wobei zwischen der unmittelbar im Folgenden erörterten volkswirtschaftlichen und der später zu diskutierenden juristischen Dimension zu unterscheiden ist. a) Der ordoliberale Ansatz (Korrespondenzthese) In volkswirtschaftlicher Hinsicht wird die Notwendigkeit einer Korrespondenz von Herrschaft und Haftung vor allem von Ordoliberalisten – allen voran Walter Eucken – postuliert. Haftung sei ein unentbehrliches Instrument einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung, weil sie nicht nur die „Auslese der Betriebe und leitenden Persönlichkeiten“ ermögliche, sondern auch zu vorsichtigeren Kapitaldispositionen führe, würden Investitionen doch umso sorgfältiger gemacht, je mehr der Verantwortliche für sie hafte.972 Sie wirke damit „prophylaktisch gegen eine Verschleuderung von Kapital und zwinge dazu, die Märkte vorsichtig abzutasten.“973 Zudem beuge sie volkswirtschaftlich nachteiligen Machtkonzentrations- und Monopolisierungsprozessen vor, weil sie es verhindere, dass sich ein herrschendes hinter dem Schutzschild mehrerer zwischengeschalteter Unternehmen verbergen könne.974 Auf eine Formel gebracht sei die unbeschränkte Haftung daher „notwendiges Korrelat“ einer unbeschränkten privaten Wirtschaftsfreiheit.975 Mit der Haftungsbeschränkung zugunsten der Gesellschafter einerseits, ihrer vor allem aus § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG ableitbaren Herrschaft über die Geschicke der GmbH andererseits, verändere die „sehr problematisch[e]“ Gesellschaftsform der GmbH 972 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280; siehe auch Ziemons, Haftung, S. 122; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 118; für die AG vgl. auch Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 105 ff.; vgl. auch J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 958, 1033 ff.; Plickert, „Die Liberalen und der Staat“, FAZ v. 13.4.2012, S. 12. 973 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280. 974 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 118, 125 (einschränkend aber auf S. 127); Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 105 unter Verweis auf ältere Literatur, in der die Haftungsbeschränkung als „Privileg“ und „besonderer Vorzug“ bezeichnet wurde (vgl. z.B. Schumacher, Entwicklung, S. 34). 975 Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 119; Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 105 f., 110 ff. (zum Teil für die AG); Tielsch, Beschränkte Haftung, S. 4; Miksch, Wettbewerb, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 182, der daher für eine völlige Beseitigung der Rechtsform der GmbH und einer Ersetzung der AG durch die KGaA plädierte; vgl. auch Ziemons, Haftung, S. 122.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
die Spielregeln hingegen derart, „daß der Wirtschaftsprozeß der Verkehrswirtschaft nicht mehr voll funktioniert“, so dass die Schaffung eines Rahmenwerks verhindert werde, „in dem die Firmen bei freier Planung sich zweckmäßig in den gesamten alltäglichen Produktions- und Verteilungsprozeß eingliedern“976. b) Ausgangspunkt: Haftung als Baustein der marktwirtschaftlichen Ordnung Will man die ordoliberale These würdigen, so muss man sich zunächst ein Grunddatum der sozialen Marktwirtschaft vor Augen führen. Es ist dies die Überlegung, dass die marktwirtschaftliche Ordnung im heutigen Verständnis keinen Freibrief für einen hemmungslosen Raubtierkapitalismus gewährt und keinen Tummelplatz für gewissenlose Egoisten bieten soll. „Freiheit [in einer Marktwirschaft] bedeutet“ eben, um es mit den Worten Ludwig Erhards zu sagen, „nicht Freibeutertum, und sie bedeutet nicht Verantwortungslosigkeit, sondern sie bedeutet immer verpflichtende Hingabe an das Ganze.“977. Für die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft war es deshalb selbstverständlich, dass derjenige, der durch die (selbständige) Teilnahme am Marktgeschehen Ertragschancen begehrt, im Gegenzug die mit der Unternehmung einhergehenden wirtschaftlichen Risiken tragen muss.978 Zur Erreichung dieses Ziels ist die zivilrechtliche Haftung das treffende und systemgerechte Instrument. Treffend, weil mit der zivilrechtlichen Haftung der Interessenausgleich punktgenau zwischen den unmittelbar Betroffenen erfolgen kann, wohingegen dem Geschädigten zum Beispiel mit einer strafrechtlichen Verfolgung des Schädigers typischerweise nicht in annähernd vergleichbarer Weise gedient wäre,979 systemgerecht, weil die Alternative einer Verlagerung auf das öffentliche Recht – in Form von beispielsweise der Ausdehnung von (Wirtschafts-)Straftatbeständen, einer verstärkten gewerbeaufsichtlichen Überwachung oder der Einführung eines Konzessionssystems – mit einer der Freiheit des Einzelnen wie des sozialen 976 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 284 f.; ablehnend gegen die GmbH auch Großmann-Doerth, Gutachten für den 5. DJT, 165 ff. 977 Erhard, Die neuen Tatsachen, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 47. 978 Vgl. noch einmal Erhard (Grundbedingungen, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft II, S. 15): „Den Selbständigen steht daher in besonderem Maße die Wahrnehmung der in der Wirtschaft liegenden Chancen offen, was andererseits aber auch erfordert, daß sie die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken selbst tragen müssen.“; F. Böhm (Gesetzmäßigkeit, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 138): „[…] man kann daher auch nicht, wie das heute mit der größten Unbefangenheit geschieht, vom Recht die Gewährung der Ertragschance verlangen, das Verlustrisiko aber ablehnen […]“; Goerdeler (Das Ziel, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 13): „Daraus folgt, dass die Wirtschaft am blühendsten wird, in der der Staat […] dem einzelnen möglichst viel Risiken beläßt und möglichst wenig Risiken abnimmt.“. 979 Es sei denn, man würde den Täter-Opfer-Ausgleich (§§ 46a Nr. 2, 56b II Nr. 1, 59a I Nr. 1 StGB) in seiner Bedeutung massiv ausbauen. Das Zivilrecht damit zum Annex des Strafverfahrens zu degradieren, wäre aber systemfremd und ist daher abzulehnen.
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Ausgleichs verpflichteten Rechts- und Wirtschaftsordnung nur schwer vereinbar wäre. Es ist angesichts dessen prima vista durchaus plausibel, wenn die ordoliberale Auffassung die die Korrelation von Herrschaft und Haftung beeinträchtigende GmbH als systemfremd und marktstörend interpretiert. Daraus abzuleiten, die institutionelle Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG und mit ihr die GmbH als Gesellschaftsform sei wirtschafts- wie rechtspolitisch illegitim, wäre jedoch voreilig. Denn auch wenn die privatrechtliche Haftung ein wichtiger Baustein im Gebäude der (sozialen) Marktwirtschaft ist, kann daraus nicht gefolgert werden, jede Haftungsbeschränkung sei eo ipso unzulässig. Vielmehr müssen die mit der Haftungsbeschränkung verbundenen negativen wie positiven Auswirkungen so weit wie möglich eruiert und sodann gegeneinander abgewogen werden. Im Folgenden sind daher die von Eucken und seinen Anhängern vorgebrachten Argumente auf ihre Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft hin zu untersuchen (siehe sub e]-g]). Zuvor ist allerdings auf zwei gegen die ordoliberale Anschauung vorgebrachten, nicht überzeugenden Einwände einzugehen (dazu c], d]). c) Bedeutungslosigkeit der Gesellschafterhaftung? So wurde der ordoliberalen Schule in der Literatur zum Teil entgegengehalten, sie überschätze die Bedeutung der Gesellschafterhaftung und verkenne damit, dass eine unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter angesichts des Geschäftsumfangs der GmbH regelmäßig keine Rolle spiele und mithin bedeutungslos sei.980 Das überzeugt schon deshalb nicht, weil die (unausgesprochene) Prämisse, beim (herrschenden) Gesellschafter sei regelmäßig „nichts zu holen“, nicht überzeugt – vor allem, wenn es sich um eine in eine Konzernstruktur eingebundene GmbH handelt.981 Überdies spricht gegen diese Auffassung ein Blick auf die Rechtstatsachen: So wiesen 1992 70 % der Gesellschaften mbH nur das gesetzliche Mindeststammkapital auf, und im Jahr 2006 erzielten 55 % von ihnen einen Jahresumsatz von weniger als € 500.000.982 Damit bewegt sich die Mehrzahl der Gesellschaften mbH in Regionen, in denen es a priori gerade nicht ausgeschlossen erscheint, dass die persönliche Haftung eines – oder gar mehrerer – Gesellschafter oftmals geeignet wäre, die Gesellschaftsverbindlichkeiten ganz oder zumindest in nicht völlig unerheblichem Umfang zu befriedigen. Lässt sich das schon für die „klassische“ GmbH beobachten, so ist zu vermuten, 980 So Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 36; Ballerstedt, ZHR 128 (1966), 119, 122; dazu tendierend auch Westermann, Vertragsfreiheit, S. 275. 981 Ebenso J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 957; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 24. 982 Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 11 f.; MüKo- GmbHG/Fleischer, Einleitung, Rn. 204.
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dass es für die UG angesichts deren – gegebenenfalls: wesentlich – geringeren Stammkapitals erst recht gilt. Und auch eine andere empirische Beobachtung widerlegt diese These. Sie kann nämlich nicht plausibel machen, wie es sich mit ihrer Grundannahme verträgt, dass in der gängigen Geschäftspraxis viele Gesellschaften mbH Kredite nur erhalten, wenn sich die Gesellschafter persönlich dafür verbürgen983 – offenkundig ist für viele Gläubiger die Chance, sich notfalls an die Gesellschafter persönlich halten zu können, eben doch eine wichtige Absicherung.984 d) Unbeherrschbarkeit des Unternehmerrisikos? Gegen die Korrespondenzthese wurde des Weiteren vereinzelt eingewendet, die von ihr vorausgesetzte, haftungslegitimierende Herrschaft des Unternehmers/der Gesellschafter sei eine bloße Fiktion, die in der Rechtswirklichkeit keine Entsprechung finde. Vielmehr seien Unternehmer im heutigen Wirtschaftsleben meist nicht in der Lage, „die sie umgebende Wirtschaftswirklichkeit […] gänzlich zu durchschauen und zu beurteilen“, geschweige denn, sie zu steuern.985 Auch dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen, überspannt er doch die Anforderungen an die Steuerbarkeit des Unternehmensrisikos als haftungsbegründendes und verhaltenssteuerndes Element.986 Ohne Zweifel können weder im modernen Wirtschaftsleben alle für den Unternehmenserfolg maßgeblichen Parameter autonom gesteuert werden, noch war dies zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe der Geschichte der Menschheit möglich. Aus der unbestreitbaren Tatsache, dass stets unternehmensinterne und -externe Faktoren existieren werden, die angesichts der „Mängel“ der menschlichen Natur nicht (vollständig) kontrolliert oder auch nur vorausgesehen werden können, kann nun aber nicht abgeleitet werden, der Haftung käme keine verhaltenssteuernde Funktion im Eucken’schen Sinne zu. Es ist nämlich nicht zu übersehen, dass trotz mannigfacher externer wie interner, sich der Unternehmensleitung entziehender Umstände dieser in aller Regel ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum verbleibt.987 Innerhalb dieser „Marge“ werden typischerweise auch gegebenenfalls drohende Haftungsrisiken berücksichtigt und somit zum Entscheidungskriterium erhoben. Damit ist der verhaltenssteuernden Funktion der Haftung Genüge getan. Kann der Korrespondenzthese also weder die Unbeherrschbarkeit des Unternehmerrisikos noch die Bedeutungslosigkeit der Gesellschafterhaftung ent983
Zu dieser Geschäftspraxis vgl. z.B. Pape, NJW 1997, 980, 984. So auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 24. 985 Limbach, Theorie, S. 119, 122; dies., GmbHR 1967, 71, 73 f. 986 Vgl. auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 24 f. 987 Ausführlich und mit empirischem Datenmaterial J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1078 ff., 1107. 984
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gegengehalten werden, so ist im Folgenden der Blick auf die drei Hauptfunktionen, die die ordoliberale Lehre der Haftung zuschreibt, zu richten und auf ihre Überzeugungskraft hin zu testen. Es sind dies (1) der Schutz gegen kapitalverschleudernde Geschäftsentscheidungen, (2) die Vorbeugung gegen Monopolisierungstendenzen sowie (3) die Sicherung der Bestenauswahl. e) Protektion gegen Kapitalverschleuderung/Sicherung vorsichtiger Kapitaldispositionen Soweit die Vertreter der Freiburger Schule sich darauf berufen, Haftung sei ein notwendiges Element einer funktionierenden Marktwirtschaft, weil sie übermäßig riskanten Kapitaldispositionen und Kapitalverschleuderungen vorbeuge sowie zu einer vorsichtigen Marktabtastung anhalte,988 ist dem zwar insoweit zuzustimmen, als – wie bereits dargelegt989 – der Haftung in der Tat eine verhaltenssteuernde Funktion zukommen kann. Nichtsdestotrotz lässt sich aus diesem Gesichtspunkt kein durchdringendes Argument gegen die institutionelle Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG ableiten. Von Bedeutung ist insoweit zunächst, dass die (Nicht-)Haftung der Gesellschafter nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Kontext der gesamten Haftungsstruktur der GmbH gesehen werden muss. Zu berücksichtigen ist hierbei neben der noch näher zu erläuternden Möglichkeit einer trotz § 13 II GmbHG ausnahmsweise doch bestehenden Haftung der Gesellschafter vor allem die Einstandspflicht der (auch: Gesellschafter-)Geschäftsführer990 gegenüber der GmbH nach § 43 I, II GmbHG. Diese dürfte in der Rechtspraxis oftmals einen weitreichenden Schutz gegen die von Eucken befürchteten kapitalverschleudernden, übermäßig riskanten Geschäftsentscheidungen bieten, indem sie unvertretbare, nicht mehr von der sogenannten „business judgement rule“ – nach der jeder Unternehmensleitung ein der gerichtlichen Nachprüfung entzogener Handlungsspielraum zukommt, innerhalb dessen geschäftliche Ermessensentscheidungen möglich sind991 – gedeckte Dispositionen mit einer Schadensersatzpflicht sanktioniert. 988 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280; siehe auch Ziemons, Haftung, S. 122; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 118; für die AG vgl. auch Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 105 ff. 989 Siehe § 2 D III 5 d). 990 § 13 II GmbHG hindert nicht, dass ein als Geschäftsführer tätig werdender Gesellschafter nach den für die Geschäftsführer geltenden Vorschriften haftet (vgl. z.B. Boujong, FS Odersky, S. 739, 745; Blaurock, FS Stimpel, S. 553, 562). 991 Dabei handelt es sich um einen vom BGH zuerst für AG-Vorstände anerkannten Grundsatz (BGH 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926, 1927 f.; jetzt kodifiziert in § 93 I 2 AktG), der mangels tragender Unterschiede für alle Unternehmensleitungen Geltung beansprucht (vgl. Lutter, ZIP 2007, 841; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 425; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 350 mit Fn. 66; für die Geschäftsführerhaftung nach § 43 I, II GmbHG vgl. z.B. BGH 4.11.2002 – II ZR 224/00, NJW 2003, 358, 359; 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361, 3362 f.; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43, Rn. 23 m.w.N.).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Zusätzlich zu der damit bewirkten „Zügelung“ der Geschäftsführer dürfte sich ferner ein unmittelbar bei den Gesellschaftern ansetzender „Disziplinierungseffekt“ typischerweise dadurch erreichen lassen, dass diesen der Verlust ihrer Einlage droht, wenn die Gesellschaft infolge von Fehlspekulationen „Pleite geht“.992 Das dürfte zwar zugegebenermaßen bei der faktisch kein gesetzliches Stammkapital erfordernden UG (§ 5a GmbHG)993 meist weniger relevant sein, bei der „klassischen“ GmbH aber dürfte diese Gefahr angesichts des dort nicht unerheblichen gesetzlichen Mindeststammkapitalerfordernisses doch gewisse Anreize dafür geben, nicht leichtfertig mit dem Gesellschaftsvermögen zu spekulieren.994 Last but not least spricht gegen die ordoliberale Lehre aber vor allem die Einseitigkeit ihrer Betrachtungsweise, werden doch allein die von ihr befürchteten negativen Effekte der Haftungsbeschränkung betont, deren positive Aspekte aber unberücksichtigt gelassen. So wird erstens ausgeblendet, dass ein Übermaß an („falschen“) Haftungsrisiken lähmende Wirkung zu entfalten vermag, die wiederum zu einer „Kapitalverschwendung durch Unterlassen“ führt. Das gilt nicht nur dort, wo es überhaupt darum geht, die Verfolgung einer Geschäftsidee per Gründung eines Unternehmens zu wagen,995 sondern auch während des laufenden Geschäftsbetriebs.996 Letzteres ist regelmäßig fatal, weil in kompetitiven Märkten mittel- und langfristig nur reüssieren kann, wer größere oder kleinere Risiken eingeht, regelmäßig neue Geschäftsmodelle entwickelt sowie seine Marketing- und Produktstrategien anpasst.997 Unterbleibt dies aus Angst, infolge einer falschen Entscheidung unbeschränkt persönlich zu haften, werden vorhandene Kapitalressourcen nicht optimal genutzt, was sich zwangsläufig volkswirtschaftlich nachteilig auswirkt. Zweitens erlaubt es die institutionelle Haftungsbeschränkung, per Zwischenschaltung von Gesellschaften mbH der Gefahr vorzubauen, dass sich das wirtschaftliche „Aus“ eines Konzernunternehmens zu einem Flächenbrand ausweitet, der den Gesamtkonzern in den Ruin treibt. Indem sie wie eine „Schotte in einem angeschlagenen Konzernschiff“ wirkt, kann mittels der GmbH ein noch größerer Kapitalverlust 992
Vgl. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14. Wegen § 5 II 1 GmbHG ist Untergrenze ein Euro, Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 10; MüKo-GmbHG/Rieder, § 5a, Rn. 8; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 5a, Rn. 7. 994 Westermann, Vertragsfreiheit, S. 274. 995 Siehe dazu sowie zu den Konsequenzen, wenn dies unterbleibt, oben § 2 D III 2 b) bb). 996 Das zeigt ein Vergleich mit der befreienden Schuldübernahme des Art. 34 S. 1 GG, als deren Nebenzweck es auch heute noch angesehen wird, eine Beeinträchtigung der Entschlussfreudigkeit des Amtsträgers zu vermeiden (vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 10 f.; MüKo-BGB/Papier, § 839, Rn. 121). 997 Die Bedeutung derartiger Innovationen („Kombinationen“) hob zuerst Schumpeter hervor (Theorie, S. 99 ff.); vgl. auch Arnold, „Lernen von Joseph Schumpeter“, Spiegel online, abzurufen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/oekonom-joseph-schumpeterund-der-prozess-der-schoepferischen-zerstoerung-a-823853.html. 993
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samt der damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf die Gläubiger der anderen Konzerngesellschaften und die gesamte Volkswirtschaft vermieden werden.998 f) Monopolisierungsgefahr Auch die ordoliberale These, das Instrument der Haftung vermeide volkswirtschaftlich nachteilige Machtkonzentrations- und Monopolisierungsprozesse, indem sie es einem herrschenden Unternehmen unmöglich mache, sich hinter dem Schutzschild mehrerer zwischengeschalteter Unternehmen zu verbergen,999 überzeugt letztlich nicht. Die GmbH als Gesellschaftsform existiert seit über 120 Jahren. Ob sich nachweisen ließe, dass es seit ihrer Einführung zu volkswirtschaftlich schädlichen Machtkonzentrationen kam und diese ohne Schaffung des GmbHG unterblieben wären, ist eine Frage, deren Klärung weder Aufgabe noch Anspruch einer rechtswissenschaftlichen Arbeit sein kann. Es darf im Übrigen auch mit einiger Berechtigung bezweifelt werden, dass die hierzu noch am ehesten berufenen Wirtschaftswissenschaften in der Lage wären, hierauf eine allgemeingültige Antwort zu finden, handelt es sich doch um einen hochspekulativen, einem strengen „Beweis“ nicht zugänglichen Bereich. Aus einer zwar möglicherweise plausiblen, aber nichtsdestotrotz „spekulativen“ These kann aber kein überzeugendes Argument gegen die grundsätzliche Legitimität der GmbH hergeleitet werden. Das gilt umso mehr, als – um noch kurz auf der „spekulativen“ Ebene zu verweilen – mit gleicher Plausibilität auch das genaue Gegenteil behauptet werden könnte, indem die Existenz der Rechtsform der GmbH zum notwendigen Nährboden dafür erklärt wird, dass neue Unternehmungen, die zu bestehenden in Konkurrenz treten und damit den Wettbewerb beleben, wachsen und gedeihen können.1000 Aber selbst wenn man diese Spekulationsebene verlassen, die Befürchtung von Eucken zur Gewissheit erheben und also konstatieren könnte, dass die Möglichkeit der Gründung von Gesellschaften mbH Monopolisierungsbestrebungen fördert, ließe sich daraus richtigerweise nicht die Illegitimität der GmbH-Rechtsform ableiten. Denn der „Kampf gegen die Kartellisierung“ ist 998 Lehmann, ZGR 1986, 345, 352 („Schadensbegrenzung durch Haftungssegmentierung“); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 727; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 27 f. 999 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280; Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 105. 1000 So zu Recht Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 727; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 28. – Vgl. auch Schumpeter, Prozeß, S. 120 ff., nach dem der Kapitalismus durch einen „Prozeß der ‚schöpferischen Zerstörung‘“ geprägt ist, indem neue Unternehmen mit neuen Produkten zum ursprünglichen Erfinder einer Geschäftsidee in Konkurrenz treten. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Verdrängung des von Sony entwickelten Walkmans durch Apple’s iPod (vgl. Arnold, „Lernen von Joseph Schumpeter“, Spiegel online, abzurufen unter http:// www.spiegel.de/wirtschaft/oekonom-joseph-schumpeter-und-der-prozess-der-schoepferi schen-zerstoerung-a-823853.html).
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richtigerweise nicht bereits auf der – gewissermaßen: vorgelagerten – Ebene des Gesellschaftsrechts, sondern erst auf derjenigen des Wettbewerbsrechts zu schlagen. Hinter dieser These steht eine bestimmte Vorstellung, wie sich Gesellschafts- und Wettbewerbsrecht zueinander verhalten: Ausgangspunkt hierfür ist die an sich banale Erkenntnis, dass beide Rechtsgebiete unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und verschiedenen Zielen dienen, die – für sich betrachtet – jeweils legitim sind. So ist Gesellschaftsrecht als Verbandsrecht Organisationsrecht, Wettbewerbsrecht hingegen Ordnungsrecht, das der Offenhaltung der Märkte sowie der Vermeidung des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht und der Manipulation von Wettbewerbsbedingungen dient.1001 Angesichts dieser divergierenden Zielsetzungen sind gelegentliche Zielkonflikte zwischen beiden Rechtsmaterien unvermeidbar.1002 Stets zugunsten des Wettbewerbsrechts aufzulösen wären diese nur, wenn dem Wettbewerbs- gegenüber dem Gesellschaftsrecht das Primat zukäme. Richtigerweise ist ein derartiger Vorrang des Wettbewerbsrechts aber abzulehnen, beide Rechtsgebiete sind vielmehr gleichrangig.1003 Das zeigt schon die Normenpyramide, bei der beide – als maßgeblich durch einfache Parlamentsgesetze geregelte Rechtsmaterien – auf gleicher Stufe stehen. Zudem lässt es sich auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht nicht überzeugend begründen, warum das Wettbewerbsrecht für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung stets bedeutsamer sein sollte als das Gesellschaftsrecht. Angesichts der Gleichrangigkeit beider Rechtsmaterien muss eine eventuelle Zielkollision zwischen Wettbewerbs- und Gesellschaftsrecht daher vom Gesetzgeber nicht a priori und apodiktisch unter Außerachtlassung der Art und Bedeutung der jeweiligen Interessen zugunsten des Wettbewerbsrechts gelöst werden. Vielmehr ist im Sinne praktischer Konkordanz ein Weg zu suchen, auf dem möglichst weitgehend die legitimen Anliegen beider Rechtsgebiete verwirklicht werden können. Damit wäre es unvereinbar, wenn sich das Gesellschaftsrecht in völligen Widerspruch zum Wettbewerbsrecht begäbe, so dass das den Privatrechtssubjekten mit der einen (= gesellschaftsrechtlichen) Hand Gegebene sogleich wieder durch die andere (= wettbewerbsrechtliche) Hand genommen werden müsste.1004 Denn durch ein derartiges Vorgehen, das insbesondere anzunehmen wäre, wenn im Gesellschaftsrecht Strukturen geschaffen würden, die entweder nur zum Zwecke der Monopolisierung und Machtkonzentration verwendet werden können („single use“) oder die die Erreichung wettbewerbsrechtlicher Ziele apodiktisch vereiteln würden, würde die Rechtsordnung in sich widersprüchlich. Für den Fall einer Interessenkollision sind deshalb auf der Ebene des Gesellschaftsrechts wett1001
Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 19 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 714. Vgl. generell dazu, dass sich Zielkonflikte einzelner Teilrechtsordnungen nicht immer vermeiden lassen, Felix, NZS 2002, 225, 229. 1003 Andere Ansicht wohl Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 120. 1004 Vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 730. 1002
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bewerbsrechtliche Anliegen zwar zu berücksichtigen; solange deren Verwirklichung durch das Gesellschaftsrecht nicht unmöglich gemacht wird, genügt es jedoch, ihnen nur insoweit Rechnung zu tragen, als dies mit den berechtigten Zielen des Gesellschaftsrechts vereinbar ist, so dass wettbewerbsrechtliche Problemstellungen dorthin verlagert werden, wo sie rechtssystematisch hingehören, nämlich ins Wettbewerbsrecht.1005 Auf den vorliegenden Kontext übertragen bedeutet dies, dass die GmbHRechtsform nur unzulässig wäre, wenn sich entweder ihr Zweck allein in einer wettbewerbsrechtlich missbilligten Monopolisierung erschöpfen würde oder aber sie zwar auch anderen Zielen dienen könnte, die Erreichung wettbewerbsrechtlicher Ziele dadurch aber stets und unweigerlich vereitelt würde. Beides kann nicht unterstellt werden: Die Annahme, Gesellschaften mbH könnten alleine der Monopolisierung dienen beziehungsweise würden nur zu diesem Zweck gegründet, lässt sich durch einen Blick auf das vorhandene Datenmaterial widerlegen, dominieren in der Rechtspraxis doch zahlenmäßig kleine, alles andere als eine Monopolstellung einnehmende Gesellschaften mbH.1006 Zudem wird man – auch angesichts dieses empirischen Befunds – nicht ernsthaft behaupten können, das Wettbewerbsrecht werde allein durch die grundsätzliche Zulassung von Gesellschaften mbH derart schwerwiegend beeinträchtigt, dass dessen Anliegen nicht mehr verwirklicht werden können. Die Problematik der Kartellisierung und Monopolisierung ist daher nicht bereits dergestalt auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene zu lösen, dass die GmbH-Rechtsform für illegitim erklärt wird, sondern es ist vielmehr Aufgabe des Wettbewerbsrechts, Vorkehrungen zu treffen, dass die an sich zulässige Rechtsform der GmbH nicht in einer Art und Weise missbraucht wird, dass wettbewerbsrechtliche Anliegen verletzt werden. Wie bei der Ablehnung des Missbrauchsarguments gilt also auch hier, dass aus der bloßen Gefahr eines „illegitimen“, weil auf eine Monopolisierung/Kartellisierung zielenden Einsatzes der GmbH nicht auf deren grundsätzliche Unzulässigkeit geschlossen werden kann. Die gegenteilige Sichtweise wäre schließlich auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar, weil mit der „Rasenmähermethode“ selbst solche GmbH-Gründungen unmöglich gemacht würden, die aus der Perspektive des Wettbewerbsrechts völlig unproblematisch oder sogar wünschenswert sind.1007 1005
In diese Richtung auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 726. Vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 11 f. 1007 Wie bereits erwähnt, ist es durchaus denkbar, dass die GmbH-Rechtsform oftmals erst den Nährboden dafür bereitet, auf dem neue Unternehmen wachsen können, die zu bestehenden in Konkurrenz treten und damit Monopolisierungseffekten gerade entgegenwirken (siehe oben § 2 D III 5 f]). – „Menschlich verständlich“ wird die hier abgelehnte ordoliberale Einstellung vor den zeitgeschichtlichen und historischen Erfahrungen ihrer Vertreter. Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, dass bis über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus eine Kartellkontrolle im heutigen Sinne nicht annährend erfolgte, ja lange Zeit sogar 1006
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g) Notwendiges Instrument zur „Bestenauslese“ Soweit sich Eucken darauf beruft, die Haftung ermögliche die „Auslese der Betriebe und leitenden Persönlichkeiten“1008, kann dem in tatsächlicher Hinsicht schwerlich widersprochen werden. Denn in der Tat erscheint eine unbeschränkt-persönliche Haftung der Gesellschafter geeignet, die „Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen“ zu sortieren, weil dann derjenige, der aufgrund von Unseriosität, Unerfahrenheit, Ungeschicklichkeit oder sonstiger Fehler mit einer Unternehmung „Schiffbruch“ erlitten hat, oftmals so übernicht einmal erwünscht war. So wurden Kartellen vor dem 1. Weltkrieg nicht nur keine schädlichen, sondern umgekehrt sogar positive volkswirtschaftliche Eigenschaften zugeschrieben, herrschte nach der Gründerkrise 1873 doch die – vom Reichsgericht gebilligte (RGZ 38, 155) – Auffassung vor, Kartelle könnten ein volkswirtschaftlich wünschenswertes Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herstellen (vgl. z.B. die Kartelldefinition bei Kleinwächter, Kartelle, S. 126 f.). Auch in der Weimarer Republik änderte sich daran jedenfalls in der Rechtspraxis so gut wie nichts. Zwar war in der Kartellverordnung vom 2.11.1923 insoweit der zarte Hauch eines ideologischen Wandels spürbar, als nunmehr anerkannt wurde, dass produzentenorientierte Kartelle Zeiten übersteigender Nachfrage missbrauchen können, um unangemessene Preise zu verlangen und die Folgen der (Hyper-)Inflation auf die Konsumenten abzuwälzen; jedoch blieb es dabei, dass Kartelle im Grundsatz insgesamt als volkswirtschaftlich positiv angesehen wurden (vgl. die Begründung der KartellVO, abgedruckt bei Brüggemeier, Entwicklung, Bd. 1, S. 343 f.; zur Wandlung von der angebots- zur nachfragebedingten Kartellbildung vor und nach dem 1. Weltkrieg vgl. Nörr, Leiden, S. 50). Zudem war das Instrument zur Eindämmung dieses Missbrauchs – die Nichtigerklärung des Kartells – in der Praxis ein zahnloser Tiger, weil erstens das hierfür beim Kartellgericht antragsberechtigte Reichswirtschaftsministerium tendenziell kartellfreundlich war (Nörr a.a.O., S. 51), und zweitens selbst dann, wenn dies anders gewesen wäre, erhebliche organisatorische wie juristische Schwierigkeiten in Gestalt mangelnder effizienter Kontrollinstrumente und nicht hinreichend konkreter Generalklauseln in der Kartellverordnung bestanden hätten (Schmoeckel, Rechtsgeschichte, Rn. 392). Erst mit der Kartellnotverordnung vom 26.7.1930 wurde der ideologische Umschwung vollzogen, indem Kartelle klar als volkswirtschaftlich schädlich identifiziert wurden und stattdessen dem Wettbewerbsprinzip der Vorzug gegeben wurde (Schmoeckel, a.a.O., Rn. 394 f.). Große Bedeutung war der Verordnung in der Folgezeit aber nicht beschieden, im Gegenteil: Die Frühphase des Dritten Reichs war das „Paradies der Kartellwirtschaft“ (Schmoeckel, a.a.O., Rn. 397), die Zahl der Kartelle schnellte – auch „Dank“ staatlicher Zwangskartellbildung aufgrund des Zwangskartellgesetzes vom 15.7.1933 – auf ca. 2.500. Erst nach 1942 nahm die Bedeutung der Kartelle spürbar ab, was aber nicht auf Liberalisierungsbestrebungen der nationalsozialistischen Machthaber, sondern vielmehr darauf zurückzuführen war, dass die Kriegsproduktion maßgeblich über das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition gesteuert wurde (Schmoeckel, a.a.O., Rn. 398 m.w.N.). Nach dem Ende des Dritten Reichs betrieben zwar die Amerikaner zum Teil eine Dekartellierungspolitik, eine Einigung mit den anderen Allierten wurde dabei aber nicht erzielt, so dass die Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland überlassen wurde, die mehrere Anläufe benötigte, um im Jahre 1958 mit dem GWB schließlich ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden (näher Nörr, Leiden, S. 159 ff.). Die historische Erfahrung einer praktisch nicht stattfindenden Kartellkontrolle mag erklären, warum die ordoliberalen Kritiker der GmbH zu jedem denkbaren Strohhalm griffen, um die von ihnen befürchteten und – zu Recht – als negativ bewerteten Monopolisierungsbestrebungen zu bekämpfen. 1008 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280.
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schuldet wäre, dass er in aller Regel zumindest für geraume Zeit daran gehindert wäre, erneut unternehmerisch tätig zu werden. Daran würde auch die 1999 geschaffene Möglichkeit der Schuldenbefreiung per Restschuldbefreiung nichts ändern, weil der gescheiterte Unternehmer selbst unter Zuhilfenahme dieses Instruments typischerweise für mindestens ein halbes Jahrzehnt vom Marktgeschehen faktisch ausgeschlossen wäre. Der ordoliberalen Annahme kann ferner auch nicht überzeugend entgegengehalten werden, dieser Auslesevorgang führe nicht notwendigerweise und stets zum gewünschten Ergebnis, weil sich einerseits besonders Skrupellose nicht davon würden abhalten lassen, nach einem Ruin sofort wieder auf verschlungenen Pfaden eine neue Unternehmung zu starten, und andererseits der Auslese auch solche Untenehmungen zum Opfer fiel n, denen es nicht an Geschick und Fähigkeit, dafür aber an Glück fehlte.1009 Denn die Legitimität der Rechtsform der GmbH kann nicht anhand einzelner „Ausreißer“ gemessen werden, anzulegen ist vielmehr ein generalisierender Betrachtungsmaßstab. Schließlich ist der ordoliberalen Kritik auch zuzugeben, dass sich eine vergleichbar effektive Auslese ohne unbeschränkt-persönliche Haftung nicht erreichen lassen dürfte. Zwar dürfte die „normale“, das heißt ohne einen Rekurs auf das Haftungsregime auskommende Marktauslese heute in vielen Bereichen angesichts der oftmals größeren Zahl an Anbietern und der durch das Internet eröffneten Möglichkeit, schnell nicht nur mehrere Anbieter miteinander zu vergleichen sowie Produkt- und Verkäuferbewertungen anderer Konsumenten einzusehen, sondern sich generell im Vorfeld über Vor- und Nachteile von Produkten und Unternehmen zu informieren, besser funktionieren als noch zu Lebzeiten Euckens. Es wäre jedoch ein Trugschluss, darin eine der unbeschränkt-persönlichen Haftung vergleichbar effektive „Auslese“ zu erblicken. So steht den genannten Vorzügen des Internets der Nachteil gegenüber, dass es dessen Anonymität (skrupellosen) Unternehmern zum Beispiel ermöglicht, durch die Manipulation von „Kunden“bewertungen oder die – jederzeit zulässige1010 – Änderung der Firma eine günstige Marktlage zu schaffen beziehungsweise zumindest einer ungünstigen zu entfliehen. Zudem ist – ganz unabhängig von den Vor- oder Nachteilen moderner Kommunikationswege – im vorliegenden Zusammenhang zu beachten, dass ohne Haftungsbeschränkung die Gefahr besteht, dass oft nur eine gewissermaßen „formelle“ Auslese erfolgt, indem die alte GmbH vom Markt genommen wird, das eigentliche marktwirtschaftliche Anliegen hingegen verfehlt wird, weil die durch die Haftungsbeschränkung geschützten Gesellschafter der gerade erst ruinierten gleich wieder eine neue Unternehmung gründen, mit anderen Worten: bei einer 1009 So aber Raiser, Gutachten für den 36. DJT, B 66; Ott, Typenzwang, S. 194; wie hier Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 25. 1010 Michalski, in: Michalski, GmbHG, § 4, Rn. 81; MüKo- GmbHG/Mayer, § 4, Rn. 135; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 4, Rn. 52.
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„materiellen“ Betrachtung die alten, eigentlich auszulesenden Kräfte also nach wie vor walten.1011 Auch wenn somit in der Tat zu befürchten ist, dass die Rechtsform der GmbH die „Marktauslese“ erschwert, wäre es unverhältnismäßig, daraus ihre Illegitimität abzuleiten. Denn erstens findet trotz der hohen Bedeutung, die dem Haftungsregime für die „Auslese“ zukommt, eine solche auch in einer marktwirtschaftlichen Landschaft, die eine institutionelle Haftungsbeschränkung erlaubt, statt, mag sie auch schwieriger sein und länger dauern. So werden professionelle Kreditgeber, die vor allem in der Anfangsphase einer Unternehmung oft unabdingbar sind, sich oftmals absichern, indem sie die „Vorgeschichte“ der hinter der (neuen) GmbH stehenden Gesellschafter nach Möglichkeit durchleuchten und gegebenenfalls eine Kreditgewährung verweigern; Gleiches gilt zumindest auch für solche Warenlieferanten oder Dienstleister, die über keine ganz schwache Marktstellung verfügen. Unabhängig davon ist eine „Bestenauslese“ zwar aus der Sicht des Marktes unzweifelhaft wünschenswert, die damit verbundenen Vorteile sind allerdings nicht gewichtig genug, um die Nachteile, die mit einer apodiktischen Versagung der GmbH-Rechtsform verbunden wären, zu kompensieren. Denn – wie dargelegt1012 – ist davon auszugehen, dass die GmbH ein wichtiges Instrument zur volkswirtschaftlich überragend wichtigen Förderung der Unternehmerinitiative ist. Dieses Ziel auf dem „Altar der Marktauslese“ zu opfern, wäre unverhältnismäßig. h) Abschließende Würdigung Auch wenn die Haftung für Geschäftsverbindlichkeiten unbestreitbar ein wichtiger Baustein für die Funktionsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung ist, lässt sich die wirtschaftspolitische Illegitimität der institutionellen Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG mit den Argumenten der Freiburger Schule schon nicht positiv belegen. Überdies sprechen gegen sie zwei weitere, im Folgenden zu erläuternden Gesichtspunkte. aa) Haftungsbeschränkung als Gegenstand des Leistungswettbewerbs So hat zunächst Grigoleit darauf hingewiesen, die ordoliberale Kritik verkenne, dass die Haftungsbeschränkung kein „wettbewerbsexternes Datum“, sondern vielmehr selbst Gegenstand des Wettbewerbs sei, der – wie etwa die Qualität einer Ware – die Bonität des Schuldners beeinflusse und einen Preisfaktor darstelle.1013 Als Wettbewerbsgegenstand könne die Haftungsbeschränkung damit im Wettbewerb ausgeglichen werden, weil ein (potentieller) Gläubiger nicht 1011 Das verkennen Raiser, Gutachten für den 36. DJT, B 65 und Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 126, die auf die Auslese der betreffenden Gesellschaft rekurrieren; wie hier Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 126. 1012 Siehe oben § 2 D III 2 b). 1013 Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 27.
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zum Vertragsschluss mit der GmbH verpflichtet sei und deshalb entweder von diesem absehen, sich eine Sicherheit einräumen oder das erhöhte Risiko „einpreisen“ könne. 1014 Dem ist für Fälle beizupflichten, in denen zwei annäherend gleichstarke Vertragspartner in einem offenen, durch den Wettbewerb mehrerer konkurrierender Anbieter gekennzeichneten Markt aufeinandertreffen (oder der potentielle Vertragspartner der GmbH ihr gegenüber sogar „am längeren Hebel“ sitzt). Die „Einpreisung“ einer verminderten Chance zur Forderungsrealisierung ist nämlich eine typische, in zahlreichen Bereichen anzutreffende, vernünftige und legitime Marktreaktion, die geeignet erscheint, für einen bestmöglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen. Bestes Beispiel hierfür ist die Kreditvergabe, deren (vor allem: Zins-)Konditionen stark davon abhängen, inwieweit eine verlässliche Darlehensrückzahlung zu erwarten ist.1015 Ob die geminderte Forderungsrealisierungsgewähr auf rein ökonomischen (zum Beispiel prekäre wirtschaftliche Lage des Schuldners), rein juristischen (beispielsweise unabdingbare Haftungsbeschränkungen oder gesetzliche Vertragslösungsrechte) oder einem Mix aus beiden Faktoren beruht, spielt für diese „Einpreisung“ keine Rolle.1016 Allerdings ist die „Tragweite“ dieser Argumentation begrenzt. So kann sie von vornherein nur für den Bereich der Vertragshaftung fruchtbar gemacht werden, für rein deliktische Sachverhalte passt sie hingegen mangels vorheriger Verhandlungssituationen nicht.1017 Aber selbst für die vertragliche Sphäre kann sie keine umfassende Geltung beanspruchen. Eine „Marktkorrektur“ ist nämlich nur denkbar, wo der Vertragspartner der GmbH im Vorfeld des Vertragsschlusses eine so starke Machtposition innehatte, dass er nicht nur de jure, sondern auch de facto in der Lage war, frei zwischen den genannten drei Optionen zu entscheiden.1018 Das wird oftmals schon aufgrund der „extern-objektiven“ Marktsituation nicht der Fall sein, zum Beispiel weil in einem bestimmten Geschäftsbereich ausschließlich haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaften tätig werden oder weil ein bestimmtes Produkt nur von einer jungen, die Patentrechte haltenden GmbH hergestellt wird. Selbst wo sich dies anders ver1014
Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 27. Staudinger/Freitag/Mülbert, § 488, Rn. 187. 1016 Ein weiteres Beispiel dafür, dass eine Haftungsbeschränkung zu einer „Einpreisung“ führen kann, findet sich im Arbeitsrecht, ist dort doch denkbar, dass der Arbeitgeber die möglichen Schäden, die ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit verursachen kann, und die nach den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung der Arbeitgeber zu tragen hat, präventiv dadurch zu kompensieren sucht, dass er dem Arbeitnehmer einen entsprechend geringeren Lohn zahlt, als er zahlen würde, wenn die richterrechtlichen Haftungsbeschränkungsgrundsätze nicht existieren würden (siehe § 2 F III 1 d] bb]). 1017 So auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 27; Kübler, FS Heinsius, S. 397, 407 f. 1018 Insoweit wohl zum Teil abweichend Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 27 mit Fn. 31; wie hier Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 127 f. 1015
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hält, können immer noch die „intern-subjektiven“ Machtverhältnisse der Vertragsparteien einer wirklich freien Wahlmöglichkeit des (prospektiven) Gesellschaftsgläubigers entgegenstehen.1019 Schließlich sind selbst dann, wenn der Vertragspartner so mächtig ist, dass er sich im Prinzip frei zwischen den drei genannten Alternativen entscheiden könnte, Situationen denkbar, in denen es faktisch aufgrund „sozialethischer“ Maßstäbe weder möglich ist, den Vertragsschluss abzulehnen, noch vorherige Sicherheiten zu verlangen. So dürfte es beispielsweise ein Heizungsmonteur, der an einem bitterkalten Wintertag von einer GmbH mit der schnellstmöglichen Reparatur der defekten Heizung beauftragt wird, angesichts der bibbernden Angestellten regelmäßig kaum „übers Herz bringen“, die Übernahme des Auftrags zu verweigern beziehungsweise von einer Einsichtnahme in die Geschäftsbücher oder einer Bürgschaft der Gesellschafter abhängig zu machen.1020 bb) Empirische Erfahrung Last but not least dürfte aber vor allem auch die empirische Erfahrung die Argumente der Freiburger Schule weitgehend entkräften. Wäre – erstens – die Rechtsform der GmbH wirklich in dem von den Ordoliberalen befürchteten Maße für die volkswirtschaftliche Entwicklung von Nachteil (Stichwort: Kapitalverschleuderung), ließe sich kaum erklären, warum sowohl das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP)1021 als auch die Produktivität1022 seit Jahrzehnten fast kontinuierlich steigen. Vor allem wird man dem schwerlich überzeugend entgegenhalten können, diese Anstiege seien trotz der Existenz von Gesellschaften mbH erfolgt. Denn das wäre schon angesichts der großen Zahl an Gesellschaften mbH (über eine Million im Jahre 2009)1023 und ihrer damit unweigerlich einhergehenden volkswirtschaftlichen Bedeutung nicht plausibel.1024 Im Übrigen steht zu erwarten, dass wenn sich die GmbH im Wettbewerb der Gesellschaftsformen tatsächlich als volkswirt1019 Kübler, FS Heinsius, S. 397, 408 f.; vgl. hierzu in anderem Kontext auch Limbach, GmbHR 1967, 71, 74. – Als Beispiel mag man auch an die Arbeitnehmer der GmbH denken, die in der Praxis regelmäßig keine Chance haben, eine Sicherheit für ihre Lohnansprüche zu erlangen (vgl. auch Koberg, Entstehung, S. 194 f.). 1020 Vgl. mit leicht abgewandeltem Beispiel (Klempner bei Wasserrohrbruch) und für Gleichstellung solcher Gläubiger mit Deliktsgläubigern Kübler, FS Heinsius, S. 397, 408 f.; ders., ZHR 159 (1995), 550, 561; siehe auch Lutter, AG 1998, 375, 376. 1021 Siehe vor allem die Abbildungen Nr. 1 und Nr. 3 unter http://de.wikipedia.org/wiki/ Bruttoinlandsprodukt. 1022 Vgl. die tabellarische Übersicht der Entwicklung zwischen 1950 und 2005 unter http://de.wikipedia.org/wiki/Produktivit%C3 %A4t. 1023 Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 9. 1024 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Mehrzahl der Gesellschaften mbH nur kleine Unternehmungen sind. Das ist zwar zutreffend, jedoch macht erstens sprichwörtlich „auch Kleinvieh Mist“, und zweitens weisen in absoluten Zahlen mehr Gesellschaften mbH als Aktiengesellschaften einen Umsatz von über 250 Millionen pro Jahr auf (Michalski, in: Michalski, GmbHG, Einleitung, Rn. 187; Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 11).
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schaftliche Wachstumsbremse erwiesen hätte, sie längst vom Markt „aussortiert“ worden wäre. Dafür spricht auch der Blick auf andere Länder, die eine der deutschen GmbH entsprechende Rechtsform kennen. Besonders naheliegend ist hier ein Vergleich zu Großbritannien. Obwohl das britische Gesellschaftsrecht mit der „limited“ schon seit Längerem eine Gesellschaftsform kennt, die das Prinzip von Herrschaft und Haftung sogar noch weitergehend durchbricht als die GmbH, indem sie der Haftungsbeschränkung der Gesellschafter kein gesetzlich vorgesehenes Mindeststammkapital gegenüberstellt, steigt das BIP Großbritanniens seit Jahrzehnten kontinuierlich.1025 Zweitens dürfte sich auch die Befürchtung, das GmbHG fördere Monopolisierungstendenzen, empirisch – wie bereits ausgeführt1026 – kaum belegen lassen. Sie ist auch wenig plausibel, weil die weit überwiegende Zahl der bis vor kurzem beziehungsweise heute noch bestehenden Monopole und Kartelle auf ganz anderen Ursachen beruhen dürfte, die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung also – wenn überhaupt – nur am Rand eine Rolle spielt. Das gilt insbesondere für den – großen – Bereich all derjenigen Monopole, die sich in der Hand von Staatsunternehmen oder von Unternehmen befanden, die vom Staat hierfür konzessioniert wurden; zu nennen sind pars pro toto neben dem immer noch bestehenden Branntweinmonopol das frühere Post- und Eisenbahnmonopol.1027 Soweit sich außerhalb dieses Bereichs quasi-monopolartige Stellungen wie zum Beispiel von Microsoft, Coca-Cola oder Lego oder „kartellanfällig“ erscheinende Strukturen wie beispielsweise bei den Tankstellenbetreibern beobachten lassen, erscheint es fernliegend, diese mit der Möglichkeit, sich in Form einer GmbH zu organisieren, zu begründen. Ausschlaggebend dafür, dass der Schumpeter’sche „Prozeß der ‚schöpferischen Zerstörung‘“ hier bislang nicht funktioniert hat, dürften vielmehr andere Faktoren sein (zum Beispiel die hohe, bisher noch von keinem Konkurrenten überbotene Beliebtheit des ursprünglichen Produkts [Lego, Coca-Cola] oder die Tatsache, dass ein Einstieg in den betreffenden Wirtschaftszweig angesichts der hierfür notwendigen exorbitanten, gegebenenfalls global zu tätigenden Investitionen mit zu hohen Risiken verbunden wären [Erdölförderung]). Die vorstehenden Ausführungen sind nicht so zu verstehen, dass Gesellschaften mbH durchgehend und ausnahmslos im volkswirtschaftlichen Interesse begrüßenswert wären. Es kann vielmehr überhaupt keinem Zweifel un1025 Daten unter http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_des_Vereinigten_K%C3 %B 6nigreichs. 1026 Siehe § 2 D III 5 f). 1027 Einen interessanten Hintergrund hatte auch das bis 1983 bestehende, ursprünglich dem Schweden Ivar Krueger eingeräumte Streichholzschachtel-Monopol, der dies im Gegenzug von der damaligen Reichsregierung für einen von ihm gewährten Kredit in Höhe von 500 Millionen Reichsmark erhielt (siehe v. Suntum, „Warum sind Monopole gefährlich?“, FAZ v. 7.2.2007, abzurufen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/erklaermir-die-welt-34–warum-sind-monopole-gefaehrlich-1410952.html).
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terliegen, dass die mit der GmbH-Rechtsform verbundenen Möglichkeiten in der Praxis zu Zwecken und mit Mitteln eingesetzt werden, die dem hehren Ziel einer (mittelbaren) Förderung volkswirtschaftlicher Interessen nicht nur nicht dienlich sind, sondern dieses – bewusst oder fahrlässig – zum eigensüchtigen Vorteil zu sabotieren suchen. Dennoch wäre es gerade auch unter volkswirtschaftlichen Aspekten nicht zu begrüßen, „nur“ um des Postulats des Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung willens die Rechtsform der GmbH abzuschaffen.1028 Denn erstens kann davon ausgegangen werden, dass in der Balance die GmbH weit mehr volkswirtschaftliche Vor- als Nachteile generiert.1029 Und zweitens ist vorrangig vor einer vollständigen Abschaffung zu versuchen, den skizzierten Nachteilen auf der „Mikroebene“ des GmbH-Gesellschaftsrechts zu begegnen, indem effektive gesetzliche oder zumindest richterrechtliche „Binnenschranken“ errichtet werden. i) Fazit Auch wenn dem Grundgedanken der ordoliberalen Kritik – Betonung eines wirkungskräftigen Haftungsregimes für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung – durchaus zuzustimmen ist, lässt sich aus ihr unter wirtschaftspolitischen Aspekten kein durchschlagendes Argument gegen die GmbH und ihre institutionelle Haftungsbeschränkung ableiten. Die von den Ordoliberalen insoweit angeführten Argumente überzeugen schon auf theoretischer Ebene nicht beziehungsweise sind jedenfalls nicht von solchem Gewicht, dass sie die zu erwartenden positiven Auswirkungen der GmbH auszustechen vermögen. Zudem spricht viel dafür, dass sich die Befürchtungen der Anhänger der Freiburger Schule in Bezug auf Monopolisierungsprozesse und Kapitalverschleuderungen nicht bewahrheitet haben; empirisch belegen lassen sie sich jedenfalls nicht. Im Übrigen ist diesen Befürchtungen richtigerweise erst auf der Ebene des Wettbewerbs- beziehungsweise bei derjenigen der „Binnenschranken“ des Gesellschaftshaftungsrechts, nicht aber bereits auf derjenigen der grundsätzlichen Zulassung der GmbH Rechnung zu tragen.
1028 Vgl. auch Limbach, Theorie, S. 119: Eine Abschaffung der GmbH werde deshalb keineswegs die „Wiedergeburt des autonomen und wagemutigen Unternehmens zur Folge“ haben, sondern würde „[…] eher […] zu einem weiteren Anwachsen der Zahl der in abhängiger Arbeit tätigen [führen]“. 1029 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 55; BeckOK- GmbHG/Ziemons/Jaeger, § 13, Rn. 54.
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6. Einwand 4: Korrespondenz von Herrschaft und Haftung als (bindendes) Rechtsprinzip? a) Meinungsstand und Gang der weiteren Untersuchung Vor allem in der älteren Literatur wurde der Gleichlauf von Herrschaft und Haftung teilweise zum tragenden Rechtsprinzip mit der Folge erhoben, dass Haftungsbeschränkungen „nur dort zulässig [sind], wo ein Kapitalgeber nicht oder nur begrenzt für die Geschäftsführung verantwortlich ist: etwa der Kleinaktionär oder der Kommanditist“1030. Dafür wird zum einen angeführt, es entspreche einem „Grundsatz des natürlichen Rechts“1031, dass derjenige, der den Vorteil aus einer wirtschaftlichen Unternehmung ziehen will, auch (potentielle) Schäden auf sich nehmen müsse,1032 zum anderen, eine Haftung der herrschenden Gesellschafter sei unter dem Aspekt der Gefahrveranlassung und -beherrschung geboten.1033 Schon die GmbH im Allgemeinen, vor allem aber die Einmann-GmbH und die GmbH & Co. KG werden daher als illegitim angesehen.1034 Die ganz herrschende Meinung in Wissenschaft und Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt. Mit im Einzelnen zum Teil abweichenden Begründungen leugnen ihre Anhänger entweder bereits die Existenz des Korrespondenzprinzips überhaupt oder aber sie erkennen dieses zwar dem Grunde nach an, leiten daraus aber nicht die Illegitimität der GmbH ab.1035 1030 Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 281; in favorem des Korrespondenzprinzips auch Müller-Erzbach, Private Recht, S. 114 ff.; ders., AcP 154 (1955), 299, 342 f.; ders., JZ 1956, 705, 708; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 119 f.; Haupt/Reinhardt, Gesellschaftsrecht, S. 79, 81; Staab, BB 1959, 435, 436; wohl auch Wüst, Gläubigerschutz, S. 10. – Das „Gleichgewicht von Macht und Verantwortlichkeit“ betont zwar auch Paulick (Eingetragene Genossenschaft, S. 76 ff.), er leitet daraus aber nur ab, dass sich Geschäftsführer-Kommanditisten, die entgegen der gesetzlichen Grundregel der §§ 164, 170 HGB an der Unternehmensleitung beteiligt sind, nicht auf ihre beschränkte Haftung berufen können, insoweit also den Komplementären gleichzustellen seien. Auf eine personalistisch ausgestaltete GmbH, bei der der Gesellschafter gleichzeitig als Geschäftsführer fungiere, will er dies hingegen explizit nicht übertragen. Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Konstellationen besteht seiner Auffassung nach darin, dass derjenige, der mit einer GmbH kontrahiere, sich über die Person der Gesellschafter und über die Kapitalverhältnisse hinreichend durch einen Blick in das Handelsregister unterrichten könne (S. 81 f.). 1031 Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 225. 1032 Wüst, Gläubigerschutz, S. 10; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 119. 1033 Müller-Erzbach, Private Recht, S. 114 f., 117 f.; vgl. auch Eucken-Erdsiek, Verständnis, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft I, S. 463; F. Böhm, Bedeutung, in: Staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, S. 100 f. 1034 Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 299, 327; ders., JZ 1956, 705, 708, nach dem sich der Gesellschafter einer Einmann-GmbH (automatisch) eines „Rechtsmißbrauchs schuldig“ mache, wenn er sich auf § 13 II GmbHG berufe, sei seine Machtlage doch „offenbar eine andere als die, welche dort das Gesetz voraussetzt“ (AcP 154 [1955], 299, 343). 1035 BGH 17.3.1966 – II ZR 282/63, NJW 1966, 1309, 1309. – Aus dem reichhaltigen Schrifttum seien exemplarisch genannt: Rasner, Atypische stille Gesellschaft, S. 130 ff.; Limbach, Theorie, S. 113 ff; Schmidt, Stellung, S. 111; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 19 ff.;
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b) Zwingende Vorgabe für den Gesetzgeber? Die weitreichendste Bedeutung käme dem Korrespondenzprinzip zu, wenn es als ein zwingendes, über der „bloßen“ Sphäre der Rechtsdogmatik und -politik schwebendes Dogma zu verstehen wäre, das selbst dem Gesetzgeber bindende Vorgaben zu machen geeignet ist. Denn dann wäre die einfach-gesetzliche Aufspaltung von Herrschaft und Haftung durch § 13 II GmbHG unabweislich illegitim. Ob die Befürworter des Korrespondenzprinzips eine derart weitreichende Wirkung im Sinn hatten, wird aus ihren Ausführungen nicht hinreichend deutlich. Sie wäre jedenfalls – unabhängig davon, wie man das Korrespondenzprinzip inhaltlich bewertet – schon aus staatstheoretischen Gründen nicht vertretbar. Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung einfachen Gesetzesrechts nämlich nur an einen begrenzten Kreis von Rechtsquellen gebunden. Es sind das unproblematisch die geschriebenen Normen des Grundgesetzes in ihrer jeweiligen Interpretation durch das BVerfG sowie europarechtliche Vorgaben (vergleiche Art. 20 III Hs. 1, 23 I 2 GG). Beide Rechtsquellen lassen sich vorliegend nicht fruchbar machen. Dass die durchgängige Korrespondenz von Herrschaft und Haftung keine notwendige, über das Rechts- oder Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG gar verfassungsrechtlich verortbare und damit justizierbare Grundbedingung jeder sozialen Marktwirtschaft ist, wurde bereits dargelegt.1036 Und auch aus sonstigen Grundgesetzbestimmungen respektive dem Europarecht lässt sich das Korrespondenzprinzip schwerlich als bindende Vorgabe für den Gesetzgeber ableiten. Insbesondere ginge es angesichts gegenläufig r, im Rahmen der praktischen Konkordanz zu würdigender anderer grundrechtlich geschützter Interessen zu weit, den Grundrechten potentieller Gläubiger/Geschädigter apodiktisch das Postulat eines Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung des Schuldners/Schädigers zu entnehmen. Eine zwingende Vorgabe für den Gesetzgeber ließe sich mithin nur begründen, wenn er nicht nur an Grundgesetz und Europarecht, sondern auch an ungeschriebenes überpositives Recht gebunden und das Korrespondenzprinzip Bestandteil dessen wäre. Staatstheoretisch ist bereits umstritten, ob der Gesetzgeber – insbesondere über den Begriff der „verfassungsmäßige[n] OrdWiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 37; Mertens, GmbHR 1967, 45, 47; Westermann, Vertragsfreiheit, S. 273 ff.; Ballerstedt, GmbHR, 1967, 66, 69 f.; Ott, Typenzwang, S. 183 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 126; Mertens, GmbHR 1967, 45, 47; Roth/ Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 17; Wiedemann, JZ 1969, 470, 471, nach dem zwar eine unbeschränkte Haftung „zu einem gewissen Grad“ uneingeschränkte Leitungsmacht oder zumindest die Möglichkeit eines jederzeitigen Eingriffs fordert, nicht aber umgekehrt uneingeschränkte Leitungsmacht zur unbeschränkten Haftung führen müsse; vermittelnd Erlinghagen, Organschaftsvertrag, S. 70, 81 ff., nach dem das Recht eine „Herrschaft ohne angemessene Haftung nicht dulden“ dürfe (Hervorhebung im Original, a.a.O., S. 82). 1036 Siehe oben § 2 D III 5.
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nung“ in Art. 20 III Hs. 1 GG – überhaupt an dieses gebunden ist.1037 Das kann hier offen bleiben, weil sich selbst bejahendenfalls eine Ableitung des Korrespondenzprinzips aus dem Naturrecht nicht vertreten ließe.1038 Bei der Deduktion konkreter Rechtsfolgen aus dem Naturrecht ist nämlich schon im Ansatzpunkt Zurückhaltung geboten, lässt sich der Inhalt naturrechtlicher Normen doch kaum präzise bestimmen.1039 Um eine vorschnelle Bindung des Gesetzgebers beziehungsweise richterliche Außerkraftsetzung des vom Gesetzgeber geschaffenen einfachen Gesetzesrechts samt der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Rechtssicherheit und -klarheit zu verhindern, kann das Naturrecht daher nur zum Tragen kommen, wo es um offensichtliche Verstöße gegen grundlegende Werte wie den allgemeinen Gleichheitssatz und elementare Freiheitsrechte geht.1040 Mit seiner Hilfe lassen sich also maximal die „Umrisse einer rechtlichen Urordnung“1041, ein äußerster Rahmen, abstecken, nicht aber Detailanweisungen für die Gestaltung einer staatlichen Normenordnung herleiten. Praktisch relevant wird das Naturrecht somit vor allem bei nicht vollständig durchnormierten Rechtsordnungen einerseits, der Rechtsstaatlichkeit offensichtlich nicht genügenden Rechtssystemen andererseits; in unserer fein ziselierten (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsordnung ist hingegen so gut wie kein Raum dafür.1042 Gemessen an diesen „Vorgaben“ kann das Korrespondenzprinzip nicht dem vorstaatlichen Naturrecht zugeordnet werden. Denn selbst wenn man es für die Funktionsfähigkeit einer sozialen Marktwirtschaft als unabdingbar einstufen und als wichtigen Baustein für eine gerechte (Haftungs-)Ordnung charakterisieren könnte, ließe es sich doch nicht ernsthaft als elementares, auf einer Stufe mit den grundlegenden Freiheitsrechten und dem allgemeinen Gleichheitssatz stehendes Gerechtigkeits1037 Bindung ohne nähere dogmatische Begründung bejaht von BVerfGE 1, 14, 18 (Ls 27); 3, 225, 230 f. (ob die Judikate E 29, 166, 176 und 34, 269, 286 f. insoweit zurückhaltender sind, wie das in der Literatur oftmals behauptet wird [z.B. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 59], erscheint zweifelhaft, da diese Frage jeweils nicht streitentscheidend war und das Gericht sich auch nicht klar einließ); für Bindung über Art. 20 III Hs. 1 GG: Hamann, in: Hamann/Lens, GG, Art. 20, Anm. 9a bb; Leisner, in: Sodan, GG, Art. 20, Rn. 38; für eine Bindung insoweit, als die Normen des GG als „Schleusenbegriffe“ offen seien für überpositive Gerechtigkeitsmaximen: Dreier/Schulze-Fielitz, GG, Art. 20, Rn. 76; gegen Herleitung aus Art. 20 III Hs. 1 GG (aber keine Aussage darüber, ob dennoch Bindung): Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 32; kritisch gegenüber einer Bindung: Antoni, in: Hömig, GG, Art. 20, Rn. 14; Forsthoff, DÖV 1959, 41: „Wechsel auf die Zukunft, von dem niemand weiß, wer ihn präsentiert“. 1038 Vgl. auch Schmidt, Stellung, S. 111, 118. 1039 Evers, JZ 1961, 241, 246; Staudinger/Merten, Art. 2 EGBGB, Rn. 109. 1040 Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1690; Evers, JZ 1961, 241, 246; Staudinger/Merten, Art. 2 EGBGB, Rn. 110; ablehnend gegenüber der mit einer Berufung auf das Naturrecht einhergehenden Vorrangstellung des Richters auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 265 f. 1041 Weinkauff, NJW 1960, 1689, 1690. 1042 Staudinger/Merten, Art. 2 EGBGB, Rn. 110.
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postulat einordnen, das so gewichtig ist, dass es alle anderen, mit ihm konfligierenden Individual- und Allgemeininteressen verdrängt. c) Prägendes Dogma des geltenden Rechts? Ist das Korrespondenzprinzip also kein übergeordnetes, den Gesetzgeber bindendes Prinzip, so ist nunmehr quasi eine Stufe tiefer auf der Ebene der Rechtsdogmatik und -politik anzusetzen und zu fragen, ob es sich wenigstens um ein grundlegendes Dogma des geltenden Rechts handelt. aa) Analyse des geltenden Rechts Will man hierbei nicht im „luftleeren Raum“ argumentieren, muss Ausgangspunkt jeder weiteren Untersuchung eine Analyse des geltenden Rechts dahingehend sein, ob und gegebenenfalls wie in ihm – außerhalb des GmbHG – die Korrespondenz von Herrschaft und Haftung verwirklicht ist. Bevor dies im Detail geschehen kann, sind zunächst die möglichen Konstellationen theoretisch zu umschreiben: Von einer Verwirklichung des Korrespondenzprinzips ist jedenfalls in solchen Konstellationen auszugehen, in denen Herrschaft zur (potentiellen) Haftungsverantwortlichkeit führt. Hingegen spräche es gegen die Universalität des Korrespondenzprinzips, wenn sich Fallgruppen identifizieren ließen, in denen der Herrschende nicht haftet. Über diese beiden, gewissermaßen jeweils „positiv“ für die jeweilige Argumentationslinie sprechenden Schritte hinaus, sind auch ihre jeweils „negativen“ Umkehrungen in die Analyse mit einzubeziehen.1043 Damit sind Fallgestaltungen gemeint, in denen entweder ein Gleichlauf von Herrschaft und Haftung hergestellt wird, indem die Abwesenheit von Herrschaft mit mangelnder Haftungsverantwortlichkeit einhergeht, oder in denen ein solcher Gleichklang nicht besteht, weil ein nicht-Herrschender haftet. Zusammengefasst sind also vier Konstellationen denkbar, von denen die erste und dritte Ausdruck des Korrespondenzprinzips sind („pro“), die zweite und vierte ihm dagegen zuwiderlaufen („contra“): – – – –
Fallgruppe 1: Herrschaft mit Haftung („pro-positiv“), Fallgruppe 2: Herrschaft, aber keine Haftung („contra-positiv“), Fallgruppe 3: keine Herrschaft, keine Haftung („pro-negativ“), sowie Fallgruppe 4: keine Herrschaft, aber dennoch Haftung („contra-negativ“).
(1) Beispiele für Fallgruppe 1 lassen sich zunächst im Gesellschaftsrecht mannigfach finden. Pars pro toto sei die gesetzliche Konzeption des Rechts der offenen Handelsgesellschaft genannt, bei der im Grundsatz jeder Gesellschafter alleingeschäftsführungsbefugt und vertretungsberechtigt ist (§§ 114 I, 115 I Hs. 1, 125 I HGB), dafür aber auch den Preis zahlt, den Gesellschaftsgläubigern unmittelbar und unbeschränkt mit seinem Privatvermögen zu haften, § 128 S. 1 1043
Vgl. auch Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 120.
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HGB. Außerhalb des Gesellschaftsrechts ist zum Beispiel auf die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zu verweisen, die maßgeblich damit zu begründen sind, dass der Arbeitnehmer fremdnützig und -bestimmt tätig wird, weil der Arbeitgeber, mittels Weisungsrechts und seiner Herrschaft über die Betriebsorganisation, die für das Haftungsrisiko maßgeblich beeinflussenden Parameter steuert und konsequenterweise nicht nur herrscht, sondern auch (ökonomisch betrachtet) haftet;1044 Gleiches gilt letztlich für § 105 SGB VII, wenn im Einzelfall eine Fremdbestimmung im Sinne einer Eingliederung samt Weisungsgebundenheit vorliegt.1045 Verwirklicht wird das Korrespondenzprinzip auch in den Konstellationen der Fallgruppe 3. Ein Beispiel für dieses Modell aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts ist die gesetzliche Ausgestaltung der Kommanditistenstellung: Einerseits haftet der Kommanditist maximal bis zur Höhe der im Handelsregister eingetragenen Haftsumme (vergleiche §§ 171 I, 167 III HGB1046), andererseits ist er nach §§ 164, 170 HGB von Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen.1047 Setzt man für „Herrschaft“ richtigerweise die Fähigkeit voraus, die mit einer Teilhabe am Geschäftsverkehr einhergehenden Gefahren zu erkennen, lässt sich außerhalb des rein gesellschaftsrechtsspezifischen Bereichs zum Beispiel § 105 BGB anführen, dient dieser doch dazu, diejenigen Personen vor rechtsgeschäftlichen Bindungen (und damit einer Haftungsverantwortung) zu bewahren, die diese Fähigkeit nicht besitzen.1048 Der gleiche Gedanke steht hinter den §§ 827, 828 BGB, die denjenigen von Haftung freistellen, der nicht einmal ein Mindestmaß an vernunftorientiertem Verhalten beobachten und somit mangels Steuerungsmöglichkeit das zur Rechtsgutsverletzung führende Verhalten nicht beherrschen kann.1049 Die §§ 105, 827, 828 BGB sind aber nicht nur als isolierter Ausdruck des Korrespondenzprinzips zu interpretieren, ihnen kommt vielmehr eine darüber hinausgehende, allgemeine Bedeutung zu. Indem sie dem Korrespondenzprinzip „negativ“ (ohne Herrschaft keine Haftung) und als Ausnahmere1044
Siehe ausführlich § 2 F III 1 a). Siehe oben § 2 E IV 6. 1046 Zur Auslegung des § 167 III HGB dahingehend, dass den Kommanditisten im Innenverhältnis keine Nachschusspflicht trifft, siehe BGH 13.12.1982 – II ZR 282/81, NJW 1983, 876, 877; MüKo-HGB/Grunewald, § 167, Rn. 16. 1047 Auf dieses Beispiel verweist auch Müller-Erzbach, JZ 1956, 705, 708. 1048 Vgl. Staudinger/Knothe, § 105, Rn. 1, Vorbemerkungen 20 zu §§ 104–115; BeckOKBGB/Wendtland, § 105, Rn. 1. 1049 Staudinger/Oechsler, § 827, Rn. 1, § 828, Rn. 1; BeckOK-BGB/Spindler, § 827, Rn. 1; vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 827, Rn. 1: „Personen […] die […] zur Kontrolle des eigenen Verhaltens konstitutionell gar nicht in der Lage sind“ sowie BeckOK-BGB/Spindler, § 829, Rn. 1: „da der [unter §§ 827, 828 BGB fallende] Schädiger über keine Steuerungsmöglichkeit verfügt“ (Hervorhebungen hier). – Verfehlt hingegen insoweit Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 37, der das Schuldprinzip des Deliktsrechts als Beispiel anführt, das gegen die Geltung des Korrespondenzprinzips spreche. 1045
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gelungen Ausdruck verleihen, erlauben sie zugleich den Schluss darauf, was das BGB offensichtlich als den – wenn auch nirgends positiv normierten – gesetzlichen Normalfall ansieht, nämlich die Haftung desjenigen, der herrscht (Fallgruppe 1), weil er entweder sich freiwillig auf einen Vertragsschluss einließ oder zumindest fahrlässig (§ 276 BGB) – und damit innerhalb des von ihm Beherrschbaren – einen anderen schädigte. Das Korrespondenzprinzip steht also nicht nur für zahlreiche Einzelregelungskomplexe Pate, sondern es ist tragender Grundpfeiler, auf dem die gesamte Zivilrechtsordnung aufgebaut ist. Die Behauptung, es sei im geltenden Recht nicht verankert und mithin bloße „Legende“,1050 ist daher falsch. (2) Eine Analyse des geltenden Rechts zeigt aber auch, dass das Korrespondenzprinzip keine universelle Geltung beanspruchen kann, lassen sich doch Beispiele identifizieren, bei denen schon außerhalb des GmbH-Rechts kein Gleichlauf von Herrschaft und Haftung besteht. So ist der Verweis auf die §§ 827, 828 BGB insoweit ein zweischneidiges Schwert, als § 829 BGB unter (engen) Voraussetzungen einen nicht „herrschenden“ Schädiger zum teilweisen oder vollständigen Schadensersatz verpflichtet und damit zum Zwecke der Verteilungsgerechtigkeit1051 die Korrespondenz von Herrschaft und Haftung „negativ“ durchbricht (Fallgruppe 4).1052 Auch auf dem Gebiet des (Personen-)Gesellschaftsrechts finden sich Beispiele für die 4. Fallgruppe. Zwar greift dort, wie ausgeführt, die gesetzliche Konzeption das Korrespondenzprinzip auf, eine Durchbrechung desselben per vertraglicher Abrede der Gesellschafter bleibt aber zulässig, was nicht möglich wäre, wenn dem Korrespondenzprinzip universelle Geltung zukäme. So erlaubt das HGB in seinen §§ 114 II, 125 I Hs. 2 explizit, (einzelne) Gesellschafter von Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft auszuschließen, ohne dass dies an ihrer persönlichen Haftung nach § 128 HGB etwas ändern würde.1053 Gleiches gilt für die GbR, bei der der Ausschluss eines Gesell1050 So Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 36 f.; nicht überzeugend daher auch Limbach, Theorie, S. 113 ff., nach der es sich beim Korrespondenzprinzip gar nicht um ein Prinzip oder ein Axiom, sondern um ein zum Prinzip erhobenes Werturteil handele. 1051 BGH 10.4.1962 – VI ZR 63/61, NJW 1962, 1199, 1200 („Prinzip des Schadensausgleiches nach den Erfordernissen der Billigkeit“); Flachsbarth, Billigkeitshaftung, S. 59 ff.; Soergel/Spickhoff, § 829, Rn. 1; BeckOK-BGB/Spindler, § 829, Rn. 1; MüKo-BGB/Wagner, § 829, Rn. 2; Staudinger/Oechsler, § 827, Rn. 2 (Verkehrs-/Sozialschutz). 1052 Gegen die Berufung auf § 829 BGB kann insbesondere nicht eingewandt werden, es handle sich um eine von einem modernen, geschichtsvergessen und systemverkennenden Gesetzgeber geschaffene und daher nicht aussagekräftige Bestimmung. Denn § 829 BGB stand nicht nur von Anfang an im BGB, sondern hat auch eine lange historische Tradition, finden sich Vorläufer doch im altrömischen Zwölftafelrecht und der lex Aquilia ebenso wie im Codex Maximilianeus Bavaricus civilis und dem Allgemeinen Preußischen Landrecht (ausführlich Flachsbarth, Billigkeitshaftung, S. 5 ff.). 1053 So implizit auch BGH 17.3.1966 – II ZR 282/63, NJW 1966, 1309, 1310.
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schafters von der Geschäftsführung (vergleiche § 710 S. 1 BGB) und damit regelmäßig auch der Vertretungsmacht (§ 714 BGB) ebenfalls seine – wie auch immer dogmatisch zu begründende1054 – Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern unberührt lässt. Ferner existieren Fälle, in denen ein „Herrschender“ frei von Haftungsverantwortung ist (Fallgruppe 2). Anführen lässt sich insoweit zum Beispiel das Spruchrichterprivileg des § 839 II 1 BGB: Zwar sind die Parteien des Zivilprozesses aufgrund des Dispositionsgrundsatzes die „Herrn des Verfahrens“1055, dennoch ist es unbestreitbar der Richter, der über den Inhalt des Urteilsspruchs entscheidet. Selbst wenn ihm bei der Urteilsfindung ein Fehler unterläuft, der bei einer Partei einen Schaden verursacht, haftet er – vorbehaltlich einer Straftat wegen vorsätzlicher Richterbestechung oder Rechtsbeugung nach §§ 331 II, 332 II, 339 StGB – trotz dieser „Herrschaft“ nicht. Auch § 839 II 1 BGB durchbricht also im Interesse eines gegenläufig n Prinzips1056 die Korrespondenz von Herrschaft und Haftung.1057 Keine umfassende Verwirklichung hat das Korrespondenzprinzip schließlich dort erfahren, wo Gefährdungshaftungstatbestände durch eine Haftungshöchstsumme begrenzt werden.1058 Sieht man im Betrieb einer Anlage, der Herstellung eines Arzneimittels et cetera eine zur Haftungslegitimation ausrei1054 Zu unterscheiden sind insoweit im Wesentlichen die individualistische Lehre, nach der mangels Rechtssubjektivität der GbR ohnehin nur die Gesellschafter haften können (vertreten von z.B. Zöllner, FS Kraft, S. 701, 702 ff.), die Doppelverpflichtungslehre, der zufolge die Gesellschafterhaftung aus einer zeitgleich mit der Vertretung der Gesellschaft erfolgenden Vertretung der Gesellschafter folgt (früher h.M., vgl. z.B. BGH 10.2.1992 – II ZR 54/91, NJW 1992, 1615, 1617), sowie die heute herrschende Akzessorietätstheorie, nach der nur die Gesellschaft vertreten wird, die Gesellschafter aber analog § 128 HGB für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften (so nunmehr BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056, 1061; aus der Literatur z.B. MüKo-BGB/Ulmer/Schäfer, § 714, Rn. 33; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1791; BeckOK-BGB/Schöne, § 714, Rn. 16 m.w.N.). 1055 Vgl. MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 290 ff. 1056 Im Einzelnen ist umstritten, ob das Spruchrichterprivileg dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit und/oder dem der materiellen Rechtskraft dient (näher MüKo-BGB/ Papier, § 839, Rn. 322 f.; Soergel/Vinke, § 839, Rn. 208; Staudinger/Wöstmann, § 839, Rn. 313 f. jeweils m.w.N.). 1057 Weitergehend Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 37, der das gesamte, durch die befreiende Schuldübernahme des Art. 34 S. 1 GG (zur Einordnung von Art. 34 S. 1 GG vgl. MüKo-BGB/Papier, § 839, Rn. 121) gekennzeichnete Amtshaftungsrecht als Beispiel für die Durchbrechung des Korrespondenzprinzips sieht. Das ist insofern zweifelhaft, als in Fällen der Haftungsüberleitung nach Art. 34 S. 1 GG die Anstellungs-/Anvertrauenskörperschaft (zur haftenden Körperschaft vgl. Papier, a.a.O., Rn. 360 ff.) und damit in der Regel diejenige juristische Person in Anspruch genommen werden kann, die oftmals als Arbeitgeber oder zumindest Kraft der ihr im Innenverhältnis zum Amtsträger zustehenden Machtbefugnisse vergleichbar einem Arbeitgeber maßgeblichen Einfluss auf das Geschehen ausüben und damit wie bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung als die „Herrscherin“ im Sinne des Korrespondenzprinzips angesehen werden kann. 1058 Ausführlich dazu oben § 2 A.
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chende Herrschaftsposition, müsste dies konsequenterweise nämlich vollumfänglich und nicht nur bis zu einem bestimmten Maximalbetrag gelten, endet bei dessen Ausschöpfung doch nicht urplötzlich die Herrschaft des Betreibers oder Inhabers. Der Gesetzgeber hat mittels Haftungshöchstsummen aber bewusst zum Schutz anderer, von ihm vorrangig eingestufter Interessen1059, den Gleichlauf von Herrschaft und Haftung eingeschränkt. bb) Quintessenz Die obige Analyse erlaubt mehrere Schlussfolgerungen: Erstens ist das deutsche Recht grundlegend durch den Gleichlauf von Herrschaft und Haftung geprägt, und zwar sowohl „positiv“ (wer herrscht, haftet) wie „negativ“ (ohne Herrschaft keine Haftung). Es hat sich zweitens aber auch gezeigt, dass das Korrespondenzprinzip keine universelle, unbedingte Geltung beanspruchen kann, lassen sich doch sowohl Beispiele dafür finden, dass der „Herrschende“ nicht haftet, wie dafür, dass ein nicht-Herrschender haftet. Begründen lässt sich dies drittens jeweils damit, dass das Korrespondenzprinzip zwar ein Grundpfeiler unser Zivilrechtsordnung ist, das „Gebäude des Rechts“ aber natürlich auch von anderen, gegenläufig n Prinzipien getragen wird, die vom Gesetzgeber im konkreten Fall als wichtiger eingestuft werden können (zum Beispiel Schutz der richterlichen Unabhängigkeit und/oder der materiellen Rechtskraft durch § 839 II BGB1060; Schutz der Vertragsfreiheit der Gesellschafter bei §§ 114 II, 125 I Hs. 2 HGB; Sicherung der Verteilungsgerechtigkeit durch § 829 BGB1061).1062 Daraus folgt viertens, dass das Korrespondenzprinzip der Ausgangspunkt ist, dessen Durchbrechung oder Einschränkung dem Schutz eines anderen, in concreto vorgehenden Interesses bedarf, um rechtsdogmatisch überzeugend zu sein. cc) Anwendung auf die GmbH Angesichts der §§ 13 II, 46 Nr. 5, 6 GmbHG durchbricht die GmbH den Gleichlauf von Herrschaft und Haftung. Das ist aber legitim, weil sich drei gegenläufi e Prinzipien/Interessen identifizieren lassen, die dies rechtfertigen:
1059 Wie oben dargelegt, soll mittels der Haftungshöchstsumme ein „gerechter“ Ausgleich für die strikte Haftung geschaffen sowie Prävention dagegen geleistet werden, dass die zwar gefährlichen, aber typischerweise mittelbar im Allgemeinwohlinteresse liegenden Tätigkeiten aus Angst vor einer nicht versicherbaren, exorbitanten Haftung unterbleiben (siehe § 2 A III 1). 1060 Zum Streit um die rechtsdogmatische und -politische Legitimation des § 839 II BGB siehe Fn. 1056. 1061 Siehe Nachweise oben Fn. 1051. 1062 Ebenso Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 20. – Allgemein dazu, dass Rechtsprinzipien miteinander kollidieren und erforderlichenfalls gegeneinander abgewogen werden müssen, vgl. z.B. Kramer, Methodenlehre, S. 228; Canaris, Systemdenken, S. 52 ff.
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(1) Partiell: Gläubigereigenverantwortung Als erstes derartiges Prinzip ist im Ausgangspunkt die Eigenverantwortung der Gesellschaftsgläubiger zu nennen.1063 Wer weiß beziehungsweise wissen konnte1064, dass er sich mit einer GmbH einlässt, musste sich im Grundsatz der Gefahr, Befriedigung für seine Forderungen nur aus deren endlichem Vermögen zu erlangen, nicht aber auf die Privatvermögen der Gesellschafter zugreifen zu können, bewusst sein. Sich später darauf zu berufen, es sollten auch die Gesellschafter haften, wäre angesichts dessen treuwidrig. Jedoch vermag diese Überlegung allein die Durchbrechung des Korrespondenzprinzips nicht zu tragen. Denn sie passt von vornherein nicht auf Deliktsgläubiger, und selbst im vertraglichen Bereich ist ihre Strahlkraft – wie bereits dargelegt – eine bloß partielle.1065 (2) Rechtssicherheit und -klarheit Dagegen, aus dem Korrespondenzprinzip die Illegitimität der GmbH abzuleiten, spricht, dass dies – gerade im Bereich des Gesellschaftsrechts – zu einer höchst „unheilvollen Rechtsunsicherheit“1066 führen würde, ist es doch äußerst problematisch, den „Tatbestand der Beherrschbarkeit eindeutig zu umschreiben“1067. Wollte man mit dem Argument des notwendigen Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung aber die GmbH generell für unzulässig erklären, müsste man konsequenterweise das gesamte Haftungsregime des Gesellschaftsrechts „durchforsten“. So müsste zum Beispiel geprüft werden, ob nicht von einer haftungslegitimierenden Herrschaft eines Kommanditisten auszugehen ist, wenn dessen Kapitalanteil bei einer Entscheidung über ein außergewöhnliches Geschäft das „Zünglein an der Waage“ ist.1068 Oder: Bei Ausschluss eines Gesellschafters einer OHG von der Vertretung der Gesellschaft (§ 125 I Hs. 2 HGB) wäre jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob er noch als im Sinne des Korrespondenzprinzips „herrschend“ angesehen werden kann, oder ob er nicht derart machtlos erscheint, dass eine unbeschränkt-persönliche Haftung nicht mehr zu rechtfertigen ist. Besonders problematisch wären Fallgestaltungen, in denen der betreffende Gesellschafter trotz des formellen Ausschlusses von Geschäftsführung und Vertretung faktisch über erheblichen Einfluss verfügt, zum Beispiel weil er der Hauptfinanzier ist, signifikant mehr Geschäftserfahrung hat oder aufgrund persönlicher Umstände die dominierende Gestalt ist – nach welchen 1063
Ebenso Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 20 f. Zur Vermeidung einer anderenfalls potentiell eintretenden Rechtsscheinhaftung (dazu Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35, Rn. 32 m.w.N.) müssen die Vertreter der GmbH im Geschäftsverkehr stets darauf hinweisen, dass es sich um eine GmbH handelt. 1065 Siehe hierzu schon oben § 2 D III 5 h) aa); siehe auch noch unten § 2 D VI 2. 1066 So schon BGH 17.3.1966 – II ZR 282/63, NJW 1966, 1309, 1310; kritisch gegenüber dem Korrespondenzprinzip unter dem Aspekt der Rechtssicherheit auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 21, 28. 1067 Zutreffend Raiser, Gutachten für den 36. DJT, B 66. 1068 Vgl. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 276. 1064
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objektiven, nachvollziehbaren Kriterien wäre hier zu entscheiden? Diese Beispiele zeigen, dass der „Herrschafts-“Begriff nicht hinreichend randscharf ist, und lassen damit das Maß an Rechtsunsicherheit erahnen, das mit einer derartigen Einzelanalyse notwendigerweise verbunden wäre. Sie zu vermeiden liegt nicht nur im Interesse der unmittelbar Betroffenen, sondern auch der Allgemeinheit. (3) Volkswirtschaftliche Interessen Unabhängig von den zwei genannten Aspekten ist, wie bereits ausführlich erörtert, davon auszugehen, dass in der Balance die GmbH weit mehr volkswirtschaftliche Vor- als Nachteile generiert. Indem sie Unternehmerinitiative und Invesititionsbereitschaft steigert, dient sie mittelbar dem Allgemeinwohl, weil auf diese Weise typischerweise Arbeitsplätze geschaffen, Innovationen befördert sowie Steuereinnahmen generiert werden. Damit dient sie legitimen Anliegen, die als gegenläufige Interessen eine Beschränkung des Korrespondenzprinzips zu tragen vermögen.1069 dd) Zwischenergebnis Auch wenn es zutrifft, dass der Gleichlauf von Herrschaft und Haftung ein grundlegendes zivilrechtliches Prinzip ist, lässt sich seine Durchbrechung mit gegenläufig n Prinzipien rechtfertigen. Neben der partiell fruchtbar zu machenden Gläubigereigenverantwortung und dem Interesse an Rechtssicherheit und -klarheit, ist insoweit vor allem das volkswirtschaftliche Anliegen an einer Förderung des Unternehmergeists mittels Haftungsbeschränkungsmöglichkeit zu nennen. 7. Fazit Die mit der Konzentration der Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten auf die GmbH durch § 13 II GmbHG bewirkte Haftungsprivilegierung der Gesellschafter ist im Grundsatz rechtspolitisch und -dogmatisch legitim, weil sie im volkswirtschaftlichen – und damit Allgemeinwohl- – Interesse durch das „Versprechen“ einer Verschonung des Privatvermögens die Unternehmerinitiative und Investitionsbereitschaft samt der damit verbundenen Vorteile zu stärken verspricht. Gerade vor dem Hintergrund der Insolvenzanfälligkeit der GmbH1070 gilt das aber nur, wenn – was im Folgenden zu untersuchen ist – bei der gesetzlichen beziehungsweise richterrechtlichen Ausgestaltung dieser Haftungsbeschränkung im Besonderen sowie des GmbH-Rechts im Allgemeinen den berechtigten Belangen der Gesellschaftsgläubiger ausreichend Rechnung 1069
Ebenso Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287 f.; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 21. Vgl. dazu näher J. Meyer, GmbHR 2004, 1417, 1418 ff.; Michalski, in: Michalski, GmbHG, Einleitung, Rn. 198 ff.; MüKo-GmbHG/Fleischer, Einleitung, Rn. 207 ff.; Fastrich, DStR 2006, 656. 1070
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getragen wird und Vorkehrungen getroffen werden, um eine missbräuchliche, den vom Gesetzgeber mit der Schaffung der GmbH verfolgten Zielen zuwiderlaufende Inanspruchnahme der GmbH zu verhindern.1071 Sollte dies nicht in ausreichendem Maße gewährleistet sein, erwiese man nicht nur den Gläubigern, sondern langfristig auch der Rechtsfi ur der GmbH selbst einen „Bärendienst“, weil nicht nur deren rechtspolitische Legitimation, sondern auch ihr Ansehen im Wirtschaftsverkehr verspielt würde.1072
IV. Gläubigerschützende Instrumentarien Hängt die Legitimität der Haftungsbeschränkung also entscheidend davon ab, inwieweit die Gesellschaftsgläubiger durch die Binnenausgestaltung des Gesellschaftsrechts geschützt werden, sind im Folgenden zunächst isoliert die einzelnen gläubigerschützenden Instrumentarien darzustellen. Dabei beschränken sich die Ausführungen in der Regel auf eine mehr oder weniger kurze Darstellung der geltenden Rechtslage. Erst später (siehe VI.) sind diese Instrumente im Rahmen einer Gesamtwürdigung daraufhin zu bewerten, ob sie in ihrer Gesamtheit ein hinreichendes Maß an Gläubigerschutz zu bewirken in der Lage sind. 1. Schutz durch Information (Publizitätspflichten) Die Kenntnis über die für eine Geschäftsentscheidung relevanten Umstände sind Basis jeglichen geschäftlichen Erfolgs, mit anderen Worten: Information ist die Grundvoraussetzung für funktionierende Märkte.1073 Je mehr ein (potentieller) Gläubiger einer GmbH über diese in Erfahrung bringen kann, umso eher versetzt ihn dies in die Lage, eine wohlfundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob überhaupt und wenn ja, zu welchen Konditionen er mit der GmbH kontrahiert. Die im Folgenden zu erläuternden, in verschiedene Säulen einteilbaren Publizitätspflichten sind daher ein erstes Instrument zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger. a) Personenbezogene Informationen Offenzulegen ist zunächst, wer Gesellschafter der GmbH ist. Zwar werden die Gesellschafter nicht im Handelsregister eingetragen, weil dies im abschließenden1074 Katalog des § 10 GmbHG nicht vorgesehen ist. Jedoch ist gemäß § 8 I Nr. 3 GmbHG im Rahmen der Anmeldung eine Liste mit den persönlichen Da1071 Vgl. auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 990; Roth/Altmeppen, GmbHG, Einleitung, Rn. 22; vgl. auch Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 99. 1072 Zutreffend Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 991; vgl. auch Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 99. 1073 Grundmann, DStR 2004, 232. 1074 Allg. Meinung, vgl. z.B. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 10, Rn. 4; Ulmer/ Ulmer, GmbHG, § 10, Rn. 3.
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ten der Gesellschafter samt ihrer Nennbeträge und Geschäftsanteile beizufügen, die im Falle einer Veränderung im Gesellschafterbestand zu korrigieren ist (§ 40 I 1 GmbHG). Ziel dieser, als Teil der Registerakte nach § 9 I HGB frei einsehbaren1075, Gesellschafterliste ist es, die Anteilsstrukturen transparenter zu machen, indem die Identifikation der Gesellschafter erleichtert wird.1076 Was die Personen der Geschäftsführer und ihre Vertretungsbefugnisse anbelangt, so sind diese (bei Gründung) sowie eventuelle spätere Änderungen im Handelsregister einzutragen (§§ 10 I, 39 I GmbHG). Damit soll die für den Rechtsverkehr äußerst bedeutsame Klarheit über die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft sichergestellt werden.1077 Über die Registerpublizität hinaus sind die Geschäftsführer auf allen Geschäftsbriefen anzugeben, § 35a I 1 GmbHG. b) Höhe der Stammkapitalziffer Im Handelsregister einzutragen ist ferner die ursprüngliche Höhe des Stammkapitals (§ 10 I 1 GmbHG) sowie – als Unterfall einer Abänderung des Gesellschaftsvertrags – dessen eventuelle Erhöhung (§§ 57, 54 GmbHG) oder Herabsetzung (§ 58 GmbHG1078). Die damit erreichte Publizität dient der Rechtssicherheit und schützt die Klarheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs, indem es jedem an der Gesellschaft Interessierten ermöglicht wird, die Stammkapitalziffer mit überschaubarem Aufwand zu ermitteln.1079 Geschäftsbriefe müssen entsprechende Hinweise hingegen grundsätzlich nicht enthalten; werden auf dem Geschäftsbrief jedoch Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so muss auch das Stammkapital sowie der Gesamtbetrag der ausstehenden Geldeinlagen1080 angegeben werden, § 35a I 2 GmbHG.
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Terlau, in: Michalski, GmbHG, § 40, Rn. 2. Koppensteiner/Gruber, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 40, Rn. 2; Terlau, in: Michalski, GmbHG, § 40, Rn. 1; Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 40 GmbHG, Rn. 1; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 579; vgl. auch Gustavus, FS Quack, S. 229, 231 f. sowie BT-Drucks. 16/6140, S. 37 (zu dem mit § 40 GmbHG in engem Zusammenhang stehenden § 16 GmbHG). 1077 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 39, Rn. 1; Scholz/Schneider, GmbHG, § 39, Rn. 1; Ulmer/Paefgen, GmbHG, § 39, Rn. 1. – Erfolgt die Eintragung/Bekanntmachung nicht, werden gutgläubige Dritte über § 15 I HGB geschützt. 1078 Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Kapitalerhöhung, vgl. Inhester, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 58, Rn. 21; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 58, Rn. 23. 1079 Scholz/Priester/Veil, GmbHG, § 54, Rn. 1; Inhester, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 54, Rn. 1; Hoffmann, in: Michalski, GmbHG, § 54, Rn. 2; Schnorbus, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 54, Rn. 1; MüKo-GmbHG/Schaub, § 10, Rn. 4; vgl. auch BGH 16.2.1987 – II ZB 12/86, NJW 1987, 3191. 1080 Ob noch zu erbringende Sacheinlagen zu nennen sind, ist angesichts des alleine auf Geldeinlagen rekurrierenden Wortlauts umstritten (dafür z.B. Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35a, Rn. 3; dagegen Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 35a GmbHG, Rn. 14). 1076
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c) Hinweis auf die Rechtsform Um (potentiellen) Vertragspartnern die Beschränkung der Haftung auf das – gegebenenfalls sehr geringe – Gesellschaftsvermögen deutlich zu machen und sie mithin zu schützen,1081 enthält das GmbHG ferner Regelungen, die Vorgaben für das Auftreten der GmbH im Geschäftsverkehr betreffen und sie zum Ausweis ihrer Rechtsform verpflichten. So muss die Firma einer GmbH beziehungsweise einer UG einen eindeutigen, die Rechtsform anzeigenden Zusatz enthalten (§§ 4, 5a I GmbHG).1082 Geschieht dies nicht, ist eine Rechtsscheinhaftung des für die Gesellschaft auftretenden Vertreters analog § 179 BGB denkbar, wenn Dritte aufgrund der dadurch geweckten falschen Vorstellungen geschäftliche Dispositionen tätigen.1083 Darüber hinausgehend ordnet § 35a I 1 GmbHG1084 an, dass auf allen Geschäftsbriefen unter anderem die Rechtsform anzugeben ist. Das dient dazu, (mögliche) Geschäftspartner vor Irreführung zu schützen, indem Angaben über die wesentlichen Verhältnisse der Gesellschaft geliefert und die Erlangung weiterer Informationen erleichtert wird.1085 Wird § 35a I 1 GmbHG nicht beachtet, kommt neben der Festsetzung eines Zwangsgelds (§ 79 I GmbHG) auch eine Schadensersatzhaftung der Gesellschaft, der Gesellschafter und der Geschäftsführer in Betracht.1086 1081
Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 71; BGH 12.6.2012 – II ZR 256/11, NZG 2012, 989, 990. Gerade bei der UG verfährt der BGH hier streng und fordert, dass die gesetzliche Vorgabe des § 5a I GmbHG „exakt und buchstabentreu einzuhalten“ ist (BGH 12.6.2012 – II ZR 256/11, NZG 2012, 989, 990). 1083 BGH 3.2.1975 – II ZR 128/73, NJW 1975, 1166, 1167; 8.7.1996 – II ZR 258/95, NJW 1996, 2645; 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529, 1530. – Das gilt nach einhelliger Meinung auch bei völliger Weglassung jeglichen Rechtsformzusatzes bei der UG (vgl. statt aller BGH 12.6.2012 – II ZR 256/11, NZG 2012, 989, 990; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 9; MüKo- GmbHG/Mayer, § 4, Rn. 151; Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a GmbHG, Rn. 15). Umstritten ist das Eingreifen der Rechtsscheinhaftung allerdings, wenn sich eine UG als GmbH geriert. Während eine Mindermeinung hier eine Haftung ablehnt (Römermann, NJW 2010, 905, 907; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 780; Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082), wird sie von der h.M. in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Stammkapital der UG und dem Mindeststammkapital einer GmbH bejaht, so dass z.B. ein Zusatz „GmbH u.G.“ zur Haftung führt (Miras, NZG 2012, 486, 489 f.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 5a, Rn. 10 f.; Wicke/Wicke, GmbHG, § 5a, Rn. 6; Schäfer, a.a.O.; MüKo- GmbHG/Mayer, a.a.O.; MüKo- GmbHG/Riederer, § 5a, Rn. 16; Pfisterer, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 5a, Rn. 8; zustimmend, allerdings offen lassend, ob die Haftung auf die genannte Differenz zu beschränken ist: BGH 12.6.2012 – II ZR 256/11, NZG 2012, 989, 990). 1084 Während des Liquidationsverfahrens ergänzt durch § 71 V GmbHG. 1085 LG Detmold 20.10.1989 – 9 O 402/89, NJW-RR 1990, 995; LG Heidelberg 31.5.1996 – 8 O 2/96, NJW-RR 1997, 355; BeckOK-GmbHG/Schindler, § 35a, Rn. 3; Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35a, Rn. 1. 1086 Näher Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35a, Rn. 25; Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35a, Rn. 13; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35a, Rn. 8; Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 35a GmbHG, Rn. 23; BeckOK- GmbHG/Schindler, § 35a, Rn. 36. 1082
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d) Publikation der Rechnungslegung Zu verweisen ist ferner auf die § 42a GmbHG, §§ 325 ff. HGB, wonach die aus Jahresabschluss und Lagebericht (§§ 242 ff., 264 ff. HGB) bestehende Rechnungslegung offengelegt werden muss, wobei das Gesetz hinsichtlich der Details nach der Größe des Unternehmens und der Art seiner Kapitalbeschaffung differenziert (vergleiche §§ 326, 327, 327a HGB).1087 Mit diesen Publizitätspflichten, die als „Preis für die Haftungsbeschränkung“1088 begriffen werden, sollen außenstehende Dritte eine leicht zugängliche Informationsquelle erhalten, um sich über den Gang der Geschäfte und den Stand der GmbH informieren zu können.1089 Das dient zum einen dem Gläubigerschutz, indem die Gläubiger in die Lage versetzt werden, die aufgrund der Haftungsbeschränkung drohenden Risiken abzuschätzen,1090 zum anderen der Selbstkontrolle der Gesellschaft und der Förderung einer seriösen Unternehmensführung – was wiederum mittelbar dem Gläubigerschutz zugute kommt.1091 Die Verletzung der Offenlegungspflicht kann eine Ordnungswidrigkeit nach § 334 I Nr. 5 HGB darstellen, die ein Ordnungsgeld gegen die (stellvertretenden) Geschäftsführer als Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs der GmbH1092 nach sich zieht (§ 335 I Nr. 1 HGB).1093 Daneben dürfte eine deliktische Schadensersatzhaftung in Betracht kommen.1094
1087 Diese Offenlegungspflicht ist auch bei kleinen und kleinsten Kapitalgesellschaften nach h.M. verfassungskonform, vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 325, Rn. 2 m.w.N. auch zur Gegenauffassung. – Die Prüfungs- und Offenlegungspflichten gelten auch für die Liquidationseröffnungsbilanz des § 71 I GmbHG (KG 6.5.2003 – 1 W 121/03, NJW-RR 2004, 67; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 71, Rn. 33). 1088 BT-Drucks. 14/2353, S. 26; OLG Frankfurt 17.3.1993 – 23 U 63/92, BB 1993, 1842, 1843; MüHdb-GesR/Hüttche, § 56, Rn. 145; MüKo-HGB/Fehrenbacher, § 325, Rn. 6; Hommelhoff, FS Müller, S. 449, 450 („allgemeines Prinzip des europäischen Gesellschaftsrechts“ m.w.N.). 1089 MüHdb-GesR/Hüttche, § 56, Rn. 1; A. Förster, System, S. 296 f. 1090 OLG Frankfurt 17.3.1993 – 23 U 63/92, BB 1993, 1842, 1843; BayObLG 24.11.1994 – 3Z BR 180/94, NJW-RR 1995, 798. 1091 MüKo-HGB/Fehrenbacher, § 325, Rn. 7. 1092 Vgl. MüKo-BilanzR/Waßmer, § 331 HGB, Rn. 9. 1093 Details bei Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 42a, Rn. 37 ff. – Anders als nach alter Rechtslage, unter der unter anderem wegen verfahrenstechnischer Hürden bei der Zwangsgeldfestsetzung nur ein kleiner Teil der Unternehmen der Offenlegungspflicht genügten (Vetter, ZGR 2005, 788, 798: „lasche Durchsetzung“; siehe auch Hommelhoff, FS Müller, S. 449, 453 f.), kommen seit der Einführung des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11.2006 (BGBl. I S. 2553) und der damit verbundenen Abschaffung des Antragserfordernisses ca. 80 % der Pflicht nach (MüHdb-GesR/Hüttche, § 56, Rn. 150). 1094 Vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 325, Rn. 14; MüKo-HGB/Fehrenbacher, § 325, Rn. 124; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 42a, Rn. 46.
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e) Auflösung der Gesellschaft Schließlich ist nach § 65 GmbHG die Auflösung der GmbH zur Eintragung im Handelsregister anzumelden. Damit soll der Rechtsverkehr auf die Ablösung des ursprünglichen Gesellschaftszwecks durch den Abwicklungszweck aufmerksam gemacht werden und die Gläubigerbefriedigung vorbereitet werden.1095 Wird diese Pflicht verletzt, ist nach § 79 I 1 Hs. 2 GmbHG, § 14 HGB ein Zwangsgeld festzusetzen. 2. Selbstschutzmöglichkeiten Neben den bereits genannten beziehungsweise noch zu erörternden gesetzlichen respektive richterrechtlichen Schutzmechanismen, können sich (potentielle) Gläubiger durch eine Reihe von Maßnahmen unter Umständen auch selbst vor den mit der Haftungskonzentration auf das Gesellschaftsvermögen einhergehenden Gefahren schützen. An vorderster Stelle ist hierbei die Freiheit zu nennen, von einem möglichen Vertragsschluss abzusehen: Wer fürchtet, dass die Erfüllung seiner vertraglichen Ansprüche durch die GmbH gefährdet wäre, kann im Rahmen seiner verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit (Art. 2 I GG, § 311 I BGB) von der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit der GmbH absehen. Will man nicht so weit gehen, bieten sich als mildere Mittel ein Leistungsaustausch Zug um Zug oder die Bestellung von Personalsicherheiten wie Bürgschaften oder Schuldbeitritte der Gesellschafter1096 einerseits, Realsicherheiten in Gestalt von zum Beispiel Grundpfandrechten, Sicherungsübereignungen oder Eigentumsvorbehalten andererseits, an. Der Risikovorbeugung kann es auch dienlich sein, sich Mitspracherechte in den Gesellschaftsangelegenheiten vorzubehalten, beispielsweise über weitere Kredite. Hingegen bietet der im Wirtschaftsleben vor allem bei der Darlehensgewährung häufig anzutreffende Risikoaufschlag in Form zum Beispiel eines erhöhten Zinssatzes1097 oder Kaufpreises keinen Schutz vor dem Risiko eines konkreten Forderungsausfalls,1098 sondern stellt eine bloße Marktreaktion auf dieses in Kauf genommene Risiko dar. All diese Mechanismen stehen in engem Zusammenhang mit den Publizitätsvorschriften, weil es oftmals erst die dadurch erlangten Informationen dem Gläubiger ermöglichen, entsprechende Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen.
1095 MüKo- GmbHG/Limpert, § 65, Rn. 1; Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 65 GmbHG, Rn. 1. 1096 Vgl. zur Problematik der Vereinbarung von Personalsicherheiten durch GmbH-Gesellschafter auch unten § 3 C III 6 b). 1097 Vgl. dazu Staudinger/Freitag/Mülbert, § 488, Rn. 187. 1098 A.A. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2236; J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 960 (Risikoaufschlag als Risikoumverteilungsinstrument).
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3. Schutz durch das gesetzliche Mindeststammkapital Vor allem bei der „klassischen“ GmbH sind die gesetzlichen Vorgaben über das Stammkapital ein weiterer Pfeil im Köcher gläubigerschützender Instrumente. Zu unterscheiden ist insoweit zum einen zwischen der ursprünglichen Kapitalaufbringung und der späteren Kapitalerhaltung, zum anderen zwischen „klassischer“ GmbH und UG. a) Kapitalaufbringung Zunächst müssen die Gesellschafter ein gewisses Mindestkapital aufbringen, um überhaupt eine Eintragung der GmbH im Handelsregister und damit deren Entstehung als juristische Person (§ 11 I GmbHG) herbeiführen zu können. Dabei legt das Gesetz den Gesellschaftern keine Deckungsverpflichtung dergestalt auf, dass sie für den Fall einer Inanspruchnahme der Gesellschaft durch einen Gläubiger zur Deckung verpflichtet sind. Vielmehr ist das geltende Recht durch das Prinzip der realen Kapitalaufbringung geprägt.1099 Die Gesellschafter müssen daher vor der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung im Handelsregister in bestimmtem Umfang Bar- und Sacheinlagen erbringen: Jeder von ihnen hat mindestens ¼ seiner Bareinlageschuld zu leisten, wodurch insgesamt mindestens die Hälfte des vereinbarten Mindeststammkapitals, dessen Höhe die Gesellschafter in der von § 5 I GmbHG gezogenen Grenze (€ 25.000 Mindestbetrag)1100 im Grundsatz frei bestimmen können, aufgebracht werden muss (§ 7 II GmbHG). Sacheinlagen sind bereits in diesem Stadium vollständig aufzubringen, § 7 III GmbHG. Um eine effektive Kapitalaufbringung zu gewährleisten, sind dabei sowohl Bar- wie Sacheinlagen der Gesellschaft endgültig zur freien Verfügung zu überlassen (vergleiche § 8 II GmbHG),1101 das heißt dauerhaft aus dem Vermögen des Gesellschafters auszusondern und in das Sondervermögen der zu gründenden Gesellschaft effektiv zu überführen.1102 Werden Sacheinlagen überbewertet, hat der jeweilige Gesellschafter zur Sicherung der realen Kapitalaufbringung für die Differenz zwischen wahrem und angegebenem Wert einzustehen, § 9 GmbHG.1103 Die Einhaltung dieser Vorgaben wird sichergestellt, indem das Registergericht sie zu überprüfen und im Falle ihrer Verletzung die Eintragung abzulehnen hat, § 9c I GmbHG. Hatte das Gericht 1099
Schärtl, Doppelfunktion, S. 27 m.w.N. Spezialgesetzliche Vorgaben für das Mindeststammkapital bestimmter Unternehmen enthalten die § 33 I 1 Nr. 1 KWG, § 11 I 1 Nr. 1 InvG, §§ 53c, 114 VAG, (siehe auch dazu unten § 2 D IV 9 c] bb]). 1101 Vgl. statt aller Scholz/Veil, GmbHG, § 7, Rn. 34; Tebben, in: Michalski, GmbHG, § 7, Rn. 47 m.w.N. 1102 OLG Oldenburg 26.7.2007 – 1 U 8/07, NZG 2008, 32, 33; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 7, Rn. 24. 1103 Zum Zweck des § 9 GmbHG vgl. z.B. Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 9 GmbHG, Rn. 1. 1100
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nichts zu beanstanden und wurde die Gesellschaft deshalb nach § 10 GmbHG ins Handelsregister eingetragen, so sichern die §§ 19 ff. GmbHG die Erfüllung der (eventuell noch ausstehenden) restlichen Einlagenforderungen, wobei vor allem die Möglichkeit einer Kaduzierung (§§ 21 ff. GmbHG) und die Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter (§ 24 GmbHG) zu erwähnen sind. Zu den Kapitalaufbringungsvorschriften zählt ferner § 33 I GmbHG, der der Gesellschaft den Erwerb eines eigenen Geschäftsanteils untersagt, wenn die auf diesen entfallende Einlage noch nicht vollständig geleistet wurde. Im Interesse des Gläubigerschutzes soll die tatsächliche Aufbringung des Stammkapitals nicht dadurch vereitelt werden können, dass der Anspruch auf die Einlagenleistung mittels Konfusion (Gesellschaft zugleich als Gläubigerin wie Schuldnerin der Einlageverpflichtung) erlischt;1104 bei einem Verstoß sind sowohl das Verpflichtungs- wie das Verfügungsgeschäft über den Geschäftsanteil nichtig („kann“).1105 Die Regeln über die Kapitalaufbringung gelten schließlich im Wesentlichen auch bei einer Kapitalerhöhung nach §§ 55 ff. GmbHG.1106 Trotz dieser einfachgesetzlichen Mechanismen besteht die Gefahr, dass durch Maßnahmen zur Vorbereitung der Geschäftstätigkeit oder deren Aufnahme noch in der Gründungsphase der Gesellschaft Verbindlichkeiten begründet und/oder Vermögenswerte weggegeben werden, so dass die ursprünglich aufgebrachten Bar- und Sacheinlagen im Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister (§ 11 I GmbHG) tatsächlich nicht mehr vorhanden sind. Das wäre mit dem allgemein anerkannten Unversehrtheitsgrundsatz, nach dem bei Eintragung der GmbH das Stammkapital im Gläubigerinteresse vollständig vorhanden sein muss, nicht vereinbar.1107 Zur Vermeidung dessen setzte der BGH im Gefolge des Reichsgerichts ursprünglich bei den das Stammkapital mindernden Verbindlichkeiten dergestalt an, dass diese nur unter engen Voraussetzungen auf die spätere GmbH übergehen sollten (sogenanntes Vorbelastungsverbot).1108 Insbesondere, weil es einen Widerspruch darstellt, zwar die Aktiva, nicht aber die Passiva von der Vor-GmbH auf die GmbH überge1104 Joost, ZHR 148 (1984), 27, 41; Scholz/Westermann, GmbHG, § 33, Rn. 2; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 33, Rn. 2; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 33, Rn. 1. 1105 Allg. Meinung, vgl. z.B. Sosnitza, in: Michalski, GmbHG, § 33, Rn. 16; MüKoGmbHG/Löwisch, § 33, Rn. 36 m.w.N. (hinsichtlich eines schon gezahlten Kaufpreises greifen die §§ 812 ff. BGB, Sosnitza, a.a.O., Rn. 17). 1106 Vgl. z.B. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55, Rn. 39; Zöllner/Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 55, Rn. 48; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 264 f. 1107 Vgl. hierzu z.B. BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1374 f.; Scholz/Schmidt, GmbHR, § 11, Rn. 134; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 11, Rn. 32; Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 11, Rn. 98; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 11, Rn. 14. 1108 RGZ 58, 55, 56; 83, 370, 373; 151, 86, 91; BGH 9.2.1970 – II ZR 137/69, NJW 1970, 806, 807; 15.12.1975 – II ZR 95/73, NJW 1976, 419, 420.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
hen zu lassen, gab der BGH das Vorbelastungsverbot 1981 aber auf.1109 Da die neu geschaffene GmbH mit den Verbindlichkeiten der Vor-GmbH belastet ist, musste ein anderer Mechanismus zum Schutz der Stammkapitalaufbringung gefunden werden. Die allgemeine Meinung erblickt diesen heute in einer die Gesellschafter treffenden Vorbelastungshaftung (auch Differenz- oder Unterbilanzhaftung genannt), deren – hier nicht näher interessierende – Details zwar umstritten sind, hinsichtlich deren grundlegender Ausgestaltung als anteilige Innenhaftung gegenüber der GmbH auf die Differenz zwischen dem Stammkapital (vermindert um den Gründungsaufwand)1110 und dem Wert des Gesellschaftsvermögens bei Eintragung, die gegebenenfalls eine Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG mit einschließt, aber Einigkeit besteht.1111 b) Kapitalerhaltung Um das aufgebrachte Kapital vor Vermögensverschiebungen zugunsten der Gesellschafter zu schützen, enthält das GmbHG eine Reihe von Kapitalerhaltungsvorschriften.1112 Gemeinsam ist ihnen, dass sie alleine den „Gesellschaftsbinnenrisiken“, die aus den Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen resultieren, vorbeugen, nicht aber vor einer Aufzehrung des Stammkapitals aufgrund wirtschaftlicher Verluste der Gesellschaft schützen sollen.1113 Das Stammkapital ist mithin kein „eingefrorenes“, in einem Bankschließfach zu verwahrendes Kapital, sondern kann in den allgemeinen 1109
So grundlegend BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1374. BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1376. 1111 BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1374; Bayer, in: Bayer/Hommelhoff, GmbHG, § 11, Rn. 32; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 11, Rn. 28; Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 11 GmbHG, Rn. 45; BeckOKGmbHG/Jaeger, § 11, Rn. 46; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 880 ff.; i.E. zustimmend, aber kritisch gegenüber der Anlehnung an § 9 GmbHG: Scholz/Schmidt, GmbHG, § 11, Rn. 139. – Stark umstritten ist hingegen die im Stadium vor Eintragung der GmbH bestehende Verlustdeckungshaftung. Während Rechtsprechung und h.L. eine Innenhaftung annehmen (so BGH 27.1.1997 – II ZR 123/94, NJW 1997, 1507, 1508 f.; BAG 10.7.1996 – 10 AZR 908/94, NJW 1996, 3165; BSG 8.12.1999 – B 12 KR 10–98 R, DStR 2000, 741, 742; Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 11, Rn. 82; Müko- GmbHG/Merkt, § 11, Rn. 79; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 11, Rn. 29), wird in der Literatur zum Teil für eine unbeschränkte Außenhaftung der Vor-Gesellschafter gegenüber den Gläubigern der Vor-Gesellschaft (z.B. Altmeppen, NJW 1997, 1509, 1509 f.; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 11, Rn. 97 f.) oder eine Kombination aus beiden (Roth/Altmeppen, GmbHG, § 11, Rn. 55) plädiert. Darauf ist im vorliegenden Zusammenhang nicht näher einzugehen, weil vor Entstehung der GmbH die hier im Mittelpunkt stehende Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG noch nicht eingreift. 1112 Vgl. zum „funktionellen Zusammenhang“ von Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 4; Schärtl, Doppelfunktion, S. 38. 1113 Barta, GmbHR 2005, 657, 658 f.; Heidinger, in: Michalski, GmbHG, § 30, Rn. 7; Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 30, Rn. 6; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 1, 4; Greitemann, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 30, Rn. 2. 1110
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Geld- und Wirtschaftskreislauf der GmbH eingespeist und zum Beispiel zur Anschaffung von Betriebsmitteln verwendet werden.1114 Herzstück der Kapitalerhaltungsvorschriften sind die §§ 30, 31 GmbHG.1115 Nach § 30 GmbHG ist eine Auszahlung an die Gesellschafter untersagt, soweit das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen1116 betroffen ist, die Auszahlung also zu einer Unterbilanz führen beziehungsweise eine bereits bestehende Unterbilanz weiter vertiefen würde. Damit soll in erster Linie zum Schutz der Gläubiger eine Zweckentfremdung des aufgebrachten Stammkapitals verhindert werden.1117 Eine § 30 GmbHG verletzende Leistung ist nach § 31 I GmbHG an die Gesellschaft zurückzuerstatten, wobei die übrigen Gesellschafter gegebenenfalls eine Ausfallhaftung trifft, § 31 III GmbHG.1118 Die §§ 30, 31 GmbHG werden zudem durch eine Reihe von Vorschriften flankiert. So darf die GmbH eigene Geschäftsanteile – auf die die Einlage bereits vollständig bezahlt wurde, sonst § 33 I GmbHG – nur erwerben, wenn die Gesellschaft die Gegenleistung aufbringen kann, ohne das zur Deckung des Stammkapitals erforderliche Vermögen anzutasten, § 33 II GmbHG;1119 liegt diese Voraussetzung nicht vor, erwirbt die GmbH zwar den Anteil, das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft ist aber unwirksam (§ 33 II 3 Hs. 2 GmbHG), so dass – wenn nicht der vorrangige § 31 GmbHG eingreift – nach §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln ist.1120 Zu nennen ist ferner § 34 III GmbHG, der zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger anordnet, dass die im Falle einer Einziehung geschuldete Abfindung nur aus dem die Stammkapitalziffer übersteigenden Vermö-
1114 Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; Barta, GmbHR 2005, 657, 658 f.; Heidinger, DNotZ 2005, 97, 103 f.; Schärtl, Doppelfunktion, S. 76; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 21. 1115 Vgl. z.B. BGH 30.6.1958 – II ZR 213/56, NJW 1958, 1351 („Kernstück des GmbH-Rechts“); Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30, Rn. 1 („zentrale Gläubigerschutzbestimmung“). 1116 § 30 GmbHG knüpft dabei nicht gegenständlich an, können die ursprünglich als Stammkapital aufgebrachten Mittel nach dem oben Gesagten doch mittlerweile längst im allgemeinen Wirtschaftsverkehr „eingetauscht“ worden sein; relevant ist das Stammkapital insofern vielmehr als bloße Rechengröße (vgl. z.B. BGH 24.11.2003 – II ZR 171/01, NZG 2004, 232, 233; Greitemann, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 30, Rn. 7 f.; Schärtl, Doppelfunktion, S. 41 f.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 262, 203). 1117 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 5; Ulmer/Habersack, GmbHG, § 30, Rn. 2; Scholz/Verse, GmbHG, § 30, Rn. 2; Heidinger, in: Michalski, GmbHG, § 30, Rn. 7; Fleischer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 30 GmbHG, Rn. 1; Greitemann, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 30, Rn. 2. 1118 Um ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB handelt es sich bei § 30 GmbHG hingegen nicht, vgl. nur Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30, Rn. 1; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 1. 1119 BT-Drucks. 8/1347, S. 41; BGH 26.6.1998 – II ZR 353/97, NJW 1998, 3121; Joost, ZHR 148 (1984), 27, 41. 1120 MüKo- GmbHG/Löwisch, § 33, Rn. 51, 13; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 33, Rn. 37 f.; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 33, Rn. 21.
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gen der Gesellschaft erbracht werden darf;1121 angesichts des Verweises auf § 30 GmbHG begründet eine Verletzung von § 34 III GmbHG einen Rückzahlungsanspruch nach § 31 GmbHG.1122 Überdies sieht der Gesetzgeber eine Kreditgewährung an das Leitungspersonal der Gesellschaft trotz des damit einhergehenden Erwerbs eines Rückzahlungsanspruchs abstrakt-generalisierend als risikoreich an1123, daher darf zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger nach § 43a S. 1 GmbHG ein solcher Kredit nur aus dem nicht zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen gewährt werden;1124 ein Verstoß hiergegen macht zwar die Verträge nicht unwirksam,1125 führt aber zu einer sofortigen Rückzahlungspflicht, § 43a S. 2 GmbHG. Weil eine – nominelle oder effektive – Kapitalherabsetzung die Vermögensbindung nach § 30 GmbHG beschränkt, unterliegt schließlich auch sie zum Schutz der Gläubiger besonderen Anforderungen (wie vor allem der Bekanntmachung des Herabsetzungsbeschlusses, der Aufforderung an die Gläubiger, sich bei der Gesellschaft zu melden sowie gegebenenfalls die Befriedigung/Sicherstellung der Gläubiger, vergleiche im Einzelnen §§ 58 ff. GmbHG).1126 c) Sonderfall Unternehmergesellschaft Für die Höhe der Stammkapitalausstattung der UG als Unterfall1127 der GmbH bestehen – sieht man davon ab, dass wegen § 5 II GmbHG der Geschäftsanteil jedes Gesellschafters mindestens € 1 betragen muss1128 – keine gesetzlichen Vorgaben. In der Rechtspraxis verfügen daher nur wenige Unternehmergesellschaften über ein € 10.000 übersteigendes Stammkapital, 41 %
1121 MüKo- GmbHG/Strohn, § 34, Rn. 31; Görner, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 34, Rn. 24; Schärtl, Doppelfunktion, S. 64. – Steht bei dem Entschluss über die Einziehung schon fest, dass für die Abfindung kein ausreichend „freies“ Kapital vorhanden ist, ist der Beschluss analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig (Strohn, a.a.O. m.w.N.). 1122 BGH 1.4.1953 – II ZR 235/52, NJW 1953, 780, 782; Ulmer/Ulmer, GmbHG, § 34, Rn. 20; MüKo-HGB/Strohn, § 34, Rn. 31. 1123 Z.B. unangemessene Konditionen; fehlende Sicherheiten; Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Rückzahlungsverpflichtung angesichts der persönlichen Verbundenheit; Nachteile eines bloß schuldrechtlichen Anspruchs im Vergleich zu einer liquiden Haftungsmasse (vgl. Scholz/Schneider, GmbHG, § 43a, Rn. 1). 1124 Zum Schutzzweck des § 43a GmbHG vgl. z.B. Ulmer/Paefgen, GmbHG, § 43a, Rn. 3; BeckOK-GmbHG/Heidinger, § 43a, Rn. 1 f.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43a, Rn. 1. 1125 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43a, Rn. 12; Wicke/Wicke, GmbHG, § 43a, Rn. 6; Lücke/Simon, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 43a, Rn. 12. 1126 Scholz/Priester, GmbHG, § 58, Rn. 1; Inhester, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 58, Rn. 1; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 58, Rn. 2, 3; Wicke/Wicke, GmbHG, § 58, Rn. 1. 1127 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 3; Miras, in: Michalski, GmbHG, § 5a, Rn. 4. 1128 Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a GmbHG, Rn. 11; Miras, in: Michalski, GmbHG, § 5a, Rn. 6.
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weisen ein solches in Höhe von € 1.000 aus, 75 % haben ein Stammkapital von mindestens € 100.1129 Während das Gesetz den Gesellschaftern einer UG hinsichtlich der Höhe des Stammkapitals wesentlich mehr Freiheiten als bei der „klassischen“ GmbH einräumt, ist es in Bezug auf dessen Aufbringung strenger: So müssen Geldeinlagen noch vor der Anmeldung vollständig eingezahlt werden,1130 Sacheinlagen sind apodiktisch ausgeschlossen, § 5a II GmbHG. Hinsichtlich der Kapitalerhaltungsvorschriften gelten hingegen zunächst keine Besonderheiten, insbesondere sind die §§ 30, 31 GmbHG auch bei der UG auf das nominelle Stammkapital anwendbar.1131 Zu beachten ist aber die in § 5a III GmbHG normierte Thesaurierungsverpflichtung in Höhe von ¼ des jeweiligen Jahresüberschusses. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine Kapitalaufbringungsoder -erhaltungsvorschrift, zählt doch das thesaurierte Kapital nicht unmittelbar zum Stammkapital, im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist es aber insofern dennoch, als die Thesaurierungspflicht nach der Vorstellung des Gesetzgebers dazu dient, das Eigenkapital sukzessive dem gesetzlichen Mindestkapital bei der GmbH anzunähern und die Gesellschafter dazu anzuhalten, es nach Erreichen der Grenze des § 5 I GmbHG formell in Stammkapital umzuwandeln und die UG damit zu einer regulären GmbH zu machen, § 5a V GmbHG.1132 Ob angesichts dessen die bereits thesaurierten Beträge als „schwebendes Stammkapital“ mit der Folge einer analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG anzusehen sind, ist umstritten.1133
1129
Bayer/Hoffman/Lieder, GmbHR 2010, 9, 11. Bei einer UG, deren Mindestkapital höher als € 12.500 ist, muss somit letztlich unmittelbar mehr Kapital aufgebracht werden als bei einer GmbH. 1131 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 2; Scholz/Westermann, GmbHG, § 5a, Rn. 9. 1132 Schäfer, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a GmbHG, Rn 20; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 5a, Rn. 24; Miras, in: Michalski, GmbHG, § 5a, Rn. 68, 81. – Unterbleibt die Umwandlung in eine GmbH, besteht die Thesaurierungsverpflichtung fort (Schäfer, a.a.O.; Roth, a.a.O.). 1133 Bejahend Miras, in: Michalski, GmbHG, § 5a, Rn. 81; Lutter/Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 5a, Rn. 49; MüKo- GmbHG/Rieder, § 5a, Rn. 30; Joost, ZIP 2007, 2242, 2247; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 780; BeckOK-GmbHG/Heidinger, § 5a, Rn. 20; a.A. mangels Gesetzeslücke und mangels Pflicht zur Umwandlung der Rücklage in Stammkapital und daher für eine Haftung nur aus § 812 BGB: Scholz/Westermann, GmbHG, § 5a, Rn. 28; Baukelmann/Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5a, Rn. 39; Noack, DB 2007, 1395, 1396; unklar die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 16/6140, S. 32: „gegebenenfalls kann man auch ausdrücklich auf die Kapitalerhaltung nach §§ 30, 31 verweisen“). 1130
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
4. Schutz durch Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO a) Normzweck Anders als bei natürlichen Personen, denen es die Insolvenzordnung aufgrund ihres in der Theorie unbegrenzten Haftungsvolumens freistellt, ob sie ein Insolvenzverfahren beantragen oder nicht, normiert § 15a InsO für juristische Personen angesichts deren begrenzter, zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehenden Haftungsmasse, eine spätestens innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Insolvenzreife zu erfüllende Insolvenzantragspflicht vor allem der Mitglieder des Vertretungsorgans.1134 Zweck dieser Antragspflicht ist der Schutz bereits vorhandener Gesellschaftsgläubiger sowie des allgemeinen Rechtsverkehrs. Die schon vorhandenen Gläubiger werden zum einen geschützt, indem mittels des Übergangs der Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO) nach Möglichkeit verhindert werden soll, dass das Gesellschaftsvermögen für andere als gläubigerbefriedigende Zwecke weggegeben wird,1135 zum anderen, indem im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO) die anderenfalls mögliche Ausplünderung der Haftungsmasse durch einzelne, besser über den Vermögensstand der Gesellschaft informierte Gesellschaftsgläubiger unmöglich gemacht wird.1136 Der Rechtsverkehr und potentielle Neugläubiger wiederum werden geschützt, indem die Eingehung neuer Verbindlichkeiten, die die ohnehin schon insolvenzreife Gesellschaft nicht mehr (vollständig) befriedigen könnte, verhindert wird.1137 Die Insolvenzantragspflicht ist somit eine weitere Säule des Gläubigerschutzes.1138 b) Adressaten Antragspflichtig sind in erster Linie die (auch: Gesellschafter-)Geschäftsführer der GmbH, § 15a I 1 InsO. Der nicht förmlich zum Geschäftsführer bestellte Gesellschafter einer GmbH ist hingegen zunächst nicht antragspflichtig. Etwas anderes gilt aber zum einen, wenn er entweder als nach außen in Erscheinung tretender faktischer Geschäftsführer einzustufen ist,1139 zum anderen, wenn es sich um eine führungslose GmbH handelt, das heißt sie keinen Geschäftsfüh1134
Rn. 3 f.
KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 2; Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 15a,
1135 BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Smid/Leonhardt, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 15a, Rn. 2; KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 3; Andres/Leithaus, InsO, § 15a, Rn. 1. 1136 Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a, Rn. 1. 1137 KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 3; Andres/Leithaus, InsO, § 15a, Rn. 1; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 109a; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 19, 122. – Diese doppelte Zielsetzung erklärt, warum selbst ein Einverständnis aller aktuellen Gläubiger die Antragspflicht nicht entfallen lässt (Preuß, a.a.O.). 1138 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einleitung, Rn. 11. 1139 Vgl. zum faktischen Geschäftsführer BGH 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789; 25.2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803, 1805; 11.7.2005 – II ZR 253/03, NZG 2005, 816; zu weiteren Nachweisen siehe Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a, Rn. 8.
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rer hat (§ 35 I 2 GmbHG1140), § 15a III InsO. Im Interesse des Gläubigerschutzes soll § 15a III InsO eine Umgehung der Insolvenzantragspflicht und eine „Firmenbestattung“ ohne ordnungsgemäße Abwicklung verhindern, sowie den Gesellschaftern mittelbar einen Anreiz dafür geben, einen Geschäftsführer zu bestellen.1141 Diese Pflicht trifft jeden Gesellschafter, (e contrario § 39 V InsO) also auch Klein- und Kleinstgesellschafter, wobei diesen in der Rechtspraxis eine Exkulpation mangels positiver Kenntnis von entweder der Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise der Überschuldung oder der Führungslosigkeit (§ 15a III Hs. 2 ZPO) leichter gelingen dürfte.1142 c) Insolvenzverschleppungshaftung Um die Einhaltung der Insolvenzantragspflicht nach Möglichkeit sicherzustellen, hat nicht nur der Gesetzgeber eine spezielle Strafvorschrift normiert (§ 15a IV, V InsO), sondern § 15a InsO ist zudem – ebenso wie seine Vorgängernorm (§ 64 I GmbHG a.F.) – nach herrschender Meinung Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger.1143 Wird die Insolvenzantragspflicht verletzt, haften die Geschäftsführer beziehungsweise – unter den Voraussetzungen des § 15a III InsO oder als Teilnehmer nach § 830 BGB1144 – die Gesellschafter daher auf Schadensersatz. Diese sogenannte Insolvenzverschleppungshaftung ergänzt die Erstattungspflicht aus § 64 S. 1 GmbHG (n.F.), die – wie noch zu erörtern sein wird – zwar tatsächlich erfolgende Zahlungen 1140 Die bloße Unerreichbarkeit, Inkompetenz oder Untätigkeit der Geschäftsführer genügt hingegen nicht (vgl. statt aller Scholz/Schmidt, GmbHG, § 64 Anh., Rn. 26; Kleindieck, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 42). 1141 BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Bußhardt, in: Braun, InsO, § 15a, Rn. 14; Mönning, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 15a, Rn. 24; KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 30; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 268; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 123, 175; FKInsO/Schmerbach, § 15a, Rn. 2. 1142 BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 15a, Rn. 62 f.; KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 36; Scholz/Schmidt, GmbHG, § 64 Anh., Rn. 27; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 177; Kleindieck, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 42. 1143 BGH 16.12.1958 – VI ZR 245/57, NJW 1959, 623, 623 f.; 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1988, 2667, 2267 f. (noch zu § 64 I GmbHG a.F.); 14.5.2012 – II ZR 130/10, DZWIR 2012, 467; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 (Erg. MoMiG), Rn. 125, 128; Haas, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 109a; FK-InsO/Schmerbach, § 15a, Rn. 29; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 270; Andres/Leithaus, InsO, § 15a, Rn. 11; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 216 ff. – Nach der Gegenauffassung ist § 15a InsO hingegen kein Schutzgesetz, die Problematik der Insolvenzverschleppung sei vielmehr über eine erweiterte Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG zu lösen (Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 679 [noch zu § 64 II 1 GmbHG a.F.]; näher dazu unten bei Erörterung des § 64 S. 1 GmbHG). 1144 Zur Geltung der Regeln über die Insolvenzverschleppungshaftung auch auf Gesellschafter vgl. z.B. Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 (Erg. MoMiG), Rn. 155, 41 f.; Kleindieck, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 61, 67. – Zur Anwendbarkeit von § 830 BGB vgl. Kleindieck, a.a.O., Rn. 68; Casper, a.a.O., Rn. 173.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
erfasst, die Verzögerung des Insolvenzantrags aber nicht sanktioniert.1145 Weil § 15a InsO allein den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezweckt, sind nur diese, nicht aber die Gesellschaft selbst oder (andere) Gesellschafter anspruchsberechtigt.1146 Hinsichtlich des Forderungsumfangs der Gläubiger ist zu unterscheiden: Altgläubiger, das heißt solche, deren Forderung bei Eintritt der Insolvenzreife bereits bestanden, können grundsätzlich1147 unstrittig nur den Quotenschaden geltend machen, das heißt die Differenz zwischen der tatsächlichen (Ist-)Quote und der fiktiven (Soll-)Quote, die sich ergeben hätte, wenn rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt worden wäre.1148 Während des laufenden Insolvenzverfahrens können diese Schäden nicht von den Gläubigern selbst, sondern als Gesamtschaden gemäß § 92 S. 1 InsO nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden; außerhalb des Insolvenzverfahrens, vor allem bei masseloser Insolvenz, kann hingegen jeder Gläubiger seinen individuellen Masseschaden geltend machen.1149 Vertragsneugläubiger, die ihre Forderung zwischen Eintritt der Insolvenzreife und Insolvenzeröffnung erworben haben,1150 sind nach neuer Rechtsprechung des BGH nicht auf den Quotenverringerungsschaden begrenzt, sondern können Ersatz des negativen Interesses verlangen.1151 Der BGH nimmt in1145
Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 2. Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 66; Scholz/Schmidt, GmbHG, Anh § 64, Rn. 47. – Etwas anderes gilt, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft wie ein außenstehender Dritter gegenübersteht (BGH 1.2.2010 – II ZR 209/08, DStR 2010, 939, 941; Kleindiek, a.a.O.). 1147 Zu diskutierten Ausnahmen siehe Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 134 ff. m.w.N. 1148 BGH 16.12.1958 – VI ZR 245/57, NJW 1959, 623, 624 f.; 3.2.1987 – VI ZR 268/85, NJW 1987, 2433, 2434; 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667, 2669; Haas, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 132 ff.; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 (Erg. MoMiG), Rn. 132; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 73; FK-InsO/Schmerbach, § 15a, Rn. 30; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 225; Andres/Leithaus, InsO, § 15a, Rn. 11. 1149 BGH 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667, 2268; 5.2.2007 – II ZR 234/05, NZG 2007, 347, 349; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 78; Saenger/ Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 246. 1150 Gläubiger, deren Forderung erst bei oder nach Insolvenzeröffnung entstanden ist, haben dagegen keinen Anspruch aus Insolvenzverschleppungshaftung (OLG Thüringen 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 80). 1151 So nunmehr BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2221; 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1988, 2667, 2667 f.; 5.2.2007 – II ZR 234/05, NZG 2007, 347, 350; 27.4.2009 – II ZR 253/07, NZG 2009, 750, 751; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 84; FK-InsO/Schmerbach, § 15a, Rn. 31; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 2, Anh. zu § 64, Rn. 74 f.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 137; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, Vor § 64, Rn. 230 f.; a.A. Schmidt, NJW 1993, 2934, 2934 f.; Gerd Müller, GmbHR 1996, 393, 397. 1146
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soweit einen einheitlichen Anspruch an, der den Quotenverringerungsschaden mit einschließt und für den § 92 S. 1 InsO nicht gelte; daher handele es sich um Individualschäden, die auch während des laufenden Insolvenzverfahrens von den Gläubigern individuell geltend zu machen seien.1152 Was gesetzliche, vor allem deliktische Neugläubiger anbelangt, so gelangen sie nach einer Literaturauffassung ebenfalls in den Genuss der Insolvenzverschleppungshaftung, wenn sie beweisen können, dass die Schädigung bei rechtzeitiger Antragsstellung unterblieben wäre.1153 Die zutreffende und herrschende Gegenauffassung verweist hingegen darauf, dass es weder Schutzzweck des § 15a InsO ist, allgemeine Haftungsrisiken zu vermeiden, noch, die Gesellschaft schnellstmöglich und ordnungsgemäß vom Markt zu nehmen, sondern dieser allein in der Bewahrung des Rechtsverkehrs vor Eingehung von Geschäftsbeziehungen mit der bereits insolvenzreifen Gesellschaft besteht; weil dieser Zweck bei deliktisch Geschädigten nicht eingreift, scheidet ein Anspruch aus § 823 II BGB in Verbindung mit § 15a InsO richtigerweise insoweit aus.1154 5. Schutz per insolvenzrechtlicher Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen (§§ 39 I Nr. 5, 135 InsO) Ein weiterer Bereich gläubigerschützender Instrumente hat durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“1155 (im Folgenden: MoMiG) eine Änderung erfahren. Gemeint sind Konstellationen, die früher unter dem Stichwort der „eigenkapitalersetzenden Darlehen“ behandelt wurden. Weil das Wissen um die frühere Rechtslage für das Verständnis des heutigen Rechts erforderlich ist, wird zunächst ein kurzer Überblick über diese gegeben.
1152 BGH 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1988, 2667, 2668; 18.12.2007 – VI ZR 231/06, NZI 2008, 242; OLG Karlsruhe 20.6.2002 – 19 U 150/01, NZI 2002, 630; aus der Literatur z.B. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 141; a.A. (für Aufspaltung zwischen Quotenschaden und restlichem Ausfallschaden; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 81; Scholz/Schmidt, Anh. zu § 64, Rn. 55 ff., 58, 64 ff. m.w.N. zu seinen Vorarbeiten). 1153 Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 4 GmbHG, Rn. 105; Nerlich, in: Michalski, GmbHG, § 64, Rn. 76; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 76; Wagner, FS Schmidt, S. 1665, 1678 ff. 1154 BGH 25.7.2005 – II ZR 390/03, NJW 2005, 3137, 3140; 20.10.2008 – II ZR 211/07, NZG 2009, 280; OLG Thüringen 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631; aus der Literatur z.B. Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 6; Diekmann, NZG 2006, 255, 255 f.; U. Haas, DStR 2003, 423, 429 f.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 85; Medicus, GmbHR 2000, 7, 9; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 (Erg. MoMiG), Rn. 145; KPB/Preuß, InsO, § 15a, Rn. 89. 1155 Vom 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026.
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a) Rechtslage bis zum MoMiG Bis zum Inkrafttreten des MoMiG wurde zwischen „normalen“ und eigenkapitalersetzenden Darlehen unterschieden. Bei letzteren handelte es sich um Darlehen1156 , die ein Gesellschafter1157 der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt gewährte, in dem ein ordentlicher Kaufmann nicht Fremd-, sondern Eigenkapital zugeführt hätte, § 32a I GmbHG a.F. („Krise der Gesellschaft“). Diese allgemeine Umschreibung führte zu Abgrenzungsschwierigkeiten in Einzelfällen, deren Lösung der Gesetzgeber aber bewusst Rechtsprechung und Literatur überließ.1158 Anzunehmen war eine derartige Krise zum Beispiel bei Insolvenzreife, im Fall drohender Insolvenz oder wenn die Gesellschaft von Dritten keinen Kredit mehr erhalten hätte.1159 War ein Gesellschafterdarlehen als eigenkapitalersetzendes Darlehen zu qualifizieren, griff ein Trias an Rechtsregeln: (1) Geriet die Gesellschaft in die Insolvenz und war das Darlehen zuvor noch nicht (vollständig) zurückgezahlt worden, konnte der Gesellschafter gemäß § 32a I GmbHG a.F. seinen Rückzahlungsanspruch nur als nachrangiger Gläubiger geltend machen. (2) Hatte die Gesellschaft die Darlehensschuld vor Insolvenzeröffnung dagegen bereits ganz oder zum Teil abgetragen, so unterlag diese Befriedigungsleistung der Anfechtung nach § 135 Nr. 2 InsO a.F., wenn die Tilgung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem vorgenommen wurde. (3) Trotz der Existenz dieser gesetzlichen Regelungen und unabhängig von einer Insolvenzsituation zog der BGH zusätzlich seine bereits weit vor deren Inkrafttreten begründete Rechtsprechung1160 heran, nach der auf eigenkapitalersetzende Darlehen die §§ 30, 31 GmbHG a.F. analog anzuwenden seien.1161 Demnach durfte ein eigenkapitalersetzendes Darlehen unabhängig von der Jahresfrist des § 135 Nr. 2 InsO a.F. nicht an den Gesellschafter zurückgezahlt werden, soweit es dadurch zu einer Unterbilanz kommen oder eine solche vertieft würde. Geschah dies dennoch, war zum einen die Leistung nach § 31 GmbHG analog an die Gesellschaft zurückzuerstatten, zum anderen haftete der Geschäftsführer der GmbH nach § 43 III GmbHG.1162 Dogmatisch gerechtfertigt wurden diese Regelungen mit der Finanzierungsfolgenverantwortung der Gesellschafter.1163 Danach sind die Gesellschafter 1156
Oder diesen wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlungen, § 32a III GmbHG a.F. Bzw. ein Dritter bei Sicherheitenbestellung durch den Gesellschafter, vgl. § 32a II GmbHG a.F. 1158 BT-Drucks. 8/3908, S. 74. 1159 Näher und m.w.N. z.B. Hess, InsO, § 135, Rn. 33 ff. 1160 BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285, 287 f. 1161 BGH 26.3.1984 – II ZR 14/84, NJW 1984, 1891, 1892 f.; 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947, 2947 f.; 26.6.2000 – II ZR 21/99, NJW 2000, 3278, 3278 f. 1162 BGH 9.12.1991 – II ZR 43/91, NJW 1992, 1166. 1163 BGH 7.12.1998 – II ZR 382/96, NJW 1999, 577, 578; HambKommInsO/Lüdtke, § 39, Rn. 19; KPB/Preuß, InsO, § 39, Rn. 25. 1157
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zwar angesichts ihrer Finanzierungsfreiheit in der Entscheidung darüber frei, ob sie der sich in einer Krise befindenden Gesellschaft neue Mittel zuführen wollen oder diese liquidieren. Entschließen sie sich aber zu einer Fortführung, so müssen sie entsprechend dem Maßstab eines ordentlichen Kaufmanns Eigenund nicht Fremdkapital zuführen. Wurde stattdessen Fremdkapital zugeführt oder ein in wirtschaftlich noch gesunden Zeiten gegebenes Darlehen nach Krisenbeginn nicht abgezogen, so blieb dies zwar „formell“ Fremdkapital, wurde „materiell“ aber für die Dauer der Krise als Eigenkapital mit der Folge einer „eigenkapitalgleichen Bindung“1164 behandelt.1165 Dementsprechend unterlag der Darlehensrückzahlungsanspruch einer Durchsetzungssperre im Stile einer gesetzlich angeordneten Stundung.1166 b) Heutige Rechtslage Mit dem MoMiG hat der Gesetzgeber die Problematik der Gesellschafterdarlehen vollständig ins Insolvenzrecht überführt und auf eine Umqualifikation von Fremd- in Eigenkapital verzichet. So unterliegen zum einen noch nicht erfüllte Rückzahlungsansprüche gemäß § 39 I Nr. 5 InsO einem grundsätzlichen Rangrücktritt, das heißt sie werden erst befriedigt, wenn die Forderungen sämtlicher normaler Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) vollständig erfüllt wurden, was in der Praxis regelmäßig auf eine Nullquote hinauslaufen dürfte;1167 Ausnahmen hiervon gelten beim Kleinbeteiligten- sowie beim Sanierungsprivileg (§§ 39 V, IV 2 InsO). Zum anderen ist eine innerhalb der Frist des § 135 I Nr. 2 InsO erfolgte Rückzahlung mit der Folge anfechtbar, dass bereits von der Gesellschaft geleistete Zahlungen an die Masse fließen müssen, § 143 I 1 InsO.1168 In der Folge lebt zwar der Rückzahlungsanspruch des kreditgewährenden Gesellschafters wieder auf (§ 144 I InsO), das ist aber aus Sicht der übrigen Gesellschaftsgläubiger unschädlich, weil dieser Anspruch dem Rangrücktritt des § 39 I Nr. 5 InsO unterliegt.1169 Beide Instrumente dienen dem Gläubigerschutz, weil (a) eine Ver1164
Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 101. BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285, 288; 26.11.1979 – II ZR 104/77, NJW 1980, 592; 24.3.1980 – II ZR 213/77, NJW 1980, 1524, 1525; 28.9.1981 – II ZR 223/80, NJW 1982, 386; vgl. auch die Darstellung der vormaligen Rechtslage bei Huber, FS Priester, S. 259, 267 ff. 1166 BGH 7.12.1998 – II ZR 382/96, NJW 1999, 577, 579. – Um Umgehungen zu vermeiden, war auch eine Aufrechnung mit der Darlehensrückzahlungsforderung gegen eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung untersagt (BGH 28.9.1981 – II ZR 223/80, NJW 1982, 386, 386 f.; 26.3.1984 – II ZR 14/84, NJW 1984, 1891, 1892), und der Gesellschafter konnte sich aus einer von der Gesellschaft für die Forderung gestellten Sicherheit nicht befriedigen (BGH 26.11.1979 – II ZR 104/77, NJW 1980, 592, 593). 1167 Vgl. FK-InsO/Bornemann, § 39, Rn. 1; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 39, Rn. 3; Bäuerle, in: Braun, InsO, § 39, Rn. 1. 1168 Findet kein Insolvenzverfahren statt, greifen die parallelen Vorschriften der §§ 6, 6a AnfG. 1169 Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 143, Rn. 4; vgl. auch MüKo-InsO/Kirchhof, § 144, Rn. 9. 1165
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minderung der Befriedigungsquote der Gesellschaftsgläubiger durch eine Konkurrenz mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch verhindert wird und (b) die Quote durch den Massezuwachs im Gefolge der Anfechtung erhöht wird.1170 Auf den ersten Blick wirken die praktischen Unterschiede im Vergleich zur vormaligen Rechtslage also nicht gravierend, entsprechen doch die Fristen des § 135 InsO n.F. dem der Vorgängernorm und ordnet § 39 I Nr. 5 InsO im Wesentlichen das an, was auch schon zu „Lebzeiten“ des § 32a I GmbHG a.F. galt. Jedoch unterscheidet sich die heutige von der früheren Rechtslage in zwei bedeutenden Aspekten, von denen einer zugunsten, der andere aber zuungunsten des kreditgewährenden Gesellschafters geht: Nach § 30 I 3 GmbHG ist § 30 GmbHG nicht auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen anwendbar. Angesichts dieses eindeutigen „Nichtanwendungserlasses“1171 sind dementsprechend auf die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen nicht mehr die – unabhängig von einer Insolvenzsituation geltenden – §§ 30, 31 GmbHG analog anzuwenden. Ein Geschäftsführer kann daher die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens nicht mehr mit dem Argument ablehnen, dies begründe oder vertiefe eine Unterbilanz, sondern nur damit, dass damit gegen die allgemeinen Verbote der § 64 S. 1 oder S. 3 GmbHG verstoßen würde.1172 Diese Neuerung ist für den kreditgewährenden Gesellschafter unter Umständen äußerst vorteilhaft, weil der früher von der Rechtsprechung eingeschlagene Weg, mittels dessen die kurze Jahresfrist des § 135 Nr. 2 InsO a.F. über § 31 GmbHG ausgehebelt wurde, nunmehr versperrt ist. Kann sich der Gesellschafter also über die Einjahresspanne des § 135 I Nr. 2 InsO (n.F.) zwischen Darlehensrückzahlung und Eröffnungsantrag retten, so ist er auf der sicheren Seite und kann – so kein anderer Anfechtungstatbestand (wie insbesondere § 133 InsO)1173 eingreift – die erhaltenen Leistungen behalten. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber die vormals so bedeutende Unterscheidung zwischen „normalen“ und eigenkapitalersetzenden Darlehen durch den Verzicht auf die Voraussetzung der Gesellschaftskrise aufgegeben und unterstellt nun sämtliche Gesellschafterdarlehen den oben genannten Regelungen.1174 Das beschränkt die Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter und bürdet ihnen das Risiko auf, mit einem der Gesellschaft zu guten wirtschaftlichen Zeiten gewährten Darlehen zum Beispiel bei einer unvorhersehbaren, plötzlichen Insolvenz in Gefolge des Wegfalls des wichtigsten Schuldners dem Nach-
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Vgl. Hess, InsO, § 135, Rn. 22. Gehrlein, BB 2008, 846, 849; vgl. auch Hirte, WM 2008, 1429, 1434: „rechtstechnisch ein Unikum“. 1172 HambKommInsO/Lüdtke, § 39, Rn. 18; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 102; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3606. 1173 Hirte, WM 2008, 1429, 1433; Gehrlein, BB 2008, 846, 853. 1174 BT-Drucks. 16/6140, S. 56, 57. 1171
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rang des § 39 I Nr. 5 InsO beziehungsweise der Anfechtbarkeit nach § 135 InsO zu unterliegen.1175 c) Rechtsdogmatische Legitimation der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO Ob und gegebenenfalls wie die Nachrangigkeit nach § 39 I Nr. 5 InsO sowie die Anfechtbarkeit nach § 135 InsO dogmatisch begründet werden kann, ist umstritten. Diese Streitfrage ist nicht nur von theoretischem Interesse, sondern hat große praktische Relevanz, zum Beispiel für die Frage, welche Dritte – das heißt nicht-Gesellschafter – dem personellen Anwendungsbereich unterfallen.1176 aa) Entwurfsbegründung Nach Auffassung des Gesetzgebers habe die Neufassung nicht nur den Vorteil, dem international verbreiteten Modell zu entsprechen, sondern diene vor allem der Rechtsvereinfachung, die gerade für die GmbH als „die“ Rechtsform kleiner und mittelständischer Unternehmen von großer Bedeutung sei.1177 Indem bestehende Nachteile gegenüber zum Beispiel dem Recht der englischen limited abgebaut würden, gewinne die Rechtsform der GmbH im internationalen Kampf der Rechtsordnungen an Attraktivität. Außerdem werde der kreditgewährende Gesellschafter in Wahrheit durch die Neuregelung gar nicht schlechter gestellt, seien doch auch schon bisher Kredite, die vor einer Krisensituation gewährt worden waren, in dieser aber nicht abgezogen wurden, regelmäßig als eigenkapitalersetzend qualifiziert worden.1178 Eine rechtsdogmatische Legitimation im engeren Sinne lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen. Eine Anpassung an vorgebliche internationale Standards mag man rechtspolitisch für richtig halten, eine dogmatische Begründung liefert sie nicht.1179 Gleiches gilt für die vom Gesetzgeber angenommene Rechtsvereinfachung,1180 deren Erreichung durch die Neuregelung überdies in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft ist: Erstens wurden die Regeln des vormaligen Rechts zwar von vielen als zu kompliziert angesehen,1181 unumstritten war 1175
Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 111 f. Vgl. dazu z.B. KPB/Preuß, InsO, § 39, Rn. 30; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1017 f.; HambKommInsO/Schröder, § 135, Rn. 8a m.w.N. – Der BGH hat die Frage nach der rechtsdogmatischen Legitimation offen gelassen (BGH 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NJW 2011, 1503, 1504 f.). 1177 BT-Drucks. 16/6140, S. 42, 56; dem zustimmend Ulmer/Habersack, GmbHG, § 30 (Erg. MoMiG), Rn. 36; Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457, 1461. 1178 BT-Drucks. 16/6140, S. 56. 1179 Vgl. auch Bork, ZGR 2007, 250, 255 f. mit Fn. 23. 1180 Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 115; Bork, ZGR 2007, 250, 255. 1181 Vgl. z.B. Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1656 f.; Seibert, ZIP 2006, 1157, 1160: „Besonders das Recht der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen ist abschreckend kompliziert, teuer und damit zur Belastung für das ganze System geworden. Es hat zu viele Jahresringe angelegt.“. 1176
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das aber keineswegs, wurde doch mit einiger Berechtigung auch darauf verwiesen, dass Dank der zahlreichen (höchstrichterlichen) Judikate die Rechtslage so komplex nicht mehr war.1182 Zweitens ist fraglich, in welchem Maße die neuen §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO selbst überhaupt ausreichend klare Regelungen enthalten.1183 Die Debatte um die Erstreckung auf nicht-Gesellschafter im Rahmen der Tatbestandsalternative der „Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“ (§ 39 I Nr. 5 Hs. 2 InsO) lässt daran mindestens Zweifel aufkommen. Vor allem aber ist drittens zu erwarten – und aus der Warte der Rechtssicherheit und -klarheit zu befürchten –, dass die „Abschaffung“ der analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG von den Insolvenzverwaltern nicht „kampflos“ hingenommen wird, sondern vielmehr der Versuch unternommen werden wird, bei Überschreitung der Frist des § 135 InsO auf die Anfechtung nach § 133 I InsO auszuweichen.1184 Angesichts der dort bestehenden hohen subjektiven Hürden und den damit einhergehenden Beweisschwierigkeiten hätte dies zur Folge, dass nicht nur dem darlegungs- und beweisbelasteten Insolvenzverwalter, sondern vor allem auch der vom Gesetzgeber so am Herzen liegenden Rechtssicherheit und -einfachheit „Steine statt Brot“ gegeben würden. Soweit sich der Gesetzgeber schließlich darauf beruft, er habe die Attraktivität der GmbH-Rechtsform gesteigert, so ist auch das schwerlich ein dogmatisches Argument. Es ist überdies in der Sache zweifelhaft, müsste man konsequenterweise dann doch eigentlich danach streben, jegliche tatsächlichen, potentiellen oder auch nur eingebildeten kompetitiven Nachteile des geltenden Rechts abzubauen – und damit letztlich bei einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners zu enden,1185 deren Werthaltigkeit meist äußerst begrenzt ist. Angesichts dieser „wertungsmäßig[en] Ärmlichkeit“1186 der Entwurfsbegründung, der keine dogmatische Begründung entnommen werden kann, wurde in der Literatur der Versuch unternommen, eine entsprechende Legitimation quasi „nachzuschieben“. bb) Zweckkontinuität: Fortbestand der Finanzierungsfolgenverantwortung Nach einer Auffassung muss dabei gar nicht nach einer „neuen“ Begründung gesucht werden, könne die frühere Finanzierungsfolgenverantwortung doch weiterhin herangezogen werden. Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass das neue Recht nur auf den ersten Blick auf die Tatbestandsvoraussetzung der „Krise der Gesellschaft“ (§ 32a I 1 GmbHG a.F.) verzichte, in Wahrheit dieses Merkmal aber gar nicht abgeschafft sei, sondern den §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO wei1182 Bork, ZGR 2007, 250, 255; vgl. insbesondere auch Priester, DB 2005, 1315, 1317: „[Die] Regeln sind einfach, man muss sich nur daran halten.“. 1183 Vgl. auch Spliedt, ZIP 2009, 149, 153, nach dem das neue Recht „ein[en] geringe[n] Gewinn an Rechtssicherheit, aber ein[en] große[n] Verlust an Gerechtigkeit“ darstellt. 1184 Spliedt, ZIP 2009, 149, 154. 1185 Vgl. auch Bork, ZGR 2007, 250, 255 f. mit Fn. 23. 1186 Vgl. Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1011.
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terhin – wenn auch unausgesprochen – zugrunde liege. Der maßgebliche Unterschied zum alten Recht liege dementsprechend nur darin, dass – zum Zwecke der Rechtsvereinfachung und im Interesse der Rechtssicherheit – die den Nachrang beziehungsweise die Anfechtbarkeit legitimierende Krise der Gesellschaft bei einer Darlehensgewährung innerhalb der Frist des § 135 InsO unwiderlegbar vermutet werde.1187 Weil also materiell nach wie vor an eine Krise der Gesellschaft angeknüpft werde, sei Grundlage und Rechtfertigung auch des neuen Rechts die Finanzierungsfolgenverantwortung.1188 Dafür soll sprechen, dass die Gesetzesmaterialien keine dogmatische Begründung für die Neuregelung nennen, so dass schon deshalb von der Fortgeltung der tradierten Grundsätze auszugehen sei.1189 Überdies habe der Gesetzgeber nur die gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG analog), nicht aber die insolvenzrechtlichen Novellenregeln abschaffen wollen, deren dogmatische Grundlage die Finanzierungsfolgenverantwortung sei.1190 Nach Altmeppen ist diese Interpretation sogar verfassungsrechtlich geboten. Nähme man nämlich die Nachrangigkeit/Anfechtbarkeit losgelöst von einer Krisensituation an, liege ein Verstoß gegen Art. 3, 14 GG vor.1191 Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Das beginnt damit, dass es Regelungsanliegen des Gesetzgebers war, die Umqualifikation von Eigen- in Fremdkapital in Form kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen endgültig aufzugeben,1192 womit zugleich Basis und Rechtfertigung für eine derartige Umqualifikation, das heißt die Gewährung oder das Stehenlassen eines Gesellschafterdarlehens in der Krise der Gesellschaft und damit eine darauf zielende Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, obsolet wurde.1193 Abgesehen von diesem Argument in der Sache ist es auch methodisch nicht überzeugend, einem Gesetzgeber, der bei einer Neuregelung in Abkehr vom bisherigen Recht explizit auf ein bis dato ganz maßgebliches Tatbestandsmerkmal verzichtete,1194 zu unterstellen, er mache eben dieses nunmehr zur ungeschriebenen, stets er1187 Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 f.; Bork, ZGR 2007, 250, 257; Hirte, WM 2008, 1429, 1430; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 39, Rn. 33, 35; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153. 1188 Bork, ZGR 2007, 250, 269; a.A. die h.M., nach der die Finanzierungsfolgenverantwortung heute nicht mehr herangezogen werden kann, vgl. z.B. Habersack, ZIP 2008, 2385, 2387; Gehrlein, BB 2008, 846, 849; ders., in: Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, Vor § 64, Rn. 144; Huber, FS Priester, S. 259, 271 ff.; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1012 f.; Hk-InsO/Kleindiek, § 39, Rn. 20; ders., in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 113; HambKommInsO/Lüdtke, § 39, Rn. 18; Kampshoff, GmbHR 2010, 897, 898; Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15; Tillmann, GmbHR 2006, 1289, 1290. 1189 HambKommInsO/Schröder, § 135, Rn. 8a. 1190 HambKommInsO/Schröder, § 135, Rn. 8a. 1191 Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 f. 1192 BT-Drucks. 16/6140, S. 56: „Auf das Merkmal ‚kapitalersetzend‘ wird verzichtet.“. 1193 Vgl. Huber, FS Priester, S. 259, 272; Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1013; Schäfer, ZInsO 2010, 1311, 1313. 1194 BT-Drucks. 16/6140, S. 56: „Auf das Merkmal ‚kapitalersetzend‘ wird verzichtet.“.
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füllten Tatbestandsvoraussetzung.1195 Schließlich: Selbst wenn man das anders sähe, ließe sich mit der Deutung der Gegenauffassung jedenfalls nicht das gesamte neue Recht der Gesellschafterdarlehen erklären. Während es nämlich noch vertretbar erschiene, in die Anfechtbarkeit eines innerhalb eines Jahres vor dem Eröffnungsantrag zurückgezahlten Darlehens (§ 135 InsO) angesichts dieses vergleichsweise insolvenznahen Zeitraums eine vom Gesetzgeber vorgenommene typisierende und nicht widerlegliche Vermutung einer Krisensituation hineinzulesen, muss dies bei § 39 I Nr. 5 InsO notwendigerweise scheitern. Denn anders als die Anfechtbarkeit gilt die Nachrangigkeit des Gesellschafterdarlehens vollkommen unabhängig davon, wie lange vor dem Insolvenzantrag das Darlehen gewährt wurde. Anzunehmen, der Gesetzgeber vermute selbst bei Darlehen, die in besten wirtschaftlichen Zeiten gewährt wurden, unwiderleglich eine Krisenfinanzierung, erscheint fernliegend. Sie wäre überdies vollkommen lebensfremd, weil eben die bloße Tatsache einer Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter als solche noch nicht den Schluss auf eine Krisensituation rechtfertigt, können hierfür doch ganz andere Motive (zum Beispiel Interesse des Gesellschafters an Zinsgewinnen oder umgekehrt der Wunsch der Gesellschaft nach einem zinsgünstigen Darlehen) ausschlaggebend gewesen sein.1196 cc) Besonderes Näheverhältnis, Steuerungsmöglichkeit und Informationsvorsprung Nach anderer Auffassung begründet ein Mix aus verschiedenen, aber letztlich zusammenhängenden Umständen die Schlechterstellung des Gesellschafters. So stehe er angesichts seiner Doppelrolle als Gesellschafter und Kreditgeber auch in Bezug auf den Darlehensvertrag in einem besonderen Näheverhältnis zur Gesellschaft, auf deren Geschicke er zudem Einfluss nehmen könne und für die er mithin (mit-)unternehmerische Verantwortung im Sinne einer Art Gefährdungshaftung übernehmen müsse.1197 Überdies verfüge er typischerweise über einen Informationsvorsprung vor den Gläubigern, mit dem das – mittels der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO auszuschaltende – Risiko einherginge, dass er seine Forderung im Stile eines Insidergeschäfts rechtzeitig und vorrangig vor den Gläubigern in Sicherheit bringe.1198
1195 Vgl. auch Hk-InsO/Kleindiek, § 39, Rn. 22, nach dem für die von der Gegenauffassung angenommene Vermutung im neuen Recht kein Raum ist. 1196 Vgl. auch Kampshoff, GmbHR 2010, 897, 898 f.; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1012 f. 1197 U. Haas, ZInsO 2007, 617, 621; Kampshoff, GmbHR 2010, 897, 898, 899; Nerlich/ Römermann, InsO, § 135, Rn. 15; Noack, DB 2007, 1395, 1398; Hirte/Knof, WM 2009, 1961; Tillmann, GmbHR 2006, 1289, 1290 f. 1198 Kampshoff, GmbHR 2010, 897, 898 f.; vgl. auch U. Haas, ZInsO 2007, 617, 621; Gehrlein, BB 2008, 3, 8 f.
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Auch dieser Ansatz vermag letztlich nicht zu überzeugen.1199 Zwar kann er sich, soweit er die Steuerungsmöglichkeiten des kreditgewährenden Gesellschafters betont, auf § 39 V InsO stützen, weil dieser Gesellschafter vom persönlichen Anwendungsbereich der Regelungen ausnimmt, bei denen angesichts ihrer Kleinbeteiligung ein entsprechender Einfluss auf die Geschäftsführung ausgeschlossen erscheint.1200 Dennoch kann mit der Steuerungsmöglichkeit die insolvenzrechtliche Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen nicht überzeugend begründet werden. Wäre sie nämlich der entscheidende Aspekt, so müssten konsequenterweise auch die Darlehen von zum Beispiel oHG- oder GbR-Gesellschaftern insolvenzrechtlichen Nachteilen unterliegen, können sie die Geschicke ihrer Gesellschaft doch in mindestens gleichem Ausmaße wie die Gesellschafter einer GmbH steuern. Die Einflussmöglichkeit des Gesellschafters ist deshalb kein – letztlich auch dem Art. 3 I GG – genügendes Differenzierungskriterium. Auch der (kumulative) Verweis auf den Informationsvorsprung des kreditgewährenden Gesellschafters gegenüber den anderen Gesellschaftsgläubigern ändert daran nichts, und zwar selbst dann nicht, wenn man mit der Erwägung, der Gesetzgeber könne und dürfe beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen pauschalisieren, davon absieht, die Möglichkeit ins Feld zu führen, dass in Einzelfällen ein Gläubiger – typischerweise die „Hausbank“ – über ebenso gute oder sogar bessere Informationen über die aktuelle Lage der Gesellschaft verfügt als mancher Gesellschafter.1201 Denn auch ohne dieses Argument vermag der Informationsvorsprungsgedanke nicht zu überzeugen. So passt er in all den Fällen nicht, in denen die Gesellschaft so schnell in die Insolvenz gerät, dass auch der kreditgewährende Gesellschafter nicht mehr rechtzeitig reagieren kann, zum Beispiel weil der Hauptschuldner plötzlich überraschend ausfällt.1202 Zudem ließe sich mit dem Argument des Informationsgefälles – wenn überhaupt – nur die Anfechtbarkeit nach § 135 InsO, nicht aber der in § 39 I Nr. 5 InsO angeordnete Nachrang erklären, wäre es doch vollkommen lebensfremd anzunehmen, ein über besonders gute Informationen verfügender Gesellschafter gewähre der Gesellschaft ein Darlehen, das er vor der Insolvenz nicht mehr zurückfordere.1203 Anführen lässt sich ferner das Zusammenspiel des Kleinbeteiligtenprivilegs von § 39 V InsO und des Gesellschafter-Auskunftsrechts nach § 51a GmbHG. Das Kleinbeteiligtenprivileg greift nämlich ein, obwohl sich auch 1199
So z.B. auch Schmidt, ZIP 2006, 1925, 1934; ders., GmbHR 2009, 1009, 1014. Ebenso Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1017, 1019. 1201 Darauf verweisend Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1016; Krolop, GmbHR 2009, 397, 399; anders U. Haas, ZInsO 2007, 617, 619, nach dem es sich um für die Gesetzesauslegung und Normzweckinterpretation irrelevante Einzelfälle handle. 1202 Hk-InsO/Kleindiek, § 39, Rn. 24; ders., in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 115; vgl. auch Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756, 1759. 1203 BGH 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NJW 2011, 1503, 1505; Graf-Schlicker/Neußner, InsO, § 39, Rn. 17; Hk-InsO/Kleindiek, § 39, Rn. 24; Spliedt, ZIP 2009, 149, 153; Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 192 f. 1200
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ein Kleingesellschafter über das Auskunftsrecht jederzeit einen Informationsvorsprung vor Gesellschaftsfremden verschaffen kann – das aber dürfte nicht der Fall sein, wenn dieses Privileg der Verhinderung von Insidergeschäften diente.1204 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass zum Beispiel auch oHG-Gesellschafter in aller Regel über wesentlich bessere Informationen über den Zustand der Gesellschaft verfügen als ein außenstehender Dritter, ihre Darlehensforderungen aber dennoch nicht den §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO unterliegen. dd) Gegenstück zur Haftungsbeschränkung Nach Auffassung von Huber und Habersack, den beiden maßgeblichen wissenschaftlichen „Vordenkern“ des neuen Rechts der Gesellschafterdarlehen, sind die §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO im Interesse des Gläubigerschutzes als Preis für die den Gesellschaftern gewährte Haftungsprivilegierung zu verstehen und dienen dazu, deren missbräuchliche Ausnutzung zu vermeiden.1205 Das sei zum Zwecke des Gläubigerschutzes erforderlich, weil diesem allein über die Eigenkapitalvorschriften angesichts der Unmöglichkeit, detaillierte Vorgaben für eine angemessene Eigenkapitalausstattung zu machen, nicht ausreichend Rechnung getragen werden könne.1206 Weil sie wie die Eigenkapitalvorschriften dem Gläubigerschutz dienten, sei ein Mehr an inhaltlicher Begründung und Dogmatik nicht zu verlangen.1207 Darin steckt, wie noch zu erläutern sein wird, ein wahrer Kern. Nicht zu überzeugen vermag allerdings die Aussage, die §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO dienten als Schutzwall gegen die missbräuchliche Umgehung der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG. Von einem Rechtsmissbrauch könnte man nämlich höchstens reden, wenn die Darlehensgewährung in einer Krisensituation erfolgte, in der ein sorgfältiger Kaufmann nicht Fremd-, sondern Eigenkapital zugeführt hätte. Hingegen kann der Missbrauchsvorwurf bei einem lange vor Krisenbeginn gewährten Darlehen nicht überzeugend erhoben werden.1208 An die in vielen Konstellationen rein abstrakte Gefahr eines Rechtsmissbrauchs eine generelle Schlechterstellung der Gesellschafterdarlehen zu knüpfen, ginge zu weit.1209 Überdies: Wenn es wirklich – wie Huber und Habersack meinen – prominent darum ginge, eine missbräuchliche Umgehung der Haftungsprivilegierung des § 13 II GmbH zu verhindern, so müsste richtigerweise bei dieser 1204
Vgl. Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1017. Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; ders., ZIP 2008, 2385, 2387; Ulmer/Habersack, GmbHG, § 30 (Erg. MoMiG), Rn. 37; Huber, FS Priester, S. 259, 275 ff.; KPB/Preuß, InsO, § 39, Rn. 31, § 135, Rn. 3; Huber/Habersack, BB 2006, 1; so auch Gehrlein, BB 2008, 846, 849; vorsichtig dazu tendierend auch HambKommInsO/Lüdtke, § 39, Rn. 19. 1206 Huber, FS Priester, S. 259, 276 f. 1207 Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; Huber, FS Priester, S. 259, 278. 1208 So auch Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64, Rn. 114; HkInsO/Kleindiek, § 39, Rn. 23; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3602 f.; Kampshoff, GmbHR 2010, 897, 899; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1014. 1209 Zutreffend Schäfer, ZInsO 2010, 1311, 1313. 1205
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selbst angesetzt und damit dem Gesellschafter die Berufung auf sie versagt werden. Ein von ihm der Gesellschaft gewährtes Darlehen als nachrangig einzustufen beziehungsweise die Darlehensrückzahlung für anfechtbar zu erklären, wäre hingegen eine methodisch unzutreffende Reaktion auf einen Missbrauch der Haftungsbeschränkung.1210 ee) Gleichlauf von Chance und Risiko Ein letzter Ansatz rekurriert schließlich auf die Notwendigkeit, einen Gleichlauf von Investitionschancen und -risiken herzustellen.1211 Weil ein Gesellschafter, der durch sein Darlehen das Wachstum seiner GmbH ermögliche oder erleichtere, die Chance auf eine übermäßige Gewinnbeteiligung habe, könne er bei einem Misserfolg der Unternehmung nicht verlangen, den anderen Gesellschaftsgläubigern gleichgestellt zu werden.1212 Auch diese Auffassung arbeitet, wie noch zu erläutern sein wird, einen zutreffenden Mosaikstein für die dogmatische Legitimation der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO heraus. Isoliert betrachtet greift es aber zu kurz, allein auf den gewünschten Gleichlauf von (Investitions-) Chance und Risiko zu verweisen, ließe sich dieser Gedanke doch gleichermaßen auch zum Beispiel bei einem oHG-Gesellschafter anführen. ff) Eigener Ansatz Nach hier vertretener Auffassung vermag (isoliert) keine der oben referierten Ansichten ein tragfähiges Fundament für das neue Recht der Gesellschafterdarlehen zu liefern. Wie im Folgenden zu erläutern ist, ist stattdessen auf eine Kombination von zwei oben genannter Ansätze sowie einem bislang nicht erörterten Gedanken abzustellen. (1) Zusammenspiel von § 13 II GmbHG und dem Grundsatz „cuius commodum, eius periculum“ Erlaubt es die Rechtsordnung einem Gesellschafter, durch die Hingabe eines Darlehens die Aufnahme beziehungsweise Fortführung der Geschäfte der Gesellschaft zu erleichtern oder gar erst zu ermöglichen, um in der Folge an den erhofften Gewinnen der prosperierenden Gesellschaft zu partizipieren, so ist es im Ausgangspunkt konsequent, wenn sie ihn im Gegenzug in gewisser Weise und gewissem Umfang nicht nur im Guten, sondern auch im Schlechten am Schicksal seiner Gesellschaft teilhaben lässt, das heißt auch dann, wenn diese entgegen der Erwartungen so tief in die „roten Zahlen“ rutscht, dass der Gang in die Insolvenz unvermeidlich wird. Das ist nichts anderes als Ausdruck des allgemeinen, zum Beispiel auch im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung relevanten Gedankens, dass der, der die Vorteile aus einer (wirtschaft1210
1014.
Zutreffend Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15; Schmidt, GmbHR 2009, 1009,
1211 Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1016; Krolop, GmbHR 2009, 397, 399; Tillmann, GmbHR 2006, 1289, 1290 f.; Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15. 1212 Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15.
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lichen) Unternehmung zu ziehen sucht, auch deren potentielle Nachteile zu tragen hat. Auch wenn aus dem Grundsatz des „cuius commodum, eius periculum“ nicht die generelle Illegitimität der GmbH-rechtlichen Haftungsbeschränkung abgeleitet werden kann,1213 schließt das nicht aus, dass ihm im Rahmen der „Binnenausgestaltung“ des GmbH-Rechts – wie eben zum Beispiel bei den §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO – Bedeutung zuzumessen ist. Nun vermag der Grundsatz des „cuius commodum, eius periculum“ – wie angedeutet – isoliert betrachtet die insolvenzrechtliche Schlechterstellung der GmbH-Gesellschafterdarlehen noch nicht zu rechtfertigen, ließe er sich doch gleichermaßen zum Beispiel beim Darlehen eines oHG-Gesellschafters anführen, das aber gerade nicht den §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO unterfällt. Überzeugungskraft vermag er daher nur in Kombination mit einem Faktor zu entfalten, der die Ungleichbehandlung gegenüber den Gesellschafterdarlehen bei der oHG zu erklären vermag. Es ist dies die Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG, die – wie die §§ 39 IV, 135 IV InsO zeigen – auch für den Gesetzgeber in diesem Kontext von zentraler Bedeutung war.1214 Zieht man nämlich die Haftungsprivilegierung mit in die Betrachtung ein, so lassen sich die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Gesellschaftsformen erkennen, die sich ergeben, wenn ein Gesellschafter seiner nunmehr insolventen Gesellschaft ein Darlehen gewährt hat: Während ein oHG-Gesellschafter im Falle der Insolvenz seines Unternehmens nicht nur mit seiner Darlehensforderung auf die Insolvenzquote beschränkt ist, sondern zudem nach § 128 HGB unbeschränkt persönlich für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet, stünde der Gesellschafter einer GmbH ohne den Nachrang des § 39 I Nr. 5 InsO insofern besser, als er zwar ebenfalls in Bezug auf seine Darlehensforderung nur die Quote erhalten würde, jedoch keinerlei persönlicher Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten ausgesetzt ist. Indem er mit den §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO eine insolvenzrechtliche Schlechterbehandlung von GmbH-Gesellschafterdarlehen anordnete, erreicht der Gesetzgeber nun ebenfalls eine – gegebenenfalls: weitreichende – Teilhabe des Gesellschafters an einem eventuellen Misserfolg der Gesellschaft. Das zeigt: Zwar bestehen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung dieser „Risikobeteiligungen“ nach wie vor erhebliche konstruktive Unterschiede, indem sie bei der oHG über die Kombination aus einem weitgehenden – weil auf die Insolvenzquote beschränkten – Forderungsausfall mit einer unbeschränkt persönlichen Haftung erreicht wird, wohingegen sie bei der GmbH singulär nur durch einen – dafür aber noch weiterreichenden, weil in aller Regel vollständigen – Forderungsverlust verwirklicht wird. Auch führen beide Modelle in der Praxis bei ansonsten identischen Umständen in aller Regel zu ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen Belastungen für oHG-Gesellschafter einerseits, GmbH-Ge1213 1214
Siehe dazu oben § 2 D III 5 und 6. Insoweit ebenso Gehrlein, BB 2008, 846, 849; Huber, FS Priester, S. 259, 275.
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sellschafter andererseits. Auf diese Unterschiede kommt es vorliegend aber nicht an, entscheidend ist vielmehr allein, dass hinter beiden Modellen jeweils der gleiche – zutreffende – Gedanke eines Risikoausgleichs der für die mit der gesellschafterdarlehensfinanzierten Unternehmensfortführung samt der damit einhergehenden Gewinnchancen des Gesellschafters steht. Anders formuliert: Der seiner Gesellschaft ein Darlehen gewährende GmbH-Gesellschafter zahlt im Vergleich zum Gesellschafter einer oHG für den Vorteil, für Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht persönlich haften zu müssen und damit einem insoweit geringeren Risiko ausgesetzt zu sein, mit dem Nachteil, in Bezug auf seine Darlehensforderung einem höheren Risiko ausgesetzt zu sein.1215 Dass die Wege zur Erreichung dieser Risikobeteiligung verschieden sind, ist allein den grundlegenden systematischen Unterschieden von oHG und GmbH – unbeschränkte Haftung hier, Ausschluss der Haftung dort – geschuldet und ändert mithin nichts daran, dass beide einem legitimen Grundanliegen des Gesetzgebers dienen. (2) Systematik der „Kapitalzuführung“ des GmbHG Unabhängig von den soeben angestrengten Überlegungen lässt sich die insolvenzrechtliche Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen auch mit dem System der (nachträglichen) „Kapitalzuführung“ des GmbHG begründen. Das GmbHG regelt im Wesentlichen zwei Wege, auf denen die Gesellschafter der Gesellschaft neues Kapital zuführen können, nämlich Nachschüsse nach §§ 26 ff. GmbHG sowie Kapitalerhöhungen gemäß §§ 55 ff. GmbHG. Beiden ist gemeinsam, dass das derart aufgebrachte Kapital im Interesse des Gläubigerschutzes wesentlich strengeren Beschränkungen hinsichtlich seiner Rückgewähr an die Gesellschafter unterliegt als die Zuführung sonstigen, „freien“ Vermögens.1216 Die gesetzliche Konzeption kann man daher so interpretieren, 1215
In diese Richtung in Ansätzen auch Nerlich/Römermann, InsO, § 135, Rn. 15; Krolop, GmbHR 2009, 397, 400; Schmidt, GmbHR 2009, 1009, 1016. 1216 Die gläubigerschützende Komponente zeigt sich vor allem bei der effektiven Kapitalerhöhung, durch die der Stammkapitaltopf der Gesellschaft per Zuführung neuer Mittel vergrößert wird. Hingegen wird bei der nominellen Kapitalerhöhung der Gesellschaft zwar kein neues Geld zugeführt, sondern ein bloßer Passivtausch von Rücklagen in Stammkapital vorgenommen. Aber auch das verbessert die Stellung der Gläubiger insofern, als das derart umgewandelte Kapital fortan den §§ 30, 31 GmbHG unterfällt (vgl. z.B. Saenger/Inhester, GmbHG, § 55, Rn. 2, § 57c, Rn. 1, 3). Nachschüsse schließlich nehmen eine Zwischenstellung zwischen Stammkapital und Kapitalrücklagen ein, weil sie zwar leichter als echtes Stammkapital, aber im Vergleich zu freiem Vermögen nur „unter erschwerten Bedingungen“ (BGH 24.3.1980 – II ZR 213/77, NJW 1980, 1524, 1525) an die Gesellschafter zurückfließen können. Insbesondere können sie, sofern sie aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Verpflichtung (§ 26 GmbHG) erbracht wurden, an die Gesellschafter nur zurückgezahlt werden, soweit dadurch keine Unterbilanz entsteht, das heißt soweit und solange die Aktiva die Passiva einschließlich der Stammkapitalziffer abdecken (§ 30 II GmbHG, vgl. Thiessen, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 30, Rn. 165 f.; Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 30, Rn. 66; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 71).
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dass Gesellschafter, die ihrer Gesellschaft weiteres Kapital zuführen wollen, dies entweder per Erhöhung der Stammkapitalziffer oder wenigstens in Form von Nachschüssen tun sollen. Dies hat einen legitimen Hintergrund. Kommt es nämlich zur Insolvenz, so ist zwar selbst in Bezug auf das Stammkapital nicht garantiert, dass dieses zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden ist,1217 sichergestellt ist aber, dass in Bezug auf dieses das Gesellschaftsvermögen mindestens „ausgeglichen“ ist, das heißt nicht mit Verbindlichkeiten belastet ist. War der Gesellschaft stattdessen Fremdkapital in Form von Gesellschafterdarlehen zugeführt worden, so kann dieses nicht nur zwischenzeitlich „verbraucht“ worden sein, sondern es besteht aus Sicht der anderen Gesellschaftsgläubiger vor allem der Nachteil, dass das Gesellschaftsvermögen um den zusätzlichen, die Insolvenzquote aller Gläubiger weiter mindernden Passivposten des Darlehensrückzahlungsanspruchs belastet ist.1218 Im Vergleich zur Kapitalzuführung mittels Kapitalerhöhung oder Nachschüssen wäre die Kapitalzuführung per Gesellschafterdarlehen für die Gesellschaftsgläubiger ohne einen insolvenzrechtlichen „Ausgleich“ daher eine potentiell gefährliche Finanzierungsform.1219 Angesichts dieser Überlegungen liegt die weitere dogmatische Begründung der §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO auf der Hand: Sie dienen dazu, die Gefahr einer weiteren Quotenverschlechterung – sei es durch eine Beteiligung der noch nicht erfüllten Darlehensforderung im eigentlichen Insolvenzverfahren (§ 39 I Nr. 5 InsO), sei es durch die Verringerung des Aktivvermögens per Darlehensrückzahlung im Vorfeld des Verfahrens (§ 135 InsO) – auszuschalten und damit sicherzustellen, dass durch eine vom GmbHG ursprünglich überhaupt nicht vorgesehene Finanzierungsform die im Gesetz enthaltenen Gläubigerschutzmechanismen bei Kapitalzuführung umgangen werden können. gg) Zusammenfassung Nach hier vertretener Ansicht ist die insolvenzrechtliche Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen zum einen damit zu begründen, dass auf diese Weise eingedenk der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG dem Grundsatz des „cuius commodum, eius periculum“ Rechnung getragen werden soll, zum anderen damit, dass die Gläubiger der Gesellschaft vor einer Umgehung der zu ihrem Schutz vom GmbHG errichteten Mechanismen bei Kapitalzuführung durch die Gesellschafter bewahrt werden sollen.
1217 1218 1219
Siehe auch oben § 2 D IV 3 b). Zutreffend Gehrlein, BB 2011, 3, 8. Schäfer, ZInsO 2010, 1311, 1313.
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6. Schutz vor Masseschmälerung bei insolvenzreifer GmbH, § 64 S. 1, 2, 4 GmbHG a) Normzweck Nach § 64 S. 1 GmbHG haben die Geschäftsführer der Gesellschaft Ersatz für nach Feststellung der Überschuldung oder Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistete Zahlungen zu leisten; etwas anderes gilt nur, wenn die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, § 64 S. 2 GmbHG. Die Vorschrift setzt somit ein Zahlungsverbot voraus, an dessen Verletzung sie sodann repressiv eine Erstattungspflicht knüpft.1220 Auch wenn Anspruchsinhaber die Gesellschaft ist, besteht die Vorschrift nach ganz herrschender Meinung im Interesse der Gesellschaftsgläubiger, die vor einer Schmälerung der späteren Insolvenzmasse in der Phase zwischen Eintritt der Insolvenzreife und Insolvenzeröffnung geschützt werden sollen.1221 Ob neben dem Ziel der Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens § 64 S. 1 GmbHG auch der Gläubigergleichbehandlung dient, ist umstritten, richtigerweise aber zu bejahen, verhindert er doch eine Besserstellung einzelner Gläubiger im Vorfeld der späteren Insolvenz und zielt damit auf den wertmäßigen Erhalt der späteren Insolvenzmasse, die dann im Insolvenzverfahren entsprechend insolvenzrechtlicher Grundsätze par conditio creditorum auf die Insolvenzgläubiger verteilt wird.1222 b) Streit um die Rechtsnatur Anders als der im Wesentlichen unstrittige Normzweck ist die Rechtsnatur des § 64 S. 1 GmbHG heftig umstritten. Nach herrschender, vom BGH vertretener Auffassung handelt es sich nicht um einen Schadensersatz-, sondern um einen Ersatzanspruch sui generis, der streng von der Insolvenzantrags1220
MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 125; Röhricht, ZIP 2005, 505, 509. OLG Köln 9.8.1995 – 11 U 293/94, NJW-RR 1996, 484, 485; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64, Rn. 4; Haas, NZI 2009, 489; ders., in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 1a, 5; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 4; Saenger/Inhester/ Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 2; BeckOK- GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 4. – Ergänzend sehen Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 1a und Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 2 den Normzweck darin, den Geschäftsführern einen Anreiz zu geben, rechtzeitig Antrag auf Insolvenzeröffnung zu stellen. BGH 18.3.1975 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089. 1222 So i.E. auch BGH 29.11.1999 – II ZR 273/98, NJW 2000, 668; 8.1.2001 – II ZR 88/99, NJW 2001, 1280, 1283; 31.3.2003 – II ZR 150/02, NZG 2003, 582, 583; 25.1.2010 – II ZR 258/08, NZG 2010, 346, 347; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 4; Scholze-Osterloh, in: Baumbach/Hueck18, § 64, Rn. 78; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64, Rn. 4; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64, Rn. 1; Goette, DStR 2003, 887, 893: „Gleichbehandlung der Gläubiger am Vorabend der Insolvenzeröffnung“; Geißler, GmbHR 2011, 907, 908; a.A. Scholz/Schmidt, GmbHG, § 64, Rn. 6; Bitter, WM 2001, 666, 669 mit Fn. 34; Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 3. 1221
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
pflicht und an die sie anknüpfende Insolvenzverschleppungshaftung (§ 823 II BGB in Verbindung mit § 15a InsO) zu trennen ist.1223 Davon zu unterscheiden sind die Auffassungen, die die Insolvenzverschleppungshaftung und § 64 S. 1 GmbHG als miteinander verknüpft ansehen, wobei insoweit weiter zu differenzieren ist: Nach der vor allem von Schmidt vertretenen Auffassung ist § 64 S. 1 GmbHG ein bloßer Bestandteil des deliktischen Schadensersatzes wegen Insolvenzverschleppung, so dass die nach § 64 S. 1 GmbHG verbotenen Zahlungen allein Schadensposten des Gesamtgläubigerschadens infolge der Insolvenzverschleppung sind.1224 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Ansicht von Altmeppen/Wilhelm, allerdings auf diametral entgegengesetzter dogmatischer Grundlage. Nach ihnen ist § 15a InsO gerade kein Schutzgesetz, die gesamte Problematik sei vielmehr über § 64 S. 1 GmbHG zu lösen, und es gehe auch nicht um die einzelne Zahlung, sondern um eine umfassende Verlustdeckungspflicht der Organe während der Phase der Insolvenzverschleppung.1225 Diese Mindermeinungen sind abzulehnen. Anführen lässt sich zunächst der Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG. Auch wenn einzuräumen ist, dass der Begriff der „Zahlungen“ aufgrund des Normzwecks insoweit zu eng ist, als richtigerweise nicht nur (Bar-)Geldzahlungen, sondern jede Verminderung des Aktivvermögens erfasst werden,1226 so spricht die Bezugnahme auf den Ersatz einzelner „Zahlungen“ doch sowohl gegen eine Gesamtbetrachtung im Sinne eines Gesamtgläubigerschadens als auch gegen eine daraus abzuleitende allgemeine Verlustdeckungsverpflichtung während der Insolvenzverschleppung.1227 Auch aus der Parallelnorm des Handelsgesellschaftsrechts, § 130a II HGB, die für
1223 BGH 18.3.1975 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; 8.1.2001 – II ZR 88/99, NJW 2001, 1280, 1283; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 4 f.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 7; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 11; Röhricht, ZIP 2005, 505, 509; MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 127 ff.; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 6; BeckOK- GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 6; Wicke/Wicke, GmbHG, § 64, Rn. 19. 1224 Scholz/Schmidt, GmbHG, § 64, Rn. 9 f. m.w.N. zu seiner Rechtsauffassung; ähnlich Bitter, WM 2001, 666, 670 f., nach dem es auf die „insgesamt eingetretene Masseschmälerung“ ankommt. 1225 Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 ff.; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205 ff. 1226 So die h.M., vgl. z.B. BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2223; 29.11.1999 – II ZR 273/98, NJW 2000, 668; OLG Düsseldorf 19.1.1995 – 6 U 272/93, NJW-RR 1996, 1443, 1445; OLG Oldenburg 10.3.2004 – 1 W 2/04, ZIP 2004, 1315, 1316; OLG Hamburg 31.8.2005 – 11 U 55/04, NZG 2005, 1009, 1012; Medicus, ZIP 1994, 337, 341; Haas, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 65; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 28; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 7 m.w.N.; vgl. auch BT-Drucks. 16/6140, S. 46. 1227 Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 7.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 11; MüKo- GmbHG/ Müller, § 64, Rn. 127; vgl. auch Strohn, NZG 2011, 1161, 1165.
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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die ansonsten identische Situation zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet, lässt sich nichts anderes ableiten.1228 Im Gegenteil spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber – obwohl ihm die Diskussion bekannt gewesen sein musste und er § 64 GmbHG ohnehin grundlegend umgestaltete – im Rahmen des MoMiG davon absah, eine § 130a II HGB entsprechende Regelung aufzunehmen, im Wege eines systematischen Gegenschlusses gegen den von Schmidt angenommenen schadensersatzrechtlichen Charakter.1229 Auch lässt sich Schmidt entgegenhalten, dass der Gesellschaft bei Zugrundelegung der Differenzhypothese oft gar kein ersatzfähiger Schaden entstünde, weil der Kapitalabfl ss durch die Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeit ausgeglichen wird.1230 Beiden Gegenauffassungen ist ferner anzukreiden, dass die Realisierung des Anspruchs damit insofern erschwert und verzögert wird, als der zur Anspruchsrealisierung maßgebliche Masseschaden erst am Ende des Insolvenzverfahrens feststellbar ist.1231 Last but not least überzeugen sie auch deshalb nicht, weil sie zwei ganz unterschiedliche Verhaltensgebote, die seit dem MoMiG sogar in zwei verschiedenen Gesetzen geregelt sind, über einen Kamm scheren, und damit die vom Gesetzgeber vorgegebene abweichende Behandlung der Verletzung der Pflicht zur Insolvenzantragsstellung einerseits, dem Verbot masseschmälernder Handlungen nach Insolvenzreife andererseits, missachten.1232 c) Folgerungen Der erörterte Meinungsstreit hat nicht nur normtheoretische Bedeutung, sondern greifbare praktische Auswirkungen. So kommt auf dem Boden der hier geteilten herrschenden Meinung mangels deliktsrechtlichen Charakters keine Teilnehmerhaftung über § 830 BGB in Betracht.1233 Auch ist im Grundsatz we1228
Rn. 7.
MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 128; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64,
1229 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der BGH selbst § 130a II HGB trotz seines Wortlauts nicht als Schadensersatzanspruch, sondern als Ersatzanspruch sui generis bezeichnet (BGH 26.3.2007 – II ZR 310/05, NZG 2007, 462, 463). 1230 BGH 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 128; Röhricht, ZIP 2005, 505, 509; ebenso zu § 130a HGB: BGH 26.3.2007 – II ZR 310/05, NZG 2007, 462, 463; zu § 92 II AktG; BGH 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221, 222. 1231 Näher Goette, ZInsO 2005, 1, 3 f.; MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 129. 1232 MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 127; Röhricht, ZIP 2005, 505, 509 f. 1233 BGH 11.2.2008 – II ZR 291/06, NJW-RR 2008, 1066, 1067; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 6a; Bork, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 64, Rn. 5; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 5; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 27. – Etwas anderes muss auf Grundlage der Auffassung von Schmidt gelten, denn wenn die Rechtsfolge des § 64 S. 1 GmbHG in die – per Einstufung des § 15a InsO als Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB erfolgte – deliktische Insolvenzverschleppungshaftung integriert wird, so ist auch insoweit § 830 BGB anwendbar.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
der ein Schaden der Gesellschaft noch der Gesellschaftsgläubiger Anspruchsvoraussetzung.1234 Allerdings ist zu beachten, dass auch nach hier vertretener Auffassung angesichts des gläubigerschützenden Charakters der Norm ein Anspruch im Ergebnis nur insoweit bestehen kann, als durch die Zahlungen tatsächlich die spätere Insolvenzmasse geschmälert wurde, denn eine Besserstellung der Gesellschaftsgläubiger gegenüber der hypothetischen Situation, in der nie eine Zahlung erfolgte, entspricht nicht dem Normzweck.1235 Insbesondere würde es zu vollkommen unangemessenen Ergebnissen führen, wenn rein isoliert auf den Zahlungsvorgang geschielt würde.1236 Vielmehr ist gegebenenfalls im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine Gesamtschau miteinander zusammenhängender Rechtshandlungen in Anlehnung an die §§ 129 ff. InsO vorzunehmen1237, so dass vor allem eventuelle, mit den Zahlungen verbundene und ins Gesellschaftsvermögen gelangte Gegenleistungen zu berücksichtigen sind.1238 Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft den Geschäftsführer.1239 Auch erfüllt es nicht den Tatbestand, wenn nur ein Bestandteil der Aktiva des Gesellschaftsvermögens ausgetauscht wurde oder ein
1234 BGH 20.9.2010 – II ZR 78/09, NJW 2011, 221, 222 (für § 92 II AktG); Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 4; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 5; Röhricht, ZIP 2005, 505, 509; MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 148. 1235 Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 7; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 34; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 68; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 7. 1236 Zum Beispiel wenn der Geschäftsführer zunächst € 100.000 vom Girokonto der Gesellschaft abhebt, sie später aber wieder vollständig einzahlt (Beispiel angelehnt an Ulmer/ Casper, GmbHG, § 64, Rn. 85). 1237 Vgl. dazu sowie zu hier nicht darstellbaren Details z.B. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 69; Sandhaus, in: Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, § 64, Rn. 20 ff.; BeckOK- GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 52; Geißler, GmbHR 2011, 907, 908; vgl. auch Strohn, NZG 2011, 1161, 1165. 1238 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 46; BGH 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; OLG Brandenburg 10.4.2002 – 7 U 147/01, GmbHR 2002, 910, 911; OLG Hamburg 31.8.2005 – 11 U 55/04, NZG 2005, 1009, 1012; tendenziell auch BGH 31.3.2003 – II ZR 150/02, NJW 2003, 2316, 2317; aus der Literatur: Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 7; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 34 f.; Geißler, GmbHR 2011, 907, 908; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 70; MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 137; BeckOK-GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 52; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 35. – Nach dem BGH muss die derart erlangte Gegenleistung noch bei Insolvenzeröffnung wertmäßig vorhanden sein (BGH 18.3.1974 und 31.3.2003, jeweils a.a.O.; dem folgend z.B. Kleindiek, a.a.O.; Kolmann, a.a.O., Rn. 35). Das überzeugt nicht, weil dies von Zufälligkeiten abhängen kann, die vom Geschäftsführer nicht beeinflusst werden können. Entscheidend ist mithin richtigerweise allein der Zeitpunkt des Austauschgeschäfts (ebenso Müller, a.a.O., Ulmer/Caspers, GmbHG, § 64, Rn. 89). – Zur Frage, wo die Gegenleistung im Tatbestandsaufbau zu berücksichtigen ist, vgl. näher und m.w.N. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 70a. 1239 OLG Celle 23.4.1997 – 9 U 189/96, GmbHR 1997, 901; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 35.
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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Gläubigerwechsel erfolgte.1240 Schließlich fällt die Begründung neuer Verbindlichkeiten nach ganz herrschender Meinung nicht unter § 64 S. 1 GmbHG.1241 d) Aktivlegitimation; Passivlegitimation der Gesellschafter? Aktivlegitimiert ist bei eröffnetem Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter, § 80 I InsO. Wird der Eröffnungsantrag mangels Masse abgelehnt, kann jeder Gläubiger den Anspruch der Gesellschaft pfänden und sich überweisen lassen und dann in voller Höhe gegen den beziehungsweise die Geschäftsführer vorgehen.1242 Daneben kann nach nunmehr wohl herrschender Meinung ohne den Umweg über die Pfändung im Wege des Verfolgungsrechts analog §§ 62 II, 93 V, 117 V, 309 IV 3, 310 IV, 317 IV, 318 IV AktG vorgegangen werden.1243 Angesichts des sich allein auf Geschäftsführer beziehenden Wortlauts ist es im Grundsatz unstrittig, dass die Gesellschafter der GmbHG nicht zur Erstattung nach § 64 S. 1 GmbHG verpflichtet sind.1244 Umstritten ist allerdings, ob dies auch gilt, wenn die GmbH im Sinne von § 35 I 2 GmbHG führungslos ist, das heißt keinen Geschäftsführer hat. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist § 64 S. 1 GmbHG in diesen Fällen aufgrund einer Analogie zu § 15a III InsO anwendbar.1245 Wie § 64 S. 1 GmbHG diene auch die Insolvenzantragspflicht der Masseerhaltung, so dass es zur Vermeidung von Wertungs1240 Das ist nach dem BGH z.B. anzunehmen, wenn die Zahlung von einem debitorischen Konto erfolgt, an dem die Bank über keine Gesellschaftssicherheiten verfügt (BGH 26.3.2007 – II ZR 310/05, NZG 2007, 462, 463; 25.1.2010 – II ZR 258/08, NZG 2010, 346, 347; a.A. Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 30 m.w.N.). – Hingegen soll der Scheckeinzug auf ein debitorisches Konto die Voraussetzungen des § 64 S. 1 GmbHG erfüllen (BGH 29.11.1999 – II ZR 273/98, NJW 2000, 668; 11.9.2000 – II ZR 370/99, NJW 2001, 304). 1241 BGH 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667, 2668; OLG Hamburg 31.8.2005 – 11 U 55/04, NZG 2005, 1009, 1012; Röhricht, ZIP 2005, 505, 511; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 10; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 33; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 66; BeckOK- GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 48; Scholz/ Schmidt, GmbHG, § 64, Rn. 23; so auch die h.M. zu § 92 II AktG, siehe Hüffer, AktG, § 92, Rn. 14a m.w.N.; a.A. Medicus, ZIP 1994, 337, 341. 1242 BGH 11.9.2000 – II ZR 370/99, NJW 2001, 304, 305; Schmidt-Leithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 53; Bork, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 64, Rn. 31; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 11a. 1243 So z.B. Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 53; Haas, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 11b; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64, Rn. 8; siehe allgemein zum Streitstand MüKo-GmbHG/Fleischer, § 43, Rn. 327; Altmeppen, a.a.O., § 43, Rn. 94 m.w.N. 1244 Nach herrschender, hier geteilter Auffassung scheidet zudem eine Teilnehmerhaftung des Gesellschafters über § 830 BGB mangels deliktischen Charakters des § 64 S. 1 GmbHG aus (siehe oben § 2 D IV 6 b]). – Anwendbar ist § 64 S. 1 GmbHG unproblematisch aber, wenn der Gesellschafter selbst ordentlicher oder auch nur faktischer Geschäftsführer ist (vgl. z.B. Nerlich, in: Michalski, GmbHG, § 64, Rn. 101; Arnold, in: Henssler/Strohn, GmbHG, § 64, Rn. 8). 1245 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 8; Arnold, in: Henssler/Strohn, GmbHG, § 64, Rn. 8; Scholz/Schmidt, GmbHG, § 64, Rn. 44; BeckOK- GmbHG/Mätzig, § 64, Rn. 17.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
widersprüchen erforderlich sei, ihn bei Führungslosigkeit ebenfalls anzuwenden.1246 Die Gegenauffassung lehnt dies hingegen ab, weil es an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehle.1247 Obwohl dies rechtspolitisch nicht zu überzeugen vermag, ist dieser Auffassung auf dem Boden des geltenden Rechts zuzustimmen, lässt sich angesichts der gleichzeitig mit dem MoMiG erfolgten Umgestaltung des § 64 GmbHG und Schaffung des § 15a (III) InsO doch kaum annehmen, der Gesetzgeber habe die Problematik bei § 64 GmbHG übersehen. Bei einer führungslosen Gesellschaft bietet damit allein die Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO Schutz, deren Schutzniveau aber unter anderem angesichts der oftmals erforderlichen subjektiven Umstände hinter dem des § 64 S. 1 GmbHG zurückbleibt. 7. Schutz durch Insolvenzverursachungshaftung, § 64 S. 3 GmbHG a) Normzweck; Verhältnis zu anderen Schutzinstrumenten Nach § 64 S. 3 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft über § 64 S. 1 GmbHG hinaus zur Erstattung von solchen an die Gesellschafter geleisteten Zahlungen verpflichtet, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordnungsgemäßen Kaufmanns nicht erkennbar (S. 2). Ziel ist es, im Interesse der Gesellschaftsgläubiger die bereits bestehenden gläubigerschützenden Mechanismen zu ergänzen und damit dazu beizutragen, eine Ausplünderung der Gesellschaft durch Vermögensverschiebungen zwischen ihr und ihren Gesellschaftern zu vermeiden.1248 So verlängert § 64 S. 3 GmbHG das Zahlungsverbot des S. 1 zeitlich nach vorne und ergänzt das Insolvenzvertiefungsverbot um eine Insolvenzverursachungshaftung.1249 Die §§ 30, 31 GmbHG wiederum werden durch § 64 S. 3 GmbHG insoweit ergänzt, als Zahlungen erfasst werden, die – ohne das bilanzielle Stammkapital als solches zu berühren – zur Zahlungsunfähigkeit führen;1250 anders als die §§ 30, 31 GmbHG knüpft § 64 S. 3 GmbHG somit nicht bilanziell an, sondern statuiert einen „Solvenztest“.1251 Die Anfechtungsregelungen der InsO (insbesondere § 135 InsO) sowie des AnfG werden 1246
Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 20. Ulmer/Casper, GmbHG, § 64, Rn. 80; MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 130; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 6a; Poertzgen, NZI 2008, 9, 11; SchmidtLeithoff/Baumert, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 64, Rn. 26. 1248 BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 21; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 6; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 70. 1249 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 2; Wicke/Wicke, GmbHG, § 64, Rn. 28; MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 154. 1250 BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 2; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 269; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 2. 1251 Wicke/Wicke, GmbHG, § 64, Rn. 25. 1247
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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flankiert, indem der Anspruch aus § 64 S. 3 GmbHG auch eingreift, wenn die Anfechtungsfristen bereits abgelaufen sind beziehungsweise die gegebenenfalls notwendigen subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen (vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung; Kenntnis des Empfängers) nicht nachgewiesen werden können.1252 Schließlich wollte der Gesetzgeber mittels des § 64 S. 3 GmbHG auch einen Teilbereich der Existenzvernichtungshaftung regeln, ohne jedoch die hierzu entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze anzutasten oder deren Fortentwicklung zu verhindern.1253 b) Norminhalt Wie bei § 64 S. 1 GmbHG handelt es sich richtigerweise auch bei S. 3 um einen Ersatzanspruch eigener Art und nicht um einen Schadensersatzanspruch.1254 Dementsprechend bedarf es keines Schadens im Sinne der Differenzhypothese, im Gegenzug ist die Teilnahme zum Beispiel eines Gesellschafters an der „Tat“ des Geschäftsführers nach § 830 BGB nicht möglich.1255 Auf die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen ist hier im Grundsatz nicht einzugehen, verwiesen sei auf die einschlägige Kommentarliteratur. Zu erörtern ist allerdings die für die praktische Bedeutung und damit „Gefährlichkeit“ des § 64 S. 3 GmbHG für den Geschäftsführer entscheidende Frage, welche Anforderungen an die Kausalität zwischen der Zahlung an den Gesellschafter und die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu stellen sind. Eine herrschende Meinung hat sich hierzu noch nicht herausgebildet. Einig ist man sich nur, dass die Zahlung einerseits nicht die einzige Ursache der Zahlungsunfähigkeit gewesen sein muss – würde man die Norm damit doch zur völligen Bedeutungslosigkeit degradieren –,1256 sowie andererseits bloße Äquivalenz nicht genügt.1257 Im Übrigen aber werden unterschiedliche Anforderungen genannt. Zum Teil wird eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit als ausreichend angesehen,1258 andere fordern, dass diese als Folge der Zahlung aus der ex ante-Sicht eines objektiven Beobachters „mit an Sicherheit grenzen1252
BT-Drucks. 16/6140, S. 46. BT-Drucks. 16/6140, S. 46; MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 156; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 21. 1254 Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 74; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 20; Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 56; Wicke/Wicke, GmbHG, § 64, Rn. 26; MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 175. – Siehe zum Meinungsstreit oben § 2 D IV 6 b). 1255 MüKo- GmbHG/Müller, § 64, Rn. 175; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 74; Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 59. 1256 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 103, 105; Kleindiek, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 36; Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 71; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 87. 1257 Vgl. z.B. Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 87. 1258 Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 72; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 36. 1253
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
der Wahrscheinlichkeit“ vorauszusehen war.1259 Letzterem ist angesichts des rigiden Wortlauts, der von „führen musste“ – und nicht etwa „führen konnte“ oder ähnlichem spricht – sowie deshalb zuzustimmen, weil es sich bei § 64 S. 3 GmbHG nach dem Willen des Gesetzgebers ebenso wie bei der richterrechtlichen Existenzvernichtungshaftung um einen entsprechend eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handeln soll.1260 Für das Vorliegen dieses Kausalitätszusammenhanges trifft die Darlegungs- und Beweislast zwar im Grundsatz den Insolvenzverwalter, er wird dieser aber oftmals nicht genügen können, weil die oben postulierte Anforderung ex post kaum einmal beweisbar ist. Der materielle Normzweck kann somit effektiv nur erreicht werden, wenn auf prozessualer Ebene mittels Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast diesen Schwierigkeiten abgeholfen wird. Denkbar erscheint es zum Beispiel die Kausalität zu vermuten, wenn innerhalb eines bestimmten Zeitraums – in Anlehnung zum geltenden1261 § 135 I Nr. 2 InsO läge hier ein Jahr nahe – nach der Zahlung die Zahlungsunfähigkeit eintritt; ist das der Fall, obliegt es dem Geschäftsführer – vor allem durch die Vorlage entsprechender Unterlagen – darzulegen, dass zum Zahlungszeitpunkt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht abzusehen war.1262 Ebenso wie S. 1 ist auch § 64 S. 3 GmbHG mangels planwidriger Regelungslücke de lege lata richtigerweise nicht auf die Gesellschafter anwendbar, und zwar selbst dann nicht, wenn die Gesellschaft mangels Geschäftsführer führungslos ist.1263 Schutz bietet hier allein die im Folgenden zu erörternde Existenzvernichtungshaftung. 8. Schutz bei existenzvernichtenden Eingriffen a) Einleitung Entziehen die Gesellschafter der GmbH zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögenswerte, enthält das GmbHG mit seinen §§ 30, 31 zwar Regelungen. Diese sind aber insofern lückenhaft, als sie zum einen nur unterbilanzverursachende oder -vertiefende Kapitalentnahmen, nicht aber zum Bei1259
MüKo-GmbHG/Müller, § 64, Rn. 170. BT-Drucks. 16/6140, S. 47: „Die Erweiterung der Haftung der Geschäftsführer ist nur mit Vorsicht und Zurückhaltung vorzunehmen […].“. – War die Gesellschaft bereits vor der Zahlung zahlungsunfähig, so greift nicht § 64 S. 3 GmbHG, sondern § 64 S. 1 GmbHG, BGH 9.10.2012 – II ZR 298/11, NZG 2012, 1379, 1380. 1261 Siehe zu dem rechtspolitischen Vorschlag, die Frist des § 135 I Nr. 2 InsO zu verlängern, oben § 2 D VI 5 c) bb). 1262 Vgl. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 108; Saenger/Inhester/Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 87; kritisch Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 82, der das für zu weitgehend hält. 1263 Ebenso Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64, Rn. 23; Saenger/Inhester/ Kolmann, GmbHG, § 64, Rn. 77; a.A. Arnold, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG, Rn. 57. 1260
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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spiel den Abzug wichtiger Produktionsmittel oder Arbeitskräfte erfassen, sowie zum anderen nur zum Ersatz für die konkret entnommenen Vermögensmittel verpflichten, mögliche, aus der Kapitalentnahme resultierende Folgeschäden („Kollateralschäden“, „Dominoschäden“) darüber aber nicht liquidiert werden können.1264 Die Notwendigkeit, im Interesse der Gesellschaft beziehungsweise der Gesellschaftsgläubiger einen über die §§ 30, 31 GmbHG hinausgehenden Schutz vorzusehen, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft Kapital oder andere Vermögenswerte entzieht und sie dadurch per „kalter Liquidation“1265 in einen vorhersehbaren wirtschaftlichen Ruin treibt, ist daher – trotz aller Streits im Detail – seit langem anerkannt und dürfte im Grundsatz nahezu unbestritten sein.1266 Was die Terminologie anbelangt, so firmiert diese Fallkonstellation traditionellerweise unter dem Stichwort der existenzvernichtenden Haftung. Wie Zöllner 1267 zu Recht betont hat, ist diese Bezeichnung unglücklich, ja falsch, weil bei den Haftungsvoraussetzungen nicht an die rechtliche Existenzvernichtung der Gesellschaft durch ihre Löschung im Handelsregister (§ 394 I 2 FamFG) angeknüpft wird, sondern vielmehr die Verursachung oder Vertiefung ihrer Insolvenz im Mittelpunkt steht.1268 Es wäre daher zwar korrekter, von Insolvenzver ursachungs- oder Insolvenzvertiefungshaftung zu sprechen, angesichts der in Rechtsprechung und Literatur gebräuchlichen Terminologie wird aber auch im Folgenden der Begriff der Existenzvernichtungshaftung verwendet.
1264 Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 44; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 37; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 275; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 92 ff.; vgl. auch BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2691 (Trihotel). 1265 M. Winter, Treubindungen, S. 206; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 400. 1266 So im Ergebnis, wenn auch mit im Detail ganz unterschiedlicher Ausgestaltung, die – soweit ersichtlich – einhellige Auffassung, vgl. z.B. BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 (Trihotel); Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1006; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83; Habersack, ZGR 2008, 533, 548; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2027; Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1521; Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660; ders., ZIP 2001, 1837, 1842; ders., ZIP 2002, 1553, 1562; Schmidt, GmbHR 2008, 449, 458; ders., Gesellschaftsrecht, S. 245; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 290 ff; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 46; MükoBGB/Wagner, § 826, Rn. 120; Kleindiek, NZG 2008, 686, 689; M. Schwab, ZIP 2008, 341, 347; Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167; C. Förster, AcP 209 (2009), 398, 426; Lieder, DZWIR 2008, 145, 147 f.; Goette, DStR 2007, 1593, 1594; Paefgen, DB 2007, 1907, 1908; Blasche, EWiR 2008, 681, 682; Gehrlein, WM 2008, 761, 766; Wilhelm, Rechtsform, S. 363 f.; ders., EWiR 2007, 557, 558; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 65; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 455 f.; Vetter BB 2007, 1965, 1968; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 396; Hönn, WM 2008, 769, 776 ff.; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 72. 1267 Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1003; vgl. auch Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 379 mit Fn. 832. 1268 Vgl. pars pro toto BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 (Trihotel).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
b) Meinungsstand aa) Die frühere Rechtsprechung des BGH Der BGH orientierte sich zunächst am Vertragskonzernrecht des AktG und entwickelte auf dieser Basis für Konzernsachverhalte die Haftung im sogenannten qualifiziert faktischen Konzern: Nahm das herrschende unter objektivem Missbrauch seiner Herrschaftsmacht in nachteiliger Weise auf das abhängige Unternehmen Einfluss und war ein Einzelausgleich des zugefügten Nachteils unmöglich, sollte es analog § 302 AktG zum Verlustausgleich verpflichtet sein beziehungsweise bei Insolvenz selbst haften (§ 303 AktG analog).1269 Diese Judikatur wurde sodann zugunsten der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe der „ersten Generation“1270 aufgegeben. Damit statuierte der BGH eine – allerdings gegenüber möglichen Ansprüchen der Gesellschaft aus §§ 30, 31 GmbHG subsidiäre – Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, wenn ein Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen einschließlich ihrer Geschäftschancen ohne angemessene Rücksicht auf die Belange der Gesellschaft beziehungsweise unter Außerachtlassung der gebotenen Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens eingriff.1271 § 13 II GmbHG beruhe nämlich auf der unausgesprochenen Prämisse, dass das zur Befriedigung der im Namen der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten benötigte Vermögen der Gesellschaft zu diesem Zweck in der Gesellschaft verbleibe. Greife ein Gesellschafter unter Missachtung dieser Zweckbindung in das Gesellschaftsvermögen ein und beeinträchtige damit die Fähigkeit der Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten, liege ein Missbrauch der Rechtsform der GmbH vor, der – per teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG – zu einem Verlust des Haftungsprivilegs führen müsse.1272 Auch wenn somit im Grundsatz Anspruchsinhaber die einzelnen Gesellschaftsgläubiger waren, war nach dem BGH für den Fall der Insolvenz der Gesell1269 BGH 29.3.1993 – II ZR 265/91, NJW 1993, 1200, 1202 ff. (TBB); siehe auch BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189 ff. (Autokran); 20.2.1989 – II ZR 167/88, NJW 1989, 1800, 1801 ff. (Tiefbau); 23.9.1991 – II ZR 135/90, NJW 1991, 3142, 3143 ff. (Video). – Zur wirtschaftspolitischen Bedeutung der Haftung des herrschenden Unternehmens vgl. Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 281. 1270 Terminologie nach Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 397. 1271 BGH 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622, 3623 (Bremer Vulkan – obiter dictum); 25.2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803, 1805 (L. Kosmetik); 24.6.2002 –II ZR 300/00, NJW 2002, 3024, 3025 (KBV); 13.12.2004 – II ZR 206/02, NJW-RR 2005, 335, 336 f. (Autovertragshändler); 13.12.2004 – II ZR 256/02, NZG 2005, 214, 214 f. (Handelsvertreter); dem folgend BAG 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, NZA 2005, 818, 820; BGH 13.5.2004 – 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248, 2253. 1272 BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024, 3025 (KBV). – Neben diesem besonderen Haftungstatbestand der Existenzvernichtungshaftung war nach Ansicht des BGH eine Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auch aus § 826 BGB möglich (vgl. BGH a.a.O. sowie 20.9.2004 – II ZR 302/02, NJW 2005, 145, 146 [Rheumaklinik]).
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schaft analog § 93 InsO allein der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung der Ansprüche befugt.1273 Diese Rechtsprechung stieß in der Literatur in vielerlei Hinsicht auf Ablehnung. So wurde kritisiert, es handele sich um eine „Billigkeitsrechtsprechung“ ohne präzisen Haftungsgrund,1274 die zudem als verschuldensunabhängige Haftung ein viel zu großes Risiko für die Gesellschafter bedeute1275 und auch insbesondere dann zu weit gehe, wenn die GmbH schon vor dem Eingriff in Schwierigkeiten war und die Gläubigerforderung daher – wirtschaftlich betrachtet – ohnehin nicht vollwertig war1276. Nachdem der BGH daraufhin dem in Anspruch genommenen Gesellschafter zunächst den Nachweis gestattete, der Gesellschaft sei im Vergleich zu der hypothetischen Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter und daher nur in diesem Umfang auszugleichender Nachteil entstanden1277 (was wiederum Kritik auf sich zog)1278, vollzog er mit „Trihotel“ eine erneute Kehrtwende und begründete die heutige Rechtsprechung. bb) Die aktuelle Rechtsprechung des BGH Auch die gegenwärtige Rechtsprechung rekurriert auf einen existenzvernichtenden Eingriff durch einen Gesellschafter, modifiziert bei dieser Existenzvernichtungshaftung „zweiter Generation“1279 aber Voraussetzungen, dogmatische Verortung und Rechtsfolgen: Statt einer eigenständigen, verschuldensunabhängigen Haftungsfigur wird die Existenzvernichtungshaftung nunmehr ausschließlich als besondere Fallgruppe einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung bei § 826 BGB qualifiziert, die nicht als Außen-, sondern als gegenüber den §§ 30, 31 GmbHG nicht subsidiäre1280 Innenhaftung ausgestaltet ist und an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens anknüpft.1281 Dementsprechend haben die Gesellschaftsgläubiger in aller Regel keinen Direktanspruch gegen den Gesell-
1273 BGH 20.9.2004 – II ZR 302/02, NJW 2005, 145, 147 (Rheumaklinik, noch ohne Zitat von § 93 InsO); 25.7.2005 – II ZR 390/03, NJW 2005, 3137, 3140; kritisch gegen die Anwendung von § 93 InsO und in favorem einer analogen Heranziehung von § 92 InsO MüKo-BGB/ Wagner, § 826, Rn. 120. 1274 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 79. 1275 Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 400. 1276 Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 47. 1277 BGH 13.12.2004 – II ZR 206/02, NJW-RR 2005, 335, 336 f. (Autovertragshändler). 1278 Vgl. Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 38 f.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 280 jeweils m.w.N. 1279 Terminologie nach Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 401. 1280 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel); 23.4.2012 – II ZR 252/10, NZG 2012, 667, 669. 1281 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 ff. (Trihotel); bestätigt in BGH 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR 2008, 918, 919; 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438 ff. (Gamma); 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2128 f. (Sanitary); 21.2.2013 – IX ZR 52/10, NJW-RR 2013, 1321, 1323.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
schafter; ob in besonders gelagerten Ausnahmefällen etwas anderes anzunehmen sein könne, lässt das Gericht offen.1282 Diese Innenhaftung setze zunächst einen gezielten, offenen oder verdeckten Eingriff in das im Gläubigerinteresse zweckgebundene Gesellschaftsvermögen1283 voraus, der – per Vermögensentnahme1284 oder durch Begründung von Gesellschaftsverbindlichkeiten1285 – zu einem Vermögensentzug1286 führt. Erforderlich sei ein aktives Handeln, die Grundsätze über die Existenzvernichtungshaftung begründeten also keine Pflicht zur Ausstattung der Gesellschaft mit einem angemessenen Eigenkapital; eine eventuelle materielle Unterkapitalisierung werde daher nicht erfasst.1287 Auch stellten bloße Managementfehler und Schäden infolge waghalsiger Unternehmerentscheidungen als gewissermaßen systemimmanente Risikofaktoren keinen Eingriff in diesem Sinne dar.1288 Der Eingriff müsse kompensationslos erfolgt sein, der Gesellschaft dürfe im Gegenzug also keine oder nur eine unvertretbar niedrige Gegenleistung zugeflossen sein,1289 und er müsse kausal für die Insolvenz der Gesellschaft gewesen sein beziehungsweise eine bereits bestehende Insolvenz vertieft haben, wobei Mitursächlichkeit genüge;1290 befand sich die Gesellschaft zur Zeit des Eingriffs bereits im Stadium der Liquidation (§§ 60 ff. GmbHG), genüge es aber, 1282 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel); 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2131 (Sanitary); als einen derartigen, möglichen Sonderfall nannte der Senat in Trihotel Situationen, in denen „das Restvermögen der Gesellschaft gezielt zum Zwecke der Schädigung eines einzigen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers ‚beiseitegeschafft‘ wird“. 1283 Was alles taugliches Objekt eines existenzvernichtenden Eingriffs sein kann, ist im Detail umstritten; vgl. dazu ausf. z.B. Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 412 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 81 ff.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 72 m.w.N. 1284 Z.B. Übertragung des Gesellschaftsvermögens ohne angemessenen Wertausgleich auf eine Schwestergesellschaft, BGB 21.2.2013 – IX ZR 52/10, NJW-RR 2013, 1321, 1323. 1285 Vgl. Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 414; OLG Jena 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631, 633. 1286 Regelmäßig wird dem Verlust der Gesellschaft spiegelbildlich ein Vorteil beim Gesellschafter oder einem (ihm nahestehenden) Dritten entsprechen, zwingende Voraussetzung ist dies aber wohl nicht, so dass auch die „bloße“ Zerstörung von Gesellschaftsvermögen ausreichen kann (vgl. BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 [Trihotel], wo ein solcher Vorteil nur als weiteres Argument für die Sittenwidrigkeit angeführt wird [„wenn dies zudem“, Hervorhebung hier]; so auch die Interpretation von Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 57). 1287 Siehe dazu ausführlich § 2 D IV 9. 1288 BGH 13.12.2004 – II ZR 256/02, NZG 2005, 214, 215; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 45; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 62; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 94; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 57. 1289 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2694 (Trihotel); 23.4.2012 – II ZR 252/10, NZG 2012, 667, 669; 24.7.2012 – II ZR 177/11, NZG 2012, 1069, 1071; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 66; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 95 ff. 1290 BGH 24.7.2012 – II ZR 177/11, NZG 2012, 1069, 1071; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 69; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 99.
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dass der Vermögensentzug gegen § 73 I GmbHG verstößt.1291 Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Eingriff nach dem BGH stets sittenwidrig, einer gesonderten Feststellung der Sittenwidrigkeit bedarf es mithin nicht.1292 Der Gesellschaft müsse ferner ein Schaden entstanden sein. Nach der Differenzhypothese sei nicht das gesamte, für die Befriedigung der Gläubiger erforderliche Kapital geschuldet, sondern es sei nur der durch den existenzvernichtenden Eingriff konkret verursachte Schaden auszugleichen.1293 Dieser umfasse neben dem Wert der entzogenen Vermögensposition aber auch sogenannte Kollateralschäden wie zum Beispiel die Kosten des Insolvenzverfahrens, entgangenen Gewinn oder insolvenzbedingte Zerschlagungsverluste.1294 Schließlich müsse der Gesellschafter mindestens eventualvorsätzlich eine insolvenzbedingte Schädigung des für die Gesellschaftsgläubiger reservierten Haftungsfonds in Kauf genommen1295 und daher – anders formuliert – einen betriebsfremden Zwecken dienenden Eingriff vorgenommen haben.1296 Ersatzpflichtig sei jeder Gesellschafter, der an dem existenzvernichtenden Eingriff mitwirkte, sei es, dass er ihn selbst vornahm, sei es, dass er den Geschäftsführer der GmbH dazu anwies. Entscheidend sei dabei nicht die formaljuristische Konstruktion, sondern die tatsächliche Einflussnahmemöglichkeit.1297 Aktivlegitimiert sowie darlegungs- und beweisbelastet sei die GmbH beziehungsweise – in der Insolvenz – der Insolvenzverwalter (§ 80 InsO1298). 1291 BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129 (Sanitary); 23.4.2012 – II ZR 252/10, NZG 2012, 667, 668. 1292 Vgl. BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 (Trihotel); 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR 2008, 918, 919; 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129 (Sanitary); 21.2.2013 – IX ZR 52/10, NJW-RR 2013, 1321, 1323; so auch die Interpretation der Rechtsprechung von Lieder, DZWIR 2008, 145, 146; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 105; dem BGH zustimmend Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 46; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 411; a.A. (gesonderte Feststellung der Sittenwidrigkeit nötig) Weller, ZIP 2007, 1681, 1685; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 87. 1293 BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 110; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68. 1294 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2695 (Trihotel); Weller, ZIP 2007, 1681, 1686; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 112; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 91. 1295 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 (Trihotel); Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 434. 1296 Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 57. – Wie sonst auch genügt Vorsatz bzgl. der objektiven, die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, eines Bewusstseins der Sittenwidrigkeit bedarf es nicht (BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 [Trihotel]; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 434; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 70). 1297 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel); vgl. die analog heranzuziehenden Aussagen zur Vermögensvermischung in Fn. 1502. 1298 Weil der Anspruch der GmbH selbst zusteht, folgt die Befugnis des Insolvenzverwalters zu seiner Geltendmachung bereits aus § 80 InsO, eines Rückgriffs auf eine (analoge) Anwendung des § 93 InsO bedarf es mithin nicht (Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 104).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Die Gesellschaftsgläubiger selbst hätten keinen Anspruch, sondern würden nur mittelbar über die Vergrößerung der Insolvenzmasse geschützt. Selbst vorgehen gegen den haftenden Gesellschafter könnten sie nur, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet wird, aber auch dann nicht aufgrund eines eigenen Direktanspruchs, sondern allein über den Umweg der Pfändung und Überweisung des Anspruchs der Gesellschaft.1299 cc) Meinungsstand in der Literatur (Skizze) Das gerade zur Existenzvernichtungshaftung „überbordende Schrifttum“1300 en détail wiederzugeben, käme einer Herkulesaufgabe gleich, die Aufgabe einer Kommentierung ist, hier aber weder geschultert werden kann noch muss. Es genügt vielmehr, die groben Linien des facettenreichen Meinungsspektrums im Hinblick auf zwei Gesichtspunkte nachzuzeichnen. Es ist dies zum einen die Frage, ob eine Innen- oder Außenhaftung oder eine Kombination aus beiden befürwortet wird, zum anderen, welches „Regelungsregime“ zur Begründung herangezogen wird. Im Hinblick auf die „Richtung“ der Haftung wird die Hinwendung des BGH zu einem Innenhaftungsmodell zum Teil abgelehnt und stattdessen weiterhin für eine originäre Außenhaftung – entweder in Gestalt der Beibehaltung der Existenzvernichtungshaftung erster Generation1301 oder einer deliktischen Verortung – plädiert.1302 Weit überwiegend wird die Aufgabe der Außenhaftung aber begrüßt,1303 wobei dies teilweise – unabhängig von der sogleich zu erläuternden Problematik, ob vertraglich oder deliktisch anzuknüpfen ist – unter den Vorbehalt gestellt wird, dass zum Schutz der Gläubiger bei einer masselosen Insolvenz entweder eine Direkthaftung1304 oder zumindest ein „Verfolgungs-
1299 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel); ob in besonders gelagerten Ausnahmefällen (wie wenn etwa das Restvermögen der Gesellschaft gezielt zum Zweck der Schädigung eines einzigen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers entzogen wird), etwas anderes gelten könne, lässt das Gericht offen. 1300 Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 48. 1301 So Lieder, DZWIR 2008, 145, 147 f.; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 46. 1302 Müko-BGB/Wagner, § 826, Rn. 120; Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1521; Kleindiek, NZG 2008, 686, 689 (jeweils für § 826 BGB); MüKo-GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 534; M. Schwab, ZIP 2008, 341, 347 (für § 826 BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. § 73 I GmbHG analog). 1303 Vgl. z.B. Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167; C. Förster, AcP 209 (2009), 398, 426; Goette, DStR 2007, 1593, 1594; Paefgen, DB 2007, 1907, 1908; Blasche, EWiR 2008, 681, 682; Greitemann, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 13, Rn. 123; Verse, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 64; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 79; Wicke/Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 12; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 118 f.; für Innenhaftung i.E. auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 59. 1304 Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660; Habersack, ZGR 2008, 533, 548; Gehrlein, WM 2008, 761, 766; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 46; Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1006.
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recht“ analog §§ 62 II, 93 V, 116, 117 V, 309 IV 3, 310 IV, 318 IV AktG1305 bestehe. Wiederum andere bejahen zwar eine Innenhaftung, halten aber zugleich auch eine Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus § 826 BGB für möglich.1306 Was die dogmatische Begründung der Innenhaftung anbelangt, wird deren deliktische Anküpfung durch den BGH zwar verbreitet befürwortet,1307 von den Anhängern der im Folgenden als „Sonderrechtslehre“ bezeichneten Auffassung aber auch abgelehnt und stattdessen – mit im Detail abweichender Begründung – auf die Verletzung einer Pflicht aus der Sonderverbindung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft rekurriert, was die (praktisch) wichtige Konsequenz haben soll, dass der Gesellschafter bereits für bloß fahrlässiges Handeln haftet.1308 c) Stellungnahme aa) Rechtsdogmatische Legitimation der Haftung Bevor die Frage zu erörtern ist, wie eine mögliche Haftung für existenzvernichtende Eingriffe beschaffen sein sollte, ist zunächst zu klären, ob sich eine solche potentielle Einstandsverpflichtung überhaupt rechtsdogmatisch überzeugend legitimieren lässt. Problematisch ist insofern, dass – wie ein Gegenschluss zu den §§ 30, 31 GmbHG zeigt – die Gesellschafter in der Verwendung des die gesetzliche Stammkapitalziffer übersteigenden Gesellschaftsvermögens im Grunde frei sind. Eine Haftung für den Eingriff in diesen Teil des Gesellschaftsvermögens zu begründen, fällt somit prima vista schwer. Ohne Zweifel können diese Bedenken nicht mit einem Verweis auf Gewohnheitsrecht beiseite gewischt werden, denn erstens ersetzt eine Berufung darauf, 1305 Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 384; Wilhelm, EWiR 2007, 557, 558; ders., Rechtsform, S. 363 f.; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 65; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 455 f.; so hilfsweise auch Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660; so alternativ auch Habersack, ZGR 2008, 533, 548; Schmidt, GmbHR 2008, 449, 458; ders., Gesellschaftsrecht, S. 245; Vetter, BB 2007, 1965, 1968; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2027. 1306 So vor allem Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 290 ff.; vgl. auch Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 46; Schanze, NZG 2007, 681, 685; kritisch gegen die Verdrängung des § 826 BGB ferner Streit/Bürk, DB 2008, 742, 749. 1307 C. Förster, AcP 209 (2009), 398, 410 ff.; Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167; Paefgen, DB 2007, 1907, 1908; Goette, DStR 2007, 1593, 1594; Blasche, EWiR 2008, 681, 682. 1308 M. Winter, ZGR 1994, 570, 580 ff.; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2026 f. (jeweils für Treuepflicht); Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 237 ff., 317 ff. (Verletzung der Pflicht zur „dezentralen Gewinnverfolgung“); Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1011 ff., 1021 („Rücksichtspflicht“ als „systemimmanentes Korrelat der Instrumentierung der GmbH als haftungsbegrenzenden Institution“); Wilhelm, Rechtsform, S. 285 ff., 330 ff., 344 ff.; ders., EWiR 2007, 557, 558 (analog § 43 I GmbHG); Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842; ders., ZIP 2002, 1553, 1562 (analog § 93 V 2, 3 AktG); so ohne nähere Begründung auch Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 396; Hönn, WM 2008, 769, 776 ff.; für eine im Kern kumulative Haftung aus § 280 BGB und § 826 BGB Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 290 ff.
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etwas sei schon immer so gewesen, keine rechtsdogmatische Begründung,1309 und zweitens wäre es angesichts des verhältnismäßig jungen „Alters“ dieses Rechtsinstituts1310 und den häufigen Schwenks in der Rechtsprechung absurd, im Bereich der Existenzvernichtungshaftung von einer für die Begründung von Gewohnheitsrecht ausreichend konstanten, gleichförmigen Handhabung in der Praxis1311 zu sprechen. Auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber des MoMiG en passant die Existenz der Existenzvernichtungshaftung anerkannte,1312 vermag sie – obwohl ihr damit der „Ruch“ einer vom Gesetzgeber nicht gebilligten praeter (oder sogar contra) legem erfolgten Rechtsfortbildung genommen ist – ebenfalls nicht rechtsdogmatisch begründen.1313 Überzeugend legitimieren lässt sich die Einstandspflicht des existenzvernichtend eingreifenden Gesellschafters jedoch mit Blick auf die §§ 70 ff. GmbHG. Zwar normieren auch diese nicht explizit eine derartige Haftung, sie legen aber fest, unter welchen Voraussetzungen die Beendigung der Gesellschaft zulässig ist.1314 Die Gesellschafter sind demnach zwar frei in ihrer Entscheidung, die GmbH jederzeit ohne sachlichen Grund auflösen und liquidieren zu wollen (vergleiche vor allem § 60 I Nr. 2 GmbHG), sie müssen dabei aber das gesetzlich angeordnete Verfahren beachten. Greifen sie hingegen dergestalt in das Gesellschaftsvermögen ein, dass der GmbH mittels Entzugs des existenznotwendigen Vermögens die weitere Geschäftsfortführung faktisch unmöglich gemacht wird, missachten sie die Vorgaben der §§ 70 ff. GmbHG. Ließe man eine derartige „kalte“1315 – oder „wilde“1316 – Liquidation zu, bestünde eine empfindliche Lücke im Gläubigerschutzsystem des GmbHG, würde es den Gesellschaftern doch ermöglicht, „im Vorwege die in der Gesellschaft gebündelten wertvollen assets an sich [zu] zieh[en] und anschließend den seiner Funktion als Haftungsträger beraubten, leeren, vom kläglichen Rest abgesehen seiner wirtschaftlichen Werte entkleideten Gesellschaftsmantel mit den daran hängenden Verbindlichkeiten den Gesellschaftsgläubigern [zu] überl[assen]“1317. Bei einer „kalten“ Liquidation verwirklicht sich also nicht das typische, den Gläubigern legitimer1309 Vgl. BVerfGE 82, 126 ff. (zu § 622 II BGB a.F. und der dortigen Schlechterstellung von Arbeitern gegenüber Angestellten); Manssen, TranspR 2010, 140, 141 mit Fn. 15 (zu Haftungshöchstsummen); vgl. auch oben § 2 A III 1 a). 1310 Zum Erfordernis einer Übung über einen gewissen Zeitraum vgl. z.B. Krebs/Becker, JuS 2013, 97, 100 m.w.N. 1311 Zu diesem Erfordernis für die Begründung von Gewohnheitsrecht vgl. Staudinger/ Honsell, Eckpfeiler, B Rn. 78 m.w.N. 1312 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 33, 41, 46. 1313 Zutreffend Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 288. 1314 Insbesondere der zwingende (dazu BGH 2.3.2009 – II ZR 264/07, NZG 2009, 659, 660; OLG Rostock 11.4.1996 – 1 U 265/94 , NJW-RR 1996, 1185, 1186; MüKo- GmbHG/ Müller, § 73, Rn. 1) § 73 I GmbHG ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. 1315 M. Winter, Treubindungen, S. 206. 1316 Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 111. 1317 Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 100.
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weise auferlegte Risiko, dass die GmbH aufgrund zum Beispiel einer ungünstigen Marktsituation, Fehlkalkulation et cetera insolvent wird und sie deshalb mit ihren Forderungen ganz oder teilweise ausfallen, sondern es handelt sich um ein außerordentliches, die Grundparameter des GmbHG verletzendes und damit – am Regelungsplan des Gesetzgebers gemessen – „planwidriges“1318 Verhalten. Dieses wird weder von den §§ 30, 31 GmbHG noch durch andere gesetzliche Schutzmechanismen sanktioniert, insbesondere § 64 GmbHG und § 15a InsO (in Verbindung mit § 823 II BGB) greifen nicht ein. Die Existenzvernichtungshaftung füllt die drohende Lücke und ist nichts anderes als eine Sanktion dafür, dass die Gesellschafter die Regeln über den „geordneten Marktaustritt“1319 der Gesellschaft verletzt haben.1320 Lässt sich eine Existenzvernichtungshaftung also dogmatisch legitimieren, so ist im Folgenden der Frage nachzugehen, wie diese methodisch ausgestaltet werden kann. Dies wird nicht „abstrakt-theoretisch“, von den Regelungen des BGB und des GmbHG abgelöst, sondern eng an den Voraussetzungen der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen beantwortet. bb) Anspruch der Gesellschaft aus §§ 280, 311 I BGB Fragt man nach Ansprüchen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, liegt es entsprechend allgemein-zivilrechtsdogmatischer Grundsätze nahe, den Blick zunächst auf das vertragsrechtliche Schadensersatzregime und seine zentrale Haftungsnorm zu richten. (1) Schuldverhältnis Grundvoraussetzung eines Anspruchs aus § 280 I BGB ist das Bestehen eines Schuldverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner bei Vornahme der schädigenden Handlung. Eine eindeutige gesetzliche Anordnung, dass zwischen Gesellschafter und Gesellschaft ein derartiges Schuldverhältnis bestünde, enthält das GmbHG zwar nicht. Vernünftige Zweifel am Bestehen eines solchen pflichtenbegründenden Schuldverhältnisses bestehen aber dennoch nicht.1321 Für die Existenz einer derartigen, unter § 280 BGB fallenden und letztlich durch 1318
U. Haas, WM 2003, 1929, 1930. Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 289. 1320 M. Winter, Treubindungen, S. 203 f.; ders., ZGR 1994, 570, 586 f.; Schmidt, ZIP 1986, 148; ders., ZIP 1988, 1497, 1506; ders., ZIP 1989, 545, 546 f.; Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034, 2037; U. Haas, WM 2003, 1929, 1933 ff.; Lutter/Banerjea, ZIP 2003, 2177, 2179; vgl. BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024, 3025; 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2130 (Sanitary); kritisch Altmeppen, ZIP 2002, 961, 966. 1321 Für ein solches z.B. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1035; ders., ZIP 1986, 146, 148; ders., ZIP 1989, 545, 546; Priester, ZGR 1993, 512, 521; M. Winter, ZGR 1994, 570, 581; Flume, AT I/2, S. 258; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 95; Burgard, ZIP 2002, 827, 831 f.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 402. – Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Gesellschafter eine natürliche oder eine juristische Person ist (zutreffend und näher M. Winter, Treubindungen, S. 205 ff.; ders., ZGR 1994, 570, 590 f.). 1319
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
den Gesellschaftsvertrag1322 begründeten Sonderrechtsbeziehung spricht, dass der Begriff des Schuldverhältnisses generell sehr weit ausgelegt wird und nach Auffassung des BGH zum Beispiel das Verhältnis zwischen Pfändungsgläubiger1323 und Drittberechtigtem oder zwischen Insolvenzverwalter und Massegläubiger1324 erfasst. Weil bei diesen das Maß an persönlicher Verbundenheit und einem gemeinsam verfolgten Interesse der Beteiligten entweder überhaupt nicht oder wenn dann nur in erheblich geringerem Maße als zwischen Gesellschaft und Gesellschafter vorliegt, liegt der Vergleich nahe, im vorliegenden Kontext erst recht ein Schuldverhältnis anzunehmen. Diese Auffassung teilt letztlich – wenn auch zum Teil unausgesprochen – die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung sowie der Gesetzgeber, die eine Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber ihrer GmbH bejahen, bei deren Verletzung die Gesellschaft Unterlassungs- und – Verschulden vorausgesetzt – Schadensersatzansprüche hat.1325 Diese Treuepflicht ist nun aber nichts anderes als ein Pfeil aus dem Köcher der zwischen Gesellschaft und Gesellschafter bestehenden Sonderrechtsbeziehung,1326 deren Verletzung eine Haftung aus § 280 BGB begründet.1327 Ein Schuldverhältnis liegt mithin vor. (2) Pflichtverletzung § 280 BGB setzt ferner die Verletzung einer aus diesem Schuldverhältnis resultierenden Pflicht voraus. Die Kritiker der Sonderrechtslehre bemängeln, die Bestimmung des Pflichtenkreises sei rechtssicher nicht möglich.1328 Daran ist richtig, dass in der Tat in der präzisen Festlegung der die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft treffenden Pflichten die größte Schwierigkeit liegt, liefert die Lehre von der Sonderrechtsverbindung doch „zunächst nur das 1322 MüKo- GmbHG/Mayer, § 2, Rn. 4; Schlitt, in: Sudhoff, GmbH & Co. KG, § 25, Rn. 2; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 336 mit Fn. 14; vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen, hier nicht näher zu erläuternden Begründungen für die Treuepflicht M. Winter, Treubindungen, S. 43 ff. 1323 BGH 7.3.1972 – VI ZR 158/70, NJW 1972, 1048, 1049 f. 1324 BGH 17.1.1985 – IX ZR 59/84, NJW 1985, 1161, 1163. 1325 Vgl. BT-Drucks. 16/12100, S. 12, wonach § 7 VII FMStBG die Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft konkretisiert; aus der Rechtsprechung vgl. BGH 1.4.1953 – II ZR 235/52, NJW 1953, 780, 781; 5.6.1975 – II ZR 23/74, NJW 1976, 191; 25.9.1986 – II ZR 262/85, NJW 1987, 189, 190; 7.7.2003 – II ZR 235/01, NJW 2003, 3127, 3128; aus der Literatur siehe z.B. Scholz/Winter/Seibt, GmbHG, § 14, Rn. 52; Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 27; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 281; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1035 f.; ders., ZIP 1988, 1497, 1505; Hartmann, GmbHR 1999, 1061, 1062; MüKo-GmbHG/Reichert/ Weller, § 14, Rn. 131; Ulmer/Raiser, GmbHG, § 14, Rn. 68; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 252, 64; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 402. 1326 Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505. 1327 Vgl. Hartmann, GmbHR 1999, 1061, 1062; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 119; Wilhelm, Rechtsform, S. 336 ff.; Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505; Priester, ZGR 1993, 512, 521 f.; so wohl auch BGH 10.12.1984 – II ZR 308/83, NJW 1985, 1030, 1031. 1328 Siehe z.B. Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167.
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dogmatische Gerüst“1329, entbindet aber nicht von der Schwierigkeit zu beurteilen, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter haftet.1330 Ein Argument gegen sie und damit die Anwendbarkeit von § 280 BGB kann daraus aber richtigerweise nicht hergeleitet werden. Zunächst handelt es sich dabei schon nicht um ein spezifisch GmbH-rechtliches, sondern um ein allgemeines Problem. Denn die von § 241 BGB angesprochenen, aber alles andere als präzise und subsumtionssicher gefassten und damit letztlich nicht eindeutig normativ vorgegebenen „Pflichten aus dem Schuldverhältnis“ müssen letztlich für jeden Vertragstyp und für jedes gesetzliche Schuldverhältnis separat durch Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet werden.1331 Wenn die damit verbundenen Schwierigkeiten im allgemeinen Zivilrecht die Annahme eines pflichtenbegründenden Schuldverhältnisses nicht hindern, kann es sich im Bereich des GmbH-Rechts richtigerweise nicht anders verhalten. Das zeigt auch ein Vergleich mit der Geschäftsführerhaftung. So entspricht es heute allgemeiner Meinung, dass das GmbHG bei weitem nicht alle den Geschäftsführer treffenden Pflichten explizit normiert, dennoch hat man keine Schwierigkeit damit, ungeschriebene Pflichten aus den gesetzlichen Vorgaben, an deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 43 I, II GmbHG geknüpft sind, zu deduzieren.1332 Schließlich ist auch nicht zu verkennen, dass man bestenfalls vom Regen in die Traufe gelangt, wenn man den Weg über § 280 BGB ablehnt, „nötigt“ die dadurch gerissene Lücke doch dazu, die Problematik sodann im deliktsrechtlichen Gewande zu diskutieren. Es ist nun aber nicht ersichtlich, warum es leichter sein sollte, § 826 BGB in dogmatisch überzeugenderer Weise mit Leben zu füllen als § 241 I BGB.1333 Zu untersuchen ist daher, ob – und wenn ja: welche – Pflicht ein Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft verletzt, wenn er sich eines existenzvernichtenden Eingriffs „schuldig“ macht. Führt man sich die dogmatische Begründung der Existenzvernichtungshaftung vor Augen, liegt die Antwort hinsichtlich der Pflicht als solcher auf der Hand: Wie ausgeführt1334, ist es den Gesellschaftern aufgrund der gesetzlichen Wertung der §§ 70 ff. GmbHG untersagt, die Gesellschaft „wild“ zu liquidieren. Die Gesellschafter, die von ihrem Recht, die Gesellschaft aufzulösen, Gebrauch machen wollen, trifft mithin die Pflicht, dies
1329 1330
Rn. 56.
Schmidt, ZIP 1989, 545, 546. Schmidt, ZIP 1986, 146, 148; vgl. auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13,
1331 Das gilt insbesondere für solche Schuldverhältnisse, die – wie Factoring, Franchising oder Leasing – gesetzlich nicht geregelt sind. 1332 Vgl. z.B. OLG Zweibrücken 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43, Rn. 2; MüKo-GmbHG/Fleischer, § 43, Rn. 10 f.; BeckOKGmbHG/Zöllner/Noack, § 43, Rn. 17. 1333 Vgl. auch Ulmer/Raiser, GmbHG, § 14, Rn. 75. 1334 Siehe § 2 D IV 8 c) aa).
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im Wege ordnungsgemäßer Liquidation zu tun.1335 Problematisch ist damit allein, ob diese Pflicht der Gesellschaft gegenüber besteht. Prima vista liegt es nahe, dies zu bejahen, erfolgte der existenzvernichtende Eingriff doch in das ihr rechtlich zugeordnete (§ 13 I GmbHG) Vermögen.1336 Dem wird nun allerdings entgegengehalten, das Gesellschaftsvermögen beziehungsweise die Gesellschaft als solche verdiente gar keinen Schutz, vielmehr gehe es „materiell“ letztlich allein um die Interessen der Gesellschaftsgläubiger, so dass statt einer Innen- richtigerweise eine Außenhaftung zu bejahen sei.1337 Das würde aber selbst dann nicht überzeugen, wenn man – worauf noch zurückzukommen sein wird – die Ausgangsprämisse eines nicht existierenden originären Gesellschaftsinteresses teilte, und zwar schon deshalb nicht, weil allein die Bejahung einer entsprechenden Pflicht gegenüber der GmbH und einer damit verbundenen möglichen Einstandsverpflichtung nichts darüber aussagt, ob auch die Gesellschaftsgläubiger einen eigenen Anspruch haben können und wie sich diese potentiellen Ansprüche zueinander verhalten. Zudem ist nicht zu übersehen, dass die erfolgreiche Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs durch die Gesellschaft letztlich gerade (auch) den Gläubigern zugute kommt, vergrößert sich damit doch die zu ihrer Befriedigung verfügbare Haftungsmasse.1338 Überdies missachtet die Gegenauffassung die Regelungstechnik des GmbHG, die dadurch charakterisiert ist, dass – unter anderem – die Verletzung von Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften nicht sanktioniert wird, indem die Gesellschafter unter Durchbrechung von § 13 II GmbHG einer Außenhaftung unterworfen werden, sondern vielmehr eine „Kanalisierung“ auf die GmbH erfolgt (vergleiche insbesondere §§ 6 V, 9 I 1, 9a I, II, 31 GmbHG1339).1340 Last but not least hat die Annahme einer Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft den Charme, gegebenenfalls die nicht am existenzvernichtenden Eingriff beteiligten und mit diesem auch nicht einverstandenen Gesellschafter (mittelbar) zu schützen, weil nach Durchsetzung des Anspruchs das Insolvenzverfahren möglicherweise beendet und der Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Zu klären bleibt, ob von einer solchen Pflichtverletzung auch dann die Rede sein kann, wenn es sich um den existenzvernichtenden Eingriff eines Alleingesellschafters oder aller einvernehmlich handelnder Gesellschafter einer mehrgliedrigen GmbH handelt. Die wohl herrschende Meinung1341 lehnt dies ab, da 1335
Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 294. Vgl. Habersack, ZGR 2008, 533, 547. 1337 Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 412; Weller, DStR 2007, 1166, 1168; Rubner, Konzern 2007, 635, 644. 1338 Hartmann, GmbHR 1999, 1061; Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 45. 1339 Für die Haftung der Geschäftsführer lassen sich ferner die §§ 43 II, 64 GmbHG anführen. 1340 M. Winter, ZGR 1994, 570, 581; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 289 f. 1341 BGH 28.9.1992 – II ZR 299/91, NJW 1993, 193; 10.5.1993 – II ZR 74/92, NJW 1993, 1336
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schutzbedürftige, nicht mit dem Eingriff einverstandene Mitgesellschafter in dieser Konstellation nicht existierten und ein schützenswertes Eigeninteresse der GmbH selbst nicht anzuerkennen sei, sei die Gesellschaft als juristische Person doch allein ein Instrument in der Hand ihrer Gesellschafter, die innerhalb der durch das Gesetz gezogenen Schranken (insbesondere §§ 30, 31 GmbHG) frei über den Gesellschaftszweck und die zu seiner Erreichung für richtig gehaltenen Methoden disponieren könnten und daher mit der GmbH nach Belieben verfahren dürften.1342 Das überzeugt nicht, vielmehr kann auch eine Einmann-GmbH beziehungsweise eine GmbH, deren sämtliche Gesellschafter einvernehmlich agieren, ein gegenüber den Gesellschaftern rechtlich schützenwertes Eigeninteresse haben.1343 Die herrschende Meinung verkennt, dass die GmbH zwar nicht unabhängig, aber nichtsdestotrotz eine selbständige juristische Person ist; das Recht, ihre Interessen zu definieren,1344 hebt deshalb im Grundsatz die Verpflichtung der Gesellschafter, auf eben diese Interessen Rücksicht zu nehmen, nicht per se auf; Selbständigkeit und Abhängigkeit der GmbH sind strikt zu trennen.1345 Die Gesellschafter haben zwar einen sehr weiten Entscheidungsspielraum bei der Definition des Gesellschaftszwecks, der Gesellschaftsinteressen und dem Weg zu ihrer Verwirklichung. Solange sie sich innerhalb dessen bewegen, kann daher keine Pflichtverletzung angenommen werden. Auch bei Einmann-Gesellschaften mbH oder einvernehmlich handelnden Gesellschaftern stößt dieses subjektive Recht allerdings an objektive Grenzen.1346 Das darf nun zwar 1922; 21.6.1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, 2818; 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68, 70; Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1010 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2139; Weller, DStR 2007, 1166, 1168; Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428 f.; Kropff, AG 1993, 485, 492 f.; E. Rehbinder, AG 1986, 85, 94; Kowalski, GmbHR 1993, 253, 257; Scholz/Winter/Seibt, GmbHG, § 14, Rn. 52; Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842; Autenrieth, GmbHR 1984, 198, 199. 1342 Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1011; Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428. 1343 Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505; ders., BB 1985, 2074, 2077; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 103 ff.; vgl. Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 418 f.; M. Winter, ZGR 1994, 570, 581 f.; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 395; so auch die Strafsenate des BGH in Bezug auf § 266 StGB BGH 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 39 f.; 24.2.1076 – 1 StR 602/75, BeckRS 1976, 00259 (juris Rn. 17); 29.5.1987 – 3 StR 242/86, NJW 1988, 1397, 1398; 5.11.1997 – 2 StR 42/97, NStZ 1998, 192, 193; ausführlich zum strafrechtlichen Meinungsstand und m.w.N. siehe Schönke/ Schröder/Perron, StGB, § 266, Rn. 21a, b; ähnlich auch Burgard, ZIP 2002, 827, 834. 1344 Dazu vgl. Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 419; Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428; M. Winter ZGR 1994, 570, 583. 1345 Zutreffend Hartmann, GmbHR 1999, 1061, 1062. 1346 Vgl. auch BGH 31.7.2009 – 2 StR 95/09, NZG 2009, 1152, 1154; ähnlich wie hier Hartmann, GmbHR 1999, 1061, 1063 ff. und M. Winter, ZGR 1994, 570, 580 ff., die die Problematik unter dem Gesichtspunkt erörtern, welchen formellen und materiellen Schranken das Recht der Gesellschafter unterliegt, sich von der Treuepflicht zu dispensieren. – Das hier vertretene Modell einer zwar einen großen subjektiven Spielraum belassenden, letztlich aber doch durch objektive Grenzen begrenzten Entscheidungsmacht ist ein in den verschiedensten juristischen Teildisziplinen und Rechtsgebieten wiederkehrendes Muster. Pars pro toto sei ein Vergleich mit dem Eltern-Kind-Verhältnis genannt, das ebenfalls durch eine Personendivergenz zwi-
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nicht dahingehend missverstanden werden, als solle den Gerichten ein Mandat für eine Kontrolle (alltäglicher) Gesellschaftsangelegenheiten oder der „sinnvollen“ Bestimmung des Gesellschaftszwecks übertragen werden. Angesichts der vom Gesetzgeber gewollten, unter anderem in der weitgehenden Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsvertrag1347 zum Ausdruck kommenden weitreichenden Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter kann in Abwesenheit expliziter gesetzlicher Vorgaben (wie zum Beispiel den genannten §§ 30, 31 GmbHG) eine Beschränkung der Interessendefinitionsmacht der Gesellschafter zwar in Extremfällen anzunehmen sein, aber eben auch nur dort.1348 Erreicht ist diese Grenze der gesellschafterlichen Befugnis zur Interessendefinition jedoch beim „Kernbereich pflichtgebundener Unternehmensleitung“1349, also dort, „wo […] der kompensationslose Abzug von Vermögen und Ertragschancen die Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Erhaltung ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen und ohne Einleitung eines die Befriedigung ihrer Gläubiger sicherstellendes geordneten Insolvenzverfahrens nach seriösen kaufmännischen Maßstäben in den voraussehbaren wirtschaftlichen Zusammenbruch treiben muß“1350. Der hier vertretenen Auffassung, dass ein eigenständiges, im Falle eines existenzvernichtenden Eingriffs haftungsbegründendes Gesellschaftsinteresse auch bei einvernehmlichem Handeln aller Gesellschafter beziehungsweise bei Einmann-Gesellschaften mbH existiert, steht die Gesetzgebungsgeschichte des MoMiG nicht nur nicht entgegen, sondern sie spricht bei näherer Betrachtung sogar dafür. Zwar findet sich im Regierungsentwurf eine Passage, die zunächst das Gegenteil nahelegt, heißt es dort doch, dass „[e]ine Haftung für geschäftliche Fehlentscheidungen des faktischen Geschäftsführers dem Grundsatz des GmbH-Rechts [widerspreche …], dass der Alleingesellschafter oder die einverständlich handelnden Gesellschafter für einen Schaden nicht verantwortlich sind, den sie selbst oder die mit ihrem Einverständnis handelnden Geschäfts-
schen Interessenträger (= Kind) einerseits und zur Interessendefinition Berufenen (= Eltern) andererseits gekennzeichnet ist. Letztere sind zwar weitgehend frei, was sie subjektiv als das Beste für ihr Kind ansehen, sie unterliegen dabei aber objektiven, durch die Rechtsordnung gezogenen Grenzen (vgl. D. Schwab, Familienrecht, Rn. 626, 659). So ist beispielsweise ihre Entscheidung darüber, ob ihr Kind ein normales Gymnasium oder eine Montessori Schule besuchen soll, frei (vgl. Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1626, Rn. 58), sie können aber nicht dafür optieren, dass es vor Ablauf der jeweiligen gesetzlichen Schulpflicht (vgl. z.B. §§ 72 ff. BWSchG oder Art. 35 f. BayEUG) überhaupt nicht zur Schule geht. 1347 Vgl. MüKo- GmbHG/Wicke, § 3 GmbHG, Rn. 148; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 3, Rn. 4; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 215; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 334. 1348 Vgl. M. Winter, ZGR 1994, 570, 583, 585 ff. 1349 Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 105; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 395 f.; M. Winter, Treubindungen, S. 203 ff. 1350 Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 106.
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führer ihrer eigenen Gesellschaft zufügen“1351. Jedoch wird dieser „Grundsatz“ im Folgenden exakt in der hier befürworteten Weise eingeschränkt, soll doch eine Ausnahme nicht nur „in Bezug auf die zwingenden Kapitalerhaltungsregeln“, sondern auch für die „zivilrechtliche Verantwortlichkeit […] bei existenzvernichtendem Eingriff“1352 gelten. Auch der Gesetzgeber geht mithin von einem innersten Interessenbereich der Gesellschaft aus, den selbst die einmütige Gesamtheit der Gesellschafter nicht beeinträchtigen darf. Es überzeugt daher nicht, wenn der BGH ein von den Gesellschaftern abgelöstes Eigeninteresse der GmbH verneint.1353 Er hat diese Auffassung in der Sache dann letztlich auch nicht durchgehalten, verweist er in der Sanitary-Entscheidung doch darauf, dass ein „gegenüber den Interessen des Alleingesellschafters verselbständigtes Vermögensinteresse der Gesellschaft […] unabhängig von den besonderen Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung grundsätzlich auch in sonstigen Fällen einer vorsätzlichen sittenwidrig Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch den Alleingesellschafter bestehen“ könne.1354 Zu klären bleibt, ob der Schutz gegen existenzvernichtende Eingriffe allein über das Deliktsrecht erfolgt, oder ob insoweit primär das vertragliche Haftungsregime heranzuziehen ist. Weder in Trihotel noch in den seither ergangenen Folgeentscheidungen hat der BGH einen möglichen Anspruch aus § 280 BGB mit auch nur einer einzigen Silbe erwähnt. Man wird den 2. Senat daher so verstehen können, dass die Existenzvernichtungshaftung allein auf § 826 BGB zu stützen sei.1355 Dass er dies nicht einmal andeutungsweise begründet, ist umso misslicher, als es der allgemein anerkannten zivilrechtlichen Dogmatik widerspricht, nach der das Vertragshaftungsrecht vor dem Deliktsrecht Vorrang genießt und dieses verdrängen, nicht aber von ihm verdrängt werden kann.1356 Eine Abweichung hiervon ist dogmatisch nur überzeugend, wenn 1351
BT-Drucks. 16/6140, S. 33 (Hervorhebung hier). BT-Drucks. 16/6140, S. 33. 1353 BGH 28.9.1992 – II ZR 299/91, NJW 1993, 193; 10.5.1993 – II ZR 74/92, NJW 1993, 1922; 21.6.1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, 2818; 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68, 70. 1354 BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2130 (Sanitary), Hervorhebungen hier; auf das in der zitierten Stelle in Bezug genommene Urteil (BGH 7.1.2008 – II ZR 314/05, NJW-RR 2008, 629, 630) lässt sich dies dagegen nicht stützen, heißt es dort doch im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverbot, dass „die Interessen des Alleingesellschafters von denen der Gesellschaft jedenfalls solange nicht getrennt werden können, als nicht Gläubigerinteressen gefährdet sind.“. 1355 Ebenso Weller, ZIP 2007, 1681, 1683; anders noch die Einschätzung von Gehrlein, WM 2008, 761, 767. 1356 Kritisch aus diesem Grund auch MüKo- GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 534; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 43; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008) 274, 290 ff.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 56; Weller, ZIP 2007, 1681, 1683; Müko-BGB/Wagner, § 826, Rn. 120; vgl. auch Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 371; Schanze, 1352
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sich stichhaltige Argumente dafür finden lassen. Als solches kann nicht angeführt werden, es sei nicht Aufgabe der Gerichte, alle denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen.1357 Denn erstens stellt § 280 BGB nach der gesetzlichen Ausgangslage im Bereich des Verschuldens geringere Anforderungen und wäre schon aus diesem Grund vom BGH vorrangig zu prüfen, und zweitens hat ein Gericht zumindest solange jede denkbare Anspruchsgrundlage zu prüfen, wie – wie beispielsweise im Fall Gamma1358, wo das Eingreifen von § 826 BGB schon tatbestandlich abgelehnt wurde – der Kläger nicht bereits mit einer anderen Anspruchsgrundlage sein Klageziel erreicht.1359 Auch darauf, der BGH führe die Tradition der Rechtsprechung fort, weil schon zu Zeiten der Existenzvernichtungshaftung erster Generation § 826 BGB als Anspruchsgrundlage für möglich erachtet wurde,1360 kann eine Abkehr von der grundlegenden Rechtsdogmatik nicht legitimiert werden. Zum einen nahm der BGH damals noch eine Außenhaftung an, so dass mangels vertraglicher Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger kein Vorrang des § 280 BGB bestehen konnte, zum anderen ersetzt die Berufung auf eine vermeintliche Rechtstradition keine dogmatische Begründung. Rein tatsächlich erklären lassen dürfte sich die Vorgehensweise des BGH mit dem Streben, es zu verhindern, dass die Grundidee des GmbHG – Schaffung eines haftungsbeschränkten Gesellschaftsmodells – durch großzügige Statuierung (vertraglicher) Pflichten, für deren bereits leicht fahrlässige Verletzung der Gesellschafter (gegenüber der Gesellschaft) schadensersatzpflichtig ist, ausgehöhlt wird.1361 Auch wenn dieses Anliegen berechtigt ist, rechtfertigt es eine Versagung vertraglicher Ansprüche dogmatisch nicht, kann ihm im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzrechts doch genauso Rechnung getragen werden. Auf der Ebene der Pflichtverletzung kann dies durch eine entsprechend strenge Handhabung geschehen, indem man die vom BGH bei § 826 BGB aufgestellten objektiven Anforderungen an einen existenzvernichtenden Eingriff entsprechend heranzieht.1362 NZG 2007, 681, 685: „zivilrechtliche Grundnorm […] ist nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen durch Richterrecht zu derogieren“. 1357 So aber Vetter, BB 2007, 1965. 1358 BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438 ff. 1359 Knöringer, Assessorklausur, Rn. 6.06. 1360 Darauf verweist Vetter, BB 2007, 1965. 1361 Vgl. die Absage des BGH an die Erfolgshaftung im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung erster Generation in BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 f. (Trihotel), vor allem Rn. 27, 31; Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167, nach dem es sich bei der Innenhaftung über § 280 BGB nicht um eine das Kapitalerhaltungssystem ergänzende, sondern dieses ersetzende Generalklausel handle, die zu einer ausufernden Überprüfung führe, für die letztlich die Maßstäbe fehlten. 1362 Dem steht nicht entgegen, dass § 826 BGB anders als § 280 BGB ein sittenwidriges Handeln verlangt, geht der BGH doch stets von Sittenwidrigkeit aus, wenn die von ihm formulierten Voraussetzungen für einen existenzvernichtenden Eingriff vorliegen (vgl. BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 [Trihotel]; 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR
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Zusammengefasst: Liegen die vom BGH im Rahmen von § 826 BGB aufgestellten Voraussetzungen für einen existenzvernichtenden Eingriff vor, ist eine über § 280 BGB justiziable Pflichtverletzung anzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn ein Alleingesellschafter oder alle Gesellschafter einer mehrgliedrigen GmbH einvernehmlich handeln. (3) Vertretenmüssen Nach allgemeinen Grundsätzen haftet der Schuldner bei § 280 BGB bereits für bloße Fahrlässigkeit (§ 276 II BGB) und damit prima vista wesentlich strenger als nach § 826 BGB. Wie ausgeführt, dürfte dies ein maßgebliches Motiv dafür gewesen sein, warum der BGH vertragliche Ansprüche ablehnt und auf § 826 BGB rekurriert. Auch auf der Ebene des Verschuldens vermag diese Gefahr aber nicht die apodiktische Versagung vertraglicher Ansprüche zu begründen. Das durchaus berechtigte Ziel des BGH wird im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzrechts nämlich ebenfalls erreicht. So ist schon äußerst zweifelhaft, ob ein fahrlässiger existenzvernichtender Eingriff praktisch angesichts der eng gefassten Haftungsvoraussetzungen überhaupt tatbestandlich möglich ist.1363 Wenn man als Grundlage des Haftungstatbestands das Verbot der „kalten“ Liquidation sieht, deren Wesen es ist, dass sich der Gesellschafter über das Gebot eines geordneten Marktaustritts hinwegsetzt, erscheint es unwahrscheinlich, dass er hierbei nicht mit mindestens bedingtem Vorsatz handelte.1364 Jedenfalls aber lässt sich die Gefahr einer (zu) leicht zu verwirklichenden und zu weitreichenden Gesellschafterhaftung systemgerechter als durch einen völligen „Ausschluss“ von § 280 BGB bannen, indem man auch in dessen Rahmen mindestens eine bedingt vorsätzliche Handlung zur Voraussetzung macht.1365 Methodisch ist das über die im Rahmen der Schuldrechtsreform in § 276 I 1 BGB eingefügte Wendung „wenn eine […] mildere Haftung weder bestimmt [ist] noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses […] zu entnehmen ist“, unschwer möglich, dogmatisch begründet werden kann es mit dem „gesamtsystematischen“ Anliegen, eine zu weitgehende Unterminierung der „Grundfesten“ des GmbHG zu vermeiden. Die Unterschiede zwischen der hier und der vom BGH vertretenen Auffassung erschöpfen sich damit im unterschiedlichen Bezugspunkt des Verschul2008, 918, 919; 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129 [Sanitary]; so auch die Interpretation der Rechtsprechung von Lieder, DZWIR 2008, 145, 146; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 105). 1363 Darauf, dass durch eine entsprechend enge Pflichtenziehung die Gefahr einer zu weitgehenden Haftung vermieden werden kann, verweist z.B. auch Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580. 1364 Vgl. Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 285; zur ähnlichen Situation bei der materiellen Unterkapitalisierung vgl. Flume, AT I/2, S. 82 f. 1365 Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 295; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 56; vgl. auch Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 382.
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denserfordernisses sowie in der Beweisverteilung hinsichtlich des Verschuldens. Während sich auf dem Boden der hier vertretenen Auffassung das Verschulden nur auf die Pflichtverletzung beziehen muss und zudem vermutet wird, so dass sich der Gesellschafter exkulpieren muss (§ 280 I 2 BGB), setzt § 826 BGB Vorsatz auch hinsichtlich der Schädigung voraus und obliegt der Nachweis hierfür der Gesellschaft.1366 (4) Schaden Liegen die genannten Voraussetzungen vor, schuldet der existenzvernichtend eingreifende Gesellschafter Schadensersatz. Das wirft die Frage auf, wie der ersatzfähige Schaden zu bestimmen ist. (a) Die im Rahmen des § 826 BGB erfolgten Aussagen des BGH hierzu sind nicht ganz einheitlich: In der Trihotel-Entscheidung sowie einer späteren Entscheidung rekurrierte das Gericht in einem ersten Schritt auf die durch den Eingriff verursachten Vermögensnachteile der Gesellschaft (zum Beispiel entzogene Vermögenspositionen, entgangener Gewinn), beschränkte die Ersatzfähigkeit aber in einem zweiten Schritt auf den Betrag dessen, was „für die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Schulden zu bezahlen, notwendig ist“1367, so dass die gesamten, im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen die „Obergrenze“1368 darstellten. In Sanitary definierte das Gericht den Schaden der Gesellschaft gleich als „Verlust ihrer Schuldendeckungsfähigkeit“.1369 Der BGH anerkennt also zwar die Möglichkeit, dass der Gesellschaft Schäden entstehen können, die über den Gesamtbetrag dessen hinausgehen, was die Gesellschaftsgläubiger an Forderungsrealisierungsverlusten durch die „Plünderung“ des Gesellschaftsvermögens erlitten haben, im selben Atemzug begrenzt er aber den Anspruch der Gesellschaft auf eben diesen Gesamtbetrag der Forderungsausfälle. Indem die addierten, nach der Lesart des BGH bloße Reflexschäden beinhaltenden Gläubigerschäden zur Obergrenze dessen erklärt werden, was die Gesellschaft bei ihrem Gesellschafter liquidieren kann, wird die Möglichkeit einer Personendivergenz von Anspruchsinhaber und den für die Schadensbestimmung maßgeblichen Geschädigten eröffnet. Diese als „teleologische Reduktion“ der Innenhaftung1370 oder „Modifikation“1371 des Schadensersatzanspruchs bezeichnete Auffassung trifft auf – soweit ersichtlich – fast einhellige Zustimmung im Schrifttum.1372 Einig ist man sich im Wesentlichen des Weiteren, dass – inner1366 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel) m.w.N.; 23.4.2012 – II ZR 252/10, NZG 2012, 667, 668; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 295. 1367 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2695. 1368 BGH 24.7.2012 – II ZR 177/11, NZG 2012, 1069, 1072. 1369 BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129. 1370 Rubner, DStR 2009, 1538, 1543. 1371 Schult, Solvenzschutz, S. 139 f. 1372 Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 382; Weller, ZIP 2007, 1681, 1686; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 286; Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1523; Kölbl, BB 2009,
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halb dieser Obergrenze – zwar nicht nur der Wert der entzogenen Güter selbst (soweit dieser materiell messbar ist1373) als Mindestschaden zu ersetzen ist,1374 sondern auch sonstige „Kollateralschäden“ wie zum Beispiel die Insolvenzverfahrens- und Prozesskosten,1375 Zinsverluste,1376 der bereits erwähnte entgangene Gewinn,1377 insolvenzbedingte Zerschlagungsverluste1378 und unter Umständen auch die Kosten eines Prozessfinanzierers1379 auszugleichen sind, eine Pflicht zur Wiederherstellung der Gesellschaft als werbendes Unternehmen aber abzulehnen ist.1380 (b) Entsprechend der Differenzhypothese ist der auszugleichende Schaden durch eine Gegenüberstellung des jetzigen tatsächlichen mit dem hypothetischen Zustand, der ohne das schädigende Ereignis bestünde, zu ermitteln.1381 Legt man diesen Maßstab an, wäre der eingreifende Gesellschafter verpflichtet, alle auf dem existenzvernichtenden Eingriff kausal beruhenden Schäden der Gesellschaft auszugleichen. Fraglich ist angesichts dessen zunächst, ob die von der herrschenden Meinung vorgenommene „Deckelung“ auf den Gesamtbetrag der von den Gesellschaftsgläubigern erlittenen Forderungsausfälle überzeugend ist. Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung ist dabei, dass diese Beschränkung der Syste1194, 1198; Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1008; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 29, 41; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68; BeckOK- GmbHG/ Wilhelmi, § 13, Rn. 113; Verse, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 66; Wicke/Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 9; MüKo- GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 602; für Ersatz des Gesamtschadens der Gläubiger Hölzle, DZWIR 2007, 397, 400. 1373 Gegebenenfalls muss versucht werden, den Schaden zu schätzen (§ 287 ZPO), vgl. Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1007. 1374 Vgl. z.B. BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129 (Sanitary); Michalski/ Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 433; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68. 1375 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2695 (Trihotel); 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129 (Sanitary); Verse, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 66; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68; BeckOK-GmbHG/ Wilhelmi, § 13, Rn. 112; MüKo-GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 602; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 91. 1376 BGH 13.12.2007 – IX ZR 116/06, NJW-RR 2008, 918. 1377 Weller, ZIP 2007, 1681, 1686; Kölbl, BB 2009, 1194, 1198; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 112; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 91; MüKo-GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 602. 1378 Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 433; Wicke/Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 9. 1379 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2695 (Trihotel); Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 91; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn 112; Verse, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 66. 1380 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 68; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 113; Weller, ZIP 2007, 1681, 1686; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 29; Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1008. 1381 Vgl. z.B. BGH 15.3.2000 – XII ZR 81/97, NJW 2000, 2342, 2343; Staudinger/Schiemann, § 249, Rn. 5; MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 19.
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matik des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts widerspricht.1382 Daraus folgt zwar nicht automatisch ihre Unzulässigkeit, wohl aber das Bedürfnis nach einer überzeugenden Begründung für diesen Systembruch. Wie dargelegt, besteht die dogmatische Rechtfertigung der Existenzvernichtungshaftung darin, die Gläubiger vor einer „kalten“ Liquidation durch Umgehung der Schranken für einen „geordneten Marktaustritt“ zu schützen.1383 Angesichts dessen erscheint es durchaus plausibel und vertretbar, mit der herrschenden Meinung die Schadensfolgen an dieser Zweckrichtung auszurichten. Dennoch dürften letztlich die besseren Argumente gegen eine am Gesamtforderungsausfall orientierte Maximalgrenze sprechen. Zunächst erscheint es wenig konsequent, als primär Geschädigte die Gesellschaft samt ihrem „verselbständigten Vermögensinteresse“1384 anzusehen, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch dann aber maßgeblich an den vom BGH als bloßen Reflexschaden eingestuften Gläubigerausfall zu bestimmen. Überdies spricht in zweierlei Hinsicht ein Vergleich mit § 31 GmbHG gegen die herrschende Meinung: Erstens zeigt der Gegenschluss zu § 31 II GmbHG, dass dem Erstattungsanspruch das Konzept eines „abstrakten“ Gläubigerschutzes zugrundeliegt, so dass der Empfänger der nach § 30 GmbHG unzulässigen Zahlung diese selbst dann vollständig erstatten muss, wenn der Eingriff ins Stammkapital im konkreten Fall keine gläubigergefährdende Wirkung entfaltete, die Erstattung also zum Schutz der Gläubiger gar nicht erforderlich wäre.1385 Ist aber, wie der BGH und die ganz herrschende Lehre zu Recht betonen, Aufgabe der Existenzvernichtungshaftung die Schließung der von den §§ 30, 31 GmbHG offen gelassenen Lücken,1386 so ist nicht einsichtig, warum insoweit ein anderes gelten sollte als beim gesetzlich normierten Kapitalerhaltungsschutz. Erhellend ist zweitens ein Blick auf § 31 II GmbHG, der im Interesse des Zahlungsempfängers den Grundsatz des abstrakten Gläubigerschutzes durchbricht, indem er den Erstattungsanspruch auf dasjenige reduziert, was in concreto zur Befriedigung der Gläubigerforderungen erforderlich ist.1387 Auf diese Beschränkung kann sich jedoch nur ein gut1382
Ebenso Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 48 f., 135. Siehe oben § 2 D IV 8 c) aa). 1384 BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2130 (Sanitary). 1385 Vgl. MüKo- GmbHG/Ekkenga, § 31, Rn. 42; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 31, Rn. 16. – Dem entspricht die gesetzliche Grundkonzeption der unter anderem der Sicherung der Aufbringung des Stammkapitals dienenden Vorschriften der §§ 9a, b GmbHG (zum Zweck der Vorschriften vgl. z.B. Pfisterer, in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 9a, Rn. 2; Schäfer, in: Henssler/Stroh, Gesellschaftsrecht, § 9a GmbHG, Rn. 2). Zwar erlaubt es § 9b I 1 GmbHG der Gesellschaft, insoweit auf den Anspruch aus § 9a GmbHG zu verzichten, als dieser zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich ist. Der Gegenschluss hierzu zeigt aber, dass das Gesetz im Grundsatz einen abstrakten Gläubigerschutz statuiert. 1386 Siehe z.B. BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 57; Wicke/Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 5; BeckOK-GmbHG/ Wilhelmi, § 13, Rn. 72. 1387 MüKo- GmbHG/Ekkenga, § 31, Rn. 42; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 31, Rn. 16. 1383
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gläubiger Empfänger, das heißt ein solcher, der im Augenblick des Leistungsempfangs die den Verstoß gegen § 30 GmbHG begründenden Tatsachen weder positiv kannte noch grob fahrlässig nicht kannte, berufen.1388 Wie ausgeführt, wird ein existenzvernichtender Eingriff schon rein faktisch fast ausschließlich – mindestens: bedingt – vorsätzlich begangen werden, beziehungsweise ist bei der Existenzvernichtungshaftung auch im Rahmen von § 280 BGB zumindest dolus eventualis zu verlangen.1389 Die Wertung des § 31 II GmbHG legt angesichts dessen nahe, dass der existenzvernichtend Eingreifende eine Haftungsdeckelung auf den Gesamtbetrag der Gläubigerausfälle nicht „verdient“.1390 Unabhängig von den aus § 31 GmbHG zu ziehenden Schlüssen hat die hier vertretene Auffassung den Vorteil, dass die Realisierung des im Vergleich zur herrschenden Meinung „überschüssigen“ Schadensersatzanspruchs die Chance auf eine sanierende Insolvenz, die die Gesellschaft in die Lage versetzt, ihre Geschäfte fortzusetzen, deutlich erhöht, was typischerweise volkswirtschaftlich vorzugswürdig sein dürfte. Last but not least führt die hier postulierte Ansicht auch nicht zu einer unbilligen Beeinträchtigung der Interessen des existenzvernichtend Eingreifenden. Vielmehr werden angemessene Ergebnisse erzielt, weil der zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderliche Teil in die „Tasche“ fließt, in die er ökonomisch betrachtet ohnehin gehört: Wird ein „normales“ Insolvenzverfahren durchgeführt und bleibt – Dank der Realisierung des Existenzvernichtungshaftungsanspruchs – nach Befriedigung aller Gläubiger ein Masserest übrig, so wird dieser gemäß § 199 S. 2 InsO entsprechend dem Verhältnis der Geschäftsanteile (§ 72 GmbHG1391) auf die Gesellschafter aufgeteilt, jeder Gesellschafter erhält mithin in etwa dasjenige, was ihm zugestanden hätte, wenn entweder die Gesellschaft „normal“ nach den §§ 66 ff. GmbHG liquidiert worden wäre oder ein Insolvenzverfahren ohne vorherigen oder parallelen existenzvernichtenden Eingriff stattgefunden hätte.1392 Entschließt sich der Insolvenzverwalter umgekehrt zu einer sanierenden Insolvenz, bleibt das „zurückgeholte“ Geld, soweit es nicht zur Gläubigerbefriedigung verwendet wurde, im Gesellschaftsvermögen. Wirtschaftlich betrachtet steht es damit wiederum den Gesellschaftern zu, die darauf – unter Beachtung der durch die §§ 30, 31 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung gezogenen Grenzen – nach Abschluss des Insolvenzverfahrens entsprechend ihrer Anteile zugreifen können. 1388 Fleischer, in: Henssler/Strohn, GmbHG, § 31, Rn. 22; Heidinger, in: Michalski, GmbHG, § 31, Rn. 49; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 31, Rn. 17; MüKo- GmbHG/Ekkenga, § 31, Rn. 44. 1389 Siehe oben § 2 D IV 8 c) bb) (3). 1390 Vgl. Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 49 f. (erst-recht-Schluss zu § 31 II GmbHG). 1391 Zur Maßgeblichkeit des § 72 GmbHG im Rahmen von § 199 S. 2 InsO vgl. z.B. MüKoInsO/Hintzen, § 199, Rn. 2; Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, § 199, Rn. 3. 1392 Vgl. auch Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 48 f., 71, 133 f.
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Entgegen der herrschenden Meinung ist daher eine Deckelung auf die addierten Gläubigerausfälle abzulehnen. Unabhängig von der soeben erörterten Frage ist ferner zu klären, inwieweit der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft zu beschränken ist. Wie oben dargelegt, sind nach herrschender Meinung zwar Kollateralschäden einschließlich entgangenen Gewinns zu ersetzen, eine Pflicht zur Wiederherstellung der Gesellschaft als werbendes Unternehmen wird aber abgelehnt. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil kein sachlicher Grund für diese Differenzierung existiert. Insbesondere kann sich die herrschende Meinung nicht – ohne sich selbst zu widersprechen – auf die von ihr postulierte Gläubigerorientiertheit des Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft in Gestalt der Beschränkung dieses Anspruchs auf den Gesamtforderungsausfall der Gläubiger berufen. Denn nähme man dieses Argument ernst, wäre richtigerweise auch ein entgangener Gewinn nicht ersatzfähig.1393 Vor allem aber widerspricht die herrschende Meinung dem Grundsatz der Naturalrestitution. Gebietet dieser die Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte (§ 249 I BGB), so kann ein geschädigtes Unternehmen, das erfolgreich den Nachweis antritt, ohne die Schädigung eine bestimmte Marktposition innegehabt zu haben, verlangen, dass der Schädiger alles ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um es in eben diese Lage zu versetzen. Nur wenn beziehungsweise soweit dies in natura nicht möglich ist, hat der Schädiger Schadensersatz in Geld zu leisten.1394 Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ließe sich im vorliegenden Kontext nur begründen, wenn sich ein sachliches Argument hierfür finden ließe. Ein solches ist hier nicht ersichtlich, insbesondere lässt sich die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter nicht anführen.1395 Soweit es sich um eine mehrgliedrige GmbH handelt, bei der nicht alle Gesellschafter am existenzvernichtenden Eingriff teilhatten, folgt dies schon daraus, dass das Entscheidungsrecht der nicht am existenzvernichtenden Eingriff mitwirkenden Gesellschafter über das weitere Schicksal der Gesellschaft durch deren Wiederherstellung gerade gestärkt wird. Aber auch, wo alle Gesellschafter zusammenwirkten respektive ein Alleingesellschafter handelte, liegt kein unzulässiger Eingriff in ihre Dispositionsfreiheit vor. Denn diese erlaubt ihnen zwar die jederzeitige Beendigung der Gesellschaft, nicht aber deren kalte Liquidation; der unzulässige existenzvernichtende Eingriff enthält daher nicht – wie Schult1396 – meint, zugleich die zulässige Ent1393 Anführen ließe sich höchstens, die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns käme auch den Gläubigern zugute. Das ist zwar zutreffend, gilt aber genauso für die Wiederherstellung des Geschäftsbetriebs, so dass auch insoweit kein relevanter Unterschied besteht. 1394 Vgl. auch MüKo-BGB/Oetker, § 252, Rn. 25 f., wonach auch der Schaden ersatzfähig ist, der entsteht, weil infolge der Schädigung Aufträge nicht übernommen werden können, der Geschäftsbetrieb zurückgeht oder Kunden verschreckt werden. 1395 In diese Richtung aber Schult, Solvenzschutz, S. 151. 1396 Schult, Solvenzschutz, S. 152.
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scheidung zur Beendigung der GmbH. Selbst wenn man das anders sähe, würde die Dispositionsfreiheit der Gesellschafter durch die hier vertretene Auffassung nicht nachhaltig beeinträchtigt, bliebe es den Gesellschaftern doch unbenommen, nach der durch die Realisierung des Schadensersatzanspruchs erfolgten Wiederherstellung der Marktfähigkeit der Gesellschaft diese – ordnungsgemäß – zu liquidieren. Schließlich spricht gegen die hier befürwortete Ansicht auch nicht ein dem Grundsatz der Naturalrestitution vorgehendes Schutzbedürfnis des einstandspflichtigen Gesellschafters. Ein solches ist nämlich jedenfalls dann nicht anzuerkennen, wenn man mit der hier vertretenen Auffassung1397 ein mindestens bedingt vorsätzliches Handeln zur Haftungsvoraussetzung macht, ist doch, wie die §§ 202 I, 276 III BGB zeigen, ein vorsätzlich Handelnder nach der Konzeption der Zivilrechtsordnung nicht schutzwürdig. Zusammengefasst haftet der existenzvernichtend Eingreifende der Gesellschaft aus § 280 BGB entsprechend dem Grundsatz der Naturalrestitution „umfassend“ auf Schadensersatz. In concreto bedeutet dies, dass – jeweils entgegen der herrschenden Meinung – der Anspruch (1) auch auf Wiederherstellung der Gesellschaft als werbendes Unternehmen geht1398 und (2) nicht auf den Gesamtbetrag der von den Gesellschaftsgläubigern erlittenen Forderungsausfälle beschränkt ist. cc) Anspruch der Gesellschaft aus § 43 II GmbHG analog? Insbesondere Wilhelm1399 und Altmeppen1400 verorten die Haftung der Gesellschafter für existenzvernichtende Eingriffe in einer analogen Anwendung des § 43 II GmbHG, wobei letzterer in zusätzlicher Analogie zu § 93 V 2, 3 AktG eine (unverzichtbare) Haftung nur bei einem „gröblichen“ Sorgfaltsverstoß und damit der Verletzung eines „Mindeststandards unternehmerischer Sorgfalt“1401 annehmen will. Dahinter steht die Vorstellung, der die organschaftliche Leitung der GmbH durch den existenzvernichtenden Eingriff übernehmende Gesellschafter sei wie ein „Quasi-Fremdgeschäftsführer“ zu behandeln und mithin einer Haftung analog § 43 II GmbHG zu unterwerfen. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, ist dieser Weg schon deshalb abzulehnen, weil es angesichts der Haftung aus den §§ 280, 241 II BGB an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke fehlt. Unabhängig davon stellte es 1397
Siehe oben § 2 D IV 8 c) bb) (3). So auch Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 145 f. mit weiteren Ausführungen zum konkreten Schadensumfang; vgl. auch Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 382, der zumindest die Wiederauffüllung des Stammkapitals bei einer Haftung wegen Treuepflichtverletzung in einer mehrgliedrigen GmbH für nicht undenkbar hält. 1399 Wilhelm, Rechtsform, S. 336 ff.; für eine Verortung in §§ 280, 311 II Nr. 3, 241 II BGB nun aber ders., NJW 2003, 175, 178 f. 1400 Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842 ff.; ders., NJW 2002, 321, 323 f.; NJW 2007, 2657, 2659 f.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 120 ff. 1401 Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1845. 1398
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einen merkwürdigen, schwerlich überzeugenden „Umweg“ dar, eine Schadensersatzpflicht des Gesellschafters über die Annahme einer (Fremd-)Geschäftsführerstellung zu konstruieren,1402 wo es doch um die Verletzung von Pflichten geht, die ihn gerade als Gesellschafter treffen. dd) Anspruch der Gesellschaft aus § 826 BGB Stuft man das Handeln des existenzvernichtend eingreifenden Gesellschafters nicht nur als vertrags-, sondern auch als sittenwidrig ein, hat die Gesellschaft auch einen Anspruch aus § 826 BGB. Dieser wird nach allgemeinen Regeln zwar nicht durch § 280 BGB verdrängt,1403 seine praktische Bedeutung ist allerdings denkbar gering, weil die Haftung nicht weiter geht als diejenige aus § 280 BGB, das Anspruchsziel also bereits über die vertragliche Schadensersatzhaftung erreicht wird.1404 ee) Außenhaftung infolge teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG? Wie in einem späteren Abschnitt noch zu zeigen sein wird, haftet bei einer unentwirrbaren Vermischung von Gesellschafts- und Privatvermögen der diese sogenannte Vermögensvermischung zu verantwortende Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern direkt mit seinem eigenen Vermögen. Methodisch erreicht wird dies durch eine Kombination aus teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG und einer analogen Anwendung des § 128 HGB.1405 Auf die Existenzvernichtungshaftung kann diese Konzeption richtigerweise aber nicht übertragen werden, würde dadurch doch ein fundamentaler Unterschied zwischen beiden Konstellationen übersehen.1406 Bei der Vermögensvermischung wird die Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens und damit das Trennungsprinzip aufgehoben; weil dieses absolute Mindestbedingung für eine Haftungsbeschränkung per Vermögensmassentrennung ist, ist es gerechtfertigt, § 13 II GmbHG unangewendet zu lassen.1407 Der existenzvernichtende Eingriff ist damit nicht vergleichbar, erschöpft er sich doch in einem Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen und lässt das Trennungsprinzip als solches unberührt.1408 Mit anderen Worten stellt er damit zwar ein zivilrechtlich sanktionswürdiges Verhalten dar, beeinträchtigt aber nicht die absolute Mindestbedingung der Haf1402 Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2025; U. Haas, WM 2003, 1929, 1939; ähnlich Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; so i.E. auch Henzler, Existenzvernichtung, S. 94 f.; ablehnend auch Bitter, WM 2001, 2133, 2139. 1403 Es handelt sich um einen Fall echter Anspruchskonkurrenz, vgl. z.B. BGH 28.4.1953 – I ZR 47/52, NJW 1953, 1180, 1181; 3.2.1998 – X ZR 27/96, NJW 1998, 2282, 2283; 19.10.2004 – X ZR 142/03, NJW-RR 2005, 172; MüKo-BGB/Wagner, Vorbemerkungen zu §§ 823 ff., Rn. 68; allgemein vgl. Staudinger/Hager, Vorbemerkung 38 zu §§ 823 ff.; Soergel/Spickhoff, Vor § 823, Rn. 74, 76 ff. 1404 Zu dieser „praktischen Subsidiarität“ vgl. auch Staudinger/Oechsler, § 826, Rn. 135. 1405 Siehe dazu unten § 2 D IV 10 e) bb) (2). 1406 Dazu auch Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 290. 1407 Siehe unten § 2 D IV 10 e) bb) (1). 1408 Vgl. Paefgen, DB 2007, 1907, 1908; Zöllner, FS Konzen, S. 999, 1008 f.
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tungsbeschränkung. Eine Außenhaftung per teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG samt analoger Anwendung von § 128 HGB scheidet mithin aus. ff) Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus § 826 BGB Kann über eine teleologische Reduktion von § 13 II GmbHG eine Außenhaftung nicht begründet werden, kommt mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Gesellschaftsgläubigern und den Gesellschaftern nur ein deliktisch begründeter Anspruch aus § 826 BGB in Betracht. (1) Unanwendbarkeit von § 826 BGB? Wie bereits skizziert, lehnt der BGH einen solchen Anspruch seit der Trihotel-Entscheidung im Grundsatz ab, wobei er offenlässt, ob in „besonders gelagerten Ausnahmefällen“ etwas anderes gelten könne, zum Beispiel wenn das Restvermögen der Gesellschaft gezielt zum Zwecke der Schädigung eines einzigen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers „beiseitegeschafft“ werde.1409 Woran der Anspruch seiner Meinung nach scheitert, deckt der BGH bedauerlicherweise nicht mit hinreichender Klarheit auf. Die Lektüre der Entscheidungsgründe, in der die Frage nach Innen- oder Außenhaftung nicht anhand von Tatbestandsvoraussetzungen, sondern „abstrakt“ diskutiert wird, legt die Interpretation nahe, der BGH halte § 826 BGB schon dem Grunde nach beziehungsweise spätestens auf der Ebene des Grundhaftungstatbestandes nicht zugunsten der Gesellschaftsgläubiger für anwendbar.1410 Sollte der BGH dies wirklich im Sinn haben, wäre es nicht überzeugend. Denn schon methodisch geht es nicht an, dass ein Gericht eine allgemeingültige Norm aus Zweckmäßigkeitserwägungen unabhängig von ihren Tatbestandsmerkmalen auf bestimmte Sachverhalte für nicht anwendbar deklariert.1411 Vielmehr hat es – eingedenk des in der Verfassung verankerten Grundsatzes der Gewaltenteilung – die vom Gesetzgeber vorgegebene Norm selbst zu prüfen. Ergibt die Auslegung, dass die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind, hat das Gericht sie im Ergebnis außer Betracht zu lassen – das aber ist etwas ganz anderes, als sie apodiktisch im Vorfeld für unanwendbar zu erklären. Im vorliegenden Kontext kommt „erschwerend“ hinzu, dass der BGH bis zur Trihotel-Entscheidung existenzvernichtende Eingriffe unproblematisch als
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BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel). Ähnlich die Interpretation der Rechtsprechung bei Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 71 f. 1411 Kritisch gegenüber dem Vorgehen des BGH auch Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1521; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 46; Streit/Bürk, DB 2008, 742, 749; Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 47; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 296; Hönn, WM 2008, 768, 774 f.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 59; MüKoGmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13, Rn. 534; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 401; Schanze, NZG 2007, 681, 685: „zivilrechtliche Grundnorm […] ist nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen durch Richterrecht zu derogieren“; zweifelnd auch Dauner-Lieb, ZGR 2008, 35, 40, 43. 1410
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vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung der Gesellschaftsgläubiger einstufte.1412 Die Aufgabe eines alten und die Hinwendung zu einem neuen Existenzvernichtungshaftungskonzept als solches rechtfertigt es methodisch nun aber nicht, die generelle Anwendbarkeit des § 826 BGB losgelöst von sämtlichen Tatbestandsvoraussetzungen abzulehnen. Oder anders formuliert: Nur weil der BGH nunmehr eine Innenhaftung favorisiert, ändert sich nichts an der rechtlichen Wertung, nach der ein existenzvernichtender Eingriff im Grunde ein vorsätzlich-sittenwidriges Verhalten (auch) gegenüber den Gesellschaftsgläubigern darstellt. Die Frage, ob die Gläubiger aus § 826 BGB anspruchsberechtigt sein können, ist deshalb richtigerweise nicht auf der – gewissermaßen: vorgelagerten – Ebene der Anwendbarkeit des § 826 BGB, sondern anhand der Norm selbst zu entscheiden. Prima vista mag diese Unterscheidung als dogmatisches Glasperlenspiel, als l’art pour l’art erscheinen. Wie zu zeigen sein wird, ebnet die hier befürwortete Vorgehensweise aber den Weg zu einer dogmatisch stimmigeren Lösung, die zudem nur in aller Regel, nicht aber ausnahmslos zu mit dem BGH identischen Ergebnissen gelangt. Dabei wird im Einklang mit sowohl der früheren wie der aktuellen Rechtsprechung des BGH ein existenzvernichtender Eingriff als vorsätzlich sittenwidriges, weil die Rechtsform der GmbH missbrauchendes Verhalten eingestuft,1413 so dass alleine zu klären bleibt, ob daraus auch die Gesellschaftsgläubiger Ansprüche herleiten können. Der BGH hat dies in Trihotel unter zwei dogmatischen Gesichtspunkten verneint, auf die im Folgenden einzugehen ist. (2) Bloßer Reflexschaden? Zunächst hat sich der BGH darauf berufen, durch den existenzvernichtenden Eingriff werde unmittelbar allein das Gesellschaftsvermögen verletzt, so dass bei diesem und nicht bei den nur „mittelbar“, reflexartig durch den Haftungsfonds geschützten Gläubigerforderungen anzusetzen sei.1414 Diese Beobachtung, die sich in § 826 BGB dogmatisch und methodisch umsetzen ließe, indem man einen „Schaden“ der Gesellschaftsgläubiger verneint, ist im Ausgangs1412 Vgl. die Aussagen in den Judikaten KBV (BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024, 3025) und Rheumaklinik (BGH 20.9.2004 – II ZR 302/02, NJW 2005, 145, 146); so auch noch explizit der BGH in Trihotel: „Die Einordnung der Existenzvernichtungshaftung als besondere Fallgruppe des § 826 BGB bietet sich schon deshalb an, weil bereits nach der bisherigen Senatsrechtsprechung die Fälle der Existenzvernichtungshaftung sich – wie gezeigt – im Grundsatz zwanglos unter diese Norm subsumieren ließen. § 826 BGB verbietet vorsätzliche Schädigungen des Gesellschaftsvermögens, die gegen die guten Sitten verstoßen. Dass dies bei einer planmäßigen ‚Entziehung‘ von – der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger unterliegendem – Vermögen der Gesellschaft mit der Folge der Beseitigung ihrer Solvenz der Fall ist, kann, wenn dies zudem – wie regelmäßig – zum unmittelbaren oder mittelbaren Vorteil des Gesellschafters oder eines Dritten geschieht, nicht bezweifelt werden (BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 [Rn. 30], Hervorhebungen hier). 1413 Vgl. auch Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 371. 1414 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2691, 2693 (Trihotel).
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punkt nicht unplausibel. Denn wenn sich die Nachteile des Gesellschaftsgläubigers im Gefolge des existenzvernichtenden Eingriffs in der Beeinträchtigung beziehungsweise Vereitelung seiner Forderungsrealisierungschance infolge der „Plünderung“ des Gesellschaftsvermögens erschöpfen, entfällt – so die Gesellschaft beziehungsweise der Insolvenzverwalter den Innenhaftungsanspruch gegen den Eingreifenden realisiert – mit der Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens auch der Schaden des Gläubigers. Dennoch vermag das „Reflexschadensargument“ bei genauerer Betrachtung eine apodiktische Versagung von auf § 826 BGB gestützten Schadensersatzansprüchen der Gesellschaftsgläubiger nicht zu begründen. Das beginnt damit, dass selbst wenn – was, wie zu zeigen sein wird, nicht der Fall ist – es sich bei den Schäden der Gesellschaftsgläubiger stets um bloße Reflexschäden handeln würde, sich daraus keine zwingende Aussage über ihre Ersatzfähigkeit ableiten ließe. Dass die Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens den Schaden der Gläubiger entfallen lässt, beschreibt nämlich nur die Rechtsfolgen der Realisierung des Gesellschaftsanspruchs, begründet aber nicht dessen Vorrang vor den Ansprüchen der Gläubiger, funktioniert diese wechselseitige Beeinflussung von Gesellschafts- und Gesellschaftsgläubigerschaden doch auch umgekehrt. Bejahte man nämlich einen Direktanspruch des Gesellschaftsgläubigers, so entfiele bei dessen Verwirklichung wegen des Wegfalls einer Gesellschaftsverbindlichkeit korrespondierend in entsprechender Höhe der Schaden der Gesellschaft. Die bloße Wechselwirkung beider Ansprüche begründet mithin keine Rangfolge zugunsten beziehungsweise zulasten eines dieser Ansprüche. Unabhängig davon versagt der Verweis auf die bloße Reflexhaftigkeit der Gläubigerschädigung, wenn sich der vom Gläubiger erlittene Schaden nicht im Ausfall der ihm gegen die Gesellschaft zustehenden Forderung erschöpft, sondern er eine mit dem Schaden der Gesellschaft nicht kongruente Einbuße erleidet. Denkbar ist ein solcher „Individualschaden“ zum Beispiel bei einem entgangenen Gewinn.1415 Die Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens nützt 1415 So auch Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 66; die Möglichkeit eines Individualschadens anerkennend auch Wackerbarth, JZ 2008, 1166. – Beispiel für einen derartigen entgangenen Gewinn: Die Tochtergesellschaft (T-GmbH) hat sich gegenüber dem Gläubiger (G) verpflichtet, an ihn 1.000 noch von ihr zu produzierende Autos zu liefern, die G jeweils mit einem Gewinn von € 3.000 weiterverkaufen kann. Bevor die Fahrzeuge hergestellt werden können, entzieht die Muttergesellschaft (M-GmbH) der T-GmbH durch einen existenzvernichtenden Eingriff alle dafür notwendigen Produktionsmittel. Weil der T-GmbH deswegen eine weitere Produktion nicht mehr möglich ist, kann sie an G nicht liefern. Ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns i.H.v. € 3 Millionen steht G gegen die T-GmbH aber dennoch nicht zu. Denn ein solcher würde voraussetzen, dass die T-GmbH die Nichtlieferung zu vertreten hat. Das Verhalten der M-GmbH ist der T-GmbH aber weder nach § 278 BGB noch nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen. Zwar ist es nicht a priori ausgeschlossen, einen Gesellschafter als Organ im Sinne von § 31 BGB (analog) anzusehen, dies ist aber im Wesentlichen nur möglich, wenn er aufgrund seiner im Gesellschaftsvertrag geregelten Rechte und Pflich-
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dem Gläubiger in diesem Fall insoweit nichts, geholfen werden kann ihm nur, wenn er mindestens in Bezug auf den nicht kongruenten Schaden einen eigenen Anspruch gegen den existenzvernichtend eingreifenden Gesellschafter hat. Das zeigt auch ein Vergleich mit den §§ 117 I 2, 317 I 2 AktG,1416 die einen Direktanspruch der Aktionäre zwar nur, aber immerhin eben für solche Schäden zulassen, die über den Schaden, der den Aktionären durch die Schädigung der Gesellschaft zugefügt wurde, hinausgehen. Im Übrigen scheint auch der BGH seine Linie nicht unbedingt konsequent durchhalten zu wollen. Denn wäre es richtig, dass die Gläubiger stets nur einen nicht direkt liquidierbaren Reflexschaden erleiden, so wäre nicht erklärbar, warum der BGH1417 für den Sonderfall, dass das Restvermögen der Gesellschaft gezielt zum Zwecke der Schädigung eines einzigen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers „beiseitegeschafft“ wird, eine Ausnahme erwägt. Aus der Warte der Schadenspositionen betrachtet ist nämlich nicht ersichtlich, warum hier plötzlich mehr als ein bloßer Reflexschaden vorliegen sollte. (3) Kanalisierungsgedanke? Als zweites Argument gegen eine unmittelbare Außenhaftung führte der BGH in Trihotel an, sie liefe der unter anderem in §§ 30, 31 GmbHG verwirklichten Idee der Haftungskanalisierung in der Gesellschaft zuwider.1418 Die Bedeutung des Kanalisierungsgedankens kann und soll hier gar nicht geleugnet werden, immerhin war er ein (positiver) Begründungsstrang für die Bejahung einer – vornehmlich auf § 280 BGB gestützten – Innenhaftung.1419 Ob er von solchem Gewicht ist, dass er sogar – gewissermaßen unter negativen Vorzeichen – in der Lage wäre, eigentlich nach § 826 BGB bestehende Ansprüche auszuschließen, ist allerdings angesichts des erheblichen Unrechtsgehalts einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nicht ohne Zweifel.1420 Letztlich muss der „Titanenkampf“ zwischen gesellschafts- und deliktsrechtlicher Wertung an dieser Stelle aber nicht ausgefochten werden. Denn erstens kann, wie zu zeigen sein wird, dem Kanalisierungsprinzip schon hinreichend auf der nächsten Ebene – dem Verhältnis der beiden dem Grunde nach gegebenen Ansprüche1421 – Rechnung getragen werden, so dass die mit einer apodiktischen ten für die Gesellschaft (hier: die T-GmbH) tätig wird (Ulmer/Raiser, GmbHG, § 13, Rn. 21; MüKo-GmbHG/Merkt, § 13, Rn. 34), was vorliegend angesichts des sich in einem existenzvernichtenden Eingriff beschränkenden Handelns nicht anzunehmen ist. G kann daher nur über einen eigenen, direkten Schadensersatzanspruch gegen die M-GmbH geholfen werden. 1416 Ebenso Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 144. 1417 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 (Trihotel). 1418 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel). 1419 Siehe oben § 2 D IV 8 c) bb) (2). 1420 Gegen eine gegen § 826 BGB gerichtete „Sperrwirkung“ Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 296; zweifelnd daran auch Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 408. 1421 Siehe dazu im Anschluss sub § 2 D IV 8 c gg).
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Versagung jeglicher Gläubigeransprüche einhergehende, bereits tatbestandliche Zurückdrängung des § 826 BGB vermieden werden kann. Unabhängig davon kann zweitens der Kanalisierungsgedanke keinen allumfassenden „Anwendungsbereich“ für sich beanspruchen. Denn er passt zwar, wo die Schäden der Gesellschaft und der Gesellschaftsgläubiger kongruent sind, versagen muss er aber, wo ein Gläubiger einen inkongruenten Individualschaden erlitt.1422 Weil eine Liquidation über die Gesellschaft insoweit nicht erfolgt, würde der Schaden – versagte man dem betroffenen Gläubiger auch in Bezug auf diesen einen Anspruch – nicht ausgeglichen werden. Das aber wäre ein erkennbar unbefriedigendes, auch vom Zweck des Kanalisierungsgedankens nicht gefordertes Ergebnis. Mit der Haftungskanalisierung soll nämlich vor allem auch der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verwirklicht werden, wenn durch eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens reflexartig die Interessen der Gesellschaftsgläubiger beeinträchtigt werden.1423 Bei einem inkongruenten Individualschaden eines Gläubigers passt dieser Gedanke aber nicht, korrespondiert mit diesem doch keine entsprechende Schmälerung des Gesellschaftsvermögens. (4) Schaden Der existenzvernichtend eingreifende Gesellschafter haftet somit den Gesellschaftsgläubigern aus § 826 BGB auf Schadensersatz. Wie oben bereits ausgeführt, ist dabei grundlegend zwischen zwei Schadensposten zu differenzieren: Auf der einen Seite Schäden, die den Gläubigern daraus erwachsen, dass sie infolge der Schmälerung des Gesellschaftsvermögens ihre ursprünglichen Ansprüche nicht mehr realisieren können; dabei handelt es sich um bloße Reflexschäden, die mit dem von der Gesellschaft infolge des Entzugs von Gesellschaftsvermögen begründeten Schaden kongruent sind. Auf der anderen Seite können Gesellschaftsgläubiger aber auch nicht-kongruente Individualschäden erleiden, zum Beispiel in Form von entgangenem Gewinn oder Prozesskosten.1424 Zu beachten ist aber, dass ein Ausgleich von vornherein nur insoweit verlangt werden kann, als sich die Lage des Gesellschaftsgläubigers durch den Eingriff verschlechtert hat. War die Forderung schon vor dem Eingriff nur teilweise 1422 Die Möglichkeit eines solchen Individualschadens hat der BGH in Trihotel (16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693) wohl übersehen, wird in Rn. 37 doch die Bedeutung einer Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf die Situation bei masseloser Insolvenz reduziert. 1423 Vgl. Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 197; Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 45; vgl. auch Wackerbarth, JZ 2008, 1166; Paefgen, DB 2007, 1907, 1908. – Immerhin wird vor diesem Hintergrund die vom BGH erwogene ausnahmsweise Bejahung einer Außenhaftung für den Fall einer Beiseiteschaffung des Restvermögens mit dem Ziel der Schädigung des einzigen verbliebenen Gesellschaftsgläubigers (siehe BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2692 [Trihotel]) plausibel. Ist nämlich nur noch ein Gesellschaftsgläubiger vorhanden, verliert der Kanalisierungsgedanke angesichts der nun nicht mehr bestehenden Gefahr einer Gläubigerungleichbehandlung an Strahlkraft. 1424 Siehe dazu oben § 2 D IV 8 c) ff) (2) mit Fn. 1415.
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werthaltig – was vor allem denkbar ist, wenn die Gesellschaft ohnehin bereits zahlungsunfähig oder überschuldet war –, besteht der Schaden nicht in der vollständigen Forderungsbeeinträchtigung, sondern allein in Höhe des beeinträchtigten Anteils, würden anderenfalls doch die Gläubiger entgegen dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot1425 besser stehen als vor dem Eingriff.1426 (5) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Der apodiktische Ausschluss einer auf § 826 BGB gestützten Außenhaftung kann weder mit dem Argument, die von den Gesellschaftsgläubigern erlittenen Einbußen seien bloße, nicht direkt liquidierbare Reflexschäden, noch mit dem Haftungskanalisierungsgedanken überzeugend begründet werden. Nach hier vertretener Auffassung kommt deshalb bei einem existenzvernichtenden Eingriff im Grundsatz nicht nur ein Anspruch der Gesellschaft in Betracht, denkbar sind auch Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger. Letztere folgen aber allein aus § 826 BGB, einer Wiederauferstehung der zu Grabe getragenen, verschuldensunabhängigen Existenzvernichtungshaftung der ersten Generation soll damit nicht das Wort geredet werden, vermochte diese doch aus verschiedenen, vom BGH mustergültig in der Trihotel-Entscheidung referierten und an dieser Stelle daher nicht zu wiederholenden Gründen nicht zu überzeugen.1427 gg) Verhältnis der Ansprüche von Gesellschaft und Gesellschaftsgläubiger Wie herausgearbeitet, können durch den existenzvernichtenden Eingriff sowohl der Gesellschaft wie den Gesellschaftsgläubigern ausgleichspflichtige Schäden entstehen. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen kongruenten und inkongruenten Schäden, die man sich illustrativ als zwei sich überschneidende Kreise vorstellen kann, von denen einer die Schäden der Gesellschaft, der andere die den Gesellschaftsgläubigern erlittenen Schäden symbolisiert. Während 1425
Vgl. dazu z.B. BGH 24.3.1959 – VI ZR 90/58, NJW 1959, 1078, 1079; 28.6.2007 – VII ZR 81/06, NJW 2007, 2695, 2696; Staudinger/Schiemann, Vorbem 2 zu §§ 249–254; MüKoBGB/Oetker, § 249, Rn. 20; BeckOK-BGB/Schubert, § 249, Rn. 178. 1426 Das zeigt folgendes Beispiel (das bewusst aus dem Bereich der masselosen Insolvenz gewählt wurde, weil die Außenhaftungsansprüche der Gesellschaftsgläubiger nach hier vertretener Auffassung außerhalb dieses Bereichs „geblockt“ sind, siehe dazu sogleich im Anschluss unter § 2 D IV 8 c] gg]): Vor dem existenzvernichtenden Eingriff in Höhe von € 500 verfügte die Gesellschaft über ein Aktivvermögen von € 1.000, dem Verbindlichkeiten gegenüber zwei Gläubigern in Höhe von jeweils € 1.000 gegenüberstanden. Über § 826 BGB können sie nun nicht von dem existenzvernichtend eingreifenden Gesellschafter jeweils € 1.000 verlangen, sondern nur dasjenige, um was ihre Befriedigungschancen aus dem Gesellschaftsvermögen geringer wurden: Weil sie vor dem Eingriff (€ 1.000 [Aktiva] zu € 2.000 [Passiva]) auf eine Befriedigungsquote von ½ gekommen wären, infolge des Eingriffs aber nur noch auf eine solche von ¼ (€ 500 [Aktiva] zu € 2.000 [Passiva]) kommen, hat jeder von ihnen einen Schadensersatzanspruch in Höhe von € 250 (= ¼ von € 1.000) gegen den eingreifenden Gesellschafter (wirtschaftlich – allerdings im Rahmen der Innenhaftung – für das gleiche Ergebnis: BGH 24.7.2012 – II ZR 177/11, NZG 2012, 1069, 1072; Weller, ZIP 2007, 1681, 1686). 1427 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 ff.
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die Schnittmenge die kongruenten Schäden darstellt, versinnbildlichen die anderen Flächen die Individualschäden der Gläubiger beziehungsweise die allein der Gesellschaft entstandenen Schäden.1428 Weil entsprechend allgemeiner haftungsrechtlicher Prinzipien der existenzvernichtend eingreifende Gesellschafter nicht zweimal für ein und denselben Schaden ausgleichspflichtig ist,1429 ist im Folgenden zu klären, wie sich die Ansprüche zueinander verhalten. (1) Kongruente Schäden In Bezug auf kongruente Schäden wäre es zunächst denkbar, auf die Kraft der Selbstregulation1430 zu setzen, das heißt beide Ansprüche als gleichberechtigt einzustufen, so dass nicht nur die Gesellschaft sich an den haftenden Gesellschafter halten kann, sondern auch der Gläubiger vollumfänglich aus eigenem deliktischen Recht vorgehen kann.1431 Zu überzeugen vermag dieser Weg jedoch nicht, weil diese gleichberechtigte Doppelanspruchsinhaberschaft der auf eine Haftungskanalisierung in der Gesellschaft angelegten Systematik des GmbHG widerspricht.1432 Zwar ist das Haftungskanalisierungsprinzip nicht das Maß aller Dinge, das eine absolute und ausnahmslose Befolgung verlangt und einer Außenhaftung apodiktisch entgegensteht, und zwar vor allem dann nicht, wenn es sich – wie bei der Existenzvernichtungshaftung – um einen vom GmbHG nicht explizit geregelten Bereich handelt. Dennoch wird man von diesem Prinzip insbesondere dort, wo es um die Fortsetzung der maßgeblich durch den Kanalisierungsgedanken geprägten Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften geht, nur abweichen können, wenn sich hierfür überzeugende Gründe finden lassen. Das ist in Bezug auf die Existenzvernichtungshaftung nicht der Fall, weist sie doch angesichts ihrer Tatbestandsvoraussetzung der Insolvenzverursachung/-vertiefung eine „natürliche Nähe“ zu Insolvenzsachverhalten auf. Weil in einem eröffneten Insolvenzverfahren das Gebot des par conditio creditorum gilt, besteht angesichts dieser Insolvenznähe ein Interesse daran, nach Möglichkeit bereits im Vorfeld des zu erwartenden Verfahrens eine Gläubigergleichbehandlung sicherzustellen. Das ist vorliegend rechtsdogmatisch unproblematisch über den Grundsatz der Haftungskanalisierung begründbar. Es erscheint daher vorzugswürdig, den Anspruch der Gesellschaftsgläubiger als subsidiär mit der Folge einzustufen, dass sich zunächst nur die Gesell1428
Vgl. zu den drei Schadenskategorien auch Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 143. Vgl. zu diesem Gedanken z.B. BGH GS 30.3.1953 – GSZ 1–3/53, NJW 1953, 821, 822; BAG 11.11.1975 – VI ZR 128/74, NJW 1976, 326. 1430 So die Bezeichnung bei Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 65. 1431 Dafür Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 297 f. 1432 Gleiches gilt aufgrund der im Folgenden zu entwickelnden Erwägung auch für den Vorschlag, eine Gesamtgläubigerschaft von Gesellschaft und Gesellschaftsgläubigern mit Vorrang der Gläubiger im Innenverhältnis anzunehmen (dafür Hönn, WM 2008, 769, 775; wie hier Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 65). 1429
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schaft beziehungsweise der Insolvenzverwalter an den eingreifenden Gesellschafter halten kann, die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aber „geblockt“ sind.1433 Methodisch umsetzen lässt sich dieses „Einfrieren“ der Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger, indem man ihre Geltendmachung unter die aufschiebende Bedingung (§ 158 I BGB) der Masselosigkeit der Insolvenz – präziser: der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt wird1434 – stellt. Die „Gewährung“ eines Anspruchs im Falle einer masselosen Insolvenz fügt sich stringent in die obige Begründung ein, lässt sich doch in diesem Fall das Gebot der Gläubigergleichbehandlung nicht fruchtbar machen. Kann somit der Gesellschaftsgläubiger aus eigenem Recht gegen den Gesellschafter vorgehen, bedarf es weder eines Verfolgungsrechts analog §§ 62 II, 93 V, 116, 117 V, 309 IV 3, 310 IV, 318 IV AktG1435 noch des vom BGH1436 allein für möglich gehaltenen, in der Literatur1437 angesichts der damit für die Gesellschaftsgläubiger potentiell einhergehenden Gefahren aber zu Recht kritisierten „dornenreichen Umwegs“1438 über eine Pfändung und Überweisung des Anspruchs der Gesellschaft (die aber selbstverständlich möglich bleiben). Gegen die hier befürwortete Subsidiaritätsthese lässt sich nicht überzeugend einwenden, die vom BGH1439 noch zu Zeiten der Existenzvernichtungshaftung der ersten Generation angenommene Subsidiarität des Außenhaftungsanspruchs der Gesellschaftsgläubiger gegenüber Ansprüchen der Gesellschaft aus den §§ 30, 31 GmbHG sei nicht zutreffend gewesen. Zwar war damals in der Tat nicht plausibel begründbar, warum ein Durchgriffshaftungs- gegen-
1433 So auch Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 65 ff. – Weil der Insolvenzverwalter ohnehin einen der Gesellschaft zustehenden Anspruch geltend macht, bedarf es nicht der (analogen) Heranziehung von §§ 92 oder 93 InsO. 1434 Gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem es den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abweist (§ 26 I 1 InsO), ist sofortige Beschwerde (§ 34 I Alt. 2 InsO) möglich. Infolge der Abschaffung des § 7 InsO mit Wirkung zum 27.10.2011 (Gesetz vom 21.10.2011, BGBl. I S. 2082) ist gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde eine Rechtsbeschwerde nach § 574 I Nr. 2 ZPO nur bei Zulassung statthaft (Baumert, in: Braun, InsO, § 6, Rn. 62a). 1435 Dafür Servatius, in: Michalski, GmbHG, SystDarst 4, Rn. 384; Wilhelm, EWiR 2007, 557, 558; ders., Rechtsform, S. 363 f.; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 65; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 455 f.; so hilfsweise (statt einem Direktanspruch) auch Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660; so alternativ auch Habersack, ZGR 2008, 533, 548; Schmidt, GmbHR 2008, 449, 458; ders., Gesellschaftsrecht, S. 245; Vetter BB 2007, 1965, 1968; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2027. 1436 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2693 (Trihotel). 1437 Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1521; Müko-BGB/Wagner, § 826, Rn. 120; Kleindiek, NZG 2008, 686, 690. 1438 Gehrlein, WM 2008, 761, 766. 1439 BGH 24.6.2002 –II ZR 300/00, NJW 2002, 3024, 3025 (KBV); 13.12.2004 – II ZR 206/02, NJW-RR 2005, 335, 337 (Autovertragshändler).
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über einem Erstattungsanspruch subsidiär sein sollte.1440 Die dogmatische Situation ist nunmehr aber eine grundlegend andere, geht es doch um die Konkurrenz zweier Schadensersatzansprüche und damit um eine Ebene, auf der es unschwer möglich ist, den Vorrang eines Schadenspostens mit der gesellschaftsrechtlichen Wertung des Kanalisierungsprinzips zu begründen. Das zeigt insbesondere auch ein Vergleich mit den §§ 117 I 2, 317 I 2 AktG, die den (Gegen-) Schluss zulassen, dass die Aktionäre insoweit keinen Direktanspruch gegen den Schädiger haben, wie sich ihr Schaden in demjenigen erschöpft, was ihnen (mittelbar beziehungsweise reflexhaft) durch die Schädigung der Gesellschaft zugefügt wurde.1441 (2) Inkongruente Schäden Inkongruente Schäden können unschwer vom jeweiligen Anspruchsinhaber – sei es der Gesellschaft (gegebenenfalls durch den Insolvenzverwalter) in Bezug auf korporative Schäden, sei es ein Gesellschaftsgläubiger hinsichtlich seines Individualschadens – geltend gemacht werden. Ein Konkurrenzproblem, dem mittels des Kanalisierungsgedankens Rechnung zu tragen wäre, besteht hier nicht. Das zeigt wiederum eine Parallele zu den §§ 117 I 2, 317 I 2 AktG, die analog der vorliegenden Situation jeweils einen Direktanspruch der Aktionäre für Schäden vorsehen, die über den Schaden hinausgehen, der ihnen durch die Schädigung der Gesellschaft zugefügt wurde. Der einem Gesellschaftsgläubiger zustehende Anspruch auf Ausgleich eines inkongruenten Schadens steht somit nicht unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft des das Insolvenzverfahren mangels Masse abweisenden Beschlusses. hh) Zusammenfassung Macht sich ein Gesellschafter eines existenzvernichtenden Eingriffs „schuldig“, so ist es nach hier vertretener Auffassung entgegen der ganz herrschenden Vorgehensweise in Rechtsprechung und Literatur nicht angezeigt, apodiktisch nur eine Innen- oder nur eine Außenhaftung zu befürworten. Vielmehr kommen neben einem Anspruch der Gesellschaft (der primär aus §§ 280, 241 I BGB, und nicht – wie der BGH meint – aus § 826 BGB abzuleiten ist) kumulativ auch Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus § 826 BGB in Betracht. Die Ansprüche der Gläubiger sind allerdings in Bezug auf kongruente Schäden subsidiär, mit 1440 Siehe die Kritik bei Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034, 2039; Vetter, ZIP 2003, 601, 606, der sich in der Folge auch der BGH anschloss (16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690 f. [Trihotel]). 1441 Zutreffend Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 69. – Dazu, dass die §§ 117 I 2, 317 I 2 AktG den bloßen Refl xschaden des Aktionärs nicht erfassen, vgl. z.B. BGH 4.3.1985 – II ZR 271/83, NJW 1985, 1777; 11.7.1988 – II ZR 243/87, NJW 1988, 2794, 2796; MüKo-AktG/ Spindler, § 117, Rn. 52; Hüffer, AktG, § 117, Rn. 9; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 117 AktG, Rn. 5; Emmerich/Habersack, AktG, § 317, Rn. 13a; MüKo-AktG/ Altmeppen, § 317, Rn. 83.
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anderen Worten sie können nur geltend gemacht werden, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet wird. Hinsichtlich eines inkongruenten, von einem Gläubiger erlittenen Schadens besteht hingegen kein derartiger Nachrang, sie können daher vor, während oder nach einem Insolvenzverfahren gegen den Gesellschafter geltend gemacht werden. 9. Schutz vor materieller Unterkapitalisierung? a) Einleitung Von der Problematik der Existenzvernichtungshaftung ist die trotz jahrzehntelanger Diskussion nach wie vor nicht geklärte Frage zu unterscheiden, ob die Gesellschafter einer GmbH gegenüber der Gesellschaft oder deren Gläubiger wegen sogenannter materieller Unterkapitalisierung einstandspflichtig sein können. Schon was unter materieller Unterkapitalisierung konkret zu verstehen und anhand welchen Parameters sie festzustellen ist, ist umstritten.1442 Mit der wohl verbreitetsten Formel wird im Folgenden unter Unterkapitalisierung ein Zustand verstanden, bei dem zwar das (gesetzlich vorgeschriebene) Stammkapital vorhanden ist, das Eigenkapital aber nicht (mehr) genügt, um den nach Art und Umfang der angestrebten oder tatsächlichen Geschäftstätigkeit entstehenden Finanzbedarf zu decken und die Gesellschaft auch nicht (mehr) in der Lage ist, Finanzmittel bei Dritten zu erhalten.1443 Von dieser materiellen ist die formelle Unterkapitalisierung abzugrenzen, bei der die Gesellschafter über das Stammkapital hinaus zwar Mittel gewährt haben, aber nicht in Form von Eigen-, sondern von Fremdkapital (vor allem durch Gesellschafterdarlehen);1444 die sich dabei stellenden Fragen wurden bereits im Kapitel über die Gesellschafterdarlehen erörtert. Ist daher in diesem Abschnitt von Unterkapitalisierung die Rede, so ist damit stets die materielle Unterkapitalisierung gemeint.
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Vgl. näher Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 5, 13 m.w.N. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh. § 30, Rn. 14 ff.; dem folgend Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 240; Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1580; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 81; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 381; BSG 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117, 2119 („gewisse Relation zwischen dem […] bestehenden Finanzbedarf und dem haftenden Eigenkapital). – Der BGH definierte die Unterkapitalisierung zwar jüngst weiter, indem er „jede allgemeine Mangelhaftigkeit der Vermögensausstattung im weiteren Sinne“ einbezog, er lehnte ein eigenständiges Institut der Unterkapitalisierungshaftung allerdings ab (BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438; siehe näher unten § 2 D IV 9 b] cc]). 1444 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 13, Rn. 21; Bitter, in: Bachmann, Steuerungsfunktionen, S. 58. 1443
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b) Meinungsstand Auf eine fein ziselierte Nachzeichnung aller Einzelheiten des reichlich unüberschaubaren Streitstands muss und kann im Folgenden verzichtet werden, vielmehr genügt es, die drei großen Grundlinien in Literatur und Rechtsprechung herauszuarbeiten. aa) Außenhaftung (Durchgriffshaftung) Nach einer Auffassung ist bei einer Unterkapitalisierung § 13 II GmbHG teleologisch unangewendet zu lassen, so dass die Gesellschafter analog §§ 128, 129 HGB gegenüber den Gesellschaftsgläubigern für die Schulden der GmbH haften.1445 Dafür wird angeführt, die Haftungsbeschränkung stünde im Interesse des Gläubigerschutzes unter der Prämisse einer seriösen Festsetzung der Stammkapitalziffer, diene das Stammkapital doch dazu, eine einseitige Risikoverlagerung auf die Gläubiger dergestalt zu verhindern, dass bei Nichtrealisierung des Risikos des wirtschaftlichen Zusammenbruchs die Gewinne eingestrichen, bei Realisierung aber die Gläubiger auf die praktisch vermögenslose Gesellschaft verwiesen würden.1446 Weil zwischen Haftungsbeschränkung und Kapitalaufbringung ein unmittelbarer Sinnzusammenhang bestehe, müsse das Stammkapital also geeignet sein, zu einem gewissen Grad das unternehmerische Risiko aufzufangen.1447 Plastischer ausgedrückt: „Wer von seiner persönlichen Haftung befreit werden will, muss sich dies erst erkaufen.“1448 Wo diese Bedingung nicht erfüllt ist, sei es gerechtfertigt, den Zugriff auf das Privatvermögen des Gesellschafters zuzulassen. Ob man dies dann mit einer Verfehlung des Normzwecks des § 13 II GmbHG begründet – so die innerhalb dieser Auffassung herrschende Normzwecklehre1449 – oder ob man von einem (objektiven) 1445 Dafür – mit im Detail abweichenden Vorstellungen – Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 50 ff.; ders., FS Duden, S. 661, 678; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 20 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 571 ff.; K. Winkler, BB 1969, 1202, 1204 f.; Bitter, in: Bachmann, Steuerungsfunktionen, S. 58, 86; ders., ZInsO 2010, 1561, 1580 f.; Geißler, GmbHR 1993, 71, 77 f.; K. Winkler, BB 1969, 1202, 1205 f.; zurückhaltend Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 613 f.; zustimmend noch Raiser, FS Lutter, S. 637, 648 ff., inzwischen aber gegen eine eigenständige Fallgruppe und zugunsten einer Subsumtion unter einen erweiterten Existenzvernichtungshaftungstatbestand Ulmer/Raiser, GmbHG, § 13, Rn. 163 f. – Dabei handelt es sich nach der heute wohl herrschenden Strömung innerhalb dieser Meinungsgruppe um eine unbeschränkte Haftung (Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 62; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 572; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 608, 616); für Ersatz lediglich des Differenzbetrages zwischen dem aufgebrachten tatsächlichem und dem eigentlich erforderlichen Eigenkapital hingegen noch Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 410; K. Winkler, BB 1969, 1202, 1205 f. 1446 Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1581. 1447 Lutter, ZGR 1982, 244, 249; Wiedemann, Haftung, S. 18. 1448 Banerjea, ZIP 1999, 1153, 1158 (der allerdings ein Anhänger der Innenhaftung ist). 1449 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 11, 51 f.; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 608; Bitter, in: Bachmann, Steuerungsfunktionen, S. 58, 86, 88; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 571; Lutter, ZGR 1982, 244, 249; K. Winkler, BB 1969, 1202, 1205.
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institutionellen Rechtsmissbrauch1450 spricht, kann mangels daraus resultierender unterschiedlicher Ergebnisse hier dahingestellt bleiben.1451 bb) Innenhaftung (Normanwendungslehre1452) Eine weitere Auffassung bejaht zwar ebenfalls eine Gesellschafterhaftung für Unterkapitalisierung, nimmt jedoch grundsätzlich1453 eine Innenhaftung an.1454 Der Anspruch kann deshalb nur von der GmbH beziehungsweise, so diese insolvent ist, vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bewendet es hingegen bei der gesetzlichen Anordnung des § 13 II GmbHG. Ausgangspunkt dieser Auffassung ist die Annahme, zwischen der Gesellschaft und dem/den Gesellschafter(n) bestünde eine pflichtenbegründende Sonderrechtsverbindung, bei deren Verletzung der Gesellschafter der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet sei.1455 Das schließe insbesondere eine Pflicht zur Respektierung der Vermögenssphäre der Gesellschaft ein. Bei materieller Unterkapitalisierung träfe die Gesellschafter dementsprechend eine „eingeschränkte Finanzierungsverantwortung“ dahingehend, dass sie die GmbH entweder liquidieren oder ihr neues Eigenkapital zuführen müssen, wenn das noch vorhandene Eigenkapital nicht mehr ausreicht, weil eine Geschäftsfortführung – gemessen am Standard eines ordentlichen Kaufmanns – nur noch als Spekulation zulasten der Gesellschaftsgläubiger verstanden werden könnte.1456 1450 Raiser, ZGR 1995, 156, 165; ders., FS Lutter, S. 637, 648; soweit in der Rechtsprechung zum Teil von „Missbrauch“ die Rede war (z.B. BGH 30.1.1956 – II ZR 168/54, NJW 1956, 785, 787; BSG 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117, 2118 f.), war damit ebenfalls ein objektiver Institutsmissbrauch gemeint (vgl. BSG. a.a.O., S. 2119: „Der Senat teilt auch die Auffassung des LSG, daß diese Rechtsfolge sich bereits aus der Feststellung einer objektiv zweckwidrigen Verwendung der juristischen Person herleitet, das Hinzutreten subjektiver Elemente im Sinne vorwerfbaren Verschuldens nicht erforderlich ist“). 1451 So auch die Bewertung bei Banerjea, ZIP 1999, 1153, 1158 („austauschbar“); vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 571, der kumulativ von Normzweckverfehlung wie Missbrauch spricht. – Insbesondere ergibt sich kein Unterschied in den subjektiven Voraussetzungen, verzichtet doch auch Raiser, ZGR 1995, 156, 168 auf ein Verschuldenserfordernis. 1452 So die Terminologie bei Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 386. 1453 Eine Ausnahme wird zugelassen, wenn der Insolvenzantrag wegen Masselosigkeit abgewiesen wird (§ 26 InsO), siehe Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 94; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 396 mit Fn. 64; Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1506. 1454 Banerjea, ZIP 1999, 1153, 1158 f.; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 243; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 397. – Einen Sonderfall nimmt dabei die Auffassung von G. Roth, ZGR 1993, 170, 199 ff. ein, wonach im Grundsatz zwar eine Innenhaftung anzunehmen sei, diese aber auf Initiative des Schadensersatzpflichtigen in eine Außenhaftung umschlagen könne, wenn in den Kreis der Gläubiger auch nicht schutzwürdige, im Moment des Vertragsschlusses über die Unterkapitalisierung informierte Gläubiger fi len. 1455 Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505; Banerjea, ZIP 1999, 1153, 1159; Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1846. 1456 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 93; Wilhelm, Rechtsform, S. 330 ff.; ders., NJW 2003, 175, 179 f.; ähnlich Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1846, der in solchen Konstellationen
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cc) Ablehnung eines eigenständigen Haftungstatbestands … Einer Haftung wegen Unterkapitalisierung – egal ob in Gestalt einer Außenoder einer Innenhaftung – wird in der Literatur aber auch verbreitet eine Absage erteilt.1457 Nachdem die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung über Jahrzehnte keine einheitliche Linie fand,1458 dürfte mit dem Gamma-Urteil des BGH nun ein vorsichtiges und vorläufig s Machtwort in favorem dieser Auffassung gesprochen worden sein.1459 Darin lehnte es der BGH nicht nur ab, die Unterkapitalisierung als Unterfall seiner Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff zu qualifizieren, er wies auch die Forderung nach einem speziellen gesellschaftsrechtlichen Institut der Unterkapitalisierungshaftung zurück. dd) … aber: eigenständige Fallgruppe bei § 826 BGB? Offen ließ der BGH in der GAMMA-Entscheidung aber, ob im Rahmen des § 826 BGB eine spezielle Fallgruppe wegen Unterkapitalisierung anzuerkennen sei.1460 Selbst wenn der BGH das in einer zukünftigen Entscheidung im Grundsatz bejahen sollte, dürfte das nicht so gemeint sein, dass eine bloße Unterkapitalisierung als solche bereits haftungsbegründend wirkt. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich der BGH im Rahmen traditioneller Grundsätze halten würde. Danach kann im Zusammenhang mit einer unterkapitalisierten Gesellschaft über § 826 BGB zwar eine Direkthaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubi-
analog § 93 V 2 AktG eine Haftung bejaht, wenn die Gesellschafter gegen diese Pflicht gröblich verstoßen. 1457 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5, Rn 6; Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167; Heeg/Kehbel, DB 2008, 1787, 1789; Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490; Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5, Rn. 8; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 371; Kleindiek, NZG 2008, 686, 688; Vetter, ZGR 2005, 788, 817 ff.; Staudinger/Oechsler, § 826, Rn. 317; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 279; Boujong, FS Odersky, S. 739, 746. 1458 So schwenkte insbesondere der BGH mehrmals hin und her: bejahend (für einen Verein und ohne dies in der Sache als Unterkapitalisierung zu bezeichnen) BGH 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, NJW 1970, 2015, 2016 f.; ablehnend dann BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449, 1450; eher zur Möglichkeit einer Haftung wegen Unterkapitalisierung tendierend hingegen BGH 13.6.1977 – II ZR 232/75, NJW 1977, 1683, 1686; implizit ablehnend, indem nur eine Haftung nach § 826 BGB erörtert wird BGH 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104. – Auch das BSG hielt eine Durchgriffshaftung teilweise für möglich (BSG 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117, 2119; 1.12.1996 – 2 RU 7/95, NJW-RR 1997, 94, 95), in einem anderen Judikat rückte es dagegen hiervon eher wieder ab (BSG 27.9.1994 – 10 RAr 1/92, NJW-RR 1995, 730, 731). – Für möglich hielt eine Haftung wegen Unterkapitalisierung das OLG Hamburg 15.2.1973 – 3 U 126/72, BB 1973, 1231, 1232. 1459 So nun explizit BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438 f.; davor schon BAG 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, NZA 1999, 39, 41; 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, NZA 1999, 653, 654; OLG Dresden 27.10.1999 – 13 U 1257/99, NZG 2000, 598, 601; OLG Oldenburg 10.2.2000 – 8 U 187/99, NZG 2000, 555. 1460 BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2440; kritisch gegen die Begründung einer eigenständigen Fallgruppe Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490; Kleindiek, NZG 2008, 686, 688; Wackerbarth, JZ 2008, 1166, 1167.
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gern begründet sein, jedoch müssen über die mangelnde Kapitalausstattung hinaus weitere Voraussetzungen erfüllt sein.1461 c) Stellungnahme Einer Erörterung der konkreten Ausgestaltung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Haftung für Unterkapitalisierung bedürfte es nur, wenn eine solche überhaupt dem Grunde nach begründbar ist. Das ist, wie zu zeigen sein wird, de lege lata nicht möglich. aa) Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter Einer Haftung für Unterkapitalisierung steht bereits entgegen, dass sie sich im System des geltenden Rechts – anders als die Existenzvernichtungshaftung – dogmatisch nicht begründen lässt und die Legitimationsversuche ihrer Apologeten mithin nicht zu überzeugen vermögen. So handelt es sich bei der Aussage der Anhänger der durch eine teleologische Reduktion von § 13 II GmbHG erreichten Durchgriffshaftung, die Haftungsbeschränkung stünde im Interesse des Gläubigerschutzes unter der Prämisse einer seriösen Festsetzung der Stammkapitalziffer, um eine bloße, durch die Vorschriften des GmbHG nicht gestützte Behauptung. Im Gegenteil: Indem das GmbHG sich darauf beschränkt, eine Mindeststammkapitalziffer von € 25.000 vorzuschreiben, lehnt es eine Orientierung am konkreten Kapitalbedarf der Gesellschaft gerade ab und räumt den Gesellschaftern Finanzierungsfreiheit ein.1462 Es obliegt daher im Kern deren freier Entscheidung, ob sie die GmbH über den gesetzlichen Mindestbetrag hinaus mit zusätzlichem Stammkapital ausstatten wollen oder nicht.1463 Der Grundsatz der Finanzierungsfreiheit kann vom Rechtsanwender dogmatisch überzeugend nur eingeschränkt werden, wenn dafür konkrete, aus dem GmbHG zumindest implizit ableitbare Wertungen benannt werden können. Hier zeigt sich der maßgebliche Unterschied zwischen Existenzvernichtungs- und Unterkapitalisierungshaftung. Während erstere stringent mit dem Anliegen legitimiert werden kann, die lückenhaften Regelungen der §§ 70 ff. GmbHG über den „geordneten Marktaustritt“ zu ergänzen und eine diesen widersprechende „kalte“ Liquidation 1461 Dazu BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449, 1451; 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104; 25.4.1988 – II ZR 175/87, NJW-RR 1988, 1181; 1182; BAG 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, NZA 1999, 39, 42; OLG Dresden 27.10.1999 – 13 U 1257/99, NZG 2000, 598, 601; OLG Oldenburg 10.2.2000 – 8 U 187/99, NZG 2000, 555; Goette, DStR 2005, 197, 200; MüKo-GmbHG/Merkt, § 13, Rn. 337; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 142; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 50; so wohl auch Vetter, ZGR 2005, 788, 819. 1462 BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2438, 2439 (Gamma); Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 279; P. Hofmann, NJW 1966, 1941, 1944; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 385. 1463 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5, Rn. 5; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 377.
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durch Entzug von Gesellschaftsvermögen zu verhindern,1464 lässt sich für die Unterkapitalisierung ein entsprechender Regelungskomplex im GmbHG nicht benennen. Insbesondere würde es nicht überzeugen, im Unterlassen einer angemessenen Kapitalausstattung eine – schon semantisch klar ein aktives Tun voraussetzende – Liquidation der Gesellschaft zu sehen.1465 Aus dem letztlich gleichen Grund ist auch eine auf § 280 BGB gestützte Innenhaftung abzulehnen. Zwar trifft es zu, dass zwischen Gesellschaft und Gesellschafter eine Sonderrechtsbeziehung besteht und der Gesellschafter bei Verletzung daraus resultierender Pflichten auf Schadensersatz haftet. Anders als bei der Existenzvernichtungshaftung, bei der die Pflicht zur ordnungsgemäßen Liquidierung der GmbH aus den §§ 70 ff. GmbHG deduziert werden konnte, lässt sich die von den Vertretern der Innenhaftungslehre angeführte „eingeschränkte Finanzierungsverantwortung“ aber nicht nur nicht aus dem GmbHG ableiten, gegen sie spricht vielmehr der Gegenschluss zum gesetzlich nur in bestimmter Höhe festgesetzten Mindeststammkapital.1466 Eine über die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften bestehende Pflicht zur Ausstattung der GmbH mit einem „mitwachsenden Finanzpolster“ hat der BGH daher zu Recht abgelehnt.1467 Angesichts der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter kann die nicht genügende Kapitalausstattung schließlich auch nicht als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) qualifiziert werden. bb) Historische und systematische Erwägungen Unabhängig von diesem Begründungsdefizit sprechen historische und systematische Überlegungen gegen eine Haftung wegen Unterkapitalisierung. Zuvörderst ist hierbei zu beachten, dass Gesetzgeber verschiedener politischer Couleur1468 zu unterschiedlichen Zeitpunkten trotz mehrerer Vorschläge aus Wissenschaft, Praxis und Politik1469 eine Unterkapitalisierungshaftung stets 1464
Siehe m.w.N. oben § 2 D IV 8 c) aa). Vgl. auch Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 105. 1466 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 54; a.A. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 243 f. 1467 BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2439; a.A. Lutter/Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 20. 1468 In der sechsten und achten Legislaturperiode jeweils sozialliberale Koalition unter Willy Brandt bzw. Helmut Schmidt, in der 16. Legislaturperiode Große Koalition aus CDU, CSU und SPD unter Angela Merkel. 1469 Vgl. z.B. G. Winter, Haftung, S. 122, 143 ff., nach dem an den „branchenüblichen Wert“ des Verhältnisses von Eigen- und Fremdkapital bzw. Eigenkapital und Anlagevermögen anzuknüpfen ist. – Gemäß dem Vorschlag des Arbeitskreises GmbH-Reform sollte eine Unterkapitalisierungshaftung eingreifen, wenn das Eigenkapital der Gesellschaft eindeutig außer Verhältnis zum angestrebten oder tatsächlichen Geschäftsumfang steht und die Gesellschafter ihrer Pflicht, für eine ordnungsgemäße Eigenkapitalausstattung zu sorgen, grob fahrlässig nicht nachkommen (zit. nach Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 3; siehe auch J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 522 f.). – Im Zuge des MoMiG schließlich plädierte die Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Haftung der Ge1465
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ablehnten und auf die Schaffung entsprechender Regelungen verzichteten. So wurden derartige Vorschriften 1972 und 1977 jeweils zwar als im Interesse des Gläubigerschutzes erwägenswert, aber letztlich als „nicht durchführbar“ angesehen, weil sich der Eigenkapitalbedarf weder bei der Gründung noch während des Bestehens der Gesellschaft „mit hinreichender Sicherheit feststellen“ lasse; eine Haftung für Unterkapitalisierung wurde daher als nicht mit der Rechtssicherheit vereinbar angesehen und zudem befürchtet, sie werde die GmbH als solche infrage stellen.1470 Auch bei der jüngsten Reform des GmbHG im Zuge des MoMiG wurde eine Unterkapitalisierungshaftung „bewusst nicht vorgesehen“ und stattdessen die Problematik der Rechtspraxis – wohlgemerkt nicht der Rechtsprechung – überlassen, werde doch „eine mit Eigenkapital besser ausgestattete GmbH wesentlich einfacher einen Bankkredit ohne zusätzliche persönliche Sicherheiten erhalten“1471. Diese eindeutigen gesetzgeberischen Willensäußerungen stehen zunächst der Durchgriffshaftung per teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG samt analoger Anwendung der §§ 128, 129 HGB entgegen, fehlt es doch angesichts dieses gesetzgeberischen Willens sowohl an der für eine teleologische Reduktion erforderlichen „Ausnahmelücke“ (die entsteht, weil der Gesetzgeber eine von ihm gewollte Einschränkung im Gesetzestext nicht implementierte1472) wie an der Mindestvoraussetzung jeder Analogie1473, der Planwidrigkeit der durch sie zu schließenden Regelungslücke.1474 Darüber hinaus trifft aber auch die Normanwendungslehre sowie die vom BGH erwogene Unterkapitalisierungshaftung über § 826 BGB der „Bannstrahl“ des Gesetzgebers. Denn den oben zitierten Passagen aus den Entwurfsbegründungen ist nicht nur eine Absage an besondere Regelungen zur Unterkapitalisierung zu entnehmen, dem darin zu Tage tretenden Willen des Gesetzgebers wird man vielmehr nur gerecht, wenn man verhindert, dass das nämliche Ergebnis auf anderem dogmatischen Wege erreicht wird. Soweit es um eine auf § 280 BGB gestützte Innenhaftung geht, lässt sich dies unschwer damit begründen, dass man eine Pflicht der Gesellschafter zur angemessenen, eine Unterkapitalisierung verhindernden Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft verneint. Und auch im Rahmen des § 826 BGB lässt sich dieser gesetzgeberischen Wertvorstellung Geltung verschaffen, dogsellschafter einer UG bei evidenter Unterkapitalisierung (siehe Beschluss der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 5. 9. 2006, abzurufen unter https://www. unternehmergesellschaft.de/cms/download/GmbH-Reform/RechtspolitikerBeschluss.pdf). 1470 Wortgleich BT-Drucks. 6/3088, S. 110 und BT-Drucks. 8/1347, S. 39. 1471 BT-Drucks. 16/6140, S. 29. f. 1472 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 848, 903; Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 621. 1473 Zu den Analogievoraussetzungen siehe Müller/Christensen, Juristische Methodik I, S. 393 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 868, 889. 1474 Ebenso Ehricke AcP 199 (1999), 258, 284 f.; vgl. auch BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2439 (Gamma).
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matischer „Hebel“ ist hier die Sittenwidrigkeit der Schädigung. Anerkanntermaßen sind bei der Bestimmung des Inhalts der guten Sitten nämlich die in einfachen Gesetzen zu Tage tretenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers zu berücksichtigen.1475 Der Gesetzgeber als Repräsentant aller billig und gerecht Denkenden hat somit innerhalb der durch das Grundgesetz gezogenen, vorliegend nicht berührten Grenzen die Befugnis, über den Inhalt der guten Sitten zu disponieren.1476 Weil er eine Haftung für Unterkapitalisierung nicht will, wäre es mit dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar, würde ein Gericht diese sich in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren durchgesetzte Auffassung über § 826 BGB „korrigieren“.1477 Über die oben zitierten Entwurfsbegründungen hinaus spricht für die hier vertretene Ansicht auch ein Blick auf spezialgesetzliche Eigenkapitalvorgaben. So müssen die vom KWG erfassten Institute, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen bei Gründung über ein „ausreichendes Anfangskapital“ verfügen, wobei der Gesetzgeber abstrakt-typisierend bestimmte Summen zwischen € 25.000 bis € 5 Millionen vorschreibt, § 33 I 1 Nr. 1 KWG. Abgesehen von dieser statischen Vorgabe wird in § 10 I 1 KWG – ganz im Sinne der von Lutter/ Bayer allgemein befürworteten Pflicht zur Schaffung eines „mitwachsende[n] Finanzpolster[s]“1478 – angeordnet, dass das Eigenkapital stets „angemessen“ sein muss, das heißt dynamisch auch im laufenden Geschäftsprozess an Umfang und Risiko der Geschäfte anzupassen ist, um zum Schutze der Gläubiger für den Fall der Insolvenz eine entsprechende Haftungsmasse zu sichern.1479 Zu nennen ist ferner § 11 I 1 InvG, wonach eine Kapitalanlagegesellschaft (§ 6 InvG) zur Deckung der laufenden Verbindlichkeiten und eventueller Schadensersatzansprüche1480 nicht nur über ein erhöhtes Anfangskapital von € 300.000 (Nr. 1), sondern über zusätzliche Eigenmittel verfügen muss, wenn der Wert 1475
Koziol, AcP 188 (1988), 183, 191 mit Fn. 38; Sack, WRP 1985, 1, 4; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 54; NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 71; vgl. auch BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 18.1; Staudinger/Oechsler, § 826, Rn. 54; MüKo-BGB/Wagner, § 826, Rn. 20. 1476 Laskowski, AuR 2002, 406, 407; MüKo-BGB/Armbrüster, § 1 ProstG, Rn. 19; Staudinger/Fischinger, Anh. zu § 138: § 1 ProstG, Rn. 14. 1477 Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490; allgemein vgl. Sack, WRP 1985, 1, 4; Staudinger/ Fischinger, Anh. zu § 138: § 1 ProstG, Rn. 14; aus diesem Grund ist auch die abweichende Auffassung von Hagen, GS Sonnenschein, 581, 592 f., der dem Gesetzgeber eine Dispositionsbefugnis abspricht, nicht überzeugend. 1478 Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 20. 1479 Vgl. Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10, Rn. 12. 1480 Steck/Gringel, in: Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG, § 11, Rn. 3; Simmering, in: Emde/ Dornseifer/Dreibus/Hölscher, InvG, § 11, Rn. 1; so zu dem mittlerweile außer Kraft getretenen § 2 KAGG auch Zeller, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, § 2, Rn. 6. – Einig ist man sich allerdings, dass dieses Eigenkapital nicht der Vorsorge gegen Großschadensfälle dient, sei die dauerhafte Vorhaltung eines derart hohen Eigenkapitals für solche Ausnahmefälle doch wirtschaftlich nicht sinnvoll (Engert, Konzern 2007, 477, 480; Steck/Gringel, a.a.O.; Simmering, a.a.O.).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
des verwalteten Investmentvermögens einen bestimmten Betrag überschreitet (Nr. 2). Schließlich ist auf die §§ 53c, 114 VAG zu verweisen, die für die erfassten Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds (§§ 1 I Nr. 1, 112 VAG) Vorgaben für die sogenannten „freien unbelasteten Eigenmittel“ machen, die die „dauernde Erfüllbarkeit der Verträge“ sicherstellen sollen. Wenn der Gesetzgeber für diese Ausnahmefälle – wohl aufgrund der von ihm als überragend wichtig eingeschätzten Bedeutung dieser Einrichtungen für das Allgemeinwohl – Vorkehrungen gegen eine einer Unterkapitalisierung entsprechende ungenügende Eigenkapitalausstattung getroffen hat, so ist daraus e contrario der Schluss zu ziehen, dass er außerhalb dieser Sondermaterie keine entsprechenden Schutzmechanismen möchte.1481 Etwas anderes könnte allein aus der (versteckten) Regelung in § 4 III 4 BBodSchG abzuleiten sein. Danach ist zur Sanierung einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast auch verpflichtet, „wer aus […] gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person [der ein belastetes Grundstück gehört] einzustehen hat“. Ausweislich der Entwurfsbegründung aus dem Jahr 1997 hatte der Gesetzgeber insoweit vor allem auch Fälle der Unterkapitalisierung im Sinn.1482 Weil es sich insoweit um eine rein deklaratorische Vorschrift handelt, die sich in einem Verweis auf das Gesellschaftsrecht erschöpft,1483 ging der Gesetzgeber offenkundig wie selbstverständlich von der Existenz einer Unterkapitalisierungshaftung aus. Daraus kann richtigerweise aber nicht gefolgert werden, eine generelle Haftung für Unterkapitalisierung entspräche dem Willen des Gesetzgebers. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Änderung am „Rande“ eines Rechtsgebiets Auswirkungen auf dessen Grundsatzfragen entfaltet.1484 Je weiter man sich aber vom Kern des Regelungsbereichs entfernt, umso zurückhaltender hat man mit dem Rückschluss auf zentrale Fragestellungen zu sein. Das gilt umso mehr, wenn es sich um eine Aussage zu einer vollkommen fachfremden, mit dem öffentlichen Recht gar in einem ganz anderen Rechtsgebiet angesiedelte Regelung handelt. Mit anderen Worten: Angesichts des seit Jahrzehnten geführten, erbitterten Streits um die Existenz einer Unter1481
Ebenso Ehricke, AcP 199 (1999), 258, 285 f. Verhindert werden sollte insbesondere, dass sich die Gesellschafter durch Ausgründungen von Unternehmensteilen oder die Einschaltung von Betriebsführungsgesellschaften, die nur über die gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapitalausstattung verfügen, von der Sanierungspflicht entlasten (BT-Drucks. 13/6701, S. 51 f.). Auch in der Literatur wird die Begründung einer Sanierungspflicht aufgrund einer Unterkapitalisierungshaftung – soweit ersichtlich – einhellig für möglich gehalten, vgl. z.B. Frenz, BBodSchG, § 4, Rn. 82 ff.; Landel/Vogg/Wüterich, BBodSchG, § 4, Rn. 121; Versteyl/Sondermann, BBodSchG, § 4, Rn. 70. 1483 Vierhaus, NJW 1998, 1262, 1266. 1484 Man denke nur an den Einfluss der Einführung des § 191 II Nr. 1 UmwG 1994 auf die Debatte um die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR (siehe dazu z.B. BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056, 1057; MüKo-BGB/Ulmer, § 705, Rn. 304; BeckOK-BGB/Schöne, § 705, Rn. 142). 1482
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kapitalisierungshaftung bedürfte es schon einer eindeutigeren und zentraleren Stellungnahme als in der Entwurfsbegründung zu einem öffentlich-rechtlichen Nebengesetz, um daraus ein durchschlagendes Argument ableiten zu können. Selbst wenn man das anders sähe, wäre die in § 4 III 4 BBodSchG zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wertung in der Folgezeit jedenfalls durch die bereits referierte, sich gegen eine Unterkapitalisierungshaftung aussprechende Willensäußerung des Gesetzgebers des MoMiG in „analoger“ Anwendung des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori überholt. Aus dem BBodSchG lassen sich mithin keine Anhaltspunkte für eine Haftung wegen Unterkapitalisierung ableiten. Schließlich spricht auch die im Rahmen des MoMiG erfolgte Einführung der UG gegen eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung.1485 Zwar mag es sein, dass der Verzicht auf jegliches relevante Stammkapital die Diskussion um die Unterkapitalisierung neu beleben wird, weil die Problematik krass unterkapitalisierter Gesellschaften zunehmen wird.1486 Richtigerweise kann es sich dabei aber nur um eine rechtspolitische Debatte handeln, denn de lege lata hat der Gesetzgeber mit der Schaffung der UG einer Pflicht der Gesellschafter, die Gesellschaft mit mehr als einem Mindeststammkapital auszustatten, eine (weitere) klare Absage erteilt.1487 Die Statuierung einer – wie auch immer methodisch begründeten – Unterkapitalisierungshaftung widerspräche mithin dem Willen des Gesetzgebers. Weil dieser nach der zutreffenden subjektiven Methode für die Norminterpretation und Gesetzesanwendung zentral ist,1488 ist de lege lata eine derartige Haftung abzulehnen. d) Ergebnis De lege lata ist eine Unterkapitalisierungshaftung unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung nicht anzuerkennen. Ihr steht der mehrfach klar geäußerte Wille des Gesetzgebers, der Gegenschluss zu den §§ 10 I 1, 33 I 1 Nr. 1 KWG, § 11 I 1 InvG, §§ 53c, 114 VAG sowie die Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter entgegen.1489 1485 Ebenso Kleindiek, NZG 2008, 686, 688; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 279; vgl. Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 122. 1486 So Schmidt, DB 2005, 1095; Priester, ZIP 2005, 921, 922; vgl. auch Miras, in: Michalski, GmbHG, § 5a, Rn. 24, der es für möglich hält, dass die Rechtsprechung bei Unternehmergesellschaften eine Unterkapitalisierungshaftung annehmen wird. 1487 Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055. 1488 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 708 f., 72 ff.; Forsthoff, Recht, S. 46 f. 1489 Trotz dieses Befunds kann in der Rechtspraxis bei Unterkapitalisierung der Gesellschaft häufig dennoch eine Haftung der Gesellschafter eintreten, allerdings eben nicht wegen Unterkapitalisierung, sondern weil in solchen Fällen bereits vergleichsweise geringfügige Entnahmen die Voraussetzungen eines existenzvernichtenden Eingriffs erfüllen (zutreffend Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 123).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
10. Schutz bei Vermögensvermischung a) Einleitung Die Fallgruppe der Vermögensvermischung lässt sich schlagwortartig damit charakterisieren, dass ein Gesellschafter sein Privat- und Gesellschaftsvermögen nicht ausreichend trennt, was mit seiner persönlichen Haftung sanktioniert wird.1490 Auch wenn das im Grundsatz praktisch einhellig in Literatur und Rechtsprechung anerkannt ist,1491 besteht hinsichtlich dogmatischer Begründung, methodischer Umsetzung, einzelner Voraussetzungen und konkreter Rechtsfolgen Uneinigkeit. Über alle Differenzen hinweg ist für das Verständnis des Vermögensmischungstatbestands grundlegend, dass nicht an die Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften, sondern an die Vereitelung ihrer Überprüfbarkeit angeknüpft wird.1492 Das ist nur der Fall, wo eine generelle (wenn man so möchte: Gesamt-)Vermögensvermischung erfolgt, aufgrund derer die Beachtung der Kapitalschutzvorschriften nicht mehr kontrolliert werden kann.1493 Wird hingegen nur ein einziger oder werden einzelne abgegrenzte Vermögensgegenstände 1490 Von der Vermögens- ist die sogenannte Sphärenvermischung zu unterscheiden, bei der nicht Vermögensgegenstände vermengt werden, sondern der Gesellschafter im geschäftlichen Auftreten zwischen den einzelnen Gesellschaften, an denen er beteiligt ist, nach außen nicht hinreichend zwischen sich und der Gesellschaft unterscheidet, so dass die Person des Vertragspartners unklar bleibt. Diese Fälle bleiben im Folgenden außer Betracht, weil es sich nicht um haftungsrechtliche, sondern um vertretungsrechtliche (Offenkundigkeit, Rechtsscheinshaftung) Problemlagen handelt (MüHdB-GesR/Schiessl, § 35, Rn. 7; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 95; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 41; BeckOK-GmbH/Wilhelmi, § 13, Rn. 149 f.). 1491 BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189; 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802; 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346; 7.1.2008 – II ZR 314/05, NZG 2008, 187, 188; BSG 1.2.1996 – 2 RU 7/95, NJW-RR 1997, 94, 95; KG 4.12.2007 – 7 U 77/07, NZG 2008, 344, 345; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 234 ff.; Boujong, FS Odersky, S. 739, 742; Raiser, FS Lutter, S. 637, 644 ff.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 45; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 19; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 133 ff.; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 95 f.; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 358 ff.; MüKo- GmbHG/Fleischer, § 41, Rn. 33; MüHdB-GesR/Schiessl, § 35, Rn. 6; Schäfer, Gesellschaftsrecht, S. 163; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 144 ff.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 278; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 224; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 398 ff. 1492 BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13, Rn. 132; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 144; Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 14; Henssler/Strohn/ Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 38; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 134; ders., ZIP 2002, 1553, 1558. 1493 Vgl. die Terminologie des BGH zu der hier im Folgenden als Vermögensvermischung im engen Sinne behandelten Vermögensvermischung: Die Vermögensabgrenzung müsse „allgemein“ verschleiert werden (BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189), eine Vermögensvermengung liege nicht vor, sofern nur „generell“ die Vermögensbewegungen erkennbar sind (BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740); plastisch wird auch von „Intransparenzhaftung“ gesprochen (so Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055).
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vermischt und dadurch die Überprüfbarkeit der Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften nicht beeinträchtigt, besteht kein Bedürfnis nach einem Sonderrechtsregime, es genügen die allgemeinen Grundsätze:1494 Findet eine Einzel- oder Gesamtvollstreckung statt, obliegt es dem Gesellschafter zunächst, im Rahmen einer Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) beziehungsweise eines Aussonderungsrechtsstreits (§ 47 InsO) die Zugehörigkeit des Gegenstands zu seinem Privatvermögen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.1495 Gelingt ihm dies nicht, verliert er ihn auch dann, wenn er ihm tatsächlich privat gehörte. Aber selbst wenn er die Zugehörigkeit zu seinem Privatvermögen beweisen kann, ist er noch nicht endgültig „aus dem Schneider“, ist dann doch zu prüfen, ob es sich nicht um einen Verstoß gegen § 30 GmbHG mit der Folge eines Erstattungsanspruchs nach § 31 GmbHG handelte.1496 b) Voraussetzungen (nach BGH) 1497 Grundvoraussetzung ist selbstverständlich eine Vermögensvermischung dergestalt, dass wegen undurchsichtiger Buchführung oder wegen sonstiger Verschleierungen eine Abgrenzung zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem Privatvermögen des/der Gesellschafter(s) nicht mehr möglich ist und mangels Kontrollfähigkeit der Zahlungsvorgänge nicht mehr überprüft werden kann, ob die Kapitalschutzvorschriften beachtet wurden.1498 Das ist vor allem
1494 Vgl. BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189; Raiser, FS Lutter, S. 637, 645; Boujong, FS Odersky, S. 739, 742; MüHdB-GesR/ Schiessl, § 35, Rn. 6; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 96; Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1578. 1495 Scholz/Bitter, GmbHG, § 13, Rn. 135; ders., ZInsO 2010, 1561, 1579; MüHdB-GesR/ Schiessl, § 35, Rn. 6; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 38; Schäfer, Gesellschaftsrecht, S. 163; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 19; Steffek, JZ 2009, 77, 81; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 229. – Zur Beweislast des Klägers bei § 771 ZPO, § 47 InsO vgl. z.B. Musielak/Lackmann, ZPO, § 771, Rn. 14; MüKo-InsO/ Ganter, § 47, Rn. 487. 1496 Was die Beweislast angeht, ist man sich weitgehend einig, dass der GmbH – in welcher Form auch immer – Beweiserleichterungen zugute kommen, vgl. jeweils m.w.N. MüKo-GmbHG/Ekkenga, § 30, Rn. 291; Henssler/Strohn/Fleischer, Gesellschaftsrecht, § 30 GmbHG, Rn. 35; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30, Rn. 65; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30, Rn. 16. 1497 Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der Übergang von der Existenzvernichtungshaftung erster zur zweiten Generation keine Auswirkungen auf die Behandlung der Vermögensvermischung durch den BGH hat, bestätigte doch der 2. Senat in einer 2008 ergangenen Entscheidung die überkommenen Grundsätze der Vermögensvermischung, vgl. BGH 7.1.2008 – II ZR 314/05, NZG 2008, 187, 188; so auch die Interpretation von MüKo-BGB/ Reuter, Vor § 21, Rn. 34; zurückhaltender Schäfer, Gesellschaftsrecht, S. 162 („noch nicht absehrbar“). 1498 BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189; 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802; 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346; OLG Celle 29.8.2001 – 9 U 120/01, GmbHR 2001, 1042 (juris Rn. 5 ff).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
anzunehmen, wenn es an einer Buchführung überhaupt fehlt oder sie völlig undurchsichtig ist.1499 Bei der Haftung wegen Vermögensvermischung handelt es sich nach dem BGH nicht um eine Zustands-, sondern um eine Verhaltenshaftung, es haftet also nur der für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortliche Gesellschafter.1500 Erforderlich ist ein aktives Handeln, die bloße Nichtüberwachung der Geschäftsführung genügt hingegen nicht, weil aus § 46 Nr. 6 GmbHG nur ein Recht, nicht aber eine – gar im Interesse der Gesellschaftsgläubiger bestehende – Verpflichtung der Gesellschafter hierzu erwächst.1501 Ferner muss der Gesellschafter über entsprechenden Einfluss in der GmbH verfügt haben, wobei stets die tatsächlichen Verhältnisse entscheiden, nicht die formelle Rechtslage.1502 Fehlt es am erforderlichen Einfluss des Gesellschafters, wird eine Haftung auch nicht dadurch begründet, dass er von der Vermögensvermischung profitierte, weil Gelder oder sonstige Vermögensgegenstände in sein Privatvermögen flossen.1503 Nicht eindeutig geäußert hat sich der BGH dazu, 1499 BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 133; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 229; MüKo- GmbHG/Fleischer, § 13, Rn. 33; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 96. – Hingegen keine Vermögensvermischung, wenn die Buchführung auf den ersten Blick zwar kaum zu durchschauen ist, sich aber doch rekapitulieren lässt (BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189; Raiser, FS Lutter, S. 637, 645; MüHdB-GesR/Schiessl, § 35, Rn. 6), oder wenn entgegen § 41 GmbHG, § 238 HGB keine doppelte Buchführung erfolgte, das Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen aber aufgrund sonstiger Unterlagen nachvollziehbar zu trennen ist (BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346; Keil, DZWIR 2006, 370, 373). 1500 BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346 f.; so letztlich auch schon BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801; aus der Literatur z.B. MüKo- GmbHG/Fleischer, § 13, Rn. 33; Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1557; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 45; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 96; kritisch Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1579, nach dem dies nur beschränkt mit der teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG vereinbar ist, profitierten doch auch nicht verantwortliche Gesellschafter von der Vermögensvermischung. 1501 BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1347; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 39. – Denkbar ist aber eine Haftung nach § 826 BGB, wenn ein Gesellschafter eine Gefährdung der Interessen der Gesellschaftsgläubiger durch die Geschäftsführung sehenden Auges in Kauf nimmt (BGH a.a.O.). 1502 Es haften also vor allem Allein- und Mehrheitsgesellschafter, nicht aber Minderheitsgesellschafter oder Gesellschafter, die aufgrund geringer interner Mitspracherechte keinen Einfluss haben (BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801; 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346 f.; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 612; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 371). Weil die tatsächlichen Umstände maßgeblich sind, kann aber auch haften, wer zwar formell-rechtlich nicht Gesellschafter ist, sich aber als sogenannter faktischer Gesellschafter eines anderen als Strohmanngesellschafters bedient und wirtschaftlich die GmbH leitet (KG 4.12.2007 – 7 U 77/07, NZG 2008, 344; Henssler/Strohn/Verse, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG, Rn. 39; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 366), oder zwar Minderheitsgesellschafter ist, aber aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Umstände die Unternehmensgeschicke bestimmt (BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802; siehe aber auch BGH 28.4.1980 – II ZR 254/78, NJW 1980, 2254, 2256). 1503 Vgl. BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802.
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ob ein schuldhaftes Handeln erforderlich ist. Seine Aussage, ein Minderheitsgesellschafter hafte mangels Verantwortlichkeit selbst dann nicht, wenn er Geschäftsführer sei,1504 ist angesichts der amtlichen Überschrift des § 276 BGB, die von der „Verantwortlichkeit des Schuldners“ spricht, möglicherweise so zu deuten, dass er ein Verschulden voraussetzt.1505 c) Rechtsfolgen und Methodik (nach BGH) Liegen diese Voraussetzungen vor,1506 wendet der BGH § 13 II GmbHG nicht an und behandelt den Gesellschafter, als wäre er Mitglied einer oHG, der daher den Gesellschaftsgläubigern nach §§ 105, 128 HGB analog für die Gesellschaftsverbindlichkeiten mit seinem gesamten Privatvermögen unbeschränkt haftet.1507 Da es sich um eine Außenhaftung handelt, kann grundsätzlich jeder Gesellschaftsgläubiger den Anspruch autonom geltend machen und dadurch einen Sondervorteil erlangen. Um in der Insolvenz der GmbH dem Grundsatz des par conditio creditorum zu genügen, zieht der BGH aber während eines laufenden Insolvenzverfahrens § 93 InsO mit der Folge analog heran, dass nur der Insolvenzverwalter aktivlegitimiert ist.1508 d) Meinungsspektrum in der Literatur (Skizze) Auch wenn die wohl herrschende Lehre in der Literatur die Auffassung des BGH teilt,1509 finden sich durchaus auch kritische beziehungsweise abweichende Stellungnahmen. So wird die Ausgestaltung als Außenhaftung kriti1504
BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802. So Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 368; a.A. G. Roth, LMK § 13 GmbHG, Nr. 24 sub. 2, nach dem der BGH auch nur eine objektive Zurechnung gemeint haben könnte. 1506 Die Beweislast hierfür trifft nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen den Gläubiger (MüKo-GmbHG/Fleischer, § 13, Rn. 33; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 373); weil diesem oft die notwendigen Informationen fehlen, legt der BGH dem Gesellschafter aber eine sekundäre Behauptungslast mit der Folge auf, dass er sich – um der Geständnisfiktion des § 138 III ZPO zu entgehen – nicht auf ein pauschales Bestreiten beschränken darf (BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346). 1507 BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188; 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1345 f.; OLG Thüringen 28.11.2001 – 4 U 234/01, GmbHR 2002, 112 (juris Rn. 24 ff.); OLG Rostock OLGR Rostock 2004, 192, 194 f.; aus der Literatur z.B. Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 89; Steffek, JZ 2009, 77, 81; Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 19; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 96; Michalski/Funke, GmbHG, § 13, Rn. 370; BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 146. – Was die Nichtanwendung von § 13 II GmbHG anbelangt, so besteht im Einzelnen Uneinigkeit darüber, wie diese methodisch zu begründen ist: Der BGH (16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, juris Rn. 10) nennt keine methodische Begründung, Raiser (FS Lutter, S. 637, 645) geht von einer „einschränkenden Interpretation“, Steffek (a.a.O.) von einer teleologischen Reduktion aus. 1508 BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1345 f.; OLG Celle 29.8.2001 – 9 U 120/01, GmbHR 2001, 1042 (juris Rn. 3); vgl. auch Gerhardt, ZIP 2000, 2181, 2184. 1509 Z.B. Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 19; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 95 f.; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 146; Gloger/Goette/Japing, 1505
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siert, setze eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung doch voraus, dass der Anspruch der GmbH zustehe; erreicht werden könne dies durch ein reines Innenhaftungsmodell, das an die Verletzung der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Pflichten der Gesellschafter anknüpfe.1510 Zum nämlichen Ergebnis einer Innenhaftung kommt auch Ehricke, der ein eigenständiges Sonderrechtsregime als überflüssig und – weil es damit an der Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG fehle – sogar unzulässig ansieht, könnten die Fälle der Vermögensvermischung doch bereits über eine (analoge) Anwendung der §§ 41, 42, 43 II GmbHG gelöst werden.1511 G. Roth hingegen bejaht zwar eine Außenhaftung, stuft diese aber als reine Strukturhaftung wegen Wegfalls einer unabdingbaren Voraussetzung des Haftungsprivilegs aus § 13 II GmbHG mit der Folge ein, dass – mit der möglichen Ausnahme von „Extremfällen“ – jeder Gesellschafter mit seinem Privatvermögen hafte, unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft oder er von den inkriminierten Vorgängen Kenntnis hatte.1512 Wagner hält den Weg des BGH zwar für vertretbar, präferiert aber eine Lösung über § 826 BGB,1513 wohingegen die Heranziehung der §§ 128, 129 HGB analog nach Altmeppen wenig Erkenntnisgewinn verspreche, handele es sich bei der Vermögensvermischung doch vielmehr um ein reines Beweisproblem, wobei angesichts der vom Gesellschafter veranlassten Unklarheit eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sei.1514 In der älteren Literatur finden sich schließlich Befürworter eines „echten Durchgriffs“1515, die nicht erst bei § 13 II GmbHG, sondern bereits bei der Trennung zwischen den Gesellschaftern und der juristischen Person und damit bei dieser selbst ansetzen, indem sie ihre Existenz hinwegfingieren und die Gesellschafter in der Folge für die bisher der Gesellschaft zugeordneten Verbindlichkeiten direkt haften lassen.1516
ZInsO 2008, 1051, 1055; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 371; J. Hoffmann, NZG 2003, 68, 71. 1510 Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 357 (was sie unter der von ihnen befürworteten Normanwendungslehre verstehen, wird in Rn. 347, 349 f. erläutert); Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 398 f. 1511 Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 289 ff. 1512 So G. Roth, LMK § 13 GmbHG, Nr. 24 sub. 2. 1513 Wagner, FS Canaris II, S. 473, 496; so wohl auch Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 399. 1514 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rn. 136. 1515 So die Terminologie von Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 222, der diesen Lehren aber nicht anhängt. 1516 Dieses Ergebnis ist Konsequenz vor allem der subjektiven (Serick, Rechtsform, S. 38, 203 ff.) bzw. objektiven (MüKo-BGB/Reuter, Vor § 21, Rn. 21) Missbrauchslehren, der von Müller-Freienfels (AcP 156 [1957], 522 ff.) vertretenen ursprünglichen Normzwecklehre sowie der Mischtheorie von E. Rehbinder (FS Fischer, S. 579, 583); siehe auch Kuhn, Strohmanngründung, S. 199 ff.
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e) Stellungnahme aa) Ablehnung der echten Durchgriffslehren Abzulehnen ist es zunächst, mit den Anhängern eines echten Durchgriffs eine punktuelle „Abschaffung“ der GmbH als eigenständiges Rechtssubjekt vorzunehmen. Dieser weitgehende Eingriff in die Konzeption des GmbHG ist zur Lösung der Vermögensvermischungsproblematik richtigerweise nicht erforderlich, weil man ihr auf andere, noch zu erläuternde Weise Herr werden kann.1517 Angesichts dessen überzeugt es dann aber nicht, die Rechtssubjektivität der GmbH von Fall zu Fall infrage zu stellen, ändert die Herbeiführung einer Vermögensvermischung doch nach allgemeinen materiell- und prozessrechtlichen Grundsätzen nichts daran, dass die GmbH Eigentümerin, Gläubigerin, Schuldnerin, Prozesspartei, Insolvenzschuldnerin und so weiter bleibt.1518 Solange die juristische Person nicht durch Löschung im Handelsregister (§ 394 I 2 FamFG) endgültig „aus der Welt geschieden ist“, ist ihre Existenz ein vom Rechtsanwender hinzunehmendes, nicht nach Belieben zu ignorierendes Faktum. Ein echter Durchgriff per Hinwegdenken der GmbH als Rechtssubjekt ist somit abzulehnen. bb) Außenhaftung im Gefolge einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG Zu überzeugen vermag hingegen die vom BGH vertretene Auffassung, nach der im Gefolge einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG eine Außenhaftung in Betracht kommt. (1) Dogmatische Begründung Ausgangspunkt der notwendigen dogmatischen Begründung hierfür ist, dass ein Schuldner nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen für die ihn treffenden Verbindlichkeiten mit seinem gesamten Vermögen haftet, dieses also eine Haftungseinheit darstellt. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist zwar aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung oder dahingehenden vertraglichen Abrede möglich.1519 Deren Grundlage ist allerdings naturgemäß, dass sich haftender und nicht-haftender Vermögensbestandteil klar identifizieren und voneinander abgrenzen lassen. Gebricht es daran, fehlt es an der logischen Grundvoraussetzung für eine gegenständliche Haftungsbegrenzung.1520 Dabei handelt es sich nicht um ein gesellschaftsrechtliches Spezifikum, sondern um ein allgemein-zivilrechtliches Prinzip.1521 So stand dieser Gedanke pars pro 1517
So auch Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 355 f. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 225. 1519 Vgl. BGH 4.3.1996 – II ZR 123/94, NJW 1996, 1210, 1211; 27.1.1997 – II ZR 123/94, NJW 1997, 1507; 27.9.1999 – II ZR 371/98, NJW 1999, 3483, 3484; Priester, DB 2005, 1315, 1316; Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445. 1520 Raiser, FS Lutter, S. 637, 644; vgl. auch Boujong, FS Odersky, S. 739, 742. 1521 Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1557. 1518
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toto auch beim erbrechtlichen Haftungsbegrenzungsregime Pate, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass ein Erbe, der Nachlass und Eigenvermögen derart vermischt, dass es ihm nicht mehr möglich ist, auf Antrag eines Nachlassgläubigers ein Inventar zu errichten, den Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkbar mit seinem gesamten Vermögen haftet, §§ 1994 I 2, 2013 I 1 BGB.1522 Mit anderen Worten: Wer eine Haftungsbeschränkung qua Vermögensmassentrennung anstrebt, muss sich also an dieser Entscheidung festhalten lassen und daher für eine saubere, nachvollziehbare Abschottung der verschiedenen Vermögensbestandteile sorgen. Versäumt ein GmbH-Gesellschafter dies, so ist es schon aufgrund dieser generellen dogmatischen Überlegung geboten, ihn mit seinem gesamten Vermögen haften zu lassen.1523 Zusätzlich zu diesem allgemein-zivilrechtlichen, auf das GmbH-Recht „heruntergebrochenen“ Grundsatz spricht auch ein GmbH-spezifisches Argument dafür, eine Haftung bei Vermögensvermischung zu bejahen. Rechtspolitisch rechtfertigbar ist die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen nämlich nur, wenn den berechtigten Interessen der Gesellschaftsgläubiger ausreichend Rechnung getragen wird. Da die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften der §§ 5, 7, 19 ff., 56 ff., 30, 31 GmbHG hierfür ein zentraler Baustein sind,1524 muss ihre Einhaltung jederzeit überprüft werden können. Werden Privat- und Gesellschaftsvermögen zu einem unentwirrbaren Knäuel vermischt, ist dies aber nicht mehr möglich.1525 Weil also durch die Vermögensvermischung gleichermaßen die Grundvoraussetzung einer Haftungsbeschränkung auf einen Vermögensbestandteil wie die zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger notwendigen Kapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften verletzt werden, widerspräche es grundlegenden Wertungen des GmbH-Rechts, es dem Gesellschafter zu gestatten, die Gesellschaftsgläubiger auf das – als solches ohnehin nicht (mehr) identifizierbare – Gesellschaftsvermögen zu verweisen. Da § 13 II GmbHG somit seinem Wortlaut nach zu weit gefasst ist und in Bezug auf Vermögensvermischungstatbestände über den gesetzgeberischen Regelungsplan hinausschießt, ist er teleologisch zu 1522 Vgl. auch RGZ 129, 239, 244; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3496; Lange, Erbrecht, § 72, Rn. 61: Nachlassgläubiger erhalten zuverlässig Auskunft über den ursprünglichen Bestand des Nachlasses und können dessen Veränderung überprüfen. – Rechtshistorisch zeigt dies auch ein Blick auf das römische „beneficium inventarii“ oder das Allgemeine Preußische Landrecht, wonach der Erbe jeweils durch die Errichtung eines Inventars, in dem er Aktiva und Passiva des Nachlasses aufführte und damit zugleich die Basis für eine klare Abgrenzung von seinem Eigenvermögen schuf, in den Genuss einer Haftungsbeschränkung auf eben diesen Nachlass gelangen konnte (siehe zum Inventar oben § 2 C II 1). 1523 Röhricht, FS BGH, S. 83, 89; BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 144 („Funktionsbedingung“). 1524 Siehe schon oben § 2 D IV 3. 1525 BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; U. Haas, WM 2003, 1929, 1931; Ulmer/Raiser, GmbHG, § 13, Rn. 126; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13, Rn. 132; BeckOKGmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 144; Henssler/Strohn/Verse, GmbHG, § 13, Rn. 38; Wicke, GmbHG, § 13, Rn. 14.
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reduzieren.1526 Dem kann nicht überzeugend entgegengehalten werden, es fehle an einem Bedürfnis für eine teleologische Reduktion, weil den Fallkonstellationen der Vermögensvermischung bereits über eine (analoge) Anwendung der §§ 41, 42, 43 II GmbHG Rechnung getragen werden könnte.1527 So ist es schon nicht überzeugend, eine „Ausnahmelücke“ bei einer Norm wegen einer im gleichen Atemzug erfolgenden analogen Anwendung einer anderen Vorschrift abzulehnen, kann dieser methodische „Spieß“ doch unschwer umgedreht und die für die Analogie erforderliche Regelungslücke mit Verweis auf die teleologische Reduktion verneint werden. Vor allem aber erscheint es sachnäher, bei § 13 II GmbHG und damit einer Norm anzusetzen, die unmittelbar die Stellung der Gesellschafter als solcher betrifft, als auf eine auf Geschäftsführer zugeschnittene Vorschrift auszuweichen. (2) Methodische Umsetzung Zu klären bleibt, wie diese Auffassung methodisch umgesetzt werden kann. Die teleologische Reduktion des § 13 II GmbHG begründet die Haftung der Gesellschafter nämlich noch nicht, sondern führt in einem ersten Schritt alleine dazu, dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht mehr nur, wie es in § 13 II GmbHG heißt, das Gesellschaftsvermögen haftet. Eine Aussage über die Haftung der Gesellschafter ist damit aber noch nicht direkt verbunden. Weil zudem die teleologische Reduktion nichts daran ändert, dass gemäß § 13 I GmbHG allein die Gesellschaft Vertragspartnerin und Schuldnerin ist, bedarf eine Haftung der Gesellschafter mithin in einem zweiten Schritt einer positiven gesetzlichen Anordnung.1528 Soweit es sich um eine mehrgliedrige GmbH handelt, kann diese unschwer in einer analogen Heranziehung der §§ 128, 129 HGB erblickt werden, entspricht eine GmbH bei Wegfall der Haftungsbeschränkung in Bezug auf das Haftungsregime doch im Wesentlichen einer oHG.1529 Mit anderen Worten: Die als oHG gedachte GmbH bleibt zwar Schuldnerin, der Gesellschafter haftet aber akzessorisch für ihre Verbindlichkeiten. In Rechtsprechung und Literatur – soweit ersichtlich – bislang nicht erörterte Schwierigkeiten ergeben sich allerdings bei einer Einmann-GmbH, weil es hier nicht weiterhilft, die GmbH ohne Haftungsbeschränkung auf ihr HGB-Pendant des einzelkaufmännischen Unternehmens herunterzubrechen.1530 Wie 1526 Vgl. zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion z.B. Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 903. 1527 So aber Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 289 ff. 1528 Das Erfordernis einer derartigen positiven Haftungsbegründungsnorm kann man richtigerweise auch nicht mit dem Argument anzweifeln, die volle Haftung der Gesellschafter sei der gesetzliche Normalfall und § 13 II GmbHG die vom Gesetzgeber angeordnete Ausnahme, bei deren Wegfall wieder der Normalfall eintrete (in diese Richtung wohl Scholz/ Bitter, GmbHG, § 13, Rn. 55). Denn damit wird verkannt, dass eben trotz Wegfalls der Haftungsbeschränkung allein die Gesellschaft Vertragspartnerin/Schuldnerin ist. 1529 So auch die ganz h.M., vgl. die Nachweise in Fn. 1507. 1530 In diese Richtung aber wohl OLG Celle 29.8.2001 – 9 U 120/01, GmbHR 2001, 1042
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bei der mehrgliedrigen GmbH bleibt es nämlich dabei, dass die Gesellschaft Gläubigerin und Schuldnerin aller Ansprüche bleibt (§ 13 I GmbHG), anders als bei der mehrgliedrigen GmbH kann eine akzessorische Haftung aber aus dem Recht des Einzelkaufmanns naturgemäß nicht abgeleitet werden, treffen die Rechte und Pflichten aus unternehmensbezogenen Geschäften dort doch immer nur den Kaufmann als Unternehmensträger, nicht aber das Unternehmen als solches, das gar kein Rechtssubjekt ist.1531 Damit zeigt sich, dass sich bei streng formalisitischer Gesetzesanwendung eine Außenhaftung methodisch zwar bei mehrgliedrigen, nicht aber bei Einmann-Gesellschaften mbH erreichen lässt. Wertungsmäßig bestehen zwischen einer mehrgliedrigen und einer Einmann-GmbH im vorliegenden Kontext allerdings keinerlei Unterschiede. Beide Konstellationen ungleich zu behandeln, indem nur bei mehrgliedrigen Gesellschaften mbH eine Außenhaftung angenommen wird, ist deshalb nicht angezeigt. Auch geht es nicht an, „nur“ wegen der Schwierigkeiten bei der Einmann-GmbH von der dogmatisch überzeugend begründbaren und methodisch möglichen Außenhaftung bei mehrgliedrigen Gesellschaften mbH abzusehen. Als noch der beste Ausweg aus diesem Dilemma erscheint es daher, in der „Konkurrenz“ von methodischer Umsetzungsschwierigkeit und dogmatisch überzeugender Lösung letzterer den Vorrang zu geben und auch bei Einmann-Gesellschaften mbH eine Außenhaftung des Gesellschafters zu konstruieren. Weil das Recht des Einzelkaufmanns eine akzessorische Haftung überhaupt nicht kennt, dürfte es noch am wenigsten systemwidrig sein, auch bei Einmann-Gesellschaften mbH auf eine analoge Anwendung der §§ 128, 129 HGB zurückzugreifen und die Tatsache, dass es sich um eine eingliedrige Gesellschaft handelt, zu vernachlässigen. (3) Subjektive Voraussetzungen Ist dem Grunde nach eine solche Haftung also dogmatisch begründbar und methodisch durchführbar, ist noch zu klären, ob es sich um eine rein objektiv an den Zustand einer Vermögensvermischung anküpfende und daher alle Gesellschafter treffende handelt, oder ob sie durch ein subjektives Element zu „korrigieren“ ist. Indem er die Haftung als Verhaltens- und nicht als Zustandshaftung charakterisiert, spricht sich der BGH wohl für letzteres aus.1532 Auf den ersten Blick passt dies nicht zu einer Analogie zu § 128 HGB,1533 ordnet (juris Rn. 5), wonach der Gesellschafter so zu stellen ist, als habe er das von der GmbH betriebene Handelsgeschäft selbst ohne Haftungsbeschränkung geführt. – Ähnlich wie hier Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 136 f. 1531 Lettl, Handelsrecht, S. 89. 1532 BGH 12.11.1984 – II ZR 250/83, NJW 1985, 740; 16.9.1985 – II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 189; aus der Literatur z.B. Raiser, FS Lutter, S. 637, 645; Boujong, FS Odersky, S. 739, 742; MüHdB-GesR/Schiessl, § 35, Rn. 6; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 96; Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1578. 1533 So die Kritik von BeckOK- GmbHG/Wilhelmi, § 13, Rn. 148.
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dieser doch eine Haftung sämtlicher Gesellschafter an, ohne eine verantwortliche Stellung derselben vorauszusetzen.1534 Ein überzeugendes Gegenargument lässt sich daraus aber nicht ableiten, besteht zwischen der Situation bei der oHG und der GmbH insoweit doch ein gravierender Unterschied. In einer oHG als Personengesellschaft ohne vorgeschriebenes Stammkapital ist die Haftung aller Gesellschafter das natürliche, gläubigerschützende Instrumentarium, das deshalb konsequent nicht an zusätzliche (subjektive) Voraussetzungen anknüpft. Diametral entgegengesetzt ist bei der GmbH die Nichthaftung der Gesellschafter das gesetzliche Grundmodell, so dass es durchaus plausibel ist, für dessen Durchbrechung zusätzliche Voraussetzungen zu postulieren, um auf diese Weise zu verhindern, dass das gesetzgeberische Regelungsanliegen beeinträchtigt wird. Genau diese Gefahr bestünde aber, wenn man unterschiedslos jeglichen GmbH-Gesellschafter bei einer Vermögensvermischung zur Verantwortung ziehen würde. Müsste ein Gesellschafter fürchten, bei einer durch einen anderen Gesellschafter herbeigeführten, ihm weder bekannten beziehungsweise – selbst bei Kenntnis angesichts der Machtverhältnisse in der GmbH – noch verhinderbaren Vermengung von Gesellschafts- und Privatvermögen unbeschränkt zu haften, drohte nämlich das mit dem GmbHG angestrebte Ziel einer volkswirtschaftlich wünschenswerten Steigerung der Investitionsbereitschaft1535 konterkariert zu werden, weil insbesondere Minderheits- und Kleinstgesellschafter, die einem im Vergleich zu den mit der GmbH-Beteiligung verbundenen Chancen völlig disproportionalen Risiko ausgesetzt wären, von einer Kapitalbeteiligung absehen würden. Es ist daher richtig, nur solche Gesellschafter einer Haftung für Vermögensvermischung auszusetzen, denen diese zurechenbar ist. Bloße Kenntnis von der (drohenden) Vermögensvermischung genügt hierfür nicht, weil diese den Gesellschafter allein noch nicht in die Lage versetzt, die Vermischung zu verhindern. Erforderlich ist vielmehr, dass der in Anspruch Genommene faktisch über einen so großen Einfluss in der GmbH verfügte, dass er die Geschehnisse zu steuern vermochte. Damit scheiden in aller Regel vor allem Minderheitsgesellschafter als Anspruchsgegner aus.1536 Ob man darüber hinausgehend ein schuldhaftes Verhalten verlangt, ist praktisch kaum von Bedeutung, weil angesichts der an eine Vermögensvermischung gestellten strengen Voraussetzungen (vor allem fehlende oder vollständig undurchsichtigte Buchführung)1537 stets mindestens Fahrlässigkeit vorliegen dürfte. 1534 Vgl. die auf die Frage nach einer beherrschenden Stellung o.ä. zu recht nicht eingehenden Kommentierungen zu § 128 HGB, z.B. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 128, Rn. 3; MüKo-HGB/Schmidt, § 128, Rn. 8; Boesche, in: Oetker, HGB, § 128, Rn. 18. 1535 Vgl. dazu oben § 2 D III 2 b). 1536 Zuzustimmen ist auch insoweit der Linie des BGH, wie sie in Fn. 1502 m.w.N. skizziert wurde. 1537 Siehe näher und m.w.N. Fn. 1499.
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(4) Zusammenfassung Summa summarum haftet der eine Vermögensvermischung zu verantwortende GmbH-Gesellschafter im Wege teleologischer Reduktion des § 13 II GmbHG samt analoger Anwendung des § 128 HGB den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt für deren Forderungen mit seinem gesamten Vermögen. cc) Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus § 826 BGB Zu denken ist ferner an eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Gesellschaftsgläubiger.1538 Zieht man vergleichend die Bewertung des BGH zu existenzvernichtenden Eingriffen (1. Generation) heran, liegt es durchaus nahe, eine gezielt zum Zweck der Gläubigerbenachteiligung herbeigeführte Vermögensvermischung als sittenwidrige Schädigung einzustufen. Praktisch bedeutsam ist dieser Anspruch aber nicht, weil der Gläubiger sein Ziel schon über die akzessorische, an weniger strenge subjektive Voraussetzungen geknüpfte Haftung analog § 128 HGB erreichen kann. dd) Haftung gegenüber der Gesellschaft aus §§ 280, 311 I BGB Ob parallel zu den Ansprüchen der Gesellschaftsgläubiger (über § 128 HGB analog) auch ein Anspruch der Gesellschaft in Betracht kommt, wird in Rechtsprechung und Literatur – soweit ersichtlich – nicht diskutiert. Stattdessen beschränkt man sich bislang auf das individuell jeweils präferierte (Außen- oder Innenhaftungs-)Modell, ohne eine Kombination mit anderen Ansätzen auch nur zu erwägen. Dabei ist es, wie die Darstellung der Existenzvernichtungshaftung gezeigt hat, richtigerweise durchaus denkbar, dass sowohl der Gesellschaft als auch den Gesellschaftsgläubigern dem Grunde nach Ansprüche zustehen können (deren Verhältnis sodann geklärt werden muss).1539 Entsprechend ist im Folgenden zu fragen, ob der die Vermögensvermischung vornehmende Gesellschafter auch der Gesellschaft gegenüber haftbar sein kann. Zu denken ist hierbei vor allem an §§ 280, 311 I BGB. (1) Haftungsvoraussetzungen Ein pflichtenbegründendes Sonderrechtsverhältnis liegt zwischen Gesellschaft und Gesellschafter unproblematisch vor.1540 Wie bei der Existenzvernichtungshaftung – und anders als bei der Unterkapitalisierung – ist es zudem möglich, aus dem GmbHG eine gegenüber der GmbH bestehende Pflicht der Gesellschafter abzuleiten, eine Vermögensvermischung zu unterlassen. Ausgangspunkt hierfür ist die in § 13 I GmbH normierte Eigen- und Selbständigkeit der GmbH als juristische Person. Zwar folgt daraus nicht, der GmbH müssten bestimmte Rechts- und Vermögenspositionen durch die Gesellschafter über- beziehungs1538 So auch BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1348; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 45. 1539 Siehe dazu oben § 2 D IV 8 c). 1540 Vgl. dazu oben im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung § 2 D IV 8 c) bb) (1).
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weise belassen werden. Die Gesellschaft hat aber ein berechtigtes Interesse daran, dass feststellbar ist, ob und welche Rechtspositionen ihr zustehen, ist doch anderenfalls ihre juristische und wirtschaftliche Lage unklar und wird die von § 13 I GmbHG vorgesehene Möglichkeit, selbständige „Rechte und Pflichten“ zu haben sowie „Eigentum und andere dingliche Rechte“ zu erwerben, faktisch konterkariert. Der von § 13 I GmbHG normierte abgegrenzte Vermögensbereich der Gesellschaft ist zudem Grundvoraussetzung für die Ausübung der der GmbH zustehenden Rechte beziehungsweise die Erfüllung der sie treffenden Pflichten. Durch eine Vermögensvermischung wird die Gesellschaft hingegen zu einer bloß formellen Hülse eines selbständigen Rechtssubjekts degradiert, der der von § 13 I GmbHG vorgesehene eigenständige Vermögensbereich vorenthalten wird. Eine mit dem GmbHG nicht zu vereinbarende Beeinträchtigung der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter ist mit der Statuierung einer gegenüber der Gesellschaft bestehenden Vermögenstrennungspflicht – anders als bei Annahme einer Unterkapitalisierungshaftung1541 – nicht verbunden, bleiben sie doch innerhalb der vor allem durch die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften sowie die Existenzvernichtungshaftung gezogenen Grenzen frei, die GmbH (nicht) mit Rechts- und Vermögenspositionen auszustatten oder die der GmbH auf sich umzulenken. Die Pflicht zur Vermögensmassentrennung besteht auch bei Einmann-Gesellschaften mbH beziehungsweise mehrgliedrigen Gesellschaften mbH, bei denen alle Gesellschafter einvernehmlich die Vermögensvermischung vornehmen. Denn nach dem zur Existenzvernichtungshaftung Gesagten können die Gesellschafter zwar weitgehend den Zweck und die Interessen der Gesellschaft und den Weg zur Erreichung derselben bestimmen, dieses Recht stößt aber auf objektive Mindestgrenzen.1542 Eine solche ist hier erreicht, weil es für die Funktionsfähigkeit einer selbständigen juristischen Person essentiell ist, den ihr zugeordneten Vermögensbereich sicher bestimmen zu können. Über dieses Grundanliegen können auch die Gesellschafter nicht disponieren, vielmehr muss, wer sich für die Schaffung einer juristischen Person samt des mit ihr einhergehenden „verselbständigte[n] Vermögensinteresse[s]“1543 entscheidet, an dieser Entscheidung festhalten lassen. Anders als bei der auf eine Analogie zu § 128 HGB gestützten Außenhaftung setzt § 280 BGB als Verhaltenshaftung unzweifelhaft nicht nur voraus, dass der Gesellschafter über entsprechenden Einfluss in der GmbH verfügte,1544 sondern auch, dass er schuldhaft handelte. Angesichts des sehr strengen, vom BGH bezüglich der Tatbestandsvoraussetzung der Vermögensvermischung ange1541
Dazu oben § 2 D IV 9 c) aa). Siehe dazu oben § 2 D IV 8 c) aa). 1543 So (im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung) BGH 9.2.2009 – II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2130 (Sanitary). 1544 Es gelten insoweit die gleichen Maßstäbe wie bei der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern analog § 128 HGB. 1542
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legten Maßstabs (unterlassene oder völlig undurchsichtige Buchführung),1545 dürfte stets von einem mindestens fahrlässigen, ja regelmäßig sogar von einem (bedingt) vorsätzlichen Verhalten auszugehen sein, so dass dem Gesellschafter die nach § 280 I 2 BGB grundsätzlich mögliche Exkulpation nicht gelingt. Will man – wie bei der Existenzvernichtungshaftung1546 – der Gefahr einer (zu) leicht zu verwirklichenden und weitreichenden Gesellschafterhaftung vorbeugen, ließe sich dies erreichen, indem man über die in § 276 I BGB vorgesehene Wendung „wenn eine […] mildere Haftung weder bestimmt [ist] noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses […] zu entnehmen ist“ eine Haftung nur in Fällen mindestens bedingt vorsätzlicher Begehung annimmt. (2) Haftungsfolgen und Beweislast Gemäß der Differenzhypothese hat der Gesellschafter den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Er hat also die Vermengung der beiden Vermögensmassen aufzuheben und dabei dasjenige dem Gesellschaftsvermögen „zuzuteilen“, was sich darin befände, wären beide Massen stets ordnungsgemäß voneinander getrennt gewesen. So einfach das in der Theorie klingt, so schwierig dürfte es sich in der Rechtspraxis darstellen. Sind beide Vermögensmassen derart miteinander verzahnt, dass nicht mehr aufklärbar ist, welcher Vermögensgegenstand rechtlich welchem Rechtssubjekt zusteht, dürfte es nämlich der im Ausgangspunkt darlegungsund beweisbelasteten Gesellschaft – selbst bei Heranziehung des das Beweismaß senkenden und eine richterliche Schätzung erlaubenden § 287 I ZPO – oft kaum gelingen, einen hinreichenden Schadensnachweis zu erbringen. Man wird angesichts dessen in der (materiell-rechtlichen) Verursachung der Vermögensvermischung zugleich eine (prozessual relevante) Beweisvereitelung sehen können, deren doppelte Verschuldensvoraussetzung1547 zumindest in Gestalt fahrlässigen Handelns zu bejahen ist. Nach wie vor umstritten ist allerdings, welche Rechtsfolgen eine Beweisvereitelung zeitigt.1548 Der hier oft genannte, zu den Regelungen der §§ 446, 453 II, 454 I ZPO passende Verweis auf das Recht des Richters zur freien richterlichen Beweiswürdigung und zur Senkung des Beweismaßes auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit1549 ist im vorliegenden Kontext insofern wenig ergiebig, als selbiges im Großen und Ganzen in der Praxis bereits aus der beweismaßsenkenden Vorschrift des § 287 ZPO folgt.1550 Soweit es darüber (weit) hinausgehend in Anlehnung an die §§ 427 S. 1, 1545
Näher und m.w.N. oben Fn. 1499. Siehe oben § 2 D IV 8 bb) (3). 1547 Dazu z.B. BGH 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434, 436; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 286, Rn. 17. 1548 Zum Meinungsstand m.w.N. instruktiv MüKo-ZPO/Prütting, § 286, Rn. 85 ff. 1549 Musielak/Foerste, ZPO, § 286, Rn. 63; a.A. Laumen, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 286, Rn. 91. 1550 Vgl. MüKo-ZPO/Prütting, § 287, Rn. 17; Musielak/Foerste, ZPO, § 287, Rn. 6 ff. 1546
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441 III 3, 444 ZPO für möglich gehalten wird, dass der Richter das angestrebte Beweisergebnis als Sanktion annimmt,1551 geht das ebenso wie eine Beweislastumkehr jedenfalls im vorliegenden Kontext zu weit, weil dem Gesellschafter dann eine sein gesamtes Vermögen erfassende „Herausgabepfl cht“ drohte, ohne dass er sich hiergegen mit Aussicht auf Erfolg wehren könnte. Es erscheint daher noch am überzeugendsten, sich der zugegebenermaßen weichen Formel, die Beweisvereitelung sei bei der Beweiswürdigung nachteilig zu berücksichtigen,1552 zu bedienen und diese um die weitere Erleichterung einer Beweismaßsenkung auf eine geringe Wahrscheinlichkeit anzureichern.1553 Damit dürfte einerseits den Beweisschwierigkeiten der Gesellschaft weitgehend abgeholfen sein, andererseits bleibt dem Gesellschafter die realistische Möglichkeit, den „Zugriff“ der Gesellschaft wenigstens insofern abwehren zu können, als es sich um Gegenstände handelt, die mit einiger Plausibilität nichts mit der GmbH zu tun haben, sondern tatsächlich seinem Privatvermögen zuzurechnen sind. ee) Verhältnis der Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger und der Gesellschaft Wenn man mit der hier vertretenen Auffassung ein selbständiges Vermögensinteresse der Gesellschaft in dem oben angenommenen Sinne bejaht, so ist der auf der Verletzung dieser Pflicht beruhende Schadensersatzanspruch der Gesellschaft von den über § 128 HGB analog begründeten Ansprüchen der Gesellschaftsgläubiger dem Grunde nach dergestalt unabhängig, als er auch besteht, wenn beziehungsweise soweit die Forderungen der Gläubiger durch die Vermögensvermischung nicht (mehr) berührt werden. Denn selbst wenn der Gesellschafter alle Gesellschaftsgläubiger befriedigt hat, hat die Gesellschaft immer noch ein legitimes Interesse an der sauberen Vermögensmassentrennung. Dennoch sind Wechselwirkungen zwischen dem Anspruch der Gesellschaft und denjenigen der Gesellschaftsgläubiger nicht von der Hand zu weisen. Offenkundig ist das, wenn die Gesellschaft ihren Anspruch realisieren kann, bevor die Gläubiger ihre geltend machen, entfallen dann doch angesichts der Vermögensmassentrennung die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermögensvermischung und damit die Ansprüche der Gläubiger. Wird umgekehrt zunächst aus dem vermischten Vermögen des Gesellschafters ein Gläubigeranspruch befriedigt, so ist dies bei der „Rückabwicklung“ im Verhältnis zur Gesellschaft zu berücksichtigen.1554 Angesichts dieser Rückkopplungen der beiden Ansprüche 1551 Dafür, dass das grundsätzlich möglich ist, vgl. z.B. MüKo-ZPO/Prütting, § 286, Rn. 92; Musielak/Foerste, ZPO, § 286, Rn. 63; vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, § 286, Rn. 188. 1552 So z.B. Zöller/Greger, ZPO, § 286, Rn. 14a; B/L/A/H, ZPO, Anh. § 286, Rn. 27; vgl. auch Hk-ZPO/Saenger, § 286, Rn. 96. 1553 Vgl. zu dieser möglichen Folge einer Beweisvereitelung Musielak/Foerste, ZPO, § 286, Rn. 63. 1554 Beispiel: Gläubiger G hat gegen die GmbH einen Anspruch in Höhe von € 70.000. Das tatsächlich, materiell-rechtlich der Gesellschaft zustehende, allerdings mit dem Privatvermö-
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bedarf es der Klärung, ob – wie bei der Existenzvernichtungshaftung – einer der beiden (grundsätzlich) vorrangig ist oder ob sie gleichberechtigt nebeneinander bestehen. (1) Subsidiarität der Gesellschaftsgläubigeransprüche? Prima vista erscheint es naheliegend, die Lösung analog dem zur Existenzvernichtungshaftung Gesagten dem Kanalisierungsprinzip zu entnehmen, das heißt – vorbehaltlich einer masselosen Insolvenz – die Außenhaftungsansprüche für subsidiär zu erklären.1555 So zutreffend dies bei der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ist, so wenig vermag es im Bereich der Vermögensvermischung zu überzeugen. Zwischen beiden Konstellationen bestehen nämlich signifikante Unterschiede. Das beginnt damit, dass die analog § 128 HGB begründete Außenhaftung wegen Vermögensvermischung anders als die Existenzvernichtungshaftung nicht der Ergänzung eines maßgeblich durch den Kanalisierungsgedanke geprägten Rechtsregimes (§§ 30, 31 GmbHG) dient, sondern die Missachtung der Grundvoraussetzung einer Haftungsbeschränkung auf einen Vermögensbestandteil sanktioniert. Die Heranziehung des Kanalisierungsgedankens erscheint daher schon im Ansatz systematisch nicht in vergleichbarem Maße geboten. Hinzu kommt, dass der Tatbestand der Vermögensvermischung anders als derjenige der Existenzvernichtungshaftung eine – auch nur: drohende – Insolvenz nicht voraussetzt. Außerhalb von insolvenznahen Konstellationen besteht nun aber kein Bedürfnis, einem schneller reagierenden Gläubiger den „Sonderbonus“ des zuerst Vollstreckenden zu nehmen, ist das geltende Vollstreckungsrecht doch gerade durch dieses „Windhundprinzip“1556 geprägt. Die später kommenden Gläubiger erleiden dadurch kein Unrecht. Das zeigt ein Vergleich mit der „Normalsituation“, in der die Vermögen von Gesellschaft und Gesellschafter ordnungsgemäß getrennt sind, kann sich doch auch in dieser Situation ein früher ins Gesellschaftsvermögen vollstreckender Gläubiger gegebenenfalls eine günstigere Position sichern. Überdies ist nicht zu verkennen, dass die Durchsetzung des der Gesellschaft zustehenden Schadensersatzanspruchs angesichts der oben skizzierten Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des von der Gesellschaft erlittenen Schadens unter Umständen lange hinziehen kann. Mit den berechtigten Interessen der Gläubiger, deren Ansprüche typischerweise vergleichsweise leichter als derjenige der Gesellschaft durchsetzbar sein dürften, weil sich bei ihnen auf Rechtsfolgenseite ja keine Schwierigkeiten ergeben, sondern sie „nur“ die Tatbestandsvoraussetzungen der Vermögensvermischung darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen, gen des Hauptgesellschafters H vermischte Vermögen beträgt € 100.000, das dem H privat gehörende Vermögen € 50.000 (so dass in seiner Hand € 150.000 konzentriert sind). Erhält G von H aufgrund des ihm analog § 128 HGB zustehenden Anspruchs das ihm Geschuldete, kann die Gesellschaft von G nur noch € 30.000 (€ 150.000 ./. € 70.000 ./. € 50.000) verlangen. 1555 Siehe oben § 2 D IV 8 c) gg). 1556 Schmidt-Salzer, VersR 1991, 9, 11.
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wäre eine derartige Verzögerung kaum vereinbar. Außerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens (dazu sub [3]) ist mithin eine Verdrängung der Gläubigeransprüche abzulehnen. (2) Umgekehrt: Vorrang der Gläubigeransprüche? Diametral entgegengesetzt kann man fragen, ob die Gläubigeransprüche nicht nur nicht verdrängt werden, sondern ob sie nicht sogar ihrerseits den Anspruch der Gesellschaft verdrängen. Dafür ließe sich das anderenfalls nicht vollständig ausschließbare Kostenrisiko des Gläubigers anführen: Erhebt er gegen den die Vermögensvermischung zu verantwortenden Gesellschafter Klage, erfüllt dieser aber zum Beispiel noch vor der mündlichen Verhandlung erster Instanz den Gesellschaftsanspruch, indem er die Vermögensmassentrennung beseitigt, unterliegt der Gläubiger, weil seine Klage nunmehr mangels Vermögensvermischung nicht mehr begründet ist.1557 Gelingt es ihm nicht, mittels Klagerücknahme oder Erledigterklärung die Kosten auf den Gesellschafter abzuwälzen, hat er diese selbst zu tragen. Richtigerweise vermag dieses Kostenrisiko eine Verdrängung des Anspruchs der Gesellschaft aber nicht zu rechtfertigen. Wie dargelegt, hat die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an der Herstellung eines ordnungsgemäßen, vermögensmassengetrennten Zustands. Dieses geht dem Interesse des Gesellschaftsgläubigers an der Vermeidung jeglicher Kostenrisiken aus mehreren Gründen vor. Erstens dürfte die Gefahr, dass der zunächst berechtigten Klage des Gesellschaftsgläubigers durch die Aufhebung der Vermögensvermischung der Boden entzogen wird, eher theoretisch sein, dürfte eine derartige zeitliche Koinzidenz doch äußerst selten sein. Zweitens: Selbst wenn der Gläubiger tatsächlich einmal wegen dieses Umstands unterliegt, dürfte es in aller Regel möglich sein, über § 269 III 3 ZPO beziehungsweise über eine einseitige Erledigterklärung die Kosten auf den beklagten Gesellschafter abzuwälzen. Gelingt ihm selbst das nicht, hat er zwar in der Tat die Verfahrenskosten zu tragen, allerdings handelt es sich dabei drittens typischerweise um einen Betrag, der im Vergleich zum Interesse der Gesellschaft an der Vermögensmassentrennung nicht sonderlich ins Gewicht fällt. Das gilt insbesondere, wenn die Gläubigerforderung wesentlich niedriger ist als das vermengte Gesellschaftsvermögen.1558 Viertens erscheint der Gläubiger insoweit nur sehr eingeschränkt schutzwürdig, geht er dieses Kostenrisiko doch „sehenden Auges“ ein; will er es sicher vermeiden, muss er abwarten, bis die Gesellschaft ihren Anspruch realisiert und sich sodann an das nunmehr wieder identifizierbare Gesellschaftsvermögen halten. 1557 So Röck, Existenzvernichtungshaftung, S. 65 für das Parallelproblem bei der Existenzvernichtungshaftung. 1558 Beispiel: Die eingeklagte Gläubigerforderung beläuft sich auf € 50.000, das der Gesellschaft materiell tatsächlich zustehende, aber aufgrund Vermögensvermischung aktuell nicht sicher identifizbare Vermögen bewegt sich im Millionenbereich.
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Last but not least würde ein Vorrang der Gläubigeransprüche bedeuten, dass die Gesellschaft ihren Anspruch in der Praxis letztlich wohl niemals geltend machen könnte, dürfte bei einer am Markt teilnehmenden Gesellschaft doch stets mindestens ein Gläubiger existieren, dessen Anspruch denjenigen der Gesellschaft „blockieren“ würde. Summa summarum rechtfertigt somit das Interesse des Gläubigers, keinem Kostenrisiko ausgesetzt zu sein, nicht die Verdrängung der Gesellschaftsansprüche. Der Anspruch der Gesellschaft und die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger bestehen somit außerhalb der im Folgenden zu erörternden Insolvenzsituation gleichberechtigt nebeneinander. (3) Situation bei Insolvenzeröffnung Die Lage ändert sich mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, weil ab dann der Grundsatz des par conditio creditorum Geltung beansprucht. Daher ist mit der herrschenden Meinung1559 der dem Zweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 S. 1 InsO) dienende § 93 InsO analog anzuwenden.1560 Das hat zur Folge, dass die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis – nicht aber die materielle Rechtsinhaberschaft1561 – über die den Gläubigern gegenüber dem Gesellschafter zustehenden Ansprüche auf den Insolvenzverwalter übergeht und während der Dauer des Verfahrens mithin nicht mehr von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden kann.1562 Die notwendigen Voraussetzungen einer Analogie liegen vor: § 93 InsO erfasst in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich nur Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 II Nr. 1 InsO), für Gesellschaften mbH enthält die InsO keine Regelung. Man wird diese Lücke auch für planwidrig halten können. Zwar spricht dagegen vorderhand, dass sich in der Entwurfsbegründung zur InsO eine Aufzählung der von § 93 InsO erfassten Gesellschaftsformen findet, bei der die GmbH nicht genannt wird,1563 jedoch kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die – angesichts der Analogie zu § 128 HGB sich letztlich im 1559 BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1345 f.; so z.B. auch OLG Celle 29.8.2001 – 9 U 120/01, GmbHR 2001, 1042 (juris Rn. 3); Graf-Schlicker/Hofmann, InsO, § 93, Rn. 6; Hess/Hammes, InsO, § 93, Rn. 36; Wittowski/Kruth, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 93, Rn. 4; MüKo-InsO/Brandes, § 93, Rn. 3; Kroth, in: Braun, InsO, § 93, Rn. 10. 1560 Zum Zweck des § 93 InsO siehe BT-Drucks. 12/2443, S. 140; BGH 9.10.2008 – IX ZR 138/06, NZG 2008, 940 f.; MüKo-InsO/Brandes, § 93, Rn. 1; Hess/Hammes, InsO, § 93, Rn. 3; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 93, Rn. 3; Wittowski/Kruth, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 93, Rn. 2. 1561 BGH 9.10.2008 – IX ZR 138/06, NZG 2008, 940; Hess/Hammes, InsO, § 93, Rn. 4; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 93, Rn. 3; Wittowski/Kruth, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 93, Rn. 5. – Zur Parallelnorm des § 171 II HGB vgl. z.B. BGH 17. 9. 1964 – II ZR 162/62, BGHZ 42, 192, 193 f. 1562 BGH 9.10.2008 – IX ZR 138/06, NZG 2008, 940; Wittowski/Kruth, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 93, Rn. 8; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 93, Rn. 4. 1563 BT-Drucks. 12/2443, S. 140 (zu § 105 I InsO-E).
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gleichen Gewande wie bei der oHG präsentierende – Problematik der Durchgriffshaftung bei juristischen Personen schlicht übersehen hat.1564 Schon weil die Durchgriffshaftung methodisch umgesetzt wird, indem die GmbH als oHG fingiert und daher § 128 HGB analog angewandt wird, ist auch die Interessenlage zwischen dem originär von § 93 InsO erfassten und dem hier zu regelnden Sachverhalt hinreichend vergleichbar. Der Insolvenzverwalter ist mithin in Bezug auf beide „Arten“ von Ansprüchen wegen der Vermögensvermischung zur Einziehung/Prozessführung legitimiert: Hinsichtlich der originär der Gesellschaft aus §§ 280, 311 I BGB zustehenden Ansprüche folgt dies aus § 80 I InsO, bezüglich der Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus der Analogie zu § 93 InsO. Unterbleibt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse, greift § 93 InsO (analog) hingegen nicht ein.1565 Die Gesellschaftsgläubiger bleiben daher zur Geltendmachung ihre Ansprüche gegen den Gesellschafter berechtigt. ff) Zusammenfassung Entgegen den bisherigen Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur, die – soweit ersichtlich – insoweit nur „eindimensional“ ansetzen, als sie bei einer Vermögensvermischung entweder nur eine Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern oder nur eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft bejahen, bestehen nach hier vertretener Auffassung sowohl Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger (über § 128 HGB analog infolge einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbH) wie der Gesellschaft (aus §§ 280, 311 I BGB). Anders als bei der Existenzvernichtungshaftung bestehen diese Ansprüche zunächst gleichberechtigt nebeneinander. Wird über das Vermögen der Gesellschaft allerdings das Insolvenzverfahren eröffnet, gehen analog § 93 InsO die Einziehungs- und die Prozessführungsbefugnis für die Außenhaftungsansprüche der Gesellschaftsgläubiger auf den Insolvenzverwalter über. 11. Zusammenfassender Überblick Dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger dient ein Bündel unterschiedlicher, auf verschiedenen Ebenen ansetzender Instrumente: 1564 So sah auch Karsten Schmidt, immerhin der „Initiator“ des § 93 InsO, mit der Regelung „die leidige Frage, ob eine sog. ‚Durchgriffshaftung‘ Direktansprüche der Gläubiger oder nur interne Verlustdeckungspflichten begründet“, als jedenfalls für das Insolvenzverfahren geklärt an (Gutachten für den 54. DJT, D 46 f.). 1565 Jaeger/Müller, InsO, § 93, Rn. 5. – Die Zahl masseloser Insolvenzen soll mit § 93 InsO allerdings gerade vermindert werden, indem verhindert wird, dass das Gericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abweisen muss, obwohl ein persönlich haftender Gesellschafter über ausreichendes Vermögen verfügt (BT-Drucks. 12/2443, S. 140; BGH 9.10.2008 – IX ZR 138/06, NZG 2008, 940 f.; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 93, Rn. 3).
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– Publizitätspflichten zielen darauf, den Rechtsverkehr über die für ihn wesentlichen Daten der Gesellschaft zu informieren und sind damit Prämisse dafür, dass sich potentielle Vertragsgläubiger selbst zum Beispiel durch die Abstandnahme vom angetragenen Vertrag oder die Vereinbarung von Sicherheiten schützen können. – Durch die Regelungen über das gesetzliche Mindeststammkapital soll sichergestellt werden, dass effektiv ein bestimmter Kapitalstock bei Gründung vorhanden ist, aus dem sich die Gesellschafter auch später nicht im eigenen Interesse bedienen dürfen. – Dem Schutz bisheriger sowie präsumtiver neuer Gläubiger dient auch die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO, bei deren Verletzung die Geschäftsführer darum einer Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 II BGB unterliegen. – Gesellschafterdarlehen werden im Vergleich zu „normalen“ Gesellschaftsverbindlichkeiten in der Insolvenz in doppelter Weise benachteiligt: Zum einen unterliegen sie der Anfechtung, wenn sie innerhalb von einem Jahr vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder danach befriedigt wurden (§ 135 I Nr. 2 InsO), zum anderen sind sie nur nachrangig nach den übrigen Forderungen zu erfüllen, § 39 I Nr. 5 InsO. – Um einer Verschlechterung der Befriedigungsquote der Gläubiger in der Insolvenz vorzubeugen, verbietet § 64 S. 1 GmbHG im Grundsatz Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife und ordnet für den Fall des Zuwiderhandelns eine Erstattungspflicht der Geschäftsführer an. § 64 S. 3 GmbHG ergänzt dies, indem er die Erstattungspflicht auf solche an Gesellschafter geleisteten Zahlungen erstreckt, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. – Greift ein Gesellschafter in existenzvernichtender Weise in das Gesellschaftsvermögen ein, so haftet er – nach hier vertretener Auffassung und entgegen dem BGH – nicht nur im Innen-, sondern (subsidiär) auch im Außenverhältnis. – Auch im Falle einer Vermögensvermischung haftet der Gesellschafter entgegen der bisherigen Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur nicht nur entweder im Innen- oder im Außenverhältnis, sondern ist – im Grundsatz gleichberechtigt – sowohl gegenüber der Gesellschaft wie den Gesellschaftsgläubigern einstandsverpflichtet. – Eine Haftung für materielle Unterkapitalisierung der Gesellschaft ist de lege lata dagegen nach überzeugender Auffassung in jeder Gestalt abzulehnen.
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V. Verfassungskonformität der geltenden Rechtslage Bevor im Anschluss auf die Frage einzugehen ist, inwieweit das geltende Recht verbesserungsbedürftig und -fähig erscheint, ist zunächst kurz zu klären, ob das gegenwärtige System der „Haftungskonzentration auf das Gesellschaftsvermögen unter Ausschluss der Haftung der Gesellschafter“ mit den Grundrechten der Gesellschaftsgläubiger zu vereinbaren ist. 1. Keine Verletzung von Art. 14 I GG als Abwehrrecht Zwar schützt Art. 14 I GG im Grundsatz auch privatrechtliche Ansprüche,1566 erfasst wird aber allein das bereits Erworbene, das heißt Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen. Die bloße Möglichkeit des Hinzuverdienstes wird hingegen nicht geschützt.1567 Dementsprechend scheidet vorliegend eine Verletzung der Eigentumsfreiheit unter dem Aspekt eines Abwehrrechts aus, weil den Gesellschaftsgläubigern mit § 13 II GmbHG kein ihnen bereits gegen die Gesellschafter zustehender Anspruch verkürzt oder genommen wird, sondern schon im Vorfeld verhindert wird, dass sie überhaupt eine Rechtsposition erwerben. 2. Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 14 I GG? In Betracht kommt daher, wenn überhaupt, nur eine Verletzung des Art. 14 I GG unter dem Gesichtspunkt, dass der von der Rechtsordnung gewährte Gläubigerschutz bei GmbH und UG nicht genügt, der Staat sich also in Ausfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpfl cht nicht in ausreichendem Maße „schützend und fördernd“1568 vor das Grundrecht stellt und die Rechtsordnung nicht so gestaltet, dass „in ihr und durch sie die Grundrechte gesichert sind und die von ihnen gewährleisteten Freiheiten sich wirksam entfalten können“1569.1570 Soweit es um Vertragsgläubiger geht, wird man einen Verstoß gegen Art. 14 I GG schon deshalb ablehnen können, weil der Vertragsschluss mit einer GmbH regelmäßig einen Verzicht auf eine (mögliche) staatliche Schutzpflicht darstellt.1571 Etwas anderes ließe sich – mangels der für einen wirksamen Grundrechtsverzicht erforderlichen Freiwilligkeit des Vertragsschlusses1572 – nur für solche Ausnah1566 Vgl. BVerfGE 45, 142, 197; 83, 201, 208; 68, 193, 222; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 152; siehe auch oben § 1 F I 1. 1567 BVerfGE 20, 31, 34; 31, 212, 220. 1568 BVerfGE 46, 160, 164. 1569 Klein, DVBl 1994, 489, 491; vgl. allg. HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 12 ff. 1570 Zur Schutzpflichtdimension der Grundrechte siehe auch oben § 1 F III. 1571 Vgl. näher dazu, dass ein Grundrechtsverzicht auch im Hinblick auf die Schutzpflichtdimension möglich ist, Fischinger, JuS 2007, 808, 812. 1572 Zu dieser Voraussetzung eines Grundrechtsverzichts vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, Grundrechte, Rn. 146 ff.; Malorny, JA 1974, 475; Fischinger, JuS 2007, 808, 809 f.
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mesituationen erwägen, in denen angesichts der Marktsituation dem Vertragspartner der GmbH faktisch gar keine Wahl bleibt, ob und zu welchen Konditionen er mit der Gesellschaft kontrahiert. Jedoch scheidet selbst im Hinblick auf solche Vertragsgläubiger – wie allgemein auch in Bezug auf Deliktsgläubiger – eine Verletzung von Art. 14 GG unter dem Aspekt der Schutzpflichtdimension aus. Wie ausgeführt, kommt dem Gesetzgeber bei der Ausfüllung staatlicher Schutzpflichten angesichts des Demokratieprinzips und dem Grundsatz der Gewaltenteilung nämlich ein ganz erheblicher Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zu, so dass eine Schutzpflichtverletzung nur vorliegt, wenn der Staat das betreffende Grundrecht überhaupt nicht oder in völlig ungenügender Art und Weise schützt.1573 Davon kann hier keine Rede sein, stellt das geltende Recht doch keine einseitige, ausschließlich zugunsten der Gesellschafter gehende Haftungsprivilegierung dar, sondern trägt den berechtigten Interessen der Gesellschaftsgläubiger durch ein Sammelsurium verschiedener Schutzinstrumente Rechnung. Angesichts dessen kann unabhängig von der im Anschluss zu erörternden Frage, ob diese Mechanismen verbesserungsbedürftig und -fähig sind, nicht von einer evidenten Unterschreitung des grundrechtlich gebotenen Schutzniveaus gesprochen werden.1574 Für die UG gilt trotz des Verzichts auf ein gesetzliches Mindeststammkapitalerfordernis nichts anderes, finden die übrigen Gläubigerschutzmechanismen doch auch hier Anwendung.
VI. Bewertung der geltenden Rechtslage und Diskussion ausgewählter Neuregelungsalternativen Wie die obigen Ausführungen zeigen, existiert im geltenden GmbH-Recht ein bunter Strauß an Instrumenten, die die Gesellschaftsgläubiger auf unterschiedlichen Ebenen schützen sollen. Trotz dieser prima vista imposanten Phalanx an Schutzmechanismen bleibt bei einem Blick auf die hohe Zahl – auch und gerade masseloser – Insolvenzen von Gesellschaften mbH aber ein fader Beigeschmack, ist die versammelte Front gläubigerschützender Instrumente offenkundig doch nicht dazu in der Lage, die mit der Haftungsbeschränkung verbundene Gefahr (massiver) Gläubigerausfälle zuverlässig zu bannen. Angesichts dieses ernüchternden empirischen Befundes wäre es verfehlt, sich mit dem Argument, das geltende GmbH-Recht funktioniere im Großen und Ganzen und habe nicht zum (wirtschaftlichen) Untergang des Abendlandes geführt, mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Vielmehr muss es Anspruch und Aufgabe von Gesetzgebung, Wissenschaft und – subsidiär – Rechtsprechung sein, den Gläubigerschutz konzeptionell weiter zu verbessern, ohne dabei das Grund1573
Siehe m.w.N. oben § 1 F III 3. Vgl. auch Zöllner, FS Konzen, S. 999: „Keines dieser Mittel ist probat, aber alle tragen ein Scherfl in dazu bei, den Ausschluss der persönlichen Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft erträglich und rechtspolitisch vetretbar zu machen.“. 1574
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anliegen des GmbH-Rechts – Förderung und Stärkung der Investitionsbereitschaft im volkswirtschaftlichen Interesse – aus den Augen zu verlieren. Eingedenk dessen werden im Folgenden mögliche Alternativen daraufhin untersucht, ob sie geeignet erscheinen, zu einer Verbesserung der aktuellen Rechtslage beizutragen. Zu diesem Zweck werden die einzelnen Vorschläge fünf übergeordneten Säulen zugeordnet, wovon jede eine bestimmte (übergeordnete) Methode kennzeichnet: In der ersten Säule geht es um die Idee einer Schadenssozialisierung mittels Pflichtversicherung, in der zweiten um das Modell eines verstärkten informationsgestützten Gläubigereigenschutzes. Die unter der dritten beziehungsweise vierten Säule gebündelten Überlegungen lassen sich mit dem Stichwort des Kapitalansatzes einerseits, der Verhaltenshaftung andererseits charakterisieren. Die fünfte Säule schließlich setzt an der Organisationsstruktur an, unter deren Ägide die Geschäfte betrieben werden. Die einzelnen Regelungsalternativen werden zunächst isoliert voneinander und unter Ausblendung der jeweils anderen Überlegungen mit ihren Vor- und Nachteilen erörtert (unter 1. bis 5.). Erst nachdem auf diese Weise eine Reihe unterschiedlicher Vorschläge herausgearbeitet wurde, werden sie insgesamt im Sinne einer Präferenzabfolge bewertet (sub 6.). 1. Säule 1: Schadenssozialisierung mittels Pflichtversicherung Die wohl radikalste Idee wäre es, das gesamte bisherige System des Gläubigerschutzes vollständig aufzugeben und durch das Modell einer Pflichtversicherung zu ersetzen, nach dem eine GmbH nur zugelassen werden kann, wenn sie eine Deckungsvorsorge in Form einer Haftpflichtversicherung oder einer Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung beibringt, die im Falle der Insolvenz sämtliche Gläubigerforderungen vollständig absichert. Das wird – soweit ersichtlich – von niemandem gefordert. Immerhin plädieren aber Teile der Literatur für ein die bestehenden Schutzmechanismen ergänzendes Pflichtversicherungsmodell, das teilweise wohl auf alle Branchen erstreckt,1575 teilweise auf solche Branchen beschränkt wird, in denen die Schadensneigung hoch ist.1576 Für einige Haftungsrisiken, die auf bestimmten Tätigkeiten, Lebensvorgängen oder -umständen beruhen, sieht das geltende Recht bereits heute einen zwingenden Pflichtversicherungsschutz vor. Pars pro toto sei § 94 AMG und die dort normierte Pflicht zur Deckungsvorsorge pharmazeutischer Unternehmer sowie die Verpflichtung von Rechtsanwälten zum Abschluss einer Berufs1575 So wohl Mülbert/Birke, EBOR 3 (2002), 695, 725 f.; vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2236; ders., FS Heldrich, S. 581, 590 mit Fn. 52, der eine europarechtliche Versicherungslösung für gesetzliche Gläubiger mit einer Beschränkung des Versicherungsfalls auf die Insolvenz der Gesellschaft erwägt. 1576 Dafür Grundmann, ZGR 2001, 783, 819 f.; ähnlich Schön, Konzern 2004, 162, 165.
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haftpflichtversicherung (§ 51 BRAO) genannt. Allein: Es handelt sich hierbei um allgemeine, von der Rechtsform, unter deren Mantel die wirtschaftliche Unternehmung betrieben wird, vollkommen losgelöste Schutzmechanismen, die zudem nur ausgewählte Wirtschaftssektoren und oft auch nur bestimmte Schäden erfassen. Gegen die gerade im hier interessierenden Bereich des § 13 II GmbHG bestehende Gefahr des wirtschaftlichen Forderungsausfalls aufgrund der „Verarmung“ der GmbH vermögen diese Instrumente keinen Schutz zu bieten. Eine dieses Risiko ausschaltende Versicherungslösung müsste damit viel weiter greifen als die bislang existierenden Mechanismen. Notwendig wäre die Schaffung eines Pflichtversicherungssystems, das immer dann eingreift, wenn die Gesellschaftsgläubiger mit ihrer Forderung gegen die Gesellschaft in der Insolvenz ganz oder zum Teil ausfallen und sie auch keine Ansprüche gegen Geschäftsführer und/oder Gesellschafter haben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein derartiges Modell vor allem für die Gläubiger Vorteile hätte, weil die mit der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG potentiell verbundenen Gefahren erheblichst abgemildert beziehungsweise sogar vollständig ausgeschaltet würden. Weil auch das praktische Bedürfnis nach einer Inanspruchnahme der Gesellschafter und Geschäftsführer abnehmen würde, könnten auch diese zu den Gewinnern zählen. Volkswirtschaftlich wäre schließlich begrüßenswert, dass die negativen Auswirkungen von Gesellschaftsinsolvenz auf Lieferanten, Kreditgeber und Kunden vermieden würden, ohne dass es eines privatautonomen Schutzes (in Form von zum Beispiel Eigentumsvorbehalten, Personal- oder Realsicherheiten) bedürfte. Ein derart weitgehendes Pflichtversicherungsmodell dürfte in der Praxis allerdings schon deshalb nicht möglich sein, weil sich sachgerechte Parameter für die Bestimmung der Versicherungsprämien kaum finden lassen:1577 Angesichts der höchst unterschiedlichen „Einsatzformen“ der GmbH-Rechtsform wäre eine für alle Gesellschaften mbH gleiche Einheitsprämie angesichts des ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Risikos evident unsachgemäß. Eine Anknüpfung an das individuelle Risiko jeder einzelnen Gesellschaft wiederum würde am Fehlen präziser Kriterien für dessen Bestimmung scheitern, und selbst wenn das möglich wäre, einen gigantischen und damit äußerst kostspieligen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen; Gleiches dürfte selbst für einen Mittelweg – zum Beispiel in Gestalt einer Kategorisierung der Gesellschaften mbH in verschiedene Versicherungsklassen anhand bestimmter Koeffizienten wie zum Beispiel Umsatz und Gefahrträchtigkeit der Geschäftstätigkeit – gelten. Dass diese Annahmen keineswegs schwarzmalerisch sind, zeigt ein Blick auf § 19 UmweltHG und § 36 I GenTG. Darin ist zwar jeweils von einer Pflicht des Anlageninhabers zur Stellung einer Deckungsvorsorge die Rede, normiert wurde eine solche damit aber noch nicht. Dies sollte 1577
Ebenso Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 19 f.; Schärtl, Doppelfunktion, S. 170.
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vielmehr später durch Rechtsverordnungen erfolgen, weil zunächst ein am Versicherungsmarkt tragfähiges Klassifizierungskonzept erarbeitet werden sollte.1578 Diese Rechtsverordnungen sind aber – wohl angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten – bis heute nicht ergangen, so dass die in § 19 UmweltHG, § 36 I GenTG angesprochenen Deckungsvorsorgeverpflichtungen nach wie vor nicht bestehen.1579 Wenn es aber nicht einmal für vergleichsweise überschaubare Wirtschaftszweige mit nur einem bestimmten Kreis an Haftungsrisiken gelungen ist, die für die Festlegung der Versicherungsbedingungen notwendigen Umstände präzise genug herauszuarbeiten, wäre es angesichts der großen Zahl an Gesellschaften mbH und des äußerst breiten Spektrums an Geschäften, für die diese Gesellschaftsform in der Praxis herangezogen wird, völlig illusorisch, dass alle für die Bestimmung der Versicherungsprämie notwendigen Daten ermittelt werden könnten. Das gilt umso mehr, als eine einmalige Erhebung (zum Beispiel bei Gründung der Gesellschaft) nicht genügen würde, sondern diese Daten vielmehr periodisch auf relevante Änderungen überprüft werden müssten. Fraglich wäre zudem, ob dieses Versicherungsmodell auf Gesellschaften mbH beschränkt werden könnte, oder ob es nicht konsequenterweise auf alle Gesellschaften anzuwenden wäre, bei denen nicht mindestens ein Gesellschafter eine natürliche Person ist – was die oben skizzierten praktischen Schwierigkeiten und den Verwaltungsaufwand nochmals erheblich potenzieren würde. Selbst wenn diese praktischen Probleme lösbar wären, wäre eine derartige Versicherungslösung abzulehnen, weil sie mit volkswirtschaftlich falschen Anreizeffekten für die Gesellschafter und die Gesellschaftsgläubiger verbunden wäre. Könnten sich nämlich beide Gruppen darauf verlassen, im worst case vom weichen Netz der Pflichtversicherung aufgefangen zu werden, würden die Anreize zu einer möglichst effektiven internen wie externen Kontrolle der GmbH stark vermindert.1580 Die GmbH selbst und die mit ihr geschlossenen Geschäfte glichen einer juristischen Wegwerfgesellschaft, derer sich die unmittelbar Betroffenen nur solange bedienten, wie es ihnen genehm ist, die aber jederzeit ohne Gefahr eigener wirtschaftlicher Einbußen entsorgt werden könnte. Die von Eucken1581 mit der GmbH assoziierten Gefahren übermäßig riskanter Kapitaldispositionen und Kapitalverschleuderungen wären dann wohl in der Tat an der Tagesordnung. Eine umfassende Versicherungspflicht für Gesellschaften mbH würde also nicht nur auf nahezu unüberwindbare praktische Schwierigkeiten stoßen, 1578
BT-Drucks. 12/7500, S. 4 (Antwort auf Frage 9). Wache, in: Erbs/Kohlhaas, § 36 GenTG, Rn. 1; Staudinger/Kohler, § 19 UmweltHG, Rn. 13, § 20 UmweltHG, Rn. 1; Hager, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 20 UmweltHG, Rn. 1. 1580 Vgl. Freedmann, Modern Law Review 64 (2000), 317, 340; Schärtl, Doppelfunktion, S. 170 f. 1581 Vgl. Eucken, Wirtschaftspolitik, S. 280; siehe dazu näher oben § 2 D III 5. 1579
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sondern auch falsche volkswirtschaftliche Anreize setzen. Sie ist folglich abzulehnen.1582 2. Säule 2: Privatautonomer informationeller Gläubigerschutz Weitere Mechanismen zum Schutz der Gläubiger sind, wie oben erörtert, die Publizitätspflichten der Gesellschaft und die Möglichkeiten der Gläubiger, sich vor den mit der Haftungsbeschränkung verbundenen Gefahren durch die Abstandnahme vom Vertrag oder die Bestellung von Sicherheiten zu sichern. Zwischen beiden Instrumenten besteht ein untrennbarer Sachzusammenhang, ist ein effizienter Selbstschutz doch wenn überhaupt nur auf ausreichend gesicherter Informationsbasis möglich und dienen die Publizitätserfordernisse daher – wie oben im Einzelnen dargelegt – vornehmlich dem Schutz der Gläubiger und des Rechtsverkehrs. a) Hinwendung zu einem System informationellen Gläubigerschutzes? Im deutschen Recht sind diese miteinander verzahnten Mechanismen nun zwar bereits ein Baustein im Gebäude des Gläubigerschutzes, konzeptionell ließe sich allerdings durchaus darüber nachdenken, ihnen noch viel größeres Gewicht einzuräumen. Das wird in der Literatur auch durchaus befürwortet, oftmals allerdings weniger mit der Absicht eines additiven, die bereits bestehenden Mechanismen unangetastet lassenden und diese somit ergänzenden Gläubigerschutzes, sondern eher als Paradigmenwechsel weg vom klassischen Schutz über das gesetzliche Mindeststammkapital und hin zu einem (anglo-amerikanisch geprägten) System eigenverantwortlichen Gläubigerselbstschutzes.1583 Hinter diesem „Gegensatz von institutionellem und informationellem Gläubigerschutz“1584 steht nicht mehr und nicht weniger als ein diametral entgegengesetztes Bild über den typischen Gesellschaftsgläubiger: Während das anglo-amerikanische Modell vor allem auf transparente Märkte setzt, weil es den rational handelnden, seine Gewinnchancen und Verlustrisiken abwägenden Marktteilnehmer vor Augen hat, der – entsprechende Informationen vorausgesetzt – in der Lage ist, sich per vertraglicher Regelungen selbst zu schützen („forewarned is forearmed“),1585 ist die traditionell deutsche eine eher paternalistisch-pessimistische, den Selbstregelungskräften des Marktes und insbesondere den 1582 So im Ergebnis z.B. auch Vetter, ZGR 2005, 788, 799; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 19 f.; Kuhner, ZGR 2005, 753, 780 f.; Schärtl, Doppelfunktion, S. 171. 1583 Vgl. Grundmann, DStR 2004, 232, 235 f.; Blaurock, FS Raiser, S. 3, 21; siehe auch Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560 f.; ders., ZGR 2000, 550, 556; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2236; positiv gegenüber einem informationellen Gläubigerschutz auch Wiethölter, Aktuelle Probleme der GmbH & Co. KG, S. 11, 44. 1584 Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560. 1585 Siehe Neuling, GmbH, S. 180 f.; Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560; Fleischer, DStR 2000, 1015, 1019; Kallmeyer, GmbHR 2004, 377.
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Selbstschutzmöglichkeiten selbst informierter Gläubiger tendenziell misstrauende Sichtweise, für die daher diese Aufklärung der Gläubiger zwar wichtig, aber eben nicht zentral ist und schon gar kein Ersatz für institutionelle Schutzmechanismen sein kann.1586 Auch wenn ein auf vorherigen Informationen beruhender Eigenschutz der Gläubiger durchaus geeignet sein kann, die Gläubiger zu schützen, ist nicht zu übersehen, dass – wie auch dessen Anhänger einräumen1587 – ein solches Modell in vielen Bereichen notwendigerweise lückenhaft bleiben und daher letztlich insoweit versagen muss. Das beginnt damit, dass ein System, das allein oder doch ganz maßgeblich auf den Selbstschutz der Gläubiger setzt, die menschliche Natur samt der ihr inhärenten intellektuellen und kognitiven Schwächen, die Irrationalität menschlichen Handelns sowie die den Menschen stark beeinfl ssenden moralischen und ethischen „Zwänge“ außer Acht lässt.1588 Vorauszusetzen, dass jeder – das heißt insbesondere auch der geschäftsunerfahrene – Marktteilnehmer stets und in jeder Situation eine rational wohl durchdachte, alle wirtschaftlichen Vor- und Nachteile des ins Auge gefassten Geschäfts sorgfältig abwägende und dabei auch die mit der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen verbundenen möglichen Haftungsgefahren berücksichtigende Entscheidung trifft, geht an der Rechtswirklichkeit vorbei. In einer nicht-idealen Welt wurden und werden vielmehr zahlreiche, auch wirtschaftlich weitreichende und darum gefährliche Entscheidungen auf ungenügend erfasster Informationsbasis und/oder aufgrund ökonomisch irrationaler Motive wie Konsumtrieb, Loyalität, Mitleid und so weiter getroffen.1589 Nun ließe sich natürlich argumentieren, derart „irrational“, weil nicht streng von ökonomischen Imperativen geleitete Handelnde verdienten keinen oder nur ein äußerst geringes Maß an Schutz durch die Rechtsordnung. Damit würde man aber nicht nur dem Kult eines kalten, gnadenlosen Marktausleseprinzips huldigen – dessen Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien einer sozialen Marktwirtschaft zumindest bezweifelt werden darf –, sondern sich vor allem auch in Widerspruch zu sonstigen Wertungen unserer Rechtsordnung setzen, bietet diese an anderer 1586 Vgl. auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung, S. 7 f.: „Es ist eine zentrale Grundannahme des geltenden Gesellschaftsrechts, dass derartige freiwillige Maßnahmen […] dem Schutz Dritter vor der geringen Haftungssensibilität juristischer Personen nicht hinreichend Rechnung tragen und daher ein gesetzlicher Regelungsbedarf besteht.“. 1587 Siehe z.B. Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560. 1588 Vgl. auch schon Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 224 (bezogen auf die Kreditfähigkeit der Gesellschaft): „Man wird vielleicht sagen, solche Gesellschaften würden doch auch nicht Kredit erhalten. Bei Klugen und Vorsichtigen vielleicht nicht. Aber bekanntermaßen werden die Dummen in der Welt nicht alle.“ (Hervorhebung hier). 1589 Beispielsweise werden Hauseigentümer, die ein Bauunternehmen mit dem Umbau ihres Eigenheims beauftragen möchten, auch bei einer GmbH typischerweise weder auf die Idee kommen, den Vertragsabschluss von einer vorherigen Einsichtnahme in die Geschäftsbücher oder den Bundesanzeiger (§ 325 I HGB), noch ihn von einer Sicherheitenbestellung durch einen oder mehrere Gesellschafter abhängig zu machen.
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Stelle doch durchaus Schutz auch bei potentiell irrationalen Verhaltensweisen. Als Beispiel sei ein Vergleich mit den Verbraucherwiderrufsrechten angeführt: Es wäre kaum verständlich, einem Verbraucher einerseits bei jedem wirtschaftlich noch so unbedeutenden, aber an der Haustür, dem Arbeitsplatz oder während einer „Kaffeefahrt“ abgeschlossenen Vertrag ein materiell nahezu voraussetzungsloses Widerrufsrecht einzuräumen und ihm damit nur deshalb ein nachträgliches Reuerecht für eine Entscheidung zu gewähren, weil er im Sinne eines paternalistischen Ansatzes abstrakt-typisierend als situativ teilunmündig angesehen wird, ihn aber andererseits in Bezug auf Verträge und Vertragsverhandlungen mit einer GmbH trotz derer eventuell finanziell äußerst weitreichenden Folgen und den gerade für Laien äußerst schwierig zu verstehenden juristischen und wirtschaftlichen Implikationen als vollmündigen, keinerlei zusätzlich zu seinen ureigenen Erkenntnismöglichkeiten schutzbedürftigen Marktteilnehmer zu behandeln. Selbst wenn man über diese strukturellen menschlichen „Defizite“ hinweg sehen könnte, wäre ein rein informationsgestütztes Gläubigereigenschutzsystem in personeller Hinsicht nicht in der Lage, einen umfassenden Gläubigerschutz zu gewährleisten. Wie in anderem Kontext ausgeführt, funktioniert dieses Schutzkonzept nämlich nicht nur niemals in Bezug auf Deliktsgläubiger, auch (potentielle) Vertragspartner werden aufgrund der „extern-objektiven“ Marktsituation und/oder der „parteiintern-subjektiven“ Machtverhältnisse selbst bei noch so guter Informationslage oftmals nicht in der Lage sein, sich ausreichend selbst durch entsprechende Vertragsgestaltungen oder Sicherheitenbestellungen zu schützen.1590 Überdies muss ein informationell-gestützter Gläubigerschutz auch in gewissermaßen sachlicher Hinsicht stets bis zu einem bestimmten Grad defizitär bleiben. Das beginnt schon damit, dass die publizierten wirtschaftlichen Unternehmensdaten in aller Regel insoweit „mängelbehaftet“ sind, als sie zum einen nicht tagesaktuell und zum anderen retrospektiv sind. Sie lassen mithin keinen hundertprozentig verlässlichen Rückschluss auf den Istzustand der Gesellschaft im Augenblick des Vertragsschlusses zu.1591 Das lässt sich anhand der Publikationspflicht von Jahresabschluss und Lagebericht (§ 42a GmbHG, §§ 325 ff. HGB) illustrieren: Nicht nur, dass die dort veröffentlichten Zahlen mit Voranschreiten des Folgejahres immer mehr an Aktualität und damit Aussagekraft verlieren,1592 erlauben sie selbst unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung stets nur eine Bewertung des Erfolgs der Gesellschaft in der Vergangenheit. Die für den potentiellen Vertragspartner wichtigere Frage, ob die Gesellschaft auch in der Zukunft so er1590 Siehe oben § 2 D III 5 h) aa); ebenso Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 16; Heidinger, DNotZ 2005, 97, 98; Priester, DB 2005, 1315, 1318; so auch schon Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 225. 1591 Vgl. Fastrich, DStR 2006, 656, 662; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 580. 1592 Ebenso A. Förster, System, S. 301.
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folgreich sein wird, dass zur Erfüllung seiner Forderung ausreichend Haftungsmasse vorhanden ist, könnte dagegen – wenn überhaupt – seriös nur bewertet werden, wenn das Unternehmen seine Geschäftspläne und -strategien tagesaktuell offenlegen müsste.1593 Das aber würde nicht nur einen in der Praxis kaum zu leistenden Aufwand erfordern, sondern wäre vor allem auch mit dem legitimen Interesse der Gesellschaft am Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht zu vereinbaren. Das Problem besteht mithin darin, „dass die Taschen der GmbH nicht so gläsern sind, wie sie für die Vertragspartner, die über keine bevorzugten Informationsmöglichkeiten verfügen, sein müssten, damit sich diese schützen könnten“1594, und dass ein derartiger Zustand auch nicht hergestellt werden kann. Im Übrigen: Selbst wenn es gelingen könnte, diese Hürde zu überspringen und die Informationspflichten so zu konstruieren, dass sie ein aktuelles, verständliches und präzises Bild vom Zustand der GmbH zeichnen, wäre ein informationsgestütztes Gläubigereigenschutzmodell in der Praxis dennoch nicht in der Lage, sämtliche Haftungsrisiken auszuschalten. Das zeigt ein berühmtes Beispiel1595 in anderem Gewande: Wer von einer GmbH für € 5 einen Schwimmschalter erwerben möchte, wird realistischerweise selbst dann, wenn die Finanzlage der GmbH bekanntermaßen nicht die beste ist, nicht im Hinblick darauf, dass ein solcher Schalter mit einer theoretisch verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit irgendwann in der Zukunft einen verheerenden Brand verursacht, vom Vertragsschluss absehen oder auf die Stellung von Sicherheiten für den Schadensfall bestehen. Angesichts dieser Defizite eines informationellen Gläubigerschutzes vermag es dann auch nicht zu überraschen, dass auch die anglo-amerikanischen Rechtsordnungen nicht allein auf den Selbstschutz informierter Gläubiger setzen, sondern weitere Sicherungsinstrumente benötigen. Das englische Recht zum Beispiel kennt wesentlich strengere Ausschüttungssperren für angehäufte Gewinne,1596 räumt dem Department of Trade bei Anzeichen für Betrug oder gläubigerschädigende Handlungen weitreichende Untersuchungs- und Eingriffsrechte ein,1597 erlaubt Gerichten die Auflösung offenkundig unterkapitalisierter Gesellschaften1598 sowie den Ausschluss von zur Unternehmensleitung ungeeigneten Personen von Führungsaufgaben1599 und gibt durch die über die Antragspflicht des § 15a InsO und die Insolvenzverschleppungshaftung 1593
Vgl. auch A. Förster, System, S. 299. Fastrich, DStR 2006, 656, 663. 1595 BGH 24.11.1976 – VIII ZR 137/75, NJW 1977, 379. 1596 Vgl. Kallmeyer, DB 2004, 636, 637; Mayson/French/Ryan, Company Law, S. 284 ff. 1597 Vgl. z.B. Zimmer, FS Lutter, S. 231, 244. 1598 Schärtl, Doppelfunktion, S. 119 f. 1599 Mayson/French/Ryan, Company Law, S. 714 ff.; Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 198. 1594
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weit hinausgehenden Grundsätzen des „fraudulent trading“ beziehungsweise „wrongful trading“ starke Anreize dafür, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft fortlaufend zu prüfen und erforderlichenfalls ein Insolvenzverfahren einzuleiten.1600 Zusammengefasst wäre also ein rein informationelles, auf die Eigeninitiative des Gläubigers setzendes System niemals in der Lage, ein ausreichendes Schutzniveau zu gewährleisten, ihm müssten vielmehr andere Schutzinstrumente an die Seite gestellt werden. Daher wäre eine Abwendung vom bisherigen deutschen System hin zu dem mehr informationell geprägten anglo-amerikanischen Modell auch nicht isoliert möglich, sondern nur um den Preis, dass letztlich auch die sonstigen Schutzmechanismen dieses Rechtskreises übernommen würden. Nicht nur weil der Beweis dafür, dass dies insgesamt vorzugswürdig wäre, erst einmal erbracht werden müsste, sondern vor allem auch, weil ein maßgeblich durch informationell ermöglichte Selbstschutzmechanismen geprägtes System auf der letztlich wenig überzeugenden Prämisse eines stets ökonomisch und rational denkenden Marktteilnehmers fußt, ist Tendenzen in diese Richtung eine klare Absage zu erteilen. b) Punktueller Ausbau der Publizitätspflichten Auch wenn also Versuchen, den Gläubigerschutz zu „privatisieren“, indem er verstärkt in die Hände der Gläubiger selbst gelegt wird, zu widerstehen ist, bedeutet das nicht, dass eine punktuelle Weiterentwicklung der Publizitäts- und Informationspflichten – ohne korrespondierenden Abbau anderer Schutzmechanismen – nicht zum Zwecke der Erreichung eines höheren Schutzniveaus sinnvoll wäre. Das gilt umso mehr, als die mit Publizitätspflichten verbundenen Kosten für die Gesellschaft in aller Regel äußerst überschaubar sind. Dabei sind allerdings die berechtigten Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen, die Publizitätspflichten dürfen daher insbesondere nicht so ausgestaltet werden, dass die Gesellschaft Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse offenlegen und damit letztlich die eigene Konkurrenz stärken muss.1601 aa) Nennung der Stammkapitalziffer auf Geschäftsbriefen Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens des MoMiG wurde in der Literatur erwogen, § 35a GmbHG dahingehend zu erweitern, dass zwingend auf allen Geschäftsbriefen auch die Stammkapitalziffer anzugeben ist.1602 Zwar sei diese aus dem Handelsregister ersichtlich, dieses werde typischerweise aber nicht einge1600 Schärtl, Doppelfunktion, S. 119 ff., 126; siehe zu fraudulent bzw. wrongful trading z.B. auch Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 ff.; Mülhens, Haftungsdurchgriff, S. 161 ff., 166 ff. m.w.N. 1601 Vgl. auch A. Förster, System, S. 303. – Gerade bei Schaffung des GmbHG war die Diskussion um die Publizitätspflichten maßgeblich durch die Angst vor (vor allem) ausländischer Konkurrenz geprägt (vgl. Koberg, Entstehung, S. 86; Hommelhoff, FS Müller, S. 449, 451). 1602 Dafür vor allem Fastrich, DStR 2006, 656, 663; Niemeier, ZIP 2006, 2237, 2250; Wil-
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sehen. Mit der verpflichtenden Aufnahme auf die wesentlich leichter einsehbaren Geschäftsbriefe versprachen sich die Befürworter dieses Vorschlags daher nicht nur eine Verbesserung der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsverkehrs, sondern erhofften sich angesichts der „Prangerwirkung“ einer niedrigen Stammkapitalziffer auch einen Anreiz für die Gesellschafter, das Stammkapital entsprechend höher anzusetzen. Auch wenn dieser Vorschlag gut gemeint war, hat ihn der Gesetzgeber nicht umgesetzt, und das letztlich auch zu Recht.1603 Zwar hätte die Angabe – gerade bei Unternehmergesellschaften – für rechtlich bewanderte Gläubiger in Einzelfällen hilfreich sein können, weil sie so schneller und unkomplizierter als durch einen Blick ins Handelsregister1604 an eine Information gelangen hätten können, die zumindest einen Anhaltspunkt für die (ursprüngliche) Seriosität des Vorhabens liefern kann. Grosso modo aber hätte eine derartige Verpflichtung wohl eher das Gegenteil des eigentlich Bezweckten bewirkt. Angesichts der weitverbreiteten Unkenntnis über Aufgabe und Aussagekraft der Stammkapitalziffer wäre nämlich zu befürchten gewesen, dass sich der „Irrtum des rechtsunkundigen Publikums“ nicht nur „perpetuiert“1605, sondern letztlich sogar verstärkt hätte. Es wäre zu erwarten gewesen, dass zahlreiche Marktteilnehmer die ausgewiesene Zahl als die tatsächliche aktuelle Kapitalausstattung der GmbH interpretiert und sich angesichts dessen in einer gegebenenfalls trügerischen Sicherheit gewogen hätten, obwohl in Wahrheit das Stammkapital bereits ersatzlos verbraucht ist und die Gesellschaft sich in einer Krise befi det.1606 bb) Eigenkapitalauskünfte auf Geschäftsbriefen Angesichts der Defizite eines sich auf den Ausweis der Stammkapitalziffer auf Geschäftsbriefen beschränkenden Ansatzes wird weitergehend für eine Verpflichtung zur Angabe des Eigenkapitals und der Eigenkapitalquote entsprechend der jeweils letzten Jahresbilanz plädiert.1607 Das hätte in der Tat den Charme, ein wesentlich realistischeres Bild der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft zu zeichnen und zudem den Gesellschaftern einen starken Anreiz dafür zu geben, die Gesellschaft nicht mit einem zu geringen Eigenkahelmi, GmbHR 2006, 13, 16; Schärtl, GmbHR 2007, 344, 349 (auf Basis seines Modells des „akkumulierenden Stammkapitals“). 1603 Ablehnend auch Schmidt, DB 2005, 1095, 1096; Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082; Seibert, GmbHR 2007, 673, 676; Seibert, BB 2005, 1061, 1062; so wohl auch Mülbert, Konzern 2004, 151, 157. 1604 Darauf, dass die Einsichtnahme in das Handelsregister „durchaus einen gewissen Aufwand“ verursacht, verweisen z.B. Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 436. 1605 Seibert, GmbHR 2007, 673, 676. 1606 Schmidt, DB 2005, 1095, 1096; Seibert, GmbHR 2007, 673, 676. 1607 Fastrich, DStR 2006, 656, 663; vgl. auch Vetter, ZGR 2005, 788, 798, der neben dem Eigenkapital insbesondere weitere Kennzahlen aus Bilanz, GuV und Kapitalflussrechnung für wichtig hält, ohne jedoch zu spezifizieren, welche er konkret meint.
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pital auszustatten. Zwar lässt sich der naheliegende Einwand, die Zahlen der letzten Jahresbilanz könnten – insbesondere zu einem späten Zeitpunkt des Folgejahres – durch neuere Entwicklungen schon wieder überholt sein, nicht von der Hand weisen, zu bedenken ist aber, dass eine permanente tagesaktuelle Ermittlung des Eigenkapitals praktisch unmöglich ist. Die Beschränkung auf die Angabe der Daten der letzten Jahresbilanz erscheint deshalb ein guter Kompromiss zwischen dem im Gläubigerinteresse Wünschenswerten und dem praktischen Handhabbaren. § 35a GmbHG sollte daher entsprechend geändert werden. cc) Zusätzlich: Pflicht zur rechtlichen Information potentieller Geschäftspartner Zusätzlich zur Schaffung einer Pflicht zur Ausweisung von Eigenkapital und Eigenkapitalquote auf Geschäftsbriefen wäre erwägenswert, ähnlich den aus dem Verbraucherrecht bekannten Widerrufsbelehrungen eine Verpflichtung der GmbH zu begründen, potentielle Vertragspartner kurz und in groben Zügen über die rechtliche Bedeutung und möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen zu informieren. Sinn wäre es, vor allem geschäftsunerfahrenen und rechtlich nicht bewanderten Personen die besonderen Risiken, die aus einer Vertragsbeziehung mit einer GmbH und der Haftungskonzentration auf deren Vermögen entspringen können, (kurz) vor Vertragsschluss möglichst plastisch ins Bewusstsein zu rücken. Selbstverständlich dürfte dadurch aber weder ein unzumutbarer Aufwand für die Gesellschaften entstehen noch diese Informationen einen Umfang erreichen, der dazu führt, dass sie in der Rechtspraxis angesichts ihrer Länge als bloßes „Kleingedrucktes“ ohnehin nicht mehr gelesen werden. Daher müsste man eine abstrakte, das heißt nicht auf die spezifische Situation der GmbH eingehende, drucktechnisch aber hervorgehobene Kurzinformation in Textform (§ 126b BGB), deren Inhalt verbindlich von staatlicher Seite – zum Beispiel in der BGB-InfoVO – vorgegeben werden könnte, genügen lassen, wobei allerdings zu verlangen wäre, dass dem präsumtiven Geschäftspartner vor Vertragsschluss die Möglichkeit gegeben wurde, sie zur Kenntnis zu nehmen (vergleiche § 305 II BGB). Weil bei geschäftserfahrenen Vertragspartnern der Zweck nicht passt, erschiene es dabei vertretbar, die Informationspflicht auf Rechtsgeschäfte mit Verbrauchern zu beschränken.1608 Um ihre effektive Durchsetzung in der Praxis sicherzustellen, wäre bei Verletzung dieser Rechtspflicht – wie sonst auch bei § 35a GmbHG – kumulativ an die Möglichkeit einer Zwangsgeldfestsetzung vergleichbar § 79 I GmbHG sowie die Normierung einer Schadensersatzhaf1608 Eine derartige Unterscheidung dürfte aber kaum praktikabel sein, weil die Gesellschaft dann stets zwei Arten von Geschäftsbriefen vorhalten müsste bzw. – zur Vereinfachung – die für Verbraucher vorgesehenen Briefe auch gegenüber Unternehmern verwenden würde.
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tung der Geschäftsführer und – zumindest bei führungslosen Gesellschaften – der Gesellschafter zu denken.1609 c) Strengere „Sanktionen“ bei Publizitätsverstößen Um den Anreiz zu erhöhen, den Publizitätspflichten nachzukommen, ließe sich erwägen, die „Sanktionen“ im Falle ihrer Verletzung zu verschärfen. Nach gegenwärtiger Rechtslage betragen die Zwangsgelder bei Verletzung der Pflichten aus § 35a GmbHG sowie bei einem Verstoß gegen die Anmeldepflicht des § 65 GmbHG jeweils € 5 bis € 5.000 (§ 79 I 2 GmbHG beziehungsweise § 79 I 1 Hs. 2 GmbHG in Verbindung mit § 14 S. 2 HGB), nur bei der Nichterfüllung der Offenlegungspflicht hinsichtlich der Rechnungslegung drohen höhere Kosten, weil als Ordnungsgeld nach § 335 I 4 HGB € 2.500 bis € 25.000 festzusetzen ist. Es handelt sich also um vergleichsweise überschaubare Summen, deren Abschreckungseffekt bezweifelt werden darf, vor allem weil in der Praxis nur in äußersten Ausnahmefällen die Obergrenze ausgeschöpft werden dürfte. Durch einen generellen Anstieg auf maximal zum Beispiel € 15.000 (§§ 35a, 65 GmbHG) beziehungsweise € 75.000 (§ 335 HGB) und vor allem die Einführung eines spürbaren höheren Mindestbetrags (zum Beispiel € 2.000) könnte der Druck zur Erfüllung dieser gesetzlichen Pflichten vermutlich deutlich erhöht werden. 3. Säule 3: Kapitalorientierte Schutzmechanismen Zur dritten Säule werden im Folgenden all diejenigen Instrumente gezählt, die in der einen oder anderen Form auf eine Sicherung der Gläubiger per Kapitalausstattung der Gesellschaft im weiteren Sinne zielen. a) Schaffung einer Unterkapitalisierungshaftung? Denkbar wäre zunächst die Normierung einer Pflicht der Gesellschafter, stets für eine angemessene Kapitalausstattung der Gesellschaft zu sorgen, so dass sie bei Unterkapitalisierung der Gesellschaft entweder Kapital nachschießen oder die Gesellschaft ordnungsgemäß liquidieren müssen, wenn sie nicht im Innenoder Außenverhältnis einstandspflichtig sein wollen.1610 Wie oben ausgeführt, kann de lege lata eine derartige, wie auch immer methodisch begründete Unterkapitalisierungshaftung richtigerweise nicht angenommen werden, weil ihr die Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter jenseits der Mindeststammkapitalziffer des § 5 I GmbHG sowie vor allem auch 1609 Zu den Rechtsfolgen einer Verletzung von § 35a GmbHG siehe näher Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 35a, Rn. 25; Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 35a, Rn. 13; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 35a, Rn. 8; Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 35a GmbHG, Rn. 23; BeckOK-GmbHG/Schindler, § 35a, Rn. 36. 1610 Vgl. z.B. den von Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490 erwogenen Gesetzesvorschlag.
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der mehrfach klar geäußerte Wille des Gesetzgebers entgegensteht.1611 Beides würde den Gesetzgeber aber selbstverständlich nicht daran hindern, de lege ferenda entsprechende Regelungen zu treffen und die Finanzierungsfreiheit einzuschränken. Sehr wahrscheinlich, dass dies in absehbarer Zeit geschieht, ist das jedoch nicht, hat doch der Gesetzgeber im Zuge des MoMiG gerade erst eine Unterkapitalisierungshaftung explizit abgelehnt.1612 „Unerhört“ wäre die Einführung gesetzlicher Vorschriften über eine Mindesteigenkapitalausstattung nun allerdings auch wieder nicht, wie die Existenz spezialgesetzlicher Regelungen zeigt (vergleiche §§ 10 I 1, 33 I 1 Nr. 1 KWG, § 11 I 1 InvG, §§ 53c, 114 VAG)1613, jedoch müsste – einen entsprechenden politischen Willen zur Schaffung einer Unterkapitalisierungshaftung vorausgesetzt – mit dem notwendigen Maß an Rechtssicherheit das Problem gelöst werden, anhand welcher Kriterien das Vorliegen der die Insolvenz verursachenden1614 qualifizierten1615 Unterkapitalisierung zu bestimmen ist.1616 An den soeben genannten Spezialvorschriften könnte man sich dabei nicht orientieren. Zunächst fehlt es bei diesen entweder ebenfalls an eindeutigen gesetzlichen, zum Vorbild taugenden Maßgaben,1617 oder aber es existieren zwar klare Regelungen, diese re1611
Siehe ausführlich oben § 2 D IV 9 c). BT-Drucks. 16/6140, S. 29. f. („bewusst nicht vorgesehen“). 1613 Zu diesen Vorschriften siehe auch oben § 2 D IV 9 c) bb). 1614 Zum Kausalitätserfordernis (auf dem Boden der de lege lata eine Unterkapitalisierungshaftung befürwortenden Auffassung) vgl. z.B. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 58; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 619; einschränkend Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 573, wonach der Nachweis der Kausalität nicht vom Gesellschaftsgläubiger erbracht werden müsse – weil anderenfalls die Unterkapitalisierungshaftung entwertet würde –, jedoch dem Gesellschafter der Nachweis offenstehen solle, dass die Insolvenz eindeutig auf anderen, auch durch eine bessere Eigenkapitalausstattung nicht behebbaren Umständen beruhte (so auch K. Winkler, BB 1969, 1202, 1204). 1615 Entgegen einer früher im Rahmen der Außenhaftungslehre zum Teil vertretenen Ansicht (Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 572 f.; so wohl auch K. Winkler, BB 1969, 1202, 1205; ablehnend z.B. Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 383) ist man sich heute quer durch alle Auffassungen einig, dass jedenfalls eine „einfache“ Unterkapitalisierung nicht genügt, sondern angesichts des Unvermögens der Betriebswirtschaftslehre, geeignete Regeln für das notwendige Eigenkapital aufzustellen, eine „qualifizierte“ Unterkapitalisierung erforderlich ist. 1616 Die mit ihr einhergehende Rechtsunsicherheit ist eines der Hauptargumente gegen die Existenz einer Unterkapitalisierungshaftung, vgl. z.B. BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285, 287; 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2439 f. (Gamma); BAG 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, NZA 1999, 653, 654; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 84a; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 47; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1056; Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490; Kleindiek, NZG 2008, 686, 688; Vetter, ZGR 2005, 788, 818; Herber, GmbHR 1978, 25, 29; Schärtl, Doppelfunktion, S. 167; das räumt nun wohl auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 296 ein, wenn er davon spricht, dass die „notwendigen Maßstäbe […] noch auszuarbeiten“ seien; unentschieden Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 6 einerseits, Rn. 53 („klar definierte Haftungsvoraussetzungen“) andererseits. 1617 So bei § 10 I 1 KWG, nach dem das Eigenkapital „angemessen“ sein muss, worunter in der Literatur – wenig konkret – die Pflicht verstanden wird, das Eigenkapital auch im lau1612
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kurrieren aber auf Kriterien, die auf die jeweils erfasste Spezialkonstellation maßgeschneidert und darum nicht für eine Rechtsform verallgemeinerungsfähig sind, die sich im gesamten Spektrum des Wirtschaftslebens tummelt.1618 Überdies spräche gegen eine unbesehene Übertragung dieser Regelungen auch, dass sie in ein ganz anderes, weil öffentlich-rechtliches Regelungsregime eingebettet sind und folglich ihre Verletzung nicht zu einer zivilrechtlichen Unterkapitalisierungshaftung sondern allein zu öffentlich-rechtlichen respektive strafrechtlichen Konsequenzen1619 führt. Damit bliebe die Frage zu klären, wie außerhalb dieser Spezialmaterien das Vorliegen einer Unterkapitalisierung festzustellen wäre. Generelle Umschreibungen wie die Unterkapitalisierung müsse „krass“1620, „evident“1621 oder „planvoll“1622 sein beziehungsweise die Haftung hierfür auf „Extremfälle“1623 beschränkt werden, helfen nicht weiter. Gleiches gilt für Formeln, zwischen Kapitalausstattung und dem wirtschaftlichen Risiko und Betrieb der GmbH müsse ein „völlig unvertretbares“ Verhältnis bestehen1624 oder es müsse eine „eindeutige und für Insider klar erkennbare unzureichende Eigenkapitalausstattung [vorliegen], die einen Misserfolg zulasten der Gläubiger bei normalem Geschäftsverlauft mit hoher, das gewöhnliche Geschäftsrisiko deutlich übersteigender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt“1625. fenden Geschäftsprozess an Umfang und Risiko der Geschäfte anzupassen, um zum Schutze der Gläubiger für den Fall der Insolvenz eine entsprechende Haftungsmasse zu sichern (so Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 10, Rn. 12). 1618 Besonders deutlich ist das bei § 11 I 1 Nr. 2 InvG, nach dem der Umfang der Eigenkapitalausstattung einer Kapitalanlagegesellschaft ab einer bestimmten Grenze vom Wert des verwalteten Investmentvermögens abhängt. Verwiesen werden kann ferner auf § 53c VAG, nach dem die „freien unbelasteten Eigenmittel“ mindestens in Höhe der Solvabilitätsspanne vorhanden sein müssen, wobei sich diese Spanne nach der äußerst komplizierten Kapitalausstattungsverordnung richtet und unter anderem von den Versicherungsgeschäften des Unternehmens abhängt (§§ 8 I, 4 I KapAusstV). 1619 Werden die Vorgaben nicht erfüllt, ist nach dem KWG und InvG die erforderliche Erlaubnis zu versagen bzw. kann die erteilte Erlaubnis aufgehoben werden (§§ 33 I 1 Nr. 1, 35 II Nr. 3 KWG, §§ 7b Nr. 1 InvG, 17 II 1 Nr. 2 InvG); wer ohne die erforderliche Erlaubnis diese Art von Geschäfte tätigt, macht sich strafbar (§ 54 I Nr. 2 KWG, § 143a InvG). Im VAG hingegen hat die Aufsichtsbehörde neben der allgemeinen Befugnis, alle geeigneten und erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Mißstand zu beseitigen (§ 81 II VAG), auch die Spezialbefugnisse des § 81b VAG. 1620 So Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 50; vgl. auch MüKo- GmbHG/ Merkt, § 13, Rn. 337. 1621 Schmidt, ZIP 1986, 146, 148. 1622 Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1506. 1623 So Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 397 f. 1624 Lutter/Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 13, Rn. 20; vgl. auch BSG 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, NJW 1984, 2117, 2119. 1625 OLG Hamburg 15.2.1973 – 3 U 126/72, BB 1973, 1231, 1232; Raiser, FS Lutter, S. 637, 648; Ulmer, FS Duden, S. 661, 676 f.; Stimpel, FS Goerdeler, S. 601, 608; Priester, ZGR 1993, 512, 526; Geißler, GmbHR 1993, 71, 77; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, Anh § 30, Rn. 23, 52a, 55 m.w.N.
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Nicht zielführend ist ferner der Vorschlag, es sei auf den „branchenüblichen Wert“ des Verhältnisses von Eigen- und Fremdkapital respektive Eigenkapital und Anlagevermögen abzustellen.1626 Erstens ist ein derartiger branchenüblicher Wert nicht immer bestimmbar, vor allem nicht zeitnah, sondern wenn dann nur retrospektiv aufgrund einer periodisch veröffentlichten amtlichen Statistik, und zweitens kann dieser Wert zwar die erforderliche Kapitalisierung kennzeichnen, zwingend ist das aber nicht.1627 Andere stellen auf eine erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit von 5–10 % ab1628 beziehungsweise rekurrieren auf die Kredit(un)fähigkeit der Gesellschaft, weil diese die Wegscheide markiere, an der das tolerable-marktübliche in ein inakzeptabel-gesteigertes Ausfallrisiko der Gläubiger umschlage.1629 Dieser letzte Vorschlag erscheint noch als der am ehesten handhabbare. Das naheliegende Argument, eine Gesellschaft könne – einen entsprechend horrenden Zinssatz vorausgesetzt – nahezu immer noch aus irgendwelchen dunklen Quellen Kredit bekommen, kann leicht dadurch entkräftet werden, dass man die Kreditunfähigkeit spätestens dann annimmt, wenn die Gesellschaft ohne Sicherheitenbestellungen nur noch Kredite erhalten würde, die unter den Bannstrahl des Wucherverbots fiel n.1630 Auch dogmatisch begründen ließe sich dieser Ansatzpunkt, weil man sagen könnte, dass die Kreditunfähigkeit das Fanal dafür ist, dass die Banken als die in der Regel am besten informierten „outsider“ der GmbH die Fähigkeit absprechen, die für die Rückzahlung notwendigen Mittel zu erwirtschaften, so dass eine Fortsetzung der Geschäfte ohne Kapitalzufuhr durch die Gesellschafter notwendigerweise zu einer erheblichen Gefährdung nicht andersartig gesicherter Gläubiger führen und daher zu deren Schutz „untersagt“ werden muss. Allerdings ist auch an diesem Vorschlag problematisch, dass in der gerichtlichen Praxis (verständlicherweise) die Versuchung naheliegen dürfte, ex post von einer (späteren) Insolvenz auf eine mangelnde Eigenkapitalausstattung zu schließen und mithin eine Unterkapitalisierungshaftung zu bejahen.1631 Damit aber drohte die GmbH ihre Funktion als institutionelle Haftungsbeschränkung in erheblichem Maße zu verlieren, weil sich die Gesellschafter nicht mehr darauf verlassen könnten, sich mit ordnungsgemäßer Gründung der GmbH von jeglicher Haftung „freigekauft“ zu haben, sondern stets befürchten müssen, aufgrund einer nachträglichen Bewertung nunmehr nicht mehr zu ändernder 1626
So aber G. Winter, Haftung, S. 122, 143 ff. Ebenso J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 523. 1628 Bitter, in: Bachmann, Steuerungsfunktionen, S. 58, 82 f., 92 (sub IV.). 1629 G. Roth, ZGR 1993, 170, 191, 199 f. 1630 Die Grenze liegt hierbei nach einer Faustformel bei relativ 100 % des marktüblichen Zinssatzes, vgl. näher und m.w.N. Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 208. 1631 Ebenso Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 47; Kleindiek, NZG 2008, 686, 688; Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 283; Schärtl, Doppelfunktion, S. 168 (Gefahr einer Haftung „wegen nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung“). 1627
D. Institutionelle Haftungsbeschränkung am Beispiel der GmbH
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Umstände einer potentiell weitreichenden persönlichen Haftung ausgesetzt zu sein.1632 Daher spricht insgesamt mehr dafür, de lege ferenda keine Unterkapitalisierungshaftung zu schaffen. b) Ansatz beim Stammkapital? In der Diskussion um die Fortentwicklung des GmbH-Rechts nimmt die Frage, ob das gesetzliche Mindeststammkapital und das System realer Kapitalaufbringung effektiv zum Gläubigerschutz beitragen und ob Korrekturen daran erforderlich sind, seit längerem eine prominente Rolle ein. aa) Traditionelle Funktionen des Stammkapitals und Kritik Traditionell wird dem System der realen Aufbringung des Stammkapitals eine Reihe von Funktionen zugeordnet. So soll es nicht nur sicherstellen, dass der Gesellschaft bei Gründung ein bestimmtes Arbeits- oder Betriebskapital zur Verfügung steht, um die Aufnahme des Geschäftsbetriebs überhaupt erst zu ermöglichen,1633 sondern auch verhindern, dass die GmbH – die wie jeder Wirtschaftsbetrieb zu Beginn typischerweise mehr Verluste als Gewinne generiert – schon im Säuglingsalter überschuldet ist und sich die Geschäftsführer daher wegen § 15a InsO genötigt sehen, umgehend Insolvenzantrag zu stellen („Schutzpuffer“-Funktion).1634 Darüber hinaus wird das Stammkapitalerfordernis als Seriositätsschwelle verstanden, die einer missbräuchlichen Verwendung der Rechtsform der GmbH vorbeugen soll, indem die Gesellschafter einem „ökonomisch sinnvolle[n] Test auf die Ernsthaftigkeit des unternehmerischen Vorhabens“1635 sowie daraufhin unterworfen werden, ob sie sich ausreichend Gedanken über die ins Auge gefasste Unternehmung gemacht haben und auf deren Erfolg genügend vertrauen, um einen nicht unerheblichen Betrag als Wagniskapital zu investieren.1636 Last but not least wird das Stammkapital im Interesse des Gläubigerschutzes als „zentrales, die Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen rechtfertigendes Element“1637 angesehen, das den Gesellschaftern als Preis für ihre fehlende per1632
Vgl. auch Waclawik, DStR 2008, 1486, 1490. Vgl. z.B. BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1374; Lutter, AG 1998, 375; Barta, GmbHR 2005, 657, 659; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5, Rn. 5; Schärtl, Doppelfunktion, S. 70; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13; Seibert, BB 2005, 1061. 1634 Wilhelmi, GmbHR 2006, 13; Lutter, AG 1998, 375; Schärtl, Doppelfunktion, S. 71; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5, Rn. 5. 1635 Teichmann, NJW 2006, 2444, 2446. 1636 BT-Drucks. 15/5673, S. 4; BR-Drucks. 354/07, S. 66; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 523; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14; Hommelhoff, ZIP 1998, 8, 10 f.; Lutter, AG 1998, 375; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 343; Seibert, BB 2005, 1061; Vetter, ZGR 2005, 788, 800; Heidinger, DNotZ 2005, 97, 104 („Eintrittskarte“); Kaube, „Die Erfindung der Waghalsigkeit“, FAS v. 3.10.2010, S. 56. 1637 BGH 12.7.2011 – II ZR 71/11, NZG 2011, 1066, 1067; vgl. auch BGH 13.4.1994 – II ZR 16/93, NJW 1994, 1801; 14.11.2005 – II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1346. 1633
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sönliche Haftung1638 eine Art „Kautionsleistung“1639 auferlege, mittels derer sichergestellt werden soll, dass sie nur bei einem „Mindestmaß an finanzieller Leistungsfähigkeit“1640 unter dem Schutzschild einer Haftungsbeschränkung am Wirtschaftsleben teilhaben können.1641 Das System der realen Kapitalaufbringung gepaart mit einer im europäischen Kontext vergleichsweise hohen Mindeststammkapitalziffer sieht sich allerdings schon seit längerem Kritik ausgesetzt. Insbesondere wurde bezweifelt, dass die damit angestrebten Ziele effizient erreicht werden können. So wurde die gläubigerschützende Komponente mit dem Argument angegriffen, das System des geltenden Rechts verhindere es eben gerade nicht, dass das einmal aufgebrachte Stammkapital im laufenden Geschäftsgang vollständig aufgebraucht wird und dementsprechend entgegen der Ansicht geschäftsunerfahrener und rechtsunkundiger Marktteilnehmer keine Gewähr dafür besteht, dass eine bestimmte Mindestsumme zur Gläubigerbefriedigung in der Insolvenz tatsächlich vorhanden ist.1642 Auch an der Höhe des Mindeststammkapitals entzündete sich Kritik, während einige es für zu niedrig halten,1643 erachten andere es als zu hoch und damit investitionsfeindlich beziehungsweise als zu unflexibel, weil es sich nicht am konkreten Finanzbedarf der Gesellschaft orientiere.1644 Kritisiert wurde ferner, dass das Mindeststammkapitalerfordernis auch nicht als Indikator für die Seriosität der Unternehmung tauge. Zum einen sei die Vorgabe von € 25.000 zu starr, um das tatsächliche wirtschaftliche Risiko der konkret angestrebten Geschäftstätigkeit adäquat abzubilden, zum anderen seien die bei der Anmeldung aufzubringenden € 12.500 (§ 7 II 2 GmbHG) keine echte Hürde für skrupellose Geschäftemacher.1645 Von dieser Kritik war es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Forderung nach Abschaffung beziehungsweise weit-
1638
Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5, Rn. 2; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14. 1639 Schärtl, Doppelfunktion, S. 77. 1640 BT-Drucks. 8/1347, S. 32. 1641 BGH 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1374; 7.7.2003 – II ZB 4/02, NJW 2003, 3198, 3200; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 341 f.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 7, Rn. 18; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 13 f., 20; Boujong, FS Odersky, S. 739, 739 f; es handle sich um eine „Kulturleistung ersten Ranges“ (so Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 558), von der man „retten [solle], was irgend zu retten ist“ (Priester, ZHR 168 [2004], 248, 260 mit Fn. 70); vgl. auch Müller-Erzbach, Private Recht, S. 122. 1642 So z.B. Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190; Schön, Konzern 2004, 162, 165; Mülbert, Konzern 2004, 151, 154; Barta, GmbHR 2005, 657, 659; vgl. auch Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560; ders., ZGR 2000, 550, 556 f. 1643 Heidinger, DNotZ 2005, 97, 117; Hommelhoff, ZIP 1998, 8, 11; Michalski/Funke, GmbHG, § 13, Rn. 306; Kaube, „Die Erfindung der Waghalsigkeit“, FAS v. 3.10.2010, S. 56. 1644 Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190. 1645 Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190; Blaurock, FS Raiser, S. 3, 13; Schön, Konzern 2004, 162, 165.
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gehender Aufgabe des Stammkapitalprinzips und einer Hinwendung zu einem informationsgestützten, selbstregulativen Gläubigereigenschutzsystem.1646 Der Gesetzgeber hat auf diese Diskussion mit der Schaffung der UG eine zwiespältige Antwort gegeben. Einerseits hat er am klassischen Stammkapitalprinzip festgehalten und dabei auch Versuchungen widerstanden, den Mindestbetrag auf € 10.000 abzusenken,1647 andererseits hat er aber mit Einführung einer haftungsbeschränkten Unterform der GmbH den Forderungen der Kritiker und dem europäischen Zeitgeist nachgegeben. bb) Bewertung des Stammkapitalsystems Will man das traditionelle deutsche Stammkapitalsystem im Hinblick auf seine gläubigerschützende Wirkung einer „fairen“ Bewertung unterziehen, muss man sich zunächst noch einmal in Erinnerung rufen, was es insoweit eigentlich überhaupt nur leisten soll: Konzeptionell zielt es allein darauf ab, erstens das Vorhandensein eines bestimmten Kapitalstocks bei Gründung der Gesellschaft zu gewährleisten und zweitens das derart aufgebrachte Stammkapital vor den „Gesellschaftsbinnenrisiken“, die aus den Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen im Laufe des „Gesellschaftslebens“ resultieren, zu schützen. Diesem gesteckten Ziel wird das geltende Recht mit seinen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften nun aber durchaus gerecht.1648 Dass ein darüber hinausgehender umfassender Gläubigerschutz, der für alle Zeiten sicherstellt, dass den Gläubigern eine gewisse Mindestbefriedigungsquote zukommt, nicht erreicht wird, liegt mithin nicht an einer defizitären Ausgestaltung des Gesetzes, sondern an seiner gewollten Konzeption. Nun ließe sich daraus – im Einklang mit den Kritikern des geltenden Systems – durchaus der Schluss ziehen, dieses System habe abzudanken, weil es den Gesellschaftsgründern mit seinem komplizierten Uhrwerk an Kapitalaufbringungsregeln unnötig Brocken in den Weg werfe, ohne einen diesen Aufwand rechtfertigenden Gläubigerschutz zu bewirken. Zugunsten dieser Sichtweise mag man die erschreckend hohe Zahl (masseloser) Insolvenzen anführen. Zu überzeugen vermag das aber schon deshalb nicht, weil eben auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Insolvenzstatistik ohne diesen zusätzlichen Schutzmechanismus nicht noch höher wäre und diesem somit ein – wenn auch vielleicht geringer – gläubigerschützender Effekt zukommt. Im Übrigen hat das (Mindest-)Stammkapital – auch wenn es keine „Wunderwaffe des Gläubigerschutzes“ und kein Allheilmittel ist – wichtige Funktionen. Erstens ent1646 Grundmann, DStR 2004, 232, 235 f.; Blaurock, FS Raiser, S. 3, 21; vgl. auch Kübler, ZHR 159 (1995), 550, 560 f.; ders., ZGR 2000, 550, 556; Schön, Konzern 2004, 162, 165 f.; siehe dazu auch schon oben § 2 D VI 2. 1647 So noch der ursprüngliche Gesetzesentwurf, vgl. BR-Drucks. 619/05, S. 1, 5. 1648 So auch Seibert, BB 2005, 1061; Schärtl, Doppelfunktion, S. 82. – Näher zur Kapitalaufbringung und -erhaltung oben § 2 D IV 3.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
hebt es die Gläubiger im Sinne einer Staumauer von dem Risiko gesellschaftsinterner Zugriffe auf das zur Stammkapitalerhaltung benötigte Kapital und weist ihnen „nur“ die Gefahr zu, dass die Gesellschaft aufgrund falscher Unternehmensentscheidungen oder externer Faktoren scheitert. Zweitens: Indem mittels der Pflicht zur Aufbringung eines bestimmten Mindestkapitals sichergestellt wird, dass die Gesellschaft nicht bereits unmittelbar nach ihrer Gründung mit der Folge einer Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO zahlungsunfähig oder überschuldet ist, wird eine „Denaturierung“ der Insolvenzantragspflicht dahingehend, dass diese in der Gründungsphase der Gesellschaft nicht so streng gehandhabt wird, verhindert. Zu einer derartigen „Verzerrung“ der Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht wäre die gerichtliche Praxis aber letztlich gezwungen, weil bei konsequenter Handhabung des § 15a InsO das mit der Rechtsform der GmbH verbundene Ziel einer Förderung der Unternehmensinitative konterkariert würde. Last but not least ist drittens auch das Argument zurückzuweisen, das Mindeststammkapital sei als Seriositätsschwelle ungeeignet. Zwar ist es richtig, dass sich unredliche Geschäftemacher von € 12.500 oftmals nicht abschrecken lassen werden. Wirtschaftlich evident unsinnigen oder schlecht geplanten Unternehmungen wird hingegen wenigstens ein Stück weit ein Riegel vorgeschoben, weil deren Initiatoren oftmals schon gar nicht in der Lage sind, das notwendige Kapital aus Eigen- oder Fremdmitteln aufzubringen.1649 Summa summarum überzeugt es daher nicht, wenn eine Abkehr vom geltenden Stammkapitalprinzip gefordert wird. An diesem ist vielmehr nicht nur konzeptionell im Grundsatz festzuhalten, sondern es ist sogar über seinen Ausbau nachzudenken (sub dd]). Zuvor ist allerdings im Lichte der gewonnenen Ergebnisse noch kurz auf die UG einzugehen. cc) Bewertung der UG Wer, wie dies hier geschehen ist, dem klassischen Stammkapitalprinzip des deutschen Rechts die Treue hält, wird die UG notwendigerweise – vorsichtig gewendet – zurückhaltend bewerten.1650 Mit der Abschaffung des Stammkapitalerfordernisses wurde ein Element des Gläubigerschutzes aufgegeben, das nach hier vertretener Auffassung durchaus nicht bedeutungslos ist. Die damit einhergehende partielle Hinwendung zu einem informationsgestützten Gläubigerschutzsystem ist, wie bereits dargelegt wurde, schon konzeptionell notwendigerweise zweifelhaft.1651 Das gilt umso mehr, als eine „Kompensation“ 1649
Ähnlich Blaurock, FS Raiser, S. 3, 13. Aus der Literatur vgl. z.B. auch Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491 f., nach denen es sich um eine Reform zulasten der Verbraucher, Kleinunternehmer und deliktischen Gläubiger handle; vgl. die auf die allgemeine Entwicklung des GmbH-Rechts bezogene Aussage von Schmoeckel: „Es wirkt, als ob der Weg in den Markt möglichst erleichtert werden soll, die Risiken mangelnder Haftung aber nicht bedacht werden.“ (Rechtsgeschichte, S. 190). 1651 Siehe oben § 2 D VI 2. 1650
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in Form gesteigerter Publizitätserfordernisse, wie sie oben1652 in Gestalt weitergehender Mindestangaben auf Geschäftsbriefen vorgeschlagen wurde, nicht einmal erfolgte, obwohl doch gerade bei der UG die Entwicklung des Stammkapitals angesichts der Thesaurierungsverpflichtung in Höhe von ¼ des jeweiligen Jahresüberschusses (§ 5a III GmbHG) von erheblicher Aussagekraft über die Erfolgsgeschichte des Unternehmens ist. Zudem ist – wie oben schon angedeutet – zu erwarten, dass der Verzicht auf ein Mindeststammkapital zumindest in der Gründungsphase einer UG zu einer „Denaturierung“ der Insolvenzantragspflicht in der gerichtlichen Praxis führen wird, weil nur auf diese Weise verhindert werden kann, dass – entgegen dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel – die Geschäftsführer gezwungen werden, gleich wieder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die gerade erst gegründete UG zu beantragen. Dies ist aber nicht nur notwendigerweise mit einiger Rechtsunsicherheit verbunden (zum Beispiel: In welchem Maße sind die Anforderungen zu senken? Wie lange ist die „Schonfrist“ nach der Gründung?), sondern auch systematisch der falsche Standort, weil einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden und eigentlich dort zu lösenden Problematik nur durch eine „Korrektur“ einer insolvenzrechtlichen Norm abgeholfen werden kann. Nur als rechtspolitische Randnotiz sei bemerkt, dass es überaus zweifelhaft ist, ob es der Schaffung der UG zum Schutz der GmbH vor ausländischer „Konkurrenz“ überhaupt bedurft hätte.1653 Nicht zu übersehen ist nämlich, dass die limited zwar auf den ersten Blick gewisse Vorteile gegenüber der GmbH hat, dem aber gerade für die Gesellschafter auch gewichtige komparative Nachteile1654 gegenüberstehen, die es äußerst fraglich erscheinen lassen, ob die limited langfristig und in der Balance die Gesellschaftsform der Wahl gewesen wäre. Dafür spricht auch, dass – nachdem der erste limited-Gründungs-Hype im Gefolge der Aufgabe der Sitztheorie durch die Entscheidungen Centros1655, Überseering1656 und Inspire Art1657 abgeklungen war – die Zahl der Neugründungen von limiteds in Deutschland noch vor Schaffung der UG nicht nur rückläufig (von 8.643 in 2006 auf 5.836 in 2008), sondern im Vergleich zur GmbH stets sehr gering war (77.530 GmbH-Gründungen in 2005 beziehungsweise 82.533 in 2008).1658 Überdies hätte man die im erhöhten Mindeststammkapital zum Ausdruck kommende gesteigerte Seriosität der GmbH durchaus auch 1652
Schärtl, Doppelfunktion, S. 115. Zweifelnd auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 1; Kallmeyer, DB 2004, 636; siehe auch Niemeier, ZIP 2007, 1794, 1794 ff.; Gehrlein, Konzern 2007, 771, 779. 1654 Vgl. zu diesen im Einzelnen z.B. Heidinger, DNotZ 2005, 97, 100; Schärtl, Doppelfunktion, S. 127 ff.; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 10. 1655 EuGH 9.3.1999 – C-212/97, NZG 1999, 298. 1656 EuGH 5.11.2002 – C-208/00, NZG 2002, 1164. 1657 EuGH 30.9.2003 – C-167/01, NZG 2003, 1064. 1658 Vgl. auch Niemeier, ZIP 2007, 1800; zu den hier genannten Zahlen vgl. http://de.wiki pedia.org/wiki/Public_Limited_Company#Public_limited_company. 1653
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als Wettbewerbsvorteil zu „verkaufen“ und die GmbH am Markt der Gesellschaftsformen im Premiumsegment – sozusagen dem Mercedes der Gesellschaften mit beschränkter Haftung – zu etablieren versuchen können.1659 Es wäre angesichts dessen vorzugswürdig gewesen, anstatt durch die Schaffung der UG im Stile einer self-fulfilli g prophecy „einen vielleicht befürchteten, aber nicht sehr wahrscheinlichen Ausgang des Wettbewerbs“1660 vorweg zu nehmen, den juristischen „Feldversuch“1661 zu wagen, die Marktentwicklung in Ruhe über einen längeren Zeitraum zu beobachten und nur dann, wenn entgegen der obigen Annahme die limited oder eine sonstige ausländische Rechtsform zu einer ernsthaften Konkurrenz erwachsen wäre, gesetzgeberisch zu reagieren (oder auf eine Regelung auf EU-Ebene zu drängen).1662 Allerdings: Die Rechtsform der UG ist nun einmal in der Welt und in den wenigen Jahren ihres Daseins hat sie auch noch nicht zum Untergang des (wirtschaftsrechtlichen) Abendlandes geführt. Man wird daher abwarten müssen, ob durch den Verzicht auf das Mindeststammkapitalerfordernis die berechtigten Interessen der Gläubiger unzumutbar beeinträchtigt werden. Es würde – einschließlich des Verfassers – sicher niemand bedauern, wenn die UG diesen Lackmustest bestehen und damit ihre Kritiker widerlegen würde. Sollte aber das Gegenteil eintreten, bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber souverän genug ist, von seinem eingeschlagenen Irrweg abzuweichen und die UG wieder abzuschaffen. dd) Weiterentwicklung des geltenden Stammkapitalrechts Ist nach hier vertretener Meinung also entgegen dem Zeitgeist und dem europaweiten Trend am klassischen deutschen Stammkapitalkonzept festzuhalten, so ist im Folgenden zu klären, ob und wenn ja, womit dieses im Interesse eines effizienteren Gläubigerschutzes fortentwickelt werden kann. (1) Regelmäßiger Inflationsausgleich Es ist kein Geheimnis, dass es seit Schaffung des GmbHG zu einer zwar schleichenden, insgesamt aber ganz erheblichen, inflationsbedingten „Herabsetzung“ des gesetzlichen Mindeststammkapitalerfordernisses kam. Verdeutlichen lässt sich dies am besten anhand zweier Beispiele: Während man für die im GmbHG ursprünglich vorgesehenen 20.000 Goldmark im Jahre 1892 noch eine relativ noble Villa kaufen konnte, war mit 50.000 DM 1980 vielleicht mit Mühe noch eine kleine Eigentumswohnung möglich,1663 und 2013 erhält man für € 25.000 in den meisten Gegenden bestenfalls noch ein sanierungsbedürftiges Ein-Zimmer-Appartement in unattraktiver Lage. Oder: Um die Wende vom 19. zum 1659 1660 1661 1662 1663
Vgl. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 23; Teichmann, NJW 2006, 2444, 2447. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 24. Heidinger, DNotZ 2005, 97, 118. Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 24; Heidinger, DNotZ 2005, 97, 118 f. Priester, DB 2005, 1315, 1317.
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20. Jahrhundert konnte man für 20.000 Goldmark zehn Lehrer ein Jahr lang besolden, heute hingegen reichen € 25.000 gerade mal für ein halbes Jahresgehalt eines Lehrers.1664 Der den 20.000 Goldmark entsprechende Zeitwert wurde daher schon 2005 auf circa € 2 Millionen geschätzt1665 und dürfte heute mindestens 1/10 höher liegen. Entsprechend wird in der Literatur geschätzt, dass ein seriöser Inflationsausgleich es erfordern würde, alle 25 Jahre eine Verdoppelung des Mindeststammkapitals vorzunehmen, dabei aber gleichzeitig erklärt, dass einen solchen „aus nahe liegenden volkswirtschaftlichen und rechtspolitischen Erwägungen (Gründungserleichterung) niemand [wolle]“1666. Nun kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass es nicht möglich ist, das Stammkapital auf ein dem Stand von 1900 entsprechendes Level zu bringen, weil dies die GmbH nicht nur im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen sofort ins Aus katapultieren, sondern sie selbst dann, wenn man diesen Wettbewerb einmal für eine Sekunde außer Betracht ließe, als Rechtsform für kleinste und kleinere Unternehmen untauglich machen würde. Wenn der Gesetzgeber aber am Stammkapitalprinzip festhält, geht es auf der anderen Seite zu weit, einen vom heutigen Stand ausgehenden, regelmäßigen und effektiven Inflationsausgleich apodiktisch abzulehnen. Verzichtete man auf eine inflationsbedingte Anpassung, könnte eine GmbH nämlich – legt man die durchschnittliche Inflationsrate der letzten 30 Jahre von circa 2 %1667 zugrunde – spätestens Ende des 21. Jahrhunderts für „n’ Appel und n’ Ei“ gegründet werden. Daher: Wer A (= Festhalten am Stammkapitalprinzip) sagt, muss konsequenterweise auch B sagen und damit regelmäßig für einen Inflationsausgleich sorgen. Die Problematik entspricht weitgehend derjenigen bei der „Überalterung“ von Haftungshöchstsummen. Hier wie dort sollte in Anlehnung an den in Art. 18 II RL 85/374/EWG (Produkthaftungs-Richtlinie) vorgesehenen Mechanismus eine regelmäßige Prüfungspflicht daraufhin vorgesehen werden, ob die Höhe des Stammkapitals „unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung in der Gemeinschaft“ anzupassen ist. Ob diese Anpassung per formellem Parlamentsgesetz oder durch Rechtsverordnung der Bundesregierung erfolgt, ist dabei letztlich nicht entscheidend. Weil es sich vor allem um eine „technische“ Frage handelt, wäre letzteres als unkomplizierteres Instrument vorzugswürdig.1668
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Priester, DB 2005, 1315, 1317. Heidinger, DNotZ 2005, 97, 104; vorsichtiger für 1992 (ca. DM 162.000) Zöllner, JZ 1992, 381, 382. 1666 Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 190. 1667 Vgl. die Übersicht bei http://www.unciatrends.com/inflation-entwicklung-histori sche-inflationsraten-deutschland/. 1668 Siehe auch oben § 2 A V. 1665
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
(2) Flexibles Stammkapital Wie aufgezeigt, vermag nach hier vertretener Auffassung das gegenwärtige Stammkapitalprinzip, entgegen seiner Kritiker, durchaus ein gewisses Maß an Gläubigerschutz zu bewirken. Je höher das gesetzliche Mindeststammkapital ist, umso größer ist der Topf dessen, was die Gläubiger als Haftungsmasse zwar aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der GmbH, nicht aber aufgrund der gesellschaftlichen „Binnenrisiken“ infolge einer Selbstbedienung der Gesellschafter verlieren können. Auf der anderen Seite kann es nicht zweifelhaft sein, dass eine – nicht inflationsbedingte – (drastische) Erhöhung des Mindeststammkapitals bei Gesellschaftsgründung unerwünschte Anreizwirkungen entfalten würden, hätte dies doch zur Folge, dass noch mehr Gründer als ohnehin schon auf die UG zugreifen oder – würde diese nicht existieren – von einer Gesellschaftsgründung unter Umständen vollständig absehen würden. Eine Erhöhung des Stammkapitalerfordernisses bei Gründung ist deshalb nicht angezeigt. Denkbar erscheint es aber, ein System flexiblen Stammkapitals im laufenden Geschäftsbetrieb zu etablieren,1669 das grob skizziert wie folgt aussehen könnte: Anknüpfend an die Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes, sind die Gesellschafter verpflichtet, das Stammkapital – so sie es nicht schon im Vorfeld aus freien Stücken auf einen entsprechend hohen Betrag festgesetzt haben – mindestens auf eine bestimmte Summe im Wege der effektiven oder nominellen Kapitalerhöhung nach §§ 55 ff. GmbHG zu erhöhen. Als maßgeblicher Indikator bietet sich der Jahresumsatz der Gesellschaft an, denn je höher dieser ist, umso höher sind typischerweise auch die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Zum einen um zu verhindern, dass die Gesellschafter permanent zur Prüfung genötigt sind, ob sie eine Kapitalerhöhung durchführen müssen, zum anderen weil nur bei einer nachhaltigen Umsatzsteigerung ein Bedürfnis nach einer Anpassung der Stammkapitalziffer erforderlich ist, ist diese Pflicht aber auf Fälle zu beschränken, in denen der Umsatz über einen gewissen Zeitraum den maßgeblichen Schwellenwert regelmäßig überschreitet. Das ließe sich zum Beispiel annehmen, wenn er ihn entweder drei Jahre in Folge oder aber vier Jahre in einem Fünfjahreszeitraum überschreitet. Die Festlegung konkreter Schwellenwerte und die daran anknüpfende erhöhte Mindeststammkapitalziffer wäre letztlich Aufgabe des Gesetzgebers. Ein einfaches Modell könnte so aussehen, dass ab € 1 Million in € 500.000-Schritten vorgegangen und das Mindeststammkapital jeweils auf 1/20 des Umsatzes festgelegt wird (bei € 1 Million also € 50.000, bei € 1.500.000 somit € 75.000 und so weiter).1670 Liegen diese Voraussetzungen vor, so müssen die Gesellschafter innerhalb eines bestimmten 1669
In diese Richtung gingen auch schon die Überlegungen von Wüst, JZ 1992, 710, 712. Sollte der Gesetzgeber den weiter unten noch auszuführenden Vorschlag, ab einem regelmäßigen Jahresumsatz von € 3 Millionen eine Umwandlungspfl cht in eine AG vorzusehen (siehe unten § 2 D VI 5), aufgreifen, würde das hier erörterte Modell des fl xiblen Stamm1670
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Zeitraums (beispielsweise drei Monate nach dem Jahresbericht) einen entsprechenden Kapitalerhöhungsbeschluss fassen. Um in der Praxis sicherzustellen, dass die Gesellschafter dieser Pflicht auch wirklich nachkommmen, bietet es sich an, das Wahlrecht zwischen effektiver und nomineller Kapitalerhöhung auf den genannten Dreimonatszeitraum zu befristen und für den Fall, dass die Gesellschafter in dieser Zeit einen entsprechenden Beschluss nicht fassen oder die Erhöhung nicht zur Eintragung im Handelsregister anmelden (§ 57 GmbHG), automatisch eine Pflicht zur effektiven Kapitalerhöhung eintreten zu lassen und der Gesellschaft einen entsprechenden Anspruch einzuräumen. Es ist sodann Aufgabe der Geschäftsführer (beziehungsweise gegebenenfalls eines späteren Insolvenzverwalters), diesen Anspruch gegen die einzelnen Gesellschafter – gegebenenfalls im Rahmen einer § 24 GmbHG entsprechenden Ausfallhaftung – geltend zu machen. Kommen die Geschäftsführer dem nicht nach, machen sie sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig, § 43 I, II GmbHG. Ein vollständiges Novum wäre eine derartige Regelung nicht, sie hätte vielmehr in gewisser Weise § 11 I Nr. 2 InvG zum Vorbild, der für Kapitalanlagegesellschaften ein gleitendes, an die Höhe des verwalteten Investmentvermögens anknüpfendes Eigenmittelerfordernis normiert. Über jeden Zweifel erhaben wäre sie allerdings nicht. Zunächst zeichnet sich ein derartiges Modell notwendigerweise durch eine gewisse Rückwärtsgewandheit aus, indem der Umsatz der vergangenen Jahre zum Maßstab erhoben wird. Dieser sagt aber nicht notwendigerweise etwas darüber aus, wie die zukünftige, sich zum Zeitpunkt des zu fassenden Kapitalerhöhungsbeschlusses unter Umständen sogar schon abzeichnende Umsatzentwicklung aussehen wird. Ein entscheidendes Gegenargument wird man daraus aber nicht herleiten können, weil – abgesehen von volkswirtschaftlich turbulenten Zeiten – dem Umsatz der Vergangenheit typischerweise eine gewisse Indizwirkung auch für die zukünftige Entwicklung entnommen werden kann. Gravierender ist dann schon eher, dass dieses Modell faktisch eine Nachschusspflicht der Gesellschafter zur Folge haben kann. Erhöht sich nämlich (signifikant) nur der Umsatz, nicht aber der Gewinn der Gesellschaft, sind eventuell nicht genügend Mittel für eine nominelle Kapitalerhöhung vorhanden. Den Gesellschaftern bleibt dann nichts anderes übrig, als eine effektive Kapitalerhöhung per Zuführung neuer Mittel vorzunehmen. Bei einer entsprechenden Umsatzsteigerung – unter Umständen gar noch gepaart mit einer Ausfallhaftung – kann dies gegebenenfalls zu nicht unerheblichen finanziellen Belastungen führen, die zudem bei Gesellschaftsgründung nicht sicher absehbar waren. Ob dieses Risiko rechtspolitisch gewünscht ist, muss letztlich der Gesetzgeber entscheiden, rechtfertigen ließe es sich im Interesse eines verbesserten Gläubigerschutzes aber jedenfalls. kapitals auf den Korridor von € 1 Million und € 2.500.000 beschränkt, andernfalls aber wäre es nach oben offen.
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Zusammengefasst hätte das System eines flexiblen Stammkapitals also Vorund Nachteile. Dem Vorzug, die Staumauer gegen binnengesellschaftliche Risiken zu erhöhen und damit den Gläubigerschutz zu verbessern, stünde die Rückwärtsgewandheit und vor allem die Gefahr, den Gesellschaftern bei Gesellschaftsgründung nicht absehbare finanzielle Belastungen aufzuerlegen, gegenüber. c) (Pauschale) Beteiligung am Ausfallrisiko per Nachschusspflicht? Anstatt beim Stammkapital anzusetzen, könnte man auch eine pauschale Beteiligung der Gesellschafter am Ausfallrisiko der Gläubiger in der Insolvenz der Gesellschaft erwägen. Während Fabricius für eine gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter und Geschäftsführer gegenüber der GmbH in Form einer Ausfallhaftung von bis zu 35 % der Gesellschaftsverbindlichkeiten plädiert,1671 spricht sich Wüst gar für eine hälftige Beteiligung der Gesellschafter aus, sei es per interner Nachschusspflicht in Höhe des halben Fehlbetrags, sei es im Wege einer gesamtschuldnerischen Ausfallhaftung in gleicher Höhe im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern.1672 In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag von Meyer, der allerdings gesetzlich keine fi e Beteiligungsquote vorgeben, sondern es im eröffneten Insolvenzverfahren in die Hand eines Gerichts legen will, ob und in welchem Umfang sogenannte Unternehmergesellschafter an dem Ausfall zu beteiligen sind. Zu diesem Zweck sei dem Gericht die Kompetenz einzuräumen, eine Nachschusspflicht anzuordnen, wenn sich unter Berücksichtigung aller Umstände andernfalls eine „ungerechtfertigte Benachteiligung der Gesellschaftsgläubiger“ ergäbe.1673 Beide Vorschläge haben den Charme, dass die Gesellschaftsgläubiger anders als nach geltendem Recht trotz Insolvenz ihres eigentlichen Vertragspartners einen nicht unerheblichen Teil ihrer Forderungen realisieren können – es sei denn, sie haben das Pech, dass gleichzeitig mit der Gesellschaft alle ihre (haftenden) Gesellschafter insolvent sind. Ohne Zweifel würde dies den Gläubigerschutz in neue, bislang ungeahnte Dimensionen katapultieren. Gleichzeitig würden damit aber auch die Grundfesten des geltenden Rechts ins Wanken gebracht, bedeuten diese Vorschläge doch nichts anderes als die Ersetzung der GmbH durch eine Gesellschaft mit unsicherer Haftung (GmuH) beziehungsweise eine Gesellschaft mit anteiliger respektive halber Haftung (GmaH respektive GmhH). 1671
Fabricius, GmbHR 1970, 137, 143. Wüst, JZ 1992, 710, 712 („Halbhaftung“). 1673 J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1113, 1118 ff. mit ausgearbeitetem Gesetzentwurf. – Die Möglichkeit einer Nachschussanordnung soll aber nur für Unternehmer-, nicht jedoch Anlagegesellschafter gelten. Die Abgrenzung zwischen beiden will Meyer anhand der Umstände des Einzelfalls danach vornehmen, ob der Gesellschafter am Erfolg der Gesellschaft direkt oder indirekt wesentlichen Anteil hat und ob er über maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensleitung verfügt. 1672
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Anders als bisher könnten die Gesellschafter1674 sich nicht mehr per Erbringung der (halben) Stammeinlage den sicheren Hafen der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG erkaufen, sondern müssten sich des Risikos bewusst sein, in der Insolvenz gegebenenfalls nachschießen zu müssen. Das ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn – wie auf Basis der referierten Vorschläge – eine derartige Ausfallhaftung zwar prozentual beschränkt bleibt, aber keine absolute Obergrenze festgelegt wird. Denn ohne diese zusätzliche Grenze wäre überhaupt nicht absehbar, was im Insolvenzfalle auf die Gesellschafter an finanziellen Belastungen zukommt. Die mit Schaffung der GmbH-Rechtsform verbundenen volkswirtschaftlichen Anliegen würden dadurch völlig konterkariert. Nun ließe sich diesem Problem zwar ein Stück weit vorbeugen, indem die Ausfallhaftung auf einen absoluten Maximalbetrag gedeckelt wird. Dabei aber stünde man vor dem typischen Dilemma, das mit der Normierung von Nachschusspflichten einhergeht: Setzt man einen zu niedrigen Betrag an, bringt die Ausfallhaftung in der Praxis wenig, wählt man einen zu hohen Betrag, wird der Rechtsformvorteil der GmbH wieder weitgehend entwertet.1675 Im Gegensatz zu den Vorschlägen von Wüst und Fabricius, die trotz der unabsehbaren Haftung wenigstens den Vorteil einer leicht handhabbaren, rechtssicheren Lösung in der Insolvenz bieten, leidet das Meyersche Konzept zusätzlich daran, dass es dem über die Ausfallhaftung erkennenden Richter viel zu viel Spielraum einräumt und damit zu massivster Rechtsunsicherheit führt, wird doch gleich an mehreren, für den Umfang der Nachschussanordnung maßgeblichen Stellschrauben auf eine Vielzahl von Kriterien abgestellt, die schon für sich betrachtet jeweils schwierig zu bewerten sind, in der von Meyer für erforderlich gehaltenen Gesamtschau aber eine typisierende Fallgruppenbildung durch den BGH, die den Instanzgerichten wenigstens Anhaltspunkte für die Rechtsanwendung liefern könnte, erst recht unmöglich macht.1676 Überdies bie1674 Etwas anderes würde auf Basis des Vorschlags von J. Meyer allein für die Anlagegesellschafter gelten (siehe Fn. 1673). 1675 Zutreffend Raiser, Gutachten für den 36. DJT, B 66. 1676 So ist nach J. Meyer (Haftungsbeschränkung, S. 1118 f.) an drei entscheidenden Stellen auf eine Reihe von Kriterien abzustellen: (1) Zunächst bei der Frage, wer überhaupt Unternehmergesellschafter ist und damit unter den personellen Anwendungsbereich der Nachschusspflicht fällt. Hier soll darauf abgestellt werden, wer „an dem Erfolg der Gesellschaft direkt oder indirekt wesentlichen Anteil hatte und über maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensleitung verfügte“, § 93a II 1 InsO-E. (2) Das Ob einer Nachschusspflicht solle davon abhängen, ob die Gesellschaftsgläubiger ungerechtfertigt benachteiligt seien, was wiederum maßgeblich von der „Bestandsfestigkeit der Gesellschaft“ abhänge, für deren Bewertung „insbesondere“ das „Verhältnis ihrer Kapitalstruktur, Liquidität und sonstigen Risikovorsorge zu den Geschäftsrisiken“ entscheidend sei, wobei auch „die längerfristige Entwicklung des Unternehmens und sein Verhalten in der Krise einzubeziehen“ seien, § 93a III InsO-E. (3) Schließlich hängt auch der konkrete Umfang der Nachschusspflicht jedes einzelnen Unternehmergesellschafters von einer Reihe von Faktoren ab, in concreto seiner „Erfolgsbeteiligung, seinen Einflußmöglichkeiten sowie [davon], inwieweit sein Verhalten die Bestands-
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tet der Vorschlag Meyers keine Lösung für die masselose Insolvenz, fehlt es bei dieser doch an einem Gericht, das zentral über den „richtigen“ Umfang der Nachschusspflicht befinden könnte. Es bleibt ihm daher nur die Hoffnung, das Insolvenzgericht möge den Insolvenzantrag betreffend einer eigentlich masselosen Gesellschaft mit Blick auf eine mögliche Ausfallhaftung nicht ablehnen.1677 Gerade weil nicht das Insolvenzgericht selbst, sondern das für den Bezirk des Insolvenzgerichts zuständige Landgericht über die Nachschussanordnung befinden soll1678 und somit die Entscheidungskompetenzen divergieren, ist das keine befriedigende Lösung. Nur last but not least sei bemerkt, dass der Vorschlag einer – wie auch immer en détail gearteten – pauschalen Ausfallhaftung auch nicht den Vorteil hätte, das geltende Recht zu vereinfachen und insbesondere die bisherigen Gläubigerschutzinstrumente obsolet zu machen. Die Gesellschaftsgläubiger hätten nämlich selbst bei einer Ausfallhaftung der Gesellschafter ein Interesse daran, dass eine Insolvenz der Gesellschaft verhindert beziehungsweise wenigstens die „originäre“ Insolvenzmasse in Gestalt des Gesellschaftsvermögens möglichst groß ist, bleibt doch die Ausfallhaftung mit dem Problem der zusätzlichen Insolvenz der Gesellschafter behaftet. Nach wie vor bedürfte es daher zum Beispiel der Regelungen über die Kapitalerhaltung, Insolvenzantragspflicht oder Insolvenzverschleppungshaftung. Zusammengefasst hat eine pauschale Ausfallhaftung zwar den Vorteil, dass die Gläubiger in aller Regel eine im Vergleich zum geltenden Recht wesentlich höhere Befriedigungsquote in der Insolvenz der Gesellschaft erzielten, insgesamt überwiegen aber die Nachteile. Die darauf zielenden Vorschläge sind deshalb abzulehnen. d) Ersetzung/Ergänzung der realen Kapitalaufbringung durch eine Kapitaldeckungspflicht Einen weiteren, nicht am Stammkapital ansetzenden Weg hat Kallmeyer aufgezeigt.1679 An die Stelle eines bei Gesellschaftsgründung real aufzubringenden Stammkapitals solle ein „satzungsmäßiges Soll-Eigenkapital“ in Höhe von € 25.000 treten, das die Gesellschafter bei Gründung vereinbaren, ins Handelsregister eintragen lassen und auf Geschäftsbriefen angeben müssen. Dessen rechtliche Bedeutung erschöpfe sich darin, eine Einstandsverpflichtung der Gesellschafter im Insolvenzfall auf eine eventuelle Differenz zwischen tatsächlichem bilanziellen Eigenkapital und satzungsmäßigem Soll-Eigenkapital zu befestigkeit der Gesellschaft und die Krise beeinflußt hat und inwieweit es der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprach“, § 93a IV InsO-E. 1677 Vgl. J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1120. 1678 So § 93a I InsO seines Entwurfs, Begründung hierfür bei J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1122 f. 1679 Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 379.
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gründen. Gerechtfertigt werden könne die Kapitaldeckungspflicht damit, dass die Gesellschafter mit der Publikation der Soll-Eigenkapitalziffer einen Vertrauenstatbestand für alle Vertragsgläubiger geschaffen haben. Um die mit einer gleichzeitigen Doppel- oder gar Mehrfachinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschaftern einhergehenden Risiken zu minimieren, sei unter den Voraussetzungen des § 49 III GmbHG (Verlust der Hälfte des satzungsmäßigen Eigenkapitals) eine Pflicht der Gesellschafter zur Sicherheitsleistung zu normieren.1680 Ein derartiges Modell hätte gewichtige Vorteile. Zwar bedürfte es nach wie vor Regelungen zur Kapitalerhaltung,1681 entbehrlich wären aber solche über Gesellschafterdarlehen und über die Kapitalaufbringung,1682 so dass zumindest insoweit die viel beklagte Komplexität des deutschen Rechts vermindert würde. Zudem wäre – so nicht die Gesellschafter gleichzeitig insolvent sind – anders als nach dem bisherigen Stammkapitalsystem das Vorhandensein eines gewissen „Grundstocks“ in der Insolvenz gewährleistet, so dass nicht nur eine gewisse Gläubigerbefriedigungsquote gesichert, sondern auch masselose Insolvenzen verhindert werden könnten. Diese Vorteile würden – anders als auf Basis der pauschalen Ausfallhaftungsmodelle – auch nicht mit dem Preis einer unabsehbaren Haftung der Gesellschafter erkauft werden. Vielmehr bestünde für diese insoweit Planungssicherheit, als sie in der Insolvenz maximal in Höhe ihrer Kapitaldeckungspflicht belastet werden. Soweit dem entgegengehalten wird, es sei für die Gesellschafter misslich, sich nicht wie bisher von einer ungewissen zukünftigen Haftung freikaufen zu können, überzeugt das nicht.1683 Ökonomisch betrachtet ist die bloße Gefahr, irgendwann in der Zukunft möglicherweise bis zu einem bestimmten Betrag haften zu müssen, schon angesichts der Möglichkeit, das zunächst nicht verwendete Geld gewinnbringend anzulegen, immer noch günstiger, als denselben Betrag bereits bei Gesellschaftsgründung aufbringen zu müssen. Auch das Argument, ein derartiges Modell werfe eine Vielzahl bislang nicht gelöster Fragen beim Gesellschafterwechsel auf,1684 vermag letztlich nicht zu überzeugen. Gestaltet man die Kapitaldeckungspflicht als reine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft aus, so sind von dem Gesellschafterwechsel unmittelbar allein der ausscheidende und der eintretende Gesellschafter sowie die GmbH, nicht aber die Gesellschaftsgläubiger betroffen. Dementsprechend bedarf der Gesellschafterwechsel jedenfalls nicht in direkter Anwendung des § 415 I BGB der Genehmigung der Gläubiger. Die Schaffung einer entsprechenden – das Kallmeyersche Modell in der Tat in der Praxis zu Fall bringenden – Genehmigungsbedürftigkeit wäre de lege ferenda auch 1680
Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 380. Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 195; Schärtl, Doppelfunktion, S. 174; so auch Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 380. 1682 So auch Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 195. 1683 So aber Schärtl, Doppelfunktion, S. 174. 1684 So aber Schärtl, Doppelfunktion, S. 174 f. 1681
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zum Gläubigerschutz nicht erforderlich. Zwar ließe sich argumentieren, dass bei einer Ersetzung des Prinzips realer Kapitalaufbringung vor Gesellschaftsgründung durch ein solches der „bloßen“ Kapitaldeckungspflicht die Person des Gesellschafters und seine Bonität für die Gesellschaftsgläubiger an Bedeutung gewinne, weil nicht auszuschließen ist, dass sich einige Gläubiger nur wegen des in bestimmte Gesellschafter gesetzten Vertrauens auf einen Vertragsschluss mit der GmbH einließen. Diesem Interesse könnte aber über eine sich an § 160 HGB anlehnende Regelung ausreichend Rechnung getragen werden. Schließlich vermag auch der Einwand, ein derartiges Modell führe zu einer erheblichen Risikoverlagerung zulasten der Gesellschaftsgläubiger,1685 kein überzeugendes Argument gegen diese Auffassung zu liefern. Zwar bestünde in der Tat die Gefahr, dass ein oder gar alle Gesellschafter bei Gründung keine Einlagen leistet/leisten und zudem bei der Insolvenz der Gesellschaft selbst insolvent ist/ sind. Ob diese – vor allem bei mehrgliedrigen Gesellschaften mbH – doch eher theoretisch anmutende Gefahr einer gleichzeitigen Doppel- beziehungsweise sogar Mehrfachinsolvenz zu einer massiven Verschlechterung des Gläubigerschutzes führen würde, ist allerdings äußerst zweifelhaft. Anzunehmen wäre das nur, wenn das Stammkapital konzeptionell wie empirisch ein unverzichtbares Instrument wäre, um einen entsprechend effektiven Gläubigerschutz zu gewährleisten, so dass durch seinen Wegfall die Lage der Gläubiger dramatisch verschlechtert würde. Wie die Insolvenzstatistiken zeigen, ist das offenkundig aber gerade nicht der Fall, was konzeptionell auch deshalb nicht weiter überrascht, weil das Stammkapital eben nicht als eingefrorener, in einem Bankschließfach verwahrter Notgroschen dient, sondern vielmehr Arbeitskapital der Gesellschaft ist, das deshalb ohne weiteres bei Insolvenzeröffnung ganz oder weitgehend ersatzlos verbraucht sein kann.1686 Auch wenn auf der einen Seite das geltende Stammkapitalsystem nach hier vertretener Auffassung sein Scherflein zum Gläubigerschutz beiträgt und jedenfalls in bisheriger Form erhalten bleiben sollte, ist es auf der anderen Seite zum Gläubigerschutz nicht derart zentral, dass es seiner Ersetzung durch ein System der Kapitaldeckungspflicht entgegenstünde. Überdies kann der Gefahr einer unwahrscheinlichen Mehrfachinsolvenz vorgebeugt werden, indem man die Gesellschafter unter gewissen Voraussetzungen zur Erbringung von Sicherheitsleistungen verpflichtet, wie Kallmeyer dies, anknüpfend an § 49 III GmbHG, ja auch vorgeschlagen hat.1687 Dem entgegenzuhalten, persönliches Insolvenzrisiko und (Miss-)Erfolg
1685
Schärtl, Doppelfunktion, S. 174 f. Siehe dazu oben § 2 D IV 3 b). 1687 Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 380. – Um dem Gesellschafter einen genügenden „Anreiz“ dafür zu geben, die Sicherheitsleistung auch tatsächlich zu erbringen, könnte man die Verletzung dieser Pflicht z.B. zur Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat erklären und/oder mit einer unbeschränkt persönlichen Haftung sanktionieren. 1686
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der Gesellschaft seien grundsätzlich voneinander unabhängig,1688 ist nach dem oben Gesagten zwar zutreffend, daraus lässt sich aber kein überzeugendes Gegenargument gegen eine Pflicht zur Sicherheitsleistung herleiten, stellt sich bei näherer Betrachtung doch regelmäßig gar kein praktisches Problem: Ist die Gesellschaft wirtschaftlich erfolgreich, der Gesellschafter aber hoch verschuldet, besteht nach dem Gesagten schon gar keine Pflicht zur Sicherheitsleistung, ist umgekehrt die GmbH in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der Gesellschafter selbst aber vermögend, so ist die Pflicht zur Sicherheitsleistung zwar vielleicht ein (kostenverursachendes) Ärgernis, mehr eben aber auch nicht, so dass es nicht zu viel verlangt ist, ihm dieses im Interesse eines effektiven Gläubigerschutzes aufzubürden. Probleme können sich daher nur ergeben, wenn GmbH und Gesellschafter gleichzeitig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken und es letzterem schwer fällt, die geforderte Sicherheitsleistung zu für ihn annehmbaren Konditionen zu „organisieren“.1689 Allerdings lässt sich aus dieser Schwierigkeit kein überzeugendes Argument gegen das Konzept der Kapitaldeckungspflicht ableiten. Ein Gesellschafter, der sich unter der Geltung eines derartigen Konzepts an einer Gesellschaft beteiligt, muss sich der latenten Gefahr, einmal einer Kapitaldeckungspflicht ausgesetzt und gegebenenfalls Sicherheit hierfür leisten zu müssen, bewusst sein und erscheint entsprechend weniger schutzwürdig, wenn er hierfür nicht in guten Zeiten vorsorgt. Zutreffend ist allerdings der Vorwurf, das Modell Kallmeyers führe ökonomisch betrachtet typischerweise zu einer finanziellen Doppelbelastung der Gesellschafter.1690 Auch der Verzicht auf ein gesetzlich vorgegebenes Mindeststammkapital würde in der Praxis nämlich nichts daran ändern, dass die Gesellschafter in aller Regel bei der Gesellschaftsgründung Einlagen in einiger Höhe erbringen müssten, um damit den Beginn des Geschäftsbetriebs überhaupt erst zu ermöglichen. Anders als nach bisherigem Recht würden diese „Aufwendungen“ nicht zur Haftungsbeschränkung führen, sondern blieben, wenn sie – wie in aller Regel – vor Insolvenzeröffnung bereits ersatzlos „verbraucht“ wurden, insofern letztlich unberücksichtigt, als die Gesellschafter dennoch die Kapitaldeckungspflicht träfe. Ob man diese potentiell doppelte Inanspruchnahme der Gesellschafter möchte, ist letztlich eine politisch zu entscheidende Frage; rechtsdogmatisch rechtfertigbar wäre sie im Interesse eines wirksameren Gläubigerschutzes und mit der Überlegung, die Gesellschafter hätten durch die im Handelsregister ausgewiesene Eigenkapitalziffer einen bestimmten Vertrauenstatbestand für die Vertragsgläubiger geschaffen,1691 aber allemal.
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Siehe Schärtl, Doppelfunktion, S. 175 f. mit Fn. 1341. Darauf verweist Schärtl, Doppelfunktion, S. 176. Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 195; Schärtl, Doppelfunktion, S. 176. So Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 379.
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Abgemildert beziehungsweise gegebenenfalls sogar vollständig vermieden werden könnte die Gefahr einer solchen Doppelbelastung der Gesellschafter überdies durch ein Mischsystem in Form einer Kombination aus realer Kapitalaufbringung und Kapitaldeckungspflicht: Um die Aufnahme des Geschäftsbetriebs zu ermöglichen respektive wenigstens zu erleichtern, dürfte danach ein bestimmter Teil (zum Beispiel 50 %) des (Soll-)Eigenkapitals bereits bei Gründung aufgebracht werden. Um die Gesellschafter insoweit vor einer Doppelinanspruchnahme zu schützen, wären diese Zuflüsse zudem insoweit „insolvenzfest“, als die Kapitaldeckungspflicht in ihrer Höhe selbst dann als bereits erfüllt gälte, wenn sie schon vor Insolvenzeröffnung ersatzlos „verbraucht“ wurden. Die Kapitaldeckungspflicht in der Insolvenz würde sich dementsprechend auf den bei Gründung noch nicht erbrachten Teil des (Soll-)Eigenkapitals beschränken. Im Vergleich zu Kallmeyers Modell hat dieser Vorschlag zwar den Nachteil, dass die bestehenden Kapitalaufbringungsvorschriften nach wie vor gebraucht würden. Er hat aber den großen Vorzug, dass auf diese Weise nicht nur gesichert wäre, dass den Gläubigern eine gewisse Haftungsmasse zur Verfügung steht, sondern auch, dass den Interessen der Gesellschafter Rechnung getragen wird. Unabhängig davon, ob man für ein reines Kapitaldeckungspflichtmodell oder ein Mischsystem plädiert, ist allerdings problematisch, wie mit freiwilligen, eigenkapitalerhöhenden Leistungen der Gesellschafter vor Insolvenzeröffnung umzugehen ist.1692 Man steht hier vor einem gewissen Dilemma: Rechnet man diese Leistungen auf die potentielle spätere Kapitaldeckungspflicht an, wird der größte Vorteil dieser Regelungsalternative gleich wieder entwertet, wenn – wie häufig – auch das nachgeschossene Kapital bei Insolvenzeröffnung wieder ersatzlos verbraucht ist. Eine Anrechnung umgekehrt apodiktisch abzulehnen, wäre jedoch ebenfalls problematisch, weil dies gegebenenfalls nicht nur zu höchst unbilligen Ergebnissen führen würde – man stelle sich nur den Fall einer verzweifelten Rettungszahlung wenige Tage vor Insolvenzeintritt vor –, sondern auch die verfehlte Anreizwirkung auf die Gesellschafter entfalten würde, eine in die Krise trudelnde Gesellschaft lieber nicht mit Eigenkapital zu retten zu suchen, sondern gleich untergehen zu lassen. Abhilfe böte ein Mittelweg dergestalt, dass nur solches Vermögen, das der Gesellschaft in der Krise zugeführt wurde, anzurechnen ist. Dafür spräche, dass Rettungsversuche in der Krise potentiell auch den Interessen der Gläubiger nützen, weil diese im Erfolgsfalle nicht nur auf eine quotale – letztlich vor allem durch die Kapitaldeckungspflicht geprägte –, sondern auf vollständige Befriedigung hoffen können.1693 Zur Bestimmung einer derartigen 1692
Darauf verweisen zu Recht Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 195. Wird die Krise erfolgreich überwunden und fließen die in der Krise gewährten Mittel in der Folge wieder an die Gesellschafter zurück, müsste im Interesse des Gläubigerschutzes allerdings geregelt werden, dass die Kapitaldeckungspflicht wieder in entsprechender Höhe auflebt. 1693
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Krisensituation wären verschiedene Möglichkeiten denkbar, am naheliegendsten dürfte es angesichts der hierzu bereits zahlreich ergangenen Rechtsprechung aber sein, sich am Krisenbegriff des § 32a I 1 GmbHG a.F. zu orientieren. Die praktische Bedeutung der Kapitaldeckungspflicht hinge dann entscheidend davon ab, wie Darlegungs- und Beweislast verteilt sind. Weil der die eigenkapitalerhöhende Leistung vornehmende Gesellschafter an dieser (ex ante) viel näher „dran“ ist als (ex post) der spätere Insolvenzverwalter, und es dem Gesellschafter zudem oftmals ein Leichtes sein dürfte, durch ein entsprechendes Testat einer Bank den Nachweis der Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft – und damit das Vorliegen einer Krisensituation im obigen Sinne – nachzuweisen, erscheint es geboten, ihn hinsichtlich einer „Krisenfinanzierung“ entweder bereits originär für darlegungs- und beweisbelastet zu halten oder aber ihm zumindest eine sekundäre Behauptungslast aufzuerlegen. Zusammengefasst erscheint die Schaffung einer Kapitaldeckungspflicht als interessante, den Gläubigerschutz verbessernde Alternative, die bei richtiger Ausgestaltung sowohl den Interessen der Gläubiger wie der Gesellschafter gerecht wird. Will man (aus guten Gründen) nicht so weit gehen, das bisherige System realer Kapitalaufbringung komplett abzulösen, ist auch ein das Beste beider Welten kombinierendes Mischystem denkbar. 4. Säule 4: Erweiterung der „Verhaltenshaftung“ In die 4. Säule fallen diejenigen Gläubigerschutzmechanismen, die hier – zugegebenermaßen etwas unpräzise – unter dem Stichwort der „Verhaltenshaftung“ zusammengefasst werden, weil sie an ein bestimmtes Tun oder Unterlassen von Geschäftsführer/Gesellschafter anknüpfen. Dazu zählt die Insolvenzverschleppungshaftung, die Haftung nach § 64 S. 1, 3 GmbHG sowie die Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen. a) Kein grundsätzliches Reformbedürfnis Betrachtet man diese Instrumente in ihrer Gesamtheit, so ist zu konstatieren, dass sie bereits heute ein dichtes Netz an Schutzmechanismen bilden, das der Gesetzgeber durch die Schaffung von § 64 S. 3 GmbHG sogar noch feiner gewoben hat. Zumindest in der Theorie bietet das Zusammenspiel der § 64 GmbHG, § 15a InsO (in Verbindung mit § 823 II BGB), §§ 39 I Nr. 5, 135 InsO ausreichend Schutz davor, dass (1) eine insolvenzreife GmbH weiter am Marktgeschehen teilnimmt, (2) nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einzelne Gläubiger durch Zahlungen privilegiert werden, (3) die Befriedigungsquote der Gläubiger durch Leistungen auf oder die Konkurrenz durch Gesellschafterdarlehen geschmälert sowie (4) schließlich die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft durch Leistungen an die Gesellschafter herbeigeführt wird. Im Grundsatz besteht in diesem Bereich daher kaum gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Zwar fördert
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ein Blick in die Rechtspraxis den ernüchternden Befund zu Tage, dass – trotz der gesetzlichen Vorgaben – (erhebliche) „Umsetzungsdefizite“ bestehen (so soll zum Beispiel trotz der Pflicht des § 15a InsO in 70 % der Fälle der Insolvenzantrag zu spät gestellt1694 und in der Mehrzahl der Insolvenzen Wirtschaftsstraftaten verübt werden1695). Es ist aber nicht ersichtlich, dass dies auf eine grundlegende Mangel- oder Lückenhaftigkeit des geltenden Rechts, der es abzuhelfen gälte, zurückzuführen ist. Mit Ausnahme der unter b) und c) diskutierten Gesichtspunkte ist daher nicht ersichtlich, wie in der Theorie der Gläubigerschutz weiter verbessert werden könnte. Insbesondere wäre es zum Beispiel verfehlt, die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung bei Altgläubigern auszudehnen und – wie bei den Neugläubigern – nicht nur den Quoten-, sondern den Gesamtschaden für ersatzfähig zu erklären,1696 weil die Geschäftsführer damit auch für solche Ausfälle ersatzpflichtig wären, die gar nicht kausal auf der Verletzung der Insolvenzantragspflicht beruhten. Auch eine Absenkung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 64 GmbHG – zum Beispiel indem in S. 3 der harsche Standard des „führen mussten“ abgemildert würde – ist nicht angezeigt, weil in einem solchen Fall, vergleichbar der Problematik bei Schaffung einer Unterkapitalisierungshaftung, die Versuchung nahe läge, im Lichte späterer Entwicklungen einen bestimmten früheren Erkenntnisstand zu unterstellen und damit zu einer Haftung zu gelangen, die geeignet ist, eine „general-präventive“ und dadurch initiativlähmende Wirkung für andere Geschäftsführer zu entfalten. Regelungsbedarf besteht daher nach hier vertretener Auffassung nur in zwei Randaspekten: b) Personelle Erweiterung des § 64 GmbHG auf Gesellschafter § 64 GmbHG ist de lege lata – wie dargelegt – nach zutreffender Auffassung mangels Analogiefähigkeit des § 15a III InsO selbst dann nicht auf Gesellschafter anwendbar, wenn die Gesellschaft keinen Geschäftsführer hat und damit im Sinne von § 35 I 2 GmbHG führungslos ist.1697 So nicht mindestens einer der Gesellschafter oder ein außenstehender Dritter mit der Folge einer Einstandspflicht nach § 64 GmbHG die strengen Voraussetzungen erfüllt, die an die Annahme eines faktischen Geschäftsführers gestellt werden,1698 ist ein wichtiger Baustein im System des Gläubigerschutzes verloren. Rechtspolitisch zu überzeugen vermag das nicht, weil es für die Schutzbedürftigkeit der nicht von der Zahlung profitierenden Gesellschaftsgläubiger keinerlei Unterschied macht, ob die GmbH einen Geschäftsführer hatte oder nicht. Bei der Insolvenzantrags1694
Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 109 m.w.N. Siehe MüKo-StGB/Kiethe/Hohmann, § 15a InsO, Rn. 12. 1696 Vgl. dazu näher und m.w.N. oben § 2 D IV 4 c). 1697 Siehe näher und m.w.N. oben § 2 D IV 6 d). 1698 Zu den Voraussetzungen vgl. z.B. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 9; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43, Rn. 2 ff. m.w.N. 1695
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pflicht hat der Gesetzgeber das zutreffend ebenso gesehen und entsprechend geregelt. Selbiges sollte auch bei § 64 GmbHG erfolgen.1699 c) Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen Wie erörtert, lässt sich zwar auch das neue Recht der Gesellschafterdarlehen dogmatisch rechtfertigen, so dass in Bezug auf die §§ 39 I Nr. 5, 135 I Nr. 2 InsO eine Rückkehr zum alten, zwischen „normalen“ und eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen unterscheidenden Recht aus dieser dogmatischen Warte nicht zwingend erforderlich ist. Fraglich ist aber, ob die gesetzgeberische „Abschaffung“ der vormals vom BGH angenommenen analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG auf eigenkapitalersetzende Darlehen zu überzeugen vermag und – wenn das nicht der Fall sein sollte – welche Konsequenzen daran zu knüpfen sind. aa) Abschaffung der Rechtsprechungsregeln (§ 30 I 3 GmbHG n.F.) Die Apologeten des § 30 I 3 GmbHG verweisen in diesem Zusammenhang zunächst auf die Mängel der vormaligen Rechtslage. Das Rechtsprechungssystem sei viel zu kompliziert gewesen1700 und habe zudem den Gläubigerschutz überdehnt, indem eine Darlehensbindung selbst dann angenommen wurde, wenn das Gesellschaftsvermögen alle Schulden deckte und nur der darüber hinausgehende Haftungsfonds nicht aufgefüllt war.1701 Überdies werde durch die Neuregelung keine Lücke ins Gläubigerschutzsystem des GmbH-Rechts gerissen, sei eine Darlehensrückzahlung während des normalen Lebens einer Gesellschaft doch in aller Regel unkritisch. Problematisch werde sie vielmehr erst in der Insolvenz, hier böten aber § 135 I Nr. 2 InsO beziehungsweise § 6 I 1 Nr. 2 AnfG ausreichend Schutz, weil Zahlungen im Vorfeld einer Insolvenz typischerweise in deren Einjahreszeitraum stattfänden.1702 Zu bedenken sei schließlich, dass die Gesellschaftsgläubiger über die neu geschaffene Insolvenzverursachungshaftung des § 64 S. 3 GmbHG geschützt seien, die den Wegfall des vormals an 1699 Angesichts der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen von § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG sollten hier zwei verschiedene Regelungen getroffen werden. Vorschlag für einen neuen § 64 S. 1 Hs. 2 GmbHG: „Im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft (§ 35 Abs. 1 Satz 2) ist auch jeder Gesellschafter zum Ersatz verpflichtet, es sei denn, der Gesellschafter hatte von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.“. Vorschlag für einen neuen § 64 S. 3 Hs. 2 GmbHG: „Im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft (§ 35 Abs. 1 Satz 2) ist auch jeder Gesellschafter zum Ersatz verpflichtet, es sei denn, der Gesellschafter hatte von der Führungslosigkeit oder davon, dass die Zahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen musste, keine Kenntnis.“. 1700 BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Seibert, ZIP 2006, 1157, 1160; Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457, 1461; Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756, 1759 („an Komplexität […] kaum mehr zu überbieten“); vgl. auch König/Bormann, DNotZ 2008, 662, 665. 1701 Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189, 194. 1702 BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457, 1461; vgl. auch Seibert, ZIP 2006, 1157, 1161.
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die Darlehensrückzahlung anknüpfende Geschäftsführerhaftung nach § 43 III GmbHG ausreichend kompensiere.1703 Was zunächst den Hinweis auf die zu große Komplexität der vormaligen Rechtslage angeht, so handelt es sich hierbei um ein durchaus zweischneidiges Schwert. Zwar ist es richtig, dass Rechtssicherheit und Verzicht auf unnötig komplizierte Regelungen erstrebenswerte Anliegen der (gesetzgeberischen) Regelsetzung sind.1704 Allerdings ist das einfachste nicht zwangsläufig und schon gar nicht automatisch auch das bestmöglichste Rechtssystem. Überdies kann man sich durchaus mit einiger Berechtigung auf den Standpunkt stellen, die Rechtsprechungsgrundsätze des alten Rechts seien so kompliziert nicht gewesen, die Vorgaben seien vielmehr angesichts der ausdifferenzierten Rechtsprechung zumindest in der Theorie klar gewesen, so dass „nur“ bei ihrer Anwendung in der Praxis besondere Sorgfalt erforderlich war, wie das eben auch in anderen Rechtsbereichen der Fall ist1705 – erinnert sei insoweit pars pro toto nur an die fein ziselierten, in der Praxis oft schwer zu handhabenden und mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbundenen Vorgaben des BAG für zum Beispiel die Durchführung der Sozialauswahl (§ 1 III 1 KSchG) oder den Inhalt der Unterrichtung beim Betriebsübergang (§ 613a V BGB). Das gilt umso mehr, als sich der kreditgewährende Gesellschafter und die Geschäftsführer in einem „sensiblen“ Bereich bewegen, in dem die Gesellschaftsgläubiger sowie der allgemeine Rechtsverkehr angesichts der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen berechtigterweise ein gesteigertes Maß an aufmerksamem, regelkonformem Verhalten erwarten dürfen. Selbst wenn man all dem nicht zustimmen wollte, ist die Prämisse des Gesetzgebers, die Rechtslage werde durch die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln (wesentlich) vereinfacht, durchaus zweifelhaft, ist doch zu erwarten, dass die Praxis in Reaktion auf die Gesetzesänderung auf das nicht weniger Rechtsunsicherheiten mit sich bringende Instrument der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO rekurrieren wird.1706 Geht aber der Verweis auf den Gewinn an Rechtssicherheit fehl oder hat er zumindest nicht das vom Gesetzgeber unterstellte Gewicht, so ist äußerst zweifelhaft, ob die Abschaffung der vormaligen Rechtsprechungsregeln rechtspolitisch zu überzeugen vermag. Nicht zu übersehen ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass die analoge Heranziehung der §§ 30, 31 GmbHG nicht nur ein wichtiges Sanierungsinstrument im Vorfeld einer möglichen Insolvenz sein könnte, deren Wegfall die rechtspolitisch wünschenswerte außergerichtliche 1703 Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1656 f.; vgl. auch Seibert, ZIP 2006, 1157, 1161; U. Haas, ZInsO 2007, 617, 619; Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756, 1760. 1704 Ulmer/Habersack, GmbHG, § 30 (Erg. MoMiG), Rn. 36. 1705 Vgl. Priester, DB 2005, 1315, 1317: „[Die] Regeln sind einfach, man muss sich nur daran halten.“. 1706 Spliedt, ZIP 2009, 149, 154.
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Sanierung nun erschweren dürfte,1707 sondern auch, dass sie durchaus präventive Wirkung entfalten und mithin die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen verhindern könnte, wobei dieser Effekt mangels Anrufung der Gerichte in solchen Fällen naturgemäß empirisch nicht nachweisbar ist.1708 Dem kann die große Zahl masseloser Insolvenzen nicht entgegengehalten werden,1709 ist doch nicht auszuschließen, dass diese ohne die Rechtsprechungsregeln noch (viel) höher gewesen wäre. Nun könnte man die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln allerdings dann für verkraftbar halten, wenn das neue Recht ausreichend Schutzmechanismen enthielte, so dass in der Tat – wie behauptet – eine Schutzlücke nicht bestünde. Soweit in diesem Zusammenhang darauf verwiesen wird, der neu geschaffene § 64 S. 3 GmbHG kompensiere den „Wegfall“ des früher über eine analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG anwendbaren § 43 III GmbHG, überzeugt das nicht, weil § 64 S. 3 BGB unter der (zusätzlichen) Voraussetzung steht, dass die Zahlung zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft „führen musste“. Wie aufgezeigt,1710 sind an dieses Tatbestandsmerkmal strenge Anforderungen zu stellen, so dass selbst dann, wenn man insoweit Beweiserleichterungen befürwortet, nicht sichergestellt ist, dass auf diesem Weg ein gleichermaßen weitreichender und effektiver „Vorinsolvenzrechtsschutz“ erreicht wird wie über die vormalige Anwendung des § 43 III GmbHG. Diese Absenkung des Schutzniveaus im Bereich der Geschäftsführerhaftung wäre nur dann unproblematisch, wenn über das Anfechtungsregime der § 135 I Nr. 2 InsO, § 6 I 1 Nr. 2 AnfG ein ausreichendes Schutzniveau gesichert wäre. Für Darlehen, die innerhalb des Einjahreszeitraums vor dem Eröffnungsantrag zurückgezahlt wurden, kann das auch ohne Zweifel wegen der massestärkenden Wirkung der Anfechtung angenommen werden. Mit Recht wird aber die Jahresfrist angesichts der Abschaffung der „Vorfeldrechtsprechungsregelungen“ analog §§ 30, 31 GmbHG – die Dank der langen Verjährungsfrist des § 31 V GmbHG einen fünfjährigen Schutzzeitraum gewährleisteten – nunmehr als zu kurz angesehen, liegt doch der Eintritt der Kreditunwürdigkeit in der Praxis oftmals mehr als ein Jahr vor dem Insolvenzantrag zurück.1711
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Bork, ZGR 2007, 250, 264; siehe auch Priester, DB 2005, 1315, 1317. Priester, DB 2005, 1315, 1317 f.; Bork, ZGR 2007, 250, 265; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 355 ff. 1709 So aber Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1656 f. 1710 Siehe dazu oben § 2 D IV 7 b). 1711 Schröder/Grau, ZInsO 2007, 353, 355; Gehrlein, BB 2008, 846, 852; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3606; Bork, ZGR 2007, 250, 265. 1708
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bb) Folgerungen Summa summarum ist die Abschaffung der Rechtsprechungsregeln kritisch zu bewerten. Als Kompromiss wäre es besser gewesen, den Vorschlag in der Literatur1712 aufzugreifen und in einer Übergangsphase der Rechtsprechung weiterhin den Rückgriff auf die Analogie zu den §§ 30, 31 GmbHG zu „erlauben“. Hätte die Rechtspraxis die Richtigkeit der gesetzgeberischen Unterstellung, dass es dieser Analogie mangels Schutzlücke überhaupt nicht mehr bedürfe, bestätigt, hätte man sie immer noch „streichen“ können. Eine „Rolle rückwärts“ des Gesetzgebers in Form einer Streichung des § 30 I 3 GmbHG ist angesichts der bizarren Vorgeschichte – Notwendigkeit eines expliziten gesetzgeberischen Nichtanwendungserlasses – allerdings nicht zu erwarten. Zumindest teilweise und in zum System des neuen Rechts passender Art und Weise kann der Problematik aber abgeholfen werden, indem die Fristen der § 135 I Nr. 2 InsO, § 6 I 1 Nr. 2 AnfG auf mindestens 18 Monate, besser aber zwei Jahre ausgedehnt werden.1713 Damit wird das Spektrum erfasster Rückzahlungen von Gesellschafterdarlehen erheblich ausgedehnt und ein weitergehendes vorinsolvenzliches, von den schwierigen Voraussetzungen des § 64 S. 3 GmbHG losgelöstes Schutzniveau erreicht. 5. Säule 5: Schutz per Einschränkung des „Einsatzbereichs“ der GmbH Ein sich von den bisher erörterten Überlegungen deutlich unterscheidender, soweit ersichtlich in der Literatur bislang nicht diskutierter Ansatz setzt nicht bei der „Binnenausgestaltung“ des GmbH-Rechts an, sondern zielt auf gewissermaßen übergeordneter Ebene auf den zulässigen „Einsatzbereich“ der Rechtsform der GmbH. Im Folgenden wird dieses Modell zunächst näher beschrieben (sub a]) und begründet (unter b]), um sodann im Anschluss auf naheliegende Einwände einzugehen (dazu c]). a) Modellbeschreibung Grundidee des Modells ist es, dass die Gesellschafter einer GmbH unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich verpflichtet werden, die GmbH in eine AG1714 umzuwandeln.1715 Rechtstechnisch erfolgt dies nach den Vorschriften 1712
Bork, ZGR 2007, 250, 266; vgl. auch Schmidt, ZIP 2006, 1925, 1933. Dafür auch Bork, ZGR 2007, 250, 265. 1714 Typischerweise werden sich die Gesellschafter für eine kleine, das heißt kapitalmarktferne AG mit einem geschlossenen Gesellschafterkreis entscheiden. 1715 Alternativ dazu könnte man auch erwägen, unter den sogleich zu nennenden Voraussetzungen eine automatische Umwandlung der GmbH in eine AG kraft Gesetzes vorzunehmen. Dafür spräche, dass sich keine Probleme mit der Rechtsdurchsetzung der Umwandlungspflicht ergäben. Dagegen spricht jedoch, dass das Umwandlungsrecht eine Umwandlung kraft Gesetzes bislang nur für Personengesellschaften, nicht aber für Kapitalgesellschaften kennt (vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 335, 337; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 509) 1713
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des UmwG, wobei es sich in concreto um einen identitätswahrenden Formwechsel nach §§ 190 ff., 226 ff. UmwG handelt.1716 Eine derartige Umwandlungspflicht tritt ein, wenn die GmbH über einen bestimmten Zeitraum eine gewisse „Größe“ erreicht, was an der regelmäßigen Überschreitung bestimmter Schwellenwerte festzumachen ist. Auf welche Werte man hier genau abstellt, müsste letztlich der Gesetzgeber entscheiden, es dürfte sich aber anbieten, an das Umsatzvolumen im Geschäftsjahr abzustellen (zum Beispiel € 3 Millionen). Als Zeitraum zur Bestimmung der Regelmäßigkeit wiederum erscheinen – wie beim oben erwogenen Modell eines flexiblen Stammkapitals1717 – drei aufeinanderfolgende Jahre beziehungsweise vier Jahre in einem Fünfjahreszeitraum angebracht, weil damit zum einen sichergestellt ist, dass nicht ein einziges, besonders umsatzstarkes Jahr bereits zur Umwandlung zwingt, und zum anderen verhindert wird, dass ein einzelner „Ausreißer“ nach unten bei einer sich ansonsten über der Grenze bewegenden Gesellschaft die Verpflichtung entfallen lässt. Maßgebliche „Quelle“ zur Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzungen ist der Jahresabschluss, § 42a GmbHG. Sind die Voraussetzungen gegeben, so sind die Gesellschafter zu verpflichten, in einem gewissen Zeitraum (beispielsweise drei Monate nach dem Jahresbericht) den Umwandlungsbeschluss (§ 193 UmwG) zu fassen und die Eintragung im Handelsregister zu beantragen, §§ 198, 246 UmwG.1718 Um abzusichern, dass die Gesellschafter dieser Pflicht in der Praxis auch wirklich nachkommen, bietet es sich auf zivilrechtlicher Ebene an, jedem Gläubiger der Gesellschaft einen entsprechenden Anspruch einzuräumen. Entsprechend kann jeder von ihnen selbständig Leistungsklage erheben, das stattgebende Urteil spricht dann die Verpflichtung der Gesellschafter aus, den Formwechsel zur Eintragung im Handelsregister anzumelden. Auf die Vollstreckung fi det § 894 ZPO1719 Anwendung, so dass mit Rechtskraft des Urteils der erforund dementsprechend mit einer derartigen Regelung die bestehende Konzeption durchbrochen würde. – Verfehlt wäre hingegen die Normierung einer Verpflichtung zur Aufl sung der GmbH und Neugründung als AG, hätte dies doch negative steuerliche Folgen. 1716 Zum identitätswahrenden Charakter des Formwechsels vgl. z.B. BT-Drucks. 12/6699, S. 137; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 190 UmwG, Rn. 2; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 338. 1717 Siehe § 2 D VI 3 b) dd) (2). 1718 Eine Ausnahme von der Umwandlungspflicht wird man bei Gesellschaften mbH erwägen können, die vollständig oder doch ganz überwiegend in öffentlicher Hand sind. Erstens dürfte hier die Insolvenzgefahr faktisch wesentlich geringer sein, und zweitens würde man andernfalls im Hinblick auf die vergaberechtsfreien Inhouse-Geschäfte in Friktionen geraten, weil es bei einer AG angesichts der autonomen Leitung durch den Vorstand nach der Rechtsprechung an der erforderlichem Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers fehlt (vgl. EuGH 13.11.2008 – C-324/07, EuZW 2009, 55 [Coditel Brabant]; vgl. auch BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05, NZBau 2008, 664, 666 f.). 1719 Es handelt sich bei der Anmeldung zwar um keine Willenserklärung, sondern um eine verfahrensrechtliche Erklärung nach § 25 FamFG (Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB,
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derliche Umwandlungsbeschluss (§ 193 UmwG) als gefasst sowie der notwendige Registerantrag als gestellt gilt. Vollzogen wird der Formwechsel sodann mit Eintragung durch das Registergericht. Unabhängig davon ist erwägenswert, die Verletzung dieser Pflicht als Ordnungswidrigkeit auszugestalten. Entsprechend hohe Bußgelder vorausgesetzt, könnte dies durchaus ein effektives Mittel sein, die Gesellschafter zur Pflichterfüllung anzuhalten.1720 Sinkt der regelmäßige Umsatz später wieder unter den Schwellenwert, ändert dies an der Rechtsform der AG nichts. Die Gesellschafter sind dann aber in ihrer Entscheidung darüber frei, ob sie die AG in eine GmbH zurückverwandeln wollen. Reziprok des bei Überschreitung des Schwellenwertes Gesagten besteht ein derartiges Recht nicht bereits dann, wenn der Umsatz einmalig unter die Grenze sinkt, vielmehr muss dies entweder drei Jahre in Folge oder viermal innerhalb eines Fünfjahreszyklus geschehen. b) Begründung Das vorgeschlagene Modell ist gleichermaßen ein „back to the roots“ wie ein Aufbruch zu neuen Ufern. Wie oben dargelegt, verfolgte der historische Gesetzgeber des GmbHG im Interesse der Steigerung der Unternehmensinitiative das Ziel, mit Hilfe der GmbH die große Lücke zwischen nicht-haftungsbeschränkten Personengesellschaften einerseits und AG andererseits zu schließen, erwies sich die AG doch für zahlreiche Unternehmensgründungen sowie laufende kleine und mittlere Gesellschaften als zu komplex und umständlich.1721 Das vorgestellte Modell führt dazu, dass die GmbH auf diese historische Aufgabenstellung als Bindeglied „zurechtgestutzt“ wird und die wahrhaft großen Unternehmungen in die Rechtsform der AG gezwungen werden. Hintergrund ist die aufgrund der Insolvenzstatistiken empirisch gewonnene Erkenntnis, dass die AG-Strukturen offenkundig zu einer geringeren Insolvenzanfälligkeit führen als die der GmbH. So kam Meyer auf Basis einer ausführlichen Erforschung der Ursachen für Unternehmensinsolvenzen zu der plausiblen Vermutung, „daß die Organisationsverfassung der AG mit ihrer Trennung von Unternehmensleitung und Eigentümer-Bestimmungsrecht sowie dem zusätzlichen Aufsichtsorgan eher zu einer ausgewogenen Risikopolitik der Unternehmen führt als die personalistische Struktur [der GmbH]“.1722 Weil man also empirisch fundiert davon ausgehen kann, dass § 12, Rn. 1). § 894 ZPO gilt aber auch bei Prozesshandlungen (BeckOK-ZPO/Vorwerk/Wolf, § 894, Rn. 6; für Beispiele siehe auch Musielak/Lackmann, ZPO, § 894, Rn. 4). 1720 Zu beachten ist dabei allerdings, dass der Formwechsel der Zustimmung von ¾ der Gesellschafter bedarf (§ 240 I 1 Hs. 1 UmwG). Findet sich keine entsprechende Mehrheit, so verwirklichen selbstverständlich nur diejenigen Gesellschafter den Ordnungswidrigkeitentatbestand, die gegen den Formwechsel votierten. 1721 Siehe oben § 2 D III 2 b) aa). 1722 J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 1105. – Vgl. auch Kaulbach, in: Fahr/Kaulbach/ Bähr, VAG, § 53c, Rn. 1: „Ausgereifte und funktionsfähige Kontroll- und Risikomanage-
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trotz der zahlreichen, von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelten Schutzmechanismen des GmbH-Rechts der Gläubigerschutz bei der AG abstrakt-typisierend besser funktioniert als bei der GmbH, gilt es, einen neuen Anlauf für den Gläubigerschutz bei solchen Gesellschaften zu wagen, deren Insolvenz angesichts ihrer hohen Umsätze (regelmäßig höher als € 3 Millionen) zahlreiche Gläubiger treffen würde und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden zur Folge hätte.1723 Weil ein solcher, bei der Größe der Unternehmen ansetzender Vorschlag notwendigerweise keinen Schutz für kleinere Gesellschaften mbH bieten kann, ist er als bloße Ergänzung der bereits bestehenden – beziehungsweise gegebenenfalls noch weiterzuentwickelnden – „allgemeinen“ Gläubigerschutzinstrumente zu verstehen. Bildlich gesprochen ist ein Aufbruch zu neuen Ufern also nur für die seetüchtigen „Dickschiffe“ angezeigt, Trawler und sonstige Hilfsschiffe haben hingegen in den bekannten Gewässern zu verbleiben. c) Mögliche Einwände Nun liegt zugegebenermaßen der Einwand nahe, ein derartiges Modell beschränke die Freiheit der Gesellschafter zur Wahl der ihnen genehmen Gesellschaftsform massiv, insbesondere, weil anders als im „liberalen“ GmbHG das AktG durch das Prinzip der formellen Satzungsstrenge (§ 23 V AktG) geprägt ist. Ein überzeugender Einwand lässt sich daraus aber nicht herleiten. Im geltenden Gesellschaftsrecht besteht die Freiheit zur Wahl der Gesellschaftsform nämlich von vornherein nur in den Grenzen des numerus clausus Grundsatzes, der Gesetzgeber kann deshalb unzweifelhaft vorgeben, unter welchen Bedingungen und in welchen Grenzen eine Gesellschaftsform gewählt werden kann.1724 Entsprechend kann er sich nach Abwägung der konträren Interessen dafür entscheiden, den Wunsch der Gesellschafter, die interne Struktur der Gesellschaft selbst bestimmen und den komplizierteren Vorgaben des AktG samt des damit einhergehenden organisatorischen wie finanziellen Aufwands entgehen zu können, im Interesse des Rechtsverkehrs an einem effizienten Gläubigerschutz bei volkswirtschaftlich bedeutenden Unternehmen zurücktreten zu lassen. Das gilt umso mehr, als mit einer Pflicht zur Umwandlung in eine AG zwar die Freiheit zur Selbstgestaltung der Gesellschafter in der Tat eingeschränkt wird, auch das AktG aber in Form der „kleinen AG“ eine mentsysteme schützen weit wirksamer gegen Unternehmensschiefl gen als die bloße Erfüllung von Solvabilitätsanforderungen“. 1723 Vgl. auch Ballerstedt, GmbHR 1967, 66, 71, der – allerdings in Bezug auf Publizitätspflichten – dafür plädierte, die „Wahlfreiheit zwischen GmbH und AG“ einzuschränken, um das öffentliche Interesse an der Publizität eines nach Größe und gesamtwirtschaftlicher Stellung bedeutsamen Unternehmens zu sichern. 1724 Vgl. allgemein zum numerus clausus der Rechtsformen z.B. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 96 f.
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zumutbare kapitalmarktferne Rechtsformalternative zur Verfügung stellt, in der der Kreis der Gesellschafter geschlossen gehalten werden kann (vergleiche § 68 II AktG). Anführen könnte man lediglich, das vorgeschlagene Modell könne im „Grenzbereich“ zu einer Lähmung der Unternehmensinitiative führen, weil Gesellschafter, deren Unternehmung sich auf den Schwellenwert zubewegt, aus Scheu vor dem mit einer Umwandlung in die AG verbundenen Mehraufwand den Umsatz bewusst drosseln, um der Umwandlungspflicht zu entgehen. Zwar ist diese Gefahr in der Tat nicht ganz von der Hand zu weisen, zu einem Massenphänomen dürfte sie sich angesichts des menschlichen Gewinnstrebens aber nicht entwickeln. Außerdem ist der hier vorgeschlagene Schwellenwert mit € 3 Millionen so hoch, dass nur Geschäftsbetriebe betroffen sind, für die der mit einer Unternehmensführung unter AG-Flagge verbundene Mehraufwand organisatorisch und finanziell zu stemmen ist, so dass auch aus diesem Grund nicht mit einer massenweisen, künstlichen Eindämmung der Umsatzzahlen zu rechnen wäre. Ruft man sich die vor allem im Vorfeld des MoMiG geführten Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit der deutschen GmbH in einem europäischen Rechtsformenwettbewerb in Erinnerung, so ist schließlich wohl unweigerlich mit dem Vorwurf zu rechnen, das vorgeschlagene Modell mache GmbH und UG unattraktiv und treibe Unternehmensgründer in ausländische Gesellschaftsformen, insbesondere die englische limited. Damit ist aber schon deshalb nicht zu rechnen, weil zu Unternehmensbeginn eine bei einem regelmäßigen Jahresmindestumsatz von € 3 Millionen einsetzende Umwandlungspflicht in aller Regel nur fern am Horizont zu erkennen ist und von der Mehrzahl der Unternehmen ohnehin nie erreicht wird. Schließlich lässt sich dem Modell nicht überzeugend entgegenhalten, es zeichne sich durch eine rückwärtsgewandte Perspektive aus. Das ist zwar in der Sache richtig, wird doch an den Umsatz der vergangenen Jahre angeknüpft, der aber nicht notwendigerweise etwas darüber aussagen muss, wie die zukünftige Unternehmens- und Umsatzentwicklung verlaufen wird. Wie bei den Überlegungen zur Schaffung eines Systems flexiblen Stammkapitals gilt aber auch hier, dass daraus schon deshalb kein entscheidendes Gegenargument abgeleitet werden kann, weil – abgesehen von volkswirtschaftlich turbulenten Zeiten – dem Umsatz der Vergangenheit typischerweise eine gewisse Indizwirkung auch für die zukünftige Entwicklung entnommen werden kann. 6. Gesamtwürdigung Weil die einzige, das bestehende Gläubigerschutzsystem weitgehend obsolet machende und darum revolutionäre Alternative einer Pflichtversicherung für sämtliche Gesellschaften mbH sowohl unpraktikabel wäre als auch volkswirt-
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schaftlich falsche Anreizeffekte für Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger nach sich ziehen würde, bleibt nichts anders übrig, als im Interesse des Gläubigerschutzes die geltenden Schutzinstrumente graduell und evolutionär fortzuentwickeln. Die hierfür erörterten Modelle schließen sich teilweise notwendigerweise aus (so das Konzept eines flexiblen Stammkapitals und die Idee einer [partiellen] Ersetzung des Systems realer Kapitalaufbringung durch eine Kapitaldeckungspflicht), in der weit überwiegenden Mehrzahl können sie aber unproblematisch miteinander kombiniert werden (zum Beispiel eine Erweiterung der Publizitätspflichten mit einem flexiblen Stammkapital und einer Umwandlungspflicht in eine AG). Ob und welche Vorschläge er in Gesetzesform gießt, bleibt letztlich dem Gesetzgeber überlassen. Weil keines der Modelle als Wunderwaffe des Gläubigerschutzes angesehen werden kann, sondern vielmehr jedes seine spezifischen Nachteile und Lücken hat, bietet es sich an, an mehreren Stellen gleichzeitig anzusetzen. Nach hier vertretener Auffassung erscheint zunächst der Ausbau der Publizitätspfl chten in dem oben1725 beschriebenen Umfange sinnvoll. Um bei größeren Unternehmungen ein besseres Maß an Gläubigerschutz zu erreichen, bietet sich zudem die Einführung einer Umwandlungspflicht in eine AG bei regelmäßiger Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes (zum Beispiel Jahresumsatz von € 3 Millionen) an. Für den Bereich unterhalb dieser Größenordnungen kommen im Wesentlichen zwei Alternativen in Betracht: Die Schaffung eines Systems flexiblen Stammkapitals oder die Einführung einer das traditionelle System realer Kapitalaufbringung ergänzenden (nicht aber ersetzenden) Kapitaldeckungspflicht. Weil ersteres nicht nur den Nachteil hat, zu gegebenenfalls unabsehbaren Nachschusspflichten der Gesellschafter führen zu können, sondern zudem auch keine Gewähr dafür bietet, dass das derart nachgeschossene Stammkapital im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch vorhanden ist, ist eine Kapitaldeckungspflicht vorzugswürdig. Diese wird nicht nur den Interessen der Gläubiger besser gerecht, indem – sieht man von den seltenen Fällen einer gleichzeitigen Insolvenz der Gesellschaft und sämtlicher Gesellschafter ab – sichergestellt ist, dass in der Insolvenz ein bestimmter Haftungsfonds vorhanden ist, sondern auch den der Gesellschafter, deren maximale Einstandsverpflichtung in Form der Kapitaldeckungspflicht schon bei Gesellschaftsgründung sicher festgelegt werden kann.
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Siehe § 2 D VI 2 b).
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VII. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 1. Grundsätzliche Legitimität der Rechtsform der GmbH Die mit einer GmbH schon dem Namen nach zwingend verbundene Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen ist im Grundsatz sowohl rechtspolitisch und -dogmatisch legitim wie verfassungskonform1726, weil sie im volkswirtschaftlichen – und damit Allgemeinwohl- – Interesse durch das „Versprechen“ einer Verschonung des Privatvermögens die Unternehmerinitiative und Investitionsbereitschaft samt der damit verbundenen Vorteile zu stärken verspricht. Die von den Kritikern der GmbH – vor allem den ordoliberalen Anhängern der „Freiburger Schule“ – angeführten Bedenken vermögen entweder nicht zu überzeugen oder sie sind nicht von hinreichendem Gewicht, um der Rechtsform der GmbH ihre Legitimität zu nehmen.1727 Um die „Waage der Gerechtigkeit“ ins Gleichgewicht zu bringen, bedarf es allerdings eines effizienten Gläubigerschutzes. Auch wenn das geltende Recht einen bunten Strauß an gläubigerschützenden Instrumenten bereit hält, entbindet das angesichts eines Blicks auf die Insolvenzstatistiken nicht von der Notwendigkeit, auf eine (punktuelle) Weiterentwicklung des Gläubigerschutzes hinzuarbeiten (siehe die Zusammenfassung der Neuregelungsalternativen unter 3.). 2. Streitfragen de lege lata a) Das neue Recht der insolvenzrechtlichen Schlechterstellung von Gesellschafterdarlehen (§§ 39 I Nr. 5, 135 InsO) lässt sich auf zwei Säulen stützen: Zum einen dient es – eingedenk der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG – der Verwirklichung des Grundsatzes des „cuius commodum, eius periculum“, zum anderen sollen die Gesellschaftsgläubiger vor einer Umgehung der zu ihrem Schutz im GmbHG normierten Mechanismen bei Kapitalzuführung durch die Gesellschafter bewahrt werden.1728 b) Mit der herrschenden Meinung sind die Haftungstatbestände des § 64 S. 1, 3 GmbHG nicht als Schadensersatz-, sondern als Ersatzanspruch sui generis einzustufen.1729 De lege lata unterfallen die Gesellschafter einer GmbH selbst dann nicht der Haftung nach § 64 S. 1, 3 GmbHG, wenn die Gesellschaft im Sinne von § 35 I 2 GmbHG führungslos ist; eine Analogie zu § 15a III InsO scheidet richtigerweise aus.1730 c) Einen Gesellschafter, der einen existenzvernichtenden Eingriff vornimmt, trifft entgegen der ganz herrschenden Ansicht nicht apodiktisch nur eine In1726 1727 1728 1729 1730
Zur Verfassungskonformität siehe § 2 D V. Näher oben § 2 D III. Siehe dazu oben § 2 D IV 5. Ausführlich oben § 2 D IV 6 a) und § 2 D IV 7 a). Dazu oben § 2 D IV 6 d) und § 2 D IV 7 b).
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nen- oder nur eine Außenhaftung. Vielmehr kommen neben einem Anspruch der Gesellschaft (der primär aus §§ 280, 241 I BGB, und nicht – wie der BGH meint – aus § 826 BGB abzuleiten ist) auch – subsidiäre – Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger aus § 826 BGB in Betracht.1731 d) Auch in Fällen der Vermögensvermischung ist entgegen der bisher einhelligen Meinung nicht nur „eindimensional“ im Sinne einer bloßen Innen- beziehungsweise reinen Außenhaftung anzusetzen. Vielmehr bestehen sowohl Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger (über § 128 HGB analog infolge einer teleologischen Reduktion des § 13 II GmbH) wie der Gesellschaft (aus §§ 280, 311 I BGB).1732 e) Eine Unterkapitalisierungshaftung ist de lege lata unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung nicht anzuerkennen. Ihr stehen insbesondere der mehrfach klar geäußerte Wille des Gesetzgebers und ein Gegenschluss zu den §§ 10 I 1, 33 I 1 Nr. 1 KWG, § 11 I 1 InvG, §§ 53c, 114 VAG entgegen.1733 3. Vorschläge de lege ferenda a) Versicherungspflicht Die Schaffung einer umfassenden Versicherungspflicht für Gesellschaften mbH als Ergänzung der beziehungsweise Ersatz für die bestehenden gläubigerschützenden Mechanismen ist abzulehnen, weil sie nicht nur praktisch kaum umsetzbar wäre, sondern auch falsche volkswirtschaftliche Signale an Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger senden würde.1734 b) Publizität Tendenzen, das bisherige, eher „paternalistische“ Gläubigerschutzsystem durch ein informationelles, auf den Eigenschutz der Vertragsgläubiger setzendes System zu ersetzen, ist angesichts der Schwächen eines derartigen Modells eine Absage zu erteilen.1735 Das schließt es allerdings nicht aus, punktuell im Interesse des Gläubigerschutzes für einen Ausbau der Publikationspflichten zu votieren. So sollte § 35a GmbHG dahingehend erweitert werden, dass die Gesellschaft nicht nur verpflichtet wird, auf Geschäftsbriefen Angaben zum Eigenkapital und zur Eigenkapitalquote entsprechend der jeweils letzten Jahresbilanz zu machen, sondern auch, in abstrakter Form den potentiellen (Verbraucher-) Vertragspartner kurz und in groben Zügen über die rechtliche Bedeutung und möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen der Haftungsbeschränkung auf das
1731 1732 1733 1734 1735
Ausführlich oben § 2 D IV 8 c). Näher oben § 2 D IV 10 e). Näher oben § 2 D IV 9 c). Siehe dazu § 2 D VI 1. Ausführlich oben § 2 D VI 2 a).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Gesellschaftsvermögen zu informieren. Auch über strengere Sanktionen bei der Verletzung von Publizitätsvorschriften kann man nachdenken.1736 c) Kapitalorientierte Schutzmechanismen aa) Eine Unterkapitalisierungshaftung ist nicht nur de lege lata abzulehnen, es erscheint auch angesichts der damit notwendigerweise einhergehenden Rechtsunsicherheit nicht geboten, eine solche de lege ferenda zu schaffen.1737 bb) Eine pauschale Ausfallbeteiligung der Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft ist – sowohl in Form einer fixen gesetzlichen wie einer vom Gericht im Einzelfall festzulegenden Quote – abzulehnen.1738 cc) Eine Ergänzung des geltenden Rechts der realen Kapitalaufbringung durch eine sich im Insolvenzfall realisierende Kapitaldeckungspflicht in einer bestimmten, vom einzelnen Gesellschafter zuvor festgelegten und im Handelsregister publizierten Höhe erscheint hingegen als ein sinnvoller Weg, um den Gläubigerschutz zu verbessern, ohne die berechtigten Interessen der Gesellschafter aus den Augen zu verlieren.1739 dd) Auch wenn die Kritik am Stammkapitalprinzip momentan en vogue sein mag, ist an diesem nicht nur festzuhalten, es ist darüber hinaus auch eine regelmäßige Prüfungspflicht daraufhin vorzusehen, ob die Höhe des Stammkapitals zum Zwecke eines Inflationsausgleichs anzupassen ist. Denkbar wäre es zwar zudem, das gegenwärtige System eines fixen Stammkapitalerfordernisses (bei Gesellschaftsgründung) zu einem System flexiblen Stammkapitals auszubauen, das, an die regelmäßige Überschreitung bestimmter Umsatzschwellenwerte anknüpfend, eine Pflicht der Gesellschafter zur Kapitalerhöhung vorsieht. Allerdings wird die unter cc) angesprochene Kapitaldeckungspflicht den Interessen der Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger besser gerecht und ist daher das vorzugswürdige Modell. d) „Verhaltenshaftung“ aa) Im Bereich der hier unter dem Stichwort der „Verhaltenshaftung“ zusammengefassten Gläubigerschutzmechanismen – in concreto: Insolvenzverschleppungshaftung, Haftung nach § 64 S. 1, 3 GmbHG und Behandlung von Gesellschafterdarlehen – besteht im Grundsatz kein gesetzgeberischer Regelungsbedarf.1740 bb) Jedoch sollte – vergleichbar dem heutigen § 15a III InsO – § 64 GmbHG dahingehend ergänzt werden, dass Haftungsadressaten auch die Gesellschafter sind, wenn die Gesellschaft führungslos ist.1741 1736 1737 1738 1739 1740 1741
Siehe im Einzelnen oben § 2 D VI 2 b), c). Oben § 2 D VI 3 a). Dazu oben § 2 D VI 3 c). Im Einzelnen oben § 2 D VI 3 b). Oben § 2 D VI 4 a). Siehe oben § 2 D VI 4 b).
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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cc) Die Fristen der § 135 I Nr. 2 InsO, § 6 I 1 Nr. 2 AnfG sollten auf 18 Monate oder sogar zwei Jahre ausgedehnt werden.1742 e) Pflicht zum Formwechsel in AG Weil der Gläubigerschutz in der AG abstrakt-typisierend besser funktioniert als bei der GmbH, sollten die Gesellschafter einer „großen“ GmbH unter bestimmten Voraussetzungen – zum Beispiel bei einem sich regelmäßig jenseits der € 3 Millionen-Grenze bewegenden Jahresumsatz – verpflichtet werden, die Gesellschaft in eine AG umzuwandeln.1743
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz I. Einführung Eine weitere Form, wie die Einstandsverpflichtung einer natürlichen oder juristischen Person ausgeschlossen beziehungsweise beschränkt werden kann, ist deren (teilweise) Verlagerung („Abwälzung“) auf einen Versicherungsträger, der anstelle des eigentlich Verantwortlichen den einem Dritten entstandenen Schaden tragen muss. Prominentestes gesetzliches Beispiel hierfür sind die Vorschriften der §§ 104 ff. SGB VII,1744 die „seit jeher“ zum „Kernbestand der Unfallversicherung“1745 gehören und ein „wesentliches Element des Gesamtsystems der Unfallversicherung“1746 darstellen. Im Folgenden werden zunächst die von den §§ 104 ff. SGB VII erfassten Fallkonstellationen und die sich ergebenden Rechtsfolgen (kurz) skizziert (sub II.). Anschließend werden die §§ 104 ff. SGB VII zivilrechtsdogmatisch qualifiziert (unter III.) und ihre rechtspolitische und -dogmatische Begründung sowie Verfassungskonformität untersucht (sub. IV., V.). Schließlich werden die daraus abzuleitenden Änderungsvorschläge de lege ferenda sowie die wichtigsten Ergebnisse unter VI. beziehungsweise VII. kurz zusammengefasst.
II. Erfasste Fallkonstellationen und Rechtsfolgen Im Folgenden sollen nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der einzelnen Vorschriften im Detail abgehandelt werden; insoweit sei auf die einschlägigen Kommentare verwiesen. Als Vorbereitung der im Mittelpunkt stehenden rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Würdigung soll lediglich aufgezeigt wer1742
Oben § 2 D VI 4 c). Ausführlich oben § 2 D VI 5. 1744 Die Parallelvorschriften für Beamte in § 46 II BeamtVG und Soldaten in § 91a SVG bleiben im Folgenden außer Betracht. 1745 Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 463; Krasney, NZS 2004, 7. 1746 Krasney, NZS 2004, 7. 1743
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
den, welche Fallkonstellationen von den §§ 104 ff. SGB VII erfasst werden und welche wesentlichen Rechtsfolgen daran geknüpft sind. 1. Erfasste Fallkonstellationen a) Haftung des schädigenden Unternehmers In den Genuss der Haftungsprivilegierung kommt zunächst der Unternehmer (vergleiche § 136 III SGB VII) gegenüber Ersatzansprüchen von Versicherten, die „für“ das Unternehmen tätig werden (§ 104 I 1 Alt. 1 SGB VII). Erfasst werden davon vor allem eigene Arbeitnehmer, aber auch sonstige in arbeitnehmerähnlicher Weise eingegliederte Personen wie zum Beispiel die sogenannten Wie-Beschäftigten nach § 2 II 1 SGB VII.1747 Die Privilegierung gilt auch gegenüber Versicherten, die mit dem Unternehmen „in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen“, was beispielsweise bei Leiharbeitnehmern anzunehmen ist.1748 b) Haftung gegenüber Arbeitskollegen/dem Unternehmer Nach § 105 I SGB VII ist zudem die Haftung unter – grob gesagt – Arbeitskollegen beschränkt. Voraussetzung ist, dass Schädiger und versicherter (oder nach § 4 I Nr. 1 SGB VII versicherungsfreier) Geschädigter im Unfallzeitpunkt demselben Betrieb angehören1749, wobei eine sonstige die Versicherung begründende Beziehung zum Unternehmen (wie zum Beispiel bei Wie-Beschäftigten im Sinne von § 2 II 1 SGB VII) ausreicht.1750 Eine Haftungsprivilegierung besteht nach § 105 II 1 SGB VII ferner, wenn ein nicht versicherter Unternehmer1751 geschädigt wurde.1752 Da dieser jeglicher 1747 Krasney, NZS 2004, 7, 9; für Subsumtion der Wie-Beschäftigten unter § 104 I Alt. 2 SGB VII dagegen BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 11, der Streit ist praktisch bedeutungslos. 1748 B. Schmidt, BB 2002, 1859. 1749 Ob der Betriebsbegriff in § 105 I SGB VII dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff (dazu Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], Vorbemerkung 518 ff zu §§ 611 ff.) entspricht, oder ob ein eigener unfallversicherungsrechtlicher Betriebsbegriff existiert, der dem arbeitsrechtlichen Unternehmensbegriff entspricht, ist umstritten (vgl. z.B. ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 5 m.w.N.). 1750 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 8; BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 14; ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 5 m.w.N. 1751 Umstritten ist, ob auch gegenüber nicht versicherten unternehmerähnlichen Personen und nicht versicherten, aber zur freiwilligen Versicherung berechtigten Ehegatten/Lebenspartnern der Unternehmer (§ 6 I Nr. 1 bzw. 2 SGB VII) ein Haftungsprivileg gilt. Weder § 105 I SGB VII, der – mit der Ausnahme der nach § 4 I Nr. 1 SGB VII versicherungsfreien Personen – voraussetzt, dass der Geschädigte versichert ist, noch § 105 II 1 SGB VII, der sich allein auf den nicht versicherten Unternehmer bezieht, greifen ein. Jungfleisch befürwortet allerdings eine analoge Anwendung des § 105 II 1 SGB VII mit dem Argument, der Gesetzgeber habe mit diesem die letzte noch verbliebene Lücke im Recht der Haftungsbeschränkung schließen wollen, dabei aber diese beiden Personengruppen übersehen (Jungfleisch, BG
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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Ansprüche beraubt wäre, ordnet § 105 II 2 SGB VII als Kompensation für den Verlust der zivilrechtlichen Ansprüche einen „Versicherungsschutz wegen Haftungsausschlusses“1753 an, allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer – von § 105 SGB VII abgesehen – privatrechtlich überhaupt zum Schadensersatz verpflichtet ist (vergleiche § 105 II 2 SGB VII a.E.); das ist nicht der Fall, wenn seine Einstandsverpflichtung auch nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung1754 ausgeschlossen ist.1755 Auch bei Schädigung eines versicherten Unternehmers gilt richtigerweise das Haftungsprivileg. Zwar kommt § 105 II SGB VII angesichts seines klaren, nur nicht versicherte Unternehmer einbeziehenden Wortlauts nicht in Betracht. Nach ganz herrschender und auch zutreffender Meinung ist der Unternehmer aber als „Versicherte[r] desselben Betriebs“ unter § 105 I SGB VII zu fassen.1756 Dafür spricht vor allem, dass es im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit des 2006, 464, 465; ähnlich Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 105 SGB VII, Rn. 24). Es liege daher die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke vor, und auch die Interessenlage sei vergleichbar, weil der Normzweck des § 105 II SGB VII auch auf diese Personen passe. Das überzeugt nicht. Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke lässt sich zunächst anführen, dass unternehmerähnliche Personen im SGB VII auch an anderen Stellen nicht wie der Unternehmer selbst behandelt werden (vgl. z.B. § 3 I Nr. 1 SGB VII); zudem spricht gegen sie, dass der Gesetzgeber im Zuge der Reform des gesetzlichen Unfallversicherungsrechts im Jahr 2008 (Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz – UVMG, BGBl I S. 2130) § 105 SGB VII nicht änderte, obwohl ihm angesichts der Diskussionen in der Literatur die Problematik bekannt gewesen sein musste. § 105 II SGB VII ist zudem eine systemfremde Ausnahmevorschrift, da sie einen „Versicherungsschutz wegen Haftungsausschlusses“ (Waltermann, NJW 1997, 3401, 3403) vorsieht und einem Nichtversicherten Versicherungsschutz gewährt (vgl. auch BSG 26.6.2007 – B 2 U 17/06, SozR 4–2700 § 105 Nr. 2). Diese offenkundige Systemfremdheit spricht dafür, die Vorschrift nicht über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus anzuwenden (so i.E. auch jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 105, Rn. 19; Kasseler Kommentar/Ricke, § 105 SGB VII, Rn. 17; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 105 SGB VII, Rn. 16). 1752 Kock, NZS 2006, 471, 472 weist zu Recht darauf hin, dass der von § 105 II SGB VII vorausgesetzte „Versicherungsfall“ mangels Versichertenstellung gar nicht vorliegen kann und die Norm daher so zu verstehen ist, dass es auf einen „Quasiarbeitsunfall“ ankommt. 1753 Waltermann, NJW 1997, 3401, 3403; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 16. 1754 Dazu ausführlich unten § 2 F; zum Verhältnis von § 105 SGB VII und der beschränkten Arbeitnehmerhaftung siehe unten § 2 E III 2 b). 1755 BSG 24.6.2003 – B 2 U 39/02 R, NJW 2004, 966, 966 f.; Kock, NZS 2006, 471; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 15. 1756 BGH 3.7.2001 – VI ZR 198/00, NJW 2001, 3127, 3128 (obiter dictum); Kater/Leube, SGB VII, § 105, Rn. 15; Kasseler Kommentar/Ricke, § 105 SGB VII, Rn. 4; jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 105, Rn. 19; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 105, Rn. 6; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 6; HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 9; Schmitt, SGB VII, § 105, Rn. 7; BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 22; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 105 SGB VII, Rn. 9; ders., NJW 2002, 1225, 1227; ders., NJW 2008, 2895, 2896; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 21 f.; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 679; Rupp, JURA 2007, 124, 127; a.A. Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 468 ff.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
schädigenden Arbeitnehmers, die – wie noch zu zeigen sein wird1757 – allein tragender Grund für die Haftungsprivilegierung des § 105 I SGB VII ist, keinen Unterschied macht, ob der geschädigte Unternehmer versichert ist oder nicht.1758 Auch die Interessen des Unternehmers stehen nicht entgegen. Insbesondere kann unter Geltung des SGB VII nicht ein anderes damit begründet werden, es dürfe dem Unternehmer nicht ein Nachteil daraus entstehen, dass er sich auf eigene Kosten unfallversichert hat.1759 Denn auf der Ebene der privatrechtlichen Schadensersatzansprüche hat die Unfallversicherung des Unternehmers angesichts dessen, dass selbst bei Nichtversicherung gemäß § 105 II 1 SGB VII die Haftung des Schädigers ausgeschlossen ist, keine (negativen) Auswirkungen mehr.1760 c) Haftung anderer Personen, § 106 SGB VII Eine gravierende Ausdehnung erfährt der Anwendungsbereich der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz mittels § 106 SGB VII, der den traditionellen Bereich der Arbeitsbeziehungen zum Teil vollständig verlässt. Das gilt insbesondere für Absatz 1, der einerseits die Haftung der nach § 2 I Nr. 2, 3 und 8 SGB VII versicherten Personen (das heißt zum Beispiel Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung, Kinder in Kindergärten, Schüler und Studierende) untereinander (Nr. 1) sowie gegenüber den Betriebsangehörigen desselben Unternehmens (Nr. 2) und andererseits deren Haftung gegenüber den nach § 2 I Nr. 2, 3, 8 SGB VII Versicherten ausschließt (Nr. 3). § 106 II SGB VII ordnet für die Fälle des § 2 I Nr. 17 SGB VII Gleiches zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen sowie zwischen Pflegepersonen untereinander an. Der überlieferte Grundsatz, nach dem die §§ 104, 105 SGB VII nur für die Beschäftigten desselben Unternehmens gelten, wird durch § 106 III SGB VII nicht unerheblich durchbrochen. Danach können die Haftungsprivilegierungen
1757
Siehe unten § 2 E IV 6. Vgl. BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 22; HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 9; Rupp, JURA 2007, 124, 127. – Dafür, einen Haftungsausschluss auch gegenüber dem versicherten Unternehmer vorzusehen, werden in der Literatur auch das Betriebsfriedens(z.B. Giesen a.a.O; Stelljes a.a.O.) und das Gefahrengemeinschaftsargument (z.B. Wannagat/ Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 105 SGB VII, Rn. 9) angeführt. Das ist nach hier vertretener Auffassung nicht möglich, weil beide Argumente die Regelungen der §§ 104 ff. SGB VII weder rechtspolitisch noch -dogmatisch zu legitimieren vermögen (dazu ausführlich unten § 2 E 2, 4). 1759 So noch BGH 6.5.1980 – VI ZR 58/79, NJW 1981, 53, 54; 26.6.1990 – VI ZR 233/89, NJW 1991, 174, 175 zur Rechtslage nach § 637 RVO, der keine dem heutigen § 105 II SGB VII vergleichbare Vorschrift enthielt. 1760 Die Unfallversicherung ist für den Unternehmer vorteilhaft, weil er durch sie auch dann abgesichert ist, wenn der Versicherungsfall von niemandem in haftungsbegründender Weise verursacht wurde. 1758
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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auch zwischen Personen verschiedener Unternehmen greifen. Voraussetzung ist, dass diese Unternehmen entweder zur Hilfe bei Unglücksfällen (Alt. 1)1761 oder als Unternehmen des Zivilschutzes (Alt. 2)1762 zusammenwirken oder mehrere Unternehmen eine gemeinsame Betriebsstätte betreiben und die Versicherten dort vorübergehend betriebliche Tätigkeiten verrichten (Alt. 3).1763 Die praxisrelevanteste Alternative 3 gilt nach herrschender Meinung nicht zugunsten oder zulasten eines nicht versicherten Unternehmers.1764 Hingegen soll sie für respektive gegen versicherte Unternehmer gelten, vorausgesetzt, diese selbst verrichten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit und verletzen dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens oder werden von diesem verletzt.1765 Eine entsprechende Satzungsbestimmung des Unfallversicherungsträgers nach § 3 I Nr. 2 SGB VII vorausgesetzt, ordnet § 106 IV SGB VII schließlich die Geltung der §§ 104, 105 SGB VII auch gegenüber Personen an, die sich in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen oder zumindest mutmaßlichen Willen des Unternehmers1766 auf der Unternehmensstätte aufhalten (Besucher); die Einbeziehung dieser Personen wird damit gerechtfertigt, dass durch deren vom Unternehmer gewünschte Anwesenheit dessen Haftungsrisiko sowie dasjenige der übrigen Betriebsangehörigen steigt.1767 Nach zutreffender Auffassung ist § 106 IV SGB VII konstitutiv, die Haftungsprivilegierung gegenüber dem Be1761
Z.B. Feuerwehr und Rotes Kreuz. Gemeint sind Bund, Länder und Kommunen unter Mitwirkung von Hilfsorgansationen, Rupp, JURA 2007, 124, 128. 1763 Das Merkmal einer betrieblichen Tätigkeit in einer gemeinsamen Betriebsstätte wirft Auslegungsschwierigkeiten auf, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann. Der BGH verlangt „betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewußt und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, daß die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt“ (BGH 17.10.2000 – VI ZR 67/00, NJW 2001, 443; ausf. Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung bei Kampen, NJW 2012, 2234, 2234 ff.). 1764 BSG 26.6.2007 – B 2 U 17/06, SozR 4–2700 § 105 Nr. 2; HWK/Giesen, § 106 SGB VII, Rn. 3; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 683 ff. 1765 Z.B. BGH 24.6.2003 – VI ZR 434/01, NJW 2003, 2984, 2985; 17.6.2008 – VI ZR 257/06, NJW 2008, 2916, 2917; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 106 SGB VII, Rn. 15; Kasseler Kommentar/Ricke, § 106 SGB VII, Rn. 13; ErfK/Rolfs, § 106 SGB VII, Rn. 4; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 141 ff. m.w.N.; gegen die Anwendung des § 106 III Alt. 3 SGB VII auf den Unternehmer Kater/Leube, SGB VII, § 106, Rn. 16; für die generelle Anwendbarkeit des § 106 III Alt. 3 SGB VII auch auf den Unternehmer hingegen Tischendorf, VersR 2002, 1288, 1289 f.; Klumpp, EWiR 2002, 123, 124; Risthaus, VersR 2000, 1203, 1206. – Nach hier vertretener Auffassung ist § 106 III SGB VII aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung nicht auf Unternehmer als Schädiger anwendbar, vgl. unten § 2 E V 1 c) cc). 1766 Zu diesem Erfordernis Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 3, Rn. 14; Schmitt, SGB VII, § 3, Rn. 12. 1767 Rupp, JURA 2007, 124, 127. 1762
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
sucher folgt also nicht bereits unmittelbar aus § 104 beziehungsweise § 105 SGB VII, sondern erst aus der Verweisung in § 106 IV SGB VII.1768 d) Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Geschädigtenseite Die §§ 104 ff. SGB VII gelten nicht nur für die Ansprüche der „primär“ Geschädigten, sondern auch für diejenigen ihrer Angehörigen1769 und Hinterbliebenen1770 wegen der Verletzung des Geschädigten. Da die Leibesfrucht, die durch einen Versicherungsfall der Mutter während der Schwangerschaft einen Gesundheitsschaden erleidet, einem Versicherten insoweit gleich steht (§ 12 S. 1 SGB VII), unterwirft § 104 II SGB VII diese Ansprüche den gleichen Restriktionen, weil andernfalls die Leibesfrucht sachfremd besser stehen würde als die Mutter.1771 e) Ausschluss der Haftungsprivilegierung Das Haftungsprivileg greift nicht ein, wenn der Versicherungsfall auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg oder vorsätzlich herbeigeführt wurde; Vorsatz in diesem Sinne erfordert – wie der Gegenschluss zu § 110 I 3 SGB VII zeigt – nach zutreffender herrschender Meinung auch Vorsatz hinsichtlich der konkreten Schadensfolge.1772
1768 So z.B. auch Maschmann, SGb 1998, 54, 59; Imbusch, VersR 2001, 547, 554; a.A. Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 160; Kasseler Kommentar/Ricke, § 106 SGB VII, Rn. 15; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 13; Kater/Leube, SGB VII, § 106, Rn. 21; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 10. 1769 Im Detail ist umstritten, wer als Angehöriger in diesem Sinne anzusehen ist. Zum Teil wird auf die – vergleichsweise weite – Definiton des § 16 V SGB X abgestellt (Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 15; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/ Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 13), zum Teil schlicht auf Verwandte und Verschwägerte (§§ 1589 f. BGB) verwiesen (BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 14), zum Teil schließlich einschränkend nur solche Verwandten/Verschwägerten einbezogen, die infolge einer Schädigung des Versicherten zivil- oder unfallversicherungsrechtliche Ansprüche erwerben können (Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 12). 1770 Dazu zählen diejenigen Personen, die bei einem tödlichen Versicherungsfall nach den §§ 63 ff. SGB VII leistungsberechtigt sind (Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 12; ErfK/Rolfs, SGB VII, § 104, Rn. 14). 1771 ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 17. – Voraussetzung ist allerdings, dass die Mutter selbst unter § 104 I SGB VII fällt (BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 15; HWK/ Giesen, § 104 SGB VII, Rn. 13). 1772 BGH 11.2.2003 – VI ZR 34/02, NJW 2003, 1605, 1606; Grüner, in: Becker/Franke/ Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 19; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 12; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 24; a.A. Rolfs, NJW 1996, 3177, 3178.
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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2. Rechtsfolgen a) Ausschluss von Personenschäden Die §§ 104 ff. SGB VII schließen, unabhängig von der jeweiligen Anspruchsgrundlage1773 Ansprüche auf Ersatz des Personenschadens der Versicherten, Angehörigen, Hinterbliebenen und der Leibesfrucht (§ 104 II SGB VII) sowie solche wegen Beschädigung oder Verlusts eines Hilfsmittels, §§ 8 III, 31 SGB VII, aus.1774 Zu den Personenschäden gehören alle Schäden, die unmittelbar oder mittelbar adäquat kausal auf der Körper- oder Gesundheitsverletzung beruhen.1775 Dazu zählen vor allem Heilbehandlungskosten (zum Beispiel Krankenhauskosten, Heil- und Hilfsmittel, Kosten für Besuche naher Verwandter im Krankenhaus sowie deren Verdienstausfall, Arzneien), vermehrte Bedürfnisse (§ 843 I Alt. 2 BGB), Erwerbsausfall (§ 843 I Alt. 1 BGB, beispielsweise Ausfall von Arbeitseinkommen, Minderung der betrieblichen Altersrente), Unterhaltsschäden (§ 844 II BGB), Schäden wegen entgangener Dienste (§ 845 BGB) und Beerdigungskosten (§ 844 I BGB).1776 b) Schmerzensgeld Zu den nach §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossenen Ansprüchen gehört nach allgemeiner Meinung de lege lata grundsätzlich auch ein eventueller Anspruch des Geschädigten auf Schmerzensgeld nach § 253 II BGB.1777 Dem ist angesichts des klaren Wortlauts, der Personenschäden ohne jede Einschränkung auf materielle Schäden erfasst, zuzustimmen. Nur ausnahmsweise bleiben Schmerzensgeldsansprüche durch die §§ 104 ff. SGB VII unberührt: Erstens bei sogenannten Schockschäden naher Angehöriger/Hinterbliebener, die auf einem Arbeitsunfall des Versicherten beruhen.1778 Dafür spricht, dass die §§ 104 ff. SGB VII nur Ansprüche wegen der Verletzung des Versicherten erfassen, nicht aber solche wegen der „originären“ Körper-/Gesund-
1773 Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 358; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 16 m.w.N. 1774 Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 35. 1775 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 24 f. 1776 Waltermann, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 104, Rn. 17; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 35; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 17. 1777 BVerfGE 34, 118, 134; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 36; B. Schmidt, BB 2002, 1859; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 18; jurisPK-SGB VII/ Ebsen, § 104, Rn. 11; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 16; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 5, 30; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 15; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2, 5; HWK/Giesen, § 104 SGB VII, Rn. 6; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 24. 1778 BGH 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; HWK/Giesen, § 104 SGB VII, Rn. 6; Dahm NZV 2008, 187, 188; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 5; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 16.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
heitsverletzung von Hinterbliebenen und Angehörigen.1779 Wenn solche „Drittschäden“ im Rahmen des Leistungsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung konzeptionell unbeachtlich sind, müssen sie es auch im Rahmen der §§ 104 ff. SGB VII sein. Zweitens, wenn der Anspruch nicht auf der Verletzung von Körper oder Gesundheit, sondern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Versicherten beruht.1780 Vergleichbar der Schockschadensproblematik lässt sich auch insoweit anführen, dass die gesetzliche Unfallversicherung allein auf Körper- und Gesundheitsschäden und damit konzeptionell gerade nicht auf den Ausgleich von Schäden bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugeschnitten ist; folglich kann dieser auch nicht von den §§ 104 ff. SGB VII erfasst werden. Hinzu kommt: Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen entstehen typischerweise nur immaterielle Schäden. Würde man hier einen Schmerzensgeldanspruch verneinen, hieße dies, auf das zivilrechtlich meist einzige Mittel zu verzichten, das überhaupt einen Ausgleich für den eingetretenen Schaden ermöglicht.1781 Das verfassungsrechtlich verbürgte Persönlichkeitsrecht wäre dann faktisch überhaupt nicht geschützt; mit der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 I, 1 I GG1782 wäre das schwerlich zu vereinbaren. c) Kein Ausschluss von Ansprüchen wegen Sachschäden Sachschadensersatzansprüche bleiben – mit Ausnahme solcher für die Beschädigung oder den Verlust eines Hilfsmittels, §§ 8 III, 31 SGB VII – durch die §§ 104 ff. SGB VII unberührt.1783 Das folgt zum einen aus dem klaren Wortlaut („Ersatz des Personenschadens“), zum anderen aus der gesetzlichen Konzeption des SGB VII, deckt die gesetzliche Unfallversicherung doch nur Personen-, nicht aber Sachschäden ab.
1779 BGH 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 15. – Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht allein § 104 II SGB VII für den Fall der Gesundheitsschädigung der Leibesfrucht durch einen Versicherungsfall der Mutter während der Schwangerschaft. Daraus folgt für Schockschäden naher Angehöriger/Hinterbliebener aber nichts anderes, weil nach § 12 S. 1 SGB VII die Leibesfrucht – anders als die Angehörigen/Hinterbliebenen – einem Versicherten gleichgestellt wird. 1780 So – soweit ersichtlich – nur OLG Zweibrücken 6.5.1997 – 6 U 1/97, NJW 1998, 995, 997. 1781 OLG Zweibrücken 6.5.1997 – 6 U 1/97, NJW 1998, 995, 997; vgl. zur Bedeutung des Schmerzensgeldes bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch BVerfGE 34, 118, 135; BGH 14.2.1958 – I ZR 151/06, BGHZ 26, 349, 356; 19.9.1961 – VI ZR 259/60, BGHZ 35, 363, 367 f. 1782 Zur staatlichen Schutzpflicht allgemein vgl. § 1 F III. 1783 Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 5; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 17; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 14; Krasney, NZS 2004, 7, 10.
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d) Exkurs: Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung Bevor unter e-g) auf weitere ausgewählte Rechtsfolgen der §§ 104 ff. SGB VII eingegangen wird, sind zum besseren Verständnis die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung kurz zu skizzieren. Als Kompensation für die Versagung privatrechtlicher Ansprüche hat der Geschädigte Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger entsprechend der §§ 26–103 SGB VII. Diese lassen sich in zwei Säulen einteilen:1784 Erstens die Rehabilitationsleistungen, zu denen neben der Übernahme der Kosten der Heilbehandlung und der medizinischen Rehabilitation (§§ 27 ff. SGB VII) sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft (§§ 35, 39 ff. SGB VII) auch das Verletztengeld (§§ 45 ff. SGB VII) zählt. Dazutreten können zweitens Entschädigungsleistungen, bestehend aus Renten an Versicherte und solche an Hinterbliebene. Für die unter § 2 E IV beziehungsweise V erfolgende rechtspolitische und verfassungsrechtliche Bewertung der §§ 104 ff. SGB VII sind vor allem diese Entschädigungsleistungen von Bedeutung, sie sind daher kurz näher darzustellen. aa) Versichertenrente, §§ 56 ff. SGB VII Anspruch auf Versichertenrente hat, wer infolge eines Versicherungsfalls eine Minderung der Erwerbstätigkeit über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus von mindestens 20 % erleidet, wobei mehrere Versicherungsfälle zusammengezählt werden, § 56 I 1, 2, II SGB VII. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung sind im Zusammenhang mit der Verletztenrente zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: (1) Bemessung der Versichertenrente Die Versichertenrente dient jedenfalls dem Ausgleich des materiellen Schadens, den der Geschädigte durch den Ausfall an Arbeitsentgelt und -einkommen infolge einer Minderung der Erwerbsfähigkeit erleidet.1785 Sie ist damit Pendant zu den privatrechtlichen Rentenansprüchen aus §§ 842, 843, 249 ff. BGB. Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings insofern, als die Bemessungsfaktoren für die privatrechtlichen Ansprüche von denen der gesetzlichen Unfallversicherung abweichen: Zivilrechtlich wird – ausgehend von der Differenzhypothese – „nur“ der konkret nachgewiesene, durch das schadensverursachende Ereignis entstandene Erwerbsschaden, also der Unterschied zwischen tatsächlich jetzt noch erziel1784
Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 652 f. BGH 19.6.1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249, 1250; 5.5.1970 – VI ZR 212/68, NJW 1970, 1411, 1412; 4.12.1984 – VI ZR 117/83, NJW 1985, 735; BVerwG 19.4.1996 – 8 C 3/95, NVwZ-RR 1997, 293, 294; Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 56, Rn. 6, 8; jurisPK-SGB VII/Scholz, § 56, Rn. 16; Palandt/Sprau, § 843, Rn. 2; MüKo-BGB/Wagner, §§ 842, 843, Rn. 17 m.w.N. – Zur Frage, ob und inwieweit die Versichertenrente auch der Kompensation immaterieller Schäden dient, vgl. unten § 2 E II 2 d) aa) (2). 1785
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tem Arbeitsentgelt und demjenigen, was der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis hypothetisch erzielt hätte, liquidiert.1786 Der „bloße“ Verlust der Arbeitskraft stellt nach herrschender zivilrechtlicher Meinung keinen ausgleichsfähigen Vermögensschaden dar, so dass zum Beispiel (schon vorher) arbeitsunwillige und/oder -unfähige Verletzte, Kinder oder Verletzte, die ausschließlich von Kapitaleinkünften leben und auch in der Zukunft keinem Erwerb nachgehen werden, keinen Schadensersatzanspruch haben.1787 Charakteristikum der Versichertenrentenbemessung ist hingegen das Prinzip der abstrakten Schadensberechnung. Anders als die §§ 842 f., 249 ff. BGB zielt diese nicht auf einen 1:1–Ausgleich der entstandenen Schäden. Vielmehr wird eine Kompensation für den grundsätzlich rein abstrakt bemessenen Verlust von Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, ausgedrückt in einem prozentualen Grad an Minderung der Erwerbstätigkeit (vergleiche § 56 II 1 SGB VII),1788 geleistet.1789 Die Höhe der Versichertenrente hängt dabei einerseits vom Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit und andererseits vom Jahresarbeitsverdienst (§§ 81 ff. SGB VII) des Geschädigten in den letzten zwölf Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls ab, wobei die Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienstgrenzen des § 85 SGB VII zu beachten sind;1790 bei 100 % Minderung der Erwerbstätigkeit beträgt die Rente 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes (Vollrente), bei einem geringeren Grad entsprechend weniger (Teilrente), § 56 III SGB VII. Zusammengefasst kann die Verletztenrente zwar theoretisch exakt dem entsprechen, was der Geschädigte vom Schädiger – wären seine Ansprüche nicht nach §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen – verlangen könnte. In aller Regel wird
1786 BGH 19.6.1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249, 1250; 5.5.1970 – VI ZR 212/68, NJW 1970, 1411, 1412; Palandt/Sprau, § 843, Rn. 2; MüKo-BGB/Wagner, §§ 842, 843, Rn. 17 m.w.N. 1787 BGH 19.6.1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249, 1250; 20.3.1984 – VI ZR 14/82, NJW 1984, 1811; vgl. auch BGH 29.4.1977 – V ZR 236/74, NJW 1977, 1446; 17.1.1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023, 1024; Soergel/Beater, § 842, Rn. 5; MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 81; unumstritten ist diese Auffassung allerdings nicht, namentlich MüKo-BGB/Grunsky 3, Vor § 249, Rn. 24; ders., Vermögensschaden, S. 78 sieht in der Arbeitskraft als solcher einen Vermögenswert; zu weiteren abweichenden Meinungen siehe Staudinger/Vieweg, § 842, Rn. 15 f. und Staudinger/Schiemann, § 251, Rn. 105 ff. 1788 Dabei wird nach der sogenannten Gliedertaxe verfahren, nach der z.B. bei Versteifung des Knies eine Minderung der Erwerbstätigkeit von 30–50 %, bei Blindheit auf einem Auge eine solche von 25 % und bei Verlust des Gebrauchsarms vom Schultergelenk an von 80 % angenommen wird (siehe Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 668 f.). 1789 BSG 29.4.1964 – 2 RU 155/62, BSGE 21, 63, 67; 4.12.1991 – 2 RU 47/90, NZA 1992, 671, 671 f.; Kater/Leube, SGB VII, Vor §§ 56–62, Rn. 11; Kasseler Kommentar/Ricke, § 56 SGB VII, Rn. 2. – Zur Bestimmung der Minderung der Erwerbstätigkeit sind dabei die Arbeiten, die der Geschädigte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten vor und nach dem Unfall leisten konnte/kann, zu vergleichen (Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 56, Rn. 11). 1790 Überschreitet der Jahresarbeitsverdienst des Versicherten die Obergrenze, bietet sich der Abschluss einer privaten Unfallversicherung an, Krasney, NZS 2004, 7.
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das aber nicht der Fall sein, sondern eine mehr oder weniger erhebliche Abweichung nach unten oder oben vorliegen. (2) Potentielle (partielle) Kompensation auch des immateriellen Schadens Fraglich ist, ob die Versichertenrente auch den immateriellen Schaden des Geschädigten ausgleicht. Das ist nicht nur für die verfassungsrechtliche Bewertung des Schmerzensgeldausschlusses relevant, sondern spielt auch im Rahmen der Anrechnungsvorschrift des § 104 III SGB VII eine Rolle.1791 Prima vista ist diese Frage zu verneinen, weil sich die Verletztenrente rein abstrakt an materiellen Faktoren – Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit, Jahresarbeitsverdienst – bemisst. Dennoch kommt ihr nach heute ganz herrschender Ansicht zumindest potentiell und partiell auch die Funktion zu, den vom Verletzten erlittenen immateriellen Schaden zu kompensieren.1792 Dem ist aufgrund der folgenden Überlegungen zuzustimmen. Das BVerfG hat schon 1972 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verletztenrente bei leichteren und mittelschweren Schäden typischerweise den Wegfall des Schmerzensgeldanspruchs wettmacht.1793 Bei beiden steht dem Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit nämlich meist kein oder nur ein geringer tatsächlicher Erwerbsschaden gegenüber.1794 Die Verletztenrente gleicht in diesem Bereich folglich gar keinen oder nur einen kleineren materiellen Schaden aus, so dass der Geschädigte mehr erhält, als er als materiellen Schadensersatz nach §§ 842 f., 249 ff. BGB erhalten hätte. Das kann nur so gedeutet werden, dass die Verletztenrente hinsichtlich des im Vergleich zum Zivilrecht überschießenden Teils wirtschaftlich einer Schmerzensgeldzahlung gleichkommt. Nun ließe sich anführen, dass das bei Schwer- oder Schwerstverletzten nicht geltend gemacht werden kann, weil hier regelmäßig ein erheblicher, wenn nicht gar vollständiger Verdienstausfall vorliegt, so dass die auf maximal 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes beschränkte Verletztenrente (§ 56 III SGB VII)1795 – wenn überhaupt – einen Ausgleich nur für materielle, nicht aber 1791
Siehe dazu unten § 2 E II 2 g) und § 2 E V 2. Vgl. BVerfGE 34, 118, 134; BSG 31.3.1998 – B RA 49/96 R, BSGE 82, 83, 99 ff.; Kasseler Kommentar/Ricke, § 56 SGB VII, Rn. 2; Kater/Leube, SGB VII, Vor §§ 56–62, Rn. 8; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 666; Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 56, Rn. 6; so auch schon vor Inkrafttreten des § 93 II Nr. 2 SGB VI BAG 2.2.1998 – 3 AZR 115/86, VersR 1988, 973, 974; a.A. noch BGH 22.9.1970 – VI ZR 270/69, VersR 1970, 1053, 1054. 1793 BVerfGE 34, 118, 133 f.; bestätigt durch BVerfG 8.2.1995 – 1 BvR 753/94, NJW 1995, 1607; Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 104 SGB VII, Rn. 5. 1794 Vgl. z.B. Gitter, FS Sieg, S. 139, 142 f., wonach im Jahr 1960 maximal 10 % der Verletztenrentenberechtigten tatsächlich einen Verdienstausfall erlitten, so dass die Verletztenrente in mindestens 90 % der Fälle zugleich bzw. ausschließlich die Wirkung einer Entschädigung für immaterielle Schäden hatte. 1795 Weil der Jahresarbeitsverdienst auf das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße (vgl. § 18 SGB IV) beschränkt ist, betrug die maximale Verletztenrente bei einem 2011 in den alten Bundesländern stattfindenden Versiche1792
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auch für immaterielle Schäden zu leisten imstande ist. Dabei würde aber übersehen, dass die Situation von Schwer(st)verletzten vom Gesetzgeber durch zwei Vorschriften bewusst gestärkt wurde: Bezieht der schwerverletzte Geschädigte nicht nur von der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern auch aus eigener Versicherung eine Rente, so werden beide Renten zwar im Grundsatz zusammengerechnet und dürfen 70 % des Jahresarbeitsverdienstes nach §§ 81 ff. SGB VII nicht übersteigen, § 93 I, III 1 SGB VI. Allerdings bleibt bei dieser Zusammenrechnung bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung ein der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz entsprechender Betrag außer Betracht, § 93 II Nr. 2 lit. a) SGB VI1796. Dieser beträgt momentan – je nach Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit – € 234 bis € 668 monatlich (50 % bis 100 % Minderung der Erwerbstätigkeit), § 31 I 1 BVG.1797 Zweck der Regelung ist es, den Teil der unfallversicherungsrechtlichen Verletztenrente, von dem anzunehmen ist, dass er keine Lohnersatzfunktion hat, von der Zusammenrechnung freizustellen. Dadurch will der Gesetzgeber erreichen, „daß Versicherte mit gleich hohem Bruttoverdienst als Schwerbehinderte im Vergleich zu Leichtverletzten eine höhere Gesamtleistung erhalten“1798. Aufgrund dieser Aussage in der Entwurfsbegründung, der Wirkung der Vorschrift sowie der Tatsache, dass sie nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für die Verletztenrente, nicht aber für die Hinterbliebenenrenten nach §§ 65 ff. SGB VII – wo sich das Problem einer Kompensation immaterieller Schäden nicht stellt – gilt1799, kann sie nur so interpretiert werden, dass der Verletztenrente insoweit die Aufgabe zukommt, den Verlust zivilrechtlicher Schmerzensgeldansprüche zumindest partiell auszugleichen.1800 rungsfall beispielsweise € 40.880 (2/3 des maximalen Jahresarbeitsverdienstes von € 61.320, vgl. BeckOK-SozR/Marschner, § 85 SGB VII, Rn. 1; in den neuen Bundesländern € 35.840). Durch Satzungsregelung kann der Höchstbetrag allerdings erhöht werden, § 85 II 2 SGB VII. 1796 Eingeführt durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz) 1992 vom 18.12.1989, BGBl I S. 2261. 1797 Hinzu kommt unter Umständen eine Alterserhöhung um € 26, € 32 oder € 39, § 31 I 2 BVG. 1798 BT-Drucks 11/4124, S. 174; vgl. auch Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 93 SGB VI, Rn. 18; Dankelmann, in: Kreikebohm, SGB VI, § 93, Rn. 10. – Zu beachten ist allerdings, dass § 93 II Nr. 2 lit. a) SGB VI auch für Nicht-Schwerverletzte gilt, der nicht zu berücksichtigende Betrag ist hier eben nur entsprechend geringer (€ 82,67 bei 20 %, bis zu € 170 bei 40 % Minderung der Erwerbstätigkeit). 1799 Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 93 SGB VI, Rn. 18. 1800 BVerfG 8.2.1995 – 1 BvR 753/94, NJW 1995, 1607; BSG 20.10.2005 – B 4 RA 27/05 R, BeckRS 2006, 40597; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 3; vgl. auch BSG 8.12.2005 – B 13 RJ 38/04 R, SozR 4–2600 § 266 Nr 1: „[…] ist § 93 SGB VI als Teil einer entsprechenden, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung Ausdruck eines sich wandelnden Verständnisses der Funktion der Verletztenrente (Ausgleich auch eines Teils des immateriellen Schadens und nicht nur des Verdienstausfalls durch die Gesamtrente […])“; Gitter, FS Krasney, S. 173, 180. – Zur Frage, inwieweit das gesetzgeberische Ziel einer Besserstellung der Schwerverletzten erreicht wurde, vgl. ausf. Richthammer, Zusammentreffen, S. 213 ff.
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Für den Fall, dass der Geschädigte keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, hilft § 93 II Nr. 2 SGB VI zwar nicht weiter. In die Bresche springt hier aber § 57 SGB VII, nach dem sich die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für Schwerverletzte um 10 % erhöht. Dadurch sollte ein wirtschaftlicher Ausgleich dafür gewährt werden, dass einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgegangen werden kann.1801 Auch wenn somit anders als bei § 93 II Nr. 2 SGB VI kein direkter Bezug zu immateriellen Schäden hergestellt wurde, hat § 57 SGB VII ebenfalls zur Folge, dass ein Schwerverletzter eine verhältnismäßig höhere Rente bezieht als ein nicht Schwerverletzter. Weil zudem auch § 57 SGB VII – wie § 93 II Nr. 2 SGB VI – nur für die Verletzten-, nicht aber die Hinterbliebenenrente gilt, kann in dem zehnprozentigen Zuschlag ebenfalls eine Kompensation für die nicht gewährten privatrechtlichen Schmerzensgeldansprüche gesehen werden. Durch die § 93 II Nr. 2 lit. a) SGB VI, § 57 SGB VII soll somit der sinnwidrigen Entwicklung Einhalt geboten werden, dass der Prozentsatz der Rente, der zum Ausgleich „immaterieller“ Schäden zur Verfügung steht, in einem reziproken Verhältnis zur Schwere der Verletzung steht.1802 Auch wenn die Verletztenrente somit im Grundsatz potentiell geeignet ist, mindestens partiell den Wegfall der privatrechtlichen Schmerzensgeldansprüche zu kompensieren und sie damit – soweit dies in einer konkreten Situation tatsächlich der Fall ist – faktisch Ersatz für den immateriellen Schaden des Geschädigten leistet, ist hervorzuheben, dass dies aufgrund der abstrakten Schadensberechnung im System der gesetzlichen Unfallversicherung zwar der Fall sein kann, aber nicht muss. Es ist mithin nicht für jeden Fall sichergestellt, dass der Geschädigte über die Verletztenrente eine (partielle) Kompensation für die von ihm erlittenen immateriellen Schäden erlangt.1803 Umgekehrt kann der Verletztenrente aber durchaus (teilweise) auch die Funktion eines Ersatzes immaterieller Schäden zukommen, wie die Zahlen in Fn. 1794 eindrucksvoll belegen. bb) Leistungen an Hinterbliebene, §§ 63 ff. SGB VII Neben den an die Stelle der Beerdigungskosten (§ 844 I BGB) tretenden Ansprüchen auf Sterbegeld und Erstattung der Überführungskosten (§§ 63 I 1 Nr. 1, 2, 64 SGB VII) können Hinterbliebene entweder Anspruch auf Beihilfe (§§ 63 I 1 Nr. 4, 71 SGB VII) oder auf Hinterbliebenenrente (§§ 63 I 1 Nr. 3, 65 f., 67 f., 69 SGB VII) haben. Dabei können Personen Witwen-/Witwerrente beanspruchen, 1801 Vgl. BT-Drucks. IV/938, S. 13; BSG 26.7.1973 – 8/2 RU 243/72, BSGE 36, 104, 106; BeckOK-SozR/Marschner, § 57 SGB VII, Rn. 2. 1802 Kritisch zu dieser Problematik vor Einführung der genannten Vorschriften z.B. Gitter, FS Sieg, S. 139, 143, 149; Krasney, FS Lauterbach, II, S. 273, 282. 1803 So zu Recht BGH 3.12.2002 – VI ZR 304/01, NJW 2003, 1871, 1875: „Es lässt sich demnach auch nicht sagen, dem einzelnen Verletzten stehe nunmehr auf jeden Fall eine Geldsumme in Höhe des Freibetrags zur Kompensation immaterieller Nachteile oder zusätzlicher Bedürfnisse zur Verfügung […].“.
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die zum Zeitpunkt des Todes mit dem Versicherten eine rechtsgültige Ehe geschlossen hatten oder sich mit ihm in einer Lebenspartnerschaft befanden (vergleiche § 63 Ia SGB VII).1804 Die Rente beträgt im „Sterbevierteljahr“ 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen, danach 30 % beziehungsweise 40 % davon (§ 65 II SGB VII). Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente bis maximal zur Vollendung des 27. Lebensjahres haben die Kinder des verstorbenen Versicherten (§ 67 SGB VII); sie beläuft sich auf 20 respektive 30 % des Jahresarbeitsverdienstes. Gleiches kann für Verwandte aufsteigender Linie gelten, § 69 SGB VII. e) Keine cessio legis (§ 104 I 2 SGB VII) … Gemäß § 104 I 2 SGB VII ist die sonst im Sozialversicherungsrecht übliche cessio legis zugunsten des leistenden Sozialversicherungsträgers nach § 116 SGB X ausgeschlossen. Das hat nur klarstellende Bedeutung, wenn die Ansprüche des Geschädigten nach §§ 104 ff. SGB VII ohnehin ausgeschlossen sind, denn dann kann mangels Forderung schon dem Grunde nach kein gesetzlicher Forderungsübergang stattfinden.1805 Bestehen hingegen dem Grunde nach privatrechtliche Ansprüche, weil der Schädiger den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt hat (§ 104 I 1 SGB VII a.E.), ist zu differenzieren: Lediglich deklaratorisch wirkt § 104 I 2 SGB VII, soweit die Leistungen des Unfallversicherungsträgers mit den privatrechtlichen Ansprüchen nicht kongruent sind. Hier greift § 116 SGB X schon tatbestandlich nicht ein. Soweit allerdings diese Kongruenz zu bejahen ist, wirkt § 104 I 2 SGB VII konstitutiv, denn ohne ihn würde es bereits im Zeitpunkt des Schadensereignisses zum Anspruchsübergang nach § 116 SGB X kommen.1806 Auch die Anrechnungsvorschrift des § 104 III SGB VII, nach der sich die zivilrechtlichen Ansprüche um die vom Unfallversicherungsträger erbrachten Leistungen vermindern, ändert an dieser konstitutiven Wirkung nichts. Zwar führt § 104 III SGB VII zivilrechtsdogmatisch dazu, dass per Vorteilsausgleichung der privatrechtliche Anspruch (teilweise) erlischt, so dass insoweit eine cessio legis nicht mehr möglich wäre. Weil § 104 III SGB VII aber erst mit Leistungserbringung durch den Unfallversicherungsträger eingreift, würde sie die bereits mit dem Schadensereignis erfolgende cessio legis nicht mehr verhindern. 1804 Unter den Voraussetzungen des § 66 SGB VII erhalten auch frühere Ehegatten eine Witwen-/Witwerrente. 1805 Rapp, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 27; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 24; Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 371; vgl. auch BSG 11.12.1973 – 2 RU 30/71, SozR Nr. 65 zu § 51 SGG. 1806 Vgl. zum Zeitpunkt des gesetzlichen Forderungsübergangs BGH 17.4.1990 – VI ZR 276/89, NJW 1990, 2933, 2934; 12.12.1995 – VI ZR 271/94, NJW 1996, 726, 727; Breitkreuz, in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 116, Rn. 12; BeckOK-SozR/Pohl, § 116 SGB X, Rn. 30.
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f) … aber: Rückgriff nach § 110 SGB VII Anstelle eines Regresses per cessio legis gemäß § 116 SGB X kann sich der Unfallversicherungsträger unter den Voraussetzungen des § 110 SGB VII an den Schädiger halten, der einen originären Anspruch normiert.1807 Dogmatisch handelt es sich um einen Ersatzanspruch besonderer Art1808 und nicht um einen Schadensersatzanspruch, dementsprechend ist zum Beispiel § 254 BGB nicht anwendbar. Er dient der Refinanzierung des Unfallversicherungsträgers1809 und soll daneben erzieherische Wirkung im Hinblick auf die Vermeidung von Unfällen entfalten.1810 Vorteil des § 110 SGB VII im Vergleich zur cessio legis nach § 116 SGB X ist, dass er nur bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten1811 eingreift und damit eine sachgerechte Berücksichtigung des Verschuldens des Haftungsprivilegierten erlaubt.1812 Zur Kompensation seiner Aufwendungen kann der Unfallversicherungsträger auch auf einen fiktiven, weil nach §§ 104–106 SGB VII ausgeschlossenen Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten zugreifen.1813 Dafür spricht, dass der Wortlaut des § 110 SGB VII – anders als der des § 116 SGB X – keine Kongruenz der ausgeschlossenen zivilrechtlichen Ansprüche mit den vom Unfallversicherungsträger erbrachten Leistungen voraussetzt, sowie dass auf diese Weise der Regressanspruch des Sozialhilfeträgers auf den Umfang der fiktiven zivilrechtlichen Haftung angeglichen wird und der Schädiger damit so gestellt wird, wie er ohne die §§ 104 ff. SGB VII stünde, wohingegen ohne Zugriff auch auf fiktive Schmerzensgeldansprüche der Schädiger besser stünde.1814 g) Anrechnung, § 104 III SGB VII aa) Allgemeines Einen Sonderfall regelt § 104 III SGB VII: Liegen die Voraussetzungen von § 104 I SGB VII zwar grundsätzlich vor, hat der Unternehmer den Versicherungsfall aber vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt, werden die privatrechtlichen Ansprüche des Versicherten nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig hat der Versicherte aber alle Leistungsansprüche 1807
BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564. RGZ 144, 31, 35; für Aufwendungsersatzanspruch Staudinger/Oetker § 618, Rn. 374. 1809 BGH 30.11.1971 – VI ZR 53/70, NJW 1972, 442, 443; 15.1.1974 – VI ZR 137/72, NJW 1974, 797, 798; 20.11.1979 – VI ZR 238/78, NJW 1980, 996. 1810 BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564; einschränkend hinsichtlich der erzieherischen Komponente Kater/Leube, SGB VII, Vor §§ 104–133, Rn. 6. 1811 Anders als bei §§ 104–106 SGB VII muss sich das Verschulden nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen beziehen, § 110 I 3 SGB VII. 1812 JurisPK-SGB VII/Ebsen, § 104, Rn. 35. 1813 BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564; OLG Köln 30.5.2005 – 21 U 22/04, RuS 2005, 306; OLG Karlsruhe 14.2.2007 – 7 U 135/06, NZA 2007, 299, 300; OLG Hamburg 19.6.2009 – 1 U 108/08, VersR 2010, 1620, 1623; Brose, RdA 2011, 205, 217; a.A. Kornes, BG 2006, 309. 1814 Dahm, ZfS 2006, 223; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 110, Rn. 20. 1808
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nach dem SGB VII gegen den Unfallversicherungsträger. Um einerseits zu verhindern, dass der Geschädigte doppelt „abkassieren“ kann und um andererseits sicherzustellen, dass der Unternehmer nur insoweit mit den finanziellen Folgen des konkreten Versicherungsfalls belastet wird, als nicht die von ihm finanzierte Unfallversicherung eingreift, sieht § 104 III SGB VII eine Anrechnung der Leistungen der Unfallversicherung auf die privatrechtlichen Ansprüche des Geschädigten vor.1815 Voraussetzung hierfür ist die zeitliche und inhaltliche Kongruenz der Leistungen der Unfallversicherung mit den Ersatzansprüchen des Geschädigten,1816 was vor allem bei Rentenansprüchen nach §§ 842, 843 BGB einerseits, Verletztengeld und -rente anderseits zu bejahen ist.1817 bb) Anrechnung auf Schmerzensgeldansprüche Fraglich ist, ob die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche angerechnet werden können. Die bisher – soweit ersichtlich – einhellige Meinung lehnt dies unter Verweis auf ein Urteil des BGH1818 aus dem Jahre 1970 ab, weil diese Leistungen nicht auch dem Ersatz immaterieller Schäden dienten.1819 Das überzeugt jedoch aus mehreren Gründen nicht: Schon die Normstruktur von § 104 SGB VII spricht gegen diese Auffassung. Wenn Abs. 1 der Vorschrift den Anspruch auf „Ersatz des Personenschadens“ ausschließt und damit nach zutreffender, ganz herrschender Auffassung auch eventuelle Schmerzensgeldansprüche erfasst,1820 so ist nicht einzusehen, warum unter die Formulierung „nach Absatz 1 oder 2 verbleibenden Ersatzansprüche“ in Abs. 3 nicht auch Schmerzensgeldansprüche fallen sollen.
1815 BGH 22.9.1970 – VI ZR 270/69, VersR 1970, 1053 (zum insoweit inhaltsgleichen § 81a BVG a.F.); Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 26; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 33; Krasney, NZS 2004, 7, 12; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45. – Es werden nicht nur die Leistungen des Unfallversicherungsträgers, sondern die aller Sozialversicherungsträger angerechnet, jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 104, Rn. 31 m.w.N. 1816 Krasney, NZS 2004, 7, 12; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45; BeckOK-SozR/ Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 35; Kasseler Kommentar/Ricke, § 105 SGB VII, Rn. 16. 1817 Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45; weitere Beispiele für kongruente Leistungen bei Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 30. 1818 BGH 22.9.1970 – VI ZR 270/69, VersR 1970, 1053 (zum insoweit inhaltsgleichen § 81a BVG a.F.). 1819 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 30; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 19; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 27; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 16; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 28; BeckOKSozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 37; jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 104, Rn. 32; a.A. Fischinger, NZS 2014, 721. – Für das Pendant für Beamte war die Nichtanrechnung ursprünglich sogar explizit im Gesetz geregelt (vgl. § 139 BBG vor 1965, zitiert nach BGH 22.9.1970 – VI ZR 270/69, VersR 1970, 1053. 1820 Siehe oben § 2 E II 2 b).
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Gegen die bisher einhellige Meinung spricht vor allem, dass ihre apodiktisch formulierte Prämisse, die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sähen keinerlei Kompensation für den Verlust privatrechtlicher Schmerzensgeldansprüche vor, nicht zutrifft. Wie oben1821 dargelegt, kann der Verletztenrente nach ganz herrschender und auch zutreffender Auffassung durchaus die Funktion eines Ausgleichs für immaterielle Schäden zukommen: Gerade bei leicht- und mittelschwer Verletzten wird sie oftmals sogar vorwiegend keinen korrelierenden materiellen Schaden kompensieren und folglich wirtschaftlich (fast) vollständig einer Schmerzensgeldzahlung gleichkommen. Wegen § 57 SGB VII, § 93 II Nr. 2 lit. a) SGB VI erhalten zudem auch Schwerverletzte häufig zumindest einen partiellen Ausgleich für ihre immateriellen Schäden. Ob die Verletztenrente einen Ausgleich immaterieller Schäden bewirkt, hängt somit vom jeweiligen Einzelfall ab. Ist dies in einem konkreten Fall ganz oder zumindest zum Teil zu bejahen, ist es angesichts der (partiellen) Kongruenz der Ansprüche überzeugend, sie in entsprechender Höhe nach § 104 III SGB VII auf den privatrechtlichen Schmerzensgeldanspruch anzurechnen. Dafür lässt sich auch das BVerfG anführen, das im Jahre 1972 den Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen durch die damaligen §§ 636 I, 637 RVO auch deshalb für verfassungskonform erklärte, weil angesichts der potentiellen und partiellen Funktion der Verletztenrente, immaterielle Schäden auszugleichen, andernfalls „der verletzte Arbeitnehmer besser gestellt würde als der nach §§ 823 ff. BGB Schadensersatzberechtigte“1822. Wie die im Folgenden zu erörternden Konstellationen illustrieren, führt die hier vertretene Auffassung schließlich zu sach- und systemgerechteren Ergebnissen. Grundfall: Infolge eines vom Unternehmer S auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführten Versicherungsfalls hat sein Arbeitnehmer, der Geschädigte G, (kapitalisierte, § 843 III BGB) Einkommensverluste von € 30.000 und immaterielle Schäden dergestalt, dass sich ein angemessenes Schmerzensgeld auf € 20.000 beläuft. Der Verletztenrentenanspruch gegen den Unfallversicherungsträger U wegen einer Minderung der Erwerbstätigkeit von 30 % wird nach §§ 75 ff. SGB VII in Höhe von € 40.000 abgefunden. Abwandlung 1: Der Versicherungsfall wird nicht auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg, sondern stattdessen vorsätzlich im Sinne von § 104 I 1 SGB VII a.E. herbeigeführt. Abwandlung 2: Anders als im Grundfall werden weder die privatrechliche Geldrente noch die sozialversicherungsrechtliche Verletztenrente kapitali1821 1822
§ 2 E II 2 d) aa) (2). BVerfGE 34, 118, 134.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
siert/abgefunden. G hat nach § 56 SGB VII einen jährlichen Rentenanspruch von € 4.000, der korrespondierende privatrechtliche Rentenanspruch aus § 843 I BGB beläuft sich auf € 3.000 per anno. Grundfall wie Abwandlung 1 sind im Ausgangspunkt identisch zu lösen: Zunächst kann G von U die Verletztenrente in Höhe von € 40.000 beanspruchen, §§ 56, 76 SGB VII. In einem zweiten Schritt kann er sich dann – weil die Haftungsprivilegierung des § 104 I SGB VII jeweils nicht greift – an S selbst halten, seine Ansprüche mindern sich allerdings um die kongruenten sozialversicherungsrechtlichen Leistungen, § 104 III SGB VII. Keine Unterschiede zwischen der hier vertretenen und der herrschenden Meinung ergeben sich, soweit es um den materiellen Schaden (Einkommensverlust) geht. Da die Verletztenrente insoweit in Höhe dieser Einkommenseinbuße kongruent ist, vermindert sich der materielle Schadensersatzanspruch auf (€ 30.000 ./. € 30.000 =) € 0. Eine Abweichung ergibt sich allerdings hinsichtlich des privatrechtlichen Schmerzensgeldanspruchs. Während nach herrschender Meinung keinerlei Anrechnung der bezogenen Versichertenrente erfolgt und G daher von S € 20.000 Schmerzensgeld verlangen kann, vermindert sich nach der hier vertretenen Auffassung sein privatrechtlicher Schmerzensgeldanspruch um denjenigen Anteil der Versichertenrente, der als Kompensation für immaterielle Schäden anzusehen ist (vorliegend: € 40.000 ./. € 30.000 [für Erwerbsschäden] = € 10.000). G’s Schmerzensgeldanspruch reduziert sich mithin um € 10.000 und beträgt nur noch € 10.000. Für den Grundfall lässt sich somit als Ergebnis festhalten: – G erhält nach herrschender Meinung insgesamt € 60.000 (€ 40.000 [Verletztenrente von U] + € 20.000 [Schmerzensgeld von S]), nach hier vertretener Auffassung hingegen € 50.000 (€ 40.000 [Verletztenrente von U] + € 10.000 [Schmerzensgeld von S]). – S muss an G nach herrschender Meinung € 20.000, nach hier vertretener Auffassung € 10.000 zahlen. – U muss an G nach beiden Auffassungen € 40.000 zahlen. Die hier vertretene Auffassung ist angesichts dieser Resultate aus mehreren Gründen überzeugender: Erstens ist nicht einzusehen, warum G, der „nur“ einen Schaden von € 50.000 (€ 30.000 [Verdienstausfall] + € 20.000 [immaterieller Schaden]) erlitt, von S und U insgesamt € 60.000 erhalten soll. Genau das ist aber das Resultat, wenn man mit der herrschenden Meinung § 104 III SGB VII auf seinen privatrechtlichen Schmerzensgeldanspruch nicht anwendet. Mit dem Postulat des BVerfG, der Geschädigte solle nicht besser gestellt werden als ein nach §§ 823 ff. BGB Schadensersatzberechtigter,1823 ist das nicht vereinbar. 1823
BVerfGE 34, 118, 134.
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Auch wenn S auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung besser steht als auf dem Boden der herrschenden Meinung, wird er dadurch zweitens nicht unbillig entlastet. Den tatsächlichen Gesamtschaden des G in Höhe von € 50.000 schultert er, bezieht man die Konzeption der gesetzlichen Unfallversicherung richtigerweise in die Betrachtung mit ein, nämlich dennoch vollständig: € 10.000 trägt er – sozusagen: direkt – per zivilrechtlichem Schmerzensgeldanspruch, die übrigen, von U geleisteten € 40.000 indirekt durch seine Beitragsleistungen. Umgekehrt wird S drittens auf Basis der herrschenden Meinung unbillig belastet, weil er nach dem soeben Gesagten nicht nur € 20.000 (direkt) zu zahlen hat, sondern auch die von U geleisteten € 40.000 über seine Beitragsleistungen indirekt finanziert hat. Diese partielle Doppelbelastung des S in Höhe von € 10.000 ist insbesondere mit dem die Haftungsprivilegierung des § 104 I SGB VII tragenden Finanzierungsargument1824 nicht vereinbar und auch aus diesem Grund nicht überzeugend. Bei Abwandlung 1 ist überdies § 110 SGB VII zu berücksichtigen, wonach der Unfallversicherungsträger für die ihm infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen beim Schädiger Rückgriff nehmen kann. Auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung kann U daher die an G geleisteten € 40.000 von S verlangen.1825 Geht man hingegen von der herrschenden Meinung aus, kann U von S nur € 30.000 verlangen, weil S, der an G auf Basis der herrschenden Meinung schon € 20.000 gezahlt hat (siehe oben), bei einem Regressanspruch in Höhe von € 40.000 schlechter stünde als bei einer Schadensabwicklung nach BGB – das aber soll durch den Passus „jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs“ in § 110 I 1 SGB VII a.E., bei dem nach ganz herrschender Ansicht auch (fiktive) Schmerzensgeldanspüche zu berücksichtigen sind,1826 gerade verhindert werden.1827 Gesamtergebnis der Abwandlung 1 ist somit: – Wie im Grundfall erhält G nach herrschender Meinung insgesamt € 60.000 (€ 40.000 [Verletztenrente] + € 20.000 [Schmerzensgeld]), nach hier vertretener Auffassung hingegen € 50.000 (€ 40.000 [Verletztenrente] + € 10.000 [Schmerzensgeld]). – S muss unter Zugrundelegung beider Auffassungen insgesamt € 50.000 leisten. Nach herrschender Ansicht setzt sich dies aus € 20.000 an G und € 30.000 an U zusammen, nach hier vertretener Auffassung dagegen aus € 10.000 an G und € 40.000 an U. 1824
Dazu ausführlich unten § 2 E IV 3. Zur rechtspolitischen Rechtfertigung dieses Rückgriffs auf Boden des Finanzierungsarguments vgl. unten § 2 E IV 3 c). 1826 Siehe oben § 2 E II 2 f). 1827 BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564; BeckOK-SozR/Stelljes, § 110 SGB VII, Rn. 29; HWK/Giesen, § 110 SGB VII, Rn. 6; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 110, Rn. 20. 1825
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
– Unterstellt S ist ausreichend solvent, hat U auf Basis der herrschenden Meinung insgesamt € 10.000 (€ 40.000 [an G] ./. € 30.000 [Rückgriff bei S]), auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung hingegen € 0 (€ 40.000 [an G] ./. € 40.000 [Rückgriff bei S]) aufgewandt. Auch in der durch die zusätzliche Anwendung von § 110 SGB VII geprägten Abwandlung 1 führt die hier vertretene Auffassung zu überzeugenderen Ergebnissen. Auf dem Boden der herrschenden Meinung erhält G wiederum – wenig überzeugend – € 10.000 mehr, als zur Kompensation seiner Schäden notwendig ist, wohingegen er nach der hier vertretenen Meinung exakt die ihm entstandenen Schäden ersetzt erhält. Damit korrespondiert, dass nur auf Basis der hier befürworteten Auslegung U vollständig entlastet wird und der Schaden allein vom vorsätzlich handelnden S zu tragen ist. Nach der herrschenden Meinung verbleibt U hingegen eine Belastung von € 10.000, obwohl S eigentlich alle dem G entstandenen Schäden ausgeglichen hat. Unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung findet mithin eine sachlich mit nichts zu rechtfertigende „Verlagerung“ von € 10.000 von U auf G statt. Eine „Korrektur“ dieses Ergebnisses ist der herrschenden Ansicht nicht möglich. Weder existiert eine cessio legis, mit der sich U an G halten und wieder € 10.000 zurückverlangen könnte, noch hat U irgendwelche Bereicherungsansprüche gegen G: Eine condictio indebiti in Bezug auf die von U an G ursprünglich erbrachten € 40.000 scheidet aus, weil die Leistung angesichts des Anspruchs aus § 56 SGB VII nicht rechtsgrundlos erfolgte. Wegen der in § 104 III SGB VII niedergelegten vorrangigen Einstandsverpflichtung des Unfallversicherungsträgers ändert sich daran auch dann nichts, wenn S später an G (weitere) € 20.000 zahlt; entsprechend besteht kein Anspruch aus condictio ob causam finitam. Eine Nichtleistungskondiktion in Form einer Zuwendungskondiktion1828 aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB in Höhe von € 10.000 wegen der von S an G geleisteten € 20.000 scheidet angesichts des Vorrangs der Leistungsbeziehung1829 offenkundig aus. Schließlich ist auch eine Kondiktion nach § 816 II BGB mit dem Argument, der Anspruch von G gegen S sei nach § 116 SGB X auf U übergegangen und die Zahlung von G an S daher als Leistung an einen Nichtberechtigten anzusehen, nicht möglich, weil § 116 SGB X durch § 104 I 2 SGB VII ausgeschlossen ist.1830 Wertungsmäßig ändert sich in den praktisch relevanteren, der Abwandlung 2 entsprechenden Konstellationen im Vergleich zum Grundfall respektive Abwandlung 1 nichts. Deshalb ist auch insoweit die hier befürwortete Ansicht vor1828
Zum Begriff vgl. BeckOK-BGB/Wendehorst, § 812, Rn. 104 ff. Vgl. dazu z.B. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 668 ff., 727 ff.; Erman/ Buck-Heeb, § 812, Rn. 16 ff.; PWW/Leupertz, § 812, Rn. 76 ff.; BeckOK-BGB/Wendehorst, § 812, Rn. 169 f. 1830 Siehe oben § 2 E II 2 e); dementsprechend kommt auch kein Leistungserstattungsanspruch des U gegen G aus § 116 VII 1 SGB X in Betracht. 1829
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zugswürdig. Auf ihrer Grundlage ergeben sich rein praktische Anrechnungsprobleme. Gering sind diese, wenn sowohl die Rente nach §§ 842 f. BGB wie auch die Verletztenrente ausnahmsweise befristet ist (vergleiche § 73 IV SGB VII)1831, weil dann der den tatsächlichen Erwerbsschaden übersteigende Teil der Verletztenrente unproblematisch bestimmt und auf den privatrechtlichen Schmerzensgeldanspruch angerechnet werden kann.1832 In der Regel sind die Rentenansprüche aber unbefristet, so dass sich die Schwierigkeit stellt, in welcher Höhe ein Abzug vom momentan bereits fälligen Schmerzensgeldanspruch im Hinblick auf die künftig zu leistende, teilweise ebenfalls der Kompensation immaterieller Schäden dienende Verletztenrente, vorzunehmen ist. Dem Richter wird hier nichts anderes übrig bleiben, als zu schätzen. Das mag für die Praxis unbefriedigend sein, rechtsdogmatisch problematisch ist es aber nicht. Denn im Schadensrecht sind Situationen, in denen eine strikte Anwendung der normalen Beweismaßanforderungen zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen würde, häufig, so dass der Gesetzgeber dem Richter in § 287 ZPO das Recht zur Schätzung eingeräumt hat.1833 In der Abwandlung 2 beispielsweise beträgt der auf immaterielle Schäden entfallende Teil der Verletztenrente per anno (€ 4.000 [Verletztenrente] ./. € 3.000 [tatsächliche Einkommenseinbuße] = ) € 1.000. Geht der Richter mithin davon aus, dass G noch mindestens zwanzig Jahre rentenberechtigt sein wird, hat er über § 104 III SGB VII den Schmerzensgeldanspruch auf Null zu kürzen. Geht er von einer kürzeren Bezugszeit aus, hat eine entsprechend anteilige Anrechnung zu erfolgen. Um vorhersehbarere und objektivierbarere Ergebnisse zu erzielen, bietet es sich insoweit an, sich an der statistischen durchschnittlichen Lebenserwartung zu orientieren. cc) Ergebnis Entgegen der bisher einhelligen Meinung ist gemäß § 104 III SGB VII eine Anrechnung der Verletztenrente auf privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche vorzunehmen, wenn und soweit der Verletztenrente im konkreten Fall die Funktion einer Entschädigung für immaterielle Schäden des Verletzten zukommt.
1831 Zum Ausnahmecharakter einer Befristung der Verletztenrente vgl. Ziegler, in: Becker/ Franke/Molkentin, SGB VII, § 73, Rn. 16; Kasseler Kommentar/Ricke, § 73 SGB VII, Rn. 19. 1832 Wären Verletzten- und privatrechtliche Rente in der Abwandlung 2 z.B. jeweils auf fünf Jahre befristet, wäre der Schmerzensgeldanspruch des G um (€ 4.000 [Verletztenrente] ./. € 3.000 [Rente nach §§ 842 f. BGB]) x 5 zu kürzen und betrüge entsprechend (€ 20.000 ./. € 5.000 =) € 15.000. 1833 Vgl. Musielak/Foerste, ZPO, § 287, Rn. 1; MüKo-ZPO/Prütting, § 287, Rn. 1.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
III. Dogmatische Qualifikation der §§ 104 ff. SGB VII 1. Grundsatz: Vollständige Schuldbeschränkung in Form einer rechtshindernden Einwendung Legt man die klassische Unterscheidung von Schuld und Haftung zugrunde, beschränken die §§ 104 ff. SGB VII nicht erst die Haftung, sondern bereits die Schuld des Schädigers, weil wegen der §§ 104 ff. SGB VII schon dem Grunde nach die Leistungspflicht gegenüber dem Geschädigten entfällt.1834 Das wirft die kaum erörterte Frage auf, um welche Art von Einwendung es sich handelt. Soweit hierzu überhaupt Stellung genommen wird, wird für eine Einstufung als rechtshemmende Einwendung (Einrede) plädiert.1835 Dagegen spricht schon der Wortlaut der §§ 104 ff. SGB VII. So ist zum Beispiel der Unternehmer dem Versicherten „nur verpflichtet“, wenn die Ausnahmen (Vorsatz/Wegeunfall) vorliegen. Das legt es nahe, im Nichteingreifen der Grundregel des § 104 I 1 SGB VII – beziehungsweise im Eingreifen einer dieser Ausnahmen – eine zusätzliche, neben die allgemeinen Voraussetzungen tretende Anspruchsentstehungsvoraussetzung und somit rechtshindernde Einwendung zu sehen. Weiter lässt sich der systematische Gegensatz zu den sonstigen Einredetatbeständen des Bürgerlichen Rechts anführen, bedient sich der Gesetzgeber dort doch stets der Wendung „kann … verweigern“.1836 Die Qualifikation als rechtshemmende Einwendung will Oetker (mittelbar) aus dem Regressanspruch des Unfallversicherungsträgers aus § 110 SGB VII ableiten.1837 Das ließe sich, wenn überhaupt, nur annehmen, wenn es sich bei § 110 SGB VII um eine cessio legis handeln würde, weil dann schwer begründbar wäre, wie ein niemals entstandener Anspruch auf den Unfallversicherungsträger übergehen könnte. Nach soweit ersichtlich einhelliger und auch zutreffender Meinung ordnet § 110 SGB VII aber – anders als § 116 SGB X – schon angesichts seines anderslautenden Wortlauts keinen gesetzlichen Forderungsübergang an, sondern statuiert vielmehr einen originären Regressanspruch des leistenden Unfallversicherungsträgers.1838 Weil er somit von den privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen des Geschädigten unabhängig ist, erlaubt § 110 SGB VII keinen Rückschluss auf die dogmatische Qualifikation der §§ 104–106 SGB VII. Fuchs1839 wiederum misst der von ihm befürworteten Einstufung als rechtshemmenden (statt -hindernden) Einwendungen mit Blick auf Situationen, in denen neben dem privilegierten Schädiger ein weiterer, nicht privilegierter 1834 1835 1836 1837 1838 1839
BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564. Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 200 f.; Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 324. Beispiele: §§ 214 I, 273 I, 320 I 1, 821, 853, 1166 S. 1, 1973 f., 1990, 2014, 2015, 2083 BGB. Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 324. Siehe oben § 2 E II 2 f). Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 200 f.
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Zweitschädiger für den Unfall verantwortlich ist, besonderes Gewicht bei. Er scheint davon auszugehen, dass nur unter Zugrundelegung seiner Auffassung zwischen Erst- und Zweitschädiger beziehungsweise Unfallversicherungsträger und Zweitschädiger das im Ergebnis gewünschte, lediglich „gestörte“ Gesamtschuldverhältnis zustande käme, wohingegen bei einer Einstufung als rechtshindernden Einwendung mangels Entstehung eines Schadensersatzanspruches gegen den privilegierten Schädiger schon im Ausgangspunkt kein (gestörtes) Gesamtschuldverhältnis entstünde.1840 Auch daraus lässt sich richtigerweise aber kein Argument für eine Einstufung als Einrede ableiten. Denn die Entstehung eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses hängt nicht davon ab, ob der Anspruch gegen den privilegierten Schädiger schon nicht entstanden oder ob er zwar entstanden, seine Durchsetzung aber nur gehemmt ist. So geht die einhellige Meinung von einem gestörten Gesamtschuldverhältnis unproblematisch auch und gerade dann aus, wenn der Anspruch gegen den privilegierten Schädiger schon dem Grunde nach „geblockt“ ist, zum Beispiel weil zu seinen Gunsten eine Verschuldensmaßstabsmodifikation durch §§ 690, 708, 1359, 1664 I BGB eingreift1841 oder er mit dem Geschädigten im Voraus einen Haftungsausschluss vereinbart hatte.1842 Es bleibt daher bei dem durch Wortlaut und Systematik gebotenen Ergebnis einer Qualifikation der §§ 104 ff. SGB VII als rechtshindernde Einwendungen.1843 2. Folgen a) Allgemeines Stuft man die §§ 104 ff. SGB VII als rechtshindernde Einwendungen ein, so sind sie von Amts wegen zu beachten, eine Klage gegen den privilegierten Schädiger im Erkenntnisverfahren also selbst dann abzuweisen, wenn er sich nicht auf die Haftungsersetzung beruft. Leistet der Privilegierte in Unkenntnis seiner mangelnden Schuld beziehungsweise unter Vorbehalt, kann er nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB (und nicht wegen Bestehens einer dauernden Einrede nach § 813 I 1 BGB) kondizieren. Ein Schuldnerverzug des Privilegierten ist angesichts seiner Nichtschuld ausgeschlossen.
1840
Zur Problematik der gestörten Gesamtschuld im vorliegenden Kontext vgl. Fn. 1893. Vgl. z.B. BGH 27.6.1991 – VI ZR 205/60, NJW 1961, 1966, 1967; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 929. 1842 BGH 3.2.1954 – VI ZR 153/52, BGHZ 12, 213, 217 f. 1843 Vgl. RGZ 153, 38, 42; 157, 282, 285 f.; so wohl auch BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 38 („rechtshindernden Rechtssatz“). 1841
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
b) Verhältnis zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung Die dogmatische Qualifikation hat auch Rückwirkungen auf das Verhältnis der sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung zu den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung. Relevant wird diese bei der (potentiellen) Haftung eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber/Unternehmer und somit bei § 105 SGB VII.1844 Lägen sowohl die jeweiligen Voraussetzungen von § 105 SGB VII wie die der beschränkten Arbeitnehmerhaftung vor, muss schon deswegen, weil die Anwendbarkeit von § 110 SGB VII davon abhängt, geklärt werden, ob die Haftung für Personenschäden nach § 105 SGB VII oder gemäß der Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich ausgeschlossen ist.1845 Zum Teil wird für einen „Vorrang“ der beschränkten Arbeitnehmerhaftung dergestalt plädiert, dass der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII nur eingreift, wenn die Haftung nicht aufgrund des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ausgeschlossen ist.1846 Das überzeugt aus mehreren Gründen nicht.1847 Erstens stellt § 105 SGB VII nach überzeugender Auffassung eine rechtshindernde Einwendungen dar, die deshalb im Prüfungsaufbau vor der rechtsvernichtenden Einwendung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, auf die § 254 BGB analog anzuwenden ist,1848 zu prüfen und daher das vorrangige „Verteidigungsinstrument“ des Schädigers ist. Zweitens beruhen die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auf einer Rechtsfortbildung praeter legem.1849 Raum für richterliche Rechtsfortbildung besteht in einer parlamentarischen Demokratie aber nur, wo eine gesetzliche Regelung fehlt – wo das Gesetz nicht lückenhaft ist, besteht hingegen keine richterliche Kompetenz zur Rechtsfortbildung.1850 Soweit § 105 SGB VII Schutz gegen die Haftung für Personenschäden bietet, besteht daher auch aus rechtstheoretischen wie verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weder ein Bedürfnis noch eine Befugnis, auf die richterrechtlichen Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zurückzugreifen. Drittens spricht auch die 1844 Gegenüber Dritten, zu denen auch Arbeitskollegen zählen, kann sich der Arbeitnehmer nicht auf die beschränkte Arbeitnehmerhaftung berufen, vgl. z.B. BGH 30.4.1959 – II ZR 126/57, NJW 1959, 1221, 1223; 19.9.1989 – VI ZR 349/88, NJW 1989, 3273, 3274. 1845 Für Sachschäden stellt sich ein Konkurrenzproblem naturgemäß nicht. Da § 105 SGB VII hier nicht gilt, kommt eine Haftungsbeschränkung nur über die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs in Betracht. 1846 Rupp, JURA 2007, 124, 127 mit Fn. 35; Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 105 SGB VII, Rn. 28. 1847 So i.E. auch HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 10. 1848 Siehe unten § 2 F V 1; BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89, NZA 1994, 1083, 1084; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 45. – Zur Qualifikation des § 254 BGB als rechtshindernde Einwendung vgl. BGH 18.11.1999 – III ZR 63/09, NJW-RR 2000, 549, 550; BAG 18.12.1970 – 1 AZR 177/70, NJW 1971, 957, 959; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 143; Soergel/ Mertens, § 254, Rn. 132; Palandt/Grüneberg, § 254, Rn. 72. 1849 Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 37 m.w.N. 1850 Rüthers, JuS 2011, 865, 868; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 878 ff.
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Normstruktur des § 105 II SGB VII für die hier vertretene Auffassung. Abs. 2 S. 1 ordnet zunächst apodiktisch durch Verweis auf Abs. 1 den Ausschluss der Haftung gegenüber einem nicht versicherten Unternehmer an. Um diesen nicht schutzlos zu stellen, sieht Abs. 2 S. 2 sodann einen „Versicherungsschutz wegen Haftungsausschlusses“1851 vor, der allerdings unter dem Vorbehalt steht, dass dem Unternehmer überhaupt zivilrechtliche Ansprüche zustehen – was nicht der Fall ist, wenn der schädigende Arbeitnehmer wegen der Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich nicht haftet.1852 Dieser Normaufbau zeigt: Ob der nicht versicherte Unternehmer vom schädigenden Arbeitnehmer zivilrechtlich Schadensersatz verlangen kann, hängt allein von den Voraussetzungen des § 105 I SGB VII ab, nicht aber davon, ob auch die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung eingreifen, Abs. 2 S. 1; diese Grundsätze werden nur – inzident – im Verhältnis zwischen dem eigentlich nicht versicherten Unternehmer und dem Unfallversicherungsträger relevant, Abs. 2 S. 2. Auch wenn die Normstruktur des § 105 II SGB VII unmittelbar nur bei nicht versicherten Unternehmern fruchtbar gemacht werden kann, wirkt sie sich insoweit mittelbar auch auf versicherte Unternehmer aus. Denn es sind – was das Verhältnis von § 105 SGB VII und den Grundsätzen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich betrifft – zwischen einem nicht versicherten und einem versicherten Unternehmer keinerlei relevante Unterschiede festzustellen. Angesichts dieser Argumente wäre die Gegenposition nur überzeugend, wenn nur sie geeignet wäre, eine mit den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nicht zu vereinbarende Belastung des schädigenden Arbeitnehmers über einen potentiellen Rückgriff des leistenden Sozialversicherungsträgers nach § 110 SGB VII zu verhindern. Auf ihrer Grundlage wird ein Regress bereits dadurch verhindert, dass schon die erste Tatbestandsvoraussetzung – Haftungsbeschränkung nach §§ 104–107 SGB VII – nicht erfüllt ist. Aber auch unter Zugrundelegung der hier vertretenen Ansicht führt § 110 SGB VII nicht dazu, dass die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich ausgehöhlt werden. Zwar ist der Tatbestand des § 110 SGB VII erfüllt, der Regressanspruch ist der Höhe nach aber auf die „Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs“ beschränkt. Bei der Bestimmung dessen können und müssen die Besonderheiten der beschränkten Arbeitnehmerhaftung berücksichtigt werden,1853 so dass der Arbeitnehmer dem Sozialversicherungsträger maximal 1851 Waltermann, NJW 1997, 3401, 3403; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 16. 1852 Vgl. auch BSG 24.6.2003 – B 2 U 39/02 R, NJW 2004, 966, 966 f.; Becker/Burchardt/ Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 106, Rn. 18. 1853 Dafür spricht vor dem Hintergrund der dogmatischen Verortung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung in § 254 BGB analog insbesondere, dass das Mitverschulden des Geschädigten nach allgemeiner Meinung im Rahmen von § 110 SGB VII zu berücksichtigen ist (Schmitt, SGB VII, § 110, Rn. 14; Kasseler Kommentar/Ricke, § 110 SGB VII, Rn. 8).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
auf dasjenige verpflichtet ist, was er eingedenk dieser Besonderheiten dem Arbeitgeber hätte leisten müssen. Summa summarum genießt § 105 SGB VII in seinem Anwendungsbereich Vorrang vor den Regeln über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung. Für diese ist daher nur Raum, wenn der Schaden auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wurde oder es sich um einen Sachschaden handelt.1854 3. Einschränkungen Die mit den §§ 104 ff. SGB VII eigentlich einhergehende Freistellung von privatrechtlichen Schadensersatzverpflichtungen wird bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise für zwei Konstellationen eingeschränkt: a) Regress nach § 110 SGB VII Hat der Schädiger den Versicherungsfall grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt und beschränkt sich sein Verschulden auf das verursachende Handeln oder Unterlassen, greifen zwar die §§ 104–106 SGB VII ein, er ist aber dem Regress des leistenden Sozialhilfeträgers bis maximal zur Höhe des hypothetischen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs ausgesetzt, § 110 I 1, 3 SGB VII. Dogmatisch bleibt es hier zwar dabei, dass er auf der Ebene des Privatrechts gegenüber dem Geschädigten frei wird, dies nützt ihm aber wirtschaftlich regelmäßig nichts, weil er dies mit der Entstehung originärer Regressansprüche des Sozialhilfeträgers „bezahlt“.1855 Im Zusammenspiel bewirken die §§ 104–106, 110 SGB VII – wirtschaftlich betrachtet – daher lediglich eine Schuldbeschränkung für leichte Fahrlässigkeit. b) § 104 III SGB VII In den Fällen des § 104 III SGB VII wird die Leistungsverpflichtung des Schädigers nicht vollständig ausgeschlossen, sondern nur insoweit vermindert, als der Geschädigte Leistungen der Unfallversicherung erhält. Es handelt sich um eine gesetzlich angeordnete Vorteilsausgleichung.1856 Auf der Ebene des Pri1854 Handelte der Arbeitnehmer vorsätzlich auch im Hinblick auf die konkrete Schadensfolge, greift § 105 SGB VII zwar ebenfalls nicht ein, ein Haftungsprivileg folgt hier angesichts des vorsätzlichen Handelns aber auch nicht über die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung. 1855 Immerhin steht der Schädiger nach Einführung der Begrenzung des Regressanspruchs auf den maximalen zivilrechtlichen Schadensersatz nicht schlechter also ohne die §§ 104 ff. SGB VII; unter Geltung der Vorgängervorschrift (§ 670 RVO) konnte das anders sein, der Gesetzgeber hat daher zu Recht die Vorschrift geändert. – Der Schädiger kann sogar besser stehen, und zwar, wenn der Sozialhilfeträger unter ordnungsgemäßer Ausübung seines Ermessens auf die Geltendmachung des Ersatzanspruches ganz oder zum Teil verzichtet, § 110 II SGB VII. 1856 Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 23.
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vatrechts findet mithin nur eine partielle Schuldbeschränkung statt. Diese ist wirtschaftlich zudem wertlos, wenn § 104 III SGB VII eingreift, weil der Versicherungsfall vom Schädiger vorsätzlich herbeigeführt wurde. Denn in diesem Fall kann der Sozialhilfeträger über § 110 I SGB VII wieder Regress für die von ihm erbrachten, den privatrechtlichen Anspruch zunächst mindernden Leistungen verlangen. Der Schädiger ist mithin zwei Gläubigern ausgesetzt, die typischerweise nebeneinander berechtigt sind.1857 Eine „echte“ teilweise Schuldbeschränkung, die auch zu einer wirtschaftlichen Teilentlastung führt, findet daher nur statt, wenn § 104 III SGB VII eingreift, weil der Versicherungsfall auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Wege herbeigeführt wurde. Denn dann wird der Schädiger in Höhe der vom Sozialversicherungsträger erbrachten Leistungen frei, ohne einem Regress nach § 110 SGB VII ausgesetzt zu sein.1858 c) Zusammenfassung Für die Frage, ob und inwieweit die §§ 104 ff. SGB VII die zivilrechtliche Einstandsverpflichtung (Schuld) des Schädigers begrenzen, ist zu differenzieren: – In den Genuss einer vollständigen Schuldbeschränkung samt wirtschaftlicher Entlastung kommt nur der Schädiger, der den Versicherungsfall nicht auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Wege und maximal leicht fahrlässig herbeigeführt hat. – Wird der Versicherungsfall auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Wege und maximal leicht fahrlässig verursacht, wird die zivilrechtliche Leistungspflicht des Schädigers nach § 104 III SGB VII teilweise beschränkt. In gleichem Maße wird er wirtschaftlich entlastet, weil kein Regress nach § 110 SGB VII stattfindet. – Wird der Versicherungsfall vorsätzlich auch in Bezug auf die konkrete Verletzungsfolge herbeigeführt, findet keine Schuldbeschränkung statt, weil § 104 I SGB VII nicht eingreift; auf § 110 SGB VII kommt es nicht an. – Wird der Versicherungsfall grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt, beschränkt sich das Verschulden aber auf das den Versicherungsfall verursa1857 Beispiel: Erleidet der Geschädigte infolge des Schadensfalles Schäden in Höhe von € 50.000 und belaufen sich die Leistungen des Unfallversicherungsträgers auf € 30.000, so ist der Schädiger in Höhe von (€ 50.000 ./. € 30.000 = ) € 20.000 Ansprüchen des Geschädigten und in Höhe von € 30.000 Ansprüchen des Unfallversicherungsträgers ausgesetzt. – Kommt es hingegen ausnahmsweise zu einer wirtschaftlichen Doppelbelastung des Schädigers, so kann die entstehende Anspruchskonkurrenz durch einen Verzicht des Sozialhilfeträgers auf Geltendmachung seines Regressanspruchs aufgelöst werden; zugunsten des Versicherten sieht der BGH den Sozialhilfeträger in solchen Fällen regelmäßig als dazu verpflichtet an (§ 110 II SGB VII, § 39 SGB I), BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3565. 1858 Siehe auch die Ausführungen oben § 2 E II 2 f).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
chende Handeln/Unterlassen, findet zwar auf der zivilrechtlichen Ebene eine vollständige Schuldbefreiung statt. Diese ist aber im wirtschaftlichen Ergebnis regelmäßig wertlos, weil der Sozialhilfeträger, der an den Versicherten Leistungen erbringt, nach § 110 SGB VII beim Schädiger Regress nehmen kann. IV. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung der §§ 104–106 SGB VII Die Versagung zivilrechtlicher Ansprüche durch die §§ 104–106 SGB VII beeinträchtigt die Interessen der Geschädigten zunächst einmal nicht unerheblich. Unabhängig von der noch zu erörternden verfassungsrechtlichen Dimension (siehe V.), bedarf dies einer rechtspolitisch wie -dogmatisch überzeugenden Begründung. In Literatur und Rechtsprechung werden verschiedene Argumente angeführt, die im Folgenden im Einzelnen zu erörtern sind. Dabei wird jeweils in einem Dreischritt vorgegangen: Zunächst wird der wesentliche Inhalt des jeweiligen Arguments dargelegt („Definition“), anschließend untersucht, inwieweit sich dieses rechtstatsächlich in den einzelnen, von §§ 104–106 SGB VII erfassten Situationen fruchtbar machen lässt („Anwendungsbereich“), und schließlich seine rechtspolitische/-dogmatische Strahlkraft beleuchtet („Bewertung“). 1. Liquiditätsargument a) Definition Ausgangspunkt des Liquiditätsarguments ist die Überlegung, die Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz nach dem SGB VII biete dem Geschädigten im Vergleich zu einer Schadensliquidation nach privatrechtlichen Grundsätzen eine Reihe von Vorteilen, zum Beispiel, dass mit dem Unfallversicherungsträger ein stets liquider Schuldner zur Verfügung stehe und die Schadensabwicklung in aller Regel wesentlich schneller und unkomplizierter als zwischen Privaten vonstatten gehe. Angesichts dieser Vorteile sei die Versagung der „originären“ privatrechtlichen Ansprüche gerechtfertigt.1859 b) Anwendungsbereich Rechtstatsächlich kann das Liquiditätsargument auf sämtliche Tatbestände der §§ 104–106 SGB VII angewandt werden. Denn jeder der erfassten Geschädigten kann als Versicherter Leistungen des Unfallversicherungsträgers verlangen.1860 1859 Vgl. BVerfGE 34, 118, 132; Waltermann, RdA 1998, 330, 339; s. auch Fuhlrott, NZS 2007, 237, 238 f. 1860 Das gilt selbst für den geschädigten, nicht versicherten Unternehmer, da nach § 105 II 2 SGB VII im Gegenzug zur Versagung zivilrechtlicher Haftungsansprüche ein „Versicherungsschutz wegen Haftungsausschlusses“ (Waltermann, NJW 1997, 3401, 3403; Grüner, in:
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c) Bewertung Die angedeuteten Vorteile einer Schadensabwicklung über den Unfallversicherungsträger, auf die später noch näher einzugehen sein wird, sind nicht von der Hand zu weisen. Sie allein vermögen aber den Haftungsausschluss nicht zu begründen, und zwar weder aus der Warte des Geschädigten noch der des Schädigers.1861 Aus Sicht des Geschädigten ist nicht einzusehen, warum er „nur“ deshalb, weil er mit dem Unfallversicherungsträger einen Schuldner „gewinnt“, seinen eigentlichen Schuldner verlieren soll – und zwar umso mehr, als erstens die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung teilweise hinter den privatrechtlichen Ersatzansprüchen zurückbleiben können und zweitens die Schadensabwicklung auch zwischen Privaten völlig unproblematisch erfolgen kann, so dass die Liquidation über den Unfallversicherungsträger im konkreten Fall nicht einfacher und schneller sein muss. Auch mit den Interessen des Schädigers kann man seine Haftungsprivilegierung nicht mit dem Argument rechtfertigen, der Geschädigte könne sich an einen anderen Schädiger halten. Denn auch im übrigen Zivilrecht wird dem Schuldner nirgends nur deshalb eine Entlastung zuteil, weil er die Möglichkeit einer zügigen und zuverlässigen Forderungsabwicklung durch einen Dritten geschaffen hat.1862 Beispielsweise verliert der Geschädigte im Haftpflichtversicherungsrecht trotz der letztendlichen Versicherungsdeckung nicht seinen Anspruch gegen den versicherten Schädiger, und zwar selbst dann nicht, wenn er – ausnahmsweise – (auch) einen Direktanspruch gegen den Versicherer hat (§ 115 VVG). 2. Friedensargument a) Definition In favorem der §§ 104–106 SGB VII wird zweitens angeführt, der Ausschluss der Haftung für Personenschäden vermeide eine Belastung der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem.1863 Damit solle der „Betriebs“frieden geBecker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 16) erfolgt. Dieser besteht aber nur, wenn die privatrechtliche Haftung des Schädigers nicht auch aus anderen Gründen als § 105 II 1 SGB VII ausgeschlossen wäre. Das ist konsequent, weil dort, wo die Haftung auch aus anderen Gründen ausgeschlossen wäre, § 105 II 1 SGB VII keine weitere Beeinträchtigung der Interessen des geschädigten Unternehmers zur Folge hat. 1861 Vgl. auch Rolfs, Haftung, S. 55 ff. 1862 Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 47. 1863 RGZ 74, 27, 29; BSG 24.1.2006 – VI ZR 290/04, NZS 2006, 539, 540; 26.6.2007 – B 2 U 17/06 R, SozR 4–2700 § 105 Nr 2; BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3563 f.; 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; Waltermann, RdA 1998, 330, 339; ders., NJW 2008, 2895, 2896; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20; Maschmann, SGb 1998, 54, 54 f.; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 3, § 105, Rn. 3; ders., NZS 2004, 7; HWK/Giesen, Vor §§ 104–113 SGB VII, Rn. 3; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2, § 105 SGB VII, Rn. 2; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 3, § 105, Rn. 3; Dahm, in: Lauterbach,
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wahrt und auf diese Weise ein möglichst ungestörter Fortgang der „Betriebs“abläufe ermöglicht werden. b) Anwendungsbereich aa) Rechtstatsächlich kann das Friedensargument zunächst dort Geltung beanspruchen, wo es um die Haftung des Unternehmers gegenüber einem auch nach dem Versicherungsfall im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer (§ 104 SGB VII) sowie um den umgekehrten Fall einer Haftung des weiterhin beschäftigten Schädigers nach einer Verletzung des Unternehmers (§ 105 I SGB VII beziehungsweise II) geht. Schädigt ein Arbeitnehmer einen Versicherten desselben Betriebs (§ 105 I SGB VII), lässt sich das Betriebsfriedensargument sogar „doppelt“ anführen, weil hier nicht nur Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Beteiligten („unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebsfriedens“), sondern auch zwischen dem Schädiger und dem Arbeitgeber/Unternehmer drohen („mittelbare Beeinträchtigung“).1864 Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitskollegen in Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit schädigt, in der Regel einen Aufwendungsersatzanspruch gegen seinen Arbeitgeber aus § 670 BGB (analog) hat.1865 Auch bei Haftungsstreitigkeiten zwischen Versicherten untereinander/gegenüber Betriebsangehörigen in den Fällen des § 106 I SGB VII würde eine unmittelbare Belastung der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem und damit eine Vergiftung der Atmosphäre drohen, so dass sich auch insoweit das Friedensargument (hier vor allem in Form des [Hoch-]Schulfriedens) anführen lässt.1866 Ist Schädiger ein betriebsangehöriger Arbeitnehmer, kann SGB VII, § 104, Rn. 6; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 1a, § 105 SGB VII, Rn. 2; juris-PK-SGB VII/Ebsen, § 105, Rn. 8; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 2, § 105, Rn. 2; ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 8; BeckOK-SGB VII/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 3; Brose, RdA 2011, 205, 206; B. Schmidt, BB 2002, 1859, 1860; Kampen, NJW 2012, 2234, 2238. – Der historische Gesetzgeber sah den sozialen Frieden durch zahlreiche Haftpflichtprozesse zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern als gefährdet an. Diese würden eine „Erbitterung zwischen Arbeitgeber und Arbeitern [hervorrufen] und mit jedem neuen Falle der Boden für eine gütliche Verständigung in künftigen Streitfällen dieser und anderer Art immer mehr untergraben“ (RT-Drucks. 1881, Nr. 41, S. 21); kritisch Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 201, nach dem ein empirischer Beweis für Störungen des Betriebsfriedens nicht erbracht sei. 1864 Vgl. z.B. BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 2. 1865 Vgl. BAG 10.11.1961 – GS 1/60, NJW 1962, 411, 414; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1068 ff.; der Anspruch ist wegen § 254 BGB zwar ausgeschlossen bzw. wird gekürzt, wenn den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft, die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich (dazu Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], § 619a, Rn. 28 ff.) sind hierbei allerdings „reziprok“ anzuwenden (BAG [GS] 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 548; BAG 17.7.1997 – 8 AZR 480/95, NZA 1997, 1346, 1346 f.; 23.11.2006 – 8 AZR 701/05, NJW 2007, 1486, 1487). 1866 Vgl. für den Schulfrieden BGH 12.10.1976 – VI ZR 271/75, NJW 1977, 296, 297; 14.7.1987 – VI ZR 18/87, NJW 1988, 493; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 115.
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zudem der Frieden („mittelbar“) durch Aufwendungsersatzforderungen gegen den Unternehmer gestört werden. Weil andernfalls Haftungsstreitigkeiten zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen oder zwischen verschiedenen Pflegepersonen denkbar wären, lässt sich auch für § 106 II SGB VII das Friedensargument anführen. Und bei den von § 106 III, IV SGB VII erfassten Konstellationen kann der Betriebsfrieden zudem jedenfalls dadurch „mittelbar“ beeinträchtigt werden, dass der schädigende Arbeitnehmer Aufwendungsersatz aus § 670 BGB (analog) von seinem Unternehmer verlangt. bb) Prima vista scheint das Friedensargument somit rechtstatsächlich die gesamte Palette der Haftungsprivilegierungen der §§ 104–106 SGB VII abzudecken. Bei einem genaueren Blick lässt sich dieser Befund jedoch nicht aufrechterhalten. Die §§ 104–106 SGB VII erfassen vielmehr eine Reihe von Konstellationen, in denen der Betriebsfrieden schon theoretisch nicht bedroht sein kann: Bei § 104 SGB VII ist dem Friedensargument der Boden entzogen, wenn entweder der geschädigte Arbeitnehmer so zeitnah nach dem Versicherungsfall aus dem Unternehmen ausschied, dass eventuelle Schadensersatzstreitigkeiten erst danach ausgefochten würden, oder wenn seine Hinterbliebenen nach seinem Tod mit dem Unternehmer streiten. Auch im Rahmen der §§ 105, 106 I, III SGB VII lässt sich das Friedensargument immer dann nicht fruchtbar machen, wenn der Schädiger1867 den Betrieb/das Unternehmen verlassen hat, bevor (gerichtlich) über mögliche privatrechtliche Schadensersatzansprüche gestritten wird. Ferner versagt der Friedensgedanke bei § 106 II SGB VII, wenn der Pflegebedürftige verstorben ist (und die Pflegeperson mit den Erben streitet) oder die Pflegeperson den Pflegebedürftigen mittlerweile nicht mehr betreut. Und schließlich passt das Friedensargument auch bei § 106 IV SGB VII nicht, wenn der Schädiger entweder ein Arbeitnehmer des Betriebs war, der vor Beginn der Rechtsstreitigkeiten ausschied, oder aber wenn der Besucher durch den Unternehmer selbst geschädigt wurde.1868 cc) Ob sich das Friedensargument bei § 106 III SGB VII anführen lässt, wenn ein auf der gemeinsamen Betriebsstätte selbst tätiger Unternehmer1869 einen Versicherten eines anderen der beteiligten Unternehmen schädigt, ist umstritten. Vereinzelt wird der Friedensbereich hier auf die „gemeinsame Betriebsstätte“ ausgedehnt, wofür angeführt wird, dass heute aufgrund von Outsourcing häufig immer wieder dieselben Unternehmen auf einer Betriebsstätte 1867 Scheidet hingegen der geschädigte Arbeitskollege des Schädigers aus dem Betrieb aus, kann der Betriebsfrieden zwar nicht durch einen Streit zwischen Geschädigtem und Schädiger, wohl aber zwischen diesem und dem Unternehmer darüber, ob Aufwendungsersatz nach § 670 BGB (analog) geschuldet ist, gefährdet sein. 1868 So i.E. auch BGH 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533. 1869 Nur für einen solchen gilt nach h.M. die Haftungsbeschränkung, siehe die Nachweise in Fn. 1765.
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zusammenwirkten.1870 Das allerdings geht insofern zu weit, als – anders als beispielsweise bei der von § 106 I SGB VII erfassten Schulsituation – ein wiederholtes Zusammentreffen von Unternehmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte zwar möglich ist, aber keine Garantie dafür besteht. Weil die Zusammenarbeit oftmals einmalig sein wird, lässt sich das Betriebsfriedensargument daher nicht beziehungsweise nicht stets anführen.1871 dd) Soweit durch den Versicherungsfall nicht nur Personen-, sondern auch Sachschäden entstanden sind, lässt sich das Friedensargument schon im Grundsatz nicht anführen. Die §§ 104–106 SGB VII greifen hier niemals ein und vermögen daher eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens durch Rechtsstreitigkeiten nicht zu verhindern.1872 ee) Vor einer weiteren, wenn auch zugegebenermaßen eher mittelbaren Beeinträchtigung des Betriebsfriedens vermögen die §§ 104–106 SGB VII ebenfalls niemals Schutz zu bieten. Ist Schädiger der Unternehmer oder ein weiterhin im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer, und möchte der Sozialhilfeträger, der an den Geschädigten Sozialleistungen erbracht hat, beim Schädiger Regress nehmen (§ 110 SGB VII), kann das Betriebsklima durch eine Zeugenaussage des Geschädigten ebenfalls belastet werden.1873 c) Bewertung Wie aufgezeigt, kann das Friedensargument schon rechtstatsächlich zwar für die meisten, beileibe aber nicht für alle der von §§ 104–106 SGB VII erfassten Konstellationen fruchtbar gemacht werden. Auch wenn die Vermeidung innerbetrieblicher Streitigkeiten Anliegen des Gesetzgebers war und die §§ 104–106 SGB VII im Grundsatz sicherlich dazu geeignet sind, das innerbetriebliche Konfl ktpotential einzuschränken1874, taugt das Friedensargument schon wegen der „Lückenhaftigkeit“ seines Anwendungsbereichs nicht zu deren vollumfänglichen rechtspolitischen und -dogmatischen Rechtfertigung.1875 Unabhängig davon lässt sich mit dem Friedensargument entgegen der wohl noch herrschen1870 Vor allem Jahnke, NJW 2000, 265, 266; vgl. auch OLG Dresden 17.10.2000 – 3 U 1761/00, NJW-RR 2001, 747, 748. 1871 So i.E. auch BGH 3.7.2001 – VI ZR 284/00, NJW 2001, 3125, 3127; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 131. 1872 Vgl. Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 17; Steindorff, SAE 1967, 272. 1873 Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 202 f. 1874 BVerfGE 34, 118, 132; Gitter, Schadensausgleich, S. 240; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 3; Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 104 SGB VII, Rn. 6. 1875 Ebenso Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 44 f.; i.E. ebenso Bogs, FS Gitter, S. 123, 129; Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 469 f.; kritisch auch Fuhlrott, Arbeitnehmer, S. 85 f. – Nicht überzeugend ist allerdings das Argument von Tamm, RdA 1960, 412, 414, die Bewahrung des Betriebsfriedens sei Aufgabe des Arbeitsgerichts, so dass durch dessen Anrufung und Entscheidung der Betriebsfrieden nicht gefährdet, sondern im Gegenteil gerade bewahrt werde. Denn wie Gitter, Schadensausgleich, S. 240 zu Recht bemerkt, verwechselt Tamm hier Betriebs- und Rechtsfrieden; dass letzterer durch die
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den Meinung die Haftungsprivilegierung aber ohnehin nicht rechtfertigen. Es ist vielmehr schon aus konzeptionellen Überlegungen als Legitimation für die Haftungsprivilegierung abzulehnen. Erstens ist es schlicht antiquiert. Es stammt aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs und damit einer Periode, in der Ruhe vielleicht nicht (mehr) allererste, aber im Vergleich zu heute dennoch weit vornehmere Bürgerpflicht war.1876 Die mit dieser „altertümliche[n] Übertreibung des Betriebsfriedens“1877 einhergehende einseitige Beeinträchtigung der Interessen des Geschädigten vermag dagegen in der heutigen, weit individualistischeren Gesellschaft die Versagung sämtlicher privatrechtlicher Ansprüche wegen Personenschäden inklusive derjenigen auf Schmerzensgeld trotz des anzuerkennenden legitimen Interesses des Unternehmers am Schutz des Betriebsfriedens und einem möglichst reibungslosen Betriebsablauf nicht mehr zu rechtfertigen.1878 Hinzu kommt zweitens, dass Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Rechte und Pflichten aus dem laufenden Arbeitsverhältnis tägliches Brot der Arbeitsgerichte sind.1879 Es ist nicht ersichtlich, warum in den von §§ 104–106 SGB VII geregelten Konstellationen der Betriebsfrieden derart stärker gestört würde als bei anderen arbeitsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, dass sich – noch ganz unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Überprüfung am Maßstab des Art. 3 I GG – eine Ungleichbehandlung beider Fallgruppen rechtspolitisch wie -dogmatisch rechtfertigen ließe. Denn warum der Betriebsfrieden durch Streitigkeiten über Personenschäden stärker beeinträchtigt sein sollte als zum Beispiel durch – gegebenenfalls über drei Instanzen ausgetragene – Konflikte über Sachschäden, ist nicht ohne Weiteres einsichtig; vielmehr lässt sich gerade auch das Gegenteil annehmen, wird es doch regelmäßig auf wenig Verständnis stoßen und dementsprechend umso eher zu einer Vergiftung der Beziehungen führen, wenn über kleine Sachschäden erbittert gestritten wird, wie wenn – menschlich nachvollziehbar – der Arbeitnehmer Ersatz für (gravierende) Gesundheitsschäden möchte.1880 Ein anderes Beispiel ist die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen wegen Mobbings. Vor allem, wenn das Opfer von mehreren Betriebsangehörigen gemobbt wurde und – wie in der Regel – viele kleine „Nadelstiche“ gegen das Opfer gerichtlich aufgear-
Einschaltung der Arbeitsgerichte hergestellt wird, lässt keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Betriebsfrieden zu. 1876 Weitergehend Steindorff, SAE 1967, 272 ( „Friedhofsruhe“). 1877 Steindorff, SAE 1967, 272. 1878 ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 2; ders., Haftung, S. 50 ff.; Fuhlrott, NZS 2007, 237, 238 f.; Steindorff, SAE 1967, 272; in diese Richtung auch BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 7. 1879 Insoweit zutreffend schon Tamm, RdA 1960, 412, 414. 1880 In diese Richtung auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533; a.A. Fuhlrott, Arbeitnehmer, S. 85 f.; ders., NZS 2007, 237, 239.
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beitet und gewürdigt werden müssen,1881 dürfte der Betriebsfrieden durch eine aufwendige Mobbingklage viel stärker belastet werden als durch eine Klage auf Schadensersatz wegen fahrlässiger Verletzung eines Arbeitskollegen oder eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber/Unternehmer. Für die Konstellation, dass der weiterhin im Betrieb beschäftigte Schädiger den Unternehmer verletzt (§ 105 I SGB VII beziehungsweise II), lässt sich gegen den Friedensgedanken noch ein weiteres Argument anführen. Die Versagung privatrechtlicher Schadensersatzansprüche zum Schutz des Betriebsfriedens würde hier eine unzumutbare Bevormundung des Unternehmers bedeuten. Denn selbst wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – den Betriebsfrieden dem Grunde nach als Legitimation für die Haftungsprivilegierung heranzieht, ist nicht zu verkennen, dass dies dem Interesse des Unternehmers an einem ungestörten Fortgang der Betriebsabläufe dient. Vor diesem Hintergrund ist nun aber nicht einzusehen, warum dem Unternehmer nicht erlaubt sein sollte, durch Anstrengung eines Schadensersatzprozesses den Betriebsfrieden zu gefährden – mit anderen Worten: es ist ihm zu überlassen, ob er lieber den Schadensersatz geltend macht oder sich für ein davon unbelastetes Betriebsklima entscheidet.1882 Dieser Befund wird durch einen Vergleich mit den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung bestätigt, wird zur Legitmation der Einschränkung der Schadensersatzhaftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber doch – soweit ersichtlich – von niemandem das Argument angeführt, der Betriebsfrieden sollte nicht durch mögliche Rechtsstreitigkeiten belastet werden.1883 Schließlich spricht gegen das Betriebsfriedensargument, dass es die Durchbrechungen der Haftungsprivilegierung (§§ 104 I 1, 105 I 1 SGB VII jeweils a.E.) nicht oder jedenfalls nur zum Teil zu erklären vermag. Zwar mag noch begründbar sein, dass ein Unternehmer, der einen Arbeitnehmer vorsätzlich schädigt, sich derart außerhalb des von der Rechtsordnung Tolerablen stellt, dass er sich nicht mehr auf sein Interesse an der Erhaltung des Betriebsfriedens samt des damit einhergehenden störungsfreien Fortgangs der Arbeitsabläufe berufen kann. Nur schwer rechtfertigen lässt sich auf dem Boden des Friedensarguments aber, warum der Unternehmer es hinnehmen muss, dass der Betriebsfrieden gestört wird, „nur“ weil ein Arbeitnehmer einen Arbeitskollegen vorsätzlich schädigte – aus der Warte des Friedensarguments gedacht wird hier der Unternehmer mit„bestraft“. Überhaupt nicht zu erklären ist überdies die zweite Durchbrechung des Haftungsprivilegs, das heißt Herbeiführung des Versicherungsfalls auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Wege. Denn auch 1881
180 ff.
1882
Vgl. dazu auch Fischinger, Comparative Labor Law & Policy Journal, 2010, 153, 157,
So zu Recht Denck, DB 1986, 590, 591. Zur rechtspolitischen und -dogmatischen Rechtfertigung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung vgl. unten § 2 F III. 1883
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in diesen Konstellationen drohen (gerichtlich ausgetragene) Streitigkeiten zwischen Schädiger und Geschädigtem, die den Betriebsfrieden potentiell ebenso belasten können wie Schäden aus klassischen Arbeitsunfällen. Dementsprechend: Trüge das Friedensargument die Haftungsprivilegierung, dürfte es zumindest diese zweite Ausnahme nicht geben. d) Zwischenergebnis Das Betriebsfriedensargument, das sich ohnehin nur in einem – wenn auch großen – Teil der von den §§ 104–106 SGB VII erfassten Konstellationen anführen lässt, überzeugt aus den genannten Gründen in der Sache heute nicht mehr und vermag daher die Haftungsprivilegierung nicht zu rechtfertigen. 3. Finanzierungsargument a) Definition Nach dem Finanzierungsargument dient das Haftungsprivileg dazu, eine doppelte finanzielle Belastung des Unternehmers zu vermeiden.1884 Indem er die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entgegen dem sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz hälftiger Beitragsteilung alleine getragen hat (§ 150 I SGB VII),1885 hat er – gewissermaßen präventiv – den Schadensausgleich bereits finanziert. Müsste er dennoch auch die konkreten finanziellen Folgen einzelner Versicherungsfälle in seinem Unternehmen schultern, würde er für diese wirtschaftlich betrachtet doppelt haften.1886 b) Anwendungsbereich aa) § 104 SGB VII In rechtstatsächlicher Hinsicht lässt sich das Finanzierungsargument unproblematisch für den Ausschluss der Haftung des Unternehmers nach § 104 SGB VII fruchtbar machen.1887 Vor allem greift es – anders als das Friedensargument – auch, soweit es um den Haftungsausschluss gegenüber Besuchern im 1884 RT-Drucks. 1884, Nr. 4, S. 82.; vgl. BT-Drucks. 13/2204, S. 72 (sub. III); BGH 27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563; BSG 24.1.2006 – VI ZR 290/04, NZS 2006, 539, 540; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; Leichsenring/Petermann, SGb 1989, 464, 465; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 3; Rupp, JURA 2007, 124, 125; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 3; gegen das Finanzierungsargument hingegen Tamm, RdA 1960, 412, 414; Fuhlrott, Arbeitnehmer, S. 83. 1885 Rechtspolitisch wird dies damit begründet, dass der Arbeitsunfall (unvermeidbare) Folge der Betriebstätigkeit sei und damit zu den Produktionskosten gehöre, vgl. Gitter, Schadensausgleich, S. 32; Brose, RdA 2011, 205. 1886 Rolfs, DB 2001, 2294, 2298; Manfred Lepa, VersR 1985, 8, 9; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 2. 1887 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 3; Kasseler Kommentar/ Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 2; Lehmacher/Mül-
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Falle des § 3 I Nr. 2 SGB VII sowie Hinterbliebenen/Angehörigen und der geschädigten Leibesfrucht (§ 12 SGB VII) geht, weil auch sie Leistungsansprüche gegen die vom Unternehmer finanzierte gesetzliche Unfallversicherung erwerben. Seine Strahlkraft wird anders als die des Friedensarguments auch nicht geschmältert, wenn der Geschädigte alsbald nach dem Versicherungsfall aus dem Unternehmen ausscheidet. bb) § 105 SGB VII Das Finanzierungsargument trägt nach der ganz herrschenden Meinung auch den Haftungsausschluss zwischen Arbeitskollegen nach § 105 I SGB VII.1888 Das ist auf den ersten Blick merkwürdig, weil mit dem schädigenden Arbeitnehmer jemand von der zivilrechtlichen Haftung frei wird, der nicht mit den Beiträgen für die gesetzliche Unfallversicherung belastet ist. Allerdings verweisen die Vertreter der herrschenden Meinung darauf, dass ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitskollegen in Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit schädigt, oftmals einen Freistellungs- respektive Aufwendungsersatzanspruch gegen seinen Arbeitgeber aus § 670 BGB (analog)1889 hat. Der Gefahr, dass im wirtschaftlichen Endergebnis doch wieder der Unternehmer den Schaden tragen muss und damit – im Verein mit den bereits geleisteten Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung – doppelt belastet wird, beuge § 105 I SGB VII vor, indem er schon im Ansatz die Entstehung eines Aufwendungsersatzanspruches verhindere. So einleuchtend dies auf den ersten Blick erscheint, wird man mit dem Finanzierungsargument entgegen der herrschenden Ansicht die Versagung zivilrechtlicher Ansprüche im Verhältnis geschädigter versus schädigender Arbeitskollege nicht begründen können.1890 Die Versagung jeglicher privatrechtlicher Ansprüche wegen Personenschäden belastet den Geschädigten potentiell stark.1891 Weil die Haftungsprivilegierung unter Arbeitskollegen verhindert, dass Aufwendungsersatzansprüche des Schädigers gegen den Arbeitgeber aus § 670 BGB (analog) entstehen, ist sie zwar ein geeignetes Mittel, um eine doppelte finanzielle Belastung des Arbeitgebers zu verhindern. Erforderlich ist sie hierfür allerdings nicht. Denn insoweit hätte es vollkommen genügt, nicht auf heims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 1a; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 2. 1888 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 4; BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 3; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 106 SGB VII, Rn. 2; ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 1; HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 1; jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 105, Rn. 8; B. Schmidt, BB 2002, 1859, 1860. 1889 Vgl. dazu BAG 25.9.1957 – GS 4/56, GS 5/56, AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO; ErfK/ Preis, § 619a BGB, Rn. 26; HWK/Krause, § 619a BGB, Rn. 62 m.w.N. 1890 So i.E. auch Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 105, Rn. 3; Otto/ Schwarze, Haftung, Rn. 537; Schmitt, SGB VII, § 105, Rn. 2; explizit a.A. Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1364. 1891 Zur verfassungsrechtlichen Dimension des Problems siehe unten § 2 E V 1.
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der gewissermaßen ersten Stufe (Geschädigter versus Schädiger) anzusetzen, sondern erst den auf zweiter Stufe relevant werdenden Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu „blockieren“.1892 Das wäre ein zum Schutz des Arbeitgebers gleich geeignetes, den betroffenen Geschädigten aber weniger stark belastendes Mittel gewesen.1893 Das Finanzierungsargument lässt sich im Rahmen von § 105 I SGB VII auch nicht fruchtbar machen, wenn ein Betriebsfremder, der zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens „wie“ ein Beschäftigter (§ 2 II Nr. 1 SGB VII) für das Unfallunternehmen tätig wurde, einen Arbeitnehmer dieses Unternehmens schädigt.1894 Der Betriebsfremde selbst hat keine Beitragsleistungen erbracht, die einen Haftungsausschluss legitimieren könnten. Einen Freistellungs-/Aufwendungsersatzanspruch gegen den Arbeitgeber des Geschädigten hat er nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen nicht, es droht daher insofern auch keine wirtschaftliche Doppelbelastung dieses Unternehmers. Das Finanzierungsargument könnte daher – wenn überhaupt – nur relevant werden, wenn der 1892 Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1364 mit Fn. 42 spricht von einer „‚Umgehung‘ dieses Instituts“. 1893 Das Finanzierungsargument kann allerdings in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer (S) einen Arbeitskollegen (G) in Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit schädigt, in anderer Hinsicht relevant werden. Hier kommt dem Grunde nach oftmals eine Haftung des Arbeitgebers (U) aus §§ 280 I, II, 241 II, 278 BGB respektive § 831 I BGB in Betracht. U und S wären eigentlich nach § 840 I BGB Gesamtschuldner, weil dieser unstreitig auch dann eingreift, wenn einer der Schädiger auch aus Vertrag haftet (vgl. z.B. RGZ 61, 56, 59 f.; Staudinger/Vieweg, § 840, Rn. 15; Soergel/Krause, § 840, Rn. 5). Wegen der Haftungsprivilegierung des S aus § 105 I SGB VII ist das Gesamtschuldverhältnis allerdings gestört. Allgemein ist umstritten, wie Fälle gestörter Gesamtschuld zu behandeln sind (vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 928 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Zusammenhang löst die ganz h.M. die Problematik zulasten des Geschädigten G. Sein Anspruch gegen den nicht nach §§ 104 ff. SGB VII privilegierten Einstandsverpflichteten U beschränkt sich dementsprechend auf dasjenige, was U im Innenverhältnis zu S zu tragen hätte (BGH 12.6.1973 – VI ZR 163/71, NJW 1973, 1648; 2.12.1980 – VI ZR 265/78, NJW 1981, 760; 16.4.1996 – VI ZR 79/95, NJW 1996, 2023; 24.6.2003 – VI ZR 434/01, NJW 2003, 2984, 2986; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 23; Lemcke, ZAP 1998 Fach 2, S. 199, 220 f.; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 683; ErfK/ Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 20; HWK/Giesen, § 104 SGB VII, Rn. 8, § 106 SGB VII, Rn. 10 ff. m.w.N.). Nach § 840 II BGB ist im Innenverhältnis S allein verantwortlich, G hat deshalb auch keinen Anspruch gegen U. Der Tatsache, dass zwischen S und U ein Arbeitsverhältnis vorliegt und daher über den Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers oftmals der Arbeitgeber wirtschaftlich für den Schaden aufkommen muss, misst der BGH im Außenverhältnis zu G keine Bedeutung zu, weil generell Absprachen zwischen den Schädigern im Außenverhältnis unbeachtlich seien (BGH 11.11.2003 – VI ZR 13/03, NJW 2004, 951, 953; 10.5.2005 – VI ZR 366/03, NJW 2005, 2309, 2310; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 26). Dieser Lösung der Problematik ist zuzustimmen. Denn andernfalls müsste der Unternehmer über die „Umwege“ § 278/§ 831 BGB im Ergebnis doch oftmals wieder für den entstandenen Schaden eintreten, obwohl er ihn vermittels seiner Beitragsleistungen bereits präventiv liquidiert hat – und genau das wäre mit dem Finanzierungsargument nicht vereinbar (Waltermann a.a.O.). 1894 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 46.
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„Wie-Beschäftigte“ im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber für das Unfallunternehmen tätig wurde. Denn dann wird er oftmals gegen diesen (Zweit-)Arbeitgeber einen Freistellungs-/Aufwendungsersatzanspruch haben, so dass dieser Arbeitgeber/Unternehmer angesichts der von ihm bereits geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung finanziell doppelt belastet ist. Um dies im Rahmen des Finanzierungsarguments für bedeutsam halten zu können, wäre es allerdings erforderlich, das Beitragssystem des SGB VII als überbetriebliches, „gesamtheitliches“ zu verstehen, bei dem nicht jeder Unternehmer für die bei ihm Versicherten, sondern alle Unternehmer für alle Versicherten Beitragsleistungen erbringen; konkret würde das bedeuten, dass der (Zweit-)Arbeitgeber/Unternehmer mit seinen Beitragsleistungen nicht nur das Unfallversicherungsrisiko seiner Arbeitnehmer finanziert, sondern auch das der bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigten Versicherten. Ein derartiges Verständnis entspricht jedoch nicht dem geltenden Recht, wie die Beitragsvorschriften des SGB VII zeigen:1895 Die Höhe der vom Unternehmer (§ 150 I 1 SGB VII) zu entrichtenden Beiträge richtet sich unter anderem nach den Arbeitsentgelten der Versicherten sowie den Gefahrenklassen, § 153 I SGB VII. Ersteres lässt sich darauf zurückführen, dass auch der Umfang vieler Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung vom bisher erzielten Jahresarbeitsverdienst des Versicherten (§§ 81 ff. SGB VII) abhängt. Eine Orientierung der Beitragshöhe am Verdienst der beim Beitragspflichtigen beschäftigten Versicherten ist daher folgerichtig und zeigt, dass das System des SGB VII nicht auf eine betriebsübergreifende Verteilung oder Umschichtung zielt. Gleiches lässt sich aus der Abhängigkeit der Beitragshöhe von der jeweiligen Gefahrenklasse herleiten, in denen die Gefahr von Unfallschäden des spezifischen Gewerbezweigs typisiert werden.1896 Deshalb vermag das Finanzierungsargument auch in dieser Fallkonstellation den Haftungsausschluss nicht zu legitimieren. Schließlich kann das Finanzierungsargument auch insoweit nicht angeführt werden, als privatrechtliche Schadensersatzansprüche des geschädigten Unternehmers ausgeschlossen werden. Bei nicht versicherten Unternehmern (§ 105 II SGB VII) liegt das schon deshalb auf der Hand, weil diese für sich gar keine Beiträge geleistet haben.1897 Aber auch bei versicherten Unternehmern gilt im Ergebnis nichts anderes.1898 Denn es wäre geradezu „pervers“, die Versagung ihrer privatrechtlichen Schadensersatzansprüche damit zu legitimieren, dass sie 1895 Vgl. BGH 3.7.2001 – VI ZR 284/00, NJW 2001, 3125, 3126 (zu § 106 III Alt. 3 SGB VII); vgl. auch Rupp, JURA 2007, 124, 126: Geltung des § 104 SGB VII nur gegenüber Versicherten, die für das Unternehmen tätig sind. 1896 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 46. 1897 So auch B. Schmidt, BB 2002, 1859, 1860. 1898 Ebenso BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 19; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 105 SGB VII, Rn. 13.
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die Kosten für die gesetzliche Unfallversicherung tragen (vergleiche § 150 I 2 SGB VII). Dies widerspräche im Übrigen dem im Zivilrecht allgemein anerkannten, aus dem Rechtsgedanken des § 843 IV BGB abgeleiteten Grundsatz, dass eine vom Geschädigten finanzierte Versicherung den Schädiger nicht entlasten darf.1899 cc) § 106 SGB VII Das Finanzierungsargument lässt sich für § 106 I SGB VII nicht anführen.1900 Teilweise werden hier gemäß § 185 II 1, 2 Hs. 1 SGB VII Beiträge gar nicht erhoben, sondern die Aufwendungen für diese Versicherten stattdessen auf Land, Gemeinde oder Gemeindeverbände umgelegt,1901 so dass von der Vermeidung einer doppelten finanziellen Belastung des jeweiligen Unternehmers schon deshalb keine Rede sein kann. Aber auch wo dies – wie vor allem bei § 106 I Nr. 3 SGB VII – anders und der Betriebsangehörige Arbeitnehmer ist, gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar dient die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers mittelbar auch insofern den Finanzinteressen des beitragspflichtigen Unternehmers, als kein Raum für Aufwendungsersatzansprüche nach § 670 BGB (analog) ist; nach dem zu § 105 I SGB VII Gesagten lässt sich die Haftungsprivilegierung damit aber nicht rechtfertigen, weil sie zum Schutz des Unternehmers zwar geeignet, aber nicht erforderlich ist. Für § 106 II SGB VII lässt sich das Finanzierungsargument ebenfalls nicht anführen, weil die Haftungsfreistellung nicht demjenigen zugute kommt, der die Beiträge für die Unfallversicherung trägt. Die Kosten für die Pflege-Unfallversicherung trägt nämlich weder die Pflegeperson noch der Pflegebedürftige, denn Beiträge werden hier nach §§ 185 II 1, 129 I Nr. 7 SGB VII nicht erhoben. Stattdessen werden die Aufwendungen für diese Versicherten auf das 1899 Vgl. z.B. RGZ 146, 287, 288 f.; BGH GS 30.3.1953 – GSZ 1–3/53, NJW 1953, 821, 823; BGH 19.12.1978 – VI ZR 218/76, NJW 1979, 760, 761 f.; MüKo-BGB/Wagner, § 843, Rn. 83; Staudinger/Schiemann, § 249, Rn. 159 ff. 1900 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 115. 1901 Das ist bei § 106 I Nr. 1, 2 SGB VII für folgende Personen der Fall: Nach § 2 I Nr. 3 SGB VII versicherte Personen, wenn die Untersuchung, Prüfung oder ähnliche Maßnahme von einer Landesbehörde (§ 128 I Nr. 5 SGB VII) oder einer Gemeinde (§ 129 I Nr. 4 SGB VII) veranlasst wurde; anders verhält es sich, wenn die Maßnahme von einem privaten Unternehmen initiiert wurde, hier greift § 185 II 1, 2 SGB VII nicht, weil §§ 128 I Nr. 5, 129 I Nr. 4 SGB VII nicht anwendbar sind (vgl. Schmitt, SGB VII, § 128, Rn. 11). Nach § 2 I Nr. 8 SGB VII versicherte Kinder/Schüler/Studierenden in privaten Tageseinrichtungen/Schulen/Hochschulen (§ 128 I Nr. 2–4 SGB VII); für Tageseinrichtungen der Gemeinden, öffentliche Schulen und staatliche Hochschulen greift hingegen § 129 I Nr. 1 SGB VII bzw. § 128 I Nr. 1 SGB VII (Spanknebel, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 128, Rn. 6 ff.), § 185 II 1, 2 SGB VII gilt daher nicht. Für § 106 I Nr. 3 SGB VII gilt die Beitragsfreiheit nicht, weil die jeweiligen Institutionen und die bei ihnen angestellten Versicherten nicht unter §§ 128 I Nr. 2–5, 129 I Nr. 4 SGB VII fallen, sondern bei der jeweils zuständigen Berufsgenossenschaft versichert sind (Spanknebel, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 128, Rn. 6 ff.; Schmitt, SGB VII, § 128, Rn. 8).
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Bundesland, die Gemeinden oder Gemeindeverbände umgelegt, § 185 II 2 Hs. 1 SGB VII.1902 Auch zur Rechtfertigung von § 106 III SGB VII kann der Finanzierungsgedanke richtigerweise nicht herangezogen werden:1903 Schädigt ein Unternehmer einen für ein anderes Unternehmen Tätigen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte, so schützt den Geschädigten die Unfallversicherung, die sein Unternehmer durch Beitragsleistung „erkauft“ hat.1904 Wie bereits ausgeführt1905, ist die Unfallversicherung nach dem SGB VII gerade nicht überbetrieblich („gesamtheitlich“) konzipiert, sondern jeder Unternehmer erbringt Beitragsleistungen nur für sein Unternehmen. Dementsprechend „erkauft [sich] ein Unternehmer […] mit den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung seiner Beschäftigten nicht seine Haftungsprivilegierung für Schäden, die bei versicherten Beschäftigten anderer Unternehmen auf der gemeinsamen Betriebsstätte entstehen“.1906 Der schädigende Unternehmer wird somit durch die privatrechtliche Verpflichtung zum Schadensersatz finanziell nicht doppelt belastet. Schon aus diesem Grund kann im Ergebnis nichts anderes gelten, wenn ein Arbeitnehmer eines Unternehmens einen für das andere Unternehmen Tätigen schädigt; selbst wenn der den Schädiger beschäftigende Unternehmer über einen Freistellungs-/ Aufwendungsersatzanspruch finanziell für die Folgen des Versicherungsfalles einstehen müsste, wäre er nicht doppelt finanziell belastet, weil er für den Geschädigten keine Unfallversicherungsbeiträge geleistet hatte. Überdies gilt auch hier das zu § 105 SGB VII Gesagte entsprechend, das heißt der Schutz des beitragsleistenden Unternehmers macht eine Versagung privatrechtlicher Ansprüche im Verhältnis von Geschädigtem und Schädiger nicht erforderlich.1907 In Bezug auf § 106 IV SGB VII schließlich greift das Finanzierungsargument nur, wenn der Unternehmer selbst den Besucher schädigt;1908 ist Schädiger hingegen ein Arbeitnehmer, so kann es nach dem zu § 105 SGB VII Gesagten trotz der Tatsache, dass mittels der Haftungsprivilegierung das Entstehen von
1902 Vgl. z.B. §§ 25 VI, 4 Nr. 15 der Satzung des Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes vom 16.11.2010, abzurufen unter http://guvv-bayern.de/Internet_I-Frame/99_Na vigation/WirUeberUns.php; siehe auch Fischinger, in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, § 44 SGB XI, Rn. 16. 1903 OLG Braunschweig 8.7.1999 – 2 U 192/98, r+s 1999, 459, 460; OLG Hamm 15.12.1999 – 13 U 116/99, r+s 2000, 371, 373; Lemcke, r+s 1999, 201, 202; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 130 f.; a.A. Klumpp, EWiR 2002, 123, 124. 1904 Vgl. OLG Hamm 15.12.1999 – 13 U 116/99, r+s 2000, 371, 373; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 129. 1905 Siehe § 2 E IV 3 b) bb). 1906 So zu Recht BGH 3.7.2001 – VI ZR 284/00, NJW 2001, 3125, 3126; Lemcke, r+s 2000, 221, 223; vgl. auch Kampen, NJW 2012, 2234, 2238; a.A. OLG Dresden 17.10.2000 – 3 U 1761/00, NJW-RR 2001, 747, 748. 1907 Siehe § 2 E IV 3 b) bb). 1908 Vgl. Waltermann, NJW 2002, 1225, 1230; Imbusch, VersR 2001, 547, 554.
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Aufwendungsersatzansprüchen aus § 670 BGB (analog) schon im Keim erstickt wird, nicht angeführt werden. c) Bewertung Soweit das Finanzierungsargument rechtstatsächlich einschlägig ist, lässt sich mit seiner Hilfe die Haftungsprivilegierung zumindest insofern unproblematisch rechtfertigen, als die Leistungen des Unfallversicherungsträgers den ausgeschlossenen privatrechtlichen Ansprüchen kongruent sind. Denn der Unternehmer hat, wie von der ganz herrschenden Meinung zu Recht angenommen wird,1909 ein legitimes Interesse daran, nicht doppelt für auf Versicherungsfällen beruhende Schäden einstehen zu müssen. Mit seiner gewissermaßen präventiven Beitragszahlung „erkauft“ er sich deshalb in den oben genannten Fallgruppen die Haftungsfreistellung im konkreten Schadensfall. Dagegen kann auch nicht überzeugend vorgebracht werden, den Unternehmer träfen die Beiträge der gesetzlichen Unfallversicherung im wirtschaftlichen Endergebnis gar nicht, weil er sie per entsprechender Preisgestaltung auf seine Kunden abwälzen könne.1910 Denn erstens ist der Unternehmer ein eigenständiges Wirtschaftssubjekt, so dass selbst im Falle der Weitergabe der damit verbundenen wirtschaftlichen Last die Beitragszahlung ihren Charakter als Leistung des Unternehmers nicht verliert.1911 Vor allem aber ist zweitens zweifelhaft, ob es dem Unternehmer überhaupt immer gelingen kann, die Beitragskosten tatsächlich auf den Abnehmer zu verlagern. Je weiter die Globalisierung voranschreitet, umso illusorischer ist es angesichts des Wettbewerbsdrucks durch ausländische Anbieter, von einer Möglichkeit der freien Preisgestaltung auszugehen.1912 Die Interessen der Geschädigten gebieten im Grundsatz nichts anderes. Als Kompensation für den Verlust ihrer privatrechtlichen Ansprüche erwerben sie nämlich Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen, denen keine entsprechende Beitragszahlung durch sie gegenübersteht – für sie ist die gesetzliche Unfallversicherung praktisch eine kostenlose Versicherung. Dass bei der Bewertung des Liquiditätsarguments ausgeführt wurde, es sei nicht einzusehen, warum der Geschädigte seiner zivilrechtlichen Ansprüche verlustig gehen sollte, „nur“ weil er mit dem Unfallversicherungsträger einen weiteren Schuldner gewinnt, steht dem nicht entgegen. Denn es ist zwar richtig, dass dieser Umstand, für sich allein betrachtet, den Haftungsausschluss nicht zu tragen vermag, das bedeutet aber nicht, dass er in der Abwägung der konfligierenden Interessen von Schädiger und Geschädigtem nicht zu berücksichtigen wäre. 1909 1910 1911 1912
Siehe oben § 2 E IV 3 a). So aber Tamm, RdA 1960, 412, 414. Gitter, Schadensausgleich, S. 239; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 45. Vgl. Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533 mit Fn. 55; Gitter, Schadensausgleich, S. 239.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Angesichts der „Präventivfinanzierung“ der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung durch den schädigenden Unternehmer ist es daher legitim, die Interessen des Geschädigten auf privatrechtlicher Ebene hinter denen des Unternehmers zurücktreten zu lassen. Auch die Tatsache, dass die §§ 104 ff. SGB VII die Haftung für Sachschäden unberührt lassen, spricht – anders als beim Betriebsfriedens- und Gefahrengemeinschaftsargument1913 – nicht gegen das Finanzierungsargument, im Gegenteil. Denn mit seinen Beiträgen finanziert der Arbeitgeber ja gerade kein System, das auf den Ausgleich auch von Sachschäden ausgerichtet ist, eine doppelte finanzielle Inanspruchnahme droht daher nicht. Fraglich ist somit lediglich, ob das Finanzierungsargument auch insoweit herangezogen werden kann, als über die §§ 104 ff. SGB VII Ansprüche ausgeschlossen sind, die kein Pendant im Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung haben. Das wird in der Literatur zum Teil abgelehnt.1914 Dieser Ansicht lässt sich aber entgegenhalten, dass Unfallversicherungsrecht und allgemeines Haftungsrecht unterschiedliche Systeme mit jeweils spezifischen Vor- und Nachteilen sind. So ist insbesondere nicht zu verkennen, dass der Unternehmer mit seinen Beiträgen auch Versicherungsleistungen für durch Versicherungsfälle verursachte Schäden finanziert, für die er nach allgemeinem Zivilrecht nicht haften würde (zum Beispiel von ihm nicht verursachte Wegeunfälle nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII – die 15 % der Versicherungsfälle ausmachen1915 – oder sonstige Versicherungsfälle, an denen ihn kein Verschulden trifft).1916 Wer daher unter Verweis auf die nicht vollständige Deckungsgleichheit von zivilrechtlicher Haftung und Leistungen der Unfallversicherung das Finanzierungsargument für den nicht gedeckten Restschaden nicht gelten lassen will, müsste folgerichtig auch Konsequenzen für die vom Unternehmer quasi „überschießend“ finanzierten Fallkonstellationen ziehen. Entweder müsste man in solchen Fällen eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnen oder aber die versicherten Geschädigten an den Finanzierungskosten beteiligen. Beides wäre gleichermaßen unbefriedigend und wohl politisch auch nicht durchsetzbar. Die Herausnahme von zum Beispiel vom Unternehmer nicht verschuldeten Versicherungsfällen aus dem Anwendungsbereich des SGB VII würde den Beschäftigten zudem besonders hart treffen, weil er hier oftmals ohnehin keinen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch hat und daher auf den im Vergleich zu den Leistungen der Unfallversicherung schlech-
1913
Siehe oben § 2 E IV 2 bzw. unten § 2 E IV 4. Gitter, Schadensausgleich, S. 239; Fuhlrott, NZS 2007, 237, 238; a.A. Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 45 f. 1915 DIHK, Transparenz, Verlässlichkeit und Effizienz, S. 12. 1916 BSG 31.3.1998 – B 4 RA 49/96 R, BSGE 82, 83, 105; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; vgl. auch Krasney, NZS 2004, 7, 8. 1914
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teren1917 Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen wäre. Eine Heranziehung der Versicherten bei den Beiträgen wäre schon bei regulären Beschäftigten rein tatsächlich nur schwer zu verwirklichen,1918 bei beispielsweise nach § 3 I Nr. 2 SGB VII versicherten Besuchern aber praktisch vollkommen unmöglich. Dementsprechend trägt das Finanzierungsargument die Haftungsprivilegierung auch insoweit, als privatrechtliche Ansprüche ausgeschlossen werden, obwohl ihnen kein Pendant im Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung gegenübersteht. Das Finanzierungsargument ist auch deshalb überzeugend, weil mit ihm die beiden Durchbrechungen des Haftungsprivilegs (§ 104 I 1 SGB VII a.E.) unproblematisch zu vereinbaren sind: Handelte der schädigende Unternehmer – wohlgemerkt: auch in Bezug auf den Schaden!1919 – vorsätzlich, so ist er nicht schutzwürdig.1920 Er ist zwar nach wie vor daran interessiert, nicht doppelt für den entstandenen Schaden einstehen zu müssen, das aber hat hinter dem Interesse des Geschädigten, volle Schadenskompensation zu erhalten, zurückzustehen. Die Schlechterstellung vorsätzlich Schädigender entspricht der allgemeinen zivilrechtlichen Systematik, vergleiche zum Beispiel §§ 202 I, 276 III, 826 BGB.1921 Im Rahmen des Finanzierungsarguments ist diese Ausnahme vom Haftungsprivileg daher so zu deuten, dass sich der Unternehmer nicht auf die bereits geleisteten Unfallversicherungsbeiträge berufen kann, die Rechtfertigung für seine Haftungsprivile1917 So ist z.B. das Krankengeld (§ 47 I 1 SGB V) niedriger als das Verletztengeld (§ 47 I 1 Nr. 2 SGB VII). 1918 Zwar dürfte es unschwer möglich sein, zu bestimmen, welcher Anteil der den Unfallversicherungsträgern entstehenden Ausgaben auf Wegeunfälle entfallen, jedoch dürfte es – wenn überhaupt – nur unter erheblichem Kostenaufwand möglich sein, festzustellen, wie groß der Anteil der Versicherungsfälle ist, die vom Unternehmer nicht verschuldet wurden. Denn im Rahmen der §§ 104 ff. SGB VII spielt das Verschulden des Unternehmers angesichts der strengen Anforderungen an den Vorsatz (§ 2 E II 1 e]) in aller Regel keine Rolle, relevant wird es nur im Regressfalle bei § 110 SGB VII. Da die leistenden Sozialversicherungsträger regelmäßig von einem Regressversuch absehen dürften, wenn nicht mindestens ein grob fahrlässiges Handeln des Unternehmers im Raum steht, liese sich nicht ohne ein besonderes Feststellungsverfahren bestimmen, wie hoch der Anteil der Versicherungsfälle ist, in denen wenigstens leichte Fahrlässigkeit des Unternehmers vorlag. Das aber wäre notwendig, um zu bestimmen, welcher Anteil von den versicherten Beschäftigten zu tragen ist. 1919 Oben § 2 E II 1 e). 1920 Vgl. BVerfGE 34, 118, 134; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 17. 1921 Vgl. zudem § 103 VVG, nach dem im Bereich des Pflichthaftpflichtversicherungsrecht der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Versicherungsnehmer hat den Schaden daher trotz der Versicherung selbst zu tragen. Diese Parallele liegt auch deshalb auf der Hand, weil bei § 103 VVG – wie bei § 104 SGB VII – Vorsatz nur zu bejahen ist, wenn er sich auch auf den Schaden und nicht nur auf die haftungsbegründende Handlung bezieht (OLG Karlsruhe 19.2.2009 – 12 U 249/08, VersR 2009, 923; Hk-VVG/Schimikowski, § 103, Rn. 1; Fischinger, Kürzungsregelungen, S. 100).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
gierung also in sich zusammenfällt. Rechtstechnisch wird dies regelmäßig nur zum Teil dadurch verwirklicht, dass der schädigende Unternehmer direkt an den Geschädigten Schadensersatz/Schmerzensgeld zu leisten hat. Denn in der Mehrzahl der Fälle mindert sich der privatrechtliche Anspruch um diejenigen Leistungen, die der Geschädigte vom Unfallversicherungsträger erhalten hat (§ 104 III SGB VII).1922 Die doppelte finanzielle Belastung des schädigenden Unternehmers wird dann nicht direkt, sondern quasi „übers Eck“ per Regress des leistenden Sozialversicherungsträgers (§ 110 SGB VII) erreicht. Wurde der Versicherungsfall auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Wege herbeigeführt, so solle die Haftungsprivilegierung entfallen, weil der schädigende Unternehmer dem Versicherten wie einem Dritten gegenübertrete, mit anderen Worten der Versicherte – unabhängig von seiner Betriebszugehörigkeit – wie jeder andere Verkehrsteilnehmer einem Schadensrisiko ausgesetzt sei.1923 Prima vista widerspricht das dem Finanzierungsgedanken diametral, weil der Unternehmer mit seiner Beitragsleistung den Schaden bereits präventiv kompensiert hatte. Bezieht man allerdings die §§ 104 III, 110 SGB VII in die Betrachtung mit ein, harmoniert auch diese Durchbrechung des Haftungsprivilegs mit dem Finanzierungsargument: Gemäß § 104 III SGB VII wird der schädigende Unternehmer nämlich genau insoweit frei, als der Schaden bereits durch die von ihm finanzierten Leistungen der Unfallversicherung ausgeglichen wird. Die zivilrechtliche Leistungsverpflichtung beschränkt sich dementsprechend auf den Schadensanteil, für den der Unternehmer noch nicht präventiv geleistet hat. Eine doppelte finanzielle Inanspruchnahme des Unternehmers droht daher weder auf diesem Wege, noch über einen Regress des Unfallversicherungsträgers nach § 110 SGB VII, weil dessen Tatbestand nicht erfüllt ist.1924 d) Zwischenergebnis Das Finanzierungsargument lässt sich rechtstatsächlich zwar nur für einen Teil der von den §§ 104–106 SGB VII erfassten Konstellationen fruchtbar machen.1925 Wo dies aber der Fall ist, vermag es den Haftungsausschluss rechtspolitisch wie -dogmatisch zu rechtfertigen.
1922
Siehe § 2 E II 2 g). Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 20; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 13; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 26; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 17; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 20; vgl. auch BVerfGE 34, 118, 134. 1924 Vgl. BVerfGE 34, 118, 134 f. 1925 In concreto für §§ 104, 106 II Nr. 1 sowie zum Teil für § 106 III, IV SGB VII. 1923
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4. Betriebs-/Gefahrengemeinschaftsargument a) Definition Nach dem Betriebs- beziehungsweise Gefahrengemeinschaftsargument ist den von den §§ 104 ff. SGB VII erfassten Konstellationen die Gefahr immanent, dass durch jederzeit mögliche, leichte Unaufmerksamkeiten Rechtsgüter eines anderen verletzt werden können, so dass hohe, im worst case ruinöse Schadensersatzverpflichtungen entstehen. Weil es sich dabei um wechselseitige Gefahren handelt, also jeder der Beteiligten potentiell Schädiger wie Geschädigter sein kann, sei es im Interesse aller Beteiligten, die privatrechtliche Haftung durch einen öffentlich-rechtlichen Versicherungsschutz abzulösen.1926 b) Anwendungsbereich Stellt man nicht auf den klassischen Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne („Betriebsgemeinschaft“) ab, sondern rückt die gemeinsame Verrichtung bestimmter Arbeiten in den Mittelpunkt, lässt sich dieses Gefahrengemeinschaftsargument für fast die gesamten §§ 104–106 SGB VII anführen.1927 Eine Ausnahme gilt lediglich für die Haftungsprivilegierung gegenüber Besuchern (§ 106 IV SGB VII), weil diese ein weit geringeres Risiko laufen, einen Betriebsangehörigen zu schädigen und – sollte das doch einmal geschehen – selbst nicht in den Genuss eines Haftungsprivilegs gelangen.1928 Auf den ersten Blick scheint dieses Argument zwar auch nicht auf den Ausschluss der zivilrechtlichen Ansprüche der Angehörigen respektive Hinterbliebenen des Versicherten zu passen, bestand doch zwischen diesen und dem Schädiger keine Gefahrengemeinschaft. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber die Wertung des § 846 BGB, nach dem sich der originär nicht geschädigte Dritte, der ausnahmsweise 1926 BGH 3.7.2001 – VI ZR 284/00, NJW 2001, 3125, 3127; 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; 17.6.2008 – VI ZR 257/06, NJW 2008, 2916, 2917; BSG 26.6.2007 – B 2 U 17/06 R, SozR 4–2700 § 105 Nr. 2; B. Schmidt, BB 2002, 1859, 1860; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 21; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1228; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; Kater/Leube, SGB VII, Vor §§ 104–133, Rn. 4; Becker/Burchardt/Krasney/ Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 3; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 679 f; gegen das Gefahrengemeinschaftsargument Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1364. 1927 Für § 104 SGB VII: Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; für § 105 respektive § 106 SGB VII Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 105, Rn. 3; Kasseler Kommentar/Ricke, § 105 SGB VII, Rn. 2; BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 2; BeckOK-SozR/Marschner, § 106 SGB VII, Rn. 1; Schmitt, SGB VII, § 105, Rn. 2; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 3, § 106, Rn. 10; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 105 SGB VII, Rn. 2, § 106 SGB VII, Rn. 13; Schmitt, SGB VII, § 106, Rn. 2. 1928 Das folgt aus dem eindeutigen Wortlaut und entspricht daher auch der ganz h.M., vgl. z.B. Kasseler Kommentar/Ricke, § 106 SGB VII, Rn. 15; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 106, Rn. 13; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 106 SGB VII, Rn. 19; ErfK/Rolfs, § 106 SGB VII, Rn. 7; a.A. ohne Begründung Schmitt, SGB VII, § 106, Rn. 14.
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nach §§ 844 f. BGB anspruchsberechtigt ist, ein eventuelles Mitverschulden des eigentlich Verletzten anspruchsmindernd anrechnen lassen muss. Dem wird zu Recht der allgemeine Rechtsgedanke entnommen, dass die Ansprüche mittelbar Geschädigter ebenso vom Verhalten des unmittelbar Verletzten abhängen wie dessen eigene Ansprüche.1929 Dieser Rechtsgedanke lässt sich auch im vorliegenden Zusammenhang anführen, weil die von den §§ 104–106 SGB VII erfassten Ansprüche der Angehörigen/Hinterbliebenen1930 keine originären Ansprüche sind, sondern mittelbar aus einer Verletzung des Versicherten resultieren. Es ist daher konsequent, sie denselben Beschränkungen wie dessen eigene Ansprüche zu unterwerfen, weil die Angehörigen/Hinterbliebenen andernfalls systemwidrig besser stünden als der Versicherte selbst.1931 c) Bewertung Prima vista erscheint es überzeugend, Haftungsprivilegierung und Anspruchsverlust als „zwei Seiten derselben Medaille“, als „Ying und Yang“, als „ein in sich ausgeglichen gedachtes Äquivalenzverhältnis“1932 zu begreifen, das seine Legitimation aus der wechselseitigen Gefahrengemeinschaft zwischen den potentiell Betroffenen zieht.1933 Unumstritten ist das Gefahrengemeinschaftsargument aber nicht. Namentlich führt Tischendorf dagegen an, die Gleichung „Haftungsprivilegierung gegen Anspruchsverlust“ treffe in der Praxis nicht zu.1934 Für den (potentiellen) Schädiger sei der mit der Haftungsprivilegierung verbundene Vorteil nämlich irrelevant, weil er wirtschaftlich angesichts seines Freistellungsanspruchs gegen den Unternehmer regelmäßig ohnehin nicht einzustehen habe; dem potentiellen Anspruchsverlust für den Fall der eigenen Schädigung stehe somit im Ergebnis kein entsprechender Vorteil gegenüber. Das mag für eine Vielzahl von Fällen zwar faktisch stimmen. Juristisch betrachtet wird damit aber übersehen, dass der Freistellungsanspruch als rein relatives Recht dem schädigenden Arbeitnehmer keinen Schutz vor einer Inanspruchnahme durch den Geschädigten, sondern lediglich die Chance bietet, den Scha1929 RGZ 170, 311, 315; BGH 13.6.1961 – VI ZR 224/60, VersR 1961, 846, 847; Staudinger/ Röthel, § 846, Rn. 3; Soergel/Beater, § 846, Rn. 1; MüKo-BGB/Wagner, § 846, Rn. 1. 1930 Siehe oben § 2 E II 1 d). 1931 Wo eine „originäre“ Verletzung des Angehörigen/Hinterbliebenen (wie vor allem bei Schockschäden, siehe § 2 E II 2 b]) vorliegt, gelten die §§ 104–106 SGB VII konsequenterweise nicht. 1932 Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1363, der das Gefahrengemeinschaftsargument aber i.E. ablehnt. 1933 So z.B. BGH 3.7.2001 – VI ZR 198/00, NJW 2001, 3127, 3128; 6.2.2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395, 1396; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 5; gegen diese Wertung Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 539: Es entspreche gerade nicht der Interessenlage des einzelnen Arbeitnehmers, nur wegen seiner eigenen möglichen Haftung einen Verzicht auf die Haftung des anderen zu unterstellen. 1934 So wohl Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1363.
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den unmittelbar (Freistellung) respektive mittelbar (Aufwendungsersatz nach eigener Leistung) auf den Arbeitgeber abzuwälzen. Ist das wegen einer Insolvenz des Arbeitgebers nicht möglich, muss der schädigende Arbeitnehmer im Ergebnis aber doch wieder den Schaden tragen.1935 Selbst wenn der Arbeitgeber nicht insolvent ist, könnte dem Schädiger ohne den Haftungsausschluss erhebliches Ungemach drohen, weil die Realisierung des Freistellungs-/Aufwendungsersatzanspruches in praxi (vollstreckungsrechtliche) Probleme aufwerfen kann und er daher den Schaden im Verhältnis zum Geschädigten für einen nicht unerheblichen Zeitraum selbst tragen muss. Vor diesen Gefahren immerhin also schützt ihn die Haftungsprivilegierung. Es stimmt daher nicht, dass dem Nachteil, bei einer eigenen Schädigung keinen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch zu haben, keinerlei Vorteil gegenüberstünde. Auch lässt sich nicht überzeugend anführen, dass dieser Vorteil zu gering sei, um die mit dem potentiellen Anspruchsverlust verbundenen Nachteile zu kompensieren. Denn es darf nicht übersehen werden, dass der Geschädigte zwar seine privatrechtlichen Ansprüche verliert, dafür aber in den Genuss der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung kommt, mit anderen Worten also der Anspruchsverlust ebenfalls kein so gravierender Nachteil ist, wie dies bei einer rein auf das Privatrecht bezogenen Betrachtung anzunehmen wäre.1936 Auch wenn somit der Kritik Tischendorfs nicht zuzustimmen ist, überzeugt das Gefahrengemeinschaftsargument aus anderen Gründen nicht. Erste Zweifel daran, dass es sich bei diesem um einen tragenden Gesichtspunkt handelt, ergeben sich daraus, dass die §§ 104 ff. SGB VII nicht auch die Haftung für Sachschäden ausschließen.1937 Das müsste bei einer Gefahrengemeinschaft aber eigentlich der Fall sein, weil ja auch insoweit jeder Beteiligte Gefahr läuft, entweder Sachen des anderen Beteiligten zu schädigen oder einen von diesem verursachten Sachschaden zu erleiden. Gewichtiger ist die Erwägung, dass bei anderen Gefahrengemeinschaften kein den §§ 104 ff. SGB VII vergleichbarer Haftungsausschluss erfolgt.1938 Beispiele für Gemeinschaften, bei denen die Mitglieder sich jederzeit schon durch leichte Unaufmerksamkeit nicht unerhebliche Schädigungen zufügen können, bei denen aber allein deswegen keine vollständige Haftungsprivilegierung erfolgt, lassen sich im Rechtsalltag zahlreich finden. Zu nennen ist zum Beispiel die Ausübung eines „normal“ gefährlichen Sports, bei dem bei mehr als leicht regelwidrigem Verhalten eine Haftungsverantwortung dem Grunde nach be-
1935
Vgl. auch Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 263. Siehe auch noch unten § 2 E II d). 1937 Ebenso Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 539. 1938 Ebenso ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 2; ders., Haftung, S. 53 f.; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 48; in diese Richtung auch BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 7; Lemcke, r+s 1999, 201, 202. 1936
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steht und nur gemäß § 254 I BGB gemindert wird.1939 Auch bei Gesellschaftern einer GbR, die durch ihr Handeln den Gesellschaftszweck fördern wollen, besteht stets die Gefahr einer gegenseitigen Schädigung. Dennoch sehen die §§ 708, 277 BGB nur eine Haftungsbeschränkung auf die diligentia quam in suis vor. Nichts anderes gilt nach § 1359 BGB zwischen Ehegatten beziehungsweise nach § 1664 I BGB den Eltern dem Kind gegenüber, obwohl hier angesichts des dauerhaften räumlichen Zusammenlebens die Gefahr jederzeitiger Schädigungen besonders hoch ist.1940 Die Ungleichbehandlung zwischen derartigen Gefahrengemeinschaften einerseits, den von §§ 104 ff. SGB VII erfassten Fallkonstellationen andererseits erscheint nicht nur rechtspolitisch kaum zu begründen, sondern wäre – wenn nicht eine andere Legitimation gefunden werden kann – auch mit Blick auf Art. 3 I GG problematisch.1941 Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass anders als bei Sport, Gesellschaft und Ehe im Bereich der §§ 104 ff. SGB VII als Kompensation für den Verlust der privatrechtlichen Forderung Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger erworben werden. Wie beim „Liquiditätsargument“1942 erörtert, legitimiert das Hinzutreten eines weiteren Schuldners nämlich nicht die Entlastung des eigentlich Haftungsverantwortlichen, und zwar umso weniger, als die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung mit den zivilrechtlichen Haftungsfolgen nicht identisch sind. d) Zwischenergebnis Entgegen der heute wohl herrschenden Meinung vermag nach hier vertretener Auffassung auch das Gefahrengemeinschaftsargument die Haftungsprivilegierungen der §§ 104 ff. SGB VII nicht zu rechtfertigen. 5. Die §§ 104 ff. SGB VII als Teil einer „sozialen Haftpflichtversicherung“? In der Literatur wird den §§ 104 ff. SGB VII zum Teil die Funktion einer „sozialen Haftpflichtversicherung“ beigemessen.1943 Dabei wird nicht ganz deutlich, ob es sich um eine Erklärung oder gar Rechtfertigung oder nur um eine bloße Beschreibung der Haftungsprivilegierung handeln soll. Darauf kommt es aber letztlich gar nicht an, weil beides nicht zutreffend wäre. Denn nur aus Sicht des schädigenden Unternehmers – und damit tatbestandlich nur bei § 104 SGB VII – bestehen angesichts des „Freikaufs“ von den finanziellen Lasten eines konkreten Schadens per vorheriger Beitragsleistungen Parallelen zu einer 1939 Näher und m.w.N. Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 67; BeckOK-BGB/Unberath, § 254, Rn. 26. 1940 Vgl. Staudinger/Voppel, § 1359, Rn. 6. 1941 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 48 f. 1942 Siehe oben § 2 E IV 1. 1943 So vor allem Waltermann, RdA 1998, 330, 339; ders., NJW 2008, 2895, 2896; Wannagat/ders., Sozialgesetzbuch, § 105 SGB VII, Rn. 13; Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 51.
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Haftpflichtversicherung. Ist Schädiger hingegen zum Beispiel ein Arbeitnehmer, passt der Haftpflichtversicherungsgedanke schon aus Schädigersicht nicht, weil er sich mangels Beitragsleistungen keine Haftungsfreistellung „verdient“ hat. Unabhängig davon besteht aus der Warte des Geschädigten ein entscheidender Unterschied zwischen den §§ 104 ff. SGB VII und dem Recht der Haftpflichtversicherung: Bei letzterer behält er nämlich gerade seinen Anspruch gegen den primären Schädiger und erhält nur eine zusätzliche Absicherung,1944 wohingegen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung eine Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz erfolgt. Weil es bei der Frage nach der Legitimierung der Haftungsprivilegierung auf privatrechtlicher Ebene um die Interessen und die Sichtweise des Geschädigten geht, vermag somit eine Qualifikation der §§ 104 ff. SGB VII als Teil einer „sozialen Haftpflichtversicherung“ den Haftungsausschluss nicht zu tragen. 6. Besondere Schutzbedürftigkeit des Schädigers bei fremdbestimmter und -nütziger Arbeit a) Definition Ein letzter Begründungsansatz erblickt den Grund für die Haftungsprivilegierung in der besonderen Schutzbedürftigkeit des Schädigers (im Folgenden: „Schutzbedürftigkeitsargument“).1945 Diese beruht – exemplifiziert am klassischen Arbeitsleben – auf drei Faktoren: Erstens wird der potentielle Schädiger in einem Umfeld tätig, bei dem aufgrund des engen Zusammenwirkens mit anderen Personen die Gefahr besteht, dass er jederzeit durch leichte Unaufmerksamkeit den Unternehmer oder einen anderen Arbeitnehmer schädigt.1946 Zweitens kann er aufgrund seiner Einbindung in die vom Unternehmer geschaffene Betriebsorganisation und dessen Weisungsrecht über die Parameter, die dieses Umfeld determinieren, nicht oder nur in äußerst begrenztem Rahmen entschei1944 Diese Absicherung besteht in aller Regel allerdings nicht in einem Direktanspruch gegen den Versicherer. Vielmehr findet eine Abwicklung „übers Eck“ statt, das heißt der Geschädigte hat zunächst nur einen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer, der vom Versicherer Freistellung verlangen kann (vgl. Hk-VVG/Schimikowski, § 108, Rn. 1). Ein Direktanspruch besteht nur in den Fällen des § 115 VVG. 1945 Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 49 ff.; vgl. auch Denck, Schutz des Arbeitnehmers, S. 106; Leichsenring/Petermann, SGb 1989, 464, 465 stellen – wenn auch unter der Überschrift „Finanzierungsargument“ – auf das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko und seine arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht ab. 1946 Dieses Risiko wird schon konzeptionell regelmäßig nicht durch die vom Arbeitgeber geleisteten Arbeitslöhne ausgeglichen. Selbst wo der Arbeitgeber ausnahmsweise eine Zulage für gefährliche Arbeit leistet, wird diese in aller Regel nicht geeignet sein, Schadensersatzansprüche, die aus der Verletzung der Rechtsgüter anderer resultieren, zu kompensieren. Die Zahlung einer Kilometerpauschale zum Beispiel deckt in aller Regel maximal Schäden am eigenen, für dienstliche Zwecke verwendeten Fahrzeug ab, nicht aber die des Unfallgegners (vgl. m.w.N. Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], § 611, Rn. 1081).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
den.1947 Und drittens schließlich kommt das Produkt seiner Arbeit unmittelbar nicht ihm selbst zugute, sondern dem Unternehmer. Mit anderen Worten wird der Arbeitnehmer fremdbestimmt und fremdnützig tätig. Daraus folgt nicht nur, dass der potentielle Schädiger besonders schutzwürdig ist, sondern zugleich, dass den wirtschaftlichen Schaden von Versicherungsfällen derjenige tragen soll, in dessen unmittelbarem Interesse die Tätigkeit erfolgt. Diese Schadenstragungspflicht ist somit nicht nur Ausfluss des Schutzbedürftigkeitsarguments, sondern im Grundsatz ein konstitutiver Bestandteil, muss also erfüllt sein, um sich diesen Arguments bedienen zu können. Unschädlich ist dabei, dass sie im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht dadurch sichergestellt wird, dass der Profiteur der Tätigkeit im konkreten Einzelfall den Schaden zu tragen hat, sondern über die „vorgelagerte“ abstrakt-typisierte Beitragspflicht (§ 150 SGB VII). b) Anwendungsbereich Ein derart verstandenes Schutzbedürftigkeitsargument deckt nicht den gesamten Strauß von Haftungsprivilegierungen der §§ 104–106 SGB VII ab. So lässt sich zwar in allen Fällen geltend machen, es drohten bereits bei leichter Unaufmerksamkeit erhebliche Haftungsrisiken, das allein trägt aber – wie ausgeführt – die Haftungsprivilegierung nicht. aa) §§ 104, 105 SGB VII Weil es an der Fremdbestimmtheit und -nützigkeit fehlt, wenn ein Unternehmer in seinem Unternehmen tätig wird, lässt sich das Schutzbedürftigkeitsargument für § 104 SGB VII nicht fruchtbar machen. Anders verhält es sich in den Fällen des § 105 SGB VII, vorausgesetzt, privilegierter (potentieller) Schädiger ist ein Arbeitnehmer, ist für diesen doch die Leistung fremdbestimmter wie -nütziger Arbeit gerade vertragscharakteristisch.1948 Unter § 105 SGB VII fallen aber auch Nicht-Betriebsangehörige („Personen“) wie zum Beispiel „Wie-Beschäftigte“ im Sinne von § 2 II 1 SGB VII. Diese werden zwar fremdnützig tätig, eine Fremdbestimmung im Sinne einer Eingliederung samt Weisungsgebundenheit kann, muss bei ihnen aber nicht vorliegen.1949 Ob sich das Schutzbedürftigkeitsargument bei ihnen rechtstatsächlich anführen lässt, hängt deshalb von 1947
Vgl. auch Fuhlrott, NZS 2007, 237, 239. Vgl. BAG 15.3.1978 – 5 AZR 819/76, BAGE 30, 163, 169; 20.7.1994 – 5 AZR 627/ 93, NZA 1995, 161, 162; näher Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 236 ff. zu §§ 611 ff. 1949 Kasseler Kommentar/Ricke, § 105 SGB VII, Rn. 3; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 105, Rn. 8; HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 3; vgl. BSG 23.3.2004 – VI ZR 160/03, NJW-RR 2004, 884, 886 („Das Erfordernis der Betriebsangehörigkeit des Schädigers im Unfallbetrieb besteht nach der Neuregelung der Haftungsprivilegierung in § 105 I SGB VII nicht mehr.“); a.A. BeckOK-SozR/Stelljes, § 105 SGB VII, Rn. 5. 1948
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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den Umständen des Einzelfalles ab, namentlich, ob und inwieweit ihre Tätigkeit fremdbestimmt ist. bb) § 106 SGB VII Für § 106 I Nr. 1 und 2 SGB VII passt das Schutzbedürftigkeitsargument nicht, weil die „Tätigkeiten“ der erfassten Versicherten (Lernende, Teilnehmer an Untersuchungen, Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen sowie Schüler und Studierenden, § 2 I Nr. 2, 3, 8 SGB VII) nicht in erster Linie den besuchten Einrichtungen, sondern den „Teilnehmern“ selbst dienen.1950 Weil sie mit anderen Worten keine Dienstleistungen schulden und daher von wechselseitigen Leistungsbeziehungen nicht gesprochen werden kann,1951 fehlt es an der Fremdnützigkeit ihrer „Tätigkeiten“. Dieses Defizit kann entgegen der Auffassung des BGH1952 auch nicht mit dem Argument überwunden werden, der Schädiger solle davor geschützt werden, unter Umständen über längere Zeiträume hinaus belastenden Ersatzansprüchen ausgesetzt zu sein. Denn jeder Schädiger hat ein solches Interesse, eine „Sonderbehandlung“ kann damit nicht gerechtfertigt werden, und zwar auch nicht mit der Erwägung, bei Schülern handle es sich regelmäßig um Minderjährige und damit besonders schutzwürdige Personen. Denn diesem Schutzbedürfnis wird konzeptionell mit § 828 BGB Rechnung getragen.1953 Für § 106 I Nr. 3 SGB VII kann das Schutzbedürftigkeitsargument hingegen wieder angeführt werden. „Betriebsangehöriger“ im dort genannten Sinne ist nach ganz herrschender Meinung nämlich jeder, der – wenn auch unter Umständen nur vorübergehend – für das Unternehmen (zum Beispiel eine Kindertagesstätte oder Hochschule) tätig wird und dabei dessen Weisungsrecht unterliegt1954 – den Erfordernissen der Fremdnützigkeit wie -bestimmtheit ist daher Genüge getan. Für § 106 II Nr. 1 SGB VII gilt das Schutzbedürftigkeitsargument nicht, weil die Handlungen des Pflegebedürftigen im Rahmen der häuslichen Pflege weder fremdbestimmt noch -nützig sind. Schwierigkeiten bereitet § 106 II Nr. 2 und 3 SGB VII insofern, als die Tätigkeit der Pflegepersonen zwar 1950 BGH 12.10.1976 – VI ZR 271/75, NJW 1977, 296; Schmitt, SGB VII, § 106, Rn. 3; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 106, Rn. 4. 1951 ErfK/Rolfs, § 106 SGB VII, Rn. 2. 1952 BGH 12.10.1976 – VI ZR 271/75, NJW 1977, 296, 297. 1953 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 115; Rolfs, Haftung, S. 174. – Auf § 1629a BGB kann sich der minderjährige Schädiger nach Vollendung seines 18. Geburtstages hingegen nicht berufen, weil Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht zu den privilegierten Verbindlichkeiten gehören, vgl. Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 33 m.w.N. 1954 Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 106 SGB VII, Rn. 7; Becker/Burchardt/ Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 106, Rn. 8, 10; Kasseler Kommentar/Ricke, § 106 SGB VII, Rn. 7; Schmitt, SGB VII, § 106, Rn. 5; jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 106, Rn. 16; vgl. BGH 25.9.1979 – VI ZR 184/78, NJW 1980, 289, 290; 26.11.2002 – VI ZR 449/01, NJW 2003, 1121, 1122 f.; a.A. Kater/Leube, SGB VII, § 106, Rn. 11.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
fremdnützig und in der Regel auch weisungsabhängig ist, so dass es gerechtfertigt wäre, den davon profitierenden Pflegebedürftigen über die Pflicht zur Beitragsleistung die wirtschaftliche Bürde für eventuelle, im Rahmen der Pflege entstehende Personenschäden aufzuerlegen. Problematisch könnte aber sein, dass wegen §§ 185 II 1, 129 I Nr. 7 SGB VII vom Pflegebedürftigen keine Beiträge erhoben, sondern die Aufwendungen für diese Versicherten auf die öffentliche Hand umgelegt werden (§ 185 II 2 SGB VII). Nun ist zwar grundsätzlich Voraussetzung des Schutzbedürftigkeitsarguments, dass derjenige, der die Tätigkeit des Schädigers steuert und dem ihre Früchte zugute kommen, auch die Beiträge zu tragen hat;1955 dementsprechend ließe es sich für § 106 II Nr. 2 und 3 SGB VII nicht anführen. Derart zu argumentieren hieße aber ausnahmsweise, den Bestimmungen über die Beitragspflicht zu großes Gewicht einzuräumen und das hinter § 185 II SGB VII stehende gesetzgeberische Motiv zu ignorieren. Grund für die Regelung war, dass die Tätigkeit von – nicht er websmäßig tätig werdenden (§ 2 I Nr. 17 SGB VII, § 19 S. 1 SGB XI) – Pflegepersonen nicht nur dem Pflegebedürftigen, sondern auch dem öffentlichen Interesse an einer Pflege in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen dient.1956 Die Beitragsfreiheit für den Pflegebedürftigen erhöht die Attraktivität häuslicher Pflege und trägt damit dazu bei, die für die Pflegekassen als Träger der Pflegeversicherung (§ 46 I SGB XI) weit teurere vollstationäre Pflege (§ 43 SGB XI) nach Möglichkeit zu verhindern. § 185 II SGB VII entspringt daher fiskalischen Erwägungen. Aus der Tatsache, dass den durch die häusliche Pflege begünstigten Pflegebedürftigen keine Beitragspflichten treffen, kann daher keine Aussage für die rechtspolitische Bewertung der Haftungsprivilegierung des § 106 II Nr. 2, 3 SGB VII entnommen werden. Dementsprechend kann das Schutzbedürftigkeitsargument für die Tatbestände des § 106 II Nr. 2, 3 SGB VII angeführt werden. Schädigt der selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige1957 Unternehmer den für ein anderes der beteiligten Unternehmen Tätigen (§ 106 III SGB VII), greift das Schutzbedürftigkeitsargument mangels fremdbestimmten/-nützigen Tätigwerdens des Unternehmers nicht ein.1958 Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn ein Arbeitnehmer einen fremden Betriebsangehörigen, mit dem er vorübergehend auf einer gemeinsamen Betriebsstätte der beteiligten Unternehmen zusammenwirkt, schädigt: In Bezug auf seinen eigenen Arbeitgeber sind zwar die Kriterien der Fremdbestimmtheit und -nützigkeit erfüllt, dieser aber finanziert mit seinen Beiträgen nicht die Leistungen, die der dem Fremdunter1955
Siehe oben § 2 E IV 6 a). Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 185, Rn. 15; vgl. Spanknebel, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 185, Rn. 6; Kater/Leube, SGB VII, § 185, Rn. 8. 1957 Für nicht dort tätige Unternehmer gilt § 106 III SGB VII nach ganz h.M. nicht, siehe § 2 E I 1 c). 1958 Ebenso Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen, S. 143. 1956
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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nehmen angehörende Geschädigte vom zuständigen Unfallversicherungsträger verlangen kann. Und der Unternehmer des Geschädigten trägt umgekehrt zwar insoweit mittelbar über seine Beitragsleistungen den Schaden, ihm gegenüber handelte der Schädiger aber nicht fremdbestimmt. Für § 106 IV SGB VII ist schließlich zu unterscheiden: Schädigt der Unternehmer selbst den nach § 3 I Nr. 2 SGB VII Versicherten, gilt das zu Abs. 3 Gesagte entsprechend, das Schutzbedürftigkeitsargument kann also nicht angeführt werden. Anders verhält es sich hingegen, wenn der Schädiger Arbeitnehmer oder sonst in den Betrieb eingegliedert sowie weisungsunterworfen ist und somit die Schädigungshandlung im Rahmen einer fremdnützigen wie -bestimmten Tätigkeit erfolgt. Das ist kein Widerspruch zu dem zu § 106 III SGB VII Gesagten, weil anders als dort hier derjenige Unternehmer, für den der schädigende Arbeitnehmer fremdnützig und -bestimmt tätig wird, derselbe ist, der die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Versicherung des geschädigten Besuchers trägt. c) Bewertung Dort, wo sich das Schutzbedürftigkeitsargument nach dem soeben Gesagten rechtstatsächlich anführen lässt, vermag es die Haftungsprivilegierung zu rechtfertigen, weil es den Besonderheiten der erfassten Fallkonstellationen gerecht wird und die vom SGB VII vorgenommene Austarierung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten per Ausschluss der zivilrechtlichen Haftung und Ersetzung durch den vom Profiteur der den Versicherungsfall verursachenden Tätigkeit finanzierten gesetzlichen Unfallversicherungsschutz stringent und überzeugend zu erklären vermag: Angesichts der Fremdnützigkeit und -bestimmtheit seiner Tätigkeit hat der (potentielle) Schädiger ein gesteigertes und legitimes Interesse an der Haftungsprivilegierung, das über den allgemeinen, bloßen Wunsch jedes Schädigers an einer Haftungsverschonung hinausgeht. Das zeigt insbesondere eine Gegenüberstellung mit den bereits beim Betriebs-/Gefahrengemeinschaftsargument vergleichend herangezogenen Situationen im Sportbereich, bei dem Tätigwerden von Gesellschaftern einer GbR oder bei Ehegatten. Von den drei, das Schutzbedürftigkeitsargument tragenden Gesichtspunkten, passt bei diesen nur einer, nämlich die Gefahr, dass bei engem Zusammenwirken stets durch leichte Unaufmerksamkeit (erhebliche) Schäden verursacht werden können – wie bereits ausgeführt, genügt das aber nicht, um einen vollständigen Haftungsausschluss zu legitimieren. Das Kriterium der Fremdnützigkeit ist bei GbR, Ehegatten und im Sportbereich hingegen nicht in vergleichbarer Weise erfüllt wie bei einem Arbeitnehmer. Dieser erfüllt mit Erbringung seiner Arbeitsleistung zwar auch eine eigene Vertragspflicht, das Ergebnis seiner Tätigkeit kommt aber unmittelbar nur dem Unternehmer zugute; wenn überhaupt, so profitiert der Arbeitnehmer nur in höchst mittelbarer Weise durch Anhebung des Lohns oder Zahlung
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
von Sonderprämien wegen guter Geschäftsentwicklung. Ein Gesellschafter, der in Ausfüllung seiner Förderpflicht Dienstleistungen erbringt (§§ 705, 706 III BGB), erfüllt damit hingegen nicht nur seine gesellschaftsvertragliche Pflicht, sondern profitiert von der damit einhergehenden Förderung des Gesellschaftszwecks angesichts seiner regelmäßigen Gewinnbeteiligung auch viel direkter als nach dem soeben Gesagten ein Arbeitnehmer durch Erbringung seiner Arbeitsleistung. Gleiches gilt im Vergleich zur Ehe: Führt zum Beispiel die Ehefrau entsprechend der gemeinsamen Absprache den Haushalt alleine, kommt sie nicht nur im Interesse ihres Ehemannes ihrer Rechtspflicht zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft (§§ 1353, 1356 BGB) nach,1959 das Ergebnis ihres Handelns kommt vielmehr auch ihr selbst unmittelbar zugute. Und dass ein Sportler nicht im Interesse des Gegners, sondern seinem eigenen Interesse auf dem Platz aktiv wird, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Auch was die Fremdbestimmtheit angeht, bestehen signifikante Unterschiede: Kein Ehegatte hat dem anderen gegenüber ein Weisungsrecht, und zwar auch und gerade nicht für die Art und Weise, wie der Haushalt zu führen ist (§ 1356 I 2 BGB).1960 Gesellschafter einer GbR sind nach der gesetzlichen Konzeption gleichberechtigt,1961 was sich vor allem daran zeigt, dass in Ermangelung einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Abmachung für alle Beschlüsse die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist (§ 709 I Hs. 2 BGB) – von einer einem Arbeitnehmer vergleichbaren Fremdbestimmheit kann daher ebenfalls keine Rede sein. Angesichts dieser Unterschiede in Bezug auf Fremdnützigkeit und -bestimmtheit ist die im Vergleich zu den §§ 1359, 708 BGB viel weitreichendere Haftungsprivilegierung der §§ 104 ff. SGB VII aus der Warte der Ersatzpflichtigen rechtspolitisch nicht zu beanstanden. Zugunsten dieser weitergehenden Haftungsfreistellung sprechen auch arbeitsmarktpolitische Gründe. Ohne ein abgesichertes System der Haftungsprivilegierung würde die Ausübung fremdbestimmter und -nütziger Arbeit erhebliche Haftungsrisiken begründen, denen der Arbeitnehmer typischerweise nicht entgehen könnte, weil er zur Bestreitung seines Lebensbedarfes auf die Ausübung abhängiger Arbeit angewiesen ist. Dem kann auch nicht überzeugend entgegen gehalten werden, es bedürfe der §§ 104 ff. SGB VII nicht, weil der Arbeitnehmer schon ausreichend durch die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich geschützt sei. Denn: (1) Soweit es um eine Haftung gegenüber dem Arbeitgeber geht, kann über diese Grundsätze zwar ein vergleichbares Schutzniveau erzielt werden. Aufgrund des Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzips kann die Legitimation einer formell-gesetzlichen Regelung aber nicht mit dem Argument geleugnet werden, die Problematik könne adäquat auch 1959 1960 1961
Zu dieser Pflicht vgl. z.B. Staudinger/Voppel, § 1353, Rn. 28. Vgl. MüKo-BGB/Roth, § 1356, Rn. 6; Staudinger/Voppel, § 1356, Rn. 7. Vgl. z.B. Staudinger/Habermeier, § 705, Rn. 53 m.w.N.
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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durch richterliche Rechtsfortbildung gelöst werden – vielmehr ist es genau umgekehrt, für eine richterliche Rechtsfortbildung ist nur Raum, wo das Gesetzesrecht lückenhaft ist.1962 (2) Soweit eine Haftung gegenüber Arbeitskollegen oder Dritten im Raum steht, helfen diese Grundsätze unmittelbar schon nicht weiter, weil sich der Arbeitnehmer ihnen gegenüber nicht darauf berufen kann.1963 Er kann lediglich versuchen, den Schaden wirtschaftlich durch Geltendmachung eines Freistellungs-/Aufwendungsersatzanspruchs analog § 670 BGB auf seinen Arbeitgeber abzuwälzen. Daraus kann entgegen der Auffassung von Tischendorf 1964 aber nicht seine mangelnde Schutzbedürftigkeit abgeleitet werden. Denn ein Freistellungs-/Aufwendungsersatzanspruch bietet – wie bereits beim Gefahrengemeinschaftsargument ausgeführt1965 – keinen einem Haftungsausschluss vergleichbaren oder auch nur ausreichenden Schutz des schädigenden Arbeitnehmers, vor allem bei Insolvenz des Arbeitgebers. Das Schutzbedürftigkeitsargument vermag aber nicht nur überzeugend die Komponente der Haftungsersetzung im System der Haftungsersetzung durch unternehmerfinanzierten Versicherungsschutz zu legitimieren, sondern auch die andere Seite der Medaille, den unternehmerfinanzierten Versicherungsschutz. Denn Fremdbestimmtheit und -nützigkeit rechtfertigen es, dass dem von der schadensverursachenden Tätigkeit Profitierenden per Beitragspflicht die wirtschaftlichen Lasten auferlegt werden.1966 Wer diese Tätigkeiten durch Gestaltung der Betriebsorganisation und mit Hilfe des Direktionsrechts maßgeblich steuert und in den Genuss ihrer Früchte kommt, dem ist es auch zuzumuten, die potentiellen Nachteile tragen zu müssen. Dafür spricht überdies ein Vergleich mit dem Einsatz technischer Hilfsgeräte: Ein Arbeitnehmer ist in gewisser Weise nichts anderes als ein nicht-technisches Hilfsmittel zur Erreichung des Betriebszwecks. Würde sich der Unternehmer statt eines Arbeitnehmers einer Maschine bedienen und würde durch deren technisches Versagen ein Schaden entstehen, bestünde kein Zweifel daran, dass der Unternehmer diesen wirtschaftlich zu tragen hätte.1967 Für den an Stelle der Maschine tätig werdenden Arbeitnehmer kann nichts anderes gelten. 1962 Vgl. Rüthers, JuS 2011, 865, 868; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 878 ff.; siehe zum Verhältnis von § 105 SGB VII zu den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung oben § 2 E III 2 b). 1963 Vgl. BGH 19.9.1989 – VI ZR 349/88, NJW 1989, 3273, 3274; 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852, 854 m.w.N.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 82. 1964 Tischendorf, VersR 2003, 1361, 1363 (dort allerdings zum Gefahrengemeinschaftsargument). 1965 Siehe § 2 E IV 4 c). 1966 Vgl. auch Tamm, RdA 1960, 412, 414: „So wie der Arbeitgeber […] das Betriebsrisiko grundsätzlich allein zu tragen hat, so hat er auch für das Gefahrenrisiko in seinem Betrieb einzustehen.“. 1967 Ausgeblendet bleibt hierbei die unter Umständen bestehende Möglichkeit, den Schaden auf den Verkäufer oder Produzent der Maschine zu verlagern.
484
§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Auch die Interessen des Geschädigten fordern kein anderes Ergebnis. Dieser ist nicht schutzlos, sondern kann als Kompensation für den Verlust des privatrechtlichen Schadensersatzanspruchs die gesetzlich vorgesehenen Leistungen vom zuständigen Unfallversicherungsträger verlangen, was für ihn Nach-, aber auch zahlreiche Vorteile haben kann.1968 Dass bei der Bewertung des Liquditätsarguments ausgeführt wurde, es sei nicht einzusehen, warum der Geschädigte seiner zivilrechtlichen Ansprüche verlustig gehen sollte, „nur“ weil er mit dem Unfallversicherungsträger einen weiteren Schuldner gewinnt, steht dem nicht entgegen. Denn es ist zwar richtig, dass dieser Umstand für sich allein betrachtet den Haftungsausschluss nicht zu tragen vermag, das bedeutet aber nicht, dass er in der Abwägung der konfligierenden Interessen von Schädiger und Geschädigtem nicht zu berücksichtigen wäre. Angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit des Schädigers ist es angesichts der Absicherung durch die gesetzliche Unfallversicherung legitim, die Interessen des Geschädigten auf privatrechtlicher Ebene hinter denen des Schädigers zurücktreten zu lassen. Schließlich lassen sich auch die beiden Durchbrechungen des Haftungsprivilegs (§ 105 I 1 SGB VII a.E.) mit dem Schutzbedürftigkeitsargument vereinbaren. Jedenfalls bei einer sich auch auf den Schaden selbst beziehenden vorsätzlichen Schädigung handelt der Schädigende nicht mehr im obigen Sinne fremdbestimmt. Schon deshalb ist es gerechtfertigt, ihm die Haftungsprivilegierung zu versagen. Unabhängig davon ist derjenige, der einen anderen vorsätzlich schädigt, nach allgemeinen Regeln (vergleiche zum Beispiel §§ 202 I, 276 III, 826 BGB, § 103 VVG1969) nicht schutzwürdig und kann sich nicht auf Haftungserleichterungen berufen. Wird der Versicherungsfall auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt, so lässt sich die Versagung des Haftungsprivilegs damit rechtfertigen, dass der Schädiger dem Geschädigten nicht in einer typischen Betriebssituation gegenübersteht, sondern wie jedem anderen Verkehrsteilnehmer.1970 Zudem mag seine zum Versicherungsfall führende Handlung zwar fremdnützig sein, sie ist aber jedenfalls nicht vergleichbar fremdbestimmt wie das Tätigwerden in dem vom Unternehmer organisierten Betrieb.
1968
Siehe § 2 E II 2 d). Dazu oben Fn. 1921. 1970 Vgl. Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 20; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 13; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 26; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 17; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 20. 1969
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E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
7. Fazit Nach hier vertretener Auffassung vermögen weder das Liquiditäts- noch das Friedens- oder das Betriebs-/Gefahrengemeinschaftsargument den Haftungsausschluss zu legitimieren. Als Rechtfertigung können nur der Finanzierungsgedanke und das Schutzbedürftigkeitsargument herangezogen werden. Wie die folgende tabellarische Zusammenfassung zeigt, decken beide aber rechtstatsächlich jeweils nur einen Teil der in §§ 104 ff. SGB VII normierten Tatbestände ab: Norm/Situation
Finanzierungsargument anwendbar
Schutzbedürftigkeitsargument anwendbar
Legitimation
+
-
+
zwischen Arbeitskollegen
-
+ +
+ +
Betriebsfremder schädigt Versicherten des Betriebs
-
+/-1971
+/-
§ 105 I/II
Arbeitnehmer schädigt versicherten (nicht) Unternehmer
-
+
+
§ 106 I
Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3
-
+
+
§ 106 II
Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3
-
+ +
+ +
§ 106 III
Unternehmer schädigt fremden Betriebsangehörigen
-
-
-
§ 106 III
Arbeitnehmer schädigt fremden Betriebsangehörigen
-
-
-
§ 106 IV
Unternehmer schädigt Besucher
+
-
+
Arbeitnehmer schädigt Besucher
-
+
+
§ 104 § 105 I
1971 Ob das Schutzbedürftigkeitsargument fruchtbar gemacht werden kann, hängt davon ab, ob der Betriebsfremde im konkreten Einzelfall tatsächlich fremdbestimmt tätig wird, vgl. oben § 2 E IV 6 b) aa).
486
§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Nach hier vertretener Auffassung sind somit die Haftungsprivilegierungen der § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII rechtspolitisch/-dogmatisch nicht rechtfertigbar. Auch für § 105 I SGB VII besteht ein Legitimationsdefizit, wenn ein versicherter Betriebsangehöriger von einem Betriebsfremden, dessen Tätigkeit für den Betrieb mangels Eingliederung und Weisungsgebundenheit nicht als fremdbestimmt anzusehen ist, geschädigt wird. Unabhängig davon, ob man diese Normen deshalb für (teilweise) verfassungswidrig erachtet (siehe dazu unter V.), ist dieser mangelnden Legitimation durch eine Änderung der geltenden Rechtslage Rechnung zu tragen (sub VI.).
V. Verfassungsrechtliche Fragen Im Folgenden ist zunächst zu untersuchen, ob das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Prinzip der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz konzeptionell mit dem Grundgesetz vereinbar ist (sub. 1). Die Frage, ob auch der Ausschluss privatrechtlicher Schmerzensgeldansprüche verfassungskonform ist, wird sodann im Anschluss unter 2. gesondert überprüft.1972 1. Grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der §§ 104 ff. SGB VII a) Verstoß gegen Art. 14 I GG Die Versagung zivilrechtlicher Ansprüche verletzt die Eigentumsfreiheit des Geschädigten nicht. Zwar schützt Art. 14 I GG auch privatrechtliche Ansprüche,1973 ein Verstoß gegen Art. 14 I GG scheidet aber aus, weil durch die §§ 104 ff. SGB VII dem Geschädigten nicht ein Anspruch genommen wird, den er einmal hatte, sondern es entsteht von Anfang an kein privatrechtlicher Anspruch. Da Art. 14 I GG nur das bereits Erworbene, das heißt Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber die bloße Möglichkeit des Erwerbs schützt,1974 ist der Schutzbereich nicht tangiert. b) Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 2 II 1 GG Den Grundrechten wird heute nicht nur eine Abwehr-, sondern auch eine Schutzpflichtkomponente entnommen.1975 Diese verpflichtet den Staat dazu, 1972 Auch in Bezug auf andere Regelungen aus dem Bereich der §§ 104 ff. SGB VII wird ihre Verfassungskonformität zum Teil kritisch hinterfragt. So ist z.B. aufgrund verschiedener Gesichtspunkte umstritten, ob § 105 II SGB VII mit Art. 3 I GG vereinbar ist (vgl. dazu z.B. Rolfs, Versicherungsprinzip, S. 466 ff.; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1228; Kock, NZS 2006, 471, 475 f.; HWK/Giesen, § 105 SGB VII, Rn. 12 m.w.N.). Mangels Relevanz für die vorliegende Untersuchung wird darauf im Folgenden nicht eingegangen. 1973 Vgl. BVerfGE 45, 142, 197; 83, 201, 208; 68, 193, 222; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 152; siehe auch oben § 1 F I 1. 1974 BVerfGE 20, 31, 34; 31, 212, 220. 1975 Näher unter § 1 F III.
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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sich „schützend und fördernd“1976 vor das Grundrecht zu stellen. Der Gesetzgeber hat dementsprechend die Rechtsordnung so zu gestalten, dass „in ihr und durch sie die Grundrechte gesichert sind und die von ihnen gewährleisteten Freiheiten sich wirksam entfalten können“1977. Für den Schutz des durch Art. 2 II 1 GG gewährleisteten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit spielt neben dem Strafrecht das privatrechtliche Haftungsrecht mit seiner Präventiv- und Kompensationsfunktion eine wichtige Rolle.1978 Präventiv soll ein potentieller Schädiger durch die Androhung, für einen einem anderen angerichteten materiellen oder immateriellen Schaden einstehen zu müssen, von sorgfaltswidrigem Verhalten abgehalten beziehungsweise – positiv gewendet – soll ihm ein Anreiz dafür gegeben werden, mit den Rechtsgütern anderer sorgfältig umzugehen.1979 Auch die Kompensationsfunktion dient dem Rechtsgüterschutz, weil nach dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 I BGB) idealiter die Rechtsgutsbeschädigung ungeschehen gemacht wird oder zumindest durch eine Entschädigungszahlung (§ 251 BGB) abgemildert wird. Die §§ 104 ff. SGB VII könnten daher insofern gegen staatliche Schutzpflichten verstoßen, als durch die Versagung sämtlicher privatrechtlicher Schadensersatzansprüche wegen Personenschäden das Grundrecht des Geschädigten aus Art. 2 II GG nicht ausreichend geschützt wird. Wie bereits erörtert, lassen sich aufgrund des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips aus grundrechtlichen Schutzpfl chten aber grundsätzlich nur generelle Vorgaben und keine konkreten Handlungsanweisungen ableiten.1980 Weil der Gesetzgeber also einen erheblichen Einschätzungsspielraum hat, ist die staatliche Schutzpflicht nur verletzt, wenn das gebotene Schutzniveau evident unterschritten wird.1981 Angesichts dessen wird man die §§ 104 ff. SGB VII nicht als Verletzung der aus Art. 2 II GG folgenden Pflicht des Staates zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit ansehen können. Soweit es um die Kompensation entstandener materieller Schäden geht, springen die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in die durch die §§ 104 ff. SGB VII gerissene Bresche. Auch wenn diese teilweise hinter den zivilrechtlichen Haftungsfolgen der §§ 249 ff. BGB zurückbleiben können, ist das von Art. 2 II GG geforderte Schutzniveau schon wegen des weiten Ermessensspielraums des Gesetzgebers nicht unterschritten. Hinzu kommt, dass – wie noch zu erörtern sein wird1982 – die Schadensliquidation über die gesetzliche
1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982
BVerfGE 46, 160, 164. Klein, DVBl 1994, 489, 491; vgl. allg. HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 12 ff. Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 128. Vgl. MüKo-BGB/Wagner, Vor § 823, Rn. 43; BeckOK-BGB/Spindler § 823, Rn. 0.7. § 1 F III 2. BVerfGE 49, 89, 142; 56, 54, 80; 77, 381, 404 f.; 79, 174, 198. Siehe unten § 2 E V 1 c) aa) (5).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Unfallversicherung für den Geschädigten nicht nur Nach-, sondern auch zahlreiche Vorteile haben kann. Zwar kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass durch die §§ 104 ff. SGB VII – wie durch jede Haftungsbegrenzung – die Präventivfunktion haftungsrechtlicher Normen abgeschwächt wird,1983 das geschieht durch die §§ 104 ff. SGB VII aber nicht in einer Weise, die mit der aus Art. 2 II GG resultierenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar wäre. Zu bedenken ist insofern vor allem, dass die §§ 104 ff. SGB VII außerhalb von Wegeunfällen nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII keine stete und ausnahmslose wirtschaftliche Entlastung des Schädigers bewirken: Für Sachschäden haftet er stets (gegenüber dem Geschädigten), bei Personenschäden wird er nur bei leichter Fahrlässigkeit befreit, für Vorsatz respektive grobe Fahrlässigkeit ist er hingegen – vorbehaltlich eines Verzichts des Sozialversicherungsträgers – dessen Regressanspruch gemäß § 110 SGB VII ausgesetzt.1984 Trotz der §§ 104 ff. SGB VII bestehen also genug Anreize, mit den Rechtsgütern der potentiellen Opfer sorgfältig umzugehen und den Eintritt von Schäden nach Möglichkeit zu vermeiden. Selbst wenn man das anders sähe, könnte man richtigerweise keine Verletzung staatlicher Schutzpflichten annehmen. Aus Sicht des Schädigers führen die §§ 104 ff. SGB VII zu wirtschaftlich weitgehend identischen Ergebnissen wie die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, die den Verschuldensmaßstab explizit auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (zum Beispiel §§ 521, 599, 680, 968 BGB) beziehungsweise auf die diligentia quam in suis (beispielsweise §§ 708, 1359, 1664 I BGB), die ebenfalls maximal von der Haftung für leichte Fahrlässigkeit dispensiert (§ 277 BGB), beschränken. Konsequenterweise müsste man daher gegen all diese Vorschriften die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken haben. Das überzeugt dort aber ebenso wenig wie im vorliegenden Kontext. Aus der Schutzpflichtdimension der Grundrechte folgt nämlich nicht die Pflicht, die optimalste aller denkbaren Lösungen zu wählen. Verletzt ist das hier als Maßstab anzulegende „Untermaßverbot“ erst, wenn der Gesetzgeber gar nicht tätig wird oder eine vollkommen ungenügende, einseitige Regelung trifft.1985 Davon kann man bei den §§ 104 ff. SGB VII aber nicht ausgehen: Erstens lässt sich für die große Mehrzahl der Tatbestandsalternativen mit Finanzierungs- beziehungsweise Schutzbedürftigkeitsargument jeweils ein valider Grund anführen, der auf Seiten des Schädigers für die Legitimität der Regelungen streitet. Aber selbst wo dies anders ist, kann dem Gesetzgeber nicht vorgeworfen werden, vollkommen unangemessene Regelungen geschaffen zu haben, wird doch zweitens den Interessen der Geschädigten durch den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung getragen. 1983 1984 1985
So vor allem Tamm, RdA 1960, 412, 415 f. Vgl. oben § 2 E III 3 a). Vgl. BVerfGE 88, 203, 262.
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c) Verstoß gegen Art. 3 I GG Die §§ 104 ff. SGB VII begründen sowohl mit Blick auf den Schädiger wie auf den Geschädigten eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu einer nicht ihrem Anwendungsbereich unterfallenden Personenschädigung. aa) Ungleichbehandlung auf Geschädigtenseite (1) Ungleichbehandlung Der Ausschluss sämtlicher privatrechtlicher Ansprüche wegen Personenschadens stellt den von den §§ 104 ff. SGB VII erfassten Geschädigten im Vergleich zu sonstigen Geschädigten zunächst einmal schlechter und bedeutet daher eine Ungleichbehandlung zu seinen Lasten. Es darf nun zwar einerseits nicht übersehen werden, dass dieser Haftungsausschluss nicht im quasi luftleeren Raum erfolgt, sondern der Geschädigte die gesetzlich vorgesehenen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann. Andererseits aber entsprechen diese Leistungen – wie oben ausgeführt1986 – nicht 1:1 dem zivilrechtlichen, nach §§ 249 ff. BGB bemessenen Schadensersatz. Auch wenn an dieser Stelle die Schmerzensgeldproblematik noch ausgeklammert bleiben soll – auf sie wird zurückzukommen sein1987 –, ergeben sich Unterschiede, und zwar deshalb, weil die (materielle) Schadensberechnung im SGB VII nicht wie im BGB konkret, sondern abstrakt erfolgt. Das ist für den Geschädigten vor allem von Nachteil, wenn das Schadensereignis zwar tatsächlich zu Erwerbseinbußen führt, der Grad an Minderung der Erwerbstätigkeit aber nicht ausreicht, um überhaupt einen Rentenanspruch zu begründen.1988 Selbst wenn der Grad an Minderung der Erwerbstätigkeit diese Grenze übersteigt, kann der tatsächliche berufliche Nachteil größer sein und der Geschädigte somit schlechter stehen als bei einer Schadensabwicklung über die §§ 249 ff. BGB, und zwar vor allem auch deshalb, weil die Rentenleistung maximal 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes beträgt (§§ 56 III, 81 ff. SGB VII). § 56 II 3 SGB VII vermag in solchen Fällen nur in regelmäßig nicht vorliegenden Ausnahmesituationen zu helfen.1989 1986
§ 2 E II 2 d). § 2 E V 2. 1988 Vgl. z.B. BSG 22.8.1974 – 8 RU 66/73, RegNr. 5107; jurisPK-SGB VII/Scholz, § 56, Rn. 18; vgl. auch allgemein HWK/Giesen, Vor §§ 104–113 SGB VII, Rn. 4; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 2. 1989 Da es sich hierbei nach ganz h.M. nicht um eine Durchbrechung der abstrakten Schadensbemessung, sondern nur um eine Härtefallklausel handelt (BSG 19.9.1974 – 8 RU 94/73, SozR 2200 § 581 Nr. 2; Kater/Leube, SGB VII, § 56, Rn. 71, 73; Kunze, in: Becker/ Franke/Molkentin, SGB VII, § 56, Rn. 39; Kasseler Kommentar/Ricke, § 56 SGB VII, Rn. 28; Schmitt, SGB VII, § 56, Rn. 30; a.A. nur jurisPK-SGB VII/Scholz, § 56, Rn. 64), greift sie nur bei Berufen, die spezielle berufliche Tätigkeiten mit einem relativ engen Bereich erfordern, so dass der geschädigte Versicherte seine verbleibenden Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs verwerten könnte (Kasseler Kommentar/ 1987
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Eine Ungleichbehandlung/Schlechterstellung auf Gläubigerseite liegt auch vor, wenn der Versicherte in Folge des Versicherungsfalls verstorben ist. Die ansonsten möglichen Ansprüche auf Ersatz der Beerdigungskosten (§ 844 I BGB) sowie wegen entgangenem Unterhalt (§ 844 II BGB) respektive entgangener Dienste (§ 845 BGB) werden durch die §§ 104 ff. SGB VII ebenfalls ausgeschlossen.1990 (2) Rechtfertigungsmaßstab: Neue Formel Damit stellt sich die Frage, ob diese potentielle Schlechterstellung des Geschädigten gerechtfertigt werden kann. Bevor sie beantwortet werden kann, ist zunächst zu klären, welcher Prüfungsmaßstab dabei anzulegen ist. Wie ausgeführt, ist dies anhand aller Umstände der „inkriminierten“ Norm und der von ihr typischerweise erfassten Sachverhalte zu ermitteln, wobei vor allem die Kriterien der sachverhalts- beziehungsweise personenbezogenen Differenzierung respektive des Bezugs zu den Freiheitsgrundrechten heranzuziehen sind.1991 Einerseits ließe sich anführen, durch die Bezugnahme auf einen Versicherungsfall (§ 7 SGB VII) werde im Vergleich zum Beispiel zu einem Unfall zwischen zwei Fußgängern sachverhaltsbezogen angeknüpft. Andererseits ist aber nicht zu übersehen, dass der Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierung personenbezogen bestimmt wird (zum Beispiel Beschäftigte, Unternehmer, Schüler, Pflegepersonen). Es ist daher schon aus diesem Grund überzeugender, den strengen Prüfungsmaßstab der Neuen Formel anzuwenden. Dafür spricht auch, dass das Haftungsrecht sich stets an den Anforderungen grundrechtlicher Schutzpflichten (vor allem für Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II 1 GG)1992 bewähren muss, und somit – trotz der Tatsache, dass diese Schutzpflicht vorliegend nicht verletzt wurde1993 – ein gewisser Bezug zu einem Freiheitsgrundrecht besteht. Es ist demzufolge entsprechend der Neuen Formel eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. (3) Legitimes Differenzierungsziel (a) Schutz des Unternehmers/Schädigers (Finanzierungs- beziehungsweise Schutzbedürftigkeitsargument) Sehr leicht lässt sich ein legitimes Differenzierungsziel für die Tatbestände der §§ 104 ff. SGB VII finden, die sich rechtspolitisch/-dogmatisch durch das Finanzierungsargument oder das Argument der besonderen Schutzbedürftigkeit Ricke, § 56 SGB VII, Rn. 28; Kunze, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 56, Rn. 41); maßgebliche Kriterien sind dabei insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausübung der speziellen Tätigkeit und der Umstand, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (BSG 4.12.1991 – 2 Ru 47/90, NZA 1992, 671, 672). 1990 Siehe oben § 2 E II 2 a). 1991 § 1 F II 2. 1992 Vgl. auch Manssen, Gutachten, S. 8. 1993 Siehe oben § 2 E V 1 b).
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des Schädigers rechtfertigen lassen. Das ist bei den §§ 104, 1051994, 106 I Nr. 3, II Nr. 2, 3 IV SGB VII der Fall. Für diese Normen begründen der Schutz des Unternehmers vor doppelter finanzieller Inanspruchnahme respektive der Schutz des fremdbestimmt und -nützig tätig werdenden Schädigers vor einer potentiell weitgehenden Haftung, warum in den von ihnen erfassten Konstellationen im Unterschied zu Schadensereignissen zwischen „normalen“ Beteiligten ein vollständiger Haftungsausschluss erfolgt.1995 (b) Kein legitimes Differenzierungsziel im Übrigen Schwieriger zu bewerten sind dagegen die Haftungsprivilegierungen des § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII, für die sich weder das Finanzierungs- noch das Schutzbedürftigkeitsargument fruchtbar machen lassen. Soweit in Literatur und Rechtsprechung zum Teil auf das Gefahrengemeinschafts- und teilweise auch das Betriebsfriedensargument verwiesen wird, hilft das nach hier vertretener Auffassung nicht weiter, weil beide nicht geeignet sind, den Haftungsausschluss zu legitimieren.1996 Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass sich der historische Gesetzgeber auf das Betriebsfriedensargument stützte,1997 denn im Rahmen des Art. 3 I GG ist nicht der subjektive Wille des Gesetzgebers, sondern allein die objektive Lage entscheidend.1998 Es lässt sich ferner auch nicht überzeugend anführen, der Schutz des Betriebsfriedens durch die Haftungsprivilegierung entspreche einer langen Rechtstradition. Denn erstens ist in Bezug auf einen Teil der „kritischen“ Tatbestände schon fraglich, ob sich eine solche (lange) Rechtstradition überhaupt feststellen lässt.1999 Vor allem aber rechtfertigt unabhängig davon zweitens eine Rechtstradition als solche eine Ungleichbehandlung nicht. Nur dann, wenn die ursprünglich die Regelung tragenden Gründe nach wie vor Bestand und ihre Überzeugungskraft behalten hätten, könnten sie zur Rechtfertigung weiterhin herangezogen werden. Das aber ist weder beim Betriebsfriedens- noch beim Gefahrengemeinschaftsargument der Fall: Das Gefahrengemeinschaftsargument trägt schon im Ausgangspunkt keinen so weitgehenden Haftungsausschluss, und das Betriebsfriedensargument mag um 1900 noch als ausreichend erachtet worden sein, heute kann es 1994 Anders verhalten kann es sich bei § 105 I SGB VII allerdings, wenn ein Betriebsfremder einen Versicherten des Betriebs schädigt, siehe näher oben § 2 E IV 6 b) aa). 1995 Würde man die Willkürformel zugrundelegen, wäre die Differenzierung ebenfalls gerechtfertigt, weil dasjenige, was ein legitimes Differenzierungsziel darstellt, erst recht irgendeinen, die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund beinhaltet. 1996 Siehe dazu näher oben § 2 E IV 2 und 4. – Das Betriebsfriedensargument versagt zudem schon rein rechtstatsächlich für § 106 III SGB VII und (zum Teil) auch für § 106 I, II SGB VII, dazu näher oben § 2 E IV 2 b). 1997 RT-Drucks. 1881, Nr. 41, S. 21. 1998 BVerfGE 2, 226, 281; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 4. 1999 Die heute in § 106 II SGB VII normierte Haftungsprivilegierung wurde z.B. erst 1994 (§ 637 V RVO 1994) eingeführt, und die Haftungsbeschränkung des § 106 III Alt. 3 SGB VII existierte unter der RVO noch überhaupt nicht und besteht deshalb erst seit dem 1.1.1997.
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aber richtigerweise nicht mehr als legitimes Differenzierungsziel im Sinne der Neuen Formel herangezogen werden. Dementsprechend fehlt es bereits an einem legitimen Differenzierungsziel, das im Ausgangspunkt in der Lage wäre, die mit § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII einhergehende Schlechterstellung der Geschädigten zu rechtfertigen. 2000 § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII ist daher schon aus diesem Grund verfassungswidrig, so dass sich eine weitere Prüfung erübrigt. Etwas anderes gilt aber im Hinblick auf die übrigen Tatbestände der §§ 104 ff. SGB VII. (4) Geeignetheit und Erforderlichkeit Die Neue Formel setzt weiter voraus, dass das Differenzierungsmittel zur Erreichung des Differenzierungsziels geeignet und erforderlich (das heißt das relativ mildeste Mittel2001) ist. Der vollständige Haftungsausschluss für Personenschäden ist geeignet, den Besonderheiten – entweder Schutz des Unternehmers vor doppelter finanzieller Inanspruchnahme oder Schutz des fremdbestimmt und -nützig tätig werdenden Schädigers vor einer potentiell weitgehenden Haftung – Rechnung zu tragen, die die von den §§ 104 ff. SGB VII erfassten Konstellationen von „normalen“ Haftungsfällen unterscheiden. Der Haftungsausschluss ist dafür auch erforderlich, weil ein milderes, gleich geeignetes Mittel nicht ersichtlich ist. (5) Proportionalität (a) Versicherter als Geschädigter Differenzierungszweck sowie Ausmaß und Schwere der Differenzierung müssen schließlich in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Je gewichtiger die mit der Ungleichbehandlung einhergehende Schlechterstellung ist, umso bedeutender müssen es auch die sie rechtfertigenden Gründe sein. 2002 Prima vista scheint die mit den §§ 104 ff. SGB VII verbundene Ungleichbehandlung/Schlechterstellung der davon betroffenen Gläubiger eine ganz erhebliche zu sein, weil der vollständige Ausschluss jeglicher Schadensersatzansprüche wegen Personenschäden in seinen Wirkungen konzeptionell weit über sonstige Haftungsbegrenzungsmittel wie zum Beispiel die Modifikation des Verschuldensmaßstabs (§§ 690, 708, 1359, 1664 BGB), die Beschränkung der Haftung der Höhe nach (Haftungshöchstsummen, Mitverschulden), die zeitliche Begrenzung (Verjährung, Verwirkung) oder die Haftungsbeschränkung mittels Vermögensmassentrennung (§§ 1973 ff. BGB) hinausgeht; ob dies mit dem Bedürfnis nach Schutz des Unternehmers/Schädigers (Finanzierungs-/Schutz2000 Nichts anderes würde gelten, wenn man die Willkürformel zugrundelegen würde, weil beide Argumente – mangels Überzeugungskraft – nicht einmal irgendeinen, die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Sachgrund darstellen. 2001 Zum Begriff der Erforderlichkeit vgl. z.B. BVerfGE 100, 313, 375; 110, 141, 164. 2002 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 14; Epping, Grundrechte, Rn. 708.
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bedürftigkeitsargument) gerechtfertigt werden könnte, ist fraglich, muss letztlich aber nicht entschieden werden. Denn es darf nicht verkannt werden, dass sich der Geschädigte zum Ausgleich der erlittenen Schäden an den Unfallversicherungsträger halten kann. Das „Gewicht“ der Ungleichbehandlung besteht mithin nicht im Gegensatzpaar: vollständiger Haftungsausschluss versus volle Haftung, sondern vielmehr in den Unterschieden der Schadensabwicklung nach SGB VII einerseits, §§ 249 ff. BGB andererseits. Verfassungsrechtlich zu würdigende Unterschiede ergeben sich vor allem mit Blick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit. 2003 Wie oben 2004 aufgezeigt, weicht wegen der unterschiedlichen Schadensberechnungen („abstrakt“ versus „konkret“) der Umfang der Versichertenrente der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 56 ff. SGB VII) regelmäßig von dem ab, was der Geschädigte nach den §§ 249 ff. BGB hätte beanspruchen können. Zu beachten ist allerdings, dass die Schadensabwicklung über das SGB VII für den Geschädigten zwar schlechter sein kann als nach dem BGB, aber eben auch besser.2005 Vorteilhaft kann sie insbesondere insoweit sein, als es für die Rentenberechtigung und -bemessung nicht darauf ankommt, ob und – wenn ja – in welcher Höhe der Versicherungsfall zu einem tatsächlichen Einkommensverlust geführt hat. 2006 Das bedeutet, dass der von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit betroffene Versicherte selbst dann, wenn er trotzdem weiterhin seinen vollen Arbeitsverdienst erhält oder diesen sogar steigern kann, eine Versichertenrente nach §§ 56 ff. SGB VII erhält.2007 Deutlich günstiger ist die Schadensabwicklung über das SGB VII auch, wenn der Verletzte unabhängig vom schadensbegründenden Ereignis arbeitsunwillig oder -fähig war, weil er dann nach herrschender zivilrechtlicher Meinung mangels Schadens ohnehin gar keinen Anspruch 2003 Schon im Ausgangspunkt unproblematisch dürfte hingegen sein, dass durch die §§ 104 ff. SGB VII privatrechtliche Ansprüche auf Heilbehandlungskosten ausgeschlossen sind, weil hier die Rehabilitationsleistungen nach §§ 27 ff. SGB VII dem Geschädigten in aller Regel eine ausreichende Kompensation zu bieten vermögen. Gleiches gilt für die ausgeschlossenen Ansprüche wegen vermehrter Bedürfnisse (§ 843 I Alt. 2 BGB), an deren Stelle zumindest zum Teil Leistungen der Sozialversicherungsträger (vgl. §§ 35, 39 ff. SGB VII, §§ 36 ff. SGB XI) treten, vgl. Staudinger/Vieweg, § 843, Rn. 8; MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 485. 2004 § 2 E II 2 g). 2005 Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2. 2006 BSG 30.10.1968 – 4 RJ 177/64, SozR Nr. 17 zu § 1247; 14.11.1984 – 9b RU 38/84, SozR 2200 § 581 Nr. 22; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 22; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 666; Krasney, NZS 2004, 7. 2007 BSG 30.10.1968 – 4 RJ 177/64, SozR Nr. 17 zu § 1247; 15.6.1983 – 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr. 11: „Die Verletztenrente ist eine ‚Entschädigung‘ besonderer Art. Sie setzt nicht voraus, daß durch Unfall ein meßbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Vielmehr gleicht sie einen möglichen Schaden aus. Nicht eine Minderung des Erwerbseinkommens, sondern die Minderung der Erwerbsfähigkeit soll entschädigt werden.“; BSG 14.11.1984 – 9b RU 38/84, SozR 2200 § 581 Nr. 22: „[…] so daß es auf eine tatsächliche Erwerbsbetätigung und einen entsprechenden Einkommensschaden […] nicht ankommt“.
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hätte, 2008 wohingegen er entsprechend dem abstrakt zu bestimmenden Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit Verletztenrente beziehen kann. Das zeigt: Bezieht man die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung richtigerweise in die Betrachtung mit ein, kann keine Rede davon sein, dass der Geschädigte im Rahmen der Schadensabwicklung nach dem SGB VII generell schlechter steht als bei einer (hypothetischen) Schadensliquidation gemäß den §§ 249 ff. BGB. Weil diese für ihn im Gegenteil sogar (deutlich) günstiger sein kann, handelt es sich gewissermaßen um ein „Risikospiel“: Einerseits läuft der potentielle Geschädigte Gefahr, im Falle eines Versicherungsfalls schlechter zu stehen, als er nach den §§ 249 ff. BGB stünde, andererseits hat er aber auch die Chance, besser gestellt zu sein. 2009 Selbst wenn ersteres empirisch häufiger vorkommen sollte, 2010 vermindert die Chance darauf, dass dies auch anders sein kann, doch das Maß an rechtfertigungsbedürftiger Schlechterstellung des Geschädigten. Unabhängig davon bietet die Schadensabwicklung über das SGB VII dem Geschädigten eine Reihe weiterer Vorteile, die ebenfalls für die Proportionalität des Haftungsausschlusses sprechen. 2011 Erstens muss er nicht – wie bei § 842 BGB – einen konkreten Erwerbsschaden nachweisen, was oftmals schwierig bis unmöglich ist.2012 Zweitens muss er kein Verschulden des Schädigers beweisen (§§ 823 ff. BGB) beziehungsweise befürchten, dass dieser die Verschuldensvermutung (vor allem bei § 280 I 2 BGB) widerlegt. 2013 Drittens wirkt ein eventuelles Mitverschulden bei der Schadensentstehung anders – als nach § 254 I BGB – nicht anspruchsmindernd. 2014 Viertens werden eventuelle Hinzuverdienste oder seine Mitarbeit im Haushalt bei der Rente nicht anspruchsmindernd angerechnet, 2015 was im Bereich der §§ 249 ff. BGB für nicht-überobligationsmäßige Einkünfte anders ist. 2016 Darüber hinaus steht dem Geschädigten mit dem Unfallversicherungsträger fünftens ein stets liquider Schuldner gegenüber, 2017 die Schadensab2008
Siehe näher und m.w.N. oben § 2 E II 2 g). Vgl. auch Manfred Lepa, VersR 1985, 8. 2010 So HWK/Giesen, Vor §§ 104–113 SGB VII, Rn. 4; vgl. demgegenüber aber Gitter, FS Sieg, S. 139, 142 f., wonach im Jahr 1960 maximal 10 % der Verletztenrentenberechtigten tatsächlich einen Verdienstausfall erlitten, so dass die Verletztenrente in mindestens 90 % der Fälle zugleich bzw. ausschließlich die Wirkung einer Entschädigung für immaterielle Schäden hatte. 2011 Vgl. auch Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2. 2012 JurisPK-SGB VII/Scholz, § 56, Rn. 19. 2013 HWK/Giesen, Vor §§ 104–113 SGB VII, Rn. 4; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 4. 2014 BVerfGE 34, 118, 132; BGH 14.1.1986 – VI ZR 10/85, NJW 1986, 1937, 1938; Kater/ Leube, SGB VII, Vor §§ 56–62, Rn. 9; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 22; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 653. 2015 Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 56, Rn. 14. 2016 Vgl. Staudinger/Vieweg, § 842, Rn. 24 ff. m.w.N. 2017 BVerfGE 34, 118, 132; BGH 14.1.1986 – VI ZR 10/85, NJW 1986, 1937, 1938; Diederichsen, r+s Beil. 2011, 20, 22; HWK/Giesen, Vor §§ 104–113 SGB VII, Rn. 4. 2009
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wicklung kann daher – in der Regel – unkomplizierter und risikoloser erfolgen, was vor allem bei langfristigen Rentenzahlungen von unschätzbarem Vorteil sein kann, besteht bei einem privaten Schuldner doch immer die Gefahr einer Insolvenz mit der Folge der fast vollständigen Entwertung des Rentenanspruchs. Und sechstens schließlich kann die Schadensliquidation in der Mehrzahl der Fälle schneller erfolgen, weil lange Streitigkeiten über den konkret entstandenen Erwerbsschaden, das Verschulden des Schädigers und/oder ein mögliches Mitverschulden ebenso unterbleiben wie die mit der tatsächlichen Forderungsrealisierung (in der Zwangsvollstreckung) potentiell verbundenen Schwierigkeiten. 2018 Sowohl die Chance, in manchen Konstellationen über die Schadensabwicklung nach SGB VII besser zu stehen als nach den §§ 249 ff. BGB, als auch die generell mit der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung verbundenen Vorteile sind bei der verfassungsrechtlichen Bewertung zu berücksichtigen. Hingegen wäre es verfehlt, isoliert einzelne Teile eines in sich geschlossenen, stimmigen Gesamtkonzepts „herauszureißen“, mit ebenfalls aus dem Zusammenhang genommenen Teilen eines anderen Regelungskomplexes zu vergleichen und daraus einen Gleichheitsverstoß abzuleiten. Vorzunehmen ist vielmehr ein Gesamtvergleich der beiden Ordnungssysteme, der alle damit jeweils verbundenen Vor- und Nachteile abwägt.2019 Bezieht man daher die (potentiellen) Vorteile der Schadensliquidation über das SGB VII in die Betrachtung mit ein, ist das Maß an rechtfertigungsbedürftiger Schlechterstellung des Geschädigten gering. Setzt man es sodann ins Verhältnis zu den legitimierenden, die §§ 104 ff. SGB VII dort, wo sie rechtstatsächlich fruchtbar gemacht werden können, tragenden Interessen des Unternehmers vor doppelter finanzieller Belastung respektive des fremdbestimmt und -nützig tätig werdenden Schädigers vor einer potentiell weitreichenden Haftung, kann von einer Disproportionalität nicht ausgegangen werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG scheidet daher aus. (b) Hinterbliebene als Geschädigte Die Hinterbliebenen des Geschädigten stehen angesichts des Ausschlusses der anderefalls möglichen Ansprüche aus §§ 844 f. BGB ebenfalls zunächst schlechter als bei „normalen“ Schadensfällen. Auch insoweit liegt aber, wie zu zeigen sein wird, ein Verstoß gegen Art. 3 I GG nicht vor, und zwar deshalb, weil bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht nur die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach den §§ 63 ff. SGB VII, sondern auch die übrigen Vorteile der Schadensabwicklung über den Unfallversicherungsträger zu berücksichtigen sind.
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BVerfGE 34, 118, 132; so auch schon BVerfGE 31, 212, 220 (zu § 91a SVG). Vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 313a; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3, Rn. 51. 2019
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Wie schon dargelegt, normieren die §§ 63 ff. SGB VII verschiedene Leistungsansprüche: Der Verlust des Anspruchs auf Beerdigungskosten (§ 844 I BGB) wird durch das Sterbe- und Überführungsgeld (§ 64 SGB VII) in aller Regel wettgemacht. 2020 An die Stelle von Ansprüchen wegen entgangener Unterhaltsansprüche (§ 844 II BGB) treten die Hinterbliebenenrenten nach den §§ 65 ff. SGB VII. Diese belaufen sich jeweils auf einen bestimmten Prozentsatz am Jahresarbeitsverdienst des Verstorbenen (§§ 81 ff. SGB VII). Der Höhe nach sind diese Renten mit mindestens 20 % (Halbwaisenrente, § 68 I Nr. 1 SGB VII, sowie Rente an Verwandte aufsteigender Linie, § 69 IV Nr. 1 SGB VII) und maximal 40 % (Witwen-/Witwerrente in den Fällen des § 65 II Nr. 3 SGB VII, im Übrigen 30 %) des Jahresarbeitsverdienstes auch durchaus erheblich und dürften regelmäßig nicht hinter dem zurückbleiben, was über § 844 II BGB hätte verlangt werden können. 2021 Nachteilig ist die Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz daher konzeptionell lediglich insofern, als für den Verlust eines möglichen Schadensersatzanspruchs wegen entgangener Dienste nach § 845 BGB keinerlei Kompensation vorgesehen ist. Daraus folgt aber schon wegen der marginalen Bedeutung des § 845 BGB, der nur noch für die praktisch äußerst seltenen Fälle des § 1619 BGB Anwendung findet, 2022 kein Verfassungsverstoß. Unabhängig davon bietet die Abwicklung über den Unfallversicherungsträger auch für Hinterbliebene zahlreiche Vorteile. Neben den oben, beim Versicherten bereits genannten Vorzügen ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Durchsetzung von Ansprüchen nach § 844 II BGB oftmals auf erhebliche (prozessuale) Schwierigkeiten trifft, insbesondere dann, wenn es um mögliche Ansprüche in (ferner) Zukunft geht. Bei den §§ 65 ff. SGB VII bleiben den Hinterbliebenen diese Probleme erspart. Für sie ist daher selbst dann, wenn der Rentenanspruch hinter möglichen Schadensersatzansprüchen nach § 844 II BGB zurückbleibt, die Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz in der Praxis oftmals günstiger. Angesichts der Absicherung durch die gesetzliche Unfallversicherung und der mit ihr verbundenen Vorteile ist schon fraglich, ob die Hinterbliebenen insgesamt wirklich schlechter stehen, als sie bei Geltung der §§ 844 f. BGB stünden. Selbst wenn man das bejahen würde, wäre nicht zu übersehen, dass der 2020 Das Sterbegeld beträgt 1/7 der Bezugsgröße des § 18 SGB IV, das heißt zur Zeit ca. € 4.140 (BeckOK-SozR/Marschner, § 64 SGB VII, Rn. 3 f.). 2021 Unproblematisch ist auch, dass im Falle des Vorhandenseins mehrerer Rentenberechtigter der Höchstbetrag der Hinterbliebenenrenten auf 80 % des Jahresarbeitsverdiensts beschränkt ist (§ 70 SGB VII). Denn unterhaltsrechtlich hätten die Berechtigten wegen des dem Unterhaltsschuldners zustehenden Eigenbedarfs (vgl. zum Begriff z.B. Staudinger/Engler/ Kaiser, § 1601, Rn. 126) keinesfalls mehr verlangen können. 2022 MüKo-BGB/Wagner, § 845, Rn. 3; Staudinger/Röthel, § 845, Rn. 11; BeckOK-BGB/ Spindler, § 845, Rn. 1; PWW/Medicus, § 845, Rn. 5. – Die Lücke wird weitgehend über §§ 843, 844 II BGB geschlossen (vgl. BeckOK-BGB/Spindler a.a.O.), denen mit Verletzten- bzw. Hinterbliebenenrente jeweils ein sozialversicherungsrechtliches Pendant gegenübersteht.
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Grad an Schlechterstellung vergleichsweise gering wäre. Weil nach der Neuen Formel das Gewicht des Differenzierungsziels in Relation zum Maß an Ungleichbehandlung zu setzen ist, wäre eine derartige Schlechterstellung angesichts der berechtigten und gewichtigen Interessen des Unternehmers/Schädigers gerechtfertigt. (6) Zwischenergebnis Die §§ 104 ff. SGB VII stellen zwar eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung des von ihnen betroffenen Geschädigten und seiner Hinterbliebenen gegenüber anderen, durch „normale“ Schadensereignisse Geschädigten/Hinterbliebenen dar. Bei den Tatbeständen 2023, für die das Finanzierungs- oder das Schutzbedürftigkeitsargument angeführt werden kann, kann das aber selbst unter Zugrundelegung der strengen Neuen Formel gerechtfertigt werden. 2024 Hingegen verstoßen diejenigen Tatbestände2025 aus den §§ 104 ff. SGB VII gegen Art. 3 I GG, bei denen sich Finanzierungs- und Schutzbedürftigkeitsargument nicht fruchtbar machen lassen. Denn insoweit fehlt es schon an einem legitimen Differenzierungsziel, so dass es gar nicht auf eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung ankommt. bb) Ungleichbehandlung auf Schädigerseite Eine Ungleichbehandlung liegt auch vor, wenn man die Schädigerseite in den Fokus rückt. Greifen die §§ 104 ff. SGB VII ein, steht der Schädiger besser als „normale“ Schädiger, weil nur seine zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen ist. Daher liegt gegenüber „normalen“ Schädigern eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor. Nach dem oben Gesagten ist bei der Rechtfertigungsprüfung der strenge Maßstab der Neuen Formel anzulegen. Dementsprechend verstoßen all diejenigen Tatbestände, bei denen weder das Finanzierungs- noch das Schutzbedürftigkeitsargument angeführt werden kann (§ 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII), auch insoweit gegen Art. 3 I GG, als „normale“ Schädiger von den Segnungen der §§ 104 ff. SGB VII nicht profitieren. Denn bei ihnen lässt sich ein legitimer, die Besserstellung des Schädigers rechtfertigender Grund schon im Ansatzpunkt nicht finden: Weder trug der Schädiger die Schadensfolgen bereits präventiv über Beitragsleistungen zur gesetzlichen Unfallversicherung, noch kann er sich darauf berufen, dass er gegenüber „normalen“ Schädigern wegen seiner fremdbestimmten und -nützigen Tätigkeit besonders schutzbedürftig ist. 2026 2023 §§ 104, 105 (mit Einschränkungen bei der Schädigung durch Betriebsfremde, siehe oben § 2 E IV 6 b] aa]), 106 I Nr. 3, II Nr. 2, 3, IV SGB VII. 2024 Gleiches würde daher erst recht gelten, wenn man nur das Willkürverbot heranziehen würde. 2025 In concreto: § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII. 2026 Die anderen, in Rechtsprechung und Literatur zur rechtsdogmatischen und -politischen Begründung der §§ 104 ff. SGB VII angeführten Überlegungen (Friedens-, Liquida-
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Hingegen lässt sich für die §§ 104, 1052027, 106 I Nr. 3, II Nr. 2, 3, IV SGB VII mit dem Finanzierungs- oder dem Schutzbedürftigkeitsargument jeweils ein legitimes Differenzierungskriterium identifizieren. Um das Ziel des besonderen Schutzes von solchen Schädigern zu erreichen, die entweder die finanziellen Folgen des Versicherungsfalls bereits im Vorfeld durch ihre Beitragszahlungen trugen, oder die aufgrund ihrer fremdbestimmten und -nützigen Tätigkeit besonders schutzwürdig sind, sind die genannten Regelungen auch geeignet und erforderlich. Man wird die Ungleichbehandlung auch für proportional halten können, vor allem weil die §§ 104 ff. SGB VII – wirtschaftlich betrachtet – nur bei leicht fahrlässig verursachten Schäden zu einer vollständigen Haftungsbefreiung führen, wohingegen bei einem darüber hinausgehenden Verschulden ein Regress des leistenden Sozialversicherungsträgers möglich ist, § 110 SGB VII. 2028 Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG scheidet mithin aus. cc) Zwischenergebnis; Rechtsfolgen des Verfassungsverstoßes Während die übrigen Tatbestände mit dem Grundgesetz vereinbar sind, 2029 verstößt § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII nach hier vertretener Auffassung gegen Art. 3 I GG, weil sowohl die betroffenen Geschädigten wie auch die nicht in den Genuss der Haftungsprivilegierung kommenden Schädiger ungerechtfertigt schlechter gestellt werden. Gleiches gilt für § 105 I, II SGB VII insoweit, als im Einzelfall auch Betriebsfremde erfasst werden, die zwar fremdnützig, aber nicht fremdbestimmt tätig werden. Aus diesem Verfassungsverstoß folgt aber nicht ohne Weiteres die Nichtigkeit der inkriminierten Vorschriften, weil die verfassungskonforme Auslegung einer Norm Vorrang vor ihrer Nichtig- beziehungsweise Unvereinbarkeitserklärung mit dem Grundgesetz hat. 2030 Mindestvoraussetzung für eine solche Auslegung ist aber, dass die Norm nach ihrem Wortlaut verschiedene Auslegungen zulässt, die zum Teil verfassungsmäßig und im Übrigen verfassungswidrig sind. 2031 Über eine verfassungskonforme Auslegung „retten“ kann man jedenfalls § 105 I, II SGB VII. Sein Wortlaut ist ambivalent genug, dass er aufgrund des andernfalls vorliegenden Verstoßes gegen Art. 3 I GG so ausgelegt
tions- und Gefahrengemeinschaftsargument) überzeugen nicht, siehe näher oben § 2 E IV 1, 2, 4 und 5. 2027 Eine Ausnahme ist allein bei Nicht-Betriebsangehörigen wie z.B. „Wie-Beschäftigten“ (§ 2 II 1 SGB VII) denkbar, siehe oben § 2 E IV 6 b) aa). 2028 Siehe oben § 2 E II 2 f); wie dort bereits ausgeführt, entsprechen die §§ 104 ff. SGB VII daher im wirtschaftlichen Endergebnis regelmäßig den §§ 708, 1359, 1664 BGB. 2029 So für die gesamten §§ 104 ff. SGB VII, aber ohne nähere Erörterung der Problematik auch Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 5; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 18; Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 104 SGB VII, Rn. 5. 2030 Vgl. BVerfGE 49, 148, 157; 67, 70, 88. 2031 BVerfGE 18, 97, 111; 64, 229, 242; 88, 203, 331.
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werden kann, dass Betriebsfremde nur dann in den Genuss der Haftungsprivilegierung gelangen, wenn sie nicht nur fremdnützig tätig werden, sondern – wenn auch temporär – einer einem Arbeitnehmer vergleichbaren Fremdbestimmung des Betriebsinhabers, in dessen Betrieb der Versicherungsfall verursacht wurde, unterliegen. Bei § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1 SGB VII ist eine solche verfassungskonforme Auslegung hingegen nicht möglich, weil der Wortlaut keinerlei Interpretationsspielraum belässt, erstreckt er die Geltung der Haftungsprivilegierung doch apodiktisch auf die dort genannten Personen. Auch bei § 106 III SGB VII wird man eine verfassungskonforme Auslegung zumindest insoweit ablehnen müssen, als Schädiger ein Arbeitnehmer ist, denn es besteht kein Zweifel, dass ein solcher unter die Wendung „für die beteiligten Unternehmen Tätiger“ fällt. Hingegen ist eine Subsumtion des auf der gemeinsamen Betriebsstätte selbst tätig werdenden Unternehmers unter diese Wendung zwar einfachgesetzlich möglich, aber nicht zwingend geboten, weil man durchaus in Zweifel ziehen kann, ob der Unternehmer „für“ das Unternehmen tätig wird. Dementsprechend steht der Wortlaut einer verfassungskonformen, den Unternehmer selbst nicht erfassenden Auslegung nicht entgegen. Daher ist § 106 III SGB VII entgegen der herrschenden Meinung im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht anwendbar, wenn Schädiger der Unternehmer ist.2032 Auch dort, wo eine verfassungskonforme Auslegung nach dem soeben Gesagten nicht möglich ist, führt der Verstoß gegen Art. 3 I GG nicht ohne Weiteres zur Nichtigkeit der Norm. Aus Respekt vor dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erklärt das BVerfG bei Verstößen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz eine Vorschrift regelmäßig nur für mit dem Grundgesetz unvereinbar und räumt dem Gesetzgeber einen Zeitraum ein, innerhalb dessen er den Gleichheitsverstoß aus der Welt schaffen muss. 2033 Ob das auch vorliegend angezeigt ist, erscheint allerdings insofern zweifelhaft, als von den beiden theoretischen Möglichkeiten – Erweiterung der Haftungsprivilegierung auf sämtliche Schadensfälle einerseits, Streichung der „inkriminierten“ Tatbestände andererseits – realistischerweise nur die zweite in Betracht kommt. Weil dementsprechend faktisch kein Eingriff in den dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraum droht, erscheint vorliegend ausnahmsweise eine Nichtigerklärung der Tatbestände des § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII vertretbar.
2032 2033
So – wenn auch mit anderer Begründung – auch Kater/Leube, SGB VII, § 106, Rn. 16. Siehe oben § 1 F II 4.
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2. Vereinbarkeit des Ausschlusses von Schmerzensgeldansprüchen mit Art. 3 I GG2034 Der sicherlich meist diskutierte Aspekt der §§ 104 ff. SGB VII ist, ob der Ausschluss privatrechtlicher Schmerzensgeldansprüche mit Art. 3 I GG vereinbar ist. Nachdem das BVerfG2035 dies unter Anwendung der Willkürformel im Jahr 1972 mit im Wesentlichen den Argumenten, die oben bereits im Rahmen der Prüfung der generellen Verfassungskonformität der §§ 104 ff. SGB VII angeführt wurden, bejaht hatte, ebbte die Diskussion zeitweise ab. Wegen der Veränderungen durch die Schadensersatzrechtsreform 20022036 wurden aber in der Literatur wieder vereinzelt Stimmen laut, die – mit unterschiedlicher Begründung und entgegen der nach wie vor herrschenden Meinung2037 – für die Verfassungswidrigkeit plädieren: Richardi stützt das allein auf die systematische Verlagerung des Schmerzensgelds weg von der nur für das Deliktsrecht geltenden Vorschrift des § 847 BGB a.F. hin zur allgemeinen Norm des § 253 II BGB. 2038 Wie die ganz herrschende Meinung aber zu Recht betont, folgt allein aus der Systemwidrigkeit einer Norm nicht deren Verfassungswidrigkeit und umgekehrt aus ihrer Systemkonformität nicht ihre Verfassungskonformität.2039 A maiore ad minus kann aus der bloßen Veränderung des systematischen Standorts auch kein Gleichheitsverstoß abgeleitet werden;2040 dies wäre vielmehr nur möglich, wenn sich daraus auch in der Sache eine substanzielle Veränderung ergäbe.
2034 Ausgeblendet bleibt im Folgenden die Vereinbarkeit mit dem Sozialstaatsprinzip, die das BVerfG zu Recht mit dem Argument bejahte, es handle sich primär um eine Staatszielbestimmung, aus der sich nur bei unerträglichen Missständen Einzelfallkonsequenzen ableiten ließen ( BVerfGE 34, 118, 136; siehe auch OLG Koblenz 19.4.2004 – 12 U 544/03, NJOZ 2004, 3506, 3509). Auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I, 1 I GG) lehnte das BVerfG ab (a.a.O.). Nach hier vertretener Auffassung folgt dies schon daraus, dass die §§ 104 ff. SGB VII gar nicht greifen, soweit es um Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Versicherten geht (siehe oben § 2 E II 2 b]). 2035 BVerfGE 34, 118, 128 ff. 2036 Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002, BGBl. I S. 2674. 2037 BVerfG 27.2.2009 – 1 BvR 3505/08, NZA 2009, 509, 510; BGH 4.6.2009 – III ZR 229/07, NJW 2009, 2956, 2958; OLG Brandenburg 22.12.2009 – 6 U 22/09, NJOZ 2011, 349, 351; LAG Berlin-Brandenburg 1.6.2010 – 12 Sa 320/10, BeckRS 2011, 67196; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 18; Dahm, in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 104 SGB VII, Rn. 5; Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 18; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 36; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 5; Schmitt, SGB VII, § 104, Rn. 16; aus der „Zwischenzeit“ vgl. BVerfG 8.2.1995 – 1 BvR 753/94, NJW 1995, 1607; vgl. auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 521 ff. 2038 Richardi, NZA 2002, 1004, 1009. 2039 Siehe näher § 1 F II 3. 2040 So auch Fuchs, Deliktsrecht, S. 296.
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Einen derartigen sachlichen Unterschied zwischen alter und neuer Rechtslage erblickt Fuchs darin, dass Schmerzensgeld nun nicht mehr nur bei (schuldhaften) deliktischen Handlungen, sondern auch bei der Erfüllung von Gefährdungshaftungstatbeständen (vergleiche zum Beispiel § 13 S. 2 UmweltHG, § 11 S. 2 StVG) geschuldet sein könne. 2041 Unter dem Blickwinkel des Art. 3 I GG gebiete dies, auch für die von §§ 104 ff. SGB VII erfassten Konstellationen einen Schmerzensgeldanspruch vorzusehen. Denn die Haftung für Unfallschäden am Arbeitsplatz sei einer Gefährdungshaftung vergleichbar, weil sie kein Verschulden des schädigenden Arbeitgebers beziehungsweise Arbeitskollegen erfordere. Wäre letzteres zutreffend, wäre Fuchs unter Umständen zuzustimmen. Allein: Woraus er ableitet, die Haftung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei auf der zivilrechtlichen Ebene eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, bleibt schleierhaft. Weil diese sich im Grundsatz nach den allgemeinen Regeln des BGB richtet, ist sie vielmehr Verschuldenshaftung. Daran ändert selbst die Tatsache, dass das Verschulden im Falle der nachgewiesenen Pflichtverletzung des Arbeitgebers vermutet wird (§ 280 I 2 BGB), konzeptionell nichts; im umgekehrten Fall revidiert zudem § 619a BGB die Beweislastumkehr des § 280 I 2 BGB. 2042 Und für die neben der vertraglichen Schadensersatzhaftung mögliche deliktische Haftung gilt ohnehin das Verschuldensprinzip. Damit entfällt der maßgebliche Grundpfeiler der Fuchs’schen Argumentation. Einen anderen Argumentationsstrang verfolgt Fuhlrott. 2043 Er geht zunächst davon aus, dass die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1972, basierend auf der Willkürformel, zutreffend war. Seitdem hätten sich aber gravierende Änderungen ergeben. Erstens sei die Differenz zwischen den Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und den §§ 249 ff. BGB heute größer als noch 1972, weil die Schmerzensgeldsummen seither deutlich angestiegen seien. Zweitens habe die Verlagerung des Schmerzensgeldanspruchs in das allgemeine Schadensersatzrecht den vormaligen Ausnahmecharakter des Schmerzensgeldes beseitigt und es zu einem regulären Anspruch des Schadensersatzrechts aufgewertet, was sich auch auf die verfassungsrechtliche Bewertung auswirken müsse. Drittens hätten sich die Anforderungen an die Rechtfertigungskontrolle verschärft. Statt der Willkürformel sei die Neue Formel anzuwenden, weil sich die durch die mit den §§ 104 ff. SGB VII einhergehende unmittelbare Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar auf Personengruppen auswirke. Dem Anstieg der Anforderungen an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung stünden auf Seite der Rechtfertigung keine entsprechenden Veränderungen gegenüber, so dass die bisher angeführten 2041 Fuchs, Deliktsrecht, S. 296 f.; in diese Richtung auch Wannagat/Mertens, Sozialgesetzbuch, § 56 SGB VII, Rn. 23; lediglich rechtspolitisch kritisch wohl Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 413. 2042 Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 3. 2043 Fuhlrott, Arbeitnehmer, S. 82 ff.; ders., NZS 2007, 237, 241 f.
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Rechtfertigungsgründe nicht mehr genügten, um die gewachsene Differenz zu begründen. Daher sei der Ausschluss der Schmerzensgeldansprüche heute als verfassungswidrig anzusehen. Fuhlrott ist insofern beizupflichten, als auf die mit dem Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen verbundene Ungleichbehandlung nach dem oben Gesagten in der Tat nicht mehr die Willkürformel, sondern die Neue Formel anzuwenden ist.2044 Zutreffend ist weiter, dass seit 1972 – dem Jahr der in Bezug genommenen BVerfG-Entscheidung – ein signifikanter Anstieg der ausgeurteilten Schmerzensgeldsummen jedenfalls bei Schwerstverletzten zu beobachten ist2045 und Deutschland damit mit an der Spitze in Europa liegt. 2046 Ein vergleichbarer Anstieg lässt sich bei leicht- und mittelschwer Verletzten hingegen nicht immer verzeichnen, zum Teil stagnieren die Zahlen hier seit mehreren Jahrzehnten. 2047 Dennoch wird man insgesamt davon ausgehen können, dass tendenziell das Schmerzensgeld in der Rechts- und Gerichtspraxis an Bedeutung gewonnen hat2048 – und dementsprechend in der Tat das Maß an Ungleichbehandlung zwischen den von §§ 104 ff. SGB VII erfassten Konstellationen und „normalen“ Schadensfällen seit der Entscheidung des BVerfG im Jahr 1972 zugenommen hat. Die Frage ist allerdings, ob das genügt, um bereits die Verfassungswidrigkeit bejahen zu können. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass das BVerfG dies jüngst in einer Nichtannahmeentscheidung explizit verneint und dabei betont hat, dass die Gründe, die das Gericht in früheren Entscheidungen angeführt hat, nach wie vor tragfähig seien. 2049 Mit der Frage, ob die Willkürformel oder die Neue Formel anzuwenden, setzte sich die Kammer nicht näher auseinander, was darauf schließen lässt, dass die Ungleichbehandlung selbst bei Anwendung der Neuen Formel aus Sicht des Gerichts gerechtfertigt ist. Weil im Rahmen des Art. 3 I GG – wie oben 2050 ausgeführt – nicht isoliert einzelne Regelungen aus verschiedenen Ordnungssystemen herausgegriffen und miteinander verglichen werden dürfen, sondern alle Vor- und Nachteile der Gesamtsysteme zu würdigen sind, sprechen für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung auch in Bezug auf den Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen die vielen Vorteile, die mit der Schadensabwicklung über die gesetzliche Unfall-
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Vgl. oben § 2 E V 1 c). Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 47; BeckOK-BGB/Spindler, § 253, Rn. 28; Scheffen, ZRP 1999, 189, 190; Jaeger, VersR 2009, 159, 160. 2046 Scheffen, ZRP 1999, 189, 192; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 47 m.w.N. 2047 Ziegler/Ehl, JR 2009, 1, 2; Jaeger, VersR 2009, 159, 160; BeckOK-BGB/Spindler, § 253, Rn. 28. 2048 So auch Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 18, der aber dennoch keinen Verfassungsverstoß annimmt. 2049 BVerfG 27.2.2009 – 1 BvR 3505/08, NZA 2009, 509, 510. 2050 § 2 E V 1 c) aa) (5). 2045
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versicherung für den Geschädigten verbunden sind. 2051 Hinzu kommt, dass sich zumindest für die Mehrzahl der Tatbestände der §§ 104 ff. SGB VII2052 mit dem Finanzierungs- respektive dem Schutzbedürftigkeitsargument valide Gründe finden lassen, die die Haftungsprivilegierung tragen. Beides – der Schutz von Unternehmer2053 respektive Schädiger einerseits, die Vorteile für den Geschädigten andererseits – wäre möglicherweise schon für sich ausreichend, um trotz der gestiegenen Bedeutung des Schmerzensgeldes und Anwendung der Neuen Formel nach wie vor den Verlust privatrechtlicher Schmerzensgeldansprüche zu rechtfertigen. 2054 Letztlich kommt es darauf aber gar nicht an. Das Maß an Ungleichbehandlung ist nämlich trotz Anstiegs der Schmerzensgeldzahlungen nicht so hoch wie Fuhlrott unterstellt. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Annahme, dem Ausschluss des Schmerzensgeldes durch §§ 104 ff. SGB VII stünde keinerlei Kompensation in Form von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber. Daran ist zwar richtig, dass das SGB VII keine expliziten Ansprüche auf Schmerzensgeld normiert. Allerdings ist – wie oben bereits ausführlich dargelegt2055 – die Verletztenrente bei Leicht-, Mittel- und Schwerverletzten durchaus potentiell geeignet, zumindest teilweise den Wegfall der privatrechtlichen Schmerzensgeldansprüche zu kompensieren. 2056 Dementsprechend mögen zwar einerseits durch den Anstieg der ausgeurteilten Schmerzensgeldsummen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gewachsen sein, andererseits ist das Gewicht an Ungleichbehandlung angesichts der (auch) Schmerzensgeldfunktion der Verletztenrente nicht so erheblich, wie Fuhlrott annimmt. Im Verein mit den oben genannten Vorteilen der gesetzlichen Unfallversicherung für den Geschädigten sowie dem Finanzierungs- beziehungsweise Schutzbedürftigkeitsargument bestehen daher auch nach der Aufwertung des zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruchs durch die Schadensrechtsreform 2002 und gleichzeitiger Anwendung der Neuen Formel Gründe von ausreichendem Gewicht, um die Ungleichbehandlung in Form des Ausschlusses von Schmerzensgeldansprüchen zu rechtfertigen. 2057 2051
Siehe näher § 2 E V 1 b). Siehe im Einzelnen § 2 E IV 3, 6. 2053 Vgl. dazu auch schon BVerfGE 34, 118, 132 und BVerfGE 31, 212, 220 (zu § 91a SVG). 2054 So vor allem Meike Lepa, Haftungsbeschänkungen, S. 36; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 2; vgl. auch Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 18. 2055 Siehe § 2 E II 2 d) aa) (2). 2056 Gerade bei leicht- und mittelschwer Verletzten ist das regelmäßig der Fall, vgl. die Zahlen in Fn. 1932. 2057 Eine weitere, hier nicht näher zu behandelnde, weil den Rahmen der Untersuchung sprengende Frage ist, ob dann, wenn man dem Verletztengeld partiell die Funktion eines Ersatzes immaterieller Schäden einräumt, die Vorschriften über seine Bemessung nicht gegen Art. 3 I GG verstoßen, weil der Umfang des „Schmerzensgelds“ nicht von den erlittenen Schmerzen, sondern vom Jahresarbeitsverdienst des Geschädigten abhängt. Steht einem Grad 2052
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Zusammenfassend ist daher mit der herrschenden Meinung2058 ein Verstoß gegen Art. 3 I GG insgesamt abzulehnen. VI. Schlussfolgerungen de lege ferenda: Streichung/Änderung der §§ 105, 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII Die Tatbestände aus dem Bereich der §§ 104 ff. SGB VII, die weder rechtspolitisch noch -dogmatisch gerechtfertigt werden können und die deshalb auch gegen Art. 3 I GG verstoßen, sind zu streichen beziehungsweise zu ändern. Konkret: – § 105 I SGB VII kann zwar über eine verfassungskonforme Auslegung „gerettet“ werden, er sollte aber aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit dennoch dahingehend modifiziert werden, dass er nur solche betriebsfremden Schädiger erfasst, die nicht nur fremdnützig tätig werden, sondern – wenn auch temporär – einer einem Arbeitnehmer vergleichbaren Fremdbestimmung des Betriebsinhabers, in dessen Betrieb der Versicherungsfall verursacht wurde, unterliegen. – § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1 SGB VII ist ersatzlos zu streichen. – Auch wenn dem Legitimationsdefizit bei § 106 III SGB VII de lege lata zum Teil über eine verfassungskonforme Auslegung Rechnung getragen werden kann, ist er ebenfalls insgesamt zu streichen. Auf den ersten Blick führt das dazu, dass der Geschädigte doppelt begünstigt wird, scheint er doch nicht nur die vollen privatrechtlichen Ansprüche gegen den Schädiger zu erhalten, sondern auch in den Genuss der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu kommen. Diese in der Tat unzumutbare Rechtslage wird aber dadurch vermieden, dass die cessio legis des § 116 SGB X mangels Anwendbarkeit der Haftungsprivilegierung nicht nach § 104 I 2 SGB VII ausgeschlossen ist. Soweit die vom Unfallversicherungsträger zu erbringenden Leistungen mit den privatrechtlichen Ansprüchen kongruent sind, kann sich der Geschädigte also schon nicht an den Schädiger halten; anders als nach jetziger Rechtslage kann er aber eventuelle, von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gedeckte „Schadensspitzen“ beim Schädiger liquidieren.
an Minderung der Erwerbstätigkeit von z.B. 20 % keinerlei tatsächlicher Erwerbsschaden gegenüber und dient deshalb die gesamte Verletztenrente dem Ausgleich immaterieller Schäden, so erhält ein geschädigter Großkanzleianwalt mit einem Jahresarbeitsverdienst von € 120.000 faktisch (2/3 x 2/10 [§ 56 III 1, 2 SGB VII] x € 120.000 = ) € 16.000 „Schmerzensgeld“ per anno. Erleidet hingegen eine Aldi-Verkäuferin mit einem Jahreseinkommen von € 22.000 denselben Versicherungsfall, erhält sie für dieselben Schmerzen gerade einmal eine Kompensation in Höhe von € 2.933,33. Ob sich das mit dem System der abstrakten Schadensberechnung der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen lässt, sei dahingestellt. 2058 Siehe Nachweise in Fn. 2037.
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VII. Zusammenfassung 1. Allgemeines a) Mit der ganz herrschenden Meinung gilt der Haftungsausschluss des § 105 I SGB VII auch gegenüber versicherten Unternehmern. 2059 b) Der Versichertenrente (§§ 56 ff. SGB VII) kommt zumindest potentiell und partiell auch die Funktion zu, den vom Verletzten erlittenen immateriellen Schaden zu kompensieren. 2060 c) Entgegen der bislang einhelligen Meinung sind im Rahmen von § 104 III SGB VII die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche anzurechnen. Die Gegenauffassung verkennt nicht nur die Normstruktur des § 104 SGB VII, sondern auch, dass der Verletztenrente durchaus die Funktion eines Ausgleichs für immaterielle Schäden zukommt. Im Übrigen führt die hier vertretene Auffassung zu systemkonformeren und auch gerechteren Ergebnissen. 2061 d) Die §§ 104 ff. SGB VII beschränken nicht erst die Haftung, sondern bereits die Schuld des Schädigers. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung handelt es sich nicht um rechtshemmende, sondern rechtshindernde Einwendungen.2062 e) § 105 SGB VII geht in seinem Anwendungsbereich den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung vor. Das folgt zum einen aus dem Prüfungsaufbau, handelt es sich doch um eine rechtshindernde Einwendung, während die beschränkte Arbeitnehmerhaftung als rechtsvernichtende Einwendung (§ 254 I BGB analog oder § 242 BGB)2063 ausgestaltet ist. Zum anderen ist für eine richterliche Rechtsfortbildung in Gestalt der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nur Raum, wo eine gesetzliche Regelung fehlt und das Gesetz mithin lückenhaft ist. Davon kann im Anwendungsbereich des § 105 SGB VII keine Rede sein. Für die beschränkte Arbeitnehmerhaftung ist daher nur Raum, wenn es sich um einen Sachschaden oder einen Personenschaden, der auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wurde, handelt. 2. Rechtspolitische und -dogmatische Legitimation a) Der mit den §§ 104 ff. SGB VII verbundene Haftungsausschluss kann richtigerweise nicht damit legitimiert werden, dass sich der Geschädigte – statt an seinen eigentlichen Schädiger – an den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung halten kann (sogenanntes Liquiditätsargument). Nach allgemeinen zivilrecht2059 2060 2061 2062 2063
Siehe § 2 E II 1 b). Ausführlich § 2 E II 2 d) aa) (2). Ausführlich § 2 E II 2 g) bb). Näher § 2 E III 1. Siehe dazu näher § 2 E III 2 b).
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lichen Grundsätzen vermag die Tatsache, dass Ansprüche gegen einen anderen Schuldner bestehen, nämlich nicht die Versagung von Ansprüchen gegen den eigentlichen Schädiger zu rechtfertigen. 2064 b) Entgegen der auch heute noch herrschenden Meinung kann der Haftungsauschluss auch nicht mit dem Schutz des Betriebsfriedens vor einer unerwünschten Belastung infolge gerichtlicher Auseinandersetzungen legitimiert werden. So ließen sich rechtstatsächlich ohnehin nicht alle von den §§ 104 ff. SGB VII erfassten Konstellationen damit erklären, vor allem aber überzeugt das Friedensargument (heute) in der Sache nicht mehr. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum in den von §§ 104–106 SGB VII erfassten Konstellationen der Betriebsfrieden derart stärker gestört würde als bei sonstigen arbeitsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, dass eine Ungleichbehandlung beider Fallgruppen angezeigt wäre. 2065 c) Nicht zu überzeugen vermag es ferner, wenn sich die herrschende Ansicht auf das Betriebs-/Gefahrengemeinschaftsargument beruft. Zwar trifft die rechtstatsächliche Beobachtung, bei engem und dauerhaften Zusammenwirken mehrerer könne es jederzeit durch bereits leichte Unaufmerksamkeiten zur Verletzung der Rechtsgüter anderer kommen, zu. Weil es sich hierbei um wechselseitige Gefahren handelt, erscheint es auf den ersten Blick auch plausibel, Haftungsprivilegierung und Anspruchsverlust als „zwei Seiten derselben Medaille“ zu interpretieren und die §§ 104 ff. SGB VII damit zu rechtfertigen. Der Tragfähigkeit des Betriebs- beziehungsweise Gefahrengemeinschaftsarguments steht aber bereits entgegen, dass sich die §§ 104 ff. SGB VII nur auf Personen-, nicht aber Sachschäden beziehen, was bei einer Gefahrengemeinschaft anders sein müsste. Vor allem aber lässt sich weder rechtspolitisch noch vor dem strengen Auge des Art. 3 I GG die in dem vollständigen Haftungsausschluss liegende Ungleichbehandlung zu anderen Konstellationen, bei denen Personen angesichts ihres engen Zusammenwirkens stets Gefahr laufen, sich gegenseitig nicht unerheblich zu schädigen (zum Beispiel Gesellschafter einer GbR oder Ehegatten), erklären. 2066 d) Rechtfertigen lässt sich ein Teil der Tatbestände der §§ 104 ff. SGB VII hingegen mit dem sogenannten Finanzierungsargument. Kern dessen ist es, dass eine doppelte finanzielle Inanspruchnahme des Schädigers vermieden werden soll. Dabei handelt es sich um ein legitimes, auch mit den Interessen des Geschädigten zu vereinbarendes Anliegen. Da die gesetzliche Unfallversicherung allein durch Beiträge des Unternehmers finanziert wird (§ 150 I SGB VII), lässt sich dies aber nur insoweit anführen, als der Haftungsausschluss unmittelbar dem Unternehmer zugute kommt. Das ist der Fall bei §§ 104, 106 II Nr. 1 SGB VII 2064 2065 2066
Siehe dazu § 2 E IV 1. Näher oben § 2 E IV 2. Dazu oben § 2 E IV 4.
E. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz
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sowie – zum Teil – § 106 III, IV SGB VII. Für die übrigen Tatbestände kann das Finanzierungsargument hingegen nicht fruchtbar gemacht werden, und zwar – entgegen der herrschenden Meinung – insbesondere nicht für den Haftungsausschluss zwischen Arbeitskollegen nach § 105 I SGB VII. 2067 e) Für einen Ausschnitt der §§ 104 ff. SGB VII vermag ferner das Argument der besonderen Schutzbedürftigkeit des Schädigers aufgrund dessen fremdbestimmten und fremdnützigen Tätigwerdens legitimatorische Kraft zu entfalten, weil bei solchen Schuldnern ein gesteigertes und legitimes Interesse an einer Haftungsprivilegierung anzuerkennen ist, das über den bloßen Wunsch jedes Schädigers an einer Haftungsverschonung hinausgeht. Geltend machen lässt sich dieser Gedanke allerdings nur bei den §§ 1052068, 106 I Nr. 3, II Nr. 2, 3, IV2069 SGB VII. 2070 f) Tatbestände, die weder vom Finanzierungs- noch dem Schutzbedürftigkeitsargument getragen werden, lassen sich rechtspolitisch und -dogmatisch nicht rechtfertigen. Das betrifft § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII sowie – wenn ein versicherter Betriebsangehöriger von einem Betriebsfremden, dessen Tätigkeit für den Betrieb mangels Eingliederung und Weisungsgebundenheit nicht als fremdbestimmt anzusehen ist, geschädigt wird – § 105 I SGB VII. 3. Verfassungsrechtliche Bewertung und Neuregelungsvorschläge a) Im Grundsatz sind die §§ 104 ff. SGB VII mit dem Grundgesetz vereinbar. Allerdings verstoßen diejenigen Tatbestände, die weder auf das Finanzierungsnoch das Schutzbedürftigkeitsargument gestützt werden können, gegen Art. 3 I GG. 2071 Im Einzelnen: aa) Soweit es um § 105 I SGB VII geht, kann dem Gleichheitsverstoß über eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend vorgebeugt werden, dass nur solche betriebsfremden Schädiger erfasst sind, die nicht nur fremdnützig tätig werden, sondern – wenn auch nur temporär – einer einem Arbeitnehmer vergleichbaren Fremdbestimmung des Betriebsinhabers, in dessen Betrieb der Versicherungsfall verursacht wurde, unterliegen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte dies de lege ferenda explizit klar gestellt werden. 2072
2067
Näher § 2 E IV 3. Soweit der Schädiger ein Betriebsfremder ist, hängt die Einschlägigkeit des Schutzbedürftigkeitsarguments aber davon ab, ob dieser im konkreten Einzelfall tatsächlich fremdbestimmt tätig wurde. 2069 Das gilt nur, wenn der Arbeitnehmer einen Besucher schädigte, nicht aber im umgekehrten Fall. 2070 Ausführlich oben § 2 E IV 6. 2071 Siehe § 2 E V 1 c). 2072 Näher § 2 E V 1 c) cc). 2068
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
bb) Nicht über eine verfassungskonforme Auslegung zu „retten“ ist hingegen § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1 SGB VII. Diese Tatbestände sind daher ersatzlos zu streichen. Gleiches gilt im Ergebnis für § 106 III SGB VII. 2073 b) Der Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen durch die §§ 104 ff. SGB VII ist verfassungskonform. Daran hat sich durch die Schuldrechtsreform 2002 nichts geändert. 2074
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung I. Einleitung; Gang der Darstellung Dass ein Arbeitnehmer, der in Ausübung einer betrieblich veranlassten Tätigkeit seinen Arbeitgeber oder einen Dritten schädigt oder selbst einen Schaden erleidet, vor einer steten und unbeschränkten Haftung zu schützen ist, kann trotz manchen Streits über Details heute als Allgemeingut gelten. 2075 Weil der Gesetzgeber aber – trotz der Verpflichtung aus Art. 30 I Nr. 1 Einigungsvertrag und diverser Gesetzesvorschläge aus der Wissenschaft2076 – von einer gesetzlichen Regelung des Problems absah, war und ist es Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen, diese Regelungslücke zu füllen. Auch wenn in der nahezu unüberschaubaren Judikatur und Literatur die Diskussion in Bezug auf die Grundlagen oft als abgeschlossen erachtet wird, 2077 vermag – wie zu zeigen sein wird – eine kritische Hinterfragung der herrschenden Meinung neue, gleichermaßen dogmatisch spannende wie praktisch relevante Erkenntnisse zutage zu fördern. Dabei beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Konstellation einer Schädigung des Arbeitgebers durch seinen Arbeitnehmer; die anderen beiden Teile des „Triptychons“ arbeitnehmerschützender Instrumente, die unter dem Stichwort „innerbetrieblicher Schadensausgleich“ zusammengefasst werden (= Schutz des Arbeitnehmers bei Schädigung eines Dritten sowie bei Eigenschädigungen), bleiben hingegen außer Betracht, weil es sich bei ihnen im rechtstechnischen Sinne nicht um Haftungsbeschrän2073
Dazu § 2 E V 1 c) cc). Ausführlich oben § 2 E V 2. 2075 Vgl. z.B. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084 m.w.N.; Annuß, NZA 1998, 1089, 1090; Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 17; Preis, AuR 1986, 360, 361. 2076 Vgl. vor allem § 99 II, III des „Professorenentwurfs“ für ein Arbeitsvertragsgesetz 1992 (ArbVG 92, abgedruckt in Gutachten für den 59. DJT, D 50) sowie § 89 II des von Henssler und Preis vorgelegten Diskussionsentwurfs für ein Arbeitsvertragsgesetz (ArbVG, abzurufen unter www.arbvg.de). Ein weiterer Vorschlag findet sich bei Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 421 ff., 454. – Ein Vorschlag aus den Reihen des Bundestags enthält BT-Drucks. 13/2195, S. 3. 2077 Vgl. Annuß, Haftung, S. 81, der 1997 einen „nunmehr dreißig Jahre währende[n] Beinahe-Stillstand in der dogmatischen Entwicklung“ konstatierte. 2074
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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kungsfragen handelt, sondern es darum geht, wirtschaftlich den Schaden auf den Arbeitgeber zu verlagern. 2078 Unter II. werden zunächst die unterschiedlichen konzeptionellen Modelle zur Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung erläutert, wobei der Fokus auf der von der Literatur heute im Wesentlichen geteilten Linie des BAG liegt. Im Anschluss daran wird untersucht, ob dessen Auffassung rechtsdogmatisch und -politisch gerechtfertigt (sub III.) und ob sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist (dazu IV.). Sodann wird die normative zivilrechtsdogmatische Verortung der so verstandenen Haftungsprivilegierung erörtert (V.) und sie dogmatisch im Sinne der Unterscheidung von Schuld und Haftung qualifiziert (unter VI.).
II. Konzeptionelle Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung Auch wenn schon früh Einhelligkeit über das Ziel – besonderer Schutz des Arbeitnehmers – bestand, war zeitweise grundlegend umstritten, auf welchem Weg dieses zu erreichen sei. Diese Diskussion ist mittlerweile aber praktisch zum Erliegen gekommen, so dass bezüglich der grundsätzlichen Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung eine für das Arbeitsrecht fast schon atypische Harmonie herrscht. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den früher in Literatur beziehungsweise Rechtsprechung vertretenen Auffassungen erscheint deshalb entbehrlich. Sie sollen nur zum besseren Verständnis des von der heute ganz herrschenden Meinung befürworteten Modells (dazu 2.) unter 1. kurz skizziert werden. 1. Alternative Ansätze Systematisierend lassen sich die früheren Auffassungen in Rechtsprechung respektive Literatur in tatbestands-, rechtswidrigkeits- sowie verschuldensmodifizierende Ansätze untergliedern:
2078 Bei Schädigung eines Dritten haftet der Arbeitnehmer diesem nach allgemeinen Grundsätzen und somit unbeschränkt, er hat aber gegen seinen Arbeitgeber einen Freistellungs- bzw. Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB analog (vgl. BAG 25.9.1957 – GS 4/56, GS 5/56, AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO [juris Rn. 20 ff.]; ErfK/Preis, § 619a BGB, Rn. 26; HWK/Krause, § 619a BGB, Rn. 62 m.w.N.). Bei aufgrund einer dienstlichen Tätigkeit erlittenen Eigenschädigungen kann er ebenfalls analog § 670 BGB vom Arbeitgeber Ersatz verlangen. In beiden Fällen gelten die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung „reziprok“ (näher Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], § 611, Rn. 1080 m.w.N.).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
a) Tatbestandslösungen Schon auf der Ebene des Tatbestandes setzte das RAG an, indem es eine konkludente Vertragsabsprache bejahte, nach der die Haftung eine nur beschränkte sein solle;2079 das hat sich zu Recht nicht durchgesetzt, weil es sich um eine mit der Lebenswirklichkeit regelmäßig nicht zu vereinbarende Fiktion handelt.2080 Eine andere Auffassung charakterisierte das Arbeitsverhältnis als Gattungsschuldverhältnis mit der Folge, dass der Arbeitgeber – auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses bezogen – nur insgesamt einen Anspruch auf eine Leistung mittlerer Art und Güte und nicht auf eine stets bis ins letzte fehlerfrei erbrachte Arbeit habe. Für die Frage, ob eine Pflichtverletzung vorliege, sei daher nicht auf das einzelne schadensverursachende Verhalten, sondern auf das gesamte (prognostizierte) Verhalten während der Dauer des Arbeitsverhältnisses abzustellen. 2081 Auch diese Auffassung stellt letztlich eine – unzulässige – Fiktion dar, weil sie dem Arbeitgeber zwangsweise den Willen unterschiebt, auf eine stets mindestens mittlerer Art und Güte entsprechende Leistung zu verzichten. 2082 Zudem passt es in das auf die einzelne Pflichtverletzung zugeschnittene Schadensersatzrecht konzeptionell nicht, für die Bewertung als Pflichtverletzung die Gesamtleistung des Arbeitnehmers zu würdigen. 2083 b) Rechtswidrigkeit Bei der Rechtswidrigkeit setzte Schnorr v. Carolsfeld2084 an, dem zufolge im Arbeitsverhältnis nicht jede pflichtwidrige Handlung auch rechtswidrig sei. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um einen Zirkelschluss handelt, 2085 fügt sich ein derart relativer Rechtswidrigkeitsbegriff nicht in das geltende Recht ein und ist daher abzulehnen. 2086 c) Lösungsansätze auf Verschuldensebene Schließlich wurde versucht, der Problematik auf der Verschuldensebene Rechnung zu tragen. 2079
RAG ARS 30, 7; 37, 271. Canaris, RdA 1966, 41, 42; Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 42 f.; Isele, NJW 1964, 1441, 1443; Brox/Walker, DB 1985, 1469; Däubler, NJW 1986, 867, 869; Gick, JuS 1980, 393, 397; siehe auch näher unten § 2 F III 2 b) aa). 2081 Vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, S. 251 ff., 266 ff.; Hammen, Gattungshandlungsschulden, S. 178 ff., 327 ff. 2082 Annuß, NZA 1998, 1089, 1090. 2083 Canaris, RdA 1966, 41, 44; Gick, JuS 1980, 393, 397; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 39 f.; ablehnend auch MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 10; Preis, AuR 1986, 360, 364; Schumacher, Haftung, S. 65 ff., 74 ff. 2084 Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 304 f. 2085 Annuß, Haftung, S. 87 f. 2086 Canaris, RdA 1966, 41, 44; Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 23; Herschel, JZ 1958, 257, 258; Annuß, NZA 1998, 1089, 1091; Brox/Walker, DB 1985, 1469. 2080
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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Ein erster Ansatz sprach sich für eine generelle Beschränkung der Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit analog §§ 708, 1359, 1664 BGB2087 oder §§ 690, 708, 277 BGB2088 beziehungsweise Art. 34 S. 2 GG2089 aus. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil es an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt. 2090 Selbst wenn man eine solche bei Schaffung des BGB noch hätte annehmen können, ist das jedenfalls seit der Schuldrechtsmodernisierung 2002 ausgeschlossen. Denn der Reformgesetzgeber sah von einer Regelung à la §§ 708, 1359, 1364 BGB ab, obwohl ihm die Problematik bekannt war. Statt einer – im Gesetzgebungsverfahren nicht einmal diskutierten – Haftungsbeschränkung auf die diligentia quam in suis wollte er expressis verbis die tradierte Rechtsprechung inhaltlich unverändert übernehmen und sprach sich lediglich für deren dogmatische Verortung in § 276 I BGB statt in § 254 I BGB aus. 2091 Überdies liegt auch die zweite Voraussetzung für eine Analogie, die vergleichbare Interessenlage, nicht vor. 2092 Art. 34 GG greift als Spezifikum des Staatshaftungsrechts nur bei hoheitlichem, nicht aber bei privatrechtlichem Handeln des Amtswalters ein, und kann daher nicht auf die regelmäßig privatrechtliche Tätigkeit eines Arbeitnehmers übertragen werden. 2093 § 690 BGB passt ebenfalls nicht, weil dessen Charakteristikum die Unentgeltlichkeit der Verwahrung ist, ein Szenario, das angesichts der Lohnschuld des Arbeitgebers nicht auf das Arbeitsrecht übertragen werden kann. Und die §§ 708, 1359, 1364 BGB schließlich tragen jeweils der besonderen gesellschaftsvertraglichen oder familiären Bindungen zwischen den Beteiligten Rechnung. 2094 Zwar suchen sich auch die Parteien des Arbeitsvertrags ihren Vertragspartner aus, dennoch besteht zwischen ihnen typisiert kein dem Gesellschafts- oder gar Familienverhältnis vergleichbares Vertrauensverhältnis. Im Übrigen ist das Arbeitsverhältnis trotz seiner im Verhältnis zum zum Beispiel Kaufvertrag typischerweise gesteigerten personenrechtlichen Verknüpfung auf einen Leistungsaustausch gerichtet, dessen Früchte entweder 2087
Clauß, NJW 1959, 1408. Sandmann, Haftung, S. 29 ff. 2089 LAG Tübingen 17.9.1954 – II Sa 141/54, SAE 1955, 184, 185. 2090 I.E. wie hier BAG 24.11.1987 – 8 AZR 524/82, NZA 1988, 579, 581. 2091 Dazu näher unten § 2 F V. 2092 Gegen eine Übertragung von § 277 BGB auf das Arbeitsverhältnis z.B. auch MüKoBGB/Grundmann, § 277, Rn. 2; Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 24. 2093 Vgl. BAG 19.3.1959 – 2 AZR 402/55, NJW 1959, 1796, 1797; Gick, JuS 1980, 393, 398; Isele, NJW 1964, 1441, 1443; Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 26 f.; a.A. Preis, AuR 1986, 360, 365 f. 2094 Für § 708 BGB vgl. Mugdan II, S. 984 f.; Palandt/Sprau, § 708, Rn. 1; Staudinger/Habermeier, § 708, Rn. 12; zur Kritik an der Vorschrift vgl. z.B. Soergel/Hadding/Kießling, § 708, Rn. 1; NK-BGB/Heidel/Hanke, § 708, Rn. 1 ff.; für § 1356 BGB vgl. Mugdan IV, S. 67; Staudinger/Voppel, § 1359, Rn. 4 f.; NK-BGB/Wellenhofer, § 1359, Rn. 1; für § 1664 BGB vgl. schließlich NK-BGB/Dauner-Lieb, § 277, Rn. 1; zum Teil kritisch Staudinger/Engler, § 1664, Rn. 5; MüKo-BGB/Huber, § 1664, Rn. 2 m.w.N. 2088
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nur dem Arbeitgeber (Arbeitsergebnis) oder dem Arbeitnehmer (Lohn) zugute kommen, wohingegen Gesellschaft und Ehe/Familie jeweils „Gemeinschaftsverhältnisse“ zur Erreichung eines bestimmten Zwecks per gegenseitigen Zusammenwirkens sind. 2095 Schließlich ließe sich aus einer Analogie zu den §§ 690, 708, 1359, 1664 BGB eine generelle Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ohnehin nicht ableiten. Rechtsfolge dieser Vorschriften ist gerade nicht der strikte Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit. 2096 Vielmehr kann ein Schädiger im Bereich der leichten Fahrlässigkeit nur dann der Haftung entkommen, wenn er in eigenen Angelegenheiten mit der gleichen Fahrlässigkeit zu handeln pflegt. 2097 Ein in eigenen Angelegenheiten stets sorgfältig handelnder Arbeitnehmer wäre demnach für im Zuge betrieblicher Tätigkeiten angerichtete Schäden auch bei leichter Fahrlässigkeit voll haftbar und somit vollständig ungeschützt. Für eine andere Form der Schuldbeschränkung plädierten Scheuerle und Steindorff:2098 Ersterer entwickelte einen eigenständigen arbeitsrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff unter Betonung des Merkmals der erforderlichen Sorgfalt. Erforderlich sei im Arbeitsrecht dasjenige, was das „wohlverstandene Glück der arbeitenden Person“ gewährleiste, wobei insbesondere die Dauer des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen sei. Im Ergebnis entsprach das weitgehend der Auffassung Steindorffs, der zwar keinen besonderen arbeitsrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff befürwortete, wie Scheuerle aber angesichts des Charakters des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis einzelne Fehlgriffe im Kontext ansonsten beanstandungsloser Arbeit als nicht fahrlässig einstufte. Abgesehen davon, dass diese Ansichten zu willkürfrei kaum zu treffenden Abgrenzungsschwierigkeiten führen – wie viele Fehler welcher Art und welcher Schwere kann sich der Arbeitnehmer in einem gegebenen Zeitraum „leisten“? – ist die damit einhergehende Relativierung des Fahrlässigkeitsbegriffs mit dem System des geltenden Rechts nicht vereinbar. 2099 Die Schuldhaftigkeit einer einzelnen Pflichtverletzung entfällt eben nicht deshalb, weil sich der Arbeitnehmer im Übrigen nichts zu schulden kommen ließ. 2100 Auch Döring wollte – ausgehend von der These, dass § 276 I 2 BGB (heute: § 276 II BGB) nur für die Widerrechtlichkeit, nicht aber für das Verschulden relevant sei – den Verschuldensgrad nach dem Regelungszweck des Verschuldensbegriffs im jeweiligen Rechtsgebiet bestimmen; im Arbeitsrecht diene die2095 2096 2097
Rn. 30. 2098
Vgl. Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 24. Vgl. Palandt/Götz, § 1664, Rn. 1. Vgl. z.B. BGH 22.6.1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 109; Staudinger/Engel, § 1664,
Scheuerle, RdA 1958, 247, 252; Steindorff, JZ 1959, 1, 4 ff. Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 49; Buchner, NJW 1967, 2381, 2386. 2100 Achterberg, AcP 164 (1964), 14, 29; Canaris, RdA 1966, 41, 44; Gick, JuS 1980, 393, 398; vgl. Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 42 f.; Däubler, NJW 1986, 867, 869; vgl. auch Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 261 f. 2099
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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ser nicht wie sonst der Herbeiführung eines Schadensausgleichs, sondern der „bessernden Einwirkung auf den Täter und […] der Abschreckung der anderen Arbeitnehmer vor nachlässiger Arbeitsweise“2101. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass § 276 II BGB eine nur für die Rechtswidrigkeit, nicht aber gleichermaßen das Verschulden gültige Definition enthalte; unabhängig davon überzeugt es nicht, wenn Döring der Arbeitnehmerhaftung entgegen aller sonstigen zivilrechtlichen Grundsätze die Funktion als Schadensausgleich pauschal abspricht. 2102 2. Die Rechtsfolgenmodifikation der herrschenden Ansicht Anders als die soeben angesprochenen Auffassungen knüpft die heute ganz herrschende Meinung nicht an den Haftungsvoraussetzungen, sondern allein an den Haftungsfolgen an. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen Ansätzen liegt also darin, dass es der herrschenden Meinung darum geht, den Arbeitnehmer trotz der durch ihn pflichtwidrig und schuldhaft bewirkten Schadensherbeiführung nicht (vollständig) zum Schadensausgleich zu verpflichten. 2103 Das hat zwei Vorteile: Erstens ist es konzeptionell nicht vertretbar, dem Arbeitnehmer ein geringeres Maß an Sorgfalt als anderen potentiellen Schädigern abzuverlangen.2104 Und zweitens führt das Modell der herrschenden Ansicht anders als die unter 1. erörterten Auffassungen nicht zu einem starren „Alles-oder-nichts-Modell“, sondern errichtet ein flexibles System, das genügend Raum dafür lässt, ein wohlausgewogenes, die Interessen aller Beteiligten berücksichtigendes Ergebnis zu erreichen. Soweit sie für die vorliegende Untersuchung relevant sind, werden die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der herrschenden Meinung im Folgenden zunächst kurz unkritisch skizziert. Inwieweit sie überzeugend sind, kann erst geprüft werden, nachdem Klarheit über die rechspolitische und -dogmatische Legitimation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung gewonnen wurde (dazu III.). a) Voraussetzungen Nach der früheren Rechtsprechung des BAG waren die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung nur anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Schädigung einer gefahrengeneigten Arbeit nachging. 2105 Der Große Senat gab diese Rechtsprechung im Jahre 1994 auf, die Gefahrgeneigtheit ist seither zwar noch ein Kriterium im Rahmen der Rechtsfolgen, 2101
H. Döring, Arbeitnehmerhaftung, S. 50 ff., 59. Annuß, Haftung, S. 92 ff.; ders., NZA 1989, 1089, 1091. 2103 Vgl. Canaris, RdA 1966, 41, 44. 2104 Annuß, Haftung, S. 95. 2105 BAG 19.3.1959 – 2 AZR 402/55, NJW 1959, 1796; 30.8.1966 – 1 AZR 456/65, NJW 1967, 269, 270; 13.3.1968 – 1 AZR 362/67, AP Nr. 42 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (juris Rn. 15 ff.); 11.11.1976 – 3 AZR 266/75, NJW 1977, 598. 2102
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
sie muss aber nicht vorliegen, damit das Eintrittsbillet ins „Himmelreich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung“ gelöst werden kann. Diese ist vielmehr sachlich auf alle betrieblich veranlassten Tätigkeiten anzuwenden.2106 Dem ist schon wegen der mit einer Anknüpfung an das Kriterium der Gefahrgeneigtheit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten zuzustimmen. Auch ist überhaupt nicht einzusehen, warum einem Arbeitnehmer, der trotz Ausübung einer nicht gefahrgeneigten Tätigkeit seinen Arbeitgeber schädigt, die Haftungsprivilegierung apodiktisch versagt bleiben solle.2107 Schließlich lässt sich die Parallele zu § 105 SGB VII anführen, der ebenfalls allein auf eine betriebliche Tätigkeit abstellt. 2108 In persönlicher Hinsicht sind die Grundsätze jedenfalls auf Arbeitnehmer, Auszubildende (§ 10 II BBiG)2109 und Leiharbeitnehmer2110 anwendbar. Nach § 13 S. 2 JFDG, § 9 II BFDG, § 16d S. 3 Hs. 3 SGB II gelten sie auf Anordnung des Gesetzgebers auch für die dort Genannten. Umstritten ist ihre Anwendbarkeit auf freie Mitarbeiter, arbeitnehmerähnliche Personen, Organmitglieder sowie leitende Angestellte. 2111 b) Rechtsfolge: Haftungsreduzierung nach Gesamtabwägung Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Haftung des schädigenden Arbeitnehmers ganz oder teilweise entfallen. 2112 Ob und inwieweit das der Fall ist, hängt von einer Gesamtabwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles ab, wobei das BAG traditionell als Grobfilter zunächst auf den Verschuldensgrad rekurriert. Maßgeblicher Bezugspunkt des Verschuldens ist dabei nach dem BAG nicht nur – wie im allgemeinen Zivilrecht2113 – die Pflichtverletzung, sondern auch der konkret eingetretene Schaden. 2114 Das BAG geht im Wesentlichen von einem vierteiligen Stufenmodell aus: 2106 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084, 1086; seither ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; aus der Literatur z.B. Richardi, NZA 1994, 241, 242; Hanau/Rolfs, NJW 1994, 1439, 1439 f.; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 8 f.; HWK/Krause, § 619a, Rn. 21 f.; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 31 ff.; so auch zum Teil schon die ältere instanzgerichtliche Rechtsprechung, z.B. LAG Tübingen 17.9.1954 – II Sa 141/54, SAE 1955, 184, 185. 2107 Preis/Stoffels, Arbeitsvertrag, II H 20 Rn. 10. 2108 Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 42 ff., 67. 2109 BAG 7.7.1970 – 1 AZR 507/69, AP Nr. 59 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 38 f. 2110 BGH 22.5.1978 – II ZR 111/76, VersR 1978, 819. 2111 Ausführlich dazu unten § 2 F III 5 b). 2112 Keine Rolle spielt, ob es sich um vertragliche oder konkurrierende deliktische Ansprüche handelt (BAG 12.5.1960 – 2 AZR 78/58, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Auf die Haftung aus culpa in contrahendo sind die Grundsätze anwendbar, vorausgesetzt der Schädiger ist schon in das betriebliche Geschehen integriert (MüKo-BGB/ Henssler, § 619a, Rn. 21; HWK/Krause, § 619a, Rn. 25). 2113 Vgl. z.B. BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366, 1368. 2114 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 40; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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– Bei Vorsatz auch bezüglich des eingetretenen Schadens haftet der Arbeitnehmer voll, jegliche Haftungsbeschränkungsmöglichkeit scheidet aus. 2115 Handelte er hingegen nur bezüglich der die Pflichtverletzung begründenden Handlung, nicht aber auch hinsichtlich des Schadens vorsätzlich, sind die für die Haftung bei grober Fahrlässigkeit entwickelten Maßstäbe anwendbar. 2116 – Bei grober Fahrlässigkeit kann sich der Arbeitnehmer grundsätzlich ebenfalls nicht auf eine Haftungsprivilegierung berufen. 2117 Allerdings machte das BAG schon seit längerem insoweit eine Ausnahme, als eine Haftungsbeschränkung für möglich gehalten wurde, wenn entweder das Schadensrisiko der Tätigkeit zum Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Missverhältnis stand oder eine vollumfängliche Schadensersatzpflicht die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers gefährden würde; eine konkrete absolute oder relative Höchstgrenze gab das Gericht dabei nicht vor, weil dies dem Gesetzgeber vorbehalten sei. 2118 Während traditionell immer noch – vor allem – die Bedeutung des Missverhältnisses von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko betont wurde, 2119 hat das BAG die Gewichte in den letzten gut zehn Jahren weiter zugunsten des schädigenden Arbeitnehmers verschoben, heißt es nun doch, dass „bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers […] eine Haftungserleichterung zu seinen Gunsten nicht ausgeschlossen, sondern von einer Abwägung im Einzelfall abhängig [ist]“2120. In 2007, 1230, 1233; Deutsch, RdA 1996, 1, 3; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 38; ausf. Brose, RdA 2011, 205, 210 ff.; a.A. Krause, NZA 2003, 577, 583; Heinze, NZA 1986, 545, 552; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 36. 2115 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; HWK/Krause, § 619a, Rn. 29. 2116 BAG 9.11.1967 – 5 AZR 147/67, NJW 1968, 717; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1234 f. 2117 Beispiele bei HWK/Krause, § 619a, Rn. 31. 2118 BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 98 f.; 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 140 f.; 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998, 310, 311; 15.11.2001 – 8 AZR 95/01, NZA 2002, 612, 614. – Zum Teil zieht die Rechtsprechung die Wertung der §§ 286 ff. InsO heran, um die dem Arbeitnehmer maximal zumutbare Schadensquote zu bestimmen (vgl. Hess. LAG 8.12.2005 – 11 Sa 121/04, r + s 2006, 83, 85 sowie BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 41, das die Pflicht zur Abtretung des pfändbaren Einkommens für die Dauer von – damals noch – sieben Jahren als „äußerste Leitlinie“ bezeichnete). 2119 Vgl. die fast wortlautidentischen Ausführungen in BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 98 f.; 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 140 f.; 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998, 310, 311; 15.11.2001 – 8 AZR 95/01, NZA 2002, 612, 614, in denen stets betont wird, dass es „entscheidend darauf ankommen kann, daß der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit steht“. – Auch wenn das Gericht, wie ausgeführt, keine abstrakte Obergrenze benennt, hat es bis jetzt – soweit ersichtlich – bei grober Fahrlässigkeit nie eine Schadensquote auferlegt, die ein Jahreseinkommen überstiegen hätte (vgl. BAG 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 141; siehe vor allem auch 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345, 348; vgl. ErfK/Preis, § 619a, Rn. 18). 2120 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; vgl. auch BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1235 („auch bei grober Fahrlässigkeit im Einzelfall [ist] eine Schadensteilung nicht ausgeschlossen.“).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
die vorzunehmende Abwägung sind vor allem die Höhe des Arbeitsentgelts und die Möglichkeit des Arbeitgebers, den Vermögensverlust einzukalkulieren oder durch Versicherungen ohne Rückgriffsmöglichkeit gegen den Arbeitnehmer abzudecken, zu berücksichtigen. 2121 Zu berücksichtigen ist ferner der Grad des Verschuldens innerhalb der groben Fahrlässigkeit. Das ist vor allem mit Blick auf eine besonders grobe (sogenannte gröbste) Fahrlässigkeit relevant. Selbst bei dieser hält die – nunmehr explizite – Rechtsprechung eine Haftungsmilderung nicht apodiktisch für ausgeschlossen.2122 – Ist dem Arbeitnehmer mittlere Fahrlässigkeit 2123 vorzuwerfen, hat er den Schaden anteilig zu tragen. Die Höhe dieses Anteils soll sich nach einer Gesamtabwägung nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten richten. 2124 Maßgebliche, nach Auffassung des BAG zu berücksichtigende Kriterien sind: Der Verschuldensgrad, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung abdeckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe seines Arbeitsentgelts sowie seine persönlichen Umstände (Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienverhältnisse, bisheriges Verhalten). 2125 – Bei leichtester Fahrlässigkeit 2126 haftet der Arbeitnehmer überhaupt nicht.2127 Es zeigt sich also: Für das Ergebnis entscheidend ist die Abgrenzung nach dem Verschuldensgrad heute nur noch zwischen leichtester und mittlerer Fahrlässigkeit sowie zwischen gröbster Fahrlässigkeit und Vorsatz. Im Übrigen ist der 2121 BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1235; 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345, 348. 2122 BAG 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345, 348 („Denn auch bei ‚gröbster‘ Fahrlässigkeit scheiden Haftungserleichterungen für den Arbeitnehmer nicht grundsätzlich aus.“); so letztlich auch schon BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/86, NZA 1998, 310, 312 (vgl. insbesondere auch den 2. Leitsatz: „Im Einzelfall können Haftungserleichterungen deshalb ausscheiden, weil der Arbeitnehmer mit besonders grober [gröbster] Fahrlässigkeit handelte.“). 2123 Diese wird zum Teil auch als „normale“, „leichte“ oder „einfache“ Fahrlässigkeit bezeichnet; in letzterem Fall werden die hier unter den Begriff der leichten Fahrlässigkeit subsumierten Konstellationen als „leichteste Fahrlässigkeit“ bezeichnet, vgl. BAG 24.11.1987 – 8 AZR 524/82, NZA 1988, 579, 579 f. 2124 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 140 f. – Zur Frage, inwieweit die vom BAG herangezogenen Kriterien rechtspolitisch/-dogmatisch gerechtfertigt sind, vgl. unten § 2 F III 1 c). 2125 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650. 2126 Auch als geringe Schuld, leichte Fahrlässigkeit oder culpa levissima bezeichnet, vgl. BAG 24.11.1987 – 8 AZR 524/82, NZA 1988, 579, 580; kritisch gegenüber der Bezeichnung als leichte Fahrlässigkeit MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 35. 2127 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; kritisch gegenüber dieser Fallgruppe HWK/Krause, § 619a, Rn. 37, der sich für die unterhalb der groben Fahrlässigkeit angesiedelten Fälle dafür ausspricht, das Ausmaß des Verschuldens als Abwägungsfaktor und nicht als möglichen Ausschlussgrund zu berücksichtigen.
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Verschuldensgrad inzwischen nur noch ein Kriterium, dem zwar erhebliche, aber keinesfalls mehr (gar: allein-)entscheidende Bedeutung zukommt. Das Gericht nähert sich damit denjenigen Stimmen in der Literatur an, die einen Übergang zu einem gleitenden, von einer Stufenabfolge gänzlich losgelösten System befürworten. 2128
III. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung Die vollständige Versagung beziehungsweise zumindest Kürzung der Schadensersatzansprüche trotz der pflichtwidrigen und schuldhaften Handlung beeinträchtigt die Interessen des Arbeitgebers nicht unerheblich. Unabhängig von der noch zu erörternden verfassungsrechtlichen Dimension (siehe IV.) bedarf dies einer rechtspolitisch wie -dogmatisch überzeugenden Begründung. Insoweit wurden und werden in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Ansätze diskutiert. Diese werden im Folgenden einzeln auf ihre Überzeugungskraft und Tragweite untersucht. 1. „Betriebsrisiko“ a) Ausgangspunkt Die ganz herrschende und – wie zu zeigen sein wird – im Grundsatz auch zutreffende Auffassung stützt die beschränkte Arbeitnehmerhaftung heute auf das vom Arbeitgeber abstrakt2129 zu tragende „Betriebsrisiko“, das mit dem konkreten Verschulden des Arbeitnehmers abzuwägen ist. 2130 Die Wahl des Terminus „Betriebsrisiko“ mag nicht glücklich sein, weil dieser im Bereich der 2128
m.w.N.
So z.B. MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 32 f.; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 42
2129 Trifft den Arbeitgeber ein konkretes Mitverschulden an dem eingetretenen Schaden – resultiert dieser z.B. (auch) aus der Gefährlichkeit der Produktionsanlagen, der Produktion, der hergestellten Produkte oder einem Organisationsverschulden des Arbeitgebers –, greift § 254 I BGB unmittelbar ein, so dass insoweit die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung nicht bemüht werden müssen (vgl. zur Berücksichtigung dieser Schadensursachen BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 548; BAG 15.11.2001 – 8 AZR 95/01, NZA 2002, 612, 614; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1232; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 29 f.; Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 36). 2130 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 28.4.1970 – 1 AZR 146/69, AP Nr. 55 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (juris Rn. 16); 23.3.1983 – 7 AZR 391/79, NZA 1983, 1693, 1694 f.; 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 141; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; vgl. BGH 10.1.1955 – III ZR 153/53, NJW 1955, 458, 459; LG Bonn 10.4.1995 – 10 O 390/94, NJW-RR 1995, 1435, 1436; ErfK/Preis, § 619a, Rn. 10; Waas/Palonka, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, ArbR, § 619a, Rn. 6; NK-BGB/ Franzen, § 619a, Rn. 6; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, S. 375; Walker, FS Canaris I, S. 1503, 1503 f.; ders., JuS 2002, 736, 737; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 9; BeckOK-ArbR/ Hesse, § 619a BGB, Rn. 5; BeckOK-BGB/Fuchs, § 611 BGB, Rn. 94; Palandt/Grüneberg, § 276, Rn. 44; Annuß, Haftung, S. 100; Brose, RdA 2011, 205, 207; Larenz, JuS 1965, 373, 375; Wohlgemuth, DB 1991, 910; Wilburg, Referat auf dem 43. DJT, C 1, 15.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Gefahrtragungsregelungen für das Arbeitsentgelt 2131 mit gänzlich anderem Inhalt verwendet wird. 2132 Aber auch wenn das BGB seit der Schuldrechtsreform offiziell im Zusammenhang mit den Gefahrtragungsregelungen von Betriebsrisiko spricht (vergleiche die Überschrift zu § 615 BGB), ist damit keine gesetzlich angeordnete Begriffsexklusivität verbunden, die die Verwendung dieses Ausdrucks in anderem Kontext untersagen würde. 2133 Entscheidend ist ohnehin nicht die Wortwahl, sondern der hinter dieser stehende Inhalt und die diese prägenden Wertungen und Faktoren. Dabei ist der Ausdruck „Betriebsrisiko“ als schlagwortartiger Sammelbegriff für einen Strauß an im Folgenden zu erläuternden Faktoren und Kriterien zu begreifen, weil eine monokausale Erklärung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung der Komplexität der Problematik nicht gerecht würde. 2134 Zu diesen Umständen zählen: aa) Organisationshoheit des Arbeitgebers/Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des Arbeitnehmers Als eine der die Haftungsprivilegierung des schädigenden Arbeitnehmers maßgeblich tragende Grundsäule lässt sich die Organisationshoheit des Arbeitgebers anführen. 2135 Dieser bestimmt in den Grenzen des ihm durch übergeordnete Rechtsquellen (Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) offengelassenen Freiraums, mit welchen Betriebsmitteln an welchem Ort zu welcher Zeit unter welchen äußeren Rahmenbedingungen welches Arbeitsergebnis angestrebt wird; er entscheidet, welcher Arbeitnehmer leichte oder schwere, ungefährliche oder gefährliche Arbeiten verrichtet und wer mit besonders wertvollen Arbeitsmaterialien operiert und damit dem gesteigerten Risiko hoher Schadensersatzverpflichtungen im Falle eines „falschen Handgriffs“ ausgesetzt ist. Es liegt in seiner Hand, durch verstärkte Überwachung und Sicherheitsvorkehrungen das Menschenmögliche zu unternehmen, um das Risiko von Schäden auszuschließen beziehungsweise zumindest weitgehend zu vermindern. 2136 Summa summarum prägt daher „[…] die vom Ar2131
Siehe dazu Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 615, Rn. 196 ff. Kritisch daher Richardi, JZ 1986, 796, 798 f.; Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 36; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 28; Waltermann, RdA 2005, 98, 99; die Unterschiede in der Sache trotz gleichlautender Wortwahl klarstellend BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084 m.w.N. 2133 Vgl. auch Annuß, Haftung, S. 100; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 48, die die terminologische Überschneidung ebenfalls für unproblematisch halten; besonders deutlich Gamillscheg, AuR 1988, 354, 355 („dümmstes Argument“). 2134 Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 258 f.; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 26; Preis, AuR 1986, 360, 366. 2135 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 31; Walker, JuS 2002, 736, 737; Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 255. 2136 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084. 2132
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beitgeber gesetzte Organisation des Betriebs das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer“2137. Dieser „Machtposition“ des Arbeitgebers entspricht spiegelverkehrt zunächst die fehlende faktische Gestaltungssouveränität des Arbeitnehmers, gespeist vor allem aus dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) und der Eingliederung in die von diesem bestimmte Betriebsorganisation. 2138 Indem der Arbeitnehmer weder auf den Inhalt noch auf die Art und Weise der Erbringung der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung noch auf deren Rahmenbedingungen nennenswerten Einfluss ausüben kann, entziehen sich die für die Wahrscheinlichkeit einer Schadensverursachung im Zuge der Arbeitsleistung maßgeblichen „äußeren“ Faktoren seiner Kontrolle (Fremdbestimmtheit seiner Tätigkeit). Hinzu kommt, dass sich der Arbeitnehmer gegen das Haftungsrisiko typischerweise auch nicht juristisch absichern kann. Eine teilweise oder gar vollständige vertragliche Abwälzung auf den Arbeitgeber ist ihm regelmäßig nicht möglich, weil sich kaum ein Arbeitgeber auf eine vertragliche Verschuldensmaßstabsmodifikation zugunsten des Arbeitnehmers – zum Beispiel auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz – oder auf eine absolute oder relative Haftungshöchstsumme2139 einlässt. 2140 Anders als vielen Selbständigen steht Arbeitnehmern meist auch nicht die Möglichkeit offen, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen; sieht man von einigen wenigen Branchen ab, bieten die Versicherer derartige Versicherungen nämlich nicht an. 2141 bb) Cuius commodum, eius periculum/Fremdnützigkeit Ein zweiter tragender Grundpfeiler für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist das „Betriebsrisiko im engeren Sinne“: Wer von den potentiellen, aus dem Betrieb fließenden Vorteilen unmittelbar exklusiv profitiert, soll auch die damit einhergehenden Nachteile zu tragen (cuius commodum, eius periculum) haben (Fremdnützigkeit der Tätigkeit des Arbeitnehmers). 2142 Dement2137
BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; Richardi, FS Picker, S. 1095, 1111; ErfK/Preis, § 619a, Rn. 10; ders., AuR 1986, 360, 364 f.; Walker, JuS 2002, 736, 737; NK-BGB/Franzen, § 619a, Rn. 6; Otto/ Schwarze, Haftung, Rn. 38; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 57 („Unausweislichkeit“ der die Schadenswahrscheinlichkeit maßgeblich prägenden Umstände). 2139 Zum Unterschied zwischen abstrakten und an die Umstände des Einzelfalls anknüpfenden gesetzlichen Haftungshöchstsummen vgl. oben § 2 A II 2 c). 2140 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 255; vgl. auch Richardi, JZ 1986, 796, 801; ders., FS Picker, S. 1095, 1111. 2141 Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 39; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 58; HKArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6; zu den Ausnahmen vgl. Otto/Schwarze, Haftung, S. 140. – Auch private Haftpflichtversicherungen nützen insoweit nichts, weil sie keinen Versicherungsschutz für die aus der beruflichen Tätigkeit entspringenden Schäden gewähren, vgl. § 4 I Nr. 6 AHB 2002. 2142 Annuß, Haftung, S. 73; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 48; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 32, 37; ablehnend Dütz, NJW 1986, 1779, 1784. 2138
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sprechend treffen den im Grundsatz alleinigen unmittelbaren Gewinnprofiteur nicht nur betriebswirtschaftliche Verluste, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen von Schadensfällen im Betrieb. 2143 Das entspricht nicht nur den Prinzipien eines „gerechten“ Interessenausgleichs, sondern auch einem Axiom jeglicher marktwirtschaftlichen Ordnung, die ohne das „Spiel“ von Chance und Risiko, von Gewinn und Haftung nicht zu funktionieren vermag. 2144 cc) Menschliche Unzulänglichkeiten in einem Dauerschuldverhältnis Gestützt werden kann die Haftungsprivilegierung darüber hinaus – in Kombination – auf den „Faktor Mensch“2145 und das „Element der Dauer“: Die empirische Erfahrung lehrt, dass aufgrund der Unvollkommenheit der menschlichen Natur jedem irgendwann ein Fehler unterläuft. „Gegen die Monotonie, das ewige Gleichmaß der Arbeit, gegen die Gewöhnung an die Gefahr, gegen die psychische Reaktion der Entspannung auch beim Fahren auf übersichtlicher Straße nach einer Zeit der Anspannung im Verkehrsgewühl, ist“, um es mit Gamillscheg/Hanau zu sagen, eben „kein Kraut gewachsen“2146. In einem konzeptionell auf eine gewisse Dauer angelegten Arbeitsverhältnis ist es daher eine bloße Frage der Zeit, bis – statistisch betrachtet – der Arbeitnehmer durch einen kurzen Moment der Unachtsamkeit einen Schaden verursacht. Zwar ist daraus entgegen den obigen 2147, im Detail abweichenden Auffassungen von Rother, Hammen, Steindorff und Scheuerle nicht abzuleiten, dass dem Arbeitnehmer ein einzelner Fehlgriff nicht als im Grundsatz haftungsbegründende Pflichtverletzung/deliktische Handlung anzukreiden ist, sondern es bleibt vielmehr tatbestandlich beim Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit. Allerdings rechtfertigen es diese Überlegungen, diesem Vorwurf im Rahmen der Schadenszurechnung weniger Gewicht als bei einem auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Vertragsverhältnis beizumessen. Das wiederum legt es nahe, zum Grundprinzip „casum sentit dominus“ zurückzukehren und den Arbeitgeber den Schaden tragen zu lassen. 2148 dd) Weitere (Hilfs-)Faktoren Für die grundsätzliche Privilegierung des Arbeitnehmers kann man ergänzend weitere Faktoren heranziehen. So lässt sich das „Fehlgehen“ des Arbeitnehmers mit dem schadensverursachenden Versagen einer Maschine vergleichen. Wenn letzteres – sieht man von der unter Umständen bestehenden Möglichkeit, sich 2143 Vgl. auch Däubler, NJW 1986, 867, 869, der zutreffenderweise darauf hinweist, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eben gerade keine Gesellschaft besteht, mittels derer ein gemeinsamer Zweck verfolgt wird. 2144 Zur Bedeutung der Korrespondenz von Herrschaft und Haftung vgl. auch § 2 D III 5. 2145 Vgl. z.B. ArbG Plauen ARS 29, 62 ff.; Erman/Edenfeld, § 611, Rn. 339; NK-BGB/ Franzen, § 619a, Rn. 6. 2146 Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 54. 2147 Siehe § 2 F II 1 a). 2148 Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 262.
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per Gewährleistungsrecht an den Verkäufer der Maschine zu halten, ab – dazu führt, dass der Arbeitgeber den Schaden zu tragen hat, so kann nichts anderes gelten, wenn nicht ein technisches, sondern ein menschliches „Betriebsmittel“ versagt. 2149 Angeführt wird des Weiteren vereinzelt, eine Schadenstragungspflicht des Arbeitgebers sei gerechtfertigt, weil er den Schaden wirtschaftlich per entsprechender Preispolitik auf seine Kunden und/oder per vorherigem Abschluss einer Versicherung auf den Versicherer abwälzen könne („Absorptionsprinzip“2150). 2151 Das ist zwar im Hinblick auf die Versicherbarkeit des Schadensrisikos plausibel, nicht aber hinsichtlich der Preispolitik. 2152 Denn letzteres mag zwar in weitgehend monopolartig geprägten Wirtschaftsmärkten funktionieren, diese dürften aber angesichts der internationalen Konkurrenzlage infolge der Globalisierung sowie der Möglichkeit, zahlreiche Wirtschaftsgüter online bestellen zu können, heute kaum noch existieren. Die Weitergabe eines eingetretenen Schadens über die Preispolitik ist daher betriebswirtschaftlich meist nicht möglich, weil dies zu einem unternehmensschädigenden Wettbewerbsnachteil gegenüber der in- und ausländischen Konkurrenz führen würde. 2153 Schließlich wird argumentiert, es müsse verhindert werden, dass der Arbeitgeber ungerechtfertigt Vorteile aus der arbeitsteiligen Unternehmensorganisation ziehe. Wenn er selbst die seinen Arbeitnehmern übertragenen Aufgaben wahrnähme, würde ihm statistisch mit gleicher Wahrscheinlichkeit irgendwann genauso ein Fehler unterlaufen, dessen wirtschaftliche Folgen er dann (selbstverständlich) selbst zu tragen hätte. 2154 Das ist als empirische Beobachtung zwar sicherlich zutreffend, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei nicht um ein tragendes Begründungselement für die Haftungsprivilegierung handelt, weil mit diesem Argument sonst bei allen Formen moderner Arbeitsteilung eine Haftungsmilderung erfolgen müsste.2155
2149 Ebenso Preis, AuR 1986, 360, 365; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 46; Wohlgemuth, DB 1991, 910; a.A. Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 36. 2150 Begriff bei Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 33, 39. 2151 Walker, JuS 2002, 736, 737; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 58; Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 39 f.; Däubler, NJW 1986, 867, 870; Brose, RdA 2011, 205, 207; Wohlgemuth, DB 1991, 910 (für Versicherungsmöglichkeit des Arbeitgebers). 2152 So aber Walker, JuS 2002, 736, 737; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 58; Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 39 f. 2153 Vgl. den ähnlichen Gedanken zum „Finanzierungsargument“ bei den §§ 104 ff. SGB VII oben § 2 E IV 3 c); vgl. insoweit auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 533 mit Fn. 55; Gitter, Schadensausgleich, S. 239. 2154 NK-BGB/Franzen, § 619a, Rn. 6. 2155 Noch kritischer gegen dieses Argument Sandmann, Haftung, S. 64.
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ee) Bewertung; Parallelen zu § 105 SGB VII Die Kombination der oben genannten, unter dem Begriff des Betriebsrisikos zusammengefassten Faktoren liefert im Ausgangspunkt eine überzeugende Begründung für die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers, und zwar sowohl, wenn man seine wie wenn man die Interessen des Arbeitgebers in den Mittelpunkt rückt: Die aus seiner Eingliederung in die vom Arbeitgeber geprägte Betriebsorganisation und seine Weisungsgebundenheit resultierende Fremdbestimmtheit seiner Tätigkeit im Verein mit der Tatsache, dass er vom Produkt seiner Arbeit nicht unmittelbar profitiert, begründet das besondere, im Vergleich zu anderen Schädigern (zum Beispiel im Straßenverkehr) gesteigerte Interesse des Arbeitnehmers daran, nicht für jede noch so kleine Nachlässigkeit ausnahmslos entsprechend den Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts einstehen zu müssen. Umgekehrt werden die Interessen des Arbeitgebers durch die Haftungsprivilegierung nicht unzumutbar beeinträchtigt. Zwar wird es ihm auch bei bestmöglicher Betriebsführung und -organisation niemals gelingen, die Gefahr von Arbeitsunfällen vollständig zu bannen, ist doch spätestens seit dem Untergang der Titanic der Glaube an die Unfehlbarkeit von von Menschenhand Geschaffenem als Hybris entlarvt. Dennoch liegt es aber in seiner Hand, durch die Organisation und Optimierung der Arbeitsabläufe, der Wartung der Produktionsmittel, die Einweisung, Aus- und Fortbildung sowie Überwachung der Arbeitnehmer die Schadensrisiken nach Möglichkeit zu reduzieren. In Kombination mit der Tatsache, dass es primär der Arbeitgeber ist, der von den Früchten des Unternehmens profitiert, rechtfertigt dies im Ausgangspunkt die Schadensverlagerung auf ihn. Soweit dem entgegengehalten wird, nicht das Schadensrisiko, sondern das Risiko, mit dem Betrieb Verlust zu machen, stünde der Gewinnerwartung gegenüber, 2156 vermag das nicht zu überzeugen. Denn das Gegensatzpaar „Gewinnchance versus Verlustrisiko“ wird nicht nur durch enge betriebswirtschaftliche Kennziffern (wie Absatzzahlen, Preisbildungsfaktoren und so weiter) geprägt, sondern durch die Gesamtheit der Bedingungen, unter denen der Unternehmer zu wirtschaften hat. Dazu gehört aber auch das Risiko, dass es im oder durch den Betrieb zu Schäden kommt. Diese Gefahr nimmt sehenden Auges in Kauf, wer sich um der erhofften Vorteile willen dennoch dazu entschließt, als Selbständiger einen Betrieb zu eröffnen. Auch der weitere Einwand, das Argument des „cuius commodum, eius periculum“ könne bei öffentlichen beziehungsweise gemeinnützigen Unternehmen nicht angeführt werden, 2157 so dass sich hier die Haftung der Arbeitnehmer anders darstellen müsse, überzeugt nicht, weil es die rechtlich relevanten Unternehmenszwecke unzulässig verengt. Allein die Tatsache, dass mit einem Unternehmen nicht das Ziel der 2156 2157
Dütz, NJW 1986, 1779, 1783; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1470. So wiederum Dütz, NJW 1986, 1779, 1783; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1470.
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Gewinngenerierung und -optimierung verfolgt wird, steht der Annahme eines dem Unternehmensträger zufließenden Vorteils nicht entgegen. Wer beispielsweise aus dem Betrieb eines gemeinnützigen Unternehmens einen immateriellen Vorteil (Ansehensgewinn, persönliche Befriedigung et cetera) zieht, dem ist es in gleicher Weise wie dem homo oeconomicus zuzumuten, die damit einhergehenden Risiken zu tragen. Damit entspricht die rechtspolitische/-dogmatische Legitimation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung weitgehend derjenigen des Haftungsausschlusses nach § 105 SGB VII. Nach zutreffender Auffassung rechtfertigt sich § 105 SGB VII nämlich mit der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, die sie aus den Säulen Fremdbestimmheit und -nützigkeit und damit exakt aus den beiden Hauptfaktoren speist, die auch bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung im Vordergrund stehen. 2158 Diese Parallelität ist (selbstverständlich) kein Zufall, sondern spiegelt wider, dass sich nicht nur die Voraussetzungen beider Haftungsbeschränkungen praktisch entsprechen, sondern dass auch ihre Rechtsfolgen weitgehend identisch oder zumindest ähnlich sind. Die unterschiedliche Abwicklung dieser Haftungsprivilegierungen – abstrakt-pauschalisierende und präventive Schadensüberwälzung auf den Unternehmer mittels Beitragsleistung bei § 105 SGB VII einerseits, konkret-nachträgliche Schadensverlagerung auf den Arbeitgeber andererseits – ist unter dem Aspekt der rechtsdogmatischen/-politischen Legitimation hingegen irrelevant, weil es sich hier nur um „technische“ Ausgestaltungsvarianten handelt, die den Gleichlauf der zugrundeliegenden Wertungen unberührt lassen. b) Wirkung des Betriebsrisikos als „Schadensverursachungszurechnungsgrund“ Die Aussage, die genannten Faktoren rechtfertigten es in Abweichung der allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätze, den schädigenden Arbeitnehmer ganz oder teilweise von seiner Schadensersatzverpflichtung zu entbinden und den Schaden damit wirtschaftlich auf den geschädigten Arbeitgeber abzuwälzen, erklärt noch nicht genügend, welche Rolle dem Betriebsrisiko in concreto zukommt. Diese ist – wie noch zu zeigen sein wird – nicht nur für die „Tragweite“ des Betriebsrisikos relevant, das heißt inwieweit dieses eine Haftungsprivilegierung zu rechtfertigen vermag, 2159 sondern auch für die normative Anknüpfung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung2160. Wenn die herrschende Meinung davon spricht, das Betriebsrisiko sei mit dem konkreten Verschulden des Arbeitnehmers „abzuwägen“2161, so ist das ein Hinweis auf die zutreffende Inter2158 Zur rechtspolitischen und -dogmatischen Legitimation von § 105 SGB VII siehe näher § 2 E IV 6. 2159 Siehe näher § 2 F III 1 d). 2160 Dazu unten § 2 F V 1. 2161 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 2130.
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pretation des Betriebsrisikos als „Schadensverursachungszurechnungsgrund“. Mit anderen Worten dient es dazu, dem Arbeitgeber einen Verursachungsanteil an den in Ausführung betrieblicher Tätigkeit entstandenen Schäden zuzurechnen. Abstrakt-typisiert und damit letztlich in gewisser Weise im Stile einer Fiktion wird unterstellt, dass der Arbeitgeber angesichts seiner Organisationshoheit und seines Weisungsrechts einen Mitverursachungsbeitrag für den Schaden gesetzt hat. Auf eine Einzelfallprüfung dahingehend, ob die Organisationshoheit respektive das Weisungsrecht zur Schadensentstehung beigetragen haben, kommt es hingegen nicht an. Aus einem wirtschaftlichen Betrachtungswinkel entspricht dies einer verschuldensunabhängigen „Einstandspflicht“ des Arbeitgebers, vergleichbar einer Gefährdungshaftung. 2162 c) Tragweite des Betriebsrisikogedankens Teil 1 – Grundsätzliche Ausgestaltung der Haftungsprivilegierung Der Betriebsrisikogedanke ist zwar als abstrakt-typisierter Schadensverursachungszurechnungsgrund geeignet, eine Haftungsmilderung des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, konkrete Vorgaben, die nur ein bestimmtes Haftungsbeschränkungsmodell zulassen, können daraus aber nicht abgeleitet werden. Dementsprechend besteht im Prinzip ein weiter Spielraum für die Ausgestaltung der Haftungsprivilegierung, wobei diese eben nur dann und insoweit auf den Betriebsrisikogedanken gestützt werden kann, als die dem Arbeitgeber zur Last fallenden Faktoren zumindest bei abstrakt-typisierter Betrachtung eine Ursache für den Schaden gesetzt haben können. Daran gemessen wird man das vom BAG gegenwärtig praktizierte System der Haftungsprivilegierung im Grundsatz in weiten Teilen nicht beanstanden können, weil es einen fairen Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer beinhaltet. Eine Ausnahme gilt aber für den Bereich grober Fahrlässigkeit. aa) Keine Haftung bei leichtester Fahrlässigkeit Im Bereich leichtester Fahrlässigkeit ist es sachgerecht, den Arbeitnehmer vollständig zu entlasten, weil bei einer derartig geringen Nachlässigkeit, die überdies im Laufe eines (langen) Berufslebens schlicht jedem irgendwann einmal unterläuft, 2163 der abstrakt-typisierte Verursachungsbeitrag des Arbeitgebers ganz prominent im Vordergrund steht und damit denjenigen des Arbeitnehmers völlig verblassen lässt. bb) Volle Haftung bei Vorsatz Am anderen Ende des Spektrums ist es überzeugend, den Arbeitnehmer bei vorsätzlich verursachten Schäden vollständig haften zu lassen. Wer wissent2162
Vgl. auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 30. Dazu, dass die Berücksichtigung der mangelnden Perfektion der menschlichen Natur durchaus noch zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers gezählt werden kann, vgl. unten § 2 F III 1 d) bb). 2163
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lich und willentlich und damit vorsätzlich 2164 handelt, ist nach den Grundwertungen der Zivilrechtsordnung nicht schutzwürdig, wie insbesondere die §§ 202 I, 276 III BGB zeigen. Mit dieser mangelnden Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers korrespondiert der bei vorsätzlichen Schäden abstrakt-typisiert völlig in den Hintergrund tretende Verursachungsanteil des Arbeitgebers. Denn gegen das maliziöse Verhalten eines Arbeitnehmers, der einen Schaden verursachen will, ist selbst bei optimaler Betriebsorganisation sprichwörtlich „kein Kraut gewachsen“. cc) Schadensteilung bei mittlerer Fahrlässigkeit Im Bereich der mittleren Fahrlässigkeit treffen hingegen zwei Verursachungsbeiträge aufeinander: Dem Arbeitnehmer kann nach dem oben Gesagten zwar völlige Absolution für leichteste Fahrlässigkeit erteilt werden, weil eine solche Nachlässigkeit jedem einmal unterläuft. Für darüber hinausgehendes Fehlverhalten wäre es aber – gerade auch angesichts der Präventiv- und Kompensationsfunktion des Schadensersatzrechts – zu weitgehend, ihn vollständig aus der Haftung zu entlassen. Umgekehrt kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, dass es abstrakt-typisiert ausgeschlossen ist, dass die von ihm geprägte Betriebsorganisation ihren Teil zum Schadenseintritt beigetragen hat. Die vom BAG befürwortete Abwägung der beiderseitigen Schadensverursachungsbeiträge ist daher im Kern zutreffend – ob auch die vom Gericht berücksichtigten Kriterien legitimerweise herangezogen werden können, wird noch zu klären sein. 2165 dd) Haftungsentlastung auch bei grober/gröbster Fahrlässigkeit? Wie dargelegt, hat sich das BAG von seiner traditionellen Auffassung, nach der bei grober Fahrlässigkeit eine Haftungsmilderung nur im Einzelfall und nur bei einem Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko oder alternativ bei einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung für möglich gehalten wurde, gelöst. Stattdessen soll nun sowohl bei grober wie gröbster Fahrlässigkeit eine Haftungsprivilegierung – abhängig von einer Abwägung im Einzelfall – möglich sein.2166 Das geht jedenfalls in dieser Allgemeinheit zu weit, weil es sowohl der Systematik des Bürgerlichen Rechts widerspricht (dazu [1]) als auch dem Gewicht der Schadensverursachungsbeiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gerecht wird und damit eine unangemessene Beeinträchtigung der berechtigten Interessen des Arbeitgebers beinhaltet (näher unter [2]). Zudem spricht die wünschenswerte Harmonisierung mit der Situation im SGB VII für eine Einstandspflicht des Arbeitnehmers (sub [3]). Explizit offen bleibt hier aber zunächst die später2167 zu erörternde Frage, ob bei einem Missverhältnis von Arbeitsent-
2164 2165 2166 2167
Zur Vorsatzdefinition vgl. pars pro toto Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 22. Dazu unten § 2 F III 1 d). Siehe näher und mit Nachweisen § 2 F II 2 b). Siehe unten § 2 F III 1 d) ee).
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gelt und Schadensrisiko oder einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung des Arbeitnehmers infolge des Schadensersatzanspruchs etwas anderes gilt. (1) Nach den an zahlreichen Stellen zutage tretenden Grundwertungen des BGB ist eine Haftungsprivilegierung für grob und – sofern man dies überhaupt als eigenen Verschuldensgrad anerkennen will – erst recht gröbste Fahrlässigkeit abzulehnen.2168 So schließen erstens die §§ 31a I 1, 300 I, 521, 599, 675v II, 680, 968 BGB die Haftung des Privilegierten nur unterhalb der Schwelle zur groben Fahrlässigkeit aus und vermag zweitens auch eine Verschuldensmaßstabsmodifikation auf die diligentia quam in suis (zum Beispiel §§ 690, 708, 1359, 1364 BGB, § 4 LPartG) nicht von der Einstandspflicht für grobe Fahrlässigkeit (§ 277 BGB) zu dispensieren. 2169 Anführen lassen sich drittens § 309 Nr. 7 lit. b) BGB, nach dem in AGB für „sonstige Schäden“ ein Haftungsausschluss nicht für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit möglich ist, 2170 sowie die §§ 651h I Nr. 1, 702a I 2 BGB, nach denen dies noch nicht einmal per Individualabrede möglich ist. Viertens kann auf die ständige Rechtsprechung des BGH verwiesen werden, der einen stillschweigenden Haftungsverzicht stets nur für leichte, nicht aber grobe Fahrlässigkeit für möglich hält. 2171 Schließlich sollte fünftens auch die 1967 geplante, letztlich aber nicht Gesetz gewordene allgemeine Reduktionsklausel (§ 255a BGB-E) nach ihrem Abs. 2 nicht in Fällen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schadensherbeiführung gelten. 2172 (2) Dieses normative Werturteil passt auch im vorliegenden Zusammenhang, gerade vor dem Hintergrund der mit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers gerechtfertigten Haftungsprivilegierung. Diese wird – Stichwort: „Faktor Mensch“ – nämlich auch durch die Überlegung getragen, dass es im Laufe eines langen Berufslebens kaum vermeidbar ist, infolge leichtester oder auch mittlerer Fahrlässigkeit einmal einen Schaden zu verursachen. Anders verhält es sich für den Bereich grober Fahrlässigkeit, ist es einem Arbeitnehmer doch durchaus
2168 Darauf verweist zutreffend auch Heinze, NZA 1986, 545, 552. – Nur zum Teil machen davon § 323 II HGB, § 49 AktG eine Ausnahme, indem sie eine Haftungshöchstsumme auch bei grober Fahrlässigkeit vorsehen (vgl. Hüffer, AktG, § 49, Rn. 4). 2169 In diesem Zusammenhang kann auch eine originär dienstvertragliche Vorschrift angeführt werden, nämlich § 617 S. 1 BGB, nach der den Dienstberechtigten vorbehaltlich einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung der Erkrankung durch den Dienstverpflichteten die Pflicht zur Krankenfürsorge trifft. 2170 Gleiches gilt für einen Haftungsausschluss in den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp), vgl. BGH 2.12.1977 – I ZR 29/76, NJW 1978, 1918. 2171 BGH 7.6.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972, 1363; 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979, 643, 644; 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980, 1681, 1683; 29.3.1988 – VI ZR 311/87, NJW-RR 1988, 985, 986; 13.12.1995 – VIII ZR 41/95, NJW 1996, 715, 716 f.; 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1484; 4.3.2009 – XII ZR 198/08, NZM 2009, 543, 544. 2172 „Eine Einschränkung der Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, soweit der Ersatzpflichtige […] den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat.“.
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zumutbar, stets dasjenige zu beachten, was im gegebenen Falle jedem einleuchten muss2173. Die mit der Verletzung dieses Mindestsorgfaltsmaßstabs einhergehende mangelnde Schutzwürdigkeit korrespondiert mit einem entsprechend hohen Schutzbedürfnis des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber, der sich eines Arbeitnehmers als „menschliches Betriebsmittel“ bedient und ihm zu diesem Behufe eine Einwirkung auf sein Eigentum ermöglicht, muss sich der Gefahr bewusst sein, dass diesem jederzeit infolge leichtester oder auch mittlerer Fahrlässigkeit ein schadensverursachender Fehler unterlaufen kann – wie ausgeführt2174 ist dem Arbeitgeber die vollständige oder zumindest teilweise Aufbürdung des Schadensrisikos daher durchaus zumutbar. Anders verhält es sich aber im Bereich grober oder gar gröbster Fahrlässigkeit. Ihm selbst hier noch einen Abschlag zuzumuten, belastet seine Interessen über Gebühr, muss er doch mit einem derartigen Verhalten nicht rechnen und kann dagegen regelmäßig auch keine Vorkehrungen treffen. 2175 Bei einem solch schweren Fehlverhalten tritt daher selbst bei abstrakt-typisierter Betrachtung der Schadensverursachungsbeitrag des Arbeitgebers vollkommen zurück. Das war jahrzehntelang auch – unausgesprochene – Prämisse der eine Haftungsprivilegierung grundsätzlich ausschließenden Rechtsprechung des BAG. Warum das Gericht davon neuerdings abweicht, bleibt schleierhaft, eine Begründung für die veränderten Prämissen lässt sich den entsprechenden Judikaten jedenfalls nicht entnehmen. 2176 Völlig absurd wird es, wenn das BAG dem Arbeitnehmer selbst bei Vorsatz bezüglich der schadensverursachenden Handlung noch die Hintertür zu einer Haftungsmilderung offenhält. Pars pro toto sei der Fall des Auszubildenden genannt, der sich über die Weisung, keine Fahrten mit dem Gabelstapler durchzuführen, hinwegsetzte und prompt gegen ein Garagentor fuhr. 2177 Weil in Abweichung von allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen 2178 als maßgeblicher Verschuldensbezugspunkt nicht die Pflichtverletzung, sondern der
2173 Vgl. zur Definition der groben Fahrlässigkeit z.B. BGH 10.2.1999 – IV ZR 60/98, NJW-RR 2000, 397, 398 m.w.N. 2174 Siehe oben § 2 F III 1 a) cc). 2175 Das zeigt das Beispiel eines schweralkoholisiert fahrenden Fernfahrers oder das der Krankenhausärztin, die gegen zahlreiche Sicherheitsvorschriften verstößt (vgl. zu letzterem den Fall in BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/86, NZA 1998, 310, 312). 2176 Vgl. BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1235; 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345, 348. – Ausgeblendet bleibt die nicht auszuschließende, aber wenig schmeichelhafte Erklärung, das Gericht wisse gar nicht, was es tut, mit anderen Worten es ist sich gar nicht bewusst, durch die genannten Entscheidungen die Gewichte zugunsten des Arbeitnehmers verschoben zu haben. 2177 BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37; für einen anderen Fall, in dem nicht Vorsatz, sondern „nur“ grobe Fahrlässigkeit angenommen wurde, vgl. BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547. 2178 Vgl. z.B. BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366, 1368.
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konkret eingetretene Schaden angesehen wird, 2179 ist der Weg dafür frei, dem Arbeitnehmer nur – in aller Regel: grobe – Fahrlässigkeit, nicht aber Vorsatz vorzuwerfen. Unabhängig davon, dass bereits an der Richtigkeit der von der herrschenden Meinung vorgenommenen Bestimmung des Verschuldensbezugspunkts erhebliche Zweifel bestehen, 2180 wäre eine Haftungsentlastung des Arbeitnehmers hier im Vergleich zu Konstellationen „orginärer“ grober Fahrlässigkeit und angesichts des maliziösen Verhaltens erst recht nicht mit den berechtigten Interessen des Arbeitgebers und der Systematik des Bürgerlichen Rechts zu vereinbaren. 2181 Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt: Nach dem oben Gesagten ist die Weisungsunterworfenheit des Arbeitnehmers tragende Säule des Betriebsrisikogedankens. Wer sich vorsätzlich über eine Weisung seines Arbeitgebers hinwegsetzt, um eine Pflichtverletzung zu begehen, sprengt aber gerade deren „Ketten“ und wandelt somit außerhalb des fremdbestimmten Territoriums – damit aber entfällt zugleich jegliche Legitimation für eine Haftungsmilderung. (3) Für eine Einstandspflicht des grob fahrlässig handelnden Arbeitnehmers spricht schließlich ein Vergleich mit dem System der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz des SGB VII bei Personenschäden. Zwar ist der Arbeitnehmer, der im Rahmen betrieblicher Tätigkeit einen Versicherungsfall seines Unternehmers herbeiführt und ihm dabei einen Personenschaden zufügt, privatrechtlich selbst dann nicht einstandsverpflichtet, wenn er grob fahrlässig handelte (§ 105 I 1 SGB VII). Die damit scheinbar verbundene wirtschaftliche Entlastung ist aber keine dauerhafte, ist er doch grundsätzlich 2182 dem Regressanspruch der Sozialversicherungsträger ausgesetzt, § 110 I 1 SGB VII. Versagt man dem Arbeitnehmer im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung eine Haftungsprivilegierung bei grob fahrlässiger Schadensverursachung, 2179
BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 40; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1233; Deutsch, RdA 1996, 1, 3; Gamillscheg, RdA 1967, 375; ErfK/Preis, § 619a, Rn. 14; H. Döring, Arbeitnehmerhaftung, S. 79; BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 13; Richardi, JZ 1986, 796, 805 f.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 74 f.; MüKoBGB/Henssler, § 619a, Rn. 38; NK-BGB/Franzen, § 619a, Rn. 10; a.A. Krause, NZA 2003, 577, 583; Heinze, NZA 1986, 545, 552; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 36. 2180 Siehe die beachtlichen Argumente bei z.B. Krause, NZA 2003, 577, 583; Otto/ Schwarze, Haftung, Rn. 167 f., die sich neben dem Wortlaut des § 619a BGB und einer Parallele zu § 110 I 3 SGB VII vor allem darauf stützen, dass dem Arbeitgeber nicht die Chance genommen werden darf, durch Weisungen sein Schadensrisiko zu vermindern. 2181 Zum Teil zustimmend Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 201, nach denen zwar das bloße Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko keine Haftungsreduktion rechtfertigt, eine solche aber bei der Gefahr des wirtschaftlichen Ruins des Arbeitnehmers vorzunehmen sei. 2182 Auf die Ausnahme des § 110 II SGB VII wird bei der Frage eingegangen, ob ein grob fahrlässig handelnder Arbeitnehmer bei einem Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko bzw. bei Existenzgefährung in den Genuss einer Haftungsprivilegierung gelangen kann (näher § 2 F III 1 d] ee]).
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kommt man – ökonomisch betrachtet – zum gleichen Ergebnis wie bei der gesetzlichen Unfallversicherung über den „Umweg“ des § 110 SGB VII. 2183 Diese Harmonisierung der wirtschaftlichen Haftungsmaßstäbe ist angesichts der Parallelität der rechtspolitischen und -dogmatischen Legitimation der beiden Haftungsbeschränkungssysteme2184 sowie der Ähnlichkeit der ihnen jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte sachgerecht. (4) Zusammenfassend scheidet daher entgegen der Tendenzen in der neuesten Rechtsprechung des BAG eine allgemeine, derjenigen bei mittlerer Fahrlässigkeit vergleichbare Haftungsprivilegierung bei grober und gröbster Fahrlässigkeit per Einzelfallabwägung aus. Ob eine Ausnahme möglich ist, wenn zwischen Arbeitsentgelt und Schadensrisiko ein Missverhältnis besteht und/oder die Schadensersatzverpflichtung die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers gefährdet, wird aber noch zu klären sein. 2185 d) Tragweite des Betriebsrisikogedankens Teil 2 – Legitimität einzelner Kriterien aa) Ausgangsüberlegung Auch wenn somit das Betriebsrisiko im Kern geeignet ist, eine Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers und ihre grundsätzliche Ausgestaltung durch die herrschende Meinung zu rechtfertigen, entbindet dies nicht von der Notwendigkeit, die exakte Tragweite dieses Begründungsansatzes kritisch zu hinterfragen. Insbesondere – das sei vorausgeschickt – wäre es verfehlt, den Betriebsrisikogedanken als Grundlage für eine Gesamtabwägung im Sinne einer „konturlosen Sozialabwägung“2186 heranzuziehen, in die Kriterien einbezogen werden, die weder mit dem Arbeitsverhältnis noch dem Schadensfall im Zusammenhang stehen können. 2187 Denn wie ausgeführt, ist das Betriebsrisiko Schadensverursachungszurechnungsgrund, dementsprechend können bei der Abwägung zwischen dem Betriebsrisiko und dem Verschulden des Arbeitnehmers nur solche Kriterien berücksichtigt werden, die auch die Haftungsprivilegierung dem Grunde nach tragen.2188 Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass unreflektiert Faktoren herangezogen und Resultate produziert werden, die sich selbst bei weiter Interpretation nicht mehr unter den Betriebsrisikobegriff subsumieren lassen, wodurch dieser vollständig an Kontur verlieren würde. 2189 Im 2183
Vgl. auch Brose, RdA 2011, 205, 208 f. Siehe oben § 2 F III 1 a) ee). 2185 Siehe unten § 2 F III 1 d) ee). 2186 Hanau/Preis, JZ 1988, 1072, 1075. 2187 Gegen eine Gesamtabwägung, weil sie zu einem mit Rechtsunsicherheit verbundenen „Haftungspotpourri“ führen würde, auch Gamillscheg, AuR 1988, 354, 355; ebenso Koller, SAE 1996, 5. 2188 Zutreffend Joussen, AuR 2005, 432, 434; vgl. auch Annuß, NZA 1998, 1089, 1094. 2189 So die Kritik von Sandmann an der h.M.: „[…] hat man also nach und nach das Betriebsrisiko mit immer mehr Umständen angereichert, die selbst kaum noch etwas mit der 2184
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Folgenden sind daher einzelne, von der herrschenden Meinung berücksichtigte Kriterien daraufhin zu überprüfen, ob sie diesem „Test“ standhalten. Soweit dies nicht der Fall ist, muss entweder eine andere Legitimation für ihre Heranziehung gefunden werden, oder sie müssen aufgegeben werden. Dabei ist schon an dieser Stelle klarzustellen, dass eine bloße Rechtstradition à la „das war schon immer so“ weder die rechtspolitische/-dogmatische Legitimität einer Regelung begründet noch von der Notwendigkeit ihrer kritischen Hinterfragung entbindet. 2190 bb) Berücksichtigung der mangelnden Perfektion der menschlichen Natur Als unzulässige Überdehnung des Betriebsrisikogedankens wird in der Literatur angeführt, dass der Arbeitgeber nach herrschender Meinung2191 mit der Konsequenz eines vollständigen Haftungsausschlusses bei leichtester Fahrlässigkeit nicht nur für Gefahren einzustehen hat, die auf den vom Arbeitnehmer verwendeten Gegenständen oder den ihm übertragenen Aufgaben, sondern auch für solche, die allein auf der menschlichen Natur, Fehler zu begehen, beruhen. 2192 Dieser Kritik ist erstens entgegenzuhalten, dass es sich insoweit nicht um ein auf die Schadenstragungsproblematik beschränktes Phänomen handelt. Arbeitsleben und -recht sind vielmehr davon geprägt, dass der Arbeitgeber mit der Einstellung des Arbeitnehmers keine unfehlbare, nicht wartungsbedürftige und wie ein perpetuum mobile funktionierende Maschine erwirbt. 2193 Diese Erkenntnis steht beispielsweise hinter den Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dem Erholungsurlaubsrecht. Beide tragen dem Umstand der mangelnden Perfektion der menschlichen Natur Rechnung, indem sie anerkennen, dass ein Arbeitnehmer von Zeit zu Zeit krankheitsbedingt arbeitsunfähig sein kann beziehungsweise erholungsbedürftig ist, ohne deshalb auf seinen regelmäßig seine Existenzgrundlage sichernden Arbeitslohn verzichten zu können.2194 Sie verlagern das Risiko eines derart begründeten Arbeitsausfalls Verursachung des Schadens zu tun haben.“ (Haftung, S. 61 f.); „Spricht man [statt von einer mitwirkenden Betriebsgefahr] nur noch allgemein von einer bestehenden Betriebsgefahr, ohne deren Verursachungsbeitrag belegen zu können, beraubt man den Gedanken des § 254 BGB […] auch jeglicher Konturen.“ (Haftung, S. 69, Hervorhebungen hier); vgl. auch Koller, SAE 1996, 5, nach dem die h.M. Gefahr läuft, das Betriebsrisiko als „rhetorisches Allzweckargument“ einzusetzen, mit dem man beliebige Ergebnisse begründen kann (ähnlich Marhold, JZ 1993, 910, 911). 2190 Vgl. BVerfGE 82, 126 ff; siehe auch § 2 A III 1 a). 2191 Z.B. Erman/Edenfeld, § 611, Rn. 339; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 54. 2192 So die Kritik bei Sandmann, Haftung, S. 61. 2193 Vgl. Däubler, NJW 1986, 867, 870. 2194 Für den Urlaubsanspruch vgl. BT-Drucks. IV/785, 1 („Auffrischung und Wiederherstellung der Arbeitskraft“); ErfK/Gallner, § 1 BUrlG, Rn. 4 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1133; zu weitgehend – weil gar für Einschlägigkeit der Menschenwürde – HK-ArbR/Holthaus, § 1 BUrlG, Rn. 10.
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deshalb auf den Arbeitgeber, indem sie ihn zur Lohnfortzahlung verpflichten. Schon hier bleibt dem Arbeitgeber also – angesichts des einseitig zwingenden 2195 Charakters der entsprechenden Regelungen des BUrlG/EFZG – nolens volens nichts anderes übrig, als den „Faktor Mensch“ als Axiom seines Wirtschaftens zu akzeptieren. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Bestimmung des Maßes der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung. Weil die von ihm arbeitsvertraglich zugesagte Arbeitsleistung von seiner Person nicht getrennt werden kann (vergleiche auch § 613 S. 1 BGB), schuldet dieser keine – wie auch immer zu bestimmende – objektive „Normalleistung“ nach § 243 I BGB, sondern nur die Ausschöpfung seines individuellen Leistungsvermögens, das heißt, er muss alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um seine Arbeitspflicht zu erfüllen. 2196 Hat er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht, erreicht er aber dennoch nicht das „Normal-/Durchschnittsmaß“, kann ihm daher keine Vertragspflichtverletzung vorgeworfen werden. 2197 Auch insoweit läuft der Arbeitgeber also Gefahr, trotz sorgfältiger Einstellungstests und so weiter einen Arbeitnehmer „anzuheuern“, dessen Leistungen nicht dem Erhofften entsprechen. Den hinter diesen beiden Beispielen stehenden Gedanken auf die Verteilung von Schäden zu übertragen, die aus der Unvollkommenheit der menschlichen Natur entspringen, ist daher nicht nur nicht fernliegend, sondern ganz im Gegenteil systemgerecht. Zudem ist zweitens die Gefahr, dass eine unternehmerische Investition aufgrund unternehmensexterner, vom Arbeitgeber nicht steuerbarer Faktoren nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile zeitigt oder zumindest nicht im vorher erhofften Maße rentabel ist, in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung systemimmanenter Ausfluss des Betriebs-/Unternehmerrisikos. Als solchen externen Faktor kann man nicht nur ansehen, dass zum Beispiel eine Werbekampagne trotz sorgfältiger Vorbereitung nicht so verkaufsfördernd wirkt wie geplant oder sich ein Absatzmarkt trotz vorheriger Sondierung nicht als so ertragsreich erweist wie erwartet, sondern auch, dass ein Betriebsmittel aufgrund eines Umstandes ausfällt (oder gar einen Schaden anrichtet), den der Arbeitgeber selbst bei Anwendung aller ihm möglichen Sorgfalt nicht hätte verhindern können. In all diesen Fällen hat der Arbeitgeber – sieht man in der letzten Konstellation von der unter Umständen bestehenden Möglichkeit ab, sich an den Verkäufer oder Hersteller des Betriebsmittels zu halten – den wirtschaftlichen 2195
§ 13 I 3 BUrlG, § 12 EFZG. Ganz h.M., vgl. nur BAG 17.7.1970 – 3 AZR 423/69, NJW 1971, 111, 112; 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, NZA 1989, 261, 262; Tillmanns, Strukturfragen, S. 160 ff.; Richardi, NZA 2002, 1004, 1011; ErfK/Preis, § 611, Rn. 643; vgl. nun aber auch BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784, 786; 17.1.2008 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 693, 694, wonach vorrangig auf die Parteiabrede abgestellt wird. 2197 Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 532. – Dementsprechend scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung aus; möglich ist aber unter Umständen eine personenbedingte Kündigung, vgl. BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784, 786 f. 2196
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Ausfall zu tragen. Dann kann es sich aber auch nicht anders verhalten, wenn er sich statt eines sachlichen eines menschlichen „Betriebsmittels“ bedient, das den externen, vom Arbeitgeber nicht zu beeinflussenden, aber zwangsweise mit „eingekauften“ Faktor fehlender menschlicher Perfektion aufweist. Die Aufbürdung dieser Risiken ist dem Arbeitgeber schließlich auch nicht unzumutbar, und zwar schon deshalb nicht, weil er sie „einpreisen“ kann und dies regelmäßig auch tun wird. Mit anderen Worten: Das „Risiko“, dass ein Arbeitnehmer bezahlten Jahresurlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verlangt oder im Rahmen seiner Tätigkeit einen Schaden verursacht, den nach den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung der Arbeitgeber zu tragen hat, kann der Arbeitgeber präventiv insofern kompensieren, als er dem Arbeitnehmer einen entsprechend geringeren Lohn zahlt als er ohne diese (potentiellen) Verpflichtungen/Nachteile würde. Alternativ kann er sich im Zusammenhang mit den hier untersuchten Haftungsrisiken gegen diese versichern und dies über die Lohnhöhe mittelbar auf die Arbeitnehmer weitergeben. cc) Einbeziehung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers Im Bereich mittlerer Fahrlässigkeit nimmt das BAG eine Abwägung vor, bei der es auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das bisherige dienstliche Verhalten des Arbeitnehmers, sein Alter, Familienstand und eventuelle Unterhaltspflichten berücksichtigt. 2198 Fraglich ist, ob die Heranziehung dieser Kriterien mit dem Betriebsrisikogedanke gerechtfertigt werden kann. Insoweit ist zu unterscheiden: (1) Alter, Familienstand und Unterhaltsverpflichtungen Alter, Familienstand und Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers können richtigerweise nicht unter dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos in die Abwägung einbezogen werden.2199 Diese rein persönlichen Verhältnisse liegen außerhalb der Sphäre des Arbeitsverhältnisses und dem Einflussbereich des Arbeitgebers. Sie haben weder etwas mit der Fremdbestimmtheit und -nützigkeit der Tätigkeit des Arbeitnehmers noch mit dem Schadensfall das Geringste zu tun und sie werden vom Arbeitgeber auch nicht – wie die mangelnde Perfek-
2198 Vgl. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 586; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1233; dem folgend Erman/Edenfeld, § 611, Rn. 340; BeckOK-BGB/Fuchs, § 611, Rn. 94; einschränkend („regelmäßig nur eine untergeordnete Bedeutung“) BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 11. 2199 Ebenso LAG Köln 20.2.1991 – 7 Sa 706/90, BeckRS 1991, 30983128; Langenbucher, ZfA 1997, 523, 552; Annuß, NZA 1998, 1089, 1094; Hanau/Preis, JZ 1988, 1072, 1075; Joussen, AuR 2005, 432, 434; v. Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1896; Koller, SAE 1996, 5; zurückhaltend auch Otto, AuR 1995, 72, 76; Waltermann, RdA 2005, 98, 107; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 186 („inhaltlich fragwürdig“); grundsätzlich wie hier, aber anders für Unterhaltslasten, weil diese die finanzielle Leistungsfähigkeit prägten, HWK/Krause, § 619a, Rn. 36.
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tion der menschlichen Natur – mit „eingekauft“.2200 Dagegen spricht auch nicht, dass bei der Sozialauswahl im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen unter anderem das Lebensalter und die Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen sind, § 1 III 1 KSchG. Denn die zu lösende Problematik ist dort eine völlig andere, geht es dort doch nicht um einen Schadensausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern darum, zwischen den Arbeitnehmern Gerechtigkeit bei der Kündigungsentscheidung herzustellen, indem derjenige zu kündigen ist, den der Arbeitsplatzverlust relativ am wenigsten belastet. 2201 (2) Betriebszugehörigkeit und bisheriges dienstliches Verhalten Umstritten ist, ob die Dauer der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden kann. 2202 Dafür könnte sprechen, dass der Arbeitgeber bei einem seit längerem bestehenden Arbeitsverhältnis wirtschaftlich bereits (erheblich) von der Arbeitsleistung profitieren konnte, sowie zweitens, dass das Element der Dauerhaftigkeit der Arbeitsvertragsbeziehung im Grundsatz ein die Haftungsprivilegierung tragender Gesichtspunkt ist. Andererseits ist aber nicht zu übersehen, dass die Zahl der Jahre, die der Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist, keinen unmittelbaren Einfluss auf den konkreten Schadensfall hat. Zudem folgt allein aus der Beschäftigungsdauer nicht zwingend, dass der Arbeitgeber in der Vergangenheit derart von der Arbeitsleistung profitieren konnte, dass dies nunmehr eine weitergehende Kürzung seines Schadensersatzanspruchs rechtfertigte. Man stelle sich nur einen Arbeitnehmer vor, der regelmäßig durch mittlere Fahrlässigkeit Schäden verursacht. Richtigerweise ist daher unter dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos nicht an der bloßen Dauer der Betriebszugehörigkeit anzusetzen, sondern stattdessen vielmehr das bisherige dienstliche Verhalten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen 2203: Wenn ein Arbeitnehmer im Vergleich zu Kollegen mit identischen oder zumindest ähnlichen Arbeitsaufgaben und -bedingungen überdurchschnittlich oft Schäden verursacht, ist davon auszugehen, dass dies weniger auf dem – dem Arbeitgeber zurechenbaren – Umstand der Fremdbestimmtheit seiner Tätigkeit, sondern vielmehr auf seiner persönlichen „Mangelhaftigkeit“ beruht. In 2200 Eine Einschränkung ist allerdings für das Alter zu machen, weil sich dieses auf den Verschuldensgrad des Arbeitnehmers auswirken kann (z.B. nachlassende Reaktionsfähigkeit mit zunehmendem Alter, zutreffend v. Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1896; vgl. auch Waltermann, RdA 2005, 98, 107). 2201 Vgl. BAG 20.1.1961 – 2 AZR 495/59, NJW 1961, 940, 941; 10.10.1996 – 2 AZR 651/95, NZA 1997, 92, 94; 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096, 1099; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 300. 2202 Dafür Joussen, AuR 2005, 432, 434; dagegen v. Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1896; HWK/Krause, § 619a, Rn. 36; Waltermann, RdA 2005, 98, 107; vorsichtig kritisch auch Otto, AuR 1995, 72, 76. 2203 Ebenso HWK/Krause, § 619a, Rn. 36; v. Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1896; für Berücksichtigung dieses Umstands (neben der Dauer der Betriebszugehörigkeit) auch MüKoBGB/Henssler, § 619a, Rn. 37; Joussen, AuR 2005, 432, 434.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
der Abwägung hat dies zu seinen Ungunsten zu gehen – ein „Schussel“ ist eben nicht in gleichem Maße schutzwürdig wie ein äußerst penibler Arbeitnehmer, dem einmalig ein Fehler unterläuft, der angesichts des „Faktors Mensch“ und dem Element der Dauerhaftigkeit des Arbeitsverhältnisses entschuldbar ist. (3) Vermögensverhältnisse Unter dem Deckmantel des Betriebsrisikos können schließlich auch nicht die Vermögensverhältnisse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer berücksichtigt werden. 2204 Auch insoweit handelt es sich nämlich um Umstände, die außerhalb der Arbeitsvertragsbeziehung liegen und die mit der abhängigen Tätigkeit des Arbeitnehmers sowie dem Schadensfall in keinerlei Zusammenhang stehen. Es wäre zudem nicht sachgemäß, die Einstandsverpflichtung vom guten oder schlechten privaten beziehungsweise unternehmerischen Wirtschaften des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers abhängig zu machen; zudem würden Arbeitnehmer kleiner Unternehmer tendenziell benachteiligt, weil bei solchen Unternehmen die „Gefahr“ größer ist, dass sie auf die Schadensersatzzahlung angewiesen sind. dd) Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb Bei der im Rahmen mittlerer Fahrlässigkeit vorzunehmenden Abwägung will das BAG ferner die „Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb“ berücksichtigen, ohne zu präzisieren, was es damit meint. 2205 Man wird das so verstehen können, dass damit das mit einem Aufstieg in der Betriebshierarchie – meist – einhergehende Maß an sich verringernder Weisungsgebundenheit einbezogen werden soll. Ein so verstandenes Kriterium lässt sich unschwer auf den Betriebsrisikogedanken stützen. Denn je geringer die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers ist, um so geringer ist notwendigerweise die „Herrschaftsgewalt“ des Arbeitgebers über ihn, weil zumindest das Weisungsrecht an praktischer Bedeutung verliert. Mit zunehmender „Selbstbestimmung“ des Arbeitnehmers und damit Kontrolle über die das Schadensrisiko prägenden Parameter verblasst gleichzeitig zusehends der dem Arbeitgeber zuzurechnende, aus Organisationsherrschaft und Weisungsrecht ableitbare abstrakt-typisierte Schadensverursachungsbeitrag. Es ist daher rechtsdogmatisch nicht nur legitim, sondern sogar geboten, die so verstandene „Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb“ bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zu berücksichtigen, wobei im Sinne eines „beweglichen Systems“ oder einer „gleitenden Skala“ alle das Maß an persönli-
2204 So auch BGH 10.1.1955 – III ZR 153/53, NJW 1955, 458, 459 („Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers“); BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 586; Hanau/Preis, JZ 1988, 1072, 1075. 2205 BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1086; BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650.
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cher Abhängigkeit bestimmenden Faktoren des zu entscheidenden Einzelfalls heranzuziehen sind. 2206 Rechtstechnisch umgesetzt werden kann dieses Postulat unproblematisch im Rahmen der Abwägung bei mittlerer sowie – soweit man eine solche entgegen der hier vertretenen Auffassung befürwortet – bei grober/gröbster Fahrlässigkeit. Bei Vorsatz ist das zwar mangels Abwägung nicht möglich, das ist hier aber insofern unschädlich, als sich ein erhöhtes Maß an Selbstbestimmung nur zulasten des Arbeitnehmers auswirken kann, was angesichts seiner ohnehin schon bestehenden Pflicht zur vollen Schadenstragung keine praktische Relevanz hat. Als problematisch könnte sich daher nur der Bereich leichtester Fahrlässigkeit erweisen, ist doch auch insoweit keine Abwägung vorzunehmen, bei der man den Gesichtspunkt verminderter persönlicher Abhängigkeit berücksichtigen könnte. Allerdings kann man die Stellung des Arbeitnehmers insoweit würdigen, als man mit einem Aufstieg auf der Karriereleiter den geforderten objektiven Sorgfaltsmaßstab verschärft. Einem berufserfahrenen Handwerksmeister, dem der Arbeitgeber typischerweise ein größeres Maß an Freiheit einräumt als einem „frischgebackenen“ Gesellen, wird man bei sorgfaltswidrigem Handeln eben leichter den Vorwurf mindestens mittlerer Fahrlässigkeit machen können als dem Gesellen. ee) Berücksichtigung der Schadenshöhe (Missverhältnis LohnSchadensrisiko/Haftungsbegrenzung wegen Existenzgefährdung) (1) Auffassung des BAG Die Höhe des Schadens spielt nach Ansicht des BAG nicht nur als eines mehrerer Abwägungskriterien im Bereich mittlerer Fahrlässigkeit eine Rolle, 2207 sondern kann auch bei grober oder gröbster Fahrlässigkeit relevant werden. Hier haftet der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich voll, nach der traditionellen 2208 Rechtsprechung des BAG sind davon aber in zwei Fallkonstellationen Ausnahmen möglich: Erstens, wenn das Schadensrisiko der Tätigkeit zum Verdienst des Arbeitnehmers in einem Missverhältnis steht, 2209 und zweitens, wenn 2206 Relevant ist das insbesondere auch bei leitenden Angestellten, die zwar grundsätzlich in den Genuss der Haftungsprivilegierung kommen, deren herausgehobene Stellung aber gegebenenfalls Modifikationen erfordert, vgl. dazu unten § 2 F III 5 b) bb). 2207 Vgl. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084; BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 586; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650. 2208 Zur Ausweitung dieser Rechtsprechung in den letzten zehn Jahren und zu deren Bewertung siehe oben § 2 F II 2 b) und § 2 F III 1 c) dd). 2209 BAG 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 140 f.; 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998, 310, 311; 15.11.2001 – 8 AZR 95/01, NZA 2002, 612, 614 f.; 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1234 f.; Waltermann, RdA 2005, 98, 105; Krause, NZA 2003, 577, 579 f.; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 36; NKBGB/Franzen, § 619a, Rn. 12; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 14; BeckOK-ArbR/ Hesse, § 619a BGB, Rn. 12.
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der Arbeitnehmer durch die (umfängliche) Pflicht zum Schadensersatz in seiner Existenz gefährdet wäre;2210 eine absolute oder relative Haftungshöchstgrenze gibt das Gericht dabei nicht vor. Soweit2211 es hierfür überhaupt eine dogmatische Begründung liefert, führt das Gericht auch diese haftungsmildernden Faktoren auf das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko zurück. 2212 (2) Stellungnahme Entgegen der Auffassung des BAG kann eine Berücksichtigung der Schadenshöhe und ihres (eventuellen Miss-)Verhältnisses ebenso wenig mit dem zutreffend interpretierten Betriebsrisiko des Arbeitgebers begründet werden wie der Schutz des Arbeitnehmers vor einer potentiell existenzgefährdenden Schadensersatzhaftung.2213 Die Rechtsprechung des BAG beruht auf einer Überdehnung dessen, was die unter dem Schlagwort des Betriebsrisikos zusammengefassten Umstände zu leisten im Stande sind. Diese erlauben es nämlich ausschließlich, dem die allgemeine Organisationshoheit über den Betrieb ausübenden und mit dem Weisungsrecht konkret „regierenden“ Arbeitgeber abstrakt-typisiert einen Verursachungsanteil an den in Ausführung betrieblicher Tätigkeit entstandenen Schäden zuzurechnen. Das Betriebsrisiko ist also „nur“ „Schadensverursachungszurechnungsgrund“, aber kein Vehikel zur Berücksichtigung aller möglichen, „billigerweise“ zu berücksichtigenden Umstände. Angesichts dieser limitierten Tragweite des Betriebsrisikos können in dessen Rahmen nur solche Faktoren anspruchsmindernd berücksichtigt werden, die a) aus dem Arbeitsverhältnis stammen und b) zumindest theoretisch einen Bezug zur Schadensentstehung haben können. Lohn- und Schadenshöhe haben auf die zur Schadensentstehung führenden Vorgänge aber ebenso wenig Einfluss wie eine mögliche Existenzgefährdung 2210
Rn. 36.
BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 98; MüKo-BGB/Henssler, § 619a,
2211 Zum Teil wird das Missverhältnis zwischen Verdienst und Schadensrisiko auch einfach ohne nähere Begründung als relevant herangezogen, vgl. z.B. BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998, 310, 311. 2212 Vgl. z.B. BAG 23.1.1997 – 8 AZR 893/95, NZA 1998, 140, 141: „Die Entscheidung ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen, wobei es entscheidend darauf ankommen kann, daß der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit steht […]. Bei der Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei Arbeiten, die durch den Betrieb veranlaßt sind, geht es darum, die Verantwortung des Arbeitgebers […] und das darin liegende Betriebsrisiko des Arbeitgebers mit einzubeziehen.“; oder BAG 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1235: „Beim Arbeitgeber wird ein durch das schädigende Ereignis eingetretener hoher Vermögensverlust umso mehr dem Betriebsrisiko zuzurechnen sein, als […].“; BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 99: „Hier drückt sich das zulasten des Arbeitgebers ins Gewicht fallende Betriebsrisiko unter anderem darin aus, daß der im Schadensfall zu erwartende Vermögensverlust des Arbeitgebers in einem groben Mißverhältnis zu dem als Grundlage der Ersatzleistung in Betracht kommenden Arbeitslohn steht.“ (Hervorhebungen jeweils hier). 2213 Ähnlich Annuß, NZA 1998, 1089, 1094; Otto/Schwarze, Haftung, S. 130 f.
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des Arbeitnehmers infolge der Ersatzverpflichtung. Dem kann insbesondere mit Blick auf die Schadenshöhe nicht überzeugend entgegengehalten werden, Organisations- und Weisungsrecht des Arbeitgebers wirkten sich insoweit doch wieder aus, als der Arbeitgeber unter Umständen (zu) teure Betriebsmittel erworben und daher dem Arbeitnehmer erst dem Risiko ausgesetzt habe, einen entsprechend hohen Schaden zu verursachen. Wäre das relevant, müsste letztlich jeder Sachschadensersatzanspruch über § 254 I BGB gekürzt werden, weil auch außerhalb von Arbeitsverhältnissen stets der Geschädigte die „Macht“ hatte, die geschädigte Sache zu erwerben und zu besitzen und damit „Mitschuld“ ist am Schadensumfang. Die Absurdität eines solchen Vorgehens bedarf keiner näheren Begründung – nicht umsonst spielt die Schadenshöhe bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs-/Verschuldensbeiträge in § 254 I BGB keine Rolle. 2214 Gegen die Heranziehung des Betriebsrisikogedankens spricht noch eine weitere Überlegung: Nach dem BAG soll sich das den Arbeitgeber treffende Betriebsrisiko ja insoweit auswirken, als „der im Schadensfall zu erwartende Vermögensverlust des Arbeitgebers in einem groben Missverhältnis zu dem als Grundlage der Ersatzleistung in Betracht kommenden Arbeitslohn steht.“2215 Nähme man das unter dem Aspekt des Betriebsrisikos ernst und machte das Verhältnis von Lohn und Schadenshöhe zum Maßstab, dürfte man diesen Gedanken aber nicht als „Einbahnstraße“ sehen, sondern müsste ihn konsequent durchhalten. Bei (sehr) niedrigen Schäden, die der Arbeitnehmer leicht aus seinem laufenden Einkommen decken kann, müsste er dann selbst bei leichtester Fahrlässigkeit voll haften, weil sein Verdienst hier offenkundig eine ausreichende Kompensation für das Haftungsrisiko darstellt. Das aber ist ein Ergebnis, das die ganz herrschende Meinung ablehnt und das aufgrund des oben 2216 Gesagten auch nicht überzeugt. Damit zeigt sich, dass das BAG das (Miss-) Verhältnis von Lohn und Schadensrisiko in Wahrheit aus reinen Sozialschutzüberlegungen heranzieht, um den Arbeitnehmer vor einer finanziellen Überforderung zu bewahren – mit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers hat das aber nicht das Geringste zu tun. ff) Versicherbarkeit des Schadensrisikos durch den Arbeitgeber Nach ganz herrschender Meinung ist auch „ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko“2217 zu berücksichtigen. Zwar sei der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber nicht zum Abschluss einer Be2214 Vgl. Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 112 ff., 120 ff.; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 105 ff., 116; NK-BGB/Knöfler, § 254, Rn. 46 ff., bei denen die Schadenshöhe jeweils nicht als Abwägungskriterium genannt ist. 2215 BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 99. 2216 § 2 F III 1 c). 2217 BAG 9.8.1966 – 1 AZR 473/65, NJW 1966, 2233, 2234; 22.3.1968 – 1 AZR 392/67, NJW 1968, 1846, 1847; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; ErfK/Preis, § 619a,
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rufshaftpflicht- oder einer Kfz-Kaskoversicherung verpflichtet, 2218 ihn treffe allerdings eine entsprechende Obliegenheit, deren Nichtbefolgung zum Beispiel dazu führen kann, dass der Arbeitnehmer nur in Höhe der Selbstbeteiligung haftet, die bei bestehender Kaskoversicherung vom Arbeitgeber zu tragen gewesen wäre.2219 Richtigerweise lässt sich auch dieses Abwägungskriterium nicht auf den Betriebsrisikogedanken stützen. Die (verpasste) Chance, den entstandenen Schaden auf einen Versicherer abzuwälzen, steht mit der Schadensverursachung nämlich in keinerlei Zusammenhang. 2220 Insoweit gilt Vergleichbares wie beim Missverhältnis von Schaden(-srisiko) und der Höhe des Arbeitslohns. e) Zwischenergebnis Der Betriebsrisikogedanke vermag zwar die Tatsache der Haftungsprivilegierung an sich ebenso zu legitimieren wie die Mehrzahl der vom BAG en détail herangezogenen Kriterien. Jedoch verbleiben zunächst insoweit „schwarze Legitimationslöcher“, als das Betriebsrisiko des Arbeitgebers keine tragfähige Grundlage dafür bietet, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und die Unterhaltsverpflichtungen des schädigenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Gleiches gilt für das Unterlassen einer Versicherung durch den Arbeitgeber, das (Miss-)Verhältnis von Schadenshöhe und Arbeitslohn, eine mögliche wirtschaftliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers infolge der Schadensersatzverpflichtung sowie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit. Es ist daher im Folgenden zu klären, ob sich andere, rechtspolitisch wie -dogmatisch überzeugende Gründe für die Heranziehung dieser Faktoren finden lassen. 2. Grundrechtliches Schutzgebot a) Meinungsstand Anfang/Mitte der 1990er Jahre begnügte sich der Große Senat des BAG nicht mehr damit, die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung mit dem Betriebsrisiko zu legitimieren, sondern er zog darüber hinaus die Wertungen des Grundgesetzes heran.2221 Dabei ging er 1992 zunächst davon aus, dass angesichts der Fremdbestimmtheit der Arbeitsbedingungen grundrechtliche Schutzgüter des Arbeitnehmers Rn. 16; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 79; BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 11; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 39; Otto, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 97, 108 f. 2218 BAG 22.3.1968 – 1 AZR 392/67, NJW 1968, 1846, 1847; 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 585. 2219 BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 585 f.; HWK/Krause, § 619a, Rn. 38, 40; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 232, 239; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 79. 2220 So zu Recht auch Otto/Schwarze, Haftung, S. 130 f. 2221 Erste Anzeichen dafür finden sich aber bereits in der Entscheidung BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 98.
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(in concreto: die Berufsfreiheit und das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit) beeinträchtigt seien, wenn es durch allgemeine, betrieblich veranlasste Schadensrisiken zu unzumutbaren, weil in einem erheblichen Missverhältnis zum Arbeitseinkommen stehenden finanziellen Belastungen oder gar zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz komme.2222 Denn dies zwinge den Arbeitnehmer dazu, für einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft ein durch die Pfändungsfreibeträge geprägtes Leben am Rande des Existenzminimums zu fristen, was ihm jeglichen Anreiz für eine weitere Berufsausübung nehme. 2223 Die Grundrechtspositionen des Arbeitgebers müssten angesichts des fehlenden Kräftegleichgewichts der Arbeitsvertragsparteien zurückstehen, so dass über § 254 BGB ein „sachgerechter Ausgleich der Interessen […] zu gewähren ist“2224. Während sich diese Entscheidung nach ihrem Duktus auf die Konstellationen des Missverhältnisses von Arbeitslohn und Schadenshöhe einerseits, der Gefährdung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers andererseits beschränkte, ging der Große Senat zwei Jahre später einen Schritt weiter. Wenn auch mit der Einschränkung, dass sich aus ihnen keine Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung der Haftungsprivilegierung ableiten ließen, bezeichnete er nun das gesamte System der beschränkten Arbeitnehmerhaftung mit Blick auf die Berufsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers als „geboten“. 2225 Begründet wurde dies damit, dass die wirtschaftlichen Folgen der zivilrechtlichen Haftungsregelungen sich – gegebenenfalls: massiv – auf die allgemeine Lebensgestaltung und Berufsfreiheit des Ersatzpflichtigen auswirkten. Zwar liege kein unmittelbarer Grundrechtseingriff vor, weil das vertragliche Schadensersatzrecht die freiwillige privatautonome Übernahme besonderer Leistungs- und Sorgfaltspflichten voraussetze. Der Staat müsse aber dennoch aufgrund der Schutzpflichtdimension der Grundrechte bei strukturellen Ungleichgewichtslagen intervenieren, um einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Grundrechtspositionen herbeizuführen. In concreto geschehe dies hier durch eine verfassungskonforme Interpretation des § 254 I BGB im Sinne der ständigen Rechtsprechung zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung. Die damit erfolgende Berücksichtigung des Betriebsrisikos ermögliche eine sachgerechte Risikoverteilung unter Einbeziehung der unterschiedlichen Vertragsstärke im Arbeitsleben. Im Anschluss auf zuvor geäußerte Bedenken des BGH2226 stellte der Große Senat in dieser Entscheidung aber klar, seine Auffassung dürfe nicht so verstanden werden, dass die Berücksichtigung des Betriebsrisikos über § 254 BGB zu einer Haftungsfreistellung ohne Rücksicht auf das Verschulden des Arbeitnehmers führe. 2222 2223 2224 2225 2226
BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 549. BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 549. BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 549 f. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1085. BGH GmS 21.9.1993 – GmS-OGB 1/93, NZA 1994, 270, 271.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
In der Literatur stieß diese verfassungsrechtliche „Überlagerung“ auf ein geteiltes Echo2227. Teilweise wird ihr auch jegliche Bedeutung abgesprochen, weil sie „nur stützende, nicht [aber] tragende Funktion“ habe und das Ergebnis auch ohne sie nicht anders ausfallen würde.2228 Bemerkenswerterweise rekurriert das BAG in neueren Judikaten nicht mehr auf die Grundrechte des Arbeitnehmers, sondern verweist stattdessen allein auf das Betriebsrisiko2229 des Arbeitgebers, wenn es nicht ohnehin von einer gesonderten Begründung für die Haftungsprivilegierung absieht2230. 2231 b) Stellungnahme Abgesehen davon, dass das Vorgehen des BAG grundrechtsdogmatisch zweifelhaft ist (dazu aa]) und zudem methodisch konkrete Vorgaben aus den Grundrechten des Arbeitnehmers ohnehin nicht ableitbar sind (näher bb]), überzeugt die Auffassung des BAG auch inhaltlich nicht (sub cc]). aa) Grundrechtsdogmatische Kritik Unabhängig von der inhaltlichen Tragweite der Grundrechte überzeugt es zunächst grundrechtsdogmatisch nicht, wenn das BAG die Schutzpflichtkomponente der Berufs- und allgemeinen Handlungsfreiheit bemüht. Das zeigt ein Vergleich mit der Handelsvertreter-2232, Bürgschafts-2233 und Ehevertragsrechtsprechung2234 des BVerfG, das die Zivilgerichte zu einer Inhaltskontrolle von Verträgen verpflichtete, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und Ergebnis strukturell disparater Verhandlungsstärke sind. Insoweit ist in der Tat die Schutzpflichtdimension der Grundrechte einschlägig, geht es doch darum, zur Sicherung einer „positiv“ verstandenen Vertragsfrei-
2227 Zustimmend MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 9; Kothe, ZBB 1994, 172, 178; Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 259; ablehnend Krause, JR 1994, 494 ff.; ders., NZA 2003, 577, 581; Preis, Vertragsgestaltung, S. 47; Schwirtzek, NZA 2005, 437, 439; Otto, AuR 1995, 72, 73; W. Blomeyer, JuS 1993, 903, 905 f.; Langenbucher, ZfA 1997, 523, 545 f.; Richardi, NZA 1994, 241, 243 f.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 60. 2228 MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 29; vgl. auch BGH GmS 21.9.1993 – GmS-OGB 1/93, NZA 1994, 270, 271; Langenbucher, ZfA 1997, 523, 546. 2229 Vgl. z.B. BAG 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37, 39. 2230 BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649; 18.1.2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230, 1233; 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345, 347. 2231 So auch die Analyse der Rechtsprechungsentwicklung von Annuß, NZA 1998, 1089, 1094. 2232 BVerfG 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469. 2233 BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36; 5.8.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749; zu der daraus entstehenden Rechtsprechung des BGH vgl. ausführlich Staudinger/ Sack/Fischinger, § 138, Rn. 373 ff. 2234 BVerfG 6.2.2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958; 29.3.2001 – 1 BvR 1766/92, NJW 2001, 2248; näher zur einfachgesetzlichen Umsetzung und m.w.N. vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 574 ff.
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heit2235 in die Vertragsabrede selbst zu intervenieren, indem dieser entweder die Wirksamkeit versagt (§ 138 BGB) oder dem durch sie unangemessen Begünstigten die Berufung auf sie untersagt wird (§ 242 BGB). 2236 Bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung stellt sich die Problematik entgegen denjenigen Stimmen in der Literatur, die zwischen der Haftungsordnung und dem Verhandlungsungleichgewicht der Arbeitsvertragsparteien einen Zusammenhang sehen, 2237 aber in anderem Lichte dar. Die „Benachteiligung“ des Arbeitnehmers in Form seiner zivilrechtlichen Einstandsverpflichtung beruht hier nämlich nicht allein auf seiner vertragskonstituierenden Willensäußerung, sondern bedarf unabhängig beziehungsweise darüber hinaus eines schadensverursachenden Realakts. Das Gesetz knüpft sodann an diesen Realakt im Ausgangspunkt die für den Arbeitnehmer belastende Rechtsfolge, nicht aber an die Vertragsabrede als solche.2238 Ist somit die den Schadensersatz anordnende Norm der unmittelbare „Übeltäter“, ist in ihr grundrechtsdogmatisch ein staatlicher Eingriff in die Grundrechte des Arbeitnehmers zu erblicken. Dementsprechend ist richtigerweise nicht die Schutzpflicht-, sondern die Abwehrkomponente der Art. 12, 2 I, 1 I GG einschlägig. 2239 Für das Gegenteil kann auch nicht überzeugend eingewandt werden, die Rechtsprechung schließe über die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung eine wegen des fehlenden Verhandlungsgleichgewichts im Arbeitsvertrag bestehende Regelungslücke. Denn das würde schon rein tatsächlich nicht stimmen, knüpft das BAG für die Haftungsprivilegierung doch zutreffenderweise nicht am Arbeitsvertrag an, sondern rekurriert auf eine Analogie zu § 254 I BGB. 2240 Es wäre überdies auch weder in der Sache – liefe dies doch auf eine vom RAG ursprünglich angenommene, heute aber zu Recht ganz allgemein abgelehnte, weil zumindest dem Willen des Arbeitgebers nicht entsprechende Fiktion hinaus2241 – noch grundrechtsdogmatisch überzeugend, folgt aus der Schutzpflichtdimension doch keinesfalls die Pflicht des Richters, stellvertretend für die Parteien eine Vertragsabrede zu kreieren. 2242
2235
Vgl. dazu Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 46, 573. Zur Struktur der Vertragskontrolle anhand der §§ 138, 242 BGB vgl. Staudinger/Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 575 ff. 2237 So M. Ahrens, DB 1996, 934, 936 f.; Schlachter, FS OLG Jena, S. 253, 259; Buchner, RdA 1972, 153, 158. 2238 Vgl. Richardi, JZ 1986, 796, 797; Picker, AcP 183 (1983), 369, 395; Schumacher, Haftung, S. 137. 2239 Zutreffend Krause, NZA 2003, 577, 581; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 55; vgl. auch Schlachter, Anm. zu BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89, AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, Bl. 6R. 2240 Zur normativen Verankerung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung siehe näher § 2 F V. 2241 Vgl. oben § 2 F II 1 a). 2242 Zu Recht Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 56. – Das wäre überdies – anders als im Bereich z.B. der Ehevertragskontrolle – einfachgesetzlich über § 138 BGB auch gar nicht justi2236
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Selbst wenn man das anders sähe und mit dem Großen Senat die Schutzpflichtdimension für einschlägig erachtete, ließe sich die beschränkte Arbeitnehmerhaftung damit nicht in der von ihm vorgenommenen apodiktischen Art und Weise begründen. Das zeigt wiederum ein Vergleich mit der Angehörigenbürgschafts- und Ehevertragsrechtsprechung des BVerfG. Das BAG verkennt, dass das BVerfG – selbstverständlich – nicht gefordert hat, die Zivilgerichte müssten jeder Angehörigenbürgschaft oder jedem Ehevertrag die rechtliche Anerkennung versagen. Zur Intervention verpflichtet wurden sie lediglich nach einer inhaltlichen Überprüfung daraufhin, ob die Abrede Ausfluss einer strukturellen Verhandlungsimparität ist und, daraus resultierend, einen der beiden Beteiligten unangemessen stark und einseitig belastet. 2243 Auch wenn dabei auf typisierbare Kriterien abgestellt wird, ist stets eine Gesamtwürdigung anhand aller Umstände bei Vertragsschluss vorzunehmen 2244, die sowohl zu dem Ergebnis kommen kann, die Abrede sei wegen des tatsächlich bestehenden Machtgefälles zwischen den Vertragspartnern und der Unangemessenheit der vereinbarten Regelung zu „verwerfen“, als auch, sie sei rechtlich unbedenklich, wenn mindestens eine dieser Bedingungen nicht erfüllt war. Während bei der Angehörigenbürgschafts- und Ehevertragskontrolle also Voraussetzung für eine ganz oder teilweise „Verwerfung“ die vorherige Feststellung des gestörten Verhandlungsgleichgewichts der Beteiligten ist, setzt das BAG dies im Arbeitsrecht automatisch voraus. Für die Frage, ob die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung anwendbar sind, verzichtet das Gericht damit auf eine Prüfung, ob zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der konkreten Situation tatsächlich ein derartiges Machtungleichgewicht herrschte. Zwar ist das im Arbeitsrecht häufig der Fall, zwingend ist dies aber ebenso wenig wie bei Angehörigenbürgschaften und Eheverträgen. Man denke nur an das Beispiel eines „Einserjuristen“, der die freie Wahl zwischen allen Berufsfeldern und potentiellen Arbeitgebern hat, einen Spitzennaturwissenschaftler, der von zahlreichen „Headhuntern“ gejagt wird, einen Topfußballspieler oder einen sonstigen, raren Spezialisten. Den Ausgangspunkt des BVerfG – Schutz der materiell verstandenen Vertragsfreiheit – zu übernehmen, deren logisch zwingende Prämisse – Feststellung eines tatsächlichen Ungleichgewichts – aber zu ignorieren,
ziabel, weil dieser nur die Kontrolle existierender Vertragsabreden, nicht aber das Unterlassen einer Abrede ermöglicht, vgl. auch Fischinger, JZ 2012, 546, 549. 2243 BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36, 38 f.; 5.8.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749, 2750. 2244 Vgl. BGH 16.3.1989 – III ZR 37/88, NJW 1989, 1665, 1666 f.; 16.1.1992 – IX ZR 113/91, NJW 1992, 896, 898; 24.11.1992 – XI ZR 98/92, NJW 1993, 322; 24.2.1994 – IX ZR 227/93, NJW 1994, 1341, 1342; 13.11.2001 – XI ZR 82/01, NJW 2002, 746; 14.5.2002 – XI ZR 50/01, NJW 2002, 2228; 25.1.2005 – XI ZR 28/04, NJW 2005, 971, 972; zu den dabei zu berücksichtigenden Faktoren vgl. ausführlich Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 375 ff., 574 ff.; MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 63, 92 f.
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überzeugt nicht. 2245 Nun ließe sich höchstens einwenden, im Arbeitsrecht ginge man auch sonst typisiert von einer strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers aus, so dass die „Methodik“ des Großen Senats im Gesamtkontext nicht zu beanstanden sei. Das überzeugt aber erstens schon deshalb nicht, weil es in seiner Pauschalität nicht zutrifft, was die AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen zeigt: Sieht man – mit dem BAG2246 – den Arbeitnehmer zumindest mit Blick auf § 310 III Nr. 3 BGB als Verbraucher an, so erfolgt keine rein generell-abstrakte Betrachtung (bei der man von einem typisierten Machtgefälle ausgehen könnte), sondern es sind auch die „den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen“. Es findet mithin eine individuell-konkrete Kontrolle statt, bei der zum Beispiel auch untypische Sonderinteressen, Besonderheiten der Vertragsabschlusssituation und persönliche Eigenschaften der Vertragspartner zu berücksichtigen sind, die sich auf ihre Verhandlungsstärke auswirken.2247 Diese individuell-konkrete Kontrolle kann sich zugunsten, aber auch zulasten des Arbeitnehmers auswirken.2248 Zweitens: Dass die Mehrzahl der Arbeitsgesetze dem Schutz des vom Gesetzgeber als strukturell unterlegen angesehenen Arbeitnehmers dienen, ist zwar in der Sache zutreffend, ändert im vorliegenden Kontext aber nichts. Dem Gesetzgeber ist bei der Erfüllung seiner aus der Schutzpflichtdimension erwachsenden Verpflichtungen aufgrund des Demokratieprinzips nämlich ein erheblicher Einschätzungsspielraum zuzugestehen, 2249 in dessen Rahmen er aufgrund eines pauschalisierenden Interessenausgleichs abstrakt-typisierende Regelungen erlassen kann, die die Feststellung eines Machtgefälles zwischen den betroffenen Privatrechtssubjekten im Einzelfall nicht voraussetzen. Wo es um eine (möglicherweise) gestörte Vertragsparität geht, hat ein Gericht hingegen kein derartiges Recht zur pauschalisierenden Intervention auf Basis zivilrechtlicher Generalklauseln, lässt sich ein gerichtliches Eingreifen doch nur rechtfertigen, wenn dies im konkreten Einzelfall für den Schutz eines anderen, in dieser Situation vorgehenden Grundrechts oder sonstigen Verfassungsguts erforderlich ist. 2250 Diese Prüfung wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass der Gesetzge2245 Zutreffend Schlachter, Anm. zu BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89, AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, Bl. 6R. 2246 Vgl. BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, 1115; 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; BVerfG 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NZA 2007, 85, 86; ebenso ErfK/Preis, § 611, Rn. 182; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 230; BeckOK-BGB/Becker, § 310, Rn. 36; vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 243; a.A. Annuß, NJW 2002, 2844, 2846; Henssler, RdA 2002, 129, 134; Bauer, NZA 2002, 169, 171. 2247 BAG 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328. 2248 BAG 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; Junker, FS Buchner, S. 369, 379. 2249 Vgl. BVerfGE 49, 89, 142; 56, 54, 80; 77, 381, 404 f.; 79, 174, 198. 2250 Das zeigen auch die Ausführungen des BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36, 39: „Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung
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ber die jeweilige Personengruppe in anderer Hinsicht in abstrakt-typisierender Weise geschützt hat. Außerhalb des Arbeitsrechts lässt sich dies zum Beispiel anhand des Verbraucherschutzrechts und der Angehörigenbürgschaften illustrieren: Die §§ 312 ff., 491 ff. BGB räumen einem Verbraucher die dort betroffenen Rechte losgelöst davon ein, ob er bei Vertragsschluss in einer Art und Weise schutzbedürftig war, wie dies der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschriften abstrakt-typisierend unterstellte. Liegen die Voraussetzungen von § 312 I 1 Nr. 1 BGB a.F. (beziehungsweise § 312b I Nr. 1 BGB n.F.) vor, 2251 kann ein für einen Angehörigen Bürgender daher den Vertrag unabhängig davon widerrufen, ob er in concreto wirklich entsprechend des zugrunde liegenden gesetzgeberischen Regelungsmotivs überrumpelt wurde. 2252 Dieser pauschalisierende Schutzansatz im Bereich des Widerrufsrechts führt aber – natürlich – nicht dazu, dass ein Gericht, das einen Angehörigenbürgschaftsvertrag auf seine Vereinbarkeit mit den guten Sitten überprüft, a priori von der strukturellen Unterlegenheit des Bürgen ausgehen dürfte. Nichts anderes hat im hier interessierenden Kontext zu gelten: Allein die Tatsache, dass die meisten arbeitsrechtlichen Vorschriften dem Schutz des vom Gesetzgeber abstrakt-typisiert als unterlegen charakterisierten Arbeitnehmers dienen, macht eine Feststellung eben dieser Unterlegenheit in der konkreten Situation nicht entbehrlich, wenn ein Gericht unter Berufung auf dessen Grundrechte ohne unmittelbare einfachgesetzliche Grundlage operieren möchte. bb) Methodische Einwände gegen die Ableitung konkreter Vorgaben Unabhängig von dieser grundrechtsdogmatischen Kritik darf die Bedeutung der Grundrechte im vorliegenden Zusammenhang nicht überschätzt werden. 2253 Ob sich aus der Berufsfreiheit beziehungsweise dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers überhaupt ein Gebot oder wenigstens ein Argument dafür herleiten lässt, dass eine Haftung bei beruflich veranlassten der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart, so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: ‚Vertrag ist Vertrag‘. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen.“ (Hervorhebungen hier). 2251 Vgl. EuGH 17.3.1998 – C-45/96, NJW 1998, 1295, 1296; BGH 14.5.1998 – IX ZR 56/95, NJW 1998, 2356, 2357; 10.1.2006 – XI ZR 169/05, WM 2006, 377, 379; BeckOK-BGB/ Rohe, § 765, Rn. 23 ff. 2252 Zum Schutz vor Überrumpelung als maßgeblichen Schutzzweck des § 312 BGB a.F. vgl. Staudinger/Thüsing, § 312, Rn. 1; MüKo-BGB/Masuch, § 312, Rn. 1; BeckOK-BGB/ Maume, § 312, Rn. 1; für § 312b BGB n.F. vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 49; BeckOK-BGB/ Maume, § 312b, Rn. 4; Hk-BGB/Schulte-Nölke, § 312b, Rn. 1. 2253 Vgl. auch Krause, NZA 2003, 577, 581; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 60.
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Tätigkeiten zu beschränken ist, sei dahingestellt. Jedenfalls lassen sich aus seinen Grundrechten, wie der Große Senat selbst einräumte, keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Haftungsprivilegierung ableiten. 2254 Selbst wenn man also das Grundgesetz zur Begründung der Haftungsmilderung bemühen könnte, zwänge es keinesfalls zu einem dem heutigen System beschränkter Arbeitnehmerhaftung entsprechenden Modell, einem entsprechenden verfassungsrechtlichen Postulat könnte vielmehr zum Beispiel auch durch eine Versicherungslösung vergleichbar dem Vorbild des SGB VII oder eine Haftungshöchstsumme Rechnung getragen werden. 2255 Lässt sich diese Überlegung schon „im Großen“, das heißt für die grundsätzliche Konzeption einer speziellen Haftungsmilderung für Arbeitnehmer in Abweichung von den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts, fruchtbar machen, so muss dies a maiore ad minus für deren Detailausgestaltung gelten. 2256 Methodisch spricht das deshalb dagegen, die Heranziehung bestimmter Kriterien im heutigen Recht der beschränkten Arbeitnehmerhaftung damit zu legitimieren, dies sei zum Schutz der Grundrechte des Arbeitnehmers erforderlich. cc) Inhaltliche Kritik Die Berücksichtigung der oben genannten „kritischen“ Kriterien können schließlich auch in der Sache nicht überzeugend mit Grundrechten des Arbeitnehmers begründet werden. (1) Persönliche Verhältnisse Das liegt für sein Lebensalter schon deshalb auf der Hand, weil sich insoweit gar keine einschlägige Grundrechtsnorm finden lässt. Mit Blick auf seine Familienverhältnisse und Unterhaltsverpflichtungen könnte man zwar auf die Idee kommen, für beides bei Art. 6 I GG mit dem Argument anzuknüpfen, es sei zu verhindern, dass mittels privatrechtlicher Schadensersatzverpflichtungen die wirtschaftlichen Grundlagen der Familie beziehungsweise die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners gefährdet werden. 2257 Es wäre dann aber nicht einleuchtend, warum sich eine derart motivierte Haftungsmilderung auf das Arbeitsrecht beschränken sollte, wird doch die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers als Unterhaltsschuldner oder Ernährer nicht nur durch Schadensersatzansprüche seines Arbeitgebers, sondern auch durch die anderer Geschädigter beeinträchtigt. Konsequenterweise müsste man auch im allgemeinen Zivilrecht in solchen Fällen eine Haftungsmilderung vorsehen – das aber ist ein absurder Gedanke, mit dem man dem in erster Linie ohnehin nur gegen den Staat gerich-
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BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1085. Vgl. auch BGH GmS 21.9.1993 – GmS-OGB 1/93, NZA 1994, 270, 271; Langenbucher, ZfA 1997, 523, 546; HWK/Krause, § 619a, Rn. 15. 2256 Vgl. auch W. Blomeyer, JuS 1993, 903, 905. 2257 So i.E. auch Langenbucher, ZfA 1997, 523, 552. 2255
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teten Art. 6 I GG eine völlig unangemessene Bedeutung für den Privatrechtsverkehr zumessen würde. (2) Unterlassene Versicherung trotz Versicherbarkeit Auch die Berücksichtigung des Umstands, dass der Arbeitgeber die Absicherung des Schadensrisikos per Versicherung unterließ, kann nicht auf Grundrechte des Arbeitnehmers gestützt werden, weil insoweit keine Grundrechtsnorm einschlägig ist.2258 (3) Missverhältnis Lohn/Schadensrisiko sowie wirtschaftliche Existenzgefährdung Möglicherweise gebieten grundrechtliche Wertungen aber die Berücksichtigung eines eventuellen Missverhältnisses von Arbeitslohn und Schadensrisiko einerseits, einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung andererseits. Davon scheint der Große Senat auszugehen. Angesichts der Fremdbestimmtheit der Arbeitsbedingungen seien die Berufsfreiheit und das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers verletzt, wenn er unzumutbar hohen, im Missverhältnis zu seinem Einkommen stehenden oder die wirtschaftliche Existenz gefährdenden Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sei, weil er in einem solchen Falle gezwungen sei, dauerhaft an dem durch die Pfändungsfreigrenze bestimmten Existenzminimum zu leben, so dass er möglicherweise jeden Anreiz für eine weitere Berufsausübung verliere, weil sie wirtschaftlich nutzlos werde. 2259 Betroffen wäre demnach nicht nur die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), sondern – weil die Berufsausübung für die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung von zentraler Bedeutung ist2260 – auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Abgesehen von den bereits erläuterten methodischen Bedenken gegen die Ableitung konkreter Vorgaben für die Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung aus den Grundrechten überzeugt dies mit Blick auf das Missverhältnis von Lohn und Schadensrisiko sowie eine mögliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers auch inhaltlich nicht, weil die vom BAG beschworenen Grundrechtsgefährdungen entweder überhaupt nicht bestehen oder jedenfalls nicht auf einem Spezifikum des Arbeitsrechts beruhen. Um dies zu erläutern, ist im Folgenden zwischen einer „prospektiven“ und einer „retrospektiven“ Betrachtungsperspektive zu differenzieren: Prospektiv müsste man vom Standpunkt des BAG aus ungefähr wie folgt argumentieren: Weil sie sich im Falle grober Fahrlässigkeit der Gefahr einer unbeschränkten Haftung ausgesetzt sähen, drohten Arbeitnehmer vor der 2258
Vgl. W. Blomeyer, JuS 1993, 903, 905. BAG GS 12.6.1992 – GS 1/89, NZA 1993, 547, 549. 2260 Vgl. z.B. BAG 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, NJW 1956, 359, 360; 19.8.1976 – 3 AZR 173/75, NJW 1977, 215, 216; 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702, 703; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 295, 973; ErfK/Preis, § 611, Rn. 563. 2259
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Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit zurückzuschrecken, was eine Beeinträchtigung ihrer Berufsfreiheit bedeute. Zu überzeugen vermochte dieser Gedankengang nicht. Es ist äußerst fernliegend, dass sich jemand wegen dieser Gefahr von der Aufnahme einer Arbeit abhalten lässt – wäre das anders, wäre vor der erstmals eine Haftungsmilderung ausnahmsweise selbst bei grober Fahrlässigkeit für denkbar haltenden BAG-Entscheidung niemand in „Lohn und Brot“ getreten. Das gilt umso mehr, als die Haftung wegen grober Fahrlässigkeit – anders als die wegen leichtester – vom Arbeitnehmer unschwer verhindert werden kann, er also nicht befürchten muss, angesichts der Dauerhaftigkeit der Arbeitsbeziehung und des „Faktors Mensch“ sich unvermeidbar irgendwann einer unbegrenzten Haftung ausgesetzt zu sehen. Was die Retrospektive betrifft, das heißt die Situation nach Eintritt eines Schadensfalls, so sieht der Große Senat ein Bedürfnis, die Berufsfreiheit des schädigenden Arbeitnehmers insofern zu schützen, als diesem nicht durch eine dauerhafte Beschränkung auf die Pfändungsfreigrenzen jeglicher Anreiz für eine weitere Berufsausübung genommen wird. Es ist schon fraglich, ob diese vom BAG beschworene Gefahr realistisch ist, immerhin existieren neben rein monetären Aspekten auch noch weitere Motive, einer geregelten Arbeit nachzugehen – wie das Gericht mit dem Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht letztlich selbst anerkennt. Überdies: Führte man den Ansatz des Gerichts konsequent fort, müsste man zum Beispiel auch die Verfassungsmäßigkeit von Sozialleistungen wie dem ALG II oder Hartz IV hinterfragen, sind diese doch gerade im Niedriglohnsektor zahlenmäßig sicherlich sogar stärker geeignet, den „Betroffenen“ jeglichen Anstoß zum eigenen Broterwerb zu nehmen. 2261 Unabhängig davon verkennt das BAG den entscheidenden Gesichtspunkt. Es handelt sich insoweit nämlich nicht um ein spezifisches arbeitsrechtliches Problem. 2262 Vielmehr würde bei jedem ruinösen Schadensfall im allgemeinen Zivilrechtsverkehr zugleich eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Schädigers drohen. Weil insoweit also keine Unterschiede zur normalen deliktischen Haftung beispielsweise eines Radfahrers gegenüber einem geschädigten Fußgänger besteht, verbietet sich ein arbeitsrechtlicher Sonderweg. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Schädigung einer fremdbestimmten Arbeit nachging, denn das daraus resultierende Betriebsrisiko ist – wie ausgeführt – nur Schadensverursachungszurechnungsgrund, mit der (unterstellten) Beeinträchtigung der zukünftigen Berufsfreiheit hat es nichts zu tun. 2263 Müssen daher also die gleichen Maßstäbe wie im übrigen Zivilrecht gelten, so ist zu beachten, dass sich der Gesetzgeber dafür entschied, dieser Pro2261
Ebenso Marhold, JZ 1993, 910, 912. Zutreffend Marhold, JZ 1993, 910, 912; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 58; vgl. auch Koller, SAE 1996, 5, 8; Krause, JR 1994, 494, 495. 2263 Ähnlich Marhold, JZ 1993, 910, 912. 2262
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blematik nicht auf der Ebene des materiellen, sondern der des Verfahrensrechts Rechnung zu tragen.2264 Das zeigt sich zunächst daran, dass die in den 1960er Jahren lange diskutierte allgemeine schadensersatzrechtliche Reduktionsklausel (§ 255a BGB-E) nicht Gesetz wurde. 2265 Ferner kann auf die Pfändungsschutzbestimmungen der §§ 850 ff. ZPO, § 36 InsO verwiesen werden, die dem Schuldner in der Regel ein über dem Sozialhilfeniveau liegendes Einkommen sichern, so dass sich die Ausübung einer Berufstätigkeit für ihn nach wie vor „lohnt“, was man bereits als ausreichend ansehen kann. Selbst wenn man insoweit – wie der Große Senat – anderer Auffassung war, ist nunmehr die seit dem 1.1.1999 bestehende Möglichkeit der Restschuldbefreiung (§§ 286, 301 InsO) zu berücksichtigen. Mittels dieser soll unter anderem verhindert werden, dass ein hoffnungslos Überschuldeter jeglichen Anreiz dafür verliert, sich beruflich zu engagieren und damit (Mehr-)Einkünfte zu erzielen. 2266 Diese gesetzgeberische Entscheidung für eine prozessuale Verortung des Problems hat der Rechtsanwender hinzunehmen, es sei denn, sie würde zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Davon kann aber angesichts der Chance auf Restschuldbefreiung mit ihrer gerade einmal maximal sechsjährigen und damit dem Schuldner auch wegen der sonstigen „Vergünstigungen“2267 während dieser Zeit durchaus zumutbaren Abtretungsfrist keine Rede sein.2268 Mit anderen Worten: Da der vom Großen Senat beschworenen Gefahr für die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers auf andere Weise vorgebeugt wird, kann diese jedenfalls jetzt nicht mehr zur Begründung einer richterlichen Rechtsfortbildung herangezogen werden. Das zeigt auch und gerade eine Gegenüberstellung mit der Angehörigenbürgschaftsrechtsprechung, auf die die Einführung der Restschuldbefreiung nach zutreffender herrschender Meinung keine Auswirkungen hat.2269 Das ist darauf zurückzuführen, dass diese Rechtsprechung nicht nur den Schutz des Bürgen vor einer lebenslangen „Schuldknechtschaft“ intendierte, sondern auch
2264
Vgl. auch BeckOK-BGB/Spindler, Vor § 823, Rn. 0.12. Siehe dazu ausführlich unten § 3 B. 2266 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 188; KPB/Wenzel, InsO, § 286, Rn. 62; Balz, ZRP 1986, 12, 16 sowie ausführlich sub § 2 B II 1 c) aa). 2267 Zu nennen sind z.B. der „Motivationsrabatt“ (§ 292 I 4 InsO) sowie § 295 I Nr. 2 InsO, nach dem der Schuldner nicht nur die Hälfte ihm zufallender Erbschaften behalten darf, sondern aus dem auch geschlossen wird, dass ihm sonstiger Vermögenserwerb vollständig verbleibt (vgl. statt aller MüKo-InsO/Ehricke, § 295, Rn. 60 f.). 2268 § 302 InsO, der den Kreis der von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen benennt, steht dem regelmäßig nicht entgegen. Insbesondere greift in Fällen grober Fahrlässigkeit, bei denen das Missverhältnis von Lohn und Schadensrisko bzw. die Gefahr der Existenzvernichtung des Arbeitnehmers nach dem BAG virulent wird, § 302 Nr. 1 InsO nicht ein, weil er eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung voraussetzt. 2269 BGH 16.6.2009 – XI ZR 539/07, NJW 2009, 2671, 2673 f.; MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 92; Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 37; PWW/Ahrens, § 138, Rn. 82; FK-InsO/Ahrens, § 286, Rn. 28a; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 396 ff. m.w.N. 2265
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der Sicherung seiner materiell verstandenen Privatautonomie dient.2270 Die Angehörigenbürgschaftsrechtsprechung stand damit argumentativ auf zwei Standbeinen, so dass der Wegfall des einen Begründungsstrangs – Schutz vor ruinöser Haftung – nicht dazu zwingt, sie aufzugeben.2271 Weil die Berücksichtigung des Missverhältnisses von Lohn und Schadensrisiko respektive einer möglichen Existenzgefährdung bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung grundrechtlich – wenn überhaupt – nur mit dem Schutz vor einer lebenslangen Beschränkung auf die Pfändungsfreigrenzen, nicht aber mit dem der materiellen Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers begründbar war, brach insoweit hingegen mit Schaffung der §§ 286 ff. InsO die Argumentation vollständig zusammen. c) Ergebnis Mit grundrechtlichen Schutzpflichten lässt sich die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, des (Miss-)Verhältnisses von Arbeitslohn und Schadensrisko, einer eventuellen Existenzgefährdung sowie einer fehlenden Versicherung nicht rechtfertigen. 3. Fürsorgegedanke a) Meinungsstand Die ältere Rechtsprechung stützte die Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bis in die 1960er Jahre exklusiv auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.2272 Diese gebiete es, „den Arbeitnehmer, der bei den im Interesse des Arbeitgebers erbrachten gefahrengeneigten Arbeiten gelegentlich versagt, in zumutbarem Maße vor den Folgen eines solchen Versagens zu bewahren.“2273 In der Folgezeit gab das BAG diesen Begründungsstrang aber – ohne dies hervorzuheben – auf2274 und erwähnt ihn heute überhaupt nicht mehr. Es befindet sich
2270 Vgl. BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36; 5.8.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749. 2271 Vgl. Wagner, AcP 205 (2005), 715, 720; ders., NJW 2005, 2956, 2958; Staudinger/Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 399. 2272 RAG ARS 30, 1; 41, 259; BAG GS 25.9.1957 – GS 4/56, AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO (juris Rn. 19); 12.5.1960 – 2 AZR 78/58, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (juris Rn. 9); BGH 10.1.1955 – III ZR 153/53, NJW 1955, 458, 459; vgl. auch BGH 1.2.1963 – VI ZR 271/61, NJW 1963, 1100, 1102 f., der eine Übertragung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung auf freie Dienstverträge mangels Fürsorgepflicht des Dienstberechtigten ablehnte (siehe dazu auch BGH 7.10.1969 – VI ZR 223/67, NJW 1970, 34, 35); umfangreiche Nachweise bei Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 44. 2273 BAG 19.3.1959 – 2 AZR 402/55, NJW 1959, 1796, 1797. 2274 Implizit BAG 28.4.1970 – 1 AZR 146/69, AP Nr. 55 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (juris Rn. 16, wo maßgeblich auf das Betriebsrisiko abgestellt wurde); 23.3.1983 – 7 AZR 391/79, NJW 1983, 1693, 1694. – Der genaue Zeitpunkt für diese Rechtsprechungsänderung lässt sich nicht präzise ermitteln, vgl. näher Annuß, Haftung, S. 78 mit Fn. 267.
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damit im Einklang mit der herrschenden Lehre, die zumindest implizit, oftmals aber auch dezidiert einen Rekurs auf die Fürsorgepflicht ablehnt. 2275 Von einem einhelligen Meinungsbild kann aber dennoch keine Rede sein. So wird teilweise nach wie vor auf die Fürsorgepflicht abgestellt, um entweder das gesamte Spektrum der beschränkten Arbeitnehmerhaftung2276 oder zumindest einzelne ihrer Aspekte damit zu legitimieren 2277. Andere lehnen zwar das Fürsorgegebot als Legitimationsgrundlage ab, rekurrieren dann aber auf zum Beispiel den notwendigen „Sozialschutz“ des Arbeitnehmers, 2278 ohne dass konkrete Unterschiede zur Fürsorgepflicht erkennbar wären. Im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht wird vereinzelt auch noch der sogenannte Vertrauensgedanke angeführt. Weil der Arbeitgeber vor allem durch das Weisungsrecht die Entscheidungsgewalt über die Arbeitsleistung habe, müsse der Arbeitnehmer darauf vertrauen dürfen, dass dieses Machtungleichgewicht nicht zu einer einseitigen Verteilung des Schadensrisikos führe. Er unterstünde daher insoweit der Fürsorge des Arbeitgebers. 2279 b) Stellungnahme aa) Grundsätzliche Tauglichkeit des „Fürsorgegedankens“ (1) Allgemeines Dass den Arbeitgeber neben seiner (Haupt-)Pflicht zur Gewährung der vereinbarten Vergütung (§ 611 I BGB) zahlreiche – traditionell unter der Überschrift „Fürsorgepflicht“ zusammengefasste – Pflichten zur Wahrung der Interessen des Arbeitnehmers treffen, entspricht seit langem der praktisch einhelligen Auffassung. 2280 Über den engen, spezialgesetzlich geregelten Bereich (§§ 617–619 BGB2281, § 14 I Nr. 5 BBiG, § 22 JArbSchG, § 62 HGB, § 114 SeeArbG) hinaus 2275 Canaris, RdA 1966, 41, 44 f.; Annuß, Haftung, S. 96 ff.; Däubler, NJW 1986, 867, 869; Brox/Walker DB 1985, 1469, 1470; Richardi, JZ 1986, 796, 798; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1037; § 619a, Rn. 51 f.; Larenz, JuS 1965, 373, 375. 2276 LAG Frankfurt 4.11.1987 – 10 Sa 1552/87, DB 1988, 2652, 2653; Langenbucher, ZfA 1997, 523, 543 f.; Joussen, GmbHR 2005, 441, 443; ders., AuR 2005, 433, 434; in diese Richtung auch Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 238 (Schutz- und Rücksichtspflicht). 2277 Bydlinski, SAE 1994, 93, 101 f. (Abwehr von Existenzgefährdungen bzw. nachhaltige Beeinträchtigung der etablierten Lebensgestaltung des Arbeitnehmers); Sandmann, Haftung, S. 134 ff. (unzumutbar hohe Schadensersatzbelastung; fehlende Versicherung des Schadensrisikos durch den Arbeitgeber). 2278 So z.B. Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 41 ff., 78. 2279 Vgl. z.B. Joussen, GmbHR 2005, 441, 443; ders., RdA 2006, 129, 132. 2280 Vgl. z.B. BAG 10.7.1991 – 5 AZR 383/90, NZA 1992, 27, 30; 4.10.2005 – 9 AZR 598/04, NZA 2006, 545, 549; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 405 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1032 f.; kritisch hingegen Brors, Fürsorgepflicht, passim, die für eine Ersetzung der Fürsorgepflicht durch ein vertragstheoretisches Modell plädiert. – Zum Streit um die dogmatische Begründung der Fürsorgepflicht vgl. Schaub/Koch, ArbR-Hdb, § 106, Rn. 2 m.w.N. 2281 Diese sind nach ganz h.M. Ausfluss der Fürsorgepflicht, vgl. BAG 10.3.1976 – 5 AZR
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ist anerkannt, dass den Arbeitgeber insbesondere eine Pflicht zum Schutz des Eigentums des Arbeitnehmers trifft;2282 auch auf die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers hat er Rücksicht zu nehmen, 2283 ohne dass daraus aber eine umfassende Vermögensschutzpflicht resultierte. 2284 Rechtsdogmatisch handelt es sich bei der Fürsorgepflicht um nichts anderes als um eine spezielle Ausprägung der mit jedem Vertragsverhältnis einhergehenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners, wie sie seit der Schuldrechtsreform erstmals2285 allgemein in § 241 II BGB kodifiziert ist. 2286 In der neueren Literatur wird daher auch zunehmend dafür plädiert, statt des patriarchalisch-verstaubt angehauchten Begriffs „Fürsorgepflicht“ von „Schutzpflicht“ zu sprechen. 2287 (2) Entkräftung der gegen die Berücksichtigung der Fürsorgepflicht im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung vorgebrachten Argumente Wie angedeutet, ist die Fürsorgepflicht nach heute herrschender Meinung zur Legitimation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nicht mehr heranzuziehen. Das wird vor allem auf drei Überlegungen gestützt: (a) Angeführt wird zunächst, die Fürsorgepflicht sei nur geeignet, dem Arbeitgeber bestimmte Verhaltenspflichten in Form schuldvertraglicher Nebenpflichten – wie zum Beispiel die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen 34/75, AP Nr. 17 zu § 618 BGB (juris Rn. 27); 17.2.1998 – 9 AZR 130/97, NZA 1999, 33, 34; 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, NZA 2009, 102, 103; BGH 7.11.1960 – VII ZR 148/59, BGHZ 33, 247, 249; 17.1.1974 – II ZR 61/73, VersR 1974, 566; Kort, NZA 1996, 854; MüKo-BGB/ Henssler, § 618, Rn. 1; BeckOK-ArbR/Joussen, § 618 BGB, Rn. 2; Palandt/Weidenkaff, § 618, Rn. 1; NK-BGB/Franzen, § 618, Rn. 1; Erman/Belling, § 618, Rn. 1; Jauernig/Mansel, §§ 618, 619, Rn. 1; ErfK/Wank, § 618, Rn. 2; Schaub/Koch, ArbR-Hdb, § 106, Rn. 12 f.; kritisch hingegen Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 11 m.w.N. 2282 Vgl. z.B. BAG 5.3.1959 – 2 AZR 268/56, NJW 1959, 1555, 1556; 16.3.1966 – 1 AZR 340/65, NJW 1966, 1534; 25.5.2000 – 8 AZR 518/99, NZA 2000, 1052, 1053; ErfK/Preis, § 611, Rn. 626 ff.; Schaub/Koch, ArbR-Hdb, § 106, Rn. 27 ff.; Erman/Edenfeld, § 611, Rn. 488; HWK/Thüsing, § 611, Rn. 264 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1033, 1082. 2283 Wiese, ZfA 1996, 439, 463; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611 BGB, Rn. 257. 2284 BAG 4.10.2005 – 9 AZR 598/04, NZA 2006, 545, 549; ErfK/Preis, § 611, Rn. 632; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1084. 2285 § 241 II BGB hat keinen allgemeinen Vorgänger, vor 2002 bestanden nur vereinzelte Spezialvorschriften, näher Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 378 ff. 2286 Vgl. z.B. BAG 24.9.2009 – 8 AZR 444/08, NZA 2010, 337, 338; 14.12.2010 – 9 AZR 631/09, NZA 2011, 569, 570; MüKo-BGB/Henssler, § 618, Rn. 1; Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 13; ErfK/Preis, § 611, Rn. 615 f. – Angesichts des Charakters als Dauerschuldverhältnis, der existentiellen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für die Lebensführung des Arbeitnehmers und der Fremdbestimmtheit seiner Tätigkeit wird man der Fürsorgepflicht eine im Verhältnis zu sonstigen Vertragsbeziehungen gesteigerte Bedeutung zumessen können, vgl. Wiese, ZfA 1996, 439, 461. 2287 Schaub/Koch, ArbR-Hdb, § 106, Rn. 1; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611 BGB, Rn. 240.
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(§ 618 BGB) – aufzuerlegen, bei deren Verletzung er sich schadensersatzpflichtig macht. Hingegen stelle sie für die hier in Frage stehende Schadenszurechnung im Falle eines Fehlverhaltens des Arbeitnehmers kein geeignetes Kriterium dar. 2288 Diese Aussage enthält zwar einen zutreffenden Kern, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen gehen aber zu weit. Richtig ist, dass die Fürsorgepflicht im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung – anders als der Betriebsrisikogedanke – als Schadensverursachungszurechnungsgrund nicht „taugt“, und zwar entweder, weil sie insoweit keine Rolle spielen kann (1. Fallgruppe) oder aber weil sie diese praktisch nicht zu spielen braucht (2. Fallgruppe). Mit der 1. Fallgruppe sind Faktoren gemeint, die selbst dann, wenn man sie – was noch zu klären sein wird 2289 – als Ausfluss der Fürsorgepflicht ansieht, auf die Schadensentstehung keinen Einfluss haben konnten. Illustrieren lässt sich dies pars pro toto an der Versicherbarkeit des Schadensrisikos: Unabhängig davon, ob aus dem Fürsorgegedanken eine Pflicht (oder zumindest Obliegenheit) abzuleiten ist, nach der der Arbeitgeber durch Abschluss entsprechender Versicherungen Vorsorge gegen mögliche Schadensrisiken treffen muss, wäre deren Verletzung für den Schadenseintritt nicht kausal. Entsprechend könnte dem Arbeitgeber nicht vorgehalten werden, er habe durch sein Tun respektive Unterlassen zur Schadensentstehung beigetragen. Unter die 2. Fallgruppe fällt es zum Beispiel, wenn der Arbeitgeber die Maschine, an der der Arbeitnehmer tätig wird, fahrlässig nicht ordnungsgemäß warten ließ, was dann in der Folge im Verbund mit dem schuldhaften Fehlverhalten des Arbeitnehmers zur Schadensentstehung führt. Der Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers wird hier schon in direkter Anwendung des § 254 I BGB wegen seines schuldhaften und schadensursächlichen Fehlverhaltens gekürzt. Darauf, ob die mangelhafte Wartung zugleich als Verletzung der Fürsorgepflicht gewertet werden könnte2290 und dies als Schadensverursachungszurechnungsgrund im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zu berücksichtigen wäre, kommt es mithin überhaupt nicht an.2291
2288 So vor allem Canaris, RdA 1966, 41, 45; Langenbucher, ZfA 1987, 523, 543; Däubler, NJW 1986, 867, 869; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1470. 2289 Siehe unten § 2 F III 3 b) bb). 2290 Dafür ließe sich anführen, dass bei einer Abwandlung des Beispiels dergestalt, dass infolge der unzureichenden Wartung nicht die Maschine selbst geschädigt, sondern der Arbeitnehmer verletzt wird, zweifellos eine Verletzung von § 618 I BGB als spezialgesetzliche Ausformung der Fürsorgepflicht anzunehmen wäre und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer daher nach §§ 280, 241 II BGB und § 823 I BGB auf Schadensersatz haften würde (zu diesen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 618 BGB vgl. Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 281 f., 315 f.). 2291 Verfehlt wäre es selbstverständlich, den Umstand der unzulänglichen Wartung doppelt, das heißt direkt bei § 254 I BGB und im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung, zu berücksichtigen.
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Auch wenn die Fürsorgepflicht somit kein Schadensverursachungszurechnungsgrund ist, schließt das aber nicht aus, dass sie bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung in anderem Kontext bedeutsam sein kann – in welcher Weise, wird noch zu klären sein. (b) Gegen die Fruchtbarmachung der Fürsorgepflicht im Bereich der Arbeitnehmerhaftungsprivilegierung wird ferner angeführt, dies führe zu einer nicht gerechtfertigten „Schieflage“, einer Ungleichbehandlung zweier im Wesentlichen gleicher und damit gleich zu behandelnder Sachverhalte: Verletzt der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht und entsteht dem Arbeitnehmer daraus ein Schaden, so hat er – weitgehend unstrittig – nur Schadensersatz zu leisten und damit den Schaden wirtschaftlich zu tragen, wenn ihm mindestens der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit gemacht werden kann (§§ 280 I, 241 II, 276 I, II BGB). 2292 Angesichts dessen sei es nicht rechtfertigbar, die Fürsorgepflicht auch in den umgekehrten Konstellationen der Schädigung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer heranzuziehen, käme man dann doch zum wirtschaftlich identischen Ergebnis (Schadenstragung durch den Arbeitgeber), ohne dass insoweit ein konkretes Verschulden (besser: Mitverschulden) des Arbeitgebers erforderlich sei. 2293 Auch wenn dies auf den ersten Blick plausibel zu klingen scheint, überzeugt dieser Einwand bei genauerer Betrachtung nicht. Zutreffend könnte er nur sein, wenn man die Fürsorgepflicht im Rahmen der Arbeitnehmerhaftungsprivilegierung als Schadensverursachungszurechnungsgrund heranziehen würde, denn nur in diesem Fall wären beide Fallkonstellationen wirklich vollumfänglich vergleichbar: Weil der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzte, entstand ein Schaden. Wie bereits ausgeführt, geht es vorliegend richtigerweise aber gerade gar nicht darum, eine Verletzung der Fürsorgepflicht für die beschränkte Arbeitnehmerhaftung insoweit fruchtbar zu machen, als daraus ein Schaden erwachsen ist. Vielmehr dient der Fürsorgegedanke – wie noch zu zeigen sein wird – nur dazu, unter bestimmten Voraussetzungen dem Arbeitgeber eine vollständige Durchsetzung seines Schadensersatzanspruchs zu versagen. Damit liegen die beiden von der Gegenauffassung angeführten Szenarien auf zwei unterschiedlichen dogmatischen „Ebenen“, ein automatischer Gleichlauf ist dementsprechend nicht erforderlich. (c) Von Gewicht ist hingegen der Einwand, bei der Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus dem Fürsorgegedanken sei Vorsicht walten zu lassen, weil er anderenfalls aufgrund seiner generalklauselartigen Weite und damit zugleich 2292 BAG GS 10.11.1961 – GS 1/60, NJW 1962, 411, 412; BAG 19.3.1959 – 2 AZR 402/55, NJW 1959, 1796, 1797; für § 618, der Ausfluss der Fürsorgepflicht ist: BAG 10.3.1976 – 5 AZR 34/75, AP Nr. 17 zu § 618 BGB (juris Rn. 27); Kort, NZA 1996, 854, 855 ff.; MüKo-BGB/ Henssler, § 618, Rn. 8; ErfK/Wank, § 618 BGB, Rn. 2; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1033; abw. Staudinger/Oetker, § 618, Rn. 10 f. 2293 So Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1470; vgl. Canaris, RdA 1966, 41, 45.
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Unbestimmtheit zum „Einfallstor für eine Treue- und Fürsorge-Ideologie“ zu werden drohe, mittels derer ein lediglich aus dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden gespeisten Ergebnis pseudo-juristische Legitimität zu verschaffen versucht wird. 2294 Daraus apodiktisch zu folgern, er dürfe im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung keine Rolle spielen, überzeugt aber genauso wenig wie die Behauptung, die Haftungsprivilegierung sei aufgrund der Fürsorgepflicht geboten. Denn die einfachgesetzliche „Absicherung“ der Fürsorgepflicht in § 241 II BGB ist nun einmal „in der Welt“ und kann vom Rechtsanwender nicht einfach mit dem Hinweis auf seine generalklauselartige Weite ignoriert werden – umso mehr, als dies ein allgemeines Problem ausfüllungsbedürftiger Blankettnormen ist. 2295 Es muss daher vielmehr darum gehen, den „Kern“ des Fürsorgegedankens herauszuschälen, der im vorliegenden Zusammenhang dogmatisch abgesichert fruchtbar gemacht werden kann. (3) Folgerungen Quintessenz der obigen Ausführungen ist damit (1.), dass der Fürsorge- anders als der Betriebsrisikogedanke kein Schadensverursachungszurechnungsgrund ist, und (2.) bei der Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus ihm Vorsicht walten zu lassen ist, um ein Abgleiten in eine beliebige Billigkeitsabwägung zu verhindern. Damit ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen (sub [a]) und auf welche Weise [unter [b]) sich der Fürsorgegedanke im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auswirken kann. (a) Für die Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus dem Fürsorgegedanken ist erstens die Erkenntnis zentral, dass dieser „Korrelat der Unterordnung des Arbeitnehmers unter fremde Organisationsgewalt“2296 ist. Berücksichtigt werden können deswegen nur Umstände und Faktoren, die einen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen.2297 Darüber hinaus ist es die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die die Heranziehung des Fürsorgegedankens legitimiert, seiner „Strahlkraft“ damit aber zugleich Schranken setzt. Wo sich die Unterwerfung unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht auswirkt, kann sie mithin nicht fruchtbar gemacht werden. Anders formuliert: Weil – aber eben auch nur soweit – er dem Arbeitnehmer gegenüber weisungsberechtigt ist, 2294 Vgl. Annuß, NZA 1998, 1089, 1092; Richardi, ZfA 1974, 3, 20 f.; Caspers, Kündigungsschutz, S. 32 („uferlose Billigkeitsbetrachtung“); vgl. auch Canaris, RdA 1966, 41, 45; Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 44 f.; Rieger, Anm. zu BAG AP Nr. 61 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Gick, JuS 1980, 393, 398; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1035. 2295 Vgl. auch MüKo-BGB/Roth, § 241, Rn. 51; Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 425 m.w.N. 2296 Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1036; vgl. MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 987; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 268; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611 BGB, Rn. 242; NK-ArbR/Boemke, § 611, Rn. 401; Hk-BGB/Schreiber, § 611, Rn. 23; vgl. auch Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 486, nach dem die Begründung außergesetzlicher Fürsorgepflichten ein Machtgefälle voraussetzt. 2297 MüHdb-ArbR/Reichold, § 83, Rn. 12; Wiese, ZfA 1996, 439, 460.
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihn vor den daraus resultierenden Gefahren zu schützen. Eine Deduktion konkreter Rechtsfolgen aus dem Fürsorgegedanken ist zudem zweitens nur nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich. 2298 Insbesondere dort, wo dies mit Kosten für den Arbeitgeber verbunden wäre, lässt sich eine Fürsorgepflicht nur im Rahmen des für den Arbeitgeber Zumutbaren begründen. Das folgt auch aus § 81 IV 3 SGB IX, der den besonderen Beschäftigungsanspruch Schwerbehinderter aus § 81 IV 1 SGB IX versagt, „soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre […].“ Weil dieser Beschäftigungsanspruch als Ausfluss einer „erhöhte[n] Fürsorgepflicht“ verstanden wird, 2299 muss die Zumutbarkeitsgrenze bei der „normalen“ Fürsorgepflicht erst recht gelten. (b) Zu beantworten bleibt damit die Frage, wie sich der Fürsorgegedanke im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auswirken kann. Ganz generell kann die Fürsorgepflicht verschiedene Ausprägungen entfalten: Der Arbeitgeber muss nicht nur selbst eine Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers (zum Beispiel in Form schädigender Handlungen) unterlassen, ihn kann auch eine Pflicht zum aktiven Eingreifen gegen Schädigungshandlungen anderer Arbeitnehmer oder sonstiger Dritter (zum Beispiel bei Mobbing2300) treffen. Beide Komponenten helfen im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter. Relevant ist hingegen, dass der Fürsorgegedanke es im Sinne einer Rücksichtnahmepflicht gebieten kann, bei der Wahrung der eigenen Interessen die berechtigten Anliegen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, was insbesondere das Recht des Arbeitgebers begrenzen kann, seine Ansprüche vollumfänglich durchzusetzen. 2301 Unter Heranziehung des Fürsorgegedankens kann daher der Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den schädigenden Arbeitnehmer eine über die durch das Betriebsrisiko bereits gebotene hinausgehende Kürzung erfahren.
2298 Wiese, ZfA 1996, 439, 461; Kort, NZA 1996, 854; MüHdb-ArbR/Reichold, § 83, Rn. 13; ErfK/Preis, § 611, Rn. 616. 2299 Vgl. BAG 10.7.1991 – 5 AZR 383/90, NZA 1992, 27, 29. 2300 Vgl. dazu LAG Thüringen 10.4.2001 – 5 Sa 403/2000, NZA-RR 2001, 347, 354; LAG Niedersachsen 3.5.2000 – 16a Sa 1391/99, NZA-RR 2000, 517, 519; Fischinger, Comparative Labor Law & Policy Journal, Fall 2010, 153, 163; vgl. auch BAG 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154, 1161. 2301 Vgl. Schaub/Koch, ArbR-Hdb, § 106, Rn. 2. – Diese Rücksichtnahmepflicht ist kein Spezifikum des Arbeitsrechts, sondern auch im allgemeinen Zivilrecht Gemeingut, vgl. Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 414 f., § 242, Rn. 202, 215; siehe auch MüKo-BGB/Roth/Schubert, § 242, Rn. 448 ff.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
(4) Zwischenergebnis Entgegen der Auffassung der herrschenden Meinung kann dem Fürsorgegedanken nicht jegliche Relevanz für die beschränkte Arbeitnehmerhaftung abgesprochen werden. Bedeutung kann ihm vielmehr als Begrenzung der Rechtsdurchsetzungsmacht des Arbeitgebers zukommen, was in concreto bedeutet, dass er eine weitere Kürzung seines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss. Zulässig ist das allerdings nur insoweit, als erstens der Umstand, auf den das gegründet werden soll, nicht nur einen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist, sondern auch Ausdruck der Weisungsunterworfenheit des Arbeitnehmers ist. Zweites steht eine Ableitung konkreter Rechtsfolgen aus der Fürsorgepflicht unter dem Vorbehalt einer Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung. Inwiefern diese Anforderungen erfüllt sind, ist im Folgenden für diejenigen Kriterien zu untersuchen, die richtigerweise nicht bereits im Rahmen des Betriebsrisikos berücksichtigt werden können. bb) Tragfähigkeit für einzelne Kriterien (1) Persönliche Verhältnisse Im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, das heißt insbesondere sein Lebensalter, seinen Familienstand und seine Unterhaltsverpflichtungen, hilft auch der Fürsorgegedanke nicht weiter. 2302 Mit dem Arbeitsverhältnis – und erst recht der Unterwerfung des Arbeitnehmers unter die „Herrschaftsgewalt“ des Arbeitgebers mittels Weisungsrechts – stehen diese „externen“ Faktoren nämlich in keinerlei Zusammenhang, sie können zudem, anders als zum Beispiel die Versicherbarkeit des Haftungsrisikos, vom Arbeitgeber in keinster Weise beeinflusst werden. Überdies stellen sie auch ansonsten im Arbeitsrecht keine Kriterien dar, die beim Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu berücksichtigen wären. Beispielsweise spielen sie für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ebenso wenig eine Rolle wie für die Lohnfindung oder die Frage, ob der Arbeitgeber aufgrund eines entsprechenden Rückzahlungsvorbehalts geleistete Gratifikationen oder Ausbildungsbeihilfen vom Arbeitnehmer zurückfordern darf. 2303 (2) Dauer der Betriebszugehörigkeit Fraglich ist, ob es über den Hebel des Fürsorgegedankens möglich ist, zugunsten des Arbeitnehmers eine vergleichsweise lange Betriebszugehörigkeit zu 2302 Ebenso Langenbucher, ZfA 1997, 523, 552; Annuß, NZA 1998, 1089, 1094; vgl. allgemein gegen die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse im Rahmen der Fürsorgepflicht auch MüHdb-ArbR/Reichold, § 83, Rn. 12; Wiese, ZfA 1996, 439, 460. 2303 § 1 III 1 Hs. 1 KSchG steht dem trotz der dort genannten Kriterien Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen nicht entgegen, weil es hier nicht um einen Interessenausgleich von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern um den zwischen Arbeitnehmern geht, vgl. auch oben § 2 F III 1 d) cc).
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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berücksichtigen. Auch wenn dafür sprechen könnte, dass sich die Dauer der Betriebszugehörigkeit auf das statistische Schadensrisiko auswirkt und der Arbeitgeber gegebenenfalls schon in erheblichem Umfang von den früheren Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers profitiert hat, ist das richtigerweise zu verneinen. Erstens steht die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der Unterwerfung des Arbeitnehmers unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers in keinem Zusammenhang, so dass es schon an der ersten Voraussetzung für eine Fruchtbarmachung des Fürsorgegedankens fehlt. Und zweitens kann die Annahme, der Arbeitgeber habe bei einem seit längerem bestehenden Arbeitsverhältnis erhebliche Vorteile aus der Beschäftigung gezogen, so dass es ihm nunmehr zumutbar sei, einen „Ausgleichsabschlag“ hinzunehmen, zwar zutreffen, sie muss es aber nicht. Sie wird es namentlich nicht bei einem „schusseligen“ Arbeitnehmer, der in der Vergangenheit wiederholt Schäden verursachte, ohne dass er deshalb verhaltensbedingt hätte gekündigt werden oder sonst zum Ausscheiden bewegt werden können. Entscheidend ist daher nicht die bloße Dauer der Betriebszugehörigkeit, sondern das betriebliche Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit, mit anderen Worten die Frage, wie oft er bereits schuldhaft einen Schaden verursacht hat. Für die Berücksichtigung dieses Umstands muss der Fürsorgegedanke aber nicht bemüht werden, weil ihm schon über das Betriebsrisiko Rechnung getragen werden kann.2304 (3) Versicherbarkeit des Schadensrisikos Fruchtbar gemacht werden kann der Fürsorgegedanke jedoch unter Umständen, wenn der Arbeitgeber die Versicherung eines Schadensrisikos unterließ und deshalb der Schaden nunmehr nicht auf den Versicherer abgewälzt werden kann, sondern vom Arbeitnehmer (mit-)zutragen ist.2305 Dabei ist vorab klarzustellen, dass den Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer niemals eine – gegebenenfalls gerichtlich von diesem durchsetzbare – Versicherungspflicht trifft. 2306 Die damit einhergehende massive Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers darüber, ob er lieber auf „Nummer sicher“ geht oder es vorzieht, „va banque“ zu spielen, ließe sich durch die (berechtigten) Interessen des Arbeitnehmers nicht rechtfertigen, genügt es doch zu dessen Absicherung völlig, eine entsprechende Obliegenheit zu statuieren. Die Grundvoraussetzungen für die Heranziehung des Fürsorgegedankens sind erfüllt: Der erforderliche konkrete Bezug zum Arbeitsverhältnis ist gegeben, weil sich die (unterlassene) Versicherung direkt auf die Position des Arbeit2304
Siehe oben § 2 F III 1 d) cc). So früher auch das BAG 9.8.1966 – 1 AZR 473/65, NJW 1966, 2233, 2234. 2306 BGH 10.1.1955 – III ZR 153/53, NJW 1955, 458, 459; BAG 22.3.1968 – 1 AZR 392/67, NJW 1968, 1846, 1847; 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 585 m.w.N.; Otto/ Schwarze, Haftung, Rn. 232; HWK/Krause, § 619a, Rn. 40; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 79; a.A. (für Versicherungspflicht) Becker-Schaffner, VersR 1970, 893, 894 f.; Arens, BB 1990, 67, 69. 2305
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
nehmers als Schuldner arbeitsvertraglicher Ansprüche auswirkt. Die Entscheidung über die Absicherung des Schadensrisikos trifft – weil dem Arbeitnehmer wie bereits ausgeführt2307 der selbständige Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung in aller Regel nicht möglich ist – allein der Arbeitgeber. Der abhängig Beschäftigte hat mithin keine Möglichkeit, im Rahmen seiner Tätigkeit auf diesen, für seine faktische Einstandsverpflichtung ganz maßgeblichen Faktor, Einfluss auszuüben – auch insoweit wirkt sich also seine Unterwerfung unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers aus. Damit kapriziert sich alles auf die Frage, bezüglich welcher Versicherung den Arbeitgeber eine derartige Obliegenheit trifft. Weil den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer finanzielle Lasten in Form von Prämienzahlungen (vergleiche § 1 S. 2 VVG) treffen, hängt dies maßgeblich davon ab, inwieweit ihm nach Abwägung der widerstreitenden Interessen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Statuierung einer Versicherungsobliegenheit zumutbar ist. Von großer Bedeutung ist insoweit, ob die Arbeitnehmer des Betriebs in ihrer täglichen Arbeit einem typischen Haftungsrisiko ausgesetzt sind. Relevant ist ferner, wie wahrscheinlich die Herbeiführung eines Schadensfalls ist, wie hoch die drohenden Schäden im „worst case“ sind und wie – daraus resultierend – das Verhältnis der Prämienhöhe zum potentiellen Vorteil für den Arbeitnehmer ist. 2308 Schließlich wird man der Üblichkeit einer derartigen Versicherung im Geschäftszweig des Arbeitgebers indizielles Gewicht beimessen können.2309 An diesen Kriterien gemessen ist zum Beispiel regelmäßig eine Obliegenheit anzunehmen, für von Arbeitnehmern dienstlich genutzte Betriebsfahrzeuge eine (Voll-)Kaskoversicherung abzuschließen, weil es sich insoweit um die „Mutter“ aller gefahrgeneigten Tätigkeiten handelt und zudem die Kosten einer solchen Versicherung im Vergleich zum potentiellen Nutzen des Arbeitnehmers überschaubar sind. 2310 Dafür spricht zudem ein Vergleich mit einer allgemein-zivilrechtlichen Situation, die erhebliche Überschneidungen zur vorliegenden Problematik aufweist. Es ist dies die von der – soweit ersichtlich – einhelligen zivilrechtlichen Auffassung angenommene Obliegenheit ei2307
Siehe oben § 2 F III 1 a) aa) m.w.N. Vgl. Hübsch, BB 1998, 690, 691. 2309 Vgl. auch BAG 27.1.2000 – 8 AZR 876/98, NZA 2000, 727, 729; LAG Düsseldorf 19.10.1989 – 5 (2) Sa 888/89, DB 1990, 1468; ArbG Berlin 17.8.1971 – 10 Ca 190/71, DB 1971, 1772; ArbG Karlsruhe 16.8.1984 – 6 Ca 230/84, BB 1985, 1070; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 232; a.A. Hübsch, BB 1998, 690, 692 f. 2310 So zumindest i.E. auch BGH 10.1.1955 – III ZR 153/53, NJW 1955, 458, 459; BAG 9.8.1966 – 1 AZR 473/65, NJW 1966, 2233, 2234; 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 585; LAG Bremen 31.1.1979 – 2 Sa 194/78, VersR 1980, 1182; OLG Stuttgart 19.12.1979 – 1 U 88/79, NJW 1980, 1169; LAG Niedersachsen 6.9.1982 – 14 Sa 65/82, MDR 1983, 169, 170; ArbG Kassel 12.8.1981 – 2 Ca 272/81, DB 1982, 442; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz 17.10.1980 – 6 Sa 452/80, DB 1981, 223, 224; BeckOK-BGB/Sutschet, § 241, Rn. 98; HWK/ Krause, § 619a, Rn. 40; MüKo-BGB/Bachmann/Roth, § 241, Rn. 112; Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 498. 2308
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nes Kfz-Händlers, für Kundenprobefahrten eine Vollkaskoversicherung abzuschließen; kommt er dieser nicht nach und verursacht der Kunde leicht fahrlässig einen Schaden am Vorführwagen, steht dem Schadensersatzanspruch des Händlers ein stillschweigender Haftungsausschluss entgegen.2311 Das wird zum einen auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Kunden gestützt, der sich gegen Schäden nicht versichern kann. Zum anderen wird angeführt, dem Händler sei die Aufbürdung einer derartigen Versicherungsobliegenheit zumutbar, weil er sich dagegen vergleichsweise leicht versichern könne und die Probefahrt in seinem ureigensten geschäftlichen Interesse erfolge – die Parallelen zur Situation bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung liegen auf der Hand. Eine Feuerversicherung wird man hingegen vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls zum Schutz der Arbeitnehmer nicht für erforderlich halten können, weil das Risiko eines Brandschadens kein typisches Arbeitsrisiko ist. 2312 Keine Obliegenheit besteht ferner hinsichtlich des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung, weil es sich erstens bei dem Prozessrisiko nicht um ein spezifisch berufstypisches Risiko handelt und zweitens die dem Arbeitnehmer drohenden Kosten in aller Regel überschaubar sind. 2313 Schließt der Arbeitgeber eine nach diesen Kriterien gebotene Versicherung nicht ab, ist es aufgrund des Fürsorgegedankens also geboten, dass er im Bereich mittlerer Fahrlässigkeit eine Kürzung seines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss. Der Arbeitnehmer ist so zu stellen, wie er bei bestehendem Versicherungsschutz stünde. 2314 Für den praktisch besonders bedeutenden Fall der unterlassenen Kfz-Vollkaskoversicherung ist die Haftung des Arbeitnehmers daher zum Beispiel auf die Höhe der Selbstbeteiligung zu reduzieren, die bei bestehender Kaskoversicherung vom Arbeitgeber zu tragen gewesen wäre. 2315 (4) Missverhältnis Arbeitsentgelt/Schadensrisiko; Existenzgefährdung (a) Bei grober Fahrlässigkeit Ein Missverhältnis zwischen Schadenshöhe und Arbeitsentgelt sowie eine mögliche Existenzgefährdung sind Umstände, die auch unter dem Gesichtspunkt 2311 So BGH 7.6.1972 – VIII ZR 35/71, NJW 1972, 1363, 1363 f.; 10.1.1979 – VIII ZR 264/76, NJW 1979, 643, 644; 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980, 1681, 1683; 8.1.1986 – VIII ZR 8/85, NJW 1986, 1099, 1099 f.; BeckOK-BGB/Sutschet, § 241, Rn. 98; Staudinger/Olzen, § 241, Rn. 492. 2312 Vgl. auch LAG Düsseldorf 19.10.1989 – 5 (2) Sa 888/89, DB 1990, 1468; ArbG Berlin 17.8.1971 – 10 Ca 190/71, DB 1971, 1772; ArbG Karlsruhe 16.8.1984 – 6 Ca 230/84, BB 1985, 1070; Becker-Schaffner, VersR 1972, 312, 313 (jeweils für die umgekehrte Konstellation einer Schädigung des Arbeitnehmers durch einen Brand); a.A. (für Obliegenheit zur Betriebsfeuerversicherung) hingegen Hanau/Preis, JZ 1988, 1072, 1075; Hübsch, BB 1998, 690, 692. 2313 ArbG Karlsruhe 15.11.1984 – 6 Ca 259/84, VersR 1986, 455. 2314 Hanau/Preis, JZ 1988, 1072, 1075. 2315 BAG 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 585 f.; HWK/Krause, § 619a, Rn. 38, 40; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 232, 239; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 79.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
des Fürsorgegedankens richtigerweise nicht derart berücksichtigt werden können, dass selbst bei grober oder gar gröbster Fahrlässigkeit noch eine Haftungsmilderung möglich ist. 2316 Im Hinblick auf eine mögliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers infolge der Schadensersatzverpflichtung fehlt es schon am konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis. Ob eine Existenzgefährdung vorliegt, hinge maßgeblich von den Vermögensverhältnissen des Arbeitnehmers und damit von einem „externen“ Faktor ab: Während ein „Durchschnittsarbeitnehmer“ durch eine Schadensersatzpflicht von zum Beispiel € 1 Million in aller Regel ruiniert ist, vermag sie einen Arbeitnehmer, der gerade eine Millionenerbschaft gemacht oder im Lotto gewonnen hat, unter Umständen kaum zu treffen. Die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse ist aber, wie bereits dargelegt2317, als Kriterium für eine Haftungsbeschränkung im Verhältnis zum Arbeitgeber wenig sachgerecht, und wäre zudem geeignet, volkswirtschaftlich den nicht unbedingt wünschenswerten Effekt zu zeitigen, sparsame gegenüber verschwendungssüchtigen Arbeitnehmern zu „bestrafen“. Hingegen ist für das Missverhältnis von Entgelthöhe und Schadensrisiko ein Bezug zum Arbeitsverhältnis gegeben, weil auch dieses Ausdruck der Unterwerfung des Arbeitnehmers unter fremde Organisationsgewalt ist. Zwar gilt das nicht für die eine Seite der „Gleichung“ – die dem „Arbeitsverhältnis in Vollzug“ vorgelagerte Frage der Lohnhöhe –, wohl aber für die andere, steuert der Arbeitgeber doch wie aufgezeigt mittels Organisationsherrschaft und Weisungsrecht maßgebend das Schadensrisiko des Arbeitnehmers. 2318 Eine Heranziehung des Fürsorgegedankens scheitert aber – was die Vermeidung einer Existenzgefährdung betrifft: auch – an der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die beiden Fallgruppen müssen nicht, sie werden aber in der Praxis regelmäßig zusammenfallen, weil dann, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitslohn nach Abzug des zur Lebensführung erforderlichen Betrags den eingetretenen Schaden nicht in einem überschaubaren Zeitraum abtragen kann, nicht nur das erwähnte Missverhältnis vorliegt, sondern auch seine Existenzgrundlage gefährdet ist. Die mangelnde Schutzwürdigkeit eines grob/gröbst fahrlässig handelnden Arbeitnehmers wurde bereits dargelegt. 2319 Mit dieser mangelnden Schutzwürdigkeit geht zudem eine mangelnde materiell-rechtliche Schutzbedürftigkeit einher. Wie bereits aufgezeigt2320, hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, der Problematiken der völligen wirtschaftlichen Überforderung eines grob fahrlässig 2316 Ähnlich Annuß, NZA 1998, 1089, 1094; a.A. Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 200 ff.; Däubler, NJW 1986, 867, 871. 2317 Siehe oben § 2 F III 1 d) cc) (3). 2318 Näher § 2 F III 1 a) aa). 2319 Siehe oben § 2 F III 1 c) dd). 2320 Siehe § 2 F III 2 b) cc) (3) bei Grundrechten.
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handelnden Schädigers und seiner drohenden Existenzvernichtung durch die Schadensersatzpflicht nicht auf der Ebene des materiellen Rechts zu begegnen, sondern den Stab an das Prozessrecht mit seinen Pfändungsschutzvorschriften und der Möglichkeit der Restschuldbefreiung weiter zu reichen. Denn anders als das materielle Recht schützen die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO und §§ 286 ff. InsO (e contrario § 302 Nr. 1 InsO) auch grob fahrlässig Handelnde. Im Zusammenspiel schützen sie ihn nicht nur vor einer „Kahlpfändung“ und damit einer Bedrohung seines gegenwärtigen Existenzminimus, sondern auch vor einem dauerhaften wirtschaftlichen Ruin. Ist mittels Restschuldbefreiung aber die Gefahr einer gegebenenfalls lebenslangen Beschränkung auf die Pfändungsfreigrenzen der ZPO in zumutbarer Weise bannbar, ist nicht einzusehen, warum ein ohnehin nicht schutzwürdiger Arbeitnehmer in den zusätzlichen Genuss einer Haftungsmilderung kommen sollte, die genau auf dem selben Motiv beruht, wie es der Gesetzgeber mit der Schaffung der §§ 286 ff. InsO verfolgte. 2321 Diese Problemverlagerung auf die prozess- – oder genauer: – vollstreckungsrechtliche Ebene hätte der Rechtsanwender angesichts der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips auch dann hinzunehmen, wenn sie ihn nicht überzeugte. Richtigerweise ist sie aber auch in der Sache zutreffend, weil auf der Ebene des Vollstreckungsrechts Änderungen bei den Vermögensverhältnissen des Arbeitnehmers unschwer Rechnung getragen werden kann, wohingegen dies im Rahmen des materiellen Rechts und im Erkenntnisverfahren nicht unerhebliche Schwierigkeiten aufwerfen kann. Man stelle sich den Fall vor, dass das Gericht im Erkenntnisverfahren dem Arbeitgeber mit Blick auf eine mögliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers einen Schadensersatzanspruch rechtskräftig weitgehend versagt, der Arbeitnehmer aber wenige Tage später eine reiche Erbschaft macht. Die herrschende Meinung steht hier vor dem Problem, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens mangels Nichtigkeits- oder Restitutionsgrunds (§§ 579 f. ZPO) nicht in Betracht kommt, der Arbeitgeber also auf den niedrigen ausgeurteilten Betrag beschränkt bleibt, obwohl im Lichte der neuen Entwicklungen die „Geschäftsgrundlage“ der herrschenden Meinung für die Anspruchskürzung eigentlich entfallen ist. Auf Basis der hier vertretenen Auffassung ist dies hingegen unproblematisch, der Arbeitgeber kann nunmehr in die Erbschaft vollstrecken.2322 2321 Dem kann auch nicht ein Vergleich mit der Angehörigenbürgschaftsrechtsprechung entgegengehalten werden, die – richtigerweise – von der Einführung der Restschuldbefreiung unberührt blieb, siehe oben § 2 A III 1 d) ee). 2322 Wandelt man das Beispiel dahingehend ab, dass zum Zeitpunkt der Erbschaft bereits das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitnehmers eröffnet ist, fällt der Nachlass in die Insolvenzmasse, § 35 I Alt. 1 InsO. Wandelt man es derart ab, dass sich der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits in der Abtretungsfrist der Restschuldbefreiung befindet, hat er die Hälfte des Nachlasswerts an den Treuhänder herauszugeben, § 295 I Nr. 2 InsO. – Zu den Problemen bei Eintritt des Erbfalls nach Insolvenzeröffnung/Restschuldbefreiung vgl. ausführlich Fischinger, Beschränkung der Erbenhaftung, S. 45 ff., 65 ff.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Auf den ersten Blick spricht gegen die hier vertretene Auffassung aber eine Parallele zu § 110 II SGB VII. Die grundsätzlich vollständige Einstandspflicht des grob fahrlässig handelnden Arbeitnehmers wurde oben (auch) mit der wünschenswerten Harmonisierung mit der durch §§ 105, 110 I 1 SGB VII geprägten Rechtslage bei der gesetzlichen Unfallversicherung begründet. 2323 Das wiederum würde es nahelegen, auch die Wertung des § 110 II SGB VII heranzuziehen, nach dem der Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen ganz oder zum Teil auf den Rückgriffsanspruch gegen den schädigenden Arbeitnehmer verzichten muss2324. Dabei sind vor allem die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen, § 110 II SGB VII dient mithin dem Schutz der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Schädigers. 2325 Auf die vorliegende Konstellation übertragen würde dies für eine materiell-rechtliche Kürzung oder gar Versagung des Schadensersatzanspruchs des Arbeitgebers sprechen. Für eine derartige Übertragung spricht insbesondere, dass der Schutzmechanismus des § 110 II SGB VII besteht, obwohl auch dem Sozialversicherungsträger eine „Kahlpfändung“ des Arbeitnehmers nicht möglich ist, gelten die vollstreckungsschützenden Vorschriften der §§ 811 ff., 850 ff. ZPO doch (weitgehend) auch für eine Vollstreckung zugunsten des Sozialversicherungsträgers. 2326 Mit anderen Worten wird der Problematik des Existenzschutzes nicht nur auf der Ebene des Vollstreckungsrechts, sondern auch des materiellen Rechts Rechnung getragen. Die Wertung des § 110 II SGB VII lässt sich richtigerweise aber dennoch nicht für das Privatrechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fruchtbar machen. Die Interessenlage mag zwar auf Schädigerseite vergleichbar sein, nicht aber aufseiten der (wirtschaftlich) Geschädigten. Der entscheidende Unterschied besteht nämlich darin, dass der Sozialversicherungsträger eine finanzielle „Kompensation“ für die von ihm an den geschädigten Unternehmer zu erbringenden Sozialleistungen schon präventiv in Form der von diesem erbrachten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung (vergleiche § 150 I SGB VII) erlangt hat. Zwar steht der leistende Sozialversicherungsträger im Falle des vollständigen oder teilweisen Forderungsverzichts nach § 110 II SGB VII selbstverständlich schlechter, wie wenn er den Rückgriffsanspruch (umfassend) durchsetzen könnte. Angesichts der Vorfinanzierung durch den Unternehmer muss er den Schaden dennoch nicht aus originär „eigener Tasche“ liquidieren, sondern (re-)finanziert dies vielmehr über entsprechende Beiträge. 2323
Siehe § 2 F III 1 a) ee). Zur Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers zu einem vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 110 II SGB VII vgl. BGH 28.9.1971 – VI ZR 216/69, BGHZ 57, 96, 99; Schmitt, SGB VII, § 110, Rn. 23; ErfK/ Rolfs, § 110 SGB VII, Rn. 10. 2325 BeckOK-SozR/Stelljes, § 110 SGB VII, Rn. 48; Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 110, Rn. 28. 2326 Über § 66 SGB X, § 5 VwVG, §§ 295, 319 AO oder über § 200 SGG, § 5 VwVG, §§ 295, 319 AO. 2324
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Damit unterscheidet sich seine Lage von der des Arbeitgebers, erhielt dieser doch für den vom Arbeitnehmer verursachten Schaden weder im Vorfeld noch im Nachgang der Schädigung eine finanzielle Kompensation. (b) Bei mittlerer Fahrlässigkeit Das BAG berücksichtigt die Schadenshöhe nicht nur – in Gestalt ihres Missverhältnisses zum Lohn – bei der groben Fahrlässigkeit, sondern auch im Rahmen der Abwägung bei mittlerer Fahrlässigkeit als Kriterium für die Schadensverteilung. Auch das überzeugt nicht. 2327 Zwar ist der nur mit mittlerer Fahrlässigkeit handelnde Arbeitnehmer nicht in gleichem Maße schutzunwürdig wie der grob fahrlässig Handelnde. Für seine materiell-rechtliche Schutzbedürftigkeit gilt aber das Gleiche, bei exorbitanten Forderungen ist er – kurzfristig – über §§ 811 ff., 850 ff. ZPO und langfristig über die Restschuldbefreiung geschützt. c) Ergebnis Dem Fürsorgegedanken wird von der herrschenden Meinung unberechtigterweise jegliche Bedeutung für die beschränkte Arbeitnehmerhaftung abgesprochen. Nach hier vertretener Auffassung kann er zwar weder die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers noch eine Haftungsreduktion unter dem Aspekt eines Missverhältnisses von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko oder einer Existenzgefährdung des Arbeitnehmers rechtfertigen. Jedoch gebietet er bei mittlerer Fahrlässigkeit eine (weitere) Haftungskürzung, wenn der Arbeitgeber seiner Obliegenheit zur Absicherung des Schadensrisikos per Abschluss einer entsprechenden Versicherung nicht nachgekommen ist. 4. Billigkeit Die Berücksichtigung derjenigen Faktoren, die weder im Rahmen des Betriebsrisiko- noch des Fürsorgegedankens herangezogen werden können, wäre daher nur im Rahmen einer allgemeinen Billigkeitskontrolle möglich. Das erkennt letztlich auch das BAG, führt es doch an, dass „die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgründen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind“2328. Ein derartiges Vorgehen ist aber aus mehreren Gründen abzulehnen: Je diffuser die zu berücksichtigenden Kriterien werden, umso größer ist die mit einer derartigen Einzelfallkontrolle verbundene Rechtsunsicherheit. Das lässt sich exemplarisch anhand der nach Auffassung des BAG heranzuziehenden persönlichen Verhältnisse illustrieren: Was bedeutet es denn konkret, wenn das Alter des Arbeitnehmers, sein Familienstand oder seine Unterhaltspflichten 2327 2328
So i.E. auch Annuß, NZA 1998, 1089, 1094. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1984, 1083, 1084.
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zu berücksichtigen sind? Wieviel Prozent „Abschlag“ rechtfertigt etwa die Existenz dreier kleiner Kinder? Wieviel sind unterhaltsberechtigte – weil in Altersarmut verfallene – Eltern „wert“? In den Genuss welcher haftungsrechtlichen „Boni“ gelangt ein Verheirateter im Vergleich zu einem Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder gar einem „Single“? Potenziert werden die mit diesen Fragen verbundenen Unsicherheiten durch ihre Kombination: Wie ist ein fünfzigjähriger verheirateter, aber keinen Unterhaltspflichten unterliegender Arbeitnehmer im Vergleich zu einem dreißigjährigen „Single“ mit zwei Kindern zu stellen? Und was hat eigentlich zu gelten, wenn sich nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung die persönlichen Verhältnisse unvorhersehbar (gravierend) ändern, zum Beispiel der Arbeitnehmer Vater von Drillingen wird? Kann er sich dann gegen eine drohende Zwangsvollstreckung mit der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) wehren und eine weitere Minderung seiner Haftung erreichen? Man sieht: Objektiv nachvollziehbare Kriterien lassen sich insoweit nicht finden, mit der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse öffnet man vielmehr Tür und Tor für eine maßgeblich am „Rechtsgefühl“ des Rechtsanwenders orientierte Entscheidung. Nun ist nicht zu verkennen, dass auch mit der Anwendung manches hier für richtig befundenen Kriteriums ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit einhergehen kann, zum Beispiel der Berücksichtigung der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb. Der Unterschied besteht aber darin, dass die Berücksichtigung dieses Faktors dogmatisch mit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers auf einer tragfähigen Grundlage beruht und die mit ihm verbundene Rechtsunsicherheit daher zwar ein bedauerliches, aber eben auch hinzunehmendes „Übel“ ist. Die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse beruht hingegen – dogmatisch nicht überzeugend – auf einer von Anfang an konturlosen, reinen Billigkeitskontrolle. Hinzu kommt, dass man – wenn man mit dem BAG und entgegen der hier vertretenen Auffassung – eine Abwägung aller Gesamtumstände vornehmen will, den Kreis der heranzuziehenden Kriterien deutlich erweitern müsste – was die Rechtsunsicherheit natürlich weiter steigert. Jedenfalls müsste man entgegen der bisherigen Judikatur auch arbeitgeberbezogene Aspekte (gleichrangig) berücksichtigen. Dementsprechend läge es zum Beispiel nahe, auch danach zu fragen, wie bedeutsam die vom Arbeitnehmer beschädigte/zerstörte Sache für den Betriebsablauf war oder welche (mittelbaren) wirtschaftlichen Folgeschäden der Ausfall des Produktionsmittels zeitigte (entgangener Auftrag, Verwirkung einer Vertragsstrafe, Verlust eines wichtigen Kunden, Rufschädigung samt kompetitiver Nachteile et cetera). Zudem: Wenn es richtig wäre, das Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko sowie eine mögliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers durch den Schadensersatzanspruch zu berücksichtigen, müsste man dann nicht – schon wegen Art. 3 I GG – auch auf die andere Seite schielen und die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers in die Gesamtbetrachtung mit einbeziehen? Denn: Wäre es nicht „gerechter“ – oder „billi-
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ger“ – einem prosperierenden Unternehmen mit guter Kapitaldecke und vollen Auftragsbüchern eine verhältnismäßig weitergehendere Schadenstragung zuzumuten als einem Unternehmen, das ohnehin schon am Rande der Gewinnzone operiert und daher auf eine möglichst vollständige Naturalrestitution dringend angewiesen ist? Die Antwort darauf lautet jeweils richtigerweise: Nein. Nicht nur, dass es sich um Umstände handelt, die – als zum Teil „weiche Faktoren“ – oftmals schwer feststellbar wären und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit führten, ihre Berücksichtigung hätte zudem fast zwangsläufig zur Folge, dass Arbeitnehmer kleinerer Unternehmen typischerweise gegenüber in Großunternehmen Beschäftigten benachteiligt würden, weil erstere meist eher auf einen vollen Schadensersatz angewiesen sind als letztere. Das liefe letztlich darauf hinaus, die Vermögensverhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen, was aber – wie bereits erwähnt2329 – nicht überzeugt, weil dann die Haftungsverantwortlichkeit des Arbeitnehmers auch vom guten oder schlechten Wirtschaften seines Arbeitgebers abhängig zu machen wäre. Schließlich spricht gegen die vom BAG geforderte Billigkeitskontrolle, dass sie – obwohl das Gericht normativ auch insoweit bei § 254 I BGB analog anknüpfen will2330 – zumindest im Hinblick auf das Kriterium der Existenzgefährdung in der Sache nichts anderes ist als die von Canaris 2331 in allgemeinerem Kontext postulierte Reduktionsklausel. Wie noch darzulegen sein wird, überzeugt diese aber weder de lege lata noch ist de lege ferenda ihre Einführung geboten. 2332 5. Folgerungen a) Nicht berücksichtigungsfähige Kriterien und Faktoren Wenn eine Haftungsreduktion aus Billigkeitsgesichtspunkten richtigerweise ausscheidet, kann im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung neben denjenigen Faktoren, die unter den zutreffend bestimmten „Anwendungsbereich“ des Betriebsrisikos fallen, nur die Unterlassung einer gebotenen Versicherung herangezogen werden. Hingegen können – entgegen der Auffassung des BAG und weiter Teile der Literatur – weder die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers noch die bloße Dauer seiner Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden; zudem kommt eine Haftungsreduktion wegen eines Missverhältnisses von Arbeitslohn und Schadensrisiko oder wegen einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung des Arbeitnehmers als Folge der Schadensersatzverpflichtung nicht in Betracht.
2329 2330 2331 2332
Siehe oben § 2 F III 1 d) cc) (3). Siehe dazu unten § 2 F V 1. Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; ders., JZ 1988, 494, 497; ders., JZ 1990, 679, 681. Siehe § 3 B.
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b) Persönlicher Anwendungsbereich aa) Grundlagen Die rechtsdogmatische und -politische Legitimation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung hat nicht nur Auswirkungen auf die in ihrem Rahmen zu berücksichtigenden Faktoren, sondern auch auf die Frage, wer alles in den Genuss dieser Haftungsprivilegierung gelangen kann. Zu untersuchen ist dies zum einen für diejenigen Personen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen, leitende Angestellte und Organmitglieder eine gewisse Schnittmenge zum „Normalarbeitnehmer“ aufweisen. Zum anderen ist die Übertragbarkeit auf Vertragstypen, deren Hauptgegenstand wie beim Arbeitsverhältnis in der Verpflichtung einer Partei zur Leistung von Diensten geprägt sind, zu untersuchen. Es sind das der Dienst- und Werkvertrag, der Auftrag, die Verwahrung sowie ihre jeweiligen handelsrechtlichen Sonderformen (Transportverträge, Lagergeschäft). Für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage sind jeweils zwei Gesichtspunkte zentral: Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die privilegierte Arbeitnehmerhaftung auf einer richterlichen Rechtsfortbildung beruht, deren rechtstheoretische Legitimation in der planwidrigen Lückenhaftigkeit des BGB zu sehen ist. Erste Voraussetzung für die Übertragbarkeit der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ist daher das Vorliegen einer solchen planwidrigen Lücke. 2333 Mit anderen Worten: Wo das einfache Gesetzesrecht ein spezielles Haftungsregime statuiert, müssen die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung unanwendbar bleiben, selbst wenn man den betroffenen Schädiger für gleichermaßen schutzwürdig wie einen Arbeitnehmer hält. 2334 Zweitens ist bei der Bestimmung der Reichweite der Haftungsprivilegierung nicht formal anhand der Wegscheide des Arbeitnehmerbegriffs zu operieren, denn man kann sich, wie Richardi zutreffend angemerkt hat, „rechtsdogmatisch nicht damit begnügen, daß ein bestimmtes Rechtsprinzip nur deshalb Anwendung findet, weil es sich um einen Arbeitnehmer handelt.“2335. Stattdessen muss man vielmehr „[…] den materiellen Geltungsgrund arbeitsrechtlicher Regelungen in die Beurteilung mit einbeziehen.“2336. Zur Beantwortung der Frage, ob die Grundsätze privilegierter Arbeitnehmerhaftung auf andere Konstellationen übertragbar sind, ist daher zu klären, ob das sie tragende, vor allem durch die Faktoren der Fremdbestimmtheit und -nützigkeit geprägte Betriebsrisiko die Singularität der klassischen Arbeitsvertragsbeziehung widerspiegelt und 2333 Weil es um eine Übertragung richterrechtlicher Grundsätze geht, finden die für Gesetzesanalogien geltenden Grundsätze zwar nicht direkt, aber doch „analog“ Anwendung. 2334 Joussen, RdA 2006, 129, 133 f.; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1477; Waltermann, RdA 2005, 98, 103. 2335 Richardi, JZ 1986, 796, 805. 2336 Richardi, JZ 1986, 796, 805.
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deshalb nur in diesem Bereich eine Haftungsmilderung zu begründen vermag, oder ob sich dieser Gedanke auch auf andere Personen/Konstellationen ausdehnen lässt. 2337 bb) Arbeitnehmerähnliche Personen (1) Begriff und Meinungsstand Arbeitnehmerähnliche Personen sind keine Arbeitnehmer, weil sie mangels Eingliederung in die Betriebsorganisation des „Auftraggebers“ und Weisungsgebundenheit nicht persönlich von diesem abhängig sind.2338 Stattdessen ist für ihre Position eine wirtschaftliche Abhängigkeit und eine einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzwürdigkeit charakteristisch, die sich daraus speist, dass sie überwiegend für eine Person tätig werden und die von ihnen geschuldete Leistung persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern zu erbringen ist (so – verkürzt wiedergegeben – die Definition des § 12a I Nr. 1 TVG). 2339 Umstritten ist, ob die Haftungsprivilegierung auf sie auszudehnen ist. Teilweise wird dies mit eben dem Argument abgelehnt, es fehle an der erforderlichen persönlichen Abhängigkeit, insbesondere der Weisungsgebundenheit. 2340 Andere sehen hingegen ausreichend Parallelen zum klassischen Arbeitnehmer, um eine Anwendung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auch auf arbeitnehmerähnliche Personen anzunehmen. 2341 Zwischen diesen beiden Extrempositionen wird vermittelnd auf eine Prüfung der Einzelfallumstände dahingehend abgestellt, ob der Arbeitnehmerähnliche wegen Eingliederung in die Betriebsorganisation oder einer sonstigen vertraglichen Abhängigkeit einem Arbeitnehmer gleichsteht. 2342
2337
So auch Joussen, RdA 2006, 129, 132. ErfK/Preis, § 611, Rn. 110; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 343 zu §§ 611 ff.; MüHdb-Arbeitsrecht/Richardi, § 20, Rn. 12; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 213 f. 2339 Vgl. z.B. auch BAG 15.4.1993 – 2 AZB 32/92, NZA 1993, 789, 792. – Diese gemeinsamen Grundvoraussetzungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur nach Maßgabe des jeweiligen Gesetzes entschieden werden kann, wer jeweils unter den Begriff fällt, MüHdb-Arbeitsrecht/Richardi, § 20, Rn. 3. 2340 BGH 7.10.1969 – VI ZR 223/67, NJW 1970, 34, 35; LAG Berlin 29.10.1990 – 9 Sa 67/90, LAGE Nr. 15 zu § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung; ErfK/Preis, § 619a, Rn. 19; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 59, Rn. 40; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 8, 68; BeckOKArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 6; NK-ArbR/Schöne, § 611, Rn. 891. 2341 BSG 24.6.2003 – B 2 U 39/02 R, NJW 2004, 966, 967; LAG Hessen 17.5.2013 – 13 Sa 857/12, BeckRS 2013, 70404; Erman/Belling, § 619a, Rn. 4; Krause, NZA 2003, 577, 582; HWK/Krause, § 619a, Rn. 20; Zeuner, RdA 1975, 84, 87; Joussen, RdA 2006, 129, 136 f.; HKArbR/Waas/Palonka, § 619a, Rn. 8; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1477. 2342 MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 18; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 65; Schumacher, Haftung, S. 33 f.; ähnlich Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 133; Däubler, NJW 1986, 867, 874. 2338
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(2) Stellungnahme Die Übertragung der Haftungsprivilegierung kann man nicht mit dem „Argument“ ablehnen, der Arbeitnehmerähnliche sei formal nicht als Arbeitnehmer anzusehen. Denn die Reichweite dieser Grundsätze hängt nicht von Begrifflichkeiten, sondern davon ab, ob erstens eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht und zweitens, ob die die Privilegierung tragenden Gründe auch außerhalb des eigentlichen Arbeitsrechts fruchtbar gemacht werden können. Vorliegend bestehen aufgrund gesetzessystematischer Erwägungen schon Zweifel am Vorhandensein einer derartigen Regelungslücke. Denn erstens hat der Gesetzgeber arbeitnehmerähnliche Personen in einer Reihe (neuerer) Gesetze explizit Arbeitnehmern gleichgestellt (zum Beispiel § 5 I 2 ArbGG, § 2 S. 2 BUrlG, § 6 I 1 Nr. 3 AGG, § 3 Nr. 12 lit. f] GenDG, § 7 I Nr. 3 PflegeZG), was zwar eine analoge Heranziehung arbeitsrechtlicher Regelungen im Übrigen nicht apodiktisch ausschließt, angesichts des auf der Hand liegenden Gegenschlusses bedarf dies dann allerdings einer sehr guten Begründung. 2343 Diese lassen sich hier nicht finden, im Gegenteil, hat der Gesetzgeber doch – wenn auch an versteckter Stelle und für Sonderfälle – für drei Gruppen von Nicht-Arbeitnehmern die Geltung der Haftungsprivilegierung angeordnet: Für den Ein-Euro-Jobber, der zwar nicht Arbeitnehmer ist, der aber dennoch bei Ausübung seiner Tätigkeit nur wie ein Arbeitnehmer haftet, § 16d VII 2, 3 SGB II, für Teilnehmer an einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr (§ 13 S. 2 JFDG)2344 sowie für Freiwillige nach dem Bundesfreiwilligengesetz (§ 9 II BFDG). Da dem Gesetzgeber die Diskussion um die Anwendbarkeit der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auf arbeitnehmerähnliche Personen bekannt sein muss, ist die Tatsache, dass er bis jetzt davon abgesehen hat, für sie den § 16d VII 3 SGB II, § 13 S. 2 JFDG, § 9 II BFDG vergleichbare Regelung zu schaffen, so zu deuten, dass er eine Ausdehnung dieser Grundsätze auf sie nicht wünscht. Damit dürfte es an der notwendigen ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke für eine Übertragung der richterrechtlichen Grundsätze fehlen. Selbst wenn man das anders sähe, wäre eine Ausdehnung der Haftungsprivilegierung nur möglich, wenn die diese legitimierenden Faktoren auch bei arbeitnehmerähnlichen Personen vorlägen. Maßgeblich ist nach hier vertrete2343 Vgl. ErfK/Preis, § 611, Rn. 113; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 345 vor §§ 611 ff. Beispielsweise wird eine Anwendung des Teilzeit- und Befristungsrechts auf sie ebenso abgelehnt (BAG 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit [juris Rn. 30]; ErfK/Müller-Glöge, § 620, Rn. 4; MüKo-BGB/Hesse, § 620, Rn. 7) wie die Erstreckung des allgemeinen oder besonderen Kündigungsschutzes (MüKoBGB/Hergenröder, § 1 KSchG, Rn. 3; ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 27; ErfK/Preis, § 611, Rn. 113.). 2344 Deren fehlende Arbeitnehmereigenschaft ergibt sich erstens aus § 13 JFDG, der abschließend die anwendbaren arbeitsrechtlichen Regelungen bestimmt, sowie zweitens aus der Begriffsbestimmung des „Freiwilligen“, sind damit doch nur Personen gemeint, die ohne Erwerbsabsicht handeln (§ 2 I Nr. 1 JGDG).
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ner Auffassung, dass der Arbeitnehmer fremdbestimmt und -nützig in einem Dauerschuldverhältnis, in dessen Verlauf aufgrund des „Faktors Mensch“ jedem einmal ein Fehler unterlaufen kann, tätig wird. 2345 Zwar steht auch ein Arbeitnehmerähnlicher in der Regel in einer Dauerschuldbeziehung zu seinem „Auftraggeber“ und wird im obigen Sinne fremdnützig tätig. Die genannte Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers liegt aber nur vor, wenn und weil der Arbeitgeber mittels Weisungsrechts und seiner Herrschaft über die Betriebsorganisation, in die der Arbeitnehmer eingegliedert ist, die dessen Haftungsrisiko maßgeblich beeinflussenden Parameter steuert. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es legitim, dem Arbeitgeber einen abstrakt-typisierten Schadensverursachungsbeitrag zuzurechnen. Nun ist es zwar zutreffend, dass für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nicht formal nach den Begriffskategorien vorgegangen werden darf. 2346 Nimmt man aber die Begriffsbestimmung arbeitnehmerähnlicher Personen in Abgrenzung zum Arbeitnehmer ernst, fehlt es bei ersterem strukturell angesichts der Weisungsungebundenheit und der mangelnden Eingliederung in die vom „Auftraggeber“ vorgegebene Betriebsorganisation aber an einer derartigen, eine Haftungsmilderung rechtfertigenden Fremdbestimmung. Die für den Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierung maßgebende Demarkationslinie wird insoweit also in der Tat durch die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlicher Person gezogen. Aber wohlgemerkt: Hierbei handelt es sich nicht um eine formell, sondern um eine materiell begründete Unterscheidung. (3) Ergebnis Die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung sind auf arbeitnehmerähnliche Personen nicht anzuwenden, weil es an der erforderlichen Fremdbestimmtheit ihrer Arbeit im Sinne einer persönlichen Abhängigkeit fehlt. cc) Leitende Angestellte (1) Begriff und Meinungsstand Eine allgemeinverbindliche Legaldefinition des Begriffs des leitenden Angestellten existiert nicht, die Abgrenzung in den einzelnen Gesetzen (zum Beispiel § 14 II KSchG, § 5 III BetrVG) ist daher jeweils unterschiedlich vorzunehmen. 2347 Gemeinsames Charakteristikum ist aber ihre besondere Stellung zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber, die aus ihrer regelmäßig bestehenden Führungsverantwortung in Leitungsfunktionen und einem vergleichsweise weiten Gestaltungsspielraum resultiert. 2348 Soziologisch stellen sie 2345 2346 2347 2348
Oben § 2 F III 1 a). Joussen, RdA 2005, 129, 136 f. MüHdb-ArbR/Richardi, § 19, Rn. 5; MüKo-BGB/Hergenröder, § 14 KSchG, Rn. 15. Vgl. auch die in § 5 III 2 BetrVG genannten Kriterien.
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damit zwar eine eigene Gruppierung dar, juristisch zählen sie dennoch – anders als arbeitnehmerähnliche Personen – zum Kreis der Arbeitnehmer, wobei allerdings zahlreiche Arbeitnehmerschutzrechte nicht auf sie anwendbar sind. 2349 Angesichts dessen ist fraglich, ob die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung auf sie erstreckt werden können. Das BAG bejaht das zumindest dann, wenn der Schaden nicht in Wahrnehmung der spezifischen Leitungsaufgabe verursacht wurde. 2350 Der BGH, der lange Zeit eine Ausdehnung der Haftungsprivilegierung apodiktisch ablehnte, 2351 scheint in neuerer Zeit der Auffassung des BAG zuzuneigen. 2352 In der Literatur erfährt das BAG zum Teil Zuspruch, 2353 die herrschende Literatur befürwortet aber – über das BAG hinausgehend – eine umfassende Haftungserleichterung dergestalt, dass der leitende Angestellte in ihren Genuss auch im Rahmen seines eigentlichen Aufgabenbereichs gelange. 2354 In extremer Gegenposition dazu wird ihnen von Kaiser auch außerhalb dieser spezifischen Führungsaufgaben jegliche Privilegierung versagt. 2355 (2) Stellungnahme Wie auch in den übrigen Grenzfällen hängt die Entscheidung über die Anwendung der Haftungsprivilegierung nicht vom Formalkriterium der Arbeitnehmereigenschaft ab. 2356 Maßgeblich ist vielmehr, ob die die Haftungsmilderung tragenden Erwägungen auch bei leitenden Angestellten zutreffen oder nicht.2357 Dem mag man entgegenhalten, dass leitende Angestellte in der Regel zumindest in ihrem eigentlichen Aufgabenbereich wesentlich freier und „selbständiger“ tätig werden als klassische Arbeitnehmer, so dass sie auf die Parameter, die 2349 Vgl. ErfK/Preis, § 611, Rn. 105 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 394 ff. zu §§ 611 ff.; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 236. 2350 BAG 11.11.1976 – 3 AZR 266/75, NJW 1977, 598: „Es handelt sich nicht um eine Tätigkeit, die für Leitende Angestellte charakteristisch wäre und rechtfertigt daher auch keine haftungsrechtliche Ausnahme.“ (Hervorhebung hier). 2351 BGH 25.2.1969 – VI ZR 225/67, VersR 1969, 474; 7.10.1969 – VI ZR 223/67, NJW 1970, 34, 35. 2352 BGH 25.6.2001 – II ZR 38/99, NJW 2001, 3123, 3124: „Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei betrieblich veranlasster Tätigkeit […], die auch gegenüber leitenden Angestellten – jedenfalls, soweit sie nicht Geschäftsführer sind […] – eingreifen […].“ (Hervorhebung hier). 2353 So z.B. Fleck, FS Hilger/Stumpf, S. 197, 216. 2354 Waltermann, RdA 2005, 98, 100; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 59, Rn. 40; Krause, NZA 2003, 577, 581; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 64; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 128; Hanau, FS Lorenz, S. 283, 284 ff.; Boergen, MdR 1971, 178; Bieler, BB 1977, 1000; ErfK/Preis, § 619a BGB, Rn. 19; Sandmann, Haftung, S. 543 ff., der als Ausgleich aber den weit größeren Raum für individualvertragliche Haftungsverschärfungen betont (S. 560 ff.). 2355 Kaiser, AR-Blattei SD, Nr. 70. 2, Rn. 217 f. 2356 Ebenso Joussen, RdA 2006, 129, 131 f.; diesem Aspekt scheint hingegen Waltermann, RdA 2005, 98, 100 Bedeutung zuzumessen. 2357 Die erforderliche planwidrige Regelungslücke liegt angesichts der Einstufung der leitenden Angestellten als Arbeitnehmer vor.
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ihr Schadensrisiko prägen, tendenziell größeren Einfluss haben.2358 Spiegelbildlich dazu ist die Steuerungs- und damit Beherrschungsgewalt des Arbeitgebers geringer, so dass man in der Tat an der Legitimität einer abstrakt-typisierten Zurechnung eines Schadensverursachungsbeitrags zweifeln könnte. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass auch leitende Angestellte – anders als arbeitnehmerähnliche Personen – in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert sind und dem Weisungsrecht ihres Arbeitgebers unterliegen. Auch wenn sie innerhalb dieser Organisation einen gewissen Freiraum besitzen mögen, kann von einer vollen oder gar ausschließlichen Kontrolle über die „Schadensparameter“ kaum gesprochen werden. Beispielsweise mag der Leiter der Kreditvergabeabteilung einer Bank im Grundsatz erheblichen Entscheidungsspielraum besitzen, an die generellen Vorgaben des Unternehmens ist er dennoch gebunden. Zudem wäre es lebensfern, sich die von einem leitenden Angestellten geführte Abteilung als autarke, vom Restbetrieb abgeschottete und daher auch in Bezug auf Schadensrisiken dem alleinigen Einfluss ihres Leiters unterworfene Einheit vorzustellen. Es geht angesichts dessen zu weit, das Betriebsrisiko allein dem leitenden Angestellten aufzuerlegen und den Arbeitgeber insoweit vollständig aus seiner „Verantwortung“ zu entlassen. Auch wenn es sich dabei nicht um ein tragendes Argument handelt, spricht für die Einbeziehung der leitenden Angestellten in den Kreis der Haftungsprivilegierten schließlich, dass dies es entbehrlich macht, bereits bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Haftungsbeschränkung eine verbindliche Abgrenzung vornehmen zu müssen, ob der Schädiger noch „normaler“ Arbeitnehmer, oder ob er bereits leitender Angestellter ist. 2359 Das ist insoweit von Bedeutung, weil eine allgemeingültige Legaldefinition des leitenden Angestellten fehlt, so dass die Gegenauffassung zunächst einmal eine bis jetzt nicht existierende, verlässliche Abgrenzungsformel entwickeln müsste. Mit der hier vertretenen Auffassung wird zugleich ein starres System vermieden, bei dem die gegebenenfalls nur graduellen Unterschiede in der Stellung des Schädigers eine „Alles-oder-nichts-Entscheidung“ erzwingen. An seine Stelle tritt eine flexible Skala, die es dem erkennenden Gericht erlaubt, die Position des Schädigers im Betrieb einer umfassenden Würdigung zu unterziehen (siehe sogleich). Damit ist zwar zugegebenermaßen ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit verbunden, die Gegenauffassung hat aber letztlich angesichts der Unschärfe des Begriffs des leitenden Angestellten das gleiche Problem, und das im früheren und damit bedeutsameren Stadium der Bestimmung des Anwendungsbereichs. Richtigerweise können daher auch leitende Angestellte in den Genuss einer Haftungsmilderung gelangen, und zwar nicht nur für den Bereich ihrer ei2358
So vor allem Kaiser, AR-Blattei SD, Nr. 70. 2, Rn. 216 f. Joussen, RdA 2006, 129, 133; diesem Gesichtspunkt sogar stärkere Bedeutung zusprechend ErfK/Preis, § 619a BGB, Rn. 19; so wohl auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 128. 2359
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gentlichen Leitungsfunktion, sondern – erst recht – außerhalb dessen. Nun wäre es allerdings wenig überzeugend, die Besonderheiten leitender Angestellter vollständig unter den Tisch fallen zu lassen, indem man die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung unmodifiziert zur Anwendung bringt. Denn wenn tragende Säule der Haftungsprivilegierung die abstrakt-typisierte Zurechnung eines Schadensverursachungsbeitrags an den Arbeitgeber aufgrund dessen überlegener Stellung infolge von Organisationsherrschaft und Weisungsrechts ist, muss eine herausgehobene, vergleichsweise weniger fremdbestimmte Stellung des leitenden Angestellten Berücksichtigung finden, soweit sein eigentlicher Leitungsbereich betroffen ist. Das ist jedoch im Rahmen der insoweit ausreichend flexiblen Arbeitnehmerhaftung möglich. Offenkundig ist das im Bereich „normaler“ Fahrlässigkeit, bei der nach im Grundsatz zutreffender Auffassung des BAG eine Abwägung stattzufinden hat, innerhalb derer die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb zu berücksichtigen ist. 2360 Gleiches gilt, so man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – im Bereich grober Fahrlässigkeit eine Haftungsmilderung für möglich hält.2361 Prima vista nicht möglich ist es hingegen, die Sondersituation leitender Angestellter bei der leichtesten Fahrlässigkeit zu berücksichtigen, weil hier apodiktisch eine Haftung ausscheidet. Allerdings kann der besonderen Stellung leitender Angestellter insoweit Rechnung getragen werden, als an den von ihnen geschuldeten objektiven Sorgfaltsmaßstab höhere Anforderungen gestellt werden, so dass ein Fehlverhalten leichter als mittlere denn als leichteste Fahrlässigkeit qualifiziert werden kann. 2362 (3) Zwischenergebnis Auf leitende Angestellte sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung im Kern anwendbar, wenn auch mit Modifikationen für Schäden, die bei Wahrnehmung der spezifischen Leitungsfunktion verursacht wurden. dd) GmbH-Geschäftsführer (1) Meinungsstand Fraglich ist ferner, ob GmbH-Geschäftsführer in den Genuss einer Haftungsprivilegierung gelangen können. Während dies vereinzelt pauschal bejaht wird, weil ein Geschäftsführer im Hinblick auf seine Tätigkeit und die Gefahr, infolge leichter Fahrlässigkeit einem ruinösen Schadensersatzanspruch ausgesetzt zu sein, einem leitenden Angestellten vergleichbar sei, 2363 lehnen andere dies apodiktisch ab, solange er nicht ausnahmsweise als Arbeitnehmer anzusehen 2360
Siehe oben § 2 F II 2 b), § 2 F III 1 c) cc) und § 2 F IIII 1 d) dd). Dafür Waltermann, RdA 2005, 98, 100; Krause, NZA 2003, 577, 582. 2362 Zutreffend MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 64; Krause, NZA 2003, 577, 582; Otto/ Schwarze, Haftung, Rn. 128; Joussen, RdA 2006, 129, 133; vgl. auch Schumacher, Haftung, S. 30. 2363 Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1477. 2361
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ist. 2364 Die vermittelnde, herrschende Auffassung2365 spricht sich im Grundsatz ebenfalls dafür aus, dem Geschäftsführer – vorbehaltlich einer im Einzelfall vorliegenden Arbeitnehmerstellung – nicht dem Schutz der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zu unterwerfen. Im Unterschied zur soeben genannten Meinung gelte dies jedoch nur für Schäden aus spezifischer Organtätigkeit, nicht aber bei solchen aus „atypischen Tätigkeiten“; zu letzterem werden zum Beispiel das Führen eines Dienstfahrzeugs2366 oder die Fassung von Beschlüssen unter großer Zeitnot, bei denen keine Möglichkeit zur umfassenden Information und fachmännischen Beratung bestand, gezählt. 2367 (2) Stellungnahme (a) Grundsatz Die Auffassung, GmbH-Geschäftsführern sei generell eine Haftungsprivilegierung einzuräumen, überzeugt nicht. Sie übersieht zunächst, dass mit § 43 I, II GmbHG eine Spezialvorschrift existiert, die den Geschäftsführer zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns verpflichtet und ihn bei Verletzung dieses Maßstabs zum Schadensersatz gegenüber der Gesellschaft verpflichtet. Die Anwendung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde diese gesetzliche Konzeption empfindlich stören, weil ein anderer Haftungsmaßstab statuiert würde. 2368 Es fehlt daher bereits an einer Regelungslücke, die mittels der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung gefüllt werden dürfte; eine Heranziehung dieser Grundsätze wäre daher eindeutig contra legem. 2369 Überdies liegen auch die Erwägungen, die materiell eine Haftungsbeschränkung rechtfertigen, nicht vor. Zwar kann auch der Geschäftsführer einem umfassenden Weisungsrecht der Gesellschafter unterworfen sein, 2370 2364 Joussen, GmbHR 2005, 441, 443 f.; ders., RdA 2006, 129, 135; Lohr, NZG 2000, 1204, 1207 f.; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 19; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 68; BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 6; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a, Rn. 8; Jauernig/Mansel, § 619a, Rn. 5; vgl. LG Bonn 10.4.1995 – 10 O 390/94, NJW-RR 1995, 1435, 1436; offen gelassen von KG 9.10.1998 – 14 U 4823/96, NZG 1999, 400, 402. 2365 Kust, WM 1980, 758, 762; Pollen, BB 1984, 989, 991; Lutter, GmbHR 2000, 301, 312; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 256 f.; Schmidt, in: Ensthaler/Füller/Schmidt, GmbHG, § 43, Rn. 42; Sandmann, Haftung, S. 333 ff.; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 66; Zöllner/ Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 6 mit umfassenden Nachweisen; so möglicherweise auch BGH 27.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467, 469, nach dem die arbeitsrechtlichen Grundsätze nicht anwendbar seien „bei dem Vertretungsorgan einer juristischen Person, das wegen Verletzung seiner normalen Vorstandspflichten in Anspruch genommen wird […].“ (Hervorhebung hier); a.A. Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 43, Rn. 21. 2366 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 257; MüKo- GmbHG/Fleischer, § 43, Rn. 256 m.w.N. 2367 Kust, WM 1980, 758, 762. 2368 Vgl. MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 19; BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 6; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 6. 2369 Zutreffend Joussen, RdA 2006, 129, 136. 2370 Zur Ableitung dieses Weisungsrechts aus § 37 I GmbHG vgl. z.B. Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 37 GmbHG, Rn. 11; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37, Rn. 3.
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typisiert begründet dies aber keine vergleichbare persönliche Abhängigkeit wie bei einem Arbeitnehmer, vor allem weil er nicht in die von einem anderen geprägte Betriebsorganisation einbezogen ist, sondern er sie vielmehr maßgeblich (wenigstens: mit-)gestaltet. 2371 Und die bloße Gefahr, sich in Ausführung der übernommenen Tätigkeit schadensersatzpflichtig zu machen, genügt nach dem oben Gesagten nicht zur Begründung einer Haftungsprivilegierung. (b) Haftungsbeschränkung bei „atypischen“ Tätigkeiten? Fraglich ist deshalb alleine, ob Geschäftsführer wenigstens außerhalb ihrer spezifischen Organtätigkeiten auf eine Haftungsmilderung hoffen können. Insoweit könnte zunächst wiederum § 43 I GmbHG entgegenstehen, was aber voraussetzt, dass dieser hier überhaupt anwendbar ist. Die ganz herrschende Meinung verneint dies, der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmannes gelte nur bei Erfüllung der Geschäftsleiterpflichten, nicht aber zum Beispiel beim (dienstlichen) Führen eines Firmenfahrzeugs. 2372 Dem kann in dieser Allgemeinheit aber nicht zugestimmt werden, weil der Wortlaut denkbar weitgehend von „Angelegenheiten der Gesellschaft“2373 spricht und damit im Gegensatz zu den allein auf die Vorstandsmitgliedertätigkeiten zugeschnittenen § 31a BGB („in Wahrnehmung seiner Vorstandspflichten“) und § 93 I 1 AktG („bei ihrer Geschäftsführung“) steht, was ebenfalls für eine weite Interpretation streitet. Nun wird § 43 I GmbHG zwar zugegebenermaßen außerhalb der eigentlichen Geschäftsleitung oftmals insoweit keinen „sinnvollen“ Aussagegehalt enthalten, als der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht über dasjenige hinausgeht, was nach § 276 BGB ohnehin von jedermann geschuldet ist; das gilt namentlich im genannten Beispiel des Unfalls im Straßenverkehr. Wo das aber anders ist, wo also mit anderen Worten trotz einer nicht geschäftsführertypischen Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes relevant wird, gilt § 43 I GmbHG nach Wortlaut und Systematik dennoch. Insoweit streitet somit bereits § 43 I GmbHG gegen eine Übertragung der Haftungsprivilegierung. Gegen die herrschende Meinung sprechen ferner die mit ihr notwendigerweise einhergehenden Abgrenzungsschwierigkeiten darüber, was noch in den Bereich originärer Geschäftsführertätigkeit fällt. 2374 Diese implizieren die Ge2371
Joussen, RdA 2006, 129, 135, der zudem auf den fehlenden „Vertrauensaspekt“ abstellt. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 10; BeckOK-GmbHG/Ziemons/Haas, § 43, Rn. 45 f.; dies., in: Michalski, GmbHG, § 43, Rn. 42; Oetker, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG, Rn. 16; Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43, Rn. 13; Buck-Heeb, in: Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, § 43, Rn. 22; a.A. – soweit ersichtlich – nur Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 43, Rn. 14. 2373 Nicht überzeugend Oetker, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG, Rn. 16, der aus eben dieser Wendung die von ihm befürwortete Beschränkung auf die Geschäftsführertätigkeit herleiten will. 2374 Ebenso Lohr, NZG 2000, 1204, 1208. – Diese Schwierigkeiten räumen selbst manche Vertreter der h.M. ein, vgl. z.B. BeckOK-GmbHG/Ziemons/Haas, § 43, Rn. 45. 2372
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fahr, dass in Randbereichen oftmals das letztendlich gewünschte Ergebnis (Haftungsmilderung oder nicht) zum entscheidenden Abgrenzungsfaktor auf erster Stufe (Anwendbarkeit) wird. Das lässt sich plakativ am Beispiel Kusts illustrieren, nach dem eine atypische und damit einer Haftungsprivilegierung offenstehende Konstellation auch vorliegen solle, wenn ein Beschluss in großer Zeitnot ohne Gelegenheit zur ausreichenden Vorbereitung getroffen werden musste. 2375 Das ist nicht nur in der Sache absurd – zählt die Fassung von Beschlüssen doch zum Kern jeder Geschäftsleitungstätigkeit –, sondern zeigt auch, welch breites Spektrum an Möglichkeiten eine derart schwammige Abgrenzungs„formel“ ermöglicht. Unabhängig davon spricht entscheidend gegen die herrschende Meinung, dass der Geschäftsführer auch außerhalb typischer Geschäftsleitungsmaßnahmen nicht in einer dem Arbeitnehmer vergleichbaren Weise fremdbestimmt ist und damit der die Haftungsprivilegierung maßgeblich legitimierende Grund auch insoweit nicht vorliegt. 2376 Das lässt sich gerade auch am Standardbeispiel des Straßenverkehrsunfalls zeigen: Während der klassische Arbeitnehmer nicht frei darin ist, wann er zu welchem (Außen-)Termin im dienstlichen Auftrag mit welchem Verkehrsmittel anreist, obliegt beim Geschäftsführer die Entscheidung darüber typischerweise diesem selbst. Wenn dem Sandmann entgegenhält, es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum die Gesellschaft schlechter stehen solle, wenn nicht der Geschäftsführer selbst, sondern sein Chauffeur das Fahrzeug führte, 2377 so übersieht er, dass die bloße Übernahme einer schadensträchtigen Aufgabe richtigerweise noch nicht genügt, um eine Haftungsmilderung zu begründen, sondern dass es darauf ankommt, ob der „Dienstberechtigte“ oder ob der „Dienstverpflichtete“ die maßgeblichen Risikoparameter steuert. Das aber ist auch in Sandmanns Beispiel insoweit der Geschäftsführer, als er selbst entscheiden kann, ob er oder der Chauffeur fährt. (c) Haftungsprivilegierung bei vergleichbarer persönlicher Abhängigkeit Ob ein GmbH-Geschäftsführer Arbeitnehmer der Gesellschaft sein kann, ist zwischen BGH2378 und BAG2379 umstritten. Das sei hier dahingestellt, weil es für die Erstreckung der Haftungsmilderung nicht auf diese formale Unterscheidung ankommt, sondern darauf, ob der Geschäftsführer einem Arbeitnehmer vergleichbar persönlich von der Gesellschaft abhängig sein kann. Das ist richti2375
Kust, WM 1980, 758, 762. Joussen, RdA 2006, 129, 136. 2377 Sandmann, Haftung, S. 339. 2378 BGH 16.12.1953 – II ZR 41/53, NJW 1954, 505, 507; 9.12.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1437; 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 (stets apodiktisch ablehnend mit dem Argument, Organmitglieder übten selbst Arbeitgeberfunktionen aus). 2379 Dies im Grundsatz für möglich haltend BAG 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, NJW 1981, 302; 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405, 2406 f.; 13.5.1992 – 5 AZR 344/91, ZIP 1992, 1496, 1497 (juris Rn. 25). 2376
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gerweise nicht a priori ausgeschlossen, weil durchaus (Ausnahme-)Fälle denkbar sind, in denen er wie ein Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert ist und hinsichtlich Ort, Zeit, Art und Dauer einem umfassenden Weisungsrecht der Gesellschafter (§ 37 I GmbHG) unterliegt, 2380 so dass die die Haftungsmilderung legitimierenden Umstände vorliegen. Einer Übertragung der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung könnte wiederum § 43 I GmbHG entgegenstehen. Allerdings dürfte einiges dafür sprechen, diesen in solchen Konstellationen aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht anzuwenden. So lässt sich argumentieren, der strenge Sorgfaltsmaßstab sei damit zu rechtfertigen, dass eine Gesellschaft, die einen Geschäftsführer bestellt und ihm die typischerweise bestehende weitreichende Handlungsbefugnis einräumt, die ihn zu einer Art Kaufmann in (bei Gesellschaftergeschäftsführern: auch) fremden Angelegenheiten macht, im Gegenzug ein entsprechend hohes Sorgfaltsniveau erwarten kann. Bei einem Geschäftsführer hingegen, der derart von den Gesellschaftern „gegängelt“ wird, dass er einem Arbeitnehmer vergleichbar persönlich abhängig ist, kann dieser Gedanke nicht angeführt werden. Für diese Interpretation des § 43 I GmbHG spricht auch, dass das GmbHG selbst einen Bezug zwischen der Bindung des Geschäftsführers und seiner Haftung zieht, wie der Gegenschluss zu § 43 III 3 GmbHG zeigt. Die ganz herrschende Meinung verneint daher grundsätzlich eine haftungsbegründende Pflichtverletzung des Geschäftsführers, wenn dieser aufgrund einer Weisung der Gesellschafter wenig oder gar keinen Spielraum hatte. 2381 § 43 I GmbHG steht der Anwendung der Haftungsprivilegierung daher nicht entgegen, so dass sich der einem Arbeitnehmer vergleichbar persönlich abhängige Geschäftsführer grundsätzlich auf die Haftungsprivilegierung berufen kann. Das kann aber nicht ausnahmslos gelten. Eine Einschränkung muss jedenfalls für die Sonderfälle des § 43 III 1 GmbHG gemacht werden. Die dort genannten Haftungsfälle bezwecken jeweils den Schutz des Stammkapitals im Interesse der Gesellschaftsgläubiger. 2382 Zwar dient auch § 43 II GmbHG mittelbar dem Gläubigerschutz2383, zwischen Abs. 2 und Abs. 3 besteht aber insoweit ein Unterschied, als die Haftung nach Abs. 2 modifiziert und damit auch 2380 Vgl. die Kriterien bei BAG 13.5.1992 – 5 AZR 344/91, ZIP 1992, 1496, 1497 f. (juris Rn. 27); OLG Jena 14.3.2001 – 7 U 913/00, NZI 2001, 429, 430; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 330 zu §§ 611 ff. 2381 BGH 31.1.2000 – II ZR 189/99, NJW 2000, 1571 m.w.N.; Wicke, GmbHG, § 43, Rn. 15; MüKo- GmbHG/Fleischer, § 43, Rn. 275 ff.; Buck-Heeb, in: Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, § 43, Rn. 71. 2382 Zum Zweck des § 43 III 1 GmbHG vgl. z.B. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 51; MüKo-GmbHG/Fleischer, § 43, Rn. 284; BeckOK-GmbH/Ziemons/ Haas, § 43, Rn. 327. 2383 Michalski/Haas, GmbHG, § 43, Rn. 4; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 10; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 1.
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erleichtert werden kann (vergleiche auch § 46 Nr. 8 GmbHG), wohingegen diejenige nach Abs. 3 für die Gesellschaft, die Gesellschafter und den Geschäftsführer insoweit zwingend ist, wie dies zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (vergleiche §§ 43 III 2, 9b GmbHG beziehungsweise § 43 III 3 GmbHG). 2384 Wenn insoweit also nicht einmal durch explizite Abrede zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer eine Haftungsmilderung begründet werden kann, ist das auch nicht über die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung möglich, weil anderenfalls diese gesetzgeberische Wertung konterkariert würde. Soweit § 43 III 2, 3 GmbHG eingreift, ist eine Haftungsprivilegierung entsprechend der beschränkten Arbeitnehmerhaftung daher nicht möglich. 2385 Fraglich ist, ob es bei dieser Ausnahme sein Bewenden haben kann. Das hängt davon ab, ob eine (explizite) Haftungsbeschränkung auch in anderen Fällen ausgeschlossen ist. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur findet sich hierzu ein breites Meinungsspektrum, 2386 dessen nähere Darstellung den vorliegenden Rahmen sprengen würde; es werden daher im Folgenden allein die Grundsätze des BGH zugrunde gelegt. Danach ist außerhalb des § 43 III GmbHG eine Haftungsmilderung zulässig, und zwar selbst dann, wenn der „entgangene“ Schadensersatz für die Gläubigerbefriedigung benötigt würde; zwar sei eine Erweiterung der Geschäftsführerhaftung für die Gesellschaftsgläubiger von Vorteil, was rechtspolitisch erwünscht sein möge, mit Wortlaut und Systematik des Gesetzes sei dies aber nicht vereinbar. 2387 Entsprechend bleibt eine Anwendung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung außerhalb der § 43 III 2, 3 GmbHG möglich.
2384 Schmidt, in: Ensthaler/Füller/Schmidt, GmbHG, § 43, Rn. 11; Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 43, Rn. 7. 2385 Vgl. auch Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 43, Rn. 21, der allerdings zu weitgehend aus § 43 III 3 GmbHG den Schluss zieht, der Geschäftsführer könne niemals in den Genuss der Haftungsprivilegierung gelangen. 2386 Zum Teil wird analog § 43 III GmbHG eine Abweichung von sämtlichen im Gläubiger- oder Allgemeininteresse liegenden Vorschriften (z.B. § 15a I InsO, §§ 41, 42a, 43a, 49 III, 57 IV, 64 GmbHG) für unzulässig gehalten (Buck-Heeb, in: Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, § 43, Rn. 73; Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43, Rn. 65 f., 54, 68), zum Teil die Unabdingbarkeit auf Vorschriften beschränkt, die unmittelbar dem Kapitalschutz dienen (§§ 43a, 64 GmbHG sowie Verbot des existenzvernichtenden Eingriffs, so Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 47; vgl. auch Paefgen, in: Ulmer, GmbHG, § 43, Rn. 147). Andere halten einen Verzicht stets für unzulässig, soweit der Ersatzanspruch zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist (Lutter, GmbHR 2000, 301, 311; Joussen, GmbHR 2005, 441, 446). 2387 BGH 16.9.2002 – II ZR 107/01, NJW 2002, 3777, 3778; 7.4.2003 – II ZR 193/02, NJW-RR 2003, 895, 896; 18.2.2008 – II ZR 62/07, NJW-RR 2008, 905, 906.
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(d) Zwischenergebnis Auf „normale“ GmbH-Geschäftsführer sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung nicht anwendbar, und zwar entgegen der herrschenden Meinung auch nicht außerhalb der eigentlichen Geschäftsleitertätigkeiten. In den Genuss einer Haftungsprivilegierung kommen aber grundsätzlich Geschäftsführer, die wie ein Arbeitnehmer persönlich abhängig tätig sind; eine Ausnahme ist insoweit nur dort zu machen, wo es um die Sonderhaftungstatbestände des § 43 III 3 GmbHG geht und der Ersatzanspruch zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist. ee) Vorstände von Aktiengesellschaften und Aufsichtsratsmitglieder Unproblematisch abzulehnen ist eine Ausdehnung der Haftungsprivilegierung auf Vorstände von Aktiengesellschaften sowie Aufsichtsratsmitglieder. 2388 Denn insoweit fehlt es an beiden oben statuierten Voraussetzungen für eine Übertragbarkeit: Mit § 93 AktG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 116 AktG) liegt eine abschließende, der Annahme einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke entgegenstehende Haftungsvorschrift vor. Überdies unterliegen diese Organe mangels einer § 37 I GmbHG vergleichbaren Vorschrift keinen Weisungen der Hauptversammlung, sie sind daher niemals im obigen Sinne fremdbestimmt tätig. ff) Freie Dienstverpflichtete, Werkunternehmer, Frachtführer und Spediteure Auf Dienst- und Werkverträge sind die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung – wohl unstrittig – nicht übertragbar.2389 Denn sowohl bei Dienst- wie Werkvertrag fehlt es an einem im obigen Sinne verstandenen, vor allem durch die Fremdbestimmtheit wie -nützigkeit der Tätigkeit des Arbeitnehmers geprägten Schutzbedürfnis des Dienstverpflichteten, Werkunternehmers, Frachtführers und Spediteurs. (1) Fehlende Fremdnützigkeit Anders als beim Arbeitsvertrag werden freie Dienstverpflichtete und Werkunternehmer eigennützig tätig. Beim Werkvertrag ist das schon deshalb offenkundig, weil der Werkunternehmer im Grundsatz nur dann seinen Werklohn verdient, wenn der versprochene Erfolg eingetreten ist; er trägt also das Risiko 2388 OLG Düsseldorf 22.6.1995 – 6 U 104/94, NJW-RR 1995, 1371, 1377; MüHdb-ArbR/ Reichold, § 51, Rn. 66; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 59, Rn. 40. – Das gilt richtigerweise auch für solche Aufsichtsratsmitglieder, die von den Arbeitnehmervertretern gewählt wurden, weil es sich hier um organschaftliche, nicht aber betriebliche, durch Fremdbestimmtheit geprägte Tätigkeiten handelt, MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 19; Edenfeld/Neufang, AG 1999, 49, 53 f. m.w.N. 2389 Ganz h.M., BGH 1.2.1963 – VI ZR 271/61, NJW 1963, 1100; 27.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467 (für Organmitglied); vgl. BeckOK-BGB/Fuchs, § 611, Rn. 90, 99 ff.; Däubler, NJW 1986, 867, 874; so i.E. auch Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1477.
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eines Fehlschlags, wohingegen der Arbeitnehmer nur seine Arbeitsleistung schuldet und folglich selbst dann seinen Lohn beanspruchen kann, wenn der vom Arbeitgeber mit seiner Beschäftigung intendierte Erfolg nicht eingetreten ist. 2390 Nichts anderes gilt für das Verhältnis von Dienst- und Arbeitsvertrag. Denn auch wenn der freie Dienstleister ebenso wie der Arbeitnehmer keinen Erfolg schuldet, sondern „nur“ ein Tätigwerden, trägt er unmittelbar das Risiko, dass seine Geschäftstätigkeit nicht rentabel ist. Anders ausgedrückt: Freier Dienstverpflichteter und Werkunternehmer können unternehmerisch „Schiffbruch“ erleiden und insolvent werden, während dies einem Arbeitnehmer als solchem nicht möglich ist. Kehrseite dieser Medaille ist dann aber eben auch, dass ihre Tätigkeit unmittelbar eigennützig ist. (2) Fehlende Fremdbestimmtheit Darüber hinaus fehlt es typischerweise an der Fremdbestimmtheit ihrer Tätigkeit, weil weder Werkunternehmer noch freier Dienstverpflichteter einem Arbeitnehmer vergleichbar in die Betriebsorganisation des Bestellers/Dienstberechtigten eingegliedert sind. 2391 Überdies sind beide in aller Regel weisungsunabhängig: Im Dienstvertragsrecht folgt dies daraus, dass sein Anwendungsbereich gegenüber dem Arbeitsvertrag „negativ“ bestimmt wird, das heißt ein Dienstvertrag nur vorliegt, wenn der Dienstschuldner nicht Arbeitnehmer und somit nicht aufgrund Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Betriebsorganisation des Dienstberechtigten persönlich abhängig ist, 2392 sondern eigenverantwortlich tätig wird. 2393 Und auch im Werkvertragsrecht ist der Werkunternehmer – wie die Ausnahmevorschrift des § 645 I Alt. 2 BGB zeigt – im Grundsatz frei, auf welche Weise er den versprochenen Erfolg herbeiführt. 2394 Nun sind zwar zugegebenermaßen Situationen denkbar, in denen zumindest die vertragskonzeptionelle Freiheit des freien Dienstverpflichteten oder Werkunternehmers von Fremdbestimmtheit fehlt, zum Beispiel, wenn sie über einen nicht unerheblichen Zeitraum in gewisser Weise in die Betriebsorganisation des Dienstberechtigten/Bestellers integriert sind und dessen Weisungsrecht (§§ 675, 665 BGB) unterliegen.2395 Aber selbst in solchen Konstellationen bestehen signifikante Unterschiede zu dem durch das im obigen Sinne verstandene Betriebs2390
Vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 32 ff. zu §§ 611 ff. Ebenso Waltermann, RdA 2005, 98, 102 zum Fall des einmalig einen PKW überführenden Studenten BGH 1.2.1963 – VI ZR 271/61, NJW 1963, 1100. 2392 Vgl. MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 171; ErfK/Preis, § 611, Rn. 34 f.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 236 ff. zu §§ 611 ff. 2393 MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 78; NK-BGB/Franzen, § 611, Rn. 5. 2394 Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem 53 zu §§ 631 ff.; MüKo-BGB/Busche, § 631, Rn. 60; NK-BGB/Raab, § 631, Rn. 22; BeckOK-BGB/Voit, § 631, Rn. 10; vgl. auch den Wortlaut von § 4 II Nr. 1 S. 1 VOB/B: „Der Auftragnehmer hat die Leistung unter eigener Verantwortung nach dem Vertrag auszuführen.“. 2395 Vgl. zu dieser Möglichkeit z.B. Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem 29 zu §§ 631 ff. 2391
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risiko geprägte Arbeitsverhältnis. Erstens bleibt es auch insoweit dabei, dass Dienstleistender/Werkunternehmer in dem Sinne eigennützig tätig werden, als sie unmittelbar von Erfolg beziehungsweise Misserfolg ihres Geschäftsbetriebs betroffen sind. Zweitens haben sie meist deutlich höhere Chancen als ein Arbeitnehmer, per Vertragsgestaltung auf potentielle Haftungsrisiken zu reagieren. Zu denken ist hier an vertragliche Freizeichnungsklauseln, vereinbarte2396 Haftungshöchstsummen und sonstige Haftungsmilderungen, wobei wegen § 309 Nr. 7 lit. a) BGB eine Begrenzung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nur außerhalb der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit zulässig ist (vergleiche § 309 Nr. 7 lit. b] BGB). 2397 Wo solche Vereinbarungen nicht möglich sind, wird am Markt in der Regel drittens eine „Einpreisung“ des statistischen Schadensrisikos erfolgen, der Preis für die entsprechende Dienstrespektive Werkleistung also relativ höher sein. Unabhängig davon kann ein freier Diensterbringer/Werkunternehmer viertens meist die aus seiner Tätigkeit entspringenden Haftungsrisiken versichern, 2398 wohingegen dies Arbeitnehmern für gewöhnlich nicht möglich ist. 2399 Genügt ihm dies alles nicht, kann der selbständig Tätige alternativ oder kumulativ schließlich fünftens seine Haftung durch Gründung einer (Einmann-)GmbH oder einer GmbH & Co. KG institutionell begrenzen. 2400 (3) Geltung auch für Transportverträge Diese Aussagen gelten im Wesentlichen auch für die Transportverträge des HGB (Frachtgeschäft, Umzugsvertrag, Speditionsvertrag), weil der jeweilige „Dienstleister“ stets eigennützig tätig wird und nicht in die Betriebsorganisation des „Dienstempfängers“ eingegliedert ist. Die Anwendung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde zudem die gesetzliche Grundkonzeption der verschuldensunabhängigen Haftung (§§ 425, 451, 461 HGB) stören, deren Härten auf anderem Wege, nämlich mittels Haftungshöchstsummen (§§ 431, 433, 451e, 461 HGB) ausgeglichen werden. gg) Verwahrer und Lagerhalter Weil der Verwahrungsvertrag insoweit einen Dienstleistungscharakter aufweist, als der Verwahrer neben der Pflicht zur Gewährung von Raum auch zur Obhut über die verwahrte Sache und damit zu Dienstleistungen (= Maßnahmen 2396 Vereinzelt finden sich sogar gesetzliche Haftungshöchstsummen zugunsten Selbständiger, so für Abschlussprüfer in § 323 II HGB und für Gründungsprüfer in § 49 AktG. 2397 Vgl. auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 47. 2398 Zum Teil besteht hierzu sogar eine Verpflichtung aus Gesetz, Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder einer berufsständischen Kammer (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte). 2399 Gamillscheg/Hanau, Haftung, S. 51, 116 f.; Hanau, BB 1972, 4, 8; ausführlich Buchner, RdA 1972, 153, 161. 2400 H. Döring, Arbeitnehmerhaftung, S. 119; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 47; Otto, Gutachten für den 56. DJT, E 49 f.
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zur Sicherung und Erhaltung der Sache2401) verpflichtet ist, ist auch insoweit eine Abgrenzung zum Arbeitsvertrag vorzunehmen. Anders als für die entgeltliche besteht bei der unentgeltlichen Verwahrung zwar insoweit eine Parallele, als die Tätigkeit des Verwahrers fremdnützig ist.2402 Jedoch fehlt es an der zweiten, die beschränkte Arbeitnehmerhaftung tragenden Säule, der Fremdbestimmung des Verwahrers. Da die Verwahrung in seinen Räumen erfolgt, ist dieser nicht mit der Folge, dass er die für das Haftungsrisiko maßgeblich prägenden Faktoren nicht bestimmen könne, in die Betriebsorganisation des Hinterlegers eingebunden. Einer Ausdehnung der privilegierten Arbeitnehmerhaftung auf den Verwahrer steht zudem § 690 BGB entgegen: In Bezug auf die unentgeltliche Verwahrung darf die gesetzgeberische Wertung, nach der im Ausgleich 2403 für die Unentgeltlichkeit eine Haftungsmilderung („nur“) auf die diligentia quam in suis erfolgen soll, nicht über die zum Teil weitergehenden Arbeitnehmerhaftungsregelungen ausgehebelt werden. Damit verbietet es sich erst recht, sie auf die entgeltliche Verwahrung zu erstrecken, würde dann doch der gegen eine Gegenleistung tätig werdende Verwahrer sinnwidrig stärker geschützt als der unentgeltlich Tätige. Für den – stets entgeltlichen (§ 467 II HGB) – handelsrechtlichen Lagervertrag kann nichts anderes gelten, weil er nur eine Spezialform der Verwahrung ist. 2404 Überdies wäre die Übertragung der Haftungsprivilegierung für Arbeitnehmer mit der besonderen Haftungsregelung des § 475 HGB nicht vereinbar. hh) Beauftragte Problematischer erscheint eine Abgrenzung zum Auftragsrecht. Denn erstens ist der Auftragnehmer angesichts seiner Unentgeltlichkeit (§ 662 BGB) in mindestens demselben Maße fremdnützig tätig wie ein Arbeitnehmer; berücksichtigt man, dass letzterer immerhin darauf hoffen kann, dass sich – auch wegen seiner eigenen Arbeitsleistungen – die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers gut entwickelt und er letztlich in Form von Lohnsteigerungen oder sonstigen Vergünstigungen davon profitiert, wird der Beauftragte sogar noch „fremdnütziger“ tätig. Seine Tätigkeit ist zweitens ebenfalls fremdbestimmt, weil der Auftraggeber ihm gegenüber weisungsberechtigt ist und der Beauftragte von einer Weisung nur unter den engen Voraussetzungen des § 665 BGB abweichen darf. 2405 2401 Vgl. MüKo-BGB/Henssler, § 688, Rn. 7; BeckOK-BGB/Gehrlein, § 688, Rn. 3; in Bezug auf Erhaltungsmaßnahmen einschränkend Soergel/Schur, § 688, Rn. 25. 2402 Vgl. zur Fremdnützigkeit als Legitimation des § 690 BGB MüKo-BGB/Henssler, § 690, Rn. 1. 2403 Vgl. zur „Ausgleichsfunktion“ des § 690 BGB Staudinger/Reuter, § 690, Rn. 1; NKBGB/Klingelhöfer, § 690, Rn. 1. 2404 Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 467, Rn. 4 f.; Koller/Roth/Morck, HGB, § 467, Rn. 1. 2405 Vgl. z.B. MüKo-BGB/Seiler, § 662, Rn. 50; Staudinger/Martinek, § 662, Rn. 24.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Beides scheint es nahe zu legen, die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auch auf den Auftragnehmer anzuwenden. 2406 Die ganz herrschende Meinung lehnt eine generelle Haftungsprivilegierung des Beauftragten – sei es in Analogie zu den §§ 521, 599, 690, 277 BGB, sei es in Anwendung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung – mit der Ausnahme einer analogen Heranziehung des § 680 BGB aber zu Recht ab.2407 Gegen ersteres spricht neben dem Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke der explizit geäußerte Wille des Gesetzgebers, der dem Auftragnehmer wegen des von ihm in Anspruch genommenen Vertrauens in die Durchführung des übernommenen Auftrags keine Haftungsprivilegierung zugestehen wollte. 2408 Überdies lassen sich trotz Fremdbestimmtheit und -nützigkeit der Tätigkeit des Auftragnehmers Argumente finden, warum er nicht in den Genuss einer Haftungserleichterung à la beschränkter Arbeitnehmerhaftung gelangen soll. Erstens beruht diese (auch) auf der empirischen Beobachtung, dass Arbeitnehmer fast aller Professionen statistisch im Laufe ihres Berufslebens mindestens einen Schadensfall verursachen. Das Element der typisierten Dauerhaftigkeit von Arbeitsverhältnissen und der daraus resultierenden, ansteigenden Wahrscheinlichkeit der Herbeiführung eines Schadens fehlt aber beim meist kurzfristig angelegten Auftrag. Vor allem aber widerspräche die Anwendung des arbeitnehmerprivilegierenden Haftungsregimes auf den Auftragnehmer dem Willen des historischen Gesetzgebers. Wenn dieser sich bewusst dagegen entschied, im Auftragsrecht eine den §§ 521, 599, 680 BGB entsprechende Haftungsreduktion auf 2406 Vgl. Erman/Ehmann12 , § 662, Rn. 21, der daraus analog § 690 BGB eine Haftungsbeschränkung auf die eigenübliche Sorgfalt ableitet. Das ist schon deshalb „schief“, weil bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung stets eine Haftungsbefreiung bei leichter Fahrlässigkeit erfolgt, wohingegen dies bei den §§ 690, 277 BGB nur geschieht, wenn der Schädiger auch in eigenen Angelegenheiten ein entsprechend hohes Sorgfaltsniveau an den Tag legt (vgl. BGH 22.6.1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 109). 2407 Staudinger/Martinek, § 662, Rn. 43; Soergel/Beuthien, § 662, Rn. 16; MüKo-BGB/ Seiler, § 662, Rn. 55 f.; NK-BGB/Schwab, § 662, Rn. 25; BeckOK-BGB/Fischer, § 662, Rn. 14; PWW/Fehrenbacher, § 662, Rn. 14; Palandt/Sprau, § 662, Rn. 11; Palandt/Grüneberg, § 276, Rn. 45; vgl. auch BGH 22.6.1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 110 (juris Rn. 19); 30.4.1959 – II ZR 126/57, NJW 1959, 1221, 1223; OLG Hamm 29.11.2004 – 13 U 59/04, NJW-RR 2006, 104; OLG Köln 30.4.2002 – 22 U 217/01, VersR 2004, 189, das in juris Rn. 37 f. die Möglichkeit einer gesetzlichen Haftungsmilderung nicht einmal mehr erwähnt; ebenso schon BGH 30.4.1959 – II ZR 126/57, NJW 1959, 1221, 1222 f. – Etwas anderes gilt nur in den Fällen des § 680 BGB (z.B. Staudinger/Martinek a.a.O.) sowie bei Vereinbarung einer Haftungsbegrenzung (OLG Frankfurt 18.11.1997 – 17 U 103/96, NJW 1998, 1232, 1232 f.); bei der Annahme einer stillschweigenden vertraglichen Haftungsmilderung ist aber Vorsicht geboten, weil ein allgemeiner konkludenter Haftungsausschluss eine der gesetzlichen Grundwertung widersprechende Fiktion bedeutete, OLG Köln 30.4.2002 – 22 U 217/01, VersR 2004, 189, 190; OLG Hamm 7.11.2009 – 29 U 47/00, NJW-RR 2001, 455, 456; PWW/Fehrenbacher a.a.O. 2408 Motive II S. 530 f.; Protokolle II, S. 393, wo der Unterschied zwischen Auftrag und Verwahrung betont wird; siehe auch MüKo-BGB/Seiler, § 662, Rn. 55; Staudinger/Martinek, § 662, Rn. 42 m.w.N.
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die eigenübliche Sorgfalt zu normieren, darf das nicht über die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung ausgehöhlt werden, und zwar umso mehr, als es sich um das weitergehende Haftungsbegrenzungsmodell handelt, wird die Haftung für leichte Fahrlässigkeit doch stets ausgeschlossen, wohingegen dies bei zum Beispiel § 690 BGB nur der Fall ist, wenn sich der Verwahrer auch in eigenen Angelegenheiten entsprechend unsorgfältig verhält. 2409 ii) Ehrenamtliche Vereinsmitglieder Auch ehrenamtliche Vereinsmitglieder konnten nach traditioneller herrschender Ansicht in den Genuss einer Haftungsprivilegierung im Stile der beschränkten Arbeitnehmerhaftung gelangen. Inwieweit dies überzeugend war, kann dahingestellt bleiben. Eine Erstreckung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auf Vereinsmitglieder scheidet nämlich jedenfalls seit Einführung des § 31b BGB zum 19.5.2013 aus, weil damit die Problematik einer abschließenden Regelung zugeführt wurde, so dass es an der für eine Anwendung dieser Grundsätze erforderlichen Regelungslücke gebricht. jj) Gesamtergebnis Die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung sind nach hier vertretener Auffassung nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen, Aufsichtsratsmitglieder, Vorstände von Aktiengesellschaften, freie Dienstverpflichtete, Werkunternehmer, Frachtführer, Spediteure, Verwahrer, Lagerhalter und Beauftragte anzuwenden. GmbH-Geschäftsführer gelangen nur dann in Genuss einer Haftungsprivilegierung, wenn sie ausnahmsweise wie ein Arbeitnehmer persönlich abhängig tätig sind. Auf leitende Angestellte sind sie hingegen anwendbar, allerdings nur mit Modifikationen, die ihrer herausgehobenen Stellung im Betrieb geschuldet sind.
IV. Verfassungskonformität der beschränkten Arbeitnehmerhaftung Wie jede Haftungsbeschränkung sind auch die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung geeignet, Grundrechtspositionen des Geschädigten zu beeinträchtigen. Sie sind daher kurz auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. 1. Verletzung der Eigentumsfreiheit (Abwehrkomponente)? Zu denken wäre zunächst daran, in der vollständigen Versagung oder zumindest Kürzung des Schadensersatzanspruchs gegen den schädigenden Arbeitnehmer einen Eingriff in das über Art. 14 GG geschützte Forderungsrecht des Arbeitgebers zu sehen. Zwar schützt Art. 14 I GG im Grundsatz auch privat2409
Vgl. BGH 22.6.1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 110.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
rechtliche Ansprüche. 2410 Sein Schutz beschränkt sich aber auf das bereits Erworbene, das heißt Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen. Die bloße Möglichkeit des Hinzuverdienstes wird mithin nicht geschützt.2411 Vorliegend wird dem Arbeitgeber durch die beschränkte Arbeitnehmerhaftung nun aber kein Anspruch genommen, den er einmal hatte, ein privatrechtlicher Anspruch ist vielmehr niemals entstanden. Mangels Eröffnung des Schutzbereichs scheidet eine Verletzung der Eigentumsfreiheit unter dem Aspekt eines Abwehrrechts daher aus. 2. Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 14 I GG? Grundrechte haben nach heutigem Erkenntnisstand nicht nur Abwehrfunktion, sondern enthalten auch eine Schutzpflichtdimension. Danach ist der Staat verpflichtet, sich „schützend und fördernd“2412 vor das Grundrecht zu stellen und die Rechtsordnung so zu gestalten, dass „in ihr und durch sie die Grundrechte gesichert sind und die von ihnen gewährleisteten Freiheiten sich wirksam entfalten können“2413. Für den Schutz privaten Eigentums kommt dem zivilrechtlichen Haftungsrecht eine wichtige Rolle zu, weil es einen potentiellen Schädiger von sorgfaltswidrigem Verhalten abhalten (Präventivfunktion) und, wenn dieses Ziel nicht erreicht wurde, durch Naturalrestitution oder wenigstens Entschädigungszahlung die erlittene Rechtsgutsverletzung ausgleichen soll (Kompensationsfunktion). 2414 Wie jede Haftungsbeschränkung beeinträchtigen auch die Regeln der beschränkten Arbeitnehmerhaftung die Kompensationsfunktion des Haftungsrechts und damit – potentiell – auch dessen Präventivfunktion. Man könnte daher auf die Idee kommen, das damit einhergehende verminderte Schutzniveau verletze die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers.2415 Zwar kann man bei einer richterrechtlich entwickelten Haftungsbeschränkung nicht den sehr großzügigen Prüfungsmaßstab (= evidente Unterschreitung des Schutzniveaus2416) anlegen, der gilt, soweit es um die Bewertung von
2410 Vgl. BVerfGE 45, 142, 197; 83, 201, 208; 68, 193, 222; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 152; siehe auch oben § 1 F I 1. 2411 BVerfGE 20, 31, 34; 31, 212, 220. 2412 BVerfGE 46, 160, 164. 2413 Klein, DVBl 1994, 489, 491; vgl. allg. HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 12 ff. 2414 Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227; HdBStR/Isensee, Band V, § 111, Rn. 128; siehe näher § 2 E V 1 b). 2415 Eine Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG über die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung scheidet hingegen aus, weil nach dem oben (§ 2 E III 2 b]) Gesagten bei Verletzung des Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit bereits der vorrangige § 105 SGB VII eingreift, die beschränkte Arbeitnehmerhaftung also gar nicht mehr relevant wird. 2416 Vgl. BVerfGE 49, 89, 142; 56, 54, 80; 77, 381, 404 f.; 79, 174, 198.
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Handlungen oder Unterlassungen des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Schutzpflicht geht, ist dieser doch dem aus dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip abgeleiteten gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum geschuldet. 2417 Dennoch scheidet eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten durch die Statuierung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung aus. Der Große Senat des BAG hat die Grundrechtspositionen des geschädigten Arbeitgebers nicht übersehen, zu Recht aber darauf hingewiesen, dass diese durch seine Rechtsprechung nicht in einer Weise eingeschränkt würden, dass dies dem Ziel praktischer Konkordanz widerspräche. 2418 Dem ist im Ergebnis unabhängig davon zuzustimmen, ob man – wie es der Große Senat tut – die beschränkte Arbeitnehmerhaftung zum Schutz des Arbeitnehmers verfassungsrechtlich für geboten hält. Denn jedenfalls existieren erstens mit dem Betriebsrisiko und dem Fürsorgegedanken legitime Gründe für den mit der richterlichen Rechtsfortbildung einhergehenden abgeschwächten Schutz der Eigentumspositionen des Arbeitgebers. Zudem statuieren die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zweitens keine einseitige, ausschließlich zugunsten des Arbeitnehmers gehende Haftungsprivilegierung, bei der die berechtigten Interessen des Arbeitgebers vollständig oder auch nur übermäßig außer Betracht blieben. Eine vollständige Haftungsentlastung erfährt der Arbeitnehmer nur bei leichtester Fahrlässigkeit, bei jeder darüber hinausgehenden Schuldstufe findet mindestens eine Schadensteilung statt, wenn nicht sogar der Arbeitnehmer den Schaden alleine zu tragen hat. Damit ist der innerbetriebliche Schadensausgleich für den Arbeitgeber im Vergleich zu gesetzlichen Vorschriften, die generell eine Haftungsmilderung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vorsehen (beispielsweise §§ 521, 680, 690 BGB), und an deren Verfassungsmäßigkeit kein Zweifel besteht, sogar günstiger, was ebenfalls gegen eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten spricht. 3. Fazit Die besondere Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers über die richterrechtlichen Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
V. Normative Verankerung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung Von der rechtspolitischen und -dogmatischen Legitimation sowie der konzeptionellen Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung ist die Frage zu unterscheiden, wo diese Grundsätze einfachgesetzlich verankert werden können. Dabei ist zwischen den beiden Bestandteilen der beschränkten Ar2417 2418
Siehe näher § 1 F III 3. BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1085 f.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
beitnehmerhaftung, die nach hier vertretener Auffassung die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung tragen – Betriebsrisiko einerseits, Fürsorgegedanke andererseits – zu differenzieren. 1. Betriebsrisiko a) Traditionell: Verortung bei § 254 I BGB analog Seit mehreren Jahrzehnten sehen das BAG und mit ihm das herrschende Schrifttum in einer entsprechenden Anwendung des § 254 I BGB den einfachgesetzlichen Transmissionsriemen zur normativen Verankerung der Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung. 2419 Gegen eine (analoge) Anwendung von § 254 I BGB spricht zwar, dass dieser konzeptionell auf eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im konkreten Einzelfall gerichtet ist, 2420 was bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung angesichts der Orientierung an der Verschuldensstufe nur in eingeschränktem Maße und nur im Bereich mittlerer und – folgt man entgegen der hier vertretenen Auffassung dem BAG – gegebenenfalls bei grober Fahrlässigkeit erfolgt. Dennoch überzeugt die Anknüpfung an § 254 I BGB für die Haftungsmilderung aufgrund des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos im Grundsatz2421. Entscheidend ist nämlich, dass es – wie im originären Anwendungsbereich des § 254 I BGB – um die Abwägung von Schadensverursachungsbeiträgen geht. Dabei besteht nur insoweit ein (bedeutungsloser) Unterschied, als der Schadensverursachungsbeitrag auf verschiedene Weisen begründet wird: Im direkten Anwendungsbereich mit einem konkret schadensverursachenden Verhalten, im vorliegenden Zusammenhang dagegen mittels eines abstrakt-typisierten Schadensverursachungszurechnungsgrunds. Eine Anknüpfung an § 254 I BGB hat zudem den Vorteil, dass sich das „gewünschte“ Rechtsfolgensystem der beschränkten Arbeitnehmerhaftung mit seinen Abstufungen unschwer darunter subsumieren lässt, ermöglicht § 254 I BGB (analog) doch eine gleitende Skala von der vollständigen Haftungsbefreiung bis hin zur vollen Einstandspflicht des Arbeitnehmers. 2422 Schließlich 2419 BAG 7.7.1970 – 1 AZR 505/69, AP Nr. 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (juris Rn. 56, damals noch unter Verweis auf §§ 254, 430, 840, 846 BGB, § 17 StVG, § 41 LuftVG, § 9b HaftPflG); 23.3.1983 – 7 AZR 391/79, NJW 1983, 1693, 1694; 24.11.1987 – 8 AZR 66/82, NZA 1988, 584, 584; BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1084 f.; BGH 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852, 854; 11.3.1996 – II ZR 230/94, NJW 1996, 1532; aus der Literatur vgl. z.B. Canaris, RdA 1966, 41, 46 f.; Gick, JuS 1980, 393, 398; Dütz, NJW 1986, 1779, 1784; Eich, NZA 1984, 65, 72; Brox/Walker, DB 1985, 1469, 1470; Kothe, BB 1983, 1603, 1604. 2420 Vgl. z.B. MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 105; BeckOK-BGB/Unberath, § 254, Rn. 57. 2421 Zur Tragweite der normativen Verankerung bei § 254 I BGB siehe unten § 2 F V 1. 2422 Zwar führt § 254 I BGB in aller Regel nicht zu einer 100:0–Lösung, sondern wird unter Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsanteile die Schadenstragung aufgeteilt. Er erlaubt aber dennoch auch „Alles-oder-Nichts-Entscheidungen“, wie Rechtsprechung
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liegt unzweifelhaft eine (ursprünglich) planwidrige Regelungslücke vor, fanden sich erste Ansätze für eine besondere Haftungsprivilegierung für Arbeitnehmer doch erst in der Entscheidung des ArbG Plauen 2423, die 36 Jahre nach Inkrafttreten des BGB erging. b) Änderung durch die Schuldrechtsreform 2002? Im Gefolge der Schuldrechtsreform wurde streitig, ob diese traditionelle Verankerung in § 254 I BGB (analog) weiterhin Bestand haben könne2424 oder ob nicht vielmehr § 276 I 1 BGB mit seinem Passus, aus dem „sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“ könne sich ein vom Normalfall der Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit divergierender Haftungsmaßstab ergeben, heranzuziehen sei2425. Eine dritte Ansicht stellt auf eine Kombination beider Paragraphen ab. 2426 Zugunsten der (auch) Anwendbarkeit von § 276 I 1 BGB wird neben seinem Wortlaut die Entwurfsbegründung angeführt, in der sich der Wille des Gesetzgebers manifestiere, die beschränkte Arbeitnehmerhaftung nunmehr an § 276 I 1 BGB aufhängen zu wollen. 2427 Eine dogmatische Verortung der oben skizzierten Rechtsprechungsgrundsätze bei § 276 I 1 BGB lässt sich aber nicht überzeugend begründen. Denn dieser passt – mit Ausnahme des vollständigen Haftungsausschlusses bei leichtester Fahrlässigkeit – schon von seiner Rechtsfolge her nicht zu der von der Rechtund Literatur für den Fall der vollständigen Schadensaufbürdung auf den Schädiger explizit betonen (vgl. BGH 20.1.1998 – VI ZR 59/97, NJW 1998, 1137, 1138; 7.2.2006 – VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672, 674; Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 111; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 105). Das ist dann aber auch umgekehrt möglich, eine vollständige Befreiung des Arbeitnehmers bei leichtester Fahrlässigkeit kann mithin auch über § 254 I BGB erreicht werden (a.A. ohne Begründung MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 30, 41). Dafür spricht nicht nur, dass kein Grund für eine Ungleichbehandlung beider Konstellationen ersichtlich ist, sondern auch der Wortlaut, nach dem nicht erst der „Umfang des zu leistenden Ersatzes“, sondern bereits die „Verpflichtung zum Ersatz“ (überhaupt) auch von der Mitverantwortung des Geschädigten abhängt; vgl. auch explizit Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 17. 2423 ArbG Plauen ARS 29, 62. 2424 So die h.M., vgl. BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; Henssler, RdA 2002, 129, 133; Waltermann, RdA 2005, 98, 99; Gotthardt, Arbeitsrecht, Rn. 195; Schumacher, Haftung, S. 151 ff.; BeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 16; BeckOK-BGB/Fuchs, § 611 BGB, Rn. 94; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6; B. Schwab, NZA-RR 2006, 449, 450; Servatius, JURA 2005, 838, 841 f. 2425 Dafür BT-Drucks. 14/6857, 48; Reichold, ZTR 2002, 202, 209; in diese Richtung wohl auch Däubler, NZA 2001, 1329, 1331; Busemann, Haftung, S. 44; Palandt/Grüneberg, § 276, Rn. 44. 2426 Preis, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 151; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 30, 41; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 139. 2427 BT-Drucks. 14/6857, S. 48: „Diese Rechtsprechung wird bisher auf § 254 BGB gestützt. Daran ändern die Vorschläge des Entwurfs nichts. Sie bieten der Rechtsprechung vielmehr eine bessere Absicherung dieser Judikatur. […] Diese wird – anders als früher – jetzt in § 276 Abs. 1 BGB-RE ausdrücklich angesprochen, so dass die Rechtsprechung nicht mehr auf den an sich nicht recht passenden § 254 BGB ausweichen muss.“.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
sprechung im Übrigen vorgenommenen stufenweisen Schadensquotelung. 2428 Mit dem Verschulden als Haftungsvoraussetzung regelt er vielmehr allein die Frage, ob der Schädiger dem Grunde nach für den eingetretenen Schaden einzustehen hat oder nicht, und statuiert damit ein starres, inflexibles System der „Alles-oder-nichts-Entscheidung“, das auf Rechtsfolgenseite keinen Raum für eine Schadensteilung lässt. 2429 Überdies passt § 276 I 1 BGB selbst im Bereich leichtester Fahrlässigkeit auch dogmatisch nicht. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung nämlich allein um eine auf Rechtsfolgenseite angesiedelte Problematik, die mit anderen Worten nur darauf zielt, den vom Arbeitnehmer in vorwerfbarer und daher im Grundsatz haftungsbegründender Weise verursachten wirtschaftlichen Schaden „sachgerecht“ auf die Beteiligten zu verteilen. Bei einer Anwendung von § 276 I 1 BGB würde hingegen fälschlicherweise schon auf der vorgelagerten Ebene angesetzt und bereits ein haftungsbegründender Verschuldensvorwurf geleugnet. Auch lässt sich entgegen den Behauptungen der Gegenauffassung kein beachtlicher, anderslautender Wille des das Schuldrecht modernisierenden Gesetzgebers ausmachen. Zwar hielt der Gesetzgeber es für möglich, statt wie bisher an § 254 I BGB an § 276 I 1 BGB anzuknüpfen 2430, er ließ der Rechtsprechung aber explizit die Hintertür zur fortgesetzten Anwendung von § 254 I BGB analog offen, indem er ausführte: „Es bleibt ihr [der Rechtsprechung] aber unbenommen, bei der bisherigen dogmatischen Begründung der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung zu bleiben.“2431 Im Übrigen: Selbst wenn der Gesetzgeber zwingend den Übergang von § 254 I BGB zu § 276 I 1 BGB gewollt hätte, wäre dieses Postulat – sieht man von der leichtesten Fahrlässigkeit ab – irrelevant, weil es vom Rechtsanwender ein Unmögliches verlangen würde. Mit den anerkannten Auslegungsmethoden können die Rechtsfolgen der bisherigen Rechtsprechung, an der der Gesetzgeber inhaltlich nichts ändern wollte2432, mit § 276 I 1 BGB nämlich schlicht nicht herbeigeführt werden. c) Tragweite Es bleibt daher auch nach der Schuldrechtsmodernisierung dabei, dass Anspruchsausschluss beziehungsweise -kürzung aufgrund der beschränkten Arbeitnehmerhaftung im Grundsatz normativ bei einer Analogie zu § 254 I BGB verankert werden können. Das kann aber nur insoweit gelten, als es um eine An2428 Henssler, RdA 2002, 129, 133; Krause, NZA 2003, 577, 581; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6. 2429 Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 75; HK-ArbR/Waas/Palonka, § 619a BGB, Rn. 6; Henssler, RdA 2002, 129, 133. 2430 Siehe das Zitat in Fn. 2427. 2431 BT-Drucks. 14/6857, S. 48. 2432 Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S. 204: „Daran wie überhaupt an den arbeitsrechtlichen Grundsätzen über die Haftung des Arbeitnehmers will der Regierungsentwurf nichts ändern.“.
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spruchskürzung aufgrund derjenigen Umstände geht, die bei abstrakt-typisierter Betrachtung überhaupt zur Schadensentstehung beigetragen haben können. Auf dem Boden der hier vertretenen Auffassung deckt sich das unproblematisch mit der Tragweite des Betriebsrisikos, weil danach unter dieses nur schadensverursachende Faktoren fallen. 2433 Subsumierte man hingegen mit dem BAG auch andere Umstände wie zum Beispiel die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers oder ein eventuelles Missverhältnis zwischen Arbeitsentgelt und Schadensrisiko unter den Betriebsrisikobegriff, ließe sich das selbst im Rahmen einer Analogie nicht mehr überzeugend auf § 254 I BGB stützen 2434 – was das BAG aber ohne jedes dogmatische Problembewusstsein tut und zugleich explizit eine Anwendung von § 242 BGB ablehnt. 2435 Damit wird verkannt, dass § 254 I BGB gerade nicht das Tor zu einer generellen Billigkeitsabwägung eröffnet, sondern nur die Berücksichtigung schadensverursachender Faktoren erlaubt.2436 Das Lebensalter des Arbeitnehmers hat aber ebenso wenig mit der Schadensentstehung zu tun wie die Gefahr seiner möglichen dauerhaften Existenzgefährdung infolge der Schadensersatzverpflichtung. Die Subsumtion solcher Umstände verbiegt daher § 254 I BGB in einer dogmatisch nicht mehr zu rechtfertigenden Art und Weise. Es wäre daher methodenehrlicher – und möglicherweise zugleich insoweit „heilsam“, als dies den systemfremden Ausnahmecharakter der Heranziehung dieser Umstände vor Augen führen würde und langfristig vielleicht zu einer Aufgabe dieser Kriterien bewegen könnte –, wenn das BAG insoweit nicht auf § 254 I BGB (analog), sondern auf § 242 BGB zurückgreifen würde. 2. Fürsorgegedanke Unter dem Aspekt des Fürsorgegedankens kann den Arbeitgeber nach hier vertretener Auffassung eine Obliegenheit treffen, gegen das potentielle Schadensrisiko durch eine ihm mögliche und zumutbare Versicherung vorzusorgen. 2437 Kommt er dem nicht nach, so kann dies zu seinen Lasten eine Anspruchskürzung rechtfertigen. Eine normative Verankerung dieses Postulats im Rahmen des § 254 I BGB ist aber – selbst per Analogie – nicht möglich, weil das Unterlassen eines Versicherungsabschlusses niemals Ursache für den Schadenseintritt sein kann. Auch auf § 254 II 1 BGB kann insoweit nicht zurückgegriffen wer2433
Vgl. oben § 2 F III 1 b). Ebenso Sandmann, Haftung, S. 69; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 84. 2435 BAG 12.10.1989 – 8 AZR 276/88, NZA 1990, 97, 98. 2436 Vgl. z.B. MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 116; Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 112; BeckOK-BGB/Unberath, § 254, Rn. 55; Palandt/Grüneberg, § 254, Rn. 61; Jauernig/Teichmann, § 254, Rn. 5; vgl. auch H. Roth, Haftungseinheiten, S. 35 ff. (§ 254 I BGB sei kein Instrument, um im Sinne einer Billigkeitsentscheidung den mitschuldigen Verletzten auch am Insolvenzrisiko zu beteiligen). 2437 Näher zur dogmatischen Begründung und den Voraussetzungen hierfür siehe § 2 F III 3 b) bb) (3). 2434
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
den, weil eine Versicherung nicht zu einer Schadensminderung, sondern nur zu einer Verlagerung des Schadens führt, und zudem die Schadensminderungspflichten erst eingreifen, wenn der Schaden bereits eingetreten ist. 2438 Damit bleibt insoweit nur, auf § 242 BGB zurückzugreifen. 2439 Das ist insofern nicht systemwidrig, als § 254 I BGB von der ganz herrschenden Meinung ohnehin nur als besondere Ausprägung des „venire contra factum proprium“-Gedankens angesehen wird2440 und überzeugt zudem auch in der Sache, weil es – wie ausgeführt2441 – nicht zutreffend wäre, wenn der Arbeitgeber, einen fremdbestimmt tätigen Arbeitnehmer, den er einem unversicherten Haftungsrisiko aussetzt, obwohl ihm der Abschluss einer Versicherung möglich und zumutbar wäre, im Schadensfall vollständig in Anspruch nehmen könnte. 3. Zusammenfassung Das im obigen Sinne verstandene Betriebsrisiko kann als abstrakt-typisierter Schadensverursachungszurechnungsgrund über eine Analogie zu § 254 I BGB normativ verankert werden. Faktoren, die den Schaden nicht verursacht haben können und deshalb – nach zutreffender Auffassung – schon gar nicht unter den Begriff des Betriebsrisikos subsumierbar sind, können hingegen nicht dogmatisch überzeugend über eine Analogie zu § 254 I BGB zur Anspruchskürzung führen. Insoweit bleibt nur ein Rückgriff auf § 242 BGB. Nach hier vertretener Auffassung wird letzteres nur relevant, wenn der Arbeitgeber seiner aus dem Fürsorgegedanken ableitbaren Obliegenheit zum Abschluss einer Versicherung nicht nachkam.
VI. Dogmatische Qualifikation der beschränkten Arbeitnehmerhaftung als Schuldbeschränkung Legt man die klassische dichotomische Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung zugrunde, so begrenzen die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung schon, aber auch nur die Schuld des Arbeitnehmers, weil er in Höhe des nach §§ 254 I analog, 242 BGB vorzunehmenden „Abzugs“ bereits gar nicht zur Zahlung verpflichtet ist. Seine Haftung bleibt hingegen trotz der – wieder einmal – missverständlichen Bezeichnung unberührt. Für die auch nach Ein2438
Vgl. MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 76; BeckOK-BGB/Unberath, § 254, Rn. 30. Auch wenn der Fürsorgegedanke im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung in § 241 II BGB eine normative Verankerung erfahren hat, ist für die hier vorliegende anspruchsbegrenzende Wirkung richtigerweise nach wie vor auf § 242 BGB abzustellen, vgl. Staudinger/ Olzen, § 241, Rn. 414 ff., § 242, Rn. 202. 2440 BGH 14.3.1961 – VI ZR 189/59, NJW 655, 657; 9.5.1978 – VI ZR 212/76, NJW 1978, 2024, 2025; 28.9.1978 – VII ZR 116/77, NJW 1979, 495, 496; 20.7.1999 – X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219; Dunz, JZ 1961, 406, 407; Palandt/Grüneberg, § 254, Rn 1; Henke, JuS 1988, 753, 75, f. kritisch dagegen Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 4. 2441 Siehe oben § 2 F III 3 b) bb) (3). 2439
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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greifen dieser Grundsätze verbleibende Schuld kann der Arbeitgeber somit ins gesamte Vermögen des Arbeitnehmers vollstrecken. Angesichts der normativen Anknüpfung bei §§ 254 I analog, 242 BGB statuieren die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung eine von Amts wegen zu berücksichtigende rechtsvernichtende Einwendung. 2442 Zahlt der Arbeitnehmer in Unkenntnis seiner mangelnden Schuld beziehungsweise unter Vorbehalt, kann er daher nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB (und nicht wegen Bestehens einer dauernden Einrede nach § 813 I 1 BGB) kondizieren. Sind zugleich die Voraussetzungen des § 105 SGB VII wie die der beschränkten Arbeitnehmerhaftung erfüllt, so geht ersterer vor. 2443 Praktisch relevant wird die beschränkte Arbeitnehmerhaftung daher vor allem bei Sachschäden; bei Personenschäden spielt sie hingegen nur eine Rolle, wenn der Schaden auf einem nach § 8 II Nr. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wurde. 2444
VII. Zusammenfassung 1. Grundsätzliches Was die methodische Ausgestaltung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung anbelangt, so ist – mit der heute ganz herrschenden Meinung – allen Versuchen, die Problematik bereits auf der Ebene des Haftungstatbestands (zum Beispiel im Rahmen der Rechtswidrigkeit oder des Verschuldens) zu lösen, eine Absage zu erteilen. Stattdessen ist alleine an den Haftungsfolgen anzusetzen. Im Grundsatz ist dabei dem vom BAG errichteten, sich am Verschuldensgrad des Arbeitnehmers orientierenden Modell zuzustimmen. 2445 2. Rechtspolitische und -dogmatische Rechtfertigung Von zentraler Bedeutung ist die Frage, wie die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers rechtspolitisch und -dogmatisch gerechtfertigt werden kann. a) Insoweit noch im Einklang mit der herrschenden Meinung ist der Betriebsrisikogedanke als im Ausgangspunkt tragend zu erachten. 2442 Zum Charakter des § 254 I BGB als rechtsvernichtende Einwendung vgl. BAG 18.12.1970 – 1 AZR 177/70 und 3.8.1971 – 1 AZR 327/70, AP Nr. 63 und 66 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BGH 18.11.1999 – III ZR 63/09, NJW-RR 2000, 549, 550 („Kürzung des Anspruchs“), zu ihrer Berücksichtigung von Amts wegen vgl. BGH 20.7.1999 – X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 143 m.w.N.; zum Charakter des § 242 BGB als Einwendung vgl. BGH 10.11.1965 – I b ZR 101/63, NJW 1966, 343, 345; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242, Rn. 322 m.w.N. 2443 Siehe näher § 2 E III 2 b). 2444 Handelte der Arbeitnehmer vorsätzlich auch im Hinblick auf die konkrete Schadensfolge, greift § 105 SGB VII zwar nicht, ein Haftungsprivileg folgt hier angesichts des vorsätzlichen Handelns aber auch nicht über die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung. 2445 Siehe § 2 F III 1 c).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
aa) Dieser fußt vor allem auf der Fremdnützigkeit und -bestimmtheit der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Weil dieser seine Arbeit zum unmittelbaren Nutzen eines anderen und – aufgrund seiner Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers – in persönlicher Abhängigkeit leistet, ist er im Vergleich zu „normalen“ Schädigern besonders schutzwürdig. Umgekehrt rechtfertigen es die Tatsachen, dass der Arbeitgeber nicht nur unmittelbar vom Arbeitsprodukt des Arbeitnehmers profitiert, sondern auch die das Schadensrisiko prägenden Parameter maßgeblich steuert, ihm gemäß dem Grundsatz des „cuius commodum, eius periculum“ die wirtschaftlichen Folgen von Schadensfällen im Betrieb aufzubürden. 2446 bb) In weiten Teilen stellt das vom BAG auf dem Fundament des Betriebsrisikogedankens errichtete Gebäude der beschränkten Arbeitnehmerhaftung einen fairen Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Etwas anderes gilt nach hier vertretener Auffassung allerdings insoweit, als das BAG selbst bei grober oder gar gröbster Fahrlässigkeit eine (Teil-)Entlastung des Arbeitnehmers für möglich hält. Das lässt sich weder mit den Grundwertungen der Zivilrechtsordnung noch mit den Grundpfeilern des Betriebsrisikogedankens vereinbaren. Entgegen dem BAG hat ein grob oder gar gröbst fahrlässig handelnder Arbeitnehmer daher richtigerweise vollumfänglich für den angerichteten Schaden einzustehen. 2447 cc) Vom BAG nicht ausreichend beachtet wird zudem, dass das derart verstandene Betriebsrisiko allein als Schadensverursachungszurechnungsgrund anzusehen ist. Es rechtfertigt daher nur die Berücksichtigung solcher Kriterien bei der Aufteilung der Schadensfolgen, die im Arbeitsverhältnis wurzeln und – zumindest abstrakt-typisierend – zum Schadenseintritt beigetragen haben können. Hingegen lässt sich auf den Betriebsrisikogedanken keine Gesamtabwägung im Sinne einer „konturlosen Sozialabwägung“ stützen.2448 Dieser zunächst rein theoretisch klingende Ansatz hat greifbare praktische Auswirkungen. So kann auf dem Boden eines zutreffend verstandenen Betriebsrisikogedankens die Einbeziehung auch der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers (Alter, Familienstand, Unterhaltspflichten) mit dem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko – entgegen der herrschenden Meinung – ebenso wenig gerechtfertigt werden wie die Heranziehung der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers. Insbesondere erlaubt der Betriebsrisikogedanke es auch nicht, ein eventuelles Missverhältnis zwischen Arbeitslohn und Schadensrisiko oder eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers in die Abwägung, in welchem Umfang der Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet ist, heranzuziehen. Schließlich 2446 2447 2448
Ausführlich oben § 2 F III 1 a). Näher § 2 F III 1 c) dd). Dazu § 2 F III 1 d) aa).
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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kann – im Rahmen des Betriebsrisikos – auch das Unterlassen einer gebotenen Versicherung des Schadensrisikos durch den Unternehmer nicht haftungsmindernd berücksichtigt werden. 2449 b) Diese vom Betriebsrisikogedanken nicht gedeckten Kriterien können mithin nur herangezogen werden, wenn sich hierfür andere überzeugende rechtspolitische und -dogmatische Gründe finden lassen. aa) Entgegen einer in der früheren Rechtsprechung des BAG anklingenden Auffassung kann dies nicht auf eine grundrechtliche, aus der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers fließende Schutzpflicht gestützt werden. Das überzeugt weder methodisch noch inhaltlich noch grundrechtsdogmatisch. 2450 bb) Fruchtbar gemacht werden kann entgegen der heute herrschenden Meinung aber zumindest teilweise die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. (1) Zwar kann diese – anders als das Betriebsrisiko – nicht als Schadensverursachungszurechnungsgrund herangezogen werden. Relevant werden kann sie jedoch insoweit, als sie den Arbeitgeber verpflichtet, bei der Wahrung seiner eigenen Interessen die berechtigten Anliegen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Im konkreten Zusammenhang bedeutet das insbesondere, dass das Recht des Arbeitgebers, ihm eigentlich zustehende Ansprüche durchzusetzen, begrenzt wird und damit mit anderen Worten sein Schadensersatzanspruch gegen den schädigenden Arbeitnehmer eine über die durch das Betriebsrisiko bereits gebotene hinausgehende Kürzung erfahren kann 2451. Das ist allerdings nur insoweit möglich, als erstens die hierbei zu berücksichtigenden Umstände und Faktoren einen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen und zweitens dem Arbeitgeber dies nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zumutbar ist (vergleiche auch § 81 IV 3 SGB IX). (2) Hilfreich ist eine derart verstandene Fürsorgepflicht insoweit, als sie eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs erlaubt, wenn der Arbeitgeber nicht die gebotene vorherige Versicherung des Schadensrisikos vornahm. Eingedenk der genannten Voraussetzungen können aber selbst unter Berufung auf sie die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers ebenso wenig Berücksichtigung finden wie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und das Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko beziehungsweise seine mögliche Existenzgefährdung. 2452 cc) Die genannten Faktoren, die nach hier vertretener Auffassung weder auf den Betriebsrisiko- noch den Fürsorgegedanken gestützt werden können, könnten daher nur im Rahmen einer allgemeinen Billigkeitskontrolle berück2449 2450 2451 2452
Ausführlich § 2 F III 1 d) ff). Im Einzelnen siehe § 2 F III 2. Näher § 2 F III 3. Näher oben unter § 2 F III 3 bb).
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
sichtigt werden. Eine derartige Billigkeitskontrolle ist angesichts ihrer Konturlosigkeit und der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit allerdings abzulehnen. 2453 c) Entgegen der herrschenden Meinung können daher bei der Frage, inwieweit der Arbeitnehmer von den wirtschaftlichen Folgen des von ihm verursachten Schadenfalls zu entbinden ist, eine Reihe von Faktoren nicht berücksichtigt werden. Es sind dies namentlich seine persönlichen Verhältnisse, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, ein (potentielles) Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko sowie eine mögliche Existenzgefährdung. 3. Personeller Anwendungsbereich a) Die rechtsdogmatische und -politische Legitimation wirkt sich nicht nur auf die im Rahmen der Schadensverteilung zu berücksichtigenden Kriterien, sondern auch auf den personellen Anwendungsbereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung aus. Weil diese Grundsätze auf einer richterlichen Rechtsfortbildung beruhen, deren rechtstheoretische Legitimation in der planwidrigen Lückenhaftigkeit des BGB zu sehen ist, können sie nur angewandt werden, wo das einfache Gesetzesrecht lückenhaft ist, das heißt, kein spezielles und abschließendes Haftungsregime normiert wurde. Unabhängig davon sind sie nur anwendbar, wenn der Schädiger einem Arbeitnehmer vergleichbar fremdbestimmt und -nützig tätig wird. b) Weil es an der zweiten dieser Voraussetzungen – der Fremdbestimmtheit der Arbeit – fehlt, sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung nach hier vertretener Meinung auf arbeitnehmerähnliche Personen nicht anzuwenden. 2454 c) Hingegen können sich dem Grunde nach auch leitende Angestellte auf sie berufen. Allerdings sind ihre konkreten Maßstäbe angesichts der besonderen Situation, in der sich leitende Angestellte bei Wahrnehmung ihrer spezifischen Leitungsfunktion befinden, zu modifiz eren.2455 d) GmbH-Geschäftsführer wiederum sind grundsätzlich nicht über die Regeln der beschränkten Arbeitnehmerhaftung geschützt. Das gilt – entgegen der herrschenden Ansicht – auch insoweit, als der Geschäftsführer den Schaden in Wahrnehmung einer Aufgabe verursacht, die außerhalb seiner spezifischen Organtätigkeit liegt. Ist der Geschäftsführer aber ausnahmsweise einem Arbeitnehmer vergleichbar persönlich abhängig tätig, so gilt die Haftungsprivilegierung – selbst im Bereich seiner spezifischen Organtätigkeit – auch für ihn. 2456
2453 2454 2455 2456
Ausführlich § 2 F III 4. Siehe näher § 2 F III 5 b) bb). Dazu § 2 F III 5 b) cc). Näher dazu oben § 2 F III 5 b) dd).
F. Beschränkte Arbeitnehmerhaftung
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e) Auf Vorstände von Aktiengesellschaften sowie Aufsichtsratsmitglieder sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung hingegen niemals anwendbar. 2457 Gleiches gilt für freie Dienstverpflichtete, Werkunternehmer, Frachtführer, Spediteure, Verwahrer und Lagerhalter. 2458 Beauftragte schließlich werden zwar ebenso wie Arbeitnehmer fremdbestimmt und -nützig tätig, für eine Anwendung der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung fehlt es angesichts des aus den Gesetzesmaterialien ableitbaren Willens des Gesetzgebers, dem Auftragnehmer wegen des von ihm in Anspruch genommenen Vertrauens in die Durchführung des übernommenen Auftrags keine Haftungsprivilegierung zugestehen zu wollen, aber an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. 2459 4. Verfassungskonformität Die Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung in ihrer gegenwärtigen Gestalt sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verletzen die Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers weder in deren Abwehrkomponente noch daraus resultierende staatliche Schutzpflichten. 2460 5. Normative Verortung Im Hinblick auf die normative Verortung der Regeln über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung ist zu unterscheiden:2461 a) Soweit diese Grundsätze rechtsdogmatisch durch den Gedanken des Betriebsrisikos legitimiert werden, weil es sich um dem Arbeitgeber zurechenbare Umstände handelt, die bei abstrakt-typisierter Betrachtung zur Schadensentstehung beigetragen haben können, ist – insoweit im Einklang mit der traditionellen Auffassung des BAG und der herrschenden Lehre – § 254 I BGB analog heranzuziehen. Daran hat sich nach zutreffender Ansicht durch die Schuldrechtsmodernisierung nichts geändert, insbesondere kann § 276 I 1 BGB nicht in dogmatisch überzeugender Weise herangezogen werden, und zwar auch nicht, soweit es um den vollständigen Haftungsausschluss bei leichtester Fahrlässigkeit geht. b) Andere, den Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers mindernde Faktoren können hingegen nicht analog § 254 I BGB angeknüpft werden. Das gilt insbesondere für die von der Rechtsprechung – nach hier vertretener Auffassung: ohnehin fälschlicherweise – bemühten Kriterien der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, eines eventuellen Missverhältnisses zwischen 2457 2458 2459 2460 2461
Siehe § 2 F III 5 b) ee). Ausführlich § 2 F III 5 b) ff) und gg). Näher § 2 F III 5 b) hh). Näher § 2 F IV. Siehe im Einzelnen § 2 F V.
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§ 2 Einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente
Arbeitslohn und Schadensrisiko sowie einer möglichen Existenzgefährdung des Arbeitnehmers. c) Auch eine – selbst nach hier vertretener Ansicht zulässige – Anspruchskürzung wegen eines dem Arbeitgeber anzulastenden Unterlassens einer gebotenen Versicherung des Schadensrisikos kann nicht auf eine Analogie zu § 254 I BGB gestützt werden. In Betracht kommt insoweit nur § 242 BGB. 6. Arbeitnehmerhaftung als Schuldbeschränkung Die Bezeichnung dieser Grundsätze als beschränkte Arbeitnehmerhaftung stellt wiederum eine falsa demonstratio dar, handelt es sich – legt man die klassisch-dichotomische Unterscheidung von Schuld und Haftung zugrunde – doch nicht erst um eine Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers, sondern bereits seiner Schuld. 2462
2462
Dazu oben § 2 F VI.
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§ 3 Übergreifende Aspekte A. Einleitung Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln isoliert einzelne Haftungsbeschränkungsinstrumente untersucht worden sind, sollen im Folgenden drei übergeordnete Fragestellungen verfolgt werden. So wird zunächst – unter B. – untersucht, ob das bereits existierende Instrumentarium an Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten genügt, um den Schuldner/Schädiger ausreichend vor den Gefahren einer exorbitanten, ruinös wirkenden Haftung zu beschützen, oder ob insoweit nicht trotz der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente Schutzlücken bestehen, deren Schließung de lege ferenda durch die Schaffung einer sogenannten allgemeinen Reduktionsklausel notwendig oder zumindest wünschenswert wäre. Im Anschluss daran wird – im Wege einer zunächst gesondert erfolgenden Analyse mit anschließender Gesamtschau – die Abdingbarkeit der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente untersucht und dabei übergeordnete Prinzipien herausgearbeitet (sub C.). Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind nicht nur von dogmatischem Interesse, sondern lassen – weil der Schutzzweck eines Rechtsinstituts stets in engem Zusammenhang mit seiner Abdingbarkeit steht – wichtige Rückschlüsse auf Charakter und Telos von Haftungsbeschränkungsinstrumenten zu. In Anerkennung dessen, dass es sich – mit der Ausnahme der beschränkten Erbenhaftung – bei den untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumenten um vergleichsweise „junge Rechtsinstitute“ handelt, die erst im Lauf der letzten gut 200 Jahre entstanden sind, wird unter D. auf einer Metaebene der Frage nachgegangen, welche historischen, ökonomischen, sozialen, geisteswissenschaftlichen und technischen Umstände die Schaffung dieser vormals unbekannten „modernen Haftungsbeschränkungsinstrumente“ notwendig machten, und was daraus für die Bedeutung dieser Instrumente im zukünftigen Recht folgt. Unter E. werden schließlich die in diesem Kapitel ermittelten Resultate zusammengefasst und gewürdigt.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen: Abzugsrecht des Richters? I. Einleitung; Gegenstand und Gang der Untersuchung Im Folgenden ist der Frage nachzugehen, ob die bestehenden Haftungsbeschränkungsinstrumente durch ein Recht beziehungsweise eine Pflicht des Richters ersetzt oder zumindest ergänzt werden sollten, einem im konkreten Einzelfall exorbitanten, weil den Schädiger in eine dauerhafte Überschuldung stürzenden Schadensersatzanspruch der Höhe nach zu beschränken (sogenannte „Reduktionsklausel“). Das soll hier nicht nur deshalb geschehen, weil eine solche Reduktionsklausel massive dogmatische Auswirkungen auf das Recht der Haftungsbeschränkung hätte, sondern auch, weil – trotz des Stillstands in der rein nationalen deutschen Debatte – nicht auszuschließen ist, dass auf europäischer Ebene von wissenschaftlicher Seite in diese Richtung bereits unterbreitete Vorschläge eines Tages auf der politischen Agenda stehen werden. Dabei steht im Folgenden nur eine Reduktionsklausel im Mittelpunkt, mittels derer der Schädiger vor exorbitanten, wirtschaftlich ruinösen Schadensersatzverpflichtungen schon auf materiell-rechtlicher Ebene geschützt werden soll. Auf die davon zu unterscheidende Frage, ob die Einführung einer Reduktionsklausel angezeigt ist, deren Ziel nicht im Existenzschutz, sondern darin besteht, dem Richter bei atypischen Konstellationen wie zum Beispiel entfernten Kausalverläufen, ungewöhnlichen Schadensdispositionen des Geschädigten (z.B. Bluterkrankheit) oder dem Zusammenwirken mehrerer Ursachen1 statt des starren Alles-oder-Nichts-Prinzips des geltenden Schadensrechts ein flexibles Instrument zum Ausgleich der beiderseitigen Interessen an die Hand zu geben, um damit ein „gerechtes“ Ergebnis erreichen zu können, das die Höhe der Ersatzpflicht unter „Herausrechnung“ des Zufallsfaktors an den Verschuldensgrad des Schädigers anpasst, wird hingegen mangels thematischen Bezugs zu den anderen untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumenten nicht eingegangen. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Überblick über den historischen deutschen Hintergrund der Fragestellung – in concreto: die Debatten um eine Reduktionsklausel in den 1960er Jahren – gegeben sowie der aktuelle Diskussionsstand erläutert (sub II.). Sodann wird untersucht, ob bereits de lege lata ein Recht beziehungsweise sogar eine Pflicht des erkennenden Richters besteht, gegebenenfalls exorbitante Schadensersatzverpflichtungen der Höhe nach zu beschneiden (dazu III.). Da dies grundsätzlich zu verneinen ist, wird schließlich gefragt, inwieweit de lege ferenda die Schaffung einer Reduktionsklausel gebo1 Vgl. auch die nach der Intention der Entwurfsverfasser von § 255a BGB-E zu erfassenden Konstellationen (Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 44).
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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ten erscheint (unter IV. sowie V.). Unter VI. werden die gewonnenen Ergebnisse kurz zusammengefasst.
II. Historischer Hintergrund und aktuelle Situation 1. Diskussionen auf dem 43. Deutschen Juristentag 1960 Der im September 1960 in München tagende 43. Deutsche Juristentag beschäftigte sich auf Basis des Gutachtens von Lange2 sowie der Referate von Wilburg3 und Hauss4 unter anderem mit der Frage, ob im deutschen Recht eine allgemeine Reduktionsklausel eingeführt werden solle. Nachdem sich hierfür sowohl Gutachter wie Referenten ausgesprochen hatten, plädierte auch die Mehrheit der Diskutanten in der anschließenden Debatte für eine solche Regelung. Auch wenn hinsichtlich zahlreicher Detailfragen – wie zum Beispiel, ob eine Reduktion nur bei leichter oder auch bei grober Fahrlässigkeit beziehungsweise sogar Vorsatz möglich sein solle,5 ob die Vermögensverhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen seien,6 ob man das richterliche Ermessen frei gestalten oder durch enge Vorgaben beschränken solle,7 ob nur deliktische oder auch vertragliche Schadensersatzansprüche erfasst werden sollen oder ob zwischen unmittelbaren und mittelbaren, vorhersehbaren und nicht vorhersehbaren Schäden zu differenzieren sei8 – kein Konsens zu erzielen war, stand am Ende doch die allgemeine Empfehlung, in Erweiterung des geltenden Rechts die Möglichkeit einer richterlichen Kürzung von Schadensersatzansprüchen vorzusehen. Der Referentenentwurf 1967 griff diese Empfehlung auf und suchte sie in einem neu zu schaffenden § 255a BGB-E umzusetzen.
2
Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 29 ff. Wilburg, Referat auf dem 43. DJT, C 3 ff. 4 Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23 ff. 5 Für Anwendbarkeit nur bei leichter Fahrlässigkeit Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 38 f.; Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 29 ff.; ders., 43. DJT (Diskussion), C 110 f.; weitergehend Wilburg, Referat auf dem 43. DJT, C 1, 11; v. Caemmerer, 43. DJT (Diskussion), C 77. 6 Ablehnend Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 40; Scheffler, 43. DJT (Diskussion), C 96; für eine Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse dagegen Wilburg, Referat auf dem 43. DJT, C 1, 20; ebenso Mager, 43. DJT (Diskussion), C 62. 7 Für eine freie Hand des Richters plädierten z.B. Lange, 43. DJT (Diskussion), C 112; v. Caemmerer, 43. DJT (Diskussion), C 77 f.; für eine umfassende Lenkung der Rechtsprechung durch „grundsätzliche Richtlinien“ hingegen Wilburg, Referat auf dem 43. DJT, C 1, 11. 8 Gegen eine Differenzierung z.B. Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 39; v. Caemmerer, 43. DJT (Diskussion), C 78; Mager, 43. DJT (Diskussion), C 61; Goldschmidt, 43. DJT (Diskussion), C 89; anders hingegen Werner, 43. DJT (Diskussion), C 57. 3
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§ 3 Übergreifende Aspekte
2. Normtext des § 255a BGB-E9 § 255a BGB-E sollte in drei Absätzen eine allgemeine, durch spezielle Regeln für die Haftung nach dem StVG10 sowie die deliktische Haftung Minderjähriger11 flankierte Reduktionsklausel folgenden Inhalts enthalten: „(1) Ist der Schaden im Hinblick auf die die Ersatzpflicht begründenden Umstände aussergewöhnlich hoch, so kann das Gericht die Ersatzpflicht insoweit einschränken, als sie für den Ersatzpflichtigen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gläubigers zu einer schweren Unbilligkeit führen würde. (2) Eine Einschränkung der Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, soweit der Ersatzpflichtige oder ein verfassungsmässig berufener Vertreter des Ersatzpflichtigen oder im Falle des § 839 derjenige, der die Amtspflicht verletzt hat, den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat. (3) Im übrigen ist das Verschulden von Personen, für die der Ersatzpflichtige einzustehen hat, bei Anwendung des Absatzes 1 angemessen zu berücksichtigen.“12 3. Die Begründung der Entwurfsverfasser Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung auf die gesteigerten Haftungsrisiken der modernen Gesellschaft reagieren. Angesichts „der modernen Technik, der Dichte des Verkehrs, der Zusammenballung der Menschen in Städten [und] der in die Hand der Menschen gegebenen Naturkräfte“13 habe sich das Schadenspotential so gravierend erhöht, dass bereits „ein ganz geringfügiges
9 Nicht verschwiegen werden darf, dass – vor allem zur damaligen Zeit – noch zahlreiche andere Vorschläge für eine allgemeine Reduktionsklausel unterbreitet wurden (siehe die Übersicht bei Schwamb, Reduktionsklausel, S. 9 ff.). Auf ihre detaillierte Wiedergabe soll hier nicht nur deshalb verzichtet werden, weil dies den Rahmen der Darstellung sprengen würde, sondern vor allem, weil davon kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. 10 § 16 II StVG-E: „1Ist eine durch ein Kraftfahrzeug beförderte Person getötet oder verletzt worden, ohne dass die Voraussetzungen des § 8a vorliegen, so kann das Gericht eine Ersatzpflicht des Halters des Kraftfahrzeugs, die sich aus den nach Absatz 1 unberührt gebliebenen Vorschriften ergibt, insoweit einschränken, als dies nach den Umständen der Billigkeit entspricht. 2Das gleiche gilt im Falle der Beschädigung einer Sache, die eine beförderte Person an sich trägt oder mit sich führt.“. 11 § 828 II 2 BGB-E: „Hat er diese Fähigkeit jedoch in geringerem Masse als ein Erwachsener, so kann das Gericht die Ersatzpflicht einschränken, soweit dies nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, der Billigkeit entspricht.“. 12 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften, Teil I, S. 2. 13 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 34.
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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[…] Versehen […] zu Schadensfolgen von ungewöhnlicher Höhe führen kann“14. In Anbetracht dieser Faktenlage sahen die Entwurfsverfasser das (damals) geltende Recht als reformbedürftig an, erlaubten die bestehenden, der Rechtspraxis offenstehenden Methoden doch „nur in besonderen und verhältnismässig seltenen Fällen“ eine Eingrenzung oder gar den Ausschluss des Schadensersatzes.15 Daher bestehe ein Bedürfnis an einer „freieren Stellung des Richters und nach wirksameren Schadensersatzbegrenzungen“16 , mittels derer eine Auflockerung des starren Alles-oder-Nichts-Schemas des § 249 BGB, das ohnehin in kaum einer Rechtsordnung so strikt verwirklicht sei wie in der deutschen, ermöglicht werde.17 Für die nach Ansicht der Entwurfsverfasser von § 255a BGB-E hauptsächlich erfassten Fallkonstellationen – dazu sogleich – versprach man sich dadurch Ergebnisse, die „unter Billigkeitsgesichtspunkten [….] mit dem allgemeinen Rechtsbewusstsein eher in Einklang stehen […] als die bis zur letzten Konsequenz getriebene Durchführung des Alles- oder Nichts-Prinzips“18. Die Reduktionsklausel sollte dabei nach Willen der Entwurfsverfasser auf besondere Ausnahmefälle beschränkt sein, die große Masse der alltäglichen Schadensfälle also weiterhin allein § 249 BGB unterfallen.19 Den Entwurfsverfassern schwebte dabei offenbar die richterrechtliche Herausbildung typisierender Fallgruppen nach schweizerischem Vorbild (Art. 43 I OR) als Ideal vor. 20 Entsprechend sollte ein in § 255a I BGB-E vorausgesetzter „aussergewöhnlich“ hoher Schaden insbesondere vorliegen, wenn „ungewöhnliche Umstände den Schadensverlauf ungünstig beeinflussen“21. Diese könnten in der Person des Geschädigten (zum Beispiel ungewöhnliche Schadensdisposition [Blutererkrankung] oder außergewöhnlich hohes Einkommen), der beschädigten Sache (beispielsweise ein mit gefährlichen Stoffen beladenes Fahrzeug) oder äußeren Umständen (beispielsweise Schadensvergrößerung durch Dritte) wurzeln oder auf ungewöhnlichen atmosphärischen Einflüssen oder dem Zusammentreffen
14 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 34; ebenso Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23. 15 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 33. 16 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 33. 17 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 35 ff., 40 mit Hinweisen zu einzelnen europäischen Ländern. 18 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 42. 19 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 42. 20 Vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 42. 21 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 44.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
mehrerer kausaler Umstände (Massenunfall auf der Autobahn) beruhen.22 Bei einer solchen Handhabung der Norm, einem derartigen Vorgehen „mit größter Behutsamkeit“23, sahen die Entwurfsverfasser die gegen dieses Konzept vorgebrachten Bedenken (Rechtssicherheit, Berechenbarkeit, Überforderung des Richters, überlange Verfahrensdauer) als nicht begründet an.24 Relevant ist § 255a BGB-E im vorliegenden Kontext, weil er – auch wenn dies in der Entwurfsbegründung nicht explizit erwähnt wurde – angesichts seines weiten Wortlauts unschwer auch zur Lösung der hier interessierenden Konstellationen der Verhinderung einer lebenslangen Überschuldung (bei leicht fahrlässigem Handeln) hätte herangezogen werden können. 4. Aktuelle Lage Trotz des ursprünglich ambitionierten Ansatzes verliefen die Pläne zur Schaffung einer allgemeinen Reduktionsklausel letztlich im Sande. 25 So erklärte das Bundesministerium der Justiz die Sache 1977 für „derzeit gestorben“26, entsprechend sah man im gleichen Jahr davon ab, „im gegenwärtigen Zeitpunkt weitere Änderungen zum Schadensersatzrecht vorzuschlagen, wie sie etwa im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften von 1967 vorgesehen waren.“27. Heute spielt die Möglichkeit einer allgemeinen Reduktionsklausel im nationalen Diskurs keine erkennbare Rolle mehr. Von (Zukunfts-)Plänen des Gesetzgebers für ihre Schaffung ist nichts bekannt, was sich auch daran zeigt, dass sie signifikanterweise – soweit ersichtlich – weder im Zuge der Schadensersatzrechtsreform 2002 noch der 2006 stattfindenden Debatten des 66. Deutschen Juristentages, der sich unter anderem mit „Neue[n] Perspektiven im Schadensersatzrecht“ beschäftigte, mit auch nur einer Silbe erwähnt wurde. 28 Dementsprechend führt sie auch in der rechtswissenschaftlichen Forschung bestenfalls 22 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 44. 23 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 40. 24 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 42. 25 Vgl. auch Finke, Minderung, S. 73: „faktisch gegen die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel entschieden“. 26 So der auf ein Telefonat gestützte Bericht von Schwamb, Reduktionsklausel, S. 16. 27 BT-Drucks. 8/108, S. 8 (vom 9.2.1977); vgl. auch die Einschätzung von Hohloch, Gutachten, S. 375, 460, nach dem im Jahre 1981 „vorerst keine Aussicht besteht, daß eine Reduktionsklausel bald geltendes deutsches Recht wird“. 28 Vgl. die Materialien BT-Drucks. 14/7752 und 14/8780 bzw. das Gutachten für den 66. DJT, A 1 ff. von Wagner und den Tagungsbericht von Manner, JZ 2007, 232. – Der letzte ernsthafte Vorschlag, eine allgemeine Reduktionsklausel einzuführen, stammt – soweit ersichtlich – aus dem Jahr 1981 (siehe Hohloch, Gutachten, S. 375, 462 ff.).
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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ein „Mauerblümchendasein“. 29 Wenn sie hier dennoch im Folgenden erörtert werden soll, so deshalb, weil zahlreiche Rechtsordnungen europäischer Länder in der einen oder anderen Form allgemeine Reduktionsklauseln enthalten30 und sie sowohl Eingang in die „European Principles of Tort Law“ (Art. 10:40131) wie den von der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler erarbeiteten „Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs“ (Art. 168 II)32 gefunden haben. Schon deshalb bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung damit, ob die Schaffung einer Reduktionsklausel de lege ferenda geboten wäre. Denn nur, wenn die maßgeblichen dogmatischen Grundlagen geklärt sind, kann man sich auf dieser internationalen Ebene entweder für oder gegen eine solche Klausel einsetzen.
III. De lege lata: Schutz vor existenzvernichtender Haftung über § 242 BGB? 1. Ausgangspunkt Bevor auf die Frage einzugehen ist, ob die Schaffung einer Reduktionsklausel zum Schutz vor ruinöser Haftung de lege ferenda geboten ist, ist zunächst zu klären, ob nicht bereits de lege lata ein Recht – oder gar eine Pflicht – des erkennenden Richters besteht, Schadensersatzansprüche in Ausnahmefällen zu kürzen und damit bereits auf der materiell-rechtlichen Ebene Abhilfe gegen exorbitante, existenzvernichtende Schadensersatzforderungen zu leisten. Diese Frage wird zumeist vor allem mit Blick auf minderjährige Schädiger diskutiert beziehungsweise von den Gerichten problematisiert. In Wahrheit handelt es sich im Grundsatz aber nicht um ein spezielles Problem des Min29 Einschlägige, vertiefte Auseinandersetzungen finden sich praktisch nicht. Eine Ausnahme stellt die Dissertation von Tilman Finke (Die Minderung der Schadensersatzpflicht in Europa [2006]) dar. 30 Vgl. z.B. Schweiz: Art. 43, 44 II OR; Niederlande: Art. 109, 110 Nieuw Burgerlijk Wetboek; Dänemark: Art. 24 Lov om erstatningsansvar; Spanien: Art. 1103 Código Civil (vgl. Peuster, Código civil, Art. 1103); Österreich: § 25d öKSchG (für die Interzession eines Verbrauchers). 31 „Wenn in einem außergewöhnlichen Fall im Hinblick auf die finanzielle Lage der Parteien die volle Ersatzpflicht eine erdrückende Belastung für den Beklagten bedeuten würde, kann der Umfang der Schadensersatzpflicht herabgesetzt werden. Bei der Entscheidung darüber sind insbesondere der Grund der Haftung (Art. 1:101), das Ausmaß des Schutzes des Interesses (Art. 2:102) und die Größe des Schadens zu berücksichtigen.“. 32 „Unter Berücksichtigung des Verhaltens, des Interesses und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Gläubigers kann der Richter den Umfang des Schadensersatzes nach Billigkeit begrenzen, a) wenn die vollständige Entschädigung sich als unverhältnismäßig erweist und für den Schuldner offensichtlich untragbare Folgen hätte; in Betracht zu beziehen sind dabei auch die wirtschaftliche Lage des Schuldners und der Umstand, ob die Nichterfüllung, die nicht ordnungsgemäße Erfüllung oder der Verzug nicht auf seiner Treuwidrigkeit beruhen. b) in dem Fall einer leichten Fahrlässigkeit des Schuldners, vor allem bei Verträgen, in denen kein Entgelt für die Leistung des Schuldners vorgesehen ist.“ (abgedruckt in: ZEuP 2002, 365, 391).
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derjährigenschutzes, sondern um ein vom Alter des Schädigers unabhängiges Anliegen.33 Hinter dem Streben nach einer Haftungsbeschränkung stehen nämlich – wie Simon überzeugend herausgearbeitet hat – generell gewandelte Einstellungen zur „Sicherheit und Risikofreiheit des Lebens“34, bei denen die Bereitschaft, biographische Katastrophenfälle als schicksalhaft zu akzeptieren, schwindet. „Was zuvor schlicht ‚Schicksal‘ war, wird nun zur auch (verfassungs) rechtlich nicht mehr hinnehmbaren Zerstörung einer Existenz.“35. Auch wenn somit die Problematik vom Kopf auf die Füße gestellt und damit einer vorzeitigen Verengung der Fragestellung auf minderjährige Schädiger vorgebeugt werden muss, ist nicht zu verkennen, dass sich zwischen volljährigen und minderjährigen Einstandsverpflichteten Unterschiede ergeben können. Dies lässt sich vor allem auf drei Faktoren zurückführen: Erstens verfügen Minderjährige in aller Regel über keine oder (wesentlich) geringere Vermögenswerte und laufende Einkünfte als Erwachsene, was zur Folge hat, dass sie durch Schadensersatzverbindlichkeiten viel leichter einer exorbitanten, dauerhaft überfordernden Haftung ausgesetzt sind. Zweitens handeln Minderjährige typischerweise unbesonnener,36 ein Faktum, auf das die Rechtsordnung Rücksicht nehmen kann und muss und was sie – beispielsweise durch §§ 104 Nr. 1, 105 I, 107, 828 BGB – auch tut. Und drittens schließlich besteht bei Minderjährigen viel eher die Gefahr, dass sie gegen Haftungsrisiken nicht per Abschluss einer Haftpflichtversicherung abgesichert sind. Werden die Eltern hier nicht in verantwortungsvoller Weise tätig, dürfte es regelmäßig an einem Versicherungsschutz fehlen. Zwar ist die häufig anzutreffende Behauptung, der Minderjährige sei schon rechtlich nicht dazu in der Lage, eigenständig eine Haftpflichtversicherung abzuschließen,37 in dieser Pauschalität nicht ganz zutreffend. Denn obwohl es sich angesichts der Pflicht zur Prämienzahlung (§ 1 S. 2 VVG) nicht um einen lediglich rechtlich vorteilhaften Vertrag handelt und somit nach § 107 BGB die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist, kann der Minderjährige gegebenenfalls über § 110 BGB eine Haftpflichtversicherung ohne deren explizite Einwilligung wirksam abschließen.38 Allerdings: Untersagen ihm die Eltern dies beziehungsweise überlassen sie ihm das Taschengeld oder sonstige Mittel nur zu einem eingeschränkten, Versicherungsgeschäfte nicht umfassenden Kreis von Rechtsgeschäften, scheidet der Weg über § 110 BGB 33
Simon, AcP 204 (2004), 264, 282. Simon, AcP 204 (2004), 264, 282; vgl. auch Flume, 43. DJT (Diskussion), C 81. 35 Simon, AcP 204 (2004), 264, 282; vgl. auch Gärtner, JZ 1988, 579, 580, 584. 36 E. Lorenz, VersR 1989, 711, 712. 37 So aber BerlVerfGH 14.12.2009 – VerfGH 31/09, NJW-RR 2010, 1141; LG Dessau 25.9.1996 – 6 8 O 853/96, VersR 1997, 242, 244; Looschelders, VersR 1999, 141, 148; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; E. Lorenz, VersR 1989, 711, 712. 38 Dafür, dass § 110 BGB auch Versicherungsverträge umfasst, vgl. z.B. Staudinger/ Knothe, § 110, Rn. 10; MüKo-BGB/Schmitt, § 110, Rn. 15 f. 34
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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schon rechtlich aus.39 Unabhängig von dieser rechtlichen Schwierigkeit wäre es vollkommen unrealistisch anzunehmen, ein Minderjähriger, dessen Eltern ihn nicht – eigenständig oder im Rahmen einer Familienhaftpflichtversicherung – versichert haben, würde auf die Idee kommen, eine solche Versicherung abzuschließen, geschweige denn dazu bereit sein, einen Teil seines Taschengelds dafür „abzuzweigen“.40 Und selbst wenn das ausnahmsweise einmal anders wäre, dürfte sich kaum ein Versicherer finden lassen, der bereit ist, mit einem Minderjährigen ohne die explizite Einverständniserklärung seiner Eltern zu kontrahieren. Auch wenn die Ausgangsproblematik bei minderjährigen wie erwachsenen Schädigern identisch ist, ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass angesichts dieser Unterschiede in Detailaspekten zwischen beiden Gruppen differenziert werden muss. 2. Meinungsstand a) Die Auffassung von Canaris Für ein Recht beziehungsweise sogar eine Pflicht des erkennenden Richters zur Reduktion privatrechtlicher Schadensersatzansprüche über § 242 BGB hat sich Ende der 1980er Jahre Canaris unter dem Topos des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots im Schadensersatzrecht vehement ausgesprochen.41 Ihm schwebten Fälle existenzvernichtender, wirtschaftlich ruinöser Haftung vor, wobei das in besonderem Maße für den (kleinen) Bereich der verschuldensunabhängigen, aber nicht durch eine Haftungshöchstsumme beschränkten § 89 WHG (§ 22 WHG a.F.), § 833 S. 1 BGB, letztlich aber genauso auch für die normale Verschuldenshaftung gelten sollte.42 Ausgangspunkt war dabei die Frage, ob es rechtens sei, dass ein (junger) Schädiger wegen eines Schadensersatzanspruchs lebenslang auf das pfändbare Existenzminimum reduziert sein könne. Weil zivilrechtliche, ruinös wirkende deliktische oder vertragliche43 Schadensersatzverpflichtungen nicht nur einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG), sondern vor allem auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG dar39 Selbst bei expliziter oder impliziter Zustimmung der Eltern kann sich aber aus §§ 1643 I, 1822 Nr. 5 BGB eine weitere rechtliche Hürde ergeben: Wenn der Versicherungsvertrag mit dem Minderjährigen als Vertragspartner länger als ein Jahr nach dem Eintritt der Volljährigkeit fortdauern soll, ist die Genehmigung des Familiengerichts erforderlich (vgl. dazu, dass § 1822 Nr. 5 BGB auch Versicherungsverträge erfasst, Motive IV, S. 1142; BGH 30.6.1958 – II ZR 117/57, NJW 1958, 1393, 1394). Da allerdings am Versicherungsmarkt unschwer auch Haftpflichtversicherungen mit einjähriger Laufzeit verfügbar sind (vgl. Nachweise unter http://www.finanzen.de/haftpflichtversicherung/vergleichsrechner#64867/tariff/PHV/ rechner), dürfte dies in der Praxis kein unüberwindbares Problem darstellen. 40 Zutreffend OLG Celle 26.5.1989 – 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791, 792. 41 Canaris, JZ 1987, 993, 1001 f.; ders., JZ 1988, 494, 497; ders., JZ 1990, 679, 681. 42 Canaris, JZ 1987, 993, 1001. 43 Klarstellend, dass auch diese erfasst seien: Canaris, JZ 1988, 494, 497.
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stellten, gebiete – so Canaris – das verfassungsrechtliche Übermaßverbot eine Abwägung der Auswirkungen auf den Schädiger einerseits, den Bedürfnissen des Geschädigten und dem Präventionsgedanken andererseits. Entscheidend seien hierbei die Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem. Dementsprechend sei danach zu differenzieren, ob der Geschädigte auf den Ersatzanspruch wirtschaftlich angewiesen ist, insbesondere weil er anderenfalls seinen eigenen Unterhalt nicht bestreiten beziehungsweise seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Sei dies der Fall, so rechtfertigten die in der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes zu berücksichtigenden Geschädigteninteressen in aller Regel den vollen Schadensersatz unabhängig davon, ob dies für den Schädiger ruinöse Folgen hat.44 Wenn aber der Geschädigte seine legitimen Bedürfnisse „voll oder teilweise“ auch ohne Realisierung des Schadensersatzanspruchs befriedigen könne, sei dieser zu reduzieren, wenn es die berechtigten Interessen des Schädigers geböten. Letzteres soll anzunehmen sein, wenn der Ersatzanspruch entweder für den Schädiger ruinös wäre – das heißt, dieser lebenslang auf das pfändungsfreie Existenzminimum reduziert würde –, oder er sich insoweit katastrophal auswirken würde, als der Schädiger ein über Jahrzehnte angespartes Vermögen aufzehren oder er den Verdienst der letzten oder der nächsten zehn Jahre verlieren würde.45 Verschuldensgrad und Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts/-umfangs hingegen hätten höchstens Ergänzungs- und Hilfsfunktion, so dass selbst einem vorsätzlich handelnden Schädiger eine Haftungserleichterung zugute kommen könne.46 Bei juristischen Personen sei allein auf die Auswirkungen für deren Gesellschafter und Arbeitnehmer zu blicken; werden diese nicht ruiniert, sei auch der Konkurs einer juristischen Person – auch um den Preis von Arbeitsplatzverlusten – hinzunehmen.47 Methodisch wollte Canaris die angestrebte Anspruchskürzung nicht erst über eine erst noch zu schaffende explizite Reduktionsklausel, sondern bereits de lege lata über § 242 BGB unter Berücksichtigung der Drittwirkung der 44 Canaris, JZ 1987, 993, 1002; ders., JZ 1988, 494, 497; ders., JZ 1990, 679, 681. – Selbst in solchen Konstellationen nimmt er aber in Bezug auf die verschuldensunabhängigen, nicht durch eine Haftungshöchstsumme begrenzten Tatbestände der § 89 WHG (§ 22 WHG a.F.), § 833 S. 1 BGB einen Verstoß gegen Art. 2 I GG und Art. 3 I GG an. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, vgl. ausführlich sub § 2 A IV 2 b). 45 Dabei seien auf beiden Seiten eventuelle Versicherungsleistungen zu berücksichtigen. 46 Dem von Canaris gebildeten Beispiel einer vorsätzlich und in Kenntnis des drohenden Schadens erfolgten Zerstörung eines teuren Kunstwerks (JZ 1987, 993, 1002) hielt Ramm entgegen, wer ein Kunstwerk durch Unachtsamkeit beschädige, möge einen „Jungterroristen verpflichten, es gänzlich zu zerstören und dessen Schadensersatzverpflichtung dann übernehmen“ (JZ 1988, 489, 491). 47 Canaris wörtlich: „denn es ist immer noch besser, daß Aktionäre, GmbH-Gesellschafter oder Kommanditisten ihre Anteile verlieren und Arbeitnehmer sich einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen, als daß ein Mensch lebenslang in den Ruin getrieben wird.“ (JZ 1987, 993, 1002).
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Grundrechte des Schädigers erreichen, indem unter den genannten Voraussetzungen eine (vollständige) Durchsetzung des Ersatzanspruches als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sei.48 Um eventuellen späteren Änderungen der Vermögensverhältnisse der Beteiligten Rechnung tragen zu können, solle der Richter die Klage jedoch nicht als unbegründet, sondern nur als „zur Zeit unbegründet“ (teil-)abweisen. b) Weitere Stimmen Auch wenn in der Literatur wenige so weit wie Canaris gehen wollen,49 fi den sich durchaus Stimmen, die seiner Ansicht zumindest teilweise beziehungsweise unter strengeren Voraussetzungen oder für Ausnahmefälle folgen.50 Auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ist die Auffassung von Canaris vereinzelt zumindest dann auf fruchtbaren Boden gefallen, wenn der Schädiger minderjährig war. So sind nach Auffassung des LG Bremen über § 242 BGB Abstriche vom Grundsatz der Totalrestitution geboten, wenn ein Minderjähriger einen Großschaden verursachte.51 Noch weiter geht der Berliner VerfGH, nach dem die Zivilgerichte selbst dann, wenn der Haftung noch keine existenzvernichtende Wirkung beikommt, die Pflicht trifft, eine Begrenzung der Minderjährigenhaftung zu prüfen.52 Schließlich steht nach einem obiter dictum des BVerfG aus verfassungsrechtlicher Sicht weder der Wille des vorkonstitutionellen Gesetzgebers noch der Wortlaut des § 828 II BGB einer Einschränkung der Minderjährigenhaftung aus Billigkeitsgründen gemäß § 242 BGB zwingend entgegen.53
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Canaris, JZ 1987, 993, 1002 ; ders., JZ 1990. 679, 681. Ihm folgend vor allem Soergel/Mertens12, Vor § 249, Rn. 40; im Falle einer anderenfalls ruinösen Haftung Heranwachsender auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 404; in diese Richtung auch FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 8; ders., VersR 1997, 1064, 1066; Baumann, BB 1994, 1300, 1306; Goecke, NJW 1999, 2305, 2309; vgl. auch schon Mager, 43. DJT (Diskussion), C 63 f.; auch nach Jansen, Struktur, S. 582 mit Fn. 190 kann sich eine unbeschränkte deliktische Haftung von Minderjährigen als problematisch erweisen. 50 Für eine Reduktion bei „krasser Existenzgefährdung, in denen zugleich die Selbstverantwortungsmaxime […] wenig beeinträchtigt wird“, plädiert Bydlinski, SAE 1994, 93, 98. – Für ein verfassungsrechtliches Gebot, § 242 BGB anzuwenden, wenn und insoweit sich der Ersatzpflichtige gegen die Ersatzverpflichtung nicht versichern kann und ihm deshalb eine existenzvernichtende Belastung droht, spricht sich Rolfs, JZ 1999, 233, 240, 242 aus. 51 LG Bremen 15.2.1991 – 6 O 2866/89, NJW-RR 1991, 1432, 1434. – Einen anderen, hier nicht näher zu würdigenden Weg beschritt das OLG Celle, das nicht auf § 242 BGB rekurrierte, sondern § 828 II BGB (a.F.) für verfassungswidrig hielt (26.5.1989 – 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791, 791 f.). 52 BerlVerfGH 14.12.2009 – VerfGH 31/09, NJW-RR 2010, 1141; in dem vom Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall betrug der von dem zum Tatzeitpunkt zwölfjährigen Beschwerdeführer verursachte Ausgangsschaden ca. € 6.000. 53 BVerfG 13.8.1998 – 1 BvL 25/96, NJW 1998, 3557, 3558. 49
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Hingegen lehnte der BGH im Jahr 1993 – allerdings bei einem erwachsenen Schädiger – ein Recht oder gar eine Pflicht der Gerichte, Schadensersatzansprüche über § 242 BGB aufgrund sozialer Erwägungen zu kürzen, explizit ab.54 Er begründete dies mit dem das Deliktsrecht tragenden Verantwortungsgedanken und dem bereits durch den zivilprozessualen Vollstreckungsschutz erreichten Existenzschutz. Dem folgten – jedenfalls im Ergebnis – die wohl herrschende Auffassung in der Literatur55 sowie die Entwurfsverfasser des § 255a BGB-E.56 3. Stellungnahme a) Verfassungsrechtlicher Hintergrund Dem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt von Canaris ist zuzustimmen. In der Tat stellt die einfachgesetzliche Auferlegung (ruinöser) Schadensersatzverbindlichkeiten einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schädigers dar.57 Dieser ist nur gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts erforderlich ist. In Betracht kommen insoweit die Grundrechtspositionen der Geschädigten, das heißt insbesondere die Art. 2 I, 2 II, 2 I in Verbindung mit Art. 1 I sowie Art. 12, 14 GG. Zwischen diesen widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen ist per praktischer Konkordanz ein möglichst idealer Ausgleich herzustellen. Aus dieser grundrechtlichen Warte betrachtet ist dem von Canaris postulierten Ergebnis der Kürzung eines für den Schädiger ruinierenden und damit besonders bedeutsamen, für den Geschädigten hingegen weniger relevanten Schadensersatzanspruchs durchaus zuzustimmen. Die entscheidende, im Folgenden zu klärende Frage ist aber, ob die Gerichte de lege lata deshalb berechtigt – beziehungsweise sogar verpflichtet – sind, dieses verfassungsrechtlich begrüßenswerte Ergebnis über § 242 BGB herbeizuführen. 54
BGH 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852, 855. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 66 f.; Krause, JR 1994, 494, 495 ff.; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 59 f.; Ramm, JZ 1988, 489, 492; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; Palandt/Grüneberg, Vorb v § 249, Rn. 3; so de lege lata auch schon Rümelin, AcP 90 (1900), 171, 303; Hauss, 43. Referat auf dem DJT, C 23, 33; in diese Richtung auch Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 86; für den Regelfall ebenso BeckOK-BGB/Spindler, Vorb. zu § 823, Rn. 0.11; Bartelt, Beschränkung, S. 202 f. plädiert statt eines Rückgriffs auf § 242 BGB für eine verfassungskonforme Auslegung des Kausalbegriffs in § 249 I BGB; vgl. auch Weitnauer, VersR 1963, 101, 104, der – so man dies überhaupt als wünschenswert ansehe – eine Abkehr vom Alles-oder-NichtsPrinzip als Aufgabe des Gesetzgebers bezeichnete, weil nicht davon auszugehen sei, dass dies Gerichte jemals unter Berufung auf § 242 BGB vornehmen würden. 56 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 35. 57 Angesichts der eine Schadensersatzverbindlichkeit anordnenden Vorschriften (z.B. §§ 823, 249 BGB) liegt wie ausgeführt bereits ein Eingriff vor, es ist daher nicht auf die Schutzpflichtkomponente der Grundrechte – hinsichtlich derer ein deutlich größerer Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers besteht – zurückzugreifen. 55
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b) Rechtsunsicherheit/Uferlosigkeit Dagegen wurde zunächst angeführt, der von Canaris postulierte Weg über § 242 BGB sei nicht praktikabel und zudem mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden, weil Voraussetzungen – Berücksichtigung des Verschuldensgrads?, Auswirkung eventuellen Versicherungsschutzes, Bewertung des Vermögensstands – und konkrete Rechtsfolgen der Minderung (Umfang, Endgültigkeit versus Vorbehalt einer Änderung der Vermögensverhältnisse) vollkommen unklar seien.58 In der Tat weist der Vorschlag von Canaris den Nachteil auf, den erkennenden Gerichten tendenziell einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum einzuräumen, der die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Verfahren erschwert und damit zu Rechtsunsicherheit führt. Weil Canaris auf die unspezifische Generalklausel des § 242 BGB zurückgreifen will, sind die damit einhergehenden Rechtsunsicherheiten sogar tendenziell noch größer, wie wenn eine speziell auf die Reduktion von Schadensersatzverbindlichkeiten zugeschnittene und damit schon nach dem Normtext gewisse Vorgaben enthaltende Spezialregelung vergleichbar dem oben zitierten § 255a BGB-E oder dem schweizerischen Art. 43 I OR59 zur Anwendung käme. Je unspezifischer die bemühte gesetzliche Grundlage ist, umso größer ist zudem die Gefahr, dass sie von den Gerichten exzessiv herangezogen wird, um Ergebnisse zu erzielen, die ihnen als gerecht erscheinen. Wie weitgehend § 242 BGB in diesem Kontext bemüht werden kann, illustriert die bereits erwähnte Entscheidung des BerlVerfGH aus dem Jahr 2009, nach der die Gerichte nicht nur in Fällen existenzvernichtender Haftung, sondern bereits dann verpflichtet sind, eine Haftungsreduktion zu prüfen, wenn nur die Schadensersatzpflicht samt wachsender Zinslast geeignet ist, den Start des minderjährigen Schädigers in das Erwachsenen- und Berufsleben „erheblich [zu] erschwer[en]“60. Das ist schon der Formulierung nach eine äußerst bedenkliche, weil sehr weitgehende und über die Auffassung von Canaris wohl auch deutlich hinausreichende Forderung, die noch an Gewicht gewinnt, wenn man sich vor Augen führt, dass es in dem zugrundeliegenden Fall um eine einen 12jährigen Schädiger treffende Schadensersatzverpflichtung von (gerade einmal) € 5.500 nebst Zinsen ging. Es mag zwar zutreffen, dass diesen Schädiger eine solche Forderung hart trifft und er einige Jahre seines Erwachsenen- und Berufslebens damit zubringen wird, den sich zehn Jahre später – je nach Höhe des Basiszinssatzes (§§ 291, 288 I 2, 247 BGB) – auf circa € 9.000 bis € 12.000 belaufenden Ersatzanspruch abzutragen. Dennoch: Hier eine so schwerwiegende Beeinträch58
Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67; Ramm, JZ 1988, 489, 492. Dieser lautet: „Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat.“. 60 BerlVerfGH 14.12.2009 – VerfGH 31/09, NJW-RR 2010, 1141. 59
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tigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Minderjährigen anzunehmen, dass eine Durchbrechung von § 249 I BGB geboten ist, vermag – unabhängig davon, ob der Geschädigte auf die Ersatzleistung angewiesen ist – schwerlich zu überzeugen. Das Beispiel des BerlVerfGH illustriert damit plastisch die Risiken einer kontur- und uferlosen Ausdehnung einer einmal eröffneten richterlichen Kompetenz zur Reduktion von Schadensersatzansprüchen im Namen der Gerechtigkeit.61 Es droht, was schon Goethes Zauberlehrling erleiden musste: Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los. Andererseits darf aber auch nicht übersehen werden, dass das einfache Gesetzesrecht zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe und Lücken aufweist, die Quelle erheblicher Rechtsunsicherheit sind.62 Das gilt namentlich auch im Bereich des Schadensersatzrechts, zum Beispiel der nach § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge63 oder der Billigkeitshaftung aus § 829 BGB. „Spitzenreiter“ dieser auslegungsbedürftigen Vorschriften dürften unzweifelhaft die §§ 138, 242 BGB sein. So lassen sich zum Beispiel ehrlicherweise weder für die über § 138 BGB zu regelnden Angehörigenbürgschaften noch über die in § 242 BGB verortete Verwirkung oder über die im Zusammenspiel beider Paragraphen zu kontrollierenden Scheidungsfolgenvereinbarungen (präzise) Anhaltspunkte aus dem (einfachen) Gesetzesrecht entnehmen. Dennoch hatten und haben Rechtsprechung und Literatur kein grundsätzliches Problem damit, diese Generalklauseln zur Lösung heranzuziehen, insbesondere wenn ihnen für die jeweilige Fallgruppe durch zahlreiche Judikate schärfere Konturen verliehen werden können. Warum das für die richterliche Reduktion exorbitanter Schadensersatzverpflichtungen apodiktisch anders sein sollte, ist – unter dem Aspekt der Rechtssicherheit – nicht ganz einsichtig. Denn auch insoweit erscheint es nicht a priori als ausgeschlossen, dass durch ober- und höchstrichterliche Entscheidungen allmählich handhabbare, die Rechtsunsicherheit zurückdrängende Kriterien herausgearbeitet werden könnten, wie sie im Übrigen zum Teil ja auch schon Canaris genannt hat (zum Beispiel Aufzehrung eines über Jahrzehnte angesparten Vermögens oder Verlust der Verdienste der letzten oder der nächsten zehn Jahre)64. Zusammengefasst geht es daher zu weit, allein wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit eine richterliche Korrektur exorbitanter Schadensersatzverbindlichkeiten über § 242 BGB apodiktisch für unzulässig zu erklären. Allerdings: Sollte – worauf im Folgenden noch einzugehen ist – überhaupt im Grundsatz ein Rückgriff auf § 242 BGB möglich sein, so ist – gerade in Abwesenheit konturierender höchstrichterlicher Rechtsprechung – im Interesse der 61 Vgl. auch die Ablehnung einer allgemeinen Billigkeitskontrolle im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung (oben § 2 F III 4). 62 Vgl. auch Goldschmidt, 43. DJT (Diskussion), C 88. 63 So auch Finke, Minderung, Rn. 599. 64 Canaris, JZ 1987, 993, 1002.
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Rechtssicherheit ein äußerst zurückhaltender und behutsamer Umgang mit diesem auf Extremfälle beschränkten Ausnahmeinstrument zwingend geboten. In Fällen, in denen sich die Haftungsverpflichtung in einem niedrigen fünf- oder gar vierstelligen Bereich bewegt, hat § 242 BGB daher entgegen der schon deshalb viel zu weitgehenden Judikatur des BerlVerfGH trotz möglicher Härten im Einzelfall keinerlei legitimen Anwendungsbereich. c) Entgegenstehender Wille des Gesetzgebers, Kompetenz- und Funktionsordnung des Grundgesetzes Unabhängig von Rechtssicherheitsbedenken stellt sich die Frage, ob eine richterliche Anspruchskorrektur über § 242 BGB mit dem an anderer Stelle zutage tretenden Willen des Gesetzgebers und damit der Kompetenz- und Funktionsordnung des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. aa) So ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber für die Geltung des Alles-oder-Nichts-Prinzips entschieden und dieses in § 249 I BGB normativ verankert hat. Durchbrechungen sind daher grundsätzlich nur bei einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung möglich. Seine Aushöhlung über in § 242 BGB angesiedelte richterliche Eingriffe ist mit Blick auf die im Grundgesetz vorgegebene Aufgabenteilung zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung hingegen mindestens zweifelhaft.65 Dem hielt das BVerfG für minderjährige Schädiger zwar im Jahre 1998 entgegen, dass weder der Wille des Gesetzgebers noch der Wortlaut des § 828 II BGB einer Einschränkung der Minderjährigenhaftung aus Billigkeitsgesichtspunkten über § 242 BGB zwingend entgegenstehe.66 Hintergrund dieser Aussage war aber, dass das Gericht eine Anpassung des geltenden Gesetzesrechts an veränderte Verhältnisse durch die Instanzgerichte insbesondere bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzeserlass und richterlicher Einzelfallentscheidung für möglich hielt67 und zum Zeitpunkt der Entscheidung § 828 BGB seit Inkrafttreten des BGB noch niemals geändert worden war, so dass von einer Aufnahme der ursprünglichen Konzeption der Minderjährigenhaftung in den einer richterlichen Korrektur des einfachen Gesetzesrechts entgegenstehenden Willen des modernen Gesetzgebers in der Tat keine Rede sein konnte. Diese Situation hat sich seither aber geändert. So wurde – kurz nach der genannten Entscheidung – das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz verabschiedet, das zum 1.1.1999 in Kraft trat.68 Obwohl dem Gesetzgeber dabei die Gefahr exorbitanter deliktischer Schadensersatzverpflichtungen für minderjährige Schädiger bekannt sein musste, verzichtete er auf eine Regelung dieser Pro65
Vgl. auch Krause, JR 1994, 494, 496. BVerfG 13.8.1998 – 1 BvL 25/96, NJW 1998, 3557, 3558. 67 BVerfG 13.8.1998 – 1 BvL 25/96, NJW 1998, 3557, 3558; vgl. auch schon BVerfG 12.11.1997 – 1 BvR 479/92, NJW 1998, 519, 520 m.w.N. 68 Gesetz vom 25.8.1998 (BGBl. I S. 2487). 66
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blematik. In dem in diesem Zuge geschaffenen § 1629a BGB wurden vielmehr bewusst rein eigenverantwortlich begründete deliktische Schadensersatzverpflichtungen ausgeklammert. Diesen widmete sich der Gesetzgeber sodann im Rahmen der Schadensersatzrechtsreform 2002, mittels der unter anderem zwar § 828 BGB zugunsten der Minderjährigen geändert, von einer „Korrektur“ auf Rechtsfolgenseite aber abgesehen wurde. Diese Reformen legen den Schluss nahe, dass der aktuelle Gesetzgeber das bestehende System der Minderjährigenhaftung in seinen Willen aufgenommen hat, das heißt insbesondere die darin vorgesehenen einfachgesetzlichen Schutzmechanismen als ausreichend und die Geltung des Alles-oder-Nichts-Prinzip bei einmal dem Grunde nach bejahter Haftungsverantwortung für nicht korrekturbedürftig erachtet. Die genannte Auffassung des BVerfG ist somit überholt.69 Wenn man damit aber für den Bereich der Haftung minderjähriger Schädiger davon ausgehen muss, dass das Alles-oder-Nichts-Prinzip dem Willen des heutigen Gesetzgebers entspricht, so gilt das erst recht für Volljährige, weil diese sich unschwer über den Abschluss einer Haftpflichtversicherung schützen können. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung hat der Rechtsanwender zu respektieren, eine Korrektur über zivilrechtliche Generalklauseln kann (auch) angesichts dessen nur unter restriktivst zu handhabenden Voraussetzungen und nur in Betracht kommen, wenn – worauf noch zurückzukommen sein wird – der einfachgesetzlich gewährte Schutz offenkundig nicht den Vorgaben der Verfassung entspricht. bb) Abgesehen von diesem Aspekt wurde Canaris weiter vorgeworfen, dass selbst dann, wenn man aus den Grundrechten des Schädigers das Postulat ableiten könne, ihn vor exorbitanter, existenzvernichtender Haftung zu schützen, daraus noch nicht folge, wie dieser Schutz einfachgesetzlich konkret auszusehen habe.70 Mit anderen Worten sei der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht so weit eingeengt, dass „man nur noch von einer einzigen verfassungskonformen Lösung dieses Problems ausgehen kann“71. Überhaupt sei es verfehlt, dem Grundgesetz punktgenaue Vorgaben für die Gestaltung der Zivilrechtsordnung entnehmen zu wollen, würde diese „Hyperkonstitutionalisierung“ doch nicht nur zu einer „Versteinerung der Rechtsordnung“72 führen, sondern auch verkennen, dass der Gesetzgeber angesichts der Tatsache, dass das Grundgesetz sich nicht in der Normierung von Grundrechten erschöpfe, sondern auch Vorschriften über die Gesetzgebung und deren Organe enthalte, nicht als bloßes Vollzugsorgan für die Grundrechte und das Übermaßverbot angesehen werden könne.73 Mit seiner Auffassung überschreite Canaris daher 69 70 71 72 73
Vgl. auch Rolfs, JZ 1999, 233, 241. Krause, JR 1994, 494, 497; Simon, AcP 204 (2004), 264, 271. Simon, AcP 204 (2004), 264, 275; vgl. auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67. Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 60; vgl. auch Krause, JR 1994, 494, 499. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 55; ebenso Mäsch, Chance, S. 234.
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deutlich die Grenze zwischen dem dem Gesetzgeber überlassenen Bereich und dem, was noch (konkret) aus dem Grundgesetz abgeleitet werden könne.74 Auch wenn diese Kritik einen wahren Kern enthält, tendiert sie doch dazu, Zielrichtung und Tragweite von Canaris’ Argumentation zu verkennen. Dieser behauptete nämlich gar nicht, dass es de lege ferenda nur einen einzigen, aus dem Grundgesetz abzuleitenden und vom Gesetzgeber damit zwingend einzuschlagenden Weg zur Lösung der aufgeworfenen Problematik gebe (was in der Tat einer Versteinerung der Rechtsordnung gleichgekommen und mit dem dem Gesetzgeber eingeräumten Ausgestaltungsspielraum nicht zu vereinbaren wäre). Es ging ihm vielmehr (nur) darum, angesichts der von ihm als defizitär eingeschätzten einfachgesetzlichen Rechtslage eine „Notlösung“ dafür zu finden, wie die erkennenden Gerichte bereits auf dem Boden des geltenden Rechts dem von ihm angenommenen verfassungsrechtlichen Postulat Geltung verschaffen können. Und auch insoweit leitete er aus dem Grundgesetz keine punktgenauen Vorgaben, sondern nur eine grobe Richtung ab, deren nährere Ausgestaltung Aufgabe des Richters im konkreten Einzelfall sein sollte. Unter diesen Vorzeichen ist der Verweis auf § 242 BGB – trotz der oben skizzierten Mängel – nun aber dogmatisch wie methodisch durchaus nachvollziehbar. cc) Zusammengefasst spricht nicht nur das Gebot der Rechtssicherheit, sondern vor allem auch die gesetzgeberische Wertentscheidung zugunsten des Alles-oder-Nichts-Prinzips dafür, dass eine richterliche Anspruchskürzung über § 242 BGB nicht oder jedenfalls nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen möglich ist. d) Bestehen einer Schutzlücke? Abgesehen von den angeführten grundsätzlichen „staatsrechtlichen“ Bedenken stellt sich die Frage, ob es des von Canaris geforderten Rückgriffs auf § 242 BGB de lege lata überhaupt bedarf, oder ob nicht bereits das bestehende einfache Gesetzesrecht genügend Mechanismen zum Schutz des Schädigers vor einer überbordenden, existenzvernichtenden Haftung enthält.75 Als unspezifisches Ausnahmeinstrument kann ein Bedürfnis für die Heranziehung von § 242 BGB nämlich wenn überhaupt nur bestehen, wenn nicht bereits speziellere Methoden ein ausreichendes Schutzniveau bieten. Dem ist im Folgenden nachzugehen. aa) Schuldnerberatungsstellen Nach Ramm besteht schon deshalb kein sachliches Bedürfnis für eine Anwendung des § 242 BGB, weil die Schuldnerberatungsstellen und die Bewährungshilfe versuchten, den Schuldner vor einer lebenslangen Überschuldung zu 74
Medicus, AcP 192 (1992), 35, 66. Vgl. auch Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 59; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 66; Krause, JR 1994, 494, 497; MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 15; Finke, Minderung, Rn. 352; NK-BGB/ Magnus, Vor §§ 249–255, Rn. 30; Staudinger/Oechsler, § 828, Rn. 2. 75
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schützen.76 Das überzeugt nicht. Zwar mag die „Mediation“ durch eine solche Institution in Einzelfällen in der Tat eine außergerichtliche Lösung der Problematik erreichen. Sie bedarf jedoch stets der freiwilligen Zustimmung des Geschädigten, so dass von einem effektiven Schutz, der mit einer richterlich oktroyierten Reduktion des Anspruchs auch nur im Ansatz vergleichbar wäre, keine Rede sein kann.77 bb) Haftungshöchstsummen Haftungshöchstsummen sind in der Lage, mittels der durch sie ermöglichten vollständigen Versicherbarkeit des Schadensrisikos effektiv vor exorbitanter Haftung zu schützen.78 Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es daher insoweit nicht. Allerdings ist der Anwendungsbereich von Haftungshöchstsummen vergleichsweise gering. Denn typischerweise erfassen sie nur verschuldensunabhängige Haftungstatbestände und lassen zudem meist den Rückgriff auf die allgemeinen, der Höhe nach nicht beschränkten (deliktischen) Haftungstatbestände zu (zum Beispiel § 16 StVG, § 15 II ProdHaftG, § 12 HaftpflichtG).79 Im Hinblick auf diese sowie die nicht von Haftungshöchstsummen erfassten Haftungstatbestände vermögen sie mithin keinen Schutz vor existenzvernichtender Haftung zu gewährleisten. cc) Schutz über § 1629a BGB? Ein spezielles Instrument zum Schutz junger Erwachsener normiert § 1629a BGB. Dieser erlaubt es volljährig Gewordenen, ihre Haftung für Verbindlichkeiten, die noch während ihrer Minderjährigkeit begründet wurden (sogenannte Altverbindlichkeiten), gegenständlich auf dasjenige Vermögen zu beschränken, das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden war (Altvermögen).80 Weil auf diese Weise sichergestellt ist, dass er sein Erwachsenenleben maximal mit einem Vermögensstand von Null beginnen kann und also keiner dauerhaften oder gar potentiell lebenslangen Haftung für Vorgänge ausgesetzt ist, die noch aus der Zeit seiner Minderjährigkeit stammen, scheint der Großteil der von Canaris angesprochenen Problematik prima vista gelöst zu sein. Damit würde aber übersehen, dass dies nur insoweit gelten kann, als § 1629a BGB überhaupt tatbestandlich reicht. Nach seiner Konzeption ist das jedoch nur in Bezug auf Forderungen der Fall, die durch die Eltern oder sonstige vertretungsberechtigte Personen – mindestens: mit- – begründet wurden und sich somit aus Sicht des nunmehr Volljährigen als – zumindest auch- – fremdverantwortet darstellen. Verbindlichkeiten, die er als Minderjähriger rein eigenver76
Ramm, JZ 1988, 489, 492. Zutreffend Canaris, JZ 1988, 494, 497. 78 Zur rechtspolitischen/-dogmatischen Legitimation von Haftungshöchstsummen vergleiche ausführlich oben § 2 A III. 79 Siehe dazu näher oben § 2 A II 1. 80 Siehe im Einzelnen Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 52, 61 ff. 77
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antwortlich begründete, fallen hingegen nicht in den Anwendungsbereich des § 1629a BGB.81 Daraus folgt: Hatten die Eltern einem geschäftlichen Kontakt beziehungsweise Vertrag zugestimmt, werden angesichts dieses „Fremdverantwortungsnukleus“ zwar auch Schadensersatzverbindlichkeiten erfasst, die auf der Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten beruhen.82 Bei rein deliktischen, mit einem Vertragsverhältnis in keinem Zusammenhang stehenden Ansprüchen greift § 1629a BGB aber nicht ein.83 Diese unterschiedliche Behandlung vertraglich begründeter beziehungsweise zumindest auf einem (angestrebten) Vertragsverhältnis fußender und völlig außervertraglicher Ansprüche mag man rechtspolitisch kritisieren, de lege lata ist sie aber hinzunehmen und kann keinesfalls über eine analoge Anwendung „korrigiert“ werden. Bei exorbitant hohen deliktischen Schadensersatzverpflichtungen, die Canaris hauptsächlich im Blick hat, hilft § 1629a BGB somit nicht weiter und kann daher im vorliegenden Kontext außer Betracht bleiben. dd) Schutz über § 287 I ZPO? Auch § 287 I ZPO, der dem Gericht eine Entscheidung nach freier Überzeugung erlaubt, wenn streitig ist, ob und in welchem Umfang ein Schaden entstanden ist, hilft im vorliegenden Kontext nicht weiter. Zwar interpretierte Dernburg ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts dergestalt, dass der Richter, der unter Berücksichtigung aller Umstände über die Höhe des Schadens zu entscheiden habe, insbesondere bei mittelbaren, nicht nachweisbaren Schäden den Verschuldensgrad berücksichtigen dürfe und müsse.84 Eine derart weitreichende, materielle Kriterien berücksichtigende Auslegung von § 287 ZPO vermag jedoch nicht zu überzeugen.85 § 287 ZPO regelt nämlich ausschließlich die rein prozessuale Problematik der Schadensfeststellung und enthält insoweit eine Beweiserleichterung, als das richterliche Ermessen bei der Beweisaufnahme erweitert und das allgemeine Beweismaß des § 286 ZPO herabgesetzt wird.86 Hinsichtlich der allein vom materiellen Recht zu beantwortenden Frage, wie der – gegebenenfalls mit Hilfe von § 287 ZPO ermittelte – Schaden zwischen den Parteien zu verteilen ist, gibt er hingegen keine Antwort und räumt dem Richter auch 81
Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 15, 34. Muscheler, WM 1998, 2271, 2281; Staudinger/Coester, § 1629a, Rn. 42. 83 MüKo-BGB/Huber, § 1629a, Rn. 25; Soergel/Fischinger, § 1629a, Rn. 34; BeckOKBGB/Veit, § 1629a, Rn. 12.1. 84 Dernburg, Bürgerliches Recht II, S. 69. 85 Ebenso schon Rümelin, AcP 90 (1900), 171, 303 f.; Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 33; vgl. auch Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 32: „Auch die durch § 287 ZPO eröffnete Möglichkeit der freien Schätzung des Schadens, die sich auf die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen dem zum Schadensersatz verpflichtenden Umstand und den schädlichen Folgen erstreckt, vermag den Schwierigkeiten nicht abzuhelfen.“. 86 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 287, Rn. 1; MüKo-ZPO/Prütting, § 287, Rn. 1; BeckOKZPO/Bacher, § 287, Rn. 1; Musielak/Foerste, § 287, Rn. 1; Saenger/Saenger, ZPO, § 287, Rn. 1. 82
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keinerlei Ermessen ein, von dem im materiellen Recht gefundenen Ergebnis aufgrund – wie auch immer gearteter – Billigkeitserwägungen abzuweichen. ee) Schutz über § 765a ZPO? Schutz bieten könnte aber möglicherweise § 765a ZPO, der den Schuldner aus sozialen Gründen vor Eingriffen bewahren soll, die dem allgemeinen Anstandsund Billigkeitsgefühl widersprechen und vollkommen unangemessen sind.87 Allerdings handelt es sich bei § 765a ZPO unbestrittenermaßen um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift,88 bei der die Interessen des Geschädigten Vorrang haben.89 Insbesondere soll § 765a ZPO nach der vom BGH vertretenen Auffassung nicht deswegen eingreifen, weil der Schuldner als Folge der Zwangsvollstreckung der Sozialhilfe anheimfallen wird.90 Daraus wird man den Schluss ziehen müssen, dass § 765a ZPO nach herrschender Auffassung keinen Existenzschutz bieten und nicht verhindern soll, dass der Schuldner – gegebenenfalls auf Lebenszeit – auf die Pfändungsfreigrenzen beschränkt ist.91 So verstanden hilft er im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht weiter. Im Übrigen: Selbst wenn man das anders sehen und unter § 765a ZPO dem Grunde nach auch den Schutz vor existenzbedrohender Haftung fassen wollte, wäre damit jedenfalls kein dauerhafter, zuverlässiger Schutz des Schuldners verbunden. Nicht zu verkennen ist nämlich, dass selbst ein schuldnerfreundliches Gericht über § 765a ZPO nicht die Zwangsvollstreckung aus einem Titel allgemein für unzulässig erklären kann, sondern stets nur eine bestimmte Zwangsvollstreckungsmaßnahme (teilweise) aufheben, untersagen oder einst-
87 Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 765a, Rn. 3; vgl. auch BGH 20.11.2008 – V ZB 31/08, NJW 2009, 444. 88 BGH 25.6.2004 – IXa ZB 267/03, NJW 2004, 3635, 3636; 21.12.2004 – IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 765a, Rn. 2; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 765a, Rn. 2; Zöller/Stöber, ZPO, § 765a, Rn. 5; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a, Rn. 7. 89 Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 765a, Rn. 8; Musielak/Lackmann, ZPO, § 765a, Rn. 9; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a, Rn. 30. 90 BGH 21.12.2004 – IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; 2.12.2010 – IX ZB 120/10, ZIP 2011, 90; OLG Zweibrücken 14.2.2002 – 3 W 6/02, NJW-RR 2002, 1664; LG Duisburg 18.3.1991 – 4 T 30/91, Rpfl ger 1991, 514; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 765a, Rn. 9a; Zöller/Stöber, ZPO, § 765a, Rn. 5; Hk-ZPO/Kindl, § 765a, Rn. 4; BeckOK-ZPO/Ulrici, § 765a, Rn. 16; Scheuch, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 765a, Rn. 17; mit dem Vorbehalt, dass der Schuldner tatsächlich einen realisierbaren Anspruch auf Sozialhilfe hat Erkelenz/Leopold/ Marhöfer, ZRP 2007, 48, 49; kritisch MüKo-ZPO/Heßel, § 765a, Rn. 36. 91 Vgl. LG Münster 15.11.2001 – 5 T 788/01, Rpfl ger 2002, 272; Zöller/Stöber, ZPO, § 765a, Rn. 5; Hk-ZPO/Kindl, § 765a, Rn. 4; vgl. auch LG Kiel 29.3.1955 – 5 T 72/55, SchlHA 1955, 278; LG Bochum 5.4.1955 – 7 T 126/55, MDR 1955, 683; a.A. (für Anwendbarkeit bei Gefährdung oder gar Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage) hingegen LG Frankfurt/Oder 29.8.2001 – 6 T 174/00, Rpfl ger 2002, 322; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 765a, Rn. 6; B/L/A/H, ZPO, § 765a, Rn. 15; MüKo-ZPO/Heßel, § 765a, Rn. 36, 51; vgl. auch LG Berlin 19.12.1978 – 81 T 476/78, DGVZ 1979, 43; LG Kassel 10.4.1968 – 6 T 103/68, ZMR 1970, 122.
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weilen einstellen kann.92 Damit aber lebte der Schuldner – selbst wenn er in der Vergangenheit bereits einmal mit einem Antrag nach § 765a ZPO obsiegt hatte – stets unter dem Damoklesschwert, dass in Bezug auf eine neue Zwangsvollstreckungsmaßnahme ein anderer Richter im Rahmen seines ihm eingeräumten Ermessens Vollstreckungsschutz versagt. Die für den Aufbau einer (neuen) Existenz notwendige Planungssicherheit ist damit nicht beziehungsweise – im Vergleich zu einer Lösung bereits auf materiell-rechtlicher Ebene – nur in wesentlich geringerem Umfang gegeben. Zusammenfassend schaltet die gegenwärtige Handhabung des § 765a ZPO durch den BGH diesen als im vorliegenden Kontext relevantes Schutzinstrument praktisch aus. Unabhängig davon wäre § 765a ZPO auch konzeptionell nicht in der Lage, ein zuverlässiges und ausreichendes Schutzniveau vor exorbitanter Haftung zu bieten. ff) §§ 811 ff., 850 ff. ZPO Als dem berechtigten Interesse des Schädigers am Schutz seiner wirtschaftlichen Existenz Rechnung tragendes Instrument wird verbreitet der Vollstreckungsschutz über §§ 811 ff., 850 ff. ZPO angesehen.93 Daran ist ohne Zweifel richtig, dass im Anwendungsbereich dieser Vorschriften keine existenzbedrohende Haftung im ureigensten Wortsinne mehr droht, weil dem Schuldner stets ausreichend Sach- und/oder Finanzmittel zu belassen sind, um seine bare physische Fortexistenz zu ermöglichen. Zu einem derart verstandenen Existenzschutz ist ein Rückgriff auf § 242 BGB somit weder erforderlich noch statthaft. Allerdings bieten die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO keinen „Rundum-Schutz“. Das beginnt – gewissermaßen in der Breite – damit, dass die §§ 850 ff. ZPO nicht sämtliche Einkunftsquellen erfassen beziehungsweise umfassend schützen. Ein Beispiel hierfür sind Miet- und Pachteinnahmen: Ein Schuldner, der seinen Lebensunterhalt vorwiegend oder ausschließlich aus diesen Quellen bestreitet, ist unproblematisch nur über den äußerst schwachen, zum Existenzschutz nicht genügenden § 851b ZPO geschützt. Ob er sich darüber hinaus auf § 850i I ZPO berufen kann, nach dem ihm so viel zu belassen ist, wie ihm bei Einkommen aus einem laufenden Arbeits- oder Dienstlohn verbleiben würde, ist hingegen umstritten.94 Selbst wenn man dies bejahte – was angesichts der systematischen Stellung (§ 850i ZPO vor § 851b ZPO) sowie den Aussagen in der Entwurfs92 OLG Köln 7.2.1994 – 2 W 21/94, NJW 1994, 1743; Musielak/Lackmann, ZPO, § 765a, Rn. 2; BeckOK-ZPO/Ulrici, § 765a, Rn. 1.2. 93 Vgl. z.B. BGH 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852, 855; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 66; Otto/Schwarze, Haftung, Rn. 59; Looschelders, VersR 1999, 141, 145. 94 Bejahend LG Bonn 30.8.2012 – 6 T 140/12, BeckRS 2012, 20743; Hk-ZVR/Meller-Hannich, § 850i ZPO, Rn. 2 f., 7, 10; dies., WM 2011, 529, 530; Musielak/Becker, ZPO, § 850i, Rn. 1; Ahrens, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 850i, Rn. 25; ablehnend LSG Sachsen-Anhalt 22.5.2012 – L 5 AS 114/12 B ER, BeckRS 2012, 71294; Zöller/Stöber, ZPO, § 850i, Rn. 1; BeckOK ZPO/Riedel, § 765a, Rn. 12.
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begründung95 zumindest zweifelhaft ist –, wäre der Schuldner nicht vor einer Vollstreckung in das vermietete/verpachtete Objekt als Vermögensstamm und Lebensgrundlage geschützt.96 Gleiches gilt für Schädiger, die hauptsächlich von Kapitalerträgen leben.97 Unabhängig davon schützen die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO „in der Tiefe“ nur einen Sockelbetrag, der dem Schuldner zwar die Existenzsicherung ermöglicht (und damit die öffentliche Hand davor bewahrt, diese fi nanzieren zu müssen), ihm aber – entsprechend exorbitante Einstandsverpflichtungen vorausgesetzt – nicht die Chance gibt, zumindest langfristig einen über die bloße Grundsicherung hinausgehenden Lebenswandel zu führen. Soweit die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO eingreifen, sind sie im vorliegenden Zusammenhang insoweit relevant, als es eines Rückgriffs auf § 242 BGB zum Schutz der baren Existenzgrundlagen des Schädigers nicht bedarf. Einen darüber hinausgehenden, von Canaris geforderten Schutz vor einer dauerhaften Beschränkung auf die Pfändungsgrenzen vermögen diese Vorschriften aber nicht zu leisten.98 gg) Restschuldbefreiung, §§ 286 ff. InsO (1) Ausgangspunkt Boten die bisher behandelten Instrumente also keinen beziehungsweise keinen ausreichenden Schutz, so ist aber die Möglichkeit der Restschuldbefreiung im vorliegenden Kontext von herausragender Bedeutung. Selbst wenn man der von Canaris vertretenen Auffassung zum Zeitpunkt ihrer Publikation, das heißt 95 Vgl. BT-Drucks. 16/7615, S. 18: „Nach der neuen Fassung kann Pfändungsschutz durch die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts für sämtliche Arten von Einkünften, die keinem besonders geregelten Pfändungsschutz wie z.B. Arbeitseinkommen und Sozialleistungen unterliegen, gewährt werden.“ (Hervorhebung hier). Da Miet- und Pachteinnahmen bereits dem zwar schwachen, aber eben doch bereits in der Sondervorschrift des § 851b ZPO geregelten Pfändungsschutz unterliegen, spricht dies dafür, dass sie nach dem Willen des Gesetzgebers von § 850i ZPO nicht erfasst sind. Dafür spricht auch eine weitere Aussage in der Entwurfsbegründung, nach der es dem Gesetzgeber nur um den Schutz selbständig tätiger Personen ging, vgl. a.a.O., S. 9: „Gleichzeitig soll der Pfändungsschutz für die Einkünfte von selbstständig tätigen Personen verbessert werden. […] Grundsätzlich sollen alle Arten von Einkünften von nicht abhängig Erwerbstätigen, soweit sie der Sicherung des Lebensunterhalts dienen, Pfändungsschutz genießen können.“ (vgl. auch a.a.O., S. 2). 96 Vgl. dazu, dass § 850i ZPO nicht den Vermögensstamm schützt, Ahrens, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 850i, Rn. 25; vgl. auch BeckOK-ZPO/Riedel, § 850i, Rn. 20; Musielak/ Becker, ZPO, § 850i, Rn. 5 (kein Schutz der Grundlagen der selbständigen Tätigkeit). – Auch die §§ 811 ff. ZPO sowie die restlichen Vorschriften aus dem Kreis der §§ 850 ff. ZPO bieten bei Pacht- und Mieteinnahmen keinen Schutz, weil sie nach ganz h.M. nicht analog anwendbar sind (vgl. BGH 21.12.2004 – IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 600; BeckOK-ZPO/Riedel, § 851b, Rn. 1). 97 Selbst wenn man hier § 850i ZPO anwenden könnte (dafür BeckOK-ZPO/Riedel, § 850i, Rn. 6), würde das nichts gegen die Zwangsvollstreckung in das angelegte Kapital helfen. 98 Weitergehend BGH 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852, 855, der es trotz der erörterten, nur begrenzten Reichweite der §§ 811 ff., 850 ff. ZPO schon wegen diesen Vorschriften weder für geboten noch für erlaubt hielt, dass die Rechtsprechung rechtsfortbildend einen Existenzschutz auf materieller Ebene schafft.
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Ende der 1980er Jahre, vielleicht noch hätte zustimmen können, änderte sich die Situation jedenfalls mit Einführung der Regelungen über die Restschuldbefreiung zum 1.1.1999 dramatisch. Denn die §§ 286 ff. InsO dienen – wie bereits ausgeführt – dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners, indem sie ihm die Chance auf einen „fresh start“ geben und ihn davor bewahren sollen, langfristig oder gar lebenslang auf die Pfändungsfreigrenzen beschränkt zu sein.99 Damit wird auf prozessualer Ebene genau das Ziel angestrebt, das Canaris über § 242 BGB im Blick hatte. Wenn aber der Gesetzgeber die Problematik einer ruinösen, lebenslang fortwirkenden Haftung in einem besonderen prozessualen Verfahren ansiedeln wollte, dann besteht kein Bedarf mehr dafür, auf das Ausnahmeinstrument des § 242 BGB zu rekurrieren100 – zumindest nicht insoweit, als die §§ 286 ff. InsO nicht lückenhaft101 sind. Fehlt es aber an der Notwendigkeit eines Rückgriffs auf § 242 BGB, so gebricht es mangels ausfüllungsbedürftiger „Gerechtigkeitslücke“ eingedenk des Grundsatzes der Gewaltenteilung zugleich an der Kompetenz der Gerichte hierzu. Nun ließe sich dem natürlich entgegenhalten, das Restschuldbefreiungsverfahren stelle für den Schuldner im Vergleich zu einer Anspruchskürzung nach § 242 BGB bereits im Erkenntnisverfahren das potentiell weniger wirkkräftige Schutzinstrument dar. Denn die §§ 286 ff. InsO verhindern über die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO hinaus lediglich, dass der Schuldner lebenslang auf die Pfändungsfreigrenzen begrenzt ist, nicht aber, dass er die akkumulierten Einkünfte der letzten zehn Jahre beziehungsweise die Einkünfte kommender Jahre verliert. Darüber hinaus gelangt der Schuldner auch nur dann in den Genuss der Restschuldbefreiung, wenn der Antrag nicht unzulässig ist (§ 287a InsO), kein Versagungsgrund nach § 290 InsO vorliegt, die Obliegenheiten des § 295 InsO nicht verletzt werden und die Restschuldbefreiung nicht nach §§ 297, 297a InsO versagt wird. Schließlich kann der Gang ins Restschuldbefreiungsverfahren eine sozial und wirtschaftlich stigmatisierende Wirkung entfalten, aus der eine Rückkehr zur Normalität viel schwieriger sein kann, wie wenn der Schuldner schon im Erkenntnisverfahren eine (weitgehende) Reduktion seiner Haftungsverpflichtung erreicht. Auch wenn all diese Einwände richtig sind: Dem Kernanliegen von Canaris wird mit den §§ 286 ff. InsO weitestgehend Rechnung getragen, der von ihm beschworenen Gefahr lebenslanger Haftung die Spitze genommen. Dass dies für den Schuldner nur unter Hinnahme nicht unerheblicher Härten möglich ist, mag zutreffen, ist aber Ergebnis einer verfassungsrechtlich nicht zu bean-
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Siehe ausführlich oben § 2 B II 1 c) aa). Vgl. auch H. Roth, JZ 2001, 1039, wonach eine finanzielle Überforderung des bürgenden Angehörigen systematisch richtigerweise dem Vollstreckungsschutz und der Restschuldbefreiung zuzordnen sei. 101 Siehe dazu sofort im Anschluss § 3 B III 3 d) gg) (2). 100
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standenden Interessenabwägung des hierzu berufenen Gesetzgebers.102 Soweit nicht die §§ 286 ff. InsO ausnahmsweise hinter dem gebotenen Schutzniveau zurückbleiben, haben die Gerichte folglich keine Kompetenz (mehr), exorbitante Schadensersatzverpflichtungen über § 242 BGB auf ein „angemessenes“, weil vom Schädiger mit vertretbarem Aufwand zu schulterndes Maß zu reduzieren. Das gilt bei erwachsenen Schädigern umso mehr, als sie sich regelmäßig über den Abschluss einer Haftpflichtversicherung gegen einen Großteil realistischer Schadensersatzrisiken schützen können. (2) Defizite des Restschuldbefreiungsverfahrens? Wie bereits angedeutet, kann eine „Sperrwirkung“ der §§ 286 ff. InsO für einen Rückgriff auf § 242 BGB aber nur insoweit angenommen werden, als das Restschuldbefreiungsverfahren nicht Defizite aufweist, die – auch unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber einzuräumenden weiten Beurteilungsspielraums, wie er das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schädigers schützen möchte – als nicht mehr ausreichend zum Schutz des Schädigers angesehen werden können. Das ist im Folgenden näher zu untersuchen. (a) Mangelnder Schutz für die „Ärmsten der Armen“? Nach Auffassung von Simon vermögen die Regelungen der §§ 286 ff. InsO zwar in der Tat den größten Teil der Fälle existenzvernichtender Haftung so zu lösen, dass verfassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt werden können.103 Das gelte aber nicht bei völliger Vermögens- und Einkünftelosigkeit des Schuldners, weil in diesem Fall angesichts der nicht einmal gedeckten Treuhänderentlohnung die Restschuldbefreiung nach § 298 I InsO (a.F.) zu versagen sei.104 In der ursprünglichen Fassung der §§ 286 ff. InsO war dies sicherlich ein berechtigter Einwand, führte der äußerst problematische § 298 I InsO a.F. damals doch in der Tat dazu, dass den „Ärmsten der Armen“, die nicht einmal die vergleichsweise geringfügige Treuhändervergütung begleichen können, die Restschuldbefreiungserteilung zwingend (!) zu versagen war. Zum 1.12.2001 wurde § 298 I InsO allerdings um einen Satz 2 ergänzt, nach dem dies nicht mehr möglich ist, wenn dem Schuldner die Verfahrenskosten nach § 4a InsO gestundet wurden.105 Zu den gestundeten Verfahrenskosten im Sinne von § 4a I 1 InsO gehört wegen der Regelung des § 4a I 2 InsO auch die Treuhändervergütung.106 102
Siehe dazu ausführlich oben § 2 B II 1 c). Simon, AcP 204 (2004), 264, 278. 104 Simon, AcP 204 (2004), 264, 278 f.; vgl. auch Steffen, VersR 1998, 1449, 1452. 105 Interessanterweise – hier aber nicht näher von Bedeutung – hat der Gesetzgeber diese Gesetzesänderung nicht originär mit den Interessen des Schuldners, sondern damit begründet, es würde wenig Sinn machen, ein Insolvenzverfahren mit öffentlichen Geldern zu finanzieren, wenn anschließend die Restschuldbefreiung im Schlusstermin versagt würde, BTDrucks. 14/5680, S. 12. 106 FK-InsO/Kohte, § 4a, Rn. 36. – Dem Treuhänder geschieht dadurch übrigens kein Unrecht, hat er doch einen Sekundäranspruch gegen die Staatskasse, §§ 293 II, 63 II InsO. 103
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Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Restschuldbefreiungserteilung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Gefahr einer andernfalls drohenden Versagung nach § 298 I 1 InsO wird man dabei davon ausgehen können, dass gerade hinsichtlich der Treuhändervergütung regelmäßig zu stunden ist.107 Mit § 298 I 2 InsO ist diese Problematik somit entschärft,108 ein Argument gegen den hier im Grundsatz postulierten Weg über das Restschuldbefreiungsverfahren lässt sich daraus mithin nicht ableiten. (b) Defizitärer Schutz vorsätzlich handelnder Schädiger? Als mögliche Schutzlücke im Restschuldbefreiungsverfahren wird ferner § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO genannt, der auf vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen beruhende Verbindlichkeiten von den Wirkungen der Restschuldbefreiungserteilung ausnimmt.109 Diese Argumentation überrascht prima vista, weil ein vorsätzlich Handelnder nach den Grundwertungen unserer Zivilrechtsordnung besonders schutzunwürdig ist, wie pars pro toto die §§ 202 I, 276 III BGB, § 104 I 1 SGB VII oder die Behandlung vorsätzlich ihren Arbeitgeber schädigender Arbeitnehmer zeigt. Ausgerechnet einen vorsätzlich Schädigenden zum Dreh- und Angelpunkt dafür zu erklären, dass das System der Restschuldbefreiung nicht ausreichend vor existenzvernichtenden Haftungsrisiken schütze, erscheint daher zunächst einmal einigermaßen verwunderlich. Allerdings ist Finke zuzugegeben, dass es nicht nur, aber vor allem in Bezug auf minderjährige Schädiger – die er besonders im Blick hat – in der Tat im vorliegenden Kontext zu nicht unbedenklichen Ergebnissen kommen könnte, wenn man im Rahmen des § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO die allgemeinen zivilrechtlichen Maßstäbe anlegen würde. Nicht zu verkennen ist nämlich, dass auch vom normalerweise sorgfältigsten Bürger eine eventualvorsätzliche110 unerlaubte Handlung viel leichter begangen werden kann, als man sich dies gewöhnlich vor Augen führt (auch weil der genaue Verschuldensgrad im allgemeinen Zivilrecht regelmäßig kaum von Bedeutung ist). Das ist besonders auffällig im Bereich des Straßenverkehrs, genügt hier aus dem Blickwinkel des Deliktsrechts doch bereits ein eventualvorsätzlicher Ver107 So i.E. auch Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 4a, Rn. 26; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 4a, Rn. 64. 108 Vgl. auch FK-InsO/Grote, § 298, Rn. 5 f.; MüKo-InsO/Ehricke, § 298, Rn. 4. 109 Finke, Minderung, Rn. 333 f., 353. – Zweck des § 302 Nr. 1 InsO ist es nach zutreffender Auffassung, dem besonderen Unrechtsgehalt des der Forderung zugrundeliegenden Lebenssachverhalts Rechnung zu tragen (so auch FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1; ähnlich BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 533 [Billigkeitsgesichtspunkte]; a.A. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 1; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 249 [Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts]). 110 Nach allgemeiner Meinung genügt für § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO Eventualvorsatz, vgl. statt aller Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 2; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 249; Nerlich/Römermann, InsO, § 302, Rn. 2; MüKo-InsO/Stephan, § 302, Rn. 8; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 302, Rn. 6.
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stoß gegen eine als Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB zu qualifizierende Vorschrift des StVG. Aber auch außerhalb des Straßenverkehrsbereichs ist die Schwelle zur Haftung aus vorsätzlicher deliktischer Handlung angesichts der Tatsache, dass sich das Verschulden nur auf den haftungsbegründenden Tatbestand beziehen muss, nicht so hoch. Das gilt gerade bei Minderjährigen, die in typischer „Dummenjungenstreichmanier“ zwar oftmals um die Gefährlichkeit und Verbotenheit ihrer Handlung wissen und damit zumindest eventualvorsätzlich handeln, den möglichen Schaden aber überhaupt nicht bedenken.111 Aber auch Erwachsene sind vor derartigen Gefahren nicht immer gefeit, man denke nur an einen Schädiger, der in leicht alkoholisiertem Zustand „aus Spass“ einen Freund schubst. Wäre dem Schädiger in Bezug auf die aus diesem Geschehen resultierende Forderung, die – einen entsprechenden Schadensfall vorausgesetzt – seinen Ruin überhaupt erst oder zumindest maßgeblich (mit-)begründete, die Restschuldbefreiungserteilung apodiktisch zu versagen, wäre es in der Tat nicht völlig abwegig, das Gesamtsystem des einfachen Rechts als nicht ausreichend zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Postulats nach Schutz vor einer existenzvernichtenden Haftung mit der Folge anzusehen, dass es partiell doch eines materiell-rechtlichen Schutzes in Gestalt von § 242 BGB bedürfte. Allein: Bevor man einen derart weitreichenden Schluss zieht, sollte zunächst nach einer Möglichkeit gesucht werden, der Problematik auf der Ebene der Restschuldbefreiung gerecht zu werden. Hierfür bietet es sich an, bei § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO – wie bei § 104 I 1 SGB VII112 und nach zweifelhafter herrschender Meinung im Bereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung113 – entgegen allgemeiner zivilrechtlicher Grundsätze114 nicht nur ein (eventual-)vorsätzliches Handeln hinsichtlich der haftungsbegründenden Handlung, sondern auch in Bezug auf den Schaden zu fordern. Der BGH hat dies für die Haftung nach § 823 II BGB mit der oben genannten Erwägung, der Kreis der Schutzgesetze sei weit, so dass schnell vorsätzlich dagegen verstoßen werden könne, bejaht.115 Dem ist nicht nur zuzustimmen, sondern man hat diese Überlegung darüber hinaus auf sämtliche deliktische Haftungstatbestände auszudehnen. Denn wenn man bei § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO die allgemeinen zivilrechtlichen Maßstäbe anlegen würde und also den Vorsatz hinsichtlich der Handlung genügen ließe, würde – wie der BGH zu Recht betont – eine Nachhaftung des Schuldners „in 111 Man denke nur an den klassischen Fall zündelnder Jugendlicher, die damit eine wertvolle Industriehalle völlig vernichten (vgl. z.B. den Sachverhalt aus OLG Celle 26.5.1989 – 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791). 112 BGH 11.2.2003 – VI ZR 34/02, NJW 2003, 1605, 1606; Grüner, in: Becker/Franke/ Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 19; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 12; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 24; a.A. Rolfs, NJW 1996, 3177, 3178. 113 Siehe oben § 2 F III 1 c) dd) (2). 114 Vgl. z.B. BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71, NJW 1972, 1366, 1368. 115 BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 533.
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sehr vielen Fällen“ eintreten. Das wiederum wäre mit der Konzeption des § 302 InsO als Ausnahmeinstrument116 nicht zu vereinbaren.117 Nach dem Normzweck des § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO soll die Restschuldbefreiung nur wegen des besonderen Unrechtsgehalts des der Forderung zugrundeliegenden Schädigerverhaltens versagt werden.118 Davon wird man in den oben genannten Konstellationen kaum sprechen können, eine Anwendung der Norm ist nicht geboten. Zugegebenermaßen birgt eine derartige Interpretation des § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO die Gefahr, den Schutz des Geschädigten zu verkürzen, trifft doch diesen die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 302 Nr. 1 InsO.119 Ein entscheidendes Gegenargument lässt sich daraus aber nicht ableiten. Beweisschwierigkeiten hinsichtlich innerer Tatsachen sind dem Zivilrecht nicht fremd, gerade auch nicht in Bezug auf das Vorsatzerfordernis, und zwar – wenn man an § 826 BGB oder § 104 I 1 SGB VII denkt – auch nicht bei einem sich auf die Schadensfolgen beziehenden. Wie auch sonst werden die Gerichte oftmals aus den äußeren Umständen auf einen entsprechenden Vorsatz rückschließen können. Zutreffend hat der BGH im vorliegenden Kontext anerkannt, dass Delikte – wie zum Beispiel die §§ 221 III, 226 I, 227, 251, 263, 264, 264a, 170, 266a StGB, § 64 I GmbHG – existieren, deren vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung bereits den Schluss auf eine entsprechende Schädigungstendenz des Gläubigers erkennen lassen.120 Zusammengefasst genügt bei § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO zwar ein eventualvorsätzliches Handeln, nach zutreffender Auffassung muss jedoch auch die Schadensfolge vom Vorsatz umfasst sein. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass § 302 Nr. 1 Alt. 1 InsO nicht die Effektivität des Restschuldbefreiungsverfahrens zum Schutze schutzwürdiger Schädiger vor existenzvernichtender Haftung unterminiert. Auch insoweit lässt sich mithin keine „Mangelhaftigkeit“ der Restschuldbefreiung identifizieren, die es erforderlich machen würde, selektiv auf § 242 BGB zu rekurrieren.
116 Allg. Meinung, vgl. z.B. FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 1; MüKo-InsO/Stephan, § 302, Rn. 2 („Ausnahmegruppe“). 117 BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 533; OLG Saarbrücken 27.7.2010 – 4 U 531/09, BeckRS 2010, 23087; FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 6; HambKommInsO/Streck, § 302, Rn. 2; Andres/Leithaus, InsO, § 302, Rn. 6; a.A. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 2; MüKo-InsO/Stephan, § 302, Rn. 8. 118 Vgl. zu diesem Normzweck des § 302 Nr. 1 InsO FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1; ähnlich BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 533 (Billigkeitsgesichtspunkte); a.A. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 1; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 249 (Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts). 119 Vgl. OLG Celle 7.9.2006 – 6 U 66/06, ZInsO 2006, 1269. 120 BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 534; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/ Zeuner, InsO, § 302, Rn. 6.
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(c) Gefahr der Restschuldbefreiungsversagung wegen § 290 I Nr. 4 InsO? Als weitere mögliche Gefahrenquelle für den seine Existenzsicherung anstrebenden Schädiger wird § 290 I Nr. 4 InsO angeführt, nach dem die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren121 vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Gläubiger beeinträchtigt, indem er „unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet“. Finke befürchtet, dass gerade Minderjährige durch ein (zweites) grob fahrlässig begangenes Delikt diesen Tatbestand erfüllen und damit die Chance auf Befreiung exorbitanter Lasten verspielen – was wiederum Argumentationsstoff für eine Anwendung von § 242 BGB liefern könnte.122 Richtigerweise kann man aber auch dieser Problematik durch eine sachgerechte Handhabung der Norm gerecht werden. So könnte man bei einem Blick in die Gesetzesmaterialien bereits daran zweifeln, ob eine („nur“) grob fahrlässige unerlaubte Handlung überhaupt den Tatbestand erfüllen kann, heißt es dort doch, dass „[u]nangemessene Verbindlichkeiten beispielsweise solche [sind], die aus Schadensersatzforderungen wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen des Schuldners resultieren“123. Untermauert wird dies durch die Entwurfsbegründung zur jüngsten Änderung der InsO, in der es heißt: „oder gar Schadensersatzforderungen durch vorsätzliche unerlaubte Handlungen begründet“124. Aber selbst wenn man – wegen des „beispielsweise“ beziehungsweise des „gar“ – daraus nicht den (Gegen-)Schluss ziehen wollte, der Gesetzgeber habe vermögensmindernde, auf bloß grob fahrlässigen unerlaubten Handlungen beruhende Folgen ausnehmen wollen, bietet die Norm genügend Möglichkeiten, um der von Finke beschworenen Gefahr vorzubauen. So könnte man zunächst im Rahmen der groben Fahrlässigkeit subjektive Kriterien heranziehen und Verfehlungen infolge eines Augenblicksversagens ausnehmen.125 Alternativ bietet sich eine am Normzweck und Wortlaut orientierte Auslegung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen an. § 290 InsO soll sicherstellen, dass nur redliche Schuldner, die sich gegenüber ihren Gläubigern nichts haben zuschul-
121 Die ursprüngliche, sich auf einen Zeitraum von einem Jahr vor Antragsstellung begnügende Fassung wurde durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 (BGBl. I S. 2379) auf drei Jahre ausgedehnt. 122 Finke, Minderung, Rn. 335 f.: § 290 I Nr. 4 InsO stelle „derzeit für einen minderjährigen Schädiger ein nicht zu unterschätzendes Risiko“ dar. 123 BT-Drucks. 12/2443, S. 190 (zu § 239 I Nr. 4 InsO-E, Hervorhebung hier). 124 BT-Drucks. 17/11268, S. 27. 125 Dafür (bei Minderjährigen) Finke, Minderung, Rn. 336. – Nach ganz h.M. erfordert grobe Fahrlässigkeit einen subjektiven Vorwurf (vgl. z.B. BGH 12.1.1988 – VI ZR 158/87, NJW 1988, 1265, 1266; BAG 22.2.1972 – 1 AZR 223/71, NJW 1972, 1388; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 100 m.w.N.).
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den kommen lassen, in den Genuss der Restschuldbefreiung gelangen.126 Entsprechend sanktioniert § 290 I Nr. 4 InsO missbräuchliche Verhaltensweisen, die zu einer Beeinträchtigung der Befriedigungschancen der Insolvenzgläubiger führen.127 Von einem derartigen Missbrauch kann bei unerlaubten Handlungen aber nur die Rede sein, wenn ein konkreter Zusammenhang zur Vereitelung der Befriedigungschancen der „Alt-“Gläubiger besteht. Denn auch wenn der Schuldner mit seiner deliktischen Handlung unmittelbar die Interessen des dadurch Geschädigten beeinträchtigt, kann darin nicht eo ipso auch ein missbräuchliches Handeln gegenüber den „Alt-“Gläubigern gesehen werden, ist die Schadensersatzpflicht doch typischerweise nur Folge, nicht aber Ziel der deliktischen Handlung.128 Auch vom Wortlaut her fällt es im Regelfall schwer, Schadensersatzverpflichtungen in Folge deliktischer Handlungen als Begründung unangemessener Verbindlichkeiten oder Vermögensverschwendung anzusehen. Trotz der oben zitierten Passagen der Entwurfsbegründung wird man daher nicht jede vorsätzliche deliktische Schädigung als Begründung einer unangemessenen Verbindlichkeit qualifizieren können.129 Anders ist das nur im Falle qualifizierten Verschuldens, das sich nicht nur auf die (unmittelbare) Schädigung des neuen Opfers, sondern zugleich (mittelbar) auf die Beeinträchtigung der Befriedigungsinteressen der „Alt-“Gläubiger erstreckt.130 Mit anderen Worten: Nur wenn es dem Schuldner darum geht, seine „Alt-“Gläubiger durch die neu begründete Schadensersatzverpflichtung zu benachteiligen beziehungsweise er diese Folge grob fahrlässig hinnimmt, kann von einem den Anwendungsbereich des § 290 I Nr. 4 InsO eröffnenden Missbrauch die Rede sein. Legt man § 290 I Nr. 4 InsO – wie hier vorgeschlagen – in Bezug auf Schadensersatzforderungen aus unerlaubten Handlungen eng aus, ist sichergestellt, dass er nur in den wirklich schweren Fällen eingreift, in denen der Schuldner ohnehin nicht schutzwürdig ist.131 Damit „reißt“ § 290 I Nr. 4 InsO ins Geflecht
126 BGH 11.10.2007 – IX ZB 270/05, NZI 2008, 45, 46; 8.1.2009 – IX ZB 73/08, NZI 2009, 253, 254; 16.7.2009 – IX ZB 219/08, NJW 2009, 3650, 3651; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 290, Rn. 2; Nerlich/Römermann, InsO, § 290, Rn. 1; MüKo-InsO/Stephan, § 290, Rn. 1. 127 Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 290, Rn. 50; Nerlich/Römermann, InsO, § 290, Rn. 65. – Beispiele hierfür sind Verbindlichkeiten, die entgegen der wirtschaftlichen Vernunft eingangen werden, wie z.B. teure Urlaubsreisen, Luxusaufwendungen, nicht dem Anstandsgebot entsprechende Schenkungen, Teilnahme an Glückspielen usw. (vgl. näher und m.w.N. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 290, Rn. 53; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 290, Rn. 27; MüKo-InsO/Stephan, § 290, Rn. 59; Pehl, in: Braun, InsO, § 290, Rn. 27; HkInsO/Landfermann, § 290, Rn. 18). 128 Ebenso LG Saarbrücken 6.1.2009 – 25 T 810/08, NZI 2009, 193, 194. 129 LG Saarbrücken 6.1.2009 – 25 T 810/08, NZI 2009, 193; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 290, Rn. 55a. 130 In diese Richtung auch FK-InsO/Ahrens, § 290, Rn. 45. 131 So auf Basis seiner beim Begriff der groben Fahrlässigkeit ansetzenden Auffassung auch Finke, Minderung, Rn. 336.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
der Restschuldbefreiung keine Lücke, zu deren Schließung § 242 BGB benötigt werden würde. (d) Mangelnder Schutz bei wiederholten, existenzvernichtenden Schädigungen, § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO (§ 290 I Nr. 3 Alt. 1 InsO a.F.)? Als potentiell problematisch sah Finke ferner die Regelung des § 290 I Nr. 3 Alt. 1 InsO a.F. an, nach der die Restschuldbefreiung zu versagen war, wenn in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Damit laufe der Schädiger Gefahr, nach einer bereits einmal erlangten Restschuldbefreiung in Bezug auf eine zweite, existenzbedrohende Forderung keine Befreiung mehr erhalten zu können.132 Besonders problematisch sei dies bei Minderjährigen, weil sie – wie ausgeführt133 – diesem Risiko in der Praxis nicht eigenständig durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung vorbeugen könnten. Dieser Problematik wurde durch die Reform der Restschuldbefreiung nicht abgeholfen. Zwar wurde § 290 I Nr. 3 Alt. 1 InsO a.F. in diesem Zuge gestrichen, seine Regelung wurde aber unverändert in den als Unzulässigkeitsgrund ausgestalteten § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO überführt. Wie sich anhand eines Beispiels illustrieren lässt, konnte § 290 I Nr. 3 Alt. 1 InsO a.F. und kann § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO in der Tat dazu führen, dass ein zweifacher Schädiger über einige Jahre hinweg ruinösen Forderungen ausgesetzt war und ist: Zündete ein Jugendlicher im Alter von elf Jahren am 8.5.2014 eine teure Fabrikhalle mit der Folge an, dass er ins Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren muss, das erst am 20.10.2020 mit Erteilung der Restschuldbefreiung beendet wird, verursacht er aber bereits am 1.1.2017 bei einer unversicherten Mofafahrt einen schweren Verkehrsunfall, so könnte er wegen § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO in Bezug auf die aus dem Unfall resultierende Schadensersatzverbindlichkeit nur dann Restschuldbefreiung erlangen, wenn der zweite Insolvenz- und Restschuldbefreiungsantrag frühestens am 21.10.2030 gestellt wurde. Setzt man für das zweite Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren eine Dauer von sechs Jahren an, wird er somit erst gegen Ende 2036, im Alter von 33 Jahren, von einer im Jahr 2017 begründeten Verbindlichkeit „frei“!134 So berechtigt das mit § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO vom Gesetzgeber verfolgte Anliegen – Verhinderung einer wiederholten Inanspruchnahme der Rechtswohltat der Restschuldbefreiung zur Schuldbefreiung135 – im Grundsatz ist, führt es im vorliegenden Kontext doch zu dem verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen 132
Finke, Minderung, Rn. 337 f., 352 f. Siehe oben § 3 B III 1. 134 Dabei wird unterstellt, dass angesichts der Vermögensverhältnisse des Schuldners in beiden Verfahren keine vorzeitige Verfahrensbeendigung nach § 300 I 2 Nr. 1–3 InsO möglich ist. 135 BT-Drucks. 17/11268, S. 24. 133
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Resultat, dass der Minderjährige/junge Erwachsene für einen Zeitraum von 19 Jahren (!) auf das pfändungsfreie Minimum beschränkt wird. Nun könnte man dem entgegenhalten, dass dies angesichts der ständig steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung136 auf die gesamte typische Lebensdauer bezogen noch keine unzumutbare Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle. Aber auch wenn somit keine lebenslange Überschuldung droht, ist nicht zu übersehen, dass die aus dem Verkehrsunfall im obigen Beispiel resultierende wirtschaftliche Belastung unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten für den Minderjährigen einer unentrinnbaren lebenslangen Überschuldung (sehr) nahe kommt, wird er doch in den prägenden, typischerweise für den Rest des Lebens grundsteinlegenden Jahren, in denen meist eine Familie gegründet beziehungsweise dies zumindest konkret vorbereitet wird, wirtschaftlich stärkstens eingeschränkt.137 Weil Minderjährige es nicht selbst in der Hand haben, sich nach dem ersten ruinösen Schadensfall gegen ein derartiges worst-case-Szenario über eine Haftpflichtversicherung abzusichern, ist mit Finke zu konstatieren, dass in Bezug auf sie de lege lata ein verfassungsrechtlich begründeter Handlungsbedarf besteht.138 Für Volljährige wird man dagegen grundsätzlich anders zu entscheiden haben, weil es in deren eigener Macht steht, sich abzusichern. Versäumen sie dies in einem dem obigen Beispiel vergleichbaren haftungsrisikanten und daher „prekären“ Szenario, so ist nicht einzusehen, warum ihnen auf Kosten des Geschädigten besonderer Schutz gewährt werden sollte. Als problematisch könnte es sich bei ihnen nur erweisen, wenn die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung überschritten ist. Darauf wird zurück zu kommen sein. (3) Zwischenergebnis Die Möglichkeit Restschuldbefreiung zu erlangen, beugt grundsätzlich in ausreichendem Maße der Gefahr exorbitanter, ruinöser (Schadensersatz-)Verpflichtungen vor. Raum für eine richterliche Anspruchskorrektur über § 242 BGB besteht somit im Grundsatz nicht. Als problematisch kann sich allein § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO, vor allem in Bezug auf Minderjährige, erweisen. Nur insoweit kann – vorbehaltlich des sogleich zu erörternden § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV – unter Umständen in der Tat Bedarf an einer richterlichen Korrektur bestehen.
136 Für die Entwicklung in Deutschland vgl. z.B. Schautafel Nr. 2 unter http://de.wikipedia.org/wiki/Lebenserwartung. 137 Vgl. auch die von Kuhlen, JZ 1990, 273, 278 gestellten „einfache[n] Fragen“ z.B. danach, wie sich die Haftung auf die Chancen des Schädigers auswirken, dauerhafte soziale Beziehungen herzustellen, zu heiraten und Kinder zu haben, oder ob es nicht verständlich wäre, dass ein solcher Jugendlicher, über sein Schicksal verbittert, auf illegale Methoden verfallen würde, um auf diese Weise an den materiellen Segnungen der Gesellschaft teilhaben zu können. 138 Finke, Minderung, Rn. 338.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
hh) § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV als spezialgesetzliche Reduktionsklausel Neben den §§ 811 ff., 850 ff. ZPO, §§ 286 ff. InsO kann im vorliegenden Kontext schließlich die oft übersehene139 Spezialvorschrift des § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV relevant werden. In Durchbrechung der grundsätzlichen Verpflichtung der Sozialversicherungsträger, ihre Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 76 I SGB IV) einerseits, dem Alles-oder-Nichts-Prinzip andererseits,140 sieht sie die Möglichkeit von (Teil-)Erlassen vor, wenn die Einziehung „nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre“. Das wird im hier untersuchten Zusammenhang vor allem dann relevant, wenn ein Sozialversicherungsträger, der an den Geschädigten Sozialleistungen zu erbringen hat, beim Schädiger gemäß § 116 SGB X aus übergegangenem Recht Regress nehmen will.141 Inwieweit § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV hier geeignet ist, den Schädiger vor exorbitanten Lasten zu schützen, und in welchem Verhältnis er zu anderen Schutzinstrumenten steht, ist im Folgenden näher zu beleuchten. (1) Voraussetzungen nach traditionellem sozialrechtlichen Verständnis Im sozialrechtlichen Schrifttum und der Judikatur der Sozialgerichte wird § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV klassischerweise sehr eng ausgelegt, da die strikte Pflicht der Sozialversicherungsträger zur Einnahmenerhebung nicht durch eine zu großzügige Anwendung unterlaufen werden dürfe.142 Um zu verhindern, dass der Einzelne auf Kosten der Gemeinschaft stark bevorzugt werde, sei in der notwendigen Abwägung der Interessen des Schuldners mit denen der Versichertengemeinschaft ein Erlass nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich.143 Entsprechend greife § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV nur bei einer sicheren oder zumindest hochgradig wahrscheinlichen Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ein,144 nicht aber 139
Vgl. auch Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 530 („Schattendasein“); ders., VersR 1997, 1064. Vgl. Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 541. 141 Pars pro toto sei der vom BVerfG 13.8.1998 – 1 BvL 25/96, NJW 1998, 3557, 3558 entschiedene Sachverhalt genannt. In der Entscheidung sprach das Gericht auch explizit aus, dass § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV auch in Fällen des § 116 SGB X anwendbar sei. 142 LSG NRW 23.1.1997 – L 16 Kr 121/96, BeckRS 2006, 44231; LSG Baden-Württemberg 16.12.2005 – L 8 AL 4537/04 (juris Rn. 25); LSG Berlin-Brandenburg 12.11.2008 – L 30 AL 18/07, BeckRS 2009, 50168; Bigge, jurisPR-SozR 14/2006 Anm. 1 (sub C.). 143 LSG NRW 23.1.1997 – L 16 Kr 121/96, BeckRS 2006, 44231; LSG Baden-Württemberg 16.12.2005 – L 8 AL 4537/04 (juris Rn. 25); LSG Berlin-Brandenburg 12.11.2008 – L 30 AL 18/07, BeckRS 2009, 50168; Hauck/Noftz/Borrmann, Sozialgesetzbuch, § 76 SGB IV, Rn. 16; jurisPK-SGB IV/von Boetticher, § 76, Rn. 28; Wannagat/Hasenkamp, Sozialgesetzbuch, § 76 SGB IV, Rn. 19; Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, § 76 SGB IV, Rn. 12. 144 LSG NRW 23.1.1997 – L 16 Kr 121/96, BeckRS 2006, 44231; LSG Baden-Württemberg 16.12.2005 – L 8 AL 4537/04 (juris Rn. 28); LSG Berlin-Brandenburg 12.11.2008 – L 30 AL 18/07, BeckRS 2009, 50168; J. Winkler, SGB IV, § 76, Rn. 16; Wannagat/Hasenkamp, Sozialgesetzbuch, § 76 SGB IV, Rn. 20; Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, § 76 SGB IV, Rn. 14; Hauck/Noftz/Borrmann, Sozialgesetzbuch, § 76 SGB IV, Rn. 17; jurisPK-SGB IV/ von Boetticher, § 76, Rn. 29; vgl. auch BVerfG 11.10.2010 – 2 BvR 1710/10, DStR 2010, 2296, 2298 für den Vollzug von Einkommensteuerbescheiden. J. Winkler, SGB IV, § 76, Rn. 16; Wannagat/Hasenkamp, Sozialgesetzbuch, § 76 SGB IV, Rn. 20. 140
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bei einer bloß schwierigen Finanzsituation oder wenn die Durchsetzung des vollen Regressanspruchs zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung führt.145 Erlaubt sei zudem ein Erlass nur insoweit, als dies tatsächlich zur Vermeidung einer andernfalls eintretenden Existenzbedrohung erforderlich sei, so dass gegebenenfalls nur ein Teilerlass auszusprechen sei.146 Überdies müsse der Erlass dem Schädiger selbst und nicht nur seinen Gläubigern zugute kommen, so dass er beispielsweise bei eröffnetem Insolvenzverfahren nicht statthaft sei.147 (2) Verhältnis zu anderen Schutzinstrumenten; Implikationen Ob diese vergleichsweise strikte Handhabung des § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV zu überzeugen vermag, lässt sich zutreffend nur bewerten, wenn man die Norm ins Verhältnis zu anderen, eine ähnliche Zielrichtung aufweisenden Schutzinstrumenten setzt. Zu nennen sind hierbei vor allem die Vorschriften über den Vollstreckungsschutz (§§ 811 ff., 850 ff. und – gegebenenfalls – § 765a ZPO) sowie die Restschuldbefreiung. Da erstere bereits unmittelbar dem Schutz der baren physischen Existenzgrundlagen und letztere vor langfristiger überfordernder Verschuldung schützen, ist die Frage berechtigt, welchen sinnvollen Anwendungsbereich § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV überhaupt noch hat, wenn man ihn mit der traditionellen sozialrechtlichen Auffassung auf Gefährdungen der wirtschaftlichen Existenz beschränkte.148 Im Wesentlichen kommen hier drei Möglichkeiten in Betracht. Zunächst könnte man annehmen, § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV sei angesichts des doppelten Schutzes auf prozessualer (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO) und insolvenzrechtlicher (§§ 286 ff. InsO) Ebene nunmehr überfl ssig, sein Anwendungsbereich also gleich null.149 Dagegen spricht aber, dass bei der Norminterpretation und -anwendung davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber keine sinnlosen Normen schaffen wollte, sie mithin nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass ihnen ein – wenn auch vielleicht kleiner – sinnvoller Anwendungsbereich verbleibt.150 145 LSG NRW 23.1.1997 – L 16 Kr 121/96, BeckRS 2006, 44231; LSG Baden-Württemberg 16.12.2005 – L 8 AL 4537/04 (juris Rn. 28); J. Winkler, SGB IV, § 76, Rn. 16. 146 J. Winkler, SGB IV, § 76, Rn. 17. 147 Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung, § 76 SGB IV, Rn. 14. 148 Ebenso Looschelders, VersR 1999, 141, 146. 149 In diese Richtung Steffen, VersR 1987, 529, 532 f.: Die Diskussion um die Vorschrift sei „pure Zeitverschwendung“; nicht mehr ganz so kritisch ders., VersR 1998, 1449, 1452; a.A. Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 547 f.; Simon, AcP 204 (2004), 264, 284. 150 Vgl. BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361, 364: „Es widerspricht aber den Auslegungsgrundsätzen, ein Gesetz ohne Not in einem Sinne zu verstehen, der dem Verbot des Selbstwiderspruchs zuwiderliefe und daher auch nicht als ‚Sinn‘ sondern nur als der deutlichste Fall von ‚Un-Sinn‘ bezeichnet werden könnte. Da davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber weder sinnlose noch unanwendbare Gesetzesnormen aufstellen will, ist zur Vermeidung von Antinomien (Normwidersprüchen) wenn möglich eine Auslegung zu wählen, bei der die Norm Bestand haben kann und bei der Widersprüche vermieden werden.“.
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Zweitens kommt in Betracht, § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV autonom von den prozessualen und insolvenzrechtlichen Schutzvorschriften im Sinne der oben referierten sozialrechtlichen Stellungnahmen anzuwenden. Die Norm wird dadurch nicht praktisch bedeutungslos, ist für den Schädiger doch eine Regressbeschränkung schon auf materiell-rechtlicher Ebene günstiger, als wenn er sich nur auf den Vollstreckungsschutz berufen kann oder gar „genötigt“ ist, ins Restschuldbefreiungsverfahren zu gehen. Schließlich ist es drittens denkbar, den Schutzgehalt des § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV weiter zu fassen, das heißt ihn nicht nur bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz, sondern weitergehend, zum Beispiel bereits bei einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensplanung des Betroffenen, anzuwenden.151 Für diese Auffassung spricht im Ausgangspunkt zunächst eine einfachgesetzliche Überlegung. Die herrschende sozialrechtliche Auffassung, die – wenn auch bereits auf materiell-rechtlicher Ebene – im Wesentlichen nur die Konstellationen zu erfassen sucht, die letztlich vor allem bereits von den §§ 811 ff., 850 ff. ZPO erfasst werden, missachtet den Regelungszusammenhang von § 76 II 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB IV. Nach Nr. 2 ist ein Anspruch niederzuschlagen, das heißt trotz Fälligkeit vorübergehend nicht geltend zu machen,152 wenn seine Einziehung keinen Erfolg haben wird. Das ist aber genau dann der Fall, wenn der Schädiger ohnehin nur über nach §§ 811 ff. ZPO unpfändbare Gegenstände verfügt beziehungsweise keine die Pfändungsvorschriften der §§ 850 ff. ZPO übersteigenden Einkünfte erzielt. Wenn hier der Anspruch also bereits niederzuschlagen ist, so ist nicht ganz einsichtig, welcher praktisch relevante Anwendungsbereich für die Erlassvorschrift des Nr. 3 bei einer derart engen Auslegung noch verbliebe.153 Das spricht für eine erweiterte Interpretation der Erlassmöglichkeiten. Gestützt werden kann dieses Ergebnis ferner durch verfassungsrechtliche Wertungen. In der von § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV im vorliegenden Regresszusammenhang (§ 116 SGB X) erfassten Situation prallen nämlich nicht – wie beim direkten Schadensausgleich auf privatrechtlicher Ebene – die Interessen zweier Grundrechtsträger (Geschädigter und Schädiger) aufeinander, sondern es handelt sich um eine grundrechtliche „Einbahnstraße“, bei der dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schädigers kein verfassungsrechtliches Pendant auf Seiten des Sozialversicherungs-
151 Dafür LSG Niedersachsen 21.6.1990 – L 6 U 248/89, VersR 1991, 903, 903 f.; Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 549 f.; ähnlich Looschelders, VersR 1999, 141, 146, nach dem es genügen soll, dass die Höhe des Ersatzanspruchs in keinem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Schädigers und dem Maß seines Verschuldens steht; vgl. auch Simon, AcP 204 (2004), 264, 284. 152 Vgl. J. Winkler, SGB IV, § 76, Rn. 14; Brandt, in: Kreikebohm, SGB IV, § 76, Rn. 11. 153 Ebenso Ahrens, AcP 189 (1989), 526, 549 f.; dem folgend LSG Niedersachsen 21.6.1990 – L 6 U 248/89, VersR 1991, 903, 903 f.
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trägers gegenübersteht.154 Angesichts dessen erscheint es gut vertretbar, unter Hinweis auf das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schädigers einen über das prozessuale und insolvenzrechtliche Schutzniveau hinausgehenden Schutz zu postulieren. (3) Rückwirkungen auf § 242 BGB Ob man mit der traditionellen sozialrechtlichen Auffassung § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV eher eng auslegt oder mit der hier präferierten Ansicht seinen potentiellen Wirkungskreis weiter zieht, spielt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine entscheidende Rolle. Denn man kann davon ausgehen, dass die einzige, im Bereich der Restschuldbefreiung identifizierte Schutzlücke (ein Minderjähriger müsste wiederholt ins Restschuldbefreiungsverfahren)155 auf Basis beider Auffassungen über § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV geschlossen werden kann. Mit anderen Worten: Unter Zugrundelegung beider Auffassungen verengt sich in diesem Sonderfall das Ermessen des an sich regressberechtigten Sozialversicherungsträgers dahingehend, dass der Anspruch so weit zu erlassen ist, als dies zur Vermeidung einer unerträglichen, die Entfaltungschancen des jugendlichen Schädigers entwertenden Haftung führen würde. Weil § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV als abschließende Sondervorschrift zu qualifizieren ist, scheidet ein Rückgriff auf § 242 BGB aus.156 (4) Begrenzte sachliche Reichweite des § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV Das kann aber nur insoweit gelten, als § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV überhaupt reicht. Bei dem Regress privater Versicherer kann er nicht fruchtbar gemacht werden, weil der die cessio legis zugunsten des privaten Versicherers anordnende § 86 VVG keinen § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV entsprechenden Erlassvorbehalt enthält.157 Eine analoge Anwendung verbietet sich schon mangels planwidriger Regelungslücke, musste dem Gesetzgeber doch spätestens im Zuge der VVG-Reform 2007 die Problematik bekannt gewesen sein und sah er trotzdem davon ab, eine entsprechende Regelung ins VVG aufzunehmen. Überdies ist die Interessenlage zwischen beiden Konstellationen angesichts divergierender verfassungsrechtlicher Parameter nicht vergleichbar. Während – wie ausgeführt – im Falle des § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV eine grundrechtliche „Einbahnstraße“ vorliegt, stehen sich bei § 86 VVG mit Versicherer und Schädiger zwei private Grundrechtssubjekte 154 Zutreffend LSG Niedersachsen 21.6.1990 – L 6 U 248/89, VersR 1991, 903, 903 f.; vgl. auch BVerfG 13.8.1998 – 1 BvL 25/96, NJW 1998, 3557, 3558; Looschelders, VersR 1999, 141, 146. 155 Siehe dazu ausführlich oben § 3 B III 3 d) gg) (2) (d). 156 So explizit auch Finke, Minderung, Rn. 325. 157 Ein derartiger Regress eines privaten Versicherers war z.B. Gegenstand der Judikate des LG Bremen 15.2.1991 – 6 O 2866/89, NJW-RR 1991, 1432 (Kaskoversicherer) und des OLG Celle 26.5.1989 – 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791 (Feuerversicherer). – Erst recht hilft § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV natürlich nicht bei einer direkten privatrechtlichen Schadensabwicklung zwischen Schädiger und Geschädigtem.
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gegenüber.158 Daher ist der Verzicht auf eine generelle Erlassklausel für private Versicherer auch nicht zu beanstanden.159 4. Zwischenergebnis und Würdigung a) Eine richterliche Anspruchsreduktion über § 242 BGB ist aufgrund mehrerer Überlegungen de lege lata grundsätzlich nicht zulässig: Erstens wegen der damit einhergehenden, weitreichenden Rechtsunsicherheit, zweitens angesichts der vom Rechtsanwender zu respektierenden Entscheidung des modernen Gesetzgebers für die grundsätzliche Geltung des Alles-oder-Nichts-Prinzips, drittens, weil der Gesetzgeber dem Problem exorbitanter, potentiell existenzvernichtender Haftungsverantwortlichkeit nicht bereits im materiellen Recht, sondern erst auf der Ebene des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts begegnen will und viertens schließlich, weil eine Analyse der hierfür geschaffenen Schutzinstrumente gezeigt hat, dass im Zusammenspiel dieser Instrumente (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO, §§ 286 ff. InsO sowie jeweils partiell § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV und Haftungshöchstsummenregelungen) grundsätzlich keine mit den Wertungen des Persönlichkeitsrechts des Schädigers nicht zu vereinbarenden Schutzlücken bestehen. b) Als problematisch verbleiben damit allein Konstellationen, in denen ein nicht haftpflichtversicherter Minderjähriger, der bereits ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat, einen weiteren schweren Schaden verursacht, der exorbitante, von ihm realistischerweise über Jahre oder gar Jahrzehnte nicht abtragbare Haftungsverbindlichkeiten nach sich zieht. Das ist dann mit Blick auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht kritisch, wenn der Minderjährige wegen § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO daran gehindert ist, in einem überschaubaren Zeitraum erneut den Gang in die Restschuldbefreiung antreten zu können160 und er zudem auch nicht über § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV geschützt werden kann. Hier verbleibt in der Tat eine Schutzlücke, weil der Minderjährige – der sich dagegen typischerweise nicht selbständig über den Abschluss einer Haftpflichtversicherung zuverlässig schützen konnte – Gefahr läuft, bis weit in sein drittes Lebensjahrzehnt hinein auf die Pfändungsfreigrenzen beschränkt zu sein. In dieser praktisch äußerst seltenen Ausnahmekonstellation – aber eben auch nur in dieser (!) – erscheint es vertretbar, zur Vermeidung vollkommen unangemessener, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen nicht zu vereinbarender Ergebnisse eine Anspruchsreduktion über § 242 BGB vorzunehmen – allerdings nur insoweit, wie der Geschädigte zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht auf den vollen Anspruch angewiesen ist (insbesondere ein nach § 86 VVG Regress nehmender privater Versicherer). Begründen lässt 158 159 160
Gegen eine Analogie deshalb auch Finke, Minderung, Rn. 325. Ebenso Looschelders, VersR 1999, 141, 147. Siehe im Einzelnen das obige Beispiel § 3 B III 3 d) gg) (2) (d).
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sich dies damit, dass in diesem Sonderfall keine der oben ausgeführten Überlegungen zwingend ein anderes Ergebnis gebietet: Angesichts der Beschränkung auf eine ganz spezifische Fallgruppe ist nicht nur das damit einhergehende Maß an Rechtsunsicherheit vergleichsweise gering, es besteht auch nicht die Gefahr einer ausufernden richterlichen Instrumentalisierung von § 242 BGB. Überdies ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese Ausnahmekonstellation, in der keine der möglichen und zumutbaren Schutzmechanismen eingreifen, schlicht übersehen hat. Entsprechend wird man nicht von einem der Anwendung von § 242 BGB entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen ausgehen können. c) Bei erwachsenen Schädigern kann hingegen grundsätzlich selbst dann nicht auf § 242 BGB zurückgegriffen werden, wenn weder § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV anwendbar noch – wegen § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO – zeitnah ein Restschuldbefreiungsverfahren möglich ist. Denn solche Schädiger hätten sich in aller Regel selbst über den Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit entsprechend hoher Deckungssumme gegen die Gefahr eines Ruins wegen exorbitanter Schadensersatzverbindlichkeiten absichern können.161 Etwas anderes kommt nur in Fällen in Betracht, in denen a) nicht nur die zeitnahe Durchführung eines Restschuldbefreiungsverfahrens wegen § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO nicht möglich ist und b) auch § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV nicht weiterhilft, sondern zudem zwar c) eine Haftpflichtversicherung mit akzeptabler Deckungssumme – angesichts heute möglicher Schadensrisiken wird man mindestens € 10 Millionen, besser aber € 15 Millionen, verlangen müssen – abgeschlossen wurde, d) der Schaden aber diesen Betrag weit übersteigt und der Schädiger deshalb doch wieder ruiniert wäre. In diesen statistisch kaum mehr messbaren, absoluten Ausnahmekonstellationen, in denen auch ein erwachsener Schädiger schutzbedürftig wie -würdig erscheint, wird man § 242 BGB anwenden und ihn dadurch schützen können.
IV. De lege ferenda: Richterliche Reduktionsklausel als Alternative? Dieser im Grundsatz „negative“ Befund zum geltenden Recht wirft die Frage auf, ob wenigstens de lege ferenda die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel angezeigt erscheint. Das wäre jedenfalls dann unzweifelhaft zu verneinen, wenn sie als einziges, sämtliche anderen (speziellen) Haftungsbeschränkungsinstrumente verdrängende Regelung konzipiert wäre. Als allein seligmachende, alternativlose „Wunderwaffe“ des Haftungsbegrenzungsrechts kann eine allgemeine Reduktionsklausel nämlich aus mehreren Gründen nicht betrachtet werden. Das beginnt damit, dass eine derartige, sämtliche Lebensbereiche erfassende Vorschrift notwendigerweise viel zu undifferenziert – um nicht zu sagen: grob161 Vgl. auch Looschelders, VersR 1999, 141, 145, der plastisch von einer „Aufgabenteilung“ spricht.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
schlächtig – wäre, um den fein ziselierten Besonderheiten der unterschiedlichen Lebenssituationen und Rechtsmaterien gerecht zu werden.162 Darüber hinaus ginge mit ihr ein bisher unbekanntes Maß an Rechtsunsicherheit und ein Abgleiten in ein dogmatisch unfundiertes, diffuses Billigkeitsrecht einher, das noch dadurch verstärkt würde, dass eine Orientierung an anderen kodifizierten, materiell-haftungsbeschränkungsrechtlichen Wertungen nicht (mehr) möglich wäre. Der dem erkennenden Richter zukommende Entscheidungsspielraum würde ungeahnte Dimensionen erreichen, entsprechend wäre der Ausgang gerichtlicher Verfahren praktisch nicht mehr prognostizierbar. Überdies ist nicht zu übersehen, dass allgemeine Reduktionsklauseln klassischen Zuschnitts (wie zum Beispiel Art. 43, 44 II OR oder § 255a BGB-E) stets nur Schadensersatzansprüche erfassen, nicht aber dem Schuldner bei sonstigen Haftungstatbeständen163 zur Seite springen.164 Für einen GmbH-Gesellschafter wäre sie daher typischerweise genauso unnütz wie für einen Erben oder einen Schuldner, der vor allem wegen ausufernder vertraglicher Primärverpflichtungen ruiniert ist. Als Alternative könnte eine Reduktionsklausel mithin nur dienen, wenn sie zu einer Art „Super-Reduktionsklausel“ ausgebaut würde, die sämtliche Einstandsverbindlichkeiten unabhängig von deren Rechtsgrund und Inhalt erfasst. Das aber schlägt – soweit ersichtlich – niemand vor,165 und das auch zu Recht, wäre eine derartige Klausel doch noch diffuser und unhandhabbarer als ein auf Schadensersatzansprüche beschränktes richterliches Reduktionsrecht. Es überrascht daher nicht, dass keine der Rechtsordnungen, die eine allgemeine Reduktionsklausel enthalten, auf diese allein setzt, sondern sich vielmehr daneben stets (zahlreiche) Sonderinstrumente wie zum Beispiel die besonderen Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung166 oder die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung167 finden. Gleiches galt für den geplanten § 255a BGB-E, der den Entwurfsverfassern ebenfalls nicht als Allheilmittel vorschwebte. Vielmehr wurde die Fortexistenz von beispielsweise Haftungshöchstsummen oder den Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung als selbstverständlich vorausgesetzt.168 162 Vgl. z.B. für das „Verhältnis“ von allgemeiner Reduktionsklausel und beschränkter Arbeitnehmerhaftung Pacic, EuZA 2009, 47, 64. 163 Zum weiten, sich nicht auf Sekundäransprüche beschränkenden Haftungsbegriff im Sinne dieser Untersuchung vgl. oben § 1 B IV. 164 Vgl. auch Finke, Minderung, Rn. 605. 165 Ablehnend gegen eine Erstreckung auch auf die Haftung wegen Nichterfüllung von Vertragspflichten oder Verzug Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 40. 166 Vgl. pars pro toto für die Schweiz Art. 321e S. 2 OR sowie Oftinger/Stark, Schweiz. Haftpfl chtrecht I, § 7 Rn. 73 ff. 167 So z.B. das „Faillissementswet“ im niederländischen Recht (vgl. m.w.N. Finke, Minderung, Rn. 186 ff.). 168 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 45, 52.
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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Zusammengefasst kann eine Reduktionsklausel nicht so konzipiert werden, dass sie als alleiniges Haftungsbeschränkungsinstrument fungieren kann, das die Existenz anderer Haftungsbegrenzungen entbehrlich machte.
V. De lege ferenda: Richterliche Reduktionsklausel als Ergänzung? Zu fragen bleibt, ob es sich anbietet, eine allgemeine Reduktionsklausel in Ergänzung zum bestehenden Instrumentarium haftungsbeschränkender Mittel einzuführen.169 1. Systemwidrigkeit der Berücksichtigung pönaler Elemente? Ein Charakteristikum von Reduktionsklauseln ist es, dass ob und Umfang einer Minderung in aller Regel maßgeblich vom Grad des dem Schädiger anzulastenden Verschuldens abhängt.170 Das stünde im direkten Widerspruch zur Ansicht des historischen Gesetzgebers, der es explizit ablehnte, dass sich der erkennende Richter bei der Bestimmung der zuzusprechenden Schadensersatzhöhe am Verschuldensgrad orientiert. Begründet wurde dies damit, dass „[d]ie Heranziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte, worauf jene Abstufung beruht, […] bei der Bestimmung der civilrechtlichen Folgen unerlaubten, widerrechtlichen Verhaltens durchaus fern gehalten werden“171 müsse. Mit anderen Worten seien pönale Elemente bei der Bestimmung der Schadensfolgen außer Betracht zu lassen.172 Ob man das der Sache nach überzeugend findet, kann hier dahingestellt bleiben. Ein entscheidendes Argument gegen die Schaffung einer sich auch am Verschulden orientierenden Reduktionsklausel lässt sich nämlich jedenfalls nicht daraus ableiten, die Heranziehung von Verschuldensgesichtspunkten sei sys169 Ganz generell einer Reduktionsklausel positiv stehen z.B. gegenüber Kötz, AcP 170 (1970), 1, 40; ders., in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, II, S. 1779, 1825 ff.; v. Caemmerer, Reform, S. 23 f.; E. Rehbinder, NuR 1989, 149, 161; Staudinger/Kohler, § 15 UmweltHG, Rn. 5; P. Döring, Haftung, S. 89; vgl. auch Rother, Haftungsbeschränkung, S. 291, der eine Einschränkbarkeit der Ersatzforderung als wahrscheinliche „Aufgabe eines künftigen Schadensrechts“ ansieht; kritisch hingegen Löwe, VersR 1970, 289, 290; E. Schmidt, Grundlagen, S. 594; Wadle, VersR 1971, 485. 170 Für den geplanten § 255a BGB-E vgl. dessen Abs. 3 sowie die Aussage in der Entwurfsbegründung, das Verschulden sei „einer der für die Abwägung wesentlichen Umstände“ (Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 48). – Für die Reduktionsklausel im schweizerischen Art. 43 I OR („wichtigster Faktor“) vgl. z.B. BGE 92 II 234, 240; 99 II 176, 181; Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 43 OR, Rn. 72; Müller, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht, Art. 43 OR, Rn. 8; Furrer/Müller-Chen, Obligationenrecht, S. 426. 171 Motive II, S. 17 f. 172 Anders z.B. noch im ALR, bei dem der Umfang des auf vertraglicher oder deliktischer Grundlage zu leistenden Schadensersatzes maßgeblich vom Verschulden des Schädigers abhing (vgl. vor allem ALR Erster Theil Fünfter Titel § 285, Erster Teil Sechster Titel §§ 10–16, 85–88, 93, 94).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
temwidrig. Abgesehen davon, dass der aktuelle selbstverständlich ohnehin nicht an die Vorstellung des historischen Gesetzgebers gebunden wäre, bedeutete die Einführung einer auch an das Verschulden anknüpfenden Reduktionsklausel keinen in dogmatischer Hinsicht besonders rechtfertigungsbedürftigen Systembruch. Entgegen der Vorstellung des historischen Gesetzgebers spielt das Verschulden im Bereich des Schadensfolgenrechts nämlich (heute) durchaus eine zum Teil nicht unerhebliche Rolle.173 Das beginnt bei § 829 BGB, in dessen Rahmen nach heute herrschender Meinung unter anderem auf den Grad der „natürlichen Schuld“ des Schädigers abzustellen ist,174 und setzt sich bei § 253 BGB fort, entspricht es doch der ganz herrschenden Meinung, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes der Verschuldensgrad zu berücksichtigen ist.175 Nun mag man anführen, beide Beispiele seien schwerlich repräsentativ und aus ihnen könnten keine allgemeingültigen Rückschlüsse abgeleitet werden, weil es sich bei der Billigkeitshaftung des § 829 BGB um eine atypische, eine Sonderstellung einnehmende Spezialvorschrift handle, und die Schmerzensgeldbemessung mit der besonderen, im Bereich des materiellen Schadensersatzes keine Entsprechung aufweisenden Genugtuungsfunktion ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal enthalte. Selbst wenn man dem zustimmen würde – was im vorliegenden Kontext immerhin insoweit mit einiger Berechtigung in Zweifel gezogen werden könnte, als a) § 829 BGB in gewisser Weise die „Umkehrung“ einer allgemeinen Reduktionsklausel ist und b) sich das Schmerzensgeld für immaterielle Schäden heute einen wichtigen Platz im Bereich des Schadensrechts erkämpft hat –, ist nicht zu übersehen, dass das Schadensfolgenrecht an einer weiteren, gleichermaßen dogmatisch wie praktisch äußerst relevanten Stellschraube den Verschuldensgrad berücksichtigt. Gemeint ist § 254 BGB, bei dessen Abwägung zwar nach allgemeiner Meinung – wenn auch nicht in erster, so aber doch in zweiter Linie – auf das Verschulden von Schädiger und Geschädigtem abzustellen ist.176 Wenn aber an einer derart zentralen Stelle des Schadensfolgenrechts dem Richter weitgehend freie Hand für die Berücksichtigung des 173 Vgl. auch Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 34, nach dem die Berücksichtigung pönaler Elemente heute nicht mehr a priori unangebracht erscheint. 174 Bejahend BGH 24.6.1969 – VI ZR 15/68, NJW 1969, 1762; LG Mainz 5.6.1975 – 4 O 335/74, VersR 1976, 548; LG Mosbach 20.8.1985 – S 81/85, NJW-RR 1986, 24; NK-BGB/Katzenmeier, § 829, Rn. 8; Jauernig/Staudinger, § 829, Rn. 7; für Verschuldensberücksichtigung auch Soergel/Spickhoff, § 829, Rn. 15; a.A. RGZ 146, 213, 215; BGH 13.6.1958 – VI ZR 109/57, NJW 1958, 1630; Staudinger/Oechsler, § 829, Rn. 27. 175 BGH 16.2.1993 – VI ZR 29/92, NJW 1993, 1531, 1532; 29.11.1994 – VI ZR 93/94, NJW 1995, 781, 782; vgl. auch BGH 7.2.1995 – 1 StR 668/94, NJW 1995, 1438; OLG München 14.4.1992 – 5 U 7176/91, VersR 1993, 987, 988; OLG Frankfurt 6.2.2004 – 24 U 165/03, NJW-RR 2004, 1167, 1168; BeckOK-BGB/Spindler, § 253, Rn. 45; NK-BGB/Huber, § 253, Rn. 118; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 17; MüKo-BGB/Oetker, § 253, Rn. 48 m.w.N. auch zu kritischen Stimmen. 176 Siehe z.B. BGH 13.5.1997 – IX ZR 84/96, NJW 1997, 2236, 2238; 8.1.2002 – VI ZR 364/00, NJW 2002, 1263, 1264; 4.11.2008 – VI ZR 171/07, NJW-RR 2009, 239, 241; Staudin-
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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beiderseitigen Verschuldens eingeräumt wurde, könnte der Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel dogmatisch nicht überzeugend entgegen gehalten werden, sie breche mit einem sich allein an objektiven Kriterien orientierenden und das Verschulden mithin vollständig ausblendenden System. 2. Prozessökonomische Erwägungen? Gegen die Schaffung einer allgemeinen Reduktionsklausel wird zum Teil auch angeführt, sie wirke sich prozessökonomisch negativ aus. Begründet wird dies zum einen damit, dass bei der Existenz einer solchen Klausel die außergerichtliche Vergleichsbereitschaft sinken und korrespondierend die Zahl der Gerichtsverfahren steigen würde, weil es sich trotz des Kostenrisikos für viele Schädiger lohnte, die freiwillige Schadensliquidation in der Hoffnung zu verweigern, vor Gericht eine Reduktion ihrer Einstandsverpflichtung zu erstreiten.177 Zum anderen drohe sich der Abschluss von Schadensersatzprozessen insofern zu verzögern, als diese fast immer bis in die Revisionsinstanz durchgefochten würden, weil beide Parteien jeweils darauf hofften, dort ein für sie (noch) günstigeres Ergebnis zu erzielen.178 Großes Gewicht kann diesen prozessökonomischen Erwägungen schon deshalb nicht zugesprochen werden, weil das Prozessrecht gegenüber dem materiellen Recht eine rein dienende Funktion hat179 und daher eine materiell-rechtlich eigentlich überzeugende Lösung nur in dem Extremfall, dass sie prozessual völlig impraktikabel wäre, zu verwerfen ist. Davon wird man hier selbst dann, wenn man die genannten Befürchtungen teilte, schwerlich sprechen können. Unabhängig davon kann die tatsächliche Prämisse der Kritiker durchaus mit guten Gründen bezweifelt werden. So lässt sich mit einiger Plausibilität anführen, die Vergleichsbereitschaft der (potentiellen) Prozessbeteiligten sei typischerweise umso höher, je unsicherer die Rechtslage ist und je mehr sie von der Einschätzung des erkennenden Richters abhängt.180 Weil beides durch die Schaffung einer richterlichen Kompetenz zur Anspruchskürzung gesteigert würde, lässt sich durchaus behaupten, es bestünde eine realistische Chance darauf, dass manche Gerichtsverfahren erst gar nicht eingeleitet und – wenn dies doch erfolgte – zumindest vorzeitig verkürzt würden, weil keine der beiden Parteien das Risiko einer unvorhersehbaren Abänderung in zweiter oder dritter Instanz in Kauf nehmen will. Alles in allem kann daher aus dem Gesichtspunkt ger/Schiemann, § 254, Rn. 114 f., 119; NK-BGB/Knöfler, § 254, Rn. 47; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 110. 177 Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; das befürchtet auch Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 38, er plädiert aber dennoch für eine Reduktionsklausel. 178 Löwe, VersR 1970, 289, 291; E. Schmidt, Grundlagen, S. 594; Ahrens, VersR 1997, 1064, 1066. 179 Siehe zu dieser dienenden Funktion auch oben § 1 C II. 180 In diese Richtung auch Mager, 43. DJT (Diskussion), C 63.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
der Prozessökonomie kein durchschlagendes Argument wider die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel hergeleitet werden. 3. Handhabbarkeit späterer Änderungen als Gegenargument? Für eine Verlagerung des Existenzschutzes auf das Vollstreckungsrecht und gegen die Einführung einer Reduktionsklausel wird überdies das sich bei letzterer ergebende Problem angeführt, wie mit Situationen umzugehen sei, in denen der Schädiger später doch noch (überraschend) zu Geld kommt.181 Derartige Fälle werden zum Beispiel auch im schweizerischen Recht mangels Nachklagerechts des Geschädigten als schwierig empfunden.182 Mittels des Postulats, der Richter müsse die Möglichkeit einer späteren Verbesserung der finanziellen Lage des Schädigers stets mitberücksichtigen,183 dürfte die Problematik nur in den wenigsten Fällen entschärft werden können, weil eine derartige Entwicklung meist vollkommen unvorhersehbar ist und vom erkennenden Richter mithin nicht seriös eingeschätzt werden kann. Auch wenn auf den ersten Blick die materielle Rechtskraft des über den Schadensersatzanspruch befindenden Urteils einer späteren Reaktion auf geänderte Vermögensverhältnisse entgegensteht, enthüllt eine nähere Betrachtung, dass das behauptete Problem zumindest auf rechtlicher Ebene durchaus lösbar und überdies kein singuläres ist. Das zeigt ein Vergleich mit der ähnlichen Situation bei § 829 BGB. Ändern sich dort im Nachhinein die für die (Erst-)Entscheidung maßgeblichen Vermögensverhältnisse der Beteiligten, ist eine Korrektur dieser Entscheidung nach allgemeiner Meinung nicht apodiktisch ausgeschlossen: Wurde dem Geschädigten eine Rente zugesprochen, kommt ohnehin § 323 ZPO in Betracht.184 Aber auch, wenn eine Einmalzahlung ausgeurteilt wurde, wird es bei einer gravierenden Änderung der Verhältnisse für möglich gehalten, dass der Geschädigte den Schädiger erneut in Anspruch nimmt. Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende, die begrenzte zeitliche Wirkung des Ersturteils aussprechende Tenorierung.185 Das ist zumindest dann der Fall, wenn – wie schon Canaris186 zu seiner de-lege-lata-Lösung über § 242 BGB vorgeschlagen hat – die Klage nicht als unbegründet, sondern nur als „zur Zeit unbegründet“ 181
Medicus, AcP 192 (1992), 35, 67; Finke, Minderung, Rn. 626. Vgl. Müller, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht, Art. 44 OR, Rn. 10; Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 44 OR, Rn. 77 m.w.N. 183 So Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 44 OR, Rn. 77. 184 Staudinger/Oechsler, § 829, Rn. 72; Soergel/Spickhoff, § 829, Rn. 24; MüKo-BGB/Wagner, § 829, Rn. 26; PWW/Schaub, § 829, Rn. 7; Palandt/Sprau, § 829, Rn. 4. 185 Vgl. BGH 10.4.1962 – VI ZR 63/61, NJW 1962, 1199, 1200; Erman/Schiemann, § 829, Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner, § 829, Rn. 26; PWW/Schaub, § 829, Rn. 7. – In den Niederlanden wird ein ähnliches Ergebnis zu erreichen versucht, indem das Urteil als aufl send bedingt bezeichnet wird (vgl. Finke, Minderung, Rn. 186 m.w.N.). 186 Vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 1002 ; ders., JZ 1990. 679, 681. 182
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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abgewiesen wird. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum diese Korrekturmöglichkeiten nicht auf eine allgemeine Reduktionsklausel übertragen werden könnten.187 Eingedenk dessen wird man mit einiger Plausibilität sogar vertreten können, dass die Lösung über eine Reduktionsklausel im Vergleich zu derjenigen über die Restschuldbefreiung „gerechter“ und für den Geschädigten besser sein kann. Denn während er bei einer materiell-rechtlichen Lösung stets die Hoffnung haben kann, dass sich – in den zeitlichen Grenzen der Verjährung – die Vermögensverhältnisse derart ändern, dass er nunmehr ein (Nach-) Klagerecht hat, geht er nach dem erfolgreichen Abschluss eines Restschuldbefreiungsverfahrens des Schädigers selbst dann leer aus, wenn dieser später zu plötzlichem Reichtum kommt. Einwenden mag man allerdings, die Chance auf eine spätere klageweise Geltendmachung sei Theorie, die in der Praxis regelmäßig daran scheitere, dass der Geschädigte von der Änderung der maßgeblichen Vermögensverhältnisse keine Kenntnis erlangt. Diese Gefahr ist in einer zunehmend mobileren Gesellschaft in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Unlösbar ist aber auch dieses Problem nicht. So ließe sich daran denken, parallel zur Einführung der Reduktionsklausel einen zum Beispiel jährlichen Auskunftsanspruch eines Geschädigten, dessen Anspruch gemäß der Reduktionsklausel reduziert wurde, hinsichtlich des aktuellen Stands von Einkommen und Vermögen des Schädigers zu normieren.188 Zusammengefasst: Ähnlich wie bei der Argumentation mit der Prozessökonomie ist diejenige mit der „Gefahr“ einer späteren Änderung der Vermögensverhältnisse zumindest ein zweischneidiges Schwert, das durchaus in beide Richtungen gewendet werden kann. Ein durchdringendes Argument gegen die Schaffung einer Reduktionsklausel lässt sich daraus nach hier vertretener Auffassung jedenfalls nicht ableiten. 4. Rechtsunsicherheit/Stellung des Richters im Verfassungsstaat Gegen die Schaffung einer Reduktionsklausel wird ferner opponiert, weil diese – angesichts der Vielgestaltigkeit der von ihr erfassten Lebenssachverhalte – notwendigerweise eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe aufweist, so dass mit ihr ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit einhergeht.189 Das lässt sich 187 Vgl. auch Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II, S. 51 f. 188 Um zu verhindern, dass der Schädiger das Auskunftsrecht gefahrlos mit Falschauskünften zu einem stumpfen Schwert degradieren kann – anders als bei anderen zivilrechtlichen Auskunftsansprüchen würde eine Schadensersatzbewehrung vorliegend angesichts der bereits bestehenden Verpflichtung nicht weiterhelfen –, ließe sich über eine strafrechtliche Absicherung nachdenken, indem vorsätzliche oder fahrlässige Falschauskünfte hinsichtlich der für die „Nach“-Klage maßgebenden Umstände unter Strafe gestellt werden. 189 Vgl. z.B. v. Hippel, Rechtspolitik, S. 323; Flume, 43. DJT (Diskussion), C 83; Finke, Minderung, Rn. 601; Steffen, VersR 1998, 1449, 1452; v. Godin, 43. DJT (Diskussion), C 103.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
anhand mehrerer Beispiele exemplarisch belegen: So enthielt der geplante § 255a BGB-E sowohl auf Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite Wendungen, die schon für sich betrachtet unbestimmt waren („Schaden … aussergewöhnlich hoch“, „im Hinblick auf die Ersatzpflicht begründenden Umstände“, „berechtigten Interessen des Gläubigers“ „schwere Unbilligkeit“, „Verschulden … angemessen zu berücksichtigen“) und daher ganz erheblichen Raum für (richterliche) Interpretationen gelassen hätte. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit wäre durch die Addition mehrerer unbestimmter Formulierungen noch potenziert worden.190 Nichts anderes gilt für die Reduktionsklauseln der „European Principles of Tort Law“ – deren Art. 10:401 unter anderem von „außergewöhnliche[m] Fall“, „finanzielle Lage der Parteien“, „erdrückende Belastung“, „Ausmaß des Schutzes des Interesses“ spricht – beziehungsweise des Art. 168 II des Vorentwurfs eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs („Berücksichtigung des Verhaltens, des Interesses und der wirtschaftlichen Verhältnisse“, „nach Billigkeit begrenzen“, „vollständige Entschädigung […] unverhältnismäßig“). Auch die geltenden Regelungen des schweizerischen Rechts zeichnen sich durch die Verwendung mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe aus. So bestimmt nach Art. 43 I OR der Richter die „Grösse des Ersatzes“ und hat dabei „sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens“ zu berücksichtigen; nach Art. 44 II OR kann er die Ersatzpflicht zudem reduzieren, wenn der maximal leicht fahrlässig handelnde Ersatzpflichtige „durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt“ würde. Schließlich sahen sich auch die im Rahmen des 43. Deutschen Juristentags unterbreiteten Vorschläge mit Blick auf ihre Unbestimmtheit heftiger Kritik ausgesetzt.191 Selbst Befürworter der Reduktionsklausel konzidieren gelegentlich das damit verbundene gesteigerte Maß an Rechtsunsicherheit, wollen aber die daraus gespeisten Bedenken „indessen gegenüber den Anforderungen der materialen Gerechtigkeit nicht durch[schlagen]“192 lassen; dass eine derartige Vorschrift durchaus praktikabel gehandhabt werden könne, zeige das schweizerische Vorbild.193 In der Tat stünde – wie bereits in Bezug auf eine de lege lata erörterte Anspruchsreduktion über § 242 BGB ausgeführt194 – zu erwarten, dass durch (höchst)richterliche Entscheidungen sukzessive Kriterien erarbeitet würden, 190 So mag man beispielsweise fragen, wie die Schadenshöhe zu den die Ersatzpflicht begründenden Umständen konkret in Relation zu bringen ist (vgl. auch Stoll, RabelsZ 34 [1970], 481, 485). 191 Vgl. insbesondere die Stellungnahme von Flume, der kritisierte, dass – weil die Reduktionsklausel die von ihr aufgeworfenen Fragen nicht beantworte und mit der Formel „nach den Umständen“ nichts anzufangen sei – den Richtern in Wahrheit keinerlei Vorgaben gemacht würden, so dass die Vorschrift als „Ermächtigungsgesetz für den Richter“ anzusehen sei und zu einer „Kadijustiz“ führe (Flume, 43. DJT [Diskussion], C 81, 83). 192 Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 26. 193 Rümelin, AcP 90 (1900), 171, 302. 194 Siehe oben § 3 B III 3 b).
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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die der Reduktionsklausel zumindest festere Konturen verleihen würden.195 Wenn das selbst für eine Anspruchskorrektur über die Generalnorm des § 242 BGB gilt, würde es erst recht bei einer speziell geschaffenen Regelung gelten, bei deren Auslegung man den Wortlaut und die Entwurfsbegründung heranziehen könnte, und die der Gesetzgeber zur Festlegung bestimmter Eckdaten – wie beispielsweise, so gewünscht, der Versagung jeglicher Reduktionsmöglichkeit bei grober Fahrlässigkeit – nutzen könnte. Das Maß an Rechtsunsicherheit wäre damit – zumindest langfristig – nicht notwendigerweise unerträglich hoch, jedenfalls wäre es kaum höher, als dies ursprünglich bei bereits länger existierenden, mittlerweile durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft mit detaillierterem Leben gefüllten und deshalb nicht mehr grundlegend umstrittenen Generalklauseln wie zum Beispiel §§ 242, 138, 313 BGB der Fall war.196 Allein aus dem Aspekt der Rechtssicherheit heraus wird man daher kein zwingendes Argument gegen die Einführung einer Reduktionsklausel ableiten können. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass selbst bei einer höchstrichterlichen Konturierung der Norm stets ein erheblicher Ermessensspielraum des erkennenden instanzgerichtlichen Richters verbleiben würde, der angesichts der Tatsachenbasiertheit seiner Entscheidung – zumindest in vollem Umfange – nicht revisibel wäre. Wie jede Generalklausel würde auch eine allgemeine Reduktionsklausel somit die dem Richter eingeräumte Freiheit und die ihm gewährte Macht erheblich ausdehnen.197 Ob man dies (rechtspolitisch) für geboten, wünschenswert, hinnehmbar oder falsch hält, hängt maßgeblich davon ab, wie man es grundlegend mit der Stellung der Judikative im Verhältnis zur Legislative in einer gewaltengeteilten Demokratie hält. Wer judikativer Macht kritisch gegenübersteht, kann die Öffnung „neue[r] Tore für die Handhabung des richterlichen Ermessens“198 per Schaffung einer neuen Generalklausel nicht begrüßen.199 Wer umgekehrt davon ausgeht, dass Gerichte von Generalklauseln in aller Regel vernünftig Gebrauch machen und überdies der „immanente Drang der Rechtsanwendung nach einer Regelbildung bald zu einer Gleichbehandlung rechtstypischer Grenzfälle und zur Ausbildung gewisser Leitprinzipien führen“200 wird, kann der Schaffung einer Reduktionsklausel hingegen gelassen 195 Siehe auch den von Canaris (JZ 1987, 993, 1002) unterbreiteten Vorschlag, darauf abzustellen, ob der Verlust eines über Jahrzehnte angesparten Vermögens oder die Verdienste der letzten oder der nächsten zehn Jahre droht. 196 Vgl. auch Goldschmidt, 43. DJT (Diskussion), C 88. 197 Vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 837: „Die Rechtsprechungsgeschichte belegt eine ungeahnte Normsetzungsphantasie und Produktivität der Gerichte, die sich gerade auf diese [General-]Klauseln beruft.“. 198 So die Formulierung von Hauss, Referat auf dem 43. DJT (Diskussion), C 107, der aber anderer Auffassung ist. 199 So sieht z.B. Steffen (VersR 1998, 1449, 1452) die Gefahr unkontrollierbarer Billigkeitsurteile. 200 Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 43; ders., 43. DJT (Diskussion), C 107.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
gegenüberstehen.201 Überzeugen wird der Anhänger der einen Auffassung den der anderen in dieser die Grundfesten unserer Verfassungsordnung202 berührenden Gretchenfrage dabei kaum. 203 Der Vorzug ist der generalklauselkritischen Auffassung zu geben. Für sie sprechen insbesondere das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip, Art. 20 I, 28 I 1 GG. Dem Demokratieprinzip entspricht es, dass der Gesetzgeber, darunter der von allen Staatsorganen am unmittelbarsten durch das Volk legitimierte Bundestag, die maßgeblichen Entscheidungen trifft, weil er konzeptionell am ehesten in der Lage ist, den Willen des Wahlvolkes als Souverän zur Geltung zu bringen. Seine Entscheidungen können sich darum auf eine wesentlich besser abgesicherte demokratische Legitimationsbasis berufen als die von Einzelrichtern, Kammern oder Senaten beschlossenen Urteile. Konsequent weist Art. 20 GG im gewaltengeteilten Rechtsstaat der Legislative die Aufgabe der Gesetzgebung zu und verpflichtet den Richter zur Bindung an das von ihr geschaffene Gesetz. Generalklauseln können in einem solchen Konzept nur als Störfaktoren bezeichnet werden, weil sie als ein „Stück offengelassener Gesetzgebung“204 systemwidrig „Delegationsnormen“205 für den Richter schaffen. Nun ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe trotz dieser Bewertung unentbehrlich sein können, weil der Gesetzgeber angesichts der Vielgestaltigkeit der vom Recht zu erfassenden Lebenssachverhalte gar nicht in der Lage sein kann, alle denkbaren Konstellationen im Vornherein zu regulieren. 206 Nichtsdestotrotz muss man sich aber angesichts des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips die Rolle von Generalklauseln als „nowendiges Übel“ vor Augen führen. Das gilt umso mehr, als sich zahlreiche Beispiele finden lassen, in denen Generalklauseln als „Wünschelruten“207 dazu benutzt wurden, um das vom erkennenden Richter subjektiv gewünschte, teilweise durch bloß vorgeschobene objektive Argumente kaschierte
201 Vgl. auch Motive I, S. 211 f., wonach angesichts der „Gewissenhaftigkeit des deutschen Richterstandes […] unbedenklich darauf vertraut werden [darf], daß die Vorschrift [§ 106 BGB-E, entspricht im Wesentlichen dem heutigen § 138 I BGB] im Ganzen und Großen nur in dem Sinne angewendet werden wird, in dem sie gegeben ist.“. Andererseits wurde die Schaffung einer exceptio doli generalis mit dem Argument abgelehnt, durch deren Zulassung „werde in höchst bedenklicher Weise an Stelle der festen Rechtsnorm das subjektive Gefühl des Richters gesetzt und die Grenze zwischen Recht und Moral verwischt.“ (Protokolle I, S. 239 f.). 202 Vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 706: „Methodenfragen sind Verfassungsfragen“; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 516. 203 Zutreffend Hauss, Referat auf dem 43. DJT (Diskussion), C 107. 204 Hedemann, Flucht, S. 58. 205 Heck, Grundriß, S. 11. 206 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 185, 836; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 2; PWW/Ahrens, § 138, Rn. 1. 207 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 837.
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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Ergebnis zu erreichen. 208 Was für einen „Wildschaden“ eine von der Leine gelassene Rechtsprechung durch Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe anzurichten vermag, illustriert im vorliegenden Zusammenhang plastisch auch die bereits erörterte Entscheidung des Berliner VerfGH. 209 Aus diesen Überlegungen folgt zum einen, dass sich der Richter bei der Anwendung von Generalklauseln seiner Sonderstellung und der Tatsache, dass er in Wahrheit nicht – wie sonst – nur auslegend, sondern vielmehr normsetzend tätig wird, 210 bewusst sein und deshalb entsprechend vorsichtig verfahren muss. Zum anderen – und das ist im hier interessierenden Kontext von Bedeutung – lässt sich daraus ableiten, dass der Gesetzgeber Generalklauseln nur schaffen darf, wenn hierfür ein unabweisbares Bedürfnis besteht, weil erstens ein Lebenssachverhalt betroffen ist, der selbst durch eine noch so detaillierte Gesetzesregelung nicht so geregelt werden kann, dass alle denkbaren und – vor allem – heute noch undenkbaren Konstellationen erfasst werden, und zweitens der Problematik auch nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. 211 Im Bereich der klassischen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB kann man diese Voraussetzungen bejahen, weil diese Regelungen unverzichtbar dafür sind, um Einzelfallergebnisse, die zwar auf einer „technisch“ richtigen Anwendung spezieller Regelungen beruhen, die aber allgemein als nicht tolerabel anzusehen wären, korrigieren zu können. Soweit es um die Bewahrung vor exorbitanter, dauerhafter oder gar lebenslanger Überschuldung geht, ist ein Bedürfnis für ein generalklauselartiges richterliches Reduktionsrecht angesichts der bereits bestehenden, weitestgehend ein ausreichendes Schutzniveau gewährleistenden anderweitigen Haftungsbeschränkungsinstrumente (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO, § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV, §§ 286 ff. InsO)212 hingegen schwerlich anzuerkennen. Dementsprechend käme die Schaffung einer Reduktionsklausel nur in Betracht, wenn es hierfür sehr gute Gründe gäbe und insbesondere eine spürbare Verbesserung der bestehenden Rechtslage zu erwarten wäre. Dem ist im Folgenden nachzugehen.
208 Besonders sinnfällig ist das natürlich für den Umgang mit Generalklauseln während des Dritten Reichts (vgl. dazu ausführlich Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 216 ff.). 209 BerlVerfGH 14.12.2009 – VerfGH 31/09, NJW-RR 2010, 1141; siehe dazu oben § 3 B III 2 b). 210 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 836a. 211 Vgl. in Bezug auf letzteres auch Protokolle I, S. 239 f., wo eine geplante, mit einer weitreichenden richterlichen Einschätzungsmacht verbundene exceptio dolis generalis auch deshalb abgelehnt wurde, weil ihren Zwecken schon durch eine andere Bestimmung Rechnung getragen werden konnte; vgl. auch Bühnemann, FS Möller, S. 135, 147 („Generalklauseln […] sollte man jedenfalls mit erheblicher Skepsis begegnen“). 212 Siehe näher oben § 3 B III 3 d).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
5. Disproportionalität zivil- und strafrechtlicher Folgen? Ein derartiger, für die Schaffung einer Reduktionsklausel sprechender Aspekt könnte die Überlegung sein, eine auf materiell-rechtlicher Ebene unbeschränkte und durch den Richter auch nicht beschränkbare ruinöse zivilrechtliche Haftung könnte in Situationen, in denen dem Schädiger nur ein geringer Verschuldensvorwurf zu machen ist, im Widerspruch zum strafrechtlichen Rechtsfolgensystem stehen. Illustrieren lässt sich das anhand des Lehrbuchbeispiels eines in Gedanken versunkenen Radfahrers, der einen schweren Personenschaden verursacht, oder – um ein Beispiel aus der Gerichtspraxis zu bemühen – anhand des vom OLG Celle entschiedenen Falls, 213 in dem zwei 14 beziehungsweise 15 Jahre alte Jugendliche leicht fahrlässig eine Lagerhalle anzündeten (Sachschaden: circa € 230.000).214 Während dies geeignet ist, einen nicht haftpflichtversicherten Schädiger zivilrechtlich in die dauerhafte Verschuldung zu treiben (bei einem unterstellten internen Verschuldensanteil von 50 % pro Schädiger entfallen auf jeden samt Zinsen – je nach Basiszinssatz – bis zum 25. Lebensjahr leicht € 190.000 und bis zum 30. Lebensjahr € 240.000), dürften die strafrechtlichen Folgen angesichts des geringen Verschuldensgrads und der Geltung von Jugendstrafrecht glimpflich gewesen sein:215 Ein Jugendarrest scheidet sicher aus, und eine Schadenswiedergutmachung ist wegen § 15 I 1 Nr. 1 JGG auf dasjenige beschränkt, was der Jugendliche „nach [seinen] Kräften“ leisten kann. Entsprechend wird davon ausgegangen, dass über § 15 I 1 Nr. 1 JGG insbesondere bei größeren Schäden nur ein teilweiser Ausgleich in Betracht kommt, weil der Jugendliche unter Berücksichtigung seines persönlichen und wirtschaftlichen Leistungsvermögens nicht überfordert oder entmutigt werden darf. 216 Wäre der Täter im Fall des OLG Celle noch nicht einmal 14 Jahre alt gewesen, wären die Unterschiede angesichts seiner Strafunmündigkeit (§ 19 StGB) sogar noch gravierender gewesen. Und selbst wenn es sich um einen Erwachsenen gehandelt hätte, wäre die Situation nicht substantiell anders gewesen. Denn auch hier scheidet bei (leicht) fahrlässigen Erstdelikten eine Haftstrafe meist aus oder würde zumindest zur Bewährung ausgesetzt werden. Eine Geldstrafe beläuft sich gemäß § 40 I 2 StGB in der Regel auf maximal 360 Tagessätze, das heißt circa 360 Tagesnettoeinkünfte, und liegt damit weit unterhalb der möglichen zivilrechtlichen Schadensersatzverpflichtung. Schließlich gilt auch hier, dass eine Auflage zur Wiedergutmachung zwar möglich ist, aber unter dem Vorbehalt 213
Kuhlen, JZ 1990, 273. Siehe OLG Celle 26.5.1989 – 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791. 215 Kuhlen, JZ 1990, 273; vgl. auch schon BGH 28.2.1984 – VI ZR 138/82, NJW 1984, 1958: „Zivilrechtlich wird der Minderjährige also in viel stärkerem Maße für den von ihm angerichteten Schaden zur Verantwortung gezogen, als er für sein Tun strafrechtlich einzustehen hat.“. 216 Eisenberg, JGG, § 15, Rn. 5; NK-JGG/Ostendorf, § 15, Rn. 7; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, § 15, Rn. 10. 214
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der Kräfte des Täters steht, § 56b II 1 Nr. 1 StGB. Zwar ist insoweit im Einzelnen umstritten, ob die Auflage bereits dann rechtswidrig ist, wenn sie die Leistungsfähigkeit des Täters übersteigt217 beziehungsweise einen einschneidenden Eingriff in seine Lebensführung enthält218, oder ob dies erst dann anzunehmen ist, wenn sie die Leistungsfähigkeit krass übersteigt.219 Darauf kommt es vorliegend aber nicht an, weil jedenfalls in den hier interessierenden Fällen selbst die strengste der postulierten Anforderungen erfüllt und eine Auflage mithin rechtswidrig wäre. Diese Diskrepanz zwischen desaströsen zivilrechtlichen Konsequenzen einerseits, vergleichsweise unbedeutenden strafrechtlichen Folgen andererseits überrascht insofern, als das Strafrecht konzeptionell das schärfste, den Täter am stärksten belastende Schwert des Staates ist.220 Entsprechend hat Kuhlen im Zusammenhang mit ruinösen, auf leichter Fahrlässigkeit beruhenden Schadensersatzverpflichtungen Minderjähriger die interessante Frage aufgeworfen, „ob es nicht strafrechtliche Grenzen der zivilrechtlichen Deliktshaftung gibt“221 beziehungsweise – im vorliegenden Kontext – geben sollte. So könnte man entsprechend der Idee der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung durchaus daran zweifeln, ob es angezeigt ist, das Risiko einzugehen, dass die im Strafrecht an den Tag gelegte Milde, die gerade im Bereich des Jugendstrafrechts auch dazu dienen kann, ein vorzeitiges Abgleiten in eine kriminelle „Laufbahn“ durch harte Strafen nach Möglichkeit zu vermeiden, durch eine unbeschränkte zivilrechtliche, zur verständlichen Verbitterung des in seinen Lebenschancen beeinträchtigten Täters führende Haftung möglicherweise konterkariert wird. 222 In Bezug auf diese Diskrepanz von Straf- und Zivilrecht kann man auch nur mit äußerst beschränkter Strahlkraft anführen, dass die Gefahr einer lebenslangen Verschuldung durch die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung in aller Regel zuverlässig gebannt werden kann. Denn auch wenn damit der „Abstand“ zwischen den zivil- und strafrechtlichen Folgen verkleinert wird, ist dieser angesichts der bis zu sechsjährigen Beschränkung auf das pfändbare Existenzminimum (§ 287 II 1 InsO) potentiell immer noch erheblich.
217
MüKo-StGB/Groß, § 56b, Rn. 13; vgl. auch NK-StGB/Ostendorf, § 56b, Rn. 2. So zum subsidiär anwendbaren § 56b I 2 StGB OLG Köln 16.1.1998 – 2 Ws 687/97, NStZ 1999, 97, 98; LK-StGB/Hubrach, § 56b, Rn. 3. 219 OLG Düsseldorf 2.9.1992 – 2 Ws 380/92, NStZ 1993, 136; LG Zweibrücken 17.11.1999 – Qs 149/99, StV 2000, 86 (jedenfalls dann bejaht, wenn die monatliche Rate ca. das Doppelte der Nettoeinkünfte beträgt); Lackner/Kühl, StGB, § 56b, Rn. 3a; Fischer, StGB, § 56b, Rn. 4. 220 Vgl. Rengier, Strafrecht AT, S. 9 sowie pars pro toto die Aussage in den Motiven (II, S. 733), nach der das Strafrecht „naturgemäß von strengeren Voraussetzungen ausgehen“ müsse. 221 Kuhlen, JZ 1990, 273, 274; in diese Richtung auch schon Canaris, JZ 1987, 993, 1001. 222 Kuhlen, JZ 1990, 273, 278; vgl. auch ders, a.a.O., 277: „Die unbegrenzte Deliktshaftung Minderjähriger hat zweifellos keinen Tropfen sozialen Öls abbekommen […]“. 218
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Dennoch wird man aus dieser Diskrepanz auch de lege ferenda nicht den Schluss ziehen können, es sei die Möglichkeit einer richterlichen Reduktion exorbitanter Schadensersatzansprüche auf materiell-rechtlicher Ebene geboten. Das folgt insbesondere daraus, dass sich die rechtlich zu erfassende Interessenlage zwischen Zivil- und Strafrecht grundlegend unterscheidet. Im Strafrecht konfligiert das Interesse des Täters, möglichst nicht oder jedenfalls nur milde bestraft zu werden, mit dem staatlichen Strafanspruch. Ob und Ausmaß des letzteren hängen nun aber entscheidend davon ab, ob der „Aufgabenbereich“ des Strafrechts eröffnet ist und die Strafzwecke eine Bestrafung des Täters erfordern. Welchen Zweck die Strafe hat, ist ein tausendfach erörtertes, hier nicht weiter auszubreitendes Thema. 223 Es muss vielmehr genügen, die Auffassung der Rechtsprechung zugrunde zu legen, die als vergeltende Vereinigungstheorie Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters sowie Sühne und Vergeltung als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion ansieht. 224 „Subsumiert“ man die hier interessierenden Konstellationen exorbitanter, auf (leicht) fahrlässigen Verfehlungen beruhender Personen- oder Sachschäden unter diese Aussage, so zeigt sich, dass der staatliche Strafanspruch eben oftmals keinen oder nur einen relativ geringen Strafausspruch rechtfertigt: Weil die Schuld des Täters oft gering ist, verlangt weder der Gedanke eines Schuldausgleichs noch der Wunsch nach Rache beziehungsweise Vergeltung eine harte Bestrafung. Gleiches gilt für die positive Generalprävention, wird durch derartige Taten das Vertrauen der Allgemeinheit in die Wirkungskraft der Rechtsordnung doch nicht derart erschüttert, dass seine Wiederherstellung durch die Verhängung einer harten Strafe erforderlich wäre, sowie die negative Generalprävention, ist der Abschreckungseffekt in Bezug auf (leicht) fahrlässig begangene Taten doch ohnehin überschaubar. Schließlich sprechen auch spezialpräventive Gründe nicht für, sondern eher gegen eine strenge Bestrafung. Zwar ist die bei einer harten Strafe bestehende negative spezialpräventive Hoffnung, der Täter werde sich in der Zukunft sorgfältiger verhalten, nicht ganz von der Hand zu weisen. Andererseits handelt es sich aber oft um Verhaltensweisen, bei denen angesichts des geringen Verschuldensgrads mit einer Besserung des Täters nicht zu rechnen ist (man führe sich nur das Fahrradfahrerbeispiel vor Augen). Vielmehr erscheint umgekehrt eine harte Strafe gerade geeignet, den Täter nachvollziehbarerweise zu frustrieren und dadurch seine Resozialisierungschancen zu beeinträchtigen. Während also im Strafrecht in den hier interessierenden Konstellationen kein oder ein jedenfalls nur sehr schwach fundierter staatlicher Strafanspruch besteht, der den Interessen des Täters gegenübersteht, konfligiert auf zivilrechtli223
Vgl. z.B. Roxin, StrafR AT, S. 64 ff. m.w.N. BVerfGE 28, 264, 278; 32, 98, 109; 45, 187, 253 f.; vgl. auch BGH 4.8.1965 – 2 StR 282/65, NJW 1965, 2016, 2017; 27.10.1970 – 1 StR 423/70, NJW 1971, 61. 224
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cher Ebene mit letzterem das unzweifelhaft berechtigte Interesse des Geschädigten an einem möglichst weitreichenden Schadensausgleich. Wie auch Kuhlen einräumt, ist dieses bei der Bemessung des Schadensersatzes zu berücksichtigen. 225 Mehr noch, angesichts des eines auch bei leicht fahrlässigen Handlungen zu bejahenden Unrechtsvorwurfs hat man es als den Interessen des Schädigers vorrangig einzustufen. Eine Orientierung des zivilrechtlichen Schadensersatzes am strafrechtlich möglichen und gebotenen Sanktionensystem ist daher schon im Ansatz nicht überzeugend. Anführen lässt sich ferner die Pflicht des Staates, die Grundrechte des (potentiell) Geschädigten zu schützen. 226 Zu nennen sind hierbei insbesondere Art. 2 II GG (soweit es um Ansprüche des Geschädigten wegen Verletzung von Gesundheit und/oder Körper geht)227 und Art. 14 I GG (bei Sachbeschädigungen). Auch wenn zu konzedieren ist, dass der Gesetzgeber bei der Frage, wie er die daraus abzuleitenden Schutzpflichten ausgestaltet, einen denkbar weiten Einschätzungsspielraum hat, 228 wäre dieser jedenfalls überschritten, wenn die zivil- an die strafrechtlichen Folgen 1:1 angeglichen würden. Denn die damit einhergehende vollständige Schutzlosstellung des Geschädigten ließe sich auch mit den berechtigten Interessen des Schädigers nicht rechtfertigen, käme dieser doch trotz des angerichteten erheblichen Schadens praktisch folgenlos davon. Eine Reduktionsklausel könnte daher verfassungsrechtlich zulässig nur so ausgestaltet und angewandt werden, dass sie lediglich eine Verkleinerung, nicht aber eine Schließung der Lücke zwischen Straf- und Zivilrecht bewirkt. Da die zivilrechtlichen Folgen potentiell selbst dann noch für den Schädiger um ein mehrfaches belastender wäre, wäre das eigentlich zu lösende Problem einer Disproportionalität zivil- und strafrechtlicher Folgen aber wieder nicht ausgeräumt. Summa summarum liefert der Vergleich mit den potentiellen strafrechtlichen Folgen schon im Ausgangspunkt kein überzeugendes Argument dafür, de lege ferenda eine richterliche Reduktionsklausel zu schaffen. 229 Das gilt angesichts 225
Kuhlen, JZ 1990, 273, 275. Zur grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates siehe näher oben § 1 F III. 227 Vgl. auch BVerfGE 49, 304, 321: Durch die vom BGH (18.12.1973 – VI ZR 113/71, NJW 1974, 312) befürwortete Haftungsbeschränkung für gerichtliche Sachverständige werde die Rechtsstellung des Geschädigten verschlechtert und „damit ein Weg beschritten, der den Intentionen des Grundrechts aus Art. 2 II GG eher zuwiderläuft“. 228 Siehe oben § 1 F III 3. 229 Eine andere, hier nicht näher zu erörternde Frage ist, ob der Abstand zwischen Zivilund Strafrecht nicht vermindert und zugleich der Schutz junger Schädiger verbessert werden sollte, indem die zivilrechtliche Einstandsverpflichtung dem Grunde nach in Abkehr vom bisherigen § 828 III BGB nicht nur von der Einsichts-, sondern – wie im Strafrecht, vgl. § 20 StGB, § 3 S. 1 JGG – auch von der Steuerungsfähigkeit abhängig gemacht wird und dadurch wieder der vom ursprünglichen Gesetzgeber des BGB (siehe Protokolle II, S. 582 f.; vgl. auch Mot II, 733; RGZ 53, 157, 158) gewünschte Gleichlauf zwischen Straf- und Zivilrecht hergestellt wird (dafür z.B. Kuhlen, JZ 1990, 273, 275 ff.; a.A. MüKo-BGB/Wagner, § 828, Rn. 8 m.w.N. zu beiden Auffassungen). Damit würde erreicht, dass die Steuerungs226
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der oben monierten, mit einer Reduktionsklausel notwendigerweise verbundenen Rechtsunsicherheit und dem Gebot, sich bei der Schaffung von Generalklauseln zurückzuhalten, umso mehr. 6. Bedürfnis nach der Korrektur einer „einäugigen Gerechtigkeit“ des Alles-oder-Nichts-Prinzips? Für die Einführung einer Reduktionsklausel würde allerdings sprechen, wenn das das geltende Schadensersatzrecht prägende Alles-oder-Nichts-Prinzip defizitär wäre, weil es die Interessen des Schädigers auf dem Altar der Geschädigteninteressen opfert. In diese Richtung wurde schon vor beziehungsweise bei Inkrafttreten des BGB argumentiert. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip stelle eine viel zu einseitige Berücksichtigung der Interessen des Geschädigten, eine „einäugige Gerechtigkeit“230 dar, die „nur für den Verletzten ein Aug [habe], nicht für den Schädigenden“231. Eine derartige „einförmige mechanische Schablone“ gebe aber zu den „schwersten Bedenken Anlaß“, weil sie eine der „materiellen Gerechtigkeit wenig entsprechende Ordnung“ begründe. 232 Als mit dem Rechtsgefühl und der Gerechtigkeit nicht vereinbar wurde es insbesondere angesehen, dass wegen einer kleinsten Konzentrationsschwäche, „wegen einer aus Unachtsamkeit begangenen Sachbeschädigung, aus welcher statt eines nach menschlicher Voraussicht allein zu erwartenden unbedeutenden Verlustes ein unermeßlicher Schaden entsteht, eine ganze Familie an den Bettelstab gebracht werden soll.“233. Möller sprach darum gar davon, es herrsche ein „grausames Alles-oder-Nichtsprinzip“234. Weil das Schadensrecht notwendigerweise Billigkeitsrecht sei, solle nicht nur hinsichtlich des Vorliegens und der Größe eines Schadens ein richterliches Ermessen bestehen, sondern es solle „ein gewisser Spielraum in der Bemessung des Umfanges der Verantworlichtkeit für angerichtete Schaden gewährt und hierbei eine billige Rücksichtnahme auf Art und Maß des Verschuldens und zum Teil auch auf die sonstigen Umstände des Falles einschließlich der Vermögenslage der Beteiligten zur fähigkeit nicht – wie bisher – im Rahmen des rein objektiven, auf altersgruppenspezifische Fähigkeiten abstellenden § 276 BGB zu bestimmen ist (vgl. dazu BGH 10.3.1970 – VI ZR 182/68, NJW 1970, 1038; 28.2.1984 – VI ZR 138/82, NJW 1984, 1958; Staudinger/Oechsler, § 828, Rn. 24), sondern von der individuellen Disposition des konkreten Jugendlichen abhängt. 230 Dernburg, Bürgerliches Recht II, S. 69; Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79; vgl. auch Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 24. 231 Dernburg, Bürgerliches Recht II, S. 69. 232 Alle Zitate aus Gierke, Entwurf, S. 198; für das schweizerische Recht vgl. auch Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 43, Rn. 26 f. 233 v. Gierke, Entwurf, S. 266; siehe auch Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, 35. 234 Möller, Summen- und Einzelschaden, S. 1, 135 (Hervorhebung hier).
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Pflicht gemacht werden“235. Angesichts des technischen Fortschritts im 20. Jahrhundert wurde ergänzend vorgetragen, dass das moderne Leben, das stets durch die Gefahr geprägt werde, andere zu schädigen beziehungsweise von ihnen geschädigt zu werden, in vielen Schadensfällen eine mehr oder weniger große Dosis an Unglück – und korrespondierend dazu ein entsprechend geringerer oder größerer Anteil an Unrecht des Schädigers – enthalte, dessen alleinige Überwälzung auf den Schädiger unbillig sei.236 Das gelte umso mehr, als der technische Wandel und die daraus resultierenden Schadensgefahren zu einem erheblichen Ausbau der Haftungsnormen geführt hätten, zum Beispiel durch die Verschärfung des Fahrlässigkeitsbegriffs oder die Schaffung der deliktisch geschützten Rahmenrechte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. 237 Ob de lege ferenda zur Erreichung „gerechter“ Ergebnisse eine Reduktionsklausel gegenüber dem momentan bestehenden System des Schutzes vor exorbitanter Haftung vorzugswürdig erscheint, wird noch zu erörtern sein. 238 Vorab ist hier zunächst nur auf den skizzierten (allgemeinen) Vorwurf, das Alles-oder-Nichts-Prinzip beinhalte eine viel zu einseitige Bevorzugung des Geschädigten auf Kosten des Schädigers, einzugehen. Gegen ihn spricht bereits, dass das Alles-oder-Nichts-Prinzip eben ein Alles-oder-Nichts-Prinzip ist, das heißt im theoretischen Ausgangspunkt die Chancen und Risiken für beide Beteiligten gleich groß sind, weil für beide jeweils die Hoffnung beziehungsweise die Gefahr besteht, vollständig zu obsiegen oder zu unterliegen. Schon deshalb geht es zu weit, von einer „einäugigen Gerechtigkeit“ zu sprechen. Wer anführt, es sei unbillig, wenn bei gerade noch zu bejahenden Haftungsvoraussetzungen ein vollständiger Ausgleich verlangt werden dürfte, übersieht, dass es eben gerade die Vorgaben für die Haftungsvoraussetzungen sind, die im Sinne eines Interessenausgleichs den Anliegen auch des Schädigers Rechnung tragen sollen, indem sie gegebenenfalls eine Einstandsverpflichtung bereits im Ansatz ausschließen. Pars pro toto sei insoweit nur an die wertungsbasierte Einschränkung der Haftungsverantwortlichkeit schon dem Grunde nach über den Schutzweck der Norm mit all seinen Spielarten wie zum Beispiel der Beschränkung der Ersatzfähigkeit in Herausforderungsfällen oder von Schockschäden erinnert. 239 Überdies besteht selbst dann, wenn eine Ersatzpflicht dem Grunde nach zu bejahen ist, gerade keine Einbahnstraße, auf der die Interessen des Schädigers links liegen gelassen würden, vielmehr wird diesen auf unterschiedliche Weise 235
Gierke, Entwurf, S. 267; siehe auch Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79 f. Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 24, 34; ders., 43. DJT (Diskussion), C 111; Hauss, Referat auf dem 43. DJT, C 23, C 34 f., C 41. 237 Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 7 ff. 238 Siehe im Anschluss sub § 3 B V. 239 Siehe hierzu im Einzelnen und jeweils m.w.N. z.B. MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 149 ff., 170 ff.; Staudinger/Schiemann, § 249, Rn. 39 ff., 48 ff. 236
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Rechnung getragen. Das beginnt bereits damit, dass der zu leistende Schadensersatz stets auf das beeinträchtigte Interesse beschränkt ist, weil der Geschädigte im Sinne eines Bereicherungsverbots durch den Schadensersatz nicht besser stehen soll als ohne den Schadensfall. 240 Dass das keine alternativlose Selbstverständlichkeit ist, zeigt das Beispiel der „punitive damages“ in den USA. Als besondere Ausprägung des Bereicherungsverbots dient auch § 249 II 2 BGB, nach dem – unter Abkehr von der früheren Rechtsprechung241 – die Umsatzsteuer nur dann ersatzfähig ist, wenn sie auch tatsächlich angefallen ist, den Interessen des Schädigers. 242 Zu nennen ist ferner der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, nach dem der Geschädigte zum Schutz des Schädigers von mehreren gleich geeigneten Wegen zur Schadensbeseitigung denjenigen wählen muss, der wirtschaftlich am vernünftigsten ist. 243 All diese Beispiele zeigen, dass es verfehlt ist, isoliert nur einen Aspekt (nämlich eben die umfassende Haftung bei einmal bejahten Haftungsvoraussetzungen) unter Ausblendung der anderen, in diesem Kontext relevanten Regelungen herauszugreifen. Vielmehr muss nicht nur das Schadensrecht im Gesamten, sondern müssen richtigerweise in einem weiteren Schritt auch sonstige, nicht im Schadensrecht angelegte Mechanismen des Schädigerschutzes berücksichtigt werden. Anzuführen sind insoweit vor allem die §§ 811 ff. ZPO, die dem Schutz der notwendigen Lebensgrundlagen des Schädigers dienen, 244 sowie natürlich wiederum die §§ 286 ff. InsO. Das alles zeigt, dass Gesetzgeber und Rechtsprechung im Schadensrecht keineswegs eine „einäugige Gerechtigkeit“ zulasten des Schädigers walten lassen, sondern vielmehr ein Gesamtregelungswerk errichtet haben, das insgesamt um einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen bemüht ist. 245 Die Schaffung einer Reduktionsklausel kann daher nicht überzeugend mit dem Argument gefordert werden, die Waage der Gerechtigkeit müsse (wieder) zum Ausgleich gebracht und dem Alles-oder-Nichts-Prinzip eine einseitig schädigerbenachteiligende Ausrichtung genommen werden. 7. Verbesserung des Schädigerschutzes; Abwägung Als letztes, für die Schaffung einer Reduktionsklausel sprechendes Argument kommt somit nur noch in Betracht, dass damit der Schutz des Schädigers vor exorbitanten Schadensersatzverpflichtungen derart gesteigert würde, dass die240
BeckOK-BGB/Schubert, § 249, Rn. 178; MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 20. Siehe BGH 19.6.1973 – VI ZR 46/72, NJW 1973, 1647, 1648; 30.1.1985 – IV a ZR 109,83, NJW 1985, 1222; 20.6.1989 – VI ZR 334/88, NJW 1989, 3009. 242 Vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 13, 23. 243 BT-Drucks. 14/7752, S. 13; BGH 15.10.1991 – VI ZR 314/90, NJW 1992, 302, 303; 11.3.2008 – VI ZR 164/07, r + s 2008, 258, 259. 244 BGH 20.11.1997 – IX ZR 136/97, NJW 1998, 1058; MüKo-ZPO/Gruber, § 811, Rn. 1; Musielak/Becker, ZPO, § 811, Rn. 1. 245 Vgl. auch Looschelders, VersR 1999, 141, 144. 241
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ser Vorteil die mit einer Reduktionsklausel einhergehenden Nachteile überwiegen würde. Es ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen, dass eine Reduktionsklausel den Schutz des Schädigers optimieren würde. Denn wenn bereits auf materiell-rechtlicher, im Erkenntnisverfahren verwirklichter Ebene eine so weitgehende „Korrektur“ der Einstandsverpflichtung erfolgt, dass der Schädiger in der Lage ist, die verbliebene „Rumpfforderung“ in überschaubarem Zeitrahmen mit zumutbarem Einsatz seines Vermögens und seiner (pfändbaren) Einkünfte abzutragen, bleibt ihm der zeitraubende, mühselige und gegebenenfalls sozial stigmatisierende Gang in Insolvenz und Restschuldbefreiung erspart.246 Stattdessen kann er – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – seine gewohnte „bürgerliche“ Existenz fortsetzen. Wesentlich günstiger ist eine Reduktionsklausel für den Schädiger auch in der Ausnahmesituation, dass er während einem bereits laufenden oder kurze Zeit nach einem abgeschlossenen Restschuldbefreiungsverfahren erneut einen exorbitanten Schaden verursacht. Denn während eine richterliche Anspruchskorrektur mehrfach ohne Einschränkung möglich wäre, ist ein erneutes Restschuldbefreiungsverfahren erst nach Ablauf der (langen) Sperrfrist des § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO möglich. Entsprechend könnte der Schädiger in dieser Ausnahmekonstellation damit rechnen, wesentlich schneller schuldenfrei zu sein, als dies nach geltender Rechtslage möglich ist. Die Interessen des Schädigers sprechen deshalb für die Schaffung einer Reduktionsklausel. Diesem Vorteil stünden allerdings gewichtige Nachteile gegenüber. Das beginnt damit, dass mit Fug und Recht bezweifelt werden kann, dass es regelmäßig gelingen würde, die Interessen von Schädiger und Geschädigtem im Rahmen einer Reduktionsklausel so auszutarieren, dass man beiden gerecht würde:247 Geht die Anspruchsreduktion sehr weit, mag das zwar im Interesse des Schädigers dazu führen, dass ein Gang in Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren unterbleiben kann, es drohen dann aber weitreichende Nachteile für den Geschädigten, der kaum noch eine Kompensation für den erlittenen Schaden erhält. Wird umgekehrt die Forderung mit Blick auf den zum Beispiel verhältnismäßig hohen Verschuldensgrad des Schädigers nur so geringfügig gekürzt, dass er über kurz oder lang doch ins Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren muss, ist ihm nicht wirklich geholfen und wird der Zweck der Reduktion verfehlt. Insofern müsste dann überdies ein Weg gefunden werden, wie die Reduktionsklausel ins System der bereits bestehenden, einen Schutz vor exorbitanter, lebenslanger Überschuldung bietender Haftungsbeschränkungsinstrumente (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO, § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV und, vor allem, die §§ 286 ff. InsO) integriert werden könnte.248 246
Ebenso Finke, Minderung, Rn. 625. So auch v. Hippel, Rechtspolitik, S. 323. 248 Darauf ist hier nicht näher einzugehen, weil die Schaffung einer Reduktionsklausel ohnehin abzulehnen ist (siehe im Folgenden). Hinzuweisen ist aber doch auf eines: Eine Kom247
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Unabhängig davon stellt sich die Frage, warum eigentlich ausgerechnet einem deliktischen Schädiger der mit einer Reduktionsklausel verbundene zusätzliche Schutz gewährt werden sollte. Warum sollte ein solcher Schädiger derart schutzwürdiger sein als zum Beispiel ein stets redlich und gut wirtschaftender Kaufmann, der nur infolge der nicht vorhersehbaren Insolvenz seines wichtigsten Kunden in die Insolvenz getrieben wurde, dass er, nicht aber letzterer bereits auf der Ebene des materiellen Rechts Erleichterungen erfahren sollte? Sollte es – wenn überhaupt – nicht gerade umgekehrt sein, ist dem deliktischen Schädiger doch ein – wenn auch vielleicht sehr geringfügiger – Verschuldensvorwurf zu machen, wohingegen der Kaufmann im obigen Beispiel ohne jegliches Zutun und sogar ohne Chance, Maßnahmen dagegen zu ergreifen, insolvent wurde? Man wende hiergegen nicht ein, die Insolvenz eines Kaufmanns habe nicht in gleichem Umfang eine exorbitante oder gar existenzvernichtende Haftung zur Folge. Denn das ist schon in tatsächlicher Hinsicht zumindest zweifelhaft, weil selbst die „Pleite“ eines kleinen Unternehmens mit weitreichenden Kosten verbunden sein kann. Vor allem aber spielt der Umfang der Einstandsverpflichtungen für die Frage, ob ein Restschuldbefreiungsverfahren zumutbar ist, ohnehin keine Rolle, weil der Schuldner mit Restschuldbefreiungserteilung sowieso schuldenfrei wird. Zu bedenken ist auch noch ein weiterer Aspekt: Wie ausgeführt können die strafrechtlichen Konsequenzen in Fällen (leicht) fahrlässiger Schadensverursachung vernachlässigbar bis nicht-existent sein. Würde nun zusätzlich auch noch die zivilrechtliche Belastung per Reduktionsklausel ausgeschaltet oder zumindest sehr weitgehend reduziert, hätte der vom Schädiger verursachte Schaden für ihn oft keine oder kaum spürbare Konsequenzen mehr. Im Extremfall müsste der eigentlich Verantwortliche also keinerlei („Abwicklungs“-)Verwantwortung für den von ihm schuldhaft herbeigeführten Schaden mehr tragen. Das aber wäre – bei aller Sympathie für das Interesse des Schädigers, sich Insolvenzund Restschuldbefreiungsverfahren ersparen zu können – dann doch eine unangemessene Konsequenz, der gegenüber der Weg über die dem Schädiger einige Obliegenheiten auferlegende und ihn für einen gewissen Zeitraum auf das bination aus Reduktionsklausel und Restschuldbefreiung würde zu einer krassen Benachteiligung des Geschädigten führen, der dreifach „gestraft“ wäre: Erstens würde seine eigentlich berechtigte Forderung durch richterliches Ermessen (erheblich) nach unten korrigiert, was zweitens zur Folge hätte, dass seine Insolvenz- und Ausschüttungsquote geringer wäre, und drittens schließlich würde er dann auch noch seine Forderung durch die Restschuldbefreiungserteilung faktisch verlieren. Weil sowohl die Reduktionsklausel als auch die Restschuldbefreiung dem gleichen Ziel des Schutzes des Persönlichkeitsrechts des Schädigers vor einer lebenslangen Überschuldung dient, stellte eine Kombination aus beiden eine unverhältnismäßige und einseitige Betonung der Interessen des Schädigers dar. Die daraus resultierende massive Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Interessen des Geschädigten ließe sich mit dem Schutz des Schädigers richtigerweise nicht mehr rechtfertigen und wäre verfassungswidrig.
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nicht pfändbare Einkommen beschränkende Restschuldbefreiung angesichts seines Verschuldens wertungsmäßig vorzugswürdig ist. Vor allem aber spricht gegen die Schaffung einer Reduktionsklausel, dass – wie bereits ausführlich dargelegt249 – bereits im geltenden Recht durch das Zusammenspiel von §§ 811 ff., 850 ff. ZPO, §§ 286 ff. InsO und (jeweils partiell) von § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV und Haftungshöchstsummenregelungen ein weitreichender Schutz vor lebenslanger Überschuldung gewährleistet wird. Gerade das vorhersehbare, weil klar geregelte und objektivierte System der Restschuldbefreiung vermeidet die Schwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten, die mit einer stark von der subjektiven Einschätzung der Einzelfallumstände durch den Richter abhängenden Reduktionsklausel verbunden sind, und ist dieser daher insoweit weit überlegen. Zudem ist es einem Schuldner, der immerhin von einer schuldhaft verursachten Verbindlichkeit befreit werden will, ohne weiteres zumutbar. Angesichts dessen sind die mit der Schaffung einer Reduktionsklausel einhergehenden Vorteile nicht so gewichtig, dass sie die geschilderten Nachteile zu kompensieren vermöchten. Das gilt umso mehr, als es in der Hand jedes einzelnen Erwachsenen liegt, das Risiko, wegen einer einem anderen zugefügten Schädigung ins Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren zu müssen, durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung ganz entscheidend zu minimieren. Statt eine Reduktionsklausel einzuführen, wäre vielmehr erwägenswert, alle in Deutschland ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt innehabenden erwachsenen Personen gesetzlich dazu zu verpflichten, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Das hätte für beide Beteiligten Vorteile: Für den Geschädigten, weil er nicht das Risiko laufen würde, einem zahlungsunwilligen oder -unfähigen Schädiger samt der damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Forderungsdurchsetzung ausgesetzt zu sein, für den Schädiger, weil er bei einer Abwälzbarkeit der Haftungsverpflichtung (langfristige) Gerichtsverfahren vermeiden, finanzielle Lasten minimieren sowie sich – in einem worst-case-Szenario – den Gang in Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren ersparen und mithin seine normale (bürgerliche) Existenz fortsetzen kann. Darauf zielende frühere Vorschläge aus der Literatur250 hat der Gesetzgeber aber bislang nicht aufgegriffen, weil er darin einen zu weitgehenden Eingriff in das Recht auf eigenverantwortliche Vorsorge sah, der mit finanziellen Belastungen für sozial schwache Bevölkerungsschichten verbunden sei; überdies könne die Einhaltung der Versicherungspflicht nicht kontrolliert werden.251 Zu über249
Siehe § 3 B III 3 d). v. Hippel, VersR 1998, 26, 27; ders., Rechtspolitik, S. 321; ablehnend hingegen Goecke, Haftung, S. 196 ff. 251 Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. Pinger in der 141. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14.10.1971, abgedruckt in: VersR 1972, 32, 33. 250
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§ 3 Übergreifende Aspekte
zeugen vermögen diese Einwände nicht, jedenfalls wiegen sie die skizzierten, mit einer derartigen Lösung verbundenen Vorteile nicht annähernd auf. Was die befürchteten wirtschaftlichen Belastungen für ärmere Bevölkerungskreise betrifft, so ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Kosten für Haftpflichtversicherungen vergleichsweise gering sind. So kann sich eine Familie mit Kindern bereits für knapp unter € 50 Jahresbeitrag eine Deckungssumme von € 50 Millionen „erkaufen“. 252 Eine monatliche Belastung von € 4 kann kaum als unzumutbare finanzielle Last bezeichnet werden, vor allem wenn man dem die potentiellen Vorteile gegenüberstellt. Überdies ließe sich gegebenenfalls ein Weg finden, um auch den Ärmsten der Armen – sei es über eine vergünstigte Haftpflichtversicherung, sei es über öffentliche Hilfsmittel – den Abschluss einer solchen Versicherung zu ermöglichen. 253 Auch die angeführten Kontroll- und Durchsetzungsschwierigkeiten vermögen schwerlich zu überzeugen, weil auch hier Modelle entwickelt werden könnten, mittels derer man diesen Herr werden könnte. So hat v. Hippel zum Beispiel für einen Zuschlag im Rahmen der Einkommensteuer plädiert, der sodann an einen von den Privatversicherern zu bildenden Pool ausgezahlt und von diesem an die einzelnen Versicherer verteilt wird. 254 Übrig bleibt somit allein der Einwand, das Konzept einer Pflichthaftpflichtversicherung sei mit dem Recht zur eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge nicht zu vereinbaren. Auch dieser überzeugt jedoch nicht, bestehen doch auch im Übrigen zahlreiche Versicherungspflichten, bei denen sich die Frage eines „opt-in“ erst gar nicht stellt und aus denen auch kein „opt-out“ möglich ist. Zu nennen ist neben der Haftpflichtversicherungspflicht nach § 1 PflVG auch der gesamte, durch Versicherungspflichten geprägte Bereich des Sozialversicherungsrechts (vergleiche zum Beispiel §§ 23 ff. SGB III, §§ 5 ff. SGB V, §§ 1 ff. SGB VI). Selbst wenn man das anders sähe, wäre jedenfalls die Normierung einer Pflicht aller Eltern, für ihre minderjährigen Kinder eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, geboten. Wie oben ausgeführt, sind Minderjährige zwar nicht per se rechtlich daran gehindert, selbst eine solche Versicherung abzuschließen, 255 de facto werden sie das aber in aller Regel nicht tun (können). Es gilt daher, zu ihrem Schutz bei den Eltern anzuknüpfen. Durchdringende Einwände gegen eine derartige Pflichhaftpflichtversicherung bestehen nicht, insbesondere ist sie noch leichter durchsetzbar als eine generelle Versicherungspflicht. Denn insoweit könnte einfach vom Kindergeld ein ausreichender Betrag
252 http://www.finanzen.de/haftpflichtversicherung/vergleichsrechner#64867/tariff/ PHV/rechner. 253 Vgl. auch Scheffen, DAR 1991, 121, 125, die für Beihilfen für sozial schwache Familien plädiert. 254 v. Hippel, Rechtspolitik, S. 321. 255 Siehe oben § 3 B III 1.
B. Allgemeine Reduktionsklausel bei Schadensersatzansprüchen
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zurückbehalten und dieser an einen Pool von Haftpflichtversicherern ausgeschüttet werden, der ihn sodann verteilt. 256
VI. Ergebnisse 1. De lege lata a) Auch wenn man aus dem grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schuldners ableiten kann, dass er Schutz vor einer ruinösen, dauerhaft seine wirtschaftliche Existenzgrundlage beeinträchtigenden Haftung verdient, können und dürfen exorbitante, den Schuldner in eine dauerhafte Überschuldung stürzende Schadensersatzverpflichtungen vom erkennenden Richter de lege lata grundsätzlich nicht über § 242 BGB korrigiert werden. Dem steht schon die damit verbundene Rechtsunsicherheit sowie der Wille des Gesetzgebers, der Problematik erst auf vollstreckungs- und insolvenzrechtlicher Ebene Rechnung zu tragen, entgegen. Vor allem aber enthält das geltende Recht genügend Instrumente (§§ 811 ff., 850 ff. ZPO, §§ 286 ff. InsO und – jeweils partiell – § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV und Haftungshöchstsummenregelungen), die in ihrem Zusammenwirken grundsätzlich einen ausreichenden Schutz des Persönlichkeitsrechts des Schädigers gewährleisten (siehe § 3 B III 3). b) Etwas anderes kann nur in der absoluten Sonderkonstellation gelten, in der ein nicht haftpflichtversicherter Minderjähriger, der bereits ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat, einen weiteren schweren Schaden verursacht, der exorbitante, von ihm über einen längeren Zeitraum nicht abtragbare Haftungsverbindlichkeiten nach sich zieht. Soweit der Geschädigte in einem solchen Fall zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht auf den vollen Schadensausgleich angewiesen ist, erscheint eine Anspruchsreduktion über § 242 BGB höchst ausnahmsweise vertretbar, weil der Jugendliche sonst gegebenenfalls über einen sehr langen, das weitere Leben zudem typischerweise prägenden Zeitraum unentrinnbar auf die Pfändungsfreigrenzen reduziert würde.257 c) Bei erwachsenen Schädigern scheidet eine Anspruchsreduktion hingegen selbst unter den unter b) genannten Umständen grundsätzlich aus, weil Erwachsene sich hinreichend selbst durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung schützen können. Sie kommt in diesen Fällen nur höchst ausnahmsweise in Betracht, wenn der Schädiger zwar eine Haftpflichtversicherung mit angemessener Deckungssumme abgeschlossen hatte, der ausgleichspflichtige Schaden diese Summe aber so weit übersteigt, dass der Schädiger doch wieder ruiniert wäre und auch eine Abhilfe per Restschuldbefreiung wegen Eingrei256 So auch v. Hippel, VersR 1998, 26, 27. – Optierten die steuerpflichtigen Eltern für den Kinderfreibetrag, ist der notwendige Betrag für die Versicherung über die Einkommensteuer einzuziehen. 257 Siehe auch das obige Zwischenergebnis unter § 3 B III 4.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
fens der Sperre des § 287a II 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO in absehbarer Zeit nicht möglich ist. 258 2. De lege ferenda a) Auch de lege ferenda ist die Schaffung einer Reduktionsklausel nicht geboten. Zwar kann ihr weder entgegengehalten werden, sie sei prozessökonomisch nachteilig, noch, die Berücksichtigung des Verschuldensgrads des Schädigers sei systemwidrig, weil dem geltenden Schadensfolgenrecht fremd.259 Auch könnte mittels einer entsprechenden Tenorierung des die Reduktion aussprechenden Judikats durchaus sichergestellt werden, dass der Geschädigte bei einer späteren gravierenden Verbesserung der Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse des Schädigers einen „Nachschlag“ einklagen könnte. 260 Gegen sie spricht allerdings, dass die Schaffung von Generalklauseln angesichts der mit ihnen einhergehenden Rechtsunsicherheit und, vor allem, weitreichenden richterlichen Ermessensfreiheit wegen des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips nur dann zulässig ist, wenn hierfür sehr gute Gründe bestehen und zudem der zu regelnden Problematik nur mittels einer Generalklausel, nicht aber detaillierteren Regelungen Rechnung getragen werden kann.261 Keine dieser beiden Voraussetzungen liegen vor: Weder bedarf es zur Vermeidung einer unangemessenen Disproportionalität von zivil- und strafrechtlichen Folgen im vorliegenden Zusammenhang „strafrechtliche[r] Grenzen der zivilrechtlichen Deliktshaftung“262, noch kann dem geltenden Schadensersatzrecht der Vorwurf einer korrigierungsbedürftigen „einäugige[n] Gerechtigkeit“263 zum Nachteil des Schädigers gemacht werden. Vor allem aber wären die mit der Schaffung einer Reduktionsklausel für den Schädiger verbundenen Vorteile nicht so gewichtig, dass sie die oben postulierte Schwelle für die Schaffung einer Generalklausel zu überwinden vermöchten. Zwar wäre für ihn eine Anspruchsreduktion schon auf materiell-rechtlicher, im Erkenntnisverfahren zu realisierender Ebene von Vorteil. Jedoch wird sein berechtigtes Bedürfnis nach Schutz vor lebenslanger Überschuldung schon de lege lata und in überzeugenderer Weise, als dies über eine Reduktionsklausel möglich wäre, über die §§ 811 ff., 850 ff. ZPO, § 76 II 1 Nr. 3 SGB IV, Haftungshöchstsummenregelungen und vor allem die §§ 286 ff. InsO weitestgehend geschützt.
258 259 260 261 262
1001.
Siehe näher oben § 3 B III 3 d) gg) (2) (d). Siehe oben § 3 B V 1 und 2. Näher § 3 B V 3. Siehe oben § 3 B V 4. Vgl. Kuhlen, JZ 1990, 273, 274; in diese Richtung auch schon Canaris, JZ 1987, 993,
263 So aber Dernburg, Bürgerliches Recht II, S. 69; Degenkolb, AcP 76 (1890), 1, 79; vgl. auch Lange, Gutachten für den 43. DJT, S. 24.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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b) Empfehlenswert erscheint es jedoch, den Abschluss einer Haftpflichtversicherung nicht ins Belieben des Einzelnen zu stellen, sondern alle erwachsenen Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gesetzlich hierzu zu verpflichten. Zumindest sollte eine entsprechende Verpflichtung von Eltern zugunsten ihrer minderjährigen Kinder normiert werden. c) Welche Rechtsentwicklungen auf europäischer Ebene noch stattfinden werden, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher abschätzen. Führt man sich vor Augen, dass Reduktionsklauseln sowohl in die „European Principles of Tort Law“ (Art. 10:401)264 als auch den „Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs“ (Art. 168 II)265 Eingang gefunden haben, gilt es aus deutscher Warte angesichts der geschilderten Nachteile einer Reduktionsklausel wachsam zu sein, um nicht am Ende über diesen Umweg doch noch eine Reduktionsklausel einführen zu müssen, die – als paneuropäische – zudem nicht einmal auf die spezifisch deutsche Situation zugeschnitten wäre und sich mithin unter Umständen nicht ins geltende Recht der Haftungsbeschränkung einfügen würde.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten I. Einleitung Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die in § 3 erörterten Haftungsbeschränkungsinstrumente dispositiv sind, das heißt durch Parteivereinbarung abgeändert werden können. Damit wird zunächst eine Forschungslücke geschlossen. Denn auch wenn zur Abdingbarkeit einzelner dieser Haftungsbeschränkungsinstrumente Stellungnahmen in Schrifttum und – seltener – Rechtsprechung vorhanden sind, ist das beileibe nicht bei allen der Fall; ein Versuch, die hierbei zu beachtenden übergeordneten Prinzipien im Wege ei264 „Wenn in einem außergewöhnlichen Fall im Hinblick auf die finanzielle Lage der Parteien die volle Ersatzpflicht eine erdrückende Belastung für den Beklagten bedeuten würde, kann der Umfang der Schadensersatzpflicht herabgesetzt werden. Bei der Entscheidung darüber sind insbesondere der Grund der Haftung (Art. 1:101), das Ausmaß des Schutzes des Interesses (Art. 2:102) und die Größe des Schadens zu berücksichtigen.“. 265 „Unter Berücksichtigung des Verhaltens, des Interesses und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Gläubigers kann der Richter den Umfang des Schadensersatzes nach Billigkeit begrenzen, a) wenn die vollständige Entschädigung sich als unverhältnismäßig erweist und für den Schuldner offensichtlich untragbare Folgen hätte; in Betracht zu beziehen sind dabei auch die wirtschaftliche Lage des Schuldners und der Umstand, ob die Nichterfüllung, die nicht ordnungsgemäße Erfüllung oder der Verzug nicht auf seiner Treuwidrigkeit beruhen. b) in dem Fall einer leichten Fahrlässigkeit des Schuldners, vor allem bei Verträgen, in denen kein Entgelt für die Leistung des Schuldners vorgesehen ist.“ (abgedruckt in: ZEuP 2002, 365, 391).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
ner Gesamtschau zu ermitteln, wurde dabei – soweit ersichtlich – bislang noch überhaupt nicht unternommen. Besonders bedeutsam ist die Erforschung der Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten im Kontext dieser Arbeit aber vor allem, weil dies wichtige Rückschlüsse auf den Charakter und Zweck von Haftungsbegrenzungsmitteln verspricht. Denn Normcharakter und Schutzzweck einerseits sowie Dispositivität andererseits stehen in einer engen Wechselbeziehung zueinander. In den Antworten auf die Fragen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen Rechtsinstitute dispositiv sind, spiegeln sich also mit anderen Worten die grundlegenden, die Institute tragenden Überlegungen wider. Untersucht wird dabei im Folgenden allein, inwieweit von den gesetzlichen Regelungen zulasten des (potentiellen) Einstandsverpflichteten abgewichen werden kann, also zum Beispiel, ob Haftungshöchstsummen erhöht, die Haftungsmaßstäbe der Arbeitnehmerhaftung verschärft oder die Wirkung der Restschuldbefreiung aufgehoben werden kann. Ein Blick auf die Anspruchsstellerseite ist hingegen zur Deduktion übergreifender Aspekte nicht erforderlich. Nach einem kurzen Blick auf die Vertragsfreiheit der Parteien als Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen (II.) wird zunächst erörtert, welchen Grenzen die Abdingbarkeit der in den vorherigen Kapiteln untersuchten einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente unterliegen (dazu III.). Die dabei gewonnenen übergreifenden Erkenntnisse (dazu IV.) werden sodann durch eine beispielhafte Anwendung auf ein bislang nicht beleuchtetes Haftungsbeschränkungsmittel verifiziert (V.) und abschließend zusammengefasst (VI.).
II. Ausgangspunkt: Vertragsfreiheit der Parteien Als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt Art. 2 I GG nach einhelliger Auffassung die Vertragsfreiheit. 266 Sie gewährleistet das Recht von Privatrechtssubjekten, selbst darüber zu entscheiden, ob, wann, mit wem, über welchen Gegenstand und mit welchem Inhalt sie Rechtsgeschäfte abschließen. 267 Mit anderen Worten schützt diese in § 311 I BGB vorausgesetzte Freiheit die „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“268. Wenn es Bestandteil 266 BVerfGE 8, 274, 328; 12, 341, 347; 65, 196, 210; 89, 214, 231; BVerwG 19.12.1963 – BVerwG I C 77/60, NJW 1964, 2075, 2076; BAG 10.5.1957 – 1 AZR 249/56, NJW 1957, 1688, 1689; v. Münch/Kunig, GG, Art. 2, Rn. 16, 29; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2, Rn. 19; Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 4; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 38; RGRK/Piper, Vor § 145, Rn. 21; Soergel/Wolf, Vor § 145, Rn. 42; MüKo-BGB/Busche, Vor § 145, Rn. 3. – Ohne Bedeutung ist im Folgenden, dass Art. 2 I GG als grundgesetzliche Basis der Vertragsfreiheit durch spezielle grundrechtliche Gewährleistungen (wie insbesondere Art. 12, 14 und 9 GG) verdrängt werden kann (vgl. Soergel/Wolf, Vor § 145, Rn. 42 m.w.N.). 267 Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311, Rn. 1; MüKo-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 1; MüKo-BGB/Busche, Vor § 145, Rn. 2; BeckOK-BGB/Gehrlein/Sutschet, § 311, Rn. 2; BeckOK-BGB/Eckert, § 145, Rn. 8 ff.; NK-BGB/Krebs, § 311, Rn. 11. 268 BVerfG 89, 214, 231; 114, 73, 89; Flume, AT II, § 1 10, S. 39.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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dieser Vertragsfreiheit ist, durch Vereinbarung eine Schuld zu begründen und ihren Inhalt zu bestimmen, so unterfällt auch die Disposition über gesetzliche Haftungsbeschränkungsinstrumente als eine Art „Gegenrecht“ dem Schutzbereich von Art. 2 I GG. Entsprechend stellen Regelungen, die Abreden über Haftungsbeschränkungsinstrumente einschränken, einen Eingriff in Art. 2 I GG dar. Das ist verfassungsrechtlich zwar zulässig, wenn und soweit dies zum Schutz der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung oder dem Sittengesetz gerechtfertigt ist. 269 Im Rahmen dieser Prüfung muss sich aber das die Handlungsfreiheit beschränkende Gesetz seinerseits an den Bestimmungen des GG messen lassen.270 Denn die Privatautonomie steht nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers, ihre grundrechtliche Gewährleistung darf nicht leerlaufen, vielmehr muss der Gesetzgeber „der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum eröffnen“271. Zu beachten ist dabei als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 272 die Beschränkung muss mithin geeignet, erforderlich und angemessen sein, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Wie sich anhand einer Analyse der in den vorherigen Kapiteln untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumente zeigen wird, spielen – soweit ihrer Abdingbarkeit Schranken gezogen werden – zwar teilweise ganz unterschiedliche Zielsetzungen eine mehr oder minder erhebliche Rolle. Als roter Faden, als kleinster gemeinsamer Nenner wird sich – das sei hier als Arbeitshypothese vorangestellt – aber ein schlagwortartig mit „Übereilungsschutz“ zu titulierender, in der bisherigen Forschung in diesem Zusammenhang – soweit ersichtlich – noch nicht hinreichend berücksichtigter Gedanke erweisen. Grob skizziert ist damit ein paternalistischer Grundansatz gemeint, nach dem ein potentieller Schuldner daran zu hindern ist, vorzeitig, das heißt zu einem Zeitpunkt, in dem er „Ob“ und Ausmaß einer möglichen späteren Einstandsverpflichtung weder kennt noch mit hinreichender Sicherheit absehen kann, auf den für ihn gegebenenfalls einmal äußerst wichtigen Schutz durch ein Haftungsbeschränkungsinstrument zu verzichten und damit den vom Gesetzgeber als angemessen betrachteten Ausgleich der gegenläufig n Interessen von Schuldner und Gläubiger zu stören.
269
Vgl. BVerfGE 8, 274, 328; 12, 341, 347; 25, 371, 407; 65, 196, 210. BVerfGE 6, 32, 40 f.; Soergel/Wolf, Vor § 145, Rn. 44. 271 BVerfGE 89, 214, 231. 272 Vgl. z.B. BVerfGE 65, 196, 215; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2, Rn. 145; Soergel/Wolf, Vor § 145, Rn. 44. 270
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§ 3 Übergreifende Aspekte
III. Untersuchung der erörterten Haftungsbeschränkungsinstrumente 1. Dispositivität der Restschuldbefreiung a) Einleitung Die Frage nach der Verzichtbarkeit auf die (potentiellen späteren) Wirkungen einer Restschuldbefreiungserteilung ist, wie ein Vergleich mit zum Beispiel der Situation in den USA zeigt, kein theoretisches Problem. Dort werden häufig sogenannte reaffirmation agreements geschlossen, in denen der eben erst in den Genuss einer discharge (entspricht der Restschuldbefreiung) gelangte Schuldner dem Gläubiger die Erfüllung der Verbindlichkeit verspricht (im Folgenden: „nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen“). Das geschieht aus den verschiedensten Gründen, vor allem aber, weil der Schuldner um seinen Ruf besorgt ist, er verhindern möchte, dass ein Bürge einspringen muss, er einen Kredit braucht, den er ohne das reaffirmation agreement nicht erhält, oder schlicht, weil er sich moralisch verpflichtet fühlt.273 Nun sind solche Abkommen, die in der Sache nichts anderes als eine Abbedingung der §§ 286, 301 I InsO darstellen, nicht nur nach bereits erteilter Restschuldbefreiung (§ 300 I InsO) denkbar, sondern auch schon zeitlich vorher (im Folgenden: „antizipierte Neubegründungsvereinbarungen“). So möge beispielsweise ein Kreditgeber gegenüber einem sich längst in einer prekären wirtschaftlichen Lage befindenden Einzelunternehmer nur dann zu einer (weiteren) Kreditgewährung bereit sein, wenn dieser bereits jetzt zustimmt, die Rückzahlungs(rest)forderung aus dem Kreis der von einer möglichen späteren Restschuldbefreiung erfassten Forderungen auszunehmen. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob die Wirkungen der Restschuldbefreiung vor beziehungsweise nach ihrer Erteilung abbedungen werden können. b) Antizipierte Neubegründungsvereinbarungen aa) Schutz öffentlicher Interessen: Gleichlauf mit Verzicht auf Vollstreckungsschutz? Antizipierte Neubegründungsverträge hält Ahrens schon aufgrund eines Vergleichs mit dem Verzicht auf den Schutz vor Einzelzwangsvollstreckungen für unzulässig. 274 Dort betrachtet die ganz herrschende Meinung einen Verzicht auf die §§ 811, 850 ff. ZPO zumindest vor Durchführung der Pfändung als stets unzulässig. 275 Zur Begründung hat insbesondere das RG die öffentlich-recht273
Siehe näher und m.w.N. Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 235. FK-InsO/Ahrens, § 287, Rn. 35, § 301, Rn. 11. 275 Z.B. BayOblG 19.6.1950 – Nr. II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698; MüKo-InsO/Gruber, § 811, Rn. 13 ff.; Musielak/Becker, ZPO, § 811, Rn. 8 f., § 850, Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO, vor § 704, Rn. 17; Zöller/Stöber, ZPO, § 811, Rn. 10. – Ob das auch für einen Verzicht bei/nach Pfändung gilt, ist zwar umstritten (Nachweise bei Gruber, a.a.O.), spielt vorliegend aber keine Rolle. 274
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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liche Natur der Pfändungsschutzvorschriften angeführt, die einer Verzichtbarkeit bereits konstruktiv entgegenstünde. 276 Allein aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter folgt richtigerweise aber noch nicht die Unverzichtbarkeit. Für die Abgrenzung im Grundsatz dispositiver und zwingender Normen im Bereich des Prozessrechts ist vielmehr entscheidend, ob das öffentliche Interesse oder das der Rechtspflegeorgane an der Erfüllung ihrer Rechtsschutzaufgabe die Einhaltung der Norm zwingend gebieten oder nicht. 277 Die Unzulässigkeit eines Verzichts auf den Schutz der §§ 811, 850 ff. ZPO wird dementsprechend heute mit dem öffentlichen Interesse daran, eine Herbeiführung der Sozialhilfebedürftigkeit des Schuldners zu verhindern, begründet.278 Fraglich ist, ob diese Argumentation auf die Restschuldbefreiung übertragen werden kann. Hierfür ist nach der obigen „Formel“ entscheidend, ob öffentliche Interessen oder das der Rechtspflegeorgane die Unabdingbarkeit der Norm erfordern. Dafür ließe sich vorliegend immerhin anführen, dass die Restschuldbefreiung mittelbar auch öffentlichen Interessen dient, weil der Schuldner ohne die Chance auf sie möglicherweise angesichts seiner Schulden kapituliert, seinen Arbeitsplatz aufgibt und damit der Allgemeinheit zur Last fällt.279 Dennoch überzeugt diese Sichtweise angesichts der gravierenden Unterschiede zwischen den §§ 811, 850 ff. ZPO einerseits, den §§ 286 ff. InsO andererseits, nicht: Interessen der Rechtspflegeorgane können bei der Restschuldbefreiung – anders als bei den §§ 811, 850 ff. ZPO – nicht angeführt werden. Die Tätigkeit des Treuhänders während der Abtretungsfrist wird dadurch, dass der Schuldner durch die gerichtliche Erteilung der Restschuldbefreiung bezüglich einzelner Forderungen nicht frei wird, in keiner Weise berührt, insbesondere hat der Treuhänder die Ausschüttungen nach wie vor anhand des Schlussverzeichnisses vorzunehmen (§ 292 I 2 InsO). Während bei § 811 ZPO gegen die Verzichtbarkeit angeführt werden kann, dass anderenfalls der Gerichtsvollzieher die Wirksamkeit des Verzichtsvertrags prüfen müsste – was nach dem Grundsatz der formalisierten Zwangsvollstreckung nicht seine Aufgabe ist 280 –, braucht sich der Treuhänder um eine eventuelle Neubegründungsvereinbarung nicht zu kümmern, denn deren Wirksamkeit ist erstens nur relevant, wenn hierüber Streit zwischen den Parteien entsteht, zweitens hat darüber dann ein Gericht zu befinden und dies geschieht typischerweise drittens erst nach Erteilung der 276
RGZ 128, 81, 85. Zutreffend Gaul, JuS 1971, 347, 348; ders., Rpfl ger 1971, 1, 3; MüKo-InsO/Gruber, § 811, Rn. 14; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, vor § 704, Rn. 100 mit Fn. 484. 278 Zöller/Stöber, ZPO, § 811, Rn. 10; MüKo-InsO/Gruber, § 811, Rn. 13 ff.; Stein/Jonas/ Münzberg, ZPO, § 811, Rn. 8. 279 Ausführlich oben § 2 B II 1 b). 280 So Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 811, Rn. 8; vgl. auch BeckOK-ZPO/Forbriger, § 811, Rn. 5. 277
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Restschuldbefreiung, also zu einer Zeit, in der die Tätigkeit des Treuhänders bereits beendet ist. Auch im Übrigen ist eine Gleichstellung mit den §§ 811, 850 ff. ZPO richtigerweise nicht geboten, weil diese in viel stärkerem Maße und unmittelbarer öffentliche Interessen schützen. Das zeigt bereits der Unterschied in der rechtsdogmatischen Ausgestaltung: Die §§ 811, 850 ff. ZPO gelten automatisch, das heißt auch dann, wenn sich der Schuldner nicht auf sie beruft, ja er noch nicht einmal Kenntnis von ihnen hat oder dies sogar seinem Willen widerspricht. Darin spiegelt sich der Gedanke wider, dass die vom Gläubiger begehrte Zwangsvollstreckung nicht dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen soll. 281 Die Restschuldbefreiung hingegen ist ein Sonderinstrument, das insoweit zur völligen Disposition des Schuldners steht, als er autonom darüber entscheiden kann, ob er dieses Haftungsbegrenzungsinstrument – um den Preis der Obliegenheiten des § 295 InsO – in Kauf nehmen möchte oder nicht. Bereits dieser konstruktive Unterschied zeigt, dass das Restschuldbefreiungsverfahren weit weniger dem (unmittelbaren) Schutz öffentlicher Interessen als die §§ 811, 850 ff. ZPO dient. Bestätigt wird dies durch einen Vergleich der Auswirkungen auf die öffentlichen Interessen bei einem Verzicht auf die §§ 811, 850 ff. ZPO einerseits, die Wirkungen der Restschuldbefreiung andererseits. So sind die (finanziellen) Folgen für die Solidargemeinschaft bei einem Verzicht zum Beispiel auf § 850 I Nr. 1 ZPO oder § 850c ZPO potentiell wesentlich gravierender: Könnte dem Schuldner buchstäblich das „letzte Hemd“ weggepfändet beziehungsweise sein Einkommen auf null reduziert werden, wäre der Staat aufgrund des aus Art. 1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG) abgeleiteten subjektiv-öffentlichen Rechts auf das Existenzminimum 282 verpfl chtet, direkt mit Geld- und Sachleistungen einzuspringen, weil der Schuldner ohne angemessene Kleidung respektive ohne jegliches Einkommen zur Fortsetzung seiner Existenz (zum Beispiel Mietzahlung, Teilnahme am Arbeitsleben) nicht in der Lage wäre. Eine derart vollstreckungserweiternd wirkende Abrede wäre daher nichts anderes als ein Vertrag zulasten des Staates. Konsequenz eines „Verzichts“ auf die Restschuldbefreiungswirkung ist hingegen „nur“ die fortbestehende Verund im schlimmsten Fall Überschuldung des Schuldners. Er kann zwar von den Gläubigern weiter in Anspruch genommen werden, der „Existenzpfändungsschutz“ der ZPO besteht dabei aber fort. Dem Schuldner verbleibt daher – so er einer Arbeit nachgeht – ein zwar niedriges, aber zur Existenzsicherung genügendes Einkommen, und auch die für die Ausübung dieser Tätigkeit sowie die Lebensführung notwendigen Gegenstände sind dem Gläubigerzugriff entzogen. Der Staat muss daher zunächst nicht finanziell einspringen. Anders ist 281
Vgl. auch Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, vor § 704, Rn. 100 mit Fn. 484. BVerfGE 40, 121, 133; 45, 187, 228; BVerwGE 1, 159, 161; 82, 364, 368; BSGE 57, 59, 63 ff.; Neumann, NVwZ 1995, 426 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1, Rn. 121 m.w.N. 282
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das nur, wenn die fortbestehende Verschuldung dem Schuldner den Antrieb nimmt, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu verdienen. Daraus kann aber kein Argument dafür hergeleitet werden, dass der Verzicht auf die Restschuldbefreiung unzulässig sein soll. Denn die öffentliche Hand steht in diesem Fall nicht schlechter, als sie stehen würde, wenn der Schuldner erst gar kein Restschuldbefreiungsverfahren beantragt und sich stattdessen vom „sozialen Netz“ hätte auffangen lassen. Als „Minus“ zur Dispositionsfreiheit wird man es daher dem Schuldner erlauben müssen, das Verfahren zwar zu beantragen und erfolgreich zu durchschreiten, seine Wirkungen aber zum Teil abzubedingen. Zusammengefasst vermag ein Vergleich mit der Unverzichtbarkeit auf den Schutz vor Einzelzwangsvollstreckungen und damit öffentliche Interessen die Unzulässigkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen nicht zu rechtfertigen. bb) Gläubigerschutz: Unzulässige Sonderabkommen nach § 294 II InsO? Nachdem sich öffentliche Interessen nicht fruchtbar machen ließen, ist in einem zweiten Schritt an die Interessen der anderen Insolvenzgläubiger zu denken. Dogmatischer Anknüpfungspunkt ist insoweit § 294 II InsO, der Abkommen mit Insolvenzgläubigern für nichtig erklärt, die diesen einen Sondervorteil verschaffen. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung steht er der Wirksamkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen entgegen. 283 Zwar gilt § 294 II InsO nach zutreffender herrschender Meinung zeitlich für alle Vereinbarungen, die vor Erteilung der Restschuldbefreiung geschlossen werden. 284 Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob er eine antizipierte Abbedingung der §§ 286, 301 I InsO verbietet. (1) Wortlaut Für die Unzulässigkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen spricht auf den ersten Blick der Wortlaut von § 294 II InsO, nach dem jedes Abkommen des Schuldners mit einzelnen Insolvenzgläubigern, durch das diesen ein „Sondervorteil“ verschafft wird, nichtig ist. Die präventive Suspendierung der späteren Restschuldbefreiungswirkung der §§ 286, 301 I InsO ist dem natürlichen Wortsinn nach sicherlich ein „Sondervorteil“, sofern er nur einzelnen Insolvenzgläubigern zukommen soll. Nun ist der Wortlaut aber nur Ausgangspunkt der Normauslegung und schuldet der Normanwender dem Gesetzgeber keinen 283 Hess, in: Hess, InsO, § 301, Rn. 16; FK-InsO/Ahrens, § 301, Rn. 11; Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 270 ff. 284 Für die Anwendung selbst vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens KPB/Wenzel, InsO, § 294, Rn. 6; Hess, in: Hess, InsO, § 294, Rn. 26; Adam, ZInsO 2006, 1132, 1132 f.; FKInsO/Ahrens, § 294, Rn. 32; MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 28; einschränkend auf Fälle, in denen die Parteien die Ankündigung der Restschuldbefreiung für möglich hielten: HambKommInsO/Streck, § 294, Rn. 8; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 294, Rn. 10.
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Buchstabengehorsam, sondern denkenden Gehorsam, so dass er versuchen muss, den vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Zweck zu ermitteln und – soweit methodengerecht möglich – zu verwirklichen. 285 Damit ist für die Frage, ob es sich bei antizipierten Neubegründungsvereinbarungen um nach § 294 II InsO verbotene Abkommen über einen „Sondervorteil“ handelt, entscheidend, welchen Zweck der Gesetzgeber mit § 294 II InsO verfolgte und ob dieser durch die antizipierte Neubegründungsvereinbarung beeinträchtigt wird. (2) Zweck 1: Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung Es kann als unbestritten gelten, dass § 294 II InsO jedenfalls dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par conditio creditorum) dienen soll. 286 Damit sind zweifellos Abreden unvereinbar, die darauf zielen, den am Vertrag beteiligten Insolvenzgläubiger vor der Restschuldbefreiungserteilung entgegen den allgemeinen Verteilungsvorschriften gegenüber anderen Insolvenzgläubigern zu bevorzugen, sprich: die Haftungsmasse unter Verletzung des Grundsatzes par conditio creditorum zu verkürzen und/oder den „Verteilungsschlüssel“ des § 292 I 2 InsO zu ändern. 287 Ein Sondervorteil liegt daher insbesondere vor, wenn der begünstigte Insolvenzgläubiger etwas erhält, was der Schuldner nach § 295 InsO an den Treuhänder hätte abliefern müssen. 288 Nun wird durch die hier untersuchten Neubegründungsvereinbarungen der beteiligte Insolvenzgläubiger zwar gegenüber den anderen Gläubigern bevorzugt, weil ihm trotz Erteilung der Restschuldbefreiung nach wie vor ein durchsetzbarer Anspruch zustehen soll. Aber: Durch die Neubegründungsvereinbarung bleibt sowohl die während der Abtretungsfrist zur Verfügung stehende Haftungsmasse wie der „Verteilungsschlüssel“ des § 292 I 2 InsO vollkommen unberührt. Wirkungen entfaltet die Vereinbarung erst mit beziehungsweise nach Erteilung der Restschuldbefreiung. Zu diesem Zeitpunkt gilt das Gläubigergleichbehandlungsgebot nach allgemeiner Meinung aber gar nicht mehr289. Das zeigt vor allem § 301 III InsO, der letztlich zum Ausdruck bringt, dass der Schuldner nun nicht mehr daran gehindert ist, einzelne Gläubiger nach seinem Gusto trotz fehlender Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche freiwillig zu befriedigen. Auch § 302 InsO lässt sich entnehmen, dass der Grundsatz par conditio creditorum in dieser Phase nicht mehr gilt: Während die Gläubiger dieser Ansprüche vor der Rest285
Vgl. Heck, AcP 112 (1914), 1, 20, 51; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 735. KPB/Wenzel, InsO, § 294, Rn. 5; Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 294, Rn. 10; HambKommInsO/Streck, § 294, Rn. 1 f.; Nerlich/Römermann, InsO, § 294, Rn. 1; MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 1. 287 Vgl. auch HambKommInsO/Streck, § 294, Rn. 9: Voraussetzung ist, dass den anderen Gläubigern tatsächlich weniger Vermögen zur Verfügung steht als ohne das Abkommen; vgl. auch Hess, in: Hess, InsO, § 294, Rn. 27. 288 KPB/Wenzel, InsO, § 294, Rn. 5. 289 Nerlich/Römermann, InsO, § 301, Rn. 21; MüKo-InsO/Stephan, § 301, Rn. 35; Pehl, in: Braun: InsO, § 301, Rn. 10; Hess, in: Hess, InsO, § 301, Rn. 17. 286
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schuldbefreiungserteilung noch den anderen Insolvenzgläubigern gleichgestellt waren 290, werden sie nun privilegiert. Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung wird daher durch Neubegründungsvereinbarungen richtigerweise gar nicht berührt. Denn in der Abtretungsfrist, während dessen er gilt, erleiden die nicht in den Genuss einer solchen Vereinbarung gelangenden Insolvenzgläubiger überhaupt keinen greifbaren Nachteil. Umgekehrt erschöpft sich der Vorteil des an der Vereinbarung beteiligten Gläubigers in der präventiven Vorsorge dafür, dass er zu einem zukünftigen Zeitpunkt, in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz ohnehin nicht mehr gelten wird und in dem ihn der Schuldner deshalb ohne Einschränkung bevorzugen darf, besser stehen wird als die anderen Insolvenzgläubiger. In einer solchen Konstellation, in der das Gebot der Gläubigergleichbehandlung materiell überhaupt nicht betroffen ist, wäre es bloße, vom Zweck des Gleichbehandlungsgebots nicht gedeckte Förmelei, eine entsprechend ausgestaltete Vereinbarung an § 294 II InsO scheitern zu lassen. Wenn der Grundsatz par conditio creditorum demnach richtigerweise kein Verbot derartiger Neubegründungsvereinbarungen gebietet, so spricht er nicht dafür, sondern dagegen, dass § 294 II InsO solche Vereinbarungen verbietet. Denn § 294 II InsO beschränkt die durch Art. 2 I GG gewährleistete Vertragsfreiheit. Wie ausgeführt, ist das aber nur dann zu rechtfertigen, wenn es zur Errechung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist. 291 Zumindest im Hinblick auf den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz ist das nicht der Fall. (3) Zweck 2: Schutz vor unlauterer Beeinflussung? Nun wird zum Teil als zweiter Zweck des § 294 II InsO auch angeführt, dieser solle verhindern, dass der begünstigte Insolvenzgläubiger durch Sonderleistungen davon abgehalten wird, seine Antragsrechte aus §§ 290 I, 296, 297, 297a, 303 InsO zu gebrauchen oder Rechtsmittel gegen die Erteilung der Restschuldbefreiung einzulegen. 292 Nicht immer ganz deutlich wird, ob dies ein selbständiger, „echter“ zweiter Zweck des § 294 II InsO sein soll, oder ob das damit angepeilte Ziel, einer unlauteren Beeinflussung der Entscheidung des Gläubigers über die Stellung möglicher Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung vorzubeugen, letztlich wieder nur Mittel zur Erreichung des eigentlichen Normzwecks, das heißt Sicherung des Gebots der Gläubigergleichbehandlung, ist. Ahrens scheint der zuerst genannten Interpretation zuzuneigen: Im290
Pehl, in: Braun, InsO, § 302, Rn. 1. Siehe dazu § 3 C II. 292 Für diese Zwecksetzung vor allem MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 32; Ahrens, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 78, Rn. 69; FK-InsO/ders., § 294, Rn. 32; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 294, Rn. 2; Adam, ZinsO 2006, 1132; Pehl, in: Braun, InsO, § 294, Rn. 6. – § 294 II InsO ist gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB (so für § 226 III InsO FK-InsO/Jaffé, § 226, Rn. 15). 291
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mer dann, wenn zum Beispiel die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 296 InsO vorliegen, sei eine Vorteilsgewährung dem Missbrauchsverdacht ausgesetzt, oder – mit anderen Worten – die bloße Gefahr, dass durch den Sondervorteil Einfluss auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess ausgeübt wird, reiche aus, um dem Abkommen die rechtliche Anerkennung zu versagen. 293 Demgegenüber sieht Ehricke § 294 II InsO nur dann als einschlägig an, wenn der Gläubiger die entsprechende Handlung tatsächlich unterlässt und es dadurch zu einer Verkürzung der Haftungsmasse unter Verletzung des Grundsatzes des Gläubigergleichbehandlungsgebots kommt. 294 So verstanden stünde § 294 II InsO auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Beeinflussung des Antragsverhaltens des begünstigten Gläubigers dem Abschluss von Neubegründungsvereinbarungen nicht entgegen, weil – wie bereits ausgeführt – durch solche Abkommen das Gebot par conditio creditorum gar nicht berührt wird. Richtigerweise ist die Verhinderung einer unlauteren Beeinflussung der Entscheidung des Gläubigers über die Stellung möglicher Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung kein eigenständiger Zweck des § 294 II InsO, der für sich alleine in der Lage wäre, die Unwirksamkeit von Neubegründungsvereinbarungen zu begründen. Das Verbot, durch die Zusage von Sondervorteilen Einfluss auf das Antragsverhalten des begünstigten Insolvenzgläubigers zu nehmen, ist vielmehr nur ein spezielles Mittel, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verhindert werden soll. Nur dann, wenn durch das intendierte („gekaufte“) Verhalten des Gläubigers der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt würde, verstößt das den Sondervorteil regelnde Abkommen gegen § 294 II InsO. Für diese „Gläubigergleichbehandlungsakzessorietät“ spricht zunächst die amtliche Überschrift. Nach dieser regelt § 294 InsO die „Gleichbehandlung der Gläubiger“, was den Schluss nahelegt, dass die in der Norm enthaltenen Verbote der Verwirklichung des der InsO zugrundeliegenden Gleichbehandlungsgebots dienen sollen. Dieser Befund wird durch einen Vergleich mit § 294 I und III InsO gestützt. Denn auch diese beiden Absätze haben primär eine möglichst weitgehende Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger im Blick: So soll mittels Abs. 1 verhindert werden, dass sich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger untereinander durch einen Sonderzugriff auf das Schuldnervermögen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung verschieben, und die Aufrechnungsbeschränkungen des Abs. 3 zielen ebenfalls darauf, eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sicherzustellen. 295 Dass § 294 I, III InsO auch den Bestand des haftenden Vermögens intendieren296 , steht dem 293
FK-InsOAhrens, § 294, Rn. 32. Vgl. MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 32. 295 FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 1, 3 m.w.N.; gerade für § 294 I InsO vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 191 (zu § 243 InsO-E): „Während dieser Zeit sollen sich die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger untereinander nicht verschieben.“. 296 Siehe FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 1, 3. 294
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nicht entgegen, im Gegenteil; denn dabei handelt es sich richtigerweise nicht um einen Selbstzweck, sondern nur um ein (notwendiges) Mittel zu dem Zweck, den Grundsatz „par conditio creditorum“ so weit wie möglich zu verwirklichen. Das entspricht exakt der hier befürworteten Interpretation des § 294 II InsO, bei der das Verbot einer unlauteren Beeinflussung des Antragsverhaltens auch nur ein Instrument ist, um den Normzweck zu verwirklichen. Ist aber erstens die Verhinderung einer Beeinflussung des Gläubigerverhaltens in Bezug auf die Stellung von Versagungsanträgen gar nicht selbständiger Normzweck des § 294 II InsO und sind zweitens Neubegründungsvereinbarungen – wie ausgeführt – mit dem allein maßgeblichen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu vereinbaren, scheitert die Wirksamkeit von Neubegründungsvereinbarungen vor der Restschuldbefreiungserteilung nicht daran, dass mittels dieser Vereinbarung ein Insolvenzgläubiger möglicherweise davon abgehalten wird, Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Im Übrigen: Selbst wenn man mit Ahrens die Verhinderung eines unlauteren Einfluss auf das Antragsverhalten des Begünstigten als eigenständigen Zweck des § 294 II InsO begriffe, ließe sich daraus richtigerweise nicht generell die Unwirksamkeit von Neubegründungsvereinbarungen vor Restschuldbefreiungserteilung begründen. Zu klären wäre vielmehr in jedem Einzelfall, ob diese Zwecksetzung überhaupt berührt ist. Nach Ahrens genügt zwar die bloße Gefahr einer Beeinflussung des Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses und besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen Versagungsantrag quasi automatisch ein Missbrauchsverdacht. 297 Aber erstens sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen die Voraussetzungen für einen Versagungsantrag objektiv nicht vorliegen, so dass schon gar keine Gefahr der Willensbeeinflussung vorliegt. Und zweitens: Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist damit noch nicht gesagt, dass die Parteien den Missbrauchsverdacht nicht widerlegen könnten, zum Beispiel indem sie nachweisen, dass beide gar nicht wussten, dass diese Voraussetzungen vorlagen, oder dass sie hiervon zwar Kenntnis hatten, dies aber für ihre Entscheidung nicht maßgeblich war. Die Auffassung Ahrens hätte daher den weiteren Nachteil, unter Umständen aufwendige und mit Rechtsunsicherheit verbundene Einzelfallprüfungen erforderlich zu machen. Schließlich ist es methodisch zweifelhaft, die Missbrauchsgefahr gewissermaßen zum „Normalfall“ zu erheben. Normen immer aus einer „worst-casePerspektive“ auszulegen birgt die Gefahr in sich, auch die Freiheit redlicher Parteien vorschnell zu beschneiden. So ist durchaus denkbar, dass eine Neubegründungsvereinbarung nicht deshalb geschlossen wird, weil damit ein mögliches Antragsrecht nach beispielsweise § 296 InsO „abgekauft“ werden soll, sondern weil der Gläubiger dies zur Bedingung dafür machte, dass er dem Schuldner ein 297
FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 32.
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weiteres Darlehen gibt. Ob derartige Abkommen aus Aspekten des Schuldnerschutzes akzeptiert werden können, ist eine noch zu beantwortende Frage. Aus der Warte des § 294 II InsO stellen sie jedenfalls kein Problem dar. (4) Fazit § 294 II InsO und somit Gläubigerschutzgesichtspunkte stehen der Wirksamkeit von Neubegründungsvereinbarungen vor der Restschuldbefreiungserteilung nach zutreffender Auffassung nicht entgegen. cc) Unzulässigkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen zum Schutz des Schuldners Scheitert die Unwirksamkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen zutreffenderweise weder an öffentlichen Interessen noch aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung, so bleibt zu klären, ob derartigen Abreden nicht deshalb die rechtliche Anerkennung zu versagen ist, weil sie die Interessen des Schuldners beeinträchtigen. Methodischer „Aufhänger“ ist die Frage, ob die §§ 286, 301 I InsO als Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB einzustufen sind. Antizipierte Neubegründungsvereinbarungen werfen das Problem auf, dass sie darauf gerichtet sind, den Eintritt der Wirkungen der Restschuldbefreiung für die betroffene Forderung präventiv zu verhindern. In Bezug auf die erfasste Forderung hat der Schuldner also keine Aussicht, durch das Restschuldbefreiungsverfahren schuldenfrei zu werden. Das könnte mit der aus §§ 286, 301 I InsO zutage tretenden gesetzgeberischen Wertung unvereinbar und daher nach § 134 BGB unwirksam sein. Da die §§ 286 ff. InsO keine explizite Regelung über die Wirksamkeit (antizipierter) Neubegründungsvereinbarungen enthalten und somit kein explizites Verbotsgesetz statuieren, hängt es von einer Auslegung der §§ 286, 301 I InsO ab, ob eine Abbedingung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge zulässig ist oder nicht. Entscheidend für die Annahme eines Verbotsgesetzes ist, ob das betreffende Gesetz den Inhalt oder die Vornahme des Rechtsgeschäfts verbietet, mit anderen Worten: das Rechtsgeschäft wegen seines angestrebten rechtlichen oder wirtschaftlichen Erfolges als solches missbilligt. 298 Maßgeblich sind damit erstens der vom Gesetzgeber mit der präsumtiven Verbotsnorm verfolgte Sinn und Zweck und zweitens die Frage, ob bei einer vertraglichen Zuwiderhandlung gegen die Norm die Nichtigkeit der Vereinbarung die vom Gesetz gebotene Rechtsfolge ist. 299 Wie ausgeführt, dienen die §§ 286 ff. InsO dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners, der mittels des Restschuldbefreiungsverfahrens die Chance auf einen echten Neuanfang erhalten soll.300 Ein solcher 298
Soergel/Hefermehl, § 134, Rn. 14; Staudinger/Sack/Seibl, § 134, Rn. 1, 30 f. MüKo-BGB/Armbrüster, § 134, Rn. 41; NK-BGB/Looschelders, § 134, Rn. 41; BeckOK-BGB/Wendtland, § 134, Rn. 9 f.; Bork, AT, Rn. 1092; vgl. auch Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 238. 300 Siehe oben § 2 B II 1 c) aa). 299
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„fresh start“ ist dem Schuldner jedoch nur möglich, wenn er sich nach erfolgreicher Durchführung des Verfahrens nicht erneut erheblichen oder gar ruinösen Forderungen ausgesetzt sieht. Die §§ 286, 301 I InsO machen daher zu seinen Gunsten – sieht man von den unter § 302 InsO fallenden Forderungen ab – „tabula rasa“ und versetzen ihn mit der von ihnen vorgesehenen Umwandlung in unvollkommene Verbindlichkeiten in die Lage, frei darüber zu entscheiden, ob er die nicht mehr durchsetzbaren Forderungen freiwillig erfüllen möchte oder nicht. Antizipierte Neubegründungsvereinbarungen konterkarieren dieses gesetzgeberische Ziel einer Chance zum Neuanfang zumindest in Bezug auf die konkrete Forderung, weil der Schuldner die „privilegierte“ Forderung trotz Restschuldbefreiung erfüllen muss. Vor allem dann, wenn die erfasste Forderung so hoch ist, dass der Schuldner gleich wieder überschuldet ist, wäre die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens zu guten Teilen sinnlos. Nur indem man antizipierten Neubegründungsvereinbarungen die Wirksamkeit versagt, kann also verhindert werden, dass mittels ihrer die Rechtsfolgen der §§ 286, 301 I InsO bereits im Vorfeld abbedungen werden. Das spricht dafür, die §§ 286, 301 I InsO nicht nur als Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB einzustufen, sondern auch als Rechtsfolge die Nichtigkeit antizipierter Neubegründungsvereinbarungen anzunehmen.301 Fraglich ist, ob sich dem nicht entgegenhalten lässt, der Schuldner habe der antizipierten Neubegründungsvereinbarung freiwillig zugestimmt und müsse sich an den Folgen seines Handelns festhalten lassen. Immerhin mag die antizipierte Neubegründung für den Schuldner greifbare Vorteile haben, zum Beispiel in Form eines niedrigeren Zinssatzes. Nur über einen paternalistischen Grundansatz lässt es sich daher rechtfertigen, dem Schuldner diese Möglichkeit über § 134 BGB aus der Hand zu schlagen und damit seine Vertragsfreiheit zu verkürzen. Zu denken wäre insoweit zunächst an eine besondere Schutzbedürftigkeit des Schuldners angesichts einer typischerweise anzutreffenden faktischen und/ oder rechtlichen Unterlegenheit gegenüber dem Gläubiger. Das liegt insofern nahe, als die Beschränkung der Dispositionsbefugnis zum Schutz der (potentiell) schwächeren Partei ein in der gesamten (Zivil-)Rechtsordnung wiederkehrendes Argumentationsmuster ist. Aus dem bunten Potpourri an Anwendungsfeldern seien pars proto das Wucherverbot des § 138 II BGB, die gerichtliche Überprüfung von Angehörigenbürgschaften oder Scheidungsfolgenvereinbarungen sowie natürlich große Teile des (Individual-)Arbeitsrechts genannt. Der Schutz der materiell verstandenen, positiven Vertragsfreiheit einer Vertragspartei ist deshalb im Grundsatz als legitimes Anliegen anerkannt, das einen Ein-
301 So i.E. auch MüKo-InsO/Stephan, § 294, Rn. 25; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 238 f.
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griff in die negative Privatautonomie zu rechtfertigen vermag.302 Mindestvoraussetzung für eine daraus abzuleitende generelle Unwirksamkeit nach § 134 BGB ist allerdings, dass zwischen den Vertragspartnern ein typisierbares erhebliches Machtgefälle besteht. Von einem derartig typisierbaren, beispielsweise dem Verhältnis von Arbeitnehmer-Arbeitgeber äquivalenten oder auch nur nahekommenden Machtungleichgewicht zulasten des Schuldners wird man zwischen „normalen“ Schuldnern und Gläubigern jedoch nicht ausgehen können. Zwar mag es Fälle geben, in denen die antizipierte Neubegründungsvereinbarung faktisch ein Diktat des Gläubigers darstellt, das dem Schuldner gar keine Wahl lässt, als ihr unter dem Druck der Verhältnisse nolens volens zuzustimmen. Jedoch ist erstens nicht ersichtlich, dass diese Fälle die Norm darstellen, sind doch genauso Konstellationen vorstellbar, in denen der Schuldner im Gegenzug zu bestimmten Vergünstigungen nur zu gerne auf ein im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihm noch vollkommen unbedeutend erscheinendes, in einer möglichen fernen Zukunft liegendes Schutzinstrument verzichtet. Und zweitens gehört die Prüfung daraufhin, ob eine Partei bei Zustandekommen des Vertrages einen nicht mehr rechtlich tolerablen Druck ausübte, systematisch nicht zu § 134 BGB, sondern ins Reich derjenigen Vorschriften, die – wie § 138 BGB und vor allem § 123 BGB – eine einzelfallbezogene Betrachtung ermöglichen.303 Eine Anwendung von § 134 BGB kann somit nicht damit begründet werden, dass der Schuldner als der typischerweise schwächere der beiden Vertragspartner vor der Übermacht seines Gegenübers geschützt werden müsse. Fruchtbar machen lässt sich jedoch der oben bereits angedeutete paternalistisch motivierte Aspekt des Übereilungsschutzes. Auf die vorliegende Konstellation adaptiert ist dies die Überlegung, dass man den Schuldner zwar (möglicherweise) gegen seinen Willen, aber eben zum Schutz seiner wohlverstandenen Interessen als nicht „kompetent“ einstuft, sich vor Erteilung der Restschuldbefreiung eines – potentiell in der Zukunft – wichtigen Schutzinstrumentes selbst zu berauben. Typischerweise wird sich ein Schuldner der hohen Bedeutung, die die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung für ihn später haben kann, vor allem in Zeiten ökonomischer Prosperität gar nicht bewusst sein. Das gilt nicht nur für rechtlich unbedarfte, geschäftsunerfahrene Verbraucher, sondern auch für Geschäftsleute, die – möglicherweise geblendet vom aktuellen Geschäftserfolg oder im Vertrauen auf eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung – weniger (oder gar nicht) wegen des vom Vertragspartner ausgeübten Drucks sich auf eine antizipierte Abbedingung der §§ 286, 301 I InsO einlassen, sondern vor allem, weil sie die damit verbundenen Gefahren nicht hinreichend beachten. Ein derartiges Verhalten erscheint umso plausibler und damit wahr302 Vgl. statt aller z.B. BVerfGE 89, 214, 231; 114, 73, 90; Soergel/Wolf, Vor § 145, Rn. 43; Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311, Rn. 23. 303 Vgl. auch Staudinger/Sack/Seibl, § 134, Rn. 5 a.E.; NK-BGB/Looschelders, § 134, Rn. 15.
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scheinlicher, als es nach der empirschen Erfahrung einem menschlichen Wesenszug entspricht, selbst wegen vergleichsweise geringfügiger Vorteile – wie etwa einem etwas niedrigeren Zinssatz – auf langfristig bedeutendere Vorteile zu verzichten oder sogar langfristig potentiell gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen.304 Mit anderen Worten ist entscheidender, eine Anwendung von § 134 BGB rechtfertigender Gesichtspunkt die Notwendigkeit, den Schuldner vor einer übereilten Preisgabe eines in der Zukunft unter Umständen noch bedeutsamen Schutzinstrumentes zu einem Zeitpunkt zu schützen, in dem er die vollen Konsequenzen seines Verhaltens typischerweise noch nicht zu überblicken vermag. Die zeitliche Reichweite dieses Übereilungsschutzarguments ist richtigerweise rein formell zu bestimmen. So kann es zwar allen Neubegründungsvereinbarungen, die vor Erteilung der Restschuldbefreiung geschlossen wurden, entgegengehalten werden, aber auch nur diesen. Die Wirksamkeit späterer Neubegründungsvereinbarungen scheitert hingegen nicht daran, denn bei diesen kann der Schuldner nicht einwenden, in Unkenntnis über die greifbare Bedeutung der Restschuldbefreiung zugestimmt zu haben; von einem verführten Verzicht auf ungenügender Tatsachenbasis kann daher insoweit keine Rede sein. Umgekehrt wäre es aber auch nicht überzeugend, die Grenzlinie früher zu ziehen und quasi „materiell“ danach zu unterscheiden, ob sich der Schuldner bei Abschluss der Neubegründungsvereinbarung den damit einhergehenden Gefahren ausreichend bewusst war oder nicht. Aus der Tatsache, dass die hier befürwortete formale Unterscheidung in letzter Konsequenz dazu führt, dass eine eine Sekunde vor Restschuldbefreiungserteilung abgeschlossene Neubegründungsvereinbarung stets unwirksam ist, eine eine Sekunde danach geschlossene hingegen wirksam sein kann,305 lässt sich kein überzeugendes Gegenargument gegen diese Abgrenzungsmethode gewinnen. Erstens wäre die skizzierte „materielle“ Abgrenzungsmethode mit erheblicher Rechtsunsicherheit behaftet, weil sie jeweils eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Bewusstseinslage des Schuldners erfordern würde, für die sich sachgerechte, objektivierbare Kriterien kaum finden lassen dürften. Das hier letztlich befürwortete Stichtagsprinzip entspricht zudem zweitens einem im deutschen Recht an vielen Stellen anzutreffenden und wegen der mit ihm verbundenen Vereinfachung und Rechtssicherheit auch oftmals sinnvollen Muster.306 Im Übrigen dient eine klare 304 Vgl. auch die in der ökonomischen Theorie bekannten Phänomene der „intertemporal choice“ bzw. „procrastination“ (dazu z.B. Akerlof, AER 1998, Vol. 81, 1, 3 ff.; Laibson/ Repetto/Tobacman, BPEA 1998, Vol. 1, 91, 92 f.; Lambert, Harvard Magazine March/April 2006, 50, 53 f.). 305 Siehe dazu unten § 3 C III 1 c). 306 Pars pro toto seien die Stichtagsvorschriften für Wertberechnungen (z.B. §§ 1375 I 1, 1384 BGB, § 2311 I 1 BGB) oder Stichtagsregelungen für das Inkrafttreten von Gesetzesreformen – Stichwort: intertemporales Recht – genannt. Auch Vorschriften, die es von einem
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zeitliche Scheidung zwischen Neubegründungsvereinbarungen vor und nach Restschuldbefreiungserteilung dem vom Gesetzgeber mit der Restschuldbefreiung verfolgten Zweck, soll diese doch zunächst einmal „tabula rasa“ machen und dem Schuldner damit Gelegenheit geben, nach dem großen „Reinemachen“ frei darüber zu entscheiden, ob er einzelne Forderungen nunmehr noch bedienen möchte oder nicht. Was die sachliche Reichweite des Übereilungsschutzgedankens anbelangt, ließe sich erwägen, ob dieser nur dann angeführt werden kann, wenn die von der Vereinbarung erfasste Forderung derart bedeutend ist, dass sie auch tatsächlich geeignet ist, einen wirtschaftlichen Neustart zu verhindern. In Bezug auf unbedeutende Kleinforderungen, die für den Schuldner zwar lästig sind, ihn aber nicht oder kaum in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einschränken und daher seine Chance auf Entfaltung seiner Persönlichkeit unberührt lassen, könnte hingegen der Vertragsfreiheit von Gläubiger und Schuldner der Vorrang mit der Folge der Wirksamkeit darauf zugeschnittener antizipierter Neubegründungsvereinbarungen einzuräumen sein. Dagegen spricht aber bereits die mit einem derartigen Differenzierungsversuch notwendigerweise verbundene Rechtsunsicherheit. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt seiner Vornahme zu bewerten.307 Jahre vor einem – möglichen (!) – Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren wird sich außer bei absoluten Kleinforderungen – die in der Regel ohnehin sofort bedient werden – oft überhaupt noch nicht absehen lassen, ob die Forderung für den Schuldner später derart belastend ist, dass sie seine Chance auf einen Neustart realistisch gefährden kann. Schon das spricht dafür, von einer praktisch ohnehin kaum durchführbaren Abgrenzung von Klein- zu Großschulden abzusehen. Hinzu kommt, dass gerade die Addition vieler kleiner Forderungen genauso geeignet ist, einen Schuldner finanziell zu überfordern, wie die Eingehung einer einzigen hohen Verbindlichkeit. Würde man allen Gläubigern solcher Kleinforderungen aufgrund ihrer isoliert betrachteten „Unschädlichkeit“ den Abschluss von Neubegründungsvereinbarungen erlauben, wäre dies angesichts der „Summenwirkung der Kleinschulden“ nach dem oben Gesagten mit §§ 286, 301 I InsO nicht zu vereinbaren und müsste jeweils als nichtig angesehen werden. Eröffnete man umgekehrt nur einem Teil der Kleingläubiger diese Option, wäre dies mit Art. 3 I GG schwerlich vereinbar. Angesichts dieser Erwägungen gilt das Verbot antizipierter Neubegründungsvereinbarungen richtigerweise für alle Verbindlichkeiten. bestimmten objektiven Ereignis abhängig machen, ob ein Recht oder eine Einwendung noch geltend gemacht werden kann, statuieren in gewisser Weise einen Stichtag (z.B. § 767 II ZPO). 307 Vgl. für § 134 BGB z.B. OLG Düsseldorf 30.4.1992 – 10 U 98/91, JR 1993, 113, 114; MüKo-BGB/Armbrüster, § 134, Rn. 20; Staudinger/Sack/Seibl, § 134, Rn. 54; NK-BGB/Looschelders, § 134, Rn. 53. – Für § 138 BGB Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 92 ff.; allgemein vgl. Bork, AT, Rn. 1089, 1239; Fischinger, JZ 2012, 546, 548.
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Gegen die Unwirksamkeit antizipierter Neubegründungsverträge über § 134 BGB spricht schließlich auch nicht, dass § 302 InsO bestimmte Forderungen von den Wirkungen der Restschuldbefreiung ausnimmt. Zwar wird mit § 302 InsO die Chance eines vollkommenen „fresh starts“ zugegebenermaßen eingeschränkt. Dies geschieht aber aus übergeordneten Interessen: Bei Nr. 1 Alt. 1 und 3 (vorsätzliche unerlaubte Handlung beziehungsweise Steuerstraftat) wegen des besonderen Unrechtsgehalts des der Forderung zugrundeliegenden Schuldnerverhaltens308, bei Nr. 1 Alt. 2 (vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährter Unterhalt) wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten309, bei Nr. 2 (Geldstrafen und so weiter) wegen des pönalen Charakters310 und bei Nr. 3 (Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die der Schuldner zur Begleichung der Verfahrenskosten erhielt), um eine Refinanzierung der die Restschuldbefreiung überhaupt erst durch ihren finanziellen Einsatz ermöglichenden karitativen Einrichtungen sicherzustellen.311 In all diesen Fällen sind die Gläubiger besonders, der Schuldner hingegen nicht schutzwürdig, vor allem nicht in den Konstellationen von Nr. 1 und 2, handelt es sich hier doch gerade nicht um den von § 1 S. 2 InsO vorausgesetzten „redlichen Schuldner“.312 Dem vergleichbare, übergeordnete Interessen kann ein „normaler“ Gläubiger aber nicht in favorem einer antizipierten Neubegründungsvereinbarung in die Waagschale werfen. Denn er verfolgt mit dieser nur das von jedem Gläubiger geteilte Interesse, die Durchsetzbarkeit seiner Forderung möglichst weitgehend sicherzustellen. Zudem spricht gegen einen Vergleich mit § 302 InsO, dass dieser nach zutreffender einhelliger Meinung abschließend die von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen normiert, mit anderen Worten also zum Beispiel auch nicht im Wege der Analogie erweiterbar ist, weil anderenfalls die Chance des Schuldners auf einen wirtschaftlichen Neubeginn sowie die Befriedigungschancen der Neugläubiger gefährdet würden.313 dd) Zwischenergebnis Antizipierte Neubegründungsvereinbarungen, die vor Erteilung der Restschuldbefreiung geschlossen wurden, sind nach § 134 BGB nichtig. Der Verbotscharakter der §§ 286, 301 I InsO ist dabei nicht damit zu begründen, dass der 308 Für Alt. 1 vgl. FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1; ähnlich BGH 21.6.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532, 533 (Billigkeitsgesichtspunkte); a.A. Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 1; Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 249 (Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts). – Für Alt. 3 siehe BT-Drucks. 17/11268, S. 32. 309 BT-Drucks. 17/11268, S. 32. 310 Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 21; FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1. 311 FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 302, Rn. 1; letztlich soll damit auch die Staatskasse entlastet werden, die anderenfalls nach §§ 4a ff. InsO einspringen müsste (so zutreffend Nerlich/Römermann, InsO, § 302, Rn. 1). 312 MüKo-InsO/Stephan, § 302, Rn. 2. 313 BGH 16.11.2010 – VI ZR 17/10, NZI 2011, 64, 66; MüKo-InsO/Stephan, § 302, Rn. 3; FK-InsO/Ahrens, § 302, Rn. 1 a.E.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Schuldner vor der Übermacht des Gläubigers zu schützen ist. Vielmehr ist er im Sinne des Übereilungsschutzgedankens davor zu bewahren, verfrüht und auf ungenügender Informationsbasis ein zu einem späteren Zeitpunkt unter Umständen eminent wichtiges Schutzinstrument aufzugeben. c) Nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen aa) Gläubigerschutz: Unzulässige Sonderabkommen nach § 294 II InsO? Wenn, wie oben314 ausgeführt, selbst vor Erteilung der Restschuldbefreiung geschlossene Neubegründungsvereinbarungen nicht aus Gründen des Gläubigerschutzes nach § 294 II InsO nichtig sind, so gilt das erst recht für später getroffene Abreden.315 Dem stimmen selbst diejenigen zu, die für die Zeit vor der Restschuldbefreiungserteilung anderer Auffassung sind.316 Zwar wird § 294 II InsO zum Teil auch in dieser Phase noch für anwendbar gehalten. 317 Aber selbst wenn man dem zustimmen würde, änderte dies an der Zulässigkeit von „reaffirmation agreements“ nichts. Der Schuldner ist – wie § 301 III InsO zeigt – in dieser Phase nicht mehr daran gehindert, einzelne Gläubiger willkürlich besser zu stellen, indem er ihre nicht mehr durchsetzbaren Forderungen freiwillig erfüllt. A maiori ad minus muss dann aber gerade die – gewissermaßen vorgelagerte – vertragliche „Rückumwandlung“ der unvollkommenen zur vollkommenen Verbindlichkeit grundsätzlich möglich sein. Unter dem Gesichtspunkt der Gläubigergleichbehandlung steht § 294 II InsO also nicht entgegen. Selbst wenn man – wenig überzeugend – in § 294 II InsO den isolierten, selbständigen Zweck hineinlesen wollte, eine unlautere Beeinflussung des Antragsverhaltens des Gläubigers (hier: über einen Antrag auf Widerruf nach § 303 InsO) zu verhindern,318 könnte sich jedenfalls in dieser Phase nichts anderes ergeben. Denn auch insoweit müsste wieder beachtet werden, dass es widersprüchlich wäre, dass der Schuldner zwar den Gläubiger freiwillig befriedigen darf (vergleiche § 301 III InsO), nicht aber die Forderung neu begründen könnte, ist doch ersteres potentiell viel eher geeignet, einen Gläubiger von der Stellung eines Antrags auf Widerruf der Restschuldbefreiung abzuhalten als letzteres. Sind sogar schon die Fristen für den Antrag auf Widerruf der erteilten Restschuldbefreiung (§ 303 I, II InsO) abgelaufen, können aus § 294 II InsO schließlich erst recht keine der Wirksamkeit von Neubegründungsvereinbarungen entgegenstehenden Argumente mehr abgeleitet werden, lässt sich der Grundsatz 314
Siehe § 3 C III 1 b) bb). Ebenso KPB/Wenzel, § 301, Rn. 1b; Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 273. 316 Vgl. vor allem FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 33, § 301, Rn. 11; Hess, in: Hess, InsO, § 301, Rn. 16. 317 So FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 33; MüKo-InsO/Ehricke, § 294, Rn. 28; Hess, in: Hess, InsO, § 294, Rn. 26; a.A. hingegen Nerlich/Römermann, InsO, § 301, Rn. 21; MüKo-InsO/ Stephan, § 301, Rn. 35; Pehl, in: Braun: InsO, § 301, Rn. 10. 318 So wohl FK-InsO/Ahrens, § 294, Rn. 36; siehe näher oben § 3 C III 1 bb) (2). 315
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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der Gläubigergleichbehandlung nach Ablauf der Fristen des § 303 InsO doch noch weniger fruchtbar machen als zuvor. Gleiches gilt für den Gedanken, es solle ein unzulässiger Einfluss auf das Antragstellungsverhalten des begünstigten Gläubigers verhindert werden, bestehen in dieser Situation doch schon gar keine Antragsrechte mehr. Wie antizipierte scheitern also auch nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen nicht an der gläubigerschützenden Vorschrift des § 294 II InsO. bb) Öffentliche Interessen: Keine Unterminierung des Restschuldbefreiungsverfahrens? Aus öffentlichen Interessen wird man ebenfalls kein Argument gegen die Möglichkeit einer Abbedingung der Restschuldbefreiungswirkungen ableiten können. Zwar kann man darüber nachsinnen, ob nicht die Öffentlichkeit ein schützenwertes Interesse daran hat, dass die Wirkungen eines aufwändigen Verfahrens, das wegen § 4a InsO unter Umständen zeitweilig oder – im worst case eines völlig mittellosen Schuldners – sogar dauerhaft mit öffentlichen Geldern finanziert wird, nicht durch den Schuldner konterkariert werden darf. Unabhängig davon, ob man das im Grundsatz noch bejahte, stünde einem derart begründeten Abbedingungsverbot aber jedenfalls die in § 301 III InsO zu Tage tretende gesetzgeberische Wertung entgegen. Wenn der Schuldner – wie § 301 III InsO zeigt – durch die erteilte Restschuldbefreiung nicht daran gehindert ist, freiwillig die unvollkommene Verbindlichkeit zu befriedigen, muss es a maiore ad minus zulässig sein, quasi in einem ersten Schritt die von der Restschuldbefreiung erfasste Forderung wieder zur vollgültigen Forderung zu erheben.319 Ein eventuelles öffentliches Interesse daran, eine Unterminierung des Restschuldbefreiungsverfahrens zu verhindern, hat hinter dieser kodifizierten Wertung zurückzutreten. cc) Schuldnerschutz (1) Genereller Schutz vor übereilten Entscheidungen beziehungsweise übermächtigen Gläubigern? Wie oben bereits ausgeführt, kann das Übereilungsschutzargument nur bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung, nicht aber zeitlich danach angeführt werden, besteht in dieser Phase doch nicht mehr die Gefahr der voreiligen Preisgabe eines zu einem späteren Zeitpunkt unter Umständen wichtig werdenden Schutzinstruments.320 Ebenfalls bereits ausgeführt wurde, dass – anders als zum Beispiel zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses – zwischen Gläubiger 319 So i.E. auch die ganz h.M.: Nerlich/Römermann, InsO, § 301, Rn. 18; Pehl, in: Braun, InsO, § 301, Rn. 11; HambKommInsO/Streck, § 301, Rn. 8; FK-InsO/Ahrens, § 301, Rn. 11; KPB/Wenzel, § 301, Rn. 1a; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 301, Rn. 9; Kiesbye, in: Leonhardt/ Smid/Zeuner, InsO, § 301, Rn. 14; MüKo-InsO/Stephan, § 301, Rn. 23; MüKo-InsO/Ehricke, Vorbemerkung vor §§ 286–303, Rn. 83 a.E.; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 301, Rn. 12; Forsblad, Restschuldbefreiung, S. 272. 320 Siehe oben § 3 C III 1 b) cc).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
und Schuldner kein strukturelles, typisches Machtungleichgewicht zulasten des Letzteren besteht, das eine Anwendung von § 134 BGB rechtfertigen könnte.321 Das ist nach erteilter Restschuldbefreiung nicht anders, im Gegenteil, kann der Gläubiger in dieser Phase doch nicht einmal mehr dadurch Druck auf den Schuldner aufbauen, dass er damit droht, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung (§§ 290, 296, 297, 297a InsO) zu stellen.322 Weil man sich also weder auf das Übereilungsschutz- noch das Übermachtargument stützen kann, lässt sich ein generelles, methodisch bei § 134 BGB anknüpfendes Verbot der Abdingbarkeit der Rechtsfolgen der §§ 286, 301 I InsO nicht begründen. Die gegenteilige Auffassung von Döbereiner, nach dem selbst nach Erteilung der Restschuldbefreiung geschlossene Neubegründungsvereinbarungen generell als Umgehungsgeschäfte nach § 134 BGB unzulässig sind, weil sie das vom Gesetzgeber mit den §§ 286 ff. InsO verfolgte Ziel eines echten wirtschaftlichen Neuanfangs konterkarierten,323 überzeugt nicht. Denn sie verkennt erstens, dass sich der damit verbundene Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien – wie gezeigt – nicht rechtfertigen lässt, sowie zweitens die bewusst nur begrenzte Schutzintention der Restschuldbefreiung. Die §§ 286 ff. InsO sollen nämlich nicht verhindern, dass sich der Schuldner nach Erteilung der Restschuldbefreiung neu verschuldet – so er einen Gläubiger findet, der bereit ist, ihm Kredit zu geben. Sicherstellen wollte der Gesetzgeber lediglich, dass der Schuldner eine echte Chance auf einen Neuanfang erhält. Notwendige, aber auch hinreichende Bedingung hierfür ist, dass er sich nicht schon vor der gerichtlichen Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung des Schutzes aus §§ 286, 301 I InsO begeben kann – für die Zeit danach ist er hingegen wieder frei, mit allen damit einhergehenden Vorteilen wie Risiken. Schon aufgrund dieser Erwägungen besteht kein Grund, die Neubegründung der zu unvollkommenen Verbindlichkeiten gewordenen Forderungen nicht zuzulassen. Überdies lässt sich, wie ausgeführt,324 aus § 301 III InsO ableiten, dass die von der Restschuldbefreiung erfasste Forderung durch Vereinbarung wieder zur vollgültigen Forderung erhoben werden kann. (2) Punktueller Schutz Auch wenn also nachfolgende – anders als antizipierte – Neubegründungsvereinbarungen nicht per se zum Schutze des Schuldners nach § 134 BGB unwirksam sind, ist nicht ausgeschlossen, dass sie aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles aufgrund allgemeiner zivilrechtlicher Instrumentarien unwirksam sein können. 321
Dazu oben § 3 C III 1 b) cc). Ist zudem auch die Frist des § 303 II InsO abgelaufen, scheidet ferner der Antrag auf Widerruf der Restschuldbefreiung aus. 323 Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 238 f. 324 Siehe oben § 3 C III 1 c) aa). 322
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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(a) Anfechtung nach § 123 I Alt. 2 BGB Denkbar erscheint zunächst eine Anfechtbarkeit wegen widerrechtlicher Drohung. In Betracht kommt dies vor allem in Konstellationen, in denen ein Geschäftspartner des Schuldners den Abschluss weiterer Geschäfte von einem Verzicht auf die Wirkungen der Restschuldbefreiung für frühere Forderungen abhängig macht. So möge sich zum Beispiel eine Bank nur dann zur Gewährung eines neuen Kredits bereit erklären, wenn der Schuldner zunächst eine Neubegründungsvereinbarung über einen der Restschuldbefreiung unterliegenden Darlehensrückzahlungsanspruch schließt. In solchen Situationen liegt unproblematisch eine Drohung im Sinne von § 123 I Alt. 2 BGB vor, weil in der angekündigten Verweigerung der erneuten Darlehensgewährung das Inaussichtstellen eines künftigen Übels zu sehen ist, auf das die Bank Einfluss hat.325 Dass hier nicht mit einem aktiven Tun, sondern einem Unterlassen gedroht wird, steht der Annahme einer Drohung ebenso wenig entgegen,326 wie dass der Schuldner keinen Rechtsanspruch auf Abschluss eines erneuten Darlehensvertrags hat. Entscheidend ist nämlich nicht, ob der Bedrohte einen Rechtsanspruch auf die Leistung hatte, sondern die tatsächliche Wirkung der Drohung – und diese ist offenbar zu bejahen, wenn der Schuldner auf eine entsprechend untermauerte Forderung der Bank hin die Neubegründungsvereinbarung abschließt. Fraglich ist somit alleine, ob diese Drohung auch widerrechtlich ist. Das kann sich aus dem angewandten Mittel, dem erstrebten Zweck oder – falls sowohl Mittel wie Zweck für sich isoliert betrachtet nicht zu beanstanden sind – aus einer inadäquaten Zweck-Mittel-Relation ergeben. 327 Mittel ist hier die Nichtgewährung des Kredits und damit ein Verhalten, das aufgrund der Vertragsfreiheit der Bank als solches nicht zu beanstanden ist. Auch der von der Bank angestrebte Zweck (Rückgängigmachung der Rechtsfolgen der Restschuldbefreiungserteilung) ist rechtlich nicht zu missbilligen, zieht § 134 BGB der Vertragsfreiheit doch nach Erteilung der Restschuldbefreiung keine Grenzen mehr.328 Die Widerrechtlichkeit der Drohung lässt sich daher nur über eine inadäquate Zweck-Mittel-Relation begründen. Entscheidend hierfür ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände unter Berücksichtigung der Belange des Bedrohten wie des Drohenden anhand der Wertungen von Verfassung, Gesetz, Verkehrsanschauung und den sittlichen Maßstäben aller billig und gerecht Denkenden.329 Dabei folgt allein aus der Tatsache, dass die Bank keinen Rechtsan325 Zur Definition der Drohung vgl. z.B. BGH 7.6.1988 – IX ZR 245/86, NJW 1988, 2599, 2600 f.; BeckOK-BGB/Wendtland, § 123, Rn. 25; Palandt/Ellenberger, § 123, Rn. 15. 326 Vgl. MüKo-BGB/Kramer, § 123, Rn. 40; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123, Rn. 62. 327 MüKo-BGB/Kramer, § 123, Rn. 42; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123, Rn. 67. 328 Siehe oben § 3 C III 1 c) cc) (1). 329 Vgl. BGH 14.6.1951 – IV ZR 42/50, NJW 1951, 643, 644 f.; 28.5.1969 – IV ZR 790/69,
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spruch auf Abschluss einer Neubegründungsvereinbarung hat, noch nicht die Widerrechtlichkeit der Drohung.330 Zu bestimmen ist vielmehr, ob der Drohende an der Erreichung des erstrebten Erfolgs ein berechtiges Interesse hat und ob die Drohung ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Erfolgs ist. 331 Zugunsten der Bank ist vorliegend zu berücksichtigen, dass sie dem Schuldner ein Stück entgegen kommt, indem sie ihm in einer Situation neuen Kredit zu geben bereit ist, in der er unter Umständen angesichts von SCHUFA-Einträgen und Eintrag in das Schuldnerverzeichnis (vergleiche § 303a InsO) Schwierigkeiten haben kann, bei anderen Gläubigern ein Darlehen zu erhalten. Andererseits ist zu bedenken, dass die Abwicklung der alten, der Restschuldbefreiung unterliegenden Forderung konzeptionell der Vergangenheit angehört, mit anderen Worten: Insoweit hat der Schuldner bereits alles von ihm nach der gesetzlichen Konzeption Verlangte getan, indem er die Obliegenheiten der §§ 287b, 295 InsO erfüllt hat. Das Bestreben der Bank, in diesen abgeschlossenen Vorgang einzugreifen, ist daher nach den Wertungen des Gesetzes nicht von einem legitimen Interesse gedeckt. Will die Bank Kompensation für die verlorene frühere Forderung, so ist es vielmehr systemgerechter, sie auf eine entsprechende Gestaltung des neuen Darlehensvertrages zu verweisen, zum Beispiel auf die Möglichkeit eines höheren („Risiko“-)Zinssatzes (der sich aber natürlich selbst wieder im Rahmen dessen halten muss, was – insbesondere nach § 138 I, II BGB – rechtlich zulässig ist). Für die Widerrechtlichkeit der Drohung spricht ferner, dass durch die nunmehr von der Bank dem Schuldner „oktroyierte“ Neubegründungsvereinbarung – zumindest in Bezug auf die erfasste Forderung – die soeben von ihm erst mit unter Umständen erheblichen Mühen erreichte Restschuldbefreiung ad absurdum geführt wird. Handelt es sich um eine hohe Forderung, die geeignet ist, seine wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit erheblich zu beschneiden, wird das vom Gesetzgeber mit der Restschuldbefreiung verfolgte Ziel eines „fresh start“ gleich wieder vereitelt. Das durch eine Drohung untermauerte Verlangen nach einer nachfolgenden Neubegründungsvereinbarung ist angesichts dessen auch kein angemessenes Mittel zur Erreichung des von der Bank erstrebten Ziels. Nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen, die auf einer Drohung des Gläubigers beruhen, er werde dem Schuldner weitere Vorteile vorenthalten, sind deshalb nach § 123 I Alt. 2 BGB anfechtbar. NJW 1969, 1627; 4.11.1982 – VII ZR 11/82, NJW 1983, 384, 385; H. Roth, JZ 2001, 1039, 1040; MüKo-BGB/Kramer, § 123, Rn. 42 f.; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123, Rn. 70. 330 Vgl. BGH 23.9.1957 – VII ZR 403/56, NJW 1957, 1796, 1797; 28.5.1969 – IV ZR 790/69, NJW 1969, 1627; Palandt/Ellenberger, § 123, Rn. 21; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123, Rn. 74; MüKo-BGB/Armbrüster, § 123, Rn. 106; so für Erklärungen nicht-vermögensrechtlicher Natur bereits BGH 14.6.1951 – IV ZR 42/50, NJW 1951, 643, 644 f. 331 BGH 4.11.1982 – VII ZR 11/82, NJW 1983, 384, 385; BAG 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NJW 2004, 2401, 2402; Soergel/Hefermehl, § 123, Rn. 48; PWW/Ahrens, § 123, Rn. 39; BeckOK-BGB/Wendtland, § 123, Rn. 32.
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(b) Sittenwidrigkeit, § 138 I BGB In Betracht kommt ferner ein Verstoß gegen die guten Sitten. Nach zutreffender Auffassung wird § 138 BGB weder durch das Recht zur Anfechtung nach § 123 BGB noch die – noch zu erläuternden – §§ 307 ff. BGB verdrängt.332 Als sittenwidrige Umstände kommen im hier interessierenden Kontext vor allem eine Ausnutzung der (überragenden) Macht- oder Monopolstellung durch den Gläubiger zur Durchsetzung unbilliger Vertragsbedingungen und/oder eine übermäßige Beschränkung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Schuldners in Betracht.333 Zu denken ist vorliegend insbesondere an Fälle, in denen der Gläubiger nur unter der Voraussetzung bereit ist, dem Schuldner diesem wichtige Vorteile zuzuwenden, wenn dieser im Gegenzug auf die Wirkungen der Restschuldbefreiungserteilung verzichtet. Da § 138 BGB – anders als § 123 BGB – primär der Inhaltskontrolle von Verträgen und nicht der Art und Weise ihres Zustandekommens dient334, hängt die Frage, ob eine unzumutbare Beschränkung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit vorliegt oder ob der Gläubiger unbillige Geschäftsbedingungen unter Ausnutzung seiner überragenden Machtstellung durchsetzte, jedoch vom konkreten Inhalt des Rechtsgeschäfts ab. Allein die Tatsache, dass der Gläubiger die Einräumung neuer Vorteile von einem Verzicht auf die Folgen der §§ 286, 301 I InsO abhängig macht, begründet deshalb noch nicht die Sittenwidrigkeit. Stattdessen ist zusätzlich zu fragen, ob die von der Neubegründungsvereinbarung erfasste Forderung derart belastend ist, dass ihre Wiederbegründung dazu geeignet ist, dass der Schuldner die durch die Restschuldbefreiung wiedergewonnene wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit (gleich) wieder verliert.335 Das ist in Anlehnung an die von der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften entwickelten Grundsätze jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Schuldner nicht einmal die für die alte Forderung anfallenden Zinsen aus seinem laufenden Einkommen oder Vermögen dauerhaft tragen kann.336 Weil der Restschuldbefreiung als allerletzter „Schutzwall“ des Schuldners vor einem dauerhaften Leben in Armut im System der Haftungsbeschränkungsinstrumente besondere Bedeutung zukommt, wird man eine nicht mehr tolerierbare Belastung des Schuldners aber auch schon (deutlich) unterhalb dieser Grenze bejahen können. 332 Siehe näher zu diesen Konkurrenzverhältnissen und zu einer eventuellen Rechtsfolgenmodifikation des § 138 BGB Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 176 ff. und 187 ff. m.w.N. 333 Siehe allgemein zu diesen Fallgruppen des § 138 BGB Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 293 ff., 302 ff. 334 Siehe Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 4 ff. m.w.N. 335 Ähnlich Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 237 f. 336 Für die Bürgschaft vgl. BVerfG 2.5.1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996, 2021; BGH 26.4.2001 – IX ZR 337/98, NJW 2001, 2466, 2467; 28.5.2002 – XI ZR 205/01, NJW 2002, 2705, 2706; 25.1.2005 – XI ZR 325/03, NJW 2005, 973, 975; 16.6.2009 – XI ZR 539/07, NJW 2009, 2671, 2672.
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Wo genau diese Grenzlinie zu ziehen ist, hängt – weil § 138 BGB ein „bewegliches System“ statuiert337 – von einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles ab. (c) Verstoß gegen § 307 II Nr. 1 BGB Zu prüfen ist schließlich ein Verstoß gegen § 307 II Nr. 1 BGB. Praktisch relevant wird die Frage nach der formularmäßigen Zulässigkeit des Verzichts auf die Wirkungen der erteilten Restschuldbefreiung zum Beispiel dann, wenn eine Bank die Gewährung neuer Kredite standardmäßig davon abhängig macht, dass der Schuldner die für eine frühere Darlehensforderung erteilte Restschuldbefreiung „aufhebt“.338 Ob nachfolgende Neubegründungsvereinbarungen generell als unangemessene Benachteiligung wegen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der §§ 286 ff. InsO im Sinne von § 307 I, II Nr. 1 BGB anzusehen sind, ist insofern schwer zu beantworten, als sich für beide möglichen Antworten eine gesetzgeberische Wertentscheidung finden lässt: Einerseits streitet der Schutzgedanke des Restschuldbefreiungsverfahrens und der vom Gesetzgeber damit verfolgte Zweck, reinen Tisch zu machen, dafür, eine formularmäßige Abbedingung zu verbieten. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass diese Zwecke mit Restschuldbefreiungserteilung bereits erreicht wurden und der Schuldner nach der gesetzlichen Wertung nunmehr gerade darin frei sein soll, einzelne Gläubiger nach seiner Wahl zu befriedigen (vergleiche § 301 III InsO), was – quasi als Vorstufe – die Berechtigung zum „upgrade“ dieser Forderung mit einschließt.339 Insgesamt betrachtet dürfte es jedoch trotz des zuletzt genannten Gedankens überzeugender sein, nachfolgende Neubegründungsvereinbarungsklauseln als unangemessen benachteiligend im Sinne von § 307 I, II Nr. 1 BGB einzustufen.340 Denn es ist nicht zu übersehen, dass die Eröffnung einer formularmäßigen Abbedingung in der Kautelarpraxis zu einer massenweisen Aushöhlung der Restschuldbefreiungswirkungen führen dürfte, weil sich insbesondere profes337 Vgl. z.B. zur Ehevertragskontrolle: BGH NJW 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930, 935; 18.3.2009 – XII ZB 94/06, NJW 2009, 2124; 31.10.2012 – XII ZR 129/10, NJW 2013, 380, 381. – Zur Angehörigenbürgschaft: BGH 16.3.1989 – III ZR 37/88, NJW 1989, 1665, 1666; 24.11.1992 – XI ZR 98/92, NJW 1993, 322, 323; 18.9.1997 – IX ZR 283/96, NJW 1997, 3372, 3374; Staudinger/Horn, § 765, Rn. 206. – Allgemein MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 27 ff.; BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 21; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 72 f., 373 m.w.N. 338 Eine Anfechtbarkeit nach § 123 I Alt. 2 BGB wird man in solchen Situationen mangels Drohung oftmals nicht annehmen können. Legte die Bank die AGB z.B. bei Vertragsschluss vor, ohne auf die Neubegründungsklausel hinzuweisen oder deren Akzeptanz gar zur Voraussetzung für die Kreditgewährung zu machen, fehlt es an einer Drohung. 339 Vgl. dazu auch oben § 3 C III 1 c) aa). 340 So i.E. auch Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 239 f. – Die Unzulässigkeit kann nach §§ 1, 3 f. UklaG auch von einer qualifizierten Einrichtung im Wege der Verbandsklage geltend gemacht werden.
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sionelle Kreditgeber und Warenlieferanten dieses Instruments standardmäßig bedienten, ohne dass ihr Vertragspartner eine realistische Chance hätte, sich gegen diese Klausel zu wehren. Der vom Gesetzgeber intendierte „fresh start“ des Schuldners würde dadurch regelmäßig gefährdet werden. Besonders gravierend würde sich dies bei in der Vergangenheit gescheiterten (Klein-)Unternehmern auswirken, die – nach zwischenzeitlich erfolgreich durchlaufenem Restschuldbefreiungsverfahren – zur Finanzierung eines neuen Unternehmens ein neues Darlehen benötigen. Für sie wäre die Restschuldbefreiung in Bezug auf die (alten) Bankdarlehensverbindlichkeiten, die oftmals den größten Teil ihrer Schulden ausmachen, letztlich sinnlos. Mit dem vom Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013341 erst jüngst wieder offen geäußerten Wunsch nach einer weitreichenden Förderung derartiger „Comebacks“342 wäre dies nicht vereinbar. Eine formularmäßige nachfolgende Neubegründungsvereinbarung ist deshalb nach hier vertretener Auffassung wegen Verstoßes gegen § 307 I, II Nr. 1 BGB stets unwirksam. dd) Exkurs: Vertragstypologische Qualifikation nachfolgender Neubegründungsvereinbarungen Ist eine nachfolgende Neubegründungsvereinbarung – gemessen an den oben dargelegten Standards – zulässig, so bleibt die Frage zu klären, in welch vertragstypologischer Weise sie geschlossen werden kann. In Betracht kommen im Wesentlichen drei Konstruktionen, die sich zwar nicht in den Entstehungsvoraussetzungen, jedoch in den Rechtsfolgen unterscheiden. Das macht ihre Abgrenzung voneinander erforderlich. (1) Novation Denkbar ist zunächst eine Novation, bei der uno acto die bestehende Forderung aufgehoben und eine andere begründet wird.343 Vorliegend würde also die durch die Restschuldbefreiungserteilung zur unvollkommenen Verbindlichkeit gewordene Forderung vollständig aufgehoben und durch eine vollgültige, neue Forderung ersetzt werden. Auch wenn die neue Forderung an die Stelle der alten tritt, ändert dies nichts daran, dass es sich um zwei unterschiedliche Forderungen handelt. Dementsprechend erlischen eventuelle akzessorische Sicherheiten, die für die ursprüngliche Forderung begründet waren,344 hier also die – we341
BGBl. 2013 I, S. 2379. Vgl. z.B. BT-Drucks. 17/11268, S. 13: „Angesichts des erheblichen Risikos, das Gründer eingehen, besteht auch ein Bedürfnis, gescheiterten Unternehmern einen zügigen Neustart zu ermöglichen und Gründungen zu fördern, um so Mut zum Aufbruch in die Selbständigkeit zu machen.“. 343 Medicus/Lorenz, SchuldR AT, § 27 III 1 (Rn. 330). 344 Vgl. BGH 9.12.1971 – III ZR 58/69, WM 1972, 283, 287; Staudinger/Olzen, Einl zu §§ 362 ff., Rn. 37, 49. – Etwas anderes würde nur gelten, wenn z.B. im Bürgschaftsvertrag 342
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§ 3 Übergreifende Aspekte
gen § 301 II 1 InsO nach wie vor durchsetzbaren – Sicherheiten für die von der Restschuldbefreiung erfasste Forderung; bei nicht-akzessorischen Sicherheiten besteht aufgrund der Sicherungsabrede ein Anspruch auf Rückgewähr. Die Novation ist daher für den gesicherten Gläubiger nachteilig.345 (2) Leistung erfüllungshalber, § 364 II BGB In Betracht kommt ferner, in der Vereinbarung die Abrede einer Leistung erfüllungshalber (§ 364 II BGB) zu sehen.346 In diesem Fall hat der Gläubiger zwei Forderungen, er muss aber zunächst unter Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt versuchen, sich aus der erfüllungshalber begründeten (zweiten) Verbindlichkeit zu befriedigen.347 Erst wenn ihm dies nicht gelungen ist, kann er wieder – gegen Rückabtretung der erfüllungshalber begründeten Forderung – auf die erste Forderung zurückgreifen.348 Bis dahin besteht eine dilatorische Einrede gegen die erste Forderung.349 Klärungsbedürftig ist auch hier, wie sich die Vereinbarung auf die Sicherheiten auswirkt. Dabei ist zunächst fraglich, ob sich der Gläubiger auch von den Sicherungsgebern der ersten Forderung auf die Pflicht zum Versuch der vorrangigen Befriedigung der zweiten Forderung verweisen lassen muss. Qualifiziert man die dilatorische Einrede als Stundung350 oder als pactum de non petendo351, so ist das für akzessorische Sicherheiten zu bejahen, weil diese Einreden gegen die Hauptforderung auch auf die Sicherheit „durchschlagen“ (verausdrücklich oder konkludent geregelt wurde, dass die Bürgschaft auch für solche Fälle gelten, mit anderen Worten auch die neue Forderung sichern solle; das wird aber der absolute Ausnahmefall sein. 345 So auch Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 237. 346 Mit der Ausnahme des Schriftformerfordernisses (§§ 780, 781 BGB) ergeben sich im Ergebnis keine wesentlichen Unterschiede, wenn man die Abrede als abstraktes Schuldanerkenntnis bzw. -versprechen einstuft (so z.B. Kiesbye, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 301, Rn. 14), wenn dieses – wie in der Regel (Staudinger/Marburger, § 780, Rn. 14 f.) – schuldverstärkend wirkt, das heißt wie bei § 364 II BGB neben die alte Forderung ein zusätzliches Gläubigerrecht tritt. Abstraktes Schuldanerkenntnis bzw. -versprechen können zwar auch Novationscharakter haben, es gelten dann die obigen Ausführungen zur Novation entsprechend; weil das ein Erlöschen der Sicherungsrechte zur Folge hat, ist es aber nur in wenigen Ausnahmefällen anzunehmen (Staudinger/Marburger, § 780, Rn. 15). – Schon das Reichsgericht hat entschieden, dass unvollkommene Verbindlichkeiten, die infolge eines Teilerlasses nach der damaligen VerglO entstanden, eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Abgabe eines selbständigen Schuldanerkenntnisses nach § 781 BGB darstellen (RGZ 160, 134, 138 f.). 347 Medicus/Lorenz, SchuldR AT, § 27 III 2 (Rn. 331), § 24 II 1 (Rn. 286); PWW/Pfeiffer, BGB, § 364, Rn. 6. 348 BGH 20.12.1968 – V ZR 96/67, WM 1969, 371. 349 BGH 3.4.2001 – XI ZR 223/00, NJW-RR 2001, 1430, 1431; die genaue dogmatische Verortung (Stundung; Ausschluss der Klagbarkeit; pactum de non petendo) ist dabei stark umstritten, vgl. näher Staudinger/Olzen, § 364, Rn. 26 ff. m.w.N. 350 So BGH 11.12.1991 – VIII ZR 31/91, NJW 1992, 683, 684. 351 So MüKo-BGB/Wenzel, § 364, Rn. 13.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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gleiche zum Beispiel §§ 1137 I 1, 768 BGB). Bei nicht-akzessorischen Sicherheiten würde man das gleiche Ergebnis über eine entsprechende Auslegung der Sicherungsabrede erzielen. Ist beim Schuldner auch weiterhin nichts zu holen und kann sich der Gläubiger deshalb aus der zweiten Forderung nicht befriedigen, kann er selbstverständlich auf die für die unvollkommene Forderung bestellten Sicherheiten zurückgreifen, § 302 II 1 InsO. Das wirft die weitere Frage auf, ob der in Anspruch genommene Sicherungsgeber beim Schuldner Rückgriff nehmen kann. Nach § 301 II 2 InsO ist dies ausgeschlossen, da anderenfalls deren Wirkungen ausgehebelt würden.352 Aus der Abrede, in der die Leistung erfüllungshalber begründet wird, folgt richtigerweise nichts anderes. Denn eine Inhaltsänderung der vormaligen Insolvenzforderung war damit nur im Hinblick auf die dilatorische Einrede verbunden; im Übrigen aber behielt sie die Gestalt als allen Regelungen des § 301 InsO unterworfene unvollkommene Forderung. Von einer Abbedingung des § 301 II 2 InsO kann daher keinesfalls die Rede sein. (3) Änderungsvertrag Die letzte in Betracht kommende Option ist schließlich der Abschluss eines Änderungsvertrages, mittels dessen die unvollkommene Verbindlichkeit wieder in eine vollgültige, durchsetzbare Forderung „rückumgewandelt“ wird, § 311 I Alt. 2 BGB. Die Identität der Forderung bleibt in diesem Falle unberührt.353 Dabei kann nicht zweifelhaft sein, dass eventuell bestehende Sicherungsrechte des Gläubigers (Bürgschaften, Hypotheken) weiterhin geltend gemacht werden können. Begründen lässt sich dies über einen erst-recht-Schluss zu § 301 II 1 InsO. Das legt die Frage nahe, ob ein Sicherungsgeber, der vom Gläubiger in Anspruch genommen wurde, beim Schuldner Rückgriff nehmen kann. Rein wirtschaftlich betrachtet erscheint es folgerichtig, einen Schuldner, der sich gegenüber dem Gläubiger freiwillig des Schutzes aus § 301 I InsO begeben hat, einem Rückgriff des den Gläubiger befriedigenden Sicherungsgebers auszusetzen. Auch der Normzweck des § 301 II 2 InsO gebietet nichts anderes, soll dieser doch nur verhindern, dass die Restschuldbefreiung über eine Inanspruchnahme des Schuldners durch den Sicherungsgeber umgangen wird;354 wenn aber der 352 Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 301, Rn. 26. – Relevant ist § 301 II 2 InsO vor allem hinsichtlich der aus dem Innenverhältnis von Sicherungsgeber und Schuldner resultierenden Ausgleichsansprüchen; hingegen spielt er keine Rolle, wo es um einen Rückgriff über Ansprüche (z.B. § 774 I 1 BGB) geht, die durch eine cessio legis auf den den Gläubiger befriedigenden Sicherungsgeber übergegangen sind, weil diese Forderungen hier ja ihren Charakter als unvollkommene Verbindlichkeit behalten (vgl. auch Döbereiner, Restschuldbefreiung, S. 245 f. mit Fn. 374). 353 Vgl. Medicus/Lorenz, SchuldR AT, § 27 III 2 (Rn. 331). 354 Nerlich/Römermann, InsO, § 301, Rn. 19; Vallender, in: Uhlenbruck, InsO, § 301, Rn. 26.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Schuldner selbst freiwillig auf die Segnungen der Restschuldbefreiung verzichtet, ist dieser Zweck nicht einschlägig. Entfällt mit Abschluss der Neubegründungsvereinbarung in Form des Änderungsvertrages also der maßgebliche Grund für die Versagung möglicher Rückgriffsansprüche, wird man im Ausgangspunkt davon ausgehen können, dass die Rückgriffssperre des § 301 II 2 InsO (konkludent) abbedungen wurde; zivilrechtsdogmatisch ähnelt das insoweit einem Vertrag zugunsten Dritter, als zwar nicht direkt ein Forderungsrecht des Dritten (= Sicherungsgeber) begründet wird, sehr wohl aber dessen „Keim“ in Form eines möglichen Rückgriffsanspruchs im Falle der Inanspruchsnahme dieses Sicherungsgebers. Umgekehrt ist es aber zulässig, dass Schuldner und Gläubiger im Änderungsvertrag zwar die Neubegründung der Forderung vereinbaren, zugleich aber § 301 II 2 InsO nicht abbedingen. Um einen – nach allgemeinen Grundsätzen: unzulässigen355 – Vertrag zulasten Dritter handelt es sich dabei nicht. Denn die Rechtslage der Sicherungsgeber wird durch den Änderungsvertrag im Vergleich zur Situation nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht verschlechtert, sondern bleibt de jure exakt gleich. Faktisch wird ihre Situation durch den Änderungsvertrag im Übrigen verbessert, weil sie nun darauf hoffen können, dass der Schuldner selbst den Gläubiger befriedigt und daher der Sicherungsfall gar nicht erst eintritt. Dementsprechend ist es Gläubiger und Schuldner überlassen, ob sie im Änderungsvertrag nicht nur die Wirkung des § 301 I InsO, sondern auch des § 301 II 2 InsO abbedingen. Dies ist gegebenenfalls im Wege der Auslegung zu bestimmen. (4) Vergleich der verschiedenen Optionen; Abgrenzung im Einzelfall Ein Vergleich der verschiedenen Möglichkeiten zeigt, dass die Novation für den Gläubiger von erheblichem Nachteil sein kann, weil eventuelle, für die Forderung bestellte Sicherheiten erlöschen beziehungsweise zurückzugewähren sind; die Frage, ob die Sicherungsgeber gegen den Schuldner gegebenenfalls Rückgriff nehmen können, stellt sich mithin nicht. Die Vereinbarung einer Leistung erfüllungshalber hat für den Gläubiger den Nachteil, dass ihm auch die Sicherungsgeber der ersten – von der Restschuldbefreiung erfassten – Forderung die in der Vereinbarung enthaltene dilatorische Einrede entgegenhalten können. Er kann sie also erst in Anspruch nehmen, nachdem er zuvor erfolglos versucht hat, Erfüllung aus der zweiten, erfüllungshalber begründeten Forderung gegen den Schuldner zu erlangen.356 Da bei Annahme eines Änderungsvertrages die Identität der Forderung gewahrt bleibt, hat der Gläubiger hier keinen Nachteil. 355 BGH 8.11.1973 – VII ZR 246/72, NJW 1974, 96; 14.7.1995 – V ZR 31/94, NJW 1995, 3183, 3184; MüKo-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 188 ff. m.w.N. 356 Kann der Gläubiger schließlich doch einen Sicherungsgeber der ersten Forderung in Anspruch nehmen, hat dieser wegen § 301 II 2 InsO nach wie vor keinen Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Insbesondere kann er gegen die Sicherungsgeber vorgehen, die aus dem Änderungsvertrag keine Einrede herleiten können. Für die Frage, ob der in Anspruch genommene Sicherungsgeber einen Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner hat, ist der Inhalt des Änderungsvertrages maßgeblich; § 301 II 2 InsO kann in diesem zugunsten der Sicherungsgeber abbedungen werden, zwingend ist dies aber nicht. Gläubiger und Schuldner können frei entscheiden, welchen dieser alternativ zur Verfügung stehenden Wege sie gehen. Entscheidend ist letztlich immer der Parteiwille. Bei der Auslegung ist § 364 II BGB zu beachten, nach dem eine neu übernommene Verbindlichkeit im Zweifel nicht Erfüllungs-, sondern Schuldverstärkungscharakter hat, mit anderen Worten im Zweifel keine Novation, sondern eine Leistung erfüllungshalber357 beziehungsweise ein Änderungsvertrag vorliegt. Gegen die Annahme einer Novation spricht vor allem auch, dass der Gläubiger hierdurch eventuelle Sicherheiten verlieren würde. Bleiben somit regelmäßig nur eine Leistung erfüllungshalber oder ein Änderungsvertrag übrig, wird der Gläubiger häufig letzteres wünschen, weil er bei einer Leistung erfüllungshalber zeitweise gehindert wäre, gegen eventuelle Sicherungsgeber vorzugehen. Damit dürfte in der Regel ein Änderungsvertrag vorliegen, wobei die Auslegung meist ergeben dürfte, dass der Schuldner nur eine Rückumwandlung seiner Forderung in eine vollgültige möchte, mit einer Abbedingung des § 301 II 2 InsO aber nicht einverstanden ist. 2. Abdingbarkeit gesetzlicher Haftungshöchstsummen a) Einführung Die Frage nach der Dispositivität gesetzlicher Haftungshöchstbeträge scheint auf den ersten Blick nur geringe praktische Relevanz zu besitzen, handelt es sich doch meist um deliktische Anspruchsgrundlagen, die keinen vorherigen direkten „Kontakt“ der Beteiligten – sei es in Form eines Vertragsschlusses oder auch nur von Vertragsverhandlungen – voraussetzen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird daher faktisch gar keine Gelegenheit zum Abschluss solcher Abreden vor der Rechtsgutsverletzung bestehen. A priori auszuschließen ist die Möglichkeit derartiger Abreden aber selbst in diesen Konstellationen nicht. Erst recht denkbar sind sie, wenn zwischen den Beteiligten vor dem Schadenseintritt vertragliche oder quasivertragliche Beziehungen bestanden, wie zum Beispiel zwischen Bahnbetriebsunternehmer und Fahrgast, Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer, Gastwirt und Gast oder zwischen Kfz-Halter und Mitfahrer358. Unabhängig davon kommen solche Abreden jedenfalls nach Schadenseintritt in Betracht, wenn die „Dank“ der Haftungshöchstsumme reduzierte 357 Staudinger/Olzen, Einl zu §§ 362 ff., Rn. 37; vgl. auch BGH 14.11.1986 – III ZR 80/84, NJW 1986, 1490. 358 § 8 Nr. 2 StVG steht der Haftung aus § 7 StVG nicht entgegen, solange der Mitfahrer
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Einstandsverpflichtung nicht den gesamten vom Geschädigten erlittenen Schaden abzudecken geeignet ist.359 Es ist daher im Folgenden zu klären, ob gesetzliche Haftungshöchstsummen per Parteiabrede entweder vollständig abbedungen oder zumindest ihr Betrag (signifikant) erhöht werden kann. b) Analyse des einfachen Gesetzesrechts Darüber, ob per Abrede eine völlige Abschaffung oder zumindest Erhöhung einer gesetzlichen Haftungshöchstsumme möglich ist, schweigt sich das Gesetz in aller Regel aus. Eine Ausnahme stellt insofern allein § 675e I BGB dar, nach dem – unter anderem – von § 675v I BGB nicht zum Nachteil des Zahlungsdienstnutzers (als Haftungsverantwortlichen) abgewichen werden darf, was im vorliegenden Zusammenhang ein Verbot der Ausdehnung der Haftungshöchstsumme über € 150 hinaus bedeutet; dieses strikte Verbot gilt allerdings nur, wenn der Zahlungsdienstleistungsnutzer Verbraucher ist, anderenfalls ist nach § 675e IV BGB eine Abweichung möglich.360 nicht beim Betrieb des Kfz tätig wird (dazu näher Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, § 8 StVG, Rn. 9). 359 Bei Einzelgrenzen wie z.B. § 9 HaftpflichtG oder § 117 I Nr. 1 BBergG ist das regelmäßig leicht durch eine Gegenüberstellung von individuell erlittenem Schaden und Höchstbetrag möglich. Größere Schwierigkeiten sind bei Globalgrenzen – wie z.B. § 10 I ProdHaftG, § 15 S. 1 UmweltHG oder § 12 I 1 StVG – möglich: So ist bei Großschadensereignissen angesichts der vielen Geschädigten und der Gefahr von Spätschäden oftmals unklar, ob und – wenn ja – inwieweit durch die Addition der vielen Ansprüche die Haftungshöchstsumme überschritten und deshalb jeder einzelne Anspruch auf Grund einer Kürzungsregelung wie beispielsweise § 12 II StVG zu kürzen ist (vgl. zu dieser Problematik ausführlich Fischinger, Kürzungsregelungen, passim). 360 Der Vollständigkeit halber sei auf § 16 der Berufssatzung der Wirtschaftsprüferkammer hingewiesen, der im Hinblick auf die Prüferhaftung des § 323 II HGB (gegebenenfalls i.V.m. § 49 AktG) aufgrund standesrechtlicher Berufsgrundsätze zwar die Vereinbarung einer höheren Haftungssumme verbietet (vgl. die Begründung unter http://www.wpk.de/pdf/ bs-wpvbp.pdf, S. 46; aus der vgl. Literatur z.B. Koller/Roth/Morck, HGB, § 323, Rn. 7; MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 73 m.w.N.). Auf die Wirksamkeit einer hiergegen verstoßenden Abrede wirkt sich ein Verstoß gegen § 16 der Berufssatzung aber nicht nach § 134 BGB aus, würde sich anderenfalls doch der Wirtschaftsprüfer wieder auf die gesetzliche Höchstsumme berufen können und hätte erst recht und entgegen der Intention der Wirtschaftsprüferkammer die Chance, sich durch die „werbewirksame“ Zusage einer – unwirksamen – Haftungsverschärfung einen unredlichen Wettbewerbsvorteil verschaffen zu können (vgl. MüKo-AktG/ Pentz, § 49, Rn. 41; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 323, Rn. 18). Auch eine Sittenwidrigkeit wegen Standeswidrigkeit lässt sich nicht begründen. Zwar kann § 138 I BGB bei standeswidrigem Handeln in Betracht kommen, allerdings nur, wenn – was hier nicht ersichtlich ist – dadurch die Unabhängigkeit des „Dienstleisters“ und (mittelbar) die Interessen der Allgemeinheit gefährdet werden. Aus der Warte des § 138 I BGB irrelevant ist ein Standesverbot nach zutreffender h.M. hingegen, wenn der entsprechende Standesgrundsatz alleine der Vermeidung von Wettbewerbsvorteilen dient (siehe näher Staudinger/Sack/ Fischinger, § 138, Rn. 542 m.w.N.). Das ist hier ausweislich der Begründung des § 16 der Berufssatzung aber gerade der Fall, vgl. S. 46: „Dieses Verbot soll WP/vBP davor schützen, dass einzelne Kollegen sich über Haftungserweiterungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Während sich für die vertragliche Erhöhung von Haftungshöchstsummen praktisch keine normativen Vorgaben machen lassen, wird das gegenteilige Szenario einer Absenkung für einige – wenn auch nicht alle361 – Gefährdungshaftungstatbestände gesetzlich explizit untersagt und darauf zielende Abreden für nichtig erklärt. Zu nennen sind insoweit vor allem die § 92 AMG, § 14 ProdHaftG, § 49c LuftVG, § 323 IV HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) sowie § 702a I 1 BGB;362 in anderen Fällen werden die Höchstsummen zumindest für bestimmte Konstellationen oder Schadensarten für sakrosankt erklärt, so etwa bei § 8a S. 1 StVG, der dies nur für den Schadensersatz wegen Personenschäden bei einer entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung ausspricht.363 c) Schlussfolgerungen Weil der Gesetzgeber nur bei § 675e I BGB und den die umgekehrte Konstellation der Absenkung der Höchstsumme erfassenden Regelungen (zum Beispiel § 92 AMG, § 14 ProdHaftG) eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis vornahm, spricht der systematische Gegenschluss hierzu dafür, dass er eine vertragliche Erhöhung von Haftungshöchstsummen im Grundsatz zulassen wollte. Neben diesem einfachgesetzlichen Befund lässt sich dafür auch die grundrechtlich gewährleistete (negative) Vertragsfreiheit anführen. Eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis von Schädiger und Geschädigtem lässt sich daher nur begründen, wenn und soweit dies zum Schutz übergeordneter Interessen und zur Realisierung des Normzwecks der Haftungshöchstsummenregelungen erforderlich sein sollte. aa) Schutz des schwächeren Schädigers (positive Privatautonomie)? Zu denken wäre insoweit zunächst an eine besondere Schutzbedürftigkeit des Schädigers angesichts einer typischerweise anzutreffenden faktischen und/oder rechtlichen Unterlegenheit gegenüber dem Geschädigten. Denn bei dem Schutz der positiven Privatautonomie des Schwächeren handelt es sich um ein grundsätzlich legitimes, die Einschränkung der negativen Vertragsfreiheit gegebenenfalls tragendes Anliegen. Wettbewerbsvorteile allein über das Angebot höherer Haftungssummen würden letztlich zu erheblichen Verwerfungen innerhalb des Berufsstandes führen, weil nur noch große Einheiten mit entsprechend hohen Haftungssummen größere Mandate übernehmen könnten.“ (Hervorhebung hier, abzurufen unter http://www.wpk.de/pdf/bs-wpvbp.pdf). 361 Kein derartiges Verbot findet sich z.B. für die Höchstsummenregelungen der § 32 GenTG, § 1 UmweltHG, §§ 33 ff., 53 LuftVG, §§ 25, 26 AtomG. 362 Eines Rückgriffs auf § 134 BGB bedarf es dabei jeweils nicht, weil entgegenstehende Vereinbarungen schon spezialgesetzlich für nichtig erklärt werden (vgl. z.B. § 7 S. 3 HaftpflichtG, § 92 S. 2 AMG). 363 Ein anderes Beispiel ist § 7 HaftpflichtG, der zwischen Personen- (S. 1) und Sachschäden (S. 2) differenziert und nur bzgl. der ersteren ein umfassendes Abweichungsverbot „nach unten“ normiert.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Nun wird der Gedanke einer gestörten Vertragsparität ganz verbreitet in Bezug auf die den umgekehrten Fall einer Reduzierung des Haftungshöchstbetrags untersagenden Vorschriften (zum Beispiel § 92 AMG, § 14 ProdHaftG) angeführt. Ratio legis dieser Normen sei es, den (potentiell) Geschädigten vor der überlegenen Machtposition des (möglichen) Schädigers zu schützen.364 Das ist bei näherer Betrachtung dieser Vorschriften in ihrer aktuellen Gestalt schon für ihren originären Anwendungsbereich aus zweierlei Gründen nicht überzeugend. Denn wäre wirklich der Verbraucherschutz beziehungsweise der Schutz des schwächeren Geschädigten der Grund für das Abweichungsverbot, müssten diese Paragraphen erstens auf entsprechende, zumindest durch ein typisierbares Machtungleichgewicht charakterisierte Szenarien beschränkt sein. Das aber ist gerade nicht der Fall, sie gelten vielmehr auch im geschäftlichen Verkehr und damit in Situationen, in denen von einer typischerweise vorzufindenden gestörten Verhandlungsparität keine Rede sein kann.365 Überdies verbieten diese Vorschriften zweitens nur Vereinbarungen „im voraus“366 , das heißt – in der Lesart der ganz herrschenden Meinung – vor Eintritt des Schadensfalles.367 Diese zeitliche Beschränkung lässt sich nun aber mit dem behaupteten Schutz des Schwächeren nicht stringent erklären, ist doch weder ersichtlich, warum ein Geschädigter, der durch einen Schadensfall möglicherweise starke (körperliche) Beeinträchtigungen erlitt, durch diese eine stärkere Verhandlungsposition erlangt haben sollte, noch, warum die Verhandlungsmacht des Schädigers dadurch in rechtlich relevanter Weise geschwächt worden sein sollte. Selbst wenn man mit der herrschenden und entgegen der hier vertretenen Auffassung die Dispositionsbeschränkungen der § 92 AMG, § 14 ProdHaftG 364 BT-Drucks. 11/2447, S. 25; RL 85/374/EG, Erwägungsgrund 12: „Damit ein wirksamer Verbraucherschutz gewährleistet ist, darf es nicht möglich sein, die Haftung des Herstellers gegenüber dem Geschädigten durch eine Vertragsklausel abweichend zu regeln.“; aus der Literatur vgl. z.B. Filthaut, HPfl , § 7, Rn. 1; NK-BGB/Katzenmeier, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; Taschner/Frietsch, ProdHaftG, § 14, Rn. 2; PWW/Schaub, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; Soergel/ Krause, § 14 ProdHaftG, Rn. 1. 365 Kritisch auch MüKo-BGB/G. Wagner, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; in diese Richtung auch Rolland, Produkthaftungsrecht, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; Soergel/Krause, § 14 ProdHaftG, Rn. 1 („überschießende Tendenz“). 366 So der explizite Wortlaut von § 92 AMG, § 14 ProdHaftG, § 49c LuftVG und § 702a I 1 BGB. § 323 IV HGB und § 8a StVG enthalten zwar keine solche Wendung, es muss hier aber Entsprechendes gelten (vgl. auch MüKo-HGB/Ebke, § 323, Rn. 73, wonach nur ein Verzicht auf noch nicht entstandene Schadensersatzansprüche für unwirksam erklärt wird). 367 Für § 14 ProdHaftG: BT-Drucks. 11/2447, S. 25; Soergel/Krause, § 14 ProdHaftG, Rn. 2; Staudinger/Oechsler, § 14 ProdHaftG, Rn. 11 f.; Produkthaftungshandbuch/v. Westphalen, § 54, Rn. 4 f.; Kullmann, ProdHaftG, § 14, Rn. 6; Taschner/Frietsch, ProdHaftG, § 14, Rn. 11; Palandt/Sprau, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; PWW/Schaub, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; Rolland, Produkthaftungsrecht, § 14 ProdHaftG, Rn. 2. – Für § 702a I 1 BGB: Soergel/Bruß, § 702a, Rn. 1; Staudinger/Werner, § 702a, Rn. 7; NK-BGB/Klingelhöfer, § 702a, Rn. 2; BeckOK-BGB/ Gehrlein, § 702a, Rn. 1. – Für § 92 AMG: Deutsch, AMG, § 92, Rn. 1; Sander, Arzneimittelrecht, § 92 AMG, Rn. 1.
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und so weiter mit der Notwendigkeit, den als schwächer eingestuften Geschädigten zu schützen, begründen wollte, ließe sich dieser Gedanke auf die hier interessierende Fragestellung nicht übertragen, geht es vorliegend doch gerade um die umgekehrte Problematik einer Ausdehnung des Haftungsbetrags, durch die nun aber allein der – folgt man der Prämisse der herrschenden Meinung – als verhandlungsstärker eingestufte und damit insoweit nicht schutzbedürftige Schädiger belastet wird. Eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis kann mithin nicht durch Anleihen bei zum Beispiel § 92 AMG, § 14 ProdHaftG begründet werden. Auch im Übrigen kann sie nicht aus einem unterstellten Machtungleichgewicht abgeleitet werden. Es gilt hier letztlich Ähnliches wie bei der Restschuldbefreiung: Zwischen Schädiger und Geschädigten kann typisiert kein beispielsweise dem Verhältnis von Arbeitnehmer-Arbeitgeber entsprechendes Machtungleichgewicht zulasten des Schädigers angenommen werden, das eine Anwendung von § 134 BGB rechtfertigen würde. Auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass in Einzelfällen ein übermächtiger (potentieller) Geschädigter dem (möglichen) Schädiger eine Erhöhung des Haftungsbetrags oder gar die völlige Abbedingung der Haftungshöchstsumme diktiert, ist nicht ersichtlich, dass dies den Normalfall darstellt. Liegt eine derartige Situation doch einmal vor – man denke zum Beispiel an einen großen Automobilhersteller im Verhältnis zu seinen Lieferanten –, so können insoweit nur die §§ 123, 138 BGB helfen. Zusammengefasst kann ein apodiktisches Verbot der vertraglichen Ausdehnung gesetzlicher Haftungshöchstsummen über § 134 BGB nicht damit begründet werden, dass der (potentielle) Schädiger als typischerweise schwächere Vertragspartei vor der Übermacht des (möglichen) Geschädigten geschützt werden müsse. bb) Übereilungsschutz Begründen lässt sich eine – gewisse – Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Parteien aber mit dem oben mit „Übereilungsschutz“ schlagwortartig umschriebenen paternalistischen Ansatz, der potentielle Schädiger sei – zwar (möglicherweise) gegen seinen Willen, aber letztlich in seinem wohlverstandenen Interesse – als nicht „kompetent“ einzustufen, den Schutz eines möglicherweise in der Zukunft potentiell bedeutsamen Haftungsbeschränkungsinstruments rechtlich bindend aufzugeben und damit das vom Gesetzgeber bewusst austarierte Interessengleichgewicht zu stören. Wie ausführlich erörtert, stellen Haftungshöchstbeträge einen Ausgleich für die mit Gefährdungshaftungstatbeständen einhergehende strenge Haftung dar und sollen es dem potentiellen Schädiger ermöglichen, das gesamte denkbare Haftungsrisiko bis zur Höchstsumme zu versichern und damit einer ruinösen Haftung vorzubeugen.368 Werden sie im Vorfeld signifikant erhöht 368
Ausführlich dazu oben § 2 A III 1.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
oder gar vollständig abbedungen, versagt dieser Schutzmechanismus und dem Einstandsverpflichteten droht – ein entsprechend hoher, die gesetzliche Höchstsumme und den durch die Haftpflichtversicherung gedeckten Betrag weit überschreitender Schaden vorausgesetzt – eine uferlose Haftung, die mittels der gesetzlichen Regelung in seinem Interesse gerade verhindert werden soll. Dieser möglicherweise weitreichenden Bedeutung der Haftungshöchstsummen für sein zukünftiges finanzielles Wohlergehen wird sich ein potentieller Schädiger oftmals nicht oder nicht hinreichend bewusst sein beziehungsweise er wird darauf vertrauen, es werde schon alles gut gehen und kein worst-case-Szenario eintreten. Das Bedürfnis nach Schutz des Schuldners vor sich selbst ist umso größer, als er es bei Gefährdungshaftungstatbeständen als ein Verschulden nicht voraussetzende Einstandsverpflichtungen selbst bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt letztlich nicht zu 100 % in der Hand hat, den Eintritt eines Schadens und damit das Entstehen einer möglicherweise ruinösen Haftungsverpflichtung zu verhindern. Angesichts dieser Überlegungen hat man eingedenk des vom Gesetzgeber mit Haftungshöchstsummen verbundenen Zwecks den präsumtiven Schädiger vor einer übereilten vollständigen Preisgabe eines in der Zukunft unter Umständen noch bedeutsamen Schutzinstruments zu einem Zeitpunkt, in dem er das Ausmaß möglicher künftiger Schadensersatzverpflichtungen noch gar nicht kennt oder auch nur kennen kann, zu bewahren.369 Auch wenn also der Übereilungsschutzgedanke im Grundsatz zur Beschränkung der Dispositionsbefugnis im vorliegenden Kontext herangezogen werden kann, darf seine Bedeutung auch nicht überschätzt werden. Angesichts des systematischen Gegenschlusses zu den § 675e I BGB, § 92 AMG, § 14 ProdHaftG und so weiter lässt sich aus ihm insbesondere kein bei § 134 BGB angesiedeltes, in der Sache diesen Vorschriften entsprechendes Totalverbot jeglicher Abänderungen entnehmen. Schon deshalb folgt nichts anderes daraus, dass nach hier vertretener Auffassung antizipierte, vor der Restschuldbefreiung geschlossene Neubegründungsvereinbarungen unter § 134 BGB fallen.370 Überdies ist insoweit zu beachten, dass die Restschuldbefreiung wirklich das allerletzte Refugium des Schuldners ist, das ihm – sieht man von den von § 302 InsO erfassten Forderungen ab – selbst dann noch „Asyl“ zu bieten vermag, wenn alle anderen Verteidigungslinien versagt oder kein ausreichendes Schutzniveau geboten haben. Die besondere Bedeutung, die der Restschuldbefreiung im System der Haftungsbeschränkungsinstrumente deshalb zukommt, rechtfertigt es, bei ihr strengere Regeln als bei Haftungshöchstsummen, die „nur“ eine vorgelagerte Verteidigungsstellung darstellen, anzuwenden.
369 So auch Filthaut, HPfl , § 7, Rn. 1 für die Abbedingungsbeschränkung des § 7 HaftPflichtG. 370 Siehe oben § 3 C III 1 b) cc).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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cc) Zeitliche Grenze des Übereilungsschutzgedankens Wenig Schwierigkeiten wirft die Frage auf, bis zu welchem Zeitpunkt der Übereilungsschutzgedanke angeführt beziehungsweise ab wann er nicht mehr fruchtbar gemacht werden kann. Bei der Suche nach einer Antwort hierauf liegt es nahe, sich an den § 92 AMG, § 14 ProdHaftG, § 49c LuftVG und § 702a I 1 BGB zu orientieren, verbieten doch auch diese nur Vereinbarungen „im voraus“, so dass sich ein vergleichbares Abgrenzungsproblem stellt. Als maßgebliche Wegscheide sieht die herrschende Meinung bei diesen Vorschriften den Eintritt des Schadensfalles an,371 gänzlich unumstritten ist das allerdings nicht. So wird abweichend davon zum Teil für eine Vorverlagerung schon auf den Eintritt der Rechtsgutsverletzung372 plädiert beziehungsweise – in die zeitlich andere Richtung – auf den Zeitpunkt der verjährungsauslösenden, subjektiven Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen rekurriert.373 Dafür, auf den objektiv zu bestimmenden Schadenseintritt abzustellen, spricht sicherlich, dass dies mit weniger Rechtsunsicherheit behaftet wäre als die Ermittlung des Zeitpunkts, zu dem der Schädiger Kenntnis von seiner grundsätzlichen Einstandsverpflichtung erlangte. Dennoch ist es überzeugender, in Anlehnung an die zuletzt referierte Auffassung auf eben diesen Zeitpunkt subjektiver Kenntniserlangung abzustellen. Denn erst ab dann muss sich der Schädiger darüber im klaren sein, welche Bedeutung die Haftungshöchstsumme für ihn konkret hat, so dass erst ab hier keine Rede mehr von einer voreiligen Entäußerung eines möglicherweise in der Zukunft vielleicht einmal bedeutsamen Schutzschildes sein kann und daher der Zweck des Übereilungsschutzgedankens nicht mehr passt. Daher wird nur eine auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung rekurrierende Handhabung dem Zweck des Übereilungsschutzgedankens gerecht.374
371 Für § 14 ProdHaftG: BT-Drucks. 11/2447, S. 25; Soergel/Krause, § 14 ProdHaftG, Rn. 2; Staudinger/Oechsler, § 14 ProdHaftG, Rn. 11 f.; Produkthaftungshandbuch/v. Westphalen, § 54, Rn. 4 f.; Kullmann, ProdHaftG, § 14, Rn. 6; Taschner/Frietsch, ProdHaftG, § 14, Rn. 11; Palandt/Sprau, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; PWW/Schaub, § 14 ProdHaftG, Rn. 1; Rolland, Produkthaftungsrecht, § 14 ProdHaftG, Rn. 2. – Für § 702a I 1 BGB: Soergel/Bruß, § 702a, Rn. 1; Staudinger/Werner, § 702a, Rn. 7; NK-BGB/Klingelhöfer, § 702a, Rn. 2; BeckOK-BGB/ Gehrlein, § 702a, Rn. 1. – Für § 92 AMG: Deutsch, AMG, § 92, Rn. 1; Sander, Arzneimittelrecht, § 92 AMG, Rn. 1. 372 MüKo-BGB/G. Wagner, § 14 ProdHaftG, Rn. 3. 373 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 92, Rn. 3; so wohl auch Rehmann, AMG, § 92, Rn. 1. 374 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die praktischen Unterschiede zwischen den beiden Auffassungen äußerst gering sind. Denn dass ausgerechnet zwischen Schadenseintritt und Kenntnis des Schädigers von seiner grundsätzlichen, daraus resultierenden Einstandsverpflichtung eine solche Vereinbarung getroffen wird, erscheint als reines Lehrbuchproblem.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
d) Abbedingung vor Schadenskenntnis Weil der Abbedingung von Haftungshöchstsummenregelungen § 134 BGB nicht generell entgegensteht, sind diese im Wesentlichen nur anhand von § 138 BGB sowie § 307 I, II Nr. 1 BGB zu messen. aa) Sittenwidrigkeit, § 138 BGB Die Grenzen, die der Übereilungsschutzgedanke der Abdingbarkeit vor Schadenskenntnis über § 138 BGB zieht, lassen sich abstrakt nicht im Detail bestimmen. Denn bei § 138 BGB handelt es sich um ein „bewegliches System“375, bei dem alle für und wider eine Sittenwidrigkeit sprechenden Umstände des Einzelfalles – insbesondere der Inhalt des Rechtsgeschäfts und die Verhältnisse bei Vertragsschluss – im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen sind.376 In Anlehnung an zum Beispiel die Rechtsprechung zur Ehevertragskontrolle und Angehörigenbürgschaften können aber immerhin einige für die Einzelfallprüfung relevante Überlegungen herausgearbeitet werden. So ist nicht nur das Kräfteverhältnis der Parteien bei Vertragsschluss zu berücksichtigen, sondern auch zum Beispiel eine mögliche Verharmlosung der potentiellen Bedeutung der Haftungshöchstsumme durch den (möglichen) Geschädigten,377 eine geschäftliche Unerfahrenheit des (möglichen) Schädigers378 oder wie groß ex ante betrachtet die Wahrscheinlichkeiten dafür waren, dass ein Schadensfall überhaupt eintritt und der daraus erwachsende Schaden die Haftungshöchstsumme übersteigt.379 Ins Kalkül zu ziehen ist ferner, ob mit der teilweisen Abbedingung der Haftungshöchstsumme (unmittelbare) wirtschaftliche Vorteile für den potentiellen Schädiger verbunden sind,380 zum Beispiel in 375
Wilburg, Entwicklung, passim, insbesondere S. 17 ff., 22 ff. Vgl. z.B. zur Ehevertragskontrolle: BGH NJW 11.2.2004 – XII ZR 265/02, NJW 2004, 930, 935; 18.3.2009 – XII ZB 94/06, NJW 2009, 2124; 31.10.2012 – XII ZR 129/10, NJW 2013, 380, 381; zur Angehörigenbürgschaft: BGH 16.3.1989 – III ZR 37/88, NJW 1989, 1665, 1666; 24.11.1992 – XI ZR 98/92, NJW 1993, 322, 323; 18.9.1997 – IX ZR 283/96, NJW 1997, 3372, 3374; Staudinger/Horn, § 765, Rn. 206; allgemein MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 27 ff.; BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 21; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 72 f., 373 m.w.N. 377 Vgl. zur Bedeutung der Verharmlosung von Haftungsrisiken bei der Angehörigenbürgschaft z.B. BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36, 39; BGH 24.11.1992 – XI ZR 98/92, NJW 1993, 322, 323; 24.2.1994 – IX ZR 227/93, NJW 1994, 1341, 1343 f.; 18.12.1997 – IX ZR 271/96, NJW 1998, 597, 598. 378 Vgl. zur Angehörigenbürgschaft BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36, 39; BGH 24.2.1994 – IX ZR 93/93, NJW 1994, 1278, 1279; 24.2.1994 – IX ZR 227/93, NJW 1994, 1341, 1342; 28.5.2002 – XI ZR 199/01, NJW 2002, 2634, 2635. 379 Vgl. zur in gewisser Weise ähnlichen Problematik der Berücksichtigung des Kreditrisikos und anderweitiger Sicherheiten des Kreditgebers bei der Angehörigenbürgschaft BGH 14.11.2000 – XI ZR 248/99, NJW 2001, 815, 816; 16.6.2009 – XI ZR 539/07, NJW 2009, 2671, 2672; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 375. 380 Zur ähnlich gelagerten Problematik bei der Angehörigenbürgschaft, bei der ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Bürgen an der Kreditgewährung ein gegen die Sittenwidrigkeit sprechender Faktor sein kann, vgl. BVerfG 2.5.1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996, 2012; BGH 376
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Gestalt eines besonders günstigen Preises; gerade wegen des paternalistischen Übereilungsschutzgedankens darf dieser Aspekt aber auch nicht überbewertet werden, besteht anderenfalls doch angesichts der menschlichen Natur die Gefahr des „Ausverkaufs“ eines in der Zukunft vielleicht bedeutsamen Schutzinstruments um kurzfristiger geringfügiger Vorteile willen.381 Von besonderem Gewicht ist schließlich der von der gesetzlichen Haftungshöchstsummenvorschrift, von der abgewichen werden soll, vorgegebene Haftungsbetrag. Denn auch im Grundsatz dispositive Vorschriften – wie Haftungshöchstsummenregelungen – liefern anerkanntermaßen für die Sittenwidrigkeitskontrolle wichtige Anhaltspunkte, solange sie nicht auf bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen, sondern Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots sind.382 Letzteres ist bei Haftungshöchstsummen der Fall, sind sie doch Teil eines vom Gesetzgeber vorgenommenen Interessenausgleichs, nach dem der Schädiger zwar bis zu einer gewissen Höhe auch ohne Verschulden haften soll, allerdings eben auch nur bis zu dieser Höhe. Haftungshöchstsummen sind also ein wichtiger Baustein im Regelungsplan des Gesetzgebers, indem sie den notwendigen, „gerechten“ Ausgleich für die strenge verschuldensunabhängige Haftung schaffen und die vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ermöglichen. Der Frage, ob trotz der vertraglichen Erhöhung diese vom Gesetzgeber verfolgten Ziele noch erreicht werden können, ist daher bei der Einzelfallabwägung besondere Bedeutung zuzumessen. Angesichts dessen wird man insbesondere eine vollständige Abbedingung tendenziell für unzulässig halten müssen, wird dadurch doch die gesetzliche Gesamtkonzeption einseitig völlig zerstört und der Schuldner einem – gemessen an dem, was der Gesetzgeber als sachgerechten Ausgleich der gegenläufig n Interessen von Schädiger und Geschädigtem ansah – inadäquaten Haftungsrisiko ausgesetzt. Vor der voreiligen Eingehung dieses Wagnisses muss der potentielle Schädiger vor sich selbst entsprechend des Übereilungsschutzgedankens umso mehr bewahrt werden, als ein unbeschränktes verschuldensunabhängiges Haftungsrisiko in der Praxis letztlich nicht versicherbar wäre, so dass nicht nur die vor allem dogmatisch bedeutsame „Ausgleichsfunktion“ der Haftungshöchstsumme gestört wäre, sondern diese auch nicht mehr, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, in der Lage wäre, die vollständige Versicherbarkeit sicherzustellen und dadurch die Gefahr einer potentiell ruinösen Haftung zuverlässig zu bannen. Gleiches muss für eine faktische „Entwertung“ der Haftungshöchst-
18.12.1997 – IX ZR 271/96, NJW 1998, 597, 598; 18.9.2001 – IX ZR 183/00, NJW 2002, 1337, 1338; 1.10.2002 – IX ZR 443/00, NJW 2003, 59; NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 246. 381 Vgl. insoweit auch schon oben § 3 C III 1 b) c). 382 Zur Bedeutung des dispositiven Rechts für die Sittenwidrigkeitskontrolle vgl. z.B. BGH 11.11.1968 – VIII ZR 151/66, NJW 1969, 230, 231; 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685, 2686; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 56.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
summenregelung durch vertragliche Ausdehnung in astronomische Höhen gelten (zum Beispiel Erhöhung der Haftsumme des § 12 I 1 StVG von € 5 Millionen auf € 500 Millionen). Denn der vereinbarte Maximalhaftungsbetrag ist hier bloßer Schatten einer „echten“ Haftungshöchstsumme, der als rein formale Hülse materiell betrachtet in Wahrheit keinen Ausgleich für die strikte Haftung zu bietet im Stande ist. Überdies dürfte ein derartiges atypisches Haftungsrisiko in aller Regel nicht vollumfänglich versicherbar sein, so dass dem Schädiger im worst case wiederum eine mit dem gesetzgeberischen Grundanliegen nicht zu vereinbarende ruinöse Haftung droht. Umgekehrt ist eine geringfügige Ausdehnung des gesetzlichen Haftungshöchstsummenbetrags regelmäßig nicht zu beanstanden. Denn solange die neue Haftungssumme unschwer versicherbar ist beziehungsweise in der Differenz zwischen vereinbartem Höchstbetrag und Versicherungssumme nicht die Gefahr einer unabsehbaren, ruinösen Haftung angelegt ist, bedarf es nicht des scharfen Schwerts der Sittenwidrigkeit. Wie dargelegt, hängt die Grenzziehung en détail von den insgesamt zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab. Eingedenk der verfassungsrechtlich geschützten Privatautonomie und weil das für die Rechtskontrolle bedeutsame gesetzliche Wertebild383 eben auch durch die im Gegenschluss zu zum Beispiel § 92 AMG und § 14 ProdHaftG zu begründende grundsätzliche Abdingbarkeit von Haftungshöchstbetragsvorschriften „nach oben“ geprägt wird, wird man dabei im Zweifel eher großzügig zu verfahren haben. bb) Verstoß gegen § 307 I, II Nr. 1 BGB Im Rahmen der AGB-Kontrolle können die Umstände des konkreten Einzelfalls – ähnlich der Handhabung bei § 138 BGB – nur berücksichtigt werden, wenn es sich um einen Verbrauchervertrag handelt (vergleiche § 310 III Nr. 3 BGB). Im Übrigen bewendet es bei einer abstrakt-generalisierenden Kontrolle bei typisierender Betrachtungsweise, nach der die Klausel unwirksam ist, wenn sie bei Rechtsgeschäften der fraglichen Art die regelmäßigen und typischen Interessen eines durchschnittlichen Vertragspartners nicht angemessen berücksichtigt;384 konkrete Schutzbedürftigkeit, individuelle Geschäftserfahrung und Rechtskenntnis des Vertragspartners werden dagegen ausgeblendet.385 Entscheidend für die Zulässigkeit einer von einer gesetzlichen Haftungshöchstsummenbestimmung abweichenden Abrede ist deshalb, ob der dadurch erreichte weitergehende Haftungsrahmen die vom Gesetzgeber mit der Höchstsumme
383 Vgl. zur Bedeutung gesetzlicher Wertmaßstäbe für die Sittenwidrigkeitsprüfung z.B. BGH 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685, 2686; Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 3; Soergel/Hefermehl, § 138, Rn. 7, 10. 384 BGH 6.11.1981 – I ZR 178/79, NJW 1982, 765; 19.3.1992 – IX ZR 166/91, NJW 1992, 1626, 1627; 4.7.1997 – V ZR 405/96, NJW 1997, 3022, 3024; Staudinger/Coester, § 307, Rn. 109; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307, Rn. 29. 385 Staudinger/Coester, § 307, Rn. 110; MüKo-BGB/Wurmnest, § 307, Rn. 38 f.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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verfolgten Zwecke – „gerechter“ Ausgleich für die verschuldensunabhängige Haftung, vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos, Vermeidung einer ruinösen und letztlich prohibitiven Haftung – zu konterkarieren geeignet ist. Bei der Grenzziehung wird man im Einzelfall angesichts der typisierten Schutzbedürftigkeit des Verwendungsgegners tendenziell zwar etwas strenger verfahren müssen als bei § 138 BGB, angesichts von Vertragsfreiheit und dem systematischen Gegenschluss zu § 92 AMG und so weiter im Zweifel jedoch ebenfalls der Dispositivität den Vorrang einzuräumen haben. e) Abbedingung nach Schadenskenntnis Ist der Schadensfall eingetreten und hat der dem Grunde nach einstandsverpflichtete Schädiger hiervon Kenntnis erlangt, kann – wie oben ausgeführt386 – das Übereilungsschutzargument zur Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Parteien nicht länger herangezogen werden. Einer Abbedingung des Haftungshöchstbetrags – für die nur Bedarf besteht, wenn und soweit der Anspruch den Höchstbetrag überschreitet387 – stehen dann keine grundsätzlichen Bedenken mehr entgegen. Insbesondere kann eine Anwendung von § 138 BGB oder § 307 I, II Nr. 1 BGB nicht damit begründet werden, der Schädiger gehe ein unabsehbares und unsteuerbares Haftungsrisiko ein. Schutz bietet – eine entsprechende widerrechtliche Drohung vorausgesetzt – lediglich § 123 BGB. f) Exkurs: Vertragstypologische Qualifikation Wie bei der Restschuldbefreiung, soll auch hier kurz eine vertragstypologische Einordnung von Abreden erfolgen, die – soweit nach dem oben Gesagten möglich – in zulässiger Weise gesetzliche Haftungshöchstsummen erhöhen oder vollständig abschaffen. Auch insoweit ist zeitlich zu unterscheiden, diesmal jedoch nicht nach dem Zeitpunkt der Kenntnis des Schädigers vom Schaden, sondern nach Vereinbarungen vor und nach Anspruchsentstehung: Bei Vereinbarungen vor Anspruchsentstehung besteht zwischen den Parteien typischerweise noch gar kein Schuldverhältnis. Entsprechend handelt es sich nicht um die Inhaltsänderung eines bestehenden, sondern um die Begründung eines neuen Schuldverhältnisses (§ 311 I Alt. 1 BGB). Sein Inhalt erschöpft sich darin, dass der (potentielle) Schädiger gegenüber dem (möglichen) Geschädigten auf eine eventuelle höhenmäßige Begrenzung eines denkbaren zukünftigen (gesetzlichen) Schadensersatzanspruchs verzichtet. Weil dies keinem im BGB normierten Vertragstyp entspricht, handelt es sich um einen Vertrag sui generis. Bei einer nach Anspruchsentstehung geschlossenen Verzichtsvereinbarung bewegen sich die Parteien hingegen innerhalb des durch den Schadensfall begründeten gesetzlichen Schuldverhältnisses und ändern dessen Inhalt dergestalt, dass 386 387
Oben § 3 C III 2 c) cc). Zur Feststellung einer derartigen Überschreitung vgl. oben Fn. 359.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
der dem Grunde nach und bis zu einer Höhe entstandene Anspruch durch den Verzicht auf ein Gegenrecht „erweitert“ wird, § 311 I Alt. 2 BGB. 3. Dispositivität der erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente a) Grundsätzliche Dispositivität Nach allgemeiner Meinung kann der Erbe nicht nur faktisch auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten „verzichten“, indem er zum Beispiel von der Einrede des § 1990 BGB trotz Vorliegen ihrer Voraussetzungen keinen Gebrauch macht, sondern er ist auch nicht gehindert, auf die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff. BGB förmlich und damit rechtlich bindend zu verzichten.388 Dem ist nicht nur mit Blick auf die Vertragsfreiheit der Beteiligten, sondern auch § 2012 I 3 BGB grundsätzlich zuzustimmen, setzt diese die Rechtsmacht des Nachlasspflegers begrenzende Vorschrift die grundsätzliche Verzichtbarkeit auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente durch den Erben doch logisch voraus.389 Verzichtet der Erbe erst nach Geltendmachung des erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstruments auf dieses, so handelt es sich vertragstypologisch nicht um eine Novation, ein Schuldanerkenntnis oder ähnliches, ließen die §§ 1973 f., 1975 ff., 1990 ff., 2014 f. BGB doch den Bestand der Nachlassverbindlichkeit unberührt.390 Die Abbedingung stellt vielmehr jeweils die Inhaltsänderung eines – weit verstandenen391 – Schuldverhältnisses im Sinne von § 311 I Alt. 2 BGB dar:392 So wird bei den §§ 2014, 2015 BGB durch den Verzicht das dilatorische Durchsetzungshemmnis beseitigt, bei den §§ 1973, 1974, 1990, 1992 BGB die Haftungsbeschränkung auf den Nachlass aufgehoben, und bei der Nachlassverwaltung beziehungsweise -insolvenz kann sich der Erbe nicht (mehr) auf die Vermögenstrennung berufen und haftet mithin ebenfalls mit seinem gesamten Vermögen. Um eine Inhaltsänderung gemäß § 311 I Alt. 2 BGB handelt es sich auch, wenn der Erbe präventiv, das heißt vor Geltend388 Vgl. BGH 2.7.1992 – IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694; OLG Oldenburg 31.1.2006 – 12 U 87/05, NJW-RR 2007, 876, 877 f.; RGRK/Johannsen, § 1966, Rn. 21; Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 9; Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967 ff., Rn. 16; MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen zu §§ 1967 ff., Rn. 11; Planck/Flad, Vorbem. § 1993, Rn. 6c.; Molitor, JherJB 69, 283, 285, 291 ff.; Raape, JherJB 72, 293, 318 f. 389 RGZ 146, 343, 346; Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 16; Molitor, JherJB 69 (1920), 283, 285. 390 Zu den Auswirkungen der einzelnen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente siehe oben § 3 C II. 391 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Terminus Schuldverhältnis vgl. z.B. Kleinschmidt, Verzicht, S. 20; Bucher, FS Wiegand, S. 93, 119 f.; Palandt/Grüneberg, Überbl v § 311, Rn. 3, Einl v § 241, Rn. 3; Larenz, Schuldrecht I (AT), § 2 V, S. 26 f. 392 Umstritten ist, ob diese nach § 311 I BGB einen Vertrag zwischen Erbe und Nachlassgläubiger voraussetzt, oder ob der Erbe auch einseitig verzichten kann (vgl. dazu näher z.B. Staudinger/Marotzke, Vorbem zu §§ 1967 ff., Rn. 16 m.w.N.).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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machung des Haftungsbeschränkungsinstruments, auf dieses verzichtet, gehören zum Schuldverhältnis im weiteren Sinne doch auch (mögliche) Gegenrechte des Schuldners.393 b) Einschränkungen? Fraglich ist, ob der im Grundsatz zu bejahenden Dispositivität – sieht man von allgemeinen Wirksamkeitshindernissen (zum Beispiel §§ 104 ff., 119 ff. BGB) ab – in irgendeiner Weise Grenzen zu ziehen sind. Mit dem Schutz derjenigen Nachlassgläubiger, denen der Erbe gegenüber nicht auf die Haftungsbeschränkung verzichtet, kann dies jedenfalls nicht begründet werden. Um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter394 handelt es sich dabei nicht. Ein solcher ließe sich – wenn überhaupt – nur erwägen, wenn sich infolge des Verzichts die zur Befriedigung ihrer Forderung zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkleinern würde, was aber gerade nicht der Fall ist.395 Auch ein Verstoß gegen ein Gebot zur Gläubigergleichbehandlung liegt nicht vor, besteht ein solches doch außerhalb eröffneter (Nachlass-)Insolvenzverfahren überhaupt nicht. Der Erbe kann deshalb nach seiner freien Wahl gegenüber ausgewählten einzelnen Nachlassgläubigern auf die Haftungsbeschränkung verzichten, anderen gegenüber sich aber darauf berufen.396 Auch die Interessen der Eigengläubiger des Erben gebieten keine Beschränkung seiner Verzichtsmöglichkeit. Zwar wirkt sich der Verzicht insoweit negativ für sie aus, als der/die begünstigte(n) Nachlassgläubiger sich auch an das Eigenvermögen des Erben halten kann/können, was möglicherweise faktisch die Befriedigungschancen der Eigengläubiger schmälert. Ein unzulässiger Vertrag zu ihren Lasten ist darin aber nicht zu sehen, ist ein Gläubiger doch nie vor der Gefahr gefeit, dass sein Schuldner neue Verbindlichkeiten eingeht und sich dadurch die Zahl der Gläubiger, die um die unter Umständen immer kleiner werdende Haftungsmasse konkurrieren, vergrößert; a maiore ad minus kann ein haftungserweiternd wirkender Verzicht auf ein Haftungsbeschränkungsinstrument im Rahmen einer bereits bestehenden Verbindlichkeit nicht als unzulässiges drittbelastendes Handeln angesehen werden.
393 Zur Subsumtion von Absprachen über Einreden unter § 311 I BGB vgl. statt aller MüKo-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 12. 394 Zur Unzulässigkeit eines Vertrages zulasten Dritter vgl. z.B. BGH 14.7.1995 – V ZR 31/94, NJW 1995, 3183, 3184; 8.11.1973 – VII ZR 246/72, NJW 1974, 96; MüKo-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 188 ff. m.w.N. 395 Man kann im Gegenteil vielmehr mit einiger Berechtigung vertreten, dass auch die anderen Nachlassgläubiger letztlich von dem Verzicht profitieren können. Denn wenn sich der begünstigte Nachlassgläubiger (teilweise) aus dem Eigenvermögen des Erben befriedigt, bleibt für die übrigen Nachlassgläubiger mehr Nachlasshaftungsmasse übrig. 396 RGRK/Johannsen, § 1966, Rn. 21; Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 9; vgl. auch BGH 2.7.1992 – IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Des Weiteren lässt sich – wie bei Restschuldbefreiung und Haftungshöchstsummen – auch in Bezug auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente eine Einschränkung der Dispositivität nicht damit rechtfertigen, der typischerweise sich in einer schwächeren Verhandlungsposition befindliche Erbe müsse vor einem möglichen Diktat übermächtiger Nachlassgläubiger geschützt werden. Denn ein derartiges Machtungleichgewicht zu seinen Lasten kann typisiert nicht unterstellt werden. Damit bleibt als letzter, eine Beschränkung der Dispositivität möglicherweise tragender Gesichtspunkt der bereits bemühte paternalistische Übereilungsschutzgedanke. Anders als bei Restschuldbefreiung und Haftungshöchstsummen ist dieser Gesichtspunkt hier aber nicht in der Lage, der Dispositivität inhaltliche Schranken zu setzen. Denn wenn der Erbe gegenüber einem ihn in Anspruch nehmenden Nachlassgläubiger auf die eigentlich bestehende Chance zur Haftungsbeschränkung auf den Nachlass verzichtet, ist kein Raum für Übereilungsschutzerwägungen, kennt der Erbe in dieser Situation doch alle für seine Entscheidung maßgeblichen, aktuellen Umstände beziehungsweise muss diese kennen. Seine Lage ist gerade nicht derjenigen eines potentiellen Schädigers vor Schadenseintritt bei Haftungshöchstsummen beziehungsweise des Schuldners vor Erteilung der Restschuldbefreiung vergleichbar, sondern vielmehr mit der des Schädigers nach Kenntnis von seiner Einstandsverpflichtung respektive des Schuldners nach Erteilung der Restschuldbefreiung. Hier wie dort lässt sich das Argument, der Erbe/Schuldner/Schädiger verzichte voreilig auf den Schutz eines später möglicherweise bedeutsamen Schutzinstruments, nicht fruchtbar machen. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob der Verzicht vor oder nach Geltendmachung der Haftungsbeschränkung erfolgt,397 im letzteren Fall entfallen schlicht wieder die bereits eingetretenen Wirkungen. Auch wenn der Übereilungsschutzgedanke somit nicht der Verzichtbarkeit als solcher inhaltliche Grenzen zieht, ist damit noch nicht gesagt, dass er im vorliegenden Zusammenhang keinerlei Relevanz hat. Bedeutsam kann er vielmehr sein, wo es um die Auslegung einer Verzichtsvereinbarung geht, vor allem bei der Frage, welche personelle und sachliche Reichweite der Verzicht entfalten soll. So lässt sich aus dem Übereilungsschutzgedanken ableiten, dass der Erbe davor bewahrt werden soll, sich voreilig des Schutzes eines später unter Umständen noch bedeutsam werdenden erbrechtlichen Haftungsbegrenzungsinstruments zu begeben. Dementsprechend hat man seinen Verzicht in aller Regel so auszulegen, dass er nur in Bezug auf ihm bereits bekannte Nachlassforderungen auf die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung auf den Nachlass verzichten wollte, nicht aber hinsichtlich ihm noch unbekannter Forderungen des gleichen Nachlassgläubigers (enge sachliche Auslegung). Überdies und umso mehr 397 Joachim, Haftung, Rn. 491; RGRK/Johannsen, § 1966, Rn. 21; MüKo-BGB/Küpper, Vorbemerkungen zu §§ 1967 ff., Rn. 11.
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wird man Zurückhaltung mit der Annahme eines – dogmatisch grundsätzlich möglichen – Verzichts zugunsten anderer, daran nicht teilhabender Nachlassgläubiger walten lassen müssen (enge personelle Auslegung).398 Noch unbekannte Forderungen – gar unbekannter Nachlassgläubiger – wird man deshalb typischerweise nicht als erfasst ansehen können. 4. Dispositivität der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung? a) Einleitung und Meinungsstand Ob die richterrechtlich entwickelten Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung zulasten des Arbeitnehmers als potentiellen Einstandsverpflichteten abbedungen werden können, ist umstritten. Die Frage ist von hoher praktischer Relevanz, wäre bejahendenfalls doch zumindest bei haftungsträchtigen Tätigkeiten der Anreiz für den Arbeitgeber, entsprechende Abreden zu treffen, hoch. Das BAG lehnt die Abdingbarkeit apodiktisch ab, indem es – ohne nähere Begründung – seine Rechtsprechung als „einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht“ bezeichnet, von der weder in Einzel- noch in Kollektivverträgen zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden dürfe.399 Insbesondere könne eine Verschlechterung bei der Arbeitnehmerhaftung grundsätzlich nicht durch Gewährung sonstiger Vorteile ausgeglichen werden;400 eine Ausnahme wird – unter engen Voraussetzungen – nur bei Mankoabreden zugelassen.401 Nach der Gegenauffassung sind die Regeln der beschränkten Arbeit398 So andeutungsweise auch Soergel/Stein, Vor § 1967, Rn. 9: „Eine Beschränkung kann, schließlich, nicht mehr im Verhältnis zu jenen Personen geltend gemacht werden, denen gegenüber der Erbe auf die Haftungsbeschränkung vertraglich verzichtet […].“ (Hervorhebung hier). 399 BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, NZA 1999, 141, 144; 2.12.1999 – 8 AZR 386/98, NZA 2000, 715, 716; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; vgl. auch schon BAG GS 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1086 („unabdingbare Berücksichtigung des Betriebsrisikos“); so auch die h.L., z.B. MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 13; Schaub/Linck, ArbR-HdB, § 59, Rn. 67; Peifer, ZfA 1996, 69, 74 f.; Schwarze, RdA 2001, 178, 179 f.; Brose, RdA 2011, 205, 215 ff.; Krause, RdA 2013, 129, 138; ders., NZA 2003, 577, 585; Waltermann, RdA 2005, 98, 108 f. 400 BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650 (z.B. volle Haftung für Schäden am Dienstfahrzeug im Gegenzug zur gestatteten privaten Nutzung des Fahrzeugs). 401 Voraussetzung ist zunächst, dass der Arbeitnehmer den Bereich, in dem ein Fehlbestand auftreten kann, kontrollieren kann (BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, NZA 1999, 141, 144; vgl. BAG 22.11.1973 – 2 AZR 580/72, NJW 1974, 1155). Zudem muss er in Form des sogenannten Mankogelds dergestalt einen „angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich“ erhalten, dass er im Ergebnis „allein die Chance einer zusätzlichen Vergütung“ erhält, weil damit eine Verschärfung seiner Haftung ausgeschlossen ist. Allerdings muss das Mankogeld nicht in jedem Einzelfall eine vollständige Kompensation bewirken, es genügt vielmehr, dass der Ausgleich über einen längeren Zeitraum (z.B. ein Jahr) erfolgt (BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, NJW 1999, 1049, 1052; 2.12.1999 – 8 AZR 386/98, NZA 2000, 715, 716; 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 651).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
nehmerhaftung hingegen grundsätzlich dispositiv, dem notwendigen Arbeitnehmerschutz werde über die Inhaltskontrolle (vor allem anhand der §§ 305 ff. BGB) Rechnung getragen.402 Eine Haftungsverschärfung sei dementsprechend nicht apodiktisch ausgeschlossen, dürfe aber keine unangemessene Benachteiligung darstellen. Als zulässig wird eine Haftungserweiterung demnach zum Beispiel angesehen, wenn der Vertrag eine vom Verschulden des Arbeitnehmers unabhängige, angemessene summenmäßige Haftungsbegrenzung vorsieht,403 oder wenn er einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich hierfür statuiert.404 b) Stellungnahme aa) Keine Ableitung der Abdingbarkeit aus den Materialien zur Schuldrechtsreform Die grundsätzliche Abdingbarkeit kann entgegen der Auffassung von Preis405 nicht bereits aus den Materialien zur Schuldrechtsreform abgeleitet werden.406 Zwar ist es zutreffend, dass der Gesetzgeber die Tendenz erkennen ließ, die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung an dem – wie der Wortlaut sowie ein Gegenschluss zu § 276 III zeigen – dispositiven § 276 BGB andocken zu wollen.407 Das ist jedoch schon deshalb wenig aussagekräftig, weil die beschränkte Arbeitnehmerhaftung trotzdem auch nach der Schuldrechtsreform richtigerweise nicht bei § 276 BGB, sondern nach wie vor bei § 254 I BGB analog und § 242 BGB zu verorten ist.408 Überdies dürfte es eine Überinterpretation der in Fn. 407 zitierten Passagen darstellen, aus ihnen den gesetzgeberischen Willen abzuleiten, die beschränkte Arbeitnehmerhaftung entgegen der schon vorher bestehenden ständigen Rechtsprechung des BAG abdingbar auszugestalten, und zwar umso mehr, als sich dieser vermeintliche Wille im Ge402
ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB, Rn. 85; ders., FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 151; ders., Vertragsgestaltung, S. 464 ff.; MüHdb-ArbR/Reichold, § 51, Rn. 68; Schumacher, Haftung, S. 181 ff.; vgl. auch schon LAG Düsseldorf 24.11.1965 – 3 Sa 346/95, BB 1966, 80; Klumpp, in: Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht, § 307, Rn. 196; Schwirtzek, NZA 2005, 437, 438 ff. 403 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB, Rn. 85; vgl. auch LAG Düsseldorf 24.11.1965 – 3 Sa 346/65, BB 1966, 80. 404 PWW/Lingemann, § 619a, Rn. 94; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB, Rn. 85; vgl. auch LAG Hessen 5.9.1969 – 6 Sa 125/69, BB 1970, 578. 405 Preis, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 151; ähnlich Gotthardt, Arbeitsrecht, Rn. 195. 406 So auch Krause, NZA 2003, 577, 585; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 13; Brose, RdA 2011, 205, 215 f. 407 Vgl. BT-Drucks. 14/6857, S. 48: „Diese wird – anders als früher – jetzt in § 276 Abs. 1 BGB-RE ausdrücklich angesprochen, so dass die Rechtsprechung nicht mehr auf den an sich nicht recht passenden § 254 BGB ausweichen muss.“ sowie BT-Drucks. 14/7052, S. 204: „Dagegen sagt die Vorschrift des § 619a BGB-BE nichts über die Frage des Haftungsmaßstabs aus. Dieser bestimmt sich vielmehr – wie bisher auch – nach § 276 BGB-BE.“. 408 Siehe oben § 2 F V.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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setz selbst nicht niedergeschlagen hat, sondern es vielmehr bei der großen Regelungslücke für die beschränkte Arbeitnehmerhaftung geblieben ist.409 bb) Einfachgesetzliche Betrachtung Umgekehrt lässt sich aber die vom BAG behauptete einseitig zwingende Wirkung auch nicht dem einfachen Gesetzesrecht entnehmen. Zwar sehen zahlreiche arbeitsrechtliche Vorschriften eine einseitig zwingende Wirkung vor (zum Beispiel § 13 I 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 31 AGG, § 8 PflegeZG), eine Analogie dazu ist aber mangels vergleichbarer Interessenlage nicht möglich, weil diese jeweils ganz andere Problemlagen regeln. Auch eine Analogie zu § 619 BGB scheidet aus. Das folgt auf Grundlage der Ansicht des BAG schon daraus, dass es die beschränkte Arbeitnehmerhaftung nicht (mehr) auf die Fürsorgepflicht stützt, die von § 619 BGB für zwingend erklärten §§ 617, 618 BGB aber gerade Ausfluss der Fürsorgepflicht sind.410 Selbst wenn man demgegenüber mit der hier vertretenen Auffassung den Fürsorgegedanken zumindest partiell im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung heranzieht, hilft § 619 BGB nicht weiter, weil sich sein sachlicher Anwendungsbereich nach ganz allgemeiner Meinung auf die in §§ 617, 618 BGB genannten Fälle beschränkt und nicht im Wege der Analogie erweitert werden kann.411 Zugunsten einer zwingenden Wirkung kann man schließlich auch nicht auf § 619a BGB verweisen, da dieser nach zutreffender herrschender Meinung im Grundsatz412 selbst dispositiv ist.413 Die einfachgesetzliche Betrachtung spricht aber nicht nur nicht für die Ansicht des BAG, sondern vielmehr gerade gegen sie, wenn man die beschränkte Arbeitnehmerhaftung wie das BAG es – im Grundsatz auch zutreffend tut414 – normativ bei einer Analogie zu § 254 I BGB verortet, weil dieser nach zutreffender Auffassung abdingbar ist.415 Dafür spricht schon, dass nicht einzusehen 409
Vgl. Richardi, FS Picker, S. 1095, 1110 f.; HWK/Krause, § 619a, Rn. 11; Preis, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 150; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 35. 410 Vgl. dazu LAG Baden-Württemberg 31.3.1977 – 7 Ta 11/76, AP Nr. 17 zu § 5 BetrVG 1972; Kreitner, in: Küttner, Personalbuch, „Fürsorgepflicht“, Rn. 8; MüKo-BGB/Henssler, § 617, Rn. 1. 411 BAG 5.3.1959 – 2 AZR 268/56, NJW 1959, 1555, 1557; Staudinger/Oetker, § 619, Rn. 12; BeckOK-ArbR/Joussen, § 619, Rn. 3; Waas/Palonka, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, ArbR, § 619, Rn. 1; NK-ArbR/Boecken, § 619, Rn. 6; MüKo-BGB/Henssler, § 619, Rn. 5. 412 Im vorliegenden Kontext unbeachtlich ist, dass eine Abweichung in AGB richtigerweise an § 309 Nr. 12 BGB scheitert (näher Staudinger/Richardi/Fischinger [2011], § 619a, Rn. 6; a.A. MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 54). Denn § 309 Nr. 12 BGB gilt nur für Modifikationen der Beweislastverteilung, lässt die Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen hinsichtlich des betroffenen materiellen Rechts aber unberührt. 413 Henssler, RdA 2002, 129, 133; ErfK/Preis, § 619a, Rn. 11; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 619a, Rn. 5 f.; gegen eine Ableitung der Dispositivität der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung aus § 619a hingegen Krause, RdA 2013, 129, 138. 414 Siehe oben § 2 F V. 415 Preis, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 151; Gotthardt, Arbeitsrecht, Rn. 195; a.A.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
ist, warum nur über die Haftung des (potentiellen) Schädigers Abreden möglich sein sollen, nicht aber auch über einen eventuellen Verursachungsbeitrag des möglichen Geschädigten. Überdies gelten auch ansonsten für das Verschulden und das Mitverschulden weitgehend gleiche Regeln, zum Beispiel wendet die herrschende Meinung § 276 BGB, der nach seinem Wortlaut nur für den Schuldner/Schädiger, nicht aber den Geschädigten gilt, im Rahmen von § 254 BGB zutreffenderweise ebenso analog an416 wie die §§ 827 f. BGB417 oder § 829 BGB418. Konsequent wird deshalb eine Modifikation der Mitverantwortung für möglich gehalten, dabei aber der vertragliche Haftungsausschlüsse in AGB regelnde § 309 Nr. 7 BGB analog angewendet.419 Zusammengefasst spricht eine Analyse der einfachgesetzlichen Rechtslage eher gegen die Unabdingbarkeit der beschränkten Arbeitnehmerhaftung. cc) (Unzulässiger) Eingriff in die negative Privatautonomie? Gegen die Einstufung als jeglichen Modifikationen entzogenes, einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht spricht ferner die damit einhergehende Beeinträchtigung der Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien. Wie bereits dargelegt, stellen Ausschluss beziehungsweise Einschränkung der Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit verfassungsrechtlich über Art. 2 I GG geschützte Vertragsfreiheit dar.420 Wie zu zeigen sein wird, lässt sich zwar eine Einschränkung, nicht aber der vollständige Ausschluss sämtlicher haftungsmodifizierenden Umstände rechtfertigen. (1) Rechtfertigung mit der grundrechtlichen Absicherung der Arbeitnehmerhaftung? Als Rechtfertigungsgrund ist zunächst an die grundrechtliche Absicherung der Arbeitnehmerhaftung selbst zu denken, betrachtet doch das BAG die BeschränBeckOK-ArbR/Hesse, § 619a BGB, Rn. 16; MüKo-BGB/Henssler, § 619a, Rn. 13; Waltermann, RdA 2005, 98, 108. – Knüpfte man entgegen der hier vertretenen Auffassung zumindest teilweise auch an § 276 I BGB an, würde das erst recht gelten, weil hier eine Haftungsverschärfung unstrittig möglich ist, wie auch der Gegenschluss zu § 276 III BGB zeigt (vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 136; BeckOK-BGB/Unberath, § 276, Rn. 37). 416 BGH 18.5.1965 – II ZR 242/63, VersR 1965, 877, 878; KG 17.12.1973 – 22/12 U 47/73, VersR 1975, 770, 771; OLG Bamberg 12.3.1965 – 3 U 87/64, VersR 1965, 989, 990; Erman/ Ebert, § 254, Rn. 24; Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 39; Lange, in: Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 554. 417 BGH 28.5.1957 – VI ZR 136/56, BGHZ 24, 325, 327 (juris Rn. 7); 29.10.1974 – VI ZR 159/73, VersR 1975, 133, 135 (juris Rn. 21); MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 34; Palandt/Grüneberg, § 254, Rn. 9; Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 42 f. m.w.N. auch zur Gegenansicht. 418 BGH 10.4.1962 – VI ZR 63/61, NJW 1962, 1199, 1200; 26.6.1973 – VI ZR 47/72, NJW 1973, 1795; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn. 34. 419 Staudinger/Schiemann, § 254, Rn. 41; Lange, in: Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 557. 420 Siehe oben § 3 C II.
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kung der Arbeitnehmerhaftung als verfassungsrechtlich geboten.421 Unabhängig davon, ob man dem im Grundsatz zustimmt, dürfte unstreitig sein, dass jedenfalls die Einzelheiten der gegenwärtigen Rechtsprechungsgrundsätze verfassungsrechtlich nicht „in Stein gemeißelt“ sind.422 Wenn aber dem Grundgesetz keine konkreten Einzelheiten für die Ausgestaltung eines Sonderhaftungsregimes für Arbeitnehmer zu entnehmen sind, so kann die vom BAG angenommene grundrechtliche Fundierung der Haftungsprivilegierung zumindest nicht gegen die vertragliche Abänderung einzelner Elemente (zum Beispiel stete Mindesthaftung bis zu € 5.000 bei mittlerer Fahrlässigkeit) ins Feld geführt werden. Ein apodiktisches Verbot jeglicher Modifikationen lässt sich deshalb nicht mit der vom BAG behaupteten grundrechtlichen Gebotenheit der beschränkten Arbeitnehmerhaftung begründen. (2) Schutz der positiven Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers/ Übereilungsschutz Zur Rechtfertigung einer Einschränkung des mit der Versagung der Abdingbarkeit verbundenen Eingriffs in die negative Privatautonomie können jedoch zwei andere Überlegungen angeführt werden. Zu nennen ist zunächst die positive Privatautonomie des Arbeitnehmers, die sich grundrechtsdogmatisch damit erklären lässt, dass aus Art. 2 I GG nicht nur ein (negatives) Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe folgt, sondern – unter bestimmten Voraussetzungen – auch die Pflicht des Staates abzuleiten sein kann, in Konstellationen, in denen das vom Grundgesetz vorausgesetzte freie Spiel der Kräfte wegen eines (krassen) Verhandlungsungleichgewichts nicht mehr funktioniert, zum Schutz der schwächeren Partei einzugreifen.423 Auch wenn das BAG sich darauf – soweit ersichtlich – nicht explizit beruft, dürfte seine Auffassung von dieser Überlegung getragen sein.424 Es besteht in der Sache auch kein Zweifel daran, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer typischerweise ein Machtungleichgewicht zulasten des letzteren besteht. Die Befürchtung, ohne eine Beschränkung der Abdingbarkeit der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung würden diese in der Praxis regelmäßig weitreichend ausgehöhlt oder sogar vollständig abbedungen, ist daher durchaus realistisch. Es ist deshalb ein legitimes Anliegen, den typischerweise schwächeren Arbeitnehmer vor dem meist übermächtigen Arbeitgeber zu schützen. Gänzlich unabhängig von diesen auf das Kräfteverhältnis der Parteien bezogenen Überlegungen lässt sich auch im Bereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung wieder der Übereilungsschutzgedanke anführen. Denn selbst 421
Siehe oben § 2 F III 2. So selbst der Große Senat des BAG in der Entscheidung vom 27.9.1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083, 1085. 423 Zur Schutzpflichtdimension der Grundrechte vgl. oben § 1 F 3; zur positiven Privatautonomie vgl. auch Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 46, 573 m.w.N. 424 So auch die Interpretation von Schwarze, RdA 2001, 178, 179. 422
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wenn sich ein Arbeitnehmer atypischerweise in den Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber befindet oder sogar in der stärkeren Position ist, besteht die Gefahr, dass er – sei es wegen einer vom Arbeitgeber angebotenen Sonderleistung, sei es angesichts seines (naiven) Vertrauens darauf, es werde schon alles gut gehen – vorschnell auf ein in der Zukunft vielleicht noch äußerst bedeutsames Haftungsbeschränkungsinstrument verzichtet. Anders als das „Übermachtargument“ ist die Strahlkraft dieses Arguments allerdings zeitlich beschränkt. In Anlehnung an die bei der Abdingbarkeit gesetzlicher Haftungshöchstsummen herausgearbeiteten Grundsätze425 kann es nicht mehr fruchtbar gemacht werden, wenn der Arbeitnehmer Kenntnis vom Schadensfall hat. dd) Schranken haftungsmodifizierender Absprachen426 (1) Keine generelle Unabdingbarkeit Mit der positiven Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers sowie dem Übereilungsschutzgedanken können somit zwei legitime Ziele benannt werden, deren Verfolgung im Ausgangspunkt eine Beschränkung der negativen Vertragsfreiheit – in concreto in Form der Einschränkung der Abdingbarkeit der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung – zu tragen vermag. Weil sich aber die Art. 2 I GG beschränkende Maßnahme selbst wieder am GG messen lassen und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss,427 stellt sich die Frage, ob sich aufgrund dieser beiden Erwägungen im Sinne des BAG eine apodiktische und vollständige Unabdingbarkeit der Rechtsprechungsgrundsätze begründen lässt. Das ist richtigerweise zu verneinen. Zwar wäre eine solche zum Schutz der positiven Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers und vor übereilten Entscheidungen geeignet und – als relativ mildestes Mittel – auch erforderlich. Angemessen wäre sie aber nicht, weil sie gerade auch die Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers über Gebühr beschränken würde. Das anerkennt letztlich auch das BAG, indem es für den Bereich der Mankohaftung vertragliche Absprachen zulässt, die insoweit von seinen Rechtsprechungsgrundsätzen abweichen, als der Arbeitnehmer auch ohne (nachgewiesenes) Verschulden für einen Kassen- oder Lagerfehlbestand einstandspflichtig sein kann. Wenn das BAG das nur unter der Voraussetzung zulässt, dass dem Arbeitnehmer ein angemessenes Mankogeld gezahlt wird, das sicherstellt, dass er im Ergebnis „allein die Chance einer zusätzlichen Vergütung“428 erhält, so weist das in die richtige Richtung. Es ist nur nicht einzusehen und letztlich mit Blick auf Art. 3 I GG 425 Da es sich beim Arbeitsverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis handelt, scheidet das Übereilungsschutzargument immer nur für den konkret bereits eingetretenen Schaden aus. Auf Vereinbarungen über potentielle zukünftige Schäden bleibt es hingegen stets anwendbar. 426 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf arbeitsvertragliche Abreden, auf die Sondersituation bei Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen wird nicht eingegangen (vgl. zu letzteren z.B. Krause, NZA 2003, 577, 585 f.). 427 Siehe oben § 3 C II. 428 Siehe die Nachweise in Fn. 3001.
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auch verfassungsrechtlich bedenklich, warum diese Möglichkeit auf den Mankobereich beschränkt sein sollte und nicht auch für die sonstige beschränkte Arbeitnehmerhaftung gelten solle. Dafür spricht auch ein Vergleich mit zum Beispiel § 13 I 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 31 AGG und § 8 PflegeZG, bei denen trotz ihrer einseitig zwingenden Wirkung – teilweise explizit auch vom BAG – anerkannt ist, dass eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung möglich ist, wenn die vertragliche Abrede bei einem Einzelvergleich für den Arbeitnehmer günstiger ist.429 Wenn dies bei dem vom Gesetzgeber geschaffenen Recht möglich ist, muss gleiches erst recht für richterrechtlich geschaffene Regeln gelten. Anders als ein Totalverbot abweichender Abreden entspricht ein derartiges Vorgehen dem Gebot praktischer Konkordanz, weil es der negativen Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragspartner ausreichend Rechnung trägt, ohne die positive Privatautonomie des Arbeitnehmers und den Übereilungsschutzgedanken zu vernachlässigen. Etwas anderes ist auch nicht deshalb geboten, weil bei der Restschuldbefreiung antizipierte Abbedingungsvereinbarungen nach hier vertretener Ansicht apodiktisch nach § 134 BGB unwirksam sind.430 Das folgt schon daraus, dass bei der Restschuldbefreiung als letzter „Bastion“ des Schuldnerschutzes strengere Maßstäbe anzulegen sind.431 Überdies weicht die Situation bei Restschuldbefreiung einerseits, beschränkter Arbeitnehmerhaftung andererseits insoweit in erheblicher Weise voneinander ab, als bei letzterer – wie zu zeigen sein wird – der Abdingbarkeit objektivierbare Grenzen gezogen werden können, bei der Restschuldbefreiung aber das Problem besteht, dass angesichts des Zusammentreffens zahlreicher Forderungen unterschiedlicher Gläubiger nicht bestimmt werden könnte, ob eine antizipierte Abbedingung der §§ 286, 301 I InsO in Bezug auf einzelne Ansprüche dem Zweck des Restschuldbefreiungsverfahrens zuwiderläuft.432 Sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung also dispositiv, so bedeutet das im Gegenzug aber nicht, dass die Arbeitsvertragsparteien einen unbegrenzten Gestaltungsspielraum hätten, ihre Bewegungsfreiheit ist in Wahrheit – unabhängig von den ohnehin bestehenden allgemeinen Wirksamkeitshindernissen wie zum Beispiel §§ 104 ff., 119 ff. BGB – sogar äußerst beschränkt, wobei angesichts der begrenzten zeitlichen Anwendbarkeit des Über429 Für § 13 BUrlG: BAG 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, NZA 2002, 1041, 1045 f.; ErfK/ Gallner, § 13 BUrlG, Rn. 21; NK-ArbR/Düwell, § 13 BUrlG, Rn. 19; BeckOK-ArbR/Lampe, § 13 BUrlG, Rn. 5. – Für § 12 EFZG: BAG 22.8.2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610, 611 f.; ErfK/Dörner, § 12 EFZG, Rn. 7; BeckOK-ArbR/Ricken, § 12 EFZG, Rn. 15 m.w.N. – Für § 31 AGG: Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 31, Rn. 19; HK-AGG/Däubler, § 31, Rn. 4. – Für § 8 Pfl geZG: A. Böhm, Pfl geZG, § 8, Rn. 6. – Dieselben Grundsätze gelten bei einseitig zwingenden, verbraucherschützenden Normen, vgl. z.B. MüKo-BGB/Wendehorst, § 312i, Rn. 12; Staudinger/Kessal-Wulf, § 511, Rn. 3 m.w.N. 430 Ausführlich oben § 3 C III 1 b) cc). 431 Vgl. auch oben § 3 C III 2 c) bb). 432 Vgl. § 3 C III 1 b) cc).
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eilungsschutzgedankens433 zwischen Vereinbarungen vor und nach Kenntniserlangung des Arbeitnehmers vom Schadensfall zu differenzieren ist. (2) Abreden vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Schadensfall (a) Allgemeine Geschäftsbedingungen Sieht man den Arbeitnehmer beim Abschluss sein Arbeitsverhältnis betreffender Verträge mit dem BAG434 als Verbraucher im Sinne von § 13 BGB an, gelten die §§ 307–309 BGB nicht nur, wenn „echte“ AGB in Form für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierter Vertragsbedingungen (§ 305 I 1 BGB) vorliegen, sondern – soweit der Arbeitnehmer auf ihre Vorformulierung keinen Einfluss nehmen konnte – auch, wenn die Vertragsbedingungen nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, § 310 III Nr. 2 BGB. In Ermangelung eines speziellen Tatbestandes in §§ 309, 308 BGB ist entscheidend, ob die haftungsmodifzierende Absprache eine unangemessene Benachteiligung darstellt, § 307 I 1 BGB. Grundsätzlich ist der Spielraum für solche Abreden im Bereich beschränkter Arbeitnehmerhaftung begrenzt, weil das Leitbild des dispositiven Rechts im Sinne von § 307 II Nr. 1 BGB auch richterrechtlich geprägt wird,435 mit anderen Worten eine Abweichung von den wesentlichen Rechtsprechungsgrundsätzen im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung beinhaltet. Unproblematisch wäre damit eine vollständige Abbedingung der Rechtsprechungsgrundsätze unzulässig. Um im Übrigen den Kreis zulässiger Abweichungen näher zu bestimmen, bietet sich zunächst eine Unterscheidung von Einzel- und Gruppenvergleich an: Beim Einzelvergleich werden nur die jeweils sich sachlich entsprechenden Gesichtspunkte einander gegenübergestellt, wobei man eine Absprache, die bei einem solchen Einzelvergleich den Arbeitnehmer zumindest nicht schlechter stellt, entgegen der herrschenden Meinung nicht beanstanden kann. Relevant dürfte dies in Anlehnung an die Mankorechtsprechung vor allem für Absprachen werden, nach denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen bestimmten Zuschlag zum regulären Arbeitsentgelt zahlt, der Arbeitnehmer im Falle eines vom ihm verursachten Schadens bis zur Höhe dieses Zuschlags aber auch dann einzustehen hat, wenn er dies nach den richterrechtlichen Regeln nicht müsste, wohingegen für darüber hinausgehende Schäden die allgemeinen Grundsätze
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Vgl. oben § 3 C III 4 b) dd) (2). Vgl. BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, 1115; 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; BVerfG 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NZA 2007, 85, 86; ebenso ErfK/ Preis, § 611, Rn. 182; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 230; BeckOK-BGB/Becker, § 310, Rn. 36; vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 243; a.A. Annuß, NJW 2002, 2844, 2846; Henssler, RdA 2002, 129, 134; Bauer, NZA 2002, 169, 171. 435 Einhellige Auffassung, vgl. z.B. BGH 12.3.1987 – VII ZR 37/86, NJW 1987, 1931, 1932 f.; 10.12.1992 – I ZR 186/90, NJW 1993, 721, 722; 25.2.1998 – VIII ZR 276/96, NJW 1998, 1640, 1642; Staudinger/Coester, § 307, Rn. 236 f.; Palandt/Grüneberg, § 307, Rn. 29. 434
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gelten.436 Eine derartige Abrede hat für beide Seiten Vorteile: Der Arbeitnehmer verdient sich ein zusätzliches Entgelt, wenn beziehungsweise soweit er Schäden vermeidet, der Arbeitgeber kann im Gegenzug darauf hoffen, dass der Arbeitnehmer sich besonders sorgfältig verhält, um die Prämie nicht zu verlieren, was zugleich die Gefahr darüber hinausgehender Schäden, die gegebenenfalls ganz oder zum Teil vom Arbeitgeber zu tragen wären, vermindert.437 Ein Gruppenvergleich im Sinne einer Gegenüberstellung zweier sachunterschiedlicher Bereiche ist entsprechend der Handhabung bei zum Beispiel § 13 I 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 31 AGG und § 8 PflegeZG438 hingegen mangels einen objektiv Vergleich ermöglichender Maßstäbe grundsätzlich unzulässig. So ist dem BAG zum Beispiel insoweit zuzustimmen, als das dem Arbeitnehmer eingeräumte Recht, den Dienstwagen auch für Privatfahrten zu verwenden, eine Haftungsverschärfung für Unfallschäden nicht zu rechtfertigen vermag.439 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch § 310 III Nr. 3 BGB, nach dem beim Arbeitsvertrag als Verbrauchervertrag bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung auch die den Vertragsschluss begleitenden Einzelfallumstände berücksichtigt werden müssen. Das kann sich zugunsten, aber auch zulasten des Arbeitnehmers auswirken.440 Relevant wird das vor allem, wenn sich ein Arbeitnehmer mit ungewöhnlich starker Machtposition (beispielsweise Einserjurist, Spitzenphysiker)441 gegenüber dem Arbeitgeber auf eine Haftungsmodifikation zu seinen Lasten einlässt. Wenn angesichts dessen kein einseitiges „Diktat“ des Arbeitgebers droht und deshalb nicht mehr das Übermacht-, sondern nur noch das Übereilungsschutzargument eine Beschrän436 Vgl. auch Schwarze, RdA 2001, 178, 179; Peifer, ZfA 1996, 69, 74 f.; Krause, NZA 2003, 577, 585; Preis/Stoffels, Arbeitsvertrag, II H 20, Rn. 19 mit Fn. 37. – Zu den Anforderungen an Mankoabreden siehe auch Fn. 401 m.w.N. 437 Allerdings wird man verlangen müssen, dass die Abrede einen Referenzzeitraum festlegt, nach dessen Ablauf der Arbeitnehmer der bislang gezahlten Prämie nicht mehr verlustig gehen kann. Denn wenn er nach z.B. zwanzig Jahren Prämienzahlung infolge leichtester Fahrlässigkeit einen Schaden verursacht, müsste er sehr weitgehend haften, was ihn regelmäßig unzumutbar hart treffen dürfte. Realitätsnah betrachtet werden nämlich die wenigsten Arbeitnehmer die erhaltene Prämie langfristig für einen möglichen Schadensfall gesondert angelegen, sondern sie im Laufe der Zeit zur Lebensführung verbrauchen – was auch dem Arbeitgeber bekannt ist. Als derartigen Referenzzeitraum wird man – abhängig von der Höhe der Zuzahlung im Verhältnis zum regulären Gehalt – ein bis maximal zwei Jahre ansehen können, weil dem Arbeitnehmer eine Vorausplanung und „Ansparung“ der Prämie über einen derart vergleichsweise überschaubaren Zeitraum zumutbar ist (vgl. für den Bereich der Mankohaftung BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, NJW 1999, 1049, 1052, wo ein Kalenderjahr gebilligt wurde). 438 Siehe die Nachweise in Fn. 429. 439 So BAG 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650. 440 BAG 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; Junker, FS Buchner, S. 369, 379; vgl. Staudinger/Schlosser, § 310, Rn. 70 m.w.N. 441 Zur Bedeutung des Kräfteverhältnisses zwischen den Parteien im Rahmen von § 310 III Nr. 3 BGB vgl. MüKo-BGB/Basedow, § 310, Rn. 78.
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kung der Privatautonomie zu tragen vermag, wird man – vorsichtig – auch einen Gruppenvergleich zulassen können. Zwar wird man auch insoweit strenge Maßstäbe anlegen müssen, es aber eben auch nicht per se als unzulässig einstufen können, wenn ein solch „starker“ Arbeitnehmer im Gegenzug zur Gewährung von Zusatzurlaub beispielsweise für den Bereich mittlerer Fahrlässigkeit eine vollständige Einstandsverpflichtung bis zu einem gewissen Höchstbetrag akzeptiert.442 Hält man – mit dem BAG und entgegen der hier vertretenen Auffassung443 – eine Haftungsmilderung selbst im Bereich grober und gröbster Fahrlässigkeit im Einzelfall für möglich, wird man schließlich wenigstens auf diese Verschuldensstufen bezogene, einseitig den Arbeitnehmer schlechter stellende Abreden nicht apodiktisch als unangemessen benachteiligend und damit unwirksam anzusehen haben. Denn zum einen gehört zu dem nach § 307 I, II Nr. 1 BGB maßgeblichen gesetzlichen Leitbild auch die Systematik des BGB, nach der Haftungserleichterungen – seien es gesetzliche, seien es vertragliche – stets nur unterhalb der Schwelle grober Fahrlässigkeit möglich sind.444 Zum anderen ist ein grob oder gar gröbst fahrlässig Handelnder kaum schutzwürdig. Denkbar erscheint daher eine Abrede, nach der der Arbeitnehmer unabhängig von der vom BAG selbst in Fällen grober oder gröbster Fahrlässigkeit postulierten Einzelfallabwägung jedenfalls bis zu einem bestimmten, überschaubaren Betrag – der sich nach dem Verschuldensgrad staffeln könnte (zum Beispiel für grobe Fahrlässigkeit bis zu drei, für gröbste Fahrlässigkeit bis zu fünf Monatsgehälter) – einzustehen hat. Für mit leichtester Fahrlässigkeit verursachte Schäden müssen einseitig den Arbeitnehmer belastende Abreden dagegen apodiktisch ausgeschlossen werden, handelt es sich hier doch um einen Bereich, in dem der Arbeitnehmer während eines langfristigen Arbeitsverhältnisses auch bei Anstrengung aller Kräfte einem statistisch nicht vermeidbaren Schadensrisiko unterliegt.445 442 Diesem sogenannten „Preisargument“, nach der ein an sich ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner durch einen besonders günstigen Preis ausgeglichen werden kann, wird in anderen Ländern der EU wesentlich stärkeres Gewicht als – bis jetzt – in Deutschland zugemessen (MüKo-BGB/Basedow, § 310, Rn. 82). Für seine Validität spricht die 19. Präambelerwägung der – § 310 III BGB zugrundeliegenden – RL 93/13/EWG, wonach zwar „Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Vertrages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Lieferung bzw. der Dienstleistung beschreiben, nicht als mißbräuchlich beurteilt werden [dürfen]. Jedoch können der Hauptgegenstand des Vertrages und das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Mißbräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden.“. Zumindest bei Verbraucherverträgen ist das Preisargument daher – z.B. im obigen Sinne – heranzuziehen (vgl. auch OLG Frankfurt 17.11.2000 – 25 U 226/99, NJW-RR 2001, 780, 781; NK-BGB/Kollmann, § 310, Rn. 41; Staudinger/Schlosser, § 310, Rn. 72; Basedow a.a.O., Rn. 82 f.). 443 Siehe dazu oben § 2 F III 1 c) dd). 444 Siehe oben § 2 F III 1) c) dd) (1). 445 Vgl. oben § 2 F III 1 a) cc).
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(2) Individualverträge Liegt – wegen § 310 III Nr. 2 BGB: ausnahmsweise – einmal ein Individualvertrag vor, ist nur eine Inhaltskontrolle anhand von § 138 BGB möglich.446 Das bei der bei § 138 BGB vorzunehmenden Gesamtabwägung wichtige Kriterium der Unterlegenheit des durch die Vereinbarung benachteiligten Vertragspartners kann angesichts der typischerweise (deutlich) schwächeren Verhandlungsposition des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber in der Regel unschwer angenommen werden, seine Entkräftung wäre jedenfalls Sache des Arbeitgebers.447 Im Übrigen kann und muss man sich auch im Rahmen der Sittenwidrigkeitskontrolle maßgeblich an den Rechtsprechungsgrundsätzen des BAG orientieren, weil – unabhängig davon, ob man dem vorhandenen Richterrecht die Qualität als Rechtsquelle einräumt oder sie als bloße Rechtserkenntnisquelle charakterisiert – anerkannt ist, dass vorhandenes Richterrecht einen wichtigen Maßstab für die Einordnung eines Verhaltens als sittengemäß oder -widrig liefert.448 Die Tatsache, dass eine entsprechende Klausel in AGB nach § 307 BGB unwirksam wäre, begründet zwar nicht automatisch auch ihre Sittenwidrigkeit, dies ist vielmehr „autonom“ zu bestimmen.449 Dennoch sind die Grundpfeiler der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auch insoweit sakrosankt, was sowohl einer vollständigen Abbedingung als auch einer weitreichenden Abänderung entgegensteht. Insbesondere für die Haftungsprivilegierung bei leichtester Fahrlässigkeit ist – wie in AGB – angesichts der praktischen Unvermeidbarkeit kleiner Fehler während eines Dauerschuldverhältnisses eine Abbedingung nur möglich, wenn die dadurch ermöglichte Haftung der Höhe nach überschaubar ist und der Arbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für das übernommene Haftungsrisiko erhält.450 Bezüglich grob oder gröbst verursachter Schäden wird man – so man insoweit eine Haftungsmilderung überhaupt im Grundsatz für möglich hält451 – hingegen auch rein verschlechternde Absprachen, die betragsmäßig über dasjenige hinausgehen, was zur AGB-Kontrolle gesagt wurde (also zum Beispiel sechs bis acht Monatsgehälter), zulassen können. Denn für die Ausfüllung des Sittenwidrigkeitsbegriffs gilt insoweit Ähnliches wie bei § 307 I, II Nr. 1 BGB, als neben – oder besser gesagt: sogar vorrangig zu – vor446
Ebenso Preis, FS 50 Jahre BAG (2004), S. 123, 152. Vgl. die Parallelen bei der Bewertung von Arbeitnehmerbürgschaften: BGH 14.10.2003 – XI ZR 121/02, NJW 2004, 161, 162; Seifert, NJW 2004, 1707, 1708 f.; Soergel/Hefermehl, § 138, Rn. 153; MüKo-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 90; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 406; NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 249. 448 OLG Koblenz 20.6.2002 – 5 U 1608/01, NJW-RR 2002, 1504; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 16 ff.; Sack, WRP 1985, 1, 8; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 61 ff. 449 Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 190; MüKo-BGB/Kieninger, § 307, Rn. 10; NKBGB/Looschelders, § 138, Rn. 28; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307, Rn. 12; a.A. Staudinger/Sack (2003), § 138, Rn. 163. 450 Siehe auch oben § 3 C III 4 b) dd) (2) (a). 451 Dazu näher oben § 2 F III 1 c) dd). 447
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handenem Richterrecht einfachgesetzliche Wertentscheidungen – wie das zivilrechtliche Grundprinzip einer Schlechterstellung grob fahrlässig Handelnder452 – maßgeblich zu berücksichtigen sind.453 (3) Abreden nach Kenntnis des Arbeitnehmers vom Schadensfall Wird die Vereinbarung erst nach Kenntnis vom Schadensfall und in Bezug auf den eingetretenen Schaden geschlossen, kann das Übereilungsschutzargument natürlich nicht mehr angeführt werden. Eine Begrenzung der negativen Vertragsfreiheit der Parteien lässt sich deshalb nur mit dem Schutz der positiven Privatautonomie des Arbeitnehmers vor dem typischerweise übermächtigen Arbeitgeber begründen. Zwar ist der Arbeitnehmer während eines laufenden Arbeitsverhältnisses – zumindest nach Ablauf der Wartezeit des § 1 I KSchG – insoweit in einer stärkeren Stellung als vor seiner Begründung, als der Arbeitgeber ein „Nein“ zu einer entsprechenden Vereinbarung nicht so leicht rechtlich sanktionieren kann (vergleiche insbesondere das Maßregelungsverbot des § 612a BGB), es ist aber nicht zu verkennen, dass typischerweise dennoch auch hier der Arbeitgeber faktisch ein (deutliches) Übergewicht hat. Deshalb – und weil es zu verhindern gilt, dass die für Vereinbarungen vor Kenntnis vom Schadensfall sorgsam errichteten Hürden (oben [2]) umgangen werden können – sind der Vertragsfreiheit auch insoweit enge Grenzen zu ziehen. Bei entsprechenden Abreden scheint es sich auf den ersten Blick stets um Individualabreden zu handeln, die nur anhand der §§ 123, 138 BGB zu prüfen sind, nicht aber einer Inhaltskontrolle nach § 307 I, II Nr. 1 BGB unterliegen. Zu beachten ist aber § 310 III Nr. 2 BGB, nach dem unter anderem § 307 BGB bei vorformulierten Vertragsbedingungen auch dann anzuwenden ist, wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher wegen der Vorformulierung keinen Einfluss ausüben konnte.454 Unabhängig davon, ob danach § 307 BGB oder „nur“ § 138 BGB anwendbar ist, scheiden Abreden über leicht fahrlässig verursachte Schäden in der Praxis stets aus. Denn zulässig wären sie nach dem oben Gesagten nur, wenn der Arbeitnehmer für die übernommene Haftung einen finanziellen Ausgleich erhielte – damit aber würde die Abrede zur Farce, zum sinnlosen monetären Hin-und-Her, das letztlich über eine Aufrechnung vermieden würde. In Betracht kommen deshalb von vornherein nur Vereinbarungen über Schäden, die mit mindestens mittlerer Fahrlässigkeit verursacht wurden. Um zu verhindern, dass die für Vereinbarungen vor Kenntnis vom Schadensfall aufgestellten Schranken umgangen werden, wird man auch insoweit ähnliche Grenzen ziehen müssen. Im Vergleich zur Lage 452
Siehe oben § 2 F III 1 c) dd) (1). Vgl. NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 71 ff.; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 54, 61; Palandt/Grüneberg, § 138, Rn. 3. 454 Zu den hier nicht näher zu erläuternden Voraussetzungen der Vorschrift vgl. z.B. Staudinger/Schlosser, § 310, Rn. 62 ff.; MüKo-BGB/Basedow, § 310, Rn. 69 ff.; BeckOK-BGB/J. Becker, § 310, Rn. 17. 453
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vor Kenntnis vom Schadensfall kann man hier aber insoweit tendenziell etwas großzügiger verfahren, als zum einen der Arbeitnehmer nicht davor geschützt werden muss, im „naiven“ Vertrauen auf das eigene Glück sich eines später noch möglicherweise wichtigen Haftungsbeschränkungsinstruments zu begeben, und zum anderen der Arbeitnehmer in einer etwas stärkeren Verhandlungsposition als beim ursprünglichen Vertragsschluss ist. Als maximale Obergrenze für eine per (auch: individual-)vertraglicher Abbedingung herbeigeführte Schadensersatzhaftung dürften aber auch bei einer nach Kenntnis vom Schadensfall getroffenen Vereinbarung zehn bis zwölf Monatsgehälter anzusetzen sein. ee) Vertragstypologische Qualifikation Was die vertragstypologische Qualifikation von Abreden über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung anbelangt, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die Vereinbarung vor dem Schadensfall oder danach getroffen wurde. Handelt es sich um eine zuvor geschlossene Abrede, liegt eine Inhaltsänderung des Arbeitsverhältnisses vor, weil über mögliche Gegenrechte disponiert wird, § 311 I Alt. 2 BGB. Bei danach getroffenen Abreden ist weiter danach zu differenzieren, welche „Wirkung“ die beschränkte Arbeitnehmerhaftung entfaltete: Führte sie zu einer bloßen Anspruchskürzung, so gilt das Gleiche wie bei Vereinbarungen über Haftungshöchstsummen nach Schadenseintritt, das heißt, es liegt eine Inhaltsänderung des durch den Schadensfall begründeten, neben dem Arbeitsverhältnis bestehenden Schuldverhältnisses vor (§ 311 I Alt. 2 BGB). Bewirkten die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung hingegen, dass der Arbeitnehmer überhaupt nicht haftet, kann eine Inhaltsänderung mangels Bestehens eines solchen Schuldverhältnisses nicht angenommen werden. In diesem Fall ist die Abrede als Begründung eines atypischen Einredeverzichtsvertrags mit unmittelbar verfügender Wirkung zu interpretieren (§ 311 I Alt. 1 BGB). 5. Dispositivität der §§ 104–106 SGB VII a) Einleitung Wenig „literarische“ oder gar gerichtliche Aufmerksamkeit hat die Frage erfahren, ob die §§ 104–106 SGB VII zwingendes Recht oder ob sie disponibel sind, mit anderen Worten, ob der (potentielle) Schädiger gegenüber dem (potentiellen) Geschädigten auf die Haftungsersetzung verzichten kann. Ohne jede praktische Bedeutung ist diese Problematik aber selbst in Bezug auf materielle Schäden nicht, können sich die anhand einer abstrakten Schadensberechnung bemessenen Leistungsansprüche gegen die Unfallversicherung doch durchaus unterhalb dessen bewegen, was dem Geschädigten nach dem verdrängten privatrechtlichen Haftungsregime eigentlich zustehen würde.455 Für solche Konstellationen erscheinen Abreden nicht undenkbar, in denen der (potentielle) 455
Siehe oben § 2 E II 2 d) aa).
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Schädiger dem (möglichen) Geschädigten zum Beispiel einen Ausgleich dieser Differenz zusagt. Praktisch relevanter dürften Absprachen über privatrechtliche Schmerzensgeldzahlungen sein. Denn auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass die Versichertenrente (§§ 56 ff. SGB VII) – quasi: en passant – immaterielle Schäden mitkompensiert,456 ist doch keineswegs sichergestellt, dass dies in jedem Einzelfall und vor allem in einem Umfang geschieht, der auch nur annähernd einem zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruch gleichkommt. Die Frage nach der Dispositivität der §§ 104 ff. SGB VII soll im Folgenden nicht anhand aller von diesen Vorschriften im Einzelnen erfassten Fallgestaltungen durchexerziert werden. Stattdessen genügt es, sie exemplarisch anhand der praktisch am bedeutsamsten Konstellationen des Verzichts eines Arbeitgebers457 gegenüber seinem Arbeitnehmer einerseits und der umgekehrten Situation andererseits zu erörtern. b) Abbedingung zulasten des Arbeitgebers (§ 104 SGB VII) Eine Einschränkung der Dispositivität von § 104 SGB VII wäre angesichts der Vertragsfreiheit der Beteiligten nur möglich, wenn sich Umstände benennen lassen, die die damit verbundene Beschränkung der negativen Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu rechtfertigen vermögen. Nicht anführen lässt sich in Ermangelung eines zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer regelmäßig bestehenden Machtgefälles zugunsten des letzteren, es müsse die positive Vertragsfreiheit des Arbeitgebers geschützt werden; der „Übermachtgedanke“ greift vorliegend also nicht ein. Entgegen einer – soweit ersichtlich – nur von Ebsen458 vertretenen Auffassung lässt sich eine Unabdingbarkeit von § 104 SGB VII auch nicht mit einem Verweis auf eine Entscheidung des BGH vom 16.9.1993 begründen. In dieser hatte der 9. Senat einen Verstoß gegen den ordre public angenommen, wenn ein in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherter wegen eines im Ausland erlittenen Unfalls, für den Versicherungsschutz (nach dem heutigen SGB VII) besteht, im Ausland ein Urteil auf Ersatz von Personenschäden gegen den privilegierten Schädiger erstreitet.459 Ebsen will daraus ableiten, dass die §§ 104 ff. SGB VII ein wesentliches, zwingendes Element im Gesamtsystem der gesetzlichen Unfallversicherung darstellten. Dem ist nur insofern zuzustimmen, als die §§ 104 ff. SGB VII in der Tat zum Kern der gesetzlichen Unfallversicherung zählen. Ein zwingender Charakter in dem Sinne, dass der von ihnen Begünstigte nicht (präventiv) da456
Vgl. dazu näher oben § 2 E II 2 d) aa) (2). Aus sprachlichen Gründen wird im Folgenden nicht die etwas schwerfällige unfallversicherungsrechtliche Terminologie („Unternehmer“ – „Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs…“) verwendet, sondern plastischer stets von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesprochen. 458 JurisPK-SGB VII/Ebsen, § 104, Rn. 8. 459 BGH 16.9.1993 – IX ZB 82/90, NJW 1993, 3269, 3271 f. 457
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rauf verzichten könne, lässt sich aus dem BGH-Urteil aber nicht ableiten. Denn der BGH erklärte die Haftungsprivilegierung (nur) deshalb zum Teil des ordre public, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, dass sie in Fällen mit Auslandsbezug durch Erstreiten ausländischer Titel ausgehöhlt werden könnte. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand somit allein der Schutz des Haftungsprivilegierten vor einer zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung. Auf die Zulässigkeit freiwilliger privatrechtlicher Verzichte lässt das keine Rückschlüsse zu. Als berücksichtigungsfähiger Faktor verbleibt somit allein der Übereilungsschutzgedanke. Weil seine Anwendbarkeit ein Machtungleichgewicht der Beteiligten nicht voraussetzt, kann er im Grundsatz selbst dann fruchtbar gemacht werden, wenn die vor Kenntnis des Arbeitgebers vom Versicherungsfall geschlossene Vereinbarung zulasten des typisiert stärkeren Vertragspartners geht. In der Sache kann das Übereilungsschutzargument auch im Kontext eines Verzichts auf § 104 SGB VII angeführt werden, läuft ein voreilig des Schutzes der Haftungsprivilegierung entsagender Arbeitgeber doch Gefahr, einen dem begünstigten Arbeitnehmer entstehenden Personenschaden wirtschaftlich betrachtet zweimal ausgleichen zu müssen, nämlich zum einen über die Kostentragungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 150 I SGB VII) und zum anderen über den dann nicht mehr ausgeschlossenen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch. Auf diese Weise drohte ein nach der gesetzlichen Konzeption bedeutsames Haftungsbeschränkungsinstrument vorzeitig ausgehöhlt zu werden, wodurch der vom Gesetzgeber als sachgerecht betrachtete Ausgleichsmechanismus gestört und der Arbeitgeber einer – gemessen an der Systematik des Gesetzes – übermäßigen Haftung ausgesetzt würde. Auch wenn also das Übereilungsschutzargument selbst bei einem Verzicht des typisiert deutlich verhandlungsstärkeren Arbeitgebers eine Rolle spielt, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie es sich konkret auswirkt. In zeitlicher Hinsicht gilt es in Anlehnung an das zu Haftungshöchstsummen und der beschränkten Arbeitnehmerhaftung Gesagte460 nur für Vereinbarungen vor Kenntnis des Arbeitgebers vom Versicherungsfall, nicht aber danach. In sachlicher Hinsicht wiederum ginge es zu weit, daraus über § 134 BGB eine generelle Unwirksamkeit präventiver (vollständiger oder teilweiser) Verzichte auf § 104 SGB VII herleiten zu wollen, weil – wie zu zeigen sein wird – dem Bedürfnis nach Schutz des Arbeitgebers vor einer voreiligen Preisgabe auf andere Weise adäquat Rechnung getragen werden kann. Ein Totalverbot stellte daher einen unangemessenen Eingriff in die (negative) Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Schon deshalb kann dem nicht entgegen gehalten werden, dass nach hier vertretener Meinung antizipierte Neubegründungsvereinbarungen bei der Restschuldbefreiung über § 134 BGB apodiktisch unzuläs-
460
Siehe oben § 3 C III 2 c) cc) und § 3 C III 4 b) cc) (2).
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sig sind.461 Hinzu kommt, dass – wie bereits bei den Haftungshöchstsummen und der beschränkten Arbeitnehmerhaftung betont wurde462 – der Restschuldbefreiung als letzter „Fluchtburg“ des Schuldners eine besondere Bedeutung zukommt, die mit Blick auf § 134 BGB eine Sonderbehandlung rechtfertigt. Nicht in Betracht kommt des Weiteren eine Unwirksamkeit nach § 307 I, II Nr. 1 BGB, und zwar ohne dass es einer inhaltlichen Prüfung bedürfte. In den allermeisten Fällen wird der Arbeitsvertrag ohnehin vom Arbeitgeber abgefasst, als Verwender könnte er sich dann gar nicht auf eine eventuelle unangemessene Benachteiligung durch seine eigenen AGB berufen.463 Aber selbst wenn – was kaum jemals vorkommen dürfte – der Arbeitsvertrag aus der Feder des Arbeitnehmers stammte, würde keine AGB-Kontrolle stattfinden, weil es sich dann nicht um vorformulierte, zur mehrmaligen Verwendung im Sinne von § 305 I 1 BGB bestimmte Vertragsbedingungen handelte.464 Schließlich wird man auch eine Unwirksamkeit nach § 138 I BGB nicht annehmen können, und zwar selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber vollumfänglich auf den Schutz des § 104 SGB VII verzichtet. Im Unterschied zu Haftungshöchstsummen, bei denen nach hier vertretener Auffassung ein Totalverzicht unzulässig ist,465 steht vorliegend nämlich keine verschuldensunabhängige und damit für den Arbeitgeber besonders „gefährliche“ Haftung im Raum. Im Vergleich zum potentiellen Einstandsverpflichteten eines Gefährdungshaftungstatbestandes besteht deshalb ein deutlich geringeres Bedürfnis, den Arbeitgeber vor einer voreiligen Preisgabe des Haftungsbegrenzungsschutzes zu bewahren. Auch wenn somit ein präventiver, freiwilliger Verzicht des Unternehmers auf die Haftungsprivilegierung des § 104 I SGB VII zulässig ist,466 ohne dass der Übereilungsschutzgedanke dem inhaltliche Grenzen zöge, ist er doch auch im vorliegenden Zusammenhang nicht ohne Auswirkungen. Relevant werden kann er nämlich, wo es um die Auslegung einer solchen Verzichtsvereinbarung geht, insbesondere bei der Bestimmung deren sachlicher Reichweite. So wird man im Zweifel davon ausgehen können, dass § 104 SGB VII durch eine entsprechende Vereinbarung nur in Bezug auf seinen Ausschluss privatrechtlicher Schmerzensgeldansprüche abbedungen werden sollte. Im Sinne des Übereilungsschutzgedankens wird durch eine solche begrenzende Interpretation näm461
Vgl. oben § 3 C III 1 b) cc). Siehe oben § 3 C III 2 c) und § 3 C III 4 dd) b) (1). 463 Allgemeine Meinung, vgl. nur BT-Drucks. 7/5422, S. 6; BGH 4.12.1986 – VII ZR 354/85, NJW 1987, 837, 838; 2.4.1998 – IX ZR 79/97, NJW 1998, 2280, 2281; 9.3.2006 – VII ZR 268/04, NZBau 2006, 383, 384; LAG Hamm 2.7.2013 – 14 Sa 1706/12, BeckRS 2013, 72272; NK-BGB/Kollmann, Vor §§ 305 ff., Rn. 5. 464 Der eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unter bestimmten Voraussetzungen eröffnende § 310 III Nr. 2 BGB greift nicht ein, weil der Arbeitnehmer nicht Unternehmer im Sinne von § 14 BGB ist. 465 Siehe oben § 3 C III 2 d) aa) und bb). 466 So i.E. auch Schneider, in: Wussow, Unfallhaftpfl chtrecht, S. 1582. 462
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lich verhindert, dass der Arbeitgeber ein und denselben Schadensposten zweimal liquidieren muss und dadurch die gesetzliche Grundkonzeption des SGB VII ausgehebelt wird. Die Interessen des geschädigten Arbeitnehmers gebieten nichts anderes, ist für ihn doch selbst mit einer derart interpretierten Vereinbarung das größte „Systemdefizit“ des geltenden SGB VII beseitigt. Einen darüber hinausgehenden zusätzlichen Verzicht auf die Haftungsprivilegierung auch in Bezug auf materielle Schäden – zum Beispiel dergestalt, dass der Arbeitgeber den Ausgleich einer eventuellen Differenz zwischen dem zivilrechtlich eigentlich Geschuldeten und den Leistungen der Unfallversicherung auszugleichen verspricht – wird man dagegen nur annehmen können, wenn der Vertrag entsprechende Anhaltspunkte dafür bietet, drohte dem Arbeitgeber doch anderenfalls eine nach der Konzeption des SGB VII unerwünschte partielle Doppelfinanzierung. Das muss erst recht gelten, wo es um einen darüber noch hinausreichenden, vollständigen Ausschluss des § 104 SGB VII geht. Ein solcher kann nur bei einem explizit dahinlautenden Verzicht angenommen werden. c) Abbedingung zulasten des Arbeitnehmers (§ 105 SGB VII) Während also die – auch: präventive – Abbedingung von § 104 SGB VII keinen inhaltlichen Schranken unterliegt, lässt sich dies für § 105 SGB VII nicht sagen. Zwischen § 105 SGB VII und den Grundsätzen beschränkter Arbeitnehmerhaftung bestehen nämlich nicht nur in Bezug auf die rechtsdogmatische und -politische Legitimation der Haftungsprivilegierung Parallelen,467 sondern auch im Hinblick auf ihre Verzichtbarkeit, ist doch die Ausgangslage identisch. So besteht wie bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auch in Bezug auf § 105 SGB VII die Notwendigkeit, der Abdingbarkeit zum einen mit Blick auf die positive Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers sowie zum anderen zu seinem Schutz davor, sich übereilt eines zukünftig vielleicht noch äußerst bedeutsamen Haftungsbeschränkungsinstruments zu entäußern, Schranken zu ziehen.468 Angesichts der begrenzten zeitlichen Reichweite des Übereilungsschutzarguments, das nur für Vereinbarungen vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall angeführt werden kann,469 ist im Folgenden wiederum zeitlich zu differenzieren: aa) Abbedingung vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall Obwohl sich bei präventiven Vereinbarungen vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall sowohl das Übermacht- wie das Übereilungsschutzargument anführen lassen, ist es auch bei § 105 SGB VII im Sinne praktischer Konkordanz vorzugswürdig, nicht (über § 134 BGB) sämtliche Absprachen 467
Vgl. oben § 2 E III 6 und § 2 F III 1 a). Bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung oben § 3 C III 4 b) cc) (2). 469 Siehe zur vergleichbaren Situation bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung oben § 3 C III 4 b) cc) (2). 468
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§ 3 Übergreifende Aspekte
apodiktisch für unzulässig zu erklären, sondern eine Abdingbarkeit grundsätzlich zuzulassen und den (verfassungsrechtlich) gebotenen Schutz des Arbeitnehmers durch eine entsprechende (enge) Schrankenziehung sicherzustellen.470 Etwas anderes folgt in Übertragung der Ausführungen zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung auch nicht daraus, dass bei der Restschuldbefreiung antizipierte Abbedingungsvereinbarungen nach hier vertretener Ansicht stets als nach § 134 BGB unwirksam anzusehen sind.471 Hinsichtlich der konkreten Grenzen ist im Übrigen zwischen Regelungen in Formular- und solchen in Individualverträgen zu differenzieren: (1) Allgemeine Geschäftsbedingungen Wegen der Interpretation des Arbeitsvertrags als Verbrauchervertrag durch das BAG472 hat wegen § 310 III Nr. 2 BGB regelmäßig eine AGB-Kontrolle nach § 307 I, II Nr. 1 BGB zu erfolgen. Entsprechend dem zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung Gesagten stellt dabei zunächst ein vollständiger, kompensationsloser Verzicht auf § 105 SGB VII angesichts der Leitbildfunktion des einfachen Rechts unzweifelhaft eine unangemessene Benachteiligung dar. Im Unterschied zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung ist zudem zu beachten, dass der Arbeitgeber in Bezug auf materielle Personenschäden bereits weitgehend durch die Leistungsansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert ist. Er kann daher insoweit keine legitimen Interessen anführen, die die mit einer potentiellen Schadensersatzpflicht verbundene Belastung des Arbeitnehmers aufzuwiegen vermochten. Entsprechend können Vereinbarungen über § 105 SGB VII zulasten des Arbeitnehmers nur im Hinblick auf solche potentiellen Schäden zulässig sein, die nicht bereits durch Leistungen des Unfallversicherungsträgers kompensiert werden. In Betracht kommt eine Abbedingung somit von vornherein nur in Bezug auf nicht abgedeckte immaterielle (Schmerzensgeld) oder materielle Schäden, wobei letzteres vor allem bei der hinter den korrespondierenden Ansprüchen der §§ 842, 843 BGB wegen ihrer abstrakten Schadensberechnung eventuell zurückbleibenden Verletztenrente denkbar ist.473 Soweit diese Grenzen allerdings beachtet werden, wird man eine teilweise Abbedingung des § 105 SGB VII nicht stets als nicht tolerabel ansehen müssen. 470 Für eine Einstufung als einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht hingegen Brose, RdA 2011, 205, 215. 471 Siehe dazu oben § 3 C III 4 b) dd) (1). 472 Vgl. BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, 1115; 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; BVerfG 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NZA 2007, 85, 86; ebenso ErfK/ Preis, § 611, Rn. 182; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 230; BeckOK-BGB/Becker, § 310, Rn. 36; vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 243; a.A. Annuß, NJW 2002, 2844, 2846; Henssler, RdA 2002, 129, 134; Bauer, NZA 2002, 169, 171. 473 Zur unterschiedlichen Berechnung von sozialversicherungsrechtlichem Leistungsund privatrechtlichem Schadensersatzanspruch siehe oben § 2 E II 2 d) aa).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Möglich erscheint beispielsweise erstens eine Abrede, nach der der Arbeitnehmer in Durchbrechung von § 105 SGB VII seinem Arbeitgeber bei einem Arbeitsunfall bis zu einem bestimmten, finanziell verkraftbaren Höchstbetrag (zum Beispiel drei Nettomonatslöhne) Schmerzensgeld474 schulden soll, ohne hierfür eine finanzielle Kompensation zu erhalten. Voraussetzung ist in einem solchen Fall allerdings, dass zwischen den Parteien inhaltliche Waffengleichheit herrscht, das heißt der Arbeitgeber im Gegenzug ebenfalls in mindestens gleicher Höhe für auf Arbeitsunfällen beruhende immaterielle Schäden gegenüber dem Arbeitnehmer einzustehen hat. Das folgt letztlich aus dem Rechtsgedanken des § 622 VI BGB, der über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus „das gesetzliche Leitbild erkennen [lässt], dass die Rechtsstellung der Arbeitsvertragsparteien dort, wo sie sich in einer strukturell vergleichbaren Lage befinden, gleich ausgestaltet sein soll.“475. Eine derartige strukturell vergleichbare Lage nahm das BAG in einem Fall an, in dem – ähnlich wie hier – Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihrer Stellung als (potentieller) Gläubiger und Schuldner betroffen waren.476 Vergleichbar dem zur beschränkten Arbeitnehmerhaftung Gesagten und in Anlehnung an die Mankorechtsprechung des BAG477 wird man zweitens auch Vereinbarungen, die „einäugig“ nur § 105 SGB VII, nicht aber auch § 104 SGB VII teilweise abbedingen, für zulässig halten können, wobei dies im Regelfall nur gelten kann, wenn sie eine summenmäßig überschaubare Haftung statuieren und den Arbeitnehmer insgesamt im Rahmen eines Einzelvergleichs nicht schlechter stellen. Zu denken ist beispielsweise an eine „Unfallvermeidungsprämie“, die als Zusatz zum normalen Arbeitsentgelt478 ausgezahlt wird und die der Arbeitnehmer nur behalten darf, wenn und soweit er den Arbeitgeber nicht innerhalb eines überschaubaren Referenzzeitraums479 in einer einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII begründenden Weise schädigt; für den Fall, dass dies doch geschieht, bedingt die Abrede zulässigerweise partiell § 105 SGB VII bis zur Höhe des empfangenen Zusatzlohns ab.480 Ein Gruppenvergleich à la 474 Oder materiellen Schadensersatz im sich durch das Zurückbleiben der Sozialleistungen hinter den verdrängten privatrechtlichen Ansprüchen ergebenden „Delta“. 475 BAG 2.3.2004 – 1 AZR 271/03, NZA 2004, 852, 858; vgl. auch Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 154; ErfK/Müller-Glöge, § 622, Rn. 44. 476 BAG 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 326; 21.6.2011 – 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338, 1341 f.; aus der Literatur z.B. Krause, RdA 2004, 36, 47; ErfK/Preis, § 218, Rn. 47; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), § 611, Rn. 1009. – Die Entscheidungen bzw. die Literaturaussagen beziehen sich allerdings nicht auf das Problem einer Abdingbarkeit von § 105 SGB VII, sondern auf die Frage, ob und inwieweit Ausschlussfristen in AGB zulässig sind. 477 Siehe dazu näher oben Fn. 401. 478 Im Falle von Lohntarifverträgen oder von einem gesetzlichen Mindestlohn erfassten Arbeitsverhältnissen bedeutet das zum Beispiel, dass die „Unfallvermeidungsprämie“ auf den Tarif- bzw. Mindestlohn „draufgesattelt“ wird. 479 Zur Bedeutung des Referenzzeitraums im vorliegenden Zusammenhang vgl. Fn. 437. 480 Vgl. auch oben § 3 C III 4 b) dd) (2) (a).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
„Zusatzurlaub gegen Verzicht auf Haftungsprivilegierung“ ist hingegen grundsätzlich abzulehnen, eine entsprechende Klausel also unwirksam. Angesichts der Berücksichtigungsfähigkeit der den Vertragsschluss begleitenden Umstände (§ 310 III Nr. 3 BGB) wird bei atypisch „starken“ Arbeitnehmern aber vorsichtig etwas anderes in Betracht kommen können, weil dann nur noch der Übereilungsschutzgedanke – und nicht auch die positive Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers – der (negativen) Privatautonomie Grenzen zieht.481 Soweit es schließlich um eine Haftung wegen grober oder gar gröbster Fahrlässigkeit handelt, wird man selbst einseitig die Position des Arbeitnehmers verschlechternde Abreden, die im Sinne einer Einbahnstraße nur § 105 SGB VII, nicht aber § 104 SGB VII erfassen, nicht a priori als unangemessene Benachteiligung qualifizieren können. Denn, wie bereits ausgeführt, wird das im Rahmen von § 307 I, II Nr. 1 BGB zu berücksichtigende gesetzliche Leitbild auch durch die systematische Schlechterstellung grob fahrlässig Handelnder geprägt.482 Deshalb erscheint beispielsweise eine Abrede denkbar, nach der der Arbeitnehmer bei grober oder gröbster Fahrlässigkeit bis zu einem bestimmten, überschaubaren Betrag – der sich nach dem Verschuldensgrad staffeln könnte (zum Beispiel für grobe Fahrlässigkeit bis zu drei, für gröbste Fahrlässigkeit bis zu fünf Monatsgehälter) – Schmerzensgeld483 an den geschädigten Arbeitgeber zu zahlen hat. (2) Individualvereinbarungen Nicht anhand von § 307 BGB kontrollfähige Individualvereinbarungen liegen wegen § 310 III Nr. 2 BGB angesichts der Qualifikation des Arbeitsvertrags als Verbrauchervertrag durch das BAG484 in aller Regel nicht vor. Ist das ausnahmsweise anders, kommt nur eine Kontrolle anhand der §§ 123, 138 BGB in Betracht. Wie ausgeführt, erfordert § 138 BGB im Sinne eines „beweglichen Systems“ stets die Abwägung aller für und wider eine Sittenwidrigkeit streitenden Umstände des konkreten Einzelfalls.485 Der dabei bedeutsame Umstand der Unterlegenheit des Vertragspartners ist angesichts des typischerweise vorliegenden Machtungleichgewichts zulasten des Arbeitnehmers vorliegend in aller Regel erfüllt. Weil im Übrigen im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 138 BGB – auch: dispositiven – gesetzlichen Wertungen, die nicht bloßen Zweck481
Siehe auch insoweit oben § 3 C III 4 b) dd) (2) (a). Siehe oben § 2 F III 1 c) dd) (1). 483 Oder materiellen Schadensersatz im sich durch das Zurückbleiben der Sozialleistungen hinter den verdrängten privatrechtlichen Ansprüchen ergebenden „Delta“. 484 Vgl. BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, 1115; 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; BVerfG 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NZA 2007, 85, 86; ebenso ErfK/ Preis, § 611, Rn. 182; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611, Rn. 230; BeckOK-BGB/Becker, § 310, Rn. 36; vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 243; a.A. Annuß, NJW 2002, 2844, 2846; Henssler, RdA 2002, 129, 134; Bauer, NZA 2002, 169, 171. 485 Siehe oben § 3 C III 1 c) cc) (2) (b). 482
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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mäßigkeitserwägungen entspringen, große Bedeutung zukommt,486 ist zum Schutz des Arbeitnehmers vor dem übermächtigen Arbeitgeber und vor sich selbst (Übereilungsschutz!) zunächst eine vollständige Abbedingung des § 105 SGB VII auch in Individualvereinbarungen als unzulässig anzusehen. Denn dies widerspräche ebenso der Grundsystematik der §§ 104 ff. SGB VII – Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz – wie eine Vereinbarung, die dem Arbeitnehmer eine Schadensersatzpflicht selbst dann auferlegen wollte, wenn der Schaden des Arbeitgebers bereits vollständig durch die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeglichen wird. Wie AGB wird man deshalb auch Individualvereinbarungen nur für zulässig halten können, wenn sie sich auf nicht abgedeckte immaterielle (Schmerzensgeld) oder materielle Schäden beziehen. Selbst wenn diese Grenzen beachtet wurden, sind Individualvereinbarungen nicht schrankenlos möglich. Wie bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung wird man insbesondere in Bezug auf durch leichteste Fahrlässigkeit verursachte Versicherungsfälle angesichts der Unvermeidbarkeit kleiner Fehler während eines Dauerschuldverhältnisses eine Abbedingung nur für möglich halten können, wenn die dadurch ermöglichte Haftung der Höhe nach überschaubar ist und der Arbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für das übernommene Haftungsrisiko erhält.487 „Großzügiger“ können hingegen Vereinbarungen bewertet werden, die sich auf grob fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle beziehen; hier sind auch die Position des Arbeitnehmers einseitig verschlechternde Abreden denkbar, die in der Höhe über das im Rahmen der AGB-Kontrolle Gesagte hinausgehen (also zum Beispiel sechs bis acht Monatsgehälter).488 (3) Auslegung der Vereinbarung Wie oben dargelegt, sind Vereinbarungen, die § 104 SGB VII zulasten des Arbeitgebers vor seiner Kenntnis vom Versicherungsfall abbedingen, im Zweifel eng auszulegen.489 Das kann, soweit es sich um Individualvereinbarungen handelt, auf sich auf § 105 SGB VII abbedingende Abreden übertragen werden. Bei AGB sind hingegen wegen § 305c II BGB, nach dem Zweifel bei der Auslegung zulasten des Verwenders gehen, einige Besonderheiten zu beachten. Denn sowohl im abstrakten Unterlassungsverfahren nach dem UKlaG wie im Individualprozess wird die Vorschrift von der herrschenden Meinung so angewandt, dass zunächst geprüft wird, ob die Klausel bei kundenfeindlichster Auslegung der Inhaltskontrolle standhält. Ist das nicht der Fall, so ist sie unwirksam und an ihre Stelle tritt 486 Zur Bedeutung des dispositiven Rechts für die Sittenwidrigkeitskontrolle vgl. z.B. BGH 11.11.1968 – VIII ZR 151/66, NJW 1969, 230, 231; 9.1.1989 – II ZR 83/88, NJW 1989, 2685, 2686; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 56. 487 Siehe auch oben § 3 C III 5 c) aa) 1). 488 Zur aus zahlreichen Vorschriften ableitbaren Grundsystematik des BGB, nach der ein grob fahrlässig Handelnder wenig schutzbedürftig ist, vgl. oben § 2 F III 1 c) dd) (1). 489 Siehe im Einzelnen oben § 3 C III 5 b).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
das entsprechende Gesetzesrecht (§ 306 II BGB). Besteht die Klausel aber selbst unter diesem Maßstab die Inhaltskontrolle, so ist sie zwar wirksam, wegen § 305c II BGB ist ihr Inhalt nunmehr aber durch die kundenfreundlichste Auslegung zu bestimmen.490 Im vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass wenn Unklarheiten darüber bestehen, ob die Vereinbarung § 105 SGB VII auch insoweit abbedingen soll, als der Arbeitgeber bereits über die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert ist, dies – arbeitnehmerfeindlich – mit der Folge der vollständigen Unwirksamkeit anzunehmen ist; anderenfalls ist die Abrede so weit als möglich zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen. bb) Abbedingung nach Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall Was die Abbedingung von § 105 SGB VII nach Kenntnis des Arbeitnehmers vom Versicherungsfall anbelangt, kann im Grundsatz auf die insoweit vollständig übertragbaren Aussagen zur nachträglichen Abdingbarkeit der beschränkten Arbeitnehmerhaftung verwiesen werden. Als Besonderheit ist angesichts der grundsätzlichen Absicherung des Arbeitgebers durch die gesetzliche Unfallversicherung jedoch wiederum zu beachten, dass sich die Vereinbarung von vornherein nur auf solche materiellen oder immateriellen Schäden beziehen kann, die nicht bereits durch den Unfallversicherungsträger ausgeglichen wurden. d) Exkurs: Verhältnis zu den Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung Wird die sozialrechtliche Haftungsprivilegierung – gemessen an den oben genannten Vorgaben – wirksam (teilweise) abbedungen, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der dann bestehenden privatrechtlichen Ansprüche zu den Leistungen des Unfallversicherungsträgers. Letztere kann der Geschädigte nach wie vor einfordern, entspricht ein Verzicht auf sie typischerweise doch weder dem Willen der Parteien noch erfüllt die privatrechtliche Absprache die von § 46 SGB I aufgestellten Anforderungen an einen Verzicht auf Sozialleistungsansprüche. Angesichts dieser parallelen Anspruchsberechtigung bestünde nun aber die Gefahr, dass sich der Versicherungsfall entgegen dem allgemeinen schadensrechtlichen Bereicherungsverbot491 materiell zugunsten des Geschädigten auswirken würde. Eine derartige drohende, doppelte Begünstigung des Geschädigten kann allerdings über eine Analogie zu § 104 III SGB VII vermieden werden. Weil der Gesetzgeber keine Regelung über die Abdingbarkeit traf, kann die erforderliche planwidrige Regelungslücke angenommen werden. Gleiches gilt für die Ver490 BGH 20.12.2007 – III ZR 144/07, NJW 2008, 987, 988; 29.4.2008 – KZR 2/07, NJW 2008, 2172, 2173; 9.6.2010 – VIII ZR 294/09, NJW 2010, 2877, 2879; MüKo-BGB/Basedow, § 305c, Rn. 35; BeckOK-BGB/Schmidt, § 305c, Rn. 56; Palandt/Ellenberger, § 305c, Rn. 18; Erman/Roloff, § 305c, Rn. 28; kritisch gegenüber dieser Vorgehensweise Staudinger/Schlosser, § 305c, Rn. 108. 491 Vgl. dazu z.B. MüKo-BGB/Oetker, § 249, Rn. 20; BeckOK-BGB/Schubert, § 249, Rn. 178.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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gleichbarkeit der Interessenlage,492 behandelt § 104 III SGB VII doch das identische Problem einer Kumulation privat- und sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche.493 Das dortige Ergebnis, dass die Leistungen nach dem SGB VII kongruente zivilrechtliche Schadensersatzansprüche mindern und nicht umgekehrt, so dass der Geschädigte stets voll auf den Unfallversicherungsträger zugreifen kann, ist auch vorliegend sachgerecht. Denn anderenfalls würde er die mit der Schadensabwicklung über die gesetzliche Unfallversicherung verbundenen Vorteile494 verlieren, die Vereinbarung über den Ausschluss des § 104 SGB VII also mittelbar zu seinem Nachteil gereichen, weil er zum Beispiel das Insolvenzrisiko seines Unternehmers tragen müsste; eine derartige Rechtsfolge widerspräche auch § 46 SGB I, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. § 104 III SGB VII ist aber nur anwendbar, wenn es sich um sachlich und zeitlich kongruente sozialversicherungs- und zivilrechtliche Ansprüche handelt.495 Anzunehmen ist eine derartige Kongruenz zum Beispiel zwischen Verletztenrente nach §§ 56 ff. SGB VII und zivilrechtlichem Rentenanspruch nach §§ 842, 843 BGB;496 entsprechend entfällt letzterer, soweit der Anspruch auf Verletztenrente besteht, für darüber hinausgehende, nicht durch die Verletztenrente abgedeckte Schäden bleibt er aber bestehen.497 Entgegen der bisher einhelligen Meinung498 kommt eine Anwendung von § 104 III SGB VII auch in Bezug auf privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche in Betracht, wenn und soweit der Geschädigte Anspruch auf Verletztenrente hat und diese im konkreten Einzelfall einen Ausgleich immaterieller Schäden bewirkt.499 492 Zu den Voraussetzungen einer Analogie vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, S. 393 ff.; Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 634 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 868, 889. 493 Zum Zweck des § 104 III SGB VII, eine Doppelbegünstigung des Geschädigten zu verhindern, vgl. z.B. Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 16; BeckOK-SozR/ Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 33; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 19; Rapp, in: Becker/Franke/ Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 29. 494 Siehe dazu ausführlich oben § 2 E V 1 b). 495 Vgl. allgemein bei § 104 III SGB VII Rapp, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 30; BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 35; HWK/Giesen, § 104 SGB VII, Rn. 14; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 16. 496 Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 16; weitere Beispiele für kongruente Leistungen bei Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 30. 497 BeckOK-SozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 37; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 19. 498 Grüner, in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 104, Rn. 30; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 19; Lehmacher/Mülheims, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, § 104 SGB VII, Rn. 27; Kater/Leube, SGB VII, § 104, Rn. 45; Kasseler Kommentar/Ricke, § 104 SGB VII, Rn. 16; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104, Rn. 28; BeckOKSozR/Stelljes, § 104 SGB VII, Rn. 37; jurisPK-SGB VII/Ebsen, § 104, Rn. 32. – Für das Pendant für Beamte war die Nichtanrechnung ursprünglich sogar explizit im Gesetz geregelt (vgl. § 139 BBG vor 1965, zitiert nach BGH 22.9.1970 – VI ZR 270/69, VersR 1970, 1053 [juris Rn. 16]). 499 Siehe ausführlich oben § 2 E II 2 d) aa) (2).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Liegen kongruente Ansprüche vor, so gilt im Außenverhältnis zwischen dem Geschädigten und den Ersatzpflichtigen wegen § 104 III SGB VII analog (gegebenenfalls in Verbindung mit § 105 I 3 SGB VII) Folgendes: Bezieht der Geschädigte zuerst Leistungen des Unfallversicherungsträgers, mindert sich sein zivilrechtlicher Ersatzanspruch entsprechend; tritt er dennoch an den Schädiger heran und leistet dieser mehr als dasjenige, was er analog § 104 III SGB VII noch schuldet, kann dieser – vorbehaltlich eines Ausschlusses gemäß § 814 Alt. 1 BGB – nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB kondizieren. Leistet umgekehrt zeitlich zuerst der Schädiger und bezieht der Geschädigte später Leistungen des Unfallversicherungsträgers, kann der Schädiger nach § 812 I 2 Alt. 1 BGB gegen den Geschädigten vorgehen. Eine Rückforderung des Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Geschädigten scheidet hingegen in jedem Fall aus, weil durch die privatrechtliche Vereinbarung die sozialrechtlichen Leistungsansprüche unberührt bleiben. Fraglich ist, wer im Innenverhältnis der Ersatzpflichtigen (Schädiger/Unfallversicherungsträger) den Schaden für kongruente Leistungen wirtschaftlich zu tragen haben soll. Da sich der irrtümlich (zu viel) leistende Schädiger nach dem soeben Gesagten bereicherungsrechtlich an den Geschädigten halten kann, stellt sich die Frage nach einem möglichen Ausgleich im Innenverhältnis allein in der Weise, ob sich der Unfallversicherungsträger, der eine oder mehrere Leistungen erbracht hat, an den Unternehmer halten kann. Zu denken ist insoweit an einen Regress nach § 110 SGB VII. Dieser greift zwar nicht direkt ein, in Betracht kommt aber eine Analogie. Die erforderliche planwidrige Regelungslücke liegt entsprechend dem zu § 104 III SGB VII Gesagten vor. Zudem ist die Interessenlage vergleichbar: Wer auf die (mögliche) Haftungsprivilegierung teilweise verzichtet und damit zu erkennen gibt, insoweit für die finanziellen Folgen eines Arbeitsunfalls einzustehen, ist nicht schutzwürdiger als derjenige, der den Arbeitsunfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Nicht undenkbar erschiene es ferner, alternativ auf eine cessio legis nach § 116 SGB X zurückzugreifen.500 Zwar spricht dagegen auf den ersten Blick § 104 I 2 SGB VII, der § 116 SGB X gerade ausschließt. Allerdings ließe sich vertreten, mit dem Ausschluss von § 104 I 1 SGB VII (gegebenenfalls in Verbindung mit § 105 I 3 SGB VII) sei zugleich § 104 I 2 SGB VII abbedungen, weil dieser auf jenem logisch aufbaut. Zudem ließe sich anführen, dass § 104 I 2 SGB VII eine rein deklaratorische Norm ist, die nur eine sich aus dem Zusammenspiel anderer Normen ohnehin ergebende Rechtsfolge bestätigt, so dass ihr kein eigener, konstitutiver Normbefehl entnommen werden kann.501 Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 116 SGB X lägen im Übrigen vor, weil ein „auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz 500 Nimmt man das an, müsste man konsequenterweise eine analoge Anwendung des § 110 SGB VII mangels planwidriger Regelungslücke ablehnen. 501 Siehe oben § 2 E III 2 E).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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eines Schadens“ nunmehr nicht mehr (vollständig) durch die rechtshindernde Einwendung des § 104 SGB VII ausgeschlossen wäre. Ein Unterschied zwischen diesen Regresswegen besteht vor allem insofern, als im Rahmen des § 110 SGB VII auch auf einen möglichen Schmerzensgeldanspruch zurückgegriffen werden kann,502 wohingegen dies bei § 116 SGB X mangels kongruenter unfallversicherungsrechtlicher Leistung nicht möglich wäre.503 Insgesamt dürfte es deswegen überzeugender sein, den Weg über eine Analogie zu § 110 SGB VII zu wählen. e) Vertragstypologische Qualifikation Wird auf die Haftungsprivilegierung vor dem Versicherungsfall verzichtet, so liegt angesichts der damit einhergehenden Einschränkung eines möglichen Gegenrechts eine Inhaltsänderung des Arbeitsverhältnisses im weiteren Sinne vor, § 311 I Alt. 2 BGB. Bei einem Verzicht nach dem Versicherungsfall scheidet eine Inhaltsänderung hingegen aus, weil angesichts der rechtshindernden Wirkung der §§ 104 ff. SGB VII504 gar kein (abänderbares) privatrechtliches Schuldverhältnis entstanden ist. In diesem Fall ist die Abrede als atypischer Einredeverzichtsvertrag mit unmittelbar verfügender Wirkung zu interpretieren, der durch die Beseitigung der den Anspruch „blockierenden“ Einrede diesen in der Gestalt aufleben lässt, den er ohne die Haftungsprivilegierung von Anfang an gehabt hätte. 6. Disponibilität von § 13 II GmbHG? a) Einleitung Last but not least sei auf die Frage eingegangen, ob die Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG abdingbar ist. Angesichts der für die Gesellschaftsgläubiger mit § 13 II GmbHG einhergehenden, gegebenenfalls weitreichenden Gefahren liegt die praktische Bedeutung dieser Frage auf der Hand. Bei ihrer Antwort ist im Einzelnen zwischen drei Szenarien zu differenzieren. b) Generelle Abbedingung der Haftungsbeschränkung im Gesellschaftsvertrag In Betracht käme zunächst, dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag eine generelle Haftung eines oder mehrerer Gesellschafter für sämtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft anordnen. Die – soweit ersichtlich – ganz ein502 Das folgt aus einem erst-recht-Schluss dazu, dass der Unfallversicherungsträger nach der überzeugenden Auffassung des BGH (27.6.2006 – VI ZR 143/05, NJW 2006, 3563, 3564) im Rahmen des § 110 SGB VII selbst auf einen fiktiven Schmerzensgeldanspruch zurückgreifen kann, siehe oben § 2 E III 2 f). 503 Vgl. z.B. Kasseler Kommentar/Kater, § 116 SGB X, Rn. 134; Breitkreutz, in: Diering/ Timme/Waschull, SGB X, § 116, Rn. 9; BeckOK-SozR/Pohl, § 116 SGB X, Rn. 12. 504 Siehe zur Einstufung der §§ 104 ff. SGB VII als rechtshindernde Einwendungen oben § 2 E III 1.
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hellige Meinung hält dies allerdings zu Recht für nicht zulässig.505 Zwar kann dafür weder die insoweit unergiebige Entstehungsgeschichte des GmbHG506, der Wortlaut des Gesetzes noch angeführt werden, der Haftungsausschluss der Gesellschafter sei untrennbar mit dem Wesen einer juristischen Person verbunden, ist beziehungsweise war dies bei der KGaA respektive der Genossenschaft doch anders.507 Gegen eine Abdingbarkeit des § 13 II GmbHG spricht aber, dass es sich bei der Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG um einen Grundpfeiler508 des GmbH-Rechts handelt, dessen Abschaffung zu einer vollständigen Denaturierung der GmbH führen würde. Eine GmbH ohne Haftungsbeschränkung wäre – wie zum Beispiel die im Rahmen der Diskussion um die Vermögensvermischung befürwortete analoge Anwendung des § 128 HGB zeigt509 – in Bezug auf das Haftungsregime im Ergebnis nichts anderes als eine KG beziehungsweise eine oHG. Angesichts dessen stellte eine vollständige Abbedingung von § 13 II GmbHG einen unzulässigen Verstoß gegen den numerus clausus der Rechtsformen des Gesellschaftsrechts dar. c) Individualvertraglich begründete Einstandsverpflichtung Unberührt bleibt aber das Recht eines Gesellschafters, sich durch Individualvereinbarung mit einem Gläubiger zu verpflichten, für eine diesem gegenüber bestehende konkrete Schuld der Gesellschaft einzustehen. Vertragstypologisch kommen hier vor allem eine originäre Mitverpflichtung als Gesamtschuldner, ein Schuldbeitritt oder eine akzessorische Haftung per Bürgschaft in Betracht. Auch wenn diese Gestaltungen de facto eine partielle Aufbrechung des GmbH-typischen Haftungsregimes beinhalten, können sie nicht deshalb als unzulässig betrachtet werden.510 Denn solange die dogmatische Grundfeste der Haftungsbeschränkung und damit das numerus clausus Prinzip unberührt bleiben, bewegen sich Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit. Deren Einschränkung kann in einem solchen Fall auch nicht mit dem Übereilungsschutzgedanken gerechtfertigt werden, weil ein Gesellschafter, der sich in 505 J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 501 ff.; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13, Rn. 300; MüKo- GmbHG/Merkt, § 13, Rn. 2; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13, Rn. 2. 506 Vgl. dazu J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 501. 507 Siehe dazu oben § 2 D III 1. 508 Vgl. z.B. Scholz/Emmerich, GmbHG, § 13, Rn. 1 („§ 13 regelt die wichtigsten Merkmale der GmbH“); BeckOK-GmbHG/Wilhelmi, § 13, vor Rn. 1 („§ 13 ist eine der zentralen Vorschriften des GmbHG“); Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13, Rn. 2 („Kernaussagen“). 509 Siehe dazu oben § 2 D IV 10 e) bb) (2). 510 Ebenso Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 13, Rn. 2; J. Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 502; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 16.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Kenntnis einer konkreten Gesellschaftsverbindlichkeit zum Beispiel hierfür verbürgt, nicht davor geschützt werden muss, sich des in der Zukunft möglicherweise noch wichtig werdenden Haftungsbeschränkungsinstruments des § 13 II GmbHG zu begeben. d) Gesellschaftsvertragliche Pflicht zur Mithaftung Gewissermaßen in der Mitte zwischen diesen beiden Polen liegt die im Gesellschaftsvertrag geregelte Pflicht eines oder aller Gesellschafter, beispielsweise Bürgschaften oder Garantien für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu übernehmen. Anders als bei den unter a) erörterteren Konstellationen wird damit § 13 II GmbHG nicht unmittelbar abbedungen, sondern es wird „nur“ die Pflicht begründet, ihn in der von der Abrede erfassten Fällen faktisch zu durchbrechen. Ob diese Pflicht nur „intern“ gegenüber den anderen Gesellschaftern oder ob sie im Stile eines Vertrags zugunsten Dritter auch gegenüber dem jeweiligen Gesellschaftsgläubiger besteht, ist im Wege der Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu bestimmen.511 Einer solchen Absprache kann mit Blick auf die Vertragsfreiheit der Gesellschafter sowie die Regelung des § 3 II GmbHG, nach der über die gesetzlichen Pflichten gegenüber der Gesellschaft hinausgehende Nebenpflichten der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag geregelt werden können, nicht apodiktisch die Wirksamkeit versagt werden. Dennoch sind ihr Grenzen zu ziehen. So müssen solche statutarische Nebenpflichten schon nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen hinreichend bestimmt sein, woran es insbesondere fehlt, wenn der Gesellschafter das Ausmaß der ihn (in der Zukunft) treffenden Verpflichtungen nicht ohne weiteres überschauen kann.512 Für dieses Erfordernis lässt im vorliegenden Kontext ferner der Übereilungsschutzgedanke anführen, der es gebietet, den Gesellschafter davor zu bewahren, sich zu einem Zeitpunkt, in dem er noch gar nicht weiß, in Bezug auf welche konkreten Forderungen er eine solche Verpflichtung übernimmt, im Ergebnis auf den Schutz des § 13 II GmbHG zu verzichten. Das gilt jedenfalls für solche Gesellschafter, die nach der internen Machtverteilung in der GmbH keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft haben und deshalb die spätere Entstehung ihrer Verpflichtung nicht steuern können. Entsprechend wäre zum
511 Auch ein Anspruch auf Vertragsschluss kann Inhalt eines Vertrags zugunsten Dritter sein, vgl. z.B. MüKo-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 21. – Vgl. dazu, dass ein Vertrag zugunsten Dritter auch im Rahmen eines Gesellschaftsvertrags übernommen werden kann, Staudinger/ Jagmann, § 328, Rn. 9. 512 Vgl. BGH 17.10.1988 – II ZR 372/87, NJW-RR 1989, 228; 22.10.2007 – II ZR 101/06, NZG 2008, 148; Scholz/Emmerich, GmbHG, § 3, Rn. 71; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 3, Rn. 38.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Beispiel eine Bestimmung unwirksam, nach der ein Gesellschafter verpflichtet ist, sich für jede zukünftige Forderung der Gesellschaft zu verbürgen.513 Aber selbst wenn das Bestimmtheitsgebot gewahrt ist, sind derartige Satzungsregelungen nicht stets wirksam. Denn es ist zu verhindern, dass auf diesem Weg das unter a) postulierte Verbot der generellen Abbedingung der Haftungsbeschränkung de facto umgangen wird. Ob eine derartige Umgehung vorliegt, kann letztlich nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles bestimmt werden. Dabei kommt es maßgeblich auf die Gesamthöhe der drohenden Einstandsverpflichtung und – in Anbetracht des Übereilungsschutzgedankens – die internen Einflussmöglichkeiten des betroffenen Gesellschafters an.
IV. Synthese: Die Übereilungsschutzdimension von Haftungsbeschränkungsinstrumenten Die wegen der grundrechtlich geschützten und in § 311 BGB einfachgesetzlich anerkannten Vertragsfreiheit bestehende grundsätzliche Dispositivität gesetzlicher Haftungsbeschränkungsinstrumente erfährt – wie gezeigt – mannigfache Einschränkungen. Vereinzelt lassen sich diese mit den Besonderheiten des jeweiligen Instruments erklären, so zum Beispiel das mit dem numerus clausus Prinzip des Gesellschaftsrechts zu begründende Verbot einer generellen Abbedingung des § 13 II GmbHG im Gesellschaftsvertrag.514 Auch die Notwendigkeit, die positive Vertragsfreiheit des bei typisierter Betrachtung schwächeren (potentiellen) Schädigers vor einem drohenden Diktat des übermächtigen (möglichen) Geschädigten zu schützen, kann eine Begrenzung der Dispositivität rechtfertigen, wie das namentlich in Bezug auf die beschränkte Arbeitnehmerhaftung und § 105 SGB VII der Fall ist.515 Um einen durchgängig bei allen Haftungsbeschränkungsinstrumenten fruchtbar zu machenden Gedanken handelt es sich aber auch dabei nicht, fehlt es doch oft an einem derartig typisierten Verhandlungsungleichgewicht zulasten des (potentiellen) Einstandsverpflichteten. Das ist besonders sinnfällig, wo – wie insbesondere bei § 104 SGB VII mit dem Unternehmer/Arbeitgeber – dieser sogar typischerweise die stärkere
513 Schmidt-Leithoff, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 3, Rn. 31; BeckOKGmbHG/Jaeger, § 3, Rn. 29; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 3, Rn. 38; vgl. auch BGH 22.10.2007 – II ZR 101/06, NZG 2008, 148, wonach eine Satzungsbestimmung, derzufolge Verluste in unbestimmter Höhe zeitlich unbegrenzt übernommen werden müssen, zu unbestimmt ist. 514 Dazu oben § 3 C III 6 b). 515 Siehe oben § 3 C III 4 b) d) und § 3 C III 5 c). – Dagegen lassen sich die eine Absenkung der Haftungshöchstsumme verbietenden § 92 AMG, § 14 ProdHaftG, § 49c LuftVG, § 323 IV HGB (gegebenenfalls i.V.m. § 49 AktG), § 702a I 1 BGB entgegen der h.M. richtigerweise nicht mit diesem Übermachtgedanken begründen (siehe § 3 C III 2 c] aa] m.w.N.).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Vertragspartei ist; es gilt aber auch, wo sich – wie zum Beispiel zwischen Erbe und Nachlassgläubigern oder dem möglichen Haftungsverantwortlichen nach § 1 ProdHaftG und seinem Abnehmer – abstrakt-typisierend keine bestimmte Kräfteverteilung annehmen lässt. Als ein bei der Abdingbarkeit sämtlicher Haftungsbeschränkungsinstrumente relevanter Umstand lässt sich jedoch der hier schlagwortartig als „Übereilungsschutzargument“ bezeichnete Gedanken identifizieren. Dieser dient im Sinne eines paternalistischen Ansatzes dem Schutz des (möglichen) Einstandsverpflichteten davor, sich vorschnell eines in der Zukunft möglicherweise noch wichtig werdenden Schutzinstruments zu begeben und damit das vom Gesetzgeber als gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen angesehene System aufzubrechen. Von den Machtverhältnissen der Beteiligten ist seine Einschlägigkeit dabei ebenso unabhängig wie davon, ob der (potentielle) Schuldner geschäftserfahren ist oder nicht.516 Angesichts seines Charakters als Schutzinstrument vor voreiligem Handeln unterliegt das Übereilungsschutzargument jedoch einer natürlichen zeitlichen Grenze. Auch wenn diese zum Teil bei den einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumenten unterschiedlich zu bestimmen ist, kann die Grenzziehung abstrahierend doch stets auf einen gleichen Nenner zurückgeführt werden. So lässt sich als Faustformel formulieren, dass der Übereilungsschutz immer nur bis zu dem Zeitpunkt herangezogen werden kann, in dem das Haftungsbeschränkungsinstrument tatsächlich „aktuell“ geworden ist und damit ungleich mehr ist als ein bloß hypothetisch in einer (fernen) Zukunft vielleicht einmal bedeutsam werdender Schutzmechanismus. Dogmatisch fügt sich die hier postulierte, den Haftungsbeschränkungsinstrumenten immanente Übereilungsschutzdimension nahtlos in eine Kette allgemein bereits anerkannter paternalistischer Instrumente des geltenden Rechts ein, die vor übereiltem Handeln schützen sollen. Genannt seien Formvorschriften, die – zum Teil neben anderen Zwecken – meist Warnfunktion haben und damit einen Übereilungsschutz bewirken sollen,517 das dem Käufer einen „si516 Diese Faktoren können sich aber im Rahmen der nach § 138 BGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände auf die Wirksamkeit der Abbedingungsvereinbarung auswirken, vgl. dazu oben § 3 C III 2 d) aa). 517 Vgl. allgemein: BGH 24.9.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58, 60 f.; Staudinger/ Hertel, § 125, Rn. 37; MüKo-BGB/Einsele, § 125, Rn. 8; Palandt/Ellenberger, § 125, Rn. 2; Soergel/Hefermehl, Vor § 125, Rn. 1; BeckOK-BGB/Wendtland, § 125, Rn. 1. – Für § 311b I BGB (§ 313 BGB a.F.): BGH 17.3.1978 – V ZR 217/75, NJW 1978, 1577; 10.4.1978 – II ZR 61/77, NJW 1978, 2505; 7.6.2000 – VIII ZR 268/99, NJW 2000, 2665, 2666; Staudinger/ Schumacher, § 311b, Rn. 3; MüKo-BGB/Kanzleiter, § 311b, Rn. 1. – Für § 518 BGB: Staudinger/Chiusi, § 518, Rn. 2; MüKo-BGB/J. Koch, § 518, Rn. 1; BeckOK-BGB/Gehrlein, § 518, Rn. 1. – Für § 766 BGB: BGH 28.1.1993 – IX ZR 259/91, NJW 1993, 1126, 1127; NK-BGB/ Beckmann, § 766, Rn. 1; Palandt/Sprau, § 766, Rn. 1. – Für § 1410 BGB: Staudinger/Thiele, § 1410, Rn. 2; NK-BGB/Völker, § 1410, Rn. 1; einschränkend MüKo-BGB/Kanzleiter, § 1410,
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§ 3 Übergreifende Aspekte
tuativen Übereilungsschutz“ bietende Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften (§ 312 BGB a.F.)518 beziehungsweise außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§§ 312b, g BGB n.F.) sowie das Trennungsjahrerfordernis des § 1565 II BGB, welches Ehegatten vor vorschnell gefassten Scheidungsentschlüssen bewahren soll.519 Angeführt werden können ferner die Überlegungsfrist des § 1747 II BGB, die einer übereilten Weggabe des Kindes vorbeugen soll,520 der durch die Widerruflichkeit des Stiftungsgeschäfts (§ 81 II BGB) bezweckte Übereilungsschutz521, das Verhandlungsgebot des § 81 II 1 BauGB vor einer Enteignung522, die Unzulässigkeit eines im Voraus erklärten Verzichts auf die Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung523 sowie der neuerdings in § 656 BGB gesehene Übereilungsschutz des Kunden.524 Auch wenn der Übereilungsschutz also ein legitimer, sich quer durch alle Haftungsbeschränkungsinstrumente ziehender und ihrer Dispositivität Schranken setzender Gedanke ist, so geschieht dies doch nicht uniform, sondern in verschiedener Gestalt und mit unterschiedlicher Intensität. So kann zunächst danach differenziert werden, welche Bedeutung ihm im Verhältnis zu anderen, eine Beschränkung der Abdingbarkeit rechtfertigender Umstände zukommt: Am oberen Ende der Skala stehen diejenigen Haftungsbeschränkungsinstrumente, bei denen er der einzige Grund ist, der sich überhaupt Rn. 2. – Für § 2247: LG Augsburg 7.1.1998 – 5 T 2919/97, FamRZ 1534, 1535; MüKo-BGB/ Hagena, § 2247, Rn. 1; Staudinger/Baumann, § 2247, Rn. 95 m.w.N. – Nur vereinzelt lassen sich Fälle finden, in denen ein Formerfordernis nicht dem Übereilungsschutz dient, so z.B. bei §§ 780 f. BGB (vgl. BGH 8.12.1992 – XI ZR 96/92, NJW 1993, 584; Staudinger/Marburger, § 780, Rn. 7 m.w.N.). 518 BGH 2.5.2000 – XI ZR 150/99, NJW 2000, 2268; Auer, ZBB 1999, 161, 163; Staudinger/Thüsing, § 312, Rn. 1; Jauernig/Stadler, § 312, Rn. 1; MüKo-BGB/Masuch, § 312, Rn. 1; BeckOK-BGB/Maume, § 312, Rn. 1. 519 BGH 5.11.1980 – IVb ZR 538/80, NJW 1981, 449, 451; OLG Düsseldorf 13.11.1991 – 2 WF 220/91, NJW-RR 1992, 1092; Palandt/Brudermüller, § 1565, Rn. 6; MüKo-BGB/Ey, § 1565, Rn. 88; Jaeger, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, § 1565, Rn. 44; BeckOK-BGB/ Neumann, § 1565, Rn. 18; Jauernig/Berger/Mansel, § 1565, Rn. 5; Hk-BGB/Kemper, § 1565, Rn. 1; Staudinger/Rauscher, § 1565, Rn. 8 m.w.N. zu heute kaum noch vertretenen Gegenauffassungen. 520 Staudinger/Frank, § 1747, Rn. 21; Soergel/Liermann, § 1747, Rn. 16; MüKo-BGB/ Maurer, § 1747, Rn. 18; Palandt/Götz, § 1747, Rn. 4; vgl. Staudinger/Rauscher, Einleitung zu §§ 1589–1600d, Rn. 136a. 521 OLG Schleswig-Holstein 1.8.1995 – 9 W 50/95, DNotZ 1996, 770, 771; MüKo-BGB/ Hertel, § 81, Rn. 11; Staudinger/Hüttemann/Rawert, § 81, Rn. 3. 522 BeckOK-BauR/Petz, § 87 BauGB, Rn. 50; Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, § 87, Rn. 69. 523 BGH 17.1.2007 – VIII ZR 37/06, NJW 2007, 1058, 1058 f.; 21.9.2011 – IV ZR 38/09, NJW 2012, 296, 298; H. Roth, LMK 2012, 327095 (sub. 2. a]). 524 BGH 4.3.2004 – III ZR 124/03, NJW-RR 2004, 778, 779; MüKo-BGB/H. Roth, § 656, Rn. 3, 16; Soergel/Ciolek-Krepold¸ § 656, Rn. 1; NK-BGB/Wichert, § 656, Rn. 3; BeckOKBGB/Kotzian-Marggraf, § 656, Rn. 5; Hk-BGB/Ebert, § 656, Rn. 1; kritisch Staudinger/Reuter, § 656, Rn. 2.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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für eine Begrenzung der Dispositivität anführen lässt. Anzunehmen ist das insbesondere bei § 104 SGB VII, der Erbenhaftung und bei der Restschuldbefreiung.525 Auf der nächsten Stufe lassen sich diejenigen Konstellationen einordnen, in denen er gleichberechtigt an die Seite anderer Faktoren tritt und im Verbund mit diesen der Abdingbarkeit Grenzen zieht (so vor allem bei der beschränkten Arbeitnehmerhaftung und § 105 SGB VII).526 Am geringsten ist seine Bedeutung – in Bezug auf die hier untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumente – bei der Haftungsprivilegierung des § 13 II GmbHG, lassen sich deren Abdingbarkeitsbeschränkungen doch vorwiegend mit gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten (numerus clausus, Bestimmtheitsgrundsatz) begründen, so dass ihm hier nur eine – überdies personell auf Gesellschafter ohne nennenswerten Einfluss beschränkte – Hilfsfunktion zukommt.527 Zum anderen kann danach abgeschichtet werden, mit welcher Intensität der Übereilungsschutzgedanke – alleine oder gegebenenfalls im Verbund mit anderen Erwägungen – der Dispositivität Grenzen zieht. Dabei reicht die Skala von einem Totalverbot (antizipierter Neubegründungsvereinbarungen bei der Restschuldbefreiung)528 über einen im Rahmen der Sittenwidrigkeits- beziehungsweise AGB-Kontrolle (maßgeblich) zu berücksichtigenden Faktor (Haftungshöchstsummen, beschränkte Arbeitnehmerhaftung, § 105 SGB VII)529 bis hin zu Konstellationen, in denen er der Dispositivität als solcher keine inhaltlichen Vorgaben zu machen in der Lage ist, jedoch immerhin insoweit herangezogen werden kann, als er eine enge Auslegung der Verzichtsvereinbarung nahelegt (so bei § 104 SGB VII und der Erbenhaftung)530. Um die Stichhaltigkeit der These von der den Haftungsbeschränkungsinstrumenten immanenten Übereilungsschutzdimension zu verifizieren, ist im Folgenden exemplarisch anhand eines im Rahmen dieser Arbeit nicht näher erörterten Haftungsbeschränkungsinstruments zu prüfen, ob sie sich auch insoweit nachweisen lässt.
V. Transfer: Verjährungserschwerungen 1. Einleitung Dieser Transfer soll anhand des wichtigsten Haftungsbeschränkungsinstruments „in der Zeit“, der Verjährung, geleistet werden. Abreden über den Beginn und die Länge der Verjährungsfrist oder über (Ablauf-)Hemmungs- und
525 526 527 528 529 530
Näher oben § 3 C III 5 b), § 3 C III 3 b) und § 3 C III 1 b) cc). Siehe oben § 3 C III 4 b) cc) (2) und § 3 C III 5 c). Siehe oben § 3 C III 6 c). Siehe oben § 3 C III 1 b) cc). Dazu oben § 3 C III 2 d), § 3 C III 4 b dd) und § 3 C III 5) c) aa). Näher § 3 C III 5 ab) und § 3 C III 3 b).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Neubeginnstatbestände erfreuen sich in der Praxis erheblicher Beliebtheit.531 Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Dispositivität nach geltender Rechtslage samt existierender Streitstände gegeben (dazu 2.) und sodann nach der Legitimation für ihre Beschränkung gesucht (unter 3.). 2. Die geltende Rechtslage Anders als nach § 225 S. 1 BGB a.F., der eine rechtsgeschäftliche Erschwerung der Verjährung apodiktisch verbot, ist eine solche seit der Schuldrechtsmodernisierung e contrario § 202 II BGB grundsätzlich zulässig.532 Trotz der damit verbundenen und vom Gesetzgeber angestrebten Stärkung der Privatautonomie533 ist ein Ausschluss aber nicht grenzenlos möglich. Insoweit ist zeitlich danach zu unterscheiden, ob die Vereinbarung beziehungsweise der Verzicht vor oder nach Verjährungseintritt erfolgte. a) Vereinbarungen/Verzichte vor Verjährungseintritt Vor Verjährungseintritt wird der Dispositivität eine erste (explizite) Grenze durch § 202 II BGB gezogen, wonach die Verjährung nicht über eine Frist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden darf. Hiergegen verstoßende Abreden sind nach § 134 BGB unwirksam.534 Wenn bereits die Erschwerung der Verjährung dieser Schranke unterfällt, so muss dies erst recht für einen vollständigen Verjährungsausschluss gelten. Zwar ist ein (ein- oder zweiseitiger) Verzicht schon vor Verjährungseintritt grundsätzlich möglich,535 Voraussetzung ist jedoch, dass er die 30–Jahres-Grenze des § 202 II BGB wahrt.536 Die Nichtigkeit von (Individual-)Vereinbarungen/Verzichten, die diese Vorgabe nicht beachten, ist nach dem BGH aber nach Möglichkeit dadurch zu vermeiden, dass sie so auszulegen sind, dass § 202 II BGB gerade noch beachtet ist;537 in AGB ist dieser Weg allerdings versperrt, wenn 531
Vgl. näher Lakkis, AcP 203 (2003), 763, 764 f. Allgemeine Meinung, vgl. z.B. Löhnig, Fristen, Rn. 160; Mansel, NJW 2002, 89, 96; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 11; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 36, 40; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 1. 533 BT-Drucks. 14/6040, S. 110. 534 Erman/Schmidt-Räntsch, § 202, Rn. 11; Löhnig, Fristen, Rn. 161; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 3; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 136; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 7; so schon zu nach altem Recht (§ 225 BGB a.F.) unwirksamen Abreden BGH 19.4.2001 – I ZR 340/98, NJW-RR 2001, 1320, 1322. 535 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06, WM 2007, 2230, 2231; OLG Brandenburg 16.2.2005 – 9 WG 38/05, NJW-RR 2005, 871; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 13; NK-BGB/Mansel/ Stürner, § 202, Rn. 45; BeckOK-BGB/Henrich, § 202, Rn. 7. 536 MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 13; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 45; BeckOKBGB/Henrich, § 202, Rn. 7; jurisPK-BGB/Lakkis, § 202, Rn. 26. 537 BGH 18.9.2007 – XI ZR 447/06, WM 2007, 2230, 2231; aus der Literatur z.B. Lakkis, ZGS 2003, 423, 425; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 13; BeckOK-BGB/Henrich, § 202, Rn. 7. 532
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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man mit der herrschenden Meinung538 eine geltungserhaltende Reduktion für unzulässig hält.539 Aber selbst die Grenze des § 202 II BGB wahrende Verjährungserschwerungen sind nicht ausnahmslos wirksam. So besteht Einigkeit darüber, dass formularmäßige Verjährungsverlängerungen an § 307 BGB540 zu messen sind,541 wobei der Länge der gesetzlichen Verjährungsfristen als gesetzliches Leitbild mit „erhebliche[m] Gerechtigkeitsgehalt“542 maßgebliche Bedeutung zukommt.543 Der Verwender muss daher ein besonderes Interesse anführen können, dass das Interesse seines Vertragspartners an der Einhaltung der gesetzlichen Regelung überwiegt.544 Beispielsweise wird eine Verjährungserschwerung für unangemessen gehalten, wenn dem Vertragspartner die Abwehr unbegründeter Ansprüche unzumutbar erschwert wird, weil er in Beweisschwierigkeiten zu kommen droht oder über einen übermäßigen langen Zeitraum Rückstellungen bilden muss.545 Handelt es sich um eine – auch nicht als Verbrauchervertrag dem § 310 III Nr. 3 BGB unterfallende und deshalb an § 307 BGB zu messende – Individualvereinbarung, so ist umstritten, anhand welcher Norm eine Kontrolle verjährungserschwerender, § 202 II BGB beachtender Vereinbarungen denkbar ist. Zum Teil wird auf § 138 BGB546 , zum Teil auf § 242 BGB547 rekurriert. Um538 Vgl. z.B. BGH 17.1.1989 – XI ZR 54/88, NJW 1989, 582, 583; 1.2.2005 – X ZR 10/04, NJW 2005, 1774, 1776; 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011, 139, 141; BAG 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2004, 727, 734; 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, 1114; NK-BGB/ Kollmann, § 306, Rn. 25; Erman/Roloff, § 306, Rn. 8 f.; Palandt/Grüneberg, § 306, Rn. 6; BeckOK-BGB/H. Schmidt, § 306, Rn. 16; kritisch MüKo-BGB/Basedow, § 306, Rn. 12 ff.; Staudinger/Schlosser, § 306, Rn. 22 ff. – Vgl. instruktiv zum Verbot geltungserhaltender Reduktion H. Roth, JZ 1989, 411 ff. 539 Darauf weisen im vorliegenden Kontext zutreffend Lakkis, ZGS 2003, 423, 425 und Löhnig, Fristen, Rn. 168 hin. 540 § 309 Nr. 8 lit. b) lit. ff), Nr. 7 lit. a), b) BGB greifen nur bei hier nicht näher interessierenden verjährungserleichternden Abreden ein (vgl. z.B. Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 73 ff.). 541 Vgl. Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 2; NK-BGB/Manzel/Stürner, § 202, Rn. 55; Soergel/Niedenführ, § 202, Rn. 18; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 12; Palandt/Ellenberger, § 202, Rn. 13; Hk-BGB/Dörner, § 202, Rn. 3; so implizit auch Erman/Schmidt-Räntsch, § 202, Rn. 11; BeckOK-BGB/Henrich, § 202, Rn. 11. 542 BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065, 2066. 543 OLG München 8.11.2006 – 34 Wx 45/06, NJW 2007, 227, 229; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 12; Lakkis, AcP 203 (2003), 763, 773 ff.; Palandt/Ellenberger, § 202, Rn. 13; so zum alten Recht schon BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065, 2066. 544 Lakkis, AcP 203 (2003), 763, 773; vgl. zum alten Recht auch BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065, 2066. 545 BGH 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065, 2066; Lakkis, AcP 203 (2003), 763, 775; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 140; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 55; Palandt/Ellenberger, § 202, Rn. 13. 546 Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 3. 547 Für eine Anwendung von § 242 BGB Löhnig, Fristen, Rn. 161; Mansel, NJW 2002, 89,
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§ 3 Übergreifende Aspekte
stritten ist ferner, wie streng bei einer solchen Kontrolle zu verfahren ist. Während nach Lakkis eine Sittenwidrigkeit kaum in Betracht kommt und für § 242 BGB kein Bedarf besteht beziehungsweise eine Kontrolle ohnehin als unzulässiger Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien zu werten ist,548 weisen andere den gesetzlichen Verjährungsregelungen auch insoweit Ordnungs- und Leitbildfunktion zu, so dass trotz Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse bei Vertragsschluss Absprachen, die sich ohne sachlichen Grund von der gesetzlichen Verjährungsfrist entfernen, unwirksam sein könnten.549 b) Vereinbarungen/Verzichte nach Verjährungseintritt Ist die Verjährung bereits eingetreten, so sind verjährungsverlängernde Abreden ebenso zulässig wie der vollständige Ausschluss/Verzicht.550 Umstritten ist allerdings, ob auch insoweit bei (befristeten) Verzichten noch die Grenze des § 202 II BGB zu beachten ist.551 3. Legitimation der Dispositivitätsbeschränkung Eine dogmatische Begründung für die durch § 202 II BGB und – gegebenenfalls – §§ 307, 138, 242 BGB bewirkte Einschränkung der Privatautonomie findet sich vielfach nicht. Eine Ausnahme stellt unter anderem Lakkis dar, die die nach ihrer Meinung geltenden unterschiedlichen Maßstäbe vor und nach Verjährungseintritt – und damit letztlich auch die Einschränkung der Dispositivität vor Verjährungseintritt – mit zwei unterschiedlichen Überlegungen begründet:
97; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 6, 49, 148; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 60; kritisch Lakkis, AcP 203 (2003), 763, 770 f.; Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 3. 548 JurisPK-BGB/Lakkis, § 202, Rn. 34, 37. 549 Mansel, NJW 2002, 89, 97; Mansel/Budzikiewicz, Verjährungsrecht, § 6, Rn. 49; vgl auch Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 3, wonach auch individuelle Vereinbarungen „dubios erscheinen“ können. 550 MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 13, § 214, Rn. 5; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 44; Lakkis, ZGS 2003, 423, 425; so schon zum alten Recht BGH 4.7.1973 – IV ZR 185/72, NJW 1973, 1690, 1690 f.; 19.4.2001 – I ZR 340/98, NJW-RR 2001, 1320, 1322 f.; grundsätzlich zustimmend, aber Eindeutigkeit verlangend OLG Celle 7.12.2005 – 3 U 141/05, OLGR Celle 2006, 122 (juris Rn. 24); nicht nachvollziehbar OLG Frankfurt 15.8.2008 – 19 U 57/08, OLGR Frankfurt 2009, 466 (juris Rn. 5), wonach ein nach Verjährungseintritt erklärter Verzicht unbeachtlich sein soll. 551 Bejahend BeckOK-BGB/Henrich, § 214, Rn. 8; Staudinger/Peters/Jacoby, § 214, Rn. 35; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 44; ablehnend Erman/Schmidt-Räntsch, § 214, Rn. 4 f.; MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 11, 13; Lakkis, ZGS 2003, 423, 425 („teleologische Reduktion des § 202 Abs. 2“).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
733
a) Schutz der positiven Privatautonomie Zunächst verweist sie auf die Unterschiede im Druckpotential des Gläubigers.552 Dieses sei beim ursprünglichen Vertragsschluss angesichts der Möglichkeit, diesen von der Zustimmung des Schuldners zur Verjährungsverlängerung abhängig zu machen, besonders groß. Aber auch bei späteren Änderungsverträgen, die noch vor Verjährungseintritt geschlossen werden, sei das Druckpotential verhältnismäßig groß, weil auch insoweit der Gläubiger wieder sein Einverständnis zur Abänderung unter die Bedingung der Verlängerung der Verjährungsfrist oder gar dem vollständigen Verjährungsausschluss stellen könne. Erst nach Verjährungseintritt verfüge der Gläubiger wegen der nunmehr bestehenden Möglichkeit des Schuldners, die Leistung einfach zu verweigern, kaum noch über ein Druckmittel.553 Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei dieser Argumentation um das oben bereits zum Teil bemühte „Übermachtargument“ zum Schutz der positiven Vertragsfreiheit des Schuldners in anderem Gewande. So eingängig seine Fruchtbarmachung durch die Ausführungen von Lakkis auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, kann man damit aber weder die Differenzierung zwischen Abreden vor und nach Verjährungseintritt noch die Beschränkung der Dispositivität überhaupt restlos befriedigend erklären. Das beginnt damit, dass – anders als zum Beispiel zwischen Verbraucher und Unternehmer oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber – ein typisiertes Verhandlungsungleichgewicht zwischen Gläubiger und Schuldner nicht angenommen werden kann. Zudem sind unschwer Konstellationen denkbar, in denen die Verjährungsverlängerung beziehungsweise der -ausschluss auf Initiative des Schuldners erfolgt, der sich hiervon möglicherweise günstigere Vertragskonditionen in dem ihm wichtig erscheinenden Punkten zu „erkaufen“ hofft. Was schließlich das Argument anbelangt, nach Verjährungseintritt habe der Gläubiger keine Verhandlungsmacht mehr, so trifft das zwar bei einmaligen oder mittlerweile ohnehin beendeten Geschäftsbeziehungen zu. Es versagt aber, wenn Gläubiger und Schuldner weiterhin in ständigem Geschäftskontakt zueinander stehen. Denn das Druckpotential des Gläubigers ist dann letztlich nicht geringer als vor Verjährungseintritt, kann er doch den Abschluss weiterer Geschäfte verweigern und dadurch dem Schuldner die Zustimmung „oktroyieren“.
552 Lakkis, ZGS 2003, 423, 425; die Gefahr einseitig belastender verjährungserschwerender Regelungen aufgrund der wirtschaftlichen Übermacht einer Partei hebt auch Haug, Neuregelung, S. 177 f. hervor. 553 So i.E. auch MüKo-BGB/Grothe, § 202, Rn. 13; NK-BGB/Mansel/Stürner, § 202, Rn. 44, die ohne genauere Spezifizierung auf die fehlende Schutzwürdigkeit des Schuldners nach Verjährungseintritt verweisen.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
b) Übereilungsschutz Als zweite, die zeitliche Differenzierung rechtfertigende Überlegung führt Lakkis an, dass dem Schuldner bei einem Verzicht nach Verjährungseintritt die „praktische Konsequenz seiner Verzichtserklärung viel eher vor Augen stehen [dürfte], wenn er auf die Geltendmachung eines bereits bestehenden Leistungsverweigerungsrechts verzichtet.“554. Ins gleiche Horn stoßen Peters/Jacoby, wenn sie die Kontrollbedürftigkeit vor Verjährungseintritt vereinbarter Verjährungsverlängerungen damit begründen, dass „[g]erade Regelungen der Verjährung […] für die Beteiligten bei Vertragsschluß oft wenig Bedeutung [haben]“555, denn man kümmere sich zwar mit der „gebotenen Intensität“ um die Kernpunkte des angestrebten Geschäfts, die Verjährung gehöre dazu oft aber nicht.556 Unabhängig davon erachten sie den Gedanken als befremdlich, „daß man bei Vertragsverhandlungen 2004 seriös über die Verhältnisse im Jahr 2034 soll nachdenken können.“557. Ohne dass er als solcher von den genannten Autoren bezeichnet wird, ist dieser zweite Begründungsstrang in der Sache nichts anderes als der oben postulierte Übereilungsschutzgedanke. In der Tat lässt er sich auch bei vor Verjährungseintritt getroffenen verjährungsverlängernden oder -ausschließenden Abreden fruchtbar machen. Denn im Sinne eines paternalistischen Konzepts ist der Schuldner davor zu bewahren, sich zu einem Zeitpunkt des Schutzes der Verjährung zu begeben, in dem er sich über deren mögliche spätere Bedeutung typischerweise noch gar nicht vollständig im Klaren ist und in dem er dementsprechend die mit einem solchen Verzicht einhergehenden Gefahren und Nachteile (zum Beispiel das Risiko, dass zur Anspruchsabwehr erforderliche Dokumente oder Zeugen nicht mehr verfügbar sind beziehungsweise letztere sich nicht mehr adäquat erinnern können; Notwendigkeit einer langfristigen und gegebenenfalls kostenintensiven Aufrechterhaltung der Erfüllungsfähigkeit) nicht voll zu würdigen weiß. Anders als das Übermachtargument ist der Übereilungsschutzgedanke also auch im verjährungsrechtlichen Kontext geeignet, die Beschränkung der Dispositionsbefugnis selbst für Konstellationen zu erklären, in denen die Vertragspartner in etwa gleich stark sind respektive der Schuldner sogar die mächtigere Verhandlungspartei ist.
554 555 556 557
Lakkis, ZGS 2003, 423, 425. Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 2. Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 3. Staudinger/Peters/Jacoby, § 202, Rn. 3.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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c) Bedeutung des Übereilungsschutzgedankens mit Blick auf die Verjährungszwecke Um die Bedeutung des Übereilungsschutzgedankens im vorliegenden Kontext voll würdigen zu können, sind zusätzlich zu den bisherigen Überlegungen die mit der Verjährung verfolgten Zwecke in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei soll und muss die ausufernde Debatte um die „korrekte“ rechtsdogmatische und -politische Begründung der Verjährung im Folgenden nicht in all ihren kleinsten Verästelungen aufgezeigt oder gar im Einzelnen hierzu Stellung genommen werden. Es genügt vielmehr, die möglichen die Verjährung legitimierenden Faktoren zu skizzieren und anhand ihrer das Gewicht des Übereilungsschutzgedankens zu bestimmen. Es dürfte heute als gesichert gelten, dass die zeitliche Begrenzung der zwangsweisen Durchsetzbarkeit von Ansprüchen durch Verjährungsvorschriften nicht monokausal zu begründen ist, sondern vielmehr ein Mix aus Motiven heranzuziehen ist.558 Eine Grobunterteilung lässt sich dabei insoweit vornehmen, als einerseits die Interessen des Schuldners und andererseits diejenigen der Allgemeinheit in den Fokus gerückt werden. So ist der Schuldner zunächst vor der „verdunkelnden Macht der Zeit“559 zu schützen. Denn je länger die streitentscheidenden Umstände zurückliegen, umso größer ist die Gefahr, dass er – so dem Gläubiger der Nachweis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen gelingt – in Beweisnot gerät, weil die Existenz von Dokumenten vergessen wird oder diese nicht mehr auffindbar sind oder Zeugen verstorben sind beziehungsweise sich nicht mehr hinreichend erinnern können.560 Überdies droht der Schuldner ihm eventuell gegen Dritte zustehende Regressansprüche zu verlieren, wenn er von seinem Gläubiger erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung in Anspruch genommen wird.561 Unabhängig von dieser verdunkelnden Macht der Zeit ist die Verjährung von Ansprüchen für den Schuldner auch deshalb von Bedeutung, weil sie ihn ab Verjährungseintritt von der gegebenenfalls kostenintensiven Notwendigkeit enthebt, Reserven für eine eventuell doch noch eingeforderte Anspruchserfüllung vorhalten zu müssen.562 Last but not least schützt die Verjährung auch sein mit zunehmendem Zeitablauf typischer558 Vgl. z.B. Riedhammer, Kenntnis, S. 162; Oppenborn, Verhandlungen, S. 28 f.; Mansel/ Budzikiewicz, Verjährungsrecht, Rn. 37. 559 Motive I, S. 291. 560 BGH 4.5.1955 – VI ZR 37/54, NJW 1955, 1225, 1227; Fischinger, VersR 2006, 1475, 1477; Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225, Rn. 5; Soergel/Niedenführ, Vor § 194, Rn. 16; NK-BGB/Mansel/Stürner, Vor §§ 194–218, Rn. 34; BeckOK-BGB/Henrich, § 194, Rn. 1; Jauernig/Jauernig, § 194, Rn. 6. 561 Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225, Rn. 5; Oppenborn, Verhandlungen, S. 31; BeckOK-BGB/Henrich, § 194, Rn. 1; Palandt/Ellenberger, Überbl v § 194, Rn. 8. 562 BT-Drucks. 14/6040, S. 96; Riedhammer, Kenntnis, S. 165; Fischinger, VersR 2006, 1475, 1477; Palandt/Ellenberger, Überbl v § 194, Rn. 8.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
weise entstehendes Vertrauen, die Forderung nicht mehr erfüllen zu müssen.563 Was die Interessen der Allgemeinheit anbelangt, so ist man sich nur insoweit einig, als die Verjährung jedenfalls der Rechtssicherheit dient.564 Nach zwar nicht unbestrittener, aber ganz überwiegender Meinung ist sie überdies geeignet, Rechtsfrieden herbeizuführen.565 Umstritten ist schließlich, ob darüber hinaus die Prozessökonomie und die Entlastung der Gerichte eigenständige, die Verjährung rechtfertigende Zwecke sind, oder ob es sich um bloße – wenn auch wünschenswerte – Nebeneffekte handelt.566 Setzt man diese Zwecke der Verjährung mit den Grenzen ihrer Dispositivität in Beziehung, so ergibt sich für die Bedeutung des Übereilungsschutzgedankens ein zwiespältiges Bild: Einerseits kann er unschwer insoweit angeführt werden, als die Verjährung mit Schuldnerschutzerwägungen legitimiert wird. Denn insoweit dient die mit ihm begründete Begrenzung der Abdingbarkeit der Verwirklichung der vom Gesetzgeber mit den Verjährungsregelungen erstrebten Ziele. Im Hinblick auf die mit der Verjährung verfolgten öffentlichen Anliegen ist der Übereilungsschutzgedanke andererseits als paternalistische, auf die Interessen des Schuldners zugeschnittene Erwägung nicht nutzbringend anwendbar. Eine zur Erreichung dieser öffentlichen Interessen bezweckte Einschränkung der Abdingbarkeit kann mit seiner Hilfe mithin nicht begründet werden. Stattdessen lässt sie sich damit erklären, dass Schuldner und Gläubiger als Privatpersonen insoweit schlicht die subjektive Dispositionsbefugnis über öffentliche Interessen fehlt. Weil eine Beschränkung der Dispositivität somit bipolar zu erklären ist, hängt die – im Verhältnis zur mangelnden Dispositionsbefugnis – relative Bedeutung des Übereilungsschutzgedankens hierfür davon ab, ob man die Verjährung stärker mit öffentlichen oder mit den Interessen des Schuldners begründet. 563
Rn. 5.
Büdenbender, JuS 1997, 481, 482; Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225,
564 BT-Drucks. 14/6040, S. 96; BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70, NJW 1972, 1460; Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225, Rn. 7; Büdenbender, JuS 1997, 481, 482; BeckOKBGB/Henrich, § 194, Rn. 1; Soergel/Niedenführ, Vor § 194, Rn. 16; Jauernig/Jauernig, § 194, Rn. 6; Fischinger, VersR 2006, 1475, 1477. – Nicht ganz zu Unrecht verweist Riedhammer (Kenntnis, S. 166) allerdings darauf, dass die Rechtssicherheit doch wieder vor allem dem Schuldner und damit einem privaten Interesse dient. 565 Bejahend BGH 16.6.1972 – I ZR 154/70, NJW 1972, 1460; 8.12.1992 – X ZR 123/90, NJW-RR 1993, 1059, 1060; 5.3.2002 – VI ZR 442/00, NJW 2002, 1877, 1878; Guckelberger, Verjährung, S. 72; Büdenbender, JuS 1997, 481, 482; Palandt/Ellenberger, Vor § 194, Rn. 9; Bork, AT, Rn. 319; Soergel/Niedenführ, Vor § 194, Rn. 16; NK-BGB/Mansel/Stürner, Vor §§ 194–218, Rn. 34; Jauernig/Jauernig, § 194, Rn. 6; ablehnend Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225, Rn. 7 mit dem Argument, die Abweisung unstreitig begründeter Anspruch „nur“ wegen Verjährung führe zu Erbitterung auf Seiten des Gläubigers. 566 Für bloßen Nebeneffekt Staudinger/Peters/Jacoby, Vorbem zu §§ 194–225, Rn. 7; Birr, Verjährung, Rn. 10; Oppenborn, Verhandlungen, S. 32; Riedhammer, Kenntnis, S. 167; Piekenbrock, Befristung, S. 318; vgl. auch Proske, NJW 1997, 352, 354; a.A. NK-BGB/Mansel/ Stürner, Vor §§ 194–218, Rn. 35.
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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Dieser Frage muss hier nicht näher nachgegangen werden, weil die konkrete Antwort darauf für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht von Bedeutung ist. Entscheidend ist allein, dass der Übereilungsschutzgedanke – quod erat demonstrandum – auch bei der Einschränkung der Abdingbarkeit der gesetzlichen Verjährungsregelungen eine (gewichtige) Rolle spielt und er daher über die unter § 3 untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumente hinaus bedeutsam ist.
VI. Zusammenfassung 1. Abdingbarkeit der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente a) Ausgangspunkt Angesichts der durch Art. 2 I GG verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit sind die Parteien im Grundsatz darin frei, Abreden über Haftungsbeschränkungsinstrumente zu treffen, das heißt insbesondere auch diese zulasten des (potentiellen) Schuldners einzuschränken oder vollständig abzubedingen. Eine Einschränkung dieser Freiheit bedarf daher im Lichte von Art. 2 I GG einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. b) Restschuldbefreiung Vor der Restschuldbefreiungserteilung abgeschlossene sogenannte antizipierte Neubegründungsvereinbarungen, die darauf zielen, eine oder mehrere Forderungen von den Wirkungen einer (möglichen) späteren Restschuldbefreiung auszunehmen, sind zwar weder mit den Interessen der anderen Insolvenzgläubiger noch der Allgemeinheit unvereinbar. Jedoch ist ihnen zum Schutz des Schuldners über § 134 BGB die Wirksamkeit zu versagen. Das lässt sich mangels typisierbaren Verhandlungsgleichgewichts zulasten des Schuldners zwar nicht mit dem Schutz seiner positiven Privatautonomie begründen, jedoch folgt dies aus dem paternalistischen Übereilungsschutzgedanken. Damit soll eine übereilte Preisgabe eines in der Zukunft unter Umständen noch bedeutsamen Schutzinstruments zu einem Zeitpunkt verhindert werden, in dem der Schuldner die vollen Konsequenzen seines Verhaltens typischerweise noch nicht zu überblicken vermag.567 Zeitlich lässt sich das Übereilungsschutzargument nur bis zu Erteilung der Restschuldbefreiung anführen. Danach geschlossenen nachfolgenden Neubegründungsvereinbarungen, die in Bezug auf eine oder mehrere Forderungen die Wirkungen der §§ 286, 301 I InsO wieder rückgängig machen sollen, kann deshalb nicht über § 134 BGB apodiktisch die Wirksamkeit versagt werden. Schrankenlos gültig sind sie umgekehrt aber ebenfalls nicht, ganz im Gegenteil: Beruht die Vereinbarung auf der Drohung des Gläubigers, er werde dem Schuldner ohne 567
Näher zu antizipierten Neubegründungsvereinbarungen oben § 3 C III 1 b).
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§ 3 Übergreifende Aspekte
sie weitere Vorteile vorenthalten, so ist sie bereits nach § 123 I Alt. 2 BGB anfechtbar. Unabhängig davon können sie nach hier vertretener Auffassung nicht formularmäßig vereinbart werden, weil eine solche Abrede unangemessen benachteiligend und darum nach § 307 II Nr. 1, I BGB unwirksam ist. Echte568 Individualvereinbarungen schließlich unterliegen einer Inhaltskontrolle anhand von § 138 BGB, wobei insbesondere wesentlich ist, inwieweit durch die wieder zur vollgültig gewordenen Forderung die wirtschaftliche Freiheit des Schuldners (gleich) wieder eine übermäßige Beschränkung erfährt.569 c) Haftungshöchstsummen Die allgemeine Vertragsfreiheit sowie ein Gegenschluss zu zum Beispiel § 92 AMG, § 14 ProdHaftG und § 702a I 1 BGB sprechen dafür, dass die Parteien gesetzliche Haftungshöchstsummen durch Rechtsgeschäft grundsätzlich erhöhen können. Uneingeschränkt kann das aber nur für Vereinbarungen gelten, die nach Schadenseintritt vom Schädiger in Kenntnis von seiner grundsätzlichen Einstandsverpflichtung geschlossen wurden. Vor diesem Zeitpunkt greift zwar – anders als bei der Restschuldbefreiung – § 134 BGB nicht ein, jedoch ist eine Erhöhung wegen des Übereilungsschutzgedankens hier nicht schrankenlos möglich. So sind Individualvereinbarungen unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände anhand von § 138 BGB zu überprüfen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, wie weit die Parteien von der gesetzlich normierten Haftungshöchstsumme abweichen; je weiter die Haftungshöchstsumme „nach oben“ geschraubt werden soll, umso leichter kann man eine sittenwidrige Übervorteilung des (potentiellen) Einstandsverpflichteten annehmen. Auch bei AGB kommt dem Maß, in dem vom gesetzlichen Leitbild abgewichen werden soll, maßgebliches Gewicht zu, § 307 II Nr. 1, I BGB. Im Zweifel ist aber sowohl bei individualvertraglichen wie formularmäßigen Abreden der Vertragsfreiheit der Vorzug zu geben und entsprechend von Wirksamkeit auszugehen.570 d) Erbenhaftung In Bezug auf die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente lassen sich der Dispositivität weder im Interesse der anderen Gläubiger noch des Erben/Schuldners inhaltliche Schranken ziehen. Mit Blick auf den Übereilungsschutzgedanken ist jedoch bei der Auslegung von Verzichten auf diese Schutzmechanismen sowohl in personeller wie sachlicher Hinsicht Vorsicht walten zu lassen und eine Abbedingung nur bezüglich bereits bekannter Nachlassforderungen anzunehmen.571 568 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der die Inhaltskontrolle anhand von § 307 BGB deutlich erweiternde § 310 III Nr. 3 BGB. 569 Zu nachfolgenden Neubegründungsvereinbarungen im Einzelnen oben § 3 C III 1 c). 570 Ausführlich oben § 3 C III 2 d). 571 Näher oben § 3 C III 3 b).
C. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten
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e) Beschränkte Arbeitnehmerhaftung Entgegen der herrschenden Meinung sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung kein einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht und daher in Arbeitsverträgen grundsätzlich abdingbar. Der Dispositivität sind vor Kenntnis des Arbeitnehmers vom Schadensfall allerdings anhand der §§ 307 I, II Nr. 1, 138 BGB enge Grenzen zu ziehen, weil er sowohl vor der typischerweise überlegenen Verhandlungsmacht des Arbeitgebers als auch vor einer übereilten Preisgabe eines in der Zukunft potentiell noch wichtigen Schutzinstruments geschützt werden muss. Vereinbarungen nach Kenntniserlangung sind zwar im Grundsatz möglich, ihnen sind richtigerweise aber über §§ 138, 307 I BGB ebenfalls enge Grenzen zu ziehen, wobei man hier angesichts des Nichteingreifens des Übereilungsschutzgedankens sowie der im Vergleich zur Situation vor dem ursprünglichen Vertragsschluss etwas stärken Stellung des Arbeitnehmers etwas großzügiger verfahren kann.572 f) §§ 104 ff. SGB VII Vergleichbar den Grundsätzen beschränkter Arbeitnehmerhaftung ist das sozialrechtliche Haftungsprivileg des § 105 SGB VII im Verhältnis zwischen schädigendem Arbeitnehmer und versichertem Arbeitgeber zwar nicht per se unabdingbar. Der Dispositivität sind im Interesse der positiven Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers und – soweit es um Vereinbarungen vor Kenntnis des Versicherungsfalls geht – zum Schutz vor einer voreiligen Entäußerung eines in der Zukunft unter Umständen noch wichtigen Haftungsbeschränkungsmittels aber über §§ 138, 307 II Nr. 1, I BGB enge Grenzen zu ziehen. Umgekehrt unterliegt die Dispositivität von § 104 SGB VII keinen inhaltlichen Grenzen. Der Übereilungsschutzgedanke wirkt sich hier aber immerhin insoweit aus, als Verzichte, die vor Kenntnis vom Versicherungsfall erklärt werden, im Zweifel eng auszulegen sind. Liegt an diesen Vorgaben gemessen ein wirksamer Ausschluss der Haftungsprivilegierung aus § 104 oder § 105 SGB VII vor, so ist eine doppelte Begünstigung des Geschädigten durch eine Analogie zu § 104 III SGB VII zu verhindern, und im Innenverhältnis von Schädiger und Unfallversicherer kommt ein Regress nach § 110 SGB VII analog in Betracht.573 g) § 13 II GmbHG Eine generelle Abbedingung von § 13 II GmbHG im Gesellschaftsvertrag dergestalt, dass einer oder alle der Gesellschafter für sämtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften sollen, machte die GmbH in haftungsrechtlicher Hinsicht zu einer KG beziehungsweise oHG und ist deshalb mit dem numerus 572 573
Näher oben § 3 C III 4. Näher zur Dispositivität der §§ 104 ff. SGB VII siehe oben § 3 C III 5.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
clausus Prinzip des Gesellschaftsrechts nicht zu vereinbaren. Umgekehrt ist gegen eine individualvertraglich gegenüber dem jeweiligen Gläubiger begründete Einstandsverpflichtung für eine konkrete Schuld der Gesellschaft – zum Beispiel im Wege eines Schuldbeitritts oder einer Bürgschaft – im Grundsatz nichts einzuwenden. Zwischen diesen beiden Polen liegt eine im Gesellschaftsvertrag begründete Verpflichtung eines oder aller Gesellschafter, zum Beispiel Bürgschaften oder Garantien für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu übernehmen. Das ist zwar nicht stets unwirksam, mit Blick auf allgemeine gesellschaftsrechtliche Grundsätze sowie – zumindest in Bezug auf Gesellschafter, die nach der internen Machtverteilung keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfl ss auf Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft haben – den Übereilungsschutzgedanken ist das aber erstens nur möglich, wenn der Kreis der erfassten Gesellschaftsverbindlichkeiten hinreichend bestimmt ist. Unabhängig davon darf zweitens durch derartige Gestaltungen das oben postulierte Verbot einer generellen Abbedingung des § 13 II GmbHG nicht umgangen werden.574 2. Übereilungsschutz als übergreifender Aspekt Die Analyse der Dispositivität der einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente hat gezeigt, dass sich für deren Beschränkung zwar zum Teil spezielle Überlegungen wie zum Beispiel das numerus clausus Prinzip des Gesellschaftsrechts oder der Schutz der positiven Privatautonomie des (potentiellen) Schuldners anführen lassen. Dabei handelt es sich aber um Erwägungen, die den Besonderheiten des jeweiligen Haftungsbeschränkungsinstruments geschuldet sind und daher nicht verallgemeinerungsfähig sind. Als übergeordneter, bei der Bestimmung der Dispositivität bei allen Haftungsbeschränkungsinstrumenten zu berücksichtigender Faktor lässt sich hingegen der hier als Übereilungsschutzgedanke bezeichnete Aspekt identifizieren. Zum Teil alleine, zum Teil im Verbund mit anderen Schutzerwägungen beeinflusst er in unterschiedlicher Weise die Dispositivität. Seine Wirkungen reichen von einem Totalverbot über einen bei der Sittenwidrigkeits- beziehungsweise AGB-Kontrolle (maßgeblich) zu berücksichtigenden Faktor bis hin zu einem eine enge Auslegung entsprechender Vereinbarungen nahelegenden Umstand.575 Die auf diese Weise in dieser Untersuchung erstmals herausgearbeitete Übereilungsschutzdimension von Haftungsbeschränkungsinstrumenten reiht sich in eine Kette allgemeiner Übereilungsschutzinstrumente des Zivilrechts – wie zum Beispiel Formvorschriften oder das Widerrufsrecht des § 312 BGB a.F. beziehungsweise §§ 312b, g BGB n.F. – ein. Weil es sich um eine Komponente handelt, die sämtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumenten anhaftet, kann sie nicht nur bei den hier untersuchten, sondern – wie pars pro toto anhand der 574 575
Näher zur Abdingbarkeit von § 13 II GmbHG vgl. oben § 3 C III 6. Siehe näher oben § 3 C IV.
D. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industriegesellschaften
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Verjährung gezeigt576 – auch bei anderen Haftungsbegrenzungsmechanismen angeführt werden.
D. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industriegesellschaften I. Einleitung Bei der Erörterung der jeweiligen Haftungsbeschränkungsinstrumente lag in den vorangegangenen Kapiteln jeweils ein Schwerpunkt auf der Untersuchung, ob ihre Existenz rechtspolitisch/-dogmatisch sowie verfassungsrechtlich legitimiert werden kann. Eine isolierte Analyse der einzelnen Instrumente hat dabei ganz disparate Überlegungen als maßgeblich identifiziert: So ist beispielsweise die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung vorwiegend mit dem Bedürfnis nach Schutz fremdbestimmt und -nützig tätig werdender Arbeitnehmer zu begründen,577 die Restschuldbefreiung dient dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schuldners,578 und Haftungshöchstsummen sollen einen „gerechten“ Ausgleich für die strikte Haftung gewähren und durch die durch sie ermöglichte vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos einer ruinösen und damit letztlich prohibitiv wirkenden Haftung vorbeugen.579 Über diesen in den Einzelkapiteln angelegten, engen Blickwinkel hinaus soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Legitimation von Haftungsbeschränkungsinstrumenten auf einer gewissermaßen Metaebene unter Berücksichtigung ihrer historischen, ökonomischen und sozialen Hintergründe zu untersuchen. Zu diesem Zweck sind sie zunächst in zwei Gruppen einzuteilen und auf diese Weise von den hier nicht mehr näher interessierenden „klassischen“ die genauer zu analysierenden „modernen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente abzutrennen (dazu II.). In Bezug auf letztere werden sodann übergeordnete Faktoren herausgearbeitet, die ihre Entstehung zu erklären vermögen (unter III.), was es wiederum nicht nur ermöglicht, die Rolle dieser „modernen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente zu erklären (sub. IV.), sondern zugleich auch Schlussfolgerungen für zukünftige (Regelungs-)Herausforderungen zu ziehen (näher V.).
576 577 578 579
Dazu oben § 3 C V. Siehe oben § 2 F III 1 a). Näher oben § 2 B II 1 c) aa). Ausführlich siehe § 2 A III 1.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
II. Historischer Entstehungszeitraum Betrachtet man die Haftungsbeschränkungsinstrumente unter dem Blickwinkel, wann sie im Verlauf der deutschen (Rechts-)Geschichte entstanden sind, so lassen sich bei Anlegung eines Grobrasters zwei Gruppen unterscheiden: Auf der einen Seite die „klassischen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente, die konzeptionell schon seit Jahrhunderten existieren. Dazu zählen namentlich die Beschränkung der Erbenhaftung und die Verjährung, die sowohl im Römischen580 wie im gemeinen deutschen Recht581 bekannt waren. Trotz im Detail abweichender Ausgestaltung handelt es sich dabei um „Phänomene“, die ihrer grundsätzlichen Anlage nach unabhängig von den jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten existiert haben und auch fürderhin werden. Weil sie also unabhängig von diesen Strukturen und damit gewissermaßen „zeitlos“ einen notwendigen Ausgleich von in jeder Gesellschaft auftretenden, widerstreitenden Interessen leisten, spiegeln sich in ihnen nicht oder nur in sehr geringem Umfang große Umwälzungsprozesse wider. Entsprechend sind in Bezug auf sie weder grundlegende neue Erkenntnisse noch revolutionäre Neuentwicklungen zu erwarten. Sie bleiben daher im Weiteren außer Betracht. Auf der anderen Seite stehen die „modernen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente, die – gemessen an der Gesamtdauer der Menschheits- und Rechtsgeschichte – geradezu noch in den Kinderschuhen stecken. Mit Ausnahme der Erbenhaftung gilt das für sämtliche in den vorherigen Kapiteln untersuchten Haftungsbeschränkungsinstrumente. Von ihnen ist – in annähernd der heutigen Form – die unfallversicherungsrechtliche Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz (heute: §§ 104 ff. SGB VII) noch die älteste, war sie doch schon im ursprünglichen Unfallversicherungsgesetz von 1884 enthalten.582 In zeitlicher Hinsicht folgte dann in kurzen Abständen mit § 13 II GmbHG die institutionelle Haftungsbeschränkung (1892) und 1900 mit Inkrafttreten des BGB mit § 702 BGB die erste gesetzliche Haftungshöchstsumme. Auch die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist ein Kind der Moderne; erste „zarte Pflänzchen“ fanden sich in der Rechtsprechung des RAG,583 als eigent580 So eröffnete Kaiser Justinian um 530 durch das „beneficium inventarii“ dem Erben die Möglichkeit, durch Errichtung eines Nachlassverzeichnisses seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken (vgl. Siber, Haftung, S. 14 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 46 II 1; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 333; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 483; Harke, Römisches Recht, S. 313; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 357) und Kaiser Theodosius II. schuf im Jahr 424 eine allgemeine Anspruchsverjährung (vgl. Harke, Römisches Recht, S. 250 f.; Kaser, a.a.O., S. 37 m.w.N.). 581 Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 187, 188 f.; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 111 („unvordenklichen Verjährung“). 582 Vgl. RT-Drucks. 1882, Nr. 41; Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 506; Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch, § 104 SGB VII, Rn. 1 f. 583 RAG ARS 30, 7; 37, 271.
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liche Geburtsstunde gilt heute die Entscheidung des ArbG Plauen vom 4.11. 1936.584 Das „Nesthäckchen“ der modernen Haftungsbeschränkungsinstrumente ist schließlich die Restschuldbefreiung, die erst mit Inkrafttreten der InsO zum 1.1.1999 das Licht der deutschen Rechtswelt erblickte. Das wirft die im Folgenden näher zu untersuchende Frage auf, worauf dieser geradezu explosionsartige Zuwachs an Haftungsbeschränkungsinstrumenten in den letzten circa 130 Jahren zurückzuführen ist. Mit anderen Worten: Was unterschied Stefan Zweigs „Welt von Gestern“ ab circa 1890 von ihrer voroder – vielleicht besser – ihrer vorvorgestrigen? Welche gesellschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen waren damals – und im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts – im Gange, die derartige Reaktionen des Gesetzgebers auslösten? Handelt es sich dabei um abgeschlossene Prozesse, oder ist umgekehrt zu erwarten, dass diese auch in der Zukunft weitergehen werden?
III. Faktoren für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente Blickt man auf die Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte Deutschlands, so lassen sich mehrere Faktoren herausschälen, die – ganz grob gesprochen – im Verlauf des 19. Jahrhunderts einsetzten und einen tiefgreifenden, die Existenz moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente erklärenden Wandel der gesellschaftlichen, ökonomischen und geistesgeschichtlichen Gegebenheiten auslösten. 1. Anstieg der Schädigungspotentiale a) „Vermassung“ Das erste, im vorliegenden Kontext relevante Phänomen soll hier schlagwortartig mit dem Begriff der „Vermassung“ bezeichnet werden. Gemeint ist der seit Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende einschneidende Anstieg der Bevölkerungsdichte, die Ende des 20. Jahrhunderts ein bis dato ungekanntes Ausmaß angenommen hat. Sie beruht auf verschiedenen Umständen. Während zwischen 1500 und 1800 die Bevölkerung „Deutschlands“585 – sieht man von einer vor allem den Bevölkerungsverlusten im 30jährigen Krieg geschuldeten „Delle“ ab – langsam, aber kontinuierlich von circa neun auf un-
584
ArbG Plauen ARS 29, 62. Die Bestimmung der Bevölkerungszahl „Deutschlands“ während dieser Zeitspanne muss insoweit stets ungenau bleiben, weil das Heilige Römische Reich Deutscher Nation permanenten geopolitischen Änderungen unterlag und der Begriff „Deutschland“ notwendigerweise unvermeidbar unpräzise ist. 585
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gefähr 22 Millionen anwuchs,586 setzte ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus verschiedenen, hier nicht näher interessierenden Umständen587 eine in der Folgezeit bis zur Jahrtausendwende andauernde Bevölkerungsexplosion bislang unerhörten Umfangs ein: Die 22 Millionen um 1800 verdoppelten sich fast in den gerade einmal 70 Jahren bis zur Reichsgründung 1871 (41 Millionen),588 um 1900 lebten schon 56 Millionen589 Menschen im Deutschen Reich, 1950 belief sich die Bevölkerungszahl in beiden deutschen Staaten trotz der kriegsbedingten Verluste „apokalyptische[n] Ausmaß[es]“590 auf 69,3 Millionen, um dann über 78 Millionen im Jahr 1980 auf den Höchststand von 82,4 Millionen in 2000/2001 zu klettern.591 Während also davor in 300 Jahren (1500–1800) der absolute Zuwachs gerade einmal circa 13 Millionen betrug, stieg die Bevölkerung Deutschlands in den folgenden 200 Jahren um 60 Millionen.592 Das ist nicht nur absolut, sondern auch relativ ein deutlich größeres Bevölkerungswachstum, stehen den 240 % Zuwachs zwischen 1500 und 1800 doch 372 % seit 1800 gegenüber – angesichts des höheren Ausgangsniveaus eine umso signifikantere und bedeutungsschwerere Entwicklung. Dieser Bevölkerungszuwachs ist umso gravierender, als er nicht auf Basis eines gleichbleibenden Staatsgebiets erfolgte, im Gegenteil. Während das Deutsche Reich 1910 noch circa 540.000 km2 umfasste,593 belief sich das Staatsgebiet der Weimarer Republik (ohne Saarland) wegen der territorialen Verluste durch den Versailler Friedensvertrag auf 468.000 km2,594 und die wiedervereinigte Bundesrepublik weist heute nur noch eine Fläche von 357.000 km2auf.595 In einem Zeit586 Vgl. Pfister, Bevölkerungsgeschichte, S. 10; http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/wirtschaft/grundstrukturen/quellen/schaetzung.htm. 587 Vgl. dazu z.B. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 102 ff.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 7 ff., 494 ff. 588 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 494; wegen der Einbeziehung der österreichischen Länder im Deutschen Bund kommt Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 102 zu höheren Zahlen (1800: 30 Millionen, 1865: 52 Millionen). 589 52,2 Millionen nach Angaben des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche Reich 1900 (Band 1899), S. 1. – Nach Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 1252 handelt es sich bei den Zuwächsen zwischen 1871 und 1910 um die höchste absolute Zuwachsrate in der neueren deutschen Geschichte. 590 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte IV, S. 956. 591 Siehe http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-indeutschland/61532/bevoelkerungsentwicklung. 592 Damit liegt Deutschland nur knapp hinter dem relativen Wachstum Europas von ca. 190 Millionen (1800) über ca. 400 Millionen (1900) bis ungefähr 818 Millionen im Jahr 2000 zurück (420 %), vgl. Weigl, Bevölkerungsgeschichte, S. 22; Schieder, in: Schieder, Handbuch, VI, S. 7; zum Vergleich der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten zwischen 1500– 1913 vgl. auch Osterhammel, Verwandlung, S. 188. 593 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1900 (Band 1899), S. 1. 594 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926 (Band 1924), S. 1 (mit Saarland 472.000 km2). 595 Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Gebiet und Bevölkerung (abzurufen unter: http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_jb01_jahrtab1.asp).
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raum von 90 Jahren verlor Deutschland damit – bei einem Bevölkerungsanstieg um 1/3 (absolut: 22 Millionen) – circa 1/3 seines vormaligen Staatsgebiets. Ein solches Bevölkerungswachstum hätte notwendigerweise selbst dann zu einem Anstieg der Bevölkerungsdichte geführt, wenn das deutsche Staatsgebiet gleich groß geblieben wäre. Die referierten territorialen Verluste haben diesen Trend massiv verstärkt. Entsprechend stieg die Bevölkerungsdichte von 104 Einwohner pro km2 im Jahr 1900596 um 225 % auf 234 Einwohner/km2 um die Jahrtausendwende597. Damit ging eine starke Veränderung der territorialen Bevölkerungsverteilung einher. Die moderne Landflucht führte zu einer geschichtlich einmaligen Urbanisierung:598 Während um 1800 nur etwa ¼ der Bevölkerung in der Stadt lebten,599 war es 1900 schon die Hälfte, bis 1950 stieg die Zahl auf 70 %. Gegenwärtig liegt sie bei über 90 %.600 b) „Technisierung“ Ein zweiter, in zarten Anfängen oftmals mit der Protoindustrialisierung601 zu Beginn des 19. Jahrhunderts beginnender, vor allem aber ab circa 1850 voll einsetzender, im hier interessierenden Zusammenhang relevanter Prozess ist die sogenannte Industrielle Revolution.602 Mit ihr ging insbesondere eine erhebliche Veränderung der Arbeitsstrukturen (zum Beispiel Massenfabrikation statt handwerklicher Einzelproduktion), eine Verschiebung vom primären auf den sekundären beziehungsweise tertiären Wirtschaftssektor,603 eine Erhöhung 596 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Volksz%C3 %A4hlungen_in_ Deutschland. 597 Vgl. United Nations Departement of Economic and Social Affairs (abzurufen unter: http://esa.un.org/wpp/unpp/panel_population.htm); vgl. auch Diercke Weltaltas, 2009, S. 74. 598 Vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 360; Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 53 ff.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 12, 510. 599 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Urbanisierung. 600 http://www.berlin-institut.org/online-handbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/auswirkungen/entwicklung-von-urbanisierung.html. – Zwar fehlt es an einer verbindlichen Definition, ab welcher Größe man eine Stadt annehmen kann (vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 355). Aber auch, wenn man die Wegscheide von Stadt und Land anders bestimmte und daher zu im Detail abweichenden Zahlen käme (vgl. z.B. die Zahlen bei Häußermann/Siebel, Stadtsoziologie, S. 20; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 512; Schieder, in: Schieder, Handbuch, VI, S. 8; Osterhammel, a.a.O., S. 371), ändert dies an dem klar erkennbaren Trend zur Urbanisierung nichts. – Zur Entwicklung in anderen europäischen Ländern vgl. z.B. Bußmann, in: Schieder, Handbuch, V, S. 151 f. 601 Zum Begriff und zur Bedeutung der Protoindustrialisierung vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 920 f. 602 Zum Durchbruch der Industrialisierung ab ca. der Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. z.B. Born, in: Schieder, Handbuch, VI, S. 206; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849– 1914, S. 66; Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 64 ff., 68 ff. – Nach Osterhammel, Verwandlung, S. 909 ist die Industrialisierung die wichtigste Ursache, warum die Welt um 1910 anders aussah als die um 1780. 603 Eckart, Geschichte, S. 170; vgl. z.B. für die Zeit zwischen 1867 und 1913 im Einzelnen die Statistiken bei Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 269, 271, 272, 274.
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des Kapitalbedarfs für wirtschaftliche Unternehmungen, eine Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit und eine fortschreitende Technisierung einher.604 So stiegen beispielsweise die maschinellen Antriebskräfte zwischen 1840 von 400.000 PS auf 8.000.000 PS im Jahr 1907605, die Streckenlänge der deutschen Eisenbahnen wuchs trotz anfänglicher verbreiteter Widerstände606 allein zwischen 1840–1873 von bescheidenden 468 km auf 23.853 km607 und die Gesamtmenge geförderter Steinkohle von ungefähr 8 Millionen (Stand 1865) auf 114 Millionen Tonnen (in 1913).608 Dabei erfasst die Technisierung beileibe nicht nur Produktionsprozesse, sondern – insbesondere im Verlauf des 20. Jahrhunderts – auch den ganz normalen Alltag (zum Beispiel elektrischer Herd statt Feuerstelle, Waschmaschine statt Waschzuber). „Der Aufstieg der Industrie ist“ eben, wie Nipperdey anmerkt, „zugleich der Aufstieg der Technik, die erst jetzt die Welt radikal verändert.“609. Mit „the rise of the machines“ steigert sich schließlich zunehmend das alltägliche Tempo, es entsteht die Hektik der Moderne, das kapitalistische „Höher, Schneller, Weiter“.610 Beispielhaft: Während man sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestenfalls mit der (Post-)Kutsche und damit – je nach Strecke – mit 5–7 km/h fortbewegte,611 fuhr die Eisenbahn schon in den 1850er Jahren mit immerhin ungefähr 35 km/h, um sich in der Folge über 90 km/h (1910) auf heute über 300 km/h zu steigern, und moderne Autos können gut 15 mal so schnell unterwegs sein wie ihre Urahnen, die sich um 1900 mit geradezu kümmerlichen 15 km/h fortbewegten.612 c) Bedeutung für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente Die beschriebene „Vermassung“ und „Technisierung“ wirkten sich auf die hier untersuchte Thematik unmittelbar aus, weil sie zu einem ganz erheblichen Anstieg der Schadenspotentiale und damit der Haftungsrisiken geführt haben. Zwar würde die These, die Gefahr exorbitanter Schadensersatzverpflichtungen bestünde erst seit Industrialisierung und „Vermassung“, zu weit gehen, denke man pars pro toto doch nur an einen mittelalterlichen Stallknecht, der 604 Bußmann, in: Schieder, Handbuch, V, S. 136; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866– 1918 I, S. 272 f.; Osterhammel, Verwandlung, S. 1286 f. 605 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 195; ders., Deutsche Geschichte 1866– 1918 I, S. 273. 606 Friedell, Kulturgeschichte, S. 1189 f. 607 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, S. 69 f.; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 191. 608 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 227. 609 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 273. 610 Friedell, Kulturgeschichte, S. 1557 f.; Osterhammel, Verwandlung, S. 361, 1291; Kaschuba, Lebenswelt, S. 33; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 188; H. A. Winkler, Geschichte des Westens I, S. 989. 611 Bähr/Jentsch/Kuls, Bevölkerungsgeographie, S. 945; Büsch, Handbuch II, S. 148 f. 612 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Reisegeschwindigkeit.
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aus Unachtsamkeit eine Fackel fallen lässt, so dass eine Scheune voller wertvoller Schlachtrösser abbrennt. Dessen ungeachtet hat die Moderne aber dennoch zu einem Maß an Haftungswahrscheinlichkeiten und -umfängen geführt, die so in der – auch insoweit dem Mittelalter weit näheren – Welt von 1800 noch nicht bekannt waren. So führt eine höhere Bevölkerungsdichte bereits bei isolierter Betrachtung notwendigerweise zu einer Steigerung des Schädigungspotentials, weil bei engerem Zusammenleben nicht nur die Gefahr größer ist, dass überhaupt ein anderer geschädigt wird, sondern auch, dass im Schadensfall die Zahl der „Getroffenen“ und damit einhergehend der Gesamtschaden höher ist als in einer weit verstreut lebenden Gesellschaft. Das zeigt ein triviales Beispiel: Läuft eine Waschmaschine in einem freistehenden Einfamilienhaus mit großzügigem Garten aus, führt das typischerweise zu keinen Fremdschäden; geschieht es hingegen im 3. Stockwerk eines Mehrfamilienhauses, drohen zumindest den unmittelbar darunter wohnenden Nachbarn nicht unerhebliche Schäden. Des Weiteren trug und trägt die skizzierte Technisierung zum Anwachsen der Schadensgefahren bei. Zwar ist nicht zu verkennen, dass eine Vielzahl moderner Technologien die Schadensrisiken gerade verringert haben, zum Beispiel der Ersatz offener Feuerstellen durch moderne Heizungstechnik oder die Erfindung heutiger Sicherheitstechniken im Straßenverkehr.613 Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Technologisierungsschübe der letzten 200 Jahre zu ganz erheblichen neuen Haftungsrisiken bislang ungekannten Ausmaßes auf nahezu allen Gebieten des Lebens geführt haben. So vermag beispielsweise ein mit 300 km/h dahinrasender Zug trotz aller Sicherheitsvorkehrungen im worst case immer noch viel größere (Personen-)Schäden zu verursachen als es eine Postkutsche jemals vermochte, ein massenweise verkauftes Arzneimittel kann ebenso Zehn- oder gar Hunderttausende schädigen wie der Austritt giftiger Stoffe aus einem Chemiewerk,614 von einem Atomunfall ganz zu schweigen.615 Es ist daher zutreffend, wenn Beck formuliert, dass „im Zuge der exponentiell wachsenden Produktivkräfte im Modernisierungsprozeß Risiken und Selbstbe613 Während 1938 noch auf jedes 150. zugelassene Auto ein Verkehrstoter kam (8.000 Tote bei 1.200.000 Autos), sank die Zahl über auf jedes 990. (21.000 Tote bei 20.800.000 Autos) im Jahr 1966 auf heute ca. jedes 11.430 Auto (3.648 Verkehrstote bei 41.700.000 Autos [Jahr: 2010]), Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Stra%C3 %9Fenverkehrssic herheit sowie http://www.autokiste.de/psg/1002/8577.htm. 614 Beispiele für ersteres sind der Contergan-Skandal (vgl. BVerfGE 42, 263, 296) sowie der DES-Skandal in den USA (vgl. zu letzterem v. Bar, Gutachten für den 62. DJT, A 58), für letzteres die Katastrophe von Bhopal (Indien) am 3.12.1984 (siehe näher http://de.wikipedia. org/wiki/Katastrophe_von_Bhopal). 615 Eindringlich Beck, Risikogesellschaft, S. 7, nach dem Tyschernobyl das „Ende all unserer hochgezüchteten Distanzierungsmöglichkeiten“ ist, denn „Not [lasse] sich ausgrenzen, die Gefahren des Atomzeitalters nicht mehr“. Er kommt daher zu dem pessimistischen Schluss, dass „[d]er Machtgewinn des technisch-ökonomischen ‚Fortschritts‘ […] immer mehr überschattet [wird] durch die Produktion von Risiken“ (S. 17).
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drohungspotentiale in einem bis dahin unbekannten Ausmaße freigesetzt werden“616 , und er von „Destruktivkräfte[n]“ spricht, die das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen.617 Kennzeichnend für diese Technologisierung der Gesellschaft ist dabei, dass sie nicht nur außerordentliche Massengefährdungsszenarien produziert, die allein den vergleichsweise überschaubaren Kreis der Betreiber derart gefährlicher Technologien mit einer exorbitanten Haftung bedrohen, sondern vielmehr gerade auch im „profanen Alltag“ breitester Bevölkerungsschichten für diese erhebliche Haftungsrisiken begründet, zum Beispiel in Form eines auslaufenden und das Grundwasser verunreinigenden Öltanks, einem durch einen Privat-PKW verursachten schweren Verkehrsunfall oder einem zur Zerstörung teurer Maschinen führenden leichten Fehler eines Arbeitnehmers.618 Neben diesen „Hauptfaktoren“ tragen noch weitere Umstände zur „Hypertrophie von Schadensersatzforderungen“619 bei. Zu nennen ist erstens der im 19. Jahrhundert erfolgende „Aufbruch der Medizin in die Moderne“620 , der im 20. Jahrhundert zu immer schneller voranschreitenden medizinischen Fortschritten führte.621 Nicht nur, dass Verbesserungen in der Diagnostik es erleichtern, die Krankheitsursache zu ermitteln und damit den für die Schadensersatzbegründung erforderlichen Kausalnachweis zu führen,622 sondern es sorgen auch bessere Behandlungsoptionen und die Möglichkeit lebensverlängernder Maßnahmen für massiv steigende Behandlungskosten und entsprechend höhere Schadensersatzverpflichtungen bei Personenschäden. Zweitens bestehen heute auch außerhalb des eng umgrenzten Felds der Medizin ungleich bessere Aufklärungsmöglichkeiten (Feststellung der Brandursache, DNA-Test etc.), so dass die Ermittlung der Schadensursache und des Einstandsverpflichteten wesentlich erleichtert und diesem die „Gnade der Unaufdeckbarkeit“ viel seltener zuteil wird. Drittens sorgt die starke Verflechtung wirtschaftlicher Strukturen für gesteigerte Schadensrisiken. Kommt es – zum Beispiel aufgrund einer schuldhaft verspäteten Lieferung – bei einem Zulieferer zu einem Produktionsausfall, so kann dies zu einer Schadensmultiplikation führen, weil 616
Beck, Risikogesellschaft, S. 25. Beck, Risikogesellschaft, S. 27. 618 Zu den Haftungsgefahren im Arbeitsleben vgl. pars pro toto LAG Hessen 8.12.2005 – 11 Sa 121/04, r+s 2006, 83, 84 (€ 110.000 wegen fahrlässiger Brandstiftung); BAG 25.9.1997 – 8 AZR 288/96, NZA 1998, 310 (umgerechnet € 56.000 wegen Verabreichung einer falschen Blutgruppe). – Teilweise ist diese Ausweitung der Haftungsrisiken „in der Breite“ auf die „‚Demokratisierung‘ von symbolträchtigen Konsumgütern“ zurückzuführen (Beck, Risikogesellschaft, S. 123). 619 Rother, Haftungsbeschränkung, S. 288. 620 Eckart, Geschichte, S. 169, dort ausführlich zur Entwicklung der Medizin im 19. Jahrhundert. 621 Eckart, Geschichte, S. 234 f. 622 So zum Beispiel in den oben (Fn. 614) erwähnten Contergan- oder DES-Skandalen. 617
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nicht nur dem Zulieferer, sondern auch dem Endhersteller und dessen Abnehmern (ersatzfähige) Schäden entstehen. Viertens geht mit dem gewaltigen Kapitalbedarf vieler Wirtschaftsunternehmungen ein entsprechend hohes Haftungsrisiko einher, das geeignet ist, den Verantwortlichen im Misserfolgsfalle in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Gesteigert wird dieses Risiko noch durch die Geschwindigkeitszunahme des Lebens im allgemeinen und der wirtschaftlichen Prozesse im speziellen, so dass das „window of opportunity“ für wohldurchdachte Entscheidungen und abgewogene, überlegte Reaktionen und Handlungsstrategien oft immer kleiner wird. Schließlich birgt an der Schwelle des 21. Jahrhunderts gerade auch die zunehmende digitale Vernetzung neben ihren Chancen auch zahlreiche Gefahren, beispielsweise die der Lahmlegung ganzer Unternehmensnetzwerke durch Computerviren.623 Auf einen derartigen Anstieg der Schadenspotentiale kann eine Gesellschaft beziehungsweise ein Gesetzgeber nun zunächst dergestalt reagieren, dass dies schlicht hingenommen und eine entsprechende Anzahl nicht oder nur ungenügend kompensierter Schadensfälle sehenden Auges in Kauf genommen wird. Das kann im Interesse einer Technologie- und Wirtschaftsförderung durchaus Sinn machen, weil durch den Verzicht auf die Statuierung neuer beziehungsweise die Verschärfung alter Haftungsregime die betroffenen, die neuartigen Technologien produzierenden und anbietenden Unternehmen wirtschaftlich nicht nur direkt geschützt werden, indem sie selbst keinen dem Schadenspotential eigentlich entsprechenden Haftungsrisiken ausgesetzt werden, sondern auch indirekt gefördert werden, weil potentielle Käufer sich nicht von möglichen Einstandsrisiken abschrecken lassen.624 Eine derartige, letztlich auf dem Rücken der breiten Masse ausgetragene Politik kann sich aber – mit vielleicht der Ausnahme totalitärer, diktatorischer Regime – keine Regierung dauerhaft erlauben, weil sie letztlich zu von der Allgemeinheit nicht mehr akzeptierten Ergebnissen führt. Entsprechend bleibt nur, das bestehende Haftungsinstrumentarium an die neuen Gefährdungsstrukturen anzupassen, das heißt zum Schutz der (potentiellen) Geschädigten auszubauen.625 Das geschah im deutschen (Zivil-)Recht im Verlauf der letzten rund 120 Jahre auf verschiedene Weise, und zwar sowohl auf materiell-rechtlicher 623 Zu den Millionenschäden, die durch Viren verursacht werden können, vgl. z.B. http:// www.n-tv.de/technik/Knast-fuer-Melissa-Erfinder-article128744.html (€ 89 Millionen) oder http://www.virenschutz.info/beitrag-Hacker-verursacht-Millionenschaden-2189.html (zweistelliger Millionenbetrag). 624 Vgl. für eine derartige Technologie- und Industrieförderung beispielhaft Indien, das vor einigen Jahren internationalen Investoren durch die gesetzliche Begrenzung von Schadensersatzansprüchen bei Atomunfällen einen Anreiz zu einem schnellen Ausbau der Kernkraft geben wollte, vgl. Handelsblatt vom 25.8.2010, S. 18 („Indien lockt Atomkonzerne“), abzurufen unter http://www.handelsblatt.com/politik/international/energieknappheit-indi en-lockt-atomkonzerne/3523604.html. 625 Vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, S. 291 f.: „Wo große Mengen von Menschen zu-
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§ 3 Übergreifende Aspekte
wie prozessualer Ebene. Als Beispiel für ersteres sei die Schaffung von Gefährdungshaftungstatbeständen, der Ausbau der Verkehrspflichten,626 die Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffs627 sowie die von der herrschenden Meinung im Wege der Analogie erreichte weite Anwendung von § 906 II 2 BGB auch bei Unglücksfällen (wie einem Wasserrohrbruch628) genannt, auf prozessualer Ebene lässt sich beispielsweise die Statuierung von prima-facie-Beweisen629, Verschuldensvermutungen630 sowie Beweislastumkehrungen631 anführen. Wo Licht ist, ist notwendigerweise aber auch Schatten, sprich: Der Ausbau der Haftungstatbestände erfordert zugleich andererseits die Schaffung von Mechanismen, mittels derer die Haftung wieder auf ein für den (möglichen) Einstandsverpflichteten erträgliches und damit „sachgerechtes“ Niveau beschränkt werden kann.632 Denn anderenfalls besteht die Gefahr einer unangemessenen Benachteiligung des Einstandsverpflichteten mit der Folge, dass die drohende Haftung eine lähmende, prohibitive Wirkung entfaltet, die dazu führt, dass potentiell schadensverursachende Verhaltensweisen aus Angst vor exorbitanter Haftung unterbleiben. Auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein scheint, so verlangt die Funktionsfähigkeit einer industrialisierten, „vermassten“ Gesellschaft also nicht nur den Ausbau des Haftungsregimes, sondern im gleichen Atemzug auch wieder die Beschränkbarkeit der daraus resultierenden Haftungsrisiken. Das lässt sich induktiv anhand der rechtsdogmatischen und -politischen Begründungen für die im Verlauf dieser Arbeit untersuchten modernen Haftungsbeschränkungsinstrumente belegen:
sammenleben, müssen notwendigerweise die Ordnungsprinzipien fester, die Regeln häufiger, die Anforderungen an Rücksichtnahme und Disziplin schärfer werden.“. 626 Zum „Siegeszug“ der Lehre von den Verkehrspflichten vgl. z.B. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 43 ff.; ders., JZ 1979, 332, 332 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 102 ff. 627 Vgl. z.B. MüKo-BGB/Wagner, § 823, Rn. 36 m.w.N. 628 Vgl. beispielsweise die Judikate BGH 19.4.1985 – V ZR 33/84, WM 1985, 1041; 30.5.2003 – V ZR 37/02, NJW 2003, 2377; 1.2.2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992; dem folgend z.B. OLG Rostock 16.5.2008 – 5 U 105/08, OLGR Rostock 2008, 736; ablehnend Staudinger/H. Roth, § 906, Rn. 69; ders., LMK 2009, 294262 (sub. 2. a]); ders., JZ 2004, 918. 629 Dazu beispielsweise BGH 18.10.1988 – VI ZR 223/87, NJW-RR 1989, 670, 671; weitere Nachweise bei Musielak/Foerste, ZPO, § 286, Rn. 26. 630 Vgl. z.B. BGH 26.11.1968 – VI ZR 212/66, NJW 1969, 269, 274; 13.12.1984 – III ZR 20/83, NJW 1985, 1774, 1775; Staudinger/Kohler, Einl zum UmweltHR, Rn. 282 m.w.N. 631 Z.B. im Bereich der Arzt- (vgl. BGH 27.4.2004 – VI ZR 34/03, NJW 2004, 2011, 2012 m.w.N.) oder Produkthaftung (BGH 26.11.1968 – VI ZR 212/66, NJW 1969, 269, 275 f.). 632 Vgl. auch Rother, Haftungsbeschränkung, wonach „gegenüber der Tendenz zur Ausdehnung der deliktischen Haftung […] eine ebenso kräftige und praktisch erfolgreiche Tendenz zur Haftungsverringerung und -ausschließung“ bestehe (S. 287). Entsprechend dürften „nicht nur Antriebs-, sondern auch Bremsmechanismen vorhanden sein, die zur Schonung des Schädigers und in Richtung einer angemessenen Einschränkung der Rechte des Geschädigten wirken“ (S. 3).
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– Vielleicht „das“ Musterbeispiel für die Dialektik von Notwendigkeit der Haftungsausdehnung einerseits, gleichzeitiger Haftungsbeschränkung andererseits ist die Schaffung verschuldensunabhängiger, dafür aber durch Haftungshöchstsummen beschränkter Haftungstatbestände, wodurch zwar die gesteigerten Schadensrisiken erfasst, zugleich aber das Haftungsrisiko des potentiell Einstandsverpflichteten auf ein erträgliches, keine prohibitive Wirkung entfaltendes Niveau beschränkt werden sollte.633 – Auch die Privilegierung von Arbeitnehmern im Hinblick auf von ihnen „im Dienst“ verursachte Personen- (§ 105 SGB VII) und Sachschäden (Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung) ist eine Reaktion darauf, dass diese Personengruppe in einer (hoch-)technisierten und „verdichteten“ Arbeitswelt besonderen Haftungsgefahren ausgesetzt ist, die sie zudem erstens wegen der Fremdbestimmtheit ihrer Tätigkeit nur äußerst begrenzt zu steuern vermögen, und denen sie zweitens auch deshalb statistisch betrachtet nicht entgehen können, weil in einem auf eine gewisse Dauer angelegten Arbeitsverhältnis angesichts der Unvollkommenheit der menschlichen Natur jedem irgendwann ein schadensverursachender Fehler mit mehr oder minder gravierenden Konsequenzen unterläuft.634 Gerade auch weil es für den Großteil der Bevölkerung keine Alternative zur abhängigen Beschäftigung gibt, ist die vollständige beziehungsweise weitgehende Freistellung von solchen Schadensersatzverpflichtungen ein unerlässliches Mittel, um die Haftungsrisiken im Arbeitsleben auf ein erträgliches Niveau zu senken. – Gleiches gilt, in anderem Zusammenhang, für die vom Gesetzgeber mit – unter anderem – der Rechtsform der GmbH zur Verfügung gestellten Möglichkeit zur institutionellen Haftungsbeschränkung (§ 13 II GmbHG). Denn ohne die Chance, das Privatvermögen „ins Trockene zu bringen“, würden zahlreiche präsumtive Unternehmer und Kapitalinvestoren angesichts der mit den in einer hochtechnisierten, schnelllebigen und risikoreichen Wirtschaftslandschaft mit wirtschaftlichen (Groß-)Unternehmungen in aller Regel einhergehenden exorbitanten Ausfall- und Schadensersatzrisiken von wirtschaftlichen Engagements absehen.635 – Auch die Einführung der §§ 286 ff. InsO steht zumindest zum Teil in Korrelation mit den genannten Faktoren. Indem die Restschuldbefreiung als „letzte Verteidigungslinie“ in Situationen in die Bresche springt, in denen der Schuldner nicht auf andere Weise (umfassend) vor einer dauerhaften Überschuldung bewahrt werden kann, macht sie die mit den mit der Teilnahme am allgemeinen (Wirtschafts-)Leben verbundenen Resthaftungsrisiken – man denke nur an einen nicht haftpflichtversicherten Fahrradfahrer 633 634 635
Siehe näher oben § 2 A III 1 d) cc). Näher § 2 F III 1. Ausführlich oben § 2 D III 2 b).
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oder einen wirtschaftlichen Schiffbruch erleidenden Einzelkaufmann – erträglich. – Schließlich hätte auch mit der geplanten, wenn auch niemals in Kraft getretenen allgemeinen Reduktionsklausel des § 255a BGB auf die gesteigerten Schadensrisiken in der modernen Gesellschaft reagiert werden sollen, indem dem Richter die Möglichkeit an die Hand gegeben werden sollte, die Schadensersatzhaftung unter bestimmten Voraussetzungen zur Erzielung gerechterer Ergebnisse auf ein sachgerechtes Maß zu beschränken.636 2. Gewandeltes Menschenbild; Stellung des Menschen Auch wenn damit Technisierung und „Vermassung“ gewichtige, die Schaffung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente begründende Faktoren sind, so kann deren Entstehung allein mit ihnen noch nicht restlos vollständig befriedigend erklärt werden. In die Betrachtung einzubeziehen ist vielmehr – schlagwortartig charakterisiert – auch der in den letzten 200 Jahren stattfindende „Wandel des Menschenbildes“ und die damit einhergehenden tiefgreifenden Änderungen in der Sichtweise auf und die Erwartungen an das Leben, die Prioritätensetzung und die Einstellung zum Verhältnis von Schicksal und Selbstbestimmung. Dabei handelt es sich nicht um einen monokausal zu begründenden oder zeitlich präzise auf einen bestimmten Zeitraum festlegbaren (revolutionären) Vorgang, sondern vielmehr um einen lang andauernden, evolutionären Prozess mit zahlreichen ineinander greifenden Ursachen und Verflechtungen. Dieser ist samt seiner generellen Folgen im Weiteren unter a) bis c) kurz zu skizzieren, um anschließend unter d) seine Bedeutung für die Existenz moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente zu erörtern. a) Die Welt um 1800 Ausgangspunkt ist die vergleichsweise „starre“ Welt des 18. Jahrhunderts, in der wenig Raum für die freie Entfaltung des Individuums blieb. So begrenzte schon rein ökonomisch die schiere Notwendigkeit, mühsam das für den Lebensunterhalt Notwendige gerade so zu erwirtschaften („Diktatur der Knappheit“637), für breite Bevölkerungsschichten von vornherein die Möglichkeit eines freien, 636 Vgl. die Begründung des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Teil II: Angesichts „der modernen Technik, der Dichte des Verkehrs, der Zusammenballung der Menschen in Städten [und] der in die Hand der Menschen gegebenen Naturkräfte“ habe sich das Schadenspotential so gravierend erhöht, dass bereits „ein ganz geringfügiges […] Versehen […] zu Schadensfolgen von ungewöhnlicher Höhe führen kann“ (a.a.O., S. 34). Von der Einführung der Reduktionsklausel versprach man sich daher Ergebnisse, die „unter Billigkeitsgesichtspunkten [….] mit dem allgemeinen Rechtsbewusstsein eher in Einklang stehen […] als die bis zur letzten Konsequenz getriebene Durchführung des Alles- oder Nichts-Prinzips“ (a.a.O., S. 42). 637 Beck, Risikogesellschaft, S. 26.
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selbstbestimmten Lebens. Hinzu trat die Einbindung in ein engmaschiges Netz korporatistischer Strukturen, insbesondere die Familie sowie beispielsweise die Dorfgemeinschaft beziehungsweise Zunft, die ein breites, nahezu das gesamte Leben umspannendes Spektrum kollektiver Vorgaben entwarfen.638 Abgesichert und legitimiert wurde dies durch Kirche und Religion, die einem jeden seinen festen Platz in der Welt zuwiesen und Schicksalsergebenheit und Jenseitsorientiertheit postulierten. In einem durch Religion, Sitte, Tradition und Brauch – anstatt durch individuelle Selbstreflexion – geprägten Leben war „[d]ie Subjektivität des Menschen […] durch diese Bindungen von vornherein begrenzt, und so war es auch mit ihrer Geltung.“639. Zusammengefasst verhinderten somit ökonomische Zwänge, eine mangelnde soziale und geografische Mobilität, die Einbindung in ein Geflecht kollektiver „weltlicher“ Vorgaben sowie die starke Rolle von Kirche und Religion noch um 1800, dass im Mittelpunkt des Lebens der Mensch in seiner Individualität stand. b) Wandlungsfaktoren Das skizzierte enge Korsett der größtenteils noch aus dem Mittelalter stammenden Ordnungen begann sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts sukzessive aufzulösen640 und führte zur Individualisierung des Menschen. Dieser Vorgang hielt im gesamten 19. und 20. Jahrhundert an und kann auch heute noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden.641 Zurückzuführen ist er auf zahlreiche, aus ganz unterschiedlichen Bereichen stammende Umstände, die teilweise unabhängig voneinander erfolgten, teilweise aber auch eng miteinander verflochten waren. So sorgten die Lösung von der Scholle und die Durchsetzung des Rechts auf Freizügigkeit für eine höhere geografische Mobilität, die ein Hinauswachsen aus tradierten Familien- und Sippschaftsstrukturen durch Abwanderung in andere Städte und Regionen erst möglich machte.642 Parallel dazu erhöhte sich die soziale (Aufstiegs-)Mobilität. Auch wenn die deutsche Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts nicht vergleichbar permeabel war wie die der USA zur gleichen Zeit (oder gar die der heutigen Postmoderne),643 ermöglichte die „Mobilitätsschleuse des Bildungssystems“644 doch breiteren Bevölkerungsschichten als jemals zuvor den Aufstieg in höhere Schichten entsprechend dem von Reichs638
Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 264 f. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 265. 640 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 265. 641 Vgl. z.B. Beck, Risikogesellschaft, S. 116 („gesellschaftlicher Individualisierungsschub“, der zu einer „Freisetzung des Individuums aus sozialen Klassenbindungen“ führt). 642 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849–1914, S. 191; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 262; kritisch Beck, Risikogesellschaft, S. 125, nach dem der „eigentliche Sprung“ in der Mobilität erst in der Periode nach dem 2. Weltkrieg erfolgte. 643 H. A. Winkler, Geschichte des Westens I, S. 984 f.; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 262. 644 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849–1914, S. 138. 639
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kanzler v. Bethmann-Hollweg 1916 geprägten Motto „Freie Bahn für alle Tüchtigen“645. Flankiert wurde dies durch eine Umgestaltung der Wirtschaftsordnung, für die plakativ die Abschaffung des Zunftzwangs und die Gewährleistung der Gewerbefreiheit genannt werden können.646 Auch vor den Grundfesten der Rechtsordnung machte die Befreiung des Menschen aus der hierarchischen, ständischen Gesellschaft keinen Halt. Sie erfolgte auf dieser Ebene vor allem durch den im 19. Jahrhundert stattfindenden Übergang „from status to contract“647, der es dem Rechtssubjekt als Individuum im Wege der Vertragsfreiheit ermöglichte, selbstbestimmt und eigenverantwortlich seine Sozialverbindungen zu regeln.648 Geistesgeschichtlich wurde der Boden hierfür maßgeblich durch die bereits im 18. Jahrhundert einsetzende Aufklärung bereitet, die „den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“649 erstrebte und maßgeblich darauf abzielte, dass die menschlichen Angelegenheiten von Vernunft anstatt von Religion, Aberglauben oder Offenbarung geleitet werden sowie das Individuum von den Fesseln der Tradition und willkürlichen Autorität befreit wird.650 Sie war damit zugleich eine starke Wurzel des bis heute andauernden Prozesses der Säkularisierung/Entchristianisierung. Auch wenn diese bis ins 21. Jahrhundert nichts daran änderte, dass die Mehrheit der Bevölkerung an einem grundsätzlich christlich geprägten, religiösen Weltbild festhielt, den Festzyklus beachtete und in Notzeiten Hilfe bei der Religion suchte,651 bewirkte sie doch, dass der religiöse Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln ganz erheblich schwand und der Mensch in den Mittelpunkt gerückt wurde.652 Mit der Relativierung des Christentums erfüllt sich das Leben im Gegenwärtigen und nicht mehr in der Ewigkeit, sein Sinn und Inhalt liegen „nicht mehr [in der] Erfüllung der göttlichen (und sittlichen) Gesetze, der Pflichten und der Nächstenliebe, sondern [in der] allseitige[n] Entfaltung der individuellen Persönlichkeit“653, ganz entsprechend der Forderung Feuerbachs, aus „Kandidaten des Jenseits“ müssten „Studenten des Diesseits“654 werden. 645
63. Sitzung des Reichstags am 28.9.1916, Reichstagsprotokolle 1916, S. 1694. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849–1914, S. 133; vgl. auch Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 30 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem 554 zu §§ 611 ff. 647 Maine, Ancient Law, S. 165: „[…] we may say that the movement of the progressive societies has hitherto been a movement from Status to Contract“ (Hervorhebung im Original); zum Teil kritisch z.B. Graveson, Mod.L.Rev. 4 (1941), 261, 261 ff. 648 M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 61 f., 65, 66; Bruns, JZ 2007, 385, 386. 649 Kant, Berlinische Monatsschrift 1784, S. 481. 650 Vgl. Outram, Enlightenment, S. 3: „This version of Enlightenment saw it as a desire for human affairs to be guided by rationality, rather than by faith, superstition, or revelation, a world view based on science, and not tradition.“. 651 Osterhammel, Verwandlung, S. 1249. 652 Vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 1248; Beck, Risikogesellschaft, S. 134. 653 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 441. 654 Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion, S. 31. 646
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c) Allgemeine Folgen In ihrer Kombination führten diese Umstände bereits bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer tiefgreifenden Umwälzung des Menschenbildes und den Vorstellungen von der Stellung des Menschen in der Welt. Der Mensch war nun nicht mehr traditions-, sondern „innengeleitet“ und „stellt[e] sich auf sich selbst“655. Das Abstreifen überkommener Bindungen und die Überwindung der im 19. Jahrhundert oftmals noch weitverbreiteten bitteren wirtschaftlichen Not führte zu einer geschichtlich einmaligen, sich bis heute fortsetzenden und deutlich verstärkenden Individualisierung des Menschen und seiner Lebenspläne.656 Die „Parole vom Recht, nicht dem Traum nur, sich auszuleben“657, begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts Karriere zu machen und Rückwirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche zu entfalten. Im höchstpersönlichen Bereich spiegelte sich diese Individualisierung beispielsweise in der zunehmenden Verwendung individuellerer Vornamen wider,658 vor allem aber darin, dass der Ehepartner nicht mehr von den Eltern vorgegeben wurde, sondern seine Wahl vielmehr grundsätzlich auf eigenem Entschluss gründete, der sich zudem nicht mehr primär am Kriterium der Existenzsicherung orientieren musste, sondern bei dem man sich den „Luxus“ einer Liebesheirat zur Beförderung des persönlichen Glücks leisten konnte.659 Auch das sich wandelnde Verständnis von Reisen ist Ausdruck des wachsenden Wunsches nach Selbstverwirklichung. Früher als bloß notwendiges Übel begriffen, um von A nach B gelangen zu können, wurden Reisen nunmehr von immer breiteren Bevölkerungsschichten als Selbstzweck, als Vergnügen empfunden, erleichtert durch technische Neuerfindungen wie Eisenbahn und Dampfschiff und befeuert durch die sich zunehmender Beliebtheit erfreuende Gattung der Reiseliteratur.660 Ökonomisch ermöglicht wurde dies durch die Befreiung von der Notwendigkeit des täglichen Kampfes um das nackte Überleben, die dazu führte, dass die vormalige „konsumasketische Knappheitsmoral“661 abgelegt wurde und sich mit dem „Wunsch nach […] ‚Qualität des Lebens‘“662 hedonistische Tendenzen entwickelten. Im Gefolge dessen entstand eine Gesellschaft, die das Sozialprestige und die soziale Stellung des Einzelnen nicht mehr in erster Linie von seiner Geburt abhängig macht, sondern vorwiegend an seinem Einkommen und Vermögen, seinen Leistungen und Fähigkeiten sowie seiner 655 656
S. 188. 657
658 659 660 661 662
Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 265. M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 66; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 187. Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 118. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 118. Vgl. Friedell, Kulturgeschichte, S. 1190. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 187. M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 80.
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beruflichen Position festmacht.663 Dazu trug nicht unerheblich auch die Zurückdrängung des Einflusses von Kirche und Religion und die damit einhergehende Fokussierung auf das Hier und Jetzt bei. Sie hatte zudem eine erhebliche Wandlung in der Schicksalsergebenheit zur Folge: Was in frühen Zeiten als vom Menschen nicht in Frage zu ziehender göttlicher Ratschluss hingenommen worden war, wurde nunmehr zunehmend kritisch hinterfragt und, soweit möglich, eine Absicherung dagegen – auch und gerade mit den Mitteln des Rechts – gesucht.664 d) Bedeutung für die Entstehung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente Die skizzierte Aufweichung traditioneller sozialer Strukturen, die geographische Loslösung „von der Scholle“, die ökonomische „Befreiung“ vom täglichen Kampf ums Überleben, die Gewährleistung der Berufs-, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, der „Abschied vom Jenseits“ und, damit verbunden, der Verlust an Schicksalsergebenheit führten somit zu zwei für das Thema der vorliegenden Untersuchung bedeutsamen Entwicklungen: Zum einen der „Entdeckung“ samt anschließendem Siegeszug der Individualität des Menschen, zum anderen die Entstehung einer (positiv gewendet) leistungsorientierten, (negativ gewendet) materiell orientierten Gesellschaft. Beide rufen schon je für sich, vor allem aber in ihrer Zusammenschau, nach einer Ausgestaltung des Haftungsrechts, die diesen veränderten Anschauungen Rechnung trägt und sich in ihren Dienst stellt. So spielt in einer materialistisch ausgerichteten bürgerlichen Welt, die den Erfolg eines Menschen maßgeblich an der beruflichen Position, Einkommen und Vermögen misst, der Schutz der ökonomischen Lebensgrundlagen als conditio sine qua non für die Teilnahme an der Konsumgesellschaft notwendigerweise eine ungemein wichtigere Rolle als in einer in den Kategorien der Geburt, des Standes und der Ehre denkenden Gesellschaft. Und auch die in der modernen Gesellschaft so zentrale Auslebung der Individualität oder – vielleicht juristischer ausgedrückt und grundrechtlich in Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG verortbar: – freien Entfaltung der Persönlichkeit kann letztlich nur auf Ba-
663 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 255; Theobaldy, Plassenburg, S. 57; Kaschuba, Lebenswelt, S. 90; vgl. auch M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 62, 65 f.; sowie Friedell, Kulturgeschichte, S. 1195 ff. (Geld als neuer Gott bzw. Gottersatz). 664 Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 I, S. 119 (bei der Todeswahrnehmung verschiebt sich der Akzent „von der Hinnahme des natürlich und göttlich Bestimmten zur Erfahrung eines tiefsten Einbruchs“) und S. 187 („nicht Schicksale und Fügungen, sondern vernünftige Aktivität sind zentral“); für die Entwicklung im 20. Jahrhundert vgl. Gärtner, JZ 1988, 579, 580, 584; Simon, AcP 204 (2004), 264, 282 („Was zuvor schlicht ‚Schicksal‘ war, wird nun zur auch [verfassungs-]rechtlich nicht mehr hinnehmbaren Zerstörung einer Existenz.“).
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sis eines fruchtbaren Nährbodens in Form eines ökonomischen Mindeststandards gelingen. Beides zu gewährleisten, ist nicht nur, aber zu nicht unerheblichen Teilen auch Aufgabe eines modernen Haftungsrechts. Wie „Vermassung“ und „Technisierung“, so wirken sich dabei auch diese kulturellen und geistesgeschichtlichen Wandlungen in dialektischer Weise auf das Haftungsrecht aus: Einerseits verlangen sie im Interesse eines effektiven Schutzes des (potentiellen) Geschädigten die Schaffung wirksamer Haftungstatbestände, so dass dieser zumindest rechtlich dagegen abgesichert ist, im Falle einer von einem anderen zu vertretenden Schädigung nicht die ökonomische Chance zur Teilnahme an der materiell orientierten Gesellschaft und zur Auslebung seiner Individualität zu verlieren. Andererseits erfordert der Schutz des präsumtiven Schädigers umgekehrt eine „sachgerechte“ Begrenzung eben dieser Haftung, würden doch andernfalls seine Chancen auf Persönlichkeitsentfaltung und gesellschaftlicher Teilhabe unterminiert und er einer geradezu archaisch anmutenden Haftung ausgesetzt, die ihm zwar nicht – wie in dunklen Zeiten per Schuldknechtschaft oder Schuldturm – de jure die (Bewegungs-)Freiheit nähme, diese aber zu einer bloßen, faktisch wertlosen Hülse degradierte. Wie bei den „harten“ Faktoren „Vermassung“ und „Technisierung“ lässt sich auch die Bedeutung dieser „weichen“ geistesgeschichtlich-kulturellen Komponenten induktiv anhand der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten modernen Haftungsbeschränkungsinstrumente aufzeigen: – Am augenscheinlichsten ist das bei der Restschuldbefreiung. Denn mit dem verfassungsrechtlich wie rechtspolitisch anzuerkennenden Ziel, dem Schuldner eine Chance auf einen „fresh start“ einzuräumen, dient sie nicht nur seinem Persönlichkeitsrecht,665 sondern illustriert zugleich plakativ die ökonomische Ausrichtung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft. – Das gilt im Wesentlichen auch für Haftungshöchstsummen, die – wie aufgezeigt – nicht nur einen „gerechten“ Ausgleich für die strikte Haftung gewährleisten, sondern vor allem auch durch die Sicherstellung der vollständigen Versicherbarkeit einer exorbitanten, ruinösen Haftung vorbeugen sollen.666 Somit geht es auch hier letztlich um den Schutz der ökonomischen Voraussetzungen für die Persönlichkeitsentfaltung und die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten des (potentiellen) Schädigers. – Auch der Ausschluss beziehungsweise die Beschränkung der Haftung von Arbeitnehmern bei von ihnen beruflich verursachten Personen- (§ 105 SGB VII) oder Sachschäden (Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung), trägt diesen gewandelten Vorstellungen Rechnung. Mit dem Bild eines freien, mündigen Bürgers, der in Auslebung seiner Individualität und zur 665 666
Näher oben § 2 B II 1 c) aa). Vgl. dazu im Einzelnen oben § 2 A III 1.
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§ 3 Übergreifende Aspekte
Entfaltung seiner Persönlichkeit667 einer abhängigen Beschäftigung nachgeht, vertrüge es sich nämlich nicht, wenn eben diese Arbeit stets unter dem Damoklesschwert eines Haftungsrisikos geleistet werden müsste, bei dessen Realisierung der Arbeitnehmer Gefahr liefe, aufgrund einer hohen Schadensersatzverpflichtung die Ersparnisse früherer Jahre sowie künftige Verdienste weitestgehend zu verlieren. – Was schließlich die institutionelle Haftungsbeschränkung durch § 13 II GmbHG anbelangt, so lässt sich diese nach hier vertretener Auffassung zwar rechtspolitisch und -dogmatisch nicht mit dem Schutz des (individuellen) Gesellschafters, sondern allein mit dem volkswirtschaftlichen Interesse an der Förderung der Unternehmerinitiative rechtfertigen.668 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass diese Haftungsbeschränkung – gewissermaßen als wünschenswertes Nebenprodukt – die freie Persönlichkeitsentfaltung auf dem Gebiet der selbständigen unternehmerischen Betätigung fördert, indem sie die Gesellschafter von der Gefahr entbindet, im Falle des – oftmals ja ganz unverschuldeten – unternehmerischen Scheiterns auch privat einer ausufernden Einstandsverpflichtung samt der damit einhergehenden negativen Folgen für die Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben ausgesetzt zu sein. Es zeigt sich also, dass diese Haftungsbeschränkungsinstrumente letztlich (auch) eine Reaktion darauf sind, dass man zwar in einer Hochrisikogesellschaft669 lebt, deren Vorzüge und Annehmlichkeiten man zu schätzen weiß, zugleich aber die Bereitschaft schwindet, die haftungsrechtlichen Konsequenzen eines Fehlers oder gar eines bloßen Unglücksfalls zu tragen. Wie Simon zutreffend formuliert hat, wurde, „[w]as vorher schlicht ‚Schicksal‘ war, […] nun zur auch (verfassungs)rechtlich nicht mehr hinnehmbaren Zerstörung einer Existenz“670. Dabei illustrieren die erörterten Haftungsbeschränkungsinstrumente und die dahinter stehenden Konzepte zugleich, dass der Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung auf ökonomischem Sektor und die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen für eine Teilhabe an der modernen Konsumgesellschaft letztlich auf zwei Arten verwirklicht werden kann: Zum einen auf rein „individueller“ Ebene, indem die wirtschaftlichen Haftungslasten nach der systematischen Konzeption allein zwischen Gläubiger und Schuldner, Geschädigtem und Schädiger aufgeteilt werden, wie das namentlich bei der Restschuldbefreiung, der beschränkten Arbeitnehmerhaftung und der institutio667 Vgl. dazu, dass eine (abhängige) Berufstätigkeit der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts dient, z.B. BAG GS 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702, 703. 668 Siehe näher oben § 2 D III 2 b). 669 Vgl. instruktiv zu den technologischen Gefahren der modernen Gesellschaft Beck, Risikogesellschaft, passim, vor allem S. 25 ff. 670 Simon, AcP 204 (2004), 264, 282; vgl. auch Gärtner, JZ 1988, 579, 580, 584.
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nellen Haftungsbeschränkung des § 13 II GmbHG erfolgt. Möglich ist zum anderen aber auch eine Schadens„sozialisierung“ durch die (pflichtweise) Einbeziehung eines kollektiven Schadensausgleichssystems, wie das über (meist: Pflicht-)Haftpflichtversicherungen im Bereich der Haftungshöchstsummen und die Unfallversicherungsträger bei den §§ 104 ff. SGB VII erfolgt ist. Beide Modelle haben ihre Berechtigung und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Es ist aber nicht jedes Modell für jedes Regelungsproblem gleichermaßen passgenau. Denn während beispielsweise im Bereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung durchaus eine Ersetzung des bisherigen individuellen Konzepts durch ein dem § 105 SGB VII angenähertes Versicherungsmodell denkbar erscheint, wäre eine Ersetzung des bisherigen GmbH-Haftungskonzepts durch eine Pflichtversicherung verfehlt.671 3. Zusammenfassung und Ausblick Die Schaffung und weitere Entwicklung der hier als „modern“ charakterisierten Haftungsbeschränkungsinstrumente (Restschuldbefreiung, beschränkte Arbeitnehmerhaftung, §§ 104 ff. SGB VII, Haftungshöchstsummen und § 13 II GmbHG) kann man – trotz ihrer im Detail unterschiedlichen rechtsdogmatischen und -politischen Begründung – auf einer Metaebene auf die hier schlagwortartig mit den Begriffen „Vermassung“, „Technisierung“ und „gewandeltes Menschenbild“ bezeichneten Umwälzungsprozesse zurückführen. Mit der Rückführung einer an sich gegebenen Haftungsverantwortlichkeit auf ein „sachgerechtes“ Niveau stellen diese Haftungsbeschränkungsinstrumente einen wichtigen Baustein für die rechtliche Bewältigung dieser Entwicklungen dar und dienen damit sowohl dem angemessenen Ausgleich widerstreitender privater Interessen wie der im Allgemeininteresse liegenden Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft. Sind diese „modernen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente aber Ausfl ss und Spiegelbild der in den letzten gut 200 Jahren stattfindenden Wandlungsprozesse in Technik, Gesellschaft, Kultur und Ökonomie, dann werden sie auch in der Zukunft ihre bedeutende Funktion als Organisations- und Interessenausgleichsinstrument behalten, so nur diese Prozesse in der Zukunft anhalten beziehungsweise sich zumindest nicht umkehren werden. Von einer solchen „Rückentwicklung“ zum status quo ante ist nun aber trotz aller berechtigten Vorsicht gegenüber Prognosen gerade nicht auszugehen. Zwar mag die „Vermassung“ und die damit im Zusammenhang stehenden Haftungsrisiken angesichts erwarteter rückläufiger Bevölkerungszahlen in Deutschland672 671
Siehe näher oben § 2 D VI 1. Vgl. dazu Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (2009), sub 3.1 (abzurufen unter: https://www.bmi. bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Politik_Gesellschaft/DemographEntwick 672
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§ 3 Übergreifende Aspekte
(leicht) zurückgehen, an der fortschreitenden „Technisierung“ unserer Gesellschaft mit all ihren zahlreichen Vorteilen, aber eben auch damit einhergehenden (Haftungs-)Risiken kann hingegen kein vernünftiger Zweifel bestehen. Und auch eine Rückkehr zu einer mittelalterlich anmutenden, jenseitig orientierten und irdische Schicksalsschläge als Resultat nicht zu hinterfragender, sondern vielmehr auch auf der Ebene des (Haftungs-)Rechts demütig hinzunehmender göttlicher Ratschlüsse akzeptierende Geisteshaltung samt eines entsprechenden Menschenbildes erscheint nach heutigem Stand so gut wie ausgeschlossen. Man wird daher mit der Prognose, die Bedeutung moderner Haftungsbeschränkungsinstrumente werde nicht nur nicht abnehmen, sondern künftig sogar noch zunehmen, kein allzu großes Wagnis eingehen. Welchen Haftungsherausforderungen künftige Generationen ausgesetzt sind und wie sie mit diesen juristisch umgehen, ist naturgemäß nicht vorhersehbar. Kein Zweifel kann aber daran bestehen, dass dem künftigen Haftungs(-beschränkungs-)recht nur dann Erfolg beschieden sein kann, wenn es im Einklang mit den ökonomischen, sozialen, kulturellen und geistesgeschichtlichen Gegebenheiten seiner Zeit steht.
E. Fazit Die zivilrechtliche Haftung und ihre Beschränkung werden auch in der Zukunft von zentraler Bedeutung im Gebäude des Privatrechts sein. Trotz manchen, im Verlaufe dieser Untersuchung herausgearbeiteten Verbesserungsbedarfs in Detailfragen lässt sich dabei ein genereller, korrigierungsbedürftiger Systemwebfehler im Bereich der Haftungsbeschränkungsinstrumente – glücklicherweise! – ebensowenig ausmachen wie eine große, schließungsbedürftige Systemlücke. Insbesondere ist de lege ferenda die Schaffung einer allgemeinen Reduktionsklausel, mittels derer dem erkennenden Richter die Möglichkeit einer Kürzung individueller Schadensersatzansprüche eingeräumt würde, weder notwendig, noch erscheint sie geboten. Die das geltende Recht kennzeichnenden, punktuell auf bestimmte Szenarien zugeschnittenen speziellen Haftungsbeschränkungsinstrumente sind einem solchen, notwendigerweise groben und mit zahlreichen Rechtsunsicherheiten einhergehenden Modell eindeutig überlegen.673 Insbesondere bedarf auch eine hochtechnisierte, „vermasste“ Gesellschaft zur Erreichung „angemessener“ Resultate keiner derartigen Reduktionsklausel. Gerade angesichts der hohen Bedeutung von Haftung und ihrer Begrenzung tut aber eine ständige Wachsamkeit von Seiten des „Rechtsstabs“ lung/bev%C3 %B6lkerungsentwicklung_2060.pdf?__blob=publicationFile). – Weltweit ist hingegen ein deutlicher Anstieg zu erwarten, vgl. United Nations, World Population Prospects – The 2012 Revision, S. 1 (abzurufen unter: http://esa.un.org/wpp/Documentation/pdf/ WPP2012_%20KEY%20FINDINGS.pdf). 673 Dazu näher § 3 B V.
E. Fazit
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daraufhin Not, ob aufgrund neuer ökonomischer, sozialer, technologischer oder kultureller Entwicklungen eine Neujustierung des geltenden Haftungsrechts erforderlich ist. Wie relevant Haftungsbeschränkungsinstrumente im Gesamtkonzept unserer Rechtsordnung sind, zeigt sich aber nicht nur in dieser gewissermaßen auf die Allgemeinheit beziehungsweise den Gesetzgeber ausgerichteten Perspektive, sondern auch, wenn man auf den einzelnen (potentiellen) Haftungsverantwortlichen blickt. Im Sinne eines freiheitlich-liberalen Vorverständnisses steht es zwar eigentlich in dessen freiem Belieben, ob er sich durch Verzicht(-svertrag) des Schutzes eines Haftungsbeschränkungsinstrumentes begibt oder nicht. Angesichts der großen Bedeutung, die einer „sachgerechten“ Haftungsbegrenzung zum Ausgleich widerstreitender Privatinteressen zukommt, sind dieser Freiheit im Sinne eines paternalistischen Grundansatzes über den „Übereilungsschutzgedanken“ aber Grenzen zu ziehen.674 Daran wird auch in der Zukunft festzuhalten sein, und zwar selbst dann, wenn der Grad an Individualisierung weiter voranschreiten wird. Denn, um ein Zitat von Otto Bähr aufzugreifen, werden „bekanntermaßen […] die Dummen in der Welt nicht alle“675. Auch künftig wird man daher potentielle Schuldner vor einer übereilten Preisgabe des zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht noch wichtigen Schutzes durch ein Haftungsbeschränkungsinstrument zu bewahren haben.
674 675
Siehe ausführlich § 3 C IV. Bähr, Die Grenzboten 1892, 210, 224.
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763
§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung verschiedener Haftungsbeschränkungsinstrumente, mit deren Hilfe die Rechtsordnung die „goldene Mitte“ zwischen einem Zuviel an Haftung einerseits, einem Zuwenig an zivilrechtlicher Einstandsverpflichtung andererseits zu erreichen sucht. Im Folgenden werden die wichtigsten gewonnenen Ergebnisse vergleichsweise kurz und im Wesentlichen ohne Begründung referiert; detaillierte Zusammenfassungen finden sich am Ende der jeweiligen Einzelkapitel1.
A. Die wichtigsten Ergebnisse des Grundlagenkapitels (§ 1) 1. „Haftung“ wird in dieser Arbeit weit verstanden. Umfasst ist nicht nur das Zugriffsrecht des Gläubigers auf das Vermögen des verpflichteten Schuldners, mit anderen Worten also das, was von der traditionellen, von der Dichotomie von Schuld und Haftung ausgehenden Lehre als Haftung bezeichnet wird, sondern auch die (vorgelagerte) Verpflichtung des Schuldners – mithin die Schuld im klassischen Sinne. Darüber hinaus werden in Bezug auf die Anspruchstypen alle möglichen Arten erfasst, das heißt nicht nur Sekundäransprüche (vor allem solche auf Schadensersatz), sondern auch auf Erfüllung gerichtete Primäransprüche, Unterlassungsansprüche et cetera. 2 2. Die für die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes entscheidende Abgrenzung zwischen Haftungsbegründung und -begrenzung orientiert sich im Ausgangspunkt an den klassischen Einwendungskategorien.3 Entsprechend werden – mit Ausnahme der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz (§§ 104 ff. SGB VII) – rechtshindernde Einwendungen ausgeklammert und von vornherein allein rechtsvernichtende/-hemmende Einwendungen in den Blick genommen. Aber auch von ihnen fallen – aus unterschiedlichen Gründen – zahlreiche aus dem Untersuchungsfokus. Übrig bleiben Haftungshöchstsummen, die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO, die Grundsätze 1 Siehe § 2 A VI, § 2 B V, § 2 C VI, § 2 D VII, § 2 E VII, § 2 F VII, § 3 B VI, § 3 C VI, § 3 D III 3. 2 Im Einzelnen siehe § 1 B. 3 Siehe näher § 1 C.
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
beschränkter Arbeitnehmerhaftung, die Beschränkung der Erbenhaftung (§§ 1970 ff. BGB) und die institutionelle Haftungsbeschränkung durch Gründung einer GmbH. 3. Haftungsbeschränkungsregeln werfen angesichts der rechtsgüterschützenden Funktion von Haftungsnormen verfassungsrechtliche (Legitimations-) Fragen auf. Neben der Eigentumsfreiheit sind insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 I GG sowie die Schutzpflichtdimension der Grundrechte von Bedeutung.4
B. Die wichtigsten Ergebnisse in Bezug auf die einzelnen Haftungsbeschränkungsinstrumente (§ 2) I. Gesetzliche Haftungshöchstsummen 1. Typischerweise beschränken gesetzliche Haftungshöchstsummen verschuldensunabhängige Haftungstatbestände. Durchbrechungen von diesem Grundsatz finden sich allerdings in beide Richtungen, mit anderen Worten: es existieren sowohl verschuldensunabhängige Haftungstatbestände ohne gesetzliche Haftungshöchstsumme wie verschuldensabhängige Haftungstatbestände mit gesetzlichem Haftungshöchstbetrag.5 2. Gemessen an der klassisch-dichotomischen Unterscheidung von Schuld und Haftung stellt die Bezeichnung als Haftungshöchstsummen eine falsa demonstratio dar. Denn sie beschränken bereits die Schuld des Schädigers auf einen bestimmten, vom Gesetz entweder in Form eines abstrakten Geldbetrags oder durch eine Anknüpfung an die Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorgegebenen Höchstbetrag. 3. Rechtspolitisch und -dogmatisch lässt sich die Schaffung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen mit einem Mix aus vier Faktoren begründen. Sie stellen (1.) einen „gerechten“ Ausgleich für die strikte Haftung dar, der (2.) die vollständige Versicherbarkeit des Haftungsrisikos ermöglicht und somit (3.) dem potentiell Haftungsverantwortlichen ein Instrument an die Hand gibt, um einer andernfalls möglichen ruinösen Haftung vorzubeugen. Auf diese Weise wird (4.) verhindert, dass das Haftungsrisiko prohibitive Wirkung entfaltet.6 Die Normierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungsvorschriften ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere liegt weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) noch gegen staatliche 4 5 6
Siehe zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen näher § 1 F. Im Einzelnen siehe § 2 A II 1. Näher § 2 A III 1.
B. Die wichtigsten Ergebnisse auf die Haftungsbeschränkungsinstrumente
765
Schutzpflichten aus Art. 2 II, Art. 14 I beziehungsweise Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG vor.7 4. Umgekehrt ist die (ausnahmsweise) Nichtnormierung von Haftungshöchstsummen bei verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz rechtfertigungsbedürftig. Das gelingt zwar bei den § 53 I LuftVG, §§ 302 IV 2, 600, 717 II, 799a, 945 ZPO, § 14 S. 2 BImSchG, § 11 LuftVG, § 7 VI AtomG, § 23 S. 2 GenTG, § 16 I 3 WHG sowie § 906 II 2 BGB (analog),8 die nicht erfolgte höhenmäßige Begrenzung der Haftung aus § 89 WHG, § 833 S. 1 BGB, §§ 29, 30 BJagdG und §§ 414 I, II, 451, 455 II, 468 III HGB ist aber mit Art. 3 I GG nicht vereinbar, so dass hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.9 Auch die Herausnahme von Grundstücksbeschädigungen aus dem Anwendungsbereich des § 10 III HaftpflichtG ist mit Art. 3 I GG nicht vereinbar, so dass auch hier der Gesetzgeber zur verfassungskonformen Neuregelung aufgerufen ist.10 5. Verfassungsrechtliche Fragen ergeben sich ferner, wenn ausnahmsweise verschuldensabhängige Haftungsnormen durch eine gesetzliche Haftungshöchstsumme beschränkt werden, wie dies zum Beispiel bei den § 323 I 3, II 1 HGB, §§ 18, 12, 12a StVG der Fall ist. Die sogar bei grob fahrlässig verursachten Schäden eingreifende summenmäßige Haftungsprivilegierung des § 323 II HGB (gegebenenfalls in Verbindung mit § 49 AktG) verstößt gegen Art. 3 I GG,11 wohingegen § 18 StVG und § 675v I 2, 1 BGB mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind.12 6. Verfassungswidrig sind schließlich die von §§ 431 I, II, 451e, 461 I 2, 504 I 1 HGB für die Haftung des Frachtführers beziehungsweise Versenders im Fracht-, Speditions- und Umzugsrecht maßgeblichen Parameter (Rohgewicht der Sendung/zur Vertragserfüllung erforderlicher Laderaum) für die Bestimmung der Haftungshöchstsumme;13 entsprechend besteht auch hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf.14 7. Um eine inflationsbedingte Aushöhlung von Haftungshöchstbeträgen zu verhindern, müssen diese in regelmäßigen Abständen (drei bis fünf Jahre) auf ihre „Zeitgemäßheit“ überprüft werden und gegebenenfalls angepasst werden.15
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Siehe § 2 A IV 1. Im Einzelnen siehe oben § 2 A IV 2 d) – g). Ausführlich § 2 A IV 2 a) – c). Näher § 2 A IV 3. Dazu § 2 A IV 4 a). Siehe oben § 2 A IV 4 b), c). Näher § 2 A IV 5 a), b). Ausführlich § 2 A IV 5 c), e). Siehe § 2 A V.
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
II. Die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO 1. Die Restschuldbefreiungserteilung greift in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung in das Eigentumsgrundrecht der Gläubiger aus Art. 14 GG ein.16 Diese Beschränkung lässt sich aber mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schuldners rechtfertigen.17 2. Zivilrechtsdogmatisch werden die vormals vollgültigen Gläubigerforderungen durch die Erteilung der Restschuldbefreiung durch rechtsgestaltenden richterlichen Hoheitsakt in unvollkommene Verbindlichkeiten mit der Folge umgewandelt, dass der Schuldner sie zwar noch freiwillig erfüllen kann, der Gläubiger aber nicht ihretwillen vollstrecken kann. Angesichts dessen stellt die Restschuldbefreiung nicht bereits eine Schuld-, sondern erst eine Haftungsbeschränkung dar. 3. Eine Aufrechnung des Gläubigers mit einer von der Restschuldbefreiungserteilung erfassten Forderung gegen einen Anspruch des Schuldners ist nur in den Fällen der §§ 94, 95 InsO möglich.18 Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen einer solchen Forderung ist dem Gläubiger apodiktisch verwehrt.19 Eine (Leistungs-)Klage des Gläubigers einer von einer Restschuldbefreiungserteilung erfassten Forderung ist nicht schon unzulässig, sondern erst unbegründet. 20 4. Der gerichtliche Widerruf der Restschuldbefreiungserteilung (§ 303 InsO) ist – entsprechend der actus contrarius Theorie – ein rechtsgestaltender gerichtlicher Hoheitsakt. 21
III. Die Beschränkung der Erbenhaftung 1. Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente greifen zwar fast alle in die Eigentumsfreiheit der Nachlass- und/oder der Eigengläubiger ein, diese Eingriffe sind aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. 22 2. Die §§ 1970 ff. BGB beschränken nach zutreffender Auffassung erst die Haftung und nicht bereits die Schuld des Erben. Versuche, eine Schuldbeschränkung damit zu begründen, dass der Nachlass durch die Geltendmachung des Haftungsbegrenzungsinstruments zum (Quasi-)Rechtssubjekt oder einem rechtsfähigen selbständigen Sondervermögen erhoben wird, überzeugen ebenso wenig wie die Annahme der Verengung der persönlichen Schuld oder der Ver-
16 17 18 19 20 21 22
Näher § 2 B II 1 b). Siehe im Einzelnen oben § 2 B II 1 c). Ausführlich oben § 2 B III 3 b). Siehe § 2 B III 3 c). Dazu § 2 B III 3 e). Siehe dazu § 2 B III 4. Siehe im Einzelnen oben § 2 C IV.
B. Die wichtigsten Ergebnisse auf die Haftungsbeschränkungsinstrumente
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doppelung der Subjektsqualität des Erben. 23 Diese Einstufung als Haftungsbeschränkung wirkt sich mannigfach praktisch aus. So scheidet entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung ein Schuldnerverzug weitestgehend aus, wenn der Erbe nach Geltendmachung eines erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstruments eine fällige Nachlassverbindlichkeit trotz Mahnung nicht erfüllt. 24 Des Weiteren führt die Erhebung der Einreden nach §§ 1973 f., 1990–1992 BGB entgegen der momentan ganz herrschenden Meinung nicht dazu, dass die Klage im Erkenntnisverfahren abzuweisen ist; vielmehr ist der Erbe antragsgemäß zu verurteilen und die Problematik in das dafür einschlägige Vollstreckungsverfahren zu verlagern. 25 Wenn auch mit anderer Begründung, so ist im Ergebnis mit der herrschenden Ansicht ein Kondiktionsanspruch nach § 813 I 1 BGB zu bejahen, wenn der Erbe trotz eines wirksam geltend gemachten Haftungsbeschränkungsinstruments eine Nachlassverbindlichkeit freiwillig aus seinem Eigenvermögen befriedigt hat. 26 3. Vereinzelt finden sich im deutschen Recht Sonderformen der beschränkten Erbenhaftung: § 5 V 4 KonsularG mit beschränkter Haftung cum viribus einerseits, die schon die Schuld des Erben wertmäßig/rechnerisch beschränkenden §§ 1371 IV, 1586b I 1, 3, 1836e I 2, 1908i BGB, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II andererseits. Diese erbenschützenden Mechanismen verdrängen die allgemeinen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumente der §§ 1970 ff. BGB nach zutreffender Auffassung nicht. 27 Dogmatisch lässt sich zwar der bei den §§ 1371 IV, 1586b I 3 BGB eingeschlagene Sonderweg erklären und deshalb auch in der Zukunft beibehalten. Was aber die § 5 V 4 KonsularG, §§ 102 II 2, 103 II 2 SGB XII, § 35 II 3 SGB II, §§ 1836e I 2, 1908i BGB anbelangt, sollten diese de lege ferenda an das allgemeine erbrechtliche System angeglichen werden.28 4. Wird die Nachlassverwaltung nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten und der Auskehr eines eventuellen Rests an den Erben (§§ 1985 I, 1986 I BGB) wegen Zweckerreichung aufgehoben, so kommt der Erbe im Folgenden entgegen der heute ganz herrschenden Meinung de lege lata richtigerweise nicht in den generellen Genuss einer Haftungsbeschränkung auf den Nachlass. Eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass kann er nur unter den normalen erbrechtlichen Haftungsbeschränkungsvoraussetzungen herbeiführen.29 Es ist auch nicht angezeigt, de lege ferenda das geltende Recht in die von der herrschenden Ansicht befürworteten Richtung fortzuentwickeln.30 23 24 25 26 27 28 29 30
Siehe im Einzelnen § 2 C III 1–3. Dazu § 2 C III 4 a). Siehe § 2 C III 4 c). Dazu § 2 C III 4 b). Ausführlich oben § 2 C III 7. Siehe näher § 2 C V 2. Ausführlich § 2 C II 2 c). Dazu § 2 C V 3.
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
5. Ob der Erbe die Verschweigungseinrede des § 1974 BGB auch solchen Nachlassforderungen entgegenhalten kann, die erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden sind, und die der Nachlassgläubiger daher gar nicht rechtzeitig geltend machen konnte, ist umstritten. Entgegen den bislang in der Literatur vertretenen, jeweils „Extrempositionen“ darstellenden Auffassungen ist insoweit ein Mittelweg vorzugswürdig. Zwar scheidet eine generelle teleologische Reduktion des § 1974 BGB aus, etwas anderes muss aber bei angeordneter Dauertestamentsvollstreckung sowie für solche Nachlassverbindlichkeiten gelten, die durch eine Rechtshandlung des Erben, eines Nachlassverwalters, Testamentsvollstreckers und so weiter nach Ablauf der Fünfjahresfrist in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses begründet wurden.31 6. Die Geltendmachung der Einrede des § 1990 I 1 BGB führt zunächst zu einer semipermeablen, asymmetrischen Haftungsstruktur zulasten der Nachlassgläubiger: Während der Erbe ihren Zugriff auf sein Eigenvermögen abwehren kann, sind seine Eigengläubiger nicht daran gehindert, in den Nachlass zu vollstrecken. Dass dieser Problematik abgeholfen werden muss, wird in der Literatur zutreffend erkannt. Die hierfür bislang unterbreiteten Vorschläge greifen jedoch jeweils zu kurz. Zutreffenderweise ist ihr dadurch Herr zu werden, dass der Erbe über eine analoge Anwendung von § 784 II ZPO in die Lage versetzt wird, die Eigengläubiger abzuwehren und zugleich den Nachlassgläubigern für den Fall, dass er dies unterlässt, ein Ersatzanspruch nach §§ 1991 I, 1978, 280 BGB eingeräumt wird.32 De lege ferenda sollte – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – explizit ein § 784 II ZPO entsprechendes „Abwehrrecht“ des Erben gegen Vollstreckungshandlungen der Eigengläubiger in den Nachlass normiert werden. Erwägenswert wäre es darüber hinaus, kumulativ auch den Nachlassgläubigern ein derartiges Abwehrrecht einzuräumen.33
IV. Die institutionelle Haftungsbeschränkung per GmbH-Gründung 1. Die mit einer GmbH verbundene Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen ist entgegen der Kritik vor allem der Freiburger Schule im Grundsatz sowohl rechtspolitisch und -dogmatisch legitim wie verfassungskonform34, weil sie im volkswirtschaftlichen – und damit Allgemeinwohl- – Interesse durch das „Versprechen“ einer Verschonung des Privatvermögens die Unternehmerinitiative und Investitionsbereitschaft samt der damit verbunde-
31 32 33 34
Näher § 2 C II 5 b). Ausführlich § 2 C II 6 e). Näher § 2 C V 1. Zur Verfassungskonformität siehe § 2 D V.
B. Die wichtigsten Ergebnisse auf die Haftungsbeschränkungsinstrumente
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nen Vorteile zu stärken verspricht.35 Das kann allerdings nur gelten, solange durch Gesetzgeber und Rechtsprechung ein effektiver Gläubigerschutz gewährleistet wird. 2. Das Gläubigerschutzsystem des GmbH-Rechts ist angesichts der empirisch nachweisbaren hohen Insolvenzanfälligkeit der GmbH (dringend) verbesserungsbedürftig. Fraglich ist, wie das (vor allem) de lege ferenda erreicht werden kann. – Als nicht geeignet erschiene insoweit die Schaffung einer umfassenden Versicherungspflicht für Gesellschaften mbH.36 – Auch Versuchen einer konzeptionellen Umstellung des geltenden kapitalorientierten und damit „paternalistischen“ auf ein informationelles, auf den Eigenschutz der Vertragsgläubiger der GmbH aufbauendes Gläubigerschutzsystem anglo-amerikanischer Coleur ist eine klare Absage zu erteilen.37 Das schließt es allerdings nicht aus, punktuell die Publizitätsvorschriften zu erweitern und die Sanktionen im Falle ihrer Verletzung zu verschärfen.38 – Was den Ausbau der kapitalorientierten Schutzmechanismen anbelangt, so ist eine Unterkapitalisierungshaftung nicht nur de lege lata abzulehnen,39 sondern ihre Schaffung erscheint auch de lege ferenda nicht geboten.40 Das gilt auch für eine pauschale Ausfallbeteiligung der Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft. Am Stammkapitalprinzip ist aber festzuhalten, mag die Kritik daran momentan auch „chic“ zu sein; tatsächlich ist dieses sogar ausbaufähig, zum Beispiel hin zu einem System flexiblen Stammkapitals, das an die regelmäßige Überschreitung bestimmter Umsatzschwellenwerte anknüpfend eine Pflicht der Gesellschafter zur Kapitalerhöhung vorsieht.41 Noch besser erscheint eine Ergänzung des geltenden Rechts der realen Kapitalaufbringung durch eine sich im Insolvenzfall realisierende Kapitaldeckungspflicht in einer bestimmten, vom einzelnen Gesellschafter zuvor festgelegten und im Handelsregister publizierten Höhe.42 – An den Haftungskonzepten wegen existenzvernichtendem Eingriff und Vermögensvermischung ist im Grundsatz festzuhalten. Allerdings überzeugt es nicht, wenn in Rechtsprechung beziehungsweise Literatur „eindimensional“ insoweit jeweils entweder nur eine Außen- oder eine Innenhaftung vorgese-
35 36 37 38 39 40 41 42
Näher oben § 2 D III. Siehe dazu § 2 D VI 1. Ausführlich oben § 2 D VI 2 a). Siehe im Einzelnen oben § 2 D VI 2 b), c). Näher oben § 2 D IV 9 c). Oben § 2 D VI 3 a). Näher § 2 D VI 3 b) dd). Im Einzelnen oben § 2 D VI 3 b).
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
hen wird. Vielmehr kommen richtigerweise in beiden Fällen unter bestimmten Voraussetzungen sowohl Ansprüche der Gesellschaft wie der Gesellschaftsgläubiger in Betracht.43 – § 64 GmbHG sollte dahingehend ergänzt werden, dass Haftungsadressaten auch die Gesellschafter sind, wenn die Gesellschaft führungslos ist.44 Nach bislang geltendem Recht ist das nicht der Fall, weil entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung eine Analogie zu § 15a III InsO nicht möglich ist.45 – Die Fristen der § 135 I Nr. 2 InsO, § 6 I 1 Nr. 2 AnfG sollten auf 18 Monate oder sogar zwei Jahre ausgedehnt werden.46 – Weil der Gläubigerschutz in der AG abstrakt-typisierend offenbar besser funktioniert als bei der GmbH, sollten die Gesellschafter einer „großen“ GmbH unter bestimmten Voraussetzungen – beispielsweise bei einem sich regelmäßig jenseits der € 3 Millionen-Grenze bewegenden Jahresumsatz – verpflichtet werden, die Gesellschaft in eine AG umzuwandeln.47
V. Die Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz nach §§ 104 ff. SGB VII 1. Die mit den §§ 104 ff. SGB VII verbundenen Haftungsausschlüsse lassen sich weder damit rechtfertigen, dass sich der Geschädigte – statt an seinen eigentlichen Schädiger – an den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung halten kann (sogenanntes Liquiditätsargument),48 noch mit dem Schutz des Betriebsfriedens vor einer unerwünschten Belastung infolge gerichtlicher Auseinandersetzungen (sogenanntes Friedensargument).49 Auch das Argument, Schädiger und Geschädigter befänden sich in einer Betriebs-/Gefahrengemeinschaft und der Schädiger sei deshalb besonders schutzwürdig, vermag den Haftungsausschluss im Ergebnis nicht zu tragen.50 Soweit die §§ 104 ff. SGB VII den die Beiträge zur Unfallversicherung allein tragenden Unternehmer (§ 150 I SGB VII) entlasten, lässt sich der Haftungsausschluss aber über das sogenannte Finanzierungsargument rechtfertigen, wird auf diese Weise doch verhindert, dass der Unternehmer einen Schadensfall – wirtschaftlich betrachtet – quasi zwei Mal auszugleichen hat.51
43 Siehe oben § 2 D IV 8 c) für die Existenzvernichtungshaftung und § 2 D IV 10 e) für die Vermögensvermischung. 44 Siehe oben § 2 D VI 4 b). 45 Dazu oben § 2 D IV 6 d) und § 2 D IV 7 b). 46 Oben § 2 D VI 4 c). 47 Ausführlich oben § 2 D VI 5. 48 Siehe dazu § 2 E IV 1. 49 Näher oben § 2 E IV 2. 50 Dazu oben § 2 E IV 4. 51 Näher § 2 E IV 3.
B. Die wichtigsten Ergebnisse auf die Haftungsbeschränkungsinstrumente
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Auch die §§ 10552, 106 I Nr. 3, II Nr. 2, 3, IV53 SGB VII lassen sich rechtsdogmatisch und -politisch rechtfertigen, maßgeblich ist hier die Überlegung, dass ein fremdbestimmt und -nützig tätiger Schädiger besonders schutzbedürftig ist.54 2. Tatbestände, die weder vom Finanzierungs- noch dem Schutzbedürftigkeitsargument getragen werden, lassen sich rechtspolitisch und -dogmatisch hingegen nicht rechtfertigen. Das betrifft § 106 I Nr. 1, 2, II Nr. 1, III SGB VII sowie – wenn ein versicherter Betriebsangehöriger von einem Betriebsfremden, dessen Tätigkeit für den Betrieb mangels Eingliederung und Weisungsgebundenheit nicht als fremdbestimmt anzusehen ist, geschädigt wird – § 105 I SGB VII.55 Diese mangelnde rechtspolitische und -dogmatische Legitimation wirkt sich auch auf verfassungsrechtlicher Ebene aus. Daher ist im Hinblick auf Art. 3 I GG zum Teil eine ersatzlose Streichung dieser Vorschriften erforderlich.56 3. Entgegen der bislang einhelligen Meinung sind im Rahmen von § 104 III SGB VII die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche anzurechnen.57 4. Die §§ 104 ff. SGB VII beschränken nicht erst die Haftung, sondern bereits die Schuld des Schädigers. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung handelt es sich nicht um rechtshemmende, sondern rechtshindernde Einwendungen.58 5. § 105 SGB VII geht in seinem Anwendungsbereich den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung vor.59
VI. Die beschränkte Arbeitnehmerhaftung 1. Die maßgeblich vom BAG entwickelten Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung lassen sich im Einklang mit der herrschenden Meinung rechtspolitisch und -dogmatisch im Ausgangspunkt mit dem Betriebsrisikogedanken legitimieren. Dieser beruht maßgeblich auf der mit der Fremdnützigkeit und -bestimmtheit der Tätigkeit einhergehenden besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers.60 Zu Recht widersteht das BAG der Versuchung, die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung methodisch bereits auf der Ebene des Haftungstatbestandes zu erreichen, sondern setzt zutreffenderweise erst bei 52 Soweit Schädiger ein Betriebsfremder ist, hängt die Einschlägigkeit des Schutzbedürftigkeitsarguments aber davon ab, ob dieser im konkreten Einzelfall tatsächlich fremdbestimmt tätig wurde. 53 Das gilt nur, wenn der Arbeitnehmer einen Besucher schädigte, nicht aber im umgekehrt Fall. 54 Ausführlich oben § 2 E IV 6. 55 § 2 E IV 7. 56 Dazu § 2 E V 1 c). 57 Ausführlich § 2 E II 2 g) bb). 58 Näher § 2 E III 1. 59 Siehe § 2 E III 2 b). 60 Ausführlich oben § 2 F III 1 a).
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
den Haftungsfolgen an.61 Weil es sich – legt man die klassisch-dichotomische Unterscheidung von Schuld und Haftung zugrunde – nicht erst um eine Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers, sondern bereits seiner Schuld handelt, stellt die Bezeichnung als beschränkte Arbeitnehmerhaftung eine falsa demonstratio dar.62 2. Das vom BAG auf dem Fundament des Betriebsrisikogedankens errichtete Gebäude beschränkter Arbeitnehmerhaftung stellt weitgehend einen fairen und systemgerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Etwas anderes gilt nach hier vertretener Auffassung allerdings insoweit, als das BAG selbst bei grober oder gar gröbster Fahrlässigkeit eine (Teil-)Entlastung des Arbeitnehmers für möglich hält.63 3. Überdies beachtet das BAG nicht ausreichend, dass der Betriebsrisikogedanke allein als Schadensverursachungszurechnungsgrund anzusehen ist, der daher nur die Berücksichtigung solcher Kriterien bei der Aufteilung der Schadensfolgen rechtfertigt, die im Arbeitsverhältnis wurzeln und – zumindest abstrakt-typisierend – zum Schadenseintritt beigetragen haben können. Hingegen lässt sich auf den Betriebsrisikogedanken keine Gesamtabwägung im Sinne einer „konturlosen Sozialabwägung“ stützen.64 Entsprechend kann die Einbeziehung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers mit dem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko richtigerweise ebenso wenig gerechtfertigt werden wie die Heranziehung der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers. Überdies erlaubt der Betriebsrisikogedanke es nicht, ein eventuelles Missverhältnis zwischen Arbeitslohn und Schadensrisiko oder eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Schließlich kann – im Rahmen des Betriebsrisikos – auch das Unterlassen einer gebotenen Versicherung des Schadensrisikos durch den Unternehmer nicht haftungsmindernd berücksichtigt werden.65 4. Die genannten Umstände können deshalb nur Berücksichtigung finden, wenn sich hierfür andere überzeugende rechtspolitische und -dogmatische Gründe finden lassen. Zwar lassen sich insoweit richtigerweise nicht grundrechtliche Schutzpflichten anführen,66 entgegen der heute herrschenden Meinung kann aber zumindest zum Teil die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers fruchtbar gemacht werden, indem sie das Recht des Arbeitgebers, ihm eigentlich zustehende Ansprüche durchzusetzen, begrenzt.67 Voraussetzung hierfür ist, dass erstens die hierbei zu berücksichtigenden Umstände einen konkreten Be61 62 63 64 65 66 67
Siehe § 2 F III 1 c). Dazu oben § 2 F VI. Näher § 2 F III 1 c) dd). Dazu § 2 F III 1 d) aa). Ausführlich § 2 F III 1 d) ff). Im Einzelnen siehe § 2 F III 2. Dazu oben § 2 F III 3.
B. Die wichtigsten Ergebnisse auf die Haftungsbeschränkungsinstrumente
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zug zum Arbeitsverhältnis aufweisen und zweitens dem Arbeitgeber dies nach einer Interessenabwägung zumutbar ist (vergleiche auch § 81 IV 3 SGB IX). Eine derart verstandene Fürsorgepflicht trägt eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs, wenn der Arbeitgeber nicht die gebotene vorherige Versicherung des Schadensrisikos vornahm. Aber auch sie ist nicht geeignet, die vom BAG postulierte Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und des Missverhältnisses von Arbeitsentgelt und Schadensrisiko beziehungsweise seiner möglichen Existenzgefährdung zu rechtfertigen.68 Diese Kriterien können daher richtigerweise nicht berücksichtigt werden. 5. Die rechtsdogmatische und -politische Begründung mit dem Betriebsrisikogedanken wirkt sich auch auf den personellen Anwendungsbereich der Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung aus. Diese können nur angewandt werden, wo der Schädiger einem Arbeitnehmer vergleichbar fremdbestimmt und -nützig tätig wird. Entsprechend scheidet eine Anwendung auf arbeitnehmerähnliche Personen69 ebenso aus wie auf Vorstände von Aktiengesellschaften, Aufsichtsratsmitglieder70 sowie freie Dienstverpflichtete, Werkunternehmer, Frachtführer, Spediteure, Verwahrer und Lagerhalter.71 Auch GmbH-Geschäftsführer werden grundsätzlich nicht erfasst, und zwar entgegen der herrschenden Meinung auch insoweit, als sie eine Aufgabe außerhalb ihrer spezifischen Organtätigkeit wahrnehmen; nur dann, wenn der Geschäftsführer ausnahmsweise einem Arbeitnehmer vergleichbar persönlich abhängig tätig ist, gilt die Haftungsprivilegierung – selbst im Bereich seiner spezifis hen Organtätigkeit – auch für ihn.72 Zugunsten leitender Angestellter sind die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung – wenn auch mit den der spezifischen Situation dieser Arbeitnehmergruppe geschuldeten Modifikationen – anwendbar.73 Auf Beauftragte schließlich findet die Haftungsprivilegierung keine Anwendung, weil es angesichts des aus den Gesetzesmaterialien ableitbaren Willens des Gesetzgebers an der erforderlichen Regelungslücke fehlt.74 6. Die Grundsätze beschränkter Arbeitnehmerhaftung sind in ihrer gegenwärtigen Gestalt mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie verletzen die Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers weder in deren Abwehrkomponente noch daraus resultierenden staatlichen Schutzpflichten.75
68 69 70 71 72 73 74 75
Näher oben unter § 2 F III 3 bb). Siehe näher § 2 F III 5 b) bb). Siehe § 2 F III 5 b) ee). Ausführlich § 2 F III 5 b) ff) und gg). Näher dazu oben § 2 F III 5 b) dd). Dazu § 2 F III 5 b) cc). Näher § 2 F III 5 b) hh). Näher § 2 F IV.
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
7. Für die normative Verortung der Haftungsprivilegierung ist zu unterscheiden: Soweit sie auf den Betriebsrisikogedanken gestützt werden kann, ist im Einklang mit der traditionellen Auffassung des BAG und der herrschenden Lehre § 254 I BGB analog heranzuziehen.76 Soweit bei der mangelnden Versicherung des Schadensrisikos durch den Arbeitgeber die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers heranzuziehen ist, kann das aber nicht auf § 254 I BGB (analog), sondern nur auf § 242 BGB gestützt werden.
C. Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Kapitel „Übergreifende Aspekte“ (§ 3) I. Allgemeine Reduktionsklausel 1. Auch wenn man aus dem grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schuldners ableiten kann, dass er Schutz vor einer ruinösen, dauerhaft seine wirtschaftliche Existenzgrundlage beeinträchtigenden Haftung verdient, können und dürfen exorbitante, den Schuldner in eine dauerhafte Überschuldung stürzende Schadensersatzverpflichtungen vom erkennenden Richter de lege lata grundsätzlich nicht über § 242 BGB korrigiert werden. Etwas anderes kann nur in der absoluten Sonderkonstellation gelten, in der ein nicht haftpflichtversicherter Minderjähriger, der bereits ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat, einen weiteren schweren Schaden verursacht, der exorbitante, von ihm über einen längeren Zeitraum nicht abtragbare Haftungsverbindlichkeiten nach sich zieht.77 2. Auch de lege ferenda ist die Schaffung einer Reduktionsklausel nicht geboten, ist die Schaffung von Generalklauseln angesichts der mit ihnen einhergehenden Rechtsunsicherheit und weitreichenden richterlichen Ermessensfreiheit wegen des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips doch nur zulässig, wenn hierfür sehr gute Gründe bestehen und zudem der zu regelnden Problematik nur mittels einer Generalklausel, nicht aber detaillierteren Regelungen Rechnung getragen werden kann. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.78 3. Es empfie lt sich, den Abschluss einer Haftpflichtversicherung nicht ins Belieben des Einzelnen zu stellen, sondern alle erwachsenen Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gesetzlich hierzu zu verpflichten. Zumindest sollte eine entsprechende Verpflichtung von Eltern zugunsten ihrer minderjährigen Kinder normiert werden.79
76 77 78 79
Siehe im Einzelnen § 2 F V. Siehe § 3 B III. Näher § 3 B V. Dazu § 3 B V 7.
C. Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Kapitel „Übergreifende Aspekte“ (§ 3)
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II. Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten 1. Auch wenn es den Parteien angesichts der durch Art. 2 I GG verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit im Grundsatz freisteht, Abreden über Haftungsbeschränkungsinstrumente zu treffen, das heißt insbesondere auch diese zulasten des (potentiellen) Schuldners einzuschränken oder vollständig abzubedingen, unterliegt die Abdingbarkeit der einzelnen, in der vorliegenden Untersuchung näher beleuchteten Haftungsbeschränkungsmittel zahlreichen Beschränkungen, deren genaue Referierung den Rahmen dieser Gesamtzusammenfassung sprengen würde. Verwiesen sei daher auf das entsprechende Kapitel.80 2. Begründen lässt sich diese Beschränkung der Privatautonomie zum Teil mit speziellen Überlegungen (wie zum Beispiel dem numerus clausus Prinzip des Gesellschaftsrechts). Dabei handelt es sich aber jeweils um Erwägungen, die den Besonderheiten des jeweiligen Haftungsbeschränkungsinstruments geschuldet sind und daher nicht verallgemeinerungsfähig sind. Als übergeordneter, bei der Bestimmung der Dispositivität bei allen Haftungsbeschränkungsinstrumenten zu berücksichtigender Faktor lässt sich jedoch der hier als Übereilungsschutzgedanke bezeichnete Aspekt identifizieren. Zum Teil alleine, zum Teil gemeinsam mit anderen Schutzerwägungen beeinflusst er in unterschiedlicher Weise die Dispositivität. Seine Wirkungen reichen dabei von einem Totalverbot über einen bei der Sittenwidrigkeits- beziehungsweise AGB-Kontrolle (maßgeblich) zu berücksichtigenden Faktor bis hin zu einem eine enge Auslegung entsprechender Vereinbarungen nahelegenden Umstand.81 3. Diese in dieser Untersuchung erstmals herausgearbeitete Übereilungsschutzdimension von Haftungsbeschränkungsinstrumenten reiht sich in eine Kette allgemeiner Übereilungsschutzinstrumente des Zivilrechts – wie zum Beispiel Formvorschriften oder das Widerrufsrecht des § 312 BGB a.F. beziehungsweise §§ 312b, g BGB n.F. – ein. Weil es sich um eine Komponente handelt, die sämtlichen Haftungsbeschränkungsinstrumenten anhaftet, kann sie nicht nur bei den hier untersuchten, sondern – wie pars pro toto anhand der Verjährung gezeigt82 – auch bei anderen Haftungsbegrenzungsmechanismen angeführt werden.
80 81 82
Oben § 3 C III. Siehe näher oben § 3 C IV. Dazu oben § 3 C V.
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§ 4 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
III. Haftungsbeschränkung als Element moderner Industriegesellschaften 1. Die Schaffung und weitere Entwicklung der hier als „modern“ bezeichneten Haftungsbeschränkungsinstrumente (Restschuldbefreiung, beschränkte Arbeitnehmerhaftung, §§ 104 ff. SGB VII, Haftungshöchstsummen und § 13 II GmbHG) kann man – trotz ihrer im Detail unterschiedlichen rechtsdogmatischen und -politischen Begründung – auf einer Metaebene auf die hier schlagwortartig mit den Begriffen „Vermassung“83, „Technisierung“84 und „gewandeltes Menschenbild“85 bezeichneten Umwälzungsprozesse zurückführen. Mit der Rückführung einer an sich gegebenen Haftungsverantwortlichkeit auf ein „sachgerechtes“ Niveau stellen diese Haftungsbeschränkungsinstrumente einen wichtigen Baustein für die rechtliche Bewältigung dieser Entwicklungen dar und dienen damit sowohl dem angemessenen Ausgleich widerstreitender privater Interessen wie der im Allgemeininteresse liegenden Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft. 2. Weil nicht zu erwarten ist, dass die in den letzten gut 200 Jahren stattfindenden Wandlungsprozesse in Technik, Gesellschaft, Kultur und Ökonomie in absehbarer Zukunft umgekehrt werden, werden die „modernen“ Haftungsbeschränkungsinstrumente auch künftig ihre bedeutende Funktion als Organisations- und Interessenausgleichsinstrumente behalten.
83 84 85
Siehe dazu § 3 D III 1 a). Näher § 3 D III 1 b). Im Einzelnen § 3 D III 2.
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Sach- und Paragraphenverzeichnis Abdingbarkeit von Haftungsbeschränkungsinstrumenten 657 ff. Abschlussprüfer 52, 62, 81 Absorptionsprinzip 521 Abzugseinrede 164, 175 Abzugsrecht – Siehe Reduktionsklausel AktG – § 23 423 – § 41 7 – § 49 31, 51, 60, 81, 687 – § 62 327, 352 – § 68 424 – § 93 327, 343, 352, 574, 578 – § 117 327, 348, 352, 353 – § 262 107 – § 302 322 – § 303 322 – § 309 327, 352 – § 310 327, 352 – § 317 348, 352, 353 – § 318 327, 352 – § 327a 19, 106 Allgemeiner Gleichheitssatz – Siehe GG Art. 3 Alter – und Arbeitnehmerhaftung 532, 545, 556, 563, 565 AMG – § 84 29, 56 – § 88 29, 32, 33, 38, 58 – § 92 687, 688 – § 94 385 AnfG – § 6 417 Angehörigenbürgschaft 49, 50, 548 Anwartschaftsrecht 128 AO – § 33 6
– § 69 6 Arbeitnehmerhaftung – Abdingbarkeit 699 – Alter 532, 545, 556, 563, 565 – arbeitnehmerähnliche Personen 567 – Beauftragter 581 – beschränkte 452 ff. – Dauer Betriebszugehörigkeit 533, 556 – Existenzgefährdung 535, 546, 559, 564, 565 – Familienstand 532, 545, 556, 563, 565 – Frachtführer 578 – Fürsorgepflicht 549, 589 – GmbH-Geschäftsführer 572 – Grundrechte 538 – Lagerhalter 580 – leitende Angestellte 569 – Missverhältnis Lohn-Schadensrisiko 535, 546, 559, 564, 565 – normative Verankerung 585 – persönlicher Anwendungsbereich 566 – Schadenshöhe – Siehe Arbeitnehmerhaftung, Missverhältnis Lohn-Schadensrisiko – Spediteur 578 – Unterhaltsverpflichtungen 532, 545, 556, 563, 565 – Vereinsmitglieder 583 – Vermögensverhältnisse 534 – Versicherbarkeit 537, 546, 557 – Verwalter 580 – Vorstand 578 – Werkunternehmer 578 AtomG – § 7 30, 70 – § 25 30 – § 31 30, 32, 34, 36 Aufgebotsverfahren 157 – Einrede des 183
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Sach- und Paragraphenverzeichnis
Aufrechnung 130, 197, 200, 209 Aufwendungsersatz 208, 464, 483 Ausschlusseinrede 158, 159 BauGB – § 45 19, 106 – § 81 728 BBergG – § 117 32, 33, 34, 36, 38, 42, 58, 78 BBodSchG – § 4 362 BDSG – § 8 30, 32, 33, 38, 47, 58 Beauftragter – und Arbeitnehmerhaftung 581 Berufssatzung der Wirtschaftsprüferkammer 60 beschränkte Arbeitnehmerhaftung – Siehe Arbeitnehmerhaftung Betriebsgemeinschaftsargument – und §§ 104 ff. SGB VII 473 Betriebsrisiko – und beschränkte Arbeitnehmerhaftung 517, 586 Betriebszugehörigkeit – und beschränkte Arbeitnehmerhaftung 556 Betriebszugehörigkeitsdauer – und Arbeitnehmerhaftung 533 BetrVG – § 5 569 BGB – § 31a 526, 574 – § 31b 583 – § 54 7 – § 81 728 – § 105 279 – § 110 604 – § 138 692, 714, 718 – § 202 471, 484, 525, 621, 730 – § 214 124 – § 242 603 – § 253 500 – § 254 452, 476, 494, 511, 537, 539, 552, 586, 701 – § 267 196 – § 273 135 – § 276 6
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
§ 277 257, 476, 488, 511, 526, 582 § 286 205, 215 § 300 526 § 307 680, 694, 714, 716, 731 § 309 Nr. 7 526, 580, 702 § 364 682 § 387 130 § 521 10, 45, 488, 526, 582 § 563b 7 § 566 6 § 599 10, 45, 488, 526, 582 § 613a 6 § 617 550 § 618 550, 552 § 619 550 § 619a 501 § 622 37 § 645 579 § 651b 7 § 651h 32, 34, 58, 526 § 651k 32 § 656 124, 126, 130, 728 § 662 581 § 665 581 § 670 458, 464, 469, 483 § 675e 53, 686, 687 § 675v 30, 31, 32, 33, 37, 47, 51, 53, 88, 526, 686 § 680 10, 488, 526, 582 § 690 492, 511, 582 § 701 44 § 702 30, 32, 33, 34, 36, 37, 47, 58, 95 § 702a 526, 687 § 708 10, 45, 257, 476, 482, 488, 492, 511 § 709 482 § 762 124, 126, 130 § 763 126 § 764 124 § 767 6 § 813 207, 215, 451, 591 § 823 45, 46 § 826 45, 323, 344, 345, 471, 484 § 827 279 § 828 279, 479 § 829 280, 282, 636, 638 § 830 315, 319 § 833 30, 36, 41, 42, 44, 56, 64, 65, 605
Sach- und Paragraphenverzeichnis
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
§ 839 13, 281, 282 § 840 6 § 842 437 § 843 435, 437, 445, 467 § 844 435, 474, 490, 495 § 845 435, 474, 490, 495 § 846 473 § 847 (a.F.) 500 § 906 56, 64, 71 § 968 488, 526 § 1297 124, 126 § 1353 482 § 1356 257, 482 § 1359 482, 488, 492, 511 § 1371 34, 218, 222, 236 1381 13 § 1480 13 § 1489 173 § 1504 13 § 1565 728 1578b 13 § 1586b 34, 219, 222, 236 1611 13 § 1619 496 § 1629a 5, 13, 193, 614 § 1664 10, 45, 257, 476, 488, 492, 511 § 1747 728 § 1836e 34, 220, 222, 236 § 1908i 34, 220, 222, 236 § 1967 7, 140 § 1970 157 § 1973 158, 207, 226, 230, 696 § 1974 159, 207, 230, 696 § 1975 5, 7, 147, 153, 224, 696 § 1978 169 § 1980 153 § 1984 147 § 1988 148 § 1989 151, 154, 226 § 1990 149, 164, 207, 228, 235, 696 § 1992 179, 207, 229 § 1993 145 § 2013 156, 159 § 2014 182, 214, 233, 696 § 2015 183, 214, 233, 696 § 2016 145 § 2145 13 § 2187 13
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– § 2197 183 – § 2214 184, 217, 233 – § 2306 13 – § 2325 212 BGB-E – § 255a 47, 526, 548, 600 Billigkeitshaftung 74 BImSchG – § 14 30, 36, 63, 70 BinSchG – § 3 59 – § 5d 52 – § 5e 34 BJagdG – § 29 30, 36, 41, 42, 64, 68 – § 30 30, 36, 41, 42, 64, 68 BRAO – § 51 32, 386 – § 51a 86 BSHG – § 92c 220, 223 BVG – § 31 440 cuius commodum, eius periculum 309, 519 Dauer Betriebszugehörigkeit – und Arbeitnehmerhaftung 533, 556 Dreimonatseinrede 182 Durchgriffshaftung 344, 355, 369 Dürftigkeitseinrede 164, 166 Ehemaklervertrag 124 Eigentumsfreiheit 16 – Siehe GG Art 14 Einigungsvertrag – Art. 30 508 Einlagerer 93 Einwendung – rechtshemmend 12 – rechtshindernd 12 – rechtsvernichtend 12 Einzelgrenze 32, 38, 42, 48 Enteignung 17, 105 Erbenhaftung 140 ff. Erbfallschulden 140 Erblasserschulden 140
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Sach- und Paragraphenverzeichnis
Erschöpfungseinrede 158, 159, 167 European Principles of Tort Law – Art. 10 401, 640 Existenzgefährdung – und Arbeitnehmerhaftung 535, 546, 559, 564, 565 Existenzvernichtungshaftung 320 Fahrzeugführer 52, 86 FamFG – § 394 248 – § 434 157 – § 435 159 – § 437 157 – § 439 157 – § 457 156 – § 458 157, 163 – § 475 152 Familienstand – und Arbeitnehmerhaftung 532, 545, 556, 563, 565 Finanzierungsargument – und §§ 104 ff. SGB VII 463 Finanzierungsfolgenverantwortung 300, 304 Frachtführer 75, 89, 94 – und Arbeitnehmerhaftung 578 Freiburger Schule 263 Fremdbestimmtheit 478, 518 Fremdnützigkeit 478, 519 Friedensargument – und §§ 104 ff. SGB VII 457 Fürsorgepflicht 549 Gantverzicht 154 Gefahrengemeinschaftsargument – und §§ 104 ff. SGB VII 473 GenTG – § 23 30, 64, 70 – § 32 30, 58 – § 33 30, 32, 33, 38, 58 – § 36 386, 387 Geschäftsbrief 286, 287, 392, 393 Geschäftsführer – und Arbeitnehmerhaftung 572 Gesellschafterdarlehen 299, 417 GesO – § 18 115
GG – Art. 1 I 109 – Art. 2 486 – Art. 2 II 56 – Art. 2 I i.V.m. 1 I 109, 436, 606 – Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I 56 – Art. 3 54, 63, 64, 305, 489, 495, 500 – Art. 6 545, 546 – Art. 14 16, 55, 105, 224, 305, 383, 486, 583, 584 – Art. 19 IV 232, 238 – Art. 20 110, 276, 642, 662 – Art. 34 511 Gläubigergleichbehandlung 664 Globalgrenze 32, 38, 42, 48 GmbH 243 GmbHG – § 4 287 – § 5 290, 294, 395 – § 5a 264, 287, 295, 403 – § 6 332 – § 7 400 – § 8 285, 290 – § 9 290, 332 – § 9a 332 – § 9c 290 – § 10 285, 286 – § 11 244, 290 – § 13 244, 723 – § 19 291 – § 21 291 – § 24 291, 292 – § 26 311 – § 30 293, 294, 295, 320, 329, 340, 417 – § 30 (a.F.) 300 – § 31 293, 295, 320, 329, 332, 340 – § 31 (a.F.) 300 – § 32a (a.F.) 300, 415 – § 33 291, 293 – § 34 293 – § 35 297, 317 – § 35a 286, 287, 392, 395 – § 37 576 – § 39 286 – § 40 7 – § 41 368 – § 42 368 – § 42a 288, 421
Sach- und Paragraphenverzeichnis
– § 42aa 390 – § 43 257, 263, 294, 300, 331, 343, 368, 407, 418, 573, 574, 576 – § 46 259, 282, 366, 577 – § 49 411 – § 51a 307 – § 54 286 – § 55 291, 311, 406 – § 57 286, 407 – § 58 286 – § 60 107, 248, 324, 328 – § 64 297, 302, 313, 329, 415, 416 – § 64 (a.F.) 297 – § 65 289, 395 – § 66 341 – § 70 328, 331, 358 – § 72 289, 341 – § 73 325 – § 79 394, 395 Grundrechtliche Schutzpflichten – Siehe Schutzpflicht Grundstücke – Beschädigung von 78 Gründungsprüfer 52, 81 Haftpfl chtG – § 1 56 – § 9 30, 32, 33, 38, 42, 58, 78 – § 10 32, 34, 36, 38, 42, 58, 78, 79 – 10 33 Haftung – Begriff der 3 – cum viribus 218, 235, 236 – Durchgriffs- 344, 355, 369 – für Existenzvernichtung 320 – für Unterkapitalisierung 354, 395 – gegenständlich beschränkte 29 – pro viribus 218, 234, 236 – rechnerisch beschränkte 29 – Schutz vor ruinöser 37, 48 Haftungsbegrenzung 9 Haftungsbegriff 3 Haftungsbegründung 9 Haftungshöchstgrenzen – Siehe Haftungshöchstsummen Haftungshöchstsummen 29, 115, 614, 685 – Einzelgrenze 32, 38, 42, 48 – Globalgrenze 32, 38, 42, 48
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Haftungsrisiko – ruinöses 37, 48 – Versicherbarkeit 39, 47, 82 Herrschaft und Haftung 259, 275 HGB – § 9 286 – § 14 289, 395 – § 25 6 – § 62 550 – § 114 278 – § 115 278 – § 125 278, 283 – § 128 7, 279, 344 – § 131 107 – § 161 107 – § 164 279 – § 167 279 – § 170 279 – § 171 7, 279 – § 323 31, 32, 34, 51, 52, 60, 81, 687 – § 325 288, 390 – § 334 288 – § 335 288, 395 – § 414 30, 36, 64, 75 – § 431 32, 34, 89 – § 433 32 – § 449 32, 91 – § 451 30, 32, 36, 64, 75 – § 451e 32, 34, 92 – § 451h 32 – § 455 30, 36, 64, 75 – § 458 64 – § 461 32, 34, 89 – § 466 32, 91 – § 468 30, 36, 75 – § 504 94 Inhalts- und Schrankenbestimmung 17, 105 innerbetrieblicher Schadensausgleich – Siehe beschränkte Arbeitnehmerhaftung InsO – § 4a 117, 620 – § 15a 296, 318, 329, 391, 415 – § 26 153 – § 36 548 – § 38 301
816 – – – – – – – – – – – – – – – – –
Sach- und Paragraphenverzeichnis
§ 39 301, 307, 415, 417 § 92 298 § 93 323, 367, 380 § 94 131 § 95 131 § 135 301, 415, 417 § 135 (a.F.) 300 § 143 301 § 144 301 § 178 120 § 199 341 § 201 107, 113, 117, 120, 248 § 207 153 § 212 153 § 213 154 § 254 155 §§ 286 ff. 49, 102, 248, 255, 561, 618, 651 – § 287 103 – § 287a 103, 114, 128, 626 – § 287b 108, 113, 121, 248 – § 290 103, 113, 624 – § 292 103, 661, 664 – § 294 663, 674 – § 295 103, 108, 113, 121, 248 – § 297a 104, 114 – § 298 621 – § 300 104, 116 – § 301 104, 116, 119 – § 302 621 – § 303 104, 137 – § 320 153 – § 327 181 – § 811 111 – § 850 111 Insolvenzantragspflicht 296 Insolvenzplan 126, 155 Insolvenzverschleppungshaftung 297, 415 Insolvenzverursachungshaftung 318 Inventarerrichtung 145 InvG – § 6 361 – § 11 361, 396, 407 JArbSchG – § 22 550
JFDG – § 13 514, 568 JGG – § 15 644 Kapitalaufbringung 290, 370, 425 Kapitaldeckungspfl cht 410, 425 Kapitalerhaltung 292, 364, 370 Kapitalerhöhung 291, 311 Kartell 265, 273 KO – § 164 107, 113, 117 Konfusionsargument 69 Konkurrenzverbot 203 KonsularG – § 5 218, 220, 222, 236 Korrespondenzprinzip 259, 275 KSchG – § 1 533 – § 14 569 KWG – § 10 361, 396 – § 33 361, 396 Lagerhalter 75, 93 – und Arbeitnehmerhaftung 580 Lebensalter – Siehe Alter Liquiditätsargument 456 Lohnforderung 133 Lotterie 124 Lottogewinn 116 LPartG – § 4 526 LuftVG – § 11 30, 70 – § 37 30, 33, 34, 38, 58 – § 45 30, 38 – § 46 33 – § 47 33, 63 – § 48 63 – § 49c 63, 687 – § 53 30, 36, 58, 64, 69 – § 54 33 LVG – § 23 36 – § 29k 37
Sach- und Paragraphenverzeichnis
Missverhältnis Lohn-Schadensrisiko – und Arbeitnehmerhaftung 535, 546, 559, 564, 565 Monopol 265, 273 Nachlasseigenschulden 140 Nachlassinsolvenzverfahren 153, 206, 211, 226 Nachlassverbindlichkeit 140 Nachlassverwaltung 146, 205, 211, 224, 237 Nachschusspflicht 408 Naturalobligation 105, 123 Neue Formel 20 Normanwendungslehre 356 Optimierungsgebot 23 OR – Art. 43 601, 609, 634, 640 – Art. 44 634, 640 Ordoliberalismus 259 Partikulierschiffer 52 Pflichtversicherung 385, 424 ProdHaftG – § 1 31, 33, 34, 56 – § 10 31, 32, 33, 38, 58 – § 11 32, 33 – § 14 687, 688 Produkthaftungsrichtlinie 34, 40, 95, 405 Prüferhaftung 52 Publizitätspflichten 285, 388, 425 pursuit of happiness 111, 247 qualifiziert faktischer Konzern 322 reaffirmation agreement 660 Rechnungslegung 288 Rechtstradition 24, 35 Reduktionsklausel 548 ff. Restschuldbefreiung 49, 102, 251, 255, 548, 618 – Abdingbarkeit 660 – Versagungsgrund 103 – Widerruf 104, 137 RHG – § 7b 37
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RL 85/374/EWG 34, 40, 95, 405 RL 2007/64/EG 37, 53 Schadensausgleich – innerbetrieblicher – Siehe beschränkte Arbeitnehmerhaftung Schiffseigner 59 Schmerzensgeld – und Unfallversicherung 435, 500 Schuldbegriff 3 Schuldnerverzug 205, 215 Schutzbedürftigkeit – des Arbeitnehmers 477, 519 Schutzbedürftigkeitsargument – und §§ 104 ff. SGB VII 477 Schutzpflicht 55, 383, 486, 538, 584 Seefrachtvertrag 93 SGB I – § 35 236 – § 46 720 SGB II – § 16d 514, 568 – § 35 34, 220 SGB IV – § 76 628, 651 SGB IX – § 81 555 SGB VI – § 93 440 SGB VII – § 2 430, 465 – § 8 434, 435, 436, 443, 445, 462, 470, 484, 591 – § 12 434, 464 – § 31 435, 436 – §§ 56 ff. 437 – §§ 63 ff. 441, 495 – §§ 65 ff. 440 – § 81 440, 489 – §§ 81 ff. 466 – § 85 438 – §§ 104 ff. 429, 711 – § 105 279 – § 110 454, 528, 562 – § 129 467, 480 – § 136 430
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Sach- und Paragraphenverzeichnis
– § 150 463, 466, 478, 562 – § 153 466 – § 185 467, 480 SGB X – § 116 442, 443, 630 SGB XI – § 19 480 – § 43 480 – § 46 480 SGB XII – § 102 34, 220, 222, 236 – § 103 34, 222, 236 SHG – § 4 37 Sicherungsgeber 185 Sozialstaatsprinzip 110 Spediteur 75, 94 – Siehe – und Arbeitnehmerhaftung 578 Spiel und Wette 124 Staatshaftungsrecht 13 Stammkapital 286, 290, 392, 399, 425 StBerG – § 67a 32 StGB – § 19 644 – § 40 644 – § 56b 645 – § 331 281 – § 332 281 – § 339 281 StVG – § 7 30, 56 – § 12 30, 31, 32, 33, 38, 51, 52, 58, 86 – § 12a 31, 32, 51, 52, 58, 86 – § 18 31, 51, 52, 56, 86 Technisierung 745 Testamentsvollstreckung 183, 217, 233 Treuhänder 103 TVG – § 12a 567 Überalterung 95 Übereilungsschutz 670, 689, 698, 703, 713, 715, 724, 726, 734, 735 Überschwerungseinrede 179
UmweltHG – § 1 29 – § 15 29, 32, 33, 38, 58 – § 19 386, 387 UmwG – § 190 421 – § 226 421 Unfallversicherung 429 Unterhaltsverpflichtungen – und Arbeitnehmerhaftung 532, 545, 556, 563, 565 Unterkapitalisierung 354, 395 Untermaßverbot 28, 57, 61 Unternehmergesellschaft 294, 402 unvollkommene Verbindlichkeit 123 Unzulänglichkeitseinrede 167 VAG – § 53c 362, 396 – § 114 362, 396 Vereinsmitglieder – und Arbeitnehmerhaftung 583 Verjährung 124 Verlöbnis 124 Vermassung 743 Vermögensverhältnisse – und Arbeitnehmerhaftung 534 Vermögensvermischung 364 Versagungsgrund 103, 113 Verschweigungseinrede 159 Versicherbarkeit 39, 47, 66, 82, 537 Versichertenrente 437 Verwahrer – und Arbeitnehmerhaftung 580 Vorbelastungshaftung 292 Vorstand – und Arbeitnehmerhaftung 578 VVG – § 86 631 – § 103 484 – § 115 457 Werkunternehmer – und Arbeitnehmerhaftung 578 Wettbewerbsrecht 266 WHG – § 16 30, 64, 70
Sach- und Paragraphenverzeichnis
– § 89 30, 36, 41, 42, 63, 65, 605 Willkürformel 20 WPO – § 54a 32 Zahlungsdienstnutzer 53, 88 ZPO – § 93 213 – § 287 615 – § 302 30, 70 – § 303 64 – § 323 638 – § 427 377 – § 441 377 – § 444 377 – § 446 376 – § 453 376 – § 454 376
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§ 579 561 § 580 561 § 600 30, 64, 70 § 717 30, 64 § 765a 616 § 784 169 § 785 147, 149 § 786 173 § 799a 30, 64, 70 § 811 561, 563, 617, 651, 660 § 850 110, 115, 548, 561, 563, 617, 651, 660 – § 882b 119 – § 882e 119 – § 945 30, 64, 70 Zurückbehaltungsrecht 135 Zweispurigkeit des Haftungsrechts 43