Die byzantinische Kunst

Konstantinopel, die griechische Siedlung Byzanz, die Stadt Konstantins d. Gr., das Neu-Rom einer christlichen Welt, war

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German Pages 218 [220] Year 1963

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Table of contents :
I. Die Frühbyzantinische Kunst
Allgemeine Voraussetzungen — Die Architektur — Die Sophienkirche in Konstantinopel und ihre haukünstlerische Bedeutung — Das Verhältnis der Sophienkirche zur Architektur Westroms und Vorderasiens — Weitere justinianische Kirchenanlagen — Das Verhältnis der früh justinianischen zur ravennatischen Architektur — Der Einfluß von Byzanz auf die Baukunst Armeniens — Frühbyzantinische Mosaikmalerei und Anfänge der Ikonenmalerei
II. Die Mittelbyzantinische Kunst
Allgemeine Voraussetzungen — Entstehung und Bedeutung der Kreuzkuppelkirche — Byzantinische Baukunst in Griechenland — Der Bilderstreit und die Renaissancetendenzen in der mittelbyzantinischen Malerei — Die monumentale Mosaikmalerei. Ausschmückungsprogramm, Raumwirkung, Hieratisierung und Hierarchisierung — Stil- und Formprobleme — Renaissancetendenzen in der Buchmalerei
III. Die Spätbyzantinische Kunst
Die allgemeinen Voraussetzungen im Palaiologenzeitalter (1261—1453) — Die Architektur — Der Stilwandel in der monumentalen Malerei
IV. Byzantinisches Kunstgewerbb
Emailarbeiten — Elfenbeinarbeiten — Textilien
V. Die Byzantinische Kunst in Osteuropa
Allgemeine Voraussetzungen — Die Architektur Kiews, Nowgorods und Moskaus — Die monumentale Wandmalerei — Die Ikonenmalerei in Kiew, Nowgorod und Moskau
VI. Die Kunst in den Balkanländern
Allgemeine Voraussetzungen — Die Architektur. Basilikale Anlagen — Kuppelbasilika — Die byzantinische Kreuzkuppelkirche — Die letzte Phase der serbischen Bauentwicklung in der Morawaschule — Die Architektur in der Walachei und Moldau — Die monumentale Wandmalerei. Bulgarien — Serbien und Makedonien — Stilistische Veränderungen — Die Wandmalerei in der Walachei und Moldau
Literatur — Nachweise
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Kunstgeschichte

Ullstein K

unstgeschichte

H ER A U SG E G EB EN VON H AN S-GÜ N TH ER SPERLICH

Band

viii

Ul l s t e i n K

unstgeschichte

I Vorgeschichte Europas / Altvölker Afrikas Ozeanien / Indonesien und Südostasien II Alter Orient III Ägyptische Kunst IV Megalithkulturen / Kretisch-mykenische Kunst Steppenraum und Waldgebiet V Griechische Kunst VI Kunst der Etrusker / Römische Kunst VII Altchristliche Kunst VIII Byzantinische Kunst IX und X Baukunst des Mittelalters XI Skulptur des Mittelalters XII Europäische Malerei des Mittelalters XIII und XIV Renaissance, Barock, Rokoko XV und XVI Vom Klassizismus zur Moderne XVII Ostasiatische Kunst XVIII Alt-M exiko / Außermexikanische Kunst Altamerikas Iberoamerikanische Kolonialkunst XIX Industal-Kultur und Indische Kunst XX Islamische Kunst / Gesamtregister

Wl a d i m ir Sa s -Z a l o z i e c k y

Die Byzantinische Kunst

Ul l s t e i n B ü c h e r

U L L ST E IN B U CH N R . 4008 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M — Berlin

Die Ullstein Kunstgeschichte ist eine Lizenzausgabe der Stauffacher Verlag AG, Zürich, bei der dieses Werk unter dem Titel IL L U S T R IE R T E W ELT- K U N ST ­ G ESC H IC H T E, herausgegeben von Dr. Eugen Th. Rimli und Karl Fischer, in fünf Halblederbänden mit insgesamt 2600 Seiten, 1800 Bildern und 77 Farbtafeln im Lexikonformat auf Kunstdruckpapier gedruckt, zum Preise von DM 240,— erschienen ist. Alle Rechte dieser Ausgabe Vorbehalten © 1963 Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M — Berlin Printed in Germany, West-Berlin 1963 Gesamtherstellung Druckhaus Tempelhof

D ie F rühbyzantinische K unst

Allgemeine Voraussetzungen Entscheidend für das Schicksal Neuroms — Konstantinopels, der alten Griechenstadt Byzanz — war nicht nur seine Neugründung im Jahre 330 durch Konstantin d. Gr., sondern die Tatsache, daß im Gegensatz zu Altrom die neue Reichsgründung ununterbrochen bis 1453 sich hier erhalten hat. Während im Westen der politische Zusammenbruch des Reiches die alten Grundlagen tief erschütterte, haben sich im Osten die alten politischen, religiösen, geistigen und kulturellen Fundamente unter dem Schutz der uneinnehmbaren Reichszentrale am Bosporus ohne tiefere Veränderungen erhalten. Der mächtige bürokratisch-militä­ rische Apparat mit seinen zentralistischen Bestrebungen, seinen cäsaro-papistischen Tendenzen und seinem mit sakraler Weihe um­ gebenen Kaisertum hat hier Jahrhunderte überdauert und somit eine fort wirkende kulturelle Tradition begünstigt, die in einer Durchdringung antiker und christlicher Errungenschaften bestanden hat. M it der konstantinischen Gründung dringen starke weströmische Einflüsse in die hellenistische Provinzstadt am Bosporus ein und verleihen ihr bald den Charakter einer Weltmetropole. Politische Einrichtungen, rechtliche Institutionen, Sprache, Kultur und Kunst kommen aus Rom mit der neuen Senatorenelite, die Konstantin unter Gewährung von besonderen Privilegien am Bosporus ansie­ delte. Es ist zweifelsohne ein Romanisierungsprozeß, der sich vor­ derhand hier vollzieht und den man etwa mit der Gründung der Neuen Welt vergleichen kann, die zuerst anglosächsisdien Charak­ ter besessen hat. Bald erstarkte jedoch das Bewußtsein, daß dieses Neurom doch etwas anderes war als das Altrom, ähnlich wie sich Neuengland von

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Ältengland durch neue, zu erfüllende Aufgaben unterschieden hat. Es stand vor neuen Aufgaben, die es formten; aber dieses neue Be­ wußtsein bildete sich erst langsam heraus. Die Symbiose zwischen Christentum und Staat, eine A rt von orthodoxem Staatskirchentum, das vom Staat abhängig gewesen ist, östliche Einwirkungen im Christentum, die stets zum Monophysitismus (dem Glauben an die eine göttliche N atur Christi) neigten, eine langsame Entfremdung vom Westen, das erstarkende griechische Element, haben sehr viel zu dem beigetragen, was wir als Byzantinismus zu bezeichnen pflegen. Aber dieser Byzantinismus ist eine relativ späte Erscheinung. In der frühbyzantinischen Periode ist er noch nicht so 'weit ausgeprägt, so daß man eher geneigt wäre, diese als oströmisch oder romäisch zu bezeichnen, statt als byzantinisch. Das gilt nicht nur für die Zeit von Konstantin bis Justinian, son­ dern ebenso für die justinianische Periode (527—565) bis zur H err­ schaft des Heraklius (610—640). Vielleicht kann sogar die justinia­ nische Periode als einer der Höhepunkte des sich am Bosporus regenden, universalen Reichsgedankens bezeichnet werden. Sowohl die großen Restaurationspläne Justinians, die in der Eroberung Italiens, Spaniens und Nordafrikas gipfelten, als auch das mächtige Kodifizierungswerk des römischen Rechtes sprechen für eine Wieder­ belebung der alten römischen Reichsidee. Sicherlich waren die Voraussetzungen für eine solche restaurative Wiederbelebung im Westen, vor allem in Italien, nach dem Zusam­ menbruch des Exarchates nicht mehr gegeben; sie haben aber im Osten stark nachgewirkt und das Bewußtsein aufkommen lassen, daß das zweite Rom als Nachfolgerin des alten Roms hohe univer­ sale Aufgaben zu erfüllen hatte. Dieses Bewußtsein ist bis zum Untergange des byzantinischen Reiches nicht erloschen und hat das byzantinische Kulturbewußtsein erfüllt. So ist das Reichsbewußtsein des Byzantiners und mit ihm das jener Gebiete, die mit dem byzantinischen Reich Zusammenhän­ gen, aus dem römischen Erbe hervorgegangen. Da die bildende Kunst in Byzanz engstens mit den Reichsaufga­ ben verbunden war und die Reichsaufgaben sich mit den kirchlichen deckten, so müssen wir in der frühbyzantinischen Zeit besonders auf das Verhältnis zur spätantiken Kunsttradition achten.

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D ie Architektur Von der konstantinischen Zeit bis zur justinianischen hat sich nicht viel an monumentalen Anlagen erhalten. Aus diesen spärlich erhaltenen Resten und vor allem aus Beschreibungen können wir entnehmen, daß längsgerichtete basilikale Anlagen (die ursprüng­ liche Sophienkirche, die Apostelkirche des Konstantius, die Irenen­ kirche, die Peter- und Paulskirche) und zentrale, gewölbte Anlagen (Palastanlagen, wie z. B. das Oktogon im konstantinischen Palais der Daphne, Mausoleen und Grabbauten, wie das konstantinische Mausoleum an der Apostelkirche und Baptisterien) das Stadtbild beherrschten. Es scheint jedoch eine gewisse Scheidung zwischen sakraler und profaner Architektur vorhanden gewesen zu sein. Wenn man von Baptisterien und M artyrien (z. B. Martyrium des hl. Karpos und Papylos) absieht, w ar es die längsgerichtete, basilikale Anlage, die die kirchlichen Hauptbauten bestimmte, wogegen die profanen kaiserlichen Anlagen (konstantinische Palastanlagen der Daphne, Oktogon, Mausoleen) aus zentralen, gewölbten Bauten bestanden. Eine tiefe Wandlung in der Architektur Konstantinopels vollzieht sich in der justinianischen Periode (527—565). Nach den verheeren­ den Folgen des NikaaufStandes im Jahre 532 entsteht ein neues Konstantinopel: Palastanlagen und Kirchen werden neu errichtet. Es zeichnet sich ein neuer monumentaler Baustil ab, der dem A n ­ sehen der neuen Residenz voll entspricht. Neu errichtet und ausgeschmückt wird eine Reihe von Palast­ anlagen, von denen die Chalke, ein monumentales Propylon des Palastes, wegen der neuen Kuppelkonstruktion und der reichen Mosaikausschmückung hervorragt. Ebenso bemächtigt sich ein neuer Bauwille der sakralen Architektur, der beweist, daß Justinian zu den größten Bauherren in der Geschichte von Byzanz gehört. A uf alten Plätzen entstehen folgende Kirchenanlagen, die nicht nur durch ihre Monumentalität und Prachtausstattung, sondern auch durch eine verschiedene Bauweise die alten basilikalen Anlagen des 4 —5. Jh. übertreffen: Sergius- und Bacchuskirche (um 527), Sophien­ kirche (532—537, neue Kuppel 558—562), Irenenkirche (532), Apo­ stelkirche (536—546). Außer diesen monumentalen Prachtbauten entsteht in Konstanti­ nopel eine Reihe von großangelegten Nutzbauten, deren konstruk-

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Fig. j Konstantinopel. Zisterne Bin-bir-Direk (Zisterne der 1001 Säulen). Um 530. Ansicht des Innern der Zisterne, nach Grabungsbefund ergänzt

tive Lösungen zu den kühnsten Schöpfungen der justinianischen Architektur gehören, so vor allem eine Reihe von Zisternen (die sog. Cisterna Basilika, Yerebatan Saray in der Nähe der Sophien­ kirche und Bin-bir-Direk, Fig. 1), Thermenanlagen und Aquädukte (der Muallak Kerner bei Konstantinopel wird in der letzten Zeit dem griechischen Architekten des 16. Jh . Sinan zugeschrieben, es ist jedoch anzunehmen, daß er sich an justinianische Vorbilder ange­ schlossen hat). Diese grandiosen technischen Leistungen beweisen, daß in der Geschichte der Architektur Konstantinopels eine neue Epoche an­ gebrochen ist. Sie beruht jedoch nicht nur auf der Bewältigung neuer technischer, sondern auch baukünstlerischer Aufgaben. An dem berühmtesten Denkmal der justinianischen Periode, der Sophienkirche in Konstantinopel, kann man sowohl die Bewälti­ gung der neuen Aufgaben als auch die Frage des Ursprungs der Bauformen der justinianischen Architektur verfolgen.

Die Sophienkirche in Konstantinopel und ihre baukünstlerische Bedeutung Wie in den meisten altchristlichen Bauten besteht ein scharfer Gegensatz zwischen Außen- und Innenbau. Das Äußere der Sophienkirche fällt durch seine blockmäßige Schlichtheit auf. Der Eindruck beruht auf der kristallinischen Wirkung großer homo­ gener Blockeinheiten: eine riesige Flachkuppel, die Flalbkuppeln der Exedren, der mächtige mittlere Baukubus und die vier vor­ springenden Strebepfeiler. Im Grunde genommen beherrscht eine wenig differenzierte, ungegliederte Baumasse den ganzen Außen­ bau. Man kann sich keinen größeren Gegensatz vorstellen als den zur klassisch-griechischen oder hellenistischen Architektur (Abb. 1). Anderseits unterscheidet sich diese massige Blockarchitektur von der amorphen Massigkeit der altorientalischen, z. B. ägyptischen Architektur, dadurch, daß große Fensteröffnungen die Wand in den

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K m M ,in o ,e l S o p H M , E r « '

$62. Grundriß. Vgl- Abb. 2

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zweite Weihe

unteren Teilen durchbrechen und dadurch allein dem Bau den Charak­ ter einer Raumarchitektur verleihen. Trotz aller Blockmäßigkeit er­ weisen sich die Wände als massive Hüllen, welche einen Raum in sich schließen. Wie jedoch das Verhältnis des Lastens und Tragens gelöst ist, darüber läßt uns die Außenarchitektur im unklaren; man merkt kaum, daß in den massiven »Pilonen« der Langseiten sich Strebepfeiler befinden, welche eine entscheidende konstruktive Rolle spielen. Die Sophienkirche stand ursprünglich nicht frei, sondern w ar durch große Säulenportiken (Augusteon) mit den kaiserlichen Pa­ lästen an der Propontis verbunden. Sie war also im Grunde ge­ nommen eine Palastkirche der byzantinischen Kaiser und bildete als solche einen wichtigen Teil des »sacrum palatium«. Sie verkör­ perte dadurch die cäsaro-papistischen Tendenzen der byzantinischen Kaiser. Sie stand mit dem Symbol ihrer weltlichen Macht, der Palast­ anlage, in enger Verbindung. Die ursprüngliche Vorhalle der Sophienkirche, die sich nur noch in einigen Säulenstellungen erhalten hat, erinnert an ähnliche Vor­ hallen altchristlicher Basiliken. Im Gegensatz zu dieser etwas abweisenden, beinahe dumpf wir­ kenden, breit und gravitätisch gelagerten, wie ein profanes Macht­ symbol erscheinenden Außengestaltung steht die überwältigende Pracht der Innenraumgestaltung (Abb. 2 und Abb. 5). Das Überwältigende des Haupteindruckes wird dadurch unter­ stützt, daß die Türeingänge des Innenarthex relativ klein sind und beim Eintreten sich plötzlich eine Welt von Baugestalten öffnet, die uns ganz gefangen nimmt. In der Tat: Es ist eine andere Welt, die sich uns hier hinter der rauhen Schale der Außenarchitektur auftut. Zunächst bannt die Macht der Raumgestaltung, mit der sich die koloristisch-farbige Wirkung unzertrennlich verbindet. Suggestiv wird man von der Riesenkuppel angezogen, welche die Mitte des Raumes einnimmt. Also zuerst ist der ruhende Ein­ druck bestimmend. Diese Riesenkuppel beherrscht den Raum; der Eindruck ruhenden Seins scheint zu dominieren. Aber bald gewahrt man, daß das nicht der einzige Raumeindruck ist. Der Länge nach klingt der ruhende Raum der Hauptkuppel in den beiden Exedren (Apsiden), die in der Längsrichtung den Bau verlängern, aus. Diese so entstehende Längsachse wird außerdem durch die zwei überein­ ander ruhenden Arkadenstellungen der Seitenwände wirksam

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Fig. 3 Konstantinopel. Sophienkirche. Querschnitt

Fig. 4 Konstantinopel. Sophienkirche. Längsschnitt

unterstützt. Schon dadurch allein wird die zentrale, in sich ruhende Wirkung des eigentlichen Kuppelraumes aufgelockert. Es sind also im Grunde genommen zwei Raumeindrücke, die die Sophienkirche bestimmen: der in sich geschlossene und ruhende Raum, den die Kuppel beherrscht, und der durch die in der Längsachse befindlichen Exedreti und die Seitenwände hervorgerufene Tiefenraum. Dazu kommt noch, daß die Hauptkuppel an den beiden Lang­ hausseiten über den Bogenstellungen von zwei über die ganze Länge sich spannenden Wandfüllungen begrenzt wird. Diese bis kurz unter die Kuppel heranreichenden Wandfüllungen berauben die Kuppel ihrer eigentlichen, in sich geschlossenen, ruhenden Wirkung. Sie rufen in uns eine optische Täuschung hervor, indem sie die runde Schwingung des Kuppelrunds abplatten und der Kuppel den Ein­ druck eines Ovals verleihen. Natürlich ist diese ovale Raumwirkung am stärksten, wenn w ir den Raum von der Längsachse her betrach­ ten, also etwa von der Tiefe der Exedren aus. Je mehr wir uns der Mitte der Kuppel nähern, um so stärker wird der Eindruck des in sich ruhenden Raumes. Der Hauptraum der Sophienkirche ist ein kühner Versuch, einen Zentral- und Langhausbau zu einer Einheit zu verbinden. Im Grunde genommen ist er eine Verschmelzung dieser Bauideen zu einem neuen harmonischen Architekturgebilde (Fig. 2 bis Fig. 4). ^ Die wohlausgeglichene Raumharmonie des Kuppelraumes wird durch tiefenbetonende Richtungstendenzen der Langhausachse auf­ gelockert, aber die halbrund geschlossenen Exedren fangen diese Tiefenimpulse auf und leiten sie wieder der Mitte zu. So wird die Ostapsis mit dem Altarraum zwar als liturgischer Mittelpunkt des Baues dem Kuppelraum gegenüber betont, aber durch die gegen­ überliegende Eingangsexedra und die Kuppel ihre Tiefenbeziehung abgeschwächt. Wenn wir nun diese Verschmelzung von geschlossener Raum ­ gestaltung mit einer Tiefenachse auf die herrschenden Formen der antik-römischen und altchristlichen Baukunst beziehen, so haben wir es hier mit einer kühnen Verbindung zwischen der profanen römischen Zentralbauanlage und einer tiefenbetonten altchristlichen Basilika zu tun. Gerade in der A rt der Verquickung dieser grund­ verschiedenen Bauideen liegt das Schöpferische der frühbyzantini­ schen Architektur. Wollen wir aber darüber hinaus die allgemeinen geschichtlichen Umstände mit diesem epochemachenden Bau in Zu­ 14

sammenhang bringen, so entspricht er im Grunde genommen der byzantinischen Reichsidee, die das Imperium und Sacerdotium zu einer monolithen Struktur verschmolzen hat. Außer dieser ins Monumentale gehenden neuen Raumgestaltung begegnen uns die Mittel einer optisch-flächigen und koloristischen Auflösung des Raumes. Diese Auflösung wurde durch eine flächige Behandlung der archi­ tektonischen Gliederungen, die Bedeckung aller Wände mit farbi­ gen Marmorplatten, Intarsia und Mosaik, ferner durch eine ent­ sprechende Lichtführung und durch ein höchst raffiniertes Verstre­ bungssystem erreicht. Die optisch-flächige Wirkung kommt hauptsächlich darin zum Ausdruck, daß alle horizontal lastenden Gebälksteile, alle Bogen­ arkaden und Kapitelle durch Bohrtechnik oder Intarsia ihre plasti­ sche Wirkung einbüßen und alle architektonischen Formen in Licht und Schatten auflösen. Das antike Verhältnis zwischen Last und Stütze wird weitgehendst aufgehoben (Abb. 5). Zur optischen Auflösung der Teile kommt die koloristische Be­ handlung der Wände durch farbige Marmorplatten und der Gewölbe durch Mosaiken. Die substantiale Wirkung der Wand wird dadurch aufgehoben. Das Mosaik, dessen Wirkung durch künstliche Licht­ führung gesteigert wird, löst die schwere Kuppel, die Halbkuppeln und die Gewölbe der Umgänge weitgehendst auf, so daß ursprüng­ lich der Eindruck von schwebenden Gewölben entstanden ist. Be­ sonders stark ist diese Wirkung der im Licht erglänzenden goldenen Gewölbe in den Umgängen gewesen, wo außerdem ein diffuses Licht durch die mit kleinen Öffnungen versehenen Fenster drang. Und zuletzt wird diese optische und koloristische Auflösung der Raumhülle durch ein bis zum höchsten gesteigertes Verstrebungs­ system hervorgerufen. Die Kuppel ruht zwar auf vier riesigen sphärischen Dreiecken (Pendentifs), aber dieselben schneiden mit ihren spitzen Enden in die Wände ein. Sie ruhen auf keinen mächtigen Stützen. Wir sind im unklaren darüber gelassen, auf welchen stützenden Architektur­ grundlagen die Riesenkuppel aufruht. Durch das Fehlen dieses kla­ ren Verhältnisses entsteht die »schwebende Wirkung« der Kuppel, die allen statischen Gesetzen Hohn zu sprechen scheint, so daß sogar alle Zeitgenossen den Eindruck hatten, als schwebe die Kuppel »mit der goldenen Sphäre am Himmel befestigt«.

Die architektonische Illusion einer schwebenden Kuppel wird da­ durch erreicht, daß das ganze Konstruktionssystem der Kirche in die Umgänge und Strebepfeiler verlegt und somit den Augen des Beschauers entzogen wurde. Der mächtige Seitenschub der Kuppel wird von den vier mächtigen inneren und äußeren Strebepfeilern, den Ecklösungen und dem Gewölbesystem der Sophienkirche auf­ gefangen. N ur durch dieses versteckte Verstrebungssystem ist es möglich geworden, die Innenwände vollständig zu entlasten und im Beschauer den Eindruck, die Illusion einer unmateriellen, alle stati­ schen Gesetze überwindenden, leicht schwebenden Architektur her­ vorzurufen. Diese hier festgestellten künstlerischen Gesetze der frühbyzanti­ nischen Architektur weisen ebenso in die Zukunft. Sie ruhen auf einer hochentwickelten Vergangenheit und bestimmen, wenn auch auf einer einfacheren Stufe, die ganze byzantinische Architektur bis zu ihrem Untergang.

Das Verhältnis der Sophienkirche zur Architektur Westroms und VOrderasiens Die Verquickung zwischen einem römischen Profanbau und einer altchristlichen Basilika, wie sie in der Sophienkirche zutage tritt, würde dafür sprechen, daß die Vorbilder der Sophienkirche im Westen zu suchen wären. Aber auch die vorjustinianische Architek­ tur in Konstantinopel weist eine profane Raumarchitektur (Ther­ men des Arkadius, Paläste in Daphni, Mausoleum Konstantins) und eine ausgebildete Basilikenarchitektur auf, also konnte sich diese neue Verquickung auch hier vollziehen. Was dagegen sprechen würde, sind die beiden großen Architek­ ten Isidoros von Milet und Anthemius von Tralles, die aus Klein­ asien stammten. Aber für die technischen und baukünstlerischen Tendenzen müssen nicht die Geburtsorte der Architekten verant­ wortlich gemacht werden. Entscheidend ist ihre Schulung bzw. der

Farbtafel I Homilien des Gregorios Nazianzos (Paris, Bibliotheque Nationale, Cod. gr. 310). 880-886. Der Codex enthält 46 große Minia­ turen. Vision des Ezechiel. 41 X 30,5 cm

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Ort, wo sie ihre Ausbildung erfahren haben. Der Ort der Ausbil­ dung mußte jedenfalls dort gelegen sein, wo eine ausgebildete Raum­ und Wölbungsarchitektur führend gewesen ist. Es könnte sich dabei um die weströmische oder vorjustinianische Architektur Konstantinopels handeln. Hier eine Entscheidung zu treffen ist nicht leicht, da die vor justinianische Architektur Konstan­ tinopels nur aus Beschreibungen bekannt ist. Man könnte aber auch an die weströmische Architektur denken; einen Hinweis darauf könnte die Tatsache geben, daß der Bruder des Isidoros von Milet in Rom Medizin studierte, das heißt, daß hier enge Beziehungen zu Rom bestanden haben. Daß die Architekten der Sophienkirche sich an direkte oder in­ direkte römische Vorbilder angelehnt haben, beweist der Vergleich mit Beispielen der monumentalen römischen Architektur. Die wich­ tigsten Bauformen einer ausgereiften Wölbungsarchitektur, die in der Sophienkirche auftreten, sind in der römischen Architektur vor­ gebildet. Das Kernproblem der Sophienkirche, die Einführung von Pendentifs und die Verbindung einer Kuppel mit einem quadrati­ schen Grundriß vermittels sphärischer Dreiecke besitzt Vorbilder in einer Reihe von römischen Gewölbeanlagen, wie der Domus Augu­ stana am Palatin, der Sedia del Diavolo, der Villa in Minori in der Nähe von Amalfi und der Anlage von San Lorenzo in Mailand, die den letzten Forschungen zufolge nicht vor dem 5. Jh . entstanden sein dürfte (Fig. 5 und 6). Dasselbe gilt für die Raumform (Verbindung von einem mittle­ ren gewölbten Raum mit Exedren), die in römischen Thermenanla­ gen und in der Domus Augustana am Palatin vorgebildet erscheint. Umgänge finden wir in einer Reihe von Thermenanlagen, Rund­ bauten und in San Lorenzo in Mailand. Das in den Umgängen ver­ borgene Verstrebungssystem finden wir in den Diokletiansthermen und in der Maxentiusbasilika. Dasselbe gilt für die optische und koloristische Auflösung der Innenraumgestaltung, und zwar für die farbigen Marmorplatten und die Bedeckung der Gewölbe mit Mosaiken. Das Goldene Haus des Nero, die H adriansvilla in Tivoli, die stadtrömischen Thermen­ anlagen liefern genug Beispiele, um diese Entlehnungen zu beweisen. Man könnte auf Grund dieser Vergleiche behaupten, daß es keine wesentliche Bauform in der Sophienkirche gibt, die nicht in der römischen Architektur vorgebildet wäre. 2/4008 Byzantinische K unst

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Dasselbe gilt für die blockmäßige Außen Wirkung: das Pantheon in Rom, Minerva Medica, Santa Costanza, die Maxentiusbasilika sind ebenfalls massige monumentale Blockbauten. Selbstverständlich handelt es sich hier nicht etwa um eine direkte Fortsetzung, sondern viel eher um einen Rückgriff auf die monu­ mentale römische Architektur und ihre schöpferische Verarbeitung und Anpassung an neue christlich-liturgische Aufgaben.

Fig. 6 Mailand. San Lorenzo. Gewölbe. Rekonstruktionsversuch

Und nun die östlichen Provinzen des byzantinischen Reiches. Es wäre näherliegend, in der Heimat der beiden Architekten die V or­ stufen der Sophienkirche zu suchen. Aber die östlichen Provinzen ruhen auf anderen architektonischen Traditionen. Die griechische und hellenistische Architektur hatte sich Wölbungsproblemen ver­ schlossen. Durch die römische Eroberung dringen zwar Wölbungs­ probleme in die östlichen Provinzen ein, aber es besteht im allgemei­ nen eine Abneigung gegen das Wölben. Gerade monumentale Anlagen, die man hier zum Vergleich her­ anziehen könnte, um sie mit der Sophienkirche in Zusammenhang zu bringen, waren ungewölbt und mit einer Holzkonstruktion ver­ sehen, wie etwa die Kirchenanlage in Meriamlik, das M artyrium in Rusapha aus dem 6. Jh. (Mesopotamien, Fig. 7), die Domus Aurea Konstantins d. Gr. in Antiochia, die Kathedrale in Bosra (5 12, Syrien), das Baptisterium in Esra (Syrien), das Martyrium in Seleücia Pereira (Antiochia). Diese Tatsache spricht entschieden dafür, daß die Ostprovinzen in der Wölbungsarchitektur nicht führend ge­ wesen sind und daher Byzanz nicht beeinflussen konnten. Findet man aber, wie etwa in Persien, monumentale Wölbungs­ bauten, so z. B. in den Palästen von Firusabad oder Sarvistan (aus

Fig. 7

Rusapha (Mesopotamien). Martyrium. 6. Jh. Grundriß

dem 3. bzw. 5. Jh.), dann stehen sie auf einer viel tieferen Entwick­ lungsstufe (Trompen als Ecklösungen, das Fehlen von Fensteröffnun­ gen), so daß sie keine Vorbilder der Sophienkirche in Konstantino­ pel abgeben konnten. Es scheint eher das Gegenteil der Fall gewesen zu sein, daß näm­ lich die Ostprovinzen von der justinianischen Architektur starke Impulse zur Entwicklung der Wölbungsarchitektur erhalten haben. Die monumentale Johanneskirche in Ephesos als Replik der Apostel­ kirche in Konstantinopel, die Palastanlagen in Kasr ibn Wardan, die Einwölbung der kleinasiatischen Basiliken (Bin-Bir-Kilisse), die mesopotamischen Quertonnenkirchen im T ü r-’Abdin-Gebiet lassen sich alle auf Anregungen der hauptstädtischen Architektur zurück­ führen. Somit erhält man einen weiteren Beweis, daß die monumentale justinianische Architektur in Anlehnung an die weströmische und nicht an die wölbungslose, hellenistisch beeinflußte Architektur der östlichen Provinzen entstanden ist.

Weitere justinianische Kirchenanlagen Die Sophienkirche bildet zugleich Höhepunkt und Vollendung der justinianischen Architektur, aber neben ihr gibt es eine Reihe anderer Lösungen. Im Mittelpunkt steht das bei der Sophienkirche allerdings so glücklich gelöste Problem des Verhältnisses zwischen zentralem Kuppelbau und einer längsgerichteten, tiefenbetonten Anlage. Ein zweites monumentales Beispiel, wo ein Versuch unternommen wurde, einen harmonischen Ausgleich der Raumeinheiten zu er­ reichen, bildete die Apostelkirche in Konstantinopel (536—546). Die Anlage wurde zerstört und mußte einer Moschee Mohameds II. weichen. Ursprünglich hatten wir es mit einer auf einem gleich­ förmigen kreuzförmigen Grundriß verteilten Fünfkuppelkirche zu tun. Auch hier ist ein ausgleichendes Raumverhältnis angestrebt worden. Die Tiefenachse ist durch den Altarraum, der sich unter der mittleren Kuppel befand, weitgehendst abgeschwächt worden. Der Typus hatte weite Verbreitung gefunden. In Kleinasien wurde die Johanneskirche in Ephesos nach dem Vorbild derApostel-

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Fig. 8 Ephesos (Kleinasien). Johanneskirche. Im Anschluß an die Konstantinopler Apostelkirche wohl zwischen jjo und 564 entstanden. Grundriß

Fig. 9 Ephesos (Kleinasien). Johanneskirche. Rekonstruktion

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Fig. io Konstantinopel. Irenenkirche. 532 nach dem Nikaaufstand begonnen. Schnitt

Fig. i i

Konstantinopel. Irenenkirche. Grundriß

kirdie in Konstantinopel errichtet; sie dürfte zwischen 550 und 564 entstanden sein. Es fällt auf, daß hier die Gleichgewichtstendenzen durch die Tiefenerstreckung der Hauptachse, die um eine Kuppel vermehrt wurde, aufgehoben wurden (Fig. 8 und 9). Näher der Apostelkirche in Konstantinopel steht die Markuskirche in Venedig. Es scheint, daß auch illusionistische Auflösungstendenzen, wie etwa in den unten durchbrochenen Hauptpfeilern, auf denen die K up­ peln ruhen, in Venedig von der Apostelkirche in Konstantinopel übernommen wurden, während in der Johanneskirche die Kuppeln auf schweren, massiven Pfeilern ruhen. Eine weitere, längsgerichtete Aneinanderreihung von Kuppeln, die wahrscheinlich auf die justinianische Architektur zurückgeht, finden wir in dem Zweikuppelbau der Georgskirche in Sardes (Klein­ asien) und in dem Dreikuppelbau der Medresse (islamische Hoch­ schule) von H alabiyyah bei Aleppo, die aus einer kirchlichen An­ lage in eine Medresse verwandelt wurde. Eine zweite Schicht von Denkmälern bilden die Kuppelbasiliken. Wir besitzen hier eine Reihe von Anlagen, die schrittweise die Ent­ wicklung verfolgen lassen. Eine frühe Form einer Kuppelbasilika finden wir in der Irenen­ kirche in Konstantinopel (532); ob jedoch das heutige Aussehen dem Ursprungsbau oder dem Umbau aus dem Jahre 564 entspricht, ist schwer zu entscheiden. Ein Vergleich mit der Kuppelbasilika in Philippi, die vor kurzem gründlich untersucht und rekonstruiert wurde (P. Lemerle), würde jedenfalls dafür sprechen, daß die ur­ sprüngliche Form der Irenenkirche aus der justinianischen Zeit stammt (Fig. 10 und 11) . Beide Bauten bestehen aus einer Verbindung von zwei überwölb­ ten Räumen in der Tiefenachse: Der westliche Raum ist mit einer Kalotte überwölbt, der zweite mit einer Kuppel versehen. Also auch hier dasselbe Problem wie in der ganzen frühbyzantinischen Architektur: Verbindung von zentralem Kuppelraum und basilikaler Tiefentendenz. Die Verschiedenheit der Lösung beweist, wie schwer man mit diesem Problem gerungen hat. In der Irenenkirche ist die Tiefentendenz zugunsten der Zentralbauidee zurückgetreten. Der Kalottenraum ist im Vergleich von geringer Länge (kürzer als der Kuppelraum), die Hauptkuppel ist von dem Altarraum durch eine Breittonne getrennt. Im Kalottenraum fehlt außerdem der Umgang. 26

Dagegen macht die Anlage in Phllippi den Eindruck, als ob Basi­ lika und Zentralkuppelraum sich scharf gegenüberstehen würden. Durch die Doppelarkaden des westlichen Kalottenraumes wird die Tiefenrichtung hervorgehoben, und man hat den Eindruck, sich in einer Basilika zu befinden, bis man plötzlich in den Kuppelraum tritt, der sich frei nach den Seiten öffnet und richtige Kreuzarme auf­ weist. Zwischen Kuppel und Apsis schiebt sich kein Tonnengewölbe mehr ein, so daß der Kuppelraum gleichzeitig den Altarraum bildet, Diese Unausgeglichenheit zwischen basilikaler Tiefenrichtung und zentraler Kuppel wird dann in den späteren justinianischen Kuppel­ basiliken ausgeglichen. In der Marienkirche in Ephesos oder der Kuppelbasilika in Kasr ibn Wardan bildet die Kuppel die Mitte zwischen zwei breiten Tonnengewölben. Die Marienkirche in Ephesos, die aus der spätjustinianischen Epoche stammen dürfte, bildet eine ideale Lösung einer Kuppel­ basilika mit der dominierenden mittleren Kuppel und sich leise ab­ zeichnenden Tendenzen einer Kreuzkuppelkirche, die bereits in das nachjustinianische Zeitalter weisen,

DasVerhältnis der frühjustinianischen zur ravennatischen Architektur Die frühbyzantinische Architektur schließt sich an die ältere Phase der mittelrömischen und spätrömischen Architektur an. Wenn man jedoch gleichzeitige Werke der weströmischen Architektur zum Ver­ gleich heranzieht, dann treten Unterschiede in Erscheinung. San Vitale in Ravenna (522—532 unter Bischof Ecclesius errich­ tet, höchstwahrscheinlich nach der Reise des Bischofs nach Konstan­ tinopel 524—526) und Sergius und Bacchus in Konstantinopel (er­ richtet nicht vor dem Regierungsantritt Justinians und Theodoras) sind trotz der Ähnlichkeit in der Grundgestaltung — beide sind zen­ trale Anlagen mit Umgang und Nischenkranz — stilistisch verschie­ den. Sowohl die Außengestaltung als auch die Raumdisposition beider Bauten weisen tiefe Unterschiede auf. Einem in sich geschlossenen Baublock mit einer flachen Kuppel und niedrigem Tambour in Konstantinopel steht ein leichter, oktogonal gegliederter Bau mit hohem Tambour und einem die Kuppel bedeckenden Zeltdach in Ravenna entgegen, ein Bau also, der auf­ strebende vertikale Tendenzen verrät. Dem Kubisch-Blockmäßigen,

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Fig.

ij

Konstantinopel. Sergius- und Bacchuskirche. Grundriß

das in der Sergius- und Bacchuskirche an die Sophienkirche erin­ nert, steht in San Vitale eine Auflösung der Mauerkompaktheit durch flache Lisenen und aus der Mauermasse herausgeschnittene Fensteröffnungen gegenüber. Ähnliche Unterschiede beherrschen die Raumgestaltung. Eine schwere Melonenkuppel, die ihre Vorbilder in den römischen K up­ peln der vorhadrianischen und hadrianischen Zeit (Horti Salustiani, Tivoli H adriansvilla, Piazza d’Oro, Serapeum) besitzt, lastet in der Sergius-Bacchus-Kirche ohne Tambour über dem Raum. Schwere, massive Pfeiler und breite Nischenwölbungen bilden die Stützen der Kuppel. Die Hauptnische ist verhältnismäßig flach und betont die schwere substantiale Raumwirkung (Fig. 12 und 13). Für die schwere, lastende Wirkung des Inneren ist ferner ein stark betonter horizontaler Architrav entscheidend, der um den ganzen Bau herumläuft und auf verhältnismäßig niedrigen Säulen ruht. Durch das reichverkröpfte Gebälk dieses Architravs wird der Bau horizontal wirksam gegliedert, so daß alle aufstrebenden Vertikal­ achsen unterdrückt werden. In diesem horizontalen Gebälk spiegeln sich die letzten ausklingenden Tendenzen der hellenistischen Archi­ tektur in Konstantinopel. In allen anderen späteren justinianischen Anlagen werden sie durch Bogenstellungen und Arkaden überwun­ den (Abb. 3 und 4). Grundverschieden ist der Raumeindruck von San Vitale. Ein hoher Tambour, schmale Nischen, gegen das Innere zu sich versdimälernde Hauptpfeiler, schlanke Säulen und Bogenstellungen in den Nischen und das Fehlen eines horizontal gliedernden Gebälkes, zuletzt die Tiefe des Altarraumes und Verwendung von sieben statt von vier Nischen und ein breiterer Umgang rufen einen ganz ver­ schiedenen Raumeindruck hervor. Die auf lösenden Vertikal tendenzen, die weitgehende Aufhebung der Mauersubstanz durch den ununterbrochenen Nischenkranz, die Steigerung der optischen Lichtund Schattenwirkung durch die Tiefe des Umgangs beweisen, daß in der ravennatischen Architektur die spätantiken Entstofflichungstendenzen einen höheren Grad der Vollkommenheit erreicht haben als in der frühjustinianischen Architektur. Bezeichnend für das Verhältnis der frühbyzantinischen zur raven­ natischen Architektur ist die Tatsache, daß die Umgänge von San Vitale erst durch die Byzantiner nach der Eroberung Ravennas ge­ wölbt wurden. Es ist anzunehmen, daß auch die Strebebogen aus

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dieser Zelt stammen. Dieser Stilunterschied bestätigt vollends die Tatsache der früheren, von Konstantinopel unabhängigen Entste­ hungszeit von San Vitale (vgl. Ullstein Kunstgeschichte, Band VII, Abb. 25, 27 und 28),

Fig. 14 Wagharschapat bei Etschmiadsin (Armenien). Hripsimekirche 618. System

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Der Einfluß von Byzanz auf die Baukunst Armeniens Die wichtigste orientalische Provinz neben Kleinasien, Syrien und Palästina, die mit der Kunst der byzantinischen Metropole im Zu­ sammenhang steht, ist wohl Armenien. Zweifelsohne nimmt Armenien nicht nur kirchengeschichtlich, sondern auch kunstgeschichtlich eine Sonderstellung gegenüber den anderen Ostprovinzen ein: es kreuzen sich hier mehrere Einflüsse, auf die man bereits hingewiesen hat, und zwar palästinische, syrische und byzantinische. Es ist nur die Frage, welches Gebiet die Grund­ lagen der Kunstentwicklung Armeniens gebildet hat. Die früharmenische Architektur, die erst im 6. bis 7. Jh . in E r­ scheinung tritt, weist in ihren Anfängen einen auffallenden Reich­ tum an architektonischen Formen auf. Man begegnet hier gewölbten, einschiffigen Basiliken (Burgkirche in Ani, 622) oder dreischiffigen (Ereruk 6. Jh ., Eghiward 7. Jh.), die sich sichtlich in ihrer strengen tektonischen Gliederung an Syrien anlehnen. Dreipaßartige Kuppelkirchen treten in Dvin {606—6 11) , in der Kathedrale in Thalin (7. Jh.) auf; diese Bauform verbindet sie mit ähnlichen Anlagen anderer Gebiete (wie z. B. dem roten oder wei­ ßen Kloster in Ägypten, der Kirche des Theodosiosklosters bei Jeru­ salem, wo allerdings der Trikonchos in reinerer Form in Erscheinung tritt). Weite Verbreitung fanden längsgerichtete Kreuzkuppelkir­ chen (Mren, 638—640, und Bagawan). Einen besonderen Reichtum an Lösungen weisen die Zentralbau­ ten auf. Man findet hier eine ganze Reihe von dreipaß- (Alaman, 637, Thalin, 7. Jh.) oder vierpaßartigen Anlagen (Etschmiadsin, Kathedrale, Umbau 6 1 1 —628, Bagaran, 624—6 31, Mastara, Mitte 7. Jh ., Agrak, Mitte 7. Jh.) vor. Die vier paß artigen Anlagen sind entweder mit einer auf vier freien Stützen ruhenden Kuppel (Etschmiadsin nach dem Umbau, Bagaran) oder ohne Freistützen (Mastara, Agrak) überwölbt. Eine besondere Vielfältigkeit an Lösungen besitzen Zentralanlagen mit

Farbtafel 11 Konstantinopel. Kachrije-Djami (Chorakirche). Wand­ mosaik im Exonarthex. Flucht nach Ägypten. Zwischen 13 10 und 1320. Vgl. Abb. 17

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Nischenkranz, wo kleinere und größere Nischen alternieren und runde oder quadratische Eckräume aus der Mauermasse ausgespart werden. Der mittlere Raum wird von einer Kuppel überwölbt (Hripsimekirche in Wagharschapat bei Etschmiadsin, 618, Fig. 14 ; A van, 557—574; Mzchet, 619 —639). Ferner gibt es eine Reihe von reinen Rundbauten, die allerdings später entstanden sind (Irind, Achtpaß 7. Jh. [?]; Gregorkirche in Ani, Mitte 10. Jh.) und Rundbauten mit eingestelltem Vierpaß in ein Rund mit Umgang (Palastkirche in Zwartnotz, 641—661). Manche Forscher wurden durch den Reichtum der hier vorherr­ schenden Bauformen bewogen, in ihnen eine Schöpfung armenischer Architektur zu erblicken (Strzygowski). Aber ein vergleichender Blick auf ähnliche Lösungen der mittelmeerländischen Architektur und eine historische Auseinandersetzung mit diesen Problemen ge­ langt zu anderen Resultaten. Die Bevorzugung der Kuppelwölbung mit Pendentifs auf freien Stützen ist nichts Neues, und sie wurde auf dem Weg über Byzanz nach Armenien eingeführt. Dasselbe gilt von der Kreuzkuppelkirche. Drei- und vierpaßartige Anlagen, Rundbauten mit Nischenkranz, mit oder ohne Umgang, sind im ganzen Mittelmeergebiet lange vor der Entstehung der armenischen Architektur ausgebreitet gewesen. Aber auch die reiche Nischenauflösung des Innenraumes und die Aussparung von runden oder quadratischen Eckräumen aus der Mauermasse ist keine armenische Erfindung. Man findet eine ganze Reihe von antik-römischen Anlagen, die sich in Zeichnungen Montanos, Bramantinos und anderer Renaissancearchitekten erhalten haben, die den armenischen Anlagen auffallend ähnlich sind. Aber der Beweis kann noch enger geführt werden. Wir besitzen auch eine Reihe von Bauten in Griechenland und Byzanz, die diese Formen aufweisen. Die Kirchenanlage des hl. Demetrios in Euböa, Porta Panagia in Trikalla, die sog. Mugliotissa in Konstantinopel, die Panagia Kamariotissa auf der Insel Chalke und eine Reihe anderer Bauten beweisen, daß diese reichhaltigen Bauformen in verschiede^ nen Bauperioden auf treten und auf ein gemeinsames antikes und spätantikes Erbe hinweisen. Auch Armenien kann nicht aus diesem gemeinsamen mittelmeer­ ländisch-antiken Erbe ausgeschieden werden. Es spricht vieles dafür, daß Byzanz dieses Erbe auf dem Gebiet der Baukunst ihm über­ mittelt hat. Das frühe Auftreten dieser Bauformen in Konstantino­

3/4008 Byzantinisdie Kunst

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pel (Martyrium der Euphemia aus dem 5. Jh.), griechische Inschrif­ ten und Adlerkapitelle in der Gregorkirche in Zwartnotz, sowie der Umstand, daß der Erbauer der Kirche, Katholikos Nerses III., in Griechenland erzogen wurde, Sprache und Literatur bei den Byzan­ tinern studiert hat, bekräftigen die engen Beziehungen Armeniens zu Byzanz.

Frühbyzantinische Mosaikmalerei und Anfänge der Ikonenmalerei Im Gegensatz zur Architektur hat sich aus der justinianischen Periode an monumentalen Wandmalereien in Konstantinopel und in den östlichen Provinzen so wenig erhalten, daß man kaum ein geschlossenes Bild davon erhalten kann. Der große Mosaikzyklus in der Apostelkirche in Konstantinopel hat sich nicht erhalten. Wir kennen ihn nur aus Beschreibungen des Konstantinos Rodios aus dem Anfang des 10. Jh. und des Nikolaus Mesarites aus den Jahren 119 9 —1203. A uf Grund dieser Beschrei­ bungen ist eine Scheidung zwischen den justinianischen Mosaiken des 6. Jh . und denjenigen des n . und 12. Jh ., die bereits mehrmals versucht wurde, äußerst schwierig. Als justinianisch kann der episch-erzählende Stil bezeichnet wer­ den, der in den Beschreibungen hervorgehoben wird. Es sind Szenen aus dem Leben Christi und der Apostel (Szenen vor der Passion, Passionsszenen, Szenen nach der Auferstehung und die Schilderun­ gen aus dem Leben der Apostel), die in zyklisch-historischer Ab­ folge dargestellt wurden. H ier tritt der justinianische Stil in Erscheinung, der eine Fort­ setzung des historisch-erzählenden Stils bildet, der, von der konstantinischen Zeit angefangen, die Wände der altchristlichen Basili­ ken geschmückt hat. Man findet diesen Stil auch in den Beschreibungen der Sergiusbasilika von Gaza bei Chorikios. Es setzt sich hier die altchristliche Tradition fort, die sich auf dem Weg über die konstantinischen Stiftungen in Konstantinopel und Palästina in allen öst­ lichen Provinzen ausbreitet. In dieser Hinsicht weist die Malerei eine Parallelerscheinung zur konstantinischen Architektur auf. Sie bildet mit der Architektur gemeinsam die universale Grundlage der ganzen Kunst im Mittelmeerkreis und darüber hinaus in allen sich an diese Kunstökumene anschließenden Ländern.

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Diese Tatsache ist insoweit von einer großen Bedeutung, als sie in der Übereinstimmung der Kompositionen und der Themen der Malwerke aller dieser weitauseinanderliegenden Länder und Gebiete ihre Bestätigung findet. Man kann hier nochmals darauf hinweisen, welche entscheidende Bedeutung für die Geschichte der Kunst der östlichen und westlichen Mittelmeergebiete die konstantinische und nachkonstantinische Kunst besessen hat. Sie w ar das große univer­ sale Bindeglied, das weit über die altchristliche Zeit hinaus bis tief ins Mittelalter nachwirkte. Es ist nur zu bedauern, daß dieses bedeutsame Denkmal der Male­ rei in der Apostelkirche sich nicht erhalten hat und man sich somit keine richtige Vorstellung von den künstlerischen Qualitäten der monumentalen Malerei der justinianischen Epoche in Konstantinopel machen kann. Wir besitzen in den alten Beschreibungen eben nur Hinweise auf Themen und Inhalte der Darstellungen. Die Werke, die sich im Ostreich aus dieser Zeit erhalten haben, sind wiederum zu unbedeutend oder weitgehend umgearbeitet wor­ den, so daß auch hier keine Möglichkeit besteht, ein volles Bild von der Malerei dieser Epoche zu erhalten. N u r wenige Mosaiken aus der Demetriusbasilika in Saloniki haben den Brand im Jahre 19 18 überstanden. Es sind einige Mosaik­ malereien an den Nebenschiffswänden mit Darstellungen der thro­ nenden Maria zwischen Engeln, des hl. Demetrius oder der M a­ donna als Orantin. Diese Mosaiken dürften aus dem 6. Jh. stammen und zeigen eine gewisse stilistische Ähnlichkeit mit den Mosaiken von Sant’ Apollinare Nuovo in Ravenna. Was sie jedoch von den ravennatischen Darstellungen unterscheidet, ist die thematisch unzusammenhängende Darstellungsart, die gemeinsam mit kleineren Stifterfiguren darauf schließen läßt, daß wir es hier mit ex-votoDarstellungen zu tun haben. Was die Qualität anbelangt, so ver­ raten sie eher ein provinzielles Gepräge. Eine bessere Qualität besitzen die größeren Mosaikdarstellungen an den Eingangspfeilern der Basilika. Dargestellt sind einzelne ganzfigurige Heilige, wie der hl. Sergius, ferner der hl. Demetrius mit zwei Kindern und die schönste Darstellung, der hl. Demetrius zwischen einem Bischof und Stadtpräfekten. Wenn auch diese D ar­ stellungen nach einem Brande im 7. Jh . entstanden sind, repräsen­ tieren sie den strengen ikonenhaften Stil. Ganz unbeweglich, fast starr in frontaler Isolierung stehen die Figuren vor dem Beschauer. 3*

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Vergleicht man sie mit dem Justinianbildnis in Ravenna, so merkt man die fortgeschrittene Bewegungslosigkeit bei gleichzeitiger gei­ stiger Konzentrierung. Jede Bewegung würde nur von dem pneu­ matischen Erfülltsein der Figuren ablenken. Auch in den Bewegun­ gen tritt uns eine Gebundenheit entgegen. Die Gewänder sind reich mit Gold- und Silberfäden durchwirkt, aber flach gehalten. Beim Bischof tritt bereits eine in parallelen Linien gemalte stilisierte Ab­ straktion der Gewandung auf (Abb. 6). Eine größere Komposition der Verklärung Christi hat sich im Katherinenkloster auf dem Berg Sinai erhalten. In der Apsis ist Christus in einer blauen Mandorla, zu seinen Füßen sind drei stür­ zende Apostel, rechts und links Moses und Elias dargestellt. Die Figuren heben sich von einem silbernen Hintergrund ab und werden von einer Bordüre mit Heiligenmedaillons, die an Ravenna er­ innern, eingerahmt. Im Triumphbogen kommt Moses zweimal vor: einmal vor dem brennenden Dornbusch, das zweite M al vor dem heiligen Berg, die Gesetzestafeln haltend. Eine Inschrift nennt einen Abt Longin und Presbyter Theodor als Stifter der Mosaiken. Die Entstehungszeit ist allein aus den Namen nicht zu ermitteln. Es bestehen jedoch stilistische Bedenken gegen die Ansetzung der Mosaiken in die spätjustinianische Epoche (565). Die Figuren er­ innern in ihrer heftigen Bewegung, ihren abgerundeten K örperfor­ men, der weichen Modellierung der Gewandung, ferner in ihren derben Händen und hölzernen Füßen nicht annähernd an Werke des 6. Jh ., z. B. in Ravenna. Auch der bärtige, morose K o p f Christi hat keine Stilparallelen im 6. Jahrhundert. Es ist daher anzuneh­ men, daß die mittlere Darstellung der Verklärung ganz umgearbei­ tet oder überhaupt später entstanden ist. A uf die frühbyzantinische Zeit gehen auch die Anfänge der Ikonenmalerei zurück. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, daß der Stil der Ikonen in der frühbyzantinischen Zeit plötzlich und unvermittelt entstanden ist. Vielmehr hat sich das »Ikonenhafte« bereits in der spätantiken Kunst vorbereitet und hängt mit den allgemeinen Tendenzen zur Hieratisierung, Entsinnlichung und pneumatischer Erfüllung der dargestellten menschlichen Gesichter zusammen. Es unterliegt auch keinem Zw eifel, daß das spätantike Porträt diese neuen Tendenzen vorbereitet hat. Man kann es sowohl an römischen Porträts (Museo Civico in Brescia) als auch an einer

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Reihe von sog. Mumienporträts aus dem 2. bis 4. Jh . n. Chr., die in El-Fajum in Ägypten gefunden wurden, beobachten. Die Porträts von El-Fajum weisen eine fortschreitende Zurückdrängung der impressionistisch individualisierenden, auf pompejanische Grundlagen zurückgehenden Malerei auf. Die freie Be­ wegung wird immer stärker durch eine unbewegliche frontale Haltung ersetzt, die plastische Wirkung wird in eine flächige um­ gesetzt, die Linie ersetzt die Farbe, große offene, auf den Beschauer geradeaus gerichtete Augen verraten ein geistig-pneumatisches E r­ fülltsein, das sich auf den Beschauer überträgt (Abb. 10). H ier liegen Ansatzpunkte zur Entstehung einer Ikonenmalerei im Ostreich. Das Porträt wird auf die Darstellung heiliger Personen und M ärtyrer übertragen, verliert immer mehr an rein individuell­ porträtmäßigen Zügen und projiziert diese in ein idealtypisiertes Heiligenbild. Auch die technische Ausführung der frühen Ikonenmalerei hängt mit ihrer Deckfarbenmalerei mit der Enkaustik der spätantiken Porträts in El-Fajum zusammen. Aus der frühen Zeit haben sich nur wenige Denkmäler der Iko­ nenmalerei erhalten. Sie befanden sich ursprünglich im Katharinen­ kloster am Sinai und wurden später nach K iev übergeführt. Eine relativ gut erhaltene Ikone dieser Kiever Sammlung (heute in Moskau), welche die hl. Sergius und Bacchus darsteilt, kann trotz späterer Übermalungen den Stil einer Ikone aus dem 7. Jh . am besten veranschaulichen. Streng frontal, bewegungslos sind die beiden Heiligen in Büsten­ form dargestellt worden. Ihre ganze Wirkung konzentriert sich auf die Köpfe. Es ist etwas Erstarrt-Maskenhaftes, das diesen Köpfen innewohnt, und das Individuelle ist weitgehendst zurückgedrängt, so daß sich beide Köpfe beinahe angleichen. Ein antikes Schönheits­ ideal schimmert wie von ferne durch. Die plastische Durchbildung ist durch Fläche und Linie ersetzt (Gewand, Haare). Im Gegensatz zur unbeweglichen Erstarrung organischer Körperformen stehen die großen, pneumatisch erfüllten Augen. D er Ikonenstil sagt sich hier bereits voll an (Abb. 12).

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D ie M ittelbyzantinische K unst

Allgemeine Voraussetzungen Die mittelbyzantinisclie Periode bildet einen mächtigen poli­ tischen Aufschwung des byzantinischen Reiches nach der schweren Krise des Ikonoklastenstreites. Stark profilierte Kaiserpersönlichkeiten der Makedonischen D y ­ nastie, wie Basileios I. (867—886), Leon V I. (886—9 12), Konstan­ tin V II. (9 13—959), Porphyrogennetos und Basileios II., haben neue Grundlagen für die Erhaltung und Erweiterung des byzantinischen Staates geschaffen. Nicht nur der Vorstoß der arabischen Welt in den orientalischen Provinzen wird aufgehalten, sondern die Balkanländer müssen nach Unterwerfung Bulgariens die Oberhoheit von Byzanz anerkennen. Aber nicht nur politisch bedeutet diese Periode eine Stärkung des Reiches, sondern es macht sich auch ein bedeutender geistig-religiöser Aufschwung bemerkbar. Die Folge dieses Aufschwunges und der wiedererneuerten universalen Ansprüche der Ostkirche unter dem Patriarchen Photios ist der Bruch mit der römischen Kirche. Kompensiert wird dieser Bruch durch eine äußerst geschickte Gewinnung der slawischen Völker für die östliche Kirche und Liturgie durch die Einführung der kirchenslawischen Sprache. A u f dem Weg über die orthodoxe Kirche werden Riesengebiete für die Ausbreitung der byzantinischen Kultur, also der ganze Balkan und Rußland, gewonnen. Der kirchliche und kulturelle Universalismus von Byzanz wendet sich nun dem Osten zu. Auch im Innern des Reiches ist eine geistige und kulturelle Erneuerung feststellbar. Die Größe des Begründers des sich erneuernden Reiches, Basileios’ I., besteht darin, daß er die römische Reichstradition und Gesetzgebung mit der Erneuerung der griechischen Kultur zu ver­ binden sucht und so neue Grundlagen schafft, die bis zum Untergang des Reiches standgehalten haben (Ostrogorsky). Der feinsinnige und kunstliebende Konstantin Porphyrogennetos bildet den Mittelpunkt von wissenschaftlich-humanistischen Studien, und man geht nicht zu weit, wenn man die sog. »Renaissanceerschei­ nungen« in der bildenden Kunst mit seinem Wirken in Zusammen­ hang bringt.

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Den Höhepunkt erreicht dieser politische und kulturelle A u f­ schwung von Byzanz unter Basileios II. (976—1025). Die Bestrebungen zur Erhaltung der neu wiedergewonnenen Stel­ lung von Byzanz werden auch in der Komnenenzeit (10 8 1—118 5 ) fortgesetzt. Dazu kommt noch ein neuer Kontakt mit dem Abendland, der durch die Kreuzfahrer eingeleitet wurde. Auch in dieser Periode treten bedeutende Kaiser auf, z. B. Alexios I. und Manuel I. Die Tradition des byzantinischen Humanismus wird von der Tochter Alexius5 1., Anna Komnena, fortgesetzt. Nichtsdestoweniger zeigen sich bereits im politisch-gesellschaftlichen Leben Risse, die auf einen nahenden Zusammenbruch hindeuten, der auch tatsächlich durch die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer erfolgt.

Entstehung und Bedeutung der Kreuzkuppelkirche Die Entstehung der Kreuzkuppelkirche geht auf’ den Beginn der justinianischen Architektur zurück. Die Kuppelbasiliken in Philippi, die Irenenkirche in Konstantinopel und die Marienkirche in Ephesos bilden direkte Vorstufen der Kreuzkuppelkirche, die sich zum herr­ schenden Bautypus der mittelbyzantinischen Architektur ausgebildet hat. Wie in der justinianischen Architektur im allgemeinen, so hat es sich auch in der Kuppelbasilika um die Verbindung einer basilikalen Anlage mit einer zentralen Kuppelanlage gehandelt. Wir haben es mit dreischiffigen, längsgerichteten Anlagen zu tun, auf die im Hauptschiff eine Kuppel aufgestülpt worden ist. Also im Grunde genommen ein Versuch der Verschmelzung beider Bau­ gestaltungsformen. Daß diese Verquickung der grundverschiedenen Bauideen mit Ausnahme der Sophienkirche keine endgültige Lösung gefunden hat, beweisen die verschiedenen Lösungen desselben Pro­ blems in den Anlagen der Irenenkirche in Konstantinopel, in Phi­ lippi und in der Marienkirche in Ephesos. Demgegenüber vollzieht sich in einer Reihe von Übergangsbau­ ten, und zwar in der Sophienkirche in Saloniki (errichtet in der nachjustinianischen Periode), in der Koimesiskirche in N ikäa ( 7 —8. Jahrhundert) und in der Kalender-Djami in Konstantinopel, die mit der Kirche des Akataleptosklosters heute identifiziert wird (850 da­

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tiert), eine Wandlung, die auf eine strengere Zentralisierung der Kuppelbasilika hinzielt und somit die Kreuzkuppelkirche der mitmelbyzantinischen Zeit vorbereitet. Diese Wandlung äußert sich darin, daß der zentrale Kuppelteil eine beherrschende Rolle im Bauorganismus zu spielen beginnt. In allen drei erwähnten Anlagen sind die basilikalen, längsgerichteten Tendenzen weitgehendst zurückgegangen: der eigentliche Ge­ meinderaum besteht nunmehr aus dem Kuppelraum und den über das Kreuz verlängerten (tieferen und seichteren) Tonnengewölben und massiven oder durchbrochenen Pfeilern, auf denen die Haupt­ kuppel ruht. Also bereits im Kuppelraum sind die basilikalen Tie­ fentendenzen, wie sie etwa in den justinianischen Kuppelbasiliken vorgeherrscht haben, weitgehendst durch den Zentralkuppelraum ausgeschaltet. Ebenso grundsätzlich anders ist das Verhältnis der Umgänge zum zentralen Kuppelraum. Entscheidend ist, daß die basilikalen Neben­ schiffe sich in Umgänge verwandelt haben, die sowohl mit der breiten Vorhalle als auch mit den östlichen Eckräumen und dem Altarraum verbunden werden. Es entsteht also ein Kranz von Um­ gängen um die zentrale Kuppel, wodurch der Bau einen dem Qua­ drat angenäherten Grundriß erhält. Besonders klar treten diese neuen Tendenzen in der Sophienkirche in Saloniki und der Koimesiskirche in N ikäa zutage. Der einzige Überrest der basilikalen Anlage, die Säulen und Arkadenstellungen, befinden sich nun im Gegensatz etwa zur Irenenkirche in K on­ stantinopel am Ende der südlichen und nördlichen Tonnengewölbe, so daß sie ihre entscheidende Tiefenrichtung, oder noch klarer aus­ gedrückt, Tiefenrhythmisierung als Hauptbestandteil einer Basilika verlieren. Zu voller, ungestörter Wirkung dagegen gelangt der K up­ pelraum mit seinen über Kreuz geführten Tonnengewölben (Fig. 15). Wie klar diese zentrale Raumpartie nun mit einem Kuppelorga­ nismus zusammenhängt, beweisen die Stützen. Sie werden nicht mehr verdeckt, sondern offengelassen, so daß ihre stützende Funk­ tion sehr stark in Erscheinung tritt (z. B. in Saloniki, wo man diese Stützen mit Recht als Elefantenfüße bezeichnet hat). Im Gegensatz zu dem hochentwickelten Verstrebungssystem der justinianischen Architektur ist es bezeichnend, daß die Last der Kuppel nun auf ihren eigenen, im Innern sichtbaren Stützen ruht, mögen sie wie in N ikäa massiv oder wie in der Kalen der-Djami in Konstantinopel 40

durchbrochen sein. Wir haben es hier daher mit einer vollkommenen Loslösung des Kuppelraumes als selbständigen Bauorganismus von einer basilikalen Bauform zu tun. Man hat den Eindruck, daß in diesen Bauten der streng zentrale Baugedanke über den basilikalen den Sieg davongetragen und gleichzeitig zu einer Entfremdung von der westlichen Architektur geführt hat. War die ganze justinianische Reichsarchitektur ein Kom ­ promiß zwischen Ost und West, so scheint es, daß der Westen mit seinen längsgerichteten Tiefentendenzen in diesen Übergangsbauten zurückgedrängt worden ist. Es bildet sich eine Raumgeschlossenheit aus, die alle rhythmischen Tiefentendenzen und jede Bewegung im Raume weitgehendst unterdrückt. Als Erbe der justinianischen Periode kann jedoch sowohl die E r­ hebung des Raumes zum wichtigsten Element der Architektur als auch die farbig-koloristische und optische Auflösung dieses Raumes bezeichnet werden. In der Ausschmückung der Kalender-Djami, soweit sie sich noch erhalten hat, kann man die Verkleidung der

Fig. i $

Saloniki. Sophienkirche. Nach justinianisch. Grundriß und System

Mauern mit farbigen Marmor- und Porphyrplatten und eine ähn­ liche Feldereinteilung wie in der Sophienkirche in Konstantinopel beobachten. Die Gewölbe und die Kuppeln waren, wie man es noch in der Sophienkirche in Saloniki sieht, mit Mosaiken bedeckt. Die farbig-illusionistische Raumbehandlung hat sich in der Architektur der Übergangszeit und von hier aus in der mittel- und spätbyzanti­ nischen Architektur fortgesetzt. Auch die kubisch-blockmäßige Außengestaltung der justinianischen Architektur setzt sich, wie man das aus allen drei Übergangsbauten ersieht, fort. Daß die aus diesen Übergangsbauten hervorgehende Kreuzkuppelbasilika in der haupt­ städtischen Architektur und nicht in den byzantinischen Provinzen entstanden ist, beweist eine Reihe von kleinasiatischen Anlagen. Die Kuppelbasilika in Meriamlik, die man in die Zeit Zenons (474—491) verlegte, die aber ihrer ganzen Formgestaltung nach eher im 6. als im 5. Jh . entstanden sein dürfte, schließt sich der Gruppe justinianischer Kuppelbasiliken (Irenenkirche, Philippi) an. Daß sie jedoch kaum als Vorbild derselben auf gef aßt werden darf, beweist die Folgerung, daß der quadratische Raum vor der Apsis mangels aller Schuttreste mit einem Zeltdach und nicht mit einer gewölbten Kuppel versehen war. Eine weitere Bestätigung, daß die hauptstädtische Kuppelbasilika in Kleinasien ungewölbt und mit einem Zeltdach überdeckt ge­ wesen ist, liefert die Anlage in Kodja Kalessi in Isaurien, wo nach­ weisbar die mittlere Partie mit einer Dachkonstruktion überdeckt gewesen ist. Die Anlage ist nicht datiert, dürfte aber in die Zeit der Entstehung der hauptstädtischen Kuppelbasilika fallen, demnach schwerlich vor dem 6. Jh. entstanden sein (Fig. 16). Auch spätere Anlagen in Kleinasien zeigen eine retardierende Tendenz, wie z. B. die Klosteranlage in Dere Ashy in Lykien. Der Bau schließt sich, obwohl er im 8. Jh . entstanden sein dürfte, noch den kuppelbasikalen Anlagen, etwa der Irenenkirche in Konstantino'pel, an. Die Dreischiffigkeit ist noch gut erkennbar, und die Form der kreuzartigen Bildung der Tonnengewölbe tritt wie in der Irenenkirche erst über den südlichen und nördlichen Bogenstellun­ gen zutage. In allen erwähnten Anlagen sind Ansätze zur Ausbildung einer Kreuzkuppelkirche vorhanden, aber erst in der Zeit der makedo­ nischen und komnenischen Dynastie tritt der klassische Typus einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche auf. 42



Fig. 16 Kodja Kalessi (Isaurien ). Basilika mit Holzkuppel. 6. Jh . Grundriß

Weder die Kirche der Theodosia (sog. Rosenmoschee) in Konstan­ tinopel, aus dem 8 —9. Jh ., noch die Anlage in Skripu aus der make­ donischen Zeit, eine Stiftung des Protospathar Leo aus den Jahren 873/74, bilden ausgesprochene Kreuzkuppelkirchen. Die Kirche der Theodosia — verstümmelt durch zahllose Umbau­ ten aus byzantinischer und türkischer Zeit — dürfte in dem alten Kern mit sehr massiven Innenstützen und breiten Umgängen auf die kuppelbasilikalen Anlagen des 6. und 7. Jh . zurückgehen und muß als Prototyp der Kreuzkuppelkirche ausscheiden. Dasselbe gilt für die Anlage in Skripu in Böotien. In Skripu und ähnlichen Anlagen auf dem Balkan, wie z. B. der Johanneskirche in Mesembria, haben wir es mit einer archaisierenden Tendenz, einer Verbindung von langgestreckten, tonnenüberwölbten Nebenschif­ fen und einer durch Tonnen angedeuteten Kreuzform mit einer Kuppel in der Vierung zu tun. Es ist eine gezwungene Verbindung von Basilika und kreuzkuppelartiger Bauform vorhanden, die auf eine provinzielle Lösung hinweist, die zwar auf die Balkanländer einen Einfluß ausübte, aber keinesfalls als Ausgangspunkt einer neuen Lösung der Kreuzkuppelkirche bezeichnet werden kann. Es ist z. B. besonders bezeichnend, wie die Kuppel hier nicht etwa auf selbständigen Stützen, sondern auf undifferenzierten Mauern ruht und daher in dieser Hinsicht keinen Fortschritt gegenüber der K up­ pelbasilika bildet. Wann jedoch die »klassische« Kreuzkuppelkirche in der Haupt­ stadt zum erstenmal in Erscheinung getreten ist, ist schwer zu sagen,

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da eine der wichtigsten Bauanlagen der makedonischen Epoche, die sog. Nea Basileios’ I. sich nur in Beschreibungen erhalten hat. Die Nea (Weihe 881), die wir aus den Beschreibungen des Zeremonien­ buches des Konstantinos Porphyrogennetos kennen, dürfte aber eine fünfschiffige, nicht eine dreischiffige Anlage gewesen sein, so daß sie in dieser Hinsicht kein direktes Vorbild der dreischiffigen Kreuzkuppelkirchen bilden konnte. Aber die neuen konstruktiven und baukünstlerischen Probleme, die sich auf das neue Verhältnis der Kuppel zu den Stützen und eine neue Raumgestaltung bezogen haben, scheinen in der Nea tatsächlich den Typus der klassischen byzantinischen Kreuzkuppelkirche bestimmt zu haben. Aus der Beschreibung geht hervor, daß die Nea fünf Kuppeln und einen ziemlich freien Blick auf die Gewölbe ermöglichte, was allerdings dafür sprechen würde, daß hier bereits ausgebildete Ecklösungen und freie Stützen angewendet wurden. Besser als aus den Beschreibungen kann man diese wichtigen Neuerungen an folgenden erhaltenen und bedeutenden Bauten Konstantinopels der makedonischen und komnenischen Periode beobachten: der Stiftung des Romanos Lekapenos, der Kirche des Myreleionklosters (sog. Bodrum Djami, 920—944), dem Agios Theodoros (sog. Kilisse-Djami aus der zweiten Hälfte des 1 1 . Jh.), der Kirche des Pantepoptu — des Allüberschaubaren Christus (EskiImaret-Djami), einer Stiftung der Anna Dukäna (10 8 1—1 1 1 8 ) und dem monumentalsten Bau aus der Zeit der Komnenen, dem Panto­ kratorkloster (Zeirek-Djami), einer Stiftung Johannes’ II. Komnenos ( 1 1 1 8 —114 3 ) und seiner Gemahlin Irene. Eine dreischiffige Anlage mit Umgang hat sich, neuen Forschungen zufolge, in der N ord­ kirche der Fenari-Issa-Djami, in der man eine Stiftung Konstantin Lips aus dem 10. Jh . erblickt, erhalten. Am anschaulichsten spiegeln sich diese neuen Bauideen in der Kirche des Agios Theodoros und der Südkirche des Pantokrator­ klosters wider (Fig. 17). Im Gegensatz zu den Übergangsbauten bemächtigt sich nun eine neue Raumgestaltung der Kreuzkuppelkirche. Die alte Tendenz, die konkrete geschlossene Raumsubstanz zu entstofflichen, tritt uns in diesen neuen Bauten entgegen. Sie äußert sich in neuen Verräumlichungstendenzen im Gegensatz zu den stark zentralisierten A n ­ lagen der Übergangsbauten, etwa in der Sophienkirche in Saloniki. Diese Neuerungen bestehen im folgenden: Ersetzung der schwe-

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Fig.

ly Konstantinopel. Kilisse-Djami (Agios Theodoros). Kernbau (schwarz) io V o r h a lle (schraffiert) 13. Jh . Grundriß

ren, massigen, im Mauerverband verankerten Stützen durch dünne Pfeiler oder gar Säulen (Theodoroskirdie, die ursprünglichen Säu­ len der Südkirche des Pantokratorklosters), Befreiung der Eck­ lösungen aus ihrer Gebundenheit mit der Mauermasse. Die Eck­ lösungen werden durch Arkaden an allen drei Seiten durchbrochen und als Raumeinheit durch Kuppeln hervorgehoben, so daß die Trennung zwischen Umgängen und Hauptschiff, wie sie noch in der Sophienkirche in Saloniki besteht, aufgehoben wird. Zuletzt öffnen sich der Altarraum und die beiden Apsiden dem Gemeinderaum zu, so daß statt der Isolierung und Zentralisierung die Tiefentendenzen 45

stärker in Erscheinung treten. Damit wird die Längsrichtung der Anlage stärker hervorgehoben. Wenn man alle diese einschneidenden Neuerungen zusammen­ faßt, dann ergibt sich, daß die Kreuzform der Tonnengewölbe mit der Kuppel in der Mitte den ganzen Bauorganismus durchdringt: sowohl räumlich als konstruktiv. In den Übergangsbauten könnte man die Umgänge, die Apsiden und die Vorhalle entfernen, und der mittlere Kern mit der Kuppel würde unversehrt weiterbestehen. In dem neuen Typus greift nun ein Teil in den andern so stark ein, daß hier eine Entfernung eines Teiles ohne Einsturz des andern un­ möglich wäre. Der Bau besteht nicht mehr aus einem Kern und einer Ummantelung des Kerns, sondern alles gehört zum Kern. Auch die Last der Kuppel ruht nun nicht mehr auf den massiven Innenstüt­ zen, sondern die Last verteilt sich auf die Ecklösungen und sogar auf die Außenwände. Man kehrt eigentlich zu dem frühbyzanti­ nischen System der Verstrebungen zurück, obwohl man dieselben vor den Augen des Beschauers nicht verdeckt. Man erfindet eben ein neues Verhältnis von Last und Stütze, indem man bis zum äußersten die Stützen entlastet, d. h. dünne Pfeiler oder gar Säulen als Stützen der Kuppel einführt. Die Folge dieses künstlichen Entlastungssystems ist eine weit­ gehendste Verräumlichung des ganzen Innenraumes. Von allen Sei­ ten zu öffnet sich der Raum, weil keine schweren und massiven Stützen den Raumeindruck versperren. Auch der Tiefe nach wird der Raum übersichtlicher, indem er sich hintereinander staffelt. Trotz aller Zentralität kommen wieder Tiefenwirkungen des R au­ mes auf. Und als letzte Neuerung kann die aufstrebende Tendenz der ganzen Anlage bezeichnet werden. Dazu trägt die Längsstreckung schmaler Arkaden mit hohen Bogenstellungen bei sowie die ver­ tikalen Tendenzen der Säulen als Stützen der Kuppel, ein hoher Tambour und eine kleine, aber steil abschließende Kuppel. Die schwere massive Kuppel der Übergangsbauten wird auf gegeben, und an ihre Stelle tritt eine leichte, in die Höhe gezogene Kuppel von geringem Umfang. Der Bau wird nun nicht nur der Tiefe nach, sondern auch der Höhe nach akzentuiert. Durch zwei charakteristische Stileigenschaften zeichnet sich die »klassische« byzantinische Kreuzkuppelbasilika aus: durch eine neue Verräumlichung, das heißt, daß der ganze Bauorganismus der 46

Gestaltung des Raumganzen dient, und durch neue Entstofflichungs­ tendenzen. Diese Entstofflichungstendenzen bestehen in der äußer­ sten Verfeinerung der einzelnen, konstruktiv wichtigen Bauteile, wie der Säulen, der Arkaden, der Kuppel. Es ist für die ganze Ge­ schichte der byzantinischen Baukunst im Gegensatz zur eigentlichen abendländischen Architektur bezeichnend, daß sie nicht grundsätz­ lich neue Bauformen erfindet, wie etwa die Gotik, sondern die alten ererbten Bauformen verfeinert. Darin spiegelt sich ein kon­ servativer Zug der byzantinischen Kunst. Es ist nicht ein Bruch mit der alten Tradition, sondern eine zur Perfektion erhobene Ver­ feinerung vorhanden. Auch die frühbyzantinische Architektur hatte durch den gestei­ gerten Kolorismus und eine illusionistische Verstrebungsarchitektur höchste Entstofflichungstendenzen gezeigt. Diese Entstofflichungs­ tendenzen bleiben auch in der mittelbyzantinischen Kreuzkuppel­ kirche bestehen, werden aber durch die Entstofflichung der Baufor­ men noch erheblich gesteigert. Wenn man den Grad der Entstoff­ lichung der byzantinischen Architektur mit dem der gotischen ver­ gleicht, so kann man, trotz aller entscheidenden Unterschiede, sich der Auffassung kaum verschließen, daß die mittelbyzantinische A r­ chitektur des 12 . Jh . hinter der gotischen in bezug auf Entstoff­ lichung nicht zurücksteht. N ur die Mittel, mit welchen diese Wir­ kungen erreicht werden, sind verschieden. In einigen Anlagen des neuen Typus treten Umgänge auf (ur­ sprünglich wohl auch in dem Agios Theodoros, aber klar sich ab­ zeichnend in der Nordkirche der sog. Fenari-Issa-Djami). Aber man darf sie wohl nicht mit Nebenschiffen verwechseln. Sie ummanteln bloß den Bau von den Seiten. Man könnte sie wohl entfernen, ohne daß der Kern darunter leiden würde. Dadurch wird nach außen hin eine stärkere Geschlossenheit und Blockmäßigkeit der Anlage er­ reicht. Neu am Außenbau ist das Aufkommen der vier Nebenkup­ peln, welche der mittleren Kuppel das Gleichgewicht halten, und eine immer häufiger anzutreffende Tendenz, dem Bau durch Schicht­ wechsel und farbige Steinanlagen einen farbigen Eindruck zu ver­ leihen. W ir werden diese Tendenzen in der byzantinischen Architek­ tur des 13 . Jh. und in der Palaiologenarchitektur fortgesetzt und in­ tensiviert wiederfinden. Die neue Schöpfung der makedonischen und komnenischen Pe­ riode hat auch einen starken Einfluß auf die byzantinischen Provin­

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zen ausgeübt. Im Osten sickerte der hauptstädtische Einfluß nur spärlich durch wie in Kleinasien, da die einzelnen Provinzen nach­ einander unter die Herrschaft der Araber geraten sind. Selbstver­ ständlich handelt es sich hier um die Beeinflussung der orthodoxen sakralen Architektur. Die islamische Architektur und Malerei wurde dagegen von der byzantinischen öfters auch im Mittelalter beein­ flußt (Damaskus, Omarmoschee; Jerusalem, Felsendom, und sogar bis nach Bagdad reichen byzantinische Einflüsse). Dagegen haben andere Länder, die immer noch unter byzantinischer Herrschaft oder byzantinischem Einfluß standen, stärkere Impulse von der klassischen Form der Kreuzkuppelkirche erhalten. An erster Stelle stehen Griechenland und die griechischen Inseln, dann die eigent­ lichen Balkanländer und Rußland.

Byzantinische Baukunst in Griechenland Die mittelbyzantinische Kreuzkuppelkirche spielt in Griechenland eine dominierende Rolle. Sie bestimmt den Charakter einer Reihe von Gebieten: vor allem in Attika, Böotien, Thessalien, Epirus, im Peloponnes, in Lakonien, Argolis, Messenien, Arkadien und Elis. Man kann einige Lösungen von Kreuzkuppelkirchen in zeitlicher und stilistischer Hinsicht in der sog. griechischen Bauschule unter­ scheiden. Vor allem Kirchen mit Pfeilern, Säulenstützen und solche mit zwei Säulenstützen. In den Kirchen mit Pfeilerstützen (z. B. der Theodoroskirche in Athen, 1050, und der Kako-Wuno, der Asomatikapelle im südlichen Peloponnes um 900) spiegelt sich ein lokaler archaischer Zug der griechischen Bauschule. Die Stützen sind außerdem nicht ganz frei und hängen mit Schiffswänden zusammen, die mit längsgerichteten Tonnen überwölbt sind. Es ist die alte, in Griechenland auch noch im Mittelalter verwurzelte basilikale Tradition, die hier zum Aus-

Farbtafel I I I Staurothek. LimburglLahn. Domschatz. Reliquiar für das Wahre Kreuz. 948—959. Gold und Email cloisonne. Gesamtgröße (vgl. Abb. 20) 48 X 35 cm. Teil des Kaiserlichen Schatzes in Konstantinopel. Während des 4. Kreuzzuges 1204 nach dem Westen verschleppt 48

druck gekommen ist und die sich auch in Skripu (Böotien) in einer noch stärker traditionsgebundenen Form vorfindet. Die Verwendung von längsgerichteten Tonnengewölben in den Nebenschiffen betont wiederum — ungeachtet der Quertonnen der beiden Querschiffe — die tiefenbezogene basilikale Tendenz. Sie steht auch in einem gewissen Gegensatz zur hauptstädtischen Archi­ tektur, wo ausgesprochene Ecklösungen, welche mit Kreuzgewölben, später mit Kuppeln überwölbt werden, entstehen und den zentralen Baugedanken stärker hervortreten lassen. Es ist noch hervorzuhe­ ben, daß diese tonnenüberwölbten »Nebenschiffe« auch in den stär­ ker von der hauptstädtischen Architektur beeinflußten Bauten wie­ derkehren und der Raumgestaltung der griechischen Architektur ein besonderes Gepräge verleihen. Die hauptstädtische Kreuzkuppelkirche mit Säulenstützen dringt Zuerst in die wichtigsten Hauptstädte Griechenlands, Athen und Saloniki, ein oder tritt in kaiserlichen Stiftungen, wie in Hosios Lu­ kas in Stiris auf. Von da verbreitet sie sich in alle anderen Landteile Griechenlands. Zu den schönsten Viersäulenkirchen Athens gehörten die Kirche des Kaisarianiklosters am Hymettos, die aus dem Anfang des 12. Jh. stammen dürfte (Fig. 18), und die kleine Panagia Gorgopiko (kleine Metropolis), die ursprünglich an Stelle von Pfeilern mit Säulen ver­ sehen war. Sehr schöne Beispiele stilistisch verwandter Viersäulen­ kirchen besitzt die benachbarte Argolis, an deren Spitze die Kirchen in Chonika (Anfang 1 1 . Jh.), Merbaka (119 0 ) und Aria-Nauplion (114 8 ) stehen. Im Peleponnes gehört zu dieser Stilgruppe die A n­ lage in Karuda, die der von Kaisariani am nächsten steht. In Saloniki hat sich in der sog. Kazandjilar-D jam i (Panagia ton chalkeon) aus dem Jahre 1028 eine reine, hauptstädtisch beeinflußte Viersäulenkirche erhalten. Die Nebenkirche des Klosters Hosios Lukas hat sogar die mit Kreuzgewölben bedeckten Ecklösungen von der hauptstädtischen Architektur (vgl. die Kalender-Djami, die Kirche des Myreleionklosters in Konstantinopel) entlehnt und dürfte aus den ersten Dezennien des 1 1 . Jh . stammen (Fig. 19). Die Zweisäulenanlagen verwenden nur als Weststützen Säulen, während die östlichen Stützen aus Pfeilern bestehen. Solche Anlagen haben sich in ganz Griechenland erhalten (z. B. die Taxiarchoskirche in Athen, die Erlöserkirche in Amphissa; Vurkano, Samari und Gastuni im Peloponnes). Diese Anlagen treten auch in Thrakien 4/4008 Byzantinisdie Kunst

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und Bulgarien auf, und es bestellt die Möglichkeit, daß sie gleichfalls auf Konstantinopel zurückgehen, obwohl sich in der byzantinischen Hauptstadt keine derartigen Anlagen erhalten haben. In der Kirchenanlage von Nikli-Tegea aus dem 12. Jh . und der Pantanassa bei Monemvassia 12 ./13 . Jh . erreicht die reife, räumlich ausbalancierte, hauptstädtische, quadratisch angelegte und mit Eck­ kuppeln versehene Kreuzkuppelkirche ihren Höhepunkt. Auch in der Außengestaltung unterscheiden sich die griechischen Kirchenbauten von den hauptstädtischen. Wohl gehen diese Unter­ schiede auf altgriechische Traditionen und Baugewohnheiten zurück. Vorzugsweise werden Quadersteine oder gar Marmorblöcke im A u f­ bau der Wände verwendet. In Merbaka bilden alte Marmorblöcke einen um den ganzen Bau herumlaufenden Sockel, auf dem sich der eigentliche Bau erhebt. Die Quadersteine werden von schmalen Zie­ geln umrahmt. Aus reinen Ziegeln werden meistens nur Fenster, Kuppelteile oder Apsispartien errichtet. Die farbige Wirkung wird durch Schichtenwechsel (gelbe Quadersteine, rote Ziegel, weiße, mit Mörtel ausgefüllte Quaderfugen) erreicht, durch glasierte Orna­ mentik und mäanderartige Friese, die einen horizontalen Mauer-, Apsiden- oder Kuppelabschluß markieren (Theotokoskirche H agia Moni zu Aria-Nauplion, Merkaba). Im Gegensatz zur Hauptstadt werden Abrundungen der K up­ peln, Apsiden und Bogenabschlüsse vermieden und durch polygo­ nale Formen oder Giebeldreiecke (Chonika, Merkaba) ersetzt. Es ist also die kristallinisch scharf sich abzeichnende Klarheit der Außenarchitektur, die hier, in einem gewissen Gegensatz zu den weicheren, abgerundeteren, eher aus dem Ziegelbau hervorgehenden Bauformen Konstantinopels, zum Vorschein tritt und die ein schattenhaftes althellenisches Erbe fortsetzt. Außerdem haben sich in Griechenland kreuzartige, freistehende Bauten ohne Innenstützen scheinbar noch als Fortsetzung der altehristlichen Tradition erhalten (z. B. Soterkirche zu Plataniti in Argolis, Peterskirche in Pirgos). Dagegen muß als unbewiesen gelten, daß die griechische Kreuz­ kuppelkirche aus den erwähnten freistehenden Bauten durch H in­ zufügung von Ecklösungen (wie etwa in Hosios D avid in Saloniki oder in Navarino im Südpeloponnes, in einem Bau, der höchstwahr­ scheinlich aus türkischer Zeit stammt) entstehen konnte. Ebenso­ wenig ist ihre Entstehung in Kleinasien zu suchen, da die kleinasia­ tischen Bauten der justinianischen Zeit, soweit sie nicht von Kon-

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Fig. 18

Athen. Kirche des Kaisarianiklosters am Hymettos. Anfang 12. Jh. Grundriß

stantinopel beeinflußt waren, ungewölbt gewesen sind (Rusapha, wölbungsloser Kreuzkuppeltypus). Stilistische Übereinstimmungen sprechen eher dafür, daß sich die griechische Kreuzkuppelkirche im engsten Anschluß an die haupt­ städtische entwickelt hat. Eine Gruppe unter sich verwandter Kirchenanlagen bilden die sog. Achtstützenkirchen. Es gibt Achtstützenkirchen ohne Umang, wie die Nea Moni auf Chios (um 1054) und ihre Replik in K rina auf Chios, und Achtstützenkirchen mit Umgang, die in mehreren festländischen Anlagen auftreten, und zwar in Hosios Lukas in Stiris (Anfang des n .J h . ) , in Christianu im Peloponnes (Anfang des 1 1 . Jh . oder später), in der Panagia Likodimu, Athen (vor 114 4 ), in Daphni unweit von Athen (zweite Hälfte des 1 1 . Jh.), in der Panagia Paragoritissa (Anfang des 13 . Jh.), in Monemvassia (Ende des 13 . Jh.) und in der Theodoroskirche in Mistra (um 1296). Zu den monumentalsten Schöpfungen der Achtstützenkirchen ge­ hört das Katholikon von Hosios Lukas. Es besteht aus dem den ganzen Bau beherrschenden mittleren, mit einer Kuppel überwölbten Quadrat, einem breiten Altarraum mit zwei Nebenräumen und einem Umgang, der alle drei Seiten der Anlage umgibt. Die K up­ pel von mächtigem Durchmesser ruht auf acht Pfeilerstützen, in den Ecken wird das Quadrat mittels Trompen in das Rund der Kuppel übergeleitet (Fig. 19).

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Wir stehen wiederum in einem Raum, der von einer mächtigen Kuppel beherrscht wird und der von farbig-illusionistischer Wir­ kung ist. Die ganzen Wände bestehen wie in der Sophienkirche in Konstantinopel aus farbigen Marmor- und Porphyrplatten und reicher Intarsia; die Gewölbe der Trompen und urspünglich auch die Kuppel waren mit Mosaiken auf Goldgrund bedeckt. Es herr­ schen also dieselben Entstofflichungstendenzen wie in Konstantino­ pel, nur werden sie noch durch die überschlanken Säulen und Bo­ genstellungen, die wie hauchdünne Scheidewände das Schilf von den Umgängen unten und den Galerien oben trennen, gesteigert (Abb. 7). Dazu kommt die diffuse Lichtführung der mit relativ kleinen Öffnungen versehenen Fenster. Aber nicht nur dadurch wird die das materielle Lasten überwindende Wirkung des Kuppelraumes hervorgehoben, es kommt noch das verborgene Verstrebungssystem dazu. Dieses befindet sich, genauso wie in der Sophienkirche in Konstantinopel, in den Umgängen. Es ist nirgends ein klares Ver­ hältnis zwischen der mächtig lastenden Kuppel und den stützenden Teilen vorhanden. Die Mauern werden nicht als Pfeiler an den acht Stellen, wo die Kuppel aufruht, charakterisiert, sondern in einzelne farbige Felder zerlegt. Die Bogen der Trompen schneiden wie in der Sophienkirche in Konstantinopel spitz in die farbige Dekora­ tion bzw. das flach gehaltene, optisch aufgelöste Gesims hinein, als ob sie allen statischen Gesetzen Hohn sprechen würden, außerdem sind ihre konkaven Flächen mit Mosaiken auf Goldgrund ausgefüllt. Zu diesen farbigen Auflösungstendenzen kommt hier an Stelle der noch schweren Formensprache der Bogenstellungen in der Sophienkirche in Konstantinopel die Tendenz, durch schlanke Säu­ len und Arkaden den Bau auch in der vertikalen Achse aufzulösen. Das Vibrieren von Licht und Schatten, gedämpfte Umgänge, auf­ blitzende Goldmosaiken, irgendwo im Dämmer sich öffnende unFig. 19 Stiris (Phokis). Hosios Lukas. Hauptkirche des hl. Lukas und Nehenkirche der Theotokos. Anfang 1 1 . Jh . Grundriß I Exonarthex, I I Narthex (Litai), II I Naos, IV Zugang zur Nebenkirche. A Apsis, B Altarraum, C Triumphbogen, D Diakonikon, E—M Christus-Mosaiken: E Verkündigung, F Geburt, G Darstellung im Tempel, H Taufe, J Fußwaschung, K Kreuzigung, L Auferstehung der Toten, M Ungläubiger Thomas. N Nördlicher Kreuzarm, O Grabkapelle, P Prothesis, Q Schatzkammer, R Kuppelraum, S Südlicher Kreuzarm, T Lukas-Grab, U Nebenkapelle, V, X Durchgangsräume, W West­ licher Kreuzarm, Y Baptisterium, Z Zugang zur Krypta.

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überschaubare Räume, das alles sanft umschlossen von der Macht der Kuppel bestimmt den zauberhaften, unvergeßlichen Eindruck dieses Raumes, der wohl zu den bedeutendsten Raumeindrücken der byzantinischen Architektur gehört. Nun öffnet sich dieser Schiffs« raum in der Tiefenachse in das Eingangsjoch und in den Altarraum, so daß diese Achse, die wiederum an die »Axialität« der Sophien­ kirche in Konstantinopel erinnert, gedämpft in Erscheinung tritt. Ebenso wirken die tiefenbetonenden Tendenzen, die durch die seit­ lichen Bogenstellungen hervorgerufen werden, schwächer als in der Sophienkirche. Die vertikale und zentrale Bedeutung der Kuppel ist hier stärker betont. Genau wie in der Sophienkirche sind die Umgänge dazu be1stimmt, die Konstruktion vor den Augen des Beschauers zu ver­ bergen. Der mächtige Schub der Kuppel wird durch die Strebe­ pfeiler, Strebebogen und Strebegewölbe aufgefangen und auf die Außenmauer verlegt; würde man die Umgänge entfernen, dann würde der mittlere Baukern in sich Zusammenstürzen. Ebenso wie in Konstantinopel bereitet eine prachtvolle, geräu­ mige Vorhalle mit Emporen durch die farbig-koloristische Wirkung auf das Innere vor. Alles in Hosios Lukas täuscht durch höchste Steigerung der optisch-koloristischen Sublimierung über das mate­ riell-physische Verhältnis von Last und Stütze hinweg. In den anderen Bauten sind diese sublimen Mittel der optisch­ visuellen Auflösung weitgehendst zurückgegangen, so z. B. in der zweiten bedeutenden Achtstützenkirche des Klosters in Daphni. Es fehlen Emporen, die kulissenartigen Scheidewände zwischen H aupt­ schiff und Nebenumgängen, wodurch die Vertikaltendenzen abge­ schwächt wurden, schließlich verschließen sich die Nebenumgänge in einzelne geschlossene Kammern, so daß sie den Charakter von Umgängen verlieren (Fig. 20). In der Verklärungskirche von Christianu ist das Verhältnis vom Hauptschiff zu den Umgängen ein viel lockereres. Die Innenmauern sind dicker, statt Gewölbe befinden sich in den Umgängen K u p­ peln, die als Verstrebungen fungieren. Das Konstruktionssystem macht einen viel gröberen Eindruck, und die sublimierte Raum ­ gestaltung ist zurückgegangen. Fig. 20 Schnitt

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Daphni (Attika). Klosterkirche. 2. Hälfte u . J h . Grundriß und

An die Errungenschaften des n . Jh . knüpfen schließlich die letz­ ten Ausläufer der Achtstützenbauten, die Anlage in Monemvassia und die Theodoroskirche in Mistra an. Monemvassia schließt sich an Hosios Lukas an, die Theodoroskirche in Mistra verbindet die Plan­ gestaltung einer Zweisäulenkirche mit einer Achtstützenkirche. Während in Monemvassia noch Emporen und Kreuzgewölbe vor­ handen waren, fehlt in der Theodoroskirche beides. Eine Sonderstellung innerhalb dieser sog. verwandten Stilgruppe nimmt die Panagia Paragoritissa in A rta (Epiros) ein. Auch hier sind die Umgänge viel breiter, die Kuppel dagegen ist im Durch­ messer viel schmaler, sie erhebt sich auf einem künstlichen Konstruk­ tionssystem, das aus über Eck gestellten Säulen besteht, die auf Kon­ solen ruhen. Im letzten Stockwerk befinden sich Paare von ganz dünnen Säulchen, die auf zerbrechlich wirkenden »Konsolen« auf­ ruhen und mit gotischem Dreipaß abgeschlossen in die Pendentifs vorstoßen. Hier sind alle Mittel verwendet worden, um dem K up­ pelraum eine schwindelerregende Höhe zu verleihen: zwei Stile, die Entstofflichungstendenzen anstreben, begegnen sich hier: der byzan­ tinische mit seinen Mosaiken und seiner Lichtoptik und der gotische mit seiner sublimierten Auflösung der Bauglieder noch oben zu. In der Außengestaltung der Anlage kommen Tendenzen der italienisch-sizilianischen Palastarchitektur zum Vorschein. Einen Achtstützenbau ohne Umgang bildet die leider durch ein Erdbeben weitgehendst zerstörte Nea Moni in Chios. Hier mußten im Süden und Norden feste Mauern den Seitenschub der mächtigen Kuppel auf fangen, nur im Westen und Osten ist das Verstrebungs­ system vorhanden. Die Innenstützen, mit Paaren von Säulchen ge­ ziert, springen stark ins Innere vor. Flache Blendnischen mit farbigen Marmorplatten bedeckt, oben mit mosaikgeschmückten Gewölben abgeschlossen, haben bis zum höchsten Grade eine Illusion in der Innenraumwirkung hervorgebracht, die die natür­ lichen Grenzen der Raumgeschlossenheit weit überschreitet. Man versuchte diese bedeutenden Bauten aus dem Orient abzu­ leiten (Nestorianerkirche in Amida), da sich ähnliche Bauten in Konstantinopel nicht erhalten haben. Die Tatsache aber, daß die wichtigsten Bauten, wie Hosios Lukas und die Nea Moni in Chios, kaiserliche Stiftungen gewesen sind, ferner ihre optisch-farbige, illusionistische Raumgestaltung sind der beste Beweis, daß diese Bauten mit der Konstantinopler Architektur Zusammenhängen. Eine

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große Anzahl von bedeutenden Palastanlagen aus der Zeit des Kaisers Theophilus hat sich nicht erhalten, es gab aber eine Reihe von oktogonalen Bauten innerhalb der Palastanlagen, an die man anknüpfen konnte (z. B. die kleine Apostelkirche im Trikonchos des Palastes). Ferner haben sich die Beschreibungen des spanischen Gesandten C lavijo (1403) von Konstantinopler Anlagen erhalten, aus denen hervorgeht, daß sich auch in Konstantinopel ursprünglich solche Anlagen befunden haben, so z. B. die nicht mehr bestehende Kirche der Peribleptos (1028—1034). Auch das Anknüpfen an die Sophien­ kirche in Konstantinopel wäre in der Zeit der makedonischen und komnenischen Renaissance nichts Außergewöhnliches. Ähnliche A n­ lehnungen finden sich auch in der damaligen Malerei. Außer den erwähnten, großartigen Bauanlagen in Griechenland gibt es noch eine Reihe weniger bedeutender, kleinerer Kirchen­ bauten, bei denen altchristliche, ja sogar spätantike Traditionen nach wirken, die auch im Mittelalter wieder auf gegriffen wurden. So z. B. die fünfkuppelige Anlage des hl. Andreas ton Peristeron, in der Nähe von Saloniki, aus dem 9. Jh., und die Demetriuskirche in Euböa aus dem 12. Jahrhundert. Die Andreaskirche besteht aus einer mittleren Kuppel, die auf Säulen ruht, und kreuzförmig an­ geordneten Nebenkuppeln, das Hauptschiff der Demetriuskirche aus einem Kuppelraum, der durch in der Querachse angelegte Nischen erweitert wird. Ähnliche Grundrisse finden wir in Konstantinopel (Mugliotissa), auf der Insel Chalkis bei Konstantinopel und in der armenischen Architektur. Prototypen dieser reichen, zentral an­ gelegten Bauanlagen haben sich in den Zeichnungen Bramantinos nach römischen Tempeln erhalten.

Der Bilderstreit und die Renaissancetendenzen in der mittelbyzantinischen Malerei Der Bilderstreit, der von 725 bis 843 gedauert hat, brachte eine tiefe Erschütterung der Grundlagen der byzantinischen Malerei. Er ist eine A rt von »Kulturkampf«, der nicht nur die Kunst, sondern auch das ganze religiöse und politische Leben von Byzanz erfaßte, so daß nicht allein byzantinische Kaiser, wie Leo III. oder Konstan­

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tin Kopronymos, sondern auch die höchsten byzantinischen Würden­ träger mit Leidenschaft an ihm teilgenommen haben. Man hat auf verschiedene Ursachen des Bilderstreites hingewie­ sen: auf die Absicht, die Autokratie der byzantinischen Kaiser zu stärken, auf das Bestreben, den Einfluß des niederen Klerus und des Mönchtums durch die führenden Schichten zu beseitigen, auf agrar­ politische Maßnahmen der byzantinischen Kaiser, die den großen Klosterbesitz aufheben und damit die Macht des Mönchtums brechen wollten. Ferner wurden auch starke islamische Einwirkungen festgestellt, hauptsächlich bei den ikonoklastischen Kaisern, die aus den östlichen Provinzen stammten, wie Leo III., der als sarazenenfreundlich be­ zeichnet wurde. Sicher enthalten alle diese Ansichten ein Körnchen Wahrheit. Sie allein aber genügen nicht, um die tieferen Ursachen des Ikonoklastenstreites zu erklären. Diese tieferen Ursachen liegen im religiös-gei­ stigen Leben von Byzanz; im Grunde genommen war eine ähnliche bilderfeindliche Tendenz bereits in der altchristlichen Periode vor­ handen. Der Streit geht hauptsächlich um die Verehrung der Bilder (Ikonen) heiliger Personen. Es ist dies im Grunde, wie alles im reli­ giösen Leben von Byzanz, eine christologische und dogmatische Aus­ einandersetzung. Die Teilnehmer des bilderfeindlichen Konzils von 753 erklärten, daß die bilderfreundliche Kunst eine Blasphemie gegen die grundlegenden Dogmen des Heils bilde, d. h. gegen die Inkarnation Christi. Vom christologischen Standpunkt aus betrach­ tet, geht es im Bilderstreit um die Scheidung der beiden Naturen Christi, die nach der orthodoxen Auffassung unvermengt und ungetrennt bestehen. Wer aber ein Bild Gottes malt, der verfällt ent­ weder dem Monophysitismus, indem er nur das Göttliche wieder­ zugeben versucht, das unbeschreibbar und undarstellbar ist, oder dem Nestorianismus, indem er nur die menschliche Natur Christi wiedergibt. Während die Bilderfeinde (Ikonoklasten) die im Bilde dargestellte göttliche Person mit dem Urbild gleichsetzten, haben die Bilder­ freunde (Ikonodulen), von platonischen und neoplatonischen Grund­ lagen ausgehend, das Bild nicht mit dem Urbild identifiziert, son­ dern behauptet, daß das Bild im Wesen vom Urbild verschieden, hypostatisch aber (d. h. im übertragenen Sinn) ihm gleich ist.

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Der alte Gegensatz, der sich bereits in der altchristlichen Periode zwischen der antik-sinnlichen Auffassung von der bildenden Kunst und dem neuen christlichen Spiritualismus herausgebildet hat, ein Gegensatz, der in den Schriften Clemens9 von Alexandrien aus­ gesprochen wurde, tritt nun wieder in Erscheinung. Nun wird dieser Gegensatz überbrückt durch die christlich gemilderte, platonische und neoplatonische Ideenlehre vom Prototypus und Ecktypus. Die Rechtfertigung der heiligen Bilder (Ikonen) besteht nun darin, daß sie Zeugnisse einer übernatürlichen göttlichen Welt sind und daß die sinnlichen Mittel, mit denen sie dargestellt werden, eben gleichnis­ haft zu verstehen sind. Letzten Endes bedeutet diese Auseinandersetzung einen K am pf zwischen einer orientalischen Idolatrie, welche die Identität des Bildes mit dem göttlichen Urbild vertrat, und der antik-platonisierenden Auffassung, die im Bilde das göttliche Urbild nur im über­ tragenen Sinn erblickte. »Die Verehrung, die man dem Bilde bezeigt, geht auf den Prototyp über«, wäre die klassische Verteidi­ gungsformel der Bilderfreunde. Dieser tief in das byzantinische religiöse Leben eingreifende »Kulturkampf« endete mit der feierlichen Befestigung der Ikonen durch die Kaiserin Theodora im Jahre 843. Dieses Jah r bedeutet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte von Byzanz und der Ortho­ doxie. Es siegte damals die auf der antiken, platonisierenden, aber gleichzeitig auf der christianisierenden Lehre beruhende orthodoxe Auffassung über den radikalen orientalischen Monophysitismus. Armenische, kleinasiatische und syrische Kaiser sowie das V or­ dringen des Islams in den Ostprovinzen des Reiches, aus denen sich die Bilderfeinde hauptsächlich rekrutiert haben, verhalfen den bilderfeindlichen Tendenzen zum Durchbruch. Der Verfall des Kalifenreiches und ein neuer Aufschwung des byzantinischen Reiches, das sich nun wiederum einerseits dem Islam gegenüber siegreich erwies, andererseits in den Balkanländern festem ren Fuß faßte, haben zur Überwindung der orientalischen Häresien entscheidend beigetragen. Die schwere innere Krise, die sowohl im Innern des Reiches zur verhängnisvollen Spaltung führte als auch nach außen zu einer Entfremdung zwischen den bilderfreundlichen westlichen Provinzen und den östlichen viel beigetragen hat, wurde überwunden. Gleichzeitig mit der Überwindung des Bilderstreites kommt es sowohl zu einem neuen politischen Umschwung in der

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Zeit der makedonischen Dynastie als auch zu einer neuen Blüte des kulturellen, geistigen und politischen Lebens, die nicht zu Unrecht als »makedonische Renaissance« bezeichnet wird. Das Wiederaufleben vorikonoklastischer Tendenzen, das A u f­ kommen einer profanen, imperialen, antikisierenden Reichskunst, die ebenfalls auf justinianische Kunsttradition zurückgeht, die Wiederbelebung altchristlicher Malerei wirken wie eine Befreiung aus dem unschöpferischen Bann, in den die byzantinische Kunst in­ folge des Ikonoklastenstreites verfallen war. Man muß sich jedoch hüten, die »byzantinische Renaissance« mit den abendländischen Renaissanceprozessen zu identifizieren. Sowohl die Ursachen als auch der Verlauf der byzantinischen Renaissance sind von den abendländischen Renaissancebewegungen grundverschieden.

Die monumentale Mosaikmalerei Ausschmückungsprogramm, Raumwirkung, Hieratisierung und Hierarchisierung Einen Niederschlag der neuen nachikonoklastischen Monumental­ malerei in Byzanz bildet das äußerst streng hierarchisch konzipierte, nach unverrückbaren christologisch-dogmatischen Grundsätzen aufgebaute mittelbyzantinische Ausschmückungssystem. Es hat sich leider in keiner hauptstädtischen Kirchenanlage erhalten, aber aus Beschreibungen der Nea Basileios’ I. können wir wohl entnehmen, daß es sich hier ausgebildet und daß die Nea den Ausgangspunkt dieses neuen Ausschmückungsprogramms gebildet hat. Beschreibungen nach zu schließen, tritt hier zum erstenmal in der mittelbyzantinischen Malerei der streng hierarchisch abgestufte Pantokrator Zyklus auf. Im Kuppelrund wird Christus als Welt­ beherrscher dargestellt, umgeben von einer Schar dienender Engel. Die Apsis wird von der als Orantin wiedergegebenen Muttergottes eingenommen, während die übrigen Wände mit einem Chor von Aposteln, Propheten, Patriarchen und Märtyrern geschmückt er­ scheinen. Sonst fehlen nähere Anhaltspunkte über die Verteilung der einzelnen Darstellungen im Kircheninnern. Leider bieten die übertünchten und durch Salzenberg nachgezeich­ neten Darstellungen der Sophienkirche in Konstantinopel keinen 60

genügenden Anhaltspunkt für die Rekonstruktion des ganzen Aus­ schmückungssystems, das unter Basil I. und II. erneuert wurde, es scheint aber naheliegend, daß es dem neuen Programm der Nea entsprochen hat. Man ist auf drei Ausschmückungsprogramme der Provinzen an­ gewiesen, die sich als die einzigen Zeugen der neuen monumentalen mittelbyzantinischen Malerei erhalten haben. Zu diesen gehören das Katholikon in Hosios Lukas aus den ersten Dezennien des 1 1 . Jh., die leider stark beschädigten Malereien der Nea Moni auf Chios (um 1056) und die Ausschmückung der Klosterkirche von Daphni aus dem Ausgang des 1 1 . Jahrhunderts. Allen diesen Ausschmückungsprogrammen gemeinsam ist die Be­ herrschung der gesamten Ausschmückung durch das zentrale Kuppel­ bild Christi, des von Erzengeln oder Propheten umgebenen Panto­ krators (nicht mehr erhalten, aber bezeugt in Hosios Lukas und Nea Moni), und die Darstellung der Feste, die sich in der Zone unter der Kuppel, in den Trompen, an den Wänden der Konchen oder an den Wänden der Umgänge (Daphni) befinden, die Darstellung der Muttergottes in der Hauptapsis und eine Reihe von Darstellungen aus dem Neuen Testament (teilweise als Fortsetzung der Feste) in den Vorhallen, ferner eine Reihe von Heiligen, Märtyrern, Anachoreten, Asketen und Mönchsheiligen, welche die Gewölbe, Wände und Pfeiler des Hauptschiffes, der Nebenapsiden und der Vorhallen bevölkern. Eine Ausnahme bildet die Darstellung der Herabsenkung des H l. Geistes, die sich in der Kalotte des Altarraumes des Katholikons von Hosios Lukas befindet. Am Tragebogen vor der Kalotte in Hosios Lukas, an den Wänden des Altarraumes in Daphni und in den Nebenapsiden der Nea Moni auf Chios sind die Erzengel Michael und Gabriel dargestellt. In Daphni sind die beiden E rz­ engel mit der Darstellung des leeren Thrones verbunden (Hetoimasia tou tronou). Zuletzt fand folgende Verteilung der zw ölf Feste statt: in Hosios Lukas ursprünglich vier Festdarstellungen im Kuppelraum (die Ver­ kündigung — die Geburt fehlt —, die Darstellung im Tempel und die Taufe Christi), zwei in der Vorhalle (Kreuzigung und A uf­ erstehung). In Chios sind acht Feste im Kuppelraum dargestellt (Verkündigung, Geburt, Darstellung im Tempel, Taufe, Verklä­ rung, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Auferstehung) und sechs in der 61

Vorhalle (Auferweckung des Lazarus, Himmelfahrt, Einzug in Jerusalem, Herabkunft des H l. Geistes, Eußwaschung und Gefangen­ nahme Christi). In Daphni (Abb. 8) finden w ir zwölf Darstellungen im Kuppel­ raum (Verkündigung, Geburt, Taufe, Verklärung, Anbetung der Magier, Auferstehung, den ungläubigen Thomas, die Darstellung im Tempel, die Geburt Mariä, die Kreuzigung, den Einzug in Jeru­ salem und die Auferweckung des Lazarus) und sechs Szenen in der Vorhalle (das letzte Abendmahl, die Eußwaschung, den Verrat Judas’, die Vorstellung der Jungfrau, Segnung der Priester, Geburt Joachims und Annas). Man ersieht daraus, daß erstens nur gewisse wichtige Feste sich wiederholen, während bei den anderen Darstellungen eine ver­ schiedene Auswahl erfolgte, zweitens steigert sich, was den christologischen Zyklus anbelangt, die Zahl der Darstellungen von Hosios Lukas über die N ea Moni bis Daphni. Die größte Konzentrierung des Festzyklus findet man in der Nea Moni. Hier sind in vier sich gegenüberliegenden Konchen die Hauptszenen aus dem Leben Christi dargestellt; in der Hauptachse die Geburt und Kreuzigung, in der Querachse die Taufe und die Auferstehung, Diese inhaltliche Konzentrierung des christologischen Zyklus würde für eine starke Abhängigkeit von der byzantinischen Hauptstadt sprechen. Der Inhalt des Darstellungsprogrammes und das Darstellungs­ programm als solches gehen aus den tieferen Schichten der byzanti­ nischen religiös-geistigen Vorstellungswelt hervor. Diesem Pro­ gramm liegen folgende Vorstellungen zugrunde: die Idee der kosmisch-universalen Herrschaft Christi, das streng hierarchische Ordnungsprinzip, das in Rangordnungen und Emanationen von der höchsten göttlich-überweltlichen Sphäre bis zur Erde herab­ reicht, eine sublimierte Hieratik, die sich der dargestellten göttlichen Personen bemächtigt, und zuletzt der strenge dogmatische Gedanke, der die Geschlossenheit des Zyklus und seine entsprechende Ver­ teilung im Kirchenraum bestimmt. Die Idee der kosmisch-universalen Herrschaft Christi wird durch die Darstellung des Pantokrators personifiziert. Er ist Christus und Gottvater in einer Person, nach byzantinischer Auffassung in idealer Wesenseinheit (Homousie) dargestellt. In ihm hat das höchste Prin­ zip der Unterordnung des Kosmos unter seine Herrschaft den Höhe­ punkt erreicht. E r nimmt daher den höchsten Platz in der Aus-

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Schmückung, die Kuppel ein. Durch seine Kolossalität, Strenge und Morosität des Ausdruckes erinnert der Pantokrator an eine ins Malerische umgesetzte Kaiserbüste. In den Zügen des Christus der Klosterkirche in Daphni ist eine Ähnlichkeit mit dem Zeus von Otricoli vorhanden. Unbegrenzte Macht und »herrscherliche Allpräsenz« spiegeln sich in der D ar­ stellung, die wie eine Projektion der byzantinischen Autokratie in die göttliche Sphäre wirkt (Abb. 9). Daß es in dieser höchsten Sphäre tatsächlich um die Herrschaft geht, beweisen die in H o f­ trachten dargestellten Erzengel, die die Insignien der weltlichen Macht, Weltkugel und Ripidien (Rangzeichen), halten. Auch die ganze Sphäre des Kuppelgewölbes ist ins Überweltliche projiziert. Die unbegrenzte Unendlichkeit und Verklärtheit des Himmelsraumes wird durch den goldenen Hintergrund, die sphären­ artige, in sich ruhende ideale Abrundung des Kosmos durch die Kuppel hervorgerufen. Einen ruhenden Mittelpunkt der überwelt­ lichen Macht bildet Christus-Pantokrator. Die kosmische Allherschaft Christi aber beschränkt sich nicht nur auf die oberste Sphäre. In strenger, hierarchischer Abstufung setzen sich die unter ihm befindlichen Ordnungen ab. Hier sind Ein­ wirkungen der »himmlischen Hierarchie« des Dionysius Areopagita vorhanden, der unter dem Einfluß der neoplatonischen Emanations­ lehre eine strenge hierarchische Ordnung festgesetzt hat von der höchsten göttlichen Sphäre, mit ihren himmlischen Engelshierarchien, zu immer tieferen Rangordnungen, die über die kirchliche H ier­ archie bis zur letzten untersten Ordnung der einfachen Mönche reichen. In dem erwähnten klassischen Ausschmückungssystem der mittel­ byzantinischen Kirchen spiegelt sich die Abstufung der himmlischen und kirchlichen Hierarchie ganz deutlich wider. Von der »Herr­ lichkeit des Himmels« über die Engelshierarchien, Propheten und Evangelisten der Kuppel, der thronenden M aria (Panachrantos) oder stehenden M aria der Apsis geht der Weg absteigend zu den großen Festen des Jahres, die sich unter der Kuppel oder an den Seitenwänden der Umgänge befinden, und mündet in den hl. M är­ tyrern, den Kirchenvätern, Heiligen, Asketen und Mönchsheiligen. Eine entscheidende Rolle spielen die unter der »himmlischen H ier­ archie« befindlichen Festdarstellungen. Sie sind nach den Festen des Kalenderjahres geordnet. Dem Weltkreislauf der kosmischen Ord­

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nung entspricht hier der Zeitablauf des Kirchenjahres. Es ist eine rhythmisch-kreisende Bewegung, die sowohl die himmlische als auch die kirchliche Hierarchie erfaßt und durch ihren geschlossenen Ablauf und die ihn begleitende Kuppelform etwas UnbezwingbarUnverrückbares enthält. Es ist die allumfassende Allmacht der nach dem Bilderstreit klassisch gewordenen, fest konstituierten, dogma­ tisch begründeten Orthodoxie, die sich darin geltend macht. Die Festdarstellungen enthalten die wichtigsten Begebenheiten aus dem Leben Christi. Diese Darstellungen werden in einer kon­ zentrierten Form gebracht, und zwar als in sich geschlossene, monu­ mentale Darstellungen. Neu gegenüber der vorikonoklastischen Malerei ist das Aufgeben des erzählenden, fortlaufenden Stils. Das Historische ist durch das Dogmatisch-Bedeutsame verdrängt. Die sinnliche Freude an der Erzählung, die für die ganze Kunst des Westens so bezeichnend ist, mußte einer gedanklich-dogmatischen, eher abstrakten Fassung weichen. Am deutlichsten kommt diese strenge gedanklich-dogmatische Fassung in der Ausschmückung der Nea Moni in Chios zum Aus­ druck. Bezeichnend ist auch die Auswahl der Themen. Passions­ szenen werden auf ein Minimum eingeschränkt (Kreuzigung, Kreuz­ abnahme). Dagegen spielt die Geburt, Taufe, Kreuzigung und A uf­ erstehung eine große Rolle (Nea Moni) neben der Verkündigung und Darstellung im Tempel (Hosios Lukas). In der Hervorhebung der Kreuzigung und Auferstehung ist ein Niederschlag der mystisch­ dogmatischen Lehren des bilderfreundlichen Patriarchen Germanos (7 15 —730) zu erkennen, der die Kirche als Verkörperung der Kreu­ zigung und Auferstehung bezeichnet hat. Die Projektion der göttlichen Figuren ins Überweltliche hat nicht nur den idealen überzeitlichen antikisierenden Figurenstil begün­ stigt, sondern auch die Hieratisierung der Darstellungen. Die D ar­ stellungen der Feste sind anthropozentrisch, alles Nebenwerk, die ganze natürliche Umgebung bis auf die allernotwendigsten Andeu­ tungen durch den die Unendlichkeit des überweltlichen Raumes ver­ sinnbildlichenden Goldhintergrund verdrängt. Man hat immer den

Farbtafel 7 V Buchdeckel mit Erzengel Michael. Venedig. Schatz von San Marco. 1 1 . Jh . Gold , teils in R elief , teils eingelegt; Email cloisonne. Gesamtgröße 48 X 36 cm 64

Eindruck, die Figuren stehen oder bewegen sich auf einem schmalen Bodenstreifen am Rande der sichtbaren Welt (Hosios Lukas: Ver­ kündigung, Taufe, Fußwaschung). Eine Hieratisierung trifft vor allem die Einzelfigur. Sie ist un­ beweglich und frontal, in einer auf den Beschauer bezogenen H al­ tung dargestellt. Vor allem der unbewegte K opf und die auf den Beschauer geradeaus gerichteten Augen wirken hieratisch. Es äußert sich darin nicht nur einer Feierlichkeit und Distanzierung, sondern auch eine bis jetzt unerreichte Konzentrierung auf das geistige Moment. Jede physische Bewegung wird auf ein Minimum redu­ ziert, um ja nicht von der geistigen Erfülltheit abzulenken. Diese geistige Erfülltheit ist auf kein individuelles Ziel, sondern wie der goldene Hintergrund auf gewisse überindividuelle, gleichsam über­ menschlich-ewige Zielsetzungen gerichtet. Durch die hieratische Unbeweglichkeit der Figuren ist weiterhin eine nicht unwesentliche Wirkung der ganzen Ausschmückung er­ reicht. Der Beschauer wird durch die fast starr wirkende Frontalität der Figuren direkt angesprochen. Diese geistige Ansprache ist so stark, daß der Beschauer das Gefühl verliert, es handle sich hier um bildlich-formale Darstellungen, die sich vor ihm in einen Mikro­ kosmos verschließen. Oft gewinnt er den Eindruck, besonders an jenen Stellen, wo die Frontalität von mehreren Seiten auf ihn ein­ dringt, daß er sich inmitten dieser Figuren befindet: sie scheinen ihn geistig zu umfassen und damit auch in die Sphäre zu versetzen, in der sie sich selbst befinden. Sie sind aber nicht etwa räumlich verbunden, wie man es zu er­ klären versuchte, da die Welt, in der sie sich bewegen, keine reale Welt ist. Es ist eine Welt, die uns über die natürliche Existenz und Raumverbundenheit hinwegtäuscht, es ist eine imaginäre, ideale Welt, jedenfalls idealer als die Welt des barocken Illusionismus, der ja nur natürliche Himmelssphären vortäuschte, wogegen diese Welt hier sich über alle natürlichen Himmelssphären in die ideale Unend­ lichkeit des im Licht bald verdämmernden, bald durch konkave Flächen aufblitzenden goldenen Hintergrundes flüchtet.

5/4008 Byzantinisdie Kunst

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Stil- und Formprobleme Wenn man die drei Mosaikzyklen auf ihren Stil hin prüft, dann ergeben sich folgende Unterschiede: Am hieratischsten sind die Darstellungen in Hosios Lukas. Die Figurenkomposition als formal-geschlossene Einheit hat sich noch nicht durchgesetzt. Ein Nebeneinander von Figuren wird bevorzugt (Taufe Christi, Darstellung im Tempel, besonders kraß in der Fuß­ waschung und der Szene mit dem ungläubigen Thomas). Die Figuren neigen mehr zum frontalen Hieratismus als zur Geschlossenheit der Komposition. In der Faltenbehandlung, der Darstellung der Köpfe, den Standmotiven, den Körperproportionen ist eine derbe provin­ zielle A rt unverkennbar, die scheinbar an den Errungenschaften des sublimierten Hofstils in Konstantinopel noch keinen Anteil hat. Ein anderer Stil spiegelt sich in den Mosaiken der Nea Moni wider. Die Figuren haben teilweise den hieratischen Bann gebrochen und sind viel bewegter dar gestellt worden, sie verraten keinen antikisierenden Stil. Die Gewänder sind knittriger und gebrochener, bei göttlichen Figuren mit Goldfäden durchwirkt (Christus in der Anastasis). Stilistisch sind die Mosaiken der Nea Moni in Chios am engsten mit den Narthexmosaiken (Evangelisten) der Koimesiskirche in N ikäa verwandt, die höchstwahrscheinlich zwischen 1059 und 1067 entstanden sind. Zu einem wahren byzantinischen klassizisierenden Stil erheben sich die Mosaiken des Katholikon in Daphni. Hier ist der hiera­ tische Stil am stärksten überwunden worden. Die Figuren haben an plastischer Wirkung zugenommen (Kreuzigung), die Bewegungen sind frei und souverän (Einzug in Jerusalem), die Falten schmiegen sich dem Körper an und deuten die Körperbewegung in voller K lar­ heit an. Die Frontalität, die in den Kompositionen von Hios Lukas gezwungen wirkte, wird aufgegeben, die Figuren bewegen sich frei von rechts nach links, ohne jede hieratische Vergewaltigung (vgl. die Anastasis in Hosios Lukas und Daphni). Antikisierend wirkt auch die Darstellung des nackten Körpers, so z. B. in der Kreuzigung. Neu ist die Tendenz, die Figuren zu einer geschlossenen, formal ge­ stalteten Gruppe zu verbinden wie in der Geburt Mariä. Es ist der klassizierende Stil der Hauptstadt, der dem Darstellungszyklus von Daphni einen vornehmen kultivierten Charakter verleiht. Dieser Stil, den man als makedonische oder komnenische Renaissance zu

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bezeichnen pflegt, findet zweifelsohne in Daphni seinen Nieder­ schlag (Abb. 8 und 9). An einigen wenigen Denkmälern, und zwar in der Panagia Angeloktistos in Kiti (Zypern), der Koimesiskirche in N ikäa und der Sophienkirche in Saloniki kann man Veränderungen innerhalb der Darstellung der M aria in der mittelbyzantinischen Mosaik­ malerei feststellen. Die Madonnen der Apsiden werden entweder thronend (Saloniki, Hosios Lukas) oder stehend (Nikäa, Nea Moni, Panagia Angelok­ tistos in Kiti, K iev, Sophienkirche, Nea des Basileios I., Kathedrale in Gelati in Georgien, 113 0 ) dargestellt. Die thronende Mutter­ gottes geht auf die Malerei des 6. Jh. zurück (Ravenna, Sant5Apollinare N uovo; Parenzo, Marienkirche). Die stehende Madonna als Apsisdarstellung ist in der vorikonoklastischen Mosaikmalerei kaum nachweisbar. In der mittelbyzantinischen Malerei aber sind beide Darstellungsarten vorhanden. In der Regel unterscheiden sich die mittelbyzantinischen Madonnen von den altchristlichen dadurch, daß in ihrer nächsten Umgebung sich meist keine Begleitfiguren, wie Erzengel oder Stifter, befinden. Sie heben sich von der Unendlichkeit des goldenen Hintergrundes der Konche ab, und darin spiegelt sich die distanzierende und iso­ lierte »Inselhaftigkeit« einer Darstellung, die für sich allein die überirdische Sphäre der höchsten himmlischen Hierarchie bean­ sprucht. Die Engel befinden sich meistens in dem Bogen vor der Apsis — im Gegensatz zur altchristlichen Malerei des 5. Jh. sind sie in reichsten Hoftrachten mit Insignien der weltlichen Macht aus­ gestattet — dargestellt. Sie begleiten des öfteren den leeren apoka­ lyptischen Thron (Nikäa). Eine gewisse Ausnahme in dieser H in­ sicht bildet die Maria in der Panagia Angeloktistos in K iti auf Zypern, wo eine stehende Madonna zwischen zwei Engeln dar­ gestellt ist; die Engel präsentieren der Madonna zwar Weltkugeln, sind aber nicht in Hoftrachten gehüllt. Die stehenden Madonnen werden mit Kind (wie in N ikäa und der Panagia Angeloktistos) oder ohne Kind, mit erhobenen Händen, als Oranten dargestellt (Nea des Basileios, Nea Moni Chiofc, Kiev, Sophienkirche). Es scheint, daß dieser Typus durch die hauptstäd­ tische Malerei bestimmt wurde. Sichere Anhaltspunkte zur zeitlichen Bestimmung der einzelnen Mariendarstellungen in den Apsiden der byzantinischen Kirchen besitzen wir nicht. 5*

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Es ist nicht ausgeschlossen, daß die thronende Maria in der Sophienkirche in Saloniki aus dem Ende des 8. Jh. stammt, dafür würden ihre schwerfällige Form und die starke Disproportionierung zwischen Christus und Maria sowie die Inschrift sprechen. Frühmakedonisch dürfte die Panagia Angeloktastos in K iti sein, obwohl hier ein altchristliches Vorbild eine etwas archaische Fassung bestimmte, während die stehende Madonna in N ikäa eher unmittel­ bar nach dem Bildersturm entstanden ist, was die sieghafte Inschrift von der Wiederbefestigung der Ikonen, das aus der Ikonoklastenperiode stammende Kreuz und das noch etwas unbeholfene Ver­ hältnis zwischen der Maria und dem Kind bestärken würden. Eine Bereicherung der in der Hauptstadt spärlich erhaltenen Denkmäler der Mosaikmalerei bilden die neuentdeckten Mosaiken in der Sophienkirche, und zwar eine Darstellung der Muttergottes zwischen Konstantin d. Gr. und Justinian in der südlichen Vorhalle, zwei Kaiserbildnisse in der südlichen Galerie und eine in Fragment erhaltene Deesis, mit Maria und Johannes dem Täufer. Die Huldigungsszene mit Konstantin und Justinian dürfte noch aus dem io. Jh . stammen, wofür die plastische Durchbildung der Gesichter und der farbige Illusionismus sprechen würden. In den beiden Kaiserdarstellungen tritt uns das typische, byzantinisch hieratische Kaiserporträt entgegen, wo das theokratische Prinzip der Übertragung der Herrschaft von Gott auf den Stellvertreter Gottes auf Erden, d. h. den Kaiser, zum Ausdruck gelangt. In dem früheren Kaiserbild ist Christus zwischen Konstantin IX . Monomachos (1042—1056) und seiner Gemahlin Zoe dargestellt. Die drei Köpfe sind neu dazugekommen, d. h. die Gestalt des K a i­ sers Konstantin hatte ursprünglich einen anderen K opf getragen, der mit einem seiner Vorgänger identisch war. Die Modellierung der Gesichter (vor allem der Kaiserin) ist noch auffallend plastisch, der strenge frontale Hieratismus ist durch die Hinwendung der beiden Figuren zum thronenden Christus weitgehendst gemildert. Eine stilistische Veränderung offenbart sich im zweiten Kaiser­ bild, das den Kaiser Johannes II. Komnenos und seine Gemahlin Irene auf beiden Seiten der Muttergottes mit Kind darstellt. Dieses Kaiserbildnis wird in das Jahr 1 1 1 8 datiert. Es fällt der große Unterschied in der ganzen Darstellungsart und im Stil auf. Der strenge frontale Hieratismus hat zugenommen. Die beiden kaiserlichen Personen wenden sich nicht M aria zu. Sie verharren in 68

einer viel strengeren Frontalität und Isoliertheit als die Figuren der früheren Kaiserbildnisse. Viel individueller, porträtmäßiger ist der Gesichtsausdruck des Kaisers und der Kaiserin. Trotzdem kommt das Hoheitsvolle und Unnahbare stark zum Ausdruck. Viel stärker ist auch das Flächige betont, die Farbe spielt eine größere Rolle sowohl in den kaiserlichen Gewändern als auch in der Modellierung des Gesichtes der Kaiserin. Dagegen weist der Stil der Deesis eher ins 13 . als ins 14. Jah r­ hundert. Der ausdrucksvolle K opf Johannes des Täufers, die feinen Farbenschattierungen von bläulich-grünen Übergängen würden diese Datierung rechtfertigen.

Renaissancetendenzen in der Buchmalerei Innerhalb der makedonischen und komnenischen Periode zeichnet sich die Buchmalerei durch einen besonderen Aufschwung aus. Sie spielt eine entscheidende Rolle in der Geschichte der mittelbyzan­ tinischen Renaissance. Schon dadurch unterscheidet sich die sog. mittelbyzantinische Renaissance von der abendländischen, daß sie sich scheinbar vor allem auf die Buchmalerei bezieht. Weniger betroffen von ihr ist die monumentale Malerei und kaum noch die Architektur. Aber auch die Buchmalerei kann unter keinen Umständen mit dem abendlän­ dischen Begriff der Renaissance verbunden werden. Es liegen ihr ganz verschiedene geschichtliche und kunstgeschichtliche Ursachen zugrunde. Wie alle großen kunstgeschichtlichen Prozesse, ist auch die mittelbyzantinische Renaissance engstens mit der byzantinischen Haupt­ stadt verknüpft. Ihren Anfang nimmt sie nach der Beendigung des Bilderstreites, der die schöpferischen Kräfte von Byzanz auf dem Gebiete der bildenden Kunst durch zwei Jahrhunderte zurück­ gedrängt hat. Den politischen Hintergrund bildet die Erstarkung des byzantinischen Staates durch die neue, aus dem Westen stam­ mende Dynastie der Makedonier (867—1056), die ganz große H err­ scherpersönlichkeiten, wie Basileios I., Konstantin V II. Porphyrogennetos, Leo V I. den Weisen und Basileios II., hervorbringt. Erfolgreiche Kämpfe mit den Arabern in Kleinasien, der erstar­ kende politische Einfluß in den Balkanländern, der gelungene 69

Abwehrkampf gegen die Sarazenen in Griechenland, Dalmatien und Süditalien, die Eroberung Zyperns und Kretas, haben neue Machtpositionen geschaffen, die eine Erneuerung des byzantinischen Reiches zur Folge hatten. Hand in Hand damit gehen innere Re­ formen. Es ist bezeichnend, wie die Reform des Rechtswesens sich an das große Vorbild der Kodifizierung Justinians anschließt. Aber auch sonst sind Bestrebungen feststellbar, die wie eine Restauration des justinianischen Zeitalters anmuten. Sowohl in der Tendenz, im Westen wiederum stärker Fuß zu fassen, als darin, im Innern das autokratische Regiment durch Festi­ gung einer mächtigen Bürokratie und Beseitigung der Autorität des Senates auszubauen, ging man auf die Grundlagen zurück, die Justinian geschaffen hat und die scheinbar als die einzig lebensnotwen­ digen Richtlinien zur Erhaltung des Reiches empfunden wurden. Daß dies tatsächlich der Fall war, beweist die Tatsache, daß man stets in großen Gefahren des Reiches auf diese Grundlagen zurück­ gegriffen hat. Man hat von dem Begründer der makedonischen Dynastie, Basileios I., nicht mit Unrecht behauptet, daß sein erhal­ tendes staatsmännisches Wirken im stärksten Maße durch die römi­ sche Reichsidee bestimmt gewesen ist (Ostrogorsky). Diese erwähnte Erneuerung der innen- und außenpolitischen byzantinischen Reichsidee aus der Zeit Justinians hat auch auf das geistige Leben und die bildende Kunst ihren Einfluß ausgeübt. Auch hier ringt man mit Erneuerungstendenzen. Der erneuerten Reichs­ idee muß auch ein erneuerter Reichsstil dienen. Selbstverständlich werden antikisierende Tendenzen wach. Wie immer, dienen sie der Verfeinerung der Lebensformen des byzantinischen Hofes. Leider sind wir über die Erzeugnisse der Profankunst dieser Periode nicht genug informiert, weil sie mit den Palastanlagen der byzantini­ schen Kaiser und den Palästen vornehmer byzantinischer Familien einfach zugrunde gegangen sind. Es haben sich nur Beschreibungen von Mosaikausschmückungen des Palastes von Digenis Akritas er­ halten, die antike mythologische Darstellungen zum Inhalt hatten. Einen schwachen Abglanz dieser zugrunde gegangenen monumen­ talen Malereien bildet eine kleine Auswahl von Handschriften wis­ senschaftlich-profanen Inhalts. Die Miniaturen dieser profanen, meist naturwissenschaftlichen Werke, die sich in Oppian (io. Jh.), der Marciana in Venedig (Gr. 479) und in dem Nikander (10. Jh.) der Pariser Nationalbibliothek (cod. suppl. gr. 247) erhalten haben,

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lehnen sich engstens an antike bzw. spätantike Vorbilder des 3. oder 4. Jh . an. Im Grunde genommen sind es Kopien nach spätantiken Handschriften. Die aufgelockerte Landschaft, das Nachwirken des illusionistischen Stils, eine weiche Körpermodellierung, relativ gute Anatomie bei Unbeholfenheit der Bewegung und Standmotive, eine Reihe von antiken Personifikationen entsprechen dem Stil des 4. Jh. n. Chr. Man hat zwischen dem Pariser Nikander und dem älteren vatikanischen Vergil mit Recht stilistische Übereinstimmungen fest­ gestellt (Weitzmann). Dieses Anknüpfen an die antike Malerei bedeutet aber nicht, daß man sich etwa direkt an hellenistische Vorbilder aus Alexan­ drien angeschlossen hat; dieser Anschluß erfolgte an Werke der spätantiken Malerei, die die pompejanische Malerei zur Vorausset­ zung hatten, aber kaum direkt an eine vorpompejanische Phase anknüpften. Jedenfalls kann man in diesen Miniaturen von einer starken Anlehnung an die spätantike Malerei sprechen. Nicht anders verhielt es sich mit der sakralen Miniaturmalerei. Auch hier haben wir es mit einem Anknüpfen an die vorikonoklastische Malerei zu tun. Es ist selbstverständlich, daß diese Anknüp­ fung in manchem den Stil des 9. oder 10. Jh . verrät, aber das Fest­ halten an den alten Vorbildern ist stärker ausgeprägt als die neuen schöpferischen Tendenzen. Auch diese sind zweifelsohne vorhanden, aber die Neuerungen bedeuten in Byzanz nie eine von Grund aus neue Formensprache, eine neue bildmäßige Struktur, sondern eine erneuernde Kontinuität. Es ist der bewahrende, erhaltende Zug des Byzantinismus, der sich hier bemerkbar macht. Das Bewahren des alten Kunst- und Kulturgutes bedeutet für Byzanz eine genauso große historische Anstrengung, angesichts der erschütternden Umwälzungen des Abendlandes, wie für das letztere die Erfindung immer neuer Gestaltungsformen. Man darf nicht vergessen, daß Byzanz sich im Kreuzfeuer zweier feindlicher Welt­ kulturen befunden hat: der abendländischen und der orientalisch­ arabischen, und daß es nur durch diese Beharrlichkeit seinen Bestand sichern konnte. N ur in diesem Sinne kann man daher von byzantinischen Renais­ sancen sprechen. Sie sind eben von den abendländischen grundver­ schieden. In einer Reihe von Handschriften des 10. Jh. tritt diese byzantinische Renaissance in Erscheinung. Sie bilden eine Gruppe von stilistisch verwandten Miniaturmalereien, und zwar der Pariser 7i

Psalter N r. 139, die vatikanische Bibel Cod. Reg. gr. 1, die Josuarolle der Vaticana und das Prunkevangeliar des Athosklosters in Stauronikita (Cod. 43). Die Miniaturen der erwähnten Handschriften sind stilistisch untereinander insofern verwandt, als sie derselben Richtung an­ gehören, was durchaus nicht besagen will, daß sie alle aus einer Malschule hervorgegangen sind. Ihnen schließen sich noch zwei frühere Handschriften an, und zwar der nach dem Bilderstreit entstandene Pariser Gregor aus den Jahren 880—886 (Cod. gr. 510) und der Cosmas Indicopleustes der vatikanischen Bibliothek (Cod. gr. 699), obwohl sich bei diesen die Stiltendenzen des 10. Jh. erst ansagen. Bereits in den zwei frühesten Werken der nachikonoklastischen Malerei treten folgende »stilistische Neuerungen« in Erscheinung: ein antikisierender Gewandfigurenstil und das Bestreben, die Strei­ fenkomposition in ein Vollbild zu verwandeln. In dem Pariser Gregor tritt der antikisierende »schöne« Gewand­ stil in den Vollbildern (Vision des Ezechiel) stärker in den Vorder­ grund als in den Streifenkompositionen, während im Cosmas die meisten Darstellungen von ihm beherrscht werden (Farbtafel I). Dasselbe gilt von der Bildstruktur. Während im Pariser Gregor die streifenartige, erzählend kontinuierliche Darstellungsweise vor­ herrschend ist und nur einige Vollbilder sich vorfinden, ist im Cos­ mas die Tendenz, die neue quadratische Bildstruktur beizubehalten, trotz mancher streifenartiger Rückfälle (Opferung Isaaks) viel aus­ geprägter. Wenn die kontinuierlich-erzählende Darstellungsart, wie etwa in der Bekehrung des Paulus, nicht ganz überwunden ist, so ist das Bild doch zu einer Einheit durch den gemeinsamen Rahmen zusammengeschlossen, obwohl der räumliche Zusammenhang nur angedeutet oder durch einen neutralen Hintergrund ersetzt wurde. Hier taucht bereits das entscheidende Problem der mittelbyzanti­ nischen Renaissance auf, und zw ar: sind diese beiden Tendenzen, d. h. der schöne antikisierende Figurenstil und die Überwindung der Streifenkomposition, durch die neue Bildstruktur ein Stilprodukt der byzantinischen Renaissance, oder sind diese Stiltendenzen be­ reits in der vorikonoklastischen Malerei feststellbar? Der »schöne antikisierende Figurenstil« ist nichts Neues. Man findet ihn bereits in der altchristlichen Kunst der nachkonstantinischen Zeit, und man findet ihn in Ravenna. Aber auch später im 72

7* und 8. Jh. tritt dieser Stil in Santa Maria Antiqua in Rom auf. Es ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, wie weit dieser Stil von byzantinischen oder lokalrömischen antikisierenden M al­ traditionen oder, was das wahrscheinlichste ist, von beiden Quellen herrührt. Entscheidend ist, daß dieser antikisierende Stil für die vorikonoklastische und im Westen auch noch für die Ikonoklastenzeit bestimmend gewesen ist. Die Malereien, die in der Darstellung der Mutter der Makkabäer, der Kreuzigung, der Anbetung der Magier in Santa Maria Antiqua in Rom zutage treten, sind den Miniaturen des Gregor und des Cosmas so verwandt, daß man angesichts dessen von einem Wiederanknüpfen an die vorikonoklastische Periode sprechen muß. Eine Erneuerung nach einer Unterbrechung, aber kein neues Ringen um Formprobleme wie in der abendländischen Renaissance des 13 . oder 15 . Jh ., tritt uns hier entgegen. Das zweite Problem bildet die veränderte Bildstruktur. Hier ist die Frage nicht so einfach. In der altchristlichen und vorikonoklastischen Malerei finden wir beide Tendenzen: die kontinuierlich­ erzählende Streifenkomposition als Derivat der Rolle und ein V oll­ bild (in Santa Maria Maggiore und in der Wiener Genesis). Auch in den beiden frühen byzantinischen Handschriften der nachikonoklastischen Periode findet man diese beiden Tendenzen, aber die Tendenz zur bildlichen Gestaltung des geschlossenen Vollbildes ist im Wachsen begriffen. Sie scheint die bevorzugte neue Bildform zu sein. Hier liegt also offenbar keine neue Erfindung vor, sondern es handelt sich um eine Bevorzugung oder gar Umgestaltung der Strei­ fenform zu einer Bildform, die aus dieser Bevorzugung hervorgeht. An den zwei hervorragendsten Miniaturhandschriften der make­ donischen Renaissance, der Josuarolle der Vaticana und dem Pari­ ser Psalter N r. 139, kann man diese Feststellungen bestätigt finden. Die Josuarolle der Vaticana ist die einzige erhaltene illustrierte Handschrift in Rollenform. In einer fortlaufend-erzählenden Art werden in zeitlich-historischer Aufeinanderfolge die Taten des alttestamentlichen Helden Josua geschildert. Die Abhängigkeit dieses Stiles von den römischen Triumphsäulen ist unverkennbar. Der Feldherr Josua wird hier, genau wie Trajan oder Marc Aurel, in­ mitten siegreicher Feldzüge an der Spitze seiner Truppen geschildert. Aber nicht nur das verbindet die Rolle mit der römisch-antiken Kunst. Die Lebendigkeit der Schilderung, die Anschaulichkeit der 73

Vorgänge, die Klarheit der Abfolge der einzelnen Begebenheiten, die Macht der packenden Erzählung, die flotte Bewegung der Ein­ zelfiguren und der Massen, die Dramatik, die Drastik, das alles weckt die Erinnerung an die Hochblüte der antiken Kunst, in der sich diese hohen Qualitäten in reifster Ausprägung erhalten haben. Aber nicht nur das ruft die Erinnerung an die römisch-antike Kunst hervor, es kommen noch andere künstlerische Eigenschaften, die sich mit den erwähnten zu einer Einheit verbinden, hinzu. Es ist dies die Darstellung des Raumes, der Landschaft, der Um­ gebung. In flotten skizzenhaften Strichen, lavierten farbigen Zeich­ nungen vergleichbar, tut sich vor uns der hügelige Hintergrund auf, wie hingehaucht, an japanische Landschaften erinnernde Baum­ silhouetten, Stadtanlagen (Jericho), reizende römisch-antike Land­ häuser, die in idyllischer Abgeschiedenheit den Hintergrund be­ leben, oder antiken Heiligtümern ähnliche, schlanke Rundädikulen, die von heiligen Hainen umgeben sind (die Emissäre der Gibeoniten, Vergehen und Tod Achans, die Rettung Rahabs durch die Spione Josuas). Der Raum ist tief gestaffelt, die Illusion der Tiefe und Weite sind übermächtig, die illusionistischen Mittel zur H ervorzauberung dieses Raumes überwältigend stark (Fall von Jericho, die Verfolgung der israelitischen Spione). Man fühlt sich beim Anblick dieser Landschaften und Hinter­ gründe mit ihren lauschigen Waldpartien und den aus den Hügeln auftauchenden Stadt- und Villensilhouetten an römische Land­ schaften erinnert, wie sie sich hauptsächlich in Pompeji oder in Neapel (Caivano) erhalten haben. Auch die duftige Andeutung der Atmosphäre weist in ihrer Auflösung auf spätantike Landschafts­ bilder hin. Dieser antike Gesamtcharakter wird noch durch eine Reihe von Personifikationen, die die Hügel und Berge bevölkern oder sich unter die Kämpfenden mischen, gesteigert. Oft gerät dieser anti­ kisierende Charakter der Miniaturen mit dem christlichen Inhalt in Konflikt, so z. B. in der Darstellung des Dankgebetes Josuas oder der Emissäre der Gibeoniten. Josua steht betend vor einer antiken A ra, auf der ein Reinigungsfeuer (Opferfeuer) brennt, im Hinter­ grund befindet sich in einem Hain eine antike Ädikula, die wie ein heidnisches Heiligtum aussieht. N ur die Hand Gottes darüber er­ innert an christliche Vorstellungen; so eng verknüpft kommt antikes Heidentum und Christentum nur selten zum Vorschein.

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Man hat nun bis vor kurzem angenommen, daß die Josuarolle eine Kopie einer aus dem 4. bis 5. Jh. stammenden altchristlichen Handschrift bildet. Über die Zeit der Entstehung dieser Kopie war man sich nicht schlüssig. Man verlegte sie bald ins 7. bald ins 10. Jh. Erst die letzten Untersuchungen haben ihre Entstehung ins 10. Jh. fixiert und sehen in ihr eine selbständige Schöpfung der makedo­ nischen Renaissance (Weitzmann). Dagegen erheben sich starke Zweifel, nicht was die Verlegung der Kopie ins 10. Jh . betrifft, sondern bezüglich der Selbständigkeit ihrer Schöpfung. Einzelne Teile der Rolle sollen im 10. Jh. durch Ersatzstücke ergänzt worden sein, verschiedene Einzelheiten sollen dem Original nicht entsprechen, so daß man eine Neuschöpfung bzw. eine weitgehende Abweichung von der ursprünglichen alt­ christlichen Rolle angenommen hat. Spätere Handschriftenillustra­ tionen, wie z. B. der Oktateuch der Vaticana (Gr. 747), sollen den ursprünglichen Typus der Josuarolle besser wiedergeben. Entscheidende Kriterien sprechen gegen diese Auffassung. Die Josuarolle ist eine Handschrift, die sich stilistisch engstens an ein altchristliches Vorbild anschließt. Dafür spricht vor allem der Stil der Rolle. Der Impressionismus, die flüchtige A rt der gegenständ­ lichen Darstellung, die weiten Räume, die Landschaft, die Wieder­ gabe der Atmosphäre, die organische Durchbildung des mensch­ lichen Körpers, die rasche, überzeugende Beweglichkeit der Figuren, die pompejanischen Motive, die antiken Personifikationen, das antike Beiwerk, das alles spricht für eine Kopie nach einer altchrist­ lichen Handschrift des 4 —5. Jh . Es genügt, auf die Josuadarstellungen in Santa Maria Maggiore oder die Wiener Genesis hinzuweisen, um zu erkennen, daß sich in der altchristlichen Malerei stilistische Grundlagen erhalten haben, die auffallende Ähnlichkeiten mit der Josuarolle aufweisen. Es ist zur Erklärung der Entstehung der Rolle auch nicht not­ wendig, auf irgendwelche hellenistisch-alexandrinische Einwirkun­ gen hinzuweisen (Wulff, Morey), denn alle erwähnten »hellenisti­ schen« Einwirkungen finden wir sowohl in der pompejanischen, der römischen, wie der altchristlichen Malerei bzw. den altchristlichen Vorbildern wieder, welche diese antiken Stiltendenzen innerlich verarbeitet haben. In der Josuarolle sind, stilgeschichtlich gesehen, keine grundlegenden Gestaltungsprobleme enthalten, die auf Ein­ wirkungen einer vorpompejanischen hellenistischen Malerei schlie­ 75

ßen ließen, es sei denn, daß dieselben bereits in der pompejanischen Malerei umgeschmolzen wurden. Aber auch über die pompejanische Malerei gehen die Errungenschaften der Josuarolle hinaus, da sie eine Darstellungsweise zeigen, die sich erst in der spätrömischen und der altchristlichen Kunst ausgebildet hat. Es handelt sich hier um die fortlaufend-erzählende, den historischen Vorgang in seiner zeit­ lichen Abfolge abwickelnde kontinuierliche Schilderung der dar­ gestellten Vorgänge. Diese, durch Stil vergleiche erhärteten Tatsachen beweisen, daß es sich bei der Josuarolle um eine Kopie einer altchristlichen Hand­ schrift des 4.-—5. Jh . handelt. Jede Kopie trägt auch den Stempel ihrer Zeit, das ist unvermeidlich. In einer relativ geringfügigen Verhärtung bzw. Verzeichnung der Formwiedergabe des nackten menschlichen Körpers, etwa bei der Wiedergabe der Beine, seltener bei der Gewanddarstellung, spiegeln sich die Stiltendenzen des 10. Jh. wider, sonst gibt die Kopie das Original treu wieder (vgl. Ullstein Kunstgeschichte, Band V II, Abb. 18). Diese Sachlage wird durch die späteren Miniaturen des Oktateuch bestätigt (Vaticana Cod. Gr. 747; Cod. Gr. 746; Serail, Cod. 8; Smyrna Cod. A I; aus Athos: Vatopedi, Cod. 602 aus dem 13 . Jh.). Alle erwähnten Miniaturen, mit Ausnahme der vatikanischen, 747, schließen sich der Josuarolle an, setzen aber deren Stil in den des 1 1 ., 12. oder 13 . Jh . um. Sie sind charakterisiert durch einen harten Figuren- und Gewandstil, das Fehlen der Raumtiefe, der illusio­ nistischen Wiedergabe der Landschaft und durch erstarrte Bewe­ gungen. Entscheidend ist der Umstand, daß sich die fortlaufende streifenartige Erzählung der Josuarolle in einzelne gerahmte Voll­ bilder verwandelt hat. Gerade diese Tendenz, ein geschlossenes Vollbild wiederzugeben, ist für die byzantinische Malerei der makedonischen und komnenischen Renaissance charakteristisch, wodurch andererseits wiederum nahegelegt wird, daß die Minia­ turen der Josuarolle sich an das altchristliche Vorbild halten und am wenigsten von den Stiltendenzen des 10. Jh. geprägt wurden. Wie verschieden sich dagegen die bekanntesten Miniaturmalereien des 10. Jh. zur Josuarolle verhalten, geht aus dem Pariser Psalter N r. 139 hervor. Der Pariser Psalter wird als der Hauptvertreter der makedonischen Renaissancemalerei bezeichnet, und es erhebt sich auch hier wiederum die Frage, worin diese Renaissancebewegung der makedonischen Epoche besteht.

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Der Pariser Psalter beinhaltet vierzehn Miniaturen, acht Davidszenen (der harfenspielende David, Kam pf Davids mit Goliath, Kam pf Davids mit dem Löwen, die Frauen Israels huldigen D avid, Salbung, Krönung und Reue Davids, D avid zwischen Prophetie und Weisheit), zwei Mosesszenen (Übergang über das Rote Meer, Gesetzgebung) und Darstellungen aus dem Leben der Propheten und Könige (Gebet Jonas, Gebet Jesaias, Gebet Ezechiels, Gebet Hannas). Inhaltlich sind die Illustrationen uneinheitlich, jedenfalls beschränken sie sich nicht auf bloße Psalterillustrationen, sondern stammen eher von einer reichen Psalmen- und Odenillustration. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch sind Unter­ schiede vorhanden. Ein Vergleich zwischen der Krönung Davids und der Darstellung »Die Frauen Israels huldigen David« einer­ seits, dem harfenspielenden D avid, der Reue Davids und dem Gebet Ezechiels andererseits, verrät große Unterschiede. Während die beiden ersten Darstellungen räumliche Unklarheit, Verzeichnun­ gen und plumpe Figurendarstellung zeigen, zeichnen sich die ande­ ren durch klare Raumwiedergabe, feine, eher illusionistische Hinter­ grundbehandlung und korrekt antikisierende Figurendarstellung aus. Man könnte noch weitere Unterschiede hervorheben (Abb. n ) . Diese Unterschiede können auf zwei Ursachen zurückgeführt werden, auf die Verschiedenheit der Vorlagen und auf die Ver­ schiedenheit der Hände. Nachdem noch eine Reihe anderer Hand­ schriften einen dem Pariser Psalter auffallend ähnlichen Stil ver­ raten (Evangeliar in Stauronikita, Cod. 43 und Cod. Reg. Gr. 1 der Vaticana), würde man wie in anderen ähnlichen Fällen an eine M al­ werkstatt denken, wobei auch eine Verschiedenheit der Vorlagen nicht ausgeschlossen ist. Für die Stellung des Psalters in der makedonischen Renaissance sind der »schöne antikisierende« Figurenstil, die Bildstruktur und die Komposition entscheidend. Den »schönen antikisierenden Figurenstil« teilt der Pariser Psal­ ter, mit Ausnahme der erwähnten Darstellungen, die eine etwas plumpere und verzeichnete Figurenwiedergabe aufweisen, mit der Josuarolle. Auch die illusionistische Wiedergabe der Landschaft, die skizzenhafte Behandlung der Bäume, Stand- und Sitzmotive, die feine Wiedergabe der Atmosphäre, die gute Beobachtung in der Darstellung des nackten menschlichen Körpers, die räumliche K lar­ heit, die gute Erfassung des Hintereinanders von Figuren, ferner 77

die antiken Personifikationen, pompejanische Motive, die als Säulenädikulen auftreten, zuletzt die enge Verbindung von christlichen und antiken Motiven, alle diese Merkmale, die in den besten D ar­ stellungen des Pariser Psalters auftreten (z. B. im harfenspielenden David, im Kam pf Davids mit Goliath und Davids mit dem Löwen), finden wir auch in der Josuarolle der Vaticana. Es gibt sogar antike Personifikationen, die sich in beiden Handschriften wiederholen, wie z. B. die der Nacht, oder die, die in engster Verbindung mit der Handlung stehen (Stadtpersonifikationen, Berggötter, Wüstenper­ sonifikationen). Aus dieser Übereinstimmung kann man entnehmen, daß beide Handschriften auf ähnliche Vorbilder zurückgehen und daß die erwähnten Motive keine Erfindung einer gelehrten künstlichen Humanistengeneration sind, sondern daß sie sich an die vorange­ gangene vorikonoklastische Malerei anschließen und ferner, daß ähnlich wie in der Josuarolle hier kein alexandrinischer Hellenismus festgestellt werden kann, sondern die Fortsetzung jener M altradi­ tion, die durch den Bilderstreit gewaltsam unterbrochen wurde. Man kann daher, von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, beim Pari­ ser Psalter nicht von einer eigentlich schöpferischen Renaissance sprechen, sondern nur von einem Wiederanknüpfen an eine ältere vorikonoklastische Strömung, die damals bereits eine weitgehende Verschmelzung antiker und christlicher Motive vollzog. Ungeachtet dieser Übereinstimmung gibt es aber auch Unter­ schiede. Sie beziehen sich auf die Bildstruktur. Die Josuarolle ist ein Vertreter des kontinuierlich-erzählenden Stils, der sich ununterbro­ chen in lebendigster Bewegung vor unseren Augen abrollt. In auf­ fallendem Gegensatz dazu besteht der Pariser Psalter aus einzelnen Vollbildern, die sowohl durch das quadratische oder hochgestellte Format als eine breite ornamentierte Umrahmung sich von der Josuarolle unterscheiden. Größer kann der Unterschied nicht ge­ dacht werden. Einerseits der kontinuierlich-erzählende fortlaufende Stil und anderseits das in sich geschlossene Vollbild. Überprüft man die Vollbilder des Pariser Psalters, so fällt ein Unterschied in der figuralen Komposition auf. Bei einigen Darstel­ lungen (dem harfenspielenden D avid, K am pf Davids mit Goliath und Davids mit dem Löwen, der Krönung, der Salbung Davids) entspricht dem Vollbild auch die für sich bestehende geschlossene Komposition. Bei anderen Darstellungen hat man den Eindruck, 78

daß es sich um Ausschnitte aus einer kontinuierlich fortlaufenden Darstellung handelt (bei der Reue Davids, dem Gebet Ezechiels, der Jonasszene, der Gesetzesübergabe an Moses). Das Entscheidende bei jenen Darstellungen, wo die fortlaufende Erzählungsart vor­ herrscht, ist die Tatsache, daß zwei zeitlich voneinander geschiedene Szenen auf einem Bild dargestellt wurden und daß die Hauptperson zweimal wiederkehrt (David, Ezechiel, Jonas, Moses). Ferner ist eine abrupte Darstellungsweise charakteristisch, d. h. die Geschlossenheit der Komposition ist dadurch gesprengt worden, daß einzelne Figuren ganz am Rande der Darstellung angebracht wurden und sich mit dem Rücken zur Mitte wenden, so als ob sie die Fortsetzung der Handlung, die plötzlich durch den Rahmen abgebrochen wurde, bilden würden (besonders kraß in der Reue Davids, Abb. n ) . Auch das Übereinanderstellen von Figuren, wie etwa im Übergang über das Rote Meer, und die plötzliche Unter­ brechung einer bewegten Menschenmasse durch den Rahmen, spre­ chen für die Umsetzung einer fortlaufenden Erzählung in ein ge­ schlossenes Vollbild. Im Pariser Psalter sind im Gegensatz zur Josuarolle zwei Bildstrukturen vorhanden: Vollbilder mit geschlossenen einheit­ lichen Kompositionen und Vollbilder ohne geschlossene einheitliche Komposition, bei denen die fortlaufende Erzählung in einen Rah­ men hineingepreßt und so künstlich zu einem Vollbild wurde. Es erhebt sich die Frage, ob die Tendenz zur Gestaltung von Vollbildern bzw. die Umsetzung des fortlaufenden Erzählungsstils in Vollbilder eine Stileigentümlichkeit des io. Jh . bildet oder sich bereits in der vorikonoklastischen Malerei vorfindet. Im allgemei­ nen hat sich die Umsetzung der Rollenform in einen Codex bereits in der altchristlichen Malerei vollzogen (Wiener Genesis), sie ist also keine neue Errungenschaft der Renaisance des io. Jh. Die be­ sprochenen Oktateuche und die ganze spätmakedonische und komnenische Malerei bevorzugen immer mehr das Vollbild. Dies hängt wohl mit der erstarkten Hieratik und der Tendenz, in den sog. Festen die Einzeldarstellung zu bevorzugen, zusammen. Man hat also aus der vorikonoklastischen Malerei in erster Linie das entnommen, was den Stiltendenzen des io. Jh. am besten ent­ sprach, das Vollbild mit geschlossener Komposition, also die antike Bildstruktur. Es wäre nicht ausgeschlossen, daß einige Vorbilder, die eine kontinuierliche Darstellungsweise auf wiesen, im io. Jh . zu79

rechtgestutzt, d. h. durch die Anbringung von Rahmen in Voll­ bilder verwandelt wurden. Andererseits aber ist kaum anzunehmen, daß der ganze schöne antikisierende Stil neu erfunden, die vielen Personifikationen angestückelt wurden, da ja bereits in der alt­ christlichen, vorikonoklastischen Malerei ein antikisierender Stil herrschte und solche Personifikationen verwendet hat. Wenn die Malereien in Castelseprio, die vor kurzem von italie­ nischen Forschern entdeckt wurden, aus der vorikonoklastischen Zeit stammen sollten, wofür vieles spricht, dann hätten wir in ihnen einen Beweis mehr, daß großfigurige antike Personifikationen engstens mit altchristlichem Inhalt verschmolzen, bereits damals auch die Wandmalerei beherrschten. Man muß sich daher bei der Beurteilung der mittelbyzantinischen Renaissance von den Vorstellungen der abendländischen Renais­ sance befreien. Sie ist keine grundsätzliche Neuschöpfung des 9. bis 10. Jh. wie die abendländische Renaissance des 13 .—15. Jh., sondern eine Fortsetzung und Neubelebung einer bereits bestehenden Male­ rei, die durch den Bildersturm unterbrochen wurde. Es spiegelt sich in ihr die Tendenz, den »schönen antikisierenden Stil« aus dem Reservoir der altchristlichen Malerei hervorzuheben, und darin kommt bereits ein gewisses verfeinertes Stilempfinden zum Aus­ druck, das für den H of von Konstantinopel so bezeichnend war. Nicht umsonst hat man die Gruppe von Handschriften, die mit dem Pariser Psalter in Verbindung stehen, als Werk einer Malschule, die zu einer aristokratischen Richtung gehört, bezeichnet. Wenn in letzter Zeit der Kaiser Konstantin Porphyrogennetos als der Urheber dieser Erneuerung bezeichnet wurde, und zwar nach authentischen Nachrichten, in dem Sinne, daß er sich um eine Restauration und Erneuerung dieses Lebens, das vergessen und verschwunden war, bemühte, so bestätigt dies die Interpretierung der byzantinischen Renaissance, die hier versucht wurde. Es ist mehr als auffallend, wie sich diese restaurative und bewahrende Renaissanceauffassung mit derjenigen Justinians deckt, der in der 17 . Novelle seines Rechtscodexes von der Wiederherstellung des

Farbtafel V Kreuzreliquiar. Cosenza. Domschatz. 12. Jh. Vorderseite. Silber vergoldet und Email. 26 X 2 1 cm. 1222 von Friedrich II. der Kathedrale von Cosenza geschenkt 80

ganzen schon verlorengegangenen und zusammengeschrumpften Altertums spricht (nobis reparantibus omnem vetustatem iam deperditam iam deminutam). Wir stoßen hier auf eine der entscheidenden Kern- und Existenzfragen des ganzen Byzantinismus. Neben der höfischen, von Konstantinopel ausgehenden Buch­ malerei besitzen wir eine andere, die als mönchische oder volks­ mäßige Psalterillustration bezeichnet wurde. An zwei Vertretern kann man die Stileigenschaften dieser Psalterillustrationen hervor­ heben, an dem Pantokratorpsalter im Athos (Cod. 61) und dem bekanntesten unter ihnen, dem Chludoffpsalter in Moskau (Histo­ risches Museum, Cod. 129). Diese Psalterillustrationen bestehen aus Marginalienmalereien, die am Rande des Textes angebracht waren und in einer flotten, skizzenhaften, aber ausgesprochen derben A rt den Psalter illustrieren und darüber hinaus verschiedene andere Szenen einflechten, wie z. B. erbauliche Darstellungen oder Darstel­ lungen, die sich auf den Bilderstreit beziehen (Chludoffpsalter). Die Darstellungen sind ungerahmt und schildern abgekürzt die einzelnen Begebenheiten, sie sind lebendig bewegt und fern von jedem »höfischen Klassizismus«. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir es hier mit einer Provinzkunst zu tun haben, und es ist höchst­ wahrscheinlich, daß diese Illustrationen in Kleinasien entstanden sind (Weitzmann). Auch diese Darstellungsart knüpft an den er­ zählenden Stil der altchristlichen Malerei an. Die kleinasiatischen Psalterillustrationen beweisen, daß sich in den byzantinischen Provinzen im Gegensatz zur Hauptstadt ein vulgarisierter altchristlicher Stil erhalten hat, der sich über den Bildersturm hinaus bis ins Mittelalter fortsetzte. Die höfische »klassizisierende« Malerei hat ihn nicht zu verdrängen vermocht. Es spricht vieles dafür, daß diese Psalterillustrationen knapp nach dem Bilderstreit im 9. Jh. entstanden sind. Im Zusammenhang mit ihnen sind die kappadokischen Höhlen­ fresken zu erwähnen. Sie schmücken die Wände von Höhlenkirchen in der Nähe von Caesarea. Ihre Entstehungszeit ist umstritten (9.—14. Jh.) und muß vorderhand offenbleiben. Man kann zwei Stilgruppen von Malereien unterscheiden. Eine frühe Gruppe, in der sowohl in den Themen, in der Anordnung der Fresken als auch in dem Stil ein starker Archaismus festgestellt wer­ den kann (Eusthatioskirche, Toquale Kilisse und Queledjar) mit friesartiger, chronologisch ablaufender Aneinanderreihung von Fres6/4008 Byzantinisch© Kunst

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ken, die ebenso wie gewisse Themen, z. B. die archaische Fassung der Frauen am Grabe und der Kreuzigung, an altchristliche Malereien erinnern. Auch die Malweise ist grob stilisiert, von einem derben Graphis­ mus getragen und entspricht diesem vulgarisierten altchristlichen Stil, dessen Nachklänge in den Mönchspsaltern nachwirken. Aber neben diesen Einflüssen dringen immer intensiver Konstantinopler Ein­ wirkungen ein, die sich in der strengen Anordnung der Fresken nach den Vorbildern des Pantokratorzyklus mit Festen bemerkbar machen. Vor allem in den Kreuzkuppelkirchen von Gereme, QuaranlegKilisse und Elm aly-Kilisse tritt dieses strenge hauptstädtische Aus­ schmückungsprogramm in Erscheinung (Christus Pantokrator in der Mittelkuppel, Evangelisten in den Pendentifs, Propheten in den Bogen unter der Kuppel und Ansätze zu Festdarstellungen). Auch der lineare Graphismus der früheren Fresken tritt zurück und macht einem zw ar derberen, aber doch »schönen Figurenstil« Platz. Obwohl die Fresken von keinen hervorragenden Künstlern aus­ geführt wurden, beweisen sie doch das Fortleben der altchristlichen Maltradition in den kleinasiatischen Provinzen und damit deren Zusammengehörigkeit mit der großen Kunst- und Kultureinheit des Mittelmeerraumes. Wie sich der antikisierende schöne Figurenstil der Josuarolle und des Pariser Psalters und verwandter Miniaturen verflüchtigt, dafür sprechen Handschriften aus dem Ausgang des io. Jh . und aus der komnenischen Periode (10 8 1—118 5). In der makedonischen Zeit kann das vatikanische Menologion des Kaisers Basil II. (976—1025) den Umschwung verdeutlichen. Die Handschrift enthält vierhundertdreißig Miniaturen, wovon dreihundert auf Heiligen- und Märtyrerszenen entfallen. Es haben sich auch die Namen von acht Miniaturmalern erhalten, die an der Ausmalung des Codex beteiligt waren. Die Miniaturen entfernen sich von dem impressionistischen Stil der makedonischen Renaissance durch die Zunahme an strengem mittelalterlichem Hieratismus, der durch frontale Heiligenfiguren und symmetrisch dargestellte Architekturen hervorgehoben wird, wie durch die konventionelle Wiedergabe der Landschaft durch kahle Felskulissen, hinter denen der goldene Hintergrund zum V or­ schein kommt, und durch das Zurückdrängen der die Figuren mit­ einander verbindenden Atmosphäre. Ferner tritt eine Monotonie 82

durch die Wiederholung derselben Motive auf, die auf einen Nieder­ gang der schöpferischen Kräfte hinweist, der durch eine souverän beherrschte Routine, etwa in der Farbengebung, nicht wettgemacht werden kann. Die große Zeit der byzantinischen Buchmalerei ist damit bereits überschritten. Die zahlreichen Nachahmungen des Menologions verraten ein weiteres Absinken des Stils. In der komnenischen Miniaturmalerei ist ein Zunehmen des Hieratismus feststellbar. In den späteren Fassungen der Oktateuche, vor allem in dem Exemplar des Serail, das auf Veranlassung Isaaks, des Sohnes Alexius’ I. Komnenos (10 8 1—1 1 1 8 ) illuminiert wurde, kann diese Zunahme der strengen mittelalterlichen Richtung beob­ achtet werden. Die Miniaturen entfernen sich sichtlich von den antiken Vorbildern, der Illusionismus tritt zurück, das Vollbild wird aus dem fortlaufenden Erzählungsstil, d. h. der Rollenform, herausgeschnitten. Diese neuen hieratischen Tendenzen spiegeln sich auch in einer Reihe von Evangelienillustrationen wider. Neben den Evangelisten werden nun auch die Feste als Vollbilder in die Evangelien auf­ genommen (Florenz, Laurenziana V I, 23; Athos Iviron N r. 1). Die neue Hieratisierung erfaßt vor allem die Figuren. Sie werden überaus schlank, mit kleinen Köpfen dargestellt. Offensichtlich ist die Tendenz zur Streckung der Figuren, die im Gegensatz zu dem »schönen Figurenstil« der makedonischen Renaissance steht (Evan­ geliar Med. Palat. 224 der Laurenziana in Florenz; Ende des 1 1 . Jh.). Daneben gibt es überaus reiche, kleinfigurige Evangelienillustra­ tionen, wie im Pariser Evangeliar N r. 74, wo auch Randminiaturen auf treten. In ihrer kalligraphischen, reich mit Gold durchwirkten Behandlung der Gewänder erinnern sie an byzantinische Em ail­ arbeiten und wirken spielerisch, beinahe zu illustrativer Kunst­ fertigkeit herab gesunken. Prunkhaft in der Ausführung, streng in der kompositioneilen Gruppierung der Figuren sind die Illustrationen der Homilien (Lob­ gesänge zu Ehren Marias), von dem Mönch Jakob Kokkinobaphos verfaßt. Zwei illuminierte Handschriften haben sich erhalten (Rom Vat. Gr. N r. 116 2 und Paris N r. 1208), deren Darstellungen aus dem Leben Marias einen trockenen Stil zeigen, wie w ir ihn bereits aus den Menologien kennen. In den Bildnissen der byzantinischen Kaiser treten gewisse neue naturalistische Züge sowohl in der Darstellung der zeitgenössischen

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Tracht als auch in der individuellen Wiedergabe der Gesichter zu­ tage, wie man das aus der Miniatur mit der Darstellung des Kaisers Nikephoros Botaniates (1078—10 8 1) der Pariser Nationalbiblio­ thek (Coislin 79) ersehen kann. Im allgemeinen kann beobachtet werden, daß in der komnenischen Zeit die mittelalterlich-hieratischen, ja sogar mönchischen Ten­ denzen die üppige Blüte der antikisierenden Richtung mit ihrer positiven Einstellung zur sinnlichen Erfassung der Außenwelt zurückdrängen.

D

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S p ä t b y z a n t in is c h e K u n s t

D ie allgem einen V or aus Setzungen im Palaiologenzeitalter

( 12 6 1- 14 5 3 ) Tiefe politisch-gesellschaftliche und geistige Erschütterungen durch die Eroberung von Byzanz durch die Lateiner und deren H err­ schaft in Konstantinopel (1204—12 6 1), Griechenland, Palästina, Syrien und Kleinasien haben das byzantinische Reich heimgesucht. Eine den byzantinischen Vorstellungen fremde Welt drang in die bedeutendsten byzantinischen Provinzen ein und bemächtigte sich zuletzt der Herzkammer des Reiches, Konstantinopels. Es genügt, die Beschreibungen der Kreuzfahrer, die uns Anna Komnena hinterlassen hat, sich in Erinnerung zu rufen, um die tiefe Kluft zu erkennen, die Byzanz bereits im 12. Jh. vom Okzident trennte. Man kann sich vorstellen, wie unendlich sich dieser Ab­ grund vertiefte, als die mit Byzanz zum Kam pf gegen den Islam verbündeten Kreuzfahrer sich nun selbst plündernd und sengend Konstantinopels bemächtigten. Allerdings, um den Wirkungen auf dem geistigen und kulturellen Sektor gerecht zu werden, die der Zusammenstoß dieser beiden, durch Jahrhunderte einander entfremdeten Welten verursachte, müssen zwei historische Tatsachen im Auge behalten werden: Erstens die erneuernde Kraft des Byzantinismus und zweitens abendländi­ sche Rückwirkungen. Die erneuernde Kraft des Byzantinismus tritt in scharfe Opposition gegen den lateinischen Westen im Reich von 84

Nikäa, dann in Trapezunt und Epiros und gelangt nach der Erobe­ rung Konstantinopels in der sog. Palaiologenzeit eruptiv zum Aus­ druck. Schon dadurch unterscheidet sich diese neue Renaissanceerschei­ nung von der sog. makedonischen Renaissance, daß sie keine »domi­ zilierte«, aus gewissen Verfeinerungsbestrebungen esoterischer H o f­ kreise entstandene Palastrenaissance ist, sondern eine Bewegung, die aus einer erschütternden Reichskatastrophe, die alle Schichten er­ faßte, hervorgegangen ist und die daher auch mächtiger in das historische Leben eingegriffen hat. Es handelte sich letzten Endes um den Existenzkampf des Byzantinismus, der seine Fortsetzung im geistigen Leben und auch in der bildenden Kunst erfahren hat. In dieser dramatischen Peripetie erinnert als historische Erschei­ nung, aber nicht als historische Auswirkung, die palaiologische Renaissance mehr an die abendländischen Renaissancen als die makedonische. Es ist wohl selbstverständlich, daß hier alle schöpfe­ rischen Kräfte auf die Erneuerung der eigenen, bisher erreichten Kulturerrungenschaften konzentriert werden mußten. Nur so konnte man sich gegen das fremde, feindliche Kulturgut behaupten. Aber neben diesen retrospektiven und die alte Tradition bewah­ renden geistigen Kräften gab es noch andere, die in das alte Kultur­ gut etwas Neues hineinzutragen versuchten. Es ist wahr, daß diese neuen geistigen Strömungen auf halbem Wege steckengeblieben sind und Byzanz in einer bloß gemäßigten Form streiften, im Gegensatz zum Abendland, wo sie die ganzen mittelalterlichen Grundlagen er­ schütterten. Sie haben aber doch der palaiologischen Renaissance zur Herauskristallisierung ihrer Eigenart im Rahmen des Altherge­ brachten verholfen. Diese zweite Wirkung geht auf eine Befruchtung durch die Berüh­ rung mit dem lateinischen Westen zurück. Wie so oft in der Geschichte beweist diese Erfahrung, daß sich auch fremde und feindlich gegen­ überstehende Kräfte gegenseitig beeinflussen können. Die Durch­ dringung der byzantinischen Welt durch die feudale ritterliche K u l­ tur des Okzidents geht auf eine längere Tradition zurück, die durch die Kreuzzüge und die immer enger werdenden dynastischen Bezie­ hungen zwischen dem byzantinischen Kaiserhaus und den abend­ ländischen Fürstenfamilien gefördert wird. Durch die Berührung mit den Trägern des abendländischen Ritter­ tums hat sich das byzantinische Reich, hauptsächlich in seinen Pro-

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vinzen, teilweise selbst feudalisiert und abendländisch gefärbt. Manuel Komnenos ist ganz von den Idealen des feudalen Rittertums erfüllt und veranstaltet in Antiochia Turniere, in denen er durch seine ritterliche Erscheinung und sein kühnes Benehmen auffällt. In den byzantinischen Romanen des 13 .—14. Jh ., wie Belthandros und Chrysantza oder Lybistros und Rhodamne, sind deutlich erkennbar Einflüsse der »Chansons de geste« vorhanden. Unzählige gotische Bauwerke, wie Burgen, Kirchenanlagen und sogar Kathedralen (Zypern), bedecken große Landteile Kleinasiens, Armeniens, Syriens, Palästinas und Griechenlands. Sie haben einen eigenen Stil herausgebildet, der mit Recht als Kreuzfahrergotik be­ zeichnet wurde. Es darf daher nicht wundernehmen, daß auch in der bildenden Kunst des Palaiologenzeitalters abendländische Einwirkungen vor­ handen sind. Sie werden zwar von der lebendig wirkenden, erneuer­ ten byzantinischen Tradition weitgehendst assimiliert, aber ver­ schließen konnte sich ihnen Byzanz ebensowenig, wie sich z.B . Italien den byzantinischen Einwirkungen, die durch die Kreuzfahrer aus­ gelöst wurden, verschließen konnte.

Die Architektur In der byzantinischen Hauptstadt haben sich nur die allerwenig­ sten Baudenkmäler erhalten. Sie fallen durch eine farbige Auflösung der Außenwände sowie durch Zierlichkeit und Streckung der Pro­ portionen auf. Die überaus reiche, farbige Behandlung der Außenwände be­ herrscht die Fassade des sog. Palastes des Tekfurserails und die Vor­ halle der Theodoroskirche in Konstantinopel. Die Ruinen des Tekfurpalastes sind bis heute mit keiner historischen Palastanlage identifiziert worden, so daß auch sichere Anhaltspunkte für seine Datierung fehlen. Einige Stilmerkmale jedoch könnten für das 13 . Jh. sprechen. Die Fassade des Palastes gliedert sich in ein Erd­ geschoß, das aus zwei, je mit einer mittleren Säule verbundenen Doppelarkaden besteht, und in zwei Stockwerke, die von einer Reihe oben rund abgeschlossener Fenster durchbrochen werden (Abb. 13).

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Fig. 2 1 Konstantinopel. Kilisse-Djami (Agios Theodoros). Die im iß. Jh . vor die Kirche des io. Jh . gebaute Vorhalle. Aufriß (vgl. Abb. 14)

Für die Fassade sind weiße und gelbe Marmorquadern, Ziegelschichten und eine Reihe von schachbrettartigen breiten Ornament­ friesen verwendet worden. Auch die Keilsteine der Arkaden sind farbig. Charakteristisch für die Wandgliederung sind die flachen Lisenen, die jede akzentuierte Tektonik vermeiden. Die Wandpfeiler zwischen den Fenstern des ersten Geschosses ruhen weder auf Sockeln noch auf einer Sohlbank. Die koloristische Auflösung der Wand wird noch durch die Verschiebung der Arkaden- und Fenster­ achsen verstärkt (sechs Achsen des ersten Geschosses entsprechen im zweiten Geschoß sieben Achsen). Diese farbige, untektonische Auflösung der Wand war sicher auch für die Kirchenanlagen charakteristisch. D avon haben sich nur zwei Beispiele erhalten, eine Kapelle im Bogdanserail und die Vor87

halle der Theodoroskirche (Kilisse-Djami) in Konstantinopel, die in der Palaiologenzeit dazugebaut wurde (Fig. 21 und Abb. 14). Typisch für die Palaiologenarchitektur ist die Durchbrechung des Außennarthex durch je zwei Arkadenöffnungen mit Säulen, wo­ durch ein starkes optisches Element in die Fassade der Theodoros­ kirche hineingetragen wird. Die farbige, schichtenartige Wand­ behandlung wird außerdem durch Nischenmotive an den Ecken be­ lebt. Also geformte Wand und farbige Auflösung beherrschen die Fassade. Dasselbe gilt für die oberen, flach in die Mauer eingelasse­ nen Arkaden. Sie stehen in keiner axialen Verbindung mit der unte­ ren Partie; also ein ähnliches Sichhinwegsetzen über alle tektoni­ schen Gesetze der Wand wie im Tekfurserail. Von kirchlichen Anlagen haben sich nur Kapellen erhalten. Zu den schönsten und zierlichsten dieser A rt gehört die südliche Kapelle (Paraklission) der Pammakaristoskirche (Fetje Djami) in Konstan­ tinopel, die als Gruftkirche des Stifters des Klosters Michael Glabas Tarchaniotes 1370 errichtet wurde. Die Anlage gehört zu den reizvollsten Konstantinopels. Sie ist dreischiffig und in der Mitte mit einer Kuppel versehen, die ur­ sprünglich auf Säulchen ruhte. Die gestreckten Proportionen ver­ leihen dem Bau eine außerordentliche Leichtigkeit. Auch die Außen­ wand zeichnet sich durch zierliche Formgestaltung aus, die Apsis ist ebenso ist die südliche Wand mehrgeschossig und durch große Bogen­ stellungen und schlanke Nischen durchbrochen (Abb. 15). Weitere Anlagen aus der Palaiologenperiode besitzen wir nicht. Man ersieht daraus, daß im 14. und 15. Jh. die Baulust erlahmte. Dafür besitzen wir in den Provinzen, hauptsächlich in den Bal­ kanländern und in Griechenland, eine Reihe von bedeutenderen Bauten. In Griechenland befinden sich die wichtigsten in Saloniki, Mistra (Peloponnes) und am Athos. Die bedeutendste Anlage Salonikis ist die Apostelkirche, die zwischen 1 3 1 2 —13 15 beendet wurde. Sie ist ein typischer Repräsen­ tant der Palaiologenarchitektur, was durch die Streckung der Pro­ portionen, hauptsächlich des mittleren Kuppelraumes durch den überhöhten Tambour, durch die lockere Anbringung der vier Neben­ kuppeln und durch die von Arkadenöffnungen durchbrochene äußere Vorhalle bewiesen wird. Die Kuppel ruht auf schlanken Säulen. Der griechischen Bautradition entspricht das Vorherrschen des Zie­ gels, der Ziegelornamentik und das lockere Verhältnis zwischen dem

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Fig. 22 Saloniki. Apostelkirche. Zwischen 13 12 und 13 15 beendet. Grundriß des Kernstücks

Gemeinderaum und den breiten Umgängen, die an die Sophien­ kirche in Saloniki erinnern (Fig. 22). Eine reiche Architektur hat sich in der byzantinischen Hauptstadt des Peloponnes, in Mistra, erhalten. Nach der Schlacht von Pelagonia (1259), wo die Frankenherrschaft im Peloponnes gebrochen wurde, ist das Despotat von Mistra mit der Ober- und Unterstadt Mistra auf felsigen Terrassen, die sich malerisch über der Ebene des Eurotas erheben, gegründet worden. Hier entstand eine Reihe von bedeutenden Kirchen und Klosteranlagen, in denen sich die wichtig­ sten Bauwerke aus der spätbyzantinischen Epoche erhalten haben, und zwar die Theodoroskirche im Brontochionkloster (um 1296), die dem hl. Demetrios geweihte Metropoliskirche (Umbau um 13 10 ), die Aphendikokirche des Brontochionklosters (um 13 10 ), die aus derselben Zeit stammende Peribleptoskirche und die der Lage nach am schönsten gelegene Kirche des Pantanassaklosters, eine Grün­ dung des Despoten Manuel Kantakuzenos (134 9 —1380). Die Kirche wurde laut einer verlorengegangenen Inschrift von Johannes Frangopulos um 1428 umgebaut (Abb. 16). Die traditionelle lokalgriechische Form einer Zweisäulenkirche hat sich in der Peribleptoskirche in Mistra erhalten. Eine Neuerung gegenüber den älteren Anlagen besteht darin, daß das harmonische Gleichgewicht einer zentralen Kreuzkuppelkirche zugunsten einer längsgerichteten Anlage verschoben erscheint. Diese neue Form 89

wurde von der Sophienkirdie in Mistra, die um 1350 errichtet wurde, übernommen. Die hier bereits zutage tretenden längsgerichteten basilikalen Ten­ denzen gehören zu den eigentlichen Neuerungen der Architektur Mistras. Es spiegelt sich darin nicht nur die Rückkehr zur altchrist­ lichen Basilika, sondern der neue Geist der fränkischen Architektur, die auch sonst in den Bauten Mistras Spuren hinterlassen hat. Es kommt zu einer eigenartigen Verknüpfung einer altchristlichen basilikalen Anlage mit einer zentralen Kreuzkuppelkirche. An drei Bauten können wir diese Synthese zweier grundverschiedener Form­ gestaltungen der Architektur verfolgen: an der Demetriuskirche in der Metropolis, der Aphendikokirche des Brontochionklosters und an der Kirche des Pantanassaklosters. Es wird angenommen, daß der ursprüngliche Bau der Metropolis­ kirche des hl. Demetrios einer basilikalen Anlage entsprochen und um 13 10 durch einen Umbau das jetzige Aussehen erhalten hat (Struck). Von der traditionellen hauptstädtischen Kreuzkuppel­ kirche unterscheidet sich die Anlage dadurch, daß die mittlere K up­ pel nicht auf vier Säulen ruht, sondern auf vier Pfeilern, die sich erst in der Empore erheben, während das Erdgeschoß wie in einer altchristlichen Basilika aus einem Paar von je vier Arkaden und je drei Säulen besteht. Unten wird daher eine ausgesprochen basilikale Tiefenrichtung mit Pseudonebenschiffen in die Wege geleitet, wäh­ rend sich über den Emporen eine Kreuzkuppelkirche erhebt. Zwei Bauideen, die tiefenbetonte basilikale und die in sich ruhende zen­ trale, kämpfen um die Vorherrschaft. Immerhin scheint dieser Pro­ zeß sich hier noch in einem Anfangsstadium zu befinden, und die zentrale Bauidee, die einer basilikalen sozusagen »aufgestülpt« wor­ den ist, beherrscht mit der Betonung der Eckkuppeln und des Ton­ nenkreuzes den Bau. Einen Schritt weiter ist die Aphendikokirche des Brontochion­ klosters gegangen. Hier ist der tiefenbetonte basilikale Gedanke durch die Verselbständigung der Nebenschiffe erreicht worden, die im Erdgeschoß von je fünf Kuppeln überdeckt sind. Allerdings wird diese »Emanzipierung« der Seitenschiffe im Erdgeschoß durch die Kuppel im Mittelquadrat und die Eckkuppeln in den oberen Teilen übertönt. Die fremdgewordene »fränkische« basilikale Tiefenrich­ tung wird zwar auf dem Wege über die altchristliche Basilika ein­ geführt, aber von der rein byzantinischen Idee der Kreuzkuppel­

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kirche symbolhaft beherrscht. Die Kirche des Pantanassaklosters schließt sich engstens an die Aphendikokirche an. Beide bilden den letzten Ausklang der Palaiologenarchitektur vor dem Zusammenbruch Konstantinopels (1453) und Mistras, das den Pall von Kon­ stantinopel um sieben Jahre überdauert hat. Während die Grundgestaltung der wichtigsten Anlagen Mistras aus für diese Periode so bezeichnenden »verhüllten Kompromiß­ lösungen« bestand, sind an anderen Stellen eindeutige Einbrüche der »fränkisch-gotischen Architektur« zu verzeichnen. So besitzt eine Reihe von Anlagen Glockentürme (Aphendikokirche, Turm des Peribleptosklosters und der Pantanassakirche). Zu den schönsten Turmschöpfungen gehört der Turm an der Westfassade der Kirche des Pantanassaklosters. Der Turm trägt in seinem Verhältnis zum Bau den Charakter eines italienischen Campanile, in seinen Formen aber lehnt er sich an französische Vorbilder an. Die stark durch­ brochenen Wände, die Dreipässe, die spitzen Giebel und der spitze Turmhelm mit Ansätzen von Fialen sprechen eine deutliche Sprache. Auch die Außendekoration der Pantanassakirche mit ihren Blendarkaturen, Spitzbogen, kielbogenartigen Dekorationsmotiven bildet eine Mischung von gotischen und islamisierenden Elementen, die an Sizilien erinnern (Dom von Cefalü, Monreale). Dagegen erinnert die leichte, loggienartig durchbrochene Vorhalle an italienische Denkmäler der Frührenaissance. Diese letzten Spuren italienisch-abendländischen Einflusses vor der Eroberung Griechenlands durch die Türken werden begreiflich, wenn man bedenkt, daß in der Klosterkirche von Pantanassa be­ rühmte historische Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, so die Gemahlin des letzten byzantinischen Kaisers Konstantinos X L , Theodora Tocco, und die sowohl durch ihre Schönheit als auch Seelen- und Charaktergröße berühmte Gemahlin des Despoten Theodoros II. von Mistra, Kleepe Malatesta (Abb. 16). Eine grundverschiedene Entwicklung nahm die strenge Kloster­ architektur des Berges Athos. Es herrscht hier die alte Bauform des Dreipasses (Trikonchos) vor. Wir können diese Form bis in die alt­ christliche Architektur zurückverfolgen (Cella Trichora in Rom, rotes und weißes Kloster in Ägypten). Am Athos wird dieser T ri­ konchos mit einer Kuppel und einer reichgestalteten Vorhalle ver­ bunden. Diesen Typus finden wir in den frühesten Anlagen vertre­ ten (Katholikon von Lavra, um 1004 beendet; Iviron und Vatopedi 91

bilden Nachahmungen von Lavra). Auch in der Palaiologenarchitektur bleibt dieser Typus unverändert. Neuerungen treten nur innerhalb dieser Grundstruktur auf. Die Kuppel ruht auf Säulen, und die Proportionen werden schlanker (Chilandar aus dem 13 . Jh.). Neu ist ein großer quadratischer Vorbau, der aus mehreren Traveen besteht und von zwei Kuppeln gekrönt wird (das sog. liti). Dieser Raum dient zur Verrichtung von liturgischen Gebeten und schützt die eigentlichen Sakralräume vor dem zu raschen Eindringen in dieselben (Chilandar, 13 . Jh ., Pantokrator, 1363, Esphigmenu, 1 4. Jh.). Die Architektur der Athosklöster hat einen großen Einfluß auf die Klosterbaukunst Griechenlands und der Balkanländer ausgeübt.

Die Stilwandel in der monumentalen Malerei Mit der palaiologischen Renaissance ist auch eine Reihe von monumentalen Malereien verknüpft. Zu den bedeutendsten dieser Denkmäler gehören die Mosaiken der Chorakirche (Kachrije-Djami) in Konstantinopel und die Fresken in den Kirchen Mistras. In der Tat bedeuten sie einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der spätbyzantinischen Malerei und zeigen vielleicht die größte Wandlung, die sich innerhalb der byzantinischen Malerei vollzogen hat. Was die Mosaiken der Chorakirche und die Fresken von Mistra betrifft, so bedeutet das Wort Renaissance im Zusammenhang mit ihnen etwas anderes als in der Zeit der makedonischen Dynastie. Diese letzte Phase in der Geschichte der byzantinischen Malerei hat nicht mehr einen bloß restaurativen Charakter, sondern weist eine reale Wandlung auf, die für die ganze spätbyzantinische Kunst von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Ober den stilgeschichtlichen Verlauf der palaiologischen Malerei, deren Bedeutung erst in der allerneuesten Zeit erkannt wurde, bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die ältere scheidet die Palaiologenmalerei in eine makedonische und in eine kretische Schule (Millet), während die neuere einen malerischen Stil des 14. Jh . (frühpalaiologisch) und einen beruhigteren, klassizistisch-graphischen der zweiten Hälfte des 14. Jh. und des 15. Jh. (spätpalaiologisch) an­ nimmt (Lazarev). Die erstere Ansicht beruht auf keinen sicheren Grundlagen, dagegen hat die zweite den Vorteil, stilgeschichtliche

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Kriterien zur Beurteilung der Palaiologenmalerei herangezogen zu haben. Allerdings kann man eine Trennung zwischen dem 14. und 15. Jh. noch nicht durchführen, da das malerische, oder besser ausgedrückt, das optisch-koloristische Element das ganze 14. Jh ., ja sogar das

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