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German Pages 192 [194] Year 1991
Frühchristliche und Byzantinische Kunst
Frühchristliche und byzantinische Kunst
Geschichte der Malerei, Plastik und Architektur
Kunst der Frühen Hochkulturen Kunst der Griechen Kunst des Römischen Reiches Frühchristliche und byzantinische Kunst Kunst des Frühen Mittelalters Kunst der Romanik Kunst der Gotik Kunst der Renaissance Kunst des Barock und Rokoko Kunst des 19. Jahrhunderts
Belser Verlag STUTTGART ZÜRICH
Frühchristliche und byzantinische Kunst Malerei Plastik Architektur
Belser Verlag STUTTGART ZÜRICH
Die Sonderausgabe bietet den Bestand an Text und Bild des Bandes Frühchristliche Kunst, Byzantinische Kunst von Irmgard Hutter, 1968 (Bd. 4 der „Belser Stilgeschichte").
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Geschichte der Malerei, Plastik und Architektur. - Sonderausg. - Stuttgart; Zürich: Belser. Frühere Ausg. u. d. T.: Belser-Stilgeschichte ISBN 3-7630-1870-0 Frühchristliche und byzantinische Kunst. - Sonderausg. - 1991 Frühchristliche und byzantinische Kunst: Malerei, Plastik, Architektur / [von Irmgard Hutter]. - Sonderausg. - Stuttgart; Zürich: Belser, 1991 (Geschichte der Malerei, Plastik und Architektur) ISBN 3-7630-1874-3 NE: Hutter, Irmgard Vertrieb für die Schweiz ausschließlich durch Medea-Fribourg 1991 by Chr. Belser AG für Verlagsgeschäfte & Co. KG, Stuttgart und Zürich Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Druckerei Uhl, Radolfzell Printed in Germany ISBN 3-7630-1874-3
VORWORT
Die Größe der Kunst des christlichen Ostreiches und ihre Bedeutung für den Westen, lange verkannt, wird heute allmählich richtig eingeschätzt. Das ist nicht nur der Arbeit der Spezialisten zu verdanken, die von Theologie, Philologie und Geschichte ausgehend, die Bedeutungsfragen der byzantinischen Kunst geklärt haben, sondern vor allem den Vertretern der eigentlichen byzantinischen Kunstgeschichte, die sich seit zwei Menschenaltem um das Verständnis der spezifisch kunstgeschichtlichen Probleme bemühen. Dank dieser Arbeit ist die byzantinische Kunst nicht mehr eine ängstlich gehütete Domäne der „Byzantinisten"; sie kann und muß im Zusammenhang mit der europäischen und der orientalischen Kunst verstanden werden als die große Vermittlerin zwischen der griechischen Antike und der mittelalterlichen Welt. Aber nicht nur antike Formen hat die byzantinische Kunst aufbewahrt und durch Renaissancen immer wieder neu belebt, auch orientalische Formen hat sie dem westlichen Mittelalter überliefert. Die Verarbeitung dieser östlichen Formen erfolgte in strenger Auswahl dessen, was sich mit der antiken Tradition verschmelzen ließ: Dem Orient gegenüber wirkte Byzanz also vor allem als Filter, der das Wesensfremde vom Westen abhielt. Die so aus griechischen und orientalischen Wurzeln entstandene Kunst mit ihrem hohen politischen Prestige mußte auf den Westen - selbst nach der Befriedigung des ersten Bildhungers der jungen, noch barbarischen Völker - einen überwältigenden Eindruck machen. Die magistrale Vollkommenheit der technischen Mittel war nur eine der Eigenschaften, die dieser Kunst den Primat sicherten. Einzelne Techniken, wie Mosaik und Zellenschmelz, wurden zwar eifrig nachgeahmt, blieben aber lange byzantinisches Monopol; andere, wie die Tafelmalerei, wurden zur Grundlage wichtigster Entwicklungen. Die Ikone ist die Urform des europäischen Bildes. Die übermittelten Inhalte erfüllten lange Zeit den Bedarf des Westens auf .religiösem und politischem Gebiet. Hier war in leicht zu adaptierenden Kompositionen alles vorgebildet, was die westliche Welt brauchte, vom Herrscherbildnis bis zur Passionsdarstellung - in allen Größenordnungen, von der vollsten, monumentalsten Gestaltung bis zur Miniatur. Alle diese Formulierungen haben öffentlichen, fast unpersönlichen Charakter, sie sind ernst, neutral - und gerade deshalb allgemein anwendbar. Selbst die Schwächen dieser Kunst, ihre Trockenheit und Humor-
losigkeit, ihre Normalität, die höchste Emotion ebenso ausschließt wie das Groteske, mußten ihre Wirkung auf den Westen steigern. Das vorliegende Werk hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Wesen dieser Kunst zu schildern und die Leitlinien ihrer Entwicklung nachzuziehen. Zur Illustration werden die bedeutendsten Werke herangezogen: Nicht das Ausgefallene wird vorgestellt, sondern das Wichtigste. So entsteht eine ausgewogene Darstellung der byzantinischen und ihrer Vorläuferin, der frühchristlichen Kunst, eine Darstellung, die, wie wir glauben, für lange Zeit ihre Geltung behalten wird. Otto Demus
I. F R Ü H C H R I S T L I C H E
KUNST
Einleitung Die älteste christliche Kunst entsteht zu einer Zeit, als das Imperium Romanum aufs stärkste von innerem und äußerem Verfall bedroht ist. Die politische, administrative, wirtschaftliche und militärische Reorganisation, die Diokletian (284-305) einleitet und Konstantin (306/24-337) vollendet, sichert dem Reich seinen inneren Bestand, wandelt aber zugleich seine Struktur zu einer zentralistischen Autokratie, die die römische Gesellschaftsordnung allmählich auflöst und die byzantinische begründet. Die weltgeschichtlichen Marksteine dieser Epoche setzt Konstantin: die öffentliche Anerkennung des Christentums 313, nach dem Sieg über seinen Mitkaiser Maxentius an der Milvischen Brücke, und die Gründung Konstantinopels 324 nach der Errichtung der Universalmonarchie (Einweihung 11.5.330). Die christliche Religion, die im Chaos des 3. Jh. mit zahlreichen anderen orientalischen Erlösungsreligionen auch den Westen eroberte, hatte vor diesen nicht nur die Exklusivität eines monotheistischen Weltherrschaftsanspruchs voraus, sondern auch in ihrer Bischofsverfassung eine nach römischem Vorbild geformte hierarchische Organisation. Diese kirchliche Ordnungsmacht dem Staat zu verbinden, der zerfallenden antiken Gesellschaft die geistigen und sozialen Kräfte des Christentums zuzuführen und dem absolutistischen Kaisertum die sakrale Würde eines irdischen Stellvertreters Gottes zu verleihen, ist das Ziel der religionspolitischen Entscheidung Konstantins. Unter seiner Leitung tagt das erste der ökumenischen Konzile (Nikäa 325), die nach sehr heftigen Glaubenskämpfen die dogmatischen Fundamente der christlichen Lehre begründen (Konstantinopel 381, Ephesos 431, Chalkedon 451). Die noch starke heidnische Opposition findet 392 ein Ende, als Theodosius l. (379-395) das orthodoxe Christentum zur alleinigen Staatsreligion erhebt. Die Gründung der neuen Hauptstadt im Osten, Konstantinopel, in der altgriechischen Kolonie Byzantion am Bosporus - strategisch wie handelspolitisch ideal gelegen - entspricht der veränderten politisch-militärischen Situation, nämlich dem Kampf gegen den unaufhörlichen Andrang der Germanen von Norden, der persischen Sassaniden von Osten her. Diesen Jahrhunderte währenden Existenzkampf überdauert der Osten trotz katastrophaler Niederlagen dank des größeren wirtschaftlichen Rückhalts in den reichen Ostprovinzen und seiner klugen Bündnispolitik, die die Elite der Germanen der römischen Zivilisation zu assimilieren weiß. Das weströmische Reich hingegen geht unter in der Flut germanischer Invasionen. Rom hatte schon im 4. Jh., trotz der betont gepflegten, hohen Kultur seiner heidnischen Aristokratie, mehr und mehr seinen Glanz eingebüßt. Nach der Reichsteilung von 395 wird Mailand die Hauptstadt des Kaisers Honorius, bis es 404 diesen Rang an den sicheren Flottenstützpunkt Ravenna abtritt. 410 wird Rom erstmals erobert, die westlichen Provinzen und Afrika gehen verloren; seit 476 herrschen germanische Könige in Italien, unter denen der Gotenkönig Theoderich (493-526) am stärksten der (ost-)römischen Kultur aufgeschlossen ist. Rom behält seine abendländische Geltung allein durch die Macht des Papsttums. 7
Das Erbe Roms hat indes Konstantinopel, das „Neue Rom", angetreten. In der Anlage, im Schmuck seiner Prachtbauten und - importierten - Statuen seinem Vorbild folgend, mit den gleichen Privilegien ausgestattet und zum Teil mit Römern besiedelt, steht es sichtbar in der Tradition des alten Rom. Gleichzeitig aber ist von Anfang an ein grundlegender Unterschied markiert: Konstantinopel ist als christliche Stadt gegründet, und es wurzelt in griechischem Sprachgebiet, in griechisch-hellenistischer Kultur. Im Laufe des 5./6. Jh. verdrängt die griechische die lateinische Reichssprache. Klassisch-griechische Philosophie, Dichtung und Wissenschaft finden in der 425 gegründeten Universität ein für Jahrhunderte bedeutendes Wirkungszentrum. Auch die übrigen hellenistischen Städte, vor allem Antiochia und Alexandria, bewahren bis zu ihrem Untergang ihre antike Tradition, die auch die christliche Religion aufs stärkste befruchtet. Griechischphilosophisches Denken prägt die großen Kirchenlehrer, die um die wahre Erkenntnis Gottes ringen und sie wort- und geistesmächtig lehren und verteidigen. So ist also die Verlegung des Reichszentrums nach Konstantinopel ein sichtbarer Ausdruck der umfassenden Umgestaltung der spätantiken Welt, die vom römischen Imperium zum christlichen, byzantinischen Kaiserreich hinüberleitet. Die christliche Kunst ist wesentlich jünger als das Christentum selbst: Die Urkirche lehnte aus religiösen Gründen wie auch aus ihrem Gegensatz zum heidnischen Götterbildkult jede bildliche Darstellung ihrer Glaubensinhalte ab. Ebensowenig kannte sie einen sakralen Kultraum; denn die Ecclesia, Gottes irdischer Tempel, ist die Gemeinde, nicht die schlichte, profane Hauskirche. Erst als im 3. Jh. mehr und mehr Bilder entstehen, die als Belehrung und Stütze der mündlichen Verkündigung oder als symbolische Hinweise auf Glaubensgewißheiten verstanden werden, gewinnt das Christentum allmählich ein positives Verhältnis zur Kunst. Gleichzeitig setzt sich die Idee der Heiligung des Kultbaus durch. Damit ist das theologische Fundament einer christlichen Architektur gelegt, zu deren Entstehung im frühen 4. Jh. die Anerkennnung des Christentums die öffentlich-rechtliche Voraussetzung schafft. Die christliche Sakralbaukunst unterscheidet sich grundsätzlich von der der Antike. Anders nämlich als der antike Tempel ist das Kirchengebäude nicht allein Haus Gottes, sondern zugleich Ort der Kulthandlung und Versammlungsraum der Gemeinde; es umschließt Altar, Priester und Gläubige, Sakrament und Gebet und, mit zunehmendem Märtyrerkult, auch die Zeugenschaft der Reliquien. Die Verwirklichung dieser Bauidee bedeutet das Ende der antiken Sakralarchitektur, nicht aber eine völlige Abkehr von antiken Bautraditionen. Die frühchristliche Kirchenbaukunst bedient sich durch Jahrhunderte hindurch antiker Bautypen und -formen, vor allem solcher, deren Bedeutung und Funktion den christlichen Aufgaben nahestehen (z. B. des Heroons für Märtyrergedächtnisbauten), aber sie wandelt ihre formale Struktur. An die Stelle des antiken, in sich beruhenden, aus plastischen Elementen gefügten Einheitsbaus, wie ihn der Tempel darstellt, tritt ein gestaffelter, auf ein Ziel hin gerichteter Gruppenbau; das klassische Verhältnis von Stütze und Last wird aufgegeben zugunsten einer durch Öffnungen und geschlossene Flächen organisierten Wandstruktur, deren wichtigste Gliederungsform die Arkade ist; nicht auf den Außenbau, sondern auf den Innenraum
konzentrieren sich alle künstlerischen Kräfte. Die christliche Architektur führt damit eine Entwicklung, die sich im paganen Bereich seit dem frühen 3. Jh. angebahnt hatte, konsequent und mit neuer sakraler Bedeutung weiter. Die vielfältigen Aufgaben, die der christliche Kult der Baukunst stellt, bedingen die Entwicklung sehr verschiedener Kirchentypen; in welchem Maße sich der Einfluß der Liturgie auch auf die Entstehung einzelner Raumformen erstreckt, ist indes bis heute nicht sicher geklärt. Der prominenteste Kirchenbau ist die weiträumige Gemeindekirche, die häufig zugleich Sitz des Bischofs ist, der mit dem Klerus seinen Platz in der Apsis hinter dem Altar hat, während das Langhaus der Gemeinde, der Vorhof (Atrium) den noch ungetauften Katechumenen vorbehalten ist. In den Emporenkirchen des Ostens ist das Obergeschoß für die Frauen bestimmt (Matroneum). Der Gemeindekirche ist als selbständiger Bau ein Baptisterium benachbart, solange der Taufritus durch Eintauchen (Immersion) durchgeführt wird. Sehr zahlreich sind in den ersten Jahrhunderten Gedächtnisbauten über den Stätten heiliger Ereignisse (Memoria, z.T. mit angefügter Gemeindekirche) oder über den Gräbern der Märtyrer (Martyria). Da im Westen die Körper der Heiligen in die Gemeindekirche selbst aufgenommen werden, entwickelt sich dafür ein eigener Raumteil, die Krypta unter dem Altarraum. - Die ältesten Kirchen waren nach Westen gerichtet, da der Priester hinter dem Altar nach Osten - der Erscheinungsrichtung Christi am Jüngsten Tag - gewandt war. Im 5. Jh. hat sich die Orientierung der Kirche allgemein durchgesetzt. Auch in den figürlichen Künsten ist ein tiefgreifender Wandlungsprozeß schon im Gange, als die christliche Kunst auftritt. Seit dem Anfang des 3.Jh. setzen sich bis in die offizielle Kunst hinein künstlerische Vorstellungen durch, die seit langem in der römischen Volkskunst und in den östlichen Reichsgebieten mit ihrer starken orientalischen Tradition beheimatet waren. Der Aufstieg dieser beiden nur wenig hellenisierten Kunstbereiche bedeutet eine radikale Umformung aller antiken Gestaltungsprinzipien. Dieser Wandel zur Spätantike vollzieht sich im ganzen römischen Orbis, aber graduell und zeitlich verschieden, einerseits in den griechischen Gebieten, die lange an ihrer hellenistischen Tradition festhalten, und andererseits in Rom selbst, dessen subjektivrealistisches Kunstverständnis den neuen Tendenzen entgegenkommt. Der Strukturwandel der spätantiken Kunst beruht auf der Abkehr von der klassischen Idee der autonomen, organischen, dreidimensionalen, frei bewegten und in einer natürlichen Beziehung zu Raum und Umgebung stehenden Gestalt. Die Aufgabe dieser eminent plastischen Vorstellung bedeutet das Ende der monumentalen Freiplastik und des als Ausschnitt eines rundplastischen Gebildes verstandenen Reliefs sowie der illusionistischen Tiefraumprojektion in der Malerei. Die Figur steht nun meist frontal vor einer abstrakten Grundebene, ihr Umraum verliert seine meßbare Tiefenausdehnung. In diese mehr suggerierte als reale Raumzone gestellt, wird die Figur zweidimensional; ihre freie Aktion im Raum verändert sich zum statischen Sein in der Fläche. Die Einschränkung der freien Bewegung bedeutet einen Verlust an Organik, die Bindung an die Fläche eine neue Wirksamkeit der Linie. Geschlossene Konturen heben die Figur vom Grund ab, oft nahezu geometrische Binnenlinien parzellieren ihre Oberfläche. An die
Stelle kontinuierlicher organischer Modellierung treten schroffe Übergänge im Aufbau kubischer Körper- und Gewandteile und farbige Kontraste in der Malerei. So entsteht der für die Spätantike typische Wechsel von Hell und Dunkel, ein optisch-malerischer Effekt, der in einer eigenartigen Spannung zu der materiellen Kompaktheit der plastischen Grundform steht. Die Komposition wird von ähnlichen abstrakt-linearen Prinzipien beherrscht wie die einzelne Figur. Symmetrie, Isokephalie (gleiche Kopfhöhe), rhythmische Wiederholung gleicher Formen ordnen die Figuren streng in der Fläche, deren Mitte akzentuiert ist, sei es durch eine zentrale Gestalt oder durch eine Zäsur, die die Figuren in Dialog oder Handlung konfrontiert. Handlung aber bedeutet nur selten realistisch wiedergegebenes Geschehen. Der Sinn der Darstellung ist vielmehr aus der Stellung der Figur im Bild, ihrer Haltung, ihrer rangmäßig differenzierten Größe und aus einem präzisen Vokabular von Gesten und Attributen abzulesen; die szenische Aktion weicht der Repräsentation. Die Figuren sind Bedeutungsträger, über ihre sinnliche Existenz hinaus weisen sie auf größere Zusammenhänge, in die der Betrachter unmittelbar miteinbezogen wird. Die christliche Kunst des 3. Jh., die selbst einer volkstümlichen Sphäre angehört, greift diese neuen künstlerischen Vorstellungen sogleich auf, die ihre radikalste Ausprägung mit extrem antiorganischen und expressiven, oft technisch rohen Werken in der Kunst der Tetmrchie um 300 erreichen (z. B. Porphyrgruppe der Tetrarchenkaiser, Venedig, San Marco). Seit spätkonstantinischer Zeit vollzieht sich der Aufstieg der christlichen Kunst in die offizielle Sphäre einer künstlerisch selbständigen Hochkunst; zur Zeit des Kaisers Theodosius, um 400, ist die Entstehung einer einheitlichen christlichen Formensprache abgeschlossen. Diese geht hervor aus einer neuerlichen, renaissanceartigen Orientierung an der Antike, nun aber auf der Basis der spätantiken Bildordnung; sie ist durchdrungen von sublimer Vergeistigung, die sie der jenseitsbezogenen Aussage ihrer Bildinhalte verdankt. In dieser geistigen Transparenz, in diesem Hineinnehmen des Übersinnlichen in die sinnliche Erscheinungswelt der Kunst liegt der wesentliche Unterschied der frühchristlichen Kunst zu der sich selbst genügenden Idealität der Antike. Zwei große Strömungen kennzeichnen die Geschichte und die Erscheinungen der frühchristlichen Kunst: Tradition und Renovatio, nachlebende, vielfach abgeschwächte und gewandelte Antike und bewußt erneuerte Antike. Aus der wechselnden Wirksamkeit dieser beiden Gestaltungsbereiche, aus ihrer dauernden Durchdringung, der „Verschränkung des Mittelalters mit der Antike" (E. Garger), ergibt sich das vielfältige Bild der frühchristlichen Kunst. Ihre große Leistung und Bedeutung besteht darin, daß sie die Verbindung zur Antike nicht abbricht, sondern die klassische Formenwelt, substantiell gewandelt, in die neue religiöse Sphäre aufnimmt und so die antike Tradition weiterführt und Kenntnis und Verständnis ihrer Werke zu immer neuer fruchtbarer Auseinandersetzung bis ins Mittelalter hinein wacherhält. Ebenso grundlegend für Jahrhunderte bleibt der transzendente Charakter ihrer Aussage, die wohl bei den verschiedenen Völkern und Kulturtraditionen und zu verschiedenen Zeiten ihre Themen und Formen wandelt, nicht aber ihre Feierlichkeit und Strenge, ihre geistige Spannung und ihren religiösen Offenbarungscharakter. 10
Nicht minder bedeutend und durch Jahrhunderte fortwirkend ist die Leistung der frühchristlichen Zeit für die Ikonographie der christlichen Kunst. Ihre Aufgaben werden festgelegt, ihre Thematik formuliert und die Art und Weise der Übersetzung religiöser Inhalte in bildliche Darstellungen ausgeprägt. Diese Entwicklung beschäftigt vor allem das 4. und 5. Jh., alle kulturellen und kirchlichen Zentren sind an ihr - in verschiedenem Maße - beteiligt: der Westen besonders mit Rom, dann Mailand und Ravenna, im Osten Konstantinopel, Antiochia und Alexandria, Syrien und Palästina. Zu den epochalen Erscheinungen der Spätantike gehört der Übergang der führenden Rolle unter den Bildkünsten von der Plastik auf die Malerei. Dieser Prozeß, der geistesgeschichtlich wie formal in vorchristlicher Zeit einsetzt, erlangt in der christlichen Ära beherrschende Aktualität; denn das Christentum lehnt jedes plastische Kultbild als ein Idol ab. Freiplastik und Monumentalrelief behalten lediglich in der Hofkunst noch eine gewisse Bedeutung, die sie im christlichen Bereich in Byzanz erst spät und in beschränktem Maße gewinnen. Nur im Abendland vollzieht sich in der Romanik eine großartige Wiederbelebung der Plastik. In frühchristlicher Zeit ist plastische Gestaltung auf die Reliefs an Sarkophagen, Elfenbeinschnitzwerken (Diptycha, deren Innenseiten als Schreibtafeln dienten, Buchdeckel, Kästchen, Pyxiden u.a.), auf Metallgefäße zu sakralem und profanem Gebrauch und Gemmen beschränkt. Die hohen Aufgaben repräsentativer und didaktischer Art erfüllt die Malerei: Große Bildkomplexe in Mosaik- oder Freskotechnik überziehen die Wände und Wölbungen der Kirchen. Gerade das Mosaik, diese lichtreflektierende, immateriell wirkende Malerei mit Gold, farbigen Steinen und Glaspasten (Smalten) nimmt dem Bild seine materielle Dinglichkeit und versetzt es in eine überirdische, irreale Sphäre, die der Darstellung, weit entfernt von jeder realistischen Abbildlichkeit, ihre Vergeistigung und Transzendenz vermittelt. Die leuchtende Pracht und Kostbarkeit des Mosaiks, das noch durch die vielfarbigen Marmorverkleidungen an den unteren Wänden und am Boden der Kirchen ergänzt wird, sind überdies dem hohen Anspruch eines Gotteshauses, das sich als irdischer Spiegel himmlischer Herrlichkeit versteht, vollkommen angemessen, wie dies häufig in Inschriften betont wird. In bescheideneren Kulträumen, wie auch in den Katakomben, ist man bemüht, in der Freskomalerei durch Imitation der Inkrustationsmuster und Farbwerte dem Glanz des Mosaiks wenigstens nahezukommen. Einen unerhörten Aufstieg erlebt im christlichen Gebrauch die Buchmalerei, dieser wesentlich mittelalterliche Zweig der Malerei. Buchillustrationen waren wohl auch der Antike bekannt, zunächst Zeichnungen in wissenschaftlichen Schriften, später auch erzählende Zyklen in Werken der Literatur (Homer, Vergil, Euripides u.a.) und in Chroniken, wie Kopien seit dem 4. Jh. bezeugen. Für das Christentum hat aber das Buch eine tiefe sakrale Bedeutung, ist doch die Bibel, die „Heilige Schrift", Wort Gottes, Heilsgeschichte und unmittelbare Quelle der Offenbarung. Diese neuartige „Heiligung des Buches" (K. M. Swoboda) erklärt den hohen künstlerischen Rang der Buchmalerei, den Reichtum der Produktion und nicht zum wenigsten ihren Wert als Quelle der Ikonographie; denn die Buchillustration ist aufs engste dem Text verbunden und garantiert daher größtmögliche Authentizität der bildlichen Formulierungen. Die ältesten christ11
liehen Illustrationen beschränkten sich wahrscheinlich auf Autorenporträts (z.B. Evangelisten) und die Rubriken der Kanones, das heißt der von Eusebius im frühen 4. Jh. eingeführten Konkordanz der Evangelien; diese übernahmen ihre Arkadenform aus römischen Kalendern. Umfangreiche, textnahe, wörtliche Illustrationszyklen, die für die meisten Bücher der Bibel nachgewiesen sind (K. Weitzmann), entstanden wohl im 4./5.Jh. in mehreren Zentren (Antiochia, Alexandria u.a.), z.T. unter Verwertung älterer, auch jüdischer Vorgänger. Die wichtigsten Bücher und Buchgruppen (Genesis, Psalter, Oktateuch, Könige, Evangelien) enthielten Zyklen von mehreren Hunderten einzelner Szenen. - Eine grundlegende Wandlung des Buchtypus begünstigte die rasche Entfaltung der christlichen Buchmalerei: Im 4.Jh. tritt an die Stelle der älteren Papyrusrolle der Codex mit seiner Folge von Pergamentblättern (Folio), die Deckfarbenmalerei gestatten. Gleichzeitig wandelt ein starker Einfluß der Monumentalmalerei die ursprünglich schlichte Illustrationsweise: Ganzseitig vergrößert und gerahmt, auf eine oder wenige Kernszenen beschränkt und um die räumliche Szenerie des antiken Bildillusionismus bereichert, wird das Buchbild dem Tafel- und Wandbild angeglichen. Durch Jahrhunderte kopiert, bewahren diese intimen Gemälde ihre Texttreue ebenso wie die künstlerische Tradition der Antike: Mehr als einmal vermittelt die Buchkunst, im Westen wie in Byzanz, die entscheidenden Voraussetzungen für eine Renovatio des klassischen Erbes. Auch das religiöse Tafelbild reicht in die Frühzeit der christlichen Kunst zurück. In schriftlichen Quellen sind seit dem 4. Jh. tragbare Bilder mit Darstellungen Christi, der Apostel und Heiligen und auch einzelner Szenen bezeugt, die in der enkaustischen Technik - das heißt Wachstemperamalerei auf Holz oder Leinen - und im Typus, meist hohe Halbfigurenbilder, an die antike Porträttradition (Mumienporträts) anknüpfen. Erhalten freilich ist davon nichts vor dem 6./7. Jh. In engem Zusammenhang mit den Aufgaben entwickelt sich die Ikonographie der frühchristlichen Kunst. Doch auch sie ist nicht voraussetzungslos entstanden. Wo immer thematische Analogien sich anboten, wurden antike Bildprägungen christlich umgedeutet. So z. B. wird die Nike, die geflügelte Siegesgöttin, zum Engel; die Evangelisten treten nach dem Vorbild antiker Philosophendarstellungen auf; die ältesten Christusbilder entstammen heidnischen bukolischen Szenen (z. B. der Gute Hirte). Zur Illustration des Alten Testamentes konnte das Christentum auf einen jüdischen Zyklus zurückgreifen (z.T. überliefert in der Synagoge der römischen Grenzstadt Dura-Europos am Euphrat aus der Mitte des 3. Jh., in der auch einer der ältesten christlichen Kulträume erhalten ist). Für die Auswahl der Themen, ihr Zusammentreten zu Zyklen und für die zeitweise Bevorzugung gewisser Themen und Programme ist in hohem Maße die Theologie verantwortlich, die das religiöse Weltbild jeder Epoche unter bestimmte Aspekte stellt und damit der Ikonographie Aufgaben und Grenzen setzt. Die Themen der ältesten christlichen Kunst (Katakombenfresken und Sarkophage) bringen die Jenseitserwartung der Gläubigen zum Ausdruck. Zu den schlichten Symbolen - wie Pfau, Hirsch an der Quelle, Fisch - und den Allegorien - Orans, Guter Hirte, Weintraubenlese - treten seit dem frühen 3. Jh. ausgewählte Szenen beider Testamente, 12
die Beispiele der Rettung vor Augen führen und meist auf Taufe und Eucharistie Bezug haben (z. B. Daniel in der Löwengrube, die drei Jünglinge im Feuerofen, die Opferung Isaaks, Jonas-, Noah-, Susannaszenen, Moses' Wasserwunder, Gesetzesübergabe-Taufe Christi, Speisungswunder, Kana, Lazaruserweckung u.a.). Im Laufe des 4. Jh. nimmt die Zahl der Szenen, vor allem der christologischen, rasch zu, ergänzt durch Episoden aus apokryphen Schriften, wie Marienleben und Petrusakten. Die Passion Christi bleibt bis zur Mitte des 4. Jh. nicht darstellbar, und auch dann weisen nur wenige Szenen (z. B.die Handwaschung des Pilatus) und besonders das Kreuzsymbol, als Siegeszeichen verstanden, stellvertretend auf Tod und Auferstehung hin. Der Sieg des Christentums bringt einen wichtigen Wandel der Ikonographie mit sich, denn nun stellt es die Themen der Kaiserikonographie - Ausdruck einer hierarchischen Weltordnung - in den Dienst seiner religiösen Verkündigung. Christus selbst, bisher in jugendlicher Zeitlosigkeit dargestellt, erscheint nun, oft bärtig, als Weltherrscher, der das Gesetz an die Apostel übergibt, der im Himmel bzw. im Paradies im Kreis der Apostel residiert oder ihre Huldigung empfängt. Im späteren 4. und im 5. Jh. geht die Entwicklung der Ikonographie auf zwei Ebenen vor sich. Da ist einmal ein historisches Interesse, das die heiligen Gestalten und Begebenheiten möglichst authentisch zu vergegenwärtigen sucht. Nun entstehen - oder werden erweitert - die großen Illustrationszyklen zu Bibel, Apokryphen und Heiligenlegenden, an deren Redaktion der Osten einen besonderen Anteil zu haben scheint. Für die heiligen Personen werden individuelle Typen geprägt, basierend auf meist apokryphen Beschreibungen. Petrus ist von nun an an seinem breiten Kopf mit weißem, kurzlockigem Haar zu erkennen, Paulus am schmalen Gesicht mit hoher Stirn und Spitzbart. Maria trägt in zunehmendem Maße das Maphorion, den Schleiermantel der orientalischen Matrone. Das Christusbild erhält seine, zumal für den Osten, klassische Gestalt- streng, schmal, bärtig -, nach dem Typus desAcheiropoiiton, des „nicht von Händen gemachten" Bildes, das der Legende nach Christus selbst als Abdruck in einem Tuch (Mandylion) dem König Abgar von Edessa sandte. Gleichzeitig bestimmen streng theologische Programme die Dekoration der Kirchen. Weltenherrschaft und Jüngstes Gericht, Inkarnation und Sieg des Kreuzes, Eucharistie und Ecclesia - unter solchen Leitthemen und oft in vielschichtiger Bedeutung sind die verschiedensten Gestalten, Szenen und Symbole zusammengefaßt. Ein fester Kanon von Symbolen wird ausgebildet - Kreuz und Christogramm im Siegeskranz, das apokalyptische Lamm auf dem Paradiesesberg und die zwölf Lämmer-Apostel, die Hand aus den Wolken für Gottvater, die Taube des Hl. Geistes, der zum Gericht bereitete Thron (Etoimasia) und sehr viele andere. Gerade die Neigung zu komplizierter, symbolischer Verschlüsselung dogmatischer Glaubenssätze kennzeichnet das Jahrhundert der großen Auseinandersetzungen um die fundamentalen Wahrheiten der christlichen Doktrin. Unsere Kenntnis der frühchristlichen Kunst und ihrer Entwicklung ist erschwert durch die geringe Zahl erhaltener Denkmäler. Um so kostbarer ist jedes einzelne Werk, das uns als Zeugnis einer Epoche anschaulich vor Augen tritt, die die Grundlagen der christlichen Kunst und eine wesentliche Komponente der europäischen Kultur geschaffen hat. 13
DIE KONSTANTINISCHE ARCHITEKTUR Die Geschichte der christlichen Sakralbaukunst beginnt mit den Stiftungen Konstantins in Rom, in Konstantinopel und im Heiligen Land. Schlichte Hausoratorien entstanden zwar schon im 3. Jh., aber erst die Anerkennung des Christentums schafft die rechtliche Voraussetzung für eine monumentale, repräsentative Architektur. Die Epoche von Konstantin bis Theodosius kann in ihrer fundamentalen Bedeutung für die weitere Architekturgeschichte nicht hoch genug geschätzt werden. Hier werden die beiden Bauthemen formuliert, die die ganze christliche Sakralbaukunst beschäftigen werden: Basilika und Zentralbau; hier werden die formalen Mittel entwickelt, in denen die Bedürfnisse und das Wesen des christlichen Kultes künstlerischen Ausdruck finden. Die Basilika San Giovanni in Laterano in Rom, „Haupt und Mutter aller Kirchen", 313 von Konstantin als Kirche des römischen Bischofs gestiftet, ist das erste glänzende Zeugnis der neuen christlichen Baugesinnung und der wegweisende Gründungsbau der frühchristlichen Basilika (Abb. 2). Ihrem Vorbild folgt seit 324 die Kirche über dem Grab des Apostelfürsten, St. Peter (Abb. 3-5). Im Äußeren schmucklose Ziegelbauten, offenbaren diese Basiliken ihre künstlerische Eigenart nur im Innern. Aus dem Atrium, einem von Arkadengängen umgebenen, quadratischen Hof, betritt man die Kirche. Ein fünfschiffiges Langhaus, dessen breites Mittelschiff von schmaleren und niederen Seitenschiffen begleitet wird, mündet, von einem Triumphbogen gerahmt, in ein hohes Querhaus. Dieses öffnet sich gegenüber dem Mittelschiff zu einer gewölbten Nische, der Apsis, in der Bischofsthron, Priesterbänke und Altar sich befinden. Die Wände der Schiffe werden von Säulen getragen, die in den Seitenschiffen durch Bogen zu Arkaden verbunden sind, ebenso im Mittelschiff der Laterankirche, während in St. Peter die mittleren Säulenreihen mit einem geraden Architrav abschließen. Die erhöhten Mittelschiffswände sind von einer Reihe großer Rundbogenfenster, dem Lichtgaden, durchbrochen; ähnliche Fenster öffnen auch Apsis, Querhaus und Eingangswand. Den oberen Abschluß bildet ein offener Dachstuhl (oder eine flache Holzdecke'?). Diese auch in ihren Ausmaßen gewaltigen Kirchen stellen eine Synthese sehr verschiedener Elemente dar, die an alte römische Bautraditionen anknüpfen (etwa an die Markt- und Palastbasilika) oder, wie die in der Folge so wichtige Gliederung der Wände, aus einer praktisch-technischen Kunstsphäre in die Sakralkunst eingeführt oder auch neu geschaffen werden (wie das Querhaus). Entscheidend aber ist, daß alle diese heterogenen Formen einer neuen künstlerischen Gesamtidee dienen, nämlich der Subordination aller Teile in einer hierarchischen Ordnung, die auf den Altarraum als das räumliche, optische und liturgische Zentrum hin ausgerichtet ist. Dieses Prinzip bestimmt im Äußeren die lange, gestufte Abfolge der Baukörper, im Innern den rhythmischen Tiefenzug der Säulenreihen, die Staffelung der Schiffe, die Steigerung der Akzente von der Prachtstraße des Mittelschiffs durch den Triumphbogen und den breiten Vorhalt des Quersaales zum Apsisrund hin. Kein Glied ist eigenwertig, in sich begrenzt. Der Raum ist ein Gefüge rangmäßig aufeinander bezogener Teilräume; seine Grenze ist nicht körperhaft faßbar, sondern optisch, aus Licht, Dunkel und Farbe gebildet: Die Wände, 14
wie schwebend über den leichten Arkaden, wirken dünn, substanzlos durch die kostbare Verkleidung mit farbigen Marmortafeln und Mosaiken, vor allem durch das Licht, das die obere Zone hell und in vielfacher Abstufung von der unteren dunkleren absetzt und die Haupträume vor der dämmrigen Folie der Nebenräume auszeichnet. Die Säulen, die, ihrer ursprünglichen statischen Funktion entkleidet, als Glieder der Wand dieser untergeordnet sind, werden leicht, flächig, weniger plastisch. Eine neuartige Sublimierung und Spiritualisierung erfaßt diesen Raum und alle seine Teile, in ihr findet der transzendente Geist des christlichen Kultes seine völlige ästhetische Entsprechung. Dieser spirituelle Charakter ist nicht nur der Basilika eigen. Der Zentralbau, der für besondere Kultaufgaben (Baptisterien, Martyrien, Mausoleen) verwendet wird, übernimmt zunächst von antiken Heroen, Thermensälen u. a. den Typus des Rund-, Kreuzund Achteckbaus. Ein solcher runder Nischenbau mit Kuppel ist das Helenamausoleum in Rom (Tor Pignattara), ein einfacher Rundbau mit Holzdach war das älteste Baptisterium, das der Laterankirche. Doch schon bald werden die an der Basilika entwickelten Stilprinzipien auf den Zentralbau übertragen, indem um einen weiten, lichten, überkuppelten Raumkern ein niederer dunkler Umgang, rund oder polygonal, geführt wird. In Sta. Costanza in Rom (Abb. 6-8) tragen zwölf Doppelsäulenarkaden den hohen Kuppelzylinder, der Umgang hat ein Tonnengewölbe und abwechselnd Rund- und Rechtecknischen in den Wänden. Dieser zentralen Grundform sind Richtungsakzente eingebunden: In den Hauptachsen, und stärker in der Längsachse, sind die Nischen apsisartig vergrößert, die Säulenabstände weiter, die Arkaden höher. So entsteht ein komplexes, durch Kuppel, Kreuz und Altarrichtung symbolträchtiges Raumgefüge, das, vom antiken Vorbild sich entfernend, die Entwicklung des christlichen Zentralbaus anbahnt. Neben diesen beiden Typen kennt das 4.Jh. die verschiedensten Lösungen für die Vielfalt der Kultaufgaben. Der Typus der dreischiffigen Pfeilerbasilika über wannenförmigem Grundriß, bei dem die Wand mit Lichtgaden auf massiven Pfeilerarkaden ruht, diente in Rom dem Totenkult (z.B. S. Sebastiano, Abb. 10, Alt-S. Agnese). Vom Kult bedingt ist wohl auch die Gruppierung mehrerer Gebäude, z. B.zwei Basiliken mit Baptisterium in Trier, zwei Säle in Aquileia sowie die Verbindung einer Basilika mit einem Mausoleum (S. Agnese mit Sta. Costanza, besonders die Apostelkirche mit dem Konstantinsmausoleum in Konstantinopel, in dem der Sarkophag des „apostelgleichen" Kaisers neben den zwölf Scheinsarkophagen der Apostel stand). Die repräsentativsten Komplexanlagen sind die Gründungen Konstantins über den heiligen Stätten: In der Grabeskirche in Jerusalem führten, in einer Achse gereiht und glänzend ausgestattet, Stiegen, Portikus, Atrium, funfschiffige Basilika und Peristylhof zu dem Memorion über dem Hl. Grab, das gegen Ende des 4. Jh. die Gestalt der berühmten Säulenrotunde erhielt (Abb. 12). In der fünfschiffigen Geburtsbasilika in Bethlehem (Abb. 11) sind Längs- und Zentralraum miteinander gekoppelt: Das Oktogon über der Geburtsgrotte (von Justinian durch den heute noch erhaltenen Trikonchos ersetzt) tritt an die Stelle der Apsis - als sakrales Zentrum ist der heilige Ort selbst in den Kirchenbau einbezogen, dominierend durch seine räumliche Selbständigkeit. Dieses Bauthema wird im Abendland vielfache Nachfolge finden (z.B. Dijon; Florenz, SS. Annunziata). 15
2 ROM, S. GIOVANNI IN LATERANO. Fresko in t> S. Martine ai Monti, Rom. - Schenkung des Palastes der Lateran! an Bischof von Rom durch Konstantin 313. Erste christliche Monumentalanlage, anfangs Christus geweiht. Gründungsbau der frühchristlichen Basilika, alle Wesenszüge des Typus und Stils schon voll ausgeprägt: Fünfschiffigkeit, Querhaus, Lichtgaden und Säulenarkaden als Träger der Wand, Staffelung der Schiffe und dynamischer Tiefenzug zur Apsis, Entmaterialisierung des Baukörpers und der plastischen Glieder zu zweidimensionaler, dünner Struktur, die ihre optisch-transparente Wirkung aus Helldunkeleffekten und farbiger Wand Verkleidung bezieht. Die Konzentration auf den Innenraum bedeutet eine grundsätzliche Abkehr von dermalartigen, plastisch-tektonischen Sakralarchitektur der Antike. Säulen und Kapitelle sind antike Spolien. - Bedeutende Reste erhalten im Umbau von Borromini 1650. Zum Baukomplex gehörte ein Baptisterium, die Außenmauern dieses einfachen Rundbaus im heutigen Oktogon, das unter Sixtus I I I . im 5. Jh. errichtet wurde, erhalten. 3 ROM, ST. PETER. Grundriß. Stiftung Konstantins 324 über dem Grab Petri, das zuvor nur durch eine schlichte Confessio ausgezeichnet war. Seit dem 16. Jh. (Julius II.) Abbruch und Neubau. Fünfschiffige Basilika, Querhaus mit ausgeschiedenen Armen, deren nördlicher als Baptisterium diente. 4 ROM, ST. PETER. Ansicht im Mittelalter mit zahlreichen Zubauten (z. T. Mausoleen). Im Atrium mit Brunnen für rituelle Waschungen versammelten sich die Katechumenen; Basilika für Gemeinde und Klerus, auch Tagungsort der Synoden. Das Äußere schmucklos, bis auf den plastisch gegliederten Portalbau. 5 ROM, ST. PETER. Querschnitt. In Typus und Stil verwandt S.Giovanni, aber klassizistische Tendenz der spätkonstantinischen Kunst, erkennbar in Kolonnaden des Mittelschiffs. Der Hauptaltar über dem Grab Petri ausgezeichnet durch einen ciboriumartigen Aufbau. — Richtungweisendes Programm der Mosaikausstattung aus Nachzeichnungen bekannt. 6 ROM, STA. COSTANZA. Inneres nach Osten. Mausoleum der Konstantina, Tochter Konstantins, gest. 354, vielleicht als Baptisterium 16
geplant. Wie im Oktogon in Antiochia Anwendung des Stilprinzips der Basilika auf Zentralbau: Rundbau mit Umgang, zwölf radiale Doppelsäulen tragen hohen Tambour und Kuppel. Lichtfülle von oben durch zwölf große Fenster im Tambour. Kontrast zur dunklen Raumfolie des Umgangs. Aus antiker, einräumiger Zentralbautradition Nischen (für Sarkophage) in Umgangsmauer, abwechselnd halbrund und rechteckig, in den Achsen zu Apsiden vergrößert. 7 ROM, STA. COSTANZA. Außenansicht. Konzentrisch gestaffelte Baukörper, Kuppel mit Zeltdach überdeckt. Schmuckloses, aber sorgfältig gefügtes Mauerwerk, nur Portal hat Marmorrahmen. 8 ROM, STA. COSTANZA. Blick in den Südumgang. Gut erkennbar ist der Raum- und Lichtkontrast zwischen Zentrum und Umgang. Typisch spätantik sind die Gebälkstücke über den Doppelsäulen. Von der prächtigen Mosaik- und Marmorverkleidung sind nur die Mosaiken des Umgangs erhalten. 9 ROM, STA. COSTANZA. Grundriß. Deutlich ringförmige Raumhüllen und angedeutete Kreuzform. Nicht erhalten: äußerer niederer Säulenumgang, gewölbte Vorhalle und oblonger Vorraum. 10 ROM, S. SEBASTIANO in Via Appia. 1. Viertel 4. Jh. Grundriß. Einst Apostelkirche ad catacumbas. Im Barock umgebaut. Dreischiffige Pfeilerbasilika, Seitenschiffe halbrund um Mittelschiff geführt. Coemeterialkirche, an Boden und Wänden mit Gräbern belegt, außen Grabhäuser. u BETHLEHEM, GEBURTSKIRCHE. 326-333. Grundriß. Stiftung der hl. Helena. Fünfschiffige, gedrungene Basilika mit Kolonnaden. Statt Apsis Oktogon, in dessen Mitte, durch Öffnung verbunden, unterirdische Kapelle über der Geburtsgrotte. Umbau zu Trikonchos justinianisch. 12 JERUSALEM, GRABESKIRCHE. 326-336. Grundriß und Querschnitt. Gründung Konstantins. Zerstört. Von Ost nach West: Säulenstraße, Treppe, Atrium, fünfschiffige Emporenbasilika ohne Querschiff, in ihrer Apsis zwölf Säulen mit Silbervasen (Apostel); Atrium (in ihm von Theodosius großes Kreuz errichtet) halbrund gefuhrt um Rundbau über Hl. Grab.
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DIE B I L D E N D E KUNST DES 3. UND 4. J A H R H U N D E R T S
Die älteste christliche Kunst diente sepulkralen Aufgaben: Wandmalereien schmückten die unterirdischen Grabkcmmern und figürliche Reliefs die Sarkophage. Katakombenfresken in Rom und Neapel, die vom frühen 3. Jh. bis ins 6. Jh. reichen, spiegeln, meist auf dem Niveau eines volkstümlichen Kunsthandwerks, die Erscheinungen und den Wandel der hohen Kunst. Die Art der Dekoration folgt der des spätrömischen Hauses, die unter Verzicht auf illusionistische Raumdarstellung Wände und Gewölbe durch ein geometrisches System farbiger Linien vor hellem Grund gliedert. In der ersten Phase sind in diese Kreis- und Trapezfelder Figuren und Szenen, Girlanden, Vasen und Tiere locker eingefügt, wie schwebend in schmaler Vordergrundzone, impressionistisch zart gemalt mit lichten, duftigen Farben (Abb. 22). Die seit der Mitte des 3. Jh. nachweisbare Sarkophagplastik knüpft ebenfalls zunächst an pagane Vorbilder an (Abb. 15). Aus ihnen übernimmt sie die zwanglose Reihung einzelner Figuren und Szenen in einem einheitlichen Bildstreifen. Auch die fast rundplastischen, weich in den räumlichen Hintergrund eingebetteten Figuren und ihre bewegliche Körper- und Gewandmodellierung lassen die Tradition der klassischen Relieftechnik erkennen. Um 270 setzt in allen Kunstbereichen eine entschiedene Wandlung ein, die zu dem extrem antiklassischen Stil der tetrarchisch-frühkonstantinischen Zeit hinführt. Zahlreiche 21
Katakombenfresken vertreten diesen kompakten Flächen- und Linienstil, der die Figuren mit breiten Kontur- und Binnenlinien blockhaft umschließt, schwere Farben zum hellen Grund kontrastiert und in Blick und Gestik stark expressive Wirkungen erreicht (Abb. 21). Verwandte Stilerscheinungen prägen vor allem die offizielle Hof- und Staatskunst. Ihr berühmtestes Zeugnis ist der Konstantinsbogen in Rom, der nach dem Sieg an der Milvischen Brücke, 312, vom Senat für Konstantin zu den Dezennalien, 315, errichtete Triumphbogen (Abb. 13). Während der Typus der Tradition folgt, sind die Reliefs eine einzigartige Mischung aus Spalten verschiedener kaiserzeitlicher Epochen und neugefertigten Friesen, Medaillons und Figuren, die die Siege Konstantins verherrlichen. Im großen Gegensatz zu den individuell differenzierten, im Duktus flüssigen Reliefs der Spolien zeigen die konstantinischen Reliefs die expressive Wucht wie im Block erstarrter, schwerer Formen. In langen Friesen sind die meist frontalen Figuren gleichförmig gereiht, symmetrisch zu der größer hervorgehobenen Gestalt des Kaisers, stämmig-blockhaft jede einzelne Figur, isoliert in der Fläche ohne Übergänge des Reliefs (Abb. 14). Die hart mit dem Bohrer gefurchten Gewandlinien zerlegen die Oberfläche in geometrische Parzellen. Die feierlich expressive Wirkung dieser Reliefs, denen das antikisch Sensitive so völlig fehlt, wird durch abstrakte Mittel hervorgerufen: Betonung der Materie, Flächigkeit, Helldunkelkontraste der Oberfläche, Typisierung jeder Form, zumal der übergroßen, sprechenden Köpfe und Hände. Diese Stilelemente finden sich auch in einer Gruppe christlicher, zweizoniger Friessarkophage, darunter Lateran Nr. 104 (Abb. 16), die in derselben Werkstatt entstanden sind. Auch in der Porträtplastik herrscht ein verwandtes Kunstwollen, wie der Kolossalkopf Konstantins aus der Maxentiusbasilika beweist (Abb. 18). Dem gewaltigen Block des Kopfes sind die Züge in starrer Symmetrie aufgeprägt, überdeutlich jedes individuelle Detail und zugleich in ein geometrisches Schema gepreßt, wie die korrespondierenden Kurven von Auge, Lid, Braue, Tränensack und Haarkalotte. Jede animierte Flexibilität der Muskulatur fehlt, alles Momentane, realistisch Unmittelbare ist wie aufgesogen von der überindividuellen Strenge der gewaltigen Materie und einer abstrakten Organisation, die diesen wahrhaft monumentalen Kopf ins Überirdisch-Zeitlose entrückt. Seit den zwanziger Jahren des 4. Jh. beginnen die stärker der hellenistischen Tradition verpflichteten Strömungen, die nie ganz unterbrochen waren, die extrem antiklassische Haltung abzuschwächen, und bereiten so eine neue Orientierung an der Antike vor, die in spät- und nachkonstantinischer Zeit allgemein dominiert. So ist etwa in den Panzerstatuen an der kapitolinischen Treppe eine Rückwendung zu augusteischen Vorbildern zu bemerken. Zu den keineswegs seltenen Zeugnissen einer in ungebrochen antikem Geist konzipierten Kunst gehören die gemalten Kassetten mit Kaiserinnenporträts und Putten des konstantinischen Palastes in Trier sowie der reiche Bestand an Fußbodenmosaiken in Antiochia. Einige dieser Pavimente, so die in der sog. Konstantinischen Villa, sind in ihrer abstrakten Flächenordnung vom Zeitstil beeinflußt. Eine ähnliche Ambivalenz findet sich in den Gewölbemosaiken des Umgangs von Sta. Costanza in Rom (Abb. 24): Die Weinernteszenen und Streumuster mit Vögeln, Zweigen und Tisch-
gerät, die Tänzerinnen, Putten und geometrischen Muster auf weißem Grund sind erfüllt von hellenistischem Geist, und doch sind auch sie einer gewissen plastischen Verfestigung und unorganischen Starrheit unterworfen. Die Mosaiken der Kuppel folgten ebenfalls heidnisch-profanen Dekorationen: Über einer genrehaften Meeresszenerie teilten Akanthusranken, von Karyatiden getragen, die Wölbung in zwölf Felder, in die nun aber christliche Szenen eingesetzt waren. Auch in den Pavimentmosaiken in Aquileia sind christliche Szenen (Jonas) und Kaiserporträts in ein typisch spätrömisches Dekorationsensemble aufgenommen. Die Renaissancebewegung, die in spätkonstantinischer Zeit auch die christliche Kunst mit Macht ergreift, kann nicht hoch genug bewertet werden. Denn nun tritt das Christentum in die Tradition der antiken Hochkunst ein und legt damit die im weitesten Sinn europäische Basis der abendländischen wie der byzantinischen Kunst. Die Rückwendung zur Antike hat zugleich auch einen politischen Akzent. Im Klassizismus der offiziellen Kunst findet die Erneuerung der Universalmonarchie künstlerischen Ausdruck. Für die christliche Kunst bedeutet diese Renovatio eine echte Konkurrenz zu der ungebrochen fortlebenden, heidnisch-antiken Kunst und Kultur, erstmals mit gleichen Mitteln und bald auch auf gleichem künstlerischem Niveau. Denn noch gibt es, zumal in den römischen Senatorenfamilien, eine starke Opposition gegen die neue Staatsreligion; 361-363 versucht Kaiser Julian die Wiedererrichtung paganer Kulte. Diese Herausforderung besteht die junge christliche Kunst, indem sie selbst in Form und Ikonographie die Nachfolge der antiken Reichskunst antritt (Abb. 23). Zu den bedeutendsten Werken dieser Renovatio gehört eine Reihe römischer Sarkophage, in denen erstmals Szenen aus der Passion (Gefangennahme, Pilatus u. a.) dargestellt werden. In der ersten Phase, um 340, lösen sich die nun weniger gedrängten, organischeren Figuren freiplastisch vom Reliefgrund (Brüdersarkophag, Lateran). Der reife Typus ist der des ein- oder zweizonigen Säulensarkophags, unter dessen antikisierenden Kolonnaden oder Arkaden jede Szene eine in sich geschlossene Komposition bildet. Vollrunde Figuren agieren frei im Bühnenraum, ein neues Verständnis für Proportion und Organik macht ihre Bewegungen geschmeidig. In dem reichsten und schönsten Sarkophag, dem des Junius Bassiis (Abb. 17), folgen die Gestalten mit großer Sicherheit dem Vorbild antiker Gewand- und Aktfiguren. Bezeichnend für diese erste Renaissancephase ist die frische Unmittelbarkeit einer noch unstilisierten Nachahmung; ihr entspricht auch die oft lyrische Beseeltheit der sehr fein und weich modellierten, charaktervollen Köpfe. Die gleiche zarte, sensible Schönheit, dazu eine feine, geschliffene Faltenbildung, zeichnet die Christusstatuette in Rom aus (Abb. 19). Wenig später entstand in einem anderen künstlerischen Milieu unter östlichem Einfluß (Oberitalien?) der Elfenbeinkasten in Brescia (Abb. 20). Die großzügige Klarheit seiner Kompositionen, die organische Festigkeit der Figuren, die frei bewegt aus dem Reliefgrund hervorwachsen, die feinen Übergänge im Relief von breit gerundeter Modellierung zu zarten, beweglichen Falten, die weichen, großflächig offenen, ausdrucksstarken Gesichter - alle diese mit höchster Meisterschaft vorgetragenen Stilqualitäten künden schon die theodosianische Kunst an. 23
13 ROM, KONSTANTINSBOGEN. Nordseite. 313 bis 315. Nach dem Sieg Konstantins am Ponte Milvio vom Senat zu den Dezennalien (lOjähriges Regierungsjubiläum) errichtet. Der Typus schließt an ältere kaiserliche Triumphbögen an, z. B. Severusbogen am Forum. Wiederverwendung älterer Reliefs der Zeit Trajans, Hadrians, Marc Aureis auch als politischer Ausdruck der gleichen universalen Reichsidee. Die neuen Reliefs verherrlichen die Taten Konstantins: vier Friese über den seitlichen Bögen (Belagerung von Verona, Schlacht am Ponte Milvio, Auszug und Einzug des Heeres, Ansprache, Geldspenden); an den Schmalseiten: Medaillons mit Sol und Luna; in den Zwickeln: Siegesallegorien; auf den Säulensockeln: Gefangene und Viktorien. 14 ROM, KONSTANTINSBOGEN. Nordseite, Fries über dem Westbogen: Largitio, Ausschnitt: Der Kaiser erteilt den Beamten den Befehl zur Verteilung der Geldspenden. - Typisch für die extrem antiklassische, tetrarchisch-frühkonstantinische Kunst: abstrakte Mittel der Komposition und Figurenbildung - Symmetrie, Gleichförmigkeit, unorganische Kompaktheit, geometrisierte Gliederungslinien, Bohrfurchen statt Modellierung, Helldunkelkontraste, dumpf-schwerfällige, expressive Darstellung der hieratischen Repräsentation. Stadtrömische Vorläufer dieses Stils auf derselben Grundlage der volkstümlichen Lokalkunst u. a. Dezennalienbasis für Konstantinus Chlorus am Forum von 303. 15 SARKOPHAG. Um 270. Rom, Sta. Maria Antiqua. Mitte: Orans, Philosoph, Guter Hirte, links: Jonasszenen (Gebet im Schiff, Walfisch, Kürbislaube), rechts: Taufe Christi, Fischer. Erstmals systematisches Programm: typologische Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament (Jonas - Taufe als Wiedergeburt). Der Typus des wannenförmigen, einzonigen Friessarkophags folgt antiker Tradition; der gleichzeitigen paganen Plastik entspricht auch der Landschaftsraum sowieTypik und weiche Modellierung der Figuren. 16 SARKOPHAG. Um 315. Rom, Lateran-Museum. Oben: Erschaffung der Eva (Singular: Trinität als drei Personen), Einführung ins Paradies, Schlange. Unten: Magieranbetung, Blindenheilung, Daniel in der Löwengrube, Verleug-
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nungsansage, Petri Gefangennahme und Quellwunder. Vorratsarbeit, da der Ehepaarclipeus nur bossiert ist. Aus der Werkstatt des Konstantinsbogens. Konstantinischer Typus: Friessarkophag: kontinuierliche Folge der Szenen in ein oder zwei Streifen, Figuren dicht gedrängt, gedrungen, aber relativ weich, kein Bohrer. Helldunkelauflösung der Oberfläche, übergroße Hände. Christus ist jugendlich-zeitlos dargestellt. SARKOPHAG DES STADTPRÄFEKTEN JUNIUS BASSUS, gest. 359. Rom, St. Peter, Grotten. Oben: Opferung Isaaks, Gefangennahme Petri, Gesetzesübergabe an Petrus und Paulus, Vorführung Christi, Handwaschung des Pilatus. Unten: Hiob, Sündenfall, Einzug in Jerusalem, Daniel (ergänzt) in der Löwengrube, Paulus auf dem Weg zum Martyrium. Erstmals Passionsszenen, noch ohne Kreuzigung und Auferstehung. Hauptwerk des neoklassischen Typus der Arkadensarkophage, mit reichen, fein ziselierten Kolonnaden und Arkaden. Nach antikem Vorbild geschlossene, räumliche Kompositionen vollplastischer, weich-organischer Gewand- und Aktfiguren. KONSTANTIN DER GROSSE. Um 315. Rom, Konservatorenpalast. Kopf des Sitzbildes aus der Apsis der von ihm vollendeten Maxentiusbasilika. Marmor, Höhe 2,60 m (ganze Statue einst 10 m), im 15. Jh. nebst anderen Fragmenten gefunden. - Ins ÜberwirklichZeitlose gesteigerter Realismus, extreme Blockhaftigkeit und Abstraktion. THRONENDER CHRISTUS. Um 350-360. Rom, Nationalmuseum. Marmor, Höhe 72 cm. Hauptwerk des schönen, apollinischen Typus nach mittelrömischem Vorbild. Idee des ,,sol invictus" wurde schon z. Z. Konstantins aus Mithraskult auf Christus übertragen. Revolutionär: plastisches Bild Christi. ELFENBEINKASTEN. 360-370. Brescia, Museo Civico. 22 x 24X32,7 cm. Hauptfelder: Christus als Lehrer, Heilung der Blutflüssigen, Guter Hirte (vorn), Wunderszenen, auferstandener Christus u.a. Streifen: Altes Testament (vorn: Jonas, Susanna, Daniel). Büsten Christi und der Apostel. Deckel: Passion. In Oberitalien entstanden? Östlich beeinflußter sensitiver Klassizismus mit präzis geschnittenem, organisch differenziertem Figurenrelief.
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DIE MITTELBYZANTINISCHE KUNST Das l I.Jahrhundert Das späte 10.Jh. markiert einen deutlichen Einschnitt in der Geschichte der byzantinischen Kunst. Zwar geht die Entwicklung im 10.Jh. kontinuierlich vor sich. Die Errungenschaften der makedonischen Renaissance wirken weit ins 11. Jh. nach, und neue künstlerische Ideen gewinnen schon im dritten Viertel des Jahrhunderts an Geltung im selben Maße, als die emphatische Unbedingtheit der antiken Erneuerung nachläßt; strengere Stilisierung und Spiritualisierung sind in allen Kunstbereichen zu bemerken. Dennoch: Etwa um 980 wird grundlegend Neues geschaffen, werden ästhetische und formale Prinzipien verwirklicht, die bis ins 13. Jh. in Geltung bleiben, ja im Kern nicht mehr verlassen werden. Um 980 beginnt das byzantinische Mittelalter, seinen Ausgang nimmt es zweifellos im Hofatelier Basilios II. Das Neue ist, zunächst, ein klar ausgeprägter Stil (Abb. 137, 138, 139). Dieser Stil ist primär linear: Ein strenges, in sich geschlossenes und vielfältig ausbalanciertes System linearer Beziehungen ordnet die Bildfläche und bindet jede Figur fest an ihren Ort im rhythmisch-dekorativen Flächenmuster. Die Figur selbst wird durch ein präzises Liniengerüst aufgebaut, das üppige Draperien kontrastreich verschränkt und sich im Kontur zu ausdrucksstarken Silhouetten kristallisiert. Wie die Figur innerhalb dieser konsequenten Ordnung viel von ihrer freien, individuellen Entfaltung einbüßt, so verliert auch der Bildraum seine illusionistische Tiefendimension; er verfestigt sich zur Bühne, die vom imaginären Vorhang des Goldgrunds her nach vorn sich staffelt und schichtet, ähnlich einem Relief. Die Kulissen - Landschaft wie Gebäude aus einem motivreichen, antiken Rundus - rahmen die Figuren oder kontrastieren zu ihren Bewegungen: Jeder Teil des Bildes folgt einer einheitlichen Choreographie, die auf völlige Ruhe oder auf dynamische Wirkung abzielt (Abb. 132). Der kompositionelle Rhythmus weist nie über die Grenzen des Bildfelds hinaus, vielmehr konzentriert er sich auf die Bildmitte, in der klassischen Form des - häufig auch umgekehrten - Dreiecks. Auch die Farbgebung ist in diese strenge Bildkonzeption und ihre graphische Struktur einbezogen: In feinsten Schraffen und in Reihen subtil abgestufter Nuancen des jeweiligen Grundtons aufgetragen, verbinden sich die Farben zu einer kostbaren Haut von metallisch dünner, polierter Oberfläche (Abb. 131). In dieses gesättigte, an ungewöhnlichen Mischungen reiche, immer harmonische Farbmuster ist auch das Gold des Grundes, das als Lichtfarbe auf den Faltengraten wiederkehrt, eingebunden. Aus dieser neuen formalen Ordnung geht auch ein neues Menschenbild hervor: Prägnante Typik ersetzt das individuelle Porträt; spirituelle, asketische Züge geben dem humanistischen Ideal eine ernste, bisweilen düstere Strenge. Die in sich abgeschlossene Bildwelt vergrößert die Distanz zwischen Bild und Betrachter, konfrontiert ihn mit einer übersinnlichen, überirdischen Sphäre und schafft so eine - in dieser Ausschließlichkeit - neue, magisch-geistige Beziehung zum sakralen Bild. Dieser Stil ist vollendet ausgeprägt im Menologion Basilios II. von etwa 985 (Abb. 131, 132, 138). Seine 430 Miniaturen sind - einzigartig in Byzanz - alle signiert 129
von acht Malern; aber es bedarf subtiler Kriterien, diese Hände zu unterscheiden. Stärker nämlich als der persönliche Stil wirkt der Kollektivcharakter des Atelier- und Zeitstils, und Varianten sind vor allem durch unterschiedliche Vorlagen bedingt. Die Leistung der Hofkünstler Basüios II. geht indes weit über die Entwicklung eines neuen Stils hinaus. Sie haben die Einheit, die in sich beruhende Geschlossenheit des Bildes - und zwar auch des erzählenden Bildes - erreicht, die angestrebt wurde, seitdem das Bild aus dem dekorativen oder erzählenden Kontinuum sich zu lösen begann. Mit dieser fast mathematisch klaren Bildökonomie haben sie die eigentlich byzantinische Bildform vollendet. In engem Zusammenhang mit der konsequenten Konzeption des Flächenbildes steht die wohl gleichzeitig ausgereifte Form des Raumbildes in der Monumentalmalerei. Das dekorative Ensemble des Kirchenraumes folgt ähnlich strengen Ordnungsprinzipien wie jedes einzelne Bild; jede Figur und jede Szene hat ihren Ort, und jede ist den besonderen Bedingungen der Wölbung angepaßt, um die Geschlossenheit des einzelnen Bildes ebenso wie die formale Einheit, die Harmonie, die optische Richtigkeit des Ganzen zu gewährleisten. Und wie jedes Bild vom Hintergrund nach vorn sich aufbaut, so greift das Bild im Wölbungsraum der Kuppel und Nischen nach vorn, in den realen Raum aus: Der Kirchenraum selbst wird zum Bildraum, zum Aktionsraum der Szene (z. B. Himmelfahrt, Verkündigung), zur „Raumikone" (O. Demus), in die der Betrachter physisch und optisch mit einbezogen ist. Autonome Bilder treten im Raum zu einer hierarchisch geordneten Bildeinheit zusammen, die dem ikonographischen Programm vollkommen adaequate Gestalt gibt. Hosios Lukas im frühen 11. Jh. ist das älteste erhaltene Zeugnis dieser vollendeten Raumkunst. Mit seinem knappen, schweren, geometrisierenden, visionären Stil gehört es dem klösterlichen Zweig der byzantinischen Kunst an (Abb. 134). Dennoch basiert es auf denselben, unerhört komplizierten technischen Praktiken, auf derselben Bildkonzeption wie, zum Beispiel, ca. 50 Jahre später die Mosaikausstattung der Nea Moni auf Chios, deren koloristischer Stil von Konstantinopler Künstlern geschaffen wurde. Hier nun ist ein zweites, eminent wichtiges Merkmal der mittelbyzantinischen Kunst zu fassen: Sie stellt Bildgesetze, Normen der Komposition, der linearen Ordnung, des Farbcharakters auf, die übertragbar sind, anwendbar auf im einzelnen durchaus verschiedene „Stile". Im Menologion bewirkt der Zwang des konsequenten Bildschemas eine gewisse klassizistische Kühle und Monotonie - andererseits aber eine sehr lange Nachfolge dieser Bildstruktur bei gewandelten Einzelformen (z. B.Lektionar inDionysiu, Abb. 140: manieristische Längung und Drehung der Figuren, graziös gespreizte Bewegungen, seichteres Relief u.a.). Dieser Normierung der Bildidee, diesen im wesentlichen gleichbleibenden Prinzipien der ästhetischen und formalen Bildordnung verdankt die Kunst des 11. Jh. ihren unverwechselbar einheitlichen Charakter, sosehr auch der Stil im einzelnen von Werk zu Werk divergiert. Kaum eine Epoche ist so fruchtbar an Werken und an stilistischen Erscheinungen wie das 11.Jh. Zahlreiche Ateliers pflegen eigene Traditionen, Wandlungen, Rückgriffe. Luxusbücher, kostbare Mosaikdekorationen (Abb. 133) entstehen neben schlichten „billigeren" Ausstattungen. Die allgemeine Tendenz zielt ab auf eine Verdichtung der 130
innerbildlichen Beziehungen. So wird die ganze Buchseite als dekorative Einheit geordnet, gerahmtes Bild und Randfiguren, Ornamentbordüre, Initiale, Zierschrift und Text bilden ein wohlproportioniertes Ensemble (Abb. 140). Die Neigung zum Kleinen, Zierlichen, Kalligraphischen führt seit der Jahrhundertmitte zum „Style mignon", dieser preziösen, farbig höchst delikaten Bildschrift mit winzigen Figürchen, die in klar lesbaren Zeilen rhythmisch gruppiert sind (Abb. 135). So dünn-flächig, schlank, grazil und gewichtlos diese Figuren auch sind, so ist ihnen doch eine gewisse Flüssigkeit, eine selbstverständliche Anmut der Bewegungen eigen, in der antikes Erbe fortlebt. Daneben bewahren Evangelistenbilder lange den Philosophentypus des 10.Jh. und mit ihm größere Körperschwere und Plastizität, auch beträchtlich größeren Maßstab (Abb. 142). Das letzte Viertel des 11. Jh. bringt figurenreiche und knappe Kompositionen, manieristisch überdehnte, gepreßte und stark vereinfachte Formen, exzessive Beweglichkeit und trockene Typisierung, brillantes und dumpfes Kolorit - dies etwa sind die Extreme eines reichen Fächers von Stilvarianten (Abb. 141, 143). Nur selten wird die lineare Gliederung zu abstrakter Formzerlegung übersteigert, wie dies jedoch meist der Fall ist, wenn byzantinische Kunst exportiert und von lokalen Künstlern imitiert wird (in verschiedener Weise in Kiew und in Ohrid/Makedonien, Sophienkirche). Um 1080 gelangen einige Ateliers zu einer sehr harmonischen, noblen Monumentalität, indem sie das zuvor spröd-brüchige Lineament beruhigen und großzügigen Formen und Konturen eine klare, sanfte Festigkeit verleihen (Abb. 146). Damit aber kündigt sich schon die an der Antike orientierte Formerneuerung der Zeit um 1100 an. 133 CHRISTUS PANTOKRATOR ZWISCHEN KONSTANTIN IX. MONOMACHOS UND ZOE. 1028/ 1042. Istanbul, Hagia Sophia, Südempore, Mosaik. Ursprünglich Zoe mit erstem Gatten Romanos III. Wohl bei Verbannung Zoes 1041 alle drei Köpfe zerstört, nach dritter Heirat 1042 ergänzt und Kaisername ausgetauscht. Kaiserliches Votivbild in alter Tradition, nun aber Schenkungszeremonie in repräsentative Bildformel umgewandelt. Kaiserpaar (mit Geldbeutel und Privilegienbulle) wie körperlos unter dem Gold-, Perlen-, Edelsteinpanzer der Zeremoniengewänder, nur Gesichter wahren Porträttreue. Diese flach, graphisch schematisiert (Wangenflecken!). Christus vollendet Blau in Blau modelliert, Balance der überreichen, gegenläufigen Faltensysteme. 134 FUSSWASCHUNG. Erste Hälfte 11.Jh. Hosios Lukas, Katholiken, Narthex, Nischenmosaik. Lapidare, auf Kern der Szene konzentrierte Komposition, Akzente und Spannung durch Isolierung der Hauptfiguren, Rahmengruppen und Kurve der Köpfe und Bewegungen vor reinem Goldgrund. Breite, lastende Figuren,
aus geometrischen, z. T. plastischen Parzellen aufgebaut. Rigorose, kraftvolle Linienstruktur verknüpft die Gewänder zu Gruppenformen, schafft eine strenge, rhythmisch geordnete Bildeinheit. Wulstiges Relief durch Farbstreifen, die mit je nur fünf Nuancen von Dunkel nach Hell modelliert. Dumpfe Farbigkeit. Asketische Monumentalität im Gegensatz zum optischen Raffinement der Hofkunst. Nicht provinzielle Deformation, sondern bedeutende, von Hauptstadt (?) ausgehende Klosterkunst. Nur im Naos schwächere, lokale (?) Werkstatt. 135 SPEISUNG DER FÜNFTAUSEND, ERRETTUNG PETRI. Evangeliar, Drittes Viertel l l.Jh. Paris, Bibliotheque Nationale. 23,5 x 19 cm. Aus dem Studioskloster in Konstantinopel. Eine der beiden erhaltenen Handschriften mit wörtlicher Textillustration, mehrere hundert Szenen als Bildzeilen in Text eingefügt. „Style mignon": winzige drahtige Figürchen in flüssig lesbarem Szenenablauf, zierliche Bildkalligraphie. Emailhafte Preziosität durch Goldstege und leuchtende Edelsteinfarben. 131
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D I E K U N S T DES 13. J A H RH U N DERTS Die Zeit der Lateinerherrschaft (1204-61) bedeutet keineswegs ein dunkles Zeitalter der byzantinischen Kunst, vielmehr entsteht in der Auseinandersetzung mit der neuen politischen, sozialen und kulturellen Situation eine Kunst völlig neuen Stils und so hohen Ranges, daß diese frühpaläologische Epoche zu den bedeutendsten der byzantinischen Geschichte gezählt werden muß. Die Vielfalt und extreme Divergenz der Stilmittel und ihre oftmals experimentellen Züge spiegeln die zahlreichen verschiedenen Faktoren, die die Suche nach einer neuen, verbindlichen Formensprache beeinflussen. Fremde Auftraggeber oder besondere kulturpolitische Ansprüche (z. B. des betont konservativen Hofes von Nikaia) zwingen ebenso zur Neuorientierung wie die Berührung mit dem slawischen Volkstum oder mit westlichen Vorbildern. Die Bindung an die kontinuierlich bewahrte Tradition ist weitgehend gelöst, stärker als zuvor ist die persönliche Initiative des einzelnen Künstlers zu erkennen; Signaturen werden nun häufiger. Auch die handwerkliche Überlieferung erfährt manche Unterbrechung, z. B. bei Mosaik und Email; Wand- und Ikonenmalerei haben bei weitem den Vorrang, daneben die Buchmalerei und, als Luxuskunst par excellence, die Mosaikikone, gebildet aus winzigen Metall- und Farbflußstiften. Den wichtigsten Beitrag zur Entstehung des neuen Stils leisten Konstantinopler Künstler in Serbien und Makedonien gemeinsam mit bedeutenden einheimischen Malern. Schon gegen Ende des 12. Jh. setzt, von Konstantinopel ausgehend, ein deutlicher Stilwandel ein: Figurenbildung und Komposition werden vereinfacht, neue luminaristische Werte lassen ein wiedererwachendes Empfinden für die malerisch aufgelockerte Oberfläche erkennen. Eine Reihe von Wandgemälden in Serbien (Studenica, Abb. 159), Bulgarien und Rußland steht auf der Stufe dieses geglätteten, beruhigten Reliefstils. Seit etwa 1230 erhält diese Entwicklung ihre entscheidend neue Richtung. Plastisches Volumen, physische Schwere und Körperhaftigkeit und dadurch stimulierte räumlicheWerte kehren in die Bildwelt zurück. Zunächst noch ist die Oberfläche der fülligen Figuren von großkurvigen Liniensystemen durchzogen. Die Bildbühne bleibt relativ seicht, ihre Räumlichkeit ermißt sich am tastbaren Volumen der Figuren und der massiven, blockhaften Architekturkulissen. Auch die Kompositionen sind noch dem Prinzip der rhythmischen Flächenordnung verhaftet. Völlig neue Werte finden sich hingegen im Geistigen, in der Vertiefung des Ausdrucks, in dessen Stille oder frische Natürlichkeit oder bannende Energie sich subjektive Züge mischen. Diese Stilstufe ist in einigen Konstantinopler Handschriften, die von Vorlagen des 10. Jh. ausgehen, belegt, sowie, in vielen Varianten, in den Wandmalereien griechischer und lokaler Künstler in Serbien und Bulgarien (Milesevo, Abb. 161, Moraca, Sopocani, Abb. 160; Bojana, Abb. 158, u. a.). Aus der Hauptstadt sind zwei große Marienikonen in Washington erhalten (Abb. 169). Die subtile Balance der Komposition, der elegante, flüssige Duktus der zarten Goldzeichnung, die lyrische Verhaltenheit der edlen Gesichter, die brillante Technik - dies alles bezeugt das hohe Niveau der Kunst in der Hauptstadt auch während der Fremdherrschaft. Von Werken dieser Art ist die „maniera greca" der italienischen Dugentomalerei ausgegangen. Was bisher als Suche und Tendenz zu erkennen ist, wird wenig später (um 1260) in voller 153
158 HL. EUSTRATIOS. 1259. Bojana bei Sofia. Ausschnitt aus einem Fresko in der Grabkirche der bulgarischen Bojaren. Hohe Meisterschaft des vielleicht griechischen Malers als Porträtist: wirklichkeitsnahes, zugleich human idealisiertes, eindringliches Menschenbild. Die Szenen noch flächig mit schlanken Figuren. 159 CHRISTUS aus der Kreuzigung. 1208/9. Studenica/Serbien, Marien-(Nemanja-)Kirche. Die ältesten Wandgemälde z. T. schon im 13. Jh. übermalt, so auch Teile der großen Kreuzigung. Kruzifixus im großen Format und der beruhigten Form des frühen 13. Jh. 160 PATRIARCH. Um 1260. Sopoiani/Serbien, Klosterkirche. Komplette Ausmalung durch zwei im Stil ältere bzw. jüngere Werkstätten, in denen neben Serben Griechen tätig, die jüngere wohl von Konstantinopler Künstlern geführt. Von diesen stammen die vier Patriarchen an östlichen Kuppelpfeilern: schon volle, malerische Plastizität, klassische Statuarik und Idealität. 161 ENGEL AM GRAB CHRISTI. Um 1236. Milesevo/Serbien, Klosterkirche, Naos. Die einheitliche Freskoausslattung ist ein Hauptwerk der Stilstufe vor der Klassik: wachsendes Volumen der monumental angelegten Figuren, intensivere Beziehungen von Blick und Gesten. Goldgrund als Mosaikimitation. Wohl vor allem serbische Maler: frische Offenheit, z.T. unbyzantinische Typik. 162 MARIENTOD. Um 1260-1265. SopoSani, Naos, Westwand. Maria auf dem Sterbebett, mit trauernden Aposteln, Christus im Engelchor hält ihre Seele in Gestalt eines Wickelkindes. Auf den Baikonen Klagefrauen. Oben führen Engel auf Wolken Christus und die Apostel herbei. Hauptwerk des Konstantinopler Meisters, eines der großartigsten der byzantinischen Malerei. Volle Klassik mit allen Qualitäten der frühpaläologischen Renaissance: illusionistische Licht-Raum-Komposition voll räumlicher Weite; Beleuchtungseffekte, durch Farbbrechung und -reflexe bewirkt. Schlagschatten. Füllig-schwere, statuarische, monumentale Gestalten, dabei feinnervig und elegant im fließenden Rhythmus der Kontur- und Körperbewegung. 163 EVANGELIST MARKUS. Evangeliar. Vor 1261. Paris, Bibliotheque Nationale, 31,8 x 25 cm.
154
Vollplastische, sehr schwere, malerisch modellierte Figur. Weiterentwicklung einer Vorlage des 10. Jh. In der brüchigen Faltenbildung und der formalen und psychischen Gespanntheit ist die klassische Phase schon überschritten. 164 DIE
VIERZIG
MÄRTYRER
VON SßBASTE.
Mosaikikone. Letztes Drittel 13. Jh. Washington, Dumbarton Oaks Collection. 22 x 16 cm. Die zum Erfrieren ausgesetzten Märtyrer boten schon in Elfenbeinen des 10. Jh. Anlaß zu kompliziert bewegten Aktdarstellungen. In der technisch brillanten Mosaikikone größere Ruhe, organisch fließende Körperhaftigkeit, antike Kopftypen, Lichteffekte. 165 MOSESSZENEN. Um 1280. Venedig, S. Marco, Narthex, Nordflügel. Mosaiklünette: Speisungswunder. Die Mosaiken der Vorhalle kopiert nach Handschrift des 6. Jh. (CottonGenesis), sehr getreu die Genesiskuppel, die übrigen freier komponiert mit antikisierenden Figuren. Letzte Kuppel und Lünette greifen neue paläologische Kunst auf: einheitliche Raumkomposition, Szenen locker über weite Landschaft verteilt. 166 G E B U R T MARIAE. Um 1300. Ohrid, Sv. Kliment. Der große Wandbildzyklus ist ein Frühwerk der Maler Michael Astrapas und Eutychios, die mehr als 20 Jahre lang für König Milutin zahlreiche Kirchen ausmalten. Der füllig schwere Zeitsti! hier ins Extrem gesteigert: blockig-massive Figuren und Gebäude, prismatische Modellierung, harte Zeichnung. 167 GEBURT CHRISTI. Evangeliar. Vor 1261. Paris, Bibliotheque Nationale. Text in zwei Kolumnen griechisch und lateinisch. Füllige Figuren in weiter Landschaft. 168 KREUZIGUNG. Ikone. Drittes Viertel 13.Jh. Ohrid, Nationalmuseum, aus Sv. Kliment. Rückseite. Vorn: Maria Hodigitria. 97 x 67 cm. Volle Klassik. Neuartig gerade für Ikonen ist der Ausdruck subjektiver Empfindung. 169 THRONENDE MARIA MIT KIND. MellonMadonna. Um 1250. Washington, National Gallery. 84 x 53 cm. Hauptwerk der Konstantinopler Ikonenkunst. Wunderbar ausgewogene, weitgehend plastische Erscheinung, räumlich umfangen von typisch paläologischem, pseudoperspektivischem Rundthron. Kostbare, zarte, formende Goldzeichnung.
Reife, ja in klassischer Vollendung verwirklicht: im Werk des Hauptmeisters von Sopofani, der zweifellos aus Konstantinopel kam. Der Marientod (Abb. 162) und das ihm eng verwandte Deesismosaik in der Hagia Sophia (Abb. 157) gehören zu den bedeutendsten und schönsten Werkender byzantinischen Kunst überhaupt. Und sie bezeichnen den Höhepunkt der wohl intensivsten aller byzantinischen „Renaissancen". Die Lockerung des Zwangs der Tradition schuf zum erstenmal eine Distanz zum klassischen Erbe, die neuerliche Rückbesinnung wird zur Begegnung, zur schöpferischen Auseinandersetzung mit den Bildmitteln und den ästhetischen Prinzipien der Antike. Von innen her erfaßt und nicht nur äußerlich selektiv kopiert, wird die Antike zum wichtigsten Impuls, zum integrierten Maß der neuen paläologischen Kunst. In Sopofani haben die Figuren volle, dreidimensionale Plastizität erreicht, und sie stehen und bewegen sich in einem Raum, der die Vorstellung kontinuierlicher Tiefe vermittelt. Alle antiken Bildmittel sind zu dieser optischräumlichen Illusion aufgeboten: Verkürzung und räumliches Hintereinandergruppieren der Figuren, in die Tiefe sich ausbreitende, weite Hügel- und Terrassenlandschaften, in den Raum ausgreifende, voluminöse Architekturen, vor allem atmosphärisch-perspektivische Brechung von Farbe und Licht. Erstmals treten Schatten auf, erstmals wird die Illusion breit einströmenden Lichts gegeben, das die Figuren weich modelliert. Weich und großzügig fließen Draperien und Bewegungen und tragen einen wunderbar harmonischen Rhythmus durch das ganze Bild. Im Einklang mit der schönen Idealität der Formen steht die Intensität des Ausdrucks, das verhaltene Pathos, die lyrische Sensibilität und Ergriffenheit. Die äußere Erscheinung wird zum Spiegel seelischer Vorgänge, Menschliches und Transzendentes fließen ineinander (Abb. 168). Von der Grundlage dieser überragenden Leistungen aus wird bald nach 1261 der Schritt zur eigentlich paläologischen Kunst vollzogen (Abb. 165), und zwar in Konstantinopel, das sehr bald wieder das weithin wirkende Zentrum ist. Die Rückkehr vieler Künstlerund das Zusammenwirken ihrer vielfältigen, in der Fremde gewonnenen Erfahrungen beschleunigen die Entwicklung und setzen verschiedenartige Akzente im Bild des werdenden Stils (Abb. 163, 164, 167). Dabei zeichnet sich in den erhaltenen Handschriften, Ikonen und Mosaikikonen der Hauptstadt eine Tendenz zur Steigerung der innerbildlichen Spannungen ab, sei es durch Ausweitung des Bildraums, durch luminaristische Effekte, durch Straff- uüd Brüchigwerden der Draperiezeichnung oder vor allem durch Anschwellen des Körpervolumens. Gerade diese Tendenz zum Überbreit- und Schwerwerden wird außerhalb der Hauptstadt, im makedonischen Gebiet (besonders Ohrid, Sv. Kliment, Abb. 166), zu extrem wuchtiger, lapidarer Monumentalität gesteigert: Formal und zeitlich stehen hier Ost und West - nämlich Giotto in Padua - in enger Parallele.
157 CHRISTUS aus der Deesis. Um 1260. Istanbul, Hagia Sophia, Südempore. Mosaik. Nur die oberen Partien von Christus, Maria und Johannes erhalten. Vielleicht erster Auftrag der Paläologen nach der Rückeroberung Konstantinopels. Hauptwerk der Klassik um 1260.
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Virtuose Beherrschung der Mosaiktechnik: Plastizitätin weich malerischer Wirkung, feinste Farbstufung, Kalt-Warmtöne verzahnt, kleinste Steinchen. Illusionistische Schlagschatten. Einzigartige Intensität des Ausdrucks. Differenzierung der drei Köpfe in Form und Emotion.
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178 ENGELSPROZESSION. Letztes Viertel 14. Jh. Schriften. Vor 1345. Paris, Bibliotheque Nationale. 41,5 x 35 cm. Typisch für die höfische Porträtkunst: fast realistisches Porträt, stilisierte Zierlichkeit der Hände und Füße, präzis gezeichnetes Prachtgewand, großzügiger Bildbau. 181 VERKLARUNG CHRISTI. Theologische Schriften > des Kaisers Johannes VI. Kantakuzenos. 1370-1375. Paris, Bibliotheque Nationale. 33,5 x 25 cm. Vier Miniaturen, u.a. Doppelporträt Johannes VI. als Kaiser und Mönch. Kerrithema der Hesychastenmystik. Das „ungeschaffene" Licht der Verklärung als dreifache Aureole: Symbol der Trinität. Extreme Kontraste: klassische Idealgestalt Christi, Kreiskomposition oben, unten scharfe Diagonalen, explosive Bewegung, ,,verzerrte" Figuren. Vollendeter Illusionismus in Blau-Weiß-Oliv. 177
SPÄTBYZANTINISCHE ARCHITEKTUR In der spätbyzantinischen Architektur ist ein gewisses Nachlassen der schöpferischen Initiative zu bemerken. Es wird zwar noch viel gebaut, aber es fehlt sowohl an großen Aufträgen wie auch an der Monumentalität der Formgesinnung. Hohe Qualität ist selten und reicht doch kaum an die großen Leistungen früherer Jahrhunderte heran. Die Kreuzkuppelkirche, der Idealtypus des ostchristlichen Kirchenbaues, bleibt auch weiterhin der führende Bautypus, vor allem in den Hauptstädten. Eine vereinfachte Variante ist in Griechenland verbreitet (Mistra, Peribleptoskirche): Die Kuppel ruht auf den Apsispfeilern, das östliche Stützenpaar entfällt, der westliche Kreuzarm wird verlängert. Im späten 13. Jh. bringt eine stark retrospektive Haltung auch ältere Typen zu neuer Aktualität. Das Kreuzoktogon vom Typus Daphni wird mehrfach aufgegriffen (Mistra, Theodorkirche; Arta, Paragoritissa). Für die Klosterkirchen des Athos wird fast ausschließlich der - letztlich justinianische - Trikonchos verwendet, bej dem die Kreuzarme des zentralen Kuppelraums ebenfalls in Apsiden münden. Selbst die Basilika, die in peripheren Gebieten in bescheidener Form tradiert worden war, erfährt eine beachtliche Wiederbelebung, jedoch in charakteristischer Abwandlung. Basilika und Kreuzkuppelkirche werden miteinander kombiniert: Auf ein basilikales, relativ weiträumiges und gedrungenes Untergeschoß wird eine Kreuzkuppelkirche aufgesetzt, die Kuppelstützen gehen recht untektonisch von den Emporen der Basilika aus. Dieser Typus ist seit etwa 1300 vor allem in Mistra beheimatet. In der Aphendikokirche (Abb. 185, 188) erreicht er seine reifste Gestalt dank sehr harmonischer Proportionen, die die heterogenen Formen zu einer ästhetisch überzeugenden Einheit verschmelzen. Ein ursprünglich in Bulgarien verbreiteter Typus gewinnt im 14. Jh. auch in Konstantinopel und Thessaloniki an Be-
182 ISTANBUL, KILISSE DJAMI/H. THEODOROS. > Anfang 14. Jh. Narthex, der Kreuzkuppelkirche des 10. Jh. vorgebaut. Rhythmische Gliederung durch offene Dreierarkaden und Nischen, oben übergreifende Blendbögen. Streifeneffekt der Mauern. 183 ISTANBUL, FETIYE DJAMI/H. MARIA PAMMAKARISTA, Parekklesion. Um 1315. Südostansicht. Kreuzförmige Kuppelkapelle. Kraftvoll rhythmisiertes Wandrelief mit gestuften Blendbögen und Nischen, auch Kuppeln (zwei über dem Narthex) und Dachkontur korrespondieren mit tektonischer Wandstruktur. Dekorativer Reichtum durch FarbwechselundZiegelmuster. 184 ISTANBUL, TEKFUR SARAY. Frühes 14. Jh. Nordwestfassade. Einziger, zum Teil erhaltener Kaiserpalast in Konstantinopel. Wie der Despotenpalast von Mistra im Typus westlich: 180
mehrgeschossige Säle. Sehr harmonische, strenge Fassade, textiler Effekt der rotweißen Steinmuster. 185 MISTRA, APHENDIKOKIRCHE des BrontochionKlosters. Anfang 14.Jh. Grund- und Aufriß. Wohlproportionierte Verbindung von Basilika im Unterbau mit aufgesetzter Kreuzkuppelkirche, von weitem Gemeinderaum mit symbolhaftem Schauraum. Flachkuppeln in Seitenschiffen. Umlaufend niedere Nebenräume: Vorhallen, separate Kapellen, überkuppelte Flankenräume des hohen Esonarthex. 186 THESSALONIKI, APOSTELKIRCHE. 1312-1315. Ansicht von Nordwesten. Malerisch gelockerte Gruppierung schlanker Baukörper über niedrigem Sockel, typisch die weit auseinandergezogenen Nebenkuppeln. Feingliedrig bewegtes, farbiges Wandrelief mit reichen Ziegelmustern.
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deutung: die einschiffige, tonnengewölbte Kapelle mit einer Kuppel vor der Apsis, einoder doppelgeschossig, meist seitlich an eine Kirche angebaut (z. B. Kahne Djami, Parekklesion). Diese Kapellen stehen häufig mit dem Narthex in Verbindung, so daß, wie schon im 7./8.Jh.,ein Mantel niederer Nebenräume um den Kernbau der Kreuzkuppelkirche gelegt ist (Thessaloniki, Apostelkirche, Abb. 186, 187). Das Hauptinteresse der spätbyzantinischen Architektur gilt der äußeren Gestalt der Kirche, die als vielgliedriger, dekorativer Organismus verstanden wird. Schon die Silhouette erscheint malerisch aufgelöst, wesentlich lockerer, zierlicher und kristalliner als zuvor. Zwei oder vier kleine Kuppeln - über den äußeren Ecken der Vorhallen - begleiten die Mittelkuppel und ragen auf schlankem Tambour hoch über den vielfach gestuften Baublock mit seinem bewegten Dachkontur hinaus. Alle Wände sind durch plastische und farbige Dekorationen rhythmisiert und in ein lebhaft schaltendes Relief umgesetzt. Mehrfach gestufte Blendbögen und Säulenvorlagen betten die Fenster, vor allem die des Tambour, tief ein. Gruppen von Nischen und offenen Arkaden, Lisenen und Blendbögen gliedern die Fassaden, häufig in mehreren Geschossen. In äußerst subtiler Mauertechnik wechseln verschiedenfarbige Haustein-, Ziegel- und Mörtellagen, werden die Ziegel zu Ornamentbändern (Zahnschnitt, Mäander, Zickzack, Flechtmuster) verknüpft. Diese Dekorationsformen sind Gemeingut aller spätbyzantinischen Architektur. Doch zeichnet sich auch hier Konstantinopel durch größeren Reichtum und zugleich maßvollere, tektonisch gebundene Verwendung, wie überhaupt durch ausgewogene Proportionen aus. (Parakklesion der Fetiye und Kahrie Djami, Abb. 183, Vorhalle der Kilisse Djami, Abb. 182, Palastfassade des Tekfur Saray, Abb. 184). Die qualitätvollen Kirchen Thessalonikis hingegen (Apostelkirche, Abb. 186, Katharinenkirche) neigen zu größerer malerischer Auflösung und Zierlichkeit im Detail und besonders zu gestreckten Proportionen, die dann in den Kirchen Serbiens zu extrem schlanker Steilheit übersteigert werden (Gracanica, Abb. 189). So konservativ, ja retrospektiv die spätbyzantinische Baukunst in architektonischer Hinsicht auch ist, in ihrer Vielgliedrigkeit und in ihrem malerischdekorativen Reichtum zeigt sie doch enge Stilverwandtschaft mit der gleichzeitigen Malerei. Die Malerei jedoch hat nun bei weitem die Führung unter den Künsten übernommen; sie ist es, die, gerade in der Spätzeit, den Formcharakter der byzantinischen Kunst bestimmt.
187 THESSALONIKI, APOSTELKIRCHE. Grundriß. Klassische Kreuzkuppelkirche mit Säulen, relativ klein, aber schlank und steil. Umlaufende Vorhalle, seitlich in Kapellen endend. VorgelagerterExonarthex in Arkadengeöffnet. 188 MISTRA, A P H E N D I K O K I R C H E . Ansicht von Osten. Reicher, plastischer, gestaffelter Bauorganismus. Malerische Wirkung der schwingenden Silhouetten und des Wandreliefs.
189 GRA£ANICA/SERBIEN, M A R I E N K I R C H E . Um