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German Pages 298 [297] Year 1973
FRÜHES LEIPZIGER ARBEITERTHEATER FRIEDRICH BOSSE
TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND
Herausgegeben vom Zentralinstitut f ü r Literaturgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin durch D r . URSULA M Ü N C H O W
B A N D XII
FRÜHES LEIPZIGER ARB EITERTH E ATER FRIEDRICH BOSSE
Herausgegeben von
GUSTAV SCHRÖDER
A K A D E M I E - V E R L A G . BERLIN 1972
Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1972 by Akademie-Verlag G m b H Lizenznummer: 202 • 100/139/72 Herstellung: IV/2/14 V E B Druckerei «Gottfried Wilhelm Lcibniz», 445 Gräfenhainichen/DDR • 371 j Bestellnummer: 2 1 1 9 / X I I • E S 7 E / 1 4 E E D V - N r . : 7 j i 820 2
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INHALT
EINLEITUNG TEXTE 3
Die Alten und die Neuen
21
Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft!
77
Der erste Mai
141
Im Kampf ANHANG
253
Anmerküngen
259
Bibliographie
EINLEITUNG
Die deutsche Arbeiterbewegung hat sich von Beginn an darum bemüht, auch die Kunst in den Emanzipationskampf des Proletariats einzubeziehen. Die Herausbildung der Anfänge der sozialistischen Literatur im Vormärz, die im Schaffen Georg Weerths gipfelt, ist weitgehend bekannt. Weniger bekannt ist, daß es zur gleichen Zeit Bestrebungen gab, auch die Möglichkeiten anderer Kunstgattungen zu nutzen. So lassen sich die Anfänge der sozialistischen Theaterkunst ebenfalls bis in den Vormärz zurückverfolgen. Sie sind mit dem Namen von Friedrich Engels verbunden, der für den von ihm und Marx gegründeten Brüsseler deutschen Arbeiterverein ein Revolutionsstück schrieb, das im September 1847 aufgeführt wurde. Daneben gibt es auch andernorts gleichlaufende Bestrebungen, wenn auch insgesamt gesehen nur sporadorisch und vereinzelt. Der Neubeginn nach dem allgemeinen Rückschlag, den die Niederlage der fortschrittlichen Kräfte in der Revolution von 1848/49 auf allen Gebieten zur Folge hatte, vollzog sich parallel zum Wiedererstarken der deutschen Arbeiterbewegung seit den sechziger Jahren. Das gilt auch für die Einbeziehung des Laientheaters in die politische Massenarbeit. Dieser Vorgang läßt sich in seinen einzelnen Phasen besonders gut am Beispiel der Leipziger Arbeiterbewegung beobachten. Die alte Handelsmetropole war im 19. Jahrhundert zu einem bedeutenden Industriezentrum geworden und entwickelte sich nach 1848 zu einer Hochburg der deutschen Arbeiterbewegung. Zu den Faktoren, die das bewirkten, gehören die größere Weltoffenheit durch die internationalen Handelsverbindungen und durch die Konzentration von graphischem Gewerbe und BucliIX
handel. Impulse kamen auch von der Universität, von der aus fortschrittliche Intellektuelle wie Hermann Duncker, Manfred Wittich und andere zur Arbeiterbewegung stießen. Unter diesen Bedingungen bot Leipzig einen günstigen Nährboden für die Arbeiterbildungsbewegung, aus der das Leipziger Arbeitertheater hervorgegangen ist. So berichtet August Bebel aus der Zeit seiner Tätigkeit als Vorsitzender der „Vergnügungsabteilung des Gewerblichen Bildungsvereins" in Leipzig — Bebel wurde 1861 in dieses Amt gewählt — über die Aufführung kleiner Stücke, bei denen ausschließlich Vereinsangehörige als Spieler mitwirkten. Als Autoren nennt Bebel Roderich Benedix und Theodor Körner. Es war also zu Beginn der sechziger Jahre, als der Verein unter der Leitung und dem Einfluß von bürgerlichen Demokraten stand, noch nicht üblich, Probleme aus dem eigenen Erlebnisbereich der Mitglieder auf der Bühne zu behandeln. Die ersten bisher bekannt gewordenen Stücke mit sozialistischer Tendenz erschienen Ende der sechziger Jahre. Sie stammen von Jean Baptist von Schweitzer, dem Nachfolger Lasalles als Präsident des A D A V , der sie 1867 und 1869 im „Social-Demokrat" unter den Titeln „Ein Schlingel" und „Eine Gans" veröffentlichte. In ihnen werden einige Grunderkenntnisse der politischen Ökonomie auf der Basis von Karl Marx' „Kapital" im Rahmen einer lustigen Handlung vorgetragen. Bis zum Erlaß des Sozialistengesetzes im Jahre 1878 entstanden weitere Stücke solcher Art. Uns sind insgesamt zehn bekannt. Es muß aber damit gerechnet werden, daß es noch andere gab, die heute verschollen sind. Über die Aufführungen dieser Stücke in Arbeitervereinen liegen nur vereinzelte Nachrichten vor, darunter auch solche aus Leipzig vom Ende der sechziger Jahre. Ein detailliertes Bild des Arbeitertheaters der sechziger und siebziger Jahre und seiner Stellung in der Leipziger Arbeiterbewegung läßt sich aus den wenigen Fakten, die bekannt sind, jedoch nicht rekonstruieren. Erst Ende der achtziger Jahre beginnen die Quellen reichlicher zu fließen. Sie machen uns mit Friedrich Bosse bekannt, mit dessen Wirken das Leipziger ArbeiterX
theater der nächsten zwei Jahrzehnte untrennbar verbunden ist. 1 Friedrich Bosse war in den Jahrzehnten von 1880 bis 1909 ein bekannter Funktionär der Leipziger Arbeiterbewegung. Während von Leipzig aus Männer wie Bebel und Liebknecht weit über die Grenzen Deutschlands hinauswirkten, beschränkte sich Bosse ganz auf die Tätigkeit im Bereich dieser damaligen Hochburg der deutschen Arbeiterbewegung. Bosse stammte aus dem Braunschweigischen. Im Dorf Hessen, Kreis Wolfenbüttel, wurde er am 14. 1. 1848 als Sohn eines Bauern und Stellmachers geboren. Er erlernte das Malerhandwerk. Über seine Jugend wissen wir nichts. 1871 finden wir Bosse in Leipzig, wo Verwandte wohnten. Von dort ging er Ende des Jahres auf die Wanderschaft, die ihn durch Süddeutschland, die Schweiz und Österreich führte. Während des ersten Wanderjahres schrieb Bosse ein Tagebuch. 2 Die Eintragungen zeigen ihn als bildungshungrigen jungen Handwerker, der seine Abende nicht im Gasthaus verbrachte, sondern lieber Bücher las oder allgemeinbildende Vorträge besuchte, am liebsten aber offenbar ins Theater ging. Im Dezember 1871 sind acht Theaterbesuche verzeichnet, drei Vorträge und ein Konzert. An anderen Tagen heißt es „viel gelesen": Lessing und Goethe, „Werther" und „Die Wahlverwandtschaften" werden genannt. Umfangreiche Exzerpte belegen, wie gründlich sich der junge Handwerker das klassische Erbe anzueignen suchte. Eine bestimmte politische und weltanschauliche Position des Tagebuchschreibers läßt sich nicht erkennen. 1874 kehrte Bosse nach Leipzig zurück. Ein Jahr darauf heiratete er. Seinen Unterhalt verdiente er als Malermeister. Politisch hervorzutreten begann Bosse 1879. Der Leipziger Arbeiterverein, die lokale Organisation der sozialdemokratischen Partei, war sofort nach dem Erlaß des Sozialistengesetzes verboten, worden. Eine neue Organisation zur Fortsetzung der Arbeit durfte ihren politischen Charakter nicht zu erkennen geben. Trotz der schwierigen Umstände gelang die LTmorganisation XI
rasch. Bereits im Februar 1879 wurde der Fortbildungsverein für Arbeiter gegründet. Erster Vorsitzender war ein Rechtsanwalt, der sich aber bald wieder zurückzog. An seine Stelle trat der bisherige zweite Vorsitzende Friedrich Bosse. Über die Arbeit des Vereins geben unter anderem die Berichte der Polizei Aufschluß. So heißt es in einem solchen Bericht vom Mai 1889, der Fortbildungsverein habe „einen ungeahnten Aufschwung genommen" und sei „namentlich zu einem Infektionsherd für junge unverdorbene Arbeiter" geworden. „Obgleich fast jeder namhafte hiesige Sozialdemokrat zu seinen Mitgliedern zählt und er radikalen sozialistischen Tendenzen huldigt wie kaum ein anderer Verein, hatte er sich neuerdings erdreistet, mittels einer Statutenänderung auszudrücken, daß der Verein keiner bestimmten politischen Partei angehöre". Auch über die Einflußnahme des Vereins auf „zahlreiche Militärpersonen" wird K l a g e geführt. 3 Daraus geht eindeutig der politische Charakter der Arbeit hervor, der im Fortbildungsverein auch unter den schweren Bedingungen des Ausnahmegesetzes geleistet wurde. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes nahm die Tätigkeit des Vereins — seit 1890 umbenannt in Arbeiterverein — einen raschen Aufschwung. 1895 zählte er bereits 2000 Mitglieder. Für diesen Zeitraum ab 1890 liegt die eingehende Untersuchung von Schäfers vor; sie erübrigt eine ins einzelne gehende Darstellung der Tätigkeit Bosses als Vereinsvorsitzender. 4 Auch die Wertung dieser Tätigkeit durch Schäfers kann ohne Einschränkung übernommen werden. Sie besagt im wesentlichen folgendes: Bosse war Sozialist. Er arbeitete unermüdlich und unter persönlichen Opfern für die sozialistische Bildung der Leipziger Arbeiter; Bildungsarbeit war für ihn Parteiarbeit. Allerdings neigte auch er etwas zur Überschätzung ihrer Möglichkeiten. Das hatte eine gewisse Anfälligkeit für reformistische Anschauungen zur Folge. Eine wesentliche weltanschaulich-politische Entwicklung Bosses im Zeitraum von 1890 bis 1909 läßt sich nicht feststellen. Arbeiterbildung war für Bosse aber nicht Selbstzweck, sondern diente dem Ziel, die Arbeiter mit der marXII
xistischen Theorie vertraut zu machen, um sie die Ursachen ihrer elenden Lage wie die Möglichkeit und historische Notwendigkeit ihrer Änderung erkennen zu lassen. Auf diesem Gebiet liegt Bosses Hauptverdienst. Er war der erste, der in einer Leipziger Arbeiterorganisation in enger Zusammenarbeit mit Käte und Hermann Duncker für die systematische Vermittlung von Grundkenntnissen des Marxismus sorgte. Hermann Duncker kam 1892 von Göttingen nach Leipzig, um am Konservatorium Musik zu studieren. Der rasche Aufschwung der Arbeiterbewegung nach dem Sieg über das Sozialistengesetz zog den jungen, fortschrittlichen Ideen aufgeschlossenen Studenten an. Er suchte Kontakt zu organisierten Arbeitern und wurde 1893 Mitglied des Arbeitervereins. Die Teilnahme an der Arbeit der Partei gab Hermann Dunckers Leben eine neue Richtung. Er wechselte zur philosophischen Fakultät über und studierte Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie. Zugleich betrieb er ein intensives Studium des Marxismus. Gemeinsam mit seiner Frau Käte, einer Lehrerin, die er bei der Parteiarbeit kennenlernte, hielt er im Arbeiterverein zahlreiche Vorträge und führte Kurse durch. Das war der Beginn seiner Tätigkeit als Lehrer des Marxismus, durch dessen Schule mehr als ein halbes Jahrhundert lang mehrere Generationen deutscher Sozialisten gegangen sind. Über den Inhalt der Vorträge liegen keine genauen Angaben vor. Eine wichtige Aufgabe wäre es vor allem gewesen, über den Weg zur Herrschaft der Arbeiterklasse zu sprechen. Bosse war sich dessen auch bewußt. Wenn es in einem seiner Stücke heißt, der Gedanke, daß es anders werden müsse, sitze schon in der Brust eines jeden aufgeklärten Arbeiters fest, aber das Wie bleibe die Frage 5 , so hat er hier sicher seine eigene Meinung einer seiner Figuren in den Mund gelegt. In den zahlreichen Artikeln Bosses, die er in den beiden im wesentlichen von ihm selbst geschriebenen Zeitschriften „Sturmglocken" (1894—1895) und „Der freie Bund" (1899—1902) veröffentlichte, hat er sich jedoch nicht zu diesem wichtigen Problem geäußert. Weder der revolutionäre Weg, den die Kommunarden gezeigt hatten, XIII
noch die von Lassalle propagierte Möglichkeit, durch Wahlsiege zum Sozialismus zu gelangen, werden auch nur einmal von ihm ernsthaft erörtert. Ein weiteres Ziel der Vereinstätigkeit war es, die Arbeiter durch Hebung ihres Bildungsniveaus, das infolge der schlechten Schulverhältnisse niedrig genug war, zu befähigen, selbst aufklärend wirken zu können. Deshalb war Redekunde ein Lehrfach. Manfred Wittich, der einen ähnlichen Weg wie Hermann Duncker ging und schon in den siebziger Jahren während seines Germanistikstudiums in Leipzig zur Sozialdemokratie fand, schrieb zu diesem Zweck eine Broschüre über „Die Kunst der Rede". Der Erfolg dieser Bemühungen blieb nicht aus. Zahlreiche Agitatoren, die die sozialistischen Ideen über ganz Deutschland verbreiten halfen, sind aus dem Verein hervorgegangen. Bosse fühlte sich als Vereinsvorsitzender auch für die Pflege sozialistischer Geselligkeit verantwortlich und gründete deshalb eine „Dramatische Abteilung" des Vereins. Der Anlaß dazu war unmittelbar politischen Charakters. Da unter dem Sozialistengesetz und auch lange Zeit danach bei den Vereinsfestlichkeiten keine Reden gehalten werden durften, kam man im Vorstand auf den Gedanken, ein Stück zu schreiben und durch die Darsteller zu den Versammelten zu sprechen. Anlaß bot das Reformationsfest. Gegen seine Feier im Fortbildungsverein konnten die Behörden schlecht Einwand erheben. Es kam nun darauf an, auf äußerlich unanfechtbare Weise die weitergehenden „Reformations"bestrebungen der Arbeiterbewegung zum Ausdruck zu bringen. Manfred Wittichs „historisches" Spiel „Ulrich von Hutten" wurde erstmals am 31. 10. 1887 im Fortbildungsverein aufgeführt. 6 So wurde unter veränderten Umständen und mit veränderter Zielstellung die Tradition des Theaterspielens wieder aufgenommen und fortgeführt, die im alten Arbeiterbildungsverein schon unter Bebel, der bis 1872 dessen Geschäfte leitete, gepflegt worden war. Unter dem Eindruck des Erfolges von „Ulrich von Hutten" ging Bosse einen wesentlichen Schritt weiter. Er schrieb eine Anzahl von Stücken, in denen XIV
die Anliegen der Mitglieder unmittelbar auf die Bühne gebracht wurden. Diese Stücke bildeten vom Ende der achtziger Jahre bis etwa 1910 den Kern des Repertoires des Leipziger Arbeitertheaters, das sich im Fortbildungsverein bzw. Arbeiterverein entwickelte. Die dramatische Abteilung des Vereins, der die Aufführung des „Ulrich von Hutten" übertragen worden war, erhielt von da an ständig neue Aufgaben. Im Laufe der Jahre wurden alle von Bosse verfaßten Stücke, insgesamt 11, einstudiert. Die Stücke fanden „begeisterte Aufnahme und wurden oft aufgeführt". 7 Da der Verein in mehreren Stadtteilen und Vororten Zweigvereine gründete, entstanden auch dort dramatische Abteilungen. Nach Langes Bericht waren es 1891/92 bereits acht. 8 Auch ihre Aufgabe bestand vor allem darin, bei den zahlreichen Vereinsfesten mitzuwirken. Über die Teilnehmerzahlen an solchen Festen gibt es einige aufschlußreiche Angaben. Am Gesangsfest des Arbeitervereins am 27. 5. 1894 beteiligten sich etwa zehntausend Personen. Am 9. September des gleichen Jahres veranstaltete der Verein ein Turnfest. Am Festumzug nahmen etwa dreihundert Turner teil. Damit wird deutlich, in welchem Maße der Arbeiterverein unter Bosses Leitung in Leipzig zur Herausbildung einer eigenen proletarischen Kultur beitrug und half, eine proletarische Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die neben dem offiziellen, von den Herrschenden getragenen Kulturleben und in der Auseinandersetzung mit ihm existierte. Die Zahlen weisen zugleich auf den unterschiedlichen Anteil der Sänger- und Turnerbewegung und des proletarischen Laientheaters an der eigenständigen'proletarischen Kulturbewegung hin. Die dramatischen Sektionen konnten in bezug auf Mitgliederzahlen mit den Sängern und Turnern nicht konkurrieren. Bei der Bestimmung der Ausstrahlungskraft und der Wirkung, die sich nachträglich allerdings nur schwer vornehmen läßt, muß natürlich von den Zuschauerzahlen und nicht von den im Verhältnis zu den Sängern und Turnern relativ wenigen Laienspielern ausgegangen werden. Für solche Orte wie Leipzig kann angenommen werden, daß alle organisierten Sozialdemokraten und darüber hinaus XV
viele Sympathisierende Zuschauer waren, so daß eine hohe Wirkungsquote angenommen werden darf. Neben Bosses Stücken führten die dramatischen Sektionen des Leipziger Arbeitervereins auch Stücke anderer Autoren auf. Wittichs „Ulrich von Hutten" wurde bereits genannt. Außerdem versuchten sich weitere Vereinsmitglieder als Stückeschreiber. 9 Einzelheiten lassen sich heute leider nicht mehr ermitteln. Wir kennen weder die Namen weiterer Verfasser noch die Titel und Fabeln der Stücke. Außerdem griff man aber auch auf gedruckt vorliegende Dramen zurück. Gespielt wurden unter anderem „Die vier Gewinner" von Philipp Langmann, „Der Geizige" von Molière, „Der Erbförster" von Otto Ludwig, „Der Meineidbauer" von Ludwig Anzengruber und Stücke von Ibsen. 1 0 Die Stückauswahl weist mehrere interessante Aspekte auf; es muß allerdings berücksichtigt werden, daß wir nur von einem Teil des Repertoires Kenntnis haben. Auffällig ist einmal die Orientierung auf Stücke mit sozialer Thematik. Das gilt für die Dramen von Otto Ludwig, Anzengruber und auch für den heute weniger bekannten Philipp Langmann, der um die Jahrhundertwende mehrere soziale Dramen geschrieben hat, von denen „Bartel Turaser", im proletarischen Milieu spielend, seinerzeit am bekanntesten gewesen ist. Mit Ibsen griffen die Leipziger Laienspieler auf den Autor zurück, der zu einem der entscheidenden Anreger des deutschen Naturalismus geworden war und dessen Werke in den Spielplänen der fortschrittlichen bürgerlichen Theater einen bedeutenden Platz einnahmen. Auffällig ist zum andéren das völlige Fehlen der „leichten Kost", die im Repertoire des kommerziellen Theaters u n d der kleinbürgerlichen Theatervereine vorherrschte. Das war sicher vor allem ein Verdienst Bosses, der dagegen ankämpfte, daß „spießbürgerliche Eindeutigkeiten die Glanzpunkte des Abends werden" 1 1 , und der sich zugleich darum bemühte, daß auch die Vereinsfeste und Unterhaltungsabende nicht ihren politisch-didaktischen Charakter verloren, was bei der rigorosen Art, mit der die Polizei alle von ihr als politisch verdächtig angesehenen Lieder, Gedichte und Stücke verbot, nicht einfach war. 1 2 XVI
Seinen ersten Versuch, auch von der Bühne her für seine Ziele zu wirken, unternahm Bosse 1888, als er zum 9. Stiftungsfest des Fortbildungsvereins „Die Alten und die Neuen" schrieb und einstudieren ließ. 1 3 Diesem Festspiel, in dem neben den Vertretern der modernen Arbeiterbewegung auch Hans Sachs, Ulrich von Hutten, zwei Landsknechte und zwei spätmittelalterliche Handwerksburschen auftraten, ließ Bosse bis 1904 noch drei ähnliche Spiele folgen, in denen allerdings statt der historischen allegorische Figuren auftraten. 1/1 Für die relativ häufige Wahl dieser Form des Spiels unter Einbeziehung historischer und allegorischer Gestalten gibt es zwei wesentliche Gründe. Den einen hat Bosse selbst genannt. Auf kritische Bemerkungen zur Aufführung von „Der Traum eines Arbeiters" eingehend, räumte er zwar ein, „daß die Darstellung von Idealfiguren nicht nur auf Arbeiterbühnen ein heikel Ding ist", meinte aber, „daß, wo es sich darum handelt, mit wenigen Worten viel zu sagen, die Allegorie ein wirksames Mittel bleibt" 1 5 . Zum anderen wurde Bosse bestärkt durch den Erfolg, den diese Art Spiele offenbar beim Arbeiterpublikum hatten. 1 6 „Der Traum eines Arbeiters" war im Februar 1895 siebenmal vor den verschiedenen Abteilungen des Arbeitervereins gespielt worden. Auch aus der Auflagenzahl gerade dieses Spiels geht hervor, daß es relativ großen Anklang gefunden haben muß, erschienen doch außer den beiden ersten Fassungen von 1902 bis 1911 noch drei weitere Auflagen der endgültigen dritten Fassung. Bosse schrieb außer diesen allegorischen Spielen noch Stücke anderer Genretypen: dramatisierte Streitgespräche, Schauspiele und Komödien. Bosse legte sich also nicht auf einen Stücktypus fest, sondern war entsprechend den unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen, die es zu befriedigen galt, um Variabilität bemüht, wobei das operativ-didaktische Element jedoch in allen Stücken dominierte. Es erscheint sinnvoll, die Stücke nach Genretypen und nicht streng nach der Chronologie der Entstehung zu betrachten. Die allegorischen Spiele Bosses sind nicht nach einem einheitlichen Schema gebaut, wenn auch hin und wieder 2
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bestimmte Ähnlichkeiten in der Anlage auffallen. Sie haben keine dramatische Handlung: Ansprachen an das Publikum, Dialoge, lebende Bilder mit und ohne Begleittext, Gesangsdarbietungen und sogar turnerische Vorführungen in buntem Wechsel sind an ihre Stelle getreten. Bosses erstes Stück „Die Alten und die Neuen" gibt Gelegenheit, die Eigenart dieser Spiele genauer zu betrachten. Spielort der ersten Aufführung von „Die Alten und die Neuen" war ein Podium in der Mitte des Saales. Das dürfte aber ein Ausnahmefall gewesen sein; üblich war für gewöhnlich das Spiel auf einer normalen Bühne. Während für die Spieler, die Arbeiter (die „Neuen") darzustellen hatten, keine Verkleidung benötigt wurde, erschienen die Darsteller der historischen Gestalten in farbenprächtigen Kostümen, so daß auch die Schaulust dieses theaterungewohnten Publikums auf ihre Kosten kam. Auch für die allegorischen Figuren der später entstandenen Spiele sind meist farbenprächtige Gewänder vorgeschrieben. Nachdem die Spieler das Podium vom Zuschauerraum her betreten hatten, gab es für sie kaum noch Gelegenheit zur Bewegung. Sie standen vielmehr ruhig nebeneinander und deklamierten ihren Text. An den vorgesehenen Stellen dienten die Einlagen der Sänger und Turner als Beweise für die nützliche Tätigkeit des Vereins gegenüber den „Alten". Die Sänger hatten sich schon vorher auf der Bühne aufgestellt, die Turner marschierten von den Seitengängen her ein und führten ihre Übungen unmittelbar unter dem Podium vor. 1 7 Auf diese Weise war ein zügiger Ablauf gesichert. Die ins Spiel einbezogenen Darbietungen der Sänger und Turner boten einmal die Möglichkeit, Einblick in die Arbeit weiterer Abteilungen des Vereins zu geben, zum anderen waren sie eine sicher willkommene Abwechslung im langen Hin und Her des Dialoges. Hier werden Parallelen zum Frühstadium des bürgerlichen Dramas deutlich. So schreibt Henning Brinkmann: „Und der Stylpho wurde ja auch rezitiert, nicht aufgeführt. Dialog und Drama waren voneinander nicht klar getrennt, sondern gingen ineinander über . . . Das Wesen des Dramas wurde in Gesprächsform gesehen.
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Umgekehrt hat sich der Dialog vom Drama her mit Anschauung gefüllt. 1 8 " Der Mangel an dramatischer Aktion dürfte auch in den anderen Spielen zur Folge gehabt haben, daß die Akteure mehr deklamierend als agierend in Erscheinung traten. Als neue Elemente kamen später bei Bosse Traumszene und lebendes Bild hinzu, während die turnerischen Vorführungen wegfielen. Für die Wahl von Hutten und Hans Sachs als Gäste der Arbeiter gibt es mehrere Gründe. 1894 jährte sich der Geburtstag des Nürnberger Poeten zum vierhundertsten Mal. Im Leipziger Theater fand eine Feier statt, über die auch in der „Leipziger Volkszeitung" berichtet wurde. Aus dem gleichen Anlaß erschien eine Gedenkschrift von Manfred Wittich, in der Hans Sachs als Mitreformator Deutschlands, als Dichter des Friedens, als Bekämpfer des Eigennutzes und als Agitator für den Gemeinnutz und nicht zuletzt als „Charakter von lauterer goldreiner Güte" gepriesen wurde. 1 9 Ein Teil dieser Formulierungen erscheint abgewandelt im Prolog, als es darum geht, den Auftritt gerade dieser historischen Gestalten zu begründen. 2 0 Für die Wahl Huttens dürfte vor allem Wittichs Hutten-Spiel, das wenige Monate zuvor im Verein aufgeführt worden war, ausschlaggebend gewesen sein. Wie Wittich ignoriert auch Bosse den objektiv reaktionären Charakter der von Hutten und Sickingen geführten Adelsrevolte und betont einseitig nur Huttens Eintreten für die Ideen des Humanismus. Bei der Untersuchung des Ideengehaltes fällt auf, wie vage die Ziele der Arbeiterbewegung formuliert werden. Das Neue, Gute und Schöne, das Recht und die Wahrheit werden als erstrebte Ideale proklamiert; Zusammenschluß der Gleichgesinnten, gemeinsame Kunstausübung und Aufklärung des Volkes werden als Mittel genannt, um diese Ziele zu erreichen. Unausgesprochen bleibt, daß es sich um Forderungen der Arbeiterklasse handelt, die in ihrer Gesamtheit nur durchgesetzt werden können, nachdem das Proletariat die politische Macht erobert hat. Dagegen wird die Eroberung der Macht durch bewaffneten K a m p f ausdrücklich abgelehnt. Als Hutten 2«
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sich bereit erklärt, den „Neuen" mit seinem Schwerte beizustehen, antwortet ihm der Sprecher der Arbeiter: Mit dem Schwerte, da ist es vorbei; Wir werden auch ohne das frei. Uns kann das nur durch Arbeit gelingen, Hier gilt allein ein kräftig Ringen. 21 Nur an wenigen Stellen finden sich konkrete Bezüge, so wenn mit „Barthel und Lorenz" auf berüchtigte Polizeispitzel angespielt wird 22 oder als Feind einmal nicht nur schlechthin der Eigennutz, sondern „Mammon" — also das Kapital — genannt wird. 23 Besonders fallen die folgenden Verse auf: Muß wohl nit alles in Ordnung sein, Denn ich fand da draußen Menschen frei Das heißt, frei von Arbeit und Brot, Hatten gar viel Hunger und Not . . . 2 i Hier klingt deutlich eine von Marx und Engels geprägte Formel für die „Freiheit" des Arbeiters im Kapitalismus an. Die Unverbindlichkeit der Formulierungen hat zwei Gründe: Sie ist einmal Ausdruck der geringen Kenntnis, die Bosse damals auf theoretischem Gebiet besaß; sie ist aber zugleich als eine notwendige Vorsichtsmaßnahme gegen polizeiliches Verbot und gerichtliche Verfolgung zu werten. Was das erste betrifft, so wäre es falsch, hierin allein einen Mangel Bosses zu sehen. Die Kenntnis der marxistischen Theorie war um 1890 in der deutschen Sozialdemokratie allgemein nur gering. 25 Selbst bei der Ablehnung der Revolution als Mittel zur Eroberung der politischen Macht konnte sich Bosse auf die Führer der Sozialdemokratie berufen, hatte doch Wilhelm Liebknecht 1878 im Reichstag erklärt, „daß die Sozialdemokratie sich dem Ausnahmegesetz fügen werde, keine revolutionären Absichten verfolge und eine Reformpartei im strengsten Sinne des Wortes sei". 26 In den Festspielen, die nach dem Sieg über das Sozialistengesetz entstanden, bleibt die Unkonkretheit der Aussage über die Mittel und Ziele des Kampfes der Arbeiterklasse erhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch nach 1890 Polizei und Justiz weiterhin rigoros gegen alle revolutionären Formulierungen in mündXX
liehen und schriftlichen Äußerungen von Sozialdemokraten vorgingen. So wurde 1904 Bosses Festspiel „Das Volk erwacht", das an den Kampf der Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz erinnerte, verboten. Unter diesen Bedingungen bildete sich unter den Arbeitern die Fähigkeit heraus, auch die leisesten Anspielungen zu verstehen und allgemein gehaltene Formulierungen je nach der gegebenen Situation in Gedanken mit konkretem revolutionärem Inhalt zu füllen. Wenn also in „Die Alten und die Neuen" als ein angestrebtes Ziel das Recht proklamiert wurde, so verstanden sie darunter die Beseitigung der bürgerlichen Klassenjustiz und des Polizeiterrors. Ähnlich hatten die revolutionär gesinnten Parteimitglieder auch aus den verschwommenen Formulierungen des Gothaer Programms einen revolutionären Gehalt herausgelesen, der sich zwar nicht unmittelbar aus dem Text ergab, aber um so mehr ihren Anschauungen und ihrem Wollen entsprach. Das letzte der noch vorhandenen Festspiele Bosses „Ein Blick in die Zukunft" — mit nur acht Druckseiten das kürzeste — erhält eine besondere Note durch die sehr persönliche Färbung. Bosse befand sich zur Zeit der Entstehung in einer gewissen Krisensituation. Die Mitgliederzahl des Arbeitervereins nahm seit der Mitte der neunziger Jahre stark ab. Das stand im Zusammenhang mit der Entwicklung der sozialdemokratischen Ortsvereine in den Leipziger Vorstädten, an die sich die dortigen Abteilungen des Arbeitervereins jetzt anzuschließen begannen. Wenn das auch der objektiven Entwicklungstendenz des Wachstums der deutschen Arbeiterbewegung in die Breite entsprach und für den Inhalt der Arbeit im Verein, der sein Wirken jetzt vorwiegend auf das Zentrum beschränkte, keine nachteiligen Folgen hatte, so bedrückte es Bosse doch. 27 Hinzu kamen persönliche Dinge: Eine Tochter wurde schwermütig — sie verübte zwei Jahre später im Alter von 23 Jahren Selbstmord; bei Bosse selbst stellten sich immer lästiger werdende Anzeichen von schwerem Asthma ein. Die aus dieser Situation resultierende Stimmung hat im Spiel ihren Niederschlag gefunden. Ihr Träger ist die XXI
Figur des alten Mannes, der sich eingangs resignierend fragt, was ihm sein „rastloses Streben" genutzt habe. All seine Hoffnungen auf die Herstellung besserer Zustände zwischen den Menschen seien enttäuscht worden; s t a t t dessen herrschten weiterhin Eigennutz, Gewinnsucht und Heuchelei. E s ist möglich, daß sich in den Eingangsversen, in denen das ausgeführt wird, auch eine gewisse E n t t ä u s c h u n g über das Nichteintreffen der hochgespannten Erwartungen ausdrückt, die nach dem Sieg über das Sozialistengesetz in weiten Teilen der Sozialdemokratie Platz gegriffen h a t t e n . 2 8 Bosses Festspiele sind in Einfall und Anlage einfach und unkompliziert; in der Ausführung weisen sie zum Teil erhebliche Mängel auf. Bosse war sich dessen bewußt. Sowohl in „Die Alten und die Neuen" wie im „Traum eines Arbeiters" wendet er sich direkt an das Publikum u n d bittet u m Nachsicht. Der H a u p t g r u n d f ü r die unbefriedigende sprachliche Gestaltung der Spiele ist darin zu suchen, daß Bosse die Festspiele im Gegensatz zu seinen anderen Stücken in Versen schrieb. Es zeigte sich aber, daß die gebundene Sprache Anforderungen stellte, die er nicht zu erfüllen vermochte. Bosse beherrschte das sprachliche Material nicht in solcher Weise, daß er sich innerhalb der durch die Versform auferlegten Regeln h ä t t e bewegen können, ohne diese dauernd zu verletzen. Bosse benutzte vorwiegend den Knittelvers mit paarweisem Reim. Allerdings erreichen nicht alle Verse die übliche Zahl von vier Hebungen. Das allein wirkt aber noch nicht störend, ebensowenig der Verzicht auf durchgehende Reinheit der Reime, die zum Teil durch bloße Assonanzen ersetzt werden. Wo aber infolge Reimzwangs der Syntax Gewalt angetan wird oder Worte eingesetzt werden, die geeignet sind, den Sinnzusammenhang zu verdunkeln, und das geschieht mehrfach 2 9 , da kann nur die Entschuldigung gelten, daß es sich u m den Versuch eines Pioniers der sozialistischen Literatur handelt, vorgenommen mit den spärlichen Kenntnissen, welche die Dorfschule damals zu vermitteln pflegte. Das Bild bleibt jedoch unvollkommen, solange man Bosses in Versen geschriebene allegorischen Festspiele nicht mit seinen anderen in XXII
Prosa geschriebenen Stücken vergleicht. Gegenüber der o f t m a l s gequälten Diktion in den Versstücken hebt sich die sprachliche Gestaltung der besten Prosaarbeiten durch ungezwungene Natürlichkeit vorteilhaft ab. Ohne Zweifel entsprach die Prosa den Möglichkeiten Bosses besser als die gebundene Sprache. Bosse steht mit seiner ausdrücklichen W e r t s c h ä t z u n g der Allegorie als K u n s t f o r m in einer Traditionslinie. Inwieweit er sich dessen b e w u ß t war, ist nicht b e k a n n t ; d a ß er auch durch seine Verehrung für Hans Sachs zur W a h l der Allegorie angeregt wurde, ist sicher mehr als eine bloße V e r m u t u n g , h a t er doch in „ D e r T r a u m eines Arbeiters" direkten B e z u g auf eine Allegorie des Nürnberger Poeten genommen. F ü r die Volkstümlichkeit allegorischer Darstellungen am E n d e des 19. Jahrhunderts spricht, daß zahlreiche Nachrichten ü b e r das Stellen lebender Bilder allegorischen Gehalts bei Feiern v o n Arbeiterorganisationen vorliegen. D a s wesentliche gemeinsame Merkmal der dramatisierten Streitgespräche besteht darin, d a ß sie eine eigentliche H a n d l u n g nicht aufzuweisen haben. E s gibt zwar Figuren mit unterschiedlichen Ansichten, k a u m aber mit einander kreuzenden Absichten, die z u dramatischen K o n f l i k t e n führen könnten. In diesen Stücken wird nicht gegeneinander agiert, sondern miteinander diskutiert. Sie sind so g e b a u t , daß sie vor allem Gelegenheit z u ausführlicher Erörterung aktueller Probleme und zu szenischer A g i t a t i o n bieten. Mehr wird i m Grunde nicht b z w e c k t . H ä u f i g stehen sich auf der B ü h n e deshalb nur zwei Personen gegenüber, die in A r g u m e n t und Gegenargument ihre Ansichten darlegen. A n die Stelle von A r g u m e n t u n d Gegenargument treten zuweilen auch Frage und A n t w o r t . Solche einfachen Zweierarrangements finden sich e t w a in „Die Arbeitervereine haben doch eine Z u k u n f t ! " , in „ E i n e F r a u mit Vorurteilen" und in „Die Arbeiter u n d die K u n s t " . I m letztgenannten Stück treten nur in zwei von acht A u f tritten mehr als jeweils zwei Personen auf. Der Zielsetzung der Stücke entsprechend ist einer der beiden Gesprächspartner zumeist ein Sozialdemokrat, der andere ein Indifferenter oder ein Gegner der Sozialdemokratie, XXIII
den es von der Richtigkeit der sozialistischen Weltanschauung zu überzeugen gilt. Drei der Stücke weisen eine weitere Gemeinsamkeit auf. Die besteht darin, daß sie mit einer direkten Überleitung zum Stiftungsfest enden. Der Einladung zur Jahresfeier des Arbeitervereins — im Stück ausgesprochen an noch Abseitsstehende — wird Folge geleistet; der Aufbruch zum Fest beschließt die Aufführung. Auf diese originelle Weise werden Bühnengeschehen und Festablauf eng miteinander verbunden; das Festspiel erweist sich als unmittelbarer Bestandteil des Festprogramms. Etwas Ahnliches findet sich auch noch im „Traum eines Arbeiters", auch dort wird im Spiel Bezug auf das Stiftungsfest genommen. Bosse hat damit eine formale Variante entwickelt, die der Tatsache, daß seine Spiele meist Teil eines größeren Programms waren, auf besondere Weise gerecht zu werden versuchte. Bosse hat zwei dieser Stücke als Schwanke bezeichnet. Diese Benennung führt jedoch irre. Sicher enthalten die Diskussionsszenen einige auflockernde komische Elemente, aber diese Elemente bestimmen nicht den Charakter der Stücke. Keines zielt primär darauf ab, dem Zuschauer mit vorwiegend komischen Mitteln das verkehrte Verhalten einzelner Figuren zum Bewußtsein zu bringen, um auf diese Weise zugleich das Lachen wie Nachdenken der Zuschauer zu provozieren. Gerade das aber, die satirische Vernichtung der Gegner, ist in den älteren Stücken von Schweitzer und Kapell 3 0 neben der direkten Belehrung ein Hauptanliegen; sie gehören deshalb bei aller formalen Verwandtschaft mit den Streitgesprächen in den Bereich der Komödie. In den dramatisierten Streitgesprächen der neunziger Jahre, von Randfiguren wie etwa dem Pfarrer in Bosses „Verschiedene Weltanschauungen" oder den Polizisten abgesehen, gibt es weder Gestalten auf absolut feindlichen Positionen und damit auch keine Objekte des satirischen Angriffs noch überhaupt vorwiegend komisch angelegte Personen. Darin besteht, bei aller Ähnlichkeit in bezug auf lehrhaft agitatorische Tendenz, der wesentliche Unterschied.
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Der Kreis der behandelten Themenkomplexe ist relativ begrenzt. Vordringlich geht es in den Gesprächen um die Berechtigung des Kampfes der Arbeiterbewegung und um ihre Ziele, die allerdings von Bosse in diesen Stücken ebenso unbestimmt fixiert werden wie in den allegorischen Festspielen. So proklamiert Klaar als das Ziel „den ungestörten Genuß des menschlichen Lebens als Entgelt für jeden, der seine Pflicht gegenüber der Gesellschaft erfüllt" 31 , und Kurz nennt auf ausdrückliches Befragen, was er als Sozialdemokrat erstrebe: „Die Regelung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse, Abschaffung des Mangels, der Not, aber auch des Überflusses." 32 Damit sind in äsopischer Verhüllung die Hauptziele des Erfurter Programms ausgesprochen. Andere Themen sind die speziellen Aufgaben der Arbeiterbildungsvereine, die als Wegbereiter für die sozialdemokratische Partei bezeichnet werden 33 , das Verhältnis der Arbeiterklasse zur Kunst, Fragen der proletarischen Ethik — vor allem der Klassensolidarität —, schließlich in mehreren Stücken die Funktion der Kirche als Stütze der Reaktion. Die Frage, welchen Beitrag die dramatisierten Streitgespräche der neunziger Jahre zur Geschichte des sozialistischen Bühnenstücks leisten, ist eng verbunden mit dem Problem ihrer Stellung im Gesamtschaffen Bosses. Sie läßt sich am besten von „Die Arbeiter und die Kunst" her beantworten. Dieses Diskussionsstück stellt neben dem Vierakter „Im Kampf", auf den noch einzugehen sein wird, zweifellos den Höhepunkt in Bosses literarisch-dramatischen Bemühungen dar. Von vorrangigem Interesse ist dabei die Frage nach dem Realismusgehalt unter besonderer Berücksichtigung der Fähigkeit Bosses, typische Gestalten zu schaffen. Das Stück spielt im Hause und Familienkreis des Schuhmachermeisters Klaar. Bosse hat damit auf das Milieu und auf Figuren seines sieben Jahre älteren Stückes „Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft!" zurückgegriffen. Ganz offensichtlich hat für die Klaars Bosses eigene Familie auch hier wieder bis zu einem gewissen Grade Modell gestanden. Bosse schreibt in „Die Arbeiter und die Kunst" einen Dialog, der in seiner Leichtigkeit, Frische und Echtheit vor allem dann XXV
überrascht, wenn man die in Versen geschriebenen Stücke — auch den später entstandenen „Blick in die Z u k u n f t " — zum Vergleich heranzieht. Wie kommt es zu dieser Sonderstellung von „Die Arbeitervereine haben doch eine Z u k u n f t ! " und „Die Arbeiter und die K u n s t " ? In beiden Stücken hat Bosse in durchsichtiger Verkleidung ein Porträt seiner selbst und seiner Familie gegeben. E s zeigt sich, daß Bosse in den Stücken den relativ höchsten Grad realistischer Gestaltung erreichte, in denen er sein eigenes Milieu, seine tagtägliche Arbeit für den Arbeiterverein, seine ureigensten Probleme, die ihn als Arbeiterfunktionär bewegten, auf die Bühne gebracht hat. Hier gelang ihm die Zeichnung individueller Züge und Besonderheiten, die seinen Gestalten wie denen anderer Autoren sonst so oft fehlen. Das ist eine Beobachtung, die in anderen Bereichen der Literatur ihre Parallelen hat. Erinnert sei etwa an die große Bedeutung, welche das autobiographische Moment in Gestalt zahlreicher selbstgeschriebener Lebensgeschichten von Arbeitern und Arbeiterfunktionären zur gleichen Zeit für die Herausbildung der großen Formen im Bereich der sozialistischen Epik gewann, eine Bedeutung, die es seitdem, wenn auch in modifizierter Form, behalten hat. Bosse hat mit seinen beiden letztgenannten Stücken die Richtung angegeben, deren Verfolgung, zumindest durch die aktiven Sozialdemokraten unter den Autoren, für die Herausbildung des frühen sozialistischen Bühnenstücks wohl am fruchtbarsten gewesen wäre: Das Verarbeiten geeigneter Vorgänge aus dem eigenen Erlebnisbereich. Das war unter den gegebenen Umständen der einfachste und sicherste Weg, um zu typischen sozialistischen Gestalten auf der Bühne zu gelangen. Gerade darin besteht auch der wichtige Beitrag, den Bosse besonders mit „Die Arbeiter und die K u n s t " geleistet hat. Sein Meister Klaar und Frau K l a a r gehören zu den realistischsten Gestaltungen klassenbewußter Arbeiter, die bis dahin im Bereich des sozialistischen Bühnenstücks anzutreffen sind. Sie werden auch in späteren Stücken bis zum Jahre 1914 nur selten erreicht oder gar übertroffen. Der Mangel anderer Stücke, in denen die XXVI
fortschrittlichen Arbeiter oft blutleere Schemen sind, ist hier weitgehend überwunden. Handelt es sich auch nicht um allseitig ausgeformte dramatische Charaktere, wozu die gewählte kleine Form ungünstige Voraussetzungen bot, so sind es doch lebendige Menschen mit zumindest im Ansatz sichtbar werdender intellektueller und emotionaler Physiognomie. Bosse hat mit ihnen einige markante Striche zum literarischen Porträt des sozialistischen Arbeiters jener Jahre beigetragen. „Die Arbeiter und die Kunst" ist auch bedeutungsvoll, weil dieses Stück die wichtigste Stellungnahme Bosses zum Thema Kunst und Proletariat darstellt. Weder in einem anderen Stück noch in einem seiner Artikel hat er sich so gründlich darüber geäußert wie hier. Dieser Fragenkomplex ist von Münchow eingehend untersucht worden, einmal in ihrer Stückanalyse, der größere Zusammenhang außerdem in ihrem Aufsatz „Naturalismus und Proletariat". 3 4 Er wird deshalb hier nicht behandelt. Zu Beginn der neunziger Jahre entstanden die beiden Schauspiele Bosses: „Der erste Mai" und „Im K a m p f " . Sie sind für das Verständnis des stückeschreibenden Arbeiterfunktionärs Bosse, seiner Bedeutung für das sozialistische deutsche Bühnenstück wie seiner Grenzen wichtig. Für „Der erste Mai" ist die utopische Lösung der angebahnten Komplikationen und Konflikte kennzeichnend. Darauf und auf die andersgeartete Lösung der Konflikte in „Im K a m p f " wird bei der Betrachtung der Hauptakzent gelegt. Im Jahre 1889 hatte der in Paris tagende Gründungskongreß der II. Internationale auf Antrag der französischen Delegation beschlossen, daß am 1. Mai in allen Ländern Arbeiterkundgebungen durchgeführt werden sollten, auf denen die Forderungen nach dem Achtstundentag und nach Verbot der Kinder- und der Nachtarbeit für Frauen erhoben werden sollten. Dieser Beschluß fand bei den Arbeitern der ökonomisch am weitesten entwickelten Länder großen Anklang. Die örtlichen Parteiorganisationen begannen, die Vorbereitungen auf den 1. Mai 1890 zu treffen. Dazu mußten die Beschlüsse des Kongresses popularisiert und die XXVII
Art und Weise der Vorbereitung und Durchführung des Arbeiterkampftages möglichst vielen Arbeitern erläutert werden. Mit eben dieser agitatorischen und operativen Aufgabenstellung hat Bosse sein Stück geschrieben. Zu diesem Zweck enthält es im ersten und im dritten A k t lange Ausführungen über die Bedeutung des 1. Mai, über die Forderungen der Arbeiter und ähnliche Fragen. Was diesen Teil der Zielsetzung angeht, so erfüllt das Stück seine ihm zugedachte Funktion durchaus. Die Handlungsführung und besonders die Art, in der Bosse den Konflikt zwischen den Arbeitern und dem Unternehmer löst, sind jedoch geeignet, die Wirkung der besonders von Wirker vorgetragenen richtigen Argumentation zum Teil wieder aufzuheben. Die Tatsache, daß die Forderungen der Arbeiter durchgesetzt werden, ist im Stück nicht das Ergebnis ihres Kampfes, sondern allein das Verdienst des jungen Bruno Bär. Als die Mehrheit der Arbeiter bereits zur Ablehnung des Antrages neigt, am 1. Mai die Arbeit niederzulegen, ist es Bär, der mit seiner Stellungnahme für den Antrag dessen Annahme durchsetzt. Die Arbeiter brauchen aber gar nicht für die Bewilligung ihrer Forderungen zu kämpfen, denn Bruno erreicht durch die Drohung, sich von den Eltern zu trennen, daß sein Vater sofort nachgibt und den Arbeitern mehr verspricht, als sie überhaupt gefordert haben. Der Sieg der Arbeiter erscheint so nicht als das Ergebnis ihrer Organisiertheit, sondern als Folge der besonderen Konstellation in der Familie Bär. Diese Konstellation, in der der unnachgiebig den Herr-im-Hause-Standpunkt vertretende Repräsentant der älteren Generation mit einem liberaler denkenden und eine flexiblere Taktik bevorzugenden Vertreter der jungen Generation konfrontiert wird, ist auch in anderen Stücken jener Jahre mehrfach anzutreffen, und zwar sowohl in solchen mit sozialistischer Tendenz wie besonders oft in Dramen bürgerlicher Autoren, in denen der Gegensatz von Proletariat und Bourgeoisie aufgegriffen wird. Bosse weiß also, daß Geschlossenheit und Einheit der Arbeiter notwendig sind, aber er weiß nicht, wie der Sieg der Arbeiter, selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, XXVIII
aus eigener K r a f t verwirklicht werden kann. So bleibt nur die Hoffnung auf die Einsicht human denkender Kräfte aus dem bürgerlichen Lager, die den Arbeitern entgegenkommen. Dieses Stück mit seiner richtigen Exposition und seiner unrichtigen Konfliktlösung zeigt, daß Bosse um 1890 noch falsche Auffassungen über die Möglichkeit einer Lösung der antagonistischen Widersprüche zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf dem Wege des Kompromisses und der Übereinkunft hatte, Auffassungen, die in der deutschen Sozialdemokratie jener Zeit weit verbreitet waren. In Bosses Stück wird auch unmißverständlich deutlich, wo die Quelle dieser falschen Vorstellungen zu suchen ist. Der das Stück beendende Hochruf auf die Einheit von Wissenschaft und Arbeit 3 5 , eine von Lassalle geprägte Formel benutzend, weist darauf hin, daß hier Vorstellungen Lassalles zugrunde liegen. Das ist angesichts der von Schäfers (S. 28) mitgeteilten Tatsache, daß die sozialdemokratischen Vereine in Leipzig bis 1905 regelmäßig Feiern aus Anlaß des Todestages von Lassalle durchführten, bei denen keinerlei kritische Worte über die Auffassungen Lassalles fielen, kein Wunder. Es ist aufschlußreich, neben Bosses Maistück das nur zwei Jahre später entstandene Schauspiel „Im K a m p f " zu halten. Das Drama, dessen Handlung auf reale Vorgänge in Leipzig zurückgeht, die sich aber heute mangels Unterlagen nicht mehr rekonstruieren lassen, weist von allen bis dahin geschriebenen sozialistischen Theaterstücken die größte Zahl handelnder Personen auf. Auch in späteren Stücken wird die Zahl von 25 Darstellern nicht mehr übertroffen. Über die Hälfte der Bühnenfiguren sind Arbeiter und Arbeiterfrauen. Auf diese Weise schuf sich Bosse die Möglichkeit, ein differenzierteres Bild der Arbeiterklasse zu geben als in den Stücken sonst üblich. Sie erscheint hier nicht als homogene Masse, und es gibt auch nicht — wie sonst oft — nur den Unterschied zwischen fortschrittlichen Arbeitern und solchen, die sich noch nicht in die Arbeiterbewegung eingereiht haben oder gar in reaktionären Organisationen Handlangerdienste für den Klassenfeind leisten. XXIX
Neu ist besonders, daß auch im Lager der sozialdemokratischen Arbeiter die Zeichnung der einzelnen Figuren nicht völlig einheitlich erfolgt ist. Es ist deutlich das Bemühen Bosses wahrzunehmen, Fels und seinen Genossen ein jeweils individuelles Profil zu geben. Das ist zwar nur bis zu einem gewissen Grade gelungen, ist aber doch schon als Versuch zur Schaffung typischer Gestalten bemerkenswert und wichtig. Die Charakterisierung wird dabei, wie in der überwiegenden Zahl aller Stücke, durch die Namengebung unterstützt. So ist Fels ruhig und besonnen, vielleicht auch ein wenig nüchtern; weder Provokationen noch Terror noch Versprechungen können ihn von dem als richtig erkannten Weg ablenken. Rasch und Kämpf dagegen sind Feuerköpfe ; die Provokationen Kluges und das anarchistische Geschwätz Maulers können sie nicht so beherrscht anhören wie Fels. Meier erscheint als etwas beschränkter Schwätzer, der darauf warten möchte, daß „die Verhältnisse", die er als Redefloskel ständig im Munde führt, sich selbst zum Guten regeln. Kluge, der Verräter und Streikbrecher, der nicht an die Kraft der Arbeiterklasse glaubt, die Welt zu verändern, und der nur an seinen eigenen Vorteil denkt, repräsentiert einen Typus, der in einer ganzen Anzahl von Stücken vorkommt. Es ist Bosse gelungen, Kluge durch zusätzliche Züge von unverschämter Dickfelligkeit und Arroganz besonders widerwärtig erscheinen zu lassen. Interesse beansprucht auch Mauler, der ebenfalls kein Vertrauen in die Fähigkeit der organisierten Arbeiterklasse hat, die kapitalistische Herrschaft zu beseitigen. Mauler will an die Stelle des organisierten Kampfes den individuellen Terror setzen, und er demonstriert durch seinen Sprengstoffanschlag auf die Fabrik, der ihm selbst das Leben kostet, wie ernst er es damit meint. Die Gestalt Maulers hat nicht von ungefähr im Stück Platz gefunden, hatte doch die Auseinandersetzung mit dem Anarchismus in den Jahren des Sozialistengesetzes und unmittelbar danach — ausgelöst vor allem durch die Tätigkeit von Johannes Most — in der Sozialdemokratischen Partei hohe Wellen geschlagen. Auf dem Erfurter Parteitag des Jahres 1891 hatten dann die Auseinandersetzungen XXX
mit dem Ausschluß der halbanarchistischen Fraktion der sogenannten „Jungen" im wesentlichen ihren Abschluß gefunden. Die Stellungnahme Bosses zu diesen Vorgängen ist eindeutig: Er verurteilt die anarchistischen Phrasen und Praktiken. Diese Partien des Stückes hatten damals unmittelbar operativen Charakter; sie dienten dazu, die Parteilinie am Beispielfall auf der Bühne zu demonstrieren. Das Ensemble der Fabrikarbeitergestalten wird ergänzt durch Figuren wie den sozialdemokratischen Redakteur Sturm, Frau Fels, Frau Prüfer und weitere. Sie weisen zum Teil Ähnlichkeit mit Figuren anderer Stücke Bosses auf. Unter ihnen kommt Frau Fels besondere Bedeutung zu. Sie ist nicht nur eine der Hauptgestalten des Stückes, steht sie doch während des dritten und vierten Aktes im Handlungsmittelpunkt, sondern ist neben Frau Klaar aus „Die Arbeiter und die Kunst" auch die profilierteste Frauengestalt Bosses. Sie wirkt allerdings in dem, was sie sagt und wie sie es sagt, steifer und gekünstelter als Frau Klaar und kann sich, was glaubwürdige Gestaltung angeht, noch nicht mit jener später entstandenen Figur messen. Das Bemühen, den Gestalten eine ihrer Individualität entsprechende Sprachphysiognomie zu geben, ist bei Bosse in diesem Stück wie überhaupt nur in geringem Grade spürbar. Er kommt dabei über die Ausstattung einiger Figuren mit typisierenden Redewendungen nicht hinaus. Meier und die von ihm ständig bemühten „Verhältnisse" sind ein Beispiel dafür. Betrachtet man die Gesamtheit der Stücke, so sind es vorwiegend die negativen Gestalten, die durch eine individuelle Art zu sprechen charakterisiert werden: die Streikbrecher, die heuchlerisch Nächstenliebe predigenden Pfaffen, die hinterlistigen Geschäftsführer, die brutalen Fabrikherren. Schleicher, der ehemalige Schreiber, der sich zum Sekretär und Vertrauten des Direktors hinaufgedient hat und der in seiner Machtgier weder vor den übelsten Methoden zur Unterdrückung der Arbeiter noch vor einem Mord zurückschreckt, ist als Typ im Rahmen der Gesamtheit der sozialistischen Stücke jener Zeit kein XXXI
Einzelfall. Auch das Motiv der Entscheidung eines Mädchens zwischen zwei Bewerbern und das der Rache des Abgewiesenen begegnet mehrfach. 3 6 So wie hier fällt die Entscheidung der Arbeitermädchen auch in allen anderen Fällen gegen den Verräter an seiner Klasse. Für „Im K a m p f " bedeutet Schleicher, der Prototyp des Theaterbösewichts, keine Bereicherung; im Gegenteil: Durch den Mord Schleichers an Kalthaupt und auch durch die versuchte Demütigung von Frau Fels kommen Elemente in die Handlung, wie sie häufig für die Trivialliteratur kennzeichnend sind. Es handelt sich um äußerliche, auch dramaturgisch unnötige Zutaten, die nur auf ein Mehr an äußerlicher Spannung ausgehen. Auffällig ist allein schon der Unterschied in Hinsicht auf die sprachliche Bewältigung. Während etwa der erste Auftritt im Gastzimmer des Versammlungslokals mit seinem Hin und Her der diskutierenden Arbeiter ein wirklichkeitsgetreues Bild vermittelt, das sicher auf genauer eigener Beobachtung beruht, wirkt der Auftritt Schleichers mit Frau Fels unmittelbar vor seiner Entlarvung als Mörder gekünstelt. Bosse war offensichtlich nicht in der Lage, etwas so weit außerhalb seines Erfahrungsbereiches Liegendes glaubwürdig zu gestalten. Auch diese Beobachtung läßt sich verallgemeinern; sie gilt für fast alle Autoren sozialistischer Stücke vor 1914, die in hohem Maße unsicher werden, sobald es um die Gestaltung von Vorgängen außerhalb ihrer Erlebnissphäre geht. 3 7 In „Der erste Mai" waren es noch arbeiterfreundliche Angehörige der Bourgeoisie, von denen die innerbetrieblichen sozialen Veränderungen zugunsten der Arbeiter im wesentlichen ausgingen. „Im K a m p f " , zwei Jahre später entstanden, zeigt Bosse auf einer höheren Erkenntnisstufe. Die Stelle des Bruno Bär aus dem Mai-Stück hat jetzt der Verwaltungsratsvorsitzende Dr. Guthans eingenommen. Auch er zeigt Verständnis für die schwere Lage der Arbeiter und ist bestrebt, ihnen zu helfen. Doch die Arbeiter stehen seinen Versprechungen wesentlich kritischer gegenüber als denen des Bruno Bär in „Der erste Mai". Mißtrauisch beobachten sie die Verhandlungen zwischen Guthans und XXXII
Fels. Sie fürchten offenbar, daß Fels sich auf nicht zu billigende Kompromisse einlassen könnte. Vor allem aber glauben sie nicht, daß sich Guthans' liberaler Humanismus gegen das Profitstreben der Aktionäre durchsetzen kann. Der Name Guthans gibt etwas von der Einschätzung seines Trägers durch die Arbeiter wieder. Er erscheint ihnen als ein gutherziger, aber etwas weltferner Schwärmer — was freilich mit seiner Stellung und seinem Beruf als Rechtsanwalt nicht recht zusammenpassen will. Statt auf Guthans vertrauen die Arbeiter lieber auf ihre eigene Kraft und Kampfentschlossenheit. Zwar akzeptieren sie das Angebot von Guthans, sich für die Erfüllung ihrer Forderungen einzusetzen, aber sie wissen, der Kampf ist damit nicht beendet, er wird weitergehen. In „Der erste Mai" entsteht am Schluß der Eindruck, als gäbe es mit der Erfüllung der Forderungen durch Bär für die Arbeiter keine weiteren Kampfziele mehr. Dadurch entsteht eine völlig falsche Perspektive. Anders hier: das erreichte Teilziel wird als solches gekennzeichnet; weitere Kämpfe um neue, größere Ziele erscheinen für die Zukunft als unausbleiblich. „Im K a m p f " ist das umfangreichste Stück Bosses. Mit seinen vier Akten auf 88 Druckseiten dürfte es eine Spieldauer von etwa zwei Stunden beanspruchen. In einem solchen Rahmen war es selbstverständlich leichter möglich, die aufgeworfenen Probleme einigermaßen gründlich zu behandeln und den Gestalten ein individuelles Profil zu geben, als in den sonst üblichen Ein- und Zweiaktern von 20 bis 30 Druckseiten Länge. Es erhebt sich deshalb die Frage, warum Bosse es bei diesem einen Versuch bewenden ließ, ein Stück größeren Umfangs zu schreiben. Aus dem vorliegenden Material ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür. Wahrscheinlich dürften die Gründe vorwiegend im Bereich des Organisatorisch-Technischen zu suchen sein. In einem Hinweis auf Gents „ A n die Scholle gefesselt!" heißt es einmal im „Süddeutschen Postillon", bei solchen Stücken komme es „auf die agitatorische Wirkung und auf die leichte Ausführbarkeit durch ungeschulte K r ä f t e " an. 38 Die letzte Voraussetzung war bei „Im 3
Schröder
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Kampf" nicht mehr gegeben. Auch die Zahl von 25 Spielern, dazu noch Statisten, dürfte die Möglichkeiten der meisten dramatischen Abteilungen und Arbeitertheater-Vereine überfordert haben. Verdient hätte „Im Kampf" zahlreiche Aufführungen wie kaum ein anderes der frühen sozialistischen Stücke. Es ist eine der bedeutendsten Leistungen, die das sozialistische Bühnenstück vor 1914 aufzuweisen hat und läßt erkennen, welche Möglichkeiten bei entsprechender Förderung selbst unter den ungünstigen äußeren Bedingungen jener Zeit das proletarische Theater gehabt hätte. Das Leipziger Arbeitertheater, wie es sich im Arbeiterverein Ausgang des 19. Jahrhunderts entwickelte, ist ein beeindruckendes Beispiel für die Richtigkeit der Lehre Lenins von den zwei Kulturen in der Klassengesellschaft. Es zeigt, welcher kulturschöpferischen Leistungen die Arbeiterklasse selbst unter dem Druck brutalen Polizeiterrors und kapitalistischer Ausbeutung fähig war und wie sich die kulturelle Struktur der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Wachsen der organisierten Arbeiterbewegung zu verändern begann. Das Leipziger Beispiel steht dabei nur stellvertretend für zahlreiche andere, wenn auch die günstigen Umstände, die in Leipzig zur Wirkungszeit Bosses zusammentrafen, dort zu einer besonders intensiven Ausbildung eines proletarischen Theaters geführt haben dürften. Es ist anzunehmen, daß sowohl in Leipzig und noch mehr in anderen Orten ein Teil des Materials, das uns näheren Aufschluß geben könnte, verlorenging oder noch nicht gefunden wurde. Aber selbst das Wenige verlangt unsere Aufmerksamkeit und Achtung als eines der Elemente des Erbes, auf denen unsere sich entwickelnde sozialistische Nationalkultur basiert.
DIE ALTEN UND DIE NEUEN FESTSPIEL
PERSONEN
„Die Alten" Hans Sachs Ulrich von Hutten Zwei Handwerksgesellen Zwei Landsknechte
„Die Neuen" Der Vorsteher des Fortbildungsvereins für Arbeiter Die Sänger- und Turnerabteilung des Fortbildungsvereins
PROLOG gesprochen
vom 1.
Handwerksgesellen
Euch holde Frauen, euch werte Männer! Liebe Freunde und gute Gönner! Ich biet' euch allen meinen Gruß, Wünsch' allen recht viel Freud' und Lust. Ihr fraget, was ich eigentlich will, Seiet nur noch ein wenig still. Will dann ganz genau es sagen, Laut und kräftig vor es tragen. Wir alle haben schon vernommen, Warum wir sind hierher gekommen, Wir wollen ein Stiftungsfest heut' feiern, Das muß gescheh'n mit manchen Ehren, So war es von jeher guter Brauch, So wird es heut' geschehen wohl auch. Man hat sonst Musik, Gesang gehört, Einen Vortrag, der oft durch Geräusch gestört; Kamen dann die Turner an ihr Ziel, Sprachen manche; es ist ein bißchen viel! Da ist man denn übereingekommen, Hat einmal es anders sich vorgenommen; Doch war's nicht leicht zu Stande zu bringen, Es war lange ein vergeblich Sinnen. Doch endlich hat man einen Mann gefunden, Der hat Wörter zu Reimen verbunden Und hat das Ganze ein Festspiel genannt, Ob ihr es so nennt — bin ich gespannt. Damit ihr die Sache wohl überblickt, Hat mich der Mann vorausgeschickt. Ich soll euch sagen und melden Was er will mit seinen Helden. 5
Hoffentlich wird mir das auch gelingen Und ich alles schön zum Vortrag bringen. Am Stiftungsfest soll man stets sagen, Warum man im Verein tut tagen; Was der Zweck und die Grundlage sei, Muß man bekennen offen und frei. Das ist in diesem Verein hier stets geschehen, Doch gibt es Leute, die wollen es nicht verstehen. Heute sollen sie es im Bilde sehen! Man hat einige Männer ausgewählt, Von denen die Geschichte uns erzählt: „Sie waren nicht von Eigennutz befangen, Sind für das Recht in Kampf gegangen, Haben für das Gute Opfer gebracht, Stets an das allgemeine Wohl gedacht." Unsterblich sind diese Männer geworden, Man gedenkt ihrer wohl an vielen Orten, Man hat sie als Ideal genommen, Ließ deshalb hierher sie kommen, Aus ihren Worten gar wohl vernehmt, Wie man im guten Streben glücklich lebt, Und wie man stets zur Gemeinschaft muß halten Soll sich das Gute auf Erden gestalten; Selbst wenn der Erfolg ausbleibt, Man es doch zum Ziele treibt, Wird auch erst der Zukunft der Segen werden, Was heute wir schon müssen erstreben. Doch ihr werdet alles gleich besser hören, Werde euch deshalb nicht weiter stören. Nur noch ein Wort für den Mann, der das Spiel erdacht Und für die Leute, die es zu Stande gebracht. Der Mängel werden ja viele sich zeigen, Denn was sie wollten, tat die Kraft nicht reichen; Doch haben sie nach ihrem Können getan, Befinden sich wohl auch auf guter Bahn. Drum findet das Spiel euren Beifall nicht, Seid nicht zu strenge in eurem Gericht!
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U L R I C H VON H U T T E N
vortretend:
Guten Abend, Freunde! Wir treten herein In der Erwartung euch willkommen zu sein! Wie! — Ihr macht ein bedenklich Gesicht Und denket wir kennen die Leute nicht? VORSTEHER :
Seid wohl ein Stück aus anderer Welt, Das plötzlich sich zwischen uns stellt? Bin ich nun auch kein Menschenkenner, Scheint es mir doch, ihr seid brave Männer, Ich euch also willkommen heiße. Kommt gewiß von weiter Reise? HANS
SACHS:
Dank euch für's Vertrauen, Sollt uns auch nit falsch anschauen, Werden euch unsere Namen nennen, Werdet wohl manchen von uns kennen? U L R I C H VON H U T T E N :
Ulrich von Hutten ward ich genannt, War im ganzen Reich bekannt. Hab' stets für's Recht mein Schwert geführt Und den gestraft, der es verdient. Bin drüber zugrunde gegangen, War aber nie von Furcht befangen. HANS
SACHS:
Mich hat man einst Hans Sachs genannt, War dem Volke recht gut bekannt, Lebte in Nürnbergs Schutz, Den Bösen zum Trutz. I I . HANDWERKSGESELLE:
Mit Gunst und Erlaubnis! Gott grüß' das ehrsame Handwerk. Wir sind gar gewöhnliche Leut',
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Benutzten die Gelegenheit, Dachten: würden schon aufgenommen, Sind daher auch so mitgekommen. VORSTEHER :
Seid uns alle herzlich gegrüßt, Haben von eurem Ruhm schon gewußt. Lange ist's schon, daß ihr gelebt Und für des Volkes Wohl gestrebt. Sagt: woher führt zu uns euer Weg? Gibt's doch von drüben keinen Steg? HANS
SACHS:
Habt Recht! Doch ein eignes Geschick Verhalf uns zu diesem Glück. Dreihundert Jahr' und mehr sind dahin, Seitdem ich von hier geschieden bin, Ward drüben freundlich aufgenommen; Wäre auch nie wiedergekommen, Hätt' ich nit müssen viel vernehmen, Daß ich mich dort oben tat grämen. Hätt' ich nit noch da oben in späten Tagen Vernehmen müssen des Volkes Klagen: Wieder nehme in deutschem Land Der Parteien Streit überhand. Gemeinnutz sei ein selten Wort, Man findets nur an wenig Ort; Dafür ist Eigennutz gar wohl bekannt, Wird von Hoch und Niedrig genannt. Auf dem Lande, wie in den Städten Würde nur zum goldenen Kalbe gebeten; Geld überall der Herrscher sei, Wer das nit hätt' sei auch nit frei. Alles täte nach Golde rennen, Einen andern Gott tät' niemand kennen; Steuern gäbe es immer noch mehr, Obgleich sie drückten das Volk schon sehr. Aber die schlimmste von allen Klagen: Keiner will mehr die Wahrheit sagen! Und würd' es dennoch einer wagen, 8
Gleich tät man ihn hetzen und jagen. So und ähnliches habe ich gehört, Das hat meine Ruhe zuletzt gestört. Es ist gar sehr in mir herum gegangen, Zuletzt bin ich zu Freund Peter gegangen, Habe dem meine Not geklagt Und ihn um seinen Rat gefragt. Doch der machte ein bedenklich Gesicht, Sprach: „Kümmere dich um die Menschen nicht. Mit ihrer Not wollen wir uns nit befassen, Sondern sie ruhig gehen lassen, Wollten sie wirklich fördern ihr Glück, Wäre es kein großes Meisterstück. Doch, der Hochmutsteufel ist in sie gefahren, Das sieht man an ihrem ganzen Gebaren; Elemente haben sie in Dienst gezwängt, Aber immer fühlen sie sich noch beengt. Statt zu fördern ihr eigenes Glück, Brechen sie einander das Genick. So lange man noch hat rohe Gewalt, Bekommt das Glück keine rechte Gestalt. Doch, Hans, du wirst mich nit ganz verstehen, Kannst dir's j a mal in der Näh' besehen. Ich gebe dir einige Landsknechte als Stütz', Hier sind die Kerle ja doch nit viel nütz." Mir der Vorschlag gar wohl gefiel, Die Landsknecht' paßten mir nit in's Spiel. Hab' mich ihrer Begleitung erwehrt, Meinte, würde auch ohn' die geehrt. In meiner schlichten, einfachen Weise Machte ich lieber allein die Reise. Sankt Peter aber erwiderte schnell: „Die Burschen nützen dir an mancher Stell', Wo du kommen willst zu Ehren Mußt du ihrer Begleitung nit wehren, Die Deutschen schwärmen sehr für Soldaten, Verherrlichen gar gern ihre Taten. Selbst in Leipzig im Fortbildungsverein Läßt man den Barthel und Lorenz gern ein, Vielleicht geschieht es einem Freund zu Ehren, Von dem sie sonst recht wenig hören."
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Das und Ähnliches tat er sprechen, Ich wollte gleich zur Reise aufbrechen. Schnell aber war's bei meinen Freunden kund Und sie kamen auch alle zur selbigen Stund', Hutten, Sickingen und Luther gar Wollten alle teilen die Gefahr. Auch viele andere taten sich melden, Sankt Peter fing darob an zu schelten: „Was wollt ihr alle dort unten tun? Seid froh auf euren Lorbeer'n zu ruhn! Ihr habt der Ehren genug bekommen, Mehr als euch gut und euch tut frommen; Den Hutten ließ ich schon mitziehen, Der t a t sich sehr um das Volkswohl bemühen, Hat wenig Dank davon ja gehabt, In einsamer Stille liegt heut' noch sein Grab, Man bringt Geld für ein Denkmal zusammen Im Augenblick, wo man jetzt noch will verbannen. Da wäre es schon gut, ihr wäret noch dabei, Auf denn! ich gebe den Hutten noch frei! Du, Hans, kannst da hinten noch wählen Einige von den alten treuen Gesellen, Die können die Zunft zu Ehren bringen, Dort unten verstehen sie wenig von den Dingen; Doch nun ist gut, nun sei ein Ende, Ihr könnt euch schnell zur Erde wenden." Wir sind bald von hinnen gegangen, Taten unlängst auf der Erde anlangen. Ihr habt nun unsere ganze Geschieht', Seid über uns wohl unterrichtet, Seid wohl auch zufrieden mit uns Und gewähret uns eure Gunst? VORSTEHER :
Gewiß es uns alle sehr freut, Daß heute ihr bei uns erscheint, Und so aus eurem eignen Munde gar vielen wird selt'ne Kunde! Es ist lange, daß ihr gestorben, Von eurem Werk ist viel verdorben, 10
Manches konnte nicht ins Volk gelangen, Wollt ihr nicht von neuem anfangen? HANS
SACHS:
Nach meiner Kraft hab ich getan, Dem Volke wohl eröffnet Bahn! U L R I C H VON
HUTTEN:
Mein Geist, meine Kraft war dem Volke geweiht, Für Wahrheit und Recht bin ich heut' noch bereit Zu kämpfen, zu streiten, wenn es muß sein, Trete ich sofort in die Reihen mit ein. VORSTEHER:
Mit dem Schwert, da ist es vorbei; Wir werden auch ohne das frei. Uns kann das nur durch Arbeit gelingen, Hier gilt allein ein kräftig Ringen. — Werden die Flügel uns durch Macht gestutzt, So sind die Werke der Alten von Nutz, Wir können uns oft daran erbauen, Manches Gute daraus schauen. Ließe sich manches noch mehr beleben, Würde es vielen Anregung geben. HANS
SACHS:
Haltet euch nicht so sehr beim Alten, Auch das Neue muß sich gestalten. Ich finde ja an allen Orten, Daß vieles anders ist geworden. Habe mir's auch gar wohl beschaut, Woran die Menge sich erbaut. Muß es leider gar sehr beklagen, Mit gutem Sinn will's sich nit vertragen, Der Wahrheit schlägt es gar oft ins Gesicht, Um Ehre und Tugend kümmerts sich nit. Wer will dem Volke Segen spenden, Muß es zu höheren Zielen wenden. 11
U L R I C H VON
HUTTEN:
Ich hab' leider ganz dasselbe gesehen, Es scheint ja überall gleich zu gehen, Überall auch in der ganzen Welt Geschieht ja alles nur um das Geld, Nur immer ist das Geld die treibende Kraft, Und dabei es so manches Unheil schafft. Ja, wenn es noch lange so weiter geht, Dabei alles wohl noch zugrunde geht! II.
HANDWERKSGESELLE:
Mit Gunst, das muß wohl jetzt schon geschehen. Soviel ich auf der Landstraße gesehen, Muß wohl nit alles in Ordnung sein, Denn ich fand da draußen manchen frei, Das heißt, frei von Arbeit und Brot, Hatte gar viel Hunger und Not, Wußten sich vor dem Wetter nit zu schützen, Konnten wenig mit ihrem Dasein nützen. VORSTEHER :
Manches von dem ist leider wahr, Doch stellt ihr uns die Kehrseite dar. Es hat sich doch so manches gestaltet, Wo der Neuzeit Geist zum Segen waltet. Den Geist könnt ihr wohl nicht verstehen? ULRICH VON
HUTTEN:
Nun, leider muß ich frei gestehen, Daß ich von Geist recht wenig gesehen. Es sind noch viel andere Gestalten, Die jetzt im deutschen Reiche walten: O, ich kenne gar wohl ihre finstere Macht, Sie verhängte auch über mich einst die Acht. VORSTEHER :
Nun ja! Ganz Unrecht kann ich euch nicht geben. Wiederholt sich doch so manches im Leben. 12
Euch scheint recht wenig zu gefallen, Unzufrieden seid ihr wohl mit allen. Ging es euch so an allen Orten? U L R I C H VON H U T T E N :
Jawohl, wo wir sind aufgenommen worden. Sahn wir eine gleichgültig geputzte Menge, Nirgends ein frisches, frohes Volksgedränge, Wie es in unserer Zeit wohl geschah, Stellte es dem Auge sich nirgends dar. Es erschallen auch keine frohen Lieder, O, unsere Zeit kehrt niemals wieder. VORSTEHER :
Mag der Himmel uns vor solcher Zeit behüten! Das Volk hat auch viel in ihr gelitten. Eine neue Anschauung muß Bahn sich brechen, Man hört davon an allen Orten sprechen. Beherrscht die Anschauung die Menschen ganz, Wird das Leben erblühen in neuem Glanz. Wir werden stets mit Kraft danach ringen, Das Leben im Volke zur Hebung zu bringen. HANS
SACHS:
Ei, ei, was entwickelt ihr da für Kraft, Habt ihr den Anfang schon geschafft? U L R I C H VON
HUTTEN:
Habe noch nichts von dem vernommen! II.
HANDWERKSGESELLE:
Sind doch mit Gunst an manche Orte gekommen. VORSTEHER:
Wohlan, so möchtet ihr jetzt sehen, Wie bei uns die Sachen stehen. Es sind nun gerade neun Jahr, Wo unter mancherlei Gefahr 13
Dieser Verein ward zustande gebracht Und zu einer Stätte fürs Volk gemacht. Die Zeit hat manches Elend gesehen, Doch unser Verein, der blieb bestehen! — Freilich vom Ziele sind wir noch recht fern — ULRICH VON H U T T E N :
Das glaube ich euch gern. Doch sagt, ihr Lieber, was ihr jetzt macht, Und was ihr habt zustande gebracht? VORSTEHER :
Hier muß ich euch auf den Bericht verweisen, Der tut alles genau aufzeigen. HANS SACHS:
Nun wohl, der Bericht nicht alles schreibt; Saget an, was heute ihr hier treibt. Hätt' gar gerne genauer vernommen, Warum soviel Volk hier zusammen gekommen? Besonderer Grund muß immer doch sein, Wenn so viel Leut' sind in Freud' vereint! VORSTEHER :
Der Grund ist, den ich euch vorhin berichtet, Daß vor neun Jahren der Verein ist errichtet. Da feiern wir heut unser Stiftungsfest, Seid willkommen als Ehrengäst'. HANS SACHS:
Das tun wir gern euch danken. Doch jetzt möchten wir auch wohl sehen, Was weiter soll denn hier geschehen. Da ist das Fest ja schon lange gestört? VORSTEHER :
Wir sind durch euer Reden alle geehrt, Doch wenns euch recht, mag es geschehen, 14
Wir werden ja dann weiter sehen, Ob unser Tun euren Beifall findet, Oder ob ihr neue Lehre uns verkündet. Der Gesang, der die Herzen stets erfreut, Der ist's, der auch heut' auf dem Platze erscheint. Zwar ist es keine Zunft der Meistersinger, Doch meisterhaft singen auch oft unsere Sänger. Mögen laut die Töne erklingen, Mag heute euer Gesang gelingen. A n die Darsteller gewendet
Ich bitte euch, nehmet die Plätze ein, Es möchte sonst zu beschwerlich sein. Vielleicht würde euch ein Trunk erfreuen? Er hilft die Kraft doch stets erneuern. Die Sängerabteilung singt ,,Das deutsche Lied," von Hermes Nachdem das Lied beendet: U L R I C H VON
HUTTEN:
Ja deutsches Volk, mächtig nur singe, Endlich es allen zum Herzen dringe. Möge euer Lied zur Wahrheit werden, Einig sein bald alle Völker auf Erden. Die Sängeräbteilung singt „Aus HANS
der
Jugendzeit"
SACHS:
O! ein Wunsch von mir ist durchgedrungen! Das ist mir aus eurem Lied erklungen, Nicht mehr einzelne üben die Kunst Nein, der Gesang findet bei allen Gunst. Im Gesang mag sich der Geist befreien, Die Kraft zu Taten frisch erneuern. VORSTEHER:
Wohl kann, ich euren Worten recht nur geben, Doch steht es damit schlimm gar oft im Leben. Doch ein anderer Chor wird jetzt noch singen, Gar lieblich werden die Töne erklingen. Der gemischte Chor singt 4
Schröder
15
HANS
SACHS:
Wer hätte wohl in unsern Tagen gedacht, Daß es im Volke würde so weit gebracht. — Daß auch die Mägdelein hold und fein Gar gern stimmen in Chorgesang mit ein. Da muß es ja nit schwer mehr werden, Den Volksgesang bringen zu besondern Ehren. Ja, wenn ihr den Volksgesang recht pflegt, Manchen schon für höhere Ziele anregt. Und wie muß die Harmonie gewinnen — Wenn Mann und Weib zusammen singen! VORSTEHER :
Das wäre gewiß recht schön Wenn alles schon so würde gehen, Nur leider wenige finden noch Zeit, Wo ihre Herzen von Sorg' und Leid befreit, Sich ihre Gefühle für das Schöne regen, So gern sie auch sonst das Gute pflegen. Die Not macht, daß sie in Sorge versinken, Da denkt dann keiner mehr ans Singen. ULRICH VON H U T T E N :
Das ist nun freilich ein falscher Weg, Den man zur Bekämpfung der Not einschlägt. In solcher Zeit muß man zusammenhalten, Will man das Leben besser gestalten; Ja, der Gesang kann euch gar wohl erheben, Wenn die Not euch niederdrückt im Leben. VORSTEHER :
Dieses kann ich euch wohl zugestehen. Doch soll es im Leben besser gehen, Muß man gar manches pflegen, Geist und Körper kräftig regen. Doch möchtet ihr vor allem sehen, Wie hier die Sachen weiter gehen. Jetzt wird unsere Turnerabteilung Einen Reigen bringen zur Aufführung. 16
Ihr tatet früher bei solchen Festen Nach Krönlein und auch nach Kränzen stechen! Zur Kurzweil auch wohl die Hälse brechen. Auf mancher Stell' mags heute noch geschehen. Doch hier freut sich der einzelne Mann, Wenn er dem Ganzen dienen kann; Wenn er mit seiner Körperkraft Auch für den andern Schönes schafft, Und auch vor allem mit seinem Streben Fördert seine Gesundheit und Leben. Nun so mag das Spiel beginnen. Die Musik fängt an zu spielen, Turner marschieren zu einem Reigen in den Saal. Nachdem der Reigen beendet: U L R I C H VON H U T T E N :
J a , so ist es recht, ja, so lob ich's mir, Würde es geschehen überall wie hier! So würde es wohl bald besser auf Erden, Die Menschen müßten glücklicher werden. Wenn alle ihren Geist und Körper stählten, Würde die Gesundheit weniger fehlen! — Man würde sich mehr des Lebens freuen — Das wäre auch ein Verdienst der „Neuen". VORSTEHER:
Was ihr hier jetzt beim Spiel aussprecht, Hielten wir lange schon als recht. Wir haben manch' Opfer dafür gebracht; Man hat uns darob auch ausgelacht. Doch haben wir fest zusammen gestanden Trotz allen Anfechtungen, die wir fanden. Es soll den Mut uns auch nicht dämpfen, Müssen wir immer weiter kämpfen. Wir werden dem fernen Ziele zu schauen Und kräftig an unserem Werke bauen. Kämpfend kann nur der Mensch erringen Was ihm sollte Glück und Freude bringen. Darum soll auch keiner vorübergehen, Wer irgend kann, sollte zu uns stehen, 4*
17
Dann würden wir auch leicht vollbringen, Was heute uns will noch nicht gelingen. HANS
SACHS:
Nun wollen wir wieder zum Himmel gahn Der Fortbildungsverein ist auf guter Bahn. Tut immer nur kräftig weiter streben, Stets euch einander helfen im Leben, Tut immer das Güte und Schöne pflegen, Für Aufklärung nur immer kräftig regen. Denn es ist wahrlich hohe Zeit, Daß Wahrheit und Gerechtigkeit, Die man wenig achtet im deutschen Land, Man endlich schützt mit starker Hand. Euer Verein aber blühe und wachs', Dies wünscht vor allem Hans Sachs! U L R I C H VON
HUTTEN:
Möge es gelingen in künftigen Tagen, wie ihr es könnt die Wahrheit sagen. Möget ihr allgemeinem Irrtum widerstreben, Womit ihr das Wohl des Volkes könnt heben. Denn leider ist die Menschheit oft so verblend't, Daß sie ihren eignen Vorteil nicht erkennt. Achten oft den Aberglauben mehr Als der Wissenschaft reine Lehr'. Und wo die Wahrheit wird gepflegt, Dem bald man sich entgegen legt. Drum müßt ihr fest zusammenhalten. Dann muß es endlich sich gestalten. Achtet nit auf das Geschrei Von Reichsfeind gar und Ketzerei! — Sucht der Menschen Sinn zu heben. Daß sie für Recht und Wahrheit streben, Daß sie mit regem Ernste kämpfen, Eigennutz und Heuchelei zu dämpfen! Auf daß dem Mammon nit ganz gelinge, Daß er euch um Glück und Ehre bringe! Wenn ihr auf alles wohl habt Acht, Dann kann euch schaden keine Macht!
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Den Geist man auch nit töten kann, So oft man ihn auch greifet an! Das hat euch Ulrich von Hutten gesagt. Der für seine Lehr' sein Leben gewagt! I . HANDWERKSGESELLE:
Da hat nun jeder sein Sprüchlein gesagt, Und meiner Seel', es sei geklagt, Mir will es heut gar nit gelingen, Auch so was Rechtes zu Stande zu bringen. Das Fest mit seiner vielen Pracht Hat mich ganz aus dem Häuschen gebracht, Möcht' gar gern ein Tänzlein wagen, Tät unsere Stunde nur nit schlagen, Die schönen Mägdelein haben mirs angetan, Möcht' gar gern noch einmal meine Freud' hab'n, Es ist jetzt gar schön auf der Welt, Ihr „Neuen" seid gar wohl bestellt. Und doch gibt es Leute, die will's nit rühren, Möchten die Manschen gern rückwärts führen. Ruft den Herren nur laut und kräftig zu: „Laßt uns mit eurem Gerumpel in Ruh! Laßt uns unser Glück selbst erringen, Wir danken für das, was ihr wollt bringen! Das Beste wollt ihr euch erst nehmen Uns dann — eine Wohltat geben." So müßt ihr denen die Wahrheit sagen, Man wird euch dann wohl weniger plagen. Tut ferner für das allgemeine Wohl nur streben Und jetzt laßt hoch den „Fortbildungsverein" leben!
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DIE ARBEITERVEREINE HABEN DOCH EINE ZUKUNFT! SOZIALES BILD IN 3 ABTEILUNGEN
PERSONEN
Andreas Klaar, Schulze in Bergstedt Heinrich Klaar, sein Sohn, Schuhmachermeister Anna Klaar, seine Frau Lieschen
i beider Kinder Walther J Muth Schaal
) }• Schuhmachergeselle n J
Max, Lehrbursche Frau Spitzer Roth, Student Dr. Angst, Schuldirektor Dr. Giebein, Arzt Ort der Handlung: eine größere Stadt
I.
ABTEILUNG
Eine Schuhmacherwerkstube in der Wohnung des Schuhmachermeisters Klaar; in derselben befindet sich ein Schuhmacherwerktisch, an welchem sich 4 Sitze befinden, an der einen Wand befindet sich ein Tisch, auf dem allerlei Leder und Gerätschaften liegen; ein kleiner Tisch gegenüber ist mit Schriften und Zeitungen bedeckt. An dem Werktisch arbeiten die Gesellen Schaal und Muth. Der Lehrbursche Max tritt vergnügt durch die Mitte, in der Hand 2 Glas Bier haltend. Außerdem hat er im Brustlatze der Schürze einige Brote stecken.
SCHAAL: Nun Max, wo bleibst du denn nur eigentlich so lange? MAX: O! ich habe mich sehr beeilt, mußte aber im Bäckerladen etwas warten, doch hier ist das Bier und hier das Brot, hier sind noch 69 Pfennige zurück. SCHAAL: Nun, wo hast du denn die Wurst? MAX: Wurst habe ich keine! Sie hatten ja keine bestellt. SCHAAL: Ich werde es dir gleich beibringen, was ich bestellt habe ! — Augenblicklich gehst du noch einmal!
23
MAX:
Muß sehr bedauern, aber niemand kann zween Herren dienen, vorläufig habe ich einen Auftrag der Frau Meisterin auszuführen. SCHAAL
auffahrend:
Was Bursche! Du willst wohl gar noch deinen Unsinn mit mir treiben, warte! Ich werde es dir eintränken. Er
holt aus, um zu schlagen,
Absicht
und
flüchtet
sich
der Bursche
hinter
einen
merkt schnell
die
Stuhl.
MAX:
Unterstehen Sie sich's! Ich lasse mich von Ihnen weder schimpfen noch prügeln, dazu haben Sie kein Recht! Wenn ich noch unerfahrener bin als Sie, nun so muß ich auch geringere Arbeiten verrichten; wenn Sie mich nicht gehen lassen, rufe ich den Meister zu Hilfe. Schaal ist durch das mutige Auftreten des Burschen ganz verblüfft. Max benutzt die Gelegenheit, um schnell aus der Tür zu schlüpfen. SCHAAL:
Nun so ein nichtsnutziger Bengel! Aber das kommt von eurer Humanitätsduselei! MUTH:
Wüßte auch nicht, weshalb sich der Junge schlagen lassen soll, wenn du deine Bestellungen nicht richtig machst. SCHAAL:
Es ist überhaupt ein Schlingel; wo er nur irgend kann, spielt er mir Streiche, von Respekt, wie die Burschen ihn sonst vor den Gesellen haben, ist bei ihm keine Spur, ich werde es ihm aber schon noch beibringen.
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MUTH:
Doch nicht etwa mit deiner Behandlungsweise! Du solltest doch endlich einsehen, daß, wenn die jungen Burschen uns auch nicht mit ihrem Können erreichen, sie uns an Wissen aber gewiß gleich stehen. Jeder junge Mensch, der Achtung vor sich selber besitzt, wird sich gewiß von niemand mehr prügeln lassen. Oder willst du etwa mit deinen Maßregeln die Erziehung verbessern, das dürfte dir kaum gelingen, da dürfte eher das Gegenteil eintreten. SCHAAL :
Nun zu verderben ist an dem Schlingel nichts mehr, dafür habt ihr gesorgt: Seit er in eüern Verein geht, ist vollends nichts mehr mit ihm anzufangen. Ich finde es unverantwortlich von dem Meister, daß er dem Jungen nicht nur die Erlaubnis, nein auch die Mittel gibt und sorgt, daß ja jedes Hindernis beseitigt wird, damit der Herr Junge nicht die Zeit verpaßt. MUTH:
Er will eben den Jungen zu einem tüchtigen Menschen machen; das finde ich sehr gut von ihm, daß er nicht nur über die Ausbildung der Lehrlinge redet, sondern vor allem auch alles daran setzt, um seine Ansichten zu verwirklichen. Was übrigens der frühe Besuch des Arbeitervereins betrifft, nun so ist ein wahrer Segen, daß man endlich die Mittel dazu gefunden hat, um eine Jugendabteilung einzurichten. Was sollen die armen Kerle eigentlich anfangen, wenn sie die Schule verlassen haben? Überall, wo sie sich in dem Alter sehen lassen, sind sie überflüssig und werden nicht gern gesehen. In die Familien der Lehrmeister werden sie selten aufgenommen. Ja es besteht hier leider auch nur selten die Absicht, tüchtige Menschen zu bilden, da sucht man ja nur billige Arbeitskräfte. Darum ist es notwendig, daß wir älteren Arbeiter uns der Lehrlinge annehmen; wir müssen dafür sorgen, daß sie zu tüchtigen Männern heranwachsen, die wissen, was notwendig ist, um in der
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Gesellschaft fortzukommen. Wir müssen dafür sorgen, daß sie ihre Jugend nicht nutzlos vertrödeln. Darum achte ich gerade auch unsern Meister höher als jeden andern Meister, weil er das weiß und weil er sich durch nichts abhalten läßt, sondern mit aller Kraft für die Verwirklichung seiner Ideen eintritt! SCHAAL :
Jawohl! Sich und andre dabei zu Grunde richtet! MUTH :
Nun du hast dir doch noch nicht die Mühe genommen! Hast du dir das Leben im Verein einmal angesehen? SCHAAL:
Das sollte mir gerade einfallen! MUTH:
Dann solltest du auch etwas vorsichtiger mit deinem Urteil sein! SCHAAL :
Was ich täglich vor Augen habe, kann ich auch beurteilen, übrigens stand erst gestern ein Artikel im Tageblatt, der ganz meine Ansicht bestätigt. Alle Arbeitervereine wären für die Arbeiter selbst schädlich und jeder, der sich verdient um das Vaterland machen wolle, sollte alles aufbieten, um diese gefährlichen Sumpfpflanzen auszurotten oder doch wenigstens ihre Macht zu kürzen. Namentlich für die jüngeren Arbeiter wären sie höchst schädlich, weil dort keine Au — au — au na wie heißt denn das Wort nur gleich? MUTH:
Autorität wolltest du wohl sagen.
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SCHAAL:
Ja, richtig, so stand es dort, weil die in eurem Vereine nicht anerkannt würde. Nun was sagst du dazu? MUTH :
Vielleicht ist etwas Wahrheit darin! SCHAAL schnell
einfallend:
Siehste und du sagst immer, was im Tageblatt steht, wäre nicht wahr! MUTH :
Vorläufig war ich noch nicht zu Ende. Hast du denn schon einmal darüber nachgedacht, was man unter Autorität versteht? SCHAAL :
Darüber habe ich mir den Kopf noch nicht zerbrochen! MUTH:
Dann will ich versuchen, es dir im Sinne des Tageblattes klar zu machen. Das Tageblatt versteht da Personen, die vermöge ihrer Stellung oder, was dasselbe ist, vermöge ihres Geldbeutels die Berechtigung haben, für alle zu denken, für alle zu urteilen, so z. B. sind die Gelehrten des Tageblattes deine Autoritäten, weil du jedes Wort für wahr hältst, was die schreiben. Freilich in Arbeitervereinen da sollen die Leute selbständig denken lernen, da lernen sie nur die Autorität des Wissens und der Erfahrung achten, sie nehmen nicht mehr jeden Unsinn unbesehen hin und das ärgert jene Schreiberseelen! SCHAAL:
Das sind doch gelehrte Leute, die müssen es doch besser wissen als wir.
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MUTH:
Jawohl, die wissen ganz genau, was sie nötig haben, um ihren Einfluß festzuhalten. Wenn nur die Arbeiter es halb so gut verständen, ihre Interessen zu wahren! SCHAAL:
Ach was, ich sehe schon wo ich bleibe, ich arbeite immer in den Werkstellen, wo ich den höchsten Lohn verdiene. Im übrigen lasse ich mir den Kopf nicht verdrehen. Was ich in der Schule gelernt habe, genügt mir. Sollte wirklich nicht alles wahr sein, was ich glaube, ich habe es auch nicht zu verantworten, mögen es die tun, die es mich gelehrt haben. Aber nun sage mir mal recht deutlich, was sollen die jungen Leute eigentlich im Arbeiterverein ? MUTH:
Nimm es mir nicht übel, aber wenn die Arbeiter alle solche Einfaltspinsel wie du wären, dann freilich würde unser ganzes Streben vergeblich sein. Erfreulicherweise gibt es unter den Arbeitern genug Leute, die jede Gelegenheit mit Freuden ergreifen, um ihre Kenntnisse zu vermehren und ihr Wissen zu erweitern. Siehst du, das ist die Aufgabe unsers Vereins, eine Anstalt zu werden und zu sein, wo die jungen Leute eine Stütze finden, wo sie Mittel finden, um sich zu vernünftigen Menschen heranzubilden, wo sie lernen, nicht nur für sich allein zu leben, nein, daß sie auch Verpflichtungen gegen ihre Nebenmenschen haben, wo sie lernen, ihre Zeit auszunutzen und nicht in leeren Vergnügungen zu vertrödeln, kurz wo alles darauf angelegt ist, wirklich vernünftige Menschen zu bilden. Nun kannst du das begreifen ? SCHAAL :
Nu ob! Also das nennt ihr Vernunft, wenn man seine ganze freie Zeit eurem Vereine opfert, statt sich seines Lebens zu freuen. Das ist mir eine schöne Vernunft, die nicht einmal ein harmloses Kartenspiel gestatten will.
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Rauchen darf man auch nicht, wenn man will, es fehlt bloß noch, daß ihr auch noch das Biertrinken verbötet oder wenigstens dagegen eifertet! MUTH:
Das letztere dürfte für den Einzelnen gewiß von großem Nutzen sein, im übrigen dachte ich es mir, daß es hieße leeres Stroh dreschen, dir etwas auseinanderzusetzen, was nun einmal über dein Begriffsvermögen geht. Dir ist ja freilich ein gemütlicher Schaf köpf lieber, als eine gute Unterhaltung oder das Lesen einer guten Schrift, die uns Stoff zum weiteren Denken gibt; gestehe es nur, du hast ja noch nie darüber nachgedacht, wer dir das Recht gibt, mit deinem Genuß andern die Luft zu verderben? Das leuchtet dir doch ein, daß solches mit deinem oft zweifelhaften Tabak geschieht. SCHAAL:
Fehlte mir gerade, daß ich mit solchen Betrachtungen meine Genüsse verkümmerte. Im übrigen brauchst du dich nicht so sehr mit deinem Verstände aufzublasen; wenn ich auch nicht in euern Verein komme, das bezeugen mir alle meine Freunde, daß ich der beste Skatspieler bin; freilich, wie dieses Spiel zum Denken anregt, kann nur der begreifen, der auch den ganzen Genuß desselben versteht, dazu bist du ja nun einmal nicht fähig! MUTH:
Jawohl, da hast du recht, aber eins habe ich erkannt und begriffen, daß nur da Karten- und andere Spiele sich breit machen können, wo für wirkliche, ernste Ideale kein Raum mehr ist. O, das Herz möchte mir brechen, wenn ich sehe, wie für wirkliches, ernstes Streben so wenig Menschen zu begeistern sind. Hingegen zu allerlei unsinnigen Tätigkeiten, zu Schafskopf- und Kegeltagen und wie die Spiegelfechtereien sonst noch heißen, drängen sich die Menschen in Scharen herbei!
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SCHAAL:
Woran sie auch sehr recht tun; ihr mit eurer Grillenfängerei könnt freilich die Menschen nicht erheitern! MUTH:
Was ich gar nicht für so notwendig halte, um dazu besondere Veranstaltungen zu treffen; mir genügt es, wenn die Menschen bereit sind, bessere Zustände herbeizuführen, haben wir die, werden wir auch heiter werden. hämmert
fest
auf seine
Heinrich getreten.
Klaar
Arbeit.
ist während
der letzten Sätze in das
Zimmer
KLAAR:
Ei! ei! mein lieber Muth, warum so zornig? MUTH
ausschauend:
Ach Sie sind hier! Entschuldigt Meister, aber ich ließ mich hinreißen. KLAAR:
Bei mir braucht es keiner Entschuldigung, ich verstehe Sie nur zu gut. Aber Sie sollten doch lernen, sich nicht mehr zu ereifern. In einer Zeit, wo es gefährlich für seine Existenz ist, eine eigne Meinung zu haben, wo alles darauf hinausgeht, ja nicht das Mißfallen seines Brotgebers zu erregen, wo ein jeder nur besorgt ist, sich ein behagliches Leben zu schaffen, in einer solchen Zeit finden die Menschen nur Ersatz in seichten Vergnügungen. zu Schaal,
der ein paar fertige
Stiefel
neben sich stehen
Doch was sehe ich, Sie waren ja recht fleißig! Er besieht
die
Stiefel.
Nun, sie sind gut ausgefallen.
30
hat.
SCHAAL:
Das freut mich, Meister, das ist auch ein Vergnügen, wenn man sich über das Werk seiner Hände freuen kann und es Anerkennung findet. KLAAR:
Da haben Sie wohl recht, aber wie lange wird es noch dauern und das bißchen Poesie ist der Arbeit genommen. SCHAAL:
Wie meinen Sie das? Gute Schuhe wird man doch immer brauchen! KLAAR:
Schon wahr! Aber keine guten Schuhmacher oder nur sehr wenige! SCHAAL :
Nun, wenn die Menschen nicht barfuß gehen wollen, müssen doch auch die Schuhe gemacht werden. KLAAR:
Das wird auch geschehen, aber mit unserer heutigen Herstellungsweise geht es zu Ende. Künftig heißt es Maschine und Fabrik, wir wandern in die Fabrik oder werden Schuhflicker. Auf andere Weise uns zu helfen, sind wir leider noch zu wenig entwickelt. SCHAAL:
Na, mir ist es gleich, wo ich arbeite, wenn ich nur Geld verdiene. MUTH:
Das kann ich nun nicht sagen, mir zieht es das Herz zusammen, wenn ich daran denke, daß unsere Werkstätten, unsere Arbeitsweise eine andere werden soll, es erweckt 5
Schroder
31
immer noch eine stille Freude, wenn ich an meine Lehrjahre zurückdenke. SCHAAL:
Da danke ich schön! In der Erinnerung finde ich gerade keine Freude, am wenigsten an die Lehrjahre. MUTH:
Will ich dir gern glauben, aber in meiner Dorfwerkstatt war das anders. Die war gleichsam ein Organ für das öffentliche Leben, da konnte nichts im Dorfe vorgehen, was nicht an langen Winterabenden in unserer Werkstatt besprochen wurde, mancher Klatsch lief mit unter, aber auch manches anregende Wort ward gesprochen, wohl auch mancher lose Scherz ausgeheckt. KLAAR:
Lassen Sie sich's nicht so sehr zu Herzen gehen, es ist nun einmal die notwendige Entwicklung, vorläufig müssen wir darunter leiden; wir werden aber weniger leiden, je leichter wir uns in dem neuen Gang der Dinge zurechtfinden und ihn für uns nützlich zu machen suchen. MUTH:
Ich sehe nur noch nicht recht, wie das geschehen könnte! KLAAR:
Meister und Gesellen müssen zueinander stehen, was uns bedroht, ist allen gemeinschaftlich! J a nicht einmal unser Gewerk ist es allein, überall tritt ein Umschwung in der Herstellungsweise wie in dem Vertrieb der Waren ein. Das Kleingewerbe geht mit wenigen Ausnahmen dem Ruin entgegen, darum sollten alle treu zueinander stehen, die von dem Ertrage ihrer Hände Arbeit leben müssen.
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SCHAAL: Nun, den Ruin des kleinen Gewerbes werden die Innungen zu verhüten wissen. Klaar: In ihrer jetzigen Verfassung gewiß nicht, die alten Formen passen nicht auf neue Verhältnisse. Schaal : Vielleicht doch, wenn sie mehr Macht bekämen, wenn sie z. B. die Lehrlinge etwas mehr beaufsichtigen würden, daß die nicht in allerlei Neuerungen erzogen würden. Muth: Aha, da willst du hinaus, konnte es mir schon denken! Klaar: Was soll es, Sie sind doch wohl nicht der Ansicht, daß die jungen Leute zu viel lernen? Schaal: Nun doch! Ich kann offen sein, es gefällt mir gar nicht, Meister, daß Sie den Max in den Arbeiterverein schicken! Klaar: Das glaube ich Ihnen gern, Sie geben sich ja auch nicht allzuviel Mühe, um Ihr Wissen zu erweitern, aber das sollten Sie sich merken: wollen wir jemals bessere Zustände erlangen, kann es nur geschehen, wenn wir unsere Verhältnisse erkennen, wenn wir darauf bedacht sind, unsere Bildung zu erweitern; dazu, daß wir uns auch Macht erringen, gehört, daß wir uns einmütig zusammenschließen. Haben wir das erkannt, dann wird eine Innung erstehen, die uns neue Verhältnisse herbeiführen wird, es ist die Innung der Arbeit. Freilich, Ausdauer und Mut darf nicht fehlen. 5»
33
Während der letzten Worte hat man wiederholt leises, dann stärkeres Klingeln gehört. Klaar geht nach der Tür, um zu öffnen. Herein tritt Frau Spitzer. FRAU
SPITZER:
Guten Tag, Meister, aber das ist vortrefflich, daß ich Sie selber treffe, wollte Sie einmal fragen, ob Sie mir die Schuhe wohl etwas herrichten könnten? KLAAR:
Warum nicht? FRAU
SPITZER:
Da ich nun einmal hier bin, möchte ich noch etwas fragen; war denn mein Mann gestern abend bei Ihnen? KLAAR:
Sie werden doch wissen, daß er im Arbeiterverein war! FRAU SPITZER
etwas
erregt:
Was! Wo, in dem Arbeiterverein? KLAAR:
Nun j a ! Was ist denn aber da so Entsetzliches dabei? FRAU
SPITZER:
Was da Entsetzliches dabei ist? mein Innerstes empört sich, wenn ich daran denke, daß mein Mann in einem solchen Verein war. Sie haben aber gewiß meinen Mann verleitet mitzugehen? KLAAR:
Da möchte ich aber doch bitten, sich etwas zu mäßigen, ich habe weder Ihren Mann verleitet, noch überredet; Ihr Mann kam aus freien Stücken und bat, ich möchte ihn dort einführen. Das werden Sie ihm ja wohl noch gestatten? Oder soll er erst einen Erlaubnisschein von Ihnen bringen?
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FRAU
SPITZER:
Was könnte ihn dazu bewogen haben, wenn er nicht überredet worden wäre. Er, der ruhigste Mann von der Welt, sollte aus eignem Antrieb in einen Verein gehen, von dem es doch im allgemeinen heißt stockt KLAAR:
Nun, Sie sind doch sonst nicht so schüchtern, heraus mit der Sprache! FRAU
SPITZER:
Daß nur Umstürzler dort verkehrten! KLAAR
lacht:
Die alte Geschichte! Nun, ich will Ihnen aber doch ein Licht aufstecken! Nur die Sorge um das Wohl seiner Familie war es, was ihn zum Besuch jenes Vereins veranlaßt h a t ! E r sagte, Ihre Kinder wären schon längere Zeit erkrankt. FRAU
SPITZER:
Das ist leider wahr, doch was hat dies mit dem Besuch des Arbeitervereins zu tun? KLAAR:
Nun er wollte sich in unserer Abteilung für Naturheilkunde Aufklärung über einiges verschaffen. FRAU
SPITZER:
Ich werde ihm die Aufklärung beibringen! Aber so machen es die Männer, statt uns in unserer schweren Aufgabe zu unterstützen, suchen sie immer nach einem Grunde, damit sie aus dem Hause fortkommen. KLAAR:
F r a u Spitzer, so sollten Sie von Ihrem Manne nicht sprechen!
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FRAU SPITZER:
Jawohl, nehmen Sie ihn nur noch in Schutz, aber die Männer sind alle überein. Was geht meinen Mann die Naturheilkunde an? Wir sind Mitglied der Ortskrankenkasse und können das alles ruhig dem Arzt überlassen. KLAAR:
Nun, es können aber doch Fälle eintreten, wo es wichtig ist, wenn man sich selber helfen kann! FRAU SPITZER:
Uns wird von allen Seiten geholfen, denn mein Mann ist auch noch Mitglied des Militärvereins, da brauchen wir doch Ihren Arbeiterverein nicht und Ihre Naturheilkunde kann uns gestohlen bleiben. Jetzt leben Sie wohl und unterstehen Sie sich noch einmal, meinen Mann zu verleiten, wenn Ihnen unsere Kundschaft lieb ist! sehr schnell ab K L A A R hat bis dahin die Schuhe er jetzt schnell
in der Hand behalten,
die
fortwirft:
Was soll man mit einer solchen unvernünftigen Frau anfangen ! SCHAAL:
Da haben Sie ein Urteil über Ihren Fels der Zukunft! KLAAR:
Was mich aber wenig abhalten wird, meine Wege zu gehen, wie ich sie für recht halte. MUTH:
Aber es ist doch überall dieselbe Geschichte: ehe den Menschen die Not nicht vorwärts treibt, will niemand sich mit einer neuen Idee befassen.
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Frau
Klaar
ist eingetreten, sich an ihren Mann
wendend:
Bist du schon wieder zurück? Was habt ihr denn mit der Frau Spitzer gehabt? Die kam ja wie eine Furie zur Tür hinausgeschossen, sie hat mich gar nicht gesehen. Klaar :
Eigentlich gar nichts! Sie kam, um mir Vorwürfe wegen der Verführung ihres Mannes zu machen. Frau
Klaar:
Du hast ihren Mann verführt? KLAAR mit den Achseln
zuckend:
Sie behauptet es, vielleicht hat sie nicht ganz unrecht. Frau
Klaar:
Wieso, du kommst doch wenig mit Spitzer zusammen? Klaar:
Ja, ja! aber das Beispiel ist eine gute Agitation, eine gute Idee bricht sich trotz aller Unterdrückung Bahn! Frau
Klaar:
Ich verstehe dich immer noch nicht! Klaar:
Ei bist du heute wieder einmal schwerfällig. Spitzer kam durch unser Beispiel auf den Gedanken, sich etwas mehr als er bisher getan um den Gesundheitszustand seiner Familie zu kümmern, er fand bald, daß die Bildung eines Familienvaters doch höchst mangelhaft ist, wenn er bei leichten Kinderkrankheiten sich nicht selber helfen kann, er faßte den Entschluß, diese Lücke seiner Bildung im Arbeiterverein auszufüllen, vielleicht hat er vorher seine Frau nicht darum gefragt.
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FRAU
KLAAR:
Wofür er seine Gründe gehabt haben mag; sie als ehemalige Direktrice hätte es gewiß nicht zugegeben, daß ihr Mann in Arbeitervereine ginge. MUTH:
E r tut es doch nur um das Wohl s e i n e r Familie. KLAAR:
Das wollen unsere lieben Frauen nun freilich nicht immer einsehen. FRAU
KLAAR:
Nun, du kannst dich doch nicht beklagen. KLAAR:
Gestehe es nur, hast auch schon manchmal geschmollt, daß es etwas spät war, wenn ich abends heim kam! FRAU
KLAAR:
Nun, wem sollte da die Geduld auch nicht ausgehen, wenn man bis spät in die Nacht allein sitzt oder gar arbeitet. Wenn ich auch manches von euern Besprechungen verstehe, das bleibt mir doch unbegreiflich, warum bei solch' vernünftigem Treiben immer die Nachtruhe geopfert werden muß. KLAAR:
Leider ist es wahr, was du da sagst, aber bedenke doch, wie die Verhältnisse nun einmal sind. Wir sind ja nur auf die späten Abendstunden angewiesen, wenn wir uns mit dem beschäftigen wollen, was doch so notwendig zu unserem Gedeihen ist, was uns doch eigentlich erst zum Menschen macht. Frau
KLAAR:
Schlimm genug, daß es so ist, aber wir Frauen haben am meisten unter diesen Verhältnissen zu leiden, da
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könnt ihr es uns gar nicht verargen, wenn wir einmal zanken. Wer kümmert sich denn um die geistige Nahrung der Frauen? Ihr wundert euch bloß, wenn wir eure hohen, erhabenen Gedanken nicht immer gleich begreifen. KLAAR:
Leider, leider sprichst du wie so oft die Wahrheit. Dennoch seid ihr Frauen im Haushalt noch besser daran als die vielen Tausende, die den Tag über in den Fabriken tätig sind und abends noch ihren Haushalt zu besorgen haben. Wollten nur unsere Volkswirtschaftler einmal einen Blick in diese Familienverhältnisse tun, sie würden es den Arbeitern gewiß nicht verdenken, wenn sie ihre Lage zu verbessern suchen; jene, die es nicht begreifen wollen, sollten verurteilt werden, eine Zeitlang unter ähnlichen Verhältnissen zu leben. MUTH:
Siehst du, Schaal, das wäre 'was für deine Autoritäten vom Tageblatt! KLAAR:
Nun, Abwechselung zwischen geistiger und körperlicher Tätigkeit ist für jeden Menschen von Vorteil. Sie bewahrt vor Einseitigkeit und macht das Urteil gesünder f FRAU
KLAAR:
Das hört sich alles ganz gut an, aber, wie ihr es jetzt treibt, kann es nicht fortgehen, da leidet ihr und eure Familie noch mehr darunter, da müßt ihr auf Abhilfe sinnen! KLAAR:
Die dürfte nicht so leicht sein! FRAU
KLAAR:
J a , das ist die Ausrede, wenn man nicht Lust hat, sich mit etwas ernsthaft zu beschäftigen! Im übrigen kam
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ich her, um dir mitzuteilen, daß ich die nötigen Einkäufe machen will. Möchte dich um etwas Geld bitten, hoffentlich war dein Weg nicht ganz vergeblich? KLAAR:
Hier hast du das Ganze, was ich besitze, den Herrn Direktor traf ich leider nicht an. Nun wird er schon kommen! FRAU KLAAR:
Jawohl, und ich muß wieder sehen wo ich bleibe, damit ich wenigstens des Notwendigste beschaffe, ab KLAAR:
Ja, meine Frau hat recht, wenn es nicht gelingt, eine vernünftige Arbeitszeit einzuführen, nützen unsere Bestrebungen nicht viel. MUTH:
Ja, Meister, aber vorhin sagten Sie doch, daß wir einen gefährlichen Konkurrenten an der Maschine erhielten, wie nun, wenn wir durch die Verkürzung der Arbeitszeit den Wert unserer Arbeitskraft noch verringern müssen, werden wir dann nicht noch früher unterliegen? SCHAAL:
Siehst du, nun .bist du auch einmal mit deinem Verstand zu Ende. Das ist dir schon recht, über so etwas zerbreche ich mir den Kopf nicht. Ich nehme alles wie es kommt und schlage mich ganz gut durch. KLAAR:
Wenn Sie das für einen denkenden Menschen würdig halten, ist darüber ja nicht zu streiten. Doch Muth, was meinen Sie, wer hat wohl die größten Interessen daran, daß es den Bewohnern eines Landes im allgemeinen gut geht. 40
MUTH:
Außer den Bewohnern des Landes selbstverständlich die Regierung! KLAAR:
Sehen Sie, da sich jede vernünftige Regierung nach den Wünschen der Landesbewohner richten wird, so kommen wir allmählich auf den richtigen Weg; doch was ist das, klopfte es nicht? Man hört draußen klopfen. Der Meister geht nach der um nachzusehen. Man hört Klaars Stimme.
Tür,
Was Vater, du! Bist du es wirklich, jetzt bei dieser Jahreszeit? Beide treten in das
Zimmer.
KLAAR:
Vater, wie in aller Welt kommst du auf den Gedanken, uns bei der jetzigen Jahreszeit zu besuchen? Auch kein Wort hast du davon geschrieben. Sie begrüßen sich
herzlich.
VATER K L A A R :
Hatte selbst vorgestern noch keine Ahnung, daß ich heute hier sein würde. Es wurde mir auch sehr schwer, hierherzukommen. Aber, es ging nicht mehr länger, ich konnte es nicht mehr ertragen. — Ich mußte Gewißheit haben! KLAAR:
Vater, was ist geschehen! Doch hoffentlich nichts Schlimmes? VATER KLAAR :
Schlimmes — — — ! Leider weiß ich nicht, wo das Schlimmste ist. Schon längere Zeit merkte ich, daß man sich im Dorfe etwas in die Ohren zischelte, wenn ich 41
vorüberging. Endlich am vergangenen Sonntag sollten wir es erfahren, was es war. Der neue Pastor hatte es in der Kirche zum Gegenstande seiner Predigt gemacht. D a erfuhren wir, um was es sich handelte. Alle Vettern und Basen stürmten nachmittags das Haus. Leider hat sich deine Mutter so erregt, daß es mir nicht gelingen wollte, sie zu beruhigen, ich habe sie in einem bedenklichen Zustande verlassen. Alle wollen Aufschluß von uns haben. Wir wußten doch selber nichts! Es war ein schrecklicher T a g ! Endlich kam mir der Gedanke, dich hier an dem Orte deiner Tätigkeit aufzusuchen, aus deinem Munde wollte ich hören, ob man die Wahrheit über dich sprach, schon dieser Gedanke beruhigte uns, so hoffe ich, meine Nachrichten werden auch deine Mutter gesund machen! KLAAR:
Vater verzeihe! Aber ich verstehe dich immer noch nicht. Was kann euch denn so mächtig aufregen? A b e r du wirst müde von der Reise sein, komm, laß uns in das Zimmer gehen, damit du deine Sachen ablegen kannst. VATER KLAAR:
Ich bin nicht müde! Heinrich, mein lieber Sohn, kannst du meinen Blick noch ertragen, kannst du mir noch offen in das Gesicht sehen. KLAAR:
Ja! aber Vater, was soll das alles? VATER
KLAAR:
D u kannst meinen Blick noch ruhig aushalten, es ist nicht wahr, ein schlechter Mensch bist du nicht geworden, was man auch sagen möge. Man hatte in unserm Dorfe die Nachricht verbreitet, du seiest an einer geheimen Verbindung beteiligt. Seiest ein Mensch geworden, der an nichts mehr glauben möchte, der nur. darauf sinne, wie Cr andern Menschen Schaden zufügen könne, der nichts arbeiten wolle, kurz, der zu jeder 42
Schlechtigkeit fähig wäre. Das hat wie gesagt unser Pastor in Bergstedt alles in seiner Predigt erörtert. Die Aufregung kannst du dir vorstellen, um so mehr als der fromme Herr den Wunsch daran geknüpft hat, der Blitz des Herrn möchte doch alle gleichgesinnten Männer vom Erdboden vertilgen. Ich konnte es nicht ertragen, dieses alles mit anzuhören, ich mußte Gewißheit haben, ich mußte aus deinem Munde hören, was wahr ist. Deshalb bin ich hier! KLAAR :
Das war das beste, was du unternehmen konntest! Armer Vater, selbst in dem 30 Meilen entfernten Ort mußt du für meine Ansichten leiden. Beruhige dich nur, komm leg' deine Sachen erst ab, dann sollst du hören, wie wir leben, was wir treiben, und du selber magst dann urteilen, was wahr, was recht ist. Ende der ersten
II.
Abteilung
ABTEILUNG
In Meister Klaars
Wohnstube. Einfaches
Zimmer.
Ein
Tisch
•mit einer weißen Decke belegt, steht inmitten des Zimmers; demselben stehen ein Teller mit Kuchen sowie Klaar, und
eine Anzahl Frau Klaar,
Tassen.
und eine
Um den Tisch
sitzen
Vater Klaar und zwei Kinder:
auf
Kaffeekanne Meister Lieschen
Walter.
FRAU K L A A R ZU den
Kindern:
Nun ist es genug, kommt, geht ein bißchen spazieren. LIESCHEN:
Bitte Mama, laß mich noch beim Großvater bleiben.
43
FRAU
KLAAR:
Lieschen, du weißt doch, artige Kinder folgen auch dann ihren Eltern, wenn es ihnen auch nicht leicht wird. Übrigens kommt ihr recht bald wieder, und Großvater bleibt noch länger hier. WALTER :
Nein, Großvater soll immer bei uns bleiben! VATER
KLAAR:
J a , Kinder, wenn ihr der Mutter folgt, komme ich recht bald wieder. KINDER beide
zugleich:
Nein, du mußt bei uns bleiben, Großvater! VATER
KLAAR:
Na geht nur, ihr Schelme. Ihr glaubt doch nur, es gebe alle Tage Kuchen, wenn ich hier bleibe. Die Kinder, beide noch mit einem Stück Kuchen ab, Frau Klaar hinterher
in der
Hand
KLAAR:
Siehst du, Vater, die Kinder haben sich schon an dich gewöhnt, kannst nur gleich hierbleiben. Bist ja auch alt genug, um deine Tage in Ruhe zu genießen. VATER
KLAAR:
Nein nein, so gern ich bei euch wäre, aber mein Leben hier in der Stadt zu beschließen, der Gedanke wäre mir schrecklich. — Ich ersticke fast schon, wenn ich an eure engen Straßen und hohen Häuser denke. Wenn man hier hinaussieht, nichts als Himmel und Dächer. Ich begreife wirklich nicht, was dich hier in der Stadt festgehalten hat, da lobe ich mir doch meine gesunde frische Luft auf dem Dorfe.
44
KLAAR:
Nun das Gefühl nach Unabhängigkeit, vielleicht der Trieb nach geistiger Anregung! Ich weiß es in diesem Augenblick selber nicht genau zu sagen! VATER KLAAR:
Du hast dich selber wohl betrogen, du hast doch schon gesagt, daß das, was ihr zu eurem Unterhalt gebraucht, deine Kräfte von früh bis in die Nacht anspannt. Nun ich meine, ein Mensch, der von früh bis spät für seinen Unterhalt sorgen muß, kann doch weder von Freiheit noch Unabhängigkeit reden! KLAAR:
So ziemlich muß ich dir wohl recht geben! Aber trotz meiner Anstrengung lebe ich dennoch hier freier als ich es in dem kleinen Orte gekonnt hätte! Vielleicht könnte ich bei meinem Fleiß dort sorgloser leben. Aber hat schon die Nachricht von meinen Anschauungen und meinem hiesigen Handeln Aufruhr hervorgerufen, was hätten die guten Bergstedter sagen sollen, wenn ich unter ihnen gelebt und meinen eigenen Weg gegangen wäre! Es ist mir übrigens unbegreiflich, wie alles dieses in euern von der Welt so abgeschlossenen Ort dringen konnte. VATER KLAAR:
Da irrst du nun freilich, wenn du meinst, unser Ort sei von der Welt abgeschlossen! Man hört, daß du lange nicht mehr aus der Stadt gekommen bist. Wo im Lande gibt es noch jetzt einen Ort, der nicht mit irgendwelchen Fäden mit der Stadt verknüpft wäre! Hier war es unseres Nachbars Sohn, derselbe war Unteroffizier. Ist jetzt wohl beim Polizeiamt beschäftigt. KLAAR:
So, so, ja dann wird mir die ganze Geschichte klar! Siehst du, Vater, das ist hier nun doch etwas ganz 45
anderes, wenn ich meine Arbeit pünktlich abliefere und sonst nicht gerade der Zufall mir irgendwelchen Streich spielt, lebe ich frei, denn hier hat jeder mit sich zu tun und kümmert sich nicht um das, was sein Nachbar treibt! Wie sollten wir es auch sonst bei unserem dicht nebeneinander wohnen aushalten. VATER K L A A R :
Als unser alter Pastor noch lebte, habe ich oft mit ihm über das Leben in der Großstadt gesprochen. Er interessierte sich ganz besonders für dich, er war der Meinung, daß manchen wohl nur die Vergnügungssucht hier zurückhielte. KLAAR:
Du lieber Himmel, da käme es doch erst darauf an, zu hören, was ihr eigentlich unter diesen Vergnügen versteht? VATER K L A A R :
Nun es gibt doch hier allerlei zu schauen, immer etwas Neues zu sehen, da sind Theater, Museen, Konzerte usw. KLAAR:
Dachte es mir doch! Ihr denkt, es geht alle Tage so, als wenn ihr einmal auf Besuch zu uns kommt! Da irrt ihr nun gewaltig, das Volk in seiner Mehrzahl hat weder Zeit noch Mittel, um diese sogenannten Vergnügungslokale aufzusuchen, es ist auch gut so, denn sie sind ja doch nur dazu gegründet, um das Geld aus den großen Massen zu ziehen! Nein, nein! da hat sich der gute Pastor wie so oft in seinem Leben geirrt! Es war sonst ein harmloser alter Herr! Ist er schon lange tot? VATER K L A A R :
Nun einige Jahre sind es schon. Übrigens ist es gut, daß er deinen Austritt aus der Kirche nicht mehr erlebt hat, denn er hatte dich sehr in sein Herz geschlossen. Hein-
46
rieh, wie konntest du aber auch den Glauben deiner Väter so leichtsinnig verlassen? War es denn durchaus notwendig? Klaar: Lieber Vater, leichtsinnig nennst du es! O ich habe Jahre lang gekämpft, bis ich endlich zu dem Entschluß kam, der allerdings notwendig war. Der notwendig war, wenn ich den festesten Grund, auf dem wir stehen, die Achtung vor mir selber nicht verlieren wollte, der notwendig war, wenn ich die Achtung meiner Kinder nicht verlieren wollte. Was sollte ich ihnen einst antworten, wenn sie mich fragen: Vater, wenn du alles jenes nur für Sagen hieltest, warum hast du es zur Grundlage unserer Erziehung gemacht, warum hast du nicht alles darangesetzt, um uns jene Kämpfe zu ersparen, die du doch schon längst durchgekämpft hattest? Und was sollte ich ihnen antworten? Ich war zu feige, weil ich mich vor den nicht absehbaren Folgen fürchtete? Was den Glauben unserer Väter betrifft, so ist der doch wohl etwas schwer festzustellen, er hat sich mit jeder Entwicklung verändert. Einst lebten hier die Germanen, sie verehrten ihre Götter in ihren Wäldern und Hainen, da kam das römische Christentum und vernichtete mit Schwert und Feuer diese alten Anschauungen, um sich an deren Stelle zu setzen, bis endlich der alte germanische Geist soweit wieder rege wurde, um die Reformation dieses entarteten Christentums in Deutschland zu erstreben; mit welchem Erfolge für die Volkswohlfahrt, will ich nicht entscheiden, die folgenden Kriege, die Scheiterhaufen zum Verbrennen der Hexen, welche Jahrhunderte lang im Deutschen Reiche loderten, geben uns ein schlimmes Zeichen! Nein, lieber Vater, ich halte es für einen großen Segen für die ganze Menschheit, daß wir endlich da angelangt sind, daß nicht mehr der Glaube, sondern die Handlung den Wert des Menschen ausmacht. Ja, es wäre auch schlimm um unsere ganze Kultur bestellt, wenn Glaubensgrundsätze, die nicht mit den Entdeckungen der Wissenschaft ir* Einklang zu bringen sind, maßgebend für unser ganzes 6
Schröder
47
gesellschaftliches Leben bleiben sollten. Nein, es ist Pflicht eines jeden ehrlichen Mannes, daß er aus einer Gemeinschaft scheidet, der er nicht ganzer Überzeugung angehört. Ich habe gehandelt, Vater, wie ich mußte! VATER
KLAAR:
Verstehen kann ich nicht alles, was du eben gesagt hast, aber mir scheint es doch, als wenn du recht gehandelt hättest, wie du gehandelt hast! Man hört an der Tür
klopfen.
KLAAR:
Herein nur! Immer herein! Student Roth tritt ein. KLAAR:
Ah! Sie sind es, Herr Roth, aber das ist gut, daß Sie kommen, da können Sie gleich meinen Vater kennenlernen! Guten Tag, Herr Roth! ROTH:
Guten Tag, lieber Meister! Ich habe soeben schon in der Werkstatt drüben von der Ankunft Ihres Herrn Vaters gehört und komme, um ihn zu begrüßen, im übrigen möchte ich nicht stören! KLAAR:
Sie stören durchaus nicht! Lieber Vater, das ist Herr Student Roth, unser Hausfreund! — Nun, eine Tasse Kaffee trinken Sie doch? ROTH:
Sie sind wie immer sehr liebenswürdig, natürlich werde ich das Ihnen nicht abschlagen. Aber, Herr Klaar, gestatten Sie mir, daß ich dem Vater unsres trefflichen Meisters die Hand drücke. reicht Vater Klaar die Hand
48
Vater Klaar: Also Sie sind der Freund meines Sohnes, da haben Sie ihn auch wohl gern?
Roth: Na ob, er ist ja ein sehr vortrefflicher Kerl!
Klaar: Na, na! übertreiben Sie es nur nicht, wir platzen doch mit unseren Gegensätzen oft stark genug aufeinander.
Roth: Nun das tut doch der Freundschaft keinen Abbruch, im Gegenteil ist das gerade ein besonderer Reiz, wenn man nicht immer einer Meinung ist. Durch gegenseitiges Aussprechen hat man immer Stoff zur Unterhaltung, man kommt nie in die Lage, sich langweilig zu werden!
Vater Klaar: Da haben Sie recht! — Das ist peinlich, wenn die Menschen sich langweilen und nicht wissen, wovon Sie reden sollen. Aber so was kommt doch in einer großen Stadt kaum vor?
Klaar: Vater, du siehst das Leben bei uns in der Stadt von einer ganz eigentümlichen Seite an. Es gibt genau so viel langweilige Menschen im Verhältnis wie bei euch! Genau soviel Menschen, die sich für nichts interessieren, als wenn es sich um Geld verdienen handelt. Mit etwas andrem zu befassen halten sie für Unsinn, zum Beispiel überall kann man hier oder da Äußerungen des Mißfallens über unsere jetzige Erziehung der Kinder hören, aber sich weiter damit zu befassen, fällt gar niemandem ein. Man denkt, das mögen die besorgen, die dafür bezahlt werden!
6*
49
ROTH:
Woran man auch sehr recht tut, unsere Zeit hat andre Aufgaben, als sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen. KLAAR:
Was, Kleinigkeiten nennen Sie die Erziehung der Kinder? Ich dächte doch, eine vernünftige Erziehung wäre die beste Grundlage eines vernünftigen Staatswesens? ROTH:
Was aber mich nicht hindert, sie als Kleinigkeiten zu betrachten. Was nützt es Ihnen, wenn Sie Ihre Kinder noch so vernünftig erziehen, solange das jetzige System besteht? Was nützt es Ihnen, sich für die sogenannte vernünftige Erziehung abzumühen? Andern sich die Verhältnisse, ändert sich das andre mit und wenn nicht, nun dann fallen eben Ihre Kinder unsern ungesunden Verhältnissen um so leichter zur Beute, je vernünftiger Sie dieselben erzogen haben! Das ist ja schon ein altes abgedroschenes Beispiel in der Naturwissenschaft: jedes besonders gefärbte Wesen wird den Raubtieren am leichtesten zur Beute fallen, je auffallender es sich von den andern unterscheidet. KLAAR:
Na, nun hören Sie mir aber auf, die menschlichen Verhältnisse sind doch keine Raubtiere. ROTH:
Nun, allzuweit sind sie manchmal nicht davon. Wie anders wollen sie es nennen, wenn wir mit ganzem Scharfsinn darauf bedacht sind, wie wir unsern Nebenmenschen irgend welchen Vorteil abzujagen suchen? Freilich heute nennt man es Geschäft, Verdienen! Gegen derartige Grundsätze hilft nun absolut keine Erziehung! Da kann man eben nichts tun, als mitmachen ! 50
VATER
KLAAR:
Das sind ja aber furchtbare Zustände! KLAAR:
Freilich sind diese Zustände schlimm, aber gar nicht ein, warum man mitmachen soll? mit aller Kraft an der Verbesserung arbeiten, nur geschehen, wenn wir dafür sorgen, daß schen vernünftig werden.
ich sehe Man soll das kann die Men-
ROTH:
Und Sie mitsamt Ihren Zukunftsmenschen zu Grunde gehen! Was wollen Sie anfangen, von früh bis in die Nacht sich abrackern, wofür Sie kaum Ihren täglichen Unterhalt erwerben. Nein! heute muß man sehen, wie man schnell reich wird, nur mit Geld kann man heute etwas erreichen. Alles andere können wir der Zukunft ruhig überlassen! KLAAR:
Nun gut! Wir sind ja beide noch jung, freilich einige Jahre bin ich älter als Sie. Nun, das macht ja aber nichts. Ziehen wir beide unsere Straße, vielleicht begegnen wir uns wieder, wir wollen ja dann sehen, wer unserem gemeinsamen Ziele am nächsten kam! VATER:
H m ! — Was versteht Ihr denn unter gemeinsamem Ziel? KLAAR:
Nun das Glück der gesamten Menschheit! Doch nein! das klingt zu phrasenhaft, sagen wir den ungestörten Genuß des menschlichen Lebens, das heißt einen Genuß, der nur auf Pflichten und Rechten basiert. Habe ich alle meine Pflichten in der Gesellschaft erfüllt, so sollen mir auch die Garantien auf auskömmliche Nahrung und Freiheit meiner Bewegung gewährt werden. Dieses 51
ist das gemeinsame Ziel, was wir auf verschiedenen Wegen zu erreichen hoffen. Frau
Klaar
ist während
der letzten Worte in das Zimmer
ge~
treten. VATER KLAAR:
Du lieber Himmel!!! Heinrich, was bist du für ein Schwärmer geworden; das hofft ihr jemals zu erreichen? Na das dürfte doch vergebliches Mühen sein! FRAU KLAAR:
Nicht wahr, Vater, das sagst auch du! Ja, wenn ich es sage, dann heißt es immer, was versteht ihr Frauen davon. ROTH:
Ach, da ist ja auch unsre liebe Wirtin begrüßt
dieselbe
Nun kann ich mir aber heute gratulieren, Sie haben einen trefflichen Bundesgenossen an Ihrem Herrn Schwiegervater! FRAU KLAAR:
Das würde Sie natürlich wieder recht freuen, wenn Sie Ihren Scharfsinn an mir üben könnten; aber leider muß ich heute bedauern, ich verspüre nicht die mindeste Lust, meine Lunge unnütz bei Ihnen anzustrengen. Sie werden schon noch oft an das denken, was ich Ihnen schon gesagt habe, wenn Sie einmal verheiratet sind! ROTH:
Na für so dumm halten Sie mich doch wohl nicht, unter heutigen Verhältnissen zu heiraten, ich bin froh, wenn ich meine werte Persönlichkeit durchs Leben schleppe.
52
KLAAR:
Aber bester Freund, wer wird denn so etwas sagen, das heißt ja seinen ganzen natürlichen Beruf verleugnen, für wen wollen wir denn auch eine bessere Zukunft erstreben, wenn es nicht für unsere Nachkommen ist? ROTH:
Seien Sie unbesorgt, lieber Meister, das liebe Menschengeschlecht wird nicht gleich aussterben, wenn auch einige Menschen zur Eheenthaltung verurteilt sind! FRAU
KLAAR:
Was Sie da nicht sagen, wer hat Ihnen Ärmster denn Ihr Urteil gesprochen, doch wohl nur Ihre eigene Einbildung, verzeihen Sie das harte Wort, Ihre eigene Feigheit! ROTH:
Frau Klaar, Sie werden wohl wieder anzüglich, Sie kennen die Verhältnisse zu wenig, um sie beurteilen zu können. FRAU
KLAAR:
Die Verhältnisse brauche ich weder zu kennen noch zu beurteilen, obwohl ich mir gerade in Ihrem Falle ein wenig Urteil zutrauen würde. Das weiß ich aber, wenn die Verhältnisse gesund werden sollen, jeder gesunde Mann auch heiraten muß! ROTH:
Da haben wir es, wenn man mit den Frauen auf das Kapitel der Heirat eingeht, dann ist alle Vernunft zum Teufel. Nein, unsre Verhältnisse erlauben eben das Heiraten nicht. Es wäre Wahnsinn, wollte ich an so etwas denken!
53
KLAAR:
Na übertreiben Sie nur nicht wieder gar zu stark! Wir sollen uns eben nicht fürchten, den Kampf selbst mit widerwärtigen Verhältnissen aufzunehmen. Mir scheint aber für das, was man nicht gern eingestehen will, da sind dann die Verhältnisse gut! Doch was ist das? Man
hört
Weinen Frau
draußen
und Klaar
schweigen
die
starkes
Rufe:
verläßt
und horchen
schnell
Kind, das
nachdenklich
Frau
zurück.
dazwischen mein
Zimmer.
nach der Tür.
sich, schreitet Klaar
Klopfen,
„Mein
Meister
durch das Zimmer,
heftiges
armes
Kind!"
Die
Männer
Klaar
erhebt
endlich
kehrt
FRAU K L A A R :
Es war Frau Spitzer, der Zustand ihres Kindes ist gefährlich geworden. Sie hat schon überall nach dem Arzt geschickt, leider ist derselbe nirgends anzutreffen, sie läßt dich bitten, ob du ihr nicht in der Not beistehen wolltest ? KLAAR :
Ich soll ihr helfen! — Heute Morgen hat sie erst noch erklärt, wie schon von allen Seiten für sie gesorgt sei, und wie geringschätzend sie auf unsere ganze Bestrebung herabsähe. Wie sie auch nicht nötig hätte, für ihre eigne Gesundheit zu sorgen, und nachmittags muß sie sich schon nach fremder Hilfe umsehen. Wann endlich werden denn die Menschen einsehen, daß jeder sich selbst sein bester Arzt sein kann! ROTH :
Niemals, mein guter Freund! So gut wir nicht lernen, unsere eignen Schuhe zu machen. Das wird stets Aufgabe der Wissenschaft sein, dafür zu sorgen, daß die Menschen Hilfe in der Not finden. KLAAR:
Leider habe ich jetzt nicht Zeit zu langen Auseinandersetzungen. Aber die Not im Volke ist oft dagewesen,
54
und die medizinische Wissenschaft hat uns schmählich im Stich gelassen, wenn sie nicht mit ihren zopfigen Ansichten das Übel verschlimmert hat. Denken Sie an die Cholera! Oder auch nur an die uns kaum verlassende Influenza! Doch ich halte mich auf! FRAU
KLAAR:
Gehe, lieber Mann. Hilf der Frau Spitzer. KLAAR :
Ja doch, ich bin ja schon auf dem Wege! Also Herr Roth, wir sehen uns nachher wohl noch einmal? ROTH:
Muß sehr bedauern, kann mich aber nicht mehr länger aufhalten. Habe viel zu tun, hatte es im Laufe des Gesprächs ganz vergessen, Ihnen mitzuteilen, daß günstige Nachrichten von Kalifornien eingetroffen sind. Die Reise wird in den nächsten Tagen fortgehen. Also leben Sie wohl! KLAAR:
Also doch! Nun, hoffentlich sehen wir uns noch einmal. Leben Sie einstweilen wohl, ab ROTH:
Jetzt will auch ich nicht mehr länger stören, auch Sie, Herr Klaar, werden von der Reise angestrengt sein und froh sein, wenn etwas Ruhe eintritt. VATER KLAAR:
Nun, tun Sie sich meinetwegen keinen Zwang an. Eigentlich kam ich ja, um mich über die hiesigen Verhältnisse aufzuklären. Da kann es mir nur lieb sein, wenn ich so manches höre! Das ist mir ja schon klar geworden, an zu großer Ruhe leidet ihr hier nicht! Etwas mehr dürfte für eure Nerven besser sein.
55
FRAU
KLAAR:
Nun, lieber Vater, das wird man mit der Zeit gewöhnt. Dieses Rollen und Stampfen, was dir da unten von der Straße fortwährend in den Kopf dröhnt, wir hören es nicht mehr! ROTH:
Ach, liebe Frau Meisterin, ich muß scheiden. FRAU
KLAAR:
Nun, so eilig! ROTH:
J a ! ich habe zu tun, daß ich meine Sachen ordne! Also leben Sie für heute wohl. reicht ihr die Hand
Auch Sie, lieber Herr Klaar, leben Sie recht wohl, im Falle daß wir uns nicht mehr sehen, ehe Sie von hier fortgehen, nehmen Sie das Bewußtsein mit in Ihre Heimat, daß Sie in dieser Stadt einen Sohn hinterlassen, der von jedem, der ihn kennt, geachtet wird als ein Mann, der es versucht, seinen Pflichten als Mensch in jeder Weise gerecht zu werden und sollte er selbst dabei zugrunde gehen. Reisen Sie glücklich und bleiben Sie noch recht lange, lange gesund, ab VATER KLAAR nach einer
Pause:
Das ist ja ein ganz eigentümlicher Mensch, verkehrt der schon lange in eurer Familie? FRAU
KLAAR:
Nun ein Jahr, es kann auch wohl noch etwas länger sein, mein Mann lernte ihn im Arbeiterverein kennen. Er ist ein sehr guter Mensch, aber er ist etwas zerfahren, er ist mit sich und der Welt nicht recht einig. Bis vor kurzem war er mit einem jungen hübschen Mädchen verlobt. Diese Verlobung ist plötzlich aufgehoben 56
worden, das hat ihn aus Rand und Band gebracht. Man sollte es kaum für möglich halten, wie die Liebe in die Geschicke manches Mannes eingreift. Na, vielleicht bringt ihm die Reise Heilung, uns sollte es recht sein. Wir haben ihn ganz gern! VATER
KLAAR:
Ich begreife dich nicht, hebe Tochter, wie du in allen diesen Verhältnissen, ich möchte fast sagen, aufgehn kannst. Wo hast du eigentlich meinen Sohn kennengelernt? FRAU
KLAAR:
Es war bei einem Feste des Arbeitervereins! VATER
KLAAR:
Nun, warst du gleich mit seinen Ideen einverstanden? FRAU
KLAAR:
Das könnte ich nicht gerade sagen, aber es hat mir gefallen, daß mein Mann sich alle Mühe gab, mich über das, was ich nicht verstand, aufzuklären. Wenn ihm ein Gegenstand selber nicht ganz klar war, suchte er sich erst Klarheit zu verschaffen, ehe er urteilte, ich habe mich auch eifrig bemüht, ihn verstehen zu lernen. VATER
KLAAR:
Dann ist eure Ehe wohl auch immer eine recht glückliche gewesen? FRAU KLAAR
zögernd:
Im Ganzen — ja! VATER
KLAAR:
Nun, das klingt eigentlich nicht recht überzeugt!
57
FRAU
KLAAR:
J a , Vater, was heißt glücklich sein? Nennst du es glücklich, wenn Sorgen und Not fern bleiben? Nun, wir haben täglich um unser Dasein zu kämpfen. Nennst du es Glück, wenn Mann und Frau immer eines Gedankens sind? O, bei uns hat es an Gegensätzen nie gefehlt. Wenn du es Glück nennst, wenn Gesundheit in der Familie herrscht, dann freilich sind wir glücklich, denn Krankheit ist uns bis heute fern geblieben. VATER
KLAAR:
Allerdings ist die Gesundheit die Grundlage allen Glückes. Wenn vorhandene Gegensätze sich bald ausgleichen, so ist das auch ein gutes Zeichen, ihr scheint ja doch mit euren Hauptansichten immer zusammengekommen zu sein. Ich muß dich bewundern, daß du mit meinem Sohne den Schritt gewagt hast, aus der Kirche auszuscheiden. In diesem Falle sind die Frauen doch immer etwas bedenklicher als die Männer. FRAU
KLAAR:
Das mag im allgemeinen zutreffen. Doch würde manche Frau auch leichter begreifen, wenn es die Herren der Schöpfung nur der Mühe wert hielten, uns auch Aufklärung zu verschaffen; vor der Hochzeit halten sie es nicht der Mühe wert. Nach der Hochzeit, j a wenn es nur da für uns arme Frauen überhaupt noch Zeit gäbe, sich mit anderen als den täglichen Fragen zu beschäftige. Wir waren uns vor der Hochzeit über diesen Punkt vollständig im klaren. Mein Mann sagte, ich will zu der Eheschließung noch mit in die Kirche kommen, wenn du es der Verwandten wegen wünschest, dann aber sind wir mit der Kirche fertig. So war ich mit meinem Manne bald einig. Freilich, als die Kinder kamen, machten sie uns einige Sorgen. VATER
KLAAR:
Nun, wieso, wenn ihr einig wäret, wo kamen die Sorgen her?
58
FRAU
KLAAR:
Es trat an uns die Frage heran: sollen wir unsere Kinder wieder in der alten Anschauung unterrichten lassen? Als Dissidenten blieb uns nach den Landesgesetzen keine andere Wahl, denn jedes Kind muß in einer vom Staate anerkannten Religion erzogen werden. Da lernten wir durch Zufall den Prediger der freien Gemeinde kennen, einen lieben alten Herrn. Diesem trugen wir unseren Fall vor, der meinte, wenn wir aller weiteren Scherereien überhoben sein wollten, sollten wir Mitglieder seiner Gemeinde werden, dann würden wir sicher sein, daß unseren Kindern in Religionssachen nichts gelehrt würde, was nicht mit der menschlichen Vernunft in Einklang zu bringen sei. Das war für uns ausschlaggebend, und wir haben es bis jetzt nicht bereut. Jener Prediger war bis an sein Lebensende bemüht, die herrlichsten Grundsätze in seiner Gemeinde zu verbreiten. Wenn sie nicht immer den richtigen Boden gefunden haben, an ihm lag es wahrhaftig nicht. Aber hier ist es wie immer im Leben, wohl könnte eine solche Gemeinschaft von gleichgesinnten Leuten unendlichen Segen stiften, wollten sie sich nur fest zusammenschließen. Doch, lieber Vater, ich ermüde dich mit meinen langen Ausführungen wohl? VATER K L A A R :
Nein, durchaus nicht! Es war mir im Gegenteil wirklich ein wohltuendes Gefühl, dieses alles aus deinem Munde zu hören, denn bis jetzt hatte ich noch nicht die volle Überzeugung, daß ihr beide, du und dein Mann, in eurer Grundanschauung so eins seid. J a , ich kann es wohl bekennen, ich kam mit dem Wunsche her, euch vielleicht noch umzustimmen. Aber nachdem ich dieses alles von dir gehört habe, würde ich es für eine Sünde halten, irgendwelchen Versuch in dieser Richtung zu machen, ich kann jetzt ruhig in meine Heimat zurückkehren, wenn ich auch nicht überschauen kann, was aus euch noch werden wird, so habe ich doch das Gefühl, daß, wo Mann und Frau so im Einverständnis leben, werden sie auch Not und Trübsal zu ertragen wissen. Ende
der zweiten
Abteilung
59
III. A B T E I L U N G Werkstube ausgestattet wie in der ersten
Abteilung
MAX:
Bitte, treten Sie nur herein, Herr Direktor! Ich werde den Meister gleich holen, ab DIREKTOR D r . ANGST
eintretend:
Ich wollte mich nicht aufhalten, ich komme schon ein andermal wieder! Empfehlen Sie mich Ihrem Meister! Er schaut sich um und sieht, daß der Bursche
fort
ist.
Ja, wo ist denn der Bursche? Nun da muß ich doch etwas warten. Er tritt etwas näher an den
Arbeitstisch.
Guten Tag, meine Herren! Nun, so fleißig am Werk! Beide Gesellen
zugleich:
Guten Tag! MUTH steht von seinem Sitz auf um für den Direktor Stuhl zu
einen
holen:
Bitte, wollen Sie nicht ein wenig Platz nehmen. Der Meister wird gleich kommen. DIREKTOR:
Es war eigentlich nicht meine Absicht, hier länger zu verweilen, nun der Bursche aber schon den Meister holt, denke ich, wird es ja nicht lange dauern. Ich danke Ihnen, und bitte lassen Sie sich nicht stören. Muth
verneigt sich und begibt sich auf seinen
DIREKTOR läßt seine Augen
durch das Zimmer
Er entdeckt den Tisch mit Büchern
und
Platz schweifen.
Zeitungen:
Was der Tausend, Sie haben gar Bücher und Zeitschriften hier, ich denke, für derartige Sachen mangelt in diesem Räume die Zeit. 60
MUTH:
Die ist auch immer sehr knapp bemessen, Herr Direktor, aber beim Frühstück und in der Mittagsstunde wirft man gern einmal einen Blick hinein. DIREKTOR die Bücher
besehend:
Das sind ja aber auch höchst interessante Werke. Eine populäre Geschichte der Entwicklung der Erde, der deutsche Bauernkrieg, die französische Revolution, gar auch noch eine Kulturgeschichte. Ach! was ist das, ein Bericht über den hiesigen Arbeiterverein! Gestatten Sie, daß ich einen Blick hineinwerfe. MUTH:
Bitte, recht gern, es ist freilich nicht mein Eigentum. Aber den Meister wird es auch freuen, wenn Sie unseren Verein kennenlernen. Er beklagt sich so oft, daß die Herren Gelehrten so wenig Notiz von unseren Bestrebungen nehmen. DIREKTOR mit dem Bericht
beschäftigt:
Was, wird das wirklich in Ihrem Verein getrieben? MUTH:
Wie Sie sehen, Herr Direktor, ist der Bericht von diesem Jahre. DIREKTOR :
Das ist ja wirklich großartig, hm! Wer leitet denn Ihren Verein? MUTH:
Der Verein besteht aus Arbeitern, und Arbeiter sind es auch, die an der Spitze des Vereins stehen. DIREKTOR:
Aber Sie haben doch gewiß auch einen Vorsitzenden, wer ist denn das?
61
M U T H etwas
zögernd:
Unser Meister. DIREKTOR:
Was, Meister Klaar steht an der Spitze des Arbeitervereins? Wie lange nimmt er denn diese Stellung schon ein? MUTH:
Das mögen schon eine ganze Reihe von Jahren sein. DIREKTOR:
Aber bei seiner angestrengten Berufstätigkeit ist es doch kaum möglich, daß er dem Verein viel Zeit widmen kann. Da hat er wohl noch viel tüchtige Kräfte zur Seite? MUTH:
Nun, wenn ein Jeder immer seine Schuldigkeit tut, läßt sich durch vieler Hände schon manches erreichen. DIREKTOR:
Sie sagen, es seien lauter Leute aus dem Arbeiterstande, die also von dem Ertrag ihrer Arbeit leben. MUTH:
Freilich, leider! DIREKTOR:
Sie werden doch gewiß gut für Ihre Zeit und Mühe entschädigt. MUTH:
Wollten wir darauf bauen, wären wir schlecht bestellt. Für das allgemeine Wohl tritt in Arbeiterkreisen jeder gern ein. 62
DIREKTOR :
Das ist ja ein wunderbarer Geist, der dort herrscht! Wie mir scheint, leisten Sie auch wirklich viel! Wieviel Mitglieder zählen Sie denn? MUTH:
Die Mitgliederzahl ist nicht allzu stark, sie müßte bei der großen Arbeiterzahl am hiesigen Orte mindestens noch einmal so stark sein. J a , was die Leistungen des Vereins anbetrifft, die könnten noch ganz andere sein. DIREKTOR:
Nun woran liegt es denn? MUTH:
Nun weil wir eben ein Arbeiterverein sind. Überall steht man uns nicht nur mißtrauisch gegenüber, nein, man sucht auch unsere Unternehmungen zu hintertreiben, wo es nur irgend geht. Ein Saal, wie wir zu unseren Veranstaltungen brauchen, um wirklich zu zeigen, was ein Arbeiterverein in hiesiger Stadt leisten kann, ist schon seit Jahren nicht mehr aufzutreiben. J a und die Herren Gelehrten, so sehr sie beteuern, daß sie unserm Verein sympathisch gegenüberstehen, zu einem Vortrag ist nur selten ein Herr bereit, so gern wir ihre Mühe entschädigen wollen. J a , wenn große Ehren bei uns einzuheimsen wären, dann wäre es vielleicht eher möglich, daß die Herren zu haben wären! DIREKTOR :
Lieber Mann, Sie sehen die Sache von Ihrer Seite vielleicht auch viel zu schwarz an. Doch Ihr Meister läßt lange auf sich warten. Ich werde jetzt gehen. Ade! ab SCHAAL:
So da hast du dem Meister eine schöne Suppe eingebrockt, glaubst du, der Herr Direktor wird noch bei einem Vorsitzenden des Arbeitervereins arbeiten lassen? 7
Schröder
63
MUTH:
Das kann ich vorläufig nicht entscheiden, läßt mich auch ziemlich gleichgültig, ich habe gehandelt, wie der Meister es auch nicht anders gekonnt hätte — er es wahrscheinlich auch nicht getan haben würde. SCHAAL:
Das ist ja aber gerade, was ich schon immer gesagt habe, eure ganze Tätigkeit bringt euch keinen Nutzen. Du wirst das auch schon noch einsehen lernen! Wenn der Meister jetzt die Kundschaft des Direktors einbüßt, wird er es schwer empfinden. MUTH :
Na, wir wollen uns den Kopf des Meisters wegen nicht zerbrechen. Im übrigen glaube mir sicher, der Meister könnte seine Einnahme wesentlich verstärken, wenn er nicht seine Grundsätze so sehr in das Leben zu übertragen suchte. Was seine Vereinstätigkeit anbetrifft, so glaube ich, daß sie gerade es ist, die ihm seine Berufstätigkeit unangenehm macht, was auch gar nicht anders sein kann, wie sollte denn ein solcher Mann mit solchem regen Geist seine volle Befriedigung in dem Zusammenbauen von Schuhen und Stiefeln finden? SCHAAL:
Das mag nun sein, wie es will, das kann ich nicht alles verstehen, aber das begreife ich, wenn man Geld verdienen will, darf man sich in eure Bestrebungen nicht allzusehr vertiefen. MUTH:
Da hast du ein wahres Wort gesagt, wer sein Glück im Erwerb findet, der wird sich in unserem Verein nicht recht wohl fühlen. Doch jetzt höre ich den Meister kommen. 64
M e i s t e r
K l a a r
sich in der Werkstatt
umsehend:
Nun, der Max sagte doch, der Herr Direktor wartete! Ich bin wohl zu lange geblieben, hat er etwas hinterlassen ? M u t h :
Nein, nachdem er ganz kurze Zeit verweilt, hat er plötzlich mit einem kurzen Gruß das Zimmer verlassen. K L A A R
Muth scharf
ansehend:
Ach, Sie hatten wohl ein Gespräch mit ihm? M u t h :
J a ! Der Herr Direktor hatte kaum die Bücher dort auf dem Tische gesehen, als er auch schon näher trat und alles in Augenschein nahm. Da fiel ihm auch der Jahresbericht in die Hände. K l a a r :
So, so, na das kann ja hübsch werden! Nun weiter! M u t h :
Natürlich hat er sich nach diesem und jenem erkundigt, ich habe ihm meine Meinung gesagt, das schien ihm zuletzt nicht mehr zu gefallen, denn er ging sehr schnell. K l a a r :
Das wundert mich sehr von dem Herrn Direktor, sonst hat er es gern, wenn man mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge hält. Na es kann ja sein, daß Sie ihn etwas verletzt haben. Wir werden ja sehen, was es weiter wird. Wie weit sind Sie denn mit der Arbeit, möchten heute Abend nicht gar zu lange arbeiten! Es ist mal heute wieder ein recht merkwürdiger Tag, oft verstreichen Wochen, ohne daß eine Abweichung vom täglichen Leben vorkommt, dann türmt sich alles zu7*
65
sammen und die Ereignisse stürzen nur so auf uns herein, als wollten sie uns erdrücken. Heute bin ich fast noch gar nicht zur Arbeit gekommen. Während
Klaar
etwas
am
Tische
ordnet,
tritt Frau
Klaar
herein. FRAU KLAAR:
Nun, Heinrich, bist du wieder zurück, es war mir doch, als wenn ich dich reden hörte. Wie ist es denn abgelaufen ? KLAAR:
Es war wirklich die höchste Zeit, daß ich dazu kam, der arme Kerl hätte es nicht mehr lange gemacht! FRAU K L A A R :
So, war es wirklich so schlimm? KLAAR:
Freilich war es schlimm, aber nur durch die Unkenntnis der Mutter. Statt wie es sich bei einem Fieberkranken gehört, die Fenster zu lüften, war alles dicht geschlossen. Die Frau Spitzer hatte eine Höllenglut in dem Ofen, das Kind auch noch mit mehreren Decken zugedeckt, da wundern sich die Leute, wenn ihren Kindern etwas Schlimmes passiert. Als ich die Fenster gelüftet, die überflüssigen Betten entfernt und das Kind ordentlich abgewaschen hatte, auch den Durst gestillt, fiel es bald in einen starken Schlaf, der wird schon wohltuend wirken. Ich will später noch einmal nachsehen. Was macht denn der Vater? FRAU KLAAR:
Der wird ein wenig ruhen, ich habe ihn vorhin allein gelassen, nachdem wir uns noch einmal ordentlich ausgesprochen hatten. Er war recht müde geworden. Was werden wir denn nur heute Abend machen, wir können dem alten Mann doch unmöglich zumuten, mit uns zu kommen.
66
KLAAR:
Nun werden wir ja sehen, ich denke im Gegenteil, es wird ihm sehr angenehm sein, wenn er dem Stiftungsfeste beiwohnen kann. Übrigens war auch der Herr Dr. Angst in meiner Abwesenheit hier! FRAU
KLAAR:
Davon habe ich doch gar nichts bemerkt. KLAAR:
Max hat ihn gleich in die Werkstatt geführt, er ist dort über den Tisch geraten. FRAU
KLAAR:
Da wird er schöne Augen gemacht haben. Warum hast du auch die Bücher hier in der Werkstatt. KLAAR:
Bücher gereichen einem jeden Räume zur Zierde. Frage nur Muth, ob er die Bücher hier missen möchte, ihm sind sie sicher schon liebe Freunde geworden. Warum auch nicht, ein gutes Buch hilft uns über manches weg. FRAU
KLAAR:
Das ist ja alles ganz gut. Aber für Leute unseres Standes ist es doch bedenklich, Bücher da aufzubewahren, wo ein jeder Einsicht nehmen kann. Ein aufmerksamer Beobachter kann bald auf die Geistesrichtung des Eigentümers schließen. In diesem Falle wird es Herr Dr. Angst gewiß wegbekommen, welch Geistes Kind du bist. Um seine Kundschaft ist es gewiß geschehen. KLAAR:
Dann kann ich mir auch nicht helfen. Bisher bin ich mit ihm ganz gut ausgekommen, obgleich er wußte, daß da zwei verschiedene Weltanschauungen sich in uns verkörperten. Geh, triff die Vorbereitungen für heute abend, und wenn der Vater munter ist, dann rufe mich.
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M A X in das Zimmer
stürzend:
Meister, sie kommen!! KLAAR :
Junge, bist du toll, was ist denn los? MAX:
Meister, ich bin so schnell die Treppe herauf gerannt, um Ihnen zu sagen, daß Herr Direktor Angst und noch ein anderer Herr hierher kommen. Sie kommen schon die Treppe herauf! KLAAR:
Da hättest du können deine Lunge sparen, wir werden ja sehen, wenn sie da sind. FRAU K L A A R :
Komm doch schnell in die Stube, damit du die Herren ordentlich empfängst. KLAAR:
Hast recht! Im Augenblick, wo Klaar sich anschickt, das Zimmer zu verlassen, treten Dr. Angst und Dr. Giebein in das Zimmer DIREKTOR:
Na endlich, lieber Meister, treffe ich Sie an. KLAAR:
Ich hörte schon, daß Sie leider vergeblich auf meine Ankunft gewartet haben! DIREKTOR:
Vergeblich doch wohl nicht! Meine Anwesenheit hat sehr zu meiner Aufklärung beigetragen. Im übrigen scheint man hier in diesen Räumen auf uns Gelehrte gerade nicht besonders gut zu sprechen zu sein.
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KLAAR:
Nun doch wohl nicht auf alle ohne Ausnahme, im übrigen tragen ja viele Ihrer Herren Kollegen ihr redliches Teil dazu bei, daß wir Männer der Arbeit ihnen kein allzugroßes Vertrauen entgegenbringen können. DIREKTOR:
E i ! ei! Meister, das muß ich aus Ihrem Munde hören! KLAAR:
Ich habe Sie als einen großen Freund der Wahrheit schätzen gelernt, so meine ich, es würde Ihnen nicht angenehm sein, wenn ich meine Meinung verhehlen würde. DIREKTOR:
Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung. Leider ist es ein großer Krebsschaden unserer Zeit, daß man verlernt hat, eine Sache beim rechten Namen zu nennen. Übrigens, Meister, habe ich doch recht merkwürdige Dinge über Sie gehört, erst teilt mir Ihr Gehilfe mit, wie Sie bestrebt sind, Ihre sogenannte freie Zeit auszunützen. Dann begegne ich hier noch meinem F r e u n d , dem Dr. Giebein, von dem muß ich hören, wie Sie in seinen Beruf pfuschen! E i ! ei! lieber Meister, das hätte ich von Ihnen doch nicht erwartet. DR.
GIEBEIN:
N a lassen Sie sich nur nicht irre machen, Meister, ohne Ihr Dazwischentreten dürfte es mit meinem kleinen Patienten zu Ende sein. Ich freue mich wirklich, mal jemand aus dem sogenannten Laienpublikum gefunden zu haben, der nicht nur sein Heil von meinem Stand erwartet, oder eher zu Quacksalbereien seine Zuflucht nimmt, sondern der mit klarem Verständnis die größte Gefahr beseitigt, um ruhig unsre Ankunft erwarten zu können.
69
MEISTER :
Ich habe nur getan, was ich tun mußte, um ein Menschenleben zu erhalten, viele meiner Freunde würden wie ich gehandelt haben. DR. GIEBEIN:
Wo haben Sie sich aber diese Kenntnisse erworben? MEISTER:
Das kann ich schwer sagen. Die Gesundheitspflege war schon früher mein Steckenpferd. Das meiste habe ich im Arbeiterverein gelernt. D R . GIEBEIN:
Was, im Arbeiterverein lernen Sie Gesundheitspflege? KLAAR:
O, im Arbeiterverein lernen Sie noch ganz andre Sachen. Der Arbeiterverein ist eine Pflanzstätte, wo jeder wahre Freund des Volkes mitarbeiten kann an den großen Kulturaufgaben des Menschengeschlechts. Wenn es die Herren von der Wissenschaft nur der Mühe wert hielten, sie würden für ihre Tätigkeit einen gut vorbereiteten Boden finden. Über Gesundheitspflege haben wir eine gute Sammlung von Büchern, lassen auch regelmäßige Übungsabende abhalten. Vielelicht interessieren Sie sich für unsere Tätigkeit, und ich dürfte Ihnen wohl einen Jahresbericht anbieten. DIREKTOR:
Nun, ich hatte vorhin schon Gelegenheit, einen Blick hineinzutun. Habe auch schon einige Erläuterungen von Ihrem Gehilfen bekommen. KLAAR:
Hoffentlich hat er Ihnen nichts Unangenehmes gesagt? 70
DIREKTOR:
Darüber wollen wir weiter nicht reden. Manchmal wirkt gerade das Unangenehme aufklärend. Es wäre mir wirklich angenehm, von Ihnen zu hören, was Sie eigentlich mit Ihrer Tätigkeit bezwecken, und es würde mich auch sehr freuen, wenn ich Ihnen in irgendwelcher Weise nützlich sein könnte. DR. GIEBEIN:
Der Zweck scheint mir deutlich aus der Tätigkeit hervorzugehen, namentlich wenn ich damit vergleiche, was ich von unserem Meister gesehen und gehört habe. KLAAR:
J a , meine Herren, wenn Sie wirklich Interesse an unserer Tätigkeit haben, dann könnte ich Ihnen nur raten, besuchen Sie uns doch einmal in unserem Lokal. DIREKTOR:
Dazu wird mir leider die Zeit mangeln, ich würde mich ganz auf Ihre Angaben verlassen. Sie wissen, ich bin Mitglied des Gemeinderats, wie mir bekannt, bekommen ähnliche Vereine wie der Ihrige ganz bedeutende Unterstützungen, da würde ich mich sehr freuen, wenn ich auch in dieser Richtung etwas für Sie tun könnte. Sie haben doch nur die Beiträge Ihrer Mitglieder? KLAAR:
Danke sehr, Herr Direktor, für Ihren guten Willen, aber bemühen Sie sich in dieser Richtung nicht, Sie würden sich vielleicht nur Unannehmlichkeiten bereiten und uns im besten Falle nicht viel nützen. Das gerade ist unsere Stärke, daß wir uns durch unsere eigne Kraft erhalten. Aber ich weise Ihre Hilfe nicht ganz von der Hand, sorgen Sie bei Ihren jüngeren Herren Kollegen dafür, daß man Verständnis für unsere Bestrebungen gewinnt, daß man nicht eine Gefahr darin erblickt, wenn auch das Volk seine Kräfte zu gebrauchen und sich selbst zu 71
helfen lernt. Wenn es noch lange so fortgeht, bauen wir uns eine neue Anschauung, in der die Herren von der Wissenschaft sich nicht mehr zurechtfinden, jede Verständigung wird dann ausgeschlossen sein. Noch ist die Zeit, die Anfänge dieser Kluft zu schlichten. DR.
GIEBEIN:
Und was kann ich für Sie tun? Klaar: Alles, was Sie wollen! Aber ich hätte auch einen ganz direkten Wunsch. Soviel ich weiß, sind Sie Mitglied der Schützengesellschaft ? DR.
GIEBEIN:
Das ist richtig! Doch was soll das? Ihr Verein und der meinige dürften doch kaum etwas Gemeinschaftliches haben? KLAAR:
Vielleicht doch! Beide haben ja das Wohl des Volkes, des Vaterlandes im Auge, nur die Wege sind verschieden ; Sie hoffen Ihr Ziel durch Worte zu erreichen, wir sind an die Tat gewöhnt; wir sind der Meinung, soll irgendeine Besserung im Leben eintreten, kann es nur durch Arbeit, durch Anstrengung hervorgebracht werden, daß diese Anstrengung auch zur Lust, zur Freude werden kann, ist nicht ausgeschlossen. Darum muß unser Verein aber auch gleichsam eine neue Gemeinde bilden, eine Gemeinde, welche die Errungenschaften der Kultur den weitesten Schichten der Bevölkerung zugänglich machen soll. J a , diese Gemeinde, sie hat die Aufgabe, alles zu erfüllen, was weder die politische noch religiöse Gemeinde erfüllen kann, noch will. Wollen wir unserer Aufgabe gerecht werden, müssen wir auch aas gesellschaftliche Leben pflegen. Wir müssen namentlich im Sommer große Feste feiern, bei denen sich alles froh vereinigt. So ist es schon bisher geschehen! Mit Freuden können wir zurückblicken. Kein Mißton hat je unsere 72
Feste getrübt. Aber noch sind wir leider nicht stark genug, um uns den nötigen Grund und Boden zu erwerben. Noch sind wir auf die Gastfreundschaft anderer Besitzer angewiesen. Ihre Gesellschaft könnte dieses Gastrecht ausüben, wir verlangen keinen Vorzug, wir verlangen nur Gerechtigkeit! Sorgen Sie, daß uns dieselbe wird, Ihre Gesellschaft behauptet, auf dem Boden der treuen Liebe zum Vaterlande zu stehen. Mit welchem Rechte sucht sie uns dieses streitig zu machen? Gehen nicht alle unsere Handlungen darauf hinaus, Zustände herbeizuführen, daß Glück und Frieden nicht nur in unserem Vaterlande, nein, überall wo Menschen wohnen, herrschen soll. J a , wir wollen als Menschen leben! Aber nicht als Menschen, die für ein zukünftiges besseres Leben streben. Nein, als Menschen, die die Erde als ihre Heimat ansehen und die ihre ganze Aufgabe darin erblicken, aus diesem sogenannten irdischen Jammertal einen Ort zu machen, wo alle Menschen glücklich werden können. Wollen Sie noch für uns wirken, ich würde Ihnen dankbar sein! DR. GIEBEIN:
Ihre Grundsätze sind gut! Ob Ihre Ansichten jemals zu verwirklichen sein werden, ich will es nicht entscheiden! Ich werde versuchen, was ich tun kann. Leider, leider, fürchte ich nur, daß die Interessen und die Furcht größer sind als die Gerechtigkeitsliebe. DIREKTOR:
Auch ich will tun, was ich kann, doch bald hätte ich den Zweck meines Hierseins vergessen. Hier nehmen Sie das, und bitte schicken Sie mir die Quittung. Wie es nun im übrigen aber auch kommen mag, eins können sie versichert sein, meine Freundschaft werde ich Ihnen stets bewahren, denn ich weiß, was Sie unternehmen, Sie tun es mit den besten Absichten. Doch wer ist jener würdige Mann? KLAAR:
Es ist mein Vater, Herr Direktor. Er kam, um sich über mein Tun und Treiben in hiesiger Stadt zu erkundigen. 73
DIREKTOR:
Nun, dann sind Sie zu einer glücklichen Stunde gekommen! Doch wir wollen nicht länger .stören! Doch Sie junger Mann, wenn Sie wieder über die Gelehrten urteilen, wird Ihr Urteil hoffentlich besser ausfallen! MUTH:
Ja, Herr Direktor, wenn ich noch viele solche Männer, wie Sie, kennenlernen werde, soll es daran nicht fehlen. DIREKTOR u n d DR. GIEBEIN:
Leben Sie alle recht wohl. ALLE:
Leben Sie wohl! Direktor und Dr. Giebein ab KLAAR:
Siehst du, Frau, es ist doch manchmal gut, wenn man auch Bücher in der Werkstatt hat. Wir haben wenigstens ein paar brave Männer kennengelernt, was heute auch schon eine Wohltat ist! Doch nun wollen wir Abendbrot essen und dann geht es zum Stiftungsfest t Nun, Freunde, macht auch ihr Feierabend, für heute ist es genug. SCHAAL :
Ach Meister, die Köchin aus der ersten Etage brachte noch ein paar Schuhe, sie möchte auch gern zum Stiftungsfest, ich will sie noch machen. KLAAR:
Na! meinetwegen üben Sie Barmherzigkeit! Aber Vater, jetzt mußt auch du mit uns zum Stiftungsfest kommen! VATER KLAAR:
Wenn ihr meine Meinung hören wollt: Ich möchte am liebsten schlafen. — Doch da einmal die Gelegenheit so
74
günstig ist, will ich sie nicht vorübergehen lassen und mich auch noch überzeugen, wie ihr die Feste in dem heute schon so oft genannten Verein feiert. Alles was ich heute gehört und gesehen habe, bringt mir den Beweis, daß man dich und deine Handlungen ganz schmählich verleumdet hat. Wohl bin ich alt und kann eure Bestrebungen nicht ganz verstehen, denn jede Zeit ringt nach anderen Idealen. — Wehe der Zeit, welche diese Aufgabe vergißt oder diese Bestrebungen mit Gewalt zurückzuhalten sucht. Aber ich freue mich doch, daß jene Nachrichten in unsere Heimat kamen und diese verleumderische Gestalt annahmen, denn nur dadurch stehe ich heute hier und es ward mir möglich, eure Anschauungen ganz kennenzulernen. Haltet alle Zeit fest daran, wenn ihr schwer daran zu tragen habt, denkt, ihr tut es für die Zukunft. Aber morgen mit dem ersten Zuge fahre ich in die Heimat zurück und rufe jedem zu: Ich bin stolz auf meinen Sohn, er ist und bleibt ein guter Mensch, was ihr auch schwatzt! Hoffentlich wird es auch künftig so bleiben! SCHAAL:
Meister, gestatten Sie, daß ich auch mit zum Stiftungsfest gehe, ich sehe es ein, die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft! MUTH:
Bravo! Endlich wirst auch du vernünftig! KLAAR:
J a , Kinder, nun laßt uns aber eilen, wir kommen zu spät zum Stiftungsfest.
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DER ERSTE MAI E I N Z E I T B I L D IN D R E I A B T E I L U N G E N
PERSONEN
Bär, Kommerzienrat und Fabrikant Bruno Bär, sein Sohn Marie, seine Tochter Wirker Wild
Arbeiter in Bärs Fabrik
Gradaus Frau Wirker Frau Rüther, Mutter der Frau Wirker Dr. Wohlmuth, Arzt Vasel, Pastor Werner, Werkführer in Bärs Fabrik Arbeiter und Arbeiterinnen
Ort der Handlung: ein Fabrikstadt Zeit: Gegenwart Die erste Abteilung spielt in Wirkers Wohnung, die zweite in Bärs Wohnung, die dritte im Saale eines Gasthauses.
E R S T E ABTEILUNG Ein Zimmer, einfach ausgestattet. Am Fenster befindet sich ein Tisch, auf welchem Rüschen oder eine ähnliche angefangene Arbeit liegt. Mitten im Zimmer steht Dr. Wohlmuth mit Frau Wirker.
D R . WOHLMUTH:
Ja, liebe Frau, große Hoffnung kann ich Ihnen leider nicht machen, das arme Kind ist gar zu weit herunter.— Wie alt ist es denn? FRAU W I R K E R sieht den Arzt ängstlich
und erschrocken
an:
Zwölf Jahr. D R . WOHLMUTH:
Es ist schlimm. Die kleine Brust ist sehr zusammengedrückt. Hat gewiß viel gefädelt, was? FRAU W I R K E R :
O, nur erst seit drei Jahren und da auch bloß drei bis sechs Stunden. D R . WOHLMUTH:
Das ist freilich in dem Alter zuviel, dann ist es kein Wunder, wenn sie jetzt so bestellt ist. Wie bringen Sie es nur fertig, Ihr Kind so um die Kindheit zu betrügen? FRAU W I R K E R :
Aber Herr Doktor, wir haben es ja zum Lebensunterhalt notwendig. Wenn es auch nur einige Groschen täglich 8 Schröder
79
sind, am Schlüsse der Woche kommt doch eine kleine Summe zusammen, und das Kind ist auch stets unter Aufsicht. DR.
WOHLMUTH:
Nun, liebe Frau, es ist immer noch besser, ein Kind verwildert etwas, als daß es in der Jugend körperlich verkümmert. Gewöhnlich hat es daran für das ganze Leben zu leiden. Außerdem sollte ich meinen, daß Sie mit Ihrem einzigen Kinde doch wahrhaftig nicht auf den Verdienst des Kindes angewiesen sind. FRAU WIRKER:
Vielleicht möchte es jetzt wohl gehen, aber Sie wissen doch, Herr Doktor, daß uns fünf Kinder gestorben sind, Sie wissen doch, welche Kosten mit Geburt und Sterben verbunden sind, mein Mann war doch auch wiederholt krank. DR.
WOHLMUTH:
Wie geht es ihm denn jetzt? Sie bewohnen aber auch immer noch diese feuchten Räume, ich habe Ihnen doch schon vor drei Jahren gesagt, daß der Aufenthalt hier höchst ungesund ist. Es gibt doch jetzt neue Wohnungen genug! FRAU WIRKER:
Ja, Herr Doktor, da haben Sie wohl recht! Aber ich kann mich hier so schwer trennen, wenn es auch niedrig und etwas feucht ist, so sind wir doch nicht so aufeinander gedrängt. Ich habe mich wiederholt nach anderen Wohnungen umgesehen, aber die sind ja so klein, daß man nicht weiß, wo man die Sachen unterbringen soll; zum Bewohnen ist gleich gar kein Raum. Mit meinem Mann ging es ja auch ganz leidlich, bloß in der letzten Zeit fängt er wieder an zu hüsteln. DR.
WOHLMUTH:
Nun woher kommt denn das? 80
FRAU
WIRKER:
Ich weiß es nicht, Herr Doktor. Vielleicht ist es schädlich, wenn er abends so spät aus der Fabrik in die kalte Nachtluft kommt. DR.
WOHLMUTH:
Das dürfte doch jetzt wohl kaum spät werden, es ist doch in der Fabrik die zehnstündige Arbeitszeit eingeführt? FRAU
WIRKER:
Eingeführt ist sie wohl, aber es gibt fast jeden Tag noch drei bis vier, manchmal gar sechs Überstunden zu machen. DR.
WOHLMUTH:
Was! Das wären ja vierzehn bis sechzehn Stunden täglich, da wundern Sie sich noch, wenn Ihr Mann hüstelt? Nein, liebe Frau, da wundern Sie sich nur, daß er nicht schon längst schwer krank ist. FRAU
WIRKER:
Sie meinen, die lange Arbeitszeit sei schuld? Aber mein Vater — ich bin nämlich vom Lande — der stand morgens um vier Uhr auf und hat bei der Laterne gedroschen, abends bei der Lampe hat er auch noch allerlei Hantierungen vorgenommen, und er ist achtzig Jahr alt geworden. Da kann doch die lange Arbeitszeit gewiß nicht schaden? DR.
WOHLMUTH:
Liebe Frau, das Leben eines Landmannes ist doch wesentlich anders als das eines Fabrikarbeiters. Hier Ruhe bei der Arbeit, Abwechslung in der Beschäftigung zwischen geschlossenem Raum und freier Luft, einigermaßen gute Ernährung von frühester Jugend an. Wie das damit bei Ihrem Mann bestellt ists wissen Sie ja selber. Immer und ewig einerlei Hantierungen, um ihn 8»
81
herum Staub und Getöse, daß er ohne lautes Schreien sich nicht verständlich machen kann. Auch mit der Regelmäßigkeit in der Ernährung ist es schlecht bestellt. Wenn der Mensch gezwungen ist, um zehn, half elf Uhr sein Abendbrot zu essen, um dann zu schlafen, um sechs Uhr früh schon wieder auf die Arbeit zu gehen, da kann von einer vernünftigen Lebensweise keine Rede sein. Nein, wenn Sie damit das Leben Ihres Vaters vergleichen, der wohl um vier Uhr aufstand, aber sich viel in frischer Luft bewegte, um sechs Uhr das Abendbrot zu sich nehmen konnte, sich dann vielleicht noch etwas gegen die Langeweile mit kleinen Arbeiten beschäftigte und um neun, halb zehn Uhr sein Lager aufsuchen konnte, da begreifen Sie doch wohl, gute Frau, daß das etwas anderes ist. Sieht
nach der
Uhr
Doch geben Sie mir etwas Tinte und Papier, ich will der Kleinen etwas verschreiben. FRAU WIRKER:
Sie können recht haben, Herr Doktor. Die Frau Tisch,
holt das Gewünschte,
die Frau
der Doktor
schiebt die Näharbeiten
setzt sich an den
zur
Seite.
Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr Doktor, aber es war, als wenn meine Tochter rief, ich will nur einmal nachsehen. DR.
WOHLMUTH:
Gehen Sie nur, Frau Wirker, ich schreibe hier noch einmal alles genau auf, befolgen Sie es recht gut. Vergessen Sie auch die Fenster nicht zu öffnen. So, lassen Sie sich nicht weiter stören, werde meinen Weg schon finden. Leben Sie wohl, Frau Wirker. FRAU WIRKER:
Ich werde gleich wieder hier sein. Ab. 82
D R . WOHLMUTH sinnt ein wenig nach, holt ein heraus,
macht einige Notizen, fängt an zu schreiben,
dem klopft es an der Tür,
Dr. Wohlmuth
Taschenbuch während-
ruft:
Herein! VASEL tritt ein:
Guten Morgen, Herr Doktor. Nun, das ist gut, da treffe ich Sie selber, da kann ich aus Ihrem Munde hören, wie es mit der kleinen Wirker steht. D R . WOHLMUTH:
Guten Morgen, Herr Pastor! Leider kann ich Ihnen nichts Tröstliches melden, ich glaube nicht, daß sie wieder ganz hergestellt wird. VASEL :
Das wäre aber wirklich schade. Es war ein so fleißiges, ruhiges Kind, freilich war sie immer sehr schwächlich. D R . WOHLMUTH:
Diese Schwäche kommt nicht von ungefähr; sagen Sie einmal, Herr Pastor, wie lange gehen denn die Kinder eigentlich täglich in die Schule? VASEL:
Nun, in dem Alter, wie die kleine Wirker, dürften fünf bis sechs Stunden herauskommen. Sie schieben doch wohl nicht die Schwäche auf zu vielen Schulbesuch? D R . WOHLMUTH:
Das nun eben nicht, aber es ist Ihnen wohl bekannt, daß viele unserer Kinder, trotz dieses Schulbesuchs, noch vier bis sechs Stunden in den Fabriken, wenn auch bei anscheinend leichter Beschäftigung, hinbringen. VASEL :
Freilich, davon bin ich unterrichtet. Es ist ein großer Segen für diese arme Gegend, daß sich wohltätige und
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unternehmende Kapitalisten gefunden haben, um den Industriezweig hier einzuführen, und so den armen Menschen Gelegenheit zu einigem Verdienst bieten. Sie können doch immer soviel erwerben, daß sie ihr Leben fristen. Ich kenne einige, die haben sich schon ein kleines Kapital gespart! DR.
WOHLMUTH:
Meinen Sie die Kapitalisten oder die Arbeiter? Bei den letzteren dürfte das wohl nicht oft der Fall sein! Ja, das Leben fristen! Das ist der richtige Ausdruck! Wo hier Ersparnisse gemacht werden, geschieht es ganz gewiß nur auf Kosten der Gesundheit! Eben höre ich, daß Wirker bis 9, ja bis 11 Uhr abends arbeitet! Ist das noch menschlich? VASEL :
Aber Herr Doktor, sind Sie ein eigentümlicher Kauz! Daß jetzt so lange gearbeitet wird, ist eben ein Zeichen des guten Verdienstes; den Leuten kann es doch gleich sein, ob sie abends arbeiten, einen vernünftigen Gebrauch wissen sie ja doch nicht von ihrer Zeit zu machen. Sie gehen höchstens in die Kneipe, um ihr Geld zu vertrinken. Nein, eine lange Arbeitszeit ist für das zeitliche wie ewige Wohl von großem Segen für unsere Arbeiter! DR.
WOHLMUTH:
Ja, Herr Pastor, das glaube ich Ihnen gern, daß Sie lieber ein vor Arbeit und Not stumpfes Volk für die ewige Seligkeit vorbereiten, als ein geistig frisches, denkfähiges Volk. Aber was das zeitliche Wohl anbelangt, da möchte ich mir doch ein Wort erlauben. Sie spielen sich ja sonst so gern als großen Vaterlandsfreund auf, waren ja auch bei der Reichstagswahl im Kartellwahlkomitee, da waren die Herren so freundlich, uns Freisinnigen jede Vaterlandsliebe abzusprechen. Sie hatten auch den schönen Satz mit in Ihrem Aufruf: wir wollten das Vaterland „wehrlos" machen. Nun, Herr Pastor, ich kann Ihnen versichern, wenn unsere In84
dustrie noch zwei Menschenalter so „ f o r t b l ü h t " wie jetzt, dann mögen Sie sehen, wo Sie noch Menschen finden, die die Gewehre tragen, selbst wenn dieselben noch leichter werden als sie jetzt sind. Nein, lieber Herr Pastor, wer sein Vaterland liebt, sorge dafür, daß unserem Volke nicht zugunsten weniger die Lebensmittel verteuert werden, der sorge dafür, d a ß eine vernünftige Arbeitszeit eingeführt wird. Lieber Herr Pastor, ich möchte Ihnen nur einmal empfehlen, es eine W o c h e selbst zu versuchen, von früh 6 bis abends 1 1 U h r zu arbeiten, natürlich auch bei der K o s t dieser Leute und ihrer sonstigen Lebensweise, wir könnten j a dann einmal sehen, wie es mit der geistigen Anregung bestellt sein würde, abgesehen davon, daß, wenn die Leute sich diese verschaffen wollen, es ihnen auch noch durch allerlei Hindernisse erschwert wird! VASEL :
A b e r lieber Herr Doktor, sind das Reden? D a k o m m t wieder g a n z der rücksichtslose D e m o k r a t z u m Vorschein. Sie vergessen doch ganz, d a ß ich eine andere Bildung, eine andere Erziehung genossen habe als diese L e u t e ! d a ß ich auch andere Ansprüche an das Leben stellen m u ß u n d darf. DR.
WOHLMUTH:
Bedauere leider, d a ß mir jetzt die Zeit fehlt, Ihnen auszuführen, auf was Sie Anspruch hätten. Eines nur möchte ich Ihnen noch zur E r w ä g u n g geben, ob nicht gerade der Bildungsgrad der L e u t e es bewundern läßt, d a ß sie solche Zustände ruhig ertragen. D o c h ich höre F r a u Wirker kommen. Also nichts für ungut, Herr Pastor, ein andermal mehr davon, dann werde ich Ihnen auch, wenn Sie es inzwischen noch nicht erfahren haben, sagen, w a r u m so viel Sozialdemokraten in den R e i c h s t a g gekommen sind. Auf Frau Wirker zugehend. Also liebe Frau, vergessen Sie meine Anordnungen nicht. A d e , F r a u W i r k e r ! A d e , Herr Pastor! 85
VASEL :
Ade, Herr Doktor. Ein rücksichtsloser Mensch! FRAU WIRKER:
Guten Morgen, Herr Pastor! Was verschafft mir denn die Ehre, den Herrn Pastor hier zu sehen? VASEL :
Guten Morgen, liebe Frau Wirker! Ich wollte mich nur einmal nach der kleinen Patientin erkundigen, der Herr Lehrer sagte mir, daß sie schon einige Wochen die Schule versäumt hat. FRAU W7IRKER:
Ach ja! Es werden ja leider nun schon drei Wochen, der Herr Doktor macht auch wenig Hoffnung. Du lieber Gott, wenn wir das Kind auch noch verlieren sollten! Nehmen Sie doch ein wenig Platz, Herr Pastor! VASEL :
Ich danke Ihnen, Frau Wirker! Aber Sie dürfen das Vertrauen auf Gott nicht verlieren, der wird schon wieder helfen, und sollte das Schlimmste passieren, so müssen Sie immer bedenken, daß seine Wege unerforschlich sind. FRAU W I R K E R :
Meinen Sie, Herr Pastor? VASEL :
Ei freilich, gute Frau! Nur dürfen Sie nicht schwach im Glauben werden! FRAU WIRKER:
Ich weiß nicht, Herr Pastor, aber manchmal will es mir scheinen!
86
VASEL :
Nun, liebe Frau, was ist denn, sprechen Sie sich aus, dazu bin ich hergekommen, Sie können mir schon vertrauen. Es hat sich doch nicht etwa ein Zweifel in Ihre Seele eingeschlichen? FRAU WIRKER:
Fast will es mir so scheinen, Herr Pastor, ich kann bald nicht mehr beten. VASEL :
Das ist schlimm, sehr schlimm, gute Frau, denken Sie an die ewigen und zeitlichen Strafen, wenn Sie vom rechten Glauben abkommen. Aber da ist gewiß Ihr Mann schuld, bei den Arbeitern ist es durchschnittlich mit dem Glauben schlecht bestellt! FRAU WIRKER:
Bitte sehr, Herr Pastor, aber meinen Mann können Sie in Ruhe lassen, der hat mich im Anfang wohl ein wenig ausgelacht, wenn ich vom Beten sprach, aber schon lange haben wir das Thema nicht mehr berührt. VASEL :
Das ist eben das Schlimme, liebe Frau, in einer guten, christlichen Familie sollen derartige Handlungen gemeinschaftlich verrichtet werden. Aber hier sieht man wieder, wie die heiligsten Bande gelockert werden. FRAU WIRKER:
Ich verstehe Sie nicht, Herr Pastor. Ich kann Ihnen nur versichern, wir haben in unserer 15jährigen Ehe manche trübe Erfahrungen gemacht, wir haben alles gemeinschaftlich getragen. Ich habe dabei immer noch an meinem Glauben festgehalten und habe manchmal meinen Mann bedauert, daß er da keinen Trost fand, wo er für mich vorhanden war. Aber seit ich die Erfahrung täglich mehr machen muß, daß von der Güte, ganz ab87
gesehen von der Gerechtigkeit, so wenig in der Welt und im Leben zu merken ist, da kann ich auch nicht mehr beten. Ich sage, es nützt doch nichts! VASEL :
Mein Gott, Sie befinden sich ja in einem entsetzlichen Zustande, wie konnten Sie nur auf solche schlimme Gedanken kommen, Sie sind gewiß schon lange nicht mehr im Hause des Herrn gewesen? FRAU WIRKER :
Dazu mangelt es mir an der Zeit, wird auch wenig nützen, draußen verspürt man ja wenig von dem, was darin gepredigt wird! VASEL :
J a , ja, das ist eben die Wurzel alles Übels. Liebe Frau, suchen Sie so bald als möglich die Kirche auf, schütten Sie Ihre Seele vor dem Herrn aus, Sie werden sehen, da wird Frieden in Ihr Gemüt einziehen. Suchen Sie auch recht auf Ihren Mann einzuwirken, daß er Sie begleitet, da wird der Segen des Herrn doppelt seinen Einzug halten. Wenn Sie den Tag über nicht von der Arbeit fort können, nun, wir haben für die armen bedrängten Menschen die Abendkirche eingerichtet! FRAU W I R K E R :
Nun, ich werde sehen, ob ich es einmal möglich machen kann, aber mein Mann, nein, wer so von früh bis spät angestrengt ist, der ist froh, wenn er sonntags seine Ruhe hat oder im Kreise seiner Bekannten sich noch etwas erholen kann. VASEL :
O, diese Weltlust! J a , ja, die Vergnügungssucht ist die ganze Wurzel der Unzufriedenheit, davon müssen Sie ihn zu heilen suchen, sehen Sie nur zu, was Sie tun können. Kann ich Ihre Tochter einmal sprechen?
88
FRAU
WIRKER:
Bedauere Herr Pastor, aber sie ist eben eingeschlafen. VASEL :
Nun, dann will ich nicht weiter stören. Grüßen Sie von mir und im übrigen sehen Sie ja zu, daß Sie nicht im Glauben unterliegen. Also, leben sie wohl, Frau Wirker! FRAU
WIRKER:
Nun, wir werden sehen, Herr Pastor, Ade! Im Augenblick, wo der Pastor zur Tür heraustreten will, kommt eine alte, würdige Frau herein, welche den Pastor grimmig anblickt. FRAU
RÜTHER:
Ei, der Hert Pastor! Guten Tag, Herr Pastor! Sobald die Tür frei ist, geht der Pastor Im Vorbeigehen sagt er schnell:
schnell
heraus
VASEL:
Guten Tag, Frau Rüther. FRAU RÜTHER
ihm
nachstehend:
Hat der es aber eilig, dem muß mein Blick recht unangenehm sein. FRAU
WIRKER:
Ach, du bist es, liebe Mutter, guten Tag. Was ist denn mit dem Pastor? FRAU
RÜTHER:
Guten Tag! Ich weiß nicht, was er hat! Es ist schon sehr lange her, sonst könnte ich glauben, es wäre noch von damals, weißt du, wie unser Nachbar das Haus abputzen ließ, da brach nachmittags nach dem Vesper das Gerüst, ein Maurer verunglückte, man hatte ihn in den 89
Hausflur von meiner Wohnung getragen, zufällig kam der Herr Pastor vorüber; als er hörte, was vorgefallen war, trat er zu dem Verunglückten; um ihn anzusehen, beugte er sich über ihn, plötzlich fährt er in die Höhe und fängt an ganz fürchterlich auf den Schnaps zu schimpfen und bezeichnet den Verunglückten als ein Opfer der Trunksucht. Da ich den Mann zufällig als einen rechtschaffenen, nüchternen Mann kannte, so habe ich dem Herrn Pastor ordentlich meine Meinung gesagt, das kann er, mir scheint's, heute noch nicht vergessen. Doch, was wollte er denn hier? FRAU
WIRKER:
Er hat sich nach der Liesel erkundigt, du weißt ja, daß sie nun bald drei Wochen nicht in der Schule gewesen ist. Das finde ich recht hübsch von dem Herrn Pastor, er scheint ein recht teilnehmender Mann zu sein. Du hast ihn gewiß recht beleidigt? FRAU RÜTHER:
Beleidigt, ich beleidigt? Nein, da kannst du ruhig sein, ich habe dem Herrn bloß gesagt, wenn die Maurer keinen Schnaps trinken sollen, möchte er dafür sorgen, daß sie sich etwas anderes kaufen könnten. Es ist doch auch wahr, passiert so einem Herrn irgendein Unglücksfall, ist da ein Jammern und Wehklagen, wenn aber einem armen Teufel etwas passiert, ist immer gleich das zweite Wort: Na, der war gewiß betrunken. Der Herr Pastor scheint es sich zu Herzen genommen zu haben, er ist bei dem Komitee zur Errichtung von Wärmstuben. O, man sorgt jetzt recht für das Volk, namentlich wenn sich die Sache gut verzinst. FRAU
WIRKER:
Aber Mutter, wer wird denn immer so böse sein. Nimm wenigstens etwas Platz. Ich habe hier auch noch eine Tasse Kaffee! holt dieselbe 90
FRAU RÜTHER:
Ja, wer sollte da nicht boshaft werden, wenn man die Welt so kennenlernt wie ich; wenn du erst einmal so alt bist wie ich, wirst du auch manches anders ansehen lernen. Sie erblickt die auf dem Tische liegende
Arbeit.
Da hast du ja wieder neue Arbeit, die wird wohl besser bezahlt? FRAU WIRKER:
Nun, wenn ich recht fleißig bin und von früh bis spät arbeiten kann, kann ich es schon auf 40 Pfennige den Tag bringen. FRAU RÜTHER:
Nun, das ist freilich ein recht ansehnlicher Verdienst, dafür kann man seine Augen und Gesundheit schon opfern! FRAU WIRKER:
Nun, ich habe es doch hier im Hause und kann es so nebenbei verdienen! Die Sachen sind ja so billig, die Fabrikanten können gewiß nicht mehr bezahlen! FRAU RÜTHER:
Das ist wohl möglich, aber wenn sie die Arbeit nicht ordentlich bezahlen können, brauchen sie es nicht zu fabrizieren. Wer das Zeug kauft, kann es auch ordentlich bezahlen. FRAU WIRKER:
Aber wir verdienen doch damit, wovon sollten wir leben, wenn es nicht gemacht würde? FRAU RÜTHER:
Ja, die Gesundheit verderbt ihr euch damit, ich sehe gar nicht ein, daß die Menschen glücklicher geworden sind,
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seit der Plunder existiert. Wir haben früher auch gelebt. Übrigens ist es mir immer noch ein Trost, daß diese reichen Leute, die immer alles anstellen, um ihren Geldsack zu vergrößern, doch mit allem ihrem Besitz das Glück nicht erkaufen können. Da ist nun der Kommerzienrat, er hat es vom Schlossergesellen bis zum Kommerzienrat gebracht, arbeitet von früh bis spät in die Nacht, weiß sich vor Geld und Gut nicht zu helfen und hat nun doch nichts davon. FRAU
WIRKER:
Nun, der hat doch keine Not, das Geschäft geht doch riesig, es werden ja immer Überstunden gemacht. FRAU RÜTHER:
Bist du aber putzig, als wenn das das Glück allein ausmachte. Da ist nun die Frau schon zehn Jahre tot, seinen einzigen Sohn hat er auch nur höchstens an hohen Feiertagen, seit dem zehnten Lebensjahre, gesehen. Ei, das nennen diese Menschen Familienleben. Die Tochter ist auch ein paar Jahre fortgewesen. Da wird den Sozialisten noch vorgeworfen, sie wollen die Familie auflösen, als wenn es an einer solchen Familie noch was aufzulösen gäbe. Der Sohn soll freilich ein sehr gescheiter Mensch geworden sein, der Alte hat große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Nun ist er seit gestern zurückgekehrt. FRAU
WIRKER:
Was sagst du, der junge Herr ist wieder da? FRAU
RÜTHER:
Freilich, ich hörte, er wäre von Paris gekommen. FRAU
WIRKER:
Das wird doch eine große Freude für den alten Herrn gewesen sein? FRAU
RÜTHER:
Soll gar nicht so schlimm gewesen sein, im Gegenteil, sie sind heftig aneinander geraten. Der junge Herr will 92
wohl einen andern Lebensweg einschlagen, ich weiß nicht gleich, wie es mit einem Fremdwort heißt. Man erzählt sich ganz eigentümliche Geschichten! Wirker'tritt FRAU
ein.
WIRKER:
Herjeses, da ist ja schon mein Mann, ist es denn schon um 12, da muß ich mich beeilen. geht schnell ab WIRKER seiner Frau
nachrufend:
Na, beruhige dich nur, es ist noch nicht ganz so spät, ich war auf dem Gemeindeamt, komme daher etwas früher. Da ist ja auch die Mutter. Guten Tag, wie geht es denn? FRAU RÜTHER:
Guten Tag, wie soll es eben gehen, wenn man alt wird, ist man recht überflüssig auf der Welt. WIRKER:
Na, Mutter, ihr habt euch doch nicht zu beklagen, vor Not seid ihr gesichert und die Kinder sehen euch doch auch ganz gern. FRAU
RÜTHER:
Das ist wohl wahr! Sagtest du nicht, du wärst auf dem Gemeindeamt gewesen, was hast du denn da gemacht? Inzwischen ist Frau Wirker eingetreten und deckt den Tisch. WIRKER :
Ach, nicht viel von Bedeutung, ich hatte vorgestern eine Versammlung angemeldet und hatte noch keine Bescheinigung erhalten, die habe ich mir geholt. FRAU
WIRKER:
Schon wieder eine Versammlung?
93
WIRKER :
Freilich, wundert dich das so sehr? FRAU W I R K E R :
Ich glaubte, nun die Reichstagswahl vorbei wäre, würde etwas Ruhe kommen. Was habt ihr denn schon wieder? WIRKER :
Das ist eine ganz besondere Sache, hole nur das Essen erst herein, nachher kannst du ja alles in Ruhe hören. FRAU R Ü T H E R :
Du machst mich ja ordentlich gespannt, ich wollte eigentlich gehen, aber das möchte ich doch noch hören, da muß ich schon noch etwas bleiben. WIRKER :
Immer bleibe, Mutter, es ist gut, wenn du es auch hörst, weißt ja dann auch, um was es sich handelt. Ruft zur Tür
hinaus
Bringe doch für die Mutter auch noch einen Teller herein. FRAU
RÜTHER:
Das ist sehr hübsch von dir, aber W I R K E R ihr schnell in das Wort
fahrend:
Ach was, kein Aber, eine Mutter darf nie zusehen, wenn die Kinder essen. Frau
Wirker
WIRKER
tritt mit einer dampfenden
Schüssel
fortfahrend:
Übrigens, wie geht es denn mit Liesel? 94
ein.
FRAU
WIRKER:
Ich war vorhin drüben, da schlief sie. Der Doktor war heute morgen hier, auch der Pastor hat sich nach ihrem Befinden erkundigt. WIRKER :
Nun, was meinte denn der Arzt? Aber Mutter, macht doch keine Umstände, setzt euch doch heran!
FRAU
RÜTHER:
Nun, wenn es durchaus sein muß, dir schmeckt es sonst doch nicht. setzt sich an den FRAU
Tisch.
WIRKER:
Der Arzt zuckte mit den Achseln und meinte, das sei bedenklich, die Brust hätte schon zuviel gelitten. Das Kind hätte zu früh und zuviel gearbeitet, auch du solltest Dich schonen und abends nicht so lange arbeiten. WIRKER :
Der gute Herr hat gut reden, aber was soll denn der einzelne anfangen? Da haben wir nun schon seit einem Jahre einen zehnstündigen Arbeitstag, und meistenteils wird 14 Stunden gearbeitet, manchmal noch länger. FRAU
RÜTHER:
Ja, warum geschieht es denn, wenn ihr nicht damit einverstanden seid? WIRKER :
Ich, als einzelner, darf mich nicht auflehnen, so denkt ein jeder. Das muß anders werden. In der Versammlung wollen wir einen Beschluß fassen, daß wir uns einer 9
Schröder
95
Bestrebung anschließen, um zu erreichen, daß für alle Industrieländer ein Arbeitstag von acht Stunden festgesetzt wird. Niemand kann gezwungen werden, länger zu arbeiten, außer wenn ganz besondere Gründe vorliegen. Die Kinderarbeit soll ganz abgeschafft, ebenso die Frauenarbeit in allen schädlichen Industriezweigen verboten werden. FRAU
WIRKER:
Aber wie wollt ihr denn das durchsetzen? WIRKER :
Ja, siehst du, das ist ja das Großartigste bei der Sache, das soll nicht bloß hier im Orte, nicht bloß hier im Lande, nein, in der ganzen Welt soll es geschehen. FRAU
RÜTHER:
Ach! davon habe ich schon gehört, das will der deutsche Kaiser auch. WIRKER :
Das kann wohl sein, aber was wir vorhaben, ist doch noch etwas anderes. Das ist auf der Sozialistenversammlung in Paris voriges Jahr angeregt worden. Nun soll am 1. Mai in allen Ländern ein allgemeiner Feiertag abgehalten werden. FRAU
WIRKER:
Das ist aber doch mitten in der Woche. WIRKER :
Ja, was schadet denn das! FRAU
WIRKER:
Nun, euer Herr Kommerzienrat wird gewiß nicht damit einverstanden sein. 96
FRAU
RÜTHER:
Davon bin ich auch überzeugt, der hätte nichts dagegen, wenn Tag und Nacht in seiner Fabrik gearbeitet würde. WIRKER :
Wird ihm in diesem Fall nicht viel helfen, wenn er sich sträubt, denn ich hoffe, daß der Beschluß einstimmig gefaßt wird: daß an diesem Tag alle Arbeit ruhen soll. Wir haben ja auch schon manchen Tag feiern müssen, wo wir gearbeitet haben würden, wir sind am Sedantag nicht gefragt worden; neulich, wie der hohe Besuch da war, haben wir auch einen halben Tag gefeiert. Übrigens hat es sich auch bei anderen Gelegenheiten gezeigt, wenn unser Wille einstimmig ausgesprochen ist, hat der Herr Kommerzienrat sich gefügt, wenn auch ungern. FRAU
WIRKER:
Aber ist denn die Sache wirklich so wichtig, daß man den Versuch macht, selbst auf die Gefahr hin, daß allerlei Unfrieden damit gestiftet wird? FRAU
RÜTHER:
Nun, recht großartig kommt mir die Sache vor, wenn es wirklich so wird, wie du es schilderst, wird aber unter den Arbeitern selber die notwendige Einigkeit herrschen? WIRKER :
Das mag nun werden wie es will, bis jetzt ist jeder Versuch, die Arbeitszeit auf ein vernünftiges Maß herabzusetzen, gescheitert, ja selbst der Versuch, einige gesetzliche Bestimmungen einzuführen zum Schutz der Arbeiter, ist an dem Widerspruch der Unternehmer gescheitert. Jedesmal wenn ein derartiger Versuch gemacht worden ist, hieß es: die Arbeiter dürfen nicht geschädigt werden, sie dürfen in der Ausnutzung ihres einzigen Besitzes, der Arbeitskraft, nicht gehindert 9*
97
werden, weil sie dadurch in ihrer persönlichen Freiheit geschädigt würden, weil ihr Lohn geschmälert würde. Es ist recht rührend, wenn man solche Ausführungen liest, namentlich, wenn sie von denselben Leuten ausgehen, denen sonst jede persönliche Freiheit der Arbeiter verhaßt ist. Haben die Arbeiter irgendeiner Branche oder Fabrik durch mancherlei Kämpfe und Streiks günstigere Bedingungen erhalten und die Arbeitszeit um ein weniges verringert, nach kurzer Zeit ist alles wieder im alten Gleis. Darum müssen gesetzliche Bestimmungen eingeführt werden, durch einmütiges Zusammenhalten müssen wir der Welt den Beweis liefern, daß wir einverstanden sind mit der Einführung von vernünftigen Arbeitsbedingungen, und je einmütiger dies erzielt werden kann, um so großartiger wird es wirken, um so mehr kleinre Kämpfe werden erspart. Doch ich möchte einmal nachsehen, was Liesel macht. Mutter, willst du nicht einmal mitkommen? FRAU W I R K E R :
Immer geht mit herein, Mutter, ich werde ihr auch gleich das Essen bringen. Wirker und Frau Rüther ab. Frau Wirker räumt den ab, während der Zeit klopft FRAU WIRKER
Tisch
es.
ruft:
Herein! Es tritt herein der Arbeiter
Wild.
WILD:
Guten Tag, Frau Wirker; ist denn Ihr Mann schon wieder fort? FRAU WIRKER:
Guten Tag, Herr Wild; nein, er ist eben nur mal aus der Tür getreten, er wird gleich wieder hereinkommen; aber setzen Sie sich, Sie sind ja ganz außer Atem! 98
WILD:
Na so schlimm ist es nicht, ich bin bloß tüchtig gerannt, das bischen Mittag ist ja bald vorüber; ich wollte Wirker noch gern sprechen. Ach ja, Sie hatten wohl ein krankes Kind, wie geht es denn. In demselben Augenblick
tritt Wirker wieder in die Stube.
WIRKER:
Ach, du bist es, Wild! Nun ich denke, heute mittag macht sie wenigstens ein vergnügtes Gesicht. Vielleicht wird es doch bald wieder besser. Doch was führt dich noch die vier Treppen in die Höhe? WILD:
Hast du die Erlaubnis zur Versammlung? WIRKER :
J a , da steht nichts mehr im Wege! WILD:
Nun, dann kann es gut werden. Der Werkführer Werner hat sich ausgesprochen, er würde in der Versammlung der ganzen Idee entgegentreten. WIRKER :
Was? das hat Herr Werner gesagt, das wäre allerdings bedenklich. WILD :
Nun, laß nur den Mut nicht gleich sinken, vielleicht kommt noch Hilfe von einer Seite, wo wir es gar nicht erwarten. WIRKER :
Wenn ich nicht auf den gesunden Sinn unserer Freunde bauen könnte, würde ich freilich den Mut sinken lassen. Werner steht in großem Ansehen, Hilfe von auswärts
99
würde wenig oder gar nichts nützen, das ist eine rein örtliche Angelegenheit, wenigstens für uns hier. Frau
Rüther ist
eingetreten.
WILD:
Nun, kennst du den jungen Herrn noch?
WIRKER :
Ja, er soll gestern plötzlich zurück sein. WILD:
Worüber der Herr gar nicht erbaut gewesen sein soll! FRAU RÜTHER:
Ach, haben Sie auch schon davon gehört? WILD:
Ach, da sind ja auch Sie, Frau Rüther. gibt ihr die
Freilich treffen gegeben sein. WIRKER
Hand.
habe ich davon gehört, gleich nach dem Eindes jungen Herrn soll es heftige Auftritte haben, der junge Herr soll auf unserer Seite :
Aber woher weißt du denn das alles? WILD:
Laß dir genug sein, daß ich es weiß; von wem, kann Dir gleichgültig sein, uns jungen Männern stehen ja andere Quellen zu Gebote, als wenn man erst verheiratet ist. Doch reinen Mund gehalten, ich hätte nichts gesagt, wenn es sich nicht um eine so wichtige Sache handelte. 100
WIRKER :
Na, meinetwegen, werden ja sehen, was wird. Nach der Uhr
sehend
Doch wir müssen eilen, sonst versäumen wir die Zeit. Heute abend wird es also wohl etwas spät werden. Ade. beide
ab
FRAU W I R K E R :
Aber mir wird doch recht ängstlich zumute. Wenn die Sache nur gut abläuft. FRAU
RÜTHER:
Aber, Kind, wer wird denn so ängstlich sein. Das kannst du ruhig den Männern überlassen. Wir können den Männern wohl manchmal raten, damit sie den richtigen Weg finden, aber wenn es zum Kampf geht, sollen wir ihnen nicht mehr in die Arme fallen. Es ist eigentlich recht schade, daß ich schon so alt bin und ich nichts mehr tun kann. O für einen solchen Gedanken, ein Frühlingsfest für die ganze Menschheit, da könnte ich alles daran setzen!
ZWEITE ABTEILUNG Ein behaglich eingerichtetes Zimmer, ein Weinflaschen sowie Gläsern und Speisen Tisch sitzen Kommerzienrat Bär, Pastor muth.
Tisch mit einigen besetzt. Um den Vasel, Dr. Wohl-
BÄR:
Aufrichtig gestanden, ist mir diese Erregung, die jetzt alle Länder ergriffen zu haben scheint, namentlich aber in unserem Vaterland so große Formen annimmt, unbegreiflich. Die Reichstagswahl mit ihren überraschenden Resultaten ist kaum vorüber, und schon werden 101
wieder Versammlungen abgehalten zur Feier des ersten Mai. DR. WOHLMUTH:
So ganz unbegreiflich ist mir die Sache doch nicht, ich fühle oder spüre gewissermaßen Frühlingsluft, den Anbruch einer neuen Zeit. BÄR:
Ach, was wollen Sie mit der neuen Zeit, da stehen wir doch mitten darin, alles hat doch schon neue Formen angenommen. Wo haben Sie früher die riesigen Fabriken, die großen Warenhäuser gehabt, ja selbst die großen Vergnügungslokale, die entstanden sind, zeigen sie nicht alle neue Formen? D R . WOHLMUTH:
Verzeihen Sie, Herr Kommerzienrat, aber durch alles, was Sie aufzählen, wird mir noch nicht der Beweis erbracht, daß wir schon in der neuen Zeit stehen, höchstens eine Übergangszeit könnte ich zugeben. Sie haben wohl recht, wir haben neue Formen in Betrieb und Herstellung der Waren, aber bis jetzt noch keine der ganzen Menschheit nützlichen. Für den einzelnen mag j a die Sache bedeutende Vorteile bieten. Freilich, man rühmt so gern den Geist der Neuzeit als einen ganz besonders humanen, menschenfreundlichen, aber von seinem Wirken kann man wenig spüren. Wo so etwas zum Vorschein kommt, sind es gewöhnlich andere Triebe als die der Menschenliebe. Namentlich auch auf dem Gebiete der Gesetzgebung hat das Volk recht, wenn es eine Gesetzgebung wünscht, die mehr das allgemeine Wohl als das Wohl einzelner Klassen berücksichtigt. Namentlich in den letzten Jahren ist auf diesem Gebiete viel gesündigt worden. BÄR:
Aber mein lieber Doktor, Sie vergessen wohl ganz, daß die Gesetzgebung der letzten Jahre im Deutschen Reiche 102
sich fast nur mit dem armen Mann und seinem Wohl befaßt hat. Krankenkassen-, Unfallversicherungs- und Invalidengesetz — das sind doch lauter Gesetze, welche Wohltaten für die untersten Klassen des Volkes darstellen. Die Fabrikanten und Unternehmer müssen bluten. DR.
WOHLMUTH:
Sie irren, Herr Kommerzienrat, wenn Sie glauben, ich hätte diese Leistungen der Gesetzgebung vergessen, nur haben Sie dabei einen bezeichnenden Ausdruck gebraucht: man will dem Volke Wohltaten erweisen. Soviel ich das Volk kenne, will es keine Wohltaten, sondern es will gleiches Recht und meiner Ansicht nach hat es recht; ein gesundes Staatswesen kann nur auf gleichen Pflichten und Rechten seiner Bewohner begründet werden. Es trifft auch recht eigentümlich zusammen, daß in dieser Periode noch allerlei Gesetze gemacht worden sind, welche die Nahrungsmittel, die diese Klasse — denen man Wohltaten erweisen will — braucht, mit schwer drückenden Zöllen belegt haben. Nein, nein, wenn eine allgemeine Ruhe und Zufriedenheit eintreten soll, müssen wir andere Bahnen einschlagen. VASEL :
Das ganze Leiden unserer Zeit liegt in der Abwendung von der Kirche. Jeder will hier schon das volle Maß seiner Glückseligkeit haben, auf das Jenseits will sich niemand mehr vertrösten lassen. Die Güter dieser Welt reichen nun aber einmal nicht aus, um alle Gelüste zu befriedigen. DR.
WOHLMUTH:
Da könnte ich nur empfehlen, daß die Diener dieser Kirche uns mit einem guten Beispiele vorangingen und sich mehr mit dem Jenseits begnügen wollten; aber was sehen wir — gerade sie wissen die Genüsse dieser Erde zu schätzen, gerade sie sind von je darauf bedacht gewesen, daß sie die schönsten Häuser, die bestaus103
gestatteten Wohnräume, eine vorzügliche Kost haben. Gerade sie umgeben sich mit dem ganzen Luxus unserer Zeit, ja selbst die Kirchen bleiben davon nicht verschont. Es scheint mir fast, als wenn die Herren selbst kein rechtes Vertrauen zu dem Wechsel auf das Jenseits hätten. BÄR:
Aber Herr Doktor! sind Sie heute wieder boshaft! VASEL :
Nun, die Pfeile des Spottes gleiten an den Vertretern der Kirche ab. Aber beim Volke richten die Herren Liberalen furchtbare Verheerungen an. Ja, ich kann es frei heraussagen, sie sind schlimmer als die Sozialisten. Im übrigen hat unser allverehrter Herr Hofprediger Stöcker doch das rechte Wort gefunden: Gegen Sozialisten helfen nur Christen. BÄR:
Ich weiß doch nicht im Augeblick, ob es möglich sein wird, die Gläubigkeit in unserer Zeit noch so weit zu fördern, daß sie irgendwelchen Einfluß auf das öffentliche Leben haben wird, und fast möchte ich dieses Mal zu des Doktors Ansicht neigen, daß dann zunächst die Herren Geistlichen einen ganz andern Standpunkt einnehmen müßten. Denn darin kann ich auch dem Doktor recht geben: ein Mann, der im Luxus lebt, wird kein rechtes Zutrauen finden, wenn er Enthaltsamkeit predigt. DR.
WOHLMUTH:
Ich möchte auch noch daran erinnern, daß doch die Kirche fünfzehnhundert Jahre Zeit gehabt hat, sich mit dem Glück der Völker zu beschäftigen. Merkwürdigerweise sehen wir aber, daß gerade dann, wenn die Kirche am unumschränktesten herrschte, von Völkerglück und Völkerfrieden wenig zu spüren, im Gegenteil das Blutvergießen am größten war. 104
VASEL:
Wenn ich zugestehen muß, daß dieses Mal Ihre Worte einer gewissen Wahrheit nicht entbehren, so kann ich doch aber gerade hier darauf hinweisen, daß dieses nur die katholische Kirche trifft. I m Gefolge der protestantischen Kirche können Sie doch kein Blutvergießen nachweisen. D R . WOHLMUTH:
Ei! Herr Pastor! Sie vergessen ganz die Reformationskriege, auch den dreißigjährigen Krieg, der unser Vaterland zur Wüste gemacht hat, auch bei den Hexenprozessen, die in unserem Vaterlande nicht minder gewütet haben, spielen die Vertreter der protestantischen Kirche eine eigentümliche Rolle. BÄR:
Nun, diese Kriege waren doch aber wohl den Vertretern der protestantischen Kirche aufgezwungen worden, und die mußten sie zu ihrer Verteidigung führen. VASEL :
Daran denken die Herren in ihrer großen Gerechtigkeitsliebe nicht! DR. WOHLMUTH:
Wir geraten dabei freilich immer tiefer in die Geschichte, aber es will mir scheinen, als wenn in damaliger Zeit, wie es ja viele auch heute wohl noch möchten, allzusehr der Grundsatz des Stifters der christlichen Religion vergessen wurde: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Hinsichtlich dessen, was der Herr Kommerzienrat bezüglich des Einflusses Ihrer Herren Kollegen auf das Volk sagt, kann ich ihm nur recht geben, ja ich kann noch hinzufügen, daß sie über einen ganz anderen Schatz von Wissen und Bildung verfügen müßten, als sie heute können, wenn sie irgend welchen Einfluß behaupten wollen! 105
VASEL :
Wie habe ich das zu verstehen? DR.
WOHLMUTH:
Nun, einfach wie ich es gesagt habe, sie geben gar oft ihren Hörern ein schlimmes Beispiel dadurch, daß sie allzusehr in menschliche Schwächen verfallen und sich, in ihrem Zorn zu einem Urteil hinreißen lassen, wie sie es nach ihrer Stellung nicht sollten. VASEL :
Das ist doch geradezu beleidigend! BÄR:
Aber meine Herren! wir kommen auf Abwege, unsere Unterhaltung nimmt eine Form an, die nicht mehr schön zu nennen ist. Wenn Sie, Herr Doktor, solche Behauptungen aufstellen, müssen Sie doch auch Beweise bringen, und das dürfte doch gerade in diesem Falle schwer werden! DR.
WOHLMUTH:
Doch vielleicht nicht so schwer, als es auf den ersten Blick aussieht. VASEL :
D a wäre ich wirklich gespannt zu hören, wie Sie so allgemeine Behauptungen beweisen wollen. BÄR:
In der Tat, Herr Doktor, dann möchte auch ich Ihre Ausführungen weiter hören! DR.
WOHLMUTH:
Nun, dann hören Sie! Vor ungefähr 11 Jahren schrieb der berufene Sozialist August Bebel ein Buch „Die Frau". Haben Sie das gelesen?
106
BÄR:
Was denken Sie von mir, Herr Doktor, ich soll Bücher lesen, die ein Sozialdemokrat geschrieben hat. Da fehlt mir überhaupt die Zeit dazu. VASEL :
Wie können Sie einem Geistlichen zumuten, er solle verbotene Bücher lesen und somit direkt gegen die Befehle der Obrigkeit handeln! Übrigens — was hat das mit der Bildung des Geistlichen zu tun? DR.
WOHLMUTH:
Das werden Sie gleich hören. Sie sagen also selber, keiner Ihrer Herren Kollegen würde ein solches Buch lesen. Was sagen Sie denn aber nun zu dem Mann, der vor kurzem in der Wahlbewegung seinen Konfirmanden die Abscheulichkeit dieses Buches nicht anders vorzuführen wußte, als daß er seine Verwunderung darüber aussprach, daß die Langmut Gottes noch so stark sei, daß er die Hand eines solchen Mannes, der ein solches Buch geschrieben, nicht verdorren lasse? Wollen Sie einen solchen Mann noch christlich nennen? Ja, kann man einen solchen Mann noch gebildet nennen? Was für einen Eindruck wird er damit auf die kindlichen Gemüter seiner Hörer hervorrufen? doch nur den, daß sie verrohen oder sobald wie möglich der Kirche entfremdet werden. Denn von jenen Grundsätzen des edlen Nazareners: Segnet, die euch fluchen! Liebet eure Feinde! ist doch da nichts mehr zu spüren. Sie werden einst ernten, was sie gesät haben! Wenn wir gleich noch in einer Übergangszeit leben, so regt sich doch das Volk und bekundet in seinen breitesten Schichten Teilnahme für das öffentliche Leben, Teilnahme für das allgemeine Wohl. Es ist auch bereit, an der Herbeiführung besserer Zustände mitzuwirken! BÄR:
Das erwarten Sie doch nicht etwa von den Sozialdemokraten? 107
D R . WOHLMUTH:
Warum nicht! sind es nicht lauter Männer, die aus den Kreisen des Volks hervorgegangen sind oder doch im Volke leben oder gelebt haben? VASEL :
Nun, da sieht man wieder die Verkehrtheit Ihres Urteils, wie in allem tritt es auch hier hervor. Leute sind es, die nicht arbeiten wollen, und die sie wählen, sind nicht besser. D R . WOHLMUTH :
Nun hören Sie aber auf! Schämen Sie sich, Herr Pastor, ein und eine halbe Million deutscher Staatsbürger zu beleidigen! Vorläufig sind Sie mir auch die Antwort auf meine Beweisführung schuldig geblieben! VASEL:
Der Mann hat gehandelt, wie er handeln mußte. Wem soll der Mund da nicht einmal überlaufen, wenn man sieht, wie 'das arme Volk betört wird und sich immer mehr unserm Einfluß entzieht. Im übrigen konnte er doch den Inhalt des Buches recht gut kennen, ohne daß er es gelesen hatte, war es doch gerade im Leipziger Tageblatt genug erläutert worden! BÄR:
Nun, Herr Pastor, ich weiß nicht, aber das von Ihnen erwähnte Blatt dürfte doch kein Mann Ihres Standes als Quelle benutzen; denn so recht lauter scheint mir dieselbe nicht zu sein. Im übrigen muß ich Ihnen auch sagen, daß Sie selber über das Ziel schießen; z. B. meine Leute sind sehr fleißig, arbeiten täglich vierzehn bis fünfzehn Stunden, aber den Sozialdemokraten haben sie, scheint's, alle gewählt. DR. WOHLMUTH:
Was sagen Sie, Herr Kommerzienrat, Sie lassen vierzehn bis fünfzehn Stunden arbeiten? War nicht der zehnstündige Arbeitstag in Ihrer Fabrik eingeführt? 108
BÄR:
Ja, der war eingeführt, aber die Aufträge haben sich so gemehrt, daß uns nichts übrig blieb, als Überstunden arbeiten zu lassen. D R . WOHLMUTH:
Das gibt mir aber doch den besten Beweis für die Notwendigkeit der Sozialdemokratie. Sie hatten also, wie Sie selber sagen, die besten Absichten, den zehnstündigen Arbeitstag einzuführen? BÄR:
Freilich! denn eine Einbuße hätte ich bei dem damaligen ruhigen Geschäftsgang kaum gehabt. Jetzt würde ja die Sache etwas anders sein. Im übrigen haben doch auch die Arbeiter einen bedeutenden Nutzen. Die Leute verdienen doch viel mehr Lohn! D R . WOHLMUTH:
Das schafft ihnen ganz gewiß keinen Nutzen, denn es geschieht auf Kosten ihrer Gesundheit. Meiner Ansicht nach gibt es nur einen Ausweg, und das ist, wenn gesetzlich ein allgemeiner Arbeitstag festgelegt wird, wie er für einen Menschen ohne Schädigung seiner Gesundheit zuträglich ist. VASEL:
Da sieht man mal wieder den gelehrten Mann; wie sollte es unter solchen Bedingungen noch möglich sein, sein Geld in Fabriken anzulegen! D R . WOHLMUTH:
Das zu überlegen läßt Ihnen doch Ihr Beruf Muße genug. Er sieht nach der Uhr
Im übrigen, meine Herren, ist die Zeit so weit vorgeschritten, daß ich mich heute leider empfehlen muß. 109
VASEL :
Wenn Ihnen meine Begleitung angenehm ist, würde ich mich Ihnen anschließen. D R . WOHLMUTH:
Nun, wir müssen schon noch ein Stück zusammen gehen, ob angenehm oder nicht! BÄR:
Also Sie wollen wirklich gehen! Schade! Freilich die Unterhaltung war etwas erregt, aber ich denke, für uns alle nicht ohne Nutzen, wenigstens habe ich manche Klarheit gewonnen. Die Zeit ist auch schnell vergangen ! D R . WOHLMUTH:
Warum nicht, wenn man sich über die wichtigsten Fragen des Lebens unterhält? Wem sollte es da langweilig werden? Nun, also nichts für ungut, Herr Kommerzienrat. Ich empfehle mich Ihnen! VASEL :
Ich habe heute den Kürzeren gezogen, doch wir werden das allmählich gewöhnt. Auch ich empfehle mich, bester Herr, und hoffe Ihnen doch noch wichtige Dienste leisten zu können. BÄR:
Sollte mich freuen, meine Herren! VASEL u n d D R . WOHLMUTH:
Gute Nacht, Herr Kommerzienrat! BÄR:
Gute Nacht, meine Herren! Der Kommerzienrat
geht nachdenklich
Nach
tritt durch die Seitentür
Marie
110
kurzer
Pause
durch das seine
Zimmer. Tochter
MARIE :
Schon ganz allein, lieber Vater? Alles schon fort! Sie geht auf den Vater zu und grüßt
ihn.
BÄR:
Ach. Du bist auch schon wieder zurück? Ja, die Herren sind eben fortgegangen — war ein recht bewegter Abend. Die Meinungen platzten rücksichtslos aufeinander, mit der alten Gemütlichkeit dürfte es vorbei sein. MARIE :
Aber der Herr Doktor und der Herr Pastor waren doch immer zwei ganz gute Gesellschafter? BÄR:
Was hilft es, die Fragen der Zeit drängen sich überall herein. MARIE :
Aber willst du da noch nicht zur Ruhe gehen, es würde gewiß besser für dich sein. BÄR:
Ich muß schon noch etwas warten. Es findet im Gasthof eine Versammlung statt. Werner hat mir versprochen, gleich nach Schluß Bericht zu erstatten. Er sieht nach der Uhr.
Eigentlich könnte er schon hier sein. Er wirft sich in einen
Stuhl.
Aber man kann auch schon fast gar nichts mehr unternehmen, wobei man nicht an die tollen Zustände unserer Zeit gemahnt wird. Das einzige ist noch die Arbeit, die hilft über alles hinweg. 10
Schröder
111
MARIE :
Aber lieber Vater, eigentlich begreife ich dich nicht recht; wenn du mit den verschiedenen Zuständen nicht zufrieden bist, warum legst du nicht öffentlich deine Meinungen klar? BÄR:
Ei sieh einmal, mein kluges Töchterlein, was sie schon schwatzen kann. Sollte mir gerade noch in meinen alten Tagen einfallen, mich in der Öffentlichkeit herumziehen zu lassen. MARIE :
Väterchen, ich glaube von deinem Kontor aus faßt du doch manches recht einseitig auf. Es wird gewiß nicht mehr alles so sein, als wie du noch jung warst. Du bist doch auch älter geworden. Die Zeiten haben sich gewiß seit deiner Jugend sehr geändert. BÄR:
Ei, du kleines Klugschnäbelchen, was du nicht alles weißt, ich muß schon noch bei dir in die Schule gehen, da wird es schon besser werden. MARIE :
Das könnte schon möglich werden, ein bischen Lebensfreude und ein bischen Lebenslust würde ich dir wohl beibringen. Lieber Vater, warum ärgerst du dich eigentlich immer noch mit der alten garstigen Fabrik? Wir könnten doch unser Leben viel ruhiger genießen. BÄR:
Komm nur nicht auf das Kapitel. Du kennst doch meinen Willen. So lange ich den alten Kopf noch oben habe, wird nichts daraus. Das Stubenmädchen 112
tritt
ein.
MINNA:
Herr Kommerzienrat, der Herr Werner läßt fragen, ob Sie ihn noch zu sprechen wünschen? BÄR:
J a , lassen Sie ihn nur eintreten! MARIE :
Willst du dich heute abend noch aufregen, lieber Vater? BÄR:
Laß nur gut sein, wird so schlimm nicht werden! W E R N E R tritt
ein:
Guten Abend, Herr Kommerzienrat! Guten Abend, Fräulein! BÄR:
Guten Abend, lieber Werner! Nun, wie ist es denn abgelaufen? Sie machen ja ein recht bedenkliches Gesicht! WERNER :
Leider kann ich auch keine günstige Nachricht bringen. BÄR:
Wie? So hat man Sie nicht angehört oder hat man Ihre Vorschläge von der Hand gewiesen? Nehmen Sie doch ein wenig Platz! W E R N E R setzt
sich:
Die Versammlung war natürlich sehr gut besucht. Unsere sämtlichen Arbeiter waren anwesend. Obgleich der Redakteur von der „Fackel" selbstverständlich sehr warm für einen allgemeinen Feiertag eintrat, seine Ausführungen auch mit guten Gründen belegte, so wäre es mir doch gelungen, die Versammlung für meine 10*
113
Ansicht zu gewinnen und wenigstens soweit durchzudringen, daß man von einer allgemeinen Arbeitseinstellung Abstand nahm. BÄR:
Das ist Ihnen nicht gelungen? WERNER:
Leider nicht! Wie gesagt, man hatte sich meinen Gründen nicht verschlossen. Wir hatten sehr sachlich diskutiert. Eben sollte zur Abstimmung geschritten werden, da bittet jemand um das Wort und hält eine solche von Begeisterung durchdrungene Ansprache, daß es mit der Durchdrückung meiner Ansichten vorbei war. BÄR:
Was! Wie war denn das möglich? WERNER :
Das zu sagen bin ich außerstande, ich selber war von der Rede so ergriffen, daß ich vielleicht selber für die Einstellung der Arbeit gestimmt hätte, wenn ich nicht nur als Ihr Bevollmächtigter dort war. Es war, als wenn etwas von jenem Geiste durch die Versammlung ging, der uns von den christlichen Aposteln geschildert wird. Wenn es dem jungen Herrn gelingt, noch öfters solche Ansprachen zu halten, wird man bald für ihn durchs Feuer gehen. BÄR:
Was! Von welchem jungen Herrn reden Sie denn? WERNER:
Ja so! Ich habe ganz vergessen zu sagen, daß der Redner, von dem ich soeben sprach, Ihr Herr Sohn war.
114
BÄR:
Mein Sohn ist in der Versammlung für die Feier des ersten Mai eingetreten? WERNER :
Leider kann ich nur berichten, was ich gehört habe. BÄR:
Ich danke Ihnen, Werner, daß Sie sich dem Auftrag unterzogen haben! Haben Sie gesagt, daß Sie in meinem Auftrag handelten? WERNER :
Nein, ich habe nur die allgemeinen Gründe angeführt, die dagegen sprechen, und das konnte ich um so leichter und ungenierter, als ich j a auch von Ihren Ansichten ganz durchdrungen war. Jetzt freilich wäre es mir nicht mehr möglich. BÄR:
Nun, es wäre mir lieb, wenn Sie darüber schweigen wollten, daß Sie in meinem Auftrag handelten. WERNER :
Das liegt ja auch in meinem Interesse. Unsereiner verliert nur allzuleicht das Vertrauen der Leute. Man wird sowieso immer halb als Verräter angesehen! BÄR:
Nehmen Sie nochmals meinen Dank! Vielleicht sprechen wir später noch von der Sache. Sollte ich morgen etwas später in das Kontor kommen, so hat das nichts zu bedeuten. Sollte sich etwas Wichtiges ereignen, melden Sie es mir sofort. WERNER:
Ganz wie Sie bestimmen, Herr Kommerzienrat. Gute Nacht! ab 115
Bär: Gute Nacht, lieber Werner! Es ist ein vortrefflicher Mann, dieser Werner, noch einer von den wenigen, der mich ganz versteht. Aber es schien mir bald, als spräche er mit einer gewissen Begeisterung von dem Bruno. Weißt du, was dein Bruder getrieben hat, so lange er hier ist? Marie : Ich habe nicht viel mit ihm reden können. Er hat sein Zimmer kaum verlassen, er war viel mit Schreiben beschäftigt. Bär: Es hilft nichts — wir müssen miteinander fertig werden, je länger ich die Sache aufschiebe, um so schwieriger wird es. Er klingelt. Marie : Was willst du tun, lieber Vater? Bär: Das wirst du ja gleich hören. Das Stubenmädchen tritt ein:
Ist mein Sohn daheim? Minna: Der junge Herr ist eben in sein Zimmer gegangen. Bär: Sagen Sie ihm, ich wünschte ihn noch heute abend zu sprechen! Minna: Soll sogleich geschehen! ab.
116
MARIE :
Aber lieber Vater, wie kannst du dich so aufregen! Du wirst Dir gewiß schaden! BÄR:
Ach was, dummes Zeug! Es ist die höchste Zeit, zwischen uns beiden muß Klarheit werden. Mag er sich entscheiden. Das fehlte mir noch, daß ich mir von meinem eignen Sohne die Arbeiter aufhetzen lassen sollte! Heute noch will ich hier Ordnung schaffen! MARIE :
Aber lieber Vater, sei doch nicht so böse, Bruno hat gewiß nichts getan, was unrecht ist. BÄR:
Die Sache muß einmal ausgetragen werden. Dein Bruder will seinen bisherigen Lebensgang unterbrechen; so schwer es mir auch wird, ich würde mich mit deijx Gedanken aussöhnen können, denn ich weiß, er hat bisher fleißig gearbeitet, sonst hätte er weder das Examen so glänzend bestanden, noch würden ihm die Auszeichnungen zuteil geworden sein. Aber er muß sich entscheiden, was werden soll. Irgendeinen Beruf muß er sich erwählen. MARIE :
Nun, laß ihm doch nur etwas Zeit, er wird das ganz gewiß auch tun, aber wenn ihr beide so heiß aneinander geratet, kommt gewiß nichts Gutes heraus. Nicht wahr, du zankst nicht mit ihm wegen der Rede? Er hat es gewiß gut gemeint. BÄR:
Er ist ein gelehrter, ein vernünftiger Mann und als solcher muß er wissen, was er seinem Vater schuldig ist. Er muß auch wissen, daß sein Vorgehen in der Versammlung zu keinem guten Ende führen kann. Die Leute sind schon unruhig, nun hilft der auch noch mit!
117
MARIE :
Aber Vater, du weißt doch gar nicht, was Bruno gesprochen hat! BÄR:
Einerlei, schon der Gedanke, daß er überhaupt gesprochen hat — doch wir werden ja gleich hören. Ich höre ihn kommen. Bruno
tritt ein.
BRUNO:
Guten Abend, Vater! Guten Abend, Schwesterchen! Beide erwidern seinen
Gruß.
BÄR:
Nimm Platz, ich habe dich rufen lassen, um etwas Wichtiges mit dir zu sprechen! BRUNO:
Was wünschest du, lieber Vater? BÄR:
Es wäre mir erwünscht, wenn du dich recht bald über deinen künftigen Lebensweg entscheiden wolltest! BRUNO:
Meine Entscheidung habe ich getroffen und würde sie dir morgen mitgeteilt haben. — Wenn ich meinen Wünschen folgen dürfte, möchte ich in die Fabrik eintreten. Wenn es nicht anders geht, fange ich als einfacher Arbeiter an! BÄR:
Man möchte bald an deinem Verstand zweifeln. Rechtsgelehrter, die besten Zeugnisse stehen dir zur Seite, und
118
dann Fabrikarbeiter, wer hat schon solchen Unsinn gehört? BRUNO:
E s ist aber mein innigster Wunsch! BÄR:
Von dem du doch wohl nicht erwartest, daß ich ihn erfüllen soll. Wenn du keine vernünftigeren Wünsche hast, wirst du kaum auf Erfüllung derselben von meiner Seite rechnen können. BRUNO:
So sehr ich dieses in unserm beiderseitigen Interesse bedauere, will ich doch nicht weiter in dich dringen. Nur möchte ich dir noch mitteilen, daß ich dann morgen dein Haus verlassen werde! BÄR:
Nun! Und zu welchem Zweck? BRUNO:
Darüber müßte ich dir allerdings vorläufig die Antwort schuldig bleiben. BÄR:
So, so, das wird ja immer besser! Mein Herr Sohn wird doch wohl noch gestatten, daß ich frage, was er mit meinem Geld anzufangen gedenkt! BRUNO:
Du hast recht, mich daran zu erinnern. Ich habe lange genug von deinem Gelde gelebt, das dürfte nun vorbei sein. Für mein weiteres Fortkommen werde ich schon selber sorgen. BÄR:
Das ist ja prächtig! Nun, da wären wir ja fertig miteinander. Doch auf die Frage wirst du mir wohl noch 119
Auskunft geben. Du warst heute abend in der Arbeiterversammlung? BRUNO:
JaBÄR:
Du hast es unternommen, den Volksaufwiegler zu spielen! Das ist recht nett von meinem Herrn Sohn, die Arbeiter seines eignen Vaters aufzuwiegeln! BRUNO:
Wer wagt das zu behaupten? BÄR:
Du siehst, daß ich davon unterrichtet bin, woher, kann dir doch gleichgültig sein! BRUNO:
Das ist eine ganz infame Lüge! BÄR:
Da gehen wahrscheinlich unsere Begriffe auseinander. Im übrigen können wir das auch ruhiger verhandeln! BRUNO:
Ich werde nie dulden, daß man die Leute zu verleiten sucht, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln! BÄR:
Das wird wohl niemand versucht haben. Meine sämtlichen Arbeiter haben ebenso wie ich die größten Interessen daran, wenn die Arbeit nicht unterbrochen wird und der Betrieb geregelt fortgeht; würde doch dieser eine Tag einen Arbeitslohn von neunhundert Mark ausmachen, der den Leuten verloren ginge. Meine Verluste wirst du danach berechnen können! 120
BRUNO:
Schlimm genug, Vater, daß du über den Interessen deines Geldschranks und Kontorpults jeden Blick für das öffentliche, für das allgemeine Wohl verloren hast! Wie dir geht es den meisten deiner Fachgenossen! Ihr lebt in dem Wahne, das ganze menschliche Wohl hinge von eurem Geldschrank ab! Wenn du jenen großen Gedanken begriffen hättest, wie er sich der Feier des ersten Mai ausspricht, wie er gerade in der Ausführung so unendlich segensreich für die ganze Menschheit zu werden verspricht. Wahrhaftig, ich kann es nimmermehr glauben, daß du es Aufwiegelei nennen würdest, wenn man die Leute für diesen Gedanken zu gewinnen sucht. Jene einfachen Männer der Arbeit — sie ahnen, daß ihnen in dem Gedanken das Frührot einer besseren Zeit leuchtet! Darum hielt ich es für notwendig, sie zu warnen, als man im Begriff war, sie auf einen falschen Weg zu führen! BÄR:
Wahrhaftig, man sieht, daß du nicht vergeblich in Paris warst, du hast dir dort den Kopf gehörig mit Hirngespinsten vollgesogen. Eine bessere Zukunft kann nur durch harte, ununterbrochene Arbeit für den einzelnen wie für die Gesamtheit errungen werden. Ein Narr, wenn nicht noch etwas Schlimmeres, ist jeder, der dem Volk es anders lehrt! Was soll uns so ein allgemeiner Feiertag? Wir könnten doch froh sein, daß wir die vielen Feiertage, die uns aus der katholischen Zeit geblieben sind, beseitigt haben! Jetzt kommt man wieder mit solcher Feiertagerei! BRUNO:
Obgleich ich daran zweifele, dir das richtige Verständnis der Sache beizubringen, so möchte ich dich doch einmal fragen: Hast du nicht noch bisher die Bußtage mitgefeiert, obwohl ich annehme, daß dir der Zweck so gut wie mir ziemlich unbekannt ist. Bist du nicht bestrebt gewesen und hast du nicht immer dafür Sorge getragen, daß ja an dem sogenannten Nationalfest — dem Tage 121
von Sedan — die Arbeit in deiner Fabrik geruht hat? Ja, du hast noch beträchtliche Geldopfer gebracht, damit er ja recht glänzend gefeiert werden konnte! BÄR:
Du weißt doch, daß die ersteren auf gesetzlichen Einrichtungen beruhen, und den Sedantag zu feiern wird man durch die öffentliche Meinung gezwungen. Man würde als unpratriotischer Mann gelten, ja man würde wohl gar als Reichsfeind bezeichnet werden! BRUNO:
Schlimm genug, wenn es so ist! Aber die Schuld trägst du und deine Standesgenossen! Weil ihr für nichts Sinn habt, als eure Güter zu vermehren, habt ihr auch für keinen andern Gedanken Raum: du bist, wie du eben doch so ziemlich zugestanden hast, von der Überflüssigkeit dieser Einrichtungen überzeugt, findest aber nicht die Zeit und den Mut, öffentlich für deine Meinung einzutreten, ja gar noch mehr, du läßt dich von den Zeitungsschreibern tyrannisieren! Was wird denn mit den Nationalfesten bezweckt? sich immer und immer wieder an den Erfolgen zu berauschen, die der Vergangenheit angehören, deren Erinnerung nur dazu angetan ist, die Menschen immer mehr einander zu entfremden. Wie ganz anders jetzt, welch erhebender Gedanke liegt schon in einem internationalen Feiertag! Nicht mehr in einer Stadt, nicht in einem Lande, nein in der ganzen Welt, wo zivilisierte Menschen wohnen, soll an einem Tage die Arbeit ruhen. In einer Stunde sollen Millionen und aber Millionen die Hände erheben und feierlichst geloben: Wir wollen Zustände herbeiführen, welche die Arbeit dem Menschen nicht mehr zum Fluch machen, sie soll ihn nicht mehr noch oft unter das Tier erniedrigen! Nein! Die Arbeit soll im wahrsten Sinne zum Segen für die Menschheit werden! Wir wollen alles aufbieten, daß die Bruderliebe keine Sage mehr bleibt! Wir wollen, was das Christentum 2000 Jahre vergeblich angestrebt hat, zur Wahrheit werden lassen! Das Reich des Friedens, es muß entstehen! Denn wir Men122
sehen haben alle nur ein Interesse, wir haben uns nur unserer natürlichen Feinde zu erwehren! Glaubst du nicht, daß ein solcher Gedanke des Feierns wert ist? MARIE :
Bravo, Bruno! Bravo! Das ist herrlich! BÄR:
Ja, Kinder und Narren kannst du wohl mit deinen Ausführungen überzeugen, aber mir fehlt der Glaube an diese Menschheit, wie du sie dir da vormalst, in der Wirklichkeit ist sie ganz anders. Da herrschen andere Mächte als Bruderliebe. Jener Grundsatz: Wer die Macht hat, hat das Recht! geht durch das Leben des einzelnen wie das der Menschheit. So wird es auch noch lange bleiben! Wir können nur auf unsere Nationalmacht, auf unsere Soldaten, auf unsere Festungen, auf unsere Flotten, auf unsere Waffen bauen; sie werden uns weiterbringen als eure Ideen! Was soll denn das auch für ein Schlaraffenland werden, wenn jeder Kampf aufhören soll! BRUNO:
Das Gebiet des Kampfes wird noch groß genug bleiben. Wir haben noch Naturgewalten zu besiegen, daß sie nicht immer wieder in unsere Kultur zerstörend eingreifen. Unendliche Gebiete des Wissens sind zu pflegen. Wir sind noch weit von jenem Ziele, bis wir sagen können: Wir wissen, was wir wissen müssen, wir können, was wir können müssen. Auch haben wir noch einen schweren Kampf mit der Roheit und Dummheit zu kämpfen. Darum begrüße ich den ersten Mai als ein Frühlingsfest der werdenden Menschheit. Nicht vergangene Triumphe sind es, die wir feiern wollen, nein, die Zukunft begrüßen wir, ihr wollen wir unsere Taten weihen! Darum ist der Tag auch in einer Jahreszeit gewählt, wo wir den Winter hinter uns haben, wo die Kämpfe in der Natur auch wohl groß und verheerend auftreten, aber wir wissen: der Frühling wird siegen und die Natur wird sich neu beleben und sie lacht uns 123
freundlich entgegen! Doch ich hatte vergessen, daß ich tauben Ohren predige. Dich werde ich ja nicht überzeugen, im günstigsten Falle hältst du es für Jugendschwärmerei ! BÄR:
Da hast du recht, ich habe ein Leben hinter mir und weiß, daß ich mir nur durch Kampf errungen habe, was ich besitze, durch einen Kampf, in dem dann alle Mittel recht sein müssen! MARIE :
Aber desto offenere Ohren findest du bei mir, lieber Bruno! Ja, der Herr Werner hat recht, es ist ein neuer großer Geist, der aus deinen Reden weht, o dieser Geist wird gewiß noch Großes für die Menschheit bringen! BÄR:
Kind, was verstehst du davon, was einem Volk nützt oder schadet? BRUNO:
Nun, da bin ich doch der Meinung, daß der Blick für das Wahre, für das Recht bei einem Kinde noch ungetrübter ist als bei einem ergrauten Geschäftsmann. Doch wir kommen von dem eigentlichen Zweck unserer Unterredung ab. BÄR:
Da irrst du! Ich habe von Werner vernommen, daß du ihm in der Versammlung entgegengetreten bist, daß nur auf deinen Rat der Beschluß gefaßt worden ist, den ersten Mai feierlich zu begehen! Nun kenne ich ja deine Ansichten! Glaubst du wirklich, ich wäre noch Tor genug, einen solchen Wolf in meinen Schafstall aufzunehmen ! Du würdest das, was ich errungen, bald vernichten! Nein, den Gedanken schlage dir nur aus dem Sinne, in meine Fabrik kommst du niemals!
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BRUNO:
Wie du willst, Vater, dann trennen sich auch unsere Wege, dann werde ich heute noch dein Haus verlassen! BÄR:
Was unterstehst du dich gegen deinen Vater? MARIE :
Bruno, Bruno! Vater, mäßigt euch! BRUNO:
Ich tue, was ich muß, ich werde öffentlich für meine Ideen eintreten. Ich werde sehen, ob ich da auch so taube Ohren wie bei meinem Vater finde! Lebt wohl! Wendet sich ab und will zur Tür gehen. BÄR
hat sich während der letzten Worte schon mehrmals nach der Brust und dem Kopfe gegriffen. Im Augenblick, wo Bruno sich zur Tür wendet, bricht er zusammen mit dem Rufe: Das ist zuviel! Marie springt hinzu, Bruno wendet sich an der Tür um.
DRITTE ABTEILUNG Großer Saal, mit Sinnsprüchen, Laub- und Blumengewinden geschmückt. Im Vordergrund der Bühne ist ein Rednerpult aufgestellt. Die ankommenden Festteilnehmer setzen sich auf bereitstehende Stühle oder vereinigen sich zu plaudernden Gruppen. Wenn der Vorhang aufgeht, ist noch alles leer, nur Wirker steht neben dem Pult und ordnet Papiere, zieht eine Glocke aus der Tasche und setzt sie auf das Pult. Durch die Tür treten ein Wild und Gradaus. 125
GRADAUS :
Das habt ihr aber herrlich gemacht! Nun fange ich aber doch an zu merken, daß die Sache feierlich werden kann! WILD:
Nicht wahr, dir geht ein Licht auf! Ja wenn das Volk nur einig ist, kann es auch große Werke schaffen. auf Wirker
zugehend.
Natürlich, du bist wie immer der erste auf dem Platze. Guten Morgen, Freunde! Sie begrüßen sich
gegenseitig.
GRADAUS ZU Wirker.
Man darf dich wohl noch besonders beglückwünschen. Ist es wahr, daß deine Tochter gesund ist? WIRKER :
Ich danke, ja; das macht mir den heutigen Tag zu einem besonders freudigen, daß auch sie sich an der Feier beteiligen kann! Dr. Wohlmuth hat sich aber auch sehr große Mühe um ihre Genesung gegeben. WILD:
Ja, ja! Das ist einer der wenigen Männer, die, obgleich nicht zu unserem Stande gehörig, doch ein warmes Herz für die Arbeiter haben. Aber ich will es euch gerade heraus sagen: daß sich auch Kinder und Frauen an der heutigen Feier beteiligen sollen, gefällt mir nun gerade nicht. GRADAUS:
Warum nicht! Geben wir uns nicht schon lange alle Mühe, die Frauen für unsere Sache zu interessieren, welche doch auch zugleich die ihre ist. Wenn wir sie bei solchen Gelegenheiten fernhalten, wie soll da das Interesse erwachen? Für die Kinder ist es geradezu eine Notwendigkeit, daß sie dabei sind. An solchen großen 126
Augenblicken sollten die Kinder immer teilnehmen. Eine solche Erinnerung aus der Kindheit bleibt für das ganze Leben haften! WILD:
Das mag vielleicht wahr sein, aber leider sind so viele Eltern so unvernünftig, daß sie die Kinder bei solchen Gelegenheiten nicht streng genug beaufsichtigen, und dann gibt es Veranlassung zu Störungen. GRADAUS :
J a , da hast du ganz kleine Kinder im Auge, die nun einfach von der Sache nichts verstehen; da magst du j a recht haben! Nun, soweit Aufsicht nötig ist, übernehme ich dieselbe! Habt ihr denn Nachricht von auswärts, ob die Feier eine allgemeine werden wird? WIRKER:
Scheint fast, als wenn es dieses Jahr noch nicht dazu kommt. Das ist eigentlich recht zu bedauern! WILD:
Zu bedauern bleibt das wohl. Aber man hätte auch mehr für die Aufklärung tun sollen! WIRKER:
Nun, bei uns ist die Sache doch genug besprochen worden. Wenn es in allen Arbeiter kreisen so geschehen wäre, müßte es schon gelingen! GRADAUS:
Das ist wohl wahr, es ist vielfach besprochen worden, aber so recht klar ist mir die Geschichte immer noch nicht! WILD:
Das begreife ich nun freilich nicht! Werner hat die Gründe klar und deutlich auseinandergesetzt, die gegen 11
Schröder
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eine allgemeine Feier sprachen. Er stand freilich auf dem Standpunkt des Kapitals. Von dieser Seite ist man gewohnt, eine jede Sache nach einer gewissen Geldsumme abzuschätzen. Wenn man das freilich mit dem ersten Mai versucht, kommt allerdings nur Verlust heraus! WIRKER :
Der junge Herr hat uns aber doch auch die ideale Seite der Sache gezeigt, und er hat uns doch gerade durch seine Ausführung bewiesen, wie sehr wichtig es ist, diesen großartigen idealen Gedanken zu verwirklichen! GRADAUS :
Das ist's ja aber, was ich sage: man hat für die Verwirklichung noch nicht genügend getan! Auch ihr hättet gleich in der ersten Versammlung ein bestimmtes Programm vorlegen sollen, worin klar und deutlich ausgesprochen war, was an dem Tage geschehen soll und wie derselbe ausgefüllt werden solle. Wenn euch der junge Herr in der Versammlung nicht zu Hilfe kam, wer weiß was geschehen wäre! WIRKER:
Wir konnten aber doch kein Programm aufstellen für eine Sache, die noch nicht beschlossen war! GRADAUS :
Warum denn nicht? wenn ihr das getan hättet, war die Sache ganz anders, dann konnten sich die Leute gleich entscheiden, ob es sich der Mühe lohnte! WILD:
Ganz unrecht kann ich dir wohl nicht geben! Die Wochenfeiertage stehen immer im Rufe des blauen Montags. Tatsächlich hat man ja auch schon in der Kapitalistenpresse die Sache so hingestellt! 128
Wirker : Das glaubt ihr doch selber nicht, daß wir durch die Aufstellung eines Programms derartige Verdächtigungen vermieden hätten! Gradaus: Da hast du recht! Aber wenn eine Sache neu ist und dafür Anhänger gewonnen werden sollen, muß man möglichst dafür sorgen, daß Klarheit darüber verbreitet wird. Warum habt ihr denn nicht wenigstens jetzt ein Programm veröffentlicht? Wirker: Wir wollten die Kosten des Druckes sparen. Wir haben doch genügend bekanntgemacht, daß die Feier um zehn Uhr vormittags stattfindet. Wenn ich nun die Einzelheiten bekanntgebe, wird das wohl genügen? Gradaus: Mag sein, aber an solchen Sachen soll man nicht sparen! In den großen Städten muß die Sache aber doch einen ganz bedeutenden Umfang annehmen. Mein Neffe steht in Lindstadt beim Militär, der schrieb mir, niemand dürfe an dem Tage aus der Kaserne! Wild: Das scheint allmählich Mode zu werden, wenigstens habe ich etwas Ähnliches schon bei der Reichstagswahl gehört. Die armen Schelme tun mir eigentlich leid! Wirker: Es bleibt doch aber immerhin bedauerlich, daß man jeder Regung des Volks so mißtrauisch gegenübersteht. Man sollte sich doch endlich daran gewöhnen, daß Männer, die von ihrer frühesten Kindheit an für ihr Leben, für ihre Existenz kämpfen müssen, auch nicht mehr wie Kinder geleitet sein wollen! 11»
129
GRADAUS :
Das würde vielleicht anders sein, wenn die maßgebenden Personen einen richtigen Blick in die Verhältnisse tun könnten, aber sie müssen sich eben auf Berichte verlassen. WILD:
Du meinst, daß sie getäuscht würden? GRADAUS :
Wenigstens wird es sehr schwer werden, eine Sache ungeputzt im Scheine der Wahrheit zu sehen. Wo immer zum Beispiel ein Fürst außerhalb seiner Residenz den Fuß hinsetzt, wird doch alles aufgeboten, die Sachen zu entstellen, das heißt immer nach der schöneren Seite. Doch wißt ihr denn nicht, wie es jetzt in der Villa bestellt ist; ich hörte, es sollte eine vollständige Aussöhnung zwischen dem alten und jungen Herrn stattgefunden haben ? WILD:
Freilich hat die stattgefunden; sie sind ja vorgestern alle zusammen nach Ems abgereist. Da will der alte Herr eine Kur unternehmen, es soll ihn bös mitgenommen haben. WIRKER :
E s ist gut, daß ihr mich daran erinnert — hätte es bald vergessen, euch zu sagen. Werner hat mir gestern abend einen Brief vom jungen Herrn gegeben. Er zieht einen Brief
aus der Tasche und liest denselben
vor:
Mein lieber Wirker! Unaufschiebbare Geschäfte verhinderten mich an der Ausführung meines Wunsches, Sie persönlich zu sprechen. Wichtige Familienverhältnisse führen mich fern von meiner Heimat, in der ich an diesem großen Tage so gern geweilt hätte. Aber Sie können versichert sein, daß ich im Geiste ganz bei
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Ihnen bin. Werner wird meine Stelle vertreten und Ihnen alles das verkünden, was zu wissen nötig ist und was — wie ich hoffe — wesentlich zur allgemeinen Festesfreude beitragen wird. Möge unser Vorhaben herrlich gedeihen zum Wohle aller! Herzlichen Gruß auch an alle braven Freunde von Ihrem Bruno Bär. — Nun, uns kann es nur sehr angenehm sein, wenn Herr Werner sich an unserer Feier beteiligt. Meint ihr nicht auch? WILD:
Freilich kann es uns recht sein, wenn sich auch die Leute an der Feier beteiligen, die sich keinen direkten Vorteil davon versprechen. Übrigens kommt mir Werner wie umgewandelt vor. WIRKER:
Das ist mir auch schon aufgefallen! GRADAUS:
Wie meint ihr das? WILD:
E r ist freier und freundlicher geworden. Eigentlich konnten wir uns ja früher auch nicht über ihn beklagen; aber seit der Versammlung, wo der junge Herr sprach, ist das gedrückte Wesen, was sonst oft zum Ausdruck kam, ganz von ihm gewichen. WIRKER hat schon mehrmals sieht jetzt nach der Uhr:
die Versammlung
überblickt,
Kinder, nun nehmt aber eure Plätze ein! Wirker klingelt, viele der Anwesenden, die in Gruppen plauderten, suchen einen bestimmten Platz einzunehmen. In demselben Augenblick treten auch Dr. Wohlmuth und Werner ein. Beiden wird ein Platz in der Nähe der Tribüne eingeräumt. Nachdem vollständige Ruhe eingetreten ist, besteigt Wirker die Tribüne:
131
Freunde! Brüder! Der große Tag ist angebrochen, der erste Tag, der uns als Feiertag der ganzen Welt gilt. Nicht Religion noch Nationalität hindert irgend jemand an der Beteiligung. Überall, wo die Kultur ihr Licht und ihren Schatten hinwirft, werden Millionen und aber Millionen von Menschen die Hand erheben und geloben: Wir wollen eintreten für das, was der ganzen Menschheit Nutzen und Segen schafft. Darum begrüße ich den heutigen Tag als ein Frühlingsfest des ganzen Menschengeschlechts! Ich danke euch, daß ihr alle erschienen seid, um euch an dieser großen Feier zu beteiligen! Gestattet mir, daß ich euch zunächst das Programm für den heutigen Tag verkünde: Ein allgemeiner Gesang mag uns zu unserem Vorhaben gemeinsam stimmen. Dann wollen wir feierlich aussprechen, was wir wollen, und wieder werden wir am Schluß diesen Gedanken in einem allgemeinen Liede ausströmen lassen. Dann werden wir eine Deputation wählen, welche dafür zu sorgen hat, daß das, was wir wollen, sowohl der Regierung als auch unserer Geschäftsleitung zur Kenntnis gebracht wird. Eine Mitteilung seitens des Geschäftsleiters Herrn Werner würde unsere Feier hier schließen. Damit wäre auch zugleich die Feier des Vormittags zu Ende. Nachmittag um zweieinhalb Uhr wollen wir uns hier vor dem Gasthofe zusammenfinden, um einen gemeinschaftlichen Spaziergang zu unternehmen. Abends wollen wir uns dann noch hier zur weiteren Unterhaltung zusammenfinden. Es sollte mich freuen, wenn es uns gelingen würde, Freude und Anregung für unsere Sache zu verbreiten! Wir wollen zunächst jenes wohl viel tausendmal — aber wohl noch zu keiner ernsteren Stunde wie heute — gesungene Lied anstimmen: „Brüder reicht die Hand zum Bunde!" Das
geschieht.
Mel.:
Brüder
reicht die Hand zum Bunde
. . .
Auf, nun einet euch zum Bunde, Wohl in dieser hohen Stunde Wollen wir zusammensteh'n, Schaffen, daß sich manches wende, 132
Daß nun Not und Elend ende. Dauernd werd's auf Erden schön! Wollen wir zur Freiheit halten, Müssen wir auch einig walten. Darum werd' es allen kund: Daß wir Recht und Wahrheit üben Und uns auch als Menschen lieben So sei unser Zukunftsbund! Nachdem
die letzte Strophe
verklungen,
fährt
Wirker
fort:
Wir haben die poetische Aufforderung ausgesprochen, wir haben sie ausgesprochen in der vollen Harmonie der menschlichen Stimme, und wie hier geht die Aufforderung von tausend und aber tausend Stellen aus, wer wollte da zögern, die Hand zu reichen! Wohl gibt es in allen Ländern Gesetze und Bestimmungen, welche Bündnisse des Volks verschiedener Länder miteinander mit Strafe bedrohen, welche auch hier hindernd in den Weg treten würden und störend eingreifen können, wenn dieser Bund eine äußere Form annehmen würde. Aber das ist der Fortschritt unserer Zeit, daß trotz aller Festungen und Kanonen die Entwicklung soweit gediehen und vorgeschritten ist, daß nicht mehr ein äußeres Band notwendig ist, nein, daß es eine Idee, ein Geist ist, von dem wir alle getragen werden und der uns alle zusammenführt. Gerade diese Kraft, die es ermöglicht, daß ohne Gesetze und Bestimmungen die Feier des heutigen Tages eine solch allgemeine geworden ist, sie gibt uns den besten Beweis, daß es kein Hirngespinst ist, nach dem wir jagen, nein, sie gibt uns den Beweis ,daß sie eine Notwendigkeit ist. Ja, es ist eine Notwendigkeit, daß wir uns fragen: ist der Weg, auf dem die Menschen bisher wandelten, der rechte gewesen? Können wir nicht manches in der Welt schöner und besser gestalten? Ist es richtig, wenn uns gesagt wird, wir dürften nicht an die Verbesserung unserer Lage denken; ist es richtig, wenn uns fortwährend gesagt wird, das komme einer Vernichtung der Industrie gleich, und ihr glichet jenem Manne, welcher die Henne — weil sie ihm bisher goldene Eier gelegt — schlachtete, um die Eier mit einem Male 133
zu gewinnen. O, die uns solche Geschichten erzählen, bedenken gar nicht, welchen schlimmen Dienst sie der Industrie leisten; sie bezeichnen sie gewissermaßen als eine Mutter, die ihre eigenen Kinder verspeist. Sollen wir bei einem solchen Vorgang ruhig zuschauen, bis wir auch mit verspeist sind? J a , die uns Märchen erzählen — sie bringen uns auf den rechten Weg. Nur allzusehr hat die Industrie die Form angenommen, daß ihre Produkte goldenen Eiern gleichen, die auch nicht in der Lage waren, ihren Besitzern Glück und Frieden zu bringen. Wohl vermehren sich in den großen Städten Luxusgebäude aller Art, während viele Menschen noch nicht in dem Besitz von solchen Wohnungen sind, wie sie zu ihrer Gesundheit, zu ihrem Wohlbefinden notwendig sind. Gleichen wir unter solchen Verhältnissen nicht jenem oft verlachten, unkultivierten Menschen, welcher sich mit Manschetten, Stehkragen und Zylinderhut versieht, obgleich ihm die notwendigste Kleidung fehlt? Leider ist es wie im öffentlichen Leben, aber auch im Leben des einzelnen: nur allzusehr geht der Zug der Zeit dahin, äußerlich auf Kosten der Wahrheit zu glänzen. Nur allzusehr wird auch dieser Zug von der Industrie gefördert und unterstützt. Ihr Sinnen und Trachten ist ja nur: das Kapital, nicht aber das menschliche Wohl zu vermehren! Wenn nun das Wohl von Millionen Menschen auf dem Spiele steht, sollen wir da ruhig zusehen? Sollen wir nicht darauf bedacht sein, wie Änderung zu schaffen ist? Sollen wir uns abhalten lassen, weil man uns sagt, das ist eine göttliche Weltordnung? Wir wollen uns nicht dabei aufhalten, daß dieselben Männer bei anderer Gelegenheit lehren: bei Gott ist kein Ding unmöglich. J a , wenn wir uns in der Geschichte der menschlichen Entwicklung umsehen, erblicken wir, daß überall da, wo der Mensch ernstlich will, er recht wohl in der Lage ist, seine Verhältnisse zu verbessern, sei es wie sie in unseren Beziehungen zueinander, sei es wie sie zur Natur begründet sind. Freilich gehört hier außer den notwendigen Kenntnissen auch noch der einmütige Wille dazu. Wenn ihr nun im Besitz des Willens seid, die Industrie dahin umzugestalten, daß sie zum Segen für die gesamte Menschheit wird, so sprecht es auch aus und sagt: Wir wollen! 134
D I E GANZE VERSAMMLUNG:
Wir wollen! WIRKER:
Ihr habt mir durch eure Worte kund getan, daß ihr mit mir einverstanden seid. Wir haben hiermit das Ziel unseres Strebens festgesetzt. Es ist aber auch notwendig, daß wir uns den Weg aufsuchen, welcher zu diesem Ziele führt. Schon habe ich oben gesagt, daß außer dem einmütigen Wollen auch die rechte Erkenntnis vorhanden sein muß. Diese uns zu verschaffen, muß unser heiligstes, ernstes Bestreben sein. Die Gegner unserer Bestrebungen sind sich bewußt, welche riesige Kraft in uns liegt, wenn wir uns bilden, wenn wir uns sammeln. Darum suchen sie alles aufzubieten, um dieses zu hindern. Das muß uns aber erst recht zur ganzen Entfaltung unserer Kraft anspornen und ermahnen, immer treu und einig zueinander zu stehen. Denn was uns an materiellen Gütern abgeht, können wir nur durch einmütiges Zusammenhalten ersetzen. Darum ist es notwendig, daß wir einer für den andern eintreten und uns gegenseitig helfen, wo wir können. Wenn ihr einverstanden seid, so sprecht es aus. D I E GANZE VERSAMMLUNG:
Wir wollen! WIRKER :
Wenn wir unser Ziel, wenn wir die Mittel festgestellt haben, so sehen wir, wie so recht alles eins in das andere greift. Wenn wir alles, was wir betrachteten, erringen wollen, so sehen wir, daß es notwendig ist, daß wir nicht zu sehr an Körper und Geist erschlaffen. So führt uns unsere Betrachtung auch dahin, daß der einzelne nicht mit zu viel und zu langer Arbeit überlastet werden darf. Wohl sind nun auf allen Gebieten schon unendliche Erfindungen gemacht worden, welche dem Menschen die Arbeit abnehmen und ihm das Dasein erleichtern können; aber bis jetzt hat den Nutzen nur allzu häufig 135
der einzelne, und die Gesamtheit leidet an den Schattenseiten ! Denn, obgleich die Wissenschaft schon lange festgestellt hat, daß, wenn der Mensch gedeihen soll, eine Arbeitszeit von _ acht Stunden nicht überschritten werden darf, so finden wir, daß doch nur in wenigen Fällen eine solche Einrichtung geschaffen ist. Jene klugen Leute, die da fürchten, bei einer solchen Arbeitszeit müßte die Menschheit zugrunde gehen, will ich darauf aufmerksam machen, daß es doch auch durch Untersuchungen festgestellt ist, daß ein Mensch in acht Stunden soviel Güter erzeugen kann, wie er für sich und seine Nachkommenschaft zur Erhaltung braucht. In einer langen Arbeitszeit liegt die Gefahr für unsere Kultur ! Somit sind wir, welche die Verkürzung der Arbeitszeit erstreb.en, nicht die Zerstörer der Kultur, sondern jene, die solche Zustände herbeiführen und aufrecht erhalten wollen. Wenn irgend notwendig, so ist es hier, daß wir unsern Willen unzweideutig zum Ausdruck bringen. Darum, wenn ihr mit mir einverstanden seid, daß in jedem Lande ein Gesetz erlassen wird, worin ganz klar und deutlich gesagt wird: Niemand darf in einer Zeit von vierundzwanzig Stunden länger als acht Stunden arbeiten, so sprecht es aus! D I E GANZE V E R S A M M L U N G kräftig
und
begeistert:
Wir wollen es! WIRKER:
So, ich danke! Die Kundgebung ist einmütig erfolgt. Wenn wie hier an tausend und aber tausend von Orten jetzt zu derselben Zeit dies ausgesprochen worden ist, so wird kein Staatsmann — und wäre er auch der mächtigste —, wenn jemals die Aufforderung ergeht, unsere Wünsche Gesetz werden zu lassen, hinter den Worten sich verkriechen: Die Arbeiter wollen es selber nicht. Ich glaube, der heutige Tag wird manches Licht in den Köpfen der Menschen entzünden, mag es leuchten zum Segen der Menschheit! Wir würden nunmehr drei Männer zu wählen haben, die unsere Beschlüsse der Regierung sowie der Fabrikleitung vortragen. Bitte, macht Vorschläge!
136
E I N E STIMME aus der
Versammlung:
Ich schlage Wirker, Wild und Gradaus vor. WIRKER :
Ihr habt die drei Namen gehört; habt ihr Einwendungen zu machen? — Das scheint nicht der Fall zu sein, ich nehme daher an, daß ihr einverstanden seid. Ich frage nun Wild und Gradaus, ob sie die Wahl annehmen? W I L D u n d GRADAUS :
Ja! WIRKER:
Wir würden nun ein Schlußlied singen, um dann die Mitteilung von Herrn Werner entgegenzunehmen: Mel.: Ein' feste Burg . . . Die Welt durchbraust ein neuer Geist, Was wird er Gutes künden? Hört nur, wie er so mächtig braust, Er wird viel Licht uns zünden. Schnell, prüft eure Macht, Es weicht dunkle Nacht, In Ost, West, Nord, Süd Die ganze Welt glüht. Bald lohet hoch die Flamme. Der alten Feinde schlimme Macht Sucht uns das Licht zu kürzen, Doch halten wir nur treu die Wacht, Kann's ihnen wenig nützen. Wenn einig wir bleiben, Die Zwietracht vertreiben, Dann muß es gelingen, Daß wir es erringen, In Glück und Frieden wohnen. WERNER :
Liebe Freunde! Wenn ich mich vor einigen Wochen noch gegen eine allgemeine Feier des heutigen Tages aus137
sprach, so hat mich der heutige Tag gelehrt, wie unrecht ich damals hatte. Ich danke dem Geschick, daß es mir nicht nur ermöglicht hat, an der heutigen Feier teilzunehmen, sondern daß ich auch noch Mitteilungen machen kann, die — wie ich hoffe — eure Freude steigern und euch auch zeigen werden, daß eure Bestrebungen von Erfolg sind und Würdigung finden. Wie euch schon bekannt, ist unser alter Herr auf dem Wege der Besserung, aber unser Freund Dr. Wohlmuth hielt es für notwendig, daß er so bald wie möglich eine Badekur vornehme und sich den Aufregungen der heutigen Feier nicht aussetze. So schwer es ihm wurde, den Gründen des Arztes mußte er sich fügen E r läßt euch alle grüßen und zur besseren Freier des heutigen Tages einen Betrag von 900 Mark überweisen. Der junge Herr hat die Leitung der Fabrik übernommen, und ich werde ihm dabei zur Seite stehen. Vor allem sind Vorkehrungen getroffen worden, daß die zehnstündige Arbeitszeit zur Wahrheit wird. Ein Ausfall an Lohn soll nicht eintreten, derselbe soll entsprechend erhöht werden. Da eine weitere Anstellung von Arbeitern sich bei der Einhaltung einer regelmäßigen Arbeitszeit notwendig macht, so sollen auch Vorkehrungen getroffen werden, daß die Fabrik vergrößert wird, und damit soll ein Versammlungslokal für sämtliche Arbeiter unserer Fabrik geschaffen werden, das zu allen Zwecken zur Verfügung steht, soweit sie zur Förderung des allgemeinen Wohls oder zur Unterhaltung dienen. Ebenso soll es eine Bibliothek und ein Lesezimmer enthalten. Bücher und Zeitungen, welche angeschafft werden sollen, sollen Sie selber angeben. Die Leitung würde sich nur ein etwa notwendig werdendes Vorschlagsrecht vorbehalten! Sonst wird gewünscht, daß sie einen Ausschuß aus ihrer Mitte wählen, welcher das Ganze überwacht und notwendige Einrichtungen anregt. Der junge Herr hat mich noch besonders beauftragt, seinem Bedauern Ausdruck zu geben, daß er an der heutigen Feier nicht teilnehmen kann. E r wünscht von ganzem Herzen, daß es ihm vergönnt sein möchte, die gemeinsamen Wünsche voll und ganz recht bald in seiner Fabrik zur Ausführung bringen zu können und auch sonst noch das allgemeine Wohl zu 138
fördern. Auch ich wünsche, daß alles was heute beschlossen, zum Segen gereichen möchte. Während der Rede Werners ist mehrmals eine freudige Bewegung durch die Versammlung gegangen. Dem Schluß folgt ein lautes allgemeines Bravo. WIRKER:
Ich danke Herrn Werner ebenso für seine freudige Nachricht wie für seine herzlichen Wünsche! Gradaus wünscht zu sprechen! GRADAUS:
Ich möchte vorschlagen, daß wir ein Telegramm an unseren alten wie jungen Herrn senden, worin wir unsern Gruß und Dank ausdrücken! WIRKER:
Wild bittet um das Wort! WILD:
Ich möchte mich gegen den Vorschlag von Gradaus wenden, selbst auf die Gefahr hin, daß es übel aufgenommen wird. Aber mein Grundsatz ist nun einmal: Praktisch und vernünftig. Mit einem solchen kurzen Telegramm ist nicht viel zu erreichen. Ich möchte vorschlagen, daß wir in einem Schreiben den ganzen Verlauf des Festes mitteilen und auch unsere Beschlüsse und unseren Dank beifügen. WIRKER:
Ich kann mich den Ausführungen von Wild nur anschließen! Gradaus wünscht noch einmal zu sprechen GRADAUS:
Nach den Ausführungen ziehe ich meinen Vorschlag zurück! 139
WIRKER:
Es liegt also bloß der Vorschlag von Wild vor. Sind Sie damit einverstanden? Es erfolgt kein Widerspruch; wir werden dann das Weitere ausführen. Herr Dr. Wohlmuth bittet um das Wort. Dr.
WOHLMUTH:
Liebe Freunde! Gern bin ich der Einladung eures Leiters gefolgt, um an der heutigen Feier teilzunehmen. Es gereicht mir zur großen Freude, was ich hier gesehen und gehört habe; es gibt mir den Beweis, daß unsere Arbeiter nicht nur zu arbeiten verstehen, nein, daß sie auch Feste feiern können. Aber auch die freudige Nachricht von unserem jungen Herrn, der, wie Sie wissen, auch auf dem Gebiete der Wissenschaft ein bedeutender Mann ist, ist mir Beweis davon, daß, wenn Wissenschaft und Arbeit ernsthaft Hand in Hand gehen, eine neue bessere Zeit für die Menschen kommen muß. Hoffen wir, daß es zum Segen aller recht bald geschehe! WIRKER:
Somit wären wir am Schlüsse des ersten Teiles unserer Feier angelangt. Möge der 1. Mai 1890 von den kommenden Menschengeschlechtern als der Anfang einer neuen großen Kulturperiode betrachtet werden. Ihr aber stimmt alle ein in den Ruf: H o c h l e b e die W i s s e n s c h a f t u n d die A r b e i t !
IM KAMPF DRAMA AUS DEM A R B E I T E R L E B E N I N 4 AKTEN
PERSONEN
Fels, Fabrikarbeiter
Guthans, Rechtsanwalt und
Clara Fels, dessen Frau
Vorsitzender des Verwal-
Ein Mädchen | beider
tungsrates der Fabrik K a l t -
Ein K n a b e
haupt & Co.
j Kinder
Ruhe, Briefträger, Vater
Kalthaupt, Fabrikdirektor
der Frau Fels
Schleicher. Sekretär
Frau Ruhe, dessen Ehefrau
Greif, Hauswirt des Fels
Frau Prüfer
Ein Gerichtsdiener
Sturm, Redakteur des
Ein Kontordiener
Volksboten
Gastwirt Kriminalwachtmeister
Treumann, Werkmeister Kämpf
Zwei Schutzleute
Rasch
Fabrikarbeiter
Meier Rathmann
Fabrikarbeiter
Mauler Kluge
Ort der Handlung: deutsche Mittelstadt I. A k t : In der Gastwirtschaft. II. A k t : Fabrikkontor. III. u. I V . A k t : Fels' Wohnung.
Zeit: Gegenwart. Der letzte A k t sechs Wochen später als der erste.
I.
AKT
Ein einfaches Gastzimmer gestattet. Im Vordergründe Personen mit Kartenspiel schauen dem Spiel zu.
mit Tischen, Stühlen usw. aussteht ein Tisch, um den einige beschäftigt sind, einige andere
I. Auftritt Meier,
Kämpf,
Rasch,
Mauler,
Kluge,
Arbeiter
MEIER :
Hallo! jetzt seid ihr geliefert! Trumpf, Trumpf und noch eimal Trumpf! Donnerwetter Kämpf — was ist denn das? He du Gedankensack — da hast du j a das ganze Spiel verpfuscht! KÄMPF nicht bei der
Sache
Kannst recht haben. Du weißt, ich tauge nicht zum Spiel. RASCH :
Na gib nur weiter! Ein Irrtum kann jedem passieren. KÄMPF schiebt die Karte
beiseite
Ach was, laß die Geschichte sein. RASCH:
Du wirst doch nicht mitten im Spiel aufhören? 12
Schröder
143
KÄMPF:
Behaltet den Einsatz. Habe keine Lust mehr! Ich rühre keine Karte mehr an. MEIER:
Nanu? Was ist denn eigentlich mit dir heute, du bist doch sonst kein Spielverderber! RASCH:
Kann es mir schon denken, die Versammlung steckt ihm im Kopfe! MEIER:
Unsinn! Die geht auch ohne dich fort. KÄMPF :
Wirklich, meinst du? Ich sage euch, eigentlich ist es Sünd und Schande, daß wir hier hocken und uns gegenseitig das Geld abnehmen, während da drinnen über unsere wichtigsten Interessen verhandelt wird. MEIER:
Herrgott! bist du heute unwirsch. Gib dich nur zufrieden, das wird ohne dich ebenso gründlich besorgt! MAULER :
Es ist doch auch nicht unsere Schuld, daß wir nicht in den Saal konnten, warum hat denn der kluge Fels dies kleine Loch genommen. Ich dächte, es ist genug, daß wir hier sind und das Ende abwarten. KÄMPF :
So, so! Man soll es euch noch Dank wissen, daß ihr hierher kommt und die Zeit mit Kartenspiel totschlagt, das wird ja immer besser.
144
Rasch : Höre mal, jetzt begreife ich dich aber nicht mehr, was willst du denn? Ob wir hier sitzen und das Maul aufsperren oder ein Spielchen machen — hättest du lieber weitergespielt, die Zeit wäre herum gewesen, ehe wir's gemerkt. Kämpf : Das ist es ja, was ich für unsinnig halte, die Zeit nutzlos totzuschlagen. Konnten wir unsere ganze Lage nicht auch hier besprechen, konnten wir nicht mit unseren Besprechungen hier im Kleinen aufklärend wirken, konnten wir nicht Meier ihm schnell ins Wort
fallend
Hör auf, was wir nicht alles konnten! Gar nichts konnten wir! Ich habe schon vorhin gesagt und dabei bleibe ich, der Streik kommt, ob wir in die Versammlung gehen oder nicht! Das ist meine Ansicht. Kämpf : Nun ja, das ist deine Ansicht, aber bist du denn von der Nützlichkeit des Streikes überzeugt! Meier: Überzeugt oder nicht! Ich sage, der Streik kommt, das lasse dir genug sein. Kämpf: Nein, das ist mir eben nicht genug, gerade deine Reden geben mir den Beweis, wie notwendig Belehrung ist, denn deine Schwatzerei ist mir allerdings unbegreiflich. Rasch : Meier, ich kann deinen Standpunkt auch nicht teilen. Kämpf hat nicht unrecht, wir alle sind nicht so recht von der Zweckmäßigkeit des Streiks überzeugt, folglich, 12'
145
wenn wir im Saale waren, konnten wir dagegen reden und stimmen. MAULER :
Jawohl, wenn euch der kluge Fels nicht an der Nase führte, dann hättet ihr vielleicht auch Platz gehabt. KÄMPF :
Was soll die Verdächtigung, du weißt, daß dies der einzige Raum ist, welcher für unsere Versammlung zu haben ist, und daß es so ist, ist nicht die Schuld Fels', sondern die Schuld Aller! MEIER :
Nanu, aber ruhig mein guter Freund! Du siehst doch wohl ein, daß hier niemand schuld ist, das bringen die Verhältnisse mit sich. KÄMPF:
Du mit deinen Verhältnissen. Wer macht denn die Verhältnisse? Sind wir es nicht, die sie in der Hand haben? Sind wir es nicht, die wir vieles umgestalten können, wenn wir wollen, aber zum Wollen gehört Erkennen, das müssen wir begreifen; suchen wir die Erkenntnis zu verbreiten, dann müssen die Verhältnisse auch für uns sich günstiger gestalten! RASCH
nachdenklich
Hm — so ganz unrecht magst du nicht haben, denn wenn ich mir es recht überlege, wer hat denn heute hier die Verhältnisse gemacht? Doch niemand anders als die Polizei und unsere Gleichgültigkeit. MEIER :
Da wäre ich wirklich gespannt, deine Beweise hören! 146
zu
RASCH :
Das sollst du, und dann wirst du einsehen, daß Kämpf nicht ganz unrecht hat! Nehmen wir mal als Beispiel einen Versammlungssaal! Ihr alle wißt, wie sich so ein Saal füllt. Wenn er noch leer ist, suchen sich die zuerst Kommenden die besten Plätze aus; jeder will bequem sitzen, was kümmert ihn sein Nachbar. Beim Stellen der Tische und Stühle ist der einzige Gedanke gewesen, wie man sein Bier bequem an den Mann bringen kann. Für den Wirt ist die Hauptfrage, wird ein Geschäft gemacht. Jeder hat sein Interesse in dem Auge, jeder arbeitet unbekümmert um den Hauptzweck und das Gedeihen des Ganzen. Wurde zur rechten Zeit kräftig eingegriffen, hätten gewiß noch viele untergebracht werden können, ehe die Polizei kam und sagte, der Saal muß geschlossen werden. So aber sitzen wir draußen und sagen, die Verhältnisse sind schuld. MEIER :
Dein Beispiel ist nicht schlecht gewählt! Aber so leicht wie dieser Saal mit seinen Stühlen sind doch die Verhältnisse, unter denen wir leben müssen, nicht umzugestalten. KÄMPF :
Du mußt aber doch zugestehen, daß mit Ungeschick, Eigennutz und Böswilligkeit manches hervorgebracht wird, was man vermeiden könnte, wenn man mit Vernunft zur rechten Zeit handeln wollte. RASCH:
Ja! Ich wollte wetten, bei einigermaßen vernünftiger Ordnung, bei einigem Entgegenkommen der Schutzleute würden alle, die hier sitzen und die fortgegangen sind, noch einen Platz gefunden haben. MAULER :
Was heißt vernünftige Ordnung, das ist heute auch vernünftige Ordnung, wenn der Saal durch Polizeigewalt gesperrt wird. 147
KLUGE der bis dahin ruhig zugehört:
Was weißt du! Freilich erkennt man ein geordnetes Staatswesen daran, wenn niemand ohne Wissen der Polizei ein Haar gekrümmt werden kann. KÄMPF :
Da bin ich allerdings der Meinung, gerade in einem geordneten Staatswesen wartet die Polizei, bis sie gerufen wird. Wird sich schon jeder selbst hüten, daß er nicht zu Schaden kommt. So vernünftig sind nun doch die Arbeiter, totdrücken werden sie sich nicht. KLUGE:
So redet ihr jetzt, aber passiert was, so ruft ihr alle: warum läßt die Polizei das zu? RASCH :
Kommt da mal deine Vorliebe für die Polizei wieder zum Vorscheine? Du bist ja nun einmal die Ansicht, daß für jeden einzelnen die Polizei die Vorsehung spielen soll! KÄMPF :
Und die Rolle der Vorsehung gefällt der Polizei gut, ihre Macht wird täglich größer, die Besitzenden fühlen sich nur noch im Schatten von Pickelhaube und Säbel sicher. MEIER:
Regt euch doch nicht unnütz auf, die Verhältnisse sind nun einmal so, und da könnt ihr nichts dagegen machen. KÄMPF:
Das wollen wir doch einmal sehen, wer uns das wehren will! KLUGE:
Der Kapitalismus mit allen seinen Einrichtungen sorgt, daß euch die Flügel beschnitten bleiben! 148
KÄMPF:
Das geht so lange, wie es geht, einmal kommt der Tag der Abrechnung, mag man uns hetzen, mag man uns plagen und schinden, das wird zu unserer Kraftentwicklung nur nützen; im übrigen begreife ich nicht, wenn man so sehr für die Gesundheit der Versammlungsbesucher besorgt ist, warum tut man alles, um die besseren Lokale uns unzugänglich zu machen? Warum werden denn den Wirten, wo wir verkehren, Schwierigkeiten aller Art gemacht? Geschieht das zum Wohle des Volkes? KLUGE:
Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist notwendig was geschieht, gefällt es euch nicht, so zeigt doch eure Macht. KÄMPF :
Warte es nur ab, die jetzige Behandlung könnte uns wohl bald dazu treiben, daß alle erkennen, wie hier nur einmütiges Handeln helfen kann. MAULER :
Ihr wärt die rechten Kerle! Die große Masse muß gestriegelt werden, ehe sie merkt, wo sie der Schuh drückt. Man sieht es ja, der Fels hat euch alle im Sack, ihr tanzt wie er pfeift. RASCH :
Höre, laß den Fels in Ruhe, das will ich dir nur sagen! KLUGE:
Du wirst uns doch nicht den Mund verbieten? KÄMPF:
Habt ihr am Fels was auszusetzen, sagt's ihm doch ins Gesicht. 149
MAULER :
Das ist unsere Sache, darüber brauchen wir von dir keine Belehrung. MEIER:
Aber Kinder, regt euch doch nicht unnötig auf, das ordnen die Verhältnisse ganz von selbst. KÄMPF
erregt
Schwatz doch kein Blech, hol dich der Teufel mitsamt deinen Verhältnissen! Ich dulde nicht, daß man hinter Fels' Rücken Schlechtes über ihn redet. Hoffentlich habt ihr verstanden, Burschen! RASCH :
Aber Kämpf, mäßige dich, sei nicht so laut. KÄMPF :
Ach, ich habe es jetzt satt, diese ewige Nörgelei muß ein Ende haben. KLUGE:
J a , so sind die Herren, wenn man nicht zu allem J a und Amen sagt, was sie wollen. KÄMPF :
Nur nicht mit Redensarten ausweichen, hast du was auszusetzen an Fels' Handlungen, frei heraus mit der Sprache, warum die heimliche Tuschelei hinter seinem Rücken. MAULER:
Nun da kann geholfen werden, du bist j a sein Freund, wer weiß, ob es einmal wieder so paßt, daß man einmal gründlich die Meinung sagen kann. 150
KÄMPF :
Dann schießt los! Nur heraus mit der Sprache, was wollt ihr von Fels? MAULER :
Nun in erster Linie, daß er an der Spitze der Bewegung steht. Alle
lachen
RASCH :
Das konnte ich mir denken. KLUGE:
Wir haben unsere Gründe dafür! MAULER:
Was soll überhaupt das Lachen? Die Sache ist blutigernst! Was hat der Fels getan! Nichts, rein gar nichts, als geschwätzt, hat man einer einen vernünftigen Gedanken und äußert den, so wird er von Fels über den Mund gefahren. Der große Haufen schreit Bravo und alles bleibt auf dem alten Fleck, und dabei ist er der einzige, der in der Fabrik von den Aufsehern anständig behandelt wird. Was wird denn heute wieder herauskommen ? KÄMPF :
Wenn du es besser machen kannst, warum hockst du denn hier und stellst dein Licht unter den Scheffel! Immer heraus mit deinen Kenntnissen. RASCH:
So leicht dürfte es nicht sein! Die Ansichten von Fels sind stets praktisch und durchschlagend. 151
MEIER:
Ich weiß auch nicht, was du willst, Mauler. Die Verhältnisse entwickeln sich einmal langsam, Fels kann ihren Gang weder aufhalten noch beschleunigen. MAULER sieht sich scheu um, blickt vor sich nieder, laut, jedoch
mit gedrückter
spricht
Stimme:
Das käme auf einen Versuch an; so kann es nicht fortgehen; ich mag es nicht mehr mit ansehen, wie das Elend sich immer mehr entwickelt; der Direktor ist zu keiner Unterhandlung zu haben, wir schwatzen ruhig weiter, das muß anders werden; geht es nicht im Guten, nun dann versuchen wir es auf andere Weise. schlägt mit der Faust
auf den Tisch,
daß die Gläser
klirren
KÄMPF:
Unsinn! Die Entwicklung braucht Zeit, wir müssen die Versäumnisse von Jahren nachholen, dazu müssen wir einig, organisiert sein, dann können wir etwas erreichen, sonst nicht! MAULER:
Nichts als Schwätzerei! Das Kapital und seine Macht wird euch Zeit lassen, bis ihr ausgeschwätzt. Hier heißt es eben tätig eingreifen. holt eine Schrift
aus der
Tasche
Da schaut, ich habe mir hier einige gemeinnützliche Schriften verschafft. Da sind Rezepte drin enthalten, wie man Pulver zur Vernichtung von Ungeziefer anfertigen kann. Ha! solch ein Pulver am rechten Orte angewandt, das wirkt Wunder, das nützt mehr, als eure mühsame Organisation, mit der ihr nie fertig werdet. Mit einem Fingerhut voll kann man Großes schaffen! KÄMPF :
Was ist das mit dir, Mensch? ich glaube, du sinnst Schlimmes. 152
MAULEE:
Bah! laßt mich, ihr seid doch zu dumm, um mich zu verstehen und zu feig, um mir zu helfen! will
gehen
RASCH springt
auf, drückt
Mauler
auf den Stuhl
nieder
Jetzt nicht von der Stelle, in deinem Schädel ist es wohl nicht mehr ganz richtig! K L U G E rasch
abwehrend
Laß ihn doch, der wird schon wissen, was er will! MAULER
aufspringend
Gewiß weiß ich das, und wenn ihr es wissen wollt, nun wenn hier nicht bald eine Änderung eintritt, dann fliegt der Herr Direktor mit seiner Bude in die Luft! ALLE AUSSER K L U G E :
Kerl, bist du verrückt! MAULER :
Könnt es mir ja denken, daß ihr zu dämlich seid, um den einzigen vernünftigen Weg zu begreifen, der die Not aus der Welt schaffen kann! Doch ich will euch bei euren moralischen Betrachtungen nicht weiter stören, behaltet mich im guten Andenken ab. RASCH:
Wie kann ein Mensch nur solche Gedanken in den Kopf bekommen, die Welt mit solchen Mitteln umgestalten zu wollen, das ist mir unerklärlich. KÄMPF :
Offen gestanden, ich halte es für Schwätzerei, er ist ein Großmaul. 153
MEIER:
Du meinst mit Organisationen die Welt, die Verhältnisse zu ändern, warum sollen denn nicht andere auf den Gedanken kommen. RASCH :
Und das Unrecht, so viel Menschenleben aufs Spiel zu setzen ? KÄMPF
nachdenkend
Wohl wahr, aber werden wir nicht von der frühesten Jugend an die Mißachtung des Menschenlebens gewöhnt? KLUGE:
Ich verstehe dich nicht, drücke dich doch deutlicher aus. Man
hört leises
Gemurmel.
KÄMPF :
Na, schau in die Fabrik, auf den Exerzierplatz oder wohin du willst, wird nicht überall in unverantwortlicher Weise mit dem Menschen umgegangen, der unter den größten Sorgen und Mühen großgezogen. Inzwischen
ist der Lärm
hinter
der Szene
gestiegen.
Donnerwetter! Was ist denn das, die Versammlung kann doch noch nicht zu Ende sein, die ist gewiß aufgelöst worden. Man hört Rufe: „Es lebe die Sozialdemokratie." Dann erst weit entfernt, immer näher kommend, zuletzt wieder abnehmend, den Sozialistenmarsch singen. Sämtliche Anwesende sind aufgestanden und haben schleunigst das Lokal verlassen. Bis der Gesang verstummt, bleibt die Bühne leer.
154
II. Auftritt Fels, Guthans FELS:
Wenn Sie mit mir reden wollen, dann bitte nur hierherein. GUTHANS zögernd sich
Ich weiß dürfte
nicht,
umblickend:
ob hier dazu der rechte Ort sein
FELS:
Warum nicht, mein Herr, wenn Sie es wirklich gut mit uns meinen, wie Sie sagen, so wird hier schon der rechte Ort sein, etwas Gutes kann man überall reden und anhören. GUTHANS :
D a haben Sie wohl recht! indessen nun es mag sein. E s ist mir unangenehm, daß die Versammlung aufgelöst wurde, ich hätte gern etwas mehr über die allgemeine Lage erfahren. FELS:
Das glaube ich Ihnen gern, aber uns ist die Geschichte noch unangenehmer, denn die Leute laufen nun auseinander, man hat erst recht Arbeit, wenn keine Verwirrung entstehen soll. GUTHANS:
So schlimm wird das doch nicht sein, von Ihren Leuten weiß doch jeder, was zu tun und zu lassen ist. FELS:
Wenn wir erst soweit wären! 155
GUTHANS:
Werden Sie sich nicht bei der Behörde über die Auflösung beschweren; es war ja gar kein rechtlicher Grund dazu vorhanden! FELS:
Freilich war das nicht und wir werden uns auch beschweren, aber nützen wird's nichts. GUTHANS :
Es muß Ihnen doch Ihr Recht werden, wir leben doch in einem Rechtsstaat! FELS:
Lieber Herr, das meinen Sie, wir Arbeiter denken darüber ganz anders, namentlich das Recht nach dem Vereins- und Versammlungsgesetz, — na davon wollen wir lieber schweigen Doch was wünschen Sie von mir, mein Herr, die Zeit drängt! GUTHANS :
Ich will mich kurz fassen. Wollen Sie mir nicht die Gründe angeben, die die Arbeiter veranlassen, die Arbeit niederzulegen, denn nach allem, was ich gehört, scheint ein Streik unvermeidlich. FELS:
Unsere Schuld ist es nicht, wenn es zum Streik kommt, wir sehen demselben mit schwerem Herzen entgegen. Jedoch, mein Herr, was kann Sie die Sache interessieren? GUTHANS:
J a so, ich vergaß ganz, daß Sie mich nicht kennen. FELS:
Da irren Sie. Sie sind doch Herr Rechtsanwalt Guthans. 156
GUTHANS :
Schon recht, aber als solcher dürfte ich kaum so großes Interesse für ihre Sache haben. Unbekannt ist Ihnen wohl noch, daß ich seit 14 Tagen Vorsitzender des Verwaltungsrates der Fabrik bin. FELS:
Von Kalthaupt & Co.? GUTHANS :
Von derselben. FELS:
Dann entschuldigen Sie, aber ich kann GUTHANS: schnell
einfallend
Beachten Sie das hier weiter nicht, ich hielt es bloß für notwendig, dies Ihnen zu sagen, damit Sie mein Interesse an der Sache begreifen können. Wohl weiß ich, daß vieles in der Fabrik nicht ist, wie es sein sollte, und ich habe den festen Willen, Verbesserungen einzuführen; darum wäre es mir erwünscht, aus Ihrem Munde zu hören, über was Sie klagen. In der Versammlung konnte ich noch keine Klarheit gewinnen. FELS:
O, an Ihrem guten Willen zweifle ich nicht. GUTHANS :
Nun weiter, an was zweifeln Sie? FELS:
An Ihrer Macht! GUTHANS :
Wie soll ich das verstehen?
157
FELS:
Wie ich das sage, der Herr Direktor Kalthaupt läßt sich nicht in die Karten gucken. GUTHANS:
Sie scheinen wirklich keine hohe Meinung von den Befugnissen eines Verwaltungsrates zu haben. FELS:
Leider habe ich dafür Erfahrungen. GUTHANS :
Wenn ich Ihnen aber jetzt sage, daß das anders werden soll! Sie beklagen sich über zu lange Arbeitszeit, über die durch die Überanstrengung hervorgerufenen Krankheiten? FELS:
Leider nur mit Recht, Sie können sich aus dem Bericht der Krankenkasse leicht davon überzeugen. GUTHANS:
Ich zweifle nicht daran, aber warum arbeiten Sie denn länger als die festgesetzte Arbeitszeit? FELS:
Wenn man muß, was will man machen. GUTHANS:
Muß! Wer will Sie zwingen? Sind Sie nicht Ihr eigner Herr, haben Sie nicht Ihren eignen Willen, Ihre persönliche Freiheit! FELS:
O Herr, ich möchte den sehen, wenn es heißt, heute wird bis 10 Uhr gearbeitet, der sich dann weigern wollte. Da hilft keine Widerrede. Herr, es klingt mir
158
wie Hohn und Spott in den Ohren, wenn Sie zu einem Fabrikarbeiter, bei seinen Arbeitsbedingungen, von persönlicher Freiheit reden wollen; die Lederpeitsche ist abgeschafft, aber die Hungerpeitsche wird um so stärker über uns Fabriksklaven geschwungen. Doch ich versichere Sie, so kann es nicht mehr fortgehen, mag es auch ein Ende mit Schrecken nehmen. Guthans: Nur nicht gar so tragisch! Sie sehen doch vielleicht Ihr Los zu schwarz an, doch versuchen Sie, was Sie bessern können. reicht Fels die Hand
Auf meinen Beistand können Sie rechnen. Also die Hauptbedingung ist eine Verkürzung der Arbeitszeit! Fels: Herr, vor allen Dingen eine geregelte feste Arbeitszeit. Was nützt uns auf dem Papier eine lostündige, wenn wir in Wirklichkeit 12 und 18 Stunden arbeiten müssen. Guthans: Nun, wir wollen sehen, was sich tun läßt, indessen ganz werden sich doch die Überstunden nicht beseitigen lassen, man muß doch auch die günstige Gelegenheit ausnutzen, wenn Arbeitsüberfluß vorhanden ist. Fels: Das ist eigentümlich, warum man uns nicht eine geregelte Arbeitszeit garantieren kann. Die Herren vom Rathaus und Gericht lassen sich nicht aus der Fassung bringen, wenn die Arbeit sich gleich Berge hoch anhäuft, dann heißt es, wir können die Arbeit nicht bewältigen. Nur der Arbeiter kann sich quälen, um die nötigen Groschen für die Lebensbedingungen zusammenzubringen. 13
Schröder
159
GUTHANS
verlegen:
Nun, ich verspreche Ihnen zu tun was ich kann. Ich will Sie nicht länger stören, suchen Sie mich auf, wenn Sie mich brauchen. Will
sich verabschieden,
die Nachstehenden
treten
ein.
III. Auftritt Die Vorigen.
Sturm,
Kämpf,
Meier
KÄMPF :
Sieh, da ist Fels! Guten Abend mein Herr! STURM:
Ach der Herr Rechtsanwalt! Guten Abend! GUTHANS :
Guten Abend, meine Herren! STURM:
Nun Herr Rechtsanwalt, was führt Sie denn hierher! GUTHANS :
Ich suche mir Klarheit über die Verhältnisse zu verschaffen, und die findet man immer am besten an der Quelle, STURM: wo die Wasser noch ungetrübt sind. Nun, sonst lieben doch die Herren Juristen die trüben Wässer, da läßt sich doch am besten fischen! GUTHANS :
Natürlich wieder die böse Zunge, na, von Ihnen kann man nichts Besseres erwarten sieht nach, der Uhr: Doch es ist die höchste Zeit, ich m u ß fort. Sich an Fels wendend:
Sie kennen also meine Absichten, für heute leben Sie wohl, ab 160
alle: Gute Nacht. Kämpf: Was soll das Getuschle hier mit diesem Rechtsverdreher. Wir suchen dich überall wie eine Stecknadel. Nun schmiedest du wieder Pläne mit unsern Gegnern. Nimm dich in acht, Fels! Fels: Die Drohung kannst du für dich behalten. Ich brauche keinen Vormund, am allerwenigsten dich. Sturm: Aber Genossen! — Nicht so hitzig. Feld, bist du ein Polterkopf, Kämpf meint es doch nicht so schlimm! Fels: Ganz einerlei, mich empört es, daß jeder, der einen bessern Rock hat als wir, schon ohne weiteres als unser Gegner angesehen wird, und dann ärgert mich das Kontrollieren meiner Handlungen. Sturm: Das muß man sich schon gefallen lassen, wenn man an der Spitze einer Bewegung steht. Und das Letztere ich weiß nicht — — was euch Juristen schon Gutes gebracht haben. Kämpf: Noch dazu wenn dieser Jurist, wie der Herr Guthans, an der Spitze einer Ausbeutergesellschaft steht. Das ist dir doch bekannt. Freilich du in deiner Gutmütigkeit glaubst, alle Menschen wären so ehrlich wie du. Sag lieber, was er gewollt hat. Fels: Wenn du dein Unrecht nicht einsiehst, habe ich keine Veranlassung dazu! 13
161
STURM:
Ich begreife dich nicht, kläre uns doch auf, dann ist ja alles vorbei. FELS:
Das ist nicht im Handumdrehen geschehen. euch wenigstens!
Setzt
KÄMPF :
Wir könnten auch in das kleine Zimmer gehen! FELS :
Ich habe für heute abend genug, die ewige Nachtkneiperei bringt einen zuletzt ganz runter. KÄMPF :
Wenn es aber für das Ganze notwendig ist! FELS:
Notwendig hin, notwendig her, etwas weniger Schwatzen und mehr Handeln wäre besser, es würde uns schneller vorwärts bringen. MEIER:
Kinder, aber nur keine unnötige Aufregung; wenn die Verhältnisse sich erst entwickelt haben, geht das alles leicht, aber jetzt könnt ihr euch plagen. — FELS:
Nun kommst du wieder mit deinen Verhältnissen. MEIER:
Siehst's ja was du ausrichtest, na meinetwegen, wenn du es wieder besser weißt! 162
STURM:
Menschenkinder, seid ihr heute alle aufgeregt! Ich hätte wenigstens noch meinen Grund dazu! Doch jetzt setzt euch, damit wir zum Ziele kommen. He, Wilhelm! schaff' doch mal Bier her! Sie setzen sich, der Wirt kommt, wischt den Tisch bringt Bier. Sturm wischt sich mit dem Taschentuch sicht.
ab und das Ge-
STURM:
Alle Wetter! Das war mal wieder ein heißer Abend! Da muß man Blut wie ein Fisch haben, wenn der da am Tische aufsteht und sagt: „Ich entziehe dem Redner das Wort", und man doch von der Wahrheit seiner Gedanken, von der Güte seines besten Wollens tief durchdrungen ist. Dann der Tumult in der Versammlung, ich wundere mich wirklich, wie ich es fertig gebracht habe, ruhig zu bleiben. FELS:
Was wolltest du weiter machen? Das hätte gerade noch gefehlt, daß du in die Höhe gegangen wärst. Die Versammlung wäre nicht aufgelöst worden, wenn nicht so ein Heidenlärm losgegangen wäre. Wenn das nur erst einmal die Masse begreifen wollte, daß mit Lärm gar nichts auszurichten ist. KÄMPF :
Hast gut reden, wenn einer eine Ohrfeige bekommt, so erträgt er sie vielleicht aus Gründen der Vernunft, aber weißt du, unter einem Volke möchte ich nicht leben, welches mit aller Seelenruhe sich einen Schlag ins Gesicht versetzen läßt — und das ist und bleibt so eine Versammlungsauflösung. FELS:
Magst recht haben, aber du darfst nicht vergessen, daß selbst ein solches Vorgehen noch „gesetzlich" ist. 163
KÄMPF :
Der Teufel hole die ganze Gesetzlichkeit! STURM:
Nicht so, mein Freund! Ich begreife dich und deine Gefühle, aber soll es besser werden, so müssen wir es anders anfangen, wir müssen für Abänderung solcher Gesetze wirken. KÄMPF:
Das kann lange dauern, dabei werden wir ja alt und grau. FELS:
Das sollte sich das Volk merken, ein Gesetz ist gar bald geschaffen, aber geändert, da kann man warten. KÄMPF:
Daran ist doch das Volk nicht schuld! FELS:
Nun dann seine Vertreter, wenn das etwas anderes ist! KÄMPF :
Freilich ist das etwas anderes. Was hast du z. B. vorhin mit dem Rechtsanwalt gemuschelt? Der behauptet ganz gewiß, er hat mit den Arbeitern verhandelt, und du hattest doch gar keinen Auftrag. FELS:
Das wird mir aber doch zu dumm! Du wirst mir doch noch so viel Vernunft zutrauen, daß ich weiß, was ich tue und wie ich handle. STURM:
Mach es kurz, sag uns, was dieser Guthans wollte, und wir können darüber urteilen.
164
FELS:
Damit ihr ruhig schlafen könnt. KÄMPF:
Höre Fels, solche Hohniepeleien verbitte ich mir. FELS:
Mach was du willst! Kurz, Guthans bot sich zur Vermittlung in unserer Angelegenheit mit der Fabrik an. STURM:
Das hast du doch rundweg abgelehnt.
IV. Auftritt Die Vorigen. Rasch tritt ein, bleibt stehen, horcht dem Gespräch zu. Später Kluge, Rathmann und andere Arbeiter FELS:
Wie konnte ich das. KÄMPF :
Da haben wir unseren Herrn Vertreter! Was soll denn dabei Gutes herauskommen; von dem Direktor erwartest du doch nicht noch etwas, wie? FELS:
Wer spricht denn davon. Was soll aber weiter werden, wie unterhandeln? Ihr seid wenistens alle gegen den Streik. RASCH :
Zu welchem Ergebnis das Unterhandeln führen wird, werde ich euch gleich zeigen. Wischt
sich den Schweiß
ab.
165
Ich bin tüchtig gerannt, dacht euch nicht mehr beieinander zu finden. Inzwischen treten Rathmann, Kluge u. a. ein. RASCH zieht ein Flugblatt aus der Tasche Da leset selbst. S t u r m überfliegt das Blatt Hm — hm — das sieht allerdings nicht aus wie Unterhandlung. Ja, ja es bleibt dabei, beim Kapital kann man nur etwas erreichen, wenn man die Zähne zeigt, gutwillig geben die Herrn nichts heraus. F e l s hat Sturm über die Achsel gesehen Freilich, von dem Direktor war's nicht besser zu erwarten, das war vorauszusehen! Kämpf : So! das war vorauszusehen, vorhin hast du noch selber von Unterhandlungen geredet! F e l s hastig Von Verhandlungen mit der Verwaltung, aber nicht mit dem Direktor. Kämpf: Verwaltung oder Direktor — alles eine Blase. Rathmann: Ereifert euch doch nicht, lest lieber einmal vor, was auf dem Wische steht! S t u r m : nimmt das Blatt So hört liest. Es ist uns seit einiger Zeit zu Ohren gekommen, und unsere Wahrnehmungen haben es auch bestätigt, daß eine ungewöhnliche Aufregung unter den Arbeitern unserer Fabrik um sich greift. Es ist bemerkt,
166
daß diese Erregung durch die sogenannten Fachvereine gefördert wird. Um unsere Arbeiter von unserer väterlichen Gesinnung zu überzeugen, warnen wir sie zunächst, diesen hetzerischen Einflüssen Gehör zu schenken, verbieten aber zugleich jeder Person, die in unserer Fabrik arbeitet oder Arbeit zu nehmen gedenkt, irgendeinem Arbeiterverein anzugehören oder beizutreten. Auch das Lesen des Volksboten oder gar die Verbreitung desselben ist allen unsern Arbeitern streng untersagt. Wer mit diesen für die allgemeine Wohlfahrt und Ordnung notwendigen Anordnungen nicht einverstanden ist, kann von morgen ab seine Entlassung ohne Kündigung im Kontor der Fabrik in Empfang nehmen. Kalthaupt Direktor So, da habt ihr den Ukas eures Herrn Direktors! KÄMPF :
Das ist aber doch unerhört, uns so was zu bieten! RASCH :
O der kennt seine Pappenheimer, sollst einmal sehen, wie sie rennen und wie die Mitgliedbücher fliegen. MEIER:
Laßt es nur gut sein, der hält den Lauf der Dinge auch nicht auf, so ein Direktor kann auch die Verhältnisse nicht ändern. FELS:
Trägt aber Verwirrung in unsere Reihen und stört unsere mühsam geschaffenen Organisationen. Hier müssen wir sofort eingreifen zu Rasch
Wo hast du den Wisch her? 167
Rasch:
Hier ist er, die übrigen liegen in des Direktors Wohnung zur Verbreitung bereit. Das laßt euch genug sein, was ich sonst noch weiß, möchte ich für mich behalten. Kämpf :
Das kann uns gleich sein. Auf das Blatt deutend. Aber hier müssen wir beschließen, was geschehen soll. Halt, da kommt mir ein Gedanke, wir müssen uns wenigstens das bißchen Versammlungsfreiheit wahren, das uns das Gesetz noch gelassen. Auch was wir lesen können, wollen wir selbst bestimmen, dazu brauchen wir keinen Vormund. Wer mit mir gleicher Meinung ist, wer mit mir unsere Rechte wahren will, der schlage ein. Hier ist meine Hand, wir kämpfen für die Befreiung der Arbeit. S i e l e b e h o c h ! Alle außer Kluge
stimmen
ein.
Rasch :
Nun Kluge, was wird mit dir? Hast wohl keinen Mut? Ich dächte, da brauchte es keine Überlegung, in einer solchen Stunde muß jeder Arbeiter wissen, was not tut! Kluge:
Hast recht, Ich weiß auch, was ich zu tun habe und brauche keine derartige Komödie. KÄMPF heftig erregt auf Kluge
eindringend
So! — Wenn man sich in der Stunde der Gefahr verspricht, fest zueinander zu stehen, das nennst du Komödie! Nein, hier gibt es keinen Ausweg, entweder du versprichst künftig zu handeln, wie es unser aller Wohl erfordert oder Fels:
Mäßige dich doch! Wer nicht freiwillig sich uns anschließt, den willst du doch nicht durch Zwang gewinnen !
168
KÄMPF
unwillig:
Ach was, mit deiner verfluchten Gutmütigkeit! Entweder mit uns, oder gegen uns, verstehst du, Bursche!! KLUGE:
Schreie nur nicht so laut! Ich kann hören, deine Phrasen vom allgemeinen Wohl können mich nicht rühren. Ihr seht ja auch alle, wo ihr bleibt. Fels hält Kämpf
zurück, der sich auf Kluge stürzen
will.
RATHMANN :
Jetzt ist's genug! Bis du dich eines Besseren besonnen, hast du in unseren Kreisen nichts mehr zu suchen gibt ihm einen
Stoß.
STURM Rathmann
wegschiebend:
Aber nennt ihr das Belehrung? RASCH :
Ach was, hier braucht keiner Belehrung mehr. Kluge ist alt genug, er muß wissen, was seine Pflicht ist. KÄMPF den Fels
inzwischen
beruhigt:
Überlege! Kein ehrlicher Arbeiter wird künftig dich neben sich dulden, man wird vor dir ausweichen gleich einem Aussätzigen! KLUGE:
Was geht's euch an? Ihr gebt mir Alle nichts, wenn ich nichts habe. Ich finde auch meinen Weg alleine! RATHMANN:
Nun dann mach schleunigst, sieh wo der Zimmermann das Loch gelassen hat! 169
KÄMPF
höhnisch:
Aber rasch mach die Tür von außen zu! He! D a z u brauchts wohl auch noch Überlegung? KLUGE: Rauch
Sich
bequem
der Zigarre
auf
vor sich
einen
Stuhl
setzend,
und
den
blasend.
Und wenn ich nun nicht gehen will? KÄMPF:
Wieder
heftig auf ihn
eindringend.
Nun, dann werde ich dir Beine machen! F E L S Kämpf
und Rathmann,
beide auf Kluge
eindringend,
zurückhaltend: Aber nun Ruhe! zu Kluge. Ich dächte doch, du sähest ein, daß du hier überflüssig, wenn du dich nun einmal nicht entschließen willst. K Ä M P F Fels zurückschiebend,
stürzt sich wütend auf
Kluge.
Bursche, ich breche dir alle Knochen im Leibe K L U G E : Ist
durch eine geschickte
Bewegung
!
dem Stoß
ent-
gangen. Das nennt ihr freie Überzeugung! Behaltet mich im guten Andenken lacht höhnisch und verschwindet in der Tür, Kämpf
will ihm nachstürzen,
man hält ihn
zurück.
STURM:
Das ist allerdings ein niederträchtiger Bursche. KÄMPF:
Ich begreife euch auch nicht, dem hätte es doch nichts geschadet, wenn er einen ordentlichen Denkzettel erhalten hätte! MEIER :
L a ß t ihn nur laufen, der wird seinem Schicksal nicht entgehen.
170
FELS:
Wir haben auch Besseres zu tun, als uns gegenseitig zu prügeln. RATHMANN:
Man darf aber auch nicht allzu gutmütig sein. RASCH:
Magst recht haben, aber halten wir uns dabei nicht auf, wir müssen uns klar werden, was geschehen soll. Ich fürchte, wir haben noch mehr der Klug'schen Sorte unter uns, das heißt in der Fabrik. STURM:
Das kann ich mir kaum denken, die Leute werden doch ihren eigenen Vorteil erkennen. Das liegt doch hier klar zutage, zeigt ihr keinen Widerstand, wird man euch noch wie Hunde behandeln. FELS:
Leider wahr! zeigt auf das Flugblatt
Soll aber die Wirkung dieses Machwerks abgeschwächt werden, so heißt es schnell handeln; wir müssen noch, ehe es in die Hände unserer Freunde gelangt, dieselben in Kenntnis setzen. KÄMPF:
Das ist ein gescheiter Gedanke, aber wie ihn ausführen? MEIER:
Ach, was zerbrecht ihr euch die Köpfe, laßt doch die Sache gehen, die Verhältnisse werden das schon wieder in Ordnung bringen. 171
RASCH :
Siehst ja wohin es geht! Nein mein Junge, hier heißt es eingreifen, und zwar kräftig. Fels hat recht! Wir stellen uns morgen früh an das Fabriktor und machen den Leuten den Standpunkt klar. RATHMANN:
Da würdest du viel ausrichten, sie kommen ja erst, wenn das Tor geschlossen wird. STURM:
Mir kommt ein Einfall! Wir verbreiten auch ein Flugblatt ! Ich habe einen Hektograph, wenn wir schnell an das Werk gehen, sind in wenigen Stunden einige hundert Abzüge geliefert. Wer kommt mit auf meine Bude? ALLE:
Ich. STURM:
Alle kann ich nicht gebrauchen, Kämpf und Rasch genügen. FELS:
Nun gut, die Sache ist erledigt, macht es nur geschickt L Aber was soll weiter werden? Übermorgen müssen wir eine Versammlung abhalten. Du, Sturm, gibst morgen einen tüchtigen Artikel über unsere Lage im Volksboten — und dann die Geschichte so schnell wie möglich verbreitet ! KÄMPF :
Nun, die Versammlungsangelegenheit besorgst natürlich du, Fels. FELS:
Gewiß.
172
STURM:
N u n , dann sind wir j a im K l a r e n . Sieht nach der Uhr. A b e r jetzt vorwärts, es ist bald 12 Uhr. W e n n jeder seine K r a f t g a n z einsetzt, wollen wir doch einmal sehen, ob wir mit diesem T y r a n n e n „ K a p i t a l " nicht fertig werden. Also Kinder, stoßt a n : H o c h die Freiheit der A r b e i t ! Nieder mit der Sklaverei des Geldsackes! Alle stoßen an und verlassen das
Zimmer.
MEIER:
Macht was ihr wollt, die Verhältnisse sind doch stärker als wir. Der Vorhang fällt.
II. A K T Ein Kontor. An den Wänden hängen Tabellen und Landkarten, stehen Bücherregale, weiter ist das Lokal mit einem Schreibtisch und einem Pult ausgestattet. Die Mitteltür führt nach dem Vorräume, rechts vom Zuschauer ist der Eingang zur Fabrik, links öffnet man die Tür zum Kabinett des Direktors.
I. Auftritt Sekretär Schleicher,
Kluge
SCHLEICHER :
Ich kann mich bestimmt darauf verlassen. Ihre A n gaben beruhen auf W a h r h e i t ? KLUGE:
Ich will kein ehrlicher K e r l sein, wenn nicht SCHLEICHER ihm schnell in das Wort fallend Lassen wir das, die N a m e n stimmen also, liest Fels, K ä m p f , Rasch, R a t h m a n n .
173
KLUGE:
Ich könnte noch viel mehr nennen. SCHLEICHER:
Es genügt vorläufig. Also Fels ist der Macher. KLUGE:
Nun Kämpf ist noch schlimmer als Fels. SCHLEICHER schreibt weiter:
Hören Sie, Kluge, da werden Sie sich aber doch verhört haben, das klingt doch gar zu märchenhaft. Da halte ich die Leute doch für zu vernünftig, um sich an solchem Unsinn zu beteiligen. Fabrik in die Luft sprengen, wie kann ein vernünftiger Mensch auf solchen Einfall kommen ? KLUGE:
Es ist aber so, ich werde doch nichts berichten, was nicht so verhandelt worden ist! SCHLEICHER
schreibt
So, so. Sagen Sie, Kluge, was veranlaßt Sie denn, in einer solchen Weise vorzugehen? Wie kommen Sie auf den Einfall, mir diese Mitteilung zu machen? KLUGE
zögernd
Nun ich dachte es würde ja doch bald alles zu Ihren Ohren kommen, — und da dachte ich es würde doch gut sein, wenn es bald und durch mich geschehe. Während Kluge spricht, blickt er zu Boden, allmählich schaut er Schleicher forschend in das Gesicht.
— Auch war ich der Meinung nicht umsonst wäre, was ich täte! SCHLEICHER:
Ja so! greift in die Tasche, gibt Kluge Geld.
174
daß es doch
Da haben Sie was für Ihre Mühe! Doch nun machen Sie, daß Sie fortkommen, es könnte für uns beide nicht vom Vorteil sein, wenn man uns hier beieinander sähe, im übrigen kommen Sie nicht wieder in das Kontor. Kluge geht nicht, aus seinen Gebärden sieht man, daß er noch reden will.
Nun, was wollen Sie noch? Kluge: Herr Schleicher, wenn es wirklich zum Streik kommen sollte, ich möchte gern weiterarbeiten, einen solchen brauchbaren Menschen wie mich können Sie doch wohl immer unterbringen? Schleicher: Wollen sehen, was sich machen läßt, aber jetzt schnell fort, ich höre den Direktor kommen schiebt ihn zur Tür hinaus,
sich die Hände
abwischend.
Ein widerwärtiger Mensch. Geht nach dem
Pulte.
Aber solche Kerle muß es auch geben, aus der Geschichte läßt sich was machen, dem Herrn Fels könnte man ein Tänzchen aufspielen, und bei seiner Madame könnte sich der ehemalige Schreiber]unge, über den sie das Näschen rümpfte, in angenehme Erinnerung bringen Er liest die vor sich liegenden
Blätter
und
überlegt
richtig, so geht es, der Herr Direktor wird Die Tür des Privatkabinetts wird geöffnet, und in derselben erscheint der Direktor Kalthaupt, ein Zeitungsblatt in der Hand haltend.
Kalthaupt: Ich lese hier soeben, die gestrige Versammlung ist aufgelöst; sind Sie vielleicht über die dortigen Vorgänge näher unterrichtet? 14
Schröder
175
SCHLEICHER:
Bedaure Herr Direktor! KALTHAUPT:
Hm! Das ist dumm. Wissen Sie, wie die Sachen liegen, könnte ich Ihnen nur dringend empfehlen, daß Sie sich genau über die Vorgänge unter unsern Arbeitern unterrichten; selbst ein Versammlungsbesuch dürfte unter den jetzigen Umständen von Nutzen sein. Wir müssen wissen, wer die Wühler sind. SCHLEICHER:
Herr Direktor, davon setzt uns doch unsere Presse genügend in Kenntnis, das Tageblatt führt die wissenswertesten Aussprüche der Agitatoren sogar in Gänsefüßchen an. Aber die Versammlungen sind auch nur die Blasen auf der Oberfläche, man muß tiefer gehen, wenn man was von den Herren erfahren will! KALTHAUPT:
Ich verstehe Sie nicht, drücken Sie sich deutlicher aus! SCHLEICHER:
Sogleich Herr Direktor! Während man verhütet, daß öffentlich ein kräftiges Wort gesprochen wird, während man die Versammlungen auflöst, wuchern die Gedanken heimlich fort und nehmen eine unheimliche Gestalt an, die schließlich auch die beste Polizei, die strengsten Gesetze nicht hindern können! KALTHAUPT :
Ja aber was soll das alles? SCHLEICHER:
Bitte lassen Sie mich ausreden. Auch gestern war es so, dem Redner war das Wort entzogen, die Versammlung aufgelöst. Aber Herr Direktor, noch zu derselben Stunde ward eine Verschwörung angezettelt, die gefährlich
176
werden kann. Man will, wenn Sie nicht die Bedingungen der Kommission bewilligen, die Fabrik in die Luft sprengen. KALTHAUPT
lacht:
Ho! Ho ho! Wirklich! Das ist ja schauerlich! SCHLEICHER etwas
verletzt:
Herr Direktor, hier sind die Beweise. Er übergibt
ihm die gemachten
Notizen,
Kalthaupt
liest
KALTHAUPT:
J a , die Beweise dafür, daß man Ihnen einen tüchtigen Bären aufgebunden hat; erstens sind das Namen, deren Träger ich für lauter vernünftige Leute ansehe, zweitens, und das ist mir das sicherste, wie sollten bei unserer vortrefflichen Kriminalpolizei überhaupt derartige Vorsätze möglich sein, nicht einmal die Ausführung derartiger Gedanken! Nein, nein, mein lieber Schleicher, man hat Sie zum besten gehabt! SCHLEICHER:
Herr Direktor, nicht so sicher; die Polizei ist nicht allwissend. Die Zusammenkunft hat stattgefunden, und das Übrige wird wohl auch stimmen, ich dächte, wir ergriffen Maßregeln. Hier heißt es vor allem zugreifen! Die Notizen, etwas geschickt ausgearbeitet, werden auf das Polizeiamt geschickt, und wir haben Ruhe auf lange Zeit. KALTHAUPT :
Und sind unsere tüchtigsten Arbeiter los, wir können sehen, wie wir unsere Arbeit fertigbringen! Geht nachdenklich
durch
das
Zimmer.
Wenn die Sache wirklich so läge, wofür allerdings bis jetzt nur dieses phantastische Schriftstück spricht, so könnte es nur von Nutzen sein, wenn wir einen oder den andern von den Genannten für uns gewinnen. Un14»
177
einigkeit in ihren Reihen ist unser bester Bundesgenosse ! Warten wir doch den Erfolg des Flugblatts ab! SCHLEICHER
triumphierend:
Das ist der beste Beweis, daß alles das auf das Blatt
zeigend
auf Wahrheit beruht, auch von dem Flugblatt war die Gesellschaft unterrichtet und hat Gegenmaßregeln beraten. KALTHAUPT :
Das ist ja unmöglich, das ist in der Druckerei unter strenger Aufsicht hergestellt und direkt in meine Wohnung gekommen und heute morgen in der Fabrik verbreitet! SCHLEICHER :
Und dennoch ist es schon gestern abend vorgelesen worden, und man hat Gegenmaßregeln zu ergreifen beschlossen. KALTHAUPT:
Worin bestehen diese? SCHLEICHER:
Leider war hierüber mein Gewährsmann nicht genügend unterrichtet, wegen einer unvorsichtigen Äußerung setzte man ihn an die Luft! K A L T H A U P T lacht
beklommen:
Das klingt ja immer merkwürdiger. Im übrigen scheint es mir doch, als schöpften Sie aus sehr trüben Quellen. SCHLEICHER:
Herr Direktor! Will man der Ordnung und der guten Sache dienen, muß man die Mittel benutzen, wie sie sich
178
bieten. Warum soll man einen Schuft nicht benutzen, wenn man ihn gebrauchen kann. KALTHAUPT : Ist wiederholt nachdenklich durch das Zimmer
gegangen. Gut, machen wir den Versuch. Wir wollen einen der hier Genannten rufen lassen, wenn wir ihm direkt Vorhalt machen, wird er kaum den Mut des Leugnens finden. SCHLEICHER:
Erlauben Sie, Herr Direktor, der Weg ist verkehrt! Er wird leugnen, er wird die Übrigen benachrichtigen und dann werden sie alle leugnen. Greifen wir einen heraus, lassen den so lange einsperren bis er gestanden hat, das dürfte Eindruck machen. Nehmen wir zum Beispiel diesen Fels, der soll die Säule des Ganzen sein! KALTHAUPT :
Fels — sollte der wirklich! — Vorige Woche wurde er mir noch als ein fleißiger, sehr geschickter Arbeiter bezeichnet ! SCHLEICHER :
Ist wohl möglich! Der Herr Direktor wissen ja, daß die geschicktesten Arbeiter die unruhigsten Köpfe sind, die haben zuviel Selbstbewußtsein. Wenn wir diesen Fels unschädlich machen könnten, würden wir viel Unheil verhüten! KALTHAUPT
nachdenklich:
Wie Sie wollen geht es nicht! Doch immerhin, lassen Sie den Fels einmal rufen! SCHLEICHER:
Wie Sie wünschen, Herr Direktor! KALTHAUPT :
Sie können auch die Unterhandlung führen, der Fels muß gekauft werden. 179
SCHLEICHER:
D a n n allerdings f ü r c h t e ich, wir k o m m e n an den U n rechten ! KALTHAUPT:
A c h w a s ! Machen Sie es nur g e s c h i c k t ! Mit Geld h a t m a n noch alles erreichen können. Die klügsten K ö p f e , die geschicktesten H ä n d e sind f ü r Geld feil. SCHLEICHER:
A b e r an der Halsstarrigkeit scheitern.
dieses F e l s werden
wir
KALTHAUPT :
U n s i n n ! Stellen Sie i h m das Doppelte, j a w e n n es sein m u ß das Dreifache, w a s er hier verdient, in Aussicht, u n d er wird unser sein! H e u t e noch m u ß er fort, wir schicken ihn n a c h E r z b u r g auf unsere Zweigniederlassung. SCHLEICHER:
I c h will es versuchen er klingelt. A b e r Herr Direktor, w e n n der P l a n mißlingt, darf ich dann mit m e i n e m P l a n vorgehen? An der Tür erscheint ein
Kontordiener.
KALTHAUPT:
R u f e n Sie sofort den A r b e i t e r Fels. E r w a r wohl in d e m Maschinensaal? SCHLEICHER:
J a w o h l ! Diener
ab.
KALTHAUPT:
I c h lasse I h n e n freie H a n d , Sie kennen meinen Willen. N o c h m a l s empfehle ich I h n e n die größte Vorsicht. D e r Streik m u ß unter allen U m s t ä n d e n vermieden werden,
180
denn eine Arbeitseinstellung könnte gerade jetzt für uns beide verhängnisvoll werden. SCHLEICHER:
Ich verstehe nicht, wie der Herr Direktor das meint! KALTHAUPT :
Nun, denken Sie darüber nach, wie unsere hohe Dividende zustande gekommen! Wie Sie es in vortrefflicher Weise verstanden, den Herren Aktionären die glänzende Seite unserer Fabrik hervorzuheben. Nun, das andere wird Ihnen dann von selber einfallen. Also Sie sind unterrichtet, Sie wissen was auf dem Spiel steht, ab S C H L E I C H E R sich
vergnügt
die Hände
reibend:
Jawohl, ich weiß, was auf dem Spiel steht; wollen versuchen was sich tun läßt. Fels eins auswischen, seine Frau muß bei mir um Gnade betteln, das wäre ein Triumph für den Schreiberjungen! Aber wie wäre der Triumph nicht noch größer, wenn ich diesen Herrn Direktor beseitigen könnte, wenn ich, sein langjähriger Sekretär, die rechte Hand des Direktors, an seine Stelle treten könnte werden ja sehen, jetzt vorwärts! Klingelt. Diener erscheint. Ist Fels da? DIENER:
Ja! SCHLEICHER:
Lassen Sie ihn eintreten. Diener ab.
II. Auftritt Schleicher, FELS
Fels eintretend:
Guten Morgen! LSL
SCHLEICHER
beachtet
den
Gruß
nicht:
Fels, wir haben Sie rufen lassen, der Herr Direktor will Ihre Lage verbessern und zwar wünscht er, daß Sie noch heute die Stadt verlassen und eine Stellung in Erzburg einnehmen, wo, wie Sie wissen, die Firma eine Zweigniederlassung hat. Was sagen Sie dazu? FELS:
Das kommt mir so plötzlich und unerwartet, daß ich zunächst um einige Bedenkzeit bitten möchte. SCHLEICHER:
Die kann ich Ihnen leider nicht gewähren, der Herr Direktor legt großen Wert darauf, daß Sie noch heute abreisen. Sie würden Ihre Lage wesentlich verbessern, mit der Stellung ist eine ziemliche Lohnerhöhung verbunden. Sie dürften auf den doppelten Lohn gegen hier kommen! FELS:
Das ist eigentümlich, so viel mir bekannt, ist die Werkstatt doch nach dort verlegt, weil die Arbeitskräfte dort wesentlich billiger sind als hier. SCHLEICHER:
Sie dürften gut tun, sich nicht so viel um Sachen zu kümmern, die Sie vorläufig nichts angehen! FELS:
Bitte, ich dächte doch, daß die Lohnverhältnisse für mich wesentlich von Bedeutung sind! SCHLEICHER :
Wenn ich Ihnen das auch bis zu einem gewissen Grad zugestehe, aber was Ihnen schaden muß, das ist, daß Sie sich auch für die Sachen anderer interessieren. 182
FELS:
Ich möchte doch bitten, Sie haben mich doch kaum rufen lassen, um Privatangelegenheiten mit mir zu besprechen. SCHLEICHER:
Diese, wie Sie sagen, Ihre Privatangelegenheiten, sind nun leider unzertrennbar von den Interessen unserer Fabrik, denn selbstverständlich müßten wir bei einer solchen ausnahmsweise günstigen Stellung verlangen, daß Sie sich von jeder Agitation fernhalten. FELS:
Das ist wohl die vornehmste Bedingung! Dann kann ich Ihnen nur sagen, daß ich die Stellung unbedingt ausschlage. SCHLEICHER:
Nur nicht gleich so hitzig! Eine solche günstige Gelegenheit, Ihre Verhältnisse wesentlich besser zu gestalten, dürfte sich nicht wieder bieten. Denken Sie jetzt an Ihre Zukunft, denken Sie an Ihre Familie. FELS:
Ich habe alles wohl bedacht! Ehe ich aber eine Handlung begehe, über die ich erröten müßte, so oft ich das Elend meiner Genossen sehe, will ich selbst dem Elend entgegenziehen! SCHLEICHER:
Nun, wie Sie wollen, übrigens wird sich ja recht bald Gelegenheit bieten, diese „hochherzige" Gesinnung auf ihren wahren Wert zu prüfen. FELS :
Herr!
wie soll ich das verstehen.
183
SCHLEICHER:
Das werden Sie früher verstehen lernen, als Ihnen lieb sein dürfte. Man hört aus der Fabrik Hilfegeschrei sowie einen riesigen Tumult herüberschallen. Schleicher sieht sich bedenklich um, der Lärm verstummt jedoch bald wieder.
Nun frage ich Sie jetzt zum letzten Mal, wollen Sie die Stellung übernehmen oder nicht! FELS:
Unter den mir gestellten Bedingungen habe ich auch keine andere Antwort als die Sie erhielten. SCHLEICHER:
So nun wie Sie wollen, dann können Sie gehen! Fels wendet sich zur Tür. Warten Sie noch einmal, wir können noch ein anderes Geschäft erledigen! Es trifft sich ganz vortrefflich. Jedenfalls haben Sie das von uns heute morgen verbreitete Flugblatt gelesen? FELS:
Gewiß, doch was soll das? SCHLEICHER:
Nun, haben Sie denn noch gar nicht darüber nachgedacht, welche Verpflichtungen sich für Sie daraus ergeben? Sie sind doch wohl Vorsitzender des Fachvereins für Metallarbeiter; bitte machen Sie gefälligst den Anfang und unterschreiben Sie hier legt Fels einen
Bogen
vor.
Das Geschäft wird sich viel glatter abwickeln, wenn der Herr Vorsitzende an der Spitze steht! F E L S wirft einen
Blick
auf das Papier,
sichtlich
betroffen:
W a s wagen Sie mir noch alles zuzumuten? Nachdem Sie meine Antwort von vorhin haben, habe ich hier überhaupt kein Wort mehr zu sagen.
184
SCHLEICHER:
Nun, so leicht ist die Sache nicht erledigt! Wenn Sie sich weigern, Ihre Unterschrift zu geben, kehren Sie nicht auf Ihren Platz in der Fabrik zurück, Sie sind auf der Stelle entlassen! FELS:
So leicht wird die Sache nun doch nicht gehen, Sie wissen, daß das Gesetz eine Kündigung von 14 Tagen vorschreibt. SCHLEICHER:
A c h was Gesetz, hier in der Fabrik sind wir Gesetz, Sie wollen sich unserm Willen nicht fügen, folglich haben Sie nichts mehr in der Fabrik zu suchen. Hier ist Ihr Geld — (zählt Geld auf) so nun können Sie gehen, das weitere sprechen wir an einem anderen Orte. FELS:
Ehe nicht der Lohn von weiteren 14 Tagen dazu kommt habe ich keine Veranlassung. Jedoch überlegt
was soll Ihre Drohung Herr! SCHLEICHER:
Werden Sie schon früh genug erfahren! Wir haben Mittel, euch zahm zu machen, aus der Hand müßt ihr noch fressen lernen! FELS:
Herr! was unterstehen Sie sich! SCHLEICHER:
Nur ruhig! Ein Wort von mir am rechten Ort, und Sie mit Ihren Freunden sind auf lange Zeit in Nummer Sicher. Im übrigen haben Sie hier wohl nichts mehr zu suchen.
185
FELS nimmt eine drohende Haltung
an:
Ich gehe nicht von der Stelle, bis Sie mir sagen, was Ihre geheimnisvollen Drohungen sollen! SCHLEICHER :
Werden Sie schon noch früh genug erfahren! Hier ist Ihr Geld und da ist die Tür! FELS vertritt ihm den Weg und sucht ihn
zurückzuhalten'.
Ich sage, nicht von der Stelle, bis ich eine Erklärung habe! SCHLEICHER
schlotternd:
Hilfe! Hilfe! Raub, Mord! F E L S ihn
loslassend:
Feiger Geselle! KALTHAUPT :
Teufel noch einmal! was geht hier vor! Warum dieses gräßliche Geschrei! SCHLEICHER:
Herr! Direktor! bedroht!
Sie sehen ja der Kerl hat mich
FELS:
Nachdem Sie mich lange genug gereizt! KALTHAUPT:
Einerlei, jetzt verschwinden Sie sofort! FELS:
Herr Direktor, ich bitte mich anzuhören, dann werden Sie jedenfalls anders urteilen. 186
KALTHAUPT:
Machen Sie, daß Sie auf Ihren Platz kommen! FELS:
Das ist gerade, ich soll auf der Stelle entlassen werden! K A L T H A U P T sieht
Schleicher
fragend
an:
Entlassen auf der Stelle? SCHLEICHER:
Ja, Herr Direktor, nachdem er jedes Angebot ausgeschlagen und sich auch geweigert, dieses auf das Papier zeigend zu unterschreiben. K A L T H A U P T wirft einen
Blick
auf das
Papier:
Dann freilich liegt die Sache anders, und ich fordere Sie auf, sofort die Fabrik zu verlassen. FELS:
Ich bleibe keinen Augenblick länger, als bis mir mein Recht geworden. Ich beanspruche nichts weiter, als was das Gesetz vorschreibt! KALTHAUPT :
Sie haben hier überhaupt nichts zu beanspruchen, da liegt Ihr Geld und damit sind wir fertig! FELS:
Gut, dann werde ich mir meine Ansprüche vorbehalten. KALTHAUPT :
Nichts haben Sie sich hier vorzubehalten, sondern zu machen, daß Sie fortkommen! FELS:
Dann werde ich mein Recht schon zu finden wissen! ab 187
KALTHAUPT :
Was hatten Sie mit dem Kerl? Das ist ja, als wenn alles aus R a n d und Band ist, kaum habe ich draußen Ruhe geschaffen, geht es hier wieder los. Wissen Sie vielleicht etwas von dem Kluge? SCHLEICHER
Nein!
verlegen:
Was ist mit ihm?
Kalthaupt: Halb zu Tode hat man ihn in dem dunklen Gange dort geprügelt, und niemand will es gewesen sein! Und hier! was hatten Sie mit Fels? SCHLEICHER:
Es kam wie ich voraussagte, der K e r l war halsstarrig, wollte auf nichts eingehen. Als ich dann noch fragte, ob er unser Flugblatt gelesen, bejahte er meine Frage; als ich ihn aufforderte, die Konsequenzen zu ziehen und zu unterschreiben oder zu gehen, forderte er eine Kündigung von 14 Tagen. Allerdings war sein Auftreten so unverschämt und frech, ganz wie ich mir es dachte! Herr Direktor, ich glaube, jetzt lassen wir jede Rücksicht fallen, wenn die Anzeige jetzt gemacht wird, kann die Verhaftung in einigen Stunden erfolgen, wir sind dann wenigstens sicher, daß nicht noch weiter aufgehetzt wird! KALTHAUPT :
Es ist eine ganz verteufelte Geschichte. Auf einen solchen Widerstand war ich nicht gefaßt, man ist doch sonst so willig gewesen, möchte wissen, was in die Gesellschaft gefahren ist! Man
hört
Herein!
188
klopfen.
III. Auftritt Die Vorigen, Guthans GUTHANS
eintretend:
Guten morgen! KALTHAUPT :
Guten morgen, Herr Rechtsanwalt! Sie kommen zur rechten Stunde, um ein Bild von Ihren Schützlingen zu gewinnen! GUTHANS :
Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen! Ich will niemand in Schutz nehmen, ich wünsche nur, daß Gerechtigkeit die Grundlage jedes Handelns sein möchte! KALTHAUPT :
Phrasen, die ganz schön klingen, mit denen man aber nicht weit kommt. GUTHANS :
Da möchte ich doch bitten, Herr Direktor, ich weiß was ich will und hoffe auch manches, was aus den Fugen zu gehen droht, noch recht lange mit meinen Phrasen zu halten. Doch was ist so Schreckliches passiert, man sieht es den Herren an, Sie sind noch ganz erhitzt! KALTHAUPT :
Wir hatten dem Arbeiter Fels eine bessere Stelle zugedacht, nicht nur, daß er diese ausschlägt, nein, er hat auch Schleicher bedroht; wer weiß was noch geschehen, wenn ich nicht dazugekommen wäre. GUTHANS:
Hm! wenn man die Nebenumstände nicht kennt, kann man allerdings schwer urteilen. Aber nannten Sie nicht den Namen Fels? 189
SCHLEICHER
schnell:
Ganz recht, Fels hieß der unverschämte Kerl, es ist überhaupt ein rechter Wühler! KALTHAUPT ZU
Schleicher:
Sorgen Sie jetzt dafür, daß die Listen den Meistern zugehen ! Schleicher nimmt verschiedene Bogen aus dem Pult und geht nach dem Fabrikraum. GUTHANS:
Sonderbar! Diesen Menschen, der hier als unverschämter Kerl und Wühler bezeichnet wird, habe ich noch gestern als einen sehr besonnenen und ruhigen Mann kennengelernt ! KALTHAUPT:
Nun nehmen Sie das nicht so genau, aus Schleicher spricht noch zu sehr die Erregung. Tatsache ist, daß unter unsern Arbeitern eine große Erregung vorhanden ist; notwendig ist, daß man dieser Aufregung zur rechten Zeit mit geeigneten Mitteln entgegentritt. GUTHANS:
Das freut mich, Herr Direktor, daß auch Sie endlich zu der Einsicht kommen, daß geeignete Schritte unternommen werden müssen; wir werden uns da schnell einigen können. Ich war gestern in der Versammlung unserer Arbeiter und habe mich von den Wünschen derselben zu unterrichten gesucht. Leider wurde die Versammlung in sehr ungerechtfertigter Weise polizeilich aufgelöst, jedoch ist es mir gelungen, ein einigermaßen klares Bild zu gewinnen. KALTHAUPT:
Bitte, Herr Rechtsanwalt, nehmen Sie ein wenig Platz, so schnell wie Sie meinen, werden wir uns doch wohl nicht einigen können. 190
GUTHANS :
J a aber — sprachen Sie nicht selber, vorhin
?
KALTHAUPT:
Ganz recht, daß ich mit geeigneten Mitteln der Bewegung entgegentreten werde. Dazu gehört nun allerdings nicht, daß man in Versammlungen geht und nach den Wünschen der Herren Arbeiter fragt. Die kennen wir ja genügend, wenn wir denen nachgeben wollten, da wäre es aber vorbei mit jeder Ordnung, und die Herren Aktionäre hätten den letzten Dividendenschein abgeschnitten. Nein Herr Rechtsanwalt, ich als der Begründer und Leiter dieser Fabrik habe mir einen praktischen Blick angeeignet, ich weiß, wie man dieses Gesindel behandeln muß! GUTHANS:
Herr Direktor, da möchte ich aber doch bitten, so weit ich die Leute kennengelernt, sind es ehrliche brave Männer. KALTHAUPT lacht •.
J a doch, brave Leute mögen darunter sein, aber nun will ich Sie nicht weiter über Ihre Schützlinge aufregen. Man sieht, wohin es führt, wenn ein von Humanität angekränkelter Büchermensch Verwaltungsrat wird! GUTHANS springt
auf -.
Aber Herr! Was unterstehen Sie sich! KALTHAUPT :
Bitte beruhigen Sie sich, wir müssen zusammenarbeiten und da ist es gut, wenn ich Ihnen vor allem meine Meinung, vor allen Dingen die Wahrheit sage. Ich meine, das wird Ihnen mehr nützen, als wenn Sie Ihre Belehrung aus der Volksversammlung holen. 15
Schröder
I9I
GUTHANS:
Sie irren, es ist allerdings die höchste Zeit, daß jeder, der nicht mit Blindheit geschlagen, seinen Blick dahin richtet, wo sich Kräfte sammeln, die, wenn sie nicht richtig erkannt und behandelt, uns allen gefährlich werden. Die Zeit ist vorbei, Herr Direktor, wo Sie Ihre Arbeiter als tote Maschinen behandeln konnten. Herr, dieses Gesindel, wie Sie es zu nennen belieben, fühlt, daß auch für sie ein Teil der menschlichen Kultur da ist. Auch in ihnen regen sich menschliche Gefühle, und wehe uns, wenn wir fortfahren, diese arme geknechtete Masse mit Hunger und Kummer in ihr Joch zu zwängen. Ich gestehe, mir sind die Augen aufgegangen. Bisher habe ich mich begnügt, wenn ich in unseren Berichten las, daß unsere Fabrik eine hohe Dividende erzielte. Ich habe es für einen großartigen humanen Zug von Ihnen gehalten, wenn Sie einige tausend Mark für sogenannte Wohlfahrtseinrichtungen verwandten. Ich habe es für bare Münze genommen, wenn in schönen Berichten Ihre Tätigkeit für das Wohl der Arbeiter hervorgehoben war, aber jetzt habe ich erkannt, daß das alles nur Schwindel ist. Wie wäre es sonst möglich, daß Sie sich weigern könnten, den Arbeitern eine geregelte Arbeitszeit zu garantieren, eine Arbeitszeit, die für jedes Zugtier eingehalten wird, wie wäre es sonst möglich, daß Sie den ohnehin knappen Lohn noch durch alle möglichen Schikanen kürzen lassen. Herr, Ihre Handlungen sind nicht nur unrecht, sie sind auch unvernünftig, denn längst hat die Wissenschaft bewiesen, daß gut genährte und wohlgepflegte Arbeiter mehr leisten als halbverhungerte und verkümmerte. KALTHAUPT :
Herr Rechtsanwalt, das bißchen klaren Verstand, was Ihnen Ihre Bücher noch gelassen, scheint vollends in der Versammlung in die Brüche gegangen zu sein. Aber so lange wie ich hier auf diesem Platze stehe, wird Ihre ganze großartige Beredsamkeit nichts nützen, selbst wenn Sie Vorsitzender des Verwaltungsrates sind. 192
GUTHANS
auffahrend:
Herr! KALTHAUPT :
Nur ruhig! Habe ich Sie angehört, so hören Sie auch mich an. Dann werden Sie die Sache von einer andern Seite kennenlernen. Aus allem, was Sie mir soeben erzählt, spricht die Auffassung, die Sie vom Leben haben, für jene Leute aber hat sich das Leben anders und doch so gestaltet, daß sie sich wohl dabei befinden und nur durch das Wühlen einiger Streber für unglücklich fühlen lernen. Sie sprechen von langer Arbeitszeit? Hm — drängt man sich denn nicht förmlich zu den Überstunden? Die Leute brauchen das Geld und wissen mit ihrer Zeit gar nichts Vernünftigeres anzufangen. Setzen Sie doch Ihre Forschungen einmal fort, schauen Sie sich doch die Wohnungen an, dann, wenn Sie einen Blick in die dumpfigen Löcher, in die rauchigen Kneipen getan haben, dann werden Sie zugeben, daß unsere Fabriksäle wahre Festräume gegen diese Höhlen sind. Wenn Sie gegen unsere Berichte etwas einzuwenden haben, gibt es doch wahrlich Gelegenheit genug. Meine Schuld ist es nicht, wenn übereifrige Reporter, angeregt durch ein gutes Frühstück oder einen kräftigen Nachtrunk, die ganze Welt in rosigem Lichte sehen. Ich wüßte nicht, was ich dagegen tun sollte. Und die hohe Dividende! Da sind Sie allerdings der erste und wahrscheinlich auch der einzige aus dem Kreise der Aktionäre, der mir dies zum Vorwurfe macht. Aber Herr, wie sie erzielt wird, das ist die Kunst des Direktors. Deshalb muß ich auch in der Fabrik unumschränkt herrschen und mir Ihre Vorschläge in bezug auf die Leitung ganz entschieden verbitten. Bewilligen wir, die, wie Sie sagen, gerechten und bescheidenen Forderungen der Arbeiter, dann sollen Sie sehen, wie bald weitere Wünsche folgen! Hüten wir uns vor dem ersten Schritt! Wer irgend eine Beschwerde hat, mag sich doch melden, mit dem Einzelnen wird man fertig, aber mit Lohnkommissionen, Arbeiterausschüssen und wie dergleichen neumodischer Schwindel noch mehr heißt, habe ich nichts zu tun und dabei bleibt's. 15'
193
GUTHANS:
Herr, Ihr Verhalten ist mir unverständlich! Die Beweise der unheilvollen Wirkung unserer jetzigen Fabrikwirtschaft treten doch klar zutage. Aus den Krankenkassenberichten läßt sich durch Zahlen nachweisen, welchen bedauernswerten Umfang die Erkrankungen angenommen haben! KALTHAUPT:
Ach was! Das ist auch so ein neumodischer Schwindel, alles aus irgendwelchen zufälligen Zahlen nachweisen zu wollen! Fassen Sie doch einmal das zuchtlose, liederliche Leben unserer Jugend ins Auge, und Sie haben gleich den Schlüssel zum Rätsel! GUTHANS:
Unmöglich kann das Ihre ernste Meinung sein! KALTHAUPT:
Warum ich in diesem Augenblick wüßte ich wahrhaftig nicht!
scherzen
sollte,
GUTHANS :
Dann wäre' nach Ihrer Meinung alles, was von den Arbeiterorganisationen durch eigene Wahrnehmung und Erfahrung festgestellt, Schwindel. Schwindel, um uns um unser Besitztum zu bringen! KALTHAUPT:
Nun, so weit will ich nicht gehen, es mag hier und da ein Körnchen Wahrheit mit unterlaufen. Aber in der Hauptsache sind die Arbeiterorganisationen nur da, um uns das Leben schwer zu machen und die Leute zu verhetzen, deshalb heißt es hier zuerst eingreifen. Hier werde ich Mittel anwenden, daß ich die Herrschaft behalten muß. Da, überzeugen Sie sich! Übergibt Guthans
194
ein Flugblatt,
welches er liest.
GUTHANS:
Herr! Ich weiß nicht, was ich mehr beklagen soll, Ihren Starrsinn oder Ihre Kurzsichtigkeit. Auch noch das bißchen Freiheit, was die Staatsgesetze den Leuten gelassen, wollen Sie ihnen verkümmern. Herr! Ihre Tätigkeit fängt mir an unheimlich zu werden! — In demselben Augenblick hört man draußen einen furchtbaren Knall, die Fenster des Kontors fliegen weit auf, Papiere fliegen in die Höhe, Stühle stürzen um. Guthans und Kalthaupt sind vom Fenster in die andere Ecke gesprungen. GUTHANS bestürzt •.
Was war das?! KALTHAUPT nachdem
er sich erholt,
höhnisch:
Was wird es sein, ein kleines Komplott, ein Stoß für mich, um mich fügsam zu machen, mir vielleicht gar Furcht beizubringen! Ach, die jämmerlichen Gesellen sollen mich kennenlernen!
IV. Auftritt Die
Vorigen,
Schleicher
SCHLEICHER hinter
mit
Arbeitern
ihm einige
Arbeiter:
Die Fabrik stürzt ein! KALTHAUPT :
Unsinn! Gehen Sie da hinaus und schauen Sie nach, was passiert ist. Zeigt
nach der Mitteltür,
Schleicher
und die Arbeiter
ab.
GUTHANS :
Sie meinen wirklich, daß dieser Knall einen Akt der Bosheit bedeutet? 195
KALTHAUPT tritt an das
Fenster:
Was soll es weiter sein! Wir werden ja gleich hören! Schleicher tritt ein. Nun SCHLEICHER:
Ich fürchte, wir haben zu lange gezögert, der Arbeiter Mauler liegt mit zerrissenem Gesicht und zerschmetterter Hand draußen. Es ist ein wüstes Bild der Zerstörung, der Schaden ist nicht zu übersehen. Aus dem Mann selber ist nichts herauszubringen, er stöhnt nur noch. KALTHAUPT:
Sehen Sie, Herr Rechtsanwalt, da haben Sie Ihre ruhigen und vernünftigen Arbeiter! Ha! ha! So ruhig und vernünftig, daß man vor lauter Vernünftigkeit seines Lebens nicht mehr sicher ist! GUTHANS :
Wenn es so ist, wie hier berichtet, dann ist dieser Versuch nur ein Beweis, wie die dumpfe Verzweiflung um sich greift, wie man jede Hoffnung auf Besserung des traurigen Loses aufgibt! Es sollte Ihnen wahrlich eine doppelte Mahnung sein, abzulassen von Ihrem hartherzigen und halsstarrigen Gebaren, zeigen Sie doch den Leuten, daß Sie gewillt sind, ihre Freiheiten nicht anzutasten, daß Sie die Absicht haben, soweit als irgend möglich auch die Lage zu bessern! KALTHAUPT:
Sie haben recht Herr! Ich will zeigen, was ich kann. Schleicher! Sofort setzen Sie von dem hier Vorgefallenen die Polizei in Kenntnis, sorgen Sie dafür, daß niemand die Fabrik verläßt. Sollte Fels nicht mehr in der Fabrik anwesend sein, so lassen Sie ihn sofort in seiner Wohnung verhaften. 196
SCHLEICHER :
Ich werde die Befehle pünktlich ausführen! Mit höhnischem Grinsen ab. KALTHAUPT :
So, Herr Rechtsanwalt, jetzt haben Sie gehört, daß ich die Absicht habe, alles genau so durchzuführen, wie ich es für nötig befinde und kein Titelchen anders. GUTHANS:
Und Sie meinen, ich würde dazu schweigen, da sollen Sie den unpraktischen Büchermenschen kennenlernen, da wollen wir doch sehen, ob der Verwaltungsrat so ganz stillschweigend zusehen kann, wie man das Lebensglück von Hunderten von Menschen ruiniert. ^ Guthans
ab in höchster
Erregung.
KALTHAUPT:
Laufe nur hin, du Tor! Ach, die Puppen vom Verwaltungsrat, als wenn die noch für irgend etwas anderes Sinn hätten, wenn man ihnen vorrechnet, daß mit der Autorität des Direktors auch die Aussicht auf Gewinn schwindet. Es
klopft.
Herein! DIENER:
Herr Direktor, der Meister Treumann wünscht Sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. KALTHAUPT:
Er soll eintreten! Diener ab. TREUMANN :
Herr Direktor, mir ist von Herrn Schleicher hier dieser Bogen überbracht worden! 197
KALTHAUPT :
Nun, hat sich die Angelegenheit erledigt? TREUMANN:
Ja! Meine Arbeiter weigern sich sämtlich, ihre Unterschrift zu geben. KALTHAUPT :
Wa
s?
TREUMANN
wiederholt
in
langsam
feierlicher
Weise:
Weigern sich, ihre Unterschrift zu geben, und ich soll Ihnen erklären, daß sie lieber die Arbeit verlassen, als daß sie sich von Ihnen die Freiheiten verkümmern liefe en, die jedem durch das Gesetz gelassen sind! KALTHAUPT :
Und Sie, Meister, was haben Sie darauf gesagt, haben Sie nicht erklärt, daß es notwendig ist, was ich will, daß jeder unterschreiben muß! TREUMANN:
Herr, ich habe getan, wie mir befohlen, aber nicht mehr! KALTHAUPT :
Warum nicht mehr? Warum haben Sie nicht Ihre Autorität eingesetzt? Sie hätten den Leuten die Folgen ihrer Weigerung recht schlimm vormalen sollen! TREUMANN:
Dann müßte ich selber von der Notwendigkeit Ihres Schrittes überzeugt sein! KALTHAUPT :
Sind Sie denn das nicht? 198
TREUMANN:
Nein! Ich halte ihn sogar für verderblich! KALTHAUPT:
Was verderblich? Wissen Sie, was Sie da eben ausgesprochen haben, ist eine Verteidigung dieser Wühler. Meister, es täte mir wirklich leid, wenn ich mich auf Sie nicht mehr verlassen kann! TREUMANN für
sich:
Es hilft nichts, es muß heraus, vielleicht ist es nicht umsonst. Laut: Herr Direktor, ich habe Ihnen stets ehrlich und treu gedient, ich habe stets das Wohl des Geschäftes im Auge gehabt und bin hier alt und grau geworden. Vielleicht könnte ich meine Tage hier noch ruhig verleben, wenn ich mich nicht um den Streit der Meinungen kümmerte. Es ist aber nicht möglich, ich kann nicht schweigen, wenn ich sehe, wie man Menschen, die stets ihre Pflicht erfüllt haben, rechtlos machen will, wenn ich sehen soll, wie in der Brust des Arbeiters jedes Selbstbewußtsein erstickt wird, wenn man ihn von allem abhängig machen und zum Arbeitssklaven erniedrigen will; dann stelle ich mich trotz meiner grauen Haare auf Seite der Arbeiter! KALTHAUPT:
Dann teilen Sie auch das Los derselben! TREUMANN :
Mag es sein! Es wird mir schwer, aber ich weiß nicht, wer von uns beiden mit mehr Reue dieser Stunde gedenken wird! ab KALTHAUPT :
Auch der, wer wird mir zuletzt noch übrig bleiben! Wenn nun doch die Arbeiter stärker wären als ich! Es wäre mein Untergang! 199
SCHLEICHER tritt ein-.
Die Polizei wird sogleich erscheinen! Der Herr Polizeidirektor wird die Untersuchung selbst leiten! KALTHAUPT :
Nun denn! Sehen wir, ob sie uns helfen kann! Der Vorhang
fällt.
III. A K T Fels' Wohnung. Einfaches Wohnzimmer; ein Ofen steht in einer Ecke des Zimmers. Am Fenster steht eine Nähmaschine, sonst ein kleiner Tisch, einige Stühle. An der Wand ein Bücherregal mit Büchern. Der ganze Raum muß einen einfachen, doch freundlichen, säubern Eindruck machen. Rechts Tür nach der Küche, links nach dem Schlafzimmer. In der Mitte der Hinterwand Tür nach dem Vorsaal.
I. Auftritt Frau
Prüfer,
Frau
Fels
FRAU PRÜFER:
Nein, nein! Reden Sie was Sie wollen, meine Zustimmung gebe ich nicht. FRAU F E L S :
Aber beste Frau Prüfer, überlegen Sie erst ruhig, was Sie tun wollen! Ist es Ihnen denn einerlei, wenn Ihr Mann von seinen Freunden und Arbeitsgenossen verachtet wird! F R A U PEÜFER:
Ach was! Es achtet sich was, wenn nichts verdient wird und man gar hungern muß! 200
FRAU FELS:
Aber wer wird denn immer gleich an das Schlimmste denken. Wenn es vielleicht auch einige Wochen einmal schmal hergeht! — Denken Sie doch einmal, wenn Ihr Mann wochenlang keine Arbeit hätte, dann müßten Sie sich doch auch durchschlagen! FRAU PRÜFER:
Ja, das ist schlimm genug, daß es so ist; wenn man daran denkt, wie die paar Sparpfennige immer wieder draufgehen, könnte man gleich verrückt werden, und jetzt soll ich meine Zustimmung zu so einer wochenlangen Bummelei geben, nein, das fällt mir gar nicht ein! FRAU
FELS:
Also! Sie sehen doch selber ein, in was für traurigen Verhältnissen wir leben. — Da dürfen wir doch unsern Männern das Leben nicht auch noch schwer machen, wenn sie sich endlich anschicken, den Kampf aufzunehmen. Nein Frau Prüfer, soll es besser werden, so müssen wir auch Opfer bringen. FRAU
PRÜFER:
Da gibt es bei mir nichts! Den ersten Tag, wo mein Alter zu Hause bleibt und mutwillig nicht arbeiten will, da bekommt er auch nichts zu essen, dann koche ich auch nicht mehr! Das ist meine Ansicht, und so werde ich handeln, leben Sie wohl! will gehen F R A U F E L S sie
aufhaltend:
Aber beste Frau, wie können Sie nur so sprechen. Bedenken Sie doch, ein Jahr ist es nun schon, daß die Männer unterhandeln, und immer wieder werden sie hingehalten, was bleibt ihnen denn weiter übrig, welchen Nachdruck können sie ihren Forderungen geben? Doch nur die Arbeitseinstellung! Sollte ich selbst Tag und Nacht arbeiten, ich werde alles daran setzen, um meinem Mann den Kampf zu erleichtern. 201
Mit leichtem Herzen wird ihn ohnehin kein Familienvater aufnehmen. FRAU
PRÜFER:
Tun Sie das nur! Aber ich mache nicht mit, wenn mein Mann bei der Arbeit bleibt, kann er ein hübsches Stück Geld verdienen, in der Zeit, wo die andern faulenzen, und wird hernach was bewilligt, na, dann haben wir den Vorteil auch! FRAU
FELS:
Aber Frau Prüfer! Für so gemein hätte ich Sie nicht gehalten! FRAU
PRÜFER:
Sehen Sie, wie borniert Sie schon sind! Das halten Sie für gemein, wenn man auf sein Fortkommen bedacht ist. J a , ja, aber das kommt davon, wenn man einen so verrückten Mann hat! P~RAU
FELS:
Na hören Sie mal, schimpfen Sie soviel Sie wollen, aber lassen Sie meinen Mann aus dem Spiel! — Was soll denn das heißen, verrückt? FRAU
PRÜFER:
Na das ist doch allgemein bekannt, Ihr Mann ist doch überhaupt an der ganzen Geschichte schuld! FRAU
FELS:
Wie können Sie mir so was sagen? FRAU
PRÜFER:
Warum denn nicht, gerade erst recht! FRAU
FELS:
Das käme doch bald so heraus, als wenn der Kampf aus reinem Übermut aufgenommen wäre! 202
FRAU PRÜFER:
Ja, so ist es auch! Ihr Mann treibt die ganze Geschichte, er steht überall an der Spitze, überall hetzt er, er hat die Männer alle im Sack. Vor dem fürchten sie sich mehr als vor dem Fabrikdirektor. Er hat auch die ganze Unzufriedenheit angezettelt. Was käme es denn den Männern darauf an, wenn sie einmal eine Stunde länger arbeiten müßten, deshalb gingen sie doch nicht zugrunde ! FRAU F E L S :
Ja, bei Ihnen ist allerdings alles vergeblich. Sie gescheit zu machen, wird unnütze Mühe sein. FRAU PRÜFER:
Ist auch gar nicht nötig, fangen Sie doch erst bei sich selber an! Sie sind ja selber so dumm, daß es einem leid tun könnte. Da setzen Sie sich die ganzen Nächte hin und nähen, plätten und flicken und der Herr Gemahl spielt den feinen Herrn! Hat in der Versammlung das größte Wort und hetzt die Leute aufeinander. Nein, Frau Fels, für Ihre Aufklärung danke ich schön! (Während der Rede hat es wiederholt geklopft, darauf wird stark geklingelt, wodurch Frau Prüfer im Reden unterbrochen wird. Frau Fels geht hinaus, während Frau Prüfer ihre Stellung beibehält. Man hört Begrüßungen.)
II. Auftritt Die Eltern der Frau Fels, Ruhe und FRAU FELS
Frau
eintretend:
Das ist hübsch von euch, daß ihr euch einmal sehen laßt, habe selber längst einmal kommen wollen, aber es ist immer nichts daraus geworden. Auf Frau Prüfer deutend. Das ist Frau Prüfer, das sind meine Eltern! 203
FRAU PRÜFER:
Dachte es mir schon, nun ich will nicht länger stören! Will sich
verabschieden.
FRAU FELS
freundlich:
Ach. Sie können immer noch ein bißchen dableiben Frau ab
Fels ist um ihre Eltern
beschäftigt,
nimmt
ihre
Sachen
So, nun macht es euch nur bequem, ich werde gleich eine Tasse Kaffee kochen! Aber, liebe Frau Prüfer, überlegen Sie sich doch noch einmal, das kann für das ganze Leben Zwietracht in die Familie bringen. F R A U PRÜFER
schnippisch:
Danke für den guten Rat, kümmern Sie sich aber nur um Ihre Familie. Adieu! geht unter
Verbeugung
Die Eltern
haben noch immer
nach den Eltern
ab.
gestanden.
FRAU FELS:
Aber nun setzt euch doch! Was macht ihr denn für ernste Gesichter? RRAU
RUHE:
Beruhige dich nur, wir wollen uns nicht aufhalten, wollten nur im Vorbeigehen mal nachsehen wie es euch geht! RUHE:
Was hast Du denn nur mit der Frau? Ihr seid beide aufgeregt, man hört euch schon auf der Treppe schreien! Ich denke, mindestens die ganze Stube ist voller Menschen! FRAU FELS:
Ach, mit der lieben Frau Prüfer hat man seine Not. Ihr Mann arbeitet auch in der Fabrik, wo Fels ist, sie 204
fühlt die drückenden Verhältnisse täglich, kann aber nicht begreifen, daß es geändert werden könnte und macht nun ihrem Mann immer Vorwürfe, weil sie niemals mit seinen Handlungen einverstanden ist! RUHE:
So, nun da begreife ich, dann ist sie natürlich gerade das Gegenteil von dir! und wie mir scheint eine recht vernünftige Frau! FRAU FELS:
Ich verstehe dich nicht, lieber Vater! RUHE:
Nun ich dächte doch, ich hätte deutlich genug gesprochen ! FRAU RUHE:
Ja meine liebe Klara, wir kommen hierher, um dir den Kopf ein bißchen zurechtzurücken, ich glaube es ist die höchste Zeit! FRAU
FELS:
Aber das ist mir ganz unverständlich. Was ist denn da passiert? Was habe ich denn getan? RUHE :
Getan hast du nichts, aber das ist es ja gerade! Du sagst zu Allem, was dein Mann will, ja und amen! Ganz gleich, ob der Ruf deiner Familie darunter leidet. Deine Mutter sagt es, und du weißt, die hat immer recht. Es kann nicht so fortgehen, ihr bringt mich als kaiserlichen Beamten in Verlegenheiten, da muß ich Einspruch dagegen erheben. Wischt
sich den Schweiß
von der Stirn.
Zu Frau
Ruhe.
Nun ist es aber heraus, jetzt rede du! 205
F R A U F E L S ihre Eltern
betroffen
ansehend:
Aber Vater, gegen was erhebst du Einspruch? Mein Mann hat doch nichts unternommen, was euch Schande macht, und wenn wir eins sind in unseren Ansichten, das kann unser Glück nur fördern und euch doch freuen! , FRAU RUHE:
Höre mal, ich mische mich nicht gern in Familienangelegenheiten, aber hier kann ich doch nicht ruhig bleiben. Weißt du, es gibt gewisse Fälle im Leben, wo die Frau verständiger sein muß als der Mann. Die Männer sind immer schnell mit allem fertig, da ist es denn unsere Aufgabe, sie durch unser Bedenken von übereiltem Handeln fern zu halten! Wenn wir das tun, können wir viel Unheil von der Familie fern halten und FRAU
FELS:
Aber Mutter, wir befinden uns doch ganz wohl in unserer Familie, was gibt es denn da für Unheil zurückzuhalten? FRAU
RUHE:
Deine Eltern gehören auch noch zur Familie! FRAU
FELS:
Selbstverständlich! Aber ihr seht ja ganz wohl und munter aus. Euch ist doch auch kein Unheil passiert? Drückt
dem Vater die Hand
und küßt die
Mutter.
FRAU RUHE:
Ach geh, du Schmeichelkatze. Meinst du, es ist Vater angenehm, wenn der Herr Amtsvorsteher, also sein Vorgesetzter sagt: „Hören Sie einmal, Ruhe! ist nicht der Arbeiter Fels Ihr Schwiegersohn?" Meinst du, das macht den Lebensabend deines Vaters besonders angenehm? 206
Fkau Fels: Was kann so eine Frage den Vater stören? Was geht den Herrn Amtsvorsteher, den Vorgesetzten meines Vaters, mein Mann an? Nicht wahr Vater, ich habe recht! RUHE Kratzt sich hinterm Ohr, gutmütig: Ja, ja! Die Frauen haben immer recht F r a u R u h e : ihm in das Wort fallend: Aber du wirst doch nicht! Ja siehst du, der Herr Amtsvorsteher ist Kirchenratsmitglied und Vorsitzender des Hausväterverbandes. Oh! das ist ein gar frommer Herr, und der ist genau von den Familienverhältnissen seiner Unterbeamten unterrichtet. Ach, der Hausväterverband ist wirklich eine recht nette Einrichtung, um die verlorenen Schafe wieder zusammenzubringen! Frau Fels: Ja, das mag wohl sein, aber was haben wir mit der ganzen Geschichte zu tun? F r a u R u h e schlägt die Hände zusammen: Begreifst du denn das immer noch nicht! War nicht kürzlich jemand da und hat sich erkundigt, ob ihr noch immer auf eurem gottlosen und unchristlichen Standpunkt verharrt und eure Kinder ohne Taufe aufwachsen lassen wollt? Frau Fels: Allerdings, mein Mann war noch recht ärgerlich darüber. Wir werden wohl nächstens nun auch endlich aus der Kirche austreten! Ruhe: Ich glaube gar! 16
Schröder
207
F R A U R U H E ZU
ihrem Mann:
Ereifere dich nur nicht! zu Frau Fels. So, wirklich! Das sagst du uns so ruhig in das Gesicht. Allerdings hat es dein Mann dem Boten auch schon gesagt, der hat es dem Vorsitzenden des Hausväterverbandes, dem Herrn Amtsvorsteher berichtet, und der hat es deinem Vater vorgehalten. Siehst du, das müssen wir alles deinetwegen erdulden, weil du nur auf deinen Mann hörst, weil der dein Abgott ist! FRAU
FELS:
Liebe Mutter, was wollt ihr eigentlich von meinem Mann, es ist wahr, ich liebe ihn, ich verehre ihn eben weil er ein Mann ist, weil er weiß, was er will. Mag uns seine Überzeugung manches Opfer auferlegen, mag mir manches entgehen, was ihr Vergnügen nennt, aber er sorgt in jeder Weise für uns, wie ein echter Hausvater! FRAU
RUHE:
Er hat dich und deine Kinder zum Unglauben verführt! Ihr glaubt an keinen Gott, erführt euch direkt der Hölle zu! FRAU
FELS:
Du irrst Mutter! Wer kann einem andern sagen, welchen Gott er anerkennt? Wenn du aber den Glauben an Gott mit der alten Lehre der Bibel verwechselst, so hat sich dieser Unglaube bei mir ganz allmählich entwickelt, wenn auch nicht ohne den Einfluß meines Mannes. Du weißt ja, Hebe Mutter, ich war eine fleißige Schülerin. Mit welchem Eifer habe ich Bibelsprüche und Gesangbuchverse gelernt, mancher ist mir zum Trost im Leben geworden, aber mit den meisten hat mich bald meine Umgebung in Widerspruch gebracht. Was nützt es, wenn in den Kirchen so schön von Mitleid, Liebe und Gerechtigkeit gepredigt wird, und man draußen im Handeln und Verkehr nichts als Hartherzigkeit, Haß und Selbstsucht findet. Wenn dieselben Leute, die sonntags predigen und auf die herrlichen Lehren des Evangeliums hinweisen, in ihren Taten nichts davon 208
spüren lassen. Mutter! Ich werde die gläubigste Christin, wenn du mir einen Vertreter der christlichen Kirche bringst, der buchstäblich befolgt, was Jesus gelehrt hat! F r a u
R u h e :
Aber Mädchen, was sind das für gottlose Reden, wie kann man denn das nur buchstäblich befolgen, das müßte ja ein übernatürliches Wesen sein. Wir dürfen das immer nur bildlich nehmen! F r a u
Fels:
Aber wörtlich glauben! Das ist es! Mögen die Lehren noch so alt, noch so ehrwürdig sein, wenn sie mit den uns umgebenden Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen sind, wenn sie unseren Erfahrungen, den Wissenschaften entgegenstehen, müssen sie fallen, denn sie verlieren ihre Kraft, sie wirken schädlich, ja sie werden gefährlich, wenn man sie mit Gewalt aufrecht erhalten will, während das Kind schon Widersprüche an ihnen entdeckt. — Doch ich stehe hier und schwatze mehr als ich sollte. — Liebe Eltern, laßt es gut sein, wenn wir auch nicht ganz so sind, wie ihr es wünscht — aber wir wollen das Beste. Entschuldigt jetzt, ich hole die Tassen, dann trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen. Wenn die Kinder aus der Schule kommen, wie werden sie sich über die Großeltern freuen. Geht durch die rechte Tür ab. Ruhe
Pause.
erstaunt:
Ist das ein Mädchen geworden! Höre mal Mutter — ganz unrecht hat sie doch nicht! F r a u
R u h e
ärgerlich:
Ist es nicht schon genug, daß sie gegen mich so auftritt, aber da ist bloß der hochmütige Schwiegersohn daran schuld, der hat sie durch und durch verdorben. 16*
209
RUHE: Nun das möchte ich nicht gerade sagen! Was willst du denn von ihr, ist sie die Liebe nicht selber? Wenn sie andere Ansichten hat als wir, laß sie doch, der alte Fritz hat schon vor hundert Jahren gesagt, jeder soll nach seiner Façon selig werden. FRAU
RUHE:
Natürlich kommst du wieder mit deiner Quasselei ! Was soll uns hier der alte Fritz? RUHE:
Nun der war ein König! und der muß es doch gewußt haben ! Siehste, wenn ich mir das auch so recht überlege, was geht's meinen Vorgesetzten an, was mein Schwiegersohn glaubt! Na Mutter, es ist nur gut, daß Fels nicht selbst da ist, da wärst du gewiß nicht zum Worte gekommen! FRAU
RUHE:
Das wollte ich doch einmal sehen, wer mich nicht aussprechen lassen wollte! Freilich Frau Fels tritt mit Kaffeegeschirr ein und nimmt die Kaffeekanne aus dem Ofen, dann stellt sie die Tassen zurecht und gießt ein. FRAU
FELS:
So greift zu! Ich freue mich doch recht, daß ihr gekommen seid. Ja, wenn man seine Gedanken immer so miteinander zur rechten Zeit austauschen könnte, ach, dann würde viel Kummer und Mißverständnis in der Welt erspart! Aber trinke doch Vater, nimm Zwieback! RUHE:
Nein, ich danke, es ist zu kurz nach Mittag, da schmeckt es noch nicht wieder. 210
FRAU FELS:
Nun wie du willst! Aber Mutter, du trinkst doch noch eine Tasse. Es klingelt. Ach gießt euch doch einmal selber ein, ich bin gleich wieder da! Frau Fels durch die Mitteltüre ab, es bleibt ruhig, die Leute trinken Kaffee, draußen hört man leise reden.
alten
III. Auftritt Die
Vorigen.
Frau
Fels,
Fels
Nach einiger Zeit treten Frau Fels, hinter ihr Fels ein, die Eltern schauen verwundert auf. Frau Fels hat eine Tasse mi t hereingebracht, sie stellt dieselbe auf den Tisch und rückt einen Stuhl heran. FELS:
Guten Tag, liebe Eltern. Ihr seid erstaunt, daß ich zu dieser Stunde nach Hause komme. Die Eltern sind aufgestanden
und
haben
e u c h n u r ! Alle Fels
schenkt
stohlen
an.
Kaffee Ihr
ihm
die Hände
setzen sich, ein
ganzes
auch Fels
und blickt Wesen
gereicht. nimmt
dabei ihren
Bitte setzt Platz.
Frau
Mann
ver-
ist gegen vorher bedrückt
und
niedergeschlagen. RUHE:
Kommt das öfters vor, daß du nach Tische nach Hause kommst? FRAU RUHE:
Ich denke, in eurer Fabrik geht das Geschäft so stark, daß ihr immer Überstunden machen müßt? FELS:
Ja, so ist es schon! Ich komme sonst auch vor Abend nicht heim, aber heute ist gerade mal eine Ausnahme RUHE:
Hast wohl was zu besorgen gehabt? 211
FELS:
Doch Nein — — wie das nun so manchmal ist was nützt es, einmal erfahrt ihr die Geschichte ja doch, da ist es besser, wenn ich euch gleich die volle Wahrheit sage, meinst du nicht auch Klara? FRAU FELS
achselzuckend:
Das mußt du am besten wissen! FRAU RUHE
beleidigt:
O bitte, wenn ihr uns eures Vertrauens nicht für würdig haltet, da bemüht euch nur nicht. FRAU
FELS:
Aber Mutter, so war es nicht gemeint, ich dachte nur, wir könnten euch Sorgen machen, die wir lieber allein tragen! Doch so mögt ihr es hören: Heinrich ist heute aus der Fabrik entlassen worden! R U H E UND F R A U
Entlassen!
zugleich:
Ohne Arbeit!
FELS:
Ja, ohne Arbeit, o wie hart das in den Ohren klingt! — Doch tröstet euch, die Sache ist nicht so schlimm, wenn man etwas gelernt hat, findet man schon wieder Beschäftigung. RUHE:
Wer weiß, ob das so schnell geht! Wie kommt denn das so Anfang der Woche mitten im Tage, da ist wohl etwas Besonderes vorgefallen? FELS:
Freilich, die ganzen Verhältnisse sind ja so, daß man täglich erwarten konnte, daß es kommen würde, wie es gekommen ist. Man ließ mich heute ins Kontor kommen und eröffnete mir, daß ich noch heute 212
die Stadt verlassen müsse, um in Erzburg eine Stellung zu übernehmen, die mit einer wesentlichen Lohnerhöhung verbunden sei. Als ich mir eine kurze Bedenkzeit ausbat, überhaupt nicht direkt auf die mir gemachten Anerbieten einging, merkte ich, worauf es abgesehen war, man wollte mich kaufen, um mich aus den Reihen meiner Genossen zu entfernen. Da konnte ich natürlich nicht einwilligen. Das Ende war meine Entlassung. FRAU
RUHE:
Nun höre mal, ich dächte, von großer Liebe zu deiner Familie zeugt dein Handeln gerade nicht; andere wären froh, wenn sie bei diesen traurigen Zeiten einen besseren Lohn verdienen könnten! FRAU
FELS:
Aber Mutter! Heinrich verdient doch solche Vorwürfe nicht. FELS:
Mögen andere anders handeln! Ich tue nun einmal nichts gegen meine Überzeugung, und gegen meine Überzeugung wäre es gewesen, wenn ich mich vom Kapital kaufen ließe, um mir einen Vorteil zu verschaffen. In hunderten von Menschenherzen hätte ich den Glauben an Ehrlichkeit und Treue um meines Vorteils willen vernichtet. So leid es mir tut, wenn meine Familie leiden müßte, aber ich konnte nicht anders handeln! RUHE :
Hm! hm! — Bei mir hat es freilich immer geheißen, wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing! Aber es ist ganz recht, wie du gehandelt. FRAU
RUHE:
Aber Alter, was fällt dir ein, merkst du denn gar nicht, wie leichtsinnig es ist, eine so schöne Stellung aufzu213
geben, wo man gar keine andere hat. Und dies nur aus Rücksicht auf andere, die einen gar nichts angehen, die einem keinen Pfennig geben, wenn man nichts zu beißen h a t . Es klingelt,
Frau
Fels verläßt das
Zimmer.
Nein, das hätte ich dir gar nicht raten mögen! FELS :
Mutter, das sind Ansichten, die sich mit unserer Umgebung ändern. Doch entschuldigt einen Augenblick! Steht auf, wendet sich zur
Tür.
IV. Auftritt Die Vorigen, Sturm, Frau
Fels
FELS:
Ach du bist es, war mir es doch gleich, als wenn ich deine S t i m m e hörte. Fels und Sturm begrüßen F E L S : stellt Sturm seine Schwiegereltern FRAU FELS ist inzwischen mit einer Tasse
sich.
vor: eingetreten.
STURM:
Also im Familienkreise, dann will ich nicht stören! FRAU
FELS:
Bitte setzen Sie sich nur heran, Sie stören durchaus nicht. Die Eltern machen Miene zu gehen
Bleibt nur noch ein bischen, die Kinder müssen ja nun gleich kommen! STURM:
Ich werde mich kurz fassen! Deine Schwiegereltern sind doch jedenfalls schon von deiner Entlassung unterrichtet !
214
FELS:
Ja! STURM:
Nun, dann komme ich vielleicht gerade recht. Weißt du, was ich will, du sollst in die Redaktion eintreten! FELS:
Ich!
Bei eurem B l a t t !
STURM:
Nun freilich, du! Hast schon manchen Beitrag geschrieben, und jetzt sind die Wahlen vor der Tür, da werde ich immer einmal auswärts gebraucht, dann kannst du mich vertreten. FELS:
Nein, das geht nicht. Erstens verstehe ich ganz gut mit Hammer und Feile umzugehen, aber Tinte und Feder hat mir nur die äußerste Not in die Hand gezwungen! STURM:
Mach doch keine Geschichte, die Sache wird sich schon machen. Gerade dein praktischer Sinn, deine Erfahrungen können von wesentlichem Nutzen sein! FELS
nachdenklich:
Nein es geht mit dem besten Willen nicht! STURM:
Aber warum denn nur nicht, ich sehe ja gar keinen Grund? FELS:
Nimm es mir nicht übel! Aber ich will es dir nicht verheimlichen, ich mag nicht von Arbeitergroschen leben! 215
STURM
lacht:
Also da liegt der Hund begraben! Nun weißt du, Fels, ich habe dir manches zugetraut, aber für so beschränkt hätte ich dich doch nicht gehalten! FELS:
Was, beschränkt nennst du das! STURM:
Was denn sonst! Du verkaufst deine Arbeit, wie jeder Mensch, der überhaupt arbeitet! Du verkaufst sie, um leben zu können, wie alle deine Genossen! Nun, was man selber in seinem eigenen Nutzen gebrauchen muß, soll man nicht verkaufen. Wie hier die Sache liegt, muß ich ein kleines Bild gebrauchen, um verständlich zu werden. Also nimm einmal an, wir sind zehn Genossen und verkaufen täglich unsere Arbeit, einen kleinen Teil davon könnten wir täglich zu der Ausgestaltung ,zur besseren Förderung unserer Interessen verwenden! Aber wenn jeder Einzelne das einzeln aufwendet, kommt nichts ganzes zustande, wie nun, wenn die neun ihren Teil zusammenlegen und der zehnte seine Arbeitskraft zur Förderung der Interessen der übrigen neun verwendet. Du tust ja ganz verwundert, hast es wohl immer noch nicht begriffen. F E L S schüttelt
den
Kopf:
Ich bin noch nicht überzeugt! STURM:
Ist denn das gar so schwer, hast es ja täglich in der Fabrik vor dir gehabt. Nichts weiter, als daß auch wir uns die Vorteile der vernünftigen Arbeitsteilung zunutze machen! FELS:
Ach so meinst du das 216
aber
7
STURM:
Was denn nun noch für ein Aber? Hast du jemals gesehen, daß diese Herren, die das Märchen vom Arbeitergroschen so geflissentlich verbreiten, ihre Hände zurückziehen, wenn es gilt, denselben einzustreichen? Sieh' doch unsere großartigen gesellschaftlichen Organisationen, unsere ganze Kunst, Industrie, kurz alles braucht diesen winzigen Arbeitsgroschen! — FRAU
RUHE:
Aber hören Sie einmal, Herr Sturm, haben Sie eine böse Zunge! RUHE:
Er hat aber recht! FRAU
FELS:
Ich verstehe immer noch nicht ganz! Was soll denn das heißen, daß die reichen Leute darauf bedacht sind, die Arbeitergroschen einzufangen! STURM:
Nun einfach wie ich es sagte, so ist es. Sie sind doch sonst so helle, Frau Fels. Euer Verstand muß heute durchgegangen sein! Da schauen Sie einmal dieses Blatt. Er zieht ein Zeitungsblatt aus der Tasche, ein sogenanntes unparteiisches, wie es in jeder Stadt besteht.
Bis in die entlegensten Winkel wird sein volksvergiftender Inhalt getragen, und warum? Etwa um das Volk zu belehren? Keine Spur, nur weil einige reiche Leute auf den Gedanken kamen, ihren Reichtum durch die Pfennige der Armut zu vermehren! Ja schauen Sie hin, wo Sie wollen, der ganze Staatsapparat mit allem was drum und dran hängt, Arzt, Apotheker, Rechtsanwalt und Pastor und wie alle die Repräsentanten der heutigen Gesellschaft heißen, leben sie nicht alle Tage herrlich und in Freuden von den Groschen der Arbeit! — 217
Nur der Arbeiter selbst geht lieber zugrunde, als daß er sich von seinen Genossen für seine Dienste bezahlen läßt! FELS :
Ja höre, das war viel, das muß ich mir erst einmal überlegen! So ganz unrecht hast du am Ende nicht! STURM:
Ich denke wohl auch, du nimmst Vernunft an! Es klingelt,
Frau
Fels verläßt
das Zimmer,
um zu
öffnen.
RUHE:
Sie sind wirklich ein prächtiger Herr, wie Sie das alles so schön erzählen können!
V. Auftritt Die
Vorigen,
Kriminalkommissar,
F R A U F E L S Kehrt
erschrocken
zwei zurück
Schutzleute mit dem,
Ruf:
Die Polizei! Kriminalkommissar bleiben an der Türe
und zwei Schutzleute stramm stehen.
treten ein,
letztere
KOMMISSAR :
Bedaure, wenn ich störe! Sie sind Heinrich Fels! FELS:
Ja! Sie wünschen! KOMMISSAR :
Lesen Sie das und machen Sie mir meine Aufgabe nicht schwer! Überreicht Fels ein Schreiben, der liest es und läßt es Sturm hat Fels über die Achsel gesehen.
218
sinken,
STURM:
Was? Verhaftet! KOMMISSAR :
Ja verhaftet! Im Namen des Gesetzes, folgen Sie mir. FRAU FELS:
Dich will man von uns reißen?! Nein, ich lasse dich nicht! Fällt
ihm um den
Hals.
KOMMISSAR:
Machen Sie es kurz. Mißverständnis!
Vielleicht ist es bloß ein
STURM:
Was hat mein Freund verschuldet, weshalb verhaftet man ihn? KOMMISSAR :
Ihnen darüber Auskunft zu geben, bin ich nicht berechtigt. STURM:
Man will ihn der Bewegung entreißen! Man will ihn unschädlich machen! Ich verstehe schon! KOMMISSAR:
Herr, hüten Sie Ihre Zunge, wenn Sie nicht sein Schicksal teilen wollen! Herr Fels, sind Sie bereit, versprechen Sie auch keinen Fluchtversuch zu machen, sonst muß ich Sie fesseln! FELS:
Tun Sie, was Ihre Pflicht ist, im übrigen, Herr, mit gutem Gewissen weicht man der Polizei nicht aus! 219
FELS :
macht sich aus den Armen seiner Frau los, die es willenlos geschehen läßt. Frau Ruhe und ihr Mann haben mit großem Entsetzen der Entwicklung der Sache zugesehen. Sie treten jetzt an die Tochter und führen dieselbe auf einen Sitz. FELS:
Verzeiht, liebe Eltern, daß ich euch jetzt diesen Schmerz und die Sorge mache, aber bald werdet ihr hören, daß ich unschuldig bin. Zu
Ruhe
Du alter Freund, nimm dich meiner Familie an, bis ich wiederkomme. Gibt allen die
Hand.
Lebt alle wohl! Geht mit dem Polizeibeamten
ab. Der Vorhang
fällt
IV. A K T Fels" Wohnung,
wie im III.
Akt
I. Auftritt GREIF:
Das ist ja alles recht schön, ich glaube Ihnen auch, daß Sie nicht die Absicht haben, mich zu betrügen. Aber das kommt so ganz von selbst, wenn man kein Geld hat, kann man eben nicht bezahlen! — — Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie bis morgen abend die Miete nicht schaffen, müssen Sie die Wohnung räumen! 220
FRAU
FELS:
Aber Herr Greif, gedulden Sie sich doch nur noch einige Tage. Mein Mann muß doch bald frei werden, dann wollen wir Ihnen ja gern die Zinsen ersetzen, die Sie verlieren. GREIF:
Unsinn! Wenn Sie Geld haben, bezahlen Sie doch. Zinsen ersetzen können den Mietzins nicht bezahlen. Immer noch hochmütig! FRAU
FELS:
Aber Herr Greif, wir sind doch immer unsern Verpflichtungen nachgekommen. — — — Wenn meinem Mann das Unglück nicht passiert wäre, hätten Sie längst die Miete! GREIF:
höhnisch:
Schönes Unglück das, wenn man andern Leuten die Bude in die Luft sprengen will! Wenn Sie mir nicht leid getan, ich hätte Sie wahrhaftig nicht im Hause behalten. Wenn Ihr Mann wiederkäme, würde ich allerdings anders verfahren.! FRAU
FELS:
Warum? Was hat mein Mann Ihnen getan? GREIF:
Gehen Sie nur nicht so in die Höhe! Sie wissen ganz genau, wie die Sache Hegt! FRAU FELS:
Herr Greif! GREIF
fortfahrend:
Nur ruhig! Die Beweise sind doch da. Erstens war Ihr Mann ein ganz gehöriger Roter. 221
Frau Fels will sprechen.
Nur stille! Solchen Leuten ist eben alles zuzutrauen. Der Beweis ist auch da, der Versuch ist gemacht, die Fabrik in die Luft zu sprengen; daß man da nun gerade so einen ungeschickten Burschen wie diesen Mauler dazu genommen, der sich selbst den Kopf wegreißt, das ist noch kein Beweis, daß Ihr Mann nichts davon gewußt hat. Im Gegenteil. Ihr Mann hat den Streik angezettelt, folglich ist er auch von allem unterrichtet gewesen. Ihren Mann werden sie nun einige Jahre einsperren Frau Fels weint. — Nun trösten Sie sich Frau Fels, es wird sich schon ein Ausweg finden, Sie werden nicht verhungern. Es ist allerdings ein Unglück, daß gerade Sie einen solchen Mann haben müssen. FRAU FELS
erzürnt:
Ich weiß gar nicht, wie Sie dazu kommen, von meinem Mann so übel zu reden. Wir wohnen doch nun schon zwölf Jahre hier in diesem Hause, so lange kennen Sie meinen Mann; können Sie ihm während dieser Zeit auch nur eine schlechte Handlung vorwerfen? GREIF verlegen und
achselzuckend'.
Er ist Sozialdemokrat, das genügt. Dann kennt man auch einen Menschen oft Jahre lang und weiß nicht, wie es in seinem Innern aussieht. Denken Sie doch einmal, diesen Direktor, diesen Kalthaupt. FRAU
FELS:
Ja, was ist mit dem Direktor? GREIF:
Was mit ihm ist, Jahre lang hat er den feinen Herrn gespielt, nun stellt es sich heraus, daß er der größte Lump ist. Nun ist er durchgebrannt! — FRAU
Was? 222
FELS:
Direktor Kalthaupt durchgebrannt!
GREIF:
Nicht wahr, da steht auch Ihnen der Verstand stille, das ist mir auch so gegangen! Ja, dieser Vagabund hat uns um unser schönes Geld gebracht, ich mag gar nicht daran denken, was da noch alles herauskommt! — FRAU FELS:
Aber wie können Sie auch meinen Mann mit solchen Menschen vergleichen, hat er nur einen Pfennig unrecht an sich gebracht? GREIF :
So war es auch der Direktor ist Sozialdemokrat legt hat, wie er
nicht gemeint! Ein solcher Schuft wie ja Ihr Mann wohl nicht, wenn er auch ist und gewiß schon manchmal übermit uns teilen könnte!
FRAU FELS:
Auch das alte Märchen noch! Bis jetzt haben die Reichen das Teilen allerdings besser verstanden. Sie haben eben alles für sich genommen, nicht nur unsere Arbeit, nein auch unsern Leib, unsere Gesundheit, alles, alles denken sie, ist zu ihrem Genüsse da, und da wundern sie sich, wenn wir nicht freundlich und vergnügt dreinschauen, sondern auch Menschenrechte, Menschenwürde beanspruchen! G R E I F hört die Worte erstaunt
an\
Das muß man sagen, Frau Fels, das Mundwerk haben Sie auf dem rechten Flecke! FRAU FELS:
Sie sind ja selber schuld, wenn mir die Galle überläuft; deshalb meinem Mann allerlei Böses und Schlechtes nachzureden, weil er nur für seine und seiner Genossen Rechte eingetreten; deshalb ihn zu beschuldigen, weil er eine Gesinnung hat, die nur das Beste aller Menschen will, das ist nicht recht von Ihnen, Herr Greif! 17 Schröder
223
GREIF nähert sich Frau
Fels:
Mein Gott, Frau Fels, wenn ich ein Wort gesprochen, nehmen Sie das nur nicht gleich so schlimm. Was Sie da sagen sind ja alles ganz schöne Worte, — aber unter uns gesagt, — was hat denn Ihr Mann davon, seine Familie bringt er in Not und Elend und mich um meinen Mietzins! FRAU
FELS:
Aber ich habe Ihnen ja schon gesagt, Sie sollen ja keine Einbuße leiden. Die Einrichtung ist allerdings nicht mehr viel wert, aber für den Vierteljahrzins wird sie doch noch gut sein! GREIF tritt der Frau Fels
näher:
Schwätzerei! — — Wenn Sie nur Vernunft annehmen wollten! Sie wissen, ich bin Stadtverordneter, ich bin Kirchenratsmitglied! FRAU FELS
achselzuckend:
Ja was soll das alles? ich nichts davon!
Durch Ihre Handlung merke
GREIF:
Man muß doch sein Geld zusammennehmen! sehen Sie, ich möchte Ihnen gern helfen nur nicht so borstig sein wollten
Aber wenn Sie
sucht seine Hand auf ihre Schulter zu legen, ohne das weiter zu beobachten, weicht sie geschickt aus. FRAU
FELS:
Ich verstehe Sie nicht! GREIF:
Sehen Sie, wenn Sie ein bißchen gut mit mir sein könnten, dann würden Sie mich bald besser verstehen lernen. 224
F r a u
F e l s :
Herr Greif! G r e i f :
Nun nur recht gemütlich! — Wir werden uns schon vertragen, sehen Sie, wenn ich Ihnen erst die nötige Hilfe verschafft habe, werden Sie meine Freundschaft schon schätzen lernen. Denken Sie nicht mehr so viel an Ihren Mann, lassen Sie überhaupt die Geschichte sein. Tun Sie wenigstens so, als wenn Ihnen die Vergangenheit leid sei. Lassen Sie Ihre Kinder taufen, dann soll es Ihnen an nichts fehlen! Ich werde dafür sorgen, daß Sie aus milden Stiftungen so unterstützt werden, daß der Kummer bald aus Ihrem schönen Gesicht weichen soll. Will ihr die Backen streicheln, Hand. F r a u
sie schlägt ihn tüchtig auf die
F e l s :
So! Das ist Ihr Ernst, das wollen Sie wirklich für mich tun! G r e i f :
Das alles! — und wenn es mich nichts kostet — noch viel mehr. F r a u
F e l s :
Geht schnell zur
Türe,
macht dieselbe
auf:
Nun möchte ich Sie bloß bitten, daß Sie schleunigst das Zimmer verlassen! G r e i f :
Aber Frau Fels, was fällt Ihnen denn ein! F r a u
F e l s :
Ich sage Ihnen, machen Sie, daß Sie zur Türe hinauskommen, Sie alter Sünder! Sonst machen Sie Bekanntschaft mit den Fäusten einer Arbeiterfrau. 17»
225
GREIF:
Aber Sie unverschämte Frau! FRAU FELS faßt ihn am Arme, schiebt ihn zur Tür hinaus und gibt ihm noch einen kräftigen Stoß.
Hinaus! GREIF
wütend:
Weib! Das sollen Sie mir büßen! Macht von draußen noch A nstrengung, die Tür die Frau Fels von innen zustemmt.
aufzudrücken,
Warten Sie, Sie Kratzbürste, das werde ich Ihnen anstreichen! ab F R A U FELS sinkt auf einen Stuhl und vergißt nach der Tür
zu sehen. Alles das muß man ertragen, alles das muß man sich bieten lassen, nur weil man arm ist! Armer Mann, wie gut ist es, daß du nicht weißt, wie sie mit' mir spielen. sich
aufrichtend.
Aber warum denn, bin ich nicht selber schuld; warum schlage ich Unterstützungen aus, die ich beanspruchen kann, es ist doch meine Pflicht, mich aus den Händen dieses Scheusals zu befreien! Ja ich suche den Herrn Sturm auf! Ab durch die Seitentür
links.
II. Auftritt Frau Ruhe, Frau
Fels
Man
dann wird die Türe geöffnet, herein tritt
226
hört klopfen,
FRAU R U H E :
Na das ist ja eine recht nette Wirtschaft, die Türen sperrangelweit offen; hier auch kein Mensch! Schaut sich nach allen Seiten
um.
FRAU FELS tritt mit dem Mantel
und Hut angezogen
aus
der Nebentür: Du bist da, Mutter? Sei willkommen! Gibt ihr die
Hand.
FRAU RUHE erwidert den
Gruß\
Ach, du willst fortgehen! Na, da laß dich nicht stören, kann schon ein anderes Mal wiederkommen, möchte gern etwas mit dir plaudern! — Aber sag' mal, was ist denn das für eine Wirtschaft, alle Türen stehen offen, da kann ja was gestohlen werden! FRAU FELS ganz
verstört:
- Ach Mutter ! fällt der Frau Ruhe um den
Hals.
Ach! — mir ist so jämmerlich zu Mute, könntest du doch helfen! FRAU R U H E :
Aber Kind! was ist denn? Das habe ich ja nie von dir gehört, seitdem du verheiratet bist! FRAU F E L S :
Alles dringt auf mich ein, alles muß man sich gefallen lassen, nur weil man allein steht! FRAU R U H E :
Da tröste dich nur, das geht alles vorüber, eine Frau muß viel im menschlichen Leben gewohnt werden! Aber was bringt dich denn so ganz außer Fassung? FRAU F E L S :
Ich bin dem Hauswirt die Miete schuldig! 227
FRAU
RUHE:
Und deshalb so unglücklich! Na weißt du, wenn alle Leute, die die Miete nicht bezahlt, gleich so lamentieren wollten, das gäbe einen schönen Tumult! FRAU FELS:
Ich weiß gar nicht, wie du das so leicht nehmen kannst! FRAU RUHE:
Nun, weil ich das gar nicht so schrecklich finde, wenigstens ist es kein Grund, um sich so aufzuregen! Hätte natürlich mein Herr Schwiegersohn ein wenig vernünftiger gehandelt, konnten wir uns alle diese Aufregung ersparen! FRAU FELS:
Mutter, fang nur nicht wieder davon an, das begreifst du nun doch einmal nicht! FRAU RUHE
entrüstet-.
Ich das nicht begreifen! Na da hört aber alles auf, natürlich willst du es nicht hören, aber es ist die Wahrheit! Die muß gesagt werden! Im übrigen bin ich nicht hergekommen, um dir Vorwürfe zu machen! — Man beschäftigt sich viel zu viel mit euch, ihr seid es gar nicht wert! Doch ich bin nun einmal der Nächste von euch! Siehst du und da wir selbst nichts haben, bin ich herumgerannt, um Hilfe aufzutreiben! Überall pochte ich leider vergeblich an, von dem Fels, der seine Familie so leichtsinnig in das Unglück gestürzt, wollte niemand etwas wissen. FRAU FELS
aufschreiend:
Aber Mutter! F R A U R U H E ohne
den Aufschrei
zu beachten,
fortfahrend:
Ich ließ mich dadurch nicht abhalten! So kam ich auch zum Verein für innere Mission, ja, das sind noch Herren, 228
die haben ein Herz für die Leiden der Menschen im Leibe, die wiesen mich nicht gleich ab. Sie fragten mich aus, wollten sich auch weiter erkundigen! Na, ich habe ihnen gleich reinen Wein eingeschenkt! Ich habe gesagt, daß ihr von der Kirche nichts wissen sollt, daß ihr eure Kinder nicht einmal hättet taufen lassen! Aber man meinte, das sei kein Grund, euch die Hilfe zu verweigern, man würde euch um so sicherer der christlichen Gemeinschaft wieder gewinnen, zur größeren Ehre Gottes, wie sie es nannten! So, nun weißt du Bescheid, wenn jemand kommt, bist du nicht gleich so obenaus, wie es deine Mode ist! Verstanden! Hübsch demütig, versprich den frommen Herrn alles! Frau Fels: Mutter! Fühlst du denn gar nicht, wie weh du mir tust, kommt dir denn gar nicht in Sinn, was du von mir verlangst! Frau Ruhe! Papperlapapp! Habe ich die Sache nun so weit gebracht, so wirst du nun wohl auch etwas dazu beitragen, daß es etwas gibt! Frau Fels: Mutter, du verlangst von mir, daß ich lüge, daß ich heuchele, mich zu den Anschauungen meines Mannes in Widerspruch setzen soll? — Ganz dasselbe, ja noch Schlimmeres hat der Hauswirt Greif von mir verlangt. Frau Ruhe: Ich kann es mir ja denken, du hast natürlich die Entrüstete gespielt! Aber begreifst du denn nicht, wie einfältig dumm das ist? Wenn die Menschen es nicht besser haben wollen, warum soll man sie nicht betragen! Was hätte es geschadet, wenn du diesen alten Sünder Greif einmal tüchtig zum Narren gehabt hättest, daß er sein Lebelang daran gedacht hätte. Natürlich, deine Gefühle lassen so etwas nicht zu! Na, wirst ja sehen, 22g
wohin du Zimperliese kommen wirst. Die Welt will betrogen sein, und wer das am besten kann, schwimmt oben auf! FRAU
FELS:
Aber Mutter, daß ich so etwas von dir hören muß! FRAU
RUHE:
Ich nehme dir das nicht weiter übel, obwohl du alt genug bist, um vernünftiger zu sein. Doch ich bin der Nächste von euch, ich muß sorgen, daß ihr nicht untergeht, sonst kümmert sich ja doch niemand um euch! FRAU
FELS:
Das wäre auch gar nicht nötig, ich kann ja arbeiten. Aber leider Hegt durch den Streik alles danieder, die Leute haben selber nichts, da können sie auch nichts machen lassen. Ja, wenn dieser unglückliche Streik vorüber wäre! FRAU
RUHE:
Siehste, da hast es, jetzt endlich siehst du es auch ein! Ja, wo sind denn die nobeln Gesinnungsgenossen deines Mannes, dieser Herr Sturm, hat sich der einmal um euch gekümmert? Natürlich brauchen diese Herren den Arbeitergroschen selbst sehr notwendig! Die arme Frau mit ihren Kindern mag zusehen; was kommt es auf so ein Weib an! FRAU
FELS:
Mutter! Was du sagst ist unrecht, weil es nicht wahr ist, man hat mir wiederholt Unterstützung angeboten, aber ich habe sie abgelehnt, weil wir im Anfange noch einige Ersparnisse hatten, und das Geld wurde überall so notwendig gebraucht; die Schwankenden mußten erhalten bleiben! Jetzt bin ich auf dem Wege zu Sturm, ich werde ihm meine Lage offenbaren, und er wird mir Hilfe schaffen. O Mutter, deinen guten Willen erkenne ich an, aber warum hast du nicht ein230
mal mit mir über die Sache gesprochen. Du hättest nicht bei unsern Gegnern um Gnade zu betteln brauchen! FRAU RUHE hat ganz erstaunt zugehört, stützt die Arme in
die Seite: So, nun hör einmal, das ist wohl der Dank für alle meine Sorgen! Freilich, von euch sozialem Volk kann man ja nichts Besseres erwarten! Das hätte ich können vorher wissen! Na, seht zu, wie ihr aus der Patsche kommt. Ihr seid nicht wert, daß man sich um e u c h k ü m m e r t ! Will gehen, Frau Fels hält sie auf. FRAU F E L S :
Nein Mutter, ich bitte dich, verlasse uns nicht so.
III. Auftritt Die Vorigen,
Sturm
Sturm hat wiederholt geklopft, auch schon durch die Tür gesehen, aber die beiden Frauen stehen mit dem Rücken nach der Türe und haben das Klopfen überhört. STURM ist in der Tür
erschienen-.
Da kann man klopfen was man will, wenn das hier so laut hergeht, wird man doch nicht gehört! Die beiden Frauen
drehen sich verwundert
um.
FRAU F E L S :
Sie, Herr Sturm! Aber wie können Sie uns so erschrecken ! STURM begrüßt die
Frauen-.
Was soll man machen, wenn man pocht und lärmt und doch nicht geöffnet wird. Alle Türen stehen offen, da tritt man eben ein! Also verzeihen Sie mir den Schrecken und lassen Sie sich nicht, stören! FRAU R U H E :
Bitte Herr Sturm, nehmen Sie Platz! 231
STURM:
Einen Augenblick mag es geschehen! Wie es mir scheint, komme ich zur rechten Stunde! Ich will es gleich gestehen, ich habe gehorcht. FRAU
FELS:
Das ist recht garstig von Ihnen! STURM:
Was kann ich dafür, wenn Sie mich durch die offene Tür dazu zwingen! Doch was ich gehört, genügt, um jede Einleitung beiseite zu lassen. Sie sind in Bedrängnis, Frau Fels, nennen Sie die Summe, die Sie notwendig brauchen. Das Geld ist zwar klamm, aber die Familie unseres braven Fels darf zuletzt Not leiden. FRAU FELS:
Ach, ich würde mir schon helfen, aber der Hauswirt will mit der Miete nicht länger warten, er glaubt, er wird darum betrogen! Er ist es, der mich am ärgsten bedrängt! STURM
ungeduldig:
Nur keine Umstände! Sagen Sie, was Sie brauchen, und ich werde sehen,, was sich tun läßt! F R A U R U H E hat Frau
Fels
heimlich
angestoßen:
Sag nur nicht zu wenig! F R A U F E L S Die Anregung
ihrer Mutter
nicht
beachtend:
Wir müssen allerdings 40 Mark vierteljährlich bezahlen! Aber Herr Sturm, wenn Sie nur einmal selbst mit dem Herrn Greif reden wollten, er würde gewiß mit einer kleinen Abzahlung zufrieden sein! Frau Ruhe hat verwundert zugehört, schüttelt mit dem Kopfe und macht Zeichen, als wenn sie die Bescheidenheit der Frau Fels für Beschränktheit hält.
232
STURM:
Das hat auch keinen Zweck, ich kenne die Haustyrannen, von denen haben wir keine Gnade zu erwarten. Sucht währenddessen das Geld in allen Taschen zählt es auf den Tisch.
zusammen,
FRAU R U H E : Sieht den Bewegungen des Sturm sehr gespannt zu, man merkt ihr an, daß sie sehr neugierig ist.
Aber Herr Sturm, wo kommt denn das viele Geld her? STURM:
Das haben die Arbeiter unter sich aufgebracht, durch das Solidaritätsgefühl ist es zusammengekommen! FRAU R U H E :
Ich verstehe das Wort nicht, was Sie eben sagten. Also einen Pastor oder irgend einen andern großen Herren brauchen Sie nicht dazu, um das zusammenzubringen? STURM zählt immer
noch:
Das geht ohne die! FRAU R U H E :
Aber sagen Sie einmal, soviel bekommen doch nur die Leute, die an der Spitze stehen. STURM:
Unsinn! das wird nach Grundsätzen verteilt! Wenn Frau Fels von Anfang an ihren Anteil genommen, wäre sie wesentlich höher gekommen, aber augenblicklich kann ich auch nicht mehr beschaffen, doch es genügt j a ! Frau Fels hat währenddessen Hut und Mantel abgelegt beschäftigt sich im Hintergrunde des Zimmers.
und
STURM:
So, Frau Fels, befriedigen Sie Ihren Plaggeist! 233
FRAU
FELS:
Ich danke Ihnen herzlich, Herr Sturm! Aber allerdings hätte ich noch eine große Bitte — würden Sie dem Herrn das Geld nicht selber zahlen? STURM sieht nach der
Uhr:
Lassen Sie den Dank beiseite, Ihren Wunsch würde ich gern erfüllen, indessen, die Zeit ist schon so weit vorgeschritten — lassen Sie ihn doch heraufholen! Es ist ja alles schon gezählt! FRAU
FELS:
Nein — nicht wieder in meine Wohnung! Mutter, sei doch so gut, trag es herunter! FRAU
RUHE:
Warum denn? Laß ihn nur heraufkommen, der wird sich schon freuen, wenn er Geld sieht! FRAU
FELS:
Aber Mutter, du weißt, was vorgefallen, bitte sei doch so gut! FRAU
RUHE:
Jetzt kannst du wieder schön bitten wieder gut genug! — Na meinetwegen.
da ist die Alte
Streicht das Geld zusammen und geht. STURM verwundernd
beide Frauen
ansehend:
Ihr Benehmen ist mir unbegreiflich! FRAU
FELS:
Das glaube ich, doch die Erklärung soll Ihnen ein andermal werden. — Aber noch eine andere Frage, Herr Sturm: wie steht es denn mit dem Streik, — ist denn gar keine Aussicht, die Unschuld meines Mannes an diesem traurigen Werke des Mauler zu beweisen. 234
STURM:
Arme Frau, — die Sachen liegen schlimmer denn je. Mauler ist gestorben, ohne die rechte Besinnung wiedererlangt zu haben, und der Streik, wer weiß, wie das nun noch werden kann! Das wissen Sie, daß Schleicher Direktor geworden ist?! FRAU F E L S :
Davon weiß ich kein Wort! Schleicher Direktor! — Wie kam denn das? STURM:
Sehr schnell! Nachdem Kalthaupt durchgebrannt und Guthans mit seinem Anhang nicht durchdrang, wählte man den, der es ja von je verstanden hat, sich überall einzuschmeicheln! FRAU F E L S :
Die Geschichte mit dem Kalthaupt ist mir noch nicht recht klar. STURM:
Offen gestanden, Frau Fels, mir auch nicht. Es wird heftig
geklingelt.
STURM:
Der hat es aber eilig, wer mag denn das sein! Frau Fels geht hinaus, man hört lautes Rasch und Kämpf zurück.
Reden,
sie kehrt
mit
IV. Auftritt Die
Vorigen.
Rasch,
Kämpf
FRAU FELS:
Da ist Herr Sturm! 235
Sturm:
Was Teufel, führt euch hierher?! Ihr lauft mir wohl noch auf jeden Schritt und Tritt nach? Kämpf:
Schlimm genug, daß uns weiter nichts übrig bleibt, aber wenn du uns im Stiche läßt. Sturm:
Ich euch im Stiche lassen?! Rasch :
Wie anders nennst du es? Du hattest die Berichterstattung in der Versammlung übernommen, wer nicht kam warst du! Sturm:
Was wollt ihr, ich verstehe euch nicht! Sieht die Uhr. Hier seht! Eben ist es 10 Uhr, ich brauche noch keine halbe Stunde bis in die Krone, also kommt vorwärts! laßt eure Witze. Will
gehen.
KÄMPF Sturm
aufhaltend:
Die Zeit ist längst vorbei. Die Versammlung findet nicht statt. Frau
Fels geht rechts ab.
Sturm:
Sagt: Bin ich verrückt oder seid's ihr! Rasch :
Mir scheint, keiner von beiden. Hast du nicht selber in deinem Blatt bekannt gemacht, die Versammlung findet um 9 Uhr statt! 236
Sturm: Wenn ihr allerdings zu so einer ungewöhnlichen Zeit beginnen wolltet, konntet ihr mich auch erst noch einmal benachrichtigen! Kämpf : Gekonnt hätten wir das schon, aber ich weiß nicht, wozu das nötig ist, wenn du die Annonce vor Augen hast. Sturm: Ihr mutet mir wohl gar noch zu, daß ich die Annoncen lesen soll? Rasch : Warum denn nicht? Aus dem Studium der Annoncen kann man viel lernen, ein richtiges Lokalblatt muß schon in seinen Annoncen ein Spiegelbild der Bewegung am Orte geben. Sturm: Was ihr mich nicht alles lehren wollt! Was versteht ihr von der Leitung eines Blattes?! Kämpf : Na, nur sachte, du bist auch nicht als Redakteur geboren ! Rasch: Ja, Sturm, deine Kenntnisse in Ehren, aber mit deiner Praxis ist es nicht weit her! Ich hätte manches an deiner Tätigkeit auszusetzen! Sturm: Warte bis du mein Schulmeister bist! Wenn ihr es übrigens besser versteht, macht es doch selber. 2 37
KÄMPF:
Darüber zu streiten haben wir jetzt keine Zeit. STURM:
Ich habe den Streit nicht angefangen! KÄMPF :
Ganz recht, aber was in der Luft liegt, bricht nur zu leicht losl — Doch wir sind hergekommen, um dir einige Mitteilungen zu machen. Die Versammlung hat nicht stattgefunden und findet auch heute nicht mehr statt. Guthans ließ sagen, wichtige Geschäfte hielten ihn vom Erscheinen ab, und da du auch nicht kamst, sind wir auseinandergegangen. STURM:
So, also Guthans führt euch doch hinter das Licht! KÄMPF:
Ach was, daran ist nicht zu denken! Aber ich sehe ein, die Geschichte ist nicht mehr aufzuhalten. Die Leute sind streikmüde! STURM:
Bah! — Ich habe frische Munition in Aussicht, die Verhältnisse müssen sich doch bald klären, haltet nur den Kopf oben! RASCH:
Kopf oben halten, ist leicht gesagt. Aber du weißt es nicht, was es heißt, 6 Wochen lang ohne die teilweise liebgewordene Tätigkeit stumpf dahinzubrüten. Frau
238
Ruhe
tritt hastig
in das
Zimmer.
V. Auftritt Die Vorigen, FRAU
Frau
Ruhe,
später Frau
Fels
RUHE:
Ich glaube, der Herr Sekretär Schleicher folgt mir auf dem Fuße! STURM:
Was! Schleicher! — Was kann der in der Wohnung von Fels wollen. Frau rechts
Fels
ist bei dem Eintritt
dev Frau
Ruhe
aus der
Türe
getreten.
FRAU FELS
verwundert-.
Was Mutter, du sagst Schleicher — FRAU RUHE:
Nun ja, ich glaube wenigstens, daß er es ist. Ich hörte wie er unten nach der Frau Fels fragte. STURM:
Was kann er wollen? — nun verderben wir ihm den Spaß nicht, machen wir ihm das Feld frei. FRAU FELS:
Sie wollen mich doch jetzt nicht verlassen? STURM:
Fällt uns nicht ein! Sie Frau Ruhe spazieren dahinein. Frau
Ruhe
von Sturm
will reden,
wird aber nach einigem
in die Schlafkammer
geschoben,
Widerstreben
er verschließt
die
Tür. STURM:
So nun schnell, wir gehen dahinein, und Frau Fels hat ihren Salon in Ordnung und kann den vornehmen Besuch empfangen. Es klingelt, Sturm, Kämpf und Rasch verschwinden in die Küche. Frau Fels verläßt das Zimmer, um zu 18
Schröder
schnell öffnen.
239
VI. Auftritt Frau
Fels,
Schleicher
SCHLEICHER
eintretend,-.
Kennen Sie mich? FRAU FELS:
Ich glaube Herrn Sekretär Schleicher vor mir zu haben, was wünscht der Herr in meiner Wohnung? SCHLEICHER :
Sie haben immer noch ein gutes Gedächtnis. Aber ich bin nicht mehr Sekretär, ich bin Direktor der Firma Kalthaupt & Co. FRAU FELS
ruhig:
Was geht das mich an, was suchen Sie hier? SCHLEICHER:
Alte Bekannte! höhnisch. Wenn man einen Gipfel erklommen, sehnt man sich nach den Jugendgenossen, die im Sumpf steckengeblieben sind. FRAU FELS:
Ich verstehe Sie nicht. SCHLEICHER:
Wirklich nicht! Ach ja, ich erinnere mich, Madame hat mich von je schwer verstanden, doch Geduld, heute werde ich deutlicher reden drohend. — Weib, dein Schicksal liegt in meiner Hand. Ich kann euch alle verderben, wenn ich will, und ich will, will mich rächen für das, was du mir angetan. Ich habe die Schmach noch nicht vergessen, ich habe ein elendes Leben geführt, aber dieser Augenblick soll mich für die Jahre des Leidens entschädigen. 240
FRAU F E L S :
Was kann ich für Ihr elendes Leben, das haben Sie Ihrem eigenen Charakter zu verdanken. — Wie kann man Liebe empfangen, wenn man selber keine hat! SCHLEICHER
erregt:
Das sagst du, um die ich einst so glühend warb. FRAU F E L S :
Tor! was Sie Liebe nennen, war Eigennutz, und was Sie heute hierher führt, Ihr wohlgekrönter Strebersinn! — Allerdings, wehe den armen Wesen, über die Sie zu verfügen haben! Doch es ist genug. — unsere Wege gehen weit voneinander! — Fest. Verlassen Sie mich. SCHLEICHER tritt einen Schritt näher und stößt zischend
hervor:
Ah — nicht so weit, als du denkst, Weib, auch du bist eines von jenen Wesen, über die ich verfüge! Frau
Fels starrt ihn betroffen
an.
SCHLEICHER:
J a starre mich nur an ich bin gekommen, um mich zu rächen, ich will in vollen Zügen genießen, wonach ich fünfzehn Jahre gedürstet. FRAU F E L S stößt ihn
zurück:
Was habe ich mit Ihnen zu schaffen? SCHLEICHER mit boshafter
Freude:
Nun denn wisse: Daß Fels mit Schimpf und Schande aus der Fabrik gejagt, ist mein Werk, daß er hinter Schloß und Riegel sitzt, hast du mir zu verdanken, und wenn er auf Jahre hinter den Mauern des Zuchthauses verschwindet, erinnerst du dich wohl der Stunde, wo du den Schlosser dem einfältigen Schreiberjungen vorgezogen; — wisse, ein Wort von mir, und dein Mann wäre frei, niederträchtig aber er soll zugrunde gehen, ihr 18'
241
alle sollt die Macht des Schreiberjungen empfinden, der jetzt euer Direktor ist! Ihr sollt erkennen, wer euer Herr ist! FRAU F E L S :
Pfui! Elender, erbärmlicher Wicht! SCHLEICHER:
Weib! Was wagst du, in den Staub mit dir, zu meinen Füßen sollst du dich wälzen! Er ist durch die Bewegung so getreten, daß er den der Küchentür zudreht, aus derselben tritt in diesem blick Sturm.
Rücken Augen-
VII. Auftritt Die Vorigen.
Sturm,
später Rasch und
Kämpf
STURM:
Das sei ferne, daß eine ehrliche Arbeiterfrau vor einem solchen Schuft hinfällt! S c HLEICHER
erschrocken:
Herr, wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?! STURM
ruhig:
Wenn ich neugierig wäre, könnte ich so fragen, aber ich verzichte. Doch wenn es Sie interessiert mein Name ist Sturm. — Bitte, erschrecken Sie nur nicht! Ich bin Ihnen vielen Dank schuldig für die vortreffliche Aufklärung, die Sie uns über die Schuld unseres Freundes Fels gemacht haben. Da weiß man nun wenigstens, wo man Zeugen finden kann. Sturm ist während der Zeit zwischen Schleicher und die Ausgangstür getreten, Schleicher will Sturm beiseite schieben, um den Ausgang zu gewinnen.
242
STURM:
Ei nicht doch Herr Schleicher, Sie wollen uns doch nicht schon verlassen?! Ich hätte gern etwas Schriftliches von Ihrer Hand; Sie wissen, wenn wir Sozialdemokraten solchen Ehrenmännern, wie Sie sind, vor Gericht gegenübertreten, schenkt man uns nicht gern Glauben. — Also bitte ein wenig Geduld! Frau Fels, besorgen Sie doch etwas Papier, Tinte und Feder. SCHLEICHER:
Was fällt Ihnen ein, machen Sie Platz! STURM:
Bitte Geduld! Die Sache ist gleich abgemacht! SCHLEICHER
wütend:
Sie treiben mich zum Äußersten, noch einmal sage ich, machen Sie Platz! Schleicher greift nach der Brusttasche, Kämpf und Rasch sind hinter ihnen aus der Tür getreten. Rasch faßt in dem Augenblick, als Schleicher einen Revolver aus der Tasche zieht, dessen Arm, daß er damit in die Höhe fährt und der Schuß gegen die Decke kracht. STURM:
Teufel noch einmal! Der Herr hat sich schon allerlei Spielzeug zugelegt, wie es solche große Herren lieben —! Frau Ruhe rüttelt an der Türe und schreit, Frau Fels öffnet und sucht sie zurückzuhalten und zu beruhigen, die drei Männer sind damit beschäftigt, Schleicher unschädlich zu machen. SCHLEICHER :
Das ist ein regelrechter Überfall, das werden Sie schwer büßen! Hilfe! Hilfe! 243
STURM:
Brüllen Sie nur! Aber heraus kommen Sie nicht, bis Sie unterschreiben! Zu Kämpf
und
Rasch.
Hier paßt auf. Frau Fels hat inzwischen Feder, Tinte und Papier gebracht und geht wieder durch die Tür links ab. Sturm setzt sich hin, um zu schreiben, Kämpf tritt an seine Stelle, Rasch steht hinter Schleicher. Da wird die Tür von draußen aufgestoßen, herein tritt Fels, sehr bleich und angegriffen aussehend, seine beiden Kinder, mit Schultaschen am Arm, an der Hand führend; allgemeines Schweigen. Schleicher hat sich entsetzt abgewandt.
VIII. Auftritt Die Vorigen, DIE
Fels, seine
Kinder
KINDER:
Mutter! Mutter! Wir bringen den Vater! Die beiden Frauen kommen schnell aus der Tür links, Frau Fels stürzt auf ihren Mann zu und fällt mit dem Rufe: Heinrich! — in seine
Arme.
FELS
sich
losmachend:
Aber was geht hier vor! Guten Tag, Freunde! Ja was — ist denn das! — Ist das nicht der Lump — der Schleicher! — Wie kommt der in meine Wohnung? A h — ein gütiges Geschick hat mir jetzt den in die Hände gegeben, dem ich meine Leiden verdanke! Deine Stunde hat geschlagen. Will sich auf ihn
•244
stürzen.
Schuft!
FRAU FELS hält ihren Mann
zurück:
Heinrich! Mann, nimm Vernunft an! Beschmutze dich nicht! STURM
hinzutretend-
Ja, ja, deine Frau hat recht! Eigentlich schadete ihm ein tüchtiger Denkzettel nicht, — aber lassen wir ihn laufen! FELS kämpft mit sich
selbst:
Halt! Doch nicht so schnell! — Junge, laufe, was die Füße tragen, den Herren nach, die mit mir kamen! Aber schnell! Steckt den Jungen zur Tür SCHLEICHER halb
hinaus.
bittend:
Machen Sie mir den Weg frei! Was wollen Sie von mir? FELS:
Ich - nichts mehr! — — Aber wenn Sie ein gutes Gewissen haben, warten Sie ein wenig — Rechtsanwalt Guthans wird gleich mit dem Boten des Gerichts hier sein! SCHLEICHER Sehr betroffen,
Wa
s wissen
schlotternd:
Sie!?
FELS:
Oh nicht viel! — Langsam und feierlich. Diese Nacht fand man einen Toten im Nonnenwald! — Wissen Sie, wer dieser Tote war? — Nein, Sie können es noch nicht wissen! — Dieser Tote war Direktor Kalthaupt! Schleicher fährt bei der Nennung
des Namens
erschreckt
zu-
sammen. — O erschrecken Sie nicht! — Kalthaupt hat dafür gesorgt, daß Ihre gemeinschaftlichen Schandtaten der Nachwelt erhalten bleiben! — Er hat Guthans vor seinem
245
Tode alles geschrieben; auf Grund dieses bin ich in Freiheit gesetzt! SCHLEICHER ist ganz gebrochen,
hält sich an einen
Stuhl:
STURM:
Ist das wahr?! — FELS:
Kannst du zweifeln! Schau ihm doch in das Gesicht, dem Verleumder! Dem Fälscher und Betrüger! — Ja halten wir ihn fest, überliefern wir ihn den Händen des Gerichts! K Ä M P F : Nach
einer
Pause
Hm! ein schlechter Kerl ist es, darüber ist kein Zweifel, aber — sollen wir denn Polizeidienste tun?! RASCH :
Das meine ich auch, lassen wir ihn laufen! Der wird seinem Richter nicht entgehen! — Du bist ja frei, und unsere Lage wird durch seine Verhaftung auch nicht gebessert. STURM:
Recht so! Daß er ein Schuft ist, darüber sind wir einig! Aber was ist denn sein Verbrechen?! E r wollte ein großer Mann werden, wollte reich werden, wollte sich rächen, dazu ist er zu ungeschickt gewesen! „ E r hat kein Glück gehabt", würde man sagen, wenn er etwas weniger gewissenlos verfahren wäre, man würde vor ihm kriechen, wenn er Erfolg gehabt hätte nein Fels, helfen wir nicht, solche Zierde der besseren Gesellschaft zu vernichten! FELS:
Bedenkt doch, was er noch für Schaden anrichten kann! — Haben wir nicht müssen auch alle durch ihn leiden?
246
STURM:
Überlege dir doch recht, würden wir glücklicher sein, wenn er hinter Schloß und Riegel wäre — ich glaube es nicht, lassen wir ihn ziehen. FRAU FELS:
Ja Heinrich, Herr Sturm hat recht! FELS
nachdenkend:
Nun, wenn ihr meint Stürzt
nach
der Tür,
reißt
dann aber schnell! sie auf,
schnell
wird
Schleicher
hinausgestoßen. F R A U R U H E hat der ganzen Mienen
beigewohnt,
Verhandlung
mit
verwunderten
als wenn sie alles nicht recht
verstände:
Ja — ihr Sozialdemokraten bleibt mir unbegreiflich eigentümliche Leute. Na, lebt alle wohl! Das muß ich meinem Alten schnell erzählen. Unter
flüchtigem.
Kopfnicken
schnell
ab.
Fels: Aber sagt mir nur, wie geht es in der Fabrik! KÄMPF:
Seit deiner Verhaftung gar nicht mehr! — Wir sind im Kampfe! RASCH :
Wir waren im Kampfe! Nach alledem, wie es jetzt steht und ich es übersehen kann, haben wir die Schlacht verloren. STURM:
Verliert nur den Mut nicht! KÄMPF :
Davon kann keine Rede sein! Aber du mußt doch selber sagen, als Fels von uns gerissen ward, stand es schlimm, 247
aber heute steht es noch schlechter! Unsere einzige Aussicht ist: Neuer Kampf und Arbeit! FELS:
So wird es bleiben unser Leben lang! RASCH :
Namentlich, wenn Neid, Bosheit und Egoismus uns das zertrümmern, was wir aufgebaut! STURM:
Kopf hoch! — Durch feste Hand und klaren Kopf muß uns die Zukunft werden! KÄMPF : H a s t g u t reden Die Tür wird geöffnet, herein tritt der Knabe mit Guthans und dem Gerichtsdiener.
IX. Auftritt Die Vorigen, Guthans, Knabe,
Gerichtsdiener
GUTHANS:
Wo ist er?! STURM:
Fort! GUTHANS :
Wie? Sie ließen ihn fortlaufen?! FELS:
Ja Herr! — Wir wollen nicht Vergangenes rächen, sondern wir wollen für die Zukunft arbeiten! 248
GUTHANS :
Das verstehe ich nicht?! Doch sei dem, wie ihm wolle. Ich werde Sorge tragen, daß die Fabrik wieder eröffnet wird, daß eure Wünsche nach Möglichkeit erfüllt werden. Veranlassen Sie alle Ihre Kameraden, daß sie sich übermorgen im Büro zur Arbeit melden. — Hoffentlich gelingt es mir, Allen gerecht zu werden, um allen euren Mitkämpfern in dieser Sache ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen. Man soll ehrliche Arbeit und ehrliche Überzeugung achten — ich habe den festen Willen, dies zu tun. Adieu für heute! ab. STURM:
Glaubt ihr, daß der allein gegen den Strom schwimmen und eure Wünsche erfüllen kann? Die Botschaft hör ich wohl — doch ach, mir fehlt der Glaube! Aber vorerst bedeutet dies doch einen Sieg der gerechten Sache, und wenn sie wieder bedroht werden sollte — dann, Genossen, aufs neue „im Kampf".
Anmerkungen zur Einleitung
1 Über Bosse gibt es bisher folgende Auskunftsmöglich keiten: a) Artikel über Bosse im Lexikon sozialistischer deutscher Literatur, Halle 1963. Der Artikel stammt v o m Verf. der vorliegenden Arbeit; er informiert auf knappem R a u m über die wichtigsten Daten und versucht, eine allgemeine Wertung zu geben. b) Einleitung von Ursula Münchow zu dem von ihr herausgegebenen B a n d : A u s den Anfängen der sozialistischen Dramatik I , in: Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, B d . III, Berlin 1964. Münchow geht hier vor allem auf das im B a n d enthaltene Stück Bosses „Die Arbeiter und die K u n s t " näher ein. Ein Vorabdruck der Einleitung erfolgte in den Weimarer Beiträgen, H. 4/1963. Nach diesem Vorabdruck wird im folgenden zitiert. c) Schäfers, Hans-Joachim: Zur sozialistischen Arbeiterbildung in Leipzig 1890 bis 1914, Leipzig 1961. Schäfers geht mehrfach auf Bosse ein, klammert aber dessen Tätigkeit als Stückeschreiber so gut wie ganz aus seinen Betrachtungen aus. 2 Das Tagebuch gehört z u m Nachlaß Bosses, der sich im Besitz seiner Tochter Dora Bosse, Leipzig, befindet. 3 Bericht des Polizeidirektors der Stadt Leipzig, die Verlängerung des sogenannten kleinen Belagerungszustandes betreffend, v o m 6. 5. 1889. Sächsisches Landeshauptarchiv Dresden: Mdl, Sek. I X , Nr. 10987, B . 78. 4 Schäfers, Hans-Joachim: a. a. O. Zur Tätigkeit Bosses vgl. besonders S. I 2 i f . und i35ff. — Zur Ausarbeitung dieses Teils wurde auch der Nachruf auf Bosse in der Leipziger Volkszeitung v o m 29. 10. 1909 herangezogen. 5 V g l . Bosse, Friedrich: Die Arbeiter und die Kunst, Leipzig 1897, S. 14. 6 Vgl. hierzu und zum folgenden Bosse, Friedrich: Der Arbeiterverein Leipzig. Seine Entstehung und seine Ent253
Wicklung, Leipzig 1904. — Wittichs Stück „Ulrich von Hutten" ist abgedruckt in: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I, a. a. O. Dort wird das Stück auch interpretiert. 7 Lange, Heinrich: Aus einer alten Handwerksburschenmappe, Leipzig 1925, S. 162. — Lange war neben Bosse führend im Arbeiterverein tätig. Das Buch enthält seine Erinnerungen. 8 Vgl. ebenda, S. 138. 9 Nach einem mündlichen Hinweis von Dr. Klaus Pfützner, Berlin, der Mitte der fünfziger Jahre die Erinnerungen von Leipziger Arbeiterveteranen aufzeichnete. Nähere Angaben über diese Stücke konnten nicht gemacht werden. 10 Vgl. Schäfers, Hans-Joachim: a. a. O., S. 69. 1 1 Bosse in seiner Zeitschrift: Der freie Bund. Organ für genossenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der freien Volksbildung, J g . 3, 1901, H. 4. 12 Vgl. dazu Schäfers, Hans-Joachim: a. a. O., S. 6gf. 13 1885 veröffentlichte Minna Kautsky ihren Roman: Die Alten und die Neuen. E s ist wahrscheinlich, daß Bosse den Titel von hier übernahm. Inhaltliche Parallelen zwischen Roman und Stück gibt es nicht. 14 E s handelt sich um folgende Stücke: a) Der Traum eines Arbeiters (1895) bzw. Der Traum des Arbeiters (1902). Die ursprüngliche Fassung des Stückes unter dem Titel Kampf um die Wissenschaft (1891) ist nicht erhalten. b) Ein Blick in die Zukunft (1898). c) Das Volk erwacht (1904). Dieses Festspiel, das für das 25. Stiftungsfest geschrieben wurde, ist nicht mehr erhalten. E s existiert nur die Beschreibung durch Hannelore Wittstock in ihrer Staatsexamensarbeit: Friedrich Bosse, ein Dichter der Arbeiterklasse, Potsdam 1962. Die Verfasserin hatte das Manuskript im Nachlaß Bosses entdeckt, wo es sich jedoch nach der Rückgabe nicht mehr auffinden ließ. 15 Sturmglocken. Organ zur Förderung freier Volksbildung, J g . 2, 1895, H. 4, S. 15. — Der betr. Artikel ist mit -e- gezeichnet. E s ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er von Bosse stammt, der die Beiträge seiner Zeitschrift fast allein bestreiten mußte. 16 Auch andere Stücke Bosses hatten Erfolg. So heißt es in Bosses Festschrift: Der Arbeiterverein Leipzig. Seine Entstehung und seine Entwicklung, a. a. O., S. 13, über das Stück „Die Arbeitervereine haben doch eine Zu-
254
k u n f t ! " : „ E s wurde in vielen deutschen Arbeitervereinen aufgeführt." Auch der Beifall, den die anderen Stücke fanden, wird hier vermerkt. 17 Die Wiedergabe der spieltechnischen Details folgt einer Mitteilung von Dr. Klaus Pfützner. Vgl. Anm. 9. 18 Brinkmann, Henning: Anfänge des modernen Dramas in Deutschland, Jena 1933, S. 26. 19 Wittich, Manfred: Hans Sachs. Ein Erinnerungsblatt für das arbeitende Volk zur vierhundertjährigen Geburtstagsfeier des Volksdichters, Nürnberg 1894, S. 56. 20 Im Prolog werden Sachs und Hutten so charakterisiert: Sie waren nicht von Eigennutz befangen. Sind für das Recht in Kampf gegangen, Haben für das Glück Opfer gebracht, Stets an das allgemeine Wohl gedacht. Ebenda, S. 4. 21 Ebenda, S. 9. — W. Friedrich weist darauf hin, daß die Phrase vom „Schwert des Geistes", mit dem allein der Sieg errungen werden könne, seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts tief in die Arbeiterbewegung eingedrungen sei. Unter Berufung auf dieses Befreiungsmittel oder, wie im vorliegenden Fall, ganz allgemein auf die „Arbeit", wurde der Kampf mit dem Schwert als Symbol der revolutionären Gewalt schon in dieser frühen Phase der Arbeiterbewegung oft abgelehnt (Wolfgang Friedrich: Die sozialistische deutsche Literatur in der Zeit des Aufschwungs der Arbeiterbewegung während der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts bis zum Erlaß des Sozialistengesetzes, Habilitationsschrift, Halle 1964, S. 34). 22 Vgl. ebenda, S. 7. — Die Auskunft, daß es sich hier um die im Verein üblichen Spitznamen der Spitzel handelt, stammt von einem Arbeiterveteranen. 23 Vgl. ebenda, S. 15. 24 Ebenda, S. 1 1 . 25 Dafür gibt es viele Belege. Bei F . Klein lautet die allgemeine Einschätzung dieses Sachverhaltes so: „Selbst Männer wie Bebel, Kautsky, Singer, W. Liebknecht und andere revolutionäre Führer der Partei unterschätzten im Grunde die Bedeutung der Theorie des revolutionären Kampfes." Klein, Fritz: Deutschland von 1897/98 bis 1917. Lehrbuch der deutschen Geschichte (Beiträge). Berlin 1961, S. 86. 26 Neef, Helmut: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, Berlin 1962, S. 130. 27 Vgl. Schäfers, Hans-Joachim: a. a. O., S. 51 u. a. 19
Schröder
255
28 Charakteristisch für die Hoffnung auf den baldigen Sieg ist die folgende Äußerung Bebels auf dem Erfurter Parteitag von 1 8 9 1 : „Die bürgerliche Gesellschaft arbeitet so kräftig auf ihren eigenen Untergang los, daß wir nur den Moment abzuwarten brauchen, in dem wir die ihren Händen entfallende Gewalt aufzunehmen brauchen. J a , ich bin überzeugt, die Verwirklichung unserer letzten Ziele ist so nahe, daß wenige in diesem Saale sind, die diese Tage nicht erleben werden." Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Erfurt vom 14. bis 20. Oktober 1891, Berlin 1981, 'S. 172. — Ähnlich hatte sich Bebel auch vorher schon mehrfach in Reden und Artikeln geäußert. Vgl. ebenda, S. 185. E s ist klar, daß diese Äußerungen von der Masse der Mitglieder und Sympathisierenden mit Begeisterung aufgenommen wurden. 29 Als Beispiel sei eine Stelle aus „ E i n Blick in die Zukunft" angeführt: Junger Mann: Zu solchem Streben bin ich wohl bereit. Zeigt mir den Weg, ist das Ziel auch weit. E s soll mich nichts beschweren, nichts entgegenstehen, Ich werde es erreichen oder untergehen. Bosse, Friedrich: Ein Blick in die Zukunft, Leipzig 1898, S. 8. 30 Vgl. Jean Baptist von Schweitzer: Ein Schlingel. Eine nationalökonomisch-sociale Humoreske in einem Akt, in Social-Demokrat. J g . 3, Nr. 130, 1 3 1 , 1 3 3 vom 3., 6. und 10. November 1867, und Eine Gans. Dramatisches Gespräch über die „Erweiterung des weiblichen Arbeitsmarktes", in: Social-Demokrat, J g . 5, Nr. 29—32 und 37—38 vom 7., 10,. 12., 14., 26. und 28. März 1869. — August Kapell: Dr. Max Hirschkuh oder Das Amt des Heuchlers. Charakterbild aus der Berliner Arbeiterbewegung in zwei Akten, Berlin 1872. 31 Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft! A. a. O., S. 28. 32 Verschiedene Weltanschauungen. Leipzig 1894, S. 25. 33 Kurz: „. . .wir wollen die Erkenntnis der Lebensverhältnisse bis in die untersten Schichten des Volkes tragen. Gelingt uns das, wird auch die politische Partei um so schneller Erfolge erringen und besser arbeiten können." Verschiedene Weltanschauungen, a. a. O., S. 29. 34 Vgl. Münchow, Ursula: Die ersten Anfänge der sozialistischen Dramatik in Deutschland, in: Weimarer Bei-
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träge, H. 4/1963, S. 729—750 (besonders S. 745—750), und Münchow, Ursula: Naturalismus und Proletariat, in: Weimarer Beiträge, H. 4/1964, S. 599—617. 35 Diese Formel wird mehrfach variiert. So sagt der liberale A r z t Dr. Wohlgemuth: „ W e n n Wissenschaft und Arbeit Hand in Hand gehen, (muß — G. Sch.) eine neue, bessere Zeit für die Menschen kommen." Bosse, Friedrich: Der erste Mai, Leipzig 1890, S. 53f. 36 Vgl. Münchow, Ursula: Die ersten Anfänge der sozialistischen Dramatik in Deutschland, in: Weimarer Beiträge, H . 4/1963, S. 732. 37 Diese Erscheinung ist nicht auf das Bühnenstück beschränkt. Zur Unfähigkeit etwa Minna K a u t s k y s , „das Leben der Aristokratie und der Bourgeoisie realistisch zu gestalten", vgl. Minna K a u t s k y . Auswahl aus ihrem Werk, hrsg. von Cacilia Friedrich, in: Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, B d . I V , Berlin 1965, S. X V . — Die gleiche Erscheinung ist auch später noch anzutreffen. So stellt H. K a u f m a n n fest, daß „bis dahin (1941 — G. Sch.) die literarische "Gestaltung der Spitzen der Gesellschaft nicht die stärkste Seite der sozialistischen Literatur" war (Kaufmann, Hans: Bertolt Brecht. Geschichtsdrama und Parabelstück, Berlin 1962,
s. 133). 38 Süddeutscher „Bekritteltes".
19»
Postillon,
Jg. 13,
H. 3/1894,
Rubrik
Anmerkungen zu den Texten
Die Texte sind in ihrer ursprünglichen Gestalt wiedergegeben ; nur Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden den heute gültigen Regeln angeglichen. U m die Eigenheiten der Originale möglichst getreu zu bewahren, wurde auf jede stilistische Bearbeitung bewußt verzichtet.
Die Alten und die Neuen Abdruck nach: Die Alten und die Neuen. Festspiel z u m I X . Stiftungsfest des Fortbildungsvereins für Arbeiter a m 18. Februar 1888 zu Leipzig von Heinrich Friedrich ( = Friedrich Bosse), Leipzig: Verlag von F . Bosse 1888. Standort: Museum für Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung.
Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft! Abdruck nach: Die Arbeitervereine haben doch eine Zukunft ! Soziales Bild in 3 Abtheilungen von Heinrich Friedrich ( = Friedrich Bosse). Im Fortbildungsverein f ü r Arbeiter in Leipzig aufgeführt zum 11. Stiftungsfest, am 9. Februar 1890, Leipzig: Selbstverlag 1890. Standort: Museum für Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung.
Der erste Mai Abdruck nach: Der erste Mai. Ein Zeitbild in drei A b teilungen von Heinrich Friedrich ( = Friedrich Bosse), Leipzig: Eduard Schultze 1890. Standort: Museum für Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung.
Im Kampf Abdruck nach: Im Kampf. Drama aus dem Arbeiterleben in 4 A k t e n von Heinrich Friedrich ( = Friedrich Bosse). Aufgeführt am 1,7. April und 16. Oktober 1892 im Arbeiterverein Leipzig, Leipzig: Selbstverlag 1892. Standort: Museum für Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung.
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Bibliographie
i. Friedrich Bosse als Autor und Herausgeber Autor von: Die Alten und die Neuen. Festspiel, Leipzig 1888. Unsere Ideale. Festspiel, Leipzig 1889 (verloren). Die Arbeitervereine haben doch eine Z u k u n f t ! Soziales Bild, Leipzig 1890. Der erste Mai. Zeitbild, Leipzig 1890. K a m p f um die Wissenschaft. Festspiel, Leipzig 1891 (verloren) . I m Kampf. Drama a) Leipzig 1892. b) 2. Aufl., Leipzig 1910, in: Mehrakter, B d . 6. Eine Frau mit Vorurteilen. Schwank a) Leipzig 1893. b) 3. Aufl., Leipzig 1899. c) 5. Aufl., Leipzig 1910, in: Arbeiterbühne, B d . 2. (Über die 2. und 4. Auflage ist nichts bekannt.) Verschiedene Weltanschauungen. Soziales Bild a) Leipzig 1894. b) Leipzig 1910, in: Arbeiterbühne, B d . 14. (b) erschien unter dem Titel: Gewissensfreiheit.) Der Traum eines Arbeiters. Festspiel a) Leipzig 1895. b) Leipzig 1902.
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c) Leipzig 1911. (b) und c) erschienen unter dem Titel: Der Traum des Arbeiters.) Die Arbeiter und die Kunst. Schwank a) Leipzig 1897. b) in: A u s den Anfängen der sozialistischen Dramatik I, hrsg. von Ursula Münchow, in: Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, B d . I I I , Berlin 1964. Ein Blick in die Zukunft. Festspiel, Leipzig 1898. Das Volk erwacht. Festspiel, Leipzig 1904 (verloren). Die Sozialdemokraten kommen! Ländliche Komödie, 2. Aufl., Leipzig 1910, in: Arbeiterbühne, B d . 13. (Über die 1. Auflage ist nichts bekannt.) Der Arbeiterverein Leipzig. Seine Entstehung und seine Entwicklung, Leipzig 1904. Zur Geschichte der Arbeiter-Sängerbewegung in Leipzig, in: Festbuch zum Bundeskonzert des Deutschen ArbeiterSängerbundes. Gau Leipzig, Leipzig 1909. Herausgeber von: Sturmglocken. Organ für sozialdemokratische Arbeiter- und Volksbildungsvereine (Jg. 2, 1895: Organ zur Förderung freier Volksbildung), Leipzig 1894—1895. Der freie Bund. Organ für genossenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der freien Volksbildung, Leipzig 1899—1902.
2. Schriften über Friedrich Bosse E s werden nur solche Arbeiten und Artikel genannt, die ausschließlich v o n Bosse handeln oder die einzelne Seiten seiner Tätigkeit relativ ausführlich behandeln. Frühes deutsches Arbeitertheater 1847—1918. Eine Dokumentation v o n Friedrich Kniiii und Ursula Münchow, Berlin 1970. Friedrich Bosse f (Nachruf), in: Leipziger Volkszeitung v. 29. 10. 1909. Brümmer, Franz: Friedrich Bosse, in: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten v o m Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, B d . I, 6. Aufl., Leipzig 1913, S. 308.
260
Lange, Heinrich: Aus einer alten Handwerksburschenmappe, Leipzig 1925. Münchow, Ursula: Aus den Anfängen der sozialistischen Dramatik I, hrsg. v. Ursula Münchow, in: Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Berlin 1964, Einleitung. Schäfers, Hans-Joachim: Zur sozialistischen Arbeiterbildung in Leipzig 1890 bis 1914, Leipzig 1961. Schröder, Gustav: Friedrich Bosse; in: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur, Halle 1963, S. 107 f. Schröder, Gustav: Das sozialistische deutsche Bühnenstück von den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Zusammenbruch der zweiten sozialistischen Internationale, Habilitationsschrift, Pädagogische Hochschule Potsdam 1965. Wittstock, Hannelore: Friedrich Bosse, ein Dichter der Arbeiterklasse, Staatsexamensarbeit, Pädagogische Hochschule Potsdam 1962.