Freiligrath’s Briefwechsel mit Marx und Engels: Teil 1 Einleitung und Text [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021] 9783112526521, 9783112526514


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German Pages 292 [293] Year 1969

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Freiligrath’s Briefwechsel mit Marx und Engels: Teil 1 Einleitung und Text [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021]
 9783112526521, 9783112526514

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F R E I L I G R A T H S B R I E F W E C H S E L MIT MARX UND E N G E L S

H E R A U S G E G E B E N VON DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR ZENTRALINSTITUT FÜR LITERATURGESCHICHTE

FREILIGRATHS BRIEFWECHSEL MIT MARX UND ENGELS T E I L I: E I N L E I T U N G U N D T E X T

B E A R B E I T E T UND E I N G E L E I T E T VON MANFRED HÄCKEL 2., unveränderte Auflage

AKADEMIE-VERLAG 1976



BERLIN

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3— 4 Copyright 1968 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/296/75 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 751 294 3 (5648/1 -II) • LSV 7103 Printed in GDR EVP 5 8 , -

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Einleitung Briefwechsel Beilagen Faksimile Faksimile Faksimile Faksimile

des Briefes Nr. 7 des Briefes Nr. 12 des Briefes Nr. 113 des Briefes Nr. 114

VII IX 1

VORWORT

Die vorliegende Edition h ä t t e nicht durchgeführt werden können, wenn mir nicht in allen Phasen der Arbeit daran bereitwilligst Unterstützung zuteil geworden wäre. Mein D a n k gilt in erster Linie den drei Instituten, die in großzügiger Weise die Handschriften von Marx, Engels und Freiligrath zur Verfügung stellten und die Veröffentlichung bisher ungedruckter Stücke gestatteten: Dem Internationaal I n s t i t u u t voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam, dem Insitut f ü r Marxismus-Leninismus beim ZK der K P d S U in Moskau und der Stadt- und Landesbibliothek Dortm u n d . Großen D a n k schulde ich auch den Instituten und Archiven, die mir die Benutzung weiterer, zum Teil ungedruckter u n d unbekannter Materialien f ü r die Kommentierung des Briefwechsels erlaubten: Dem Institut f ü r Marxismus-Leninismus beim ZK der S E D in Berlin, der Lippischen Landesbibliothek Detmold, der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf, der Bibliothèke publique et universitaire Genève, der Universitätsbibliothek Münster, dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam, dem Stadtarchiv Soest, den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Goetheu n d Schiller-Archiv) dem Stadtarchiv Bielefeld. F ü r die Beantwortung von Anfragen und die Einsichtnahme in Akten bin ich verpflichtet : dem Sächsischen Landeshauptarchiv Dresden, dem E v . L u t h . Kirchgemeindeverband Dresden, dem Zweigarchiv Kalkum des Staatsarchivs Düsseldorf, dem Stadtarchiv Düsseldorf, dem Stadtarchiv F r a n k f u r t am Main, dem Historischen Archiv der Stadt Köln, der Universitäts- und Landesbibliothek Köln, der Universitätsbibliothek Heidelberg, dem Stadtarchiv Leipzig, der Städtischen Bücherei Lippstadt, dem K u l t u r a m t der Stadt Lüdenscheid, dem Cotta-Archiv (Stiftung der Stuttgarter Zeitung) im SchillerNationalmuseum Marbach. F ü r zahlreiche Ratschläge und Hinweise danke ich den Damen und H e r r e n : Dr. Andernacht ( F r a n k f u r t a. M.), Andreas (Gèneve), Dr. Bahne (Amsterdam), Barion (Köln), Dr. Beck (Potsdam), Dr. Bleiber (Berlin), B r a n n (Berlin), Dr. Deus (Soest), D r . Förder (Berlin), Gunnemann (Dortmund), Dr. Haas (Heidelberg), Dr. Haxel (Detmold), Klockow (Lippstadt),

Knieper (Lüdenscheid), Dr. Koszyk (Dortmund), Langkau (Amsterdam), Dr. Meyer (Dortmund), Dr. Mönke (Berlin), Dr. Schlechte (Dresden), Sinejnika (Moskau), Sinelnikowa (Moskau), Dr. Steffen (Münster), Dr. Stüwer (Düsseldorf), Dr. Wenig (Bonn), Ziese (Berlin). Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Bruno Kaiser, der mich zu dieser Arbeit anregte.

VIII

EINLEITUNG

I Als Johann Wolfgang von Goethe im Jahre 1804 zum ersten Mal gedruckte Briefe Johann Joachim Winckelmanns rezensierte, leitete er die Besprechung mit dem Satz ein: „Von bedeutenden Männern nachgelassene Briefe haben immer einen großen Reiz für die Nachwelt, sie sind gleichsam die einzelnen Belege der großen Lebensrechnung, wovon Thaten und Schriften die vollen Hauptsummen vorstellen." 1 Der Dichter selbst, der diese Worte wohl aus dem Wissen um den Wert des eigenen, zum Teil bereits als historisch empfundenen, reichhaltigen brieflichen Austauschs mit wesentlichen Zeitgenossen äußerte, hat durch die Herausgabe seines Briefwechsels mit Schiller die Bedeutung und die Notwendigkeit ähnlicher Sammlungen ausdrücklich bestätigt. 2 Ungefähr seit Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Wissenschaft in immer stärkerem Maße sich auch der privaten Dichter-, Diplomaten- und Gelehrtenkorrespondenz zuzuwenden und in ihnen Dokumente von historischem Quellenwert zu sehen. Die Beschäftigung mit Briefnachlässen und die Edition von Briefwechseln wurde zu einer erstrangigen Forschungsaufgabe. Es gibt heute keine wissenschaftliche Einzeldisziplin mehr, die ohne Einbeziehung der Korrespondenz der Persönlichkeiten, mit denen sie sich zu beschäftigen hat, ein umfassendes und wahrheitsgetreues Bild der Geschichte ihres Gegenstandes wie der Entwicklung ihres Faches zu geben imstande wäre. Im 19. Jahrhundert spielt der Brief als Verständigungs- und Kommunikationsmittel noch immer eine hervorragende Rolle. Die Nachlässe sind überreich .n Korrespondenzen. Die Briefe, die Marx und Engels der Nachwelt hinterlassen haben, zählen zu den wertvollsten Dokumenten des Jahrhunderts. Sie stellen ein einmaliges Briefwerk von epochaler Relevanz dar. In gleichem Maße wie darin die größte wissenschaftliche Leistimg der Neuzeit — die Entdeckung der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft und die Entschleierung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion — Johann Wolfgang von Goethe, Ungedruckte Winckelmannische Briefe. In: Intelligenz•blatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, Jg. 1804, Nr. 26, Sp. 201—207. 2 Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Bd. 1—6, Stuttgart 1828/29.

1

IX

in der Form der Selbstverständigung und des stetigen Gedankenaustausches vorgedeutet, ja vorgeformt erscheint, lösen sich die „einzelne(n) Belege der großen Lebensrechnung" beider Geistesheroen aus der persönlichen Sphäre und werden zu Belegen der Menschheitsentwicklung. Sie erscheinen damit selbst als ein Teil der •weltverändernden •wissenschaftlichen Leistung. Und es ist die Übereinstimmung von persönlicher Äußerung und epochalem Werk, die den Briefen der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus die Einmaligkeit und damit die spezifische Stellung innerhalb der Briefliteratur des 19. J a h r h u n d e r t s verleiht. D a ß sie darüber hinaus mit bewundernswürdiger Genauigkeit Arbeitsmethode, -intensität u n d -umfang veranschaulichen — es genügt, hier auf die Briefe zum „ K a p i t a l " 3 hinzuweisen —, daß sie die wichtigste uns zur Verfügung stehende biographische Quelle bilden, und daß sie nicht zuletzt Dokumente einer großen und selbstlosen Freundschaft darstellen, macht sie uns nur umso teurer und liebenwerter. Aus der Sicht der Entwicklung Deutschlands und seiner Arbeiterbewegung waren die ersten fünfundvierzig J a h r e unseres J a h r h u n d e r t s der Edition Marx-Engelsscher Briefe wenig günstig. Die erste größere Gruppe von Briefen, die aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde, enthielt bezeichnenderweise n u r die Schreiben, die Lassalle an die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus gerichtet hatte. 4 Ein solcher A u f t a k t war symptomatisch. Der Revisionismus Bernsteins, vermischt mit falschen Pietäts- und Moralvorstellungen, prägte dann die erste Ausgabe des Briefwechsels zwischen Marx u n d Engels 6 sowie den ersten Sammelband, der Briefe von Marx und Engels an dritte Personen enthielt 6 . Erst in den zwanziger J a h r e n erschienen die ersten, mehr oder weniger umfassenden 3

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X

Vgl. Marx—Engels, Briefe über „Das Kapital". Besorgt vom Marx-Engels-Lenin-StalinInstitut beim ZK der SED, Berlin 1954. Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, hg. von Franz Mehring, Bd. 1—4, Stuttgart 1902. Bd. 4: Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels vom Febr. 1849— Juli 1862. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und Karl Marx 1844—1883, hg. von A. Bebel und Ed. Bernstein, Bd. 1—4, Stuttgart 1913. Obwohl Bebel als Mitherausgeber genannt wird und auch Mehring als Beauftragter von Laura Lafargue mitarbeitete, lag die Redaktion ausschließlich in den Händen Bernsteins. Bernstein schied nicht nur ca. 200 Briefe überhaupt aus, sondern reinigte" auch eine Anzahl aufgenommener Briefe von Stellen, die sich kritisch mit Vertretern antiproletarischer und opportunistischer Richtungen auseinandersetzten, z. B. mit den „wahren Sozialisten" und mit Lassalle. Seine Streichungen umfaßten Wörter, Sätze und Seiten. Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. A. an F. A. Sorge und Andere, Stuttgart 1906. Die Briefe dieses Bandes wurden in der gleichen Weise bearbeitet wie der Briefwechsel zwischen Marx und Engels.

Briefwechsel mit dritten Personen 7 . Die durch Gustav Mayer 8 , vor allem aber durch D . Rjazanov in der MEGA 9 gewonnenen Ansätze zu einer historisch-kritischen Darstellung, konnten nach 1933 zunächst nur in der Sowjetunion weitergeführt werden 10 . Erst heute, nachdem sowohl das Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam 11 , als ' Die Briefe von Friedrich Engels an Eduard Bernstein. Mit Briefen von Karl Kautsky an ebendenselben, bg. von Eduard Bernstein, Berlin 1925. Die Briefe von Karl Marx und Friedrich Engels an Danielson (Nikolei-on). Mit einem Vorwort von Professor Gustav Mayer, hg. u. eingel. von K u r t Mandelbaum, Leipzig 1929. Erwähnt werden muß hier auch die Briefedition: Aus der Frühzeit des Marxismus. F. Engels Briefwechsel mit Kautsky, hg. u. erl. v. Karl Kautsky, Prag 1935. Der Band enthält jedoch nur die Briefe von Engels, nicht die von Kautsky. 8 Ferdinand Lassalle, Nachgelassene Briefe und Schriften, hg. von Gustav Mayer, 3. B d . : Der Briefwechsel zwischen Lassalle und Marx nebst Briefen von Friedrich Engels und Jenny Marx an Lassalle und von Karl Marx an Gräfin Sophie von Hatzfeldt, hg. von Gustav Mayer, Stuttgart—Berlin 1922. Die Ausgabe vereinigte erstmalig den Briefwechsel zwischen Marx und Lassalle, wobei alle verfügbaren Archivmaterialien ausgewertet wurden. Der Band ist jedoch nur im Hinblick auf die Vollständigkeit als ein Ansatz zu einer historisch-kritischen Darstellung zu betrachten. Mayer h a t die Originalorthographie beider Briefschreiber nicht beibehalten, sondern h a t modernisiert. 9 Karl Marx Friedrich Engels Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke/Schriften/ Briefe. I m Auftrag des Marx-Engeis-Instituts Moskau, hg. von D. Rjazanov, F r a n k f u r t a. M. 1927 (seit 1929 Berlin) ff. (im folgenden: MEGA). Dritte Abteilung: Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels, Bd 1—4, hg. von D. Rjazanov (Bd 4, hg. von V. Adoratskij), Berlin 1929—31. Die Ausgabe bringt zum ersten Mal den vollständigen und ungekürzten Briefwechsel von Marx und Engels. Die Briefe sind ebenfalls dem modernen Stand der Orthographie angepaßt. 10 Schon in den ersten Jahren des Bestehens des Sowjetstaates hatte auf Initiative Lenins durch Rjazanov und Adoratskij eine intensive Sammlung der Briefe von Marx und Engels durch Kauf und Beschaffung von Fotokopien begonnen. Die erste russische Ausgabe der Werke: K . M a r x i F . E n g e l s , Soöinenija, pod redakciej D. Rjazanova (ab Bd I X (1932) pod redakciej V. Adoratskogo). Institut Marksa-Engelsa-Lenina pri Ck VKP(b). Moskva 1928ff. enthielt in Bd X X I - X X I V ( 1 9 2 9 - 3 1 ) den vollständigen Briefwechsel zwischen Marx und Engels und in Bd X X V — X X I X (1930—46) die Briefe beider an dritte Personen, soweit sie damals zur Verfügung standen. 11 Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Kautskys vervollständigte Ausgabe vop „Aus der Frühzeit des Marxismus", hg. u. bearb. von Benedikt Kautsky. I n : Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der deutschen und österreichischen Arbeiterbewegung, hg. vom Institut f ü r Sozialgeschichte zu Amsterdam unter Leitung von Prof. A. J . Rüter, Bd. I, Wien 1955. Wilhelm Liebknecht Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels, hg. u. bearb. von Georg Eckert. I n : Ebenda, Bd V, The Hague 1963. (Der Band enthält nicht die im Zentralen Parteiarchiv im Institut f ü r Marxismus-Leninismus beim ZK der K P d S U , Moskau, befindlichen Briefe). August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels, hg. von Werner Blumenberg. I n : Ebenda, Bd VI, London, The Hague, Paris 1965. — Die Bände sind sparsam kommentierte Leseausgaben, deren Texte den heutigen Regeln der Orthographie angepaßt sind.

XI

auch das Institut für Marximsus-Leninismus beim ZK der KPdSU in Moskau 12 und das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED in Berlin 13 sowie andere Institutionen 14 repräsentative Briefbände veröffentlicht haben bzw. planen, läßt sich ein Bild von dem ganzen Reichtum des Marx-Engelsschen Briefwerkes gewinnen. Trotz der zahlreichen und vielseitigen Bemühungen um die Edition der Briefwechsel von Marx und Engels mit dritten Personen im letzten Jahrzehnt bleibt noch vieles zu tun. Der vorliegende Briefwechsel zwischen den Begründern des wissenschaftlichen Kommunismus einerseits und Ferdinand Freiligrath andererseits will eine der noch offenen Lücken schließen. Die von Freiligrath erhaltenen, an persönliche, literarische und politische Freunde gerichteten Briefe belaufen sich auf etwa 2000. Nur ein Teil ist gedruckt. Das meiste davon fand Aufnahme in die einzige, vor mehr als achtzig Jahren verfaßte Biographie 15 . Sie ist seit langem überholt. Erstens ist die Wissenschaft in der Einschätzung der poetischen Leistung Freiligraths zu neuen Auffassungen gekommen, und zweitens hat die willkürliche Behandlung der Briefdokumente durch Buchner ein einseitiges, unvollständiges und damit unrichtiges Bild von der Persönlichkeit des Dichters und seiner Entwicklung gezeichnet. Neben einem Band Familienbriefe 16 erschienen nur noch kleinere Briefpublikationen in Sammelwerken, Einzelveröffentlichungen und Studien. 17 12

M

K . Marks i F. Ênge'ls, Soöinenija. Izdanie vtoroe. Institut Marksizma-Leninizma pri CK KPSS, Moskva 1955ff. Von den geplanten 14 Briefbänden (Bd 27—39), die neben dem Briefwechsel von Marx und Engels alle zur Zeit bekannten und erreichbaren Briefe beider an dritte Personen enthalten sollen, sind bisher 11 (Bd 27—36) erschienen. Karl Marx Friedrich Engels Werke. Institut f ü r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1957ff. (im folgenden: W). Aufgebaut nach den Prinzipien der Ausgabe des Instituts f ü r Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Moskau 1955 ff., wird sie ebenfalls 14 Briefbände (Bd 27—39) enthalten, von denen bisher 10 (Bd 27—36) erschienen sind. Nach ihrem Erscheinen wird sie die bisher umfangreichste Sammlung der Briefe von Marx und Engels in der Originalsprache aufweisen. Auch hier handelt es sich u m eine Leseausgabe, bei der die Texte den orthographischen Regeln der Gegenwart angepaßt und die im Text vorkommenden Abkürzungen aufgelöst sind.

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Friedrich Engels Paul et Laura Lafargue, Correspondance. Textes recueillis, annotés et présentés Emile Bottigelli. Traductions de l'anglais par Paul Meier, I — I I , Paris 1956, I I I , Paris 1959. 15 Wilhelm Buchner, Ferdinand Freiligrath. Ein Dichterleben in Briefen, Bd I u. 2, Lahr 1882 (im folgenden: Buchner). 18 Freiligrath-Briefe, hg. von Luise Wiens geb. Freiligrath, Stuttgart und Berlin 1910. ® Ohne Vollständigkeit erzielen zu wollen, Seien genannt: Arnold Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter, hg. von Paul Nerrlich, Bd 2, Berlin 1886. Clara Seidensticker, Unpublished Letters of Ferdinand Freiligrath to Dr. George F . Seidensticker. I n : Americana Germanica, vol. I, 1897, S. 74—87.

XII

Die vorliegende Ausgabe vereint alles derzeit in den entsprechenden Archiven und Bibliotheken vorhandene Briefmaterial, einschließlich der Entwürfe sowie anderweitig zitierter Briefauszüge der drei Partner. Sie umfaßt ingsesamt 181 Positionen, die sich folgendermaßen aufgliedern: 176 ausgeführte Briefe (davon einige ohne Schluß); ein Fragment (von Freiligrath); zwei Entwürfe (einer von Marx, einer von Engels, letzterer ohne Schluß); zwei Auszüge (beide von Engels). Ebenfalls abgedruckt werden die Entwürfe zu zwei ausgeführten Briefen. 15 Briefe von Marx an Freiligrath und 3 Briefe von Engels an Freiligrath stehen 2 Briefe von Freiligrath an Marx und Engels, 124 an Marx und 37 an Engels gegenüber. Die Briefe von Marx liegen gedruckt vor, ebenso der Entwurf und ein Briefauszug von Engels. Der zweite Auszug eines Briefes von Engels an Freiligrath erscheint zum ersten Mal im Druck. Von den Briefen Freiligraths an Marx wurden bisher 8 vollständig und 21 auszugsweise in der Originalsprache veröffentlicht 18 , in russischer Übersetzung erschienen 26 Briefe. 19 Einschließlich der oben erwähnten 21 bisher nur auszugsweise

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Julius Rodenberg, Erinnerungen aus der Jugendzeit, Bd 2, Berlin 1899, S. 135—342. Levin Ludwig Schücking, Ferdiand Freiligrath und Levin Schücking. I n : Deutsche Rundschau, Bd 143, 1910, S. 4 0 8 - 4 2 8 . Martin Bollert, Ferdinand Freiligrath und Gottfried Kinkel, Bromberg (1916). Freiligraths Werke in Sechs Teilen, hg. mit Einleitung und Anmerkungen versehen v o n Julius Schwering. Teil 6, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o. J . I. T. Hatfield, The Longfellow-Freiligrath Correspondance. I n : Publications of the Modern Language Association of America (PMLA), vol. X L Y I I I , Nr. 4, Dec. 1933, S. 1223-1393. Wilhelm Schoof, Briefwechsel zwischen Dingelstedt und Freiligrath. I n : Westfälische Zeitschrift, Nr. 96, 1940, S. 1 8 7 - 2 2 6 . Ders., Aus Geibels Briefwechsel mit Freiligrath. I n : Der Wagen. Ein lübeckisches Jahrbuch, 1956, S. 6 3 - 7 0 . Von Bedeutung sind die in den letzten Jahren aufgestellten genauen Autographenverzeichnisse : Ferdinand Freiligrath als deutscher Achtundvierziger und westfälischer Dichter. Mit einer Auswahl seiner Gedichte anläßlich seines 150. Geburtstages, hg. von Erich Kittel, Lemgo 1960. E n t h ä l t : Freiligrath-Autographen der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, von Harro Heim; Die Freiligrath-Sammlung der Lippischen Landesbibliothek, von der Lippischen Landesbibliothek; die Freiligrath-Handschriften des Soester Stadtarchivs, von Wilhelm Dietrich. Alfred Büscher, Die Freiligrath-Handschriften der Universität Münster. I n : Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd 32, Detmold 1963, S. 170 —176. Erich Kittel, Freiligrathbriefe in Westfalen und Weimar. I n : Ebenda, S. 176 —181. Vornehmlich in Franz Mehrings Studie: Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel. I n : Ergänzungshefte zur Neuen Zeit, Nr. 12, ausgegeben am 12. April 1912, Stuttgart 1912 (im folgenden: Mehring). Ferdinand Frejligrat, Izbrannye proizvedenija. Perevod s nemeckogo. Redakcija, vstupitelnaja s t ä t j a i primeöanija A. L. Dymäica, Moskva 1956.

XIII

bekannten Schreiben an Marx bringt vorliegender Band insgesamt 119 Briefe an denselben sowie sämtliche 36 Briefe an Engels — letztere hat man noch in jüngster Zeit für verschollen erklärt 20 — erstmalig und vollständig in deutscher Sprache. Zur Erläuterung der in den Briefen behandelten Ereignisse und Probleme haben zahlreiche unveröffentlichte Briefe von Joseph Weydemeyer, Ernst Dronke, Peter Imandt, Ludwig Kugelmann, Adolf Cluß u. a. an Marx, Briefe von Freiligrath an Wilhelm Wolff, Joseph Weydemeyer, Gottfried Kinkel, Arnold Rüge u. a. sowie von Carl Vogt u. a. an Freiligrath in die Anmerkungen Aufnahme gefunden. Die geringe Zahl der Antworten von Marx und Engels einerseits — von Engels z. B. ist kein ausgeführter Brief überliefert — zahlreiche Hinweise bei Freiligrath auf empfangene Cegenbriefe andererseits machen deutlich, daß wir, trotz des relativ großen Umfangs des Briefwechsels, nur noch einen Teil davon vor uns haben. Bereits Mehring, dem ungefähr der gleiche Bestand an Briefen von Marx und Freiligrath vorgelegen haben dürfte, wie er heute noch bekannt ist, hat darauf hingewiesen. In seiner Studie „Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel" heißt es: „Freilich sind nur noch Trümmer davon vorhanden: von Freiligrath etwa hundert Briefe an Marx, von Marx gar nur etwa ein Dutzend Briefe an Freiligrath, aus einem brieflichen Verkehr von nahezu zwanzig Jahren." 21 Zwei sich darüber hinaus widersprechende Zeugnisse von Marx lassen nur vage Vermutungen über den wirklichen Umfang des Briefwechsels zwischen ihm und dem Dichter zu. Am 9. Februar 1860 schreibt er an Engels, sich auf Freiligraths Haltung in der Vogt-Affäre beziehend: „Vergißt er, daß ich über 100 Briefe von ihm besitze?" 22 Am 23. Februar des gleichen Jahres erinnert er Freiligrath: „Du weißt, daß ich wenigstens 200 Briefe von Dir besitze, worin hinlängliches Material, um nöthigenfalls Dein Verhältniß zu mir und zur Parthei zu constatiren." 23 Der ungefähre Umfang der Freiligrathbriefe wird wohl etwa in der Mitte zwischen den beiden von Marx genannten Zahlen liegen; sein eigener Anteil am Briefwechsel dürfte, obgleich nicht nachweisbar, in keinem Verhältnis zu den überlieferten Briefen stehen. Ähnlich verhält es sich mit den Briefen Freiligraths und Engels': Von beiden sind Briefe verlorengegangen, jedoch weit mehr von Engels als von Freiligrath. Die Originale des vorliegenden Briefwechsels verteilen sich im wesentlichen auf zwei Standorte: auf das Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam und die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund. 20

Erich Kittel, Freiligrathbriefe in Westfalen'und Weimar, a. a. O., S. 181.

21

A. a. O., S. 2.

22

W 30, S. 32. Brief Nr. 130b.

23

XIV

Diese Tatsache ist aufs engste mit dem Schicksal der Nachlässe aller drei Persönlichkeiten verbunden. Nach dem Ableben von Marx war Engels in den Besitz aller Skripten und Briefe gekommen, von denen sich bereits ein wesentlicher Teil — seit den fünfziger Jahren wurden wichtige Dokumente und Briefe im Geschäftsarchiv der Firma Ermen & Engels aufbewahrt— in seinen Händen befunden hatte. Er verfügte in seinem Testament vom 29. Juli 1893: „Ich bestimme, daß alle M a n u s k r i p t e l i t e r a r i s c h e r N a t u r in der Handschrift meines verstorbenen Freundes K a r l M a r x und alle von ihm geschriebenen oder an ihn adrdessierten Familienbriefe, die zur Zeit meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, von meinen Vollstreckern an Eleanor Marx Aveling von 7 Grays Iren Square, die jüngere Tochter des erwähnten Karl Marx, gegeben werden sollen. Ich v e r m a c h e alle B ü c h e r , die zur Zeit meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, an die erwähnten A u g u s t B e b e l , und P a u l Singer. Ich vermache alle M a n u s k r i p t e , die zur Zeit meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen (ausgenommen die erwähnten literarischen Manuskripte von Karl Marx) und alle Briefe (ausgenommen die erwähnten Familienbriefe von Karl Marx) an die erwähnten A u g u s t Bebel und E d u a r d B e r n s t e i n . " 2 4 Knapp eineinhalb Jahre später, am 14. November 1894, fügte er dem Testament ein Kodizill hinzu, das folgenden ergänzenden und verändernden Passus enthielt: „Während ich in meinem erwähnten Testament bestimmt habe, daß alle von K a r l M a r x oder an ihn g e s c h r i e b e n e n F a m i l i e n b r i e f e , die zur Zeit meines Todes in meinem Besitz sein oder meiner Verfügung unterstehen sollten, von meinen Vollstreckern an Eleanor Marx-Aveling gegeben werden sollen, w i d e r r u f e ich hiermit die besagte Bestimmung mit Bezug auf Familienbriefe und bestimme statt dessen, daß alle von dem erwähnten Karl Marx geschriebenen oder an ihn gerichteten Briefe (ausgenommen meiner Briefe an ihn und seiner Briefe an mich), die zur Zeit meines Todes in meinem Besitz sein oder meiner Verfügung unterstehen sollten, von meinen Vollstreckern der besagten Eleanor Marx-Aveling gegeben werden sollten, die die gesetzliche Vertreterin des besagten Karl Marx i s t . . . und demgemäß widerrufe ich hiermit das Vermächtnis in meinem besagten Testament von allen Briefen in meinem Besitz (aus24

Der Abend, Spätausgabe des Kurier, Berlin, 20. September 1929. Das Testament wie das später verfaßte Kodizill sind englisch geschrieben. Die Originale werden im Britischen Museum aufbewahrt.

XV

genommen die erwähnten Familienbriefe von Karl Marx) an August Bebel und Eduard Bernstein und vermache statt dessen an die besagten August Bebel und Eduard Bernstein alle Briefe mit Ausnahme derer, von denen dieses Kodizill bestimmt, daß sie an Eleanor Marx-Aveling zu geben sind und mit Ausnahme derer, über die in diesem Kodizill anderweitig verfügt ist." 25 Eduard Bernstein hat in seiner „Geist und Ausführung des Engelsschen Testaments" 26 überschriebenen Mitteilung dargelegt., daß Marx' Töchter, Laura Lafargue und Eleanor Marx-Aveling, die von Engels getroffenen Bestimmungen über die Manuskripte für richtig befunden hätten. Und er fährt fort: „So wurden dann diese Manuskripte zusammen mit solchen von Marx in eine Kiste gepackt, deren Überwachung Bebel zunächst übernahm. Auf seine Anordnung wurde sie längere Zeit in den Räumen des Parteiarchivs der deutschen Sozialdemokratie aufbewahrt und dann —wenige Jahre vor Bebels Tod — in meine Wohnung übergeführt und meiner Obhut anvertraut." 27 Der Grund für die — zeitweilige — Überführung des Nachlasses aus dem SPD-Parteiarchiv in die Privatwohnung Bernsteins lag in der 1910 begonnenen Arbeit an der ersten Ausgabe des Briefwechsels zwischen Marx und Engels.28 Während der zwanziger Jahre befanden sich die Manuskripte und Briefe der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus im SPD-Parteiarchiv. Durch Sicherstellung im Ausland konnten sie noch nach dem 30. Januar 1933 dem Zugriff der Faschisten entzogen werden. Knapp drei Jahre später kamen sie durch Kauf in das 1935 gegründete Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis zu Amsterdam. Kurz vor dem Überfall der Faschisten auf Holland gelang es, den Nachlaß durch vorübergehende Auslagerung nach England vor nochmaliger drohender Vernichtung zu bewahren. Im Kodizill zum Testament hatte Engels bestimmt, daß alle Briefe von und an Marx — außer denen, die er selbst mit Marx gewechselt —, nach seinem Tode an Eleanor Marx-Aveling zu geben seien. Alle anderen Briefe — bis auf die, über die das Kodizill zusätzlich verfügte —, sollten Bebel und Bernstein erhalten. Nachforschungen im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis ergaben, daß die Freiligrathbriefe zu jenem erstgenannten Nachlaßteil gehörten und über Eleanor Marx-Aveling und Laura Lafargue spätestens nach 1911 in das Parteiarchiv der SPD gelangten. Allerdings läßt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sie auch schon vorher dort deponiert wurden. Wie aus dem Briefwechsel zwischen Laura 25 26 27 28

Ebenda. Der Abend. Spätausgabe des Kurier, Berlin, 3. Oktober 1929. Ebenda. A. a. O.

XVI

Lafargue und Kautsky hervorgeht, sind die ersten von Mehring und Kautsky für ihre Ausgaben benutzten Materialien seit spätestens 1910 dem Parteiarchiv zum Verbleib übergeben worden.29 Als Mehring 1912 seine Studie „Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel" veröffentlichte, standen ihm die Briefe beider Männer zur Verfügung. Welcher Quelle er die Marxbriefe verdankte, ist nicht bekannt. In diesem Falle sind wir nur auf Vermutungen angewiesen. Fest steht lediglich, daß weder Briefe von Marx noch von Engels zu dem Nachlaßteil des Dichters gehörten, den Ida Freiligrath 1896 dem Goethe-Schiller-Archiv in Weimar übergab. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hat Freiligrath, als er 1868 nach Deutschland zurückkehrte, die Briefe bei seiner Tochter Luise Wiens in London zurückgelassen. Die Annahme wird dadurch bestätigt, daß die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund 1926 von Luise Wiens — wie der Briefwechsel ausweist, handelt es sich eindeutig um Freiligraths Tochter — mit dem Marxbrief vom 29. Februar 1860 (Brief Nr. 132) auch Freiligraths undatierten Entwurf zum Brief vom 28. Februar 1860 (Brief Nr. 131a) sowie ein weiteres Bruchstück einer Abschrift dieses Briefes (zitiert in Anmerkung zu Brief Nr. 131b) — alle den VogtProzeß betreffend — kaufen konnte. Die übrigen 12 Marxbriefe hat die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund 1919 über den Antiquariatshandel aus Freiligrathschem Familienbesitz erworben. Da Mehring alle in Dortmund liegenden Briefe kannte, dürften sie vor 1919 eine Einheit gebildet haben. Sie wurden ihm wahrscheinlich auf seine Bitte hin zur Verfügung gestellt. Wann die heute fehlenden Briefe verlorengegangen sind, noch zu Lebzeiten Freiligraths oder später, ist nicht mehr nachweisbar. Über die Briefe von Engels an Freiligrath fehlt jede Spur. Franz Mehring sollte für lange Jahre der einzige deutsche Wissenschaftler sein, der den Briefwechsel Marx-Freiligrath in der Handschrift benutzte. Daß er auch die Briefe Freiligraths an Engels kannte, darf ihm unterstellt werden, obgleich er sie nicht erwähnt. Seine Studie — sie wurde noch in jüngster Zeit als die „. . . beste marxistische Untersuchung über die Beziehungen zwischen Marx und Freiligrath.. ." 30 bezeichnet — blieb die 29

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2

Die ersten Briefe aus diesem Nachlaßteil, die Briefe Lassalles an Marx, veröffentlichte Mehring 1902 in Bd 4 der Ausgabe „Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle", a. a. O. In der Einleitung dazu schreibt Mehring, daß Engels und Eleanor Marx-Aveling die Briefe Lassalles an Marx bereits zur Herausgabe vorbereitet hatten, aber starben, ehe sie die Arbeit vollenden konnten, und fährt fort: „So hat Frau Laura Lafargue mir den ehrenvollen Auftrag erteilt, die Briefe herauszugeben..." B. Krylow, Ferdinand Freiligrath. In: Marx und Engels und die ersten proletarischen Revolutionäre, Berlin 1965, S. 340 (Marks i Engels i pervoe.proletarskie revoljucionery, Moskva 1961). Hacket I

XVII

einzige deutsche Arbeit zu diesem Gegenstand.31 Sie ist in mehrfacher Hinsicht überholt. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in Mehrings politisch-ideologischer Position am Vorabend des ersten Weltkrieges. Die Schrift sollte die Freundschaft zwischen Marx und dem Dichter des Vormärz und der Revolution, der zum Genossen und Mitstreiter geworden war, demonstrieren. Sie hatte gleichzeitig die tieferen Ursachen für die langsame Entfremdung und den endlichen Bruch dieser Freundschaft aufzudecken und die Bedeutung der Anlässe zu bestimmen. Der Aspekt, unter dem das letztlich geschehen mußte, war die theoretische Verallgemeinerung der an diesem konkreten Beispiel zu exemplifizierenden Beziehung zwischen Partei und Literatur. 32 Mehrings Lösung des Problems war auf Versöhnung und damit entscheidend auf eine Aufhebung des Konfliktes gestimmt. In den Schlußsätzen seiner Studie tritt das deutlich zutage: „Man mag darüber streiten, ob die ästhetische Erziehung der Arbeiterklasse auch zu den Aufgaben der Sozialdemokratie gehört, aber wenn man die Frage bejaht, wie sie von der deutschen Partei längst bejaht worden ist, so muß man die Grenze zwischen Ästhetik und Politik zu erkennen wissen. In dem Feuilleton des ,Vorwärts' ist kürzlich eine eifrige Propaganda für eine Ästhetik der schwieligen Faust gemacht worden; was den Arbeitermassen nicht gefielt, hätte keinen ästhetischen Wert. Da der Unfug in letzter Zeit aufgehört hat, so mag man ihn als eine vorübergehende Verirrung laufen lassen, jedoch die unerfreuliche Tatsache, daß er sich überhaupt, wenn auch nur zeitweise, breit machen konnte, zeigt allzu deutlich, wieviel hier noch zu tun ist. Die Grenzmarken aber sind deutlich abgesteckt auf der einen Seite von Freiligrath mit dem Worte, daß der Dichter auf einer höheren Warte stehe als auf den Zinnen der Partei, von Marx mit dem nicht minder wahren Wort, daß der Dichter in den Kämpfen der Gegenwart seine Partei im großen historischen Sinne nehmen müsse. So löst sich der Konflikt auf, der den größten Denker und den größten Dichter des Proletariates trennte, aber jeden von beiden in der Trennimg nur sich selbst treu bleiben ließ. Und wir dürfen auf ihn zurückblicken in dem versöhnenden Gedanken, daß jeder von beiden auf seinem Gebiet doch nur das Höchste leistete, weil ihm das Gebiet des anderen mehr oder weniger verschlossen blieb". 33 31

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Über die Beziehungen Marx-Freiligrath gibt es auch eine sowjetische Arbeit, die allerdings nicht mehr greifbar ist: Ja. Ejduk, Ferdinand Frejligrat i Karl Marks, Moskva 1936. Zum Folgenden vgl. auch: Hans Koch, Franz Mehrings Beitrag zur marxistischen Literaturtheorie, Berlin 1959, S. 153ff. Mehring, S. 56.

XVIII

Mehrings Sätze sind eine eindeutige Fehlinterpretation der Worte von Marx: „Unter Partei verstand ich die Partei im grossen historischen Sine." Das kann im Brief vom 29. Februar 1860 an Freiligrath nachgelesen werden. 34 Indem Mehring neben den Marxschen Briefausschnitt die Zeilen Freiligraths von 1841: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, Als auf den Zinnen der Partei." setzte — beide Zitate finden sich übrigens1 charakteristischerweise als Motto am Beginn der Schrift — versuchte er faktisch zwei sich im Prinzip ausschließende Standpunkte auf einen Nenner zu bringen, ja. sie sogar als zwei Seiten einer Parteiauffassung hinzustellen. Damit entkleidete er auch das Marxwort von der „. . . Partei im grossen historischen Sine . . ." seines umfassenden Inhalts und reduzierte es einseitig auf die allgemeine Haltung eines Dichters in seiner Zeit. Diese Umdeutung eines klaren Parteistandpunktes und seine Verknüpfung mit der zu einem Axiom gewordenen These vom Dichter, der auf einer höheren Warte stehe als auf den Zinnen der Partei, ist für Mehring in jenen Jahren symptomatisch. Mehrings ganze widersprüchliche und unklare Haltung gegenüber der Entwicklung in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und zum Problem Partei und Literatur kommt hier zum Ausdruck mit dem unmittelbaren Resultat einer Marx-Korrektur, der Verwässerung des Prinzips der Parteiliteratur und der Schaffung einer auf der Versöhnung mit Marx basierenden Freiligrathlegende. Die Bildung dieser Legende wird nicht zuletzt dadurch gefördert, daß Mehring den Dichter nicht genügend differenziert in seiner Entwicklung erfaßt. Die These von der . . höhern Warte . . .", die Freiligrath vor 1844 verfocht und zu der er spätestens in den sechziger Jahren zurückkehrte, hat über zehn Jahre lang für ihn nicht existiert, nämlich als er, Dichter der Revolution und des Proletariats, sowohl im großen historischen als auch im direkten Sinne auf den Zinnen der Partei stand. Indem Mehring diese These auf Freiligraths gesamte Entwicklung anwandte, wurden letztlich auch die Qualitätsunterschiede von dessen literarischen Schaffensperioden aufgehoben bzw. verwischt. Diese Unklarheiten und Widersprüche Mehrir-gs zeigen sich u. a. auch darin, daß Mehring den Briefen Freiligraths, die dessen enge Bindung an den Bund der Kommunisten zum Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre beweisen, nur geringe Beachtung schenkte. Mit anderen Worten heißt das, auch die Auswahl der zitierten Briefstellen erscheint durch Mehrings Grundhaltung beeinflußt. Ein Vergleich mit den vollständigen Briefen, die vorliegender Band erstmalig bringt, macht das deutlich. 34

2*

Vgl. Brief Nr. 132.

XIX

Dennoch fand Mehrings Studie nicht die Anerkennung, die sie als einzige Arbeit zu diesem Gegenstand verdient hätte. Die wenigen bürgerlichen Spezialabteilungen, die dem politischen Dichter Freiligrath gewidmet wurden, nahmen nur sporadisch Notiz von ihr,35 Erst in der jüngsten Vergangenheit trat eine gewisse Änderung ein.36 Mit dem Erscheinen der MEGA wurden auch die dort erstmalig ungekürzt veröffentlichten Texte des Marx-Engels-Briefwechsels stärker als Quellenmaterial genutzt.37 Trotz einer Vielzahl interessanter und richtiger Einzeluntersuchungen hat die deutsche bürgerliche Literaturwissenschaft bisher nur ein teilweise richtiges Bild Freiligraths zu geben vermocht. Von marxistischer Seite sind noch keine grundlegenden Arbeiten erschienen; lediglich sowjetische Germanisten und Historiker haben neue Gedanken und Auffassungen dargelegt.38 Während einer ganzen historischen Epoche war Ferdinand Freiligrath ein intimer Freund, ein Genosse und Mitstreiter der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus, war er Mitglied der ersten Partei des deutschen Proletariats. Die Jahre des fruchtbarsten Schaffens, in denen er seine mitreißendsten und ausdrucksvollsten Gedichte schuf, fallen in diese Zeit. Wie auch Forscher und Interpreten in Vergangenheit und Gegenwart zu dieser Parteinahme standen oder stehen mögen ist völlig gleichgültig: Sie hat auf Leben und Werk des Dichters einen prägenden Einfluß ausgeübt. Freiligrath selbst hat sie als Gesetzmäßigkeit signiert und bereits dadurch anderen Interpretationen Grenzen gesetzt. 35

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Das gilt u. a. für Erwin Gustav Gudde, Freiligraths Entwicklung als politischer Dichter. In: Germanische Studien, H. 20. Gudde hat jedoch verschiedentlich auf Marxsche Gedanken in Freiligraths Dichtung hingewiesen. Peter Demetz, Marx, Engels und die Dichter. Zur Grundlagenforschung des Marxismus, Stuttgart 1959. Das pseudowissenschaftliche Buch, das eine Verhöhnung von Marx und Engels und des wissenschaftlichen Kommunismus darstellt, wird seinem Untertitel in keiner Weise gerecht. Gerald W. Spink, Ferdinand Freiligraths Verbannungsjahre in London. In: Germanische Studien, II. 126, Berlin 1932. Auf Mehrings Studie nimmt Spink allerdings keinen Bezug. Erich Kittel, Freiligrath als deutscher Achtundvierziger, a. a. O. Bei Kittel darf jedoch eine einseitige Überbewertung des „starken Tons", der die Freiligrathkritik von Marx und Engels in ihren Briefen begleitete, nicht übersehen werden. Sie führt letztlich zu einer moralischen Abwertung der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus. F. P. Schiller, F. Frejligrat i revoljucionnaja poezija 40-ch godov. — F. P. Schiller Frejligrat kak poet germanskoj revoljucij 1848 g. In: Oöerki po istorii nemeckoj revoljucionnoj poezii X I X veka, Moskva 1933. Ja. Ejduk, Ferdinand Frejligrat i Karl Marks, a. a. O. A. Dymschic, Zizn i tvorcestvo Ferdinanda Frejligrata. In: Literatura i narod, Moskva 1958. B. Krylow, Ferdinand Freiligrath. In: Marx und Engels und die ersten proletarischen Revolutionäre, Berlin 1965. (Marks i Engels i pervye proletarskije revoljucionery, Moskva 1961).

XX

Ferdinand Freiligrath ist nicht nur eine für die Literaturgeschichte wichtige Erscheinung. Seine Freundschaft mit Marx und Engels und seine Mitgliedschaft im Bund der Kommunisten läßt ihn ebenfalls für die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bedeutsam werden. Beide Fachdisziplinen haben sich, und zwar gemeinsam, mit dem Phänomen seiner Entscheidung für das Proletariat und dessen Partei zu befassen. Sie haben eine Antwort auf die Frage nach dem Grund dafür zu geben — wie darauf, daß die Entscheidung an einem bestimmten Punkt der Entwicklung zurückgenommen wird. Der vorliegende Band will mit der vollständigen und ungekürzten Veröffentlichung der noch erhaltenen Briefe zwischen Marx, Engels und Freiligrath dafür wesentliche Materialien geben. Er hat aber darüber hinaus eine weiterreichende Bedeutung. Der Band vereint den einzigen in dieser relativen Vollständigkeit erhaltenen Briefwechsel, den Marx und Engels mit einem Dichter führten. Die Korrespodenz mit Heine39 und Herwegh40, so unterschiedlich sie auch ihrem jeweiligen Charakter nach ist, hat doch mehr sporadischen als systematischen Charakter. Von dem hochinteressanten brieflichen Austausch mit Weerth sind nur noch die Briefe von Weerth — 25 an Engels und 21 an Marx — erhalten.41 Die Gegenbriefe müssen, da sie wahrscheinlich von dessen Verwandten später vernichtet wurden, als endgültig verloren angesehen werden.42 Der Briefwechsel zwischen Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Freiligrath ist heute deshalb für uns so interessant und lehrreich, weil er die gewaltige Anziehungskraft der neuen Lehre auf hervorragende Intellektuelle sichtbar macht und weil er am Verhältnis der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus zu einem der bekanntesten Dichter ihrer Zeit, der zum Parteidichter geworden war, das Verhältnis der Partei zur Parteiliteratur an einem relativ frühen Zeitpunkt widerspiegelt. Freiligrath ist als der „Trompeter der Revolution" und als einer der ersten Dichter des Proletariats in die Geschichte der deutschen Literatur eingegangen. Beides ist ohne die Freundschaft zu Marx und Engels und die Aufnahme ihrer Ideen nicht denkbar. Gleich den hervorragendsten Dichtern des deutschen Vormärz Heine und Weerth, die ebenfalls zu Marx und Engels in freundschaftlichen Beziehungen standen, ist auch er zur gültigen poetischen Gestaltung der wahren Belange seiner Nation vorgestoßen, wobei er wie sie 39

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Vgl. Marx Engels über Kunst und Literatur. Eine Sammlung aus ihren Schriften, hg. von Michail Lifschitz, Berlin 1949, S. 361 f. Vgl. weiterhin Anmerkung zum Brief Nr. 125. Ebenda, S. 366ff. Abgedruckt in: Georg Weerth, Sämtliche Werke in fünf Bänden, hg. von Bruno Kaiser, Bd 5, Berlin 1957. Ebenda, S. 6f.

XXI

den neu ins Leben getretenen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit erfaßte. Diese Leistung ist von der gleichen erstrangigen Bedeutung für die Epoche wie seine Einzelentscheidung, die ihn an die Seite des Proletariats führte — auch wenn sie nur für eine begrenzte Zeitspanne Gültigkeit hatte. II

Eine interessante Übereinstimmung zeichnete das Streben von Marx und Engels bereits in ihrer Jugend aus. Beide waren von dem Wunsch beseelt, auf dem Feld der Dichtung Lorbeeren zu erringen. Auch die Beweggründe dazu ähneln sich in vieler Hinsicht. Für beide bildete die Hinwendung zur Poesie ein Stück geistige Durchdringung der Gegenwart und die Überwindung der von ihr gesetzten Schranken. Sie war eine der Formen, in denen sich ihre geistige und politische Entwicklung vollzog, war ein Teil des Prozesses, der sie in der Auseinandersetzung mit reaktionären Erscheinungen der Zeit zu demokratischen Standpunkten führte. 43 Über den poetischen Wert ihrer Versuche wurden sie sich jedoch recht bald klar. Am 10. November 1837 zieht Marx in einem Brief an den Vater kritisch die Bilanz seiner ersten poetischen Versuche, wobei aber das Urteil auch auf die später geschriebenen Gedichte zutrifft: „Nach der damaligen Geisteslage mußte notwendig lyrische Poesie der erste Vorwurf, wenigstens der angenehmste, nächstliegende sein, aber, wie meine Stellung und ganze bisherige Entwicklung es mit sich brachten, war sie rein idealistisch. Ein ebenso fernliegendes Jenseits, wie meine Liebe, wurde mein Himmel, meine Kunst. Alles Wirkliche verschwimmt, und alles Verschwimmende findet keine Grenze, Angriffe auf die Gegenwart, breit und formlos geschlagenes Gefühl, nichts Naturhaftes, alles aus dem Mond konstruiert, der völlige Gegensatz von dem was da ist, und dem, was sein soll, rhetorische Reflexionen statt poetischer Gedanken, aber vielleicht auch eine gewisse Wärme der Empfindung und Ringen nach Schwung bezeichnen alle Gedichte der ersten drei Bände, die Jenny von mir zugesandt erhielt. Die ganze Breite eines Sehnens, das keine Grenze sieht, schlägt sich in mancherlei Form und macht aus dem ,Dichten' ein ,Breiten'."44 In einem 43

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Über Marx' und Engels' poetische Versuche vgl.: Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, a. a. O., Bd 1, S. 25ff.; August Cornu, Karl Marx und Friedrich Engels. Leben und Werk, Bd 1, Berlin 1954, S. 69 ff. und 108 ff.; Véra Machäökova, Der junge Engels und die Literatur (Übers, aus dem Tschechischen), Berlin 1961. MEGA, Reihe I, Bd 1, 2. Halhhand, S. 214f.

XXII

Brief aus Bremen vom 17. bis 18. September 1838 gesteht Engels seinen Freunden Friedrich und Wilhelm Graeber: „An meiner Poesie und deren froduktionskraft verzweifle ich alle Tage mehr, seitdem ich in Goethe die beiden Aufsätze ,Für junge Dichter' gelesen habe, in denen ich mich so trefflich bezeichnet finde, wie es nur möglich ist, und aus denen es mir klar geworden, daß durch meine Reimereien nichts für die Kunst getan ist; ich werde nichtsdestoweniger fortreimen, weil dies eine ,angenehme Zugabe', wie Goethe sagt, ist, auch wohl ein Gedicht in ein Journal einrücken lassen . . . " 45 Was blieb, war bei beiden eine tiefe Liebe und ein echtes Verhältnis zur Literatur als einer Form der Erkenntnis. An die Stelle des Eigenschöpferischen trat das Vermögen kritischer Durchdringung. Die zitierten Selbsteinschätzungen enthielten erste Ansätze dazu. Engels' Anfänge waren dabei in stärkerem Maße der schönen Literatur verpflichtet als die von Marx. Für den durch das Philosophiestudium mit wissenschaftlicher Methodik vertrauten Marx mußte das Dichten ein Umweg bleiben. Für den Autodidakten Engels, den der Vater gezwungen hatte, die Schule zu verlassen und den Kaufmannsberuf zu erlernen, bildete die schöpferische wie die bald darauf einsetzende kritische Beschäftigung mit der Belletristik den gradesten Weg zur Selbstverständigung und zu systematischer wissenschaftlicher Arbeit. Deshalb hat Vera Machäckova völlig recht, wenn sie feststellt, daß „. . . die Wurzeln seiner kommunistischen Uberzeugung in die Periode seines ,Sturmes und Dranges' (wie er selbst sie in dem Vorwort zu seiner Schrift über Feuerbach nennt) hinabreichen, in jenen Prozeß leidenschaftlicher Aufnahme und Umwandlung der verschiedensten Anschauungen und Einflüsse, die vorwiegend auf literarischem Wege zu ihm gelangten." 46 Und der Dichter, von dessen Schaffen und dessen Persönlichkeit Engels zuerst beeinflußt wurde, hieß Ferdinand Freiligrath. Freiligrath hatte im Mai 1838 bei der Firma J . P. von Eynern & Söhne — Baumwolle und Indigo — in Barmen eine Kommissteile angetreten. Hier sah der junge Engels den bereits anerkannten Dichter, den Kontoristen wie das gefeierte Idol der Barmer Jugend und der Barmer Gesellschaft, ohne ihn allerdings kennenzulernen. Er schöpfte somit aus eigener Kenntnis, als er, unter dem Pseudonym Friedrich Oswald, im zweiten Teil seiner im April 1839 in Gutzkows Literaturzeitung „Telegraph für Deutschland" (Nr. 57 und 59) veröffentlichten „Briefe aus dem Wuppertal" über des Dichters Aufenthalt in Barmen berichtete: „Als er nach Barmen kam, 45 46

Ebenda, Bd 2, S. 487 f. A. a. O., S. 7.

XXIII

wurde er von diesem grünen Adel (so nennt er das junge Kaufmannsvolk) mit Besuchen überhäuft; bald aber hatte er ihren Geist erkannt und zog sich zurück; aber sie verfolgten ihn, lobten seine Gedichte und seinen Wein und strebten mit aller Gewalt darnach, mit einem Brüderschaft zu trinken, der etwas hatte drucken lassen ; denn diesen Menschen ist ein Dichter nichts, aber ein Schriftsteller alles. Nach und nach brach Freiligrath allen Umgang mit diesen Menschen ab und verkehrt jetzt nur noch mit wenigen, nachdem Köster Barmen verlassen hat. Seine Prinzipale haben sich in ihrer prekären Stellung immer sehr anständig und freundlich gegen ihn benommen; merkwürdigerweise ist er ein höchst exakter und fleißiger Comptoirarbeiter." 47 Sowohl Buchner als auch FreiligrathsFreund Heinrich ZulaufF, der sich in einem Brief an Buchner der Tage in Barmen erinnert 48 , sagen ähnliches. Für Engels wurde Freiligrath in doppelter Hinsicht zum Vorbild. Wie dieser mußte auch er, notgedrungen, den Beruf eines Kaufmannes ergreifen und versuchen, die verbleibende freie Zeit in Poesie umzumünzen. Vor allem aber sprach ihn Freiligraths Protest gegen die spießbürgerliche Enge der Zeit an, die sich in einer antipietistischen Grundhaltung und als romantisches Fernweh äußerte. Sein erstes politisches Gedicht, zugleich sein erstes, das publiziert wurde, stand deshalb ganz im Zeichen der Wüstenpoesie Freiligraths. Es trug den Titel „Die Beduinen" und behandelte am Beispiel dieses ursprünglich freien Naturvolkes den „. . . Gegensatz zwischen Natur und Kultur, der an Rousseau anklingt und den er politisch als Widerstreit zwischen Freiheit und Servilität ausdeutet. . ." 4 9 J e deutlicher sich aber in der Folgezeit der Kritiker Engels herausbildete, desto mehr entwickelte sich eine kritische Distanz zu Freiligraths Wüstenpoesie. Sie kam bereits bei der Besprechung von Freiligraths Gedichten aus dem Jahre 1838 zum Ausdruck. 50 Engels sah in Freiligrath ein wirkliches Talent 81 und einen der bedeutendsten Dichter der jüngeren Generation.52 Im Gegensatz zu den Rezensionen von Carrière und Dingelstedt blieb er nicht bei der Kritik stehen, sondern hob in den „Briefen aus dem Wuppertal" die nach seiner Meinung richtungsweisenden Tendenzen des Bandes heraus, die er in der Hinwendung zur Heimat und zu deutschen Stoffen sah: zum Volkslied („Die Unkenkönigin", „Snewittchen" u. a.), zur historischen Ballade („Prinz Eugen") und zum Schicksal des Volkes 47 48 49 60 51 52

W 1, S. 428 f. Buchneri, S. 178f. Auguste Cornu, Karl Marx und Friedrich Engels, a. a. 0., S. 119. W 1, S. 429. MEGA, Reihe I, Bd 2, S. 497. Ebenda, S. 58.

XXIV

in der Gegenwart („Die Auswanderer"). Seine Bemerkungen in diesem Zusammenhang, daß Freiligrath „ . . . in der Ferne nicht heimisch werden kann, wenn er nicht in echter deutscher Dichtkunst wurzelt . . ," 5 3 , und daß man auf diese wenigen Momente desto mehr achten müsse, „. . . j e mehr Freiligrath in die entgegengesetzte Richtung sich verliert" 54 , waren bewußt darauf gerichtet, den Dichter — der übrigens, nicht zuletzt durch die Kritik seiner Freunde, in dieser Zeit zu neuen Stoffen fand55 — auf seine Pflicht gegenüber der Nation hinzuweisen. Der junge Kritiker erwartete aber für die Zukunft noch weit mehr von dem erfahreneren Dichter. Er war fest davon überzeugt: „. . . Freiligrath wendet sich noch einmal dem jungen Deutschland zu, das sollst Du sehen . . ." 56 Engels' Prophezeihung, daß Freiligrath ins Lager der Opposition übergehen werde — für ihn war zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Satzes das „junge Deutschland" noch gleichbedeutend mit der literarischen Opposition in Deutschland — sollte sich, wenn auch auf eine andere Weise, erst nach einem Umwege des Dichters erfüllen. Freiligraths politische Vorstellungen in der zweiten Hälfte der dreißiger und noch zu Beginn der vierziger Jahre lassen, je nach den Einflüssen, denen der Dichter ausgesetzt war, starke Schwankungen erkennen. Die Hartnäckigkeit, mit der sich Freiligrath als Dichter gegen die politische Forderung der Zeit, nämlich im Sinne des Fortschritts Partei zu ergreifen, wehrte, brachte ihn zweimal auf sehr verschiedener Stufe mit der literarischpolitischen Opposition in Konflikt. Das erste Mal in noch recht harmloser Form mit dem „jungen Deutschland", als er sich im Streit der schwäbischen Schule mit Heine ohne Bedenken auf die Seite der ersteren stellte, Heines „Romantische Schule" eine „Schandschrift" 57 nannte, die eigenen Beiträge zum „Musenalmanach auf das Jahr 1836" 58 zurückzog und sogar soweit ging, an Schwab zu schreiben: „Von dieser Race (dem „jungen W 1, S. 429. Ebenda. 55 Vgl. hierzu Karl Immermann an Freiligrath, Köln den 25. April 1835 : „Es ist mir aber davor nicht bange, Ihre Entschlüsse sind sehr richtig und gut. Vor allem erfreut es mich, daß Sie Westphalen bereisen und dichterisch reproduciren wollen. Das scheint mir eine günstige Krisis in Ihrer Natur zu sein. Statt nach dem Orient ferner zu schweifen, den Sie doch nur aus dämmernder Ferne sehen, wollen Sie es mit einer nahen und gediegenen Realität versuchen. Diese wird Sie chicaniren, aber gewiß ganz neue Saiten in Ihnen auferwecken und Ihnen die Richtung gegen etwas Wirkliches, bis in die individuellsten Beziehungen mit den Augen zu Verfolgendes geben, wobei der Dichter doch nach meiner Ansicht allein sich recht ausarbeiten kann." Buchner I, S. 222. c



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Freiliijrath an Engels, London 27. Januar

1859