191 67 10MB
German Pages 351 [352] Year 2002
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann
Band 167
Stefanie Stockhorst
Fürstenpreis und Kunstprogramm Sozial- und gattungsgeschichtliche Studien zu Goethes Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002
Die Arbeit wurde gefördert durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
D7 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stockhorst, Stefanie·. Fürstenpreis und Kunstprogramm : sozial- und gattungsgeschichtliche Studien zu Goethes Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof / Stefanie Stockhorst. Tübingen: Niemeyer, 2002 (Studien zur deutschen Literatur; Bd. 167) ISBN 3-484-18167-2
ISSN 0081-7236
© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Geiger, Ammerbuch
Der Reimwerker braucht zum Ge[legenheits] Ge[dicht] dreierlei: i. einen Anlaß, 2. einen leicht angegangenen Reimvorrat und einige gut abgelagerte Schimmelverse, 3. einen guten Anzug. F. W. Bernstein In nova fert animus mutatas dicere formas corpora. Ovid
Siglen und Abkürzungen
A Β C
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Wieland
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Goethes Werke. 13 Bde. Tübingen 1 8 0 6 - 1 8 1 0 . Goethes Werke. 20 Bde. Stuttgart/Tübingen 1 8 1 5 - 1 8 1 9 . Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 40 Bde. Erg. durch: Goethes nachgelassene Werke [= Bd. 4 1 - 6 0 der Ausgabe letzter Hand]. Hg. v. Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer. 20 Bde. Stuttgart/ Tübingen 1827-1830. Deutsches Literaturarchiv, Marbach. Dichtung und Wahrheit Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde. Hg. v. Hendrik Birus, Dieter Borchmeyer u.a. Frankfurt a.M. 1985-1999 [Frankfurter Ausgabe]. Goethe- und Schillerarchiv, Weimar. Goethes Werke. 14 Bde. Hg. v. Erich Trunz. Neu bearb. Aufl. München 1984 [Hamburger Ausgabe]. Herzogin Anna Amalia Bilbliothek, Weimar. Württembergisches Hauptstaatsarchiv, Stuttgart. Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 40 Bdn. Hg. v. Eduard von der Hellen. Stuttgart 1902-1907. Reg.-Bd. 1 9 1 2 [Jubiläumsausgabe]. Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. 21 Bde. in 33 Tin. Hg. v. Karl Richter. München 1985-1998 [Münchner Ausgabe]. Goethe's neue Schriften. 7 Bde. Berlin 1792-1800. Friedrich Schiller: Werke. Nationalausgabe. 1940 begründet von Julius Petersen. Fortgeführt von Lieselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel und Norbert Oellers. Weimar I943ff. Tagebuch. Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar. Tag- und Jahreshefte. Johann Wolfgang von Goethe: Werke. 133 Bde. in 143 Tin. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1 8 8 7 - 1 9 1 9 [Reprint München 1987]. Erg. durch 3 Nachtrags-Bde. zu Abt. IV: Briefe. Hg. v. Paul Raabe. München 1990 [Sophienausgabe; Weimarer Ausgabe]. Wielands gesammelte Schriften. Hg. v. der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften durch Bernhard Seuffert, der Akademie der Wissenschaften der D D R durch Hans Werner Seiffert und der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried Scheibe. Berlin I909ff. Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart.
VII
Inhaltsverzeichnis
ι. Einleitung: Goethe als Markstein in der Sozial- und Gattungsgeschichte der Gelegenheitsdichtung
ι
2. Methodische Grundlagen
6
2.1 Allgemeine Begriffsklärung: Gelegenheitsdichtung, Okkasionalität und occasio-Allegorie 2.2 Forschungsstand und Probleme: Gattungsverfall im Zeichen der Erlebnisdoktrin 2.3 Begründung und Darstellung der Textauswahl: Goethes Gelegenheitsdichtung für den Weimarer Hof als instruktive Schnittstelle zwischen Literatur und Gesellschaft 2.4 Methodische Orientierung: Bourdieus Feldtheorie
22 27
3. Feldbegehung: Gesellschaftliche Opportunität und künstlerische Originalität
34
3.1 Gesellschaftlich-historische Faktoren im Feld der höfischen Gelegenheitsdichtung 3.2 Ästhetische Feldlinien und Goethes pantheistischer Gelegenheitsbegriff 4. Fallstudien: Okkasionaldichtungen für den Weimarer Hof 4.1 Lyrik 4.1.1 Fürstenpreis und Hofkritik: Ambivalente Neigungen der Jahre 1775-1786 4.1.2 Von der höfischen zur künstlerischen Repräsentation: Umbruchsphänomene der Jahre 1 7 8 7 - 1 8 1 1 4.1.3 Restaurative Panegyrik und Gnadengeschenke des Dichterfürsten: Kreative Rückgriffe auf das Konventionelle in den Jahren 1 8 1 2 - 1 8 2 8 4.2 Maskenzüge 4.2.1 Zur Gattungsfrage: Goethes Neuansatz in der höfischen Maskerade
6 14
34 58 89 89 89 120
138 169 169 IX
4-2.2 Höflingspoesie mit Ambitionen: Anfangsschwierigkeiten bei der Genese des Maskenzugs in den Jahren 1 7 8 1 - 1 7 8 4 . . 4.2.3 Fortgesetzte Dichtung auf Verlangen: Der Auftakt zu Literarisierung und zeremoniellem Dichterkult in den Jahren 1798-1809 4.2.4 Klassische Literaturpolitik und poetische Staatsgeschäfte: Wechselseitige Verehrung von Dichter und Hof in den Jahren 1810-1828 4.3 Theatertexte 4.3.1 Höchste Ansprüche von Hof und Dichter: Eineinhalb Gelegenheitsstücke in den Jahren 1781/82 4.3.2 Zwischen Klassik und Krieg: Literatur- und Realpolitik auf dem Weimarer Hoftheater in den Jahren 1792-1807 . . . . 4.3.3 Funktionsverfall der panegyrischen Bühnendichtung nach dem Wiener Kongreß: Das verbotene Finale von 1815 . . . 5. Schlußwort: Historische Standortbestimmungen Anhang A
Anhang Β
Anhang C
181
201
220 244 244 258 286 294
Quellenübersicht: Goethes Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof
307
Die Adressaten von Goethes Gelegenheitsdichtung für den Weimarer Hof
313
Abdrucke schwer zugänglicher Gelegenheitsdichtungen für den Württembergischen Hof (Vergleichstexte)
314
Literaturverzeichnis
327
ι. Quellen 1.1 Ausgaben von Goethes Werken 1.2 Werkausgaben anderer Dichter 1.3 Archivalien und Einzeldrucke 1.4 Historische und biographische Quellen
327 327 327 328 330
2. Forschungsliteratur
332
X
ι. Einleitung: Goethe als Markstein in der Sozial und Gattungsgeschichte der Gelegenheitsdichtung
Der schlechte Ruf der Gelegenheitsdichtung ist etwa so alt wie die Gattung selbst. Goethe sah das allerdings grundsätzlich anders: Spielerisch provozierend bezeichnete er nach einem vielzitierten Gesprächsbericht Eckermanns seine sämtlichen Gedichte als Gelegenheitsgedichte. Er betrachtete Gelegenheitsdichtung als literarisch-produktive Reaktion auf Vorgefundenes: »Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts.« 1 Diese Aussage besitzt einige Sprengkraft: Sie übergeht nicht nur die übliche Gattungsdefinition, sondern bürstet auch die traditionelle Wertungspraxis gründlich gegen den Strich. Gegenüber der verpönten Gattung im engeren Sinne zeigte Goethe sich offensichtlich ebenfalls wohlgesonnen: Insgesamt haben sich von ihm mehr als 200 Gelegenheitsdichtungen verschiedener Gattungen erhalten (z.B. Lyrik, Maskenzüge, Theaterreden), davon allein rund 70 für den Weimarer Hof. Die genuine Verpflichtung auf Genie- und Autonomieästhetik stand also einer umfangreichen Produktion von zumal höfischer Zweckdichtung durchaus nicht entgegen. Vielmehr erhob Goethe die Gelegenheitsbindung (in einem neuen Sinn) zum gattungskonstituierenden Element für Lyrik schlechthin. Zugleich sah er in der Gelegenheit eine Herausforderung für die dichterische Ehre, wie er im folgenden >Zahmen Xenion< unmißverständlich zu verstehen gab: »Willst du dich als Dichter beweisen, / So mußt du nicht Hirten noch Helden preisen; / Hier ist Rhodus! Tanze du Wicht / Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!« 2
1
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Mit einer Einführung hg. v. Ernst Beutler [vollst. Text nach dem 24. Bd. der G e d e n k ausgabe der Werke, Briefe und Gespräche< Johann Wolfgang Goethes im ArtemisVerlag, 3. Aufl., Zürich 1976], München 1999, S.48f. (am 17., notiert am 18.9. 1823). Gerade diese Belegstelle ist von der Forschung im Hinblick auf lyriktheoretische Überlegungen breit rezipiert worden, obwohl sinngemäße Äußerungen mehrfach auch in Goethes eigenen Worten vorliegen.
2
Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde. Hg. v. Hendrik Birus, Dieter Borchmeyer u.a. Frankfurt a.M. 1985-1999. Abt. ι, Bd. 2, S. 640. Im folgenden: Sigle F A . ι
Die Bezeichnung Gelegenheitsdichtung umfaßt solche Dichtungen, die durch Anlaß und Adressat in bestimmte institutionelle und repräsentative Zusammenhänge eingebunden sind. Sie entstehen in der Regel nicht allein aus innerer Motivation zu künstlerischer Gestaltung oder sprachkünstlerischem Spieltrieb, sondern zumeist auf Bestellung oder aus Verpflichtung. Diese vorläufige Einführungsdefinition verzichtet bewußt auf wertende Aspekte, da Gelegenheit bzw. Auftrag und künstlerischer Wert zwar häufig, aber nicht zwingend miteinander verknüpft sind. Die Literaturgeschichtsschreibung verwendet jedoch den Begriff der Gelegenheitsdichtung überwiegend in abwertender Bedeutung.3 Spätestens seit der von Wilhelm Dilthey in bezug auf Goethes Lyrik geprägten Erlebniskategorie4 läßt eben dieser Maßstab jegliche Gelegenheitsdichtung als zeremonielle Formel ohne individuellen Gehalt erscheinen. Das »echte poetische Werk« zeichnet sich nach Dilthey dadurch aus, daß es im nachhinein »persönliches Erleben, Verstehen fremder Zustände, Erweiterung und Vertiefung der Erfahrung durch Ideen«5 künstlerisch sichtbar macht. Im Entstehen löst sich das Gedicht von dem Erlebnis ab. Bei der Casualpoesie indessen geht die Dichtung der zu behandelnden Gelegenheit voraus, statt sie ex post in sich aufzunehmen. Der Text bleibt an die Gelegenheit gebunden. Daher vermag sie das nach Dilthey eigentlich Poetische nicht zu leisten, zumal sie nicht auf künstlerischen Schaffenswillen, sondern auf äußere Verpflichtungen zurückgeht. 6 Goethe durchkreuzte die Tradition der Gelegenheitsdichtung, indem er die Gelegenheitsbindung ästhetisch rehabilitierte. Damit begründete er ein historisch eigenständiges Paradigma in der Theorie und auch Praxis der Gattung.7 Bei seinen Gelegenheitsgedichten kann nicht mehr von einem »verderblichen und verflachenden Charakter« 8 die Rede sein, den die Forschung lange Zeit pauschal und im Einzelfall oft zu Unrecht der gesamten vorgoetheschen Gelegenheitslyrik unterstellte. Karl Eibl grenzt Goethes Beitrag fundiert von der früheren Gattungstradition ab: 3
Vgl. ausführlich zur Geschichte der deutschsprachigen Casualpoesie bis zu Goethe Wulf Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart 1977. 4 Vgl. Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing. Goethe. Novalis. Hölderlin. 16. Aufl., Göttingen 1985 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1 1 9 1 ) . > Ebd., S . 1 3 9 . 6 So vermißt z.B. Carl Enders in einem der frühsten Beiträge zur Casualpoesie am vorgoetheschen Gelegenheitsgedicht mit »einem ästhetischen Schauder« die »persönliche Formung« und den »Herzenston« (Carl Enders: Deutsche Gelegenheitsdichtung bis zu Goethe, S. 292. In: G R M 1 (1909), S. 292-307). 7 Einen schlaglichtartigen Annäherungsversuch an diese Problematik bietet Wulf Segebrecht: Goethes Erneuerung des Gelegenheitsgedichts. In: G J b 108 (1991), S. 1 2 9 136. 8 Enders, Deutsche Gelegenheitsdichtung bis zu Goethe, S. 292. 2
Die alte Gelegenheitsdichtung war zeremonielle Ausschmückung von Festen, von Geburten, Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen durch die Auftrags-Produkte von Berufs- oder Nebenberufs-Poeten. [...] Z w a r war auch Goethe den Freunden oder der Hofgesellschaft immer wieder mit solchen Dichtungen gefällig. Aber für ihn haben >GelegenheitenSymbol< als die >lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen< definiert. [...] Goethe hat damit einen neuen Lyrik-Typus begründet.'
Außerdem handelte es sich bei Goethes Gelegenheitsdichtungen anders als gewöhnlich nur in den seltensten Fällen um Auftragsarbeiten. Vielmehr fertigte er sie, wie zahlreiche Selbstzeugnisse belegen, aus eigenem Antrieb, aus Zuneigung und oftmals auch aus Widerspruchsgeist gegen die Konventionen und den zeitgenössischen Umgang mit der Gattung an. Darüber hinaus fällt auf, daß Goethe das Dichten >bei Gelegenheit oftmals dazu instrumentalisierte, auch eigene Anliegen (z.B. Theaterwerbung, Hofkritik, künstlerische Profilierung) zu verfolgen, die den sachlichen Bereich der Gelegenheit selbst mitunter weit überschreiten. In dem öffentlichen und dabei räumlich und konventionell begrenzten Forum, das sich Goethe durch die Gelegenheitsdichtung für den Weimarer Hof bot, nahm er sich die außergewöhnliche Freiheit, die Gattung als Sprachrohr für eigene Aussagen einzusetzen. Gerade dort, w o andere Dichter mögliche Spielräume konventionell erfüllten, nutzte er die Gattung, um auf charmante, indirekte Art seine eigene Interessenpolitik zu verfolgen. Zugleich lag ihm daran, die in der Poetik seit langem diffamierte Gattung erneut zu Ehren zu bringen. U m 1810 stellte er fest: »Das Gelegenheitsgedicht, die erste und echteste aller Dichtarten, ward verächtlich auf einen Grad, daß die Nation noch jetzt nicht zu einem Begriff des hohen Werthes desselben gelangen kann [..,].« 10 Demnach in vollem Bewußtsein um die Gattungs- und Begriffsgeschichte der Casualpoesie erklärte er später: »Ich hoffe, man wird nach und nach das Gelegenheitsgedicht ehren lernen, an dem die Unwissenden, die sich einbilden, es gäbe ein unabhängiges Gedicht, noch immer nirgeln und nisseln.« (an Zelter, 14.10. 1821, WA 1 ^ 3 5 , 1 3 9 ) Die Kontextbindung stand bei Goethe mithin im Zentrum seiner grundlegenden Neubewertung der Gelegenheitsdichtung. In den mehr als 50 Jahren, in denen Goethe Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof schrieb, lassen sich deshalb signifikante Wechselbeziehungen zwischen Texten und Kontexten erkennen. 11 Als wirksame Anteile des Umfel-
? Eibl, F A I,i,73of. Johann Wolfgang von Goethe: Werke. 133 Bde. in 143 Tin. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1 8 8 7 - 1 9 1 9 [Reprint München 1987]. Erg. durch 3 Nachtrags-Bde. zu Abt. IV: Briefe. Hg. v. Paul Raabe. München 1990 (im folgenden: Sigle W A ) . Abt. I, Bd. 27, S. 295.
10
11
Vgl. Kap. 2.4. 3
des flössen neben gezielt dargestellten gesellschaftlichen Zuständen oder einem adäquaten Herrscherideal deutlich feststellbar noch zahlreiche weitere künstlerische und soziale Werte, N o r m e n und Praktiken sowie das gesellschaftlich-historische Rahmengefüge in die Dichtungen ein. Goethes gelegenheitsdichterische Produktion für den Weimarer H o f weist entsprechend einen soziokulturell markanten Konjunkturverlauf auf: mit Höhepunkten im voritalienischen Jahrzehnt und in der Restaurationszeit sowie einem Tiefpunkt in einer Zeit der ästhetischen und politischen Umwälzung um die Jahrhundertwende. Die völlig unterschiedlichen äußeren Einflüsse spielen sowohl quantitativ als auch qualitativ in Goethes Gelegenheitsdichtung hinein: Sie bringen regelrecht einen historischen Funktionswandel der Gattung mit sich. U m Aufschluß über den paradigmatischen Stellenwert von Goethes Gelegenheitsdichtungen in der Sozial- und Gattungsgeschichte zu erhalten, sollen diese Texte im Zusammenhang mit dem umgebenden Kräftefeld untersucht werden. Die Eckpunkte dieses Feldes werden markiert durch höfisch-politische Pragmatik, kunsthandwerkliche bzw. poetologisch-präskriptive Tradition und Autonomie- und Originalitätsanspruch des gerade aus dem höfischen Mäzenatentum ausbrechenden Künstlers. Dieser Ansatz öffnet die Perspektive der Textanalysen zur Gattungspoetik, Ästhetik und Rhetorik ebenso wie zum gesellschaftlichen Kontext der Adels- und Dichtungskultur. Vereinfacht gesagt, sind also die konkreten Textbeispiele im Zusammenwirken von höfischrepräsentativer Pragmatik, künstlerischem Autonomiestreben und normativer Gattungstradition zu untersuchen. Das Anliegen dieser Studie besteht darin, Goethes Gelegenheitsdichtungen für den Weimarer Hof systematisierend in gattungs- und sozialgeschichtlicher Perspektive zu untersuchen: Die Texte spielten einerseits eine zentrale Rolle im Rahmen der höfischen Repräsentation, müssen aber andererseits auch als eigengesetzliche Kunstwerke begriffen werden. Goethe machte jedenfalls diese Position entgegen der communis opinio nicht nur seiner Zeitgenossen in Theorie und Praxis stark. Die Besonderheit von Goethes Beitrag zur Gelegenheitsdichtung zeigt sich dort, wo er von bestehenden Regeln und Normen abweicht. Die spezifischen Abweichungen machen die Dichtungen einzigartig und individuell: Goethe profilierte seine Stellung als Gelegenheitsdichter innerhalb eines gesellschaftlichen Systems und eines literarischen Subsystems dadurch, daß er selbst am System tätig wurde, indem er Vorhandenes bekräftigte, verneinte oder abwandelte und damit schließlich neue Maßstäbe für die Gattung setzte. Die übergreifende These lautet, daß mit diesen Neuerungen eine einmalige künstlerische Freisetzung der Gattung einherging: Goethe löste die Gelegenheitsdichtung als Form der höfischen Repräsentationskunst aus der heteronomen Bestimmung durch politische Interessen heraus und nutzte sie zur literarischen Selbstdarstellung. Neben einer starken Individualisierung und Instrumentalisierung der Gattung zeichnet sich bei seinen Texten eine Verschiebung 4
des Funktionsbereichs aus der repräsentativen Adelskultur in die literarische Öffentlichkeit ab. Damit wurde die Casualdichtung letztmalig als künstlerisch hochrangige Gattung (wieder-)entdeckt und begründet.
5
2.
Methodische Grundlagen
2.1 Allgemeine Begriffsklärung: Gelegenheitsdichtung, Okkasionalität und occasio-Allegorie Unter Gelegenheitsdichtung, Okkasional- oder Casualpoesie, zurückgehend auf occasio (lat. Gelegenheit) bzw. casus (lat. Fall) und poesis (lat. Dichtung), 1 werden solche Dichtungen verstanden, die für einen bestimmten Adressaten zur Dekoration und symbolischen Erhöhung von besonderen Anlässen verfaßt sind und die ritualisierte Besonderheit des Anlasses im gesellschaftlichen Leben verdeutlichen. 2 Allein die pragmatische Vorgabe relativer Kürze schränkt die Gelegenheitsdichtung gattungsmäßig ein: Sie umfaßt neben der hauptsächlich verwendeten Gattung der Lyrik einschließlich Inschriften und Widmungen auch dramatische Formen wie Singspiel, Festspiel, Maskenzug, Vor- und Nachspiel sowie Fest- und Theaterreden. Formal liegt das wesentliche Merkmal der Gelegenheitsdichtung darin, daß sie als repräsentative Zweckform durch Anlaß und Adressat stark normativ festgelegt ist. Schon in der griechisch-römischen Praxis brachten einige der folgenden casualpoetisch am häufigsten behandelten Anlässen sogar fest etablierte Untergattungen hervor: Geburtstag (Genethliakon), Namenstag (Onomastikon), Hochzeit (Epithalamion), Beerdigung (Leichencarmen bzw. Epikedeion als Totenklage), Abschied (Apopemptikon seitens der abreisenden Person(en) bzw. Propemptikon seitens der zurückbleibenden), Ankunft, Neujahr, Sieg (Epinikion), Lob für politische oder akademische Erfolge, besonders als Fürstenpreis (Panegyrikos, Laudatio), Genesung (Soteria), Trost (Consolatio)
6
1
Bis weit ins i8. Jahrhundert umfaßt der Begriff Poesie nicht nur die Lyrik, sondern sämtliche Dichtkunst in Abgrenzung zur ars oratoria (vgl. Deutsches Wörterbuch. Begr. v. Jacob u. Wilhelm Grimm. 3 3 Bde. Leipzig 18 54-1962. Bd. 13, Sp. 1967f·)· Um dem heutigen Gebrauch Rechnung zu tragen, soll unter Okkasionalpoesie nur die L y rik, unter Okkasionaldichtung hingegen die Gelegenheitsdichtung aller Gattungen verstanden werden.
2
Vgl. zum sinn- und ordnungsstiftenden Ritualgeschehen im Gelegenheitsgedicht Wolfgang Braungart: Ritual und Literatur. Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft Bd. 53. Tübingen 1996, bes. S. 1 jff.
oder auch Dank.3 Andere Anlässe ergeben sich beispielsweise aus dem Festkreis des Jahres oder aus weiteren Stationen des Lebens. Der Anlaß selbst (casus), der Adressat sowie die näheren Umstände von Anlaß und Adressat (loci circumstantiarum) bieten reichhaltige Stoffquellen für die Gattung.4 Das Vorhandensein derartiger Verweise in der Gelegenheitsdichtung soll im folgenden als Casualdeixis bezeichnet werden. Die Ausprägung der Casualdeixis gibt Anhaltspunkte für den Grad der Gelegenheitsbindung bzw. umgekehrt für den Grad der Autonomie eines Werks. Im Extremfall kann die Casualdeixis zusammen mit dem Lobpreis das Zentralthema eines Textes ausmachen, womöglich formal unterstrichen durch Schmuckformen wie etwa Akrosticha oder Zahlensymbolik. Demgegenüber kann sie sich auch auf Angaben im Titel beschränken, während sie im Text hinter weiterführenden Gedanken zurücktritt. Zusätzliche Abstufungen ergeben sich, wenn z.B. der Anlaß konkret als >GeburtstagFreudenfest< oder nur mit >heute< bezeichnet wird. Beim Adressaten kann entsprechend die Nennung des konkreten Namens, allgemeiner der Funktion (>Fürstdu< erfolgen. Die eigentümliche kommunikative Bedeutung von Gelegenheitsdichtung ergibt sich sinnfällig erst im gesellschaftlichen Wirkungskontext.5 Gelegenheitsdichtung zeichnet den Autor wie den Adressaten öffentlich aus und steigert so symbolisch die soziale Geltung beider Akteure. Die gesellschaftliche Funktion der Gattung besteht somit in der statuserzeugenden Öffentlichkeitsarbeit. Deswegen bietet sie auch wenig Raum für individuelle und private Züge. Einblicke in die Lebensumstände des Adressaten beschränken sich im allgemeinen auf die rein äußerlichen loci circumstantiarum, während sich die Autorindividualität allein in deren kunstvoller Ausgestaltung zeigt. Der Gefühlsausdruck findet üblicherweise in topischen Formeln statt. Werden diese Konventionen gebrochen, zeichnet sich darin ebenfalls eine ästhetische Emanzipation von der ursprünglichen Zweckbindung ab. Als Interessenlagen und Beweggründe für Gelegenheitsdichtung nennt Wulf Segebrecht seitens der Autoren die aus persönlicher Gunst oder sozialer Abhängigkeit hervorgehende »Pflicht und Schuldigkeit«, die dichterische Selbstdarstellung als eigene »Recommendation«, den Auftrag, das Versprechen, das »Prinzip der Wechselseitigkeit«, die Stellvertretung bei »persönlicher 3
4 5
Auch wenn sich die Klassifizierung der Gelegenheitsdichtung nach ihren Gegenständen traditionell in erster Linie auf die Lyrik bezieht (vgl. z.B. Magnus Daniel Omeis: Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst. Nürnberg 1704), lassen sich auch die nicht-lyrischen Gattungen nach diesem Modell unterscheiden. Vgl. Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 1 1 3 - 1 3 7 . Vgl. Rudolf Drux: Artikel »Gelegenheitsgedicht«, Sp. 655. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 3: Eup-Hör. Tübingen 1996, Sp. 65 3-667.
7
Abwesenheit« und den Auftragsdienst im Namen eines anderen. 6 Auf der Adressatenseite dagegen vermehre die Casualdichtung die »öffentliche Bedeutung« und den »Nachruhm« des Adressaten und trage zur »Unterhaltung der Gäste« bei.7 Alle diese Gesichtspunkte machen deutlich, daß neben dem eigentlichen Erstadressaten auch noch ein Kreis von Zweitadressaten, eine höfische, akademische, städtische oder familiäre Öffentlichkeit benötigt wird, um die soziale Funktion der Gelegenheitsdichtung in Kraft zu setzen: Der durch Gelegenheitsdichtung hervorgebrachte soziale bzw. künstlerische Prestigezuwachs wird häufig noch durch weitere Rezipienten bezeugt und bestätigt. Gelegenheitsdichtung hat somit im gesellschaftlichen Zusammenhang nicht nur eine dekorative, sondern vor allem auch eine epideiktische und affirmative Funktion: Sie verweist auf Strukturen und Positionen in der sozialen Wirklichkeit und kann durch deren Aktualisierung zum symbolischen Machtfaktor 8 werden. Das trifft ganz besonders für die höfische Gelegenheitsdichtung zu, da das übergeordnete Ziel der individuellen Statuspflege hier mit der gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsstabilisierung zusammenfällt. Die poetisch überformte Kommunikation im Kontext der höfischen Repräsentation verläuft folgendermaßen: Als Aussagesubjekt tritt ein lyrisches Ich bzw. Wir stellvertretend für die fiktiven Untertanen auf. Es bekundet dem fürstlichen Gegenüber des Gedichts regelmäßig Lobpreis und Unterwerfung. Die pragmatische Aufgabe der höfischen Gelegenheitsdichtung wird also zweigleisig umgesetzt: Auf der Inhaltsebene erfolgt die Zuweisung der Machtpositionen durch die Verklärung von Anlaß und Adressat, auf der Beziehungsebene durch die Vergegenwärtigung von Hierarchie. Die Huldigungsgeste, poetisch vermittelt zwischen Autor und Adressat, wird durch die Öffentlichkeit der Zweitadressaten gesell-
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8
Vgl. Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 1 7 5 - 1 8 5 . Vgl. ebd., S. 185-188. In Ausdifferenzierung der von Max Weber vorgeschlagenen Definition von Macht als »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen« (Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß einer verstehenden Soziologie. 5. Aufl., Tübingen 1972, S.28) wird Macht hier mit Michel Foucault verstanden als »die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kräfteverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern«. (Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit ι. 8. Aufl., Frankfurt a.M. 1995 (stw 716), S. 1 i j f . ) .
schaftlich inkraftgesetzt. Casualpoetische Verstöße gegen dieses Modell lassen wiederum auf eine Tendenz zur künstlerischen Verselbständigung schließen. Als poetische Manifestation der sich wiederholenden Gelegenheit stellt Gelegenheitsdichtung eine Form des kulturellen Gedächtnisses dar, mit deren Hilfe die Sinnkonstruktionen einer kulturellen Gemeinschaft vermittelt werden. »Die Kultur«, so beobachten Aleida und Jan Assmann, »verdankt sich dem Gedächtnis als der Fähigkeit, durch Erinnern des Bedeutsamen und Vergessen des Kontingenten und Inkonsistenten jenseits des wechselnden Alltags eine Sinnwelt aufzubauen, die dem einzelnen und der Gemeinschaft durch Besinnung zugänglich ist.«' Indem Gelegenheitsdichtungen bestimmte Anlässe, Adressaten und schließlich auch Autoren wenigstens zeitweise aus kontingenten Lebenszusammenhängen hervorheben, konservieren sie Festereignisse und dienen so als ästhetische Gedächtnisstützen einer Kultur. Aus diesem Grund konnten Gelegenheitsdichtungen auch nicht mehrfach verwendet werden: Die Singularität des jeweiligen Anlasses machte sie zum Einwegtext. In den genannten Funktionen hat die Gattung eine bis weit in die griechische Antike zurückreichende Tradition, die sich modellgebend auf den in Deutschland besonders vom 16. bis 18. Jahrhundert florierenden casualpoetischen Betrieb auswirkte. Sowohl die antiken exempla (z.B. unter den Griechen Sappho, Alkaios, Pindar, Anakreon sowie unter den Römern Catull, Ovid, Horaz, Statius) als auch kontemporäre Mustertexte wurden als Vorbilder herangezogen. Weitere Hilfestellungen bei der Verfertigung von Gelegenheitsdichtungen gab ein ausgefeiltes System von normativen Poetiken (z.B. Aristoteles, Julius Caesar Scaliger, Martin Opitz, Balthasar Kindermann, Kaspar Stieler, Magnus Daniel Omeis, Johann Christoph Gottsched), allegorischen Schatzkammern und Reimlexika. Die regelpoetischen Anweisungen lateinischer und später zunehmend muttersprachlicher praecepta waren seit dem Humanismus bis ins 18. Jahrhundert als verbindlicher Gegenstand des Schul- und Universitätsunterrichts fest im Bildungskanon etabliert. Sie berieten bei der Invention der zum Anlaß passenden Themen, bei der logischen Gliederung und sprachlichen Ausführung, bei der Wahl von Topoi und Bildersprache sowie bei Versbau und Reim. Da die Gelegenheitsdichtung bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein als Mittel der ständischen Distinktion diente, spielten neben gattungspoetischen auch soziale Normen eine entscheidende Rolle. Wegen der weitreichenden Einbindung von Gelegenheitsdichtung in das soziale decorum waren außerdem Aspekte der Performanz von wesentlicher Bedeutung für die Gattung, deren Gelingen gerade in der Situation von Überreichung, Vortrag oder Aufführung ' Aleida Assmann/Jan Assmann: Schrift und Gedächtnis, S. 267. In: Dies./Christof Hardmeier (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. 2. Aufl., München 1993, S. 265-283.
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von der Umsetzung der rhetorischen Aufgabe des delectare und movere abhing.10 Trotz der umfassenden Normierung durch Poetiken, antike Vorbilder, zeitgenössische Leittexte und Performanzaspekte bot die Gelegenheitsdichtung in der praktischen Umsetzung breite Gestaltungsspielräume, innerhalb derer die Vorgaben frei ausgefüllt oder teilweise sogar überschritten werden konnten. Wegen ihrer reichen inhaltlichen und formalen Möglichkeiten bezeichnet z.B. Martin Opitz Gelegenheitsdichtungen im Anschluß an Scaliger als »Sylven oder wälder«. 11 Im 16. und 17. Jahrhundert standen die vielfältigen Potentiale der Gattung den aufkommenden Zweifeln an ihrem künstlerischen Rang innerhalb der hierarchischen Gattungslehre noch weitgehend erfolgreich entgegen. Hinzu kam, daß die Gelegenheitsdichtung regelpoetisch qua Ständeklausel als elitäre Gattung abgesichert wurde: Der Adressatenkreis beschränkte sich zunächst streng auf adlige und akademische Kreise. Erst allmählich weitete er sich auch zum Bürgertum hin aus. Nicht zuletzt diese fortschreitende Verbürgerlichung der Gelegenheitsdichtung ließ die Gattung in Deutschland ohnehin von Anfang an als künstlerisch fragwürdig diskriminierte Gattung spätestens im frühen 18. Jahrhundert problematisch werden. Mit der Einführung der Deutschsprachigkeit entwickelte sie sich regelrecht zum Massenartikel. Zugleich wies sie als eilige Verschriftung eines raschen Musenkusses oft qualitative Mängel auf. Sie verlor daher an Statuswert. 12 Auch ließ sie sich als öffentliche Repräsentationsform nur bedingt mit dem aufkommenden bürgerlichen Selbstverständnis, mit Individualität und Privatsphäre, vereinbaren.'3 Darüber hinaus wurde der aufkommende Gedanke der Kunstautonomie, die Forderung nach Herauslösung der Kunst aus ihrer gesellschaftlichen Verbindlichkeit, gegen sie ins Feld geführt. Als Begriff dagegen bereitete Gelegenheitsdichtung, eingeführt in die deutschsprachige Poetik als relativ weit gefaßte Sammelbezeichnung durch Johann Christoph Gottsched,'4 erst mit Goethes terminologischen Neuerungen nennenswerte Schwierigkeiten. 10
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V g l . zur wichtigen R o l l e der Ü b e r z e u g u n g s k r a f t in der Vortragssituation, besonders unter den Bedingungen des Mäzenatentums W i l f r i e d Barner: Barockrhetorik. U n t e r suchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. T ü b i n g e n 1970, S. γγί. Martin Opitz: B u c h v o n der Deutschen Poeterey. H g . v. Cornelius S o m m e r . Stuttgart 1 9 9 1 [ E A Breslau 1 6 2 4 ] ( R U B 8 3 9 1 ) , S. 30. Vgl. Segebrecht, D a s Gelegenheitsgedicht, S. 2 2 5 - 2 3 1 . Einzelbeispiele f ü r die W e r tungspraxis im 18. Jahrhundert untersucht J o s e p h Leighton: Occasional P o e t r y in the Eighteenth C e n t u r y in G e r m a n y . In: M o d e r n L a n g u a g e R e v i e w 78 (1983), S. 3 4 0 - 3 56. V g l . D r u x , Artikel >Gelegenheitsgedicht West-östlichen Divans< als »lyrisch ertragreichste Gelegenheit« bezeichnet und aufgeschlüsselt wird, in der die »erotische Affektion durch Marianne von Willemer [verknüpft wird] mit der literarischen Rezeption der östlichen Welt (oder umgekehrt) [...]« (Eibl, F A 1,2,876). Eckermann, Gespräche mit Goethe, S.48. Vgl. Ernst M. Oppenheimer: Goethe's Poetry for Occasions. Toronto/Buffalo 1974, S. ι. Deutsch im Original. So z.B. bei Oskar Walzel: Leben, Erleben und Dichten. Ein Versuch. In: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 6 (1912), Sp. I397ff.; Alfred Biese: Zur Erfassung und Deutung lyrischer Gedichte. Neuwied 1913.; Emil Ermatinger: Das dichterische Kunstwerk. Grundbegriffe der Urteilsbildung in der Literaturgeschichte. Leipzig/Berlin 1 9 2 1 ; Friedrich Gundolf: Goethe. 3. Aufl., Berlin 1930
D i e s e r F o r s c h u n g s t r a d i t i o n f o l g e n d , läßt a u c h E m i l Staiger 1 9 4 6 die G e l e g e n h e i t s d i c h t u n g d u r c h das L y r i k r a s t e r fallen: 3 0 W i e d e r u m versteht er die G e legenheit nach G o e t h e s f e h l v e r s t a n d e n e r D i r e k t i v e als z u r ü c k l i e g e n d e s E r l e b nis, nicht aber als v o r g e g e b e n e n A n l a ß . D a h e r betreibt er z u t i e f e r e m T e x t v e r ständnis z u n ä c h s t rein positivistische G e l e g e n h e i t s f a h n d u n g : » D i e G e l e g e n h e i t als solche steht in e i n e m lebensgeschichtlichen Z u s a m m e n h a n g . Sie läßt sich b i o g r a p h i s c h , p s y c h o l o g i s c h , s o z i o l o g i s c h , historisch o d e r b i o l o g i s c h b e g r ü n den.«'1 Z u l e t z t w i r d der G e g e n s a t z v o n E r l e b t e m u n d G e m a c h t e m 3 2 n o c h v o n Erich Trunz fortgeschrieben: Während zahlreiche Gedichte - die im engeren Sinne lyrischen - plötzlich und als Ganzes in Goethes Phantasie auftauchten, wurden andere - die repräsentativen, gesellschaftlichen - >gearbeitetwahren< Zugang zum Text erhalte: »Beim wahren Lesen schwingt er mit, ohne zu begreifen - im weitesten Sinne des Wortes ohne Grund. N u r wer nicht mitschwingt, fordert Gründe.« (Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Zürich/Freiburg, S. 4éf.). - Trotz der wertvollen Hinweise auf subjektive Prozesse des Leseakts läßt Staigers eingeschränkter Blickwinkel das Werk als ontologisch abgeschlossene Einheit erscheinen. Sein Ansatz qualifiziert demnach die explizit gelegenheitsgebundene Dichtung als nicht lyrisch, während er die für lyrisch erachtete Dichtung unzulässig dekontextualisiert. Staiger, Grundbegriffe der Poetik, S. 46. Auch in der DDR-Germanistik herrschte Diltheys Gelegenheitsbegriff vor. Hinzu kamen die ideologischen Anforderungen an eine historisch-materialistische Goethephilologie - vor allem die Hofbindung störte das offizielle Klassikerbild. Ein zugespitztes Beispiel dafür bietet folgende Äußerung von Kurt Bötticher über das G e burtstagsgedicht >IlmenauBei H o f , bei H ö l k Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller. Tübingen 1979 (Studien zur deutschen Literatur 60), bes. S. 2-20). Trunz, H A 1,418.
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Problem in sich, weil das vorgeschlagene introspektive Verfahren in bezug auf den Schaffensprozeß sehr bald an die Grenzen des faktisch Nachweislichen stößt. Auch wenn Goethe sich zuweilen durchaus kritisch über seine Rolle als Hofpoet äußerte, unterstellt Trunz ihm gar zu großen Widerwillen bei der Erfüllung seiner gesellschaftlich-repräsentativen Aufgaben am Weimarer Hof: »Goethe war zu konziliant, um abzulehnen.« 34 Tatsächlich vertrat Goethe gegenüber der Casualdichtung allemal eine vielschichtigere und nur in den seltensten Fällen ablehnende Haltung. 35 Aus der in diesen älteren Ansätzen gewählten Perspektive lassen sich die sozialgeschichtliche Bedeutung, der pragmatische und ästhetische Funktionszusammenhang und die gattungsgeschichtliche Bedeutung der Casualpoesie Goethes freilich kaum ermessen. Das Hauptproblem der älteren Forschung liegt darin, daß sie Goethes Casualpoesie häufig aus dem historischen Gattungskontext herauslöst, so daß deren eigenständige literaturgeschichtliche Existenzweise - und demzufolge auch die Möglichkeit einer adäquaten Beschreibung und Analyse - gänzlich verlorengeht. Neben ihrer vermeintlichen Kunstlosigkeit trug vor allem die gattungskonstituierende Zweckbindung an den gesellschaftlich-politischen Kontext dazu bei, daß Goethes Gelegenheitsdichtung lange nur marginales Forschungsinteresse gewidmet wurde. So mußte der Eindruck entstehen, daß es sich bei Goethes Casualdichtung um eine dezentrale Textgruppe handele, auch wenn dies nach Quantität, Kontinuität und vor allem Qualität derartiger Produktionen nur sehr bedingt zutrifft. Als wenig erkenntnisförderlich erweist sich auch die allzu gewissenhafte oder auch vereinseitigende Umsetzung der Goetheschen Verstehensvorschrift, da die Casualdichtung entweder, wenn man die Erlebniskategorie auf die Casualpoesie überträgt, ästhetisch entstellt oder, wenn man die Casualpoesie durch das Erlebniskriterium aus der Lyrik ausschließt, poetologisch liquidiert wird. Eine neuartige Wendung erhielt die Forschung durch Gadamers Hinweis auf die Abhängigkeit der Erlebnis- bzw. Okkasionalitätskategorie von einem jeweils unterschiedlichen historischen Selbstverständnis der Künstler und von ihren zeitgenössischen Rezeptionsbedingungen. Nach diesem Umschwung wies Ursula Dustmann 1963 erstmals darauf hin, daß »der Wert eines Gelegenheitsgedichtes nicht vom Zweck oder Anlaß abhängt, sondern nur von der Persönlichkeit und schöpferischen Kraft des Künstlers«. 36 Allgemein formulierte dann René Wellek die Forschungsaporie: »Das Problem läßt sich in der konkreten Dialektik von Vergangenheit und Gegenwart, Faktum und Idee, Geschich-
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Ebd., S.698. Vgl. dazu die im Zusammenhang mit den einzelnen Textanalysen untersuchten Selbstzeugnisse. Ursula Dustman: Wesen und Form des Goetheschen Festspiels. Köln (Diss.) 1963, S.35.
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te und Ästhetik lösen. Psychologische und existentielle Kategorien wie Erlebnis, Subjektivität und Stimmung führen in der Poetik zu nichts.«37 Den Grundstein zur systematischen Erforschung von Goethes Konzept der Gelegenheitsdichtung legen die Arbeiten von Wulf Segebrecht.38 Er führt den literaturwissenschaftlichen Zugriff auf Lyrik im allgemeinen und auf Casualpoesie im besonderen zurück auf eine »Abfolge von Goethe-Interpretationen«.39 Er erklärt erstmals deutlich, daß Goethes Lyrik- und Gelegenheitsauffassung nicht dazu angetan ist, einen - zumal hierarchisierenden - Trennstrich zwischen autonomer, >echter< und okkasionaler, >gemachter< Lyrik zu ziehen. Goethes Gelegenheitsbegriff, der sich als literaturgeschichtliche Wegmarke und überzeitliche Wertkategorie weitreichend in der Forschung niederschlug, wird dahingehend hinterfragt, ob er »die dichotomische Begriffsverwendung durch die Literaturwissenschaft, die sich auf ihn beruft, abdeckt und trägt und damit deren weitreichende Konsequenzen rechtfertigt«.40 Anhand der >Karlsbader Kaisergedichte< (1810/12) untersucht Segebrecht exemplarisch die geschmacks- und gattungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, die auf Goethes - im Zuge der Abfassung von >Dichtung und Wahrheit< ebenfalls um diese Zeit einsetzende erste, apologetische Phase41 der theoreti37
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René Wellek: Grenzziehungen. Beiträge zur Literaturkritik. Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1972 (Sprache und Literatur 75), S. 124. Vgl. speziell zur Kritik der Erlebniskategorie in der Goethe-Forschung Marianne Wünsch: Der Strukturwandel in der L y rik Goethes. Die systemimmanente Relation der Kategorien >Literatur< und >RealitätGoethe Handbuchs< vorgelegt hat (Rudolf Drux: Artikel >Gelegenheitsdichtungalte< Casuallyrik aus der Verachtung, in die sie geraten ist, befreit und wieder zu Ehren gebracht werden. [...] 2. soll der Charakter der >Okkasionalität< als ein Wesensmerkmal der Lyrik überhaupt festgehalten werden.«44 Einen anderen Zugriff auf Goethes Casualpoesie entwickelt Ernst M. Oppenheimer, indem er die Aufwertung der Gelegenheitsbindung lyrischer Texte durch Beispieluntersuchungen vor allem am jeweiligen Schaffensprozeß nachvollzieht. Für das durch Eckermann überlieferte Goethe-Wort bietet er eine kluge Deutung: »Strictly speaking, posterity should have drawn encouragement from this statement to assume the habit of referring to the poet as Wirklichkeitsdichter, but instead, the designation of Gelegenheitsdichter as one means of containing the ocean in a cup came into frequent use.«45 Die unsystematische Textauswahl und der weit gefaßte Untersuchungszeitraum (beginnend 1756 mit Neujahrsgrüßen an die Großeltern, endend mit dem Maskenzug von 1818) führen allerdings bei Oppenheimer zu eher disparaten Beobachtungen. Für ein umfassendes Verständnis der Goetheschen Casualdichtung unter Berücksichtigung des rehabilitierten Gelegenheitsbegriffs bedürfen der begriffsgeschichtliche Ansatz Segebrechts sowie der produktionsästhetische Ansatz Oppenheimers freilich einer Erweiterung und Vertiefung des Blickfeldes: 41 43 44 45
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Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 324. Ebd., S.326. Segebrecht, Goethes Erneuerung des Gelegenheitsgedichts, S. 133ÍOppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. ι.
Erstens sind genaue und zweckmäßig eingegrenzte Textanalysen im Hinblick auf die Umsetzung von historischen Vorgaben und Mustern einerseits und Goethes charakteristischen Neuerungen andererseits zu leisten. Zweitens gilt es, die pragmatischen Erfordernisse der Repräsentation und Unterhaltung sowie übergreifende gesellschaftlich-politische Rahmenbedingungen mit in die Untersuchung einzubeziehen, die die Texte klar beeinflussen. Auch wenn Goethe seine Gelegenheitsdichtungen mit einigen wenigen Ausnahmen nur für den einmaligen Gebrauch in einer konkreten Situation verfaßte, verfügen die Texte gerade in dieser Bestimmung über einen ganz spezifischen ästhetischen Eigenwert. Karl Eibl wendet allerdings ein: In anderen Fällen, etwa bei den >PersonengelegenheitsUnd der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!< Goethes Gedichte an und über Persönlichkeiten seiner Zeit und seines politischen Lebenskreises. Bad Neustadt/Saale 1984. Vgl. dazu auch Eibl, F A 1,2,1144. Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedichtl·, S. 13 3f. Einen kurzen, kommentarartigen Uberblick über Maskenzüge, Theaterreden, Vorund Nachspiele sowie Festspiele bieten die Beiträge von Gerhard Sauder im >Goethe
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v o n der F o r s c h u n g lange Z e i t als » H o f p o e s i e « 5 1 u n d » F ü r s t e n h u l d i g u n g d u r c h das h ö f i s c h e L o b in v e r f e i n e r t e r u n d v e r e d e l t e r Weise« in die äußerste P e r i p h e rie v o n G o e t h e s W e r k g e r ü c k t u n d k a u m e r n s t h a f t beachtet w u r d e n . N a c h ein e r R e i h e v o n p o s i t i v i s t i s c h e n B e s t a n d s a u f n a h m e n 5 2 h e b t erstmals W o l f g a n g H e c h t d e n b e s o n d e r e n u n d d u r c h a u s substantiellen ästhetischen S t e l l e n w e r t d e r M a s k e n z ü g e in G o e t h e s W e r k hervor, d e r i m R a h m e n d e r literaturgeschichtlichen E r b e - P o l i t i k t r o t z i d e o l o g i s c h e r V e r p f l i c h t u n g auf d e n historis c h e n M a t e r i a l i s m u s u n d e n t s p r e c h e n d e r R e s s e n t i m e n t s g e g e n ü b e r >Feudaldichtungen< z u erstaunlich d i f f e r e n z i e r t e n E r g e b n i s s e n gelangt. E r v e r z e i c h n e t d e n interessanten F u n k t i o n s z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n S y m b o l t h e o r i e , L i t e r a t u r p o l i t i k u n d M a s k e n z ü g e n bei G o e t h e : In einen kosmologischen Rahmen war das Verhältnis der Kunst zu Natur und Gesellschaft in den frühen Maskenzügen der ersten zehn Weimarer Jahre eingespannt gewesen. Diese für Goethes klassische Kunstanschauung so bezeichnende Konstellation kehrt in der Mummenschanz wieder, zum Teil sogar unter Verwendung gleicher oder verwandter Bildsymbole. Die Maskenzüge der späteren Zeit wiederum, die auf Verteidigung des Klassischen zielten [...], wirken nach in der Deutung der Poesie durch Plutus-Faust in der Mummenschanz. Doch die Maskenzüge sind keine bloßen Vorformen der Mummenschanz. Sie tragen als Festdichtungen ihren Wert und ihren Sinn in sich. Wenn sie auch am Rande von Goethes poetischem Werk stehen, sie weisen doch immer, und darin liegt ihr literaturgeschichtlicher Erkenntniswert, auf das geistige Zentrum von Goethes Kunst hin. 53 D e n Grundstein zur systematisierenden E r f a s s u n g von Goethes dramatischer G e l e g e n h e i t s d i c h t u n g legen die B e i s p i e l u n t e r s u c h u n g e n v o n C h r i s t o p h Siegrist. 5 4 G e g e n das in der F o r s c h u n g e i n g e b ü r g e r t e V o r u r t e i l , G o e t h e habe die A u f t r ä g e zu dramatischen Gelegenheitsdichtungen wie Maskenzügen, Prolo-
Handbuch< (Gerhard Sauder: Artikel >MaskenzügeTheaterreden: Pro- und Epiloge, Vor- und Nachspielen In: ebd., S. 320-33 3 u. ders.: Artikel >FestspieleDichtung u n d Wahrheit< erfolgen sodann die ersten theoretischen Betrachtungen über das Gelegenheitsgedicht in den J a h r e n 1 8 1 0 / 1 2 , die w i e d e r u m auf die dichterische A u s f ü h r u n g zur ü c k w i r k e n . D i e politischen E n t w i c k l u n g e n v o n 1 8 1 5 , C a r l A u g u s t s Restaurationspolitik und die V e r f a s s u n g s g e b u n g v o n 1 8 1 6 spiegeln sich ebenso in der G e legenheitsdichtung w i d e r w i e e t w a die H o f k u l t u r u m M a r i a P a w l o w n a oder schließlich auch G o e t h e s allmählicher R ü c k z u g aus der amtlichen Tätigkeit. 7 4 D i e nachstehende G r a p h i k veranschaulicht die A u s w i r k u n g e n dieser völlig unterschiedlichen F a k t o r e n auf G o e t h e s casualpoetisches Verhalten:
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nen in Württemberg verfügt die W L B (Signaturengruppe W.G. Kapsel). Vereinzelte Texte finden sich in den Beständen des HstAS (bes. Bestandsnummern A 21 Oberhofmarschallamt, E 55 Ministerium der Familienangelegenheiten, G 230-268 Württembergisches Hausarchiv). Vgl. dazu knapp Bernhard Zeller/Walter Scheffler (Hg.): Literatur im deutschen Südwesten. Stuttgart 1987. Ebd., S.877. Vgl. zu den verschiedenen Aspekten die Beiträge bei Wilfried Barner u.a. (Hg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984 (Veröffentlichungen der deutschen Schillergesellschaft 42). Vgl. dazu im einzelnen Kap. 3.2. Vgl. umfassend zu Goethes biographischer Verflechtung mit der allgemeinen und der Weimarer gesellschaftlich-politischen Lage z.B. Friedrich Sengle: Das Genie und sein Fürst. Die Geschichte der Lebensgemeinschaft Goethes mit dem Herzog Carl August. Stuttgart/Weimar 1993.
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Anzahl der Texte
* Im Todesjahr des Großherzogs Carl August 1828 stellte Goethe die Gelegenheitsdichtung für den Weimarer Hof ein. Abb. 2: Quantitative Entwicklung der Gelegenheitsdichtung in den Jahren 1775-1828
Damit soll nun keine Reduktion von Goethes Gelegenheitsdichtung auf äußere Faktoren nahegelegt werden. Zur Entzifferung der künstlerischen und gesellschaftlichen Rolle der Texte ist es gleichwohl nötig, die maßgeblichen sozialen Parameter ihrer Entstehung im historischen Wandel zu bedenken. So trifft es recht genau die fundamental gesellschaftsbezogene Architektur der Gattung, wenn Pierre Bourdieu allgemein erklärt: »Viele Verhaltensweisen und Vorstellungen von Künstlern und Schriftstellern [...] lassen sich nur durch Bezugnahme auf das Feld der Macht erklären, innerhalb dessen das literarische (usw.) Feld selbst eine dominierte Position einnimmt.« 7 ' Gerade für eine sozial- und gattungsgeschichtliche Lektüre von Goethes Gelegenheitsdichtung bietet sich die Feldtheorie von Bourdieu als methodischer Leitfaden an:76 Die Gattung zeichnet sich nämlich per definitionem durch eine doppelte Seinsweise als Kunstform und Zweckform aus. Sie steht auf der 75
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Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a.M. 1999, S. 34if. Bourdieus Ansatz weist insofern über die Erkenntnismöglichkeiten sozialgeschichtlicher Literaturmodelle hinaus, als er sich bei der Bearbeitung von objektiven Strukturen und subjektiven Handlungsweisen im literarischen Feld nicht auf die Bedingungen von Produktion, Distribution und Rezeption und damit auf eine Determination von Literatur allein oder überwiegend durch äußere Faktoren beschränkt. Vgl. zur Theorie des literarischen Feldes besonders Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst, bes. S. 283-438; ders.: Das literarische Feld. Die drei Vorgehensweisen. In: Louis Pinto/Franz Schultheis (Hg.): Streifzüge durch das literarische Feld. Konstanz 1997 (édition discours 4), S. 3 3 - 1 4 7 .
einen Seite als Zweckform unter dem Einfluß von poetologischer Präskription, höfischer Konvention, literarischer Praxis und politischem Zeitgeschehen, da sie einen gesellschaftlichen Handlungsbereich mit bestimmten Bedingungen, Funktionen und Anforderungen darstellt. Dieser Bereich läßt sich nach der Terminologie von Bourdieu als literarisches Feld auffassen, als »ein Feld von Kräften, die sich auf all jene, die in es eintreten, und in unterschiedlicher Weise gemäß der von ihnen besetzten Stellung ausüben [...], und zur gleichen Zeit ein Feld der Konkurrenzkämpfe, die nach Veränderung oder Bewahrung jenes Kräftefeldes streben«. 77 Ein Feld als spezialisierter Teilbereich des Sozialen zeichnet sich durch eigene Logiken, Hierarchien und Strukturen aus, die objektiv feststellbar und im historischen Handlungskontext verbindlich sind.78 Die Positionen der einzelnen Akteure sind jeweils durch Relation zu anderen Positionen im Feld bestimmt und müssen durch interne Legitimations- und Distinktionsweisen behauptet werden. Dieser Bereich tangiert etwa den Weimarer Repräsentationsstil, die höfischen und poetologischen Gattungsnormen, die zeitgenössische casualpoetische Praxis oder auch den Statusgewinn, den das panegyrisch ausgezeichnete Herrscherhaus und der durch seinen Text als solcher legitimierte Hofdichter gleichermaßen erfahren. Auf der anderen Seite spielen Goethes gesellschaftlich-historische und künstlerische Disposition, seine erklärten Stellungnahmen zur Gattung, der kreative Umgang mit den Gegebenheiten des Feldes, die unterschwellige Bindung durch herrschende Diskurse der Zeit sowie persönliche Erfahrungen eine Rolle für seine Gelegenheitsdichtung als Kunstform. Hier greift das von Bourdieu in Anlehnung an Erwin Panofsky entwickelte Konzept der Habitus. Gemeint sind damit individuelle »Einstellungssysteme«, die sich »in Beziehung zu einer festgelegten Struktur von [...] sozial gekennzeichneten Stellungen« 79 verwirklichen. Wenngleich der Habitus immer relativ zum Kontext umgesetzt wird und dort an ein vergleichsweise sperriges Bündel von Vorgaben 80 gebunden ist, erfolgt dadurch freilich keine schablonenhafte Festlegung des individuellen Handelns, wie Bourdieu ausdrücklich betont: »So stark der Feldeffekt 77
Bourdieu, Das literarische Feld, S. 34. Zur Verdeutlichung das französische Original der Definition: »un champ de forces agissant sur tous ceux qui y entrent, et de manière différentielle selon la position qu'ils y occupent [...], en même temps qu'un champ de luttes de concurrence qui tendent à conserver ou à transformer ce champ de forces« (Pierre Bourdieu: Le champ littéraire, S. 4Í. In: Actes de la recherche en sciences sociales 89 (1991), S. 4-46).
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Eine rein strukturalistische Auffassung von kulturellen Phänomen lehnt Bourdieu jedoch nachdrücklich ab, da das gesellschaftlich handelnde Individuum auf ein bloßes Randphänomen der Struktur verkürzt wird. Vgl. Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und >KlassenFestzug. Dichterische Landeserzeugnisse, darauf aber Künste und Wissenschaften vorführend< (FA 1,6,830-863) aus dem Jahr 1818, in dem er die Summe aus dem literarischen Kapital des Herzogtums zieht und Figuren aus seinen Werken und denen von Schiller, Wieland und Herder auftreten läßt. Der Maskenzug leistet ebenso höfischen Fürstenpreis wie künstlerische Selbstbespiegelung, weil der Schein der erzeugten Gloriole genauso auf die Produzenten wie auf die Mäzene fällt. Die Texte entstehen also in der dynamischen Wechselwirkung verschiedener Kräfte: Dazu gehören soziale Rollenstrukturen und ihre habituellen Aktualisierungen, das poetische Lehr- und Normierungssystem und die literarischen Tradition der Gelegenheitsdichtung und schließlich auch die genuine Fähigkeit des Künstlers, Vorgegebenes individuell zu transzendieren und so aus der Kasuistik auszubrechen. Derartige Beziehungen zwischen dem Feld der Macht und dem literarischen Feld hinterlassen textuelle Spuren: »[A]ufgrund des Spiels der Homologien zwischen dem Feld der Literatur und dem der Macht oder dem sozialen Feld insgesamt«, so Bourdieu, »sind die meisten literarischen Strategien nämlich überdeterminiert, und zahlreiche >Entscheidungen< tragen Doppelcharakter, sind zugleich ästhetischer und politischer, interner und externer Natur.« 9 ' Die im Feld geltenden Regeln sind also mehr oder weniger deutlich als generative Parameter in die Texte eingeschrieben.
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V g l . dazu grundlegend Pierre Bourdieu: Ö k o n o m i s c h e s Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt. Sonderbd. 2. G ö t t i n g e n 1983, S. 1 8 3 - 1 9 8 . Vgl. B o u r d i e u , D i e Regeln der K u n s t , S. 88ff. Vgl. Bourdieu, D a s literarische Feld, S. 5 6ff. Ebd., S.328f.
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Betrachtet man Goethes Gelegenheitsdichtung im Zusammenwirken von Habitus und Feld,91 wird die auf die Anregungen Diltheys zurückgehende verhängnisvolle Dichotomie von autonomer Kunst und sozialer Determinierung aufgehoben. Die unvereinbaren Kategorien von Kunstwerk und Machwerk, Erlebnis und Gelegenheit, die zu den aufgezeigten Aporien in der Beschreibung und Analyse geführt hat, werden damit entkräftet. »Der Feldbegriff ermöglicht es«, so erklärt Bourdieu, »über den Gegensatz zwischen interner und externer Analyse hinauszugelangen, ohne irgend etwas von den Erkenntnissen und Anforderungen dieser traditionell als unvereinbar geltenden Methoden aufzugeben.«93 Das analytische Instrumentarium der Feldtheorie erfaßt die einschlägigen Bedingungen und Interaktionsverhältnisse des literarischen Feldes, in dem Goethes Gelegenheitsdichtungen entstehen und das sich in ihnen manifestiert. Die Untersuchung des sozialen und ästhetischen modus operandi der Texte wird dadurch erleichtert, daß sich das zu untersuchende Feld trotz seiner komplexen Dynamik durch relativ klare Eckpunkte und Grenzen auszeichnet.94 Grundrißartig läßt es sich folgendermaßen darstellen: Tradition (Heteronomie)
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Autonomisierung des literarischen Feldes
Abb. 3: Positionen und Kräfte bei der Autonomisierung von Goethes Gelegenheitsdichtung 91
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Das Wechselverhältnis von subjektivem Habitus und objektiven Feldeigenschaften bei der Genese von sozialen bzw. künstlerischen Praxisformen bringt Markus Schwingel treffend auf den Punkt: »Schematisch läßt sich mithin die >Dialektik von objektiven und einverleibten Strukturem in drei Glieder zerlegen: in 1. die externen, objektiven Strukturen sozialer Felder, 2. die internen Habitusstrukturen und 3. gleichsam als Synthese von Habitus und Feld - die wiederum externen Praxisformen.« (Markus Schwingel: Pierre Bourdieu zur Einführung. 2. Aufl., Hamburg 1998, S.70). Bourdieu, Die Regeln der Kunst, S. 328. Auf die Schwierigkeiten, die sich für größere literarische Felder aus der zu bearbeitenden Datenfülle ergeben, problematisiert z.B. Toril Moi: The Challenge of the Particular Case: Bourdieu's Sociology of Culture and Literary Criticism. In: Modern Language Quarterly 4 (1997), S.498-508.
Die graphische Darstellung des literarischen Feldes von Goethes höfischer Gelegenheitsdichtung zeigt schematisch die Institutionen, Positionen und Strukturen, zwischen denen vielfältige Interferenzen auftreten können. Die abgebildete Positionsverschiebung der Gelegenheitsdichtung veranschaulicht die Zentralthese, daß Goethes Beitrag die künstlerische, autonome Seite der Gattung gegenüber ihrer sozialen, heteronomen Seite aufwertet.
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Feldbegehung: Gesellschaftliche Opportunität und künstlerische Originalität
3.1 Gesellschaftlich-historische Faktoren im Feld der höfischen Gelegenheitsdichtung Der folgende Einblick in die zeitgenössische Hofkultur und besonders in die vorherrschenden Gewohnheiten der höfischen Repräsentation in Weimar versucht, den sozialen Funktionszusammenhang der Gelegenheitsdichtung zu erschließen. Gerade wenn sich solche dekorativen Texte an einen höfischen Adressatenkreis wenden, unterliegen sie nicht nur den Regeln der Kunst, sondern auch vielfältigen pragmatischen Einflüssen aus dem Feld der Macht. Daher interessieren zunächst die sozialen Bedingungen des Hofes, seine institutionellen und rituellen Strukturen sowie die vorhandenen Habitusformen. Die Repräsentation stand im Zentrum der höfischen Habitusformen. 1 Sie stellte ein wesentliches Strukturmerkmal absolutistisch verfaßter Gesellschaften dar. Bis ins späte 18. und frühe 19. Jahrhundert bestand die Kultur der höfischen Repräsentation noch fort: Zwar trat der Herrschaftsanspruch des Adels allmählich zugunsten bürgerlicher Gesellschaftsformen zurück, aber weiterhin blieb es in der ausklingenden Epoche des Absolutismus Vorrecht, Gewohnheit und Notwendigkeit der Landesfürsten, ihre principalis potestas zeichenhaft zu inszenieren. Goethes Gelegenheitsdichtung für die herzogliche Familie in Weimar gehörte somit als Vehikel des aristokratischen Selbstverständnisses unbedingt zu den Mitteln der höfischen Repräsentation, das somit auch außerliterarische Interessen bediente. Daher hing die Wirkungsmacht der Gattung vom
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Vgl. zum Bedeutungsspektrum des Repräsentationsbegriffs Hasso Hofmann: Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Berlin 1974 (Schriften zur Verfassungsgeschichte 22). Die Kategorie des H ö fischen läßt sich historisch gesehen auf die im betrachteten Zeitraum zwischen 1775 und 1828 in Sachsen-Weimar und Eisenach bestehende Herrschaftsform noch ohne weiteres anwenden. Obwohl die Dominanz der H ö f e im territorialstaatlich gegliederten deutschen Reich nach der französischen Revolution allmählich zu Ende ging, rückte ihre Rolle als politische und kulturelle Kristallisations- und Orientierungspunkte erst über die Jahrzehnte in den Hintergrund (vgl. zur detaillierten Begriffsklärung Volker Bauer: Die höfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie. Tübingen 1993, S.9-32, sowie Kiesel, >Bei H o f , bei HöllDie Romantische Poesie< von 1810 (FA 1,6,813— 82ο).1» Eine paradigmatische Rolle für die Kulturtechnik der repräsentativen Selbstdarstellung spielte auch im dezentral organisierten Deutschland der H o f staat Ludwigs XIV., der mit verschwenderischem Prunk bleibende Maßstäbe setzte. 20 Auch die weniger bedeutenden deutschen Territorialhöfe bemühten sich, dem unerreichbaren Vorbild von Versailles nachzueifern. Der Qualitätssprung zwischen der französischen Hofhaltung und den stark verkleinerten Abbildern in Deutschland ließ sich jedoch nicht überbrücken. Ein zweites Leitbild der Hofhaltung, das auch Goethes Herzog Carl August rezipierte, bildete der von Friedrich II. proklamierte aufgeklärte Absolutismus. Auf die Repräsentation wirkte sich diese gewandelte Herrschaftsauffassung zunächst in der Weise aus, daß die aufgewendeten Geldmittel in angemessenem Verhältnis zum Staatshaushalt stehen sollten. Am Weimarer Hof brachte dieser Grundsatz erst unter der Regierung Carl Augusts eine durchaus gebotene Einstellungsänderung mit sich.21 Aber die Konsequenzen des aufgeklärten Absolutismus für die Hofhaltung und ihre Repräsentationsformen reichten noch erheblich weiter. Am Ende des absolutistischen Zeitalters wurde der Stand der einzelnen Landesfürsten dadurch erschwert, daß das Dogma des Gottesgnadentums seit Friedrich dem Großen nicht mehr zur Herrschaftslegitimation herangezogen werden konnte. Statt dessen mußte der Fürst die Rechtfertigung seiner Position rational durch Erfüllung der Herrscherpflichten erbringen, nämlich durch uneigennütziges Regierungshandeln im Interesse von Staat und Gesellschaft. 22 Da das Staatsge-
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Berns, Die Festkultur der deutschen Höfe, S. 305. Vgl. Kap. 4.2.4. Vgl. ausführlich zur Repräsentation unter Ludwig dem X I V . Peter Burke: Ludwig X I V . Die Inszenierung des Sonnenkönigs. Berlin 1993. Vgl. Dieter Borchmeyer: Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche. Weinheim 1994, S. 70. Vgl. Günter Birtsch: Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers. Friedrich der Große, Karl Friedrich von Baden und Joseph II. im Vergleich, S. 14. In: Aufklärung 2 (1987), Heft ι , S.9-47. In Goethes Gelegenheitsdichtungen spiegelt sich diese Entwicklung
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füge nun unausgesprochen auf einem Herrschaftsvertrag beruhte, war die Machtposition des Regenten gerade angesichts der zahlreichen empirischen Mißstände in der Gesellschaft verletzlich geworden. Die gewandelten Methoden der Regierung und Hofhaltung dienten daher nicht immer nur dem genuinen Interesse des Fürsten an der Sache, sondern auch der Stabilisierung bestehender Herrschaftsverhältnisse. So unternahmen die Höfe gemäßigte, systemerhaltende Reformen, 23 wie etwa in Weimar den Ausbau von Landwirtschaft, Wegebau, Brandschutz, Armenfürsorge, Steuerund Bergbauwesen. 24 Die höfische Repräsentation schließlich wurde unter den Bedingungen des aufgeklärten Absolutismus mehr denn je zur Statuserhaltung beansprucht. Allein die repräsentative Ostentation vermochte den symbolischen Beweis der Ubereinstimmung mit dem Herrscherideal ungeachtet der gesellschaftlichen Realität immer wieder zu leisten. Sie fokussierte den Blick der Rezipienten auf die Vorzüge des Herrschers und konnte durch geschickte Kombination von Fakten, Idealen und Topoi nach Bedarf auch zusätzliche Wahrheiten erzeugen. Schon seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert zeichnete sich gerade an kleineren Höfen eine Tendenz zur Musensinnigkeit an, die sich im 18. Jahrhundert verstärkte: U m im repräsentativen Konkurrenzkampf bestehen zu können, förderten weniger finanzkräftige Herrscherhäuser wie Kassel, BraunschweigWolfenbüttel, Darmstadt, Gotha, Meiningen oder Weimar das kulturelle Leben. 2 ' Oft hing die Aufgeschlossenheit gegenüber dem wissenschaftlichen und künstlerischen Zeitgeist von der Person des jeweiligen Herrschers ab. Sie bot aber eine aussichtsreiche Möglichkeit, dem Land bei begrenzten ökonomischen Kapazitäten und oft auch politischer Randständigkeit eine tragende Rolle im Zeitgeschehen zu verschaffen, »ohne sich finanziell so weit zu verausgaben, wie es eine zeremonielle Hofhaltung stricto sensu erfordert hätte«.26 In diesem Sinne interpretiert Jochen Klaus mit einiger Berechtigung auch das von Anna Amalia begonnene Konzept des Musenhofes: Anna Amalia und Carl August begriffen, daß ihre vorsichtige, auf die Beseitigung der ärgsten sozialen und wirtschaftlichen Mißstände gerichtete Reformpolitik mit der Pflege von Wissenschaft und Kultur einhergehen mußte, sollte eine erfolgverspre-
insofern wider, als er das Gottesgnadentum (im Gegensatz zu den Weimarer und Stuttgarter Dichterkollegen) nie erwähnt, wohl aber die individuellen Verdienste des Adressaten (vgl. z.B. >Ilmenau< oder >Aufzug des WintersHofpoetenFürstenlob< mit beeindruckender Entschiedenheit: » D a n k dir, mein G e i s t , daß du seit deiner R e i f e B e g i n n / Beschlössest, bei d e m Beschluß verharrtest, / N i e durch höfisches L o b zu entweihn / D i e heilige D i c h t k u n s t [...].« , 3 ° D e m g e g e n ü b e r ist gerade er es, der die antikisierende O d e als Strophenmaß des Fürstenpreises etabliert.' 3 1 D a s F e l d der Gelegenheitsdichtung w a r also durch den Wertverfall der G a t tung s o w i e durch ihre bleibende Z u g e h ö r i g k e i t z u m adligen u n d bürgerlichen H a b i t u s als höfische P r a x i s f o r m b z w . akademischer L e r n s t o f f gekennzeichnet. F ü r G o e t h e boten sich in diesem K o n t e x t somit günstige P r o f i l i e r u n g s m ö g l i c h keiten. Bereits sehr f r ü h fing er an, sich in der Gelegenheitsdichtung z u üben: Bei d e m ältesten v o n ihm überlieferten G e d i c h t , einem N e u j a h r s g r u ß an seine G r o ß e l t e r n aus d e m J a h r 1 7 5 6 (vgl. F A 1 , 1 , 1 5 f.) handelt es sich ausgerechnet u m ein E x e m p l a r dieser G a t t u n g . Derartige N e u j a h r s g r ü ß e wiederholten sich n o c h ö f t e r (vgl. F A I , i , i 6 f . ) , und außerdem verfaßte G o e t h e im Kindesalter z w e i Serien v o n noch schulmäßig-hölzernen M o r g e n g r ü ß e n an den Vater, die »Felicitationes matutinae singulis diebus per totum A u g u s t u m 1 7 5 8 excogitatae et patri d i a r i s s i m o apprecatae< ( D e r J u n g e G o e t h e I, S. 5 i f . ) s o w i e die >Novae salutationes matutinae< ( D e r J u n g e G o e t h e I, S. 53). 1 3 2 N a c h ersten G e h v e r s u c h e n auf diesem G e b i e t setzte die persiflierende A u s einandersetzung mit der regelhaft ausgerichteten Tradition ein, w a s z . B . 1 7 6 5 in d e m Spottgedicht >Um die retohrischen [!] F i g u r e n ...< ( F A I,i> 2 9) greifbar w i r d , das sich namentlich auf B e n j a m i n N e u k i r c h u n d G o t t l o b Siegmund C o r vinus bezieht. G o e t h e entdeckte casualpoetische A b s t a m m u n g s l i n i e n w i e e t w a die v o n Catull bis zu dessen Variation bei K a r l Wilhelm R a m i e r . ' 3 5 Z u g l e i c h be-
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Bruford, Die gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit, S. 318. Vgl. zu den sich jeweils daraus ergebenden Problemen Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 245-249. Friedrich Gottlieb Klopstock: Füstenlob, S. 329. In: Ders.: Der Messias. Oden und Elegien. Hg. v. Reinhard Barth nach der Ausgabe von Muncker/Pawel 1889. München 1986, S. 329t. Sengle, Die klassische Kultur von Weimar, S.77. Vgl. auch episodenhaft zur frühen Frankfurter und Leipziger Gelegenheitsdichtung Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 5-24· Vgl. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 23.
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gann er, das Gelegenheitsgedicht als Talentprobe zu sehen, der er sich immer wieder bereitwillig und mitunter auch gegen Bezahlung stellte. Für einige Zeit trieb er, vermittelt durch Frankfurter Jugendliche, regelrechten Handel mit seinen casualpoetischen Erzeugnissen (vgl. DuW; F A 1,14,189^) und erteilte in diesem Zusammenhang sogar kleine Lektionen in der Verfertigung dieser Gattung (vgl. DuW; F A 1,14,197). In >Dichtung und Wahrheit< hielt er fest, wie er in diesem Zusammenhang in überschwenglicher Begeisterung zwar sein technisches Können, nicht aber seine professionelle Routine unter Beweis stellte: [...] ich hatte schon von Jugend auf die Gelegenheits-Gedichte, deren damals in jeder Woche mehrere zirkulierten, ja besonders bei ansehnlichen Verheiratungen dutzendweise zum Vorschein kamen, mit einem gewissen Neid betrachtet, weil ich solche Dinge ebensogut, ja noch besser zu machen glaubte. N u n ward mir die Gelegenheit angeboten, mich zu zeigen [...]. [...] Man machte mich mit den Personalien, mit den Verhältnissen der Familie bekannt; ich ging etwas abseits, machte einen Entwurf und führte einige Strophen aus. Da ich mich jedoch wieder zur Gesellschaft begab, und der Wein nicht geschont wurde; so fing das Gedicht an zu stocken, und ich konnte es diesen Abend nicht abliefern. (DuW; F A 1,14,190).
Ein Brief an die Schwester Cornelia aus dem Jahr 1766, betreffend die Vorbereitungen für die bevorstehende Hochzeit des Onkels Jost Textor, belegt nochmals Goethes leidenschaftlichen Ehrgeiz in der Casualpoesie: »J'attens avec impatience même les plus petittes circonstances de cette affaire, en me préparant pour faire valoir mes talens poetiques dans une occasion si favorable.« (an C o r nelia Goethe, 1 7 . 1 . 1766; W A IV,i,34f.).' 3 4 Das bei dieser Gelegenheit entstandene Carmen, in dem nahezu der komplette Olymp über die Hochzeit berät, legte Goethe später seinem Leipziger Professor Clodius vor. Dieser erklärte den »großen A u f w a n d von göttlichen Mitteln zu einem so geringen menschlichen Zweck für äußerst tadelnswert«, bemängelte am Stil, er sei »bald zu hoch, bald zu niedrig« und fügte hinzu, er habe »zwar im Einzelnen der roten Dinte nicht geschont, versicherte jedoch, daß er noch zu wenig getan habe.« (DuW; F A 1,14,329). Nachträglich behauptete Goethe, er habe daraufhin bis auf A m o r und Luna sämtliche Gottheiten aus seinen »kleinen Gedichten« (DuW; F A 1,14,330) verbannt. 135
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Vgl. dazu auch Jürgen Stenzel: >Venus komm vnd frewe dichDichtung und Wahrheit< diese Stilwandlung an die Kritik von Clodius geknüpft [...]. [...] Und in Straßburg unter dem Einfluß Herders hat sich dieser Wandel auch erst vollzogen: völlig aufgegeben hat Goethe den Gebrauch der antiken Mythologie freilich nicht, daneben aber sich nach Herders Forderung eine eigene Mythologie erschaffen [...].« (Carl Alt: Professor Clodius und die mythologischen Figuren in Goethes Lyrik, S. 27if. In: G J b 21 (1900), S. 268-272). - Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ Clodius' Kritik
Eine kleine Satisfaktion verschaffte sich der gekränkte Dichter, indem er den casualpoetischen Stil seines Lehrers, mit »majestätischen Pompe« und »oft wiederkehrenden Ausdrücke[n]« unverkennbar, parodierte und »jene Kraft- und Machtworte« (DuW; F A 1,14,330) in ausgelassener Runde zu dem Gedicht >An den Kuchenbäcker Händel< (FA 1,1,97) ummünzte. Den Lobgesang auf den Inhaber eines Gartenlokals verbreitete er sodann unter Clodius' Namen in Leipzig, was zwar recht bald aufgedeckt wurde, aber keine weitreichenden Konsequenzen nach sich zog. Die im Verhältnis zu Goethes mutmaßlicher tatsächlicher Produktion 136 wenigen überlieferten Gelegenheitsgedichte der Anfangszeit weisen häufig einen schalkhaften Unterton auf. Oppenheimer verzeichnet zusammenfassend für die Frankfurter und Leipziger Jahre eine Tendenz, die Gattung von historischem Ballast zu befreien und sie zu individualisieren: »I suggest that it was Goethe's ability, first, to trim away those parts of the traditional apparatus which had ceased to be viable, and secondly, to lend it a note of personal involvement.«' 37 Zudem zeigt sich in dieser Phase neben einer oft wetteifernden Haltung in den außerliterarischen Zeugnissen' 38 auch ein gewisser Ubermut, mit den Konventionen zu spielen und dabei niveauvoll Grenzen zu übertreten. Goethe selbst fügte 1825 rückblickend in seinen >Tag- und Jahresheften* noch weitere Leitgedanken als Hauptmerkmale der frühen Gelegenheitsdichtung hinzu: Bey zeitig erwachendem Talente, nach vorhandenen poetischen und prosaischen Mustern, mancherley Eindrücke kindlich bearbeitet, meistens nachahmend, wie es gerade jedes Muster andeutete. Die Einbildungskraft wird mit heiteren Bildern beschäftigt, die sich selbstgefällig an Persönlichkeit und die nächsten Zustände anschlossen. Der Geist näherte sich der wirklichen wahrhaften Natur, durch Gelegenheits-Gedichte; daher entstand ein gewisser Begriff von menschlichen Verhältnissen mit individueller Mannigfaltigkeit: denn besondere Fälle waren zu betrachten und zu behandeln. (FA
I,i7.")· Die frühe Gelegenheitsdichtung orientierte sich demnach vor allem an Mustern, von denen der junge Dichter sich jedoch bald emanzipierte. Goethes übrige Angaben, die notwendig enge Verknüpfung der Gelegenheitsdichtung
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jedenfalls, denn Goethe teilt seiner Schwester mit: »[...] als ich die scharfe Critick von Clodiusen über mein Hochzeitsgedichte laß, entfiel mir aller Muht und ich brauchte ein halbes Jahr biß ich mich wieder erholen und auf Befehl meiner Mädgen einige Lieder verfertigen konnte« (an Cornelia Goethe, 1 1 . 5 . 1767, W A IV,i,88f.; gemeint sind vermutlich die Freundinnen Käthchen Schönkopf, Constanze Breitkopf und Friederike Oeser). So erwähnt Goethe in einem Brief an Käthchen Schönkopf »etliche« Hochzeitsgedichte, die er für sie angefertigt habe, von denen jedoch keines erhalten ist (an Käthchen Schönkopf, 12.12. 1769, W A IV, 1,221). Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 23. Vgl. ebd., S. 24.
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mit Personen und Verhältnissen des engsten Lebenskreises, das D u r c h d r i n g e n z u r >wahrhaften Natur< im M e d i u m der Gelegenheitsdichtung u n d zuletzt daran anschließend die abbildende B e z i e h u n g des B e s o n d e r e n z u m A l l g e m e i n e n , bildeten z w a r später K e r n s t ü c k e der G o e t h e s c h e n Gelegenheitsauffassung, lassen sich aber in den D o k u m e n t e n aus der A n f a n g s z e i t n o c h nicht nachweisen. D e n k b a r w ä r e es immerhin, daß der alte G o e t h e hier nicht allein sein Selbstbild stilisierte, s o n d e r n erst jetzt die seit langem entwickelten u n d praktizierten A n sichten in Worte faßte. M i t den J a h r e n in Straßburg, Wetzlar u n d F r a n k f u r t brach eine Phase an, in der sich z u m einen neue Kriterien in G o e t h e s Verständnis der Gelegenheitsdichtung abzeichneten und in der gleichzeitig seine Produktivität in dieser G a t tung erheblich zurückging. In dieser Z e i t f a n d die Wirklichkeitsbindung erstmals deutlich E i n g a n g in G o e t h e s Gelegenheitslyrik, w i e O p p e n h e i m e r a u f grund ausgewählter Textanalysen belegt: In relation to Goethes concept of occasional poetry the environmental aspect of this notion comes to the fore because it is the colour of the surroundings that sets off and determines the changes of the colour of the chameleon; they are not spontaneous. 1 ' 9 D e m n a c h lag hier ein erster W e n d e p u n k t in G o e t h e s G e l e g e n h e i t s a u f f a s s u n g vor. D e r B e g r i f f w u r d e schillernd, da v o n nun an nicht nur A n l a ß u n d A d r e s s a t , sondern auch ein allgemeineres U m w e l t e r l e b e n jenseits der loci circumstantiarum eine R o l l e z u spielen begann. Gleichzeitig zeigte G o e t h e sich in dieser Z e i t skeptisch gegenüber einer als ü b e r k o m m e n e m p f u n d e n e n G e s e l l s c h a f t s o r d nung, die ihren A u s d r u c k unter anderem in der Gelegenheitsdichtung f a n d . 1 4 0 Z u s a m m e n mit d e m R ü f f e l v o n C l o d i u s ' 4 ' f ü h r t e diese E n t w i c k l u n g mit O p penheimer z u »conspicuous silence«. 1 4 2 D i e wenigen Gelegenheitsgedichte aus dieser Z e i t haben die resignative E i n w i l l i g u n g in die G e p f l o g e n h e i t e n als G r u n d t o n . So schrieb G o e t h e beispielsweise im J a h r 1 7 7 3 f o l g e n d e selbstreflexive Eingangsstrophe f ü r ein Epithalamion: Ein Hochzeittag und kein Gedicht! / Das war fürwahr ein feines Leben! / Nein, warlich, nein, das thu ich nicht, / Und solte alles widerstreben; / Und wenn die Musen alle neun / Mir wolten hier zuwider seyn; / Solt ich gereimte Prose schreiben: / So muss das Ding in Forma bleiben.' 43
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Ebd., S.29. Vgl. ebd., S.39. Vgl. ebd., S.38. Ebd., S.38. Johann Wolfgang v. Goethe: Von dem Ursprung und Gebrauch der Hochzeitgedichte. Bei Gelegenheit der am ersten November 1773 unter vielen Seegenswünschen glücklich vollzogenen Schlosser- und Goetheischen Vermälung übergeben von des Herrn Bräutigams Schwester und Schwager, [o. Ort] 1773, S. 2x5. Privatdruck im Besitz des Freien Deutschen Hochstifts. Abgedruckt in: Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 2 1 5 - 2 1 7 .
U m so einschneidender w a r die Ü b e r s i e d l u n g nach Weimar, w o der Patriziersohn auf d e m h ö f i s c h e m Parkett trotz der herzoglichen P r o t e k t i o n zunächst einen schweren Stand hatte. D i e v o n ihm z u v o r ein w e n i g b e a r g w ö h n t e G e l e g e n heitsdichtung verwandelte sich hier nolens volens z u r impliziten A m t s p f l i c h t . D e r Weimarer H o f vereinnahmte G o e t h e nicht nur als Minister, sondern auch als Dichter. S o fertigte G o e t h e im höfischen K o n t e x t v o n Weimar neben lyrischen Gelegenheitsdichtungen erstmals auch M a s k e n z ü g e f ü r die R e d o u t e n an, die bei V e r g n ü g u n g e n besonders in der winterlichen Ballsaison häufig abgehalten w u r d e n . F ü r seine casualpoetische Praxis begann damit ein neuer A b s c h n i t t , bedingt d u r c h eine eigentümliche M e l a n g e aus Pflicht u n d N e i g u n g , die sich auch in den Selbstzeugnissen, besonders in den J a h r e n 1 7 8 1 / 8 2 , manifestierte. D i e höfische Gelegenheitsdichtung im ersten Weimarer J a h r z e h n t betrachtete er durchaus nicht mehr als vergnüglichen A n l a ß , sich des eigenen dichterischen Talents z u vergewissern. 1 7 8 1 beklagte er sich mit u n v e r b l ü m t e r Direktheit bei Lavater über die lästigen Pflichten, deren E r f ü l l u n g er gleichwohl f ü r geboten erachtete: Die letzten Tage der vorigen Woche hab ich im Dienste der Eitelkeit zugebracht. Man übertäubt mit Maskeraden und glänzenden Erfindungen offt eigne und fremde Noth. Ich tracktire diese Sachen als Künstler und so gehts noch. [...] Wie du die Feste der Gottseeligkeit ausschmückst so schmück ich die Aufzüge der Thorheit. Es ist billich daß beide Damen ihre Hofpoeten haben, (an Lavater, 19.2. 1781, WA 1X5,329). G o e t h e strengte sich dennoch an, die zahlreich und unliebsam g e w o r d e n e n höfischen Gelegenheiten nicht nur als oberflächlicher D e k o r a t e u r bearbeiten, sondern sie als v e r a n t w o r t u n g s v o l l e r K ü n s t l e r ästhetisch f r u c h t b a r zu machen. E i n e Mitteilung an Charlotte v o n Stein aus d e m J a h r 1 7 8 2 läßt dies erkennen: Die viele Zerstreuung und das Vertrödeln der Zeit ist mir unangenehm, und doch seh ich daß es höchst nothwendig ist, mich mit diesen Sachen abzugeben, und daß man Gelegenheit gewinnt das Gute zu thun indem man zu scherzen scheint, (an v. Stein, 14. ι. 1782; WA IV,5,251). Bei allen B e m ü h u n g e n , den dichterischen Obliegenheiten gewissenhaft nachz u k o m m e n , gestand G o e t h e gegenüber dem F r e u n d C a r l L u d w i g v o n K n e b e l , daß ihn die seichte Poesie neben den regulären A m t s g e s c h ä f t e n erschöpfe: Der Herzog von Gotha und Prinz August sind seit gestern hier, und seit Anfang des Jahres hat es viel Treibens zur Comödie und Redouten gegeben, da ich denn freylich meine Hand den Kräusel zu treiben habe hergeben müssen, die von andern Expeditionen offt schon herzlich müde ist. (an v. Knebel, 3.2. 1782; WA IV,5,256). N a c h der Redoutenserie des Winters 1 7 8 1 / 8 2 atmete G o e t h e geradezu auf u n d schrieb an v o n K n e b e l : » U n s e r C a r n e v a l ist zu meinem großen Vergnügen endlich auch v o r b e y . Ich habe viel ausgestanden, da ich mich, aus alten und neuen U r s a c h e n , dienstfertig erwies u n d verschiedene A u f z ü g e e r f a n d u n d besorgte.« (an v. K n e b e l , 2 6 . 2 . 1 7 8 2 ; W A 1 ^ 5 , 2 7 2 ) .
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Während des ersten Weimarer Jahrzehnts geriet der arrivierte Patriziersohn zunehmend und sicherlich nicht ganz unfreiwillig in die Rolle des unentbehrlichen Alleinunterhalters am Hof. Das symbolische Kapital, das er in dieser Phase in das Feld der Gelegenheitsdichtung einbrachte, war noch zu gering, als daß er seine Position und die Gattung damit hätte aufwerten oder auch nur legitimieren können. Offen mißbilligte beispielsweise Herder die Beflissenheit, mit der Goethe nicht nur als Gelegenheitsdichter im höfischen Lebensraum Fuß zu fassen versuchte: E r ist jetzt also Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegcollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter [Anmerkung von Karoline Herder: >Direktor des Bergwerks«], dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten; selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. Er ist baronisiert, und an seinem Geburtstage ... wird die Standeserhebung erklärt werden.' 4 4
Im Laufe der Zeit wurde Goethe nicht zuletzt mit der höfischen Casualdichtung an die Grenzen seiner Schaffenskraft getrieben, wie seine Äußerungen im Schreibprozeß verschiedentlich belegen. "4S Da er von >EitelkeitThorheit< und >Kräusel< sprach, willigte er scheinbar nur aus Verbundenheit in seine Rolle als Hofpoet ein. Dennoch definierte er die Gattung bereits in den frühen Weimarer Jahren nicht nur über den Hof, sondern vor allem aus ihrer eigenen Ästhetik heraus. Daß er auch den zwiespältig beurteilten Maskenzügen eine ästhetische Daseinsberechtigung mit eigenen Regeln zuerkannte, machte er z.B. deutlich, als der Herzog einen von Goethes Aufzügen malen lassen wollte. Goethe wandte ein: Ich wünschte sogar, daß Sie verböten, etwas davon in's Wochenblatt zu setzen. Lassen Sie die Zuschauer sich unter einander davon unterhalten und es Fremden, es künftig ihren Kindern erzählen; der größte Reiz wird bei aller Uberlieferung das Unaussprechliche bleiben, die Imagination wird arbeiten, und Sie Ihres Zwecks nicht verfehlen, statt daß Schumanns Handwerks-Faust diese Schmetterlinge sicherlich und jeden schönen Effekt ihres flatternden Lebens ermordet, (an Carl August, Ende Februar 1782, W A IV,5,271).
Damit vertrat Goethe gegen den Wunsch seines Fürsten, d. h. gegen eine heteronome Bestimmung durch das Feld der Macht, eine unkonventionelle, ästhetisch motivierte Position im literarischen Feld der Gelegenheitsdichtung. Er stellte als Besonderheit der Maskenzüge ihren ephemeren Charakter heraus, 144
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Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen. 3 Bde. Zusammengestellt von Wilhelm Bode. München 1982. Bd. I: 1749-1793, S.283 (Herder an Hamann, 1 1 . 7 . V82). Vgl. dazu die jeweiligen Einzeluntersuchungen in Kap. 4.
der nur eine augenblickliche Wirkung zeitigt. Er wehrte sich gegen die Fixierung in Schrift und Bild, um gerade diesen spezifischen Zauber der Gelegenheit in der Vorstellung der Rezipienten erhalten zu können. Nach wie vor stand Goethe also der Casualdichtung grundsätzlich in keiner Weise ablehnend gegenüber. Was die rein höfische Gattung der Maskenzüge angeht, bemängelte er allerdings wiederholt die Oberflächlichkeit dieser heiteren Gebrauchskunst, obwohl er gleichzeitig gerade den poetischen Reiz der Flüchtigkeit entdeckte. Hinzu kam in dieser Phase die Einsicht, daß es sich bei der Gelegenheitsdichtung um einen integralen und notwendigen Bestandteil des Hoflebens handelte. Gerade die zahlreichen Maskenzüge für den Hof, die Goethe ganz oder teilweise verfaßte, prägten seine oft kritischen Stellungnahmen zur Gelegenheitsdichtung im voritalienischen Jahrzehnt. Die lyrische Gelegenheitsdichtung für den Hof setzte Goethe jedoch Anfang der 8oer Jahre mit erneuerter und ungetrübter Freude fort, während sich ausgerechnet der spätere literaturpolitische Verbündete Schiller in seiner Rezension >Kasualgedichte eines Wirtembergers< noch einigermaßen reserviert gegenüber derartigen Texten zeigte. So schrieb er über Johann Ulrich Schwindrazheim: »Schade, daß er sein herrliches Dichtertalent an dem unfruchtbaren Stoff der Hochzeiten und Alltagsleichen verschwendet [...].« 146 Immerhin konzedierte er: »Mehr Kasualgedichte von diesem Wert könnten uns mit diesen Bastardtöchtern der Musen versöhnen.«' 47 Goethe hingegen verfaßte ungeachtet bestehender Vorurteilsstrukturen aus freundschaftlicher und geselliger Zuneigung zahlreiche kleine Casualpoeme, erkundigte sich zu diesem Zweck sogar aus eigenem Antrieb bei Charlotte von Stein nach den Geburtstagen von verschiedenen Damen der Hofgesellschaft (vgl. an v. Stein, 26.12. 1781; WA IV,5,243). Er machte die Erfahrung, daß die Gelegenheiten nicht nur in einem gesellschaftlichen Kontext erfüllt werden mußten, sondern daß sie zugleich dem Dichter eine willkommene Chance boten, eine poetisch ergiebige Situation auszunutzen. Oppenheimer erklärt: In the happy conjunction of occasion used and occasion made which was observed at the beginning of 1782, we may find an early explanation and a justification for the boldly comprehensive use of the term >Gelegenheitsdichtung< by Goethe in his old age. 148
Abgesehen von der Gelegenheitsdichtung und zahlreichen Stückchen für das höfische Liebhabertheater ging Goethes künstlerische Tätigkeit während des ersten Weimarer Jahrzehnts stark zurück. Die Italienerfahrung brachte eine 146
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Friedrich Schiller: Werke. Nationalausgabe. 1940 begründet von Julius Petersen. Fortgeführt von Lieselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel und N o r bert Oellers. Weimar I943ff., Bd. 22, S. 191. Im folgenden: Sigle N A . Ebd. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 96.
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einschneidende Zäsur in Goethes Kunstauffassung mit sich. »Die [...] Parallelanschauung von Kunst und Natur«, so Hans Mayer, »weicht hier - und von hier ab - einem Einheitsbegriff der Realität, der gleichzeitig Kunstschaffen und Kunsterkenntnis, Natur und Naturerkenntnis zu umfassen strebt.«' 49 Das Dichten >bei Gelegenheit bekam in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung, denn von nun an verstand Goethe unter »Gelegenheiten« weit mehr Ereignisse als nur die durch Anlaß und Adressat bestimmten. Eine Gelegenheit eröffnete sich immer dann, wenn ein besonderes Moment der Erfahrungswirklichkeit symbolhaft für die Gesamtheit der Natur und Humanität eintrat, wenn sich also das Allgemeine, Uberzeitliche im Besonderen, Augenblicklichen offenbarte. Goethe stieß in Italien auf eine enge Verschränkung von Naturschöpfung und Kunstschöpfung und ihre Verwiesenheit auf Göttliches. »Die >DingesymbolischenCharaktere< auf das >Ideal< direkter an die kosmologische Dimension, an die bildende natura naturans, zu binden. Der Künstler, das >Genie< als Teil der bildenden Natur< schafft nach dem Gesetz der Natur (den >Typenapologetisch< charakterisiert. 172 Auch Goethes gesellschaftliche Position veränderte sich in dieser Zeit. Im Verhältnis zum ersten Weimarer Jahrzehnt schaffte er sich eine größere Unabhängigkeit vom Hof. Die Verringerung seiner Amtspflichten auf den wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich begünstigte seine Position als Erneuerer der Gattung am Hof. Er war weniger stark durch gesellschaftlich-politische Rücksichtnahmen gebunden und konnte zeitgenössische Autonomisierungstendenzen des literarischen Feldes insgesamt besser nutzen. Indem Goethe sich nun mit der Tradition der Gattung und ihrem ästhetischen Status beschäftigte, versuchte er, die im zeitgenössischen Diskurs verankerten abwertenden Urteile zu revidieren. Parallel dazu fing er an, auch seine eigenen Gelegenheitsdichtungen in einem anderen Licht zu sehen. Ein besonders tiefgreifender Sinneswandel fand in bezug auf die höfischen Maskenzüge statt, die er in den 8oer Jahren oftmals als geistlose Belastung empfunden hatte. In einer Vorbemerkung zu seinen Maskenzügen in der Werkausgabe bei Cotta 1 8 0 6 - 1 8 i o hieß es nunmehr: Die Weimarischen Redouten waren besonders von 1776 an sehr lebhaft und erhielten oft durch Maskenerfindungen einen besonderen Reiz. [...] Leider sind die meisten Programme, sowie die zu den Aufzügen bestimmten und dieselben gewissermaßen erklärenden Gedichte, verloren gegangen, und nur wenige werden hier mitgeteilt. Symbolik und Allegorie, Fabel, Gedicht, Historie und Scherz reichten gar mannigfaltigen Stoff und die verschiedensten Formen dar. Vielleicht läßt sich künftig außer den vorliegenden noch einiges auffinden und zusammenstellen. (WA 1,16,187).
Zum einen bedauerte er den Verlust zahlreicher Begleittexte und hoffte auf eine Rekonstruktion der Stücke, die er selbst nur sehr nachlässig gesammelt hatte. Er hatte die betreffenden Arbeiten, wenn nicht als zweitrangige Auftragswer171
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Fischer, Kunstautonomie und Ende der Ikonographie, S. 275. In Goethes Sprachgebrauch ist >Typus< eine Bezeichnung für das ursprüngliche, reine Phänomen, auch >Urphänomen< genannt. Vgl. Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 3 1 5 .
ke, so doch als ihrem Wesen nach vergängliche, nicht dokumentierbare Inszenierungen eingeschätzt. 173 Zum anderen wies er ausdrücklich auf die bedeutenden Ausdrucksmittel, die Bindung an die >Historiebei Gelegenheit bildete, wie er auch selbst allmählich erkannte, eine Konstante in seinem künstlerischen Habitus, den er in den folgenden Jahren zur Sprache brachte. Die Jahre 1 8 1 0 / 1 2 bilden den Höhepunkt der apologetischen Phase. In dieser Zeit verfaßte Goethe nicht nur den großen panegyrischen Zyklus >Im Namen der Bürgerschaft von Carlsbad< (FA 1,2,429-441), sondern er formulierte auch einige ästhetische und literarhistorische Schlüsselpassagen über die Casualpoesie in >Dichtung und Wahrheit·:. Bei den sogenannten >Karlsbader Kaisergedichten< (FA 1,2,429-441) handelt es sich um sieben Abschiedsgedichte an die österreichische Kaiserin Maria Ludovica, den österreichischen Kaiser Franz I. und an die französische Kaiserin Marie Louise mit einer Adresse an Napoleon. Sechs dieser Gedichte, die den Adressaten am Ende der Badesaison in Böhmen präsentiert wurden, fertigte Goethe auf Bestellung an, während er eines an Maria Ludovica »aus eigenem Antrieb« (an Knebel, 1 o. 7. 181 o; WA IV,21,349) hinzufügte. In einem Brief an Charlotte von Schiller eröffnete er, wie sehr gerade diese Gedichte nicht nur ästhetischen Ansprüchen genügen mußten, sondern wie sie viel mehr noch mit persönlichen und politischen Verbindlichkeiten verknüpft waren: »[D]ie Aufgabe, der ich auf keine Weise ausweichen konnte, war bedenklich und schwer [...]. Der Fall ist wunderlich genug, daß man bei einer Produktion, welche die größte Freiheit verlangt, diplomatische Rücksichten nehmen soll.« (an Charlotte v. Schiller, 14.8. 1812). Klarer als in dieser spektakulären Situation wies Goethe an keiner anderen Stelle auf die starke Prägung der Gelegenheitsdichtung durch gesellschaftliche Verhaltensnormen hin. Die >Kaisergedichte< fanden weite Verbreitung, und Goethe sah sich durch die positive Resonanz zu theoretischen Überlegungen veranlaßt: 175
Dieses unabänderliche Gattungsmerkmal bedauert Goethe noch im Jahr 1827: »Schade daß solche Erscheinungen nicht festgehalten, ja nicht einmal, wie gute Theaterstükke, wiederholt werden können.« ( F A 1,2,595). " V g l . auch Borchmeyer, F A 1,5,1210.
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Daß meine Carlsbader Gedichte auch in ihrer Gegend gut aufgenommen worden, freut mich sehr. Bey andern Gedichten, welche man die selbstständigen zu nennen pflegt, kann man der Zeit überlassen, daß sie erst recht zur Erscheinung kommen, und hoffen, daß das Publicum an und mit ihnen reifen werde; das Gelegenheitsgedicht hingegen gilt, seiner zarteren Natur nach, entweder im Augenblicke des Entstehens, oder gar nicht, und also hat der Autor hier vollkommen recht, sich der augenblicklichen Gunst zu erfreuen, (an v. Reinhard, 20.9. 1 8 1 2 ; W A IV,23,96).
Hier scheint erneut der Gedanke auf, daß es sich bei der Gelegenheitsdichtung um einen Prüfstein für das dichterische Talent handelt, denn der Text gewann, so Goethe, seine Lebendigkeit aus einer einmaligen Situation heraus und gestattete bei verfehlter Wirkung keine Nachbesserungsversuche. Außerdem läßt diese Äußerung erkennen, daß Goethe die Unterscheidung zwischen Casualpoesie und solchen Gedichten, die nicht explizit an äußere Umstände gebunden sind, sehr wohl kannte und mit ihr umging, auch wenn er ihr in seinem eigenen Dichtungskonzept nicht mehr zustimmte. In >Dichtung und Wahrheit« betonte Goethe darüber hinaus nicht nur seine eigene, früh einsetzende Begeisterung für die Gattung, sondern unternahm auch die Ehrenrettung eines diffamierten Vorgängers. So schrieb er über Johann Christian Günther, den er im Dienste pointierter Selbstdarstellung freilich etwas isoliert aus dem weiten Kreis der zeitgenössischen Casualpoeten herausgriff: Wir bewundern seine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durchs Gefühl zu erhöhen und mit passenden Gesinnungen, Bildern, historischen und fabelhaften Uberlieferungen zu schmücken. Das Rohe und Wilde daran gehört seiner Zeit, seiner Lebensweise und besonders seinem Charakter, oder, wenn man will, seiner Charakterlosigkeit. (DuW; F A 1,14,290).
Immerhin widersprach Goethe damit dezidiert der gängigen Einschätzung der Gattung. Er stellte erstens die Kunstfertigkeit des Dichters heraus, zu bestimmten Anlässen angemessen auf einen breiten Fundus an Themen und Formen zurückzugreifen, wobei es nicht nur um die rein technische ars combinatoria ging, sondern allererst um die Fähigkeit, dem Werk >durchs Gefühl· seine eigentliche Qualität zu verleihen. Zweitens betrachtete er die Gedichte Günthers in ihrem Epochenkontext, so daß ihre Eigenart, ihr Wirkungsvermögen und ihre Maßstäbe historisiert wurden. Drittens korrigierte er den schablonenhaften N i m bus des Gelegenheitsgedichts dadurch, daß er den individuellen Selbstausdruck des Autors in den Texten diagnostizierte. Abschließend zog er folgende Bilanz aus der Gattungsgeschichte: Das Gelegenheitsgedicht, die erste und echteste aller Dichtarten, ward verächtlich auf einen Grad, daß die Nation noch jetzt nicht zu einem Begriff des hohen Werthes desselben gelangen kann, und ein Poet, wenn er nicht gar den Weg Günthers einschlug, erschien in der Welt auf die traurigste Weise subordiniert, als Spaßmacher und Schmarutzer, so daß er sowohl auf dem Theater als auf der Lebensbühne eine Figur vorstellte, der man nach Belieben mitspielen konnte. (DuW; F A 1,14,433).
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In diesem Gesamturteil skizzierte Goethe nicht nur die Verfallslinie der Gelegenheitsdichtung bis in seine Gegenwart, sondern lieferte auch Ansatzpunkte zu einer umfassenden Revision. Zusammenfassend hält Wulf Segebrecht fest, daß Goethe ι. den Gesichtspunkt der Geschichte (sie ist >die erste ... aller Dichtarten«), 2. den der Wesensbestimmung (Poetik) der Dichtung (sie ist >die ... echteste aller DichtartenBegriff des hohen Werthes desselben«)174
anführte. Außerdem benannte Goethe dort im Nebensatz auch die speziellen Pflichten eines Hofpoeten, der nämlich »den Festlichkeiten Schwung und Zierde geben und eine vorübergehende Pracht verewigen« (DuW; FA 1,14,290) soll. Auch diese Formulierung enthält wieder ein präzises Drei-Punkte-Programm. Die poetische Dekoration - auch im Sinne des decorum - und Konservierung eines Festereignisses bilden die traditionellen Aufgaben der höfischen Casualdichtung. Die Kategorie des >Schwungs< hingegen wird neu in die Gattungsbestimmung eingeführt und impliziert einen ganz erheblichen ästhetischen Anspruch an die Texte. Mit diesen ehrgeizigen Maßstäben bezog Goethe eine häretische Position im Feld der Gelegenheitsdichtung, 175 mit der er zwar völlig allein stand, die er aber kraft seiner inzwischen allgemein anerkannten Autorität behaupten konnte. Was seine eigenen Gedichte angeht, bekräftigte er außerdem in >Dichtung und Wahrheit«, daß sie stets auf der innerhalb seines Erfahrungshorizontes liegenden Wirklichkeit beruhen mußten. Diesen erst spät ausgesprochenen Gedanken verlegte er zurück in die Jugend: Verlangte ich nun zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage, Empfindung oder Reflexion, so mußte ich in meinen Busen greifen; forderte ich zu poetischer Darstellung eine unmittelbare Anschauung des Gegenstandes, der Begebenheit, so durfte ich nicht aus dem Kreise heraustreten, der mich zu berühren, mir ein Interesse einzuflößen geeignet war. (DuW; F A 1,14,309).
Dieselbe »unmittelbare Anschauung des Gegenstandes« erkannte Goethe in den >Silvae< des Statius wieder. In einer Unterhaltung mit dem Altphilologen Gotthelf Hand über diesen Dichter im März 1813 nahm er sich dessen Gestaltung von gegenständlicher Wirklichkeit zum poetischen Vorbild. Hand berichtete: [I]lle Statius, inquit, poeta est magnopere laudandus assiduoque studio nostro dignus: non me offendunt ea, quae luxuria quadam ingenii effudit, sed admiror in eo artem, qua res conspicuas mente comprehendere et exacte describere optimum quemque poetam decet. Vide quam accurate depingat illum equum Domitiani, quam fideliter 174
Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 298. ' 7 ! Bourdieu nennt als elementare Triebkraft der Entwicklung im Feld die Reibungsenergie, die aus dem »für alle Felder der Kulturproduktion konstitutiven Gegensatz von Häresie und Orthodoxie« (Die Regeln der Kunst, S. 329) entsteht.
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reddat imaginem Herculis, quam subtiliter describat villarum regiones, balnei ornamenta. Omnes res, quas verbis désignât, ante oculos nobis versari videntur: tanta est ei ars rerum imagines percipiendi et repraesentandi.' 7 ^
Wieder verquickte Goethe seine poetischen Grundsatzerklärungen direkt mit dem Dichten >bei Gelegenheit«. Die >Gelegenheit< bot sich hier in der Wirklichkeit, in der außergewöhnlichen Erscheinung, die in einer vollendeten Kunstschöpfung nachgebildet wurde. Zwar ging Goethe hier nur auf einige gegenstandsorientierte Gedichte, nicht auf die eigentliche Casualpoesie ein, aber was den Reiz der ersten Dichtart ausmacht, wertet die zweite auf: »Liebgewonnene Gegenstände und Ereignisse aus dem Lebensbereich des Poeten und dessen Freunden«, so beobachtet Wolfgang Adam bei Statius, »motivieren den Autor der Gelegenheitsdichtung zum Schreiben [...].«' 77 Verblüffend ähnlich umriß Goethe sein eigenes Schreibprogramm, das in der Gelegenheit ein Fenster zum Allgemeinen öffnen wollte: Was nun von meinen Arbeiten durchaus, und so auch von den kleineren Gedichten gilt, ist, daß sie alle, durch mehr oder minder bedeutende Gelegenheit aufgeregt, im unmittelbaren Anschauen irgend eines Gegenstandes verfaßt worden, deßhalb sie sich nicht gleichen, darin jedoch übereinkommen, daß bey besondern äußeren, oft gewöhnlichen Umständen, ein Allgemeines, Inneres, Höheres dem Dichter vorschwebte. (FA 1,21,132).
Der Wunsch nach Nähe zu den Gegenständen zieht sich leitmotivisch durch Goethes Bemerkungen über die Gelegenheitsdichtung. Immer wieder veranlaßte ihn die enge persönliche Bekanntschaft mit Familienmitgliedern, Freunden, Amtskollegen, Logenbrüdern und nicht zuletzt mit dem Weimarer Herzogshaus zu insgesamt rund 200 Gelegenheitsgedichten. Er erklärte, daß er »mit Gelegenheitsgedichten nicht gern in die Ferne wirke« (an C.L.F. Schultz, 14.6. 1821; WA 1X34,283). So lehnte Goethe 1814 zunächst wegen allzu großer Distanz zu den Berliner Verhältnissen Ifflands Ersuchen ab, ein Festspiel für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. zu verfassen. Gleichzeitig versicherte er aber seine freudige Neigung zu Gelegenheitsdichtungen - die ihn dann letztlich doch dazu bewog, das Festspiel >Des Epimenides Erwachen< (FA 1,2,733771) vorzulegen: Wie gern ich Gelegenheitsgedichte bearbeite, habe ich oft gestanden und wie geschwind ich mich zu einem solchen Unternehmen entschließe, davon mag zeugen, daß ich mich so eben mit einem kleinen Vorspiel beschäftige, nach dem Wunsch der Badedirection in Halle, welche etwas Zeitgemäßes [...] vor kurzem verlangt hat. Wie
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Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses v. Flodoard Freiherrn von Biedermann erg. u. hg. v. Wolfgang Herwig. 5 Bde. in 6 Tin. Zürich 1965-1987. Bd. 2, S. 787 (28.3. 1813). Adam, Poetische und Kritische Wälder, S. 33.
weh es mir also thun muß, eine einzige Gelegenheit, wie die, welche sich von Berlin darbietet, zu versäumen, bedarf keiner Worte. [...] Vier Wochen sind ein gar zu kurzer Termin; sie wären es nicht, wenn ich mich in Berlin befände, oder wenigstens von dem dortigen Theater und den äußeren Verhältnissen früher persönliche Kenntniß genommen hätte, (an Franz Kirms, 18.5. 1814; WA 1^24,277).
Wenige Jahre später erreichte mit dem Maskenzug von 1818 nicht nur Goethes letzte große Schaffensperiode, sondern auch sein gesamtes Œuvre von höfischen Gelegenheitsdichtungen ihren Gipfelpunkt, in dem die Umsetzung seiner eigenen Theorie kulminierte. So hält Oppenheimer für dieses einschneidende Erzeugnis fest: There are no more memorable, no more haunting places in Goethe's work than those which mark the end of a vision, of a dream and which give expression to the dreadful moment of awakening, to the jolting awareness of the passage of time and the irrevocability of a >kairosprogrammatisch< bezeichnete Phase' 79 der theoretischen Engagements auf dem Gebiet der Gelegenheitsdichtung ein. Diese Phase ist nach Segebrecht im wesentlichen durch zwei Hauptforderungen gekennzeichnet: »1. soll die >alte< Casuallyrik aus der Verachtung, in die sie geraten ist, befreit und wieder zu Ehren gebracht werden. [...] 2. soll der Charakter der >Okkasionalität< als ein Wesensmerkmal der Lyrik überhaupt festgehalten werden.«' 80 Goethe spitzte seine bisherigen Ansichten aufs äußerste zu und bestritt »jetzt aller Lyrik schlechthin den Charakter der Unabhängigkeit«*.' 8 ' Es kam zu dem vielzitierten Bekenntnis, das eine langwierige Theoriediskussion angestoßen hat: Die Welt ist so groß und reich und das Leben so mannigfaltig, daß es an Anlässen zu Gedichten nie fehlen wird. Aber es müssen alles Gelegenheitsgedichte seyn, das heißt, die Wirklichkeit muß die Veranlassung und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poetisch wird ein specieller Fall eben dadurch, daß ihn der Dichter behandelt. Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts.' 82
Hier wird vieles von dem, was Goethe über die Jahrzehnte versprengt geäußert hatte, gebündelt zusammengetragen: Goethe versah den alten, diskreditierten Terminus der Gelegenheitsdichtung mit neuem Glanz, indem er die Gelegenheitsbindung zum Seinsgrund jeglicher Dichtung erklärte. Die Wirklichkeit, und zwar auch diejenige, die durch Anlaß und Adressat vorgegeben ist, regte den Dichter an, und durch die poetische Bearbeitung vollzog sich in der Gele178
Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 186. •79 Vgl. Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 3 1 $ . 180 Ebd., S . 3 1 2 . ,8 ' Ebd., S . 3 1 5 . 182 Eckermann, Gespräche mit Goethe, S-48f. (am 17., notiert am 18.9. 1823). 81
genheit die Offenbarung eines Höheren. Die Nähe der Gelegenheit zum Göttlichen in Goethes Verständnis zeigt sich auch darin, wie Goethe gerade im Alter noch einmal auf die occasio-Allegorie zurückgriff, um seine Ehrerbietung gegenüber der Gelegenheit auszudrücken: »Die Gelegenheiten sind die wahren Musen, sie rütteln uns auf aus Träumereien und man muß es ihnen durchaus danken.« 18 ' Die Beschwerden, die er früher besonders hinsichtlich der höfischen Maskenfeste vorbrachte, gerieten nun vollends in Vergessenheit. Entschieden behauptete Goethe: »Bei meiner Lust zu Gelegenheitsgedichten macht es mir immer Vergnügen, wenn ein Bild sich aus dem andern, Scherz aus dem Ernste und Ernst aus dem Scherze sich entwickelt.« (an Boisserée, 1 1 . 9 . 1820; WA IV,33,2i3). Auch gegenüber Kanzler von Müller betonte er, es »mache ihm die Poesie erst wieder Vergnügen, wenn er Nötigung zu einem Gelegenheitsgedicht erhalte«. 184 Der alte Goethe thematisierte nun auch endlich das Verhältnis von traditioneller Casualpoesie und dem von ihm geprägten neuen Lyrik-Typus, der sich auf die Gelegenheit in einem weiteren Sinne stützt. Er gelangte zu dem Befund, daß es allein von der Fähigkeit des Dichters abhänge, ob die Gelegenheit im engeren oder weiteren Sinne in gelungene Dichtkunst überführt werden könne. Auch wenn er grundsätzlich für die poetische Ausnutzung des kurzlebigen kairós eintrat, spielte die zeitliche Abfolge von Gedicht und Gelegenheit, mit der Dilthey bei der Abgrenzung von Erlebnis- und Gelegenheitslyrik argumentierte, für Goethe letztlich keine Rolle: Wenn wir im Deutschen Gelegenheitsgedicht sagen, so pflegen die Franzosen sich mit: Poësies de circonstance auszudrücken. Dies veranlaßt uns wirklich, einen Unterschied zwischen beyden anzuerkennen: das erste wäre, wenn der Dichter eine vorübergehende Gelegenheit ergreift und sie glücklich behandelt; das zweite, wenn er einen Umstand glücklich zu benutzen weiß. Dem Anschein nach sollte man das erste vorziehen, weil etwas Flüchtiges, Lebendiges der Dichtung höchst willkommen seyn muß. Da sie sich aber nichts vorschreiben läßt, so hängt es nur von ihr ab, auch etwas Beständiges zu Ehren zu bringen. (FA 1,22,75 jf.).
Die seit der Jugend vertretene Ansicht, daß die Gelegenheitsdichtung das Talent des Dichters ans Licht bringe, formulierte Goethe an anderer Stelle noch einmal mit Nachdruck: Die Dichtergabe ist viel häufiger als man glaubt; ob aber einer wirklich ein Dichter sey, sieht man am sichersten bey Gelegenheits- und solchen Zustandsgedichten: das erste faßt einen vorüberrauschenden Zeitmoment glücklich auf, das andere beschränkt sich mit zarter Neigung in einen engen Raum und spielt mit den Bedingungen, innerhalb deren man sich unauflöslich beschränkt sieht. (WA 1,42.1,306, vgl. F A 1,22,1270). 183
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Friedrich v. Müller: Unterhaltungen mit Goethe. Hg. v. Renate Grumach. München 1982, S.55 (20.2. 1821). Ebd., S.89 (27.9. 1823).
In die >Zahmen Xenien< nahm er schließlich ein kleines Gedicht mit gleicher Stoßrichtung auf: »Willst du dich als Dichter beweisen, / So mußt du nicht Helden noch Hirten preisen; / H i e r ist Rhodus! Tanze du Wicht / U n d der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!« ( F A 1,2,640). Mit diesem Text forderte Goethe nicht nur den Dichterstand, sondern die gesamte Gattungstradition heraus, in der das Bewußtsein um den potentiellen Wert der Gelegenheitsdichtung verlorengegangen war. E r schickte den Text an den Berliner Freund Zelter mit der zukunftsoptimistischen Anmerkung: »Ich hoffe, man wird nach und nach das Gelegenheitsgedicht ehren lernen, an dem die Unwissenden, die sich einbilden, es gäbe ein unabhängiges Gedicht, noch immer nirgeln und nisseln.« (an Zelter, 1 4 . 1 0 . 1 8 2 1 ; W A IV,35,139). Als Goethe f ü r die Ausgabe letzter H a n d seine Gedichte >An Personen« mit Anmerkungen versah, meinte er bereits einen E r f o l g seines Engagements im Feld der Gelegenheitsdichtung feststellen zu können. E r fand dafür allerdings eine quantitative Begründung, die lediglich eine weitere Popularisierung der Gattung anzeigt, ohne etwas über ihren literarästhetischen Rang auszusagen. D a man den hohen Werth der Gelegenheitsgedichte nach und nach einsehen lernt, und jeder Talentreiche sich's zur Freude macht, geliebten und geehrten Personen zur festlichen Stunde irgendetwas Freundlichpoetisches zu erweisen; so kann es diesen kleinen Einzelnheiten auch nicht an Interesse fehlen. ( F A 1,22,758).
Derartige Äußerungen zeigen, daß Goethe sich darum bemühte, eine neue Begriffstradition zu stiften. N u r wenige Wochen vor seinem Tod richtete er >Noch ein Wort f ü r junge Dichten an die Nachwelt, mit dem er den vollendenden Schlußstrich unter seine programmatischen Bemühungen im Feld der G e legenheitsdichtung zog. »Man halte sich an's fortschreitende Leben und prüfe sich bei Gelegenheiten; denn da beweist sich's im Augenblick ob wir lebendig sind, und bey späterer Betrachtung, ob wir lebendig waren.« ( F A 1,22,934). Worin besteht nun Goethes besondere historische Leistung in der Theorie der Gelegenheitsdichtung? D i e folgende Passage aus einem in Wielands >Neuem Teutschen Merkur< veröffentlichten A u f s a t z kann zur Klärung dieser Frage beitragen: Heißt Gelegenheitsgedicht bald, was durch irgendeine Gelegenheit veranlaßt w o r den, bald, was durch eine Veranlassung, die nicht in dem Dichter lag, verfertiget w u r de: so hat es die dritte nähere filosophische Bedeutung, daß es ein G e d i c h t ist, welches als G e d i c h t das G e p r ä g e der K u n s t der Dichtung, d a s A l l g e m e i n e an sich trägt, als G e l e g e n h e i t s gedieht aber auch - unter jenem Allgemeinen - mit einem b e s o n d e r n B e z ü g e auf besondere individuelle U m s t ä n d e verbunden ist. 1 8 s
Hierbei könnte es sich augenscheinlich um Goetheschen Originalton handeln, zumindest aber wird Goethes Ansatz in nuce vorgetragen: Die Problematik des 185
J o h a n n Christian A u g u s t G r o h m a n n : Briefe über Gelegenheitsgedichte, S. 108. In: D e r n e u e T e u t s c h e M e r k u r 6 (1794), S. 1 0 5 - 1 4 1 .
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Dichtens für eine Gelegenheit und aus einer Gelegenheit heraus wird ebenso angesprochen wie das veredelnde tertium comparationis, das in der dichterischen Verknüpfung von Besonderem und Allgemeinem liegt. Tatsächlich stammt der zitierte Aufsatz nicht von Goethe oder aus seinem Umkreis, sondern er wurde 1794 von dem Gottsched-Enkel Johann Christian August Grohmann verfaßt, der in Wittenberg Philosophie lehrte. Die durch Goethe bekannt gemachten Ideen wurden also bereits gut 15 Jahre vor der Zeit vertreten, in der Goethe sich überhaupt ernsthaft mit der Theorie der Gelegenheitsdichtung befaßte. Es gibt keine Hinweise darauf, ob Goethe den Aufsatz kannte, 186 wenngleich es angesichts der kleinen res publica Iliteraria wahrscheinlich ist, daß er wenigstens mittelbar von dem Aufsatz Kenntnis genommen hat. Wenn er den Aufsatz kannte, hat er ihn bis zu seinen späteren Studien nach mindestens 15 Jahren entweder vergessen oder aber ihn bewußt ignoriert.' 87 Kannte er ihn nicht, steht zu vermuten, daß die verblüffend ähnlichen Gedanken zur Gelegenheitsdichtung im poetologisch-ästhetischen Raum der Möglichkeiten um die Jahrhundertwende einfach naheliegend waren.' 88 Allerdings gelanges erst Goethe, die neue Auffassung von seiner herausragenden Position aus im Feld der Gelegenheitsdichtung stark zu machen, obwohl Grohmann bereits lange vor ihm genauso Stellung bezog. Ein Großteil von Goethes Leistung bestand also darin, daß er seine Ansichten nicht nur äußerte, sondern sie auch gegen die allgemeine Abwertung der Gattung im Feld durchzusetzen vermochte.
186
In Goethes Privatbibliothek befinden sich nur Hefte des »Neuen Teutschen Merkur« aus den Jahren 1804 bis 1810. Auch in der Weimarer Bibliothek hat er den entsprechenden Band niemals ausgeliehen (vgl. Hans Ruppert (Bearb.): Goethes Bibliothek. Katalog. Weimar 1958 [Reprint Leipzig 1978], S. 44; sowie Elise v. Keudell: Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke. Hg. v. Werner Deetjen. Weimar 1931 [Reprint Leipzig 1982]).
187
Dies ist insofern denkbar, als er über Grohmann 1805 wegen einer philosophischen Streitschrift vehement urteilt, daß »ihm nicht zu Kopfe will, was andre denken und lehren« (an Eichstädt, 16.1. 1805; W A IV, 17,240), daß aber »dergleichen Menschen nur als Freunde gefährlich [sind]« (an Eichstädt, 2 3 . 1 . 1805; W A IV,17,245). Im Jahr 1818 zeigt er sich allerdings gegenüber Grohmann versöhnlich, nachdem dieser sich seinen morphologischen Ansichten angeschlossen hat (vgl. an Grohmann, 28.10. i8i8;WAIV,29,322f.).
188
Die Grohmann-Goethe-Parallele ließe sich als Manifestation des Zeitgeistes fassen. Bourdieu erklärt derartige Phänomene präziser dadurch, daß »die sozialen Effekte chronologischer Zeitgenossenschaft oder räumlicher Einheit [...] mächtig genug sind, über die Autonomie der unterschiedlichen Felder hinweg eine gemeinsame Problematik - verstanden nicht als >Zeitgeistbei Gelegenheit gründet auf einem eigenständig entwickelten pantheistischen Gelegenheitsbegriff. Spätestens in der nachitalienischen Zeit kristallisierte sich seine besondere Auffassung davon heraus, wie sich Gelegenheit, Kunst- und Naturschöpfung zueinander verhalten: Eine Gelegenheit gestattet dem aufmerksamen Beobachter den Blick vom Besonderen auf das Allgemeine, der, wie oben erläutert, ästhetisch im Symbol vermittelt wird. Diese charakteristische Einstellung geht auf einen vielschichtigen philosophischen Entwurf zurück, den Goethe seit den Studienjahren nach und nach aufbaute. So hält Karl Eibl fest: Schon früh bildet sich in ihm jene Denkform heraus, die das >Symbol< als die lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen definiert. [...] Insofern sind die >Gelegenheitenaufregenbedeutend< [...], denn sie gelten ihm als Augenblicks-Offenbarungen des Ganzen. 1 8 '
Ästhetik und Weltdeutung waren bereits bei dem jungen Goethe eng miteinander verbunden. Die Sprache ermöglichte den Zugang zu den Tiefenstrukturen der Welt. In den Jahren 1769/70 las Goethe hermetische Schriften wie die >Aurea catena Homeri< und Wellings >Opus mago-cabbalisticum< (vgl. DuW; F A 1,14,373). Schon für diese Zeit weist Helmut Schanze die »Entwicklung einer >Geheimrhetorik< Goethes parallel zu den hermetischen Grundstrukturen seines Werks«' 90 nach, die sich auf die Lektüre von Quintilians >De institutione oratoria< stützte. »Aus ihr präpariert Goethe seine Universaltopik heraus, die den Gesichtspunkten von Fund und Kombination ebenso Rechnung trägt wie dem Gesichtspunkt einer genialen Schöpferästhetik.« 191 Die Verknüpfung von hermetischem Denken und rhetorischem Handwerk legte die Möglichkeit nahe, den in der Natur vorgefundenen Schöpfungsplan im ästhetischen Medium kreativ nachzubilden. Etwa gleichzeitig, wie Heinz Hamm feststellt, vollzog Goethe anschließend an Spinoza und Holbach eine »philosophische Aufwertung der Wirklichkeit«.' 92 Diese grundlegenden Einstellungen bildete Goethe schrittweise in der produktiven Auseinandersetzung mit den Habitusformen aus, die ihm im Laufe seiner Sozialisation zugänglich wurden. »Goethe knüpft an diejenige Variante Eibl, F A I,i,73of. Helmut Schanze: Goethes Rhetorik, S. 143. In: Gert Ueding (Hg.): Rhetorik zwischen den Wissenschaften. Geschichte, System, Praxis als Probleme des >Historischen Wörterbuchs der Rhetorik' Ebd., S. 144. I?2 Heinz Hamm: Der Theoretiker Goethe. Grundpositionen seiner Weltanschauung, Philosophie und Kunsttheorie. Kronberg/Ts. 1976 (Literatur im historischen Prozeß 5), S.26. 190
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philosophischer Wirklichkeitsaufwertung an, die der eigenen sozialen Stellung und den eigenen Wirkungsmöglichkeiten entspricht.« 193 Zum einen versuchte er, als diesseitig Eingestellter den »uneingeschränkten Eigenwert der Wirklichkeit gegen das theistische Weltbild der Kindheitserziehung theoretisch zu begründen«. 194 Zum anderen lag ihm daran »sicherzustellen, daß in der großen notwendigen Gesetzlichkeit der Wirklichkeit Raum [bleibt] für die Selbsttätigkeit und Selbstentwicklung des Einzelnen«. 195 Entscheidende Anstöße erhielt Goethes poetisch fruchtbarer Wirklichkeitsbegriff durch das hermetische Denken, 1 ' 6 an das ihn der Frankfurter Arzt Johann Friedrich Metz heranführte. Besonders im 18. Jahrhundert galt die Hermetik als Autorität für eine ganzheitliche Weltdeutung. 197 Auch Goethes Denken war in dieser Tradition tief verwurzelt. Seine fortschreitend entwickelte Auffassung der Natur beruhte auf der Idee eines vollkommenen Urbildes, von dem sich alle Phänomene durch Metamorphosen, d.h. durch gleitende Abwandlung herleiten.' 98 Dieses Konzept hatte zur Folge, »daß die Natur für Goethe, wie die Physis für die Griechen, ein Heiliges, Göttliches« 199 war. Weiter führt Wolfgang Schadewaldt aus: Diese ewig schaffende Gott-Natur erschien ihm einerseits in ihrem tiefsten Wesen als verborgen, als dämonisch unergründlich, als >AbgrundMeerdas flutend strömt gesteigerte Gestalten«, und andererseits, als ein Göttliches, doch wieder als 'gesetzmäßig lebendig«, gesetzlich aufschlußreich. Als ein 'offenbares Rätsels als »Heilig öffentlich Geheimnis« pflegte Goethe deswegen die Natur gern zu bezeichnen in dem Sinne, daß hier ein ewig Verborgenes waltet, das sich doch auch wieder vielfältig bezeugt. 200
Der christlichen Hermetik folgte Goethe insofern, als er ihren immanenten Gottesbegriff teilte.201 Das Prinzip der Emanation des Göttlichen in alle weiteren Teile von Mikro- und Makrokosmos wirkte sich besonders auf sein naturwissenschaftliches Denken aus. 202 133
,9S 196
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200 201
202
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Ebd., S.26. Ebd., S.43. Ebd., S. 44. Vgl. zu Goethes Auseinandersetzung mit der neoplatonisch-pantheistischen Tradition, besonders mit Plotin, Giordano Bruno und Shaftesbury Martin Bollacher: Der junge Goethe und Spinoza. Studien zur Geschichte des Spinozismus in der Epoche des Sturm und Drangs. Tübingen 1969 (Studien zur deutschen Literatur 18), S. 1 ζ 5 ff. Vgl. Arthur O. Lovejoy: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Frankfurt a.M. 1993 (stw 1104), bes. S. 221. Vgl. ebd., S.228, 301 u. 336. Wolfgang Schadewaldt: Goethes Begriff der Realität, S. 63. In: G J b 18(1956), S. 44-88. Ebd., S.63. Vgl. Rolf Christian Zimmermann: Das Weltbild des jungen Goethe. Studien zur hermetischen Tradition des deutschen 18. Jahrhunderts. Bd. 1: Elemente und Fundamente. München 1969, S. 21 off. Vgl. Bollacher, Der junge Goethe und Spinoza, S. 174, sowie auch Albrecht Schöne: Goethes Farbentheologie. München 1987, bes. S. 1 0 6 - 1 1 9 .
Über diesen Ansatz ging er jedoch hinaus, indem er das Göttliche nicht nur als gegenwärtig in der Schöpfung, sondern »als Kraftquell sogar in einem persönlichen Handeln mit dem Individuum« 2 0 ' verstand. Dies betrifft vor allem das künstlerische Handeln, dem es zuweilen, >bei GelegenheitWürkungenSSeb. Simpel« unterschrieben.2 Auf den ersten Blick findet hier ein gewöhnlicher Fürsteneinzug statt, bei dem ein Untertan seinem Landesherrn ein Huldigungsgedicht überreicht, dessen Versmaß zwar für den Fürstenpreis ein wenig derb erscheint, aber im Rahmen des laus ruris am Hof akzeptabel ist. Als der Dichter Gleim von dieser Begebenheit erfährt, schreibt er verwundert an Bertuch: »Mag's nicht wissen, warum Sie keine Sylbe von Goethe sagen, dass er noch dort ist, vielleicht dort bleibt, dass er dem Herzog in einen Bauer sich verstellt und ihn in Knittelversen
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Diese Datierung und Lokalisierung w i r d wahrscheinlich gemacht durch H a n s Wahl: Sebastian Simpel, S.66Í. In: G J b 1 1 (1949), S. 6 2 - 7 7 . Altere Datierungsversuche reichen v o m 7 . 1 2 . 1 7 7 5 (Wilhelm Fielitz: G o e t h e ' s B r i e f e an F r a u von Stein. B d . 1. 2. A u f l . , F r a n k f u r t a . M . 1 8 8 3 , S. 5) bis O k t o b e r 1 7 8 0 (Heinrich D ü n t z e r : Goethes E i n tritt in Weimar. L e i p z i g 1 8 8 3 , S. 59Í-), was letztlich relevant ist f ü r die Frage, »ob G o e the als G a s t seinen H e r z o g regieren lehrt, oder nachdem er mehrere J a h r e in seinen Diensten steht« (Wahl, Sebastian Simpel, S. 64). Entgegen Fielitz und D ü n t z e r scheidet Schloß K o c h b e r g als Schauplatz aus, da es nicht »im f r e m d e n L a n d « ( F A 1 , 1 , 2 4 7 ) gelegen ist, sondern in Sachsen-Weimar (vgl. auch an Charlotte v o n Stein, 1 6 . 1 . 1 7 7 6 ; W A IV,3,19). Vgl. Wahl, Sebastian Simpel, S. 69. 89
regieren gelehrt hat....«' Hinter dem Bauern verbirgt sich also der verkleidete Goethe, und seine Eingabe handelt weniger von Carl Augusts Herrschertugenden als von seinen Lastern. Wegen seiner geradezu paradigmatischen Verbindung von traditionellen Elementen mit charakteristischen Regelverstößen eignet sich der Text als Vergleichsfolie für Goethes voritalienische Gelegenheitslyrik. Das Gedicht (FA I,i,246f.) gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil (V. i—13) wird das Modell >Herrschaft< aufgerufen, das zudem bei der Aushändigung spielerisch vergegenwärtigt wird. Die zu besetzenden Rollen werden in den beiden Eingangsversen bekanntgegeben: »Durchlauchtigster, es nahet sich / Ein Bäuerlein demütiglich« (V. if.). Die Jagdgesellschaft und die Gastgeber bilden das Publikum, das die submissive Geste des Redners gegenüber dem Adressaten bezeugt. Nach der Klarstellung der hierarchischen Verhältnisse wird in den beiden folgenden Versen schematisch der Anlaß des Gedichts benannt: »Da ihr mit Euerm Roß und Heer / Zum Schlosse tut stolzieren sehr« (V. 3f.). Dann erbittet Sebastian Simpel von seinem Herzog »einen gnädigen Blick, / das ist schon Untertanen Glück« (V. jf.). Er führt seine im großen und ganzen zufriedenstellenden Lebensumstände an und geht danach auf sein Verhältnis zum Herzog ein. Hier kommt dem Bauern die Ehrerbietung weitgehend abhanden. Die Liebe zum Landesfürsten wird durch den Zusatz relativiert, daß sie schlicht üblich ist: »Haben euch sofern auch lieb und gern, / Wie man eben lieb hat seinen Herrn« (V. yf.). Der Ruhm des Herrschers wird zwar anerkannt, dann aber einigermaßen respektlos in den Bereich der Glaubensfragen gerückt: »Den man wie unsern Herr Gott nennt / Und meistens auch nicht besser kennt.« (V. 1 if.). Dieses Exordium, das den konventionellen Rahmen eines höfischen Begrüßungsgedichts anklingen läßt, entlarvt sich durch seine kritische Distanz zum Fürstenpreis als Hohlformel. Nach der offensichtlich halbherzigen captatio benevolentiae wird im Mittelteil (V. 1 4 - 1 8 ) das eigentliche Anliegen des Gedichts zweizügig vorgebracht. Zuerst wird daran erinnert, daß die Landbevölkerung eine wesentliche Stütze des Herzogtums bildet. So heißt es dort: »Denn wir bäurisch treues Blut / Sind doch immer euer bestes Gut« (V. 1 jf.). Dann wird die Jagd zum Anlaß genommen, den Herzog nachdrücklich zu ermahnen: »Und könnt euch mehr an uns erfreun / Als am Park und an Stutereien« (V. 17Í.)· Das auch in der Handschrift optisch hervorgehobene Wort >Park< markiert den zentralen Kritikpunkt des Gedichts: 4 Mit >Park< ist in diesem Zusammenhang keine Gartenanlage gemeint 5
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Gleim an Bertuch, 15. 1. bis 14.2. 1776. Abgedruckt in: Goethe 2 (1881), S. 386. Goethes Verkleidung, von der die Herausgeber allerdings nur vom Hörensagen wissen können, wird in der Quartausgabe von 1836/37 ebenfalls bestätigt (Goethe's poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden. Hg. v. Johann Peter Eckermann u. Friedrich Wilhelm Riemer. Bd. 1 / 1 . Stuttgart/Tübingen 1836, S. 174). Ein Faksimile der Handschrift ist abgedruckt bei Wahl, Sebastian Simpel, S.65.
- eine solche gab es zu dieser Zeit in Weimar noch nicht - , sondern ein »Wildpark (Pferch)«.5 Demnach geht es hier um Carl Augusts ausgeprägte Jagdleidenschaft, ein freilich auch sonst schon seit dem Mittelalter weit verbreitetes, kostspieliges und flurschädigendes Divertissement der Höfe. Das Gedicht weist auf einen Interessengegensatz von höfischen Vergnügungen und Landwirtschaft hin: Die herzoglichen Jagdgesellschaften nahmen keine Rücksicht auf die bestellten Felder der Bauern und ruinierten nicht selten Teile der Ernte. Während Hans Tümmler die naheliegende Vermutung ausspricht, in diesem Vorwurf zeige sich »Goethes Rechtsempfinden, sein starker sozialer Zug«, 6 lassen sich durchaus spitzfindigere Deutungsansätze unternehmen. Ernst M. Oppenheimer hält die burleske Simpel-Figur für zu belanglos, als daß sie als Fürstenerzieher auftreten könnte. Sein Einwand lautet: »[T]he choice of a Sebastian Simpel, who surely belongs in the family of bumpkins employed in Singspiel, would hardly make for an effective conveyance of >message< or a lesson in the art of government.«7 Statt dessen schlägt er vor, es als »mocking echo of some of the criticisms directed at the duke and his guest by members of the court«8 zu lesen. Er erläutert: »The expressed desire for a >gnädiger Blick< which in itself creates >Untertanenglück< could as easily be an oblique reference to the slighted malcontents at the court as an expression of genuine concern for the neglected peasantry.«9 Die zugrundeliegende Analogiebildung ist grundsätzlich denkbar: So, wie hinter dem Sebastian Simpel Goethe zum Vorschein kommt, könnte das Plädoyer für die Bauern ebenfalls eine Maskerade sein. Dabei fragt sich allerdings, warum sich der gerade in Weimar angekommene Patriziersohn Goethe zum Anwalt der Höflinge machen sollte. Der Text selbst bietet keine Anhaltspunkte, die eine solche doppeldeutige Lesart erfordern. Einiges spricht hingegen dafür, daß Goethe sich zum Sprachrohr der Landbevölkerung macht. Das Sebastian-Simpel-Gedicht berührt einen Mißstand, den Goethe seinem Herzog auch in der folgenden Zeit immer wieder vorhält. In aller Deutlichkeit schreibt er z.B. im Dezember 1777 in der >Harzreise im Wintere »Segne die Brüder der Jagd / Auf der Fährte des Wilds, / Mit jugendlichem Ubermut / Fröhlicher Mordsucht, / Späte Rächer des Unbilds, / Dem schon Jahre vergeblich / Wehrt mit Knütteln der Bauer.« (FA 1,1,323; V. 53-59). Ebenso deutlich bringt er in einem Brief an Carl August auch die Folgen der Wildschäden im Herzogtum auf den Punkt: »Man beschreibt den Zustand des Landmanns kläglich und er ist's gewiß, mit welchen Übeln hat er zu kämpfen Ich mag nichts hinzusetzen was Sie selbst wissen.« (an Carl August, 26.12.
' Wahl, Sebastian Simpel, S.65. Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!Und der Gelegenheit s c h a f f ' ein Gedicht!*, S. 16.
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sammen hält.« (V. 21-26). Tatsächlich steht aber auch das >Zauberschloß in der Nachbarschaft (V. 22Í.) in einem ganz konkreten historischen und literarischen Zusammenhang. Hans Wahl weist auf die auffällige Nähe zu Wielands kurz zuvor verfaßten Gedicht >An Psychen< hin. 12 E s entstand in den ersten Januartagen 1 7 7 6 als hinreißende H u l d i g u n g Wielands f ü r den >Zauberer< G o e t h e . [...] E s schildert den Besuch Wielands und G o e t h e s im Schloß Stedten bei E r f u r t . Sie waren dort drei Tage ( 1 . - 3 . Januar) Gäste der F r a u A u g u s t e v o n Keller und deren Tochter Julie v o n Bechtolsheim, die die >Psyche< des Wielandschen Gedichts w a r . 1 '
Bei Wieland heißt es: »Da stund auf einmal ein Feenschloß / Vor meinen Augen« (V. i9f.) sowie »Von der Fee des Orts sag ich dir nichts« (V.48). Die Anspielung auf Wielands Text versetzt das Simpel-Gedicht in einen erweiterten Referenzraum: Goethe benutzt die Gelegenheit des Fürsteneinzugs, um nicht nur dem Herzog, sondern auch Wieland zu huldigen. Die Ehrbezeigung gegenüber Wieland unterläuft freilich die sozialen Konventionen der Gattung, die sich für gewöhnlich mit herrscherlichen, nicht mit künstlerischen Leistungen befaßte. Dadurch stellt Goethe selbstbewußt den höfischen Gebrauchstext in den Dienst der Kunst statt seine Kunst den Gepflogenheiten der höfischen Repräsentation unterzuordnen. Dies erscheint geradezu wagemutig, wenn man bedenkt, wie Goethe selbst in Wielands Gedicht vorkommt: »Ein Zaubrer! [...] / Ein schöner Hexenmeister es war, / Mit einem schwarzen Augen-Paar, / Zaubernden Augen voll Götterblicken, / Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.« (V. 77-83). Diese verklärende Goethe-Darstellung, die den anwesenden Weimarer Höflingen vermutlich bekannt war, ruft der Simpel-Text unterschwellig mit auf. Auf diese Weise macht Goethe seinem Herzog in der Öffentlichkeit der Jagdgesellschaft (immerhin die Zweitadressaten, die üblicherweise den panegyrisch erzeugten Statusgewinn bestätigen sollten) den konventionellen Anspruch auf alleinigen Lobpreis abspenstig. Mit einem solchen Verstoß gegen die soziale Hierarchie und der resultierenden Erhöhung der Autorrolle im Text erweitert Goethe die Ausdrucksmöglichkeiten der höfischen Panegyrik erheblich. Dem Hof hingegen nützt das freilich wenig: Die Machtposition Herzog wird bestenfalls durch die Geste, kaum aber durch den Inhalt des Gedichts bestärkt. Carl Augusts Machtstellung wird phrasenhaft abgehandelt und durch die implizite Doppeladressierung im Text gleichsam relativiert; darüber hinaus wird auch noch sein Verhalten getadelt. Innerhalb der 26 Verse des Sebastian-Simpel-Gedichts findet eine interessante Bewegung statt. Der erste Teil steht mit seinem freilich ironisch gebroche12
Wieland 1 2 , 7 2 - 7 6 ( A n Psychen). V g l . W a h l , Sebastian Simpel, S. 65.
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W a h l , Sebastian Simpel, S . é j f .
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nen Tribut an die höfischen Konventionen noch in der barocken Fürstenpreistradition. Der zweite Teil mit der Kritik an Carl August ist dem aufklärerischen Geist der Fürstenerziehung verpflichtet. Der dritte Teil schließlich setzt sich über die für ein Gelegenheitsgedicht verbindlichen Schicklichkeitskonventionen hinweg und zeigt mit der durchaus anmaßenden Hommage an den Dichterkollegen eine entschiedene Abwendung von der traditionellen Fixierung auf den höfischen Adressaten. Der Simpel-Text enthält auch formal einen Bezug auf literarische Angelegenheiten. Goethe verwendet hier strenge Knittelverse, genannt auch HansSachs-Verse, d.h. je nach Kadenz acht- oder neunsilbige Reimpaarverse. 14 Zunächst einmal unterstreicht der Rückgriff auf das vor allem im Spätmittelalter (z.B. Meistersang, Fastnachtspiel oder Fabeldichtung) florierende, seit dem 17. Jahrhundert allerdings überwiegend als primitiv geltende Versmaß seine bäurische Verkleidung. Weitergehend knüpfen sie an die von Herder angeregte Volksliedverehrung der Straßburger Zeit an. Schließlich standen sie sicherlich auch unter dem Einfluß des Gedichts >Hans Sachsens poetische Sendung< (FA 1,1,357-362), an dem Goethe zur selben Zeit arbeitete. Im Bemühen um die Aufwertung des Knittelverses veröffentlichte er diesen Text zusammen mit einem Aufsatz von Wieland und zwei Gedichten von Sachs in der April-Ausgabe des >Teutschen MerkurAuf die Wiedergenesung ihre Ersten und besten Vorgesezten. Die ältere Mediziner-Abtheilung Herzoglicher Militärakademie. Den [unleserlich] Jul. I 779 < (Signatur: D L A U U : Kps 4°, Karlsschulschriften. Forts. III. Sammelbd., Gelegenheitsschriften 1771 -94, Nr. 4) u. >Auf das höchste Geburts-Fest Ihres Durchlauchtigsten Stifters und Rectoris Magnificentissimi Carls Herzogs zu Wirtemberg und Teck an Ihrem Einweihungs-Tage den 1 iten Februarii 1782. Die Herzogliche Carls95
daher bloße Gebrauchstexte im Rahmen der höfischen Repräsentation, statt sich als Kunstform zu entfalten. Ein typisches Beispiel für diese auf repräsentative Zwecke zugeschnittene Dichtung bietet der Glückwunsch, den Christian Friedrich Daniel Schubart zu Carl Eugens Namenstag am 4 . 1 1 . 1784 im Namen der Stuttgarter Schaubühne anfertigte. 21 Zu Beginn des Textes werden ostentativ die Bereiche Anlaß und Adressat abgehandelt. Der repetitiv emphatische Gestus ist dabei freilich eine bloße Formel der Ehrbezeugung: » C a r l s Name flammte heut / Mit Sternengold geschrieben / A m Olymp - Der Name C a r l s ! / Ha! mit welcher Wonne Sprech' ich ihn aus; / Deinen Namen, C a r l !« (V. 10-14). Der anschließende Lobpreis stellt zunächst den politischen »Fürstenglanz« (V. 30) Carl Eugens in eine Reihe mit Katharina der Großen (V. 17), Joseph II. (V. 19), Friedrich dem Großen (V. 21). Danach folgt gleichsam eine Spartenrevue auf dem Olymp (vgl. V. 1 2 , 2 6 , 1 0 4 u. 122), die Carl Eugens Verdienste um Literatur (V-48f.), Malerei (V. 50-54), Musik (V. 57-60), bildende Kunst (V.ójff.) und Ballett (V. 66-70) herausstellt. Den Abschluß bildet ein von Apoll eingeleiteter Wechselgesang zwischen einzelnen Musen und einem Chor von Musen und Künstlern. In diesem »schallenden hohen Päan« (V. 107) verliert der antik eingefärbte Text allerdings merklich an mythologischer Stringenz: »Und unter Deutschlands Ehrensäulen, / In Wodan's Eichenhain, / Steh' unser C a r l in Marmorstein! « (V. 116ff.). Von künstlerischer Eigenständigkeit fehlt hier jede Spur: Der Text beschränkt sich auf das gattungspoetisch vorgegebene, wenig variationsreiche Spiel mit Anlaß, Adressat und Fürstenpreis, das mit geläufiger patriotischer Metaphorik unterfüttert wird. Von dem jungen Schiller, der als Karlsschüler mit dem württembergischen Hof verbunden war, sind zwei Gelegenheitsgedichte zum Namenstag Franziskas von Hohenheim am 4.10. 1778 erhalten. Carl Eugen hatte diese E m p f i n dungen der Dankbarkeit ( N A 1,1 iff.) für seine Ehefrau in Auftrag gegeben. 22 Der erste Text wurde im Namen der Hohen Karlsschule vorgetragen, der zweite im Namen der zugehörigen École des Demoiselles, deren Schirmherrschaft Franziska innehatte. Die ersten fünf Strophen des Karlsschultextes gelten dem Anlaß. Das Wort »Fest« kommt darin sieben Mal vor (V. 1 , 2 , 5 , 6 , 9 , 1 2 u. 13), daß es um »Franziskas Nahmen« (V. 1 1 ) geht, wird ebenfalls betont (vgl. V. 10 u. 20). Die Stimmung dieses Abschnitts ist schematisch angereichert mit Lust, Jubel und »Entzüken« (V. 14). Die nächsten fünf Strophen vergegenwärtigen Franziskas segensreiches Wirken in einem repräsentativen Tugendkatalog: »Sie gibt der Blöße Kleider, / Dem Durste gibt Sie Trank, dem Hunger Brod! / Die
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Akademie< (Stuttgart 1782; Signatur: D L A U U : Kps 4°, Karlsschulschriften. II. Sammelbd. Schriften zum Geburtstag Karl Eugens, 12 Hefte 1 7 8 2 - 1 7 9 2 , N r . 1). Christian Friedrich Daniel Schubart: Carls Name gefeiert von der deutschen Schaubühne zu Stuttgart. A m 4. November 1784. In: Ders.: Sämmtliche Gedichte. Neue verbesserte Auflage. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1829, S. 27-32. Vgl. Kurscheidt/Oellers, N A 2/IIA,2 5 .
Traurigen macht schon ihr Anblik heiter, / Und scheucht vom Krankenlager weg den Tod.« (V. 21-24). Mit der Wendung »Im Herzen tronet Sie« (V. 3 5) benutzt Schiller einen häufigen Topos der höfischen Casualdichtung: Der eigentliche Fürstensitz wird in der Untertantenbrust lokalisiert. Wie in Schubarts Text fordert die Schlußstrophe zur Verewigung der Adressatin auf: »Laßt unser Herz Franziskas Denkmahl seyn!« (V.42). In diesem Text erscheint weder die Adressatin individuell gezeichnet noch ist eine eigenartige Beziehung zwischen Autor und Adressatin feststellbar noch hinterläßt der Autor eine persönliche Signatur als Künstler. Auch das Gedicht im Namen der Mädchenschule trägt das regulierte Gepräge der repräsentativen Zweckbestimmung. Franziskas »theurer Nähme« (V. 3) wird mehrfach genannt (vgl. V. 10, 30, 36 u. 38), um Anlaß und Adressatin zu bezeichnen. Der Fürstenpreis als dritte feste Komponente traditioneller Hofpoesie zeigt Franziska als vorbildlich tugendhafte (Landes-)Mutter (vgl. V. 5, 10, 13, 17 u. 26), der die Schülerinnen strebsam nachzueifern haben (vgl. V. j , 1 1 u. 37). Die Sprechhaltung des Textes bildet neben der erwarteten Untertanentreue auch die zeitgenössischen weiblichen Rollenmuster ab. Schiller tritt mithin vollständig hinter dem Auftragswerk zurück. Eine kleine persönliche Note verleiht er dem Gedicht immerhin dadurch, daß er auf Franziskas erwiesene Abneigung gegen die Verehrung anspielt: »Erlauben Sie die kühne stolze Wendung, - / Denn heute, heut' dem Dank sich zu entziehn / Wär Frevel, war die sträflichste Verblendung!« (V. i8ff.). Das schon als Ansatz zur künstlerischen Verselbständigung zu werten, wäre allerdings übertrieben. Weder Schillers Texte noch die von Schubart gehen über die poetische Aufbereitung von Anlaß, Adressat und Fürstenpreis hinaus. Sie dienen daher allein der zeremoniellen Herrschaftsinszenierung. Ganz anders hingegen verhält es sich mit Goethes höfischer Casualpoesie. Zu Weihnachten 1775 schickte er seinem Herzog das Gedicht >Gehab dich wohl< (FA 1,1,246), das er im Waldecker Forsthaus anfertigte. Er verbrachte dort die Festtage mit Friedrich Hildebrand von Einsiedel, Johann August Alexander von Kalb und Friedrich Justin Bertuch. Die Weimarer Hofgesellschaft hielt sich unterdessen am Hof von Sachsen-Gotha und Altenburg auf. Der Text lautet: »Gehab dich wohl bei den hundert Lichtern / Die dich umglänzen / Und all den Gesichtern / Die dich umschwänzen / Und umkredenzen. Findst doch nur wahre Freud und Ruh / Bei Seelen grad und treu wie du.« (V. 1-7). Der Festgruß enthält eine kleine, aber auffällige Spitze gegen das strenge G o thaer Hofzeremoniell. Mit den >Gesichtern / Die dich umschwänzen / und umkredenzen spielt Goethe darauf an, daß Herzog Ernst II. »zwar seinem jüngeren Vetter Carl August freundschaftlich zugetan, das gothaische H o f - und Staatswesen aber recht steif und konservativ war«. 2 ' Goethe und der Herzog 23
Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedichtl·, S. 12.
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teilten die Abneigung gegen die überkommene Förmlichkeit, so daß Goethe denn auch zum Schluß offenherzig festhalten konnte: »Findst doch nur wahre Freud und Ruh / Bei Seelen grad und treu wie du.« (V. 6f.). Der hiermit aufgespannte Gegensatz legt nahe, daß der Herzog diese verwandten Seelen nicht im Kreis der Höflinge findet, sondern unter den bewährten Jagdgenossen im rustikalen Ambiente von Waldeck. Goethes zutrauliche Verse blieben als Briefgedicht, das sich nur an einen einzigen Adressaten richtete, in einem privaten Rahmen. Einerseits konnten sie daher nicht zur offiziellen Erhöhung und Verherrlichung des Herzogs dienen. Andererseits brachten sie so den Herzog nicht in Verlegenheit, obwohl sie klare Rückschlüsse auf seine Einstellung gegenüber den höfischen Konventionen gestatteten. Goethe trat hier nicht als Hofpoet auf, sondern nahm von sich aus die sich bietende Gelegenheit zum Anlaß, persönliche Zuneigung und gemeinsame Ansichten dichterisch auszudrücken. Auf diese Weise festigte er seine Position einzig gegenüber seinem Gönner. Wenn hier überhaupt ein Lobpreis erfolgte, so galt er freilich nicht dem Herzog und seinem sozialen Hintergrund, sondern bürgerlich-geselligen Habitusformen jenseits der Standeskonvention. Wegen der fehlenden Öffentlichkeit konnte Carl August diesen casualpoetischen Vorstoß gegen den regulierten Lebensstil der Höfe ohne weiteres billigen. Verglichen mit diesem provokanten Debüt fallen die beiden nächsten Gelegenheitsgedichte, die Goethe für Carl August schrieb, sehr viel harmloser aus: Ein dreistrophiges Rollengedicht, das um 1778 möglicherweise auf einem Maskenball von einer Zigeunerinnenfigur gesprochen wurde (FA 1,1,25 of.),24 enthält überhaupt keinen kritischen Unterton. Ebenso verzichtet es allerdings auch auf das Herrscherlob. Statt dessen trägt Goethe wieder einmal ein in Gedicht und Maske verpacktes Anliegen an den Herzog heran. Abgesichert dadurch, daß ihm zuvor »schon das Beste prophezeit« (V. 4) wurde, faßt das weissagende Rollen-Ich den Mut, vor einer drohenden Kriegsgefahr 2 ' zu warnen und die Friedenssicherung einzufordern: »Laß uns in deinen Staaten / Genießen die erwünschte Ruh.« (V. 7 ! ) . Die Erinnerung an eine grundlegende Herrscherpflicht als Affront gegen den Herzog zu sehen, ginge sicher zu weit. Schließlich bestätigt das im Beisein der höfischen Festgesellschaft vorgebrachte Hilfsersuchen nicht zuletzt die Machtstellung des Angesprochenen. Privatere Züge herrschen dagegen in dem Vierzeiler vor, den er am 18.2. 1781 als Begleitschreiben mit zwei Gemälden des Frankfurter Malers Elsheimer an Carl August übersandte (FA 1,1,258): »So groß als die Begierde war in 24
Vgl. dazu Eibl, F A 1,1,981; Reinhardt in: Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. 21 Bde. in 33 Tin. Hg. v. Karl Richter. München 1985-1998 (im folgenden: Sigle MA). Bd. 2.1, S. j68f. u. Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 34Íf. 2 * Gemeint sind vermutlich die eskalierenden Erbfolgestreitigkeiten in Bayern 1778/79 (vgl. Eibl, F A 1,1,981 sowie Tgb 27. 3. u. 21.4. 1778; W A III,1,64^). 98
mir / Die altgeliebten Bilder zu erlangen, / Mit gleicher Lust geb ich sie dir / Und scheine sie dadurch erst zu empfangen.« (V. 1-4). Dieser Text war als Briefgedicht wieder nur dem Erstadressaten zugänglich, d.h. es erfüllt wie schon der Weihnachtsgruß keine repräsentative Funktion für den Herzog, sondern nur eine statuserhaltende für den Autor. Goethe - hier darf man ihn wohl selbst als Sprecher annehmen - teilt also mit, daß er den begehrenswerten Kunstschatz nur allzu gern für sich behalten hätte, aber durch die Ubergabe an den herzoglichen Freund noch größeres Vergnügen an ihm finde. Wie sich die Anteile des Freundschaftlichen und Ostentativen in dieser Unterordnungsgeste zueinander verhalten, läßt sich indes nicht aufklären. Den Höhepunkt der voritalienischen Gelegenheitslyrik für den Weimarer Hof bildet das umfangreiche Gedicht >Ilmenau< (FA 1,1,263-268; FA 1,2,334340),26 in dem Goethe eine Zwischenbilanz aus der Beziehung zwischen Goethe und Carl August zieht. E r überreichte seinem Herzog den Text im Jahr 1783 zum 26. Geburtstag. Da sich keinerlei Hinweise auf eine poetische Huldigung zu einem der früheren Geburtstage Carl Augusts ein Gedicht finden, betrachtete Goethe die Anfertigung von Geburtstagscarmina vermutlich nicht als implizite Amtspflicht. 27 Von der Freiwilligkeit seines Gedichts zeugt außerdem auch folgende Mitteilung an Charlotte von Stein: »Wenn es möglich ist schreibe ich dem Herzog ein Gedicht auf seinen Geburtstag.« (an Charlotte v. Stein, 30.8. 1783; WA IV,6,i92). Goethe nutzte also den Geburtstag als günstigen Augenblick (im Sinne des kairós), um poetisch das Wort an den Herzog zu richten. Dementsprechend erwähnte er den Anlaß im Text auch nur mit der beiläufigen Periphrase »Tag der Lieb und Lust« (V. 5). Friedrich Sengle vermutet weitergehend, daß Goethe mit dem Gedicht vor der gesamten Hofgesellschaft seine eigene Einsicht und den Beginn einer neuen Zeit signalisieren wollte: »Goethe dachte bei diesem Gedicht, in dem sich Schuldbekenntnis und Rechtfertigung miteinander verbanden, an den Hof, vor allem an die Mutter und an die Gattin Carl Augusts. 28 Ausgerechnet in einem Geburtstagsgedicht machte Goethe nachdrücklich auf »[S]o manch Geschöpf in Erde-Fesseln« (V. 14), also auf die sozialen Notstände im Herzogtum aufmerksam, die unter anderem im Zusammenhang mit dem Adelsprivileg der Jagd standen.29 Der von Sebastian Simpel her bekannte 26
Für den Druck in den > Werken« 1815 (Sigle Β) hat Goethe den Text im Hinblick auf Strophengliederung, Rechtschreibung und Interpunktion und kleinere Unebenheiten überarbeitet, während Inhaltliches nicht nachgebessert oder abgeschwächt wurde. Zitiert wird im folgenden nach der ersten Fassung, weil sie den originalen Gebrauchstext für die Gelegenheit darstellt. Uber die Umstände der Darbringung ist nichts bekannt. 27 Vgl. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 89Íf. 2 ' Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. 59. 2 ' Vgl. Eibl, F A 1,1,992.
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Tenor klang hier ganz unverkennbar an: »Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut / Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut, / Der Knappe karges Brot in Klüften sucht, / Der Köhler zittert wenn der Jäger flucht [...].« (V. 15-18). Erneut gebrauchte Goethe das Medium der Gelegenheitsdichtung, um seinen Herzog im Interesse der Untertanen zu beeinflussen. 30 Im Jahr 1783 nahm die bekannte Kritik jedoch letztendlich eine andere Wendung als in der Simpel-Rüge. Zwar blieb der appellative Charakter, aber zugleich zog der im Gedicht sprechende Goethe einen Schlußstrich unter die Fürstenerziehung der ersten Jahre. »Goethe [...] mußte erkennen«, wie Friedrich Sengle bemerkt, »daß es nach langen Jahren wilden Treibens und gemeinsamer Reifung endlich an der Zeit war, die für beide Partner mühselige Fürstenerziehung zu beenden [...].« 31 Für ihn begann an diesem Geburtstag »ein neues Leben« (V. 20) unter anderen Vorzeichen. 32 Einige weitere zentrale Deutungsaspekte für das Gedicht besprach Goethe Jahrzehnte später mit Eckermann. Dieser notierte am 2 3 . 1 0 . 1 8 2 8 folgende Äußerung Goethes: Das Ilmenauer Gedicht [...] enthält als Episode eine Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns lag, so daß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. 33
Auch der Herzog trat im Gedicht >Ilmenau< als historische Figur auf. Er hatte sich inzwischen, so heißt es bei Eckermann weiter, »zu wohltätiger Klarheit durchgearbeitet«, so daß Goethe ihn an seine »Gestalt der früheren Jahre sehr wohl erinnern mochte«. 34 Aus sicherem zeitlichem Abstand ging er mit sich und dem 26jährigen Herzog ins Gericht, indem er die ungestümen Jahre als Rückblende in den Text einspiegelte. Der Fürstenpreis in >Ilmenau< erfolgt, wie sich in Goethes späteren Erläuterungen andeutet, nur unter gewissen Vorbehalten. Eine einzige Leistung gesteht Goethe dem Herzog allerdings bereitwillig zu, nämlich die im Trend des 30
31 3i
33 34
Vgl. ausführlich zu Goethes (sozial-)politischen Bemühungen, die sich in diesen Versen spiegeln, Theo Stammen: >Ilmenau den 3. September 1783^ Uber Goethes Verhältnis zur Politik. In: Ders.: Goethe und die politische Welt. Studien. Würzburg 1999 (Spektrum Politikwissenschaft 7), S. 69-104. Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. 57. Obwohl Goethe kein großer Kant-Anhänger war, nennt Arnd Böhm als mögliche Begründung für die Beendigung der Fürstenerziehung das Kantsche Selbstaufklärungspostulat, das er mit »Wer kennt sich selbst? wer weiß was er vermag?« (V. 102) angedeutet sieht. »However, this should not be construed as a proclamation of the rights of ignorance, for in context it is an expression of the genuine quest for enlightenment.« (Arnd Böhm: >Wer kennt sich selbst?Was ist Aufklärung?Institutio Principis Christians (1516) des Erasmus von Rotterdam. Die übrige Charakterisierung des jungen Herzogs zeugt ebenso von liebevollem Verständnis wie von freundschaftlicher Schonungslosigkeit. Um seine Kritik abzusichern, schickt Goethe seinen Ausführungen das Bild der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling (V. 1 3 2 - 1 3 7 ) voraus. Wenn er im folgenden den übermütigen Lebenswandel des Herzogs schildert (V. 142-153), wissen die Rezipienten des Gedichts bereits, daß die Gedichtperspektive bei aller Kritik auf das vollkommene Geschöpf gerichtet ist. Ebenso bewahrt er sich mit rhetorischen Mitteln vor Zurechtweisungen für seine Hofkritik (V. 118ff.). Nachdem er die höfischen Habitusformen als »arme Kunst mich künstlich zu betragen« (V. 119) bezeichnet hat, ruft er sich selbst zur Raison: »Doch rede sacht denn unter diesem Dach / ruht all mein Wohl und all mein Ungemach« (V.I22Í.). Die dichterische Mahnung und Ermutigung arbeitet mit drei Zeitebenen. »Sie halten«, so Manfred Lauffs, »das Bewußtsein für die Realität und ihre Mängel offen, aber genausogut das Bewußtsein für die Möglichkeit von Veränderung.« 35 In der vergangenen Jugendepisode der Binnen->Erzählung< des Gedichts (V. 2 1 - 1 5 8 ) wird über den Herzog gesagt: »Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre / Ihm Irrtum eine Leidenschaft.« (V. i4of). Im Gedichtrahmen (V. 1-20, 159-194), der in der Gegenwart liegt, werden bereits deutliche Fortschritte verzeichnet. Ein Blick ins Land zeigt bereits »ein ruhig Volk in stillem Fleiße« (V. 1 7 1 ) sowie »Gedeihn und festes irdsches Glück« (V. 178). Zur Vollkommenheit bedarf es allerdings auch in der Gegenwart noch einiger Selbstdisziplin des Fürsten. Entsprechend lautet der Fingerzeig für die Zukunft: »Du kennest lang die Pflichten deines Standes / Und schränkest nach und nach die freire Seele ein.« (V. i8if.). Die letzte Gedichtstrophe bewegt sich in überraschend konventionellen Bahnen. Mit einem althergebrachten locus comparationis zeigt Goethe den Fürsten als säenden Landmann, von dessen Umsicht der Ertrag der Ernte ab-
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Manfred Lauffs: >Er war mir August und MäcenIchEr war mir August und MäcenWertherIlmenau< bildet nicht nur der mit >Prometheus< aufgerufene Sturm und Drang, sondern auch sein Vorbild Shakespeare das literarische Beiwerk des Gedichts. So erscheint Carl August als »flüchtiger Fürst wie im Ardenner Wald« (V. 52). Das gebildete Publikum der Weimarer Hofgesellschaft wußte vermutlich, daß eben dieser Fürst in >Wie es euch gefällt< massive H o f kritik übt, die hier natürlich mitschwingt: »Macht alter Brauch dies Leben hier nicht schöner / Als das des falschen Prunks? Ist dieser Wald nicht / Minder gefährlich als des Hofs Intrigen?« 39 Mit dieser literarischen Anspielung erteilt Goethe dem Herzog zugleich eine weitere Lektion, die auf der Gleichsetzung von Jagd- und Kriegslust bei Shakespeare beruht. Dort trägt der 1. HOFHERR seinem Herzog eine lehrhafte Erzählung vor, in der die Tiere des Waldes für die Untertanen stehen. Er kommt zu dem Schluß, daß die Flüchtigen »nichts / Als Räuber und Tyrannen sind, noch schlimmer, / Weil wir die Tiere schrecken und sie töten / An ihrem eignen, angeborenen Wohnort.« 40 Der passionierte Jäger Carl August neigte gerade damals stark dazu, sich den preußischen Feldzügen anzuschließen. Daher merkt Katharina Mommsen an: »Aus aktuellem Anlaß erschien es geboten, an Shakespeares Mahnungen zu erinnern: solch kriegerisches Treiben läuft auf Mord und habsüchtigen Länderraub hinaus.« 4 ' Goethes frühere Unbedachtheit, auch im Umgang mit Carl August, erscheint angesichts des in der Gegenwart Erreichten weniger gravierend. Zugleich gelingt es ihm, mit dem Schuldbekenntnis auch seine Kritik und Ermahnung effektvoll in die repräsentative Hofkultur hineinzutragen. Der Text zeigt besonders vielschichtig, daß Goethe sich nicht zum bloßen Diener der Gelegenheit macht, sondern umgekehrt die Gelegenheit in seine Dienste stellt, wobei er zu einem gattungsgeschichtlich neuartigen, weil freundschaftlich differenzierten Fürstenpreis gelangt. Somit wertet er nicht nur die Autorrolle in der 39
William Shakespeare: Wie es euch gefällt, S. 215 (II, 1). In: Shakespeare. 27 Stücke von Shakespeare in der Ubersetzung von Erich Fried. Hg. v. Friedemann Apel. Frankfurt a.M. 1995. Bd. 2, S . 2 0 1 - 2 6 2 . 4 ° Shakespeare, Wie es euch gefällt, S. 216. 41 Katharina Mommsen: Der Politische Kern von Goethes >ElpenorAbschied an den Herzog Carl August< (FA 1 , 1 , 2 7 5 ^ verabschiedet. Da sie sich rollenhaft als >Nymphen von Engelhaus< ausgaben (vgl. V. 28), ist es, so Hans Tümmler, denkbar, daß sie auch im Nymphenkostüm aufgetreten sind. »Goethe, überhaupt die damalige Gesellschaft, liebte derartige Verkleidungsarrangements.«42 Anders als im Fall des Sebastian Simpel verbarg Goethe bei dieser Gelegenheit hinter Knittelvers und Maskerade keine mahnende Botschaft: Das Versmaß war hier den Sprecherinnen vollauf angemessen, die eventuelle Verkleidung hob lediglich den Unterhaltungswert des inszenierten Abschieds. Der dreigliedrige Fürstenpreis des Textes folgt dem rhetorischen Bauplan exordium - narratio/argumentatio - perorado. Innerhalb dieses formalen Gerüsts werden die Umstände der Person, der Zeit und des Ortes nach casualpoetischer Handwerkstradition schematisch abgearbeitet.43 Der erste Teil des Propemptikons benennt den Anlaß des Gedichts, die Abreise aus Böhmen: »Ist es denn wahr, was man gesagt? /[...]/ Verlassest du die Königsstadt?« (V. 1-3). Im zweiten Teil (V. 5-26) folgt ein katalogartig angelegter Lobpreis. Die Milde, »Freundlichkeit und Gnad«< (V. 7) des Herzogs werden von Mitgliedern der internationalen Badegesellschaft bestätigt. Dazu werden repräsentative Vertreter verschiedener Nationen bzw. Religionen aufgezählt: »Denn nicht der Pole freut sich dein, / Es freut sich nicht der Jud' allein, / Es freut sich dein auch jeder Christ [...].« (V.9ff.). Zusätzlich zur damit suggerierten Weltoffenheit des Herzogs wird noch die Galanterie als weitere Herrscherqualität hervorgehoben. Als Gewährsleute dafür treten die Damen auf: »Doch die nach dir am meisten schaun, / Sind gewiß alle schöne Fraun [...].« (V. ijf). Die holprigen Verse, mit denen Goethe das allseitige Bedauern über die Abreise zusammenfaßt, knüpft allerdings auch an den künstlerischen Leumund der Gattung an: »Die beißen alle mit Verdruß / Auf's Muß als eine harte Nuß.« (V. I9Í.). Der dritte Teil enthält schließlich die guten Wünsche für die Reise, de42 43
Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht! Werken* von 1815 (Sigle Β) endet der Text mit dieser Würdigung von Oesers Kunstwerk. Die vier Verse, die sich auf die Gelegenheit des Geburtstags beziehen und im Einzeldruck von 1777 den Schluß bildeten, wurden für die Veröffentlichung gestrichen. Sie lauten: »Was ist dies arme Nachbild zwar! / Doch guter Wille gnügt Dir heute; / Was dort der Lieb und Trauer Zeichen war, / Ist Zeichen hier der Lieb und Freude.« (V. 17-20). Goethe gibt sich hier mit Unzulänglichkeitstopos, Bekundung der guten Absicht, Benennung des Anlasses und Verstehensanweisung für sein Geschenk überaus konventionell. Das inhaltlich ohnehin unverfängliche Gedicht wird mit diesen Zusätzen explizit den repräsentativen Erfordernissen der Gelegenheit untergeordnet. Obwohl der Text thematisch mit Geliert und Oeser als Bildungshintergrund des Dichters denkbar geeignete Ansatzpunkte dafür bietet, läßt er nur andeutungsweise eine Tendenz zur künstlerischen Profilbildung bzw. zur biographischen Selbstbespiegelung erkennen: Zwar setzt Goethe seinen beiden Lehren und damit nicht zuletzt seinem eigenen Werdegang ein poetisches Denkmal, stellt sich aber hier mit den harmlos huldigenden Geburtstagsversen an die Herzoginmutter durchaus als höfischer Dekorateur zu Verfügung. Auf einer Dreikönigsredoute bei Anna Amalia am 6.1.1781 betreibt Goethe immerhin ein wenig Koketterie mit den Konventionen. Er läßt auf dem Fest das Gedicht >Epiphanias< (FA I,i,388f. u. FA I,2,98f.) von mehreren Schauspielern szenisch vortragen. Die Darbietung ist genreverwandt mit den späteren Maskenzügen: Der Vortrag wird über die reine Rezitation hinaus theatersemiotisch 106
erweitert und findet auf einer Redoute, d.h. im Rahmen der höfischen Maskerade statt. Allerdings handelt es sich hierbei noch nicht um einen Maskenzug im eigentlichen Sinne, da außer den üblichen Widmungsversen vor allem auch der sequentielle Charakter der Sinnstiftung fehlt: Hier wird lediglich ein einziges, geschlossenes Gedicht maskiert mit verteilten Rollen vorgetragen. Der Text setzt aus gegebenem Anlaß die Tradition des Sternsingens im H o f fest fort. Gleich bei seinem Einstand als Maître de plaisir übertritt Goethe mit diesem durchaus eigenwilligen Arrangement das höfische Anstandsreglement in mehrfacher Hinsicht und trägt so zur Emanzipation der Gattung von der repräsentativen Zweckbindung bei. Die mit possenhafter Lizenz auftretenden heiligen drei Könige offenbaren der Herzogin zunächst ihre äußerst diesseitige Gesinnung: »Die heiigen drei König' mit ihrem Stern, / Sie essen, sie trinken, und bezahlen nicht gern; / Sie essen gern, sie trinken gern, / Sie essen, Trinken und bezahlen nicht gern.« (V. 1-4). Zudem bietet die Selbstvorstellung eine klapphornversähnliche Begründung der Dreizahl: »Die heiigen drei König' sind kommen allhier, / Es sind ihrer drei und sind nicht ihrer vier; / Und wenn zu dreien der vierte wär' / So wär' ein heiiger drei König mehr.« (V. 5-8). Darauf folgen Rollenstrophen, in denen sich die Könige einzeln erklären, sowie der Hinweis auf die traditionell an das Christuskind zu überbringenden Geschenke Weihrauch, Gold und Myrrhe. Der Zug verabschiedet sich mit einem Kompliment an die Adressaten, das auf einer durchaus gewagten Gegenüberstellung beruht: »Da wir nun hier schon Herrn und Fraun, / Aber keine Ochsen und Esel schaun; / So sind wir nicht am rechten Ort / und ziehen unsres Weges weiter fort.« (V. 29-32). Mit der Erinnerung an den Brauch aus der »vorpoliceylichen Epoche« (WA 1,42.2,458) verstieß Goethe außerdem spielerisch gegen die öffentliche Ordnung, da das Sternsingen in Weimar einige Jahre zuvor verboten worden war. So bemerkt Oppenheimer: It is slightly >subversive< [...] insofar as it thumbs its nose gently at the existing order, and the text is a paraphrase of the boys' Sternsingen, which had taken place on the streets of Weimar until it was banned by the police authority, presumably as a public nuisance [...]. Epiphaniasfest may also be termed subversive in the sense that the religious sensibilities of persons less detached than Anna Amalia or the poet or Wieland could be offended by the representation of the Three Kings as amiable vagrants. 47
Hinzu kommt eine kleine Anzüglichkeit, die Goethe mit dem ersten König ausspielte. Dieser war mit Corona Schröter als Hosenrolle besetzt. Da sich die Schauspielerin nicht nur wegen beruflicher Verdienste in weiten Kreisen großer Beliebtheit erfreute, wirkte ihr Schlußvers doppelt amüsant: »Werd ich sein Tag kein Mädchen mir erfrein!« (V. 12). 48 Die vorsichtige kontextgebundene 47 48
Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 80. Vgl. Eibl, F A 1 , 1 , 1 0 7 2 u. F A 1,2,98.
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Provokation traf offenbar auf das Wohlwollen des Publikums, wie Goethe am nächsten Tag berichtete: »Unser Spas ist gestern sehr glücklich ausgeführt worden.« (An Charlotte v. Stein, 7 . 1 . 1781; W A 1X5,30). Für den Druck änderte Goethe diese auf das Weimarer Publikum bezogene Stelle in: »Werd' ich sein Tag kein Mädchen mehr erfreun.« (FA 1,2,98, V. 12). 49 Der situative Kontext der Aufführung, eben eine Dreikönigsredoute bei Anna Amalia, weist den Text mit Anlaß und Adressat als höfisches Gelegenheitsgedicht aus. Er stellt jedoch in erster Linie keinen Fürstenpreis dar, sondern eine thematisch weitgehend eigenständige Unterhaltungseinlage. Die Abwesenheit jeglicher Huldigungsformeln erklärt sich daher aus dem Funktionszusammenhang des Textes, bildet also hier keinen zwingenden Anhaltspunkt für den konventionskritischen Erneuerungswillen des Hofdichters. Auch die unhöfischen freien Knittelverse sind hier bereits durch das Kolorit der Sternsingerfiktion vollauf gerechtfertigt. Weniger provozierend entsprach Goethe mit dem letzten seiner voritalienischen Gelegenheitsgedichte für Anna Amalia wieder kunstgerecht den Vorlieben der musensinnigen Rokokofürstin. Die Literatursatire >Das Neueste von Plundersweilern< (FA 1,5,25 5-268), 50 die er ihr im Jahr 1781 als Weihnachtsgeschenk überreichte, folgt bei aller scharfsinniger Kritik der höfischen Verhaltensvorschrift: Erlaubt ist, was sich ziemt. Für sich genommen ist allerdings auch dieser Text nicht als Gelegenheitsgedicht erkennbar, da Hinweise auf Anlaß und Adressatin ausgeklammert werden. Erst der Entstehungs- und Aufführungskontext weist den Text als Gelegenheitsgedicht aus. Das völlige Fehlen von casualdeiktischen Wendungen und Huldigungsformeln im Text, d.h. die Emanzipation von der Gelegenheitsbindung, bildet einen Anhaltspunkt für den konventionskritischen Erneuerungswillen des Hofdichters. Die erfolgreichen Liebhaberaufführungen von Goethes Maskenspiel >Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern< (FA 1,5,125-147) im Jahr 1778 führten dazu, daß der Ort Plundersweilern am Hof zum stehenden Ausdruck wurde. 5 ' Dies gab, so Goethe in der >Vorbemerkung< für die Ausgabe letzter Hand (Sigle C 1 ' 5 ), »in der Folge Gelegenheit zu scherzhafter Frage: ob von diesem vielbesprochenen Orte nicht irgend etwas Neues zu vernehmen sei?« (FA 1,5,1105). Der Querschnitt durch die zeitgenössische Literaturlandschaft wurde, passend zum Jahrmarktsfest, an Tradition des Bänkelsangs angelehnt. Beim Vortrag sollte demnach der Text mit einer Bildquelle kombiniert werden. Daß die Lite49
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Bis auf diesen Vers und eine abweichende Strophengliederung stimmen beide Textfassungen überein. Vgl. zur Entschlüsselung der literarischen Anspielungen Paul Weizsäcker: Das Neueste von Plundersweilern. Beiträge zur Erklärung einiger Stellen. In: D V j S 6 (1893), S. 67-78 u. Walter H. Bruford: Das Neueste von Plundersweilern. Literature and society in 1 7 8 1 . In: Maske und Kothurn 10 (1964), S. 468-489. Vgl. Borchmeyer, F A I,5,io99f.
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ratur in der Moritat an die Stelle des Zeitgeschehens treten konnte, hatte bereits Vorbilder.® 2 Goethes besonderes Verdienst besteht darin, erstens diese »volksnahe Kunstform noch weiter zu veredeln«, 53 und zweitens das Ereignislied über den Salon in die höfische Gesellschaftskunst hineinzuholen. Sein erster, von G e o r g Melchior Kraus ausgeführter Bildentwurf, der heute verschollen ist, erwies sich dafür freilich als denkbar ungeeignet. Der englische Reisende Henry Crabb Robinson, der das Bild im Jahr 1800 bei einer Nichte des Malers in Frankfurt gesehen hat, erinnerte sich an einige Partien, darunter folgende Darstellung: A third group was an owl perched on a German oak, below which was a duck, greedily swallowing what fell. I understood this to allude to a book written by Ebers, in idolatrous praise of Klopstock, with the fantastic title of >Er, und über ihn< (He, and about him); and I have some faint impression that these little words were traced on the ground by what the duck was devouring with such alacrity.*4
Auch wenn die Satire die provozierende Darstellung ihres Gegenstandes gestattet und erfordert, fiel solche derbe Fäkalkomik bei einer höfischen Weihnachtsfeier aus dem Rahmen des Statthaften." Jedenfalls wurde letztlich statt der ursprünglichen Fassung ein in der Bildersprache gemäßigtes Aquarell, ebenfalls von Georg Melchior Kraus verwendet.' 6 Die Umstände, unter denen Goethes literarisches Kuriositätenkabinett am 2 4 . 1 2 . 1781 präsentiert wurde, protokollierte der Hofballettmeister Johann Adam Aulhorn. Dieser hatte G o e the während der Darbietung als Hanswurst unterstützt, während Goethe selbst im bekannten Theaterkostüm des Marktschreiers von Plundersweilern auftrat. Das Bild, »in einen über Manneshohen, Ellipsenförmigen, mit Satyrsköpfen und verguldeten Schnitzwerke verzierten Rahmen gefaßt«, wurde mit 14 Lichtern erleuchtet und darhinter war ein grünes Tuch angeschlagen, welches die nehmlichen Dienste that als bei einem Gemähide der Grund«.' 7 Goethe empfing die Herzogin zur Herrschaftsinszenierung: [E]r sagte ihr, er hofte, Ihro Durchl. würden denen Vornehmen zu Plund. die hohe Ehre nicht abschlagen, sie ein wenig im Vorbeigehen zu besuchen, da ihnen diese hohe 52
>»Salon-Bänkelsang< heißt die teils aktualistische, teils parodistische Balladen- und Romanzendichtung Gleims, Bürgers, Höltys, Stolbergs und Schiebelers - vorwiegend Dichter des Göttinger Hains - , in deren Gefolge sich Goethes Plundersweilerner Neuheiten unbekümmert entfalten.« (Ebd., S. 1107). » Ebd., S.1106. 54 Zit. nach Frederick Norman: Henry Crabb Robinson and Goethe. 2 Bde. London 1996 (Publications of the English Goethe Society; New Series VIII), Bd. 2, S. γιί. Tatsächlich gemeint ist die enthusiastische Biographie von Carl Friedrich Cramer: Klopstock. Er; und über ihn. Hamburg 1780. Vgl. auch W A 1,16,409^ " Vgl. so bei Borchmeyer, F A 1,5,1101 u. Bruford, Das Neueste von Plundersweilern, S.4é8f. 56 Wiedergegeben z.B. in F A I,j als Abb. 10. 57 Zit. nach Begegnungen und Gespräche 2, S. 336.
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Gnade an den vorigen Jahrmarkt schon einmahl widerfahren sei; doch ließe sich der dasige Senat entschuldigen, daß er nicht selbst gekommen sey, Ihro Durchl. zu bewillkommen, weil seine Glieder alle verheirathet und Kinder hätten und sich also des Vergnügens ohnmöglich berauben könnten, ihren kleinen Zöglingen heute Abend Heiligen Christ zu bescheeren; derowegen hätten sie ihn armen Hagestolz abgeschickt Ihro Durchl. einzuladen. Damit war die Anrede aus, ich gab das Zeichen, daß die Musik angieng [...]. Wie die Musik aus war, setzte sie sich [...]; der Gh. Göte nahm die Verse und einen Stab in die Hand, deklamirte sie und wieß mit dem Stab auf die Sachen im Gemähide, welche die Verse erklärten.® 8
Der verspielte Dekorationsstil des plurimedialen Ereignisses erfüllte geradezu vorbildlich die sozialen Konventionen und ästhetischen Normen, die am Hof herrschten. Die performativen Huldigungen glichen das Fehlen textueller Reverenzen an die Herzoginmutter aus. Auch standen Goethes kleine politische Spitzen unter dem Schutz großer räumlicher Entfernung zum Objekt des Spotts. In Hessen-Kassel nämlich erfolgte in großem Umfang der Verkauf von Untertanen in fremde Kriegsdienste: »Und sendet, gegen fremdes Geld, / Die Vöglein in die weite Welt.« (V. iif.). Außerdem hatte der dortige Landesfürst die Straße »zwischen Kassel und Weißenstein« (V. 8) bebauen lassen, um größere Ausmaße seiner Hauptstadt vorzuspiegeln. Wegen ihrer ungünstigen Lage blieb die Mehrzahl der Häuser unbewohnt. Goethe reimte ironisch: »Und wie ein Haus gebaut sein mag, Gleich ist's besetzt den andern Tag.« (V.ijf.)·" Für künstlerische Individualität und Eigenständigkeit bot diese Gelegenheit allerdings wenig Entfaltungsspielraum. Zum einen handelte es sich bei dem Sprecher um eine bloße Rollenfigur. Zum anderen ging es zwar um reale Autoren und Werke, die jedoch auf typische, womöglich lächerliche Züge reduziert wurden. Der Autor war lediglich ein Funktionsträger im Zusammenhang der höfischen Repräsentation. Entsprechend nahm Anna Amalia die Gelegenheit zur wirkungsvollen Imagepflege ihres Musenhofes wahr und ließ den gleichsam ver-dichteten Ausdruck ihres herrscherlichen Selbstbildes noch zweimal vor Gästen wiederholen (vgl. Tgb 8. i. u. 4 . 2 . 1 7 8 2 ; WA 1 1 1 , 1 , 1 3 5 u · I 3 ® ) · Indem Goethe das Gedicht aus dem höfischen Kontext herauslöste, fand er Jahre später ebenfalls eine Möglichkeit, den Text statusträchtig und vor allem gegen das ungeschriebene Gesetz der NichtWiederholbarkeit von höfischer Panegyrik wiederzuverwerten. A m 1 9 . 1 2 . 1 8 1 7 bat er seinen Sohn August, ihm das Plundersweilerner Bild für eine private Darbietung zu übersenden. Sein Zusatz verrät, daß er das Dokument aus seiner aktiven Höflingszeit benötigte, um seinem Status als geistreich unterhaltender Künstler gerecht zu werden:
>8 Ebd., S.337. Weißenstein wurde 1803 in Wilhelmshöhe umbenannt. In den Drucken zu Lebzeiten (B, C ' / 3 ) wurden die Ortsnamen zur Entschärfung der Karikatur durch Auslassungspunkte ersetzt. Vgl. Bruford, Das Neueste von Plundersweilern, S. 47of.
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[VJersäume es ja nicht, und schenke diesem Punct einige Aufmerksamkeit, denn du hast schwerlich einen Begriff von der Länge dieser jenaischen Winterabende, und wie nöthig es ist, bey denen durchaus fatalen Verhältnissen irgend etwas heiteres Fremdartiges zu Markte zu bringen, (an August von Goethe, 19.12. 1817; W A 1X28,340).
In der voritalienischen Zeit nahm G o e t h e freilich seine Gelegenheitsgedichte künstlerisch noch nicht ganz so ernst, v o r allem: E r achtete noch nicht darauf, seine Verfasserschaft regelmäßig z u dokumentieren. A u s der frühen Phase existieren daher nur n o c h drei weitere Texte, die unzweifelhaft v o n G o e t h e verfaßt w o r d e n sind. D i e höchst unterschiedlichen Traditionszusammenhänge ihrer Formensprache vermitteln einen Eindruck v o n der Souveränität, mit der G o e the sich auf dem normierten Parkett der Gelegenheitsdichtung bewegt. D i e G e dichte richten sich an die H e r z o g i n Luise, an den neugeborenen T h r o n f o l g e r C a r l Friedrich b z w . an A n n a Amalias verstorbenen Bruder L e o p o l d v o n Braunschweig. Luise und C a r l Friedrich, z u denen G o e t h e keine engere persönliche B e z i e h u n g hatte, erhielten in der ersten Phase jeweils nur eine lyrische H u l d i g u n g , während G o e t h e sechs Texte für C a r l A u g u s t und immerhin drei f ü r A n n a Amalia schrieb. D e r quantitative B e f u n d deutet darauf hin, daß die höfische Casualpoesie für G o e t h e zumindest in gewissem M a ß e auch einen Freundschaftsdienst darstellte. M i t dem Text >An die H e r z o g i n Luise, W i d m u n g zur Lila, Weimar, 30.1. i777< ( F A 1,1,250) eignete G o e t h e der Regentin das singspielartige Stück >Lila< zu, 6 0 das v o m Liebhabertheater an ihrem Geburtstag aufgeführt w u r d e . Er lautet: »Was wir vermögen, / Bringen w i r / A n dem geliebten Tage dir / Entgegen. / D u fühlst, daß bei dem U n v e r m ö g e n / U n d unter der Z a u b e r m u m m e r e i / D o c h guter Wille und Wahrheit sei.« (V. 1 - 7 ) . D i e Verse fungieren mit Bescheidenheitstopos und B e k u n d u n g aufrichtigen Bemühens als P r o l o g z u m Stück, mit dem dezent preisenden B e z u g auf den >geliebten Tag< als Geburtstagsgruß an die H e r z o g i n . A b g e s e h e n v o n ihrer fast schon auffälligen Schlichtheit bieten sie keinerlei A n z e i c h e n f ü r künstlerische Selbstentfaltung. E b e n s o konventionell gab sich G o e t h e bei der langerhofften G e b u r t des T h r o n f o l g e r s C a r l Friedrich nach acht Ehejahren am 2.2. 1783. Allerdings stattete er sein G l ü c k w u n s c h g e d i c h t >Feier der Geburtsstunde des E r b p r i n z e n Karl Friedrich v o n Sachsen-Weimar den 15. Februar 1783, gegen Morgen< ( F A I, i ,262f.) z u d e m noch mit hergebrachter casualpoetischer O r n a m e n t i k aus: M i t seiner extremen sprachlichen Schablonenhaftigkeit bildet der Text eine seltene
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V o n dieser ersten Fassung sind nurmehr die Gesänge aus Lilla (FA 1,5,29-34) erhalten. Vgl. zur Titelgebung Wilhelm Hertz: >Ein Stück ohne N a m e n s der ursprüngliche Titel von Goethes >LilaLilaWahnsinns< durch >psychische KurDas Göttliche< (FA I,i,332ff.) mit den bekannten Eingangsversen »Edel sei der Mensch, / Hülfreich und gut!« (V. if.). Die allgemein gehaltene Aussage dieses Textes wurde in durch den anschließenden besonderen Fall exemplifiziert. Das Allgemeine findet hier seinen Ausdruck im Besonderen der Gelegenheit: Genau diese Figur bildete den Rechtfertigungsgrund der Casualdichtung in Goethes späterem Gelegenheitsverständnis. Zusammen mit Siegmund von Seckendorff stellte Goethe zum Jahreswechsel 1778/79 eine ganze Serie von Grußgedichten (FA 1,1,2 5 1 - 2 5 6) an die Damen der Hofgesellschaft her. 6 ' Sie wurden den Adressaten am 1. Januar durch einen Boten überbracht (vgl. Tgb 1 . 1 . 1779; WA 111,1,76). Unter den Texten befindet sich als Nr. 6 auch ein kurzer Gruß an die Herzogin Luise. Die formelhafte Bitte um deren Gewogenheit erhält einen individuellen Ton, da sie auf die Schwangerschaft mit der Prinzessin Luise anspielt: »O sei uns freundlich sei es lang / Im neuen Jahr da du uns neues Leben / In ihm willst geben.« (4off.). Ferner war die Herzogin bekannt und beliebt für ihr unprätentiöses Auftreten. So heißt es im Text: »Man liebt dich heut wie in den alten Tagen / Nur darf man dirs nicht immer sagen.« (V. 37^). Die Verfasserschaft läßt sich allerdings für die einzelnen Textpartien nicht feststellen. Goethes Tagebuch belegt, daß es sich bei den
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Eibl, F A 1,1,1049. Vgl. zur Identifikation der Adressaten Carl August Hugo Burkhardt: Unbekannte >Neujahrs-Possen< Goethes und v. Seckendorffs von 1778/79, S. 5 5ff. In: Goethe 25 (1904), S. 53-61.
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>Neujahrspossen< um eine vergnügliche Gemeinschaftsproduktion handelte: »Nachts bis halb i. mit S. die Neujahrsw. geschmiedet.« (Tgb 30.12. 1778; WA III, 1,75). Die Verse an Luise könnten somit durchaus komplett aus von Seckendorffs Feder stammen. Bei einem anderen Text aus dem ersten Weimarer Jahrzehnt, >An die Herzogin Luise< (FA 1,1,1264), ist unklar, ob Goethe überhaupt als Verfasser in Frage kommt. Die Verse wurden 1777 in eine Liedersammlung von Philipp Christian Kayser aufgenommen, die auch eindeutig Goethesche Beiträge enthielt. »Da Kayser auch selbst reimte«, so Karl Eibl, »besteht kein Anlaß, sie Goethe zuzuschreiben.«64 Die Pointe des Textes erschöpft sich darin, daß die »teure Fürstin« (V. 2) zwar um die Verehrung ihrer Untertanen wissen kann (vgl. V. 1-3), ihre tief empfundene Liebe aber kaum ahnt und nicht glaubt (vgl. V. 6). Daß es sich bei dem Text um eine künstlerisch einfallslose Ehrbezeigung handelt, spricht allerdings ebensowenig für wie gegen Goethes Verfasserschaft: Wie die bisher angestellten Textanalysen zeigen, beherrschte er eine große Bandbreite von casualpoetischen Ausdrucksmöglichkeiten. Bei aller Freude an der repräsentativen Unterhaltungskunst rechnete Goethe die Gelegenheitsgedichte aus dem ersten Weimarer Jahrzehnt nicht zu seinem eigentlichen Werk - jedenfalls bewahrte er sie nach Gebrauch meist eher nur zufällig auf. Daher sind möglicherweise mehrere dieser Texte verlorengegangen. Ein Beispiel dafür sind die Verse zum Geburtstag Anna Amalias im Jahr 1784. Der Tagebucheintrag Karl Ludwig von Knebels deutet darauf hin, daß Goethe sich am poetischen Lobpreis beteiligt hat: »Verse zu der Herzogin Geburtstag. [...] Herder, Goethe nachmittags da.« 6 ' Goethes eigener Bericht macht dies noch wahrscheinlicher: »Ihre Frau Mutter war am 24. Oktbr. vergnügt und munter. Alle dichterische Federkiele hatten sich geregt und allerley kleine harmlose Gaben waren dargebracht worden.« (an Carl August, 28.10. 1784; W A IV,6,3 80). Das Gedicht selbst ist jedoch verschollen. Andere Texte dagegen tauchten überraschend wieder auf, wie z.B. das Karlsbader Abschiedslied an Carl August, das eine Dame aus der Badegesellschaft, wahrscheinlich die Gräfin Aloysia von Lanthieri, 66 als Andenken behalten hatte. Goethe traf sie 1787 in Neapel: »Sie besaß das Gedicht noch, womit ihn bei seinem Wegritt die Mädchen von Engelhaus überraschten.« (FA 1,15/1,352). Die desolate Uberlieferungslage seiner frühen Gelegenheitsgedichte machte Goethe 1815 zum Motto der Erstveröffentlichung von >IlmenauBänkelsängerlied< (FA 1,1,270) ein Pendant zu >Das Neueste von PlundersweilernPantomimisches Ballet< untermischt mit Gesang und Gespräch ( F A 1,5,441-450). Vgl. dazu hier Kap.4.3.1. Abgedruckt in: Bernhard Suphan: Karlsbad 178 5, S. 12 5f. In: Goethe 1 1 ( 1890), S. 1 2 3 134. Brühls Sohn Carl wurde Lollot genannt (vgl. Reinhardt, M A 2.1,605).
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Ausgehend vom Anlaß des Geburtstages (V. jf.) werden im Text Kindheit, Militär, Liebe, Familiengründung, Wissensdrang, Freundschaft und Familiensinn von Brühls vorgestellt. Die Folgerung aus seiner Rechtschaffenheit lautet: »Drum singen wir den braven Mann, / den braven Vater, braven Gatten / Und braven Freund« (V. ójff.). Als kecke Schlußpointe wird noch ein zweiter Grund für den Lobgesang angeführt: »Hoch lebe Moritz! Lebe weit! / N u n gebet mir den Lohn für's Singen!« (V. 7if.)· Dieser Text zeigt keine individuellen Merkmale. Er wäre als gesellig schmückendes Beiwerk für jeden beliebigen Geburtstag verwendbar. Parallel zu Goethes voritalienischer Panegyrik schrieb auch Christoph Martin Wieland zahlreiche Gelegenheitsgedichte für den Weimarer Hof, die sich allerdings in wesentlichen Aspekten von Goethes Texten unterscheiden. Zwar formal variationsreich, wie Bernhard Seuffert schon 1894 feststellte, »in wechselnden Versmaßen, in Recitativen und Arien, in Duetten, Terzetten und im Chor, gereimt und reimlos«, 74 verband Wieland Gemeinplätze der casualpoetischen Tradition zu anmutiger, doch dabei etwas altmodischer Hofpoesie. Im Gegensatz zu Goethe gab er sich niemals volkstümlich. Einige Beispiele können das veranschaulichen. Die »Cantate auf den neunzehnten Geburtstag und Regierungs-Antritt des Herzogs von Sachsen-Weimar und EisenachCantate auf den 3 0 " " Jenner 1781 OIympia< für Anna Amalia wurde auch von Friedrich Hildebrand von Einsiedel übernommen, so z.B. in dem undatierten Gedicht >An Olympia. Bey der Wiederkunft nach ihrer VillaUnd der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!Klein ist unter den Fürsten< (FA Ι,ι,^γγί. u. FA 1,2,21 é)83 wurde die Tendenz zur Individualisierung der Sprecher- und Adressatenrollen im Fürstenpreis um einiges zugespitzt. Dieser Text löste sich nicht nur räumlich vollkommen los von den repräsentativen Zweckbindungen am Hof: Während Goethes Panegyrik bisher den Hof als ästhetischen Angelpunkt hatte, war sie in diesem Fall untrennbar mit zwei großen eigenständigen Gedichtzyklen verbunden. Der Text entstand 1789 im Zusammenhang mit den >Römischen Elegien< und wurde beim Erstdruck in den >Neuen Schriften< (Sigle Ν) von 1800 in das Ensemble der Venezianischen Epigramme< eingefügt. Beide Zyklen, deren Anlage Goethe sorgfältig plante und überarbeitete, gelten zu Recht als durchkomponierte Gesamtkunstwerke.84 In diesen ästhetischen Rahmen jenseits der höfischen Repräsentation gliederte er die Huldigungsverse mehr oder weniger überraschend ein. An Carl August meldete Goethe zumindest: »Dafür bereite ich Ihnen auch ein Lobgedicht, an einem Platze, wo Sie es am wenigsten vermuthen [...].« (an Carl August, 10.5. 1789; WA IV,9,ii5). Wenige Tage darauf kostete er seinen kleinen Sabotageakt an der panegyrischen Tradition erneut vorfreudig aus: »Um das Räthsel noch räthselhafter zu machen, sage ich Ihnen: daß Sie das bewußte Lobgedicht dereinst in den Eroticis antreffen werden.« (an Carl August, Mitte Mai 1789; WA IV,9,i2o). Der Gelegenheitsdichter sprach zu seinem Fürsten von einer Position aus, die durchaus regelwidrig allein im literarischen Feld lag: Als festlich-dekorativer Gebrauchstext wurde das Gedicht am Hof nie verwendet. Hinzu kommt, daß der Text innerhalb der Venezianischen Epigramme< nicht an exponierter Stelle steht, sondern nur unauffällig eingerückt wurde als Nr. 34b. Goethe wußte sehr wohl, wie die Casualcarmina auf Herrscherpersonen in einer Gedichtfolge traditionell, und zwar auch nach antikem Herkommen, anzuordnen waren. Der römische Autor Statius beispielsweise, mit dem Goethe sich um die Jahrhundertwende, d.h. zur Zeit der Drucklegung, zum wiederholten Mal beschäftigte,8' eröffnete seine >Silvae< mit einem Huldigungs83
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Für den Druck hat Goethe den Text erweitert und an einigen Stellen überarbeitet. Entscheidende inhaltliche Unterschiede treten allerdings nur bei den Gaben Carl A u gusts auf. Zuerst heißt es: »Stand, Vertrauen, Gewalt, Garten, Wohnung und Geld« (FA 1,1,447, V. 4), dann in der Druckfassung: »Neigung, Muße, Vertraun, Felder, Garten und Haus« ( F A 1,2,216, V. 8). Als Goethe an die Öffentlichkeit tritt, ersetzt er bezeichnenderweise die Statusangelegenheiten durch immaterielle Werte und wahrt so als Künstler seinen autonomen Nimbus. Zitiert wird im folgenden nach der späteren Fassung. Vgl. zu Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation dieses Ensembles Heike Gfrereis: Die Einweihung ins Gewöhnliche. Goethes Venezianische Epigramme. In: G J b 1 1 0 (1993), S. 227-242. Im Zuge der Weimarer Kunstausstellungen und Preisaufgaben des Jahres 1801 geht Goethe mehrfach mit großer Detailkenntnis auf Statius ein (vgl. W A 1,48,19, 38,40 u. 232).
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gedieht auf Domitian. 86 »Dem hervorgehobenen Rang des Herrschers im höfischen Zeremoniell«, bemerkt Wolfgang Adam dazu, »entspricht die Plazierung des Gedichts innerhalb des Aufbaus der Sammlung.« 87 Goethe hingegen brach mit dieser ungeschriebenen, quasi-zeremoniellen Regel. Bei dem Gedicht für seinen Augustus Germanicus handelte es sich nicht mehr um eine formelle Huldigung. Hier heißt es: »Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine« (V. i), nicht: »summis aequat Germanicus astris«.88 Und dennoch: Goethe bringt in seinem Gedicht tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck, stellt allerdings zu diesem Zweck die Gepflogenheiten der Panegyrik nachgerade auf den Kopf. Gleich zu Beginn des Texts verbucht er ganz und gar realistisch den politischen Rang seines Fürsten: »Kurz und schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag.« (V. 2). Eine solche Aussage in einem höfischen Gelegenheitsgedicht, das nach Tradition und gesellschaftlich-politischer Funktion zu vorbehaltloser Schönfärberei verpflichtet ist, läßt einen Skandal erwarten. Gleiches gilt für seinen Lobpreis. Goethe verfährt dabei äußerst originell mit dem seit der Antike im Fürstenpreis eingeführten geographischen Panorama, das die Reichweite der Verdienste zeigt: Bei Properz, dem großen Vorbild für die >Römischen ElegienRömischen Elegien< entstandenen Gedichts »Klein ist unter den Fürsten< in die 'Venezianischen Epigramme< ist in diesem Unterschied begründet. Als Lobgedicht auf den Fürsten Carl August, in dem Goethe auch an die neuzeitliche, die >moderne< Tradition der panegyrischen Epigrammatik anschließt, ist es der öffentlichen Sphäre zugeordnet und wird deshalb aus den 'Römischen Elegien< herausgenommen.' 2
Allein mit dieser Begründung erscheint Goethes Zuordnung noch konventionell. Mit der offensichtlichen Autoreferenz kommt allerdings ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: »Indem in diesem Gedicht zudem Werther und Lotte genannt werden, gibt sich Goethe als Autor und damit in seiner öffentlichen Rolle zu erkennen.« 93 Die Öffentlichkeit, die er im Gedicht vergegenwärtigt, ist jedoch nicht die der panegyrischen Epigrammatik, sondern die der Genieästhetik. Fast ebensosehr wie an den Erstadressaten Carl August und an die Zweitadressaten im höfischen Umkreis richtet sich der Text also an das Forum der literarischen Öffentlichkeit, das nun gleichsam als Drittadressat zum Tragen kommt. Auch unter diesem Gesichtspunkt gelingt es Goethe somit, das Gelegenheitsgedicht künstlerisch zu verankern, obwohl es dem Hof huldigt. Was der Text nun tatsächlich an Carl August lobt, bedeutet eine radikale Wendung der Panegyrik ins Subjektive. Nicht von seinen Herrscherqualitäten ist die Rede, sondern allein von der umfassenden Unterstützung, die er ganz speziell Goethe hat zuteil werden lassen. So heißt es dort: »Aber mir hat er gegeben, was Große selten gewähren, / Stand, Vertrauen, Gewalt, Garten, und
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Wieland 13,399, V. 23-27 (An Anna Amalia. Weimar, am 1. Januar 1790). Reiner Wild: Goethes klassische Lyrik. Stuttgart/Weimar 1999, S. 75. 9i Ebd. « Ebd. 91
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Wohnung und Geld. / Keinen braucht' ich zu bitten als Ihn, und manches bedurft' ich, / Der ich mich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter verstand.« (V. 3-6). Die abschließende Doppelformel des Texts, »Er war mir August und Mäzen« (V. 18), pointiert diese zweifache Stoßrichtung. Auf der Folie des Properz erscheint Carl August damit wenigstens als Herrscher (Kaiser Augustus) und Förderer (Maecenas), außerdem mit dem hier ausnahmsweise gebrauchten informellen >August< statt >CarI August< womöglich sogar als Freund. Infolge politischer, künstlerischer und persönlicher Differenzen kommt es allerdings während der Jahre in und nach Italien zu einer »Entwicklung des Verhältnisses von der Freundschaft zum Mäzenatentum«, 94 die in der schillernden Doppelformel möglicherweise angedeutet wird. Als Maßstab für die Größe des Herzogs dient hier jedenfalls das dichterische Schaffen des Autors. Damit nützt der Text in erster Linie der künstlerischen anstelle der höfischen Repräsentation. Weiter erläutert Sengle: Ein älteres panegyrisches Gedicht hätte die Taten des Fürsten [...] weit mehr betont. Goethe deutet die ihm wenig angenehme nationalpolitische Rolle seines Fürsten nur ganz allgemein an. Dagegen betont er unmißverständlich, was er dem Kleinfürsten verdankt, die Rolle Carl Augusts als Mäzen. Besonders die Schlußpointe, die das seit Jahrzehnten von deutschen Dichtern beklagte Versagen des österreichischen Kaisers und des preußischen Königs als Förderer der deutschen Literatur eindrucksvoll anprangert, muß dem Herzog von Weimar geschmeichelt haben [...]."
Der individualisierte Fürstenpreis bleibt allerdings skandalträchtig, auch wenn Carl August bezüglich seines künstlerischen Sachverstandes im internationalen Vergleich gut abschneidet. Der Autor bittet daher seinen Herzog sicherheitshalber »schon im Voraus um Verzeihung« (an Carl August, 10.5. 1789; WA IV,9,115). Der Skandal blieb aus, aber dennoch hat Carl August den Druck des Lobgedichts bis zum Jahr 1800 unterbunden. Vor dem politischen Hintergrund, daß seit dem Entstehungsjahr des Textes die Französische Revolution hohe Wellen in ganz Europa schlug, wird dieses Vorgehen begreiflich. Mit seinen casualpoetischen Neuerungen konturiert Goethe zwar seine Position als Künstler, bedroht aber zugleich die symbolische Machtstellung des Hofes. Die individuell ausgerichtete Werthaltung, die formale und inhaltliche Selbständigkeit, die bewußte Absage an die Konventionen der höfischen Gelegenheitsdichtung und das selbstbewußte Auftreten des bürgerlichen Dichters im höfischen Gelegenheitsgedicht ziehen den Machtanspruch des Herzogs grundlegend in Zweifel. Was Sengle für die Venezianischen Epigramme* insgesamt festhält, trifft für diesen einen Text in besonderem Maße zu:
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Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. 91. Vgl. dort auch im einzelnen zu den Spannungen zwischen Goethe und Carl August. »» Ebd., S. 91 f. I2
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Carl August begründete seine freundschaftliche Zensur auch literarisch [...]; aber im Grunde muß sein Eingreifen in die Dichtung und in die Publikation von Dichtungen als Produkt der Feudalkultur verstanden werden. Der Fürst witterte ganz richtig auch in solchen Verstößen gegen die höfischen Bräuche einen Beitrag zur bürgerlichen Emanzipation A u f rein formaler Ebene schlägt sich die von Goethe infolge der Italienreisen angeregte Beschäftigung mit antiken Vorbildern auch in der Casualpoesie anderer Dichter nieder. Der ohnehin altphilologisch versierte >Urfreund< Karl Ludwig von Knebel schreibt beispielweise f ü r Carl August in exakt abgemessenen sapphischen Odenstrophen das Geburtstagsgedicht >Blume des Dankes. Den 3. September 180K. 9 7 Pflichtschuldig arbeitet er die Komponenten Anlaß und Adressat in den Text ein: »den Festtag meines erhab'nen Fürsten« (V. 2). Auch mit »schimmernden Blumenkränzen« (V. 1) als poetischem Festschmuck und dem Hinweis auf die »Herzensgesinnung« (V. 5) befolgt er ganz und gar die panegyrischen Konventionen. Goethe schrieb in den Jahren zwischen 1787 und 1 8 1 1 nur noch ein weiteres Gedicht f ü r Carl August, das sich ebenfalls weitestgehend in die am H o f zulässigen casualpoetischen Umgangsformen einfügte. Zeugen für Goethes regelkonformes Verhalten gab es allerdings vorerst nicht: Das Briefgedicht >An den Herzog Carl August, Weimar, 2 4 . 3 . 1 7 9 K (FA 1 , 1 , 7 0 1 ) hatte formbedingt intentional keine Zweitadressaten. Goethe übersandte es am 24.3. 1789 zusammen mit einem Buch (vielleicht Kants >Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft^ 8 ) an den Herzog. Entgegen seiner Planung war Carl August nicht zu seinem Regiment nach Aschersleben aufgebrochen. Ein Grund dafür mag in der Witterung gelegen haben, die Goethe immerhin als konkreten Umstand der Gelegenheit anführte. So lauten die Eingangsverse: »Zu erbaulichen Entschluß / Bei diesem Wetter hier zu bleiben / Send ich des Wissens Uberfluß / Die Zeit dir edel zu vertreiben.« (V. 1-4). Mit seiner casualpoetisch begleiteten Lektüreempfehlung nahm Goethe ganz die Rolle eines Intellektuellen in höfischen Diensten an, der für das Divertissement der Mächtigen zu sorgen hatte. Das Gedicht schließt mit einer scherzhaften Anspielung auf Kants Kategorientafel, die Goethe (der zu Kant zeitlebens in großer Distanz stand) für eine kultivierte und zweifellos hoffähige Anzüglichkeit benutzte. So heißt es über das Frühlingstreiben: »Indes macht draußen vor dem Tor, / Wo allerliebste Kätzchen blühen, / Durch alle zwölf Kategorien / Mir A m o r seine Späße vor.« (V. 9 - 1 2 ) .
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Ebd., S.93. Vor dem vollständigen Abdruck in Ν waren die Venezianischen Epigramme< allerdings schon dreimal (teil-)veröffentlicht worden. Karl Ludwig v. Knebel: Literarischer Nachlaß und Briefwechsel. Hg. v. Karl August Varnhagen von Ense u. Theodor Mündt. Bd. 1. 2. Aufl., Leipzig 1840, S. 57. Vgl. Eibl, FA 1,1,1244.
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Die vier übrigen Gedichte aus der Schaffensphase von 178 7 bis 1 8 1 1 , die sich an andere Adressaten richten, zeugen auf jeweils unterschiedliche Weise von Goethes künstlerischer Freisetzung der höfischen Gelegenheitsdichtung. Das >Tischlied< (FA I,2,79ff.) auf den bevorstehenden Aufbruch des Erbprinzen Carl Friedrich zu seiner Bildungsreise nach Paris gehört insofern beinahe nur zufällig zu den höfischen Gelegenheitsgedichten, als der Adressat fürstlichen Geblüts war. Der Text wurde am 22.2.1802 im Mittwochskränzchen gesungen, das sich in der Wintersaison 1801/02 regelmäßig im Abstand von ein bis zwei Wochen nach dem Theater zu zwangloser Geselligkeit traf. Feste Mitglieder waren sieben Paare, die eigens aus der adligen und intellektuellen Weimarer Gesellschaft gebildet wurden." Den inneren Zusammenhalt fand dieser Kreis im zeitgenössischen Geselligkeitsideal, das die »Eigenschaft des Menschen als eines sozialen Wesens überhaupt« 100 betonte. Goethe schrieb für das Mittwochskränzchen eine Reihe von heiteren Liedern, von denen sich das Gedicht für Carl Friedrich kaum abhebt. Der Schauplatz der Darbietung war erstmals nicht der Hof, sondern im Wohnhaus des Dichters - ein grundsätzliches Novum in der höfischen Casualpoesie. Nicht das Zeremoniell, sondern Goethe gab die Regie der Veranstaltung vor. Er notierte: »Bei Gelegenheit der Pikniks dieser geschlossenen Vereinigung, die in meinem Hause, unter meiner Versorgung, von Zeit zu Zeit gefeiert wurden, entstanden mehrere nachher in's Allgemeine verbreitete Gesänge.« (TuJ 1802; WA 1,35,126). Nicht nur der Schauplatz trug dazu bei, die repräsentative Herrschaftsinszenierung in bürgerlich geprägte Geselligkeitsinszenierung zu verwandeln: Der Text selbst lehnt sich nicht an die panegyrische Tradition an, sondern an die der sog. Vagantendichtung, die er mit der metrischen und inhaltlichen Anlehnung an die populäre Beichte des Archipoeta, >Estuans intrinsecusElegien II< auf. Er wies dem Text sogar ausdrücklich einen gleichgeordneten Rang im Ensemble zu: »Meine Elegie auf die Beckern ist fertig und darf sich, hoff' ich, unter ihren Geschwistern sehen lassen.« (anJ.H. Meyer, 15.6.1798; WA 1 X 1 3 , 1 7 8 ) . Das >Tischlied< für Carl Friedrich fand im Jahr 1806 zusammen mit einer Sammlung gelegenheitsbezogenen, geselligen Liedern Eingang in die Ausgabe A. Für kleinere Gelegenheitsgedichte legte Goethe in den folgenden Ausgaben eigene Rubriken an (z. B. >An Personen* und >Inschriften, Denk- und SendeblätterEuphrosyneDas Petermännchen< die letzte Rolle der Hofschauspielerin Christiane Becker. Zweitens stand sie, wie Goethe andeutet, mehrfach mit Hosenrollen auf der Bühne, so als Knabe Arthur in Shakespeares »König Johann< (vgl. V.45f.). Drittens spielt Goethe, der das Nachwuchstalent persönlich förderte (vgl. V. 43f.), auf die gemeinsame Probenarbeit am Hoftheater an (vgl. V. 47-68). Schließlich bildet viertens die Schweizer Gebirgslandschaft, in der Goethe sich aufhielt, als er die Todesnachricht bekam, den Rahmen für die Begegnung des wandernden Dichters mit der Erscheinung aus dem Schattenreich (vgl. V. 1 - 1 3 u. V. 147-152). Die nächtlichschroffe Naturkulisse dient dabei nicht nur als Staffage, sondern auch als Spie-
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rer Hof gerichteten Texte erhalten. Bislang finden sich z.B. keine Hinweise darauf, welches Gedicht gemeint ist, als Carl August an Goethe schreibt: »Das schöne Leichengedicht, für welches ich danke, laße ich heute auf weißen Banden drucken.« (Briefwechsel des Herzogs-Großherzogs Carl August mit Goethe. Hg. v. Hans Wahl. 3 Bde. Berlin 1 9 1 5 - 1 8 . Bd. I, S. 204. Wahl macht die Datierung des Schreibensauf 1795 wahrscheinlich, vgl. ebd., S.429). Die zweite Fassung wurde an einigen Stellen metrisch überarbeitet. Zitiert wird im folgenden nach der ersten Fassung.
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gel der Stimmungslage des lyrischen Ichs. Die Wirklichkeitsbindung illustriert geradezu mustergültig, wie Goethe als Gelegenheitsdichter zugleich auch Wirklichkeitsdichter (Oppenheimer) bleibt und sich damit von den loci circumstantiarum im engeren Sinne emanzipiert. Die nach der Italienreise verstärkt zum kulturellen Leitbild erhobene Antike gibt in diesem Gedicht wesentliche Impulse für die Trauerarbeit. Der Text unternimmt gleichsam die »>ästhetische< Bewältigung des Todes aus dem Geist der Antike«: 1 1 ' E r stellt Christiane in eine Reihe mit prominenten Bewohnerinnen der Unterwelt, namentlich Penelope (V. 1 3 1 ) , Euadne (V. 132), persönlich gefördert Antigone (V. 13 5 ) und Polyxena (V. 136). Dieser erste Schritt zur Verewigung lehnt sich rein formal an das panegyrische Grundmuster der genealogischen Aufzählung an. Damit überwindet schließlich gerade die poetische Totenklage die Sterblichkeit der Christiane, die wie die berühmten Vorbilder poetisch ins kollektive Gedächtnis überführt werden soll: »Wen der Dichter aber gerühmet der wandelt, gestaltet, / Einzeln, gesellet dem C h o r aller Heroen sich ZU.«(V.I25f.).
Darüber hinaus versucht Goethe, die, wie Wild es nennt, »Wiedergewinnung der Möglichkeit einer humanen Kunst [...], die in der Beachtung der n a türlichen Gesetzmäßigkeiten, wie sie musterhaft in der Kunst der Antike wirksam sind, dieser gleichkommen kann«." 2 Diese Regelhaftigkeit zeigt sich formal an der in mehrfacher Überarbeitung abgemessenen Ringkomposition des Textes." 3 Inhaltlich verweist der Text auf den Gegensatz zwischen scheinhafter Kunst (»ich heuchelte lang«, V. 52) und immer wahrer Natur (»Himmel und Erde befolgt ewiges, festes Gesetz«, V. 70). Goethe benutzt das Leichencarmen also für verschiedene Zwecke: um Christiane zu ehren und um ihren Tod faßbar zu machen. Außerdem: um seine gegenwärtige kunsttheoretische Programmatik, die er unter dem Titel Betrachtungen über Natur und Kunst< in den >Propyläen< veröffentlichte, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch dichterisch zu vermitteln." 4 Parallel zu Goethes mittlerer, casualpoetisch vergleichsweise enthaltsamer Phase war auch der Weimarer Pensionär Wieland noch als Gelegenheitsdichter für den Hof tätig. Überliefert sind zwölf Texte auf Anna Amalia, Maria Pawlowna und Caroline. Anders als Goethe - und einmal auch Schiller - erschloß Wieland jedoch keine neuen Repräsentationsräume, -formen und -gegenstände. Seine Gelegenheitsgedichte folgten streng den Gattungskonventionen und behielten bis zum Schluß ihren festen Platz im Kontext der höfischen Reprä111 112
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Rosemarie Haas: Goethes Elegie >EuphrosyneEuphrosyneEuphrosyneEuphrosyne01ympiaKlein ist unter den Fürsten< oder >EuphrosyneXenien< - neu inauguriert. Wieland verwirklichte mit seinen Gelegenheitsgedichten f ü r den Weimarer H o f keine nennenswerten ästhetischen oder sozialen Innovationen. 128 Seine Gedichte standen noch vollauf im Zeichen der Herrschaftsdemonstration. Besonders klar wird das am Beispiel seines Gedichts auf die Verlobung der Prinzessin Caroline sichtbar: 129 Der Text wurde am 1 9 . 1 . 1 8 1 0 auf einem Ball, d.h. im Beisein zahlreicher bestätigender Zweitadressaten, von zwölf jungen Frauen präsentiert. Die Prinzessin erhielt einen Kranz aus Lorbeer- und Myrtenblättern, der mit einem Band umwunden war, auf dem das Gedicht stand. 130 Nicht nur Anlaß und Adressatin, sondern auch Macht und Jungfräulichkeit wurden so symbolisch in Szene gesetzt. Dennoch sind Wielands Texte nicht nur auf ihre Funktion als repräsentative Gebrauchstexte zu reduzieren. Anlaß, Adressat und Fürstenpreis, die bei G o e the nur schwach durchscheinen, stehen zwar im Mittelpunkt der Gedichte, werden aber ästhetisch überformt (z.B. durch Rhetorisierung und antikisierende Einkleidungen). Darüber hinaus wahrte auch Wieland eine gewisse Distanz zur heteronomen Regulierung der Gattung, wenngleich nur durch panegyrische Enthaltung: Goethe dichtete in der mittleren Schaffensphase ohne jede Unterwürfigkeit, sozial und ästhetisch unkonventionell und ausschließlich zu selbstgewählten Anlässen. Wieland richtete sich zwar nach den N o r m e n der höfischen Gelegenheitslyrik und den anfallenden staatsoffiziellen Festlichkei128
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Eine kleine Ausnahme bildet das Geburtstagsgedicht auf Anna Amalia aus dem Jahr 1790 (Wieland 13,400-402), das leicht gegen das decorum die Malerin Angelica Kauffmann als der »Grazien vierte Schwester« (V. 66) nennt. Außerdem wünscht er nicht nur der Adressatin, sondern auch seinem »kleinen Ich« (V. 82) ein langes Leben. Eine geringfügige Hervorhebung der Autorrolle ist immerhin erkennbar. Wieland 13,431 (An die Durchlauchtige Prinzessin Caroline. A m 19. Januar 1810). Vgl. Kurrelmeyer, Wieland 13, S. 122A.
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ten, legte aber in dieser Zeit kein einziges Gedicht auf den regierenden Herzog oder auf seine Frau vor. Die Casualpoesie für den württembergischen Hof fällt vergleichsweise immer noch wesentlich traditioneller aus. 1 , 1 Es geht in den Texten vorrangig um die symbolische Erhöhung von Anlaß und Adressat, nicht um die künstlerische Selbstdarstellung des Autors: Starre Formelhaftigkeit und ausgeprägte Casualdeixis bestimmen durchweg den Gestus der Stuttgarter Casualpoesie. Zur Thronbesteigung Ludwig Eugens im Jahr 1793 schreibt beispielsweise Gotthold Stäudlin in seinem panegyrischen >FreudenergußDa violas tumulo ...< des Komponisten Heermann auf Anna Amalias Tod am 1 o. 4. 1807 (Gottlieb Ephraim Heerman: Da violas tumulo ... Abgedruckt in Gräbner, Die großherzogliche Haupt- und Residenzstadt Weimar, S. 46).
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Gotthold Stäudlin: Freudenerguß bei der Thronbesteigung Ihres geliebten Herzogs Ludwig Eugen von Wirtemberg. Von folgenden Bürgern Stuttgarts, [folgt Liste]. Stuttgart 1793. [6 S.o. Paginierung] Signatur: W L B H B F C A 514-4. Johann Friedrich Schlotterbeck: Auf den Einzug des Durchlauchtigsten Herzogs Ludwig Eugen v. Würtemberg und seiner Familie, in Stuttgart; am 3. N o v . 1793. In: Ders.: Sammlung vermischter Gedichte. Ulm 1825, S. 3-6.
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ebenfalls durch häufigen Gebrauch verflachte Wendungen wie »Schutzgeist«, »Erdengott« und wieder »Schmuk der Silberhaare«.134 Genauso schematische Versatzstücke gebraucht auch Georg August Griesinger in seinen Glückwunschversen anläßlich der Verleihung der Kurwürde an Friedrich I. im Jahr 1803. 135 Wie üblich wird zunächst das Gottesgnadentum zur Herrschaftsstabilisierung genannt: »Dir o FRIEDERICH! war in der Gottheit ewigem Rathe / Diese Ära bewahrt« (V. i2f.). Dann folgt die ebenso gängige Gleichsetzung des fürstlichen Adressaten mit einem historischen Vorbild: »wie dort im Stamme der Zollern / Wirst DER GROSSE CHURFÜRST auch Du O FRIEDRICH glänzen« (V. 23f.). Als Württemberg dann 1805 die Königswürde erhält, schließt sich Schlotterbecks Fürstenlob geradezu nahtlos diesen recht einheitlichen Preisgewohnheiten an: »>Heil, Heil dem K ö n i g ! < sey mein Gesang; / Mein Wunsch: >Der K ö n i g soll leben!««'56 Sein herrschaftsstabilisierendes Vive-le-roi!, das er ohne differenzierende Zwischentöne ausspricht, ist allgemein kennzeichnend für die casualpoetische Praxis am württembergischen Hof in dieser Zeit. Die gesellschaftlich-politische Funktion der Gattung hat hier immer noch klar den Vorrang vor der künstlerischen Originalität und Selbstdarstellung. 4.1.3 Restaurative Panegyrik und Gnadengeschenke des Dichterfürsten: Kreative Rückgriffe auf das Konventionelle in den Jahren 1812-1828 Goethes letzte Phase der Gelegenheitslyrik für den Weimarer Hof beginnt etwa zeitgleich mit dem Ende der napoleonischen Befreiungskriege und des gesamten Ancien Régime. Die politischen Strukturen geraten erheblich in Bewegung: Sachsen-Weimar wird im Zuge des Wiener Kongresses zum Großherzogtum erhoben und erhält durch Carl August als eines der ersten deutschen Fürstentümer eine Verfassung. Das Herzogshaus hat nicht nur die finanziellen und sozialen Folgen der Kriegsjahre zu bewältigen, sondern - was auch die benötigte Gelegenheitsdichtung angeht - vor allem auch Fragen der Herrschaftserhaltung und -Stabilisierung. Goethes Machtposition als Schriftsteller dagegen kommt inzwischen nahezu einer eigenen Hofhaltung in Weimar gleich. Goethe ist 134
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Johann Friedrich Schlotterbeck: Ihro Königliche Hoheit die Frau Erbprinzessin Charlotte Auguste Mathilde bewillkommt bei Höchstdero festlicher Heimführung der Genius der Stadt Ludwigsburg. Stuttgart 1797. [7 S.o. Paginierung] H S t A S , Bestand: A 21 Oberhofmarschallamt, Büschel 785; V. 12; V. 17; V. 20. Georg August Griesinger: Seiner Churfürstl. Durchlaucht zu Würtemberg, Friederich dem Ersten bey der Annahme der Churwürde in tiefster Unterthänigkeit geweiht. Wien 1803. [3 S.o. Paginierung] Signatur: D L A U U : Kps. 4 0 . Johann Friedrich Schlotterbeck: Seiner Königlichen Majestät, Herrn Friderich dem Zweiten, bey der feierlichen Annahme der Königswürde allerunterthänigst übergeben. Stuttgart 1805 [7 S.o. Paginierung] Signatur: H S t A S , Bestand: E 51 Handakten der Außenminister, Büschel 264; V . 4 3 Í .
nicht nur Erfolgsautor mit Weltruhm und Naturforscher mit weitreichender Fachkorrespondenz, sondern inzwischen auch eine regelrechte Touristenattraktion. Erich Trunz beschreibt diese Lage sehr anschaulich: Der alte und berühmte Dichter wurde von allen Seiten von Bewunderern umdrängt, in Weimar wie auch in den böhmischen Bädern, in denen Europa sich traf. Da waren Fürsten, Adlige, Schriftsteller, Gelehrte. Besondere Rücksicht erforderte das Weimarer Fürstenhaus. [...] Wie viele Gelegenheiten gab es da, bei denen man Verse von ihm erhoffte oder erwartete: Geburtstage, Besuche, Jubiläen. Nahe und ferne Bekannte kamen mit Stammbüchern und baten um Verse.' 37
Vor allem für die herzogliche Familie verfaßte Goethe eine Reihe von solchen poetischen Gefälligkeiten in Form von Stammbuchversen und Widmungsgedichten. Diese unspektakulär dargebotenen kleinen Texte zählten bestenfalls am Rande zum Kanon der höfischen Repräsentationsformen. Ihre besondere Art der Öffentlichkeit bestand darin, daß sie sich immer wieder mit Besitzerstolz vorzeigen ließen. Nicht mehr nur die Huldigungsgeste, d.h. das symbolische Potential dieser Texte, sondern vor allem die Tatsache, daß sie aus Goethes Feder stammten, machte ihren besonderen Wert aus. Die Wirkungsmacht dieser Texte basierte auf Goethes längst europaweit anerkannter Stellung als Dichter. Nicht die Verdienste des Hofes, sondern seine eigenen wurden repräsentiert und dazu eingesetzt, das Ansehen des Hofes zu steigern. Daß es inzwischen nicht mehr vorrangig auf den Inhalt, sondern auf den Verfasser ankam, wird an den Texten immer wieder deutlich. So erhielt die Erbprinzessin Maria Pawlowna Mitte März 1813 als nachträgliches Geburtstagsgeschenk ein Stammbuch mit Glückwunschversen verschiedener Gratulanten. Johann Heinrich Meyer hatte das Bändchen künstlerisch verziert, und Goethe sollte es mit einer Widmung vollenden. 1 ' 8 »Ihro kaiserlichen Hoheit der Frau Erbgroßherzogin«, merkte Goethe später erklärend an, »war ein Stammbuch von treuer geschätzter Hand verehrt worden und mir ward die Gnade zugedacht, dasselbe durch vorstehendes Sonett einzuweihen.« (FA 1,2,574). Goethe verwendete als Bildschmuck für diesen Text mit dem Titel >Ihro Kaiserlichen Hoheit der Frau Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar und Eisenach< (FA 1,2,5 74)139 eine Reihe von poetisch geläufigen Kostbarkeiten, mit denen er die beiden dekorativen Quartette anfüllte:
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Trunz, H A 1,698. Weitere Gratulanten und Beiträger zu dem Stammbuch waren Johann Heinrich Meyer, Caroline von Wolzogen, Einsiedel, Canicoff sowie Maria Pawlownas Bruder, der Großfürst Nikolaus von Rußland (vgl. Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!ErbprinzessinErbgroßherzogin< bezeichnet.
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Zu würdiger Umgebung Deines Bildes, / Wie es mir immerfort im Geiste waltet, / Wählt ich in Tagen w o der Frühling schaltet / Des Gartens Blumen, Blumen des Gefildes. // Dann schien der Rand des Achilleischen Schildes, / So reich er war, nicht reich genug gestaltet; / Ja, würd' ein Purpurteppich umgefaltet, / Darauf gesät der Sterne blendend Mildes. (V. 1-8).
Die inhaltliche Aussage des Sonetts folgt in den Terzetten. Sie beziehen sich allein auf die Einzelheiten des Anlasses: »Nun aber wird ein zierlich Heft geschmücket, / Ein treuer Diener widmet's Deiner Hoheit, / Und du vergönnest mir die erste Weihe.« (V.9-11). Im letzten Terzett werden schließlich hergebrachte Unsagbarkeits- und Gefühlstopoi aufgerufen: »Wie Sprech' ich aus, wie sehr mich das beglücket. / Jetzt fühl' ich erst in neubelebter Froheit: / Die schönsten Kränze winden Lieb' und Treue.« (V. 12-14). Formal weist der Text jedoch wieder Goethes charakteristische künstlerische Individualität auf: Die strenge Artistik der Sonettform nämlich machte Goethe gerade in den Jahren 1807/8 mit einem Sonettenzyklus auch außerhalb der Casualpoesie für seine Lyrik fruchtbar.140 Somit belebte er hier abermals die politische Zweckdichtung, indem er Impulse aus seinem künstlerisch-ästhetischen Werdegang einbrachte. In noch engerem Zusammenhang mit seiner aktuellen Dichtungsauffassung, nämlich mit seinem gewandelten Symbolbegriff, stehen einige Widmungsverse, die Goethe zu Bildgeschenken anfertigte: Nach einem Besuch des erbgroßherzoglichen Paares im Haus am Frauenplan (vgl. Tgb 20.8. 1824) übersandte er der Großfürstin das Gedicht >An die Erbgroßherzogin Maria Pawlowna, mit einem Bild von Schloß Belvedere, 21.8.1824< (FA 1,2,806) und dazu das im Titel genannte Bild. Die schlichten Zueignungsverse deuten das im Abendlicht abgebildete Weimarer Lustschloß als Symbol, das zu einem Segenswunsch für das Dasein der Adressatin pointiert wird: »Erleuchtet außen hehr vom Sonnengold, / Bewohnt im Innern traulich, froh und hold. / Erzeige sich dein ganzes Leben so: / Nach außen herrlich, innen hold und froh.« (V. 1-4). Gegenüber der vorigen, inhaltlich etwas blassen Dedikation zeichnet sich dieser Text somit immerhin durch sentenzartige Lehrhaftigkeit aus. Geradezu mustergültig wird dabei Goethes Symboldenken in seiner Verschränkung mit der Gelegenheitsauffassung erkennbar:14' Das Besondere, hier der Besuch als Gelegenheit und das Weimarer Schloß als Symbol, öffnet die Perspektive auf das Allgemeine der wohlberatenen Lebensführung. Die TextBild-Kombinationen, die Goethe mit den Widmungsgedichten vornimmt, funktionieren ähnlich wie das Sinngebungsverfahren der Emblematik. Der
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Vgl. zur mit den Sonetten eingeleiteten >gegenklassischen Wende< des alten Goethe hin zu knappen, artifiziellen Formen z.B. Gerhard Kaiser: Literatur und Leben. Goethes Sonettenzyklus von 1807/08. In: J b F D H 1982, S. 57-81. Vgl. dazu Kap. 3.2.
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Bildgegenstand (pictura) wird im Gedicht zunächst sachlich benannt (lemma) und in einem zweiten Schritt symbolisch aufgeschlüsselt (subscriptio). Diese ganz spezifische Tendenz zum Gnomischen setzt sich in den Widmungsversen fort, mit denen Goethe die Prinzessinnen Marie (geboren am 3.2. 1808) und Auguste (geboren am 30.9. 1 8 1 1 ) beschenkte. Beiden war Goethe großväterlich gewogen, brachte aber der älteren Marie besondere Zuneigung entgegen. Z u ihrem zwölften Geburtstag schenkte er ihr eine Reproduktion von Raffaels Madonnenbild >Die schöne Gärtnerin< mit den Widmungsversen >Ihro Hoheit der Prinzessin Maria von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Raffaels Gärtnerin zum 3. Februar I820< (FA 1,2,576^). Nachdem der Anlaß bereits im Titel enthalten ist, erfolgt im Text zunächst mit verhaltener Preisformel die Widmung, die eng auf die Gabe bezogen wird: »Sanftes Bild dem sanften Bilde / Unsrer Fürstin widmet sich« (V. if.). Darauf folgt der für Goethes höfische Widmungen charakteristische Lehrsatz, der ebenfalls aus der Abbildung hergeleitet wird: »Solche Ruhe, solche Milde / Immerfort umschwebe Dich! / Denn ein äußerlich Zerstreuen, / Das sich in sich selbst zerschellt, / Fordert inneres Erneuen / Das den Sinn zusammen hält.« (V. 3-8). Für das junge Mädchen wird am Schluß noch eine Gebrauchsanweisung f ü r die anspruchsvolle Symbolbeziehung hinzugefügt: »Wende Deinen holden Blick / So vertrauensvoll nach innen, / Wie auf's heilige Bild zurück.« (V. 1 0 - 1 2 ) . In der formalen Gestaltung des Textes findet Goethe einen geradezu raffinierten Mittelweg zwischen casualpoetischen Konventionen und künstlerischen Innovationen: Auf der einen Seite entspricht das Gedicht vom Versmaß her mit anmutiger Rückwärtsgewandtheit dem decorum f ü r eine Prinzessin: Es steht in anakreontischen Trochäen. Auf der anderen Seite veranschaulicht auch dieser Text wieder in nuce Goethes Symbolbegriff. Außerdem rundet der letzte Vers den kurzen Text zu einer Ringkomposition ab, indem er das eingangs genannte Bild wieder aufnimmt. Scharfsichtig führen Gisela Henckmann und Irmela Schneider diesen lyrischen Vorgang auf die morphologischen Ansichten des alten Goethe zurück: »Im Wechsel zwischen Ausdehnung und Konzentration wird das Urphänomen der Polarität als Systole und Diastole erkennbar.« 142 Auch damit hinterläßt Goethe unverwechselbare Spuren in der traditionell eher schablonenhaften Panegyrik. Uberraschenderweise bekommt Marie zu demselben Geburtstag noch ein Gedicht, das Goethe zugeschrieben wird: >Ihro Hoheit der Prinzessin Marie von Sachsen-Weimar und Eisenach< (FA 1,2,798). Die Herausgeber der W A geben jedoch zu bedenken: »Als Verfasser käme ausser Goethe vielleicht noch Riemer in Betracht; jedenfalls ist sonderbar, dass dieser die Verse nicht in Q aufgenommen hat, was er doch, wenn sie ihm als Goethisches Eigenthum bekannt
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Henckmann/Schneider, M A 13.1,624.
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gewesen wären, höchst wahrscheinlich gethan haben würde.« 143 Es erscheint freilich wenig plausibel, daß Goethe bei gleicher Gelegenheit zwei Gedichte, ja sogar zweimal Gedicht und Bild' 44 verschenkt haben sollte. Bemerkenswert ist allerdings, daß beide Texte dasselbe altmodische Versmaß aufweisen, das der junge Goethe gern verwendet hatte. Jedenfalls hebt sich der Text dadurch von dem ersten Gedicht ab, daß er auf symbolischen Tiefgang verzichtet und lediglich in heiter tändelndem Tonfall Anlaß (»Deinen Wachstum zu begrüßen«, V. i) und Gabe (»Daß sogar die Steine sprechen«, V. 8 I4S ) andeutet. Im selben Jahr kombiniert Goethe zum neunten Geburtstag der jüngeren Prinzessin Auguste als Geschenk noch einmal ein Bild mit Zueignungsversen: eine Reproduktion der >Aurora< von Elsheimer und das Gedicht >Ihro Hoheit der Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar-Eisenach. Mit Elsheimers Morgen* (FA 1,2,577). Seine Verfasserschaft steht dieses Mal außer Zweifel. Mit Rücksicht auf das Alter der Adressatin macht Goethe den im Bild dargestellten Anbruch des Neuen verständlich, indem er ihn zunächst auf das Geburtsfest der Prinzessin bezieht: »Jeder Strauch in seinen Düften, / Alle sehn sich nach Dir um: / Berge schauen dort herüber, / Leuchten schön und jauchzten lieber; / Doch der schöne Tag ist stumm.« (V. 2-6). Der in der zweiten Strophe folgende Festschmuck paßt sich kindlichen Bedürfnissen an. Er bekommt durch »LustSchalmeien« (V.7) und »Flöten, Hörner« (V. 8) eine gewisse Lautstärke und wird gegenüber der gesetzten, oft auch formelhaften panegyrischen Bildlichkeit für Erwachsene durch die Erwähnung eines munteren Haustiers kindgerecht aufbereitet: »Selbst an seiner strengen Kette / Springt das Freundchen um die Wette« (V. iof.). Die Schlußstrophe wendet die Bilddeutung vom Ehrentag der Prinzessin (der am 30. 9., also kurz nach Herbstanfang lag) ins Allgemeine, nämlich hin zum Kreislauf der Jahreszeiten: »Neue Freude, neue Lieder / Grüßen Dich! erscheine wieder, / Denn der neue Frühling blickt.« (V. 16-18). Für die Prinzessin Marie verfaßte Goethe im Juni 1827 ein letztes Widmungsgedicht, das sich auf ihr Portrait bezieht: >Zum Bildnis der Prinzessin Marie, Juni 18 ij< (FA 1,2,817). Der Text ist von spruchartiger Kürze: »Lieblich und zierlich, / Ruhig und hold; Sind ihr die Treuen / Sicher wie Gold.« (V. 1-4).
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W A 1,5/2,232. Eibl vermutet, daß Marie zu diesem Gedicht eine nicht identifizierte Lithographie erhielt (vgl. F A 1,2,1292). Henckmann/Schneider nehmen in M A demgegenüber an, daß keine Lithographie verschenkt wurde, da bereits das Gedicht selbst auf einem Großquartblatt lithographiert war und so die Wendung »Daß sogar die Steine sprechen«, V. 8 erklärt (vgl. M A 13. 1,624). I n Goethes Tagebuch heißt es lediglich unspezifisch: »Der Prinzeß Marie ein lithographisches Blatt zum Geburtstage.« (Tgb 3.2. 1820; W A 111,7,134). Diese ungewöhnliche Formulierung könnte ein Indiz für Goethes Verfasserschaft darstellen; immerhin schrieb er Jahrzehnte zuvor ganz ähnlich: »es werden bald die Steine zu reden anfangen« (an v. Knebel, 17.4. 1782, W A IV,5,313).
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Auf den ersten Blick mutet der Vierzeiler mit Fürstenlob und Treueversicherung an wie eine stark verdichtete, ansonsten aber recht konventionelle Preisformel. Zwischen den Zeilen mag der Dichter jedoch wieder einmal einen privaten Abschiedsgruß verborgen haben: Die von ihm persönlich geschätzte Prinzessin verließ Weimar im Jahr 1827, weil sie den Prinzen Friedrich Karl Alexander von Preußen heiratete. Zur Gruppe der nicht im engeren Sinne repräsentativen und staatsoffiziellen Gedichte gehört schließlich noch das Briefgedicht >An den Großherzog Carl August und Frau von Heygendorf, 2.12.1827* (FA 1,2,820). Es handelt sich hierbei nicht um Widmungsverse, sondern um einen begleitenden Gruß bei der Rückgabe zweier englischer Taschenbücher. Mit der Bitte, sie über Caroline von Heygendorf zurückzugeben, hatte Goethe sie am 2 2 . 1 1 . 1 8 2 7 von Carl August leihweise erhalten (vgl. Tgb 22.11.1827; WA III, 11,140). Im Gedicht werden zuerst die Titel der Bücher (>The Bijou or Annual of Literature and the Arts< und >Forget me notDem Großherzog Carl August zu Neujahr i828< (FA 1,2,821). Nach bewährtem Muster wurde das Geschenk durch die Verse als gegenständliches Symbol für einen hintergründigen Sinn ausgelegt. Die Bücher, deren Inhalt dem Herzog nach über fünfzigjähriger wechselvoller Freundschaft mit dem Dichter hinlänglich bekannt gewesen sein dürften, werden nun zum Sinnbild des Freundschaftskerns: »Fehlt der Gabe gleich das Neue, / Sei das Alte nicht veraltet, / Wie Verehrung, Lieb' und Treue / Immer frisch im Busen waltet.« (V. 1-4). Auch dieses Gedicht endet, wie die vorigen Symbolverse, in einer Sentenz. Sie drückt Goethes besondere persönliche Verbundenheit mit dem Herzog aus: »Nur weil es dem Dank sich eignet, / Ist das Leben schätzenswert.« (V. 7f.). 143
Die lehrhaft verallgemeinerte Schlußformel findet sich in auch einigen Gedichten für Adressaten außerhalb der herzoglichen Familie. So endet beispielsweise das Widmungsgedicht, mit dem Goethe dem Schauspieler Pius Alexander Wolf am 3.5. 1814 fünf eigenhändige Landschaftszeichnungen zum Geburtstag überreichte, mit den Versen: »Jedes Blatt sei euch das Ganze / Und belohnt ist euer Streben.« (FA 1,2,782, V. jf.). Als er am 3 1 . 3 . 1 8 2 7 dem Schauspieler Georg Wilhelm Krüger ein Exemplar seiner >Iphigenie< widmete, stellte er in gleicher Manier die Quintessenz des Stücks ans Ende: »Alle menschlichen Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit.« (FA 1,2,817). Bei den nicht-höfischen Widmungsgedichten wurde allerdings die enge hermeneutische Verbindung von Gabe und Gedicht nicht so konsequent verwirklicht wie bei den Texten für den Hof. Ein Grund dafür liegt möglicherweise darin, daß Goethe außerhalb des Hofes unüberschaubare Mengen von Widmungsversen abverlangt wurden, die er nicht alle mit derselben kompositorischen Sorgfalt anfertigen konnte. Hinzu kommt, daß er zahlreiche Gegenstände bedichtete, bei denen eine humorvolle Bearbeitung weitaus näher lag als eine symbolische, darunter gebrauchte Schreibfedern, eine blumenbestickte Tasche, eine leere Mirabellenschachtel, eine Artischocke, Kompott, Stickmuster und Schokolade. Die kleinen Gedichte an den Hof hingegen wurden überwiegend als Begleittexte für Bildergeschenke überreicht - ein altes und durchaus gebräuchliches Verfahren. Kennzeichnend für diese Texte ist ein überaus regelkonformer Gestus: Die Umstände des Anlasses werden stets mehr oder weniger ausführlich thematisiert, es klingen traditionelle panegyrische Topoi an, das decorum wird formal und inhaltlich gewahrt. Dennoch gab Goethe auch diesen Gedichten eine persönliche, unverkennbare Prägung, die sowohl mit seinem Verhältnis zu den Adressaten als auch mit wesentlichen Zügen seiner übrigen Alterslyrik korrespondiert: Sonettform, gnomische Lehrhaftigkeit und das Goethe-Spezifikum der Symbolik, die das Allgemeine im Besonderen erfaßt.' 46 Eine zweite Sondergruppe von nicht ganz staatsoffiziellen, aber doch einer gewissen politischen Öffentlichkeit zugänglichen Gedichten besteht in den Logengedichten auf Mitglieder der herzoglichen Familie. Außer Carl August zählten Mitglieder der Hofgesellschaft und Staatsbeamte zu Brüdern der Weimarer Freimaurerloge >Anna Amalia zu den drei RosenTrauerloge. Der Unvergeßlichen Prinzessin Caroline von Weimar Eisenach vermählten Erbprinzessin von Meklenburg Schwerin gewidmet I8I6< (FA I,2,484f.) 147 wurde am 26.1. 1816 im Rahmen einer Trauerloge gesprochen, die regulär zum Andenken verstorbener Brüder stattfand. Die kränkliche Tochter Carl Augusts und Luises, der Goethe herzliche Zuneigung entgegenbrachte, war kurz zuvor im Alter von nur 29 Jahren gestorben.' 48 Goethe wurde von dem Todesfall tief getroffen. Er schrieb darüber an Constanze von Fritsch: »Der Verlust unserer theueren Prinzeß Caroline, hat uns, obgleich befürchtet, in Leid und Trauer versetzt. Da kann man sich denn nichts Anders sagen, als, daß lange leben soviel heiße als viele überleben.« (an Constanze v. Fritsch, 2.3. 1816; WA 1X26,282). In diesem Sinne eröffnete er sein Epikedeion auf die Prinzessin mit düsteren vanitas-Motiven: »Unter schon verloschnen Siegeln / Tausend Väter hingestreckt, / Ach, von neuen frischen Hügeln / Freund an Freunden überdeckt.« (V. 5-8). Die zweite Strophe versucht dagegen, die menschliche Endlichkeit zu bewältigen (»Hast du so dich abgefunden, werde Nacht und Äther klar«, V. ${.), so daß Carolines Ableben mit neuer Zuversicht als Ubergang von den diesseitigen zu den jenseitigen Freunden betrachtet werden kann: »Wo du hier mit Ungetrübten, / Treulich wirkend, gern verweilst, / Und auch treulich den geliebten / Ewigen entgegen eilst.« (V. 13-16). Das Gedicht dokumentiert in erster Linie Goethes Auseinandersetzung mit dem Verlust einer ihm nahestehenden Person. Konventionswidrig stehen nicht die Umstände der Gelegenheit und der Adressatin, sondern die der persönlichen Erschütterung im Vordergrund. Sie werden im Text in allgemein reflektierende Betrachtungen umgesetzt. Von fürstlichem Trauerzeremoniell, Preisformeln und affektiven Gemeinplätzen finden sich keinerlei Spuren im Text. Statt dessen huldigt Goethe noch einmal - wie in seiner frühen Gelegenheitslyrik einem anderen Dichter. Die Formulierung des Eingangsverses, »An dem öden Strand des Lebens« (V. 1), geht auf Lessings >Nathan der Weise zurückDen 6. Juni 1816< (FA 1,2,614). In anrührender Schlichtheit lautet sie: »Du versuchst, o Sonne, vergebens / Durch die düstren Wolken zu scheinen! / Der ganze Gewinn meines Lebens / Ist ihren Verlust zu beweinen.« (V. 1-4). Und wieder verstößt Goethe gegen die Gattungskonvention: Zwar macht er den Anlaß hinreichend deutlich, spricht auch die Adressatin als lyrisches Gegenüber an, verzichtet aber darauf, sie direkt zu loben und vor allem: Er greift nicht auf leblose Formeln zurück. Statt dessen stellt Goethe, der hier gewiß mit dem lyrischen Ich gleichzusetzen ist, seine persönliche Verzweiflung dar. Der Stellenwert der Adressatin hingegen wird nicht direkt benannt, sondern mittelbar durch das Ausmaß dieser Verzweiflung in subjektiven Kategorien ausgedrückt. Anders als bei dem Gedicht auf Caroline schwenkt die Perspektive hier indes nicht ins Tröstliche: Das gattungsspezifische Erbauungs- und Erinnerungsschema, das den Tod der Prinzessin zu bewältigen vermochte, bedurfte offenbar letztlich doch einer gewissen persönlichen Distanz zum Casus, um zu funktionieren. Die Einzigartigkeit von Goethes persönlichen Leichencarmina läßt sich im Vergleich mit der württembergischen Praxis noch klarer erkennen: Als am 9 . 1 . 1819 die württembergische Königin Catharina Pawlowna - eine Schwester der ris< und »Torquato Tasso< auf und bezeichnete Lessings Nathan im April 1780 als »das höchste Meisterwerk menschlicher Kunst« (so F. H. Jacobi an Wilhelm Heinse, 24.10. 1780; Begegnungen und Gespräche 2, S.235). 1s ° Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf A u f zügen. In: Ders.: Werke und Briefe. Bd. 9. Werke 1778-1780. Hg. v. Klaus Bohnen und Arno Schilson. Frankfurt a.M. 1993, 8.483-627.
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Weimarer Erbgroßherzogin - starb, entstanden zahlreiche Totengedichte auf eine Herrscherin, die freilich nicht im Zusammenhang mit einer Logenfeier, sondern zum offiziellen Staatsakt verwendet wurden. Eine der literarisch anspruchsvolleren Gedichtfolgen legte Friedrich Haug in einem Einzeldruck mit dem Titel >Gefühle am frühen Grabe Ihrer Königlichen Majestät der Königinn Catharina von Würtemberg< 151 vor. Der stark rhetorisierte, teils in Hexametern, teils in gereimten Versmaßen verschiedener Hebungszahlen abgefaßte fünfteilige Zyklus bedient streng die Konventionen der Gattung. Die Eingangsworte des ersten Gedichts, »Wehe! Du starbst, C a t h a r i n a ! « (V. i), die noch zweimal wiederholt werden (vgl. V. 3 u. 6), geben den Anlaß sofort bekannt und nennen die Adressatin sogar namentlich. Die Heimat »an der Newa« (V. 6) wird ebenso erwähnt wie eine inhaltlich weiter ausgefüllte Liste der Trauernden: »Wilhelm« (V.4), »Alexander« (V. 8) und ganz »Europa« (V.9). Auch die vier folgenden Texte speisen sich ausschließlich aus den Umständen des Anlasses, die in wechselnden Formen variiert werden. Haug verwendet dabei verschiedene topische Wendungen der höfischen Gelegenheitsdichtung, so z.B. das vielfach bekannte »Königreich der Herzen« (V. 29). Goethes Leichencarmen auf die Weimarer Prinzessin dagegen bleibt durch den Verzicht auf die Ausgestaltung der konkreten Einzelheiten des Anlasses und die Namensnennungen auch unabhängig von der einmaligen Gelegenheit für ein weiteres Publikum ästhetisch zugänglich: Er bleibt ohne Kenntnis von Anlaß und Adressat verständlich, langweilt nicht mit überkommenen Preistopoi, und setzt sich allgemein reflektierend mit der anthropologischen Grundsituation des Todes auseinander. Während Goethes offizielles Logengedicht für Caroline wie die private Grabschrift für Christiane individuelle Gefühlslagen vermittelt, beruhen die beiden Logengedichte mit männlichen Adressaten doch noch stärker auf panegyrischen Versatzstücken, wie sie sonst bei den württembergischen Dichtern zu finden sind. Das Gedicht >Zur Logenfeier des dritten Septembers 1 S i y (FA I,2,486ff.) bildete das Rahmenprogramm für die Feier von Carl Augusts des 50. Regierungsjubiläum im Kreis der Freimaurer, die in Weimar eine eher gesellige als geheimbündlerische Ausrichtung besaßen. 1 ' 2 Bereits zwei Monate im voraus war Goethe durch Kanzler Friedrich von Müller mit Versen für diesen Anlaß beauftragt worden (vgl. Tgb 25.7. 1825; WA 111,10,83). Er leitete das ver1s1
Friedrich Haug: Gefühle am frühen Grabe Ihrer Königlichen Majestät der Königinn Catharina von Würtemberg. Stuttgart 1819. [4 S.o. Paginierung] Signatur: H A A B 8° X X V , 22 4pr . Unter derselben Signatur findet sich außerdem eine umfangreiche Sammlung von Gedichten und Reden verschiedener Autoren zu diesem Anlaß.
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Vgl. zur Entwicklung der Weimarer Loge die zuweilen etwas reißerisch-verschwörungstheoretische, aber quellenmäßig solide Studie von Wilson, W. Daniel: Unterirdische Gänge. Goethe, Freumaurerei und Politik. Göttingen 1999. Der Festanlaß selbst wird dort allerdings nicht behandelt. I
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langte Gedicht innerhalb von fünf Tagen zur Vertonung an den Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel weiter (vgl. Tgb 30.7. 1825; WA 111,10,85). Mit der Logenfeier, die entgegen der Angabe im Titel erst am 13.9. 1825 stattfand, endete eine Reihe imposanter Festveranstaltungen. 1 ' 3 Goethe schrieb dafür einen dreiteilig aufgebauten Hymnus auf den Herzog. Die >Einleitung Zwischengesangs der von den Festreden eingerahmt wurde, behandelt auf metaphysischer Ebene das Problem der Vergänglichkeit. Der runde Jahrestag von Carl Augusts Regentschaft bleibt bei der allgemein angelegten Reflexion durchaus im Blickfeld, was spätestens in der conclusio deutlich wird: »So löst sich jene große Frage / nach unserm zweiten Vaterland; / Denn das Beständige der ird'schen Tage / Verbürgt uns ewigen Bestand.« (V. 21-24). Aber auch schon zu Beginn werden die herzoglichen Verdienste als Lösung für das Problem der Vergänglichkeit angeboten: »Laßt fahren hin das allzu Flüchtige! / Ihr sucht bei ihm vergebens Rat; / In dem Vergangnen lebt das Tüchtige, / Verewigt sich in schöner Tat.« (V. 13—16). Der Blickwinkel des Textes schwenkt in der zweiten Strophe nicht nur in den gelegenheitsunabhängigen Bereich der Philosophie, sondern auch zum Fürstenpreis. Dieser Aspekt wird dann im letzten Teil der Festlieder am Ende der Feier noch deutlicher bearbeitet. Goethe schlägt mit seinem >Schlußgesang< den Bogen zurück zu den Realien. Er bezieht sich darin so detailreich auf das vielfältige Festgeschehen vor Ort, daß er dazu später eine erklärende Anmerkung für Außenstehende notiert: Z u dessen allgemeinerem Verständniß nur bemercke daß vorausgesetzt wird die im Geiste verbundenen Brüder nehmen auch Theil an dem was im offenbaren geschieht und geschah. Neue erst vor wenig Jahren erbaute Straßen, sind [...] mit Kränzen in langen architektonischen Reihen geziert. Die zum Jubelfeste eingeweihte Bürger-
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Eine ausführliche, bebilderte Dokumentation bietet Weimars Jubelfest am 3ten September 1825. Bd. ι. Die Feyer der Residenzstadt Weimar, mit den Inschriften, gehaltenen Reden und erschienenen Gedichten, [o. Hg.] Weimar 1825.
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schule ist eine der ersten Zierden dieser gefeyerten Epoche. Der Dichter führt selbst die Theilnehmer an die baumreichen zugänglichen Kunst und Natur Umgebungen, erinnert an tägliche Freuden welche alt und jung, Greis und Kind draußen [?] tägl. erquicken, und endet in der Haupt Anerkennung der so weit ausgreifenden als gründlichen Wirckung des verehrten Fürsten. (WA 1,53,355).
Diese umständlichen Ausführungen muten auf den ersten Blick recht überflüssig an. Goethe unternimmt schließlich in seinem Preisgedicht nichts anderes, als es Generationen von Hofdichtern schon vor ihm getan hatten. Auf die Ermunterung, die Festfreude aus der geschlossenen Gesellschaft in die Stadt und weiter hinaus in die Natur zu tragen (vgl. V. 2 5-30), 1 5 4 folgt ein Katalog der herzoglichen Verdienste. Genannt werden »neue Straßen« (V. 32), »edle Bauten« (V. 34), der »Schule Raum« (V. 39) und, wohl sachlich beschönigend, seine Pflege der Wälder (vgl. V. 44-48). Diese Gedankenführung weist den Text als höfisches Gelegenheitscarmen der strengen Observanz aus. Obwohl es sich demnach um einen - zwar handwerklich vergleichsweise gelungenen - Einwegtext handelt, gab Goethe nachträgliche Erläuterungen dazu: Offenbar rechnete er mit einer kontextunabhängigen Rezeption des Textes durch die literarische Öffentlichkeit. Hier werden die Folgen von Goethes Umwertung des Gelegenheitsbegriffs sichtbar: Gerade dieses Gedicht, dessen Situations- und Zweckbindung sich nicht nur aus dem Aufführungskontext ergibt, sondern mit den expliziten Hinweisen auf Anlaß und Adressat auch unverkennbar in den Text selbst eingeschrieben ist, nahm er als verbreitungswürdiges Kunstwerk ernst. Nachdem es seine Dienste im Kontext der höfischen Repräsentation getan hatte, billigte Goethe ihm außerdem noch möglichen Wert in der literarischen Öffentlichkeit zu. In diesem Zusammenhang fällt ganz deutlich auf, daß Goethe als Gelegenheitsdichter überhaupt eine scharfe Trennlinie zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre zog. Seine höfische Casualpoesie ordnete er eindeutig dem ersten Bereich zu, während er seine persönliche Verbindung mit dem Herzog im häuslichen Rahmen zum Ausdruck brachte: Am 1. September begann er, seine eigenen Räumlichkeiten zu schmücken: »Unterhaltung über das bevorstehende Fest. Hofgärtner Baumann war von Jena hüben und half die Decoration besorgen.« (Tgb 1.9. 1825; WA 111,10,98). Am 3. Januar um neun Uhr abends kamen die Festgäste. »Nach und nach sehr viele. Blieben bis Mitternacht.« (Tgb 3.9. 1825; WA 111,10,99). Friedrich Sengle deutet diese Veranstaltung wie folgt: Man hat den Eindruck, daß der vielkritisierte >Fürstenknecht< ganz bewußt ein Bürger· und Honoratiorenfest im eigenen Hause feiern wollte, zwar zu Ehren des Großherzogs, aber entschieden auf einer breiteren sozialen Basis; es sollte eine Art volksI!4
Daß die Logenfeier nicht am 3. September die Festlichkeiten eröffnen, sondern sie vielmehr am 13. September beschließen würde, war für Goethe vermutlich im Juli noch nicht absehbar, nach der Vertonung dann nicht mehr korrigierbar. Derartigen Sachzwängen konnte sich offenbar selbst Goethe nicht entziehen.
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tümlicher Verlängerung des Hoffestes sein, was durchaus dem Regierungs- und Repräsentationswillen seines Fürsten entsprach. 1 "
Auf der Folie von Goethes bisheriger Casualpoesie erscheint diese formal neuartige Form der Fürstenverehrung allerdings kaum mehr überraschend, da Goethe schon mehrfach auf unterschiedliche Weise versucht hatte, die höfische Panegyrik mit bürgerlich-privaten Habitusformen anzureichern - sei es durch Knittelverse, Sturm-und-Drang-Episoden oder Geselligkeitsinszenierungen. Carl August jedenfalls nahm die Feier wohlwollend auf, sei es aus politischen oder freundschaftlichen Gründen. Er schrieb am 7. September an Goethe: »Schönsten Danck für das, was am 3. September Nachts bey dir, mein lieber alter Freund, mir zu Ehren gesehen [!] ist.« 156 Auch offizielle Feierlichkeiten wurden in großem Umfang, teils mit casualpoetischer Untermalung, abgehalten. Der Zeitzeuge Franz David Gesky gab folgende Ereignisse zu Protokoll: Acht Tage zuvor wurden mehrere 100 Wagen Reißig geliefert für die Bürger zum Ausschmücken der Häuser. Auf allen Türmen waren Fahnen aufgesteckt. Frühmorgens fünf Uhr wurde mit allen Glocken geläutet und 50 Kanonen-Schüsse verkündigten den herrlichen Tag und das schöne Fest. Auf dem Markte versammelten sich die Bürger neben dem Stadtrate. A n dem Hause des Kaufmanns Ohder war ein Altar aufgebaut. U m halb acht Uhr war die Stunde, in welcher S. Königl. Hoheit in das Leben getreten war, daher wurde das Lied gesungen: Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut! [...]. Darauf hielt der Generalsuperintend. Dr. Röhr eine Rede. In dem Kreise befand sich auch sämtliche Geistlichkeit. [...] Nachdem begab sich eine Deputation zum Großherzog [...] in das Römische Haus, um da S. Königl. Hoheit den Glückwunsch darzubringen. Es waren an mehreren Orten in der Stadt Musikchöre aufgestellt. Mittags war große Tafel im Schießhause und im Stadthause. Mittags ein Uhr fuhren S. Königl. Hoheit durch alle Straßen der Stadt, der Herr Oberforstmeister von Fritsch, der Stallmeister Müller und acht Kavaliere ritten dem Großherzog vor. Abends war zum ersten Mal Schauspiel in dem neu erbauten Theater. 1 ' 7
Die casualpoetische Dekoration für diese offiziellen Festakte besorgte nicht Goethe, sondern neben verschiedenen anderen vor allem Riemer. Gleich morgens, zur Geburtsstunde des Herzogs um 7. 30 Uhr wurde seine Kantate »Morgenopfer am dritten September 1825^ 5 8 aufgeführt. Im Eröffnungschor nennt Riemer pflichtbewußt die loci circumstantiarum: »In Aurorens goldner Stunde, / Die uns solchen Stern gebar« (V. if). Der Solopart ruft verschiedenes mythisches Personal als Zeugen der Festfreude auf. Die metrisch gezwungene Setzung bzw. Auslassung des Artikels wirkt dabei zuweilen etwas unbeholfen (»die Oreade«, V. 9; »die Echo ist erwacht«, V. 10; Sengle, Das Genie und sein Fürst, S.493. ' s 6 Carl August an Goethe, 7.9. 1835. In: Briefwechsel des Herzogs-Großherzogs Carl August mit Goethe. Hg. v. Hans Wahl. 3 Bde. Berlin 1 9 1 5 - 1 8 . Bd. III, S. 195. 157 Gesky, Weimar von unten betrachtet, S. 1 2 3 ^ '>8 Friedrich Wilhelm Riemer: Gedichte. Bd. 1. Jena 1826, S. 24f. 150
»Murmeln der Najade«, V. n ; »der Flora Pracht«, V. 12; »wölbt Dryade«, V. 13). Im Schlußchor bestimmen »Entzückter Jubelklang« (V. 18) sowie »Preis und Dank« (V. 20) die untertänige Huldigungsgeste. Im übrigen baute Riemer augenscheinlich auf die quantitative Wirkung der Casualpoesie. In ebenso konventioneller Weise verfaßte er zusätzlich noch das Sonett >Zur Feyer der fünfzigsten Wiederkehr des dritten September unterthänigst dargebracht von dem Rathe und der Bürgerschaft der Stadt Weimar. I82$Toast zum Landtage< (FA 1.2.612) sowie >Bilder-Szenen. Zur Feier des zweiten Februar i8i7< (FA 1.2.613). Der >Toast zum Landtage< repräsentiert wieder kein künstlerisches, sondern ein rein politisches Programm. Zumindest setzte Goethe jedoch formal seinen als casualpoetische Neuerung am Weimarer Hof mittlerweile etablierten Knittelvers ein. Vollständig lautet der kurze Text: »Das Wohl des Einzelnen bedenken, / Im Ganzen aus das Wohl zu lenken, / Welch wünschenswertester Verein! / Den guten Wirt beruft man zum Berater, / Ein jeder sei zu Hause Vater, / So wird der Fürst auch Landesvater sein.« (V. 1-6). Die Verse zeugen von Goethes Mißtrauen gegenüber dem neuen politischen Gremium, dessen Funktion er auf die Beratertätigkeit heruntersetzt (»Den guten Wirt beruft man zum Berater«, V. 4). Tatsächlich wirkten die Landstände auch in der Legislative mit und übernahmen eine wesentliche Rolle bei der Steuerbewilligung. Hans Tümmler wendet daher berechtigt ein: Ganz zutreffend war die Bezeichnung der Versammelten als >Berater< keineswegs, da der Landtag nicht nur das Recht der Steuerbewilligung (wie die früheren Stände) besaß, sondern nach dem Willen des Fürsten auch effektiv an der Gesetzgebung und gewissen anderen Herrschaftsbefugnissen teilhatte und seine Zuständigkeiten durchaus auch zur Geltung zu bringen wußte. 1 ' 6
Vor diesem Hintergrund wirkt der absolute Superlativ »Welch wünschenswertester Verein!« (V. 3) verdächtig euphorisch. Das Gedicht weist tatsächlich eine markante restaurative Tendenz auf, die der politischen Machtstellung des Herzogs nach dem Wiener Kongreß zugute kam.' 97 So versuchte Goethe denn
1,6 197
Gesky, Weimar von unten betrachtet, S. 60. Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein Gedichtl·, S. 35. In der Folgezeit wandelte sich jedoch Goethes Monarchieverständnis. Immerhin soll er ein Jahrzehnt später zu Eckermann über die herkömmliche Repräsentation gesagt haben: »Das ist jetzt bei Fürsten überhaupt kaum mehr an der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was einer auf der Waage der Menschheit wiegt; alles übrige ist eitel. Ein Rock mit dem Stern und ein Wagen mit sechs Pferden imponiert nur noch allenfalls
164
auch, die alten Herrschaftsverhältnisse durch biedermeierlich-spätabsolutistische Rhetorik der Schlußformel wiederherzustellen. Die politischen Kompetenzen der Bürger wurden durch seine Verse in die Privatsphäre verwiesen, während die politische Alleinherrschaft nach wie vor dem Herzog obliegen sollte: »Ein jeder sei zu Hause Vater, / So wird der Fürst auch Landesvater sein.« (V. 5f.). Tümmler erklärt dazu entschieden: Das läßt wohl nur die Deutung zu, daß sich Goethe, zwar in Ubereinstimmung mit der Wiener Kongreßakte, aber kaum ganz dem Range des neuen sachsen-weimarischen Landtags gerecht werdend, im Fürsten nach wie vor den Inhaber der vollen monarchischen Omnipotenz in seinem Lande vorstellen wollte. 1 ' 8
Die restaurative Repräsentation bildete für Goethes letzte Phase der höfischen Gelegenheitsdichtung einen zentralen Programmwert. Mit der Bekräftigung der höfischen Tradition im Gelegenheitsgedicht verfolgte er letztlich nicht nur die Interessenpolitik des Hofes, sondern auch seine eigene, da er dem Ancien Régime politisch durchaus verbunden war. Goethe richtete nicht nur die von ihm selbst verfaßten Gedichte an diesem Maßstab aus, sondern maß auch fremde Texte daran. In diesem Sinne kritisierte er z.B. ein Leichencarmen auf Luises Tod im Jahr 1830. Kanzler von Müller notierte: »Daß er das Falkische Gedicht auf den Tod der Großherzogin verwarf, tat mir leid. Er beschuldigte es des Sansculottismus und sprach sich überhaupt ungünstig über Falk aus.« 1 " Dem neuen Anspruch entsprechend zeigt auch der zweite Text zum Fürstengeburtstag und Landtag einen ausgeprägten repräsentativen Charakter, dieses Mal mit Akzent auf dem Musenhof. Das Gedicht >Bilder-Szenen< wurde zusammen mit einer Folge von tableaux vivants als abendliche Unterhaltungseinlage dargeboten. 200 Damit war das Festprogramm nicht nur auf hohem Bildungsniveau angesiedelt, sondern stellte zugleich den größten kulturellen A k tivposten des Hofes zur Schau. 201 Auch hier verzichtete Goethe wieder gänz-
1,8
200
201
der rohesten Masse und kaum dieser.« (Eckermann, Gespräche mit Goethe, S. 699; am 23.10. 1828). Tümmler, >Und der Gelegenheit schaff' ein GedichtN, S. 35. Müller, Unterhaltungen mit Goethe, S. 185 (22.2. 1830). Allerdings vermischt Müller offenbar Goethes Aussagen im Zusammenhang mit dem Sansculottismusvorwurf: Der Weimarer Dichter Johannes Daniel Falk kommt als Verfasser eines Totengedichts auf Luise nicht in Frage, da er bereits vier Jahre vor ihr verstarb. Vgl. zur Präsentation auch Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 96-103. Das Nachstellen von bekannten Bildern und Zeichnungen mit lebenden Personen war eine Modeerscheinung der zeitgenössischen Unterhaltungskultur bei Hofe. Vgl. dazu ausführlich Birgit Jooss: Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit. Berlin 1999, darin zur Weimarer Praxis S. 1 3 i f . ; außerdem August Langen: Attitüde und tableau in der Goethezeit. In: Ders.: Gesammelte Studien zur neueren deutschen Literatur. Hg. v. Karl Richter, Gerhard Sauder u. Gerhard Schmidt-Henkel unter Mitwirkung von Hansjürgen Blinn. Berlin 1978, S. 292-3 53. An Carl Friedrichs Geburtstag gab es neun Bilder in drei Triptychen: Im ersten 165
lieh auf die künstlerische Selbstdarstellung. Casualpoetisch pflichtschuldig bezog er sich auf Anlaß (»am frohen Tag«, V. 3; »am schönsten Feste«, V. 5) und Adressat {»Ihm zu gefallen«, V. 6), um dann die loci circumstantiarum im Gegensatz von Festgeschehen und lebenden Bildern abzuhandeln: »Nun wirket umgekehrt, am schönsten Feste, / Durch Widerspruch die Kunst Ihm zu gefallen. / Statt laute Freude frisch bewegt zu schildern, / Erstarrt das Lebende zu holden Bildern.« (V. 5-8). Im Tonfall entsprechen diese Widmungsverse an den Hof in etwa denen, die Goethe ein Jahr zuvor für tableaux vivants bei dem mit seinem Sohn befreundeten Kammerherrn von Helldorf schrieb. Dort heißt es ganz ähnlich: »Und so entgegnen wir euch, starr erscheinend, / Lebendig, uns zu Eurer Lust vereinend.« (FA 1,2,614, V. γί.). Dadurch, daß der Thronfolger Carl Friedrich nach dem Landtag zunehmend auf der politischen Bühne Fuß faßte, wurde er in den folgenden Jahren zu einem wichtigen Adressaten der höfischen Casualpoesie. Goethe selbst verpflichtete sich allerdings eher der älteren Generation. Als Hofpoet des erbgroßherzoglichen Paares trat neben Riemer verstärkt auch Kanzler von Müller in Erscheinung. Zum Geburtstag im Jahr 1818 ließ Müller für Carl Friedrich den Einzeldruck >Feier des zweiten Februars*102 anfertigen, der ein Widmungsgedicht und eine versifizierte Charade enthielt. Der nur in der Dedikation angedeutete Anlaß trat spielerisch hinter dem freilich etwas platt panegyrischen Rätsel zurück: »Ein heit'res Fest auf's heiterste zu feiern, / Soll hier der Ernst im Blumenkleid erscheinen« (V. if.). Zu noch deutlicheren Preisformeln griff Müller einige Jahre später in dem Gedicht >An des Herrn Erbgroßherzogs Carl Friedrich Königliche Hoheit. Zum 2ten Februar 1824Tugenden< nach Raffael, dazu als Nebenbilder die >Poesie< nach Raffael und >Urania< nach Le Sueur, im zweiten Hauptbild >Ahasverus und Esther< nach Poussin, daneben der >Prophet< nach Raffael und die >Madonna< nach Poussin sowie im dritten Hauptbild die >Heilige Familie< nach Raffael und dazu >Circe< nach Guercino und die >Allegorie< nach Aristides von Theben (vgl. W A 1,5/2,37). Die Darstellenden waren Mitglieder der Weimarer Adelsgesellschaft einschließlich Goethes selbst (vgl. ebd.). 202
203
Friedrich v. Müller: Feier des zweiten Februars. Weimar 1818. [2 S.o. Paginierung] Signatur: G S A 68/884. Friedrich v.Müller: A n des Herrn Erbgroßherzogs Carl Friedrich Königliche Hoheit. Zum 2ten Februar 1824. Weimar 1824 [1 S.] Signatur: G S A 68/884.
166
Zauberschloß (vgl. FA Ι,ι,ι^βί., V. 22Í.) werden aufgenommen: »Der Falkenjäger zog mit seiner Jägerin / Ein Wink der großen Fee zum Zauberschlosse hin« (V.if.)· Demnach wurde Goethe nicht nur mit der Stanzenform, sondern sogar mit ganzen Gedichten zur Leitfigur der höfischen Casualpoesie in Weimar. Für einen kongenialen Zufall ist die dreifache Referenz zu auffällig. Somit muß Müller mündlich von dem Gedicht erfahren haben, da er erst 1802 nach Weimar kam. Goethes Casualpoesie zeitigte demnach unter den Gelegenheitsdichtern am Weimarer Hof erstaunlich nachhaltige Wirkungen. Im Vergleich beider Texte wird allerdings erkennbar, daß sich die politischen Verhältnisse im Laufe von fast fünfzig Jahren gewandelt haben. Während bei Goethe 1776 die Rede von »Untertanen Glück« (V. 6) war, schrieb Müller nun entschieden moderner von der »Bürgerbrust« (V. 15). Das letzte von Goethes Gedichten, die in einen offiziellen Festakt eingebunden waren, macht ebenfalls den Eindruck eines zweckorientierten Huldigungsgedichts. Nachdem am 2 2 . 1 1 . 1 8 2 2 der Grundstein zur Weimarer Bürgerschule gelegt worden war, regte Goethe eine Sammlung von Dankgedichten an. Es gelang ihm, 32 Texte zusammenzutragen, die dem Herzog am 24. 12. desselben Jahres unter dem Titel >Dem Landesvater am Weihnachten von seinen Kindern i822< ausgehändigt wurden. Goethe merkte bei der Veröffentlichung in C l / 4 an: »Als der Fürst bei der Christbescherung seiner teuren Enkel gegenwärtig war, überreichten sie ihm ihrerseits mit obigen zwei Strophen eine Sammlung Gedichte auf die Gründung der neuen Bürgerschule, im Namen sämtlicher Jugend.« (FA I,2,575f.). Nach dem Bericht von Therese Koch, deren Vater Karl Weichardt als Gymnasiallehrer ebenfalls an der Sammlung mitgewirkt hatte, gab Goethe sich durchaus als Initiator zu erkennen: So legte sie Goethe in die Hand des damals 4V2 Jahre alten Erbgroßherzogs (unseres jetzt allverehrten Großherzogs Karl Alexander) der, als für ihn selbst die 100 Lichter des ersehnten Christbaums aufblitzten, jene Sängergabe dem Großvater in der Mitte der Großherzoglichen Familie überreichte. 204
Die Mappe, die ihm somit einen gewissen Statusgewinn in der restaurativen Hofhaltung eintrug, begann mit seinen Grußversen >Weihnachten< (FA I,2,575Í.). Die erste der beiden in zierlichen anakreontischen Trochäen abgefaßten Strophen gilt dem Festanlaß: »Bäume leuchtend, Bäume blendend, / Uberall das Süße spendend, / In dem Glänze sich bewegend, / Alt und junges Herz erregend - / Solch ein Fest ist uns bescheret, / Mancher Gaben Schmuck verehret; / Staunend schaun wir auf und nieder / Hin und her und immer wieder.« (V. 1-8). Die zweite Strophe spricht den Herzog als Adressaten direkt an: »Aber, Fürst, wenn Dir's begegnet / Und ein Abend so Dich segnet / Daß als
204
Therese Koch: Aus Weimars Glanzzeit. Minden 18 86, S. 70.
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Lichter, daß als Flammen / Vor Dir glänzten allzusammen / Alles was Du ausgerichtet, / Alle die sich Dir verpflichtet: / Mit erhöhten Geistesblicken / Fühltest herrliches Entzücken.« (V.9-16). Goethe spielt hier den casualpoetischen Gefühlstopos des Entzückens und den ebenfalls gattungstypischen Blickkontakt mit dem fürstlichen Adressaten aus. Gegen seine casualpoetischen Gewohnheiten geht er ausführlich auf Anlaß und Adressat ein. Außerdem erfolgt deutlicher Fürstenpreis mit Hervorhebung der ständischen Hierarchie. Zu diesem Zweck weist Goethe auf Herrschertaten (gemeint ist die Schulgründung) und Untertanentreue hin: »Alles was Du ausgerichtet, / Alle die sich Dir verpflichtet« (V. i3f.). Bemerkenswert an diesem abermals formelhaft affirmativ gestalteten Text ist jedoch, daß Anlaß und Gestus frei gewählt waren, daß Goethe also dem äußeren Anschein zum Trotz keine abhängige Höflingsdichtung verfaßte. Vielmehr wies er gerade bei diesem Text auf besondere meliorative Möglichkeiten der Casualpoesie hin, die eben gerade bei Gelegenheit verwirklicht werden konnten. Genau diesen Anspruch an die Gattung erklärte er nämlich am 26.12. 1822 in seiner Erwiderung auf Carl Augusts Dankschreiben: Höhere Absichten und ihre Folgen drückt wohl die Poesie am besten aus; sie darf in der Gegenwart die Zukunft sehen, lebhafter als dem Verstände geziemt, und eine begonnene That ermuntern, deren glücklichen Erfolgt sie weissagt; den zu ästhetischem Zweck näher verbundenen Freunden war eine solche Gelegenheit höchst willkommen, um erprobt zu sehen, welch ein geistiges Leben hier immerfort im Stillen waltet, (an Carl August, 26.12. 1822; W A IV,36,246).
In dieser Aussage spiegelt sich der erzieherische Impetus, der für die frühen Gelegenheitsgedichte an den Herzog kennzeichnend war. Gleichzeitig kommt hier noch einmal der erneuerte Gelegenheitsbegriff zum Tragen. Er manifestiert sich als zweiter zentraler Programmwert der letzten casualpoetischen Schaffensphase: Das Gedicht zur rechten Zeit sollte den Blick auf >höhere A b sichten freigeben. Goethes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Gattung und sein Wille zur Verwirklichung seines Gelegenheitskonzepts wirkt allerdings fast schon erstaunlich, wenn man bedenkt, wie eklatant anders er die Weimarer Herrschaftswirklichkeit tatsächlich beurteilte. Resigniert sagte er beispielsweise am 20.9. 1823 zu Kanzler von Müller über Carl August: Er hat absolut keinen Β e g r i f f v o n d e r V e r g a n g e n h e i t und dem, was inihrgeleistet worden, kaum die G e g e n w a r t ist ihm klar, es ist kein wahres daurendes Interesse an dem, was geschieht, vorhanden und so müßte man sich zu Tode ärgern, hätte man sich nicht räson gemacht und auf das Unerreichbare verzichtet. 20 '
Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß Goethe in der letzten Phase der Casualpoesie für den Weimarer Hof nicht mehr versuchte, die Gattung aus der repräsentaMüller, Unterhaltungen mit Goethe, S. 83 (20.9. 1823). 168
tiven Zweckbindung herauszulösen. Kritische und persönlich vertraute Untertöne unterblieben ebenso wie ästhetische und soziale Konventionsbrüche. Es ging nicht mehr vorrangig um die künstlerische Profilierung, sondern um die repräsentative Dekoration. Entsprechend waren nun alle Texte von unaufdringlicher Kürze. Somit traten während der letzten casualpoetischen Schaffensphase erstmals nennenswerte Unterschiede zwischen höfisch-öffentlicher und privater Gelegenheitslyrik zutage. In den zahlreichen für private Zwecke angefertigten Gelegenheitsgedichten griff Goethe seltener auf die altmodischen Formen zurück, die in produktiver Wiederbelebung dem höfischen Repräsentationsgeschmack noch angemessen waren. Die Texte für herzogliche Adressaten paßten sich formal und inhaltlich streng an das höfische Zeremoniell an. Als charakteristische Innovationen führte er hier immerhin die Sonett- und Stanzenform ein und setzte seinen speziellen Symbolbegriff in den Widmungsversen um. Für private Gelegenheitsgedichte dagegen verwendete er eher unauffällig volksliedhafte Versmaße. In diesen Texten werden auch persönliche, teils sogar scherzhafte Zwischentöne mitunter deutlich greifbar, wenngleich auch in höfischen G e dichten, z.B. im Leichencarmen auf Prinzessin Caroline, eine tiefe Beziehung zwischen Autor und Adressat durchscheint.
4.2
Maskenzüge
4.2.1 Z u r Gattungsfrage: Goethes Neuansatz in der höfischen Maskerade Unter den repräsentativen Divertissements am H o f spielte die Maskerade bereits lange vor Goethes Interventionen eine unentbehrliche Rolle. Als U m schlagplatz für symbolisches Kapital blickte das höfische Maskenfest auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. Allerdings machte erst Goethe dieses Feld der absolutistischen Festkultur auch zur Erzeugung kulturellen Kapitals fruchtbar. Im Laufe der Zeit gelang ihm die individuelle künstlerische Freisetzung der zeremoniegeleiteten Karnevalsvergnügungen anläßlich der Geburtstage von Luise und Maria Pawlowna. Sein Gattungsbewußtsein entwickelte sich jedoch vergleichsweise zögerlich: Der Literarisierung ging immerhin ein Vierteljahrhundert voraus, in dem Goethe die höfische Maskerade lediglich poetisierte. Die Goethe-Philologie stimmt darin überein, daß erst Goethe den Maskenzug als dramatische Gattung in die höfische Repräsentationskunst einführte. »Von einer einfachen Begrüßung der Herzogin auf der sogenannten Geburtstagsredoute gingen diese Maskenzüge im Jahre 1 7 8 1 aus«, 2 " 6 heißt es 1886 bei 206
Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. V. 169
Heinrich Düntzer. Ein knappes Jahrhundert später bestätigt Christoph Siegrist: »Goethe war es auch, der die Maskenzüge in die Weimarer Redouten einführte«. 207 Ebenso einvernehmlich, im Unterschied zum vorigen allerdings stillschweigend, wird der Maskenzug als klar umrissene Gattung vorausgesetzt. Tatsächlich werfen sowohl die Bezeichnung als auch die historische Provenienz der Gattung einige Probleme auf. Zedlers >Universal-Lexicon< erklärt die >Masquerade< als »Verkleidung und Verkappung gewißer Personen, welche zur Lust beysammen sind, und gantz etwas anders vorstellen wollen, als sie sonst in der That sind.«208 Ferner wird die Bindung an den Hof mitgeteilt: »Dergleichen Masceraden werden an vornehmen Höfen, gemeiniglich bey Solennitäten, Aufzügen, Bällen und Aßembleen, wie auch Schlitten-Fahrten vorgenommen.« 20 ' Eine literarische Gattung im Zusammenhang mit der Maskerade wird hier ebensowenig verzeichnet wie 1777 in Adelungs Wörterbuch. 210 Erst das Grimmsche Wörterbuch von 1885 weist das Lemma >Maskenzug< auf, und zwar unter alleiniger Referenz auf Goethe. 2 1 1 Demnach zeichnete Goethe sowohl für die Gattung als auch für ihre Benennung verantwortlich. Während der ersten zehn Jahre seiner Maskenzugpraxis am Weimarer Hof griff Goethe selbst in Ermangelung einer adäquaten Gattungsbezeichnung noch auf die geläufigen, bei Zedier wiedergegebenen Bezeichnungen zurück. Das Aufkommen der Begriffsprägung >Maskenzug< macht Wolfgang Hecht zutreffend am Einschnitt der Italienreisen fest: Die Maskenzüge der ersten zehn Weimarer Jahre kennen den Gattungsnamen >Maskenzug< noch nicht, auch Goethes Briefe verwenden ihn nie, sondern sprechen von der >MaskeradeAufzugRedoutenaufzugMaskenzug< in den Handschriften, Drucken und Selbstzeugnissen üblich. 2 1 2
Da Goethes Maskenzüge offenbar nicht nur begrifflich einen Neuansatz markieren, stellt sich die Frage nach den historischen Anknüpfungspunkten für diese literarisierte Verkleidungspraxis am Weimarer Hof um so eindringlicher.
207 208
209 210
2,1
212
Siegrist, Dramatische Gelegenheitsdichtungen, S. 227. Johann Heinrich Zedier u.a. (Hg.): Grosses vollstaendiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Kuenste, welche bishero durch den menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. Bd. 19. Ma. Halle/Leipzig 1739, Sp. 194$. Ebd. Vgl. Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. 3. Teil, L-Scha. Leipzig 1777, Sp.387. Vgl. Deutsches Wörterbuch. Begr. v.Jacob u. Wilhelm Grimm. 33 Bde. Leipzig 1 8 5 4 1962. Bd. 6, Sp. 1706. Hecht, Goethes Maskenzüge, S. 134.
170
Die Maskenzüge stehen in der Traditionslinie der höfischen Verkleidungsdivertissements, in der nach Maßgabe der sich wandelnden gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen jeweils unterschiedliche Formen bevorzugt wurden. In einer typologischen Grobeinteilung unterscheidet Claudia Schnitzer Mummereien, die in der Zeit vom 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts vorherrschten, Ritterspiele, die vom 15. bis ins 18. Jahrhundert ausgetragen wurden, Verkleidungsbankette, die vom 16. bis ins 18. Jahrhundert in Mode waren, und schließlich Maskenbälle mit den Spielarten der Redouten und Dominobälle, die »seit dem Ende des 17. Jahrhunderts das gesamte 18. Jahrhundert hindurch das beliebteste höfische Verkleidungsdivertissement« 213 darstellten. Der status quo der Maskeraden am Weimarer Hof dürfte somit bei Goethes Eintreffen ungefähr dem normativen Abriß entsprochen haben, den der zeitgenössische Zeremonialwissenschaftler Julius Bernhard von Rohr von den im 18. Jahrhundert üblichen höfischen Motto-Parties gibt: Bey den Masqueraden wird entweder eine gewisse Invention durchgefiihret, darnach sich ein iedweder bey seiner Verkleidung zu richten hat, als wie bey einer Masquerade der Nationen, oder bey einem Götter-Aufzuge, oder es wird einem iedweden die Freiheit verstattet, sich nach eigenem Gefallen zu kleiden, wie es einer am besten inventiren oder nach seinem Beutel ausführen kann, dafern er nur hiebey nicht etwa denen deßfalls publicirten Landes-Herrlichen Verordnungen zuwider handelt, oder wider die Regeln der Klugheit verstößt, die iedweder bey dergleichen Fällen in Obacht zu nehmen hat. 2 ' 4
Maßgeblich für derartige Veranstaltungen waren wie bei allen repräsentativen Handlungen das decorum und damit die Vergegenwärtigung der sozialen Hierarchie sowie die leichte Unterhaltung. Goethe rechtfertigte infolgedessen die Notwendigkeit seines ästhetisch gestaltenden Eingreifens in die Weimarer Maskenbälle damit, daß sie ansonsten »gar bald in ein wildes, geistloses Treiben ausarten« (an Gerhard, 27.2. 1815; WA 1^25,209). So erinnerte sich der Page von Lyncker: »Man liebte zu jener Zeit wunderliche Masken, unbekümmert um die ästhetische Schönheit [...].« 2IS Die Adelsgesellschaft begrüßte den farbenfrohen Eklektizismus jedoch als willkommene Abwechslung während der langen Wintermonate. Die Hofschauspielerin Caroline Jagemann berichtete: Die öffentlichen Maskeraden waren in Weimar ein beliebtes Wintervergnügen und eigentlich was man >bal en masque< nennt, denn die Gesellschaft war gewählt und der Hof zugegen. A m Geburtstage der regierenden Frau Herzogin fand gewöhnlich eine solche Redoute statt und gab Gelegenheit zu allegorischen Aufzügen. Meine Eltern 213
214 2Ii
Claudia Schnitzer: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen in der Frühen Neuzeit. Tübingen 1999 (Frühe Neuzeit 53), S.61. Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft, S. 819. Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S. 150.
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besuchten solch ein Fest, und ich durfte sie begleiten, gar zierlich und nett als Spanierin schwarz und rosa angeputzt. 2 ' 6
Längst nicht immer wurde zu den Maskeraden nur handverlesenes Publikum aus höchsten Weimarer Kreisen gebeten. Ob die Hofgesellschaft unter sich blieb oder aber sogar einfache Stadtbewohner als Teilnehmer einbezogen wurden, hing von Art, Größe und Austragungsort der Feste ab. »Einerseits«, so Dieter Borchmeyer, »gab es Ballfeste im Redoutensaal, die nur der Hofgesellschaft zugänglich waren, andererseits sind Berichte überliefert, nach denen Maskenaufzüge mit 139 Personen und 89 Pferden unter Mitwirkung der Bevölkerung durch die Straßen Weimars strömten.« 2 ' 7 Diejenigen Redouten, für die Goethe Maskenzüge arrangierte, beschränkten sich allerdings im wesentlichen auf die Adelsgesellschaft. Das zum Dichterfürsten aufsteigende Universalgenie wurde von Anfang an nur als Dekorateur für hohe Feiertage - namentlich für die Herzoginnengeburtstage - bemüht, nicht aber für die teilweise wöchentlich abgehaltenen Redouten. Eine erste Antwort auf die Frage nach möglichen Vorbildern und Vorläufern der von Goethe am Hof etablierten Maskenzugpraxis versucht Heinrich Düntzer: »Er hatte zu diesen Dichtungen kein Vorbild; weder Ariostos und Macchiavellis canti carnascialieschi noch die italienischen Festivitätsspiele des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts haben ihm dabei vorgeschwebt [...].« 2 ' 8 Auch Wolfgang Hecht setzt für die Genese eine kulturgeschichtliche Stunde Null an, ohne jedoch den bereits bei Düntzer fehlenden Beleg für diese Ansicht nachzuliefern: Entstehung, Wesen und Funktion der Goetheschen Maskenzüge sind in der Tat weder vom Trionfo der italienischen Renaissance noch vom Maskenfest des höfischen Barock her zu verstehen und zu deuten. Goethe knüpfte vielmehr an die Weimarer Redouten an, Tanzvergnügen mit Maskenfreiheit, die alljährlich im Herbst und Winter, besonders während der Karnevalszeit stattfanden [,..]. 2 1 '
Demgegenüber ist in Gero von Wilperts >Goethe-LexikonTriumphzug des Julius Cäsar< hingegen kommt als Vorbild durchaus in Frage, da er sie lange kannte und schätzte (vgl. z.B. TuJ 1820; WA I,36,i64f.). 224 Insbesondere die nach Abschluß aller bedeutenden Maskenzüge verfaßte fiktionale Mummenschanz-Szene im Faust II (V. 5065-5986) steht unbedingt unter dem Einfluß dieser und weiterer Modelle der Renaissance. 22 ' Wenngleich sich recht wenige Quellen für Goethes Gattungsprägung konkret feststellen lassen, erscheint es wenig überzeugend, daß Goethe den Maskenzug aus dem Nichts bzw. aus den bis dato ästhetisch planlosen Weimarer Maskeraden heraus entwickelt haben soll. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß der historisch versierte Hofmann wenigstens Grundkenntnisse über die karnevaleske Repräsentationskultur des Absolutismus verfügte. Zum einen stellten etwa Fürstenumzüge noch bis ins 18. Jahrhundert hinein Ausläufer der Trionfi dar, die sich aus Italien kommend in der gesamten europäischen Hofkultur als Ruhm- und Ehrensymbol der Mächtigen verbreitet hatten.226 Zum anderen kannte Goethe mit Sicherheit auch die alte Aufzugspraxis der Mummerei, deren >Gedechtnus< z.B. durch zahlreiche von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegebene Text- und Bilddokumente anschaulich verbreitet worden war. 227 erw. Aufl., München 1985 (BsR.389), S . 2 3 - 2 6 ; sowie Werner Weisbach: Trionfi. Berlin 1 9 1 9 , S. 17. 121 Antonio Francesco Grazzini: Tutti i Trionfi, Mascherate o Canti carnascialeschi andati per Firenze dal tempo del Magnifico Lorenzo de' Medici fino all' anno 1559. C o s mopoli 1750. " 3 Vgl. Keudell, Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. 294. 124 Die Blätter, die vor dem vollständigen Erwerb 1820 (vgl. T g b 28.-30.6. 1820; W A 111,7, ι e^f.) i " seinen Besitz gelangten, verzeichnet Christian Schuchardt: Goethes Kunstsammlungen. 3 Bde. Jena 1848/49 [Reprint Hildesheim/New Y o r k 1976; 3 Bde. in einem Bd.], Bd. 1,8.44, N r . 4 0 0 , 4 0 1 , 4 0 7 . - B e i N r . 399 handelt es sich lediglich um einen den Holzschnitt imitierenden Kupferstich, wahrscheinlich von Schwerdgeburth. "> Vgl. Schöne, F A 1,7/2,427. " 6 Vgl. Weisbach, Trionfi, S. 2. Ein historischer Abriß über die Ausprägungen und Verbreitung des Triumphzugs von der Antike bis zu den Ausläufern im 17. Jahrhundert findet sich ebd., S. 1 - 1 9 u. S. 1 3 2 - 1 5 6 . 227 Vgl. besonders Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. München 1982 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2); sowie auch Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 8 1 - 1 0 6 . Ergänzend zum Stan-
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I m 1 5 . u n d 1 6 . J a h r h u n d e r t k a m die M o d e a u f , innerhalb d e r h ö f i s c h e n F e s t lichkeiten M a s k e n e i n l a g e n d a r z u b i e t e n . D i e s e I n t e r m e z z i o r d n e t e n sich bereits a u f z u g s a r t i g an u n d illustrierten so in ihrer A b f o l g e ein g e m e i n s a m e s O b e r t h e ma. Weiter f ü h r t C l a u d i a S c h n i t z e r aus: Es handelte sich vornehmlich um Einzeltänze, darunter Reihen-, Ring-, Nationalund Charaktertänze, von denen zum Teil mehrere während eines Abends vorgestellt wurden. Die Aneinanderreihung von Tänzen förderte die Herausbildung eines Programms, das die einzelnen Mummereien als Entrees zu einer Invention zusammenband. 228 E i n i m J a h r 1 7 9 0 unter d e m V e r f a s s e r k ü r z e l V - s erschienener A u f s a t z v e r a n schaulicht die A n l a g e dieser H o f f e s t e n o c h e i n m a l aus geringerer historischer Distanz: Bey Vermählungen und andern Feyerlichkeiten wurden an den Höfen in Ermangelung, oder vielmehr, weil damals die Schauspielkunst eben noch keine gar zu sonderlichen Schritte gemacht hatte, statt der Schauspiele auf unsere Manier, mehrenteils prächtige Aufzüge und Tänze, welche mit viel mimischem Spiel, mit Reden, und nicht selten mit Gesang, begleitet waren, aufgeführt. 2 2 ' V o n d e r G r u n d s t r u k t u r h e r s t i m m t diese F e s t f o r m a n n ä h e r n d mit d e m H e r g a n g v o n G o e t h e s M a s k e n z ü g e n ü b e r e i n , die mithin aus e i n e m z u r E n t s t e h u n g s z e i t längst ü b e r h o l t e n genius saeculi h e r v o r g i n g e n . D e n n o c h hatten die Z e i t g e n o s s e n f ü r G o e t h e s G a t t u n g s p r ä g u n g n o c h i m J a h r 1 7 9 8 keine t r e f f e n d e re B e z e i c h n u n g als das h e r k ö m m l i c h e >MummereyDie Romantische Poesie« (1810) zog Goethe nachweislich den >Weißkunig< zu Rate, der Ausbildung und Regierung Maximilians I. behandelt (vgl. Keudell, Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek, S. I04ff.). Schnitzer, Höfische Maskeraden, S.63. V-s: Ballette und theatralische Aufzüge aus dem X V I I . Jahrhundert, S. 34. In: Olla potrida 4 (1790), S. 34-41.
dem gebildeten Zuschauer verständlich, ohne fremde Beyhülfe vollkommen auszudrücken. 250 Genau diese ästhetische Veredelung unternahm G o e t h e gegenüber dem historischen Modell. D i e in den M u m m e r e i e n vorhandene tänzerische K o m p o n e n t e , die später zum Ballett ausgebaut wurde, 2 ' 1 setzte er nur vereinzelt in seinen Maskenzügen um. Das in der M u m m e r e i noch weitgehend unentwickelte E l e ment des Szenisch-Sequentiellen rückte er hingegen stark in den Vordergrund, indem komplexere Sinn- und Bildfolgen vorführte. Seine Maskenzüge bilden daher in literarisch-künstlerisch veredelter Machart eine konsequente F o r t s e t zung der in der M u m m e r e i begründeten F o r m des Verkleidungsdivertissements. F ü r das panegyrische D a m e n p r o g r a m m - er schrieb keinen einzigen M a s kenzug für einen männlichen Adressaten - , das G o e t h e auf den R e d o u t e n veranstaltete, gibt es zwei verschiedene Darbietungsvarianten. In beiden Fällen wurde ein bestimmtes Leitthema im Aufzugsgeschehen durch das sequentielle Auftreten von Einzelfiguren oder Figurengruppen aus verschiedenen B l i c k winkeln beleuchtet. Von der Bewegungsregie her vollzog sich die Aufführung nach dem Revueprinzip, als Tanz oder Pantomime. D i e Abfolge der einzelnen T h e m e n b l ö c k e ergab als Gesamtkunstwerk einen übergreifenden Sinnzusammenhang. D a z u wurden passende Verse mit verteilten Rollen rezitiert. Sie w u r den bei der ersten Variante, die in den früheren Maskenzügen vorherrscht, von H e r o l d e n vorgetragen, die stumme Figuren erläuterten. D e r Zug endete in der Regel mit einem Widmungsgedicht, das dem Geburtstagskind auf Seidenbändern oder Papierstreifen überreicht wurde. B e i der zweiten Variante, die in allen späten Maskenzügen vorliegt, traten sprechende Figuren auf, die sich selbst ausdeuteten. Diese Züge verzichteten gewöhnlich auf ein Widmungsgedicht, während ihr Text als programmartiger Einzeldruck im Publikum verteilt wurde. E i n e zweite häufig angeführte Quelle für die Maskenzüge besteht in den A n regungen, die G o e t h e im römischen Karneval erhielt. D e n Hinweis darauf erneuert zuletzt D i e t e r B o r c h m e y e r : Die Maskenzüge verbanden den gemeinen Volksbrauch der Karnevalsumzüge mit repräsentativer höfischer Selbstinszenierung in der Tradition des Trionfo. In späteren 2J
° [Anonym]: Redoutenaufzüge, S. 94. In: Journal des Luxus und der Moden 13 (1798),
231
S· 94-97· Auch wenn das Ballett mit differenzierterer musikalischer und dramatischer Struktur die Mummerei ablöste, werden die Begriffe im 18. Jahrhundert nicht trennscharf verwendet. So werden >Ballets< in Zedlers Universal-Lexicon erklärt als »zu Murmureyen und Aufzügen gemachte Täntze« (Johann Heinrich Zedier u.a. (Hg.): Grosses vollstaendiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Kuenste, welche bishero durch den menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. Bd. 3. B-Bi. Leipzig/Halle 1733, Sp.232). V 5
Jahren ist auch der Einfluß des römischen Karnevals, der Goethe während seiner Italienreise so sehr fasziniert hatte, unverkennbar. 2 ' 2
Bei der Einordnung der Maskenzüge in den Kontext des römischen Karnevals ist allerdings die Versuchung groß, allzu vordergründige Parallelen zwischen italienischem Volksfest und Weimarer Hoffest zu ziehen. Besonders auf der Folie von Michail M. Bachtins Karnevalsforschung kommt es zur leicht sinnentstellenden Vereinheitlichung der beiden Maskeradeformen. So sieht z.B. Astrid Köhler im Maskenzug »Verweise auf die Doppelstruktur solcher Ereignisse: Erfindungsfreude und verbindliches Brauchtum, Festrausch und Reglementierung, Narrenfreiheit und Repräsentationswille, Entgrenzung und Begrenzung sind unmittelbar miteinander verbunden«.23' Die grundlegende Unterscheidung zwischen den beiden Maskerade-Typen ist eindrücklich in Goethes Schilderung des Volksfests angelegt: »Das Römische Carneval ist ein Fest, das dem Volk eigentlich nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt. Der Staat macht wenig Anstalten, wenig Aufwand dazu.« (FA 1,15/1,518). Hier greifen die von Bachtin ausgearbeiteten Kriterien des Karnevals ohne weiteres: das vorübergehende Außerkraftsetzen der geltenden Ordnung, die Exzentrizität, die >karnevalistische Mesalliance< unvereinbarer Werte und Sozialsphären, schließlich die Profanation.2'4 Viele dieser Merkmale fielen Goethe in Rom tatsächlich auf: »Aufgehobene Ordnung« (FA Ι,ι 5/ i,544, vgl- auch 519), vereinzelte Elemente der Travestie, die Wahl des Pulcinellen-Königs (vgl. FA Ι,ι 5/1,538) und schließlich sogar scherzhaft ausgesprochene Tötungsaufforderungen, die jede Hierarchie mißachten, so z.B.: »Sia ammazzata la bella Principessa!« (FA Ι,ι 5/1,5 50). 2 " Im Zusammenhang mit den Maskenzügen am Weimarer Hof hingegen bedeutet >Karneval< lediglich, daß erstens Maskeraden stattfanden, was zweitens überwiegend in der Karnevalszeit erfolgte, in der die Herzoginnengeburtstage zufällig lagen.2'6 Die regulären Herrschaftsverhältnisse wurden bei diesen Fe232 233 234
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236
Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. I39Í. Köhler, Redouten und Maskenzüge im klassischen Weimar, S. 32. Vgl. Michail M. Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München 1969 (Reihe Hanser 31), S.48f. Vgl. auch Bachtins Erklärungen zu Goethes >Römischem Carneval· in: Michail M. Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt a.M. 1987, S.285-298. Goethes Beobachtungen zum Trotz geht Italo Michele Battafarano so weit, auch den römischen Karneval aus dem Geltungsbereich der Bachtinschen Theorie auszuschließen (vgl. Italo Michele Battafarano: Die im Chaos blühenden Zitronen. Identität und Alterität und Goethes Italienischer Reise. Bern 1999, S. 219). Vgl. dagegen die textnahe Einordnung bei Elena Nährlich-Slatewa: Das groteske Leben und seine edle Einfassung. >Das Römische Karneval· Goethes und das Karnevalskonzept von Michail M. Bachtin. In: G J b 106 (1989), S. 181-202. Aufgrund der Zweideutigkeit des Karnevalsbegriffs bagatellisiert denn auch Borchmeyer den Repräsentationszweck der Weimarer Maskeraden: »Allerdings zielte der
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sten keineswegs aufgehoben, sondern vielmehr spielerisch repräsentiert und bekräftigt. So betont Claudia Schnitzer: »In den Maskeraden überwogen die zeremoniellstützenden Tendenzen gegenüber den -unterwandernden bei weitem. Bei den Verkleidungsdivertissements handelte es sich um >verkleidetes Zeremoniell·.« 237 Sie übernahmen allerdings in gewissem Maße auch eine Ventilfunktion: Die temporäre Zeremoniellreduzierung in der Maskerade diente nicht zuletzt der subtilen Vergegenwärtigung des tatsächlichen höfischen Machtgefüges und damit zur Herrschaftserhaltung. 238 Bachtin selbst legt nahe, die höfische Maskerade aus der Theorie der subversiven Lachkultur auszuklammern: »Sie nimmt eine ganze Reihe karnevalistischer Formen und Symbole in sich auf, jedoch vornehmlich solche von äußerlich dekorativem Charakter.« 239 Daß auch im vermeintlichen höfischen Ausnahmezustand der Maskerade dieselben zeremoniellen Regeln galten wie im Alltag, zeigt sich vor allem in den ausgefeilten, auch unter Goethes Mitwirkung neu aufgelegten Redoutenordnungen (vgl. an die Hoftheater-Commission, ίο. i. 1809; WA IV,30,i2if.), in denen die Mittel der vestimentären und räumlichen Distinktion reguliert wurden. Je nach Stand der Teilnehmer wurden bestimmte Kleidungselemente vorgeschrieben, und allein der Hof besaß das Vorrecht, unmaskiert aufzutreten. Auch architektonisch gliederten sich die Weimarer Redoutensäle entsprechend der Standeshierarchie; zunächst erfolgte die Raumaufteilung nur durch verschiedene Ebenen, dann aber seit 1798 im neuen Redoutenhaus durch einen Balkon mit Hofloge, Parkett und Galerie. 240 Auch in den Maskenzügen selbst behielt das Zeremoniell seine Gültigkeit. Die vorgestellten Fiktionen kreisten um die höfische Selbstdarstellung, deren Publikum der Hofstaat und die anwesenden Untertanen bildeten. Bedingt durch die mediale Vielfalt tritt das Moment der Theatralität 241 bei der von Goethe in die Weimarer Redouten eingeführten Form der Herrschaftsinszenierung besonders deutlich hervor. Borchmeyer erläutert die ostentative Funktion des plurimedialen Festereignisses:
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weiraarische Hof - späthöfisch liberalisiert, wie er bereits war - nicht mehr wie in vergangenen Jahrhunderten auf die Gewinnung des Respekts beim außerhöfischen Zuschauerkreis. Das war schon durch die Tatsache ausgeschlossen, daß es sich in der Regel um Karnevalsumzüge handelte.« (Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 142). Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 3. Vgl. ebd., S. 56-60. Bachtin, Literatur und Karneval, S. 59. Der Umbau erfolgte auf Goethes Veranlassung durch Nicolaus Thouret. Vgl. zur Architektur und Innenausstattung des Weimarer Redoutenhauses ausführlich Bruno Th. Satori-Neumann: Goethe und die Einrichtung der Weimarischen Redouten. Ein Beitrag zur Kennzeichnung der amtlichen Tätigkeit des Dichters, S. 47f. In: Gesellschaft für Deutsche Literatur (Hg.): Festgabe für Max Herrmann zum 70. Geburtstag. Berlin 1935, S.47-60. Vgl. zum Begriff der Theatralität Kap. 3.1.
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Alle auf dem Theater vertretenen Kunstformen finden in den Weimarischen Maskenzügen Verwendung: Poesie, Musik, Tanz und Pantomime, Kostüme, Masken und Dekorationen aller Art unterstützen synästhetisch das karnevalistische Rollenspiel der höfischen Festgesellschaft und schaffen eine doppelte Ebene der theatralen Symbolisierung: man repräsentiert, >spielt< einmal demonstrativ seine gesellschaftliche Funktion und präsentiert sich gleichzeitig in einer fiktiven Rolle. 2 4 2
Indem Goethe die höfische Maskerade künstlerisch ausgestaltete, brach er den früheren Zuschnitt des Festes auf die Machtdemonstration des Alleinherrschers auf. Dennoch löste sich die Goethesche Maskerade nicht ganz so vollständig von der traditionellen höfischen ab, wie Wolfgang Hecht es darstellt: Da sich der einzelne im Maskenzug mit anderen zu einer Gruppe vereint, wirken Fest und Spiel nicht nur persönlichkeitsbildend, sondern zugleich gemeinschaftsbildend. Eine tiefe Kluft trennt damit Goethes Festauffassung vom höfischen Fest, das seinen Hauptzweck in der Demonstration fürstlicher Größe sah [...]. 243
Die zeitweilige Herausbildung einer homogenisierten Festgemeinschaft, oft sogar unter Beteiligung der Herrschenden, kennzeichnet seit alters die Praxis der höfischen Maskerade. 244 Darin unterscheiden sich Goethes Maskenzüge also nicht vom Hergebrachten. Allerdings gab Goethe der vorhandenen Festkultur eine neue Stoßrichtung, die nicht mehr nur auf die herrscherliche, sondern auch auf die dichterische Machtdemonstration zielt. Mit seinen Asthetisierungsansätzen verlieh Goethe der höfischen Maskerade eine zusätzliche, künstlerisch motivierte Dimension, ohne jedoch die repräsentative Zweckbestimmung auszublenden. Die Repräsentationsmöglichkeiten des Hofes verdoppelten sich damit: Zumal auf kostengünstige Weise, 24 ' wurde im Maskenzug nicht nur die gesellschaftliche Hierarchie, sondern auch die Weimarer Musensinnigkeit sinnlich vor Augen geführt. Neben diesem Standbein im Feld der Macht haben die Maskenzüge allerdings auch ein durchaus bewegliches Spielbein im literarischen Feld. Mit diesem Vorverständnis trifft dann tatsächlich die Wirkungsabsicht der Maskenzüge zu, wie Hecht sie formuliert: »Sie wollen erst das im Fest vereinte Publikum zu einer höheren, auf Bildung und Sittlichkeit beruhenden harmonischen Gesellschaft verbinden.« 246
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Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 142. Vgl. ähnlich auch schon Siegrist, Dramatische Gelegenheitsdichtungen, S. 227. Hecht, Goethes Maskenzüge, S. 132. Vgl. Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 56-59. Dazu erläutert Schnitzer: »Da die Teilnehmer für ihre Verkleidungen selbst aufzukommen hatten, waren Maskenbälle für den Potentaten eine relativ kostengünstige, gleichwohl repräsentative herrscherliche Festveranstaltung.« (ebd., S. 254). Hecht, Goethes Maskenzüge, S. 132. Vgl. so auch Siegrist, Dramatische Gelegenheitsdichtungen, S. 226.
D e r Goethe anhaftende N i m b u s des schlechthin Innovativen schlägt sich in der älteren Forschung auch bezüglich der Gegenstände seiner Maskenzüge nieder. So führt Heinrich Düntzer traditionsreiche Themenkomplexe pauschalisierend auf Goethes eigene Bewußtseinswelt zurück: »Auch die Stoffe hat er nicht aus älterer Dichtung, sondern aus dem ihm naheliegenden Vorstellungskreise genommen, zu dem freilich auch die ihm seit früher Jugend bekannten Bilder der alten Mythologie und Kunst gehörten.« 2 4 7 Ohne Zweifel bereicherte G o e t h e die höfische Gelegenheitsdichtung immer wieder mit neuen, d.h. mit privaten, bürgerlichen, künstlerischen und politischen Themen. Gerade die Maskenzüge aus der voritalienischen Zeit arbeiten jedoch mit durchaus eingeführtem Material, so z . B . mit astronomischen K o n stellationen und Herrschertugenden. Erst in den nachitalienischen Maskenzügen zeichnet sich mit Reflexionen über das politische und literarische Zeitgeschehen und schließlich mit der zeremoniellen Dichterverehrung verstärkt Goethes eigenständige N o t e in den Maskenzügen ab. D u r c h teils kritische Anspielungen auf Interna der Weimarer Hofgesellschaft (z.B. auf C a r l Augusts Spielleidenschaft im >Aufzug des Winters< von 1 7 8 1 ) werden auch die Adressaten als Individuen erkennbar. Trotz dieser entschiedenen inhaltlichen Neuerungen bleibt sein Figurenkanon stets dem enorm vielfältigen Repertoire der Trionfi bzw. der Mummereien verbunden. D o r t w a r in der Tat ein kaum mehr zu erweiternder Fundus vorgebildet: Gestalten des Alten und N e u e n Testaments und der Legende, andere, die in der Volksphantasie wurzelten, N a r r e n , wilde Männer, Riesen, Vertreter und Vertreterinnen der ritterlich-höfischen R o m a n t i k , antike Götter, G ö t t i n n e n und H e l d e n , Allegorien aus verschiedenen Gebieten traten in buntem Wechsel in den Trionfi auf. 2 4 8
Goethes besondere Leistung besteht mitnichten in einer creado ex nihilo: Vielmehr belebte er eine dreihundert Jahre ältere F o r m der höfischen Selbstverständigung wieder, die er als Dichter ästhetisch überformte und schließlich als neuartige Gattung mit der A u f n a h m e in seine Werkausgaben sogar literarisierte. U b e r den Dienst am Hof und seinen ästhetischen Vervollkommnungsanspruch hinausgehend, stellte Goethe seine Maskenzüge zuweilen auch in den Dienst persönlicher Interessen. So gelang es ihm z.B. im Jahr 1798, mit H i l f e der Einnahmen aus den öffentlichen Redouten den U m b a u des Hoftheaters zu finanzieren. Z u jener Zeit der casualpoetischen Abstinenz mag diese A r t der Kulturförderung ein wesentlicher Beweggrund f ü r seine Dekorateurstätigkeit gewesen sein. D e r E r f o l g spricht jedenfalls dafür: »Die Redouten«, wie SatoriN e u m a n n feststellt, »brachten der Hoftheaterkasse so viel ein, daß - ohne an-
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Düntzer, G o e t h e s Maskenzüge, S. I X . Weisbach, T r i o n f i , S. 1 7 . V g l . genauso zur M u m m e r e i Schnitzer, H ö f i s c h e Maskeraden, S. 64t.
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dere Mittel in Anspruch zu nehmen - das aufgenommene Kapital für den Umbau des Redouten- und Comödien-Hauses amortisiert werden konnte.« 249 Goethe verschaffte sich mit seinen Maskenzügen ein Sprachrohr, mit dessen Hilfe er im Bezugsrahmen der höfischen Repräsentation gleichermaßen ästhetische wie auch literatur- und theaterpolitische Zwecke wirksam verfolgen konnte. Dennoch legte er anfangs kaum Wert auf eine schriftliche Fixierung seiner Maskenzüge, sträubte sich sogar gegen die Herstellung von Abbildungen (vgl. an Carl August, Ende Februar 1782, W A 1X5,271). Einige Gründe dafür führt Borchmeyer an: Das höfische Fest duldet in der Regel keine Reprisen. Goethe hat denn auch jahrelang gegen eine publizistische Verbreitung der bei dieser Gelegenheit entstandenen Dichtungen opponiert. Der Maskenzug war als literarische Gattung ohnehin nicht präsent, da er als theatralisches Privatissimum einer sich vom bürgerlichen Publikum abschließenden aristokratischen Gesellschaft kein Allgemeininteresse beanspruchen konnte und wollte. 2 ' 0
Das Transitorische kennzeichnet die Maskenzüge vor allem gattungsbedingt, wegen der »nicht literarisch fixierbaren Singularität des Festereignisses«. 251 Die Texte waren nicht von vornherein für den Leser konzipiert, sondern für die einmalige Aufführung im Rahmen der höfischen Repräsentation. Außerdem ist naturgemäß ein spezielles Interesse an den Maskenzügen seitens der literarischen Öffentlichkeit anfangs ohnehin nicht gegeben. Schließlich führte ja erst Goethe selbst die Gattung in die literarische Landschaft ein, indem er sie in seine Werkausgabe bei Cotta 1806-1810 aufnahm. Auch wenn die Gattung durch die eingearbeitete Dichtkunst einen historisch dauerhaften Kernbestand aufweist, bedarf der Versuch einer nachträglichen Rekonstruktion der Aufführungspraxis geradezu eines archäologisch geschulten Vorstellungsvermögens: Was erhalten ist, sind [...] Widmungsgedichte, die der Jubilarin überreicht wurden, sind Sprechtexte, die oft gar nicht von den pantomimisch agierenden Darstellern, sondern von einem oder mehreren Ausdeutern (wie dem Herold in der Mummenschanz des >Faust IIMaskenzüge< in seinen Werkausgaben lesen, können wir uns von Charakter, Umfang und Sinn dieser Veranstaltungen also nicht einmal das dürftigste Bild machen. 2 ' 2
Der Verlust der verwendeten Kostüme, Dekorationen und Requisiten und das Fehlen weiterer offizieller Zeugnisse war möglicherweise zunächst auch seitens 245 250 251 252
Satori-Neumann, Goethe und die Einrichtung der Weimarischen Redouten, S. s^f. Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 142. Ebd. Ebd., S . 1 4 3 .
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des Herrscherhauses nicht ganz ungewollt. Vielfach nämlich »manifestierte sich die Furcht der fürstlichen Personen vor einer möglichen Kompromittierung in dem weitgehenden Verzicht auf die bildliche Dokumentation der höfischen Maskenbälle«. 2 " Erst im Jahr 1810 war die von Goethe betriebene ästhetische Nobilitierung der Maskerade so weit vorangediehen, daß das erbgroßherzogliche Paar sowie Prinzessin Caroline und ihr Verlobter, der Erbprinz von Mecklenburg-Schwerin, sich sogar kostümiert in Bertuchs Journal des Luxus und der Moden< abbilden ließen.254 Die fragmentarische Uberlieferungslage und die Tatsache, daß Goethe sich bei seinen Maskenzügen nicht unmittelbar auf bestehende Gattungskonventionen berufen konnte, erschweren den Versuch, sein Schaffen zwischen Tradition und Innovation zu verorten. Erkennbar bleibt wenigstens, wann Goethe auf die traditionelle Bildlichkeit der höfischen Gelegenheitsdichtung insgesamt zurückgreift, sie variiert oder durch eigene Metaphorik ersetzt. Darüber hinaus lassen sich, legt man die zeremoniell-repräsentativen und politischen Bedürfnisse des Hofes einerseits und Goethes Interessenlagen andererseits als Maßstab zugrunde, in den Texten Anteile von heteronomer bzw. autonomer Bestimmung ermitteln. Wenngleich die Verkleidungsdivertissements in Weimar und Stuttgart mehr oder weniger auf denselben historischen Voraussetzungen gründen, 2 " entfällt doch für die Maskenzüge die Vergleichsmöglichkeit. Die von Goethe ausgeformte Gattung wurde zwar von anderen Weimarer Dichtern nachgeahmt, fand aber keinen Eingang mehr in die Hofkultur außerhalb der sachsen-weimarischen Grenzen. 4.2.2 Höflingspoesie mit Ambitionen: Anfangsschwierigkeiten bei der Genese des Maskenzugs in den Jahren 1 7 8 1 - 1 7 8 4 Goethe begann seinen poetischen Vorstoß in der höfischen Maskerade in der Ballsaison des Jahres 1781. Der erste komplette Redoutenaufzug, der nachweislich von ihm angeordnet und poetisch ausgestattet wurde, fand am 2. Februar 1781 zur Nachfeier des Geburtstags der Herzogin Luise statt. 2 ' 6 Er stand 253
Schnitzer, Höfische Maskeraden, S. 276. Vgl. Anhang zum Journal des Luxus und der Moden 25 ( 1810), o. Paginierung. 2 " Vgl. zu den Stuttgarter Maskeraden Pfister, Hof und Hoffeste, S. 103; Werner Fleischbauer: Fasnacht und Maskerade am Stuttgarter Hof. In: Schwäbische Heimat 4(1953), S. 3-6; u. Berger, Die Feste des Herzogs Carl Eugen, S. 1 5 3 - 1 8 5 . 2,6 Schon am 23.2. 1776, also während Goethes ersten Winters in Weimar, hatte es eine Redoute gegeben, die einem Motto folgte. Goethes Anteil an der Umsetzung dieser pantomimischen Darstellung der Versuchungen des heiligen Antonius läßt sich allerdings nicht nachweisen (vgl. Diintzer, Goethes Maskenzüge, S. 2). Wegen des Fehlens der Poesie stellt diese Festveranstaltung allerdings ohnehin keinen Maskenzug im Sinne der Goetheschen Gattungsprägung dar. 254
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unter dem titelgebenden Leitthema: >Ein Zug Lappländer. Zum 30. Januar 178K (FA 1,5,437). Stolz kündigte Goethe einige Tage vorher seinem Herzog das bevorstehende Ereignis an, nicht ohne dabei auf die finanziellen Restriktionen hinzuweisen: Unsere Maskerade schleicht im Stillen, iedes scheut die Kosten. Die Stein hat sich ein Paar Kleider ausgewählt die sie will zerschneiden lassen. Wenn Sie selbst kommen, wird's schon gehn. Die Redoute nach der Herzoginn Geburtstag wird an Erscheinungen reich seyn, es werden Verse von allen Seiten gemacht, (an Carl August, 2 5 . 1 . 1 7 8 1 ; WA IV,5,39).
Während Goethe die oberste Regie führte, wirkten offenbar mehrere Beiträger bei der Herstellung der Textgrundlage mit. Von dem vielversprechend in Aussicht gestellten Fest hat sich jedoch außer Goethes Widmungsgedicht an Luise nichts erhalten. 2 ' 7 Die Herzogin erhielt diesen Text - wie es zur Gewohnheit werden sollte - als Einzeldruck auf einem Seidenband. Uber die weiteren U m stände der Aufführung läßt sich nur spekulieren. 2 ® 8 Mit Hilfe der nationalen Maskerade wird im Text das Konzept einer idealen Herrscherin vorgestellt. 259 Der Fürstenpreis baut sich in sechs vierversigen, kreuzgereimten Strophen auf. Die einziehenden Lappen stellen sich zuerst »in vereinten Chören« (V. 1) als Typengemeinschaft mit kollektiver Mitteilungsabsicht vor. 2 f o Gleich hier wird auch das originelle Herrschaftssymbol des G e dichts eingeführt, das Goethe bis zum Jahr 1818 immer wieder gebrauchte. Der Zug bedauert nämlich, daß er der Herzogin kein Nordlicht aus seiner Heimat hat mitbringen können: »Wir kommen in vereinten Chören, / Vom fernen Pol in kalter Nacht, / Und hätten gerne Dir zu Ehren / Den schönsten Nordschein mitgebracht.« (V. 1-4). Die beiden folgenden Strophen führen die besondere Leuchtkraft des Polarlichtes auf einen göttlichen Ursprung zurück: »Wir preisen jene Lufterscheinung, / Sie weiht die Nacht zu Freuden ein, / Und muß, nach unsrer aller Meinung, / Der Abglanz einer Gottheit sein.« (V. 5-8). Auf dieser bildlichen Argumentationsgrundlage kann die Apotheose der Herzogin erfolgen. Allerdings werden vorher noch zwei Strophen eingeschaltet: Die erste enthält eine konventionell untertänige Treueversicherung, die im reizvollen Kontrast zu dem eisigen Naturphänomen neue Spannung erhält. Stellvertretend für die Gesamtheit der Untertanen verkündet die Lappengrup257
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Düntzer weist außerdem auf einige nicht näher belegte Veranstaltungen hin: »Der Herzog führte auf der Redoute mit dem Regierungsrath Karl von Schardt, dem älteren Bruder der Frau von Stein, und den Kammerherren von Luck und von Staff einen maurischen Tanz auf. Auch ein Vögelballett erschien, bei dem man sich der im vorigen Sommer zur Aufführung der >Vögel< gemachten Masken bediente; an ihm beteiligten sich wohl auch Damen.« (Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 6).
' So z.B. ebd., S . j . " Vgl. dazu auch Dustmann, Wesen und Form des Goetheschen Festspiels, S. 96t. 260 Vgl. dazu auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 1 1 2 - 1 1 6 . 2
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pe: »Sieh weg vom glänzenden Getümmel, / Sieh auf, so brennet unser Herz!« (V. 15f.)· Die zweite vergleicht die flackernde Himmelserscheinung mit den guten Wünschen für die Adressatin: »So führen Wünsche, licht wie Flammen, / Für Dich den schönsten Himmelslauf, / Bald falten sie sich still zusammen / Und lodern jauchzend wieder auf.« (V. 17-20). Näher als mit dieser dezent eingekleideten Gratulation kommt der Text in seiner Gedankenführung dem Geburtstag nicht. Goethe unterschlägt - jedenfalls in dem überlieferten Textteil wieder einmal die traditionell zumindest im höfischen Genethliakon gebotene ausdrückliche Exposition und poetische Durchführung von Anlaß und Adressat. Immerhin macht er die Hierarchie geschickt sichtbar: Durch die doppelte Gleichsetzung mit dem Witterungsphänomen wird der Bestand des Herrschaftsverhältnisses naturalisiert. Mit der lappländischen Einkleidung dieser Legitimation setzte Goethe beim derzeitigen Geistesleben in seiner unmittelbaren Umgebung an. Sie gründete auf aktuellen Diskursen am H o f , die vermutlich schon durch Herders 1772 erschienene >Abhandlung über den Übersprung der Sprache< angeregt wurden. Nach Düntzer kursierten noch weitere einschlägige Quellen: In den gebildeten Kreisen Weimars beschäftigte man sich damals eifrig mit Lamberts >Kosmologischen Briefen über die Einrichtung des Weltalls< und mit Reisebeschreibungen des Nordens [...]. Von den Lappen handelte am genauesten Georgi in der 1776 erschienenen Beschreibung der Nationen des Russischen ReichsErlaubt ist, was sich ziemt!Aufzug des Winters< (FA 1,5,438-440) zur vollen künstlerischen Ausreifung zu bringen - freilich kein prinzipieller Mangel bei einer Gelegenheitsarbeit. Vier Tage vor der Aufführung verkündete Goethe: »Heute früh habe ich den ganzen Plan unsrer Maskerade zurecht schreiben lassen und alle Departements ausgetheilt. Es wird noch gehen ob es gleich ein ungeheuer Gewirre ist.« (an Charlotte v. Stein, 12.2. 1781; WA IV,5,jif.). In letzter Minute mußte schließlich das Konzept noch einmal umgestellt werden, da die Akteure am von Philipp Christoph Kayser bereits fertig ausgesetzten Preislied, ausgerechnet also am Höhepunkt des Arrangements, aufgrund mangelnder musikalischer Erfahrung gescheitert waren. Einen Tag vor der Aufführung schickte Goethe den geänderten Ablaufplan an Charlotte. U m die ausgedachten Effekte für die Festlichkeit zu bewahren, bat er im Begleitzil
Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 81.
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brief um sorgfältige Geheimhaltung: »Hier meine Liebe sind die Verse zu unserm Aufzug lassen Sie sie Steinen sehen sonst niemand. Der Lobgesang fällt weg, die Musick ist fertig, die Sänger habens nicht können lernen. Der Bogen ist deswegen umgedruckt.« (an Charlotte v. Stein, 15.2. 1781; WA IV,j,53). Im Text, der sich nicht an einen einzelnen Adressaten, sondern an den Hof als ganzes richtete, gestaltete Goethe ein übergreifendes Thema mit bilderbogenartigen Entfaltungsmöglichkeiten statt einer einheitlichen Preismetaphorik. Von diesem Kompositionsprinzip, das Karin Seiffert treffend diephilostratische Konstellation nennt/63 werden Goethes Maskenzüge besonders nach der Italienreise zunehmend geprägt. Im Aufzug defilierten vor den Herrschern die während der Winterzeit am Weimarer Hof gepflegten Lustbarkeiten, verkörpert durch allegorische Figuren.264 Einige farbige Impressionen des Festgeschehens erhalten sich in den Aufzeichnungen Carl Wilhelm Heinrich von Lynckers. Der Page hatte als Darsteller mitgewirkt: Eine der vorzüglichsten Maskeraden war der sogenannte >WinteraufzugAufzug des Winters< zu bieten. Goethe läßt eine Reihe von personifizierten Winter-Themen Revue passieren, die sich in vier- bis achtversigen Strophen zumeist selbst erklären.266 Die 263
264 265 166
Vgl. Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 77ff. u. S. 1 1 1 (Seiffert bezieht sich auf Goethes folgende These aus dem Aufsatz >Philostrats Gemäldec »Das Haupterforderniß einer großen Composition war schon von den Alten anerkannt, daß nämlich viele bedeutende Charaktere sich um Einen Mittelpunkt vereinigen müssen, der, wirksam genug, sie anrege, bey einem gemeinsamen Interesse, ihre Eigenheiten auszusprechen.« ( F A 1,20,305). Vgl. auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 1 1 6 - 1 2 6 . Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S.75. Möglicherweise steht im Zusammenhang mit diesem Aufzug eine aquarellierte Zeich185
Auftrittsfolge teilt sich in drei große Abschnitte: Zuerst treten gleichsam natürliche Attribute des Winters, nämlich Der Schlaf, Die Nacht, Die Träume und schließlich Der Winter selbst auf. Die Texte dieser ersten Figuren haben einen nachdenklichen, fast sentenzartigen Grundton, wie z.B. in der Rede der Nacht greifbar wird: »Der Menschen Freund und Feind, / Dem Traurigen betrübt, / Dem Frohen Froh, / Gefürchtet und geliebt.« (V. 7-10). Am Schluß bildet Der Winter die erste Gelenkstelle des Textes, die zu den kulturellen Attributen der Jahreszeit und damit zum geselligen Leben am Hof überleitet. So lautet seine Strophe: »Euch so zusammen hier zu finden / Ist mir die größte Lust. / Ich nur, ich weiß Euch zu verbinden, / Des bin ich mir bewußt. / Vor meinen Stürmen fliehet ihr / Und suchet Euresgleichen; / Und darin muß der Sommer mir / Mit seiner Schönheit weichen.« (V. 15-22). Goethe bricht damit nicht nur eine Lanze für die Vorzüge der dunklen Jahreszeit, sondern formuliert vor allem in geradezu programmatischer Weise das Ideal der Gemeinschaftsstiftung, das allen seinen folgenden Maskenzügen zugrunde liegt. Mit der thematischen Rückbindung des Aufzugs an den Aufführungskontext macht er sich den kairós der höfischen Maskerade für gesellige Humanisierungszwecke zunutze.267 Auch sonst forciert Goethe, wie Emanuel Peter nachweist, den »Gestaltwandel durch Geselligkeit«268 besonders dort, wo das Verhältnis von Gesellschaft und Herrschaft berührt wird. Diese Tendenz entwickelte sich, so Christoph Siegrist, zum durchgängigen Gattungsmerkmal des Maskenzuges: Jeder Text wird intensiv auf das jeweilige Publikum bezogen, da Goethes Wirkabsicht darauf zielte, diesem durch seine eigene Beteiligung ein A b - und Vorbild harmonischer Gesellschaft vorzuführen. Dies konnte nur in der Asthetisierung des aus dem Alltag herausgehobenen festlichen Augenblicks gelingen. 26 '
Im Mittelteil des Aufzugs wiederholt sich der strukturelle Aufbau vom Anfang. Nun erscheinen die Annehmlichkeiten des Winters, und zwar Das Spiel, Der Wein, Die Liebe, Die Tragödie, Die Komödie und, wieder als Höhepunkt der Sequenz, nun auch Das Carneval selbst. In den Strophen des Weins und der Komödie wechselt das ansonsten rein jambische Versmaß über zu vierhebigen, d.h. anakreontischen Trochäen, die den heiteren Sinn des Vorgebrachten formal unterstreichen. Die Strophe des Spiels verdeutlicht, daß Goethe zunächst nicht von einem allgemeinen literarischen Interesse an den Maskenzügen ausging, weil sie sich nung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, die winterlich aufgemachte Theaterfigurinen auf Schlitten darstellt. Das vormals Goethe zugeschriebene Bilddokument stammt möglicherweise von Coudray (vgl. Gerhard Femmel [Bearb.]: Corpus der Goethezeichnungen. 7 Bde. in 10 Tin. Leipzig 1958-1973. Bd.6b, Nr. A 322). 267 268 269
Vgl. zur Geselligkeitskultur am Weimarer Hof Kap. 3.1. Peter, Geselligkeiten, S. 301. Siegrist, Dramatische Gelegenheitsdichtungen, S. 226.
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unmittelbar auf die anwesende Festgesellschaft bezieht. Das Spiel sagt, für Außenstehende unverständlich: »Bei Vielen gar gut angeschrieben, / Find' ich hier manch bekannt Gesicht; / Doch Einen, dem ich immer treu geblieben, / Den find' ich nicht.« (V. 23-26). Die Spielleidenschaft war an den Höfen ein verbreitetes Laster, so weit kann man folgen. Wer hingegen der abwesende >Eine< ist, wird für die Redoutengäste außer Zweifel gestanden haben, bietet jedoch Dritten nur Raum für Mutmaßungen. Womöglich galt der Wink dem notorischen Spieler Carl August, den Goethe gerade in dieser Zeit verstärkt wegen seiner Verschwendungssucht maßregelte: Zwar schränkte der Herzog 1781 seine Ausgaben insgesamt ein, aber die verbrauchten Spielgelder stiegen weiter.27" Rein aufführungstechnisch ist dies insofern denkbar, als der Herzog, der selbst bei dem Zug mitwirkte, erst im dritten Teil die Szene betrat und sich somit noch außerhalb des Gesichtskreises von Spiel und Publikum befand. 271 Goethe ließ somit auch diese Gelegenheit nicht verstreichen, ohne seine bereits aus der Lyrik bekannte Hofkritik zwar in Scherzton und Maskerade, aber doch unmißverständlich vorzubringen. Noch mit einer weiteren Passage verschaffte sich Goethe in eigener Sache Gehör: Er führte erinnernd das Theater vor, das in Weimar unter seiner Einwirkung neu auflebte. Auf diese Weise vereinnahmte er den Maskenzug, um neben dem Herrschaftsanspruch des Musenhofs auch die Dichtkunst zu repräsentieren. Der ernsten Vertreterin seines eigenen Metiers, der Tragödie, legte er wiederum programmatische Worte in den Mund. Dieses Mal ohne eigene Neuerungen, ließ er sie Grundprinzipien der Tragödie hersagen: »Mit nachgeahmten hohen Schmerzen / Durchbohr' ich spielend jede Brust, / Und euren tiefbewegten Herzen / Sind Tränen Freude, Schmerzen Lust.« (V. 35-38). Versweise wurden so nacheinander Mimesis und Ständeklausel, das Erregen von Furcht und Mitleid, die Betätigung der Affekte und endlich ihre Reinigung abgehandelt. Hinterher hält die Komödie ein kurzes Plädoyer für das Lachen (vgl. V. 3942). Der, bzw. bei Goethe das Carneval bildet die Brücke zum dritten Teil des Aufzugs. Er teilt mit, was zu seinem Gelingen vonnöten sei: »Mich ergetzen viele Lichter / Mehr noch fröhliche Gesichter; / Mich ergetzen Tanz und Scherz, / Mehr noch ein vergnügtes Herz; / Pracht und buntes Leben sehr, / Aber eure Gunst noch mehr.« (V. 43-48). Die Erscheinungen von Außen- und Innenwelt werden hier in wertender Staffelung kontrastiert. Das im letzten Gegensatzpaar erbetene Wohlwollen der Herrschenden erhält dadurch eine be-
270 271
Vgl. dazu hier Kap. 3.2. Vgl. zur Besetzung des Aufzugs Carl August Hugo Burkhardt: Kritische Bemerkungen zu Goethe's Biographieen. Das herzogliche Liebhaber-Theater. 1 7 7 5 - 1 7 8 4 , S. l j i . In: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst 27 (1873), S. 1-24.
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sondere Preziosität, die eben nicht qua Gottesgnadentum gegeben, sondern in Kategorien bürgerlicher Geisteskultur verdient ist. So richtet sich auch die Hervorhebung der aufrichtigen Gefühle einigermaßen deutlich gegen die höfische Habitusform der Verstellung. Der gesamte Fürstenpreis des Maskenzuges findet allein in dieser durch den Hinweis auf Authentizität freilich erhöhten Ehrbezeigung statt. Mit überleitender Funktion treten nun, inhaltlich scheinbar etwas unmotiviert, die Vier Temperamente nach der antiken Säftelehre als stumme Gruppe auf. Die erklärenden Verse dazu bekräftigen jedoch noch einmal eindringlich Goethes gesellschaftliche Harmonisierungsbestrebungen in der Maskerade. Sie stehen stellvertretend für die unterschiedlichen Charaktere, die das Fest zusammengeführt hat. Ein Führer erklärt dazu: »Die vier Kleinen die ich führe / Sind gar wunderliche Tiere, Sind auch nach der Menschen Art / Widerwärtiglich gepaart, / Und mit Weinen oder Lachen / Müssen sie Gesellschaft machen.« (V. 49-54)· Zu Beginn des Schlußteils dann vertreibt der einziehende Chor der Masken zur plastischen Veranschaulichung von Goethes Absicht exemplarisch das gesellschaftsfeindliche Temperament der Melancholie. Ein spanisches Paar aus dem Chor erläutert: »Vor dem bunten Schwarme flieht / Die Melancholei. / Auch aus fremden Ländern zieht / Uns die Lust herbei.« (V. 55-58). Es folgen zwei aus der Commedia dell' arte entliehene Dienerpaare, Scapin und Scapine sowie Pierrot und Pierrotte, die sich schlicht in ihrer Typenhaftigkeit vorstellen, dazu schließlich ein Paar in Tabarros, das offenbar nur eine Statistenrolle einnimmt: »Wir zwei Tabarros wollen gar / Uns auch hierzu gesellen, / Um noch zuletzt mit Einem Paar / Die Menge vorzustellen.« (V. 67-70). Das letzte Wort erhält das Studium, das gleichsam ein nachgestelltes Exordium in Goethes Namen spricht. Von den üblichen Bescheidenheitstopoi findet sich hier allerdings keine Spur: »Mein Fleiß ist immer etwas nütz, / Auch hier ist er's geblieben: Ich hab' euch allen unsern Witz / Verständlich aufgeschrieben.« (V. 7 1 74)· Nachdem dieser zweite Maskenzug erfolgreich aufgeführt worden war - sogar so erfolgreich, daß er am 2.3.1781 und am 8.2. 1782 wiederholt wurde (vgl. Tgb 8.2. 1782; WA 111,1,138) - , machte Goethe seinem seit Anfang Februar zurückgehaltenen Unmut doch noch Luft. An Lavater schrieb er: Die letzten Tage der vorigen Woche hab ich im Dienste der Eitelkeit zugebracht. Man übertäubt mit Maskeraden und glänzenden Erfindungen offt eigene und fremde Noth. Ich tracktire die Sachen als Künstler und so geht's noch. Reime bey dieser Gelegenheit gemacht schickt dir vielleicht Kayser. Wie du die Feste der Gottseeligkeit ausschmückst so schmück ich die Aufzüge der Thorheit. Es ist billich daß beyde Damen ihre Hofpoeten haben, (an Lavater, 19.2. 1781; WA IV,j,56).
Goethe stand der neuen Tätigkeit demnach weiterhin zwiespältig gegenüber. Er war sich seiner Gattungsprägung, geschweige denn ihrer Potentiale, nach ih188
rer ersten Saison nicht bewußt. Obwohl er sich nur widerstrebend in das Gebot der Billigkeit fügte, erachtete er seine Pflichtverse immer noch für bedeutend genug, um sie wenigstens dem Freund mitzuteilen. Ob nun aus Pflichtbewußtsein und Anpassungsdruck oder vielleicht sogar aus stillschweigendem Vergnügen an der dichterischen Aufgabe, organisierte Goethe in der Karnevalszeit des folgenden Jahres gleich drei Maskenzüge. 272 Für zwei davon besorgte er die poetische Ausstattung, für den dritten, den er »des Herzogs Aufzug« (an Charlotte v. Stein, 18. i. 1782; WA 1X5,250) nannte, nur die Anordnung. Des >Herzogs Aufzug< mit dem durch Lyncker überlieferten mutmaßlichen Titel >Die Entführung< meint ein Mantel-und-Degen-Stück, das auf einen Plan Carl Augusts zurückging. Er wurde »nach Göthes Angabe« 273 vom 1 4 . 1 . 1782 bis zur Aufführung am 1 8 . 1 . 1782 (vgl. Tgb 1 4 . - 1 8 . 1 . 1782; WA III, 1,136) täglich geprobt. Texte dazu sind nicht überliefert, haben aber vermutlich auch nicht existiert. Der Bericht Lynckers macht es wahrscheinlich, daß dieser A u f zug rein pantomimisch bzw. tänzerisch realisiert wurde, so daß es sich im engeren Sinne nicht um einen Maskenzug handelt.274 A m Weimarer Hof bestand gerade in dieser Zeit ein erhöhter Bedarf nach repräsentativer Selbstdarstellung, da Herzog Friedrich und Prinz August von Sachsen-Gotha sich zu politischen Verhandlungen in Weimar aufhielten. 275 Uber den Inhalt der mit verschiedenen Divertissements betriebenen politischen Händel und über seine Rolle darin machte Goethe in einem Brief an Charlotte von Stein einige gallige Andeutungen: Wenn diese Hast und Hatze vorbey ist und wir wären um eine Provinz reicher so wollt ich's loben, da es aber nur auf ein Paar zerbrochene Rippen, verschlagne Pferde und einen leeren Beutel angesehen ist, so hab ich nichts damit zu schaffen. Ausser daß ich von dem Aufwand nebenher etwas in meine politisch moralisch dramatische Tasche stecke, (an Charlotte v. Stein, 1 3 . 1 2 . 1781; W A IV,5,¿39f.).
Im Laufe der großangelegten Vorbereitungen stützte er sich jedoch nun auf die Möglichkeit, seine pflichtmäßig ausgeführten Maskeraden für erzieherische Zwecke zu nutzen. Erstmals ausdrücklich schrieb er, weiterhin klagend: »Die viele Zerstreuung und das Vertrödeln der Zeit ist mir unangenehm, und doch seh ich daß es höchst nothwendig ist, mich mit diesen Sachen abzugeben, und daß man Gelegenheit gewinnt das Gute zu thun indem man zu scherzen scheint.« (an Charlotte v. Stein, 1 4 . 1 . 1782; WA 1X5,251). 272
Ein vierter Text, >Pantomimisches Ballet untermischt mit Gesang und Gespräch< (FA 1,5,441-450), der in allen Goethe-Ausgaben als Maskenzug geführt wird, gehört als Bühnenstück mit Akteinteilung und dialogischer Handlung formal nicht zu dieser Gattung und wird daher hier in Kap. 4.4 untersucht. 273 Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S. 75. 27 < Vgl. ebd., S.76. 275 Vgl. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 88.
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N u r zwei Wochen später ergaben sich erneut Notwendigkeit und Gelegenheit, die >unangenehme Zerstreuung< in den Dienst des >Guten< zu stellen: Im Beisein des Herzogs von Sachsen-Gotha und des Prinzen August wurde am i. Februar ein Maskenzug zu Luises Geburtstag abgehalten. Vom Text ist allein das in trochäischen Zweihebern abgefaßte Preisgedicht >Die weiblichen Tugenden. 30. Januar 1782« (FA 1,5,451) überliefert. 276 Uber den Ablauf des Zugs gibt ein Kurzbericht Auskunft, den Goethe hinterher mit einer Abschrift des Gedichts an Karl Ludwig von Knebel schickte: »Auf der letzten Redoute erschien ein Aufzug der weiblichen Tugenden, die in einem Reihen, nachdem iede es zu thun abgelehnt hatte, durch die Bescheidenheit der Herzoginn Kränze überreichen liesen, die mit dem auch beyliegenden Band geflochten waren.« (an v. Knebel, 3.2. 1782; WA IV,5,256). Die Zahl der dargebotenen Tugenden erklärt sich weder aus den vier Kardinaltugenden noch aus den psychomachischen Entsprechungen zu den sieben Todsünden. Mit der dargebotenen Neunergruppe ästhetisierte Goethe möglicherweise das Selbstbild des Hofes, indem er mit seinem Aufzug eine formale Analogie zwischen den Tugenden und den Musen herstellt. Beim intellektuellen Publikum sorgte dieses Zahlenspiel jedenfalls für Belustigung, wie Luise von Göchhausen brieflich dokumentierte: »Wieland ließ sich bey dieser Gelegenheit verlauten, daß noch eine weibliche Tugend mangele, nämlich die Schwerenoth, welches eigentlich die ächt häusliche sey.« 277 Das Gedicht bildet, soweit man es aus Goethes Schilderung entnehmen kann, das Aufzugsgeschehen noch einmal ab. Zunächst formieren sich darin die Tugenden, indem sie aus der Allgemeinheit als Zug heraustreten: »Wir die Deinen / Wir vereinen, / In der Mitte / Vom Gedränge, / Vor der Menge / Leise Schritte« (V. 1-6). Die Zurückhaltung der Tugenden, als es darum geht, das Gedicht zu überreichen, stimmt mit dem bekannten Naturell der Herzogin überein, wie die Verse zu verstehen geben: »Wir umgeben / Stets dein Leben, / Und dein Wille / Heißt uns stille / Wirkend schweigen.« (V. 7 - 1 1 ) . Nach der gegenseitigen Bescheidenheitsversicherung rechtfertigen sie ihren dennoch unternommenen Auftritt, indem sie die Ehrerbietung vor dem Anlaß höher stellen als die vor der Anspruchslosigkeit der Adressatin. Dadurch, daß sie dabei ihre räumliche Absetzung von der anwesenden Festgesellschaft fast wörtlich wieder aufnehmen, liefern sie noch einmal performative Hinweise: »Ach verzeihe! / Daß zur Weihe / Dieser Feier / Wir uns freier / Heute zeigen, / Im Gedränge / Vor der Menge / Dir begegnen / Und Dich segnen.« (V. 12-20). Damit holt der Text am Ende die in der Aufführung bereits
276 277
Vgl. dazu auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. i i y { . Luise v. Göchhausen an Merck, n . z . 1782, S. 30. In: Göchhausen, Briefe einer Hofdame, S. 2 8 - 3 1 .
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vollzogene Darbietung des Glückwunsches ein: Während die Bescheidenheit ihn überreicht, spricht der Text ihn aus. Die casualdeiktischen Signale setzt Goethe dezent, aber deutlich. Der Anlaß wird im Titel und mit »zur Weihe / Dieser Feier« (V. 13f.) angesprochen. Im übrigen verfolgt das Gedicht ein stringentes Huldigungsprogramm: Gleich zu Anfang wird mit »Wir die Deinen« (V. i) die Untertänigkeit bekundet. Anschließend wird die Tugendhaftigkeit der Herzogin gepriesen: »Wir umgeben / Stets Dein Leben« (V. γ{.). Danach wird die Hierarchie weiter verdeutlicht, indem die Befehlsgewalt der Herzogin zur Sprache kommt: »Und dein Wille / Heißt uns stille / Wirkend schweigen.« (V.9ff.). Am Ende steht dann mit »Dir begegnen / Und Dich segnen« (V. i9f.) der eigentliche Glückwunsch. Allerdings bilden Anlaß, Adressat und Fürstenpreis nur das funktionale Beiwerk des Textes. Vorrangig arbeitet er sich an der als Haupttugend herausgestellten Bescheidenheit ab sowie an der mimetischen Bezugnahme auf das Aufzugsgeschehen. Mit dieser inhaltlichen Akzentuierung gehen die Verse über die traditionellen casualpoetischen Gußformen hinaus, ohne gegen das decorum zu verstoßen. Bei allem Erfolg erwies sich die Höflingspoesie für Goethe als unbefriedigend. Im Anschluß an die Aufführung der >Weiblichen Tugenden< schrieb er an Knebel, daß er sich seinen Dekorateurspflichten allein aus Einsicht in die Notwendigkeit zunehmend füge: Innwendig siehts viel anders aus, welches niemand anders als w i r andern Leib und H o f m e d i z i wissen können. D o c h ist meine Tenazität unüberwindlich, und da es mir gelingt mich täglich mehr einzurichten und zu schicken; so w e r d ich auch täglich zufriedner in mir selbst, (an v. Knebel, 3 . 2 . 1782; W A IV,5,257).
Hier wird deutlich, daß Goethe, der noch nicht in den Adelsstand erhoben war, in der Weimarer Hofgesellschaft unter erheblichem Anpassungsdruck stand. Das Gefühl der halb freiwilligen Selbstentfremdung führte dazu, daß er sich gegenüber Charlotte defätistisch als herzoglicher Hofnarr bezeichnete: »Hier folgt [...] die Versicherung daß ich, wenn meine Narren Rolle heute Abend gespielt seyn wird, ich mit Sehnsucht zu den Wohnungen der Weisheit und Güte zurückkehren werde.« (an Charlotte v. Stein, 6.2. 1782; WA 1X5,258). Allerdings stand unmittelbar danach noch ein weiterer Maskenzug aus, über dessen Arrangement er sich bereits am 2. Februar mit der Herzoginmutter verständigt hatte (vgl. Tgb, 2.2. 1782; WA 111,1,138). Verursacht wurde der anhaltende Bedarf nach Maskenzügen nach wie vor durch politische Hintergründe: Während der Herzog von Sachsen-Gotha am 7. Februar abreiste, blieb der Prinz bis zum Ende der Ballsaison in Weimar (vgl. Tgb 7 . 2 . 1 7 8 2 ; WA 1 1 1 , 1 , 1 3 8 u. 1 6 . 2 . 1 7 8 2 ; WA 111,1,139). Goethe spielte seine Rollein der sachsen-weimarischen Selbstinszenierung folgsam: »Ich habe die Touren zu dem Aufzug der Herzoginnen componirt, er soll hoff ich artig werden und auch zu einem künf191
tigen Ballet die Grundlage geben.« (an Charlotte v. Stein, 7.2. 1782; WA IV,5,259)· Diese Mitteilung bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den mit Anna Amalia für den 12.2. 1782 geplanten >Aufzug der vier Weltalter< (FA 1,5,452).278 Er wurde unter Mitwirkung Luises und der Herzoginmutter selbst aufgeführt, wie die Erinnerungen Lynckers bezeugen: »In einem andern Aufzug wurden die verschiedenen Zeitalter dargestellt, die Herzogin Louise als goldenes, die Herzogin Amalia als silbernes; dem goldenen Zeitalter war ich als >Unschuld< zugetheilt.«279 Außer den Rollenstrophen der Zeitalter und der Zeit haben sich auch die von Goethe erwähnten >TourenSzenenentwurf zum Aufzug der vier Weltalter< (FA 1,5,1227-1229), erhalten. Dieses Paralipomenon beschreibt zuerst das Goldne Alter,280 gekleidet »in Weiß und Gold, simpel im griechischen Geschmack. Sonne auf dem Haupte p.« (FA I,5,i227) 28 ' Das Gefolge bilden zwei »Knaben in weißen Kleidern mit goldnen Säumen und Gürteln, einer mit roten, der andere mit weißen Rosen bekränzt« (ebd.). Sie stellen, so heißt es dann im Nebentext des Aufzugs, Freude und Unschuld dar (vgl. FA 1,5,452). Die zugehörigen Verse lauten: »Sanft wie ein Morgentraum schreit' ich hervor, / Mich kennt der Mensch nicht eh' er mich verlor. / Der Jugend Schöne und der Blüten Zeit / Des Herzens Erstlinge sind mir geweiht.« (V. 1-4). Im Mittelpunkt der nächsten Gruppe steht das Silberne Zeitalter, das »Blau mit Silber, mannichfaltigere Tracht, zum Hauptschmuck einen silbernen Mond« (FA 1,5,1227) trägt. Ihr folgen die »FRUCHTBARKEIT, grün und gelb, mit einem Füllhorn« und wieder zwei Knaben, »einer wie ein kleiner Bacchus, der andere wie ein Apoll gekleidet« (ebd.). Sie sollen, so heißt es wiederum in der Regieanweisung, die »Gaben des Geistes und der geselligen Fröhlichkeit« (FA 1,5,452) verkörpern, die das kulturelle Fundament des Musenhofes bilden. Mit dem Zusatz der Fruchtbarkeit zu den musischen Attributen der Herzogin Luise spielt Goethe auf das drängende dynastische Problem des Herzogshauses an, daß nach sechseinhalb Ehejahren noch immer kein Thronfolger ge-
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Düntzer hingegen nimmt ohne ersichtliche Gründe an, daß ein eigener Aufzug der Herzoginnen am 7.2. 1782 stattgefunden habe (vgl. Düntzer, Goethes Maskenzüge, S.i9f.). Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S. 1 5 1 . Anders als der Augenzeuge behauptet Düntzer hingegen, die »beiden ersten Weltalter wurden von zwei Damen dargestellt, der Hofdame von Wöllwarth und der Majorin von Fritsch« (Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 20). Vgl. zur Figurenkonstellation und ihrer Symbolik auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 1 2 8 - 1 3 7 . Mit >p.< für >perge< kürzte Goethe häufig seine Ausführungen ab, allerdings zumeist in Tagebuchaufzeichnungen.
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boren war. Indem er dieses Politikum thematisiert, überführt Goethe wieder derzeitige, jedoch von den engeren Umständen des Anlasses unabhängige Tagesfragen ins repräsentative Kunstwerk. Das Silberne Zeitalter versucht, das verlorene Goldene zu überbieten: »Was tief verborgen ruht, ruf ich hervor; / Ich gebe zwiefach was der Mensch verlor. / Durch Kunst gepflegt wird nur in meinem Schoß / Das Schöne prächtig und das Gute groß.« (V. 5-8). Die Konkurrenz, die hierduch zwischen den Herzoginnen aufkommen könnte, wird überbrückt durch das Auftreten ungleich mangelhafterer Gruppen, die beide Repräsentantinnen des Musenhofes in glanzvollem Licht erscheinen lassen. Als erstes zeigt sich das Eherne Alter mit der Sorge, dem Stolz und dem Geiz laut Regieanweisung (vgl. FA 1,5,45a) bzw. mit dem Ehrgeiz statt der Sorge laut >Szenenentwurf< (vgl. FA 1,5,1228). Nicht mehr die >KunstGute< und das >Schöne< werden gepriesen, sondern das »Große nur«, das »Treffliche« sowie »Ehr' und Reichtum« (V. ioff.). Der Epochenwettstreit wird fortgesetzt: »An Herrlichkeit bin ich den Göttern gleich« (V. 9). Während das Eherne Zeitalter noch im Gewand eines Königs auftritt, erscheint das Eiserne Zeitalter auch äußerlich als Barbar. »Kriegerische Tracht. Begleitet von der GEWALTTÄTIGKEIT, mit Tigerfellen, eine Fackel, mit Schlangen umwunden und Ketten.« (FA 1,5,1228). Die zugehörige Strophe lautet passend dazu: »Gewalt und Macht sind mir allein verliehn; / Ich schreite über Hoch und Niedrig hin! / Unschuld und Fröhlichkeit wird mir zum Raub, / Reichtum und Gaben tret' ich in den Staub.« (V. i 3 f.). Die beiden letzten Verse des Eisernen Zeitalters korrespondieren metrisch mit den beiden ersten Versen des Goldenen Zeitalters. Während der übrige Text mit vereinzelten Tonbeugungen vergleichsweise eindeutig in jambischen Fünfhebern steht, liegt in diesen beiden Verspaaren dem Wortakzent nach eher ein daktylisches, dann vierhebiges Versmaß vor. Diese abweichende Formgebung spannt die vorgestellte Verfallslinie kompositorisch zu einer Kreisfigur zusammen. Nach dem Aufzug, dessen Formation von der Zeit angeführt wird (vgl. FA 1,5,1228), folgt ein Ballett, das von den Begleitern der Zeitalter ausgeführt wird. »Die Knaben des goldnen Zeitalters fangen mit einem leichten, angenehmen, sanften Tanz an. Die des silbernen gesellen sich dazu, machen Freundschaft und verleiten sie nach und nach zur ausgelassenen Lustbarkeit.« (FA 1,5,1228). Als sich der Geiz und der Ehrgeiz einreihen, schlägt das Ballett zum Tanz ums Goldene Kalb um: »Die vier ersten ergeben sich, es werden ihnen goldene Ketten umgehängt, sie tanzen zu fünfen, den Ehrgeiz verehrend, nachher den Geiz liebkosend.« (ebd.). Die Knaben des Eisernen Zeitalters kommen hinzu: »Mit Furie zerstreuen sie die andern und überwältigen sie. Alle werden ihrer Attribute beraubt.« (FA I,5,i228f.). Das entstandene Chaos wird von der Zeit geordnet: »Die Zeit tritt auf, schlichtet den Streit, besänftigt die Wütenden, gibt 193
jedem das Seinige wieder und heißt sie einen gemeinsamen Tanz aufführen. Dies tun sie; indessen geht sie herum, die Hauptpaare aufzurufen, diese tanzen zuletzt eine Quadrille.« (FA 1,5,1229). Der metrisch und performativ schon vorgebildete Zusammenschluß der widerstreitenden Zeitalter wird von der als letztes sprechenden Zeit geradezu sub specie aeternitatis auch inhaltlich vollzogen: »Ich führ' euch an. Mir leise nachzugehn / Kann auch das Mächtigste nicht widerstehn. / Der Strom der Wut versiegt in seinem Lauf / Und Freud' und Unschuld führ ich wieder auf.« (V. 1 7 20). Spätestens nach dieser Auflösung wird deutlich, daß der Aufzug der vier Weltalter wiederum vollauf im Zeichen von Goethes übergreifendem Harmonisierungsprojekt steht, das er im Kontext der höfischen Maskerade betrieb. Der Rückgriff auf allegorische Figuren, der sich in den Maskenzügen immer wieder findet, stellt zu diesem frühen Zeitpunkt keinen auffälligen Befund dar. Goethes hierarchische Begriffsdichotomie von Allegorie und Symbol bildete sich erst kurz vor der Jahrhundertwende heraus. Die Schlußformel »Der Strom der Wut versiegt in seinem Lauf / Und Freud und Unschuld führ' ich wieder auf.« (V. i9f.) läßt jedoch noch eine zweite Lesart zu, der auf Goethes persönliche Situation gemünzt ist. Wie eine Paraphrase dieser Worte erscheint das Bekenntnis, das er vor Aufführung des Zugs am Faschingsdienstag, also am definitiv letzten Feiertag des Karnevals an Charlotte sendet: »Noch nie habe ich den Schluss des Carnevals so sehnlich gewünscht als diesmal. Von Morgen an zähl ich eine neue Epoche. Und muß und werde ein neues Leben anfangen.« (an Charlotte v. Stein, 12.2. 1782; WA IV,5,26o). Der höfische Karneval fungierte in diesem Zusammenhang für Goethe geradezu als Metapher für seine Schaffenskrise durch die allzu starke und unergiebige Involvierung in die Weimarer Staatsgeschäfte, die ihn wenige Jahre später zur Flucht nach Italien trieb. Sowohl mit der Herstellung von geselliger Eintracht als mit der Klage des in den Karnevalsgeschäften verschlissenen Hofpoeten zeigen sich unverkennbar Goethesche Eigenanteile in der höfischen Gelegenheitsdichtung. Überdies fällt auf, daß Goethe hier erstmals gänzlich auf den Fürstenpreis verzichtet, der trotz der Mitwirkung der Herzoginnen im Zug kompositorisch hätte realisiert werden können. Der soziale Status des Hofes steigt lediglich dadurch, daß seine kulturellen Leistungen, nämlich die Musensinnigkeit, allegorisch ausgezeichnet wird. Trotz der äußerlichen repräsentativen Zweckbestimmung nimmt er so bei diesem Zug das Zepter in die Hand und bestimmt die inhaltliche Stoßrichtung vergleichsweise unabhängig von höfisch-pragmatischen Vorgaben. Der Hof profitierte gleichermaßen von der richtungweisenden Maskenzugserie des Jahres 1782. Nicht nur die eigene Hofgesellschaft, sondern auch fürstliche Gäste wohnten der glanzvollen repräsentativen Selbstbespiegelung im Medium der Kunst bei. Die Machtposition des Musenhofes festigte sich daher sowohl nach innen als auch nach außen. 194
U m den Statusgewinn im K r e i s der Zweitadressaten haltbar u n d überlieferungsgängig zu machen, wollte C a r l A u g u s t die s y m b o l p o l i t i s c h e n Erträge in Schrift u n d B i l d fixieren lassen. A u s G o e t h e s R e a k t i o n läßt sich ersehen, daß er in seinem poetischen Karnevalsdienst nach w i e v o r keine auch f ü r ihn prestigeträchtige, weil literarisierbare G a t t u n g vermutete: » B e y hellem Tage mit nüchternem M u t h e muß man so w a s nicht betrachten. [...] Ich w ü n s c h t e sogar daß Sie verböten etwas d a v o n in's Wochenblatt zu setzen.« (an C a r l A u g u s t , E n d e Februar 1782; W A IV,5,271). In der Ballsaison des J a h r e s 1 7 8 3 w u r d e am 2. F e b r u a r der T h r o n f o l g e r C a r l Friedrich geboren, so daß die H e r z o g i n am 30. J a n u a r praktisch nicht in der L a ge war, auf einer G e b u r t s t a g s r e d o u t e die H o n n e u r s zu machen. In diesem W i n ter blieb der H o f den w e n i g e n überhaupt veranstalteten R e d o u t e n gänzlich fern. V o m B a l k o n des Residenzhauses begrüßte er lediglich am 1 3 . M ä r z eine M a s k e n k a v a l k a d e , die G o e t h e möglicherweise mitorganisiert hatte. 2 8 2 E i n e n D i c h t u n g s a u f t r a g erfüllte er allerdings in diesem J a h r nicht. 2 8 ' A u c h im f o l g e n d e n J a h r legte er nur einen einzigen M a s k e n z u g vor, den letzten v o r seinem A u f b r u c h nach Italien. M i t d e m E n g a g e m e n t der B e l l o m o s c h e n T r u p p e erhielt der H o f ein stehendes Theater als zusätzliche V e r g n ü g u n g s m ö g lichkeit, so daß G o e t h e in seinen ambivalenten Obliegenheiten entlastet w u r d e . H i n z u k o m m t , daß er sich seit der E r h e b u n g in den A d e l s s t a n d im A p r i l 1 7 8 2 in der höfischen G e s e l l s c h a f t freier b e w e g e n u n d v o n ihr nicht mehr u n b e grenzt in die Pflicht g e n o m m e n w e r d e n konnte. I m Winter 1 7 8 4 entwarf er zumindest f ü r den höchsten Feiertag der Ballsaison, den G e b u r t s t a g der H e r z o g i n Luise, seinen A u f z u g >Planetentanz. Z u m 30. J a n u a r 1784* ( F A 1 , 5 , 4 5 3 - 4 5 7 ) · D a s v o n einer astrologischen Konstellation (wie G o e t h e sie am A n f a n g v o n >Dichtung und Wahrheit< auch z u r Stilisierung seiner eigenen G e s c h i c k e anführt; vgl. F A 1 , 1 4 , 1 5 ) vorgetragene H e r r s c h e r l o b kreist u m die N a c h k o m m e n , die das Regentenpaar mit der f ü n f j ä h r i g e n L u i s e A u g u s t e A m a l i a u n d d e m einjährigen C a r l Friedrich inzwischen erhalten hatte. G o e t h e greift bei seinem A r r a n g e m e n t tief in den motivischen F u n d u s der h ö f i schen Repräsentationskunst: A l s thematische L e i t f i g u r des H o f f e s t s verbreitete sich der Planetentanz spätestens seit der Renaissance in ganz E u r o p a . 2 ' 4 D i e
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Vgl. Burkhardt, Kritische Bemerkungen zu Goethe's Biographieen, S. 22Íf. Diintzer hingegen bestreitet das, allerdings ohne Angabe von Gründen (vgl. Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 24). Ebensowenig trug er Verse zu fremden Aufführungen bei, was jedoch in der älteren Forschung zeitweilig diskutiert wurde (vgl. im Uberblick Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 24). Auf der Redoute am 1 3 . 3 . 1 7 8 3 traten allerdings verschiedene Masken aus seinen früheren Aufzügen auf (z.B. »Das Carnevala >ScapinPolichinellDer Winten), hier jedoch als stumme Figuren (vgl. die Besetzungsliste G S A / 2 5 X X I , 2, 5). Vgl. Borchmeyer, F A I,5,i229f.; sowie Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 138-148. J
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Harmonie des Kosmos stand sinnbildlich für die Harmonie des Staates, konnte aber auch als Omen gelesen werden. Goethe allerdings bringt die überkommene panegyrische Verbindung von Sternbildern gerade mit Geburten auf den neusten Stand der Wissenschaft. Außer den längst bekannten Planeten Merkur, Venus, Erde (Tellus), Mars und Saturn läßt er auch noch Uranus (Cybele) auftreten, der erst 1781 von Wilhelm Herschel entdeckt worden war. Aus gegebenem Anlaß verwendet er die Namensvariante >Cybele< nach der phrygischen Fruchtbarkeitsgöttin und nicht das geläufigere >UranusDie Priesterinnen der Sonne. Zum 30. Jänner 1788 zu einem Maskenball·2'1 wurde von einem Zug aztekischer Sonnenpriesterinnen nach dem von Goethe vorgebildeten Muster der sich selbst erklärenden Gruppe als gemeinschaftliches Huldigungslied vorgetragen. Mit der Wahl des Leitthemas ging Schiller auf den literarischen Zeitgeschmack ein. »Derartige Kostüme waren«, so Kurscheidt/Oellers, »in Anlehnung an die nach Jean-François Marmontels Roman >Les Incas< entstandene Oper >Cora< (1780) von Johann Gottlieb Naumann, dem Dresdner Hofkapellmeister, in Mode.« 2 ' 2 Das Aztekische wird in dem Aufzug jedoch nicht als eigener Stoff behandelt, sondern dient lediglich als Einkleidung für den Fürsten-
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An die literarische Öffentlichkeit gelangten, ohne Goethes Absicht, nur die Texte zweier Aufzüge: >Die weiblichen Tugenden< in der »Litteratur und Theater-Zeitung< 9 (1782) und noch einmal in der Zeitschrift >OHa Potrida< 2 (1782) sowie der >Aufzug der vier Weltalter< in der >Litteratur- und Theater-Zeitung« 3 (1784). Einer der ersten Nachahmer von Goethes Maskenzug-Konzept war Friedrich Hildebrand von Einsiedel, der zum 3 0 . 1 . 1 7 8 8 einen Aufzug mit dem Thema >Apoll und die Musen< veranstaltete (vgl. Julius Wahle: Aus Henriettens v. Egloffstein Memoiren. In: G J b 12 (1891), S. 1 3 9 - 1 5 1 ) . Erhalten hat sich jedoch hiervon nur eine unvollständige Abschrift des Widmungsgedichts >An eine Fürstin« ( G S A 14/4), das die Musen überreichten.
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Möglicherweise handelt es sich bei Schillers Text nur um das Widmungsgedicht zu einem größer angelegten Zug, wenngleich entsprechende Hinweise nicht überliefert sind. 291 N A i,i86ff. Auch wenn sich keine Hinweise auf einen herzoglichen Auftrag zu dieser Arbeit finden, scheint ein solcher wegen Schillers allgemeiner Distanziertheit gegenüber dem Hof recht wahrscheinlich. 2 2 ' Kurscheidt/Oellers, N A IIA, 160. 199
preis, in dem die Herrscherin letztlich konventionell vor der Sonne ausgezeichnet wird. Uber vierzehn Strophen tragen die Sonnenpriesterinnen in balladesker Manier vor, wie der Gegenstand ihrer Idolatrie durch die Weimarer Herzogin gleichsam in den Schatten gestellt und deswegen abgelöst wird. Zu Anfang erscheint ihnen die verstörte Göttin der Sonne »mit ernstem Angesicht, / Durch sanften Gram gemildet« (V.9f.), die verkündet: »Der Sonne Dienst ist aus!« (V. 1 1 ) . Sie nennt den Priesterinnen die Merkmale, anhand derer sie die würdigere Nachfolgerin erkennen sollen: Wo künftig eine Gottheit wohnt, / Soll euch dies Zeichen sagen: - / >Seht ihr in einer Fürstin Brust / >Für fremde Leiden, fremde Lust, / >Ein Herz empfindend schlagen; // >Seht ihr der Seele Wiederschein / >In schönen Blicken leuchten, / >Und Thränen süßer Sympathie, / >Entlockt durch süße Harmonie, / >Ihr sprechend A u g befeuchten, //[..·] >Und ist sie stolzer Mensch zu sein, / >Mit Menschen menschlich sich zu freun, / Als über sie zu ragen; / / [ . . . ] / / >Durchbebt in ihrer Gegenwart / >Euch nie gefühlte Wonne: / >Da, Priesterinnen! betet an, / >Da zündet eure Fackeln an! / Da findet ihr die Sonne! (V. 21-45).
Schiller umschreibt die zu suchenden Herrscherqualitäten mit einem auffälligen Empfindsamkeitsgestus. Er gebraucht nicht mehr die verflachte Herzensmetaphorik des spätabsolutistischen Fürstenlobs, sondern ein neues Preisvokabular der empfindsamen Geisteskultur des Bürgertums. Die Vergötterung soll auf Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit beruhen. Dennoch kann sich auch Schiller der repräsentativen Zweckbindung nicht entziehen. Er befördert ostentativ die Imagepflege des Musenhofes: »Da sahen wir mit Grazien / Die Musen sich vereinen, / Wir folgten diesem Götterzug, / Sie senkten ihren sanften Flug / Herab zu diesen Hainen.« (V. 56-60). In einem zweistrophigen Lobhymnus wird die Verehrung schließlich von der Sache zur Person umgeleitet. »>Zwey Fürsten-Töchter wollen wir, / >Sie riefen's mit Entzücken, / >Zwey Fürsten-Töchter sanft und gut, / >In ihren Busen Götterglut, / >Mit diesem Kranze schmücken. M a s k e n z u g . Z u m 30. J a n u a r i798< ( F A I,6,8o7f.), 2 9 4 der s c h o n a m 26. J a n u a r , also n o c h v o r d e m G e burtstag, a u f g e f ü h r t w u r d e , in seinem T a g e b u c h als d e n » A u f z u g des F r i e d e n s « ( T g b 16. ι . 1 7 9 8 ; W A 1 1 1 , 2 , 1 9 7 ) . 2 9 ' U n m i t t e l b a r v o r der A u f f ü h r u n g berichtete G o e t h e in einem B r i e f an Schiller v o n seinen k o s t ü m b i l d n e r i s c h e n B e m ü h u n g e n , f ü g t e eine B e s e t z u n g s l i s t e h i n z u u n d endete z u t i e f s t selbstironisch: » H i e r z u k o m m e n n o c h sechs K i n d e r die auch nicht w e n i g A t t r i b u t e s c h l e p p e n m ü s s e n , u n d so h o f f e n w i r mit d e r g r ö ß t e n P f u s c h e r e y in d e m g e d a n k e n l e e r s t e n R a u m die zerstreuten M e n s c h e n z u einer A r t v o n N a c h d e n k e n z u n ö t h i g e n . « (an Schiller, 2 6 . 1 . 1 7 9 8 ; W A IV, 1 3 , 3 6 ) . 2 9 6 A u f w e l c h e Weise die F r i e d e n s d e v i s e v o n d e m Z u g i m Spiel d e r A l legorien tatsächlich eingelöst w u r d e , v e r a n s c h a u l i c h t eine B e s c h r e i b u n g v o n Karl A u g u s t Böttiger: Die Friedensgöttin [...] mit Flügeln und einem Diadem auf dem Haupte hat zwei Genien [...] vor sich her, wovon der eine einen vergoldeten Helm mit Früchten, der andere ein in seiner Scheide verschlossenes Schwert trägt. Hinter ihr kommen mit einer malerisch gehaltenen Rosenkette zusammen verschlungen die Eintracht und H o f f nung. Ihnen treten zwei grössere Genien [...] voran, deren der eine den Anker, der andere eine Säule trägt. N u n kommt der Uberfluss [...] mit dem Füllhorn u.s.w. Hinter ihr kommen noch die Kunst (mit einem Portefeuille, worin dies Gedicht war, und einer rosenbekränzten Lyra) und der Ackerbau (im Erndtetanz und mit der Sichel). Alle treten nun schön gruppirt in eine Reihe vor die Herzogin. Der Friede legt seinen Palmenzweig ihr zu Füssen, die Kunst bringt ihm das Portefeuille, und indem der Friede das darin liegende Gedicht der Herzogin übergibt, verneigt sich die ganze Procession. 2 ' 7 S c h o n i m a u ß e r s p r a c h l i c h e n B e r e i c h w i r d die G r u n d a u s s a g e des M a s k e n z u g s greifbar. A n g e f ü h r t v o n der F r i e d e n s g ö t t i n , d e r e n G e n i e n mit ruhiggestellten K r i e g s s y m b o l e n auftreten, erscheinen die elementaren G e s i n n u n g s l a g e n des F r i e d e n s : E i n t r a c h t u n d H o f f n u n g . I h n e n w e r d e n mit A n k e r u n d Säule die A t tribute der T r e u e u n d der B e s t ä n d i g k e i t beigegeben. D i e n a c h f o l g e n d e U b e r -
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Vgl. dazu auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 149-159. Seit der Fehldatierung auf das Jahr 1801 beim Abdruck in A9 wird der Text verschiedentlich unter dieser Jahresangabe geführt. Der Aufzug bezieht sich auf den am 1 7 . 1 0 . 1797 geschlossenen Frieden von Campoformio, der den 1. Koalitionskrieg zwischen Frankreich und Osterreich beendete. In dieses abwertende Urteil mag nun schon Goethes zunehmende Distanzierung von den ostentativen allegorischen Darstellungsformen zugunsten der subtileren Symbolik hineinspielen. Im Grunde fällt Goethe nämlich mit einem allegorischen Aufzug hinter seiner eigenen, gerade gegenüber Schiller mühsam vertretenen Begriffsdifferenzierung zurück. Möglicherweise handelt es sich hier um einen Tribut an die etablierte, wenngleich überkommene Form des barocken Friedensfestspiels. Vgl. auch Kap. 3.2. Abgedruckt in W A 1,16,454. Weitere kostümbildnerische Details nennt [Anonym], Redoutenaufzüge, S. 9 jf.
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fluß-Allegorie stellt ein Bindeglied dar zwischen dem bereits Erreichten und dem noch zu Erzielenden. Auch die beiden Desiderate, Kunst und Ackerbau, werden von allegorischen Figuren vorgeführt. Die Kunst-Allegorie gemahnt an die Muse Terpsichore, da auch sie in der ikonographischen Tradition mit der Lyra dargestellt wird. Damit wird Goethes Wunsch, daß zu Friedenszeiten die Künste zu neuer Blüte gelangen mögen, repräsentativ und ästhetisch erweitert: Vor dem Musenhof erweist die Kunst ihre Reverenz nicht als bloße Allegorie, sondern sogar in Gestalt einer Muse, so daß das Weimarer Selbstbild bestätigt wird. Zudem trägt die Muse der Chorlyrik auch für die Gattung eine gewisse selbstbezügliche Bedeutung, da der Maskenzug ein kollektives Huldigungslied darbringt. Bezeichnenderweise überreicht denn auch nicht der Friede, sondern die Kunst das Gedicht an die Herzogin. Auf diese Weise wird gerade nicht der eigentliche Gegenstand des Lobpreises, sondern vielmehr ihr medialer Ursprung vor der Gruppe ausgezeichnet - sicherlich eine von Goethe bewußt gesetzte Selbstgefälligkeit. Die kleine Anmaßung unterstreicht, daß sich in dem Nachsuchen um Kunstförderung nicht nur die Interessen des Musenhofes, sondern auch die seines prominentesten Poeten ausdrücken. Mit der Betonung des Ackerbaus knüpfte Goethe noch einmal leise an seine fürstenerzieherischen Bemühungen aus dem ersten Weimarer Jahrzehnt an. Damals ermahnte er den Herzog regelmäßig, dem Bauernstand mehr Beachtung zu schenken, vor allem die Felder nicht mit seinen Jagdgesellschaften zu verwüsten (z.B. im Sebastian-Simpel-Gedicht). Anfang 1798 hatte sein besonderes Engagement für die Landwirtschaft allerdings mehr persönliche als innenpolitische Gründe. Goethe stand kurz davor, die jahrelangen Kaufverhandlungen um das bei Apolda gelegene Gut Oberroßla erfolgreich abzuschließen, das er aus Liebhaberei auch für eine Zeitlang bewirtschaftete. Wieder gingen somit Anteile aus seinem persönlichen Erfahrungshorizont in die höfische Maskerade ein. Der aus vier Stanzen - hier wohl lediglich in der Funktion festlicher Sprechdichtung 2 ' 8 - bestehende Text vollzieht in den ersten drei Strophen das A u f zugsgeschehen nach, um dann in der letzten Strophe die Perspektive auf das umgebende Festgeschehen zu erweitern. Während die sechs kreuzgereimten Verse einer jeden Strophe den mimetischen Part übernehmen, setzen die beiden paargereimten Schlußverse jeweils eine panegyrische Formel nach. So behandelt die erste Strophe das Auftreten des Friedens mit den zugleich auch gegenständlich sichtbaren Attributen: »Der lang' ersehnte Friede nahet wieder / Und alles scheint umkränzet und umlaubt, / Hier legt die Wut die scharfen Waffen nieder, / Dem Sieger ist sogar der Helm geraubt, / Das nahe Glück erreget frohe Lieder / Und Scherz und laute Freuden sind erlaubt [...].« 298
Vgl. Kay ser, Goethes Dichtungen in Stanzen, S. 233. 203
(V. 1-6). Es folgt die verbalisierte Huldigungsgebärde, die in schulmäßiger Manier Anlaß und Adressatin erwähnt: »Und wir, als ein Gebild aus höhern Sphären, / Erscheinen heute D e i n e n Tag zu ehren.« (V.7Í.). Analog dazu zeichnet die zweite Strophe das Niederlegen des Palmzweigs und das Erscheinen von Eintracht und Hoffnung nach. Der Text hält sich eng an das Aufführungsgeschehen. Die Wendung »Die Eintracht darf sich wieder fest umschließen« (V. 1 1 ) beispielsweise ergibt insofern einen Sinn, als die Eintracht von zwei Personen, »Frau v. Egloffstein und Fräul. v. Seckendorff« (an Schiller, 26.1. 1798; WA 1 X 1 3 , 3 6 ) dargestellt wurde. An die Umschreibung der Auftritte schließt sich der Wunsch für die Friedenszeit an, der mit den beiden Schlußversen wiederum prononciert wird: »In Sicherheit und Ruhe zu genießen / Und zu vergessen alles was es litt, / Dies ist der Wunsch, der jedes Herz belebet, / Das wieder frisch ins neue Leben strebet.« (V. 1 3 - 1 6 ) . Die dritte Strophe befaßt sich gemäß dem Ablaufplan des Zugs mit dem A k kerbau, hier genannt als Ceres, und mit der Kunst. Goethe wertet den Ackerbau, der »versöhnet und verehret« (V. 17) werden soll, auch im Text auf. Er stellt sogar eine kausale Verbindung zwischen Ackerbau und Kunst her: »Wenn dann die Fülle prächtig wiederkehret, / Die aller Freuden reiche Kränze trägt; / Wird auch der Kunst der schönste Wunsch gewähret, / Daß ihr ein fühlend Herz entgegen schlägt [...].« (V. 19-22). Die Erfüllung dieses Bedingungsgefüges vorwegnehmend, beziehen sich die Schlußverse ganz auf die Kunst: »Und in der Ferne sehen wir, aufs neue, / Der edlen Schwestern eine lange Reihe!« (V.2 3 f.). Die Wortwahl >Schwestern< im letzten Vers legt Goethes im Wandel begriffene Haltung zur Maskenzugdichtung offen. Die >Schwestern< des Zugs sind die zu erwartenden Kunstschöpfungen. Mit der Verwandtschaft ersten Grades wird hier also die Gattung Maskenzug endlich in die Kategorie der Kunstwerke eingeteilt. Goethe inauguriert jedoch nicht nur den Maskenzugs als vollwertiges Kunstwerk, sondern verheißt mit der >langen Reihe< womöglich sogar noch weitere Exemplare dieser Gattung. Die vierte Strophe schließlich enthält das fast schon unentbehrliche Signum der Goetheschen Maskenzüge. Das zum wiederholten Male verkündete gesellige Harmonisierungsprogramm dient zugleich ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund für die Gattung: »Doch jeder blickt behende nach den Seinen / Und teilt mit Freunden freudiges Gefühl, / Man eile sich harmonisch zu vereinen, / Und wir sind hier an der Erscheinung Ziel; / Du zählst, mit Heiterkeit, uns zu den Deinen, / Verzeihest, mild, das bunte Maskenspiel.« (V. 25-30). Goethe verkündet somit in dem Aufzug gleichermaßen poetologische wie gesellschaftsutopische Leitlinien. Allerdings kommt bei dieser ausführlichen Profilierung seiner eigenen künstlerischen und sozialen Position auch der Lobpreis an die Adressatin nicht zu kurz. In den hymnischen Schlußversen der vierten und letzten Stanze werden die konventionellen panegyrischen Voka204
beln >entzücken< und >beglücken< elegant mit dem schlechterdings zeitgemäßen Geselligkeitsideal verflochten: »O! sei beglückt! So wie Du uns entzückest / Im Kreise den Du schaffest und beglückest.« (V. 31 f.). Inwieweit Goethe seine Ankündigung weiterer Aufzüge schon in den beiden folgenden Jahren wahrmachte, läßt sich nicht schlüssig nachweisen. Jedenfalls plante er zusammen mit Schiller mehrtägige öffentliche Festveranstaltungen, 2 " die Carl August jedoch im Interesse der inneren Sicherheit der Residenzstadt verhinderte.' 00 Letztlich fand lediglich eine Redoute mit verschiedenen Maskenauftritten statt.301 Goethe nahm daran zwar möglicherweise teil, verfaßte aber wahrscheinlich keine Verse dafür: Aus dieser Zeit haben sich von ihm weder Maskenzugdichtungen - von denen er so kurz vor dem Entschluß, seine Maskenzüge in die Werkausgabe A (1806-1810) aufzunehmen, gewiß eine Abschrift behalten hätte - noch einschlägige Selbst- oder Fremdzeugnisse erhalten. Ein gattungsgeschichtlich richtungweisender Maskenzug fand hingegen ganz sicher auf der Geburtstagsredoute der Herzogin im Jahr 1801 statt. Er wurde allerdings nicht von Goethe veranstaltet, sondern von Amalie von Imhoff. 302 Die Hofdame verwendete das von Goethe geprägte Modell Maskenzug und füllte es mit zeitgenössischen literarischen Diskursen. Offenbar handelte es sich dabei um eine wirkliche Premiere, deren Anstöße Goethe erst in den nächsten Maskenzügen übernahm und ausbaute. So stellt Wolfgang Hecht fest: G o e t h e stellte nicht als erster literarische Tagesfragen auf Weimarer Redouten z u r Diskussion. Schon bei der Geburtstagsredoute im J a n u a r 1 8 0 1 hatte man H a u p t f i g u ren der klassischen deutschen Literatur auftreten lassen und in den festlichen A u f z u g burleske Szenen eingelegt, die die F r ü h r o m a n t i k aufs K o r n nahmen, v o r allem die B r ü d e r Schlegel, Tieck und N o v a l i s . 3 0 3
Der Zug setzte sich aus bekannten literarischen Figuren zusammen, die von der Muse Terpsichore, seit Goethes letztem Maskenzug wohl zuständig für diese Gattung, angeführt wurden. 304 Zwei Anti-Masques unterbrachen die Darbietung: Als erstes trat ein Gruppe komischer Figuren auf, die mit dem Publikum scherzte. Danach erschienen zwei Paare, die pantomimisch die literarischen
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V g l . Schiller an K ö r n e r , 16.11. 1800. In: N A 30,209; dazu auch N A 42,303. V g l . Schiller an K ö r n e r , 5 . 1 . 1 8 0 1 . In: N A 3 1 , 1 . U b e r den Ablauf der Veranstaltung berichtet zeitgenössisch Henrich Steffens: Was ich erlebte. A u s der Erinnerung geschrieben. B d . 4. Breslau 1 8 4 1 , S . 4 0 8 - 4 1 2 . Wegen einer lebensbedrohlichen E r k r a n k u n g zu dieser Zeit läßt sich G o e t h e s Mitw i r k u n g am Karneval des Jahres 1 8 0 1 sicher ausschließen (vgl. Wenzel, G o e t h e und die Medizin, S. 55). H e c h t , Goethes M a s k e n z ü g e , S. 1 3 7 . E i n Bericht über den A b l a u f s o w i e das Widmungsgedicht und weitere Verse knapper in A u s w a h l sind abgedruckt in [ A n o n y m ] : Weimarische R e d o u t e am 30. J a n u a r 1 8 0 1 . In: J o u r n a l des L u x u s und der M o d e n 16 ( 1 8 0 1 ) , S. 1 0 3 - 1 1 3 .
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Spannungen zwischen der als »ächte teutsche Dichtkunst« 3 " 5 gepriesenen Spätaufklärung und der als »neuste teutsche Poeterey« 306 abgewerteten Frühromantik austrugen. Diese Gruppe wurde von mehreren Masken begleitet, deren Kostüme und Requisiten dem Journal des Luxus und der Moden< zufolge zahlreiche Anspielungen auf das zeitgenössische literarische Leben enthielten.' 07 Auch wenn bei diesem Aufzug, anders als bei Goethe, statt dem allegorischen Fürstenpreis die unterhaltsame literarische Polemik im Mittelpunkt stand, erhielt die Herzogin ein Weihegedicht, relativ frei abgefaßt in reimlosen, vier- bis sechshebigen Versen.' 08 In weiten Teilen diente der erstaunlich selbständige Text dazu, die Polemik des Aufzugs zu bekräftigen: »Ja selbst den Lebenden, die Teutschlands Dichterruhm / Noch mächtig stützen, droht die A f terpoesie / Den Ehrenkranz vom Scheitel abzureißen.«' 09 (V. 28ff.). Zuweilen zeigt sich jedoch unverkennbar die Gelegenheitsbindung. Casualpoetisch vorschriftsmäßig wird der Anlaß in die Bitte um Wohlwollen für den Aufzug eingeflochten. Hinter der phrasenhaften Ausdrucksweise verbirgt sich der durchaus originelle Einfall, nicht die Untertanen, sondern die Literatur als Bittsteller auftreten zu lassen: »[L]aß es gern / Erhabne Fürstin, Dir gefallen, / Daß durch den bunten Schwärm, den Deines ersten Tags / Erwünschte Jahresfeyer hier versammelt hat, / Die Teutsche Dichtkunst Dir sich nahe / Und Dich [...]/[...] um Deinen Schutz / [...] / [...] / [...] vertrauensvoll ersuche.« (V. 7-16). Verbunden mit Fürstenpreis und Segenswunsch wird dieser erfinderische Tenor am Schluß, wieder in eher formelhaften Wendungen, wiederholt. Die Schlußverse der Dichtkunst lauten: »[...] Und Du, die mit Erhabenheit des Geistes / N u r edle, große Zwecke liebt, / (O! möchte lange noch Dein hohes Beyspiel leuchten!) / Mir, wie Du's warst, gewogen bleibst. - « (V. 50-54).
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Ebd., S. 106. Ebd., S. 109. Einen Rekonstruktionsversuch der vielfältigen Beziehungen, die im Bericht des Modejournals nur fragmentarisch wiedergegeben sind, bietet Richard Täufel: Eine Maskenszene in Weimar aus dem Jahre 1801. In: Hans Werner Seiffert (Hg.): Studien zur neueren deutschen Literatur. Berlin 1964 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Sprache und Literatur 29), S. 1 6 5 - 1 7 4 . Imhoff, Amalie v.: Die teutsche Dichtkunst an Louisen den 30. Januar 1801. In: [Anonym], Weimarische Redoute am 30. Januar 1801, S. 1 1 i f f . Der Begriff der Afterpoesie meinte üblicherweise soviel wie epigonale Dichtung. Hier wird er allerdings gebraucht, um die Romantiker im Gegensatz zu den Weimarer Dichtern zu diskreditieren. Goethe selbst unterschied den >Aftlerkünstler< vom wirklichen Künstler dadurch, daß er nicht »um des Vergnügens«, sondern »um des Nutzens willen« schreibe (Goethe Wörterbuch. Hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [ehem. Akademie der Wissenschaften der D D R ] , der Akademie der Wissenschaften in Göttingen u. der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Stuttgart/Berlin I978ff. Bd. 1, Sp.284).
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Im darauffolgenden Jahr war es wieder an Goethe, einen Maskenzug für Luises Geburtstag zu arrangieren, nachdem ihn der Erbprinz Carl Friedrich nur drei Tage vor dem Aufführungstermin darum gebeten hatte. In seinem Antwortschreiben gab er dem gesellschaftlichen Druck mit bereitwilliger Unterwürfigkeit nach, nicht ohne seine zwangsläufig eilige Dichtung im voraus zu entschuldigen (vgl. an Carl Friedrich, 26.1. 1802; WA IV, 16,27). Goethe schaffte es, den bestellten >Maskenzug zum 30. Januar 18o2< (FA I,6,8O9Í.) rechtzeitig zur Aufführung am 29. Januar anzufertigen. Auftragsgemäß stellte er darin die vier >Dichtweisen< bzw. >DichtartenDichtweisen< oder >Dichtarten< als »Sammelbezeichnung für die historischen] dichterischen Formen, mehrf[ach] in der theoretischen] Reflexion; überwiegend für einzelne Genres bzw. summarisch im Plfural], in D i v N o t [Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans] explizit [für die] »Naturformen der Poesie< [...] Epos, Lyrik und Drama [...]« (Goethe Wörterbuch Bd. 2, Sp. 1178). 3 " Vgl. dazu auch Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 1 5 9 - 1 7 2 . 312 Vgl. Kayser, Goethes Dichtungen in Stanzen, S. 233.
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sich der Kreis im Kreise schließet.« (V. 13-16). Der als gefährlich vorgestellte Begleiter läßt sich unschwer als Amor identifizieren, die namenlose Muse mithin als Erato. In der dritten Strophe ist von einer » H o l d e n , die mit U n s c h u l d sich verband« (V. 18) die Rede. Zusammen mit diesen Vertreterinnen der Idyllik traten im Aufzugsgeschehen womöglich auch noch »des Gebirgs Najaden, Des Meeres Nymphen« (V. 2if.) aus dem Gedicht auf. In Form von rhetorischen Fragen benennt schließlich die vierte Strophe die Figuren, die für die Satire stehen: »Ist's Μ o m u s ? der in städtischen Gewühlen, / Ein S a t y r ? der im Feld sich üben mag.« (V. 19Í.). Mit den stark typisierend angelegten Maskenstrophen der Dichtarten überwand Goethe die alleinige Ausrichtung der Zweckdichtung am Hof. Die casualpoetischen Grundbestandteile Anlaß, Adressat und Lobpreis tauchten darin überhaupt nicht auf, so daß es vom Text her in der Schwebe bleibt, ob die Dichtarten als kulturelles Kapital des Musenhofs oder aber um ihrer selbst willen gezeigt wurden. Spätestens im Zusammenhang mit dem historischen Aufführungsereignis wird deutlich, daß der Hof dem Dichter auf der Redoute wirklich einen Repräsentationsraum für seine Interessen einräumte. Während der Redoutenveranstaltung kam es zu einem spontanen Akt der Dichterverehrung von Seiten des Hofes: Das Epos, dargestellt von Erbprinz Carl Friedrich, wurde nach alter humanistischer Tradition von der Ruhmverkünderin, dargestellt von Prinzessin Caroline, mit Lorbeer bekränzt. In Goethes Gedicht heißt es an der entsprechenden Stelle: »Mit Lorbeer sich das eigne Haupt umwindet« (V.4). Als sich der Zug auflöste, ging die Prinzessin zu Goethe, der sich unter den Zuschauern befand, und setzte nun ihm den Lorbeerkranz auf. 3 ' 3 Goethe wurde auf diese Weise enorm ausgezeichnet: Im Kontext der höfischen Repräsentation erhielt er ein Ehrensymbol der künstlerischen Repräsentation. Zu diesem Zweck wurde die panegyrische Hierarchie umgekehrt: Der Lobpreis richtete sich vom Hof aus an den Dichter statt wie üblich andersherum. Außerdem lag darin, daß für die Ubergabe nicht der Dichter zur Prinzessin ging, sondern die Prinzessin zum Dichter, eine geradezu unerhörte Anerkennung: N u r ungefähr zwei Jahre zuvor suchte beispielsweise Friedrich Hölderlin ganz selbstverständlich die Prinzessin Augusta von Homburg auf, um ihr eine Ode zum 23. Geburtstag zu überbringen. Obwohl der Dichter am Hof des Landgrafen Friedrich V. verehrt wurde, die Adressatin sogar zahlreiche A b 313
Düntzer rekonstruiert diese Begebenheit aus der Korrespondenz Charlotte von Steins (vgl. Heinrich Düntzer: Charlotte von Stein, Goethe's Freundin. Ein Lebensbild, mit Benutzung der Familienpapiere entworfen. Bd. 2 . 1 7 9 4 - 1 8 2 7 . Stuttgart 1874, S. 146). Belegt wird der Hergang auch durch den Bericht einer unbekannten Cäcilie aus dem Umkreis der Luise von Göchhausen (vgl. Cäcilie: Die Freundschaftstage der Fräulein von Göchhausen. Eine Skizze, S. 1 3 1 . In: Weimar's Album zur vierten Säkularfeier der Buchdruckerkunst am 24. Juni 1840. [o. Hg.] Weimar 1840, S. 1 2 3 - 1 3 4 ) .
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Schriften seiner Gedichte anfertigte, explizierte Hölderlin die konventionelle Richtung der Huldigung sogar noch im Text: »Und da ich deines Festes gedacht' und sann, / Was ich dir dankend reichte, da weilten noch / A m Pfade Blumen, daß sie dir zur / Blühenden Krone, du Edle, würden.« 3 ' 4 Die angedeutete Zeitperspektive (vom >Blühen der Blumen< bis zum Geburtstag am 28. November) unterstreicht außerdem den hohen Stellenwert, den Hölderlin der Huldigungsgeste wenigstens rhetorisch einräumte: Sein Auftreten brachte jedenfalls die Homburger Huldigungsverhältnisse nicht ins Wanken. Innerhalb der Aufführung von Goethes >Aufzug der Dichtarten< hingegen kam es noch zu einem weiteren massiven Konventionsbruch, der vom Verfasser selbst ausging. Sein unehelicher Sohn August, der ohnehin der Hofgesellschaft ein Dorn im Auge war, stellte nicht nur den Amor im Gefolge der Muse Erato dar, sondern überreichte am Ende auch noch das Weihegedicht an die Herzogin. Mit diesem bekenntnishaften Schachzug in der Gelegenheitsdichtung bekräftigte Goethe coram publico seine wilde Ehe mit der bürgerlichen Christiane Vulpius und wertete zugleich den Rang seines Sohnes auf. Die Gesellschaft reagierte empört. Sophie von Schardt berichtete Fritz von Stein: »Die Leute sagen, das sei unrecht gewesen, ein Kind der Liebe hätte nicht dürfen als Amor unter honetten Leuten erscheinen.« 315 Charlotte von Stein sprach gegenüber ihrem Sohn ebenfalls von einer »Unschicklichkeit« und fügte hinzu: »Goethe ist mir einige Klafter tief heruntergefallen«. ,lS Allerdings konnte Goethe diese Bewegungsfreiheit auf dem reglementierten höfischen Parkett offenbar durchaus beanspruchen, da sein offensives Auftreten keine weiteren Sanktionen nach sich zog. Im Zusammenspiel von Text und Aufführung verfügte der >Aufzug der Dichtarten< mithin über beachtliche Sprengkraft: Die zeremonielle Selbstinszenierung des Musenhofs schlug auch für Goethes eigenes soziales Prestige zu Buche, und zwar mindestes in gleichem Ausmaß. Nicht nur seinem Metier, sondern auch ihm persönlich wurde gehuldigt, er brachte zum wiederholten Male seine unterschwellige hofkritische Humanisierungsästhetik vor, und schließlich legitimierte er sein anstoßerregendes Privatleben ausgerechnet im Hoffest. Beide Aufzüge, der >Aufzug des Friedens< wie auch der >Aufzug der Dichtarten< sind in ihrer Bauweise vom römischen Karneval beeinflußt. »Erst jetzt«, 314
31 !
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Friedrich Hölderlin: Der Prinzessin Auguste von Homburg. Den 28ten Nov. 1799, V. 5-8. In: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. 8 Bde. in 15 Tin. Hg. v. Friedrich Beißner. Stuttgart 1946-1985. Bd. i/I, S. 31 if. Sophie v. Schardt an Fritz v. Stein, 4.2. 1802. In: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen. Zusammengestellt von Wilhelm Bode. 3 Bde. Neu hg. v. Regine Otto u. Paul-Gerhard Wenzlaff. München 1982. Bd. 2, S. 209. Charlotte v. Stein an Fritz v. Stein, 2 9 . 1 . 1 8 0 2 . In: Bode, Goethe in vertraulichen Briefen, Bd. 2, S.208.
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beobachtet Wolfgang Hecht, »[...] werden Goethes Maskenzüge wirkliche Maskenzüge, bunt wechselnde Figurengruppen, die dennoch sinnvoll geordnet sind und eine Ganzheit repräsentieren.« 3 ' 7 Zudem steigt im zweiten Maskenzug der Grad der Durchkomponiertheit. Goethe ließ ins Programmheft drukken: Das Publicum wird ersucht, die Gassen, durch welche der Zug zum Saal gehen wird, selbst zu formiren, indem es sich auf die Linien stellt, welche mit weißer Farbe auf den Boden gezogen sind. Man wird ein Signal mit Trompete und Pauken geben, um zu avertiren wenn es Zeit ist. (WA 1,16,45 5 ) 318 Die Inszenierung seines Gesamtkunstwerks >Maskenzug< dehnt sich also nun auf die bisher passive Festgesellschaft aus, die so - nach dem Vorbild des R ö m i schen Karnevals - nachgerade zum Bestandteil einer totalen Sinnkonstruktion wird. A n dieser Stelle ist ein grundlegender Wendepunkt in der Weimarer Maskenzugpraxis anzusetzen: D e m nächsten A u f z u g , 3 1 9 an dem Goethe mitwirkte, ging zum einen die Weimarer Herrschaftskatastrophe nach der Schlacht von Jena und Auerstedt, zum anderen ein erheblicher administrativer A u f w a n d voraus. Vor der behutsamen Wiederaufnahme der traditionellen Geburtstagsfeierlichkeiten zu Ehren der Herzogin Luise entwarf Goethe eine komplett neue Redoutenordnung. Das neue Reglement sollte der seit seinem letztem Maskenzug sozial heruntergekommenen Festform zu neuem Glanz verhelfen. In einem Petitionsschreiben an die Hoftheaterkommission v o m 1 0 . 1 . 1809 erklärte er: Der Verfall der Redouten schreibt sich von der Zeit her, da der Hof sie nicht mehr besuchte. Hierauf zog sich der Adel und nach und nach alle Personen von gewissem Anstände zurück, und sie sind gegenwärtig entweder leer oder nicht von der besten Gesellschaft besucht, (an die Hoftheater-Commission, 10.1. 1809; WA IV,30,i2if.). E r forderte daher die Anwesenheit des Hofes oder wenigstens seiner Repräsentanten, eine strenge Maskenpflicht und Kleiderordnung, die Beaufsichtigung des Fests durch den Hoffourier, Vortänzer und allgemeine Ordnungshüter sowie den Ausschluß von Dienstboten und »Personen von zweydeutigem R u f « (an die Hoftheater-Commission, 1 0 . 1 . 1809; W A IV,30,123). Im wesentlichen 317 318
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Hecht, Goethes Maskenzüge, S. 137. Daher erscheint Düntzers zeremonieller Einwand praktisch nicht plausibel: »Es muß auf einem Irrthum beruhen, wenn berichtet wird, ein Spanier habe vorher das Gedicht an die Anwesenden vertheilt; dies kann nur geschehen sein, als die Herzogin es erhalten hatte.« (Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 54). Goethe führte den Text >Zum 30. Januar i8o6< (FA 1,6,811) seit A9 unter der Rubrik >Maskenzügeneuen BedingungenQuadrille italienischer Tänzer und Tänzerinnen« (FA I,6,8 2 4 ).3 6 7
Den Höhepunkt der Redoute bildete jedoch der >Maskenzug russischer Nationen*, der allein aus sechzig Darstellern bestand. Bei ihrem Auftritt wurden Goethes Lieder vom Tenor und Baß des Theaterchors zu Bearbeitungen traditioneller russischer Melodien gesungen. 368 Die huldigenden Völkerschaften traten in vielfältiger Kostümierung auf, wie das J o u r n a l des Luxus und der Modem berichtete: »Hier erblickte man Petersburger russische Kaufleute, Letten, Pohlen, Griechen, Tataren verschiedener Stämme, Bewohner von Mokschau, Tscherkessische Fürsten vom Caucasus, Kirgisen, Baschkiren u.a.m.« 3 6 9 Goethe kombinierte diesen Zug mit der als erstes erscheinenden R o m a n t i schen Poesie< zu einem medial vielfältigen Doppelaufzug. Er ließ ihn in einem gemeinsamen Schlußtableau enden, in dem abwechselnd Figuren aus beiden Zügen standen. 370 Trotz des repräsentativen Ausnahmezustands am Hof bemühte er sich also nicht nur thematisch, sondern auch formal um den Zusammenhalt des Gesamtkunstwerks Maskenzug. Dieser Gedanke umspannte das gesamte Maskenfest, das in seinem Ablauf ästhetisiert wurde: Den rahmenden Abschluß der Aufführungen bildete Goethes dritter Maskenzug, die Q u a d r i l le italienischer Tänzer und Tänzerinnen*. Als Exposition und Reprise derselben Gattung legten die Maskenzüge somit eine feste kompositorische Klammer um die Vielzahl der disparaten Darbietungen. In diesem Sinne fungierte der neu hinzugetretene russische Maskenzug nicht nur als Unterhaltungseinlage, sondern vor allem als lenkender Metatext zur gesamten Abendveranstaltung. Er beginnt mit Goethes vierstrophigem 366
Das »Journal des Luxus und der Moden< gibt einen genauen Bericht über den Aufzug und druckt einige der sonst nicht überlieferten Verse ab (vgl. [Anonym]: Die Völkerwanderung, und andere Maskenzüge aufgeführt zum Geburtsfeste von Ihro Kaiserl. Hoheit der Durchlauchtigsten Frau Großfürstin Maria Paulowna, vermählten Erbprinzessin von Sachsen-Weimar am löten Februar 1810, S. 202Í. In: Journal des Luxus und der Moden 25 (1810), S. 201-210). Weitere Einzelheiten beschreibt außerdem Caroline von Egloffstein in einem Brief an ihre Mutter (vgl. Caroline v. Egloffstein an Henriette v. Egloffstein, 2 3 . 2 . 1 8 1 0 , S. 4 jf. In: Hermann v. Egloffstein (Hg.): Alt-Weimars Abend. Briefe und Aufzeichnungen aus dem Nachlasse der Gräfinnen Egloffstein. München 1923, S. 139-142).
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Als Mitautor kommt Friedrich Hildebrand von Einsiedel in Frage (vgl. Borchmeyer/ Huber, F A I,6,i42of.). Dessen Beteiligung könnte auch der Grund dafür sein, daß Goethe dieses opus mixtum nicht in seine Werkausgaben aufnahm (vgl. ebd.). Ein Abdruck der Noten befindet sich im Anhang der Märzausgabe vom »Journal des Luxus und der Moden< 25 (1810). [Anonym], Die Völkerwanderung, S.203. Die Regieskizze, mit der er die Züge miteinander verzahnt, ist abgedruckt in W A 1,16,467^
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>FestliedRomantischen Poesie< nicht im Festgetümmel untergeht. Nachdrücklich betont er: »Hier ist Ernst bei Scherz.« (V. 4). Ebenfalls in der ersten Strophe wird klargestellt, daß sich hinter der fremdländischen Maskerade nichts anderes als eine gewöhnliche Huldigung der vertrauten Gemeinschaft an die Großfürstin verbirgt: »Tüchtig, fest, mit starkem Schritte, / Bringen wir zur FestesMitte / Fremde Kleider, fremde Sitte; / Wohlgekanntes Herz.« (V. 5-8). In der zweiten Strophe erfolgt der Fürstenpreis. Abermals verwendet Goethe seine übliche Nordlicht-Metapher: »In dem Glänze Deines Wohles / Freuen wir uns unsres Wohles, / Wie der Feuerglanz des Poles / Sternenlicht erhöht.« (V. 1 3 16). Während die beiden ersten Strophen das panegyrische Pflichtprogramm abhandeln, befassen sich die beiden anderen mit der ästhetischen Ordnung des Zuges. Die Aufforderung, sich zu vergnügen, kündigt die Vielfalt der zu erwartenden Darbietungen an: »Wandelt fröhlich zwischen diesen, / Die des Festes mitgenießen, / Zwischen Zwergen, zwischen Riesen / Und des Nordens Kraft.« (V. 21-24). Leicht entschuldigend versucht die letzte Strophe, dieses Konglomerat zusammenzubinden. Als gemeinsamer Nenner des ganzen taugt jedoch letztlich nur die Verherrlichung des Geburtstags: »Hier bedarf es keiner Sichtung, / Alle zieht vereinte Richtung. / Trage Wahrheit, trage Dichtung / Diesen Tag empor!« (V. 29-32). Diese an sich etwas peinlichen Verse verleihen dem Lied ein unverkennbar Goethesches Gepräge. Der Titel der autobiographischen Schrift >Dichtung und WahrheitWahrheit und Dichtung< als Untertitel vorschlug. Mit der Anspielung auf seine literarisch überformte Vita vereinnahmte Goethe die höfische Repräsentationskunst, um seine Autorindividualität auszudrücken. Riemers Widmungssonett hingegen, das auf den Vortrag des >Festlieds< folgte, beanspruchte keine solche künstlerische Freizügigkeit im Feld der Macht. Ansonsten ähnelt sich die Gedankenführung beider Texte, wenngleich Riemer nicht versuchte, einen roten Faden der Veranstaltung herauszupräparieren. Die beiden Quartette befassen sich getreu der casualpoetischen Pflicht mit Adressatin und Anlaß. Um die Bedeutung der Großfürstin zu ermessen, greift Riemer auf das Schema des geographischen Panoramas zurück: »O Du, Gefeyerte von Millionen, / Die an dem Belt, am Pol, am Pontusstrande / Und an der lime ulmbekränztem Rande / Durch Deines Namens Licht verbrüdert wohnen [...].« (V. 1-4). Im Vergleich des poetischen Kunsthandwerks schneiden Goethes identischer Reim >Wohles : Wohles< (vgl. V. 13f.) und der unreine Reim >diesen : mitgenießen : Riesen< (vgl. V. 2off.) gewiß günstiger ab als Riemers lautliche Fügung >Ilme ulmbekränztem< (vgl. V. 3). " 7
Das erste Terzett erbittet, ebenfalls konventionell, Maria P a w l o w n a s G e w o genheit für die Maskerade: »Betrachte sie mit H u l d ! und im Gefühle / Des süßen Vaterlandes und der Deinen / Verzeih der Wohlgekannten Maskenspiele.« (V. 9ff.). W i e Goethe hebt auch Riemer hervor, daß es getreue Bekannte sind, die ihr im fremdländischen Kostüm huldigen. Möglicherweise bedurfte es des zweifachen Hinweises, u m dem etwaigen Mißverständnis als Parodie vorzubeugen. Zudem w i r d bei Riemer die rührende Geste des Zugs erkennbar: Die neuen Untertanen wollten der nach Weimar verschlagenen Großfürstin ein Gefühl von Heimat vermitteln, vor allem: sie dort halten. So endet der Text: »Ihr Aeußeres soll dem Innern gleich erscheinen, / Das wie Dein Volk Dich feyert und so fühle / Dich doppelt heut bey uns und bey den Deinen.« (V. i2ff.). N a c h dieser Rezitation folgen im russischen A u f z u g noch zwei Chorpartien, Goethes >Gastlied< und >BrautliedGastlied< übernimmt eine doppeldeutige Funktion. Innerhalb der Maskenfiktion dient es dazu, den H u l digungswillen der aufziehenden Völkerschaften zu loben, so daß es die gewünschte Rezeptionshaltung vorgibt: »Zu erscheinen / Mit den Seinen / In dem lichten Kreise. / Alle Biedre / H ö h ' und Niedre, / Das ist rechte Weise! / Kommt gegangen / Ehrenvoll empfangen! / Diesen Tagen / Ziemet froh Behagen.« (V. 33-42). Innerhalb der theatralen Selbstinszenierung des Hofes richtet es sich an das angereiste Publikum. A u c h die Zweitadressaten gliedert Goethe damit in die Reihe der Huldigenden ein. Dieser Winkelzug verstärkt die A u ß e n w i r k u n g seiner Repräsentationskunst. Den H i n w e i s auf den Anlaß hält Goethe bezeichnenderweise sehr vage. N u r von >diesen Tagen< ist die Rede; das meint gleichermaßen auch Luises Geburtstag, Carolines Verlobung, den Staatsbesuch und überhaupt die Karnevalszeit. Bemerkenswert an den Schlußversen ist sein wiederum typischer Verzicht auf den panegyrischen Superlativ. Im Gegensatz zu Riemers >0 Du, Gefeyerte von Millionen« heißt es dort über die Huldigenden ganz unpathetisch: »Wenn es wären / Alle die Dich ehren, / Treu und munter; / W ä r ' es noch viel bunter.« (V.49-52).
Das >Brautlied< dann, das den Schlußgesang des russischen A u f z u g s bildet, gibt sich isoliert betrachtet gar nicht mehr als Gelegenheitsdichtung zu erkennen. Gleichwohl bezieht es sich im weiteren Sinne auf die Gelegenheit, da das Fest nicht zuletzt wegen Carolines Verlobung in so großartigen Dimensionen abgehalten wurde. Der Goethesche Realitätsbezug darf allerdings auch hier nicht mit der Gelegenheitsbindung durch die loci circumstantiarum verwechselt werden: Der Text, der u m Brautschau und Eheschließung kreist, könnte durchaus unabhängig von einer konkreten Gelegenheit etwa als didaktisches Lied stehen. In der ersten Strophe fragt ein männliches Ich, w i e es eine passende Frau finden könne, und erhält zur A n t w o r t : »Fragst Du viel, so bist Du schlecht beraten; / Schau nur selbst herum und da und dort hinein. / Findest Du sie still zu 228
Haus / Und tätig und verständig; / Richte nur den Hochzeitsschmaus: / Der Tanz ist gleich lebendig.« (V. 5 5-60). Die ebenfalls von Männerstimmen gesungene zweite Strophe beleuchtet dasselbe Problem aus weiblicher Perspektive. Die Antwort lautet hier: »Fragst Du viel, Du wirst nicht viel gewinnen: / U m Dich selbst verschlingt sich ja das Band. / O b er Dir gefallen kann? / Die Augen muß Du fragen. / Ob's ein braver guter Mann? / Das muß das Herz Dir sagen.« (V. 63-68). Die empfohlenen Konzepte der tüchtig waltenden Hausfrau bzw. der Liebesheirat gehören nicht zu den höfischen, sondern zu den bürgerlichen Habitusformen. Goethe stimmt demnach die Inhalte der höfischen Casualpoesie mit aktuellen bürgerlichen Rollen-Diskursen ab, statt alte Klischees wiederaufzubereiten. Auf diese Proklamation folgt in der Schlußstrophe die Eheschließung, mit der zum Fest übergeleitet wird: »Hand in Hand wie dieses Paar, / Wollen wir das Fest genießen; / Fröhlich jauchze die ganze Schar / Und stampfe mit den Füßen!« (V.73-76). Während des Balls wurden die übrigen Verse aus der Sammlung >Die Völkerwanderung« und weitere kurze Masken-Einlagen dargeboten. So verkleidete sich beispielsweise der Dichter Thümmel als Astrologe. 37 ' Außerdem trat Falk verkleidet als Niemand auf und, wie Caroline von Egloffstein witzelt, »machte Späße, die n i e m a n d verstand«.' 72 Die Einlage endete mit folgenden einmalig platten Gelegenheitszeilen: Zuletzt - wer von uns vermag die Gefühle des heutigen Tages, der uns die Edelste aller Fürstentöchter schenkte, oder die feurigen Glückwünsche unsers Herzens, für das neuverlobte junge Fürstenpaar, mit Worten auszudrücken? Niemand! Niemand! Niemand! Niemand! 3 7 3
Bei einem anderen Auftritt erschien eine Gruppe spanischer Bänkelsänger, möglicherweise ein Formzitat nach Goethes >Das Neueste von Plundersweilern«. Auf ihrer Bildtafel war, so das >JournalJournal des Luxus und der ModenDer Abwesende dem Maskenfest zum 16. Februar i8i8< (FA 1,2,613) bei.378 Sein großer >Festzug. Dichterische Landeserzeugnisse, darauf aber Künste und Wissenschaften vorführend< (FA 1,6,830-863) entstand, mit erheblichem Aufwand, erst Ende des Jahres (vgl. Tgb 17. 10.-19.12. 1818; WA 111,6,254-273), da die Zarenwitwe vom 23. November bis 21. Dezember einen Staatsbesuch in Weimar machte. Goethes Maskenzügen der letzten Schaffensphase kommt im Vergleich mit den Arrangements anderer Autoren nicht nur ein höherer politischer Stellenwert zu, sondern sie weisen auch größere künstlerische Originalität und Individualität auf. Das Beispiel des Maskenzugs >Zur Feier des sechzehnten FebruarsKlassik< als europäisch uneinheitliches Phänomen sowie als umstrittener Stil-, Epochen-, N o r m - und Wertungsbegriff vgl. im Uberblick z.B. Borchmeyer, Weimarer Klassik, S. 1 3 - 4 3 , z u r Dekonstruktion der >Klassik-Legende< besonders Reinhold Grimm/Jost Hermand (Hg.): Die Klassik-Legende. Frankfurt a.M. 1971; Wilhelm Voßkamp (Hg.): Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken. DFG-Symposion 1990. Stuttgart/ Weimar 1993 (Germanistische Symposien Berichtsbände XIII); sowie neuerdings die klug differenzierenden Artikel von Horst Thomé (Klassik,) und Gerhard Schulz (Klassikj). In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearb. des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hg. v. Harald Fricke. Bd. II: H - O . Berlin/New Y o r k 2000, S. 266-270 bzw. S. 270-274. Hecht, Goethes Maskenzüge, S. 139. Vgl. zu Goethes (und Schillers) literaturpolitischem Engagement im Dienste einer >klassischen< Nationalliteratur auch Terence J. Reed: Ecclesia militans: Weimarer Klassik als Opposition. In: Wilfried Barner u.a. (Hg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984 (Veröffentlichungen der deutschen Schillergesellschaft 42), S. 37-53. Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 145. 2
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Noch stärker als schon bei der >Romantischen Poesie< trat bei diesem Aufzug die doppelte Zweckbestimmung zutage, erstens wie gewöhnlich durch die höfische Repräsentation, zweitens durch die ausdrücklich gewünschte literarische Repräsentation. In einem Ermutigungsbrief an Goethe sprach Carl August die Lage offen aus: »Keine leichte Aufgabe hast du übernommen, und gewiß wirst du Weimars alten Ruhm, der so ofte beneidet wurde, bey gegenwärtiger Hj>/>er-außerordentlichen Gelegenheit, aufs neue begründen.«388 Der Aufzug zur Erneuerung des alten Weimarer Ruhms verherrlichte in erster Linie die Kunst, ihre fürstlichen Förderer dagegen nur mittelbar, indem der Glanz der vorgestellten Werke auf sie zurückfiel. 38 ' Die bestellte Hommage an die dichterischen Größen Weimars bot Goethe die Gelegenheit, eine Summe der gemeinsam geprägten Epoche zu ziehen und dabei sein eigenes künstlerisches Profil zu umreißen. Schon in allen früheren Maskenzügen hatte Goethe die Signatur seiner Autorindividualität angebracht, was er nun zum Höhepunkt führte. Mit Wolfgang Hecht ist festzustellen: Maskenzüge lassen, ihrer Funktion als Festdichtung entsprechend, gewöhnlich keinen Raum für die Aussprache persönlicher Stimmungen und Meinungen oder sie transportieren sie ins Allgemeine. Der Maskenzug von 1818 kann jedoch nur als Bekenntnisdichtung Goethes verstanden werden. Bekenntnis schon die liebevollen und zugleich treffsicheren Charakteristiken der Freunde [...], Bekenntnis vor allem die der eigenen dichterischen Existenz gewidmeten Verse. 3 ' 0
Goethes Text gliedert sich in drei große Abschnitte: >Prolog< (FA 1,6,830-837), >Festzug< (FA 1,6,837-858) und >Epilog< (FA I,6,858-863).3?1 Der >Festzug< selbst setzt sich aus vier Untereinheiten zusammen, in denen jeweils ein Dichter gewürdigt wird. Er bezieht sich auf Figurengruppen aus den Werken Wielands (>Musarion< und >OberonLieder der Völkers >HumanitätsBriefeTerpsichoreAdrasteaÄon und Äonis< und >Der CidMahometGötz von Berlichingen< und >FaustDie Braut von Messina Wilhelm Teils >WallensteinDemetrius< und >TurandotProlog< und >Epilog< sowie die Verse, die Goethe über sich selbst schrieb. Obgleich die Situation eine stärkere Ausrichtung an den panegyrischen Konventionen erforderte, wünschte er hergesuchte Verweise, einen der häufigsten künstlerischen Mängel der Gelegenheitsdichtung, zu vermeiden: »Auch lassen sich Bezüge auf die Höchsten Gäste ungezwungen, direct und indirekt, anbringen [...].« (WA 1,16,488). Ein erstes Aufzugsschema mit dem Titel >Der Winter mit seinem Gefolge< (WA 1,16,487) legte Goethe schon im Oktober 1818 vor. Der Winter, wie in den vorigen Zügen begleitet von Nacht, Schlaf und Traum, sollte wieder mit dem von ihm etablierten Herrschaftssymbol des Nordlichts auftreten: »Der W i n t e r selbst auf einem Gletscher getragen, müßte den Nordpol mit Nordlichtern umgeben andeuten, man könnte ihn, um an das neuste heranzugehen mit zwei ausgerüsteten Schiffen im Arm vorstellen.« (WA 1,16,487). Der letzte Vorschlag zeigt erneut Goethes Streben nach Aktualität im Bilderschatz der höfischen Maskerade: Der Engländer John Franklin bereitete gerade eine Polarexpedition vor, zu der er 1819 aufbrach. Im November beschloß Goethe, seinen Entwurf nicht dem eigentlichen Aufzug, sondern dem >Prolog< zugrundezulegen.394 Er informierte Meyer: »Mit dem Ganzen bin ich nunmehr einig, seitdem ich den Winter und sein Gefolge herausgeworfen habe [...].« (an J . H . Meyer, 22. I i . 1818; WA 1 X 3 1 , 1 3 ) . Im fertigen >Prolog< untergräbt Goethe das hergebrachte Sonnensymbol noch einmal explizit. So verkündet die Nacht: »Die Majestät ist milder als die Sonne, / Denn ihre Gegenwart vertreibt mich nicht.« (V.2 3 f.). Die auftretenden Wintermonate spielte Goethe dieses Mal nicht als Anlaß zur geselligen Vereinigung, sondern kalenderartig aus. Das betont den Anlaß: »Oktober Geburtsmonat I.K.M. fruchtbar herbstlich dargestellt. November als Schütze. December winterlich. Beide letztern als Monate der Ankunft und des Verweilens.« (ebd.). Im endgültigen >Prolog< wird die Anreise der Kaiserin
3,3
194
Kommentare wie z.B. Borchmeyer/Huber, F A 1,6,1433-1444 oder Richter/Michel, Μ Α 1 1 , ι /1,686-694. Die Reihenfolge Wieland - Herder - Goethe - Schiller impliziert keine Hierarchie, sondern ergibt sich aus der Chronologie der Geburtsjahre. Wenn Goethe in der Vorläufigen Anzeige seines Zugs ( F A 1,6,825-830) mitteilt, daß sich z.B. Oberon und Titania »als Lehnsleute der Allerhöchsten Gäste [bekennen]« (FA 1,6,826), bezieht sich das auf die pragmatische Funktion des Auftritts. In den Maskenstrophen kommen derartige Gesten nicht vor. Oppenheimer zieht als Grund dafür eine mögliche Ablehnung der Skizze seitens der Herrscher in Erwägung, was sich allerdings nicht belegen läßt (vgl. Oppenheimer, A Midwinter Night's Dream, S. 2).
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mit den neusten Familienverhältnissen verbunden: »Räume hast Du nun durchzogen / Wo Du Tochterglück erhöht. / Sehn wir Enkel Dich umschweben [...].« (V. 15 ff.). Der November erwähnt ihre Fahrt von neuem: »Dieser, der, nach Jägerweise, / Wälder, Berg und Tal durchstreift, / Tritt herbei zu Deinem Preise, / Da er nicht im Weiten schweift; / Nein! das schöne Glück ergreift / Zu begleiten Deine Reise.« (V. 49-54). Der Oktober geht in der Endfassung mit einem Glückwunsch sogar auf den genauen Geburtstag ein: »Des Festes Fest, ein auserwählter Tag; / Ein Tag so hehr, im Zeitenkreis gestellet, / Der fünf und zwanzigste bleibt seine Zahl, der Sie dem Licht, eine neues Licht, gesellet, / Sich wiederhol' er überzähligmal.« (V. 44-48). Gegenüber diesen casualpoetischen Gemeinplätzen setzt Goethe im >Prolog< auch individuelle künstlerische Akzente: Das seit 1781 im Maskenzug konsequent verfolgte Humanisierungsprogramm fächert er erstmals inhaltlich auf. Wie schon im >Aufzug der Dichtarten< von 1802 läßt er Epos, Tragödie und Komödie mehr oder weniger schematisch ihre Gattungseigenheiten darlegen, wieder in der signalhaften Stanzenform. Darüber hinaus gehen die Gattungsallegorien dieses Mal auf die gesellige Vereinigung im Fest ein. Das Epos gibt bekannt: Die Wirkung dieses Festes fühl' ich gleich; / Ein neuer Sinn muß uns vereinen. / Den Rücken kehr' ich meinem Schlachtenreich, / Und du, enthalte dich von Klag' und Weinen. / Wir sind verändert! - Stolzes Tatgepränge / Zu keinem Ziel und Zweck ist uns ein Schaum; / Verwirrtes Wogen unverständ'ger Menge, / Von allen Träumen ist's der schwerste Traum. / Notwendigkeit und Schicksal! herbe Strenge! - / Hervor, o Schwester, frei im freisten Raum! / Nicht störrisch darf sich Leidenschaft erkühnen; / Die schönste Leidenschaft ist, hier zu dienen. (V. 157-168).
Die Tragödie ergänzt die vorgestellte Ästhetik des Maskenzugs, indem sie die Sinnrichtung der Darbietung zum nachgerade gattungskonstituierenden Menschlichkeitsideal lenkt: »Wie Geist und Liebe diesen Saal durchwehen, / Dem Fühlenden Gefühl begegnet, / Wie jeder sich im ganzen segnet, / Gelinge lieblich zu enthüllen / Uns, Eurem Dienst entzündete Sibyllen.« (V. 174-178). Außerdem prononciert Goethe von neuem bürgerliche Habitusformen im Kontext der höfischen Gelegenheitsdichtung. Der Dezember tritt als Mutter, mit zwei Kindern (FA 1,6,832) auf. Der Text dieser Gruppe zeugt von der bürgerlichen Entdeckung der Kindheit,5'5 von Privatsphäre und Innerlichkeit. Die Mutter fragt: »Magst du, mein Schatz! dich unterwinden / Und wie es dir im stillen Herzen Deucht, / Mit lauter Stimme selbst verkünden?« (V. 68ff.). Die Kinder erwidern: »Der Winter ist den Kindern hold, / Die jünsten sind's gewohnt. / Ein Engel kommt, die Flüglein Gold, / Der guten Kindern lohnt.« (V. 7 1 - 7 4 ) ·
Zuletzt spricht das Epos noch die Doppelnatur des Aufzugs an, der die Macht Weimars vermöge seiner Kultur demonstrieren sollte: »Damit jedoch 395
Vgl. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit. München 1975.
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in solchem Lustgetümmel, / Der Sinn erscheine, der verschleiert liegt, / Gestaltenreich, ein überdrängt Gewimmel, / Dem innern Sinn so wie dem äußern gnügt; / So melden wir: daß alles was vorhanden, / Durch Musengunst den Unsrigen entstanden.« (V. 187-192). Der >Epilog< schließt den panegyrischen Bogen um den Maskenzug. Die lime, eine Allegorie des Weimarer Flusses, vergegenwärtigt die Geschichte des Musenhofes einschließlich seiner Krisen, des Schloßbrandes von 1774 und der Belagerung von 1806. Anna Amalia, welche die ersten Dichter nach Weimar holte, steht am Anfang dieser Darstellung: So Sprech' ich nun den hochverklärten Namen / A m a l i a mit Ehrfurcht aus. / Du winktest uns. Geräuschlos kamen / Wir eine nach der andern, das zerstörte Haus, / Den Flammenraub erbauten wir im Stillen, / Mit neuer Landschaft rings umzirkt. / So ward es denn nach unsers Fürsten Willen, Des hohen Sohn's, der unablässig wirkt. (V. 913-920).
Es folgt eine Strophe über Carl August, die seine echten Vorzüge benennt, jedoch ehrlicherweise nicht seine Schöngeistigkeit als Oberhaupt des Musenhofs fingiert: »Hier thronet Er, der uns erheitert, / Daß jede schnell das Beste schafft; / Der unsern Wirkungskreis erweitert / Zu Tätigkeiten jeder Kraft.« (V.921924). Hinter der allgemeinen Feststellung verbirgt sich möglicherweise ein persönlicher Dank Goethes an den Herzog, der seine unerlaubte, rekreative Flucht nach Italien großzügig hingenommen hatte. Zuletzt wird Luise, ebenfalls mit individuellem Zuschnitt, gewürdigt: »Hier thronet Sie, die uns verbunden / In stillen Tugenden erbaut, / Sie die in schrekkensvollen Stunden / Auf uns als Retterin geschaut.« (V. 925-928). Nach dem regierenden Paar werden als nächstes Himmelskunde, Erdkunde, Botanik, Feldbau, (bildende) Künste und Tonkunst gepriesen. Am Ende der umfassenden Bestandsaufnahme der durch das Herzogshaus geförderten Künste und Wissenschaften folgt ein Resümee, das zugleich die kuriosen Repräsentationsgegenstände rechtfertigt: »So steh'n wir zuversichtlich alle / Und schämen uns des Eigenlobes nicht; / Ruhmredigkeit wär' es in anderm Falle, / Jedoch in diesem ist es Pflicht.« (V. 978-981). Goethes Begründung durch die besondere Gelegenheit enthält nur die halbe Wahrheit: »Denn Rechenschaft, wem wären wir sie schuldig, Wenn wir es nicht der Allerhöchsten sind.« (V. 984^). Tatsächlich steht der Aufzug beispielhaft für die grundlegend gewandelten Huldigungsverhältnisse am Weimarer Hof. So beobachtet Borchmeyer: Hier kommt gleichsam nicht mehr die Dichtung zum Hofe, sondern der Hof zur Dichtung - wie bei hohen Besuchen der Großherzog nicht seinen Dichter ins Schloß bestellte, sondern ihm vielfach mit seinen illustren Gästen in seinem Haus am Frauenplan seine Aufwartung machte." 6 Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 145.
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Eine zeitgenössische Anekdote bestätigt die umgedrehte Hierarchie: Johann Diederich Gries berichtet, daß die Kaiserin, nachdem Goethe sich für seine Abschiedsaudienz hat entschuldigen lassen, gesagt haben soll: »Nun, es freut mich doch, daß ich Goethe wenigstens Einmal gesehen habe, und daß er gegen mich so freundlich und huldreich bezeigt hat.« 397 Im Maskenzug hingegen erhält sie, hervorgehoben am Schluß, durchaus einen Abschiedsgruß des Dichters: »Wandle Sie, zum neuen Jahre, / Neu den Ihrigen heran. / Wir, mit heitern Augenbraunen, / Segnen Sie von Ort zu Ort; / Das Verstummen, das Erstaunen / Bildet sich als Liebe fort.« (V. 1028-1033). Während Goethe im >Prolog< und im >Epilog< mit gewissen persönlichen Abweichungen getreulich das panegyrische Pflichtprogramm abhandelt, nimmt er sich im >Festzug< in den Versen über sich selbst die Freiheit der Kür. Mit einem Blick auf die textuelle Umgebung läßt sich die Tragweite der freimütigen dichterischen Selbstexploration erst ganz ermessen. Zu Beginn des >Festzuges< heißt es: »Wenn vor deines Kaisers Throne / Oder vor der Vielgeliebten, / Je dein Name wird gesprochen; / Sei es dir zu höchstem Lohne. // Solchen Augenblick verehre; / Wenn das Glück dir solchen gönnte!West-östlichen Divan< (vgl. FA 1,3/1,42), an dem er damals außerhalb seiner Hofpoetentätigkeit arbeitete. 3 ' 8 Die Anspielung darauf enthält mehr als nur einen selbstgefälligen Hinweis auf seine autonome Künstlerexistenz. Auch in den >Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans< verknüpft er die beiden Werke miteinander. Dort erklärt er zu seinem orientalischen Zyklus: Hiebey ist jedoch zu bedenken, daß der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermäßig lobende Dichtart, dem Gefühl des Westländers vielleicht nicht zusagen möchte. Wir ergehen uns hoch und frey, ohne zu Hyperbeln unsere Zuflucht zu nehmen: denn wirklich nur eine reine, wohlgefühlte Poesie vermag allenfalls die eigentlichen Vorzüge trefflicher Männer auszusprechen, deren Vollkommenheit man erst recht empfindet, wenn sie dahin gegangen sind [...]. (FA 1 , 3 / 1 , 2 1 5 ) " '
Unmittelbar anschließend ordnet er den >Festzug dichterischer Landeserzeugnisse« dieser >reinen, wohlgefühlten Poesie< zu: »Einen Theil dieser Schuld hatte der Dichter vor kurzem, bey einem herrlichen Feste in Allerhöchster Gegenwart, das Glück nach seiner Weise gemüthlich abzutragen.« (ebd.). Die Gelegenheitsdichtung wird mit dieser Erklärung von Grund auf revolutioniert. Er-
397
398 399
Johann Diederich Gries an Bernhard Rudolf Abeken, 1 8 . 1 . 1819. In: Biedermann/ Herwig, Goethes Gespräche, Bd. 3/1, S.96. Vgl. dazu auch Oppenheimer, A Midwinter Night's Dream, S. 5Í. Dort abgedruckt unter dem ursprünglichen Titel >Besserem Verständnis«.
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stens wird sie in den Stand hoher Dichtkunst erhoben. Zweitens wird sie von halbherziger Hyperbolik befreit, an deren Stelle echte Gefühle treten sollen. Drittens verankert Goethe die bislang eher nebensächliche Autorindividualität in der Gattung, die er eben >nach seiner Weise gemüthlich< gestaltet. Alle drei Neuerungen stehen der Gattungstradition weitestgehend entgegen, werden aber nun als konstituierend angesehen. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum mehr, daß Goethe in den Maskenversen zu seinen eigenen Werken gewissermaßen einen dichterischen O f fenbarungseid ablegt, und das auf der Folie eines älteren Gelegenheitsgedichts. So erinnert er an das Lokalkolorit des Geburtstagsgedichts >Ilmenau< (FA 1,1,263-268) für Carl August aus dem Jahr 1783. Dort beginnt mit den Worten »Anmutig Tal, du immergrüner Hain / Mein Herz begrüßt euch wieder auf das Beste« (V. if.) eine ausführliche Landschaftsdarstellung, die 1818 aus der Altersperspektive unternommen wird: »Die Bäume sämtlich, die mich hoch umschatten, / Die Felsen rauh und seltsam angegraut, / Der Hügel Grün, das Grünere der Matten, / Sie haben ihm ein Paradies gebaut [...].« (V. 445-448). Wenn diese Parallele noch zufällig sein mag, so ist es das gleichgerichtete Schuldbekenntnis gewiß nicht mehr.400 Im Jahr 1783 schreibt Goethe: »Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme / Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr / Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.« (V. 1 1 iff.). Ohne das Sturm-undDrang-Pathos wiederholt er 1818: »Als Dichter hat er manches zwar verschuldet, / Im höhern Sinne war es gut gemeint.« (V.453Í.). Da Goethe mit dem >IlmenauFestzug< hingegen greift er den alten Konfliktstoff noch einmal auf. Er prangert die höfische Habitusform der dissimulatio an, indem er das Verhalten des Hofstaats mit dem der Mimen, wenn nicht üblerer Zeitgenossen gleichsetzt. So verkündet ausgerechnet Mephisto: M a n sagt mit nach ich sei ein böser Geist, / D o c h glaubt es nicht! F ü r w a h r ich bin nicht schlimmer / A l s mancher der sich hoch f ü r t r e f f l i c h preist. / Verstellung sagt man sei ein großes Laster, / D o c h v o n Verstellung leben wir; / D r u m bin ich hier, ich h o f f e nicht verhaßter / A l s andre jene, v o r und hinter mir. (V. 5 8 1 - 5 8 7 ) .
Außerdem legt Goethe in den Maskenversen über sich selbst einen zusammenfassenden Querschnitt durch sein Lebenswerk. Politik und Dichtkunst werden hier ebenso angedeutet wie die Naturwissenschaft, darunter besonders sein morphologisches Denken: »Weltverwirrung zu betrachten, / Herzensirrung zu beachten, / Dazu war der Freund berufen, / Schaute von den vielen Stufen / Unsres Pyramidenlebens / Viel umher und nicht vergebens: / Denn von außen und von innen / Ist gar manches zu gewinnen.« (V.457-466). In diesem Maße
400
Vgl. Kap. 4.1.1.
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wird die Autorindividualität der anderen Dichter nicht annähernd behandelt. Bei ihnen geht es lediglich um die Würdigung der konkret auftretenden Werke. Die Entwicklung seiner dramatischen Dichtung, die später auch noch personifiziert auftritt, hebt Goethe noch gesondert hervor: »Daß nun dies auch Deutsche Leute / Bei Gelegenheit erfreute, / Ließ er auf der Bühne schauen / Heldenmänner, Heldenfrauen. / Wenige zuerst, dann viele / Kamen zum belebten Spiele, / Immer nach verschiednen Formen, / strengen und befreiten N o r men.« (V. 465-472). Die Textauswahl - >MahometGötz von Berlichingen< und >Faust< - zielte auf die Veranschaulichung dieser Mannigfaltigkeit. So erläutert Goethe in der Vorläufigen Anzeige* des Zugs (FA 1,6,825-830) zu »Mahomet*: »Als Musterbild dramatischer Beschränkung in Ansehung der Handlung, der Zeit und des Ortes, wie solche früher die Alten, späterhin besonders die Franzosen beliebt, kann diese Darstellung wohl gelten.« (FA 1,6,827). Mit dem >Götz< wird dann, so weiter, die »Aussicht auf eine freiere Dichtart« (ebd.) gegeben, die dann von der >FaustAufklärenden Bemerkungen« zum Druck des Aufzugs in der Ausgabe letzter Hand betonte Goethe vor allem den Rang des Textes, verkündete aber auch das Ende der Gattung: »Diese in historischem Sinn und Zweck aneinander gereiht folgenden Festgedichte verdienen wohl hier zuvörderst aufzutreten; es ist in dieser Art das Reichhaltigste und Vollständigste, was ich zuletzt hervorzubringen bemüht gewesen; auch möchte ich mich wohl schwerlich je wieder einem solchen Auftrag unterziehen und ein ähnliches Unternehmen wagen.« (WA 1,5/2,50). In diesem Kontext der Selbsthistorisierung 407 schrieb er sinngemäß auch an Boisserée: So gut ich auch secundirt ward, so ist doch für mich die Epoche dieser Spaße vorbey und ich darf mich freuen daß Anlage und Ausführung noch heiter und ergötzlich waren; die Gedichte zeugen davon und wir wollen es nun dabey bewenden lassen, (an Boisserée, 18.6. 1819, W A 1 X 3 1 , 1 8 9 ) .
Auch wenn sein Alter eine Rolle spielte (vgl. an F.W. v. Bielke, 1 8 . 1 0 . 1 8 1 8 ; WA IV,29,3i2), lag der Hauptgrund dafür, daß Goethe die Maskenzugproduktion 404
405 406
407
Bei dem Geschenk handelt es sich um eine »kostbare Porträtdose« (an Klinger, 20.12. 1818; W A I V , 3 i , 2 7 ) . Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 145. Einen der letzten Weimarer Maskenzüge überhaupt schrieb Riemer 1830 zum Geburtstag Carl Friedrichs (Friedrich Wilhelm Riemer: Der Sänger-Wettstreit auf der Wartburg. Maskenzug zur Feyer des zweyten Februars in Weimar. Weimar 1830; Ruppert-Nr. 3685). Das Ende der Maskenzüge hängt auch damit zusammen, daß im selben Jahr Luise, die Hauptadressatin dieser poetischen Karnevalsvergnügungen, starb. Dieses Moment prägt seit Schillers Tod, verstärkt aber nach Abschluß der Materialien zur Geschichte der Farbenlehre« im Jahr 1 8 1 0 auch andere Bereiche von Goethes Werk: V o r allem die intellektuellen Selbstporträts in den autobiographischen Schriften stehen für seine Auffassung von Kulturgeschichte als individueller Geistesgeschichte, auf der auch das sorgfältige Sammeln und Bewahren seiner Schriften im Alter und schließlich auch für das Großprojekt C gründet. Vgl. Nicholas Boyle: Geschichtsschreibung und Autobiographik bei Goethe ( 1 8 1 0 - 1 8 1 7 ) . I n : G J b 1 1 0 ( 1 9 9 3 ) , S. 1 6 3 - 1 7 2 .
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einstellen wollte, nicht in seinen persönlichen Umständen, sondern in den sich wandelnden politischen Verhältnissen. Der Maskenzug von 1818 diente als letztes Bollwerk gegen den Untergang des Ancien Régime. Goethe meldete Knebel nach der Aufführung: »Indessen haben wir die alte Ehre Weimars gerettet, ich aber, will's Gott! von solchen Eitelkeiten hiedurch für immer Abschied genommen.« (an Knebel, 2 6 . 1 2 . 1 8 1 8 , WA IV,31,37^). Er rechtfertigte seine casualpoetischen Bemühungen um den Glanz der alten Zeit mit der Gewohnheit: »Das müssen wir nun geschehen lassen, so lange wir aber wirken, immer noch am Faden der alten Ordnung festhalten, damit wir uns auch noch am Ende gleich bleiben.« (an Klinger, 20.12. 1818; WA 1X31,28). Trotz dieser Anflüge von konservativer Höflingsattitüde akzeptierte Goethe durchaus das Abbröckeln der >alten Ordnungc »[E]s ist ein wunderbar Geschick, das mich veranlaßte eine mehr als vergangne Zeit mit gutem Muthe noch einmal hervorzurufen.« (an C . E . A . v. H o f f , 19.4. 1819; WA 1 X 3 1 , 1 3 4 ) . Goethes sämtliche Äußerungen über den Aufzug spiegeln das Schwanken zwischen persönlicher Neigung und historischer Einsicht wider: Einmal nennt er ihn zukunftsfroh »Gedichte, w o der alte Schwan vergangne Zeiten und Verdienste singt, indem er die Hoffnung auf künftige zu gründen wünscht« (an F.W.H. v. Trebra, 1 4 . 1 . 1 8 1 9 ; WA 1 X 3 1 , 1 2 4 ) ; ein andermal widmet er ihn seiner einstigen Frankfurter Verlobten Lili Schönemann fast zynisch mit den Worten: »Weimarisches Geister-Chor zu treulicher Begleitung den lieben scheidenden Gästen nachgesendet. Weimar d. 24. April.« 408 Dennoch fand Goethe sich noch einmal bereit, nach altem Brauch eine kleine Maskenzugdichtung für Luises Geburtstag am 30.1. 1828 zu verfertigen. 40 ' Nachdem der Bergwerksdirektor Carl Christian Friedrich Glenck in der bei Erfurt gelegenen Stotternheimer Saline erstmals Salz zutage gefördert hatte, bat er Goethe um ein Festgedicht, mit dem er seine Ausbeute der Herzogin schenken wollte. Goethe sagte ihm die Verse zu (vgl. an Glenck, 20.1. 1828; WA 1X43,25 5). Er betitelte die Huldigung umständlich mit >Die ersten Erzeugnisse der Stotternheimer Saline begleitet von dichterischem Dialog zwischen den 408
409
Widmung für Lili Schönemann. Abgedruckt in: Ernst Wolfgang Mick: Goethes umränderte Blättchen. Dortmund 1982, S. 58. In der Forschung herrscht eine gewisse Vorsicht, diesen Text uneingeschränkt als Maskenzug anzusehen: So stellt Sauder nur die »Nähe zu den Maskenzügen« (Sauder, Maskenzüge, S. 318) fest, während Borchmeyer/Huber immerhin einräumen: »Obwohl es sich hier mehr um »einen dichterischen Dialog< als um einen Maskenzug handelt, ist diese Zuordnung gerechtfertigt, da das Gedicht [...] am 30. Januar 1828 der Großherzogin Louise überreicht worden war, also Teil der Geburtstagsfeierlichkeiten war.« (Borchmeyer/Huber, F A I,é,i444f.). - Gegen die Zuordnung ließe sich allenfalls einwenden, daß der Zug möglicherweise nicht aufgeführt, sondern nur überreicht wurde (vgl. Heinrich Düntzer: Goethe und Karl August. Leipzig 1861, S. 892), was heute aufgrund der Uberlieferungslage sämtlicher Züge kaum einen Unterschied macht.
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Gnomen, der Geognosie und der Technik überreicht zum X X X . Januar M D C C C X X I I X . mit getrostem Glück auf! C. Glenck, Salinen-Direktor, untertänigst (FA 1,6,868-871). Mehre Jahre zuvor hatte Goethe über Glencks Probebohrungen geäußert: Ich bin ungläubig an den glücklichen Folgen dieser Operation, doch, w i e ich gern gestehe, aus alten, vielleicht veralteten Vorstellungen, und mir sollte sehr angenehm seyn, hierüber moderner aufgeklärt zu werden, (an K . v. Sternberg, 1 2 . 1 . 1 8 2 3 ; W A IV,36,276).
Um so mehr zeigte sich der eingefleischte Neptunist durch Glencks Erfolg beeindruckt (vgl. z.B. an Zelter, 1 3 . 1 1 . 1829; WA IV,46,149). Daher illustriert der »dichterische Dialog* über den Salzfund auch die Niederlage veralteter Deutungsmuster. Er führt zwei entgegengesetzte Positionen vor: die eines Gnoms, der als Elementargeist das Salz vor menschlichem Zugriff schützt und die der modernen Technik und Wissenschaft, allegorisch dargestellt durch die Figuren der Geognosie und der Technik. Die Umstände der Gelegenheit treten bei diesem Text hinter dem Thema der Salzgewinnung zurück. Der Titel gibt nur den Anlaß, nicht die Adressatin bekannt. Auch in den Maskenstrophen finden sich nur leise Andeutungen. Fürstenpreis und Glückwunsch entfallen vollständig, während das Lob des Textes sich an Glenck richtet. Der als erstes sprechende Gnom sperrt sich gegen die Entdeckung seiner Schätze, fügt sich aber in sein Schicksal und den feierlichen Anlaß: »Und da es mir zu hindern nicht gelingt, / So bin ich einer der es festlich bringt.« (V. 7f.). Der Erdgeist kann, wie Goethe, nicht anders als Glencks Leistung anerkennen. Beiläufig klingt auch hier noch einmal der Anlaß an: D o c h heute bringt ein kühngewandter M a n n , / D e r gegen mich so manche List ersann, / A l s G a b e dar, was, selbst an diesem Tag, / Schneeweiß dem Fürsten gnügen mag. / So tut sie denn dem Bürger auch genug, / [ . . . ] / U n d w e n n sie euch das Schönste h o f f e n läßt, / So feiert f r o h das allgemeine Fest. (V. 1 7 - 2 4 ) .
Die Wortwahl >Bürger< statt >Untertan< zeigt, wie sich die höfische Gelegenheitsdichtung dem politischen Zeitgeist bzw. nach Bourdieu, dem gewandelten Raum der Möglichkeiten anpaßt. Mit beinahe faustischem Entdeckergeist hält die Geognosie dem Gnom entgegen: »Hast Du auch edle Schätze tief versteckt, / Dem Menschengeist ist sie bereits entdeckt.« (V. zji.). Sie erklärt ihr Wesen im folgenden - wie viele von Goethes Personifikationen im Maskenzug - nicht allegorisch, sondern vielmehr wissenschaftlich: »Bedeckt der Kalkstein die Region, / So ahn' ich unten Ton und Gyps und Ton, / Sodann auch Sandstein; laßt ihn mächtig ruhn, / Wir gehen durch, wir wissen was wir tun.« (V. 35-38). Die Technik schließt sich dem fortschrittsoptimistischen Grundton an. Besonders stellt sie die Physik heraus, nicht ohne eine weitere Goethesche Spezialität zu erwähnen: »Physik voran, die jedes Element / Verbinden lehrt wie sie es erst getrennt; / Das Unwägbare
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hat für sie Gewicht, / Und aus dem Wasser lockt sie Flammenlicht [...].« (V. 596z). Die letzte Eigenschaft, die der Physik zugeschrieben wird, bezieht sich auf ein von Goethe unter den Physischen Farben beschriebenes optisches Phänomen, das beim Versenken kleiner Körper im Wasser beobachtet werden kann (vgl. FA 1,25,752-755). Am Ende des Textes einigen sich die drei Masken in sentenzhaften Distichomythien darauf, daß die Salzgewinnung ein wünschenswertes Unterfangen sei. Die abschließende Ermutigung der Technik bezieht sich daher gleichermaßen auf den Herzogingeburtstag und auf den Salzfund: »Betätigt weiter glückliche Bereitung / An diese Tages günst'ger Vorbedeutung.« (V.cjif.).410 Mit dem letzten Maskenzug setzt Goethe sich mehr als jemals zuvor über den eigentlichen Zweck der höfischen Gelegenheitsdichtung, die Erhöhung des Fürsten, hinweg. Statt dessen zeichnet er eine von ihm favorisierte Wissenschaft und einen ihrer Vertreter aus, nicht ohne einen Hinweis auf seine eigene naturwissenschaftliche Forschung einfließen zu lassen. Ebenso geht die Bergbauallegorie auf seine eigenen Werke zurück: Ahnliches findet sich bereits im »Pantomimischen Ballet< von 1782, in der Bergbaupantomime in >Wilhelm Meisters Lehrjahren< (vgl. FA 1,9,447^) sowie in der >Mummenschanz< des >Faust IIPalaeophron und Neoterpe< (FA 1,6,251-263) von 1800. Ein drittes Stück, >Elpenor< (FA 1,5,291-317), das Goethe 1781 zunächst für die Niederkunft der Herzogin Luise vorsah, scheiterte - aus später zu klärenden Gründen - als Gelegenheitsdichtung und blieb auch als unabhängige Dichtung, als die Goethe es fortsetzen wollte, Fragment. Hinzu kommen noch insgesamt 410
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Tatsächlich wurde die Grube genau zwei Jahre darauf durch Schlammeinbruch unbrauchbar (vgl. Eckermann, Gespräche mit Goethe, S. 3 86f.). Vgl. zum Gattungsbegriff des Festspiels bei Goethe ausführlich Dustmann, Wesen und Form des Goetheschen Festspiels, S. 1 3 6 - 1 5 6 .
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sechs Theaterreden, Vor- und Nachspiele, die sich ebenfalls auf festliche Gelegenheiten am Hof beziehen. Goethes erstes Gelegenheitsstück entstand parallel zu der Maskenzugserie des Jahres 1781. Im Weimarer Herzogshaus herrschte gerade in dieser Zeit ein erhöhter Bedarf nach repräsentativer Selbstdarstellung, für deren künstlerische Realisierung Goethe maßgeblich herangezogen wurde. In einem Brief an Charlotte von Stein deutet sich an, daß seine Verwandlung zum höfischen Entertainer teilweise ohne sein Zutun erfolgte: »Ich bin an des Herzogs Aufzug und werde auch noch Balletmeister.« (an Charlotte v. Stein, 18.1. 1782; WA IV,5,25o). Die Rolle des Ballettmeisters übernahm Goethe mit einem Bühnenstück, das er für Luises Geburtstagsredoute anfertigte. Sein Titel verrät bereits die Zielsetzung, das traditionelle Hofballett poetisch aufzupolieren: >Pantomimisches Ballet untermischt mit Gesang und Gespräch* (FA 1,5,441-450). 412 Seit Anfang Dezember des Vorjahres beschäftigte er sich bereits mit diesem Projekt, abermals im fortwährenden Austausch mit Charlotte - »Hab ich bey dir den Entwurf zum Ballet liegen lassen?« (an Charlotte v. Stein, 4.12. 1781; WA IV,5,231). Der Hof scheute bei diesem Stück weder Kosten noch Mühen, um sich künstlerisch in Szene zu setzen. »Die Kosten betrugen 690 Tl, Aulhorn gab allein 62 Stunden zum Einstudieren der Tänze. Die Gesänge wurden in 500 Exemplaren gedruckt, das am Schluß von dem [...] Knaben überreichte Gedicht in 400 Exemplaren, 26 davon auf Bändern.«413 Ernst M. Oppenheimer bietet eine plausible Erklärung für den immensen Aufwand, den der Hof veranstaltete: Considering this expense of money and time in the context of the deliberate attempts to establish closer relations with neighbouring courts (which include Goethe's travels to these courts in December 1 7 8 1 , and again in March and April 1782; the large, if rather unsuccessful hunting party at the end of December; the probable presence at the >Ballett< of Duke Friedrich and Prince August of Saxe-Gotha; and Goethe's repeated assurances that the festivities were necessary evils) I feel justified in stressing the probable political significance of the >BallettDer Geist der Jugend< (vgl. Carl August Hugo Burkhardt: Kritische Bemerkungen zu Goethe's Biographieen, S. 20; sowie Düntzer, Goethes Maskenzüge, S. 16), was sich allerdings nach der Uberlieferung nicht belegen läßt (vgl. Borchmeyer, F A 1,5,1218). In: Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S. 210. Johann Adam Aulhorn war der tatsächliche Hoftanzmeister in Weimar. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 88. Die Anwesenheit des Herzogs von Sachsen-Gotha und des Prinzen August bei der dritten Aufführung am 6.2. 1782 ist gesichert (vgl. an v. Knebel, 3.2. 1782; W A IV,5,256).
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Wenn diese Hast und Hatze vorbey ist und wir wären um eine Provinz reicher so wollt ich's loben, da es aber nur auf ein Paar zerbrochene Rippen, verschlagne Pferde und einen leeren Beutel angesehen ist, so hab ich nichts damit zu schaffen. Ausser daß ich von dem Aufwand nebenher etwas in meine politisch moralisch dramatische Tasche stecke, (an Charlotte v. Stein; WA IV,5,239^) Die für Luises Geburtstag benötigte Dichtung unterlag somit in bisher nicht dagewesenem Ausmaß der heteronomen Bestimmung durch politische Interessen des Hofes. Sie mußte überregionalen repräsentativen Ansprüchen genügen. Dennoch plante Goethe kein konventionelles Ballett, sondern eben eines, das >untermischt mit Gesang und Gespräch« war. E r machte demnach auch jetzt, da er seine »Hand den Kräusel zu treiben ha[t] hergeben müssen« (an v. Knebel, 3.2. 1782; W A 1X5,256), seinen selbständigen künstlerischen Gestaltungswillen geltend. Z u diesem Z w e c k legte er ein dreiaktiges Märchenstück vor, aus dessen Schlußballett ein A m o r heraustritt, um der Herzogin ein Huldigungsgedicht zu überreichen. Die scharfzüngige Protokollantin Luise von Göchhausen weist auf den ambivalenten Charakter der Maskerade hin, die durch Repräsentationspflichten und Langeweile ebenso motiviert ist wie durch Bildungsinteressen. Sie fängt damit vermutlich letzte auratische Reste der Darbietung ein, 4 ' 5 deren Ablauf bei den Theatertexten wie bei den Maskenzügen gemeinhin nur spärlich überliefert ist: Die Zeit des Carnevals hat indessen für jetzt zu allerley Selbstbetrug Anlaß gegeben, und man ist wenigstens darauf bedacht gewesen, die maladie contagieuse des Hof ennui recht brillant zu machen. Komödien, Bälle, Aufzüge, Redouten u. das Alles hat sich gejagt. Auch Freund Göthe hat sein Goldstück zu Anderer Scherflein gelegt und auf der Herzogin Luise Geburtstag, der den 30™" war, eine artige Comédie ballet geliefert, die folgenden Inhalts war: Eine Fee und ein Zauberer hatten einen mächtigen Geist beleidigt und ihnen wurde dadurch das Vorrecht, ewig jung zu bleiben, geraubt. Sie wurden alt mit allen Feen und Zauberern, die ihnen ergeben waren. Diese Strafe sollten sie dulden, bis in gewissen Bergklüften der große Karfunkel gefunden würde, dem das verzaubert war, was ihnen allen fehlte. Diesen Stein zu erhalten, vereinigten nun die Fee und der Zauberer ihre Macht. Die Berggeister wurden beschworen, Feen, Gnomen und Nymphen thaten durch wunderbare Zaubereien ihr Bestes und das Abenteuer wurde bestanden, der große Carfunkel herbeygeschafft, geöffnet und Amor sprang heraus. In diesem Augenblick gingen die großen Verwandlungen vor sich, und aus einem ganzen Theater voll alter Mütterchen und Gnomen wurden lauter schöne Mädchen und Jünglinge. Diese Verwandlungen gingen sehr gut, und Decoration und Musik waren recht artig. Das Ganze war mit Gesang und Tänzen gemischt und endigte mit einem großen Ballet, wo Amor der Herzogin beiliegende Verse gab, die Göthe nebst vielen Grüßen sendet, sich daran zu erbauen.4'
41 ! 4lé
Vgl. auch Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen, S.44. Luise v. Göchhausen an Johann Heinrich Merck, 11.2. 1782, S. 2Tanz der N y m p h e n < des zweiten A k t s , als vier B a u e r n a u f treten u n d einen v o n den N y m p h e n f ü r den Z a u b e r e r gedeckten Tisch finden. D i e N y m p h e n erstarren: Die Bauern suchen den Nymphen einige Bewegung abzuzwingen, da dieses nicht geht, wollen sie ihnen die Kannen aus den Händen nehmen; da auch dieses vergeblich ist, versuchen sie die Kannen, in den Händen der Nymphen, gegen die Becher zu bewegen, und sich auf diese Weise einzuschenken, welches auch wieder versaget. Es kann auch noch dieser Scherz angebracht werden, daß die Nymphen, wenn die Bauern unter sich sprechen, sich umkehren, und wenn diese alsdann um sie herumgehen, sich wieder in ihre vorige Stellung setzen. (8.446, Z. 32-S.447, Z. 3) D i e bühnenbildnerische Realisierung der weiteren U b e r r a s c h u n g s e f f e k t e w u r de d a d u r c h beeinträchtigt, daß der findige Theatertischler J o h a n n Martin M i e ding inmitten der Vorbereitungen am 2 7 . 1 . 1 7 8 2 überraschend starb. G o e t h e sah d e n n o c h wenigstens in den B ü h n e n a n w e i s u n g e n die F o r t f ü h r u n g der ständesatirischen E p i s o d e vor, als sich die B a u e r n zu Tisch setzen: Hier geht der neue Scherz an, daß eine Pastete nach der andern sich eröffnet, eine Hand herausreicht, und den Bauern, die mit etwas andern beschäftigt sind, eine Ohrfeige gibt, oder sie bei den Haaren zupft. Diese werden darüber uneins und fangen untereinander Händel an. (FA 1,5,447, Ζ. 8 - i 2 ) D a s Stück lebte somit m e h r v o n unterhaltsamen R e i z e n denn v o n gedanklichem Tiefgang. Z w a r beförderte das Stück seine künstlerischen P r o f i l i e r u n g damit nicht wesentlich, aber zumindest, so B o r c h m e y e r , »weist es mit seiner B e r g w e r k s - und Edelsteinmotivik auf G o e t h e s >Märchenfalschen Brüder< versteht er sich als Sachwalter der ehelichen Liebe - ein Wink Goethes an die herzoglichen Adressaten.« 4 2 0 Gerade mit der Treueforderung trat Goethe gegenüber dem vielfachen Ehebrecher Carl August wieder einmal als Fürstenerzieher auf. Er berührte mit dieser speziellen Hofkritik im Medium der Gelegenheitsdichtung ein Thema, das für den Herzog unbedingt peinlich sein mußte, obgleich Norm und Praxis der ehelichen Treue bei Hofe auch allgemein stark divergierten. Vor der höfischen Öffentlichkeit - in welcher der Text zwar nicht laut verlesen, aber doch in großer Anzahl verteilt wurde - setzte sein durchaus widerständiger Fürstenpreis den Herzog subtil unter Druck. Dieser Beitrag Goethes zur höfischen Repräsentationskunst ordnete mithin seinen panegyrischen Festschmuck trotz der Zugeständnisse an die Symbolpolitik des Herzogshauses nicht ohne weiteres den zeremoniellen Geboten im Feld der Macht unter. Mit dem Gelegenheitsstück >Elpenor< (FA 1,5,291-317) begann Goethe schon im Jahr 1781, in dem Weimar die Geburt eines Thronerben erwartete. A m I i . August notierte er im Tagebuch: » E l p e n o r a n g e f a n g e n . « (Tgb 11.8. 1781; WA 111,1,130). Nach der Totgeburt einer Prinzessin stellte er die Arbeit an dem Stück ein, bis im Februar 1783 endlich der Erbprinz Carl Friedrich geboren wurde. Auch unter diesen glücklicheren Umständen gingen seine Bemühungen nicht recht voran. An Charlotte von Stein schrieb er vier Wochen nach der Geburt: »Es zieht sich in's weite, und kriegt mehr Cörper. Ich werde aber auf keine Weise fertig.« (an Charlotte v. Stein, 2.3. 1783; W A 1X6,132). Tags darauf teilte er Knebel mit: »Ich hatte gehoft das Stük, deßen Anfang du kennst auch noch biß zum Ausgange der Herzogin fertig zu schreiben, es ist aber unmöglich. Der alte Plan war fehlerhaft und ich mußte es von vorne neu umarbeiten.« (an v. Knebel, 3.3. 1781; W A IV,6,i33). 421
420 421
Borchmeyer, F A 1,5,1221 f. Erhalten hat sich von dem >alten Plan< nichts. Eine Reinschrift der fragmentarischen Prosafassung diktierte Goethe im September 1784, die für A4 (1806) von Riemer auf Goethes Betreiben in eine jambische Versfassung gebracht wurde. Vgl. die textkritische Edition beider Fassungen: Johann Wolfgang v. Goethe: Elpenor. Nach den Handschriften kritisch hg. v. Ida Hakemeyer. Hannover 1949. 249
Goethe konstruierte die unvollendet gebliebene Fabel des Stücks aus mehreren, nach wie vor nicht endgültig identifizierten Quellen. 422 Sie handelt von dem Königssohn Elpenor, der von der Königin Antiope erzogen wurde und an der Schwelle zum Erwachsenenalter zu seinem Vater, dem König Lykus zurückkehren soll. Antiope ersucht ihn, den Verlust ihres leiblichen Sohnes zu rächen, während Polymetis, der Gesandte des Lykus, abwägt, ob er Antiope und Elpenor die offenbar unheilvolle Vorgeschichte mitteilen soll. Näheres über den Handlungsverlauf erfährt man nicht, auch der Ausgang bleibt offen. Die fortwährenden Probleme mit dem Gelegenheitstorso lagen nicht zuletzt im Stoff begründet, wie Goethe vierzehn Jahre nach dem ersten Mundum gegenüber Schiller zugab: In das [...] Manuscript mochte ich gar nicht hineinsehen; es mag ein Beyspiel eines unglaublichen Vergreifens im Stoffe, und weiß Gott für was noch anders ein warnendes Beyspiel seyn. Ich bin recht neugierig was Sie diesem unglücklichen Producte für eine Nativität stellen, (an Schiller, 24.6. 1798; W A IV,13,194)
In der Tat bereitete die Geschichte des Königssohns Elpenor als casualdeiktischer Stoff gewisse Schwierigkeiten. Während der tragische Stoff die Katastrophe forderte, konnte das Stück zur hoffnungsvollen Gelegenheit nicht anders als glücklich ausgehen. Hildegard Emmel weist auf diese Divergenz zwischen Poetik und Pragmatik hin: »Goethe plante ein Festspiel, das als >Gelegenheitsdichtung< einem eindeutigen Zweck zu dienen hatte, arbeitete aber mit den Mitteln der großen Tragödie und mit einem Stoff, der >schreckenvoll< ist.« 423 Beide Faktoren schlagen sich im Text nieder, teils sogar in engster Verbindung. Folgende Worte Evadnes beispielsweise können ebenso auf das Fest im Stück wie auf das dynastische Freudenfest am Weimarer Hof bezogen werden: Daß unserer Fürstin Herz geöffnet ist hab' ich gesehen; denn sie will, daß ihre Schätze, die, still verwahrt, dem künftigen Geschlecht entgegen ruhten, sich heute zeigen und diesem Tag gewidmet glänzen, daß auf Reinlichkeit und Ordnung diese Feier, wie auf zwei Gefährten, sich würdig lehne. (FA 1,5,295, Ζ. 1 0 - 1 5 )
Demgegenüber bricht Goethes Text mit einem Schreckensszenario ab, das zur Geburt eines Thronfolgers durchaus nicht paßte. Polymetis spricht:
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Diskutiert werden die Antiope-Erzählung aus den Fabeln des Hygin, das chinesische Drama >Des Hauses Tschao kleine Waise< von Chi Chün-hsiang, die Novelle >Hsi-Er< aus der Sammlung >Chin-ku ch'i-kuan< (die Goethe aus englischen und französischen Ubersetzungen, eventuell zusätzlich durch den Austausch mit dem Sinologen Heinrichjulius von Klaproth kannte), die >Odyssee< und Gotters Merope-Drama (vgl. z.B. Georg Ellinger: Uber Goethes Elpenor. In: G J b 6 ( 18 8 5 ), S. 262-273 ; Rudolf Schlößer: Studien zu Goethes Elpenor. In: Euphorion 2 (1895), S. 588-604; Hildegard Emmel: Goethes Elpenor. In: G J b 14/15 (1952/53), S. 1 5 8 - 1 7 0 ; sowie Mommsen, Der politische Kern von Goethes Elpenor, S. 21). Emmel, Goethes Elpenor, S. 169.
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Heraus aus euren Grüften, ihr alten Larven verborgener schwarzer Taten, wo ihr gefangen lebt, die schwere Schuld erstirbt nicht! auf! Umgebt mit dumpfem Nebel, den Thron der über Gräber aufgebaut ist, daß das Entsetzen wie ein Donnerschlag durch alle Busen fahre! Freude verwandelt in Knirschen, und vor den ausgestreckten Armen scheitre die Hoffnung! (FA 1,5,317, Ζ . 9 - 1 5 )
Allerdings konfligierte nicht nur der Stoff mit der Gelegenheit, sondern auch mit Goethes casualpoetischen Gewohnheiten der ersten Schaffensphase. >Elpenor< entstand in derselben Zeit, in der Goethe seinem Herzog mit dem Geburtstagsgedicht >Ilmenau< die Leviten las. Er führte damit das persönliche Bekenntnis des Autors und die individuelle, auch kritische Adressatenanrede in die höfische Gelegenheitsdichtung ein. Von diesen Neuerungen zeugt auch >E1penorSingspiel< bzw. >BalletSingspiel< endet damit, daß sich die drei trennen, um den Rest der Götter- und Menschenwelt zum Fest zusammenzurufen. Das anschließende >BalletSingspiels< wieder auf. Nach D I A N A suchend irrt E N D Y M I O N im Wald umher, trifft sie und söhnt sich mit ihr aus, nachdem er sie verfehlt hat. A U R O R A und ihr Geliebter C E P H A L U S treten auf und weisen Aurora zurecht, weil sie das Fest vernachlässigt. E N D Y M I O N erkundigt sich nach dem Anlaß des Festes, um sich, die intendierte Zuschauerreaktion vorwegnehmend, der allgemeinen Freude anzuschließen. Im zweiten Aufzug zeigt das Bühnenbild einen »prächtig geschmückten und erleuchteten Tempel; in dessen Mitte ein Altar, und hinter diesem der brennende Nahmenszug der D u r c h l a u c h t i g s t e n H e r z o g i n « (Regieanweisung vor V. 1). Vollendet wird die Idolatrie durch ein stereotypes Widmungsgedicht, das A U R O R A , D I A N A , ein S C H Ä F E R und A M O R mit verteilten Rollen vortragen. Die Schlußstrophe, die ein Vivat der fiktiven Untertanen vermittelt, wird von allen Personen auf der Bühne, d.h. auch noch von J Ä G E R N , O R E A D E N und den G R A Z I E N gesprochen: » O lebe, b e s t e F ü r s t i n , lebe! / Ein ganzes Volk stimmt mit uns ein. / O! wie Du uns beglückest, lebe! / Und jedes Götter-Glück sey Dein!« (V. 17-20). So lapidar wie zutreffend konstatiert Bernhard Seuffert: »Solche höfischen Singspiele waren nichts Neues. [...] Für den Berliner Hof hatten Neukirch, Besser, Reuter derartige Spiele verfaßt und anderswo andere.«430 Den Beweis dafür, daß der Plot der >Aurora< zum panegyrischen Grundbaukasten der Zeitgenossen gehört, erbringen die Stuttgarter Hofpoeten par excelDIANA
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Ebd., S. 527. Vermutlich kannte Wieland Beispiele solcher Texte, wenngleich sich direkte Einflüsse nicht nachweisen lassen.
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lence. Allerdings w e r d e n hier die H a n d l u n g e n der Stücke noch stärker als bei Wieland durch Machtinteressen überlagert, die in p o m p ö s e m Fürstenpreis u m gesetzt w e r d e n . Selbst namhafte D i c h t e r w i e C h r i s t i a n Friedrich Daniel Schubart variieren d u r c h w e g ein relativ eingeschränktes A r s e n a l v o n sprachlichen Versatzstücken. E i n anschauliches Beispiel bietet Schubarts >Prolog und musikalischer E p i l o g am G e b u r t s f e s t e der H e r z o g s z u W ü r t t e m b e r g 1 7 8 2 . A u f g e f ü h r t auf d e m T h e a t e r z u Stuttgart. K o m p o n i r t v o n H e r r n ZumsteegSophie o d e r der gerechte Fürst< v o n H e i n r i c h Ferdinand Möller, das mit seinem eindringlichen Titel freilich auf die Gelegenheit abgestimmt war. 4 3 2 D a d u r c h , daß v o r und nach der A u f f ü h r u n g H u l d i g u n g s v e r s e gesprochen b z w . gesungen w u r d e n , geriet das eigentliche B ü h n e n w e r k z u m bloßen S c h m u c k s t ü c k im übergreifenden R a h m e n einer höfischen Festlichkeit. S c h o n diese Struktur verrät unmißverständlich, daß die Inszenierung nicht u m der K u n s t , sondern u m der fürstlichen M a c h t d e m o n s t r a tion willen erfolgte. Bereits in den Eingangsversen des P r o l o g s w e r d e n A n l a ß und Adressat ostentativ verkündet: » A l s der Tag, der unsern C a r l geboren, / Leuchtete, w i e Maiensonnenschein, / D o n n e r t e n uns J u b e l u m die O h r e n , / D o c h , er ging in seinen H i m m e l ein.« (V. 1 - 4 ) . D a s B e m ü h e n , gleich zu B e g i n n apotheotische W e n d u n g e n anzubringen, läßt syntaktisch, besonders im Vortrag, sicherlich unbeabsichtigte Z w e i f e l darüber a u f k o m m e n , o b nun der J u b e l z u m H i m m e l stieg o d e r der Adressat. A u c h die f o l g e n d e n Verse bleiben m e r k w ü r d i g vergangenheitsbezogen: »Seht ihr noch, Vertraute unsrer B ü h n e , / Seht ihr noch den Tag f ü r C a r i η geschmückt, / Wie er mit der lichtverklärten M i e n e / A u f uns alle segnend niederblickt?« ( V . 9 - 1 2 ) . D e r hier schon angedeutete allseitige N u t zen der Untertanen, bei d e m es sich im wesentlichen u m herrschaftsstabilisierende R h e t o r i k handelt, w i r d in drei weiteren Strophen exemplarisch b e k r ä f tigt. Unterlegt mit zu Phrasen v e r k o m m e n e n G e f ü h l s t o p o i , heißt es dort: »Patrioten schauen mit E n t z ü k e n / Seinen F l u g durch ferne H i m m e l nach, / U n d aus f r o h e r U n t e r t h a n e n Blicken / Rieselt W o n n e , schwillt und w i r d ein Bach.«
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Christian Friedrich Daniel Schubart: Prolog und musikalischer Epilog am Geburtsfeste der Herzogs zu Württemberg 1782. Aufgeführt auf dem Theater zu Stuttgart. Komponirt von Herrn Zumsteeg. In: Ders.: Sämmtliche Gedichte. Neue verbesserte Auflage. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1829, 8.3-26. Johann Rudolf Zumsteeg (1760-1802) war Musiklehrer an der Hohen Karlsschule und übernahm 1791 nach Schubarts Tod die Leitung der deutschen Oper am Hof. Ein Beleg für die Aufführung in dieser Zusammenstellung findet sich in der Sammlung Oscar Fambach, Abteilung B, Spielpläne deutscher Bühnen um 1800, Germanistisches Seminar der Universität Bonn.
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(V. 13-16). Danach: »Jeder fromme Weise wandelt betend / In der Stoa, die ihm C a r l erbaut.« (V. iyi.) und weiter: »Alle Sänger unsers Landes hauchen / Mit dem Flammenodem ins Gedicht, / Und die Künstler mühen sich zu tauchen / Ihres Pinsel in des Festes Licht.« (V. 21-24). U m die Ubiquität der demütigen Verehrung abschließend noch einmal zu versichern, folgt mit anaphorischer Wiederholung des Adressatennamens: » C a r l ! so tönt's vom Schneegebirge nieder! / C a r l ! so hallt's im weiten Thale nach.« (V.25f.). Der >Musikalische Epilog< greift auf dasselbe sprachliche und topische Arsenal zurück, bedient sich aber dabei einer germanisierenden Einkleidung und eben der von Wielands >Aurora< her bekannten typischen Singspielhandlung. Folgende Personen treten auf: H U L D A (Schauerin der Zukunft), T E U T H A R D (Patriotischer Weiser), S E R A F I N A (Tonkünstlerin), S E L M A R (Dichter), T H E O N (Artist), J U L I E (eine Waise) sowie S I N G - U N D T A N Z C H Ö R E VON J Ü N G L I N G E N U N D M Ä D C H E N . Der Schauplatz ist ein Eichenwald, darin, im Stil barocker Repräsentationskunst, »die Felsengrotte der H u l d a , über der C a r l s Name in Feuerschrift flammet« (Regieanweisung vor V. 1). Auch im Text selbst wird Carl Eugen noch insgesamt 22 Mal namentlich und mehrfach indirekt, z.B. als »Volksbeglücker« (V. 54), »Beschützer« (V. 1 1 9 u. 130), »Fürst« (V. 149, 179, 193 u. 362), »Fürst und Vater« (V. 264), »guter Fürst« (V. 357) oder »Würtemberger und Tecker« (V.281) genannt. Das Stück zeigt dementsprechend keine Handlung im eigentlichen Sinne, sondern arbeitet ein repräsentatives Huldigungsprogramm ab. Eröffnung und Schluß gehen auf Anlaß und Adressaten ein. So heißt es im CHOR ZU Beginn: »Der Tag, der C a r 1 Η das Leben / Zum Segen des Landes gegeben, / Stieg röthlich empor.« (V. 4ff.). Der Schlußchor greift dieselben casualpoetischen Grundbausteine wieder auf und verbindet sie nun mit dem Wunsch langen Lebens: »Unter dem Schalle der Lieder / Komme C a r l s Festtag, erfleht / Durch der Frommen Gebet, / Immer strahlender wieder!« (V.431-434). Der szenische Mittelteil erfüllt die pragmatische Hauptaufgabe höfischer Gelegenheitsdichtung: die Vergegenwärtigung der Hierarchie und der besonderen Preiswürdigkeit des Adressaten. Als erstes erscheint H U L D A , die sich in leicht eckigen Versen an die Geburt des Herzogs erinnert. In einer Vision sah sie schon damals: Carl, den Volksbeglücker, / Der dem Unterdrücker / Freier Menschen flucht! / Der dem Herrn der Nationen / Im Bestrafen, im Belohnen / Nachzuahmen sucht! / [...] / Sah die Gotteshäuser, / Die uns Carl erbaut! / Sah den Flor zerrissen, / Der die Witwe deckt! / Und zu seinen Füßen / Waisen ausgestreckt! / All' in Dank zerflossen, / Voll von innrer Ruh', / Sprachen: Unser Vater, / Guter Carl, bist du! (V. 54-75)
Die folgenden Auftritte verschiedener fiktiver Untertanen erbringen dann den Beweis dafür, daß die württembergische Herrschaftswirklichkeit tatsächlich so sei wie vorhergesagt. Aus unerfüllter Liebe zu S E L M A R klagend, nähert sich S E R A F I N A der Grotte. Sie wird von H U L D A zurechtgewiesen: »Ich kenne dich! / 256
[...] / Vernahm den Nachhall deiner Klage / In meiner Felsengrotte oft, Doch heut, du Klägerin, / Geziemt sich's nicht. / Des Patrioten Jubel / Ueberschreit der Liebe / Einsames Gewimmer.« (V. 97-105). Nach einer längeren Wechselrede, in der S E R A F I N A - beispielhaft für die Zweitadressaten - einsehen muß, daß ihre persönlichen Belange hinter denen des Herrschers zurückzustehen haben, wiederholt sie folgsam ihre Lektion: »Ich klage nicht. Des Herzens Klage / Entweiht des Festes Licht. / Voll Wonne will ich seyn an meines Fürsten Tage, / Und klagen will ich nicht.« (V. 147-150). S E R A F I N A S Untertanentreue wird umgehend dadurch belohnt, daß S E L M A R auftritt, um ihr seine Liebe zu erklären. Dabei betont auch er noch einmal den Ordo-Gedanken: »Daß ich dich lieben darf, / Verdank' ich erst / Dem Lenker der Natur, / Und dann dem Fürsten [...].« (V. 190-193). Der nächste Auftritt gilt der bei den Untertanen hervorzurufenden vaterländischen Gesinnung. T E U T H A R D und T H E O N singen: »O Vaterland, o Vaterland! / Wie heilig bist du mir!« (V. inf.). H U L D A erkennt die Parole und schließt sich dem Gesang an: »Mir tönt er lieblicher, / Als welsch Geseufz', / Von dem entmannten Sänger / Eines weichen Volks / Wie Hohngelächter, uns zur Schmach / Und Schande vorgetrillert.« (V. 2 5 5-260). Bei der in dieser Schärfe erstaunlich frühen Polemik gegen Frankreich handelt sich um eine Realie, die außerhalb der engeren Umstände des Anlasses liegt. Anders als die Goethesche Wirklichkeitsbindung der Gelegenheitsdichtung (d.h. seine häufigen Realitätsbezüge jenseits der loci circumstantiarum) dient jedoch dieser Verweis rein politischen Zielsetzungen. Er trägt mithin nicht zur künstlerischen Aufwertung der Casualdichtung bei. Die repräsentative Zweckbindung prägt denn auch die Zwischenbilanz der Personen, die sich mittlerweile auf der Bühne eingefunden haben. Erneut wird die bei den realen Untertanen zu erzeugende Einstellung präformiert. Der gemeinsame Huldigungschor lautet: »Wenn uns der Stab der Wahrheit weidet, / Wenn Weisheit unsre Tritte leitet, / Wenn Tugend, deine Zier, / Gleich Strahlen sich um uns verbreitet, / O C a r l ! wir danken's dir.« (V.299-303). Als letzter Modellfall der herrscherlichen Größe wird schließlich die Mildtätigkeit ausgespielt. U m zuletzt auch diese Herrscherqualität zu illustrieren, wird die verzweifelt auftretende Waise J U L I E unversehens getröstet: » C a r l ist dein Vater! / Schon ist sie ausgestreckt / Des Fürsten Hand, / Zu geben deinem Leibe / Hüll' und Nahrung, / Und deinem Geiste Bildung!« (V. 360-365). Durch derart plakative Preisformeln, die sich bestenfalls negativ auf das künstlerische Renommee von Gattung und Verfasser auswirken können, unterscheidet sich Schuberts Text grundlegend von Goethes höfischer Gelegenheitsdichtung, die den enkomiastischen Anspruch auf syntaktischer und metaphorischer Ebene ungleich subtiler umsetzt. Hinzu kommt, daß er offensichtlich keine eigenen künstlerischen Impulse im Text zu verwirklichen sucht, sondern nur schematisch die höfischen Repräsentationspflichten einlöst.
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4-3-2 Zwischen Klassik und Krieg: Literatur- und Realpolitik auf dem Weimarer Hoftheater in den Jahren 1792-1807 Bei den Casualdichtungen für die Bühne verhält sich die Häufigkeitsverteilung der Produktion auf die drei Schaffensphasen genau entgegengesetzt zu den Beobachtungen bei den anderen casualpoetischen Gattungen: Von neun casualpoetischen Bühnentexten liegen sechs in der sonst vergleichsweise ereignislosen mittleren Schaffensphase, zwei in der ersten und einer in der dritten. Diese gegenläufige Verteilung hängt mit der Weimarer Theatergeschichte und Goethes Rolle darin zusammen: Durch den Schloßbrand von 1774 verlor der Hof sein Theater und behalf sich bis zum Engagement der Bellomoschen Truppe im Jahr 1784 mit einem höfischen Liebhabertheater. Ein festlicher Prolog wäre bei diesen provisorischen Privataufführungen gewiß ebenso deplaziert gewesen wie der Versuch eines prunkvollen Festspiels. Erst 1791, d.h. in der zweiten casualpoetischen Schaffensphase, wurde ein neues herzogliches Hoftheater eröffnet. Unter Goethes Intendanz stieg Weimar zum renommierten Spielort auf, an dem nun auch die Panegyrik auf dem Theater in Frage kam. Im mittleren Zeitraum entstanden Goethes sämtliche Theaterreden an den Hof. Selbst in diesen casualpoetisch gefärbten Texten verfolgte jedoch der passionierte Intendant oft mehr die teils programmatische Theaterwerbung als die Panegyrik. So weisen nur zwei Texte überhaupt Casualdeixis im Titel auf: der Epilog >An die Herzogin Amalia* (FA 1,6,887) mit dem Namen der Herzoginmutter und der Prolog >Zum 30. Januar 18o6< (FA 1,6,811) mit dem Geburtstag der Herzogin Luise. Das Festspiel >Palaeophron und Neoterpe< (FA 1,6,251263) sowie das »Vorspiel zur Eröffnung des Weimarischen Theaters am 19. September 1807 nach glücklicher Wiederversammlung der Herzoglichen Familie< (FA 1,6,651-660) richten sich ebenfalls ausdrücklich an den Hof. Die übrigen Texte enthalten lediglich eine zwischengeschaltete Adresse an die fürstlichen Gönner. 433 Mit dem Schreiben von panegyrischen Theaterreden begann Goethe am Ende der ersten Spielzeit des Weimarer Hoftheaters, die am 11.6. 1792 mit einer Aufführung von Johann Friedrich Jüngers Lustspiel >Das Ehepaar aus der Provinz< endete. Um sich der zukünftigen Treue des Publikums zu versichern, schrieb er für diese letzte Vorstellung einen >Epilog. Gesprochen den 11. Juni i792< (FA I,6,88if.), mit dem er bei dieser Gelegenheit auch einen Gruß an den
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Dieser außergewöhnliche Befund wird dadurch bestätigt, daß Gerwin Marahrens in der einzigen Monographie zu Goethes Theaterreden nicht auf deren Gelegenheitscharakter eingeht, sondern lediglich die Aspekte der Theaterprogrammatik und -Werbung differenziert untersucht (vgl. Gerwin Marahrens: Goethes Theaterreden. Freiburg (Diss.) 1958, bes. S. 43-76).
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Herzog richtete. Als Sprecherin trat Anna Theresa Mattstedt auf, die, so Borchmeyer/Huber »als Liebhaberin und Naive in Schauspiel und Oper wirkte«. 434 Der Text war als Gelegenheitsdichtung eine doppelte Abschiedsrede: Zum einen ein Apopemptikon der Schauspieler an ihr Weimarer Publikum, da sie im Sommer Gastspiele in Lauchstädt und Erfurt gaben, zum anderen ein Propemptikon des Theaters - und vermutlich auch Goethes selbst - an Carl A u gust, der am 22. 6. zum preußisch-österreichischen Feldzug gegen das jakobinische Frankreich aufbrach. So beginnt der Epilog, rhetorisch seine eigentliche Absicht verleugnend: In diesen letzten Stunden, die Ihr uns, / Verehrte, gönnet, tret' ich vor Euch auf; / Und ganz gewiß denkt Ihr, ich stehe hier, / Abschied zu nehmen. - Nein! - verzeiht! - mir ist's / Unmöglich! — Schnell verjag' ich den Gedanken, / Daß wir von Euch uns trennen sollen. (V. 1-6)
Mit visionärem Gestus wird die Sommerpause überbrückt. Ein Ausblick auf die kommende Spielzeit teilt dem Publikum mit, was von ihm erwartet wird: Schon eilt Ihr wieder gern vertraulich her; / Ihr freut Euch dessen, was wir Neues bringen, / Und das Bekannte besser und vollkommener / Von uns zu hören, freut Euch auch. Wir finden / Euch immer freundlicher für uns gesinnt: / Wir sind nicht Fremde mehr, wir sind die Euren; / Ihr nehmet Teil an uns, wie wir an Euch. (V. 16-22)
Anschließend werden die sechs einzigen Gelegenheitsverse an den H o f , an Carl August, Luise und Anna Amalia in die theaterpolitische Ringkomposition eingeschoben. Mit verhaltenem Fürstenpreis entwerfen sie ein friedliches Herrschaftsideal: Ein günstiges Geschick gibt uns den Fürsten / Zu unserm Wohl, zu unsrer Lust zurück, / Und neue Friedensfreuden kränzen schön / Die Tage seiner Gattin, seiner Mutter; / Und wie Ihr sie verehrt, und ihres Glücks Euch freu't, / So mög' Euch allen eignes Glück erscheinen! (V. 23-28)
Im Erstdruck schrieb Goethe statt >Ein günstiges Geschick< noch ebenso kriegslustig wie optimistisch »Ein bald gesiegter Krieg«. 435 Da die Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich länger andauerten als erhofft, paßte Goethe die Verse im nachhinein den historischen Verhältnissen an. Bezeichnenderweise sah Goethe im Text davon ab, seinen Herzog als Förderer des Hoftheaters zu erwähnen. Er stellte damit die Bühne mehr der Gunst des Publikums anheim als der ihres Mäzens. 4 ' 6 Auf diese Weise trug er zusätzlich dazu bei, das Hoftheater, d.h. eine Domäne im Feld der Macht, aus dem Einflußbereich der Mächtigen herauszulösen, so daß repräsentative Maßstäbe durch ästhetische verdrängt wurden. Der Epilog diente also nicht in erster Li434
43! 436
Borchmeyer/Huber, F A 1,6,1456. Dort wird auch die frühere Annahme (vgl. J A 9, S. 428) entkräftet, Christiane Becker habe den Epilog gesprochen. In: Deutsche Monatsschrift 8 (1792), S. 36if. Vgl. Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. i o j f f . 2
59
nie als höfisches Gelegenheitsgedicht, sondern als Gebrauchstext im Interesse des Theaters. Das Bemühen um ein volles Haus in der kommenden Spielzeit stand entschieden im Vordergrund. Im Text wird dieses Hauptanliegen nach den Versen an den Hof noch einmal bekräftigend aufgegriffen: Kommt! / Was Deutschland Neues gibt, Ihr sollt es sehen, / Das Gute wiederholt, das Fremde soll / Nicht ausgeschlossen sein. Wir geben Euch / Von jeder Art; denn keine sei verschmäht! / N u r Eine meiden wir, wenn's möglich ist: / Die Art, die Langeweile macht! — So kommt! - / So kommt denn!
Den Schluß des Epilogs bildet ein emotionsgeladener Abschiedsgruß: »Geschwind herunter mit dem Vorhang, daß / Nicht eine Träne mir entwische! N u r / Geschwind herunter, daß von uns / Ein heitres Bild in Eurer Seele bleibe!« (V. 40-43). Dem Kontext nach gelten diese Worte dem gesamten Theaterpublikum, ohne daß der aufbrechende Herzog gesondert hervorgehoben wird. Dies unterstreicht noch einmal die vorrangige Rolle, die Goethe dem Publikum beimißt. Ein persönlicher Abschiedsgruß des Dichters an Carl August, der in Goethes mitunter stark individualisierter Gelegenheitsdichtung durchaus zu erwarten wäre, entfällt insofern, als er dem Herzog schon am 8. August als Gesellschafter nachreiste. Das casualpoetische Pendant zu dem Abschiedsepilog bildet gleichsam der »Prolog zu dem Schauspiel d e r K r i e g von Goldoni. Gesprochen von Madame Becker, geb. Neumann. Den 15. Oktober 1793« (FA I,6,883f.), den Goethe gut ein Jahr später schrieb. Er nahm die Begrüßung des Herzogs voraus, dessen Rückkunft von der Belagerung von Mainz bevorstand. Goethe, der auch an dieser Unternehmung teilnahm, traf bereits einige Wochen vor ihm in Weimar ein. Aus gegebenen Anlaß führte das Hoftheater Goldonis >Der Krieg< auf. Goethes Prolog dazu behandelt die Belange des Theaters dieses Mal gleichrangig mit denen des Herzogshauses. Die erste Redehälfte gibt als prologus ante rem Erläuterungen zum Stück: Und die Gelegenheit gibt mir das Stück, / Es heißt: der Krieg, das wir Euch heute geben. / Zwar werdet Ihr von tiefer Politik [...] Fürwahr in unserm Lustspiel wenig hören. [...] Ihr hört vielmehr, wie in dem Felde selbst, / Wo die Gefahr von allen Seiten droht, / Der Leichtsinn herrscht und mit bequemer Hand / Den kühnen Mann dem Ruhm entgegen führt; / Ihr werdet sehen, daß die Liebe sich / So gut ins Zelt als in die Häuser schleicht, [...] Und daß der Eigennutz, der viel verderbt, / auch dort nur sich und seinen Vorteil denkt. (V. 3-23)
Die zweite Hälfte des Textes wendet sich als prologus praeter rem an das Publikum, jedoch nicht im Dienste der Theaterpolitik, sondern der Herrschaftsstabilisierung. Unter dem Eindruck der antirevolutionären Feldzüge leistet Goethe im eigenen Lande auf dem Theater machterhaltende Öffentlichkeitsarbeit,437 indem er Carl August und seine Großtaten für das Herzogtum preist: 457
Gleichwohl stimmte Goethe nicht vollends mit dem reaktionären Kurs des Herzogs überein (vgl. z.B. Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. 1 léff.).
260
Ach, warum muß der Eine fehlen, der / So wert uns Allen, und für unser Glück / So unentbehrlich ist! - Wir sind in Sicherheit, / Er in Gefahr; wir leben im Genuß, / Und Er entbehrt. - O , mög' ein guter Geist / Ihn schützen! - jenes edle Streben / Ihm würdig lohnen; seinen Kampf / F ü r s Vaterland mit glücklichem Erfolge krönen! (V.30— 37)
Goethe nahm hier einige regelrecht propagandistische Beschönigungen vor. Bestenfalls die gesellschaftliche Oberschicht lebte wirklich >im GenußDie Belagerung von MainzWillkommen!< riefe jeder gern; / >Er lebe!< schwebt auf jeder Lippe. / Doch die Lippe verstummt. - / Das volle Herz macht sich durch Zeichen Luft; Es rührt sich jede Hand! Unbändig schallt / Die Freude von den Wänden wieder. / D u r c h s Getümmel tönt der allgemeine Wunsch: >Er lebe! lebe für uns, wie wir für ihn!< (V. 38-49)
Goethes Panegyrik beruht hier ausnahmsweise gänzlich auf hergebrachten Formeln. Das wiederholte >Vivat!< ist weder originell noch individuell, ebenso der Hinweis auf die treuen Untertanenherzen, das rhetorische Verstummen und die übrigen Gefühlstopoi. Die in diesem Fall vorherrschende repräsentative Zweckbestimmung gestattet offenbar wenig Spielraum für die ästhetische oder soziale Gattungserneuerung. Bei den casualpoetischen Bühnendichtungen für Anna Amalia hingegen wirkte sich der konventionelle Rahmen deutlich weniger einschränkend aus. Die Herzoginmutter nahm im Machtgefüge des Weimarer Hofes nicht mehr 4)8
Lyncker, Ich diente am Weimarer H o f , S. i o i f .
261
die Position der Regentin ein, so daß die Herrschaftsinszenierung auf dem Theater für sie weniger dringlich war. Trotz der politisch unruhigen Zeit verfolgte Goethes panegyrische Kommunikation mit ihr und dem großen Zweitadressatenkreis des Theaterpublikums wieder weit mehr die künstlerische als die höfische Repräsentation. Der Geburtstagsepilog >An die Herzogin Amalia. Nach einer kleinen theatralischen Vorstellung gesprochen. Den 28. Oktober i8oo< (FA 1,6,887) ähnelt von seiner kreisläufigen Theaterwerbung her dem Abschiedsepilog an Carl August von 1792. Allerdings wird der okkasionale Rahmen hier verstärkt programmatisch ausgefüllt, was durch den formalen Aufbau aus drei Stanzen unterstrichen wird: Goethe verwendete dieses Strophenmaß üblicherweise für Programmgedichte und Huldigungen. 439 Auch nach Spielort und Publikum unterscheidet sich der Geburtstagsepilog von den Grußreden an Carl August. Letztere wurden im Hoftheater vor einer nicht-exklusiven, bürgerlich geprägten Öffentlichkeit dargeboten, während ersterer im Wittumspalais nur der Hofgesellschaft präsentiert wurde. Das wirkte sich unmittelbar auf den argumentativen Duktus seines Textes aus: Kaum agierte der Dichter, der in der außerhöfischen Öffentlichkeit einen Ruf als Künstler zu verlieren hatte, hinter verschlossenen Türen, rückte das Fürstenlob deutlich in den Vordergrund, wenngleich auch hier die Interessenpolitik des Theatermannes entschieden vertreten wurde. Die erste Stanze bezieht sich auf die vorangegangene Aufführung von Gotters Lustspiel >Die stolze Vasthi9 Vgl. Kayser, Goethes Dichtungen in Stanzen, S. 232ff. 440 Vgl. Borchmeyer/Huber, F A 1,6,1460.
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hen.« (V. 5-8). Bei dem Hinweis auf das >schlagende Herz< handelt es sich in diesem Fall nicht nur um eine Variante des alten panegyrischen Topos: D u r c h die Gegenüberstellung von Maske und Innenwelt, also von Schein und Sein, wird eine grundlegende Eigenheit des Theaters dargelegt. Was das Theater im Innersten zusammenhalte, so weiter, seien Ideale. Goethes Thematisierung der Theatralität gipfelt somit in einer bühnenästhetischen Grundsatzerklärung. D i e zweite Strophe gilt dann vollends dem Fürstenpreis: »Verehrung naht sich mit durchdrungnen Mienen, / U n d Dankbarkeit mit frei erhobner Brust. / Die Treue folgt. Mit E i f e r dir zu dienen, / Ist unablässig schönste Lust. Bescheidenheit, in zitterndem Erkühnen, / Ist sich der stummen Sprache wohl bewußt, / U n d Wünsche knieen an den goldnen Stufen, / D i r tausendfält'ges G l ü c k herabzurufen.« (V. 9 - 1 6 ) . Mit den konventionellen casualpoetischen Requisiten Dank, Treueversicherung, Bescheidenheitstopos und rhetorischem Verstummen wird hier der G l ü c k w u n s c h anläßlich des Geburtstags ausgesprochen. N a c h der panegyrischen Mittelstrophe wendet sich der Epilog wieder den Belangen des Theaters zu. Als erstes wird hier die vorangegangene Darbietung zusätzlich durch die Preisabsicht legitimiert: »So scheint ein Tempel hier sich zu erheben, / Wo erst der Torheit laute Schelle klang. / D e r Bretter Knarren und der Spieler Beben / Erscheinet nun in einem höhern Rang. / D i r segnet diese Schar ein schönes Leben!« (V. 1 7 - 2 1 ) . Dann erfolgt die Bitte um die Gunst der Herzogin, die zur Theaterwerbung f ü r das nächste Stück hinführt: »Und lächelst du der Muse leichtem Sang, / So hörest du, von hier in wenig Tagen, / Mit etwas N e u e m D i r das Alte sagen.« (V. 22ff.). Mit dem Schlußvers warb Goethe f ü r das Festspiel >Palaeophron und N e o terpe< ( F A 1 , 6 , 2 5 1 - 2 6 3 ) , das er ebenfalls f ü r A n n a Amalias Geburtstag verfaßte. Es hieß bei der Privataufführung am 3 1 . O k t o b e r im Wittumspalais noch >Alte und N e u e Z e i t s angelehnt an Ifflands gleichnamiges Schauspiel. E r setzte bei diesem Stück das bereits bei der Gotter-Inszenierung erprobte und im Epilog legitimierte Theaterexperiment mit maskierten Darstellern fort. F ü r eine Gelegenheitsdichtung werben zu wollen, erscheint bei einer konventionellen H u l digung nachgerade als abwegig, bei einem Text hingegen, in dem auch der A u tor nach Profilierung strebte, durchaus plausibel. Goethe unternahm mithin eine doppelte Instrumentalisierung der höfischen Gelegenheitsdichtung: Z u m einen machte er ein Geburtstagsfestspiel zum theaterpraktischen Versuchsfeld, zum anderen benutzte er auch noch einen kurz vorher aufgeführten Epilog, um durch erklärende Andeutungen Neugier auf eben diese Innovationen zu w e k ken. In der Tat hatte dieser Text einiges in Sachen künstlerischer Sanierung der Gattung zu bieten. Was die Entstehung des Festspiels betrifft, lieferte Goethe damit ein frühes Exempel f ü r sein >Zahmes X e n i o n c »Willst du dich als Dichter beweisen, / So mußt du nicht Helden noch Hirten preisen: / H i e r ist Rhodus! Tanze du Wicht / U n d der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!« ( F A 1,2,640). So 263
berichtete Amalie von Voigt über das Zustandekommen der einaktigen Typenrede: Um nun die, bei so knapper Frist allerdings schwierige Aufgabe möglichst rasch lösen zu können und sowohl sich als die Spielenden in begeisterte Stimmung zu versetzen, ergriff Goethe folgendes heroische Mittel. Er lud sich bei den Hofdamen zum Frühstück, und zwar auf Punsch, ein, versammelte die Personen, denen er Rollen zudachte, um sich, und diktirte nun der Fräulein v. Göchhausen die verschiedenen Rollen in die Feder, während er selbst im Zimmer gravitätisch auf- und abschritt.441 Eine weitere Besonderheit liegt darin, daß Goethe das Werk nicht nur sofort in Seckendorffs >Neujahrs Taschenbuchs dann 1808 in A 9 abdrucken ließ, sondern es darüber hinaus bei verschiedenen Gelegenheiten leicht verändert wiederverwendete. 442 Damit verstieß er gegen das, wie Borchmeyer es nennt, »Gesetz der Nichtwiederholbarkeit« 4 4 3 einer höfischen Festdichtung. Die erste Reprise fand im Oktober 1803 auf dem Weimarer Hoftheater, also öffentlich und zudem gelegenheitsunabhängig statt. Ein drittes Mal wurde das Stück im Februar 1 8 1 9 aufgeführt, nun wiederum zu einem fürstlichen Geburtstag. Wo die Gattungskonvention einen zweckgebundenen Einwegtext erwarten läßt, setzte Goethe sich also mit der leicht variierten Mehrfachverwendung in verschiedenen, auch nicht-höfischen Kontexten über die poetologischen und sozialen Spielregeln hinweg. Seine Äußerungen zu >Palaeophron und Neoterpe< zeigen, daß er die höfische Gelegenheitsdichtung mit der antikisierenden Verwendung von Masken als Experimentierfeld f ü r seine theaterpraktische Profilierung instrumentalisierte. So erklärte er einmal: »Zugleich erschien dieser Versuch als Ankündigung der Maskenspiele, die uns mehrere Jahre in Bewegung setzten und das Publicum unterhielten.« (an Schultz, 1 1 . 6.1823; W A 1X37,72). A n anderer Stelle berichtete er: Nach solchen Übungen und Prüfungen war man zu Anfange des Jahrhunderts so weit gekommen, daß man die Mittel sämtlich in Händen hatte, um gebundene, mehr oder weniger maskierte Vorstellungen wagen zu können. Paläopbron und Neoterpe machten den Anfang, und der Effekt dieser, auf dem Privattheater geleisteten Darstellung war so glücklich, daß man die Aufführung der >Brüder< [von Terenz] sogleich vorzunehmen wünschte [...]. (FA 1,18,844) Der antikisierende Impetus prägt nicht nur die Inszenierung, sondern auch die Gestaltung des Festspiels. Formal herrscht darin der jambische Trimeter vor, also der Vers der antiken Tragödie. Inhaltlich vermittelt der Text ebenfalls klassizistische Programmatik. Goethe erklärt im Vorwort seine »Absicht, an alte bil-
441
442 443
Ernst Grumach/Renate Grumach (Hg.): Goethe. Begegnungen und Gespräche. 4 Bde. Berlin 1956-1980. Bd.4, S.62. Die beiden jeweils neu geschriebenen Schlüsse sind abgedruckt in FA 1,6,261-263. Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 146.
264
dende Kunst zu erinnern und ein plastisches, doch bewegliches und belebtes Werk den Zuschauern vor Augen zu stellen«. (FA 1,6,251). Im Versuch, die Grenzen von Poesie und Plastik auszuloten, knüpft das Stück an die medienästhetische Laokoon-Debatte an, deren Abgrenzungsproblematik der Künste Herder in seiner >Plastik< (1778) erneut behandelte. Mit dem Thema der alten und neuen Zeit läßt es außerdem auch die Querelle um die Normativität der Antike wieder aufleben, die er nun auf die aktuellen Gegensätze zwischen dem besonders von Goethe und Schiller vertretenen Stilideal klassizistischer Mustergültigkeit und dem romantischen Postulat einer »progressiven Universalpoesie< (F. Schlegel) ummünzt. 444 So merkt Goethe weiter zur Deutung der allegorischen Vorstellung an: »Paläophron und Neoterpe lösen den Conflict des Alten und Neuen auf eine heitere Weise, die freylich in dieser gespalteten Welt nicht denkbar ist [...].« (an Boisserée, 27.9. 1816; WA IV,27,i7o). Diese ideale Aussöhnung der Gegensätze bildet die Zentralaussage des Stücks, während der Fürstenpreis eher beiläufig abgehandelt wird. Der szenische Dialog zwischen den beiden mit sprechenden Namen versehenen Typen P A L A E O P H R O N und N E O T E R P E zeigt die Beziehung zwischen Altgesinntem (mit den stummen Charaktermasken H A B E R E C H T und G R I E S G R A M i m G e f o l g e ) u n d N e u v e r g n ü g t e m (begleitet v o n NASEWEISS u n d GELBSCHNA-
Zu Beginn des Stücks legen die beiden Figuren ihre konträren Ansichten dar. Als erstes stellt sich Neoterpe vor: BEL).445
Genug! ich bin das Neue eben überall. / Willkommen stets und unwillkommen wandl' ich fort, / Und war' ich nicht, so wäre nichts auch überall. / Und ob ich gleich so nötig als erfreulich bin; / So wandelt doch ein Alter immer hinter mir, / Der mich vernichten würde, wenn es ihm einmal, / Mit seinem langsam langbedächt'gen Schritt, / Mich zu erreichen glückte. (V. 1 2 - 1 9 )
Erfreut bemerkt P A L A E O P H R O N , daß er der neuen Zeit auf der Bühne habhaft werden kann: »Drum führet mich zum Sessel, daß ich mich / Ihr gegenüber setzen und bedenken kann, / Wiefern ich mit Gewalt, wo nicht mit gutem Wort, / Zu ihrer Schuldigkeit zu bringen sie vermag.« (V. 40-43). Die Annäherung der Positionen erfolgt mit der beiderseitigen Feststellung, daß die Abneigung sich vor allem gegen das Gefolge des anderen richte. N E O T E R P E erklärt: »Wenn dieser Mann, den ich zum erstenmal so nah / Ins Auge fasse, nicht die allerhäßlichsten / Begleiter hätte, die so grämlich um ihn stehn, / So könnt' er mir gefallen, 444
Trotz dieses versöhnlichen Ansatzes spitzte Goethe nach einem Gesprächsbericht Eckermanns den Gegensatz etliche Jahre später zu: »Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke.« (am 2.4. 1829; Eckermann, Gespräche mit Goethe, S. 332).
445
Vgl. zur Figurenkonstellation Vern W. Robinson: Goethe's Allegorical Prologues and Those by His Predecessors and Contemporaries: A Comparison. In: Modern Language Forum 26 (1942), S. 193-199, bes. S. 198; sowie Seiffert, Entwicklung von Goethes Kunstauffassung, S. 1 0 - 1 3 . 265
da er freundlich spricht [...].« (V. 102-105). Darauf räumt Palaeophron ein: »Wenn dieses Mädchen, das ich nur von ferne sonst / Und auf der Flucht gesehen, nicht die läppische Gesellschaft mit sich schleppte, die verhaßt mir ist; / So müßt' ich wünschen, immer an der Seite mir / Die liebliche Gestalt zu sehn [...].« (V. 1 0 9 - 1 1 3 ) . Schließlich schicken beide Figuren ihre Begleiter von der Bühne, um dann versöhnlich ihre eigenen Attribute, Eichenkranz und Rosenkrone, zu tauschen: »Und mit des Kranzes Wechselscherz / Sei zwischen uns ein ew'ger Bund / Geschlossen, der die Stadt beglückt.« (V. 260). Der aus den Maskenzügen bekannte Gedanke der Harmonisierung im Fest schwingt auch hier wieder mit. >Palaeophron und Neoterpe< korrespondiert mit wesentlichen künstlerischen Postulaten, die Goethe im Gedankenaustausch mit Schiller entwickelte.446 Die Metrik und der tektonische Aufbau erfüllen die eingeforderte Mustergültigkeit nach antikem Vorbild. Mit dem harmonischen Ausgleich zwischen alter und neuer Zeit illustriert das Stück das Ideal einer humanistisch-humanitären Kunstauffassung. Zugleich dient es damit der ästhetischen Erziehung. Gerade die kasus- und konventionsgebundene Gattung der höfischen Gelegenheitsdichtung erhält mit der Transzendierung der Gelegenheit einen völlig neuartigen Akzent: Goethe nahm den Geburtstag, d.h. das konkrete Alter-Werden, zum Anlaß, das allgemeine Problem von Generationengegensätzen vorzuführen. Allerdings entspricht dieses mehr am kairós denn am casus orientierte Vorgehen nicht nur der Autonomieästhetik, sondern vor allem auch seinem pantheistischen Gelegenheitsbegriff. Das Stück veranschaulicht Goethes künstlerische Erneuerungsbestrebungen auf vielfältige Weise. Das Festspiel leistete somit weitaus mehr als eine herkömmliche Gelegenheitsdichtung: Als Werbeträger für Goethes künstlerischen Habitus wandte es sich nicht nur an die höfischen Erst- und Zweitadressaten, sondern auch an die allgemeine literarische Öffentlichkeit. Nachträglich wurde es denn auch dem Weimarer Publikum und schließlich überhaupt der literarischen Öffentlichkeit vorgestellt. Mit der zweiten Wiederholung des Festspiels am 3.2. 1819 zum elften Geburtstag der Prinzessin Marie kehrte Goethe die Wendung des Stücks von der Besonderheit der Gelegenheit ins allgemeine kurzerhand wieder um. Allein den Schluß paßte er von neuem den Umständen an. Gleichzeitig riet er dem Grafen Moritz von Brühl zur Verwendung des Stücks bei Gelegenheit: 446
Vgl. zu den ästhetischen Zielsetzungen der Dioskuren (darunter vor allem: formaler und stofflicher Klassizismus, ästhetische Erziehung, Humanismus, Mustergültigkeit und Kunstautonomie) z.B. Helmut Brandt: >Die hochgesinnte Verschwörung gegen das Publikums Anmerkungen zum Goethe-Schiller-Bündnis. In: Wilfried Barner u.a. (Hg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984 (Veröffentlichungen der deutschen Schillergesellschaft 42), S. 19-35; Reed, Ecclesia militans; sowie Borchmeyer, Weimarer Klassik, (darin bes. Kap. VII: Goethes und Schillers Duumvirat: Ästhetik, Poetik, Polemik, S. 351-362).
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Sollten Sie also auf irgend einer Privatbühne davon Gebrauch machen, so würde ich rathen, das Ganze zu lassen wie es ist und nur am Ende, da es denn doch wohl als gelegenheitlich irgend einer verehrten Person gebracht wird, die Züge mit wenig Pinselstrichen zu verändern, (an v. Brühl, 1 4 . 1 . 1819; WA IV,31,59) A u f s c h l u ß r e i c h f ü r G o e t h e s F e l d e f f e k t e auf die höfische Gelegenheitsdichtung ist im J a h r 1 8 1 9 j e d o c h v o r allem der A u f f ü h r u n g s o r t , der eine wichtige F u n k tion in der s y m b o l i s c h e n M a c h t d e m o n s t r a t i o n übernahm. So stellt B o r c h m e y er fest: » D i e A u f f ü h r u n g f a n d im >Juno-Zimmer< in G o e t h e s eigenem H a u s e statt, ein Zeichen, w i e sehr sich dieses Festspiel v o m höfisch-repräsentativen C h a r a k t e r f o r t ins Persönlich-Künstlerische gewendet hat.« 4 4 7 M i t d e m Wechsel v o m Wittumspalais ins H a u s am F r a u e n p l a n w a r e n H a u s herr u n d Adressat nicht mehr identisch. D a h e r f ü h r t e nun auch die Präsentation des Textes z u interessanten A k z e n t v e r s c h i e b u n g e n , am stärksten bei NEOTERPES Worten: » H o l d e Gottheit dieses H a u s e s , / D e r die Bürger, der die F r e m d e n , / A u f d e m reinlichen Altare / M a n c h e D a n k e s g a b e bringen, / H a s t du jemals den Vertriebnen / A u f g e n o m m e n , den Verirrten / A u f g e h o l f e n und der J u g e n d / S ü ß e s j u b e l f e s t begünstigt, / [ . . . ] O ! S o h ö r ' auch unser Flehen! « (V. 67-80). D i e huldigende A n r e d e , die f r ü h e r der H e r z o g i n m u t t e r galt, zielte im K o n t e x t der z w e i ten G e l e g e n h e i t s a u f f ü h r u n g auf den G a s t g e b e r G o e t h e , der f ü r die kleine Prinzessin das >süße J u b e l f e s t begünstigte* und in dieser Zeit tatsächlich z u m p o p u l ä ren K u l t o b j e k t g e w o r d e n war. U n t e r den neuartigen U m s t ä n d e n partizipierte der D i c h t e r an der im Text v o l l z o g e n e n E h r u n g . D a d u r c h , daß er selbst gewissermaßen z u m Teiladressaten aufstieg, durchkreuzte er die hierarchische R e g u l i e rung der höfischen P a n e g y r i k . M i t diesem s y m b o l i s c h e n K a p i t a l z u w a c h s gew a n n eindeutig sein Status als A u t o r im F e l d der Gelegenheitsdichtung. A u ß e r d e m weist B o r c h m e y e r auf die A b l ö s u n g dieser Gelegenheitsdichtung v o n der Gelegenheit hin, da » f ü r seine T h e m a t i k auch nicht m e h r der aktuelle dynastische K a s u s , sondern der s y m b o l i s c h e A n l a ß der J a h r h u n d e r t w e n d e entscheidend« 4 4 8 ist. A n d e r s als bei >Elpenor< besitzt der Stoff bei >Palaeophron und Neoterpe< keine inhaltliche V e r b i n d u n g mit dem A n l a ß . N u r in N e o t e r p e s E r ö f f n u n g s w o r t e n zeichnet sich die Gelegenheitsbindung ab: » Z u m f r o h e n F e ste f i n d ' ich feine L e u t e hier / Versammelt [...].« (V. if.). I m großen und ganzen f o l g t das Stück j e d o c h dem allgemeinen Trend der Säkulardichtungen, v o n denen in Weimar z . B . I f f l a n d s >Alte u n d N e u e Zeit< (seit 1794 im Repertoire, aufg e f ü h r t am 3 0 . 1 2 . 1 7 9 9 im Theater), K o t z e b u e s >Das N e u e Jahrhundert* (aufgef ü h r t am 3 1 . 1 2 . 1 7 9 9 im Wittumspalais) und H e r d e r s >Aeon u n d Aeonis< ( 1 8 0 1 ) gespielt w u r d e n . D i e H u l d i g u n g s v e r s e an die H e r z o g i n m u t t e r b z w . später an Prinzessin M a rie bilden dementsprechend keinen Bestandteil der eigentlichen H a n d l u n g , 447 448
Borchmeyer, Goethe. Der Zeitbürger, S. 146. Ebd. 267
sondern folgen erst nach vollbrachter Einigung von alter und neuer Zeit. 4 4 9 In der ersten Fassung läuft die Wechselrede zwischen PALAEOPHRON und NEOTERPE in Stichomythien auf den Lobpreis zu. D i e Versöhnungsszene wird zunächst u m einige überleitende Gemeinplätze verlängert: NEOTERPE Hast Du Geduld, wenn alles langsam reifen wird? / PALAEOPHRON Von grüner Frucht am Baume hoff' ich Süßigkeit. / NEOTERPE AUS harter Schale sei der süße Kern für mich. / PALAEOPHRON Von meiner Habe mitzuteilen sei mir Pflicht. / NEOTERPE Gern will ich sammeln, daß ich einst auch geben kann. / PALAEOPHRON Gut ist der Vorsatz, aber die Erfüllung schwer. (V. 253-258). D a n n wird die allgemeine Lehre des Stücks auf die Adressatin umgemünzt. D i e H u l d i g u n g erfolgt sowohl verbal als auch mit der symbolischen U b e r g a b e der Kränze an die Herzoginmutter. NEOTERPE Ein edles Beispiel macht die schweren Taten leicht. / PALAEOPHRON Ich sehe deutlich, wen du mir bezeichnen willst. / NEOTERPE Was wir zu tun versprechen, hat Sie längst getan. / PALAEOPHRON Und unsern Bund hat Sie begründet in der Stadt. / NEOTERPE Ich nehme diesen Kranz herab und reich' ihn Ihr. / PALAEOPHRON Und ich den meinen. Sie nehmen die Kränze herunter und halten sie vor sich hin. NEOTERPE Lang lebe! Würdige! / PALAEOPHRON Und fröhlich lebe! wie die Rose Dir es winkt. / NEOTERPE Sie lebe! rufe jeder wahre Bürger mit. (V. 259-266). A n n a Amalia wird auf diese Weise als Verkörperung eines klassizistischen Herrschaftsideals, vergleichbar etwa mit dem exemplarischen Humanitätsentwurf des K ö n i g Thoas, dargestellt. Der Fürstenpreis spiegelt bei aller Verklärung deutlich das nachrevolutionäre historische U m f e l d wider. D i e Herrschaftslegitimation erfolgt nicht auf der Grundlage des Gottesgnadentums, sondern wegen der mit der intellektuellen Freizügigkeit des Musenhofs bereits konkret erbrachten Humanität. A u c h Wortwahl und Gestus des Geburtstagsgrußes zeugen von einer gewissen Distanz zur panegyrischen Tradition des Spätabsolutismus: Anstelle von Untertanen werden hier Bürger angesprochen, und sie sollen sich nicht unterwerfen, sondern lediglich in den Jubel einstimmen. In den Versen für Prinzessin Marie tritt das Harmonieideal in den Hintergrund. Hier geht es nur u m zukunftsfrohe Glückwünsche: PALÄOPHRON Begrüßet Sie, die holde Zierde, / Für die sich dieses Fest verklärt! / NEOTERPE Und überlaßt euch der Begierde / Sie zu verehren, wie's gehört; / Sie kommt die neue Zeit zu schmücken. / PALÄOPHRON Zur Lust der alten kommt sie an. / BEIDE Und beide rufen mit Entzücken / Das schönste Glück auf Ihre Bahn! (FA 1,6,263, V.251-258).
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In der Version für das allgemeine Publikum wurde die durch den Wegfall eines speziellen Adressaten entstehende Leerstelle durch eine Huldigung an den Genius der Eintracht gefüllt, der in einem Wolkenwagen auf der Bühne erschien (vgl. FA I,6,2éiff., V.251-318).
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Entgegen der Gattungstradition steigert Goethe den Text nicht zum euphorischen Lobpreis, sondern verweist mit rhetorischer Bescheidenheit auf den Spielort: »NEOTERPE Umschlinget euch mit frohen Kränzen. / PALÄOPHRON D o c h eure Freude schränket ein. / NEOTERPE Z u wiirdgem Fest, lebendgen Tänzen / PALÄOPHRON Sind diese Räume viel zu klein.« (S. 263, V. 259-262). Mit diesem Schluß verewigt sich der A u t o r als historische Figur im höfischen Gelegenheitsgedicht. Darüber hinaus wird so die Kräfteverschiebung in der höfischen Gelegenheitsdichtung dokumentiert, die es ermöglicht, daß f ü r die Gratulation nicht der Dichter zur Prinzessin kommt, sondern die Prinzessin zum Dichter. Festzuhalten bleibt, daß sich das Festspiel durch die Indienstnahme der G a t tung f ü r gelegenheitsfremde Z w e c k e sowie durch die überaus eigenständige Handhabung von Casus und Konventionen auszeichnet. Es bildet daher ein geradezu mustergültiges Beispiel f ü r Goethes wertsteigernde Verselbständigung der Gelegenheitsdichtung. Bei der nächsten größeren Feierlichkeit des Fürstenhauses 4 5 0 versagte G o e the als Gelegenheitsdichter allerdings geradezu kläglich. Z u r Begrüßung von E r b p r i n z Carl Friedrich und Großfürstin Maria Pawlowna, die am 9 . 1 1 . 1804 von ihrer Hochzeit in St. Petersburg nach Weimar zurückkehrten, sollte am 12. N o v e m b e r auf dem Theater ein Festvorspiel zu Racines >Mithridate< gegeben werden. Erwartungsgemäß hätte Goethe als Theaterdirektor und BeinaheFreund der herzoglichen Familie diese poetische Dekoration erledigen sollen. Seine A u f w e r t u n g der Gelegenheitsdichtung zum Mittel des persönlichen G e fühlsausdrucks wurde ihm jedoch bei dieser Pflichtübung zum unüberwindlichen Hindernis: F ü r die ihm fremde Adressatin Maria P a w l o w n a kam ihm durchaus kein tauglicher Einfall, so daß im letzten Moment Schiller einspringen mußte (vgl. an Schiller, 1 4 . 1 . 1805; W A IV,17,236). Dieser berichtete hinterher: A u f d e m T h e a t e r w o l l t e n w i r uns a n f a n g s eben nicht in U n k o s t e n setzen, sie z u b e k o m p l i m e n t i e r e n . A b e r etliche T a g e v o r i h r e m A n z u g w u r d e G o e t h e n A n g s t , daß er allein sich auf nichts v e r s e h e n h a b e u n d die g a n z e Welt e r w a r t e t e t w a s v o n uns. - In dieser N o t h setzte m a n m i r z u , n o c h etwas D r a m a t i s c h e s zu e r f i n d e n , u n d da G o e t h e seine E r f i n d u n g s k r a f t u m s o n s t anstrengte, s o m u ß t e ich endlich mit der m e i n i g e n noch aushelfen.4'1
A u c h Schiller, der sich ohnehin nach Möglichkeit v o m Hof fernhielt, 4 5 2 bereitete diese A u f g a b e einige Mühe. Dennoch gelang es ihm, sein Festspiel >Die H u l 450
E i n e n a u s f ü h r l i c h e n B e r i c h t ü b e r sämtliche F e s t v e r a n s t a l t u n g e n bietet z . B .
[An-
o n y m ] : A n k u n f t u n d feierlicher E i n z u g des D u r c h l . E r b p r i n z e n v o n S a c h s e n - W e i m a r u n d dessen G e m a h l i n , K a i s e r l . H o h e i t . In: J o u r n a l des L u x u s u n d der M o d e n
11
( 1 8 0 4 ) , S. 5 4 2 - 5 5 2 . 451
Schiller an K ö r n e r , 2 2 . 1 1 . 1 8 0 4 . In: N A 3 2 , 1 7 0 .
4Si
S o v e r f a ß t e er d e n n a u c h i n s g e s a m t nur vier h ö f i s c h e G e l e g e n h e i t s d i c h t u n g e n , z w e i f ü r d e n Stuttgarter H o f , z w e i f ü r den W e i m a r e r (vgl. z u den drei anderen T e x t e n Kap. 4.1. ι b z w . 4.1.2).
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digung der KünsteDie H u l d i g u n g der KünsteSemele< - »Die H u l d i g u n g der KünsteZum 30. Januar i8o6< (FA 1,6,811) auf Luises Geburtstag zeigt sehr plastisch, daß Goethe selbst in der Herrschaftskrise nicht den herrschaftsstabilisierenden Notanker realitätsferner und schematischer Fürstenverklärung auswarf. Er notierte über diesen Anlaß: Der Geburtstag unserer verehrten Herzogin, der 30. Januar, ward für dießmal zwar pomphaft genug, aber doch mit unerfreulichen Vorahnungen gefeiert. Das Regiment Owstien rühmte sich eines Chors Trompeter das Seinesgleichen nicht hätte; sie traten in einem Halbkreis zum Willkommen auf das Theater, gaben Proben ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit, und begleiteten zuletzt einen Gesang, dessen allgemein bekannte Melodie, einem Inselkönig gewidmet und noch keineswegs von dem patriotischen Festland überboten, ihre vollkommen herzerhebende Wirkung that. (TuJ 1806; W A 1,35,246)
Goethes Andeutungen beziehen sich sowohl auf die Umstände der Darbietung als auch auf die aktuellen Kriegsereignisse. Damit legte er seinem hymnischen Prolog einen weiteren Anlaß zugrunde, nämlich den Frieden von Preßburg zwischen Frankreich und Preußen, der gut vier Wochen zuvor geschlossen worden war. Der Text wurde auf die Melodie der englischen Nationalhymne >God save the King< bei der Eröffnung einer Festaufführung von Corneilles >Cid< mit Trompetenbegleitung vorgetragen. Ohne übertriebene Affektstilisierung wurde das Lied dem Geburtsfest der Herzogin gewidmet: »Herzlich und freudevoll / Bringe der Treue Zoll / Singendes Chor! / Rasch wie der Händeklang / Töne des Liedes Drang / Steige der Festgesang / Zu Dir empor.« (V. 1-7). Die topische Treueversicherung wird ausgesprochen, das hierarchische Gefalle zwischen Huldigungsgruppe und Adressatin hingegen klingt nur an. Anstelle der engeren loci circumstantiarum des Herzogingeburtstags steht die aktuelle politische Bedrängnis im Vordergrund des Prologs. So heißt es in der zweiten Strophe weiter: »Mitten in unsre Reihn / Stürmet der Krieg herein / Umstellt uns hier; / Doch nur der wildes denkt / Schreckend sich vorwärts drängt, / Selten die Fahne senkt, / Er neigt sich dir.« (V. 8-14). Der Tenor der beiden folgenden Strophen gilt nicht mehr der Panegyrik, sondern dem Lob von Eintracht und Frieden. Die Erwähnung von Friedensverdiensten des Adressaten gehört zum Standardrepertoire höfischer Gelegenheitsdichtung. Der Hinweis auf einen Friedensschluß hingegen, zu dem die Adressatin gar nicht unmittelbar beigetragen hat, hebt sich freilich von dieser Tradition ab. Nicht herrscherliche Verdienste werden bejubelt, sondern ein gemeinsames Davongekommensein von der Bedrohung des Krieges: Die Solidaritätsversicherung erfolgt somit genaugenommen durch Mißachtung der hierarchischen Verhältnisse. 276
Als höchste Instanz in Sachen Frieden wird denn auch bezeichnenderweise nicht die Regentin angerufen, sondern Gott. Der anaphorische Einsatz hebt den Gottesanruf rhetorisch hervor (vgl. V. i8f.): »Hören beim Friedensfest / Auch sich Trommete läßt, / Schon ist es nah. / Herr Gott dich loben wir! / Herr Gott wir danken dir! / Segnest uns für und für! / So klingt es da.« (V. 1 5 - 2 1 ) . Das Fürstenhaus mit seiner vermeintlich absoluten Machtstellung erscheint im Kriegszustand auf seine Kreatürlichkeit zurückgeworfen. Vereint im >Friedensfest< stehen somit Herrscher und Untertanen für einen Moment auf derselben Stufe. Goethes typischer Harmonisierungsgedanke im Fest scheint auch hier wieder auf, 472 wenngleich ansonsten bei dieser Gelegenheit keine künstlerischen Partikularinteressen vertreten werden. Die Schlußstrophe verbindet den panegyrischen Rekurs auf Anlaß und Adressat mit dem Hinweis auf das vorläufige Kriegsende und dem Ideal der Vereinigung im Fest. Erneut bezeichnet Goethe die Huldigungsgruppe als Bürger, nicht als Untertanen: »Wunden schon heilen sich, / Wolken schon teilen sich, / Dein Tag erscheint. / Ehrfurcht uns all' durchdringt / Abschied der Krieger bringt, / Heil die der Bürger singt, / Alle vereint.« (V. 22-28).
Goethes panegyrischer Optimismus vermochte die preußische Niederlage bei Jena und Auerstedt im darauffolgenden Oktober nicht abzuwenden. Im Zuge der heranrückenden Kriegshandlungen floh bis auf die Herzogin Luise die gesamte Herrscherfamilie aus Weimar und fand sich wegen der französischen Besatzung erst Anfang 1807 wieder dort ein. Auf dem Theater wurde die Rückkehr mit Goethes >Vorspiel zur Eröffnung des Weimarischen Theaters am 19. September 1807 nach glücklicher Wiederversammlung der Herzoglichen Familie< (FA 1,6,651-660) feierlich begangen. Goethe fertigte diesen Text nicht 471
Damit weist Goethes poetische >Friedensfeier< einen kuriosen Berührungspunkt mit Hölderlins gleichnamiger (nicht-panegyrischer) Hymne zum 1801 zwischen Frankreich und Osterreich geschlossenen Frieden von Lunéville auf (Friedrich Hölderlin: Friedensfeier. In: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. 8 Bde. in 15 Tin. Hg. v. Friedrich Beißner. Stuttgart 1946-1985. Bd. 7/2, S. 53 iff.)· Der Frieden dient hier als Anlaß, ein teleologisches Modell der Versöhnung der christlichen und antiken Gottheiten sowie der Menschen zu entwerfen. Walter Bröcker erläutert: »Diese dreifache Versöhnung der Menschen untereinander in der Gegenwart, der Menschen mit Gott in der Vergangenheit und der Götter untereinander in der Zukunft wird gesungen von einem Sänger, der selbst ein Versöhnter ist.« (Walter Bröcker: Hölderlins Friedensfeier entstehungsgeschichtlich erklärt. Frankfurt a.M. i960 [Wissenschaft und Gegenwart 21], S.6). Auch hier wird die weltliche Herrschaft unterschiedslos in das Harmonisierungsprogramm integriert, wie Beda Allemann festhält: »Die allumfassende Versöhnung wird in >Friedensfeier< vornehmlich an der gemeinsamen Einkehr Buonapartes und Christi, des Fürsten und des Geliebten des Festes, dichterisch sichtbar.« (Beda Allemann: Hölderlins Friedensfeier. Pfullingen 195 5, S. 51). Die geistige Verwandtschaft von Goethes Chorlied mit Hölderlins >Friedensfeier< beruht allerdings auf Zufall, da der bis 1954 verschollene Text zu Lebzeiten Hölderlins unveröffentlicht blieb.
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als Auftragsarbeit an, sondern als ganz persönliches Zeichen erneuerter Zuversicht. So lautet eine unveröffentlichte >Aufklärende Bemerkung< zum Druck in C: »Indessen hatte alles doch wieder einige Gestalt gewonnen, daß in der Mitte des Septembers wir die Fürstliche Familie wieder versammelt sahen und auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einige zutrauliche dichterische Blicke werfen konnten.« (WA 1 , 1 3 / 2 , 2 1 3 ) . Ausführlicher schrieb er an Reinhard: Es scheint, daß die menschliche Natur eine völlige Resignation nicht allzulange ertragen kann. Die Hoffnung muß wieder eintreten, und dann kommt ja auch sogleich die Thätigkeit wieder, durch welche, wenn man es genau besieht, die Hoffnung in jedem Augenblick realisiert wird. In diesem Sinne habe ich ein Vorspiel zu Eröffnung unsres Theaters geschrieben, wo ich Gewalt und Vertilgung, Flucht und Verzweiflung, Macht und Schutz, Friede und wiederherstellende Freude lakonisch vorgeführt habe, (an Reinhard, 28.9. 1807; WA IV,19,421^) Die Handlung des allegorischen Spiels zwischen KRIEGSGÖTTIN, einer FLÜCHTENDEN, MAJESTÄT und FRIEDE weist keine Verbindung zum nachfolgenden Stück auf. 473 Der Text bezieht sich ausschließlich auf den Casus des Friedensfestes, was den Konventionen des barocken Festvorspiels entspricht. 474 Als erstes zeigt sich in nächtlicher Szene unter näherkommendem Donnergrollen die KRIEGSGÖTTIN als Sinnbild der Vernichtung: Schon Reihenweis' liegt ausgestreckt Getötetes, / Wie hinter emsig Mähenden das Blumengras. / Ich aber, unaufhaltsam, kräftig schreite vor, / Dem Glücksgestirn entgegen, das mich leitete. / Wohlauf denn, Schlachtruf! Blitz und Donner [Regieanweisung]. Töne gräßlich durch die Nacht! Du Blitzgeschoß, verbreite Schreck, verbreite Tod! / Heran, ihr Donner, ihr mich längst verkündenden! (V. 10-16). Nach ihrem Abgang von der Bühne tritt eine FLÜCHTENDE auf, die das Elend des Kriegs illustriert. Diese Figur verkörpert nicht die Fluchtmotivation der Herrscher, sondern nimmt die Untertanenperspektive ein. Mit dezidiert bürgerlichem Habitus klagt sie: »O, Seligkeit verhüllendes, und nie genug / G e schätztes Dach der Friedenshütte, die mich barg! / O , nie genug verehrter Engraum, kleiner Herd! / Du runde Tafel! Die den holden Kinderkreis / Anmutig anschloß elterlicher Sorgenlust, / Dort lodert's auf!« (V. 37-42). Während die FLÜCHTENDE spricht, nehmen laut Bühnenanweisung die G e witterschläge zu (vgl. nach V. 36,48,52,77), bis ihr Auftritt in einem vulkanistischen Schreckensszenario endet: »Die Elemente fassen sich, die tobenden; / Die Welle sprüht des Felsenwaldes Aste durch, / U n d in dem blitzdurchflammten Äther schmelzen hin / Die Gipfel, Glutstrom stürzet um Verzweifelnde.« (V. 79-82). Als die Schreckensdarstellung kulminiert, erscheint als leuchtendes 473
Am 19. 9. wurden anschließend das Singspiel >Adolph und Clara oder die beiden Gefangenem von Hiemer und Nicolas d'Allayrac sowie und das Lustspiel >Das Geständnis< von Kotzebue gezeigt, bei der Wiederholung am 30. 9. Alexandre Duvals Lustspiel >Die Jugend Heinrichs V.< in der Bearbeitung von Iffland. 474 Vgl. Robinson, Goethe's Allegorical Prologues, S. I93Í. 278
Bild darüber der Name der Herzogin Luise, die trotz größter Gefahren in Weimar geblieben war. Auch dieses theatrale Moment der Herrschaftsinszenierung steht in barocker Huldigungstradition: 475 »Es schlügt ein. Zugleich erscheint ein Wunder- und Trostzeichen, der verehrten regierenden Herzogin Namenszug im Sternbilde.« (nach V.82). Das Kriegsgeschehen hört mit dieser symbolischen Manifestation von Luises Macht auf. Auch vom Handlungsmuster her ist der Text durchaus verwandt mit den barocken Friedensfestspielen, die vor allem nach 1648 in großer Zahl entstanden: Hier wie dort wird die Uberwindung der Kriegsgottheit vorgeführt. Von der im 17. Jahrhundert beliebten Gestaltung dieser Thematik in Prozeßform mit anschließender Bestrafung 476 weicht Goethe dann allerdings doch ab. D i e M o n o l o g e d e r KRIEGSGÖTTIN u n d d e r FLÜCHTENDEN s t e h e n in j a m b i -
schen Trimetern. Damit geriert sich Goethe formal als Klassizist. Zudem verleiht er so dem Krieg die Schicksalsschwere der griechischen Tragödie, was einer persönlichen Bewertung gleichkommt, die wesentlich in das Huldigungsvorspiel einfließt. Goethes durchaus kritische Einstellung gegenüber der Haltung des Herzogshauses im Krieg prägt die Gestaltung und Zuweisung des Lobpreises, wie Oppenheimer beobachtet: Goethe is likely to have regarded this spirit as unwillingness to recognize the presence of a demonic force embodied in the conqueror. Thus the tribute contained in the Vorspiel was conspicuously concentrated on the Duchess Luise, w h o had averted worse disasters by having stayed in Weimar, and on the memory of Anna Amalia. Beyond this tribute, we find little more than the emphatic exhortation, addressed to all, to settle down and accept reality. 477
Tatsächlich enthält der Text neben der Huldigung an die fürstlichen Erstadressaten auch noch eine ausführlich vorgetragene Botschaft an die Zweitadressaten, d.h. die Untertanen im Theaterpublikum. An diese Adresse richtet Goethe politische Grundsatzerklärungen zur Bewältigung der Herrschaftskrise. Diese Mitteilungsabsicht realisiert er, noch bevor überhaupt der erste panegyrische Vers des Vorspiels gesprochen wird. Nachdem Luises Name auf einer illuminierten Schrifttafel zu lesen war (vgl. Bühnenanweisung nach V. 82), wechseln Schauplatz und Metrum. An die Stelle 475 476
477
Vgl. ebd., S . i 9 7 f . So z.B. in Georg Schottels >Friedens Sieg< (1648), Johann Rists >Irenaromachia< (1630), >Das FriedeWiinschende Teutschland< (1647) und >Das Friedejauchtzende Teutschland< (1653), in Johann Klajs >Geburtstag deß Friedens< (1650), Andreas Gryphius' >Majuma< (1653) oder Sigmund von Birkens >Teutscher Kriegs A b - und Friedens Einzug< (1650). Weder besaß Goethe solche Texte, noch entlieh er sie aus den Weimarer und Jenaer Bibliotheken (vgl. Ruppert, Goethes Bibliothek; bzw. Keudell, Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek); dennoch scheint es recht wahrscheinlich, daß er mit der Praxis des barocken Friedensspiels anderweitig, z.B. durch den häuslichen oder akademischen Poetikunterricht, vertraut war. Oppenheimer, Goethe's Poetry for Occasions, S. 149.
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der jambischen Trimeter treten fünfliebige Trochäen, an die von »Wald. Fels. Meer. Nacht.« (S. 651) ein »Königlicher Saal.« (S. 654). Als Verkünderin eines politischen Programms tritt nun die MAJESTÄT auf. Ganz dem aufgeklärten Absolutismus verpflichtet, erklärt sie zunächst: Denn die Weisheit, wandelt sie bescheiden / Unter Menschen, lehrend, ratend, scheltend, / Wenig achtet sie der Haufe, leider öfters / Wird sie wohl verachtet und verstoßen; / A b e r wenn sie sich zur Macht gesellet, / Neiget gleich sich die erstaunte Menge, / Freudig, ehrfurchtsvoll und hoffend, nieder; / U n d wie vor Gewalt sich Furcht geflüchtet, / So entgegnet nun der Macht Vertrauen. (V. 87-95)
Die beiden letzten Verse sollen offenbar das wegen der Flucht fast aller Familienmitglieder angeschlagene Vertrauen der Untertanen zum Herzogshaus erneuern. Mit der ästhetischen Nachbearbeitung stellt Goethe eine offizielle, gewissermaßen chronikfähige Version des sachsen-weimarischen Machteinbruchs her. Auch die übrigen Äußerungen der MAJESTÄT zielen nach der unrühmlichen Flucht der Fürsten auf die Herrschaftsstabilisierung. Die weitere Legitimation des herzoglichen Machtanspruchs trägt sehr deutlich Goethes Handschrift. Hier nämlich erfolgt die Begründung von Ordo und absoluter Macht nach hermetischem Weltbild:478 So im Kleinen ewig wie im Großen / Wirkt Natur, wirkt Menschengeist, und beide / Sind ein Abglanz jenes Urlichts droben, / Das unsichtbar alle Welt erleuchtet. / U n d so grüße jedes Land den Fürsten, / Jede Stadt den Altesten, der Haushalt / Grüße seinen Herrn und Vater jauchzend, / Wenn sie wiederkehren als die Meister, / Z u erbauen oder herzustellen. (V. 1 3 8 - 1 4 6 )
Während der Autor traditionell im Gelegenheitsgedicht bestenfalls eine marginale Rolle spielte, benutzte Goethe diesen Text wie schon bei früheren Anlässen als Sprachrohr seiner eigenen politischen Ansichten. Die MAJESTÄT schließt mit ganz konkreten, durchaus reaktionären Verhaltensanweisungen an die Untertanen: Fromm erflehet Segen Euch von oben; / Aber H ü l f e schafft Euch tätig wirkend / Selber, und vertilget alle Spuren / Meines Fußes, der gewaltig auftrat. / U n d der Weise, der Verständ'ge, nehme / Teil an meiner Macht und meinem Glücke hin! (V. 1 4 7 - 1 5 2 )
Im letzten der drei Auftritte des Vorspiel folgt eine Wechselrede zwischen dem FRIEDEN und der MAJESTÄT, die zunächst weiterhin programmatisch gehalten ist. So preist der F R I E D E die Weimarer Kunstförderung, um das größte Verdienst des Hofes in Erinnerung zu rufen: »Diese Stadt, die ich so lange / Mütterlich begünstigte, / Weil sie meine holden Gaben, / Würdig, schätzend, tätig 478
Inhaltliche Anregungen bezog Goethe aus Jacobis Antrittsrede bei der Münchner Akademie (Friedrich Heinrich Jacobi: Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck. München 1807), die er zeitgleich las (vgl. an Jacobi, 16.9. 1807; W A IV,i9,409f. sowie auch Max Morris: Goethe-Studien. Bd. 2. 2., veränderte Aufl., Berlin 1902, S . 2 7 i f f . ) .
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wirkend, / Dankbarlich erwiderte; / Weil sich holder Friedenskünste / Alte, Junge, Hohe, Niedre / Männiglich befleißigten.« (V. 161-168). Die M A J E S T Ä T unterstreicht als Entgegnung noch einmal den erwünschten patriarchalen Bürgersinn. Ihre anfangs aufgeklärt-absolutistische Haltung wird nun ins Meritokratische gewendet. Die Absage an das Gottesgnadentum erteilte Goethe bereits 1783 mit dem Geburtstagsgedicht >Ilmenau< für Carl August. Hier erscheint das Staatswesen sogar tendenziell als res publica: Also wer dem Hause trefflich vorsteht, / Bildet sich und macht sich wert, mit A n dern / Dem gemeinen Wesen vorzustehen. / Er ist Patriot, und seine Tugend / Dringt hervor und bildet ihresgleichen, / Schließt sich an die Reihen Gleichgesinnter. / Jeder fühlt es, Jeder hat's erfahren: / Was dem Einen frommt, das frommet Allen. (V. 1 9 3 200)
Erst zum Schluß wendet sich der Dialog dem festlichen Fürstenpreis zu. Gegen die Gattungskonventionen stellt Goethe den Anlaß höher als die Adressaten. So erklärt sich der F R I E D E leicht anmaßend, aber unwidersprochen zum eigentlichen Mittelpunkt des Festes. Im spielerischen Umgang mit der casualpoetischen Tradition wird dabei der panegyrische Blick-Herz-Topos als Metapher für das Fest eingesetzt: »Wenn sich Herz und Blick entgegen / Drängt an diesem frohen Tag, / Freilich bin ich's, die von Allen / Sehnsuchtsvoll Erwartete.« (V. 267-270). Dann aber folgt der Lobpreis der Großfürstin Maria Pawlowna und, im Nebensatz, auch der ihres Gatten: Aber, unsichtbar auf Erden / Schwebend, könnt' ich meiner hohen / Glückverbreitenden Gesinnung / Wählen kein vollkommner Gleichnis, / Nicht ein ausdrucksvoller Abbild, / Als in diese Freude-Fülle / Allbelebend sich hereinsenkt. / Tausend Blumen aus den Kränzen, / Aber tausend aus Gehängen / Blickend, mögen ihrer Blüte / Lieblichkeit nicht überscheinen; / Und wie um die frische Rose / Jede Blume sich bescheidet / Sich im bunten Strauß zu fügen: / Also diese Welt von Zweigen, / Blumen, Bändern, Alten, Jungen, / Dieser Kreis von frohen Blicken, / Alles ist auf Sie gerichtet, / Sie, die lieblich Würdige! / Wie Sie an der Hand des Gatten, / Jung wie E r und H o f f nung gebend, / Für Sich selber Freude hoffend, / Segnend uns entgegen tritt. (V. 2 7 1 2 93)
Die Passage gerät mit abgegriffener Hyperbolik und konventioneller Blumenmetaphorik auffallend oberflächlich. Während Goethe für fürstliche Adressaten, die ihm persönlich nahestanden, individuell aussagekräftige Casualdichtungen verfaßte, fällt der Text für die erst seit drei Jahren in Weimar lebende Maria Pawlowna eher schablonenhaft aus. Allein die knappe Andeutung, daß die Großfürstin >Hoffnung gebendPrometheus< werden. 4 8 ' Ein äußerer Anlaß lag damit zwar vor, aber es fehlte ein Adressat. Statt eines Herrschers wird die ästhetische Erziehung des Menschen verklärt. Die A u f g a b e des Texts bestand allein in der literarischen Repräsentation, d.h. in der von außerliterarischen Z w e c k e n befreiten Selbstdarstellung von Kultur. Daher enthält er, o b w o h l einer genuin panegyrischen Gattung zugehörig, keinerlei Hinweise auf eine Gelegenheitsbindung. Diese Ausnahmestellung erläutert Peter Sprengel wie folgt: B e s o n d e r e B e a c h t u n g v e r d i e n t die A u f w e r t u n g des G a t t u n g s b e g r i f f s >Festspiel< im U n t e r t i t e l z u r »Pandora«, e i n e m D r a m a , das ja k e i n e s w e g s f ü r eine b e s t i m m t e »Gelegenheit« b e s t i m m t w a r , w i e die B e z e i c h n u n g es bis d a h i n implizierte. »Festspiel« w i r d n u n m e h r z u m N a m e n einer s p e z i f i s c h e n F o r m a l l e g o r i s i e r e n d e r D r a m a t i k , d e r f r e i lich die A u s r i c h t u n g auf ein festliches G e s c h e h e n s - hier im S c h l u ß des D r a m a s selbst gestaltet - inhärent ist. 4 8 6
A n die Stelle des Fürstenpreises tritt in diesem kulturmythischen Festspielversuch, der gegen die Gattungskonvention primär noch nicht einmal zur A u f f ü h rung bestimmt war, die Selbstfeier des Wahren, Guten und Schönen. Die H a n d lung besteht darin, daß der Gegensatz zwischen dem kontemplativ-musischen PROMETHEUS u n d d e m aktiv-kriegerischen EPIMETHEUS d u r c h die V e r e i n i g u n g v o n E P I M E T H E U S u n d d e r v o n G o e t h e als h e i l b r i n g e n d g e z e i c h n e t e n P A N D O R A
aufgelöst wird. Diese Folie der Friedensverklärung bindet das Stück an die historische Realität der überstandenen preußischen Niederlage von 1807 an. 487 Hier zeigt sich wieder die f ü r Goethe typische Verquickung von Gelegenheitsdichtung und Wirklichkeitsdichtung (Oppenheimer) gemäß seinem Diktum: »Von Gedichten, aus der L u f t gegriffen, halte ich nichts.« 488
48
' A l s das Z e i t s c h r i f t e n p r o j e k t w e g e n U n s t i m m i g k e i t e n z w i s c h e n den H e r a u s g e b e r n z u scheitern d r o h t e , sah G o e t h e d a v o n ab, den T e x t z u v o l l e n d e n (vgl. an M a r i a n n e v o n E y b e n b e r g , 12.8. 1808; W A IV,20,139).
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P e t e r Sprengel: D i e inszenierte N a t i o n . D e u t s c h e F e s t s p i e l e 1 8 1 3 - 1 9 1 3 . M i t a u s g e w ä h l t e n T e x t e n . T ü b i n g e n 1 9 9 1 , S. 23.
487
V g l . a u c h K a r i n S e i f f e r t , E n t w i c k l u n g v o n G o e t h e s K u n s t a u f f a s s u n g , S. 2 9 f f . D a h e r m a g ein w e i t e r e r G r u n d f ü r das Scheitern des S t ü c k s darin liegen, daß die h o h e n k ü n s t l e r i s c h - ä s t h e t i s c h e n , antikisierend v o r g e b r a c h t e n Ideale des S t ü c k s u n d die u n mittelbare h i s t o r i s c h e S c h r e c k e n s e r f a h r u n g v o n J e n a u n d A u e r s t e d t allzu w e i t auseina n d e r k l a f f t e n (vgl. s o G a b r i e l e J ä h n e r t : D a s F e s t s p i e l als E x p e r i m e n t . D i e P r o b l e m a tik des antiken K u n s t m o d e l l s in G o e t h e s »Pandora«. In: S i e g f r i e d Streller ( H g . ) : L i t e ratur z w i s c h e n R e v o l u t i o n u n d R e s t a u r a t i o n . Studien z u literarischen W e c h s e l b e z i e h u n g e n in E u r o p a z w i s c h e n 1 7 8 9 u n d 1 8 3 5 . B e r l i n / W e i m a r 1989, S . 9 1 - 1 0 5 ) .
488
E c k e r m a n n , G e s p r ä c h e mit G o e t h e , S . 4 8 f . (am 1 7 . , notiert a m 1 8 . 9 . 1 8 2 3 ) .
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Darüber hinaus manifestiert sich in der kreativen Aneignung antiker M y thenmodelle und spanischer Festspielformen ein Wandel in Goethes künstlerischem Habitus. Der Text spiegelt, wie Gabriele Jähnert pointiert zusammenfaßt, die »Widersprüchlichkeit des ästhetischen und weltanschaulichen Umdenkungsprozesses Goethes im Spannungsfeld von Antike- und Calderon-Rezeption [...] und ist das Zeugnis eines ersten Vermittlungsversuchs zwischen antiken und romantischen Kunstmodellen«. 489 So überrascht es kaum mehr, daß Goethe den Text in seinen Werkausgaben nicht seinen >Theaterreden, Vor- und Nachspielen< zuordnete. Statt dessen stellte er den Text in eine Reihe mit den an der Homerischen Epik orientierten Werken >Hermann und Dorotheas >Reineke Fuchs< und der >AchilleisProlog (bei Eröffnung eines Interimstheaters in Weimar 1825)« ( F A 1,6,917) geht nicht hervor, ob er noch panegyrisch gestaltet werden sollte. Der Text blieb unvollendet, da der Theaterneubau rechtzeitig zum 50. Regierungsjubiläum Carls Augusts fertiggestellt wurde, so daß eine die provisorische Lösung entschuldigende Vorrede nicht mehr benötigt wurde. Robinson, Goethe's Allegorical Prologues, S. 193.
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Goethe sich veranlaßt, die fürstlichen Verdienste auf dem Theater zu repräsentieren: Immerhin durfte der Regent nun den Titel eines Großherzogs führen und hatte ein kleine Gebietserweiterung erzielt. Der routinierte Hofpoet plante den festlichen Fürsteneinzug bereits lange im voraus. Schon im Februar notiert er im Tagebuch: »Capellmeister Müller. Herzogs Ankunft zu feyern.« (Tgb 25.2. 1815; WA 111,5,151). Schließlich setzte er für den 13.6. 1815 eine Festaufführung der komischen Oper Johann von Paris< von François-Adrien Boieldieu an. Dazu schrieb er das musikalisch unterlegte Nachspiel >Bei Rückkehr Ihro Königl. Hoheit des Grossherzogs von Wien. Finale zu Johann von Paris< (FA I,6,79 5 ff.). Die Herrschaftsinszenierung sollte durch die nacheinander mit Preisversen auftretenden Figuren der Oper erfolgen. Goethes Text greift das Schlußbild des Zweiakters auf, in dem der französische Thronerbe J O H A N N im Kostüm eines Fürsten um die Gunst der Prinzessin I S A B E L L A von Navarra wirbt, um ihr nach der Entdeckung seines Inkognitos seine Liebe zu gestehen. 4 ' 2 Das Nachspiel beginnt damit, daß I S A B E L L A die Huldigungsgeste des Prinzen auf den Weimarer Herzog umlenkt: »Warum vor mir die Kniee beugen? / Und wenn ich selbst Navarras Fürstin wäre; / N u r Ihm, nur Ihm gebühret Preis und Ehre! Erhebt euch sie Ihm zu bezeugen.« (V. 1-4). Auch Johann tritt nun aus der Rolle heraus. Der Bühnenillusion soll nun die panegyrische Wahrheit folgen: »Wie gern entäußr' ich mich des Fürstenstandes / Worin ich mir zum Scherze wohlgefiel. / Die ernste Rührung folgt dem Spiel, / Begrüßt den Vater dieses Landes.« (V. 5-8). Die folgende Wechselrede zwischen J O H A N N und I S A B E L L A vollzieht kunstfertig die preisende Erhöhung des Herzogs. So versichert die Prinzessin zunächst die unausgesetzte Untertanentreue während des Krieges: »Ja wir flehten, wenn Gefahren / Du Dich kräftig ausgesetzt: / Wirk' er unter seinen Scharen / Hochverehrt und unverletzt.« (V. 9-12). Die hiermit bereits unterstellte Tapferkeit des Herzogs wird anschließend durch die Anspielung auf eine zweifelsfreie historische Tatsache gleichsam zur Realie erhoben. So erwähnt J O H A N N die Englandreise, die Carl August nach den Feldzügen unternahm: »Wenn das Meer Dich trug und Trennte, / Dringend auch die Andacht war; / Denn der Kampf der Elemente / Bringt dem Edelsten Gefahr.« (V. 1 3 16). Die folgende Chorpassage zieht eine Zwischenbilanz aus dem Lobgesang, die sich auf gattungstypische Hyperbolik und hergebrachte Metaphorik stützt. Die betonte Untertanenperspektive verdeutlicht das hierarchische Gefalle zwischen Adressat und Huldigungsgruppe: »Und so mögen Millionen / Uns beneiden: / Wir umwohnen / Den Gelobten, / Den Erprobten! / Teil' er fröhlich diese Feste / Seiner Kinder, seiner Gäste.« (V. 25-31). Neben der hergebrachten 492
E i n e I n h a l t s a n g a b e bieten R i c h t e r / M i c h e l , Μ Α 1 i . i / i , 6 6 ; t f .
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Vater-Kinder-Metapher für das Verhältnis des Landesherrn zu seinen Untertanen spielt Goethe im folgenden auch den ebenso etablierten Hinweis auf die Herzen aus. Topisch gestatten die Sprecher, stellvertretend für die Untertanen, den Blick ins Innere. Der S E N E S C H A L L beginnt: »Der Seneschall vor allen / Stellt sich dem Fürsten dar, / Und hinter den Masken allen / Verehrung treuer Schar.« (V. 3 6 39). Diese im wahrsten Sinne des Wortes entlarvenden Worte lassen sich als subtiler Seitenhieb auf die höfische dissimulatio lesen, freilich mit dem verblüffenden Ergebnis, daß nicht Intrige, sondern Ehrerbietung zutage tritt. Der Chor verdoppelt die Versicherung des S E N E S C H A L L S , wobei verstärkend die >Herzen< syntaktisch an die Stelle der >Masken< gesetzt werden: »Und aus den Herzen allen / Verehrung treuer Schar.« (V. 4of.). Im Theaterkontext wirkt die an sich verbrauchte Herz-Metaphorik weniger formelhaft. Medial bedingt fallen Sein und Schein auf der Bühne auseinander, so daß ihre rhetorische Vereinigung im Spiel mit der überkommenen Bildlichkeit doch noch eine gewisse Lebendigkeit besitzt. Die übrigen Figuren treten nacheinander zu einem Huldigungsreigen an, der sich scherzend auf ihre Rollen in der Oper bezieht. So fordert der Page OLIV I E R : »Ihm zu Ehren, ihm zu dienen / Laßt den Pagen auch herein!« (V. J2f.). Die Wirtsleute L O R E Z Z A und P E D R I G O erwidern: »Seht mir nur den tollen, kühnen, / Er will wieder der erste sein.« (V. 54f.). Wieder kommt die P R I N Z E S SIN auf das zentrale Anliegen des Nachspiels zurück, indem sie regelrecht indoktrinierend fragt: »Doch wer hat für Gott gestritten / Für der Seele höchstes Heil, / Als mit allen die gelitten / Unser Herr an seinem Teil?« (V. 64-67). Dieselben suggestiven Worte benutzt der CHOR für die hervorstechend casualdeiktische Antwort: »Herrlich kommt er angeschritten / Unsrer Seele selig Heil.« (V. 68f.). Nach diesem didaktischen Intermezzo meldet sich O L I V I E R noch einmal zu Wort, um das Nachspiel mit einer Freiheitsallegorie auszustaffieren: »Und vergebt mir, liebe Frauen, / Gerne steht ihr nicht zurück; / Sie die herrlichste zu schauen, - / Freiheit! - Sie macht unser Glück.« (V. 82-85). Daran anknüpfend erfolgt noch einmal der ohnehin schon recht dick aufgetragene Fürstenpreis, jetzt ausgesprochen von P E D R I G O U N D L O R E Z Z A : »Und so ist denn unserm Leben / Und den Untersten im Land / Gott und König wiedergeben / Als der Freiheit schönstes Pfand.« (V. 88-91). Der verklärende Schlußchor resümiert noch einmal das Preiswürdige des Anlasses, und zwar den beschützenden Gott, den zum Großherzog aufgestiegenen Fürsten und vor allem die wiedererlangte Freiheit: »Gotte! Der uns gnädig erhört, / Preis in Ewigkeit. / Dem Fürsten der Sich und uns erhöht, / Heil zur längsten Lebenszeit. / Beide verehrt in allen Landen! / Freiheit ist auf ewig erstanden.« (V. 92-97). Für Goethe gänzlich überraschend lehnte Carl August dieses theatrale Vivat ab, das traditionell und sachlich eine angemessene Begrüßung dargestellt hätte. 288
Als die Probenarbeit bereits in vollem Gange war, ordnete er das Wegfallen des Nachspiels an, das mithin nie aufgeführt wurde. Goethe erfuhr davon auf seiner zweiten Reise in die Rhein- und Maingegenden, die er vom 24. Mai bis 1 1 . Oktober unternahm (vgl. Tgb; WA III,5,162 u. 187). In seinem Antwortbrief nach Weimar schrieb er: Bey'm Theater war unsere Schuldigkeit auf etwas Schickliches zu diesem erwünschten Empfang zu denken. Nach Kenntniß, daß unser Fürst nichts Aufgeblasenes liebt versuchte man ein leicht Vorübergehendes. Wird auch ein solches, in höherer Betrachtung, abgelehnt; so haben wir diese zu verehren und uns zu fügen, (an Kirms, 17.6. 1 8 1 5 ; W A IV,26,15)
Ganz ähnlich erklärte er die ungewöhnliche Karriere des Nachspiels bei der Vorbereitung seiner Ausgabe letzter Hand in einem Entwurf zu einer A u f k l ä renden Bemerkung^ in die er die unbenutzte Zweckdichtung zur literarischen Verwertung aufnahm: Ihro K . H . waren niemals Freund von Ehren- und Freudenbezeugungen welche sich in Ihro Gegenwart mittel- oder unmittelbar auf Sich selbst bezögen; deswegen man denn auch nur durch ein Final des eben auf dem Theater erschienenen Johann v. Paris die allgemeine Theilnahme an diesem Tage auszudrücken gedachte. Da aber auch diese geringe Äußerung abgelehnt ward, so bleibe das Angedenken derselben wenigstens hier aufbehalten und gebe jüngeren Freunden Anlaß dergleichen Gelegenheiten zu benutzen. (WA 1 , 1 3 / 2 , 2 1 3 )
Demnach hatte Goethe bereits versucht, den herzoglichen Vorlieben entsprechend eine vergleichsweise prunklose Gelegenheitsdichtung anzufertigen. Er vermutete hinter Carl Augusts Zurückweisung der Festaufführung offensichtlich keine künstlerischen Bedenken gegenüber dem Stück, sondern übergeordnete Gründe. So mag Carl August möglicherweise eine symbolpolitische Taktik verfolgt haben, wie Friedrich Sengle mutmaßt: »[Wjollte er so den neuen konstitutionellen Kurs demonstrieren?« 493 Denkbar wäre jedoch auch, daß der Herzog di e persönliche Huldigung seines Hofpoeten wünschte, der sich schon bei seinem Friedenseinzug im Vorjahr auf Reisen befand, wie Sengle weiter erwägt: »Oder mißfiel ihm, daß Goethe bei seinem Empfang erneut fehlte?« 4 ' 4 Für diese naheliegende Vermutung finden sich jedoch keine faktischen Anzeichen. Goethe Abwesenheit könnte sich allerdings künstlerisch-ästhetisch auf sein Finale ausgewirkt haben. Die Nähe zum Adressaten stellte eine unerläßliche Voraussetzung für Goethes Gelegenheitsdichtungen dar, wie z.B. sein Schweigen beim Einzug der ihm bis dato unbekannten Großfürstin Maria Pawlowna eindrücklich zeigt. Die persönliche Nähe zu Carl August war nun freilich gegeben. Allerdings waren Autor und Adressat durch eine erhebliche räumliche Di4,3 454
Sengle, Das Genie und sein Fürst, S. 339. Ebd. 289
stanz getrennt. Auch diesen Umstand hatte Goethe bei früherer Gelegenheit entschieden für problematisch befunden, zumal bei einer eng verwandten Gattung: »Denn wenn man einen Prolog noch allenfalls in der Ferne schreiben kann, so darf der Epilog nur aus einer unmittelbaren Nähe entspringen.« (an Rochlitz, 12.5. 1807; WA IV,19,331). Die Begründung für diese Ansicht führte Goethe dort allerdings nicht aus, so daß entsprechende Schwächen des Finales unentdeckt bleiben müssen. Karl Richter und Christoph Michel dagegen vermuten hinter der mangelnden Festfreude des Herzogs schlichtweg seine Enttäuschung über den Ausgang des Wiener Kongresses: Hatte sich Carl August die vom Dichter vorbereitete Begrüßungsfeier nach dem Feldzug noch gefallen lassen, so ließ er sie diesmal absagen, vielleicht aus der nachhaltigen Verstimmung darüber, daß der Ernennung zum Großherzog nicht, wie er gehofft hatte, >das Reelle< nachgekommen war [...]: daß die Teilung Sachsens nicht hatte verhindert werden können, die erhofften territorial Aquisitionen< zu gering ausgefallen waren.·" 5
Dies und Carl Augusts zunehmende Vorbehalte gegenüber allzu überschwenglicher casualpoetischer Herrschaftsinszenierung - die sich bereits beim Vorspiel von 1807 klar abzeichneten - erscheint als Erklärung plausibler als eventuelle Animositäten mit Goethe. Der Herzog sagte nämlich sämtliche Festivitäten ab, nicht nur Goethes Finale. So berichtete jedenfalls Franz Kirms, der stellvertretende Theaterleiter von einem »Billet, in welchem Höchst Dieselben bey ihrer Rückkehr allen Empfang, Gratulation, große Tafel und was xxx xxxmehr, verbethen«. 4 ' 6 Diese Generalanweisung betraf auch den festlichen >Prolog bey der Rückkehr vom Wiener Congreß, 181 y, 4 9 7 den Riemer ergänzend zu Ehren des frisch ernannten Großherzogs verfaßte. In diesem Text werden die konstituierenden Bestandteile einer panegyrischen Theaterrede geradezu schulmäßig abgespult. So geht Riemer als erstes auf den Anlaß ein: »Es ist geschehn! - Gebet und Wunsch erhörte / Der ew'gen Sterne wandellose Huld, / Und was wir hoffend nah und nächst geglaubt, / Hat sich erfüllend froh uns überrascht.« (V. 1-4). Er führt den Gedanken des Friedenseinzugs noch weiter aus, um dann zum Fürstenpreis, den er auch auf Maria Pawlowna ausweitet: Und wie das Glück nur selten kommt allein / [ . . . ] / So fühlen wir entzückt wie mit des Vaters / Erhabnem Aufgang uns, solch Augenziel, / Der huldumgebnen Tochter 495
4,6 497
Richter/Michel, M A 1.1/1,660. Die Zitate stammen aus dem Tagebucheintrag Carl Bertuchs vom 6.4. 1815. In: Carl Augusts Begegnungen mit Zeitgenossen. Hg. v. Alfred Bergmann. Weimar 1933, S.93. Zur casualpoetischen Gestaltung der Begrüßungsfeier von 1 8 1 4 vgl. Kap. 4.2.3 dieser Studie. Franz Kirms an Goethe, 9.6. 1815. Signatur: G S A 28/67, Bl. 293f. Friedrich Wilhelm Riemer: Prolog bey der Rückkehr vom Wiener Congreß, 1 8 1 5 . 1 η : Ders.: Gedichte. Erstes Bändchen. Jena 1826, S. i8ff.
290
Glanzgestirn, / Erscheint, Ihr segnend Antlitz einem Volk / Zu zeigen, das dem Ihrigen verbrüdert, / In steter Treu und kindlicher Verehrung, / Sich Ihrer Sonnennähe schöner Dauer freut. (V. 9-19) D i e s e r etwas b e m ü h t eingeleitete L o b p r e i s spielt auf einem völlig abgenutzen Register: E r enthält den G e f ü h l s t o p o s des E n t z ü c k e n s , die konventionelle D e mutsgeste der >kindlichen V e r e h r u n g s f o r m a l e Charakteristika der nach Weim a r vermählten russischen G r o ß f ü r s t i n u n d schließlich auch das hergebrachte M a c h t s y m b o l der Sonne. A h n l i c h f o r m e l h a f t geht der Text anschließend auf die z u k ü n f t i g e Situation des Theaters ein: Wie schön! wie einzig ist dann unser Loos! / So manchen Abends lichte Feyerstunden / Vor dem erlauchten Blick des Fürstenkreises - / Der keinen Stern in seiner Krone mißt - / Der Volksversammlung lebensfroher Menge, / Der edlen Gäste, der Besucher Zahl, / Das Wechselspiel des Lebens, groß und heiter, / Belehrend und ergetzend, abzuschildern, / Zum Dank der Kenner, zum Genuß der Freunde, / Und so durch Kunstgefühl ein geistig Band / Der Treu und Huld um Fürst und Volk zu weben. (V. 55-65) W ä h r e n d G o e t h e in seinen Theaterreden abschnittsweise z w i s c h e n der P a n e g y r i k u n d der meist programmatischen T h e a t e r w e r b u n g trennte, v e r k n ü p f t e R i e m e r beide Bereiche. A l s H ö h e p u n k t der ästhetischen E r z i e h u n g auf d e m T h e a t e r deklarierte er die E r h a l t u n g des Treueverhältnisses zwischen H e r r scher u n d Untertanen. D a d u r c h stellte er die B ü h n e rhetorisch in den Dienst des H o f e s , statt sie, w i e G o e t h e , z u m künstlerischen E x p e r i m e n t i e r f e l d z u erklären. U n f r e i w i l l i g k o m i s c h w i r k t z u d e m im K o n t e x t der auf d e m Wiener K o n g r e ß eingeläuteten Restaurationszeit der B e g r i f f der >VolksversammlungProlog zu Eröffnung des Berliner Theaters im Mai 1821 < (FA 1,6,907-916) jedenfalls spielt der Fürstenpreis kaum mehr eine Rolle. Vielmehr preist in diesem Text die MUSE DES DRAMAS über 279 Verse vorwiegend personifizierte Stützen und Wohltäter des Theaters, darunter die dramatischen Gattungen (vgl. V. 1 - 1 1 3 ) , das apollinische Prinzip (vgl. V. 1 1 4 - 1 7 6 ) , die Baukunst und die Bühnenbildnerei (vgl. V. 232-248). Dem königlichen Mäzen hingegen gelten insgesamt nur fünf Verse. Beinahe verborgen im Hymnus der MUSE auf die Kunst stehen vier davon. Rhetorisch fragen sie, statt Rang und Namen des Adressaten kundzugeben: »Und wessen Wollen dies uns zugedacht, / Auf wessen Wink die Meister das vollbracht, / Wer wüßt' es nicht zu deuten, nicht zu nennen; / Doch ihm genügt, daß wir es anerkennen.« (V. 254-257). Wenn im Spätabsolutismus der Bescheidenheitstopos noch auf seilen des Casualdichters obligatorisch war, gehörte er mit der konstitutionellen Monarchie offenbar auf Adressatenseite zum guten Ton. Der fünfte Lobvers auf den König hebt sich immerhin durch die besondere Plazierung als Schlußvers vom übrigen Text ab: »Nun ist es ein Tempel und Priester sind wir; / Wo Alles zum Höchsten, zum Besten gemeint, / U m unseren Herrscher entzückt sich vereint.« (V. 28iff.). Dieses Entzücken ist freilich nicht mehr der alte panegyrische Topos, sondern eine Reverenz an die Kunst, hinter der die Herrscherverehrung zurücktritt. Die Beobachtungen an Goethes Weimarer Finale und Berliner Prolog deuten auf einen Funktionsverfall der Panegyrik auf dem Theater hin. Die zweckfreie Musenverehrung löste die spät499
Rainer Nägele: >Hier ist kein Platz für einen Künstlern Das Stuttgarter Hoftheater 1 7 9 7 - 1 8 1 6 , S. 1 1 2 . In: Ders. (Hg.): Musik und Musiker am Stuttgarter Hoftheater ( 1 7 5 0 - 1 9 1 8 ) . Quellen und Studien. Stuttgart 2000, S. 1 1 0 - 1 2 7 . i0 ° Vgl. ebd.
292
absolutistische Herrschaftsdemonstration ab, die offenbar als Rudiment einer vergangenen Epoche ihre frühere existentielle Bedeutung für die Machterhaltung allmählich verlor. In Weimar gab es allerdings auch einen technischen Grund dafür, daß Goethe die Casualdichtung für das Theater einstellte: Da er im April 1817 wegen eklatanter Mißachtung seiner Direktiven von der Theaterleitung zurücktrat, umfaßt hier die dritte Phase einen kürzeren Zeitraum als bei den theaterunabhängigen Gattungen.
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5· Schlußwort: Historische Standortbestimmungen
D e r gattungsgeschichtliche Ort von Goethes casualpoetischem Schaffen f ü r den Weimarer H o f liegt in einer Schnittfläche zwischen dem literarischen Feld und dem Feld der Macht. Die Texte besitzen deshalb nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen gesellschaftlich-historischen Referenzraum. K o n kret heißt das: Nach außen hin ist das Feld der höfischen Gelegenheitsdichtung bedingt durch seine Beziehung zum Feld der Macht, d.h. einerseits durch seine soziale Funktion und andererseits durch seinen künstlerischen Geltungsgrad. Im Inneren entsteht sein eigentümliches strukturelles Gefüge erstens durch die Anordnung symbolischer Machtstellungen, die von den jeweiligen Akteuren besetzt werden, zweitens durch ihre damit zusammenhängenden habituellen Einstellungen und schließlich drittens durch ihre Stellungnahmen, d.h. durch theoretische oder dichterische Aussagen. Methodisch bereitet diese doppelte Einbindung der Gattung gewisse Schwierigkeiten. Bourdieus Feldtheorie trägt wesentlich dazu bei, die gesellschaftlich-politische Dimension von Goethes höfischer Gelegenheitsdichtung und seiner programmatischen Neubewertung der Gattung aufzudecken. Bei den Analysen der einzelnen Texte stößt ihr Instrumentarium jedoch naturgemäß recht schnell an seine Grenzen. Z w a r ist die Auseinandersetzung mit dem Kontext gerade bei Gebrauchstexten unerläßlich, aber auch Bourdieu selbst gibt schon zu bedenken, daß die »ausschließliche Berücksichtigung der Funktionen [...] dazu [neigt], die Frage der internen Logik kultureller Gegenstände, ihrer Struktur als Sprache zu ignorieren«. 1 Die Stellung der Texte innerhalb des literarischen Traditionshorizonts läßt sich nun einmal kaum anders als auf dem Wege konventioneller Textanalysen feststellen. Die gesellschaftlich-historischen und literarisch-ästhetischen Ergebnisse aus beiden Untersuchungsschritten der Feld- und Fallstudien sollen nun systematisierend und historisierend zusammengeführt werden. Goethe verfolgt mit seinen höfischen Casualdichtungen gleichsam ein antizyklisches Leistungsverhalten. Als arrivierter Höfling widersetzt er sich in der Anfangsphase den formalen und inhaltlichen Auflagen des Hofzeremoniells und der Gattungskonventionen, obwohl er unter starkem Anpassungsdruck steht. Gerade in der Zeit nach 1 8 1 0 / 1 2 hingegen, also in der dritten panegyrischen Schaffensphase, könnte er zwar kraft der Autorität seines inzwischen er1
Bourdieu, Die Regeln der Kunst, S. 326.
294
worbenen kulturellen Kapitals seine programmatischen Neuerungen ohne weiteres noch stärker forcieren. Tatsächlich aber paßt er sich nun mit seiner restaurativen Panegyrik eher den zeremoniellen Bedürfnissen des Hofs an. Gleichzeitig manifestiert sich in den textuellen Strategien weiterhin sein künstlerischer Anspruch an die Gattung. Trotz der veränderten repräsentativen Bedürfnisse des Herzogshauses vor allem nach dem Wiener Kongreß ändert sich weniger die Rezeptionsmotivation2 des Hofes als die Produktionsmotivation des Autors. An die Stelle der herkömmlichen Produktionsmotivationen3 tritt nun Goethes eigenständiges ästhetisches Programm der Casualpoesie. Diese historischen Grundtendenzen werden durchgängig in allen Gattungen erkennbar. Eine entscheidende Rolle für den Innovations- und Autonomisierungsgrad der einzelnen Texte spielt außerdem der Kontext, nämlich die Art der Öffentlichkeit, in der sie verwendet wurden. Je nachdem, ob sie nur den fürstlichen Erstadressaten, den höfischen Zweitadressaten, dazu dem Theater- bzw. Redoutenpublikum oder sogar der außerhöfischen literarischen Öffentlichkeit zugänglich waren, besitzen die Texte persönlich-kritische, formelhaft-repräsentative oder künstlerisch-programmatische Eigenschaften. Je stärker die Texte in gesellschaftliche und repräsentative Zusammenhänge eingebunden sind, desto weniger eigenwillig werden sie gestaltet. Umgekehrt treten bei den weniger offiziellen Texten, welche die Gelegenheit lediglich als Anlaß und Stütze für künstlerische, politische oder persönliche Mitteilungen benutzen, teils beträchtliche ästhetische und soziale Konventionsbrüche auf. Indem Goethe die Gattungskonventionen zugunsten seiner eigenen Ansätze zurückdrängt, trägt er zur künstlerischen Verselbständigung der Casualdichtung bei. Besonders differenziert zeigen sich diese Abstufungen in der Lyrik. Schon in der Anfangsphase erfolgen die Innovationen auf verschiedenen Ebenen: Durch charakteristische Formensprache (z.B. Knittelvers), Individualisierung und Privatisierung der Gegenstände, Formulierung von Kritik am Herrschaftsstil (z.B. im Sebastian-Simpel-Gedicht), Ausweitung der Lobadresse auf zwei Personen (z.B. in >IlmenauAuf dem SeeFreiheit< des Dichters gegeben ist, ohne daß explizit von ihr gesprochen wird. Diese Schwierigkeit der Aufgabe stellt für Goethe zugleich ihren Reiz dar, weshalb er geradezu eindringlich auf den künstlerischen Intentionen als den Garanten und sichtbaren Zeichen der >Freiheit< besteht.7
Daß die >Zeichen der Freiheit vom literarischen Publikum tatsächlich als solche wahrgenommen wurden, dokumentiert z.B. die Reaktion Carl Friedrich Zelters darauf, daß Goethe das - bezeichnenderweise in der bei ihm programmatischen Stanzenform abgefaßte - Gedicht >Ihro der Kaiserin von Österreich Majestät< (FA 1,2,434-436) trotz veränderter politischer Konstellationen in der ursprünglichen Fassung in B8 abdrucken ließ. Zelter deutet diesen Schritt buchstäblich als künstlerischen Bekennerakt: Das Gedicht an die Fr. Kaiserin ist ein rechtes Meisterstück von Herz und deutscher Kraft. Luther würde es loben und daß es hier wieder steht, wie es steht, würde Er zuerst erkennen, weil man nur seine Meister leicht verkennt. Quod scripsi, scripsi! Also: bravo! in Luthers Namen. 8
Ahnlich wie in der Lyrik bildet sich auch in Goethes Maskenzügen von Anfang eine ganze Reihe von prägnanten Gattungseigentümlichkeiten heraus. Diese betreffen zum einen Goethes Umgang mit der Tradition von Maskerade und Casualdichtung am Hof, zum anderen seine originellen Zutaten, die eben den Maskenzug als Goethesche Gattungsprägung erst konstituieren. In den meisten Aufzügen werden Anlaß und Adressatin (Goethes Maskenzüge richten sich generell an Fürstinnen) jeweils nicht nur im Titel erwähnt, sondern auch in den Maskenstrophen wieder aufgenommen. Dies liegt insofern nahe, als der Aufzug performativ eine Huldigung darstellt. Allerdings gründen die Aufzüge nicht auf dem schulmäßigen Spiel mit den Umständen von Anlaß und Adressat, sondern behandeln mit ihrem jeweiligen Leitthema mehr oder weniger eigenständige Sujets. Passagenweise enthalten seine Texte daher sowohl casualdeiktische Hinweise als auch Huldigungsformeln, während in zahlreichen anderen Strophen die Elemente Anlaß und Adressat weitestgehend zugunsten wissenschaftlich-kultureller, teils von Eigeninteressen geleiteter Demonstrationen zurücktreten. Dabei bedient Goethe sich zwar großzügig am traditionellen Bildervorrat der höfischen Panegyrik, deren Ausdrucksmöglichkeiten er jedoch auf eigene Weise neu gestaltet. So werden hergebrachte Allegorien mit zeitgenössischen Inhalten verknüpft und zuweilen sogar szientifisch unterlegt (z.B. im >Planetentanz< von 1784). Gerade in den späten Texten geht Goethe immer stärker von den traditionellen Herrschafts- und Friedensallegorien zur symbolischen Machtdemonstration über. 9 So verwirklicht er seine Begriffsdichotomie von Allegorie und Symbol schließlich auch im Maskenzug. Die im >Maskenzug 7 8 9
Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht, S. 302. Zelter an Goethe, 1 0 . 1 1 . 1816. In: M A 20.1,473 (Briefwechsel mit Zelter 1799-1827). Vgl. auch Borchmeyer, Goethe, Der Zeitbürger, S. 141.
298
1818< vorgeführte »Weimarer Klassik< beispielsweise besitzt als Zeichen der Herrschaft keinerlei allegorische, w o h l aber symbolische Verweiskraft: Sie steht unmittelbar f ü r den Musenhofgedanken. Ebenso charakteristisch ist es, wenn Goethe das traditionell häufig gebrauchte Sonnensymbol f ü r die herrscherliche Macht immer wieder durch das von ihm selbst seit dem >Zug Lappländen von 1 7 8 1 eingeführte Nordlicht ersetzt. A n bürgerlichen Habitusformen bringt G o e t h e nicht nur das K o n z e p t der Geselligkeit ein, sondern auch das der Familie und der Privatsphäre (z.B. im >Planetentanz< oder im >Maskenzug russischer Nationen< von 1810). Sein progressiver Fürstenpreis in der Maskerade stützt sich darüber hinaus nicht mehr auf das Gottesgnadentum, sondern auf den Geistesadel als individuelles Verdienst. Weitere innovative Eigenanteile läßt Goethe mit seinen Rückbezügen auf Meteorologie, Geologie, Pansophie und Theater in die Maskenzüge einfließen. Ein wesentliches Gattungsmerkmal stellt der unbedingte Realitätsbezug dar, den Goethe durch Anspielungen auf Weimarer Interna, politisches Zeitgeschehen und wissenschaftliche Entdeckungen gewährleistet. Goethes Maskenzüge bilden durchkomponierte Gesamtkunstwerke, deren Einzelteile durch formale und inhaltliche Korrespondenzen zu einem Sinngefüge miteinander verbunden sind. D e r künstlerische Anspruch zeigt sich auch inhaltlich. D e r ästhetische Gehalt seiner Inszenierungen beschränkt sich nicht allein auf die Herrschaftsdemonstration. Mit kompositorischem
Geschick
nutzt Goethe das sich bietende F o r u m der Hofgesellschaft, um auch seine eigenen Interessen zu artikulieren. So versucht er, im Medium der Kunst gestaltend auf die gesellschaftlichen und politischen Zustände am H o f einzuwirken. Geradezu leitmotivisch zieht sich besonders sein Programm der Harmonisierung im Fest durch sämtliche Maskenzüge. Dieses regelmäßig eingeforderte Ideal der Eintracht im Fest steht in freilich scharfem Gegensatz zu wesentlichen Verhaltensmustern der höfischen Gesellschaft: Ihre Umgangsformen beruhten historisch nicht auf der von Goethe geforderten concordia, sondern auf dissimulatio. Goethes H o f k r i t i k richtet sich darüber hinaus noch auf ganz spezielle Punkte am Weimarer H o f , z.B. auf Carl Augusts Spielleidenschaft (im >Aufzug des Winters< von 1 7 8 1 ) . Goethe löst seine Dichtungen f ü r die höfische Maskerade teilweise aus ihrer ursprünglichen Z w e c k b i n d u n g heraus. Auf diese Weise erobert er sich ästhetische Aktionsräume im Feld der Macht. E r nutzt sie zur teils bekenntnishaften persönlichen und künstlerischen Profilierung, zur Verbreitung seines geselligen Harmonisierungsideals und in der letzten Phase verstärkt auch f ü r literaturpolitische Ziele. Indem er seine Maskenzüge nachgerade offensiv als vollwertige Kunstwerke deklariert und verbreitet, erzielt er schließlich auch noch Statusgewinne im literarischen Feld. Indem er die höfische Habitusform der Maskerade im Zeichen der Kunst vereinnahmt, konterkariert er jedoch zunehmend die ursprüngliche Funktion 299
der Herrschaftsrepräsentation. Seine Autorschaft zeichnet für den Erfolg der Gattung verantwortlich, die das Hofzeremoniell immer mehr in den Dienst der künstlerischen Repräsentation stellte, bis im >Klassikeraufzug< von 1818 die Dichterverehrung gegenüber dem Fürstenpreis klar überwiegt. Den Höhepunkt dieser Ablösung von der höfischen Repräsentationskultur bildet die rein literarische >MummenschanzFaust II< (V. 50655986; FA 1,7/1,217-246), in der ein komplettes Aufzugsspektakel unabhängig vom ursprünglichen repräsentativen Zweckzusammenhang vorgestellt wird. Das Verfahren der seriellen Sinnkonstruktion, auf dem die Maskenzüge beruhen, findet sich darüber hinaus auch in der Gesamtform des >Faust II< wieder. Diese erstaunliche Ausweitung der Maskenzugästhetik auf ein Hauptwerk der gelegenheitsunabhängigen Dichtung erwähnen bereits Borchmeyer/Huber: »Sein opus summum >Faust II< [...] enthält bezeichnenderweise nicht nur einen Maskenzug (>MummenschanzMaskenzug zum 30. Januar 1802« (>Aufzug der DichtartenAus dem Maskenzuge zum 30. Januar Beitrag zum Maskenzug zu Luises I8O9< (FA 1,6,812) Geburtstag
j
JAHR
00
Maskenzüge
310
I8IO
>Die romantische Poesie. Stanzen zu Erklärung eines Maskenzugs aufgeführt den dreißigsten Januar. Weimar I8IO< ( F A
I8I0
1,6,813-820)
>Maskenzug russischer Nationen zum 1,6,821-823)
Maskenzug zu Maria Pawlownas Geburtstag
>Zum sechzehnten Februar 1810. Quadrille italienischer Tänzer und
Maskenzug zu Maria Pawlownas Geburtstag
16. F e b r u a r i8io< ( F A I8I0
Maskenzug zu Caroline Luises Verlobung und zu Luises Geburtstag, Wiederholung zu Maria Pawlownas Geburtstag
Tänzerinnen< ( F A 1,6,824) I8I8
>Maskenzug 1818. Bei allerhöchster Maskenzug zum Besuch Maria FeoAnwesenheit Ihro Majestät der Kaise- dorownas und zur Geburt von Carl rin Mutter Maria Feodorowna in Wei- Alexander mar. Festzug. Dichterische Landeserzeugnisse, darauf aber Künste und Wissenschaften vorführend» (FA 1,6,825-867; Besetzungsliste S . 8 6 4 -
867; Varianten und Paralipomena S. i 4 3 o f . , A b l a u f s c h e m a S. I 4 3 2 f . ) 1828
>Die ersten Erzeugnisse der Stotternheimer Saline begleitet von dichterischem Dialog zwischen den Gnomen, der Geognosie und der Technik überreicht zum X X X . Januar M D C C C X X I I X . mit getrostem Glück auf! C . Glenck, Salinen-Direktor, untertänigst» ( F A
Maskenzug zu Luises Geburtstag
1,6,868-871)
Theatertexte Titel und Textbeleg
Anlaß und Adressat
1781/84
>Elpenor< (FA 1 , 5 , 2 9 1 - 3 1 7 )
Schauspielfragment zur Niederkunft Luises, nicht aufgeführt
>Pantomimisches Ballet untermischt mit Gesang und Gespräch< (FA
Festspiel zu Luises Geburtstag
00 K)
Jahr
1,5.441-45°)
1792
'793
1800
>Epilog. Gesprochen den 11. Juni 1792« (FA I,6,88if.)
Abschiedsprolog f ü r Carl August
»Prolog zu dem Schauspiel der Krieg, von Goldoni. Gesprochen von Madame Becker, geb. Neumann. Den 15. Oktober 1793» (FA 1,6,883^)
Prolog bei Rückkehr Carl Augusts und Goethes von der Belagerung von Mainz
>An die Herzogin Amalia. Nach einer kleinen theatralischen Vorstellung gesprochen. Den 28. Oktober i8oo< (FA 1,6,887)
Epilog zum Geburtstag Anna Amalias
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ι8οο
>Palaeophron und Neoterpe< (FA 1,6,251-263, Widmung an Anna Amalia, S. 251), Schluß von Paläophron und Neoterpe. Aufgeführt zum Geburtstag der Prinzessin Marie< (FA 1,6,263)
Festspiel zum Geburtstag von Anna Amalia, 1 8 1 9 zum Geburtstag von Marie
1806
>Zum 30. Januar i8o6< (FA 1,6,811)
gesungener Prolog zu Luises Geburtstag
1807
>Vorspiel zur Eröffnung des Weimarischen Theaters am 19. September 1807 nach glücklicher Wiederversammlung der Herzoglichen Familie« (FA 1,6,651-660)
Vorspiel bei Rückkehr Carl Augusts und Maria Pawlownas nach der Niederlage der preußischen Truppen 1806
1815
>Bei Rückkehr Ihro Königl. Hoheit Nachspiel bei Rückkehr Carl A u des Grossherzogs von Wien. Finale zu gusts vom Wiener Kongreß Johann von Paris< (FA 1,6,79 jff.)
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Anhang Β Die Adressaten von Goethes Gelegenheitsdichtung für den Weimarer Hof (Hauptadressaten kursiv) Ernst August II. Constantin
Anna Amalia
(1737-1758)
(1739-1807)
Carl August
Luise Auguste
Friedrich Ferdinand Constantin
(1757-1828)
(1757-1830)
(1758-1793)
Luise
Carl Friedrich
(1779-1784)
(1783-1853)
OD Maria Pawlowna (1786-1859)
Caroline
Carl Bernhard
(1786-1816)
(1792-1862)
Maria Luise Alexandrine
Maria Luise Augusta
Carl Alexander
(1808-1877)
(1811-1890)
(1818-1901)
in
Anhang C Abdrucke schwer zugänglicher Gelegenheitsdichtungen für den Württembergischen Hof (Vergleichstexte)
ι. Georg August Griesinger: Seiner Churfiirstl. Durchlaucht zu Würtemberg, Friederich dem Ersten bey der Annahme der Churwürde in tiefster Unterthänigkeit geweiht. Wien 1803. [ j S.o. Paginierung]. Signatur: D L A U U : Kps. 4°.
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Nicht mehr tönen die Donner des Krieges, versöhnt sind die Völker, Und schon sprossen empor des Friedens liebliche Blüthen. Heil dir Vaterland! Heil! du bist den wilden Orkanen Die dein Schiff zu schellen bedroheten, glücklich entronnen, Jugendlich hebt sich dein Haupt, am Glänze den Königen ähnlich, Unter den ersten bist du fortan im deutschen Senate, Würdig, Germaniens Bund und heilige Rechte zu schirmen, Mit Diademen zu schmücken die Scheitel der Imperatoren. Üppiger dehnen sich jetzt die Würtembergischen Gaue, Seit dem Zepter sich beugt, was Infel und Gilde regierten, Und ein brüderlich Band den Starken und Schwachen vereinet. Dir O FRIEDERICH! war in der Gottheit ewigen Rathe Diese Ära bewahrt, Du solltest sie gründen und zieren. Aus Elysium winkt der Beyfall tapferer Ahnherrn Eberhards und Christophs, dem Schützer und Mehrer des Erbtheils. So wie Du, war bis jetzt in Würtemberg keiner geehret, Darum freue Dich lang' in ungeschwächter Gesundheit Deines Werkes, der Frucht des rastlos thätigen Geistes. Dank erfülle die Bürger am freundlichen U f e r des Nekars, Schwöret: im Herrscher den Vater zu achten, als Männer und Deutsche Das vertraute Panier für Recht und Ehre zu schwingen! Blickt einst weilend auf uns die unbestechbare Nachwelt, Ahnend schwebt es mir vor, wie dort im Stamme der Zollern Wirst DER GROSSE CHURFÜRST auch D u O FRIEDERICH glänzen.
Friedrich Haug: Gefühle am frühen Grabe Ihrer Königlichen Majestät der Königinn Catharina von Würtemberg. Stuttgart 1819. [4 S.o. Paginierung] Signatur: H A A B 8° X X V , 2 2 ^ .
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I. Wehe! D u starbst, C a t h a r i n a ! - S o hallt aus des Königs Palaste Plötzlich um's Morgenroth ein entsetzenbereitender Klageruf. Wehe! D u starbst, C a t h a r i n a ! - Wie sank in Traurigkeit unter W i l h e l m tiefer und tiefer. - Die stille Thräne der Wehmuth Preist und das laute Gejammer der Armen Dich W ü r d i g e würdig. Wehe! D u starbst, C a t h a r i n a ! - S o wiederhallts an der Newa. Furchtbar durchzückt es das Herz M a r i e η s, wie glühende Dolche; A l e x a n d e r , den Helden, besiegt ein schwerlastender Schmerz nun, Und E u r o p a verhüllt im Flore der Trauer ihr Antlitz. Aber der kühneren Muse gelang's, empor sich zu schwingen In paradiesische Höh'n. Ein Fest ward himmlisch gefeyert. »Schwesterseele, willkommen!« erklang's zu der Seraphim Harfen. »Das ist kein Tod, nein! früheres Schweben des reiferen Geistes »Zu der Vollendung erhabenem Ziel, ist Segen und Vorglück.« Doch in der Fülle der Seligkeit noch blickt zärtlich der Engel Auf den verlassenen König herab und die weinenden Kinder, Betet: o tröste sie, Lenker des niezuenträthselnden Schicksals! Sinkt dann nieder am Thron, und lernt, (was w i r nicht begreifen, Grübelnd im Staube), das Räthsel versteh'n, lernt preisen und danken. Wonne! Vom Thron des Vergelters ertönte bei Harfengelispel Ihr der entzückende Ruf: »S e y W i l h e l m ' s G e n i u s
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II. Der Todesengel selbst ließ eine Thräne rinnen; Doch rafft er plötzlich S i e von hinnen, Und lächelt: »Auf des Ewigen Geheiß Soll D e i n Verdienst den Himmel D i r gewinnen. Dem großen Vater Dank und Preis! Du konntest s o nur scheiden ohne Schmerzen Aus W i l h e l m ' s Arm, aus D e i n e r Kinder Kreis, Aus Deinem Königreich der Herzen. III. O süßeste wohl der Unsterblichkeiten, Die schon hienieden für D i c h beginnt, Wo spät noch D i r frühe dem Grab Geweihten Die Thräne des Fürsten und Volkes rinnt.
wieder!«
IV. Staun', o Wandrer, hier und d e n k e ! - D e r mahnenden Grabschrift. Weihe, sie foderts, ein Nu Deiner enteilenden Zeit. Frage den schlagenden P u l s , dies stillere Glöckchen des Lebens! Spräche der Schmeichler: »Noch lang waltet Gesundheit in Dir.« Trügst in den Nerven Du regeste Kraft und Feuer im Blicke, Hätte noch nie Dein Herz Krankheit und Seufzer gekannt, Fürchte den Blitz aus heiterstem Himmel. Gesundheit erlag oft Mitten im Freudentriumpf heimlichem tödtendem Pfeil. Manche der Särg' umher, sie rufen D i r , wie C a t h a r i n a ' s : »Lerne die heilige Kunst, früher zu sterben, voraus!« V. König W i l h e l m ist allein, und - weint. Weint mit I h m ! In Thränen fühlt E r Wonne: Unter ging ja Se i η e s Lebens Sonne, Ach, die I h m nur jenseits wieder scheint. VI. Ich weint' und klagt' in wilder Ode O b C a t h a r i n a ' s frühem Tode, Der Ungerechtigkeit mir schien. Da rief mein Schutzgeist: » O verstumm' und lerne: »Ein u n e r m e ß l i c h R e i c h auf b e s s ' r e m S t e r n e B e l o h n t die w e i s e K ö n i g i n n . «
3· Karl Maisch: Seiner Königlichen Majestät König Wilhelm I. von Württemberg zum Allerhöchsten Geburtsfeste 1824 in tiefster und dankbarster Unterthänigkeit geweiht von Karl Maisch. Stuttgart 1824 [1 S.]. Signatur: H S t A S Bestand E 6 Kabinettsakten III, Büschel 36: Feierlichkeiten.
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In unermessner Meere Toben Hat einst, bei verhängnisvoller Nacht, Das Feuer, ein Eyland hervorgebracht; Auf einen Befehl von Oben! - ! Ein Fels erhebt sich in der Mitte, Umgeben von blühender Ebenen Duft: Hoch Herrscht E R durch die reinere Luft. An I H N gelehnt, steh'n Pallast und Hütte. Kein Sturm und keine Welle hemmt Die Kraft, mit der E R entgegen sich stemmt! Am Fuss steht seine Entstehung geschrieben! »Wilhelm!« - »September«, »Zwanzig und sieben.« Mein grosser König! Das bist D U ! Heil ruft das Land und Ehrfurcht die Ferne! Bewundrung ruft D I R das Blinken der Sterne, Und tiefsten Dank, D E I N Hirte zu!
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Johann Friedrich Schlotterbeck: Ihro Königliche Hoheit die Frau E r b prinzessin Charlotte Auguste Mathilde bewillkommt bei Höchstdero festlicher Heimführung der Genius der Stadt Ludwigsburg. Stuttgart 1797 [7 S. o. Paginierung]. Signatur: H S t A S Bestand A 21 Oberhofmarschallamt, Büschel 785. Weile hier, an dieser grünen Pforte! DICH begrüst, obgleich zu wenig Worte Das Gefühl der frohen Sehnsucht hat, DICH begrüst, in treuer Bürger Namen, s Die hieher, DICH zu empfangen, kamen, Feierlich der Genius der Stadt. »Dass sie DICH aus reiner Seele lieben,« O, das steht in jeder Brust geschrieben, Wie im Lied, das DEINE Ankunft singt. 10 Du erscheinst in eines Volkes Mitte, Ueber dem der alten teutschen Sitte Grauer Schutzgeist sein Panier noch schwingt. Edler Spross aus königlichem Blute! Wir verehren schon in DIR die gute, 15 Sanfte Fürstin, wie DEIN Albion. Wär'st DU auch zum Purpur nicht gebohren, Hätte DICH kein Erdengott erkohren, O gewiss, DU herrschtest - ohne Thron. Diese Stadt zählt noch nicht hundert Jahre, 20 Und DU wirst, im Schmuk der Silberhaare Greise, mit ihr gros-gewachsen, seh'n. Einst in ihrer schönen, goldnen Blüte, Liess sie KARLS, des seltnen Fürsten, Güte Manches Fest der Fröhlichkeit begeh'n. 25 Doch verwelkt sind mehr als zwanzig Lenze, Seit ich mir den Schmuk der Blumenkränze Weinend aus zerstörten Lokken riss. Um die Schläfe düsterne Zypressen, Klagt' ich nun, verlassen und vergessen, 30 Dieser Hauptstadt ödes Paradis. Heute schwebt die Hoffnung glänzend nieder. »Ludwigsburg! die Sonne lacht Dir wieder,« Ruft sie mir und diesen Bürgern zu, »Neuen Wohlstand, neues, reges Lehen 35 » Wird ein trefflich Fürstenpaar Dir geben.« — - D a s ist FRIEDRICH; - FÜRSTINN! das bist D u .
Dürfen wir der süssen Stimme trauen? EURE Huld, wird sie auch uns bethauen? Lächeln und DEIN sanftes Angesicht? Wird es DIR in dieses Schlosses Hallen, Wird es DIR in unserm Schoos gefallen, Wann der Frühling bunte Kränze flicht? Komm zu uns! in schattigen Alleen Wird die Linde ambraduftend wehen, Alles ladet DICH romantisch ein. Ludwigsburg DIR angenehm zu machen, Wird die Gegend doppelt heiter lachen, Und vielleicht - DEIN zweites Win dsor
seyn. Schlotterbek.
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5· J o h a n n F r i e d r i c h S c h l o t t e r b e c k : P r o l o g auf das H ö c h s t e N a m e n s f e s t der Durchleuchtigsten Frau H e r z o g i n Franziska zu Wirtemberg. Verfaßt v o n S c h l o t t e r b e c k . D e k l a m i r t auf d e m H e r z o g l i c h e n H o f - T h e a t e r v o n M a d a m e G a u ß . D e n 4. O c t o b e r [Stuttgart] 1 7 9 4 [7 S . o . P a g i n i e r u n g ] . Signatur: W L B D . D . qt. 286.
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Vernimmt, die ihr F r a η ζ i s k a liebet, Und o, wer liebt die Gute nicht? Vernimmt, was heut durch mich die Bühne, Was heut aus Mir die Freude spricht, Vereint uns nicht die schöne Feyer? Gieng nicht aus dieses Morgens Thor Der Tag, dem wir entgegen jauchzten, F r a n z i s k a ' s Namensfest hervor? In I h r e s Landes frohen Fluren Schaut mein entzükter Geist sich um; Schon grüßt er H o h e n h e i m s Gefilde, I h r Tempe, I h r Elisium. Die Wipfel rauschen I h r e n Namen, Er schimmert rings auf holdem Grün, Ein unsichtbarer Finger zaubert Die schönste Szene vor mich hin. Ich seh' I h r B i l d - mit jenem Büke, Der Herzen magisch an sich zieht, Wohlthätig, wie des Frühlings Sonne, Auf Gram und Elend niedersieht. Ich kenne Sie an diesen Mienen, Verklärt von sanfter Majestät, A n dieser Anmuth, die das Lächeln Der Menschenfreundlichkeit erhöht. Welch eine malerische Gruppe Von D a n k e n d e n umringt den Thron! Hier kniet die Wittwe - dort die Waise, Und hier der Armuth blasser Sohn. Verborgener Kummer, fernes Leiden Entgehen I h r e n Augen nie, A m Strand des R h e i n e s bluten Krieger, F r a n z i s k a ' s H u l d v e r b i n d e t sie. Ich blik' empor. - Aus Silberwolken, Verbrämt mit sanftem Purpurrand, Schwebt schimmernd über I h r e m Haupte Ein Kranz in einer Lilienhand; E r funkelt nicht von Diamanten, Denn edle Einfalt schmükt ihn nur; U m I h r e L i e b l i n g i n zu krönen, Flocht ihn aus Blumen - d i e N a t u r . -
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Wie mächtig der Begeist'rung Odem Bei diesem Anblik mich durchweht! Könnt' ich ein Monument I h r bauen, Wie es vor meinem Geiste steht! ! Doch - weg mit schöpferischem Griffel! Verstumme, preisendes Gedicht! S i e strebt ja nur nach guten Thaten, Nach Ruhm und Lobspruch strebt sie nicht. Ein stiller Dank, E r h a b n e F ü r s t i n ! Das Segenswort: »Du rettest mich« Preißt herrlicher, als alle Jubel Des feierlichen Chores, D i c h . Ein frommer Blik, in den die Liebe Die seligsten Gefühle malt, Entzükt D i c h mehr, als wenn Dein Name In festlicher Beleuchtung strait. Du freust D i c h Deines hohen Looses N u r dann, wenn Deine Huld beglükt, Nicht, wenn ein D i a d e m die Schläfe, Und M a l t h a ' s Kreuz die Brust D i r schmükt. Wie s c h ö n ist's, an des F ü r s t e n Seite Als G a t t i n und als F r e u n d i n ruhn, Wie groß, den Herrscherschweiß zu troknen, Wie g ö t t l i c h , mit I h m Gutes thun! Erhaben tönt der F ü rs t i n Ν a m e, Der N a m e , M u t t e r , gilt D i r mehr; Du sammelst keine U n t e r t h a n e n , N u r frohe K i n d e r um D i c h her. »O, hört, ihr Herrscher, hört's ihr Völker! So rufen wir im Jubelton, » F r a n z i s k a ' s Z e p t e r ist die Liebe, Und U n s r e H e r z e n sind I h r T h r o n . « Als jüngst im kalten Arm des Todes S i e, die D i c h Uns gebahr, entschlief, Ein Seraph Ihren Geist hinüber Zur schönen vollen Erndte rief, Da klagten wir in D e i η e Trauer, Und küßten ihren Aschenkrug; Es war die M u 1 1 e r unsrer M u t t e r , Die man aus unsrer Mitte trug. Vergieb - Vergieb! wenn ich die Wunde In D e i n e m Herzen aufgerizt. Vergieb! wir toknen diese Zähre, Die Dir im sanften Auge blizt. Doch - ja gewiß, gewiß, Dich tröstet Dein Schutzgeist, d i e R e l i g i o n ; D u weißst; die Theure wohnt dort oben; Groß war Ihr Herz - groß ist Ihr Lohn. 3^1
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Kein Gram entweihe unsre Feyer, Kommt, Patrioten, und bekränzt Den Tag, auf dessen Stralengürtel F r a n z i s k a ' s goldner N a m e glänzt. Wer ist die Krone guter Frauen, Des Landes Stolz, der Edeln Lust? F r a n z i s k a ; schallt es mir entgegen, F r a n z i s k a ; rufts in d i e s e r Brust. Was seh' ich? stellt nicht meinen Büken Sich W i r t e m b e r g als Tempel dar? Ha! jede Gegend wird zur Halle, Das kleinste Dörfchen zum Altar. Wie schön auf den umringten Stufen Als Priesterin die Freude steht! Wie herrlich jene Weihrauchwolke Hinauf zum Segensthrone weht! ! Z w a r röthet mählig schon der Abend Des Aethers westlichen Lazur, Doch Feyerlied und Dank verstummen Nicht mit der schweigenden Natur. Tauch immer, Sonne dieses Tages! Ins Meer die schönen Stralen ein; So lange wir F r a n z i s k a haben, Wird jeder Tag ein Fest uns seyn.
6. J o h a n n F r i e d r i c h S c h l o t t e r b e c k : Seiner K ö n i g l i c h e n M a j e s t ä t , H e r r n F r i d e r i c h d e m Z w e i t e n , b e y der feierlichen A n n a h m e der K ö n i g s w ü r d e allerunterthänigst ü b e r g e b e n . Stuttgart 1 8 0 5 [7 S. o h n e P a g i n i e r u n g ] . Signatur: H S t A S B e s t a n d E 51 H a n d a k t e n der A u ß e n m i n i s t e r , B ü s c h e l 264.
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Im Bund mit dem Sieger von Austerliz, Gleich rastlos in glänzender Sphäre, Erfliegt, wie der Adler den Wolkensitz, D e i n Geist den Gipfel der Ehre, Den Flug des Kühnen erreicht kein Gedicht; Die Muse verliert D i c h aus ihrem Gesicht. Indessen umflicht sie mit Lorbeer Grün D e i n Bild auf des Ruhmes Altare. Was einem Jahrtausend nur möglich schien, Vollenden drei flüchtige Jahre. Jüngst hast D u den flimmernden Churhut - und jetzt Des Königes Krone D i r aufgesetzt. Wie aus der Asche der Phönix ersteht; Das Gold mit blendendem Strahle Hervor aus bewährender Flamme geht; Der Kern aus eherner Schaale; So keimen aus prüfendem Mißgeschick D i r neue Stärcke, und neues Glük. Es stürmen, unzählbar, wie Meeres Sand, Heran die gefürchteten Schaaren; Gewitterwolken umnachten das Land; Und fernher blizen Gefahren; D u aber dämpfest durch K l u g h e i t u n d M u t h Des Sturmes Toben - der Blitze Glut. Und brüderlich faßt D i c h die Heldenhand, Vor der die Thronen erbeben. Die Weisheit freut sich, der Freundschaft Band U m D i c h und den S t a r k e n zuweben. Triumph! schon krönen mit herrlichem Lohn Dich - Dein Verdienst-und Napoleon. Bewundernd schauen vom Sternenzelt Auf D i c h die unsterblichen Ahnen. Hell flammt in Elysiums friedliche Welt D e i n Opfer den seligen Manen. Stillfeiernd, in geistiger Gegenwart, Umschweben D i c h - E m i c h [!] und E b e r h a r d .
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Wir aber, wir jubeln: »Dem K ö n i g e Heil!« Und Würtembergs Tausende strömen U m F r i d e r i c h s Thron, ihren kindlichen Theil Am Glänze des Vaters zu nehmen. Wirft nicht, wie ein Spiegel, ihr wachsendes Glück Das Bild D e i n e r wachsenden Größe zurück? »Heil, Heil dem K ö n i g ! « sey mein Gesang; Mein Wunsch: »Der K ö n i g soll leben«![!] O möcht' E r der Harfe bescheidenem Klang, Daß sie I h n gepriesen, vergeben! Einst singt doch der Enkelwelt lauschendem O h r Ein zweiter Homer S e i n e Thaten vor.
7· G o t t h o l d Stäudlin: F r e u d e n e r g u ß bei d e r T h r o n b e s t e i g u n g Ihres geliebten H e r z o g s L u d w i g E u g e n v o n W i r t e m b e r g . V o n f o l g e n d e n B ü r g e r n Stuttgarts, [folgt L i s t e ] . Stuttgart 1 7 9 3 [6 S . o . P a g i n i e r u n g ] . Signatur: W L B H B F C A 5 1 4 - 4 .
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Wenn seinen Thron mit weisem Ernst Ein edler Fürst besteigt; Und so dem Volk, ein stralend Bild Der Sonne, der nur Heil entquillt, Zum erstenmal sich zeigt;
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Dann freut des großen Wonnefests Der ganze Himmel sich; Dann segnet er bei Hymnensang Und der Seraphe Harfenklang, Beglükte Erde, dich!
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Dann jauchzt der gute Bürger Dank Gott, der den E d e 1 η gab ! Der warme Busen schlägt ihm laut, Und eine Freudenthräne thaut Auf seine Wang'herab!
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So, V a t e r - L u d w i g ! so auch heut, Da Du besteigst den Thron, Und mit Dir die Gerechtigkeit, Die Schwesterhand der Güte beut Und der Religion!
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Sieh! jedes Wirtembergers Herz Ist heute Dein Altar! Und tausendstimmig schallet schon Empor zu Gott der Jubelton Der frohen Bürgerschaar!
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Zu langsam für die Sehnsucht, trüg Uns zu Dir unser Fuß! Auf raschen Rossen fliegen wir Frohlockend heut entgegen Dir, Des Landes Genius!
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Wir schwingen hochentzükt den Hut In dichtgedrängten Reih'n Und schwören Dir den grossen Schwur Im Angesichte der Natur, Dir kindlichtreu zu seyn!
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Denn treu wirst Du als Vater seyn, Treu, b e s t e r F ü r s t ! wie w i r ! Dein Herz, das Tugend groß gepflegt, Werth, daß es unterm Purpur schlägt Dein H e r z bürgt uns dafür! Schön wird hervor das Herrscherwerk Aus Deinen Händen geh'n, U n d felsenfest, gleich Deinem Thron, Wird unsre Konstitution Durch Deine Weisheit steh'n! Begeistert werden Alle Dich An ihrer Spize sehn! Dein hohes Beispiel wird voran Uns auf der Tugend rauher Bahn, Als lichte Fakel, weh'n! Du wirst, von sanfter Menschlichkeit Zum Liebling längst geweiht, Empfinden, wenn der Morgen winkt, Empfinden, wenn die Sonne sinkt, Des Wohlthuns Göttlichkeit! Es wird Dich an S ο ρ h i e η s Hand, Der Menschenlieblingin, Diß paradiesische Gefühl Noch an des Lebens fernstem Ziel Im Silberhaar durchglüh'n! Der Bürgerfleiß und das Genie Wird Deines Lohns sich freu'n! Was Gallien einst H e i n r i c h war, Das wirst Du Deiner Bürgerschaar, Dein Freund - ein Sully seyn! Ja! lehren wird uns unter D i r Des ganzen Landes Wohl, Daß Gott das Volk am stärksten liebt, Wenn er ihm Zepterführer gibt, Wie L u d w i g , liebevoll!
Literaturverzeichnis
ι. Quellen ι. ι Ausgaben von Goethes Werken Goethe, Johann Wolfgang von: Neue Schriften. 7 Bde. Berlin 1792-1800 [Sigle Ν]. - Werke. 13 Bde. Tübingen 1 8 0 6 - 1 8 1 0 [Sigle A]. - Werke. 20 Bde. Stuttgart/Tübingen 1 8 1 5 - 1 8 1 9 [Sigle Β]. - Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 40 Bde. Erg. durch: Goethes nachgelassene Werke (= Bd. 4 1 - 6 0 der Ausgabe letzter Hand). Hg. von Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer. 20 Bde. Stuttgart/Tübingen 1 8 2 7 - 1 8 3 0 [Sigle C]. - Poetische und prosaische Werke. 2 Bde. in 2 Abt. Hg. von Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer. Stuttgart/Tübingen 1836/37. - Werke. 133 Bde. in 143 Tin. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1 8 8 7 - 1 9 1 9 [Reprint München 1987]. Erg. durch 3 Nachtrags-Bde. zu Abt. IV: Briefe. Hg. von Paul Raabe. München 1990 [Sophienausgabe; Weimarer Ausgabe; Sigle WA], - Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 40 Bdn. Hg. v. Eduard von der Hellen. Stuttgart 1902-1907. R e g . - B d . 1 9 1 2 [Jubiläumsausgabe; Sigle J A ] . - Werke. Festausgabe. 18 Bde. Hg. von Robert Petsch. Leipzig 1926/27. - Elpenor. Nach den Handschriften kritisch hg. von Ida Hakemeyer. Hannover 1949. - Werke. 14 Bde. Hg. von Erich Trunz. Neu bearb.Aufl. München 1984 [Hamburger Ausgabe; Sigle H A ] . - Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. 21 Bde. in 33 Tin. Hg. von Karl Richter. München 1985-1998 [Münchner Ausgabe; Sigle MA]. - Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde. Hg. von Hendrik Birus, Dieter Borchmeyer u.a. Frankfurt a.M. 1985-1999 [Frankfurter Ausgabe; Sigle FA].
1.2 Werkausgaben anderer Dichter Catvlli Veronensis Carmina. Hg. von Henry Bardon. Stuttgart 1973. Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. 8 Bde. in 15 Tin. Hg. von Friedrich Beißner. Stuttgart 1946-1985. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Oden und Elegien. Hg. von Reinhard Barth nach der Ausgabe von Muncker/Pawel 1889. München 1986. Knebel, Karl Ludwig von: Literarischer Nachlaß und Briefwechsel. 3 Bde. Hg. von Karl August Varnhagen von Ense und Theodor Mündt. 2. Aufl., Leipzig 1840. Lessing, Gotthold Ephraim: Werke und Briefe. 12 Bde. Hg. von Wilfried Barner. Frankfurt a.M. 198 j f f . Sexti Properti Carmina. Hg. von Eric Arthur Barber. 2. Aufl., Oxford i960.
327
Riemer, Friedrich Wilhelm: Gedichte. 2 Bde. Jena 1826. Schiller, Friedrich: Werke. Nationalausgabe. 1940 begründet von Julius Petersen. Fortgeführt von Lieselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel und Norbert Oellers. Weimar I943ff. [Sigle N A ] . Schlegel, Friedrich: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. 3 5 Bde. Hg. von Ernst Behler. Sonderausgabe. Darmstadt 1979. Schlotterbeck, Johann Friedrich: Sammlung vermischter Gedichte. Ulm 1S25. Schubart, Christian Friedrich Daniel: Sämmtliche Gedichte. 2 Bde. Neue verb. Aufl., Frankfurt a.M. 1829. Shakespeare, William: 27 Stücke von Shakespeare in der Ubersetzung von Erich Fried. 3 Bde. Hg. von Friedemann Apel. Berlin 1968 [Lizenzausgabe Frankfurt a.M. 1995]. P. Papini Stati Silvae. Hg. von Aldus Marastoni. Stuttgart 1970. Wielands gesammelte Schriften. Hg. von der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften durch Bernhard Seuffert, der Akademie der Wissenschaften der D D R durch Hans Werner Seiffert und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried Scheibe. Berlin I909ff.
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