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German Pages 354 Year 2009
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1146
Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft
Von Sandra Köller
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SANDRA KÖLLER
Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1146
Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft
Von Sandra Köller
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
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D 29 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13113-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Fu¨r Michael
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Sie entstand im Wesentlichen in der Zeit von Oktober 2004 bis Oktober 2007 während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rechtsphilosophie und Allgemeine Staatslehre, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Die Arbeit wurde durch ein Abschluss-Stipendium im Rahmen der Frauenförderung aus dem Hochschul- und Wissenschaftsprogramm sowie durch die Haniel Stiftung gefördert. Für diese Förderungen und den großzügigen Druckkostenzuschuss der Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung möchte ich an dieser Stelle meinen Dank ausdrücken. Mein Dank gilt ferner und insbesondere meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bernd Grzeszick, der die Anregung zu diesem Thema gab und die Fertigstellung der Arbeit während meiner Zeit als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl durch seine stete Gesprächsbereitschaft unterstützt hat. Das angenehme Arbeitsklima dort und die guten persönlichen Kontakte unter den Lehrstuhlmitarbeitern sowie die gegenseitige Unterstützung haben in nicht unerheblichem Maße zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Bedanken möchte ich mich ferner bei Herrn Prof. Dr. Heinrich de Wall für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine konstruktiven Anregungen. Abschließend möchte ich mich bei meinen Eltern für die uneingeschränkte Förderung meiner Ausbildung und die Unterstützung bei den Korrekturarbeiten herzlich bedanken. Besonderer Dank aber gebührt meinem Ehemann, der mich in allen Phasen der Promotion unterstützt und ermutigt hat. Ihm ist diese Arbeit daher gewidmet. München, im März 2009
Sandra Köller
Inhaltsverzeichnis Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . .
19
A. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur funktionalen Selbstverwaltung . C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 21 23
Teil 1 Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
24
Kapitel 1 Funktionale Selbstverwaltung A. Gegenstand der Untersuchung: Die Wasserverbände für das Einzugsgebiet von Lippe und Emscher als Träger funktionaler Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . I. Definition funktionaler Selbstverwaltung und entscheidendes Abgrenzungskriterium im Rahmen der Legitimationsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zu verwandten Verwaltungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionale Selbstverwaltung und Kondominialverwaltung . . . . . . . . . 2. Funktionale Selbstverwaltung und Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionale Selbstverwaltung und mittelbare Staatsverwaltung . . . . . . 4. Funktionale Selbstverwaltung und ministerialfreier Raum . . . . . . . . . . B. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes: Ausnahme von grundrechtsgetragener und sozialer Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit zum Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
25 25 26 27 28 30 31 33 35
Kapitel 2 Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes A. Geltung des Art. 20 II GG auf Bundes- und Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Ausübung von Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsgewalt und Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Möglichkeit einer Einschränkung mittels Bagatellvorbehalt . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 36 37 38 38 40 42
10
Inhaltsverzeichnis II. Die Tätigkeit der Wasserverbände als Ausübung von Staatsgewalt . . . . . .
43
III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
C. Das Volk als Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
I.
Das monistische Demokratieverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
1. Der Volksbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
2. Demokratische Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
3. Mehrheitsprinzip und Homogenitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
II. Das pluralistische Demokratieverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
1. Das Individuum und Betroffenheit als Anknüpfungskriterien . . . . . . .
50
2. Bestimmung der Entscheidungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
3. Relative Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
III. Allgemeines zur Verfassungsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Zur Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Das schöpferische Moment der Auslegung und die Gefahr der Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
3. Strategien zur Minimierung der Gefahr von Eigenwertungen . . . . . . .
56
IV. Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
3. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
4. Teleologische Argumente der pluralistischen Konzeption . . . . . . . . . .
63
a) Demokratieprinzip als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
aa) Die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien . . . . . . . . . . . .
64
(1) Differenzierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
(2) Unterschiedliches Kollisionsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . .
67
bb) Grundlegende Kritik an der Prinzipientheorie . . . . . . . . . . . . .
68
cc) Anwendung auf das Demokratiegebot des Grundgesetzes . . . .
71
(1) Verdeutlichung der Schwächen der Prinzipientheorie bei ihrer Anwendung auf das Demokratieprinzip . . . . . . . . . .
72
(2) Staatsziele und Staatsstrukturbestimmungen . . . . . . . . . . .
74
(3) Keine Vorwegnahme einer Abwägung durch erweiterte Auslegung des Volksbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
b) Menschenwürde und freie Selbstbestimmung aller . . . . . . . . . . . . .
80
aa) Heranziehung des Art. 1 I GG zur Bestimmung des Volksbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
bb) Kritik an einem solchen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
(1) Unterscheidung zwischen normativer und ideeller Ebene .
81
Inhaltsverzeichnis
11
(2) Unterscheidung zwischen individueller und demokratischer Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
c) Relative Homogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
aa) Die Kritik am Homogenitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
bb) Grundrechte und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
cc) Homogenität und das Kriterium der Staatsangehörigkeit . . . . .
87
(1) Homogenität als rechtliche Voraussetzung für Demokratie?
87
(2) Homogenität als faktische Funktionsbedingung für Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
d) Internationale Zusammenarbeit, insbesondere Europäische Union .
90
aa) Ausnahme vom deutschen Staatsvolk als Legitimationssubjekt (Art. 23, 24 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
bb) Zusammenhang von Demokratie, Volk und Staat . . . . . . . . . . .
92
(1) Staat und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
(2) Zusammenhang von Demokratie und Volkssouveränität . .
95
cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
e) Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
aa) Landes-, Kreis- und Gemeindevolk als räumlich abgegrenzte Teile des Gesamtvolkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
bb) Keine Veränderung des Volksbegriffes durch Einführung des Art. 28 I S. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 cc) Strukturelle Gleichartigkeit der Landes-, Kreis- und Gemeindevölker zum Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 f) Fazit zu den teleologischen Erwägungen der pluralistischen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5. Teleologische Argumente gegen eine pluralistische Konzeption . . . . . 104 a) Betroffenheit als untaugliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Betroffenheit als Einzelrechts- oder Statusbetroffenheit . . . . . . 104 bb) Schwierigkeiten bei der Differenzierung verschiedener Grade von Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Verdeutlichung am Beispiel von Lippeverband und Emschergenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (1) Abgrenzung des Betroffenenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Gewichtung der Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Weitere Problematik: Verlust der Mitgliedschaft . . . . . . . . 109 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
12
Inhaltsverzeichnis b) Verkehrung des Ableitungszusammenhangs zwischen Volk und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Widerspruch zum Grundsatz demokratischer Gleichheit . . . . . . . . 111 aa) Demokratische Gleichheit als Forderung der Verfassung . . . . . 111 bb) Unmöglichkeit formaler Gleichheit angesichts des materiellen Betroffenheitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Allgemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 e) Zeitliches Auseinanderfallen von Entscheidungen und deren Vollzug bzw. deren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6. Das Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . 116 a) Anknüpfungspunkte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Kritische Untersuchung der Rechtsprechungsinterpretation im Sinne des pluralistischen Demokratiekonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Das Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung . . . . 121 bb) Das KPD-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 V.
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
D. Verschiedene Formen der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I.
Institutionelle und funktionelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Funktionell-institutionelle Legitimation durch den Verfassunggeber . . 126 2. Institutionelle Legitimation durch den parlamentarischen Gesetzgeber
128
II. Organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Legitimation des personellen Elementes von Staatsgewalt . . . . . . . . . . 130 2. Legitimationskette zwischen Volk und Amtswalter . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Kritik am Modell der Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Stellungnahme zur Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Die Länge der Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Ernennung auf Lebenszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Sachlich-inhaltliche oder materielle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Die Elemente der sachlich-inhaltlichen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Lenkung durch inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Demokratische Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Das Parlament als Vermittler sachlich-inhaltlicher Legitimation . . 143 2. Die sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrukturen der administrativen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch das Parlament 144
Inhaltsverzeichnis
13
aa) Das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Das Haushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch die Exekutivspitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Legitimationsvermittlung mittels inhaltlicher Vorgaben . . . . . . 149 (1) Abstrakte Steuerungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (a) Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (b) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (2) Konkrete Steuerungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (a) Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Selbsteintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (c) Genehmigungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Kontrolle durch die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (2) Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (4) Insichprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (5) Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Steuerungswirkung der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Legitimationskraft der Weisungsabhängigkeit bei fehlender Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten des Parlaments . . . . . 165 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Das Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Das Verhältnis der Legitimationsformen zueinander . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Konzentration der Untersuchung auf die personelle und materielle Legitimationsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Gleichordnung der personellen und materiellen Legitimation . . . . 169 2. Die Bestimmung des erforderlichen Legitimationsniveaus . . . . . . . . . . 171 a) Suche nach einem Regelmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Regelniveau als Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Möglichkeit von Abstufungen im Legitimationsniveau bzw. eines Bagatellvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Der Entscheidungsgehalt als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Die Bedeutung der Aufgabe als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Die dogmatische Verortung des Bagatellvorbehalts . . . . . . . . . 181
14
Inhaltsverzeichnis d) Abgestufte demokratische Stringenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Teil 2 Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung und die Möglichkeit der Behebung dieses Defizits durch verschiedene Legitimationsmodelle
186
Kapitel 1 Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung am Beispiel von Lippeverband und Emschergenossenschaft A. Die organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch das Parlament . . 1. Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch die Exekutive . . 1. Sachlich-inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Genehmigungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausprägung der sachlich-inhaltlichen Steuerung bei Lippeverband und Emschergenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlich-inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlich-inhaltliche Vorgaben durch Gesetz und Rechtsverordnung c) Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungsrecht . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 187 189 190 190 191 193 193 193 193 197 198 198 199 202 202 202 202 203 205 206 206 208 208
Inhaltsverzeichnis
15
Kapitel 2 Die verschiedenen Legitimationsmodelle im Hinblick auf Lippeverband und Emschergenossenschaft
210
A. Zulassung von Teilvölkern oder autonome Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I.
Art. 28 II GG und Art. 87 II, III, 130 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
II. Selbstverwaltung als Realisationsmodus des demokratischen Prinzips . . . 213 III. Mitgliedschaftlich-partizipatorische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 B. Anerkennung weiterer Legitimationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I.
Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Der Begriff der Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Relevanz der Fragestellung im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Legitimationsvermittlung durch Partizipation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Argumente der Befürworter einer legitimatorischen Wirkung von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
II. Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Der Begriff der Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Die legitimatorische Bedeutung von Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Relevanz der Fragestellung im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Ansatzpunkte einer legitimatorischen Bedeutung im Grundgesetz . 227 c) Weitere Argumente gegen eine legitimatorische Relevanz . . . . . . . 229 3. Ergänzende legitimationsfördernde Wirkung von Akzeptanz? . . . . . . . 231 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Qualität der Entscheidung (Outputorientierte Legitimation) . . . . . . . . . . . 233 IV. Kontrolle durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Legitimatorische Bedeutung der Durchsetzung der Gesetzesbindung . 236 2. Legitimatorische Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle bei fehlenden gesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 V.
Effizienz und Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
VI. Fazit: Keine weiteren Legitimationsarten neben organisatorisch-personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 C. Lösungsmodelle im Hinblick auf das Defizit im organisatorisch-personellen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
16
Inhaltsverzeichnis I.
Kontrollmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung des Kontrollmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Hinterfragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kollektiv demokratisches Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung der Theorie von der kollektiven personellen Legitimation 2. Überprüfung der kollektiven personellen Legitimation anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Prinzip der individuellen Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionen der individuellen Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestenauslese nach Art. 33 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kein Wertungswiderspruch zum Institut der Beleihung . . . . . . c) Kein Ausgleich durch Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament aa) Bedeutung der Verantwortlichkeit auch im Rahmen der personellen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unzureichende Kontrollmöglichkeiten des Parlaments . . . . . . . d) Die demokratische Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Einfachgesetzliche Disposition des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Darstellung der These von der Organisationshoheit des Gesetzgebers . . . II. Kritische Hinterfragung: Legitimationsmodell und Legitimationssubjekt . E. Rechtfertigung über Art. 87 III S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bundesunmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Körperschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematisch-teleologische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die entstehungsgeschichtliche Begründung eines Ausgestaltungsgehaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Hinterfragung der Herleitung eines Ausgestaltungsgehaltes aus der Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unschärfen des Selbstverwaltungsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beratungen zur kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 GG bb) Beratungen zur funktionalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . cc) Beratungen zu anderen Grundgesetzartikeln . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Diskussion zur Legitimationsproblematik im Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beratungen zu Art. 87 III GG und 130 III GG . . . . . . . . .
241 241 242 244 245 247 247 249 249 250 251 251 252 252 254 254 255 255 256 258 260 261 262 263 265 266 268 268 270 271 273 275 275 276
Inhaltsverzeichnis
F. G.
H.
I. J.
bb) Schlussfolgerung aus der mangelnden Thematisierung in den Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik an der Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Relativierung der Bedeutung der Entstehungsgeschichte im Rahmen der Normauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Argumentationsfigur der Einheit der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere sachliche Notwendigkeiten als Abweichungsbefugnis . . . . . . . . . . . Einschränkungen aufgrund kollidierendem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . I. Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Effektivität und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition von Effektivität und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effizienzsteigerung durch Funktionale Selbstverwaltung? . . . . . . . b) Mangelnder Verfassungsrang des Effizienzfaktors . . . . . . . . . . . . . c) Akzessorischer Charakter von Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effektivität und funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik: Unbestimmtheit des Effektivitätsbegriffs und mangelnde Verfassungswertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Effektivität und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Wasserverbänden . II. Versuch einer Einordnung des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zerrissenheit der Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Wandel des Volksbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Legitimation neben Art. 20 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik des Bundesverfassungsgerichts-Beschlusses zu den Wasserverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ausführungen zur Lösung des Legitimationsproblems im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkung auf eigene Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern bei den Wasserverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
277 279 279 281 283 283 285 285 287 287 287 288 289 290 292 293 293 293 294 295 297 297 301 302 302 304 305 306 308 309 311 313 314 314
18
Inhaltsverzeichnis II. Behandlung der Problematik in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . 1. Unzulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten . . . 2. Zulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollektiv demokratisches Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Modelle, die Entscheidungen gegenüber Nichtmitgliedern ausdrücklich zulassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritische Betrachtung der Drittproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten . . . 2. Zulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 315 316 316 317 318 318 319 321
Kapitel 3 Aufnahme einer Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung in das Grundgesetz A. Möglicher Inhalt einer Ausnahmebestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Landesverfassungsrecht und das Erfordernis einer bundesverfassungsrechtlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vereinbarkeit mit Art. 79 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Volkssouveränität und Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demokratischer Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321 322 323 324 325 327 329 330
Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung A. Einführung in die Problematik Eine Untersuchung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung wirft zunächst die Frage nach den Anforderungen und dem Inhalt des Demokratieprinzips auf. Diese Frage ist nicht neu. Sie hat sich im Laufe der Zeit immer wieder vor anderem Hintergrund und in anderem Zusammenhang gestellt: Zu nennen wären insbesondere – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Diskussion der siebziger Jahre um die Forderung nach einer „Demokratisierung“ der Verwaltung, die eine Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger bzw. gesellschaftlicher Gruppierungen anstrebte, 1 die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Ausländerwahlrechts, 2 nach der demokratischen Legitimation der Europäischen Union 3 und der dritten Gewalt 4 sowie nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ministerialfreier Räume. 5 Ferner wurden das Demokratieprinzip und die aus ihm abzuleitenden Folgerungen im Kontext mit der Frage nach der Möglichkeit der Beteiligung Privater an der Ausübung von Staatsgewalt beleuchtet: Die insoweit untersuchten Formen privater Einflussnahme auf die Ausübung von Staatsgewalt reichen von der Mitbestimmungsbefugnis von Personalräten 6 über die Verwaltungsform der Kondominialverwaltung 7 bis hin zur Beleihung oder Privatisierung 8. Auch Modernisierungen und Reformen 1 Vgl. zur damaligen Diskussion nur die zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen bei Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 31 ff., S. 260 ff. 2 Vgl. BVerfGE 83, S. 37; 83, S. 60; die verschiedenen Beiträge in: KritV 1987, Bd. 2 sowie Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976; Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999. 3 Vgl. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 1995; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997; Bauer / Huber / Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005. 4 Vgl. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974; jüngst: Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006. 5 Vgl. nur E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986. 6 Vgl. BVerfGE 93, S. 37 ff. 7 Vgl. nur Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993.
20
Einführung und Gang der Untersuchung
innerhalb der Verwaltung wie das Neue Steuerungsmodell wurden auf den Prüfstand des Demokratieprinzips gestellt. 9 Die Problematik der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, die Thema dieser Arbeit sein soll, weist in weiten Bereichen Parallelen zu den oben angesprochenen Themen auf. Insbesondere die Diskussion um die Möglichkeit einer Beteiligung Privater bei der Ausübung von Staatsgewalt hat enge Bezüge zu der Frage nach der Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung. So sind zum einen die Motive ähnlich, die für eine Mitwirkung Privater bzw. die Errichtung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft und der Übertragung von Aufgaben an diese Körperschaft sprechen, 10 und zum anderen sind auch die Grenzen vergleichbar, die das Demokratieprinzip beiden Verwaltungsformen setzt: Von einer Beteiligung Privater sowie von einer Übertragung von Aufgaben an funktionale Selbstverwaltungsträger erhofft man sich vor allem, außerhalb der Verwaltung liegenden Sachverstand zu aktivieren, um so zu einer effektiveren Aufgabenerfüllung zu gelangen, den Staat zu entlasten und die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen zu erhöhen. Problematisch ist hierbei, dass dieser private Sachverstand, der durch die Beteiligung Privater aktiviert wird, zumeist nicht als neutrales Fachwissen zur Verfügung steht, sondern auch interessengebunden ist, so dass die Gefahr besteht, dass die Entscheidungen, die sich seiner Hilfe bedienen, bestimmte Interessen in stärkerem Maße berücksichtigen als andere Gesichtspunkte. Diese Bedenken treffen in besonderem Maße auf die funktionale Selbstverwaltung zu, wo Private an der Erfüllung von Staatsaufgaben nicht nur im Sinne einer bloßen Beratung oder Mitwirkung beteiligt sind, sondern selbst staatliche Aufgaben wahrnehmen: Die funktionale Selbstverwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass Betroffene eigenverantwortlich Staatsgewalt ausüben. Sie stellt sich, um mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen, als „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“ 11 dar. Aufgrund dieses Aspektes der Entscheidung durch die Betroffenen, der bei der funktionalen Selbstverwaltung im Vordergrund steht, ergeben sich bei der Untersuchung ihrer demokratischen Legitimation trotz der aufgezeigten Parallelen gewichtige Unterschiede zu anderen Verwaltungsformen sowie zur Beteiligung Privater. Aus diesem Grund beschränkt sich die folgende Untersuchung der demokratischen Legitimation auf die funktionale Selbstverwaltung. 8 Vgl. insbes. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003; W. Weiss, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 317 ff. 9 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000. 10 Vgl. zu den Motiven: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 131 ff. bzgl. gruppenpluralistischer Entscheidungsteilhabe; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 4 f. bzgl. funktionaler Selbstverwaltung. 11 BVerfGE 107, S. 59, 92.
Einführung und Gang der Untersuchung
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B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur funktionalen Selbstverwaltung Auch die Problematik der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ist nicht neu. In der Literatur ist diese Frage bereits mehrfach behandelt worden, wobei verschiedene Legitimationsmodelle entwickelt wurden. 12 Allerdings hat nun in einer jüngeren Entscheidung 13 auch das Bundesverfassungsgericht erstmals ausdrücklich zu diesem Problemkreis Stellung genommen. Die durch die Entscheidung aufgeworfenen Fragen bezüglich des Demokratieprinzips und der demokratischen Legitimation bieten daher Anlass zu einer erneuten Befassung mit der Problematik: In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging es um die Vereinbarkeit zweier Gesetze, des Lippeverbandgesetzes und des Emschergenossenschaftsgesetzes, mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes. Beide Gesetze errichten einen Wasserverband, den Lippeverband und die Emschergenossenschaft, als Träger funktionaler Selbstverwaltung. Die Mitglieder dieser Verbände setzen sich insbesondere zusammen aus den Städten, Gemeinden und Kreisen, soweit sie ganz oder teilweise im entsprechenden Genossenschafts- bzw. Verbandsgebiet liegen, den Eigentümern der ganz oder teilweise in diesem Gebiet liegenden Bergwerke sowie den gewerblichen Unternehmen und den jeweiligen Eigentümern von Grundstücken und sonstigen Anlagen, die Unternehmen des Verbandes bzw. der Genossenschaft verursachen, erschweren oder Vorteile von den Tätigkeiten zu erwarten haben (§ 6 LippeVG; § 5 EmscherGG). Die betreffenden Gesetze wurden dem Bundesverfassungsgericht vom Bundesverwaltungsgericht zur Prüfung vorgelegt, da dieses von einem Verstoß gegen das in Art. 20 II GG verankerte Demokratieprinzip ausging: Art. 20 II GG verlangt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, also demokratisch legitimiert ist. Hierbei sind für die Beurteilung der Frage, ob Organe oder Amtsträger, die Staatsgewalt ausüben, ausreichend demokratisch legitimiert sind, insbesondere die sachlich-inhaltliche und die organisatorisch-personelle Legitimation maßgeblich. Dreh- und Angelpunkt im Fall der Wasserverbände ist die so genannte organisatorisch-personelle Legitimation, nach der die Organe und Amtswalter, die mit der Ausübung von Staatsgewalt betraut sind, ihre Befugnisse vom Volk herleiten müssen. Dies ist der Fall, wenn der Amtsträger sein Amt direkt im Wege der Wahl durch das Volk oder mittelbar durch das vom Volk gewählte Parlament oder durch oder mit der Zustimmung eines Amtsträgers erhalten hat, der seinerseits personell legitimiert ist (ununterbrochene Legitimationskette). Wird er von einem Gremium mit nur zum Teil legitimierten Amtsträgern bestellt, er12 Vgl. dazu vorerst nur Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung 1997. 13 BVerfGE 107, S. 59 ff.
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Einführung und Gang der Untersuchung
langt er dennoch die volle personelle Legitimation, wenn die die Entscheidung tragende Mehrheit aus einer Mehrheit unbeschränkt demokratisch legitimierter Mitglieder des Kreationsorgans besteht (Prinzip der doppelten Mehrheit). 14 Die Entscheidungsgremien der Wasserverbände setzen sich aus den oben genannten Mitgliedern zusammen bzw. werden von diesen gewählt, so dass hinsichtlich der „privaten“ Mitglieder eine derartige Legitimationskette nicht besteht, ihnen also folglich die personelle Legitimation fehlt. Beim Lippeverband sind aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten zwar die „privaten“ Mitglieder, die Delegierte zur Verbandsversammlung entsenden, in der Minderheit, die Bestimmungen des LippeVG zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit gewährleisten aber nicht, dass Entscheidungen der Versammlung stets auch mit einer Mehrheit der personell-demokratisch legitimierten Delegierten getroffen werden, 15 so dass auch hier nicht von einer organisatorisch-personellen Legitimation im beschriebenen Sinne auszugehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip in diesem Fall dennoch verneint. Dabei hat es auch zu der Frage Stellung genommen, ob und inwieweit die oben dargestellten Anforderungen an die personelle Legitimation für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung gelten, so dass die Entscheidung nicht nur für die betroffenen Wasserverbände von Bedeutung ist, sondern für die Rechtsfigur der funktionalen Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation im Allgemeinen. Allerdings hat diese Entscheidung die Frage nach der Begründung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung nicht abschließend klären können, da sich das Gericht in den Entscheidungsgründen zum einen nur sehr beiläufig zu den in der Literatur vertretenen Meinungen äußert und Anleihen bei mehreren Legitimationsmodellen zu machen scheint, die sich aber aufgrund des unterschiedlichen Demokratieverständnisses, das ihnen zugrunde liegt, gegenseitig ausschließen oder zumindest nicht ohne weiteres kombinierbar sind. 16 Somit hat die Entscheidung des Gerichts in der Frage der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, die als „Gretchenfrage der demokratischen Legitimation“ überhaupt angesehen werden kann, 17 mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. In der Literatur hat die Entscheidung daher auch vielfach Kritik erfahren. 18 Teilweise werden ihr nicht nur Konsequenzen für die funktionale Selbstverwaltung entnommen, sondern es wird in ihr der erste Schritt zu einem gewandelten Demokratieverständnis des Gerichtes gesehen. 14 Vgl. BVerfGE 93, S. 37, 67 f.; 107, S. 59, 87 f. für die unmittelbare Staatsverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung. 15 BVerwG NVwZ 1999, S. 870, 874 f. 16 Vgl. Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 652. 17 Vgl. Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 650. 18 Vgl. Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 650; J. Becker, DÖV 2004, S. 910 ff.; Musil, DÖV 2004, S. 116; P. Unruh, JZ 2003, S. 1061 ff.
Einführung und Gang der Untersuchung
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Da der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts somit die Fragen nach dem Inhalt des grundgesetzlichen Demokratieprinzips und der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung neu aufgeworfen hat, soll die vorliegende Arbeit die verschiedenen Modelle, die zur Legitimation funktionaler Selbstverwaltung entwickelt wurden, zusammenstellen und ihre Vereinbarkeit mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip überprüfen.
C. Gang der Untersuchung Die Untersuchung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung gliedert sich in zwei Teile: Zunächst werden in einem ersten Teil die Grundlagen für die zu untersuchende Fragestellung erarbeitet: Hierzu wird die funktionale Selbstverwaltung als Untersuchungsgegenstand definiert und gegenüber anderen Verwaltungsformen abgegrenzt. Im Anschluss daran werden das grundgesetzliche Demokratieprinzip und die aus ihm abzuleitenden Anforderungen an die Ausübung von Staatsgewalt untersucht. Diese Anforderungen bilden den Maßstab, an dem die funktionale Selbstverwaltung gemessen werden soll. In einem zweiten Teil werden dann zunächst die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung anhand der aufgestellten Maßstäbe untersucht und die legitimatorischen Defizite dieser Organisationsform herausgestellt. Im Anschluss daran werden die verschiedenen Modelle, die zur Kompensation oder Rechtfertigung dieser Defizite entwickelt wurden, dargestellt und kritisch beleuchtet, bevor schließlich ein eigener Lösungsvorschlag unterbreitet wird. Hierbei wird der gesamten Untersuchung der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fall der Wasserverbände beispielhaft zugrunde gelegt. Diese Bezugnahme auf die Wasserverbände soll verhindern, dass sich die Untersuchung zu sehr in abstrakten Überlegungen verliert. 19 Trotz dieser Anknüpfung an einen konkreten Selbstverwaltungsträger sind aber weite Teile der Untersuchung, wie insbesondere die Ausführungen zu den Anforderungen des Demokratieprinzips und die Darstellung der verschiedenen Legitimationsmodelle sowie ihre kritische Hinterfragung allgemein gefasst und somit auch für andere Selbstverwaltungsträger von Bedeutung. Die Wasserverbände werden insofern lediglich zur Verdeutlichung herangezogen. Daher sind die am Beispiel der Wasserverbände erarbeiteten Ergebnisse auch für andere funktionale Selbstverwaltungsträger von Bedeutung. Hierauf wird im Verlauf der Untersuchung immer wieder zurückzukommen sein.
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Vgl. zu dieser Gefahr: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 19 ff.
Teil 1
Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip Die Wasserverbände Emschergenossenschaft und Lippeverband, deren demokratische Legitimation exemplarisch untersucht werden soll, zählen zu den Trägern so genannter funktionaler Selbstverwaltung. In einem ersten Teil soll daher untersucht werden, was diese Zuordnung besagt und bestimmt werden, was funktionale Selbstverwaltung ausmacht. Ferner soll in diesem Teil der Arbeit der Maßstab der Untersuchung, das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, bestimmt werden, an dem die Wasserverbände als Träger funktionaler Selbstverwaltung gemessen werden sollen.
Kapitel 1
Funktionale Selbstverwaltung Zunächst soll hier die funktionale Selbstverwaltung definiert und gegenüber anderen Rechtsfiguren, die parallele Probleme aufweisen, abgegrenzt werden. Eine solche Begriffsbestimmung und Abgrenzung ist erforderlich, um zu zeigen, dass die Beschränkung der Untersuchung der demokratischen Legitimation auf die funktionale Selbstverwaltung angesichts ihrer Besonderheiten gegenüber anderen Formen der Staatsverwaltung als gerechtfertig erscheint.
Kap.1: Funktionale Selbstverwaltung
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A. Gegenstand der Untersuchung: Die Wasserverbände für das Einzugsgebiet von Lippe und Emscher als Träger funktionaler Selbstverwaltung I. Definition funktionaler Selbstverwaltung und entscheidendes Abgrenzungskriterium im Rahmen der Legitimationsfrage Eine Definition der (funktionalen) Selbstverwaltung stößt insoweit auf Schwierigkeiten, als dieser Begriff in der Literatur nicht einheitlich verwendet wird: So werden zum Teil lediglich formale Kriterien wie Rechtsfähigkeit und Fachweisungsfreiheit herangezogen bzw. in den Vordergrund gestellt. 1 Andere Autoren hingegen stellen auf einen materialen Selbstverwaltungsbegriff ab, indem sie die Betroffenenverwaltung und die mitgliedschaftliche Binnenstruktur hervorheben. 2 Formaler und materialer Selbstverwaltungsbegriff widersprechen sich jedoch nicht, sondern können kombiniert werden: Da die funktionale Selbstverwaltung zum einen Aspekte der Dezentralisierung und Verselbständigung gegenüber dem Staat beinhaltet (formaler Gehalt) und zum anderen dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Betroffenen zur Entscheidung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten heranzieht und ermächtigt (materialer Gehalt), sollte eine aussagekräftige Definition des Selbstverwaltungsbegriffes beide Merkmale umfassen. 3 1 Als Vertreter eines rein formalen Selbstverwaltungsverständnisses ist Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 1973, S. 478 zu nennen, der Selbstverwaltung definiert als „Wahrnehmung an sich staatlicher Aufgaben durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“. Ebenso als Vertreter eines – wenn gegenüber Forsthoff auch abgeschwächten – formalen Selbstverwaltungsverständnisses kann H.J. Wolff, in: ders / O. Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl., 1976, S. 180 genannt werden: „Hiernach bedeutet Selbstverwaltung die selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung im eigenen Namen“. Vgl. zur Kritik am formalen Selbstverwaltungsverständnis, das insbesondere in der rein formalistischen Definition Forsthoffs als „Selbstverwaltungslehre ohne Selbstverwaltung“ (Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 274) bezeichnet wurde: Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 271 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 8 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 67 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 20 f. 2 Vgl. insbesondere Scheuner, VVDStRL 11 (1954), S. 1, 36 f., Fn. 102; ders., DÖV 1952, S. 609, 611; E. Becker, in: Bettermann / Nipperdey, Die Grundrechte, Bd. IV, Halbb. 2, 1962, S. 673, 695 f.; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 275 ff. 3 Vgl. zur Kombination formaler und materialer Aspekte: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 67 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 21; Schmidt-Aßmann, GS für Martens, 1987, S. 249, 252 (insbes. zur kommunalen Selbstverwaltung).
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
Die Bezeichnung als funktionale Selbstverwaltung soll dabei den zu untersuchenden Selbstverwaltungstyp als aufgabenbezogen kennzeichnen und so von der gebietsbezogenen kommunalen Selbstverwaltung abgrenzen. 4 Unter funktionaler Selbstverwaltung ist somit die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch verselbständigte Verwaltungsträger zu verstehen, denen in der Regel Rechtsfähigkeit zukommt 5 und die sich dadurch von anderen Verwaltungsträgern abgrenzen, dass die ihnen zugewiesenen oder überlassenen Aufgaben von Betroffenen in eigener Verantwortung wahrgenommen werden. 6 Aufgrund der hier im Mittelpunkt stehenden Frage nach der demokratischen Legitimation ist das entscheidende Kriterium der Zuordnung einer Einrichtung zur funktionalen Selbstverwaltung die mit dem Schlagwort der Betroffenenverwaltung angedeutete Möglichkeit einer autonomen Legitimation durch die Mitglieder: Diese durch die mitgliedschaftliche Organisation der Träger funktionaler Selbstverwaltung vermittelte Legitimationsmöglichkeit führt dazu, dass sich die Frage nach der Vereinbarkeit der betreffenden Einrichtung mit dem Demokratieprinzip anders stellt, als dies bei anderen Erscheinungsformen der Staatsverwaltung der Fall ist. 7 II. Abgrenzung zu verwandten Verwaltungsformen Neben einer positiven Definition der funktionalen Selbstverwaltung sind zur weiteren Klärung der Begrifflichkeiten auch einige negative Abgrenzungen zu Verwaltungsformen erforderlich, die parallele Probleme aufweisen. Da die funktionale Selbstverwaltung zahlreiche Bezüge zu anderen Verwaltungsformen oder -kategorien aufweist, können hier nur diejenigen herausgegriffen werden, die durch besondere Parallelen gekennzeichnet sind und daher besonderer Klarstel4
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 71 spricht von der kommunalen Selbstverwaltung als Komplementärbegriff. Der Begriff der funktionalen Selbstverwaltung wurde erst recht spät, insbesondere durch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, geprägt und dogmatisch fundiert. Vgl. dazu und zur früheren vereinzelten Verwendung des Begriffes Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 5 ff. mit Fn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 71, Fn. 182; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 5 mit Fn. 45. 5 Eine Vollrechtsfähigkeit ist nicht erforderlich. Es kommen auch teilrechtsfähige Organisationen in Betracht, sofern bei ihnen die Verselbständigung derart ausgeprägt ist, dass sich die Frage einer autonomen mitgliedschaftlichen Legitimation stellt. Vgl. SchmidtAßmann, GS für Martens, 1987, S. 249, 262; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 71 m.w. N. sowie die folgenden Ausführungen. 6 Vgl. insoweit die Definition Hendlers, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 284 und Jestaedts, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 69, 71 f. 7 Ähnlich: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 12.
Kap.1: Funktionale Selbstverwaltung
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lung bedürfen. 8 So wird im Folgenden das Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung zur Kondominialverwaltung, zur Beleihung, zur mittelbaren Staatsverwaltung und zum ministerialfreien Raum näher beleuchtet werden. Es wird sich auch hier zeigen, dass das wichtigste Abgrenzungskriterium die Möglichkeit der autonomen Legitimation darstellt. Aufgrund dieser Besonderheit erscheint die Beschränkung der Untersuchung auf die funktionale Selbstverwaltung, trotz vereinzelt bestehender Gemeinsamkeiten mit den im Folgenden dargestellten Verwaltungsformen oder -instituten, nicht nur gerechtfertigt, sondern vielmehr geboten. 9 1. Funktionale Selbstverwaltung und Kondominialverwaltung Zunächst ist eine Abgrenzung zur anderweitigen Teilhabe Privater an der öffentlichen Verwaltung in der Form der Kondominialverwaltung erforderlich. Im Gegensatz zur Selbstverwaltung geht es hierbei nicht um eine eigenständige Form der Verwaltungsorganisation, sondern um eine gruppenpluralistische Entscheidungsteilhabe, die sich typischerweise in Beiräten oder Gremien von Verwaltungsträgern verwirklicht. 10 Es handelt sich also um eine Entscheidungsteilung zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen. Hierbei bestimmt sich die Zusammensetzung der beteiligten gesellschaftlichen Kräfte nicht anhand des Merkmals der Betroffenheit, sondern es wird „gesellschaftlichen Interessen in repräsentativer Form Einfluss auf staatliche Entscheidungen“ 11 verliehen. Die funktionale Selbstverwaltung hingegen überlässt die Wahrnehmung von Staatsaufgaben im Ganzen den Betroffenen und beteiligt diese nicht lediglich. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal wird angeführt, der Gegenstand funktionaler Selbstverwaltung sei grundsätzlich auf eigene Angelegenheiten beschränkt, was bei der Entscheidungsteilhabe im Rahmen der Kondominialverwaltung nicht unbedingt Voraussetzung sei. Hier sei vielmehr eine Verpflichtung auf das Gesamtinteresse kennzeichnend. 12 Allerdings ist diese letztgenannte Abgrenzung nicht ganz trennscharf, da in der Betonung der Beschränkung von Selbstverwaltungskörperschaften auf die Wahrnehmung eigener Angelegenheiten ein Kriterium zur Abgrenzung herangezogen 8
Vgl. zu den hier angesprochenen sowie zu weiteren Abgrenzungen bspw. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 10 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 25 ff. Zur Abgrenzung vom Neuen Steuerungsmodell vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 376 ff. 9 Vgl. zu diesem Aspekt Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 11 ff. 10 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 29. 11 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 81. 12 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 75, 82.
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wird, bei dem bereits Aspekte der demokratischen Rechtfertigung anklingen: 13 Gerade das Beispiel des Lippeverbandes und der Emschergenossenschaft zeigt, dass auch Träger funktionaler Selbstverwaltung Belange wahrnehmen können, die über ihre eigenen hinausgehen. So bestimmt sowohl das LippeVG als auch das EmscherGG in § 1 I S. 3, dass der Verband bzw. die Genossenschaft „dem Wohl der Allgemeinheit und dem Nutzen seiner / ihrer Mitglieder“ dient. In diesem Nebeneinander der beiden Interessen zeigt sich gerade ein Hauptproblem bei der Frage nach der demokratischen Legitimation: Konstellationen, in denen Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger die Allgemeinheit oder Nichtmitglieder betreffen. Ebenso ist auch eine starke Beteiligung staatlicher Funktionsträger allenfalls ein Indiz für die Qualifizierung als Form der Kondominialverwaltung. 14 So sind beispielsweise beim Lippeverband aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten die staatlichen Mitglieder, die Delegierte zur Verbandsversammlung entsenden, in der Mehrheit, dennoch handelt es sich nicht um eine Form der Kondominialverwaltung, sondern um eine funktionale Selbstverwaltungskörperschaft. Aufgrund dieser Unsicherheiten ist das maßgebliche Abgrenzungskriterium zwischen Kondominialverwaltung und funktionaler Selbstverwaltung die nur bei Selbstverwaltungsträgern bestehende Möglichkeit einer autonomen Legitimation der Entscheidungsträger. Dies hängt mit dem oben angesprochenen Kriterium der Betroffenheit zusammen, das über die Mitgliedschaft in einer funktionalen Selbstverwaltungseinrichtung entscheidet. 15 Allerdings sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass diese Legitimationsmöglichkeit natürlich soweit Nichtmitglieder betroffen sind höchstens in abgeschwächter Form bestehen kann. 2. Funktionale Selbstverwaltung und Beleihung In der Literatur wird vereinzelt bei der Frage nach der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung eine Parallele zum Institut der Beleihung Privater gezogen, indem dieselben Zulässigkeitskriterien herangezogen werden. 16 Dies geht soweit, dass gefordert wird, die funktionale Selbstverwaltung „wie eine private Organisation, der öffentliche Aufgaben und Befugnisse übertragen sind, zu behandeln“ 17. Es wird also eine Gleichsetzung der beiden Institute favorisiert, so dass sich die Frage stellt, ob das Institut der Beleihung
13
Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 545 f. Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 82. Auch hier erfolgt teilweise eine Relativierung des Kriteriums durch den Zusatz „in aller Regel“. 15 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 102. 16 Vgl. Britz, VerwArch 91 (2000), S. 418, 432 ff.; J. Becker, DöV 2004, S. 910, 915. 17 J. Becker, DöV 2004, S. 915. 14
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in die Untersuchung der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung einzubeziehen ist. Eine solche Zusammenfassung von funktionaler Selbstverwaltung und Beleihung vor dem Hintergrund, dass bei beiden die Mitwirkung Privater bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben thematisiert ist, ist jedoch abzulehnen. Zwar haben hier wie dort Private Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt, bei der funktionalen Selbstverwaltung geschieht dies aber unter ganz anderen Umständen: Wie bereits mehrfach dargelegt wurde, werden im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung die Betroffenen eines Sachgebietes herangezogen, um dieses in eigener Verantwortung zu verwalten. Dies führt in der Regel zu einer mitgliedschaftlichen Organisation der Träger funktionaler Selbstverwaltung und bewirkt, dass sich die Frage nach der demokratischen Legitimation – aufgrund der Möglichkeit autonomer Legitimation – anders stellt als bei Beliehenen. 18 Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Unterschied, der es verbietet, Beliehene und funktionale Selbstverwaltungskörperschaften hinsichtlich ihrer demokratischen Legitimation gleich zu behandeln: Während der Selbstverwaltungsgedanke damit einhergeht, dass der Körperschaft Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen sind, bei denen der Staat lediglich die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen überwacht, ist dies bei Beliehenen nicht der Fall. Selbst wenn man nicht davon ausgehen möchte, dass im Rahmen der Beleihung in der Regel eine Fachweisungsgebundenheit besteht, 19 so steht doch das Bestehen
18 Vgl. insoweit auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 12 f. 19 Die Frage, ob Beliehene notwendigerweise oder doch in der Regel der Fachaufsicht unterstehen oder ob eine Rechtsaufsicht genügt, wird unterschiedlich beurteilt: Vgl. Britz, VerwArch 91 (2000), S. 418, 422 f., die grundsätzlich von Weisungsfreiheit ausgeht. Krebs, HStR III, 1996, § 69 Rn. 43, der nur ausnahmsweise von einer Fachaufsicht ausgeht. Dagegen: Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 283, der grundsätzlich von einer Fachaufsicht ausgeht und die Beschränkung auf eine Rechtsaufsicht nur in Ausnahmefällen als zulässig ansieht. Stober, in: Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht III, 5. Aufl. 2004, S. 521, Rn. 46: „i. d. R. Fachaufsicht, zuweilen jedoch auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt“. Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, 1973, S. 152 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 62 f.; 591 Fn. 772; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, 361 f., die in der Regel von einer Fachweisungsgebundenheit ausgehen; differenzierend nach der Art der übertragenen Aufgabe: Stadler, Die Beleihung in der neueren Bundesgesetzgebung, 2002, S, 193 f. Vgl. auch BremStGH, NVwZ 2003, S. 81, 83 ff., der das bremische Beleihungsgesetz verfassungskonform dahin auslegt, dass die dort geregelte Aufsichtsbefugnis als Fachaufsicht zu verstehen sei. Weitergehend zum Urteil des BremStGH: Stelkens, NVwZ 2004, S. 304, der zur hier interessierenden Frage der Weisungsfreiheit zwar nicht ausdrücklich Stellung bezieht, aber von einer „zumindest faktischen Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle“ (S. 307) ausgeht. Vertiefend zum Urteil des BremStGH Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003.
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einer Fachaufsicht des zuständigen Ministers – anders als bei der funktionalen Selbstverwaltung – zumindest nicht im Widerspruch zum Institut der Beleihung. Aufgrund dieser gravierenden Unterschiede zwischen dem Institut der Beleihung zur Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung erscheint es nicht sinnvoll, die Beleihung in eine Untersuchung der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung mit einzubeziehen. 3. Funktionale Selbstverwaltung und mittelbare Staatsverwaltung Schließlich ist eine Auseinandersetzung mit der Abgrenzung erforderlich, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über den Lippeverband und die Emschergenossenschaft 20 bei der Beurteilung der demokratischen Legitimation zu Grunde legt: Das Gericht scheint hier nach unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung differenzieren zu wollen. Zwar nennt es nicht direkt dieses Begriffspaar, sondern stellt unmittelbare Staatsverwaltung sowie kommunale Selbstverwaltung auf der einen und funktionale Selbstverwaltung auf der anderen Seite gegenüber. In seiner Begründung für die Differenzierung in den Anforderungen führt das Gericht jedoch aus, dass es in der Vergangenheit schon „in seiner weiteren Rechtsprechung [...] Formen der mittelbaren Staatsverwaltung und die damit verbundene Ausgliederung von öffentlichen Aufgaben aus der unmittelbaren staatlichen Verwaltung gebilligt“ 21 habe. 22 Diese vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Differenzierung wirft zunächst die Frage auf, ob die funktionale Selbstverwaltung der mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen ist. Dies setzt zunächst voraus, dass man sie überhaupt als Staatsverwaltung ansieht und nicht davon ausgeht, dass sie der Staatsverwaltung als etwas grundsätzlich anderes, eben als Selbstverwaltung, gegenübersteht. 23 Scheidet die Selbstverwaltung hiernach nicht schon von vornherein aus dem Staatsverwaltungsbegriff aus, so kommt es weiter darauf an, wie man die Kategorie der mittelbaren Staatsverwaltung definiert. Sieht man die Erfüllung von Staatsaufgaben als charakterisierend für die Zuordnung zur mittelbaren Staatsverwaltung an, 24 so wäre nur ein Teil der von den Selbstver20
BVerfGE 107, S. 59. BVerfGE 107, S. 59, 91. 22 Vgl. zur Differenzierung des Bundesverfassungsgerichts nach unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung auch J. Becker, DöV 2004, S. 910 ff., insbes. 912. 23 Vgl. dazu auch: Ossenbühl, Rundfunk zwischen Staat und Gesellschaft, 1975, S. 27; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 120 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 23, Rn. 1; Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), 206, 222 f., 235 f. 24 Ossenbühl, Rundfunk zwischen Staat und Gesellschaft, 1975, S. 26 f.; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 120 f. 21
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waltungsträgern wahrgenommenen Aufgaben (Staatsaufgaben) der mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen. 25 Ebenso scheitert eine eindeutige Zuordnung der funktionalen Selbstverwaltung, wenn man die Rechtsfähigkeit als Kriterium für die Qualifizierung als mittelbare Staatsverwaltung annimmt. 26 Sofern mittelbare Staatsverwaltung in einem weiten Sinne als Oberbegriff für alle verselbständigten Verwaltungsträger verstanden wird, 27 ist die funktionale Selbstverwaltung zwar erfasst. Nach einem solchen Verständnis sind aber zahlreiche verschiedene Verwaltungsträger begrifflich als mittelbare Staatsverwaltung zusammengefasst. So sind neben der funktionalen Selbstverwaltung auch die Kondominialverwaltung 28 und nach teilweise vertretener Ansicht sogar die Beleihung 29 hierunter zu subsumieren. Für die Untersuchung der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung kann die Frage der Zuordnung zur mittelbaren Staatsverwaltung somit nichts beitragen, 30 da hiermit die oben aufgezeigten Differenzierungen verloren gingen. Aufgrund der bereits mehrfach angesprochenen Möglichkeit der autonomen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung, die eine entscheidende Besonderheit gegenüber anderen Formen mittelbarer Staatsverwaltung darstellt, ist die funktionale Selbstverwaltung gesondert zu untersuchen. 4. Funktionale Selbstverwaltung und ministerialfreier Raum Abschließend soll hier noch auf das Verhältnis der funktionalen Selbstverwaltung zur Figur des ministerialfreien Raumes eingegangen werden. Insbesondere 25
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 87 ff. So sind beispielsweise die Fakultäten nur teilrechtsfähig (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 21, Rn. 10; BVerfGE 15, S. 256, 261 f.). Den Gedanken der Rechtsfähigkeit hebt beispielsweise Jecht, Die öffentliche Anstalt, 1963, S. 33 ff. hervor. Vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2006, § 1, Rn. 26; § 23, Rn. 1. Weitere Nachweise bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 85 f., Fn. 237. Vgl. ferner zur Kritik am Merkmal der Rechtsfähigkeit ders., a.a. O., S. 92 ff.; weitere Nachweise bei S. 85 f., Fn. 237. 27 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 96. 28 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 96, der die Frage nach der Zuordnung zur mittelbaren Staatsverwaltung daher nicht als taugliches Kriterium zur Abgrenzung zwischen Kondominial- und funktionaler Selbstverwaltung ansieht. 29 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 23, Rn. 1. 30 Vgl. auch Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 402: „Der Streit ist eher theoretischer Natur. Wesentliche praktische Folgerungen ergeben sich aus ihm nicht.“; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 28 m.w. N. in Fn. 73. Vgl. auch J. Becker, DöV 2004, S. 910, 912, der insbesondere darauf hinweist, dass eine Differenzierung in den Legitimationsanforderungen je nachdem, ob es sich um mittelbare oder unmittelbare Selbstverwaltung handelt, nicht überzeugt, da das Legitimationserfordernis an die Ausübung von Staatsgewalt anknüpft. Sofern also Staatsgewalt ausgeübt wird, ist die Organisationsform, in der dies geschieht, unerheblich. 26
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
ist dabei darzulegen, warum die Untersuchung der demokratischen Legitimation auch im Hinblick auf die ministerialfreie Verwaltung eine gesonderte Betrachtung der funktionalen Selbstverwaltung erfordert. Ministerialfreie Räume bezeichnen Bereiche der öffentlichen Verwaltung, die aus der hierarchisch strukturierten Ministerialverwaltung insoweit ausgegliedert sind, als sie nicht den (Fach-)Weisungen der Verwaltungsspitze unterliegen. 31 Ob funktionale Selbstverwaltungsträger angesichts ihrer Fachweisungsfreiheit unter den Begriff des ministerialfreien Raumes zu fassen sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird der ministerialfreie Raum auf weisungsfreie Verwaltungsträger begrenzt, die der unmittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen sind. 32 In diesem Fall können funktionale Selbstverwaltungsträger und weisungsfreie Räume strikt voneinander getrennt werden: Zwar mag die Zuordnung von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften zur mittelbaren Staatsverwaltung nicht eindeutig beurteilt werden, sie unterfallen aber jedenfalls nicht der unmittelbaren Staatsverwaltung. 33 Somit würde sich die Frage, warum bei der Betrachtung der demokratischen Legitimation gesondert auf funktionale Selbstverwaltung abgestellt wird, statt umfassender die ministerialfreien Räume zu untersuchen, nicht stellen. Aber auch wenn man ministerialfreie Räume nicht auf den Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung begrenzt und somit auch funktionale Selbstverwaltungsträger darunter fasst, 34 ist eine gesonderte Betrachtung der demokratischen Legitimation gerechtfertigt: Die Kategorie des ministerialfreien Raumes fungiert dann – ähnlich wie dies schon für die mittelbare Staatsverwaltung aufgezeigt wurde – als Oberbegriff, der verschiedene Verwaltungsformen zwar begrifflich zusammenfasst, aber aufgrund der Vielfalt dieser Verwaltungsformen 35 sind dann weitere Differenzierungen erforderlich. In Anbetracht der Möglichkeit der autonomen Legitimation bedarf die funktionale Selbstverwaltung bei der Untersuchung der demokratischen Legitimation daher auch im Hinblick auf die Figur des ministerialfreien Raumes einer gesonderten Betrachtung.
31 Vgl. dazu nur Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 103 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 370, jew. m.w. N. 32 So Loening, DVBl. 1954, S. 173 ff., auf den der Begriff ursprünglich zurückgeht und W. Müller JuS 1985, S. 497, 498. Vgl. dazu auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 370 m.w. N. bei Fn. 6 und 7. 33 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 87. 34 So E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 18, 66; 107 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 106 ff. 35 Vgl. die Beispiele bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 115 f.
Kap.1: Funktionale Selbstverwaltung
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B. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes: Ausnahme von grundrechtsgetragener und sozialer Selbstverwaltung Nachdem die funktionale Selbstverwaltung oben definiert wurde und die Möglichkeit der autonomen Legitimation als wichtigstes Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Verwaltungsformen herausgearbeitet wurde, bedarf es einer Begrenzung des so festgelegten Untersuchungsgegenstandes. Die bisher dargelegte Definition der funktionalen Selbstverwaltung umfasst eine Vielzahl von Erscheinungsformen, die somit zwar begrifflich zusammengefasst erscheinen, aber aufgrund ihrer Vielfältigkeit nur schwerlich einem einheitlichen Regime unterstellt werden können: Die akademische Selbstverwaltung ist ebenso als funktionale Selbstverwaltung zu qualifizieren wie die sozialversicherungsrechtliche, die wirtschaftliche und landwirtschaftliche sowie die Selbstverwaltung der freien Berufe und der Wasser- und Bodenverbände. 36 Innerhalb dieser Selbstverwaltungseinrichtungen werden daher wiederum Klassifizierungen vorgenommen: So wird beispielsweise zwischen Personenverbänden und Realkörperschaften unterschieden 37 und zwischen grundrechtsgetragener und sonstiger Selbstverwaltung. 38 Aufgrund dieser Unterschiede ist der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit nicht die demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung an sich, sondern die Untersuchung orientiert sich an zwei konkreten Selbstverwaltungskörperschaften: Lippeverband und Emschergenossenschaft. Damit sind zwei Selbstverwaltungseinrichtungen in Bezug genommen, die als Wasserverbände zu den Realkörperschaften zählen. Trotz dieser Fokussierung auf die Wasserverbände und trotz der im Einzelnen bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen der funktionalen Selbstverwaltung sind die hierbei gefundenen Ergebnisse nicht bedeutungslos für andere Selbstverwaltungseinrichtungen und können großteils auf diese übertragen werden.
36 Vgl. zu den Erscheinungsformen der Selbstverwaltung und ihrer Kategorisierung insbes. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 30 ff. Zu der aus dieser Vielfalt resultierenden Schwierigkeit, allgemeingültige Aussagen in Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung zu treffen: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 14. 37 Bei den Realkörperschaften knüpft die Mitgliedschaft nicht an die Person an, sondern an einen Gegenstand, insbesondere das Eigentum. Vgl. dazu Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 408 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 164 ff. 38 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 381 ff., der von grundrechtlichfunktionaler und institutionell-funktioneller Selbstverwaltung spricht.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
Ausgenommen von der folgenden Untersuchung der demokratischen Legitimation sind jedoch zum einen die grundrechtsgetragene Selbstverwaltung, wozu die universitäre Selbstverwaltung und die Selbstverwaltung der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zählen, sowie zum anderen die sozialversicherungsrechtliche Selbstverwaltung. Diese Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes hat ihren Grund darin, dass diese Formen der Selbstverwaltung in der Verfassung eine ausdrückliche Stütze finden oder doch zumindest verfassungsrechtlich unterfangen werden: Die akademische Selbstverwaltung ist als Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 III S. 1 GG grundrechtlich geschützt und somit ausgenommen von den Anforderungen des Demokratiegebotes. 39 Die Rundfunkanstalten werden entweder gar nicht als Selbstverwaltungseinrichtungen angesehen 40 oder aber ihre Legitimation wird ähnlich wie bei der akademischen Selbstverwaltung aus Art. 5 I S. 2 GG gefolgert. 41 Die soziale Selbstverwaltung wird in Art. 87 II GG in Bezug genommen. Auch wenn man in dieser Bestimmung keine (umfassende) Garantie der Selbstverwaltungsbefugnisse der Sozialversicherungskörperschaften erblickt, erscheint eine Rechtfertigung der Einräumung von Selbstverwaltungsrechten an die Träger der Sozialversicherung und die damit einhergehende Absenkung des Legitimationsniveaus durch Art. 87 II GG möglich. 42 Aber selbst wenn man eine solche auf Art. 87 II GG gestützte Rechtfertigung von Legitimationsdefiziten der Sozialversicherungsträger ablehnen möchte, 43 so ist jedenfalls die Legitimationsproblematik der sozialen 39 Vgl. zu dieser vorherrschenden Meinung die zusammenfassende Darstellung bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993 S. 530 ff. m.w. N.: Entweder wird für den Bereich der akademischen Selbstverwaltung bereits die Ausübung von Staatsgewalt verneint oder aber Art. 5 III GG wird als Ausnahmeregelung zu den Anforderungen des Demokratiegebots verstanden. Vgl. zu den Universitäten auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 31 ff. 40 Vgl. zu dieser Problematik: Schmidt-Aßmann, GS für Martens, 1987, S. 249, 262; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 97 ff. sowie ausführlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 58 ff., 75 ff., die alle eine Qualifizierung als Selbstverwaltungskörperschaft ablehnen. 41 Vgl. nur Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 253 ff. m.w. N. insbes. zur Rechtsprechung. 42 Vgl. zum ganzen Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 368 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 537, Fn. 516, S. 541, Fn. 536; Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 87, Rn. 78; Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 282 ff., wo er eine Garantiefunktion ablehnt, andererseits aber S. 299 ff., wo er dennoch Normsetzungsbefugnisse der Sozialversicherungsträger aus Art. 87 II S. 1 GG ableitet. 43 Art. 87 II GG unterscheidet sich insoweit von Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG (vgl. dazu unten Teil 2 Kap. 2 E.), als der Verfassungsgeber im Hinblick auf die Sozialversicherungsträger bei der Schaffung des Art. 87 II GG die traditionellen, in Selbstverwaltung geführten Sozialversicherungsträger vor Augen hatte und daher im Verhältnis zu Art. 87 III S. 1 GG konkretere Vorstellungen darüber hatte, welche Art sozialer Selbstverwaltung von der von ihm geschaffenen Regelung umfasst sein soll (Emde, Die demokratische Legitima-
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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Selbstverwaltung anhand von Art. 87 II GG zu beleuchten. Damit unterscheidet sie sich von den übrigen Selbstverwaltungskörperschaften, die nicht unter Art. 87 II GG subsumiert werden können. Somit ist neben Universitäten und Rundfunkanstalten auch sie soziale Selbstverwaltung in der folgenden Untersuchung auszunehmen, da alle drei Arten der funktionalen Selbstverwaltung Besonderheiten gegenüber den sonstigen Selbstverwaltungskörperschaften aufweisen, die in der Verfassung nicht gesondert in Bezug genommen werden. Somit stellt sich die Frage nach ihrer demokratischen Legitimation anders.
C. Fazit zum Untersuchungsgegenstand Gegenstand der folgenden Untersuchung ist somit die verfassungsrechtlich nicht unterfangene funktionale Selbstverwaltung, exemplarisch dargestellt an den genannten Wasserverbänden. Ausgenommen sind damit die Selbstverwaltung im Hochschul- und Rundfunkwesen sowie die soziale Selbstverwaltung.
Kapitel 2
Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes Nachdem die funktionale Selbstverwaltung als Untersuchungsgegenstand definiert und gegenüber verwandten Verwaltungsformen abgegrenzt wurde, soll nun der Maßstab der Untersuchung, das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, näher beleuchtet werden. Dieses ist in Art. 20 I und II GG niedergelegt. Zentral ist hierbei Art. 20 II GG, der bestimmt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Auf diese Bestimmung soll daher im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei ist zunächst die Bedeutung dieser Vorschrift sowohl für die Bundes- als auch für die Landesebene zu beleuchten. Nach dieser Festlegung des „Anwendungsbereiches“ des Art. 20 II GG sind seine Tatbestandsmerkmale zu untersuchen: Die Ausübung von Staatsgewalt als Objekt demokratischer Legitimation und das Volk als Legitimationssubjekt. Sodann sind die verschiedenen Formen der Legitimation zu untersuchen, die eine Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk gewährleisten. tion der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 368 f.). Allerdings bedürfte die These, dass mit Art. 87 II GG Absenkungen im Legitimationsniveau zulässig sein sollen, einer genauen Auslegung der Norm, wobei insbes. die Entstehungsgeschichte zu untersuchen wäre. Eine solche soll hier jedoch unterbleiben, da die soziale Selbstverwaltung nicht zum Untersuchungsgegenstand gehört.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
A. Geltung des Art. 20 II GG auf Bundes- und Landesebene Das grundgesetzliche Demokratiegebot des Art. 20 II GG bindet die gesamte Staatstätigkeit und gilt somit nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länderebene. Hierbei bedarf es keines Transformationsaktes von Seiten der Länder, sondern Art. 20 II GG ist unmittelbar auf Länderebene geltendes Recht. Man spricht von einer so genannten „Durchgriffsnorm“. 44 Soweit Art. 20 II GG betroffen ist, sichert der Durchgriffscharakter der Norm die Kongruenz von Landesund Bundesverfassungsrecht, so dass das Homogenitätsgebot des Art. 28 I S. 1 insoweit nicht mehr zur Anwendung gelangt. Die Qualifizierung des Art. 20 II GG als eine solche Durchgriffsnorm wird bereits durch den Wortlaut der Vorschrift („alle Staatsgewalt“) nahe gelegt: Wollte man die Geltung des in Art. 20 II GG normierten Demokratiegebotes auf die Willensbildung und Organisation des Bundes beschränken, so wäre die Norm auf weite Bereiche der Administrative nicht unmittelbar anwendbar, da die Bundesgesetze nach Art. 83 GG in der Regel von den Ländern als eigene Angelegenheiten ausgeführt werden. Des Weiteren spricht auch die fundamentale Bedeutung des Demokratiegebots in Art. 20 II GG für den Gesamtstaat für die umfassende gesamtstaatliche Geltung des Art. 20 II GG. 45 Einer solchen Geltung des Art. 20 II GG auch für die Länder kann nicht entgegengehalten werden, dass in diesem Fall das Homogenitätsprinzip des Art. 28 I S. 1 GG zu einer rein deklaratorischen Norm degradiert würde. 46 Art. 28 I S. 1 bestimmt, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern „den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Demnach wird zwar auch hinsichtlich des Demokratieprinzips nicht Uniformität, sondern nur ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung verlangt. Auch eine direkte Bindung des Landes an die Vorgaben des Art. 20 II GG belässt aber den Ländern hinsichtlich des Demokratieprinzips gewisse Spielräume, so kann beispielsweise eine Ministeranklage 47 eingeführt oder die Amtsperiode des Ministerpräsidenten abweichend von Art. 69 II GG geregelt werden 48. 44 Vgl. zu Durchgriffsnormen im Allgemeinen: Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Aufl., 2007, Art. 28, Rn. 2 ff. ff.; Tettinger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 28 Abs. 1, Rn. 30. Vgl. zu Art. 20 II GG als Durchgriffsnorm: Stern, Staatrecht I, 1984, S. 704 f.; Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S. 7, 11; März, Bundesrecht bricht Landesrecht, 1989, S. 179. 45 Vgl. zur fundamentalen Bedeutung auch: Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 100. 46 So aber Kersten, DÖV 1993, S. 896, 900 ff.; einen Durchgriffscharakter ablehnend auch: Tettinger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 28 Abs. 1, Rn. 30.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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Da Art. 20 II GG somit sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene gilt, ist die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungsträger an den Anforderungen des Art. 20 II GG zu messen, unabhängig davon, ob es sich um landesrechtliche Selbstverwaltungskörperschaften oder um durch Bundesgesetz errichtete Selbstverwaltungskörperschaften handelt. 49
B. Die Ausübung von Staatsgewalt Die Tätigkeit der Träger funktionaler Selbstverwaltung müsste, um am Gebot demokratischer Legitimation nach Art. 20 II 1 GG gemessen zu werden, Ausübung von Staatsgewalt darstellen. Ob und inwieweit dies der Fall ist, hängt zunächst davon ab, wie der Begriff der Staatsgewalt zu definieren ist. Daher ist hier zunächst auf den Begriff der Staatsgewalt und mögliche Beschränkungen dieses Begriffes einzugehen. Hieran anschließend wird kurz dargelegt, inwiefern die Tätigkeit der Wasserverbände unter den skizzierten Staatsgewaltsbegriff zu subsumieren ist. Der Frage, ob die funktionale Selbstverwaltung an sich Staatsgewalt ausübt oder nicht, soll hierbei nicht weiter nachgegangen werden. 50 Aufgrund der bei Selbstverwaltungskörperschaften typischen Mischung staatlicher Aufgabenwahrnehmung und gesellschaftlicher Selbstorganisation kann eine pauschale Antwort auf diese Frage, die für alle Selbstverwaltungskörperschaften Geltung beansprucht, nicht gegeben werden. Es wäre vielmehr jede einzelne Selbstverwaltungskörperschaft für sich zu sehen, um dann in einem zweiten Schritt auch zwischen den von ihr wahrgenommenen Aufgaben zu differenzieren. 51 47
Vgl. Tettinger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 28 Abs. 1, Rn. 48; Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 28, Rn. 67 m.w. N. 48 BVerfGE 27, S. 44, 55 f. 49 An die Stelle des Bundesvolkes / Gesamtvolkes als Legitimationssubjekt tritt dabei auf Landesebene das jeweilige Landesvolk als räumlich abgegrenzter Teil des Gesamtvolkes. Vgl. dazu unten Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. e). 50 Vgl. die ausführliche Darstellung des Meinungsstandes bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 229 ff., der auch die Bezüge zur Frage nach der Zuordnung der Selbstverwaltung zur mittelbaren Staatsverwaltung aufzeigt. Letztlich kommt aber auch er zu der Schlussfolgerung, dass eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, ob funktionale Selbstverwaltungseinrichtungen Staatsgewalt ausüben, nicht gefunden werden kann (S. 268). 51 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 372 f. Anders: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 344, der allein aus der Organisationsform der Selbstverwaltungsträger und der damit einhergehenden Möglichkeit zu hoheitlichem Handeln das Legitimationserfordernis ableitet. Die Ausübung von Staatsgewalt als Auslöser des Legitimationserfordernisses kann jedoch nicht mit der bloßen Möglichkeit hierzu gleichgesetzt werden.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
Da die Qualifizierung der Tätigkeit der hier als Beispiel dienenden Wasserverbände als Ausübung von Staatsgewalt keine besonderen Probleme aufweist, 52 können die folgenden Ausführungen kurz gehalten werden und sich auf das Wesentliche beschränken. I. Begriff der Staatsgewalt Das Grundgesetz selbst definiert den Begriff der Staatsgewalt nicht, so dass seine Bedeutung im Wege der Verfassungsauslegung erschlossen werden muss. Da der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte für die Interpretation des Begriffes der Staatsgewalt kaum Aufschluss geben, 53 treten hierbei vor allem systematische und teleologische Überlegungen in den Vordergrund. 54 1. Staatsgewalt und Staatsaufgabe Angesichts der Tatsache, dass der Begriff der Staatsgewalt klassischerweise mit Eingriffsbefugnissen und somit mit der Erteilung von Befehlen und der Sicherung ihrer Durchsetzung assoziiert wird, stellt sich die Frage, ob unter Staatsgewalt nur hoheitlich-obrigkeitliche Akte, also solche, die der Eingriffsverwaltung zuzuordnen sind, zu verstehen sind. 55 Ein solches Verständnis würde den Begriff der Staatsgewalt jedoch zu sehr verengen und so dem modernen lenkenden Staat nicht gerecht werden: Das Bild des Staates hat sich vom Eingriffsstaat zum Leistungs- und Gewährleistungsstaat gewandelt. 56 Ging es zu Beginn der Staatlichkeit vornehmlich darum, den Bürger vor Eingriffen des Staates in seine Freiheitssphäre zu schützen, so treten im modernen Staat die Pflicht des 52
So wurde dieser Punkt auch im Rahmen der gerichtlichen Befassung nicht angezweifelt oder problematisiert. 53 Lediglich die Entstehungsgeschichte des Art. 30 GG könnte hier unter Umständen angeführt werden, da im Zuge seiner Beratungen vereinzelt deutlich wurde, dass die Formulierung staatliche Befugnisse und Aufgaben als Umschreibung der Staatsgewalt angesehen wurde (vgl. z. B. die Äußerung des Abg. Hochs, JöR N.F. 1 (1951), S. 296 sowie den Antrag der Abg. v. Mangoldt und Schmid, 48. Sitzung des Hauptausschusses v. 9. 2. 1949, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuss, S. 626). Allerdings wurde zum einen der Antrag auf entsprechende Änderung der Formulierung im Hauptausschuss ohne Begründung abgelehnt (vgl. Der Parlamentarische Rat, a.a. O.) und zum anderen stellt sich die Frage der Übertragbarkeit der Äußerungen im Rahmen des Art. 30 GG auf den Begriff der Staatsgewalt im Rahmen des Art. 20 GG. Vgl. zum Ganzen: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 224 ff. 54 So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 233 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 355. 55 So wohl Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 54. 56 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 211 f.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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Staates zur Gewährleistung der Rahmenbedingungen für eine solche Freiheitssphäre und ihr Schutz durch den Staat in den Vordergrund. Dieser Wandel lässt sich auch anhand der Statuslehre im Bereich der Grundrechte verdeutlichen, die nicht (mehr) nur als bloße Abwehrrechte (status negativus), sondern auch als Leistungsrechte (status positivus) verstanden werden. 57 Demnach ist der Begriff der Staatsgewalt als Herrschaftsbefugnis zu verstehen 58 und nimmt damit nicht nur auf Akte der Eingriffsverwaltung Bezug, sondern erfasst auch die Leistungsverwaltung, sowie andere schlicht-hoheitliche, privatrechtliche und auch rein fiskalische Betätigungen des Staates. 59 Es ist also im Rahmen des Art. 20 GG bei der Frage, ob eine staatliche Handlung der Legitimation bedarf, nicht nach verschiedenen Aufgabenkategorien zu differenzieren, sondern jegliches Handeln der öffentlichen Hand zur Wahrnehmung einer Staatsaufgabe bedarf einer demokratischen Legitimation. 60 Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz angesichts der Bezeichnung als Staatsgewalt lediglich insoweit, als der in Frage stehenden Betätigung rechtserhebliche Wirkung zukommen muss. 61 Dieses Bestimmungselement wird auch als formeller Gesichtspunkt der Staatsgewalt bezeichnet 62 bzw. in der Rechtsprechung durch die Qualifizierung als Entscheidung gekennzeichnet. 63 Solange einer Maßnahme aber rechtserhebliche Wirkung zukommt, ist es unerheblich, ob sie Außenwirkung hat oder nicht. 64 Es sind also auch selbständige Bestandteile einer Endentscheidung, wie beispielsweise die Mitentscheidung in Form einer erforderlichen Zustimmung oder die Antragsstellung, sofern ein solcher Antrag für die Entscheidung einer anderen Stelle erforderlich ist, als Ausübung von Staats57 Vgl. ferner zum Zusammenhang zwischen Grundrechtsbindung und Legitimationserfordernis: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 236, 238 ff. 58 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 234; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 355 S. auch Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 19. 59 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 246; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 355. 60 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 246; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 12 f. 61 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 214; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 255 ff.; ähnlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 355 f.; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 13. Etwas anders: Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 12 f., der die Frage nach der Bestimmung von Staatsgewalt als Zurechnungsproblem beschreibt und dem Gewalt-Moment keine eigenständige Bedeutung beimisst. 62 Vgl. ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 255 ff. 63 BVerfGE 83, S. 60, 73; vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 257 ff. 64 BVerfGE 83, S. 60, 73.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
gewalt anzusehen. Auch hindert das Bestehen von Genehmigungsvorbehalten, Weisungsrechten oder aufsichtsrechtlichen Befugnissen wie Aufhebungs- oder Abänderungsrechten nicht die Qualifizierung der diesen Rechten unterworfenen Maßnahmen als Staatsgewalt. 65 Auch wenn man den Entscheidungscharakter als formelles Element zur Bestimmung von Staatsgewalt hinzuzieht, bleibt der Begriff der Staatsgewalt somit weit gefasst. Mangels Entscheidungscharakter scheiden lediglich rein vorbereitende, beratende und auch rein faktische Hilfsverrichtungen (z. B. Anfertigung von Kopien 66) aus dem Begriff der Staatsgewalt aus. 67 2. Zur Möglichkeit einer Einschränkung mittels Bagatellvorbehalt Darüber hinaus wird unter dem Schlagwort „Bagatellvorbehalt“ 68 diskutiert, ob eine Aufgabe eine gewisse Bedeutung haben muss, um als Ausübung von Staatsgewalt qualifiziert werden zu können. Es geht also um die Frage, ob der Begriff der Staatsgewalt unter einem Bagatellvorbehalt steht, so dass unwichtige Aufgaben insoweit ausscheiden. Dies hätte zur Folge, dass unwichtige Aufgaben keiner demokratischen Legitimation bedürften, da ihre Wahrnehmung per definitionem keine Ausübung von Staatsgewalt darstellen würde und somit der Tatbestand, an den Art. 20 II S. 1 GG das Legitimationserfordernis knüpft, nicht gegeben wäre. In diese Richtung deutet ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978 69, in dem das Gericht zu den nordrhein-westfälischen Bezirksvertretungen anmerkt, dass die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben „nicht so unwichtig“ seien, „daß sie nicht mehr unter den Begriff „Ausübung der Staatsgewalt“ fallen und deshalb auf Institutionen ohne ausreichende demokratische Legitimation übertragen werden könnten“. 70 65 Vgl. Zum Ganzen BVerfGE 83, S. 60, 73; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 257 f. 66 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 214. 67 Vgl. nur Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 214 f.; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 261. Etwas anders unter dem Gesichtspunkt der Steuerung: Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 22 ff.; kritisch: Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 262. 68 Dieser Begriff wurde von Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 83 geprägt („Bagatell-Vorbehalt“). Vgl. dazu Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 34, Fn. 18. 69 BVerfGE 47, S. 253 ff. 70 BVerfGE 47, S. 253, 274. Zustimmung aus der Literatur hat diese Vorgehensweise z. B. erfahren bei Schäfer, Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1988, S. 43.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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Einer solchen Ausnahme unwichtiger Aufgaben aus dem Bereich der Staatsgewalt kann grundsätzlich nicht entgegengehalten werden, dass sie im Widerspruch zum Wortlaut des Art. 20 II GG steht: 71 Zwar unterwirft dieser jegliche Staatsgewalt („alle Staatsgewalt“) dem Legitimationserfordernis und lässt keine Differenzierung nach der Bedeutung der Aufgabe zu, wenn aber nach der Definition schon keine Staatsgewalt vorliegt, kommt es auf die Frage, ob Art 20 II S. 1 GG Differenzierungen vorsieht, gar nicht mehr an. 72 Ein solcher Widerspruch würde nur bestehen, wenn bei unwichtigen Aufgaben zwar die Staatsqualität nicht verneint, aber vom Legitimationserfordernis abgesehen würde. Dadurch dass der Aufgabe schon die Staatsqualität abgesprochen wird, vermeidet man einen solch offensichtlichen Widerspruch zum Wortlaut des Art 20 II S. 1 GG. Allerdings kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ergebnis in beiden Fällen dasselbe ist: Aufgaben von geringer Bedeutung werden vom Legitimationserfordernis freigestellt. Ein solches Vorgehen widerspricht damit zwar nicht dem Wortlaut des Art. 20 II S. 1 GG, es widerspricht aber aufgrund der Konsequenzen dem in Art. 20 II S. 1 GG geregelten demokratischen Prinzip, da es zu „demokratiefreien Zonen“ 73 führen würde. 74 Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als die Ausnahme aus dem Bereich der Staatsgewalt und damit aus dem Erfordernis demokratischer Legitimation von der Bedeutung der wahrgenommenen Aufgabe, und somit von einem Kriterium abhängen soll, das keine scharfen Abgrenzungen erlaubt. 75 Auf die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts, die bei der Suche nach handhabbaren Kriterien oftmals herangezogen wird, 76 kann in diesem Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden: Diese Theorie betrifft den Geltungsbereich des Vorrangs des Gesetzes und besagt, dass alle „wesentlichen“ Entscheidungen vom Parlament zu treffen sind. Bezugspunkt für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist dabei insbesondere und vor allem die Grundrechtsrelevanz der in Frage stehenden Maßnahme. 77 Unabhängig davon, ob die Wesentlichkeitstheorie Ausdruck des Rechtsstaats- oder (auch) des Demokratieprinzips ist, 78 ist ihr Wirkbereich auf Abgrenzungsfragen in der Kompetenzverteilung zwischen Par71 So aber Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 83. 72 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 252, Fn. 233. 73 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 252. 74 Vgl. auch Ehlers, JZ 1987, S. 218, 219. 75 Vgl. dazu näher: Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. c). 76 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 306 f.; s. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 327. 77 Ständige Rechtsprechung: vgl. BVerfGE 33, S. 125, 158; 45, S. 400, 417 f.; 47, S. 46, 78 f.; 83, S. 130, 142. 78 Für eine Verortung ausschließlich im Rechtsstaatsprinzip Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 46 ff. Demgegenüber stellt die Rechtsprechung zusätzlich auf das De-
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
lament und Regierung beschränkt. Sie betrifft die Frage, auf welchem Weg sich die Legitimation realisiert, und nicht die Frage, ob überhaupt eine Legitimation erforderlich ist. Auch Maßnahmen der Regierung sind vollumfänglich demokratisch legitimiert, so dass aus der Wesentlichkeitstheorie keine Rückschlüsse auf das Bestehen eines Legitimationserfordernisses gezogen werden können. Ein Ausnahme unwichtiger Aufgaben aus dem Staatsgewaltbegriff und die damit einhergehende Ausnahme vom Legitimationserfordernis sind somit abzulehnen. Eine andere Frage ist, ob an das Maß demokratischer Legitimation immer dieselben Anforderungen zu stellen sind oder ob im Rahmen des Legitimationsniveaus Abstufungen im Hinblick auf die Bedeutung der Aufgabe zulässig sind. In diese Richtung deuten jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 79 die sich auf die oben genannte Entscheidung beziehen. Da es bei einer solchen Vorgehensweise aber nicht mehr um den Begriff der Staatsgewalt geht, sondern um Auswirkungen auf das erforderliche Legitimationsniveau, wird dieser Frage erst später im Rahmen der Bestimmung des Legitimationsniveaus nachgegangen. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht werden, ob die Wesentlichkeitstheorie zur Begründung von Abstufungen im Legitimationsniveau herangezogen werden kann. 80 3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Ausübung von Staatsgewalt als „Inanspruchnahme von Entscheidungsbefugnissen in Wahrnehmung einer Staatsaufgabe“ 81 definiert werden kann. Hierbei muss nicht zwischen den verschiedenen Staatsaufgaben differenziert werden. Jede Wahrnehmung einer Staatsaufgabe stellt Staatsgewalt dar, sofern ihr rechtserhebliche Wirkungen zukommen. Weitere Einschränkungen des Staatsgewaltsbegriffes anhand der Bedeutung der wahrgenommenen Aufgabe sind hingegen gemäß den obigen Ausführungen abzulehnen.
mokratieprinzip ab (so BVerfGE 49, S. 89, 126; 83, S. 130, 142), dem folgend: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 306 f. 79 BVerfGE 83, S. 60, 74; 93, S. 37, 70. 80 Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. c). 81 So die prägnante „Kurzformel“ Jestaedts, in: ders., Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 263.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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II. Die Tätigkeit der Wasserverbände als Ausübung von Staatsgewalt Nachdem der Begriff der Staatsgewalt definiert wurde, ist im Folgenden kurz darzulegen, inwieweit die hier als Beispiel dienenden Wasserverbände Staatsgewalt ausüben. Die Wasserverbände sind in ihrem Einzugsgebiet für den Erhalt und den Schutz der Gewässer, die Wasserversorgung und die Abwasserbeseitigung zuständig. Zur Wahrnehmung dieser Staatsaufgaben haben sie Befugnisse, die ihnen Eingriffe in die Rechte ihrer Mitglieder sowie Dritter gestatten, so dass aufgrund des Eingriffscharakters der Maßnahmen sogar nach der engen Definition, die auf hoheitlich-obrigkeitliche Akte abstellt, Staatsgewalt ausgeübt wird. Im Einzelnen sind hier folgende Tätigkeiten zu nennen: 82 Zunächst haben die Verbände das Recht, von ihren Mitgliedern (§ 6 I EmscherGG; § 7 I LippeVG) sowie Dritten (§ 7 I EmscherGG; § 8 I LippeVG) Auskünfte und die Bereitstellung von Unterlagen sowie die Duldung von Ermittlungen und Prüfungen zu verlangen. Ferner kann die Inanspruchnahme von Grundstücken und Anlagen angeordnet werden, so dass betroffene Mitglieder (§ 6 III, IV EmscherGG; § 7 III, IV LippeVG) oder auch betroffene Dritte (§ 7 II, III EmscherGG; § 8 II, III LippeVG) das Betreten von Betriebsgrundstücken, Betriebsräumen und sogar Wohnräumen zu dulden haben. Im Fall der Weigerung der Mitglieder oder Dritter, ihren Verpflichtungen nachzukommen, können diese Pflichten mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden (§ 31 EmscherGG; § 32 LippeVG). Die maßgeblichen nach außen tretenden Entscheidungen trifft bei den bisher genannten Maßnahmen der Vorstand. Der Verbands- bzw. Genossenschaftsrat muss für die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Grundstücken (§§ 16 V Nr. 3, 6 V S. 2, 7 II S. 4 EmscherGG; §§ 17 V Nr. 3, 7 V S. 2, 8 II S. 4 LippeVG) sowie für die Anwendung von Zwang (§§ 16 V Nr. 10, 31 I S. 2 EmscherGG; §§ 17 V Nr. 10, 32 I S. 2 LippeVG) zustimmen. Auch die Zustimmung ist als Mitwirkung an der Entscheidung als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren. 83 Darüber hinaus erheben die Wasserverbände gegenüber ihren Mitgliedern Beiträge, die öffentliche Lasten sind und durch den Vorstand festgesetzt und beigetrieben werden (§§ 26 f. EmscherGG; §§ 27 f. LippeVG). Des Weiteren kann der Vorstand gem. §§ 8, 19 II S. 1 EmscherGG bzw. §§ 9, 20 II S. 1 LippeVG mit Zustimmung des Genossenschafts- bzw. Verbandsrates 82 Vgl. zum Ganzen die Ausführungen des OVG Münster in der Entscheidung zur Emschergenossenschaft, NWVBl. 1996, S. 254; 255. 83 Vgl. OVG Münster in der Entscheidung zur Emschergenossenschaft, NWVBl. 1996, S. 254; 255. S. auch oben Teil 1 Kap. 2 B. I. 1.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
(§ 16 V Nr. 4 EmscherGG; § 17 V Nr. 4 LippeVG) einen Enteignungsantrag nach § 19 EEG NRW beim Regierungspräsidenten als der nach § 18 I EEG NRW zuständigen Enteignungsbehörde stellen. Für die Entscheidung über die Enteignung selbst sind zwar nicht die Wasserverbände zuständig, sondern der Regierungspräsident (§ 18 I, 29 EEG), allerdings setzt die Entscheidung über die Enteignung einen entsprechenden Antrag voraus (§ 18 II EEG NRW, §§ 63 II 64 VwVfG NRW). Aufgrund des konstitutiven Charakters des Antrags für die Enteignung ist nicht nur die Enteignung selbst, sondern schon die Antragsstellung als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen, da bereits der Antragstellung Rechtswirkung zukommt. 84 III. Fazit Da die Wasserverbände demnach Staatsgewalt ausüben unterliegen sie den Legitimationsanforderungen des in Art. 20 II GG geregelten Demokratiegebotes. Zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, dass die Organisationsform, in der Staatsgewalt ausgeübt wird, hierbei unerheblich ist. Die einzige Voraussetzung, die Art. 20 II GG für das Bestehen eines Legitimationserfordernisses aufstellt, ist die Ausübung von Staatsgewalt, nach verschiedenen Organisationsformen wird nicht differenziert. 85
84 Vgl. dazu die Ausführungen des OVG Münster in der Entscheidung zur Emschergenossenschaft, NWVBl. 1996, S. 254; 255. S. auch oben Teil 1 Kap. 2 B. I. 1. 85 Vgl. OVG Münster in der Entscheidung zur Emschergenossenschaft, NWVBl. 1996, S. 254; 255 f. Entgegen dem BVerwG, BVerwGE 106, S. 64, 76 f. kommt es bei der Frage nach dem Bestehen eines Legitimationserfordernisses auch nicht darauf an, ob die funktionale Selbstverwaltungskörperschaft nur Angelegenheiten ihrer Mitglieder wahrnimmt oder nicht. Auch wenn nur Belange der Mitglieder wahrgenommen werden, besteht ein Legitimationserfordernis. Lediglich die Art und Weise der Legitimation kann unter dieser Voraussetzung möglicherweise anders zu beurteilen sein (vgl. zur Frage des Teilvolkes und der autonomen Legitimation unten: Teil 2 Kap. 2 A.). Vgl. auch Tettinger / Mann, in dies. / Salzwedel, Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 1; 18 f.; Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 356 ff. Zur a. A., die funktionale Selbstverwaltungskörperschaften nicht dem Demokratiegebot unterstellt, sondern sie grundrechtlich fundiert: Breuer, FG für Unruh, 1983, S. 855, 878; vgl. auch Schink, DVBl. 1988, S. 417, 425 sowie Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976, S. 121 ff., der von einer grundrechtlichen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ausgeht und sie nicht dem Demokratiegebot unterwirft, da sie sich nicht auf die Gesamtheit stütze, sondern nur auf einen funktional abgegrenzten Bereich der Allgemeinheit (S. 122). Eine solche Argumentation vermischt jedoch die Frage nach dem Legitimationserfordernis, das Art. 20 II GG an die Ausübung von Staatsgewalt knüpft, mit der Frage danach, ob die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaften als Legitimationssubjekt angesehen werden können.
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C. Das Volk als Legitimationssubjekt Nachdem somit festgestellt wurde, dass die Ausübung von Staatsgewalt als Legitimationsobjekt vorliegt, ist nun das Legitimationssubjekt des Art. 20 II S. 1 GG genauer zu betrachten. Art. 20 II S. 1 GG, der anordnet „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“, bestimmt das „Volk“ als Ausgangspunkt aller Herrschaftsgewalt und legt dieses so als Legitimationssubjekt fest. Alle Formen von Staatsgewalt müssen auf das Volk zurückgeführt werden können. Damit trifft das Grundgesetz mit dem Volk zwar eine Entscheidung über das Legitimationssubjekt, der Volksbegriff selbst wird jedoch in Art. 20 II GG nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Es stellt sich also die Frage, wie der Volksbegriff und somit das Legitimationssubjekt des Art. 20 II GG auszulegen und zu bestimmen ist. Diese Frage ist im Zusammenhang mit der Untersuchung der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung besonders bedeutsam, da sich je nach Bestimmung des Legitimationssubjektes Möglichkeiten einer Legitimation dieser Art der Selbstverwaltung nach Art. 20 II GG eröffnen oder eben verschlossen bleiben. Es stehen sich im Wesentlichen zwei Demokratiekonzepte gegenüber. 86 Die monistische Demokratietheorie, die den Volksbegriff des Art. 20 II GG als Kollektiv des deutschen Staatsvolkes versteht, und die pluralistische Demokratietheorie, die den Einzelnen und seine Betroffenheit von Staatsgewalt zur Definition des Volksbegriffes heranzieht. Geht man mit der pluralistischen Konzeption vom Merkmal der Betroffenheit als dem bestimmenden Kriterium des Volksbegriffes aus, ergibt sich eine Vielzahl möglicher Legitimationssubjekte im Rahmen des Art. 20 II GG. Nach dieser Konzeption könnten auch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft als Betroffene demokratische Legitimation nach der Maßgabe des Art. 20 II S. 1 GG vermitteln. Es bestünde damit für die funktionale Selbstverwaltung kein Defizit im Bereich der demokratischen Legitimation. Nach der monistischen Ansicht, die allein das deutsche Staatsvolk in seiner Gesamtheit als Legitimationssubjekt im Rahmen des Art. 20 II GG ansieht, könnten die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft hingegen keine demokratische Legitimation vermitteln, da sie nicht das gesamte deutsche Volk vertreten. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich die zwei Demokratiekonzepte nicht nur in der Frage der Bestimmung des Legitimationssubjektes unterscheiden, sondern auch in anderen wichtigen Punkten, wie beispielsweise der Frage nach dem Erfordernis demokratischer Gleichheit. Auch liegen dem unterschiedlichen Auslegungsergebnis bezüglich des Volksbegriffes verschiedene ver86 Bezeichnungen der Modelle als monistisch und pluralistisch nach Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 164 mit Fn. 1. Vgl. dazu aus dem Blickwinkel der Einheit der Verwaltung auch: Haverkate, VVDStRL 46 (1988), S. 217 ff. Vgl. zu den Begrifflichkeiten auch: Steffani, in: FS Fraenkel, 1973, S. 482 ff.
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fassungstheoretische Demokratiekonzepte zugrunde, die z. B. auch Fragen nach dem Zusammenhang von Menschenwürde, Selbstbestimmung und Demokratie umfassen. Diese grundlegenden Unterschiede könnten dafür sprechen, die Demokratiekonzepte in einem eigenständigen Gliederungspunkt, beispielsweise unter der Überschrift „Das grundgesetzliche Demokratieprinzip“ zu behandeln. Eine solche Vorgehensweise wurde hier zugunsten einer Behandlung der Demokratiekonzepte unter der Überschrift des Legitimationssubjektes des Art. 20 II GG verworfen. Eine Behandlung der Demokratietheorien im Zusammenhang mit der Frage nach dem Legitimationssubjekt trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass die Unterscheidung der Demokratiekonzepte in diesem Punkt als ein Ergebnis der unterschiedlichen verfassungstheoretischen Grundauffassungen angesehen werden kann. Zum anderen soll die Darstellung unter dem Topos „Legitimationssubjekt“ die oben dargelegte Relevanz der Demokratietheorien im Rahmen der Untersuchung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung stets verdeutlichen. Da also für die vorliegende Untersuchung die Frage nach der Bestimmung des Volksbegriffes und somit des Legitimationssubjektes zentral ist und eine Entscheidung für die eine und gegen die andere Demokratietheorie nur auf der Grundlage ihres Gesamtkonzeptes möglich ist, sollen die verschiedenen Modelle hier im Rahmen der Untersuchung des Legitimationssubjektes umfassend behandelt werden. Hierzu werden zunächst die Inhalte und Grundlagen der verschiedenen Demokratietheorien kurz dargestellt, ohne näher auf einzelne Punkte einzugehen und ohne Stellung zu beziehen. Im Anschluss wird dann im Rahmen der Auslegung des Volksbegriffes untersucht, inwieweit die dargestellten Demokratiekonzepte in die Auslegung des Volksbegriffes einfließen und inwieweit sie selber mit den Vorgaben in Einklang stehen, die die Verfassung für das demokratische Prinzip trifft. Dabei ist zu beachten, dass es in diesem Abschnitt der Untersuchung um die Frage geht, wie das Legitimationssubjekt in Art. 20 II S. 1 GG zu verstehen ist, ob also die Mitglieder einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft originäre Legitimation nach Art. 20 II GG vermitteln können. Selbst wenn man diese Frage im Ergebnis gemäß dem monistischen Verständnis des Volksbegriffes verneint, ist damit noch keine endgültige Entscheidung über die Frage nach der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung getroffen. Damit wäre lediglich der Weg verstellt, über die Auslegung des Volksbegriffes zu einer solchen Legitimation zu gelangen. Ob es eine Möglichkeit einer autonomen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung neben Art. 20 II GG gibt oder ob von einem grundsätzlich monistisch zu verstehenden Volksbegriff Ausnahmen möglich sind, ist dann im zweiten Teil der Arbeit, in dem die verschiedenen für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Legitimationsmodelle behandelt werden, zu untersuchen.
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I. Das monistische Demokratieverständnis 1. Der Volksbegriff Nach dem monistischen Demokratieverständnis bedeutet „Volk“ i. S. d. Art. 20 II GG das deutsche Staatsvolk. Es stehe nicht das Individuum als Ausgangspunkt für Demokratie im Vordergrund, sondern das Volk in seiner Gesamtheit. Dieses Volk setzt sich hiernach zusammen aus den deutschen Staatsangehörigen sowie den Statusdeutschen i. S. d. Art. 116 I GG. 87 2. Demokratische Gleichheit Das monistische Demokratieverständnis geht einher mit der Forderung nach demokratischer Gleichheit der Zugehörigen des Staatsvolkes. 88 Wenn alle Staatsgewalt vom deutschen Staatsvolk ausgehe, dann müsse auch jeder Staatsangehörige die Ausübung von Staatsgewalt in gleicher Weise beeinflussen können, es müsse also eine Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte gewährleistet sein. Andernfalls würde keine Demokratie errichtet, sondern – je nach dem welchen Individuen oder welchen Gruppen aus dem Kreis der Staatsangehörigen ein größerer Einfluss gewährleistet werde – eine Monarchie, Diktatur, Aristokratie, Klassenherrschaft usw. 89 Die politischen Mitwirkungsrechte, die den Gegenstand der demokratischen Gleichheit bilden, umfassen hiernach alle Rechte, die die Ausübung und die Erlangung oder die Beeinflussung von Staatsgewalt berühren. Darunter fallen der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 II GG), die Gewährung der demokratischen Freiheitsgrundrechte (Art. 5 I GG, 8 I GG, 9 GG) und nicht zuletzt auch die Chancengleichheit der Parteien – unabhängig davon, ob man diese aus Art. 21 I GG i.V. m. Art. 38 I S. 1 GG, 90 aus Art. 3 GG i.V. m. Art. 21 GG 91 oder im Wesentlichen aus Art. 21 I S. 2 GG 92 herleitet. Das wichtigste politische Mitwirkungsrecht und somit das Hauptinstrument der Bürger bei der Ausübung von Staatsgewalt jedoch sind Wahlen, allen voran die Parlamentswahlen auf Bundes- und Landesebene. Bei diesen Wahlen müsse daher zum einen jeder Staatsbürger 93 wahlberechtigt sein und zum anderen müsse jede Stimme das gleiche Gewicht haben. 94 87
Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 94; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 208 Fn. 15; BVerfGE 83, S. 37, 51, LS 3a. 88 Grundlegend hierzu Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 41 ff. 89 Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II. Juni 1978, Rn. 6. 90 BVerfGE 82, S. 322, 337. 91 BVerfGE 7, S. 99, 107; 47, S. 198, 225; 85, S. 264, 312. 92 BVerfGE 91, S. 262, 269; 91, S. 276, 286.
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Die so verstandene demokratische Gleichheit als Bestandteil des monistischen Demokratiekonzeptes ist nicht gleichzusetzen mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 I GG. Zum einen handelt es sich bei der demokratischen Gleichheit im Vergleich zur Gleichheit des Art. 3 GG um eine spezifische Gleichheit und zum anderen um eine formale oder auch schematische Gleichheit. Von einer spezifischen Gleichheit spricht man, da der Anknüpfungspunkt der demokratischen Gleichheit nicht die Gleichheit aller Menschen ist, sondern die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft des Staatsvolkes, die durch die Staatsangehörigkeit vermittelt wird. 95 Die Bezeichnung als schematische oder formale Gleichheit verdeutlicht den Unterschied zum allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG als materiellem Gleichheitssatz: Während im Rahmen des Art. 3 I GG keine absolute Gleichheit gewährleistet wird, sondern nur Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund als unzulässig angesehen wird, sind im Rahmen der demokratischen Gleichheit grundsätzlich 96 alle Differenzierungen unzulässig. Es wird also nicht gewichtet nach Betroffenheit, Sachverstand oder anderen denkbaren materialen Kriterien, sondern jeder Bürger hat mit seiner Stimme das gleiche Gewicht. 97 3. Mehrheitsprinzip und Homogenitätserfordernis Eng verbunden mit dem Demokratieprinzip ist das Mehrheitsprinzip. Dieses wird zwar nicht unmittelbar in Art. 20 GG geregelt, aber das Grundgesetz verweist an zahlreichen anderen Stellen auf dieses Prinzip: Beschlüsse des Bundestages werden grundsätzlich nach dem Mehrheitsprinzip gefasst (Art. 42 II GG), gleiches gilt für Beschlüsse des Bundesrates (Art. 52 III S. 1 GG). Ferner gilt auch für die Wahl des Bundespräsidenten das Mehrheitsprinzip (Art. 54 VI GG). Aus diesem Grund muss das Mehrheitsprinzip auch für das in Art. 20 GG geregelte Demokratieprinzip gelten und somit auch für die in Art. 20 II S. 2 GG genannten Wahlen und Abstimmungen. 98 So hat auch das Bundesverfas93 Die Anforderungen der §§ 12 und 13 BWG an z. B. Mindestalter und Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland sollen hierbei außer Betracht bleiben. 94 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 43. 95 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 46; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 174 f.; im Ergebnis ebenso Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 278. 96 Zu den eng begrenzten Ausnahmen vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 401 ff. 97 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 42 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 174; Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 7 ff. 98 Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 15.
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sungsgericht das Mehrheitsprinzip als eines der fundamentalen Prinzipien der Demokratie bezeichnet. 99 Die Geltung des Mehrheitsprinzips bei Wahlen und Abstimmungen ist zwar für sich genommen noch keine Besonderheit des monistischen Demokratiekonzeptes, da auch nach pluralistischem Demokratieverständnis das Mehrheitsprinzip als demokratischer Entscheidungsmodus bei Wahlen und Abstimmungen zur Anwendung kommt. Allerdings ist das Mehrheitsprinzip nach monistischer Auffassung eng mit dem Grundsatz der demokratischen Gleichheit und der Forderung nach substantieller Gleichheit oder Homogenität verbunden: Tatsächliche Funktionsbedingung des Mehrheitsprinzips ist, dass die Minderheit sich der Mehrheit beugt und die mehrheitlich getroffenen Entscheidungen mit trägt. Nach monistischer Auffassung erscheint eine solche Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung für die Minderheit nur möglich, wenn die oben beschriebene formale, demokratische Gleichheit gewährleistet sei, nach der jeder Stimme das gleiche Gewicht zukommt. Nur so bestünde jederzeit die Chance, neue Mehrheiten zu bilden und die Entscheidungen der früheren Mehrheit zu revidieren. 100 Neben dieser formalen Gleichheit wird von den Anhängern der monistischen Konzeption überwiegend das Bestehen einer substantiellen Gleichheit als Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie angesehen: Das Volk als Träger der Staatsgewalt müsse eine relative Homogenität aufweisen, d. h. es müsse ein Zusammengehörigkeitsgefühl bestehen, so dass der jeweils anders Denkende nicht als grundsätzlich fremd empfunden werde. Andernfalls bestünde auf Seiten der Minderheit nicht die Bereitschaft, Mehrheitsentscheidungen mit zu tragen. 101 Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl könne sich aus verschiedenen Grundlagen ergeben. So nennt Böckenförde beispielsweise eine gemeinsame Religion, Sprache, Kultur, eine gemeinsam durchlebte Geschichte oder das gemeinsame nationale oder politische Bekenntnis. 102 Inwieweit eine solche Homogenität tatsächlich Voraussetzung von Demokratie ist, ob sie lediglich eine tatsächliche Funktionsbedingung darstellt oder ob sie als ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie anzusehen ist, wird im Rahmen der Gegenüberstellung der Demokratiekonzepte zu untersuchen sein, da das Homogenitätserfordernis einen wichtigen Kritikpunkt an der monistischen Konzeption von Seiten der Pluralisten darstellt. 99
BVerfGE 29, S. 154, 165. Vertiefend zum Mehrheitsprinzip: Dreier, ZParl 17 (1986), S. 94 ff; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973; Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983. 100 Vgl. dazu Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 40 ff. 101 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 47 f., Rn. 63 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 77; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 174 ff. 102 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 47 f., Rn. 64.
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II. Das pluralistische Demokratieverständnis Das pluralistische Demokratieverständnis wird nicht gleichermaßen geschlossen und stringent vertreten wie das monistische Konzept. 103 Dies liegt zum einen darin begründet, dass sich dieses Demokratiemodell vor allem durch die Kritik an dem vorherrschenden monistischen Verständnis entwickelt hat und somit vornehmlich negative Abgrenzungskriterien heranzieht, aber selten das eigene Demokratiekonzept positiv umschreibt. Ferner liegt der Mangel an präzisen Konzepten aber auch in der pluralistischen Sichtweise selbst begründet, da sie sich eben gerade durch ihre Offenheit von der monistischen Sichtweise abgrenzt und strikte Legitimationsmodelle dieser gewünschten Dynamik entgegenstehen würden. Vor allem Bryde, der in der stark negativen Ausrichtung der pluralistischen Demokratietheorie ein Hindernis für ihre Durchsetzung sieht, hat jedoch versucht, eine positive Bestimmung des Demokratieprinzips aus pluralistischer Sicht vorzunehmen. 104 An seinen Ausführungen wird sich die folgende Darstellung und Auseinandersetzung mit der pluralistischen Sichtweise daher vornehmlich orientieren. Dabei wird in diesem Abschnitt lediglich das Konzept der pluralistischen Sichtweise in seinen Grundzügen vorgestellt. Eine nähere Auseinandersetzung mit den einzelnen Thesen dieser Demokratietheorie erfolgt erst in der späteren Gegenüberstellung der beiden Demokratiekonzepte. Diese Vorgehensweise ist dadurch bedingt, dass sich die pluralistische Konzeption häufig als Gegenpol zur monistischen Sichtweise darstellt und somit in der Gegenüberstellung beider Theorien gleichzeitig die Stichhaltigkeit der Kritikpunkte untersucht werden kann. 1. Das Individuum und Betroffenheit als Anknüpfungskriterien Nach dem pluralistischen Demokratieverständnis steht das Individuum im Vordergrund. Demokratie wird als Idee der freien Selbstbestimmung des einzelnen Menschen verstanden und somit in engem Zusammenhang mit der Menschenwürde gesehen, 105 deren wesentlicher Bestandteil die Selbstbestimmung ist. Die Bestimmung des Art. 20 II GG „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ wird deshalb nicht wörtlich verstanden, sondern hierin wird das Bekenntnis zur freien Selbstbestimmung mit Hilfe einer traditionellen Formel gesehen. 106 „Volk“ steht demnach lediglich als „Kurzformel für Menschen“. 107 103
Vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 164; Bryde, KJ 2000, S. 59, 60. 104 Insbesondere Bryde, KJ 2000, S. 59 ff.; vgl. auch ders., StWStP 5 (1994), S. 305 ff, wo aber die Kritik am monistischen Verständnis im Vordergrund steht; s. auch Groß, KJ 2000, S. 93 ff. 105 Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 322; Blanke, KJ 31 (1998), S. 452, 457. 106 So formuliert Bryde, KJ 2000, S. 59, 61 in Anlehnung an Badura, vgl. in der jüngsten Auflage: Badura, Staatsrecht, 3. Aufl., 2003, S. 271, Rn. 6.
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Die oben dargestellte monistische Interpretation, die im Rahmen des Demokratieprinzips auf das deutsche Staatsvolk abstellt, wird als zu eng empfunden. Vielmehr ist nach dem pluralistischen Verständnis das Demokratiegebot des Grundgesetzes offen für die Bildung von Teil- oder Verbandsvölkern, die sich aus den Betroffenen von Staatsgewalt zusammensetzen. Bezugspunkt des Demokratie- und Majoritätsprinzipes ist damit nicht die Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk, sondern die Betroffenheit von Herrschaft. Geführt wurde die Diskussion um den Volksbegriff vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach der Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts, die sich inzwischen mit der Aufnahme eines solchen Wahlrechts für Staatsangehörige der EG-Mitgliedstaaten in Art. 28 I S. 3 GG entschärft hat. In dieser Debatte um das Ausländerwahlrecht wurde dafür plädiert, die Definition des Volksbegriffes von der Staatsangehörigkeit zu lösen und als Wohnbevölkerung 108 zu verstehen. Teilweise wurde auch das deutsche Staatsvolk als Legitimationssubjekt anerkannt und lediglich eine Erweiterung um die in Deutschland ansässigen Ausländer gefordert. 109 Zur Begründung wurde insbesondere die gleiche Herrschaftsbetroffenheit von Deutschen und Ausländern angeführt 110 und auf den in Folge der Einwanderungspolitik eingetretenen Wandel in der Bevölkerungsstruktur hingewiesen, der eine Anpassung des grundgesetzlichen Volksbegriffs an die gewandelten sozialen Verhältnissen durch eine Inklusion der ausländischen Mitbürger erfordere. 111 Diese Argumente, die sich gegen das monistische Erfordernis einer relativen Homogenität des Staatsvolkes richten und statt dessen an die Herrschaftsbetroffenheit als legitimationsstiftendes Kriterium anknüpfen, verdeutlichen, dass es in der Diskussion um das Ausländerwahlrecht letztlich nicht nur darum geht, den Volksbegriff statt als deutsches Staatsvolk als staatsangehörigkeitsunabhängige Wohnbevölkerung zu definieren, sondern dass Drehund Angelpunkt der Diskussion auch hier ein „offener“ Volksbegriff ist, bei dem der Mensch als Einzelner in den Mittelpunkt gestellt ist. Dieser Umstand erlaubt es, die im Zusammenhang mit der Frage des Ausländerwahlrechts ergangenen Beiträge nicht gesondert zu behandeln, sondern dem pluralistischen Demokratiekonzept zuzurechnen. Auf weitere Fragen, die speziell mit der Thematik des Ausländerwahlrechts zusammenhängen, wie z. B. diejenige, ob Deutsche und in Deutschland lebende Ausländer tatsächlich in gleicher 107 So Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 322; vgl. auch Häberle, HStR I, 1995, § 20, Rn. 65. 108 Zuleeg, KritV 1987, S. 322, S. 324; Rittstieg, KritV 1987 S. 315, S. 319. 109 So insbesondere Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 324: „Das Volk ist daher als Lebensund Schicksalsgemeinschaft auf deutschem Boden aufzufassen, die im Kern aus den Deutschen besteht, am Rande aber erweiterungsfähig ist.“ 110 Vgl. Zuleeg, KritV 1987, S. 322 f. 111 Rittstieg, KritV 1987, S. 315, 318, 321; Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 324.
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Weise herrschaftsunterworfen und somit betroffen sind, was beispielsweise angesichts der fortbestehenden Bindungen an ihren jeweiligen Heimatstaat und somit mangelnder Unentrinnbarkeit der Herrschaftsunterworfenheit in Deutschland fraglich erscheint, 112 so muss damit in dieser Untersuchung nicht eingegangen werden, da diese Fragen für die Problematik der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung nicht relevant sind. 2. Bestimmung der Entscheidungseinheit Der Problematik einer zu großen Ausweitung des Betroffenenkreises, die angesichts zunehmender Globalisierung und Internationalisierung von Problemen droht, begegnen die Vertreter eines pluralistischen Demokratieverständnisses, indem sie die Entscheidungseinheit nach dem Kriterium „effektiver Partizipation“ jeweils bestimmen. Hierbei sei einerseits zu berücksichtigen, dass kleine Entscheidungseinheiten einen größeren Einfluss des Einzelnen ermöglichen als größere, andererseits aber auch bestimmte sachliche Gründe Auswirkungen auf die Größe der Entscheidungseinheit haben. So verlange die Erfüllung bestimmter Aufgaben gewisse Mindestgrößen der Einheiten. 113 3. Relative Gleichheit Der Grundsatz demokratischer Gleichheit als das Gebot absolut gleicher Mitwirkungsrechte der Volkszugehörigen wird von den Anhängern einer pluralistischen Demokratiekonzeption kaum thematisiert. Häufig erscheint es auf den Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 38 I S. 1 GG reduziert. 114 Dies hängt damit zusammen, dass bei der Bestimmung der Betroffenheit in den Kategorien „Mehr“ oder „Weniger“ gedacht wird und somit die Frage nach der Betroffenheit anders als die nach dem Vorliegen der Staatsangehörigkeit nicht nur entweder positiv oder negativ zu beantworten ist. Für die Anhänger des pluralistischen Demokratiemodells geht Demokratie daher nicht einher mit formeller, also absolut zu verstehender Gleichheit. So gilt nach diesem Demokratiekonzept nicht etwa, dass die jeweils betroffenen Individuen den gleichen Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt haben müssen. Vielmehr wird von einer relativen Gleichheit ausgegangen, 115 so dass nach unterschiedlicher Intensität der 112
Isensee, KritV 1987, S. 300, 301 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 222 f. 113 Zum Ganzen: Bryde, KJ 2000, S. 59, 63 ff. 114 Vgl. Groß, KJ 2000, S. 93, 99; vgl. auch Bryde KJ 2000, S. 59, 69 f. mit seinem Vorschlag, wie ein monistischer Volksbegriff mit einer pluralistischen Verwaltungsorganisation in Einklang gebracht werden könnte. 115 Vgl. zu den Begrifflichkeiten: Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 7 ff.
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Betroffenheit unterschieden werden kann und somit Gewichtungen innerhalb der Betroffenengruppe möglich sind. Auch bei der Wahl der Entscheidungsebene sind solche Gewichtungen erforderlich, da es – gerade im Hinblick auf die Bevorzugung kleiner Entscheidungseinheiten – abzugrenzen gilt, welcher Grad der Betroffenheit noch zur Partizipation berechtigen soll und welcher nicht. III. Allgemeines zur Verfassungsauslegung Nachdem nun die Grundzüge des monistischen und des pluralistischen Demokratieverständnisses und ihre Auslegung des Volksbegriffes dargelegt wurden, ist im Folgenden zu untersuchen, welcher Ansicht zu folgen ist. Diese Frage nach der „richtigen“ Bestimmung des Legitimationssubjektes, das der Demokratie ihren Dreh- und Angelpunkt vorgibt, ist eine Frage der Verfassungsinterpretation: Es geht um die Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG. Jedoch hat das Auslegungsergebnis aufgrund der Tatsache, dass das Legitimationssubjekt den Bezugspunkt der Demokratie darstellt, nicht nur „punktuelle“ Bedeutung, sondern ist für die vom Grundgesetz errichtete Demokratie im Ganzen bestimmend. Im Folgenden soll daher die Berechtigung der beiden vorgestellten Demokratietheorien im Rahmen der Verfassungsinterpretation untersucht werden. Dazu werden zunächst allgemeine Überlegungen zur Verfassungsinterpretation angestellt, die die Gemeinsamkeiten zur Auslegung des einfachen Rechts aber auch die Besonderheiten, die sich aus der Stellung der Verfassung als Grundordnung des Staatswesens ergeben, reflektieren. Im Anschluss daran erfolgt eine Auslegung des Volksbegriffes des Art. 20 GG anhand der zuvor festgelegten Auslegungskriterien. 1. Zur Auslegungsmethode Die Verfassungsauslegung erfolgt weitgehend nach denselben Auslegungskriterien wie die Auslegung des einfachen Rechtes, also nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der Systematik und dem Zweck der Norm. 116 Allerdings besteht bei der Interpretation der Verfassung gegenüber dem einfachen Recht die Besonderheit, dass es sich bei der Verfassung um eine Grundordnung handelt, die den Aufbau des Staatswesens bestimmt. Aufgrund dieser Funktion der Verfassung sind ihre Regelungen grundsätzlich weniger detailliert und geschlossen als solche des einfachen Rechts. 117 Dies gilt insbesondere für die Verfassungsgrundsätze des Art. 20 GG und somit auch für das hier in Frage stehende Demokratieprinzip. 116 Vgl. Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 16 ff.; Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 125, 127; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 363. 117 Vgl. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 127 ff.; W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsauslegung“, Sp. 4442 f. Insoweit teilweise kritisch: Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 5 f.
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Inwieweit diese Besonderheit der Verfassung sich auch in der Methodik der Auslegung niederschlagen sollte, ist umstritten. Vielfach werden besondere Auslegungsprinzipien, wie der „Grundsatz der Einheit der Verfassung“ 118 oder ein topisches Vorgehen 119 gefordert. Letztlich handelt es sich aber bei diesen Methoden nur um Weiterentwicklungen der klassischen Interpretationsmittel: So kann man den Grundsatz der Verfassungseinheit, der eine isolierte Betrachtung einer Vorschrift des Grundgesetzes verbietet und die Beachtung des verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhanges fordert, der systematischen Auslegung zuordnen. 120 Das topische Vorgehen 121, unter dem hier die Heranziehung von problemorientierten Gesichtspunkten (Topoi) verstanden werden soll, weist ebenfalls eine gewisse Nähe zur systematischen Auslegung auf, sofern es sich um Gesichtspunkte aus dem Verfassungsumfeld handelt. Ferner sind auch Bezüge zur teleologischen Interpretation zu verzeichnen, da schon die Auswahl der Topoi, die als problemorientiert angesehen und somit herangezogen werden, etwas darüber aussagt, wo der Interpret die Zielsetzung der auszulegenden Norm sieht. 122 Wie auch immer man die Vorgehensweise bei der Verfassungsauslegung bezeichnen möchte, ob man sie als besondere Auslegungsmethode ansieht oder den herkömmlichen Interpretationsmitteln zuordnet, die Problematik bleibt die Gleiche: Aufgrund ihrer Unbestimmtheit bedürfen die Normen des Verfassungsrechts und insbesondere die abstrakten Verfassungsgrundsätze zu ihrer Interpretation mehr als einer Auslegung im Sinne einer Erarbeitung eines schon in der Norm Vorgegebenen. Mehr als jeder Gesetzesauslegung ist der Verfassungsinterpretation auch etwas Schöpferisches zu Eigen. 123 118 Vgl. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 131; aus der Rechtsprechung: BVerfGE 1, S. 14, 32; 19, S. 206, 220; 28, S. 243, 261; 34, S. 165, 183; 39, S. 334, 368; 55, S. 274, 300; W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsauslegung“, Sp. 4443 f. 119 Vgl. W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsauslegung“, Sp. 4443 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 67, vgl. aber auch Rn. 78. 120 Vgl. Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 19; Maurer, Staatsrecht I, 5. Aufl., 2007, § 1, Rn. 66. 121 Vgl. zur Topik: W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001 Art. „Verfassungsauslegung“; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 145 ff., der darauf hinweist, dass es im Einzelnen fraglich ist, was unter einem juristischen „Topos“ zu verstehen ist (S. 147). Zur Einschränkung der Topoi auf solche, die streng problemorientiert sind, vgl. insbesondere Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 24; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 67. 122 Für Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 68 hingegen stellt sich der Zusammenhang von Topoi und den Auslegungscanones gerade anders herum dar, so dass die Auslegungsmittel nur im Zusammenhang mit dem topischen Vorgehen Bedeutung gewinnen. Vgl. dazu auch Starck HStR VII, 1992, § 164, Rn. 24.
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2. Das schöpferische Moment der Auslegung und die Gefahr der Subjektivität Dieses schöpferische Moment bei der Normauslegung wird bei der hier in Frage stehenden Interpretation des Volksbegriffes besonders deutlich: Bei der Bestimmung des Volksbegriffes handelt es sich auf den ersten Blick zwar lediglich um die Auslegung eines Tatbestandsmerkmales, aber aufgrund der großen Bedeutung der Bestimmung des Legitimationssubjektes für die vom Grundgesetz errichtete Demokratie hängt das Ergebnis dieser Auslegung grundlegend von dem im Hintergrund stehenden Demokratieverständnis des Interpreten ab. Es findet also hier die jeweils vertretene Demokratietheorie als verfassungstheoretischer Hintergrund Eingang in die verfassungsrechtliche Normauslegung. 124 So bestimmt letztlich, nach der Auslegung anhand des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und der Systematik, auch das verfassungstheoretische Demokratieverständnis des Interpreten das Auslegungsergebnis. Auch dieser Eingang des verfassungstheoretischen Vor-Verständnisses in die Normauslegung kann durch die klassischen Auslegungscanones beschrieben werden: Letztlich handelt es sich hierbei um Elemente, die der teleologischen Auslegung zugeordnet werden können, da der Normzweck durch die Zielrichtung bestimmt wird, die der Interpret der Demokratie vorgibt: Sieht der Interpret die Selbstbestimmung des Einzelnen als Ziel der Demokratie, wird sein Volksbegriff pluralistisch sein, versteht er Demokratie als auf ein Kollektiv ausgerichtet und somit der Selbstbestimmung des Kollektivs dienend, wird sein Volksbegriff monistisch sein. Hierdurch wird deutlich, dass durch das Einfließen des staatstheoretischen Vorverständnisses 125 des Interpreten in die Auslegung die Gefahr besteht, dass bestimmte Vor-Urteile und politische Vorstellungen des Interpreten mit in die Auslegung des Volksbegriffes einfließen und diesen bestimmen. Diese Gefahr wird auch nicht dadurch gebannt, dass die Einbindung des staatstheoretischen Vorverständnisses im Rahmen einer teleologischen Auslegung unter Anwendung der klassischen Interpretationsmittel erfolgt. Dadurch dass letztlich das Ziel, das die Norm erreichen soll und in dessen Richtung sie daher auszulegen ist, vom Interpreten an die Norm herangetragen wird, befördert die teleologische Auslegung nur zu Tage, was man zuvor in die Norm hineingelegt hat. 126 Das soll 123 Vgl. für die Auslegung im Allgemeinen: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 346; für Verfassungsrecht: Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 138; W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsauslegung“, Sp. 4443. 124 Vgl. zur Bedeutung der Verfassungstheorie bei der Auslegung auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 62 ff. 125 Ähnlich zum Vor-Verständnis und zur Verfassungstheorie Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 62 f. 126 Kritisch zur teleologischen Auslegung auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 57, der sie als „Blankett“ bezeichnet; vgl. auch Rn. 68.
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nicht heißen, dass bei der Normauslegung auf teleologische Gesichtspunkte verzichtet werden sollte, es soll lediglich das schöpferische Moment, das jeder Gesetzesauslegung zu eigen ist, nicht dadurch verschleiert werden, dass durch feststehende Auslegungsmittel der Eindruck erweckt wird, es handele sich hier lediglich darum, das im Gesetz Vorgegebene zu erkennen. 3. Strategien zur Minimierung der Gefahr von Eigenwertungen Aufgrund des schöpferischen Momentes bei der Auslegung wird sich zwar nie völlig vermeiden lassen, dass Wertungen und Meinungen des Interpreten in die Normauslegung einfließen. Diese Gefahr sollte aber möglichst gering gehalten werden. Daher ist weit möglichst auch im Rahmen der teleologischen Auslegung der Zweck der Norm den von ihr oder ihrem Regelungszusammenhang vorgegebenen Gesichtspunkten zu entnehmen: 127 Für die Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG bedeutet dies, dass ihr kein „freischwebendes Demokratieverständnis“ 128 zugrunde gelegt werden kann. Vielmehr hat die Bestimmung des Demokratieverständnisses seinerseits anhand des Grundgesetzes zu erfolgen. Es geht also um die Demokratie, wie sie von der Verfassung konzipiert ist 129 und wie sie daher normative Geltung für die Organisation der Wahrnehmung von Staatsaufgaben hat. Da die normative Geltung und somit Demokratie als Verfassungsbegriff entscheidend ist, kann es hier nicht um vom Grundgesetz losgelöste Ideen oder Philosophien von Demokratie gehen. So spricht auch die Verfassung in Art. 20 und 28 GG nicht etwa von „der“ Demokratie, sondern von der Bundesrepublik Deutschland als „demokratische[m] [...] Bundesstaat“ und den „Grundsätzen des [...] demokratischen [...] Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes“ und bindet somit den verfassungsrechtlichen Demokratiebegriff an die Vorgaben und Ausgestaltung, die er durch das Grundgesetz erfährt. 130 Eine solche Rückanbindung des Demokratiemodells an die Verfas127 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 68; vgl. auch ders., a.a. O., Rn. 63, der zwar verfassungstheoretische Überlegungen nicht wie hier der teleologischen Auslegung zuordnet, aber auch die Rückbindung der Verfassungstheorie an das Grundgesetz fordert: „Die sich damit stellende Aufgabe der Begründung des Vor-Verständnisses ist vor allem eine Aufgabe der Verfassungstheorie, die ihrerseits keine beliebige ist, wenn sie im Blick auf die konkrete Verfassungsordnung gewonnen und in fortwährendem Geben und Nehmen durch die konkrete Fallpraxis bestätigt und korrigiert wird.“ 128 Vgl. Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 53. 129 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 145 spricht in diesem Zusammenhang anschaulich vom Grundgesetz als dem „Genom“ der Demokratie. Badura, in: HStR II, 2004, § 25, Rn. 28, spricht vom „organisatorischen Bauplan der Demokratie“. 130 Auf diesen Umstand weist Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 589, hin.
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sung ist allerdings nur bis zu einem gewissen Grad möglich: Natürlich können aus den Einzelregelungen, die das Demokratieprinzip betreffen, wie dem Wahlrecht oder dem Mehrheitsprinzip, Rückschlüsse auf den Volksbegriff und auch auf das allgemeine Demokratiekonzept des Grundgesetzes gezogen werden, aber sie vermögen den verfassungsrechtlichen Demokratiebegriff nicht vollends zu klären. 131 Soll sich das allgemeine Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht in den Einzelausprägungen erschöpfen, sondern daneben als umfassender Grundsatz bestehen, 132 der seinerseits auch die Auslegung der Einzelregelungen bestimmt, 133 dann bleiben Grauzonen. Diese Grauzonen kann auch eine Ausrichtung an der Verfassung bei der Bestimmung des Demokratiekonzeptes nicht vollständig beseitigen, 134 denn der Versuch, durch diese Rückanbindung das Einfließen von Eigenwertungen des Interpreten zu vermeiden, hat auch zu einem gewissen Teil etwas Zirkuläres. Die Vorgaben, welche die Verfassung macht, sind häufig ihrerseits interpretationsbedürftig. Dies wird bei der hier in Frage stehenden Auslegung des Volksbegriffes besonders deutlich: So stellt doch unter anderem auch das „Volk“ als Legitimationssubjekt eine Vorgabe der Verfassung dar, die genaue Bestimmung des Volksbegriffes gilt es ja aber gerade zu ermitteln, so dass insoweit eine Rückanbindung an die Verfassung leer läuft. Hält man sich dies vor Augen, so wird zum einen deutlich, dass es nie ganz verhindert werden kann, dass bei der Interpretation der Verfassung auch Wertungen einfließen, die von der Verfassung als solche nicht vorgegeben sind. Zum anderen erscheint es vor diesem Hintergrund umso wichtiger, der grammatischen und der historischen Auslegung, die auf die Entstehungsgeschichte der Norm abstellt sowie der systematischen Auslegung ein hohes Gewicht beizumessen. Um die Ergebnisse dieser drei Auslegungsmethoden in Frage stellen zu können, müssen aus dem theoretischen Demokratiekonzept des Interpreten entstammende Auslegungsgründe, die der teleologischen Auslegung zuzuordnen sind, daher sehr schwer wiegen. Anders gesagt: In diesem Fall müssen nicht nur Gründe für eine dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und der Systematik entgegenstehende Interpretation sprechen, sondern es müssen auch Gründe dafür sprechen, warum die entgegenstehenden teleologischen Argumente schwerer wiegen sollten. 135 131 Davon geht aber wohl Starck, HStR VII, 1992, § 164, Rn. 53 aus, wenn er feststellt: „Der verfassungsrechtliche Begriff der Demokratie folgt aus den demokratiestaatlichen Einzelregelungen des Grundgesetzes (...)“. 132 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 145 f.; BVerfGE 44, S. 125, 138. 133 Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 600. 134 Vgl. dazu allgemein Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 76. 135 Vgl. allerdings für seine Diskurstheorie Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983, S. 305; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 176 ff. Zur Frage der Rangfolge zwischen den Auslegungskriterien auch Larenz, Methodenlehre der
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IV. Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II S. 1 GG Aufbauend auf diese allgemeinen Überlegungen zur Verfassungsinterpretation soll im Folgenden nun eine eigene Auslegung des Volksbegriffes anhand der klassischen Auslegungskriterien erfolgen, um so festzustellen, ob das monistische oder das pluralistische Verständnis des Volksbegriffes der Demokratiekonzeption der Verfassung zu Grunde zu legen ist. 1. Wortlaut Auszugehen ist bei der Frage nach der Auslegung des Volksbegriffes zunächst einmal vom Wortlaut des Art. 20 II 1 GG als zentraler Vorschrift: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Der unbefangene Leser wird vermutlich bei der Verwendung des Begriffes „Volk“ in einer Vorschrift des Deutschen Grundgesetzes zunächst darunter ganz selbstverständlich das deutsche Staatsvolk verstehen und so mit dem monistischen Konzept übereinstimmen. Teilweise wird aber Art. 20 II S. 1 GG als Bekenntnis des Verfassungsgebers zum Demokratieprinzip gemäß traditioneller Formel verstanden 136 und somit letztlich dem Wortlaut der Vorschrift die Bedeutung abgesprochen bzw. es wird versucht, den Wortlaut der Vorschrift als eine Art Atavismus „hinwegzuerklären“: Die Väter des Grundgesetzes hätten an die westlichen Demokratien anschließen wollen, seien aber gleichsam in ihren alten traditionellen Terminologien verblieben. Bei der Auslegung dürfe man nun diese „ungeschickte“ Wortwahl nicht über die Grundentscheidung der Verfassung stellen. 137 Eine solche Argumentation beinhaltet jedoch einen Zirkelschluss: Ziel der Auslegung des Art. 20 II 1 GG ist es ja gerade zu ergründen, was die Grundentscheidung des Grundgesetzes im Hinblick auf das Demokratiegebot genau ist. Der Wortlaut der Vorschrift soll dabei einen ersten Zugang ermöglichen, so dass man ihn nicht von vornherein mit einem vorgefassten Verständnis vom Ergebnis der Auslegung übergehen kann. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Grundgesetz an westliche Demokratien anknüpfen wollte, 138 da eben die westliche Demokratie nicht existiert 139 und auch somit keine Bedeutung als vorgegeben erscheint.
Rechtswissenschaft, 1991, S. 345 f. mit Fn. 69 m.w.N, der ein festes Rangverhältnis ablehnt. 136 Bryde, JZ 1989, 257, 259; ders., KJ 2000, S. 59, 61. 137 Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, S. 317 f. 138 Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 317. 139 Vgl. dazu auch Bryde, Le peuple européen and the european people, in: Auer / Flauss (Hrsg.), Le Référendum Européen, 1997, S. 251 ff., wo der Autor die verschiedenen Bedeutungen von Volk und peuple einerseits und dem englischen people andererseits, das sowohl das Kollektiv als auch den Plural „Leute“ bezeichnen kann, herausarbeitet.
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Es bleibt also dabei, dass zunächst der Wortlaut der Vorschrift einer näheren Betrachtung bedarf. Hierbei fällt auf, dass Art. 20 II S. 1 GG nicht davon spricht, dass alle Staatsgewalt vom deutschen Volke ausgeht, sondern lediglich das Volk als Legitimationssubjekt nennt. Angesichts der Tatsache, dass das Grundgesetz an anderer Stelle, in der Präambel sowie in Art. 146 GG in der Verfassung ausdrücklich vom Deutschen bzw. deutschen Volk(e) spricht, könnte der Umkehrschluss gezogen werden, dass in Art. 20 II GG eben gerade nicht das deutsche Volk gemeint ist, sondern der Volksbegriff „offen“ zu verstehen ist. 140 Jedoch ist die Tatsache, dass Art. 20 GG nur vom Volk, nicht aber vom deutschen Volk spricht, vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte verständlich und daher nicht als Indiz gegen das monistische Verständnis des Volksbegriffes zu werten: Der damalige Verfassungsgeber wollte mit der Verfassung eine Demokratie errichten. Diese Form der Herrschaftsorganisation musste er durch das Grundgesetz erst erschaffen. Den Träger der Staatsgewalt, das deutsche Volk, fand er jedoch bereits vor, so dass er diesbezüglich keine Regelung in das Grundgesetz aufnehmen musste. 141 Vielmehr erschien die Gleichsetzung von Volk und Staatsvolk damals als selbstverständlich. Wenn auch der Wortlaut des Art. 20 II GG dadurch, dass er lediglich das Volk nennt und dieses nicht ausdrücklich als deutsches Volk qualifiziert, nicht eindeutig ist und Raum für die oben dargestellten Überlegungen und Zweifel lässt, so kann man doch Folgendes konstatieren: Das Verständnis von Volk als deutsches Staatsvolk liegt im Hinblick auf die textliche Fassung des Art. 20 GG zumindest näher als der offene Volksbegriff, der das Kriterium der Betroffenheit an die Stelle der Staatsangehörigkeit setzt, denn mit dem Begriff „Volk“ werden auch im alltäglichen Sprachgebrauch Begriffe wie Staat und Nation assoziiert. 142 Jedoch kann der Wortlaut der Vorschrift nur einen ersten Anhaltspunkt bei der Frage nach der Demokratiekonzeption des Grundgesetzes geben. Daher ist Vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 3 f.: In der historischen Entwicklung des Grundsatzes der Volkssouveränität standen sich die Konzeption Rousseaus, der das Volk und seine kollektive Einheit in den Mittelpunkt stellt, und diejenige John Lockes, für den der Einzelne und seine Rechte im Vordergrund stehen, gegenüber, wobei im kontinentalen Europa die Entwicklung vorrangig der Rousseausche Auffassung entsprach. 140 Vgl. jüngst: Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 120 f. 141 Isensee, in: FS für P. Mikat, 1989, S. 718 ff. mit Hinweis auf die unwidersprochene Äußerung Carlo Schmids im Parlamentarischen Rat die Quelle der Staatsgewalt sei „das konkrete lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen“; ders., KritV 1987, S. 300 f.: „verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit“. 142 So auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 323. Vgl. auch Brockhaus Enzyklopädie, „Volk“, wo darauf hingewiesen wird, dass im allgemeinen Sprachgebrauch das Verständnis von Volk nicht klar abgrenzbar zu dem der Nation ist. Vgl. Francis, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 1995, „Volk“, Sp. 767, der ebenfalls die Austauschbarkeit der Wörter „Volk“ und „Nation“ thematisiert, wenn er auch eine Unterscheidung im allgemeinen Sprachgebrauch feststellt.
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im Folgenden zunächst auf die oben schon kurz angesprochene Entstehungsgeschichte der Norm bzw. ihren historischen Zusammenhang einzugehen. Danach ist der Blick auf die Systematik der Verfassung zu lenken und zu untersuchen, inwieweit diese Rückschlüsse für das Verständnis des Demokratiegebotes zulässt. 2. Entstehungsgeschichte Die Auslegung nach der Entstehungsgeschichte der Norm umfasst zwei Aspekte. Zum einen kann die Norm in den weiteren historischen Kontext eingebettet werden, d. h., es ist die rechtliche Entwicklung und Rechtslage bis und zu der Zeit ihrer Entstehung zu betrachten (historische Auslegung im engeren Sinne), zum anderen kann die Entstehungsgeschichte der Norm selbst anhand von Gesetzesmaterialien und Äußerungen der damals beteiligten Parlamentarier untersucht werden (genetische Auslegung). In den Verfassungsmaterialien zur Entstehungsgeschichte des Art. 20 GG selbst ist der Volksbegriff der Vorschrift kaum thematisiert, geschweige denn diskutiert. Dies erklärt sich dadurch, dass der Verfassunggeber unter Volk ganz selbstverständlich das deutsche Staatsvolk verstand, 143 wie aus einer Äußerung, die der Abgeordnete Dr. Carlo Schmid im Rahmen der Diskussion zu Art. 20 GG tätigte und die unwidersprochen blieb, hervorgeht: Danach sei „die letzte irdische Quelle der Gewalt im Staate das konkrete lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden einzelnen Deutschen“ 144. Dieses Verständnis des Volksbegriffes entspricht der deutschen Verfassungstradition. Bereits die deutschen Staaten nach 1818 knüpften das Wahlrecht an die Staatsangehörigkeit. 145 Dies setzte sich fort über die Frankfurter Paulskirchenverfassung 146 bis hin zu Art 1 II, Art. 17 I der Weimarer Reichsverfassung 147, in deren Nachfolge das Grundgesetz steht. 148
143 Vgl. Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 718 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 208, Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 27. 144 JöR N.F. 1 (1951), S. 199. Vgl. auch Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 719.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 208 Fn. 17; Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 27, die sich alle auf diese Äußerung beziehen. 145 Vgl. etwa § 36 Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden von 1818; § 135 I Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg von 1819, beide abgedruckt bei Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1961, S. 156 ff., S. 170 ff. Vgl. zur Tradition der deutschen Staatsrechtslehre und der Allgemeinen Staatslehre, das Wahlrecht ausschließlich den Staatsangehörigen zu gewähren auch Isensee, VVDStRL 32 (1974), S. 49, 92 f., Fn. 109. 146 § 132 S. 2 Paulskirchen-Verfassung i.V. m. § 1 Frankfurter Reichswahlgesetz vom 12. 4. 1849 gewährt das Wahlrecht den Deutschen, und § 93 Paulskirchen-Verfassung bestimmt, dass das Volkshaus aus den Abgeordneten des deutschen Volkes besteht.
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Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 20 GG stützt somit eine Interpretation des Volksbegriffes im Sinne des deutschen Staatsvolkes. 3. Systematik Weitere Argumente für eine Interpretation von Volk als das deutsche Staatsvolk ergeben sich aus der Systematik des Grundgesetzes: Dies wird zunächst bei der Betrachtung der übrigen Regelungsinhalte des Art. 20 GG deutlich. Zum einen erscheint in Art. 20 II S. 1 GG das Volk als Träger der Staatsgewalt und zum anderen ist auch durch die Nähe zum Absatz eins der Vorschrift, in dem die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat qualifiziert wird, der Bezug zum Staat hergestellt, so dass eine Auslegung von Volk als Staatsvolk nahe liegt. 149 Ferner ist das in Absatz vier der Vorschrift geregelte Widerstandsrecht als Deutschenrecht ausgestaltet, so dass auch insoweit der Bezug zur Staatsangehörigkeit gegeben ist. Selbst wenn ein solches Widerstandsrecht im Falle des Versuchs der Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung für Ausländer als ungeschriebenes Recht bestünde, 150 ändert dies nichts daran, dass Art. 20 IV GG dieses Recht als Deutschenrecht konzipiert und somit den hier gezogenen Rückschluss für das Verständnis des Absatzes zwei der Vorschrift nahe legt. Betrachtet man den Kontext des Art. 20 II GG in der Gesamtverfassung, ergibt sich nichts anderes: Die Präambel als Anfang der Verfassung stellt in Satz 3 die Geltung des Grundgesetzes für das „gesamte Deutsche Volk“ heraus. Gleiches gilt für Art. 146 HS 1 GG als Schlussbestimmung des Grundgesetzes. Auch Satz 1 der Präambel und Art. 146 HS 2 GG sprechen vom Deutschen bzw. deutschen Volk(e). Die ersten beiden Bestimmungen meinen dabei – genau wie der in Frage stehende Art. 20 II GG – das jeweilige konkrete deutsche Volk und somit das Volk „unter“ oder „in“ der Verfassung, da sie die Geltung des Grundgesetzes für das deutsche Volk thematisieren und das Grundgesetz immer für das jeweils aktuelle deutsche Volk gilt. Satz 1 der Präambel und Art. 146 HS 2 GG hingegen zielen nicht auf das Volk als pouvoir constitué, sondern als pouvoir constituant ab, gemeint ist also hier das Volk als Verfassungsgeber „vor“ und „nach“ der Verfassung. Aufgrund dieser Unterschiede zu Art. 20 II GG ist eine 147 Art. 1 II WRV lautete „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Zwar ist auch hier nicht vom deutschen Volk die Rede, für die WRV besteht aber Einigkeit darüber, dass mit Volk das deutsche Volk gemeint war (vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 208 m.w. N.). Art. 17 I WRV gewährt demgemäß das Wahlrecht allen reichsdeutschen Männern und Frauen. 148 Vgl. insgesamt zur deutschen Verfassungstradition auch Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 26 f. 149 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 207. 150 Vgl. Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 325.
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direkte Übertragung des Bedeutungsgehaltes der beiden Bestimmungen bei der Auslegung des Art. 20 II GG zwar nicht möglich. Allerdings liegt der Schluss nahe, dass sich, wenn das Volk „vor“ und „nach“ der Verfassung als deutsches Volk bezeichnet ist, auch das Volk während der Geltung der Verfassung und somit „unter“ der Verfassung aus deutschen Staatsangehörigen zusammensetzt und nicht unabhängig von der Staatsangehörigkeit zu bestimmen ist. 151 Zum gleichen Ergebnis kommt auch die Argumentation Dederers, nach der „alle Staatsgewalt“ i. S. d. Art. 20 II GG auch die verfassungsgebende Staatsgewalt umfasst. Letztere liegt nach Art. 146 HS 2 GG beim deutschen Volk, so dass der Träger der Staatsgewalt nach Art. 20 II GG nach dieser Argumentation auch das deutsche Volk sein muss. 152 Des Weiteren sprechen Art. 56 und Art 64 II GG sowie Art. 33 II GG dafür, dass sich das vom Grundgesetz errichtete Demokratieprinzip auf das deutsche Volk bezieht 153 und insoweit nicht von einem offenen und wandelbaren Legitimationssubjekt ausgeht: So leisten Bundespräsident, Bundeskanzler und die Minister den Eid, ihre Kraft dem deutschen Volk zu widmen. Diese Eidesformel verdeutlicht die Rückanbindung an das deutsche Volk, die sich daraus erklärt, dass sie von diesem – zumindest mittelbar – ihre Legitimation ableiten. Somit muss also kongruent auch das in Art. 20 II GG als Legitimationssubjekt genannte Volk das deutsche Volk sein. Art. 33 II GG wiederum gewährt den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern auch nur den Deutschen. Wenn dem Grundgesetz das Verständnis zugrunde läge, dass jeder von Herrschaft Betroffene als demokratisches Legitimationssubjekt in Frage käme, dann müsste auch der besondere Gleichheitssatz des Art. 33 II GG für alle gelten. Ferner korreliert ein Volksbegriff, nach dem sich das Volk aus allen Staatsbürgern zusammensetzt, mit den demokratischen Mitwirkungsrechten auf Bundesebene, da auch das Wahlrecht die Staatsbürgerschaft voraussetzt. 154 Auch dieser „Konnex von Rechten und Pflichten“ 155, spricht somit für eine Auslegung des Volksbegriffs in Art. 20 GG als deutsches Staatsvolk. 156 Es kann also festgehalten werden, dass sowohl Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 20 II GG als auch die Systematik des Grundgesetzes für 151
Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 209; Isensee in: FS für P. Mikat, 1989, S. 721 f., die aber beide auf Art. 146 a. F. abstellen. 152 Dederer Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 192 f. 153 Vgl. auch BVerfGE 83, S. 37, 51. 154 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24 Rn. 27 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 207. 155 Dreier, in: ders., GG Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn 94; SchmidtAßmann, AöR 116 (1991) S. 329, 351 spricht von der Symmetrie zwischen bürgerschaftlichen Lasten und Berechtigungen. 156 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 351.
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das Verständnis der monistischen Sichtweise sprechen, nach dem Volk i. S.d. Art. 20 II GG als deutsches Staatsvolk zu verstehen ist. 4. Teleologische Argumente der pluralistischen Konzeption Gegen dieses vorläufige Auslegungsergebnis werden von den Anhängern der pluralistischen These teleologische Überlegungen ins Feld geführt. Bereits oben wurde dargelegt, dass teleologische Argumente durchaus bei der Normauslegung Beachtung finden. Da aber hier der Wortsinn, die Entstehungsgeschichte und der Bedeutungszusammenhang der Norm bereits eine Deutung im Sinne der monistischen Interpretation stützen, müssten die teleologischen Gründe, die gegen eine solche Deutung sprechen, besonders schwer wiegen. Bevor aber auf die Frage nach dem Gewicht der Gründe einzugehen ist, sind zunächst die teleologischen Erwägungen, die für eine Interpretation des Volksbegriffes im Sinne einer Herrschaftsbetroffenheit sprechen, auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Sofern die Argumente nicht überzeugen können, stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis der verschiedenen Auslegungsmethoden nicht mehr. 157 a) Demokratieprinzip als Verfassungsprinzip Die pluralistische Konzeption hält dem auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik gestützten Auslegungsergebnis zunächst entgegen, das Demokratieprinzip sei – wie auch Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip – als Verfassungsprinzip konzipiert. Als solches sei es nach der „Dogmatik der Verfassungsprinzipien“ 158 offen auszulegen, da die Realisierung und Verwirklichung von Verfassungsprinzipien Aufgabe der politischen Diskussion und Gestaltung sei. 159 Das Demokratieprinzip als Verfassungsprinzip stelle ein Optimierungsgebot dar, also ein Prinzip, das möglichst gut erfüllt werden müsse. Eine Op157 Kommt es auf das Rangverhältnis zwischen den einzelnen Auslegungsmethoden nicht an, ist es auch unerheblich, ob man einige der in diesem Abschnitt zu untersuchenden Argumente der systematischen und nicht der teleologischen Auslegung zuschreibt. Insbesondere die Offenheit des Grundgesetzes für internationale Zusammenarbeit und das Bundesstaatsprinzip, die beide für eine pluralistische Auslegung des Volksbegriffes angeführt werden, weisen enge Bezüge zur systematischen Auslegung auf, da insoweit das Demokratieprinzip nicht isoliert, sondern im Hinblick auf andere in der Verfassung geregelte Grundsätze interpretiert wird. Der Umstand aber, dass im Gegensatz zu den oben angeführten systematischen Überlegungen aus dem Bundesstaatsprinzip und der Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes nicht unmittelbar Schlüsse für die Auslegung des Demokratieprinzips gezogen werden können, sondern diese Grundsätze ihrerseits zuvor zu bestimmen sind, wobei auch wiederum das Demokratieprinzip zu beachten ist, rechtfertigt eine Zuordnung zur teleologischen Auslegung. 158 Bryde, KJ 2000, S. 59, 62. 159 Vgl. Bryde, KJ 2000, S. 59, 61 f.
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timierung der Geltung des Demokratieprinzips ist nach Ansicht der Pluralisten unter Zugrundelegung des Betroffenheitskriteriums besser zu erreichen als beim Staatsangehörigkeitskriterium, da hier – anders als bei letzterem – nicht eine trennscharfe Abgrenzung vorgenommen werden müsse, sondern zwischen größerer und geringerer Betroffenheit unterschieden werden könne und somit eine höhere Flexibilität erzielt werden könne. 160 Ferner könne nur, wenn der Einzelne und seine Betroffenheit als Ausgangspunkt der demokratischen Legitimation genommen würden, die Entscheidungsebene jeweils im Hinblick auf eine Optimierung neu bestimmt werden. Sei dagegen das Kollektiv des deutschen Volkes einzig mögliches Legitimationssubjekt, sei damit auch schon die Entscheidungsebene vorgegeben. 161 Man dürfe durch eine enge Auslegung des Volksbegriffes dem Gesetzgeber nicht seine Gestaltungsspielräume nehmen. Zur Wahrung dieser Spielräume und somit auch zur Wahrung des Prinzipiencharakters sei eine „offene“ Interpretation des Volksbegriffes unabdingbar. Der monistischen Auffassung wird vorgeworfen, dass sie über die Auslegung des Art. 20 II S. 1 GG und die Gleichsetzung von „Volk“ mit dem deutschen Staatsvolk letztlich gegen das „Gebot der offenen Auslegung von Verfassungsprinzipien“ 162 verstoße und so durch die Hintertür das vom Grundgesetz offen angelegte Demokratieprinzip auf die eine monistische Demokratietheorie verenge. 163 Im Folgenden ist zu untersuchen, inwieweit diese Kritik an der monistischen Sichtweise gerechtfertigt ist. Dazu ist zunächst die rechtstheoretische Unterscheidung von Regeln und Prinzipien, die der Kritik zugrunde liegt, kurz darzustellen. Dann ist anhand der erarbeiteten Unterscheidungskriterien zu klären, inwieweit die Kategorisierung von Normen in Regeln und Prinzipien überhaupt für die Frage der Auslegung des Demokratieprinzips, insbesondere die hier interessierende Frage nach der Auslegung des Volksbegriffes, nutzbar gemacht werden kann. aa) Die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien Zunächst einmal sind der Begriff der Regel und des Prinzips zu klären, die der Kritik durch die pluralistische Sichtweise zugrunde liegen, und es sind die Kriterien darzulegen, anhand derer sich beide unterscheiden. Hierbei muss im Auge behalten werden, dass bei dieser Unterscheidung die Detailfragen umstritten sind. Auf die verschiedenen Ansichten muss jedoch hier nicht vertieft eingegangen werden, da sich zeigen wird, dass die rechtstheoretische Kategorisierung von 160
Bryde, KJ 2000, S. 59, 64. Vgl. dazu Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 85 ff.; vgl. auch Bryde, KJ 2000, S. 59, 65. 162 Bryde, KJ 2000, S. 59, 61. 163 Bryde, KJ 2000, S. 59, 61; ders., StWStP 5 (1994), S. 305, 323 f. 161
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Normen in Regeln und Prinzipien bei der Bestimmung des Volksbegriffes des Art. 20 II GG nicht fruchtbar gemacht werden kann. Es sollen damit an dieser Stelle lediglich knapp die Grundgedanken der Unterscheidung aufgezeigt werden, um zum einen die Kritik der pluralistischen an der monistischen Konzeption nachvollziehen und zum anderen diese Kritik zurückweisen zu können. (1) Differenzierungskriterien In Deutschland hat insbesondere Alexy 164 die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln herausgearbeitet und in der deutschen Rechtstheorie etabliert, wobei er Ideen Dworkins 165 bzw. Essers 166 aufgriff. An den Ausführungen Alexys soll sich daher die folgende Darstellung weitestgehend orientieren. Alexy legt bei seiner Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien die These zugrunde, dass sich beide qualitativ oder „logisch“ 167 unterscheiden lassen (sog. strenge Trennungsthese). Von einer Unterscheidung in der Normstruktur geht auch die sog. schwache Trennungsthese aus, jedoch ist der Unterschied nach dieser Ansicht ausschließlich gradueller Art und bestimmt sich nach dem Generalitätsgrad der Norm, so dass die Übergänge zwischen Regeln und Prinzipien fließend sind. Eine weitere Ansicht schließlich, die Übereinstimmungs- oder Verbindungsthese, verneint das Bestehen eines normstrukturellen Unterschiedes zwischen Regeln und Prinzipien. 168 Die Kritik an der monistischen Interpretation des Volksbegriffes legt die strenge Trennungsthese Alexys zugrunde, so dass von einer grundsätzlichen Differenzierbarkeit zwischen Regeln und Prinzipien ausgegangen wird. Allerdings ist auch hiernach das Unterscheidungskriterium des Generalitätsgrades der Norm nicht völlig ausgeschlossen: Da Prinzipien häufig generell formuliert sind und somit grundsätzlich eine höhere Unbestimmtheit als Regeln aufweisen, ist ein ho164 Alexy, Theorie der Grundrechte, Erstauflage 1985, hier zitiert nach der 3. Auflage, 1996 (unveränderter Neudruck), S. 71 ff.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 177 ff. 165 Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, 1978; in der deutschen Übersetzung von 1990: Bürgerrechte ernst genommen. 166 Erstmalig wurde die Unterscheidung wohl von Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956 getroffen, so Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 531; Dreier in: ders., GG, Bd. I, 2. Aufl., 2004, Vorb. zu Art. 1, Rn. 79. 167 In Anlehnung an die Terminologie Dworkins: Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 182 ff. 168 Vgl. zur Darstellung der verschiedenen Theorien: Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 182 ff.; Borowski, JöR n.F. 50 (2002), S. 301, 313 ff.; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, S. 52 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 532 ff.; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 98 ff.
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her Generalitätsgrad der Norm ein Indiz für ihren Prinzipiencharakter. Der Grad der Generalität kann also ein Merkmal sein, das eine Differenzierung ermöglicht, auch wenn dies nicht immer der Fall ist, da es nicht nur Prinzipien, sondern auch Regeln mit einem hohen Generalitätsgrad gibt. 169 Aus diesem Grund stellt die strenge Trennungsthese im Gegensatz zur schwachen Konzeption auch nicht ausschließlich auf die Generalität als Unterscheidungskriterium ab. Die Tatsache aber, dass auch sie die Generalität der Norm als ein Unterscheidungskriterium heranzieht, bewirkt, dass der Unterschied zur schwachen Trennungsthese relativ gering ist 170 und sich letztlich lediglich darin äußert, dass im Rahmen der starken Trennungsthese eine eindeutige Zuordnung einer Norm verlangt wird und es keine fließenden Übergänge zwischen den Kategorien gibt. 171 Als weiteres Abgrenzungskriterium neben dem Generalitätsgrad der Norm hat Dworkin den „Alles-oder-nichts“ Charakter von Regeln betont, der bewirkt, dass die in einer Regel angeordnete Rechtsfolge eintritt, wenn die normierten Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind. Zwar gebe es auch zu Regeln Ausnahmen, die ein Eingreifen der normierten Rechtsfolgen verhindern, diese seien im Gegensatz zu Prinzipien aber quasi im Vorfeld bekannt und theoretisch aufzählbar, so dass eine vollständige Formulierung unter Nennung der Ausnahmen möglich sei. 172 Diese Möglichkeit der Aufzählbarkeit der Ausnahmen bestreitet Alexy, so dass er den Alles-oder-Nichts-Charakter von Regeln als Unterscheidungskriterium ablehnt. 173 Seine Differenzierung ist jedoch nicht grundlegend andersartig, sondern baut in gewisser Weise auf den Gedanken Dworkins auf: Auch Alexy sieht als Charakteristikum von Regeln an, dass sie „stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können“, und „Festsetzungen im Raum des tatsächlich und rechtlich Möglichen enthalten“. 174 Im Gegensatz dazu ordnen Prinzipien an, „daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“ 175. Aus diesem Grund bezeichnet Alexy 169 Vgl. zur grundsätzlich höheren Generalität von Prinzipien im Vergleich zu Normen auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 533, Fn. 134; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 94 f., der dem Kriterium der Generalität ein „relatives Recht“ beimisst. 170 Dass sich strenge und schwache Trennungsthese bei der Heranziehung des Generalitätsgrades als eines der möglichen Kriterien nicht ausschließen, sondern miteinander vereinbar sind, stellt Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 184, Fn. 39 heraus. Er spricht insoweit von einer „abgeschwächte[n] schwache[n] Trennungsthese“. 171 Borowski, JöR n. F. 50 (2002), S. 301 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 77; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 187, Fn. 63, wo Ausführungen Canaris’ und Larenz’, die sich auf fließende Übergänge zwischen Prinzipien und Regeln beziehen, als Abschwächungen zu der von beiden im Grundsatz vertretenen strengen Trennungsthese gewertet werden. 172 Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, 1990, S. 58 f. 173 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 188 ff. 174 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 75 f. (Hervorhebung im Original).
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Prinzipien als Optimierungsgebote, da sie nicht entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können, sondern ihr Grad der Erfüllung bei angestrebter höchstmöglicher Erfüllung unterschiedlich hoch sein kann, je nach den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten. (2) Unterschiedliches Kollisionsverhalten Aus der hier dargelegten Abgrenzung zwischen Prinzipien und Regeln ergeben sich Unterschiede zwischen den beiden Normkategorien im Falle der Kollision: Bei einer Kollision von zwei Regeln 176 ist, sofern nicht die eine Regel als Ausnahme zu der anderen Regel zu verstehen ist, eine der Regeln für ungültig zu erklären, so dass nur die andere gilt. Dies geschieht durch Kollisionsregeln wie beispielsweise den lex-spezialis-Grundsatz. Regelkonflikte spielen sich also auf der Ebene der Geltung ab. 177 Bei der Kollision von Prinzipien hingegen ist im Einzelfall zu entscheiden, welches der Prinzipien zurücktreten muss. Das im Einzelfall zurücktretende Prinzip kommt dann zwar im konkreten Fall nicht oder nur eingeschränkt zur Anwendung, das heißt aber nicht, dass es ungültig wäre oder ein Vorrang des anderen Prinzips schon für alle zukünftigen Kollisionsfälle feststünde. In anders gelagerten Fällen kann vielmehr die Abwägung zugunsten dieses Prinzips ausfallen und das andere Prinzip zurücktreten. Die Kollision von Prinzipien entscheidet also nicht über die Gültigkeit der Prinzipien, sondern darüber, welchem Prinzip im konkreten Fall das höhere Gewicht zukommt. 178 Diese Unterscheidung von Regeln und Prinzipien im Kollisionsfall ist von Alexy noch differenziert worden durch das Kriterium des prima-facie-Charakters von Regeln und Prinzipien. Diese weitere Differenzierung ist deshalb nötig, da auch Regeln (ungeschriebene) Vorbehaltsklauseln enthalten können, die sich auf ein Prinzip beziehen, so dass auch auf der Regelebene eine Abwägung stattfinden kann. Im Gegensatz zu einer Abwägung zwischen zwei Prinzipien gilt aber hier eine prima-facie Vermutung für die Geltung der Regel. D. h., derjenige, der sich auf die Ausnahme von der Regel aufgrund eines Prinzips beruft, trägt die Darlegungslast. 179
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Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 75. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 77 (s. auch Fn. 28) spricht insoweit von Konflikt und behält den Begriff der Kollision der Prinzipienebene vor, um den Unterschied zu verdeutlichen. 177 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 78. 178 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 79. 179 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 201 f. 176
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bb) Grundlegende Kritik an der Prinzipientheorie Gegen die soeben dargestellte Prinzipientheorie, die von den Anhängern eines pluralistischen Volksbegriffes zur Auslegung herangezogen werden soll, bestehen zunächst grundlegende Bedenken: So kann als Kritikpunkt angeführt werden, dass sie von außen an die Verfassung herangetragen wird. Die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien findet innerhalb der Verfassung keinerlei Stütze und wird im Grundgesetz auch nicht in Bezug genommen. Die Begriffe der Regel und des Prinzips im oben dargestellten Sinne Alexys sind also nicht durch das geltende Recht vorgegeben. Ferner deckt sich der Prinzipienbegriff Alexys auch nicht mit dem allgemeinen (juristischen) Sprachgebrauch: Hier wird die Bezeichnung einer Norm als „Prinzip“ häufig gewählt, um ihre grundlegende Bedeutung zu unterstreichen. 180 Von grundlegender Bedeutung für das Rechtssystem oder ein einzelnes Rechtsgebiet können aber auch Regeln sein. 181 Neben diesen eher vordergründigen Kritikpunkten sind weitere Schwächen der Prinzipientheorie zu nennen, die sie in ihrem Kern treffen: Aus der obigen Darstellung der Prinzipientheorie ist bereits deutlich geworden, dass sich die Unterschiede der beiden Normarten in ihrem Kollisionsverhalten niederschlagen. Das Kollisionsverhalten einer Norm kann also untechnisch als Rechtsfolge ihrer Einordnung als Regel oder Prinzip angesehen werden. 182 Letztlich darf dieser Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien im Falle einer Kollision aber nicht überschätzt werden: Der zunächst als grundlegend dargestellte Unterschied, wonach Regeln nur entweder vollständig zu erfüllen oder aber ungültig sind, Prinzipien hingegen von vornherein unter dem Vorbehalt der Abwägung stehen, schrumpft bei genauerer Betrachtung auf einen solchen des „ersten Anscheins“ zusammen. Ein Prinzip kann aufgrund von anderen Regeln oder Prinzipien eingeschränkt werden. Eine Regel kann aber ebenso entweder aufgrund von anderen Regeln oder aufgrund von Prinzipien zurücktreten, wobei im letzten Fall aufgrund der prima-facie Vermutung zugunsten der Geltung von Regeln allenfalls der Begründungsaufwand größer wäre. 183 180 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 92 f.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 205, Fn. 96; auch Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 414. 181 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 92 f.; ders. Recht, Vernunft Diskurs, 1995, S. 205, Fn. 96 gibt hierfür das Beispiel der Vorschrift „nulla poena sine lege“ (Art. 103 II GG, § 1 StGB), bei der es sich um eine Regel handele, die aufgrund ihrer großen Bedeutung häufig als „Prinzip“ bezeichnet werde. Vgl. dazu auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 219 mit Fn. 56, der diese Einordnung als Regel mit Hinblick auf die Mauerschützenprozesse relativiert und so auf den aposteriorischen Charakter der Qualifikation als Regel oder Prinzip hinweist. 182 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 536. 183 Vgl. die Kritik Mehdes, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 540 ff. an der Auffassung Jestaedts, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung,
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Hinzu treten Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Einordnung einer Norm in die Kategorien der Regel und des Prinzips: Zwar ist nach der strengen Trennungsthese eine Norm immer nur entweder Regel oder Prinzip, ohne dass es fließende Übergänge zwischen beiden Kategorien gibt. Daraus folgt jedoch wiederum nicht, dass die Differenzierung trennscharf und ohne jegliche Abgrenzungsschwierigkeiten möglich sein muss. Das Bestehen von Abgrenzungsschwierigkeiten ist nicht gleichzusetzen mit dem Bestehen eines fließenden Übergangs, der in dem alleinigen Abstellen auf den Generalitätsgrad der Norm begründet liegt: Während bei einem fließenden Übergang zwischen Regeln und Prinzipien eine Norm auch nur überwiegend als Prinzip oder Regel oder als zwischen beiden Polen liegend eingeordnet werden könnte, ist bei einer qualitativen Unterscheidung eine ausschließliche Einordnung als Regel oder Prinzip möglich, auch wenn diese dann strittig ist. 184 So wird auch wenn man der strengen Trennungsthese folgt, nach der eine Norm, die sich nach dem semantischen Normbegriff als Bedeutung eines Normsatzes definiert, 185 nicht gleichzeitig Regel und Prinzip sein kann, eine Abgrenzung dadurch erschwert, dass der Normsatz selbst beide Kategorien enthalten kann. 186 Durch diese Konstruktion vermeidet man zwar in der theoretischen Konstruktion die Unschärfen, die die fließenden Übergänge zwischen den Normkategorien unter Zugrundelegung der schwachen Trennungsthese mit sich bringen, aber man vermeidet sie nicht endgültig, sondern verschiebt sie lediglich auf die Ebene der Rechtsanwendung, wo sie in Form von Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten. 187 1993, S. 586, der unter Berufung auf Alexy von einem absoluten Vorrang der Regelebene gegenüber der Prinzipienebene ausgeht. Ein solcher absoluter Vorrang ist nach dem oben dargelegten Modell Alexys in der Tat nicht gegeben. Vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 502, Fn. 96. 184 Vgl. auch Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 181, der allerdings im Rahmen des Verfassungsrechts für eine Abgrenzung anhand des Merkmals der Generalität plädiert und die dadurch bedingten fließenden Übergänge für unschädlich hält, da auch nach der strengen Trennungstheorie Abgrenzungsschwierigkeiten aufträten: „Überdies stellen Grauzonen [...] eine qualitative Abgrenzung überhaupt nicht in Frage: Die Unterscheidung zwischen Schwarz und Weiß wird nicht dadurch sinnlos, dass zwischen ihnen zahlreiche Grautöne liegen.“ Diese Feststellung wird durch die Tatsache der umstrittenen Einordnung des Demokratieprinzips gestützt, auch wenn ihr aufgrund der scheinbaren Gleichsetzung von Abgrenzungsschwierigkeiten (Grauzonen) und fließenden Übergängen nicht uneingeschränkt zugestimmt werden kann. 185 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 40 ff., insbes. S. 43. 186 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 180, Borowski, JöR n.F. 50 (2002), S. 301, 314, Fn. 71; ders., Grundrechte als Prinzipien, 1998 S. 85 ff., insbes. S. 87; Vor diesem Hintergrund müssen wohl auch Alexys Ausführungen zur Menschenwürde (Theorie der Grundrechte, 1996, S. 94 ff.) und zum Doppelcharakter der Grundrechtsnormen (ders., a.a. O., S. 122 ff.) verstanden werden. Vgl. dazu Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 180 mit Fn. 673 und Borowski, JöR n.F. 50 (2002), S. 301, 314, Fn. 71. Vgl. auch ohne Unterscheidung zwischen Norm und Normsatz: Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 361 mit Fn. 166, S. 412.
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Diese Schwierigkeit zu bestimmen, wann es sich bei einer Norm um ein Prinzip handelt und wann eine Regel vorliegt, wäre noch kein Grund, den Rekurs auf die Prinzipientheorie zu Zwecken der Rechtserkenntnis abzulehnen, da bei der Anwendung einer Theorie auf den konkreten Einzelfall häufig faktische Schwierigkeiten in Form von Abgrenzungsproblemen auftreten. Allerdings sind die Schwierigkeiten in der Abgrenzung der Kategorien nur ein Symptom für eine grundlegendere Schwäche der Prinzipientheorie, die sich auftut, sofern man sie zur Rechtserkenntnis heranziehen will: Die Theorie beschreibt zwar das Kollisionsverhalten von Regeln und Prinzipien, gibt aber keine brauchbaren Kriterien vor, wonach im vorhinein festgestellt werden kann, welche der beiden Normarten vorliegt. Die oben genannten Kriterien der Generalität und des Optimierungscharakters von Prinzipien sind hierzu nicht geeignet. Bezüglich der Allgemeinheit der Norm ist bereits oben dargelegt worden, dass sie bestenfalls als Indiz für das Vorliegen eines Prinzips dienen kann, da auch Regeln allgemein und abstrakt formuliert sein können. Sofern der Prinzipiencharakter einer Norm aus ihrer Abwägungsfähigkeit gefolgert wird, 188 ist dies ein logischer Zirkelschluss: Wenn die Abwägbarkeit im Kollisionsfall nach der Prinzipientheorie als „Rechtsfolge“ des Prinzipiencharakters einer Norm angesehen werden kann, kann diese nicht gleichzeitig als Kriterium zur Beantwortung der Frage dienen, ob überhaupt ein Prinzip vorliegt. 189 So hat die Prinzipientheorie Alexys vornehmlich deskriptive Züge und ist nicht dazu geeignet, Auslegungsergebnisse zu bestimmen oder festzulegen. 190 Ihr Nutzen liegt darin, dass sie bestimmen kann, „was zu begründen ist, wenn ein Regelkonflikt oder eine Prinzipienkollision vorliegt.“ 191 Sie dient also dazu, 187 Vgl. auch Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 180, allerdings von seinem eigenen Ansatz aus. 188 Dies ist letztlich der Fall, wenn Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 75 f. den Optimierungscharakter der Norm als ausschlaggebend für das Vorliegen eines Prinzips ansieht. Der Optimierungscharakter ist seinerseits aufs engste mit der Abwägbarkeit verbunden, da die Abwägbarkeit letztlich nichts anderes bedeutet, als dass eine Norm nicht strikt, sondern nur bestmöglichst zu erfüllen ist. 189 Vgl. auch Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 502: „[...] andererseits kommt der Hinweis auf Abwägungserfordernisse zur Begründung eines Prinzipiencharakters einer petitio principii zumindest gefährlich nahe.“; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 214 ff. mit Fn. 44; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 305, S. 317 ff. 190 Vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 361: „Die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien ist freilich eine idealtypische und darf daher die konkrete Verfassungsauslegung nicht schematisch prädisponieren.“; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 616; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 531 spricht in Anlehnung an Dreier, in: ders. GG, Bd. I, 2. Aufl., 2004, Vorb. zu Art. 1, Rn 79 von der Kategorienbildung als einer „analytischen Folie“. Vgl. auch Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, 1988, S. 123: Die Lehre von den Prinzipien „ist im Ansatz deskriptiv und analytisch“. 191 So Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 214.
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die juristische Argumentation zu strukturieren und durchsichtiger zu machen 192 und wird daher auch häufig als „analytische Folie“ bezeichnet. 193 Ob aber ein Konflikt zwischen zwei Normen als Regel- oder Prinzipienkollision zu qualifizieren ist, kann die Prinzipientheorie nicht entscheiden. Sofern sie über den strukturanalytischen Aspekt hinausgehend zur Rechtserkenntnis, also zur Auslegung, herangezogen werden soll, sieht sie sich daher den obigen Einwänden ausgesetzt. 194 cc) Anwendung auf das Demokratiegebot des Grundgesetzes Bereits im Rahmen der grundlegenden Kritik an der Prinzipientheorie ist deutlich geworden, dass aus der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien keinerlei Rückschlüsse für die Rechtserkenntnis gezogen werden können. Der Grund hierfür liegt vor allem in dem soeben dargelegten deskriptiven Charakter der Prinzipientheorie: Die Prinzipientheorie kann nicht bestimmen, wann eine Norm Regel- und wann Prinzipiencharakter hat. Eine solche „Vorab-Bestimmung“ der Normkategorie wäre aber erforderlich, um aus ihr Rückschlüsse für die Auslegung zu ziehen, wenn man sich nicht dem Vorwurf eines Zirkelschlusses aussetzen will. Wenn im Folgenden die Anwendung der Prinzipientheorie auf das Demokratieprinzip untersucht wird, kann es also nicht darum gehen zu untersuchen, ob das Demokratiegebot als Regel oder als Prinzip einzuordnen ist, da eine solche Zuordnung nach der Prinzipientheorie eben nicht möglich ist. Vielmehr werden zunächst die oben dargelegten Schwächen der Prinzipientheorie noch einmal im Hinblick auf das Demokratieprinzip verdeutlicht. Hierbei wird auch ein weiterer Schwachpunkt der Prinzipientheorie deutlich, der in ihrer binären Einteilung der Normen begründet liegt. Zum anderen wird dargelegt, 192
Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 71; S. 518 ff., wobei sich der letzte Nachweis zwar auf die materiale Grundrechtstheorie bezieht, die Feststellungen bezüglich des praktischen Werts des prima-facie Vorrangs gelten jedoch auch bei der Regel- und Prinzipienebene. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, S. 32: „[...] wichtigster Stoff [der Grundrechtstheorie, deren Bestandteil die Kategorisierung von Regeln und Prinzipien ist,] ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Insofern hat sie einen empirisch-analytischen Charakter.“; Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 501: „[...] wesentlich dem methodologischen Bereich verhaftet. Dabei hat die Kategorie des ‚Prinzips‘ im wesentlichen die Aufgabe, die zu den Problemen der Grundrechtsbegrenzung und Grundrechtskollision vor allem auch in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen Abwägungsnotwendigkeiten widerspruchsfrei darzustellen“. 193 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 531 in Anlehnung an Dreier, in: ders. GG, Bd. I, 2. Aufl., 2004, Vorb. zu Art. 1, Rn 79. 194 Vgl. insoweit für Alexy die Verbindung der Prinzipientheorie mit der „Theorie der juristischen Argumentation“ sein gleichnamiges Werk, 1983, S. 259 ff. und die Kritik bei Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 215 ff. Für die Bürgerrechtstheorie Dworkins vgl. die Darstellung und Kritik von Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 306 ff., insbes. S. 317 ff.
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dass selbst wenn man von dem Umstand, dass die Prinzipientheorie nicht zu sagen vermag, wann eine Norm als Regel und wann als Prinzip einzuordnen ist, einmal absieht und den Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes voraussetzt, ein Volksbegriff, der auf das Individuum und seine Betroffenheit abstellt, nicht mit dem Prinzipiencharakter der Norm zu begründen ist. (1) Verdeutlichung der Schwächen der Prinzipientheorie bei ihrer Anwendung auf das Demokratieprinzip Die oben dargestellten Schwachpunkte, die für die Prinzipientheorie im Allgemeinen gelten, treten besonders deutlich zu Tage, wenn man die Versuche in der Literatur betrachtet, das Demokratiegebot in die Kategorien der Regel oder des Prinzips einzuordnen. Zwar scheint die gängige Bezeichnung des Demokratiegebotes als Demokratieprinzip, die auch in den vorhergehenden Ausführungen häufig verwendet wurde, dafür zu sprechen, dass Einigkeit über eine Einordnung des Art. 20 II S. 1 GG in die Kategorie des Prinzips besteht. Dies ist jedoch nicht der Fall: Die Verwendung des Prinzipienbegriffes erfolgt häufig lediglich gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch, um die grundsätzliche Bedeutung der Demokratie zu kennzeichnen, und nicht als Abgrenzung zur Regel im Sinne Alexys. Aber auch wenn man lediglich diejenigen Autoren betrachtet, die dem Prinzipienbegriff die oben dargelegte rechtstheoretische Differenzierung nach Alexy oder zumindest ähnliche, an diese angelehnte Unterscheidungskriterien zugrunde legen, finden sich sowohl Einordnungen des Demokratiegebotes als Prinzip 195 als auch als Regel. 196 Diese Abgrenzungsschwierigkeiten bestätigen bereits die oben dargelegten Zweifel am Nutzen der theoretischen Unterscheidung bei der Suche nach konkreten Antworten auf verfassungsrechtliche Fragestellungen. 197 Somit verzichten auch einige Autoren, die das Demokratiegebot des Grundgesetzes behandeln, darauf, eine ausdrückliche Zuordnung des Gebotes als Regel 195 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 542 ff.; Bryde, KJ 2000, S. 59, S. 61 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 616 ff.; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 130; Schnapp, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 4. / 5. Auflage, 2001, Art. 20 Rn. 6; Volkmann in: Friauf / Höfling (Hrsg), Berliner Kommentar zum GG, Bd. 2, Art. 20, 2001, Rn. 38; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 325 ff.; mit Einschränkungen: Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 129, 137 ff., der bezüglich dem in Art. 20 I GG angesprochenen Demokratiegebot von einem Prinzip ausgeht, Art. 20 II GG aber Regelcharakter beimisst; Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 258 f., wobei aber die gegenüber Alexy eigenständige Abgrenzung von Regeln und Prinzipien zu beachten ist, vgl. auch S. 333 ff., wo das Demokratieprinzip nicht als Optimierungs-, sondern „Niveaugebot“ verstanden wird. 196 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 585; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 68 ff., 426 f. mit Fn. 65. 197 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 616.
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oder Prinzip zu treffen. 198 Andere Autoren, die eine solche Zuordnung vornehmen, ziehen dann bei der Analyse der in der Literatur vertretenen Ansichten aus dem Umgang dieser Juristen mit dem Demokratiegebot Rückschlüsse über seine rechtstheoretische Verortung. 199 Solche Rückschlüsse sind jedoch problematisch: Nimmt man die Prinzipientheorie Alexys beim Wort, so kann aus der Tatsache, dass das Demokratiegebot aufgrund von Kollisionen mit anderen Prinzipien eingeschränkt wird, nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass einer solchen Vorgehensweise eine konkludente Einordnung als Prinzip zu entnehmen ist, da eben auch auf der Regelebene eine Abwägung stattfinden kann. Schließt man dennoch von der Behandlung des Demokratiegebotes auf die rechtstheoretische Einordnung, so zeigt dies erneut, dass die Abwägungsfähigkeit des Demokratieprinzips und seine rechtstheoretische Einordnung wechselbezüglich sind. 200 Das Vorliegen eines Zirkelschlusses wird auch dann deutlich, wenn der Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes nicht auf die Abwägungsfähigkeit, sondern – wie es ebenfalls anzutreffen ist – auf die Konkretisierungsoffenheit des Art. 20 I oder II GG gestützt wird. 201 Aus der Konkretisierungsoffenheit bei der juristischen Auslegung wird in diesem Fall der Prinzipiencharakter hergeleitet 198 Vgl. z. B. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24: Der Titel des Beitrages „Demokratie als Verfassungsprinzip“ spricht zwar für eine Zuordnung des Demokratiegebotes zur Kategorie des Prinzips, jedoch erfolgt eine solche nicht ausdrücklich und auch die Prinzipientheorie Alexys wird nicht in Bezug genommen. 199 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 546, der aus der Tatsache, dass Böckenförde eine Rechtfertigung des Defizits demokratischer Legitimation bei der funktionalen Selbstverwaltung aus „besonderen sachlichen Notwendigkeiten“ für möglich hält (HStR II, 2004, § 24, Rn. 34), folgert, dass von dem Demokratiegebot als Prinzip ausgegangen wird, ohne dies ausdrücklich offen zu legen. 200 Auf diese „Verwobenheit“ weist auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 540 hin. Allerdings ist es nicht zwingend so, dass Anhänger der monistischen Konzeption von einer Regelwirkweise des Demokratiegebotes ausgehen, wie schon die Ausführungen zu Böckenförde in der vorangehenden Fußnote zeigen. Dies liegt darin begründet, dass die Frage nach dem Legitimationssubjekt von der Frage nach der grundsätzlichen Abwägbarkeit des Demokratiegebotes unterschieden werden muss. Auch wenn man vom deutschen Staatsvolk als grundsätzlich einzigem Legitimationssubjekt des grundgesetzlichen Demokratiegebotes ausgeht, so heißt dies nicht, dass nicht Einschränkungen im Rahmen einer Abwägung vorgenommen werden können. 201 Vgl. Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 162: „Schließlich beinhaltet auch die Garantie der Demokratie nach Art. 20 Abs. 1 GG keinerlei bestimmte Festlegungen über die konkrete Ausgestaltung der Herrschaft des Volkes im Rahmen der jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten und ist insofern als Prinzip einzuordnen.“; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 617 stellt auf die Offenheit des Norminhalts ab, durch den ein unmittelbarer Vollzug nicht möglich ist, so dass weitere Konkretisierungen erforderlich sind. Zum Optimierungsgebot: ders., a.a. O.: S 619, Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 543.
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und dann quasi als Rechtsfolge aus der Einordnung als Prinzip der Schluss gezogen, dass somit „in jedem Falle die Offenheit für die Argumentation vergrößert worden ist“. 202 Dass eine Norm, die einen hohen Generalitätsgrad aufweist, bei der Auslegung gewisse Spielräume offen lässt, ist aber eine Einsicht, die nicht erst über den Umweg der Prinzipientheorie erschlossen werden muss. Im Übrigen ist gegenüber einem solchen Vorgehen in Erinnerung zu rufen, dass die Konkretisierungsoffenheit einer Norm, die durch deren Generalitätsgrad bedingt ist, ein zweifelhaftes Kriterium darstellt, da auch Regeln generell formuliert und somit konkretisierungsbedürftig sein können. Ferner erscheint der Sinn dieser Unterscheidung auch dadurch in Frage gestellt, dass auch diejenigen Autoren, die eine Zuordnung des Demokratiegebotes zur Regelebene befürworten, die Konkretisierungsoffenheit gar nicht in Abrede stellen. 203 Somit treten also die Schwächen der Prinzipientheorie deutlich zu Tage, wenn man den abstrakt-theoretischen Bereich verlässt und das Demokratiegebot als konkrete Verfassungsnorm anhand der Kategorisierung einzuordnen sucht. Die zirkulären Argumentationsstrukturen, die bei einer Analyse der in der Literatur vertretenen Ansichten aufzufinden sind, dienen als Demonstration dafür, dass der Prinzipientheorie keine handhabbaren Kriterien für die Zuordnung einer Norm zu entnehmen sind. (2) Staatsziele und Staatsstrukturbestimmungen Hinzu kommt ein weiteres Problem, dass sich in der Anwendung der Prinzipientheorie auf das Demokratiegebot stellt: Die Prinzipientheorie Alexys ist vornehmlich für den Bereich der Grundrechte entwickelt worden. Zwar kann sie auch für andere (Verfassungs-)normen fruchtbar gemacht werden, 204 eine solche Übertragung auf andere Verfassungsnormen und somit auch auf die Grundsätze des Art. 20 GG bedarf aber der Begründung und kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Dies gilt umso mehr, als sich die Kategorisierung in Regeln und Prinzipien im Bereich des Art. 20 GG einer anderen Differenzierung gegenübersieht: der Unterscheidung von Staatszielen und Staatsstrukturprinzipien. Staatsziele werden in dem Sinne verstanden, dass sie künftig noch zu gestaltende und umzusetzende Aufgaben betreffen, also zukunftsweisenden Charakter haben, während Strukturprinzipien bereits in der vom Grundgesetz errichteten Staatsorganisation verwirklicht sind und diese bestimmen und prägen. 205 Staatsstrukturprinzipien betreffen somit die Staatsorganisation, die „Bauform“ des 202
Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 549. Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 147, 201 f. 204 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 213 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 612 f.; Lerche, FS für Stern, 1997, S. 197 mit Fn. 2 und w.N., 209. 203
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Staates 206 und Staatsziele die Ausrichtung seines Handelns. Natürlich unterliegen beide Normkategorien bedingt durch diese Unterscheidung nicht in gleicher Weise der Dynamik bzw. weisen nicht den gleichen Grad an Offenheit auf. So haben Strukturprinzipien, die den Staat und seine Organe „strukturieren“ und ihn formen, notwendigerweise in höherem Maße statischen Charakter als die Staatsziele. Aber auch Strukturprinzipien erschöpfen sich nicht in statischen Vorgaben, sondern enthalten auch dynamische Elemente. So verweist Reimer auf die Konstitution und Kreation der Staatsorgane, die dynamisch ist. 207 Mögen auch die Terminologie, mit der die in Art. 20 GG festgelegten Grundsätze rechtlich eingeordnet und erfasst werden sollen, 208 und die jeweiligen Abgrenzungen und Beziehungen zwischen den einzelnen Begrifflichkeiten wie Staatsziel, Staatsstrukturprinzip, Staatszielbestimmung, Staatsstrukturbestimmung oder Verfassungsgrundsatz nicht eindeutig sein, 209 so zeigt jedenfalls dieser Begriffsreichtum, dass es neben der binären Einordnung von Normen in die Kategorien der Regel und des Prinzips weitere Differenzierungen gibt. Auch wenn der in diesem Feld herrschenden Begriffsverwirrung hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann, so erscheinen weitere Differenzierungen sinnvoll, um die oben beschriebenen Unterschiede, die zwischen den einzelnen in Art. 20 GG aufgestellten „Grundsätzen“ bestehen, nicht begrifflich einzuebnen. Eine sol205 Vgl. zu diesem Verständnis von Staatszielen und Staatsstrukturprinzipien auch W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsgrundsätze (-prinzipien), S. 4450. S. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 333, wonach „Verfassungsstrukturentscheidungen“ im Gegensatz zu Staatszielen „staatlichem Handeln nicht bestimmte Aufgaben vor[geben], sondern [es] durchziehen [...] in all seinen Bereichen“. 206 So treffend Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 63. 207 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 196. 208 So sind neben Verfassungsprinzip und Verfassungsgrundsatz, Staatsziel und (Staats-)Strukturprinzip auch die Bezeichnungen Staatszielbestimmung, oder Staatsstrukturbestimmung gebräuchlich. Vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 GG (Einführung), Rn. 8 ff. 209 Teilweise werden die verschiedenen Begriffe auch parallel verwendet, gegeneinander abgegrenzt und häufig zueinander ins Verhältnis von Ober- und Unterbegriff gesetzt: Scheuner, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 223, 227, 233 ff. spricht von Verfassungsprinzipien, die er mit Verfassungsgrundsätzen gleichsetzt, als Oberbegriff und von Staatszielbestimmungen als besonderer Unterfall dieser Kategorie. Auch Badura, HStR VII, 1992, § 159, Rn. 35 ff. gebraucht die Begriffe Verfassungsgrundsätze und Verfassungsprinzipien synonym und als Oberbegriff für „Staatsstrukturbestimmungen“ oder verfassungsgestaltende Grundentscheidungen, Staatszielbestimmungen und sonstige Handlungsdirektiven. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 332 f. spricht von Demokratie als (Verfassungs-)Strukturentscheidung bzw. Strukturprinzip und von der Demokratie als grundgesetzlichem Prinzip (S. 335). Maurer, Staatsrecht I, 5. Aufl., 2007, § 6, Rn 1 verwendet die Begriffe „Grundentscheidungen“, „Grundprinzipien“ (S. 166, Rn. 5) und „Verfassungsprinzipien“ (S. 166, Rn. 8) weitgehend als Synonyme und grenzt sie von Staatszielbestimmungen ab (S. 167 ff.).
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che differenzierte Betrachtung ermöglicht die binäre Prinzipientheorie nicht. 210 Sie erscheint daher zu einfach, um den Grundsätzen des Art. 20 GG gerecht zu werden. Allenfalls könnte man, wie dies häufig anzutreffen ist, den Begriff des Verfassungs„prinzips“ als Oberbegriff ansehen, der sowohl (Staats-)Strukturprinzipien als auch Staatsziele umfasst. 211 Somit wäre zwar die Schwäche der Prinzipientheorie, dass ihre binäre Kategorisierung zu unterkomplex ist, um die Regelungsmechanismen der Verfassung einzufangen, abgemildert. Der Nutzen eines Prinzipienbegriffs als Oberbegriff ist jedoch nur ein geringer, da die Bezeichnungen als Staatsziel oder Strukturprinzip bereits die wesentlichen Definitionsmerkmale des Prinzips enthalten, dabei aber den Vorteil haben, präziser zu sein. Allerdings soll nicht aus den Augen verloren werden, dass auch diese beiden Kategorien rein deskriptiv sind und für die Auslegung einer Norm daher nicht herangezogen werden können. Auch sie beschreiben lediglich das Verhalten einer Norm und auch hier gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten. 212 Insbesondere für das Demokratiegebot ist es umstritten, ob es als Staatsziel oder als Strukturprinzip zu bezeichnen ist. 213 Da aber auch die Einordnung des Demokratiegebotes als Strukturprinzip oder Staatsziel aufgrund ihres deskriptiven Charakters für die hier in Frage stehende Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG irrelevant ist, soll ihr nicht nachgegangen werden. Es sollte im Zusammenhang mit der Prinzipientheorie, die nur zwei Kategorien von Normen kennt, lediglich herausgestellt werden, dass diese Zweiteilung gerade bezüglich des Art. 20 GG unzureichend ist, und die Beschreibung als Staatsziel oder Strukturprinzip im Bereich des Art. 20 GG eine genauere Bezeichnung erlaubt als die Kategorie des Prinzips.
210 Kritik an der zu simplen Zweiteilung von Normen, die durch die Prinzipientheorie vorgenommen wird: Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 216. Vgl. auch Lerche, FS für Stern, 1997, S. 197, 206 f., der kritisiert, dass nach der Definition der Prinzipientheorie Alexys alle Prinzipien Optimierungscharakter haben und dies dazu führe, dass Sachunterschiede verwischt würden. 211 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 62 f.; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 20, Rn. 90; W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 2001, Art. „Verfassungsgrundsätze (-prinzipien)“, S. 4450, der auch vom Verfassungsprinzip als Oberbegriff ausgeht. Allerdings nimmt er keinen Bezug auf die Unterscheidung zur Regel, sondern setzt den Begriff „Prinzip“ mit der grundlegenden Bedeutung und besonderen Wirkkraft gleich. Vgl. aber auch Lerche, FS für Stern, 1997, S. 197, 207, der darauf hinweist, dass das Verhältnis von Staatszielbestimmungen zum Optimierungsgedanken bisher nicht geklärt ist. 212 Vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 373. 213 Vgl. dazu nur Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Auflage 2005, Art. 20, Rn. 88 ff. m.w. N. in den Fußnoten.
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(3) Keine Vorwegnahme einer Abwägung durch erweiterte Auslegung des Volksbegriffes Neben all diesen Gründen, die gegen die Heranziehung der Prinzipientheorie zur Normauslegung sprechen, können auch noch weitere Bedenken gegen die Argumentation der Gegner eines monistischen Volksbegriffes angemeldet werden: Nach dieser Argumentation wird man dem Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes nur durch einen „offenen“ Volksbegriff gerecht. Aus dem Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes wird auf dessen Abwägungsfähigkeit, seinen Optimierungscharakter und das Gebot der offenen Auslegung von Verfassungsprinzipien geschlossen. Daraus wird weiter gefolgert, dass der Volksbegriff „offen“ im Sinne von „Herrschaftsbetroffenheit“ zu verstehen sei, damit so eine höhere Flexibilität erreicht werde, und die Entscheidungsebene immer neu, je nach den Umständen des Falles, bestimmt werden könne. Zum einen kann dieser Argumentation vorgeworfen werden, dass sie den Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes einfach voraussetzt, ohne ihn zu begründen. Dies ist allerdings angesichts der Tatsache, dass eine solche Begründung anhand der Prinzipientheorie nicht möglich ist, nicht weiter verwunderlich. Aber auch, wenn man diesen Aspekt einmal außer Betracht lässt und den Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes unterstellt, kann der Argumentation Folgendes entgegnet werden: Die Frage der rechtstheoretischen Unterscheidung von Normen in Regeln und Prinzipien stellt sich nach der Prinzipientheorie nicht in erster Linie im Zusammenhang mit der Auslegung der in der betreffenden Norm verwendeten Rechtsbegriffe, sondern im Zusammenhang mit ihrem Kollisionsverhalten. Vor diesem Hintergrund wird sie daher auch in der Literatur vornehmlich behandelt. 214 Die oben dargelegte Argumentation, die aus dem Prinzipiencharakter Rückschlüsse für die Auslegung des Volksbegriffes ziehen will, ist schon aus diesem Grund problematisch. Aber auch inhaltlich sind die Rückschlüsse nicht haltbar, die aus dem Prinzipiencharakter auf den Volksbegriff gezogen werden: Aus dem Optimierungscharakter von Prinzipien können keinerlei Rückschlüsse für die Auslegung im Sinne eines „Gebotes offener Auslegung“ getroffen werden. 215 Der Umstand, dass bei einer bestimmten Auslegung eine größere Offenheit und somit größere Spielräume für die politische Gestaltung und die Abwägung bestehen, vermag ein solches Gebot nicht zu begründen: Der Prinzipiencharakter einer Norm besagt, dass das Prinzip im Falle einer Kollision mit anderen Prinzipien im Wege der Abwägung, in der jedes Prinzip weit möglichst berücksichtigt wird, eingeschränkt oder auch vollständig verdrängt werden 214 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 582 ff.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 536. 215 Vgl. auch Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485, 504 f., der im Optimierungsgebot gerade eine Beschränkung des politischen Gestaltungsspielraumes sieht, da nur eine einzige Lösung optimal sein kann.
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kann. Dies bedeutet aber nicht, dass schon bei der Auslegung der in der Norm verwendeten Begriffe eine Kollision quasi vorweg genommen werden muss, und die Begriffe dahingehend zu bestimmen sind, dass Kollisionen von vornherein vermieden werden. Genau in dieser Art wird aber letztlich verfahren, wenn man eine „offene“ Auslegung des Volksbegriffes im Sinne einer Herrschaftsbetroffenheit an die Stelle eines über die Staatsangehörigkeit definierten Volksbegriffes setzen will. Spannungen, die zwischen der Selbstbestimmung des Volkes als Kollektiv der Staatsangehörigen und beispielsweise den Grundrechten des Einzelnen entstehen können, werden so von vornherein vermieden. Dies kann am Beispiel des vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Falles zum schleswigholsteinischen Personalvertretungsgesetz 216 verdeutlicht werden: Sieht man den Bezugspunkt des grundgesetzlichen Demokratieprinzips beim Individuum und seiner Herrschaftsbetroffenheit, so steht die Mitbestimmung der Beschäftigten in Bezug auf innerdienstliche Maßnahmen von vorneherein nicht in einem Spannungsverhältnis zum Demokratiegebot: Aufgrund der Auswirkungen der Entscheidungen im internen Bereich auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind diese gegenüber dem außerhalb der Verwaltung stehendem Bürger in besonderer Weise betroffen. Diese „gesteigerte“ Betroffenheit der Beschäftigten würde besondere Mitentscheidungsbefugnisse als Verwirklichung des Demokratiegebotes erscheinen lassen, sofern man das Demokratiegebot des Grundgesetztes als auf das Individuum und seine Herrschaftsbetroffenheit bezogen anzieht. 217 Lehnt man dagegen mit dem Bundesverfassungsgericht die Betroffenheit als Kriterium ab, 218 so steht die Mitbestimmung in einem Spannungsverhältnis zum Demokratiegebot. Daraus folgert das Gericht aber nicht, dass Mitbestimmung schlechthin unzulässig sei, sondern lediglich, dass ihre Zulässigkeit „unter Würdigung der Bedeutung der beteiligungspflichtigen Maßnahmen sowohl für die Arbeitssituation der Beschäftigten und deren Dienstverhältnis als auch für die Erfüllung des Amtsauftrages zu bestimmen“ sei. 219 Das Gericht nimmt in seiner Entscheidung, ohne dies ausdrücklich klarzustellen, somit letztlich eine Abwägung vor zwischen dem Demokratieprinzip auf der einen und dem Interesse der Bediens216
BVerfGE 93, S. 37 ff. Dieser Gedanke klingt an in der Argumentation der Verteidiger des Mitbestimmungsgesetzes (BVerfGE, 93, S. 37, 59): „Die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes führten aufgrund der spezifischen Betroffenheit und Schutzbedürftigkeit der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei der Gestaltung ihrer Beschäftigungsbedingungen (...) nicht zu einer mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Privilegierung (...) gegenüber anderen Staatsbürgern.“ Allerdings steht dieser Ansatz in der Argumentation nur neben anderen Begründungssträngen, eine Definition des Volksbegriffes anhand des Kriteriums der Herrschaftsbetroffenheit erfolgt nicht ausdrücklich, so dass die Partizipation zwar als mit dem Demokratieprinzip vereinbar angesehen wird, aber der weitergehende Schritt, hierin gerade eine Verwirklichung des Demokratieprinzips zu sehen, nicht gegangen wird. 218 BVerfGE 93, S. 37, 69. 219 BVerfGE 93, S. 37, 70. 217
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teten an einer Mitbestimmung auf der anderen Seite, 220 wobei die Belange der Beschäftigten verfassungsrechtlich im Sozialstaatsprinzip und in den Grundrechten (Art. 1, 2 und 5 I GG) verankert werden können. 221 Ob diesem Vorgehen in der Sache zuzustimmen ist, soll hier nicht weiter erörtert werden. 222 Das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts im Fall des Personalvertretungsgesetzes soll an dieser Stelle lediglich verdeutlichen, dass auch bei einem monistischen Verständnis des Volksbegriffes eine Abwägung des Demokratiegebotes mit anderen Verfassungsgütern erfolgen kann, während bei einem pluralistischen Verständnis eine Stufe früher angesetzt wird und schon gar kein Kollisionsfall eintreten würde. 223 dd) Fazit Es kann also festgehalten werden, dass die Kategorisierung des Demokratiegebotes als Regel oder Prinzip keinerlei Aufschluss über die Definition des Volksbegriffes im Rahmen des Art. 20 II S. 1 GG geben kann. Zum einen kann aufgrund der deskriptiven Natur der Prinzipientheorie nicht bestimmt werden, ob es sich bei dem Demokratiegebot um eine Regel oder ein Prinzip handelt. Zum anderen könnte, selbst wenn man den Prinzipiencharakter des Demokratiegebotes unterstellt, durch die Prinzipientheorie lediglich das Verhalten des Demokratieprinzips im Falle der Kollision mit anderen Prinzipien beschrieben werden. Rückschlüsse auf den Volksbegriff erlaubt eine Einordnung als Prinzip jedoch nicht, da durch einen „offenen“ Volksbegriff und der dadurch bedingten Aufweichung des Demokratiegebotes Kollisionen mit anderen Prinzipien erst gar nicht auftreten würden und dies einer Vorwegnahme der Abwägung im Einzelfall gleichkäme. 220
So Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 543 f. Vgl. die Auffassung des Landtages Schleswig-Holstein in BVerfGE 93, S. 37, 58 sowie ferner: BVerfGE 28, S, 314, 323; BVerfGE 51, S. 43, 58. Vgl. auch Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 139, der kritisiert, dass die Herstellung praktischer Konkordanz durch das Gericht nicht als solche vorgenommen wird, sondern „mehr oder weniger freihändig“ durchgeführt und aus dem Legitimationsniveau entwickelt wird. 222 Zur Frage, inwieweit bezüglich der funktionalen Selbstverwaltung eine Einschränkung des Demokratieprinzips auf andere Verfassungsgüter gestützt werden kann, vergleiche Teil 2 Kap. 2 G. 223 Bryde, KJ 2000, S. 59, 68 hingegen scheint ein Abwägungserfordernis auch für den Fall einer pluralistischen Interpretation des Volksbegriffes anzunehmen, da er im Zusammenhang mir seiner Kritik an dem BVerfG-Urteil schreibt: „Wiederum ist es eine Optimierungsaufgabe, solche Partizipationsmöglichkeiten gegen Kosten der Betroffenenpartizipation für andere Interessen abzuwägen.“ Er bleibt aber die Antwort schuldig, worin die anderen Interessen bestehen sollen, wenn nicht in der vom Demokratiegebot geforderten Selbstbestimmung des gesamten Volkes, an der jeder Staatsangehörige grundsätzlich in gleicher Weise teilhat. Die Annahme eines solchen entgegenstehenden Interesses setzt aber eine monistische Interpretation des Volksbegriffs voraus. 221
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Die Frage nach der Bestimmung des Legitimationssubjektes des Art. 20 GG und diejenige nach der grundsätzlichen Abwägbarkeit des Demokratiegebotes müssen vielmehr unterschieden werden: Auch wenn man vom deutschen Staatsvolk als grundsätzlich einzigem Legitimationssubjekt des grundgesetzlichen Demokratiegebotes ausgeht, so heißt dies nicht, dass nicht Einschränkungen im Rahmen einer Abwägung vorgenommen werden können, wenn andere Verfassungswerte dies rechtfertigen oder erfordern. Inwiefern solche Abweichungen aufgrund einer Kollision zwischen Demokratieprinzip und anderen Verfassungswerten, wie etwa den Grundrechten, bei der funktionalen Selbstverwaltung möglich sind, ist aber keine Frage der Auslegung des Volksbegriffes. Sie wird daher erst im zweiten Teil behandelt, in dem untersucht wird, ob und wie das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden kann. b) Menschenwürde und freie Selbstbestimmung aller Ein weiteres gewichtiges Argument, das von den Vertretern einer pluralistischen Demokratiekonzeption für ein Verständnis von Volk im Rahmen des Art. 20 II 1 GG als „Herrschaftsbetroffene“ angeführt wird, ist der Zusammenhang zwischen Demokratieprinzip, Selbstbestimmung, Menschenwürde und dem Kriterium der Betroffenheit. aa) Heranziehung des Art. 1 I GG zur Bestimmung des Volksbegriffs Dieser Zusammenhang wird folgendermaßen begründet: Zunächst wird Demokratie als das Mittel zur Selbstbestimmung angesehen. Das Recht auf Selbstbestimmung wiederum folgern die Anhänger der pluralistischen Konzeption aus der Menschenwürde. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes wird folglich nicht nur auf Art. 20 I und II GG, sondern auch auf Art. 1 I GG gegründet. 224 Da die Menschenwürde auf den Menschen als Individuum und nicht als Mitglied der Einheit „Volk“ abstellt, müsse es demnach um die Selbstbestimmung des Einzelnen in den ihn betreffenden Fragen gehen. So folgert Kleine-Cosack, dass die in Art. 20 II GG geregelte Volkssouveränität „der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung des Einzelnen dienen“ solle. 225 Volk könne also nicht monistisch verstanden werden, sondern sei pluralistisch als „offene“ stets neu zu bestimmende Größe zu verstehen. 226 Die Betroffenheit stellt sich nach dieser Ansicht also als „notwendiges Korrelat zur Selbstbestimmung“ dar. 227 224 Rinken, KJ 2000, S. 125, S. 136; Blanke, KJ 31 (1998), S. 452, 456; Häberle, HStR I, 1995, § 20, Rn. 63 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Art. 1 GG den Art. 20 II „‚korrigiert‘“. 225 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 119. 226 Vgl. Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 323.
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bb) Kritik an einem solchen Vorgehen Diese Argumentation erscheint zunächst einleuchtend, da der Zusammenhang zwischen Demokratie und Selbstbestimmung auf der Hand liegt. Auch kann ein Zusammenhang zwischen Demokratie und Menschenwürde nicht geleugnet werden, jedoch ist dieser Zusammenhang nicht dergestalt, dass über den Grundsatz der Menschenwürde das Legitimationssubjekt Volk näher bestimmt werden kann. (1) Unterscheidung zwischen normativer und ideeller Ebene Die pluralistische Konzeption versucht, das Demokratieprinzip durch den Grundsatz der Menschenwürde näher zu konkretisieren. Dies kann schon allein deshalb nicht funktionieren, weil das Grundgesetz das Demokratieprinzip näher konkretisiert als den Grundsatz der Menschenwürde. Die pluralistische Argumentation zieht also mit der Menschenwürde einen Grundsatz zur Konkretisierung des Demokratieprinzips heran, der noch unbestimmter ist als letzteres. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit kann die Menschenwürde aber nicht zur näheren Bestimmung konkreter(er) Verfassungsnormen herangezogen werden, sondern wird vielmehr ihrerseits durch diese näher konkretisiert und erlangt durch sie erst normative Geltung. 228 Isensee 229 und Jestaedt 230 sprechen in diesem Zusammenhang von der Mediatisierung der Menschenwürde durch die übrigen Bestimmungen der Verfassung. Der Grundsatz der Menschenwürde und mit ihm die Forderung, dass die einzelnen Betroffenen von Herrschaft diese bestimmen und beeinflussen können müssen, liegt dem Konzept von Demokratie als Idee zugrunde. Auch wenn die vom Grundgesetz errichtete Demokratie auf diese staatsphilosophische Idee fußt und auf sie aufbaut, so bleibt sie doch im ideellen Bereich verhaftet, 231 solange sie nicht durch das Grundgesetz normative Gültigkeit erlangt. Entscheidend für die Anforderungen, die das Demokratieprinzip des Grundgesetzes an die Ausübung und Organisation von Staatsgewalt stellt, sind nicht irgendwie geartete Modelle oder Philosophien von Demokratie, sondern die Ausgestaltung, die das Demokratieprinzip im Grundgesetz erfahren hat. 232 227
Bryde, KJ 2000, S. 59, S. 63. Isensee, in: FS für Mikat, 1989, S. 705, 737 spricht in diesem Zusammenhang von der Menschenwürde als „letzte[m] Sinnprinzip aller konkreten Verfassungsnormen“. 229 Isensee, in: FS für Mikat, 1989, S. 705, 737. 230 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 507 f. 231 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991) S. 329, 449. 232 Vgl. Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 603; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991) S. 329, 334 f. stellt drei verschiedene Wirkstufen der Demokratie heraus: konkrete Dogmen, womit die konkreten Einzelausformungen der Demokratie, wie z. B. die Wahlrechtsgrundsätze gemeint sind, das grundgesetzliche Prinzip und die Idee, die keine normative 228
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(2) Unterscheidung zwischen individueller und demokratischer Selbstbestimmung Abgesehen von diesen eher methodischen Einwänden lässt sich der Argumentation der Pluralisten, die sich auf den Zusammenhang von Selbstbestimmung, Herrschaftsbetroffenheit und Demokratie stützt, noch Folgendes entgegenhalten: Zwar ist ein Zusammenhang zwischen individueller Selbstbestimmung und der Staatsform der Demokratie nicht zu leugnen, dieser stellt sich aber nicht so dar, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen unvermittelt in der Demokratie aufginge und durch sie verwirklicht würde. Der Einzelne kann im Staat Entscheidungen in seinem privaten Bereich zwar frei bestimmen, er bleibt dabei aber in der staatlichen Ordnung eingebunden und muss sich im Rahmen des geltenden Rechts halten. Auch diese staatliche Grundordnung ist nach einem Denkmodell ursprünglich zwar durch freie Individuen geschaffen worden, die ihre individuelle Freiheit beschränkt haben, um so ihr Zusammenleben zu ordnen. Man kann also insofern davon sprechen, dass die Staatsform der Demokratie in der individuellen, natürlichen Freiheit wurzelt. 233 Allerdings können aus dieser Denkfigur, die in erster Linie als Begründungsmodell zur Begrenzung staatlicher Macht dient, keine unmittelbaren Rückschlüsse für die Demokratie unter dem Grundgesetz und ihr Verhältnis zur Selbstbestimmung gezogen werden. Dies wird deutlich, wenn man das obige Gedankenmodell über den Zeitpunkt der Schaffung der staatlichen Grund- und Rechtsordnung hinaus „weiterdenkt“: Den Individuen derjenigen Generationen, die der Schaffung des Staates und seiner Ordnung nachfolgen, tritt der durch die Rechtsordnung vorgegebene Rahmen zunächst bei ihren Entscheidungen als etwas Fremdbestimmtes gegenüber, da der Einzelne ihn nicht allein für sich bestimmt hat, sondern gleichsam in die bestehende Ordnung hineingeboren wurde. 234 Trotzdem bleibt der Zusammenhang zwischen Demokratie und Selbstbestimmung bestehen, allerdings in gewandelter Form: Zwar hat der Einzelne in einem demokratischen Staat nicht die Entstehung der staatlichen Ordnung bestimmt, aber zumindest ist er an deren Änderungen beteiligt. Diese Beteiligung erfolgt jedoch nur in Form der Mitwirkung bei Abstimmungen und Wahlen, deren Ergebnisse sich letztlich nach dem Mehrheitsprinzip richten. Es findet also im Rahmen der Demokratie eine Wandlung statt: Die Selbstbestimmung des Individuums als Ausdruck seiner „natürlichen“, vorstaatlichen und individuellen Freiheit wird zur Mitbestimmung im Staat und somit zu dem, was man als „politische“ oder demokratische Freiheit bezeichnen könnWirkung mehr entfaltet. Aufgrund des Fehlens normativer Wirkung spricht Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 145 f. mit Fn. 38 nur von zwei Wirkungsstufen und lässt die Stufe der Demokratie als Idee entfallen. 233 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 35. 234 Vgl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1963, Neudruck der 2. umgearb. Aufl. von 1929, S. 8 f.
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te. 235 Der Einzelne wird somit zum Teil eines Ganzen, eines Kollektivs, da im Rahmen des demokratischen Entscheidungsprozesses ein kollektiver Wille gebildet wird, an dem der Einzelne mit seinem individuellen Willen Anteil hat und in dem dieser aufgeht. So wird in einer zweiten Wandlung die demokratische Mitwirkungsfreiheit des Einzelnen zur kollektiven Freiheit der Gesamtheit des Volkes, so dass letztlich die individuelle Freiheit des Einzelnen in die kollektive Freiheit des Volkes mündet und durch sie im demokratischen Prozess vermittelt wird. 236 Mit anderen Worten: Subjekt der demokratischen Freiheit ist nicht mehr der einzelne Mensch als Individuum, sondern das Volk, dem er angehört. 237 Aber selbst wenn man alle diese Einwände einmal beiseite lässt und sich mit den Anhängern der pluralistischen Konzeption auf den Standpunkt stellt, dass individuelle Selbstbestimmung als Ausfluss der Menschenwürde unvermittelt auch das Demokratieprinzip des Grundgesetzes bestimmt, so folgt daraus nicht, dass die Betroffenheit von Herrschaft das maßgebliche Kriterium für die Bestimmung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG ist: Aus dem Grundsatz der Menschenwürde ergibt sich nicht nur die freie Selbstbestimmung des Einzelnen, sondern auch die Gleichheit aller Individuen in ihrer Selbstbestimmung. 238 Diese Gleichheit wird durch das Kriterium der Betroffenheit von Staatsgewalt nicht gewährleistet, weil danach jeder Volksangehörige lediglich gemäß dem Ausmaß seiner Betroffenheit – und somit eben nicht in gleicher Weise – Einfluss auf die Staatsgewalt nehmen könnte. Die Staatsangehörigkeit als Zugehörigkeitskriterium hingegen schafft einen Anknüpfungspunkt, der gewährleistet, dass jeder Volksangehörige in gleicher Weise Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt nimmt 239 und somit auch die individuelle Selbstbestimmung in gleichem Ausmaß verwirklicht ist.
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Von natürlicher und politischer Freiheit spricht Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1963, Neudruck der 2. umgearb. Aufl. von 1929, S. 4; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 506 spricht – neben einer Anlehnung an Kelsen – von demokratischer Freiheit. Auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 37 stellt die individuelle Freiheit der demokratischen Freiheit gegenüber. 236 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 38, der von der Wiederkehr der individuell-autonomen Freiheit in der kollektiv-autonomen Freiheit der Volkssouveränität spricht. 237 So deutlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 507; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1963, Neudruck der 2. umgearb. Aufl. von 1929, S. 11 und 13, der Volk und Staat oder „Freistaat“ gleichzusetzen scheint. 238 Auch Bryde, KJ 2000, S. 59, 63 spricht davon, dass alle „in gleicher Selbstbestimmung aufgerufen [sind], über die gemeinsamen Angelegenheiten zu entscheiden.“ (Hervorhebung nicht im Original). 239 Vgl. Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 707 f., der davon spricht, dass die Staatsangehörigkeit einen „Status formaler Gleichheit“ begründet.
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cc) Fazit Es kann also festgehalten werden, dass auch der Zusammenhang von Selbstbestimmung, Menschenwürde und Demokratie nicht als Argument dafür angeführt werden kann, dass der Volksbegriff in Art. 20 II GG pluralistisch nach dem Merkmal der Betroffenheit zu bestimmen ist. c) Relative Homogenität Ein weiterer Kritikpunkt an der monistischen Demokratiekonzeption bezieht sich auf die „substantielle Gleichheit“ 240 oder relative Homogenität des Volkes, die von den Vertretern eines monistischen Demokratieverständnisses für die Funktionsfähigkeit der Demokratie überwiegend für erforderlich gehalten wird. Im Folgenden wird zunächst die Kritik am Homogenitätserfordernis dargestellt, bevor dann im Zusammenhang mit der Überprüfung dieser Kritik genauer auf die Frage eingegangen wird, inwieweit Homogenität als Voraussetzung für Demokratie angesehen werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Frage nach der Kategorisierung des Homogenitätserfordernisses einzugehen und zu untersuchen, ob es sich hierbei um eine rechtliche oder tatsächliche Voraussetzung handelt. aa) Die Kritik am Homogenitätserfordernis Einem Homogenitätserfordernis halten die Anhänger der pluralistischen Demokratiekonzeption Folgendes entgegen: Aufgrund der in der Gesellschaft bestehenden und im Zunehmen begriffenen Inhomogenität gefährde es den Fortbestand der Demokratie, wenn man diese an die Voraussetzung von Homogenität knüpfe. 241 Durch die zunehmende Globalisierung und die verstärkte Einwanderung ausländischer Mitbürger sei eine homogene Bevölkerung in der Mehrheit der Staaten nicht gegeben und dort, wo sie noch bestehe, schwinde sie. 242 Aber auch wenn man die Einwanderung außer Acht lasse, könne in Deutschland nicht von einer Homogenität der Bevölkerung ausgegangen werden: 243 Es bestünden vielmehr in der heutigen Gesellschaft verschiedene „Szenen“, die ihre eigene Kultur hätten. So fänden beispielsweise orientalische Religionen und ihre Bräuche auch bei deutschen Staatsbürgern Anhänger. 244
240 241 242 243 244
Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 47. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 311. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 310; Zacharias, Jura 2001, S. 446, 447 f. Vgl. Volkmann, AöR 127 (2002), S. 575, 595 f. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 310.
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Aus diesem Grund könne Homogenität auch nicht dadurch garantiert werden, dass die Zugehörigkeit zum „Volk“ i. S. d. Art. 20 II GG über die Staatsangehörigkeit bestimmt werde. 245 Ferner zeige die Grundrechtsordnung des Grundgesetzes, dass es im Rahmen der Demokratie nicht auf Homogenität ankommen könne, da auch die Verfassung Religions- (Art. 4 GG) und Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) gewährleiste und in Art. 3 GG Ungleichbehandlungen von Menschen verschiedener Herkunft, Rasse und unterschiedlicher Sprache verbiete und somit von einer tatsächlich bestehenden Inhomogenität ausgehe. 246 bb) Grundrechte und Demokratieprinzip Diesen Einwänden ist Folgendes entgegenzuhalten: Grundrechte wie die Religions- und Meinungsfreiheit sowie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 GG schützen den einzelnen Menschen, damit er im Staat sein Leben frei gestalten und gemäß seinen Überzeugungen führen kann, ohne dadurch Nachteilen ausgesetzt zu sein. Aus ihrer Existenz kann nicht gefolgert werden, das Grundgesetz gehe von einer Inhomogenität der Bürger aus und somit könne auch das Demokratieprinzip des Grundgesetzes die Homogenität nicht zur Voraussetzung haben. Die Grundrechte zeigen lediglich, dass das Grundgesetz nicht von einer Identität seiner Bürger ausgeht. Die Erkenntnis, das jeder Mensch einzigartig ist und seine individuellen Ansichten und Überzeugungen hat, steht aber der Annahme eines durch Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Bürgern eines Staates hervorgerufenen Zusammengehörigkeitsgefühls nicht entgegen. Im Übrigen verkennt die oben dargelegte Argumentation die grundsätzliche Trennung von gesellschaftlicher und die staatlicher Sphäre. Die Grundrechte wirken vor allem im Rahmen des gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses, der sog. Volkswillensbildung. 247 Sie garantieren dessen Freiheit von staatlichen Einflüssen. 248 In diesem Rahmen zeichnet sich die Willensbildung durch ihre Offenheit und das Fehlen von Entscheidungsstrukturen aus. Zwar ist dieser Prozess der Volkswillensbildung auf gesellschaftlicher Ebene für den Bestand der 245 Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 311; ähnlich auch Zacharias, Jura 2001, S. 446, 447, nach welcher der Anknüpfung an einen nationalstaatlich verstandenen Volksbegriff „die Vorstellung von einem (möglichst) ethnisch, sprachlich und kulturell und sozial homogenen Volk zugrunde“ liegt. 246 Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 322 spricht in diesem Zusammenhang vom „Prinzip der Nichtidentifikation“. Näher zu diesem Prinzip: Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 178 ff., vgl. mit Bezug zur Demokratie insbes. S. 181 f. 247 Vgl. zu den Begrifflichkeiten: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 185, Fn. 26; Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 322 spricht in diesem Zusammenhang von „voice“ als Korrespondenzbegriff zur „vote“ (vgl. S. 314). 248 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 187.
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Demokratie unerlässlich und stellt daher auch eine Komponente der Demokratie dar. 249 Aber die gesellschaftliche Willensbildung mündet nicht unmittelbar in die demokratische Willensbildung des Volkes als Staatsorgan. Aus der Tatsache, dass der Prozess der Willensbildung in der Gesellschaft durch eine grundrechtlich geschützte Pluralität gekennzeichnet ist und die Volkswillensbildung einen Bestandteil der Demokratie darstellt, kann daher nicht abgeleitet werden, dass auch die Demokratiekonzeption des Grundgesetzes pluralistisch ausgerichtet sein müsse und es somit einer Homogenität des Volksverbandes nicht bedürfe. Die Willensbildung des Volkes als Staatsorgan erfolgt im Wahlakt, der nicht dem gesellschaftlichen, sondern dem staatlichen Bereich und somit der sog. Staatswillensbildung unterfällt. Die Volkswillensbildung ist der späteren Wahl nur vorgeschaltet. Dies wird auch in der Bezeichnung Hesses deutlich, der von der „Vorformung des politischen Willens“ spricht. 250 Zur Bildung des Staatswillens werden durch die Instrumente der Wahl und des Mehrheitsprinzips die verschiedenen „Einzelwillen“ gebündelt und somit wird es ermöglicht, Entscheidungen zu treffen, die dem Verband „Volk“, das zur Entscheidung berufen ist, zuzurechnen sind. 251 Das demokratische Prinzip des Grundgesetzes i. S. d. Art. 20 I und II GG, zu dem die Entscheidungsfindung durch Wahl und Mehrheitsprinzip gehören, hat ausschließlich auf der Ebene der Staatswillensbildung Geltungskraft, 252 da auf der Ebene der Volkswillensbildung noch keine Entscheidung getroffen wird und zunächst die „Einzelwillen“ ohne vorgegebene Verfahren oder Strukturierung von staatlicher Seite nebeneinander stehen. Zwar gilt diese Trennung zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Ebene nicht uneingeschränkt, so dass die Grenze zwischen beiden Sphären permeabel ist. Dies wird insbesondere an der Rolle der politischen Parteien deutlich, die in dem Prozess der Bündelung und Integration verschiedener Ansichten, der sich zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Willensbildungsebene abspielt, einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie die einzelnen Meinungen aufgreifen und zu einem einheitlichen (Partei-)Programm zusammen führen, das dem (Wähler-)Volk als Entscheidungsgrundlage bei der Wahl dient. Hierdurch und durch die nach der Wahl erfolgende Umsetzung ihrer Programme in der Arbeit im Parlament und der Regierung vermitteln sie zwischen den beiden Ebenen 249
Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 322; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 150 a.E., 151, 294. 250 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 151, 294. 251 Vgl. zum „Dualismus von Volkswillensbildung und Staatswillensbildung“: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 179 ff. Zum Verhältnis von der durch Pluralität geprägten Gesellschaft und dem Einheit stiftenden modernen Staat auch: Isensee, HStR I, 1995, § 13, Rn. 46 ff. 252 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 191, 193.
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der Volks- und Staatswillensbildung. 253 Allerdings geht die darin zum Ausdruck kommende Aufweichung der Grenze zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Ebene nicht so weit, dass aus der Existenz einer Grundrechtsordnung, die den Einzelnen in seinen individuellen Überzeugungen schützt, ein unmittelbarer Rückschluss auf die Voraussetzungen und Bedingungen möglich wäre, denen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes unterliegt: Die Grundrechte sind für den Volkswillensbildungsprozess bestimmend, während das demokratische Prinzip des Art. 20 I und II GG ausschließlich auf der Ebene der Staatswillensbildung Geltungskraft besitzt. cc) Homogenität und das Kriterium der Staatsangehörigkeit Auch das weitere Vorbringen, Homogenität könne nicht Voraussetzung von Demokratie sein, da diese andernfalls aufgrund der zunehmenden Globalisierung und wachsender Inhomogenität in der Gesellschaft zukunftsunfähig würde, sowie der Hinweis, Homogenität könne auch nicht dadurch garantiert werden, dass die Zugehörigkeit zum „Volk“ i. S. d. Art. 20 II GG über die Staatsangehörigkeit bestimmt werde, halten einer näheren Untersuchung nicht stand. Zunächst einmal wirft diese Kritik die Frage nach der Kategorisierung oder Qualifizierung des Homogenitätserfordernisses auf: Handelt es sich hierbei um eine (rechtliche) Voraussetzung von Demokratie oder ist damit lediglich eine äußere, faktische Funktionsbedingung von Demokratie angesprochen? Des Weiteren stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit eine Forderung nach Homogenität der monistischen Auffassung inhärent ist. (1) Homogenität als rechtliche Voraussetzung für Demokratie? Art. 20 II GG ist keine ausdrückliche Forderung von Homogenität zu entnehmen. Als rechtliche Voraussetzung könnte somit Homogenität allenfalls dann angesehen werden, wenn man sie als konstituierendes Merkmal des Volkes auffasst und so in den Volksbegriff hineinliest. Nach dieser Lesart müsste dann eine Menschengruppe, um Volk zu sein, eine relative Homogenität aufweisen. In eine ähnliche Richtung zielt eine Argumentation, nach der die Homogenität als vor-rechtliche Gegebenheit angesehen wird, an die die politische Einung im Staat als Staatsvolk und die demokratische Staatsorganisation anknüpft. 254 253 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 190; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 151; Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 628 bezeichnet die Parteien als „Gelenk zwischen Staatswillensbildung und politischer Willensbildung des Volkes“. 254 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 47; ähnlich, aber mit Einschränkungen Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 708 f.
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Eine solche Vorgehensweise ist jedoch abzulehnen: Das Volk wird über die Staatsangehörigkeit definiert, darüber hinaus ist keine Homogenität erforderlich. Auch eine vor-rechtliche Gemeinsamkeit ist für eine Demokratie nicht erforderlich, auch wenn sie die Herausbildung einer demokratischen Staatsform begünstigen mag. 255 Homogenität kann somit nicht als rechtliche Voraussetzung für Demokratie angesehen werden. Sie ist aufgrund der Definition des Volkes anhand des Kriteriums der Staatsangehörigkeit auch kein notwendiger Bestandteil eines monistischen Demokratieverständnisses. Entgegen der oben dargelegten Kritik bezweckt eine Anknüpfung an das Kriterium der Staatsangehörigkeit für die Bestimmung des Volksbegriffes nicht in erster Linie, kulturelle oder ethnische Homogenität der erfassten Individuen herzustellen oder gar zu garantieren. Es handelt sich bei dem Kriterium der Staatsangehörigkeit vielmehr um ein rechtliches Zuordnungsmerkmal, das die formale Gleichheit aller erfassten Menschen gewährleistet. Insoweit kann zunächst davon die Rede sein, dass die Staatsangehörigkeit „rechtliche Homogenität“ 256 gewährleistet und so die Voraussetzung für eine gleiche Teilhabe und Mitwirkung an der Ausübung von Staatsgewalt, insbesondere durch Wahlen, bietet. Natürlich stellt die Staatsangehörigkeit eines Menschen neben vielen anderen gesellschaftlichen und individuellen Faktoren nur eines seiner bestimmenden Merkmale dar, dadurch wird die Staatsangehörigkeit als Zugehörigkeitskriterium aber nicht untauglich, sondern sie ist aufgrund dieses Umstandes – im Gegenteil – gerade besonders geeignet, da sie trotz aller sozialen Unterschiede eine rechtliche Gleichheit zwischen den Bürgern herstellt. 257 Da Homogenität somit keine rechtliche, vom Grundgesetz geforderte Voraussetzung von Demokratie, darstellt, sondern die Bestimmung des Volksbegriffes allein an das Kriterium der Staatsangehörigkeit anknüpft, kann es sich allenfalls um eine faktische Funktionsbedingung handeln. 258 (2) Homogenität als faktische Funktionsbedingung für Demokratie? Angesichts des Schwindens von Homogenität innerhalb des Staatsvolkes wären zwar die Zukunftsaussichten der Demokratie auch dann als schlecht zu beurteilen, wenn Homogenität eine faktische Funktionsbedingung von Demokratie darstellen würde. Dies läge dann aber in der Natur der Sache und ließe sich nicht 255 In diesem Sinne Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 709: „Der rechtliche Staatsverband muß nicht auf nationaler Einheit gründen. Auch die Demokratie setzt sie nicht notwendig voraus. Gleichwohl bildet sie ihre optimale Voraussetzung.“ 256 Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 707 f. 257 Vgl. Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 707 f. 258 Vgl. auch: Volkmann, AöR 127 (2002), S. 575, 601, Fn. 102.
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durch eine veränderte Demokratietheorie vermeiden, so dass eine Kritik an einem als faktische Funktionsbedingung verstandenen Homogenitätserfordernis müßig wäre. Hier soll dennoch kurz darauf eingegangen werden, ob eine so verstandene Homogenität tatsächlich erforderlich ist, damit eine demokratische Staatsform auf Dauer überlebensfähig ist. Die Befürworter eines solchen Homogenitätserfordernisses stützen ihre Ansicht auf die Beobachtung, dass in Staaten, in denen keine allgemeine Homogenität besteht, sondern sich verschiedene (Volks) -gruppen gegenüber stehen, die sich aber ihrerseits durch eine substantielle Gleichheit der zugehörigen Bevölkerungsteile auszeichnen, der Bestand der Demokratie sowie des Staates schlechthin gefährdet sei. 259 Als Beispiele lassen sich Nordirland oder das ehemalige Jugoslawien, sowie die aktuellen Probleme bei der Errichtung eines demokratischen Staates im Irak anführen. Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele von Staaten, die eine stabile Demokratie bilden, obwohl ihre Bevölkerungsstruktur nicht homogen ist. Hier sind beispielsweise die Schweiz, die USA 260, Belgien oder Kanada anzuführen. In diesen föderalen Staaten sind Bevölkerungsgruppen mit verschiedener Sprache, Kultur oder Religion zu einem Staatsvolk geeint, so dass die These, eine relative Homogenität sei für den Bestand einer Demokratie unerlässlich, widerlegt zu sein scheint. Auch hier lassen sich aber Faktoren finden, die letztlich über die kulturellen und sprachlichen Grenzen hinaus die Völker einen und von denen eine Integrationswirkung ausgeht: So fungiert beispielsweise der belgische König als Integrationsfigur und auch „emotionale“ Faktoren, 261 wie z. B. Bräuche oder Nationalfeiertage, können das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Nicht zuletzt ist auch die föderale Struktur dieser Staaten, die den jeweiligen Besonderheiten Rechnung trägt und ihnen Raum gibt, ein Faktor, der eine Abspaltung verhindert und so zur Einheit beiträgt. 262 Insoweit lassen sich auch bei Staaten, die sprachlich und kulturell nicht homogen strukturiert sind, einheitsstiftende Faktoren benennen. Die Vertreter eines Homogenitätserfordernisses könnten also unter Berufung auf diese Faktoren demokratische Staaten, in denen keine homogene Bevölkerungsstruktur gegeben ist, in ihre Theorie einbinden. Andererseits können die Vertreter der Gegenansicht anhand des Beispiels dieser Staaten aufzeigen, dass die Faktoren, die in diesen Staaten als einheitsstiftend angesehen werden können, hinter den üblicherweise als homogenitätsvermittelnden Faktoren wie Sprache, Kultur, Religion und Ab259 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 48; etwas zurückhaltender: Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 708 f.; ders., HStR I, 1995, § 13, Rn. 115 f. 260 Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 312. 261 Vgl. zu den einheitsstiftenden Faktoren auch Isensee, HStR I, 1995, § 13, Rn. 116, der von „Gemütswerten“ spricht. 262 Vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 48.
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stammung zurückbleiben und eine Homogenität im eigentlichen Sinne durch sie nicht begründet wird. Die Frage, ob eine relative Homogenität eine faktische Funktionsbedingung von Demokratie darstellt, lässt sich also nicht mit Bestimmtheit beantworten. Das hängt auch damit zusammen, dass es sich um eine rein empirische Fragestellung handelt, die somit auch dem Wandel unterworfen ist: Faktoren, die in der Vergangenheit als unerlässlich für die nationale Einheit eines Volkes angesehen wurden, verlieren angesichts der Öffnung der Staaten und der zunehmenden Verflechtungen an Bedeutung. 263 Letztlich erscheint damit für den Bestand und die Funktionsfähigkeit einer Demokratie der Wille entscheidend, das Zusammenleben gemeinsam nach den Spielregeln der Demokratie zu gestalten. 264 Darüber hinaus können einheitsstiftende Faktoren eine Rolle spielen, die eine unterschiedlich starke Integrationswirkung aufweisen können. Sie müssen sich dazu nicht unbedingt aus einer vorstaatlichen Verbundenheit ergeben, sondern die Verbundenheit kann auch nach und nach entstehen oder nach und nach erstarken. 265 Solche einheitsstiftenden Elemente sind sicherlich Faktoren, die die Stabilität einer Demokratie begünstigen, unabdingbar für ihre Funktionsfähigkeit sind sie aber wohl nicht. dd) Fazit Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die Homogenität des Volkes keine rechtliche Voraussetzung von Demokratie ist und auch ein monistischer Volksbegriff das Bestehen von Homogenität nicht voraussetzt. Die Frage, ob hierin eine faktische Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Demokratie gesehen werden kann, ist letztlich eine empirische Frage, aus der weder für noch gegen eine der beiden Demokratietheorien Schlüsse gezogen werden können. d) Internationale Zusammenarbeit, insbesondere Europäische Union Im Zusammenhang mit der Kritik am Homogenitätserfordernis wird dem monistischen Verständnis die Offenheit des Grundgesetzes für internationale Zu263
Vgl. Isensee, HStR I, 1995, § 13, Rn. 111. Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 310. Auch Isensee, HStR I, 1995, § 13, Rn. 111 f. relativiert die Bedeutung der genannten Faktoren: „Die objektiven Momente der nationalen Gemeinsamkeit sind nur bedeutsam, soweit sie im allgemeinen Bewußtsein politisch wirksam und anerkannt werden. Die nationale Einheit hat eine subjektive Basis: den Willen der beteiligten Menschen zu staatlicher Gemeinsamkeit.“ 265 Vgl. Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 708 f.; Isensee, HStR I, 1995, § 13, Rn. 115, der von staatlicher Einheit als einem „Prozeß der Integration“ spricht. 264
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sammenarbeit sowie die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsgewalt auf die EU entgegengehalten. Es ist also zu untersuchen, ob die Integrations- und Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes einen „offenen“ Volksbegriff fordert und einem monistischen Verständnis des Demokratieprinzips, das im Rahmen des Art. 20 GG ausschließlich das deutsche Staatsvolk als Legitimationssubjekt anerkennt, entgegensteht. Angesichts der Tatsache, dass aufgrund der internationalen Verflechtungen und der Globalisierung Probleme und Fragestellungen beispielsweise aus dem Umwelt- oder Wirtschaftsbereich in zunehmendem Maße nicht mehr im engen nationalstaatlichen Rahmen gelöst werden können, sondern überstaatliche Lösungen erfordern, ist es für die Zukunft der Demokratie unerlässlich, dass sie auch im supranationalen Bereich etabliert werden kann. 266 Der obige Einwand gegen ein monistisches Demokratieverständnis würde also durchaus schwer wiegen, sofern er tatsächlich zutreffen würde. Dies gilt es im Folgenden zu untersuchen. Diese Untersuchung, die die Demokratietheorie in einen supranationalen Zusammenhang stellt, wirft auch die Frage auf, inwieweit Demokratie ein Volk voraussetzt und wie das Verhältnis von Demokratie und Staat zu bestimmen ist. Ferner bestehen Berührungspunkte zum vieldiskutierten 267 Demokratiedefizit der EU und der Möglichkeit ihrer Demokratisierung. Auf diese Problemkreise soll aber hier nicht vertieft, sondern nur insoweit eingegangen werden, als sie Relevanz für den Gegenstand der Untersuchung, die Bestimmung des Legitimationssubjektes im Rahmen des Art. 20 II GG, haben. aa) Ausnahme vom deutschen Staatsvolk als Legitimationssubjekt (Art. 23, 24 GG) Von Seiten der Verfechter eines pluralistischen Demokratieverständnisses wird angeführt, dass sich nach dem monistischen Konzept von Demokratie – jedenfalls wenn es zu Ende gedacht werde – die Frage nach Demokratie außerhalb des nationalstaatlichen Rahmens gar nicht stellen könne, da dieses Demokratieverständnis das deutsche Volk als Legitimationssubjekt zugrunde lege und ein solches außerhalb des deutschen Staates nicht existiere. 268 Einer solchen Argumentation, die auf den ersten Blick durchaus als logische Konsequenz der monistischen Theorie erscheinen mag, ist Folgendes entgegenzuhalten: Zunächst einmal ist es natürlich richtig, dass das deutsche Volk, das sich 266 Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 307 f. Auf die Herausforderungen, die sich der Demokratie angesichts der angedeuteten Entwicklung stellen, weist auch Böckenförde, Staat, Nation Europa, 1999, S. 103 ff. hin. 267 Vgl. nur die Zusammenstellung von Nettesheim, in: Bauer / Huber / Sommermann, Demokratie in Europa, 2005, S. 143, 143, Fn. 1. 268 Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 306.
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aus den Staatsangehörigen bzw. den diesen gleichgestellten Bevölkerungsteilen zusammensetzt, nur im Zusammenhang mit dem deutschen Staat gedacht werden kann. Eine Integrationsgemeinschaft, die aus mehreren Staaten besteht, kann aber nicht nur ein einziges Volk zum Legitimationssubjekt haben, da mehrere Staatsvölker Mitglieder der Gemeinschaft sind. 269 Somit scheidet das deutsche Volk als ausschließliches Legitimationssubjekt im supranationalen Bereich aus. Diese Feststellung zwingt aber nicht dazu, im Rahmen des in Art. 20 GG geregelten Demokratieprinzips ein anderes Legitimationssubjekt als das deutsche Volk anzunehmen: Art. 24 GG und für die Verwirklichung der Europäischen Union Art. 23 GG bilden insoweit eine von der Verfassung vorgesehene Ausnahme von dem Grundsatz, dass das deutsche Volk Ausgangspunkt aller Staatsgewalt ist. 270 bb) Zusammenhang von Demokratie, Volk und Staat Schwerwiegender ist schon die Frage, inwieweit Demokratie nach monistischer Ansicht an das Bestehen eines Volkes als Vorbedingung 271 gebunden ist und ob dies auch das Bestehen eines Staates erfordert. Das im Grundgesetz geregelte Demokratieprinzip erscheint in Art. 20 II GG als Mittel zur Verwirklichung der Volkssouveränität. Demokratie und Volkssouveränität sind dabei nicht gleichzusetzen, sondern sie sind in der Art aufeinander bezogen, dass Demokratie auf das Ziel der Volkssouveränität ausgerichtet ist. 272 Der Zusammenhang der beiden Grundsätze wird durch das Grundgesetz in Art. 20 II S. 1 hergestellt, hat aber nach überwiegender Ansicht innerhalb der monistischen Lehre auch außerhalb des Grundgesetzes Gültigkeit: Demokratie als Herrschaftsform wird im monistischen Sinne mit Volkssouveränität verbunden. 273 Das heißt also, dass sich die Herrschaft auf ein Volk zurückführen lassen muss, um als demokratisch legitimiert zu gelten. 274 269 Vgl. Rojahn, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 4. / 5. Auflage, 2001, Art. 23, Rn. 23. 270 Vgl. zum Ausnahmecharakter der Art. 23, 24 GG: Murswiek, Der Staat 32 (1993), S. 161, 176 ff. In der Begründung anders Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 206 f., für den Art 20 II und die Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes von vornherein nicht in Konflikt treten, da er unter „alle Staatsgewalt“ nur die deutsche Staatsgewalt versteht. Vgl. dazu auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 339 ff. Kritisch hierzu Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 71, 425 ff. 271 Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 39. 272 Vgl. näher dazu unten Teil 2 Kap. 2 A. und die dort aufgeführten weiteren Nachweise. 273 So wird vielfach der Grundsatz der Volkssouveränität in allen Mitgliedstaaten der EG als Kern des Demokratieprinzips angesehen. Vgl. Spieß, Sozialer Dialog und Demokratieprinzip, 2005, S. 113 ff. m.w. N.; Bleckmann, in: ders., Studien zum Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1986, S. 159, 162. Vgl. auch die differenzierte Darstellung bei Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 1995, S. 33 ff.
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(1) Staat und Demokratie Über diesen Zusammenhang von Volk und Demokratie wird nun teilweise abgeleitet, dass Demokratie nur innerhalb eines Staates bestehen könne, da erst der Staat eine Gemeinschaft von Menschen zu einem Volk mache. 275 Für die EU würde das bedeuten, dass sie schon mangels Staatseigenschaft nicht demokratiefähig wäre. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass Volk und Staatsvolk nicht gleichzusetzen sind. Zwar ist das nach monistischer Ansicht im Rahmen des Grundgesetzes der Fall, da dort in Art. 20 GG das Demokratieprinzip als Staatsform für die 274 So spricht Kielmansegg, in: Jachtenfuchs / Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, S. 49, 57 vom „jeder demokratischen Verfassung zugrunde liegende[n] Axiom der Volkssouveränität“. Vgl. auch Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 588 und S. 597. Für Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 140 ff. hingegen, der im Hinblick auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes auch ein Vertreter der monistischen Theorie ist, ist die Verknüpfung von Volkssouveränität und Demokratie nicht generell gegeben, sondern erfolgt immer erst durch die jeweils maßgebliche Verfassung. „[...] der Rechtsbegriff der Demokratie [erfordert] noch nicht einmal denknotwendig den Legitimationsgrund der Volkssouveränität.“ (S. 161). Hieraus würde folgen, dass eine monistische Lesart des Demokratieprinzips des Grundgesetzes auf dieses beschränkt ist und Demokratie außerhalb des grundgesetzlichen Kontextes nicht generell und denknotwendig eine Einheit, ein Volk voraussetzt, auf das sich die Legitimation ausrichtet. Diese Auffassung liegt darin begründet, dass Demokratie vornehmlich als Herrschaftsmittel angesehen wird, das vom Herrschaftsursprung zunächst einmal losgelöst ist (S. 143 f.; S. 161 f.). Nach dieser Konzeption könnte das im Rahmen des Grundgesetzes geltende monistische Demokratieverständnis schon von vorneherein gar nicht in Konflikt geraten mit der Völkerrechts- und Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes, da es eben verfassungsrechtlich nur für den deutschen Staat gelten würde. 275 Kirchhof, in: Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 1994, S. 63, 83 f., insbesondere auf S. 84: „Demokratie setzt eine Vergemeinschaftung im Staatsvolk voraus“. Zum Teil wird die generelle, also von der jeweiligen Verfassung losgelöste, Verbindung von Staat und Demokratie auch einfach mit dem Hinweis darauf begründet, dass Demokratie eine Staatsform sei (vgl. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 38). Diese Argumentation greift jedoch zu kurz: Zwar war Demokratie bisher lediglich im staatlichen Rahmen verwirklicht als Staats- und Regierungsform. Dies hängt jedoch damit zusammen, dass bis zur Entstehung der Europäischen Union, bzw. Gemeinschaft, Herrschaftsgewalt lediglich von Staaten ausgeübt wurde und die demokratische Staatsform dazu diente, die Ausübung dieser Gewalt an den Volkswillen zu binden. Die Ausübung von Hoheitsgewalt und ihre Rückführung auf das Volk als Legitimationsquelle ist somit der eigentliche Regelungsgegenstand von Demokratie. Sie ist damit nicht in erster Linie Staatsform, sondern Herrschaftsform. Wenn nun Herrschaftsbefugnisse nicht mehr ausschließlich von Staaten ausgehen, sondern auch supranationale Einrichtungen wie die EG Hoheitsgewalt ausüben, so wird Demokratie als Herrschaftsform auch auf dieser Ebene relevant. Ähnlich insoweit Grimm, JZ 1995, S. 581, 584 f., allerdings bezogen auf den Zusammenhang von Staat und Verfassung. Vgl. ferner: Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 236; Riedel, in: Müller-Graff / Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, 1998, S. 77 spricht auch von Demokratie als Herrschaftsform.
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Bundesrepublik Deutschland errichtet wird, woraus sich im Zusammenhang mit der sprachlichen Fassung des Art. 20 GG die Staatsbezogenheit der Demokratie unter dem Grundgesetz ergibt: So ist im Absatz eins der Vorschrift vom demokratischen Bundesstaat die Rede und Absatz zwei spricht von der Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht. Die Tatsache, dass das Grundgesetz Volk und Staatsvolk gleichsetzt und somit Demokratie als staatsbezogene Herrschaftsform errichtet, bedeutet jedoch nicht schon, dass Demokratie generell ohne den Staat nicht denkbar ist. Zwar fällt es schwer, sich von den staatlichen Vorstellungen zu lösen, wenn die Rede von Demokratie im Zusammenhang mit überstaatlichen Einrichtungen ist, da bisher Demokratie nur als Staatsform besteht, aber diese tatsächliche Verbindung bedeutet nicht auch einen logischen und somit denknotwendigen Zusammenhang. So spricht auch Art. 23 GG davon, dass die Union „demokratischen [...] Grundsätzen“ verpflichtet ist, was zeigt, dass auch die deutsche Verfassung von der grundsätzlichen Möglichkeit demokratischer Strukturen außerhalb des Staates ausgeht. 276 Hierbei zeigt die im Vergleich zu Art. 20 GG andere Wortwahl, dass insoweit nicht derselbe Demokratiebegriff wie in Art 20 GG zugrunde gelegt ist, sondern von einer „Grundsatzkongruenz“ 277 ausgegangen wird, die der gegenüber der Struktur eines Staates anderen Struktur einer Integrationsgemeinschaft angepasst ist. So hat auch das BVerfG in seinem Maastricht-Urteil festgestellt, dass in einer Staatengemeinschaft „demokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden [kann], wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung“. 278 Es stellt sich also für den supranationalen Bereich die Frage, wie der Volksbegriff dort zu verstehen ist, wenn er nicht als Staatsvolk definiert werden kann, da die überstaatliche Ebene betroffen ist. Volk kann hier vom staatlichen Kontext abstrahiert als eine Gruppe Menschen verstanden werden, die sich untereinander als zusammengehörig und somit als kollektive Einheit begreift. 279 Nach den obigen Ausführungen zum Homogenitätsprinzip liegt dabei der Schwerpunkt auf dem Willen und dem Bewusstsein der Menschen, ein Volk zu sein und sich zur Regelung bestimmter Belange einer gemeinsamen Ordnung zu unter276 Auf diesen Zusammenhang weist auch Volkmann, AöR 127 (2002), S. 575, 585 f. hin. Allerdings scheint er dies noch weitgehender in dem Sinne deuten zu wollen, dass dem Demokratiebegriff des Grundgesetzes allgemein keine Staatsbezogenheit zugrunde liegt. Näher liegender ist es aber, Art. 23 GG als Ausnahme von der grundsätzlichen Staatsbezogenheit aufzufassen, wie er auch eine Ausnahme vom Grundsatz darstellt, dass das deutsche Volk Ausgangspunkt aller Staatsgewalt ist. 277 Vgl. zur Begrifflichkeit und auch im Übrigen Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Aufl., 2007, Art. 23, Rn. 20 ff. 278 BVerfGE 89, S. 155, 182. 279 Volkmann, AöR 127 (2002), S. 575, 584 f.; auch Böckenförde, Staat, Nation, Europa, 1999, S. 92 f. definiert den Volksbegriff im europäischen Kontext auf diese Weise und somit losgelöst von der Staatsangehörigkeit.
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werfen. Natürlich kann der Staat an diese Einheit anknüpfen und ihr durch die Staatsangehörigkeit eine rechtliche Grundlage und so einen gewissen Rahmen geben. Begriffsnotwendig ist aber beim Volk der Staat nicht mitgedacht. Eine Demokratisierung der EU hängt also nicht von ihrer Staatseigenschaft ab. (2) Zusammenhang von Demokratie und Volkssouveränität Auch die Tatsache, dass Demokratie das Bestehen eines Volkes, also eine Menschengruppe, die sich als kollektive Einheit begreift, voraussetzt, steht einer Demokratisierung oberhalb der staatlichen Ebene nicht von vornherein entgegen. Auch wenn man mit einer weit verbreiteten Meinung derzeit die Existenz eines europäischen Volkes verneint, 280 ist trotz der Schwierigkeiten aufgrund der verschiedenen Sprachen und der damit zusammenhängenden Probleme bei der Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit 281 die Bildung eines Wir-Bewusstseins in Europa nicht nur theoretisch möglich: Zunächst einmal kann zwar die in der Union bestehende Sprachenvielfalt die Entstehung eines europäischen Bewusstseins erschweren, Beispiele wie die Schweiz zeigen aber, dass Demokratie nicht von einer gemeinsamen Sprache abhängig ist. Zudem ist die Sprachkompetenz der Bevölkerung seit der Gründung der EU gewachsen. Die Sprache stellt also kein grundsätzliches und unüberwindbares Hindernis bei der Entstehung eines europäischen Bewusstseins dar. So kann man, wenn man den Blick auf die Anfänge der Europäischen Union in den fünfziger Jahren richtet und den Entwicklungsverlauf bis zur Gegenwart nachvollzieht, feststellen, dass in dieser Zeitspanne das Interesse für europäische Fragestellungen in der Bevölkerung zugenommen hat und auch die ersten Schritte hin zu einem europäischen Bewusstsein bereits genommen sind. Die Einführung der Unionsbürgerschaft mag hier als Beispiel dienen. Auch wenn man das derzeit schon erreichte Maß an europäischem Bewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl in der Bevölkerung nicht als ausreichend betrachtet, um von einem europäischen Volk zu sprechen, bedeutet das nicht, dass schon der langsame Ausbau der Kompetenzen des europäischen Parlaments, mit dem Argument als undemokratisch anzusehen wäre, dass es in Ermangelung eines europäischen Volkes kein solches vertreten könne. 282 Wollte man so argumentieren, bestünde die Gefahr eines Teufelskreises dergestalt, dass sich einerseits ein Zusammengehörigkeitsgefühl auf europäi280
Vgl. Kielmansegg, in: Jachtenfuchs / Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, S. 49, 58 ff.; Grimm, JZ 1995, S. 581, 589. 281 Auf diese Schwierigkeiten weist insbesondere Grimm, JZ 1995, S. 581, 588 ff. hin, der deshalb auch die Chancen der zukünftigen Herausbildung eines europäischen Volkes skeptisch beurteilt. 282 Auf dieses Problem, dass das europäische Parlament nicht vertreten kann, was es (noch) nicht gibt, weist insbesondere Kielmansegg hin, in: Jachtenfuchs / Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, S. 49, 55 ff. Er leitet daraus ein Demokratiedilemma ab, das anders als ein Demokratiedefizit nicht ohne weiteres aufgelöst werden kann
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scher Ebene schwerlich weiter entwickeln kann, wenn keine zentralen Organe vorhanden sind, die eine solche Entwicklung fördern und anstoßen könnten, andererseits der Ausbau der Kompetenzen dieser Organe aber undemokratisch und damit unzulässig wäre. Auch sofern man ein europäisches Volk noch nicht als existent ansieht, bedingt dies lediglich, dass eine Demokratisierung der Union nicht einfach nach staatlichem Vorbild erfolgen kann, indem man das Parlament als echtes Legislativorgan ausbaut und den Rat quasi gleich dem Bundesrat als zweite Kammer ausgestaltet. Dies wäre dann in der Tat in Ermangelung eines Volkes nicht demokratisch 283 und die Hoffnung, dass ein solcher organisatorischer Rahmen auch alsbald eine Integration im Sinne eines Einheitsgefühls in der Bevölkerung nach sich zieht, 284 erinnert angesichts der oben dargelegten strukturellen Mängel tatsächlich an Münchhausen und den Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. 285 Es verhält sich also weder so, dass die europäischen Bürger zunächst ein Volk sein müssten, um sich demokratisch organisieren zu dürfen, 286 noch ver(S. 59 f. und besonders deutlich im Nachwort zur zweiten Auflage, S. 77). Aber auch Kielmansegg, a.a. O., S. 74 folgert daraus nicht die grundsätzliche Unzulässigkeit institutioneller Vorgriffe, wie beispielsweise der hier angesprochenen allmählichen Ausweitungen der Kompetenzen des Europäischen Parlamentes, wenn er solchen Konzepten auch skeptisch gegenüber steht: „War nicht anfangs von der sehr begrenzten ‚Demokratiefähigkeit‘ der Vielvölkergemeinschaft Europäische Union die Rede und am Ende dann doch von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Stärkung der demokratischen Komponente im europäischen Verfassungsgefüge? Dass es notwendig sei, in der Verfassungsentwicklung der Europäischen Union ihre Demokratiefähigkeit ein Stück weit – von oben her gewissermaßen – zu fingieren oder auch, freundlicher formuliert, zu antizipieren, um Bedingungen zu schaffen, unter denen sich diese Demokratiefähigkeit – vielleicht – herauszubilden vermag, mag als eine Art von Auflösung des Widerspruchs durchgehen. Aber es bestätigt sich in einer solchen ‚Auflösung‘ noch einmal, daß es eine völlig befriedigende Antwort auf die europäische Verfassungsfrage nicht gibt.“ 283 Anders: Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 588 ff., der das Bestehen eines Unionsvolkes nicht für erforderlich hält, da er den „Verbund der Staatsvölker“ als Legitimationssubjekt ansieht. Ein solches Legitimationsmodell für die EU vermeidet zwar alle oben aufgezeigten Schwierigkeiten, wirkt aber auch sehr konstruiert, gleichsam wie eine Demokratie „auf dem Reisbrett“: Bei einer so konzipierten demokratischen Legitimation der Gemeinschaft, die unabhängig von dem Bestehen einer europäischen Öffentlichkeit oder Meinungsbildung Bestand hätte, ist es fraglich ob Staaten, bzw. die einzelnen Staatsvölker, die sich den Mehrheitsentscheidungen in der EU beugen müssen, dies dauerhaft tun würden, denn es stünde dann letztlich in den Fragen, die der Gemeinschaft zufallen, wieder jedes Volk für sich, so dass die Einzel- oder Sonderinteressen jedes Staates im Vordergrund stünden und nicht ein Gesamtwohl der europäischen Bevölkerung. 284 So muss wohl Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 309 f. verstanden werden, der von der „Entstehung von ‚Volk‘ durch gemeinsame politische Praxis“ spricht. 285 So Volkmann, AöR 127 (2002), S. 575, 604. 286 Diese Konsequenz zieht aber Bryde aus der monistischen Auffassung, StWStP 5 (1994), S. 305, 309 f.; 321 unter Berufung auf Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 42, der diesen Schluss insbesondere auf S. 39 nahe legt, wo er
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hält es sich so, dass nach dem Vorbild eines Nationalstaates demokratische Strukturen und Institutionen ganz unabhängig vom Bestehen eines europäischen Volkes errichtet werden können und damit schon für eine Demokratisierung der Union gesorgt wäre. 287 Vielmehr stehen beide Faktoren in einem Wechselverhältnis und bedingen sich gegenseitig: Eine allmähliche Stärkung des europäischen Parlamentes kann in Wechselwirkung zu den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten treten und so zur Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit und eines europäischen Volkes beitragen. 288 Allerdings ist dies ein Prozess, der sich nur allmählich vollziehen kann. 289 Man kann somit durch gewisse rechtsorganisatorische Vorgriffe die Entwicklung eines europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls vorantreiben, aber nicht ersetzen. cc) Fazit Somit steht das monistische Demokratiekonzept der Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes nicht entgegen und verhindert auch nicht die Fortentwicklung das Bestehen eines Staatsvolkes als „Vorbedingung“ jeder Demokratie bezeichnet. Ein solcher Schluss ist jedoch nach der monistischen Theorie nicht zwingend, wie die obigen Ausführungen zeigen. 287 Dies ist entgegen der Ansicht Volkmanns, AöR 127 (2002), S. 575, 601 f., Fn. 2 auch bei Zugrundelegung eines von ihm als formal bezeichneten Demokratiebegriffs der Fall: Wenn die relative Homogenität, das „Wir-Bewußtsein“ einer Menschengruppe, nicht als eigentliches Wesen der Demokratie im Rechtssinne angesehen wird, sondern (lediglich) als äußere Voraussetzung, die für den Bestand und das Funktionieren der Demokratie unerlässlich ist, so gilt diese Qualifikation der relativen Homogenität auch für die Anhänger eines „formalen“ Demokratiebegriffes nur für Demokratie als Staatsform. Mit anderen Worten: In einem demokratisch verfassten Staat ist die Volkszugehörigkeit bereits durch die Staatsangehörigkeit vorgegeben. Diese schafft einen Status rechtlicher Homogenität, an den das Wahlrecht als wichtiger Bestandteil von Demokratie anknüpften kann. Das kollektive Bewusstsein ist also, sofern von Demokratie als Staatsform die Rede ist, nicht erforderlich, um das Volk als Legitimationsquelle zu erschaffen oder zu definieren. Stellt man aber Demokratie in einen überstaatlichen Zusammenhang, so ist das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Menschengruppe erforderlich, um diese überhaupt zu einem Volk zu machen, an dessen Souveränität und Selbstbestimmung die demokratische Legitimation der Herrschaft anknüpfen kann. 288 Rojahn, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 4. / 5. Aufl., 2001, Art. 23, Rn. 23. 289 So auch Grimm, JZ 1995, S. 581, 590 f. Kielmansegg, in: Jachtenfuchs / KohlerKoch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, S. 49, 57 spricht im Zusammenhang mit der Entstehung eines europäischen Bewusstseins einerseits und dem Aufbau der Europäischen Institutionen andererseits von „zwei ganz verschiedenen, nicht synchronisierbaren geschichtlichen Geschwindigkeiten“. Vgl. auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 323 ff., der diesen Prozess schon als sehr weit fortgeschritten ansieht und geneigt ist, vom Bestehen eines europäischen Volkes auszugehen. Dies sieht er gemäß seinem Anliegen, die Überkommenheit der traditionellen Begrifflichkeiten der Staatslehre aufzuzeigen, allerdings als Argument dafür an, dass der Begriff des Staatsvolkes nicht „europafest“ sei (ders., a.a. O., S. 327).
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der Europäischen Union und die damit einhergehende Notwendigkeit einer stärkeren demokratischen Legitimation derselben. Demokratie ist auf supranationaler Ebene auch nach einem Verständnis, das die Selbstbestimmung des Volkes in den Mittelpunkt der Demokratiebetrachtung stellt, nicht denknotwendig unmöglich. Auch wenn man ein europäisches Volk derzeit nicht als gegeben ansieht, sind institutionelle Vorgriffe auf dem Weg zu einer Demokratisierung und zur weiteren Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls möglich. e) Föderalismus Ferner wird die föderalistische Struktur der Bundesrepublik bzw. das Bundesstaatsprinzip mit der Eigenstaatlichkeit der Länder gegen ein monistisches Verständnis des Volksbegriffes in Art. 20 II GG ins Feld geführt: Die Tatsache, dass Art. 28 GG neben dem Bundesvolk auch Landes-, Kreis- und Gemeindevölker anerkenne, spreche gegen eine Interpretation des Volksbegriffes in Art. 20 II S. 1 GG als einheitliches deutsches Staatsvolk. 290 Nicht eine Einheit des Volkes, sondern die Diversität und Pluralität sei Leitgedanke des Föderalismus, so dass die monistische Demokratiekonzeption im Widerspruch zur Eigenstaatlichkeit der Länder und somit zum Bundesstaatsprinzip stehe. 291 aa) Landes-, Kreis- und Gemeindevolk als räumlich abgegrenzte Teile des Gesamtvolkes Dieser Argumentation ist zuzugeben, dass die Existenz von Landes-, Kreis-, und Gemeindevölkern auf den ersten Blick in der Tat gegen ein monistisches 290
Vgl. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 318 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 167 f.; Engels, Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip, 2001, S. 106 kann entgegen der Zitierung bei Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 85, Fn. 375, nicht ohne weiteres hierfür herangezogen werden: Sie betont zwar, dass die Interessenlage in Land und Bund eine andere sein kann und sieht somit das Landesvolk als gegenüber dem Bundesvolk eigenständig an. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Autoren geht es ihr jedoch nicht darum, hieraus ein Argument dafür zu ziehen, dass das Grundgesetz insgesamt und über die in Art 28 GG genannten Völker hinausgehend von einem „offenen“ Volksbegriff ausgehen würde. Ihr Anliegen ist vielmehr zu zeigen, dass das Demokratieprinzip nicht einseitig für sozialstaatliche Angleichung streitet, sondern auch Elemente der bundesstaatlichen Vielfalt beinhaltet (vgl. dies., a.a. O., S. 107, 91 ff.). 291 Vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 167: „Die Eigenstaatlichkeit der Länder läßt sich im Modell der nationalstaatlichen Volkslegitimationslehre nicht widerspruchsfrei erklären.“ Vgl. zur These eines Gegensatzes von Bundesstaat und Demokratie auch Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 278 ff., der einen solchen Gegensatz unter dem Grundgesetz für nicht gegeben ansieht, allenfalls an den Einheitsstaat anknüpfende Demokratiemodelle seien mit dem Bundesstaatsprinzip unvereinbar.
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Volksverständnis zu sprechen scheint, da der Eindruck entsteht, dass diese Völker nach dem Grundgesetz als weitere Legitimationssubjekte neben dem Bundesvolk fungieren. Dieser Schlussfolgerung ist jedoch Folgendes entgegen zu halten: Zwar existieren nach Art. 28 II S. 2 GG Landes-, Kreis und Gemeindevölker. Diese Völker schaffen sich durch Wahl ihre Vertretungen. Sie sind somit imstande, demokratische Legitimation zu vermitteln, so dass es sich bei ihnen um Legitimationssubjekte nach dem Grundgesetz handelt. Als solche sind sie aber nicht eigenständige, vom Gesamtvolk unabhängige Völker, da sie nicht neben das Bundesvolk als Gesamtvolk treten, sondern vielmehr lediglich einen räumlich abgegrenzten Teil des Gesamtvolkes bilden. Das heißt also, dass die Völker in den Ländern, Kreisen und Gemeinden demokratische Legitimation vermitteln können, aber aufgrund ihrer Verbundenheit im Gesamtvolk des Bundes nicht als diesem gegenüber eigenständige Legitimationssubjekte begriffen werden können. 292 Diese Konstellation wird durch die Bezeichnung des jeweiligen gebietskörperschaftlichen Volkes als „Volksteil“ 293 im Gegensatz zum eigenständigen „Teilvolk“ 294 deutlich. 295
292 Vgl. Isensee, HStR IV, 1999, § 98, Rn. 45 (bzgl. des Landesvolkes), Rn. 169 (bzgl. der Gemeinden); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 525 spricht anschaulich von der „(gestuften) Identität des demokratischen Legitimationssubjekts“; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 31 f.; a. A. bzgl. des Kommunalvolkes Merten, VVDStRL 55 (1996), S. 7, 35 f. Zu seiner Argumentation, dass andernfalls das Institut der Staatsaufsicht nicht gerechtfertigt sei, vgl. die Anmerkungen in der folgenden Fn.; verschiedene Volksbegriffe in Art. 20 II GG und Art. 28 I S. 2 GG in Bezug auf das Gemeindevolk nimmt Rittstieg, KritV 1987, S. 315, 317 an. Zu den vertretenen Ansichten siehe auch die Nachweise in der übernächsten Fußnote. 293 Zur Bezeichnung als Volksteil vgl. Isensee, HStR IV, 1999, § 98, Rn. 45, der sich auf H. Klein, FS für Forsthoff, 1972, S. 165, S. 177 bezieht. Auch dieser zieht den Begriff Volksteil dem des Teilvolkes vor, allerdings bezieht er sich ausdrücklich nicht auf das Verhältnis Bund-Land (s. ders., a.a. O., Fn. 64), sondern auf Selbstverwaltungskörperschaften. Ein weiterer Unterschied zu Isensee liegt darin, dass Klein (a.a. O., Fn. 64) durch den Begriff Volksteil ausdrücken will, dass die entsprechend bezeichnete Personengesamtheit keine demokratische Legitimation vermitteln kann. Andernfalls sei nach Klein das Institut der Staatsaufsicht nicht zu rechtfertigen. Diese Argumentation geht jedoch v. a. deshalb fehl, da die Staatsaufsicht in erster Linie die Einheit der Staatsgewalt im Land und somit letztlich auch im Bundesstaat herstellen soll und daher nicht vorrangig der Legitimation dient bzw. lediglich eine Legitimationsart darstellt und nicht über das „ob“ der demokratischen Legitimation entscheidet (vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 529, Fn. 470). Isensee geht wie ihm folgend auch Jestaedt sehr wohl von einer demokratisch-legitimatorischen Funktion der in Art. 28 I S. 2 GG genannten Volksteile aus (vgl. ders., a.a. O., Rn. 164 bzgl. des Landesvolkes; Rn. 169 bzgl. der Gemeinde); vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 211 mit Fn. 30. 294 Den Begriff des Teilvolkes prägte Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 181. Papier, KritV 1987, S. 309 ff. verwendet den Begriff des Teilvolkes im hier als Volksteil bezeichneten Sinne, da er feststellt, dass es zwischen Art. 20 II GG und Art 28 I GG „keine inhaltlichen, sondern nur räumlich-territoriale Unterscheidungen“ (a.a. O., S. 309 f.)
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Art. 28 I S. 2 GG, der fordert, dass „das Volk“ „in den Ländern, Kreisen und Gemeinden (...) eine Vertretung haben [muß], die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist“, liegt also der gleiche Volksbegriff zugrunde wie Art. 20 II S. 1 GG. Gemeint ist das deutsche Staatsvolk, allerdings ist der Fokus in Art 28 GG im Gegensatz zu Art 20 GG auf die territorialen Untergliederungen des Staatsvolkes gerichtet. 296 Dass auch Art. 28 I 2 GG vom deutschen Staatsvolk als Legitimationssubjekt ausgeht, wird zum einen durch den Wortlaut der Vorschrift deutlich: Art. 28 GG spricht nicht von den Länder-, Kreis- und Gemeindevölkern, sondern es heißt „das Volk“ „in den Ländern, Kreisen und Gemeinden“. Der den territorialen Untergliederungen zugehörige Personenverband wird also einheitlich als „das Volk“ bezeichnet, was dafür spricht, dass auch ein- und dasselbe Volk gemeint ist. 297 Ferner sprechen die „staatsanalogen Strukturen“ 298, die die in Art. 28 I S. 2 GG genannten Gebiete und die ihnen zugeordneten Personenverbände aufweisen, für den Gleichklang der Bedeutung des Volksbegriffes von Art. 28 GG und 20 GG: Die in Art. 28 I S. 2 GG genannten Völker weisen im Vergleich zum Bundesvolk eine strukturelle Gleichartigkeit auf: Die Aufgaben, die von Ländern, Kreisen und Gemeinden wahrgenommen werden, sind nicht auf bestimmte Sachbereiche begrenzt, sondern die Länder und Gebietskörperschaften zeichnen sich durch eine relative Allzuständigkeit aus. 299 Die Reichweite der Staatsgewalt der jeweiligen Gebietskörperschaft ist territorial bestimmt und ebenso ist auch der ihr zugehörige Personenverband mit dem Kriterium des Wohnsitzes von einer „unbestimmten Allgemeinheit geprägt“. 300 Auch dies spricht für eine (Teil-)Identität des Volkes in den Ländern, Kreisen und Gemeinden mit dem Bundesvolk. 301 Gegen eine solche Argumentation kann nicht eingewendet werden, „Volk“ i. S. d. Art 28 GG könne nicht das deutsche Staatsvolk sein, da die jeweiligen gibt. Für die Annahme eines eigenständigen Teilvolkes hingegen z. B. Ehlers, FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 131; Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 95 f.; Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 271 ff. Kritisch zu letzterem: Musil, Der Staat 45 (2006), S. 140, 142 f. 295 Isensee, HStR IV, 1999, § 98, Rn. 45. 296 Vgl. auch Papier, KritV 1987, S. 309, 313. 297 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 525 f.; BVerfGE 83, S. 37, 53. 298 Diesen Begriff verwendet Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 526. 299 Vgl. BVerfGE 83, S. 37, 54; Isensee, HStR IV, 1999, § 98, Rn. 169 (beide bzgl. Kreisen und Gemeinden); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 511 (bzgl. der Länder), wobei natürlich die Allzuständigkeit der Kreise und Gemeinen anders zu verstehen ist, als die der Länder, die sich durch ihre Eigenstaatlichkeit auszeichnen. 300 BVerfGE 83, S. 37, 55; Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 526 f. 301 Vgl. Isensee, HStR IV, 1999, § 98, Rn. 167.
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Vertretungen, die in Art. 28 I S. 2 GG benannt sind, nicht vom deutschen Volk, sondern vom jeweiligen Landes-, Kreis- oder Gemeindevolk gewählt würden. 302 Zwar wird die Vertretung der jeweiligen territorialen Untereinheit von dem dieser Einheit zugehörigen Volk und nicht vom gesamten Staatsvolk gewählt. Das steht aber der Annahme, dass diese Untergliederungen und somit auch ihre Völker letztlich als Teile des gesamten deutschen Staatsvolkes des Bundes anzusehen sind, nicht entgegen. bb) Keine Veränderung des Volksbegriffes durch Einführung des Art. 28 I S. 3 GG Gegen eine mit Art. 20 II GG gleichlaufende Auslegung des Volksbegriffes in Art 28 GG kann nicht das nach Art. 28 I S. 3 GG bestehende aktive und passive Wahlrecht von Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, angeführt werden. 303 Diese Bestimmung führt zwar dazu, dass der wahlberechtigte Personenverband in den Kreisen und Gemeinden gegenüber dem Wahlvolk auf Bundesebene erweitert ist und insoweit in der Tat über einen bloßen „Volksteil“ hinausgeht. Aber die Tatsache, dass dieses Wahlrecht für Unionsbürger eigens in der Verfassung verankert wurde, zeigt, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Wahlberechtigung in den Gebietskörperschaften neben dem Wohnsitz im jeweiligen Gebiet durch die (Bundes)Staatsangehörigkeit und somit durch die Zugehörigkeit zum deutschen Volk vermittelt wird. Wäre das Volk in den Kreisen und Gemeinden ohnehin unabhängig vom deutschen Staatsvolk zu bestimmen, hätte es der Einfügung von Satz 3 gar nicht bedurft. 304 Seine Einführung kann schon aufgrund dieses Umstandes nicht herangezogen werden, um einen insgesamt veränderten Volksbegriff im Rahmen des Art. 20 II S. 1 GG zu begründen. Dass die Ge302
So Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 318 f. Vgl. zur Diskussion um die Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für Ausländer mit Art. 79 III GG, der hier nicht nachgegangen werden kann: Braley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 101 ff.; BVerwGE 83, S. 37, 59, dazu: Löwer, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 4. / 5. Aufl., 2001, Art. 28, Rn. 28; Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 58 m.w. N. 304 Vgl. zum Umkehrschluss Ehlers, FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 130. Allerdings bezieht er dies nur auf den Volksbegriff nach Art. 20 II S. 1 GG. Die in Art. 28 GG genannten Völker sieht er als eigenständige Teilvölker an (a.a. O., S. 131). Vgl. Braley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 24 ff., 38, die die Notwendigkeit der Einführung des Art. 28 I S. 3 GG für die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger darlegt, die eben dadurch gegeben war, dass das Kommunalvolk in Art. 28 das in den Kommunen ansässige Volk i. S. d. Art. 20 II S. 1 GG war. Vgl. zur Einführung des Kommunalwahlrechtes für Ausländer auch Hobe, JZ 1994, S. 191, 193, der allerdings von einer Auswirkung auf den „Staatsvolkbegriff“ des Art. 20 II GG ausgeht. 303
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währung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger den Begriff des Volkes in Art. 20 II GG nicht grundlegend verändert, wird ferner durch die Tatsache deutlich, dass das Wahlrecht durch eine Regelung im Rahmen des Art. 28 GG und nicht im Rahmen des Art. 20 II GG eingeräumt wurde. 305 Des Weiteren lässt sich anführen, dass die legitimatorische Wirkung des Volkes in den Gemeinden sich von der des Volkes in den Ländern und im Bund wesentlich unterscheidet und somit auch keine Rückschlüsse von der Zusammensetzung des Volkes in den Gemeinden auf den Volksbegriff des Art. 20 II GG möglich sind: Das Volk in den Gemeinden wählt kein Legislativorgan, sondern lediglich die Gemeindevertretung. Diese ist als Exekutivorgan zu qualifizieren 306 und entscheidet nicht wie der Bundestag und die Länderparlamente gemäß dem Parlamentsvorbehalt die wesentlichen Fragen. Hinzu kommt, dass sich die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt in den Kommunen auf zwei Stränge stützt: Auch wenn das Legitimationssubjekt, von dem der personelle Legitimationsstrang ausgeht, um die in der Gemeinde wohnhaften EU-Ausländer erweitert ist, so ist das Handeln in der Gemeinde dennoch aufgrund der Tatsache, dass die wesentlichen Entscheidungen in Form von Gesetzen durch das Parlament getroffen werden, an das Staatsvolk rückgebunden. Da somit die Legitimation, die vom Volk in den Gemeinden ausgeht, eine geringere ist als diejenige in Bund und Land, ist die Gewährung des Kommunalwahlrechts für Ausländer unter dem Grundgesetz zulässig. Allerdings kann aus diesem Grund aus seiner Einführung kein Rückschluss im Sine einer allgemeinen Erweiterung des Volksbegriffes gezogen werden. cc) Strukturelle Gleichartigkeit der Landes-, Kreis- und Gemeindevölker zum Staatsvolk Neben der soeben dargelegten Erwägung, dass die in Art. 28 GG in Bezug genommenen Legitimationssubjekte der Landes-, Kreis- und Gemeindevölker lediglich Untergliederungen des Legitimationssubjektes Gesamtstaatsvolk sind und insofern von einer Pluralität der Legitimationssubjekte nicht ausgegangen werden kann, spricht noch eine weitere Überlegung dagegen, aus der Existenz dieser Völker auf einen pluralistischen Volksbegriff in Art. 20 GG zu schließen. Selbst wenn man die Landes-, Kreis- und Gemeindevölker als eigenständige Völker und somit als vom Gesamtvolk unabhängige Legitimationssubjekte ansehen wollte, lässt dies nicht darauf schließen, dass das Grundgesetz damit schon von einer unbestimmten Pluralität von möglichen Legitimationssubjekten ausgeht und die beliebige Bildung von Teilvölkern ermöglicht. Zum einen sind im 305 Vgl. dazu nur Braley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, 1999, S. 102 m.w. N. auch zur Kritik an dieser Regelungsweise. 306 Widtmann / Grasser, BayGO, Art. 29, Juni 2000, Rn. 5.
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Art. 28 GG die Land-, Kreis- und Gemeindevölker ausdrücklich genannt, so dass diese Bestimmung als von der Verfassung vorgesehene Ausnahme oder Modifikation 307 zu Art. 20 II GG angesehen werden kann. 308 Als eine Ausnahmebestimmung ist die Vorschrift grundsätzlich eng auszulegen, was eine Erweiterung im Sinne einer Zulassung weiterer Teilvölker bereits einschränkt. Im Übrigen stützt die oben bereits dargelegte strukturelle Gleichartigkeit der in Art. 28 GG genannten Völker mit dem Staatsvolk nicht nur die übereinstimmende Auslegung des Volksbegriffes des Art. 28 GG mit dem des Art. 20 II S. 1 GG. Sie spricht auch dagegen, die Existenz der in Art. 28 GG genannten Völker zur Begründung der These heranzuziehen, das Grundgesetz gehe von einer Pluralität von Legitimationssubjekten aus, so dass unter Heranziehung des Kriteriums der Betroffenheit von Herrschaftsgewalt weitere Legitimation vermittelnde Teilvölker gebildet werden könnten. Ein „Teilvolk“, das sich aus den jeweils Betroffenen zusammensetzt, ist mit den in Art. 28 GG genannten Völkern nicht vergleichbar: Es fehlt an der strukturellen Gleichheit zum Staatsvolk. Nicht ein kleinerer, nach territorialen Merkmalen bestimmter Ausschnitt des Staatsvolkes wird herangezogen, sondern es wird auf einen bestimmten Personenkreis abgestellt, der sich nach dem gruppenspezifischen Merkmal der Betroffenheit zusammensetzt. 309 dd) Fazit Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland nicht gegen einen monistischen Volksbegriff angeführt werden kann. Die Landes-, Kreis-, und Gemeindevölker erscheinen vielmehr als räumlich abgegrenzte Teile des Gesamtstaatsvolkes und nicht als eigenständige Legitimationssubjekte neben dem Staatsvolk. f) Fazit zu den teleologischen Erwägungen der pluralistischen Konzeption Wie sich gezeigt hat, konnten die teleologischen Argumente, die angeführt werden, um eine Auslegung des Volksbegriffes des Art. 20 II GG nach dem Kriterium der Herrschaftsbetroffenheit zu stützen, nicht überzeugen. Die von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik gestützte Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG als deutsches Staatsvolk wird also durch die teleologische Auslegung nicht widerlegt. Da somit die verschiedenen Auslegungsmethoden nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, muss auf die Frage nach 307
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 511, 210. Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 20, Rn. 174. 309 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 501. 308
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einer Rangordnung zwischen den verschiedenen Auslegungsmethoden nicht eingegangen werden. 310 5. Teleologische Argumente gegen eine pluralistische Konzeption Im Folgenden ist nun weitergehend zu untersuchen, ob sich das monistische Verständnis des Volksbegriffes auch durch teleologische Erwägungen stützen lässt. Es wird sich zeigen, dass der monistische Volksbegriff nicht nur in keinem Widerspruch zum Sinn und Zweck des Art. 20 GG und dem darin verankerten Demokratieprinzip steht, sondern darüber hinaus auch unter teleologischen Gesichtspunkten dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes am besten gerecht wird. a) Betroffenheit als untaugliches Kriterium Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Kriterium der Betroffenheit zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führt. Als erstes stellt sich die Frage, wie Betroffenheit zu definieren ist: Geht es um die Betroffenheit im Einzelfall, im Sinne einer Verletzung in subjektiven Rechten, oder um eine potentielle Betroffenheit im Sinne einer Statusbetroffenheit. 311 aa) Betroffenheit als Einzelrechts- oder Statusbetroffenheit Insbesondere wenn man Betroffenheit als Einzelrechtsbetroffenheit versteht, kann einem solchen Kriterium entgegen gehalten werden, dass es sich hierbei um eine Frage des Rechtsschutzes handelt und nicht um einen Faktor, der Mitwirkungsrechte begründet: 312 Natürlich sind nicht nur Deutsche von deutscher Staatsgewalt betroffen, sondern auch der in Deutschland lebende Ausländer oder Personen, die sich auf der Durchreise befinden – man denke nur an Verkehrsvorschriften und Verkehrsschilder. Diese Tatsache allein begründet jedoch noch keinen Anspruch auf Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt durch Wahl, sondern lediglich einen Anspruch auf Rechtsschutz gegen diese Staatsgewalt. Dieser kommt aber jedem Betroffenen zu, sei er Deutscher, dauerhaft in Deutschland le310
Vgl. dazu Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. Vgl. dazu, insbes. zum Begriff der Statusbetroffenheit Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 80 f., 217, 508 f. Aufgrund dieser Unsicherheiten in der Bestimmung spricht Papier, KritV 1987, S. 309, 311 davon, dass die „Betroffenheit“ nicht als juristische Kategorie anzusehen ist. 312 So Isensee, KritV 1987, S. 300, 304; ders., FS für Mikat, 1989, S. 705, 729 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 217. 311
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bender Ausländer oder aber nur temporär deutscher Staatsgewalt unterworfener Reisender. Stellt man hingegen auf eine potentielle Betroffenheit, also auf eine Statusbetroffenheit ab, treten ebenso Probleme auf: Es besteht dann die Schwierigkeit zu bestimmen, wer potentiell von einer bestimmten Regelung oder einem Rechtsakt betroffen sein wird. Angesichts der in einer modernen Welt zunehmenden Vernetzung und gegenseitigen Beeinflussung von Sachgebieten und Problemen – man denke insbesondere an Problemstellungen und Entscheidungen im Umweltbereich – ist es schwierig, hier Grenzen zu ziehen. Einerseits ist eine zu umfassende Inklusion zu vermeiden, da sie zu einer Verminderung des Einflusses des einzelnen Betroffenen führen würde, 313 andererseits erscheint eine Nichtbeteiligung Betroffener zugunsten der Schaffung kleiner Entscheidungseinheiten ungerechtfertigt. Es stellt sich also die Frage, ab welchem Grad von Betroffenheit demokratische Mitwirkungsrechte gegeben sein sollen. 314 Ferner kann sich das Problem stellen, dass bei komplexen Entscheidungen nur schwer abzusehen ist, wer potentiell von einer Regelung betroffen ist. 315 So betrifft z. B. der Deichbau zum Schutze vor Hochwasser in einem bestimmten Flussgebiet die Bevölkerung, die in unmittelbarer Nähe des Flusses ansässig ist, da sie durch den Deichbau vor Überschwemmungen geschützt wird. Andernorts könnte der Bau des Deiches aber Überschwemmungen hervorrufen, da dem Fluss hierdurch Ausweichflächen im Gebiet des Deiches genommen sind. Wo genau aber diese Auswirkungen in Form der Überflutung zu Tage treten, kann u. U. schwer vorhersehbar sein, so dass die potentiell Betroffenen erst im Nachhinein feststehen. Hinzu kommt, wie das Beispiel des Deichbaus veranschaulicht, dass solche Probleme natürlich nicht vor Staatsgrenzen halt machen. 316 Es stellt sich also die Frage nach der Einbindung von Betroffenen außerhalb Deutschlands und nach einer möglichen Organisation einer solchen Einbindung. 313
Vgl. zur Inklusionsproblematik Bryde, KJ 2000, S. 59, 64. Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 323 will auf „nachhaltige“ Betroffenheit abstellen. Dies ist vor dem Hintergrund verständlich, dass es ihm um ein Kommunalwahlrecht der in Deutschland lebenden Ausländer geht. Mag im Zusammenhang mit dem Kommunalwahlrecht noch bestimmbar sein, was mit nachhaltiger Betroffenheit gemeint ist (bestimmte Aufenthaltsdauer o. ä.), so führt das Kriterium der Nachhaltigkeit als allgemeines Bestimmungsmerkmal für den Grad der Betroffenheit aber nicht weiter, da es selber zu unbestimmt ist. 315 Ohne diesen Aspekt zu problematisieren, meint Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 323, dass der Gesetzgeber von „typischen Geschehensabläufen“ ausgehen darf. Dies ist zu kurzsichtig: Wenn Zuleeg (a.a. O.) die „Auswirkung der zu fällenden Entscheidungen“ als maßgebliches Kriterium dafür heranzieht, wer die Entscheidungsträger auswählen darf, bedenkt er nicht, dass es Entscheidungen gibt, die erstmals zu treffen sind und für die es daher keine typischen Abläufe gibt, da man nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann. 316 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 216. 314
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bb) Schwierigkeiten bei der Differenzierung verschiedener Grade von Betroffenheit Die soeben dargelegten Schwierigkeiten, die bei dem Versuch einer genaueren Definition des Betroffenheitskriteriums auftreten und die Frage betreffen, wann eine „nachhaltige“ 317 Betroffenheit und somit nach pluralistischer Lesart eine Zugehörigkeit zum Volk i. S. d. Art. 20 II GG vorliegt, sind jedoch nicht die einzigen Probleme, die eine „Betroffenheitsdemokratie“ 318 mit sich bringt. Darüber hinaus treten Abgrenzungsschwierigkeiten auf, wenn innerhalb des Kreises der nachhaltig Betroffenen weitere Abstufungen der Mitwirkungsrechte nach dem Grad ihrer Betroffenheit vorgenommen werden sollen. Diese Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen größerer und geringerer Betroffenheit wird von den Befürwortern einer auf die Betroffenheit ausgerichteten Demokratiekonzeption als Vorteil im Sinne einer höheren Flexibilität gegenüber dem Merkmal der Staatsangehörigkeit angesehen. 319 Offen bleibt hierbei aber, nach welchem Kriterium zu bestimmen ist, wann eine größere und wann eine geringere Betroffenheit vorliegt: Sofern eine größere Betroffenheit bei einer konkreten Einzelfallbetroffenheit angenommen werden soll, würde dies eine Vermengung demokratischer Kategorien mit denen des Rechtsschutzes bedeuten. Falls eine gestufte potentielle Betroffenheit gemeint ist, so dass beispielsweise danach differenziert werden soll, wie wahrscheinlich ein Betroffensein ist oder wie groß das Ausmaß im Falle einer konkreten Betroffenheit zu erwarten ist, ergeben sich folgende Einwände: Eine Differenzierung im erstgenannten Sinne würde die oben am Beispiel des Deichbaus aufgezeigten Schwierigkeiten, die bei der Abgrenzung des Betroffenenkreises von den nicht oder nicht stark genug Betroffenen auftreten, auch im Rahmen der Abstufung der Mitwirkungsrechte aufwerfen. Eine Unterscheidung im letztgenannten Sinne würde wieder neue Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen: So würde sich die Frage stellen, ob bei der Beurteilung des Ausmaßes der Betroffenheit objektive oder subjektive bzw. abstrakt-allgemeine oder konkret-individuelle Kriterien maßgeblich sein sollen. 320 cc) Verdeutlichung am Beispiel von Lippeverband und Emschergenossenschaft Die oben angesprochenen Schwierigkeiten, die zum einen bei der Bestimmung des Kreises der Betroffenen und zum anderen bei der Differenzierung innerhalb dieses Kreises anhand des Maßes oder Grades der Betroffenheit bestehen, lassen 317
Zuleeg, KritV 1987, S. 322, 323. Vgl. zum Begriff Isensee, KritV 1987, S. 300, 304. 319 Bryde, KJ 2000, S. 59, 64. 320 Vgl. zur Verdeutlichung die folgenden Ausführungen zu Lippeverband und Emschergenossenschaft, c) (2). 318
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sich am Beispiel der Selbstverwaltungskörperschaften Emschergenossenschaft und Lippeverband aufzeigen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit der Heranziehung dieser Körperschaften als Beispiel nicht quasi konkludent vorausgesetzt sein soll, dass die Problematik der Korrespondenz von Aufgabe der Selbstverwaltungskörperschaft und Bestimmung des Betroffenen- bzw. Mitgliederkreises sowie das Problem der Gewichtung von Mitwirkungsrechten im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung beim Demokratieprinzip zu verorten sind. Diese Frage ist umstritten: Sieht man die Selbstverwaltung als eine Möglichkeit der Verwirklichung des Demokratiegebotes an, stellen sich die angesprochenen Probleme im Rahmen des Demokratiegebotes. 321 Sieht man die funktionale Selbstverwaltung dagegen eher als Ausnahme vom Demokratieprinzip an, so lassen sich aus diesem auch nicht ohne weiteres Vorgaben für die Binnenstruktur der Selbstverwaltungskörperschaft ableiten. 322 Die Frage, ob die hier zu behandelnden Probleme im Zusammenhang mit der funktionalen Selbstverwaltung solche des Demokratiegebotes sind oder nicht, kann jedoch dahinstehen: Zum einen soll die Heranziehung des Beispiels der Wasserverbände an dieser Stelle nur zur Verdeutlichung der Abgrenzungsschwierigkeiten dienen, die das Betroffenheitskriterium mit sich bringt. Zum anderen stellen sich diese Schwierigkeiten jedenfalls dann im Rahmen des Demokratieprinzips, wenn man das Betroffenheitskriterium zum Bestimmungsmerkmal dafür macht, wer im Rahmen des Art. 20 II GG als „Volk“ zu verstehen ist, 323 auch wenn der Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip für die Selbstverwaltungskörperschaften umstritten ist. Dabei ist auch zu bedenken, dass Selbstverwaltungskörperschaften, in denen Betroffene ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln und wahrnehmen, relativ überschaubare Bereiche betreffen. Wenn aber schon hier Abgrenzungsprobleme auftreten, liegt auf der Hand, dass die Schwierigkeiten wachsen, wenn man das Betroffenheitskriterium generell zum Bestimmungsmerkmal der Gruppe der Volkszugehörigen im Sinne des Art. 20 II GG heranziehen will. 321 Vgl. zur Korrespondenz von Verbandsvolk und Aufgabe des Selbstverwaltungsverbandes Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 358 f., 359 ff., der das Korrespondenzgebot aus dem Demokratieprinzip ableitet, da das Verbandsvolk für ihn die Basis der organisatorisch-personellen Demokratie ist. S. auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 405 ff., der grundsätzlich die Gleichheit der Mitwirkung als Voraussetzung der autonomen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ansieht. 322 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 545 f. mit Fn. 560, der den häufig verwendeten Ausdruck der „demokratischen“ Binnenstruktur als irreführend zurückweist und klarstellt, dass die oben angesprochene Korrespondenz zwischen Aufgabe und Mitgliedern der Selbstverwaltungskörperschaft nicht auf das Demokratieprinzip zurückzuführen sei, sondern sich aus dem Wesen der Selbstverwaltung ergebe: Sei eine solche Korrespondenz nicht möglich, sei die in Frage stehende Materie nicht selbstverwaltungstauglich. Vgl. auch ders., a.a. O., S. 497 ff. 323 Dafür: Bryde, KJ 2000, S. 59, S. 63.
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(1) Abgrenzung des Betroffenenkreises Die Abgrenzung des Betroffenenkreises muss bei Einrichtung der Wasserverbände durch den Gesetzgeber vorgenommen werden, da dieser im Errichtungsgesetz bestimmt, wer Mitglied der Körperschaft sein soll. Dies ist im Falle der Wasserverbände etwas komplexer als im Rahmen der Errichtung anderer Selbstverwaltungskörperschaften, wie beispielsweise der Ärzte- oder Rechtsanwaltskammern. Während diesen Kammern alle Angehörigen des Berufes in dem jeweils maßgeblichen Gebiet angehören, die Statusbetroffenheit also durch ein klares Kriterium, den Beruf, bestimmt wird, ist die Frage nach der Statusbetroffenheit bei den Wasserverbänden nicht an ein so eindeutiges Kriterium geknüpft. Die Mitglieder sind hier über den Aufgabenbereich der Wasserverbände zu bestimmen. 324 So setzen sich gem. § 6 LippeVG bzw. § 5 EmscherGG die Verbände im Wesentlichen zusammen aus dem Land Nordrhein-Westfalen (nur Lippeverband), den Städten, Gemeinden und Kreisen, soweit sie ganz oder teilweise im entsprechenden Genossenschafts- bzw. Verbandsgebiet liegen oder weitere Voraussetzungen wie bspw. die Pflichtenübernahme durch den Verband / die Genossenschaft gegeben sind, den Eigentümern der ganz oder teilweise in diesem Gebiet liegenden Bergwerke bzw. unter weiteren Voraussetzungen auch bei einer Lage außerhalb des Gebietes sowie den gewerblichen Unternehmen und den jeweiligen Eigentümern von Grundstücken und sonstigen Anlagen, die Unternehmen des Verbandes bzw. der Genossenschaft verursachen, erschweren oder Vorteile von den Tätigkeiten zu erwarten haben. Es zeigt sich also an dieser Aufzählung, dass die Bestimmung der Betroffenen ohne eindeutige Kriterien, wie beispielsweise die Berufszugehörigkeit, bereits in dem abgegrenzten Bereich der Wasserverbände komplex ist. (2) Gewichtung der Mitwirkungsrechte Auch die zweite Stufe, die Differenzierung der Mitwirkungsrechte anhand des Grades der Betroffenheit, weist Probleme auf. In den Wasserverbänden bestimmt sich der Einfluss der Mitglieder auf die Entscheidungen, die in der Körperschaft getroffen werden, nach der Höhe ihrer Beiträge (§ 12 II LippeVG i.V. m. § 7 der Satzung für den Lippeverband; § 11 II i.V. m. § 7 der Satzung für die Emschergenossenschaft). Bei der Unterschreitung bestimmter Mindestbeiträge erlischt für bestimmte Mitglieder sogar die Mitgliedschaft völlig (vgl. § 5 II EmscherGG; 324 Das Erfordernis der Korrespondenz von Verbandsvolk und Aufgabe des Selbstverwaltungsverbandes ist unstrittig, lediglich die Verortung im Demokratieprinzip ist zweifelhaft. Vgl. einerseits für eine Verortung im Demokratieprinzip: Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 358 f., 359 ff.; ders., Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 90; andererseits dagegen: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 545 f.
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§ 6 II LippeVG). Diese Differenzierung wirft gleich mehrere Fragen auf: Zum einen stellt die Gewichtung der Betroffenheit anhand der Beitragshöhe allein auf abstrakte objektive Kriterien ab und berücksichtigt demnach nicht, dass die Höhe der Beitragspflicht je nach der Höhe der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel unterschiedlich zu bewerten sein könnte. Es stellt sich also die Frage, ob dieser Faktor der individuellen Belastung 325 nicht Berücksichtigung finden müsste, zumal die Mitglieder der Wasserverbände nicht homogen sind: Gewerbliche Unternehmen, die von den Aufgaben des Wasserverbandes berührt werden, dürften in der Regel über größere Finanzmittel verfügen als Privateigentümer von Grundstücken. Mit anderen Worten: Ein Mitglied mit großen Finanzmitteln erscheint durch einen bestimmten Beitragsbetrag weniger „betroffen“ als ein anderes Mitglied, das den gleichen Beitrag zu errichten hat, aber weniger finanzstark ist. (3) Weitere Problematik: Verlust der Mitgliedschaft Ein weiteres Problem betrifft den Ausschluss von Mitgliedern, wenn sie die in den jeweiligen Satzungen festgelegten Mindestbeiträge nicht mehr erreichen. Die Entscheidungen des Verbandes werden nach dem Mehrheitsprinzip getroffen. Die Maßgeblichkeit der Mehrheitsentscheidung hat aber ihre Berechtigung nicht zuletzt darin, dass die unterliegende Minderheit die Chance hat, zur Mehrheit zu werden und so Beschlüsse zu ändern. Wenn aber zwischenzeitlich die Mitgliedschaft endet, endet auch die Möglichkeit an Entscheidungen des Verbandes mitzuwirken. Dies mag im Rahmen der Wasserverbände als funktionale Selbstverwaltungskörperschaften im Hinblick auf das Demokratiegebot unproblematisch sein, sofern man die funktionale Selbstverwaltung als Ausnahme begreift und somit die Entscheidung nach dem Majoritätsprinzip als bloß formale Regelung der Entscheidungsfindung ansieht, die nicht im Demokratieprinzip wurzelt. Jedenfalls wird eine solche Regelung aber zum Problem, das sich im Rahmen des Demokratiegebotes stellt, wenn man die Herrschaftsbetroffenheit zum Kriterium für die Volkszugehörigkeit macht. In diesem Fall sind Konstellationen vorstellbar, in denen sich die Betroffenheit und somit die Berechtigung zur Herrschaftsteilhabe im Laufe der Zeit ändern. Bei einem Anknüpfen an die Staatsangehörigkeit ist eine Veränderung zwar denkbar, aber doch wohl die Ausnahme. 326 325 Man könnte hier insofern von einem subjektiven Faktor sprechen, als bei der Pflicht zur Entrichtung einer absolut gesetzten Summe die „gefühlte“ Belastung bei wenig finanziellen Mitteln eine höhere ist als bei größerem Vermögen. Natürlich lässt sich dies auch ebenso gut durch objektive Faktoren beschreiben, indem man die Beträge in Relation zum Vermögen oder zu den Einkünften setzt. Daher ist hier wohl nicht die Unterscheidung subjektiv-objektiv maßgeblich, sondern eher die Differenzierung zwischen abstraktallgemeinen und individuell-konkreten Kriterien angebracht.
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dd) Fazit Diese Abgrenzungsschwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Betroffenheitskriterium auftreten, verdeutlichen, dass der zunächst recht bestechende Gedanke des Zusammenhangs von Selbstbestimmung und Betroffenheit nur auf einer abstrakt-theoretischen Ebene praktikabel ist. Man kann aus dieser – im ursprünglichen Sinne des Wortes – ideellen Verbindung nicht die Betroffenheit als Kriterium zur Bestimmung des Volksbegriffes ableiten: Sobald man anhand konkreter Beispiele das Betroffenheitskriterium auf seine „Praxistauglichkeit“ überprüft, versagt es. Demokratie ist aber nicht nur eine abstrakte Idee, sondern muss in der täglichen Staatspraxis funktionieren. b) Verkehrung des Ableitungszusammenhangs zwischen Volk und Staatsgewalt Der oben im Zusammenhang mit dem Beispiel eines Deichbaus bereits verdeutlichte Umstand, dass die Betroffenheit von einer staatlichen Maßnahme unter Umständen erst im Nachhinein feststeht, führt zu einem weiteren Problem: Bei der Zusammensetzung des Volkes, das nach Art. 20 II GG Ursprung aller Staatsgewalt sein soll, nach dem Merkmal der Betroffenheit wird der Ableitungszusammenhang zwischen Volk und Staatsgewalt verkehrt. Das Volk liegt der Staatsgewalt nicht mehr als gegebene Größe voraus, sondern wird von dieser bestimmt. Dies wird schon sprachlich an der passiven Bedeutung des Wortes „Betroffenheit“ deutlich. 327 Ferner trägt der Umstand dazu bei, dass auch die Entscheidungsebene bei Zugrundelegung eines Betroffenheitskriteriums nicht mehr vorgegeben ist. Sie kann über die Grenzen des Nationalstaates hinausgehen oder auch nur einen Teil des Staates umfassen. 328 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Festlegung der Entscheidungsebene durch den Gesetzgeber erfolgt, also durch das Organ, das auch die Staatsgewalt in Form von Normerlassen ausübt. Der Gesetzgeber hat damit die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf das Legitimationssubjekt, da das Volk je nach dem, wie großzügig die Grenzen bei der Beurteilung der maßgeblichen Betroffenheit gezogen werden, ein anderes ist. 329
326 Vgl. dazu auch unten Teil 1 Kap. 2 C. IV. 5. e) zum zeitlichen Auseinanderfallen von Entscheidungen und deren Vollzug. 327 So Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 735. 328 Bryde, KJ 2000, S. 59, S. 65. 329 Isensee, KritV 1987, S. 300, 305 spricht in diesem Zusammenhang von „Konflikte[n] mit der staatsrechtlichen Logik der Demokratie“.
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c) Widerspruch zum Grundsatz demokratischer Gleichheit Neben den Schwierigkeiten in der Anwendung bei Zugrundelegung des Betroffenheitskriteriums und dem Widerspruch zu dem in Art 20 II S. 1 GG vorgegebenen Ableitungszusammenhang zwischen Volk und Staatsgewalt steht das Merkmal der Betroffenheit auch im Widerspruch zum Grundsatz der demokratischen Gleichheit. 330 Nach diesem Grundsatz stehen jedem Volksangehörigen die gleichen politischen Mitwirkungsrechte zu, ohne dass Differenzierungen zwischen den einzelnen Volkszugehörigen zulässig sind. aa) Demokratische Gleichheit als Forderung der Verfassung Der Grundsatz demokratischer Gleichheit mit seiner Forderung nach absoluter Gleichheit im Hinblick auf die politischen Mitwirkungsrechte ist nicht bloßer Bestandteil des staatstheoretischen Demokratiemodells der monistischen Demokratiekonzeption, sondern ein von der Verfassung vorgegebener Grundsatz. 331 Somit darf ein staatstheoretisches Demokratiemodell sich nicht über die Gleichheit der Mitwirkungsrechte als von der Verfassung rezipierte Vorgabe hinwegsetzen. Zwar ist das Gebot demokratischer Gleichheit in der Verfassung als allgemeiner Bestandteil des Demokratieprinzips nicht ausdrücklich genannt, dies erklärt sich aber schon dadurch, dass die Verfassung auch zum Demokratieprinzip selbst nur wenig Aussagen trifft. Auch der Umstand, dass die Egalität der Mitwirkungsrechte im Grundgesetz nicht mittels eines „allgemeinen“ demokratischen Gleichheitssatzes festgeschrieben wurde, steht einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Grundsatzes demokratischer Gleichheit nicht entgegen, da die Verfassung „besondere“ demokratische Gleichheitssätze vorsieht, die in der Zusammenschau auf den grundlegenden allgemeinen demokratischen Gleichheitssatz schließen lassen. 332 Hier sind insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl in Art. 38 I S. 1, Art. 28 I S. 2 GG zu nennen, die besagen, dass grundsätzlich jeder Staatsbürger wählen darf (Gleichberechtigung bzgl. des „Ob“) und dass bei der Wahl jede Stimme dasselbe Gewicht 330 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 217 ff., der zusätzlich noch einen Verstoß gegen das Prinzip parlamentarischer Demokratie und den Grundsatz der Mittelbarkeit konstatiert. 331 Vgl. dazu Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 406 f. Zum historisch-theoretischen Hintergrund vgl. insbesondere Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 613 ff., der allerdings aufgrund der bestehenden Ausnahmen nicht von einer strikt egalitären Gleichheit ausgeht. 332 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 397 spricht vom Prinzip der demokratischen Gleichheit als „‚ungeschriebene[s] demokratische[s] Verfassungsrecht‘“.
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haben muss (Gleichberechtigung bzgl. des „Wie“). 333 Die Stimmen sind also nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl lediglich zu zählen und nicht zu gewichten, so dass bei den Parlamentswahlen, die sowohl nach pluralistischer als auch nach monistischer Ansicht im Zentrum der Demokratie stehen, 334 eine absolute Gleichheit der Einflussnahme gefordert wird. Auch Art. 33 II GG, der Differenzierungen beim Zugang zu den öffentlichen Ämtern grundsätzlich nur hinsichtlich der Qualifikation des Bewerbers für zulässig erachtet, ist am Grundsatz formaler Gleichheit orientiert. 335 Die Tatsache, dass die formale Gleichheit im Grundgesetz bei der Regelung der für die Demokratie zentralen und konstitutiven Elemente wie der Wahl ausdrücklich festgeschrieben wurde, zeigt, dass die Geltung des Gleichheitsgebotes nicht auf die Fälle seiner ausdrücklichen Anordnung beschränkt ist, sondern dass es als zentraler Bestandteil des Demokratieprinzips anzusehen ist und somit umfassende Geltung beanspruchen kann. 336 Diese umfassende Geltung lässt sich auch durch staatstheoretische Überlegungen stützen: Wenn der Demokratie – was unbestritten ist – die Freiheit des Menschen zugrunde liegt und aus dieser die Selbstbestimmung folgt, muss es sich auch um die gleiche Selbstbestimmung handeln, 337 da alle Menschen gleich frei sind und ihre Freiheit keinen Gewichtungen unterworfen ist. Auch diese Überlegung spricht somit dafür, dass im Rahmen des Demokratiegebotes der Grundsatz formaler demokratischer Gleichheit umfassend gilt.
333
Vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 175 f. Vgl. Groß, KJ 2000, S. 93, 96, der feststellt, dass es der pluralistischen Interpretation nicht darum geht, die parlamentarische Verantwortung der Regierung zu ersetzen; Bryde, KJ 2000, S. 59, 68. 335 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 407; Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 614 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 398 ff., der genauer differenzierend die Wahlgleichheit als Regelausprägung und Art. 33 II GG als Sonderausprägung des allgemeinen Grundsatzes begreift. 336 Vgl. aber Groß, KJ 2000, S. 93 ff., der die Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips darlegt, ohne den Grundsatz demokratischer Gleichheit explizit zu thematisieren. Es findet sich lediglich im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Selbstverwaltung der Satz: „Dies bedeutet jedoch keine vollständige Übertragung der für Parlamentswahlen geltenden Regeln, da gruppenspezifisch gewichtete Mitwirkungsrechte wie in der Universität oder Wahlrechte juristischer Personen wie in den Industrie- und Handelskammern sachgerechte Modifikationen darstellen können.“ (S. 99) Groß scheint also die Geltung des Grundsatzes demokratischer Gleichheit auf die Parlamentswahlen beschränken zu wollen („Übertragung“). Dies geschieht jedoch ohne eine nähere Begründung. 337 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 41. 334
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bb) Unmöglichkeit formaler Gleichheit angesichts des materiellen Betroffenheitskriteriums Diese formale Egalität steht in einem Spannungsverhältnis zu einem Demokratieverständnis, das den Einzelnen und seine Herrschaftsbetroffenheit zum Ausgangspunkt nimmt: Zum einen führt das Betroffenheitskriterium zu einer Pluralität von Legitimationssubjekten, so dass folgendes Problem besteht: Nach dem Prinzip demokratischer Gleichheit müssen die Mitwirkungsmöglichkeiten der einzelnen Volksangehörigen gleich sein. Diese Gleichheit der Bürger in ihren politischen Mitwirkungsrechten ist aber nicht mehr gewährleistet, sofern sie nicht nur in ihrer Einheit als Staatsvolk die Staatsgewalt legitimieren, sondern je nach Herrschaftsbetroffenheit auch in kleineren Teileinheiten. Jede Betroffenengruppe überlappt zumindest teilweise mit dem Wahlvolk, so dass die Betroffenen zum einen über die Wahl und zum anderen über die Mitbestimmung als Betroffene Einfluss auf die Staatsgewalt ausüben würden, während nicht betroffene Dritte lediglich durch ihre Beteiligung an der Parlamentswahl eingebunden wären. 338 Die Unvereinbarkeit zwischen dem Gebot demokratischer Gleichheit und dem Betroffenheitskriterium geht aber über diese Problematik der sich überschneidenden verschiedenen Legitimationssubjekte hinaus: Eine Bestimmung der Volkszugehörigkeit nach der Betroffenheit ist schon im Ansatz nicht mit dem Prinzip der demokratischen Egalität in Einklang zu bringen ist, weil die Betroffenheit anders als das Kriterium der Staatsangehörigkeit kein formales sondern ein materielles Kriterium darstellt. 339 Als solches bringt das Betroffenheitskriterium die Unterscheidung verschiedener Grade von Betroffenheit mit sich und dies zieht Gewichtungen der Mitwirkungsrechte anhand des Maßes der Betroffenheit nach sich. Diese Ungleichheit in den Mitwirkungsrechten und ihre Zulässigkeit werden vor allem im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung diskutiert. 340 Sie 338
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 218. Zum materiellen Charakter des Betroffenheitskriteriums vgl. auch: Papier, KritV 1987, S. 309, 312. 340 Vgl. dazu: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 546, Fn. 560, der diese Fragestellung vom Demokratieprinzip trennt, da es um die Binnenstruktur der Selbstverwaltungskörperschaft geht, vgl. auch S. 218 mit Fn. 68. Diejenigen Autoren, die eine Verbindung zum Demokratieprinzip herstellen, sehen für die Selbstverwaltung häufig eine Ausnahme vom strikt formalen demokratischen Gleichheitsgrundsatz vor: Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 405 ff., der grundsätzlich die Gleichheit der Mitwirkung als Voraussetzung der autonomen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ansieht, aber bzgl. der Realkörperschaften Ausnahmen für gerechtfertigt hält (S. 408 ff.). Weitergehend: Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 312 ff., insbes. S. 314 und 316, der für den Bereich der Selbstverwaltung ein „nach Betroffenheitsgesichtspunkten differenziertes Egalitätsdenken“ (S. 316) annimmt. 339
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sind aber kein spezifisches Problem der funktionalen Selbstverwaltung, sondern Folge der Anknüpfung an die Betroffenheit und somit dem Gedanken der Betroffenendemokratie immanent. 341 Es ist also nicht möglich, auf das Kriterium der Betroffenheit abzustellen und gleichzeitig die formale Gleichheit wahren zu wollen, etwa indem alle Betroffenen in gleicher Weise an der Staatsgewalt beteiligt werden: 342 Grundlage für eine gleiche Beteiligung an der staatlichen Willensbildung und der Ausübung von Staatsgewalt ist eine Gleichheit der Volkszugehörigen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Volksverbandes. 343 Das Merkmal der Staatsangehörigkeit als Zugehörigkeitskriterium schafft diese Egalität unter den einzelnen Volksangehörigen, da die Staatsangehörigkeit nicht nach individuellen oder gesellschaftlichen Besonderheiten unterscheidet, sondern bei allen in gleicher Weise vorliegt. 344 Eine Bestimmung der Volkszugehörigkeit nach dem Kriterium der Betroffenheit hingegen birgt nicht nur die oben beschriebenen praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten, sondern erfasst die Volkszugehörigen auch nicht als Gleiche. Vielmehr stellt sich für jeden Einzelnen seine Betroffenheit anders dar, so dass von vorne herein an einen Umstand angeknüpft wird, der nicht bei allen Individuen in gleicher Weise verwirklicht ist. Es besteht also im Hinblick auf die Herrschaftsbetroffenheit eine Ungleichheit zwischen den einzelnen Mitgliedern des Volkes. Das Betroffenheitskriterium wirkt daher desintegrierend 345 und ist nicht geeignet die demokratische Gleichheit zu verwirklichen, nach der jedes Mitglied des Volksverbandes den gleichen Einfluss auf die Staatsgewalt haben soll. Aufgrund der aus dem Betroffenheitskriterium folgenden Ungleichheit der Volkszugehörigen wäre auch eine Konstruktion, nach der die demokratische Gleichheit auf den Wahlakt beschränkt wird, nicht möglich: Wenn die Volkszugehörigkeit nach der Betroffenheit bestimmt wird, ist auch die Grundlage für eine demokratische Gleichheit der Bürger im Wahlakt nicht mehr gegeben. 346 Diese Konsequenz tritt lediglich deshalb in der Wahl zum Parlament nicht unmittelbar zu Tage, weil das Bundeswahlgesetz als einfaches Gesetz das Wahlrecht 341 Vgl. zu diesem Gedanken, dass Betroffenheit anders als die Staatsangehörigkeit mehr und weniger ausgeprägt sein kann: Bryde, KJ 2000, S. 59, 64 (allerdings im Zusammenhang mit dem Optimierungsgedanken). 342 Für die funktionale Selbstverwaltung anders: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 405 ff., der grundsätzlich die Gleichheit der Mitwirkung als Voraussetzung der autonomen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ansieht, dann aber diesen Grundsatz durch weit reichende Ausnahmen relativieren muss. 343 Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 708. 344 Vgl. Isensee, FS für Mikat, 1989, S. 705, 707, der in diesem Zusammenhang davon spricht, dass die Staatsangehörigkeit „rechtsethische Voraussetzungen“ für die Demokratie schafft. 345 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 220. 346 Vgl. auch Papier, KritV 1987, S. 309, 312.
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an die Staatsangehörigkeit knüpft. Einfachgesetzlich wäre also zunächst mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit die rechtliche Grundlage für formale Gleichheit geschaffen. Somit würde aber das aktive Wahlvolk und das Volk, von dem nach Art. 20 II S. 1 GG alle Staatsgewalt ausgehen soll, auseinander fallen, was angesichts der Tatsache, dass die Wahl des Parlaments das zentrale Mittel zur Verwirklichung der in Art. 20 I GG aufgestellten Volkssouveränität ist, nicht zulässig ist. 347 Letztlich müsste also eine Ansicht, die das Legitimationssubjekt „Volk“ über die Herrschaftsbetroffenheit definiert, eine Änderung des Wahlgesetzes dahingehend nach sich ziehen, dass allen Betroffenen das Wahlrecht zusteht. Bei der Betroffenheit als Ausgangspunkt für die Volkszugehörigkeit ist es nicht zu erklären, warum z. B. das Wahlrecht für Ausländer nur auf kommunaler Ebene gefordert werden sollte. 348 cc) Fazit Es zeigt sich somit, dass die Interpretation des Volksbegriffes anhand des Betroffenheitskriteriums nicht mit dem Grundsatz demokratischer Gleichheit in Einklang zu bringen ist: Zum einen bestehen nach einer solchen Konzeption verschiedene Legitimationssubjekte, so dass die Teilhabe des einzelnen Bürgers an der Staatsgewalt je nach Umfang seiner Zugehörigkeit zu den Legitimationssubjekten variiert. Zum anderen kann die Betroffenheit, die sich für jeden Bürger anders darstellt, keinen Status formaler Gleichheit der Bürger als Anknüpfungspunkt schaffen. Ein solcher ist aber Ausgangsbasis für gleiche Mitwirkungsrechte. d) Allgemeinwohl Ein weiterer Aspekt, der dagegen spricht, bei der Interpretation des Volksbegriffes auf die Herrschaftsbetroffenheit abzustellen und somit die Betroffenen zum Subjekt demokratischer Legitimation zu machen, ist die mögliche Diskrepanz zwischen den Interessen der Betroffenen als Einzel- oder Gruppeninteresse und dem Interesse der Allgemeinheit. Während bei der allgemeinen und gleichen Wahl das Gemeinwohl durch Mehrheitsentscheidungen unter Beteiligung aller Staatsbürger bestimmt wird, verkörpern Entscheidungen, die sich am Mehrheitsbeschluss der Betroffenen ausrichten, in erster Linie das Wohl dieser Gruppe und nicht das Gemeinwohl. 349
347 Anders Schink, DVBl. 1988, S. 417, 420; Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 360 ff. m.w.N, die zwischen den Volksbegriffen des Art. 20 II S. 1 und 2 dergestalt unterscheiden, dass einmal das Verbands- und einmal das Aktivvolk gemeint ist. 348 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 216. 349 Vgl. zu dieser Problematik: Isensee, in FS für Mikat, 1989, S. 705, 732; s. auch ders., HStR I, 1995, § 13, Rn. 106 f. Vgl. zu diesem Gedanken weitergehend: Ossen-
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Schon die Schwierigkeiten, die bei der Abgrenzung der Betroffenengruppe bestehen, verdeutlichen, dass dieser Einwand nicht durch einen Verweis darauf entkräftet werden kann, dass die Betroffenen nur ihre eigenen Belange entscheiden und das Gemeinwohl daher gar nicht berührt sei. 350 e) Zeitliches Auseinanderfallen von Entscheidungen und deren Vollzug bzw. deren Folgen Das Kriterium der Betroffenheit führt des Weiteren zu Problemen, wenn Entscheidungen getroffen werden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt bzw. vollzogen werden oder deren Folgen zeitlich versetzt zur Entscheidung eintreten. Diese Konstellation soll hier als „Timelag“-Problematik 351 bezeichnet werden. Insbesondere bei einer langen Zeitspanne zwischen der Entscheidung und deren Vollzug – man denke beispielsweise an die Frage nach einem Atomausstieg – sind die später Betroffenen nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen. Natürlich bergen solche Konstellationen des Auseinanderfallens von Entscheidungsfällung und -umsetzung auch nach monistischer Ansicht häufig Probleme, wenn man an die Reversibilität der Entscheidung und damit zusammenhängend an die Chance der Minderheit denkt, zur Mehrheit zu werden. Diese Probleme hängen häufig mit denen der „Timelag“-Konstellation zusammen, werden jedoch bei einer Bestimmung des Volkes durch das Merkmal der Herrschaftsbetroffenheit noch dadurch verstärkt, dass das Zurechnungssubjekt zum Zeitpunkt des Entscheidungsvollzugs nicht mehr (in vollem Umfang) besteht bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung noch nicht besteht. Definiert man die Volkszugehörigkeit hingegen über die Staatsangehörigkeit und vollzieht man so die Metamorphose von individueller Selbstbestimmung zur Selbstbestimmung des Volkes, so bleibt das Volk als Einheit vom zeitlichen Faktor und Wandel der Zugehörigen letztlich unabhängig als Zurechnungssubjekt bestehen. 6. Das Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts Nachdem nun anhand der Auslegungskriterien von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und mit Hilfe teleologischer Erwägungen festgestellt werden konnte, dass der Volksbegriff des Art. 20 GG als Gesamtheit des deutschen bühl, in: FS für W. Schmitt Glaeser, 2003, S. 103, 117 f., der in der Verpflichtung auf das Gemeinwohl „die Grundidee demokratischer Legitimation“ (S. 118) sieht und daher den Ausschluss von Sonderinteressen zum bestimmenden Kriterium der demokratischen Legitimation erhebt. H. Klein, FS für Forsthoff, 1972, S. 165, 184. 350 Vgl. dazu auch im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung unten Teil 2 Kap. 2 J. 351 Vgl. zum Begriff auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 217.
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Staatsvolkes auszulegen ist, soll im Folgenden kurz auf die Auslegung des Volksbegriffes durch das Bundesverfassungsgericht eingegangen werden. Natürlich ist die Frage, zu welchem Auslegungsergebnis das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den Volksbegriff kommt, kein eigenständiges Auslegungskriterium und somit nicht unmittelbar von Bedeutung bei der argumentativen Absicherung des eigenen Auslegungsergebnisses. Allerdings genießt das Auslegungsergebnis des Bundesverfassungsgerichts als oberstem Hüter der Verfassung naturgemäß einen besonderen Stellenwert. Aus diesem Umstand heraus ist es verständlich, dass sich sowohl die Anhänger des monistischen als auch die Befürworter eines pluralistischen Demokratieverständnisses auf das Bundesverfassungsgericht berufen. Während erstere sich auf eine ausdrückliche Definition des Gerichts berufen können, die das Volk als deutsches Staatsvolk bestimmt, 352 versuchen letztere insbesondere die ältere Rechtsprechung heranzuziehen. Ob der älteren Rechtsprechung des Gerichts tatsächlich ein pluralistisches Demokratieverständnis zugrunde lag, soll nun untersucht werden, indem die Entwicklung der Dogmatik des Demokratieprinzips im Hinblick auf das Legitimationssubjekt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachvollzogen wird. Dabei ist zu bedenken, dass diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen zu sein scheint. So wird der für diese Arbeit besonders bedeutsame Gerichtsbeschluss zur demokratischen Legitimation von Lippeverband und Emschergenossenschaft 353 im Schrifttum teilweise als Abkehr vom monistischen Demokratieverständnis verstanden und als Beginn einer Öffnung des Gerichts in Richtung pluralistischer Volksbegriff interpretiert. 354 Die Frage, inwiefern eine solche Interpretation gerechtfertigt erscheint, soll hier vorerst noch zurückgestellt werden: Aufgrund ihrer engen Verknüpfung mit der Problematik der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung soll ihr erst im zweiten Teil 355 der Arbeit nachgegangen werden, wenn die verschiedenen Legitimationsmodelle untersucht werden, die für die funktionale Selbstverwaltung entwickelt wurden. Somit konzentriert sich die folgende Untersuchung auf die Frage, ob das Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich ursprünglich pluralistisch war und sich erst später zu einem monistischen Verständnis entwickelt hat.
352
BVerfGE 83, S. 37, 51. BVerfGE 107, S. 59. 354 Vgl. Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 907; ders., Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 113. 355 s. unten Teil 2 Kap. 2 H. 353
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a) Anknüpfungspunkte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ausdrücklich thematisiert und hergeleitet wurde der Volksbegriff des Art. 20 II GG vom Gericht erstmals 356 in den Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht. 357 Das Gericht bestimmt dort das Volk als Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland und stellt fest, dass Art. 20 II S. 1 GG nicht zum Inhalt habe, „dass sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen her zu legitimieren haben [...]“. 358 Die Auffassung des Gerichts stellt sich somit als monistisch dar. Mit dem Ausschluss des Kriteriums der Betroffenheit erteilt das Gericht dem pluralistischen Verständnis des Volksbegriffes eine klare Absage. Sein Verständnis des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk hat das Gericht in der Folge mehrfach bestätigt. 359 Auch wenn sich in früheren Gerichtsentscheidungen keine entgegenstehende Definition des Volksbegriffes findet, wird von einigen Vertretern der pluralistischen Demokratietheorie die Ansicht vertreten, in seiner älteren Rechtsprechung habe das Bundesverfassungsgericht seinem Demokratieverständnis das Individuum und die Selbstbestimmung des Einzelnen zugrunde gelegt und somit zunächst der pluralistischen Auffassung nahe gestanden. 360 Erst in den oben genannten Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht aus den neunziger Jahren 356 Vgl. aber auch schon BVerfGE 37, S. 217, 239, wo es zwar um die Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen ging, aber den Aussagen des Gerichts bei genauer Lektüre auch Rückschlüsse zum Legitimationssubjekt des Art. 20 II GG zu entnehmen sind: „Die früher vorherrschende und zum Teil noch jetzt anzutreffende Vorstellung, es handele sich bei der Zuerkennung der Staatsangehörigkeit um eine Abgrenzung des Staatsvolkes unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten, die der Staat nach seinem Ermessen – allenfalls eingeschränkt durch das Willkürverbot – vornehmen könne, entspricht nicht dem Verständnis des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes. Dieses Verständnis wird verfassungsrechtlich dadurch gekennzeichnet, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 GG), daß sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin vollzieht, und daß die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, die für jeden einzelnen mit dem Besitz der Staatsbürgerschaft verbunden sind, zugleich konstituierende Grundlagen des gesamten Gemeinwesens bilden.“ 357 BVerfGE 83, S. 37; 83, S. 60. 358 BVerfGE 83, S. 37, 51; vgl. auch BVerfGE 83, S. 60, 71. 359 BVerfGE 93, S. 37, 67; BVerfGE 89, S. 155, 182; s. auch BVerfGE 99, S. 1, 8, wo ebenfalls deutlich wird, dass der demokratische Prozess auf das Volk als Gemeinschaft und nicht den einzelnen Menschen ausgerichtet ist: „Mit seinem Wahlrecht übt der Bürger die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus. Die Wahrnehmung dieses Rechts ist nicht Teil der jedem Menschen gewährleisteten freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist umfassender Ausdruck der persönlichen Freiheitssphäre des Menschen und unterscheidet sich damit grundlegend von den im Grundgesetz gewährleisteten politischen Rechten des Aktiv-Status.“ Vgl. zu diesem Urteil auch Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 105.
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sei eine „Kollektivierungstendenz“ in der Denkweise des Gerichtes, also eine Verlagerung des Schwerpunktes in der Begründung der Demokratie vom Individuum zum Kollektiv des Volkes zu verzeichnen. 361 Die Urteile, die als Beleg dafür angeführt werden, sind insbesondere das KPD-Urteil aus dem Jahre1956 362 und das Urteil über die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von 1977. 363 Beide Urteile sind daher im Hinblick auf das in ihnen zum Ausdruck kommende Demokratieverständnis im Folgenden genauer zu beleuchten. b) Kritische Untersuchung der Rechtsprechungsinterpretation im Sinne des pluralistischen Demokratiekonzeptes Schon vor einer genauen Untersuchung des KPD-Urteils und des Urteils zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung auf das in ihnen zum Ausdruck kommende Demokratieverständnis kann einer Heranziehung dieser Urteile zur Darlegung eines pluralistischen Demokratieverständnisses des Bundesverfassungsgerichts Folgendes entgegen gehalten werden:
360 Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 904 f.; ders., Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 104; Bryde, KJ 2000, S. 59, 60, 63, der nicht nur die ältere Rechtsprechung der neueren gegenüberstellt, sondern ein unterschiedliches Demokratieverständnis von Erstem und Zweitem Senat des Bundesverfassungsgerichtes konstatiert, hierbei jedoch den oben (Fn. 369) erwähnten Beschluss des Ersten Senates zur Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen (BVerfGE 37, S. 217, 239), der eine monistische Deutung des Volksbegriffes auch durch den ersten Senat nahe legt, außer acht lässt. Ähnlich Bull, FS für Bermbach, 1998, S. 241, 243, der die „Stärkung der Individualrechte gegen die öffentliche Gewalt“ als „Leitmotiv“ zahlreicher Entscheidungen des BVerfG ansieht, die das Demokratieprinzip betreffen. 361 Vgl. auch Rinken, KJ 2000, S. 125, 139, der die Verschiebungen des Volksbegriffes in der Rechtsprechung des BVerfG hin zum deutschen Staatsvolk anhand der sprachlichen Änderungen nachzuweisen sucht: So sei aus der Formulierung „die Gesamtheit der Bürger als Volk“ (BVerfGE 38, S. 258, 271; 47, S. 253, 272), die „Gesamtheit der Bürger als Staatsvolk“ (BVerfGE 77, S. 1) und schließlich „die Gesamtheit der Staatsbürger, das Volk“ (BVerfGE 83, S. 60, 72) geworden. Aus diesen Zitaten ergeben sich jedoch m.E. keine Unterschiede in der Sache, sondern es wird lediglich der sprachliche Ausdruck variiert: Auch die erste sprachliche Umschreibung des Volksbegriffes macht durch das Abstellen auf die Gesamtheit der Bürger deutlich, dass auf ein Kollektiv abgestellt wird und bringt somit den Einheitsgedanken zum Ausdruck. Die weiteren sprachlichen Fassungen können allenfalls als Präzisierung aufgefasst werden, bringen aber keine Bedeutungsänderung mit sich. Vgl. zur sprachlichen Komponente auch Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 905 mit Fn. 59 – 61; ders., Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 106 ff., wobei es ihm in der Hauptsache um die Frage nach den Landesvölkern als Legitimationssubjekte und ihr Verhältnis zum Gesamtvolk geht. 362 BVerfGE 5, S. 85, 185 – 207 (Urteil des Ersten Senats), wobei sich Bryde, KJ 2000, S. 59, 60, Fn. 10 wohl irrtümlich auf S. 147 beruft, da an dieser Stelle des Urteils lediglich die Zielsetzung der KPD erörtert wird. 363 BVerfGE 44, S. 125 ff.
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Zu der Zeit, in der diese beiden Urteile getroffen wurden, bestand noch keine klare Linie oder Dogmatik in der Rechtsprechung im Hinblick auf das Demokratieprinzip. Eine gefestigte Dogmatik des Demokratieprinzips in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich erst mit den Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht zu Beginn der neunziger Jahre entwickelt. 364 Zwar gab es auch in der älteren Rechtsprechung einige Entscheidungen, die sich mit dem Demokratieprinzip befassten. 365 Aber zum einen blieben diese zunächst noch vereinzelt und zum anderen erfolgte die Heranziehung des Demokratieprinzips häufig ohne nähere dogmatische Aufbereitung oder Begründung und oftmals im Zusammenhang mit anderen Prinzipien, wie dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip, ohne dass diese Prinzipien trennscharf voneinander abgegrenzt würden. 366 Schon aufgrund dieses Umstandes erscheint es problematisch, aus der Rechtsprechung vor 1990 Rückschlüsse auf das Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichtes zu ziehen. Darüber hinaus halten die von den Anhängern der pluralistischen Demokratiekonzeption aus der älteren Rechtsprechung gezogenen Rückschlüsse aber auch einer näheren Betrachtung nicht stand: Bei genauerer Untersuchung des KPDUrteils und des Urteils zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung wird deutlich, dass ihnen zwar Elemente zu entnehmen sind, die als Hinweis auf ein pluralistisches Demokratieverständnis gedeutet werden könnten. Aber zum einen relativieren sich diese Aussagen des Gerichts, wenn man ihren Kontext im Ur364 BVerfGE 83, S. 37; 83, S. 60 ff.; 89, S. 155; 93, S. 37. Vgl. zur lange Zeit fehlenden verfassungsdogmatischen Aufarbeitung des demokratischen Prinzips Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 30 ff. 365 Schon aus dem Jahre 1959 ist die Entscheidung zum Bremer Personalvertretungsgesetz BVerfGE 9, S. 268, 280 ff. zu nennen, in der die besondere Bedeutung der Regierung für die Demokratie herausgestellt wird: Ihre „selbständige politische Entscheidungsgewalt [...] [und] ihre Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament sind zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung“. Aufgrund der Verantwortlichkeit der Regierung, gibt es Aufgaben, die ihr nicht entzogen werden und nicht auf von Regierung und Parlament unabhängige Stellen übertragen werden können. Als eine solche Aufgabe wird die Entscheidung über die Einstellung von Beamten gesehen. Somit wird bereits in dieser frühen Entscheidung das Element der personellen Legitimation thematisiert, ohne es ausdrücklich zu benennen. Vgl. ferner BVerfGE 49, S. 89, 125, wo die verschiedenen Legitimationsformen kurz benannt werden; BVerfGE 38, S. 258, 271 ff.; BVerfGE 47, S. 253, 271 ff., insbesondere 275, wo bereits das Erfordernis einer ununterbrochenen Legitimationskette aufgestellt wird; BVerfGE 77, S. 1, 40 ff. 366 Vgl. Bull, FS für Bermbach, 1998, S. 241, 243; vgl. BVerfGE 9, S. 268, 280 ff., wo sowohl vom „demokratischen Rechtsstaat“ (z. B. S. 281, 284) bzw. der „demokratische[n] und rechtsstaatliche[n] Herrschaftsordnung“ (S. 281) die Rede ist als auch an anderer Stelle allein das Rechtsstaatsprinzip (S. 284) genannt wird, ohne Rechtsstaatsund Demokratieprinzip abzugrenzen. Weitere Beispiele für die gemeinsame Behandlung des Demokratie- mit dem Rechtsstaatsprinzip: BVerfGE 40, S. 296, 327; 33, S. 125, 158. Eine gemeinsame Nennung des Demokratieprinzips mit dem Sozialstaatsprinzip erfolgt z. B. in: BVerfGE 37, S. 217, 239.
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teil berücksichtigt, und zum anderen lassen sich andere Elemente der Urteile aufzeigen, die eher für eine monistische Deutung des Volksbegriffes sprechen. aa) Das Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Im Urteil über die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung spricht das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Demokratie des Grundgesetzes bzw. im Hinblick auf die Parlamentswahl und dem dort geltenden Mehrheitsprinzip von der „freien Selbstbestimmung aller“ 367. Dieser vom Gericht hergestellte Zusammenhang zwischen der Demokratie des Grundgesetzes und dem Selbstbestimmungsgedanken wird von den Vertretern der pluralistischen Ansicht dahin gedeutet, dass es hier um die Selbstbestimmung des Individuums geht, das Gericht also den Einzelnen als Ausgangspunkt seines Demokratieverständnisses nimmt. 368 Diese Deutung ist jedoch nicht unproblematisch: Betrachtet man den Kontext, in den das Gericht seine Aussage von der der Idee der freien Selbstbestimmung aller stellt, so wird deutlich, dass hier nicht zwingend die Selbstbestimmung jedes Einzelnen gemeint ist. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges, in den die Äußerung eingebettet ist, lassen sich sogar mehr Gründe dafür finden, dass eine Selbstbestimmung des Volkes als Kollektiv gemeint ist: So ist nicht nur von der freien Selbstbestimmung aller, sondern zuvor von der Selbstbestimmung aller Bürger die Rede. 369 Die Tatsache, dass die Wendung von der Selbstbestimmung aller Bürger vorausgeht, spricht dafür, dass die spätere Auslassung des Wortes „Bürger“ in den folgenden zwei Sätzen lediglich eine sprachlich verkürzte Form des ursprünglich geäußerten Gedankens ist. Das Gericht stellt also nicht auf die freie Selbstbestimmung des Menschen, sondern des Bürgers ab. Hierdurch wird deutlich, dass im Rahmen der demokratischen Selbstbestimmung der Einzelne nicht als Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung steht, sondern in seiner Eigenschaft als Bürger, also als vollberechtigtes Mitglied der Staatsgemeinschaft des Volkes. Zwar wird heutzutage der Bürgerbegriff insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach der demokratischen Legitimation der Europäischen Gemeinschaft und der Unionsbürgerschaft oftmals gerade unabhängig von Staat und Staatsangehörigkeit definiert 370 und der klassischen Demokratie als Staatsform eine sog. Bürgerdemokratie gegenübergestellt. Im vorliegenden Urteil legt das Bundesverfassungsgericht dem Bürgerbegriff jedoch das traditionelle Verständnis dieses Begriffes 371 zugrunde, das den Menschen in seiner Zugehörigkeit zur Gesamtheit des Staatsvolkes 367
BVerfGE 44, S. 125, 142. Besonders deutlich bei Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 905. 369 Auf diesen Umstand weist Böckenförde hin, HStR II, 2004, § 24, Rn. 36, Fn. 73. 370 Vgl. Rojahn, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 4. / 5. Auflage, 2001, Art. 23, Rn. 23. 371 Vgl. W. Schmitt Glaeser, in: Tilch / Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, Bd. 1, 2001, Art. „Bürger“. 368
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bezeichnet. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass das Gericht kurz vor der Verwendung der Formel von der freien Selbstbestimmung aller Bürger von „alle[n] wahlmündige[n] Bürgern“ spricht. Auf der folgenden Seite des Urteils ist von „allen Staatsbürgern“ die Rede. Ferner ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage des Gerichts bedeutsam, nach der „der Staat, den das Grundgesetz verfasst hat, [...] vom ganzen Volk getragen [wird], nicht allein von den jeweils regierenden Mehrheiten und den hinter ihnen stehenden politischen Kräften“, was sich „in dem gleichen staatsbürgerlichen Status aller Deutschen“ bekunde. 372 Neben dem Rekurs des Gerichtes auf den Bürger im Zusammenhang mit der freien Selbstbestimmung spricht weiter die Charakterisierung der „Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit“ 373 für ein Einheitskonzept und gegen eine Heranziehung des Urteils als Beleg für ein Demokratieverständnis, das sich auf die Selbstbestimmung des Individuums gründet. Somit kann das Urteil über die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nicht als Beleg für ein pluralistisches Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts angeführt werden. bb) Das KPD-Urteil Auch aus den Ausführungen im KPD-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht die „freiheitliche Demokratie“ des Grundgesetzes gegenüber den kommunistischen Vorstellungen von Demokratie abgrenzt, kann nicht auf eine pluralistische Konzeption des Volksbegriffes geschlossen werden. In dieser Entscheidung betont das Gericht, dass die Würde des Menschen in der freiheitlichen Demokratie den „obersten Wert“ darstellt. 374 „Um seiner Würde willen muß [dem Menschen] eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden. Für den politisch-sozialen Bereich bedeutet das, [...] [dass] der Einzelne [...] in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken [soll]. Der Staat hat ihm dazu den Weg zu öffnen; das geschieht in erster Linie dadurch, dass der geistige Kampf, die Auseinandersetzung der Ideen frei ist [...]“. 375 Auf den ersten Blick könnte man dieser Entscheidung in der Tat entnehmen, dass das Gericht hier das Individuum in den Mittelpunkt der demokratischen Ordnung stellt, da die große Bedeutung der Menschenwürde für die Demokratie herausgestellt wird. Auch diese Urteilspassage ist jedoch in ihrem Zusammen372 373 374 375
Vgl. dazu auch Isensee, KritV 1987, S. 300, 305. BVerfGE 44, S. 125, 142 (Hervorhebung nicht im Original). BVerfGE 5, S. 85, 204. BVerfGE 5, S. 85, 205.
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hang zu sehen: Das Gericht verdeutlicht in seinem Urteil die grundlegende Andersartigkeit der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes im Vergleich zur kommunistischen Demokratiekonzeption. Der zitierte Urteilsausschnitt wird eingeleitet durch die Feststellung, dass die zuvor „dargelegten Unterschiede beider Staats- und Gesellschaftsordnungen [...] letztlich auf einer tiefen Verschiedenheit der Auffassungen von der Stellung des Einzelnen in der Gemeinschaft und von der Stellung des Staates ihr gegenüber“ beruhen. Diese Aussage zeigt, dass das Gericht bei seiner Demokratiebetrachtung differenziert zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Sphäre. Die Tatsache, dass die Folgerungen aus der Menschenwürde ausdrücklich für den „politisch-sozialen“ Bereich gezogen werden, legt nahe, dass die Ausführungen des Gerichts zur Mitwirkung des Einzelnen an den Entscheidungen für die Gesamtheit sich auf die Meinungsund Willensbildung im gesellschaftlichen Bereich beziehen. Diese Freiheit des gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses ist für die Demokratie zwar unerlässlich und insoweit auch als ein Bestandteil der Demokratie anzusehen. Das Demokratieprinzip des Art. 20 II GG, das aufgrund des Mehrheitsprinzips eine verbindliche Entscheidung ermöglicht, gilt aber in der gesellschaftlichen Sphäre gerade nicht. In dieser Vorstufe zur Staatswillensbildung gilt der Grundsatz der freien Meinungsbildung, ohne dass der Staat strukturierend eingreifen darf. 376 Somit sind aus der Betonung der Menschenwürde im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip durch das Gericht keine Rückschlüsse auf sein Verständnis des Volksbegriffes möglich. Hinzu kommt, dass auch das KPD-Urteil Aussagen enthält, die eher auf eine monistische Konzeption des Volksbegriffes hindeuten: So führt das Gericht zur Stellung der Abgeordneten und der Parteien aus, „die Parteien dieser [freiheitlich demokratischen] Staatsordnung müssen ihre Aufgabe darin sehen, in Konkurrenz mit anderen Parteien an der Willensbildung ‚des Volkes‘, d. h. hier der staatlich organisierten Gesellschaft, mitzuwirken.“ 377 Diese Umschreibung des Volkes als staatlich organisierte Gesellschaft lässt durch das Merkmal der staatlichen Organisation den Einheitsgedanken in den Vordergrund und das Individuum in den Hintergrund treten. c) Fazit Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der monistischen Auffassung folgt und somit Volk i. S. d. Art. 20 II GG als deutsches Staatsvolk bestimmt. Auch der älteren Recht376 Vgl. zur Trennung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre sowie damit zusammenhängend der Staatswillens- und Volkswillensbildung die Ausführungen zur Kritik am Homogenitätserfordernis oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. c) bb). 377 BVerfGE 5, S. 85, 233.
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sprechung des Gerichts ist ein pluralistisches Demokratieverständnis nicht zu entnehmen. V. Ergebnis Im Streit um die Auslegung des Volksbegriffes des Art. 20 II GG zwischen den Vertretern eines monistischen und eines pluralistischen Demokratieverständnisses kann somit abschließend Folgendes festgehalten werden: Sowohl bei Betrachtung des Wortlautes als auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte, der Systematik und unter Hinzuziehung von teleologischen Gesichtspunkten ist der Volksbegriff in Art. 20 II GG als die Gesamtheit des deutschen Staatsvolkes auszulegen. Legitimationssubjekt des grundgesetzlichen Demokratieprinzips ist damit das deutsche Staatsvolk.
D. Verschiedene Formen der Legitimation Nachdem in der bisherigen Untersuchung das Legitimationsobjekt (Staatsgewalt) näher bestimmt wurde und das Legitimationssubjekt als das deutsche Staatsvolk definiert werden konnte, geht es nun darum zu untersuchen, wie der Einfluss des Volkes auf die Staatsgewalt sicherzustellen ist. Es stellt sich also die Frage nach den Legitimationsarten und ihrem Zusammenwirken. Um zu gewährleisten, dass alle Macht vom Volke ausgeht, muss ein gewisser Legitimationszusammenhang zwischen dem vornehmlich durch Wahlen bekundeten Volkswillen und der Ausübung von Staatsgewalt bestehen. Die Art und Weise, wie dieser Zusammenhang herzustellen ist, wird bereits in Art. 20 II S. 2 GG vorgezeichnet, wo es heißt, dass die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen [...] ausgeübt“ wird. Mit der „Wahl“ ist eine Personenwahl angesprochen, also eine Entscheidung über die Person bzw. die personelle Zusammensetzung von Entscheidungsträgern, während mit dem Begriff „Abstimmungen“ in Art. 20 II S. 2 GG eine Entscheidung über Sachfragen bezeichnet ist. Es werden damit bereits in Art 20 GG eine personelle und eine materielle Komponente zur Vermittlung demokratischer Legitimation angesprochen. 378 Diese zwei Entscheidungsbestandteile lassen sich auch nachvollziehen, indem man Entscheidungen, die im Zuge der Ausübung von Staatsgewalt getroffen werden und die somit das Objekt der Legitimation darstellen, 378 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46, wobei er bei der personellen Komponente auf die Träger staatlicher Herrschaftsbefugnisse abstellt und nicht wie im Folgenden auf das personell bestimmte Moment der Entscheidung; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 267.
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in ihre Komponenten zerlegt: Der Entscheidung ist im Regelfall zunächst einmal durch normative Vorgaben oder auch durch sachliche Zwänge ein gewisser sachlich-inhaltlicher Rahmen gesetzt. Innerhalb dieser Vorgaben wird nun die persönliche Einschätzung und Bewertung der zu entscheidenden Sachlage durch den Entscheidungsträger relevant. Es wird also deutlich, dass die Entscheidungstätigkeit als Ausübung von Staatsgewalt materielle und personelle Bestandteile aufweist. Der von Art. 20 GG geforderte Einfluss des Volkes auf die Staatsgewalt muss somit auf ihre beiden materiellen und personellen Komponenten bezogen sein. 379 Dieser Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren, die die Staatsgewalt als Legitimationsobjekt bestimmen, und den Formen ihrer Legitimation wird in Art. 20 II S. 2 GG durch die Nennung von Wahlen und Abstimmungen als Ausübungsvarianten nachvollzogen. Das Grundgesetz gibt somit die personelle und materielle Legitimation als zwei Legitimationsformen der Staatsgewalt in Art. 20 II GG bereits vor. 380 Im Folgenden sollen diese beiden Legitimationsformen eingehender untersucht und ihr Verhältnis zueinander bestimmt werden. Zuvor soll jedoch noch auf eine weitere Legitimationsart eingegangen werden, die der personellen und materiellen Legitimation häufig zur Seite gestellt wird: die institutionelle oder funktionelle Legitimation. I. Institutionelle und funktionelle Legitimation Teilweise werden der personell-organisatorischen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation noch die funktionelle und institutionelle 381 bzw. die funktionell-institutionelle 382 Legitimation als weitere Legitimationsformen zur Seite gestellt. Diese Legitimationsform stellt auf die Einrichtung der drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative durch die Verfassung (institutionelle Legitimation) und die verfassungsrechtliche Zuweisung der jeweiligen Funktionen an diese (funktionelle Legitimation) ab. 383 Der Institution der drei Gewalten bei der Verfassungsgebung soll hierbei eine demokratische Legitimationswirkung
379 Vgl. zu dieser Bestimmung der Legitimationsarten durch das Legitimationsobjekt: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 266 f. 380 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 267; anders: Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 14, nach dem Art. 20 II GG keine bestimmten Legitimationsformen als solche vorschreibe, sondern lediglich ein bestimmtes Legitimationsniveau. 381 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 197 ff.; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 15; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 276 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 299 ff;. BVerfGE 49, S. 89, 125; 68, S. 1, 89, 109; 107, S. 59, 87. 382 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357 f. 383 Ähnlich Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 299; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357.
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zukommen, 384 so dass die Zugehörigkeit eines Organs zu einem von der Verfassung errichteten Teil der Staatsgewalt demokratische Legitimation vermittelt. 385 1. Funktionell-institutionelle Legitimation durch den Verfassunggeber Ob tatsächlich der Errichtung der drei Formen der Staatsgewalt und ihren Funktionen eine demokratische Legitimationswirkung zukommt, muss jedoch bezweifelt werden. Die Formen demokratischer Legitimation sollen eine Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Legitimationssubjekt „Volk“ gewährleisten und so die Umsetzung des Volkswillens sicherstellen. Das Volk ist hierbei das deutsche Volk in seiner jeweils aktuellen Zusammensetzung. 386 Die Einrichtung einer Staatsgewalt durch den Verfassungsgeber geht aber nicht auf das jeweilige Staatsvolk zurück, sondern sie erfolgte einmalig in der Vergangenheit 387 und geht somit auf das Volk als Verfassunggeber, als pouvoir constituant, zurück. 388 Das Legitimationssubjekt der institutionellen Legitimation ist somit ein anderes als das Legitimationssubjekt, das Dreh- und Angelpunkt der Demokratie unter dem Grundgesetz ist. Folglich kann die Institution einer Gewalt bei der Verfassunggebung die Ausübung von Staatsgewalt nicht demokratisch legitimieren, da für diese Legitimation die durch das Grundgesetz errichtete Demokratie Maßstab ist und das Volk als Verfassunggeber dieser Demokratie vorausgeht. 389 Die Errichtung der drei Formen der Staatsgewalt durch die Verfassung und die jeweilige Funktionszuweisung sind somit nicht in erster Linie für das Demokratieprinzip von Bedeutung. Sie begründen die Eigenständigkeit der einzelnen Teile der Staatsgewalt und sind daher dem Grundsatz der Gewaltenteilung zuzuordnen: Legislative, Exekutive und Judikative wurden von der Verfassung 384
Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 197. Vgl. darstellend: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 500, 501. 386 Vgl. zum Volksbegriff oben Teil 1 Kap. 2 C. 387 Auf den daraus resultierenden statischen Charakter dieser Legitimationsform weisen hin: Wegge, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, 1996, S. 228 ff.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 501. 388 Dies gesteht auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 197 f. zu, ohne daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass eine demokratische Legitimation damit ausscheidet. Vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 277; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 502. 389 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 278 spricht insoweit anschaulich von einer „‚Legitimation‘ vor der Verfassung“ in Gegenüberstellung zu einer Legitimation „durch die Verfassung“ (Hervorhebung im Original). 385
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errichtet und ihnen wurden jeweils eigene Funktionen zugewiesen. Daraus folgt, dass die Ausübung von Staatsgewalt unter Berufung auf das Demokratieprinzip nicht ausschließlich dem Parlament vorbehalten ist. Auch wenn das Parlament direkt vom Volk gewählt wird und somit als einziges Organ seine Legitimation unmittelbar vom Volk ableitet, rechtfertigt dies keinen parlamentarischen Totalvorbehalt. 390 In diesem Sinne verwendet auch das Bundesverfassungsgericht den Topos der institutionellen und funktionellen Legitimation, 391 auch wenn es neben dem Gewaltenteilungsgrundsatz auch einen Zusammenhang zum Demokratieprinzip herstellt. 392 Vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips erscheint die Institution der drei Staatsgewalten durch die Verfassung und ihre dadurch gewährte Eigenständigkeit nicht als eine demokratische Legitimationsform, sondern vielmehr als Begrenzung des Demokratieprinzips. 393 Daher ist die Bezeichnung der institutionellen und funktionellen Legitimation als demokratische Legitimationsform irreführend. 394 Auch diejenigen Stimmen in der Literatur, die dennoch im Zusammenhang mit der institutionellen und funktionellen Legitimation von einer demokratischen Legitimation sprechen, relativieren diese Aussage mehrheitlich, indem sie betonen, dass daneben noch die personelle und sachliche Legitimation erforderlich sind. 395 Sie schließen damit eine wichtige Konsequenz aus, die aus der Einordnung als demokratische Legitimationsform folgen würde: Die Möglichkeit
390 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 278. Vgl. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 364, nach dem die institutionelle Legitimationsform keine dritte Legitimationsform neben personeller und sachlicher Legitimation darstellt, sondern Bedeutung für die Eigenständigkeit der Exekutive hat, die weder vom Parlament total gesteuert noch von der Judikative total kontrolliert sein soll. 391 BVerfGE 49, S. 89, 125; 68, S. 1, 89, 109. 392 Vgl. auch BVerfGE 107, S. 59, 87. 393 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 278. In diesem Sinne ist wohl auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357 zu verstehen: „Sie [die funktionell-institutionelle Legitimationsform] sollte der Genauigkeit halber auch nicht als demokratische Legitimationsform tituliert werden, sondern vielmehr als genuin verfassungsrechtliche Legitimation, die ggf. die Anforderungen an die demokratische Legitimation nach Art. 20 Abs. 2 GG modifizieren oder ihre Konkretisierung dirigieren kann.“ Zum letzten Aspekt vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 288 ff. 394 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 279 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357. In diesem Sinne auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 503. 395 Böckenförde, HStR, II, 2004, § 24, Rn. 15; Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, S. 40 f. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 367 einerseits und S. 364 andererseits; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 59.
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der Kompensation von Mängeln im Hinblick auf die personelle oder sachliche Legitimation durch eine vorhandene institutionell-funktionelle Legitimation. 396 Somit bleibt festzuhalten, dass die institutionelle und funktionelle Legitimation im Sinne einer auf den Akt der Verfassunggebung bezogenen Legitimation, keinen demokratischen Gehalt hat. Sie stellt keine Form zur Vermittlung demokratischer Legitimation dar und kann daher auch nicht etwaige Mängel im Bereich der sachlichen oder personellen Legitimation ausgleichen. Der Funktionengliederung der Staatsgewalt kommt lediglich insofern Bedeutung für die demokratische Legitimation zu, als der Funktionsbereich die genaue Ausgestaltung der sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimationsform prägt. 397 2. Institutionelle Legitimation durch den parlamentarischen Gesetzgeber Von der institutionellen und funktionellen Legitimation, die auf den Akt der Verfassunggebung abstellt, ist eine institutionelle Legitimation zu unterscheiden, die außerhalb dieses Aktes anzusiedeln ist. 398 Zu nennen ist hier beispielsweise die Errichtung einer Verwaltungsorganisation per Gesetz durch das Parlament. In diesem Fall ist der Gebrauch des Terminus demokratisch nicht ebenso problematisch wie im oben dargestellten Fall, da das demokratisch legitimierte Parlament die Organisationseinheit errichtet und insofern eine Rückführung auf das Volk als pouvoir constitué möglich ist. Allerdings soll die Bezeichnung als demokratische Legitimation nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier der Errichtungsakt nur die Voraussetzung für die spätere personelle und materielle Legitimation des Funktionsträgers bildet und diese nicht ersetzen kann. 399 Zwar wird in der Literatur teilweise vertreten, dass der in einer solchen Errichtung liegende Organisationsakt des Gesetzgebers eine Lockerung oder eine Absenkung der Anforderungen an die personelle Legitimation parlamentarisch legitimieren bzw. selbst personelle Legitimation vermitteln kann. 400 Eine solche Argumen396 Vgl. dazu auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 503. 397 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 288 ff.; s. auch unten Teil 1 Kap. 2 D. III. 398 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 280; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357 f. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 226 ff. spricht insofern von sekundärer funktioneller Legitimation, während die primäre funktionelle Legitimation vom pouvoir constituant herrührt. 399 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 280. 400 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357 f.; ähnlich: Bryde, in: FS für Thieme, 1993, S. 9, 19 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 235 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 301; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 234 ff.
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tation hat aber trotz der ähnlichen Begrifflichkeit weniger mit der Vorstellung einer institutionellen Legitimation durch den Verfassunggeber gemeinsam, als mit einer Theorie, die im Rahmen der personellen Legitimation eine kollektive Legitimation durch den Gesetzgeber mittels des Errichtungsgesetzes ausreichen lässt bzw. von einer Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers im Hinblick auf das Legitimationsniveau ausgeht. Sie soll daher nicht hier, sondern im zweiten Teil 401 näher untersucht werden. II. Organisatorisch-personelle Legitimation Die organisatorisch-personelle Legitimation 402 verlangt, dass die Organe und Amtswalter, die mit der Ausübung von Staatsgewalt betraut sind, ihre Entscheidungsbefugnis auf das Volk zurückführen können. Sie setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Der Bestellung eines Amtswalters (personell) und der Zuweisung eines Funktions- oder Aufgabenbereiches an diesen Amtswalter (organisatorisch). Es wird also nicht nur festgelegt, wer Amtswalter sein soll, sondern gleichzeitig wird auch bestimmt, für welchen Aufgabenbereich der jeweilige Entscheidungsträger bestellt sein soll. Nur innerhalb dieses Aufgabenbereiches besteht eine Legitimation seiner Handlungen. 403 Aufgrund dieses Zusammenwirkens von personeller und organisatorischer Komponente wird im Folgenden In diesem Zusammenhang ist wohl auch Mehdes Versuch zu nennen, der funktionellen und institutionellen Legitimation vor dem Hintergrund des Optimierungsgedanken neue Bedeutung für die demokratische Legitimation abzugewinnen (Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 571 f.). Er geht davon aus, dass die Funktionsgerechtigkeit der Organisation bei der Ausübung von Staatsgewalt in die Überlegungen zur Legitimation einzubeziehen ist. Letztlich ist damit wohl auch gemeint, dass bei der Einrichtung und Übertragung von Aufgaben an eine außerhalb der Ministerialverwaltung stehende Stelle durch das Parlament diese Organisationsentscheidung bei der demokratischen Legitimation zu berücksichtigen ist, da in ihr die Überzeugung des Parlaments zum Ausdruck kommt, dass eine Aufgabe besser durch eine Selbstverwaltungskörperschaft wahrgenommen werden kann als in den Strukturen der Ministerialverwaltung. Insgesamt erscheint seine Konzeption funktioneller und institutioneller Legitimation aber zu unbestimmt für eine Vermittlung demokratischer Legitimation, da nicht klar wird, inwiefern die bessere, funktionsgerechtere Aufgabenwahrnehmung die personelle Legitimation ersetzen oder die an sie gestellten Anforderungen absenken kann (S. 572: „Wo Staat und Gesellschaft bei der Aufgabenerfüllung zusammenwirken, bedarf es zusätzlich einer Berücksichtigung der besonderen Funktionsbedingungen dieses intermediären Bereichs, um die Gemeinwohlorientierung zu gewährleisten. Wird dieser Prozeß in sachgerechter oder jedenfalls plausibler Weise gestaltet, so kann das auch legitimatorisch nicht außer Betracht bleiben.“). Vgl. hierzu auch unten Teil 2 Kap. 2 D. und im Zusammenhang mit dem Effizienzgedanken: Teil 2 Kap. 2 G. III. 2. b). 401 Teil 2 Kap. 2 C. I. und D. 402 Begriff nach Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16 ff. 403 Vgl. BVerfGE 93, S. 37, 68; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269.
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von organisatorisch-personeller Legitimation gesprochen bzw. ist eine organisatorisch-personelle Legitimation gemeint, auch wenn verkürzt nur der Begriff der personellen Legitimation gebraucht wird. 404 Der Schwerpunkt ist hierbei jedoch in der personellen Komponente zu sehen, da das Amt bzw. die Funktion, für die ein Amtswalter bestellt oder gewählt werden soll, in der Regel feststeht und somit das Schwergewicht der Entscheidung auf der Bestimmung der Person liegt, die die Funktion wahrnehmen soll. 405 Im Folgenden ist daher zu untersuchen, wie die Rückführbarkeit auf das Legitimationssubjekt Volk in personeller Hinsicht sichergestellt wird. 1. Legitimation des personellen Elementes von Staatsgewalt Die Bezeichnung „personelle Legitimation“ darf nicht dahingehend verstanden werden, dass es sich dabei um die Legitimation der Person des Amtswalters handelte. Der Amtswalter an sich bedarf keiner Legitimation, sondern die durch ihn ausgeübte Staatsgewalt. 406 Personell ist die Legitimation deshalb, da sie diejenige Komponente der Entscheidung betrifft, die sachlich nicht vorgegeben ist und somit eine persönliche Entscheidung durch den Amtswalter erfordert. Die Rückführung der Person des Amtswalters auf das Volk dient dazu, den Einfluss des Volkes auch auf diesen Bereich der Entscheidung sicher zu stellen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang bei der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie unterliegen, wenn man von den Vorgaben der Verfassung einmal absieht, keinen normativen Bindungen. Das Volk hat hier allein durch die Auswahl der Personen bzw. Parteien die Möglichkeit, die zukünftigen Parlamentsentscheidungen zu beeinflussen: Hierbei geben die Parteiprogramme die ungefähre Richtung, in die die sachlichen Entscheidungen tendieren werden, vor, auch wenn aufgrund des freien Mandates keinerlei Bindungen der Abgeordneten bestehen.
404 Anders: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 266, Fn. 5, der lediglich von personeller Legitimation spricht, da auch der materiellen Legitimation organisatorische Elemente innewohnen; vgl. aber auch ders., S. 269 mit Fn. 21. 405 Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 41 weist darauf hin, dass der Akt der Errichtung und der Funktionszuweisung an einen Verwaltungsträger demokratisch legitimiert sein können, während bei der Berufung der Amtswalter Mängel auftreten können. Insoweit wäre dann die organisatorische Komponente erfüllt, nicht jedoch die personelle, so dass sie eine Betrachtung der personellen Komponente losgelöst von dem organisatorischen Aspekt vornimmt. 406 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 17 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 332.
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2. Legitimationskette zwischen Volk und Amtswalter Im Hinblick auf die personelle Komponente der Staatsgewalt ist die Rückführbarkeit auf das Volk zum einen dann gegeben, wenn der Amtsträger sein Amt direkt im Wege der Wahl durch das Volk erhält, wie dies durch die Parlamentswahl für die Abgeordneten des Bundestages geschieht. Diese unmittelbare Art der personellen Legitimation mittels Wahl durch das Volk ist aber in der Regel nicht erforderlich. 407 Es reicht grundsätzlich aus, wenn eine mittelbare Rückführbarkeit auf das Volk dadurch gegeben ist, dass das Parlament den Entscheidungsträger ernennt (z. B. Wahl des Bundeskanzlers gem. Art. 63 GG) oder dass das Parlament die Legitimation derart mittelt, dass ein seinerseits personell legitimierter und dem Parlament verantwortlicher Amtsträger einen anderen Amtsträger ernennt. Hierbei gilt das „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter“, 408 d. h. dass einem konkreten Amtswalter ein konkreter Funktionsbereich zugewiesen werden muss. Als Beispiel für eine Legitimationskette, in der das Parlament Legitimationsmittler ist, kann die Ernennung der Bundesminister durch den Bundespräsidenten genannt werden, der hierbei weitgehend an den Vorschlag des Bundeskanzlers gebunden ist, der seinerseits durch das Parlament gewählt wurde. 409 Auch die Ernennung der Beamten durch die Minister ist hier als Beispiel zu nennen, 410 wobei mit dem zuständigen Minister eine weitere 407
BVerfGE 83, S. 60, 72; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn 16; Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn 53. 408 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn 53; vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn 16. Zu der Frage nach der Möglichkeit einer kollektiven Bestellung s. Teil 2 Kap. 2 C. II. 409 Zwar ernennt der Bundeskanzler die Minister nicht selber, aber der Präsident ist weitestgehend an seinen Vorschlag gebunden. Ein Ablehnungsrecht des Präsidenten besteht nach ganz herrschender Meinung nur, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für die Ernennung nicht gegeben sind, so dass kein politisches Mitspracherecht des Präsidenten besteht. Ferner bedarf die Ernennung durch den Präsidenten gem. Art. 58 S. 1 GG zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler (vgl. auch die folgende Fn.). 410 Teilweise wird kritisiert, dass die Ernennung der Bundesbeamten gem. Art. 60 I GG nicht durch den dem Parlament verantwortlichen Minister erfolgt, sondern durch den Bundespräsidenten (vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 505). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Ernennung lediglich formal durch den Präsidenten erfolgt: Die eigentliche Personalentscheidung wird durch den jeweiligen Minister getroffen, und der Bundespräsident ist nach überwiegender Auffassung weitgehend an den Willen der Regierung gebunden. Hinzu kommt, dass die Ernennung der Bundesbeamten durch den Präsidenten gem. Art. 58 S. 1 GG der Gegenzeichnung durch den zuständigen Minister bedarf, der hierdurch seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament zum Ausdruck bringt. Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 331; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 349 f.; Tschentscher, Demokratische Legitimation der Dritten Gewalt, 2006, S. 77; Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 60, Rn. 16; Art. 58, Rn. 89.
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Vermittlungsstufe zwischen die Bestellung des Amtsträgers und das Volk tritt. 411 Man spricht insoweit von einer Legitimationskette, die die Wahrnehmung von Aufgaben durch einen Amtswalter an das Volk bindet. 412 Diese Kette verläuft vom Volk über das Parlament und die Regierung zur Verwaltung und darf nicht dadurch unterbrochen sein, dass selbständige Entscheidungsträger dazwischentreten, die ihre Entscheidungsgewalt nicht auf das Volk zurückführen können. Bei Organen, die Staatsgewalt ausüben und in denen sowohl Amtswalter beteiligt sind, die im oben beschriebenen Sinne legitimiert sind und solche, die als private Mitglieder nicht über eine Legitimationskette an das Volk rückgebunden sind, stellt sich die Frage nach dem Bezugspunkt der Legitimationskette: Muss bei einem solchen gemischten Organ jedes Organmitglied durch die Legitimationskette an das Volk rückgebunden sein oder reicht es aus, wenn die Entscheidung des Organs durch die Legitimationskette an das Volk gebunden ist? 413 Diese Problematik stellt sich bei Personal- und Sachentscheidungen gleichermaßen: Wird eine Person von einem Gremium bestellt, in dem nicht alle Mitglieder demokratisch legitimiert sind, ist fraglich, ob diese Person ihrerseits die volle personelle Legitimation erhält. Bei Sachentscheidungen, die von einem solchen Organ getroffen werden, ist fraglich, ob sie personell als demokratisch legitimiert anzusehen sind. Diese Frage nach dem Bezugspunkt der Legitimation ist vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Überlegung, der zufolge Gegenstand demokratischer Legitimation nicht die Person des Amtswalters, sondern vielmehr die Ausübung von Staatsgewalt durch denselben ist, zu beantworten: Da es letztlich auf die Legitimation der Entscheidung ankommt, sei es nun eine Personal- oder Sachentscheidung, und der Legitimation der an der Entscheidung beteiligten Personen insoweit nur eine dienende Funktion zukommt, genügt es, wenn die Legitimation der Entscheidung gewährleistet ist. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn alle Beteiligten demokratisch legitimiert sind, sondern schon dann, wenn die Mehrheit der Entscheidungsträger legitimiert ist und sichergestellt ist, dass die Entscheidung durch diese Mehrheit getragen wird (Prinzip der doppelten Mehrheit). 414 Die Legitimationskette muss also nur die Entscheidung des Organs an das Volk binden und nicht jeden an der Entscheidung Beteiligten umfassen.
411
Vgl. zum Ganzen: Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16; BVerfGE 93, S. 37,
67. 412 Begriff wohl zurückgehend auf Scheuner, VVDStRL 16 (1958), S. 122, 124, der ihn auf die personelle Legitimation bezieht. 413 Vgl. zu dieser Fragestellung Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 17 ff. 414 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 17 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 331 f. mit Fn. 27 und den dortigen Hinweisen zur Gegenansicht; BVerfGE 93, S. 37, 67 f.; 107, S. 59, 87 f. für die unmittelbare Staatsverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung.
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3. Kritik am Modell der Legitimationskette Das Modell der Legitimationskette Volk – Parlament – Regierung – Verwaltung zur Vermittlung der demokratischen Legitimation hat vielfache Kritik erfahren. Die Kritik stützt sich im Wesentlichen auf das Argument, das Modell der Legitimationskette sei bei Zwischenschaltung mehrerer Ernennungsakte bis hin zum konkreten Amtswalter, der die Entscheidung trifft, nicht geeignet, einen effektiven Einfluss des Volkes zu gewährleisten. Je länger die Legitimationskette sei, desto dünner werde auch die durch sie vermittelte Legitimation, so dass die Rückbindung an das Volk letztlich nur noch eine Fiktion sei. 415 Das Bestehen einer solchen Legitimationskette sei daher entbehrlich. 416 Diese Kritik an der Legitimationskette als Instrument der Vermittlung personeller Legitimation wird neben dem Argument der Länge der Legitimationskette noch auf folgende Überlegungen gestützt: Während die personelle Legitimation von Parlament und Regierung alle vier Jahre erneuert wird, erhält der Beamte sein Amt in der Regel 417 auf Lebenszeit. Dies führe zum einen dazu, dass die Ernennung der Beamten dem Gedanken der Legitimation auf Zeit als grundlegendem Bestandteil des Demokratieprinzips nicht gerecht werde. 418 Zum anderen könne der Beamte seine personelle Legitimation streng genommen nur solange auf das konkrete Parlament und die konkrete Regierung zurückführen, als sich die personelle Zusammensetzung dieser Organe seit seiner Ernennung noch nicht geändert habe. Nach der seiner Ernennung folgenden Bundestagswahl könne er seine personelle Legitimation lediglich auf das Parlament und die Regierung als durch die Verfassung vorgesehene Organe als solche stützen, jedoch nicht mehr auf das konkret amtierende Parlament und die jeweilige Regierung. 419 415 Vgl. OVG Münster, NWVBl. 1996, S. 254, 259; Blanke, Der Personalrat 1999, S. 50, 58 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504, 508; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 293; Britz, VerwArch 91 (2000), S. 418, 423; s. auch Ossenbühl, FS für W. Schmitt Glaeser, 2003, S. 103, 116. Von einer bloßen „theoretische[n] Konstruktion“ spricht. Dederer, NVwZ 2000, S. 403, 404, der diesen Begriff auf Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 36, 51 f. stützt. Dieser gebraucht ihn dort allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504 spricht davon, dass „das Modell sehr konstruiert wirkt“. 416 Vgl. Britz, VerwArch 91 (2000), S. 418, 423; Blanke, Der Personalrat 1999, S. 50, 58 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 295. Vorsichtiger: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 510, der eine nur marginale Legitimationswirkung individueller Ernennungsakte annimmt. 417 Eine Ausnahme bilden hier beispielsweise die kommunalen Wahlbeamten. Vgl. zu weiteren Ausnahmen auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 43, Fn. 274. 418 Vgl. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung unter Berücksichtigung ihrer Organisation sowie der Entstehungsgeschichte zum Grundgesetz, 1989, S. 89; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 292 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 505 f.
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Ferner wird von den Kritikern des Modells personell demokratischer Legitimation Art. 33 II GG als unterstützende Überlegung angeführt: Hiernach erfolgt die Ernennung der Beamten nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung des Bewerbers und nicht nach politischen Gesichtspunkten. Aus diesem Umstand wird der Schluss gezogen, dass somit der Ernennung keine große legitimatorische Wirkung zukommen könne, da der jeweils Ernennende den Amtswalter nicht im Hinblick auf dessen übereinstimmende politische Überzeugung in der Erwartung auswählen könne, dass dessen künftige Entscheidungen im Sinne des Ernennenden erfolgten. 420 4. Stellungnahme zur Kritik a) Die Länge der Legitimationskette Der soeben dargestellten Kritik am Modell der Legitimationskette ist zuzugestehen, dass sich die personelle Legitimation mit zunehmender Länge der Legitimationskette verdünnt. Allerdings kann hieraus nicht gefolgert werden, dass das Erfordernis einer personellen Legitimation damit vernachlässigt werden könne und das Bestehen einer Legitimationskette nicht erforderlich sei. Eine Abschwächung der personellen Legitimation bei der Zwischenschaltung mehrerer Ernennungsakte ergibt sich daraus, dass bei der Ernennung eines Amtswalters ein Teil der Legitimation des ernennenden Organs verbraucht wird. Es kann also nicht die volle demokratische Legitimation des legitimationsvermittelnden Organs weitergegeben werden, sondern nur ein Minus. 421 Nur so erklärt es sich letztlich auch, dass ein Legitimationsmittler mehrfach durch Ernennung demokratische Legitimation vermitteln kann. Würde er seine eigene Legitimation tatsächlich vollumfänglich weitergeben, wäre sie bereits durch eine einmalige Ernennung eines Amtswalters „verbraucht“. 422 419 Vgl. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung unter Berücksichtigung ihrer Organisation sowie der Entstehungsgeschichte zum Grundgesetz, 1989, S. 89 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 292 f.; Dederer, NVwZ 2000, S. 403, 404; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 506. 420 Vgl. Bull, in: FS für Bermbach, 1998, S. 241, 251; Fisahn, KJ 2000, S. 71, 87, Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 505; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 293 f. 421 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 274. 422 Anders: Schmidt-Aßmann, AöR116 (1991), S. 329, 360, der eine Verdünnung der Legitimation bei zunehmender Länge der Legitimationskette zurückweist: „Daß die kürzere Kette eine höhere demokratische Dignität verleihe, ist ein politisches Werturteil, das in der rechtlichen Dogmatik keine Entsprechung findet.“ Vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504, der den Kritikpunkt der Länge der Legitimationsketten aus diesem Grund durch weitere Kritikpunkte unterstützt. Vorsichtig:
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Allerdings ist die Schlussfolgerung, die von den Kritikern des Modells der personellen Legitimation aus dem Umstand gezogen wird, dass die legitimatorische Bedeutung der personellen Legitimation mit zunehmender Länge der Legitimationskette abnimmt, nicht berechtigt: Die personelle Legitimation bzw. das Bestehen einer Legitimationskette zu ihrer Sicherung ist deshalb nicht entbehrlich. Auch wenn sie bei Dazwischentreten mehrerer Legitimationsmittler nur in einem geringeren Umfang besteht, ist sie Bestandteil der Legitimation, die sich aus dem Zusammenwirken von personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimationsform ergibt. Zwar ist die personelle Legitimation eines Abgeordneten aufgrund der direkten Wahl durch das Volk höher als diejenige eines Verwaltungsbeamten, dennoch ist der Beamte ebenso demokratisch legitimiert. Die Abgeordneten, die im Parlament durch die Schaffung von Gesetzen Vorgaben für die Administrative setzen und somit Grundentscheidungen treffen, bei denen sie sachlich lediglich den Bindungen der Verfassung unterliegen, bedürfen einer starken personellen Legitimation, wie sie ihnen durch die direkte Wahl auch vermittelt wird. Der Verwaltungsbeamte hingegen wird nicht vom Volk direkt gewählt und hat infolge der längeren Ernennungs- oder Legitimationskette eine schwächere personelle Legitimation. Im Gegenzug übt er aber auch kein Führungsamt mit nur geringen sachlichen Bindungen aus, sondern ist an die sachlichen Vorgaben gebunden, wie sie von Parlament und Regierung gesetzt werden. Seine Entscheidungsspielräume sind im Vergleich zu denen des Abgeordneten sehr begrenzt. 423 Durch diese Verschränkung von personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation, wird das geringere Niveau an personeller Legitimation ausgeglichen: 424 Je weiter sich die personelle Legitimationskette vom Volk entfernt, desto dichter werden die sachlich-inhaltlichen Vorgaben an das Verwaltungshandeln des Amtswalters, da zu der Gesetzesbindung, der auch die Regierung untersteht, die Bindung an Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften 425 und Weisungen tritt. Dem Umstand, dass die personell-demokratische Legitimation mit zunehmender Entfernung vom Volk abnimmt, kann also nicht entnommen werden, dass diese entbehrlich wäre. Sie dient weiterhin der Rückbindung des personellen Momentes der Staatsgewalt, dem Ermessen des Amtswalters, an das Volk. Allerdings reicht eine geringere personelle Legitimation aus, wenn die Entscheidungsspielräume eines Amtswalters aufgrund der sachlich-inhaltlichen Bindungen geringer sind. 426 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16 „[...] wenngleich die unmittelbare Berufung eine höhere demokratische Dignität begründen mag.“ (Hervorhebung nicht im Original). 423 Vgl. zur Bedeutung dieser Unterscheidung zwischen Führungs- und Vollzugsämtern auch die anschließenden Ausführungen zur Lebenszeiternennung der Beamten. 424 Vgl. zum Wechselverhältnis zwischen personeller und materieller Legitimation auch unten Teil 1 Kap. 2 D. IV. 1. 425 Vgl. zu diesen beiden Instrumenten der Steuerung Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 340 f. 426 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 284.
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Hinzu kommt, dass die Legitimationskette nicht nur im Rahmen der personellen Legitimation Bedeutung hat, indem sie die Rückführung der Ernennung auf das Volk ermöglicht, sondern darüber hinaus die personelle Schiene darstellt, auf der die fachlichen Weisungen verlaufen. Würde man die Legitimationskette aufgrund der nur ausgedünnten Legitimation für entbehrlich halten, so würde man damit gleichzeitig der Weisungsbefugnis, die von der Regierung bis hin zu den einzelnen Verwaltungsbeamten verläuft, ihre Grundlage entziehen. 427 b) Ernennung auf Lebenszeit Die Tatsache, dass die personelle Legitimation mit der Länge der Legitimationskette abnimmt, spricht somit nicht gegen ein Modell, das auf den personellen Faktor zur Legitimation von Staatsgewalt abstellt. Auch die Ernennung der Beamten auf Lebenszeit spricht nicht gegen die legitimatorische Wirkung der Ernennung. Zunächst einmal verlangt das Demokratieprinzip nicht, dass alle Amtswalter, die mit der Wahrnehmung von Staatsgewalt betraut sind, wie das Parlament und die Regierung auf Zeit bestimmt sind. Eine solche befristete Berufung ins Beamtenverhältnis ist zur Wahrung des Demokratiegebotes nicht erforderlich, da auch insoweit zwischen politischen Führungsämtern und administrativen Ausführungsämtern unterschieden werden muss. 428 Während die Abgeordneten des Parlaments durch die Gesetze und die Mitglieder der Regierung durch ihre die Gesetze konkretisierenden Erlasse (z. B. Rechtsverordnungen) und politischen Entscheidungen die jeweilige Richtung der Politik vorgeben und bestimmen, hat die Administrative die Aufgabe, diese Vorgaben auszuführen und umzusetzen. Ihre Tätigkeit ist hierbei durch ihre Neutralität, Objektivität und die Ferne zur politischen Auseinandersetzung gekennzeichnet. 429 Die durch die lebenszeitliche Ernennung gesicherte Unabhängigkeit und Statussicherheit dient dabei als Garant für Objektivität und Neutralität bei der Amtsausübung. Die parteipolitische Neutralität der ausführenden Beamten dient als Gewähr für die jeweilige Regierung, dass ihre Ziele durch die Administrative loyal umgesetzt werden. Politische Überzeugungen des Amtswalters müssen also bei der Ausübung seines Amtes zurückstehen (vgl. § 35 II BRRG; § 53 BBG). Auch die politischen Zielvorgaben 427
Vgl. dazu die anschließenden näheren Ausführungen im Zusammenhang mit der Lebenszeiternennung der Beamten. 428 Grundlegend: Isensee, in: Matz (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, 1985, S. 43, 49; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 195 ff.; vgl. auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 43. 429 Vgl. zur Neutralität Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 363; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 333; Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 43.
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von Regierung und Parlament fließen jedoch nie unvermittelt in die Amtsausführung ein, sondern lediglich dann, wenn sie Gesetzesform erlangt oder Ausdruck in Verwaltungsvorschriften oder Einzelweisungen gefunden haben. 430 Die lebenszeitliche Ernennung der Amtswalter kann somit nicht als Durchbrechung des Demokratieprinzips gesehen werden, sondern sie ist vielmehr vor dem Hintergrund der ausführenden Funktion der Beamten als Verwirklichungsmechanismus der Demokratie anzusehen: Sie setzt die politischen Entscheidungen der jeweiligen direkt demokratisch legitimierten Organe in die Praxis um, unabhängig davon, welche Partei die Mehrheit in Parlament und Regierung inne hat. 431 Auch der Hinweis der Kritiker des Legitimationskettenmodells auf Art. 33 II GG vermag vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen: Da gerade die amtsloyale Neutralität und Objektivität sichert, dass der Beamte bei der Ausübung von Staatsgewalt seine Entscheidungen an der jeweiligen Regierungspolitik ausrichtet, ist die Auswahl der Amtswalter nach ihrer fachlichen Eignung, frei von politischen Erwägungen logische Konsequenz hieraus. Anders gewendet: Die Auswahl nach fachlicher Eignung ist ihrerseits Garant der Neutralität und Objektivität der Amtsführung, auf die die amtierende Regierung zur Umsetzung ihrer Politik angewiesen ist. 432
430 Vgl. Isensee, HVerfR, 1994, § 32, Rn. 26 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 334. 431 Vgl. Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 43. Die oben genannten Argumente werden häufig auch unter dem Topos des Amtes oder der Ämterordnung angesprochen: Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 362; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 332 ff., 333; Isensee, HVerfR, 1994, § 32, Rn. 26 ff.; ders., HStR III, 1996, § 57, Rn. 60 ff. 432 Einen insoweit anderen Ansatz verfolgt Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 138 f., der trotz Art. 33 II GG einen starken Einfluss der Exekutive in Fragen der Personalauswahl konstatiert. Dies stützt er zum einen darauf, dass mit Art 33 II GG zwar die Beurteilungsgrundlagen feststünden, aber hinsichtlich der Gewichtung dieser Grundlagen ein Beurteilungsspielraum bestünde. Ferner verweist er auf Spielräume, die bei der Festlegung des gewünschten Anforderungsprofils im Rahmen der Stellenausschreibung bestehen, das die Grundlage des Bewerbungsverfahrens darstellt. Dazu ist Folgendes anzumerken: Zwar ist ein gewisser Einfluss der Regierung bei der Einstellung der Beamten aus den von Weisel aufgezeigten Gründen nicht von der Hand zu weisen. Zum einen ist dieser aber nicht zu hoch einzuschätzen, da auch durch die Gewichtung von vorgegebenen und ausschließlich an der fachlichen Befähigung und Eignung des Bewerbers orientierten Beurteilungsgrundlagen kein eigenständiges politisches Entscheidungskriterium geschaffen wird. Zum anderen ist – wie oben dargelegt – ein politischer Einfluss der Exekutive auf die Beamtenernennung vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips auch nicht erforderlich. Es bestehen vielmehr eher Bedenken, wenn ein solcher Einfluss durch die Regierung ausgeübt wird. Vgl. dazu zum einen das von Weisel herangezogene Beispiel (a.a. O. Fn. 597), zum anderen Bull, FS für Bermbach, 1998, S. 241, 251.
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Da somit aus demokratietheoretischer Sicht die lebenszeitliche Ernennung der Beamten nicht beanstandet werden kann, ist nun noch der weitere im Zusammenhang mit der Lebenszeitbestellung vorgebrachte Einwand zu untersuchen: Nach Ablauf der Wahlperiode, in der die Ernennung erfolgte, geht diese nicht mehr auf die aktuell amtierende Regierung zurück, so dass eine Rückbindung nur an das Staatsorgan als solches, nicht aber in seiner konkreten personellen Zusammensetzung gegeben zu sein scheint. Diesem Gedanken wäre zuzustimmen, wenn man die personelle Legitimation auf den einmaligen Akt der Ernennung beschränkte, der in der Tat schon lange zurück liegen kann. 433 Die personelle Legitimation erschöpft sich aber nicht in der einmaligen und punktuellen Zuweisung eines bestimmten Amtes an einen Amtswalter, sondern sie umfasst auch alle Veränderungen bezüglich des Amtes bis hin zu seiner Entziehung. Die personelldemokratische Legitimation beinhaltet also den gesamten Bereich der Personalhoheit oder Personalgewalt. 434 Diese erschöpft sich nicht in der Ernennung eines Amtswalters, sondern betrifft beispielsweise auch die Entscheidung über seine Beförderung, Versetzung, Abordnung, Umsetzung und Entlassung. Inhaber dieser Regelungsbefugnisse ist gem. Art. 65 S. 2 GG – unbeschadet des Art. 65 S. 1 und 3 GG – der jeweilige Ressortminister. 435 Somit besteht über die Personalgewalt auch ein personelles Band zur gegenwärtigen aktuellen Regierung und nicht nur zu der im Zeitpunkt der Ernennung amtierenden Regierung. 436 Ferner wurde bereits dargelegt, dass die Verwaltung sich an den politischen Vorgaben der jeweiligen amtierenden Regierung ausrichtet, so dass auch insoweit eine Rückbindung an die konkrete Regierung erfolgt. Zwar realisiert sich diese Ausrichtung des Verwaltungshandelns an der aktuellen Regierungspolitik zum einen in der Gesetzesbindung und vor allem in der Möglichkeit der Weisung, also anhand von Steuerungsinstrumenten, die der materiellen und nicht der personellen Legitimation zuzurechnen sind. Hierbei muss jedoch beachtet werden, 433 Vgl. das Beispiel Dederers, NVwZ 2000, S. 403, 404 eines seit fünfundzwanzig Jahren im Beamtenverhältnis stehenden Amtswalters im Hinblick auf einen erst zwanzigjähriger Wähler. 434 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 330. 435 Vgl. dazu Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 348 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 330 ff. 436 Vgl. auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 43 f. Anders: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 139 f., der die organisatorisch-personellen Einflussmöglichkeiten mit dem Berufungsakt weitgehend als erschöpft ansieht. Er stellt aber lediglich auf die im Beamtenrecht eingeschränkten Möglichkeiten der Abberufung und der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ab und vernachlässigt andere Mittel, mit denen die Exekutivspitze Einfluss auf die Amtswalter nehmen kann. Hier ist beispielsweise die Steuerungswirkung von Beförderungen bzw. eben der Versagung einer solchen sowie von Versetzungen und Umsetzungen zu nennen.
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dass die personelle Legitimation in Form der Legitimationskette die Schiene darstellt, auf der die fachlichen Weisungen verlaufen. Das Steuerungsinstrument der Weisung realisiert sich – anders als beispielsweise das Gesetz – erst durch die personelle Bindung zwischen Weisungsberechtigtem und Weisungsempfänger. 437 Das Bestehen der Personalhoheit verleiht der Weisung die notwendige Durchschlagkraft. Damit wird ein weiteres Mal deutlich, dass personelle und materielle Legitimation nicht strikt voneinander zu trennen sind, sondern zusammenwirken und somit der personelle Legitimationsstrang auch bei schwacher Ausprägung nicht ganz vernachlässigt werden kann. c) Fazit Es kann also festgestellt werden, dass die personell-organisatorische Legitimationsform auch für den Bereich der Verwaltung die Rückbindung der Entscheidungen der Amtswalter an den Volkswillen sicherstellt. Die personelle Legitimationskette leistet auch in ausgedünnter Form aufgrund der durch sie vermittelten Einwirkungsmöglichkeiten des Ressortministers im Wege der Personalgewalt und der Einzelweisung einen gewichtigen Beitrag zur demokratischen Legitimation der Entscheidungen der Amtswalter. III. Sachlich-inhaltliche oder materielle Legitimation Die sachlich-inhaltliche 438 oder auch materielle 439 Legitimation 440 dient neben der personellen Legitimation ebenfalls der Rückführung der Staatsgewalt auf das 437 So auch Tschentscher, Demokratische Legitimation der Dritten Gewalt, 2006, S. 54 und 55; Schnapp, in v. Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 4. / 5. Auflage, 2001, Art. 20, Rn. 20: Die personelle Legitimation „wird vermittelt durch Wahl oder Bestellung und gesichert durch Weisung und Aufsicht“. Deutlich auch Blanke, Der Personalrat 1999, S. 50, 59 ff., der diesen Gesichtspunkt allerdings nicht zur Unterstützung des Models der personellen Legitimation heranzieht, sondern ihn gerade dagegen anführt. Dies liegt allerdings darin begründe, dass er die Weisung als Steuerungsinstrument mit der „Detailprogrammierung aller relevanten Verwaltungsentscheidungen“ (S. 60) gleichsetzt und sie somit als unrealistisch verwirft. Vgl. zu diesem Problemkreis unten Teil 1 Kap. 2 D. III. 2.c) bb). 438 So grundlegend Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 21; vgl. auch SchmidtAßmann, AöR 116 (1991), S. 329, S. 357 ff. 439 So z. B. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270 ff. 440 Die unterschiedlichen Bezeichnungen als sachlich-inhaltliche oder als materielle Legitimation im Sinne Jestaedts bedeuten in der Sache keinen Unterschied. Sie werden daher in dieser Arbeit beide als Synonyme verwendet. Klarstellend sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Begriff der der materiellen Legitimation hier nicht als Ausdruck einer sog. output-Legitimation, die die Qualität der Entscheidung als legitimatorisch relevanten Faktor ansieht, verstanden wird. In diesem Sinne findet der Begriff Verwendung bei Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 597 ff. Zu diesen Ansatz s. unten Teil 2 Kap. 2 B. III.
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Volk als Legitimationssubjekt. Allerdings wird hier die Ausübung von Staatsgewalt nicht über den Einfluss des Volkes auf die Person, die die Staatsgewalt ausübt, sichergestellt, sondern es wird der Entscheidungsinhalt beeinflusst. 441 Dies geschieht über zwei Wege: Zum einen werden inhaltliche Vorgaben an die Ausübung von Staatsgewalt gemacht und zum anderen errichten weitere Mechanismen eine Verantwortlichkeit gegenüber und eine Kontrolle durch das Volk bzw. seine Repräsentanten. 442 Dabei stehen beide Elemente der sachlich-inhaltlichen Legitimation zueinander in einem Wechselverhältnis. Ist beispielsweise die Kontrollmöglichkeit des Volkes nicht oder auch nur eingeschränkt gegeben, so sind die sachlich-inhaltlichen Vorgaben um so stärker ausgeprägt. 443 Dies sei am Beispiel von Judikative und Legislative verdeutlicht: Bei der Judikative wird die durch die Unabhängigkeit der Richter (Art. 92 und Art. 97 I GG) und ihre damit verbundene Weisungsfreiheit nur sehr beschränkt bestehende demokratische Kontrolle 444 durch die hohe Dichte an gesetzlichen Vorgaben, an die die Richter strikt gebunden sind, ausgeglichen. 445 Während somit die Rechtsprechung trotz mangelnder demokratischer Verantwortlichkeit durch das hohe Maß an inhaltlichen Vorgaben materiell-demokratisch legitimiert ist, verhält es sich beim Parlament gerade umgekehrt: Ihm sind durch die Verfassung nur beschränkt inhaltliche Vorgaben gesetzt, dafür ist es über die Wahl dem Volk direkt verantwortlich. 446 Wie das Beispiel von Judikative und Legislative zeigen, differiert die Ausgestaltung der sachlich-inhaltlichen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt aufgrund der beiden Komponenten der materiellen Legitimation und ihrer 441 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 21; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 357; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270. 442 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 272 f. spricht insofern von einem allgemeinen und einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis. 443 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 22, der von einem „korrelative[n] Zusammenhang“ spricht; ders. Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 79; vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 273. 444 Eine gewisse Kontrolle besteht lediglich über die Richterbestellung und die in Art. 97 II GG zum Ausdruck kommenden Möglichkeiten im Rahmen der Personalhoheit (vgl. zur Richterbestellung: Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 72). Eine solche Kontrolle ist aber dem personell-organisatorischen Legitimationsmodus zuzuordnen. Eine sachlich-inhaltliche Kontrolle wie bei der Exekutive besteht nicht. Vgl. dazu auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 295 f., Fn. 143. 445 Vgl. zur materiell-demokratischen Legitimation der Rechtsprechung Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 22; ders. Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 79 und ferner zur Begrenzung und Bestimmung der richterlichen Rechtsbildung durch das geltende Gesetzesrecht S. 94 ff.; vgl. weiter Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 295 m.w. N. 446 Vgl. dazu genauer unter Teil 1 Kap. 2 D. III. 1. c).
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Wechselbezüglichkeit je nach dem betroffenen Funktionsbereich: Die sachlichinhaltliche Legitimation ist also bei Legislative, Gubernative, Administrative und Judikative unterschiedlich realisiert und ausgeprägt. 447 Da in dieser Arbeit die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung untersucht werden soll und diese zur vollziehenden Gewalt, bzw. genauer zur Administrative, zu rechnen ist, konzentrieren sich die weiteren Ausführungen auf die sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrukturen, die im Bereich der Administrative wirksam sind. Die anderen Gewalten werden nur vereinzelt zur Verdeutlichung in Bezug genommen. Bevor aber die Verwirklichung der sachlich-inhaltlichen Legitimation für den Bereich der Administrative genauer beleuchtet wird, sollen im Folgenden zunächst allgemein die Wirkmechanismen der materiellen Legitimation aufgezeigt werden. Dazu werden zunächst die oben bereits genannten zwei Komponenten der materiellen Legitimation vorgestellt und dann die Rolle des Parlamentes als direkter Repräsentant des Volkes bei der Vermittlung der sachlich-inhaltlichen Legitimation untersucht. 1. Die Elemente der sachlich-inhaltlichen Legitimation a) Lenkung durch inhaltliche Vorgaben Das erste Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation besteht in der Rückanbindung der Ausübung von Staatsgewalt an den Volkswillen durch inhaltliche Vorgaben, an denen sich die Entscheidung ausrichtet. Diese inhaltlichen Vorgaben können vom Volk selbst per Volksabstimmung herrühren. Allerdings ist diese Möglichkeit auf Bundesebene lediglich eine theoretische, da Volksabstimmungen in der derzeitigen Verfassung nur in den eng begrenzten Fällen der Art. 29, 118, 118a GG vorgesehen sind. 448 In Ermanglung einer volksunmittelbaren sachlich-inhaltlichen Legitimation werden die sachlichen Vorgaben durch die Vertreter des Volkes, das Parlament und die Regierung, geschaffen. Das Parlament als direkt vom Volk ge447 Dazu ausführlich: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 291 ff., der die „funktions- und statusdifferenzierte demokratische Legitimation“ insgesamt, also unter Einbeziehung der personellen Legitimation betrachtet und somit auch auf das funktionsspezifische Verhältnis von personeller und materieller Legitimation eingeht. Hier soll zunächst nur die materielle Legitimation im Vordergrund stehen. Das Verhältnis der beiden Legitimationsarten zueinander wird erst später untersucht werden (s. Teil 1 Kap. 2 D. IV. 1.). 448 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270 f. Kritisch: Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 297 f. mit Fn. 933, der allerdings auf Bundesebene auch die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung zur unmittelbaren sachlich-inhaltlichen Legitimation durch das Volk einräumen muss. Solange eine solche aber nicht erfolgt ist, bleibt es dabei, dass die Möglichkeit inhaltlicher Vorgaben unmittelbar durch das Volk vernachlässigt werden kann.
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wählter Repräsentant erlässt Gesetze, welche die Regierung in Rechtverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Weisungen konkretisiert. An die durch Gesetz und Rechtsverordnung 449 geschaffenen inhaltlichen Vorgaben ist die Verwaltung gem. Art. 20 III GG gebunden. An die Verwaltungsvorschriften sowie an die Einzelweisungen besteht eine Bindung aufgrund der hierarchischen Strukturen der Verwaltung und der Direktionsgewalt der übergeordneten Behörde. 450 b) Demokratische Verantwortlichkeit Neben diese inhaltlichen Vorgaben tritt als zweites Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation die demokratische Verantwortlichkeit und Kontrolle der Organe, die mit der Wahrnehmung von Staatsgewalt betraut sind. 451 So ist das Parlament direkt dem Volk verantwortlich, das durch den alle vier Jahre wiederkehrenden Wahlakt die Parlamentstätigkeit sanktionieren oder aber bestätigen kann. Die Regierung und die Minister sind in ihrer Ernennung und in ihrem Bestand vom Parlament abhängig, was in den Bestimmungen der Art. 63 I, Art. 67 I sowie Art. 69 II GG zum Ausdruck kommt. Sie unterstehen während ihrer Amtszeit der Kontrolle durch die Volksvertretung: 452 Zu den wichtigsten Kontrollinstrumenten zählen hierbei das Zitierrecht (Art. 43 GG), die Möglichkeit der Einberufung eines Untersuchungsausschusses (Art. 44 GG) und die Instrumente der Kleinen und Großen Anfrage (§§ 104 und 100 GOBT). Ferner sind hier die Rechte des Petitionsausschusses zu nennen (Art. 45c GG, §§ 108 ff GOBT, PetAG). 453 Zwar richten sich die Kontrollmechanismen des Parlamentes – abgesehen von Art. 44 GG – unmittelbar nur an die Regierung und erlauben keinen direkten Durchgriff auf die Verwaltung, 454 mittelbar wird durch die Kontrolle der Regierung aber auch die Verwaltung in den Verantwortlichkeitszusammenhang gestellt, da die Regierung bzw. der jeweilige Minister nach dem Ressortprinzip für die ihm nachgeordneten Behörden verantwortlich ist. 455 Eine solche Verantwortlichkeit 449
Vgl. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 107. Vgl. zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften im Innenverhältnis: Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., 2001, § 1, Rn. 192. 451 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 273 spricht in diesem Zusammenhang von einem „besondere[n] Abhängigkeitsverhältnis“. Die Gesetzesbindung bezeichnet er in Gegenüberstellung hierzu als „allgemeine[s] Abhängigkeitsverhältnis“. 452 Vgl. zur parlamentarischen Kontrolle auch: Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 988. 453 Vgl. dazu eingehend: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 78; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 312 ff. 454 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 312 ff., 334 f., Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 78 f.; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 141. 455 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 314 ff. 450
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der Regierung für die Administrative setzt natürlich ihre Einflussmöglichkeiten und Entscheidungsmacht voraus. Nur wenn die Regierung die Entscheidungen der Verwaltung beeinflussen kann, kann sie dafür auch zur Verantwortung gezogen werden. 456 Eine solche Einwirkungsmöglichkeit ist durch die Instrumente der Aufsicht und der Weisung gegeben. 457 c) Das Parlament als Vermittler sachlich-inhaltlicher Legitimation Wie bereits an dieser kurzen Darstellung der sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrukturen deutlich wird, kommt dem Parlament sowohl im Rahmen der Setzung von inhaltlichen Vorgaben als auch im Rahmen der Verantwortlichkeit und Kontrolle die entscheidende und zentrale Rolle zu. Im Hinblick auf die Setzung inhaltlicher Vorgaben manifestiert sich die hervorgehobene Stellung des Parlamentes dadurch, dass es selber, von den Vorgaben der Verfassung einmal abgesehen, keinen sachlich-inhaltlichen Vorgaben und Einschränkungen unterliegt. Die Regierung hingegen, die neben dem Parlament ebenfalls Urheber sachlicher Vorgaben ist, ist als Teil der vollziehenden Gewalt gem. Art. 20 III GG an die vom Parlament erlassenen Gesetze gebunden: So ist ihre Befugnis, Rechtsverordnungen zu erlassen, gem. Art. 80 I GG vom Parlament abgeleitet. Zum Erlass von Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen bedarf die Regierung zwar keiner gesetzlichen Grundlage, da ihr dieses Recht als Teil ihrer Leitungsbefugnis zukommt. 458 Aber Verwaltungsvorschriften und auch Einzelweisungen dienen vor allem der einheitlichen Auslegung und Anwendung von Gesetzen. Sie sind somit auf diese und ihre inhaltlichen Vorgaben verwiesen. Das Parlament ist also das zentrale Organ, wenn es um die Umsetzung des Volkswillens durch inhaltliche Vorgaben geht. Auch im Hinblick auf das zweite Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation, das Verantwortungs- oder Kontrollmoment, ist das Parlament zentraler Mittler, während es selbst dieser Kontrolle nur in abgeschwächter Form unterworfen ist: Durch die periodisch durchgeführten Wahlen unterliegt es zwar letztlich der Kontrolle durch das Volk, allerdings findet zum einen nur alle vier Jahre eine Kontrolle statt und zum anderen wird durch diese allgemeine und personell ausgerichtete Wahlentscheidung nicht der einzelne Parlamentsakt vom Souverän überwacht. 456 Vgl. zu diesem notwendigen Zusammenhang von Verantwortlichkeit und Einwirkungsmöglichkeit insbes. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 265 mit Fn. 2. 457 Vgl. zum Kontrollelement: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 141 ff. 458 Vgl. zu den Verwaltungsvorschriften BVerwG NJW 1983, S. 2589, 2590; BVerfGE 26, S. 338, 396 f.
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Die zentrale Rolle des Parlamentes 459 und seine relativ große Unabhängigkeit bei der Setzung inhaltlicher Vorgaben erklärt sich dadurch, dass das Grundgesetz eine repräsentative, parlamentarische Demokratie errichtet, in der Elemente direkter Demokratie die Ausnahme sind. Einfluss auf den Inhalt von Entscheidungen erhält das Volk grundsätzlich nur mittelbar über die Wahl der Entscheidungsträger, also über das personelle Element. 460 2. Die sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrukturen der administrativen Gewalt Nachdem die Grundstrukturen der sachlich-inhaltlichen Legitimation dargestellt wurden, soll im Folgenden genauer beleuchtet werden, wie sich diese Legitimationsstrukturen im Bereich der Administrative darstellen. Die Lenkung durch inhaltliche Vorgaben erfolgt hierbei durch Parlament und Regierung, während die Kontrollfunktion direkt nur von der Regierung ausgeübt wird. Die Kontrolle durch das Parlament erfolgt nicht unvermittelt durch eigenständige Kontrollmechanismen, sondern stellt sich als durch von der Regierung vermittelte Kontrolle dar. Im Folgenden sollen zunächst die Steuerungsinstrumente des Parlaments dargestellt werden, um im Anschluss daran die Steuerung durch die Exekutive genauer zu beleuchten. a) Sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch das Parlament Da das Parlament selbst keine direkte Kontrollfunktion ausübt, konzentriert sich die folgende Darstellung der Legitimationsvermittlung durch das Parlament auf die Legitimation mittels Setzung inhaltlicher Vorgaben. Zentrales Instrument der Legislative zur Steuerung und Lenkung des Verwaltungshandelns ist das Gesetz. Dabei tritt zu den allgemeinen Gesetzen das Haushaltsgesetz als besonderes Gesetz.
459 Vgl. zur herausgehobenen Bedeutung des Parlamentes für die Vermittlung demokratischer Legitimation insbes. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 306 ff. 460 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270 ff., 291.
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aa) Das Gesetz Die Verwaltung hat als vollziehende Gewalt die Aufgabe, die vom Parlament erlassenen Gesetze in der Praxis umzusetzen. Sie tritt dabei dem Bürger direkt gegenüber, der die Ausübung von Staatsgewalt durch das Parlament in den seltensten Fällen direkt wahrnehmen wird, sondern vor allem die Maßnahmen der Verwaltung als staatliche Einwirkung auf seinen Lebensbereich erfahren wird. Die Verwaltung entscheidet hierbei jedoch nicht selbst über das „Ob“ und „Wie“ ihres Handelns, sondern sie ist über Art. 20 III GG in zweifacher Hinsicht an die gesetzlichen Vorgaben des Parlamentes gebunden: Zum einen bedarf sie für ihr Tätigwerden einer gesetzlichen Ermächtigung (Vorbehalt des Gesetzes). Zum anderen ist eine gesetzliche Ermächtigung für die Verwaltung auch zugleich ein Auftrag zum Tätigwerden und bindet das Verwaltungshandeln, so dass diese von den gesetzlichen Vorgaben nicht abweichen darf (Vorrang des Gesetzes). 461 Das Parlamentsgesetz bestimmt also das Handeln der Verwaltung. Hierbei entfaltet es auf jeder Ebene der Verwaltung die gleiche Wirkung. Im Gegensatz zur personellen Legitimation, bei der die vom Volk über das Parlament vermittelte Legitimation nicht direkt vom Parlament an die einzelnen Beamten der Verwaltung weitergereicht wird und sich somit bei zunehmender Länge der Legitimationskette abschwächt, richten sich die inhaltlichen Vorgaben des Gesetzes nicht nur an das nächste Glied in der Legitimationskette, sondern wirken auf jeder Stufe in gleicher Weise. 462 Je intensiver und dichter ein Bereich durch Gesetze geregelt ist, desto größer ist die direkt durch das Parlament vermittelte demokratische Legitimation. 463 In Bezug auf Dichte und Umfang der gesetzlichen Regelung sind dem Parlament aber Grenzen gesetzt, die sich schon aus der Definition des Gesetzes als abstrakt-genereller Regelung ergeben. Wenn man von der Ausnahme des Einzelfallgesetzes einmal absieht, regelt ein Gesetz eine unbestimmte Anzahl von Fällen und richtet sich an eine Vielzahl von Personen. Es kann also grundsätzlich den Einzelfall nicht umfassend selbst regeln, sondern ist auf Konkretisierung durch die Verwaltung angewiesen, wodurch zwangsläufig Spielräume für diese entstehen. 464 Die Konkretisierungsbedürftigkeit der Gesetze und der damit einhergehende Entscheidungsspielraum der Verwaltung bei der Anwendung der 461 Vgl. zu Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes: Ossenbühl, HStR III, 1996, § 62, Rn. 1 ff und 7 ff.; s. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 336. 462 Vgl. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 140; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 275. 463 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 337 mit Fn. 155. 464 Vgl. dazu Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 165 ff.
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Gesetze ist dabei aber nicht etwa ein Übel, das es möglichst gering zu halten gilt. Neben der Unmöglichkeit, alle denkbaren zukünftigen Fallgestaltungen bei der Gesetzgebung vorherzusehen und die Gesetze an diesen auszurichten, wäre ein solches Vorgehen auch gar nicht sinnvoll: Der Prozess der Gesetzgebung ist im Vergleich zur Entscheidungsfindung in der Verwaltung verhältnismäßig schwerfällig und langwierig. 465 Wären die Gesetze nicht allgemein gehalten, sondern konkret, dann wären sie auch nicht mehr anpassungsfähig im Falle einer Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie regeln. 466 Bei Veränderung der Umstände müsste dann auch ein neues Gesetz erlassen werden, was aufgrund der langen Dauer des Gesetzgebungsverfahrens dazu führen würde, dass in der Zwischenzeit eine veraltete und nicht mehr passende gesetzliche Regelung angewandt werden müsste. Die Verwaltung hingegen kann auf eine Veränderung der Verhältnisse flexibler reagieren und die Gesetzesanwendung entsprechend anpassen. Hinzu kommt, dass die Konkretisierung der Gesetze häufig nicht unmittelbar durch den Beamten vorgenommen wird, dem ein konkreter Einzelfall zur Entscheidung vorliegt. Vielmehr werden die Gesetze bereits im Vorfeld der konkreten Rechtsanwendung durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften konkretisiert. Auf diese beiden Steuerungsmöglichkeiten, die der Exekutive zustehen, wird später noch genauer einzugehen sein. bb) Das Haushaltsgesetz Als weiteres Instrument der Lenkung durch das Parlament ist das Haushaltsgesetz als besonderes Gesetz zu nennen, das Ausdruck der parlamentarischen Budgethoheit ist. Nach Art. 110 II S. 1 GG wird der Haushaltsplan vom Parlament durch das Haushaltsgesetz festgestellt. In ihm sind nach Abs. 1 der Vorschrift alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das Haushaltsjahr einzustellen. Durch die Bereitstellung finanzieller Mittel im Haushaltsgesetz wird die Exekutive ermächtigt, einen dort bestimmten Betrag für einen ebenfalls im Haushaltsgesetz festgelegten Zweck auszugeben. 467 Das Haushaltsgesetz tritt also neben die Normen des Verwaltungsrechts, die der Exekutive als Rechtsgrundlage für ihr handeln dienen. 468 Zwar gilt Art. 110 GG lediglich für den Bundeshaushalt, das Budgetrecht der Länder stimmt aber aufgrund des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG), das Grundsätze für die Gesetzgebung des Bundes und der Länder im 465
Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 186. Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 169 ff. 467 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 338; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 204. 468 Vgl. dazu auch Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 107 ff. 466
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Bereich des Haushaltsrechtes aufstellt, weitgehend mit dem Bundesrecht überein (Art. 109 III GG). 469 Daher gelten die obigen sowie die folgenden Ausführungen ebenso für den Bereich der Länder. Die Bedeutung des Haushaltsgesetzes für die Ermächtigung der Verwaltung zur Ausgabentätigung lässt zunächst einmal eine hohe Steuerungsintensität des Verwaltungshandelns vermuten. Über das Ausmaß der Steuerung des Verwaltungshandelns durch das Haushaltsgesetz und seine legitimatorische Bedeutung besteht allerdings keine Einigkeit. Zum Teil wird ihm nur eine marginale Bedeutung zugesprochen 470 und viele Autoren, wie auch das Bundesverfassungsgericht, 471 erwähnen es im Rahmen der Ausführungen zur Legitimation des Verwaltungshandelns überhaupt nicht oder nur kurz. 472 Gegen eine große Bedeutung des Haushaltsgesetzes auf das Verwaltungshandeln sprechen vor allem folgende Überlegungen: 473 Zum einen richtet sich das Haushaltsgesetz nicht in erster Linie an die Verwaltung, sondern ist als wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für die Politik, insbesondere für die Regierung in ihrer Staatsleitungsfunktion, maßgeblich. 474 Hinzu kommt, dass das Haushaltsgesetz den Verwaltungsentscheidungen keinerlei sachlich-inhaltliche Vorgaben setzt, sondern in der Regel nur in dem durch das Verwaltungsrecht gesetzten Rahmen Wirkungen entfaltet. 475 Ferner wirkt das Haushaltsgesetz für die Verwaltung nur ermächtigend und nicht auch verpflichtend 476 und schließlich bestehen für das Parlament bei Erlass des Haushaltsgesetzes nur geringe Spielräume: Bestimmte Aufgaben müssen als Staatsaufgaben erfüllt werden, so dass hierfür auch die notwendigen Mittel bereitzustellen sind. Hierzu treten Ausgaben, die aufgrund anderer Rechtsvorschriften erforderlich sind. 477 All diese Argumente, die gegen eine große Bedeutung des Haushaltsrechts zur Legitimation des Verwaltungshandelns sprechen, haben ihre Berechtigung. Allerdings ist ihre Aussagekraft teilweise zu relativieren. Durch den Grundsatz der Spezialität des Haushaltsplanes, der besagt, dass die im Haushaltsgesetz 469 Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 110, I, September 1981, Rn. 1; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 77, Fn. 168. 470 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 339. 471 Vgl. etwa BVerfGE 83, S. 60, 71 ff.; 93, S. 37, 66 ff. 472 Auf diesen Umstand weist Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 221 hin. 473 Vgl. zu den folgenden Argumenten insbes. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 338 f. 474 Vgl. BVerfGE 70, S. 324, 355. 475 Vgl. Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505, 508 f., 511. 476 Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 28. 477 Vgl. hierzu: Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 110, 305 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 1216 f.
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vorgesehenen Ausgaben nur für die ebenfalls im Haushaltsplan festgelegten Zwecke sowie innerhalb des Haushaltsjahres eingesetzt werden dürfen, 478 wird eine gewisse Steuerung des Verwaltungshandelns erreicht. Über die Zuteilung bestimmter Geldmittel für bestimmte Ziele wird eine Gewichtung der einzelnen Ziele vorgegeben: Wird ein Ziel als wichtig angesehen, wird die Bereitstellung von Finanzmitteln zu seiner Verfolgung höher ausfallen als bei Zielsetzungen, die als weniger wichtig angesehen werden. 479 Die hierdurch erzielte Steuerung gilt mit Einschränkungen auch im Bereich der Pflichtaufgaben, da auch in diesem Bereich die Aufgaben häufig in verschiedener Weise und somit unterschiedlich kostenintensiv wahrgenommen werden können. Natürlich ist auch der Einwand, dass sich das Verwaltungshandeln inhaltlich an den entsprechenden Fachgesetzen auszurichten hat und das Haushaltsgesetz demgegenüber keine inhaltlichen Vorgaben setzt, richtig. Das Haushaltsgesetz erhält aber Bedeutung, soweit Ermessens- und Beurteilungsspielräume bestehen, deren Ausübung durch die verwaltungsrechtlichen Fachgesetze nicht vollends vorgegeben ist. 480 Große Bedeutung kommt dem Haushaltsgesetz vor allem in Bereichen zu, in denen Verwaltungsgesetze nur vereinzelt bestehen: Das Subventionsrecht wird beispielsweise zu einem großen Teil durch das Budgetrecht bestimmt. 481 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Auswirkungen des Haushaltsrechts auf das Verwaltungshandeln und somit seine legitimatorische Bedeutung davon abhängen, inwieweit für den jeweiligen Regelungsbereich fachgesetzliche Vorgaben bestehen: Je weniger materiell-gesetzliche Vorgaben bestehen, desto größer ist die Bedeutung des Haushaltsgesetzes für die Steuerung des Verwaltungshandelns. 482 Eine allgemeingültige Bestimmung der legitimatorischen Bedeutung des Haushaltsgesetzes ist somit nur sehr begrenzt möglich. cc) Fazit Die Vermittlung sachlich-inhaltlicher Legitimation durch das Parlament erfolgt also vor allem über die allgemeinen Gesetze. Hinzu kommt eine Steuerung 478 Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 73 f. Vgl. zum Grundsatz der Spezialität und seiner Steuerungswirkung insbesondere auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 217 f. und S. 229 ff. 479 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 229 f. 480 Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505, 511. 481 Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505, 512; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 358; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 210; vgl. auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S. 417 f. Vgl. zu weiteren Beispielen einer Steuerungswirkung des Haushaltsplans: ders., a.a. O., S. 278. 482 Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505.
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durch das Budgetrecht des Parlaments, die vor allem in Bereichen Bedeutung hat, in denen nur wenig inhaltliche Vorgaben durch Fachgesetze bestehen. b) Sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch die Exekutivspitze Nachdem die materielle Legitimation des Verwaltungshandelns über Steuerungsinstrumente des Parlaments dargelegt wurde, sollen nun die Steuerungsinstrumente der Exekutivspitze im Hinblick auf das Verwaltungshandeln untersucht werden. Im Vergleich zu den parlamentarischen Einflussnahmen auf das Verwaltungshandeln erscheint bei der Untersuchung der exekutiven Steuerungsinstrumente folgende Unterteilung angebracht: Zum einen werden Lenkungsinstrumente, die dem Verwaltungshandeln inhaltliche Vorgaben setzen, betrachtet und zum anderen solche, die als Kontrollinstrumente fungieren. Eine solche Differenzierung ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden: So ist beispielsweise das Instrument der Weisung auf der einen Seite eng mit der Fachaufsicht und somit mit einem Rechtsinstitut verbunden, das der Kontrollfunktion zuzuordnen ist. 483 Auf der anderen Seite wird aber durch die Weisung die konkrete Einzelentscheidung inhaltlich determiniert, was ihre Einordnung in den Bereich der Steuerung durch inhaltliche Vorgaben nahe legt. 484 Ähnliche Zuordnungsprobleme ergeben sich für Genehmigungsvorbehalte. Trotz dieser Differenzierungsschwierigkeiten soll bei der Darstellung der Vermittlung der sachlich-inhaltlichen Legitimation durch die Exekutive eine Einteilung in inhaltliche Steuerungsinstrumente und Kontrollinstrumente versucht werden. Dies dient zum einen der besseren Übersicht und zum anderen der Verdeutlichung der Funktion des einzelnen Steuerungsmittels, das – auch wenn es Elemente beider Funktionen aufweist – zumeist den Schwerpunkt in dem einen oder anderen Bereich hat. 485 aa) Legitimationsvermittlung mittels inhaltlicher Vorgaben Inhaltliche Vorgaben setzt die Exekutivspitze den Entscheidungen der nachgeordneten Verwaltungsbehörden zunächst in Form von Rechtsverordnungen 483
Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 358: „Für die nachgeordnete Verwaltung wird Verantwortung vor allem über die Aufsicht aktualisiert.“ Vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 21 und 22. 484 Vgl. zum Charakter der Weisung als Leitungsinstrument sowie als Instrument der Fachaufsicht auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 324, 342 mit Fn. 184. 485 Vgl. zur Unmöglichkeit einer exakten Trennung zwischen Instrumenten der Lenkung und solchen der Kontrolle: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 47 f.
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und Verwaltungsvorschriften. Diese Steuerungsinstrumente sind dem Gesetz als Steuerungsmittel insofern vergleichbar, als sie wie dieses abstrakte Regelungen treffen und nicht den Einzelfall im Blick haben. Zu dieser abstrakten Steuerung 486 tritt die Weisung, die demgegenüber die Entscheidung der Verwaltung in einem konkreten Einzelfall determiniert. (1) Abstrakte Steuerungsinstrumente Zunächst sollen hier die abstrakten Steuerungsinstrumente untersucht werden. Auch wenn Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften gegenüber dem Gesetz einen höheren Grad an Detailliertheit aufweisen, da sie an die gesetzliche Regelung anknüpfen und diese näher bestimmen bzw. konkretisieren, dienen sie der Regelung einer unbestimmten Anzahl von Fällen. Sie sind also nicht auf den Einzelfall ausgerichtet und bedürfen daher ihrerseits wiederum der Konkretisierung durch den Anwender. 487 Dieser Umstand erlaubt es, sie als abstrakte Steuerungsmittel einzuordnen und so gegenüber der Weisung abzugrenzen. (a) Rechtsverordnungen Nach Art. 80 I GG kann die Exekutivspitze, also die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierung, durch Gesetz zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt werden. Die Befugnis zum Erlass solcher Rechtsverordnungen bedarf also der gesetzlichen Ermächtigung und stellt somit eine vom Parlament abgeleitete Rechtssetzungsbefugnis der Exekutivspitze dar. Ratio der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen ist es, den Gesetzgeber zu entlasten und die Details einer Sachmaterie der Exekutive zur Regelung zu überlassen. 488 In der Normenhierarchie stehen Rechtsverordnungen im Rang unter den Parlamentsgesetzen, gehen aber den sonstigen Akten der Exekutive vor, so dass sie diese steuern. 489
486 Die Unterteilung in abstrakte und konkrete Steuerungsmittel ist angelehnt an Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 79 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 340 ff. 487 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 341. 488 Vgl. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 662; vgl. Lücke / Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Auflage, 2007, Art. 80, Rn. 3. 489 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 341.
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(b) Verwaltungsvorschriften Neben der Rechtsverordnung besteht ein weiteres abstraktes Steuerungsmittel der Exekutive in der Möglichkeit zum Erlass von Verwaltungsvorschriften. Im Gegensatz zum Erlass von Rechtsverordnungen bedarf die Exekutive zum Erlass von Verwaltungsvorschriften aber grundsätzlich keiner gesetzlichen Ermächtigung. Ihre Befugnis hierzu ergibt sich vielmehr aus der allgemeinen Leitungsbefugnis und Weisungskompetenz der obersten Behörden. 490 Durch Verwaltungsvorschriften können organisatorische aber auch sachlichinhaltliche Fragen geregelt werden 491 Man unterscheidet verschiedene Arten von Verwaltungsvorschriften: Die Organisations- und Dienstvorschriften betreffen Fragen der Behördenorganisation und des Dienstbetriebes. Da sie dem Verwaltungshandeln keine inhaltlichen Vorgaben setzen, können sie aus legitimatorischer Sicht vernachlässigt werden. Die norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften sichern eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung. Sie betreffen insbesondere die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ohne Beurteilungsspielraum des Rechtsanwenders. 492 Die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften betreffen demgegenüber sog. „offene“ Tatbestände. Das sind Tatbestände mit unbestimmten Rechtsbegriffen, bei deren Auslegung ein Beurteilungsspielraum für die Behörde besteht. 493 Die ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften betreffen Spielräume der Verwaltung nicht bei der Auslegung des Tatbestandes einer Norm, sondern bei der Bestimmung ihrer Rechtsfolgen. Sie stellen einen einheitlichen Ermessensgebrauch sicher. 494 Teilweise wird den Ermessensvorschriften noch die Kategorie der gesetzesvertretenden Verwaltungsvorschriften zur Seite gestellt. Diese Verwaltungsvorschriften betreffen Bereiche, in denen gesetzliche Regelungen nicht oder nur in geringem Umfang bestehen. Ihre Bedeutung ist jedoch nicht über zu bewerten, da auch im Bereich der Leistungsverwaltung mehr und mehr gesetzliche Regelungen erlassen werden und die Abgrenzung dieser Kategorie der Verwaltungsvorschriften zu den ermessenslenkenden Vorschriften damit zunehmend verwischt wird. 495 Die Verwaltungsvorschriften sind sowohl dem Gesetz als auch den Rechtsverordnungen nachrangig. Die Steuerungswirkungen, die von ihnen ausgehen, sind aber jenen der Rechtsvorschriften gleich zu setzen. 496 490
BVerfGE 26, S. 338, 396. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 1. 492 Vgl. Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., 2001, § 1, Rn. 193. 493 Vgl. Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., 2001, § 1, Rn. 194; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 9. 494 Vgl. Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., 2001, § 1, Rn. 195; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 10. 495 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 11. 491
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(2) Konkrete Steuerungsinstrumente (a) Weisung Das bedeutendste konkrete Steuerungsmittel der Exekutivspitze gegenüber der nachgeordneten Verwaltung ist die Weisung. Sie ist im Gegensatz zu Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften auf den Einzelfall bezogen und erlaubt, dass sich in einem konkreten Fall die Entscheidung und der Wille der Verwaltungsspitze durchsetzen können. Aufgrund dieses unmittelbaren Zugriffs auf die konkrete Entscheidung ist die Weisung in ihrer Steuerungswirkung Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften überlegen, obwohl sie diesen normhierarchisch untergeordnet ist. 497 Wesensmerkmale der Weisung sind zum einen ihr Initiativcharakter. Dieser erlaubt der Exekutivspitze eine Einflussnahme bzw. eine Bestimmung des Entscheidungsinhalts schon im Vorfeld, so dass sie nicht – wie im Rahmen der Rechtsaufsicht – auf die bloße Korrektur einer bereits ergangenen Entscheidung verwiesen ist. Zum anderen betrifft die Weisungsgewalt nicht nur die Frage der Rechtmäßigkeit, sondern auch der Zweckmäßigkeit der Entscheidung. 498 Die Verwaltungsspitze kann also ihre Zweckmäßigkeitsüberlegungen und ihre Ermessensausübung an die Stelle der Erwägungen des zuständigen Amtswalters setzen und wird so zum eigentlichen Entscheidungsträger. 499 Bereits oben wurde angesprochen, dass die Weisung nicht nur Ausdruck der Leitungsbefugnis der Regierung bzw. des Ministers ist, sondern als Instrument der Fachaufsicht auch Kontrollcharakter besitzt. Aber es bestehen nicht nur Überschneidungen zwischen Kontroll- und Lenkungsfunktion der Weisung. Auch die Grenzen zwischen personeller und materieller Legitimation sind im Hinblick auf die Weisung nicht ganz trennscharf: 500 Zum einen bildet die personelle Legitimationskette den Strang, auf dem die Weisungen verlaufen, so dass eine gewisse Wechselbezüglichkeit zwischen beiden Bereichen besteht. Zum anderen ist auch das Entscheidungsmoment, auf das durch die Weisung Einfluss genommen wird, vielfach personeller Natur: Weisungen betreffen insbesonde496 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 80; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 341. 497 Vgl. zur Weisung und ihrer legitimatorischen Bedeutung insbesondere Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 323 ff., 342. 498 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 342; Möllers, NVwZ 1997, S. 858, 859. 499 Vgl. darstellend: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 189. 500 Vgl. dazu auch Lecheler, Die Personalgewalt des öffentlichen Dienstherren, 1977, S. 121 – 130, der anders vorgeht und Weisungen je nach ihrem Regelungsgehalt der Fachgewalt oder der Personalgewalt zurechnet.
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re die Ermessensausübung des zur Entscheidung berufenen Amtswalters, also denjenigen Bestandteil der Entscheidung, auf den das Volk gewöhnlich durch die Auswahl der Personen Einfluss nimmt. 501 Schwerpunktmäßig ist die Weisung aber Ausdruck der Leitungsgewalt der Exekutivspitze 502 und als solches ein Mittel zur inhaltlichen Vorabsteuerung von Verwaltungsentscheidungen. Die darüber hinausgehende Bedeutung des Instituts der Weisung ist Ausdruck ihrer vielschichtigen Bedeutung für die Legitimation des Verwaltungshandelns. (b) Selbsteintritt Teilweise wird der Exekutivspitze spezialgesetzlich das Recht zum Selbsteintritt eingeräumt. Ein Selbsteintrittsrecht bedeutet, dass die Exekutivspitze für den Bereich, in dem ihr das Gesetz dieses Recht gewährt, anstelle des untergeordneten Verwaltungsträgers tätig werden kann. Da in diesem Fall somit die Exekutivspitze nach Außen als handelnde Behörde erscheint und nicht der untergeordnete Verwaltungsträger, kann ein solches Recht nur bestehen, wenn die Zuständigkeit des letzteren nicht verbindlich ist. 503 Die Legitimationswirkung eines solchen Selbsteintrittsrechts hängt insbesondere davon ab, ob der eintrittsberechtigten Behörde ein Initiativrecht zugestanden wird. Nur wenn sie nicht lediglich reaktiv mittels Selbsteintritt eine Entscheidung des untergeordneten Verwaltungsträgers aufheben, abändern oder bei dessen Untätigkeit ersetzen kann, sondern von sich aus und unabhängig von der untergeordneten Behörde tätig werden kann, ist die Legitimationswirkung des Selbsteintrittsrechts derjenigen der Weisung gleichzusetzen, 504 da die Weisung ebenfalls initiativ eingesetzt werden kann. Sofern kein Initiativrecht besteht, ist die Legitimationswirkung des Selbsteintrittsrechts letztlich nicht anders zu beurteilen als die reaktiven Mittel der Aufsicht. Somit hängt es vom Bestehen eines Initiativrechtes ab, ob das Selbsteintrittsrecht eher als Lenkungsinstrument mittels sachlich-inhaltlicher Vorgaben oder eher als Kontrollinstrument einzuordnen ist. Natürlich ist auch bei bestehendem Initiativrecht die Einordnung in die Kategorie der Lenkungsinstrumente durch inhaltliche Vorgaben nicht ganz passend, 501 s. o. im Zusammenhang mit organisatorisch-personeller Legitimation: Teil 1 Kap. 2 D. II. 4. a). 502 Vgl. zur Bedeutung der Weisungsbefugnis für die Leitungsgewalt der Exekutivspitze Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 344 ff. 503 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 343; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 147. 504 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 412 ff. Vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 194 ff., der dem Selbsteintrittsrecht dieselbe Legitimationskraft wie der Weisung zumisst, ohne auf diesen Umstand einzugehen.
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da letztlich der untergeordneten Behörde keine Vorgaben für ihr Tätigwerden gemacht werden, sondern die übergeordnete Behörde anstelle der untergeordneten Behörde handelt. Die Legitimationswirkung eines initiativen Selbsteintrittsrechts ist zwar mit der der Weisung vergleichbar, sie bleibt aber auch in diesem Fall hinter der der Weisung zurück: Zum einen ist die Ausübung des Selbsteintrittsrechts unmöglich bei zwingender Zuständigkeit der untergeordneten Behörde, während in diesem Fall eine Weisung ergehen kann, da ein Handeln auf Weisung stets ein Handeln der ausführenden untergeordneten Behörde bleibt. 505 Des Weiteren ist ein Weisungsrecht ein Steuerungsinstrument, das den gesamten Tätigkeitsbereich der untergeordneten Behörde umfasst. Ein das Initiativrecht gewährendes Selbsteintrittsrecht hingegen vermag nur für den Bereich die Weisung zu ersetzen, in dem es gesetzlich vorgesehen ist. 506 Selbst wenn das Selbsteintrittsrecht umfassend gewährt wird, ist sein permanenter Einsatz in der Praxis mit erheblich höheren Schwierigkeiten verbunden als der Gebrauch der Weisung: 507 Wenn die übergeordnete Behörde dauerhaft selbst tätig werden muss, um Entscheidungen zu gewährleisten, die ihrem Willen entsprechen, ist der durch die Aufgabenverteilung intendierte Entlastungseffekt zunichte gemacht. Die übergeordnete Behörde wäre dadurch überlastet. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die durch ein Selbsteintrittsrecht der übergeordneten Behörde gegenüber einem weisungsfrei gestellten Verwaltungsträger vermittelte Legitimation nur unter der Voraussetzung des Initiativrechts und dann auch nur punktuell für den vorgesehenen Bereich der Legitimationswirkung der Weisung nahe kommt. 508 (c) Genehmigungsvorbehalt Teilweise werden auch Genehmigungsvorbehalte als konkrete Steuerungsmittel der Exekutivspitze angesehen. 509 Für eine solche Einordnung spricht insbesondere, dass die Genehmigung Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entscheidung oder Maßname des Verwaltungsträgers ist und somit diese im Vorfeld beeinflusst und nicht erst im Sinne einer nachträglichen Kontrolle Wirkungen entfaltet. 510 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Einfluss auf den Inhalt der Entscheidung mittels des Genehmigungsvorbehaltes nur gering ist. Die Genehmi505 Loschelder, HStR III, 1996, § 68, Rn. 48; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 343. 506 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 412 f., 414. 507 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 414. 508 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 414. 509 So die Einordnung bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 81 f.; vgl. auch ders., S. 55 ff.
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gungsbehörde ist in ihrer Entscheidung darauf beschränkt, das zuvor festgelegte, beabsichtigte Verwaltungshandeln entweder zu billigen oder die Genehmigung zu versagen. Da die übergeordnete Behörde somit nicht auf den Inhalt der Entscheidung Einfluss nehmen kann, kann von einer Steuerung des Verwaltungshandelns durch inhaltliche Vorgaben nicht die Rede sein. Somit überwiegt beim Genehmigungsvorbehalt trotz seiner grundsätzlichen ex-ante Wirkung das reaktive Moment. 511 Er ist daher der Kategorie der Kontrolle zuzuordnen. bb) Kontrolle durch die Exekutive Nachdem nun die Instrumente der Exekutive betrachtet wurden, die der Verwaltung mittels sachlich-inhaltlicher Vorgaben Legitimation vermitteln, werden im Folgenden die Kontrollinstrumente der Exekutivspitze gegenüber der Verwaltung näher beleuchtet. (1) Rechtsaufsicht Die Rechtsaufsicht stellt die Recht- und Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sicher. Sie ist damit das Pendant zur Gesetzesbindung der Verwaltung. 512 Damit dient sie aber nicht nur rechtsstaatlichen Zwecken, sondern hat auch Bedeutung für die demokratische Legitimation, da sie die Durchsetzung der oben dargestellten normativen Steuerungsinstrumente des Parlamentes und der Exekutivspitze absichert. 513 In dieser Hinsicht ist ihre legitimatorische Relevanz auf den Umfang und die Dichte der gesetzlichen Vorgaben verwiesen: Je höher die Regelungsdichte einer Sachmaterie ist, desto mehr Möglichkeiten sind der Rechtsaufsichtsbehörde zur Überprüfung des Verwaltungshandelns an die Hand gegeben. 514 Der Rechtsaufsicht kommt aber neben ihrer Hauptbedeutung, die in der Durchsetzung der sachlich-inhaltlichen Vorgaben von Parlament und Regierung besteht, noch eine eigenständige Bedeutung zu: Sofern die Normen, an die die Verwal510 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 81. 511 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 344; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 151. 512 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 358. 513 Anders Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 271 f., der den reinen Kontrollfunktionen die demokratische Bedeutung abspricht und sie lediglich dem Rechtsstaatsprinzip zuordnet. Vgl. zur rechtsstaatlichen und demokratischen Bedeutung der Rechtsaufsicht auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 83 f. 514 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 84; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 150.
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tung gebunden ist, unbestimmte Rechtsbegriffe ohne Beurteilungsspielraum 515 enthalten, können die Rechtsaufsichtsbehörde bzw. auch die ihr übergeordneten Behörden diese in ihrem Sinne auslegen und ihre Rechtsauffassung mit den Mitteln der Rechtsaufsicht durchsetzen. 516 Diese Konkretisierungsleistung der Aufsichtsbehörden ist in ihrer Wirkung mit den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften vergleichbar. Auch wenn sie aufgrund der Unterschiede hinsichtlich des ex-post Charakters der Aufsicht und den – im Vergleich zu Verwaltungsvorschriften – größeren Rechtsschutzmöglichkeiten der untergeordneten Behörde eine geringere Steuerungswirkung als Verwaltungsvorschriften aufweist, ist ihre de facto bestehende Vorwirkung nicht von der Hand zu weisen: In Fällen, die einem Fall nachfolgen, in dem die Rechtsbehörde ihre Auffassung bzgl. eines in Frage stehenden unbestimmten Rechtsbegriffes dargelegt hat, wird sich die Verwaltung an der Auffassung der Rechtsaufsichtsbehörde orientieren, um rechtsaufsichtliche Maßnahmen zu vermeiden. 517 515 Während für kommunale Selbstverwaltungskörperschaften Einigkeit darüber besteht, dass unbestimmte Rechtsbegriffe nur insoweit von der Rechtsaufsichtsbehörde konkretisiert werden bzw. ihre Konkretisierung durch den Selbstverwaltungsträger nur insoweit durch diese kontrolliert wird, als kein Beurteilungsspielraum vom Gesetzgeber vorgegeben ist (vgl. Bauer / Böhle / Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 109 GO, März 2002, Rn. 12; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 191 f., Fn. 74), nimmt Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 84 bezüglich funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften an, dass auch gesetzliche Beurteilungsermächtigungen einer umfassenden Kontrolle durch die Rechtsaufsichtsbehörden nicht entgegen stehen. Er begründet seine Ansicht jedoch nicht und es ist auch kein Grund für eine solche Differenzierung zwischen kommunalen und funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften ersichtlich: Sofern der Selbstverwaltungsbereich betroffen ist, ist auch bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften ein gesetzlich vorgesehener Beurteilungsspielraum und die Beschränkung der Aufsicht auf den Bereich der Rechtsaufsicht zu beachten. Da der Selbstverwaltungsbereich der funktionalen Selbstverwaltungsträger im Gegensatz zur kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG) keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt, kann der Gesetzgeber zwar eine Fachaufsicht oder einzelne Elemente daraus vorsehen (vgl. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149); tut er dies jedoch nicht, und beschränkt er die Aufsicht auf die Rechtmäßigkeitskontrolle, sind Beurteilungsspielräume dem Selbstverwaltungsträger zu belassen. 516 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 84; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 191 f., der dieser eigenständigen Bedeutung ein großes Gewicht zumisst, weshalb er in der Rechtsaufsicht wohl auch „ein konkretes, auf die Umsetzung sachlich-inhaltlicher Vorgaben gerichtetes Steuerungsmittel“ (S. 191) sieht. Allein das Wort „Umsetzung“ lässt hier das Kontrollmoment anklingen, den Schwerpunkt scheint Mehde in der Steuerung durch sachlich-inhaltliche Vorgaben zu sehen. Dieser Einordnung kann aufgrund des reaktiven Charakters der Aufsicht selbst dann nicht gefolgt werden, wenn man die eigenständige legitimatorische Wirkung der Rechtsaufsicht durch Gesetzeskonkretisierung anerkennt. 517 Ihre Bedeutung steigt vor allem, wenn Verwaltungsvorschriften gegenüber den unter Rechtsaufsicht gestellten Verwaltungsträgern keine Bindungswirkung entfalten Vgl. dazu Teil 2 Kap. 1 B. II. 1. b).
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Als Mittel der Rechtsaufsicht sind Informationspflichten der untergeordneten Behörde und auf Seiten der Aufsichtsbehörde Beanstandungs- und Anordnungsrechte sowie das Recht zur Ersatzvornahme zu nennen. Durch das Beanstandungsrecht kann die Aufsichtsbehörde verlangen, dass Beschlüsse des Verwaltungsträgers, die sie für rechtswidrig hält, aufgehoben oder geändert werden. Kommt der Verwaltungsträger seinen ihm nach dem Gesetz obliegenden Aufgaben und Pflichten nicht nach, kann die Aufsichtbehörde die Durchführung der notwendigen Maßnahmen anordnen. Führen Beanstandung oder Anordnung nicht zum gewünschten Ergebnis, kann die Aufsichtsbehörde im Wege der Ersatzvornahme die beanstandete Maßnahme selbst aufheben bzw. die erforderlichen Maßnahmen selbst treffen oder durch einen Dritten vornehmen lassen. Als ultima ratio ist schließlich häufig die Bestellung eines Beauftragten vorgesehen, der für die beaufsichtigte Behörde tätig wird. 518 Betrachtet man die einzelnen Mittel der Rechtsaufsicht im Hinblick auf ihre legitimatorische Relevanz, so ist Folgendes festzustellen: Bei der Kontrollfunktion der Rechtsaufsicht kommt den Informationspflichten der untergeordneten Behörde und den korrespondierenden Rechten der Aufsichtbehörde keine eigenständige legitimatorische Wirkung zu. Vielmehr ermöglichen sie die Ausübung der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde und die Wahrnehmung der anderen Aufsichtsmittel erst. 519 Die Beanstandung und die Anordnung, deren Durchsetzung durch das Recht zur Ersatzvornahme sichergestellt wird, haben demgegenüber größere Bedeutung für die Legitimation des Verwaltungshandelns: Sie ermöglichen der Rechtsaufsichtbehörde, ihren Willen umzusetzen. Insoweit sind sie mit der Weisung vergleichbar. Allerdings bleibt ihre Steuerungswirkung aus mehreren Gründen hinter der Weisung zurück: Zum einen ist die Rechtsaufsicht auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns beschränkt, während die Weisung auch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte umfassen kann. 520 Zum zweiten sind Beanstandung, Anordnung und Ersatzvornahme stets nur reaktiv einsetzbar, d. h., sie setzen ein rechtswidriges Handeln des Verwaltungsträgers voraus. 521 Die Weisung als Leitungsinstrument hingegen kann initiativ eingesetzt werden und das Verwaltungshandeln ex-ante bestimmen. Die Einsetzung eines Beauftragten schließlich hat weniger legitimatorische Relevanz. Zum einen ist sie nur dann zulässig, wenn alle anderen dargestellten 518
Vgl. Art. 114 BayGO; § 37 LippeVG; § 36 EmscherGG. Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 344; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 192. 520 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 194. 521 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 343. Diesen Unterschied spricht Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 193 f. nicht an und kommt so zu dem hier nicht geteilten Ergebnis, dass jedenfalls die Ersatzvornahme eine ebenso effektive Rückbindung des Verwaltungshandelns an den Willen der übergeordneten Behörde gewährleiste wie die Weisung. 519
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Mittel der Rechtsaufsicht nicht geeignet sind, die rechtmäßige Erfüllung der Aufgaben durch den Verwaltungsträgers zu sichern, so dass sie in der Praxis nur selten in Anspruch genommen wird. 522 Zum anderen tritt der Beauftragte an die Stelle des eigentlich zuständigen Beschlussorgans des Verwaltungsträgers. Er ist somit, soweit ein Selbstverwaltungsträger betroffen ist, ebenfalls nicht in die Verwaltungshierarchie eingebunden und untersteht daher auch lediglich der Rechtsaufsicht. 523 Eine direkte und unvermittelte Durchsetzung des Willens der Behördenspitze ist also durch die Einsetzung eines Beauftragten nicht möglich. (2) Fachaufsicht Ein weiteres Kontrollinstrument der Exekutive ist die Fachaufsicht. Sie geht über die reine Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus und umfasst auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns. 524 Im Rahmen der Fachaufsicht steht der Aufsichtsbehörde das Recht zu, Weisungen zu erlassen. Im Gegensatz zu den rechtsaufsichtlichen Mitteln der Beanstandung und Anordnung setzt die Weisung kein rechtswidriges Verhalten des der Aufsicht unterstellten Verwaltungsträgers voraus. Eine Weisung kann auch im Voraus ergehen und sich auf einen konkreten Einzelfall oder eine Vielzahl von Fällen beziehen. 525 Eine trennscharfe Abgrenzung fachaufsichtlicher Weisungen von solchen, die der Leitungsgewalt der übergeordneten Behörde entspringen, ist daher nicht möglich. Im Rahmen der Fachaufsicht überwiegt jedoch der Kontrollcharakter, 526 was schon durch den Begriff „Aufsicht“ zum Ausdruck kommt. Diese Einordnungsschwierigkeiten sind für die hier in Frage stehende Vermittlung demokratischer Legitimation aber auch nur von untergeordneter Bedeutung: Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der übergeordneten Behörden, auf das Verwaltungshandeln mittels Weisung Einfluss nehmen zu können. 527 Ob diese Weisung im Einzelfall nun als Instrument der Fachaufsicht oder als Leitungsinstrument zu qualifizieren ist, ist dabei letztlich unerheblich. 522 Für die Bestellung eines Beauftragten nach der BayGO: Bauer / Böhle / Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 114 GO, März 2002, Rn. 1. 523 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 193; vgl. auch z. B. § 37 Abs. 1 S. 2 LippeVG: „Die oder der Beauftragte hat die Stellung eines Organs des Verbandes.“ 524 Vgl. statt vieler: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 23, Rn. 23 zur Fachaufsicht bei den Kommunen. 525 Vgl. für den Bereich des Kommunalrechts: Bauer / Böhle / Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 116 GO, August 2006, Rn. 3; Widtmann / Grasser, BayGO, Art. 114 GO, Juni 2000, Rn. 1. 526 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 84, Fn. 192; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 342 mit Fn. 184, die beide fachaufsichtlichen Weisungen – idealtypisch betrachtet – Kontrollcharakter beimessen.
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(3) Genehmigung Bei der Untersuchung der konkreten Steuerungsinstrumente wurde bereits der Genehmigungsvorbehalt angesprochen. Dort wurde dargelegt, dass eine Einordnung des Genehmigungsvorbehaltes als Lenkungsinstrument am fehlenden Initiativrecht der Genehmigungsbehörde scheitert. Genehmigungsvorbehalte sind somit eher zu den Kontrollinstrumenten zu rechnen. Ihre Besonderheit gegenüber anderen Kontrollinstrumenten besteht dabei darin, dass sie der betreffenden Verwaltungsmaßnahme insofern zeitlich vorgeschaltet sind, als diese erst nach Genehmigungserteilung Wirksamkeit erlangt. Man könnte insofern von einer vorweggenommenen Kontrolle oder auch Aufsicht sprechen. 528 Diese Sichtweise wird dadurch unterstützt, dass Genehmigungsvorbehalte in den gesetzlichen Bestimmungen auch häufig im Zusammenhang mit den Aufsichtmitteln genannt und geregelt werden. 529 Letztlich ist jedoch die Problematik der dogmatischen Einordnung der Genehmigungsvorbehalte für die hier allein interessierende Legitimationskraft solcher Vorbehalte nur von untergeordneter Bedeutung, 530 so dass in diesem Zusammenhang nicht weiter darauf einzugehen ist. 531 Von Bedeutung für die Legitimationskraft eines Genehmigungsvorbehaltes ist aber die Frage, ob die Genehmigungsbehörde die Genehmigung nur aus Rechtsgründen versagen darf oder ob ihr ein eigenständiges Ermessen zusteht. Sofern im Rahmen der Ministerialverwaltung die Wirksamkeit einer Maßnahme der untergeordneten von der Genehmigung oder Zustimmung einer übergeordneten Behörde abhängt, ist die Annahme eines Ermessens der übergeordneten Behörde unproblematisch, da ohnehin eine Weisungsunterworfenheit besteht. Fraglich ist dies aber, sofern die untergeordnete Behörde eine Selbstverwaltungskörperschaft ist, da in diesem Falle in der Regel auch die Aufsicht auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshan527 Vgl. zum Ministerialprinzip: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 324; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149 f., der darauf hinweist, dass die legitimationsstiftende Wirkung von hierarchischem Ministerialprinzip und der Einrichtung einer umfassenden Fachaufsicht vergleichbar sind. Unterschiede sieht er lediglich in der größeren Unübersichtlichkeit und in der Erschwerung der Informationsflüsse bei der Fachaufsicht, die die Dezentralisierung mit sich bringt. 528 Vgl. BVerwGE 16, S. 312, 313 – 315, allerdings mit Beschränkung auf die Rechtsaufsicht. 529 Vgl. Art. 117 BayGO im Abschnitt „Rechtsaufsicht und Fachaufsicht“; § 38 LippeVG im neunten Teil „Rechtsaufsicht“. 530 So Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 61 f., 81 f. 531 Vgl. weitergehend zu der Einordnungsproblematik Korte, VerwArch 61 (1970), S. 141 ff., der auch differenzierende Auffassungen darstellt, die je nach Art des Genehmigungsvorbehaltes unterscheiden wollen. Zu einer solchen Differenzierung: Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 206, 243 ff.
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delns beschränkt ist. Dieser Frage soll aber nicht an dieser Stelle nachgegangen werden, sondern im Rahmen der Untersuchung der Legitimationsstrukturen der funktionalen Selbstverwaltung. 532 (4) Insichprozess Die Legitimationswirkung, die die Möglichkeit eines sog. Insichprozesses vermittelt, ist gegenüber der Rechtsaufsicht zu vernachlässigen: Eine Überprüfung des Handelns eines Verwaltungsträgers aufgrund einer Klage der ihm übergeordneten Behörde bzw. bei Weisungsfreiheit der Behörde, der der handelnde Verwaltungsträger angegliedert ist, erfolgt nur im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. 533 Insofern geht der Prüfungsumfang nicht über die im Rahmen der Rechtsaufsicht erfolgende Prüfung hinaus. Hinzu kommt, dass die klagende Behörde nicht eigenständig entscheidet, sondern lediglich die Entscheidung des Gerichts bewirken kann. 534 (5) Widerspruchsverfahren Auch der verwaltungsinternen Überprüfung von Verwaltungsakten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wird vereinzelt eine aufsichtliche Wirkung und somit legitimatorische Relevanz zugesprochen. 535 Dies wird damit begründet, dass die Widerspruchsbehörde, die nach § 73 I Nr. 1 VwGO grundsätzlich die nächsthöhere Behörde ist, im Widerspruchsverfahren den Ausgangsbescheid überprüfe und gegebenenfalls aufhebe oder ersetze. Durch dieses Verfahren erlange die Widerspruchsbehörde Kenntnis von der Arbeitsweise der untergeordneten Behörde und werde bei vermehrten Widersprüchen in bestimmten Bereichen sensibilisiert für die dort bestehenden Probleme, so dass sie gegebenenfalls grundsätzliche Leitungsmaßnahmen ergreifen könne. 536 Auch wenn diese Argumente ihre Berechtigung haben, so kommt dem Widerspruchsverfahren doch nur eine sehr eingeschränkte Legitimationswirkung zu: Zum einen hängt die Überprüfung der Ausgangsmaßnahme im Widerspruchsverfahren von der Erhebung eines zulässigen und statthaften Widerspruchs durch einen betroffenen Bürger ab. Man könnte dieses Verfahren im Hinblick auf seine 532
s. unten Teil 2 Kap. 1 B. II. 2. b). Zur Beschränkung auf die Rechtmäßigkeit: E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 55; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 344. 534 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 344. 535 Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 147 f.; angedeutet schon bei Brunner, Kontrolle in Deutschland, 1972, S. 165 f. 536 Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 147 f. 533
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Steuerungsqualitäten also als doppelt reaktiv bezeichnen: Zum einen wird nur eine Entscheidung der Ausgangsbehörde überprüft und zum anderen kann auch diese Überprüfung – anders als der Gebrauch von Aufsichtsmitteln – nicht unabhängig von der Rechtsmitteleinlegung erfolgen. Diese Abhängigkeit vom Rechtsmittelgebrauch des Betroffenen kann auch nicht dadurch relativiert bzw. in eine Tugend umgedeutet werden, dass so die vom Bürger als problematisch angesehenen Entscheidungen und somit die besonders fehleranfälligen und überprüfungsbedürftigen Fälle betroffen seien. 537 Die Entscheidung des Bürgers, einen Widerspruch einzulegen, wird häufig von anderen Faktoren als der potentiellen Fehlerhaftigkeit des Bescheides abhängen. Mindestens ebenso ausschlaggebend wird für ihn beispielsweise die Schwere des Eingriffs sein. Auch die Bereitschaft des Betroffenen, sich auf einen Rechtsstreit einzulassen, spielt hier eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Weiter setzt die Möglichkeit der Widerspruchbehörde als übergeordneter Behörde, auf gehäuft auftretende Widersprüche durch Leitungsmaßnahmen zu reagieren, die Einordnung der ihr unterstehenden Behörde in die hierarchische Ordnung voraus. Sofern das nicht der Fall ist, können mangels Leitungsbefugnis keine solchen Maßnahmen ergriffen werden. Aufgrund der Tatsache, dass eine Überprüfung des Verwaltungshandelns der untergeordneten Behörde durch die Widerspruchsbehörde von einer Widerspruchseinlegung durch den Bürger abhängt, kann ferner nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Existenz und Möglichkeit eines solchen Verfahrens legitimatorische Wirkung erzeugt: Während Weisung und Selbsteintrittsrecht das Handeln des untergeordneten Verwaltungsträgers zu legitimieren vermögen, auch wenn von ihnen kein Gebrauch gemacht wird, da die übergeordnete Behörde selbst jederzeit ihr potentielles Eingriffsrecht aktualisieren kann, 538 gilt dies somit nicht für das Widerspruchsverfahren, da die Widerspruchsbehörde es nicht selbst einleiten kann. Aber auch in Fällen, in denen ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat, ist die legitimatorische Wirkung durch den Widerspruchsbescheid gering: Das Widerspruchsverfahren ermöglicht keine objektive Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes der untergeordneten Behörde, sondern die Entscheidung der Widerspruchsbehörde hängt unter anderem vom Vorliegen einer Rechtsverletzung auf Seiten des Widerspruchsführers ab. Im Übrigen ist die Widerspruchsbehörde an den „Streitgegenstand“ des Widerspruchsverfahrens gebunden und kann somit nicht völlig frei eine ihrem Willen entsprechende 537
So aber Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 147. Etwas anders die häufig anzutreffende Argumentation, dass im Fall des Nichtgebrauchs von Weisungs- oder Selbsteintrittsrecht die Zustimmung der übergeordneten Behörde signalisiert wird: Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 412. In diese Richtung ist wohl auch Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, S. 101 zu verstehen. Zu dieser Problematik vgl. auch unten Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. c) bb). 538
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Entscheidung treffen. 539 In diesem Zusammenhang ist auch die Problematik der Zulässigkeit der reformatio in peius zu sehen. 540 Insgesamt lässt sich somit sagen, dass dem Widerspruchsverfahren neben all den anderen dargestellten Kontrollinstrumenten keine eigenständige Legitimationswirkung zukommt. Sie kann allenfalls vereinzelt als „Nebenprodukt“ zum Rechtsschutz des Bürgers als eigentlichem Zweck des Verfahrens anfallen. c) Kritik Das Modell der sachlich-inhaltlichen Legitimationsvermittlung durch die soeben vorgestellten Mechanismen hat in der Literatur ebenfalls Kritik erfahren, wenn auch nicht in dem Umfang wie das Modell der Legitimationskette im Rahmen der personellen Legitimation. Die Kritik betrifft zum einen die Möglichkeit, sachliche Vorgaben an das Verwaltungshandeln durch Gesetz und Weisung aufzustellen. Zum anderen betrifft sie die als unzulänglich angesehenen Sanktionsmöglichkeiten des Parlamentes im Falle von Missständen. In den folgenden Ausführungen sollen die Hauptkritikpunkte dargelegt und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. aa) Steuerungswirkung der Gesetze Auch wenn die generelle Eignung des Parlamentsgesetzes als Steuerungsinstrument für das Verwaltungshandeln nicht bestritten wird, so wird die große Bedeutung, die es innerhalb des klassischen Legitimationskonzeptes einnimmt, relativiert. So nehme die Steuerungsfähigkeit des Gesetzes zunehmend ab und erfasse mangels eines totalen Gesetzesvorbehaltes und aufgrund der Eigenständigkeit der Exekutive auch nicht alle Bereiche. Dieser Befund reibe sich an der Vorstellung der Vertreter des oben dargestellten Legitimationskonzeptes von einem bloßen Normvollzug durch die Verwaltung und müsse Konsequenzen für das Konzept haben. 541 Dieser Kritik ist zuzugeben, dass die Tätigkeit der Verwaltung keinesfalls auf den bloßen Normvollzug ausgerichtet ist. Auch bestehen Bereiche, in denen eine Steuerung des Verwaltungshandels durch das Gesetz nicht erfolgt. Allerdings gehen auch die Anhänger der klassischen Legitimationskonzeption nicht von einer rein vollziehenden Tätigkeit der Verwaltung aus. Aus diesem Grund erfolgt die sachliche Rückbindung der Verwaltungstätigkeit nach ihrer Konzeption 539
Vgl. Kopp / Schenke, VwGO-Kommentar, 14. Aufl., 2005, § 68, Rn. 12. Vgl. dazu Kopp / Schenke, VwGO-Kommentar, 14. Aufl., 2005, § 68, Rn. 10-10 c. 541 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 296 f.; s. dazu auch Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 180 ff. 540
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auch nicht ausschließlich über das Gesetz, sondern es treten weitere Steuerungsinstrumente hinzu: So werden zum einen weitere Vorgaben mittels Rechtsverordnungen gesetzt und zum anderen wird der verbleibende politische Gestaltungsspielraum der Verwaltung eingefangen durch die Elemente der personellen Legitimation und die darauf gründenden Leitungsmaßnahmen wie allgemeine Verwaltungsvorschriften und Weisungen zur Behandlung eines Einzelfalles. Eine Kritik, die die einzelnen Bausteine des Legitimationskonzeptes isoliert betrachtet und ihnen dann unzureichende Steuerungsqualität vorwirft, wird einem Legitimationskonzept nicht gerecht, bei dem es gerade auf das Zusammenwirken und die Verschränkung der verschiedenen Legitimationselemente ankommt. 542 bb) Legitimationskraft der Weisungsabhängigkeit bei fehlender Weisung Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Legitimationskraft, die das klassische Legitimationskonzept der Weisungsabhängigkeit der untergeordneten Verwaltungsträger zuspricht. Als problematisch wird hierbei angesehen, dass das klassische Legitimationskonzept davon ausgeht, dass schon die bloße Möglichkeit einer Weisung Legitimation vermittelt, auch wenn im konkreten Fall keine Weisung ergeht, da im Falle des Ausbleibens einer Weisung von der Billigung durch die übergeordnete Behörde auszugehen sei. 543 Dieser Begründung wird von den Kritikern mit Hinweis auf die Möglichkeit einer Unkenntnis der Verwaltungsspitze eine Absage erteilt. 544 542 Vgl. zum Zusammenwirken: Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 23; vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281 ff.; Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 51. 543 Vgl. Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, S. 101: „Besteht indes eine solche Konfliktlage nicht, ist es auch nicht erforderlich, von dem Weisungsrecht Gebrauch zu machen. Denn in diesem Fall ist die erstrebte Willensübereinstimmung zwischen der Exekutivleitung und dem Amtswalter bereits erreicht und eine Weisung mithin nicht notwendig.“ Vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 342 f., 412. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 510 ff. unterscheidet in seiner Kritik zwischen Ansichten, die auf eine tatsächliche Willensübereinstimmung zwischen untergeordneter Behörde und der Behördenspitze abstellen und solchen, die eine potentielle Willensübereinstimmung heranziehen. Es scheint aber, dass diese Differenzierung nicht trennscharf durchgeführt werden kann, da sich beide Auffassungen auf dieselbe Begründung stützen: So wird sowohl die tatsächliche Willensübereinstimmung als auch die Legitimationskraft der bloßen Weisungsmöglichkeit durch die Zufriedenheit der höheren Behörde mit der Entscheidung bei Nichtergehen einer Weisung begründet (Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, S. 101; vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 512, Fn. 86. Bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 342 f., deutlich: S. 412 scheint dieser Gedankengang zumindest unausgesprochen der Argumentation zu Grunde zu liegen).
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Dem ist zuzugeben, dass Informationsunterschiede zwischen untergeordneter Behörde und Verwaltungsspitze in der Praxis bestehen, so dass im Falle der Unkenntnis des Ministers das Ausbleiben einer Weisung in der Unkenntnis begründet liegt und nicht in der Billigung des Verwaltungshandelns. Ungeachtet dieses Umstandes stellt das Instrument der Weisung aber ein wichtiges Lenkungsinstrument dar, das schon durch seine Existenz, also auch im Falle des Nichtergehens einer Weisung im Einzelfall, Legitimationskraft besitzt. Der Grund für die unterschiedlichen Informationsstände von Verwaltungsspitze und untergeordneten Behörden liegt in der arbeitsteiligen Behördenorganisation. 545 Es ist gar nicht möglich, dass der Minister von allen Vorgängen Kenntnis hat, da er einer Vielzahl von unteren Verwaltungsbehörden in seinem Ressort vorsteht. 546 Eine umfassende Kenntnis des Ministers von allen Vorgängen, die sich auf der unteren Verwaltungsebene abspielen, ist aber zur Legitimationsvermittlung auch nicht erforderlich. Ein Konzept, in dem der Minister jederzeit über alle Informationen verfügt, ist in der Praxis aufgrund der Fülle der Aufgaben nicht denkbar. Das hierarchische Prinzip des Grundgesetzes gewährt vielmehr, dass sich der Minister jederzeit die benötigten Informationen beschaffen und dann in Krisensituationen per Weisung eingreifen kann. Dies mag im Vergleich zu der gedachten Konstellation, in der der Minister allwissend bzgl. des Verwaltungshandelns ist oder gleich selber die Aufgaben der unteren Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, defizitär erscheinen, dieser Eindruck trügt jedoch: Das hierarchische Prinzip ist nicht darauf ausgelegt, vollumfänglich zu steuern und so Entscheidungsspielräume auf der unteren Ebene zu eliminieren, sondern es trägt auch den Vorteilen sachnaher Entscheidungen der unteren Behörden „vor Ort“ und dem Umstand Rechnung, dass eine effektive Leitung und Richtungsvorgabe für die Regierung nur möglich ist, wenn keine Belastung mit den Details des Tagesgeschäftes besteht. 547 Im hierarchischen Prinzip mit seinen Weisungsstrukturen werden all diese Ziele berücksichtigt und optimiert. Auch in Fällen, in denen eine Weisung nicht ergeht und der Minister keine tatsächliche Kenntnis vom Handeln der Verwaltung hat, kann sich das potentiell bestehende Weisungsrecht bei Kenntniserlangung jederzeit in einer Einzelweisung aktualisieren. 548 Dies wird in der Regel in problematischen Fallgestaltungen relevant, 549 544
Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 510 ff. Vgl. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 136; dies sieht auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 512. 546 Vgl. dazu auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, S. 54, Fn. 350. 547 Vgl. Loschelder, HStR III, 1996, § 68, Rn. 33 f. 548 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 513 kritisiert eine solche Sichtweise, bietet aber letztlich keine Alternativen, was natürlich mit seinem vorrangigen Forschungsthema, dem Neuen Steuerungsmodell, zusammen hängt. 549 Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, S. 101 spricht von der Weisung als einem „Konfliktinstrument“. 545
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da bei unproblematischen Entscheidungen eine Willensübereinstimmung schon dadurch gewährleistet wird, dass das Handeln der Verwaltung an den Rechtsvorschriften sowie an den Verwaltungsvorschriften als allgemeinen Leitungsinstrumenten der Behördenspitze ausgerichtet ist. Sofern Gestaltungsspielräume bestehen, sind diese grundsätzlich im Sinne der sonstigen Leitungsvorgaben auszufüllen. 550 Eine Weisung ermöglicht es, darüber hinaus auf den Einzelfall zuzugreifen. Kenntnis von Problemfällen, in denen der Einsatz des Einzelweisungsrechts von Nöten erscheint, wird hierbei zum einen über Rechtsbehelfe wie das Widerspruchsverfahren vermittelt 551 und zum anderen schärfen die öffentliche Diskussion und Debatte das Bewusstsein in der Behördenspitze für die Ressortbereiche, deren Anfälligkeit für Divergenzen zwischen ihrem Willen und dem Verwaltungshandeln der unteren Behörde größer ist. 552 Somit besitzt schon die Möglichkeit des Erlasses von Einzelweisungen oder anders gefasst die Weisungsabhängigkeit der unteren Behörde aufgrund der stets bestehenden Möglichkeit der Kenntnisbeschaffung und der Realisierung und Aktualisierung des Weisungsverhältnisses Legitimationswirkung. cc) Eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten des Parlaments Ein weiterer Kritikpunkt bezüglich des vorgestellten Konzeptes materieller Legitimation besteht in den Sanktionsmöglichkeiten. Für den Fall, dass im Ressortbereich eines Ministers gehäuft Fehlentscheidungen getroffen werden und Missstände herrschen, sieht die Verfassung nur eine mögliche Sanktion durch das Parlament vor: Das Misstrauensvotum nach Art. 67 I GG, nach dem der Bundeskanzler und mit ihm sein gesamtes Kabinett (Art. 69 II GG) abberufen 550
Loschelder, HStR III, 1996, § 68, Rn. 32, 34. Vgl. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 147 f. Natürlich erlangt in Fällen eines Widerspruchs nicht gleich die Verwaltungsspitze Kenntnis von den Vorgängen, aber die nächsthöhere Behörde erfährt davon, die ihrerseits wieder näher zur Verwaltungsspitze steht als die handelnde Behörde. 552 Es ist natürlich nicht zu leugnen, dass Fälle auftreten können, in denen die untergeordnete Behörde ihren Gestaltungsspielraum nicht in Übereinstimmung zu den Leitlinien nutzt und somit eine Entscheidung trifft, die nicht im Sinne der Behördenspitze ist und die Behördenspitze davon keine Kenntnis erlangt. In diesem Fall könnte sie tatsächlich mangels Kenntnis nicht per Weisung eingreifen, so dass sich das potentielle Weisungsrecht nicht aktualisieren könnte. Diese Fälle sind aber Ausnahmefälle, da bei einer Häufung solcher Entscheidungen davon auszugehen ist, dass zunächst die übergeordnete Behörde (z. B. durch Widerspruchseinlegung) und letztlich auch die Behördenspitze Kenntnis erlangt. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 514 verweist demgegenüber auf „die große Zahl faktisch nicht gesteuerter Einzelentscheidungen der Verwaltung“, die nicht als ‚Betriebsunfall‘ gelten könnten. Er lässt hierbei jedoch außer Betracht, dass Entscheidungen, die nicht aufgrund einer Weisung ergehen und von denen die Behördenspitze keine Kenntnis hat, in Anbetracht der oben geschilderten Umstände nicht gleichzusetzen sind mit ungesteuerten Entscheidungen. 551
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
werden können. Eine Abberufung des verantwortlichen Ministers ist hingegen nicht vorgesehen. Hiermit verbinden sich zwei Schwierigkeiten: Zum einen bedarf es zum Erfolg eines konstruktiven Misstrauensvotums der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Diese Mehrheit ist in der Praxis nur schwer zu erreichen, da die Regierung in der Regel auch die Mehrheit im Bundestag stellt. 553 Zum andern scheint die Abberufung des Kanzlers und des gesamten Kabinetts angesichts der Tatsache überzogen, dass zumeist nur ein Minister oder doch wenige Minister die Missstände zu verantworten haben. 554 Diese Beschränkung in den Sanktionsmöglichkeiten wird als Schwäche der Rückbindung an das Volk und somit als Schwäche des Legitimationskonzeptes gesehen. 555 Diese Kritik erscheint auf den ersten Blick einleuchtend. Sie lässt jedoch wesentliche Aspekte außer Betracht. Zum einen ist zwar auf Bundesebene die Abberufung eines Ministers in der Verfassung nicht vorgesehen, in einigen Bundesländern ist dies jedoch der Fall, 556 so dass die Kritik insoweit relativiert wird. Zum anderen lässt sie die politischen Einflussmöglichkeiten des Parlamentes und die Wirkung der Öffentlichkeit außer Betracht. Durch den Druck der Öffentlichkeit und des Parlamentes kann der Bundeskanzler dazu veranlasst werden, von sich aus den verantwortlichen Minister aus dem Kabinett zu entlassen (Art. 64 I GG). In diesem Zusammenhang ist etwa die parlamentarische Praxis des Bundestages zu nennen, Entlassungs-, Missbilligungs- oder Tadelsanträge gegen einzelne Minister zu stellen. 557 Auch die politische Wirkung gescheiterter Misstrauensanträge ist hier zu nennen. Da der Kanzler bemüht sein wird, das Vertrauen nicht zu gefährden, das das Wählervolk in ihn und seine Regierung setzt, hat das Parlament durch die Möglichkeit des Misstrauensantrags ein Druckmittel in der Hand, das den Kanzler zur Abberufung des verantwortlichen Ministers bewegen kann.
553
Vgl. zu diesen Schwierigkeiten die Darstellung bei Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 145. 554 Vgl. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980, S. 61. 555 Fisahn, KJ 2000, S. 71, 87; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 509 f.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 188. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980, S. 61 ordnet das Problem der Sanktionsmöglichkeiten der personellen Legitimation zu und spricht vom „realitätsferne[n] Modellcharakter“ der Legitimationskettenkonstruktion. 556 Hierauf weist Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 145 unter Berufung auf Art. 110 I-III Verfassung der Freien Hansestadt Bremen hin. Vgl. auch die Möglichkeit der Ministeranklage in Art. 115 HV und Art. 40 Niedersächsische Verfassung. 557 Vgl. Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 151 f.; ferner Steffani, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 49, Rn. 132 ff.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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dd) Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Hauptkritikpunkte, die gegen das Konzept der sachlich-inhaltlichen Legitimation hervorgebracht werden, entkräftet oder doch zumindest stark relativiert werden konnten. Es ist in den folgenden Untersuchungen somit neben der personellen Legitimationsart der sachlich-inhaltliche Legitimationsfaktor mit seinen oben dargestellten Ausprägungen zugrunde zu legen. IV. Das Legitimationsniveau Nachdem nun die Formen demokratischer Legitimation unter dem Grundgesetz näher untersucht worden sind, soll ihr Verhältnis zueinander bestimmt werden. Insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit sich die verschiedenen Legitimationsformen gegenseitig ausgleichen oder gar vollständig ersetzen können. Dieser Problemkreis wird in der Literatur und in der Rechtsprechung zumeist unter dem Schlagwort des „hinreichenden Legitimationsniveaus“ diskutiert: Das Demokratiegebot des Art. 20 II GG schreibt nicht die Erfüllung bestimmter Legitimationsformen vor. Diese dienen vielmehr nur als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Legitimationsniveaus. Hierbei wirken die verschiedenen Legitimationsformen nicht isoliert, sondern zusammen. Entscheidend ist somit nicht die Form der Legitimation, sondern die Effektivität der Legitimation staatlichen Handelns. 558 Um das Zusammenwirken der verschiedenen Legitimationsformen zur Erzielung einer hinreichenden Legitimation bestimmen zu können, muss zunächst ihr Verhältnis zueinander untersucht werden. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, wie das hinreichende Legitimationsniveau zu bestimmen ist. 1. Das Verhältnis der Legitimationsformen zueinander Im Rahmen der Untersuchung des Zusammenwirkens der Legitimationsformen zur Erreichung eines bestimmten Legitimationsniveaus steht die Bestimmung des Verhältnisses der Legitimationsformen zueinander am Anfang: Wenn 558 BVerfGE 83, S. 60, 72; 93, S. 37, 66 f.; 107, S. 59, 87: „Für die Beurteilung, ob ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht wird, haben die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur unterschiedenen Formen der institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation nicht je für sich Bedeutung, sondern nur in ihrem Zusammenwirken. Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau.“
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
die Gleichwertigkeit der Legitimationsformen auch keine unabdingbare Voraussetzung für ein Ausgleichverhältnis zwischen ihnen darstellt, so bestimmt sie dennoch die Modalitäten gegenseitiger Kompensation oder gar Substitution. Bei einem Über- / Unterordnungsverhältnis der Legitimationsformen bedürfte beispielsweise die Kompensation eines Mangels auf Seiten der übergeordneten Legitimationsform durch die untergeordnete Form eines höheren Argumentationsaufwandes als dies bei einer Gleichordnung der Fall wäre. 559 a) Konzentration der Untersuchung auf die personelle und materielle Legitimationsform Am Beginn der Untersuchung des Verhältnisses der Legitimationsformen zueinander steht die Frage, welche Legitimationsmodi in die Untersuchung einzubeziehen sind. Während das Bundesverfassungsgericht bei dem Zusammenwirken der verschiedenen Legitimationsformen neben personeller und materieller Legitimation auch auf die institutionelle und funktionelle Legitimation abstellt, 560 sind die letzten beiden Legitimationsformen nach der hier vertretenen Ansicht außer Betracht zu lassen: Da sie sich auf das Volk als pouvoir constituant beziehen, bewegen sie sich nicht auf gleicher Ebene wie die anderen beiden Legitimationsformen. Daher können sie auch keine Mängel bei der personellen oder sachlichinhaltlichen Legitimation, die beide der Rückführung der Staatsgewalt auf das Volk als pouvoir constitué dienen, kompensieren. 561 Auch andere Legitimationsformen, die teilweise in der Literatur in das Legitimationsgefüge eingebracht werden, 562 sollen hier zunächst außer Betracht bleiben. Der Frage, ob die vom Grundgesetz in Art. 20 II S. 2 GG vorgegebenen Formen der personellen und materiellen Legitimation („Wahlen“ und „Abstimmungen“) zur Rückführung von Staatsgewalt auf das Volk durch alternative Legitimationsformen ergänzt und ersetzt werden können, soll erst im zweiten Teil 563 der Arbeit nachgegan559 Vgl. dazu auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, der zwar einen Vorrang der personellen Legitimation annimmt (S. 358 f), aber auch die Totalsubstitution durch die materielle Legitimation für möglich hält, da „in der materiellen Legitimation die personelle Legitimation des Normgebers repräsentiert“ werde (S. 367). Diese Argumentation vereinfacht das Legitimationsgefüge zu sehr, da sie – konsequent zu Ende gedacht – dazu führen würde, dass es keine materielle Legitimationsform gäbe, sondern diese lediglich ins Werk gesetzte personelle Legitimation wäre. 560 BVerfGE 83, S. 60, 72; 93, S. 37, 66 f.; 107, S. 59, 87. 561 Vgl. dazu schon oben Teil 1 Kap. 2 D. I. 562 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 717 ff., der ergänzend einen output-Legitimationsstrang in die Bewertung des Legitimationsniveaus einstellt sowie J.-P. Schneider, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103, 137, der eine institutionalfunktionale Legitimation, mit der er entgegen der üblichen Verwendung dieser Begriffe Bürgernähe und Wirtschaftlichkeit verbindet, in das Beziehungsgefüge einstellt. Vgl. dazu auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 383 ff.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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gen werden. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei einigen der Faktoren, denen legitimatorische Wirkung zugesprochen wird, wie beispielsweise beim Akzeptanz- oder Partizipationsgedanken, um mehr als eine bloße Modifikation oder Ergänzung des oben vorgestellten Demokratiekonzeptes handelt. Ihre Anerkennung als alternative Legitimationsformen würde nicht nur eine Erhöhung der Flexibilität im Rahmen der Bestimmung des Legitimationsniveaus bedeuten, sondern auch Auswirkungen auf das Legitimationssubjekt haben. Dies erfordert eine gesonderte Behandlung, da eine Untersuchung unter dem Stichwort „Legitimationsniveau“ die enormen Auswirkungen auf das Demokratieprinzip verschleiern würde. 564 Somit ist im Folgenden nur das Verhältnis zwischen der sachlich-inhaltlichen und der organisatorisch-personellen Legitimation zu untersuchen. b) Gleichordnung der personellen und materiellen Legitimation In der Literatur finden sich zur Frage des Verhältnisses zwischen personeller und materieller Legitimation alle Auffassungen vertreten: Teils wird eine Gleichordnung angenommen, 565 teils ein Vorrang der personellen, 566 teils ein Vorrang der materiellen Legitimation. 567 Die Annahme eines Vorrangs der materiellen Legitimation wird von ihren Vertretern damit begründet, dass „Gegenstand der Rechtfertigung von Herrschaft letztlich nicht Personen oder Institutionen, sondern Entscheidungen“ 568 seien. Dieser Umstand vermag jedoch keine Vorrangstellung der materiellen Legitimation zu begründen, da es auch bei der personellen Legitimation nicht um die Legitimation des Amtswalters als Person geht, sondern um die Legitimation der von ihm ausgeübten Staatsgewalt. 569 Der personelle Legitimationsbestandteil deckt dabei diejenigen Komponenten der Entscheidung ab, die dem handelnden Amtswalter nicht schon durch materielle
563
Teil 2 Kap. 2 B. Vgl. die Kritik von Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 25; vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 383 ff.; deutlich: S. 389 f. 565 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281 ff. 566 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 358 f.; wohl auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 77, 84. 567 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46. 568 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46. 569 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 17 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269. Dies stellt an anderer Stelle auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 332 selbst heraus. 564
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
Bestimmungen vorgegeben sind. 570 Eine Vorrangstellung der materiellen vor der personellen Legitimation ist somit abzulehnen. Aber auch ein Vorrang der personellen Legitimation lässt sich nicht überzeugend herleiten: Vertreter einer Vorrangstellung der personellen Legitimation stützen ihre Ansicht vor allem auf den Umstand, dass das Volk auf die sachlichinhaltliche Legitimation nur mittelbar über die Wahl der Herrschenden Einfluss nehmen kann, die dann ihrerseits durch den Erlass von Normen sachlich-inhaltliche Vorgaben setzen. 571 Zwar ist es richtig, dass das Volk unmittelbar nur das Parlament wählt und somit eine Personalentscheidung trifft, während Abstimmungen durch das Grundgesetz – von dem Ausnahmefall der Neuordnung der Bundesländer abgesehen – nicht vorgesehen sind. Dieser Umstand kann die These vom Vorrang der personellen Legitimation jedoch nicht stützen: Zum einen ist im Hinterkopf zu behalten, dass bei der Wahl zum Parlament letztlich materielle Gesichtspunkte im Vordergrund stehen: Gewählt wird die Partei, von der zu erwarten ist, dass ihre Politik die vom Wähler gewünschte Richtung einschlägt und die hierzu die erforderlichen Gesetze erlässt. So gesehen könnte man überspitzt davon sprechen, dass der personellen Entscheidung in der Wahl nur eine dienende Funktion 572 im Hinblick auf die materielle Komponente zukommt. Des Weiteren ist die Abhängigkeit sowohl der materiellen als auch der personellen Legitimationskomponente vom Parlament kein Ausdruck eines Vorrangs der personellen Legitimationsform vor der materiellen, sondern liegt in der Mittelbarkeit der vom Grundgesetz errichteten Demokratie begründet. 573 Aus der Tatsache, dass nur die personelle Legitimation ihren Ausgang direkt beim Volk nimmt, kann also nicht auf einen Vorrang der personellen Legitimation vor der materiellen geschlossen werden. Da weder ein Vorrangverhältnis der materiellen noch der personellen Legitimation begründet werden konnte, ist somit von einer Gleichwertigkeit der beiden Legitimationsformen auszugehen. 574 Eine solche Gleichwertigkeit und die Tatsache, dass beide Legitimationsformen auf dasselbe Ziel, die Verwirklichung der Volkssouveränität, gerichtet sind, sprechen für die Möglichkeit einer wechselseitigen Kompensation zwischen den beiden Legitimationsformen. 575 Die Frage, ob 570
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281. Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 358 f. In diese Richtung ist wohl auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 77, 84 zu verstehen. Vgl. zu einem solchen Verständnis Oebbeckes eingehend: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 271 mit Fn. 29 und S. 281 mit Fn. 67. 572 Vgl. dazu Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46, dessen Schlussfolgerung im Hinblick auf eine Vorrangstellung der materiellen Legitimation hier aber aus den oben ausgeführten Gründen nicht geteilt wird. 573 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 271. 574 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 282. 571
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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eine solche Kompensation bis hin zur vollständigen Substitution unter Wahrung des notwendigen Legitimationsniveaus möglich erscheint, ist damit aber noch nicht beantwortet. Dazu muss zunächst einmal das erforderliche Legitimationsniveau bestimmt werden. 2. Die Bestimmung des erforderlichen Legitimationsniveaus Es stellt sich nun die zentrale Frage, wie das Niveau zu bestimmen ist, bei dessen Erreichen von einer demokratischen Legitimation der Staatsgewalt ausgegangen werden kann. Bei dem Versuch, das hinreichende Legitimationsniveau zu bestimmen, ist zunächst von Bedeutung, dass der Begriff des Legitimationsniveaus nicht im Sinne eines Optimierungs- oder Maximierungsgebotes zu verstehen ist. 576 Nach Art. 20 II S. 1 GG ist alle Staatsgewalt demokratisch zu legitimieren und nicht nur so demokratisch wie möglich auszugestalten. Gleichzeitig zeigt aber der Begriff des Legitimationsniveaus, dass es Abstufungen geben muss, dass also nicht für jegliche Ausübung von Staatsgewalt dasselbe Maß an Legitimation gilt. So führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass das Legitimationsniveau „bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein“ könne, wobei „innerhalb der Exekutive [...] dabei auch die Funktionenteilung zwischen der für die politische Gestaltung zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Regierung und der zum Gesetzesvollzug verpflichteten Verwaltung zu berücksichtigen“ 577 sei. Es ergibt sich somit zunächst für alle drei Gewalten ein je eigenes Legitimationsniveau, 578 wobei dann die Exekutive wiederum aufzuspalten ist in Gubernative und Verwaltung. Die Art und Weise der Legitimation und das jeweils spezifische Legitimationsniveau muss nun dem Grundgesetz entnommen werden. Dies erfolgt durch eine Analyse der im Grundgesetz geregelten Organisationsstrukturen für die jeweilige Funktion. 579 Jestaedt spricht in diesem 575 So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 282 f.; a. A. Schäfer, Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1988, S. 46, 50, der allerdings zur Begründung lediglich auf die unterschiedliche Zielrichtung der beiden Legitimationsformen verweist, ohne im Einzelnen darzulegen, worin diese Unterschiedlichkeit liegt. Da beide Legitimationsformen der Verwirklichung der nach Art. 20 II S. 1 GG gebotenen Volkssouveränität dienen, ist m. E. die Zielrichtung dieselbe, so dass einer wechselseitigen Kompensation nichts im Wege steht. 576 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 366; darstellend: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 198 f.; kritisch dazu Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 305. 577 BVerfGE 83, S. 60, 72; 93, S. 37, 67. 578 Vgl. schon oben für die sachlich-inhaltliche Legitimation: Teil 1 Kap. 2 D. III. 579 Vgl. nur Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 288 f. m.w. N.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
Zusammenhang anschaulich von vier im Grundgesetz angelegten Legitimationsmodellen (Legislative, Judikative, Gubernative, Administration). 580 Im Folgenden gilt es mit Rücksicht auf das Thema der Arbeit nun zu untersuchen, welches Legitimationsniveau der Verfassung für die Administrative zu entnehmen ist. Hierbei ist auch zu klären, ob die Verfassung fordert, dass zur Erreichung der erforderlichen Legitimation stets materielle und personelle Legitimation gemeinsam vorliegen müssen. Die in der Verfassung vorgesehene rein personelle Legitimation des Parlamentes zeigt hierbei schon, dass ein solches Gebot jedenfalls nicht allgemein für alle Gewalten besteht. 581 Was der Verfassung diesbezüglich für den Bereich der Administrative zu entnehmen ist, gilt es nun zu untersuchen. a) Suche nach einem Regelmodell Sucht man in der Verfassung nach einem bestimmten Modell für die Verwaltungsorganisation, ist festzustellen, dass das Grundgesetz diesbezüglich zwar Regelungen trifft, aber kein umfassendes Organisationskonzept vorgibt. 582 Allerdings können trotz dieses Mangels insbesondere aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes und den vorhandenen organisationsrechtlichen Bestimmungen gewisse Rückschlüsse auf ein Organisationsmodell gezogen werden: 583 Die Organisation und Struktur der Verwaltung müssen gewährleisten, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wie es Art. 20 II S. 1 GG fordert. Die Vorkehrungen und Ausformungen des Grundgesetzes, die dies gewährleisten, wurden bereits oben bei der Darstellung der Legitimationsformen für die Verwaltung nachvollzogen: Die Verwaltung ist danach durch eine vom Volk über das Parlament und die Regierung führende Legitimationskette personell an das Volk rückgebunden. Die materielle Rückbindung an das Volk erfolgt durch die vom Parlament erlassenen Gesetze sowie die abstrakten und konkreten Vorgaben der Regierung. Daraus ergibt sich für den Bereich der Verwaltung folgendes Bild: Die personelle Legitimation ist insbesondere aufgrund der Länge der Legitimationskette und der Bestellung der Amtswalter auf Lebenszeit relativ schwach ausgeprägt. 584 Dies wird aber ausgeglichen durch eine starke materielle Legitimation, die ins-
580
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 297 f.; vgl. auch S. 291 ff. 581 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 284; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 361. 582 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 303. 583 Zur Wechselbezüglichkeit zwischen Demokratieprinzip und grundgesetzlichem Organisationsmodell: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 304; ders., Der Staat 32 (1993), S. 29, 53. 584 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. II. 4. a).
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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besondere durch die Gesetzesbindung und die Weisungsunterworfenheit erzielt wird. 585 Diese hier beschriebene Legitimationsstruktur, die die Vorgaben des Grundgesetzes nachvollzieht, ist die der hierarchischen Ministerialverwaltung. Als vom Grundgesetz vorgesehener Verwaltungstyp beschreibt sie die Art und Weise der Rückbindung der Verwaltungstätigkeit an das Volk. Die Ministerialverwaltung erfasst jedoch nicht die gesamte Verwaltungstätigkeit. Daneben tritt die kommunale Selbstverwaltung, die das Grundgesetz in Art. 28 II GG garantiert. Ihre Legitimationsstrukturen unterscheiden sich insbesondere insoweit von der Ministerialverwaltung, als die Verwaltungsspitze in den Kommunen ihre personelle Legitimation nicht vermittelt durch die Regierung vom Bundes- bzw. einem Landesparlament ableitet, sondern direkt vom Gemeindevolk als Volksteil. 586 Die der kommunalen Vertretungskörperschaft zustehende Satzungs-, Planungsund Finanzhoheit im eigenen Wirkungskreis hat weiter zur Folge, dass auch die materielle Legitimation im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung nicht ausschließlich über das Parlament erfolgt, sondern daneben auch direkt von der kommunalen Vertretungskörperschaft ausgeht. 587 Auch wenn sich die Legitimation der Verwaltungstätigkeit der Kommunen somit anders darstellt als die der Ministerialverwaltung, ist festzustellen, dass auch hier sowohl die personelle als auch die materielle Legitimation gegeben sind. Neben der Ministerialverwaltung und der Kommunalverwaltung sind im Grundgesetz noch weitere Formen der Verwaltung vorgesehen, bei denen die personelle oder die materielle Legitimationsform weniger stark ausgeprägt sein können: 588 Zu nennen sind hier beispielsweise die Vorschriften des Art. 114 II GG über den Bundesrechnungshof und die Art. 86, 87 GG, die zeigen, dass das Grundgesetz auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch juristische Personen vorsieht, was die Möglichkeit einer rechtlichen Verselbstständigung gegenüber der Ministerialverwaltung nahe legt. 589 Will man nun aus den in der Verfassung vorgesehenen Arten der Verwaltung und ihrer Organisationsstruktur die Art und Weise der Legitimation von Verwaltungstätigkeit und das notwendige Legitimationsniveau ableiten, so müssen die letztgenannten Formen der Verwaltung dabei außer Betracht bleiben: Im Vergleich zu Ministerial- und Kommunalverwaltung erfahren diese Verwal585 Zu dieser Bewertung auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 294 f. 586 Vgl. dazu schon oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. e) aa). 587 Vgl. die Darstellung bei Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 236; vgl. auch S. 244 ff. 588 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 365. 589 Vgl. dazu Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 45.
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tungsformen in der Verfassung nur eine punktuelle Regelung, die kaum über die bloße Erwähnung hinausgeht. Die Legitimationsstrukturen einer solchen Form der Verwaltung lassen sich der Verfassung nicht entnehmen. Somit kann diese Verwaltungsform nicht auf eine Stufe mit Ministerial- und Kommunalverwaltung gestellt werden. Die Bestimmungen, die diese Verwaltungsform betreffen, erscheinen vielmehr allenfalls 590 als Ausnahmevorschriften und als Durchbrechung der Strukturen von Ministerial- und Kommunalverwaltung. 591 Die Organisationsstrukturen und somit auch die Legitimationsweise von Ministerial- und Kommunalverwaltung sind in der Verfassung hingegen angelegt. Auch wenn die Verwirklichung der personellen und materiellen Legitimation bei Ministerial- und Kommunalverwaltung nicht unerheblich voneinander abweichen, sind aber dennoch die Legitimationsmodi (personell / materiell) dieselben und das Maß bzw. das erreichte Niveau der Legitimation ist ebenfalls vergleichbar. 592 Daher ist es für die Bestimmung eines Legitimationsniveaus anhand der Verfassung unerheblich, ob man die Ministerialverwaltung als Regelmodell und die Kommunalverwaltung als Ausnahme oder Modifikation ansieht, bei der Defizite bei der staatlichen Legitimation durch die kommunale Legitimation ausgeglichen werden, 593 oder ob man die Kommunalverwaltung als zweites, gleichberechtigtes Modell neben der Ministerialverwaltung ansieht 594 und somit bei einer Ableitung des Legitimationsniveaus aus der Verfassung beide Modelle zugrunde legt. Sowohl bei der Ministerialverwaltung als auch bei der kommunalen Selbstverwaltung liegt also eine doppelgleisige Legitimation vor, d. h. dass sowohl die 590 Zur Frage inwieweit Art. 86, 87 GG eine Ausnahme zum Demokratieprinzip entnommen werden kann, vgl. unten Teil 2 Kap. 2 E. 591 Für die mittelbare Bundesverwaltung: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 365 f.; vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 329, der aber weiter geht und auch die kommunale Selbstverwaltung als Ausnahme zur Ministerialverwaltung begreift. Anders wohl: Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 99, der aus diesen Ausnahmeregelungen (Zentralbankwesen, Art. 88 GG) schließt, dass das Legitimationskonzept des Grundgesetzes nicht auf feste Bindungsregeln fixiert sei und weiter ausführt: „Wenn für das gesamte Legitimationskonzept letztlich das Legitimationsniveau entscheidend ist, erweist sich die Vorstellung, es gebe zu Art. 20 Abs. 2 GG an sich ein Legitimationsmaximum, von dem abzuweichen ein begründungsbedürftiges Legitimationsdefizit darstelle, als Fehlvorstellung.“ 592 Für das Maß an Legitimation vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 529, der von einer Kompensation der eingeschränkten staatlichen Legitimation durch die kommunale ausgeht, vgl. dazu auch S. 528. 593 So deutlich: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 528 f. 594 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 363, der hieraus eine „Pluralität der Regelformen der Verwaltungslegitimation“ ableitet, was angesichts der Tatsache, dass auch er auf die zwei Modelle Ministerialverwaltung und kommunale Selbstverwaltung abstellt, als Übertreibung erscheint. Vgl. ferner Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 256 f.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
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personelle als auch die materielle Legitimation vollumfänglich gegeben ist, wenn sich beide auch bei der Kommunalverwaltung teilweise auf das Gemeindevolk als Volksteil beziehen. Fraglich ist nun, welche Schlüsse aus diesem Umstand für die Bestimmung des Legitimationsniveaus, das für eine demokratische Legitimation von Verwaltungstätigkeit zu fordern ist, zu ziehen sind. b) Regelniveau als Legitimationsniveau Zum einen könnte dieses Niveau an Legitimation der Maßstab für die gesamte Verwaltungstätigkeit sein. Das würde bedeuten, dass bei einem Verwaltungsträger, der Staatsgewalt ausübt, entweder das Legitimationsniveau erreicht werden muss, das auch der Ministerial- und Kommunalverwaltung zueigen ist, oder es muss eine verfassungsrechtliche Ausnahme für ein Absenken des Legitimationsniveaus bestehen. 595 Ist beides nicht der Fall, wäre hiernach ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip zu konstatieren. Eine solche Sichtweise würde der Substitution der verschiedenen Formen der materiellen Legitimation oder auch zwischen den beiden Legitimationsformen nicht im Wege stehen. Zwar weisen Ministerial- und Kommunalverwaltung beide Legitimationsformen auf, darauf kommt es jedoch nicht an, sondern entscheidend ist das Ergebnis: Wenn beispielsweise dem Verwaltungsträger keine Entscheidungsspielräume verbleiben, so ist eine personelle Legitimation nicht erforderlich, so dass die materielle Legitimation ausreicht, um eine vollständige, dem Legitimationsniveau von Ministerial- und kommunaler Selbstverwaltung entsprechende Rückbindung der Verwaltungstätigkeit an das Volk sicherzustellen. 596
595 So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 297, wobei er aber gemäß seinem Ansatz, die Kommunalverwaltung lediglich als Ausnahme zur Ministerialverwaltung anzusehen, ausschließlich auf das Legitimationsniveau der Ministerialverwaltung abstellt. Hier könnte wohl auch der Ansatz Wegges, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, 1996, S. 169 f. eingeordnet werden, der ebenfalls von einem feststehenden Legitimationsniveau ausgeht, das durch Art. 79 III GG geschützt ist, wobei auch er Kompensationsmöglichkeiten sieht. Allerdings ist bei Wegge das Konzept des Legitimationsniveaus weiter zu verstehen als hier, da bspw. auch die politischen Grundrechte mit umfasst werden. Andererseits scheint sein Konzept für die hier durchzuführende Bestimmung eines Legitimationsniveaus, an dem die Ausübung administrativer Staatsgewalt gemessen werden soll, nicht hilfreich, da es zu abstrakt gefasst ist. Dies kritisiert auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 304 f.; anders wohl Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 99. 596 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 283 f.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
c) Möglichkeit von Abstufungen im Legitimationsniveau bzw. eines Bagatellvorbehalts Eine andere Möglichkeit wäre, das von der Verfassung für die Ministerial- und Kommunalverwaltung vorgegebene Maß an Legitimation als vollumfängliche Legitimation und somit als Richtschnur anzusehen, jedoch auch eine Legitimation unterhalb dieses Niveaus für möglich zu halten. Diesen Weg beschreitet das Bundesverfassungsgericht, das Qualität und Umfang der wahrgenommenen Aufgaben bei der Beurteilung der erforderlichen Legitimation mit einbeziehen will. 597 Dieses Konzept wird häufig unter dem Stichwort „Bagatellvorbehalt“ 598 thematisiert und auch bei der Frage nach dem Vorliegen des Legitimationsobjektes, der Ausübung von Staatsgewalt, behandelt. 599 Letztlich lässt sich nicht ganz klar bestimmen, 600 ob das Bundesverfassungsgericht bei geringer Bedeutung der wahrgenommenen Aufgabe davon ausgeht, dass es schon am Tatbestandsmerkmal der Ausübung von Staatsgewalt fehlt, so dass eine demokratische Legitimation gar nicht erforderlich ist, 601 oder ob in diesem Fall lediglich die Anforderungen an die demokratische Legitimation herabgesetzt sind und somit das Legitimationsniveau gesenkt ist. 602 Eine Bestim-
597
Vgl. dazu die Nachweise in den folgenden Fußnoten. Vorsichtig zustimmend: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 367, der das Legitimationsniveau vom Entscheidungsgehalt und der Entscheidungsintensität abhängig macht im Sinne einer „‚jedesto-Formel‘“. 598 Dieser Begriff wird vom BVerfG in seinen hier zu untersuchenden Entscheidungen nicht verwandt. Er wurde von Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 83 geprägt („Bagatell-Vorbehalt“). Vgl. dazu Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 34 Fn. 18. 599 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 229 ff.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 169 ff., 174 ff., allerdings mit Zweifeln bzgl. der Verortung bei der Frage nach dem Vorliegen von Staatsgewalt, S. 177. 600 Vgl. dazu Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 264 mit Fn. 729, 730.; s. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 230, der von einer restriktiveren Fassung des Bagatellvorbehaltes spricht bzw. von einem „reduzierten Bagatellvorbehalt“ (S. 252 Fn. 232). 601 In diese Richtung: BVerfGE 47, S. 253, 274: „Andererseits sind die Aufgaben jedoch nicht so unwichtig, daß sie nicht mehr unter den Begriff ‚Ausübung der Staatsgewalt‘ fallen und deshalb auf Institutionen ohne ausreichende demokratische Legitimation übertragen werden könnten.“ Auch diese Urteilspassage ist aber dadurch, dass sie von Institutionen ohne ausreichende Legitimation spricht, nicht ganz eindeutig: Wenn schon die Tatbestandsvoraussetzung der Ausübung von Staatsgewalt nicht erfüllt ist, an die Art. 20 II S. 1 GG das Legitimationserfordernis anknüpft, bedarf es gar keiner Legitimation, so dass sich Überlegungen zum Maß der Legitimation („ausreichend“) erübrigen. Vgl. zu dieser Widersprüchlichkeit des Urteils: Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 51. 602 So eher BVerfGE 83, S. 60, 74; 93, S. 37, 70.
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177
mung der Position des Gerichts wird dabei noch dadurch erschwert, dass es sich in den jüngeren Entscheidungen, die in die Richtung einer Herabsetzung des Legitimationsniveaus deuten, auf die ältere Entscheidung, die auf eine Verneinung der Staatsgewaltqualität zielt, beruft. 603 Letztlich kann die Einordnung durch das Bundesverfassungsgericht aber dahinstehen. Einem Herausdefinieren „unwichtiger“ Aufgaben aus dem Staatsgewaltbegriff wurde bereits oben eine Absage erteilt, 604 so dass hier lediglich noch zu erörtern ist, ob bei solch „unwichtigen“ Materien, die gleichwohl als Staatsgewalt demokratischer Legitimation bedürfen, eine Absenkung des Legitimationsniveaus möglich ist. 605 Ein vollständiger Verzicht auf demokratische Legitimation kann dabei von vornherein nicht diskutabel sein, da Art. 20 II S. 1 GG fordert, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. 606 Es kommt also lediglich eine Reduktion des Niveaus der Legitimation gegenüber dem in der Verfassung vorgegebenen Regelniveau von Ministerialund Kommunalverwaltung in Betracht, bei denen von einer vollumfänglichen personellen wie auch inhaltlichen Legitimation ausgegangen werden kann. Versucht man, der Rechtsprechung ein Kriterium dafür zu entnehmen, in welchen Fällen eine Absenkung des Legitimationsniveaus möglich sein soll, stößt man jedoch ungeachtet des oben beschriebenen Zuordnungsproblems auf weitere Unstimmigkeiten: Spricht das Gericht zunächst von „unwichtigen“ Aufgaben, 607 so stellt es später auf den Entscheidungsgehalt ab. 608 Hierbei deckt das Gericht diese Veränderung gegenüber der früheren Rechtsprechung jedoch nicht auf, sondern beruft sich weiterhin auf die frühere Entscheidung, in der auf die Gewichtigkeit der Aufgabe abgestellt wurde. 609 Man könnte dies dadurch zu erklären versuchen, dass das Gericht die zunächst nur als unwichtig bezeichnete Aufgabe dahingehend näher beschreibt, dass die Gewichtigkeit der Aufgabe durch den Entscheidungsgehalt bestimmt wird. 610 Allerdings überzeugt eine solche Erklärung nicht: Im allgemeinen Sprachgebrauch verbindet man mit der Wichtigkeit einer Aufgabe ihre Bedeutung, die anhand materieller Kriterien
603 BVerfGE 83, S. 60, 74; 93, S. 37, 70; dazu auch Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 39; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 175. 604 Teil 1 Kap. 2 B. I. 2. 605 Für eine solche Zuordnung des Problemkreises auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 265; Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 51 f. In diese Richtung tendierend letztlich auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 177. 606 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 252. 607 BVerfGE 47, S. 253, 274. 608 BVerfGE 83, S. 60, 74; 93, S. 37, 70. 609 BVerfGE 83, S. 60, 74; 93, S. 37, 70; vgl. dazu Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 41, der diesbezüglich von einer „eigenwillige[n] Interpretation“ spricht. 610 So Schliesky Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 260 f.
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und Wertungen bestimmt wird. Der Entscheidungsgehalt einer Aufgabe hingegen ist ein formelles Kriterium, da er den Umstand beschreibt, inwieweit eine Entscheidung dem ausführenden Amtswalter vorgegeben ist und inwieweit ein eigener Entscheidungsspielraum besteht. 611 Angesichts dieses Sprachgebrauchs, ist zu erwarten, dass ein davon abweichendes Verständnis im Sinne einer Definition der Gewichtigkeit anhand des Entscheidungsgehaltes ausdrücklich erfolgt wäre. Dass nach dem Verständnis des Gerichts mit dem Kriterium des Entscheidungsgehaltes nicht die Bedeutung der Aufgabe stehen und fallen soll, zeigt sich auch daran, dass beide Kriterien weiterhin genannt werden. Dies geschieht in einer Weise, die den Eindruck hervorruft, dass sie eventuell kumulativ vorliegen müssen. 612 Es stehen also bei der Frage nach einer Absenkung des Legitimationsniveaus mit der Bedeutung der Aufgabe einerseits und dem Entscheidungsgehalt andererseits zwei Kriterien im Raum, die nicht gleichgesetzt werden können. 613 aa) Der Entscheidungsgehalt als Kriterium Sofern das Gericht auf einen besonders geringen Entscheidungsgehalt abstellt, ist fraglich, ob es diesen tatsächlich als Voraussetzung für eine Absenkung des Legitimationsniveaus ansieht oder ob damit nicht lediglich die Möglichkeit einer Kompensation- und Substitution zwischen den beiden Formen der personellen und materiellen Legitimation bzw. innerhalb dieser Formen thematisiert ist. So heißt es in der ersten in diesem Zusammenhang relevanten Entscheidung: „Entscheidungskompetenzen lassen Amts- oder Organträgern im Allgemeinen mehr oder minder weite Spielräume eigener Gestaltung. Sie sind abgestuft etwa von Ermessensentscheidungen über die Inangriffnahme einer öffentlichen Aufgabe bis zur im Einzelnen gebundenen Anwendung kasuistisch ausformulierter Rechtssätze auf bestimmte Sachverhalte. Haben die Aufgaben eines Amtsträgers einen besonders geringen Entscheidungsgehalt, so mag dafür eine demokratische Legitimation ausreichen, bei der einzelne Legitimationselemente zurücktreten.“ 614 (Hervorhebung nicht im Original)
611
Vgl. zum materiellen Charakter des Kriteriums der Gewichtigkeit und zum formellen Charakter des Kriteriums des Entscheidungsgehalts: Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 39. 612 Vgl. BVerfGE 83, S. 60, 74, wo als Voraussetzung für eine Absenkung der Anforderungen genannt wird, dass „die Zuständigkeit eines Entscheidungsträgers nur auf einen eng umgrenzten wenig bedeutsamen Bereich gerichtet ist.“ (Hervorhebung nicht im Original). 613 Zur Inkongruenz dieser beiden Kriterien ausführlich: Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 39 ff. 614 BVerfGE 83, S. 60, 74.
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Diese Urteilspassage legt zunächst einmal die Deutung im Sinne einer Absenkung des Legitimationsniveaus bei besonders geringem Entscheidungsgehalt nahe. Die direkt folgenden Ausführungen des Gerichts betonen jedoch, dass dazu weiter eine sehr starke materielle Legitimation erforderlich ist: „Das kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn Kompetenzen gegenständlich im einzelnen und auch ihrem Umfang nach eng begrenzt sind und die zu treffenden Entscheidungen inhaltlich soweit vorstrukturiert sind, dass sie sich etwa auf die messbar richtige Plan- oder Gesetzesdurchführung beschränken. In seiner Entscheidung zu den nordrhein-westfälischen Bezirksvertretungen (BVerfGE 47, 253 [274 f.]) schließt es der Senat nicht aus, geringere Anforderungen an die Legitimation zu stellen, wenn die Zuständigkeit eines Entscheidungsträgers nur auf einen eng umgrenzten wenig bedeutsamen Bereich gerichtet ist und außerdem einem umfassenden Evokations- oder Letztentscheidungsrecht eines übergeordneten Organs unterliegt.“ 615 Hierbei stellt sich zunächst die Frage, ob bei einer Entscheidung, die sich auf die messbar richtige Plan- oder Gesetzesdurchführung beschränkt, überhaupt noch vom Vorliegen eines Entscheidungsgehaltes bzw. einer Entscheidung gesprochen werden kann. Will man den Subsumtionsvorgang an sich, der der Gesetzesanwendung vorausgeht und das Gesetz für den Einzelfall konkretisiert, Entscheidungsgehalt beimessen, so dass die Ausübung von Staatsgewalt bejaht werden kann, 616 ist in diesem Fall aber dennoch die inhaltliche Vorabdeterminierung der „Entscheidung“ so groß, dass man von einer Substitution der personellen durch die materielle Komponente statt von einer Absenkung des Legitimationsniveaus ausgehen könnte. Bei einer solchen Totalsubstitution, die aufgrund des geringen Entscheidungsgehaltes möglich erscheint, wäre dann das Legitimationsniveau vollumfänglich durch die sachlich-inhaltliche Legitimation gedeckt, ohne das es hierzu einer Absenkung des Legitimationsniveaus im Hinblick auf Ministerial- und Kommunalverwaltung bedürfte. 617 In diesem Zusammenhang ist auch der zweite Satz der oben zitierten Urteilspassage interessant, in dem zusätzlich zu einer in Umfang und Bedeutung
615
BVerfGE 83, S. 60, 74. Vgl. hierzu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259. 617 Soweit ersichtlich, hat sich das BVerfG zu der Frage, ob eine Totalsubstitution möglich ist, noch nicht ausdrücklich geäußert. Es wird aber davon ausgegangen, dass es dieser Möglichkeit ablehnend gegenüber steht. Dies liegt insbesondere deshalb nahe, da das Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichtes auf den Arbeiten von Böckenförde beruht, der selbst eine Totalsubstitution ausdrücklich ablehnt (Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 23). Vgl. zur Haltung des BVerfG in dieser Frage: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 134 f. Die hier dargestellte Ansicht des BVerfG zur Absenkung der Anforderungen an das Legitimationsniveau bei besonders geringem Entscheidungsgehalt kommt aber einer Totalsubstitution zumindest sehr nahe. 616
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begrenzten Entscheidungszuständigkeit auf das Bestehen von Steuerungsmöglichkeiten der übergeordneten Organe in Form eines umfassenden Evokationsoder Letztentscheidungsrechts abgestellt wird. Wie oben bereits gesehen, ermöglicht ein Selbsteintrittsrecht, das umfassend gewährt wird, der übergeordneten Behörde eine Steuerung, die in ihrer Wirkung der Steuerung durch Weisung entlang der personellen Berufungskette vergleichbar ist. Bei einer solchen Kompensation fehlender Weisungsmöglichkeit durch ein umfassendes Letzteintrittsrecht ist das Legitimationsniveau im Ergebnis wieder hergestellt, so dass eine Herabsetzung der Anforderungen an die Legitimation letztlich nicht erforderlich ist. 618 Der besonders geringe Entscheidungsgehalt einer Aufgabe oder anders gewendet die besonders hohe sachlich-inhaltliche Vorabdeterminierung einer Verwaltungstätigkeit kann also Defizite im Bereich der personellen Legitimation und der damit zusammenhängenden Weisungsunterworfenheit kompensieren, ohne dass dazu eine Herabsetzung des Legitimationsniveaus erforderlich wäre. bb) Die Bedeutung der Aufgabe als Kriterium Damit scheidet der Entscheidungsgehalt als Kriterium für die Herabsetzung des Legitimationsniveaus aus. Es bleibt also das zweite Kriterium, die Gewichtigkeit oder die Bedeutung einer Aufgabe. Somit stellt sich die Frage, ob das Legitimationsniveau aufgrund geringer Bedeutung einer Aufgabe gesenkt werden kann. Diesem Kriterium ist zunächst seine Unbestimmtheit entgegen zu halten. Die Bedeutung einer Aufgabe hängt von Wertungen ab, die wiederum vom Standpunkt des Betrachters abhängen. 619 Somit besteht die Gefahr, dass das Legitimationskonzept verwässert wird, wenn das Legitimationsniveau von einer so unbestimmten Größe wie der Bedeutung der Aufgabe abhängig gemacht wird. Es stellt sich also die Frage, ob Kriterien aufgestellt werden können, nach denen die Bedeutung der Aufgabe zu beurteilen ist, so dass keine zu große Unbestimmtheit besteht. Das Bundesverfassungsgericht erweckt hierbei den Eindruck, die Gewichtigkeit der Aufgaben eines Verwaltungsträgers nicht je für sich zu untersuchen, sondern diese anhand einer Gesamtschau beurteilen zu wollen, bei der auch der Umfang der dem Verwaltungsträger zugewiesenen Aufgaben Berücksichtigung findet. 620 Ein solcher Weg erscheint jedoch von vornherein nicht gangbar, da nicht die Legitimation des Verwaltungsträgers an sich zu untersuchen
618
Vgl. Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 41. Vgl. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 83; Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 45. 620 BVerfGE 83, S. 60, 76 ff. 619
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181
ist, sondern jede einzelne Entscheidung legitimiert sein muss. Eine pauschale Gesamtbetrachtung verbietet sich daher. 621 Bei der Suche nach handhabbaren Kriterien wird oftmals die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts herangezogen: 622 Diese besagt, dass alle „wesentlichen“ Entscheidungen vom Parlament zu treffen sind. Bezugspunkt für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist dabei insbesondere und vor allem die Grundrechtsrelevanz der in Frage stehenden Maßnahme. 623 Ob diese Maßstäbe der Wesentlichkeitslehre überhaupt auf die Anforderungen, die das Demokratieprinzip stellt, übertragen werden können, ist aber fraglich. 624 Dieser Frage muss jedoch nur dann nachgegangen werden, wenn die Figur des Bagatellvorbehaltes überhaupt dogmatisch gerechtfertigt werden kann. cc) Die dogmatische Verortung des Bagatellvorbehalts Zunächst ist also die vorrangige und grundsätzlichere Frage nach der dogmatischen Grundlage des Bagatellvorbehalts zu klären: Kann die Wesentlichkeitstheorie auch insoweit angeführt werden? Das Grundgesetz bestimmt in Art 20 II 1 GG vorbehaltlos, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Eine Abstufung der Anforderungen ist hier nicht vorgesehen. Dieser Umstand allein würde der Konzeption des Bagatellvorbehaltes noch nicht entgegenstehen, da Art. 20 II GG keine Aussage zum Legitimationsniveau zu entnehmen ist. Allerdings wurde oben das Legitimationsniveau anhand der organisationsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes abgeleitet, die somit zum demokratischen Legitimationsmodell werden. 625 Hierbei wurde deutlich, dass das Maß der demokratischen Legitimation abzulesen ist am Legitimationsniveau, das durch das Grundgesetz bei der Ministerialverwaltung und der kommunaler Selbstverwaltung vorgegeben ist. Von dieser Regel sind im Grundgesetz vereinzelt Ausnahmen zugelassen, wie beispielsweise in Art. 114 II GG, Art. 88 oder Art. 5 I 2 GG. Betrachtet man die Regellegitimation und ihre Ausnahmen, so ist ihrem Verhältnis zueinander kein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz dahingehend zu entnehmen, dass wichtige Aufgaben in der Form der Ministerialverwaltung oder in Form der kommunalen Selbstverwaltung und weniger bedeutsame Aufgaben in anderen Verwaltungsformen wahrgenommen würden. Ein allgemeiner Baga-
621
So Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 41 ff. Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 306 f.; s. auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 327. 623 Vgl. BVerfGE 33, S. 125, 158; 45, S. 400, 417 f.; 47, S. 46, 78 f.; 83, S. 130, 142. 624 Vgl. Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 46 ff. 625 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. a); Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 53; ders., Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 288 ff. 622
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
tellvorbehalt ist also dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. 626 Vielmehr steht er im Widerspruch zu den beschriebenen verfassungsrechtlichen Vorgaben, ohne sich auf eine grundgesetzliche Ausnahmeregelung stützen zu können. 627 Nun könnte man argumentieren, dass die Wesentlichkeitstheorie zur Bestimmung des Vorbehaltes des Gesetzes auch nicht ausdrücklich vom Grundgesetz vorgesehen ist. Trotzdem wird sie herangezogen, um die Kompetenzen zwischen Legislative und Exekutive abzustecken. Allerdings sind diese beiden Situationen nicht vergleichbar: Die Wesentlichkeitstheorie wird zwar zur näheren Bestimmung der Kompetenzverteilung der Organe herangezogen, dies geschieht aber nicht entgegen einer anderweitigen Regelung im Grundgesetz. Bezogen auf das demokratische Prinzip widersprächen die Wesentlichkeitstheorie und ein auf sie gestützter Bagatellvorbehalt aber dem aus dem Grundgesetz zu entnehmenden Legitimationsniveau. 628 Der Bagatellvorbehalt findet somit im Grundgesetz keine Stütze, so dass eine Herabsetzung des Legitimationsniveaus nicht auf ihn gestützt werden kann. d) Abgestufte demokratische Stringenz Mit dem soeben untersuchten Konzept des Bagatellvorbehaltes vergleichbar ist das Modell einer abgestuften demokratischen Stringenz. 629 Nach diesem Modell sollen die Anforderungen an die personelle demokratische Legitimation zunächst von der wahrgenommenen Aufgabe abhängen: Während im Bereich der Eingriffsverwaltung strenge Anforderungen an die demokratische Legitima-
626
Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 356; Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29,
54. 627
Vgl. dazu Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 53 f. Die Frage, ob die Wesentlichkeitstheorie ausschließlich dem Rechtsstaatsprinzip (so Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 46 ff.) oder ebenfalls dem Demokratieprinzip zuzuordnen ist (so BVerfGE 49, S. 89, 126; 83, S. 130, 142, dem folgend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 306 f.), bedarf hier keiner Klärung: Selbst wenn man einen demokratischen Hintergrund annehmen würde, indem man die Verpflichtung des Gesetzgebers, wesentliche Fragen selber zu regeln, aus seiner höheren demokratischen Legitimation ableitet, ändert dies nichts an dem Umstand, dass eine solche Überlegung nur im Rahmen der Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung ihre Berechtigung hat. Sie kann nicht in dem Sinne verallgemeinert werden, dass Wesentliches besonders hohe demokratische Legitimation erfordert und Unwesentliches eine entsprechend niedrigere Legitimation zulässt. Dies widerspräche der Legitimationsordnung des Grundgesetztes. 629 Dazu Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 33 – 56; vgl. auch die Darstellung bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 230 ff. Zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse dieser Theorie mit denen des Bagatellvorbehaltes: Jestaedt, Der Staat 32 (1993), S. 29, 37. 628
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183
tion zu stellen seien, 630 soll dies im Bereich der Leistungsverwaltung und der verwaltungsprivatrechtlichen Daseinsvorsorge nur gelten, sofern eine Daseinsvorsorge betroffen ist, auf die die jeweiligen Bürger angewiesen sind. 631 Für die fiskalischen Hilfsgeschäfte wird eine Freistellung von den Legitimationsanforderungen erwogen 632 und an die demokratische Legitimation der wirtschaftlichen Tätigkeit sollen weniger strenge Anforderungen gestellt werden. 633 Weitere Kriterien zur Abstufung sind nach diesem Modell die „‚Staatsnähe‘ der Aufgabenwahrnehmung“, 634 die „spezifische Eigenart der Aufgabenstellung“ 635 sowie die „Gewichtigkeit der Aufgabe“. 636 Auch diesem Modell, bei dessen Anwendung man ebenso wie bei der Geltung eines Bagatellvorbehaltes zu verschiedenen Legitimationsniveaus kommt, kann entgegengehalten werden, dass es in der Verfassung keine Stütze findet. Das Grundgesetz bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass an die demokratische Legitimation von Staatsgewalt je nach Art der wahrgenommenen Aufgabe andere Anforderungen zu stellen sind. 637 3. Fazit Es ist somit festzuhalten, dass das für die Ausübung von Staatsgewalt erforderliche Legitimationsniveau den organisationsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes entnommen werden kann. Maßstab ist die bei der Ministerialverwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung vorgegebene Legitimation. Bei der Erreichung dieses Legitimationsniveaus wirken die sachlich-inhaltliche und
630 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 33. 631 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 34, 35. 632 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 35. 633 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 36. 634 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 37. 635 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 51 ff. 636 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 55. 637 Eine Herleitung dieses Modells aus der Verfassung wird bezeichnenderweise auch gar nicht erst versucht. Die Verfassungsgemäßheit des Differenzierungsansatzes wird vielmehr lediglich behauptet (Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 31). Vgl. auch die Kritik bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 238 ff., insbesondere S. 253 f.
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Teil 1: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip
die personelle Legitimation zusammen. Sie können sich dabei kompensieren und auch vollständig substituieren, 638 solange das Legitimationsniveau dadurch nicht in Frage gestellt wird. Die Voraussetzungen einer Totalsubstitution sind dabei hoch anzusetzen, allerdings sollten sie auch nicht zu hoch veranschlagt werden. In Fällen, in denen der Entscheidungsgehalt darin besteht, den Einzelfall unter die normativen Vorgaben zu subsumieren und diese so für den konkreten Fall anzuwenden, ist meines Erachtens der Entscheidungsgehalt so gering, dass von einer Substitution der personellen durch die sachliche Komponente ausgegangen werden kann. 639 Wollte man die Anforderungen an eine Totalsubstitution höher setzen, und fordern, dass dem Verwaltungsträger überhaupt keine Entscheidungsspielräume mehr zukommen, erübrigt sich die Figur der Totalsubstitution: In diesem Fall wäre das Handeln des Amtswalters mangels Entscheidungsgehalts nicht als Ausübung von Staatsgewalt anzusehen und somit ohnehin nicht legitimationsbedürftig. Einer Substitution der fehlenden personellen Legitimation durch die sachliche bedürfte es dann gar nicht. 640 Allerdings ist einzuräumen, dass die Fälle nur selten gegeben sind, in denen der Amtswalter lediglich den zu entscheidenden Sachverhalt unter die sachlichen Vorgaben zu subsumieren hat, ohne dabei eigene Entscheidungsspielräume zu haben.
638 A. A. bzgl. der Totalsubstitution aber ohne Begründung: Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 23; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 329 f. (für die materielle Legitimation) und S. 331 f. (für die personelle Legitimation), letztlich auch ohne eingehende Begründung. 639 Vgl. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 80 f., der allerdings davon auszugehen scheint, dass eine vollständige gesetzliche Programmierung einer Verwaltungsentscheidung nie gegeben ist. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 247 mit Fn. 23 hält die eigenständige Legitimation der Verwaltung, die bei ihm aus einer Mischung von Elementen der personellen und der sachlichen Legitimation unter Ausklammerung des Gesetzes besteht, nur für erforderlich, wenn sie „ihre Handlungsbefugnis nicht von einer präzisen gesetzlichen Ermächtigung herzuleiten vermag“. Wann genau von einer solchen präzisen Ermächtigung auszugehen ist, bleibt aber offen. Gegen eine Ausklammerung vollständig programmierter Entscheidungen aus dem Begriff der Staatsgewalt: Ehlers, JZ 1987, S. 218, 219. Hier soll es jedoch nicht um eine solche Ausklammerung aus dem Staatsgewaltbegriff gehen, sondern lediglich um eine Erfüllung des Legitimationsniveaus durch die hohe sachliche Legitimation. 640 So aber letztlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 284, der von der grundsätzlichen Möglichkeit gegenseitiger Kompensation unter den Legitimationsformen ausgeht und auch eine Totalsubstitution bejaht, allerdings letztere nur bei vollständiger inhaltlicher Programmierung der „Entscheidung“ zulassen will. Er räumt dabei selber ein, dass in diesem Falle mangels Entscheidungscharakters keine Ausübung von Staatsgewalt mehr gegeben ist, fügt aber hinzu, dass dies der „Möglichkeit und Zulässigkeit der Totalsubstitution [...] keinen Abbruch“ tue. Dem ist in der Theorie zwar zuzustimmen, letztlich hätte eine so verstandene Möglichkeit der Totalsubstitution aber keinen praktischen Wert, da mangels des Vorliegens von Staatsgewalt schon kein Legitimationserfordernis bestünde. Im Sinne Jestaedts wohl auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 367.
Kap. 2: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes
185
Die Figur des Legitimationsniveaus erlaubt also aufgrund der Kompensationsund Substitutionsmöglichkeiten eine gewisse Flexibilität bezüglich des Vorliegens und der Ausprägung der Legitimationsformen. Eine darüber hinausgehende Flexibilisierung durch die Herabsetzung des zu erreichenden Legitimationsniveaus je nach der Bedeutung der in Frage stehenden Aufgabe ist jedoch abzulehnen. Damit ist trotz einer gewissen Flexibilität, die das Institut des Legitimationsniveaus mit sich bringt, die normative Geltung des Demokratieprinzips gewahrt. Es erfährt keine Relativierung. 641
641
Ein solcher Umgang mit dem Legitimationsniveau beinhaltet keinen Verlust der „Klarheit und Bestimmtheit der gesetzesakzessorischen demokratischen Legitimation“, wie Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 25 sie befürchtet. Seine Kritik an der Figur des Legitimationsniveaus scheint sich auch insbesondere gegen die Tendenz zu richten, das Parlamentsgesetz als Hauptsteuerungsinstrument durch alternative Legitimationsinstrumente im Rahmen des Legitimationsniveaus ersetzen zu wollen. Die Einbeziehung alternativer Legitimationsarten bei der Bestimmung des Legitimationsniveaus wird jedoch auch hier zurückgewiesen (s. unten Teil 2 Kap. 2 B.).
Teil 2
Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung und die Möglichkeit der Behebung dieses Defizits durch verschiedene Legitimationsmodelle Nachdem im ersten Teil der Untersuchung die funktionale Selbstverwaltung als Untersuchungsgegenstand definiert wurde und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes näher beleuchtet wurde, wobei insbesondere die Legitimationsstrukturen des Grundgesetzes und das dem Grundgesetz für die Administrative zu entnehmende Legitimationsniveau nachvollzogen worden sind, geht es im zweiten Teil darum, anhand dieser Maßstäbe die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung zu untersuchen. Dazu wird zunächst im ersten Kapitel das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung herausgearbeitet. Im Anschluss daran werden im zweiten Kapitel die verschiedenen Modelle dargestellt und kritisch beleuchtet, die in Literatur und Rechtsprechung entwickelt wurden, um die in Deutschland sehr traditionsreiche Rechtsfigur der funktionalen Selbstverwaltung angesichts ihres Legitimationsdefizits zu rechtfertigen bzw. dieses Defizit zu kompensieren.
Kapitel 1
Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung am Beispiel von Lippeverband und Emschergenossenschaft Zur Bestimmung der Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung werden zunächst die organisatorisch-personelle Legitimation und die sachlich-inhaltliche Legitimation untersucht. Im Anschluss daran ist im Rahmen der Untersuchung des Legitimationsniveaus das Zusammenwirken dieser beiden Legitimationsformen zu untersuchen.
Kap.1: Beispiel von Lippeverband und Emschergenossenschaft
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Aufgrund der zahlreichen und unterschiedlichen Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung ist es nicht möglich, ein Legitimationsniveau zu bestimmen, das allen Ausprägungen dieser Verwaltungsform gemeinsam wäre. So hängt z. B. die Legitimationswirkung des materiellen Legitimationsstranges davon ab, wie hoch die Dichte von Normen und Verwaltungsvorschriften ist, die der jeweilige Verwaltungsträger in seinem Aufgabenbereich zu beachten hat. Daher konzentriert sich die folgende Untersuchung auf den Lippeverband und die Emschergenossenschaft, denen als eine Form funktionaler Selbstverwaltung Beispielcharakter zukommt. Die Tatsache, dass die Untersuchung an den beiden Wasserverbänden ausgerichtet ist, bedeutet aber nicht, dass den folgenden Ausführungen nicht auch Aussagen und Feststellungen zu entnehmen wären, die allgemein für die funktionale Selbstverwaltung gelten.
A. Die organisatorisch-personelle Legitimation Wie bereits oben ausgeführt wurde, 1 verlangt die organisatorisch-personelle Legitimation, dass der Amtsträger sein Amt auf das Volk zurückführen kann. Hierzu ist zwar keine unmittelbare Legitimation im Wege der Wahl durch das Volk erforderlich, 2 aber es muss zumindest eine mittelbare Rückführbarkeit auf das Volk dadurch gegeben sein, dass das Parlament die Legitimation derart mittelt, dass ein seinerseits personell legitimierter und dem Parlament verantwortlicher Amtsträger einen anderen Amtsträger ernennt (Legitimationskette). Hierbei gilt das „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter“, 3 d. h., dass einem konkreten Amtswalter ein konkreter Funktionsbereich zugewiesen werden muss. Eine solche Legitimationskette, die vom Volk über das Parlament bis hin zu den einzelnen Amtswaltern führt, ist für die Entscheidungsorgane von Lippeverband und Emschergenossenschaft nicht gegeben. Sowohl Lippeverband als auch Emschergenossenschaft haben drei Entscheidungsorgane: Verbands- bzw. Genossenschaftsversammlung, Verbands- bzw. Genossenschaftsrat und einen gemeinsamen Vorstand (vgl. zum gemeinsamen Vorstand: § 17 II S. 3 LippeVG; § 16 II S. 3 EmscherGG). Die Legitimationskette nimmt für alle drei Gremien ihren Ausgangspunkt nicht beim Volk, sondern bei den Mitgliedern des Verbandes bzw. der Genossenschaft. Zu den Mitgliedern beider Wasserverbände zählen insbesondere die Städte, Gemeinden und Kreise, soweit sie ganz oder teilweise 1
Teil 1 Kap. 2 D. II. BVerfGE 83, S. 60, 72; Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16; Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 53. 3 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn 53; vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16. Zu der Frage nach der Möglichkeit einer kollektiven Bestellung s. unten Teil 2 Kap. 2 C. II. 2
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
im entsprechenden Genossenschafts- bzw. Verbandsgebiet liegen, die Eigentümer der ganz oder teilweise in diesem Gebiet liegenden Bergwerke sowie die gewerblichen Unternehmen und die jeweiligen Eigentümer von Grundstücken und sonstigen Anlagen, die Unternehmen des Verbandes bzw. der Genossenschaft verursachen, erschweren, zu erwarten haben oder Vorteile von den Tätigkeiten zu erwarten haben (§ 6 LippeVG; § 5 EmscherGG). Die Mitglieder entsenden Delegierte in die Verbands- bzw. Genossenschaftsversammlung (§ 12 LippeVG, § 11 EmscherGG), diese wählt den Rat (§ 16 I LippeVG, § 15 I EmscherGG), der wiederum den Vorstand wählt (§ 17 II LippeVG; § 16 II Emscher GG). Die personelle Legitimation der Entscheidungen von Genossenschafts- und Verbandsversammlung scheitert daran, dass neben den Delegierten der Gebietskörperschaften, die ihre Berufung auf das jeweilige Gebietsvolk (Art 28 I S. 2, 3 GG) zurückführen können und somit personell demokratisch legitimiert sind, auch Delegierte, die von den „privaten“ Mitgliedern entsandt werden, der Versammlung angehören. Diese können keine auf das Volk rückführbare Legitimationskette vorweisen, so dass ihnen die personelle Legitimation fehlt. 4 Beim Lippeverband sind aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten zwar die „privaten“ Mitglieder, die Delegierte zur Verbandsversammlung entsenden, in der Minderheit, die Bestimmungen des LippeVG zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit gewährleisten aber nicht, dass Entscheidungen der Versammlung stets auch mit einer Mehrheit der personell-demokratisch legitimierten Delegierten getroffen werden: Die Entscheidungen werden gem. § 15 VI LippeVG mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen getroffen. Da nicht gewährleistet ist, dass die personell legitimierten Delegierten immer im gleichen Sinne entscheiden ist es also möglich, dass sich eine Mehrheit aus allen Stimmen der nicht legitimierten und einigen Stimmen der legitimierten Delegierten bildet. Ferner ist es auch möglich, dass die legitimierten Delegierten von den anderen Mitgliedern überstimmt werden, da die Beschlussfähigkeit lediglich die Anwesenheit der Hälfte der Delegierten voraussetzt (§ 15 IV LippeVG). Somit ist es denkbar, dass die personell legitimierten Mitglieder in der Minderzahl sind, wenn alle nicht personell legitimierten Delegierten, aber insgesamt nur die Hälfte der Delegierten anwesend sind. 5 Da es bei der personellen Legitimation der Verbandsversammlung nicht um die Frage geht, ob die Versammlung an sich personell legitimiert ist, sondern die personelle Legitimation ihrer Mitglieder nur im Hinblick auf die von ihnen getroffenen Entscheidungen relevant ist, genügt es nicht, dass die Mehrzahl der Mitglieder demokratisch legitimiert ist. Hinzukommen muss, dass die Entscheidungen der Versammlung auch nur mit der Mehrheit der demokratisch legitimierten Mitglieder getroffen werden können 4 So BVerwGE 106, S. 64, 79 f. für die EmscherG; BVerwG NVwZ 1999, S. 870, 874 f. für den LippeV. 5 BVerwG, NVwZ 1999, S. 870, 874 f.
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(Prinzip der doppelten Mehrheit). 6 Folglich kommt auch den Entscheidungen der Verbandsversammlung keine organisatorisch-personelle Legitimation zu. Da der Genossenschafts- bzw. Verbandsrat von der jeweiligen Versammlung gewählt wird, fehlt auch ihm die demokratische Legitimation. Die Wahl durch die Genossenschaftsversammlung kann keine personell-demokratische Legitimation vermitteln, da die Mehrheit ihrer Mitglieder nicht personell-demokratisch legitimiert ist. 7 Für die Wahl durch die Verbandsversammlung gilt dasselbe, da nicht sichergestellt ist, dass die Personenwahl von der Mehrheit der legitimierten Mitglieder getragen wird. Einzig der Vertreter des Landes NRW im Verbandsrat ist demokratisch legitimiert, da er gem. § 16 I 2 LippeVG durch den zuständigen Fachminister entsandt wird. 8 Da dem Rat keine personelle demokratische Legitimation zukommt, fehlt diese auch dem Vorstand, der mit der erforderlichen Mehrheit durch den Rat gewählt wird. 9 Somit fehlt allen drei Entscheidungsorganen der beiden Wasserverbände die personelle demokratische Legitimation.
B. Die sachlich-inhaltliche Legitimation Bei der Untersuchung der sachlich-inhaltlichen Legitimation soll zunächst auf Besonderheiten eingegangen werden, die für die Steuerungs- und Lenkungskraft der verschiedenen Instrumente der sachlich-inhaltlichen Legitimation im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung im Allgemeinen gelten. Im Anschluss an diese allgemeinen Erwägungen wird die Ausprägung der Steuerungswirkung durch sachlich-inhaltliche Vorgaben beispielhaft für die Wasserverbände dargestellt.
6
Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 17 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 331 f.; BVerfGE 93, S. 37, 67 f.; 107, S. 59, 87 für die unmittelbare Staatsverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung. Vgl. dazu auch oben Teil 1 Kap. 2 D. II. 2. 7 So BVerwGE 106, S. 64, 80. 8 So auch BVerwG NVwZ 1999, S. 870, 875. 9 So BVerwGE 106, S. 64, 81 für die EmscherG; BVerwG NVwZ 1999, S. 870, 875 für den LippeV.
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I. Die sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch das Parlament 1. Gesetz Das Hauptsteuerungsinstrument des Parlamentes im Hinblick auf das Handeln der Verwaltung, das Gesetz, entfaltet seine volle Wirkung gegenüber Trägern funktionaler Selbstverwaltung ebenso wie gegenüber den Verwaltungsträgern der Ministerialverwaltung. Auch die Träger der funktionalen Selbstverwaltung unterliegen der Bindung an die Gesetze gem. Art. 20 III GG. Hinzu kommt, dass die funktionalen Selbstverwaltungseinrichtungen durch Gesetz geschaffen werden und somit ihr Bestand, ihre Aufgaben und Befugnisse sowie ihre inneren Organisationsstrukturen vom Gesetzgeber bestimmt werden. 10 Da der Umfang der Aufgaben und Befugnisse vom Gesetzgeber bestimmt wird, ist sein Zugriffsrecht gegenüber den Trägern funktionaler Selbstverwaltung sogar eher größer als gegenüber Verwaltungsträgern der Ministerialverwaltung. Bei diesen ist immer noch der Bereich zu beachten ist, welcher der gesetzlichen Regelungsmacht entzogen ist, da er in den Vorbehaltsbereich der Regierung fällt. 11 Die Tatsache, dass die funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften durch Gesetz errichtet werden, könnte weiter dafür sprechen, dass dem Parlament stärkere Kontrollmöglichkeiten zukommen als bei Amtswaltern im Rahmen der Ministerialverwaltung, bei denen sich die Kontrolle lediglich vermittelt durch die Regierung vollzieht. In der Tat kommt dem Parlament ein jederzeitiges Recht zur Auflösung der betreffenden Körperschaft bzw. zur Neuorganisation zu. 12 Diese beiden Instrumente eignen sich jedoch nur bedingt zur Kontrolle, da sie die Körperschaft in ihrer Gesamtheit betreffen und somit nicht geeignet sind, einzelne Fehler zu korrigieren. Zwar können als Reaktion auf Fehlentscheidungen durch den Selbstverwaltungsträger vom Parlament die Aufsichtsbefugnisse der Aufsichtsbehörde erweitert werden. Dies würde jedoch lediglich die über die Regierung vermittelte Kontrolle stärken und keine Kontrolle durch das Parlament bewirken. 10 Vgl. Art. 87 III S. 1 GG und dazu Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, § 87, Rn. 94. Die von Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 69 ff. aufgeworfene Frage, ob sich der Gesetzesvorbehalt aus der Wesentlichkeitstheorie herleitet oder ob dieser lediglich grundrechtlich fundiert ist und daher nur bei Grundrechtsberührung eingreift, kann aufgrund des verfassungsrechtlich angeordneten Gesetzesvorbehaltes dahinstehen. 11 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 75 f. 12 Vgl. dazu Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 380. Vgl. zum Punkt der Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament auch unten Teil 2 Kap. 2 C. II. 2. c).
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Eine gegenüber der Ministerialverwaltung verstärkte Kontrolle der Selbstverwaltungsträger durch das Parlament ist somit nicht gegeben. 2. Haushaltsgesetz Während die Steuerungswirkung des allgemeinen Gesetzes im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung groß ist, verhält sich dies beim Haushaltsgesetz anders. Es wurde bereits festgestellt, dass die Beurteilung der Steuerungswirkungen des Haushaltsgesetzes von der gesetzlichen Regelungsintensität des betroffenen Sachgebietes abhängt. Unabhängig davon ist das Haushaltsgesetz für die Steuerung der funktionalen Selbstverwaltungsträger nur von geringer Bedeutung, da mit der Errichtung der Selbstverwaltungskörperschaft diese zumeist auch aus dem staatlichen Haushalt ausgegliedert wird (§ 105 BHO bzw. entsprechende Regelungen der Landeshaushaltsordnungen 13). Soweit die Selbstverwaltungskörperschaften sich über Beiträge der Mitglieder finanzieren und keine finanziellen Mittel von Bund oder Land erhalten, kann eine Steuerung über das Haushaltsgesetz und den Grundsatz der Spezialität nicht erfolgen, da der Haushaltsplan gem. § 106 I S. 1 GG durch die Körperschaft selbst, bzw. durch das zur Geschäftsführung berufene Organ, aufgestellt wird. 14 Auch die gem. § 108 BHO bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften vorgesehene Genehmigung des von der Körperschaft aufgestellten Haushaltsplanes durch das zuständige Ministerium und das Finanzministerium hat kaum eine legitimatorische Relevanz. Zwar ist die Genehmigungsbehörde nicht auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt, 15 aber zum einen kann die Genehmigungsbehörde durch ihr Veto nur einen Haushaltsplan verhindern, der ihrem Willen widerspricht. Sie kann ihn aber nicht durch einen nach eigenen Vorstellungen erstellten Haushaltsplan ersetzen. Zum anderen handelt es sich bei diesem haushaltsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt nicht in erster Linie um ein Instrument, das dem Willen der Aufsichtbehörde Durchschlagskraft verleihen soll, sondern um einen Schutz des betreffenden Selbstverwaltungsträger vor zu hohen finanziellen Belastungen. Unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle bewirkt die Ausgliederung aus dem Bundes- bzw. Landeshaushalt zwar nicht, dass auch eine Finanzkontrolle durch den Rechnungshof ausgeschlossen wäre. Eine solche erfolgt vielmehr gem. Art. 114 II S. 3 GG i.V. m. § 111 BHO 16 bzw. den entsprechenden landesrechtli13 Diese stimmen aufgrund des § 48 I HGrG mit den bundesrechtlichen Regelungen weitgehend überein. Vgl. dazu schon oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. a) bb). 14 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 77 f., der auch für den Fall, dass der Selbstverwaltungskörperschaft Mittel des Bundes oder Landes zufließen, die wiederum im Haushaltsplan von Bund bzw. Land festgelegt werden, der Bewilligung der Mittel nur eine sehr geringe legitimatorische Relevanz zuspricht. Vgl. auch Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505, 514. 15 Vgl unten Teil 2 Kap. 1 B. II. 2. b).
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chen Bestimmungen auch bei den bundes- und landesunmittelbaren Personen des öffentlichen Rechts. 17 Allerdings ist diese Kontrolle durch den Rechnungshof im Hinblick auf die Steuerung des Verwaltungshandelns aus legitimatorischer Sicht zu vernachlässigen soweit bundes- und landesunmittelbare Körperschaften betroffen sind. Gem. Art. 114 II S. 1 GG bzw. den jeweils einschlägigen Vorschriften der Landesverfassungen überprüft der Rechnungshof die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Die Prüfung der „Ordnungsmäßigkeit“ umfasst dabei neben der rechnerischen Richtigkeit vor allem die Rechtmäßigkeitskontrolle, also die Beachtung des Haushaltsrechtes, worunter auch die Haushaltsgrundsätze zu verstehen sind. 18 Sofern Behörden der unmittelbaren Bundes- oder Landesverwaltung betroffen sind, hat diese Kontrolle durch den Rechnungshof auch eine gewisse legitimatorische Bedeutung, da der Grundsatz der Spezialität des Haushaltsplanes von der Prüfung umfasst ist. Es wird also überprüft, ob die Verwaltung nicht mehr als die durch das Parlament im Haushaltsgesetz für bestimmte Zwecke zur Verfügung gestellten Finanzmittel aufgewendet hat. Dieser Kontrolle kommt zwar unter legitimatorischen Gesichtspunkten keine eigenständige Bedeutung zu, aber sie unterstützt die Relevanz und Bedeutung, die dem Grundsatz der Spezialität in dieser Hinsicht zukommt. Da die Selbstverwaltungskörperschaften aber ihren Haushaltsplan in eigener Verantwortung aufstellen und in diesem eigenständig festlegen, welche finanziellen Mittel zur Erreichung welcher Zwecke zur Verfügung stehen sollen, kann eine Kontrolle durch den Rechnungshof nur die Einhaltung der haushaltsrechtlichen Vorgaben sicherstellen und nicht die Rückbindung des Verwaltungshandelns an vom Parlament im Haushaltsgesetz bestimmte Vorgaben erreichen. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit, bei der insbesondere überprüft wird, ob mit den zur Verfügung gestellten Mitteln der maximale Erfolg erreicht wurde, findet zwar mittelbar auch eine Bewertung des im Haushaltsplan festgesetzten Zieles statt. 19 Allerdings erfolgt eine solche Kontrolle der Ziele nur in sehr eingeschränkter Weise, da die Autonomie der Selbstverwaltungskörperschaft zu beachten ist. 20 Des Weiteren können die Rechnungshöfe, sofern ein Verstoß gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit vorliegt, diesen nicht mittels Anordnung oder Weisung beheben, sondern lediglich feststellen. Über die rechtlichen 16 Vgl. Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 106; allgemein: v. Köckritz / Dittrich / Lamm, BHO, § 111, Oktober 2005, Rn. 1. 17 Dazu eingehend Knöpfle, Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, 1988. 18 Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 110. 19 Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 111; vgl. auch Knöpfle, Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, 1988, S. 81, 126. 20 Vgl. Kirchhof, NVwZ 1983, S. 505, 514; für den Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung: Kisker, HStR IV, 1999, § 89, Rn. 112 f.; Knöpfle, Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, 1988, S. 126.
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Konsequenzen des Verstoßes entscheiden die Aufsichtbehörden. 21 Auch von der Prüfung durch die Rechnungshöfe geht somit keine nennenswerte legitimatorische Wirkung aus. Eine Steuerung des Handelns von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften durch das Haushaltsgesetz ist somit nur sehr begrenzt möglich. Sie ist beschränkt auf Fälle, in denen die Körperschaft finanzielle Mittel von Bund oder Land bekommt. Auch einer Kontrolle durch den Rechnungshof kommt nur geringe legitimatorische Relevanz zu. II. Die sachlich-inhaltliche Legitimationsvermittlung durch die Exekutive 1. Sachlich-inhaltliche Vorgaben a) Rechtsverordnungen Rechtsverordnungen, die der Exekutivspitze eine abstrakte Steuerung des Verwaltungshandelns ermöglichen, gelten für Selbstverwaltungsträger ebenso wie für Verwaltungsträger innerhalb der Ministerialverwaltung. 22 Im Gegensatz zu Verwaltungsvorschriften, auf die im Folgenden einzugehen ist, leiten sie ihre Geltung aus einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ab, die die Exekutivspitze gegenüber allen Verwaltungsträgern ermächtigt. b) Verwaltungsvorschriften Für den Bereich der Verwaltungsvorschriften ist hingegen fraglich, ob sie auch gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften Geltung beanspruchen und somit auch deren Entscheidungen sachlich lenken und legitimieren können. Im Gegensatz zum Gesetz und zur Rechtsverordnung ist die Geltung von Verwaltungsvorschriften für Selbstverwaltungsträger problematisch, da sie ihren Geltungsgrund und ihre Ermächtigungsgrundlage in der Leitungsbefugnis der oberen Behörde finden. Die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften setzt also die hierarchische Ordnung der Verwaltung voraus bzw. entspringt dieser. 23 Demgemäß werden Verwaltungsvorschriften auch als generelle Weisungen bezeichnet. 24 Wie 21
Knöpfle, Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, 1988, S. 126. 22 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 79. 23 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 5 und 6; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 194 f. 24 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 469, der von der Einzelweisung als konkret-individuellem Verwaltungsbefehl und von der Verwaltungs-
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bereits im Rahmen der Untersuchung der personellen Legitimation am Beispiel der beiden Wasserverbände deutlich wurde, sind Selbstverwaltungskörperschaften aber nicht in die hierarchischen Strukturen der Ministerialverwaltung eingegliedert. Sie unterstehen nicht der Leitungsbefugnis eines Ministers, sondern die Leitungsaufgaben, die in der Ministerialverwaltung dem Minister zukommen, sind durch das Errichtungsgesetz dem Selbstverwaltungsträger zur eigenständigen Wahrnehmung aufgegeben. 25 Aufgrund dieses Umstandes kann die Exekutivspitze gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften auch keine Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften aus ihrer Leitungsbefugnis herleiten. Damit Verwaltungsvorschriften auch gegenüber diesen eine Bindungswirkung zukommt, ist vielmehr eine verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Ermächtigung wie bei der Rechtsverordnung erforderlich. 26 Eine Ausnahme von diesem Erfordernis gesetzlicher Ermächtigung wäre allenfalls im Hinblick auf norminterpretierende Verwaltungsvorschriften denkbar. So könnte angeführt werden, dass Verwaltungsvorschriften, die lediglich der Interpretation von Normen dienen, nicht unbedingt als Ausdruck der Gestaltungsbefugnisse der Exekutivspitze anzusehen seien, sondern vielmehr lediglich die gesetzlichen Anforderungen verdeutlichten, denen auch die Selbstverwaltungsträger unterliegen. Im Rahmen der Rechtsaufsicht, der auch Selbstverwaltungskörperschaften unterstehen, könnte die Verwaltungsspitze im Einzelfall ohnehin ihre Rechtsauffassung zur Geltung bringen, indem sie die Auslegung einer Norm durch die Körperschaft beanstandet. Mittels Beanstandung und Anordnung könnte die Aufsichtsbehörde letztlich ihre eigene Rechtsauffassung durchsetzen. Nichts anderes geschehe aber, wenn man eine Bindung der Selbstverwaltungsträger an norminterpretierende Verwaltungsvorschriften bejahen würde. 27 Diese Argumentation erscheint zunächst einleuchtend. Sie übersieht jedoch einen entscheidenden Unterschied in der Eingriffsintensität und Wirkweise norminterpretierender Verwaltungsvorschriften auf der einen und den Mitteln der Rechtsaufsicht auf der anderen Seite: Die Rechtsaufsicht lässt lediglich einen reaktiven Eingriff der Aufsichtsbehörde zu, d. h., dass die Mittel der Rechtsaufsicht zunächst einmal eine bestimmte Verwaltungsentscheidung voraussetzen, die dann beanstandet werden kann. Norminterpretierende Verwaltungsvorschrifvorschrift als abstrakt-generellem Verwaltungsbefehl spricht. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 53; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 341. 25 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 53. 26 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 52 ff, 80; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 148. 27 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 54, der diese Argumentationsmöglichkeit ablehnt. Vgl. auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 388 zur Frage der Geltung norminterpretierender Verwaltungsvorschriften der Staatsaufsichtsbehörden für die Gemeinden.
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ten hingegen liegen der Entscheidung der Verwaltung zeitlich voraus. 28 Hiergegen könnte man einwenden, dass dieser Unterschied letztlich nur von geringer Bedeutung sei: Auch die Mittel der Rechtsaufsicht wirken, nachdem bestimmte Maßnahmen beanstandet und so die Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde durchgesetzt wurde, für die zukünftigen Entscheidungen schon in deren Vorfeld. Die Verwaltung wird nicht weiterhin Entscheidungen treffen, von denen sie von vornherein weiß, dass sie von der Aufsichtsbehörde aufgehoben werden. 29 Dieser Einwand verfängt jedoch nicht. Auch wenn eine gewisse zukunftsgerichtete Wirkung der Rechtsaufsicht nicht von der Hand zu weisen ist, so führt dies jedoch nicht zur Einebnung des Unterschiedes von Rechtsaufsicht und Verwaltungsvorschriften. Zum einen macht es weiterhin einen Unterschied, ob die Exekutivspitze initiativ tätig werden kann oder nur in Reaktion auf eine rechtswidrige Verwaltungsentscheidung. Zum anderen sind auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des betroffenen Verwaltungsträgers gegenüber Maßnahmen der Rechtsaufsicht weitgehender als gegenüber ihn betreffenden Verwaltungsvorschriften. So kann der Verwaltungsträger den Rechtsweg beschreiten, wenn er die Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde für rechtswidrig hält oder die Maßnahme der Aufsichtbehörde über die bloße Rechtsaufsicht hinausgeht und in sein Ermessen eingreift. 30 Bei Verwaltungsvorschriften sind demgegenüber nur sehr begrenzte Rechtsschutzmöglichkeiten gegeben. 31 Folglich bedürfen auch norminterpretierende Verwaltungsvorschriften einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Ermächtigung, sofern sie sich an Selbstverwaltungsträger richten. 32 28 Zu der obigen Argumentation und ihrer Zurückweisung infolge der unterschiedlichen zeitlichen Wirkweise: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 54. 29 Vgl. zu diesem Gedanken: Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 388 ff.: Dieser bezieht sich allerdings auf aufsichtsbehördliche Verwaltungsvorschriften der Kommunalaufsichtsbehörden, denen er zwar keine rechtliche, aufgrund der drohenden Sanktion im Rahmen der Rechtsaufsicht aber eine faktische Wirkung beimisst. 30 Vgl. für den Kommunalbereich: Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 388. 31 Vgl. zu Maßnahmen der Rechtsaufsicht und Weisungen der Fachaufsicht: Krebs, HStR III, 1996, § 69, Rn. 47; vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 193. 32 Ebenso Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 54. Sofern sich Emde hierbei auf Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968 beruft (Fn. 93), ist dies zumindest missverständlich: Ein Erfordernis sondergesetzlicher Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften nimmt dieser für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung an (S. 386 ff.; bes. deutlich: S. 453). Die funktionale Selbstverwaltung hingegen spricht er nur am Rande an (S. 412 f.). Art. 86 GG und entsprechende Vorschriften der Landesverfassungen sieht er als Befugnisnorm zum Erlass von Verwaltungsvorschriften an, wobei diesen Normierungen letztlich nur deklaratorischer Charakter zukomme, so dass der Erlass bindender Verwaltungsvorschrif-
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Eine solche Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften kann für Selbstverwaltungskörperschaften, die zur mittelbaren Bundesverwaltung gehören und somit dem Bund unterstehen, in Art. 86 S. 1 GG gesehen werden. 33 Soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt wird, ermächtigt Art 86 GG die Bundesregierung zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften, 34 wenn der Bund die Gesetze durch bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts ausführt. Da die Errichtung bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht unbedingt mit der Gewährung von Selbstverwaltungsbefugnissen und einer gewissen Autonomie einhergeht, 35 könnte man überlegen, ob Art 86 GG aus den obigen Gründen teleologisch reduziert oder modifiziert werden muss, sofern Selbstverwaltungskörperschaften betroffen sind. Dies ist aber grundsätzlich nicht der Fall, da die Gewährung von Autonomie zwar nicht notwendig, aber doch typischerweise mit der Errichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts einhergeht. Art. 86 GG muss also gerade auch in den typischen Fällen als Befugnisnorm zum Erlass von Verwaltungsvorschriften verstanden werden. 36 Allerdings kann der Bund bei der Errichtung des Selbstverwaltungsträgers dessen Organen ausdrücklich oder implizit die ausschließliche oder konkurrierende Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften einräumen. 37 Sofern dies implizit erfolgt, muss durch Auslegung des Errichtungsgesetzes erten gegenüber Trägern verselbständigter Verwaltungseinheiten grundsätzlich zulässig sei (S. 414 ff.; S. 454). Hiermit sind wohl auch die funktionalen Selbstverwaltungsträger gemeint, was daran deutlich wird, dass Ossenbühl Ausnahmen in diesem Bereich neben der Kirche nur für den Rundfunk und die Universitäten (S. 418 ff., insbes. 421 ff.) anspricht. Nicht ganz klar erscheint, warum Ossenbühl Art. 86 GG nur deklaratorischen Charakter beimisst und dies auch auf Körperschaften funktionaler Selbstverwaltung zu beziehen scheint. Dies widerspricht meiner Ansicht nach seinen Ausführungen auf S. 412 –414, wo er zwischen den verschiedenen verselbständigten Verwaltungsträgern anhand der intendierten Zuweisung von Selbstverwaltungsbefugnissen differenziert: „Wo sich demnach der Selbstverwaltungsgedanke als legislative Intention einer administrativen Absonderung ermitteln lässt, spricht die Vermutung im Zweifel gegen die zentrale staatliche Steuerung des Verwaltungsträgers, also auch gegen die Zulässigkeit bindender Verwaltungsvorschriften“ (S. 413). 33 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 52 f. Zur Bedeutung des Art. 86 S. 1 GG als Ermächtigungsnorm zum Erlass von Verwaltungsvorschriften mit der Folge, dass eine einfachgesetzliche Ermächtigung insoweit nicht erforderlich ist: Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 414 ff, 417; ebenso Lerche, in: Maunz / Dürig, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 98. 34 Hierunter sind nach h.A. nicht nur Verwaltungsvorschriften mit organisatorischem Gehalt, sondern auch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften zu verstehen (vgl. Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 86, Rn. 57; Lerche, in: Maunz / Dürig, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 96; Art. 84, Januar 1985, Rn. 92 ff.). 35 Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 86, Rn. 50, Fn. 149; Krebs, HStR III, 1996, § 69, Rn. 55. 36 Ebenso Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 98. 37 Vgl. dazu Lerche, in: Maunz / Dürig, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 98, der herausstellt, dass es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob die Befugnis der Selbstver-
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mittelt werden, inwieweit durch die Schaffung des Selbstverwaltungsträgers und die Zuweisung bestimmter Aufgaben an diesen die Befugnis der Bundesregierung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften aus Art. 86 S. 1 GG eingeschränkt ist. Eine solche Einschränkung oder gar ein Ausschluss dieser Befugnis der Bundesregierung ist aber jedenfalls nicht allein in der Errichtung eines Selbstverwaltungsträgers an sich zu sehen, 38 da bei Annahme eines solchen Automatismus letztlich das gleiche Ergebnis erzielt würde, wie durch eine teleologische Modifikation des Art 86 S. 1 GG im Hinblick auf Selbstverwaltungsträger. Die aus Art. 86 GG abgeleitete Befugnis der Bundesregierung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften erstreckt sich aber nicht auf landesunmittelbare Körperschaften, also Träger der funktionalen Selbstverwaltung, die durch Landesgesetz errichtet wurden. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 86 GG die Bundesverwaltung betrifft 39 und zum anderen aus dem Wortlaut des Art. 86, der nur die bundesunmittelbaren Körperschaften nennt. 40 Sofern also die Landesverfassungen keine dem Art. 86 GG entsprechende Vorschrift enthalten, in der die jeweilige Landesregierung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften gegenüber landesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts ermächtigt wird, bedarf es einer einfachgesetzlichen Grundlage hierzu. Besteht weder eine verfassungsrechtliche noch eine einfachgesetzliche Grundlage für den Erlass von Verwaltungsvorschriften, können diese gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften keine Bindungswirkung entfalten, da sie diesen Körperschaften gegenüber eben nicht aus der Leitungsgewalt der Exekutivspitze hergeleitet werden können. c) Weisung Im Hinblick auf die (Einzel-)Weisungsunterworfenheit funktionaler Selbstverwaltungsträger kann an die Ausführungen zur Geltung allgemeiner Verwaltungsvorschriften angeknüpft werden: Ebenso wie allgemeine Verwaltungsvorschriften als sog. generelle Weisungen entspringt auch das Einzelweisungsrecht der Leitungsbefugnis des Ministers 41 bzw. der übergeordneten Behörde und setzt grundsätzlich die Eingliederung des Verwaltungsträgers in die hierarchische waltungskörperschaften zum Erlass von Verwaltungsvorschriften aus dem Prinzip des Vorrangs des Gesetzes hergeleitet wird oder ob in der Zuweisung der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften an den Selbstverwaltungsträger eine gesetzliche Regelung i. S. d. Vorbehaltsklausel des Art. 86 S. 1 GG gesehen wird. Hierzu s. a. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 52 f. 38 Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 98. 39 Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 86, Rn. 41. 40 Lerche in: Maunz / Dürig, GG, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 86. 41 Vgl. dazu auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 344 ff.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Verwaltungsstruktur voraus. Da funktionale Selbstverwaltungsträger aus diesen Strukturen herausgenommen sind und ihnen Aufgaben zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen sind, sind sie grundsätzlich nicht weisungsunterworfen, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt wird. 42 2. Kontrollinstrumente Nachdem somit festgestellt wurde, dass im Vergleich zur Ministerialverwaltung von den sachlich-inhaltlichen Steuerungsinstrumenten der Exekutive gegenüber funktionalen Selbstverwaltungsträgern lediglich die Steuerungskraft der Rechtverordnungen ungeschmälert bestehen bleibt, gilt es im Folgenden zu untersuchen, wie es um das Kontrollelement als zweiter Bestandteil des sachlichinhaltlichen Legitimationsfaktors bestellt ist. Oben wurde bereits herausgearbeitet, dass als wirksame Kontrollinstrumente insbesondere die Aufsicht und Genehmigungsvorbehalte anzusehen sind, während gerichtlichen Verfahren wie dem Insichprozess und dem Widerspruchverfahren keine darüber hinausgehende Kontrollwirkung zukommt. Die folgende Untersuchung kann sich daher auf die beiden erstgenannten Instrumente beschränken. a) Aufsicht Dem Selbstverwaltungsgedanken, der sich in der eigenverantwortlichen Wahrnehmung eigener Belange ausdrückt, wird hinsichtlich der Staatsaufsicht Rechnung getragen, indem diese bei funktionalen Selbstverwaltungsträgern grundsätzlich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns beschränkt ist. Die Zweckmäßigkeit der Entscheidungen wird in der Regel durch die Selbstverwaltungskörperschaft beurteilt, so dass eine Fachaufsicht grundsätzlich nicht besteht.
42 Vgl. dazu, dass Weisungsfreiheit zwar regelmäßig bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften gegeben ist, sie aber kein Definitionsmerkmal darstellt: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 68 f.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 9 hebt die Weisungsfreiheit in seiner Definition funktionaler Selbstverwaltung zwar stärker hervor, sieht aber auch Einschränkungen der Weisungsfreiheit als möglich an (a.a. O., S. 51, 59 ff., 85 im Zusammenhang mit der Fachaufsicht). Vgl. im Zusammenhang mit der Fachaufsicht auch Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149. Restriktiver insofern Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 524 ff., 528, der zwar das Bestehen eines Weisungsrechts bzw. seine Einführung für möglich hält, aber eine besondere Rechtfertigung verlangt. Jedenfalls wird eine gesetzliche Anordnung einer Einzelweisungsbefugnis aber nicht die gesamten Befugnisse der Selbstverwaltungskörperschaft umfassen, da andernfalls Widersprüche zum Sinn und Zweck ihrer Errichtung entstehen (vgl. auch insoweit Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149).
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Die Unterstellung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft unter die Fachaufsicht einer übergeordneten Behörde ist zwar nicht von Verfassungs wegen von vornherein ausgeschlossen, in der Praxis sind jedoch die Aufgabenbereiche, die einer Zweckmäßigkeitskontrolle unterstellt werden, begrenzt, da eine vollständige Unterwerfung unter die Fachaufsicht den Sinn und Zweck der Errichtung der Selbstverwaltungskörperschaft in Frage stellen würde. 43 Im Regelfall kann somit bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften von einer Beschränkung der Aufsicht auf die Rechtmäßigkeit des Handelns ausgegangen werden. Nur einzelne Bereiche unterfallen bei einigen Selbstverwaltungskörperschaften der Fachaufsicht. 44 b) Genehmigungsvorbehalt Wie bereits oben angedeutet wurde, stellt sich bei der Beurteilung der Legitimationswirkungen eines Genehmigungsvorbehaltes, der gegenüber einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft besteht, folgende Frage: Darf die Genehmigungsbehörde, sofern im Gesetz der Maßstab der Genehmigungserteilung nicht weiter bestimmt wird, lediglich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns prüfen oder kann sie die Genehmigung auch dann versagen, wenn ihr das intendierte Verwaltungshandeln als unzweckmäßig erscheint. Im ersten Fall wäre die Genehmigung ein präventives Mittel der Rechtsaufsicht, im anderen Fall wäre sie der Fachaufsicht zuzuordnen. Diese Frage ist für die legitimatorische Wirkung, die ein Genehmigungsvorbehalt entfaltet, von gewisser Relevanz: Im ersten Fall würde durch die Genehmigung letztlich keine über die Gesetzesbindung hinausgehende Legitimationswirkung erzielt werden, während bei einer Zweckmäßigkeitsprüfung die Legitimation höher zu veranschlagen wäre, da sich in diesem Fall der (politische) Wille der übergeordneten Behörde durchzusetzen vermöchte. 45 Für eine Beschränkung auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung spricht, sofern es sich um Selbstverwaltungsträger handelt, dass bei diesen in der Regel auch die Aufsichtsbefugnisse nicht über eine Rechtsaufsicht hinausgehen. Ferner wird insbesondere auf das Selbstverwaltungsrecht und die damit zusammenhängen43
Vgl. zum Ganzen: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149. Zum nur grundsätzlichen Ausschluss der Fachaufsicht: vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 60 f. sowie z. B. § 8 III S. 1 Heilberufe-Kammergesetz in Baden-Württemberg, der die Aufsicht auf eine Rechtsaufsicht beschränkt „soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt“. 44 Vgl. dazu § 87 II SGB IV, auf den Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 85 in diesem Zusammenhang hinweist. 45 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 56.
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de Satzungsautonomie der Selbstverwaltungskörperschaften verwiesen. 46 Mag diese Argumentation im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, für die das Problem der Genehmigungsvorbehalte schwerpunktmäßig diskutiert wird, in Art. 28 II 1 GG noch eine gewisse Stütze finden, 47 so ist sie für den Bereich funktionaler Selbstverwaltung zurückzuweisen: Wie bereits soeben dargelegt wurde, 48 ist die Beschränkung der Staatsaufsicht auf die Rechtsaufsicht gegenüber Trägern funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften zwar die Regel, muss aber nicht notwendigerweise erfolgen. 49 Die Selbstverwaltungskörperschaft kann ebenso einer teilweisen oder punktuellen Fachaufsicht unterstellt werden. Auch eine vollständige Unterstellung der Körperschaft unter die Fachaufsicht wäre grundsätzlich rechtlich denkbar, da funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften grundsätzlich kein von verfassungswegen garantierter Status von Autonomie zukommt 50. In der Praxis wird die Anordnung einer umfassenden Fachaufsicht allerdings in den meisten Fällen im Widerspruch zu der Intention des Gesetzgebers stehen, die er mit der Errichtung des Selbstverwaltungsträgers verfolgt. 51 Da der Bestand funktionaler Selbstverwaltung verfassungsrechtlich nicht geschützt ist, verfängt auch das Argument der Satzungsautonomie nicht. Autonomie kommt der vom Gesetzgeber errichteten Körperschaft eben nur in dem Maße zu, in dem sie ihr im Errichtungsgesetz gewährt wird. 52 Bei der Anordnung eines Genehmigungsvorbehaltes im Errichtungsgesetz ist die Autonomie also von vornherein begrenzt.
46 Vgl. darstellend: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 59 ff., 62; Werner Weber, in: Aktuelle Probleme der Kommunalaufsicht, 1963, S. 17 ff.; insbes. S. 28 ff., der eine Beschränkung auf eine Zweckmäßigkeitskontrolle bei „echte[n] Vorgänge[n] der kommunalen Selbstverwaltung“ (S. 28) annimmt und so zwischen diesen Fällen und Konstellationen differenziert, in denen der Genehmigungsvorbehalt ein „echtes materiales Beteiligtsein des Staates“ (S. 24) ausdrückt. Allerdings räumt er ein, dass eine genaue Unterscheidung zwischen den verschiedenen Kategorien schwierig ist (S. 25). 47 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 59 m.w. N.; vgl. aber auch Gönnenwein, in: GS für Jellinek, 1955, S. 511, 524 ff. 48 Vgl. Teil 2 Kap. 1 B. II. 2. a). 49 Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149. 50 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 59 ff. Mögliche Ausnahmen im Hinblick auf grundrechtlich verankerte Selbstverwaltung (Rundfunk, Hochschule) sollen hier außer Betracht bleiben. Anders Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 524 ff., 527, der sowohl die Einführung von Weisungsrechten als auch einer Fachaufsicht als rechtfertigungsbedürftigen Systembruch betrachtet. Diese Auffassung ist angesichts der Tatsache, dass die funktionale Selbstverwaltung nicht verfassungsrechtlich geschützt ist, abzulehnen. 51 Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 149. 52 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 61.
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Kann also nicht generell für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung von einer garantierten Satzungsautonomie und somit der Beschränkung der Staatsaufsicht auf die Rechtsaufsicht als Regel ausgegangen werden, so muss die Auslegung eines Genehmigungsvorbehaltes auf die ursprünglichen RegelAusnahme-Verhältnisse der Verfassung abstellen. Die grundgesetzlich vorgesehene Regel der Verwaltungsorganisation ist, wie Art. 65 GG zeigt, die hierarchisch gegliederte Ministerialverwaltung mit umfassender Leitungsbefugnis des zuständigen Ministers. Funktionale Selbstverwaltungskörperschaften sind zwar aus dieser hierarchischen Organisation ausgegliedert, das heißt aber nicht, dass das grundgesetzliche Regelmodell damit vollständig an Bedeutung verliert. Bei der Bestimmung des Umfanges des Genehmigungsvorbehaltes im Wege der Auslegung spricht die grundsätzlich bestehende umfassende Leitungsbefugnis des Ministers für ein Verständnis des Genehmigungsvorbehaltes im Sinne einer Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung. 53 Damit geht die legitimatorische Relevanz eines Genehmigungsvorbehaltes zwar über die schon durch die Gesetzesbindung vermittelte Legitimation hinaus. Seine Legitimationskraft ist aber dennoch nicht überzubewerten: Auch in diesem Zusammenhang ist erneut auf das fehlende Initiativrecht der Genehmigungsbehörde hinzuweisen. Der Genehmigungsvorbehalt stellt sich letztlich als reines Vetorecht dar, so dass zwar ein Verwaltungshandeln verhindert werden kann, das dem Willen der Genehmigungsbehörde widerspricht, nicht aber der Wille der Behörde positiv umgesetzt werden kann. Hinzu kommt, dass eine große Anzahl der gängigen Genehmigungsvorbehalte, die punktuelle Maßnahmen, also konkrete Einzelfallentscheidungen des Selbstverwaltungsträgers betreffen, vor allem den Sinn haben, den betreffenden Selbstverwaltungsträger vor zu hohen finanziellen Belastungen zu schützen und nicht etwa dem Willen der Aufsichtbehörde Durchschlagskraft verleihen sollen. 54 Auch sofern der Erlass einer Satzung als autonomer Rechtssetzungsakt einer Genehmigung bedarf, ist die hierdurch vermittelte Legitimation nicht zu hoch zu veranschlagen: Die Satzung kann mangels Initiativrecht nicht inhaltlich im Sinne der Aufsichtsbehörde geändert werden, sondern nur gleichsam als Gesamtpaket angenommen werden oder durch Genehmigungsverweigerung verhindert werden. Da die Satzung selber nur abstrakte Regelungen trifft, teilt hierbei auch ihre Genehmigung diesen abstrakten Charakter. Auch aus diesem Grund ist die Legitimationswirkung der Genehmigung eingeschränkt: Die Satzung lässt noch verschiedene Konkretisierungen im Einzelfall zu, die ihrerseits nicht genehmigungspflichtig sind.
53 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 63 f. 54 Vgl. im Rahmen seiner Differenzierung Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 242: „In Wahrheit ist nur die Möglichkeit der Selbstverwaltungsträger, ‚auf eigene Kosten Dummheiten zu machen‘, eingeschränkt.“
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Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, das die legitimatorische Wirkung eines Genehmigungsvorbehaltes – auch wenn von einer Befugnis der genehmigenden Behörde zur Zweckmäßigkeitsprüfung ausgegangen wird – nicht sehr hoch ist. III. Ausprägung der sachlich-inhaltlichen Steuerung bei Lippeverband und Emschergenossenschaft Nachdem zunächst die Besonderheiten behandelt wurden, die allgemein für die Steuerungs- und Lenkungskraft der einzelnen Elemente der sachlichen Legitimation im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung bestehen, soll im folgenden kurz auf die Situation der Wasserverbände Emschergenossenschaft und Lippeverband eingegangen werden. 1. Sachlich-inhaltliche Vorgaben a) Haushaltsgesetz Im Hinblick auf das Haushaltsgesetz ist festzustellen, dass dieses entsprechend den obigen Ausführungen zur Steuerungswirkung des Haushaltsgesetzes gegenüber funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften im Allgemeinen auch für die Wasserverbände nur eine sehr begrenzte Steuerungswirkung hat: Nach den Errichtungsgesetzen für die Wasserverbände besteht die Möglichkeit, von der Erstellung eines Haushaltsplanes abzusehen und stattdessen einen Wirtschaftsplan aufzustellen (§ 22a LippeVG; § 21a EmscherGG), wovon auch Gebrauch gemacht wird (vgl. § 15 I der jeweiligen Satzungen). Dieser Wirtschaftsplan bedarf abweichend zu den für den Haushaltsplan in § 108 LHO grundsätzlich vorgesehenen Genehmigungen lediglich der Anzeige gegenüber der Aufsichtsbehörde (§ 21a VI EmscherGG; § 22a VI LippeVG). Eine Steuerung durch das Haushaltsgesetz des Parlamentes erfolgt somit nur mittelbar, soweit zweckgebundene Zuschüsse aus staatlichen Mitteln gewährt werden hinsichtlich der Verwendung dieser Gelder. b) Sachlich-inhaltliche Vorgaben durch Gesetz und Rechtsverordnung Untersucht man die sachlich-inhaltlichen Vorgaben im Übrigen, so ist zunächst das Errichtungsgesetz selbst zu nennen, in dem Gebiet (§ 5 LippeVG; § 4 EmscherGG), Mitglieder (§ 6 LippeVG; § 5 EmscherGG), Aufgaben sowie Unternehmen des Verbandes bzw. der Genossenschaft (§ 2 ff. LippeVG; § 2 f. EmscherGG) und Pflichten der Mitglieder und Dritter (§ 7 f. LippeVG; § 6 f. EmscherGG) festgelegt werden. Auch der Mindestinhalt der Satzung (§ 11
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LippeVG; § 10 EmscherGG) sowie die Aufgaben der verschiedenen Organe werden benannt (§§ 14, 17, 20 LippeVG; §§ 13, 16, 19 EmscherGG). Im Rahmen der hier interessierenden inhaltlichen Steuerungswirkung des Errichtungsgesetzes ist festzustellen, dass diesem nur bedingt Steuerungscharakter zukommt. Die Aufgaben des Verbandes bzw. der Genossenschaft werden lediglich genannt und umschrieben und die Unternehmen des Verbandes werden definiert als Planung, Bau, Betrieb und Unterhaltung der für die Aufgabenerledigung notwendigen Anlagen sowie alle sonstigen für die Durchführung der Aufgaben erforderlichen Ermittlungen und Arbeiten. Das Bundesverwaltungsgericht spricht von global-handlungssteuernden Regelungen, die konkrete Zielvorgaben für das Handeln der Organe der Verbände vermissen lassen. 55 Zwar sind durch die Zuweisung der Aufgaben an die Verbände und die Bereitstellung eines Instrumentariums zur Aufgabenerfüllung in der Tat nur bedingt inhaltliche Vorgaben über die Wahrnehmung der Aufgaben und die Zielsetzung getroffen. Die im Bereich der Wasserwirtschaft maßgeblichen Zielvorgaben werden aber durch anderweitige Vorschriften gesetzt: Zu nennen sind hier insbesondere das Wasserhaushaltsgesetz (z. B. § 1 a, § 31 WHG) und das nordrheinwestfälische Landeswassergesetz (§ 2 LWG NRW). Ferner ist für den Bereich der Abwasserbeseitigung das Abwasserabgabengesetz und die Abwasserverordnung des Bundes zu nennen. Für die den Verbänden aufgegebene Beseitigung der bei der Aufgabenwahrnehmung anfallenden Abfälle bzw. im Hinblick auf Klärschlamm sind das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz des Bundes sowie das nordrhein-westfälische Landesabfallgesetz anzuführen. Des Weiteren sind die Vorgaben des Planungsrechts (ROG; nordrhein-westfälisches Landesplanungsrecht) zu beachten (vgl. § 2 III LWG NRW): Die in den Gebietsentwicklungsplänen bzw. Regionalentwicklungsplänen enthaltenen Ziele zur Gewässerbewirtschaftung, die von den zuständigen Landesbehörden erlassen werden, sind damit ebenfalls zu beachten. Auch wenn das Errichtungsgesetz somit keine konkreten Zielvorgaben setzt, ist festzuhalten, dass im Bereich des Wasserrechts ein relativ dichtes Netz an Zielvorgaben besteht. 56 c) Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungsrecht Zu den inhaltlichen Vorgaben durch Gesetze, Verordnungen und den planungsrechtlichen Zielvorgaben treten zahlreiche Verwaltungsvorschriften, die den Aufgabenbereich der Wasserverbände betreffen. 57 Nicht immer ist dabei 55
BVerwGE 106, S. 64, 81 f.; NVwZ 1999, S. 870, 875. Vgl. im Ganzen dazu: Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 71 ff. 56
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aber ersichtlich, inwieweit diese Vorschriften auch gegenüber den funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften der Wasserverbände Geltung beanspruchen können. 58 Es besteht insoweit weder in der Landesverfassung noch einfachgesetzlich eine Regelung, die allgemein eine Geltung der Verwaltungsvorschriften auch für funktionale Selbstverwaltungsträger anordnet: Die Vorschrift des Art. 56 II Verfassung NRW, nach dem die „Landesregierung [...] die zur Ausführung eines Gesetzes erforderlichen Verwaltungsverordnungen [erlässt], soweit das Gesetz diese Aufgabe nicht einzelnen Ministern zuweist“, kann insoweit nicht als Ermächtigung angesehen werden, da sie lediglich deklaratorisch die Leitungsbefugnis der Exekutive festschreibt, ohne landesunmittelbare Körperschaften in Bezug zu nehmen. 59 Auch das nordrhein-westfälische Landesorganisationsgesetz (LOG NRW) enthält zwar einen Abschnitt zu Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§§ 18 ff. LOG), in dem ihre Errichtung und Aufhebung, ihre Mitwirkung bei der Landesverwaltung sowie die staatliche Aufsicht geregelt sind. Eine ausdrückliche Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften gegenüber diesen aus den Strukturen der Ministerialverwaltung ausgelagerten Verwaltungsträgern wird aber auch in diesem Gesetz nicht geregelt. Mangels einer allgemeingültigen gesetzlichen Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften gegenüber den Wasserverbänden müsste bezüglich jeder Ver57
Vgl. die Beispiele bei Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 72 ff., der allein für den Bereich der Abwasserbehandlung von ca. 50 Verwaltungsvorschriften spricht. 58 Vgl. zu dieser Problematik oben Teil 2 Kap. 1 B. II. 1. b). Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67 ff. geht auf diese Frage nicht ein und scheint die Geltung der Verwaltungsvorschriften gegenüber den Wasserverbänden vorauszusetzen. 59 In diese Richtung ist wohl auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 53 zu verstehen, der allgemein darauf hinweist, dass die Verfassungen keine Regelungen zu der Frage getroffen haben, wem die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zustehen soll, der Exekutivspitze oder den Selbstverwaltungskörperschaften. A. A. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 417 f., der Vorschriften der Landesverfassungen, auch wenn sie wie Art. 56 II der nordrhein-westfälischen Verfassung landesunmittelbare Körperschaften nicht ausdrücklich nennen, als Ausdruck dafür ansieht, dass die Landesregierungen auch diesen gegenüber zum Erlass von Verwaltungsvorschriften befugt sind. Er nimmt dies auch beim vollständigen Fehlen einer verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Regelung an. Die Befugnis folge aus „dem Gedanken der Verwaltungseinheit und den Prinzipien der parlamentarischen Kontrolle und der Ministerialverantwortlichkeit“ (S. 418). Dem ist jedoch nicht zu folgen. Jedenfalls soweit der Bereich der zugemessenen Selbstverwaltung betroffen ist, besteht diese Befugnis der Exekutivspitze gegenüber funktionalen Selbstverwaltungsträgern aus den oben dargelegten Gründen nicht. Die Kommentierungen des Art. 56 von Tettinger, in: Löwer / ders., Komm. zur Verf. NRW, 2002, Art. 56 sowie Dästner, Verf. NRW, 2002, Art. 56 gehen auf die Problematik der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften gegenüber Selbstverwaltungsträgern nicht ein.
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waltungsvorschrift geprüft werden, ob eine spezielle einfachgesetzliche Grundlage für ihre Geltung auch gegenüber den Wasserverbänden gegeben ist. 60 Aber selbst sofern von einer Geltung der Verwaltungsvorschriften gegenüber den Wasserverbänden ausgegangen wird, verdichten diese zwar die Zielvorgaben, die die Wasserverbände beachten müssen, die Auswahl, durch welche Maßnahmen und „Unternehmen“ diese Ziele angestrebt werden, sowie die Durchführung dieser Maßnahmen treffen die Wasserverbände aber in eigener Verantwortung. 61 Ein Einzelweisungsrecht der Exekutivspitze ist nicht vorgesehen. Sofern die Wasserverbände zur Durchführung ihrer Aufgaben ein Gewässer benutzen wollen, bedürfen sie nach § 13 S. 1 WHG einer Erlaubnis oder einer Bewilligung. 62 Auch dies bewirkt zwar eine gewisse Steuerung, da nach h. M. kein Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis oder Bewilligung besteht, auch wenn keine Versagungsgründe nach § 6 WHG vorliegen, so dass die Erteilung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegt. 63 Die Steuerungswirkung ist jedoch nicht über zu bewerten, da zum einen ein Initiativrecht der Behörde nicht gegeben ist und zum anderen ein Anspruch auf pflichtgemäßen Ermessensgebrauch besteht, wobei auch die Selbstbindung der Verwaltung durch zuvor erteilte Bewilligungen und Erlaubnisse zu beachten ist. d) Fazit Zusammenfassend lässt sich somit im Hinblick auf die Steuerung der Entscheidungen der Wasserverbände durch sachlich-inhaltliche Vorgaben sagen, dass das Aufgabengebiet, das den Verbänden zur Erledigung übertragen ist, zwar eine relativ dichte Normierung aufweist, den Verbänden aber hinsichtlich der Art und Weise der Aufgabenerfüllung Ermessensspielräume verbleiben, die nicht dem Einfluss der Exekutivspitze unterstehen.
60 Für die Abwasserbeseitigungspflicht findet sich eine solche Grundlage beispielsweise in § 54 III S. 2 i.V. m. § 53 Ia S. 5 LWG. 61 s. auch Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 80 ff. 62 Die Privilegierung in Satz zwei der Vorschrift, die eine Ausnahme von der Erlaubnisbzw. Bewilligungspflicht bei alten Rechten und Befugnissen vorsieht, ist gegenstandslos geworden. Die frühere Regelung des § 133 II 1 LWG NW 1962 (GVBl. NRW 1962, S. 235, 256), die eine solche Befugnis vorsah, ist 1979 entfallen (vgl. Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 75). 63 Vgl. Czychowski / Reinhardt, WHG Kommentar, 2003, § 6, Rn. 28.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
2. Kontrollinstrumente a) Aufsicht Die Aufsicht über die beiden Wasserverbände obliegt dem Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (§ 34 I LippeVG; § 33 I EmscherGG). Gemäß den Errichtungsgesetzen stellt die Aufsicht sicher, dass der Wasserverband die ihm „obliegenden Aufgaben und Pflichten nach geltendem Recht und im Einklang mit den wasserwirtschaftlichen Zielsetzungen des Landes erfüllt“ (§ 34 II LippeVG; § 33 II EmscherGG). Aus dieser Umschreibung der Aufsicht und ihrer ausdrücklichen Erstreckung auf die wasserwirtschaftlichen Ziele des Landes wird nun teilweise gefolgert, dass die Aufsicht neben einer Rechtsaufsicht auch Ansätze einer Fachaufsicht umfasse. 64 Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Bindung der Wasserverbände an die wasserwirtschaftlichen Ziele des Landes bedeutet nicht, dass in dieser Hinsicht die Zweckmäßigkeit des Handelns der Wasserverbände überprüft würde und somit das Recht zur fachaufsichtlichen Weisung bestünde. Vielmehr stellt die Bindung an die Ziele der Landesplanung einen Teil der Rechtsbindung dar: Das Raumordnungsgesetz des Bundes enthält in seinem Abschnitt II Bestimmungen über die Raumordnung in den Ländern. In Nordrhein-Westfalen sind in diesem Zusammenhang das Landesplanungsgesetz und das Landesentwicklungsprogramm zu nennen, das auf dessen Grundlage als Gesetz (§ 16 LPlG) beschlossen wird. Gestützt auf das Landesentwicklungsprogramm wird der Landesentwicklungsplan als Rechtsverordnung festgelegt (§§ 17, 18 I S. 2 LPlG). Die Regionalpläne als Raumordnungspläne für das Gebiet des jeweiligen Regierungsbezirks (§ 2 II, III LPlG) wiederum werden auf der Grundlage des Landesentwicklungsprogramms und -plans erlassen (§ 19 I LPlG). Sie werden durch die Genehmigung seitens der Landesplanungsbehörde Ziele der Raumordnung, die gem. §§ 4, 5 ROG von öffentlichen Stellen und Privaten in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu beachten sind (§ 22 I LPlG). Die in ihnen enthaltenen Grundsätze sind gem. § 4 ROG zu berücksichtigen (§ 22 II LPlG). Zwar enthalten die genannten Instrumente des Planungsrechts Zielvorgaben, die den Aufgabenbereich der Wasserverbände betreffen und die von diesen bei ihren Entscheidungen zu beachten sind. 65 Diese Bindung an die planungsrechtlichen Ziele des Landes ist jedoch Bestandteil der Gesetzesbindung, da zum einen 64 Vgl. BVerwGE 106, S. 64, 81 mit Verweis auf die Bindung an die Zielsetzungen des Landes; ebenso Tettinger / Mann, in: dies. / Salzwedel. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 1, 60; BVerfGE 107, S. 59, 97 ohne nähere Begründung. 65 Vgl. beispielsweise § 33 LEPro; Regionalplan des Regierungsbezirks Arnsberg für den Teilabschnitt Oberbereich Dortmund, östlicher Teil, Kreis Soest und Hochsauer-
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das Landesentwicklungsprogramm als Gesetz und der Landesentwicklungsplan als Rechtsverordnung erlassen wird, und zum anderen die Verbindlichkeit der Regionalpläne über § 22 II LPlG, §§ 4, 5 ROG gesetzlich bestimmt ist. Somit kann bei den Wasserverbänden aufgrund der dichten gesetzlichen Vorgaben zwar auch von einer entsprechend stark ausgeprägten Rechtsaufsicht ausgegangen werden, diese Aufsicht ist deshalb aber nicht als Fachaufsicht zu qualifizieren. 66 Auch die wasserwirtschaftlichen Ziele des Landes belassen den Entscheidungsträgern der Wasserverbände die Wahl, mit welchen Mitteln die vorgegebenen Ziele zu erreichen sind und lassen offen, wie die Abwägung widersprüchlicher Zielsetzungen im Einzelfall erfolgt. Die Zweckmäßigkeit der Entscheidung der Selbstverwaltungsträger unterliegt dabei nicht der Aufsicht des Ministeriums. Auch die Errichtungsgesetze selbst überschreiben den Abschnitt über die Aufsichtbefugnisse mit „Rechtsaufsicht“ 67. Hierbei umfassen die Aufsichtsbefugnisse Informationsrechte (§ 35 LippeVG; § 34 EmscherGG), das Recht zur Anordnung von Maßnahmen, zur Entscheidung über Beanstandungen und zur Ersatzvornahme bzw. zur Aufhebung von Maßnahmen (§ 36 LippeVG; § 35 EmscherGG). Sofern diese Aufsichtsbefugnisse nicht ausreichen, um eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Aufgaben durch den Wasserverband zu gewährleisten, kann als ultima ratio ein Beauftragter eingesetzt werden, der alle oder einzelne Aufgaben für den Verband wahrnimmt (§ 37 LippeVG; § 36 EmscherGG). Die legitimatorischen Wirkung dieser Aufsichtsinstrumente im Allgemeinen ist oben bereits dargelegt worden. 68 Für die Wasserverbände ergeben sich hier keine Besonderheiten. Des Weiteren bedürfen nach den Regelungen zur Aufsicht in den Errichtungsgesetzen einige Geschäfte zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde. Hierauf ist im Folgenden kurz einzugehen.
landkreis, der in seinem 9. Abschnitt Ziele im Hinblick auf die Wasserwirtschaft und Entsorgung aufstellt. Zu weiteren Vorgaben in Regionalplänen vgl. Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 78 ff. 66 Vgl. insoweit Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 69, 76 ff., der von einer erweiterten Rechtsaufsicht (S. 69) spricht und davon ausgeht, dass „die Notwendigkeit eines fachaufsichtlichen Einschreitens schon im Vorfeld abgefangen“ wird (S. 76). Auch das BVerwG spricht zwar von Ansätzen einer Fachaufsicht, nennt aber in diesem Zusammenhang auch die gesteigerte Gesetzesbindung (BVerwGE 106, S. 64, 81). 67 Vgl. zur Darstellung der Aufsichtsbefugnisse im Einzelnen auch BVerfGE 107, S. 59, 97 f. 68 Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. b) bb) (1).
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
b) Genehmigung Die Errichtungsgesetze von Lippeverband und Emschergenossenschaft sehen Genehmigungen durch die Aufsichtsbehörde zunächst bei einer Übernahme bestimmter Aufgaben durch den Wasserverband vor, die ohne eine solche Übernahme anderen Personen oder Verwaltungsträgern obliegen würden (§ 2 II S. 3, 4, § 4 I LippeVG; § 2 II S. 3, 4; III EmscherGG). Ferner ist für bestimmte Geschäfte, wie beispielsweise die unentgeltliche Veräußerung von Vermögensgegenständen mit erheblichem Wert oder die Übernahme von Bürgschaften, die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde erforderlich (§ 38 LippeVG; § 37 EmscherGG). Von den insoweit angeordneten Genehmigungspflichten gehen auch bei einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit des genehmigungsbedürftigen Vorhabens 69 keine nennenswerten Steuerungswirkungen aus. Sie dienen in erster Linie dem Schutz des Wasserverbandes vor einer (wirtschaftlichen) Überlastung. Auch der Genehmigungsbedürftigkeit der Satzung des Verbandes bzw. der Genossenschaft (§ 11 II LippeVG; § 10 II EmscherGG) kommt aufgrund ihres bloßen Vetocharakters und der Abstraktheit der genehmigungspflichtigen Satzung selbst nur eine sehr begrenzte legitimatorische Wirkung zu. 70
C. Das Legitimationsniveau Nachdem nun sowohl die personelle als auch die sachlich-inhaltliche Legitimation für die beiden Wasserverbände als funktionale Selbstverwaltungsträger dargestellt wurden, soll im Folgenden kurz auf das Legitimationsniveau eingegangen werden, das durch das Zusammenwirken beider Faktoren erreicht wird. Nach dem Ergebnis der obigen Untersuchung ist eine organisatorisch-personelle Legitimation bei den Wasserverbänden nicht gegeben. Somit stellt sich die Frage, ob dieser Ausfall durch die sachlich-inhaltliche Legitimationskomponente ausgeglichen werden kann. Eine solche Totalsubstitution der personellen durch die materielle Legitimation setzt voraus, dass die Entscheidungen des in Frage stehenden Verwaltungsträgers durch die sachlich-inhaltlichen Vorgaben derart vorherbestimmt sind, dass diesem kein Ermessensspielraum mehr verbleibt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Entscheidungsgehalt der durch den Verwaltungsträger zu treffenden Maßnahmen darin besteht, den Einzelfall unter die normativen Vorgaben zu subsumieren und diese so im Einzelfall anzuwenden. 71
69 70 71
Dazu Teil 2 Kap. 1 B. II. 2. b). Vgl. dazu schon oben Teil 2 Kap. 1 B. II. 2. b). Vgl. dazu die Ausführungen unter Teil 1 Kap. 2 D. IV. 3.
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Von einer derartigen Determinierung der Ausübung von Staatsgewalt durch sachlich-inhaltliche Vorgaben kann bei den Wasserverbänden nach den obigen Ausführungen jedoch nicht die Rede sein: Zwar besteht für den Aufgabenbereich, der den Wasserverbänden zur Wahrnehmung überlassen wird, ein dichtes Netz an gesetzlichen Regelungen, es bleiben aber Ermessenspielräume hinsichtlich der Auswahl der Maßnahmen, die getroffen werden können, um die gesetzlich vorgegebenen Ziele zu erreichen. 72 Solange der Wasserverband bei der Ausschöpfung dieser Ermessensspielräume rechtmäßig handelt, kann die Zweckmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen nicht von der Exekutivspitze überprüft oder beeinflusst werden. Ihr steht kein Weisungsrecht zu. Da somit die Ausprägung der sachlichinhaltlichen Vorab-Bestimmung der Entscheidungen mangels Weisungsrecht und der nur eingeschränkten Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften bei den Wasserverbänden hinter dem Regelniveau der sachlich-inhaltlichen Legitimation zurückbleibt, kommt eine Totalsubstitution der personellen Legitimation nicht in Betracht. Dieses Ergebnis, nach dem eine Totalsubstitution der personellen Legitimation durch den sachlich-inhaltlichen Legitimationsfaktor ausscheidet, ist dabei keine Besonderheit der Wasserverbände, sondern stellt einen Befund dar, der auf andere Selbstverwaltungsträger übertragbar sein dürfte: Dies liegt darin begründet, dass gerade die den Selbstverwaltungsträgern zustehenden Entscheidungsspielräume ihr Selbstverwaltungsrecht ausmachen. Einer derart starke VorabBestimmung der Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger durch sachlich-inhaltliche Vorgaben, wie sie für eine Totalsubstitution zu fordern ist, wird im Bereich funktionaler Selbstverwaltung daher kaum je gegeben sein, da dann der Sinn und Zweck dieser Organisationsform in Frage gestellt wäre. Da somit das verfassungsrechtlich vorgegebene Legitimationsniveau durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften nicht erreicht wird, stellt sich die Frage, ob dieses legitimatorische Defizit kompensiert oder gerechtfertigt werden kann. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
72
Vgl. insoweit Salzwedel, in: Tettinger / Mann. / ders. (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 67, 80 ff.
210
Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Kapitel 2
Die verschiedenen Legitimationsmodelle im Hinblick auf Lippeverband und Emschergenossenschaft Zu Beginn der Fragestellung, ob das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung kompensiert oder gerechtfertigt werden kann, sei noch einmal kurz der Zusammenhang zum oben untersuchten Volksbegriff verdeutlicht: Für die Anhänger eines pluralistischen Demokratieverständnisses, die unter dem Volksbegriff nicht das Kollektiv des deutschen Volkes verstehen, sondern auf das Merkmal der Betroffenheit abstellen, stellt sich das Problem eines personellen Legitimationsdefizits der funktionalen Selbstverwaltung nicht. Die personelle Legitimation erfolgt hiernach durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft, die als Betroffene ein taugliches Legitimationssubjekt darstellen. Eine Bestimmung des Volksbegriffes nach der Maßgabe des Betroffenenkriteriums ist oben bereits eingehend untersucht und kritisch hinterfragt worden. Danach ist das Kriterium der Betroffenheit untauglich zur Bestimmung des Volksbegriffes, so dass eine derartige Lösung des Legitimationsproblems ausscheidet.
A. Zulassung von Teilvölkern oder autonome Legitimation Teilweise wird in der Literatur auch von Vertretern, die den Volksbegriff des Art. 20 II GG als Staatsvolk definieren, die Bildung von Teilvölkern zugelassen. Der Volksbegriff des Art. 20 II GG definiert sich nach dieser Ansicht zwar nicht über die Herrschaftsbetroffenheit, 73 aber die Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften werden dennoch als Teil- oder auch „Verbandsvolk“ angesehen, das Legitimation vermitteln kann. 74 Die Begründungen für diese Annahme gehen im Einzelnen auseinander. Insbesondere kann unterschieden werden zwischen Auffassungen, nach denen die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft als Teilvolk im Rahmen des Art. 20 II GG Legitimation vermitteln 75 und Theorien, nach denen diese Mitglieder zwar nicht als (Teil-)Volk im Rahmen des Art. 20 II GG angesehen werden, aber dennoch eine Legitimation
73
So ausdrücklich Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 130 f. Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 56 ff.; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 248 ff., insbes. 253 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 386 ff.; Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 131 ff. 75 So insbesondere Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 56 ff; wohl auch Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 131 ff. 74
Kap. 2: Die verschiedenen Legitimationsmodelle
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vermitteln können, die neben die Legitimationsvermittlung nach Art. 20 II GG tritt. 76 Ungeachtet dieser Unterschiede sollen beide Ansichten hier zusammengefasst dargestellt werden, da sie zum einen letztlich beide auf der Grundannahme beruhen, dass die grundgesetzliche Demokratie mit der Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten durch Betroffene vereinbar ist. 77 Zum anderen sehen sich alle Vertreter, die die Bildung von Teilvölkern zulassen oder eine autonome Legitimation annehmen, aufgrund dieser gemeinsamen Grundüberzeugung derselben Kritik ausgesetzt. Im Folgenden werden nun die einzelnen Argumente, die für eine Legitimationsvermittlung durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft herangezogen werden, dargestellt und kritisch beleuchtet. I. Art. 28 II GG und Art. 87 II, III, 130 GG Zur Begründung der Annahme eines Teilvolkes bzw. der Vermittlung autonomer Legitimation durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft wird zum einen auf Art. 28 II GG verwiesen, aus dem hervorgehe, dass das Grundgesetz auch unterhalb des Gesamtvolkes Teilvölker anerkenne. Ferner wird auf Art. 87 II, III und Art. 130 GG hingewiesen. Diesen Vorschriften sei zu entnehmen, dass das Grundgesetz die Bildung von dezentralen Körperschaften des öffentlichen Rechts zuließe. Erkenne man ihre Mitglieder aber nicht als Teilvolk an, wäre mangels personeller Legitimation das Demokratieprinzip nicht gewahrt, folglich müssten Art. 87 und 130 GG als Ausformung des Demokratieprinzips angesehen werden. 78 Beide Begründungen vermögen nicht zu überzeugen: Zum Verweis auf Art. 28 II GG gilt das bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung des Staatsvolkes gesagte. 79 Aufgrund der staatsanalogen Struktur der Völker in den Ländern, Krei76
So Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 322 ff., 384 f., 387 f., 402 ff.; wohl auch Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 248 ff., insbes. S. 253, der von einer „eigenständigen Legitimation“ spricht. Allerdings wird dieser Aspekt in seinen Ausführungen nicht so deutlich, weshalb er wohl von Emde so verstanden wird, als erfolge die Legitimation im Rahmen des Art. 20 II GG (Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 323). Einordnung wie hier: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 494 f.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 94 ff., deutlich S. 95. 77 Vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 59; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 253, 259; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 384 f., 387. 78 So Ehlers, in: FS für Ekkehart Stein, 2002, S. 125, 132 f.; vgl. auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 89; ders., VerwArch 81 (1990), S. 349, 358; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 256 mit Rn. 84, 261.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
sen und Gemeinden verbietet sich eine analoge Anwendung des Art. 28 II GG auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften. 80 Auch die Tatsache, dass das Grundgesetz in Art. 87 II, III, Art. 88 und Art. 130 GG die Existenz bzw. die Errichtung von Körperschaften des öffentlichen Rechts vorsieht, macht diese Vorschriften nicht zu Ausführungsvorschriften des Demokratieprinzips. Man kann aus diesen Vorschriften unter Hinweis auf den sonst entstehenden Widerspruch zu Art. 20 GG also keinen Rückschluss auf das Legitimationssubjekt des Art. 20 GG ziehen. Zum einen treffen diese Bestimmungen keine explizite Aussage über die Qualifizierung der Mitglieder der Körperschaften als Teilvölker. Zum anderen wird eine solche Anerkennung von legitimationsvermittelnden Teilvölkern durch die Vorschrift auch nicht impliziert oder vorausgesetzt: Regelungszusammenhang der Art. 87 und 88 GG ist nicht das demokratische Prinzip, sondern die Ausführung der Bundesgesetze durch die Bundesverwaltung. Dieser Regelungszusammenhang erlaubt es nicht, aus der Vorschrift Rückschlüsse über das Demokratieprinzip zu ziehen. 81 Das Legitimationssubjekt des Art. 20 GG und die Qualifizierung der Mitglieder von Selbstverwaltungskörperschaften als legitimationsvermittelnde Teilvölker kann also den Art. 87, 88 GG nicht entnommen werden. Auch Art. 130 III GG, in dem bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts der Aufsicht der zuständigen obersten Bundesbehörde unterstellt werden, ist keine Ausformung des Demokratieprinzips zu entnehmen: Diese Bestimmung befindet sich im elften Abschnitt des Grundgesetzes, der gemäß seinem Titel Übergangs- und Schlussbestimmungen beinhaltet. Es geht hier also um Körperschaften, die bereits vor der Errichtung des Grundgesetzes bestanden haben. Sie werden in das durch das Grundgesetz geschaffene System der Verwaltungsorganisation insofern eingeordnet, als sie der Aufsicht des Bundes unterstellt werden. Diesem Umstand ist aber keine Aussage über ihre demokratische Legitimation nach dem Grundgesetz zu entnehmen. Auch wenn nach allgemeiner Ansicht der Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift, der das Fortbestehen vorkonstitutioneller Verwaltungseinrichtungen in das Ermessen der Bundesregierung stellt, nur für die unmittelbare Staatsverwaltung gilt, 82 spricht der Übergangscharakter des Art. 130 GG dagegen, diese Vorschrift als Ausformung des Demokratieprinzips anzusehen. 79
Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. e). Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 502 f.; vgl. auch BVerfGE 83, S. 37, 55. 81 Vgl. auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 386; vgl. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 89; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 503, 552. 82 Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 130, November 1962, Rn. 7; Mager, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 3, 4. / 5. Aufl., 2003, Art. 130, Rn. 2, 9; a. A. H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, 10. Aufl., 2004, Art. 130, Rn. 1. 80
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Eine andere und hiervon zu trennende Frage ist, ob die Bestimmungen der Art. 86 ff. GG, 130 III GG (insbesondere Art. 87 GG) vor dem Hintergrund der Einheit der Verfassung als Ausnahmen oder Modifikationen zum grundgesetzlichen Demokratieprinzip aufgefasst werden können. Nach diesem Ansatz würden Art. 87 und 88 GG zwar nicht die Qualifizierung der Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften als Teilvölker und somit als Legitimationssubjekt begründen. In diesen Bestimmungen wäre aber eine verfassungsrechtliche Grundlage für den Gesetzgeber zu sehen, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten und das von Art. 20 GG geforderte Legitimationsniveau insoweit abzusenken. 83 Auf diese Möglichkeit der Rechtfertigung des Legitimationsdefizits der funktionalen Selbstverwaltung wird später noch gesondert einzugehen sein. 84 II. Selbstverwaltung als Realisationsmodus des demokratischen Prinzips Die wohl umfassendste Begründung einer autonomen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften liefert Emde, der die Gedanken Brohms 85 zur demokratischen Komponente der Selbstverwaltung weiterführt: Er sieht die funktionale Selbstverwaltung als Realisationsmodus des demokratischen Prinzips an. Die demokratische Binnenstruktur des jeweiligen Selbstverwaltungsträgers vermittle danach eine autonome Legitimation, die neben die des Art. 20 II GG trete. 86 Die nach Art. 20 II GG geforderte demokratische Legitimation durch das Staatsvolk werde durch diese autonome Legitimation kompensiert, so dass eine mangelnde Steuerung durch das Staatsvolk durch eine Steuerung der Betroffenen substituiert werde. 87 Eine solche Argumentation sieht sich gleich mehreren Einwänden ausgesetzt. Schon ihre Grundannahme geht fehl: Zwar haben sowohl die Selbstverwaltung als auch die Volkssouveränität des Art. 20 II S. 1 GG den Gedanken der Selbstbestimmung als gemeinsame Wurzel. Dies ist jedoch lediglich ein staatstheoretischer oder ideeller Zusammenhang, aus dem sich für das geltende Verfassungsrecht keine Rückschlüsse ziehen lassen. Insoweit lassen sich dieselben Argu83 In diesem Sinne Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 503, 537 ff. 84 Vgl. unten Teil 2 Kap. 2 E. 85 Vgl. die Anklänge bei Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 253, 266. 86 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 382 ff. 87 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 387. Ähnlich Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 118 f., der auch von einer Kompensation spricht.
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mente anführen, die schon dem Versuch einer Bestimmung des Volksbegriffes in Art. 20 GG aus dem Gedanken der Menschenwürde und der Selbstbestimmung entgegengehalten wurden. 88 Es kann also nicht durch einen Rückgriff auf die hinter dem von der Verfassung errichteten Demokratiegebot stehende Idee der Selbstbestimmung begründet werden, dass sowohl die Steuerung der Ausübung von Staatsgewalt durch das Staatsvolk in seiner Gesamtheit, als auch die Steuerung durch eine Gruppe von Betroffenen der Verwirklichung des demokratischen Prinzips dienen. Bei dem von Art. 20 II GG aufgestellten Demokratiegebot geht es nicht um die Verwirklichung irgendeiner abstrakten Idee von Demokratie. Es ist vielmehr die Demokratie, wie sie das Grundgesetz regelt, zu verwirklichen. Das Grundgesetz sieht Demokratie aber nicht als bloße Form der Rechtfertigung von Herrschaft an, die sich auf beliebige Personenverbände als Legitimationssubjekte beziehen kann. 89 Vielmehr gibt Art. 20 II S. 1 GG mit dem „Volk“ das Legitimationssubjekt vor. Mit der Formulierung „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“ gründet sich das Demokratieprinzip des Grundgesetzes auf die Volkssouveränität. 90 Volkssouveränität und Demokratieprinzip sind somit durch das Grundgesetz aufeinander bezogen, sie sind jedoch nicht gleichzusetzen. Volkssouveränität hatte in ihrem Ursprung mit Demokratie nichts gemein: Sie diente im Hochmittelalter dazu, dem Kaiser als weltlichen Herrscher, der bis dato als Herrscher von Gottes Gnaden angesehen wurde, gegenüber dem Papst, der seine Machtstellung ebenfalls von Gott ableitete, eine eigenständige, gleichwertige Position zu verschaffen, so dass er sich nicht dem Papst unterzuordnen hatte. Dies erfolgte dadurch, dass der Kaiser nicht länger als Herrscher von Gottes Gnaden angesehen wurde, sondern als Herrscher, der seine Macht vom Volk herleitet. Diese Machtherleitung vom Volk wurde jedoch vorwiegend lediglich theoretisch konstruiert, ohne dass dazu eine tatsächliche Machtübertragung oder gar periodisch wiederkehrende Wahlen erforderlich gewesen wären. 91 Im Grundgesetz wird nun das Prinzip der Volkssouveränität nach Art. 20 II S. 1 GG mit dem der Demokratie zusammengeführt: Die Staatsgewalt geht danach nicht nur vom Volk aus, sondern das Volk übt diese gem. Art. 20 II S. 2 GG auch aus: „Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen [...] ausgeübt.“ In Art. 20 II GG wird also dem Legitimationsziel der Volkssouveränität (S. 1) das Demokratieprinzip als Mittel (S. 2) an die Seite gestellt. 92 Durch diese Verbindung von Volkssou88
Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. b) bb). So aber Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 396: „Demokratie ist eben eine Form der Herrschaftsorganisation bzw. -rechtfertigung, die sich – begrifflich gesehen – ebenso auf das Staatsvolk wie einen Fußballverein [...] beziehen lässt.“ 90 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 155. 91 Vgl. zum Ganzen: Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 34, 35. 92 Zur Bestimmung des Verhältnisses von Volkssouveränität zur Demokratie als Ziel und Mittel vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 161. 89
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veränität als Ziel und der Herrschaftsform der Demokratie als Mittel zu ihrer Verwirklichung ist die Demokratie des Grundgesetzes nicht indifferent gegenüber ihrem Legitimationssubjekt, sondern stets bezogen auf die Verwirklichung der Souveränität des deutschen Staatsvolkes. 93 Diese Zielgerichtetheit des demokratischen Prinzips auf die Verwirklichung der Volkssouveränität steht einer Verortung der funktionalen Selbstverwaltung im Demokratieprinzip entgegen: Zum einen ergibt sich aus ihr eine Monopolstellung des Staatsvolkes als Legitimationsquelle. 94 Zum anderen kann aufgrund dessen eine Binnenstruktur der Selbstverwaltungskörperschaft, die es erlaubt, die Entscheidungen der Körperschaft mittels Wahlen, Mehrheitsentscheidungen und Repräsentativorganen auf die Mitglieder zurückzuführen, nicht als Verwirklichung des grundgesetzlichen demokratischen Prinzips angesehen werden. 95 Ein Mangel in der Rückführbarkeit von Staatsgewalt auf das Staatsvolk kann somit nicht ersetzt werden durch eine Rückführbarkeit auf eine Gruppe von Betroffenen, da keine Zielidentität dieser beiden Rückführungsstränge gegeben ist. 96 Des Weiteren kann einer Konzeption, die funktionale Selbstverwaltung aufgrund der Selbstbestimmung Betroffener als Realisationsart des demokratischen Prinzips ansieht, eine gewisse Widersprüchlichkeit vorgeworfen werden: Dieselben Gründe, die gegen eine Interpretation des Volksbegriffes anhand des Kriteriums der Betroffenheit sprechen, 97 sprechen auch dagegen, gemäß der Herrschaftsbetroffenheit weitere Legitimationssubjekte neben dem Staatsvolk anzuerkennen. Anders gesagt, birgt es einen gewissen Widerspruch in sich, wenn einerseits an der Definition des Volkes als Staatsvolk festgehalten wird, dann 93
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 498. Ebenso Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 512 f.; anders Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 388, 402. 95 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 497 ff., der daher auch die Bezeichnung als „demokratische Binnenstruktur“ ablehnt. Art. 21 I S. 3 GG kommt insofern Ausnahmecharakter zu. Dies folgt zum einen daraus, dass die Übertragung demokratischer Grundsätze auf die innere Organisation der Parteien vom Grundgesetz ausdrücklich angeordnet wird und zum anderen aus der besonderen Stellung der Parteien als Mittler zwischen Volks- und Staatswillensbildung [s. dazu oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. c) bb)]. Siehe dazu auch: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 498 f.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004: „Eine auf egalitäre Beteiligungschancen gegründete Binnenorganisation dagegen kann die notwendige demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nicht ersetzen, da sie im Beziehungsrahmen der engeren Beteiligtengemeinschaft verharrt.“ Zur Gegenansicht vgl. insbes.: Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 382 ff., 405 ff.; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 184 ff. 96 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip- und Kondominialverwaltung, 1993, S. 514. 97 s. dazu oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 94
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aber gestützt auf Argumente, die schon eine Definition des Volksbegriffes über die Betroffenheit nahe legen würden, neben dem Staatsvolk kleinere Einheiten von Betroffenen als Legitimationssubjekte anerkannt werden. Die Zerrissenheit einer solchen Argumentation wird insbesondere in folgender zusammenfassenden Aussage Emdes deutlich: „Es gibt zwar keine Form demokratischer Legitimation, die am Staatsvolk vorbeiführt, wohl aber gibt es Legitimationsformen, die ihren personalen Bezugspunkt nicht allein im Staatsvolk haben.“ 98 Sofern damit eine Rückanbindung der Selbstverwaltungskörperschaften an das Gesamtvolk mittels parlamentarischen Errichtungsgesetzes bzw. anderweitiger gesetzlicher Vorgaben angesprochen ist, 99 hätte diese einer näheren Betrachtung bedurft. Allein sie hat das vom Grundgesetz vorgegebene Legitimationssubjekt zum Bezugspunkt. Ausführungen, inwiefern bei Trägern funktionaler Selbstverwaltung das Errichtungsgesetz an die Stelle der individuellen Berufungsakte treten kann, finden jedoch im Modell der autonomen Legitimation keine Erwähnung, da die von den Mitgliedern abgeleitete personelle Legitimation diesen Platz einnimmt. III. Mitgliedschaftlich-partizipatorische Legitimation Eine andere Spielart des Modells einer autonomen Legitimation 100 scheint den oben aufgeführten Kritikpunkten, insbesondere der Kritik an der These des Gleichklangs zwischen Demokratie und Selbstverwaltung, auszuweichen: Auch nach diesem Modell wird eine autonome Legitimation über eine mitgliedschaftlich-partizipatorische Komponente erreicht. Im Unterschied zum Modell autonomer Legitimation nach Emde wird aber ausdrücklich anerkannt, dass Demokratie und Selbstverwaltung nicht gleichgesetzt werden können 101 und dass die autonome Legitimation Mängel in der demokratischen Legitimation nicht kompensieren oder letztere gar vollständig ersetzen kann. 102 Auch der Binnenstruktur der Körperschaft wird eine demokratische Legitimationswirkung abgesprochen. Es wird vielmehr von einer „dualen Legitimationsordnung“ 103 ausgegangen, wobei zwischen den beiden Legitimationssträngen keine substituierende Wechselwir98 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 389. 99 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 389; vgl. auch Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 258. 100 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 376 ff.; ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 94 ff.; ders., in: ders. / Hoffmann / Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 57 f. 101 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 95. 102 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 378. 103 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 95 f.
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kung bestehe. Die Frage, in welchem Umfang demokratische und in welchem autonome Legitimation vorliegen muss, orientiert sich hierbei am Maße des „institutionelle[n] Eigeninteresse[s] der verfassten Beteiligtengemeinschaft“. 104 Diese Spielart der autonomen Legitimation vermeidet die Widersprüche der Legitimationskonzeption nach Emde jedoch nur scheinbar. Ihr ist entgegenzuhalten, dass sie den Geltungsgrund und die dogmatische Herleitung der autonomen Legitimation schuldig bleibt. Das Erfordernis demokratischer Legitimation ergibt sich aus Art. 20 II GG. Für eine daneben bestehende mitgliedschaftlichpartizipatorische Legitimation bleibt kein Raum, will man sie nicht aus den ideellen Grundlagen der Demokratie herleiten, was aus den oben genannten Gründen nicht möglich ist. 105 IV. Fazit Die Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften stellen weder ein Teilvolk dar, das nach Art. 20 II GG Legitimation vermitteln kann, noch sind sie als Gruppe von Betroffenen ein Legitimationssubjekt, das neben dem Staatsvolk und neben Art. 20 II GG Legitimation vermittelt.
B. Anerkennung weiterer Legitimationsformen Da die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft den Selbstverwaltungsorganen, die die Entscheidungen im Rahmen der Ausübung von Staatsgewalt treffen, somit keine personelle Legitimation vermitteln können, stellt sich die Frage, ob dieses Legitimationsdefizit ausgeglichen werden kann. Zunächst wäre hier an eine (Total-)Substitution der personellen Legitimation durch die sachlich-inhaltliche Legitimation zu denken. Eine solche kommt jedoch nicht in Betracht: Es wurde bereits aufgezeigt, dass bei den hier als Beispiel dienenden Wasserverbänden sowohl die personelle als auch die sachlich-inhaltliche Legitimationsschiene im Vergleich zum verfassungsrechtlich vorgegebenen Regelniveau defizitär sind. Die Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger sind somit nicht vollumfänglich durch sachlich-inhaltliche Vorgaben determiniert, sondern es verbleiben Entscheidungsspielräume. Defizite im Bereich der personellen Legitimation können somit nicht ausgeglichen werden durch den sachlich-inhaltlichen Legitimationsfaktor. 106 104 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 96 f. 105 Zur Möglichkeit einer Herleitung aus den Grundrechten vgl. Teil 2 Kap. 2 G. IV. 106 Vgl. oben Teil 2 Kap. 1 C.
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Es stellt sich daher die Frage, ob neben der organisatorisch-personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimationsform noch weitere Legitimationsmodi denkbar sind, 107 die Defizite im Bereich der beiden erstgenannten Legitimationsformen ausgleichen könnten. Hier werden neben Faktoren wie der Partizipation, der Akzeptanz, der Qualität der Entscheidung und der Kontrolle durch die Gerichte auch die Effizienz und Effektivität als mögliche Legitimationsfaktoren genannt. Teilweise werden diese angeführten Aspekte nicht als Legitimationsfaktoren, also als Instrumente, die eine Rückanbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk gewährleisten, aufgefasst, sondern als eigenständige Ziele, die gegen das Demokratieprinzip abzuwägen sind. Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, ob den genannten Faktoren legitimatorische Wirkung zukommt. Der Frage, ob einzelne Aspekte als mit dem Demokratieprinzip kollidierende Verfassungsprinzipien angesehen werden und somit Einschränkungen des Demokratieprinzips rechtfertigen können, soll gesondert nachgegangen werden. I. Partizipation Wie schon im Rahmen der Bestimmung des Volksbegriffes in Art. 20 II GG so wird auch bei der Diskussion alternativer Legitimationsformen der Partizipationsgedanke angeführt. Insbesondere wurde dieser Gedanke in der Diskussion Ende der sechziger Jahre und in den siebziger Jahren im Zusammenhang mit der Forderung nach einer „Demokratisierung“ der Verwaltung aufgebracht. Hierbei ging es um die Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger bzw. gesellschaftlicher Gruppierungen und die Forderung nach einer demokratischen Organisation sämtlicher Lebensbereiche, wobei die Trennung von Staat und Gesellschaft negiert wurde. 108 Auf diese Demokratisierungsdiskussion soll hier im Einzelnen nicht eingegangen werden. Sie ist für die vorzunehmende Suche nach alternativen Legitimationsformen lediglich insoweit relevant, als sie die Frage nach der legitimatorischen Bedeutung der Bürgerbeteiligung betrifft. 1. Der Begriff der Partizipation Um die legitimatorische Relevanz von Partizipation zu untersuchen, ist zunächst eine Begriffsbestimmung erforderlich: Unter Partizipation versteht man die Beteiligung eines bestimmten Personenkreises bei der Ausübung von Staatsgewalt. Die Bestimmung des Personenkreises, der an einer bestimmten Entscheidung partizipieren soll, erfolgt dabei nach dem Kriterium der Betroffenheit. 109 107
Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 305 ff. Vgl. zur damaligen Diskussion nur die zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen bei Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 31 ff., 260 ff. 108
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Die Beteiligung der Betroffenen kann in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen. Als stärkste Form der Partizipation könnte die direkte Entscheidung durch das Volk mittels Volksentscheid angesehen werden. 110 Allerdings handelt es sich bei der Entscheidung im Wege des Volksentscheides nicht um Partizipation im hier gemeinten Sinne, da nicht die Betroffenen beteiligt werden, sondern das gesamte Volk zur Entscheidung berufen ist. Eine solche direkte Sachentscheidung durch das Volk stellt keine neben die personelle und materielle Legitimationsform tretende weitere Art der Rückbindung der Staatsgewalt an das Volk dar, sondern ist vielmehr als eine besondere Art der sachlich-inhaltlichen Legitimation anzusehen, da das Volk beim Volksentscheid unmittelbar in der Sache entscheidet. Auch die schwächste Form der Beteiligung, die bloße Mitwirkung von Betroffenen im Verwaltungsverfahren ohne Einfluss auf die Entscheidung, ist im Hinblick auf die Untersuchung der legitimatorischen Wirkung von Partizipation nicht relevant: Einer bloßen Mitwirkung, die keine Einflussnahme auf die Entscheidung eröffnet, sondern den betroffenen Kreisen lediglich ermöglicht, dem Entscheidungsträger ihren Standpunkt darzulegen oder ihnen Informationen gewährt, kann keine legitimatorische Wirkung zukommen: Die Betroffenenpartizipation wirkt sich in diesem Falle nicht auf die Entscheidung aus, so dass sie diese auch nicht legitimieren kann. 111 Für die vorliegende Untersuchung sind vielmehr diejenigen Fälle interessant, in denen die Partizipation sich nicht in einer rein verfahrenstechnischen Mitwirkung erschöpft, sondern in denen eine echte Mitentscheidung durch die Betroffenen erfolgt. 112 Allerdings können dabei die Grenzen zwischen bloßer Mitwirkung und Mitentscheidung fließend sein. 113
109
Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 104 spricht von den „in einer spezifischen Weise von einer bestimmten Entscheidung Betroffenen“; vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 262 ff. 110 Vgl. zur Nähe des Partizipationsgedankens zu Formen direkter Demokratie auch Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 111 f. 111 Anders Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 352 ff., der echte Mitentscheidungsbefugnisse aus dem Partizipationsbegriff ausscheidet (S. 353) und unter Berufung auf den Grundsatz der Menschenwürde sowie die Selbstbestimmung des Einzelnen zu einer demokratiefördernden Wirkung von Partizipation gelangt. Vgl. zur Zurückweisung dieser Argumentation unter Teil 2 Kap. 2 B. I. 3. b). 112 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 263. Zur Differenzierung zwischen Mitwirkung und Mitentscheidung: W. Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), S. 179, 184 ff. 113 Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 106.
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2. Relevanz der Fragestellung im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung Sofern von einer Beteiligung der Betroffenen legitimatorische Wirkung ausgeht, könnte der Partizipationsgedanke für die Legitimation funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften herangezogen werde. Zwar können Mitbestimmung oder Mitentscheidung und Selbstverwaltung nicht gleichgesetzt werden, da bei Konstellationen der Mitbestimmung der Gruppe von Bürgern, die mitbestimmen, noch ein anderer Verwaltungsträger gegenübersteht, der ebenfalls an der Entscheidung beteiligt ist bzw. die Letztverantwortung für die Entscheidung innehat. Während es bei der Selbstverwaltung um die eigenverantwortliche und alleinige Wahrnehmung eigener Aufgaben geht, die in der Regel ohne Beteiligung außerhalb der Selbstverwaltung stehender Instanzen erfolgt. 114 Sofern aber eine Beteiligung von Betroffenen an einer Verwaltungsentscheidung dieser Entscheidung Legitimation vermitteln kann, muss dies auch für die Entscheidungen von Selbstverwaltungsträgern gelten, da dort die Betroffenen nicht nur mitentscheiden, sondern die Entscheidung vollständig selbst treffen. Die Frage nach der legitimatorischen Wirkung von Partizipation stellt sich also nicht nur in Konstellationen der Mitentscheidung, sondern auch – und gerade – bei der Frage nach der Legitimation funktionaler Selbstverwaltung. 115 3. Legitimationsvermittlung durch Partizipation? Nachdem nun Partizipation für die vorliegende Untersuchung als (Mit-)Entscheidung betroffener Kreise definiert wurde, stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Betroffenenbeteiligung eine Entscheidung legitimieren kann. Hierbei kommen eine mittelbare und eine unmittelbare Legitimationswirkung in Betracht: Eine mittelbare Legitimationswirkung von Partizipation könnte damit begründet werden, dass zum einen die Sachkunde der Betroffenen bzw. die Abstimmung mit ihnen die Qualität der Entscheidung verbessert 116 und zum anderen die Bereitschaft zu ihrer Umsetzung erhöht. 117 Partizipation würde dann aufgrund ihrer qualitäts- und akzeptanzsteigernder Wirkung mittelbar zur Legitimation beitragen. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn es sich bei der Qualität und 114
Vgl. dazu Püttner, FG für Unruh, 1983, S. 171, 181. Vgl. dazu auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 265. 116 Vgl. Mayntz, in: FS 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972, S. 341. 117 Vgl. Mayntz, in: FS 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972, S. 341; vgl. auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 428. 115
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Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen ihrerseits um legitimationsbegründende Faktoren handeln würde. Diese Frage soll gesondert behandelt werden 118 und hier vorerst außer Betracht bleiben. Im Folgenden geht es daher ausschließlich um die Frage, ob die Partizipation Betroffener unmittelbar, also für sich genommen, zur Legitimation von Verwaltungsentscheidungen beitragen kann. 119 a) Argumente der Befürworter einer legitimatorischen Wirkung von Partizipation Die Argumente, mit denen eine Legitimation durch Partizipation Betroffener begründet wird, sind im Wesentlichen mit den Argumenten vergleichbar, die schon für eine Interpretation des Volksbegriffes anhand des Merkmals der Herrschaftsbetroffenheit angeführt werden. 120 Sie werden daher hier nur in gebotener Kürze dargestellt: So wird für eine legitimatorische Wirkung von Partizipation die Offenheit des Grundgesetzes im Hinblick auf das Demokratieprinzip und die Legitimationsformen angeführt. 121 Ferner wird geltend gemacht, der Partizipationsgedanke werde durch den offenen Meinungs- und Willensbildungsprozess untermauert, der eine Demokratie kennzeichnet. 122 Auch ein den Grundrechten entnommenes Recht auf Teilhabe an politischen Entscheidungen wird zugunsten einer Legitimationswirkung von Partizipation angeführt. 123 Weiter argumentieren die Befürworter einer Legitimationswirkung von Betroffenenpartizipation, eine allein auf das Parlament ausgerichtete Legitimation fände im Grundgesetz keine Stütze, sie berge auch die Gefahr, dass aufgrund der Orientierung an der Allgemeinheit Interessen der Betroffenen nicht ausreichend berücksichtigt würden. 124 Ferner wird aus der Tatsache, dass Art. 20 II S. 2 GG neben Wahlen auch Abstimmungen nennt, sowie aus der Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung geschlossen, dass das Grundgesetz nicht ausschließlich auf eine repräsentative, durch das Parlament vermittelte Legitimation abstelle und somit eine Legitimation durch Partizipation zulasse. 125 118
Unten Teil 2 Kap. 2 B. II. und III. Vgl. zum Ganzen: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 261 f. 120 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. 121 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 109 f. 122 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 110. 123 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 112; vgl. auch Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980, S. 84. Dazu näher unter Teil 2 Kap. 2 G. IV. 124 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 110 f. spricht von einem „Filtereffekt“ der parlamentarischen Repräsentation in dem Sinne, dass die Interessen der Betroffenen weggefiltert werden. 125 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 111 f. 119
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Die Legitimation durch Partizipation soll somit nach ihren Befürwortern die parlamentsvermittelte Legitimation ergänzen: 126 Die Eigenständigkeit der Verwaltung bewirke, dass diese in ihrem Handeln nicht vollständig durch die Vorgaben von Parlament und Regierung gesteuert werden könne, so dass ihr Spielräume zur eigenständigen Entscheidung verblieben. Auch auf diese Spielräume müsse das Volk Einfluss nehmen können, damit eine vollständige Rückanbindung der Staatsgewalt an das Volk gewährleistet sei. 127 Da die Aufgaben der Verwaltung aber grundsätzlich räumlich oder gegenständlich begrenzt sind, könne eine Legitimation der Verwaltung nicht wie die parlamentsvermittelte Legitimation das gesamte Volk umfassen. 128 An die Stelle der parlamentsvermittelten Legitimation solle im Bereich der Verwaltung das Kollegialprinzip treten, das eigene Legitimationsformen kenne, zu denen unter anderen Modellen auch das in diesem Zusammenhang interessierende sog. partizipative Modell zu zählen sei. In diesem Modell bezieht die Verwaltung ihre Legitimation durch die von der in Frage stehenden Verwaltungsaufgabe Betroffenen. Organisatorisch verwirklicht sich eine solche Legitimation dadurch, dass das entscheidungsbefugte Organ der Verwaltungseinheit durch von den Betroffenen gewählte Vertreter besetzt wird. 129 b) Kritik Diesen Argumenten, die für eine legitimationsvermittelnde Wirkung von Partizipation angeführt werden, ist Folgendes entgegenzuhalten: 130 Zunächst einmal verkennt eine Argumentation, die sich auf den offenen Meinungs- und Willensbildungsprozess in einer Demokratie und auf ein aus den Grundrechten abgeleitetes Teilhaberecht beruft, die im Grundgesetz angelegte Wandlung individueller Selbstbestimmung zur demokratischen Mitbestimmung. 131 Auch aus der Zulässigkeit von Volksentscheiden unter dem Grundgesetz ist für die demokratische Relevanz der Betroffenenbeteiligung nichts herzuleiten. Zwar führen beide Wege am Parlament vorbei, bei einem Volksentscheid ist aber eine Repräsentation durch das Parlament nicht erforderlich, da das ge126 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 110; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 194. 127 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 194, S. 362 f. 128 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 194. 129 So das partizipative Modell nach Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 154. 130 Auch bezüglich der Kritik kann hier weitgehend auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Auslegung des Volksbegriffes verwiesen werden. Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. 131 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. b) bb) (2). Zur grundrechtlichen Fundierung des Partizipationsgedankens vgl. ferner unten: Teil 2 Kap. 2 G. IV.
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samte Volk direkt zur Entscheidung berufen ist, während bei der Beteiligung Betroffener nur Einzelne mitentscheiden. Auch ein Verweis auf die kommunale Selbstverwaltung vermag den Partizipationsgedanken im Grundgesetz nicht zu verankern, da das Gemeindevolk hier nicht als betroffene Bevölkerungsgruppe zur Entscheidung berufen ist, sonder als territoriale Untereinheit des Gesamtvolkes. 132 Ferner ist auch von einer Undifferenziertheit des Grundgesetzes im Hinblick auf die Legitimationsformen nicht auszugehen, da in Art. 20 II S. 2 GG mit der Nennung von Abstimmungen und Wahlen die Legitimationsformen vorgezeichnet sind. Aber auch wenn man darin keinen numerus clausus erblickt, sind die in Frage kommenden Legitimationsformen jedenfalls insoweit festgelegt, als sie die Rückanbindung an das Legitimationssubjekt gewährleisten müssen. Hiermit ist das zentrale Argument angesprochen, das gegen eine legitimationsvermittelnde Wirkung von Partizipation spricht: Letztlich sind sowohl alle Argumente, die für eine legitimatorische Wirkung der Partizipation angebracht werden, als auch das oben vorgestellte partizipative Modell der Verwaltungslegitimation auf eine zentrale Grundannahme zurückzuführen: Die Demokratie des Grundgesetzes wird als Form zur Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen angesehen. 133 Dies hat zur Folge, dass jeder beliebige Zusammenschluss von Betroffenen Legitimation vermitteln kann. 134 Eine solche Vorgehensweise widerspricht jedoch dem grundgesetzlichen Demokratiegebot, da sie das vom Grundgesetz vorgegebene Ziel der Volkssouveränität ignoriert, indem sie das von Art. 20 II S. 1 GG vorgegebene Legitimationssubjekt „Volk“ austauscht. Sieht man das Volk i. S. d. Art. 20 II S. 1 GG als die Gesamtheit des deutschen Staatsvolkes an, was das Ergebnis der oben bereits durchgeführten Untersuchung ist, 135 so bleibt der Weg versperrt, aus der Partizipation der Betroffenen eine Legitimation herzuleiten. Eine Betroffenenpartizipation ermöglicht nicht die Rückführung auf das vom Grundgesetz vorgesehene Legitimationssubjekt des deutschen Staatsvolkes. 136 132
Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. e) aa). Vgl. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 154: „Die körperschaftliche Selbstverwaltung beruht wie die Demokratie auf dem Prinzip der Beteiligung der Betroffenen.“ Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 109 spricht von dem „letztlich mit jeder demokratischen Ordnung angestrebte[n] Ziel der Selbstbestimmung des Einzelnen“; s. auch Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980, S. 84. 134 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 198 f.; ähnlich: Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 113. 135 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. 136 Insofern ist es konsequent, dass Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 165 ff. von einem pluralistischen Volksbegriff ausgeht. KleineCosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986 scheint zwar nicht von einem pluralistischen Volksbegriff auszugehen (S. 105 ff.), lässt aber Teilvölker, die sich aus Betroffenen zusammensetzen, als Legitimationssubjekt zu (S. 112). 133
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Aufgrund ihrer anderen Zielrichtung kann sie somit auch eine Legitimationsvermittlung durch das Parlament nicht ergänzen oder gar Defizite in diesem Bereich kompensieren. Eine Kombination beider Ansätze, also eines monistischen Volksverständnisses einerseits und der Annahme legitimatorischer Wirkung von Partizipation andererseits, kann daher nicht gelingen. Sie ist insbesondere nicht aus der gemeinsamen ideellen Wurzel der Demokratie und der Partizipation im Gedanken der Selbstbestimmung des Einzelnen zu rechtfertigen, da die normativen Bestimmungen des Grundgesetzes zur Demokratie von den im Hintergrund stehenden ideellen Vorstellungen zu trennen sind. 137 Im Übrigen ist eine eigenständige Legitimation der Verwaltung zur Einflussnahme des Volkes auf gesetzliche Freiräume auch nicht erforderlich. Zwar ist es richtig, dass das Verwaltungshandeln nicht vollumfänglich gesetzlich determiniert ist, die Freiräume werden jedoch durch Vorgaben der Regierung ausgefüllt. Trifft die handelnde Verwaltungsbehörde Entscheidungen, die im Widerspruch zu den Vorstellungen der Regierung stehen, so aktualisiert sich das Weisungsrecht der Exekutivspitze, mit dessen Hilfe die Willensübereinstimmung hergestellt werden kann. 138 Im Übrigen ist im Hinblick auf bestehende Freiräume der Verwaltung auf die Ergänzung der sachlich-inhaltlichen Legitimation durch die personelle Legitimation hinzuweisen. 139 4. Fazit Da Art. 20 II S. 1 GG das deutsche Staatsvolk als Legitimationssubjekt vorgibt, und die Legitimationsformen dazu dienen, eine Rückanbindung der Staatsgewalt an dieses Legitimationssubjekt zu gewährleisten, scheidet die Betroffenenparti137 Vgl. aber Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, der einerseits eine Gruppe von Betroffenen weder als Volk noch als Teilvolk ansieht (S. 88 f., 104), andererseits aber den Partizipationsgedanken mit Einschränkungen für die Legitimationsvermittlung fruchtbar machen möchte: „Verfassungsrechtlich gehören Akzeptanz, Partizipation [...] eher den ideellen Schichten des Demokratieprinzips, aber auch des Rechtsstaatsprinzips an. [...] Jedenfalls muss bei ihrer Umsetzung in feste verwaltungsrechtliche Gebote und Lehrsätze behutsam vorgegangen werden. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten aber ist mit ihnen ein beträchtliches ‚Entwicklungspotential‘ umrissen. Dem gemäßigten Hierarchieansatz der verfassungsgerichtlichen Legitimationslehre [...] werden – bei Anerkennung seiner Eigenständigkeit – auf diese Weise weitere nicht-hierarchische Politikformen an die Seite gestellt.“ (S. 101 f.; ähnlich S. 104, wo von „Entwicklungsanstößen“ des Selbstbestimmungsgedankens die Rede ist). In einem älteren Beitrag, (AöR 116 (1991), S. 329 ff., 376) konstatierte ders. jedoch noch: „Ideelle und normative Schichten des Demokratieprinzips sind unter dem Grundgesetz getrennt zu halten. Formen demokratischer Partizipation bewähren sich im Volkswillensbildungsprozeß. Mit Entscheidungsverfahren der organisierten Staatlichkeit lassen sie sich nicht einfach kurzschließen.“ 138 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. b) aa) (2) (a). 139 Vgl. dazu Teil 1 Kap. 2 D.
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zipation als alternative Legitimationsform aus. Die Teilhabe Betroffener an der Staatsgewalt bindet diese lediglich an die Mitwirkenden, nicht aber an das Gesamtvolk. II. Akzeptanz Neben dem Partizipationsgedanken wird häufig der Gesichtpunkt der Akzeptanz der von den Verwaltungsträgern getroffenen Entscheidungen als legitimationsrelevanter Faktor angeführt. Um die Berechtigung einer solchen These zu beurteilen, ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff der Akzeptanz zu verstehen ist, bevor im Anschluss der Frage nach der legitimatorischen Relevanz oder nach einer legitimationsfördernden Wirkung von Akzeptanz nachgegangen werden kann. 1. Der Begriff der Akzeptanz Unter dem Begriff der Akzeptanz versteht man ganz allgemein ausgedrückt den „Tatbestand der Hinnahme von Entscheidungen“ 140. Dem Topos der Akzeptanz von Herrschaft liegt dabei ein weites Verständnis der Herrschaftslegitimation zugrunde, bei dem der normative Bereich verlassen wird und empirische sowie faktische Gesichtspunkte in den Vordergrund rücken. 141 Dieses Verständnis ist vorwiegend im soziologischen oder sozialwissenschaftlichen Bereich anzutreffen. Dort geht es nicht in erster Linie darum, die Rückführbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt aufgrund der normativen Vorgaben des Grundgesetzes auf das Staatsvolk als Legitimationssubjekt zu untersuchen und die Herrschaft so zu legitimieren, sondern es steht eine andere Fragestellung im Vordergrund: Der soziologische Legitimationsbegriff fragt danach, warum Herrschaft von den Herrschaftsunterworfenen befolgt wird. 142 In den Mittelpunkt der Betrachtung rücken damit die Herrschaftsunterworfenen und ihre Bewertung der Herrschaftsentscheidungen als richtig oder vertretbar und damit hinnehmbar. 143 Bezogen auf Verwaltungsentscheidungen wird der Gesichtspunkt der Akzeptanz noch in einem etwas anderen Kontext verwendet. So ist es denkbar, bei 140
Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 102. 141 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 171. 142 Vgl. Zippelius, ARSP Beiheft 15 (1981), S. 84, 84 f.; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 156 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 171. Vgl. zum sozialwissenschaftlichen Begriff der Legitimation sowie zur Unterscheidung von Legitimation und Legitimität auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 26 ff. 143 Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 102; Würtenberger, NJW 1991, S. 257, 258 f.
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Ermessensentscheidungen die (voraussichtliche) Akzeptanz der verschiedenen Entscheidungsvarianten als ermessensleitenden Gesichtspunkt heranzuziehen. 144 Dies würde dann dazu führen, dass von mehreren möglichen Entscheidungen, diejenige vorzuziehen ist, die voraussichtlich bei den Betroffenen auf die größte Akzeptanz trifft. 145 2. Die legitimatorische Bedeutung von Akzeptanz Für beide Aspekte der Akzeptanz stellt sich nun die Frage, ob ihnen überhaupt legitimatorische Bedeutung zukommt. Nur in diesem Fall kann Akzeptanz als weitere Legitimationsart neben der personellen und der materiellen Legitimationsform der Verwirklichung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips dienen. a) Relevanz der Fragestellung im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung Die Frage nach der legitimatorischen Relevanz von Akzeptanz ist für die demokratische Legitimation funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften von besonderer Bedeutung, da bei ihren Entscheidungen gegenüber solchen der Ministerialverwaltung ein „Plus“ an Akzeptanz vermutet wird: In den funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften sind die Betroffenen als Mitglieder zu einer Gruppe zusammengefasst, welche die sie betreffenden Fragen entscheidet und auf den Gebieten Staatsgewalt ausübt, die sie besonders angehen. Die Tatsache, dass die Betroffenen somit die Möglichkeit haben, an den Entscheidungen mitzuwirken bzw. diese selbst zu treffen, erscheint geeignet, die spätere Akzeptanz der Entscheidungen zu erhöhen. 146 Die getroffenen Maßnahmen werden nicht als von einer fern stehenden Behörde aufoktroyiert empfunden, sondern als eigenständige Entscheidungen. Auch bei denjenigen Mitgliedern, die gegen eine konkrete Entscheidung gestimmt haben, ist gegenüber einer Entscheidung durch eine in der Hierarchie der Ministerialverwaltung stehende Behörde ein höheres Maß an Akzeptanz zu vermuten, da die selbst getroffenen Entscheidungen jederzeit wieder aufgehoben oder geändert werden können. 144 Würtenberger, NJW 1991, S. 257, 263. In diese Richtung zielt wohl auch SchmidtAßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 103, nach dem Akzeptanz „in weiten Gemeinwohlklauseln zu einem Tatbestandsmerkmal und so mittelbar auch zu einem rechtlichen Legitimationsfaktor werden“ kann. Vgl. auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 175 ff. 145 Vgl. Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsentscheidungen, 1989, S. 5 f. 146 Vgl. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980, S. 76, 81, 95 ff. bzgl. der Konsenssicherungsfunktion von Partizipation. Vgl. auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 135 f. im Hinblick auf die Gründe einer Beteiligung privater an Entscheidungen.
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Auch wenn diese Argumente, die für eine gesteigerte Akzeptanz der Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften sprechen, plausibel erscheinen, relativieren die folgenden Überlegungen diese Grundannahme: Zum einen ist das Maß an Akzeptanz eine schwer messbare Größe, so dass der Nachweis der höheren Akzeptanz bei Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften schwer fällt. 147 Zum anderen könnte bei Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften, die Nichtmitglieder betreffen (vgl. die auch gegenüber Nichtmitgliedern vorgesehene Duldung- und Überlassung von Grundstücken oder Anlagen gegen Geldausgleich in §§ 7, 8 LippeVG bzw. §§ 6, 7 EmscherGG), die Akzeptanz bei diesen geringer sein als bei einer gleich lautenden Entscheidung einer Behörde der Ministerialverwaltung: Da die Entscheidungsorgane der Selbstverwaltungskörperschaft nur von deren Mitgliedern gewählt werden, stellen sich ihre Entscheidungen gegenüber Dritten als Fremdbestimmung dar. Die Amtswalter der Ministerialverwaltung hingegen können ihre Entscheidungsbefugnisse auf das gesamte Volk stützen. Dies garantiert auch eine größere Neutralität der Entscheidungen, die im Rahmen der Ministerialverwaltung getroffen werden, was eine Akzeptanz durch Dritte, deren Interessen innerhalb der Selbstverwaltungskörperschaft nicht vertreten werden, erhöhen könnte. Aber auch wenn man von diesen Bedenken absieht und von einer Akzeptanzsteigerung bei der Aufgabenwahrnehmung durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften ausgeht, stellt sich die Frage, ob die Akzeptanz einer Entscheidung durch die Betroffenen der Entscheidung demokratische Legitimation vermitteln kann und daher ein Defizit im Bereich der personellen oder sachlichen Legitimation ausgeglichen werden kann. Dies soll im Folgenden untersucht werden. b) Ansatzpunkte einer legitimatorischen Bedeutung im Grundgesetz Anders als die personelle und die materielle Legitimationsform findet die Bedeutung der Akzeptanz der Ausübung von Staatsgewalt in Art. 20 II GG keine normative Stütze. 148 Ihre legitimatorische Relevanz wird vor allem durch einen Rückgriff auf abstrakte Überlegungen zu ihrem Zusammenhang mit der demokratischen Staatsform begründet: So wird auf die „alte Erkenntnis“ 149 verwiesen, dass eine dauerhafte und stabile Herrschaft nur möglich ist, wenn sie sich auf 147 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 288, 517 f.; so auch Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 204. 148 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 287. Dies gesteht auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 172 zu. 149 Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 57; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 172 spricht in
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einen entsprechenden Konsens bzw. eine Akzeptanz in der Bevölkerung stützen kann. Ferner wird auch der Versuch unternommen, den demokratischen Gehalt von Akzeptanz im Grundsatz der Menschenwürde Art. 1 I GG 150 und in Art. 5, 8 und 9 GG oder allgemein im Topos der „responsiven Demokratie“ normativ zu verankern. 151 Eine solche Herleitung der Legitimationswirkung von Akzeptanz sieht sich Bedenken ausgesetzt, da sie in ideellen Demokratievorstellungen verhaftet bleibt. Dieser Einwand gilt nicht nur für eine Argumentation, die sich auf die Übereinstimmung der Entscheidungen mit dem Willen des Bürgers als Ziel und Funktionsvoraussetzung von Demokratie beruft, sondern auch für die Verortung der Legitimationswirkung in Art 1 I GG oder den demokratischen Grundrechten: Dem Grundsatz der Menschenwürde sind aufgrund seiner Abstraktheit und Unbestimmtheit konkrete Aussagen für das Demokratieprinzip nicht zu entnehmen. 152 Die Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind zwar für das Funktionieren einer Demokratie von Bedeutung, da nur so ein öffentlicher Diskurs über gesellschaftliche oder politische Probleme möglich ist, der zum einen zur Volkswillensbildung erforderlich ist und zum anderen auch innerhalb einer Legislaturperiode Anstoß für die Repräsentanten des Volkes geben kann. Hierbei geht es jedoch um die tatsächlichen Voraussetzungen für Demokratie und nicht um die zuverlässige Gewährleistung einer Rückbindung an den Volkswillen. Auch ein Verweis auf diese Grundrechte vermag somit einen klaren normativen Anknüpfungspunkt für die legitmatorische Wirkung von Akzeptanz im Sinne einer Rückführung von Staatsgewalt auf den Volkswillen nicht zu ersetzen. 153 Im Hinblick auf die dogmatische Einbindung in die vom Grundgesetz in Art. 20 II S. 2 GG vorgezeichneten Legitimationsstrukturen könnte die zweite Bedeutungsvariante von Akzeptanz, die auch als „demokratische Ermessensund Entscheidungslehre“ 154 bezeichnet wird, anders zu beurteilen sein. Sieht Anlehnung an Würtenberger von einer „alte[n] Einsicht“. Vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 287, Fn. 125, der diese sprachliche Wendung als symptomatisch für die Verhaftung im Bereich der Ideengeschichte ansieht. 150 Vgl. zu diesem Ansatz: Rinken, KJ 2000, S. 125, 136 sowie die Darstellung und Kritik bei Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 207 f. m.w. N. 151 So Würtenberger, NJW 1991, S. 257, 261, nach dem „eine akzeptanzfördernde Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren [...] durch das Demokratieprinzip, vor allem aber durch die Idee der so genannten responsiven Demokratie nahegelegt“ wird. Vgl. ferner: ders., Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996, S. 58 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 172 ff. 152 Vgl. insoweit die Ausführungen oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. b) bb). 153 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 287. 154 Würtenberger, NJW 1991, S. 257, 263, vgl. auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 176 m.w. N.
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man die (voraussichtliche) Akzeptanz einer Entscheidung als Gesichtspunkt an, der die Ausübung des Ermessens determiniert, 155 so wäre die Akzeptanz anderen Grundsätzen gleichzusetzen, denen bei der Ermessensausübung Rechnung zu tragen ist, wie etwa dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie wäre damit in ihrer Wirkung einem Tatbestandsmerkmal ähnlich 156 und würde somit als materielle Vorgabe anzusehen sein, die der zuständige Amtswalter bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hätte. Damit würde die Akzeptanz als Bestandteil der sachlich-inhaltlichen Legitimation in das klassische Legitimationsmodell integriert. 157 Allerdings würde sie insofern zwar das Netz an inhaltlichen Vorgaben an die Verwaltungsentscheidung verdichten, aber würde keine eigenständige Form der Legitimation darstellen, die neben die der personellen oder sachlichen Legitimation tritt. c) Weitere Argumente gegen eine legitimatorische Relevanz Neben der Schwierigkeit einer dogmatischen Verortung der Akzeptanz im Legitimationsmodell des Grundgesetzes, die allenfalls ansatzweise für die Bedeutungsvariante von Akzeptanz als ermessensleitender Faktor gelingen kann, sprechen noch weitere Argumente gegen eine Legitimationswirkung von Akzeptanz. Bereits genannt wurde die Schwierigkeit der Bemessung von Akzeptanz als eher praktischer Einwand. Aber selbst wenn man diesen Einwand einmal beiseite lässt und davon ausgeht, dass mit Hilfe der Demoskopie und der Medien die Akzeptanz zu einer mess- und bestimmbaren Größe wird, 158 so ergeben sich weitere Probleme: Die Akzeptanz einer bestimmten Entscheidung kann immer erst im Nachhinein festgestellt werden. Die Frage, ob die Ausübung von Herrschaftsgewalt als demokratisch legitimiert angesehen werden kann, betrifft aber die Grundmauern der Staatsorganisation. Ob die Entscheidungen eines Organs oder eines Amtswalters demokratisch legitimiert sind oder nicht, muss daher feststehen, noch bevor eine Entscheidung erlassen wird. 159 Die demokratische 155 Dies ist keineswegs unstrittig: Vgl. die kritische Haltung Brohms, DVBl. 1990, S. 321, 326 f.; ders., NVwZ 1991, S. 1025, 1029 ff., 1033. Bei der hier interessierenden Frage nach der Verortung der Akzeptanz soll auf diese Problematik jedoch nicht weiter eingegangen werden. Vgl. aber die folgenden Ausführungen gegen eine legitimatorische Relevanz von Akzeptanz. 156 Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 103. 157 Vgl. zu dieser Überlegung: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 289. 158 So Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 174. 159 Vgl. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 27, der im ex-post Charakter die Aufgabe der normativen Kraft der Verfassung sieht.
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Legitimation kann nicht von der – naturgemäß – nachträglichen Einschätzung der Richtigkeit der Entscheidung durch die (betroffene) Bevölkerung abhängen. Konsequent zu Ende gedacht, würde die Einbeziehung der Akzeptanz in das Legitimationsmodell dessen normative Bedeutung stark relativieren: Es könnten dann verschiedene Entscheidungen desselben Entscheidungsträgers im Hinblick auf ihre Legitimation unterschiedlich zu bewerten sein, je nachdem ob die Entscheidung auf Zustimmung trifft oder nicht. Akzeptanz als Legitimationsform wäre dann aber nicht nur geeignet, die demokratische Legitimation funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften zu stärken, sondern könnte auch dazu führen, dass die Legitimation von Entscheidungen, die im Rahmen der Ministerialverwaltung getroffen werden, in Frage zu stellen wäre. 160 Bei einer Heranziehung der Akzeptanz als ermessensleitender Faktor würde der ex-post Charakter der Akzeptanz zudem dazu führen, dass nicht einmal die – nachträgliche –tatsächliche Akzeptanz der Herrschaftsunterworfenen legitimatorisch wirken würde, sondern schon die Prognoseentscheidung des Entscheidungsträgers über die voraussichtliche Akzeptanz. Schon diese Bedenken sprechen dagegen, der Akzeptanz von Entscheidungen legitimatorische Wirkung zuzusprechen und mit ihnen ist der zentrale Grund, der gegen eine legitimatorische Wirkung der Akzeptanz spricht, noch nicht einmal angesprochen: Um das Demokratiegebot des Art. 20 II S. 1 GG zu verwirklichen, kommen nur solche Legitimationsformen in Betracht, die die Rückführung der Staatsgewalt auf das Legitimationssubjekt gewährleisten. Als Legitimationssubjekt nennt das Grundgesetz das Volk, das sich als die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen definiert. 161 Die Akzeptanz einer Entscheidung nimmt aber nicht das Volk in seiner Gesamtheit, sondern in erster Linie die Entscheidungsbetroffenen in den Blickpunkt, da bei Unkenntnis oder völliger Gleichgültigkeit nicht von einer Akzeptanz gesprochen werden kann. 162 Schon sprachlich, kann eine Entscheidung nur von Personen „hingenommen“ werden, die auch von ihr berührt werden. Ein etwaiger Legitimationsstrang, der bei der Akzeptanz ansetzt, würde also nicht wie die personelle und sachlich-inhaltliche Legitimationsform seinen Ausgangs- und Endpunkt beim Staatsvolk haben, sondern bei einer davon zu unterscheidenden Betroffenengruppe. 163 160
Vgl. hierzu Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 27. 161 Vgl. zum Volksbegriff oben Teil 1 Kap. 2 C. 162 Vgl. die Ausführungen Mehdes, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 288, der selbst zwar eine legitimatorische Wirkung von Akzeptanz bejaht, konsequenterweise aber den Volksbegriff in Art 20 II GG insoweit durchbrechen will (a.a. O. S. 518, 520). 163 Vgl. insoweit auch Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 204 ff., der auch auf die Schwierigkeit hinweist, den zur Nachweis von Akzeptanz maßgeblichen Personenkreis zu bestimmen.
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Dieser Kritikpunkt betrifft auch die Bedeutungsvariante von Akzeptanz als Ermessensfaktor, 164 die oben innerhalb der sachlich-inhaltlichen Legitimationsform verortet wurde. Sie setzt hier allerdings schon einen Punk früher an: Da die sachlich-inhaltliche Legitimation die Rückanbindung der Staatsgewalt an das Gesamtvolk bezweckt, spricht die Ausrichtung der Akzeptanz auf die Betroffenen schon gegen eine Heranziehung als ermessensleitender Faktor. 165 3. Ergänzende legitimationsfördernde Wirkung von Akzeptanz? Die Probleme, die sich aus dem ex-post Charakter der Akzeptanzermittlung ergeben, und die soeben beschriebene Ausrichtung der Akzeptanz auf die jeweils Betroffenen stehen auch einer eingeschränkten Berücksichtigung von Akzeptanz entgegen, die das traditionelle Legitimationssystem nur ergänzen soll. 166 Nach diesem Konzept kann die Akzeptanz von Entscheidungen dann legitimatorische Wirkung entfalten, wenn ihr Vorliegen klar festgestellt werden kann und ein konkreter Zusammenhang besteht zwischen der Gruppe, bei der die Akzeptanz ermittelt wird, und den Aufgaben bzw. Entscheidungen, um deren Akzeptanz es geht. 167 Fragen der Akzeptanz bestimmter Entscheidungen oder Entscheidungen einer bestimmten Behörde könnten nicht sinnvoll vom gesamten Staatsvolk beurteilt werden, sondern nur anhand der Einschätzungen der Betroffenen. Daher müsse ein Abstellen auf die Betroffenen quasi als „pars pro toto“ zur Akzeptanzbestimmung möglich sein. 168 Weiter wird gefolgert, dass eine Umsetzung der in der Akzeptanzbefragung gemachten Vorschläge und Wünsche der Betroffenen durch die in Frage stehende Behörde bei ihren künftigen Entscheidungen diesen eine erhöhte Legitimation vermitteln müsse: Anderenfalls entstünde die paradoxe Situation, dass eine Behörde durch Umsetzung der Ergebnisse die Akzeptanz ihrer Entscheidungen zwar verbessern, aber damit nicht 164
Vgl. Brohm, DVBl. 1990, S. 321, 327, der im Zusammenhang mit der „demokratischen Ermessenslehre“ anmerkt: „Das Demokratieprinzip bezieht sich auf das ‚Volk als Einheit‘ und weist damit über eine ‚Betroffenendemokratie‘ i. S. der konkret in ihren subjektiven Rechten und Interessen Betroffenen hinaus. [...] Insofern lässt sich über das Demokratieprinzip die Ermessenshandhabung der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht auf einen Konsens der konkret ‚Betroffenen‘ oder gar nur der ‚Verfahrensbeteiligten‘ reduzieren.“; kritisch auch Kunig / Rublack, Jura 1990, S. 1, 8 f. 165 Vgl. auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 289, der feststellt, dass die Frage nach einer Berücksichtigung von Akzeptanz als entscheidungserheblicher Faktor im Rahmen einer Ermessensentscheidung „die Fragestellung von einem positiven Beitrag zum Erreichen des hinreichenden Legitimationsniveaus zum Verstoß einer solchen nicht etwa aus rechtlichen, sondern verwaltungspolitischen Gründen befürworteten Entscheidungslehre gegen verfassungsrechtliche Anforderungen“ verlagert. 166 Vgl. dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 516 ff. 167 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 522. 168 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 520 f.
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deren demokratische Legitimation erhöhen könnte. 169 Als Einschränkung wird angeführt, dass unter Berufung auf die Akzeptanz eine Abweichung von „gemeinwohlsichernden Elemente[n]“ 170, wie beispielsweise verbindlichen gesetzlichen Vorgaben, nicht begründet werden könne. 171 Ein solches Konzept der ergänzenden Legitimationsförderung durch Akzeptanz kann nicht überzeugen: Zum einen ist zu bemerken, dass der letztgenannte Gesichtspunkt, wonach die Akzeptanz von Entscheidungen nur im Rahmen der Spielräume herangezogen werden kann, die das klassische Legitimationsmodell belässt, eine Selbstverständlichkeit darstellt. Auch den Vertretern, die von einer Berücksichtigung der Akzeptanz als Legitimationsform ausgehen, geht es nicht darum, damit die nach Art. 20 III GG bestehende Gesetzesbindung oder die Weisungsbindung zu durchbrechen, 172 sondern darum, Defizite im Bereich der personellen und materiellen Legitimationsform zu kompensieren. Aber auch im Übrigen vermag die Theorie von der eingeschränkten legitimationsfördernden Wirkung der Akzeptanz nicht zu überzeugen: Der Umstand, dass eine Behörde, die ihre Entscheidung an den Wünschen der Betroffenen ausrichtet, damit zwar die Akzeptanz ihrer Entscheidungen erhöht, nicht aber deren demokratische Legitimation, stellt kein Paradoxon dar. Wie bereits gesehen, hat die Akzeptanz nur ideengeschichtliche Verbindungen zur Demokratie. Mit der in Art. 20 II GG auf die Volkssouveränität gegründeten Demokratie des Grundgesetzes steht die Frage nach der Akzeptanz von Herrschaft in keinem Zusammenhang. Auch wenn die Akzeptanz von Entscheidungen nichtsdestoweniger wünschenswert ist, kann daraus keine legitimatorische Wirkung hergeleitet werden. Insbesondere kann eine Betroffenengruppe nicht als „pars pro toto“, also als Stellvertreter für das Gesamtvolk fungieren, da diese Konstruktion der Bildung eines Teilvolkes als Legitimationssubjekt gleichkäme und im Übrigen die Interessenlage der Betroffenen sich von der des Gesamtvolkes unterscheiden kann. Sofern die Akzeptanz von Herrschaftsgewalt nicht nur als wünschenswert eingestuft werden kann, sondern Verfassungswertigkeit besitzt, könnte allenfalls die Überlegung angestellt werden, ob eine Einschränkung der demokratischen Legitimation aufgrund einer dadurch zu erzielenden Erhöhung der Entscheidungsakzeptanz gerechtfertigt werden kann. 173 Ein solches Vorgehen unterscheidet sich jedoch maßgeblich von einem Ansatz, der der Akzeptanz legitimatorische Wir169
Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 519. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 521. 171 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 521. 172 Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, S. 103. 173 Vgl. zu einem solchen Ansatz: Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 179, 191; etwas unklar: J-P. Schneider, in: Schmidt170
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kung zuspricht. Hierbei wird Akzeptanz nicht als zusätzliche Legitimationsform zur Verwirklichung der grundgesetzlichen Demokratie angesehen, sondern als kollidierender Verfassungswert. Die Stichhaltigkeit einer solchen Überlegung wird daher später unter dem Stichwort der Einschränkung des Demokratieprinzips durch kollidierendes Verfassungsrecht zu prüfen sein. 174 4. Fazit Da somit die legitimatorische Relevanz von Akzeptanz im Grundgesetz keine Stütze findet, die Akzeptanz einer Entscheidung des Weiteren nur schwer und auch nur im Nachhinein messbar ist sowie eine Ausrichtung auf die jeweils von der Entscheidung Betroffenen und nicht auf das Staatsvolk aufweist, kann der Akzeptanz einer Entscheidung keine legitimatorische Bedeutung zugemessen werden. Folglich kommt auch eine Kompensation von Defiziten im Bereich der personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation durch eine erhöhte Akzeptanz nicht in Betracht. III. Qualität der Entscheidung (Outputorientierte Legitimation) Im Zusammenhang mit den Gesichtspunkten der Akzeptanz und Partizipation ist ein weiterer Faktor zu nennen, dem vereinzelt Legitimationskraft zugesprochen wird: die Qualität oder Richtigkeit einer Entscheidung. Nach den Befürwortern einer solchen ergebnisorientierten Legitimation oder auch output-Legitimation trägt die Richtigkeit der Entscheidung zu ihrer Legitimation 175 bei, so dass das Legitimationskonzept um diesen materialen Faktor zu ergänzen sei. Eine solche Einbeziehung materialer Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Legitimation wird darauf gestützt, dass Demokratie kein Selbstzweck sei, sondern immer der Erfüllung bestimmter Herrschaftszwecke und -ziele diene. Demokratie sei nicht nur Herrschaft durch das Volk oder des Volkes, sondern auch Herrschaft für das Volk. Daher sei die rein formale Betrachtungsweise der Demokratie, wie sie das monistische Legitimationsmodell vornehme, nicht ausreichend und die Einbeziehung materialer Faktoren erforderlich. 176 Aßmann / Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103, 137, der einerseits aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung im Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip Verdünnungen beim Legitimationsniveau kompensieren will, andererseits aber von anderweitigem Legitimationszuwachs spricht. 174 s. unter Teil 2 Kap. 2 G. I. 175 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 149 ff., 729, an dessen Ausführungen sich die folgenden Darlegungen orientieren, differenziert zwischen Legitimität und Legitimation, wobei er Legitimität als Ergebnis von Legitimation auffasst, die ihrerseits das Verfahren oder die Vorgänge zur Legitimitätserzeugung bezeichnet. Hier soll diese Differenzierung außer Betracht bleiben, so dass auch weiterhin von Legitimation in einem umfassenden Sinne gesprochen wird.
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Die Berücksichtigung der Qualität oder der Richtigkeit einer Entscheidung für die Beurteilung ihrer demokratischen Legitimation sieht sich jedoch folgenden Bedenken ausgesetzt: Zum einen ist die Ausgangsthese, wonach materielle Aspekt in der oben vorgestellten monistischen Demokratiekonzeption 177 keine Berücksichtigung fänden, so nicht haltbar. Materielle, inhaltsbezogene Vorgaben werden der Verwaltung im Rahmen des sachlich-inhaltlichen Legitimationsstranges, insbesondere mittels gesetzlicher Vorgaben, gemacht. Zwar ist der Inhalt des Gesetzes selbst in der Tat unerheblich für seine Legitimationswirkung, solange er nur verfassungsgemäß ist. Dies führt jedoch nicht zu einer „Wertentleerung“ der sachlich-inhaltlichen Vorgaben. 178 Außer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gibt es keinen weiteren normativen Maßstab, an dem die Gesetze zu messen wären, vielmehr schaffen diese als Ausdruck des Volkswillens erst die inhaltlich-materiellen Werte und Maßstäbe, an die die Verwaltung gem. Art. 20 III GG gebunden ist. 179 Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Beurteilung des Verwaltungshandelns die Frage, woran die Richtigkeit oder auch nur der Inhalt der Ausübung von Staatsgewalt neben den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben noch gemessen werden soll. Sofern hierfür auf die Akzeptanz der Entscheidung in der Bevölkerung abgestellt wird, 180 ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen: Der Akzeptanz kann insbesondere aufgrund ihres fehlenden Bezuges zum Staatsvolk keine Legitimationswirkung zukommen. 181 Scheidet die Akzeptanz als Bewertungsmaßstab aber aus, sind somit andere Kriterien zur Beurteilung des Inhalts und der Qualität von Staatsgewalt heranzuziehen. Die Bestimmung solcher Kriterien ist aber nicht möglich, da – wie oben bereits angedeutet – in einer Demokratie die Richtigkeit oder das Ziel der Ausübung von Staatsgewalt nicht vorgegeben sind, sondern ihrerseits mit demokratischen Mitteln, insbesondere durch Gesetz, vom Volk festgelegt werden. 182 176 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 588 ff. 601 ff. m.w. N.; ders., RÖDS 2005/2006, S. 167, 181 ff. 177 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. 178 So aber Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 295 ff., 298 f. 179 Vgl. dazu Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 83 ff.; ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 365 ff. mit der Unterscheidung zwischen dem Demokratieprinzip, das nach dem Inhaber der Staatsgewalt fragt und dem Rechtsstaatsprinzip, das sich auf den Inhalt staatlicher Maßnahmen bezieht. Vgl. auch in Auseinandersetzung mit Böckenförde: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 333 f. 180 Schliesky, RÖDS 2005/2006, S. 167, 182; vgl. auch ders., Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 602; 170 ff. 181 Folgerichtig wird dann auch von Schliesky, RÖDS 2005/2006, S. 167, 183 f. nicht das Staatsvolk als Legitimationssubjekt bestimmt, sondern auf das Individuum abgestellt und somit eine Pluralität von Legitimationssubjekten angenommen. Vgl. zur Zurückweisung eines solchen Konzeptes ausführlich oben Teil 1 Kap. 2 C.
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Es ist daher nicht möglich, einen Faktor wie die Qualität der Entscheidung einerseits demokratisch zu bestimmen und ihn gleichzeitig als Maßstab für die demokratische Legitimation heranzuziehen. Auch ein Rückgriff auf die in der Verfassung vorgegebenen Staatszwecke und Staatsziele zur Beurteilung der Entscheidungsqualität bietet dabei keinen Ausweg aus diesem Zirkel: 183 Die in der Verfassung vorgegebenen Staatsziele, wie beispielsweise das Sozialstaatsprinzip, sind zu abstrakt, um aus ihnen konkrete Maßnahmen abzuleiten. Sie bedürfen der Umsetzung, wobei die konkreten Mittel und Wege zu ihrer Verwirklichung wiederum demokratisch zu bestimmen sind. Die bloße Geeignetheit einer Maßnahme zur Erreichung eines Verfassungszieles hat dabei keine Bedeutung für ihre demokratische Legitimation. Zum einen kann schon die Geeignetheit fraglich sein 184 und zum anderen können Zielkonflikte auftreten, so dass (demokratisch) zu entscheiden ist, wie den widerstreitenden Staatszielen entsprochen werden kann bzw. welchem Ziel der Vorrang einzuräumen ist. Auch eine solche Entscheidung muss sich auf das Volk zurückführen lassen können. 185 Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass materiellen Gesichtspunkten, die auf den Inhalt einer Entscheidung abstellen, keine Legitimationswirkung zukommt. Das „gute“ Ergebnis einer Entscheidung vermag daher diese nicht demokratisch zu legitimieren und Defizite im Bereich der personellen oder sachlich-inhaltlichen Legitimation aufzuwiegen.
182 Vgl. die kritischen Anmerkungen Seilers, DVBl. 2005, S. 1114, 1116 im Rahmen seiner Besprechung der Habilitationsschrift Schlieskys, auf die hier Bezug genommen wird. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik Krügers, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 196 f. an einer instrumentellen Staatsauffassung. 183 So aber das Vorgehen Schlieskys, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 623 ff., der angesichts der Einbeziehung der europäischen Ebene von Herrschaftszwecken und -zielen spricht, aber auf die Parallele zu Staatszwecken und -zielen hinweist (S. 623, 630). 184 So besteht beispielsweise keine Einigkeit darüber, ob eine Lockerung des Kündigungsschutzes geeignet ist, die Arbeitslosigkeit abzubauen oder ob diese dadurch noch verschärft würde. Ob ein solcher Kündigungsschutzabbau als geeignetes Mittel im Hinblick auf das Ziel der Senkung der Arbeitslosigkeit anzusehen ist, muss daher der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden. 185 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 604 f. räumt ebenfalls ein, dass bei isolierter Betrachtung der output-Legitimation eine Diktatur demokratisch legitimiert wäre, solange die Entscheidungen in der Bevölkerung als gut befunden und akzeptiert würden. Dieses Extrembeispiel ist jedoch nicht dadurch abzumildern, dass zusätzlich zur output-Legitimation auch die klassische input-Legitimation gefordert wird (so Schliesky, a.a. O.), sondern zeigt vielmehr, dass das Konzept einer output-Legitimation ungeeignet zur Begründung demokratischer Legitimation ist.
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IV. Kontrolle durch die Gerichte Teilweise wird eine legitimatorische Wirkung der Beteiligung von Bürgern bzw. Interessenverbänden im Verwaltungsverfahren bzw. im gerichtlichen Verfahren diskutiert. 186 Im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren und dort vorgesehene Anhörungsrechte, wie sie sich beispielsweise in § 28 VwVfG oder § 73 IV VwVfG finden, ist festzustellen, dass ihnen aus einem Verständnis der Vorschriften als Form der Betroffenenbeteiligung heraus legitimatorische Relevanz nicht zugesprochen werden kann. Dies folgt schon aus dem fehlenden Bezug zum Gesamtvolk. Insoweit sei auf die Ausführungen zur Verneinung einer legitimatorischen Bedeutung von Betroffenenpartizipation verwiesen. Anders könnten jedoch die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten von Betroffenen zu beurteilen sein, Verwaltungsentscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Hierbei geht es zwar primär um den Rechtsschutz Betroffener, aber in der gerichtlichen Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen und Maßnahmen der Verwaltung prüft das Gericht deren Übereinstimmung mit dem höherrangigen Recht. Somit wird die Gesetzesbindung, die sachlich-inhaltliche Legitimation vermittelt, durchgesetzt und erscheint dadurch verstärkt. 187 Dies legt den Schluss nahe, Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger auch als Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation zu begreifen. 188 In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob eine Stärkung der gerichtlichen Kontrolle, beispielsweise durch Herabsetzung der Anforderungen an die Klagebefugnis, 189 Schwächen ausgleichen könnte, die aufgrund fehlender Weisungsunterworfenheit im Bereich der sachlich-inhaltlichen Legitimation des Handelns funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften bestehen. 1. Legitimatorische Bedeutung der Durchsetzung der Gesetzesbindung Sieht man in der Durchsetzung der Gesetzesbindung der Verwaltung durch die Gerichte einen Faktor, der zur Legitimation der Verwaltungsentscheidungen beiträgt, so ist die dadurch erzielte legitimatorische Wirkung nicht über zu bewerten: Die gerichtliche Kontrolle verhilft nur der bestehenden Gesetzesbindung zur Durchsetzung und stellt keine zusätzliche Rückbindung an den Volkswillen sicher. Sie leistet also keinen Legitimationsbeitrag, der über die schon durch 186 187 188 189
Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 274 ff. Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 277. So Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 527. Vgl. dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 278.
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die Gesetzesbindung erzielte Legitimation hinausreicht. Damit hat die gerichtliche Kontrolle lediglich in den Fällen Bedeutung, in denen die Verwaltung rechtswidrig handelt. 190 Auch das Instrument der Weisung hat Bedeutung für die Gewährleistung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. 191 Man könnte somit versucht sein, die gerichtliche Kontrolle, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns sicherstellt, als (Teil-)Ersatz für ein fehlendes Weisungsrecht anzusehen, soweit die Weisung die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns gewährleisten soll. Allerdings liegt hierin unter legitimatorischem Blickwinkel nicht die Hauptfunktion der Weisung. Diese besteht vielmehr in der Steuerung durch sachlich-inhaltliche Vorgaben. Die Wahrung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist nicht in erster Linie Anliegen der Weisung als Lenkungsinstrument, sondern wird durch die Instrumente der Rechtsaufsicht sichergestellt. Der Rechtsaufsicht unterstehen aber auch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften. Die fehlende Einordnung dieser Körperschaften in die hierarchischen Verwaltungsstrukturen und das dadurch bedingte Entfallen eines Weisungsrechts kann also durch eine Erweiterung der Möglichkeiten, Entscheidungen und Maßnahmen des Selbstverwaltungsträgers gerichtlich anzugreifen, auch nicht teilweise ausgeglichen werden. 2. Legitimatorische Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle bei fehlenden gesetzlichen Vorgaben Des Weiteren ist zu untersuchen, ob der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte über die bisher festgestellte Durchsetzung der Gesetzesbindung im Fall des rechtswidrigen Verwaltungshandelns hinaus eine legitimatorische Bedeutung zukommt. Es stellt sich also die Frage, ob eine gerichtliche Kontrolle dort eine Rückbindung des Verwaltungshandelns an den Volkswillen leisten kann, wo keine (genauen) gesetzlichen Vorgaben bestehen. Die Steuerung in Fällen, in denen die Dichte gesetzlicher Regelungen nicht ausreicht, um das Handeln der Verwaltung vollumfänglich zu bestimmen, erfolgt nach dem oben dargestellten Legitimationsmodell grundsätzlich durch das Weisungsrecht der übergeordneten Behörde. 192 Über den entlang der hierarchischen Strukturen verlaufenden Weisungsstrang kann sich letztlich die Auffassung des Ministers durchsetzen und da dieser dem Parlament verantwortlich ist, wird somit eine Rückbindung an das Volk gewährleistet. Somit erfolgt auch bei Ermessens190 Dies findet nach der Auffassung Mehdes, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 281 im klassischen Legitimationsmodell nicht ausreichend Beachtung. Vgl. dazu aber die folgenden Ausführungen. 191 Dies betont Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 281. 192 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. b) aa) (2) (a).
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spielräumen und bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe bzw. bei daraus unter Umständen resultierenden Beurteilungsspielräumen der Verwaltung eine Rückkopplung ihres Handelns an das Volk. Eine gleichwertige Rückbindung vermag die gerichtliche Kontrolle nicht zu leisten: Sofern Ermessensentscheidungen der Verwaltung betroffen sind, ist die Kontrolle durch die Gerichte nach § 114 VwGO beschränkt. Das Gericht prüft hiernach lediglich, ob „die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist“ (vgl. § 40 VwVfG). Der gerichtlichen Kontrolle untersteht also nur die Frage, ob das Ermessen rechtmäßig ausgeübt wurde. Die Zweckmäßigkeit der Ermessensentscheidung wird hingegen nicht überprüft, so dass das Gericht auch keine eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle der Erwägungen setzen darf, die die Verwaltung vorgenommen hat. 193 Aufgrund dieser Beschränkung ist die Steuerungswirkung der gerichtlichen Kontrolle im Bereich des Verwaltungsermessens zu vernachlässigen und kommt keinesfalls den Steuerungsmöglichkeiten gleich, die die Weisung als Lenkungsinstrument eröffnet. Soweit unbestimmte Rechtsbegriffe betroffen sind, ist es umstritten inwieweit eine Auslegung dieser Begriffe durch die Verwaltung gerichtlich überprüfbar ist und inwieweit Beurteilungsspielräume für die Verwaltung bestehen. 194 Aber selbst wenn man mit der Rechtsprechung im Grundsatz von einer vollen Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe ausgeht, 195 ist damit aus legitimatorischer Sicht nicht viel gewonnen: Zwar kann das Gericht bei einer unbeschränkten Überprüfung seine Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes an die Stelle der Verwaltungsauslegung setzen, jedoch bestehen zum einen auch nach Ansicht der Rechtsprechung Ausnahmen, bei denen ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung besteht und die gerichtliche Kontrolle beschränkt ist. Zu nennen sind hier insbesondere Entscheidungen, die einer Prognose oder Risikobewertung bedürfen. 196 Zum anderen leistet die gerichtliche Kontrolle im Hinblick auf die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht mehr, als die Rechtsaufsichtsbehörden leisten. Wie oben bereits dargelegt 197 können die Aufsichtsbehörden ihre Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe gegenüber der unteren Verwaltungsbehörde im Rahmen der Rechtsaufsicht durchsetzen. Hierbei ist die 193
Vgl. dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 7, Rn. 6. Vgl. dazu nur die Darstellung bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 7, Rn. 26 ff. 195 Vgl. BVerwGE 81, S. 12, 17; 88, S. 35, 37 ff.; 94, S. 307. 196 Vgl. BVerwGE 79, S. 208, 213; 81, S. 185, 190 ff. Siehe auch die Darstellung der Fallgruppen, bei denen eine Ausnahme von der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfbarkeit besteht, bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 7, Rn. 37 ff. 197 Vgl. Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. b) bb) (1). 194
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Steuerungsmöglichkeit durch das Mittel der Rechtsaufsicht größer als bei einer gerichtlichen Kontrolle: Zwar können die Rechtsaufsichtsbehörden nur auf rechtswidriges Verwaltungshandeln reagieren und nicht schon vor Tätigwerden des ihnen unterstellten Verwaltungsträgers handeln. Im Gegensatz zu den Gerichten können die Rechtsaufsichtbehörden aber bei einem rechtswidrigen Handeln der ihnen unterstehenden Behörden selbstbestimmt tätig werden, während die Gerichte nicht von sich aus rechtswidriges Verwaltungshandeln aufheben können, sondern erst angerufen werden müssen. Die Möglichkeit der Gerichte, durch ihre Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe das Verwaltungshandeln zu steuern, kann somit als doppelt reaktiv bezeichnet werden, da sie zum einen voraussetzt, dass bereits eine zu überprüfende Verwaltungsentscheidung vorliegt und zum anderen diese Entscheidung durch die Rechtsmitteleinlegung eines Dritten zur gerichtlichen Prüfung gelangen muss. 3. Fazit Die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsakten verhilft der Gesetzesbindung der Verwaltung zur Durchsetzung. Von ihr geht jedoch keine legitimatorische Wirkung aus, die über die Gesetzesbindung hinausgeht. Für den Fall, dass die Verwaltung nicht rechtmäßig handelt, bieten aus legitimatorischer Sicht die Instrumente der Rechtsaufsicht Möglichkeiten, das Gesetz und den darin zum Ausdruck kommenden Volkswillen umzusetzen. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen kann das Gericht zwar seine Interpretation der Vorschrift an die Stelle der Auslegung durch die Verwaltungsbehörde setzten, auch insoweit wird jedoch kein Zuwachs an Steuerung erzielt, da die Rechtsaufsichtsbehörde diese Funktion bereits wahrnimmt. Da der gerichtlichen Kontrolle somit keine legitimatorische Bedeutung zukommt, die über die der Rechtsaufsicht hinausgeht, können Defizite bei anderen Komponenten der sachlich-inhaltlichen Legitimation, insbesondere im Bereich der Weisungsunterworfenheit, nicht durch eine (verstärkte) gerichtliche Kontrolle ausgeglichen werden. V. Effizienz und Effektivität Die Grundsätze der Effizienz und Effektivität werden teilweise als Legitimationsfaktoren angesehen, die zur Erreichung des Legitimationsniveaus beitragen. 198 Angesichts der Tatsache, dass die Legitimationsarten der Rückbindung von Staatsgewalt an den Volkswillen dienen, überrascht diese Einordnung auf den ersten Blick. Im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Effizienz findet sie 198
Vgl. hinsichtlich der Einordnung die Darstellung bei Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 387, 390.
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eine Erklärung in der Einbeziehung materialer Faktoren in das Legitimationskonzept. 199 Eine solche Berücksichtigung materialer, outputorientierter Faktoren wurde aber bereits zugunsten eines formalen Legitimationskonzeptes zurückgewiesen. 200 Der Gesichtspunkt der Effektivität lässt sich über folgenden Gedankengang in das Legitimationskonzept einbauen: Im Parlamentsgesetz manifestiert sich der Volkswille, so dass eine effektive, d. h. eine wirksame, Umsetzung des Gesetzes durch die Verwaltung letztlich auch die Bindung des Verwaltungshandelns an das Volk verstärkt. 201 Indem hierbei auf die praktische Durchsetzung des Gesetzes abgestellt wird, erfolgt somit ebenfalls eine Einbeziehung materialer Aspekte in das Legitimationskonzept. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint die Einordnung von Effizienz und Effektivität als Legitimationsfaktoren zwar nachvollziehbar, wenn aber gemäß der obigen Ausführungen outputorientierte Erwägungen zur Bestimmung des Legitimationsniveaus außer Betracht bleiben müssen, verbleibt nur die Möglichkeit, Effektivität und Effizienz als kollidierendes Verfassungsrecht zu qualifizieren. Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen beiden Grundsätzen, die auch ihre Abgrenzung voneinander umfasst, soll deshalb erst im Zusammenhang mit der Untersuchung der Rechtfertigung von Einschränkungen innerhalb des Demokratieprinzips aufgrund kollidierender Verfassungswerte erfolgen. 202 VI. Fazit: Keine weiteren Legitimationsarten neben organisatorisch-personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass den Gesichtspunkten der Partizipation, Akzeptanz, der Qualität der Verwaltungsentscheidung, der gerichtlichen Kontrolle sowie der Effizienz und Effektivität keine legitimationsfördernde Wirkung zukommt. Damit konnte neben der organisatorisch-personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimationsform kein weiterer Faktor aufgefunden werden, der geeignet ist, die Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk zurückzuführen und so zu legiti199
Vgl. Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / ders., Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 355, 376, 393 f.; ders., DöV 1997, S. 433, 438. 200 Vgl. oben Teil 2 Kap. 2 B. III. 201 Vgl. zu dieser Argumentationsstruktur BVerfGE 107, S. 59, 99. Allerdings weisen die Entscheidungsgründe auch Passagen auf, die eher für eine Einordnung des Effektivitätsgedankens als kollidierendes Verfassungsrecht sprechen. Vgl. dazu unten Teil 2 Kap. 2 G. III. 3. c). 202 Vgl. unten Teil 2 Kap. 2 G. III.
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mieren. Ein Ausgleich von Defiziten im Bereich der personellen und materiellen Legitimation durch andere Legitimationsfaktoren kommt daher nicht in Betracht.
C. Lösungsmodelle im Hinblick auf das Defizit im organisatorisch-personellen Bereich Es stellt sich aber die Frage, ob zumindest für das Defizit im Bereich der personellen Legitimation eine Lösung gefunden werden kann. Wie oben bereits am Beispiel von Emschergenossenschaft und Lippeverband dargelegt wurde, 203 weist die funktionale Selbstverwaltung sowohl im Bereich der personellen als auch im Bereich der materiellen Legitimation Defizite auf. Hierbei sind die Mängel im Bereich der personellen Legitimation noch stärker ausgeprägt als im Bereich der materiellen Legitimation, da eine sachlich-inhaltliche Rückbindung durch die gesetzlichen Vorgaben und die Rechtsaufsicht zumindest eingeschränkt besteht, während eine personelle Rückanbindung an das Gesamtvolk gänzlich fehlt: Die Mitglieder einer Selbstverwaltungskörperschaft, die die Leitungsorgane wählen, die ihrerseits für die Körperschaft handeln, werden weder direkt vom Staatsvolk gewählt noch können sie ihre Funktion auf einen individuellen Bestellungsakt zurückführen, so dass die Legitimationskette zum Volk unterbrochen ist. Ferner sind die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft auch nicht selber als Legitimationssubjekt im Rahmen des Art. 20 II GG anzusehen und vermitteln auch keine Legitimation, die neben die Legitimation durch das Staatsvolk tritt. 204 Es stellt sich daher die Frage, ob nicht auf anderem Wege dem Defizit an personeller Legitimation begegnet werden kann, um somit das Hauptargument für die mangelnde demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung zu entkräften. Hierfür bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder man erklärt die personelle Legitimation im Hinblick auf die demokratische Legitimation für bedeutungslos oder man leitet die personelle Legitimation bereits aus dem Errichtungsgesetz ab. Den ersten Lösungsweg beschreitet das sog. Kontrollmodell, den zweiten Weg wählt die Theorie von der kollektiven Legitimation. Beide Lösungsansätze sind im Folgenden darzustellen und kritisch zu hinterfragen. I. Kontrollmodell 1. Darstellung des Kontrollmodells Nach dem Kontrollmodell ist die potentielle Inhaltskontrolle das maßgebliche Kriterium zur Vermittlung demokratischer Legitimation. Der personellen Legi203 204
Vgl. oben Teil 2 Kap. 1. Vgl. Teil 2 Kap. 2 A.
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timation kommt nach diesem Modell nur sehr eingeschränkte Bedeutung zu. Sie soll insbesondere für politische Spitzenämter erforderlich sein. 205 Der Begriff der Kontrolle erscheint in diesem Modell umfassend und unterscheidet nicht zwischen nachträglichen Legitimationsinstrumenten und Instrumenten, die der Ausübung von Staatsgewalt vorgeschaltet sind. 206 Auch wird nicht auf die tatsächlich bestehende Kontrolle abgestellt, sondern zur Legitimationsvermittlung wird bereits die potentielle Kontrolle als ausreichend angesehen. Hierunter wird die Möglichkeit des Gesetzgebers verstanden, eine Materie vollumfänglich zu regeln. 207 Dass die bloße Möglichkeit zur Legitimationsvermittlung ausreichen soll, wird begründet mit einem Verweis auf den Wahlakt: Dieser vermittle auch bei geringer Wahlbeteiligung volle Legitimation, solange allen Wahlberechtigten eine Teilnahme an der Wahl möglich war. Hierdurch würde deutlich, dass es im Rahmen des Demokratieprinzips nicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten bzw. eine tatsächlich ausgeübte Kontrolle ankomme, sondern eine potentielle Kontrolle ausreiche. 208 Diese Beschränkung der Legitimation auf eine potentielle Kontrolle bildet dabei den wesentlichen Unterschied des Kontrollmodells zu dem Ansatz, eine Totalsubstitution des personellen Legitimationsstranges durch die sachlichinhaltliche Legitimation anzunehmen, 209 denn ein solches Vorgehen setzt einen tatsächlich bestehenden „Legitimationsüberschuss“ auf der materiellen Seite voraus. 2. Kritische Hinterfragung Einem solchen Modell, das vorwiegend auf die potentielle Inhaltskontrolle abstellt, ist Folgendes entgegenzuhalten: Zunächst einmal ist eine Vergleichbarkeit zwischen der Legitimationsvermittlung mittels parlamentarischem Gesetz und dem Wahlakt nicht gegeben. Auch bei geringer Wahlbeteiligung ergibt sich eine Mehrheit und dieses Ergebnis wird dem gesamten Volk zugerechnet. Die Wahlbeteiligung ist dabei ausschließlich abhängig von der Entscheidung der Bürger, an der Wahl teilzunehmen. Sofern sich alle für eine Beteiligung entscheiden, stehen einer umfassenden Wahlbeteiligung keine weiteren Hindernisse entgegen. Während also bei der Wahl eine alle Bürger umfassende Wahlbeteiligung 205
Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 137, 141. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 127. Anders oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass eine trennscharfe Abgrenzung dieser Instrumente nicht immer möglich ist. 207 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 128. 208 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 127 f. 209 Die bestehenden Parallelen werden deutlich bei den Ausführungen Tschentschers, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 143. 206
Kap. 2: Die verschiedenen Legitimationsmodelle
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theoretisch denkbar ist, hat der Gesetzgeber hingegen nicht einmal die theoretische Möglichkeit, alle Fragen bezüglich der Ausübung von Staatsgewalt zu regeln: Wie bereits im Zusammenhang mit der Legitimationswirkung des Parlamentsgesetzes ausgeführt wurde, 210 sind Dichte und Umfang der gesetzlichen Regelung Grenzen gesetzt. Das Gesetz als abstrakt-generelle Regelung, das eine unbestimmte Anzahl von Fällen und eine Vielzahl von Personen betrifft, kann den Einzelfall nicht umfassend selbst regeln, sondern ist auf Konkretisierung durch die Verwaltung angewiesen, wodurch zwangsläufig Spielräume für diese entstehen. 211 Die Konkretisierungsbedürftigkeit der Gesetze und der damit einhergehende Entscheidungsspielraum der Verwaltung bei der Anwendung der Gesetze ermöglicht hierbei die schnelle Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles und an Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, 212 da die Verwaltung flexibler und kurzfristiger reagieren kann als der Gesetzgeber. Auch wenn man eine Konkretisierung der Gesetze durch Rechtsverordnungen einbezieht, bleibt es dabei, dass das Bestehen von Ermessensspielräumen für die Verwaltung nicht die Ausnahme, sondern den Regelfall darstellt. Somit kann aus der Legitimationswirkung des Wahlaktes, die auch bei geringer Wahlbeteiligung vollumfänglich besteht, nicht abgeleitet werden, dass für die Vermittlung demokratischer Legitimation allgemein eine potentielle Inhaltskontrolle ausreiche. Aus der bloß unterstellten Möglichkeit des Gesetzgebers, einen Bereich durch den Erlass von Gesetzen umfassend zu kontrollieren, lässt sich somit keine Legitimationswirkung ableiten. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass auch bei der Legitimationswirkung der Weisung das bloße Bestehen des Weisungsrechts als ausreichend angesehen und keine konkret erfolgte Weisung verlangt wird. 213 Im Gegensatz zur inhaltlichen Steuerung durch den Gesetzgeber und die Regierung besteht im Falle des Weisungsrechts jedenfalls theoretisch die Möglichkeit, hiervon in jedem Einzelfall Gebrauch zu machen, da die Weisung anders als Gesetz und Rechtsverordnung ebenso auf den Einzelfall zugeschnitten ist wie die Entscheidung des zuständigen weisungsunterworfenen Amtswalters. Daher kann im Fall der Weisung eine Legitimationswirkung schon aus dem bloßen Bestehen des Weisungsrechts und der damit jederzeit gegebenen Möglichkeit der Aktualisierung dieses Rechtes durch Erlass einer Einzelweisung hergeleitet werden. Des Weiteren ist zu kritisieren, dass das Kontrollmodell dem personellen Legitimationsfaktor zu geringe Bedeutung zumisst. Wie oben bereits herausgestellt 210
S. oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. a) aa). Vgl. dazu Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 165 ff. 212 Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 169 ff. 213 Vgl. zur Legitimationswirkung der Weisung oben Teil 1 Kap. 2 D. III. 2. b) aa) (2) (a). 211
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
wurde, ist das Bestehen von Ermessensspielräumen im Bereich der Verwaltung keinesfalls eine atypische Ausnahme, sondern vielmehr der Regelfall. Da aber ein Einfluss des Volkes auf die Ermessensausübung durch den Amtswalter insbesondere über die Auswahl seiner Person sowie mittels der entlang der personellen Legitimationskette verlaufenden Weisungsstränge 214 sichergestellt wird, ist der personelle Legitimationsfaktor entgegen der Annahme des Kontrollmodells nicht zu vernachlässigen. 215 Deutlich wird diese Schwäche der Legitimation nach dem Kontrollmodell, wenn zur Begründung der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung neben der Kontrolle, die durch Gesetze und Aufsicht sichergestellt wird, auf eine „weitere Kontrolle durch die Gesamtheit der von der Selbstverwaltung Betroffenen“ zurückgegriffen wird. 216 Hintergrund einer solchen legitimatorischen Wirkung der Kontrolle durch die Mitglieder der Selbstverwaltung ist letztlich die Vorstellung, dass diese Mitglieder als Legitimationssubjekt fungieren. Einem solchen Verständnis steht jedoch die Auslegung des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk entgegen. 217 Auch das sog. Kontrollmodell vermag daher nicht, die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften demokratisch zu legitimieren. II. Kollektiv demokratisches Legitimationsmodell Das zweite Lösungsmodell, das sich für die Lösung des Legitimationsdefizits im personellen Bereich anbietet, ist die These von der kollektiven personellen Legitimation: Sie versucht nicht, die Bedeutung der personellen Legitimation zu negieren oder eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für das beschriebene Legitimationsdefizit herzuleiten, sondern schafft zur Lösung der Legitimationsproblematik eine eigene Art der personellen Legitimation für funktionale Selbstverwaltungskörperschaften, die auf den gesetzlichen Gründungsakt abstellt: die so genannte kollektive personelle Legitimation. Im Folgenden soll zunächst die Argumentation der Vertreter dieser Auffassung dargelegt werden. Im Anschluss daran ist zu prüfen, ob die These von der 214
Dies räumt auch Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 137, 141 ein. 215 Vgl. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 141 f., nach dem sogar die Vergabe eines Amtes durch Losentscheid unschädlich wäre, solange andere Verfahrensgarantien eine hinreichende potentielle Inhaltskontrolle gewährleisteten. Welche anderen Verfahrensgarantien dies gewährleisten können, wird aber nicht weiter ausgeführt und bleibt damit vage. 216 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 135 f. (Zitat S. 135). 217 Vgl. dazu oben Teil 1 Kap. 2 C. und Teil 2 Kap. 2 A.
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kollektiven personellen Legitimation mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Legitimationsmodell vereinbar ist. 1. Darstellung der Theorie von der kollektiven personellen Legitimation Die These von der kollektiven personellen Legitimation überwindet den Bruch in der Legitimationskette vom Volk zu den Entscheidungsträgern, indem sie auf den Akt der Gründung der Selbstverwaltungskörperschaft abstellt: Da die funktionalen Selbstverwaltungseinheiten durch ein Parlamentsgesetz errichtet werden und damit auch ihre Organisation und die Inpflichtnahme der Mitglieder einhergehen, geht diese Ansicht von einer unmittelbar parlamentarisch vermittelten personellen Legitimation aus. 218 Das Parlament bestimme bei Errichtung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft diejenigen Kriterien und Merkmale, aus denen die Mitgliedschaft in der Körperschaft folge. Somit sei der Kreis der Mitglieder vom Parlament hinreichend bestimmt und individualisierbar vorgegeben. Ebenso wie der Dienstherr bei der Ernennung eines Beamten (Art. 33 II GG) ließe sich das Parlament bei der Festlegung des Mitgliederkreises der Selbstverwaltungskörperschaft von der sachlichen Überlegung leiten, wer zur Wahrnehmung der zu übertragenden Aufgaben besonders geeignet und befähigt sei. Hierbei werde die Eignung und Befähigung dadurch indiziert, dass der Personenkreis, deren Angehörige als Mitglieder bestimmt werden, mit der übertragenden Aufgabe in besonderer Weise befasst oder von ihr in besonderer Weise betroffen sei: Dies ließe Sachverstand und Interesse an einer sachgerechten und ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung vermuten. 219 Der Umstand, dass die Bestellung bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften kollektiv erfolge, sei dabei durch die parlamentarische Entscheidung bedingt, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch einen Träger funktionaler Selbstverwaltung einer Wahrnehmung im Rahmen der Strukturen der Ministerialverwaltung vorzuziehen sei. 220 Da aber auch die kollektive Bestellung bestimmt bzw. bestimmbar sei und von denselben sachlichen Erwägungen getragen werde wie die konkret-individuelle Bestellung, könne die kollektive Bestellung ebenso personelle Legitimation vermitteln wie die konkret-individuelle Bestellung. Da die Legitimation hierbei direkt über das Parlament erfolge und nicht den 218 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 376 f.; P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 551 ff.; Dederer, NVwZ 2000, S. 403, 405; ders., Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 226 ff., 236 ff. 219 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 379; zustimmend P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 552. 220 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 379 f.; zustimmend P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 552.
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Umweg über die Exekutivspitze nehme, sei sie der Legitimation der Regierung vergleichbar. Damit sei das Maß an personeller Legitimation nicht nur nicht als defizitär, sondern sogar als besonders hoch anzusehen. 221 Auch die Rückkopplung an das Volk, die bei der Ernennung von Amtswaltern durch Organe der Exekutive über die Verantwortlichkeit gegenüber dem Minister und dessen Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament hergestellt wird, werde bei einer kollektiven Bestellung durch eine direkte Verantwortlichkeit der Selbstverwaltungskörperschaft gegenüber dem Parlament ersetzt. Auch im Hinblick auf die parlamentarische Kontrolle und Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament weise die funktionale Selbstverwaltung somit keine Defizite auf, sondern seine Stellung sei auch insoweit mit dem Status der Regierung vergleichbar. 222 Zur Begründung der Verantwortlichkeit der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber dem Parlament verweisen die Vertreter der kollektiven Legitimation auf „allgemeine Aufsichtsmöglichkeiten“ des Parlaments, sowie dessen Möglichkeit, durch „Eingriffe in die gesetzlichen Regelungen, durch eine Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse, die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen sowie letztlich die Auflösung oder Neuordnung der Organisation“ Kontrolle auszuüben. 223 Im Übrigen würden bei der Zulassung einer kollektiven Legitimation Wertungswidersprüche zum Institut der Beleihung vermieden, da andernfalls ein privater Beliehener als Experte nur aufgrund seiner denknotwendigen individuellen Bestellung personelle Legitimation genösse, während dies einer Gruppe von Experten nur deshalb verwehrt bliebe, weil sie gemeinsam bestellt würden. 224 Ein weiterer Vorteil der Theorie der kollektiven Legitimation sei, dass die Ausübung von Staatsgewalt durch den Selbstverwaltungsträger nach diesem Legitimationsmodell nicht nur gegenüber seinen Mitgliedern, sondern auch gegenüber Dritten demokratisch legitimiert sei. Dies liege darin begründet, dass die parlamentarische kollektive Legitimation im Gegensatz zur autonomen Legitimation oder zur Qualifizierung der Mitglieder als Teilvolk auf das gesamte Staatsvolk zurückgeführt werden könne. 225 221
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 381 f. Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 380 f., der allerdings das Verantwortlichkeitselement ohne nähere Begründung nicht für unabdingbar hält und ihm nur die Funktion einer zusätzlichen Stärkung der personellen Legitimation zuspricht. Vgl. zur Kritik daran Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 49. 223 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 380. 224 So P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 552. 225 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 494 ff, der zwar eine geringere Legitimation gegenüber Dritten annimmt, aber nicht von einem gänzlichen Fehlen personeller Legitimation gegenüber Nicht-Mitgliedern ausgeht. S. auch P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 553. Vgl. genauer zum Aspekt der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten: unten Teil 2 Kap. 2 J. 222
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2. Überprüfung der kollektiven personellen Legitimation anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben Im Folgenden ist zu untersuchen, ob eine Lösung der Legitimationsproblematik der funktionalen Selbstverwaltung über die These einer kollektiven Legitimation durch den parlamentarischen Gründungsakt möglich ist, oder ob die Verfassung einer solchen Theorie entgegensteht. a) Das Prinzip der individuellen Berufung Nach dem „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter“ 226 muss einem konkreten Amtswalter ein konkreter Funktionsbereich zugewiesen werden. Eine kollektive personelle Legitimation erfüllt diese Voraussetzung nicht. Bei dem Grundsatz der individuellen Berufung handelt es sich nicht nur um eine im öffentlichen Dienstrecht übliche Vorgehensweise 227 oder um einen Bestandteil einer ideellen Demokratietheorie, sondern dieser Grundsatz findet seine normative Stütze in der Verfassung: Die im Grundgesetz normierten Fälle der Übertragung eines Amtes sind allesamt individuell ausgestaltet. Das Grundgesetz sieht zum einen die Bestellung durch Wahl vor, wobei eine bestimmte Person bzw. bestimmte Personen gewählt werden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Wahl der Abgeordneten (Art. 38 I GG), des Bundestagspräsidenten (Art. 40 GG), des Bundespräsidenten (Art. 54 GG), der Bundesverfassungsrichter (Art. 94 GG) und des Bundeskanzlers (Art. 63 I, 67 GG). 228 Ferner sind auch die vom Grundgesetz vorgesehenen Fälle der Ernennung eines Amtswalters individuell ausgestaltet. Als Beispiel sind hier die Ernennung der Bundesminister (Art. 64 GG) und die Regelungen über die Ernennung von Amtsträgern unterhalb der Staatsleitungsebene zu nennen (Art. 33 II bis V GG). 229 Dieser Herleitung des Erfordernisses der individuellen Berufung von Amtswaltern aus der Verfassung halten die Vertreter der kollektiven Legitimation entgegen, dass die individuelle Bestellung bei dem für die demokratische Legitimation bedeutendsten Bestellungsakt, der Parlamentswahl, nur eingeschränkt verwirklicht sei: Die Möglichkeit der Listenwahl (§ 1 II, § 6 BWahlG) bedinge, 226
Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210; ders. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn. 53; vgl. auch Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 16. 227 Dann wäre ein Verstoß der These von der kollektiven personellen Legitimation gegen dieses Prinzip in der Tat unbedenklich, vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 378. 228 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 213; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 378 f.; Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 45. 229 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 213; Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 45.
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dass der Wähler nicht eine bestimmte Einzelperson wähle, sondern eine Partei, da er zum einen die Personen auf der Landesliste in der Regel nicht kenne und zum anderen die Frage, welche Personen gewählt sind, vom Wahlergebnis bzw. von Bundes- und Landesproporz abhänge. In der Listenwahl sehen die Vertreter der Theorie von der kollektiven personellen Legitimation eine „partielle[n] Kollektivierung der personellen Legitimation“ 230, und aus der Zulässigkeit der Listenwahl unter dem Grundgesetz leiten sie weiter ab, dass eine individuelle Bestellung der Amtswalter nicht von der Verfassung gefordert werde. 231 Einer solchen Argumentation ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Listenwahl im Gegensatz zu den oben genannten Beispielen für individuell ausgestaltete Amtsübertragungen nicht im Grundgesetz selbst vorgesehen ist, sondern lediglich in dem gem. Art. 38 III GG erlassenen Bundeswahlgesetz geregelt ist. Aber selbst wenn man mit der herrschenden Ansicht 232 von der Verfassungsmäßigkeit des Bundeswahlgesetzes ausgeht und somit annimmt, dass das Grundgesetz die Listenwahl zumindest zulässt, ist damit noch keine Kollektivierung des personellen Legitimationselementes zu verzeichnen: Zwar kann der Wähler seine Stimme bei der Listenwahl nicht wie bei der Direktwahl des Wahlkreiskandidaten einer bestimmten Einzelperson auf der Liste geben, sondern seine Stimme gilt den auf der jeweiligen Liste stehenden Kandidaten insgesamt. 233 Dies steht dem individuellen Charakter der Wahl jedoch nicht entgegen: Die Kandidaten auf der Liste sind zum Zeitpunkt der Wahl individuell bestimmt 234 und die Reihenfolge ihres Einzuges in den Bundestag ist festgelegt. Die Liste wird gem. § 28 III BWahlG spätestens am achtundvierzigsten Tag vor der Wahl bekannt gegeben, so dass der Wähler sich auch Kenntnis von den Personen auf der Liste verschaffen kann. Dem Umstand, dass die Personen auf der Liste und ihre Rangfolge durch die Partei vorgegeben werden, wohnt kein kollektivierendes Element inne, da die Kandidaten konkret feststehen und nicht etwa nur nach allgemeinen Merkmalen beschrieben werden oder gar nach der Wahl von der Partei bestimmt werden. Die These von der kollektiven personellen Legitimation widerspricht somit dem Prinzip der individuellen Berufung als verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz.
230
Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 378. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 378 f.; zustimmend P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531,552. 232 Vgl. BVerfGE 7, S. 63, 68 f.; 47, S. 253, 280 f.; Achterberg / Schulte, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 38, Rn. 124. 233 Vgl. BVerfGE 7, S. 63, 68 f. 234 Auf diesen Umstand weist auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 47 hin. 231
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b) Funktionen der individuellen Berufung Ferner können auch aus der Funktion und dem Sinn und Zweck einer individuellen Berufung keine Argumente zugunsten der Zulässigkeit einer kollektiven Legitimation abgeleitet werden: Zum einen ist die individuelle Berufung, bei der die den Amtswalter ernennende Instanz dessen Eignung und Befähigung im Hinblick auf das zu übertragene Amt prüft, Voraussetzung für eine Bestenauslese, wie sie Art. 33 II GG fordert. Zum anderen ist auch eine Personalpolitik nur denkbar, wenn die Amtswalter individuell berufen werden. 235 aa) Bestenauslese nach Art. 33 II GG Abstrakte Ernennungskriterien, die auf den Beruf oder die sonstige Betroffenheit einer Personengruppe von einem Aufgabenbereich abstellen, können eine Bestenauslese nicht leisten: Im Gegensatz zur individuellen Bestellung findet bei der Errichtung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft und der damit einhergehenden Festlegung ihrer Mitglieder keine Auswahlentscheidung statt. Vielmehr ist eine Person nach den im Gesetz abstrakt festgelegten Kriterien entweder Mitglied oder sie ist es nicht. In der Festsetzung der Kriterien für die Mitgliedschaft liegt keine Auswahlentscheidung des Gesetzgebers, da diese Kriterien entweder an voraus liegende Dispositionen der Mitglieder anknüpfen oder von den Mitgliedern selbst beeinflusst werden können, etwa durch Stellung eines Aufnahmeantrages 236 oder Ergreifung eines Berufes. 237 Somit ist nicht sicher gestellt, dass die am besten geeigneten Personen die öffentlichen Aufgaben wahrnehmen, so dass die Anforderungen des Art. 33 II GG nicht beachtet werden. 238 235
Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 211; zustimmend Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 45. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 361. 236 Vgl. z. B. § 23 I WVG, nach dem derjenige, der einen Vorteil aus der Durchführung der Verbandsaufgabe zu erwarten oder Maßnahmen des Verbands zu dulden hat, einen Aufnahmeantrag stellen kann. 237 Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 47. Frank, a.a. O., S. 48 sieht des Weiteren einen Verstoß gegen den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG, allerdings ohne darauf einzugehen, ob in der Übertragung von Aufgaben auf Selbstverwaltungskörperschaften eine Ausnahme von der in Art. 33 IV GG statuierten Regel zu erblicken ist. Eine solche Ausnahme kommt natürlich nur dann in Betracht, wenn die Aufgabenübertragung auf Selbstverwaltungskörperschaften auch sonst als verfassungsgemäß anzusehen ist, also insbesondere mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist (vgl. zum Regel-Ausnahmeprinzip des Art. 33 IV GG Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 251 ff., 261 ff., dort insbes. 263 f.). Dies wird hier aber gerade geprüft, so dass es einem Zirkelschluss nahe kommt, die Theorie der kollektiven Legitimation aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 33 IV abzulehnen.
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Zwar wird mit der Betroffenheit durch die wahrzunehmende Aufgabe in der Regel auch eine gewisse Kenntnis von den Problemen einhergehen, diese Sachkunde ist aber nicht garantiert, wird auch nicht geprüft und stellt nicht einmal das entscheidende Kriterium für den Gesetzgeber dar. Besonders gut verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel des Errichtungsgesetzes für den Lippeverband und die Emschergenossenschaft. In diesen Gesetzen hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Mitgliedschaft sogar zum Teil den Verbänden selbst überlassen, da diese gem. § 6 II LippeVG und § 5 II EmscherGG in ihrer Satzung für bestimmte Mitgliedskandidaten Mindestbeiträge festlegen können, bei deren Unterschreiten die Mitgliedschaft nicht zustande kommt bzw. erlischt (vgl. jeweils § 3 der Satzung von Emschergenossenschaft und Lippeverband). Da sich die Frage der Eignung und Kompetenz zur Aufgabenwahrnehmung kaum an der Beitragshöhe ablesen lassen wird, zeigt dieses Beispiel besonders deutlich, dass die sachlichen Kriterien der Eignung und Befähigung zur Wahrnehmung des übertragenen Amtes bei der Errichtung eines Selbstverwaltungsträgers und der Festlegung seiner Mitglieder zwar im Hintergrund mitschwingen mögen, jedenfalls aber nicht die tragenden und vorrangigen Entscheidungsmotive darstellen. bb) Personalpolitik Neben den Einwand, dass eine Auswahlentscheidung im Sinne einer Bestenauslese bei einer kollektiven Berufung nicht möglich ist, tritt ein weiterer Kritikpunkt: Eine Personalpolitik ist nur möglich, wenn das Volk bzw. seine Vertreter die Ämter auf der Grundlage einer individuellen Auswahlentscheidung vergeben. 239 Andernfalls würden sich die Amtswalter bzw. die Amtsfolge verselbständigen, nachdem die abstrakten Kriterien zu ihrer Bestellung einmal von der Volksvertretung festgelegt worden sind. Durch das Modell der kollektiven Bestellung wird also höchstens punktuell eine Legitimation hergestellt, aber es ist keine dauerhafte, fortwährende Legitimation gegeben. 240 Einmal demokratisch errichtet würde der jeweilige Selbstverwaltungsträger eigenständig bestehen und sich so vom Volk ablösen können. Hinzu kommt, dass im Fall individueller Ernennung eines Amtswalters gemäß Art. 33 GG die Exekutivspitze die Personalhoheit über den so bestellten Amts238
Der Geltungsbereich des in Art. 33 II GG normierten Gebots der Bestenauslese ist dabei nicht auf die Berufung von Beamten beschränkt, sondern betrifft jeden, der ein öffentliches Amt wahrnimmt. Ein solches Amt erfüllen auch Träger funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften, insbesondere bei der Ausübung von Staatsgewalt, so dass Art. 33 II auch für sie Geltung hat. Vgl. zum Geltungsbereich des Art. 33 II GG: Jachmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 33, Rn. 15. 239 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 211 f., der die große Bedeutung der Personalpolitik für den modernen, politisch gestaltenden Staat hervorhebt. 240 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 15.
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walter innehat. Bei einer kollektiven Berufung mittels Aufstellung bestimmter Berufungskriterien durch das Parlament hingegen besitzen weder das Parlament noch die Exekutivspitze die Personalhoheit über die so bestellten Amtswalter. Damit fehlt ein wichtiges Instrument, das beispielsweise die Befugnis zur Entscheidung über die Beförderung oder Versetzung der Amtswalter umfasst, um die Rückbindung an die Exekutivspitze und somit mittelbar an das Volk zu gewährleisten, auch wenn die Ernennung schon längere Zeit zurückliegt. 241 Die fehlende Möglichkeit einer Auswahlentscheidung sowie die fehlende Personalhoheit fallen umso mehr ins Gewicht, als auch ihr Pendant im Rahmen der sachlichen Legitimation, das Einzelweisungsrecht, gegenüber den Trägern funktionaler Selbstverwaltungseinrichtungen nicht besteht. cc) Kein Wertungswiderspruch zum Institut der Beleihung Somit ist eine kollektive Bestellung einer individuellen Berufung eines Amtswalters nicht gleichzusetzen, da sie weder eine Bestenauslese gewährleistet noch eine Personalpolitik ermöglicht. Die Gleichstellung von individueller und kollektiver Ernennung wird auch nicht etwa durch andernfalls entstehende Wertungswidersprüche bei der Beurteilung der personellen Legitimation von Selbstverwaltungsträgern und Beliehenen gefordert. Zum einen kann bei der Beleihung aufgrund der individuellen Ernennung dem Gebot der Bestenauslese nach Art. 33 II GG entsprochen werden 242 und zum anderen unterscheidet sich der Beliehene durch seine grundsätzliche Weisungsunterworfenheit von den Trägern funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften. 243 Das Argument, dass bei Verneinen einer kollektiven demokratischen Legitimation für funktionale Selbstverwaltungskörperschaften ein Wertungswiderspruch zur Beurteilung der demokratischen Legitimation Beliehener entstehe, entbehrt also der Grundlage. c) Kein Ausgleich durch Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament Im Folgenden sei abschließend noch die letzte These überprüft, welche die Vertreter des Modells einer kollektiven personellen Legitimation anführen: Hiernach werde die fehlende Verantwortlichkeit der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber der Exekutive ersetzt durch eine direkte Kontrolle der Körperschaften durch das Parlament.
241
Vgl. dazu oben Teil 1 Kap. 2 D. I. 4. b). Zur umstrittenen Geltung des Art. 33 II GG für Beliehene vgl. nur Jachmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 33, Rn. 15 m.w. N. in Fn. 36. 243 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 62 sowie die Ausführungen unter Teil 1 Kap. 1 A. II. 2. 242
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Diese Behauptung soll im Folgenden kritisch hinterfragt werden. Zuvor soll allerdings kurz auf die Relevanz der Verantwortlichkeitsfrage im Rahmen der personellen Legitimation eingegangen werden. aa) Bedeutung der Verantwortlichkeit auch im Rahmen der personellen Legitimation Bei der obigen Darstellung der Legitimationsmodi, der sachlichen und der personellen Legitimation, wurde die Verantwortlichkeit als Element der sachlichen Legitimation dargestellt. In Anbetracht dessen mag eine Behandlung dieser Frage im Rahmen der Untersuchung der Theorie kollektiver Legitimation, die die personelle Legitimation betrifft, erstaunen. Zum einen wurde aber bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es Überschneidungen zwischen personeller und materieller Legitimationsart gibt und diese nicht immer streng zu trennen sind. Zum anderen folgt aus den voran gegangenen Ausführungen, dass auch der Personalhoheit, die mit dem individuellen Charakter der Bestellung zusammenhängt, gewisse Kontrollelemente innewohnen, da beispielsweise ein Amtswalter, der seine Aufgabe nicht sachgerecht erfüllt, versetzt werden kann oder ihm die Beförderung versagt bleiben kann. Die Frage nach der Verantwortlichkeit eines Amtswalters gegenüber der Volksvertretung hat also auch im Rahmen der Untersuchung der personellen Legitimation seine Berechtigung. bb) Unzureichende Kontrollmöglichkeiten des Parlaments Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob die mangelnden Kontrollmöglichkeiten der Exekutive gegenüber den funktionalen Selbstverwaltungsträgern tatsächlich durch eine direkte Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament ausgeglichen werden. Die Befugnis des Gesetzgebers, die von ihm errichtete Selbstverwaltungskörperschaft aufzulösen und die ihr anvertrauten Aufgaben der Ministerialverwaltung zuzuweisen, erscheint dabei nicht als geeignetes Kontrollinstrument, da eine solche Auflösung die Körperschaft in ihrer Gesamtheit betrifft und somit nicht geeignet ist, einzelne Fehler zu korrigieren. 244 Ähnlich verhält es sich mit der Möglichkeit der Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse: Die Selbstverwaltungskörperschaften unterstehen ohnehin der uneingeschränkten Rechtsaufsicht des zuständigen Ministeriums. Wollte man die Aufsichtbefugnisse um Elemente der Fachaufsicht erweitern, so müsste dabei behutsam vorgegangen werden, 244 Vgl. Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 50: „Die Möglichkeit, eine Regelung aufzugeben bzw. zu ändern, kann aber nicht die Begründung dafür liefern, dass die Regelung selbst haltbar sei.“
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da bei vollständiger Weisungsgebundenheit der Zweck der Organisationsform Selbstverwaltung in Frage gestellt wäre. 245 Auch die allgemeinen Aufsichtmöglichkeiten des Parlaments können eine wirksame Kontrolle nicht begründen. Sofern damit das Zitierrecht nach Art. 43 I GG angesprochen ist, das es dem Parlament ermöglicht, sich zunächst einmal zu informieren, so ist anzumerken, dass dieses nicht gegenüber den Mitgliedern von Selbstverwaltungskörperschaften gilt, sondern schon nach dem Wortlaut der Vorschrift lediglich einzelne Regierungsmitglieder betrifft. 246 Auch die in der Geschäftsordnung (§§ 100 ff. GOBT) vorgesehenen Fragerechte richten sich ausschließlich an die Regierung und nicht an Selbstverwaltungskörperschaften. Unmittelbare Informationen über die Tätigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften kann das Parlament somit weder über das Zitierrecht noch über seine Fragerechte erhalten. Es besteht insoweit nur die Möglichkeit mittelbare Informationen zu erlangen, indem der Minister befragt wird, in dessen Ressort die Behörde fällt, die die Rechtsaufsicht über die Selbstverwaltungskörperschaft ausübt. Daneben bliebe dem Parlament zwar die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Untersuchungsausschusses gem. Art. 44 GG direkt an die funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften zu wenden 247 und so Informationen „aus erster Hand“ zu erhalten. Als Mittel zur Informationsbeschaffung ist die Einberufung eines Untersuchungsausschusses aber in der Praxis aufgrund des damit verbundenen Aufwands und der Förmlichkeit des Verfahrens kaum realisierbar. 248 Abgesehen von diesen Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung hat das Parlament selbst wenn es von Missständen Kenntnis erlangt, außer der Auflösung und der (geringfügigen) Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse keinerlei Handhabe, diesen zu begegnen. Dass diese Mittel keine wirksamen Kontrollinstrumente darstellen, wurde bereits dargelegt. Somit besteht für die Selbstverwaltungskörperschaften infolge der Bestellung durch das Parlament keine korrespondierende unmittelbare parlamentarische Kontrolle. Die fehlende Kontrolle der Exekutive wird also nicht durch eine direkte Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament ausgeglichen. 249 Die von den Vertretern einer kollektiven personellen Legitimation angeführten Parallelen zur Einsetzung und Kontrolle der Regierung durch 245 Vgl. Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 50. 246 Darauf weist Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 49 f. hin. Vgl. zu den Verpflichteten des Zitierrechts auch Achterberg / Schulte, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 43, Rn. 25 ff. 247 Hier richten sich die Rechte des Parlaments nicht nur an die Regierung, vgl. Achterberg / Schulte, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 44, Rn. 13. 248 So die Kritik bei Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 50. 249 Vgl. auch Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299, der in der Theorie einer kollektiven Legitimation letztlich nichts anderes als eine Reakti-
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
das Parlament sind somit irreführend. Auch insoweit vermag die Theorie von der kollektiven personellen Legitimation das Problem der legitimatorischen Defizite funktionaler Selbstverwaltung nicht zu lösen. d) Die demokratische Gleichheit Ein weiterer gewichtiger Einwand gegen das Modell der kollektiven demokratischen Legitimation ist, dass die Gleichheit der Staatsbürger als tragender Pfeiler des Demokratiegebotes des Grundgesetzes nicht gewährt ist: Die Mitglieder der Selbstverwaltungsträger haben zunächst – wie auch Dritte – an den Parlamentswahlen teilgenommen und können nun im Rahmen der Entscheidungsfindung und Aufgabenwahrnehmung durch die Selbstverwaltungskörperschaft erneut Einfluss nehmen. 250 Diese Ungleichheit der Mitwirkungsrechte ist schon dann problematisch, wenn von den Handlungen der Selbstverwaltungskörperschaft nur die Mitglieder selbst betroffen sind. Vor dem Hintergrund, dass sich das Modell der kollektiven Legitimation nach ihren Anhängern vor allem auch dadurch auszeichnen soll, dass es den jeweiligen Selbstverwaltungsträger auch gegenüber Dritten legitimiert, erscheint dieser Gleichheitsverstoß aber umso problematischer: Von den Entscheidungen des Selbstverwaltungsträgers betroffene Nichtmitglieder haben auf die Aufgabenwahrnehmung durch die Selbstverwaltungsorgane einen geringeren Einfluss als die betroffenen Mitglieder, so dass insoweit eine Ungleichheit besteht. Diese demokratische Ungleichheit kann auch nicht etwa dadurch ausgeräumt werden, dass man je nach Schwere und Bedeutung der wahrgenommenen Aufgabe differenziert, so dass beispielsweise Grundrechtseingriffe von höher Eingriffsintensität nur gegenüber Mitgliedern legitimiert sein sollen. 251 Eine solche Vorgehensweise käme in seiner Wirkung der Theorie von der abgestuften Stringenz bzw. dem Bagatellvorbehalt gleich, die oben bereits abgelehnt wurde. 252 3. Fazit Die Theorie der kollektiven personellen demokratischen Legitimation, die eine personelle Legitimation von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften auf vierung der allgemein abgelehnten Verzichtstheorie sieht, nach der das Parlament auf sein Kontrollrecht gegenüber der Verwaltung verzichten kann. Vgl. zur Begründung der Verzichtstheorie: E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 190 – 218 sowie die kurze Darstellung und eingehende Kritik bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 348 ff. 250 Vgl. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 305, 313 ff. 251 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 494 ff., deutlich S. 507. 252 s. Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. c) d).
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den parlamentarischen Gründungsakt stützt, vermag somit nicht zu überzeugen. Sie widerspricht dem Grundsatz der demokratischen Gleichheit und dem verfassungsrechtlichen Prinzip der individuellen Bestellung von Amtswaltern. Auch eine demokratische Kontrolle der Selbstverwaltungskörperschaften unmittelbar durch das Parlament besteht nicht.
D. Einfachgesetzliche Disposition des Gesetzgebers Nach der bisherigen Untersuchung wurde sowohl die Möglichkeit, die Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften als Legitimationssubjekt anzusehen, als auch die Heranziehung weiterer Legitimationsformen zur Kompensation von Legitimationsdefiziten zurückgewiesen. Ferner wurde aufgezeigt, dass auch eine kollektive Begründung personeller Legitimation ausscheidet bzw. der Nachweis der Bedeutungslosigkeit der personellen Legitimationskomponente scheitert. Im Folgenden stellt sich daher die Frage, ob nicht der parlamentarische Gesetzgeber kraft seiner Dispositionsbefugnis hinsichtlich der Verwaltungsorganisation Verwaltungsträger aus den Strukturen der hierarchischen Ministerialverwaltung herausnehmen und somit eine Absenkung im Legitimationsniveau legitimieren kann. I. Darstellung der These von der Organisationshoheit des Gesetzgebers Nach dieser These der „Prärogative des Organisationsgesetzgebers“ 253 ist der hierarchische Aufbau der Verwaltung nicht verfassungsrechtlich verankert, sondern hat lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes, so dass der Gesetzgeber grundsätzlich die Organisation der Verwaltung abweichend von der Ministerialverwaltung regeln und gestalten kann, wenn er der Ansicht ist, dass eine andere Organisationsform für eine bestimmte Materie aufgabenadäquat und angemessen ist. 254 Indem der Gesetzgeber eine von der Ministerialverwaltung abweichende Organisationsform für die Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe vorsehe, 253
Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 238. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: ders. / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, 23, 59. Dass die hierarischen Verwaltungsstrukturen nicht als in der Verfassung verankert angesehen werden, stellt nach Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 238 f. den entscheidenden Unterschied zur heute überwiegend abgelehnten sog. Verzichtstheorie E. Kleins, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 190 ff. dar. Diese Unterscheidung ist für die vorliegende Untersuchung jedoch nicht von Bedeutung, so dass die gegen die Verzichtstheorie sprechenden Gründe auch hier angeführt werden können (vgl. dazu die folgenden Ausführungen). Auf die Verzichtstheorie selbst soll jedoch an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. insofern die zusammenfassende Darstellung und die ausführli254
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könne er somit auch Einfluss auf das maßgebliche Legitimationsmodell nehmen. 255 Bezogen auf die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung würde dieser Ansatz bedeuten, dass der Gesetzgeber durch die Einrichtung der Selbstverwaltungskörperschaft und die Zuweisung einer Aufgabe zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung eine autonome Legitimation vorsieht. 256 II. Kritische Hinterfragung: Legitimationsmodell und Legitimationssubjekt Dieser Ansicht ist Folgendes entgegenzuhalten: Auch wenn dem Parlament im Rahmen der vom Grundgesetz errichteten parlamentarischen Demokratie eine zentrale Rolle zukommt, so steht es doch nicht über der Verfassung sondern bleibt grundsätzlich 257 an deren Vorgaben gebunden. 258 In der Verfassung ist das Hierarchie- oder Ministerialprinzip zwar nicht ausdrücklich geregelt und es findet sich auch kein umfassendes Organisationskonzept in dem Sinne, dass die Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Organen verfassungsrechtlich exakt abgegrenzt wären oder etwa die Behördengliederung vorgegeben wäre. Insofern belässt die Verfassung dem Gesetzgeber in der Tat einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation. 259 Das in Art. 20 II GG geregelte Demokratiegebot stellt aber eine Begrenzung der organisatorischen Befugnisse des Gesetzgebers dar. 260 che Kritik bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 347 ff. Insbesondere bei seiner Ablehnung einer „Rumpf-Version“ der Verzichtstheorie werden die Bezüge zu der von Groß vertretenen Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers deutlich. Vgl. zur Verzichtstheorie auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 307 ff. 255 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 235; Bryde, KJ 2000, S. 59, 68 f.; Blanke, Der Personalrat 1999, S. 50, 54, 61 f.; vgl. auch Rinken, KJ 2000, S. 125 ff. 256 In diese Richtung Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 235 f.; Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 315; etwas anders und insofern mit einer gewissen Nähe zum Modell der kollektiven Legitimation: ders., FS für Thieme, 1993, S. 9, 20: „Personelle demokratische Legitimation kann daher nicht nur durch Wahl und durch Ernennung vermittelt werden, sondern auch durch Organisationsentscheidungen des Gesetzgebers.“ Vgl. auch Schmidt / Aßmann, in: ders. / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, 62, der den institutionellen Gesetzesvorbehalt als „komplementäres Institut zur personell-organisatorischen und zur institutionellen Legitimation der öffentlichen Verwaltung“ bezeichnet. 257 Ausnahme: verfassungsändernde Gesetze. 258 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 358. 259 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 303, 363. 260 Vgl. in diesem Zusammenhang zur Funktion des Demokratieprinzips als Schranke: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 298. Zum Versuch der Bestimmung von Schranken der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers aus dem
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Diese Schranke bewirkt zum einen, dass von organisationsrechtlichen Bestimmungen in der Verfassung, die zugleich demokratische Legitimationsvorgaben enthalten, nicht einfachgesetzlich abgewichen werden kann: Grundsätzlich lassen die Organisationsbestimmungen in der Verfassung zwar einfachgesetzliche Ausnahmen zu, solange nicht ihr Kernbereich angetastet wird und die gesetzlichen Abweichungen die Ausnahme bleiben. 261 Organisationsrechtliche Vorgaben aber, die das Grundgesetz macht, indem es die Strukturen von Ministerial- und Kommunalverwaltung vorsieht, in denen sich die Rückbindung der Staatsgewalt an das Volk vollzieht, treffen gleichzeitig auch Aussagen zur Art und Weise sowie insbesondere zum Maß der demokratischen Legitimation. 262 Das verfassungsrechtliche Legitimationsmodell folgt also dem verfassungsrechtlichen Organisationsmodell. Aufgrund dieser Verbindung zwischen dem Demokratieprinzip und den organisationsrechtlichen Bestimmungen kann von diesen nicht einfachgesetzlich abgewichen werden, sofern dadurch die in ihnen angelegten demokratierelevanten Bestimmungen zu Art und Maß der Legitimation betroffen wären. 263 Das heißt, dass der Gesetzgeber nicht einfachgesetzlich eine Verwaltungsorganisation errichten darf, deren Legitimation unterhalb des verfassungsrechtlichen Legitimationsniveaus anzusiedeln wäre. 264 Zu dieser Beschränkung kommt eine weitere Grenze, die das Demokratiegebot dem Gesetzgeber bei seinen Organisationsentscheidungen setzt. Diese ist vielleicht noch zentraler, da sie nicht erst aus dem Zusammenspiel der organisationsrechtlichen Bestimmungen und dem Demokratieprinzip erschlossen werden muss, sondern sich direkt aus Art. 20 II GG und dem dort festgelegten Legitimationssubjekt ergibt: Die vom Demokratiegebot geforderte Rückbindung an das Gesamtvolk darf vom Gesetzgeber nicht unter Verweis auf seine Organisationshoheit umgangen werden. Letztlich steht hinter der These von einer einfachgesetzlichen Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers immer die Auffassung, dass der Volksbegriff des Art. 20 II GG plurale Legitimationssubjekte nach dem Kriterium der Betroffenheit zulässt und nicht ausschließlich das Kollektiv des deutschen Staatsvolkes als Legitimationssubjekt ansieht. 265 Nur unter dieser Voraussetzung könnte der Gesetzgeber durch seine Organisationsentscheidung „andere Gewaltenteilungsprinzip vgl. Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 56 ff. 261 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 363. 262 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. a). 263 Vgl. zu diesem Aspekt ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 297 ff., 363 ff. 264 So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 298. 265 Insofern überrascht es nicht, dass Befürworter einer einfachgesetzlichen Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers auch von einem „offenen“ Volksbegriff und somit einer Pluralität von Legitimationssubjekten ausgehen: Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 167 f.; Blanke, Der Personalrat 1999, S. 50, 55; Bryde, KJ 2000, S. 59, 63 ff.; ders., StWStP 5 (1994), S. 305 ff. Allerdings scheint Bryde (KJ
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Legitimationsstränge eröffnen, als sie die hierarchische Verwaltung kennzeichnen“ 266 bzw. zwischen verschiedenen Legitimationsmodellen wählen. Durch die Errichtung einer Selbstverwaltungskörperschaft wird nicht nur eine organisatorische Entscheidung getroffen, sondern es wird zugleich auch die Rückbindung der von diesem Verwaltungsträger ausgeübten Staatsgewalt an das Gesamtvolk zugunsten einer Rückbindung an die Mitglieder der Körperschaft unterbrochen bzw. eingeschränkt. Ein Freiraum des Gesetzgebers für die Organisation und Gestaltung des Staates besteht aber nur innerhalb des Rahmens, den die Verfassung setzt. Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz der Organisationshoheit des Parlamentes, der den Grundsatz der Volkssouveränität beschränken könnte. Die in der Organisationsentscheidung des Parlamentes liegende Weitergabe der Wahrnehmung von Staatsaufgaben an eine Gruppe Betroffener stellt sich also nicht nur als bloße Aufhebung der Mittelbarkeit bei der Ausübung der Staatsgewalt dar, sondern es wird vielmehr das vom Grundgesetz vorgesehene Legitimationssubjekt „Volk“ ausgetauscht. 267 Dies kann nur möglich sein, wenn die Verfassung selbst als Ausnahme zu Art. 20 II GG die Übertragung der Staatsgewalt auf eine Betroffenengruppe zulässt und ist nicht allein mit der überragenden Bedeutung des Parlaments aufgrund seiner unmittelbaren personellen Legitimation zu begründen. Da der Gesetzgeber somit nicht einfachgesetzlich von den Vorgaben des Demokratieprinzips abweichen kann, ist das Demokratiedefizit der funktionalen Selbstverwaltung auch nicht durch einen Verweis auf die Organisationshoheit des Gesetzgebers zu beheben.
E. Rechtfertigung über Art. 87 III S. 1 GG Nachdem gemäß den obigen Ausführungen eine Disposition von der Organisationsform der Ministerialverwaltung und eine damit einhergehende Modifikation der Legitimationsstrukturen und des -maßes einen verfassungsrechtlichen Ausnahmetitel erfordert, gilt es im Folgenden zu untersuchen, ob ein solcher Ausnahmetitel in den Bestimmungen der Art. 86, 87 II und III S. 1 Alt. 2 sowie Art. 130 III GG zu sehen ist. 2000, S. 59, 66 f., 68 f.) davon auszugehen, die Frage nach dem Legitimationssubjekt und der Verwaltungsorganisation trennen zu können. Eine strikte Trennung ist jedoch nicht möglich, wie die hiesigen Ausführungen verdeutlichen. Etwas anders: Schmidt / Aßmann, in: ders. / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, S. 57, der zwar nicht von einem „offenen“ Volksbegriff, aber von der Möglichkeit autonomer Legitimation ausgeht (vgl. dazu auch oben Teil 2 Kap. 2 A. III.). 266 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 235. 267 Daher kann auch nicht von einer Rückgabe von Teilen der Staatsgewalt an Teile des Volkes die Rede sein. So aber: Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305, 315. Die Staatsgewalt geht vom Gesamtvolk aus und nicht von Volksteilen.
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Im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulassung von Teil- oder Verbandsvölkern als Legitimationssubjekte im Rahmen des grundgesetzlichen Demokratieprinzips wurde bereits kurz auf den Regelungsgehalt der Art. 87 II und III GG sowie des Art. 130 III GG eingegangen. Dort wurde herausgestellt, dass diese Vorschriften das grundgesetzliche Demokratieprinzip nicht in der Weise bestimmen, dass ihnen Aussagen über das Legitimationssubjekt zu entnehmen wären. 268 Hier stellt sich nun die Frage, ob diese Bestimmungen vor dem Hintergrund der Einheit der Verfassung als Ausnahmen oder Modifikationen zum grundgesetzlichen Demokratieprinzip aufgefasst werden können. Nach den Vertretern dieser Auffassung begründen die Vorschriften der Art. 86, 87 II und III S. 1 Alt. 2 sowie Art. 130 III GG zwar nicht die Qualifizierung der Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften als Teilvölker und somit als Legitimationssubjekt. Sie sehen aber in diesen Bestimmungen eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für das Bestehen funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften. Insbesondere Art. 87 III S. 1 GG stelle einen Dispositionstitel für den demokratisch legitimierten Gesetzgeber dar, Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten und das von Art. 20 GG geforderte Legitimationsniveau insoweit abzusenken. 269 Man spricht in diesem Zusammenhang vom sog. Ausgestaltungsgehalt des Art. 87 GG. 270 Gestützt wird diese These insbesondere auf den in der Entstehungsgeschichte der Norm zum Ausdruck kommenden Willen des Verfassungsgebers: Wie insbesondere Art. 130 III GG zeige, habe der Verfassungsgeber die bei der Schaffung des Grundgesetzes bereits bestehenden funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften als verfassungskonform angesehen. Weiter folge aus der Vorschrift des Art. 87 III S. 1 GG, dass er auch die Errichtung neuer Selbstverwaltungskörperschaften für vereinbar mit der von ihm im Grundgesetz verfassten demokratischen Ordnung gehalten habe. 271 Somit ist nach dieser Ansicht die funktionale Selbstverwaltung trotz fehlender personeller Legitimation und trotz der Defizite im Bereich der materiellen Legitimation verfassungsgemäß, da insoweit Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG eine verfassungsrechtliche Ausnahme von den Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips begründe. Die Behandlung und Herleitung eines derartigen Zusammenhangs zwischen Art. 87 GG und dem Demokratieprinzip erscheint in der Literatur oftmals recht 268
Teil 2 Kap. 2 A. I. Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 503, 537 ff., insbes. S. 547, 552 f. 270 Begriff nach Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 452 f. mit Fn. 135. Daran angelehnt: Burgi, in: v. Mangoldt / Klein / Stark, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 86, Rn. 6; Art. 87, Rn. 109. 271 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 364. 269
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
verkürzt und stellt häufig mehr eine Behauptung dar als eine argumentativ abgestützte These. 272 Verdient gemacht um eine fundierte Begründung der These von der Modifikation der demokratischen Legitimationsanforderungen durch Art. 87 GG hat sich neben Emde 273 insbesondere Jestaedt 274. An Jestaedts Ausführungen wird sich die folgende Darstellung und Kritik daher vorwiegend orientieren. Im Folgenden soll nun untersucht werden, ob Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG tatsächlich als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für eine Absenkung des Legitimationsniveaus durch den Gesetzgeber bei Errichtung funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften gesehen werden kann. Dazu ist die Bestimmung auszulegen anhand ihres Wortlautes, mit Hilfe systematisch-teleologischer Überlegungen und anhand ihrer Entstehungsgeschichte. I. Wortlaut Art. 87 III S. 1 GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber „für Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz“ zu errichten. Dem Wortlaut ist zur Zulässigkeit funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften im Hinblick auf das Demokratieprinzip zunächst einmal nichts zu entnehmen: Selbstverwaltungskörperschaften oder -einrichtungen werden nicht explizit genannt 275 und auch das Demokratie272 Vgl. z. B. Kröger, Die Ministerialverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 75; Burgi in: v. Mangoldt / Klein / Stark, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 87, Rn. 109; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 45 ff.; ausführlicher: Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 87, Dezember 1992, Rn. 193 ff.; Art. 86, Dezember 1989, Rn. 70 ff., 73 f., der allerdings zusätzlich „sachlich triftige Gründe“ (a.a. O., Art. 86, Rn. 73 vgl. auch Art. 87, Rn. 195) für die Errichtung einer Selbstverwaltungskörperschaft verlangt. Vgl ferner. auch Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 91, 254 ff., 267 ff., 272, der die Problematik der Defizite in der demokratischen Rückbindung unter dem Blickwinkel der Relativierung der staatlichen Anbindung thematisiert. Die insoweit umfassenden Ausführungen schenken dem Demokratieprinzip und der Diskrepanz zwischen diesem und der Vorschrift des Art. 87 GG aber nur wenig Aufmerksamkeit (vgl. a.a. O., S. 105 ff., 108) Vgl. auch die Darstellung der Rekurse auf Art. 87 bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 442 ff. 273 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 370, 373. Dieser folgert allerdings aus Art. 87 GG nicht nur eine Modifikation des Demokratieprinzips, sondern weitergehend die Anerkennung autonomer Legitimation durch die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft durch das Grundgesetz. Kritisch dazu: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 548 ff.; vgl. auch die Darstellung und Kritik der These autonomer Legitimation oben Teil 2 Kap. 2 A. 274 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 441 ff., insbes. 465 ff.; 538 ff.; ders., in: Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit, S. 315, 335.
Kap. 2: Die verschiedenen Legitimationsmodelle
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prinzip wird nicht ausdrücklich in Bezug genommen. Die Rede ist vielmehr von „bundesunmittelbare[n] Körperschaften des öffentlichen Rechts“. 1. Bundesunmittelbarkeit Bevor auf den Begriff der Körperschaft eingegangen wird, soll kurz auf das Merkmal der Bundesunmittelbarkeit hingewiesen werden. Bundesunmittelbare Körperschaften sind vom Bund errichtete Körperschaften, die seiner Aufsicht unterstehen, 276 während landesunmittelbare Körperschaften der Aufsicht eines Landes unterstehen. Nach dem Wortlaut des Art. 87 III GG wie auch des Art. 130 III GG („nicht landesunmittelbare“) 277 sind nur bundesunmittelbare Körperschaften in Bezug genommen. Die meisten Selbstverwaltungskörperschaften – wie beispielsweise auch Lippeverband und Emschergenossenschaft – unterstehen aber der Aufsicht eines Bundeslands und sind damit landesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften. 278 Auch wenn man bei der Vorschrift des Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG einen demokratischen Ausgestaltungsgehalt bzgl. Selbstverwaltungskörperschaften annehmen möchte, was es im Folgenden zu untersuchen gilt, könnte die Zulässigkeit der landesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften im Hinblick auf das Demokratiegebot somit nicht unmittelbar aus Art. 87 GG abgeleitet werden. 279 Diese Problematik der Rechtfertigung des Legitimationsdefizits bei landesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften wird von den Vertretern der „Ausgestaltungsgehaltsthese“ soweit ersichtlich nicht behandelt. Auch hier soll sie nicht vertieft werden. Es soll an dieser Stelle lediglich verdeutlicht werden, dass der Wortlaut der Vorschrift des Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG auch bei der Anerkennung eines Ausgestaltungsgehaltes einer allumfassenden und allgemeingültigen Lösung der Legitimationsproblematik funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften entgegensteht, da er nur für bundesunmittelbare Körperschaften Anwendung findet. 280 275 Vgl. auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 364; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 539. 276 Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Aufl., 2007, Art. 86, Rn. 15; Umbach / Clemens, in: dies., GG-Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 86, Rn. 19. 277 Vgl. zum Anwendungsbereich des Art. 130 III: Dietlein, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl., 2005, Art. 130, Rn. 15. 278 Bundesunmittelbare Selbstverwaltungsträger sind die Ausnahme: Es handelt sich zum einen um Dachverbände und zum anderen um bundesweite Kammern. Dazu vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung 1997, S. 245 ff., 248. Vgl. auch Bull, in: AKGG, Art. 87, 2001, Rn. 38. 279 Vgl. zur Diskussion um landesunmittelbare und bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschafen: 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 637 f., allerdings ohne Bezug zum Demokratieprinzip. 280 Vgl. auch P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 548.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
2. Körperschaftsbegriff Nach diesen vorangestellten Überlegungen zur Bundesunmittelbarkeit ist nun der Körperschaftsbegriff des Art. 87 III S. 1 GG näher zu beleuchten. Die Verfassung selbst gibt keine Definition des Körperschaftsbegriffes. Die Frage, ob der Begriff der Körperschaft eine gewisse Verselbständigung gegenüber der Exekutivspitze impliziert und somit Selbstverwaltungskörperschaften unter den Körperschaftsbegriff zu subsumieren sind, lässt sich daher nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift beantworten. Zwar versteht man heute im Allgemeinen unter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts eine durch staatlichen Hoheitsakt geschaffene Organisation des öffentlichen Rechts, die mitgliedschaftlich verfasst ist und öffentliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt, 281 wobei zwar regelmäßig aber nicht notwendig (Voll-)Rechtsfähigkeit vorliegt. 282 Demnach wären die Selbstverwaltungskörperschaften unter diesen Begriff zu subsumieren. Diese Definition ist aber dem Wortlaut des Art. 87 III 1 GG nicht unmittelbar zu entnehmen. Vielmehr bedient sich das Grundgesetz des Körperschaftsbegriffes an mehreren Stellen, wobei seine Bedeutung variiert. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang Art. 28 I S. 3, Art. 59 II S. 1 GG sowie Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 V S. 1 und 3 WRV zu nennen: Alle diese Vorschriften verwenden den Körperschaftsbegriff, wobei in Art. 28 I S. 3 GG die nicht rechtsfähige Volksvertretung auf kommunaler Ebene, in Art. 59 II S. 1 GG die Gesetzgebungskörperschaften des Bundes, also nichtrechtsfähige Verfassungsorgane und in Art. 137 WRV die Kirchen in Bezug genommen werden. 283 Alle diese Organe oder Institutionen sind nicht unter den heute gebräuchlichen verwaltungsrechtlichen Körperschaftsbegriff zu subsumieren, obwohl sie im Grundgesetz als Körperschaften bezeichnet werden. Dem Wortlaut allein ist also eine Aussage zur Zulässigkeit von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften oder auch nur verselbständigten Verwaltungsträgern nicht zu entnehmen. Zusammenfassend lässt sich zum Wortlaut des Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG somit sagen, dass nach ihm der Bund lediglich abweichend von Art 83 GG ermächtigt wird, bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts zu errichten. Dem Wortlaut nach handelt es sich bei Art. 87 III 1 GG somit zunächst einmal um eine föderative Kompetenznorm. 284 281
Vgl. nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 23, Rn. 37. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 23, Rn. 39; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 481. 283 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 477 f. Dazu, dass zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes kein gefestigter Körperschaftsbegriff bestand: Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 280. 284 Allg. Meinung vgl. nur Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 448 m.w. N.; a. A. Rupp, FS für Dürig, 1990, S. 387, 389 ff. 282
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II. Systematisch-teleologische Gesichtspunkte Neben den föderativen kompetenzrechtlichen Regelungsgehalt des Art. 87 III S. 1 GG tritt ein organisationsrechtlicher Gehalt: Es werden mit der Nennung von selbständigen Bundesoberbehörden und bundesunmittelbaren Körperschaften sowie Anstalten des öffentlichen Rechts zulässige Organisationsformen für die bundeseigene Verwaltung vorgesehen. Dieser organisationsrechtliche Gehalt der Vorschrift könnte für die Frage, ob Art. 87 III S. 1 GG den Gesetzgeber ermächtigt, in Bezug auf Selbstverwaltungskörperschaften das Legitimationsniveau zu senken, von Bedeutung sein: Bei der Suche nach dem vom Grundgesetz vorgesehenen Legitimationsniveau wurde bereits festgestellt, dass das Grundgesetz zwar keine ausdrückliche Regelung zum Maß der Legitimation trifft, dass aber das Legitimationsmodell für die Verwaltung den organisationsrechtlichen Regelungen zu entnehmen ist. Das Legitimationsmodell folgt also dem Organisationsmodell. 285 Dies legt die Vermutung nahe, dass aus dem organisationsrechtlichen Gehalt einer Vorschrift auch Aussagen bzgl. des Legitimationsniveaus zu folgern sind. Die Zulassung der Körperschaft als Rechts- und Organisationsform in Art. 86 und 87 GG erlaubt jedoch keinen solchen Rückschluss auf das Legitimationsmodell: 286 Zum einen ist die Körperschaft als Organisationsform in ihren Strukturen anders als die Formen der Ministerial- und Kommunalverwaltung in der Verfassung nicht umfassend geregelt, sondern sie wird lediglich punktuell in Art. 86, 87, 130 III GG in Bezug genommen. Von einem Organisationsmodell, dem das Legitimationsmodell folgen könnte, kann also nicht die Rede sein. 287 Die Legitimationsstrukturen einer solchen Form der Verwaltung lassen sich somit der Verfassung nicht entnehmen. Zum anderen könnte eine solche Herabsetzung des Legitimationsmaßes aus Art. 87 III S. 1 GG nur gefolgert werden, wenn die Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, zu deren Errichtung der Gesetzgeber ermächtigt 285 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. a). Zur Wechselbezüglichkeit zwischen Demokratieprinzip und grundgesetzlichem Organisationsmodell: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 304; ders., Der Staat 32 (1993), S. 29, 53. 286 So aber in Bezug auf den Organisationsgehalt: Jestaedt, in: Umbach / Clemens, GG- Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 87, Rn. 45. 287 Vgl. in diesem Zusammenhang zur Frage, ob die mittelbare Bundesverwaltung einen weiteren Regeltyp der Verwaltungsorganisation darstellt: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 364 ff. Anders wohl: Traumann, Die Organisationsgewalt im Bereich der bundeseigenen Verwaltung, 1998, S. 280 ff., der allerdings die Dichte der Organisationsvorschriften nicht an der verfassungsrechtlich vorgegebenen Organisationsstruktur der Ministerialverwaltung misst, sondern an den Aussagen, die der Verfassung zur Ministerialfreiheit zu entnehmen sind. Mittels Heranziehung des Rechtsgedankens aus Art. 130 III GG gelangt er so zu einem „zumindest rudimentäre[n] Organisationskonzept“ (S. 280).
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wird, zwingend mit einer gewissen Verselbständigung gegenüber der Exekutivspitze einhergehen würde. Nur in diesem Fall könnte argumentiert werden, dass zu vermuten ist, dass der Verfassungsgeber dem Gesetzgeber nicht eine Kompetenz übertragen wollte, bei deren Wahrnehmung und Ausübung er gegen das Demokratieprinzip als anderweitige Verfassungsbestimmung verstoßen würde. 288 Folglich müssten dann die Anforderungen an das Legitimationsniveau bei der Verwaltung in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gesenkt sein. Ein solcher zwingender Zusammenhang zwischen der Körperschaft des öffentlichen Rechts als Organisationsform und einer von der Exekutivspitze verselbständigten, fachweisungsfreien Aufgabenwahrnehmung besteht jedoch nicht: Wie bereits oben im Rahmen der Untersuchung des Wortlautes festgestellt wurde, verwendet das Grundgesetz keinen einheitlichen Körperschaftsbegriff. Aber selbst wenn man im Rahmen des Art. 87 GG den verwaltungsorganisationsrechtlichen Körperschaftsbegriff zugrunde legt, ist eine weisungsfreie Aufgabenwahrnehmung durch die Körperschaft damit nicht vorausgesetzt. 289 Die Weisungsfreiheit kann nicht aus der Rechtsfähigkeit der öffentlich rechtlichen Körperschaft gefolgert werden, 290 da zum einen die Rechtsfähigkeit keine Eigenschaft darstellt, die bei jeder Körperschaft zwingend und begriffsnotwendig vorhanden sein muss. Zum anderen impliziert die Rechtsfähigkeit eines Verwaltungsträgers nicht automatisch seine Weisungsfreiheit. Die Weisungsfreiheit bezieht sich auf die Sachentscheidungskompetenz und betrifft damit die Frage, wer im Innenverhältnis die Entscheidung trifft. Die Rechtsfähigkeit hingegen betrifft die Wahrnehmungskompetenz, also die Frage, wer sich im Außenverhältnis für die Entscheidung verantwortlich zeichnet. Der Inhaber der Wahrnehmungskompetenz, also derjenige, der nach Außen als Handelnder in Erscheinung tritt, muss nicht zwingend auch derjenige sein, der im Innenverhältnis die Entscheidung trifft. 291 Anschauliches Beispiel hierfür ist die Ausführung der Gesetze durch die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung. Hier tritt das Land als rechtsfähige 288
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 451. Vgl. dazu und zum Folgenden unter dem Gesichtspunkt der Autonomie auch Brandstetter, Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe, 1970, S. 100 f.; Wentzel, Autonomes Berufsausbildungsrecht und Grundgesetz, 1970, S. 109; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 88 f. Zur Abgrenzung von Autonomie und Selbstverwaltung vgl. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 71 f.; anders: Bull, in AK-GG, Art. 87, 2001, Rn. 44: „Doch ist es ein Merkmal der Rechtsformen Körperschaft [...], daß jedenfalls auf umfassende Weisungsbefugnisse [...] verzichtet wird.“ Bull differenziert allerdings nicht (hinreichend) zwischen Selbstverwaltung, mittelbarer Bundesverwaltung und öffentlichrechtlichen Körperschaften (vgl. dazu auch a.a. O., Rn. 37). 290 Anders wohl Loening, DVBl. 1954, S. 173, der die Weisungsfreiheit aus der Rechtsfähigkeit herleitet. 291 Vgl. insoweit auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 482. 289
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juristische Person gegenüber dem Bürger als Handelnder in Erscheinung, der Bund kann aber die Sachkompetenz an sich ziehen und dem Land Weisungen erteilen und so letztlich die Entscheidung treffen, die das Land dann gegenüber dem Bürger vertreten muss (Art. 85 III GG). Es besteht somit kein zwingender Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung einer Aufgabe in der Rechtsform der Körperschaft und einer Ausgliederung aus den Weisungsstrukturen der Ministerialverwaltung. Allerdings ist die weisungsfreie und verselbständigte Aufgabenwahrnehmung für die Körperschaft des öffentlichen Rechts typisch und stellt somit ihren Regelfall dar. 292 Es kann daher angenommen werden, dass der Verfassungsgeber in seiner Ermächtigung an den Bundesgesetzgeber in Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG auch diesen Regelfall erfassen wollte. Eine solche Überlegung vermag aber keinen rechtlich zwingenden Konnex dahingehend zu begründen, dass die Absenkung des Legitimationsniveaus Ausübungsbedingung für die in Art. 87 III GG verliehene Kompetenz zur Errichtung von öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Rahmen der Bundeseigenverwaltung ist. Sie kann allenfalls als Indiz dafür herangezogen werden, dass der Verfassungsgeber in Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG auch die Errichtung verselbständigter Verwaltungseinheiten zulassen wollte. 293 III. Entstehungsgeschichte Wie sich gezeigt hat, ergeben sich weder aus dem Wortlaut des Art. 87 III S. 1 GG Aussagen bezüglich der Zulässigkeit einer verminderten demokratischen Legitimation, noch kann eine solche aus der systematisch-teleologischen Erwägung eines rechtlich zwingenden Konnexes hergeleitet werden. Dieses Zwischenergebnis bei der Auslegung des Art. 87 GG im Hinblick auf seinen Ausgestaltungsgehalt teilen auch die Vertreter der These, dass Art. 87 III 1 GG Absenkungen im Legitimationsniveau zulässt. 294 Sie folgern die Zulässigkeit von Absenkungen im Legitimationsniveau bei der Errichtung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft aus dem Willen des Verfassungsgebers, solche Selbstverwaltungseinrichtungen unter der Geltung des Grundgesetzes zuzulassen. Diese Intention sei den Dokumenten zu den Beratungen im Parlamentarischen Rat und seinen Ausschüssen zu entnehmen, so dass zwar kein rechtlich zwingender Konnex zur Absenkung des Legitimationsnive-
292 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 365 „Regeltypus“; vgl. auch Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 87, Dezember 1992, Rn. 194; Art. 86, Dezember 1989, Rn. 73. 293 Vgl. zur Beimessung eines nur indiziellen Charakters: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 483 f. 294 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 484.
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aus hergestellt werden könne, wohl aber ließe sich ein entstehungsgeschichtlich zwingender Zusammenhang nachweisen. 295 Ob ein solcher Nachweis anhand der Entstehungsgeschichte geführt werden kann, gilt es im Folgenden zu untersuchen. 1. Die entstehungsgeschichtliche Begründung eines Ausgestaltungsgehaltes Art. 116 III S. 2, der die erste Entwurfsfassung des heutigen Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG darstellte und in der 20. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 2. Dezember 1948 beschlossen wurde, lautete: „Neue bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften können durch Bundesgesetz geschaffen werden.“ 296 Nachdem diese Fassung vom Hauptausschuss in erster Lesung angenommen worden war, lag der zweiten Lesung ein Entwurf des Allgemeinen Redaktionsausschusses vor, der „bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften“ durch „bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts“ ersetzte. Diese Fassung wurde um die Errichtung von Anstalten des öffentlichen Rechts ergänzt und durch den Hauptausschuss angenommen. 297 Auch in anderen Artikeln des Grundgesetzes wurde die Formulierung „bundesunmittelbare Selbstverwaltung“ durch die Bezeichnung bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts ersetzt: So verlief beispielsweise die Entwicklung von den Vorfassungen (Art. 119 HChE bzw. Art. 35 Ziff. 11) zum späteren Art. 35 Ziff. 8 und heutigem Art. 73 I Nr. 8 GG, 298 sowie von der Vorfassung (Art. 112 III) zum späteren Art. 115 und heutigem Art. 86 S. 1 GG. Auch Art. 130 III GG, der in seiner Endfassung von „Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes“ spricht, nahm in der ersten Fassung (Art. 143 a) noch „Selbstverwaltungen“ in Bezug. 299 Diese Ersetzung des Selbstverwaltungsbegriffes durch die Bezeichnung Körperschaft des öffentlichen Rechts 300 bedeutete aber in keinem der Fälle, dass 295
Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 484. Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 646 f.; Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 748. 297 JöR N.F. 1 (1951), S. 649; vgl. auch: Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 36. Sitzung v. 12. 01. 1949, S. 445, 447 f. 298 Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 478; vgl. auch: Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 29. Sitzung v. 05. 01. 1949, S. 353. 299 Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 856 f.; Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 195 f.; Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses, Drs. 374 v. 16. 12. 1948, Art. 143 a. 300 Vgl. zur Nachzeichnung der obigen Entwicklung auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 367; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung,1993, S. 485. 296
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Selbstverwaltungskörperschaften nicht mehr erfasst sein sollten. 301 Vielmehr war nicht ihr Ausschluss, sondern die Erweiterung auf Einrichtungen bezweckt, die keine Selbstverwaltungskörperschaft sind. Ein Grund für die Ersetzung wird zwar nur bei der Neuformulierung des späteren Art. 73 I Nr. 8 GG ausdrücklich genannt, wenn dort der Abgeordnete Zinn äußert, dass es Körperschaften des öffentlichen Rechts geben könne, die keine Selbstverwaltungskörperschaften seien. 302 Diese Überlegung hat aber auch bei den übrigen Ersetzungen das unausgesprochene Motiv der Änderung gebildet. 303 Dies belegen die Äußerungen des Abgeordneten Hoch in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung 304 und seine sowie die Äußerungen des Abgeordneten Laforet in der 16. Sitzung des Hauptausschusses, 305 nach denen durch Art 116 III GG gerade die Möglichkeit zur Errichtung von neuen bundesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften geschaffen werden sollte. 306 Aus dem ursprünglichen Wortlaut des Art. 87 III GG, des Art. 130 GG sowie einiger weiterer Vorschriften des Grundgesetzes, die „bundesunmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften“ bzw. „Selbstverwaltung“ ausdrücklich benannten, und den soeben referierten Äußerungen einiger Abgeordneter während der Beratungen, die darauf schließen lassen, dass Selbstverwaltungskörperschaften trotz der Änderung des Wortlautes von den Regelungen erfasst sein sollten, leiten die Vertreter des Ausgestaltungsgehaltes von Art. 87 III GG eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der demokratischen Defizite der funktionalen Selbstverwaltung her: Da bei Selbstverwaltungskörperschaften notwendigerwei301 Vgl. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 367 f. 302 Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 478; vgl. auch: Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 29. Sitzung v. 05. 01. 1949, S. 353. 303 So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung,1993 S. 486 f. 304 Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, 20. Sitzung v. 02. 12. 1948, S. 743 ff; S. 746: „Ich möchte eine Möglichkeit haben, die nicht nur die sozialen Versicherungsträger, sondern z. B. auch wirtschaftliche Selbstverwaltungskörperschaften und -einrichtungen erfasst.“ 305 Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 16. Sitzung v. 13. 12. 1948, S. 195: Hoch stellt hier gegenüber den übrigen Mitgliedern des Hauptausschusses klar, dass Art. 116 III die Möglichkeit eröffnen soll, bei Bedarf neben den Versicherungsträgern andere neue unmittelbare Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten. Daraufhin äußert der Abgeordnete Laforet: „Zu der Notwendigkeit, über den Kreis der unmittelbaren Selbstverwaltungseinrichtungen, wie sie der Entwurf von Herrenchiemsee vorsieht, hinauszugehen, ist bereits von Herrn Kollegen Dr. Hoch das Nötige gesagt worden. Ein solches Bedürfnis muß anerkannt werden. Es war der Wille des Zuständigkeitsausschusses, daß hier nichts verbaut, sondern dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet wird, in solchen Fällen weitere bundesunmittelbare Selbstverwaltungseinrichtungen zu errichten“. 306 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 485 f. mit Fn. 285; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 367 f.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
se aufgrund der Weisungsfreiheit der staatliche Einfluss geringer sei als bei der Ministerialverwaltung, habe der Verfassungsgeber mit der Anerkennung dieser Organisationsform auch gleichzeitig die damit einhergehende Absenkung des Legitimationsniveaus zugelassen, so dass Art 87 III GG in Bezug auf Selbstverwaltungskörperschaften Ausgestaltungsgehalt zukomme. 307 2. Kritische Hinterfragung der Herleitung eines Ausgestaltungsgehaltes aus der Entstehungsgeschichte Diesen Rückschluss vom Willen des Verfassungsgebers, durch Art. 87 III GG auch die künftige Errichtung von Selbstverwaltungskörperschaften zuzulassen, auf die Zulässigkeit der Legitimationsdefizite dieser Verwaltungsform gilt es nun zu überprüfen. Zwar lässt sich anhand der obigen Ausführungen entstehungsgeschichtlich nachweisen, dass vom Körperschaftsbegriff nach dem Willen des Verfassungsgebers gerade auch Selbstverwaltungskörperschaften erfasst sein sollten. Dies verlagert die oben aufgeworfene und verneinte Frage, ob mit dem Körperschaftsbegriff zwingend eine materielle Verselbständigung einhergeht, jedoch lediglich auf den Selbstverwaltungsbegriff. Auch wenn nach heutigem Verständnis Selbstverwaltung mit Weisungsfreiheit einhergeht, so ist zu fragen, ob auch der Verfassungsgeber von einem solchen Selbstverwaltungsbegriff ausging. Nur dann wäre die Möglichkeit gegeben, einen Rückschluss auf den Ausgestaltungsgehalt der Vorschrift entstehungsgeschichtlich zu begründen. Zum anderen erscheint die entstehungsgeschichtliche Herleitung eines Ausgestaltungsgehaltes in Art. 87 III GG problematisch, da das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung und das darin begründete Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip keinen Eingang in die Beratungen gefunden hat. Ein Wille des Verfassungsgebers, insoweit Absenkungen im Legitimationsniveau zuzulassen, kommt somit jedenfalls nicht direkt und ausdrücklich in den Beratungsmaterialien zum Ausdruck. Auf beide Kritikpunkte ist im Folgenden näher einzugehen. a) Die Unschärfen des Selbstverwaltungsbegriffes Die Herleitung eines demokratischen Ausgestaltungsgehaltes aus dem Umstand, dass der Verfassungsgeber dem Gesetzgeber durch die Schaffung des Art. 87 III S. Alt. 2 GG die Errichtung von Selbstverwaltungseinrichtungen ermöglichen wollte, setzt zunächst voraus, dass der Verfassungsgeber mit dem Selbstverwaltungsbegriff notwendig eine materiale Verselbständigung im Sinne 307
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 487 f., 539 f.
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einer eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung verband, bei der die ministeriellen Einflussmöglichkeiten eingeschränkt sind. Nur in diesem Fall könnte von einem „entstehungsgeschichtlich zwingenden Konnex“ 308 die Rede sein. Ein derartiges allgemein akzeptiertes Verständnis des Selbstverwaltungsbegriffs ist den Dokumenten zur Entstehung des Grundgesetzes aber nicht zu entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus den Beratungen, dass der Selbstverwaltungsbegriff des Verfassungsgebers nicht gefestigt war, sondern einige Unschärfen auch hinsichtlich der Weisungsfreiheit aufwies. Es wird zwar im Laufe der Beratungen anhand der Äußerungen einiger Abgeordneter deutlich, dass sie mit dem Selbstverwaltungsgedanken nicht lediglich den formalen Gesichtspunkt der Dezentralisierung verbinden, sondern auch materiale Faktoren wie die eigenverantwortliche Wahrnehmung von Aufgaben unter gelockerter staatlicher Einflussnahme verstehen. 309 Ferner suggerieren auch Ausdrücke wie „Selbstverwaltung in unserem Sinne“ 310 oder Forderungen nach einer Legaldefinition „dessen [...], was wir unter Selbstverwaltung verstehen“ 311 ein einheitliches Selbstverwaltungskonzept im Parlamentarischen Rat. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, der Parlamentarische Rat habe sich für einen „traditionellen juristischen Selbstverwaltungsbegriff aus formalen und materialen Elementen“ 312 entschieden. 313 Vielmehr finden sich in den Beratungen auch Äußerungen, die ein anderes Selbstverwaltungsverständnis zugrunde zu legen scheinen bzw. die auf die Vieldeutigkeit des Begriffes hinweisen, so dass sich insgesamt kein eindeutiges Bild ergibt, welche Vorstellung von Selbstverwaltung dem Verfassungsgeber vorschwebte. Insbesondere ist auch bei der Untersuchung des Selbstverwaltungsbegriffes des Verfassungsgebers zu differenzieren, ob sich die Äußerungen auf die kommunale Selbstverwaltung oder auf funktionale Selbstverwaltungseinrichtungen beziehen. 308
Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 484. Vgl. v. Mangoldt in der 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen v. 14. 10. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/I, Ausschuß für Grundsatzfragen, S. 309, im Zusammenhang mit der Diskussion von Vorschriften, die in Art. 28 in das Grundgesetz aufgenommen wurden: „Selbstverwaltung ist das Recht, im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung selbst zu verwalten.“ 310 So die Äußerung des Abgeordneten Strauß in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 747. Allerdings erscheint diese Äußerung im Hinblick auf die übereinstimmende Vorstellung von Selbstverwaltung, die sie vorauszusetzen scheint, durch die anschließende Nachfrage des Abgeordneten Hoch relativiert: „Aber was verstehen Sie unter einer Selbstverwaltungseinrichtung, bei der Sie Bedenken haben? In Selbstverwaltung kann alles Mögliche gemacht werden.“ 311 Schmid in der 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen v. 14. 10. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/I, Ausschuß für Grundsatzfragen, S. 309. 312 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 540. 313 So aber Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 540. 309
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aa) Beratungen zur kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 GG Soweit in den Beratungen zum Grundgesetz Definitionsversuche des Selbstverwaltungsbegriffs, die materiale Aspekte aufgreifen, unwidersprochen geblieben sind, 314 ist darauf hinzuweisen, dass hierbei die kommunale Selbstverwaltung in Bezug genommen wurde. 315 Ungleich der funktionalen Selbstverwaltung bereitet aber die demokratische Einbindung der kommunalen Selbstverwaltung angesichts ihrer Rückführbarkeit auf das Gemeindevolk als territorial begrenzte Teilmenge des Bundesvolkes 316 heute keine größeren Probleme. Ferner weist die kommunale Selbstverwaltung im Gegensatz zu funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften keine vielfältigen Erscheinungsformen auf und auch der Gedanke der Betroffenendemokratie steht bei ihr nicht im Vordergrund. 317 Aufgrund dieser grundlegenden Unterschiede muss differenziert werden, so dass Äußerungen zum kommunalen Selbstverwaltungsbegriff nicht ohne weiteres herangezogen werden können, um die Vorstellungen des Verfassungsgebers bezüglich der funktionalen Selbstverwaltung zu belegen. 318 Ferner ist zu bemerken, dass selbst bei den Beratungen zur kommunalen Selbstverwaltung, bei denen letztlich Einigkeit darüber bestand, diese in der Verfassung abzusichern, 319 die Vielschichtigkeit des Selbstverwaltungsbegriffes 314
Vgl. v. Mangoldt in der 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen v. 14. 10. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/I, Ausschuß für Grundsatzfragen, S. 309, im Zusammenhang mit der Diskussion von Vorschriften, die in Art. 28 in das Grundgesetz aufgenommen wurden: „Selbstverwaltung ist das Recht, im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung selbst zu verwalten.“ Diese Aussage zieht auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 541 heran, um zu begründen, dass Selbstverwaltung durch den Verfassungsgeber als „eigenverantwortliche Wahrnehmung eigener Angelegenheiten“ angesehen wurde. Allerdings erscheint bei einem solchen Rückschluss zum einen der kommunalrechtliche Kontext, in dem diese Äußerung getätigt wurde, keine ausreichende Berücksichtigung zu finden. Zum anderen wird die Definition des Abg. v. Mangoldt dadurch relativiert, dass dieser wenig später selbst äußert: „Es ist schwierig, den Begriff Selbstverwaltung erschöpfend zu definieren.“ (a.a. O., S. 310). 315 Auch die in Art. 28 II GG gegebene Umschreibung des Selbstverwaltungsrechts als Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, bezieht sich ausschließlich auf die kommunale Selbstverwaltung. 316 Vgl. dazu oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. e) aa) cc). 317 Vgl. BVerfGE 83, S. 37, 55; kritisch Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 312. 318 In diese Richtung weist auch die Kritik Mehdes, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 547 an der Argumentation Jestaedts. Kritisch zur scharfen Trennung zwischen kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung Schmidt-Aßmann, GS für Martens, 1987, S. 249, 254. 319 Vgl. die Darlegungen bei Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 51, 57 f. mit Verweisungen auf die Beratungen.
Kap. 2: Die verschiedenen Legitimationsmodelle
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deutlich wird: Während der Abgeordnete Süsterhenn bezogen auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht in der 5. Sitzung des Hauptausschusses äußert: „Selbstverwaltung ist ein traditioneller deutscher Rechtsbegriff; er ist historisch geworden. Dieser typisch deutsche Begriff muß auch im Grundgesetz in Erscheinung treten“ 320, und auch der Abgeordnete Laforet ausführt: „Wir legen den größten Wert darauf, daß das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung in der Verfassung festgelegt wird. Dieses Recht hat für uns einen ganz bestimmten Inhalt“, 321 gibt der Abgeordneten Zimmermann in derselben Sitzung zu bedenken: „Der Streit darüber, was Selbstverwaltung ist, ist nicht neu. Seit mehr als hundert Jahren geht dieser Streit. Eine Legaldefinition, was ein Selbstverwaltungsrecht ist und was zur Selbstverwaltung gehört, ist bis heute nicht gefunden worden. Wir finden es auch heute nicht.“ 322 Diese gegensätzlichen Positionen wurden nicht durch eine Diskussion ausgeräumt. Dass es trotzdem zu einer Garantie und Umschreibung der Selbstverwaltung in Art. 28 GG gekommen ist, lässt sich entweder dadurch erklären, dass der bestehende Dissens als „‚agreement to disagree‘“ 323 mit in die Verfassung eingegangen ist oder dadurch, dass es sich bei dem Selbstverwaltungsbegriff um eine traditionelle und geschichtlich gewachsene Erscheinung handelt, die ins Grundgesetz aufgenommen werden sollte, auch wenn sie dogmatisch noch nicht eindeutig bestimmt und festgelegt werden konnte. Somit wäre das Entwicklungsstadium der Selbstverwaltung im Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes in die Verfassung aufgenommen, jedoch ohne dieses endgültig festzuschreiben. Vielmehr wären zukünftige Weiterentwicklungsmöglichkeiten mit umfasst. 324 Welche Erklärung den Vorzug verdient, kann hier offen bleiben, da es in diesem Zusammenhang lediglich darum ging aufzuzeigen, dass der Selbstverwaltungsbegriff sogar im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung, die heute im Vergleich zur funktionalen Selbstverwaltung weniger problematisch erscheint, in den Beratungen zum Grundgesetz nicht scharf umgrenzt oder abschließend bestimmt wurde. bb) Beratungen zur funktionalen Selbstverwaltung Untersucht man die Dokumente über die Beratungen des Parlamentarischen Rates bzw. seiner Ausschüsse, in denen die funktionale Selbstverwaltung in 320
Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 5. Sitzung v. 18. 11. 1948, S. 60. Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 5. Sitzung v. 18. 11. 1948, S. 61. 322 Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, 5. Sitzung v. 18. 11. 1948, S. 62. 323 Vgl. Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 57. 324 Vgl. zum Ganzen Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 57 f., der die letztgenannte Erklärungsmöglichkeit vorzieht. 321
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Bezug genommen wird, finden sich die Zweifel an der Möglichkeit, das Selbstverwaltungsverständnis des Verfassungsgebers eindeutig zu bestimmen, noch bestärkt: Während bei den Diskussionen um die Errichtung sozialer Selbstverwaltungsträger, die mit der Organisationsform der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ursprünglich vor allem assoziiert wurden, 325 der materiale Selbstverwaltungsgedanke zum Ausdruck kommt, 326 scheint der Abgeordnete Laforet ein eher formales Selbstverwaltungsverständnis zugrunde zu legen, wenn er im Rahmen der Diskussion über die Vorschrift des heutigen Art. 87 III GG eine Selbstverwaltungseinrichtung umschreibt als „juristische Person zur Erfüllung bestimmter Aufgaben, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die durch den Bund ins Leben gerufen wird“ 327. Das materiale Kriterium der Eigenverantwortlichkeit in der Aufgabenwahrnehmung und die dadurch bedingte Weisungsfreiheit klingen in dieser Definition nicht an. Allgemein schien bei den Beratungen zum heutigen Art. 87 III GG nicht ganz klar zu sein, ob 328 und wenn ja für welche Arten von bundesunmittelbarer Selbstverwaltung zukünftig ein Bedürfnis entstehen würde. 329 Angedacht wurden hier neben einer möglichen Ruhr-Selbstverwaltung 330 die etwaige Errichtung bundesunmittelbarer Dachverbände für landesrechtliche
325
Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 644, sowie der dort wiedergegebene Art. 116 Ch.E. Vgl. Laforet, 5. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 29. 09. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 243: „[...] auf der Grundlage der Selbstverwaltung, also der Entscheidung des verfassungsmäßigen Organs dieses Versicherungsträgers in lebenswichtigen Dingen, bei denen eine staatliche Behörde in Zweckmäßigkeitsfragen nicht hineinreden kann [...]“. 327 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 747. 328 Vgl. die kritischen Äußerungen des Abgeordneten Strauß in der 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 637 ff., in der er sowohl bzgl. der Landwirtschaftskammern darauf hinweist, dass dies Ländersache sei, als auch generelle Bedenken äußert „beruflichen Selbstverwaltungskörperschaften irgendwelche staatliche Hoheitsaufgaben zu übertragen“ (S. 637); vgl. auch seine Äußerungen in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, a.a. O., S. 746 ff. 329 Dies war in Bezug auf die soziale Selbstverwaltung anders, da dort in größerem Umfang gedanklich an bereits bestehende Organisationsformen angeknüpft werden konnte. Vgl. dazu z. B. die 5. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 29. 09. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 242 ff. 330 Vgl. die Wortmeldung des Abg. Hoch und die Erwiderung Strauß’, dies sei eine Frage des Völkerrechts in der 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 636; s. auch Hoch in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 746 sowie ders. in der 16. Sitzung des Hauptausschusses v. 13. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 195. 326
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Selbstverwaltungskörperschaften, 331 Handels- und Wirtschaftskammern 332 sowie Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen einer etwaigen künftigen Sozialisierung 333. Aus den Diskussionen wird insbesondere deutlich, dass es aufgrund der Ungewissheit und der Unwägbarkeiten hinsichtlich der künftigen Sach- und Problemlagen vor allem darum ging, Entwicklungen und Lösungswege „nicht zu verbauen“. 334 Man hatte also nicht den Anspruch, mit der Schaffung des Art 87 III GG schon Lösungen aufzuzeigen. Somit lässt sich den Beratungen zur Einführung des Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG mit seiner Ermächtigung an den Bundesgesetzgeber, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten, ein geschlossenes Konzept von Selbstverwaltung nicht entnehmen. cc) Beratungen zu anderen Grundgesetzartikeln Auch die Äußerungen zur Selbstverwaltung anlässlich der Beratungen zu anderen Vorschriften als jenen der Art. 28 und 87 III GG sind im Hinblick auf das Selbstverwaltungsverständnis des Verfassungsgebers von Interesse und können hier zur Bestärkung angeführt werden. So kritisiert der Abgeordneten Schwalber im Zusammenhang mit der Ausführung der Gesetze durch die Länder die Auftragsverwaltung bzw. die Ausführung der Gesetze durch die Länder, bei der ein Fachweisungsrecht des Bundes besteht, und führt aus, dass die Eigenstaatlichkeit der Länder in diesem Bereich herabgesetzt sei „auf die Ebene bloßer Selbstverwaltungskörper“. 335 In dieser Äußerung wird einmal mehr deutlich, dass Selbstverwaltung in der Vorstellung des Verfassungsgebers nicht unbedingt mit Weisungsfreiheit gleichgesetzt wurde.
331 Vgl. die Wortmeldungen des Abg. Reif in der 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 637 f. 332 Vgl. die Wortmeldung des Abg. Reif in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 746. 333 Vgl. die Ausführung des Abg. Hoch in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 746. 334 Vgl. die Äußerungen der Abg. Hoch und Reif in der 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 634 f. sowie dies. in der 20. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 02. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. 746; Laforet in der 16. Sitzung des Hauptausschusses v. 13. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 195. 335 3. Sitzung des Parlamentarischen Rats v. 09. 09. 1948, Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 38.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Anlass zu Zweifeln an der Annahme, dass der Verfassungsgeber bei Selbstverwaltungseinrichtungen immer auch von ihrer Weisungsfreiheit ausgegangen ist, ergeben auch die Beratungen zum heutigen Art. 86 GG: In seiner Fassung durch den Zuständigkeitsausschuss wies die Vorgängervorschrift des Art. 112 II bei Ausführung der Bundesgesetze durch bundesunmittelbare Selbstverwaltung der Bundesregierung bzw. den jeweiligen Bundesministern das Recht zu, die zur Ausführung erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen zu erlassen. 336 Das Recht zum Erlass von Einzelweisungen war in der vom Allgemeinen Redaktionsausschuss vorgeschlagenen Fassung nicht mehr enthalten und auch die bundesunmittelbare Selbstverwaltung war nur noch hinsichtlich der Einrichtung der Behörden in Bezug genommen. 337 Bei der Beratung der beiden Fassungen im Hauptausschuss war man sich aber einig, dass die Fassung des Redaktionsausschusses in der Sache keinen Unterschied zur Fassung des Zuständigkeitsausschusses bedeute, da das Einzelweisungsrecht selbstverständlich bestehen würde und seine ausdrückliche Erwähnung daher nicht notwendig sei. 338 Dieser Auffassung der Mitglieder des Hauptausschusses ist nur bedingt zuzustimmen: Wenn man die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses isoliert betrachtet, würde die Nennung der Einzelweisungen, in der Tat etwas Selbstverständliches ausdrücken, da in diesem Entwurf die bundesunmittelbare Selbstverwaltung ausgeklammert ist. Bei der ursprünglichen Fassung des Zuständigkeitsausschusses aber, die ein Weisungsrecht der Bundesregierung auch gegenüber bundesunmittelbaren Selbstverwaltungskörperschaften vorsieht, ist die ausdrückliche Erwähnung des Weisungsrechts jedoch keinesfalls überflüssig: Da sich das Einzelweisungsrecht aus der Leitungsbefugnis des Ministers ergibt und diese bei Selbstverwaltungskörperschaften in der Regel nicht besteht, ist im Rahmen der Selbstverwaltung ein solches Weisungsrecht nicht selbstverständlich, sondern vielmehr die Ausnahme. 339 Die Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlass von Einzelweisungen ist in diesem Entwurf also nicht 336 „Soweit die Ausführung der Bundesgesetze Sache einer bundeseigenen Verwaltung oder einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ist, erlassen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, die Bundesregierung und nach Maßgabe ihrer Geschäftsordnung die einzelnen Bundesminister die zur Ausführung erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einzelanweisungen.“ (Stand vom 18. 10. 1948, Drs. 203, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 30). 337 Die hier interessierende Passage der Fassung lautete: „Die Bundesregierung oder nach Maßgabe ihrer Geschäftsordnung die einzelnen Bundesminister erlassen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die zur Ausführung der Bundesgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften.“ (Drs. 332, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 71). 338 Vgl. 16. Sitzung v. 13. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 190 f.: Hoch: „Es ist selbstverständlich, daß jeder Minister für seine Verwaltung Einzelanweisungen geben kann. Deshalb ist das weggelassen.“ Und Schmid: „Das war ein Superfluum, das man mit Recht gestrichen hat.“ 339 Vgl. schon oben Teil 2 Kap. 1 B. II. 1. c).
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nur deskriptiver Natur. Ihr käme insoweit vielmehr konstitutiver Charakter zu. 340 Dessen schien man sich bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat nicht vollumfänglich bewusst zu sein. So wurde über den aufgezeigten Unterschied der Fassungen der beiden Ausschüsse nicht diskutiert. Auch in der zweiten Sitzung des Hauptausschusses wurde über die Frage der Einzelweisungsbefugnis gegenüber Selbstverwaltungseinrichtungen nicht diskutiert, obwohl die Fassung, die dieser Sitzung als Vorlage diente (nunmehr als Art. 115), insoweit wieder auf die Fassung des Zuständigkeitsausschusses zurückgeht, als sie die nunmehr unter bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts zu fassende bundesunmittelbare Selbstverwaltung wieder aufnimmt, allerdings weiterhin nur das Recht zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften und nicht zum Erlass von Einzelweisungen gewährt. 341 Da spätestens diese Fassung des heutigen Art. 86 GG in deutlichem Widerspruch zum ursprünglichen Entwurf steht, an den sie sich andererseits durch die erneute Einbeziehung von (Selbstverwaltungs-)Körperschaften anlehnt, wäre eine Diskussion der aufgezeigten Problematik im Hauptausschuss zu erwarten gewesen. Die Tatsache, dass diesbezüglich überhaupt keine Erörterung stattfand, lässt sich nur dadurch erklären, dass sich der Verfassungsgeber der Weisungsfreiheit von Selbstverwaltungskörperschaften nicht vollumfänglich bewusst zu sein schien bzw. eine solche nicht zwingend mit dem Selbstverwaltungsgedanken verband. dd) Fazit Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass eine Selbstverwaltungskörperschaft in den Augen des Verfassungsgebers nicht zwingend weisungsfrei sein musste. Somit kann aus dem Umstand, dass vom Körperschaftsbegriff des Art. 87 III GG auch Selbstverwaltungskörperschaften umfasst sein sollten, kein Rückschluss auf einen Ausgestaltungsgehalt der Vorschrift gezogen werden. b) Fehlende Diskussion zur Legitimationsproblematik im Parlamentarischen Rat Neben der Unschärfe des Selbstverwaltungsbegriffes besteht noch ein weiterer Aspekt, der der Herleitung einer Rechtfertigung der Absenkung des Legitimationsniveaus bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften aus der Entstehungsgeschichte entgegen steht: Die mit der funktionalen Selbstverwaltung zusammenhängende Legitimationsproblematik wurde bei den Verhandlungen in 340
Vgl. für Verwaltungsvorschriften oben Teil 2 Kap. 1 B. II. 1. b). Drs. 535, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 263; 36; Sitzung des Hauptausschusses v. 12. 01. 1949, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 445; JöR N.F. 1 (1951), S. 642 f. 341
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den Fachausschüssen und im Hauptausschuss weder bei den Beratungen und Diskussionen zu Art. 87 III S. 1 GG noch zu Art. 130 III GG behandelt. aa) Die Beratungen zu Art. 87 III GG und 130 III GG Art. 130 III GG, der eine Überleitung der zum Zeitpunkt der Schaffung des Grundgesetzes bestehenden bundesunmittelbaren (Selbstverwaltungs-)Körperschaften in die grundgesetzliche Ordnung vorsieht, indem er diese Körperschaften der Aufsicht der zuständigen obersten Bundesbehörde unterstellt, wurde erst durch den Allgemeinen Redaktionsausschuss eingeführt. 342 Da seine Beratungen nicht protokolliert wurden, 343 können die im Zusammenhang mit der Aufnahme der Vorschrift geführten Diskussionen in diesem Ausschuss nicht nachvollzogen werden. Auch die Anmerkung, mit der der Ausschuss seinen Entwurf in der Stellungnahme versehen hat („Der Ausschuss hält weiterhin eine besondere Erwähnung der Selbstverwaltungseinrichtungen [...] für erforderlich.“ 344), führt bei der Frage, ob das Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip gesehen wurde, nicht weiter. Die Fassung des Redaktionsausschusses wurde durch den Organisationsausschuss in seiner 27. Sitzung gebilligt, 345 wobei in seiner 30. Sitzung gemäß einer weiteren Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses 346 der Begriff Selbstverwaltungen durch Körperschaften des öffentlichen Rechts ersetzt wurde. 347 Weder im Organisationsausschuss noch in den späteren Lesungen im Hauptausschuss 348 wurde jedoch das Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip erörtert. Zu derselben Feststellung gelangt man, wenn man die Diskussionen zur Ausarbeitung des Art. 87 III GG verfolgt, die im Fachausschuss und im Hauptausschuss geführt wurden. Die in Art. 87 GG geregelten Materien fallen unter den Vorschriftenkomplex „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesver342 Vgl zur Fassung des Art. 143a als Vorgängervorschrift zu Art. 130 GG: JöR N.F. 1 (1951), S. 855 f.; Drs. 291, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 84. 343 JöR N.F. 1 (1951), S. 10. 344 Drs. 291, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 84 f. 345 27. Sitzung des Ausschusses für Organisation des Bundes v. 06. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 13/II, Ausschuß für Organisation des Bundes, Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, S. 934 f. 346 Drs. 374, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 196. 347 30. Sitzung des Ausschusses für Organisation des Bundes v. 13. 01. 1949, Der Parlamentarische Rat, Bd. 13/II, Ausschuß für Organisation des Bundes, Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, S. 1079. 348 Erste Lesung in der 20. Sitzung v. 06. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 229; Dritte Lesung in der 51. Sitzung v. 10. 02. 1949, a.a. O., S. 679; Vierte Lesung in der 57. Sitzung v. 05. 05. 1949, a.a. O., S. 763.
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waltung“. Ihre Erarbeitung oblag damit dem Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung. 349 Der Name des Ausschusses verdeutlicht bereits das Hauptanliegen des Ausschusses, das auch die Diskussionen um die in Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG vorgesehene Möglichkeit der Errichtung neuer bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts und somit bundesunmittelbarer Selbstverwaltungseinrichtungen bestimmte: der föderale Aufbau des Staates und die Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern. So wurde im Zuge der Beratungen insbesondere über die Frage diskutiert, ob die Errichtung durch zustimmungsbedürftiges Gesetz zu erfolgen habe und ob dazu eine verfassungsändernde Mehrheit in beiden Kammern erforderlich sein solle. 350 Ein Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip wurde dabei nicht thematisiert. Es stand vielmehr die Problematik im Vordergrund, dass angesichts der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die Verwaltung und die Ausführung der Gesetze die Einrichtung bundesunmittelbarer Selbstverwaltungseinrichtungen durch Gesetz einen Eingriff in Länderkompetenzen darstellt. bb) Schlussfolgerung aus der mangelnden Thematisierung in den Beratungen Anhand der Beratungen zu Art. 130 III GG und Art. 87 III GG wird zwar deutlich, dass der Verfassungsgeber die bestehenden bundesunmittelbaren Selbst349 Teilweise findet sich auch die Bezeichnung „Ausschuß für Kompetenzabgrenzung“ oder „Ausschuß für Zuständigkeitsfragen“. Vgl. dazu: Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, S. VIII. 350 Vgl. 16. Sitzung des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung v. 18. 11. 1948, Der Parlamentarische Rat, Bd. 3, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung S. 621 f., 627 ff. In der 20. Sitzung v. 02. 12. 1948 a.a. O., S. 743, 748 wird für die Errichtung neuer bundesunmittelbarer Selbstverwaltungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Häusern vorgesehen. In der 16. Sitzung des Hauptausschusses v. 13. 12. 1948, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 194 ff. 198, wird das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit im Bundestag gestrichen. In der 36. Sitzung vom 12. 01. 1949, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 447 f. wird der Antrag, das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit im Bundesrat zu streichen, abgelehnt. Im weiteren Verlauf wurde auf Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses, den der Fünferausschuss aufnahm (vgl. die zusammenfassende Darstellung in JöR 1 N.F. (1951), S. 650 f.), das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates mit qualifizierter Mehrheit gestrichen, da sowohl das Zustimmungserfordernis als auch die erforderlichen Mehrheiten schon in Art. 105 geregelt war (vgl. Anmerkung 2 des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 116 III, Drs. 543, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Entwürfe zum Grundgesetz, S. 264; 50. Sitzung des Hauptausschusses v. 10. 02. 1949, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 662 f.). Nach Wegfall des Art. 105 entschied sich der Hauptausschuss gegen den Antrag von Abg. der CDU / CSU, erneut das Zustimmungserfordernis des Bundesrates in Art. 116 III einzufügen (JöR N.F. 1 (1951), S. 651 mit Fn. 55; 57; Sitzung des Hauptausschusses v. 05. 05. 1949, Der Parlamentarische Rat, Hauptausschuß, S. 756). Vgl. auch die Darstellung von Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 87, Dezember 1992, Rn. 33.
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verwaltungskörperschaften auch unter der Geltung des Grundgesetzes sichern, sowie die Errichtung neuer Selbstverwaltungskörperschaften ermöglichen wollte. Der mit den Selbstverwaltungskörperschaften zusammenhängende Widerspruch zum Demokratieprinzip und ihrer unzureichenden demokratische Legitimation schien sich der Verfassungsgeber hingegen nicht bewusst zu sein. Die Problematik war zwar zur Zeit der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfes nicht gänzlich unbekannt, 351 allerdings hat sie keinen Eingang in die Beratungen gefunden. Dies erklärt sich, wenn man bedenkt, dass das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Demokratie noch nicht vollumfänglich und in seiner ganzen Tragweite in dem Bewusstsein der damaligen Zeit verankert war. 352 Angesichts der Kürze der Zeit, in der die Verfassung erarbeitet wurde, die von dem Beginn der Erarbeitung eines ersten Entwurfes auf Herrenchiemsee am 10. August 1948 bis zur Verkündung des Grundgesetzes am 8. Mai 1949 nicht einmal ein Jahr umfasst, ist es verständlich, dass bei der Erarbeitung das Augenmerk auf grundsätzliche Fragen und allgemein im Bewusstsein der Zeit verankerte Problemlagen gerichtet wurde. In den Blick gelangte das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Demokratie erst nach und nach mit der zunehmenden Herausarbeitung und Systematisierung des verfassungsrechtlichen Demokratiegebotes durch das Bundesverfassungsgericht knapp vierzig Jahre nach der Errichtung des Grundgesetzes. 353 Aufgrund des fehlenden Problembewusstseins der Mitglieder des Parlamentarischen Rates im Hinblick auf die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung erscheint es bedenklich, allein aus dem Willen zur Sicherung 351 Vgl. bereits die vereinzelten Stimmen zu Zeiten der Weimarer Republik, die auf das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Selbstverwaltung hinwiesen (hervorzuheben sind hier Heuß, Demokratie und Selbstverwaltung, 1921 und noch deutlicher H. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 26 ff.; ders., Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preussen, 1926, S. 43 f.; vgl. auch die Darstellung und weiteren Nachweise bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 163 ff.). 352 Die geäußerten Bedenken in der Weimarer Zeit lösten zunächst keine weitergehende Befassung mit dem Problemkreis aus. Vgl. dazu auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 342 ff. Zur Situation zur Zeit der Entstehung der Verfassung vgl. auch Kluth, a.a. O., S. 344 f. Auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 372 räumt ein, dass die Anerkennung der funktionalen Selbstverwaltung durch den Parlamentarischen Rat „hinsichtlich der Frage nach ihrer Legitimation zwiespältig ist und manches offen lässt“. Vgl. auch allgemein ohne Bezug zur Legitimationsproblematik: Jestaedt, in: Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 315, 332. 353 Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 345. In Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung hat die Diskussion ihren vorläufigen Höhepunkt durch BVerfGE 107, S. 59 ff. erreicht. Ossenbühl, FS für W. Schmitt-Glaeser, 2003, S. 103, 105 geht sogar davon aus, dass die volle Tragweite des verfassungsrechtlichen Problems der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung überhaupt erst mit dem dieser Verfassungsgerichtsentscheidung vorangegangenen Vorlagebeschluss des BVerwG (BVerwGE 106, S. 64) erkannt wurde.
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der bestehenden Selbstverwaltungskörperschaften und zur Ermöglichung der Errichtung neuer Körperschaften abzuleiten, dass damit auch die durch die Weisungsfreiheit bedingte Herabsetzung des Legitimationsniveaus vom Verfassungsgeber gewollt und somit verfassungsrechtlich zugelassen sei. 354 IV. Kritik an der Auslegungsmethode Die bisher angeführten Bedenken gegen die Herleitung eines Ausgestaltungsgehaltes von Art. 87 III S. 1 GG aus der Entstehungsgeschichte der Norm fußten ebenfalls auf der Entstehungsgeschichte der Norm: So wurde dargelegt, dass zum einen das Selbstverwaltungskonzept der Mitglieder des Parlamentarischen Rates nicht gefestigt war und zum anderen die Spannungslage und die Widersprüche von Selbstverwaltung und Demokratieprinzip in den Beratungen nicht behandelt wurden. Beide entstehungsgeschichtlichen Befunde sprechen gegen eine Qualifizierung des Art. 87 III S. 1 GG als verfassungsrechtliche Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers, bei der Schaffung von Selbstverwaltungskörperschaften das demokratische Legitimationsniveau abzusenken. Hinzu treten – gleichsam hilfsweise – zwei weitere, grundsätzliche Kritikpunkte: Zum einen kann die große Bedeutung, die der Entstehungsgeschichte der Norm im Rahmen der Begründung ihres Ausgestaltungsgehaltes eingeräumt wird, kritisch hinterfragt werden. Zum anderen kann die Argumentationsfigur der „Einheit der Verfassung“, die mangels ausdrücklich geäußertem Willen des Verfassungsgebers, bei Selbstverwaltungskörperschaften Absenkungen im Legitimationsniveau zuzulassen, von den Vertretern der These eines Ausgestaltungsgehaltes herangezogen werden muss, einer kritischen Prüfung unterzogen werden. 1. Relativierung der Bedeutung der Entstehungsgeschichte im Rahmen der Normauslegung Die These, Art. 87 III S. 1 GG enthalte eine Aussage im Hinblick auf das Demokratieprinzip und rechtfertige bei Selbstverwaltungskörperschaften eine Absenkung des Legitimationsniveaus verfassungsrechtlich, wird ausschließlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm bzw. auf den Willen des Verfassungsgebers gestützt. Oben wurde bereits dargelegt, dass die Entstehungsgeschichte die Anerkennung eines solchen demokratischen Ausgestaltungsgehalts des Art. 87 III 354 Vgl. in diesem Zusammenhang E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 139. Vgl. auch J. Becker, DöV 2002, S. 397, 398 f., der allgemein im Zusammenhang mit der Frage materieller Wirkung von Kompetenz-, Organisations- und Zuständigkeitsregelungen darauf hinweist, dass sich der Verfassungsgeber eines Konfliktes bewusst gewesen sein muss. Vgl. auch ders., DöV 2004, S. 910, 913.
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S. 1 GG nicht zu begründen vermag. Zusätzlich oder besser hilfsweise kann auch angeführt werden, dass das Auslegungsergebnis auch deshalb zweifelhaft erscheint, weil es sich allein auf die Entstehungsgeschichte beruft. Zwar soll hier der historischen Auslegung und der dabei bedeutsamen Entstehungsgeschichte nicht per se ihre Eignung zur Normauslegung abgesprochen werden. Die durch sie ermittelte Regelungsabsicht des Verfassungsgebers kann durchaus zum Verständnis einer Norm und ihrer Auslegung beitragen. So kann bei der Frage, wie eine Norm heute zu verstehen ist, die Vorstellung des Normgebers und die Bedeutung und der Sinn, die er der Norm zugemessen hat, Anhaltspunkte liefern. Aus diesem Grund wurde auch im Rahmen der Auslegung des Volksbegriffes in Art. 20 GG auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift Bezug genommen. Allerdings erscheint es problematisch, ein Auslegungsergebnis ausschließlich auf den Willen des Verfassungsgebers zu stützen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass es sich bei dem Willen des Normgebers im Gegensatz zu Wortlaut und Systematik der Norm um einen subjektiven Faktor handelt und die subjektive Auslegung gegenüber der objektiven Auslegung als subsidiär anzusehen ist: 355 Nur bei einer Auslegung anhand objektiver Kriterien bleibt die Norm über Jahre hinweg anpassungsfähig und wird nicht obsolet durch den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse. 356 Zum anderen beinhaltet die Feststellung eines bzw. „des“ Willens des Verfassungsgebers die Gefahr, eine bloße Fiktion 355
Vgl. BVerfGE 1, S. 299, 312; 10, S. 234, 244; 11, S. 126, 130 f. (Auslegung einfacher Gesetze): Es wird auf den „objektivierten Willen des Gesetzgebers“ abgestellt. Die Entstehungsgeschichte wird nur unterstützend herangezogen zur Bestätigung der nach den anderen Auslegungsmethoden gefundenen Ergebnisse oder zur Behebung verbleibender Zweifel. In Bezug auf die Verfassungsauslegung: BVerfGE 6, S. 389, 431; 32, S. 199, 244 (Sondervotum Dr. Geiger); 36, S. 342, 367; v. Münch, in: ders. / Kunig, GG, Bd. 1, 5. Aufl., 2000, Vorb. Art. 1 – 19, Rn. 50. Allerdings finden sich auch Urteile, in denen bei der Auslegung maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte abgestellt wird: Vgl. bspw. BVerfGE 97, S. 198, 219; 61, S. 149, 174 ff.; 33, S. 125, 152 f., wo der Entstehungsgeschichte und dem „Traditionellen“ oder „Herkömmlichen“ große Bedeutung beigemessen wird. Vgl. zu den Widersprüchen in der Rechtsprechung des BVerfG bezüglich der Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Auslegung sowohl zwischen dem 1. und 2. Senat als auch zwischen methodischen Aussagen und der Auslegungspraxis des Gerichts: Sachs, DVBl. 1984, S. 73 ff., 78 ff. Vgl. auch Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 17 ff., insbes. S. 20 f., der aufgrund des bewahrenden Charakters des Verfassungsrechts dem Willen des Verfassungsgebers die vorrangige Bedeutung zuerkennt. Allerdings stellt auch er bei Fragen, die der Verfassungsgeber nicht entschieden hat, auf die anderen Auslegungsmethoden ab (S. 21). Um einen solchen Fall handelt es sich aber bei dem Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Demokratie nach der hier vertretenen Auffassung aus den bereits dargelegten Gründen. Vgl. zur Problematik: F. Müller, in: Dreier / Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976, S. 248, 260 ff., der die Differenzierung „subjektivobjektiv“ zugunsten einer Rangordnung verwirft. Vgl. allgemein zur Problematik der Verfassungsinterpretation die weiteren Beiträge in diesem Band sowie Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 ff. 356 Vgl. Wentzel, Autonomes Berufsausbildungsrecht und Grundgesetz, 1970, S. 108 f.
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zu sein. Die historische Auslegungsmethode entstammt einer Zeit, in der die auszulegenden Gesetze einem bestimmten Herrscher als Einzelperson zugerechnet werden konnten. Seinen Willen galt es zu ermitteln. Sofern aber nicht mehr eine Einzelperson als Urheber der auszulegenden Norm auftritt, sondern diese von einem Organ erlassen wird, in dem mehrere Mitglieder, die unterschiedliche Interessen zu wahren haben, vertreten sind, stößt diese Auslegungsmethode an ihre Grenzen: In dieser Konstellation gibt es nicht mehr den einen Willen des Gesetzgebers, sondern es spielen viele Einzelwillen zusammen 357 und häufig wird die Fassung einer Vorschrift auf einem Kompromiss beruhen. Es besteht somit die Gefahr, den gesetzgeberischen Willen zu fingieren, zumal er sich zumeist – wie auch in diesem Fall – nicht eindeutig aus den Unterlagen über die Entstehungsgeschichte ergibt, sondern die darin enthaltenen Äußerungen einzelner Abgeordneter ihrerseits wieder der Auslegung bedürfen. 358 Dem Vorhaben, den Willen des Verfassungsgebers zu bestimmen, ist aufgrund dieser Gefahren daher mit ähnlicher Zurückhaltung zu begegnen, wie dies oben schon für die teleologische Auslegung dargelegt wurde. 359 2. Die Argumentationsfigur der Einheit der Verfassung Ein weiterer Umstand, an dem eine Kritik an der These vom demokratischen Ausgestaltungsgehalt des Art. 87 III S. 1 GG anknüpfen kann, ist, dass sich der Wille des Gesetzgebers, eine Absenkung des Legitimationsniveaus bei Selbstverwaltungskörperschaften zuzulassen, nicht ohne weiteres aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt. Wie oben bereits dargelegt wurde, findet sich in den Materialien, die die Entstehung des Art. 87 III GG dokumentieren, keine ausdrückliche Inbezugnahme des Demokratieprinzips. Die Vertreter eines Ausgestaltungsgehalts des Art. 87 III GG argumentieren daher dahingehend, dass der Verfassungsgeber, wenn er die zur Zeit der Grundgesetzerrichtung bestehenden Selbstverwaltungskörperschaften auch unter dem Grundgesetz anerkenne (Art. 130 III GG) sowie in Art. 87 III S. 1 GG die Errichtung neuer Selbstverwaltungskörperschaften ermögliche, insoweit gleichzeitig die Zulässigkeit der Absenkung des Legitimationsniveaus regele, da andernfalls Widersprüche zu 357 Vgl. zu dieser Problematik auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 328 f. 358 Zur Auslegungsbedürftigkeit der Materialien vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 328 f. 359 Vgl. Teil 1 Kap. 2 C. III. 2. Die Nähe zur teleologischen Auslegung wird deutlich, wenn die historische Auslegung vereinzelt auch als subjektiv-teleologische Auslegung bezeichnet wird (vgl. Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 167; A. Schmitt Glaeser, Vorverständnis als Methode, 2004, S. 58, 62 ff., 289, der allerdings weitergehend differenziert). Vgl. auch BVerfGE 8, S. 28, 33 –35: In diesem Beschluss scheint das Gericht den Gesetzeszweck und die Regelungsabsicht des Gesetzgebers gleichzusetzen.
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dem in Art. 20 GG geregelten Demokratieprinzip aufträten. 360 Die Begründung der These vom demokratischen Ausgestaltungsgehalt des Art. 87 III GG bedient sich somit der Argumentationsfigur der „Einheit der Verfassung“ 361. Der Kritik, die diese Figur in der Literatur erfahren hat, kann hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. 362 Es soll aber kurz für die Auslegung des Art. 87 III S. 1 GG aufgezeigt werden, dass aufgrund der Inhaltslehre der Argumentationsfigur „Einheit der Verfassung“ beliebige Ergebnisse begründet werden können: Zunächst kann der Widerspruch zwischen Art. 20 GG und Art. 87 III GG dadurch aufgelöst werden, dass von einer Qualifizierung der Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft als Verbandsvolk ausgegangen wird. Diese These wurde bereits oben zurückgewiesen. 363 Eine weitere Möglichkeit ist, eine autonome Legitimation durch die Körperschaftsmitglieder anzunehmen 364 oder eben – wie es hier in Frage steht – in Art. 87 III S. 1 GG eine Ermächtigung des Gesetzgebers zu sehen, bei der Schaffung von Selbstverwaltungseinrichtungen das Legitimationsniveau abzusenken. Des Weiteren wäre es auch denkbar, in der Selbstverwaltung einen mit dem Demokratieprinzip kollidierenden Verfassungswert zu sehen, so dass die Widersprüche im Wege der Abwägung aufzulösen wären. 365 Diese Vielzahl an Herleitungen, die sich letztlich alle auf den Grundsatz der Einheit der Verfassung gründen, zeigt bereits, dass diese Argumentationsfigur ungeeignet ist, die fehlende Inbezugnahme des Demokratieprinzips im Wortlaut der Vorschrift des Art. 87 III GG sowie in den Beratungen zu ersetzen, geschweige denn einen Weg vorzugeben, nach dem der Widerspruch aufgelöst werden muss. Aus Art. 87 III S. 1 GG lässt sich schlichtweg keine Aussage zum Demokratieprinzip oder zum Legitimationsniveau entnehmen.
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Vgl. auch die Kritik bei P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 548, der in Art. 87 III GG nur eine institutionelle Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung erblickt und keine Ausnahme zum Demokratiegebot. 361 Unter ausdrücklicher Nennung dieses Auslegungsgrundsatzes: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 503. 362 Vgl. insoweit grundlegend F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979; kritisch an anderer Stelle auch Jestaedt in: Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit, 1997, S. 315, 318 f. Bezüglich der Einheit der Rechtsordnung: Vgl. Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 181 ff. 363 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C.; Teil 2 Kap. 2 A. und die dortige Kritik sowie die Zurückweisung dieser Argumentation bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 503. 364 So Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 370, 372 f.; vgl. zur Kritik hieran: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 548 ff. und oben Teil 2 Kap. 2 A. 365 In diese Richtung Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 547.
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V. Fazit Weder Wortlaut, noch systematisch-teleologische Überlegungen, noch die Entstehungsgeschichte stützen eine Auslegung des Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG als verfassungsrechtliche Ermächtigung des Gesetzgebers, bei der Errichtung von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften das nach dem Demokratieprinzip erforderliche Maß an demokratischer Legitimation zu unterschreiten. Das oben dargelegte Demokratiedefizit der funktionalen Selbstverwaltung kann somit nicht durch einen Rekurs auf Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG gerechtfertigt werden.
F. Besondere sachliche Notwendigkeiten als Abweichungsbefugnis Eng mit dem vorstehenden auf Art. 87 III S. 1 GG gestützten Rechtfertigungsmodell der funktionalen Selbstverwaltung verknüpft erscheinen die Überlegungen, die Böckenförde zur Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung angesichts ihres Defizits demokratischer Legitimation anführt. 366 Die funktionale Selbstverwaltung weist nach seiner Ansicht zwar Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation auf, da eine organisatorisch-personelle Legitimation nicht gegeben ist und dieser Mangel auch nicht vollends durch eine verstärkte sachlich-inhaltliche Komponente ersetzt werden kann. 367 Sie wird aber dennoch – auch über eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung hinaus 368 – als ausnahmsweise zulässig angesehen. Zwar nimmt Böckenförde zu ihrer Rechtfertigung nicht unmittelbar Bezug auf Art. 87 III GG, aber er verweist darauf, dass die Verfassung „vom Bestand und der Möglichkeit von Organisationsformen funktionaler Selbstverwaltung“ 369 ausgeht. Des 366 Vgl. P. Unruh, VerwArch 92 (2001), S. 531, 548, der beide Modelle als Varianten der von ihm so benannten Ausnahme-These behandelt. 367 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 23. 368 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 25, 34, wobei als ausdrückliche Verankerung Art. 87 II GG angeführt wird. 369 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 25. Die Annahme, dass hiermit auf die Vorschriften der Art. 86, 87 III sowie 130 III GG Bezug genommen wird, wird bestärkt durch die Verweisung Böckenfördes (a.a. O., Fn. 43) auf Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 364 –373, wo eben aus diesen Vorschriften die grundsätzliche Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung unter der Verfassung gefolgert wird. In der Vorauflage der Abhandlung Demokratie als Verfassungsprinzip (HStR I, 1995, § 22, Rn. 25; Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 311) fehlt der Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit funktionaler Selbstverwaltung unter der Verfassung, wenn es insofern restriktiver heißt: „Jedenfalls soweit die ausdrückliche Anerkennung bestimmter Zweige dieser Selbstverwaltungsform in Art. 87 Abs. 2 GG reicht, ist sie in dem dadurch gegebenen Rahmen ungeachtet bestehender demokratischer Legitima-
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Weiteren wird eine Rechtfertigung aus „besonderen sachlichen Notwendigkeiten“ 370 angeführt. Dabei bleibt allerdings unklar, ob diese Notwendigkeiten zusätzlich zur Verankerung in Art. 87 III GG erforderlich sein sollen 371 oder ob sie einen Rechtfertigungsgrund darstellen, der unabhängig von Art. 87 III GG gelten soll. Im ersten Fall könnte auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, denen zufolge Art. 87 III GG ein demokratischer Ausgestaltungsgehalt nicht zu entnehmen ist. Auf das Vorliegen sachlicher Rechtfertigungsgründe als weitere Voraussetzung käme es dann nicht an. Aber auch sofern die Zulässigkeit funktionaler Selbstverwaltungsträger trotz ihrer legitimatorischen Defizite unabhängig von Art. 87 III GG gerechtfertigt sein soll, wenn besondere sachliche Gründe für ihre Errichtung bzw. für die Übertragung von Aufgaben auf eine Selbstverwaltungskörperschaft vorliegen, ist Folgendes anzumerken: Angesichts der verfassungsrechtlichen Geltung des Demokratieprinzips müsste es sich bei diesen besonderen sachlichen Notwendigkeiten um Gründe handeln, die ebenfalls Verfassungsrang besitzen. 372 Dies ist beispielsweise für die grundrechtsgetragene Selbstverwaltung der Hochschulen anerkannt. 373 Inwiefern im Übrigen Grundrechte oder andere Verfassungsgüter als kollidierendes Verfassungsrecht Einschränkungen der Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips zulassen, soll im Folgenden gesondert untersucht werden.
tionsdefizite zulässig.“ Die nunmehr großzügigere Behandlung ist wohl insbesondere auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Wasserverbände (BVerfGE 107, S. 59 ff.) zurückzuführen, auf die auch verwiesen wird. 370 Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 34. Vgl. weitergehend zum Kriterium der „Natur der Sache“ bzw. zum „Sachzwang“ als Ausnahmegrund Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 587 ff. 371 So Lerche, in: Maunz / Dürig, Art. 86, Dezember 1989, Rn. 73; Art. 87, Dezember 1992, Rn. 195, der „sachlich triftige Gründe“ bzw. eine „sachliche Rechtfertigung“ fordert. 372 Vgl. auch die Kritik Mehdes, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 546 f. 373 Böckenförde selbst nennt die wissenschaftlichen Hochschulen als Beispiel für das Vorliegen besonderer sachlicher Notwendigkeiten (Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 320; HStR I, 1995, § 22, Rn. 34; in der neusten Fassung: HStR II, 2004, § 24, Rn.34). Als weiteres Beispiel nennt er in der neusten Fassung der Abhandlung Demokratie als Verfassungsprinzip (HStR II, 2004, § 24, Rn.34) die „Regulierung von Sozialbereichen unter Beteiligung der Betroffenen“. Angesichts dieser Beispiele, die verfassungsrechtlich in Art. 5 III GG bzw. dem Sozialstaatsprinzip verortet werden können, liegt es nahe, dass auch Böckenförde davon ausgeht, dass es zur Rechtfertigung des Demokratiedefizits verfassungsrangiger Gründe bedarf. Ausdrücklich stellt er dies jedoch nicht klar, so dass die Kategorie der „besonderen sachlichen Notwendigkeiten“ missverständlich ist. Vgl. dazu auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 588, Fn. 760. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 546.
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G. Einschränkungen aufgrund kollidierendem Verfassungsrecht Die mit der funktionalen Selbstverwaltung einhergehenden Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation könnten gerechtfertigt werden, sofern die Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung einem anderen Verfassungsgut zur Durchsetzung verhilft. Im Wege des verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen dem Demokratieprinzip und diesem anderen kollidierenden Verfassungsgrundsatz müssten unter Umständen Einschränkungen des Demokratieprinzips zugunsten des anderen Verfassungsgutes hingenommen werden. 374 Dabei kann in der funktionalen Selbstverwaltung selber kein solches kollidierendes Verfassungsprinzip gesehen werden, da die funktionale Selbstverwaltung im Gegensatz zur kommunalen Selbstverwaltung keine bzw. nur eine ganz vereinzelte grundgesetzliche Normierung erfahren hat. Es ist daher auf die Zwecke abzustellen, die durch die funktionale Selbstverwaltung gefördert werden und zu untersuchen, ob ihnen Verfassungsrang zukommt. Nur unter dieser Voraussetzung wäre eine auf sie gestützte Einschränkung des Demokratieprinzips überhaupt möglich. Als solche kollidierenden Verfassungsgüter kommen mit der Akzeptanz, Partizipation, Effizienz und Effektivität zunächst Faktoren in Betracht, die schon auf ihre Eignung als Legitimationsmodi untersucht wurden. Auch wenn eine legitimatorische Wirkung dieser Faktoren verneint wurde, stellen sie möglicherweise kollidierende Verfassungswerte dar. Dies gilt es im Folgenden zu untersuchen. Daneben wird insbesondere diskutiert, ob Einschränkungen des Demokratieprinzips grundrechtlich gerechtfertigt werden können. Auch dieser Frage wird daher nachzugehen sein. I. Akzeptanz Es wurde bereits oben ausführlich begründet, dass Akzeptanz keinen Legitimationsmodus darstellt. 375 Insbesondere ihre Ausrichtung auf Betroffene steht einer legitimatorischen Wirkung entgegen, da Legitimationsformen die Rückführung auf das Staatsvolk als Legitimationssubjekt gewährleisten müssen. Dieser mangelnde Bezug zum Staatsvolk würde einer Konstruktion nicht entgegenstehen, nach der Akzeptanz als mit dem Demokratieprinzip kollidierendes Verfassungsgut angesehen wird, das eine Unterschreitung des verfassungsrechtlich geforderten Legitimationsniveaus rechtfertigt. Allerdings lassen sich die weiteren Gründe, die gegen eine Heranziehung von Akzeptanz als Legitimationsfaktor sprechen, 374 Vgl. dazu Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 65 f. 375 Teil 2 Kap. 2 B. II.
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auch gegen eine auf die Akzeptanz der Entscheidungen gestützte Rechtfertigung einer Herabsetzung des Legitimationsniveaus anführen: Die praktischen Schwierigkeiten, die die Begrenzung des Personenkreises mit sich bringt, für den das Vorliegen von Akzeptanz und ihr Maß bestimmt werden soll sowie das generelle Problem der Messbarkeit von Akzeptanz stehen einer durch den Akzeptanzgedanken gestützten Einschränkung des Demokratieprinzips ebenso entgegen wie der ex-post Charakter der Akzeptanzbestimmung. 376 Das entscheidende Argument, das gegen eine solche Heranziehung von Akzeptanz zur Rechtfertigung der Unterschreitung des Legitimationsniveaus spricht, ist jedoch seine fehlende verfassungsrechtliche Verankerung. Ebenso wenig wie durch Berufung auf Art. 1 I GG oder Art. 5, 8 und 9 GG dem Gesichtspunkt der Akzeptanz ein demokratischer Gehalt beigelegt werden kann, 377 lässt sich aus diesen Vorschriften eine verfassungsrechtliche Normierung des Akzeptanzgedankens herleiten. 378 Der vereinzelt in der Literatur eingeschlagene Umweg, in der Akzeptanzsteigerung eine Förderung des Grundrechts zu sehen, das jeweils durch den Aufgabenbereich berührt wird, der aus den ministerialen Strukturen ausgenommenen wird, 379 vermag auch keinen eigenständigen Verfassungsrang des Akzeptanzgedankens zu begründen. 380 Akzeptanz hat insoweit lediglich am Verfassungsrang des in Frage stehenden Grundrechts teil. Hierbei steht aber das maßgebliche Grundrecht als kollidierendes Verfassungsrecht im Vordergrund. Inwieweit Grundrechte geeignet sind, Einschränkungen des Demokratieprinzips zu rechtfertigen, soll jedoch gesondert untersucht werden, so dass insoweit nach unten zu verweisen ist. 381
376
Vgl. zu diesen Gesichtspunkten oben Teil 2 Kap. 2 B. II. 2. c). Vgl. Teil 2 Kap. 2 B. II. 2. b); vgl. dagegen J.-P. Schneider, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103, 137, der von einer verfassungsrechtlichen Verankerung im Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip auszugehen scheint, diese These aber nicht näher begründet. 378 Vgl. auch Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 203, 207 f. 379 So muss wohl das Vorgehen Oebbeckes, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 179, 189 verstanden werden, der die Beschränkung der ministeriellen Leitungsbefugnis für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften durch Art. 5 GG rechtfertigt und hierbei den Akzeptanzgedanken im Rahmen der Angemessenheitsprüfung in Art. 5 GG verortet (S. 175 ff., 179). Für den Ausschuss für Kriegsdienstverweigerer verortet er den Akzeptanzfaktor in Art. 4 III GG (S. 189, 191), auf den er hierbei die Beschränkung der ministeriellen Leitungsbefugnis stützt. 380 So letztlich auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 191. 381 Vgl. unten Teil 2 Kap. 2 G. IV. 377
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II. Partizipation Auch der Partizipationsgedanke wird nicht nur als Legitimationsfaktor im Rahmen des Demokratieprinzips angeführt, sondern vereinzelt auch als mit dem Demokratieprinzip kollidierender Verfassungswert angesehen. Die verfassungsrechtliche Verankerung von Partizipation erfolgt hierbei mittels eines Rekurses auf den „status activus processualis“ der Grundrechte. Inwieweit ein grundrechtlich unterfangener Partizipationsgedanke Einschränkungen des Demokratieprinzips zu rechtfertigen vermag, soll jedoch nicht gesondert, sondern im Zusammenhang mit der allgemeinen Fragestellung untersucht werden, ob Grundrechte zur Rechtfertigung von Einschränkungen des Demokratieprinzips herangezogen werden können. 382 III. Effektivität und Effizienz Als mit dem Demokratiegebot kollidierender Verfassungsgrundsatz werden vielfach die Grundsätze der Effizienz und der Effektivität genannt. Bevor im Folgenden untersucht werden kann, ob mit der Effektivität oder Effizienz tatsächlich Grundsätze angesprochen sind, die auf einer Stufe mit dem Demokratieprinzip stehen und somit dessen Einschränkung rechtfertigen können, sollen zunächst die Begrifflichkeiten geklärt werden. 1. Definition von Effektivität und Effizienz Teilweise scheinen in der juristischen Diskussion die Begriffe „Effektivität“ und „Effizienz“ bzw. die entsprechenden Adjektive als Synonyme verwendet zu werden 383 bzw. eine Unterscheidung wird eher angedeutet als dargelegt. 384 Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden Begriffe erweist sich auch deshalb als schwierig, weil sie im alltäglichen Sprachgebrauch häufig nicht unterschieden werden und auch in der Fachsprache ihre Bedeutung je nach Fachbereich leicht variiert.
382
Vgl. auch im Hinblick auf Nachweise zu dieser Ansicht unten Teil 2 Kap. 2 G. IV. Vgl. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 356 f.; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 477 f., der mal von „Effizienz“ spricht und mal vom „Effektivitätsgebot“ oder von „effektive[r] Sachwaltung“ oder „effektive[r]Aufgabenwahrnehmung“; unklar auch Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 103 ff., 105, der ohne weitergehende Differenzierung von „Wirksamkeit oder Kostengünstigkeit“ spricht. 384 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 592, Fn. 777; deutlicher: Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 390 f. 383
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Den hiesigen Ausführungen soll das folgende Verständnis von Effektivität und Effizienz zugrunde gelegt werden: Effektivität beschreibt den Grad, zu dem ein definiertes Ziel erreicht wird. 385 Es wird hier das Verhältnis von Output zum Outcome beschrieben. Auf die Verwaltungstätigkeit bezogen beschreibt die Effektivität, inwieweit die Leistungen der Verwaltung (Output) die bezweckten Wirkungen oder Ziele (Outcome) erreichen. 386 Effizienz beschreibt demgegenüber, in welchem Verhältnis die erbrachte Leistung (Output) zum dafür eingesetzten Aufwand (Input) steht und misst damit die Wirtschaftlichkeit. In der Literatur wird teilweise nicht eigens zwischen Output und Outcome unterschieden, so dass unter dem Begriff Effizienz oder Wirtschaftlichkeit allgemein der Aufwand zur Zielerreichung verstanden wird. 387 Auch für die hier durchzuführende Untersuchung der Frage, ob eine Steigerung der Effizienz Defizite in der demokratischen Legitimation ausgleichen kann, ist die weitere Unterscheidung zwischen Output und Outcome nicht wichtig und kann daher vernachlässigt werden. Nachdem nun die Begriffe der Effizienz und der Effektivität voneinander abgegrenzt wurden, ist im Folgenden für beide getrennt zu untersuchen, inwieweit sie eine Einschränkung des Legitimationsniveaus rechtfertigen können. 2. Effizienz Die Beurteilung von Effizienz kann aus zwei Blickrichtungen vorgenommen werden: Zum einen geht es darum, ein vorgegebenes Ziel mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen (sog. Sparsamkeits- oder Minimalprinzip 388), zum anderen darum, mit einem bestimmten Aufwand den größtmöglichen Nutzen zu erzielen (sog. Ergiebigkeits- oder Maximalprinzip 389). 390 Bei der Beurteilung der Verwaltungstätigkeit steht dabei der Grundsatz der Sparsamkeit im Vordergrund, da die Ziele, die es zu verwirklichen gilt, in der Regel durch den Gesetzgeber,
385 Vgl. auch Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt / Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11, 17. 386 Vgl. Krems, in: Online-Verwaltungslexikon, einsehbar unter http://www.olev.de, Stand: 25. 01. 2007. 387 Vgl. aber Ziff 2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 7 BHO, in denen im Hinblick auf das Verhältnis Aufwand – Output der Begriff „Vollzugswirtschaftlichkeit“ und mit Blick auf die übergeordnete Zielsetzung insgesamt (Outcome) der Begriff „Maßnahmenwirtschaftlichkeit“ verwandt wird. 388 Vgl. Ziff. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 7 BHO. 389 Vgl. Ziff. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 7 BHO. 390 Vgl. auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 55; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 390 f.; Hoffmann-Riem, in: ders. / Schmidt / Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11, 17.
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durch politische Leitentscheidungen der Regierung und nicht zuletzt auch durch die Verfassung selbst vorgegeben sind. a) Effizienzsteigerung durch Funktionale Selbstverwaltung? Die Frage nach der Möglichkeit einer Einschränkung der Legitimationserfordernisse zugunsten einer effizienteren Aufgabenwahrnehmung im Sinne der Sparsamkeit ist für die funktionale Selbstverwaltung von Bedeutung, da ihr häufig gegenüber der Organisationsform der Ministerialverwaltung eine höhere Effizienz zugesprochen wird. So wird angeführt, dass eine Übertragung von Staatsaufgaben auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften den Staat entlaste. 391 In der Tat kann der Staat infolge der Aufgabenübertragung seinen Aufwand minimieren, da er in dem betroffenen Bereich beispielsweise den Personaleinsatz reduzieren kann: Der Vollzug wird von den Organen der Selbstverwaltungskörperschaft wahrgenommen, und der Staat muss lediglich die Rechtsaufsicht gewährleisten. Auch die Kosten der Aufgabenerledigung werden vornehmlich durch die Mitgliederbeiträge getragen, so dass auch eine finanzielle Entlastung des Staates zu verzeichnen ist. Insofern kann eine Aufgabenwahrnehmung durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften Ressourcen schonen und wirtschaftlicher sein als eine Aufgabenerfüllung im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung. 392 Allerdings können auch Faktoren angeführt werden, die einer Effizienzsteigerung bei einer Aufgabenwahrnehmung durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften entgegenstehen: So wird geltend gemacht, bei einer Verteilung der Verwaltungsaufgaben auf Behörden der Ministerialverwaltung und auf kleinere Organisationseinheiten der funktionalen Selbstverwaltung seien verstärkt 391
Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 356; Stern, Staatsrecht I, 1984, S. 403. 392 Vgl. auch Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 356, der allerdings eine Effizienzsteigerung durch funktionale Selbstverwaltung entgegengesetzt damit begründet, dass hierdurch die Effektivität bei der Wahrnehmung der beim Staat verbleibenden Aufgaben steige, da sich dieser aufgrund der Entlastung auf die Wahrnehmung dieser Aufgaben konzentrieren könne. Dieser Effektivitätsgewinn bei den beim Staat verbleibenden Aufgaben sei der funktionalen Selbstverwaltung bei der Beurteilung ihrer Effizienz zugute zu halten. Eine solche Argumentation ist zum einen deshalb kritikwürdig, da sie Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkte vermischt. Zum anderen erscheint es sinnvoll, sich bei der Beurteilung der Effizienz einer bestimmten Organisationsform als Mittel zur Umsetzung bestimmter Aufgaben oder Ziele auch auf diese zu konzentrieren und nicht eine Gesamtsaldierung vorzunehmen. Schon bei einer solchen Konzentration der Fragestellung besteht die Schwierigkeit, einen Effizienzzuwachs exakt zu bestimmen (vgl. die folgenden Ausführungen oben), bei einer Gesamtbetrachtung aber, die die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben insgesamt in den Blick nimmt, stellt sich dieses Problem umso stärker dar, so dass die Gefahr zu großer Pauschalierungen besteht.
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Maßnahmen und Vorkehrungen erforderlich, die die gegenseitige Abstimmung und Kooperation gewährleisten. 393 Die Einrichtung solcher Kooperationsmechanismen zur Vermeidung von Reibungsverlusten stellt danach einen Aufwand dar, der bei einer dezentralisierten Verwaltung in größerem Maße auftritt als bei einer Organisation im Rahmen der zentralisierten Verwaltung. Aus diesem Grund wird teilweise die Aufgabenwahrnehmung durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften als weniger effizient (bzw. auch effektiv) beurteilt als eine Aufgabenerfüllung im Rahmen der zentralisierten Ministerialverwaltung. 394 Diese unterschiedliche Beurteilung der Effizienzfrage bei Trägern funktionaler Selbstverwaltung ist symptomatisch für ein grundsätzliches Problem: Die Beurteilung der Effizienz einer Organisationsform hängt von vielen Faktoren ab, so dass Effizienz als empirische Größe nur schwer zu messen und zu bestimmen ist. 395 Schon aus diesem Grund erscheint es bedenklich, Effizienzgesichtspunkte zur Rechtfertigung eines Legitimationsdefizits heranzuziehen. b) Mangelnder Verfassungsrang des Effizienzfaktors Aber auch wenn man einmal von der Schwierigkeit absieht, die Effizienz einer bestimmten Organisationsform zu beurteilen und eine Effizienzsteigerung durch die Übertragung von Aufgaben auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften als gegeben voraussetzt, so ist damit noch nicht die Frage beantwortet, ob eine höhere Effizienz Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation rechtfertigen kann. Auch wenn eine effiziente Aufgabenwahrnehmung positiv zu bewerten ist, reicht eine solche positive Bewertung allein nicht aus, um eine Einschränkung des Demokratieprinzips durch eine gesteigerte Effizienz zu rechtfertigen. Voraussetzung dafür wäre vielmehr zunächst, dass es sich bei der Wirtschaftlichkeit der Aufgabenwahrnehmung um ein Prinzip mit Verfassungsrang handelt. 396 Ein allgemeiner Grundsatz der Wirtschaftlichkeit oder Effizienz ist der Verfassung jedoch nicht zu entnehmen. 397 Zwar hat er für das Haushaltsrecht in Art. 114 II GG eine verfassungsrechtliche Verankerung erfahren und hat im Rah393 Vgl. H. Klein, FS für Forsthoff, 1972, S. 165, 173 (bzgl. Effektivitätsverlust); dies räumt auch Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 356 ein; vgl. auch Frotscher, Festgabe Unruh, S. 127, 141. 394 Vgl. H. Klein, FS für Forsthoff, 1972, S. 165, 173 (bzgl. Effektivitätsverlust); Frotscher, Festgabe Unruh, S. 127, 141; vgl. auch Wolff in: Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 1976, S. 100 bzgl. dezentralisierter Staatsgestaltung. 395 Vgl. auch Derlien, Der Landkreis 1995, S. 232, 234; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 393 f.; Voßkuhle, VerwArch 92 (2001), S. 184, 198. Zur Effizienz als Rechtsbegriff vgl. auch: Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 159 ff. 396 Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 391.
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men der Finanzkontrolle auch legitimatorische Bedeutung, da er das Budgetrecht des Parlaments absichert. Allerdings geht die verfassungsrechtliche Verankerung des Aspektes der Wirtschaftlichkeit in Art. 114 II GG nicht über die Bedeutung für das Haushaltsrecht hinaus 398. Die Effizienz kann auch nicht als Faktor der funktionellen und institutionellen Legitimation angesehen und somit über diesen Umweg verfassungsrechtlich verortet werden. Der im Grundgesetz vorgesehenen Gewaltenteilung, nach der jeder Gewalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Instrumenten, Handlungsund Organisationsformen zugewiesen sind, kann kein Grundsatz der funktionalen Effizienz entnommen werden, 399 aus dem gefolgert werden könnte, dass aufgrund der Effizienz einer bestimmten Organisationsform diese eine verstärkte funktionelle Legitimation genieße, die Defizite im Bereich der personellen oder sachlichen Legitimation ausgleiche. Wie oben bereits dargelegt wurde, 400 stellt die institutionelle und funktionelle Legitimation keine demokratische Legitimationsform dar, da sie keine Rückbindung an das Volk unter der Verfassung 397 Anders: v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, S. 72 ff., der Wirtschaftlichkeit als Verfassungsprinzip ansieht und dies auf Art. 14 und Art. 1 I GG stützt. Diese These wird jedoch dadurch relativiert, dass v. Arnim für das einfache Recht von einem Vorrang des Rechts vor dem Wirtschaftlichkeitsprinzip ausgeht, so dass die Rechtmäßigkeit „den Rahmen für die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebots“ (S. 94) bildet. Übertragen auf die Ebene des Verfassungsrechts wäre damit lediglich unter mehreren verfassungskonformen Regelungen die wirtschaftlichste zu wählen. Das Demokratiegebot könnte aber nicht aufgrund des Wirtschaftlichkeitsprinzips eingeschränkt werden, da dieses nur in dem durch das Demokratieprinzip gesetzten Rahmen Wirkungen entfalten würde. Vgl. dazu auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 121 sowie die Ausführungen unter c) zum akzessorischen Charakter von Effizienz. 398 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 464 f., der von einem „lokale[n] Rechtsprinzip des Haushaltsrechts“ (Hervorhebungen im Original) spricht, im Gegensatz zum Demokratieprinzip, das er als globales Rechtsprinzip bezeichnet. S. auch Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 155; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 392. Vgl. auch R. Schmidt, VerwArch 91 (2000), S. 149, 156 sowie Voßkuhle, VerwArch 92 (2001), S. 184, 198 f., die sich aber auf die Umsetzung des Effizienzgedankens im einfachen Recht konzentrieren und Beispiele für eine einfachrechtliche Verankerung anführen. 399 So aber Hecker, VerwArch 92 (2001), S. 261, 280. Vgl. zu diesem Gedanken auch Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 412 ff., der die besondere Eignung zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe allerdings unter dem Gesichtpunkt der Effektivität behandelt. S. auch Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 105; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 571 f. (Dazu schon oben Teil 1 Kap. 2. D. I. 2.). Diese Argumentation weist Ähnlichkeit zu der These von dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten „Prinzip der funktionsgerechten Gestaltung der Verwaltungsorganisation“ (Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 233) auf. Vgl. zu dieser Ansicht die Ausführungen zur Delegationsbefugnis des Gesetzgebers oben Teil 2 Kap. 2 D. 400 Vgl. oben Teil 1 Kap. 2 D. I. 1.
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(pouvoir constitué) gewährleistet, sondern ihren Ausgang beim Volk als pouvoir constituant nimmt. Sie begrenzt das demokratische Prinzip insofern, als aus der unmittelbaren Legitimation des Gesetzgebers durch das Volk kein parlamentarischer Totalvorbehalt abgeleitet werden kann. Damit gewährleistet sie zwar eine Funktionengliederung. Diese besteht aber nur im Rahmen des Demokratieprinzips und verhindert innerhalb dieses Rahmens Verschiebungen zugunsten des Parlaments. Eine Durchbrechung des demokratischen Rahmens zugunsten von Organisationsformen, die zwar effizient erscheinen, aber keine ausreichende Rückanbindung der Staatsgewalt an das Volk sicherstellen, ist dem Gewaltenteilungsprinzip nicht zu entnehmen. 401 Somit ist ein allgemeingültiges Effizienzprinzip der Verfassung nicht zu entnehmen. c) Akzessorischer Charakter von Effizienz Effizienz ist somit unter der Verfassung kein eigenständiges Ziel oder Prinzip wie das Demokratieprinzip, das es zu verwirklichen gilt. Vielmehr erscheint Effizienz stets auf ein anderes Ziel bezogen. 402 Das in Bezug genommene Ziel kann dann effizient umgesetzt und verfolgt werden. Allerdings kann die wirtschaftliche Verfolgung eines Zieles nur innerhalb der Vorgaben der Verfassung erfolgen. Man kann also allenfalls einen Grundsatz aufstellen, nach dem unter mehreren verfassungsmäßigen Organisationsformen die effizienteste vorzugswürdig ist. Ähnlich lautet auch § 7 I BHO, nach dem die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dazu verpflichten zu prüfen, „inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können.“ Zur Wahl stehen hierbei aber nur solche Organisationsformen, die nicht gegen ein von der Verfassung aufgestelltes Prinzip verstoßen. Daher kann die besondere Wirtschaftlichkeit eines Organisationsmodells nicht herangezogen werden, um Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation zu rechtfertigen, die mit dem Modell einhergehen. 403 Zur Verdeutlichung sei auf das Beispiel der Wasserverbände Bezug genommen: Die Wasserverbände mögen einzelne Aufgaben, die ihnen übertragen sind, 401
Vgl. dazu Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 156. Vgl. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 392; vgl. auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 55 f.; Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 163. 403 Vgl. Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 499; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 155 f.; vgl. auch Frank, Die öffentlichen Hochschulen zwischen Hochschulautonomie und staatlicher Verantwortung, 2006, S. 121; v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, S. 93 f. 402
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wie beispielsweise die Abwasserbeseitigung, kostensparender und somit effizienter wahrnehmen können, als dies bei einer Aufgabenerfüllung durch die Behörden innerhalb der Ministerialverwaltung der Fall wäre. Sofern aber das Legitimationsdefizit der Wasserverbände nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, verstößt die mit der Aufgabenwahrnehmung verbundene Ausübung von Staatsgewalt durch die Organe der Wasserverbände gegen das Demokratieprinzip. Da die Effizienzsteigerung, die bei einer Aufgabenwahrnehmung durch den Selbstverwaltungsträger bewirkt wird, eine Absenkung des Legitimationsniveaus nicht rechtfertigen kann, scheidet die Aufgabenwahrnehmung in der Form der funktionalen Selbstverwaltung von vornherein aus, sofern keine andere Rechtfertigung gefunden werden kann. Sie stellt damit keine der verfassungsrechtlich zulässigen Organisationsformen dar, unter denen die Effizienteste gewählt werden kann. d) Fazit Da der Verfassung ein allgemeines Effizienz- oder Wirtschaftlichkeitsprinzip nicht zu entnehmen ist, handelt es sich hierbei nicht um ein Verfassungsgut, dessen Verwirklichung Einschränkungen des Demokratieprinzips rechtfertigen könnte. Eine effiziente Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist nur in den Grenzen zu fordern, die das Demokratieprinzip setzt. 3. Effektivität Die Effektivität oder Wirksamkeit der Zielerreichung wird häufig im Zusammenhang mit dem Aspekt des Sachverstandes angeführt. 404 Durch die Einbeziehung verwaltungsexternen Sachverstandes erhofft man sich eine effektivere Erreichung der Ziele. a) Effektivität und funktionale Selbstverwaltung Bezogen auf funktionale Selbstverwaltungsträger wird somit folgendermaßen argumentiert: Die Zusammensetzung der Mitglieder der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft aus Betroffenen gewährleiste, dass die Entscheidungsträger der Körperschaft mit den Sachverhalten und Problemen, die den zu treffenden Entscheidungen zugrunde liegen, in besonderer Weise vertraut seien. Der bei den 404 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 590 ff.; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 477 f.; vgl. auch BVerfGE 107, S. 59, 92. Vgl. allgemein zu legitimatorischen Erwägungen aus dem Gesichtspunkt des Sachzwanges und des Sachverstandes: Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 53 ff., insbes. 56 f.
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Betroffenen vorhandene Sachverstand und der im Entscheidungsprozess stattfindende Interessenausgleich könnten somit in die Entscheidungen einfließen und ihre Qualität verbessern. Letztlich ermögliche dies, die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele besser umzusetzen. 405 b) Kritik: Unbestimmtheit des Effektivitätsbegriffs und mangelnde Verfassungswertigkeit Eine solche Argumentation sieht sich gleich mehreren Kritikpunkten ausgesetzt, die sich teilweise mit den oben dargelegten Bedenken im Hinblick auf das Effizienzkriterium decken, so dass sie hier nur in gebotener Kürze aufgeführt werden. Zum einen ist auch der Begriff der Effektivität oder Wirksamkeit nur schwer fass- und messbar. Jestaedt spricht daher im Hinblick auf Sachverstand und Effektivität von „Zauberformeln mit nahezu unerschöpflicher Assoziationskapazität“. 406 Daher ist die Hoffnung, durch die Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung eine Steigerung der Effektivität zu erreichen, nur unzureichend verifizierbar, so dass es bedenklich ist, Absenkungen im Legitimationsniveau auf eine letztlich nur vermutete Effektivitätssteigerung zu stützen. Ferner mangelt es auch bei der Effektivität an einer gesicherten verfassungsrechtlichen Verortung. Ein Wirksamkeits- oder Effektivitätsgebot ist in der Verfassung nicht ausdrücklich als eigenständiges Ziel formuliert. Auch eine Verankerung in anderen Verfassungswerten ist problematisch, da sie beliebig erscheint: Effektivität kann nahezu jedem anderen Verfassungswert entnommen werden. 407 Dies erklärt sich zum einen aus der Unbestimmtheit des Effektivitätsbegriffes und zum anderen aus dem Umstand, dass letztlich jedem Verfassungswert eine Forderung nach effektiver Umsetzung immanent ist. Effektivität ist also ebenso wie Effizienz auf ein bestimmtes anderes Ziel, einen anderen Verfassungswert bezogen, stellt aber keinen eigenständigen Verfassungswert dar. 408 405 Vgl. di Fabio, VerwArch 81(1990), S. 193, 210 ff., der das Effektivitätsgebot im Rechtsstaatsprinzip verortet; vgl. BVerfGE 107, S. 59, 92: Mit der Schaffung von Selbstverwaltungseinrichtungen „darf zum einen ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen geschaffen und verwaltungsexterner Sachverstand aktiviert werden. Mit der Übertragung der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in Formen der Selbstverwaltung darf der Gesetzgeber zum anderen das Ziel verfolgen, einen sachgerechten Interessenausgleich zu erleichtern, und so dazu beitragen, dass die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden [...] Gelingt es, die eigenverantwortliche Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe mit privater Interessenwahrung zu verbinden, so steigert dies die Wirksamkeit des parlamentarischen Gesetzes“ (Hervorhebungen nicht im Original). 406 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 591. 407 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 591; so auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 477.
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So wird ein Effektivitätsgebot teilweise im Rechtsstaatsprinzip 409 verortet, teilweise im Demokratieprinzip 410, und auch eine Verortung im Sozialstaatsprinzip oder in den Grundrechten 411 erscheint denkbar. Im Folgenden soll näher auf die jüngst vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Verortung des Effektivitätsgedankens im Demokratieprinzip eingegangen werden. Da die hierbei anzustellenden Überlegungen den Effektivitätsgedanken im Allgemeinen betreffen, können Sie auch einem Vorgehen entgegen gehalten werden, nachdem Effektivität in einem anderen Verfassungswert verankert wird und dann als kollidierendes Verfassungsrecht Einschränkungen des Demokratieprinzips rechtfertigen soll. c) Effektivität und Demokratieprinzip In der Entscheidung zu Lippeverband und Emschergenossenschaft nimmt das Bundesverfassungsgericht Stellung zum Verhältnis von Demokratieprinzip und Effektivität. So führt das Gericht aus, dass der Gesetzgeber mit der Übertragung von Aufgaben auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften eine effektivere Erreichung seiner Ziele ermöglichen kann und somit die Wirksamkeit des parlamentarischen Gesetzes steigern kann. 412 Dies bedeute letztlich eine Stärkung der Demokratie. Mit Bezug auf die Arbeitnehmermitbestimmung innerhalb der Entscheidungsorgane der Selbstverwaltungskörperschaften heißt es weiter: „Wenn die Wasserwirtschaftsverbände durch die Arbeitnehmervertreter in den Leitungsgremien ihre gesetzlich übertragenen öffentlichen Aufgaben wirksamer wahrnehmen, wird damit das Demokratieprinzip gestärkt, denn der im Gesetz manifestierte Volkswille vollendet sich erst in der praktischen Durchsetzung.“ 413 Diese Ausführungen legen nahe, dass das Gericht Effektivität nicht nur als Verfassungswert im Demokratieprinzip verortet, sondern Effektivität als Legitimationsart behandelt, da eine Effektivitätssteigerung eine Stärkung der Demokratie bewirken soll. Allerdings ist die dogmatische Verortung durch das Gericht etwas unklar, da Effektivität zum einen nicht ausdrücklich an die Seite der klassischen 408 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 591 f., der daher von einem Sekundärgebot spricht. Vgl. ferner Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 477. 409 Vgl. di Fabio, VerwArch 81 (1990), S. 193, 211; Schmidt-Aßmann, in: ders. / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, 40 f.; J.P. Schneider, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 103, 137. 410 BVerfGE 107, S. 59, 92, 99. 411 Darauf weist Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 593 hin; ebenso Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 477. 412 BVerfGE 107, S. 59, 92 (vgl. zum genauen Wortlaut Fn. 1059). 413 BVerfGE 107, S. 59, 99.
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Legitimationsformensformen gestellt wird und zum anderen weitere Aussagen des Gerichtes Anlass zu Zweifeln an der Qualifizierung als Legitimationsmodus geben. So heißt es unmittelbar vor der oben zitierten Urteilspassage: „Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Effektivitätssteigerung ist ein im Rahmen des Demokratieprinzips zulässiger Zweck.“ 414 Die Frage nach der Qualifizierung der Effektivität kann hier aber dahin stehen, da grundsätzliche Einwände, sowohl gegen eine Heranziehung von Effektivität als Legitimationsfaktor innerhalb des demokratischen Prinzips als auch gegen seine sonstige Verortung im Demokratieprinzip sprechen. Zunächst einmal bestätigt der Umgang mit dem Effektivitätsgedanken in der in Frage stehenden Verfassungsgerichtsentscheidung die obigen Ausführungen bzgl. der Schwierigkeiten bei der Bestimmung und Messung von Effektivität: Im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung unternimmt das Gericht keinen Versuch, die Effektivitätssteigerung näher zu untersuchen oder zu begründen. Es begnügt sich vielmehr mit der oben zitierten konditionalen Formulierung und – unter Hinweis auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – mit der Feststellung, dass die Arbeitnehmerbeteiligung jedenfalls nicht schlechthin ungeeignet sei, eine Effektivitätssteigerung zu erreichen. 415 Ferner sprechen grundlegende Überlegungen gegen eine Heranziehung des Effektivitätsfaktors, sei es zur Begründung einer Stärkung des Demokratieprinzips, sei es zur Rechtfertigung von Einschränkungen desselben: Bei einer Einbeziehung von Effektivitätsgesichtspunkten und bei der Frage nach dem Maß von Effektivität werden der formale Charakter des grundgesetzlichen Legitimationssystems verlassen und materielle Faktoren an die Stelle der formalen Rückbindung an das Volk gesetzt. 416 Wenn Effektivität heißt, die richtigen Dinge im Hinblick auf die Zielerreichung zu tun, dann rücken damit die Frage nach der „Richtigkeit“ und somit auch Überlegungen zur Qualität der Verwaltungsleistungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. 417 In einer Demokratie gibt es aber keine objektive und vorgegebene „Richtigkeit“ von Verwaltungsleistungen. Vielmehr entscheidet im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben die Mehrheit, was richtig ist. Dem Demokratiegebot des Art. 20 II GG ist somit nicht Genüge getan, wenn das Parlament als Volksvertretung lediglich die übergeordneten Zie414
BVerfGE 107, S. 59, 99. BVerfGE 107, S. 59, 100; vgl. auch die diesbezügliche Kritik Jestaedts, JuS 2004, S. 649, 652 mit Fn. 53. 416 Vgl. die Kritik Jestaedts, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 592. 417 Vgl. die Darstellung des formalen Charakters des herrschenden Legitimationsmodells, das auch hier zugrunde gelegt wird, und des materiellen Charakters von Rationalitätskriterien bei Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 298 f. Vgl. auch oben Teil 2 Kap. 2 B. III. 415
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le bestimmt. Vielmehr müssen sich auch die einzelnen Verwaltungsleistungen und -maßnahmen, die zur Verwirklichung der übergeordneten Ziele vorgenommen werden, auf das Volk zurückführen lassen, sofern es sich dabei um die Ausübung von Staatsgewalt handelt. Art. 20 II GG fordert, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und steht somit einer Konzeption entgegen, in dem die demokratisch bestimmten Ziele den Einsatz undemokratischer Mittel heiligen. 418 Es ist also vor dem Hintergrund des Demokratiegebotes nicht möglich, mit dem Argument einer höheren „Richtigkeit“ oder einer effektiveren Zielumsetzung Entscheidungen von dem Willen der Mehrheit abzukoppeln und Experten oder sachverständigen Betroffenen zu überlassen. 419 Auch etwaige Effektivitätssteigerungen infolge der Aufgabenübertragung auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften sind somit nicht geeignet, Einschränkungen und Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation zu rechtfertigen. 4. Fazit Weder Effizienz noch Effektivität sind Prinzipien, die eine Herabsetzung des Legitimationsniveaus rechtfertigen können. Sie sind in der Verfassung nicht als eigenständige Ziele oder Werte ausgestaltet, sondern sind vielmehr als Sekundärwerte immer einem bestimmten übergeorteten Ziel zuzuordnen, dessen Verwirklichung sie dienen. Somit stehen sie nicht auf einer Stufe mit dem Demokratieprinzip und können dessen Einschränkung nicht rechtfertigen. IV. Grundrechte Bereits zu Beginn der Untersuchung wurde die grundrechtsgetragene Selbstverwaltung, also die Selbstverwaltung im Bereich der Hochschulen und des Rundfunks, aus dem Gegenstand der Untersuchung ausgeklammert. Dies wurde damit begründet, dass diese Formen der Selbstverwaltung – ebenso wie die soziale Selbstverwaltung – in der Verfassung eine Stütze finden und sich somit im Hinblick auf ihre demokratische Legitimation von den übrigen funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften unterscheiden. 420 Teilweise wird jedoch auch für andere Selbstverwaltungskörperschaften eine Abweichung von den Anfor418 Vgl. auch P. Unruh, JZ 2003, S. 1061, 1063 sowie die Ausführungen zur Frage nach einer sog. output-Legitimation oben Teil 2 Kap. 2 B. III. 419 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 592: „Ein Sachverstands-, Effektivitäts- oder Rationalitäts-fundiertes Misstrauen gegen den politischen Charakter des (parlamentarisch-)demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses ist dem Grundgesetz fremd.“ 420 s. dazu oben Teil 1 Kap. 1 B.
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derungen des Demokratieprinzips durch einen Rückgriff auf die Grundrechte gerechtfertigt. 421 Sei es, dass nach den einzelnen Selbstverwaltungseinrichtungen differenziert wird und beispielsweise für die Berufskammern auf Art. 12 GG oder für die Realkörperschaften auf Art. 14 GG abgestellt wird. 422 Sei es, dass der Partizipationsgedanke grundrechtlich unterfangen wird, indem er als „status activus processualis“ 423 der Grundrechte angesehen wird, der ein Teilhaberecht der Bürger begründet. Dieses Teilhaberecht wird dann nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz abgewogen mit dem Demokratieprinzip, nach dem das Staatsvolk zur Entscheidung berufen ist. 424 In diesem Zusammenhang sind auch Argumentationsmodelle zu nennen, nach denen in der autonomen 421 Anders der Ansatz Birkenheiers, Wahlrecht für Ausländer, 1976, S. 121 ff., der Abweichungen im Legitimationsniveau nicht grundrechtlich rechtfertigt, sondern von einer grundrechtlichen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung ausgeht und sie von vornherein nicht dem Demokratiegebot unterwirft, da sie sich nicht auf die Gesamtheit stützt, sondern nur auf einen funktional abgegrenzten Bereich der Allgemeinheit (S. 122). Eine solche Argumentation vermischt jedoch die Frage nach dem Legitimationserfordernis, das Art. 20 II GG an die Ausübung von Staatsgewalt knüpft, mit der Frage danach, ob die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaften als Legitimationssubjekt angesehen werden können. 422 In diesem Zusammenhang sind die Versuche zu nennen, einen grundgesetzlichen Bestandschutz auch für Berufskammern, Wirtschaftskammern und Wasserverbände zu begründen. Vgl. zu den beruflichen Selbstverwaltungen auch Erler, Freiheit und Grenze berufsständischer Selbstverwaltung, 1952, S. 23 ff., der allerdings nicht auf die Berufsfreiheit der Mitglieder aus Art. 12 GG abstellt, sondern das Grundrecht der beruflichen Körperschaft auf freie Persönlichkeitsentfaltung nach Art. 2 GG, 19 III GG als Grundlage der beruflichen Selbstverwaltung ansieht (S. 26). Dieser Ansicht kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil eine wesensmäßige Anwendbarkeit der Grundrechte im Sinne des Art. 19 III GG auf öffentlich-rechtliche Körperschaften nur im Falle einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ denkbar erscheint. Das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung knüpft aber an menschliche Eigenschaften an, so dass eine juristische Person insoweit nicht in einer dem Menschen vergleichbaren Weise in ihren Grundrechten gefährdet sein kann (vgl. zur „wesensmäßige[n] Anwendbarkeit“ i. S. d. Art. 19 III GG: Hufen, Staatsrecht II, 2007, § 6, Rn. 36). Vgl. ferner die kritische Auseinandersetzung mit diesem Ansatz bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 330 ff. Vgl. zu Art. 14 auch vorsichtig Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 382. Zur Bedeutung des Art. 14 GG für die Wasser und Bodenverbände vgl. die Ausführungen des Beigeladenen, der die Wasserverbände grundrechtlich zu legitimieren sucht: BVerfGE 107, S. 59, 83; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 451 ff., der allerdings nicht von einer Absenkung des Legitimationsniveaus gestützt auf Art. 14 GG ausgeht, sondern lediglich eine Abweichung vom demokratischen Gleichheitsgebot auf der Grundlage des Art. 14 rechtfertigt. Kritisch: Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 114 ff. 423 Vgl. zum „status activus processualis“ der Grundrechte P. Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43. 80 ff., 86 ff.; sowie Stern, Staatsrecht III/1, 1988, S. 448 f.; ders., Staatsrecht III/2, 1994, S. 1790 f.; Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, 1982, S. 132 ff. 424 Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, 1982, S. 144 ff.: „Die besondere Ausgestaltung des Entscheidungsver-
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grundrechtlichen Legitimation zwar keine Kompensation für Defizite im Bereich der demokratischen Legitimation erblickt wird, aber eine Rechtfertigung für eine Einschränkung der demokratischen Legitimation gesehen wird: Da sowohl grundrechtliche Legitimation als auch demokratische Legitimation der Selbstbestimmung dienten, könne das demokratische Legitimationsniveau abgesenkt werden, um die andere, grundrechtliche Legitimationsform verstärkt zur Geltung zu bringen. Der Selbstbestimmungsgedanke wird hierbei nicht außerhalb der Verfassung liegenden philosophisch-ideengeschichtlichen Vorstellungen entnommen, 425 sondern dem status activus der Grundrechte. 426 Eine Rechtfertigung der Absenkungen im Legitimationsniveau durch einen Rekurs auf die Grundrechte sieht sich jedoch folgenden Bedenken ausgesetzt: Zunächst einmal kann die Verortung des Selbstbestimmungs- und Partizipationsgedankens in den Grundrechten bzw. die Herleitung von Mitbestimmungsrechten aus den einzelnen Grundrechten vom grundrechtsdogmatischen Standpunkt des klassisch liberalen Grundrechtsverständnisses heraus kritisiert werden: Während die Funktion der Grundrechte als freiheitswahrende Eingriffsabwehrrechte dogmatisch gesichert ist, erscheint der Bereich objektiver Grundrechtsfunktionen noch unbestimmt und ungesichert, so dass es problematisch erscheint, hieraus Einschränkungen des demokratischen Prinzips rechtfertigen zu wollen. Da eine ausführliche Auseinandersetzung mit Fragen der Grundrechtsdogmatik an dieser Stelle aber zu weit führen würde, 427 sollen im Folgenden nur die markantes-
fahrens wird zum Vehikel praktischer Konkordanz zwischen staatlicher Entscheidungskompetenz (vgl. Art. 5 Abs. 2 GG) und der grundrechtslegitimierten Aktualisierungskompetenz gesellschaftlicher Besonderheiten.“ (S. 144 f.), deutlich auch S. 174 ff. Zwar bezieht sich diese Vorgehensweise nicht auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften, sondern kondominiale Verwaltungsträger (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften; Jugendwohlfahrtsausschüsse, Filmförderungsanstalt). Der verfassungsrechtliche Argumentationsansatz, Einschränkungen des Demokratieprinzips durch Rekurs auf den „status activus processualis“ der Grundrechte zu rechtfertigen, ist aber von dieser Einordnung unabhängig. Schreyer selbst ordnet die von ihr untersuchten kondominialen Verwaltungseinheiten gestützt auf einen formalen Selbstverwaltungsbegriff sogar der Organisationsform der Selbstverwaltung zu (S. 100 ff.). 425 Aus diesen ist mangels normativer Geltung keine Einschränkung des grundgesetzlich festgeschriebenen Demokratieprinzips herzuleiten [vgl. oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. bb) (1)]. 426 In diesem Zusammenhang ist das von Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329, 376 ff. vertretene Modell einer „doppelschichtigen Legitimationsordnung“ (S. 378) zu nennen (s. dazu schon oben Teil 2 Kap. 2 A. III.). Vgl. auch zum Begriffspaar demokratische und mitgliedschaftliche Legitimation in der Rechtsprechung: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 549 f. Fn. 576. Auch die Entscheidung zu Lippeverband und Emschergenossenschaft (BVerfGE 107, S. 59 ff.) könnte hier genannt werden. Allerdings macht diese Entscheidung Anleihen bei verschiedenartigen Legitimationsmodellen für die funktionale Selbstverwaltung, so dass insoweit auf die gesonderte Behandlung verwiesen sei (unten Teil 2 Kap. 2 H.).
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ten Unstimmigkeiten aufgezeigt werden, die eine grundrechtliche Legitimation funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften mit sich bringt. Zunächst kann einer Einschränkung der Legitimationsanforderungen zugunsten der grundrechtlich abgeleiteten Mitentscheidungsbefugnisse im Rahmen der Herstellung praktischer Konkordanz entgegnet werden, dass es zur Rechtfertigung der Abweichung von einem Verfassungsprinzip nicht ausreichend ist, dass ein anderer Verfassungswert dadurch gefördert wird. Vielmehr ist es Voraussetzung, dass der andere Verfassungswert eine solche Einschränkung gebietet. 428 Andernfalls kann von einem Konflikt oder von einer Kollision verschiedener Verfassungsprinzipien gar nicht erst die Rede sein, da dann beide Prinzipien nebeneinander bestehen können. Die Wahrnehmung einer Staatsaufgabe in der Organisationsform der Selbstverwaltung wird aber nur im Ausnahmefall erforderlich zur Grundrechtsverwirklichung und somit grundrechtlich gefordert sein. 429 Größere Bedeutung kommt dem folgenden Einwand zu, der gegen eine Herleitung von Mitwirkungsrechten aus den Grundrechten und eine darauf gestützte Rechtfertigung von Legitimationsdefiziten spricht: In letzter Konsequenz würden nach dieser These die Grundrechte herangezogen, um Staatsgewalt und somit auch Eingriffe in (grundrechtlich geschützte) Bereiche des Bürgers zu 427
Vgl. dazu ausführlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 559 ff. m.w. N.; Hinweise auch bei Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 108 ff. m.w. N. 428 Vgl. dazu vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips: Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 149. Dies ergibt sich schon aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 318. Weitergehend: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 585 f., der die Anwendungsvoraussetzungen des Grundsatzes praktischer Konkordanz als nicht gegeben ansieht, da er die Grundrechte als Prinzipien und das Demokratiegebot als Regel ansieht. Vgl. zu dieser Unterscheidung oben Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. a). 429 Dies erscheint allenfalls für die Grundrechte der Wissenschaftsfreiheit oder der Rundfunkfreiheit denkbar. Vgl. dazu weiterführend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominiaverwaltung, 1993, S. 571 ff. und kritisch zum Aspekt grundrechtlich gebotener Staatsferne: Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 108 ff. Vgl. z. B. auch Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 329, der vorsichtig formuliert, dass davon ausgegangen werden kann, „daß es beispielsweise der freiheitlichen Intention des Art. 12 GG eher entspricht, wenn Berufsregelungen (auch) speziell durch die Berufsangehörigen vorgenommen werden als wenn dies (allein) durch staatsunmittelbare Organe geschieht.“ Anders: Krebs, 1996, HStR III, 1996, § 69, der einerseits feststellt, dass die Grundrechte „organisatorische Formen der Selbst- und Mitbestimmung der Betroffenen nahelegen“ können (Rn. 70; Hervorhebung nicht im Original) und auch davon ausgeht, dass die Grundrechte nur ausnahmsweise eine bestimmte Organisationsform fordern (Rn. 71, 72), andererseits aber trotzdem folgert, dass die Grundrechte „jedenfalls ihre partielle Abkopplung von den zentralen Entscheidungszügen verfassungsrechtlich legitimieren.“ (Rn. 70).
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rechtfertigen. 430 Damit würde die individualschützende freiheitliche Eingriffsabwehrfunktion der Grundrechte als ihr ursprünglicher und primärer Gehalt teilweise aufgegeben. 431 Es entstünde die paradoxe Situation, dass ein Eingriffsabwehrrecht einen Eingriff überhaupt erst rechtfertigen und somit ermöglichen würde. Aus diesen Gründen scheidet eine auf Grundrechte gestützte Rechtfertigung der Absenkung im Legitimationsniveau bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften aus: Sofern Staatsgewalt ausgeübt wird, bedarf es einer demokratischen, vom Staatsvolk abgeleiteten Legitimation. V. Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Absenkung des Legitimationsniveaus bei funktionalen Selbstverwaltungseinrichtungen auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden kann. Den in diesem Zusammenhang angesprochenen Gesichtspunkten der Akzeptanz, der Effektivität und der Effizienz kommt schon kein (eigenständiger) Verfassungsrang zu, so dass es sich bei ihnen nicht um kollidierende Verfassungsgüter handelt. Die Grundrechte bzw. ein in den Grundrechten verfassungsrechtlich verankerter Partizipationsgedanke stellen zwar Verfassungsgüter dar, ob sie aber mit dem Demokratieprinzip kollidieren, ist fraglich, da zu ihrer Umsetzung Einschränkungen des Demokratieprinzips grundsätzlich nicht geboten erscheinen. Zum anderen würde bei der Heranziehung von Grundrechten zur Legitimation von staatlichen Eingriffen die individualrechtsschützende Abwehrfunktion der Grundrechte konterkariert.
430 Zu denken ist hier beispielsweise an Berufsausübungsregelungen durch die jeweilige Kammer, die Art. 12 GG berühren (vgl. BVerfGE 33, S. 125, 160). Auch die Pflichtmitgliedschaft könnte hier angeführt werden. Dies wird aber kontrovers beurteilt: Vgl. dazu nur Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 334 ff.; Kluth; Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 298 ff., deutlich S. 556 und aus der jüngsten Rechtsprechung BVerfG NVwZ 2002, S. 851 f.; BVerfG NVwZ 2002, S. 335 ff. 431 Vgl. dazu: Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 569 ff., 576 ff., der in diesem Zusammenhang auch auf das Fehlen einer solchen „‚intragrundrechtlichen Kollisionslage‘“ (a.a. O. S. 573) bei der akademischen Selbstverwaltung und der Selbstverwaltung im Bereich des Rundfunks hinweist und so deren gesonderte und nicht verallgemeinerungsfähige Stellung betont. Vgl. weiter: Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 149 ff. Vgl. auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 410 ff., der allerdings aus dieser Spannungslage nicht den Schluss ziehen will, Grundrechtsträgerschaft und funktionale Selbstverwaltung strikt zu trennen.
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H. Modell des Bundesverfassungsgerichts Nachdem nun also aufgezeigt wurde, dass keines der in der Literatur vertretenen Modelle geeignet ist, die Defizite der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften im Bereich ihrer demokratischen Legitimation zu rechtfertigen, ist im Folgenden abschließend auf den bereits mehrfach erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur demokratischen Legitimation von Lippeverband und Emschergenossenschaft 432 einzugehen, der auch den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet. In dieser Entscheidung beschäftigte sich das Gericht erstmalig schwerpunktmäßig und ausdrücklich mit der Frage nach der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung. 433 I. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Wasserverbänden Der Beschluss beruht auf zwei Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts, 434 die zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden. Das Bundesverwaltungsgericht sah die Konzeption der beiden Wasserverbände als funktionale Selbstverwaltungskörperschaften in den jeweiligen Errichtungsgesetzen als nicht konform mit dem Demokratieprinzip an. Zu diesem Ergebnis kam das Gericht, indem es die vom Bundesverfassungsgericht für die unmittelbare Staatsverwaltung und kommunale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze zur Vermittlung demokratischer Legitimation auf die Wasserverbände anwandte, 435 die hiernach erhebliche Defizite insbesondere im Bereich der personellen Legitimation aufwiesen. 436 Das Bundesverfassungsgericht hingegen sieht in seiner Entscheidung die beiden funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften als demokratisch legitimiert an. Dabei verläuft sein Argumentationsgang wie folgt: 437 Nach einer kurzen Zusammenfassung seiner bisherigen Aussagen zum Demokratieprinzip verweist 432
BVerfGE 107, S. 59. Bis zu diesem Zeitpunkt war diese Frage immer nur gestreift oder lediglich am Rande behandelt worden: vgl. beispielsweise BVerfGE 33, S. 125, 159 ff.; 83, S. 37, 55. 434 Zum Lippeverband: BVerwG, NVwZ 1999, 870 ff.; zur Emschergenossenschaft: BVerwGE 106, S. 64 ff. 435 Das Bundesverwaltungsgericht begründet dies damit, dass den Wasserverbänden Aufgaben übertragen wurden, die von großer Bedeutung für die Allgemeinheit seien (BVerwGE 106, S. 64, 76). Es spricht von einer „nicht ‚privatisierbare[n]‘ Staatsaufgabe“ (a.a. O., S. 77). Dem ist zu entgegnen, dass es für die Frage nach dem Legitimationserfordernis auf die Qualität der Aufgabe nicht ankommt: Das Legitimationserfordernis des Art. 20 II GG erfasst „alle“ Staatsgewalt, so dass die Geltung des Demokratiegebotes nicht etwa unter dem Vorbehalt steht, dass die wahrgenommenen Staatsaufgaben Gemeinwohlbelange betreffen. Vgl. dazu schon oben Teil 1 Kap. 2 B. III. 436 Vgl. oben Teil 2 Kap. 1 A. 433
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das Gericht zur Begründung der Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung zunächst kurz auf die Vorschriften der Art. 86, 87 II, III und 130 III GG. Diese verdeutlichten, dass der Verfassungsgeber die traditionellen Organisationsformen der funktionalen Selbstverwaltung als mit der Verfassung vereinbar angesehen habe. 438 Sodann stellt das Gericht heraus, dass die bisher von ihm entwickelten Grundsätze zur Rückführung der Ausübung von Staatsgewalt auf das Staatsvolk sich auf die unmittelbare Staatsverwaltung sowie die kommunale Selbstverwaltung bezögen und weist darauf hin, dass es in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits mehrfach die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben aus diesen Strukturen in den Formen der mittelbaren Staatsverwaltung gebilligt habe. 439 An diese einleitenden Überlegungen schließen sich die eigentlichen, den Beschluss stützenden Erwägungen an: So wird zunächst der Prinzipiencharakter und die daraus folgende Entwicklungsoffenheit des Demokratieprinzips betont: „Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der in ihrem sachlich-gegenständlichen Aufgabenbereich nicht beschränkten gemeindlichen Selbstverwaltung ist das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt.“ Weiterhin wird auf die „im demokratischen Prinzip wurzelnden Grundsätze der Selbstverwaltung und der Autonomie“ 440 hingewiesen. Demnach ergänze und verstärke die funktionale Selbstverwaltung das demokratische Prinzip und könne „als Ausprägung dieses Prinzips verstanden werden, soweit sie der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller“ diene. „Demokratisches Prinzip und Selbstverwaltung stehen unter dem Grundgesetz nicht im Gegensatz zueinander. Sowohl das Demokratieprinzip in seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochen auf das Volk zurückzuführenden Legitimationskette für alle Amtsträger als auch die funktionale Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen verwirklichen die sie verbindende Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung (Art. 1 Abs. 1 GG; [...]).“ 441 Daher erlaube das demokratische Prinzip des Art. 20 II GG dem durch Wahl legitimierten Gesetzgeber, Selbstverwaltungsträger zu schaffen und diesen die Erledigung abgegrenzter öffentlicher Aufgaben zu übertragen.
437 Vgl. zum Argumentationsgang des Gerichts: Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 651; Sachs, JuS 2003, S. 1215 ff. 438 BVerfGE 107, S. 59, 89 f. 439 BVerfGE 107, S. 59, 91; s. auch S. 88 f. 440 Beide Zitate: BVerfGE 107, S. 59, 91. 441 Beide Zitate: BVerfGE 107, S. 59, 92.
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Hierbei ist es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch möglich, dass der Gesetzgeber den Selbstverwaltungsträger zur Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern, also Dritten, ermächtigt. Die Anforderungen des Art. 20 II GG, denen die Ausübung von Staatsgewalt genügen müsse, würden im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung nicht mittels einer lückenlosen personellen Legitimationskette vom Volk zum einzelnen Amtsträger erfüllt. Vielmehr erfolge die Rückbindung der Staatsgewalt an das Gesamtvolk zum einen mittels Gesetz, das „die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe [...] ausreichend vorherbestimmt“ 442 und zum anderen mittels Aufsicht durch Amtswalter, die ihrerseits personell demokratisch legitimiert sind. 443 Die beiden Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft genügten nach der Auffassung des Gerichts diesen Anforderungen, so dass die Ausübung von Staatsgewalt durch die Verbände als demokratie- und somit verfassungskonform angesehen wurde. 444 II. Versuch einer Einordnung des Beschlusses Dieses Ergebnis war im Hinblick auf die Entwicklung in der Rechtsprechung weder vorherzusehen, noch war es völlig überraschend: 445 Einerseits bedeutet es zwar eine Abkehr oder zumindest eine Ausnahme von den Anforderungen, die das Gericht bisher im Rahmen unmittelbarer Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung an die demokratische Legitimation gestellt hatte, andererseits wurde die Möglichkeit einer solchen Abweichung für funktionale Selbstverwaltungskörperschaften in der früheren Rechtsprechung bereits angedeutet. 446 In der Literatur ist die verfassungsgerichtliche Beurteilung der funktionalen Selbstverwaltung als konform mit dem Demokratieprinzip im Ergebnis überwiegend begrüßt worden, wenn auch die Art und Weise der gerichtlichen Begründung auf Kritik gestoßen ist. 447 Insbesondere wird auf die Unstimmigkeit der Entscheidungsgründe hingewiesen. Ferner gab die Entscheidung Anlass zur Diskussion der Frage, inwieweit sich in den Entscheidungsgründen eine Kehrtwende im Hinblick auf das Demokratieverständnis des Gerichts andeutet. Diesen 442
BVerfGE 107, S. 59, 94. Vgl. dazu BVerfGE 107, S. 59, 94. 444 BVerfGE 107, S. 59, 94 ff. 445 Vgl auch Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 651 mit Fn. 43. 446 Vgl. BVerfGE 83, S. 37, 55 für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Wahlrechts für Ausländer. Anders J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 912, der davon ausgeht, dass die Ausführungen des BVerfG zum Demokratieprinzip allgemeingültig und nicht auf die unmittelbare Staatsverwaltung und Kommunalverwaltung beschränkt seien. 447 Vgl. z. B. Jestaedt, JuS 2004, S. 649 ff.; J. Becker, DÖV 2004, S. 910 ff.; Musil, DÖV 2004, S. 116; P. Unruh; JZ 2003, S. 1061 ff. 443
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Gesichtspunkten und Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, indem versucht wird, die Entscheidung des Gerichts vor dem Hintergrund der verschiedenen in der Literatur entwickelten Lösungsmodelle einzuordnen. 1. Zerrissenheit der Entscheidungsgründe Betrachtet man die oben wiedergegebenen Entscheidungsgründe, die das Gericht für die Konformität der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften mit dem Demokratieprinzip anführt, so fallen gewisse Widersprüche auf: Das Gericht scheint keine eigenständige Lösung für die Legitimationsproblematik im Bereich funktionaler Selbstverwaltung zu entwickeln, sondern macht Anleihen bei mehreren in der Literatur vertretenen Lösungsmodellen. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Legitimationsmodellen, die oben bereits eingehend behandelt wurden, erfolgt aber nicht. Wohl vom Blick auf das gewünschte Ergebnis geleitet, kombiniert das Bundesverfassungsgericht frei die Argumentationslinien, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass diese teilweise inkompatibel 448 sind und somit nicht in einem Ergänzungsverhältnis stehen. Dies wird im Folgenden näher ausgeführt: Wie oben dargelegt, leitet das Gericht seine Überlegungen zur Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung mit einem Hinweis auf Art. 86, 87 II und III sowie 130 III GG ein und folgert aus diesen Vorschriften ihre grundsätzliche Anerkennung durch das Grundgesetz. Dieser Gedanke wird allerdings nicht im Sinne eines verfassungsrechtlichen Dispositionstitels für den einfachen Gesetzgebers weitergeführt. Vielmehr erscheint er von der eigentlichen Begründung isoliert und im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die lange Tradition der Erfüllung von Aufgaben im Gebiet der Wasserwirtschaft und Wasserversorgung durch Wasserverbände vor allem dazu zu dienen, den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts zu begegnen, nach denen es sich beim Gewässerschutz um eine „nicht ‚privatisierbare‘ Staatsaufgabe“ handelt. 449 Für die eigentliche argumentative Absicherung der Zulässigkeit funktionaler Selbstverwaltung werden die Art. 86, 87 II, III und 130 III GG nicht nutzbar gemacht. 450 448 Die Inkompatibilität rührt daher, dass den verschiedenen Legitimationsansätzen zur funktionalen Selbstverwaltung ein unterschiedliches Demokratieverständnis zugrunde liegt: Teils wird die funktionale Selbstverwaltung als Organisationsform aufgefasst, die die Anforderungen des Demokratieprinzips nicht erfüllt, so dass ein verfassungsrechtlicher Ausnahmetitel erforderlich ist, teils werden die Mitglieder der Selbstverwaltungsträger als Teilvolk angesehen oder es wird zumindest von einer autonomem Legitimationsvermittlung durch die Mitglieder ausgegangen, so dass sich funktionale Selbstverwaltung nicht als Ausnahme, sondern vielmehr als Realisationsmodus des Demokratieprinzips darstellt. Die Unentschiedenheit des Gerichts zwischen diesen beiden Polen wird im Folgenden noch darzulegen sein. Vgl. auch Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 652. 449 BVerwGE 106, S. 64, 77. 450 Vgl. auch Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 651.
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Betrachtet man die oben wiedergegebenen tragenden Argumente des Gerichts, so schwanken diese zwischen zwei Polen: Mal hat es den Anschein, dass funktionale Selbstverwaltung als Ausnahme zum Demokratieprinzip angesehen wird, mal erhält man den Eindruck, dass sie als Realisationsmodus des Demokratieprinzips angesehen wird. 451 So wird im ersten Leitsatz des Beschlusses (bzw. S. 91) die Andersartigkeit der funktionalen Selbstverwaltung gegenüber der unmittelbaren Staatsverwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung betont, was ihren Ausnahmecharakter andeutet. Auch der dritte Leitsatz (S. 94 ff.), der das Erfordernis aufstellt, dass Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Selbstverwaltungsorgane durch Gesetz ausreichend bestimmt sind und eine Aufsicht durch personell demokratisch legitimierte Amtswalter erfolgt, legt nahe, dass sich die Legitimation im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung grundsätzlich ebenso vollzieht wie innerhalb der Ministerialverwaltung, dass aber ausnahmsweise die fehlende personelle Legitimation durch verstärkte Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimationsschiene ausgeglichen werden sollen. Diesen Gesichtspunkt scheint das Gericht insbesondere dann in den Vordergrund zu rücken, wenn es um die Rechtfertigung der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern geht. 452 Andere Passagen des Gerichtsbeschlusses scheinen eher dafür zu sprechen, dass das Gericht die funktionale Selbstverwaltung als eine besondere Ausgestaltung des Demokratieprinzips ansieht. So wird – wie oben nachgezeichnet – die Offenheit des Demokratieprinzips betont, auf die Idee der Selbstbestimmung des Menschen verwiesen und funktionale Selbstverwaltung als Ergänzung und Verstärkung des demokratischen Prinzips bezeichnet. 453 Insbesondere diese letztgenannten Urteilspassagen werfen die Frage auf, ob sich in ihnen eine Änderung der Rechtsprechung im Hinblick auf den Volksbegriff des Art 20 II GG andeutet und ob dem Beschluss zu entnehmen ist, dass das Bundesverfassungsgericht beginnt, seinen monistischen Volksbegriff zugunsten einer Pluralität von Legitimationssubjekten aufzugeben. 454 Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. 2. Zum Wandel des Volksbegriffes In der Literatur wird den Ausführungen des Gerichts zum Teil eine solche Öffnung in Richtung eines pluralistischen Volksbegriffs entnommen. 455 Gestützt 451 So die Kritik Jestaedts, JuS 2004, S. 649, 652. Vgl. auch zum Folgenden P. Unruh, JZ 2003, S. 1061, 1062 f. 452 BVerfGE 107, S. 59, 94. 453 BVerfGE 107, S. 59, 92. 454 Vgl. Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 907; ders., Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 113.
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wird diese Annahme zum einen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung den Prinzipiencharakter und somit die Entwicklungsoffenheit von Art. 20 II GG betont. 456 Vor allem aber die Ausführungen des Gerichts zum demokratischen Prinzip und der „Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller“ als auch zur „Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung“ 457 und die Berufung auf Art 1 I GG werden als Begründung dafür herangezogen, dass das Gericht sein Demokratieverständnis nicht mehr auf ein Kollektiv beziehe, sondern auf den einzelnen Menschen. 458 Dieser Argumentation kann entgegen gehalten werden, dass das Gericht von seiner Definition des Volkes als Staatsvolk in seiner Entscheidung nicht abweicht, sondern sie aufrechterhält. So erteilt das Gericht der These von der autonomen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung in der Variante, welche die Mitglieder als Teilvolk und als damit taugliches Legitimationssubjekt ansieht, eine Absage. Zwar geschieht dies nicht ausdrücklich, da sich das Gericht mit dieser Legitimationsmöglichkeit nicht explizit auseinandersetzt. 459 Die ablehnende Haltung des Gerichtes kann aber daraus entnommen werden, dass Volk i. S. d. Art. 20 II GG als das jeweilige Bundes- oder Landesstaatsvolk definiert wird. 460 An dieser Definition hält das Gericht auch für die funktionale Selbstverwaltung fest: So legt es dar, dass ein verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter den Trägern der funktionalen Selbstverwaltung nur gestattet ist, wenn der Einfluss des Volkes auf dieses Handeln gewahrt ist. 461 Wie bereits dargelegt wurde, wird eine solche Rückanbindung an das Volk nach dem Gericht zum einen dadurch gewährleistet, dass ein Parlamentsgesetz Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Selbstverwaltungskörperschaft festlegt und zum anderen mittels Aufsicht durch personell legitimierte Amtsträger. 462 Eine Rückführung des Handelns auf die Mitglieder der Körperschaft wird damit nicht als ausreichend angesehen, sondern es wird eine Legitimation durch das (Gesamt-)Volk verlangt, lediglich der Umfang bzw. die Form dieser Rückanbindung wird für die funktionale Selbstverwaltung modifiziert. 455 Hanebeck, DÖV, S. 901, 907 ff.; vgl. auch ders., Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, 2004, S. 113. Diese Möglichkeit zieht auch Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 653 in Betracht. Anders: Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 48 ff., nach dem die „reformerischen Anklänge der Urteilsbegründung funktionslos“ (S. 49) bleiben. 456 BVerfGE 107, S. 59, 91. 457 Beide Zitate: BVerfGE 107, S. 59, 92. 458 Hanebeck, DÖV 2004, S. 901, 908. 459 Letzteres kritisiert P. Unruh in seiner Entscheidungsanmerkung: JZ 2003, S. 1061, 1062. 460 BVerfGE 107, S. 59, 87. 461 Vgl. auch Musil, DÖV 2004, S. 116, 119. 462 BVerfGE 107, S. 59, 94.
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Zum anderen kommt die Absage des Gerichtes an eine Qualifizierung der Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften als Teilvölker darin zum Ausdruck, dass es Bezug auf diejenige Literatur nimmt, die von „einer autonomen Legitimation durch gesellschaftliche Gruppen aus[geht], die jedoch kein Teilvolk im Sinne demokratischer Legitimation seien und daher auch keine demokratische Legitimation vermitteln könnten“. 463 Das Gericht behält also zunächst seine Definition des Volksbegriffes in Art. 20 II GG als das deutsche Staatsvolk bei. 3. Zur Legitimation neben Art. 20 II GG Allenfalls könnte es fraglich sein, ob den oben angeführten Ausführungen des Gerichts, wonach demokratisches Prinzip und Selbstverwaltung nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern beide der sie „verbindenden Idee des sich selbst bestimmenden Menschen (...)“ 464 dienen, zu entnehmen ist, dass es zwar bei der Volksdefinition im Rahmen des Art. 20 II GG verbleibt, aber eine Möglichkeit der Legitimation neben Art. 20 II GG angenommen wird. Bei einer solchen Konstruktion würde die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung nicht durch eine – wenn auch gelockerte – Rückanbindung an das gesamte Staatsvolk und somit im Rahmen des Art. 20 II GG erfolgen. Vielmehr würde sich die Legitimation außerhalb von Art. 20 II GG vollziehen. Somit wäre sie nicht an das Staatsvolk als Legitimationssubjekt der Vorschrift gebunden, sondern es könnte eine Legitimation aus der Rückbindung an die Mitglieder der Körperschaft hergeleitet werden. Eine solche Konstruktion würde also letztlich zwar die Definition des Volksbegriffes in Art. 20 II GG nicht berühren, aber neben dem Volk des Art. 20 II GG noch andere Legitimationssubjekte anerkennen, die eine fehlende Legitimation durch das Staatsvolk kompensieren könnten. Durch diese Pluralität möglicher Legitimationssubjekte führt ein solches Vorgehen letztlich zum gleichen Ergebnis wie eine Änderung des Volksbegriffes. Für eine derartige Deutung der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts spricht neben den bereits mehrfach zitierten Passagen des Urteils zur Offenheit des Demokratieprinzips und zum Selbstbestimmungsgedanken der Verweis auf Emde, der für die funktionale Selbstverwaltung von einer Legitimation neben Art. 20 II GG ausgeht. 465
463 BVerfGE 107, S. 59, 89. Von einer Ablehnung dieses Legitimationsmodelles durch das BVerfG geht daher auch aus: J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 913; Musil, DÖV 2004, S. 116, 119, mit Verweis auf die Ausführungen des Gerichts zum Einfluss des Volkes auf Handeln mit Entscheidungscharakter. 464 BVerfGE 107, S. 59, 92. 465 BVerfGE 107, S. 59, 92. Vgl. zur Ansicht Emdes, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991 auch oben Teil 2 Kap. 2 A.
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Allerdings liegt das Schwergewicht der Begründung des Gerichtes bei Argumenten, die für eine Legitimation im Rahmen des Art. 20 II GG sprechen: Hier sind zum einen die oben dargelegten Ausführungen des Gerichtes zum Erfordernis eines hinreichend detaillierten Parlamentsgesetzes und der Aufsicht zu nennen. Ferner kann hier die Feststellung des Gerichts angeführt werden, dass das Demokratiegebot außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung „offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt“ 466 ist. Diese Äußerung legt nahe, dass die Legitimationsstränge im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung gegenüber der Ministerialverwaltung nicht gänzlich anders verlaufen, sondern nur gelockert sind. Weiter kann noch angeführt werden, dass eine Legitimation neben Art. 20 II GG dem Wortlaut dieser Vorschrift widersprechen würde, da bei einer solchen Konstruktion nicht „alle“ Staatsgewalt vom Volke ausginge. 467 4. Fazit Dies alles spricht dafür, dass das Gericht von einer Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung im Rahmen des Art. 20 II GG ausgeht, wobei lediglich bei der Art der Rückanbindung an das Volk Lockerungen im Bereich der personellen Legitimation für zulässig gehalten werden. Der Gedanke, dass neben dem demokratischen Prinzip auch die funktionale Selbstverwaltung der Autonomie und der Selbstbestimmung dient, ist damit nur der letztlich im Hintergrund stehende „philosophische“ Grund, warum eine solche Lockerung für zulässig erachtet wird. 468 Die Legitimationskonstruktion erfolgt aber im Rahmen des Art. 20 II GG, ohne auf eine Anerkennung der Mitglieder als Teilvolk oder als Legitimationssubjekt neben dem Gesamtvolk in Art. 20 II GG zurückzugreifen. Natürlich ist diese Deutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der aufgezeigten Zerrissenheit der Urteilsbegründung nicht die einzig mögliche. So verwundert es nicht, dass in der Literatur Vertreter verschiedener, disparater Legitimationsmodelle jeweils die Entscheidung als Bestätigung ihrer Ansicht zitieren. 469 Teilweise ist im Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts in 466
BVerfGE 107, S. 59, 91. So auch Musil, DÖV 2004, S. 116, 119. 468 Als Indiz für eine solche Deutung könnte auch der Verweis des BVerfG auf Maihofer, in: Benda / ders. / Vogel, HVerfR, 1994, S. 427, 490 ff. (BVerfGE 107, S. 59, 92) aufgefasst werden. Weitergehend J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 913, der diese Urteilspassage als „irreführendes Wortgeplänkel“ abtut. 469 Vgl. z. B. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 25, Fn. 43, Rn. 33; Fn. 64; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 236 f., Fn. 202, der dem Beschluss sogar eine Bestätigung des Modells kollektiv-demokratischer Legitimation entnimmt, wohingegen P. Unruh, JZ 2003, S. 1061, 1063 gerade die fehlende Auseinandersetzung des BVerfG mit diesem Lösungsansatz kritisiert. 467
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seiner Entscheidungsbegründung auch eine Parallele zu den Anforderungen des Instituts der Beleihung gesehen worden. 470 Abgesehen davon, dass eine gleichgerichtete Beurteilung der funktionalen Selbstverwaltung und des Instituts der Beleihung schon aufgrund der bestehenden Unterschiede zwischen diesen beiden Verwaltungsformen eher fern liegt, 471 ist die behauptete Parallelität auch dem Beschluss des BVerfG nur unter Ignorierung derjenigen Urteilspassagen zu entnehmen, die auf den Selbstbestimmungsgedanken und die „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“ 472 verweisen. 473 Letztlich werden aber nur die Haltung des Gerichts in zukünftigen Entscheidungen und etwaige konkretisierende Ausführungen zeigen, welche der hier vorgestellten Deutungsmöglichkeiten zutrifft und in welche Richtung sich das Demokratieverständnis des Gerichts entwickelt. 474
470
J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 915. Zu nennen sind insbesondere die Unterschiede hinsichtlich der Weisungsunterworfenheit. Vgl. auch oben Teil 1 Kap. 1 A. II. 2. 472 BVerfGE 107, S. 59, 92. 473 Vgl. J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 913 („irreführendes Wortgeplänkel“), 915. 474 Bisher ist eine nennenswerte Klärung durch weitere Urteile noch nicht erfolgt. Der Beschluss des BVerfG zur Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen an die Notarkassen (BVerfGE 111, S. 191) konkretisiert insbesondere den in den Wasserverbandsentscheidungen angesprochenen „Grundsatz angemessener Interessenberücksichtigung und das Verbot der Privilegierung von Sonderinteressen“ (BVerfGE 107, S. 59, 99; s. a. S. 93), indem es die Anforderungen an die gesetzlichen Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung innerhalb der Selbstverwaltungskörperschaft, insbesondere bei Grundrechtsrelevanz präzisiert. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass das Gericht von einem Kompensationsverhältnis zwischen den materiellen gesetzlichen Vorgaben und den gesetzlichen Vorgaben, die die organisatorische Ausgestaltung des Selbstverwaltungsträgers, also dessen innere Willensbildung, betreffen, ausgeht: „Wird durch organisatorische und verfahrensrechtliche Bestimmungen für eine angemessene Interessenberücksichtigung gesorgt, werden die Anforderungen an materiellrechtliche Regelungen im Gesetz entsprechend geringer.“ (BVerfGE 111, S. 191, 218). Dies erscheint problematisch, da die materiellen Vorgaben durch ein Parlamentsgesetz die Rückbindung an das Gesamtvolk betreffen, während die Binnenstruktur die Rückbindung an die Mitglieder betrifft. Dies lässt vermuten, dass die Lockerungen der Rückbindung an das Gesamtvolk bei funktionalen Selbstverwaltungsträgern, die das Gericht zulässt, unter Umständen sehr weit reichen können. Die diesbezüglichen Äußerungen des Gerichts tragen jedoch nicht zur Klärung der durch den Beschluss zu den Wasserverbänden aufgeworfenen und oben dargestellten Fragen bei. Auch ein jüngeres Urteil des BVerwG, NVwZ 2005, S. 1184 ff., in dem das Gericht feststellt, dass es mit dem Demokratieprinzip vereinbar sein kann, wenn in der Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes vorgeschrieben wird, dass ein bestimmter Anteil der in die Verbandversammlung entsandten Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe angehören muss, ist für die hier interessierenden Fragen ohne Belang, da die Ausführungen des BVerfG aus den Entscheidungen zu Lippeverband und Emschergenossenschaft lediglich wiederholt und nicht konkretisiert werden. 471
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Die hier vorgenommene Deutung der Urteilsbegründung im Sinne einer Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung im Rahmen des Art. 20 II GG, wobei aufgrund des gemeinsamen ideellen Ursprungs von Demokratie und funktionaler Selbstverwaltung im Gedanken der Selbstbestimmung Lockerungen im Bereich der personellen Legitimation für zulässig gehalten werden, scheint die verschiedenen Begründungsansätze in der Entscheidung am Besten zu vereinen. Jedenfalls berücksichtigt sie beide der aufgezeigten Argumentationsstränge und muss nicht einen Begründungsansatz als irreführend abtun. Daher soll diese Deutung der folgenden Kritik zugrunde gelegt werden. III. Kritik des Bundesverfassungsgerichts-Beschlusses zu den Wasserverbänden Ein erster Kritikpunkt an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich bereits aus den bisherigen Ausführungen: Aufgrund der aufgezeigten Zerrissenheit der Entscheidungsgründe ist der Entscheidung ein in sich stimmiges Legitimationskonzept nur schwer zu entnehmen. Dies führt zu den aufgezeigten Unsicherheiten beim Versuch, die Entscheidung zu deuten und Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen. Aber auch wenn man von diesen Unzulänglichkeiten des Beschlusses einmal absieht und die hier favorisierte Deutung zugrunde legt und vom klassischen Legitimationsmodell ausgeht, bei dem eine Lockerung der Rückbindung von Staatsgewalt an das Staatsvolk auf die Idee der Selbstbestimmung gestützt wird, ergeben sich weitere Kritikpunkte: Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass allein der gemeinsame ideenphilosophische Hintergrund von Demokratie und Selbstverwaltung Einschränkungen des Demokratieprinzips nicht zu rechtfertigen vermag. Im Gegensatz zur funktionalen Selbstverwaltung hat das Demokratiegebot in Art. 20 II GG eine verfassungsnormative Ausgestaltung erfahren. Diese verbindliche Festsetzung in der Verfassung kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass Ideen, die der verfassungsrechtlichen Regelung zwar zugrunde liegen mögen, aber eben selber keine verfassungsrechtliche und somit normativ verbindliche Ausgestaltung erfahren haben, zur Rechtfertigung der Abweichung von den verfassungsrechtlich festgelegten Geboten herangezogen werden. 475 Des Weiteren bestehen Bedenken gegen die Konstruktion des Gerichts, nach der die Rückbindung der von den Selbstverwaltungsträgern ausgeübten Staatsgewalt an das Volk neben der Aufsicht insbesondere durch Parlamentsgesetz 475 Vgl. dazu Jestaedt, JuS 2004, S. 649, 652, der darauf hinweist, dass sich die Überlegungen des BVerfG zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung „auf einer Abstraktionshöhe“ bewegen, „auf der praktisch keine der verfassungsrechtlich aufgerichteten Unterscheidungen mehr greift“. Ähnlich J. Becker, DÖV 2004, S. 910, 912 f. Vgl. dazu auch Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. b) bb) (1).
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
sichergestellt werden soll, das die Aufgaben und Befugnisse der Körperschaft in hinreichender Weise vorherbestimmt: Einer solchen Argumentation liegt die Vorstellung zugrunde, dass Defizite im Bereich der personellen Legitimationskomponente durch eine verstärkte sachlich-inhaltliche Legitimation ausgeglichen werden können. 476 Diese grundsätzlich zutreffende Überlegung erweist sich für die funktionale Selbstverwaltung jedoch als problematisch: Zunächst wirken im Rahmen der sachlich-inhaltlichen Legitimation mehrere Faktoren zusammen, wobei dem Parlamentsgesetz zwar ohne Zweifel die größte, aber eben nicht die alleinige Bedeutung zukommt. Während das allgemeine Parlamentsgesetz auch gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften seine volle Steuerungswirkung entfaltet, ist dies im Hinblick auf die anderen Instrumente der sachlich-inhaltlichen Legitimation nicht der Fall: So ist die Legitimationswirkung des Haushaltsgesetzes für die funktionale Selbstverwaltung beispielsweise gegenüber seiner legitimierenden Kraft im Bereich der Ministerialverwaltung eingeschränkt. Auch die legitimatorische Wirkung von Verwaltungsvorschriften und Fachweisungen, die innerhalb der Ministerialverwaltung die Entscheidungen eines Amtsträgers inhaltlich bestimmen, entfällt. 477 Dies führt dazu, dass für die funktionale Selbstverwaltung im Vergleich zur Ministerialverwaltung nicht von einer höheren sachlich-inhaltlichen Legitimation ausgegangen werden kann. Folglich können durch die sachlich-inhaltliche Legitimationskomponente auch keine Defizite im Bereich der personellen Legitimation ausgeglichen werden. Hinzu kommt, dass der Gedanke, im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung auf verstärkte inhaltliche Vorgaben per Gesetz abzustellen, von vornherein auf Bedenken stößt: Gerade der den Selbstverwaltungsträgern verbleibende Entscheidungsspielraum bei der Aufgabenerfüllung macht das Wesen der Selbstverwaltung aus. Wohl aus diesem Grund stellt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss auch keine hohen Anforderungen an die detaillierte Bestimmung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Wasserverbände durch das Errichtungsgesetz. 478 476 Anders Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 236 f., Fn. 202, der in der Hervorhebung der Bedeutung des Gesetzes durch das Gericht wohl auch eine Bestätigung für die These sieht, die aus dem Gesetz auch personelle Legitimation herleitet. Angesichts der Tatsache, dass das Gericht die Theorie von der kollektiven personellen Legitimation mit keinem Wort anspricht (vgl. auch P. Unruh, JZ 2003, S. 1061, 1063) scheint diese Deutung der Entscheidung aber nicht zuzutreffen, so dass das Gericht wohl nur auf die sachlich-inhaltliche Steuerungswirkung des Gesetzes Bezug nimmt. 477 Vgl. dazu oben Teil 2 Kap. 1 B. II. 1. 478 BVerfGE 107, S. 59, 94 ff. Vgl. demgegenüber BVerwGE 106, S. 64, 81. Bezeichnenderweise schlussfolgert auch das BVerfG im Anschluss an die Untersuchung der gesetzlichen Vorgaben: „Ein noch höheres Maß an gesetzlicher Festlegung von Aufgaben, innerer Organisation und Handlungsbefugnissen des Verbands ist schwerlich denkbar, ohne dass ihm dadurch die Qualität als Selbstverwaltungskörperschaft verloren ginge.“ (BVerfGE 107, S. 59, 96 f.).
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Aufgrund dieser Bedenken bietet somit auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Wasserverbänden keine überzeugende Lösung für das Problem der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung.
I. Zusammenfassung der Ausführungen zur Lösung des Legitimationsproblems im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung Im Folgenden soll das Ergebnis der in diesem Kapitel angestellten Untersuchung der verschiedenen Lösungsansätze zur Problematik der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung kurz zusammengefasst werden. Es hat sich herausgestellt, dass keine der in der Literatur diskutierten Möglichkeiten zur Lösung des Legitimationsproblems überzeugen konnte: Die Anerkennung der Mitglieder funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften als Teilvölker bzw. als Vermittler einer autonomen oder mitgliedschaftlichen Legitimation steht im Widerspruch zur Auslegung des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk. Auch sind neben der organisatorisch-personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimationsform keine weiteren Legitimationsmodi ersichtlich, die die Defizite in diesen beiden Bereichen ausgleichen könnten: Die hier untersuchten Faktoren der Partizipation, Akzeptanz, Entscheidungsqualität und der gerichtlichen Kontrolle sowie der Effizienz und Effektivität bewirken alle keine Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk bzw. gehen im Falle der Gerichtskontrolle jedenfalls nicht über die Legitimationswirkung hinaus, die schon durch die Rechtsaufsicht gewährt wird. Auch die Lösungsmodelle, die sich auf das Defizit im Bereich der personellen Legitimation konzentrieren, bieten keine überzeugende Lösung des Legitimationsproblems: Weder kann angesichts von bestehendem Verwaltungsermessen der personelle Legitimationsfaktor vernachlässigt werden, noch kann eine personelle Legitimation kollektiv durch Rückgriff auf das die Selbstverwaltungskörperschaft errichtende Gesetz begründet werden. Eine solche Vorgehensweise widerspricht sowohl dem Prinzip der individuellen Berufung von Amtswaltern als auch dem Grundsatz demokratischer Gleichheit. Da angesichts des Verfassungsranges des Demokratieprinzips von diesem nicht einfachgesetzlich abgewichen werden kann, bleibt damit nur die Möglichkeit, das demokratische Defizit im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung durch einen Rückgriff auf anderweitige Verfassungsbestimmungen zu rechtfertigen. Aber auch die hier in Betracht kommenden Lösungsmodelle sind aufgrund der oben ausgeführten Kritikpunkte nicht zur Rechtfertigung der funktionalen Selbstverwaltung im Hinblick auf das Demokratieprinzip geeignet: So kommt Art. 87 III S. 1 Alt. 2 GG kein demokratischer Ausgestaltungsgehalt zu, so dass er nicht als verfassungsrechtlicher Dispositionstitel für den Gesetzgeber bei der
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Schaffung funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften dienen kann. Auch eine Rechtfertigung der Einschränkungen des Demokratieprinzips im Wege der Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht kommt nicht in Betracht. Die in der Literatur vertretenen Lösungsmodelle können somit das verfassungsrechtliche Problem der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungseinrichtungen nicht bewältigen. Auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung bieten keine Lösung für dieses verfassungsrechtliche Problem. Sie enthalten keine neuen Aspekte, die über die bereits kritisierten Lösungsmodelle hinausgehen.
J. Beschränkung auf eigene Angelegenheiten Nachdem nun die verschiedenen Lösungsmodelle, die in Literatur und Rechtsprechung im Hinblick auf das Demokratiedefizit der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften entwickelt wurden, dargestellt und kritisiert worden sind, sei abschließend noch auf einen Aspekt eingegangen, der im Rahmen der bisherigen Untersuchung noch außer Betracht geblieben ist: die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber Nichtmitgliedern. Gerade im Hinblick auf die demokratische Legitimation der hier als Beispiel dienenden Wasserverbände ist dieser Gesichtspunkt besonders problematisch. Im Folgenden wird zunächst verdeutlicht, inwieweit Nichtmitglieder durch die Ausübung von Staatsgewalt seitens der Wasserverbände betroffen sind. Im Anschluss daran wird kurz dargelegt, wie die oben behandelten Legitimationsmodelle eine solche Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten beurteilen, bevor schließlich eine kritische Stellungnahme erfolgt. I. Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern bei den Wasserverbänden Die Problematik der Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber Nichtmitgliedern tritt bei den Wasserverbänden und den ihnen zur Wahrnehmung übertragenen Aufgaben besonders deutlich in Erscheinung: Zunächst einmal nehmen die Wasserverbände schon aufgrund der ihnen übertragenen Aufgaben, die den Erhalt und den Schutz des Oberflächen- und des Grundwassers sowie auch die Trinkwasserversorgung betreffen, Belange wahr, die die Allgemeinheit in hohem Maße betreffen und sich nicht ausschließlich als eigene Angelegenheit der Mitglieder darstellen. Demgemäß ist auch in den Errichtungsgesetzen festgestellt, dass der jeweilige Wasserverband „dem Wohl der Allgemeinheit und dem Nutzen ihrer Mitglieder dient“ (§ 1 I S. 3 Emscher GG; § 1 I S. 3 LippeVG). Hinzu kommt, dass die Wasserverbände auch
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konkrete Entscheidungen gegenüber Dritten treffen können: So können sie nach den Errichtungsgesetzen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung Auskünfte und Unterlagen von Nichtmitglieder verlangen und deren Grundstücke benutzen (§ 7 EmscherGG, § 8 LippeVG). Soweit dies erforderlich ist, kann der Vorstand den zur Enteignung erforderlichen Antrag bei der zuständigen Enteignungsbehörde auch im Hinblick auf Grundstücke von Nichtmitgliedern stellen. II. Behandlung der Problematik in Literatur und Rechtsprechung Im Folgenden ist zu untersuchen, wie die oben dargestellten Legitimationsmodelle eine solche Befugnis der Selbstverwaltungskörperschaft, Staatsgewalt auch gegenüber Dritten auszuüben, bewerten. 1. Unzulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten Eine Großzahl der in der Literatur vertretenen Legitimationsmodelle vermag die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber Nichtmitgliedern nicht zu rechtfertigen und lehnt sie als unzulässig ab. So können alle Ansätze, die auf der Grundlage einer demokratischen Legitimation von Herrschaft durch die Herrschaftsbetroffenen argumentieren und somit auf den Selbstbestimmungsgedanken abstellen, eine demokratische Legitimation in diesem Fall nicht begründen: Die Nichtmitglieder sind zwar von der Ausübung von Staatsgewalt betroffen, können aber die Entscheidungsträger in der Körperschaft nicht mitbestimmen. Für sie stellen sich die Entscheidungen des Selbstverwaltungsträgers somit nicht als Selbstbestimmung sondern als Fremdbestimmung dar. 479 Auch der Akzeptanz- und der Partizipationsgedanke vermögen Entscheidungen von Selbstverwaltungsträgern gegenüber Nichtmitgliedern nicht zu legitimieren, da sich die Menge der Betroffenen in diesem Fall nicht mit der Menge der Entscheidungsträger deckt. Ebenso kommt auch eine grundrechtliche Rechtfertigung nicht in Betracht, da bei den Nichtmitgliedern die Grundrechte ausschließlich in ihrer eingriffsabwehrenden Funktion betroffen sind. Ferner begrenzt auch die Ansicht, die in 87 III S. 1 GG einen Dispositionstitel des Gesetzgebers sieht, funktionale Selbstverwaltungsträger zu errichten und insoweit das Legitimationsniveau abzusenken, diese Ausnahme auf die Schaffung von Selbstverwaltungsträgern, die ihre eigenen Angelegenheiten wahrnehmen. Bedingt durch die entstehungsgeschichtliche Herleitung des demokratischen Ausgestaltungsgehalts von Art. 87 III S. 1 GG wird nach dieser Ansicht durch die 479
Vgl. dazu auch Musil, DÖV 2004, S. 116, 120.
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Vorschrift eine Ausnahme nur für solche Selbstverwaltungsträger begründet, die dem Selbstverwaltungsverständnis des damaligen Verfassungsgebers entsprechen und dies bedeutet eine Beschränkung auf eigene Angelegenheiten. 480 2. Zulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten und ihre Grenzen Die anderen Legitimationsmodelle behandeln die Problematik der Legitimation von Entscheidungen eines Selbstverwaltungsträgers gegenüber Dritten zum Teil nicht ausdrücklich. Zum Teil wird eine Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten für möglich gehalten, wobei der Umfang variiert, in dem eine solche Befugnis möglich erscheint. a) Kollektiv demokratisches Legitimationsmodell Zunächst ist hier die Theorie der kollektiven personellen Legitimation zu nennen, die die personelle Legitimation der Entscheidungsträger der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft unmittelbar aus dem gesetzlichen Errichtungsakt und der damit verbundenen Bestimmung des Mitgliederkreises ableitet. Da gemäß dieser Konstruktion die Legitimation nicht von den Mitgliedern der Selbstverwaltungskörperschaft ausgeht, sondern vom Parlament, ist somit eine Legitimation gegenüber dem Gesamtvolk gegeben, also auch gegenüber Nichtmitgliedern. 481 Der Umstand, dass die Mitglieder der Körperschaft durch ihre Mitwirkung bzw. ihre Repräsentation bei der Entscheidungsfindung innerhalb der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft zusätzlichen Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt ausüben, der den Nichtmitgliedern verwehrt bleibt, ist nach dieser Theorie im Rahmen des Legitimationsniveaus zu berücksichtigen: Während die funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber ihren Mitgliedern über eine besonders qualifizierte und somit gesteigerte kollektive Legitimation verfügten, bestünde gegenüber Nichtmitgliedern lediglich die „einfache“, nicht gesteigerte kollektive Legitimation. Als Folge dieses unterschiedlichen Niveaus der Legitimation werden gegenüber Nichtmitgliedern nur Eingriffe von geringer Intensität für zulässig erachtet bzw. wird bei größerer Eingriffsintensität ein höheres Maß an Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage vorausgesetzt. 482 480 Vgl. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 544 ff. 481 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 494 ff.; P. Unruh, JZ 2003, S. 1061, 1063. 482 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504 f.
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b) Weitere Modelle, die Entscheidungen gegenüber Nichtmitgliedern ausdrücklich zulassen Während die Vertreter einer kollektiven demokratischen Legitimation die Thematik der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten verhältnismäßig ausführlich behandeln, da nach ihrer Ansicht eine der Stärken ihres Legitimationsmodells darin besteht, dass funktionale Selbstverwaltungskörperschaften aufgrund der parlamentsvermittelten Legitimation auch gegenüber Dritten als personell demokratisch legitimiert erscheinen, behandeln die anderen Modelle diese Problematik häufig nur kurz. So spricht beispielsweise Böckenförde davon, dass sich die von funktionalen Selbstverwaltungsträgern wahrgenommenen Aufgaben „tendenziell auf die eigenen Angelegenheiten“ 483 beschränken müssen, um das Defizit an demokratischer Legitimation zu begrenzen. Was genau unter einer tendenziellen Beschränkung zu verstehen ist, wird aber nicht ausgeführt. Insbesondere stellt sich die Frage, ob damit nur mittelbare Auswirkungen der Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften auf Dritte zulässig sein sollen oder ob auch eine direkte Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten durch an diese gerichtete Entscheidungen zulässig sein soll, sofern dies in Einzelfällen zur Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten erforderlich ist. 484 Mit dem Begriff „mittelbare Auswirkungen“ sind hier solche Auswirkungen gemeint, die darauf beruhen, dass auch bei der Wahrnehmung eigener Belange aufgrund der weit reichenden Verflechtungen verschiedener Bereiche in der heutigen Gesellschaft eine Berührung der Belange und Interessen Dritter nicht ganz auszuschließen ist 485 und auch Gemeinwohlbelange durch den Aufgabenbereich der Selbstverwaltungskörperschaft betroffen sein können. Das Bundesverfassungsgericht scheint hierbei nur die direkte Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten als problematisch anzusehen, da „nicht bereits die Erledigung öffentlicher Aufgaben als solche“, sondern lediglich die Befugnis der Selbstverwaltungskörperschaften zu verbindlichen Entscheidungen gegenüber Dritten das Legitimationserfordernis des Art. 20 II GG auslöse. 486 Eine 483
Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 34. Vgl. zu dieser Differenzierung auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504 ff., der „Regelungen gegenüber Externen“ und die „Konkretisierung von Gemeinwohlbelangen“ durch die funktionalen Selbstverwaltungsträger unterscheidet. Vgl. auch Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 27 ff., 174 ff., der normative Befugnisse der Selbstverwaltungskörperschaften untersucht und hierbei zwischen unmittelbarer und mittelbarer Außenwirkung unterscheidet. 485 Vgl. dazu Oebbecke, VerwArch 81 (1990), S. 349, 359; ders., Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 91. 486 BVerfGE 107, S. 59, 94. 484
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
solche Ausübung von Staatsgewalt erachtet das Gericht in gewissem Umfang für zulässig: Sofern die Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger gesetzlich ausreichend vorbestimmt seien und ihr Handeln der Staatsaufsicht unterstehe, sei eine ausreichende Rückführbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt auf das Gesamtvolk gegeben, so dass insoweit auch ein Handeln gegenüber Nichtmitgliedern zulässig sei. 487 III. Kritische Betrachtung der Drittproblematik Im Folgenden ist der soeben dargestellte Umgang der Vertreter der verschiedenen Legitimationsmodelle mit der Problematik der Drittbetroffenheit kritisch zu hinterfragen. 1. Unzulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten Die Legitimationsmodelle, die die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten als nicht demokratisch legitimiert und somit als unzulässig ansehen, verhindern so eine Fremdbestimmung der Nichtmitglieder durch Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaft. Daher sind sie zwar in sich widerspruchsfrei, müssen sich aber eine gewisse Realitätsferne vorwerfen lassen: Eine unmittelbare Entscheidungsbefugnis gegenüber Nichtmitgliedern, wie sie den Wasserverbänden zukommt, stellt zwar im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung die Ausnahme dar, eine mittelbare Außenwirkung der Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften ist aber keine Ausnahme, sondern kommt häufig vor. Sie lässt sich aufgrund der zahlreichen Verflechtungen innerhalb einer modernen Gesellschaft auch nicht völlig verhindern. 488 So treffen beispielsweise auch die Berufskammern Regelungen, die sich auch auf Nichtmitglieder auswirken, obwohl sich ihr Aufgabenbereich deutlicher als eigene Angelegenheit darstellt als dies bei den Wasserverbänden der Fall ist: Die Residenzpflicht der Ärzte hat zum Beispiel auch für die Patienten und ihre freie Arztwahl Folgen. 489 Die Legitimationsmodelle, die eine Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften nur für den Adressatenkreis der Mitglieder begründen bzw. eine Herabsetzung des Legitimationsniveaus nur in diesem Fall als gerechtfertigt ansehen, vermögen also nur teilweise 487 BVerfGE 107, S. 59, 94.; ähnlich wohl auch Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 90. 488 Vgl. dazu Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 91; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504 ff. 489 Vgl. zu diesem Beispiel Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504, Fn. 71. Weitere Beispiele bei Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlichrechtlicher Körperschaften, 1991, S. 192 ff.
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eine Vereinbarkeit der Tätigkeit funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften mit dem Demokratieprinzip zu begründen. Angesichts der in der Praxis häufigen mittelbaren Auswirkungen auf Nichtmitglieder verbleiben jedoch Bereiche, die hiernach nicht legitimiert sind. Um die Tätigkeit funktionaler Selbstverwaltungsträger umfassend zu legitimieren, müsste also entweder mit der eigenen Forderung nach einer Beschränkung auf eigene Angelegenheiten extrem großzügig verfahren werden oder es müssten weitere Lösungswege gefunden werden, die in der Praxis erfolgende Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern zu verhindern oder zu rechtfertigen. 2. Zulässigkeit der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten Diejenigen Legitimationsmodelle, nach denen die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungsträger auch gegenüber Dritten zulässig ist, werden den Bedürfnissen in der Praxis und den tatsächlichen Gegebenheiten eher gerecht. Allerdings wird im Folgenden aufzuzeigen sein, dass die dogmatische Herleitung oder Rechtfertigung für eine solche Befugnis der Selbstverwaltungsträger nicht gelingt. Die Argumentation der Vertreter der kollektiven demokratischen Legitimation, die gestützt auf die parlamentsvermittelte personelle Legitimation auch die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern als demokratisch legitimiert ansieht, aber aufgrund des geringeren Legitimationsniveaus gegenüber Nichtmitgliedern nur Eingriffe von geringer Intensität zulassen will, sieht sich folgenden Bedenken ausgesetzt: Zunächst einmal betreffen die unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten von Mitgliedern und Dritten auf die Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaft nicht lediglich das Legitimationsniveau. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Verstoß gegen das demokratische Gleichheitsgebot. Ein solcher Verstoß kann nicht etwa dadurch ausgeglichen werden, dass gegenüber den Nichtmitgliedern nur Eingriffe von geringerer Intensität zugelassen werden. Die Annahme, dass bei geringerer Eingriffsintensität auch ein geringeres Legitimationsniveau ausreicht, findet im Grundgesetz keine Stütze. Im Rahmen der Untersuchung des grundgesetzlich geforderten Legitimationsniveaus ist eine Abstufung der erforderlichen Legitimation je nach der Bedeutung der Aufgabe bereits abgelehnt worden: Den grundgesetzlichen Ausnahmen vom legitimatorischen Regelniveau (vgl. beispielsweise Art. 114 II, 88 GG) ist kein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz zu entnehmen, nach dem weniger bedeutende Aufgaben einer geringeren Legitimation bedürften. Auch auf die Wesentlichkeitstheorie kann insoweit nicht zurückgegriffen werden, da diese lediglich dazu dient, die Kompetenzen von Parlament und Exekutive abzugrenzen, die beide über eine demokratische Legitimation verfügen. Diese Theorie kann daher nicht dazu herangezogen werden, eine Ausnahme vom grundgesetzlich vorgesehenen Maß an demokratischer Legitimation zu begründen. 490
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Auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten zulässig ist, sofern die Entscheidungen der Selbstverwaltungsträger gesetzlich ausreichend vorbestimmt sind und ihr Handeln der Staatsaufsicht untersteht, überzeugen nicht. Hiernach ist die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten schon bei der Erfüllung relativ geringer Anforderungen zulässig: Zum einen erörtert das Gericht das Erfordernis einer ausreichenden gesetzlichen Vorherbestimmung der Handlungsbefugnisse der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft und das Bestehen einer Aufsicht zwar im Zusammenhang mit der Problematik der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern. Aber es scheint diese Anforderungen nicht nur hinsichtlich der Befugnis der Körperschaft, Staatsgewalt gegenüber Dritten auszuüben, aufzustellen, sondern sie als generelle Voraussetzung für die Ausübung von Staatsgewalt – auch gegenüber den Mitgliedern – zu verstehen. Dafür spricht zum einen, dass innerhalb der Entscheidungsgründe keine ausdrückliche Differenzierung zwischen diesen beiden Adressaten der Staatsgewalt erfolgt und zum anderen, dass die Rückbindung an das Gesamtvolk mittels gesetzlicher Vorgaben und im Wege der Aufsicht im dritten Leitsatz als allgemeine Voraussetzung zur Ermächtigung funktionaler Selbstverwaltungsträger zur Ausübung von Staatsgewalt ohne Bezugnahme auf die Adressaten der Entscheidungen erscheint. Somit sind also die Anforderungen, die an eine Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern gestellt werden, nicht strenger als bei der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Mitgliedern. 491 Dies überzeugt nicht: Sofern ausschließlich Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft betroffen sind, mag man die Lockerung der Rückbindung an das Gesamtvolk noch durch die Berufung auf den gemeinsamen ideellen Hintergrund von Demokratie und funktionaler Selbstverwaltung im Selbstbestimmungsgedanken stützen. 492 Sofern aber Staatsgewalt gegenüber Nichtmitgliedern ausgeübt wird, vermag der Gedanke der Selbstbestimmung die Lockerung der Rückbindung an das Volk nicht zu stützen, da sich die Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaft diesen gegenüber als Fremdbestimmung darstellen. 493 Dieser Schwierigkeit kann auch nicht dadurch begegnet werden, dass die Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten auf „atypische Ausnahmefälle oder Annextätigkeiten im Rahmen der Aufgabenerfüllung des Selbstverwaltungsträ490
Vgl. dazu ausführlich oben Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. c). Strenger wohl Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 90, der einen Genehmigungsvorbehalt in den Fällen der Drittbetroffenheit vorschlägt, dies aber nicht näher ausführt. Diesem Vorschlag kann die nur beschränkte Legitimationswirkung von Genehmigungsvorbehalten entgegengehalten werden [Teil 2 Kap. 1 B. 2. b)]. 492 Vgl. zur Kritik an einem solchen Vorgehen oben Teil 2 Kap. 2 H. III. 493 Vgl. die diesbezügliche Kritik Musils, DÖV 2004, S. 116, 120. 491
Kap. 3: Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in das Grundgesetz
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gers“ 494 beschränkt wird. Zwar würde dies die Auswirkungen der Fremdbestimmung auf wenige Fälle begrenzen, wenn es im Einzelfall aber zur Ausübung von Staatsgewalt gegenüber einem Nichtmitglied käme, wäre dies dennoch eine unzulässige Fremdbestimmung, da die Absenkung des Legitimationsniveaus nicht durch den Selbstbestimmungsgedanken aufgefangen werden kann und dem Ausnahmecharakter allein keine legitimatorische Wirkung zukommt. 3. Fazit Wie sich gezeigt hat, bietet keines der Legitimationsmodelle, die zur Rechtfertigung der funktionalen Selbstverwaltung in Literatur und Rechtsprechung entwickelt wurden, eine überzeugende Lösung für die Problematik der Ermächtigung einer funktionalen Selbstverwaltungskörperschaft zur Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten. Da eine strikte Beschränkung des Aufgabenbereiches der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften auf die eigenen Angelegenheiten ihrer Mitglieder in der Praxis aber nicht möglich ist, stellt dieser Befund einen weiteren Kritikpunkt dar, der zusätzlich zu der oben geäußerten Einzelkritik der jeweiligen Modelle tritt.
Kapitel 3
Aufnahme einer Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung in das Grundgesetz Die zahlreichen auf Bundes- sowie auf Landesebene bestehenden funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften, blicken in Deutschland zum großen Teil auf eine lange Tradition zurück und haben sich in der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben bewährt, so dass sie aus der Verwaltungspraxis kaum wegzudenken sind. Hinzu kommt, dass diese Verwaltungsform gegenüber der hierarchisch organisierten Staatsverwaltung unbestritten Vorteile mit sich bringt. Zu nennen sind beispielsweise die Beteiligung der Bürger in ihren Belangen und die Einbringung verwaltungsexternen Sachverstandes. Wie bereits dargelegt wurde, vermögen diese Vorteile aber keine demokratische Legitimation zu vermitteln. Da auch die übrigen oben vorgestellten Legitimationsmodelle das Problem der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltungskör494
So aber Musil, DÖV 2004, S. 116, 120.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
perschaften nicht lösen können, ist die Ausübung von Staatsgewalt durch diese Körperschaften als verfassungswidrig anzusehen. Ein solches Ergebnis kann natürlich vor dem Hintergrund der genannten Verdienste und Vorzüge dieser Verwaltungsform nicht befriedigen. Andrerseits kann dieses Ergebnis dem oben dargestellten Demokratie- und Legitimationsmodell, das sich am Grundgesetz ausrichtet, auch nicht entgegengehalten werden: Eine Vielzahl der heute bestehenden Selbstverwaltungskörperschaften stammt aus einer Zeit, in der das Grundgesetz und sein Demokratiegebot noch nicht existierten. 495 Der Umstand, dass sich nach dem hier vertretenen Demokratie- und Legitimationsmodell ein Demokratiedefizit der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften ergibt, ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend und spricht daher nicht gegen dieses Modell.
A. Möglicher Inhalt einer Ausnahmebestimmung Die Problematik, dass die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften nach der bestehenden Rechtslage verfassungswidrig ist, diese Verwaltungsform aber andrerseits viele Vorteile mit sich bringt und in der Praxis etabliert ist, könnte durch Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in die Verfassung gelöst werden. In einer solchen Norm könnte der Verfassungsgeber den Gesetzgeber ermächtigen, durch Gesetz funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten, ihnen bestimmte Aufgaben zu übertragen und insoweit das Legitimationsniveau abzusenken. Mit anderen Worten: Der Ausgestaltungsgehalt, den Teile der Literatur im Wege einer historischen Auslegung dem Art. 87 III GG beilegen, sollte in einer eigenständigen Regelung ausdrücklich in das Grundgesetz aufgenommen werden. Neben einer Errichtung durch Gesetz sollte eine solche Aufgabenübertragung in der Verfassung von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden: So sollten die Beschränkung auf eigene Angelegenheiten und das Bestehen einer Staatsaufsicht kodifiziert werden – beides Voraussetzungen, die nach allen Auffassungen die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften begrenzen. Darüber hinaus könnte auch die direkte Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten geregelt und entweder untersagt oder einer weitergehenden Steuerung unterworfen werden. Hier kämen als Instrumente zur Verstärkung der Steuerung beispielsweise die Einräumung initiativer Selbsteintrittsrechte oder einer partiellen Fachaufsicht in Betracht. Sofern eine solche Regelung in das Grundgesetz aufgenommen würde, könnte sich die Absenkung des Legitimationsniveaus im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung auf 495
Vgl. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 82, 91 f., 102; 123 ff., 142 ff., 154 ff., 164; Ossenbühl, FS für W. Schmitt Glaeser, S. 103, 109.
Kap. 3: Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in das Grundgesetz
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einen verfassungsrechtlichen Ausnahmetitel stützen und wäre damit vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips zulässig.
B. Das Landesverfassungsrecht und das Erfordernis einer bundesverfassungsrechtlichen Regelung Einige Landesverfassungen scheinen das Erfordernis einer solchen verfassungsrechtlichen Unterfangung der funktionalen Selbstverwaltung schon partiell zu erfüllen, indem sie funktionale Selbstverwaltungskörperschaften ausdrücklich als Verwaltungsform in Bezug nehmen. So heißt es beispielsweise in Art. 71 I der baden-württembergischen Verfassung: „Das Land gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie den Zweckverbänden das Recht der Selbstverwaltung. Sie verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung. Das Gleiche gilt für sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten in den durch Gesetz gezogenen Grenzen.“ Die sächsische Verfassung normiert in Art. 82: „(1) Die Verwaltung wird durch die Staatsregierung, die ihr unterstellten Behörden und durch die Träger der Selbstverwaltung ausgeübt. Sie ist dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet und dient dem Menschen. (...) (3) Andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sind nach Maßgabe der Gesetze Träger der Selbstverwaltung.“ Art. 57 I der niedersächsischen Verfassung normiert „Gemeinden und Landkreise und die sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung.“ 496 Diese landesverfassungsrechtlichen Regelungen, die funktionale Selbstverwaltungsträger explizit in Bezug nehmen, vermögen den Bedarf nach einer bundesverfassungsrechtlichen Ausnahmebestimmung jedoch nicht zu decken oder auch nur zu relativieren. Zunächst einmal wären diese Bestimmungen allenfalls im Kompetenzbereich des jeweiligen Landes maßgeblich, was ihre Bedeutung vor dem Hintergrund, dass die meisten bestehenden Träger funktionaler Selbstverwaltung auf bundesrechtlicher Rechtsgrundlage beruhen 497 und somit der Bundesgesetzgeber eines verfassungsrechtlichen Ausnahmetitels zur Errichtung der Selbstverwaltungskörperschaft bedarf, von vornherein stark einschränkt. Entscheidender ist in diesem Zusammenhang aber, dass eine landesverfassungsrechtliche Regelung auch für den Kompetenzbereich des betroffenen Landes die Ausübung von Staatsgewalt 496 Vgl. zur Selbstverwaltung in den Landesverfassungen Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 15 f.; 252 f.; S. 517 ff. 497 Vgl. dazu die Aufzählung bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 245 f., der aber dem Landesverfassungsrecht im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung dennoch eine große Bedeutung zumisst (vgl. z. B. S. 16).
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften angesichts deren mangelnder demokratischer Legitimation nicht rechtfertigen kann. Dies liegt darin begründet, dass das Demokratiegebot des Art. 20 II GG und das zu seiner Umsetzung erforderliche Legitimationsniveau, das durch die personelle und sachlich-inhaltliche Legitimationsart gewährleistet wird, nicht nur für den Bund verbindlich sind, sondern die gesamte Staatstätigkeit binden und somit auch für die Länderebene gelten. 498 Aufgrund des direkten Durchgriffs der bundesverfassungsrechtlichen Bestimmung des Art. 20 II GG auf die Länderebene kommt das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG insoweit nicht zur Anwendung, so dass die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf die funktionale Selbstverwaltung nicht als zulässige Modifikation oder Ausgestaltung des Demokratieprinzips im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 GG angesehen werden können. Durch die Aufnahme von Bestimmungen in die Landesverfassung, die funktionale Selbstverwaltungskörperschaften als Verwaltungsform zulassen, überschreitet ein Land vielmehr die Grenzen seiner Verfassungsautonomie, so dass das Art. 20 II GG widersprechende Landesverfassungsrecht als nichtig anzusehen ist. 499 Aufgrund der gesamtstaatlichen Geltung des Art. 20 II GG für die Bundesund Landesebene vermögen somit landesverfassungsrechtliche Ausnahmetitel das Legitimationsdefizit funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften nicht zu rechtfertigen, so dass eine bundesverfassungsrechtliche Ausnahmevorschrift erforderlich ist.
C. Vereinbarkeit mit Art. 79 III GG Eine solche grundgesetzliche Bestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung müsste mit Art. 79 III GG vereinbar sein. Dies soll im Folgenden in der gebotenen Kürze untersucht werden. Art. 79 III GG schließt Grundgesetzänderungen aus, wenn sie die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berühren. Eine Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung könnte den Demokratiegrundsatz des Art. 20 GG in dreierlei Hinsicht berühren: Zunächst einmal könnte der Grundsatz der Volkssouveränität und somit das Legitimationssubjekt berührt sein. Ferner würde sich eine solche Ausnahmebestimmung auf die demokratische Gleichheit auswirken und schließlich wäre das Legitimationsniveau betroffen.
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Vgl. zum Durchgriffscharakter des Art. 20 II GG oben Teil 1 Kap. 2 A. Vgl. zur Nichtigkeit von Landesverfassungsrecht März, Bundesrecht bricht Landesrecht, 1989, S. 190 f. 499
Kap. 3: Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in das Grundgesetz
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I. Volkssouveränität und Legitimationssubjekt Gemäß Art. 20 II S. 1 GG geht alle Staatsgewalt von Volke aus: Der hierin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Volkssouveränität stellt das grundlegende Leitprinzip der Demokratie dar und ist daher zu den Grundsätzen zu zählen, die durch Art. 79 III GG geschützt werden. 500 Besteht auch insoweit Einigkeit, so ist jedoch umstritten, was dieser Grundsatz der Volkssouveränität besagt: Bei der Auslegung des Volksbegriffes im Rahmen des Art. 20 GG wurde bereits herausgestellt, dass mit dem Begriff „Volk“ das deutsche Staatsvolk gemeint ist. 501 Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Volksbegriff des Art. 20 GG auch zu dem von Art. 79 III GG geschützten Kernbestand des Demokratieprinzips zählt, so dass auch der verfassungsändernde Gesetzgeber kein anderes Legitimationssubjekt als das deutsche Volk vorsehen dürfte. 502 Dies wird teilweise auch von den Vertretern verneint, die im Rahmen des Art. 20 GG von einer Interpretation des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk ausgehen. Zur Begründung wird auf andere westliche Demokratien verwiesen, in denen Volkssouveränität und Demokratie nicht auf das Staatsvolk begrenzt seien. 503 Eine solche Argumentation, nach der einerseits der Volksbegriff des Art. 20 GG als deutsches Staatsvolk zu verstehen ist, aber andererseits diese Interpretation nicht über den Grundsatz der Volkssouveränität an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG teilhaben soll, erscheint jedoch widersprüchlich: Die Volkssouveränität des Grundgesetzes ist auf das Volk als Legitimationssubjekt ausgerichtet. Die Interpretation des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk ist somit identitätsstiftend für die Volkssouveränität. Trennt man den Grundsatz der Volkssouveränität vom Volksbegriff, so wird dieser zu einer inhaltsleeren Hülle. Hieran ändert auch ein Verweis auf andere westliche Demokratien nichts, da Art. 79 III GG die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze schützt und somit die Demokratie des Grundgesetzes in Bezug nimmt und nicht ein allgemeines westliches Demokratieverständnis. 504 500
Vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 79 III, Rn. 37; Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 3, 4. / 5. Aufl., 2003, Art. 79, Rn. 40.; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 79, Rn. 77. 501 s. oben Teil 1 Kap. 2 C. 502 Vertreter, die schon im Rahmen des Art. 20 II GG nicht von einer Interpretation des Volksbegriffes als deutsches Staatsvolk ausgehen, verneinen insoweit natürlich auch eine Bindung des Gesetzgebers an das deutsche Volk als Legitimationssubjekt im Rahmen des Art. 79 GG: vgl. Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 3, 4. / 5. Aufl., 2003, Art. 79, Rn. 40 ff.; Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 79, Rn. 77 ff. 503 So im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit eines Ausländerwahlrechts Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 79 III, Rn. 43. Vgl. dazu auch Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 3, 4. / 5. Aufl., 2003, Art. 79, Rn. 40 a, der selbst schon den Volksbegriff im Rahmen des Art. 20 GG anhand des Kriteriums der Betroffenheit definiert (vgl. die Ausführungen und Nachweise oben: Teil 1 Kap. 2 C.). 504 Anders: Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 79, Rn. 58.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Demnach hat auch das Staatsvolk als Legitimationssubjekt am Schutz des Art. 79 III GG teil, 505 so dass eine Verfassungsänderung ausgeschlossen ist, nach der ein anderes Legitimationssubjekt als das deutsche Staatsvolk eingeführt wird. Eine Bestimmung im oben beschriebenen Sinne, die den Gesetzgeber ermächtigt, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften durch Parlamentsgesetz zu errichten und hierzu eine Absenkung des Legitimationsniveaus ermöglicht, würde jedoch das deutsche Staatsvolk als Legitimationssubjekt nicht berühren: Die Mitglieder der Selbstverwaltungskörperschaft würden hierbei nicht zu einem Legitimationssubjekt und auch eine autonome Legitimation durch die Mitglieder würde nicht begründet werden. Legitimationssubjekt wäre weiterhin das deutsche Staatsvolk. Die Legitimation würde durch die gesetzliche Errichtung und die sachlich-inhaltlichen Vorgaben durch Gesetz und Rechtsverordnung sowie mittels Staatsaufsicht weiterhin vom Staatsvolk ausgehen und nicht von den Mitgliedern der Körperschaft. Durch eine solche Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung würden somit nicht die Mitglieder der Körperschaft zu Legitimationssubjekten erhoben, sondern es würde lediglich eine Ausgliederung aus den hierarchischen Strukturen der Ministerialverwaltung und ihren Weisungsabhängigkeiten ermöglicht. Es würde also eine Lockerung der Rückbindung an das Staatsvolk, eine Absenkung im Legitimationsniveau zugelassen. Insoweit bietet sich ein Vergleich mit der Vorschrift des Art. 28 I S. 3 GG an, der ein kommunales Wahlrecht für EU-Bürger vorsieht. Auch hier wird dem deutschen Staatsvolk kein andersartiges Legitimationssubjekt an die Seite gestellt, sondern die Staatsgewalt in der Gemeinde bleibt an das Staatsvolk rückgebunden, da die wesentlichen Entscheidungen in Form von Gesetzen durch das Parlament getroffen werden. 506 Die Rückbindung an das Staatsvolk erscheint nur insoweit gelockert, als die personelle Zusammensetzung des Gemeinderats als Exekutivorgan nicht ausschließlich durch deutsche Staatsangehörige bestimmt wird, sondern auch durch die Unionsbürger gewählt wird. Eine solche Modifikation lässt Art. 79 III GG zu. 507 505 Ebenso: Tettinger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, § 28, Rn. 124; Evers, in: BK GG, Art. 79 III, Stand: Oktober 1982, Rn. 184 f.; vgl. auch Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2001, Art. 28, Rn. 28 m.w. N. 506 Vgl. zu diesem Argumentationsansatz auch: Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976, S. 130 f., der allerdings durch die Einführung des Wahlrechts für Ausländer die personelle Homogenität zwischen Bundes- und Landesvolk auf der einen Seite und dem Gemeindevolk auf der anderen Seite aufgehoben sieht. 507 Vgl. auch: Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2001, Art. 28, Rn. 28; Tettinger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, § 28, Rn. 124. Hingegen argumentieren die Gegner einer Interpretation des Volksbegriffes als Staatsvolk und seines Schutzes durch Art. 79 III GG dahingehend, dass Art. 28 I S. 3 GG in diesem Fall als verfassungswidrig angesehen werden müsste: Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck,
Kap. 3: Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in das Grundgesetz
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Der Grundsatz der Volkssouveränität und der Volksbegriff des Grundgesetzes würden also der Aufnahme einer Ausnahmebestimmung zugunsten funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften in die Verfassung nicht entgegenstehen. II. Demokratischer Gleichheitsgrundsatz Ein weiterer Grundsatz, der durch die Aufnahme einer Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung berührt sein könnte, ist der Grundsatz der demokratischen Gleichheit. Die Mitglieder der Selbstverwaltungsträger würden zunächst – wie auch Dritte – an den Parlamentswahlen teilnehmen und könnten dann im Rahmen der Entscheidungsfindung und Aufgabenwahrnehmung durch die Selbstverwaltungskörperschaft erneut Einfluss nehmen. Sofern die Ausübung von Staatsgewalt durch die Organe der Selbstverwaltungskörperschaft betroffen ist, hätten deren Mitglieder somit einen größeren Einfluss auf die Entscheidungen als Nichtmitglieder. Diese Auswirkungen auf die demokratische Gleichheit könnten einer Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung nach Art. 79 III GG entgegenstehen. Es ist jedoch bereits fraglich, ob die formale Gleichheit der Volksangehörigen in Bezug auf ihre Teilhabe an der Staatsgewalt überhaupt zu den nach Art. 79 III GG geschützten Grundsätzen des Demokratiegebots gehört. Teilweise wird angenommen, dass die formale Egalität nur in ihrer Ausprägung als Wahlrechtsgleichheit durch Art. 79 III GG geschützt sei, da sie nur insoweit rechtlich konkretisiert sei. 508 Gegen eine solche Argumentation lässt sich einwenden, dass Grundlage der Demokratie die Freiheit des Menschen und seine daraus folgende Selbstbestimmung ist. Da alle Menschen gleich frei sind und ihre Freiheit keinen Gewichtungen unterworfen ist, muss es sich auch um die gleiche Selbstbestimmung 509 und folglich die gleiche Teilhabe an der Staatsgewalt handeln. Demokratie erscheint insoweit als „Herrschaft der Freien und Gleichen über sich selbst“ 510. Somit ist die Gleichheit an der Teilhabe der Ausübung von Staatsgewalt ein grundlegender Bestandteil des Demokratieprinzips. Sie muss daher auch über Art. 79 III GG geschützt sein. 511 Allerdings bedeutet der Schutz des demokratischen Gleichheitsgrundsatzes über Art. 79 III GG nicht, dass keinerlei Modifikationen denkbar wären. Art. 79 GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 79, Rn. 79. Vgl. auch: Rubel, in: Umbach / Clemens, GGMitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 79, Rn. 29. 508 Evers, in: BK GG, Art. 79 III, Stand: Oktober 1982, Rn. 183; vgl. insoweit auch Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl., 2006, Art. 79 III, Rn 38. 509 Vgl. Böckenförde, HStR II, 2004, § 24, Rn. 41. 510 Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 325. 511 Vgl. dazu auch Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976, S. 90 f.; mit Einschränkung auch: Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, II., Juni 1978, Rn 10.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
III GG verbietet lediglich „eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze.“ 512 „Er hindert den verfassungsändernden Gesetzgeber dagegen nicht, die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren.“ 513 Schon aus der Verfassung selbst wird deutlich, dass die demokratische Egalität in ihrer Ausprägung als Wahlrechtsgleichheit nicht ausnahmslos und universell umgesetzt ist: So enthält Art. 38 II GG, der das Wahlrecht von einem Mindestalter abhängig macht, eine gewisse Modifikation. 514 Die hier vorgeschlagene Ausnahmevorschrift zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung würde lediglich eine im Rahmen des Art. 79 III GG zulässige Modifikation der demokratischen Gleichheit bedeuten, für die sachgerechte Gründe sprechen: Die Aufgabenübertragung auf funktionale Selbstverwaltungskörperschaften würde durch die Begrenzung auf eigene Angelegenheiten nur bestimmte, abgegrenzte Bereiche betreffen und die grundsätzliche Gleichheit der Staatsbürger bei ihrer Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt daher nicht in Frage stellen. Die mit der Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung einhergehenden Auswirkungen auf das Gleichheitsgebot wären durch folgende sachgerechte Gründe getragen: Die Verwaltungsform der funktionalen Selbstverwaltung ermöglicht es dem Staat, sich den Sachverstand der betroffenen Kreise bei der Erfüllung der Gesetze zunutze machen, während den Betroffenen die Möglichkeit gegeben wird, die sie betreffenden Belange in den Grenzen der Gesetze eigenverantwortlich wahrzunehmen. Dies eröffnet auf Seiten des Staates die Möglichkeit zu Kostenersparnissen und auf Seiten der Betroffenen wird u. U. eine Erhöhung der Akzeptanz im Hinblick auf die getroffenen Entscheidungen erreicht. 515 Es ist somit festzuhalten, dass eine Ausnahmevorschrift zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung den Grundsatz der demokratischen Gleichheit im Sinne des Art. 79 III GG nicht berühren, sondern ihn lediglich modifizieren würde.
512
BVerfGE 30, S. 1, 24. BVerfGE 84, S. 90, 121. Vgl. dazu auch Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 79, Rn. 49 ff. vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln. 514 Man könnte natürlich dahingehend argumentieren, dass Art. 38 II GG von Anfang an den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit beschränkt hat und es sich somit nicht um eine Modifikation, sondern um eine Konkretisierung bzw. eine anfängliche Beschränkung der Wahlrechtsfreiheit handelt. Dies spricht aber nicht dagegen, aus der Regelung Rückschlüsse darüber zu ziehen, welche Einschränkungen den Grundsatz der Gleichheit nicht in seinem Kern als allgemeines Prinzip berühren. Vgl. dazu auch Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl., 2005, Art. 79, Rn. 57. 515 Vgl. insoweit auch die kritischen Betrachtungen oben: bzgl. der Kostenersparnis Teil 2 Kap. 2 G. III. 2. a); bzgl. der Akzeptanzsteigerung Teil 2 Kap. 2 B. II. 2. a). 513
Kap. 3: Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in das Grundgesetz
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III. Legitimationsniveau Ferner könnte eine Berührung des in Art. 20 GG enthaltenen Demokratieprinzips im Hinblick auf die Absenkung des Legitimationsniveaus gegeben sein, die mit der Ermächtigung an den Gesetzgeber, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten, verbunden wäre. Wie bereits dargelegt, wäre die Ausübung von Staatsgewalt durch die funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften zwar über die Gesetzes- und Verordnungsbindung sowie aufgrund der Unterwerfung unter die Staatsaufsicht an das Staatsvolk rückgebunden. Mangels personeller Legitimation und aufgrund der Einschränkungen im Bereich der sachlich-inhaltlichen Legitimation (insbes. keine Bindung an Weisungen und Verwaltungsvorschriften) wäre das Legitimationsniveau aber geringer als im Rahmen der Ministerialverwaltung. Es stellt sich daher die Frage, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber eine solche Einschränkung des Legitimationsniveaus vorsehen könnte, oder ob er insoweit durch Art. 79 III GG beschränkt wäre. Zum Kernbestand des Demokratieprinzips gehört, dass die Rückführbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk effektiv ist, d. h. sie darf nicht nur fiktiv bestehen oder so schwach ausgeprägt sein, dass Art. 20 II GG letztlich leer läuft. 516 Das Grundgesetz gibt mit der Ministerial- und der Kommunalverwaltung zwei Organisationsformen vor, die durch das Zusammenwirken von personeller und materieller Legitimation ein bestimmtes Maß an Legitimation verwirklichen. 517 Damit sind zwar weder diese beiden Formen der Verwaltungsorganisation noch die Art und Weise, in der die Legitimationsvermittlung hierbei erfolgt, über Art. 79 III GG unabänderlich festgeschrieben. Allerdings ist das bei diesen Verwaltungsformen erreichte Maß an Legitimation von Art. 79 III GG geschützt. 518 Dieses Legitimationsniveau wird bei der Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften unterschritten. Der grundsätzliche Schutz des Legitimationsniveaus nach Art. 79 III GG schließt jedoch Modifikationen in Randbereichen nicht aus. Die Zulässigkeit solcher Modifikationen des Demokratieprinzips unter der Verfassung zeigt beispielsweise das Bestehen einer unabhängigen Bundesbank (Art. 88 GG). 519 516
Vgl. Hain, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 79, Rn. 84 mit Fn. 266, der allerdings entgegen der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung das erforderliche Legitimationsniveau erreicht wird. Zur Begründung verweist er jedoch lediglich auf die Ausführungen des BVerfG in BVerfGE 107, S. 59 und die in der Literatur vertretenen Legitimationsmodelle. Vgl. ferner: Rubel, in: Umbach / Clemens, GG- Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 79, Rn. 37. 517 Vgl. dazu Teil 1 Kap. 2 D. IV. 2. 518 Vgl. Wegge, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, 1996, S. 169 f.
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Teil 2: Das Legitimationsdefizit der funktionalen Selbstverwaltung
Die mit der Verwaltungsform der funktionalen Selbstverwaltung verbundene Unterschreitung des Legitimationsniveaus stellt – ebenso wie die Einschränkung des demokratischen Gleichheitsgebots – eine solche zulässige Modifikation dar: Zum einen besteht die Möglichkeit, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten, nur für wenige Bereiche, da sie aufgrund der Beschränkung auf eigene Angelegenheiten einen abgrenzbaren Aufgabenbereich voraussetzt. Zum anderen beruht die Errichtung von Selbstverwaltungskörperschaften auf sachgerechten Gründen: Neben den oben bereits dargelegten Motiven der Kostenersparnis und der Einbeziehung privaten Sachverstandes ist hier insbesondere der Partizipationsgedanke anzuführen. Eine Ausnahmebestimmung zugunsten funktionaler Selbstverwaltung als Organisationsform in der Verfassung würde die Idee des sich selbstbestimmenden Menschen umsetzen und somit einen Gedanken aufgreifen, welcher der Demokratie zugrunde liegt. Zwar können diese Idee der Selbstbestimmung des Einzelnen und der damit verbundene Partizipationsgedanke im Rahmen der zurzeit geltenden Verfassung nicht herangezogen werden, um einfachgesetzliche Einschränkungen der Rückbindung von Staatsgewalt an das Gesamtvolkes zugunsten einer Rückbindung an eine Betroffenengruppe zu rechtfertigen. Dies liegt jedoch in ihrer Verhaftung im ideellen Bereich und in der fehlenden verfassungsrechtlichen Normierung begründet. 520 Der verfassungsändernde Gesetzgeber hingegen ist durch den nach Art. 79 III GG geschützten Demokratiegrundsatz nicht gehindert, die Selbstbestimmung des Einzelnen einerseits und die Selbstbestimmung des Volkes als Kollektiv andererseits gegeneinander abzuwägen und letztere zugunsten der Selbstbestimmung des Einzelnen ausnahmsweise einzuschränken. Auch die Lockerung des Legitimationsniveaus, die eine Ausnahmebestimmung zugunsten der funktionalen Selbstverwaltung mit sich bringen würde, steht somit der Aufnahme einer solchen Vorschrift in die Verfassung nicht entgegen. IV. Fazit Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Aufnahme einer Bestimmung in das Grundgesetz, die den Gesetzgeber zur Einrichtung funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften ermächtigt, im Hinblick auf Art. 79 III GG möglich ist. Die Vorteile der Aufnahme einer solchen Ausnahmebestimmung in die Verfassung liegen auf der Hand: Zum einen würde die Rechtsunsicherheit bezüglich der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung beseitigt und 519 Vgl. Rubel, in: Umbach / Clemens, GG- Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 79, Rn. 27, 37; vgl. auch BVerfGE 89, S. 155, 208 f. 520 Vgl. dazu bereits mehrfach oben: Teil 1 Kap. 2 C. IV. 4. b) bb) (1); Teil 2 Kap. 2 H. III.
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die funktionale Selbstverwaltung würde als Bestandteil der mittelbaren Staatsverwaltung in der Verfassung eine Behandlung erfahren, die ihrem tatsächlichen Gewicht entspricht. Zum anderen könnten Fragen, die mit der Rechtsunsicherheit bezüglich der Legitimationsfrage zusammenhängen, wie beispielsweise die Frage nach der Möglichkeit einer Ausübung von Staatsgewalt gegenüber Dritten oder nach der Binnenstruktur der Körperschaft verbindlich geregelt werden.
Gesamtergebnis Als Gesamtergebnis der vorliegenden Arbeit kann daher festgehalten werden, dass die Verwaltungsform der funktionalen Selbstverwaltung sowohl im Bereich der personellen als auch im Bereich der materiellen Legitimation Defizite aufweist und somit den Anforderungen des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht gerecht wird. Bei der bestehenden Verfassungslage kann diese mangelnde demokratische Legitimation weder kompensiert noch gerechtfertigt werden, so dass die Ausübung von Staatsgewalt durch funktionale Selbstverwaltungskörperschaften verfassungswidrig ist. Daher sollte eine Vorschrift in das Grundgesetz aufgenommen werden, die den Gesetzgeber ermächtigt, funktionale Selbstverwaltungskörperschaften zu errichten und insoweit das Legitimationsniveau abzusenken.
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Sachwortverzeichnis Abgestufte demokratische Stringenz 182 f., siehe auch Bagatellvorbehalt Akademische Selbstverwaltung 34, 284, 300, Fn. 429, 301, Fn. 431 Akzeptanz – Begriff 225 f. – als kollidierender Verfassungswert 285 f. – als Legitimationsfaktor 225 ff. Amt – Ausführungsamt 136 – politisches Führungsamt 136 Aufsicht siehe Rechts- und Fachaufsicht Ausgestaltungsgehalt des Art. 87 GG 259 ff. – Beratungen zu Art. 87 III GG 276 f. – Entstehungsgeschichte 265 ff. – systematisch-teleologische Auslegung 263 ff. – Wortlaut 260 ff. Ausländerwahlrecht 51 f., 101, Fn. 303, 118 – kommunales Wahlrecht für EU-Bürger 101 f., 326 Autonome Legitimation 210 ff. Bagatellvorbehalt 40 ff., 176 ff. – abgestufte demokratische Stringenz 182 f. – Bedeutung der Aufgabe 177 f., 180 ff. – dogmatische Verortung 181 f. – Entscheidungsgehalt 177 ff. Beleihung 28 ff., 246, 310 Bestenauslese 249 f., 251 Betroffenheit
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und Akzeptanz 230 ff. Einzelrechtsbetroffenheit 104 ff. und Partizipation 218 ff. Statusbetroffenheit 105 f. „Timelag“-Problematik 116 Widerspruch zur formalen Gleichheit 113 ff. Bundesauftragsverwaltung 264 f. Bundesstaatsprinzip siehe Föderalismus Bundesunmittelbare Körperschaften 261 Bundesverfassungsgericht 116 ff. – Entscheidung zu den Wasserverbänden 117, 302 ff. – KPD-Urteil 122 f. – Kritik an der Entscheidung zu Wasserverbänden 311 ff. – Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit 121 f. Demokratie – und Staat 92 ff. – auf supranationaler Ebene 92 ff. – und Volkssouveränität 92, 95 ff, 214 f. Demokratieprinzip – Geltungsbereich 36 f., siehe auch Demokratietheorie – Regel- oder Prinzip 71 ff. Demokratietheorie – des Bundesverfassungsgerichts 116 ff., 302 ff. – monistische 45, 47 ff. – pluralistische 45, 50 ff. Demokratische Binnenstruktur 213, 215, 310, Fn. 474 Demokratische Gleichheit 47 f., 111 ff., 254, 319
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– und Ewigkeitsgarantie 327 f. Disposition des Gesetzgebers – einfachgesetzliche 255 ff. – verfassungsrechtlicher Dispositionstitel 258 ff. Dritte (Nichtmitglieder) 246, 304, 306, 314 ff. Durchgriffsnorm 36, 324 Effektivität – Begriff 287 f. – als kollidierender Verfassungswert 293 ff. – als Legitimationsfaktor 239 f. Effizienz – Akzessorietät 292 f. – Begriff 287 f. – als kollidierender Verfassungswert 288 ff. – als Legitimationsfaktor 239 f. Einheit der Verfassung 281 f. Ermessen 237 ff., 243 f. Ewigkeitsgarantie 324 ff. – und demokratische Gleichheit 327 f. – und Legitimationsniveau 329 f. – und Volkssouveränität 325 ff. Fachaufsicht 158 – und funktionale Selbstverwaltung 198 f. – und Genehmigungsvorbehalt 199 ff. – und Lippeverband und Emschergenossenschaft 206 f. Föderalismus 98 ff. Freiheit – demokratische 83 – individuelle 83 – kollektive 83 Funktionale Selbstverwaltung – Begriff 25 ff. – und Beleihung 28 ff. – in den Beratungen des Verfassungsgebers 272 f.
– formaler und materialer Selbstverwaltungsbegriff 25 f. – und Kondominialverwaltung 27 f. – Legitimationsdefizit 187 ff. – und ministerialfreier Raum 31 f. – und mittelbare Staatsverwaltung 30 f. – organisatorisch-personelle Legitimation 187 ff. – als Realisationsmodus des Demokratieprinzips 213 ff., 306 – sachlich-inhaltliche Legitimation 189 ff. – Verfassungswidrigkeit 322 Funktionelle Legitimation 125 ff., 168 Genehmigungsvorbehalt 154 f., 159 f. – und funktionale Selbstverwaltung 199 ff. – bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 208 Gerichtliche Kontrolle als Legitimationsfaktor 236 ff. Gesetz 145 f., 190 f. – Errichtungsgesetz bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 202 f. – Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes 145 Grundgesetzänderung 321 ff. Grundrechte – als kollidierendes Verfassungsrecht 297 ff. – status activus processualis 287, 298 f. Grundrechtsgetragene Selbstverwaltung 34 f. Haushaltsgesetz 146 ff., 191ff., 202 Hierarchisches Prinzip 164, 256 ff. Homogenitätserfordernis 48 f., 84 ff. – als faktische Funktionsbedingung für Demokratie 88 ff. – als rechtliche Voraussetzung für Demokratie 87 f.
Sachwortverzeichnis Homogenitätsprinzip 36, 324 Individuelle Berufung von Amtswaltern 247 ff. – Bestenauslese 249 f. – Verankerung in der Verfassung 247 f. Insichprozess 160 Institutionelle Legitimation 125 ff., 168 – durch parlamentarischen Gesetzgeber 128 f. Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes 90 ff. Internationale Zusammenarbeit 90 ff. Kollegialprinzip 222 Kollektive personelle Legitimation 244 ff., 319 f. Kollidierendes Verfassungsrecht 285 ff. Kommunale Selbstverwaltung 173 – Entstehungsgeschichte des Art. 28 GG 270 f. – kommunales Wahlrecht für EU-Bürger 101 f., 326 Kondominialverwaltung 27 f. Kontrollmodell 241 ff. Körperschaften des öffentlichen Rechts 211 ff., 262, 264 f. Korrespondenzgebot 107, 108, Fn. 324 KPD-Urteil 122 f. Landesunmittelbare Körperschaften 261 Landesverfassungsrecht 323 f. Lebenszeiternennung der Beamten 133 f., 136 ff. Legitimationsarten – funktionelle Legitimation 125 ff., 168, siehe dort – institutionelle Legitimation 125 ff., 168, siehe dort – Kompensations- und Substitutionsmöglichkeiten 175, 178 ff., 183 ff. – organisatorisch-personelle Legitimation 129 ff., siehe dort
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– sachlich-inhaltliche Legitimation 139 ff. – Verhältnis der Legitimationsarten untereinander 167 ff. – Zusammenwirken der Legitimationsarten 135, 167 ff. (siehe auch Legitimationsniveau) Legitimationskette 21 f., 131 ff. – und funktionale Selbstverwaltung 241 – Länge 133 ff. – Lebenszeiternennung 133 f., 136 ff. – und Weisung 136: 138 f. Legitimationsmodell 172 ff., 181, 256 f., 263 Legitimationsniveau 167 ff. – Absenkung aufgrund kollidierendem Verfassungsrecht 285 ff. – Bagatellvorbehalt 176 ff. – doppelgleisige Legitimation 174 f. – bei funktionalen Selbstverwaltungsträgern 209 – Kompensations- und Substitutionsmöglichkeit 175, 178 ff., 183 ff. – bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 208 f. – Regelmodell 172 ff., 181, 257, 263 Legitimationsobjekt 124, siehe auch Staatsgewalt Legitimationssubjekt 45 ff., siehe auch Volk – und Ewigkeitsgarantie 324 ff. – im supranationalen Bereich 91 ff. Listenwahl 247 f. Materielle Legitimation siehe sachlich-inhaltliche Legitimation Mehrheitsprinzip 48 f. Menschenwürde 80 ff. Ministerialfreier Raum 31 f. Ministerialverwaltung 172 ff., 256 ff. Mitgliedschaftlich-partizipatorische Legitimation 216 f.
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Mittelbare Staatsverwaltung 30 f. Modifikation des Demokratieprinzips 258 ff. Monistische Demokratietheorie – demokratische Gleichheit 47 f., 111 ff. – Homogenitätserfordernis 48 f. Optimierungsgebot 63 f., 67 Organisationshoheit des Gesetzgebers 255 ff., 291, Fn. 399 Organisationsmodell 172 ff., 257, 263 Organisatorisch-personelle Legitimation 129 ff. – bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 187 ff. – und Volksbegriff 210 Output-Legitimation 233 ff. Parlament – Aufsichtsmöglichkeiten 253 f. – als Legitimationsmittler 143 ff. – Organisationshoheit 255 ff., siehe auch dort sowie unter Dispositionstitel des Gesetzgebers – Sanktionsmöglichkeiten 165 ff., 253 f. Parteien 86 Partizipation – Aufnahme in das Grundgesetz 330 – als kollidierender Verfassungswert 287 – als Legitimationsfaktor 218 ff. Personalhoheit 138, 250 ff. Personalpolitik 250 f. Personelle Legitimation siehe organisatorisch-personelle Legitimation Pluralistische Demokratietheorie 50 ff. – Betroffenheit von Herrschaft 51 f. – Entscheidungseinheit 52 – relative Gleichheit 52 f. Praktische Konkordanz 298 ff. Prinzip 64 ff. – Kollisionsverhalten 67
Prinzip der doppelten Mehrheit 22, 132, 188 f. Prinzipientheorie 64 ff. – Abgrenzungsschwierigkeiten 69 – binärer Charakter 74 ff. – und Demokratieprinzip 71 ff. – deskriptiver Charakter 70 f. – Kritik 68 ff. Qualität als Legitimationsfaktor 233 ff., 296 f. Rechtsaufsicht 155 ff. – und funktionale Selbstverwaltung 198 f. – und Genehmigungsvorbehalt 199 ff. – und gerichtliche Kontrolle 238 f. – und Lippeverband und Emschergenossenschaft 206 f. – und norminterpretierende Verwaltungsvorschriften 194 f. Rechtsverordnungen 150, 193 Regel 64 ff. – Kollisionsverhalten 67 Relative Homogenität 48 f., 84 ff., siehe auch Homogenitätserfordernis Ressortprinzip 142 Rundfunkanstalten 34, 300, Fn. 429, 301, Fn. 431 Sachliche Notwendigkeit 283 f. Sachlich-inhaltliche Legitimation 139 ff. – der Administrative 144 ff. – der funktionalen Selbstverwaltung 189 ff. – Komponenten 141 ff. – Kontrollelement 142 f., 155 ff. – Kritik 162 ff. – bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 202 ff. – Rolle des Parlaments 143 f., 165 ff. – sachlich-inhaltliche Vorgaben 141 f., 149 ff.
Sachwortverzeichnis Sachverstand 293 f., 297 Selbstbestimmung 80 ff., 213 f., 330 – demokratische 82 f. – individuelle 82 f. Selbsteintritt 153 f. Selbstverwaltung siehe auch funktionale Selbstverwaltung – Selbstverwaltungsverständnis des Verfassungsgebers 268 ff. Soziale Selbstverwaltung 34 f., 272 Staatsgewalt – Bagatellvorbehalt 40 ff., 302, Fn. 435 – Begriff 38 ff. Staatsstrukturbestimmungen 74 ff. Staatsvolk 58 ff. Staatswillensbildung 86, 122 f. Staatsziele 74 ff. Status activus processualis 287, 298 f. Substantielle Gleichheit 48 f., 84 ff., siehe auch Homogenitätserfordernis Teilvolk 99 ff., 103 – und autonome Legitimation 210 ff. Trennungsthese – schwache 65 ff. – strenge 65 ff. Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung 121 f. Verfassungsauslegung 53 ff. – speziell zur Entstehungsgeschichte 279 ff. Verfassungsprinzip 63 ff. Verwaltungsvorschriften 151, 193 ff. – Art. 86 GG als Ermächtigungsgrundlage 195 f.
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– bei Lippeverband und Emschergenossenschaft 203 ff. – und Rechtsaufsicht 194 f. Verzichtstheorie 253, Fn. 249, 255, Fn. 254 Volk – Auslegung des Volksbegriffes 58 ff. – europäisches Volk 95 ff. – Landes-, Kreis-, Gemeindevölker 98 ff. – monistischer Volksbegriff 47 – pluralistischer Volksbegriff 50 ff. – pouvoir constitué/constituant 61 f., 126, 291 f. – in der Rechtsprechung des BVerfG 306 ff., 116 ff – Staatsvolk 58 ff. Volksentscheid 219 Volkssouveränität 92, 95 ff., 214 f. – und Ewigkeitsgarantie 325 ff. Volksteil 99 ff., 210 ff. Volkswillensbildung 85 f, 122 f. Weisung – und Fachaufsicht 158 – und funktionale Selbstverwaltungsträger 197 f. – und gerichtliche Kontrolle 237 ff. – und Legitimationskette 136, 138 f. – Legitimationskraft der Weisungsabhängigkeit 163 ff., 243 – als Steuerungsinstrument 152 f. Wesentlichkeitstheorie 41 f., 181 f. Widerspruchsverfahren 160 ff. Wirksamkeit siehe Effektivität Wirtschaftlichkeit siehe Effizienz