Fürth im 19. Jahrhundert 9783862220724

Fürth - die „Stadt der tausend Schlöte" und des 19. Jahrhunderts. Keine andere bayerische Stadt spiegelt so deutlic

337 74 15MB

German Pages [129] Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Eine Erfolgsgeschichte:Fürth im 19. Jahrhundert
Die Stadt und ihre Entwicklung
Freizügigkeit in Fürth: die Religionsgemeinschaften
Ludwig II. und die Kriege von 1866 und 1870/71
Typisch für Fürth: seine Wirtschaft
Eisenbahnstadt und Verkehrsknotenpunkt
Die Armen und die Reichen: die Fürther Gesellschaft
Berühmte Söhne der Stadt
Ausblick
Anhang
Zeittafel
Grundlegende Literatur
Übersichtskarte Fürth
Bildnachweis
Recommend Papers

Fürth im 19. Jahrhundert
 9783862220724

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Karl-Maria Haertle

LU

I W Q LH Z

Fürth im 19. Jahrhundert

> < CO

=> < •— CZ

DAS BAYERISCHE JAHRTAUSEND Fürth im 19. Jahrhundert

Karl-Maria Haertle

DAS BAYERISCHE JAHRTAUSEND

Fürth im 19. Jahrhundert

Volk Verlag München

Der Autor: Karl-Maria Haertle ist Historiker und freier Mitarbeiter an der Universität Augsburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge sowie bayerische Geschichte im 19. Jahrhundert. Zurzeit arbeitet er an einem Projekt über die bayerischen Kommerzienräte.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ©2012 by Volk Verlag München; Streitfeldstraße 19; 81673 München Tel.: 0 89/420 79 69 80; Fax: 0 89/420 79 69 86

Druck: Kösel, Krugzell Quelle der Übersichtskarte: 24 Nov 2011 123map, © OpenStreet Map Contributors Lizenz CC-BY-SA 2.0 Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der fotomechanischen Wiedergabe, Vorbehalten. ISBN 978-3-86222-072-4 www.volkverlag.de

INHALT Eine Erfolgsgeschichte: Fürth im 19. Jahrhundert ......................................................

7

Die Stadt und ihre Entwicklung..........................................

11

Freizügigkeit in Fürth: die Religionsgemeinschaften .............................................. 37

Ludwig II. und die Kriege von 1866 und 1870/71 .......................................................

55

Typisch für Fürth: seine Wirtschaft .................................................................

61

Eisenbahnstadt und Verkehrsknotenpunkt .......................

75

Die Armen und die Reichen: die Fürther Gesellschaft ......................................................

93

Berühmte Söhne der Stadt ................................................. 111 Ausblick ..............................................................................

121

Anhang ................................................................................ Zeittafel ............................................................................... Grundlegende Literatur ...................................................... Übersichtskarte Fürth ......................................................... Bildnachweis .......................................................................

123 123 125 126 128

EINE ERFOLGSGESCHICHTE: FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Der Ort Fürth hat in seiner mehr als tausendjährigen Geschich­ te auch die Historie Bayerns miterlebt. Mitgestaltet hat er sie lange nicht. Jahrhundertelang ist Fürth nicht hervorgetreten. Keine berühmte Schlacht ist dort geschlagen, kein bedeutender Vertrag dort geschlossen worden. Fürth scheint gewartet und sich auf seine Zeit vorbereitet zu haben. Dann, im 19. Jahrhundert, blühte es plötzlich auf, entfal­ tete seine Kräfte und entwickelte sich zu einer der acht größten Städte in Bayern. Es marschierte an der Spitze der Industrialisie­ rung, stellte sich erfolgreich deren Anforderungen und wusste ihr Angebot bestens zu nutzen - und ließ sich von ihr prägen. Das historische Erbe der heutigen Stadt Fürth wurde haupt­ sächlich im 19. Jahrhundert geschaffen. Sie ist ein würdiger Ver­ treter dieses Teils des Bayerischen Jahrhunderts. Deshalb soll hier die vorletzte Epoche des Bayerischen Jahrtausends am Bei­ spiel Fürths betrachtet werden. Für Fürth begann das 19. Jahrhundert im Jahr 1796 mit dem Ende der Dreiherrschaft und für Bayern 1806 mit seiner Erhe­ bung zum Königreich. Für beide endete es mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Diese Epoche brachte tiefgreifende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen, 7

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

welche das Bild beider bis in unsere Zeit prägen. Für Fürth aber war das 19. Jahrhundert das wichtigste in seiner langen Historie, wie seine ehemalige Heimatpflegerin und Grande Dame seiner Geschichtsschreibung, Barbara Ohm, meint. Sie hat sich sehr darum verdient gemacht, dies in das öffentliche Bewusstsein zu bringen: Fürth ist eine Stadt des 19. Jahrhunderts und der In­ dustrialisierung. Weitgehend gilt das aber auch für das Land Bayern selbst. Auch sein heutiges Staatsgebiet wurde im 19. Jahrhundert festge­ legt. Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1803 entstand noch in der Ära Napoleons aus dem alten Kurfürsten­ tum ein um viele Territorien wesentlich vergrößertes Königreich; Klöster und reichsunmittelbare geistliche Gebiete wurden säku­ larisiert, Reichsstädte und Adelsherrschaften mediatisiert und dem Staatsgebiet einverleibt. Damit kamen zu den Stammlan­ den Altbayern und Pfalz Landschaften vor allem aus Schwaben und Franken hinzu. Diese ihrer Geschichte und Struktur nach teilweise sehr unterschiedlichen Gebiete sahen sich nun - häufig auch gegen ihren Willen - in einem Gesamtstaat zusammenge­ schlossen, der zunächst erst vereinheitlicht und regierbar ge­ macht werden musste. Dafür waren tiefgreifende Reformen und eine wirkungsvolle Staatsverwaltung nötig. Nach der politischen und wirtschaftlichen „Doppelrevoluti­ on“ von 1848/49 begann auch in Bayern das Zeitalter der Indus­ trialisierung mit deren sozialen Problemen, mit dem Aufstieg des Bürgertums und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen, den Kriegen von 1866 und 1870/71 und der Reichsgründung. Was für Bayern im Großen galt, galt für Fürth im Kleinen. Kaum in das neue Königreich Bayern eingegliedert, wurde Fürth zur Stadt erhoben. Fürth entwickelte sich zum Musterbei­ spiel für den Aufstieg einer Stadt des 19. Jahrhunderts, ja sie gehörte vielfach sogar zu den wichtigen Protagonisten, so beim Eisenbahnbau und in etlichen Industriezweigen, die sich schon früh an der Ausweitung des Marktes und dem Export beteilig8

EINE ERFOLGSGESCHICHTE: FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

ten. Die Stadt erlebte auch das rasche Wachstum, das für das 19. Jahrhundert typisch ist: Hatte sie um das Jahr 1800 noch 12.000 Einwohner, so waren es 1895 schon 47.000. Das starke Bevöl­ kerungswachstum ging vor allem auf die Zuwanderung von In­ dustriearbeitern zurück. Die Folge: Es mussten Wohnungen gebaut werden, ebenso Kirchen, Schulen, Friedhöfe und andere Einrichtungen der kommunalen Infrastruktur. Die ganze Stadt veränderte sich. Mit der Industrialisierung, für die Fürth als eine der ersten bayerischen Industriestädte als exemplarisch gelten kann, ging auch der Aufstieg des Bürgertums einher. Und wiederum eng mit diesem verbunden waren der Wille zur politischen Mitbe­ stimmung und ein verstärktes soziales Verantwortungsbewusst­ sein. Herausragende Beispiele geben hierfür der von den Bürgern bezahlte Bau des Fürther Rathauses und die außergewöhnliche Philanthropie der Fürther Bürgerschaft, die den negativen sozi­ alen Folgen der Industrialisierung durch eine Vielfalt wohltäti­ ger Stiftungen entgegenzuwirken versuchte. Gerade die Fürther Judengemeinde, die sich schon durch ihre wirtschaftlichen Leis­ tungen hervorgetan hatte, erwarb sich auch auf diesem Gebiet herausragende Verdienste. Obwohl eine Industriestadt, brachte Fürth neben seinen Wirtschaftsbürgern auch Persönlichkeiten hervor, die auf andere Weise für den Geist ihrer Zeit standen, wie den Schriftsteller Jakob Wassermann, den Pfarrer Wilhelm Löhe oder den Politi­ ker Ludwig Erhard. Und, um das Bild abzurunden: Es entstand auch ein bekannter Fußballverein, seine „Spielvereinigung“. Fürth behielt seine Besonderheiten, nicht nur in der Weiter­ führung traditioneller Wirtschaftszweige wie der Brillen-, Spie­ gel- und Spielwarenherstellung, es bewahrte auch seine religiöse Toleranz unter den Protestanten, Katholiken und Juden. Antise­ mitische Strömungen mussten bis in die 1920er Jahre hinein vor seinen Stadttoren haltmachen. Bei der Integration und Assimi­ lierung seiner jüdischen Bevölkerung kann es als beispielgebend gelten. 9

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Dabei war es ein besonderer Glücksfall, dass zwei so außer­ gewöhnliche Persönlichkeiten wie der katholische Bürgermeister Franz von Bäumen (1774-1861) und der Oberrabbiner Isaak Loewi (1801-1873) aufeinandertrafen und hervorragend zu­ sammenarbeiteten. Ihr Wirken prägte weit über die Jahrhun­ dertmitte hinaus den Geist der Stadt. Es waren schon besondere Umstände, die dazu führten, dass die Stadt so wurde, wie sie ist: der eigentümliche Verlauf seiner Geschichte, außergewöhnliche Menschen, eine sehr spezifische Wirtschaftsstruktur, die günstige Lage als Verkehrsknotenpunkt und eine Bürgergesellschaft, die sich von anderen abhob. Diesen Faktoren gilt es nachzuspüren.

10

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Unter drei Herren: die Vorgeschichte Die Anfänge der Stadt reichen weit in die Geschichte zurück. Dass der Ort aber eine Gründung Karls des Großen aus dem Jahre 793 sei, muss als Legende angesehen werden. Allerdings weisen einige Indizien darauf hin, dass er schon um die Mitte des achten Jahrhunderts entstanden ist. Urkundlich wird Fürth aber erst 1007 erwähnt, als Kaiser Heinrich II. (1002 -1024) den „locum Furti dictum“ dem Domkapitel von Bamberg schenkte. In den Jahren 1359 und 1435 rotteten Pestepidemien fast die ganze Bevölkerung aus. Aber ab 1440 siedelten sich die ersten Juden dort an und füllten einige Lücken wieder aus. Den nächsten schmerzhaften Einschnitt in die Entwick­ lung des Ortes brachte der Dreißigjährige Krieg, denn in sei­ nem Verlauf wurde er 1634 fast vollständig zerstört. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts brachten dann viele hugenottische und protestantische Einwanderer aus Frankreich und den Nie­ derlanden frisches Blut und neue Gewerbezweige nach Fürth. In den nächsten Jahrzehnten expandierte das Gold- und Me­ tallschlägerhandwerk, ebenso die Spiegel-, Brillen- und Spiel­ warenfabrikation. Und neben dem Schreinerhandwerk florierte auch das der Strumpfwirker, Hauben- und Handschuhmacher. 11

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Damit war die spätere wirtschaftliche Struktur der Stadt schon angelegt. Ein Kuriosum prägte Fürths Historie in der gesamten Neu­ zeit: die sogenannte Dreiherrschaft. Unglücklicherweise hatte es Fürth schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts gleich mit drei ri­ valisierenden Territorialherrschaften zu tun, der Freien Reichs­ stadt Nürnberg, dem Bistum Bamberg und dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach als dem Burgvogt von Nürnberg. Jede von ihnen hatte unterschiedliche Hoheits- und Besitzrechte über und in Fürth, die nach Häusern und Grundstücken aufge­ teilt waren. Das führte natürlich über Jahrhunderte hinweg zu Streitigkeiten. Diese fanden erst dann ein Ende, als der letzte Markgraf von Brandenburg-Ansbach-Bayreuth 1792 abdankte. Inzwischen war die Dreiherrschaft auch völlig obsolet geworden. Während der Dreiherrschaft hatte es in Fürth keine einheit­ liche Rechtslage gegeben, somit hatten die Fürther mehr Frei­ heiten als in anderen Orten genießen können. Auch die Ansied­ lung von Juden, die für die wirtschaftliche Entwicklung sehr bedeutend wurden, war durch sie sehr gefördert worden. Denn als Nürnberg 1499 seine Juden vertrieb, suchten Domprobst und Markgraf möglichst viele der Wohlhabenden unter ihnen in ihren Fürther Gebieten aufzunehmen - aufgrund der hohen Schutzgelder. -> Schutzgeld: Mit der Bezahlung einer bestimmen Summe (Schutzgeld) konnten sich die Juden vom jeweiligen Landes­ herrn einen „Schutzbrief“ erkaufen. Dieser gewährte ihnen die Niederlassung an einem Ort, Ausübung des jüdischen Kultus und bestimmte Erwerbstätigkeiten, mitunter auch tatsächlichen Schutz vor Übergriffen. Ähnlich einer Steuer wurde das Schutzgeld in festgelegten Zeitspannen regel­ mäßig erhoben.

12

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Das moderne Fürth Am Anfang des modernen Fürth standen die Preußen. Denn mit der Abdankung des Markgrafen Karl Alexander bekam nun 1792 der preußische König Friedrich Wilhelm II. (1786-1797, der „dicke Lüderjahn“ genannt) dessen fränkische Besitztümer: Der Markgraf hatte sein Territorium gegen eine Leibrente an Preußen abgetreten. Zunächst hätte der Herrschaftswechsel für Fürth nicht viel geändert. Aber die Preußen beanspruchten nun die Landeshoheit über die ganze Stadt und waren keineswegs gesonnen, es bei der verwickelten Rechts- und Herrschaftssitua­ tion zu belassen. Da mochte man in Bamberg und Nürnberg auch noch so heftig dagegen protestieren, 1796 setzte in Fürth der Statthalter und Minister Karl August von Hardenberg das Allgemeine Preußische Landrecht ein und übernahm nach und nach alle Souveränitätsrechte.

-> Christian Friedrich Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach (geb. 24.2.1736, gest. 5.1.1806) warder letzte Markgraf der fränkischen Markgraftümer Brandenburg-Ansbach und Bran­ denburg-Bayreuth. Seine Eltern waren Markgraf Karl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach und Friederike Luise von Preußen, die Tochter von König Friedrich Wilhelm I. und Schwester von Friedrich II. Karl Alexander verkaufte im Jahr 1791 in einem Geheimvertrag seine Fürstentümer an Preußen. Preußen zahlte dem Markgrafen als Entschädigung eine jähr­ liche Leibrente von 300.000 Gulden und gliederte die beiden Fürstentümer als Verwaltungsgebiet Ansbach-Bayreuth in sein Herrschaftsgebiet ein. -> Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten: Von Fried­ rich II. (1740-1786) in Auftrag gegeben, unter Wilhelm II. (1786-1797) im Jahr 1794 erlassen. Es ist eine umfassende Kodifikation des Zivil- und Strafrechts, teilweise auch des öffentlichen Rechts. Einverstanden waren die Fürther mit der neuen Ordnung nicht. Aber im Nachhinein sollte sich die preußische Herrschaft 13

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

für sie als vorteilhaft erweisen. Zum einen bekam Fürth eine moderne Verwaltung mit einer Justiz- und Polizeibehörde, zum anderen wurde es von Hardenberg als bevölkerungs- und gewer­ bereichster Ort seines Bezirks nach Kräften in seiner Wirtschaft gefördert. Zu den zukunftsträchtigen Maßnahmen des Statthal­ ters gehörte die Verlegung des „Brandenburg-Ansbach-Bayreuthischen Hofbanco“ nach Fürth; aus ihm sollte sich später die Bayerische Staatsbank entwickeln. Am bedeutendsten aber war der Bau der Straße von Fürth nach Nürnberg — ohne sie wäre möglicherweise die erste deutsche Eisenbahn anderenorts gebaut worden. Die preußische Herrschaft in Fürth währte nur kurze Zeit. Denn Ende 1805 wurde mit Frankreich der Vertrag von Schön­ brunn geschlossen. Demzufolge erhielt Preußen im Tausch das Herzogtum Hannover und übergab dafür die ehemalige Mark­ grafschaft Ansbach an das am 1. Januar 1806 neugegründete Königreich Bayern.

„auf ewige Zeit angehören und verbleiben ..." Fürth wird bayerisch Der Herrschaftswechsel von Preußen zu Bayern scheint die an solche Wendungen ohnehin schon gewöhnten Fürther nicht sonderlich interessiert zu haben. Sie hatten im Jahr 1806 auch andere Sorgen. Denn, wie der Fürther Chronist Friedrich Marx berichtet, marschierte im Februar eine starke Besatzung der Franzosen ein, die „sich ziemlich feindlich betrug“. Sie versetz­ ten das Land in Angst und Schrecken und stellten derartig hohe Forderungen, dass sie die Kräfte der Bevölkerung überstiegen. Die verhassten Franzosen zogen erst wieder am 29. September „zur allgemeinen Freude“ ab. Das erste Jahr im neuen König­ reich hatte Fürth durch die Kosten für Einquartierungen und Militärdurchmärsche lediglich einen gewaltigen Schuldenberg eingebracht. Erfreulich war für die Fürther in dieser Zeit der unaufhör­ lichen Belastungen durch die Kriege lediglich die Stadterhe14

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

bung von 1808, auch wenn sie als rein administrativer Akt in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die Stadt erhielt ja auch nur das Stadtrecht II. Klasse, mit dem noch keine Selbstverwaltung verbunden war; Fürth wurde auch wei­ terhin von bayerischen Beamten regiert. Aber das alte Fürther Kleeblattwappen erhielt nun eine sogenannte Stadtkrone aufge­ setzt. Diese besteht aus einer stilisierten Mauer, welche in der Heraldik als das Kennzeichen von Städten gilt. Wirklichen Grund zum Feiern gab es erst zehn Jahre später. Bis 1818 hatte das junge Königreich Bayern den Prozess der Ein­ gliederung seiner neuen Landesteile und der politischen Umge­ staltung abgeschlossen und König Max I. Joseph (1806-1824) konnte nun die Bayerische Verfassung erlassen. Gleichzeitig mit ihr trat auch eine neue Gemeindeordnung in Kraft. Im Zuge dieser Neuordnung wurde Fürth zur Stadt I. Klasse erhoben. Und damit bekam es auch die ersehnte kommunale Selbstver­ waltung. Zunächst bestand diese aus einem Ersten und Zweiten Bürgermeister, zwei rechtskundigen und zehn bürgerlichen Ma­ gistratsräten und dem dreißigköpfigen Kollegium der Gemein­ debevollmächtigten. Da sich aber in beiden Gremien kein einzi­ ger jüdischer Bürger befand, erhöhte die Regierung die Zahl der Magistratsräte auf zwölf und die der Gemeindebevollmächtig­ ten auf 36; die zusätzlichen Plätze mussten nun mit jüdischen Bürgern besetzt werden. Ab jetzt konnte Fürth endlich seine Geschicke selbst in die Hand nehmen. Aber das auch nur teil­ weise, denn es blieb immer noch der Kreisregierung in Ansbach unterstellt, also dem jeweiligen Regierungspräsidenten. Die ersten Gemeindewahlen fanden Ende August 1818 statt. Mit einem Jahresgehalt von 1.500 Gulden wurde Franz Joseph Bäumen der erste Bürgermeister von Fürth, sein Stellvertreter wurde Adolph Schönwald mit einer Besoldung von 600 Gul­ den. Beide hatten sie schwere Altlasten zu übernehmen. Die lange Kriegszeit von 1792 bis 1814 hatte Schulden und wirt­ schaftliche Einbußen mit sich gebracht, dann hatten noch zwei Missernten 1816/17 eine Hungersnot und gestiegene Kornpreise 15

FÜRTH IAA 19. JAHRHUNDERT

heraufbeschworen, welche die Stadt zu teuren Getreideaufkäu­ fen zwang. Die Finanzlage war höchst angespannt. -> Franz Joseph von Bäumen: (geb. 8.2.1774 in Oppenheim, gest. 21.2.1861 in Fürth), katholisch, studierte Jura, war seit 1812 Kreis- und Stadtgerichtsrat in Fürth, seit 1818 erster Bürger­ meister von Fürth, trat 1857 in den Ruhestand. Bekam 1843 den Verdienstorden zum Hl. Michael. In seiner Amtszeit entstanden die Ludwigsbahn, der Ludwigskanal, das Rathaus und zwei Kirchen. Er war mit der evangelischen Nürnberger Patrizier­ tochter Dorothea Scheuri verheiratet. Mit außergewöhnlichem Fleiß und Tatkraft prägte er eine ganze Ära.

Fürth, die neue Stadt I. Klasse, zählte zu dieser Zeit knapp 13.000 Einwohner, die Nachbarstadt Nürnberg hatte etwa zwei­ mal so viel. Davon waren 10.000 Protestanten, knapp 2.400 Juden und 314 Katholiken. Das damalige Stadtgebiet reichte von der Maxbrücke im Westen bis zur Kirche „Zu Unserer Lie­ ben Frau“ im Osten und im Norden von der Unteren Fischer­ straße bis zur Gartenstraße im Süden. Verwaltungsmäßig wurde es in zwölf Distrikte aufgeteilt.

Diejunge Stadt im Werden-die Ära Bäumen 1818-1857 Es war für die Stadt ein wahrer Glücksfall, dass sie mit dem später geadelten Franz Joseph Bäumen im Jahr 1818 einen uner­ müdlichen und willensstarken Bürgermeister bekam, der sie mit unternehmerischen Geist aus ihren anfänglichen Schwierigkei­ ten in die neue Zeit führte. Zwar hatte Fürth nun endlich den Status einer Stadt bekom­ men, doch fehlte es an der dafür nötigen Infrastruktur. Es fehlte eigentlich an allem, nicht nur an einem Rathaus - die Sitzungen fanden in der Armen- und Waisenschule statt -, sondern auch an öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kirchen und einem Krankenhaus. Vor allem fehlte es aber an Geld. Doch anderen bayerischen Städten erging es ebenso - auch Nürnberg war um diese Zeit hoch verschuldet. 16

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Dennoch packten Bürgermeister und Rat mit Elan und Eifer die vor ihnen liegenden Aufgaben an. Auch die Fürther Bürger selbst hatten schon 1816 die Initiative ergriffen und sich ein The­ ater errichtet. Für Bäumen galt es nun dem ärgerlichsten Übel abzuhelfen, dem darniederliegenden Krankenhauswesen. Zwar stellte Bäumen bereits 1819 den Antrag zum Bau eines neuen Hospitals, aber die große Anlage an der Schwabacher Straße konnte erst 1830 vollendet werden. Die Stadt hatte dafür ganze 66.000 Gulden aufbringen müssen. Die Moderne hielt rasch ihren Einzug in Fürth; 1822 wurde zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit die erste Straßenbe­ leuchtung eingerichtet, allerdings vorerst noch in kleinem Um­ fang: Die Stadt brachte 82 Öllampen an und auch hier bewiesen die Bürger wiederum ihren Gemeinsinn und bezahlten deren Unterhalt freiwillig aus eigener Tasche; er belief sich auf immer­ hin 3.000 Gulden im Jahr. Wirklich zufriedenstellend waren aber erst die im Jahr 1858 für 180.000 Gulden installierten Gas­ laternen. Die ersten Briefkästen der Stadt wurden übrigens 1848 angebracht. Noch unter bayerischer Verwaltung, aber mit Beteiligung der Bürger war schon 1817 ein Schulhaus auf dem Kirchplatz errich­ tet worden. Es ist durchaus möglich, dass die neue Knabenschu­ le von Anfang an als Mehrzweckgebäude geplant war, denn sie sollte bald auch noch der Lösung eines anderen Problems dienen. Denn nach den Hungerjahren von 1816/17 hatte die königliche Regierung die Kommunen dazu angehalten, eigene Sparkassen zu gründen. Damit sollte vor allem der weniger wohlhabende Teil der Bevölkerung ermuntert werden, selbst für Notzeiten vor­ zusorgen. Die erste öffentliche Sparkasse Bayerns wurde 1821 in Fürths Nachbarstadt Nürnberg gegründet und bald folgten viele Gemeinden diesem Beispiel. Auch Bürgermeister Bäumen be­ mühte sich um eine solche Einrichtung, musste aber zunächst den Widerstand des Stadtmagistrats überwinden und vor allem geeignete Räumlichkeiten finden. Als schließlich die Regierung von Mittelfranken Fürth erneut zur Gründung einer Stadtspar17

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

kasse aufforderte, wurde diese 1827 gegründet und in der neuen Knabenschule etabliert. Um die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, ließ die Stadt 1834 die ersten Entwässerungskanäle anlegen. Im selben Jahr machte an der Regnitz eine Badeanstalt auf. Auch diese bedeutete einen großen Fortschritt für die Volksgesundheit. Eine höchst wichtige soziale Neuerung brachte der Pfarrer Friedrich Lehmus in die Stadt. Die noch nicht schulpflichtigen Kinder der „ärmern Volksklasse“ sollten seiner Ansicht nach da­ vor bewahrt werden, dass sie von ihren arbeitenden Eltern da­ heim eingeschlossen und somit „leiblich und geistig verküm­ merten“ oder aber „auf gut Glück der Straße überlassen“ blieben. 1837 eröffnete er mit 30 Pfleglingen seine „Kinderbewahran­ stalt“ in der Königstraße. Sein Vorhaben fand großen Anklang, der Magistrat steuerte jährlich 150 Gulden bei und viele Fürther Bürger spendeten für diese gedeihliche Institution; selbst die bayerische Königin Therese (1849-1919), die Gemahlin König Ludwigs III. (1912-1918), stiftete jährlich 50 Gulden dafür. In dem Maße wie die Industriebevölkerung anwuchs, brauchte es auch weitere Kindergärten. So errichtete der auf Anregung von König Max II. (1848-1864) gegründete Johannisverein in Fürth 1856 eine weitere Kinderkrippe und drei Jahre später auch noch das erste Fürther Kinderspital. In die Ära Bäumen fiel auch der Bau zweier Kirchen, einer protestantischen und einer katholischen (letztere wird weiter un­ ten beschrieben). Fürth hatte in den 1820er Jahren etwa 10.000 Protestanten, für die es nur die Michaelskirche gab. Schon seit 1811 bemühten sich die Fürther Pfarrer um einen Neubau. Als die Planungen weit genug gediehen waren, griff der Erste Bür­ germeister in dieselben ein, da ihm die geplante Kirche als zu klein erschien. Obwohl er ja eigentlich Katholik war, forderte er für die Protestanten ein größeres Bauwerk. Daraufhin legte der Nürnberger Bauinspektor Anton Brüger einen neuen Plan im klassizistischen Stil Leo von Klenzes vor. 1828 konnte die fertig­ gestellte „Auferstehungskirche“ eingeweiht werden. Fast die 18

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Franz von Bäumen, Erster Bürgermeister in Fürth von 1818 bis 1857

Hälfte der Bausumme hatten Fürther Bürger gestiftet, nämlich

11.573 Gulden. Bürgermeister Bäumen hatte sich schon zu Beginn seiner Amtszeit für die Verschönerung der Stadt eingesetzt. Darunter verstand er vor allem auch eine weitgehende Begrünung und ließ an den städtischen Plätzen und entlang der Ausfallstraßen Obstbäume pflanzen. Dabei mussten alle Bürger mithelfen und 19

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

eigenhändig Tausende von Bäumen setzen und pflegen. 1828 schuf er dann die „Englische Anlage“, den heutigen Stadtgarten, und verteidigte diese auch energisch, als sie 1835 durch den neuen Bahnhof zu einem interessanten Spekulationsobjekt für Investoren geworden war. Noch unter Bäumens Ägide entwickelte sich ab 1850 ein ers­ ter neuer Stadtteil, das Viertel hinter dem Rathaus. Es wurde aus dem Zweckmäßigkeitsdenken des Industriezeitalters heraus ge­ boren. Sein geradliniger und rechtwinkliger Straßenverlauf zeigt, dass dieser Bezirk auf dem Reißbrett entworfen wurde. Dorthin zog es nun viele, meist kleinere Fabriken und die bür­ gerliche Mittelschicht, zum Teil auch die Unterschicht, sofern sie in den oberen Stockwerken eine Unterkunft mieten konnte; die ganz Armen blieben in der vernachlässigten Altstadt. Mit diesem Viertel entstand im Laufe der nächsten Jahre neben dem alten ein neues Fürth.

-> Öffentliche Einrichtungen in der Ära Bäumen: 1816 Fürther Bürger gründen ein privates Stadttheater. 1817 das erste Schulhaus wird auf dem Kirchplatz erbaut. 1819-1830 entsteht das Krankenhaus. 1822 die erste Straßenbeleuchtung wird eingerichtet. 1823-1850 Planung und Bau des Rathauses. 1826 die Auferstehungskirche wird eingeweiht und eine weitere Kirchengemeinde der Lutheraner gegründet. 1827 die Sparkasse wird eröffnet. 1828 die Englische Anlage (heutiger Stadtgarten) wird angelegt. 1829 die kath. Kirche „Unsere Liebe Frau" wird eingeweiht. 1834 die ersten Entwässerungskanäle werden gebaut. 1837 die Kinderbewahranstalt des Pfarrers Lehmus wird eröffnet. 1846 die ersten Briefkästen werden angebracht, an der Regnitz wird eine Badeanstalt errichtet. 1850 ein neues Wohnviertel entsteht hinter dem Rathaus im Stil des Historismus und Klassizismus. 1856 eine Krippenanstalt wird eingerichtet.

20

OIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Protestantische Auferstehungskirche, erbaut von 1825 bis 1826, zweitälteste Kirche in Fürth

Die Krönung-das Rathaus Mit den Stadterhebungen von 1808 und 1818 war auch die Zeit gekommen, in der die Kommune dringend ein neues Rathaus brauchte. Die bisherigen Amtsgebäude, die noch aus der vorbay­ erischen Zeit stammten, standen ihr nicht zur Verfügung, da sie von der königlichen Regierung als Bezirksgericht und Rentamt übernommen worden waren. Die Stadtverwaltung residierte also zunächst provisorisch im ehemaligen Geleithaus. Dann fand sie im rechten Flügel des 1824 neu gebauten Schulhauses am Kir­ chenplatz einen notdürftigen Unterschlupf. Das alles genügte schon lange nicht mehr den erhöhten Arbeitsanforderungen, noch entsprach es dem gestiegenen Repräsentationsbedürfnis des allmählich gewachsenen bürgerlichen Selbstbewusstseins. Rentamt: Sitz der landesherrlichen Finanzverwaltung. -> Geleithaus: In einem Geleithaus konnten die Kaufleute gegen Entgelt sich militärischen Schutz, das Geleit, erwerben und die Straßenzölle entrichten. 21

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Doch bis zum fertigen Neubau sollte es noch ein langer Weg werden. Vom Baubeschluss 1823 bis zur Einweihung vergingen ganze 27 Jahre. Schon die Suche nach einem geeigneten Stand­ ort erwies sich als höchst schwierig und verzögerte allein schon den Bau um mehr als zehn Jahre. Zunächst hatte man sich für den Holzmarkt (der heutige Obstmarkt) an der Stelle der jüdi­ schen Armen- und Waisenschule entschieden, aber dort hätten vier Häuser abgerissen werden müssen; die jüdischen Besitzer wollten dies vor Gericht verhindern, denn ihnen war 1766 bei der Errichtung der Schule zugesichert worden, dass dieses Ge­ bäude nie für gemeindliche Zwecke genützt oder erweitert wer­ de. Der Rechtsstreit zog sich bis 1832 hin. Das war ein schwerer Schlag, denn zunächst schien ja alles gut zu gehen. Der Nürnberger Bauinspektor Johann Brüger hat­ te die Entwürfe vorgelegt, Leo von Klenze als damals noch oberster Architekt Bayerns einen Fassadenentwurf beigetragen und König Ludwig I. (1824-1848) die Pläne genehmigt. Aber nun, inzwischen befand man sich schon im Jahre 1836, musste man von vorne beginnen und fasste das einige hundert Meter entfernte Brandenburger Haus an der Königstraße ins Auge und kaufte es. Anfangs sollte es nur umgebaut werden, erwies sich dann aber doch als zu wenig repräsentativ. Nun sollte ein Neu­ bau an diesem Standort entstehen. Und jetzt verzögerte die Re­ gierung in Ansbach das Projekt, denn sie bestand auf der Ge­ nehmigung der Baupläne und Kostenvoranschläge - und ließ damit auf sich warten. Der Durchbruch kam, als der verzweifelte Bürgermeister wie­ der einmal in Ansbach vorsprach und dabei in einem Gasthaus Friedrich von Gärtner begegnete. Dieser hatte gerade erst Klenze als Oberbaurat im Dienste des Königs abgelöst und als neuer Stararchitekt in Bayern einen Stilwandel eingeleitet. Gärtner ver­ sprach, sich höheren Ortes für die Fürther Sache einzusetzen, und hielt Wort. Er gab die Aufgabe an seine Schüler weiter. Im Fürther Magistrat standen mehrere Entwürfe zur De­ batte. Einer davon stammte von dem Bauinspektor Leonhard 22

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Schmidtner. Er sah einen Turm vor und wurde von Bürgermeis­ ter und Magistrat favorisiert. Dann gab es auch noch den Plan des Königlichen-Zivil-Bau-lnspektors Georg Friedrich Ziebland, der von den Gemeindebevollmächtigten bevorzugt wurde, die der hohen Kosten wegen ganz auf einen Turm verzichten woll­ ten. Aber gerade auf dessen repräsentative Wirkung wollten Bür­ germeister und Rat nicht verzichten und so herrschte wiederum Stillstand. Gärtner hatte inzwischen den Wettbewerbsplan eines seiner Schüler, Eduard Bürkleins, beim König durchgesetzt und legte ihn nun in Fürth auf den Tisch. Klugerweise entschied sich am 11. Mai 1838 der Magistrat für den Entwurf Bürkleins, denn schon am 8. Juni genehmigte der König das Vorhaben. -> Friedrich von Gärtner: (geb. 10.12.1791, gest. 21.1.1847), Archi­ tekt, Akademieleiter, Oberbaurat. Neben Leo von Klenze der bedeutendste Baumeister im Königreich Bayern unter Ludwig I. Bauten: Ludwigskirche, Staatsbibliothek, Siegestor, Universität und Feldherrnhalle in München, Befreiungshalle bei Kelheim, Alte Saline in Reichenhall. Klassizistischer Rundbogenstil. Endlich konnte es losgehen. Gärtner schickte den älteren Bruder Eduard Bürkleins, Friedrich, als Bauleiter nach Fürth. Das Brandenburger Haus wurde abgerissen und im Jahr 1840 konnte eines der bedeutendsten Bauvorhaben Bayerns außerhalb Münchens endlich begonnen werden - und der 27-jährige Fried­ rich Bürklein den Grundstock für seinen späteren Ruhm legen. Georg Friedrich Christian Bürklein: (geb. 1.3.1813, gest. 4.11.1872), Bayerischer Baubeamter, Schüler Gärtners. Werke im neugotischen „Maximilianstil", kritisiert als „Kachelofenstil". Bauten: Maximilianstraße in München mit Maximilianeum, Hauptbahnhöfe in München, Augsburg und Würzburg und viele weitere Bahnhöfe. Eduard Bürklein: (1816-1871), Bruder von Friedrich, Architekt, zuletzt als Bezirksingenieur bei der Generaldirektion der könig­ lich bayerischen Verkehrsanstalten angestellt. Bauten: Rathaus in Fürth, Pfarrkirche in Enheim, Schranne von Weißenburg. 23

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Friedrich Bürklein richtete sich nach den Plänen seines Bru­ ders, machte auch die während des Baus notwendig gewordenen Veränderungen im Sinne seines Bruders. 1843 beschloss näm­ lich die Stadt, dass im Ostflügel des Rathauses auch noch die Sparkasse und das Leihhaus unterzubringen seien. Deshalb er­ weiterte Bürklein ihn um zwei Fensterachsen und fügte ein drit­ tes Portal ein. Dabei musste auch der Turm erhöht werden, um das Proportionsverhältnis zu erhalten. Damit erreichte dieser letztlich eine Höhe von 55 Metern. Dieser markante Gebäude­ teil diente übrigens auch ganz praktischen Aufgaben: In ihm wurden die Uhr und drei Glocken, wie auch der städtische Feu­ erwächter untergebracht. Im ersten Bauabschnitt wurde von 1840 bis 1844 die Front an der Königstraße errichtet und von 1845 bis 1850 der Flügel an der Brandenburgerstraße mit dem Turm. Alles hatte schon so lange gedauert, dass man, ohne sich lange mit Einweihungsfei­ erlichkeiten aufzuhalten, in den neuen Räumen sofort mit der Arbeit begann, lediglich in der Neujahrsnacht ließ man die neu­ en Rathausglocken läuten. Man war in Fürth nicht nur über die endlos lange Bauzeit verärgert, sondern mehr noch über die im­ mensen Kosten von 220.000 Gulden. Aber das Fürther Rathaus war ein Prachtbau geworden. Es gilt als der „größte und architektonisch bedeutendste bayerische Rathausbau des 19. Jahrhunderts vor der Gründerzeit“ (Heinrich Habel, Denkmäler in Bayern). Mit seiner eindrucksvollen Mo­ numentalität drückt er das Selbstbewusstsein eines erstarkten und aufstrebenden Bürgertums und den Stolz einer kommuna­ len Selbstverwaltung aus. Auch hier tritt Fürth beispielhaft für viele andere Städte des 19. Jahrhunderts auf, die nun mit reprä­ sentativen und dominanten Rathäusern ihre kommunale Selbst­ ständigkeit auch nach außen hin zeigten. Kunsthistorisch betrachtet hält sich das Fürther Rathaus an den Stil Friedrich von Gärtners, der an die Zeit der Frührenais­ sance in Italien, den Quattrocento anknüpft. Kennzeichnend dafür sind die Rundbogenfenster und die rustizierten Wand24

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Ärw*s»4b Vait»««. | aa 4 Tttraki l«W

Architekt Friedrich Bürklein (1813-1872), Erbauer des Fürther Rathauses

flächen, die durch ein Mauerwerk aus Quadern aufgegliedert werden. Der Turm ist dem des Palazzo Vecchio in Florenz nach­ empfunden und erinnert damit nicht ohne Absicht an den Mit­ telpunkt der weltlichen Macht in einem bedeutenden und mächtigen Stadtstaat. Die gelungene Mischung des Rathauses aus Klassizismus und florentinischem Palazzostil beeinflusste in den nächsten zehn Jahren die weitere Fürther Architektur nicht unwesentlich. Seine Formgebung wurde für die Fassadengestaltung einer An25

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

zahl vornehmer Wohnhäuser aufgenommen, vor allem in der Schwabacher und der Königstraße. Bis zur Jahrhundertwende war aber das Rathaus schon wie­ der zu klein geworden. Die beschränkten Sitzungsmöglichkei­ ten für den Magistrat und die diversen Ausschüsse machten sich immer nachteiliger bemerkbar. Bürgermeister Friedrich von Langhans strebte einen Erweiterungsbau nach Westen an. Auf Anregung des Münchner Architekturprofessors Friedrich von Thiersch wurde auch dieser im Stil der Florentiner Früh­ renaissance gehalten. 1901 konnte der fünfachsige Anbau mit 21 Metern Länge bezogen werden. Übrigens wird seit dem Kirchweihsamstag des Jahres 1858 bei festlichen Anlässen das Rathaus an den Kanten mit Lichter­ ketten ¡Illuminiert, sodass sich die Silhouette hell gegen die Nacht abzeichnet. Das Bauwerk ist mit seiner charakteristischen Form neben dem Turm der Michaelskirche den Fürthern als Wahrzeichen ihrer Stadt ans Herz gewachsen.

Das neue Fürth 1860-1901 Mit Bäumens Nachfolger Adolf John (1857-1873) ging die Stadt in die Epoche der Hochindustrialisierung. In dieser Phase wäre ein tüchtigerer Bürgermeister mit Sicherheit hilfreich gewesen, doch war John - dem Fürther Archivdirektor und Historiker Adolf Schwammberger zufolge - „farblos“. Geschwächt durch Krankheit fehlte ihm jeder schöpferische Schwung. Dabei wuchs in seiner Zeit die Bevölkerung schon beträchtlich von 18.500 (1857) auf 25.000 (1873) an. Ab den 1860er Jahren wurden ver­ mehrt Betriebe gegründet und Fabriken errichtet oder moderni­ siert, auch die Ludwigsbahn stellte 1862 den zu langsam gewor­ denen Pferdebetrieb ein und setzte von nun an auf die Dampf­ kraft. Während die Fürther Wirtschaft sich in ihrem Schwung und ihrer Dynamik nicht aufhalten ließ, stagnierte der Aufbau öffentlicher Einrichtungen. Es entstand 1858 lediglich ein Gas­ werk, das die schon erwähnte neue Gasbeleuchtung versorgte, 26

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Fürther Rathaus, erbaut von 1840 bis 1850

der schöne neue Hauptbahnhof wurde 1865 der Öffentlichkeit

übergeben und die Ottoschule öffnete als Volksschule 1869 ihre Pforten. Als neuer Stadtteil entstand das Espanviertel. Dass die Stadt 1869 die völlige kommunale Selbstständigkeit erhalten hatte, war nicht dem Bürgermeister, sondern der bayerischen Verwaltungsreform und der Änderung der Gemeindeverord­ nung zu verdanken.

-> Das Bevölkerungswachstum Fürths: 1795:12.000; 1809: 12.438; 1818: 12.700; 1830: 13.900; 1840: 15.100; 1855: 17.341; 1861: 19.100; 1871: 24.580; 1875: 27.360; 1880: 31.063; 1885: 35.455; 1890: 43.206; 1895: 46.726; 1900: 54.144; 1905: 60.635; 1910: 66.553; 1916: 56.967; 1925: 73.693; 1945: 86.515; 1950: 99.890; 1975:101.639; 2010: 114.628 Mit dem Kgl. Geheimen Hofrat Georg Friedrich Ritter von Langhans kam wieder Schwung in die Stadtverwaltung. In ihm bekam Fürth einen herausragenden Ersten Bürgermeister, der in 27

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

seiner langen Amtszeit von 1873 bis 1901 für die Stadt große Leistungen vollbrachte. Als erste Maßnahme begann er mit dem Bau eines längst überfälligen Schlachthofes am westlichen Rednitzufer, der 1881 fertiggestellt wurde. Dieser war aus gesundheitspolitischen Grün­ den notwendig geworden, da nur mit ihm eine amtliche Kontrol­ le des Fleisches möglich war. Aus den gleichen Gründen war auch schon lange eine zentrale Wasserversorgung unerlässlich, da in hygienischer Hinsicht die Hausbrunnen nicht ohne Mängel wa­ ren. Mit einem gewaltigen Kapitalaufwand von eineinhalb Mil­ lionen Mark wurden bis 1887 ein Wasserwerk, die Wasserleitun­ gen und die dazu erforderliche Kanalisation gebaut. Ebenfalls der Hygiene und Gesundheit diente in der Hirschenstraße das erste öffentliche Brause- und Wannenbad von 1898. Um diese Zeit gab es in den meisten Wohnungen noch keine Bäder, auch die Fabriken hatten keine Duschräume. Und doch sollten vor allem die Arbeiter der Spiegelfabriken nach der Arbeit das giftige Quecksilber gründlich abspülen können. Man versprach sich auch im Kampf gegen die Volkskrankheit Tuberkulose von den Bädern eine wirksame Hilfe. In den Jahren 1903 und 1909 wur­ den deshalb noch zwei weitere Anstalten dieser Art in Fürth ein­ gerichtet. Für Badefreuden im Sommer sorgte das 1895 eröffnete Freibad an der Dambacher Brücke. Auch sonst gab es überall „Fortschritt“, wie das Modewort der Zeit hieß. Ab 1884 konnte man schon von Fürth nach Nürnberg telefonieren, ab 1889 die Dienstleistungen der neuen Hauptpost am Bahnhofsplatz beanspruchen und sich ab 1890 in der Stadt viel leichter zurechtfinden, da nun die Häuser einheit­ lich nummeriert waren. Und ab 1896 konnte man anstelle der langsamen Pferdebahn mit der elektrischen Straßenbahn fah­ ren. In der Folge wurde 1902 das erste Fürther Elektrizitätswerk an das Netz genommen. Sein besonderes Augenmerk richtete Bürgermeister Lang­ hans auf die Schulen, denn die stetige Bevölkerungszunahme erforderte immer wieder den Bau neuer Schulhäuser. In zwei 28

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Wagen der Nürnberg-Fürther Pferdebahn, die 1881 eröffnet wurde.

Etappen baute man 1884 und 1901 die große Volksschule an der Schwabacher Straße wie auch die Grundschule in der Maistraße 1888 und 1894. In seiner Zeit entstanden im neuen Viertel hin­ ter dem Rathaus die Grundschule in der Rosenstraße (1883) und die große Hauptschule an der Pfisterstraße (1899). Nicht zu ver­ gessen ist noch die Heimschule aus dem Jahr 1881. Der größte Wunsch des Bürgermeisters war aber ein Gymnasium für Fürth. Dieser wurde ihm aber erst nach langem Ringen 1896 erfüllt. Die Fürther Bürger hielten wohl eine humanistische Bildung nicht für nötig, um ein Geschäft oder eine Fabrik zu leiten. Unter der Regierung des Friedrich Langhans kam es 1899 zur ersten Eingemeindung nach Fürth mit dem Weiler Weikershof, da die Gemeinde Höfen zwischen Nürnberg und Fürth aufgeteilt wurde. Dann kam 1900 auf eigenen Wunsch das Dorf Poppenreuth hinzu und schließlich ein Jahr später auch noch Dambach. Dort hatten sich schon ab 1884 reiche Fürther ihre Sommerhäuser gebaut, und daraus entwickelte sich schließlich das Villenviertel in der westlichen Vorstadt. 29

FÜRTH IM 19. JAHRHUNOERT

Die letzte große Leistung des Friedrich Langhans war der schon erwähnte Erweiterungsbau des Rathauses von 1901. Am nachhaltigsten aber wirkte sich wohl sein Erfolg beim Bemühen der Stadt um eine Garnison aus.

Fürth wird Garnisonsstadt Zu Beginn des Jahrhunderts hatte man noch über militärische Einquartierungen gestöhnt und geklagt. Fünfzig Jahre später sollte sich dies grundlegend ändern. Jetzt wollten viele Städte gerne eine Garnison in ihren Mauern haben. Man erhoffte sich durch die militärische Präsenz möglicherweise etwas Auf­ schwung für das Gewerbe, vielleicht auch mehr Ansehen, vor allem aber mehr innere Sicherheit. Abgesehen von der Revolution von 1848 war es im ganzen Land immer wieder zu kleineren Unruhen gekommen, meist wegen einer Bierpreiserhöhung. Fürth blieb davon nicht ver­ schont. Auch dort war es 1866 zu Gewalttätigkeiten gekom­ men, die nur mit Hilfe der Landwehr niedergeschlagen werden konnten. Dies mag die Stadtverwaltung so sehr alarmiert ha­ ben, dass sie sich 1867 zum ersten Mal um eine Garnison be­ warb. Aber das Gesuch wurde von der Militärverwaltung abge­

wiesen. -> Landwehr: Die ehemalige Bürgerwehr wurde nach französi­ schem Vorbild 1809 in eine Nationalgarde umgewandelt, dann 1814/16 in die Landwehr. In der Praxis war sie ein Teil der Re­ serve.

Dennoch wurde in Fürth die Frage nach einer Garnison im Sommer 1871 erneut diskutiert. Die Befürworter kamen aus dem Bürgerverein. Sie sprachen von einem materiellen Nutzen für die Stadt, führten auch an, dass sie notwendig sei, um etwa­ ige Unruhen zu unterdrücken, und argumentierten mit den Vorteilen eines Einjährig-Freiwilligen-Instituts. Wie ein Leser­ brief an das „Fürther Tagblatt“ zeigt, blieb dies aber nicht unwi­ dersprochen. 30

DIE STADT UNO IHRE ENTWICKLUNG

-> Einjahrig-Freiwillige: Diese dienten nur ein Jahr statt der sonst üblichen zwei oder drei. Nach Ableistung des Dienstjahres und zweier Militärübungen wurden die Einjährig- Freiwilligen übli­ cherweise zu Offizieren der Reserve befördert. Voraussetzung war die mittlere Reife. Der Einjährig-Freiwillige musste im Frie­ den für Unterbringung und Ausrüstung selbst aufkommen, sodass unter ihnen nur Söhne aus wohlhabenden Familien waren. Die Sache der Garnisonsunterstützer gewann an Boden, als es Ende September 1872 zum Fürther „Kirchweih-Krawall“ kam. Bei einem zunächst harmlosen Umzug hatte die Polizei überreagiert, die Situation eskalierte und schließlich musste man aus Nürnberg 105 Mann Infanterie und 25 Mann Reiterei kommen lassen, um der Lage wieder Herr zu werden. Das ging aber nicht ohne massiven Einsatz von Gewalt und einige Ver­ letzte ab. Daraufhin wurden viele Stimmen laut, die nun auch für Fürth eine eigene Militäransiedlung verlangten, zumal es einige Wochen vorher auch in Nürnberg zu einer ähnlichen Ausschreitung gekommen war. Diese Vorfälle brachten die ängstlichen Gemüter der Stadt in Bewegung, da sie in der zahl­ reichen Arbeiterschaft der Stadt ein Gefahrenpotential erblick­ ten, das nur durch eine Garnison zu beherrschen sei. Auf den verstärkten Druck hin wiederholte Bürgermeister Friedrich Langhans sein Gesuch an die Regierung. Aber erst nach einigen weiteren Anträgen und Verhandlungen zeichnete sich der Erfolg ab. Denn bei so vielen Mitbewerbern musste die Stadt erst einmal erhebliche Voraussetzungen erfüllen. In der Südstadt stellte sie ein Grundstück von 15 Tagwerk (etwa 5,1 Hektar) im Wert von 200.000 Mark kostenlos zur Verfügung, bot auch ein 400 Tagwerk (etwa 136 Hektar) umfassendes Ge­ lände auf der Hardhöhe als Übungsplatz zu dem sehr günstigen Preis von 90.000 Mark an; dort hatte schon der peußische Kö­ nig einige Manöver abhalten lassen. Notwendig war auch die Infrastruktur für eine Kaserne. Dazu gehörte der Bau von Zu31

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

fahrtsstraßen, der Anschluss an die Eisenbahn, eine Kanalisati­ on und schließlich die Wasser- und Energieversorgung. Das alles brauchte seine Zeit. Aber am 27. September 1890 wurde auch Fürth endlich eine Garnisonsstadt und die für sie vorgesehene 360 Mann starke Artillerieabteilung hielt ihren festlichen Einzug. An der Stadtgrenze war eine prächtige Triumphpforte errichtet worden, die Häuser zeigten sich im Flaggenschmuck, die Musikkapelle marschierte auf und das Pu­ blikum füllte die Straßen, als Bürgermeister und Rat die Trup­ pen empfingen. Die Freude in Fürth war wirklich groß. Ein paar Tage später wurde von der Stadt sogar ein großes Festessen gegeben, bei dem sämtliche Honoratioren Fürths die Offiziere, Ärzte und Militärbeamten ihrer Garnison begrüßten und den gesellschaftlichen Verkehr mit ihnen aufnahmen. Fürth besaß also nun auch seinen Anteil an der bewaffneten Macht. Und das Militärfieber des Kaiserreichs hatte inzwischen nahezu jeden befallen. Also schritt auch in Fürth die „Aufrüs­ tung“ rasch voran. Allein in den nächsten fünf Jahren erhöhte sich die Anzahl der Soldaten auf das Vierfache. Dementspre­ chend wuchsen auch die Kasernenbauten aus dem Boden. 1893 verkaufte die Stadt wiederum acht Tagwerk (etwa 2,7 Hektar) Baugrund für die Sedankaserne, in der ein Bataillon des 21. In­ fanterieregiments untergebracht wurde; dessen Soldaten wurden in Fürth bald als die „Anerzwanzger“ bekannt und beliebt. Jahr für Jahr wuchs das Kasernenareal und begann bald die Südstadt zwischen sich und dem Eisenbahngelände einzuzwän­ gen. 1896 kam noch ein Artilleriedepot, 1900 ein Traindepot hinzu; unter Train verstand man damals das militärische Trans­ portwesen mit Pferden. 1907 wurde eine Trainkaserne errichtet und ab 1910 die Sedankaserne erheblich vergrößert. Alle diese Anlagen unterschieden sich mit ihren roten Ziegelmauern und den Schieferdächern in nichts von denen anderer Städte. Die beiden Offizierskasinos sind jedoch eine Besonderheit Sie mussten ja auch den Rahmen für gesellschaftliche Veranstal­ tungen und Festlichkeiten abgeben können. Die Offiziers-Spei32

DIE STADT UND IHRE ENTWICKLUNG

Offiziers-Speiseanstalt (Offizierskasino) des 21. kgl. bay. Infanterieregiments

seanstalt der Einundzwanziger ist ein sehenswertes Hauptwerk des Jugendstils in Fürth. Gebaut wurde es von Jakob Schmeißner in der Zeit von 1902 bis 1904. Um eine Garnisonsstadt zu werden, hatte Fürth durchaus große Mittel aufgebracht und mitunter kein Opfer gescheut. Das Militär hatte für die Stadt ein erhebliches Gewicht in wirt­ schaftlicher, aber auch gesellschaftlicher Hinsicht. Nutznießer waren vor allem die in der Nähe der Kasernen gelegenen Ge­ schäfte und Gasthäuser. Vor allem aber zog das Baugewerbe aus der Errichtung und Instandhaltung der Anlagen einen beträcht­ lichen Gewinn. Doch musste dafür ein hoher Preis bezahlt werden, denn das zum Artilleriedepot gehörende Pulvermagazin an der Schwaba­ cherstraße 499 führte zu einer Katastrophe. Am 25. April 1917 flog es in die Luft. Bei der Explosion starben 56 Personen, bis auf vier waren alle Zivilisten und die meisten davon Frauen. Die Opfer wurden in einem Massengrab auf dem Fürther Friedhof bestatten, dort erinnert noch ein Denkmal an das traurige Er­ eignis. 33

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Der Ausklang - Theodor Kutzer Die ersten der großartigen Prachtbauten an der Königswarter Straße und der Hornschuchpromenade entstanden ab 1883, also noch unter dem Bürgermeister Langhans; die letzten wur­ den 1906 unter Theodor Kutzer errichtet. Auch dieser gehört zu den bedeutenden Fürther Bürgermeistern. Seine Amtszeit dau­ erte aber nur von 1901 bis zum Ende des Jahres 1913. So her­ vorragend er auch gewesen war, so hatte er doch einen schweren Fehler begangen, den ihm die Fürther nie verziehen: Er betrieb die Eingemeindung Fürths nach Nürnberg, wenn auch vergeb­ lich. Am 31. Dezember 1913 verließ er die Stadt und ging als Oberbürgermeister nach Mannheim. Allerdings kehrte er ein Jahr vor seinem Tod wieder nach Fürth zurück und ist auch dort begraben. Auch Kutzer hatte in der rasch aufblühenden Industriestadt eine Vielzahl von Problemen zu bewältigen. Zu den drängends­ ten gehörte der Bau eines Elektrizitätswerks. Man hatte dies zwar in Fürth schon längere Zeit im Auge gehabt, doch erst mit der Errichtung des neuen Stadttheaters 1901/02 wurde die Frage wieder akut, da man nun einen Wechsel zum wesentlich siche­ reren Strom für unabdingbar hielt. Hatte doch in einigen Städ­ ten die Gasbeleuchtung schon zu katastrophalen Theaterbrän­ den geführt. Die Stromversorgung galt anfangs noch nicht für private Haushalte, sondern diente zur Beleuchtung wichtiger Straßen und öffentlicher Gebäude, 1907 erhellten die ersten elektrischen Bogenlampen die Fürther Straßen. Auch für die Industrie war die neue Energie vorgesehen. Zwar hatten sich schon einige Firmen wie die Brauerei Geismann und die Bilderbuchfabrik Löwensohn vorher private Stromgeneratoren angeschafft. Bald aber stellten auch andere Unternehmen auf die leistungsfähige­ ren und ungefährlicheren Elektromotoren um — die Dampfma­ schinen begannen zu verschwinden. Und so konnte das neue Elektrizitätswerk den rasch wachsenden Strombedarf nicht mehr decken. Deshalb taten sich auf Kutzers Initiative hin 34

DIE STADT UNO IHRE ENTWICKLUNG

Fürther Stadttheater, erbaut von 1901 bis 1902 nach den Plänen des Wiener Architekturbüros Fellner & Helmer

Fürth und Nürnberg zusammen und gründeten 1911 das Groß­ kraftwerk Franken, das 1913 in Betrieb ging. Noch einem typischen Problem einer Industriestadt galt es zu begegnen, der Müllbeseitigung. 1906 beschloss der Magist­ rat, diese durch die Stadt erledigen zu lassen und eine gasbetrie­ bene Müllverbrennungsanlage zu bauen. 1911 nahm sie als die erste in Süddeutschland ihre Arbeit auf, wurde aber nach zehn Jahren schon wieder abgeschaltet, da sie nicht wirtschaftlich ge­ nug arbeitete. Wie schon unter Langhans mussten auch weitere Schulen gebaut werden. 1906 entstand die Pestalozzischule und 1909 in der Südstadt die Schule an der Frauenstraße, auch die Realschu­ le bekam ein neues großes Gebäude. Und 1909 bekamen auch die Mädchen ihre Höhere Schule. 35

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Die Notwendigkeit von Grünanlagen für eine Industriestadt hatte schon Bürgermeister Bäumen erkannt. Bei Kutzer war das nicht anders. Deshalb ließ er den aufgelösten Friedhof an der Auferstehungskirche um 1910 in einen Stadtpark umwandeln. Die Grundlage dafür hatte schon der Maschinenfabrikant En­ gelhardt gelegt, der dort einen ehemaligen Schuttplatz mit Bäu­ men hatte bepflanzen lassen. Der Name Engelhardtanlage stammt aber nicht von ihm, sondern von dem Düsseldorfer Gar­ tenamtsdirektor Freiherr Walter von Engelhardt, der sie entwor­ fen hatte. Dazu kam noch eine Reihe weiterer kleiner Grün­ flächen, Ruheplätze und Brunnen vor öffentlichen Gebäuden, viele davon verdankt die Stadt ihren generösen Bürgern. Aber es fehlte auch noch an einigen öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen. 1903 wurde die Lungenheilanstalt im Stadtwald eröffnet, 1905 kaufte und vergrößerte die Stadt das Flussbad, 1908 wurde die Feuerwache für die Freiwillige Feuer­ wehr gebaut und 1909/10 das Ämterhaus für die Sparkasse und das Bauamt errichtet. Zum krönenden Abschluss konnte Kutzer im Jahr 1912 schließlich noch das Kurbad Fürth eröffnen. Dann übergab er die Amtskette seinem Nachfolger Dr. Robert Wild, der sie bis 1933 trug.

36

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Fürths starke Säule: die jüdische Gemeinde Das „Fränkische Jerusalem" Der hebräische Name für Fürth lautet „Fiorda“ und auf Jiddisch heißt die Stadt „Firta“. In der jüdischen Welt gedenkt man die­ ses Namens auch heute noch mit Stolz angesichts der ehrenvol­ len Geschichte der Fürther Judengemeinde, aber auch mit Trau­ er angesichts ihres Verlusts. Deren Anfänge reichen weit zurück. Erstmals werden 1440 einige Juden in Fürth erwähnt. Ab 1528 siedelten sich dort sehr wohlhabende Juden an, da nur sie die hohen Schutzgeldzahlun­ gen an den Markgrafen Georg den Frommen (1527—1543) von Ansbach oder dann ab 1556 an die Dompropstei Bamberg zah­ len konnten. Dagegen protestierte zwar der dritte der Fürther Herren, die Reichsstadt Nürnberg, allerdings erfolglos. Diese reichen Zuwanderer wurden von ihren Glaubensgenossen der „Fürther Judenadel“ genannt. Aber dieser „Judenadel“ kaufte auch für seine ärmeren Vettern die erforderlichen Schutzbriefe und so konnte sich die Gemeinschaft allmählich erweitern. Bis zur Verfolgung durch die Nationalsozialisten gab es seit 1528 auch nie eine Unterbrechung. So konnte sich in Fürth eine der 37

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

bedeutendsten jüdischen Gemeinden in Deutschland und die maßgeblichste Süddeutschlands entwickeln. In Fürth kam es übrigens nie wie in anderen Städten zu einer Ghettobildung, da den Juden die Ansiedlung im gesamten Ans­ bacher und Bamberger Stadtgebiet gestattet war, nur der Nürn­ berger Bereich blieb ihnen während der Zeit der Dreiherrschaft verschlossen, denn die Reichsstadt war ihnen keineswegs wohl­ gesonnen - sie verweigerte bis 1850 die Ansiedlung von Juden in ihrem Territorium. Durch die Vertreibung der Juden aus anderen Orten bekamen die Fürther immer wieder Zuwachs, so wurden schon bis 1499 die aus Nürnberg Verjagten oder 1670 viele Emigranten aus Wien aufgenommen. Um 1716 gab es schon 400 jüdische Familien in Fürth, im Jahr 1806 zählte man schon 2.763 jüdische Mitbürger mit einem Anteil von etwa 22 Prozent an der Gesamtbevölke­ rung. Der höchste Stand wurde 1880 mit etwa 3.300 erreicht. Im Laufe des 17. Jahrhunderts etablierten sich die Juden in Fürth. 1607 wurde der erste Rabbiner designiert, 1617 die erste Synagoge gebaut, 1653 das erste Krankenhaus. Und die mit Hilfe der aus Wien vertriebenen Juden errichtete Talmudhoch­ schule wurde zum Zentrum des jüdischen geistigen Lebens in Deutschland; jüdische Druckereien lieferten religiöses Schrift­ tum nach ganz Europa. Dazu leisteten die jüdischen Geschäfts­ leute einen bedeutenden Beitrag zum Fürther Wirtschaftsleben. Folgerichtig erhielt die Fürther Judenschaft 1719 vom Bam­ berger Dompropst im „Reglement für [all-]gemeine Judenschafft“ ihre früher erhaltenen Privilegien bestätigt, die ihr eine für ganz Deutschland einmalige Position verschafften. Die Ge­ meinde bekam in religiösen Fragen weitgehende Selbstständig­ keit, durfte über den Zuzug weiterer Juden selbst entscheiden und hatte sogar in der christlichen Gemeindeversammlung ein Mitspracherecht durch zwei Abgeordnete. Zudem waren die jüdischen Kaufleute den christlichen gleichgestellt. Diese Rege­ lung galt solange, bis 1820 das Bayerische Judenedikt auch in Fürth durchgesetzt wurde. 38

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

-> Bayerisches Judenedikt: am 10. Juni 1813 von Minister Montgelas erlassen. Es regelte die rechtlichen Verhältnisse der Juden in Bayern, hob ihre Gerichtsbarkeit auf und erlaubte ihnen, Grundbesitz zu erwerben. Verlangte aber die Einschreibung in Matrikel (Listen); für jeden Ort wurde eine Höchstzahl fest­ gelegt. Damit wurden die Freizügigkeit der Juden und die Mög­ lichkeit von Familienbildungen eingeschränkt.

Unter der bayerischen Krone - das Judenedikt und seine Folgen Durch seine Sonderstellung wurde Fürth eine bahnbrechende Rolle in der Judenemanzipation zugewiesen. Aber nach seiner Eingliederung in den neuen bayerischen Staat von 1806 musste dort nun um den Erhalt des althergebrachten Status der Juden gerungen werden. Die bayerische Regierung erließ nämlich 1813 das sogenannte „Judenedikt“, das drei Jahre später in Kraft trat. Für die meisten Juden im Lande brachte dies zwar ein ge­ wisses Maß an Rechtssicherheit, aber für die Fürther Juden­ schaft bedeutete es einen großen Rückschritt; sie verloren ihren rechtlichen Sonderstatus. Die politischen Ziele des Edikts waren zwar schon die Inte­ gration der jüdischen Bevölkerung in Bayern, aber auch deren allmähliche Assimilierung, mit der sie aber ihre Religion und ihre spezifische Kultur aufgeben hätten müssen. Vor allem je­ doch wollte man mit dem Edikt die Anzahl der Juden im Land verringern. Dafür diente der Matrikelparagraph. Ihm zufolge sollten nur diejenigen Juden in den Genuss der Rechte des Edikts kommen, die das bayerische Bürgerrecht besaßen und sich in eigene Judenmatrikel (Personenverzeichnisse) eintragen ließen; zusätzlich mussten sie noch einen deutschen Familien­ namen annehmen. Der springende Punkt dabei war, dass für einzelne Orte eine Höchstzahl an Familien festgelegt wurde. Für Fürth wurde die Matrikelzahl auf 536 festgelegt. Wer nun eine Familie gründen wollte, musste erst eine Matrikelnummer 39

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

erben oder eine Witwe mit einer solchen heiraten. Die Folge war eine große Auswanderungswelle nach den Vereinigten Staaten. Diese dauerte an, bis 1861 der Matrikelparagraph wieder aufge­ hoben wurde und die Juden sich frei ansiedeln konnten. Nach Schätzungen sollen bis zum Jahr 1871 20.000 bis 25.000 baye­ rische Juden nach Amerika ausgewandert sein. Die Fürther Juden setzten sich gegen das Judenedikt zur Wehr und konnten für sich noch einen Aufschub erwirken, da sie sich auf das Reglement von 1719 beriefen. Doch zur erhoff­ ten Ausnahmeregelung kam es leider nicht und 1820 trat das Judenedikt auch hier in Kraft. Inzwischen war das Klima für die Juden allgemein rauher geworden. 1819 hatte es von Würz­ burg ausgehend eine Welle von stürmischen Judenpogromen gegeben, die nach dem antreibenden Ausruf genannten „HepHep-Unruhen“. Das Jahr darauf loderten sie wieder auf. Ent­ standen waren sie aus wirtschaftlicher Konkurrenzangst. Aber in Fürth selbst hatte es keine Übergriffe gegeben. Die bewährte Eintracht der Fürther untereinander war stärker gewesen. Fürth behielt auch weiterhin seine Führungs- und Vorbild­ funktion in der Gleichberechtigungsfrage der Juden. Dort leb­ ten und wirkten der erste jüdische Rechtsanwalt, der erste jüdi­ sche Landtagsabgeordnete, der erste jüdische Schulrektor und der erste jüdische Handelsrichter. Als Vorkämpfer für die Emanzipation der Juden hatte sich schon der Wechselhändler Elkan Henle (1761-1833) im Jahr 1811 mit seiner Schrift „Über die Verfassung der Juden im Königreiche Baiern und die Verbesserung derselben zum Nutzen des Staates“ hervorgetan. Das Judenedikt konnte er damit nicht verhindern und musste 1815 selbst ins Rheinland auswandern, um seinen Kindern bes­ sere Zukunftsmöglichkeiten zu schaffen. Mit dem Edikt wurde die jüdische Gemeinde als Körper­ schaft aufgelöst und hieß ab 1820 fortan „Israelitischer Kultus­ verein“, die bekanntere Bezeichnung „Israelitische Kultus­ gemeinde“ durfte erst ab 1861 geführt werden. Die Fürther Juden reagierten nun auf ihre Art und leisteten passiven Wider40

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: OIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Jüdischer Schulhof (jiddisch: Schul = Synagoge), auch Synagogenplatz um 1855; links: Teil der zweiten Synagoge, Mitte: Hauptsynagoge

stand. Denn nach dem Tod des hochangesehenen Oberrabbiners Meschulam Salman Kohn im Jahr 1819 sollte nun ein neuer gewählt werden. Die Gemeinde verzichtete jedoch zehn Jahre lang darauf, bis die Regierung eine Wahl anordnete. Da man das Wahlrecht nicht verlieren wollte, leistete man dieser Anord­ nung Folge, wählte aber einen sehr orthodoxen Kandidaten, der die Bestimmung des Edikts nicht erfüllte und folglich von der Regierung abgelehnt wurde. Dieses Spiel wiederholte sich ein zweites Mal. Aber nun spitzte sich die Lage zu. Die Behörde wollte einen assimilationsbereiten und reform­ freudigen Mann, ein großer Teil der Gemeinde tendierte aber mehr zu einem orthodoxen, da man sich um das gewohnte hohe geistige Niveau sorgte. Bei der dritten Wahl kam es zum Patt. Jetzt bat man Bürgermeister Bäumen um die Entscheidung. Dieser trat für den Reformrabbiner Dr. Isaak Loewi ein, welcher auch von der Regierung bestätigt wurde. Mit ihm sollte ein neu­ er Abschnitt in der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Fürth 41

Synagogenplatz (Schulhof) um 1855. In der Bildmitte die Hauptsynagoge, links ein Teil der zweiten Synagoge, im Hintergrund Turm der Michaelskirche

beginnen, durch die sich aber nun ein tiefer Graben zwischen den Orthodoxen und den Refomjuden zog, deren starre Hal­ tung und Einstellung sich durch die bisherigen Vorgänge nur noch verhärtet hatte.

Synagoge und Ritus - Loewi und die Reform Gleich bei seinem Amtsantritt im Jahr 1831 als Fürther Ober­ rabbiner kündigte Dr. Isaak Loewi für seine Gemeinde umfas­ sende Reformen an. Er hielt „zeitgemäßere Formen des Kultus“ für absolut notwendig und war auch der Mann, der sie durch­ setzen konnte. Dr. Isaak Loewi (auch Löwy, Loewy, Löwi): (geb. 31.1.1801, gest. 25.12.1873), Oberrabbiner in Fürth vom 21.3.1831 bis 1873. Erhielt 1869 von Ludwig II. den Orden vom Hl. Michael I. Klasse. Ließ 1865 die Hauptsynagoge restaurieren. Liberal, setzte sich sehr für die Gleichstellung der Juden ein. Galt als gebildeter, toleranter und sehr wohltätiger Mann, wurde aber wegen seiner Neuerungen im Ritus von einem Teil seiner Gemeinde angefeindet. 42

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Den neuen Weg beschritt er noch im selben Jahr mit der Umgestaltung der Hauptsynagoge, die das seit 1617 bestehende Gebäude grundlegend veränderte. Der Almenor, also der Platz in der Mitte älterer Synagogen, auf dem aus der Tora vorgelesen und religiöse Akte vollzogen werden, wurde architektonisch zu­ rückgenommen und näher an den Toraschrein gerückt. Die tra­ ditionellen Stehpulte für die Betenden wichen Bankreihen. Auch eine Kanzel wurde eingebaut. Durch diese Maßnahmen und vor allem durch die deutliche Längsausrichtung glich der Betraum nun sehr einer protestantischen Kirche. Von einer sol­ chen unterschied er sich aber durch die neu eingebauten Empo­ ren für die Frauen. Die gesamte Inneneinrichtung war einheit­ lich im neugotischen Stil gehalten. Damit war die Hauptsyna­ goge der erste jüdische Kultbau seiner Art geworden. Ihrem Vorbild folgten später beispielsweise die Schulen in Prag und Regensburg. -» In Fürth gab es mehr als nur eine Synagoge (jiddisch: Schul): die Neuschul von 1697, die Klausschul von 1708, die Mannheimerschul von 1896, auch einige private Stiftungen wie die Waisenschul. Die privaten Schulen wurden um 1830 auf staatliche Anordnung hin für die öffentliche Nutzung geschlossen. Die Hauptsynagoge war die Altschul von 1617. Der Vernichtung durch die Nationalsozialisten entging nur die Waisenschul. In der Geleitgasse steht seit 1986 das Synagogendenkmal, das an den ehemaligen Schulhof erinnert. Die „festliche Einweihung der neu-reparierten Haupt-Syna­ goge“ fand am 7. September 1831 statt. Bemerkenswert ist, dass Loewi dazu auch Vertreter der Behörden, das Offizierskorps und die Geistlichen der anderen Konfessionen einlud. Ein wichtiges Ziel der Renovierung war aber nur teilweise erreicht worden, das Platzangebot war für die angewachsene Gemeinde immer noch zu gering. Die Kosten hatten übrigens über 9.300 Gulden betra­ gen. Das Geld wurde fast ganz durch eine Versteigerung und die Verpachtung der Sitzplätze eingenommen. 43

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Hauptsynagoge, Innenansicht nach dem Umbau von 1831

Hand in Hand mit den baulichen Veränderungen der Hauptschul gingen die Neuerungen im Gottesdienst. Eine neue Syna­ gogenordnung verbot das „Schaukeln und Wackeln des Körpers“ beim Gebet, untersagte Unterhaltungen und lautes Beten wäh­ rend des Gottesdienstes, aber auch das Tragen des Schabbesdeckels, einer großen, kreisrunden, schwarzen Kopfbedeckung, die mit dem langen Umhang und dem weißen Kragen zur traditio­ nellen Festtracht der Juden Süd- und Westdeutschlands gehörte. Dazu führte er die deutsche Sprache in Gebeten, Gesang und Predigt ein. Der Rabbiner selbst trug als Amtstracht Talar und Barett; auf den althergebrachten Bart verzichtete er. Loewi handelte in der Überzeugung, dass der jüdische Glau­ be mit der Zeit gehen und vernünftig gelebt werden müsse. Da44

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

bei suchte er ein gutes Verhältnis zu den Christen, da sie und die Juden Kinder eines Vaters und somit Brüder seien. Deshalb müsse man sich in „gegenseitiger Achtung, Liebe und Freund­ schaft“ vereinigen und zu „wechselseitiger Unterstützung“ an­ nähern. Unduldsamkeit, Eigensinn und Schwärmerei verurteilte er ebenso wie die „Sucht, das Neue zu tadeln, bloß weil es neu ist“. Dies hatte er schon in seiner An­ trittsrede verkündet. Zu den von ihm ange­ strebten Zielen gehörten Integration und volle Gleichberechtigung der Juden. Dabei ging der Vorkämpfer des libera­ len Judentums in Fürth mit gutem Beispiel voran. Er setzte sich für die Gründung des Gewerbevereins und der Gewerbeschule in Fürth ein, er gehörte zu den ersten Subskri­ benten für die Ludwigs-Eisenbahn und stadtbekannt war sein gutes Verhältnis zu seinen evangelischen und katholischen Synagogendenkmal Amtsbrüdern. Alle drei ließen sich häufig von Kunihiko Kato zusammen in der Öffentlichkeit sehen, bei (1986) als Erinnerung einem Glas Bier oder gemeinsam durch die an den Schulhof, das alte Zentrum jüdi­ Straßen schreitend. Mit Dr. Loewi gedieh schen Lebens in Fürth das Fürther Judentum zu einer Keimzelle für den Kampf um die Emanzipation der Juden in Bayern. Selbstredend stieß Loewi mit seinen Reformbestrebungen auf den heftigen Widerstand des orthodoxen Teils seiner Ge­ meinde und löste dort heftige Proteste aus. Der Konflikt prägte seine gesamte Amtszeit und wurde bis in das Innenministerium hinein getragen. Loewi musste sich sogar behördliche Unter­ suchungen und die Überwachung seiner Predigten gefallen las­ sen. Wortführer der Gegner Loewis war Wolf Lippmann Ham­ burger, der ehemalige Vorsteher einer Fürther Talmudschule, die 1829 behördlicherseits geschlossen worden war, da sie sich 45

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

nicht im Sinne des bayerischen Judenedikts reformieren lassen wollte. Mit dem Amtsantritt Loewis hatte er Lehrverbot erhal­ ten. Nach Hamburgers Tod 1850 ließen die Streitigkeiten vorü­ bergehend merklich nach. Jahre später flackerten sie wieder auf und erreichten ihren Höhepunkt im Februar 1873. Nun wollten 65 konservative Ju­ den aus der Religionsgemeinschaft austreten und eine eigene gründen. Auslöser für diesen radikalen Schritt war die Anschaf­ fung einer Orgel für die Hauptsynagoge, was in den Augen der Orthodoxen allen religionsgesetzlichen Bestimmungen wider­ sprach. Für sie zählte Loewi zu den „Neologen“, welche „ihr Ziel in die Umstürzung aller Traditionen und daher [in] die Lossagung von Talmud und Ritualgesetzen und in die Herstellung eines nur den mosaischen Gesetzen huldigenden Deismus gesetzt habe[n]“. So steht es in ihrer Eingabe. Im Verlauf der darauf folgenden Dis­ kussion verhärteten sich die Positionen immer mehr und der Streit zog sich über ein Jahr und über alle Instanzen hin. Die Regierung beendete ihn schließlich damit, dass sie die Bildung einer zweiten Kultusgemeinde verbot. Die Regierung stand also auf der Seite Loewis. Hatte er doch schon 1866 beim Besuch König Ludwigs II. (1864-1886) in der Synagoge auf diesen den besten Eindruck gemacht. Beim Ab­ schied sagte der König über Loewi: „Welche angenehme und lie­ benswürdige Persönlichkeit ist dieser Mann!" Beim vorangehen­ den Gespräch hatte ihm der Herrscher einige Fragen über die Religion gestellt und Loewi hatte ihm die Gleichstellung der Juden dringend ans Herz gelegt. Und Ludwig II. hatte verspro­ chen: „Ja, ich will, ich werde es tun“. Und in der Tat schaffte ein Gesetz von 1868 die letzten Einschränkungen der Juden in Bay­ ern ab. Ein Jahr später bekam Loewi vom König den angesehe­ nen Orden vom Hl. Michael I. Klasse. Dr. Isaak Loewi starb am 25. Dezember 1873. Seinen Tod betrauerte mit der jüdischen Gemeinde die gesamte Stadt. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Alten Jüdischen Fried­ hof. Die 42 Jahre seiner Amtszeit waren geprägt von dem Kampf 46

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Alter Jüdischer Friedhof in Fürth („Judenheckisch“), besteht seit 1607

um die Integration und Emanzipation der Juden. Sein Nachfol­ ger wurde Dr. Jakob Immanuel Neubürger (1875-1922).

Die katholische Minderheit Im protestantisch beherrschten Fürth hatten die Katholiken von alters her einen schweren Stand. Noch zu Beginn des 19. Jahr­ hunderts bildeten sie mit etwa zweieinhalb Prozent der Gesamt­ bevölkerung nur eine kleine Minderheit von einigen Hunderten. Seelsorgerisch betreut wurden sie von Priestern des Deutschen Ordens in Nürnberg. Sie waren jedoch dem protestantischen Pfarramt St. Michael zugeteilt und das bedeutete, dass dies auch für ihre Taufen, Trauungen und Beerdigungen zuständig war, wenn sie denn diese nicht auswärts vornehmen ließen. Noch empfindlicher traf es sie, dass ihre Kinder die evangelische Schu­ le und somit auch den evangelischen Religionsunterricht besu­ chen mussten. Diese Situation begann sich erst leicht zu bessern, als Fürth 1806 dem neugebildeten Königreich Bayern einverleibt wurde. Denn nun kamen bayerische Beamte in die Stadt, die überwie47

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

-Au! 1 1

L

Iw

Evangelisch-lutherische Stadtkirche St. Michael, das älteste Gebäude der Stadt

gend katholisch waren. Unter ihnen war auch der kgl. Kämme­ rer und Oberzollamtskontrolleur Baron Wilhelm Friedrich von Nordegg zu Rabenau, der sich tatkräftig für die katholischen Belange einsetzte. Er brachte die Dinge ins Rollen, indem er 1812 mit der Taufe seiner Tochter eine Kontroverse herbeiführ­ te. Er ließ die Zeremonie nämlich von einem Nürnberger Pfar­ rer in seiner Wohnung durchführen. Das war aber ein massiver Eingriff in die Rechte des protes­ tantischen Pastors, der sich natürlich sofort dagegen verwahrte. Allerdings konnte von Nordegg seine Handlung rechtfertigen und bekam von der Regierung sogar die Zusage, dass die Fürther Katholiken einen eigenen Priester bekommen sollten. Im Grun­ de hatte der Baron zwei Ziele im Visier: die Erhebung der katho48

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

lischen Gemeinde zur eigenständigen Pfarrei und einen eigenen Raum für den Gottesdienst. Mit dieser Affäre war auch in der Öffentlichkeit deutlich ge­ worden, dass den Katholiken ein eigenes Gotteshaus fehlte. Zu dieser Zeit zählte ihre Gemeinde 546 Mitglieder, von denen 381 in Fürth selbst lebten. Sie fassten nun die bei St. Michael gelege­ ne Heilig-Grab-Kapelle auf dem alten Friedhof ins Auge. Die zuständigen Stellen in München befürworteten diese Lösung. Man arbeitete noch an dem Plan für eine Erweiterung der Ka­ pelle und am Kostenvoranschlag, da wurde diese — angeblich wegen Baufälligkeit - eilends abgerissen. Auch der Versuch, ein passendes Gebäude anzumieten, miss­ lang. Doch die Katholiken gaben nicht auf und richteten im­ mer dringlichere Eingaben an die Regierung, um endlich eine eigene Kirche bauen zu können. Auch hier war von Nordegg die treibende Kraft. Um das Bauvorhaben finanzieren zu können, veranstaltete man Kollekten, im April 1820 riefen die Vorsteher der jüdischen und sogar der protestantischen Gemeinde zu einer Sammlung auf: „Wir Lutheraner [sollten] gemeinschaftlich mit der hiesigen israelitischen Gemeinde unsere brüderliche Gesin­ nung gegen unsere katholischen Glaubensgenossen dadurch öffent­ lich bewähren, daß wir zur Förderung der guten Sache und zur Ausführung des Kirchenbaues freiwillige Beiträge unter uns be­ stimmen. “ Diese Sammlung brachte über 1.300 Gulden ein; die jüdi­ sche Gemeinde überwies später noch einmal 300 Gulden für den Unterhalt eines katholischen Pfarrers, auch der protestanti­ sche Kaufmann Johann Leonhard Büttner stiftete mit 1.000 Gulden eine 16 Zentner schwere Glocke. Mit diesen Beiträgen zeigten die verschiedenen Fürther Glaubensgenossenschaften eine im frühen 19. Jahrhundert seltene Eintracht, auf die die Stadt stolz sein kann. Diese Fürther Toleranz drückt die Auf­ schrift auf der von Büttner gespendeten Glocke kurz und bün­ dig aus: „Aus Achtung für Religion ohne Rücksicht des Glau­ bensbekenntnisses gestiftet“. 49

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Man brauchte aber wesentlich mehr Geld. Da gelang es dem erzbischöflichen Vikariat in Bamberg, von König Max. 1. Joseph die Erlaubnis für eine Spendenaktion im ganzen Königreich zu erhalten, sogar einschließlich der Rheinpfalz. Hilfreich war da­ bei das Argument, dass selbst die Juden 300 Gulden gespendet hätten. Im Januar 1822 begann die Sammlung in sämtlichen bayerischen Kirchen und erbrachte innerhalb zweier Jahre die beachtliche Summe von 33.600 Gulden. Auch die bayerische Regierung trug ihren Teil bei und stiftete den Baugrund am öst­ lichen Ende der Stadt an der frequentierten Hauptstraße nach Nürnberg, einen Platz, den die Fürther damals für einen der schönsten hielten. Die heutige Adresse ist die Königstraße 139. Damit konnte im Juli 1824 nach den Plänen des kgl. Bau­ inspektors Anton Brüger aus Nürnberg mit dem Bau begonnen werden; dieser war ein Schüler Leo von Klenzes, des könig­ lichen Hofbaumeisters. Die Grundsteinlegung am 25. August war nicht nur für die Katholiken ein historisches Ereignis, denn mit Erzbischof Joseph Maria von Fraunberg, war nach Jahrhun­ derten erstmalig wieder ein katholischer Bischof zu einer Amts­ handlung nach Fürth gekommen. Der protestantische Stadt­ pfarrer Georg Fronmüller ließ zu seiner Begrüßung sogar die Glocken läuten, und die protestantische Bevölkerung beteiligte sich an der Zeremonie. Vier Jahre später war der Bau vollendet und „Zu Unserer Lieben Frau“ geweiht. Mit ihrem klassizistischen Stil war die neue Kirche unverkennbar ein Produkt ihrer Zeit. Sie hätte von Klenze selbst stammen können. Aber mit dem ersten katholischen Gotteshaus in Fürth war nur eines der Ziele erreicht. Ein Seelsorger fehlte noch. Erst 1828 wurde von der Regierung zunächst eine Kuratie geneh­ migt, also schon einmal ein eigener Seelsorgebezirk, aber eben noch keine selbstständige Pfarrei. Der Staat steuerte 200 Gul­ den jährlich für deren Unterhalt bei. Bis 1837 war die Anzahl der Katholiken in Fürth auf etwa 700 Gläubige angewachsen. Nun erfolgte auch im Mai die Er­ st)

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Katholische Kirche „Zu Unserer Lieben Frau“, die erste katholische Kirche in Fürth seit der Reformation, erbaut von 1825 bis 1829 nach dem Plan Leo v. Klenzes

51

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

CAU.IU



ijl y iTttCn------- — 1 1 *’ ■ 1 ;

1 *

A'

flA

ff IV i

Jr «TZ.M

*

S (r im H R l l'iä " iuiiü

B

pnn • uh ¡Kino

Katholische Kirche St. Heinrich und Kunigunde (Heinrichskirche), erbaut von 1908 bis 1910

hebung zur Pfarrei durch König Ludwig I., das Besetzungsrecht behielt er sich dabei vor. Dies ging nicht ohne Einwände der protestantischen Geistlichkeit vor sich. Diese wünschte näm­ lich, dass ihr Vorrang erhalten bliebe und dass die Katholiken keine öffentlichen Prozessionen veranstalten sollten. Diese For­ derungen setzten sie auch durch. Das Verbot der öffentlichen Umzüge fiel den Katholiken be­ sonders schwer. Gerade die Fronleichnamsprozession hatte ja für sie als ihre deutlichste Glaubensdemonstration einen sehr hohen Stellenwert und war auch eines ihrer am aufwendigsten und freudigsten gefeierten Feste. Nach Jahrzehnten des Verzichts stellten sie erstmalig im Jahr 1905 einen Antrag für eine Fron­ leichnamsprozession innerhalb der Stadt. Vergeblich, obwohl ihre Gemeinde schon beachtlich auf etwa 13.000 Mitglieder an­ 52

FREIZÜGIGKEIT IN FÜRTH: DIE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

gewachsen war. 1911 wurde erneut ein Versuch unternommen, nur um wiederum mit der Begründung abgeschmettert zu wer­ den, dass das in Fürth nicht „herkömmlich“ sei. Nun aber leg­ ten die Katholiken Widerspruch ein; letztlich landete die Ange­ legenheit vor dem Verwaltungsgerichtshof in München und dieser entschied im Sinne der Katholiken, da in der katholischen Religionsgemeinschaft Fronleichnamsprozessionen eben „her­ kömmlich“ seien. Kurz zuvor hatte sich die katholische Minderheit auch mit einem zweiten Gotteshaus in der Südstadt etablieren können. Die Kirche „St. Heinrich und Kunigunde“, „Heinrichskirche“ genannt, wurde von 1908 bis 1910 erbaut. In ihrer Gestaltung gleicht sie den typischen bayerischen Barockkirchen und weist somit inmitten einer protestantischen Stadt deutlich auf ihren katholischen Geist hin. Die Fürther katholische Gemeinde hatte sich als Minderheit unter Andersgläubigen gut entwickeln können. Viel verdankt sie dabei auch dem Bürgermeister Franz Bäumen. Dieser war selbst katholisch, führte aber - und das war damals eine Seltenheit eine Mischehe, denn seine Frau gehörte der evangelischen Kir­ che an. Während seiner Amtszeit setzte er sich eifrig für den Bau der neuen Kirche und für die Gründung der Pfarrei ein, auch den Bau des Pfarrhauses förderte er. Und in seinem Testament vermachte er seinen Glaubensgenossen die stattliche Summe von 1.000 Gulden.

53

LUDWIG II. UND DIE KRIEGE VON 1866 UND 1870/71

König Ludwig II. in Fürth Am 20. Juni 1866 brach der „Deutsche Krieg“ aus. Entstanden war er aus der Rivalität zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland. Das Königreich Bayern stand dabei auf der Seite Österreichs. In der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 wurde Österreich entscheidend geschlagen und die Bayern erlitten drei Wochen später im Mainfeldzug am 26. Juli bei Üttingen und Roßbrunn eine Niederlage. Damit war die militärische Auseinandersetzung auch schon wieder zu Ende. Der Friede zwischen Bayern und Preußen wurde am 22. August geschlossen. Die Auswirkungen des Krieges auf Fürth beschreibt der Stadtchronist Georg Fronmüller. Gleich nach Kriegsbeginn bil­ dete sich ein Frauenverein zur Beschaffung von Wäsche und Verbandsmaterial für die Soldaten und der evangelische Stadt­ pfarrer gründete einen Verein, der auf eigene Kosten neun Felddiakone ausrüsten ließ. Die Kanonen der Landwehr wurden nach Würzburg und die öffentlichen Kassen aus der Stadt an einen sicheren Ort gebracht. Zur Pflege Verwundeter verwan­ delte man die Turnhalle in ein Lazarett um. Für große Aufregung unter der Bevölkerung sorgten die Be­ 55

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

schießung Würzburgs vom 27. Juli und dann das Gerücht, dass ein feindliches Armeekorps nach Mittelfranken vorrücke. Am 31. Juli endlich zogen die ersten preußischen Truppen in Fürth ein und besetzten sofort den Staatsbahnhof, die Brücken und andere wichtige Positionen. Dabei wurden auch die Schienen der Würzburger Bahn teilweise aufgerissen und der Post- und Telegraphenverkehr vorübergehend eingestellt. Die Fürther Bür­ ger mussten einige Tausend Soldaten der preußischen Besatzung mit Verpflegung und täglich je sechs Zigarren versorgen, dabei auch täglich 4.000 Pfund Brot für die bayerische Armee nach Unterfranken liefern. Am 8. September zogen die Okkupations­ truppen endgültig aus Fürth ab. Die Stadt hatte durch die Ein­ quartierung der bayerischen und preußischen Truppen Kosten von knapp 9.600 Gulden zu tragen. Eine der Folgen des Krieges von 1866 war die triumphale Frankenreise König Ludwigs II. (1864-1886). Sie sollte seine einzige Dienstreise überhaupt bleiben. Auf ihr kam er seinen Untertanen so nahe wie sonst niemals mehr, auch wenn er sie höchst widerwillig antrat. Doch nach dem verlorenen Krieg war sie zu einer politischen Notwendigkeit geworden. Es war ja gera­ de erst ein halbes Jahrhundert her, dass die fränkischen Gebiete dem bayerischen Territorium zugeschlagen worden waren und gerade sie waren von den Kampfhandlungen am stärksten be­ troffen. Es kursierten sogar schon Gerüchte, dass sie an einen Abfall von Bayern dächten. So trat also Ludwig auf Drängen seiner Minister und auch Richard Wagners im November seine Frankenreise an. Nürnberg sollte dabei die letzte Station werden, ein Besuch in Fürth war nicht vorgesehen, nur ein kurzer Halt im Bahnhof auf der Fahrt von Würzburg nach Nürnberg. Als dann am 30. November der Hofzug eintraf, hatte sich mit dem Bürgermeister Adolf John, den städtischen Kollegien und der Geistlichkeit auch eine unermessliche Menschenmenge eingefunden. Der Kö­ nig beorderte den Bürgermeister zu sich in den Wagen und lob­ te die Bürgerschaft für ihr Verhalten während des Krieges. Dem 56

LUOWIC II. UND DIE KRIEGE VON 1866 UND 1870/71

Wunsch nach einem längeren Aufenthalt in der Stadt konnte er nicht entsprechen, stellte aber einen Besuch im kommenden Frühjahr in Aussicht. Nach der kurzen Unterbrechung setzte der Hofzug seine Fahrt nach Nürnberg fort. In Fürth aber hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass der König doch noch einmal kom­ men werde. Und so traf man entsprechende Vorbereitungen, die Bürger schmückten ihre Häuser, am israelitischen Schulhof wehten große Fahnen und ein hochoffizielles Besuchsprotokoll wurde ausgearbeitet. Und der König kam tatsächlich. Doch ganz anders als gedacht. Am Vormittag des 4. Dezember nahm Ludwig II. in sei­ ner prächtigen Marschallsuniform noch eine Parade der Garnison ab. Dann wen­ dete er sein Pferd und galoppierte mit sei­ nem Adjutanten und zwei Dienern auf der Nürnberger Chaussee nach Fürth, das er am Spätnachmittag erreichte. Bürgermeis­ ter und Stadt waren völlig überrascht. Doch die Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Bis er beim Rathaus ankam, war der König schon von einer jubelnden Volksmenge umringt. Von dort begab er sich mit den eiligst hinzugekommenen Mitgliedern des Magistrats und des Ge­ meindekollegiums zu Fuß in die Synago­ König-Ludwig-Brunnen. ge, wo der Oberrabbiner Dr. Isaak Loewi Die Stiftung Alfred eine Ansprache hielt, die den Monarchen Nathan erinnert an den sichtlich rührte. Inzwischen war auch die Besuch König Ludwigs II. in Fürth. Stadt illuminiert und eine Kutsche bereit­ gestellt worden. In dieser ging es nun zur Besichtigung der Großhandelsfirma für den Export von Spielwa­ ren „Ullmann & Engelmann“. Nachdem der König einige Ein­ käufe getätigt und Geschenke verteilt hatte, fuhr er auf der alten Strecke der Nürnberg-Fürther-Eisenbahn wieder nach Nürnberg 57

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

zurück. Sein Aufenthalt hatte gerade zwei Stunden gedauert. Am nächsten Tag ließ er dem Bürgermeister 1.000 Gulden für die Armen der Stadt übersenden. Auch der Zinnfigurenfabrikant Heinrich bekam eine Brillantnadel und ein goldenes Hemd­ knöpfchen, da er dem Monarchen eine Schachtel mit einer kom­ pletten Schützen-Kompagnie zugesandt hatte. Zur Erinnerung an diesen Besuch ließ im Jahre 1908 der Fürther Bürger Alfred Nathan an der Nürnberger Straße den König-Ludwig-Brunnen errichten. Auf ihm ist die Szene darge­ stellt, wie der Erzählung nach zwei Mädchen dem König den Weg zum Rathaus gewiesen und dafür ein großes Geldstück er­ halten haben sollen. Eines der beiden Mädchen soll die Mutter Nathans gewesen sein. Der von den Nationalsozialisten zerstörte Brunnen wurde 1993 teilweise wieder hergestellt. Auch in der Flößaustraße gibt es noch Erinnerungen an den Märchenkönig. Im Haus Nr. 45 schaut er von der Fassade im ersten Stock als Büste herunter und im Haus Nr. 60 steht er unter einem Balda­ chin als Statue. Christof Adolf Eduard Emanuel John: (geb. 1.2.1815, gest. 28.4.1878), von 1857 bis 1873 erster rechtskundiger Bürger­ meister von Fürth. Durch Krankheit gehemmt erbrachte er keine besonderen Leistungen für die Stadt. -> Georg Tobias Christoph II. Fronmüller: (geb. 13.12.1809, gest. 4.4.1889), Leiter des Fürther Krankenhauses, Vorsitzender des Theatervereins, Mitbegründer des Cewerbevereins, Bezirksarzt. Er verfasste die „Chronik der Stadt Fürth".

Der Krieg von 1870/71 und die Reichsgründung Bei Ausbruch des Krieges gegen Frankreich, in den Bayern nun an der Seite Preußens marschieren musste, gründeten die Fürther als erstes einen „Unterstützungsverein für notleidende Gewerbs­ leute“ und sammelten bei den wohlhabenden Mitbürgern über 15.000 Gulden ein. Erst dann bildeten sich ein Frauenverein zur Pflege verwundeter Soldaten und ein Wohnungsausschuss für 58

LUDWIG II. UND DIE KRIEGE VON 1866 UND 1870/71

deren Unterbringung in Privathäusern. Am 3. März beging die Stadt eine große Friedensfeier - die Reichsgründung und die Kaiserproklamation vom 18. Januar war allerdings nicht gefeiert worden. Zu rückkehrende Truppenteile wurden aber mit großem Jubel empfangen. Das weiß die Marx-Chronik aus jener Zeit zu berichten. Als übrigens Kaiser Wilhelm I. (1871 -1888) ein Jahr später eine Reise in den Süden antrat, steht in den Annalen dar­ über nur ein kurzer Vermerk: „2. August. Der deutsche Kaiser traf aufdem hiesigen Bahnhofein, wo der Zug einige Minuten hielt. “ An den „Siebziger Krieg“ erinnert noch die Viktoria im Fürther Stadtpark. Dieser wurde nämlich auf einem ehemaligen Friedhof angelegt, in dem sich das Grab für sechs Soldaten be­ fand, die im deutsch-französischen Krieg verwundet wurden und in einem Fürther Lazarett verstarben. Ihnen ließ die Stadt ein aufwendiges Monument errichten, auf dessen Sandsteinso­ ckel eine Siegesgöttin sitzt. Frankreich musste fünf Milliarden Francs, etwa 4,5 Milliar­ den Mark, an Kriegsentschädigung binnen dreier Jahre zahlen. Diese gewaltige Summe löste im Deutschen Reich dann den Gründerboom aus, der allerdings 1873 mit einem Börsenkrach endete. Der Geldsegen brachte naturgemäß auch für Fürth ei­ nen wirtschaftlichen Aufschwung. Aber wichtiger für die Wirtschaft war wohl, dass nach der Reichsgründung im Jahr 1873 die Maße und Gewichte in Deutschland vereinheitlicht wurden, was den Warenaustausch erheblich vereinfachte. Eine weitere Erleichterung im Geschäfts­ verkehr ermöglichte dann 1876 die einheitliche Währung von Mark und Pfennig im Deutschen Reich.

59

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

„Stadt der 1000 Schlöte": Fürth wird Industriestadt Die Fürther Industrie wurde in vier Sparten weltbekannt: in der Spiegelproduktion, der Bronzefarben- und Blattmetallherstel­ lung, der Möbelfabrikation und nicht zuletzt durch die Spiel­ waren. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte Fürth neben Augsburg, Nürnberg und Hof zu den ersten in Bayern entstandenen Fabrikstädten. Man kann die Eröffnung der Ludwigs-Eisenbahn im Jahr 1835 als Fürths Start in das Industriezeitalter sehen, denn schon sechs Jahre später gründete dort der Sohn eines Fürther Postver­ walters, Johann Wilhelm Engelhardt, seine Maschinenfabrik und produzierte zunächst seine selbst konstruierten Feuerlöschgeräte, dann auch Dampfmaschinen für Fabriken und Brauereianlagen; mit den letzteren sollte er noch weltweit bekannt werden. Engel­ hardt war der Pionier der Industrialisierung in Fürth, er setzte auf zukunftsträchtige Produktionszweige und konnte damit auch sehr vom steigenden Ausbau der Eisenbahn profitieren. Schon 1866 erweiterte er seine Fabrik und errichtete eine zusätzliche Eisengie­ ßerei. Die von Beginn als frühindustrielles Unternehmen gestalte­ te Maschinenfabrik war die einzige ihrer Branche in Fürth und für dessen Industrialisierung in der Anfangsphase unentbehrlich. 61

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Engelhardt versorgte die ortsansässigen Fabriken mit seinen Dampfmaschinen. Schon ein flüchtiger Blick auf diese Unter­ nehmen zeigt die Vielfalt der Fürther Industriezweige um 1866. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon 18 Fabriken, die mit Dampf­ kraft betrieben wurden. Darunter waren die Papierfabrik „Friedrich Stern“ und die Chemiefabriken „Reichmann & Naumburger“ (1851), „Friedrich Toussaint“ (1854) und „Fried­ rich Braun“ (1855); dazu kamen eine Kisten- und eine Brannt­ weinfabrik sowie die Zichorienfabriken „Julius Cohn“ und „Ge­ org Joseph Scheuer“. Der Zichorienkaffee, ein Ersatzkaffee, der aus verschiedenen Getreidesorten hergestellt wird und meist auch etwas Zichorie enthält, war besonders in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts ein allgemein verbreitetes und beliebtes Getränk.

Brillen als Exportschlager Mit der Maschinenfabrik „J. W. Engelhardt & Co.“ war zum ersten Mal ein neuer Industriezweig in Fürth angesiedelt wor­ den. Man konnte jedoch dort auch auf schon bestehende zu­ rückgreifen, wie zum Beispiel auf die Brillenherstellung, die schon im 18. Jahrhundert nach Fürth gekommen war. In diesem Sektor produzierten schon um 1830 an die zehn Fabrikanten vorwiegend für den Export, sogar nach der damals führenden Industrienation England, da die Fürther Brillen oftmals als die besseren angesehen wurden. Da es sich hier aber lediglich um billige Ohrenbrillen aus Messing handelte, erwuchs ihnen bis zu den fünfziger Jahren in den französischen Stahlbrillen eine ge­ fährliche Konkurrenz. Eine Lösung dafür fand Abraham Schweizer. Schweizer war um 1840 nach Fürth zugewandert und hatte dort mit der Her­ stellung von Messingbrillen begonnen. Mit der Unterstützung des Fürther Gewerbevereins reiste er 1852 nach Paris, um dort Industriespionage zu betreiben. Als dies misslang, machte er dem dortigen Brillenfabrikanten Edouard Buverier das Ange­ bot, gemeinsam mit ihm in Fürth eine Fabrik mit französischen 62

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

Maschinen zu gründen. Schweizer nahm dabei das finanzielle Risiko ganz auf sich. Der Nürnberger Technologe, Publizist und Gewerbeförderer Johann Caspar Beeg sorgte mit seinen guten Beziehungen dafür, dass das Vorhaben großzügige Staatskredite aus dem Industriefonds und ein königliches Privileg erhielt. Das Unternehmen wurde ein großer Erfolg. Auch andere Fürther Firmen übernahmen die neue Technik und konnten damit schon 1865 die französische Konkurrenz aus dem Feld schlagen. Nun war Fürth auf dem besten Weg, zum Zentrum der deut­ schen Brillenherstellung zu werden. Die Firma Schweizer eröff­ nete bald weitere Produktionsstätten in Lichtenau und Laufen, 1874 eine in Wien, 1890 eine in London und 1891 eine in Witebsk im heutigen Weißrussland. Um die Jahrhundertwende beschäftigte Schweizer an die 600 Arbeiter und stellte jährlich 400.000 Dutzend Brillenfassungen und eine Million Paar Bril­ lengläser her. Der Export ging in alle europäischen Länder und in die USA, Südamerika und Asien.

Blattmetall und Bronzefarben Eine längere Tradition hatte in Fürth auch die Herstellung von Blattmetall. Sie ging aus der handwerklichen Blattgoldschlägerei hervor und entwickelte sich zu einem den Weltmarkt beherr­ schenden Industriezweig, dessen Zentrum Fürth wurde. Bei Blattmetall handelt es sich um eine Legierung, die zu dünnen Folien ausgeschlagen wird und dem Blattgold sehr ähnlich, aber wesentlich billiger als dieses ist. Es wurde hauptsächlich für ein­ fache Vergoldungen wie die von Spiegelrahmen, für Gold- oder Metallpapier, Tapeten oder Weihnachtsschmuck verwendet. Dafür entstand eine enorme Nachfrage, welche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gründung vieler neuer Metall­ schlägereien in der Stadt mit sich brachte. Die meisten der von Fürther Unternehmern betriebenen Metallhammerwerke befan­ den sich außerhalb der Stadt an den Flussläufen. Eng verbunden mit der Blattmetallfabrikation, gleichsam ihr „Abfallprodukt“, war die Herstellung von Bronzefarben, welche 63

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

nur in Fürth betrieben wurde. Häufig gehörten Metallhammer­ werk und Bronzefarbenfabrik einem Unternehmer. Hier wur­ den ursprünglich die Reste der Blattmetallherstellung zu Pulver gerieben und zu Farben verarbeitet. Um 1830 erforderte die stei­ gende Nachfrage eine Produktion in großen Mengen, welche vor allem nach Norddeutschland, in das europäische Ausland und nach Nordamerika geliefert wurden. Auch bedingt durch neue industrielle Produktionsverfahren nahm dieser Wirtschafts­ zweig ab den fünfziger Jahren einen enormen Aufschwung, so­ dass 1882 Bronzefarben im Wert von 1,1 Millionen Mark allein nach Amerika exportiert wurden. In der Zeit der Hochindustri­ alisierung hatten in dieser Branche die Fürther auch nahezu das Weltmonopol inne. Immerhin gab es um 1891 in der Stadt gan­ ze 41 Bronzefarben- und Glattmetallfabriken. Unter ihnen wa­ ren so bekannte wie die „Standard-Bronzepulver-Werke Carl Eckart“, gegründet 1876, oder die Firmen „Segitz &C Neidhardt“ und „Bernhard Ullmann & Co“. Die namhafteste war aber wohl „Eiermann & Tabor, Bronce- und Blattmetallfabrik“. Max Eiermann (1836-1912), aus einer jüdischen Fürther Familie stammend, gründete seinen Betrieb 1861 und nahm vier Jahre später Moritz Tabor als Teilhaber auf. Nach nur einem Jahr bauten die Partner eine neue Fabrik an der Marienstraße. Die beiden erhielten auf den Weltausstellungen eine Vielzahl an Preisen und konnten ihre Produkte in Europa und Amerika verkaufen. Da aber die von Dampfmaschinen angetriebenen Stampfhämmer und Reibmaschinen mit einem sehr hohen Lärmpegel arbeiteten, kam es zu häufigen Beschwerden der Nachbarn. Also errichteten sie 1873 eine neue Fabrik mit im­ merhin 36 Stämpfern in Neumühle, beließen aber den Firmen­ sitz in Fürth. Es waren gerade die „Bronzestämpfen“ solcher Betriebe, die ihre Umwelt ganz besonders belasteten, da sie nicht nur einen ohrenbetäubenden Lärm verursachten, sondern auch das von ihnen erzeugte feine Metallpulver sich in der Umgebung nieder­ schlug und durch die Türen und Fenster in die Wohnungen 64

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

eindrang. Die Leppersche Fabrik musste deswegen schon 1867 als erste von der Altstadt in die Siidstadt verlegt werden. Auch andere Betriebe mussten weichen und in der Oststadt bildeten sich neue Schwerpunkte. Die fortschreitende Industrialisierung begann die Fabriken an den Stadtrand zu drängen. Trotz der häufigen erzwungenen Standortwechsel konnten sich einzelne Unternehmen gut über Wasser halten.

Löwensohns Bilderbücher 1844 errichtete Gerson Löwensohn eine Kupferdruckerei, die zur ersten Fürther Bilderbuchfabrik aufstieg. Die Erzeugnisse seiner „chromolithographischen Kunstanstalt“ in der Sommer­ straße gingen in die ganze Welt und bis 1894 hatte die Firma über 700 Titel in zehn verschiedenen Sprachen in ihrem Sorti­ ment. Darunter waren Bilderbögen zum Ausschneiden, Malbü­ cher, Jugendbücher wie die für die Jugend bearbeitete Ausgabe von Gullivers Reisen, aber auch die damals sehr beliebten Ab­ ziehbilder. Löwensohn war sehr auf den Export ausgerichtet und warb sogar mit dem wohl stark übertriebenen Slogan „Bilderbü­ cher in allen Sprachen“. Gersons Sohn und Nachfolger Bernhard Löwensohn selbst beschreibt in seiner Festrede zum 50-jährigen Jubiläum der Fir­ ma den Verlauf der Industrialisierung in seinem Unternehmen: „Aus einem Handbetrieb wurde ein Fabrikbetrieb, anstatt einer täglichen Leistung aufder Handpresse von 400 Abdrücken konnte man auf der Schnellpresse 3.000 herstellen“. Dabei erwähnt er auch wie sich die Anforderungen an die Arbeiter geändert hat­ ten. Die Arbeit richtete sich nicht mehr nach individuellen Be­ dürfnissen und dem natürlichen Tagesablauf, sondern nach dem Takt der Maschine; erforderlich waren nun nach Meinung des Unternehmers „die Aufmerksamkeit, die Intelligenz, die Gewis­ senhaftigkeit und die Zuverlässigkeit“ des Arbeiters, der sich im neuen Zeitalter nach der Maschine und der Uhr zu richten hat­ te. Nun galten also eiserne Disziplin und Kontrolle; auch die Stechuhr ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Wer zu spät 65

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

kam oder Fehler machte, musste mit empfindlichen Lohnabzü­ gen rechnen. Dabei waren Schichten keine Seltenheit, die mor­ gens früh um fünf oder sechs Uhr begannen und bis in die Nacht hinein dauerten, auch am Samstag. Erst in den 1870er Jahren wurde die Arbeitszeit allmählich auf zwölf Stunden täg­ lich herabgesetzt.

Eine der Fürther Spezialitäten: Zinnfiguren Die Fürther Spielwarenindustrie wäre ohne die Zinnfiguren nicht das geworden, was sie war. Im 19. Jahrhundert wurde dort kaum ein Spielzeug so massenhaft hergestellt wie die Zinnfigur. Mit mehr als sechzig Herstellern waren Nürnberg und Fürth die Hauptzentren der Produktion. Vor der Jahrhundertwende wur­ den in beiden Städten schätzungsweise im Jahr etwa 40 Millio­ nen Stück fabriziert und weltweit bis nach Indien, China und Südafrika vertrieben. Verarbeitet wurde übrigens nicht nur Zinn, sondern auch Blei oder eine Legierung aus beiden Metal­ len, denn reines Zinn ist spröde und bricht leicht, während das weichere Blei biegsam ist. Es gibt eine Aufstellung der Fürther Zinnfigurenhersteller von 1891; zu den bedeutendsten unter den zehn hier aufgeführ­ ten Firmen zählten „C. Schildknecht & Sohn“, „Johann Haff­ ner“, „Gnad & Rupprecht“ und „Gebrüder Heinrich“. Letztere war die größte und bedeutendste. Mitunter verfügten diese Fir­ men über beachtlich große Fabriken, obwohl Zinnfiguren im Grunde rein handwerklich hergestellt werden. Man gießt sie nämlich in Formen aus Schiefer, Messing oder Eisen, entgratet und bemalt sie dann. Der Versuch einer Nürnberger Firma, Gussmaschinen einzusetzen, misslang. Mit der industriellen Ent­ wicklung war in vielen Firmen übrigens auch noch als zweites Standbein die Produktion von Blechspielzeug hinzugekommen. Die Erzeugung von Zinnfiguren in größerem Umfang hatte in Fürth schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts be­ gonnen. Es wurden aber nicht nur die allseits bekannten Zinn­ soldaten hergestellt, sondern auch Christbaumschmuck und 66

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

Inventar für Puppenküchen und Spielläden; dazu heute verges­ senes Spielzeug wie Altargeräte für das damals bei Knaben be­ liebte Priester- und Ministrantenspiel. Die Auswahl der Motive war unbegrenzt und reichte von exotischen Tieren und Mode­ darstellungen bis zur anschaulichen Darstellung historischer Szenen und aktueller Tagesereignisse aus aller Welt. So brachte zum Beispiel nach dem Tod des englischen Königs 1910 die Fir­ ma „Gebrüder Heinrich“ die Figurenpackung „Das Leichenbe­ gängnis des Königs Eduard VII. von England“ auf den Markt. Erst mit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 verla­ gerte sich der thematische Schwerpunkt mehr auf das Militäri­ sche, um dann im Ersten Weltkrieg gänzlich die Überhand zu gewinnen. Wohin der Weg in der Zinnfigurenherstellung führte, zeigte die Leipziger Herbstmesse schon 1909, wo die „Gebrüder Heinrich“ erstmals die sogenannten „Metaplast-Figuren“ vor­ stellten, die aus einem nicht näher erläuterten Stoff bestanden. Ähnlich auch das Sortiment von „J. Gg. Rupprecht“ aus dem Jahr 1915. Es wurde um Soldaten aus der Kunstmasse Marke „Hartol“ erweitert, und zwar um Truppen sämtlicher kriegfüh­ render Nationen, im Marsch sowie in allen Gefechtsstellungen. -> Ausstellungsbericht zur Bayerischen Landesausstellung 1896: „Eine der größten Fürther Zinnfigurenfabriken, nämlich die von J. G.Rupprecht... hat neben Infanterie, Kavallerie, Artillerie etc. als Hauptanziehungspunkt Soldaten-Kampfspiele zu Wasser und zu Land ausgestellt, und zwar führen uns dieselben nach Westafrika in die Kämpfe mit den Wilden im Kongo. Zeigen alle diese geschilderten Darstellungen in technischer Hinsicht eine Vollkommenheit und Bravour, die kaum noch höher zu denken ist, so sind sie anderseits von grosser erzieherischer Wirkung für die heranwachsende Jungend“. Die Firma bekam in der Ausstellung die Silberne Medaille.

Der Militarismus der Wilhelminischen Epoche brachte dem Zinnfigurengewerbe noch eine letzte schwungvolle Konjunktur, führte aber auch seinen Niedergang herbei. Denn nach den 67

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Schrecknissen des verlorenen Krieges war Kriegerisches in Kin­ derhand nicht mehr gefragt und viele Betriebe mussten schlie­ ßen. Eine Massenproduktion war nun nicht mehr gefragt. Der Trend ging über zu hochwertigen kulturhistorischen Figuren als Hobby für Erwachsene und als Sammlerobjekt. Die Fürther und auch die Nürnberger Fabrikanten lieferten sowohl exklusive handwerkliche Spitzenleistungen, als auch bil­ lige „Basarware“ für das breite Publikum. Das ging aber nicht ohne den massiven Einsatz von Heimarbeiterinnen. Die Zinnfi­ gurenherstellung war überhaupt vorwiegend Frauensache, wie der Personalstand der Firma „J. Gg. Rupprecht“ aus dem Jahr 1901 zeigt, bei der zwei Arbeiter, 29 Frauen, neun Lehrmädchen und eine unbekannte Zahl von Heimarbeiterinnen beschäftigt waren. Bei den „Gebrüdern Heinrich“ kamen etwa zur gleichen Zeit auf etwa 50 bis 60 Personen in der Firma immerhin an die 30 Heimarbeiterinnen, die hauptsächlich mit dem Bemalen der Figuren beschäftigt waren. Die Heimarbeit führt uns in ein dunkleres Kapitel des Ge­ werbes, vor allem weil sie nicht nur die Frauen, sondern auch deren Kinder betraf. Wie die in Fürth erscheinende „Gewerbzeitung“ schon 1861 feststellte, waren die Heimarbeiterinnen „... jedenfalls die unselbständigsten und [hingen] vollständig von ande­ ren Meistern oder Fabrikherren ab“. Da sie von keinem Gesetz geschützt und von keiner Organisation unterstützt wurden, wa­ ren sie gänzlich den wirtschaftlichen Interessen der Unterneh­ mer unterworfen. Diese sparten sich nicht nur die Kosten für den Arbeitsraum, die Frauen mussten sogar auch noch die Kos­ ten für Farben, Pinsel und sonstigen Arbeitsbedarf aus ihrer eigenen Tasche bestreiten. Vor allem aber konnten die Auftrag­ geber die Löhne nach eigenem Belieben diktieren. Und diese waren sehr niedrig. Eine sehr fleißige und geschickte Heimarbeiterin konnte um 1889 etwa fünf bis sechs Mark in der Woche verdienen. Nach Abzug aller Unkosten blieben ihr etwa nur noch vier bis sieben Pfennig pro Stunde. Da waren Arbeitszeiten bis zu 17 Stunden 68

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

am Tag keine Seltenheit. Und auch die Kinder mussten mitarbei­ ten, sobald sie alt genug waren, um einen Pinsel führen zu kön­ nen - und solange sie die Augen offenhalten konnten. Um 1898 zählte man in Fürth immerhin 151 Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren, die mit dem Zinnmalen beschäftigt waren. Und das acht bis zehn Stunden lang zusätzlich zum Schulbesuch. Die Kinderarbeit wurde erst 1904 reichsweit durch ein Gesetz verboten, das aber noch lange umgangen werden konnte.

Die „Stadt der Spiegel“ Die Spiegelherstellung ist auch heute noch ein wichtiger Gewer­ bezweig in Fürth und so mancher Eingeweihte nennt die Fürther gerne die „Spiegelschleifer“. Im 19. Jahrhundert war Fürth das Zentrum der bayerischen Spiegelglasindustrie, die im Zuge der Industrialisierung einen gewaltigen Aufschwung nahm. Und wie der Großteil der Fürther Wirtschaft arbeitete sie hauptsächlich für den Export. Die Spiegel gingen in alle Welt, vor allem aber in die USA. Einige Firmen wie Fleischmann, Bach und Bendit gründeten sogar Niederlassungen in New York. Das Auslandsgeschäft allein mit Amerika erreichte 1890 eine Höhe von über neun Millionen Mark. Im Fürther Adressbuch von 1895 werden 77 Firmen ge­ nannt, die Spiegel oder Spiegelglas herstellten oder damit han­ delten; dazu kamen noch 40 Rahmenhersteller und zehn Beleg­ betriebe. Zu den wichtigen Spiegelherstellern in Fürth gehörten „J. Wilhelm Berlin“, „Krailsheimer & Miederer“, „W. Bechmann“, „Christian Winkler & Sohn“, „Seligmann Bendit & Söhne“, „J. L. Lehmann“ und „Leopold Büchenbacher“. Nicht nur der größte Spiegelhersteller in Fürth, sondern in ganz Bay­ ern war die Firma „N. Wiederer & Co.“ an der Leyher- und Kaiserstraße. Gegen Ende des Jahrhunderts beschäftigte Wiede­ rer über 1.000 Glasschleifer, Glaspolierer, Glasfacettierer, Glas­ graveure, Glasfahrer und andere. Die meisten von ihnen wohn­ ten ganz in der Nähe der Fabrik in dem nach ihnen benannten „Glasscherbenviertel“. Spezialität des Hauses waren die hoch69

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

wertigen Venezianischen Spiegel, deren Rahmen aus Spiegelstü­ cken zusammengesetzt waren. Die Produktpalette enthielt alles, was aus Glas hergestellt werden konnte. Die Spiegelherstellung geschieht in vier Schritten: Produkti­ on des Glases, Schleifen und Polieren der Scheiben, das Belegen derselben und zuletzt noch das Einrahmen. Das Glas wurde aus den Hütten der Oberpfalz und des Bayerischen Waldes bezo­ gen. Dann musste es sehr präzise mit Sand geschliffen und po­ liert werden. Dies geschah meist in außerhalb Fürths gelegenen Werken. Das fertige Spiegelglas wurde dann nach Fürth gebracht und in Handarbeit nach dem Zinnamalgam-Verfahren belegt. Dabei wird eine dünne Zinnfolie mit Quecksilber übergossen und die­ ses so lange verrührt, bis sich ein Amalgam bildet. Dann schob man vorsichtig die Glasscheibe darauf und beschwerte sie mit Gewichten, um das überflüssige Quecksilber herauszupressen. Nach 24 Stunden konnte man den Spiegel umdrehen und auf ein Gerüst legen, bis er nach acht bis 20 Tagen ausreichend aus­ gehärtet war. Das große Problem bei der Spiegelherstellung war die Ver­ wendung des giftigen Quecksilbers. Man konnte es zwar gut verarbeiten, aber es verursachte schwere Gesundheitsschäden, den sogenannten Merkurialismus. Dies ist eine Erkrankung des Nervensystems. Sie zeigt sich durch erhöhten Speichelfluss, Ma­ genbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerz und starke Reizbar­ keit. Auffällig ist das typische „Quecksilberzittern“ in Händen, Armen und den Gesichtsmuskeln. Menschen mit diesen Krank­ heitssymptomen gehörten im 19. Jahrhundert in Fürth zum ganz alltäglichen Erscheinungsbild. Schließlich führte diese Krankheit bei einer geringen Lebenserwartung zum frühen Tod der Spiegelbeleger. Nach einer Statistik des Fürther Arztes Dr. Wollner erkrankten schon im ersten und zweiten Jahr der Arbeit 21 Prozent der Arbeiter, spätestens nach 17 Jahren war ein jeder davon betroffen. Die ersten Quecksilbervergiftungen wurden schon 1841 in Fürth festgestellt. 70

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

-> Beschreibung aus dem Jahr 1888 über den Zustand von Spiegelbelegern: „Das Gesicht aschfahl, die Augen trüb, das Zucken nervöser Gereiztheit um den Mund, und der eigentümliche Gang! Das schwebt und schwankt, das strauchelt beim Gehen und schwankt, zögernd setzt die Alte dort den Fuß vor und jenen schüttelts am ganzen Körper, der schlenkert mit den Armen unruhig hin und her, und den dort hat das tückische Übel auf der Straße überfallen. Angstgepeinigt bleibt er stehen, er steckt die Hände in die Taschen und zwingt sich, sie darin zu halten. Schau ihm ins Gesicht, und seine Furcht wird steigen, er kommt nicht von der Stelle, gelähmt vom Quecksilber".

Die Belegräume befanden sich meist in Hofgebäuden und waren berüchtigt. Von der Firma Bendit hieß es, dass die Trep­ penstufen versilbert seien und das Quecksilber durch die Decke tropfe. Übrigens mussten dann Ende des 20. Jahrhunderts alle Gebäude, die einst der Spiegelfabrikation gedient hatten, wegen der Quecksilberverseuchung aufwendig saniert werden. Unter diesen Altlasten litt auch das Amtshaus am Kohlenmarkt, das heutige Technische Rathaus - ehemals Wohnhaus und Fabrik der Firma Bendit. Um die Preise niedrig halten zu können, kam es auch hier wie bei der Zinnfigurenherstellung einerseits zu Großbetrieben, den „Manufakturbelegen“, und andererseits zu einer Intensivie­ rung der Heimindustrie, man brauchte zum Belegen ja nur ei­ nen Tisch und ein Regal. Folglich wählten die Heimarbeiter häufig einen Dachboden als Arbeitsplatz. Da aber das Queck­ silber durch die Spalten und Ritzen der Bodenbretter in die da­ runter liegenden Räume eindrang, wurden diese kontaminiert. Behördlicherseits wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass diese nicht mehr zu Wohnzwecken geeignet seien. Aber dies war meist vergeblich, denn angesichts der Wohnraumnot blieb den Armen nichts anderes übrig, als auch solche vergifteten Kam­ mern zu nutzen. Übrigens war auch unter den Beiegern der An­ teil der Frauen bedenklich hoch - er stieg auf über 80 Prozent. 71

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Deshalb wurden viele Kinder schon mit den Anzeichen einer Quecksilbervergiftung geboren. Unter dem Aspekt der Quecksilbervergiftungen sind nun auch die Stiftungen zu sehen, die von einigen Spiegelherstellern für ihre Beschäftigten gemacht wurden, denen ja nun wirklich dringend geholfen werden musste. So errichteten die Brüder Bendit — allerdings erst 1898 - mit 10.000 Mark die „Lippmann und Carl Bendit’sche Stiftung“ zur Unterstützung arbeitsunfä­ higer Arbeiter. Manche richteten auch wie der Spiegelfabrikant Paul Winkler betriebseigene Krankenunterstützungskassen ein. Wenig geholfen haben wird aber die gute Absicht der Fürther Beleganstalten, die 1884 einen Hilfsverein gründeten, der die Mittel bereitstellte, sodass Beleger mindestens einen Monat im Jahr ihre Arbeit aussetzen konnten. Das Quecksilber wurde bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts als einzige technische Möglichkeit zum Belegen des Glases ver­ wendet. Es war ein Fürther Spiegelhersteller, Ludwig Winkler, der 1862 ein Verfahren entwickelte, mit dem nun ungiftiges Sil­ ber verarbeitet werden konnte. Ludwig Winkler hatte seine Gründe, warum er nach einer Alternative zum Quecksilber suchte. Sein Stiefvater Christian Winkler, der Firmengründer, hatte mit 43 Jahren selbst seinem Leben ein Ende gemacht, da seine Gesundheit gänzlich zerstört war. Eines seiner beiden Stiefgeschwister war blind, das andere gelähmt. Er selbst blieb aber vom Merkurialismus verschont. Der berühmte Chemiker und Erfinder Justus von Liebig ver­ besserte die Technik der Silberbelegung, und damit konnte Winkler auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1867 den da­ mals größten silberbelegten Spiegel mit über drei Meter Höhe präsentieren. Aber es dauerte lange, bis in Fürth die Produktion gänzlich umgestellt wurde, noch 1883 nutzte nur ein Sechstel der Betriebe das Silberbelegungsverfahren. Bis 1890 hatte es sich jedoch endgültig durchgesetzt, nachdem 1889 das AmalgamVerfahren verboten worden war. Dieses Verbot brachte aber auch große Veränderungen für die Fürther Spiegelindustrie. Das 72

TYPISCH FÜR FÜRTH: SEINE WIRTSCHAFT

neue Produktionsverfahren verlangte nach neuen, teuren Pro­ duktionsstätten und das Silberbelegen konnte überall eingeführt werden und war nun keine Fürther Spezialität mehr. Innerhalb weniger Jahre verschwanden die meisten Belegstätten. Einige Spiegelfabriken fusionierten zu größeren Firmen und änderten ihr Warenangebot. So entstand beispiels­ weise die „Vereinigte Spiegelfabriken AG“, die außer Spiegel auch Flurgarderoben, Bilderrahmen und Möbel herstellte. Fürth ist heute keine „Stadt der Spie­ gel“ mehr. Aber die Erinnerung daran bleibt, so gibt es zum Beispiel noch die Spiegelstraße, die 1877 nach einer dort gelegenen Spiegelfabrik benannt wurde. Im Jahre 2007 wurde zudem in der Dr.Konrad-Adenauer-Anlage eine neun Me­ ter hohe Spiegelsäule aufgestellt, die die lange Tradition der Spiegelherstellung ins Gedächtnis ruft. Und auch der U-Bahn­ hof Hardhöhe erinnert in seinem Design mit den Spiegellamellen daran.

Zur Lebenssituation der Arbeiter

Spiegelsäule in der „Dr.-Konrad-AdenauerAnlage“ als Erinne­ rung an die bedeuten­ de Fürther Spiegel­ industrie

Der Industriearbeiter des 19. Jahrhun­ derts lebte nicht nur in der Spiegelherstel­ lung höchst ungesund — und nicht lange. Gingen schon die Arbeitsbedingungen sehr zu Lasten seiner Gesundheit, so war auch die Ernährung unzureichend. 1861 stellte ein Arzt fest: „Bei der ärmeren Klasse sind Surrogatkaffee und Brot Hauptnahrung.“ Zur Unterernäh­ rung gesellten sich die armseligen Wohnverhältnisse. Diese blie­ ben bis zum Ende des Jahrhunderts sehr schlecht. Noch eine Erhebung von 1901/02 kam zu dem Ergebnis, dass die Bevölke­ rung in Fürth großenteils „eng zusammengedrängt wohnt, mit ungenügendem Luftraum in allzu dicht belegten Zimmern, weil 73

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

notwendige Räume an familienfremde Personen abvermietet sind. “ Die familienfremden Personen waren sogenannte Schlafgänger, die sich nicht in der Wohnung aufhalten, sondern nur ein Bett zum Schlafen benutzen durften, welches meist auch noch schichtweise vermietet wurde. Dementsprechend schlecht waren auch die hygienischen Verhältnisse. Das Bevölkerungswachs­ tum machte sich nun einmal vor allem in den Städten bemerk­ bar und das Wohnungsproblem musste für das gesamte 19. Jahr­ hundert ungelöst bleiben. Unter diesen Umständen war vor allem bei den Fabrikarbei­ tern der Alkoholismus weit verbreitet. Da sie sich weniger schäd­ liche geistige Getränke nicht leisten konnten, griffen sie zum billigen Branntwein, von dem ein Liter etwa zwei Arbeitsstun­ den kostete. Dieser schwächte aber wiederum ihre Widerstands­ kraft. Die Tuberkulose wurde zur Volkskrankheit des Industrie­ zeitalters. Man bezeichnete sie damals auch als die „Wohnungs­ krankheit“, weil die Häufigkeit ihres Auftretens mit der Bele­ gungsdichte der Wohnungen anstieg. Fürth hatte die meisten Todesfälle an Tuberkulose in Bayern. Die Lungenheilanstalt im Stadtwald aber wurde erst 1903 eröffnet.

74

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Eisenbahn und Industrialisierung Das Voranschreiten der Industrialisierung und der Ausbau der Eisenbahn gingen nahezu Hand in Hand. Beide brauchten ein­ ander. Nachdem der Versuch mit der privaten Ludwigsbahn ge­ lungen war, erbauten lokale Bank- und Handelshäuser von 1835 bis 1840 die München-Augsburger-Bahnlinie als zweite bayeri­ sche Eisenbahnlinie. Die Regierung hatte sich zunächst noch zurückgehalten und lediglich Rahmenbestimmungen erlassen. Da aber die wirtschaftlichen Ergebnisse der Privatgesell­ schaften durchaus sehenswert waren, andererseits aber deren Geldmittel für den Bau längerer Strecken durch schwieriges Ge­ lände zu knapp waren, nahm der Staat 1843 die Sache selbst in die Hand und ging für die Hauptstrecken zum Staatsbahnprin­ zip über. Deshalb kaufte er auch gleich ein Jahr später die Mün­ chen-Augsburger Linie und ging zügig an den Bau der wichti­ gen Verbindungsstrecken. Nachdem sich nun herausgestellt hatte, welche wirtschaftli­ chen Vorteile ein Bahnanschluss bringen konnte, bemühte man sich im ganzen Land um einen solchen und so kam es zu einem heftigen Wettbewerb unter den Kommunen. Manche von ihnen entdeckten durch die Bahn einen neuen Wirtschaftszweig, den 75

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Der „Adler“ von 1835, die Lokomotive der ersten deutschen Eisenbahn

Fremdenverkehr, und manchen abgelegenen Industriestandor­ ten wie zum Beispiel denen der Glasindustrie ermöglichte sie erst den Aufschwung. Für Fürth sah zunächst mit der Ludwigsbahn und dem Ludwigskanal die Zukunft im Hinblick auf die Transportwege sehr rosig aus. Doch der Kanal zeigte gleich nach seiner Eröffnung seine geringe wirtschaftliche Bedeutung und um die Eisenbahn­ anschlüsse entbrannte bald ein heftiger Wettstreit mit der Nach­ barstadt Nürnberg, die ja auch in einigen Industriezweigen mit Fürth konkurrierte. Nun wurde den Fürthern die Ludwigsbahn zur Falle. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis Fürth ei­ nen direkten Anschluss an das europäische Eisenbahnnetz er­ hielt, obwohl es diesen doch bei seiner extrem exportorientierten Wirtschaft dringend benötigte.

Gerade mal sechs Kilometer: die Ludwigsbahn Noch bevor sie überhaupt gebaut wurde, hatte die Ludwigsbahn schon einen starken Konkurrenten: den ebenfalls geplanten Ludwigskanal. Heftig wurde um die Vorzüge der beiden Ver­ 76

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

kehrswege debattiert. König Ludwig I. von Bayern favorisierte zwar den Wasserweg, war aber schon als Kronprinz auch der Bahn nicht abgeneigt. Letztlich wurden beide gebaut. Viele Jah­ re wurde heftig über beide Alternativen gestritten. Für die Bahn traten der bayerische Oberbergrat Joseph Ritter von Baader und der bekannte Nationalökonom Friedrich List ein, ihre Gegner waren der damals angesehene Erlanger Professor Michael Alex­ ander Lips und der kgl. Baukondukteur Friedrich Fick. Baader plante von Anfang an eine Nürnberg-Fürther-Stre­ cke. Zu ersten Besprechungen zwischen Fürther und Nürnber­ ger Kaufleuten kam es im Jahr 1825, aber noch verliefen sie ohne Ergebnis. Baader baute in Nymphenburg eine Probebahn, auch der König sprach sich anlässlich einer Durchreise dem Fürther Bürgermeister gegenüber für das Projekt aus: „Ich erach­ te den Bau einer Eisenbahn zwischen Fürth und Nürnberg nicht nur als wünschenswert, sondern auch als leicht ausführbar. Meiner wärmsten Förderung und Unterstützung wolle man sich versichert halten“. So traf sich dann 1827 der Fürther Kaufmann Conrad Gebhard mit dem Nürnberger Handelsvorstand und man be­ schloss die Bildung einer Interessengemeinschaft. Der Fürther Bürgermeister Franz Bäumen versprach dieser zwar seine volle Unterstützung, doch die Fürther Unternehmer zogen noch nicht mit. Das mag an den zu erwartenden hohen Kosten gele­ gen haben; die Kostenvoranschläge für die drei möglichen Sys­ teme reichten von etwa 75.000 bis 227.000 Gulden. Die Protagonisten der Bahn aber gaben nicht auf. Sie fanden dann für ihre Sache doch noch einige einflussreiche Mitstreiter. Unter ihnen befanden sich nicht nur der Erste und der Zweite Bürgermeister von Nürnberg, Jakob Friedrich Binder und Jo­ hannes Scharrer, sondern auch der schon erwähnte Friedrich List und der Nürnberger Kaufmann, Landtagsabgeordnete und Handelsvorsteher Georg Zacharias Platner. Fürth wurde vertre­ ten von seinem Bürgermeister Franz Bäumen und den Kaufleu­ ten Johann Meyer und Julius Reissig. 77

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Diese sieben Männer erließen am 14. Mai 1833 einen Aufruf zur Gründung einer „Gesellschaft für die Errichtung einer Ei­ senbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg und Fürth“. Aus­ gegeben wurden insgesamt 1.320 Subskriptionen zu je 100 Gul­ den, die man in ganz Bayern anbot und tatsächlich schon nach einem halben Jahr verkaufte. Die meisten davon blieben mit 700 Anteilen in Nürnberg, dann folgten Münchner Käufer mit 171 und an dritter Stelle die Fürther mit 136 Aktien. Die Kö­ nigliche Bayerische Staatsregierung jedoch zeigte ihre vom König versprochene Unterstützung des Projekts mit dem Kauf von ganzen zwei, eher symbolischen Aktien, dafür erlaubte aber seine Majestät, dass die erste deutsche Eisenbahn seinen Namen tragen durfte. Pikanterweise wurden die beiden Aktien erst nach erfolgter Mahnung zwei Jahre später bezahlt. Noch war eben dem Staat nichts am Bau von Eisenbahnen gelegen, der Kanal­ bau hatte Vorrang. Es ging aber auch ohne den Staat zügig voran. Am 18. No­ vember 1833 wurde die Aktiengesellschaft gegründet. Ihr Direktor wurde Georg Platner, sein Stellvertreter Johannes Scharrer. Sie beschlossen, die Bahn nach dem schon bewährten englischen System mit der Spurweite von 1,435 Meter zu bau­ en. Auf der Suche nach einem geeigneten Bauleiter stieß man auf den bayerischen Bezirksingenieur Paul Denis, einen gebür­ tigen Franzosen, der 1816 in den bayerischen Staatsdienst ge­ treten war. Dieser hatte sich in Amerika und England schon intensiv mit dem Eisenbahnwesen befasst und war für die Auf­ gabe bestens geeignet. Nun zeigte sich Ludwig I. doch noch als hilfreich und beurlaubte Denis für die Bauleitung. Doch als im März 1835 nach langen Schwierigkeiten bei der Grundstück­ serwerbung der Bau begann, holte ihn die Regierung wieder nach München zurück. Verzweifelt ersuchten Platner und Scharrer um seine Beurlaubung. Endlich wurde diese geneh­ migt, da erkrankte Denis und konnte den Bau nur brieflich von München aus leiten. Erst im Juni kam er wieder nach Nürn­ berg zurück. 78

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Die Streckenführung verlief neben der Straße NürnbergFürth. Diese war von 1801 bis 1804 noch unter preußischer Ver­ waltung von dem Statthalter Karl August von Hardenberg an­ gelegt worden. Sie verlief schnurgerade ohne jede Steigung und galt zu Anfang des 19. Jahrhunderts als die meistbefahrene im Königreich Bayern. Dies war mit ein Grund, warum überhaupt die erste Eisenbahn hier gebaut wurde. Gebaut wurde im Akkord. Die gewalzten Eisenschienen konnte man noch aus Deutschland beziehen, aber für das fahr­ bare Material war man auf England angewiesen. Man entschied sich für die Lokomotive der Firma „Robert Stephenson and Company“ in Newcastle und bestellte auch gleich einen engli­ schen Lokführer mit. -> William Wilson: (geb. 28.5.1809 in Walbottle, gest. 17.4.1862 in Nürnberg), war ab 1829 bei George und Robert Stephenson als Mechaniker angestellt. Zunächst wurde er für acht Monate auf Wunsch der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft als Lokführer und Ingenieur nach Nürnberg abgestellt. Er sollte das Personal unterweisen und einen Nachfolger ausbilden. Dafür erhielt er ein Gehalt, das sogar den Verdienst des Direktors der Gesell­ schaft überstieg, nämlich 1.500 Gulden im Jahr plus einer Vergütung von 240 Gulden. Ihm gefiel seine Stellung so gut, dass er bleiben wollte. Wegen seiner hohen Qualifikation und seines souveränen Auftretens wurde sein Vertrag immer wie­ der verlängert. Auch wollten die Passagiere mit keinem ande­ ren als mit dem „langen Engländer" fahren. Die Einnahmen sanken, wenn nicht er aufrecht und weithin sichtbar auf der Lokomotive stand. Trotz verlockender Abwerbeversuche der Bayerischen Staatsbahn blieb er der Ludwigs-Eisenbahn treu und wurde bei deren 25-jährigem Jubiläum hoch geehrt. Durch seine Arbeit zog er sich eine Krankheit zu, an der er 1862 starb. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde er auf dem Nürnberger Johannisfriedhof begraben.

79

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Der Ludwigsbahnhof von 1885 auf der heutigen Fürther Freiheit

Ende Oktober 1835 traf die sehnsüchtig erwartete Maschine in Einzelteile zerlegt in Nürnberg ein. Mit ihr auch der Lokfüh­ rer und Ingenieur William Wilson. Dieser baute nun unter Mit­ hilfe des Professors Bauer von der Polytechnischen Schule zu Nürnberg die Lokomotive zusammen, die man ein paar Wo­ chen später auf den Namen „Adler“ taufte. Die Maschine hatte ein Leergewicht von 11,4 Tonnen, eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h, eine Reisegeschwindigkeit von 24 bis 28 km/h und hatte wahrscheinlich eine Leistung von 40 PS. Sie kostete an die 800 Pfund Sterling. Die dazugehörigen neun postgelben Wagen aber stellten Fürther und Nürnberger Meister her. Jede der beiden Städte hatte auch ihren eigenen „Ludwigs­ bahnhof“ bekommen. Der Nürnberger stand bis 1951 auf dem Plärrer und der Fürther auf der heutigen Fürther Freiheit. Der alte Ludwigsbahnhof wurde 1885 durch ein repräsentatives Ge80

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Ankunft des „Adlers“ in Fürth

bäude im Stil des Historismus ersetzt und bot bald ein beliebtes Postkartenmotiv. Dennoch wurde er 1938 von den National­ sozialisten bedenkenlos abgerissen, als sie ein Areal für ihre Auf­ märsche brauchten. Mitte November konnten dann schon die Probefahrten be­ ginnen. Vier Tage vor der offiziellen Eröffnung wurden drei Fahrten für die Öffentlichkeit veranstaltet und deren Ertrag in Höhe von 128 Gulden den städtischen Armenkassen von Fürth und Nürnberg überwiesen. Alle größeren Zeitungen Bayerns teilten ihren Lesern die Neuigkeiten in ausführlichen Berichten mit. Am 7. Dezember 1835 war dann der denkwürdige Tag ge­ kommen. Eigentlich hätte die Eröffnungsfeier schon am 25. Au­ gust, dem Geburtstag des Königs stattfinden sollen, aber dieser Termin konnte nicht eingehalten werden. Und nun waren weder 81

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

der König noch sonst ein Mitglied des königlichen Hauses an­ wesend, da zur selben Zeit der zum König von Griechenland gewählte Prinz Otto zur Landesgrenze begleitet werden musste. Bürgermeister Binder ließ trotzdem das Königshaus dreimal hochleben und dann ging um neun Uhr der Zug nach Fürth ab. Die Fahrt dauerte nur neun Minuten. Eine große Menschen­ menge säumte dabei die Strecke. Von nun an verkehrte die Bahn stündlich zwischen 8 und 18 Uhr. In Deutschland war damit die erste für Personen- und Gü­ terverkehr konzipierte Eisenbahn mit Dampfbetrieb in Fahrt gekommen. Aber bemerkenswerterweise wurde der „Adler“ aus Ersparnisgründen nur für die beiden Mittagszüge eingesetzt, denn die dafür benötigte Steinkohle musste für teures Geld im­ portiert und herangeschafft werden. Die anderen Züge wurden von Pferden gezogen und brauchten mit etwa 15 Minuten fast doppelt so lang wie der Dampfzug. Dennoch wurden sie bis 1862 eingesetzt. Das erste beförderte Frachtgut waren zwei Fass Bier der Brauerei Lederer aus Nürnberg. Bis sie in Betrieb genommen werden konnte, hatte die Bahn schon fast 178.000 Gulden gekostet und war doch nur mit 132.000 veranschlagt worden. Im ersten Betriebsjahr kamen aber noch Anschaffungen in Höhe von fast 40.000 Gulden hin­ zu. Das spielte jedoch keine Rolle. Die Bahn wurde von Anfang an so sehr vom Publikum angenommen, dass schon im ersten Jahr statt der vorausgesagten Dividende von zwölf Prozent sogar 20 Prozent ausgeschüttet werden konnten. Die Aktionäre erhiel­ ten bereits innerhalb der ersten sechs Jahre ihr Kapital zurück. Bis 1855 fiel die Dividende nie unter zwölf Prozent - für die damalige Zeit eine hervorragende Kapitalverzinsung. Bald gab es auch Sonderfahrten. Um dem Verlangen des Publikums nachzukommen, richtete man außerplanmäßige Schnellfahrten für Gruppen von 50 Personen ein; bei dem Preis von einem halben Gulden pro Fahrgast wurde das eine gute Einnahmequelle. Bis zum Ende des Jahres 1836 wurden alles in allem schon über 475.000 Passagiere befördert. 82

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Im August 1836 war es dann endlich so weit, dass auch der König die Bahn besichtigte. Vor den Ludwigsbahnhöfen beider Städte standen prunkvolle Ehrenpforten. Nach den obligaten Vorstellungen der Honoratioren und den Gedicht- und Musik­ vorträgen dampfte der geschmückte Zug unter dem Jubel der Bevölkerung vom Plärrer aus in Richtung Fürth ab. An der Fürther Kreuzung ließ sich der König über den inzwischen auch schon begonnenen Kanalbau informieren. Nachdem auch in Fürth das Protokoll absolviert worden war, ging es wieder zurück — diesmal aber auf Wunsch des Kö­ nigs in Schnellfahrt. Mit etwa 50 bis 60 Stundenkilometern dauerte sie kaum sechs bis sieben Minuten. Daraufhin wollte der König von einem Aussichtsplatz aus den Zug in schnellem Tempo an sich vorbeifahren sehen und beobachtete nun das sich ihm bietende Schauspiel. Die im Zug mitfahrenden 270 Passa­ giere jubelten ihm zu und die Menschen auf der Straße stimm­ ten mit ein. Seine Majestät äußerte sich wohlwollend und zeigte höchste Zufriedenheit. Doch dies alles genügte nicht, um Ludwig I. von der Eisen­ bahn als Zukunftsmodell zu überzeugen, noch beharrte er wei­ ter auf den Kanalbau. Aber die Ludwigsbahn hatte den Beweis erbracht, dass sich der Eisenbahnbau auch finanziell rentierte. Bald brach in ganz Deutschland das Eisenbahnfieber aus und nur fünf Jahre nach ihrem Start waren die Bahnstrecken bereits auf 581 Kilometer angewachsen. Die erste dampfbetriebene Eisenbahn bauten 1825 George und Robert Stephenson in England von Stockton nach Darlington. Dann wurde 1829 in den USA in Baltimore eine Bahnstrecke eröffnet. 1837 folgte Frankreich mit der Linie Paris-St.-Germain. Ab 1840 bekamen auch die anderen deutschen Staaten ihre Eisenbahnen. Die Ludwigs-Eisenbahn war also weltweit die dritte unter den ersten Dampfeisenbahnen.

Die Ludwigsbahn konnte sich jahrzehntelang gut halten, ob­ wohl sie nie an die später gebauten staatlichen Eisenbahnlinien 83

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

angeschlossen wurde - schließlich war sie ja auch eine Privat­ bahn. Eine spürbare Konkurrenz erwuchs ihr erst, als 1881 auf derselben Strecke eine Pferdeeisenbahn eröffnet wurde. Als diese 1896 auch noch elektrifiziert wurde, war der langsame Unter­ gang der Ludwigs-Eisenbahn besiegelt. Da konnten sie auch eine zweite Haltestelle „Fürth-Ost“ und ein teilweise zweigleisi­ ger Ausbau nicht mehr retten. Die Rendite ging laufend zurück. Am 31. Oktober 1922 musste die erste deutsche Eisenbahn ihren Betrieb einstellen. Von ihr ist heute so gut wie nichts übrig geblieben, lediglich ein Denkmal am Nürnberger U-Bahnhof Bärenschanze erinnert noch an sie.

Die Ludwig-Süd-Nord-Bahn Weniger erfreulich als die Gründung der Ludwigsbahn verlief für die Fürther der Bau der Ludwig-Süd-Nord-Bahn, der ersten bayerischen Staatsbahn. Als deren Teilstrecke Nürnberg-Erlangen-Bamberg am 25. August 1844 eröffnet wurde, ging sie an Fürth vorbei. Die Route der neuen Bahn verlief ein Stück lang parallel zum Ludwigskanal, kreuzte schon vor Fürth bei Doos die Ludwigsbahn und bog dann über Poppenreuth nach Norden ab. Dadurch entstand die sogenannte „Fürther Kreuzung“ als erster Eisenbahn-Verkehrsknotenpunkt in Bayern. Der Grund dafür lag darin, dass in der Ludwigs-EisenbahnGesellschaft die Nürnberger das Sagen hatten und diese es zu verhindern wussten, dass die neue Strecke über Fürth führte. Denn sie hatte nun mal das Privileg für den Bahnverkehr zwi­ schen Nürnberg und Fürth. So mussten also die Fürther ihre Pro­ dukte bis zur „Fürther Kreuzung“ transportieren. Dadurch wur­ den natürlich die Transportkosten für die Fürther Waren wesent­ lich teurer als für die aus Nürnberg. Selbstredend profitierte die Ludwigsbahn auch beim Reiseverkehr nicht wenig von der Stre­ ckenführung. Deshalb protestierte die Gesellschaft auch heftig, als vier Jahre später für die Fürther eine Haltestelle in Poppen­ reuth eingerichtet wurde, die vielen Reisenden die Fahrt mit der Ludwigsbahn ersparte, da sie nun zu Fuß dorthin gehen konnten. 84

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Ludwigsbahndenkmal am Nürnberger U-Bahnhof Bärenschanze aus dem Jahre 1890 von Prof. Heinrich Schwabe

Es dauerte lange, bis sich nach jahrzehntelangem Kampf der Wunsch der Fürther nach einer direkten Anbindung an die SüdNord-Bahn erfüllte. Die Nürnberger waren immer dagegen, da sie die Fürther Konkurrenz fürchteten. In Schriften, Zeitungs­ artikeln und Eingaben an das Münchner Ministerium argu­ mentierten sie: „Fürth könnte sonst zur ersten Handelsstadt empor­ steigen, während Nürnberg veröden würde“. Im Jahr 1873 schließlich richtete die Stadt ein Gesuch an die Kammer der Reichsräte, dass die Linie über Fürth und Vach verlegt werden möge. Nun hatte sie Erfolg und schon drei Jahre später fuhr der erste Zug nach Bamberg über Fürth. Der bishe­ rige Streckenabschnitt über Poppenreuth war stillgelegt und die „Fürther Kreuzung“ endgültig beseitigt worden; sie war ohnehin stets ein Gefahrenpunkt gewesen. Aus ihr wurde nun der Bahn­ hof Doos. Ein Umsteigen von und zur Ludwigsbahn war nun nicht mehr nötig. Die Freude in Fürth war groß: man beflaggte die Häuser, es gab eine Extrafahrt nach Erlangen und ein Fest85

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Hauptbahnhof Fürth, früher Staatsbahnhof oder Centralbahnhof

diner, dazu ein Konzert in der „Englischen Anlage“, dem heuti­ gen Stadtgarten. Allerdings hatte das den Fürthern die Anbindung an die Nürnberg-Ansbacher Bahn gekostet. Denn in einer Eingabe an den König hatten sie einen Kompromiss angeboten, um im Ver­ zicht darauf die Verlegung der Süd-Nord-Bahn zu erreichen.

Endlich am Netz: der weitere Ausbau Auch beim Bau der Nürnberg-Würzburger Bahn sollte sich das alte Spiel wiederholen und Fürth wiederum umgangen werden, obgleich es diesmal sogar auf dem direkten Weg lag. Doch dazu kam es nun doch nicht. Mit der Eröffnung der ersten Teilstrecke 1862 bekam auch Fürth endlich seine Anbindung an das staat­ liche Eisenbahnnetz, allerdings zunächst nur für den Güterver­ kehr. Aber drei Jahre später hatte es als Entschädigung für die Umgehung durch die Süd-Nord-Bahn ein schönes neues Bahn­ hofsgebäude bekommen und nun verlief der Verkehr ohne Ein­ schränkungen. Am 19. Juni 1865 fuhr der erste Zug vom Für­ ther Hauptbahnhof ab, der zunächst in schlichtem Amtsdeutsch als „Eisenbahnbetriebsgebäude“ bezeichnet wurde und dann 86

EISENBAHNSTADT UNO VERKEHRSKNOTENPUNKT

doch zum „Staatsbahnhof Fürth in Bayern“ wurde. Er lag nur etwa 100 Meter südlich vom Ludwigsbahnhof entfernt. Auch die Nürnberg-Bamberger Bahn war zunächst an Fürth vorbei über Poppenreuth gelegt worden. Aber 1876 wurde sie dann doch über den Fürther Hauptbahnhof und als „Fürther Bo­ gen“ wieder auf die alte Strecke geführt. 1890 wurde das Fürther Eisenbahnnetz noch um die Cadolzburger Bahn erweitert. An die Fürther Eisenbahngeschichte erinnert heute noch der „Centaurenbrunnen“ auf dem Bahnhofplatz, eine Stiftung der beiden jüdischen Bürger Wilhelm Königswarter und Joseph Pfeifer Morgenstern. Geschaffen wurde er von dem Münchner Bildhauer Rudolf Maison und im Jahr 1890 feierlich enthüllt. Er stellt die Bändigung des Zentauren dar, einem Wesen aus der griechischen Sagenwelt, halb Mensch und halb Pferd. Damit symbolisiert er den Sieg des Menschen über die Naturgewalt der Dampfkraft.

Wasser oder Schiene: der Ludwigskanal „Donau und Main für die Schiffahrt verbunden. Ein Werk von Karl dem Großen versucht, durch Ludwig I. von Bayern neu be­ gonnen und vollendet. Ludwig I.“ Mit dieser Inschrift auf einer Tafel am Ludwigskanal setzte sich der König selbst ein Denkmal. Bei der Frage, ob der Wasser- dem Schienenweg vorzuziehen sei, hatte sich König Ludwig I. für den ersteren entschieden. Auch hier war eine längere Diskussion vorausgegangen. Befür­ worter des Kanalprojekts waren die beiden Erlanger Professor Michael Alexander Lips und Baukondukteur (Bauaufseher, Landmesser) Friedrich Fick. In einer Denkschrift von 1805 „Der Kanal in Franken“ setzten sie sich nach „staatswirthschaftlichen [sic], technischen und historischen Ansichten" für den Kanalbau ein. Viel Erfolg hatten sie zunächst nicht, vielleicht weil die Abhand­ lung dem preußischen König gewidmet war. Auch Freiherr von Soden verfasste 1822 ein Buch über die bisherigen Bemühungen und ersuchte König Maximilian L, nun endlich den Befehl zum Kanalbau zu geben. Doch dieser konnte sich nicht entscheiden. 87

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Fast gleichzeitig erschien auch die Publikation Joseph von Baaders „Verbindung Mayn-Donau“. Er, der Volkswirtschaftler und eifrige Eisenbahnbefürworter, verurteilte darin den Kanal mit all seinen Mängeln und hieß dessen Verteidiger „Kanalomanen“. Er schlug eine Rollbahn mit Eisenschienen vor, auf der von Ochsenfurt bis Donauwörth die Wagen von Pferden gezo­ gen werden sollten — Lokomotiven gab es damals noch nicht. Das Kanalprojekt war fast schon gescheitert. Doch da starb 1825 König Maximilian und mit seinem Nachfolger Ludwig 1. wendete sich das Blatt. Heinrich von Pechmann, der spätere Er­ bauer des Kanals, und Baader lieferten sich zwar noch einige Gefechte in der Presse, doch hatte ersterer schon ein Jahr nach der Thronbesteigung Ludwigs den Auftrag erhalten, Pläne für den Kanal auszuarbeiten. Im Jahr 1830 war Pechmann mit seiner Planung fertig, bald darauf wurde diese veröffentlicht, 1834 der Gesetzentwurf für den Kanalbau gemacht und 1836 eine private Aktiengesellschaft zu diesem Zweck gegründet und sogleich mit dem Bau begonnen. Die Finanzierung schien zunächst gesichert. Allerdings hatte sie schon im Vorfeld Schwierigkeiten bereitet. Ein Freiherr von Cotta, der bayerische Gesandte in Frankfurt am Main, hatte schon vor 1828 vergeblich versucht, mit finanzieller Unterstüt­ zung aus Frankreich eine Kanalgesellschaft auf die Beine zu stel­ len. Auch Verhandlungen mit einer amerikanischen Kanalge­ sellschaft waren fehlgeschlagen. Nach Pechmanns Berechnungen sollte der Kanal achtein­ halb Millionen Gulden kosten. In der ersten Sitzung der Vor­ standschaft der neuen Kanalgesellschaft wurde beschlossen, 20.000 Aktien zu je 500 Gulden zu emittieren und mit vier Prozent zu verzinsen. Damals konnte man noch im Voraus ei­ nen Zinsfuß festsetzen. Tatsächlich wurden auch für zehn Mil­ lionen Gulden Aktien verkauft; die Bayerische Staatsregierung hatte allein schon ein Viertel übernommen, über 7.200 Papiere gingen nach England, der Rest fand private Käufer in ganz Europa. 88

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Centaurenbrunnen auf dem Fürther Bahnhofplatz von 1890 zur Erinnerung an die Fürther Eisenbahngeschichte

89

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Doch bald reichte dieses Kapital nicht mehr aus. Unvorherge­ sehene technische Probleme, Materialverteuerungen und Lohn­ erhöhungen sorgten dafür, dass im Jahr 1841 kein Geld mehr vorhanden war. Entsprechend dem Kanalvertrag musste nun der Bayerische Staat für die weiteren Ausgaben geradestehen. Als schließlich die Endabrechnung vorlag, hatte der Kanal den ge­ waltigen Betrag von 14.433.759 Gulden gekostet. Hätte man dies vorausgesehen, wäre er nie gebaut worden. Der Steuerzahler hatte für ihn fast sieben Millionen Gulden aufbringen müssen.

-» Ludwig-Main-Donau-Kanal (Ludwigskanal): Bauzeit 1836 bis 1846,15,8 m breit, 1,5 m tief, 177 km lang, verläuft von Kelheim bis Bamberg, Höhenunterschied mit 100 Schleusen ausgeglichen. Vorläufer des heutigen Main-Donau-Kanals. 1846 für den Gesamtverkehr freigegeben. 6.000 bis 9.000 Ar­ beiter am Bau beteiligt. War bereits bei seiner Fertigstellung veraltet. Die Schiffe konnten nur getreidelt werden. Beförde­ rungshöchststand bereits 1850 erreicht, dann steter Abstieg. Als er fertiggestellt war, hatte das bayerische Eisenbahnnetz schon 213 Kilometer Länge erreicht. Der Kanal wurde aufgrund der Kriegsschäden 1945 stillgelegt. Auf dem Fürther Stadtge­ biet wurde er durch den Frankenschnellweg überbaut. Am 1. Juli 1836 fingen in Fürth die Bauarbeiten am Kanal an. Die Kommune empfahl den Almosenempfängern, sich da­ für zu melden, um dann über Jahre hinaus Arbeit und Lohn zu bekommen. Zunächst aber meldeten sich nicht viele. Daraufhin stellte die Stadt einfach die Unterstützungsleistungen ein und so entschlossen sich doch noch viele Bedürftige, sich an dem Un­ ternehmen zu beteiligen. Der Abschnitt zwischen Fürth und Erlangen schritt besonders schnell voran. Der 102 Meter lange Fürther Hafen lag aber etwas entfernt auf Poppenreuther Ge­ biet, zwischen den Schleusen 81 und 82. Für die Fürther fand die (Teil-)Eröffnung des Ludwigskanals am 6. März 1843 statt. Der Sektor von Nürnberg bis Bamberg war nun fertiggestellt. Allzu großartig scheint das Ereignis nicht 90

EISENBAHNSTADT UND VERKEHRSKNOTENPUNKT

Idylle am ludwigskanal

gewesen zu sein. Nach dem Bericht des Stadtchronisten passier­ ten vier Schiffe den Hafen, an Honoratioren befand sich ein Fürst Taxis, ein Oberst Michels und einige Mitglieder des Han­ delsvorstands an Bord. Erst Wochen später landeten dann die ersten Frachtschiffe im Fürther Hafen an und brachten am 20. Mai Zedernholz und Kupfer. Es gab auch schon einen Ka­ nalkahn aus Fürth selbst, genannt „Stadt Fürth“, der dem Kauf­ mann Siebenkäs gehörte und mit seiner Fracht am 3. Juni eintraf. In der Erinnerung der Fürther hielt sich der Kanal haupt­ sächlich als Naherholungsgebiet. Im Sommer zog er viele zum Baden an und im Winter zum Schlittschuhlaufen. 1906 machte ein Bamberger Lohnschiffer zwischen den beiden Schleusen in Doos und bei Kronach einen Bootsdienst auf. Ab 1913 befuhr dann ein anderer diese Strecke mit einem Motorboot. Am meis91

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

ten aber denkt man noch an die „Schlagrahmdampfer“ zurück, die ein echter Publikumsmagnet waren. Nach dem Ersten Welt­ krieg legte sich der Gastwirt Peter Weigel aus Kronach drei Boo­ te zu, mit denen er an den Wochenenden Hunderte von Fürther und Nürnberger Ausflüglern zu seinem Lokal fahren ließ. Dort gab es dann Kaffee mit Schlagrahm. Der Zweite Weltkrieg be­ reitete auch dieser Kurzweil ein Ende.

92

DIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

Kapitalisten, Kommerzienräte und Königliche Hoheiten: Fürths „bessere“ Gesellschaft In der Ära der Industrialisierung ermöglichten die Liberalisie­ rung der Wirtschaft, der technologische Fortschritt und die Freizügigkeit in der Ortswahl einzelnen Personen einen mitun­ ter sehr schnellen Aufstieg. Während sich in den Städten einer­ seits die anonyme Masse des Proletariats ständig vergrößerte, gelangten andererseits einzelne Unternehmer zu großem Wohl­ stand. Die Gegensätze verschärften sich und wurden in den In­ dustriestädten besonders deutlich sichtbar. An der Spitze der industrie-städtischen Gesellschaft standen nicht mehr die alten Patriziergeschlechter, der Adel oder die hohe Beamtenschaft allein, jetzt traten auch erfolgreiche Ge­ schäftsleute an ihre Stelle. Wer es als solcher „geschafft“ hatte, baute sich eine große repräsentative Villa und ließ sich mit „Herr Kommerzienrat“ anreden. In Bayern gab es den Titel des „königlich bayerischen Kom­ merzienrats“ erst seit dem 700-jährigen Wittelsbacher Herr­ schaftsjubiläum von 1880. Verliehen wurde er nur an ausgesuch­ te Personen aus dem Wirtschaftsleben, wenn deren guter Ruf und finanzielle Bonität über jeden Zweifel erhaben waren. Doch 93

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

das allein genügte noch nicht, sie mussten sich auch durch be­ sondere wirtschaftliche Leistungen und meist auch durch be­ deutende Verdienste für das Gemeinwohl ausgezeichnet haben. Deshalb war der Titel für manchen Unternehmer ein lockender Anreiz, sich auf diesem Gebiete hervorzutun. Nach einiger Zeit bedurfte es für die Koryphäen, die den Titel schon erhalten hat­ ten, einer Steigerung und so führte Prinzregent Luitpold 1908 noch den „Geheimen Kommerzienrat“ ein. Auch der „Kommerzienrat“ ist ein typisches Phänomen des Industriezeitalters, er symbolisiert es sogar. Da ist es nicht ver­ wunderlich, dass bis zum Ende des Königreichs 39 Fürther Kaufleute und Fabrikanten diesen Titel verliehen bekamen und vier sogar mit dem „Geheimen Kommerzienrat“ ausgezeichnet wurden. Letztere waren die bekannten Fürther Unternehmer Christian Heinrich Hornschuch (Textilfabrikant, ernannt 1909), Paul Winkler (Spiegelfabrikant, ernannt 1909), Hans Humbser (Großbrauereibesitzer, ernannt 1911) und Theodor Löwensohn (Kunstanstaltsbesitzer, ernannt 1917). Mit der Anzahl seiner Kommerzienräte steht Fürth im Vergleich zu anderen Industrie­ städten gut da, das wesentlich größere Augsburg hatte beispiels­ weise 55 Kommerzienräte und zwei Geheime Kommerzienräte aus der Zeit des Königreichs vorzuweisen. Fürther Kommerzienräte wie Heinrich Berolzheimer oder Gustav Löwensohn fanden beispielsweise mit anderen Spitzen der Gesellschaft wie Alfred Nathan oder dem Büchersammler und Stifter Conrad Gebhardt in der Freimauerloge „Zur Wahr­ heit und Freundschaft“ zusammen, die nach rechter Fürther Art und Tradition auch viele Juden aufnahm. Die knapp 200 Mit­ glieder gehörten durchwegs zur Fürther Oberschicht. Auch die Loge verdankt ihre größte Zeit der bürgerlichen Prosperität gegen Ende des Jahrhunderts. Ausdruck dessen ist das prachtvolle Lo­ genhaus in der Dambacher Straße. Im Jahr 1890/91 erbaut zählt es zu den herausragendsten Gebäuden des Fürther Historismus. Dem Repräsentationsbedürfnis genügend erbaute sich die Oberschicht gewissermaßen eine eigene Prunkstraße, den 94

DIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

Prachtbauten an der Hornschuchpromenade

Prachtboulevard Hornschuchstraße und Königswarterstraße, der früher zutreffend Promenadenstraße hieß. Hier finden sich wieder die bekannten Unternehmernamen wie Sahlmann, Evora, Scheidig und Eckart. Mit solchen Häusern wollten sich die reichen Bürger auf eine Ebene mit dem Adel stellen. Mit solchen Häusern konnten sie aber auch Könige beher­ bergen. Zum Beispiel König Ludwig III. (1912—1918), der kurz nach Antritt seiner Regentschaft Fürth besuchte und in der Vil­ la des jüdischen Hopfenhändlers und Kommerzienrats Anton Sahlmann wohnte.

Unternehmer und ihre Arbeiter: die Arbeiterfürsorge Unternehmer, die Stiftungen zum Wohl ihrer Arbeitnehmer einrichteten, taten dies nicht nur aus reiner Menschenliebe. Die 95

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Revolutionen der vergangenen Jahre waren noch nicht verges­ sen, gegen Ende des Jahrhunderts waren immer mehr sozialde­ mokratische „Umtriebe“ und Streiks zu befürchten. Mit betrieb­ lichen Unterstützungs- und Versorgungseinrichtungen wie Kas­ sen, Wohnungen, Kantinen und Ähnlichem konnten aber auch erfahrene und qualifizierte Arbeiter an den Betrieb gebunden werden. Zusätzlich mochten sie gegebenenfalls als Druckmittel eingesetzt werden. Und nicht zuletzt kam man damit den Wün­ schen der Regierung entgegen, der ebenfalls eventuelle Arbeiter­ unruhen und das Erstarken der Sozialdemokratie Sorge bereite­ ten. Wer gar eine staatliche Auszeichnung wie den Titel eines Kommerzienrats oder den Verdienstorden vom Hl. Michael an­ strebte, musste ohnehin ein gutes Verhältnis zu seiner Arbeiter­ schaft nachweisen können. Christian Heinrich Hornschuch, der Fürther Textilindustri­ elle, machte beispielsweise 1886 eine Stiftung von 17.000 Mark zum Wohle seiner Arbeiter und erhielt ein Jahr später den Titel Kommerzienrat, wie auch der Fabrikbesitzer Max Eiermann erst 20.000 Mark in seine Arbeiterkasse einzahlte, bevor er nach ei­ nigen weiteren Spenden Kommerzienrat wurde. Was auch immer die Beweggründe gewesen sein mögen, viele Unternehmer ergriffen aus eigener Initiative Sozialmaßnahmen zum Wohle ihrer Arbeiter. Beispielgebend war in Fürth die Fab­ rikantenfamilie Löwensohn. Die Brüder Bernhard und Theodor - beide wurden 1898 und 1899 Kommerzienräte und Theodor 1917 sogar der vierte Geheime Kommerzienrat in Fürth - errich­ teten 1894 mit 30.000 Mark je eine Alters- und Hinterbliebe­ nenstiftung, um „so durch private Fürsorge das zu ergänzen, was der Staat... allein nicht vollbringen kann.“ Die Löwensohns be­ schränkten sich aber nicht allein auf die Wohlfahrt ihrer Arbei­ ter, sondern tätigten noch eine Reihe anderer Stiftungen für die Allgemeinheit. Privatinitiative der Unternehmer war im 19. Jahrhundert aber auch dringend nötig. Zweifellos bedeutete die Bismarck‘sche Sozialgesetzgebung einen großen Fortschritt. Doch sie kam 96

OIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

spät: In Kraft trat 1883 das Krankenversicherungs-, 1884 das Unfallversicherungs- und erst 1889 das Invaliditäts- und Alters­ versicherungsgesetz. Für die Hinterbliebenen wurde aber nicht vorgesorgt. Der Sozialstaat lag noch in den Geburtswehen und gegen Ende des Jahrhunderts erhielten nur zehn bis fünfzehn Prozent der Arbeiter überhaupt eine Unterstützung.

Stifter und Wohltäter Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs mit dem Aufstieg des Bürgertums, seinem steigenden Wohlstand und seiner stärker werdenden Autonomie auch die Bereitschaft der Bürger, Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen und sich für allgemeine Belange einzusetzen. Diese Bereitschaft, für die Allgemeinheit Opfer zu bringen, wurde seit der Grün­ derzeit kontinuierlich größer, um dann während des Ersten Weltkriegs mit den Anforderungen der Kriegsfürsorge ihren Höhepunkt zu erreichen. Auch der bayerische Staat wusste diesen Umstand für sich zu nutzen und riefbeispielsweise im Jahr 1880 zu einer Sammlung für die Wittelsbacher Handwerksstiftung auf; Anlass dazu war das 700-jährige Regierungsjubiläum der Wittelsbacher in Bay­ ern. Durch den Erfolg dieser Aktion bestätigt, kam es im Laufe der Zeit zu landesweiten Sammlungen, an denen sich jeder Bür­ ger auch mit Kleinstbeträgen beteiligen sollte. Als Motiv nahm man neben anderen Staatsjubiläen zum Beispiel die runden Ge­ burtstage des Prinzregenten Luitpold, beginnend zu seinem siebzigsten am 12. März 1891. Die letzte große Landessamm­ lung fand zur Goldenen Hochzeit des Königspaares Ludwig III. und Theresia am 20. Februar 1918 statt. In diesem Stiftungs- und Schenkungswesen nimmt die Stadt Fürth eine Sonderrolle ein. Möglicherweise hat der hier herr­ schende Geist von Toleranz, Verständnis und Miteinander auch dazu geführt, dass von den Bürgern außergewöhnlich viel für das Gemeinwohl geleistet wurde. Auch hier wurden die meisten Stiftungen in der Zeit zwischen der Reichsgründung und dem 97

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Ende des Ersten Weltkriegs gemacht. Das Stiftungswesen hing einerseits eng mit dem wachsenden Wohlstand des Bürgertums zusammen und andererseits mit den sozialen Problemen, welche die Industrialisierung mit sich brachte. Zwei Zielrichtungen wa­ ren dabei vorgegeben: öffentliche Fürsorge und kulturelle Be­ dürfnisse. Viele öffentliche Einrichtungen wären ohne die wohl­ habenden Stifter gar nicht möglich gewesen oder erst viel später entstanden; und manche Not und manches Elend konnte durch ihr soziales Engagement gemildert werden. Die Motive der Stifter waren häufig unterschiedlicher Art. Gewiss spielten bei vielen soziales Verantwortungsbewusstsein ihren Mitbürgern und ihrer Stadt gegenüber eine Rolle, auch enge Verbundenheit mit ihnen. Ebenso gehörte Patriotismus zu den Beweggründen, denn viele Stiftungen waren vaterländischen Gedenk- und Feiertagen gewidmet. Aber natürlich konnten auch Ehrgeiz und Geltungsdrang ein maßgeblicher Faktor sein. Wer sich mit herausragenden Leistungen für das Gemeinwohl hervor­ getan hatte, durfte mit einer der vielen staatlichen Auszeichnun­ gen rechnen. Häufiges Motiv war auch der Wunsch, sich oder seiner Familie ein Andenken zu schaffen. Wenn Fürth also nun schon eine vergleichsweise hohe „Stif­ terkultur“ hatte, so haben sich unter seinen Philanthropen gerade die jüdischen Mitbürger besonders hervorgetan. Dafür mögen mehrere Gründe eine Rolle gespielt haben, wie etwa der Wille zur Integration und die Demonstration ihrer Verbundenheit mit der Stadt, mit Sicherheit aber auch ein grundlegendes Gebot der jüdischen Ethik, die „Zedaka“, also die Verpflichtung zur Wohl­ tätigkeit; häufig hielten sich die Juden dabei an die Regel, ein Zehntel ihres Einkommens zu spenden. Gewiss ist, dass die Fürther Bürger über einen ausgeprägten Gemeinsinn verfügten.

Fürths größter Wohltäter-Alfred Nathan Der wohl größte Wohltäter Fürths war Alfred Nathan (1870— 1922). Schon zu seinen Lebzeiten verschenkte er insgesamt zwei Millionen Mark an die Stadt, eine für damalige Zeiten riesige 98

DIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

Summe. Als Nachkomme einer Fürther Bankiersfamilie hatte er 1906 beim Tode seiner Mutter ein gewaltiges Vermögen geerbt.

-» Alfred Nathan: (geb. 8.12.1870 in Fürth, gest. 9.10.1922 in Bad Reichenhall), Sohn des Bankiersehepaares Sigmund und Amalie Nathan. Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Erlangen, 1888 bis 1893 Studium der Rechtswissenschaft. Wegen eines Lungenleidens Umzug nach Bad Reichenhall; im Winter lebte er in Meran. Musste wegen Krankheit seinen Beruf aufgeben. Betätigte sich auch als Dichter. Begraben auf dem alten jüdi­ schen Friedhof in Fürth. Bekaml914 den Titel Kgl. Bayer. Gehei­ mer Hofrat. Ehrenbürger von Fürth und Bad Reichenhall.

Seine größte Stiftung machte Nathan seiner Stadt im Jahre 1906 „zum ehrenden Gedächtnis an [seine] teuren, heiß gelieb­ ten Eltern“. Für insgesamt 343.000 Mark ließ er ein Wöchnerin­ nen- und Säuglingsheim errichten, das bekannte Nathanstift. Damals war in Fürth die Sterblichkeit unter den Neu­ geborenen sehr hoch, bis zu 30 Prozent der Kinder starben im ersten Lebensjahr. Das Stift sollte Frauen und Mädchen die Niederkunft erleichtern und den Säuglin­ gen im ersten Jahr volle Pflege gewähren. Dafür gab Nathan zusätzlich noch 5.000 Mark jährlich für die Unterhaltskosten. Das Haus wurde 1909 eingeweiht und bot Platz für zwölf Mütter und 25 Säug­ linge, befand sich auf dem neuesten tech­ Porträt des Fürther nischen Stand und verfügte sogar über Wohltäters Alfred eine Milchversorgungsstelle. Heute ist Nathan (1870-1922) das Nathanstift in das Fürther Klinikum integriert. Das inzwischen als Schule ge­ nutzte Gebäude steht immer noch und stellt ein besonderes Fürther Schmuckstück dar; die steinernen Plastiken an seiner Fassade weisen auf den ursprünglichen Zweck hin. 99

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Ehemaliges Gebäude des Nathanstifts in der Tannenstraße 17

Das Nathanstift regte viele weitere jüdische Geldgeber zu Folgestiftungen an. Darunter waren auch gebürtige Fürther, die ins Ausland ausgewandert waren. Alles in allem brachten sie noch vor dem Ersten Weltkrieg weit über 150.000 Mark für das Stift auf. Nathan selbst stockte das Kapital in den Folgejahren um mehr als eine Million Mark auf. Das war schon eine gewalti­ ge Summe, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit eine Semmel etwa zwei bis drei und eine Mass Bier 20 Pfennige gekostet hat.

Spender für das Nathanstift: Adolf Mack 12.500 (USA), Max und Louis Nathan 5.000 (München), Dr. Jakob Hirsch 15.000 (Frankfurt), Albert Rosenfelder 20.000 (Fürth), Jakob Mack 10.000 (USA), Louis Bechmann 20.000 (Fürth), Siegfried Bach 40.000 (Fürth/Nürnberg), Sigmund und Ludwig Neumann 10.000 (London), Adolf Heymann 25.000 (Fürth), Martin U11mann 5.000 (Fürth). Auch weiterhin zeigte sich Alfred Nathan fast bei jeder sich bietenden Gelegenheit als wahrer Philanthrop. Auf sein Konto gingen im Jahr 1908 der Jugendbrunnen vor der Feuerwache 100

DIE ARMEN UNO DIE REICHEN: OIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

und der König-Ludwig-Brunnen, 1910 stiftete er ein Löwenpaar für den Stadtpark, 1911 100.000 Mark für gemeinnützige Zwe­ cke und ein Haus für die „Sanitätskolonne“, also für das Rote Kreuz. Nach Kriegsbeginn spendete er 200.000 Mark für die Kriegsfürsorge, später weitere Summen für Weihnachtsbesche­ rungen von Kriegswaisen oder für die Hinterbliebenen- und Invalidenfürsorge. 1918 schuf er noch einmal ein großes Werk: die „König Ludwig III. und Königin Marie Therese goldene Hochzeitsstiftung“. Zu dem Namen kam es, weil damals anläss­ lich dieses Jubiläums vom König im ganzen Land zu einer um­ fassenden Spendenaktion aufgerufen wurde, an der sich jeder Bürger beteiligen sollte. Nathan ließ deshalb Wohnungen für kinderreiche Familien in der Stiftungsstraße bauen, die dann 1921 auch dementsprechend benannt wurde. Alfred Nathan, der wegen einer Krankheit selbst keine Kin­ der haben konnte, spendete den Großteil seines Vermögens für bedürftige Familien und Kinder seiner Heimatstadt. Wie viel er wirklich für sie getan hat, kann niemand sagen, da er seine Wer­ ke lieber im Stillen vollbrachte. Oft wurde erst nach seinem Tode bekannt, dass dieses oder jenes von ihm stammte. Insge­ samt hat er wohl etwa zwei Millionen Mark für Fürth gestiftet. Gewiss zu Recht ehrte ihn der Oberbürgermeister Dr. Robert Wild im Jahre 1922 in seinem Nachruf „als einen der größten Wohltäter und Menschenfreunde, die Fürth jemals hervorgebracht hat“.

Der Fürther Philanthrop - Dr. Wilhelm Königswarter Bevor er von Alfred Nathan übertroffen wurde, galt Dr. Wil­ helm Königswarter als größter Wohltäter der Stadt. Schon sein Vater, der jüdische Bankier Simon Königswarter, hatte viel für Einrichtungen und Arme aller Konfessionen gestiftet. Wilhelm begann die Reihe seiner Leistungen für das Gemeinwohl mit der „Simon-Königswarter-Stiftung“ für fleißige Gesellen und Lehr­ linge. Dann folgten Schenkungen für christliche und jüdische Arme, für Musikstudenten, für die Stadtbibliothek und für ei101

Prachtbauten an der Königswarterstraße, erbaut von 1883 bis 1904

nen Jugenderziehungsverein. Alljährlich bezahlte er 20 Kindern einen dreiwöchigen Ferienaufenthalt und 1886 spendete er 18.000 Mark für die Kinder eines Knabenhorts. Als er 1887 starb, setzte er die Stadt Fürth als Universalerbin ein und ver­ machte ihr damit 80.000 Mark; diese verwendete das Geld für die Neugestaltung des Stadtparks und setzte ihm dort einen Ge­ denkstein. Königswarters Wahlspruch bei seinen zahllosen klei­ nen, größeren und großen Spenden lautete: „Gib alles und er­ hoffe nichts“. Wilhelm Königswarter: (geb. 4.3.1809 in Fürth, gest. 15.5.1887 in Meran), Bankier, 1867 Ehrenbürger von Fürth, 1867 Michaelsorden I. Klasse, 1875 Benennung der Bahnhofstraße in Königswarterstraße. Studierte Medizin und Philosophie. Ging nach Brüssel und Paris, 1850 nach Fürth zurück, 1854 nach Nürnberg, 1861 nach München. War meist auf Reisen.

102

OIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

Volksbildung als Ziel - Heinrich Berolzheimer Einen nicht weniger guten Ruf als Menschenfreund schuf sich Heinrich Berolzheimer, auch er war einer der jüdischen Mitbür­ ger Fürths. Sein Anliegen war aber die Pflege von Kultur und Bildung. Durch den frühen Tod seines Vaters hatte er schon mit 23 Jahren eine neu gegründete Bleistiftfabrik übernehmen müs­ sen. Er selbst gründete mit einigen Teilhabern in New York eine Niederlassung, die zu einem der größten Unternehmen der Blei­ stiftbranche in den Vereinigten Staaten gedieh. Nach einer höchst erfolgreichen Tätigkeit als Geschäftsmann übergab er 1895 die Firma seinen beiden Söhnen, zog sich ins Privatleben zurück und widmete sich fortan dem Gemeinwohl.

-> Heinrich Berolzheimer: (geb. 6.9.1836 in Fürth, gest. 15.4.1906 in Nürnberg), übernahm 1859 nach dem Tod seiner Vaters die von ihm und Leopold lllfelder 1856 gegründete Bleistiftfabrik. Verlegte sich auf den Absatz in den USA. Gründete wegen der hohen Einfuhrzölle in New York mit seinem Bruder Martin, Leopold und Josef lllfelder und Josef Reckendor­ fer die „Eagle Pencil Co." Wurde 1882 Alleininhaber. Zog 1889 nach Nürnberg. Übergab 1895 das Geschäft seinen Söhnen. 1895 wurde er Kommerzienrat, 1904 Ehrenbürger in Fürth und 1906 in Nürnberg. Stiftete für Nürnberg 1910 das Künstlerhaus und 1911 das Luitpoldhaus.

________

Porträtbüste von

Heinrich Berolzheimer Berolzheimer hatte erkannt, dass ein (1836-1906) sozialer Aufstieg nur über eine gute Aus­ bildung möglich war. In Amerika hatte er die Einrichtung von Volksbibliotheken kennengelernt. Etwas Ähnliches wollte er nun auch für Fürth haben und gründete 1904 mit seinen Söh­ nen Emil und Philipp den „Fürther Volksbildungsverein“ für

103

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Berolzheimerianum in der Theresienstraße 1

die Schaffung des „Berolzheimerianums“ oder des „Berolzheimer“, wie es die Fürther nennen. Genau genommen hieß es „Heinrich Berolzheimefsche Jubiläumsstiftung“. Jubiläumsstif­ tung sollte die Institution deswegen heißen, weil sie bis zur Hundertjahrfeier des Königreichs Bayern und der Eingliederung Fürths in dasselbe fertiggestellt sein sollte. Dafür stellten die drei Spender den Betrag von 223.000 Mark zur Verfügung. Mit diesem Geld entstand in der Theresienstraße 1 ein groß­ artiges Volksbildungsheim mit einer öffentlichen Bibliothek, einer Lesehalle und einem Veranstaltungssaal mit Empore für Konzerte, Vorträge und Ausstellungen. Selbstverständlich sollte die Bibliothek unentgeltlich benützt werden dürfen. Der Volks­ bildungsverein sollte streng auf politische Unparteilichkeit ach­ ten und einem jeden Bürger Zugang gewähren, „ohne Ansehen des Standes, der Religion oder der politischen Anschauungen', die Benutzung des Hauses zugunsten einzelner Parteien wurde so­ gar ausdrücklich untersagt. Das von dem Fürther Stadtbaurat Otto Holzer im damals modernen Jugendstil geplante Gebäude wurde am 26. Mai 104

DIE ARMEN UND DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

1906 in Anwesenheit des Prinzen Ludwig, des späteren Königs Ludwig III. eingeweiht. Doch Heinrich Berolzheimer konnte nicht mehr mit dabei sein. Nur wenige Wochen vorher war er gestorben.

Kapitalist mit sozialer Verantwortung Christian Heinrich Hornschuch Der Unterfranke und gelernte Kaufmann Christian Heinrich Hornschuch kam 1860 als Angestellter der eingesessenen Tex­ tilfabrik „Weber &C Ott“ nach Fürth. Schon nach einem Jahr wurde er Schwiegersohn und Teilhaber seines Chefs Konrad Ott und 1872 auch noch Alleininhaber. Er war ein außeror­ dentlich erfolgreicher, weitblickender und innovativer Unter­ nehmer; er ließ zum Beispiel 1883 von Fürth nach Forchheim Deutschlands erste telefonische Überlandleitung legen, aller­ dings nur für seine privaten Zwecke. Neben zahlreichen ande­ ren staatlichen Auszeichnungen wurde er auch als erster Fürther zum Jahreswechsel 1908/09 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Hornschuch entsprach ganz dem Typus des Industriel­ len der Gründerzeit. Christian Heinrich Hornschuch: (geb. 2.3.1838 in Abtswind, gest. 17.1.1912 in Fürth), 1886 Kommerzienrat, 1906 Prinzre­ gentenmedaille, 1908 Orden vom Hl. Michael IV. Klasse. 1908 Geheimer Kommerzienrat, 1911 Orden vom Hl. Michael III. Klasse, Ehrenbürger von Forchheim und Weißenstadt. Ab 1872 durch Einheirat Alleininhaber der Fürther Textilfabrik „Weber & Ott", gründete 1873 in Forchheim eine mechanische Bunt­ weberei, 1875 eine chemische Bleichanstalt, kaufte 1883 und 1893 weitere Webereien in Brand, Erlangen und Wunsiedel auf sowie 1900 die Kulmbacher Spinnerei. Er wurde der „Textil­ baron" genannt.

Obwohl Kommerzienrat Hornschuch ein waschechter Kapi­ talist war, vergaß er nicht die Bedeutung sozialen Engagements. Vor seiner Ernennung zum Kommerzienrat 1886 machte er eine 105

FORTH IM 19. JAHRHUNDERT

Stiftung von 17.000 Mark für seine Arbeiter. Zu verdanken hat ihm Fürth schon zu seinen Lebzeiten neben kleineren Spenden für die Auferstehungskirche und das Nathanstift die Errichtung einer Schulzahnklinik im Jahr 1907. Solche Leistungen für das Gemeinwohl brachten ihm - neben seiner wirtschaftlichen Be­ deutung - den Titel „Geheimer Kommerzienrat“ und die Orden vom Hl. Michael IV. und III. Klasse ein. Als großer Spender erwies er sich nach seinem Tod 1912 mit der „Heinrich-Hornschuch-Stiftung“. Es lohnt sich, das Vermächtnis des Heinrich Hornschuch etwas genauer zu betrachten. Zunächst vermachte er der Stadt ein Kapital von 100.000 Mark, aus dessen Zinsen der Armenpflegschaftssrat monatlich 150 Mark an „arme Fürther Einwoh­ ner“ verteilen sollte. Er stiftete aber noch weitere 60.000 Mark, von denen 20.000 in jährlichen Raten von 2.000 Mark für seine Schulzahnklinik vorgesehen waren, Darüber hinaus sollte das Nathanstift fünf Jahre lang je 1.000 Mark bekommen. Sofort ausbezahlen sollte der Nachlassverwalter 3.000 Mark an die Kinderbewahranstalten, dann 2.000 Mark an die Krieger von 1866 und 1870/71 und je 1.000 Mark an die Michaelskirche, die Paulskirche, an die Diakonissen-Anstalten, Waisenhäuser, Feuerwehr, Sanitätskolonne (Rotes Kreuz), Ferienkolonie für Kinder und an verschiedene soziale Vereine. Damit hatte Hein­ rich Hornschuch in seinem Testament eine Liste der Punkte auf­ gestellt, in denen die Allgemeinheit auf die Hilfe ihrer wohl­ habenden Mitbürger angewiesen war. Doch eine Sache, die die Fürther ebenfalls eifrig betrieben, kam nicht in Hornschuchs Vermächtnis vor: die Stadtverschö­ nerung. Die Kinder des Arztes Dr. Landmann machten sogar 1899 zum Gedächtnis ihrer Eltern Samson und Fanny eine eige­ ne Stiftung „zur Verschönerung der Stadt“. Darunter verstand man damals das Errichten von Grünanlagen, Ruhebänken, Brunnen, Denkmälern und ähnlichen Objekten. Der monu­ mentale Centaurenbrunnen auf dem Bahnhofplatz wurde bei­ spielsweise 1890 von den beiden jüdischen Bürgern Dr. Wilhelm 106

Stadtpark

Königswarter und dem Privatier und Magistratsrat Joseph Pfei­ fer mit einer Spende von je 6.000 Mark ermöglicht.

Lotterie zur Familiengründung: die Aussteuerkasse Heute gehört zu den großen Attraktionen auf der Fürther Kirchweih der „Kärwazug“. Im 19. Jahrhundert aber war einer ihrer Höhepunkte die Verlosung der sogenannten „Heirats­ kasse“. Mit dieser „Heiratskasse“ hatte es Folgendes auf sich: Um überhaupt heiraten zu dürfen, musste das angehende Ehepaar den Besitz von mindestens 50 Gulden nachweisen können. Da­ ran scheiterte natürlich so manche Verbindung. Denn durch die Wirren der Revolutionszeit und den darauffolgenden Kriegen war es zu erheblichen Preissteigerungen gekommen und damit herrschte allgemeiner Geldmangel. Demzufolge fiel die Zahl der Eheschließungen auf einen besorgniserregenden Tiefpunkt. Um diesem Übelstand abzuhelfen, gründeten im April 1798 einige verantwortungsbewusste Fürther Honoratioren die „Aus­ steuerungsanstalt“. Sie hatten eine ideale Vorstellung: „Möchte überhaupt dieses ganze Unternehmen, dem die edelste Absicht, die 107

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Absicht der Beförderung des Wols [sic] der Menschheit und Grün­ dung des Glücks von mehreren Familien an der Stirne steht, den Beifall des Publikums... finden. “ Im Prinzip arbeitete diese Einrichtung wie eine Lotterie. Alle heiratswilligen jungen Frauen und Männer konnten das ganze Jahr über wöchentlich einen Kreuzer in die Kasse einzahlen. Vor allem aber waren wohlhabende Bürger und Arbeitgeber aufgeru­ fen, für ihre Arbeiter, Angestellten und Dienstboten diesen Be­ trag einzuzahlen. Am letzten Kirchweihnachmittag sollte dann unter den Einzahlern eine Verlosung des angesammelten Kapi­ tals stattfinden. Der Gewinn von immerhin 150 Gulden sollte als Grundstock für die Aussteuer dienen und deshalb erst am Hochzeitstag mit den inzwischen angelaufenen Zinsen ausbe­ zahlt werden. Der Plan schlug ein und die Fürther machten eifrig mit. Das Sammelergebnis betrug im ersten Jahr schon fast 2.000 Gulden. Bei der ersten Verlosung im Oktober 1799 waren über 2.100 Einleger mit dabei, die sich um den Balkon versammelten, den man vor der Armen- und Waisenschule für diesen Zweck errich­ tet hatte. Später fand dann die Zeremonie vor dem Rathaus statt und jedes Jahr fand sich dazu eine große Menschenmenge ein, um das Schauspiel zu genießen. 1839 beschrieb dies ein Zeitge­ nosse folgendermaßen: „Ein Balkon wurde extra errichtet, die Geländer davor werden mit roten Tüchern umhängt. Aufdem Bal­ kon steht aufeinem Tische das Glücksrad und ein bis aufdas Hemd entkleideter sechs- bis siebenjähriger Knabe, der die gewinnenden Nummern zieht und mit seinen verbundenen Augen und nackten Armen ganz dem Gott der Liebe gleicht, dessen Assistent er an die­ sem Tage ist. Jede gezogene Nummer wird, nachdem solche vom Balkon herabgerufen, aufeine schwarze Tafel geschrieben und un­ ter dem Schalle von Trompeten und Pauken vorgezeigt“. Die Aussteuerungsanstalt hatte Bestand und wurde auch im Ersten Weltkrieg weitergeführt. Die Stadtchronik vermerkt dazu am 13. Oktober 1915: „Die Ziehung der Heiratskasse fand nachmittags aufdem blauweiß drapierten Balkon des Rathauses in 108

DIE ARMEN UNO DIE REICHEN: DIE FÜRTHER GESELLSCHAFT

der üblichen Weise statt. Es ist dies die einzige Veranstaltung, wel­ che daran erinnert, daß heute die Kirchweih zu Ende ginge, wenn wir in Frieden lebten“. Im Vergleich zu früheren Zeiten war aber der Erlös schon weit zurückgegangen; gerade mal drei arme Brautleute bekamen je 100 Mark und drei Waisenknaben wur­ den eingekleidet. Doch mit den geänderten Verhältnissen erlosch das Interesse an der Heiratskasse und im Kriegsjahr 1942 wurde ihre letzte Verlosung durchgeführt.

109

BERÜHMTE SÖHNE DER STADT

Es waren nicht nur die Unternehmer, die den Ruf der Stadt weit über ihre Grenzen hinaus verbreiteten und typische Exponenten ihrer Epoche waren. Auch in anderen Bereichen als dem der Wirtschaft hatten die Söhne Fürths etwas zu bieten. Beginnen wir aber mit einer Frau: Emilie Lehmus (1841 — 1932). Sie war die Tochter des Fürther evangelischen Pfarrers Friedrich Th. Eduard Lehmus, der seinerseits ein Pionier der Kleinkinderbe­ treuung war und 1837 in Fürth eine Kinderbewahranstalt eröff­ net hatte. Emilie Lehmus jedoch ging in die Geschichte ein als die erste deutsche Medizinstudentin. Da ihr das Studium in Deutschland verweigert wurde, immatrikulierte sie sich 1870 in Zürich und machte dort fünf Jahre später ihr Examen mit dem Prädikat „ausgezeichnet“. Auch wenn der dortige Medizinpapst Rudolf Virchow noch so sehr dagegen wetterte, sie ließ sich in Berlin nieder und eröffnete dort als erste Ärztin eine Privat­ praxis. Eine deutsche Approbation hat sie nie bekommen. Die erste Frau, die in Deutschland im Jahr 1880 ein Medizinstudi­ um abschließen durfte, war Hope Bridges Adams Lehmann. Zeigt die Biografie der Emilie Lehmus den liberalen Geist des Bürgertums und die allmählich beginnende Emanzipation der Frauen, so haben wir es bei Martin Segitz (1853-1927) mit 111

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

einem politischen Vertreter der Arbeiterschaft zu tun. Der ge­ lernte Zinngießer trat schon früh der Gewerkschaft und der SPD bei, wurde Journalist bei der „Fürther Bürgerzeitung“ und 1894 erster Arbeitersekretär Deutschlands. Er war von 1898 bis 1928 im bayerischen Landtag und von 1912 bis 1924 im Deutschen Reichstag. 1919/20 war er sogar bayerischer Innen- und Sozial­ minister. Er gehörte zu den herausragenden Persönlichkeiten der Gewerkschaftsbewegung, schließlich hatte er Not und Elend der Arbeiter in seiner Heimatstadt bestens kennenlernen können. Die Fürther Wilhelm Löhe und Jakob Wassermann sind noch dem 19. Jahrhundert verhaftet, Emilie Lehmus und Mar­ tin Segitz verweisen bereits auf das 20. Jahrhundert, Ludwig Erhard ist dort angelangt.

Mission und Auswanderer: Wilhelm Löhe Wilhelm Löhe, der gebürtige Fürther wäre auch gerne in Fürth Pfarrer geworden. Das blieb ihm jedoch versagt. Bis zu seinem Lebensende musste er in seiner Pfarrei Neuendettelsau bleiben. Von dem kleinen Dorf aus wirkte er aber in das geistig-religiöse Leben der Protestanten in ganz Bayern hinein, arbeitete für die Innere Mission und betreute die fränkischen Auswanderer. Löhe trat vehement für einen lutherischen Konfessionalismus ein, bekämpfte die Liberalen und lehnte eine Staatskirche ab. Damit geriet er in Widerspruch zur Münchner Kirchenlei­ tung. Beinahe kam es zum Bruch mit der Amtskirche, zeitweilig wurde er sogar suspendiert, denn er griff oft in das kirchenpoli­ tische Tagesgeschehen ein. Löhe unterschied streng zwischen „reformiert“ und „lutherisch“, ihm wird auch zugeschrieben, dass sich die evangelische Kirche Bayerns seit 1853 selbst als „evangelisch-lutherisch“ bezeichnet. Löhe entfaltete auch eine lebhafte publizistische Tätigkeit, die von Predigtwerken, seelsorgerischen Schriften bis zu Büchern über das Wesen der Kirche reichte. Bekannt wurde er durch die Gründung eines Mutterhauses für Diakonissen 1854, die ihm die Ehrenbezeichnung „Fränkischer Diakonissenvater“ eintrug. 112

BERÜHMTE SÖHNE DER STADT

Links: Wilhelm-Löhe-Haus in der Königstraße.; rechts: Wilhelm Löhe Denkmal von Johannes Götz auf dem Kirchplatz St. Michael.

Johann Konrad Wilhelm Löhe: (geb. 21.2.1808 in Fürth, gest. 2.1.1872 in Neuendettelsau), evangelischer Theologe im Geiste des Neuluthertums, studierte in Erlangen und Berlin, seit 1837 Pfarrer von Neuendettelsau. Begründer der lutherischen „Missionsanstalt für Nord-Amerika" (um 1841), der „Gesell­ schaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche" (1849), des „Lutherischen Vereins für weibliche Diako­ nie" (1853), der „Diakonissenanstalt" (1854). Er förderte die Auswanderung von Franken in die USA, führte die Ausbildung von Frauen in der Diakonie für die Innere Mission ein, verfasste diverse Schriften und erhielt den Orden vom Hl. Michael I. Klas­ se. Sein Leitspruch war: „Dienen will ich“. Für Löhe aber bestand das Christentum in erster Linie in der Arbeit für den Nächsten. Hier fand er ein zeitgemäßes Betäti­ 113

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

gungsfeld in der Betreuung der Auswanderer. Ab 1830 hatte in Bayern eine verstärkte Auswanderung nach den Vereinigten Staa­ ten eingesetzt. Weder Industrialisierung noch gesellschaftliche Entwicklung waren schon so weit gediehen, dass sie allen genü­ gend Arbeit und Auskommen bieten konnten. So kam es zu meh­ reren Auswanderungswellen von Bayern nach Amerika, die ihre Höhepunkte in den Jahren nach 1850, 1870 und 1880 erreichten. Bis zum Ende des Jahrhunderts waren es mehrere hunderttausend Emigranten. Den größten Anteil daran hatten nach den Pfälzern die Franken. Unter diesen waren auch einige Fürther wie Hugo Wassermann, der Bruder des Schriftstellers Jakob oder Julius Ochs, dessen Sohn Simon 1896 die „New York Times“ übernahm. Doch um die Seelsorge dieser fränkischen Auswanderer war es schlecht bestellt. Bei den evangelischen Christen herrschte Pastorenmangel. Deshalb sandte der deutsch-amerikanische Pastor Friedrich Wynecken aus Indiana einen Hilferuf nach Neuendettelsau, der Löhe auf die schwierige kirchliche Situation aufmerksam machte. Da die Landeskirche nicht helfen konnte und bis 1843 die Gründung von evangelischen Missionsvereinen verboten war, griff Löhe zur Privatinitiative und schickte 1842 die ersten Helfer nach Übersee. Im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus die „Missionsan­ stalt für Nord-Amerika“, in der Missionare ausgebildet wurden, die einerseits die Christen betreuen und andererseits aber auch die Indianer missionieren sollten. Löhe sah ohnehin in der Über­ seewanderung einen Ausweg aus Armut und Proletarisierung und vermittelte von Neuendettelsau aus die mittelfränkischen Auswanderer nach Amerika; im April 1845 reisten die ersten nach Michigan ab und gründeten dort das heute noch bestehen­ de Frankenmuth. In den nächsten Jahren entstanden weitere Niederlassungen mit ähnlich vielsagenden Namen: Frankent­ rost, Frankenhilf, Frankenlust. Die ausgewanderten Fürther erinnerten sich übrigens dank­ bar an ihre Heimat und schickten während des Krieges 1870/71 „zur Unterstützung Notleidender“ 350 Gulden. 114

BERÜHMTE SÖHNE DER STADT

Kein Freund der Stadt: Jakob Wassermann Der jüdische Schriftsteller Jakob Wassermann wurde am 10. März 1873 in der Alexanderstraße 13 geboren. Zu seiner Zeit gehörte er zu den meistgelesenen Autoren in Deutschland, war sehr pro­ duktiv und lieferte einen Bestseller nach dem anderen. Er ver­ kehrte in den besten Kreisen, wo er auch die meisten seiner Romane spielen ließ. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Fürth. Da sein Vater aber als Geschäftsmann so gut wie er­ folglos war, wuchs er in großer Armut auf. Die andauernde ma­ terielle Not bedrückte die Familie schwer und die Kinder bekamen oft kaum genug zu essen. Bedingt durch die beruflichen Misserfolge des Vaters kam es zu häufi­ gen Umzügen innerhalb des Viertels hin­ ter dem Rathaus, das auch heute noch von großen klassizistischen und historis­ tischen Häusern geprägt ist, die dem Kind Jakob wie „lauter Riesen“ vorka­ men. Der Junge litt zudem unter dem frühen Tod seiner geliebten Mutter und dem ausgesprochen schlechten Verhältnis zu seinem Vater und zu seiner Stiefmut­ ter. Von 1883 bis 1889 besuchte er die Königliche Realschule in der Hirschen­ straße, wo er sich ebenfalls sehr unglück­ lich fühlte. Kaum hatte er seinen Schul­ abschluss erreicht, verließ er denn auch Wassermann im Alter von 17 Jahren (1890) seine Geburtsstadt und zog nach Mün­ chen. Jakob Wassermann blieb sein Leben lang von seiner Fürther Jugend geprägt. In seinen Erzählungen und Romanen tauchen immer wieder seine Erinnerungen in verschlüsselter Form auf. Angesichts seiner unglücklichen Ju­ gend nimmt es nicht Wunder, dass seine Heimatstadt dabei schlecht wegkommt. „Dies Fürth ist doch eine häßliche Stadt. 115

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Warum hat mich der liebe Gott nicht in einer Stadt mit schöneren Häusern geboren werden lassen?“, schreibt er in „Schläfst Du, Mutter?“. Und in seinem autobiografischen Werk „Mein Weg als Deutscher und Jude“ sieht er Fürth so: „Erstickend in ihrer Engigkeit und Öde die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes, der tau­ send Schlöte, des Maschinen- und Hämmergestampfes, der Bier­ wirtschaften, der verbissenen Betriebs- und Erwerbsgier, des Dicht­ beieinander kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus.“ Mit dieser in der Erinnerung verzerrten Sicht tut er seiner Heimatstadt allerdings Unrecht, denn gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die Straßen auch in dem Viertel, wo die Wassermanns wohnten, breit und die Häuser großzügig angelegt, und an Garten- und Parkanlagen fehlte es der Stadt auch nicht. Trotz seiner trübsinnigen Erinnerungen hat Jakob Wasser­ mann in späteren Jahren seinen Geburtsort noch dreimal besucht, einmal auch im Oktober 1926 zu einer Lesung im Berolzheimerianum. Die Fürther wurden gebeten, „dem weithin berühmt gewor­ denen Sohne ihrer Vaterstadt die Genugtuung eines vollen Saales zu bereiten“. Dies taten sie auch und tags darauf stand in der Zeitung zu lesen: „Die Fürther bereiteten dem berühmten Landsmann am Schlüsse eine äußerst warme Dankeskundgebung“. Die Stadt hat ihn nicht vergessen und eine Straße und eine Schule nach ihm benannt, ja sogar im Jahr 1993 einen JakobWassermann-Literaturpreis gestiftet; auch eine Tafel auf dem Fürther Ehrenweg erinnert an ihn. -> Jakob Wassermann: (geb. 10.03.1873 in Fürth, 1.1.1934 in Alt­ aussee), stellte in virtuos erzählten Romanen menschliche Konflikte dar und trat für Gerechtigkeit ein. Gewann in den späten 1920er und 1930er Jahren Weltruhm. 1933 nach der Bücherverbrennung in Deutschland verboten starb er verarmt und psychisch gebrochen. Bekannteste Werke: „Die Juden von Zirndorf", „Das Gänsemännchen", „Christian Wahnschaffe", „Der Fall Mauritius", „Christoph Columbus".

116

BERÜHMTE SÖHNE DER STADT

Geburtshaus Jakob Wassermanns in der Alexanderstraße

117

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Eng mit Fürth verbunden: Ludwig Erhard Über seine Heimatstadt schrieb Ludwig Erhard, ein echter Fran­ ke von Geburt und Habitus, in seinen „Erinnerungen an Fürth“: „An dieser Stadt haften alle meine Kindheitserinnerungen; sie hat mich vom Kind zum Jüngling und von ihm zum Manne heranrei­ fen sehen. In dieser Stadt habe ich jene Wandlungen erlebt und durchlebt, die mich dorthin gestellt haben, wo ich heute in meinem Vaterland und in der Welt stehe. So fühle ich mich denn meiner Vaterstadt Fürth aufdas engste verbunden'. Geboren wurde er am 4. Februar 1897 in der Sternstraße 5 (heute Ludwig-Erhard-Straße) als zweites von insgesamt vier Kindern. Seine Mutter war evangelisch, sein Vater katholisch. Dieser betrieb dort ein Textilgeschäft und so konnte Ludwig Erhard in - wie er selbst sagte - „gutbür­ gerlichen“ Verhältnissen aufwachsen. Nach der Grundschule besuchte er die Königliche Realschule in Fürth und machte dort 1913 die Mittlere Reife. An­ schließend trat er eine Lehre in einem Nürnberger Textilgeschäft an. Nach Ab­ schluss derselben im Jahr 1916 musste er Soldat werden und in den Ersten Welt­ krieg ziehen. Da sein älterer Bruder schon 1915 gefallen war, sollte Ludwig Erhard nun das väterliche Geschäft übernehmen. Doch wegen der Folgen einer Kinderläh­ mung und einer Kriegsverletzung konnte Ludwig-Erhard-Büste in Fürth von der Künst­ er das lange Stehen in einem solchen Be­ lerin Eva Hermann trieb nicht lange durchhalten und musste sich nach einem anderen Beruf umsehen. So studierte er von 1919 bis 1925 Betriebswirtschaftslehre. Nach seinem Studium arbeitete er noch von 1925 bis 1928 im väter­ lichen Betrieb als Geschäftsführer. Unglücklicherweise hatte die Inflation die gesamten Ersparnisse seines Vaters vernichtet und so begann der Niedergang der Firma. Auch Ludwig Erhard 118

BERÜHMTE SÖHNE DER STADT

konnte diesen nicht aufhaken und im Oktober 1927 musste ein Vergleichsverfahren zur Konkursabwendung eingeleitet werden. Damit sah er in Fürth keine Zukunft mehr für sich und ging im nächsten Jahr als Assistent an die Handelshochschule in Nürn­ berg. Damit begann er seine wissenschaftliche Laufbahn, der später die politische folgen sollte.

-> Ludwig Ehrhard: (geb. 4.2.1897 in Fürth, gest. 5.5.1977 in Bonn), liberal-konservativer Politiker, 1945-1946 bayerischer Wirtschaftsminister, 1949-1963 Bundeswirtschaftsminister, 1957-1963 Vizekanzler, 1963-1966 Bundeskanzler. Lebte in Gmund am Tegernsee. Gilt als der Vater des Wirtschaftswun­ ders und der Sozialen Marktwirtschaft. Obwohl es Ludwig Erhard im Laufe seiner erstaunlichen Karriere zu höchsten Staatsämtern gebracht hatte, blieb ihm zu seinen Lebzeiten die Ehrenbürgerschaft seiner Vaterstadt ver­ sagt. Zweimal, 1967 und 1977, wurde darüber abgestimmt. Doch die CSU war im Stadtrat nicht mehrheitsfähig und die Gegner argumentierten damit, dass Erhard sich keine Verdiens­ te um die Stadt erworben habe. Und so bekam er die Ehrung erst postum im Jahr 2007, obwohl sie eigentlich nur an lebende Personen verliehen werden sollte. Dafür ehrte ihn die Stadt aber schon 1958 mit der Goldenen Bürgermedaille. Und 1977 benannte sie nach ihm die Straße, in der sein Geburtshaus steht. Ebenso wurde ihm eine Berufsschu­ le und das neue Stadtmuseum zugewidmet. Seit dem Jahr 2002 steht auch ein Büste von ihm auf dem Königsplatz, die von der Bildhauerin Eva Hermann geschaffen wurde. Nicht zuletzt erin­ nert noch auf dem Fürther Ehrenweg eine Bronzeplatte an den berühmten Sohn der Stadt.

-> Der Fürther Ehrenweg verläuft in der Fußgängerzone in der Nähe des Stadtmuseums. Auf in den Boden verlegten Bronze­ platten werden aus Fürth stammende Persönlichkeiten geehrt, die mindestens nationale Bedeutung erlangt haben.

119

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Übrigens soll Ludwig Erhard, dessen Markenzeichen ja die „Wirtschaftswunder-Zigarren“ waren, diese stets von einem Fürt­ her Geschäft bezogen haben. Kaum jemand aber dürfte wissen, dass Ludwig Erhard wegen Betrugs vor dem Fürther Amts­ gericht stand, und zwar im Zusammenhang mit dem Vergleichs­ verfahren des väterlichen Geschäfts im Jahr 1927. Er war an­ geklagt worden, bei einer Firma noch Ware bestellt zu haben, obwohl er gewusst habe, dass er nicht bezahlen könne. Das Strafverfahren endete mit einem Freispruch. Am Ende des Pro­ tokolls steht der bemerkenswerte Satz: Ludwig Erhard „hat auch persönlich einen sehr guten und durchaus vertrauenswürdigen Ein­ druck gemacht“.

120

AUSBLICK

Das 19. Jahrhundert hat das Stadtbild und das Selbstverständnis Fürths geprägt. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges aber war es - und für viele mit ihm auch die „gute alte Zeit“ — end­ gültig zu Ende gegangen. Nun veränderte sich auch die wirt­ schaftliche Situation grundlegend, denn die stark exportorien­ tierte Fürther Industrie verlor ihre Absatzgebiete und konnte sich auch kaum auf die Kriegswirtschaft umstellen. Die weite­ ren Ereignisse sind bekannt: der Zusammenbruch der Monar­ chie, die Räterepublik und die Weimarer Republik. Fürth verlor nach und nach seine Sonderstellung; dafür steht symbolisch die Einstellung der Ludwigs-Eisenbahn im Jahr 1922. Nur noch wenige Lichtblicke gab es. Die Fürther Fußballer konnten in der Weimarer Zeit ihre Erfolge fortsetzen und auf dem ehemaligen Militärflughafen bei Atzendorf begann sofort nach Kriegsende eine sich rasch entwickelnde Zivilfliegerei. In den 1920er Jahren gehörte der Flugplatz zu den großen deut­ schen Flughäfen. Und nach wie vor konnte Fürth sich erfolg­ reich gegen eine Eingemeindung nach Nürnberg wehren und seine Selbstständigkeit als Stadt erhalten. Schließlich beendeten die Nationalsozialisten die jahrhun­ dertealte Fürther Tradition der Toleranz. Durch Deportation 121

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

und Mord verlor Fürth in der NS-Zeit seine bedeutende Juden­ gemeinde; dies war für die Stadt in vieler Hinsicht ein unersetz­ barer Verlust. Heute erinnert das „Jüdische Museum Franken“ in Fürth an diesen Teil seiner Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg büßten früher wichtige Indus­ triezweige ihre Bedeutung ein, neue Wirtschaftszweige entstan­ den: So verschwand zum Bespiel die Zinnfigurenindustrie, da­ für erwuchs aus dem Handelsgeschäft des Fürthers Gustav Schickedanz das große Versandhaus „Quelle“. Die lärmenden Fabri­ ken der Bronzefarbenhersteller sind ebenso untergegangen wie die großen Betriebe der Brillenfabrikation, die sich in den 1920er Jahren auf die Produktion von Schutzbrillen umstellte. Erhalten aber blieben als Zeugnisse eines selbstbewussten Wirtschaftsbürgertums die Prachtbauten des Historismus vor allem in der Hornschuchpromenade und in der Königswarterstraße, denn im Zweiten Weltkrieg wur­ de Fürth lediglich zu zwölf Prozent, und damit um einiges weniger zerstört als an­ dere Städte. Viele seiner Baudenkmäler blieben erhalten. Fürth bleibt damit ein architektonisches Paradebeispiel für eine Industriestadt des 19. Jahrhunderts. Dort kann man noch durch ganze Straßen­ züge wandern und sich auf einzigartige Weise in die Zeit der Hochindustrialisie­ rung zurückversetzt fühlen.

122

ANHANG Zeittafel 1007

Ersterwähnung

1685

Hugenottenansiedlung

1783

Aufhebung der Leibeigenschaft in Bayern (1808 in der Konstitution bestätigt)

1792

Fürth kommt unter preußische Herrschaft (bis 1806)

1796

Ende der Dreiherrschaft in Fürth

1800

Fürth hat ca. 12.000 Einwohner (1850:16.000,1875: 27.000,1900: 54.000)

1802

Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Bayern (in Fürth 1811)

1803

Säkularisation in Bayern

1806

Fürth wird bayerisch, Bayern wird Königreich (König Maxi­ milian 1. bis 1824), Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation

1807

Anteil der jüdischen Bevölkerung beträgt 19 Prozent (1880: 3.300)

1808

Bayern erhält seine „Konstitution" (1. Verfassung: Gleich­ heit aller vor dem Gesetz), Fürth wird Stadt II. Klasse

1813

Matrikelgesetz = „Judenedikt" wird erlassen, in Fürth erst 1820 in Kraft getreten

1818

Bayerische Verfassung erlassen, Fürth wird Stadt 1. Klasse, neue Mädchenschule wird gebaut

1822

Erste Straßenbeleuchtung mit Öllampen

1824

König Ludwig 1. (1824-1848), neue Knabenschule wird gebaut

1824-1828

Kath. Kirche „Unsere Liebe Frau" im Stil des Klassizismus erbaut

1825

Gewerbeordnung für Bayern erlassen

1826

Besuch König Ludwigs 1. in Fürth

1825-1826

Evangelische Auferstehungskirche im Stadtpark wird im Stil des Klassizismus erbaut

1828-1829

Erste katholische Kirche nach der Reformation in Fürth „Unsere Liebe Frau" entsteht 123

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

1831

St. Michael (ev.-luth.) erhält seine neugotische Innenaus­ stattung

1833

Hardenberg-Gymnasium wird gebaut (seit 1896 HeinrichSchliemann-Gymnasium)

1835

Erste deutsche Eisenbahnstrecke Fürth-Nürnberg eröffnet

1840-1850

Rathausbau (Eduard Bürklein)

1841

Maschinenfabrik von Engelhardt gegründet

1843

Gewerbeverein gegründet

1848

Ludwig 1. dankt ab, Maximilian II. (1848-1864) wird König

1849

Besuch Maximilians II. in Fürth

1850

Entstehung des Kleinbürger- und Arbeiterviertels (Viertel hinter dem Rathaus)

1861

Aufhebung des Matrikelgesetzes von 1813: Juden dürfen frei ansiedeln

1863-1864

Bahnhof wird gebaut (Architekt Eduard Rüber)

1864

Ludwig II. wird König (1864-1886)

1865

Bahnlinie nach Würzburg eröffnet

1866

Deutscher Bruderkrieg, Ludwig II. besucht Fürth

1868

Reformgesetze: Einführung der Gewerbefreiheit in Bayern, neue Wehrverfassung, mit dem „Gesetz über Heimat, Ver­ ehelichung und Aufenthalt" gilt in Bayern volle Freizügig­ keit

1869

Konfessionsgleichstellungsgesetz wird geschaffen (gültig 1871), Verwaltungsreform in Bayern und Änderung der Gemeindeordnung (größere kommunale Selbst­ ständigkeit)

1870-1871

Deutsch-Französischer Krieg

ab 1870

Entstehung der Südstadt jenseits der Bahn

1883-1906

In der Hornschuchpromenade und Königswarterstraße entstehen Prachtbauten

1886

Prinzregent Luitpold (1886-1912) übernimmt die Regentschaft und besucht Fürth

1889

Fürth wird Garnisonsstadt

1895

Fürth hat ca. 45.000 Einwohner (2011:150.000)

1899

Erste Eingemeindung (Höfen)

1902

Stadttheater wird gebaut

1906

Berolzheimerianum eröffnet

124

ANHANG

Grundlegende Literatur Ammon, Emil: Fürth, Düsseldorf 1984. Bender, Oliver: Die Entwicklung der fränkischen Industriestadt Fürth im 19. Jahrhundert (1800-1914), Dissertation, Bamberg 1999.

Fronmüller, Georg Tobias Christian: Chronik der Stadt Fürth, Fürth 1887, Reprint Neustadt 1985.

Geschichtsverein Fürth e. V. (Hrsg.): Fürther Heimatblätter; ab 2003 Verein f. Heimatforschung Alt-Fürth (Hrsg.): Fürther Geschichtsblätter. Heymann, Werner J. (Hrsg.), Kleeblatt und Davidstern. Aus 400 Jahren jüdischer Vergangenheit in Fürth, Emskirchen 1990. Käppner, Paul: Chronik der Stadt Fürth, 2. Bände, Fürth 1901-11. Ohm, Barbara: Fürth. Geschichte der Stadt, Fürth 2007.

Schäfer, Jörg: Eisenbahnstadt Fürth, Fürth 2007. Schraudolph, Erhard: Vom Handwerkerort zur Industriemetropole. Indus­ trialisierung in Fürth vor 1870, Ansbach 1993 (Mittelfränkische Studien, Band 9).

Schwammberger, Adolf: Fürth von A bis Z. Ein Geschichts-Lexikon, Neu­ stadt an der Aisch 1984. Walter, Gerd: Fürth-Die Kleeblattstadt. Rundgänge durch Geschichte und Gegenwart, Fürth 1991.

Windsheimer, Bernd: Geschichte der Stadt Fürth, München 2007.

125

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Übersichtskarte Fürth 1 Alexanderstr. 13: Geburtshaus von Wassermann

2 Alter Jüdischer Friedhof

3 Bahnhofplatz: Centaurenbrunnen 4 Billinganlage

5 Blumenstr. 31: ehemalige jüdische Realschule 6 Burgfarrnbach, Schloss

7 Dambacherstr. 11: Logenhaus der Freimaurer 8 Flößaustr. 45 und 60: an den Häusern Büste und Statue Ludwigs II.

9 Frauenstr. 11: Kirche St. Heinrich 10 Fürther Freiheit = früher Ludwigsbahnhof 11 Fürther Kreuzung: Schnittstelle von Ludwigsbahn, Ludwig-Süd-Nord Bahn, Fürther Straße und Ludwigskanal

12 Geleitgasse: Synagogendenkmal des Japaners Kunihiko Kato (1986) 13 Gustavsstr. 61: Gründungsort der SpVgg (heute Zum Alten Rentamt) 14 Hornschuchpromenade (Prachtstraße)

15 Kirchenplatz 4: St. Michael 16 Königstr. 27: Wilhelm-Löhe-Haus 17 Königstr. 89: Jüdisches Museum Franken 18 Königstr. 88: Rathaus 19 Königstr. 116: Stadttheater

20 Königstr. 139: Kirche Unsere Liebe Frau 21 Königswarterstraße (Prachtstraße) 22 Ludwig-Erhard-Str. 5, ehemals Sternstr.: Geburtshaus Ludwig Erhards 23 Mathildenstr. 23: Geburtshaus Henry Kissingers

24 Nürnbergerstr./Ecke Gustav-Schickedanz-Str.: König-Ludwig-Brunnen 25 Schwabacherstr. (Fußgängerzone): Dreiherrschaftsbrunnen

26 Schwabacher Str. 106: Jugendstil-Sudhaus der Brauerei Humbser 27 Siebenbogenbrücke (Bahnüberführung im Rednitztal) 28 Stadtpark = Engelhardtsanlage

29 Stadtpark: Auferstehungskirche 30 Stadtpark: Kriegerdenkmal 1870/71 31 Steubenstr. 27: Offiziersspeiseanstalt 32 Tannenstr. 17: ehemaliges Nathanstift 33 Theresienstr. 1: Berolzheimerianum

126

ANHANG

127

FÜRTH IM 19. JAHRHUNDERT

Bildnachweis Stadtarchiv Fürth: Titel, 19,29,41,42,44, 51 o„ 52, 57, 76, 80,81, 85,89, 91, 99,100,102,103,1041., 107,115,117 Alle anderen Wikipedia; 21, 27, 73, 86,122 (Magnus Gertkemper); 33 (Felix Geismann); 35,95 (Andreas Borchert); 45 (Dr. Alexander Mayer); 47,113,118 (Janericloebe); 48 I. (Boson); 48 r. (Paulis); 51 u. (Martina Nolte)

128

JA H R TA U SEN D

DAS B A YER ISCH E

Fürth - die „Stadt der tausend Schlöte" und des 19. Jahr­ hunderts. Keine andere bayerische Stadt spiegelt so deutlich diese aufregende und faszinierende Epoche mit ihren tief greifenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftli­ chen Umwälzungen wider. Die Geschichte Fürths berichtet von Bürgersinn und Bürgerstolz, von wohlhabenden Kom­ merzienräten und vom Elend der Arbeiter, von der ersten Eisenbahn bis zur Hochindustrialisierung, aber auch von einer außergewöhnlichen Judengemeinde und einer bei­ spielhaften Toleranz unter den Religionen.

ISBN 978-3-86222-072-4

Q7 BAYERISCHES D\ FERNSEHEN

Volk Verlag München www.volkverlag.de

In Lizenz der

B^media Service GmbH