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German Pages 500 [506] Year 2018
Wolfgang Hardtwig
Geschichte Franz Steiner Verlag
Freiheitliches Bürgertum in Deutschland Der Weimarer Demokrat Eduard Hamm zwischen Kaiserreich und Widerstand
Zeithistorische Impulse | 14
Wolfgang Hardtwig Freiheitliches Bürgertum in Deutschland
Zeithistorische impulse | Band 14 Wissenschaftliche Reihe der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus
Wolfgang Hardtwig
Freiheitliches Bürgertum in Deutschland Der Weimarer Demokrat Eduard Hamm zwischen Kaiserreich und Widerstand
Franz Steiner Verlag
Die Stiftung wird vom Bund finanziert mit Mitteln aus dem Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Abbildungsnachweis: Eduard Hamm, um 1943 Foto: Privatarchiv Wolfgang Hardtwig Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12094-4 (Print) ISBN 978-3-515-12105-7 (E-Book)
Für Barbara
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Aufbruch im Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Herkunft und Berufskarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Bürgerleben im Wilhelminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Liberalismus und Politik in Bayern 1900–1918 . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 26 36
II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution: Bayern 1918–1922 . . . . . 1 . Die Revolution 1918/19 und der Kampf um die Sozialisierung . . . . 2 . Monarchie- und Revolutionskritik und die Wendung zur demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Von der Kriegs- zur Marktwirtschaft: Wirtschaftspolitik 1919–1922 . 4 . Verteidigung der Republik: Kapp-Putsch, Wehrverbände, Republikschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48 48
III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84 84 93 100 104 112
1 . Schwierige Regierungsbildung: das Kabinett Cuno . . . . . . . . . . . . . 2 . Ruhrbesetzung und passiver Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Regieren im Chaos: Organisationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 . Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 . Krieg oder Frieden: Konzepte zur Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 6 . Links- und Rechtsextremismus und der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 . Anfänge der Inflationsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 60 65
118 124
8
IV. Zerreißprobe der Republik: der heiße Herbst 1923 und die Regierung Stresemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 . Das bittere Ende des passiven Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Ausnahmezustand und Hitler-Putsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925 . . . .
1 . Regieren aus der Minderheit: die Kabinette Marx I und II . . . . . . . . 2 . Verfassungs- und Machtfragen: Wahlrecht, Wahlen und Ausnahmezustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Inflationsfolgen und der Streit um die „Aufwertung“ . . . . . . . . . . . . 4 . Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen . . . . . . . . . . 5 . Land gegen Stadt: prekäre Agrar- und Zollpolitik . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 . Familienhaushalt, Lebensführung und Kulturkonsum . . . . . . . . . . . 2 . Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren . . . . . . . . . . . . . .
134 134 138 145 145 152 156 161 176 182 182 189
VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag . . . . . . 1 . Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT . . . . . . . . . . . 2 . Arbeitsstil und „Gemeinwohlbezug“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Sozialstaat oder Unternehmerinteresse: Positionen des DIHT 1925–1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 . „Organisierter Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“ . . . . . . . 5 . Große Koalition und Haushaltskrise 1928–1930 . . . . . . . . . . . . . . .
202 202 210
VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Freihandelspolitik und Hoffnung auf den Völkerbund . . . . . . . . . . 2 . Wirtschaftsverflechtung und Politik: die Internationale Handelskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Europäische Wirtschaftspolitik? „Zollunion“ und „Zollfrieden“ . . . 4 . Wirtschafts- und Raumpolitik: „Mitteleuropa“-Pläne . . . . . . . . . . . . 5 . Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235 235
IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933 . . . . . . . . . 1 . Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268
216 223 228
241 246 250 254
268 279
9
3 . Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungsund Reparationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 . Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher . . . . . . . . X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 . Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus . . . . . 2 . Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932 . . . . . . 3 . Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung . . . . . .
288 306
323 323 333 347
XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Einschätzung Hitlers und der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
370 370
XII. Im Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Leben im Abseits 1933–1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Konspirative Netzwerkbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 . Kontakte zum Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 . „Anschluss“ Österreichs und Revision der Ostgrenze . . . . . . . . . . . . 6 . Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
387 387
379
403 411 417 420 424
XIII. Resümee Eduard Hamm: Freiheitliches Bürgertum in den Brüchen der deutschen Geschichte 1900–1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
434
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
448
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
452
Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
454
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
492
Einleitung
E
ine Biographie über den wenig bekannten Eduard Hamm zu schreiben bedarf an sich keiner ausführlichen Begründung . Er war der einzige Reichsminister der Weimarer Republik, der im Zusammenhang mit dem 20 . Juli 1944 ums Leben kam . Das deutsche Bürgertum hat wenige Persönlichkeiten von vergleichbarer Lebensleistung und politisch-moralischer Integrität aufzuweisen . Hamms politische Laufbahn brach im April 1933 abrupt ab, als er vom Amt als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT zurücktrat . Im Folgenden sollen sein politischer Lebensweg, aber auch die Widerstandsaktivitäten des liberal-konservativen deutschen Bürgers dargestellt werden, dessen politische Laufbahn in der Weimarer Republik weit nach oben, wenn auch nicht in die erste Reihe der demokratisch-republikanischen Akteure geführt hat . Eduard Hamm kam aus dem bayerischen Beamtentum, wechselte im Frühjahr 1919 in die Politik, amtierte 1919 bis 1922 als bayerischer Staatsminister für Handel, Industrie und Gewerbe, 1922/23 in der Regierung Cuno als Staatssekretär in der Reichskanzlei sowie 1923–1925 als Reichswirtschaftsminister in den ersten beiden Regierungen Marx . Von Februar 1925 bis zum April 1933 führte er als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT einen der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft . Über die Parteigrenzen hinweg galt er als außergewöhnlich kompetenter und rastlos tätiger Politiker und als gesinnungsfester Demokrat . Der mit ihm befreundete, von den Nazis aus dem Amt getriebene und 1945 im KZ Sachsenhausen ermordete jüdische Bürgermeister von Berlin (1931–1933), Fritz Elsas, dürfte das Urteil vieler von Hamms Bekannten zusammengefasst haben, wenn er – nach dem Hinweis auf seine „durch berufliche Meinungsverschiedenheiten nie getrübte, persönliche Freundschaft“ – diesen so charakterisierte:
12
Einleitung
„Immer bemüht, sich gleichmäßig über alle wirtschaftlichen, nationalen und internationalen Fragen zu unterrichten, war er charakteristisch das Vorbild eines ausgezeichneten Mannes, der unabhängig von Tagesströmungen seine Meinung sagte und vertrat und der in menschlichen Beziehungen ein nie versagender Freund war .“1
Wenngleich Hamms eigentliche politische Karriere mit dem Zusammenbruch des Liberalismus in Bayern bei den Landtags- und Reichstagswahlen des Jahres 1924 beendet wurde und bis zum Frühjahr 1933 mit dem Amt im DIHT nur die Fortsetzung in der Tätigkeit eines Verbandsfunktionärs fand, führt die Rekonstruktion dieses Lebens doch in zentrale Problembereiche der Geschichte der Weimarer Republik . Hamm befand sich als Akteur und Beobachter inmitten der wichtigsten Krisenherde der ersten deutschen Demokratie . Mit ihm als Referenzpunkt eröffnen sich Einblicke in die entscheidenden Problemlagen und Handlungsabläufe nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs bis zur Etablierung der NS-Herrschaft . Das politische Leben Eduard Hamms reicht jedoch vom Jahrhundertbeginn bis fast zur Jahrhundertmitte und eignet sich daher vorzüglich dazu, das Fortwirken von persönlicher Lebensführung und einem Wesenskern in den krisenhaften kulturellen und politischen Prozessen zu erfassen und Kontinuitäten und Brüche in der inneren und äußeren Biographie eines liberalen deutschen Bürgers in Beziehung zueinander zu setzen .2 Die Biographie Hamms ist dabei in eine Forschungslandschaft einzuordnen, die in vieler Hinsicht gerade neu vermessen wird . Den zweifellos tiefsten historischen Einschnitt, der das Verhältnis von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont3 mehrerer Generationskohorten aus den Geburtsjahrgängen zwischen 1870 und 1914 prägte, bildet das Erlebnis von Erstem Weltkrieg, von der Niederlage und ihrer Folgen und von den revolutionären Wellen zwischen 1918 und 1920/23 . Endogene Forschungsimpulse und der Anstoß durch das Centenarium des Kriegsausbruchs 1914 haben hier neue Erkenntnisse und Deutungsperspektiven erbracht . Stärker als zuvor ist die Erfahrungsdimension in alle Bereiche der Gesellschaft hinein untersucht worden .4 Eduard Hamms politisches Weltbild jedenfalls wurde nach dem Aufwachsen in der Sekurität und Aufstiegsperspektive der Wilhelminischen
Zit . nach Elsas, Demokrat, S . 28 . Für einen u . a . auf generationelle Erfahrungsprägungen gestützten Ansatz zu dieser Problematik vgl . Föllmer, Individuality . 3 Koselleck, Erfahrungsraum . 4 Vgl . exemplarisch Whalen, Bitter Wounds; Hirschfeld/Krumeich/Renz, Erlebnis; Ziemann, Front; Winter, Experience; Ders ., Sites; Chickering, Great War, sowie als gelungene Synthese von alten und neuen Fragestellungen Leonhard, Büchse der Pandora . 1 2
Einleitung
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Jahre durch den Weltkrieg und seine Folgen zutiefst erschüttert . Er erlebte die Kriegs- und Nachkriegsjahre als Bruder und Schwager von Soldaten, die an der Ostsee, an der Westfront und in der Türkei stationiert waren, und als Vater einer eigenen jungen Familie . Als Ministerialbeamter in München und Berlin übte er maßgebliche Funktionen in der Organisation der Kriegswirtschaft aus . Als Minister für Handel, Gewerbe und Industrie 1919–1922 verantwortete er in Bayern den Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft und vertrat die Grundsätze liberaler Wirtschaftspolitik gegenüber den speziellen Interessen von Landwirtschaft, gewerblichem Mittelstand und Industrieproduktion . Als Landtags- und Reichstagsabgeordneter hatte er sich mit den politischen Morden an dem USPD-Politiker Karl Gareis, an Matthias Erzberger (beide 1921) und an Walther Rathenau (1922) auseinanderzusetzen und nahm Einfluss auf die darauf folgende Gesetzgebung zum „Schutz der Republik“ sowie auf das Verbot von Einwohnerwehren . Im bayerischen Kabinett wie auf der Bühne des Reichstags trat er der militanten Politik der „Ordnungszelle Bayern“ entgegen, die von der regierungstragenden BVP und den in Bayern florierenden „Vaterländischen Verbänden“ verfochten wurde . 1923 organisierte er als Staatssekretär in der Reichskanzlei den Ruhrkampf und konzipierte Maßnahmen, die dem Zerfall der Gesellschaft unter dem Druck der Hyperinflation und der politisch-militanten Radikalisierung von links und rechts entgegenwirken sollten . Die Skrupellosigkeit der nationalsozialistischen Gewaltakteure stand ihm spätestens seit dem an Ort und Stelle erlebten Hitler-Putsch von 1923 klar vor Augen . Die politische Kultur der Weimarer Republik konnte das aus der deutschen Geschichte folgende spezifische Spannungsverhältnis zwischen einzelnen Ländern und Regionen untereinander und im Verhältnis zum Nationalstaat nicht oder nur unter größten Anstrengungen und schließlich Gewaltandrohungen im Rahmen des Erträglichen halten . Einzelstaatliche politische Kulturen – vor allem Bayerns und Preußens, Sachsens und Thüringens, in einem weiteren Sinne der süd- und norddeutschen Staaten insgesamt – entwickelten divergierende, vielfach auch antagonistische Lösungsvorschläge für die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Spannungen in der nationalen Gesellschaft . Die Biographie von Eduard Hamm führt exemplarisch in die zeitgenössische Problemlage dieses widersprüchlichen Konglomerats von Identitäten und Loyalitäten hinein . Man kann sie als einen sehr individuellen Versuch verstehen, diese Spannungen in selbstbestimmter Weise aufzulösen . Vom Beginn seiner politischen Laufbahn an suchte er als katholischer, aber gemäßigt-antiklerikaler Bayer und liberaler Nationalist den Ausgleich zwischen bayerischem Partikularismus und republikanischer Reichsloyalität . Als Vorstandsmitglied im „Bund für die Erneuerung des Reichs“ kämpfte er in der
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Einleitung
Endphase der Republik um die Neuordnung der Reich-Länder-Beziehungen im Spannungsfeld von Verfassungsloyalität und dem Wunsch, die Staatsautorität zu stärken . In den Konfliktlagen zwischen bayerischem Heimat- und Landesbewusstsein, Respekt vor der tragenden Rolle Preußens im Reich und der Okkupation aller Staatsgewalt durch den Nationalsozialismus seit 1933 von der Reichshauptstadt Berlin aus änderte Hamm mehrfach seinen Standpunkt zwischen den Polen von Föderalismus und Unitarismus . Eduard Hamm war vom Anfang bis zum Ende seines politischen Lebens liberaler Nationalist . Als junger Karrierebeamter in Bayern bewegte er sich in einem liberal-gouvernementalen Milieu, begeisterte sich jedoch – davon abweichend – für Friedrich Naumann, der soziale Reformbereitschaft und außenpolitischen Imperialismus in der Absicht verband, die inneren Spaltungen der deutschen Nation zu überwinden und nach außen die Stellung Deutschlands im entstehenden Weltstaatensystem zu stärken .5 In den außenpolitischen Zwangslagen der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 wandelte sich Hamm vom Kritiker der „Erfüllungspolitik“ zum Verständigungspolitiker, der allerdings wie fast alle Deutschen dieser Zeit nie das Ziel aufgab, Deutschland gleichberechtigt in den Kreis der großen Mächte zurückzuführen, wenn nicht eine kontinental-europäische Hegemonie zu gewinnen . Er dachte „großdeutsch“ . Im DIHT blieb er diesem Naumann-Erbe verbunden und verfolgte dessen „Mitteleuropa“-Ideen – wenn auch in diplomatischvorsichtiger Form . Sein Großdeutschtum teilte er gerade in der Früh- und Spätzeit der Weimarer Republik mit einer großen Mehrheit der deutschen Bürger und Arbeiter, was ihn nach 1933 in den ernsten Zwiespalt brachte, das NS-Regime prinzipiell abzulehnen, Adolf Hitlers Revisions- und Anschlusspolitik aber gutzuheißen . Der liberale Nationalismus war es aber auch, der Hamms grundsätzliche Hinwendung zur Demokratie nach der Revolution von 1918 verstärkte und stabilisierte . Die euroatlantischen Demokratiekonzeptionen werden seit kurzem ebenso wie die Verbreitung demokratischer Prozeduren und Denkweisen im Deutschland von Kaiserreich und Weimarer Republik einer tiefgreifenden Neubewertung unterzogen . Die heutigen Gefährdungen etablierter Demokratiemodelle in der ganzen westlichen Welt haben eine Historisierung und Differenzierung von Demokratie-Konzepten bewirkt, die dazu führte, das angelsächsische oder französische, jedenfalls „westliche“ Demokratiemodell
5
Vgl . Hardtwig, Naumann; Bruch, Naumann .
Einleitung
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historisch stärker zu kontextualisieren und anderen nationalen Eigenwegen in die Demokratie größere Aufmerksamkeit entgegenzubringen .6 Eduard Hamms Positionen in diesem unübersichtlichen Feld unterschiedlich intensiver Demokratie- und Republikbejahung führen mitten in die Denkweisen der demokratisch-republikanischen Elite in den Krisen und Systembrüchen zwischen 1914 und 1944 . Mit dem vergleichenden Blick auf die Demokratien und ihre Probleme in fast allen europäischen Staaten und in den USA in den 1920er und 1930er Jahren stieg auch die Aufmerksamkeit für „vernunftrepublikanische“ Positionen und ihre Verbreitung und Beharrungskraft in Deutschland bis 1933 .7 Eduard Hamm jedenfalls bekannte sich zum Ende der Weimarer Republik ausdrücklich zu diesem Staat, auch wenn er ihn sozialpolitisch überfrachtet fand, die Schwächen des deutschen Parlamentarismus beklagte und eine Umbildung der Weimarer Verfassung mit einer Zweiten Kammer und einer Stärkung der Position von Reichspräsident und Regierung forderte . Anders als viele seiner politischen Mitstreiter lehnte er eine Machtübertragung an Hitler – in welcher Form auch immer – strikt ab . Die sehr individuell geformte Verknüpfung von berufs- und branchentypischen Anschauungen und persönlicher Urteilsfähigkeit bei Hamm bietet die Möglichkeit, die Vielschichtigkeit und Ambivalenz der Meinungen und Überzeugungen im deutschen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum der Weimarer Republik schärfer zu konturieren . Schon vor der fatalen Septemberwahl von 1930 mit dem plötzlichen Anstieg der NS-Stimmen im Reichstag auf 107 Mandate sah Hamm durch die Extremismen von rechts und links die „bürgerliche Gesellschaft“ als solche bedroht und rief zu ihrer Verteidigung auf . Sich selbst verstand er politisch wie sozial bewusst als „Bürger“ und ließ keinen Zweifel daran, dass sein politisch-soziales Leitbild die bürgerliche Ordnung der Nation war . Die Rekonstruktion seiner politischen Überzeugungen und Karriere ermöglicht daher, das empirische Fundament für die Antwort auf die Frage nach einer „Krise des Bürgertums“ zwischen Wilhelminismus und Machtübertragung an Hitler
Vgl . Rosanvallon, Gesellschaft; Keane, Life; Nolte, Demokratie; Ders ., Westens; Müller, Weltkrieg; Ders ./Tooze, Demokratie; Tooze, Sintflut . Dazu haben auch die inzwischen zahlreichen Studien beigetragen, die Deutschland nicht nur mit Großbritannien, Frankreich und den USA, sondern auch mit den Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs im Südosten und Osten sowie mit den skandinavischen und südeuropäischen Staaten vergleichen; vgl . z . B . Möller, Europa; Gusy, Demokratie; Lehnert, Demokratiekultur . 7 Vgl . Wirsching/Eder, Vernunftrepublikanismus . Für wichtige Aspekte bei der Neubewertung der Weimarer Republik im Licht aktueller Demokratieerfahrungen vgl . Dreyer/Braune, Weimar; für den europäischen Vergleich dort besonders Müller, Weimarer Republik . 6
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Einleitung
zu erweitern, die seit den 1980er Jahren im Raum steht . Hat sich das deutsche Bürgertum seit dem Ende der 1870er Jahre wirklich kulturell und politisch weithin desintegriert und unter dem Ansturm von Massengesellschaft und Massenkultur seinen politischen und kulturellen Wertekanon in fataler Weise preisgegeben oder zumindest geschwächt?8 Die Neubewertung und stärkere Würdigung des sozialliberalen Demokratiekonzepts und seiner Wirksamkeit in den ersten Jahren der Weimarer Republik stützt die Annahme, dass ein fortschrittsoffenes und sozial sensibilisiertes Bürgertum zunächst wesentlich dazu beitrug, die erste deutsche Demokratie auf einen Weg zu bringen, der keineswegs geradlinig auf neue unerträgliche innen- und außenpolitische Zerreißproben und schließlich auf das Ende der Republik zuführen musste – trotz der ungeheuren Belastungen durch die Kriegsfolgen aller Art und durch die extremen währungspolitischen, national- und sozialpolitischen Krisenzuspitzungen zum Entscheidungsjahr 1933 hin .9 Die politische Laufbahn Eduard Hamms steht exemplarisch für diesen sozialliberalen Aufbruch und – mit einigen Einschränkungen – seine verfassungspolitische Nachhaltigkeit . Funde in den Nachlässen der Familie Hamm/Hardtwig erlauben die Rekonstruktion einer ungebrochen bürgerlichen Lebensführung vom Beginn bis zur Mitte des 20 . Jahrhunderts . Sie ist in den Haushaltsbüchern von Hamms Frau Maria vom Tag der Eheschließung am 24 . August 1907 bis zum Monat vor ihrem Tod im März 1955 auf Heller und Pfennig dokumentiert . An dieser aufschlussreichen Quelle lässt sich der hohe Stellenwert von Familienpflege und „arbeitender Geselligkeit“ in einer bildungsbürgerlichen Beamtenfamilie ebenso zeigen wie die Hochschätzung von „Bildung“ sowohl als musische Praxis wie als Kultur des Wissens und Verhaltens als schließlich auch der sozialen Distinktion . Die Haushaltsbücher, aber auch die teilweise erhalten gebliebene Bibliothek, geben Aufschluss über die Leseinteressen, den Bezug von Zeitschriften und Zeitungen und die Entstehung und Pflege des individuellen „Orientierungs“- und „Heilswissens“ eines humanistisch gebildeten Spitzenbeamten, Politikers und schließlich nur teilweise erwerbstätigen Pensionärs, der sich über sein individuelles Schicksal ebenso wie über das Schicksal der Nation verstärkt Rechenschaft ablegte und nach den ethischen Maßstäben seines eigenen Handelns in der Diktatur fragte . Eine Biographie Hamms kann so auch dazu beitragen, unser defizitäres Wissen über das Denken und
Mommsen, Auflösung; Gall, Bürgertum; kritisch dazu Föllmer, Verteidigung . Zur Kritik der ubiquitären „Krisen“-Metapher bei der (Selbst-)Deutung der Weimarer Republik vgl . Föllmer/Graf, Krise .
8 9
Einleitung
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Handeln des deutschen Bürgertums in den Jahren der Republik und der NSDiktatur zu erweitern und zu differenzieren . Die Nachlässe gewähren auch Einblicke in ein Bürgerleben im Schatten des „Dritten Reichs“ . Aus diesem Schatten trat das NS-Opfer Eduard Hamm auch nach 1945 nicht heraus, da die massiven Vorbehalte der meisten Deutschen gegenüber dem Widerstand im „Dritten Reich“ erst mit jahrzehntelanger Verzögerung schrittweise überwunden wurden . Eine erste Würdigung der Persönlichkeit Hamms findet sich in dem von Karl Dietrich Bracher und Annedore Leber gemeinsam mit Willy Brandt herausgegebenen Band mit Lebensbildern aus dem Widerstand „Das Gewissen entscheidet“ (1957), der zusammen mit dem analogen Band „Das Gewissen steht auf “ (1954) Maßstäbe setzte im Kampf um die allmähliche Anerkennung des Widerstandes in der deutschen Öffentlichkeit der 1950er Jahre .10 Trotzdem ist Hamms Rolle im aktiven Widerstand weithin unbeachtet geblieben . Einer der Gründe dafür mag sein, dass er nicht zur ersten Reihe der bekannten Weimarer Politiker gehört hatte . Andere Gründe aber verweisen auf die Mechanismen, nach denen die Erinnerungskultur im Nachkriegsdeutschland funktionierte – und bis heute funktioniert . Es lag in der Natur der Sache, dass anfangs der militärische Widerstand und das Attentat Stauffenbergs im Vordergrund standen . Sieht man aber vom engsten Kreis der Verschwörung um Claus Schenk Graf von Stauffenberg ab, so wurde und wird an diejenigen erinnert, die eine Partei oder eine Interessengruppe hinter sich hatten, für die es sich politisch lohnt oder zu lohnen scheint, auf eine Tradition des Widerstands im „Dritten Reich“ verweisen zu können .11 Daher gliederte sich lange Zeit auch die Forschung hauptsächlich in Fragen nach dem militärischen, dem sozialdemokratischen, dem christlichen und dem kommunistischen Widerstand .12 Dass es einen, wenn auch sehr schmalen, liberalen Widerstand gegeben hat, wurde bis vor kurzem Bracher/Leber, Gewissen, S . 356–358 . Diese Neuauflage enthält die beiden Bände von 1954 und 1957 . 11 Zu dieser Problematik exemplarisch Steinbach, Widerstandsforschung; das Thema klingt auch in zahlreichen anderen Studien von Steinbach zum Widerstand an; vgl . auch Scholtyseck, Widerstand; Frölich, Opposition . 12 Es war das Verdienst von Peter Steinbach, damals Professor für „Historische Grundlagen der Politik“ in Hamms Geburtsort Passau und zugleich Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendler-Block in Berlin, sich der Rehabilitierung Hamms energisch anzunehmen . Er veranstaltete an der Universität Passau, unterstützt vom örtlichen Zweig der Deutsch-Jüdischen Gesellschaft, eine jährliche „Eduard-Hamm-Gedächtnis-Vorlesung“ zum deutschen Widerstand mit beachtlicher Resonanz in der Lokalpresse und sorgte dafür, dass Eduard Hamm in der Porträt-Galerie der Berliner Gedenkstätte zu sehen ist . In Passau kämpfte er erfolgreich dafür, dass wenigstens eine Vorortstraße nach Eduard Hamm benannt wurde . 10
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übersehen . Dazu hat der organisierte Liberalismus allerdings auch selbst beigetragen .13 Weder die rechtslastige FDP der 1950er und frühen 1960er Jahre noch die sozialliberale Regierungspartei der siebziger Jahre zeigten irgendein Interesse an diesem Erbe . Seit Beginn der achtziger Jahre hat schließlich die Verengung des liberalen Denkens auf puren Ökonomismus der Partei ihr historisch-moralisches Fundament weitgehend entzogen . Dass die historische Forschung den Widerstandskreis um den ehemaligen bayerischen Offizier und letzten bayerischen Gesandten in Berlin, Franz Sperr, dem Eduard Hamm angehörte, erst neuerdings stärker beachtete, ist jedoch auch in der Quellenlage begründet .14 Der Sperr-Kreis verzichtete auf jede schriftliche Fixierung seiner Überlegungen und Pläne . Auch achtete er streng darauf, dass neue Mitglieder – soweit bei seiner Organisationsweise davon gesprochen werden kann – bzw . für eine künftige Regierungs- oder Verwaltungsfunktion vorgesehene Personen nur höchst vorsichtig kontaktiert und ins Vertrauen gezogen wurden .15 Es gab eine locker definierte Zuständigkeit der drei Führungspersönlichkeiten des Kreises: Franz Sperr selbst kümmerte sich vor allem um die Beziehungen zu Militär und Polizei, Eduard Hamm um den künftigen Aufbau der Verwaltung und der ehemalige Reichswehrminister Otto Gessler um die Kontakte zum Ausland .16 Keine dieser Aktivitäten wurde in irgendeiner Form schriftlich festgehalten, sodass sie sich, ebenso wie das personelle Netzwerk von derzeit rund 80 ermittelten Personen, nur mit größter Mühe – wenn überhaupt – rekonstruieren lassen . Nicht unwichtig für die stärkere Beachtung des Sperr-Kreises ist auch, dass sich in den letzten Jahren, gerade von diesem Fall ausgehend, die Bewertung eines Quellentypus deutlich verändert hat, den die Wissenschaft bis dahin
Einen energischen Mitstreiter hatte Steinbach in dem damaligen FDP-Stadtrat, späteren Bundestagsabgeordneten und Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler . 13 Vgl . Limbach, Hamm, S . 7 f; zu der oft sehr ambivalenten Haltung führender Linksliberaler im „Dritten Reich“ Kurlander, Living . Die Ausnahmerolle Eduard Hamms würdigt Kurlander ausdrücklich; ebd ., S . 44 . Die Widerstandstätigkeit des ehemaligen Reichswehrministers Otto Gessler bleibt unerwähnt – zweifellos, weil der Sperr-Kreis und seine Aktivitäten erst neuerdings gründlich aufgearbeitet werden . 14 Vgl . Becker, Sperr; Ders ., Widerstandskreis . Eine umfassende Dissertation von Manuel Limbach über den Sperr-Kreis steht vor der Publikation; auf seine Magisterarbeit, die er mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, stützt sich das Kapitel über den Widerstand; Limbach, Hamm . 15 Becker, Sperr, S . 95 . 16 So Otto Gessler: Ausführungen von Herrn Minister a . D . Dr . Gessler anläßlich der Gedenkfeierstunde für Franz Sperr in München am 9 . Dezember 1950, abgedr . in: Becker, Sperr, S . 164–167, hier S . 166; erste eingehendere Beschäftigung mit dem Sperr-Kreis bei Bretschneider, Widerstand, S . 154–178 .
Einleitung
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wenig geschätzt hat und der im Falle Hamms besonders ergiebig ist: Lebensbeschreibungen, Würdigungen und Charakterbilder ex post, sofern sie zeitnah und von sachkundigen Zeitzeugen verfasst worden sind . Naturgemäß ist der Historiker hier aufgefordert, Bewertungen und Meinungen mit noch schärferem Blick zu prüfen als bei anderen Quellen . Angesichts des Mangels einer anderweitigen Überlieferung können sie jedoch manche Informationslücke schließen und das persönliche Profil der fraglichen Person schärfer zu erfassen helfen . Auch ist diesen Zeugnissen zugutezuhalten, dass Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder bei solchen Niederschriften, anders als die Verfasser strikt zeitgenössischer Dokumente, keine Rücksicht auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit im „Dritten Reich“ nehmen mussten .17 Zu Eduard Hamm sind eine ganze Reihe solcher Dokumente überliefert . Am wichtigsten und ergiebigsten sind je zwei Niederschriften von der Tochter Dr . Gertrud Hardtwig-Hamm und deren Ehemann Dr . Erwin Hardtwig aus den Jahren 1945 und 1946 . Sie wurden veranlasst durch eine Anfrage von Ricarda Huch, die im Alter von 81 Jahren noch ein Buch über den Widerstand zu schreiben beabsichtigte, wozu es aber nicht mehr kam .18 Im Folgenden soll das Profil des Politikers Eduard Hamm gezeichnet werden, vorwiegend aus bisher entweder gar nicht oder nur sporadisch ausgewerteten familiären Quellen, die jetzt fast alle im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegen, und aus der Rekonstruktion der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Weimarer Republik auf der Grundlage von Hamms Niederschriften in der Reichskanzlei sowie seiner zahlreichen Analysen und Reden in den Ausschüssen und auf den jährlichen Vollversammlungen des DIHT . Dabei wird sich zeigen, in welchem Maß Hamms Lebensweise, seine Denk- und Verhaltensmuster und sein handlungsleitendes Ethos von seiner bürgerlichen Herkunft, bürgerlichen Leitbildern und bürgerlichen Zielvorstellungen geprägt waren . In Eduard Hamm verkörperte sich das deutsche Bürgertum in einer hochrespektablen Form, wenn auch nicht ohne einige seiner charakteristischen Irrtümer und Verhärtungen . Zum Schluss dieser Einleitung sollte der Autor bekennen, dass er der Enkel von Eduard Hamm ist . Ich bin mir bewusst, dass dies eine für den Historiker problematische Konstellation ist . Die angemessen kritische Sicht auf den
17 Becker, Sperr, S . 39 f; die gesamte Literatur zu Hamm und Sperr bei Limbach, Hamm, S . 5 ff . 18 Gertrud Hardtwig-Hamm: Zum Gedenken an Herrn Reichsminister a . D . Dr . hc . Eduard Hamm (o . J .); Dies .: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm; Dies .: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm (Frühjahr 1947); Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), alle in: BayHStA, NL Hamm, 110; Schreiben von Erwin Hardtwig an Constantin von Dietze, 8 .2 .1946, in: ebd ., 108 .
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Einleitung
„Helden“ der Biographie in jeder Situation zu wahren fällt erkennbar manchmal nicht leicht, selbst wenn der professionelle Historiker sehr genau um die Gefahren einer zu großen Nähe zu seinem Gegenstand weiß . Es bleibt doch zunächst ein abstraktes Wissen, dem eine distanzierende und unvoreingenommene Sicht immer wieder mühsam abgekämpft werden muss . Dies umso mehr, als der Großvater in der familiären Überlieferung als reine Lichtgestalt präsentiert wurde und wenn der biographische Zusammenhang ein so enger ist wie in diesem Fall . Ich habe meinen Großvater zwar nicht mehr kennengelernt, aber die über die Eltern vermittelte Erinnerung an ihn war seit dem Beginn meines bewussten Lebens gegenwärtig . Dass dies ein hilfreiches orientierendes Erbe sein kann, aber auch eine bedrückende Last, bedarf keiner weiteren Erläuterung . Ich habe mich jedenfalls bemüht, die Pflicht zur Überlieferung so korrekt wie möglich zu erfüllen .
I. Aufbruch im Kaiserreich 1. Herkunft und Berufskarriere
E
duard Hamm wurde am 16 . Oktober 1879 in Passau geboren als Sohn des katholischen Oberlandesgerichtsrats Johann Baptist Hamm und der ebenfalls katholischen Luise, geb . Niederleuthner, Tochter des Hotelierehepaares Niederleuthner . Dieses führte das Gasthaus zum „Wilden Mann“, das erste Haus am Ort, in dem gelegentlich auch die österreichische Kaiserin Elisabeth abstieg . Eduard war der Älteste neben den zwei Brüdern Gottfried und Max und der Schwester Luise . Er besuchte zuerst die Schule des nahen Klosters Metten und nach dem Umzug der Familie nach Augsburg das Gymnasium des dortigen Grauen Klosters St . Stephan, dem er zeitlebens verbunden blieb .
Abb. 1: Eduard Hamms Vater, Johann Baptist Hamm, um 1910
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Schon während des Studiums der Rechtswissenschaften in München von 1898 bis 1905 zeigten sich die Profillinien einer außergewöhnlichen Persönlichkeit . Mit Studienbeginn wurde Hamm in die exklusive Einrichtung der bayerischen Hochbegabtenförderung „Maximilianeum“ aufgenommen, benannt nach seinem Gründer König Maximilian II . Das repräsentative Gebäude am Isarhochufer schließt die vom König errichtete Maximilianstraße ab und ist heute Sitz des Bayerischen Landtags .1 Ganz der Norm entsprechend, trat Eduard auch einer Studentenverbindung bei – derselben, der schon sein Vater angehört hatte und die personell eng mit der Studienstiftung des Maximilianeums verbunden war: dem Akademischen Gesangverein (AGV) . Diese Verbindung – weder ein Traditionscorps noch eine Burschenschaft noch, wie es ebenfalls denkbar gewesen wäre, eine katholische Verbindung – war betont musisch und liberal ausgerichtet . Dort wurde nicht gezecht und gepaukt, sondern im Chor oder Orchester musiziert . Eduard spielte Cello – auf demselben Instrument, mit dem sein Vater seine Quartettabende bestritten hatte und von dem der Familienroman in musterhaft bildungsbürgerlicher Legendenbildung durchblicken lässt, dass bei der einen oder anderen Gelegenheit schon Goethe darauf gespielt habe . Im Inneren klebte ein Zettel mit der Herkunftsangabe eines bekannten alten italienischen Geigenbauers . Eduard Hamm spielte nicht gut genug, um damit öffentlich, und sei es nur im AGV-Orchester, auftreten zu können . Stattdessen engagierte er sich in der Verbandsleitung und spielte dort bald die erste Geige als Vorsitzender .2 Sein Auftreten hatte von Anfang an etwas Seigneuriales . Die Kommilitonen nannten ihn der geringen Körpergröße wegen die „Kleine Excellenz“ . Sein Bruder Gottfried, ebenfalls Mitglied im AGV, schildert glaubhaft, wie Eduard in Diskussionen nach längerem Zuhören und Überlegen gegen Ende hin das Wort zu ergreifen und die anderen durch seine Umsicht und Wortgewandtheit für seine Meinung zu gewinnen pflegte .3 Nach Eduards eigener Aussage lernte er Auftritt und politische Rede zuerst im AGV . Nach dem Ende seiner aktiven Zeit besuchte er regelmäßig die wichtigsten Verbindungsfeste, hielt gelegentlich die Festansprache und bezog bis zum Lebensende die Verbindungszeitschrift . Fast wie im Lehrbuch der Bürgerkultur verschaffte ihm einer der „Alten Herren“ des AGV nach der Referendarausbildung und nach
Vgl . Gollwitzer, Vorgeschichte; Rüdin, Soziologie . Neben dem Maximilianeum bot der AGV eine nützliche Brücke in die „gute Gesellschaft“; vgl . Unger, Staatsministerium, S . 250 f . 3 Kurze Erinnerung von Gottfried Hamm an seinen Bruder Eduard Hamm (1879–1944), 15 .12 .1946, S . 12, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 1 2
1. Herkunft und Berufskarriere
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Abb. 2: Eduard Hamm (vordere Reihe, Mitte) mit Verbindungsbrüdern des Akademischen Gesang vereins München, 1901
dem ersten, als unbefriedigend empfundenen Jahr als Dritter Staatsanwalt auch einen neuen Berufseinstieg – und zwar in der Kommunalverwaltung . Hamm schloss das juristische Staatsexamen 1905 mit der besten Note unter den 232 Prüflingen des Jahrgangs in Bayern ab und erhielt seine erste Anstellung im Juni 1906 als Dritter Staatsanwalt beim Landgericht München II . Schon im Februar 1908 bewarb er sich erfolgreich um den Posten eines Rechtsrates der Stadt Lindau, kehrte aber auf eigenen Wunsch im Oktober 1909 in den bayerischen Staatsdienst zurück . Die Bewährungszeit im Außendienst als Bezirksamtsassessor in Memmingen dauerte ebenfalls nur kurze Zeit; schon im Juli 1911 trat er als Referatshilfsarbeiter seine Ministeriallaufbahn im Innenministerium mit einem Arbeitsschwerpunkt bei der Wirtschaftsverwaltung an .4 Bei Kriegsausbruch im August 1914 befand sich Hamm an einer Stelle in der Münchner Ministerialbürokratie, die erhebliche Anforderungen an ihn stellte, aber auch neue Karrierechancen eröffnete . Das Innenministerium war zuständig für Landwirtschaft und Gewerbe, und Hamm hatte sich mit der Bewirtschaftung von Nahrungs- und Futtermitteln zu befassen . Anfang 1916 beurlaubte ihn sein Ministerium für eine Stellung bei der Zentraleinkaufsgesellschaft in Berlin, wo er für die Zuckerbewirtschaftung zuständig war .
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Zur Biographie Hamms von 1906 bis 1919 vgl . Unger, Staatsministerium, S . 249–256 .
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Abb. 3: Rechtspraktikant Eduard Hamm, um 1907
Ab Mai 1916 arbeitete er als zweiter Vorstand der Reichszuckerstelle im neu errichteten Kriegsernährungsamt . Schon Ende 1916 beantragte er aber – erkennbar unzufrieden mit dem Berliner System der Kriegswirtschaft – die Rückkehr nach München und übernahm im Januar 1917 die Leitung der bayerischen Landesfettstelle . Er war damit zuständig für die Bewirtschaftung von Grundnahrungsmitteln wie Milch, Butter und Käse . Die Wertschätzung seiner Arbeit in Berlin ebenso wie in München eröffnete ihm schon bald die Möglichkeit, zwischen einem Aufstieg im Reichswirtschaftsamt oder im bayerischen Außenministerium zu wählen . Da das Außenministerium unter dem Druck der kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten seine Handelsabteilung ausbaute und seine Referatseinteilung reorganisierte, avancierte Hamm am 1 . Februar 1918 zum Legationsrat und Leiter des neu geschaffenen Referats 14 in der Handelsabteilung . Er erhielt damit die Zuständigkeit unter anderem für die Industrieförderung, die Energieversorgung mit Wasser und Elektrizität, die Rohstoffversorgung und das militärische Lieferungswesen . Bereits im Friedensjahr 1911 hatten ihn seine Interessen und seine pädagogischen Neigungen als Teilnehmer in einen Fortbildungskurs für höhere Verwaltungsbeamte in Frankfurt am Main geführt, danach hatte ihm das Innenministerium 1913/14 die erstmalige Durchführung solcher Kurse in Bayern selbst übertragen . 1915 publizierte er in der „Bayerischen Staatszeitung“ einen Artikel über „Bismarck und unsere Zeit“, in dem er die Notwendigkeit des Krieges verteidigte und sozialpolitische Errungenschaften Otto von Bismarcks gegenüber der Position der „Manchester-
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Abb. 4: Eduard Hamm (2. v. r.) bei einem Frontbesuch in Frankreich, links neben ihm der spätere Reichswehrminister Otto Gessler, Frühjahr 1915
Leute“ hervorhob .5 Im Oktober 1917 warb er in einem der sogenannten „Kriegsvorträge“ an der Universität München für Geduld und Nachsicht gegenüber den Belastungen vor allem des Mittelstands durch die Zwangswirtschaft .6 An der Technischen Hochschule München nahm er im Wintersemester 1918/19 auch noch einen juristischen Lehrauftrag wahr . In vieler Hinsicht lebten Eduard und seine Ehefrau Maria Hamm ein exemplarisches Bürgerleben . Es wich vom Üblichen ab durch Eduards außergewöhnliche Begabung, seine Zielstrebigkeit und seinen exorbitanten Fleiß, durch politische Einsicht und die Entschlossenheit, diese Eigenschaften – bei allem persönlichen Ehrgeiz – in den Dienst von Familie, Gesellschaft und Staat zu stellen . Aus dem Rahmen des Üblichen fiel auch seine Charakterstärke, die im Dienst des einmal für richtig Erkannten auch vor dem letzten Einsatz nicht zurückschreckte .
5 „Bismarck und unsere Zeit“, in: Bayerische Staatszeitung, Nr . 93, 16 .5 .1915; Nr . 94, 23 .5 .1915 . 6 Hamm, Volksernährung .
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2. Bürgerleben im Wilhelminismus
Wiederum wie im Lehrbuch der bürgerlichen Geselligkeit lernte Hamm während eines Verbindungsfests Antonie Maria Caroline von Merz kennen, Tochter des Nürnberger Senatspräsidenten Carl von Merz und seiner Frau Antonie, geb . von Thelemann, die er am 22 . August 1907 heiratete . Sie stammte aus einer Nürnberger Kaufmannsfamilie, deren Stammbaum bis ins 14 . Jahrhundert zurückreicht . 1760 hatte der Handelsherr von der Kaiserin Maria Theresia das Adelspatent erlangt . Man war reich, besaß ein Haus am Markt vor der Lorenzkirche und erfreute sich bester Geschäfte, doch die napoleonischen Kriege und besonders die Kontinentalsperre schädigten das Handelshaus nachhaltig . Von jetzt an brachte die Familie – nach einigen Vorläufern im 18 . Jahrhundert – vor allem Juristen hervor, die im Nürnberger und im bayerischen Justiz- und Verwaltungsdienst angesehene Stellungen einnahmen . Der Vater von Maria, Carl von Merz, beendete seine Laufbahn als Senatspräsident in Nürnberg . Sein Sohn Carl schlug ebenfalls die Juristenlaufbahn ein, war hochmusikalisch und als glänzender Pianist auch gesellschaftlich ungemein gewandt und erfolgreich . Der allseits beliebte „Merz-Bubi“ führte seine Schwester Maria zu einem der AGV-Bälle aus, wo sie Eduard kennenlernte . Sie war unter anderem in einem Graubündener Mädchenpensionat erzogen worden und hatte Malen und Klavierspielen, vor allem aber Haushaltsführung gelernt . Ihr Lebensweg blieb ganz in den Bahnen der herkömmlichen Familienrolle einer attraktiven ehemaligen „höheren Tochter“, doch sollte sich bald zeigen, dass sie auch eine kluge und tüchtige Frau war . Die bestimmende Figur in der Familie war aber doch Eduard . Natürlich war er es, der die Route der Hochzeitsreise festlegte, und diese wich vom Üblichen sogleich ab . Zwar reiste das junge Paar, wie es sich gehörte, zunächst mit dem Zug nach Venedig, bestieg dort jedoch ein Schiff, das zuerst den mondänen Badeort Abbazia (Opatia) an der Südküste Istriens ansteuerte, wo man sich nur drei Tage aufhielt . Auf einem weiteren Schiff mit insgesamt sechs Passagieren fuhr das junge Paar dann an der dalmatinischen Küste entlang, besuchte die allenfalls für die höheren Stände im Habsburgerreich gängigen dalmatinischen Touristenattraktionen Capodistria, Zahra (Zadar), Split mit dem Diokletianpalast und den römischen Ausgrabungen im nahen Trogir sowie Ragusa (Dubrovnik) . In groben Zügen lässt sich die Reiseroute anhand der zahlreichen Ansichtspostkarten und Briefe rekonstruieren, die sich erhalten haben . Eine dieser Karten zeigt den Regierungspalast in Cetinje, der Hauptstadt Montenegros, einem kleinen Städtchen etwa 30 km landeinwärts . Er hat das Aussehen eines mittleren altösterreichischen Bahnhofs – nicht unbedingt ein Reiseziel, das sich Maria ausgesucht hätte . Es wurde erreicht
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Abb. 5: Eduard und Maria Hamm, Hochzeitsphoto, 1907
durch eine dreieinhalbstündige Dampferfahrt nach Cattaro (Kotor), wo das junge Paar in einen Pferdewagen umstieg, in diesem die 1 .240 m hohen Berge östlich der Bucht von Cattaro überwand und bei „stockdunkler Nacht“ anlangte . Von dort aus erreichte man per Wagen und Barke den Skutarisee an der Grenze zu Albanien und befuhr ihn mit einem Dampfer, auf dem man „echte Türken mit Frauen und Kindern“ zu sehen bekam, ein Anblick, bei dem Maria nach eigenem Bekunden „Augen und Mund aufriß“ .7 Eduard ging es bei alledem nicht nur darum, sich an der Schönheit der dalmatinischen Küstenlandschaft zu erfreuen . Offenkundig wollte er bei dieser Gelegenheit auch den ‚Balkan‘ etwas genauer kennenlernen, der in diesen Jahren die europäische Politik so stark beschäftigte . Mit dem Skutarisee war der südlichste und exotischste Punkt erreicht . Maria zeigte sich von den Reiseerlebnissen sehr beeindruckt, konnte aber bei der nächtlichen Ankunft inmitten der montenegrinischen Berge eine gewisse Ängstlichkeit nicht unterdrücken . Eduard Hamm war vor seiner Hochzeit mehrfach nach Italien gereist, ganz in der Tradition der bildungsbürgerlichen Reisen zum „Genuß der Kunstwerke Italiens“ – wie der Untertitel des selbstverständlich mitgeführten „Cicerone“ (Erstauflage 1855) von Jacob Burckhardt lautete –, und
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Maria Hamm an ihre Eltern, 11 .9 .1907, in: BayHStA, NL Hamm, 117 .
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hatte den mitgereisten Bruder Gottfried durch seinen unerbittlichen Besichtigungswillen immer wieder zur Verzweiflung gebracht .8 Einkommen und früher beruflicher Erfolg erlaubten, aber verlangten auch ein heute kaum mehr vorstellbar reichhaltiges geselliges Leben, in dem die Geburt der drei Kinder Gertrud (1910), Hans (1911) und Fride (1914) zwar gewisse Einschnitte mit sich brachte, am Lebensstil selbst aber nur in einer Hinsicht eine deutliche Korrektur verlangte: Sohn Hans erkrankte unmittelbar nach der Geburt an einer Kehlkopfdiphterie, einer damals relativ häufigen und kaum behandelbaren Krankheit, und trug eine lebenslange schwere geistige Behinderung davon . Marias Sorge um den Sohn nahm sie stark in Anspruch, auch als dieser in einem Behindertenheim in Zirndorf (Oberpfalz) untergebracht war, das seine Rekonvaleszenz fördern sollte . Nach dem Umzug der gesamten Familie nach Berlin 1925 lebte er wieder zuhause . Man reiste viel zu familiären Festen von Eltern und auch entfernteren Verwandten und wurde häufig besucht . Beide Elternpaare logierten zum Beispiel auf der Hin- oder Rückfahrt von Reisen in die Schweiz oder ins Tessin gerne bei dem jungen Paar .9 Aufschlussreich für diesen bürgerlichen Lebensstil sind Maria Hamms Einträge in ihrem ab der Hochzeit geführten Haushaltsbuch, etwa zu den Weihnachtsfesten 1907, 1908 und 1909 . Diese wurden im größeren Familienkreis gefeiert, noch ohne Kinder, aber 1909 bestand immerhin ein Großteil der Geschenke in passenden Requisiten für das bevorstehende erste Kind und die junge Mutter . Maria Hamm vermerkte in ihrer knapp zusammenfassenden „Chronik“ die Geschenke alljährlich ähnlich sorgfältig und ausführlich wie Thomas Mann es zeitlebens in seinem Tagebuch zu tun pflegte . Eduard erhielt 1907 eine fünfbändige Ausgabe der Werke Heinrich Heines, und die Eltern Hamm wurden mit dem monumentalen „Andrees Handatlas“ und einer Ausgabe von Goethes Werken in einer Inselausgabe erfreut . Das junge Paar schenkte sich gegenseitig die Goethe-Biographie von Albert Bielschowsky, eine Ausgabe der Werke Schillers und eine schwarzseidene Weste, bzw . eine silberne Halskette, einen Konzertschal und ein Täschchen . Vater von Merz erhielt „unser Wappen als Glasbild“ sowie die Lieferung „Neunburg vorm Wald“ aus den „Bayerischen Kunstdenkmalen“ . Marias Bruder Carl wurde
Kurze Erinnerung von Gottfried Hamm an seinen Bruder Eduard Hamm (1879–1944), 15 .12 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 110; zum „Cicerone“ als Kultbuch der deutschen Italienreisenden vgl . Tauber, Burckhardts „Cicerone“; zum Reisen als identitätsstiftende kulturelle Praxis vgl . Prein, Reisen . 9 Vgl . z . B . den Eintrag in Maria Hamms Haushaltsbuch vom 8 .9 .1908 über ihre Eltern und Verwandte: „Onkel und Tante Oberlandesgerichtsrat Heinlein aus Locarno“, oder vom 18 .6 .1909: „Eltern von Merz auf der Durchreise nach der Schweiz einige Tage bei uns“; BayHStA, NL Hamm, 122 . 8
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Abb. 6: Die Familien Hamm und von Merz, um 1910
mit einem Klavierauszug der „Götterdämmerung“ und den „Kleinstadtgeschichten“ von Ludwig Thoma bedacht .10 Während der ersten Jahre in München waren zeitweise täglich ein oder mehrere Studien- und sonstige Kollegen zu Gabelfrühstück, Kaffee oder Abendessen zu Gast . Die eineinhalb Amtsjahre als Magistratsrat in Lindau brachten vielfache Einladungsverpflichtungen zu Hause oder auswärts mit sich .11 Der Verkehr konzentrierte sich außer auf die Familie auf die städtischen Honoratioren, besonders das Bürgermeisterehepaar Schützinger, zu dem noch Jahrzehnte später freundschaftliche Beziehungen bestanden, einzelne Magistratsräte und den Vorsitzenden des Gemeindebevollmächtigtengremi-
Vgl . Haushaltsbuch, 24 .12 .1907, in: ebd . Aus der reichhaltigen Geschenkpalette zu Weihnachten 1908 fallen neben Schmuck für Maria und edlen Haushaltsgegenständen ein Klavierauszug von Carmen, das Schubert-Album Bd . 2 für Mezzosopran und 20 Kunstblätter besonders ins Auge, für Eduard neben Kleidungsrequisiten ein zusammenlegbarer Notenständer, die Volksausgabe von Houston Stewart Chamberlains „Die Grundlagen des 19 . Jahrhunderts“, der erste Band von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ sowie Noten für Cello und Klavier . 11 Vgl . z . B . 3 .8 .1908, „Große Abendgesellschaft bei uns“; 14 .3 .1909, „zum Abendessen mit Oberlandesgerichtsrat Hochstettler bei Oberlandesgerichtspräsident von Schneider geladen“, beide Anlässe in der Familienchronik, in: BayHStA, NL Hamm, 120 . 10
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ums . In einer heute geradezu unvorstellbaren, im späten Kaiserreich aber für wirtschafts- und bildungsbürgerliche Honoratioren üblichen Weise integrierte sich der junge, aber bereits avancierte Verwaltungsbeamte in das geselligphilantropische Vereins- und Geschichtsvereinswesen der Stadt . Hamm suchte zeitlebens die Nähe zu Menschen; die vereinsmäßige Kommunikation diente auch der zielgerichteten Vernetzung mit einflussreichen Männern der lokalen Ober- und Mittelschicht .12 Die Teilnahme an diesem Vereinswesen erweiterte den geselligen Verkehr beträchtlich . So wurde etwa die Versammlung des Bodenseegeschichtsvereins 1909 in Lindau mit Vorträgen über geschichtliche Themen und einer Festrede von Eduard Hamm begangen . Überhaupt zählte der Besuch von Vorträgen zum familiären Kulturprogramm . Die Themen reichten von Sizilien-Berichten im Anschluss an das große Erdbeben von Messina (28 .12 .1908) über „Volkskunst und Volkskunde“ bis zu historischen Ereignissen und Persönlichkeiten – „Karl V .“ oder „Kronprinz Ludwig und Napoleon“ . Als besondere Stützen des Vereinswesens und seiner „arbeitenden Geselligkeit“ erwiesen sich – nebenbei bemerkt – durch ihre Redefreude in Vortragsform die protestantischen Stadtpfarrer . Zum Kulturleben Lindaus gehörten auch Theater- und Konzertbesuche, die oft mit philanthropischen Veranstaltungen verknüpft waren .13 Mehrfach wurden Liederabende besucht, auch gemeinsam mit dem befreundeten Bürgermeisterpaar . Gelegentlich gingen Kulturprogramm und politisches Fest nahtlos ineinander über, so etwa bei den Feierlichkeiten zum 90 . Geburtstag des Prinzregenten Luitpold Anfang März 1908, als man die „Prinzregentenserenade am Bismarckplatz, von Schützingers aus gesehen“ genoss, bevor Eduard beim Bankett im Theatersaal die Festrede auf den Prinzregenten hielt .14 Auch Alpenvereinsfeste im Lindauer Theatersaal oder etwa die Theatervorstellung der „Gesellschaft der Gemütlichkeit“ wollten besucht sein, ebenso wie die Faschingsbälle .15 Einen gewissen Ausgleich für diese ausufernden Freuden des Vereinswesens, die Hamm mit seiner strengen Arbeitsamkeit und Intellektualität bald zu viel wurden und zweifellos zu seinem baldigem Abschied aus der Kommunalpolitik beitrugen, boten die zahlreichen Ausflüge, die das Paar teils allein, teils mit Familienmitgliedern oder Freunden unternahm . Regelmäßig bestiegen Eduard (Edi) und Maria (Medi) von Lindau aus den Pfänder
Zu den Grundzügen der Geschichte des Vereinswesens in Deutschland vgl . Hardtwig, Verein; Ders ., Strukturmerkmale . 13 U . a . „Wohltätigkeitsabend für die Sanitätskolonne (Lebende Bilder)“, 27 .3 .1909, Familienchronik, in: BayHStA, NL Hamm, 120 . 14 Ebd ., 11 ./12 .3 .1908 . 15 Ball der Harmonie (Maske Holländerin); Ball im Liederkranz, „Stiftungsfest eines Liederkranzes im Jahre 1823“ (Biedermeier), 27 . und 29 .2 .1908, in: ebd . 12
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und durchstreiften die Bodenseelandschaft bis hin zu den Allgäuer Bergen . Zu den Zielen gehörten unter anderem Bregenz, Langenargen, Wasserburg, Meersburg, Überlingen, Schaffhausen, Dornbirn, Singen, Oberstaufen, der Hohentwiel; ein Ausflug des gesamten Lindauer Magistrats führte zur Ferienkolonie Scheidegg . Ein mehrfach angesteuertes Ziel war Friedrichshafen mit der neuen Werftanlage und der Hoffnung auf den Anblick einer Zeppelinfahrt, die sich nach mehreren vergeblichen Anläufen am 1 . April 1909 endlich erfüllte: „Zeppelin kam abends 7:40 Uhr von seiner großen Münchner Fahrt; wir sahen in Friedrichshafen am Schloß erst das Luftschiff anfahren und dann den Grafen ins deutsche Haus zurückkehren“ .16 In der Bewunderung für Ferdinand Graf von Zeppelin schlug sich ein Stolz auf den technischen Erfindungsreichtum und die ökonomische Erfolgsgeschichte der Deutschen im Kaiserreich nieder, der sich offenbar problemlos vereinbaren ließ mit Traditionsverbundenheit, einem starken ästhetischen Zugang zur Welt und damit auch der Liebe zur Natur, die in der Familie systematisch gepflegt wurde . Bei seinen Bergtouren noch als Junggeselle und in den zwanziger Jahren mit den Töchtern nahm Eduard gelegentlich sogar einen Bergführer in Anspruch . Mit seiner Mitgliedschaft im Alpenverein gehörte er zu den rund 100 .000 (1914) Bürgern, die in besonderer Weise der Natur nahe sein wollten und den Genuss ihrer Ursprünglichkeit, Vielfalt, Stadtferne und Einsamkeit mit der Freude an zielgerichteter, in der Regel noch nicht leistungsorientierter körperlicher Anstrengung verbanden . Stadtfeindschaft war damit nicht verbunden, eher das Gefühl eines Ausgleichs gegenüber der bedingungslos bejahten intensiven und zeitaufwendigen Arbeit . Dabei kamen mehrere Impulse und Bedürfnisse zusammen: die rousseauistische Liebe zum Urtümlichen, Unverstellten, zur Spiegelung der Subjektivität im „Naturgefühl“, also die ästhetische Dimension; und ein religiöses Element, das pantheistische Bewusstsein von einer sonst nicht fassbaren Nähe des Göttlichen . „Der Morgen, die Sonne, der Herbst – solche Phänomene übergreifen Subjekt und Objekt und haben numinose Qualitäten . Das wahre Verhältnis zur Natur ist das der ästhetischen Andacht“ .17 Das schließt den Respekt vor den die Natur bewohnenden Menschen ein, aber auch Elemente des seit etwa 1880 beginnenden „Heimatschutzes“, für den es galt, die bestehende Kulturlandschaft, Wald, Wiese, Gewässer, aber auch das Dorfbild vor rationalistisch-ökonomischen Beschädigungen zu bewahren .
Ebd ., 1 .4 .1909; für den 1 .10 .1909 lautet der Eintrag: „Edi war mit Schützinger, Stettner und Heimpel beim Grafen Zeppelin zur Überreichung der von ihm verfassten Ehrenbürgerurkunde […]“; ebd . 17 Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 1, S . 183, zum Ganzen S . 171–186 . 16
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Aus dem Lebensstil Hamms, seinen Vereinsaktivitäten und Reden in der Vorkriegsära ergibt sich, dass die Anmutung einer besonderen Qualität von „Heimat“ durchaus eine gewisse Rolle spielte, ohne dass der Begriff selbst bei ihm irgendeine Prominenz gewann . Das Haushaltsbuch verzeichnet in diesen Jahren die Zahlung von Beiträgen für einen Verein „Heimat“,18 den „Verein für Volkskunst und Volkskunde“ und einen „Verein Deutsche Gaue“ .19 In seiner Begrüßungsrede vor der Jahresversammlung des Bodenseegeschichtsvereins sprach Hamm am 6 . September 1909 von „der Freude am heimischen Besitz“, von „Heimatgefühl“ und „Heimatstolz“ .20 Die Bücherregale füllten sich mit landes- und stadtgeschichtlicher Literatur, z . B . einer mehrbändigen Geschichte der Stadt Lindau, Wilhelm von Scholz’ Bodenseebuch von 1907 und einem Bestseller im Kaiserreich, dem historischen Roman „Ekkehard“ von Viktor von Scheffel (1855) . Eine politische Assoziation lässt sich in der Verknüpfung der Vorstellung von Heimat mit der überlieferten regionalen und staatlichen Eigenart Bayerns wohl spüren, jedoch ohne jede Abgrenzung von möglicherweise „weniger schönen“ Landschaften Deutschlands . Dass die „Heimaten“ mit ihrer Vielfalt immer auch auf die Eigenart der Staatsnation verwiesen, verstand sich im späten Kaiserreich von selbst .21 Auch nach 1918 blieb die „Heimat“ als Vorstellung von der gefühlsmäßig besonders besetzten Herkunftsregion erhalten, ohne dass Hamm das von der BVP gerne verwendete Schlagwort gebrauchte . Dass er das Land Bayern möglichst vor zerstörerischen Eingriffen durch die Industriewirtschaft und ein Übermaß von Migration bewahren wollte, wird man nicht als reaktionäre Modernitätsfeindlichkeit ansehen können . Und dass die bayerische Landespolitik „volksverbunden“ zu sein hatte, war das Credo aller Bürger- und Bauernparteien und der Verbände in Bayern . Von dem Argumentationsmuster, dass Heimatverbundenheit – wie bei der BVP – als Legimitationsgrundlage für eine partikularistisch-konservative Politik herzuhalten habe, hielt sich Hamm zeitlebens frei .
Wahrscheinlich ist der Bodenseegeschichtsverein gemeint . BayHStA, NL Hamm, 122, 123 . 20 Maria Hamm: Reden meines lieben Mannes 1908–1911 (Eduards Reden, per Hand geschrieben von Maria Hamm), in: BayHStA, NL Hamm, 118; ebd . auch die Tischrede im Bayerischen Hof am selben Tag . 21 So die vor allem für das frühe 19 . Jahrhundert von Celia Applegate aufgestellte und von Alan Confino für das Kaiserreich verschärfte These; vgl . Applegate, Nation; Confino, Nation . Bei Applegate scheint jedoch die demokratische und bei Confino die reaktionäre Komponente überbetont; aus der inzwischen umfangreichen Literatur hier nur Klueting, Heimatschutz; vor allem, mit dem Schwerpunkt auf den Jahren nach 1920 Oberkrome, Heimat; Ders ., Stamm; vgl . auch Günther, Nationale Ich, S . 269–334 . 18 19
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Die regelmäßigen Ausflüge und Bergwanderungen setzten sich in den beiden Memminger Jahren 1909 bis 1911 und von München aus bis zum Kriegsausbruch 1914 fort und blieben auch in den 1920er und 1930er Jahren von Berlin, München oder Reit im Winkl aus ein bestimmendes Element dieses bürgerlichen Lebensstils . Das Leben in München erleichterte natürlich den Zugang zu Konzert und Theater . Man hörte Haydns „Schöpfung“ und besuchte einigermaßen regelmäßig die Akademiekonzerte, vereinzelt auch die Oper . Eduard sah gemeinsam mit seinem Freund Otto Gessler – dem späteren langjährigen Reichswehrminister der Weimarer Republik – den „Hamlet“, und Maria hörte 1907 im Nürnberger Theater Wagners „Fliegenden Holländer“ . Ein Besuch Marias 1908 bei einer Aufführung Isadora Duncans, einer Protagonistin des neuen Ausdruckstanzes, zeigt, dass man den modernen Kunst- und Lebensreformen nicht ablehnend gegenüberstand . Das große zeitgenössische Thema der „modernen“ Frau war im Hamm’schen Haushalt durchaus präsent . Gelegentlich bezog die Familie eine Frauen- oder auch Modezeitschrift . Maria gehörte dem „Verein für Fraueninteressen“ an und hörte dort mehrfach auch Vorträge .22 Dabei konnte sie sich über die neueste Mode informieren, aber ebenso über die in der Öffentlichkeit zunehmend virulenten Fragen der Kindererziehung und der Hygiene . Den seit dem Aufkommen der „Rassenhygiene“ in Deutschland in den 1890er Jahren mit diesen Themen gelegentlich verbundenen eugenischen Implikationen sind Maria und Eduard zeitlebens fremd geblieben, nicht nur des behinderten Sohns, sondern auch ihrer religiösen Grundüberzeugung wegen .23 Diese war zwar, vor allem bei Eduard, in die Richtung auf einen spezifisch modernen Individualitäts- und Autonomieanspruch hin säkularisiert . Es galt in dieser Sicht, das Schicksal so weit wie möglich in die eigene Hand zu nehmen . Dass aber die Verfügung des Menschen über sein Schicksal Grenzen habe, war selbstverständlich .24 Anlässlich einer Damenrede beim Festessen des „Roten Kreuztages“ im Bayerischen Hof nahm Hamm auch Stellung zu den bestehenden Geschlechterrollen . Dabei machte er sich, vor allem wohl durch den Anlass bedingt, das zeitgenössische Stereotyp zu eigen, „daß die Frau als Gefährtin des Mannes
Haushaltsbuch, 1907–1909, in: BayHStA, NL Hamm 122 . Vgl . Weingart/Kroll/Bayertz, Rasse, S . 5–231; Weindling, Health . 24 Zur suchenden, hochindividualisierten Religiosität Eduard Hamms vgl . die Bemerkungen bei Gertrud Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm (Frühjahr 1947), in: BayHStA, NL Hamm, 110 . Der moderate Antiklerikalismus des bayerischen Linksliberalismus ließ sich damit offenbar problemlos verbinden . – Vor 1914 bezog die Familie auch die Zeitschrift „Christentum und Gegenwart“; vgl . Haushaltsbuch, 1909–1912, in: BayHStA, NL Hamm, 123 . 22 23
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die Wunden zu heilen und die Härten zu mildern versucht, die sein Wirken bringt und bringen muß . Denn helfen ist Frauenpflicht und schönstes Frauenrecht“ und wer es ausübe, sei „im besten Sinn des Wortes Frauenrechtlerin“ . Die Formulierung lässt nicht darauf schließen, dass er zu diesem Zeitpunkt Anhänger des Frauenwahlrechts gewesen wäre . Dieses wagte allerdings auch die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland selbst nach der Liberalisierung des Vereinsgesetzes 1908 nur vereinzelt zu fordern – so wie sie auch immer die Rollendeutung vom „eigentlichen Beruf “ der Frau vertrat .25 Andererseits machte sich Hamm doch ein frauenrechtlerisches Argument zu eigen und tadelte die anwesenden Damen milde, dass sie vor ihm schon zahlreichen anderen männlichen Rednern das Wort überlassen hätten, das sie doch eigentlich selbst hätten ergreifen müssen . Nur für das „Frauenlob“ habe es eines männlichen Redners bedurft .26 Damit teilte er die Meinung der meisten Männer, die den Frauen in der Gesellschaft mehr Bewegungsspielraum und Freiheit zuzuerkennen bereit waren, mit der Gleichstellung im Wahlrecht aber sehr zögerlich umgingen . Ungeachtet dieses wohlwollend aufgeklärten Patriarchalismus auch der fortschrittlichen Männer setzten die Vorkämpferinnen der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung politisch ihre größten Hoffnungen auf die Linksliberalen .27 Maria Hamm war konventionell erzogen, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie die traditionelle bürgerliche Geschlechterordnung jemals in Frage gestellt hätte .28 Sie empfand sich über die Familie in die bürgerliche Gesellschaft integriert und hatte anscheinend keinerlei Bedürfnis, selbst für die politische Frauenemanzipation aktiv zu werden . Das hätte auch nicht dem Lebensplan entsprochen, den das Paar vor Augen hatte und dem es allem Anschein nach in Harmonie und ehelicher Liebe ein Leben lang gefolgt ist . Sie bot ihrem Mann jederzeit unbedingten Rückhalt und ertrug die schlimmen Schicksalsschläge, die ihr Leben begleiteten, mit großer Charakterstärke . In den Berliner Jahren, als sie die Rolle der Gastgeberin großer Gesellschaften zu spielen hatte oder bei auswärtigen Geselligkeiten etwa von Reichspräsident Friedrich Ebert oder vom päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli zu Tisch geführt wurde, genoss sie einen durchaus auf sie selbst bezogenen, nicht nur vom Gatten geliehenen Respekt . Sie verstand sich gut mit Louise Ebert, die
Vgl . u . a . Vogel, Inklusion, S . 212–218 . Maria Hamm: Reden meines lieben Mannes 1908–1911 (Eduards Reden, per Hand geschrieben von Maria Hamm), in: BayHStA, NL Hamm, 118 . 27 Vgl . u . a . Schaser, Frauen; Hausen, Liberalismus . 28 Vgl . dazu u . a . Hausen, Polarisierung; die Beiträge in: Frevert, Bürger; die zusammenfassende Darstellung im Kapitel „Familie, Geschlechter, Genealogien“, in: Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 1, S . 43–124; Budde, Bürgerleben . 25 26
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nach dem Tod ihres Mannes mehrfach zu Gast war, erfuhr aber in den späteren Jahren auf dem „Baier-Hof “ in Reit im Winkl auch die Hochachtung der Bauern aus der Nachbarschaft . Sie war eine unverbildete, warmherzige Frau, eminent tüchtig und unsentimental . Gefühl zeigte sie in ihren Briefen und in ihrer zwischen 1908 und 1918 geführten Familienchronik nur gelegentlich – etwa wenn ein starkes Naturerlebnis sie angesprochen hatte und vor allem dort, wo von ihrem behinderten Sohn Hans die Rede war .29 Die Grundlage der Lebensführung war selbstverständlich das Einkommen . Präzise Auskunft darüber gibt das Haushaltsbuch von Maria Hamm, das sie vom Tag ihrer Hochzeit am 24 . August 1907 an bis einen Monat vor ihrem Tod am 12 . März 1955 führte . Es gliedert sich in die Rubriken „Einnahmen“ und „Ausgaben“ und führt unter „Ausgaben“ im Einzelnen auf: Küche – Wohnung – Heizung und Beleuchtung – Neuanschaffungen und Reparaturen – Bedienung – Kleider und Wäsche (Frau, Mann, Kinder) – Theater und Konzerte – Bücher und Zeitungen – Vereine – Taschengeld – Geschenke – Arzt und Apotheke – kleine Ausgaben – Steuern, Umlagen – Reisen – Zum Vermögen .30 Diese Angaben unterrichten detailliert über die Haushaltsführung im engeren Sinn . Aus den Stichworten „Vereine“ und „Bücher und Zeitungen“ lässt sich die Einbindung in die bürgerliche Öffentlichkeit erschließen, die Rubriken „Geschenke“, „kleine Ausgaben“, „Theater und Konzert“ sowie „Reisen“ erlauben weitreichende Rückschlüsse auf die Formen des Familienlebens und der Unterhaltung . Das Einkommen lag 1907 für einen jungen Beamten nach seinem Eintritt in den Staatsdienst bei monatlich 210 RM und war damit karg bemessen . Aufgebessert wurde es durch regelmäßige Zahlung von rund 200 RM durch die Eltern von Maria – ein Beitrag, der über die Jahrzehnte hinweg konstant blieb . Hinzu kamen gelegentliche geringfügige Diäten und hier und da die Zinsen aus einem Aktien-Portfolio von 10 .000 RM, das die Eltern Hamm dem Paar zur Hochzeit vermacht hatten, sowie bald auch aus Geldanlagen . Im Schnitt lag das monatliche Einkommen im Stichjahr 1910, als das erste Kind geboren wurde, bei knapp 500 RM . Das Gehalt stieg bis Ende 1916 auf – grob gerechnet – das Doppelte an (441,66 RM) . Seit Januar 1916 gab es einen Zuschlag von 230 RM durch die Lebensmittelstelle aus dem Fonds des Außenministeriums . Im April 1918 war das Gehalt auf 585 RM gestieVgl . Maria Hamm: Familienchronik und Briefe, in: BayHStA, NL Hamm, 118 . Unter „Küche“ ist alles verzeichnet, was auf den Tisch kam, vom Radieschenstrauß bis zur Backpulvertüte und zum Kaffee; unter „Neuanschaffungen und Reparaturen“ jedes neu gekaufte Glas, jeder Vorhangring und jede reparierte Lampe . Die Rubrik „Kleider und Wäsche“ nennt den Bedarf vom Stopfgarn über die Schuhe und ihre Reparaturen bis zum Wenden des Anzugs; vgl . allgemein dazu Pierenkemper, Haushalt .
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gen, die Lebensmittelzulage entfiel jetzt, wurde aber durch eine monatliche „Nebeneinnahme“ von 166 RM sowie eine einmalige Teuerungszulage von 187 RM ausgeglichen . Von Oktober 1918 bis März 1919 ging die „einmalige Teuerungszulage“ in unterschiedlicher Höhe zwischen 300 und 900 RM regelmäßig ein . Das kleine Vermögen warf weiterhin Zinsen ab, die wieder angelegt wurden . Seit Anfang 1919 ergänzten, langsam anlaufend, private Nebeneinkünfte in Gestalt von Honoraren für Vorträge (an der Technischen Hochschule München über die deutsche Wirtschaft im Krieg) und Zeitungsartikel (in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ und der „Bayerischen Staatszeitung“) das Gehalt . Zwischen dem Kriegsende im November 1918 und April 1919 (dem Monat der zweiten Räterevolution in München) pendelten sich die Einnahmen bei rund 1 .200 RM ein .31
3. Liberalismus und Politik in Bayern 1900–1918
Die politische Kultur in Deutschland war und ist auch in Zeiten des allgemeinen gleichen (Männer-)Wahlrechts geprägt von starken regionalen Differenzierungen .32 Das gilt in besonderem Maße für Bayern . Wie überall in Deutschland seit dem Beginn der 1860er Jahre war der Liberalismus stark zersplittert und wie überall verlor er seit Beginn der 1870er Jahre an Stimmen . Von 1875 bis 1905 gingen die Mandate der vereinigten liberalen Gruppierungen im Bayerischen Landtag von 49 auf 16 % zurück . Die Gewinner waren auf dem Lande die „Patrioten“ (seit 1871 Zentrumspartei) und in den Städten die Sozialdemokratie . Trotzdem lässt sich für die Jahre zwischen 1870, als das liberale Kabinett Hohenlohe im „Kulturkampf “ neben der Regierung Badens vorangegangen war, und 1912, als der konservative Zentrumsabgeordnete Georg von Hertling Ministerpräsident wurde, von einer Ära des Liberalismus sprechen, insofern die Beamtenkabinette dieser 30 Jahre weitgehend unabhängig von wechselnden Kammermehrheiten im liberalkonservativ-etatistischen Geiste regierten .33 Der organisierte Liberalismus, also die liberalen Parteien, befand sich in Deutschland seit dem Ende der „liberalen Ära“ 1878/79 auf einer langgestreckten und keineswegs glatten Bahn des Abstiegs . Ökonomisch wie politisch schadeten ihm die sogenannte „Große Depression“ (Hans Rosen-
Haushaltsbuch, 1907–1909, in: BayHStA, NL Hamm 122 . Vgl . u . a . Best, Regionen; Steber, Gewissheiten . 33 Vgl . Thränhardt, Wahlen, S . 79 f, 85 f; zum Folgenden insgesamt Möckl, Prinzregentenzeit; Albrecht, Reichsgründung, S . 330–335 . 31 32
3. Liberalismus und Politik in Bayern 1900–1918
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berg) seit dem Gründerkrach von 1873 und grundsätzlich und irreversibel die Entstehung der industriellen Klassengesellschaft mit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung und den damit verbundenen Polarisierungen . Die Durchorganisierung dieser Gesellschaft mit ökonomischen Interessenverbänden schwächte die politische Durchsetzungskraft des in sich hochdifferenzierten Liberalismus . Das allgemeine gleiche Reichstagswahlrecht für Männer verkleinerte proportional die Wählerbasis des liberalen Bürgertums, da es die Unterschichten politisch gleichstellte und bei den aufsteigenden Wählergruppen andere als die liberalen politischen Ideen vorherrschten . Mochten manche Bürger bis in die 1890er Jahre den politischen Durchbruch der Industriegesellschaft noch für reversibel oder zumindest korrigierbar gehalten haben, so war das Vordringen der gefürchteten „Massen“ seither nicht mehr wegzudisputieren .34 Wer die Entwicklung hochrechnete, musste erkennen, dass die in der Verfassungsentwicklung des 19 . Jahrhunderts bis dahin begünstigten liberalen Milieus in den Städten von Erosion bedroht waren und dass sich die so lange vom Wahlrecht begünstigte privilegierte Stellung des liberalen Bürgertums wenn überhaupt, dann nur durch grundlegend veränderte Strategien halten ließ . Angesichts der inzwischen – ungeachtet des adlig-konservativen Widerstands – selbstverständlichen Dominanz von bürgerlicher Kultur und liberalen Politikformen konnten sich jedoch viele Liberale bis 1914 und sogar 1918 nicht zur Einsicht in diese veränderte Ausgangslage für den Erwerb und die Ausübung politischer Macht durchringen .35 Die parteipolitische Konstellation in Bayern unterschied sich insofern von allen anderen Ländern im Kaiserreich, als aufgrund der agrarischen und geschlossen katholischen Struktur vor allem von nicht-fränkischen Landesteilen Bayerns der politische Katholizismus die Wählermehrheit für sich hatte und daher schon seit 1893 gemeinsam mit der SPD auf die Einführung des allgemeinen gleichen geheimen Männerwahlrechts drängte . Zentrum und SPD schlossen zu diesem Zweck 1899 ein Wahlbündnis und erreichten bei der Landtagswahl von 1905 mit dem Wahlslogan, die Liberalen seien „Wahlrechtsräuber“, eine klare Zweidrittelmehrheit . Dieses Bündnis der „egalitären“ Parteien setzte am 9 . April 1906 als Vorreiter unter den Ländern erstmals bei einem Landeswahlrecht das allgemeine, gleiche, direkte relative Mehrheitswahlrecht für Männer durch . Um die auch in Bayern notorische
Vgl . generell zur Entstehung einer Kultur des allgemeinen Wahlrechts Anderson, Lehrjahre . 35 Zu diesem viel diskutierten Problem vgl . hier nur Langewiesche, Liberalismus; Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 2, S . 214–330, 521–536; Hettling, Bürgertum; Pohl, Liberalismus . 34
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Zersplitterung des Liberalismus zu überwinden, bildeten die verschiedenen Richtungen im Landtag zunächst die Fraktionsgemeinschaft der „Liberalen Vereinigung“, die aber nach schweren Niederlagen bei den Wahlen im Reich 1898 und im Land 1899 vor der Aufgabe stand, eine einigermaßen kohärente Programmatik zu entwickeln, die sich gegen die ungewöhnliche Kooperation von katholischem Konservativismus und säkularem Sozialismus behaupten konnte . Dabei rückte der bayerische Liberalismus, obgleich nach wie vor in verschiedene Gruppierungen gespalten, insgesamt deutlich nach links . Damit verbunden war ein sozialliberaler, auch generationell geprägter Erneuerungsimpuls, der sich um zwei Personen kristallisierte . Ab 1900 formierte sich die „Jungliberale Bewegung“, die seit dem Auftreten von Gustav Stresemann 1907 als jüngster Abgeordneter im Reichstag dessen Reformkurs in der Nationalliberalen Partei stützte, in Bayern aber zudem vom Antiklerikalismus der vielfach linksliberalen Lehrerschaft zehrte . Die zweite jugendlich inspirierte Aufbruchsbewegung sammelte sich um den charismatischen protestantischen Pfarrer Friedrich Naumann, der sich aus dem Umkreis des konservativsozialen und dabei explizit antisemitischen Dompredigers Adolf Stoecker mit seiner „Christlich-sozialen Bewegung“ gelöst und einem sozialen Liberalismus genähert hatte . 1896 gründeten der Historiker Walter Goetz und der Archäologe Ludwig Curtius einen Münchner Nationalsozialen Verein als akademische Gefolgschaft und Zweigverein für die reichsweite, locker organisierte Gesinnungsgemeinde reformorientierter, vor allem protestantischer Gebildeter unter dem gleichen Namen Nationalsozialer Verein .36 Zu den Mitgliedern gehörten auch der Mediziner Georg Hohmann, der 1918–1920 die Parteiführung der neu gegründeten linksliberalen DDP übernahm, der mit Theodor Heuss befreundete Publizist Wolf Dohrn und Otto Gessler, Gewerberichter in München und später acht Jahre lang der – umstrittene – Wehrminister der Weimarer Republik . Dass der Katholik Hamm sich auch zu einer nicht-konfessionellen Religiosität bekannte, stand seiner Naumann-Bewunderung nicht im Wege .37 Eduard Hamm verkehrte in beiden Kreisen, bei den Jungliberalen und den Naumannianern . Am 14 . Juli 1908 notierte Maria Hamm in ihrer Chronik nicht ohne eine gewisse Feierlichkeit: „Edi sprach Naumann“ .38 Walter Goetz berichtet, es sei für ihn „ein Gewinn fürs Leben gewesen, mit Naumann und Brentano, mit Heuss und Otto Gessler, mit Eduard Hamm und Georg Hohmann eine lebenslange Verbindung einzugehen“ .39 Anschau-
Vgl . Krey, Naumann-Kreis; Dies ., Religion . Vgl . dazu allgemein Langewiesche, Gebildeten . 38 Familienchronik, in: BayHStA, NL Hamm, 120 . 39 Goetz, Leben, S . 32 . 36 37
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lich schilderte zudem der Archäologe Ludwig Curtius, zeitweilig Privatlehrer des jungen Dirigenten Wilhelm Furtwängler und später bis 1938 Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, die Charaktere und die Denkund Lebensweise der jungen Naumannianer . Sie waren im Schnitt 10 Jahre jünger als er selbst (Curtius geb . 1874, Gessler 1875, Hamm 1879, Hohmann 1880, Heuss 1884), und das veranlasste ihn zu einem Generationenvergleich, der einen gewissen Aufschluss über die Öffnung zur Moderne gibt, die bei diesen jungen Bürgern seit 1890/1900 stattfand . Es ist ein generationell-soziales Milieu, das das Denken in den traditionellen rigiden Klassenkategorien lockerte, das sich gegen die materialistische Geldfixierung der Vorgängergeneration wandte, das das Leben insgesamt etwas lockerer nahm als ihre Elterngeneration . In diesem Kreis wollte man nicht ein „schneidiger“, „feudaler“ oder „eleganter“ Herr sein, sondern eher ein „feiner Kerl“, der großzügig und unbeschwert sein konnte und Wert darauf legte, nicht primär nach Stand oder Klasse, sondern eher nach „persönlichen, moralisch-charakterlichen Eigenschaften wie Mut, […] Wahrheitsliebe, Verläßlichkeit, Treue und Humor“ beurteilt werden wollte .40 Hamm steht, geht man von seinen persönlichen Neigungen und Aktivitäten aus, zwischen dem vielfach gedankenlos gewordenen moralischen, geschmacklichen und politischen Rigorismus der vorhergehenden Bürgergeschlechter und dem offenen, wenn auch von ihren Eltern meist gutgeheißenen Protest der folgenden Jugendbewegungsgeneration . 1910 schlossen sich die verschiedenen linksliberalen Gruppierungen in Bayern parteipolitisch mit der Freisinnigen Volkspartei des 1906 verstorbenen Eugen Richter zur bayerischen „Fortschrittlichen Volkspartei“ zusammen . Bei den Reichstags- und Landtagswahlen 1912 schlossen die Vereinigten Linksliberalen erstmals ein Wahlbündnis mit den Sozialdemokraten und mit dem Bayerischen und dem Deutschen Bauernbund („Großblock“), das der revisionistische SPD-Anführer Georg von Vollmar zugunsten seiner Liaison mit dem Zentrum länger hinausgeschoben hatte als in anderen süddeutschen Staaten, insbesondere in Baden . Immerhin brachte die Erneuerungsbewegung der jungen Liberalen der Fortschrittlichen Volkspartei unter der Führung des nicht mehr ganz jungen Ernst Müller-Meiningen (1866–1944) 1912 gegenüber 1907 einen Gewinn von fünf Mandaten auf insgesamt 30 Sitze ein . Die Frontlinien in Bayern verschoben sich nun einerseits in der Exe-
Curtius, Welt, S . 239–244, hier S . 240 . Eine neuere Biographie zu Curtius fehlt; sie wäre schon deshalb wichtig, weil sie sehr viel deutlicher als bei anderen Männern dieses Milieus Übergangsformen dieses freieren, körperbetonten, auch bürgerkritischen Habitus zu „völkischen“ Idealen im Umkreis des NS aufzeigen könnte . Curtius zieht diese Linie übrigens andeutungsweise selbst; ebd ., S . 211 .
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kutive zu einer stärker parteipolitisch fundierten, konservativ-katholischen Regierungsführung, andererseits zu verstärkter Lagerbildung im Parlament zwischen nach rechts gerücktem Zentrum und den Sozialdemokraten und Liberalen . Einer festen Mitgliedschaft bei den Liberalen stand bis 1918 das Verbot parteipolitischer Betätigung für Staatsbeamte im Wege . Aber Naumann beeinflusste mit seiner Persönlichkeit, seiner Soziabilität und seinen Schriften das politische Weltbild Hamms tiefgreifend . Für einen angehenden bayerischen Spitzenbeamten war dies immerhin eine ungewöhnliche intellektuelle und moralpolitische Option .41 Für eine kleine bildungsbürgerliche Elite war das hochattraktiv, für eine tragfähige Parteigründung aber ungeeignet . Naumann selbst sah das nach dem Scheitern seines Nationalsozialen Vereins (1896–1903) bei der Reichstagswahl 1903 mit aller Nüchternheit . Er orientierte sich jetzt parteipolitisch zur linksliberalen Freisinnigen Vereinigung hin, wuchs allmählich in die Rolle eines Integrators hinein und wurde schließlich im Juli 1919 zum Vorsitzenden der neu gegründeten linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei gewählt . Von seiner Herkunft als Pfarrer in einer sächsischen sozialen Brennpunktgemeinde her konnte er Zeit seines Lebens einen leicht predigerhaften Zug nicht ablegen, doch tat der seiner volkstümlichen Beredsamkeit keinen Abbruch .42 Gleichzeitig verkörperte er mit seiner intellektuellen und kommunikativen Offenheit die Bereitschaft, in einem – allerdings sehr überschaubaren – Segment des wilhelminischen Bürgertums sich für neue, zeitgemäße Lebensformen und Denkweisen zu öffnen . Naumann profilierte sich als publizistischer Anwalt der kulturellen Moderne . Er kämpfte für die Durchsetzung der neuen Kunstgewerbebewegung, die sehr viel mehr war als das Wort zu besagen scheint, nämlich Avantgardebewegung im Fundamentalprozess des Aufstiegs der modernen Massenkultur . Naumann zählte zu den Gründern und Publizisten des „Deutschen Werkbundes“ (1907) und verknüpfte dabei sein ästhetisches Anliegen mit einem ökonomischen und nationalpolitischen: Die neue Kunst sollte sachlich, nüchtern, formschön und dem Industriezeitalter angemessen sein, sie sollte aber auch die Produkte deutscher Arbeit auf dem Weltmarkt platzieren und der Nation für die Zukunft den Vorrang bei der Gestaltung der Oberfläche
Vgl . die unverzichtbare, große, wenn auch aus persönlicher Nähe verfasste Biographie von Heuss, Naumann; Theiner, Liberalismus; knapper Überblick zu Leben und Werk bei Hardtwig, Naumann, dort auch die weitere Literatur; zum Forschungsstand auch Bruch, Naumann; vgl . auch Krey, Naumann-Kreis; Dies ., Demokratie; zur Naumann-Überlieferung bis in die Bundesrepublik hinein und der tragenden Bedeutung seines wichtigsten Schülers und Gefolgsmanns Theodor Heuss vgl . Hertfelder, Meteor; Ders ., Naumann . 42 Vgl . dazu mit weiter Perspektive Hübinger, Kulturprotestantismus . 41
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der Welt sichern .43 Hamm stand diesen Zielen und auch der ökonomischen Intention nahe .44 Dem entsprach auch, dass er sich schon bei der Gründung dem „Hansa-Bund“ anschloss (1909), in dem sich aus dem zersplitterten Interessenfeld der gewerblichen Wirtschaft der linke Flügel der Mittelstandsbewegung organisierte .45 Der Verband kooperierte politisch eng mit dem Linksliberalismus, der wie dieser gegen den immer noch starken Einfluss der Großagrarier und der alten Verwaltungs- und Offizierseliten in der Reichspolitik kämpfte und versuchte, das industrielle Großbürgertum aus seiner solitärprotektionistischen Allianz mit den Großagrariern heraus und in eine gewerblich-industrielle Abhängigkeit hineinzuziehen . Stimulierend auf die junge fortschrittsfreudige Bürgergeneration wirkte an Naumann aber vor allem sein Nationalismus . Er war insofern „modern“, als er zwei vermeintlich in konträre Richtungen strebende Entwicklungstendenzen – die Anerkennung der modernen Industriegesellschaft und ihrer Klassenspaltung und die imperialistische Machtstaatlichkeit – zu versöhnen schien . Zwischen 1895 und 1905 entwickelte Naumann sein sozialpolitisches „Mindestprogramm“: Er trat für eine Politik wohlfahrtsstaatlicher Daseinsvorsorge ein, die Bismarck aus seinem patriarchalischen Konservativismus heraus gegen den Widerstand der Liberalen seit 1881 in Gang gesetzt hatte – die Unfall-, die Alters-, die Invaliditäts- und die Krankenversicherung der Arbeiter . Damit unterstützte Naumann zwar nolens volens auch die Tendenz zum neuen bürokratischen Interventionsstaat mit sozial-konservativer Ausrichtung, zugleich aber suchte er, diesen möglichst schlank zu halten, unter anderem, indem er das damals noch bitter umkämpfte Prinzip der Tarifpartnerschaft anerkannte . In Hamms Reden vor 1914 nahm die Sozialpolitik nur geringen Raum ein – was zweifellos auch den Anlässen und Orten dieser Reden geschuldet ist: der Antrittsrede als Magistratsrat 1907, der Festrede auf dem 90 . Geburtstag des Prinzregenten und der Rede zum 10 . Todestag Bismarcks 1908 – alle in Lindau – sowie der Reichsgründungsrede 1911 in Memmingen . Seit 1918 und dem Eintritt in die Wirkungsfelder der bayerischen und deutschen Wirtschafts- und Handelspolitik trat die sozialliberale Ausrichtung seines Denkens als ein Grundpfeiler seiner politischen Weltanschauung deutlicher her-
Vgl . Hardtwig, Kunst; Campbell, Werkbund . In Hamms Wohnung mischten sich barocke Möbel aus dem Merz’schen Zweig und ebenfalls geerbte historistische Prachtschränke mit Tischen, Stühlen und Kommoden aus den Münchner Vereinigten Werkstätten . 44 Vgl . „Installationsrede“ am 6 .2 .1908 im Rathaussaal Lindau, in: Maria Hamm: Reden meines lieben Mannes 1908–1911 (Eduards Reden, per Hand geschrieben von Maria Hamm), S . 1–8, in: BayHStA, NL Hamm, 118 . 45 Vgl . Mielke, Hansa-Bund . 43
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vor – gebremst durch eine in der regionalen und sozialen Herkunft angelegte deutliche sozial- und kulturkonservative Komponente . Einen starken Einfluss auf Hamm übte Naumanns ökonomisches Hauptwerk „Neudeutsche Wirtschaftspolitik“ aus, in dem Naumann seinen bürgerlichen Zeitgenossen die ökonomischen Antriebskräfte und Funktionsmechanismen des kapitalistischen Wirtschaftssystems sowie die Probleme der sozialen und politischen Machtverteilung in der modernen Industriegesellschaft nahe brachte – um dann Vorschläge zu unterbreiten, wie ungeachtet des irreversiblen Siegeszuges des Kapitalismus Freiheitsspielräume und Entwicklungschancen des einzelnen Menschen möglichst weitgehend gesichert werden könnten .46 Naumanns Vorstellung von der notwendigen Entwicklung und Gestaltung der freien, selbstbestimmten, schöpferisch tätigen Persönlichkeit leitete – ungeachtet Max Webers Schreckbild von dem „stählernen Gehäuse“, in das der moderne Rationalismus und der Kapitalismus das Leben zwängen – auch Hamms Konzept einer Versöhnung von Einzelnem und Ganzem . Für das Bürgertum ergab sich aus der Industrialisierung und ihren sozialen und politischen Folgen eine neuartige, als Bedrohung empfundene Spannung zwischen Individuum und Kollektiv, die auch in Hamms Reden deutlichen Niederschlag fand . Zu Beginn der 1930er Jahre beschwor Hamm die Gefahren für die Individualität von Unternehmern und Arbeitern durch die Zwänge von Rationalisierung und Bürokratisierung in düstereren Farben als vor und auch kurz nach dem Ersten Weltkrieg . Aber auch dann noch wandte er das Argument immer zum Ausblick auf eine offene Zukunft hin und zu den Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen auch gegenüber scheinbar übermächtigen schicksalhaften Abhängigkeiten .47 In den Vorkriegsjahren jedoch dominierte in Hamms Naumann-Prägung der Nationalismus . National zu sein hieß für den deutschen Bürger seit den 1890er Jahren, imperialistisch zu sein und für deutsche „Weltpolitik“ einzutreten . Der Imperialismus schien die Möglichkeit zu bieten, die Arbeiterschaft in die Nation zu integrieren und die vermeintliche Staatsfeindschaft der Arbeiterbewegung zu überwinden . Bürgertum und proletarische Masse mussten zusammenfinden, und das ging nach Ansicht Naumanns und seiner Anhänger nur durch eine militärisch fundierte Außenpolitik . Aus der radikalen „Ablehnungspartei“ der Sozialdemokraten könne nur dann eine am
Friedrich Naumann: Neudeutsche Wirtschaftspolitik, Berlin-Schöneberg 1902, 31911; zu den neuen Versuchen von Staatsrechtslehre und Nationalökonomie, ein liberales Gesellschaftsbild für das Industriezeitalter zu entwerfen, vgl . Hübinger, Hochindustrialisierung, bes . S . 202 ff . 47 Vgl . unten S . 327 ff . 46
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Staat beteiligte und führungswillige Partei werden, wenn sie den „radikalen, internationalen, revolutionären, völkerbefreienden Marxismus“ hinter sich lasse und der Parole folge: „Wir sind die Massen, die den Industrialismus in die Zukunft hineinführen, und da wollen wir unseren Anteil“ .48 Hat man die Schriften Naumanns vor Augen, so trat Deutschland nicht nur aus „sozialimperialistischen“ Motiven oder getrieben von der „Großmannssucht“ des Newcomers in die Weltpolitik ein . Es folgte auch einer unleugbaren „Logik der Machtpolitik“, der gemäß die Zeitgenossen sich nicht vorstellen konnten, „den Status einer souveränen Großmacht freiwillig preiszugeben oder aufs Spiel zu setzen […] . Das primäre und alte Ziel der deutschen Sicherheit war mit dem neuen Ziel des Ausgriffs in die Welt verkoppelt, die Angst um die Existenz als kontinentale Großmacht mit der Angst um den Ausschluß aus der Welt“ .49 Symptomatisch und wegen ihrer Prägnanz immer wieder zitiert worden ist für diese Position Max Webers berühmte Freiburger Antrittsvorlesung von 1895, die für Naumanns Hinwendung zu seiner national-sozialen Idee und damit auch für den linksliberalen Imperialismus insgesamt bedeutsam wurde: „Wir müssen begreifen, daß die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluß und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte“ .50 Naumann schloss sich dem nahtlos an .51 In seiner Rede zur Reichsgründungsfeier 1911 in Memmingen argumentierte Hamm ganz ähnlich wie Weber und Naumann, wenngleich deutlich defensiver, indem er die Ära und Politik Bismarcks mit der gegenwärtigen politischen Weltlage verglich: „Neue Zeiten, neue Ziele! Wir leben nicht mehr in Bismarcks Zeit, seine Politik war Europapolitik . Sein Ziel, die Einigung, ist erreicht, also daß keiner mehr sie missen möchte . Aber immer wieder kehrt bei Bismarck der Gedanke, daß mit dem Erfolg von 1870 für alle Zukunft unser Volkstum gesättigt sei . Wenn dem so wäre! Aber unser Volk wächst […] . Die Welt muß uns offenstehen . Nicht zu kriegerischen Eroberungen, aber zur Betätigung unseres wachsenden Volkes, daß deutsche Schiffe alle
Friedrich Naumann: Der Niedergang des Liberalismus (1901), in: Ders ., Werke, Bd . 4, S . 226 . 49 Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 2, S . 631 . 50 Weber, Nationalstaat, S . 23; zu allen hier und im Folgenden wiedergegebenen MaxWeber-Äußerungen immer noch grundlegend Mommsen, Weber . 51 „Was wir brauchen, ist Tropenland, wo man für uns Südfrüchte, Kaffee, Reis und Baumwolle pflegt und herstellt, wir brauchen fremde Steppen, wo für uns Wolle und Leder fertig gemacht wird […] . Das ist die große Lebensfrage der Nation geworden […]“; Naumann, Weltmarkt; vgl . auch Raphael, Gewalt . 48
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Meere befahren, deutscher Fleiß in den fernsten Erdteilen säen und ernten mögen und keinem Deutschen der Boden zu eng, die Sonne zu arm zu werden braucht“ .
Hamm verwies dann auf den Überfall der englischen Flotte auf Kopenhagen mitten im Frieden 1801 und fuhr fort: „Es gibt nur eine Gewähr gegen Gewalttat gleicher Art, eine Rüstung, die zur Vorsicht mahnt . Darum brauchen wir das schimmernde Kleid der Seewehr“ .52 Mit diesen Formulierungen synthetisierte Hamm gleichsam das wirtschafts- und bildungsbürgerliche Credo dieser Jahre . Das bestand zum einen in der Erwartung, dass der rapide Bevölkerungsanstieg in Deutschland weiterhin anhalten würde, sodass der ebenfalls erwartete weitere Aufstieg der Industriewirtschaft mit seinem Arbeitskräftebedarf die künftige Überschussbevölkerung nicht absorbieren könne . Von der soeben bei völkisch denkenden Bevölkerungswissenschaftlern und Publizisten aufkeimenden Panik über das Nachlassen der jährlichen Zuwachsraten ist bei Hamm nichts zu spüren – auch nichts davon, dass sich Deutschland bereits vom Auswanderungszum Einwanderungsland wandelte .53 Das ist zum anderen der Glaube an die „Weltpolitik als Kulturmission“,54 der – auf den ersten Blick verwunderlich – gerade viele Bildungsbürger in die großen mitgliederstarken nationalen Agitationsverbände wie die „Deutsche Kolonialgesellschaft“ (gegründet 1887) oder den „Deutschen Flottenverein“ (gegründet 1898) trieb . Max Weber zufolge waren gerade die Bildungsbürger „in spezifischem Maße dazu prädestiniert, die ‚nationale Idee‘ zu propagieren .“ Erfüllt vom idealen Pathos des MachtPrestiges, das sie ideell privilegierte, gehörten sie zu den „verläßlichsten Trägern einer ‚Staats‘-Idee als der Idee eines unbedingte Hingabe fordernden imperialistischen Machtgebildes“ .55 Auch wenn es nicht ganz leicht fällt, die eher gedämpft-nationalistische Rhetorik Hamms in diesen Jahren mit der – sprachgewaltig und zugleich betont nüchtern-materialistisch formulierten – Ideologiekritik des bildungs-
Eduard Hamm: Rede zur Reichsgründungsfeier 1911 in Memmingen am 21 .1 .1911, in: Maria Hamm: Reden meines lieben Mannes 1908–1911 (Eduards Reden, per Hand geschrieben von Maria Hamm), in: BayHStA, NL Hamm, 118, o . S .; zur Resonanz der Weltpolitik im Bürgertum vgl . noch immer die plausible Argumentation bei Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 2, S . 630 f; zur Weltpolitik Canis, Bismarck; Ders ., Weg; Clark, Schlafwandler . 53 Zur Bevölkerungsentwicklung und der bereits seit den 1870er Jahren leicht absinkenden Fertilität vgl . Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd . 3, S . 493–503; zum Beginn der pronatalistischen Agitation Bergmann, Agrarromantik; zur 1911 einsetzenden medizinischen Diskussion über den drohenden Bevölkerungsrückgang Bryant, Burgdörfer, S . 43–52 . 54 Bruch, Weltpolitik . 55 Weber, Wirtschaft, S . 530, 528; dazu Langewiesche, Bildungsbürgertum, S . 164 . 52
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bürgerlichen Nationalismus auf reine Status-Interessen zu reduzieren, so trifft sie doch deren materiellen Kern . Dass diese Erklärung zutrifft, wenn auch nicht ausreicht, ist unter anderem daran abzulesen, dass Hamm dem 1886 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachverein beitrat, der sich der „Reinhaltung“ und Pflege der deutschen Sprache widmete . Das schloss die Unterstützung des Auslandsdeutschen ein und griff insofern „volksnational“ über die Grenzen des Deutschen Reiches von 1871 hinaus . Wichtiger ist, dass die Sprache als das Symbol der Nation überhaupt gelten kann und die „Reinigung“ und Pflege der Sprache auch einen gewissen Kontrollanspruch über die Sprache und damit eine besondere Autorität derer einschließt, die als Gebildete mit ihr arbeiteten und sie daher auch beherrschen sollten . Es ist daher kein Zufall, dass Gymnasiallehrer und höhere Staats- und Kommunalbeamte die meisten Vorstände der Ortsgruppen 1914 stellten und dass die Mitgliederzahl von 34 .280 am Vorabend des Weltkriegs im Vergleich mit den großen Agitationsverbänden wie dem Deutschen Wehrverein mit 360 .000 (1914) und dem Flottenverein mit 1,125 Mio . Mitgliedern (1913) bescheiden blieb . Man kann also durchaus davon sprechen, dass die Sprachvereinler damit beschäftigt waren, soziale Macht in die Sprache einzuschreiben . Trotzdem handelt es sich hier nicht um den seit den 1890er Jahren vordringenden „Radikalnationalismus“, der – angeführt vom Alldeutschen Verband – die „Volksnation“ über den Nationalstaat stellte und daher im Sinne einer nicht einfach konservativen, sondern völkischen Opposition gegen die angeblich nationalpolitisch zu lasche Reichsregierung agitierte .56 Bei Hamm stand der ethisch überhöhte Staat über der Nation, auch dort, wo seine Sprache eine volksnationale Tönung annahm . Das blieb auch nach dem Schock des Versailler Vertrags so . Auch der Sprachverein blieb etatistisch gezähmt .57 Die Grundlage bildet der „durchschnittliche Nationalpatriotismus“ – das Gefühl, nach Herkunft, Gegenwartsgestaltung und Zukunftserwartung zusammenzugehören, in politischen Erfolgserlebnissen und Niederlagen Freud und Leid geteilt zu haben sowie der Stolz auf die gewerblich-industriellen
Wie Kurlander schlichtweg von „völkischem Liberalismus“ zu sprechen scheint mir nicht angebracht; Kurlander, Price . Der Terminus „Volksnationalismus“ trifft den Sachverhalt wesentlich präziser und vermischt nicht so inkomparable Phänomene wie etwa den völkischen Nationalismus eines Lanz von Liebenfels mit dem Sozialliberalismus Naumann’scher Prägung . Dass die Abgrenzungen mitunter unscharf sind, ist unbestritten . 57 Vgl dazu v . a . Chickering, Sprache, zum Gründungsdatum und zur Mitgliederzahl S . 215 f . Am Beispiel Hamms gemessen, erscheint das Urteil Chickerings über den Sprachverein zu scharf . Hamm war weder von „Ängsten“ besessen noch von „Feinden, […] die die Kultur und Ordnung in unzähliger Zahl bedrohten“, seien es „Sozialdemokraten, ethnische Minderheiten, Feministinnen, Katholiken, Pazifisten, Juden und tschechisches Bier“; ebd ., S . 222 . 56
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I. Aufbruch im Kaiserreich
Erfindungen und auf die literarischen und bildnerischen Leistungen der Deutschen .58 Zwar lebten regionalistische und konfessionelle Widerstände in unterschiedlich starker Form fort, die sich vor allem aus der föderalen Struktur des Alten Reiches ergeben hatten und bis heute nachwirken .59 In der Reaktion auf die Revolutionserfahrung von 1848/49 hatten sich die Monarchien zudem bemüht, ihre Staaten durch eine weit gefasste und intensive Geschichts- und Kulturpolitik zu festigen .60 Das war in Bayern in besonderem Maße gelungen – und Hamm bewahrte sich zeit seines Lebens ein sehr entschiedenes Gefühl für die kulturelle und politische Eigenart des Landes . Dieses bayerische Staatsbewusstsein integrierte sich bei ihm aber in den übergeordneten „Reichsnationalismus“ des preußisch-deutschen Nationalstaats, wie er besonders seit Beginn der 1890er Jahre in alle Einzelstaaten vordrang .61 Er schlug sich unter anderem in dem gelegentlich bis zur „Seuche“62 gesteigerten Denkmalskult um die Helden der Reichsgründung, Kaiser Wilhelm I . und Bismarck, Helmuth von Moltke, Albrecht von Roon und die gefallenen Soldaten von 1870/71, nieder, aber auch in politischen Festen wie der Reichsgründungsfeier, in Paraden und der gehobenen Stimmung der Bürger bei Visiten des Kaisers Wilhelm II . Auch Hamm hielt zum 10-jährigen Todestag am 30 . Juli 1908 eine lange Bismarckrede mit viel wilhelminischem Pathos, das allerdings durch die bemerkenswert genaue historische Schilderung gedämpft wurde .63 Als Magistratsrat in Lindau engagierte er sich auch für den Bau eines Bismarck-Denkmals, zu dessen – sehr verspäteter – Einweihung 1932 er die Festrede hielt . Diese fiel deutlich weniger pathetisch aus als seine Rede zum 10 . Todestag Bismarcks, ist aber in einem deutlich stärker völkischen Vokabular gehalten . Doch beharrt sie auf der parlamentarisch-republikanischen Ordnung und hält sich von jeglicher Feindschaft gegen ethnische Minderheiten frei .64
Vgl . Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd . 2, S . 595–609, der Begriff S . 595 . Vgl . Langewiesche, Nation; Ders ., Reich, S . 145–160, 180–234; kurzgefasste Gesamtdarstellung von Dann, Nation, S . 90–184; zeitlich und räumlich weit ausgreifend Schulze, Staat, S . 209–277 . 60 Hardtwig, Geschichtskultur, S . 239–288; Ders ., Nationalismus, S . 191–245 . 61 Vgl . Hardtwig, Geschichtskultur und Wissenschaft, S . 224–301; Weichlein, Nation, der außer den geschichtskulturellen Faktoren auch den nationalen Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen einbezieht . 62 Wilhelm Bode: Vier Denkmäler, in: Der Kunstwart 20 (1907), S . 440 . 63 Maria Hamm: Reden meines lieben Mannes 1908–1911 (Eduards Reden, per Hand geschrieben von Maria Hamm), in: BayHStA, NL Hamm, 118; vorbereitet hatte sich Hamm u . a . durch den Kauf der Bismarckbiographien von Max Lenz und Erich Marcks, die er auch wörtlich zitiert; Haushaltsbuch, 1907–1909, in: BayHStA, NL Hamm, 122 . 64 Hamm: Festansprache, in: Feier der Enthüllung und Übergabe des Bismarck-Denkmals auf dem Hoyerberg bei Lindau (Bodensee) am Sonntag, den 12 . Juli 1931, in: BayHStA . NL 58 59
3. Liberalismus und Politik in Bayern 1900–1918
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Hamms Nationalismus besteht wie der der meisten Bildungsbürger in einer sehr komplexen Vorstellung von der „gedachten Ordnung“ Nation . Überblickt man die Karriere, den Lebensstil und die politische Vorstellungswelt Hamms in den Jahren bis 1914/18, so kann von einer „Krise des Bürgertums“ oder von einem bürgerlich und speziell bildungsbürgerlichen Krisenbewusstsein, wie es in der Forschung der letzten drei Jahrzehnte so intensiv beschworen wurde, nicht die Rede sein .65 Vielmehr herrschte bei Hamm ein optimistischer und selbstverständlicher Glaube an die gestaltende Kraft des Bürgertums . Hamm hatte dabei hauptsächlich noch das ständisch geprägte Stadtbürgertum vor Augen, in dessen Dienste er in der Lindauer Kommunalverwaltung getreten war – allerdings nur kurz, weil ihm dieser Wirkungskreis rasch zu eng wurde . Als Symptom erster Zweifel mag allenfalls gelten, dass das kommunalpolitische Programm, das die Jungliberalen 1909 bei ihm in Auftrag gaben, nicht zustande kam . Bis zur Einführung des allgemeinen gleichen Kommunalwahlrechts nach der Revolution 1918/19 tat sich eine immer größer werdende Spannung zwischen dem Führungsanspruch des städtischen Bürgertums und den sozialen und politischen Realitäten der industriekapitalistisch geprägten Gesellschaft auf .66 Hamm war jedoch fest davon überzeugt, dass sich die neue Klasse der Industriearbeiterschaft im Sinne des harmonistischen Konzepts Naumanns in die hegemoniale Kultur – und damit auch Politik – des Bürgertums integrieren ließ . Gründe dafür mögen in den strukturellen Bedingungen der bayerischen Wirtschaft und Gesellschaft gelegen haben – wobei Hamm allerdings seine Jugend- und Studienzeit in den Bürger-, aber auch Industriestädten Augsburg und München verbracht hatte . Auch nimmt sich die Einschätzung der Zukunftsaussichten der eigenen sozialen Klasse aus der Sicht einer alten, sehr reich gewordenen und lange Zeit mächtigen Familie wie der Bassermanns in Mannheim67 anders aus als bei einem jungen, ehrgeizigen und höchst begabten Mann, dessen Vater erst aus dem Kleinbürgertum aufgestiegen war, dessen Mutter aus dem wohlhabenden ständischen Bürgertum in Passau stammte und der in die zum Teil neuadlige, halb alt-, halb funktionsständisch geprägte Elite der alten Bürger- und neuen Industriestadt Nürnberg eingeheiratet hatte .
Hamm 51; zur Denkmalskultur und -„Seuche“ vgl . den klassischen Aufsatz von Nipperdey, Nationalidee; Hardtwig, Politische Kultur, S . 17–64 . 65 Vgl . dazu ausführlicher unten S . 182–188 . 66 Vgl . Hardtwig, Großstadt . 67 Vgl . Gall, Bürgertum, bes . S . 382 ff .
II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution Bayern 1918–1922
1. Die Revolution 1918/19 und der Kampf um die Sozialisierung
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amm erlebte die Revolution in München aus zwei Perspektiven: hautnah beim täglichen Gang von seiner Wohnung in der Schellingstraße zu seinem Ministerium in der Innenstadt – und am Schreibtisch des Ministerialbeamten mit Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung . Dass der Umsturz in München am 7 . November 1918 so früh und so reibungslos vonstattenging, hat eine Reihe von Ursachen . Nur bei oberflächlicher Betrachtung kann es verwundern, dass die Gesellschaft der im Kaiserreich florierenden und von einer Aura kultureller Attraktivität umgebenen Haupt- und Residenzstadt schon seit dem Frühjahr 1915 unruhig wurde .1 Dazu trug die sofort mit Kriegsbeginn einsetzende Geldentwertung bei, die gerade den Beziehern von Renten und Gehältern aller Art zusetzte: den Soldatenfrauen, den für die Haupt- und Residenzstadt München charakteristischen Festbesoldeten, Rentnern, Pensionisten und den von Unterstützung Lebenden . Die Arbeiter der im Münchner Norden jetzt rasch angesiedelten Rüstungsbetriebe gehörten zwar finanziell zu den Profiteuren der Kriegsjahre . Als Un- oder Angelernte, die kaum in die sozialdemokratische Subkultur integriert waren, stellten sie aber einen von Jahr zu Jahr größeren Unruhefaktor dar . Die grassierende Wohnungs-
Zum Folgenden vgl . noch immer Mitchell, Revolution; die Beiträge in Bosl, Bayern, darin bes . Hillmayr, München, sowie Ay, Volksstimmung; vgl . auch Hillmayr, Terror; auch die brillante, sozial- und kulturgeschichtlich vorgehende Darstellung von Geyer, Verkehrte Welt; zur Kriegserfahrung und ihren sozialen und mentalen Folgen vgl . Leonhard, Büchse der Pandora; Ziemann, Germany; aus der neuesten Revolutionsforschung vgl . bes . Weinhauer/McElligot/ Heinsohn, Germany; Führer u . a ., Revolution; allzu erzählerisch Jones, Anfang, S . 293–330; für die Bewusstseinslage und den Handlungshorizont der Revolutionäre grundlegend, Föllmer, Revolution .
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1. Die Revolution 1918/19 und der Kampf um die Sozialisierung
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not betraf Arbeiter wie auch den Mittelstand . Angesichts der unzureichenden Kriegsvorbereitung im ganzen Reich und auf allen Ebenen der Verwaltung entstanden von Beginn des Krieges an massive Versorgungsschwierigkeiten . Schon seit dem Herbst 1914 mussten schrittweise immer mehr Lebensund Gebrauchsmittel rationiert werden . Das Verhältnis von Stadt und Umland litt unter den je unterschiedlichen Versorgungsmöglichkeiten . Seit Mitte Juni 1916 kam es zu Hungerkrawallen unter Beteiligung auch von Soldaten, Frauen und randalierenden Jugendlichen . Das tatsächliche oder auch vermeintliche Versagen der Behörden untergrub die staatliche Autorität, und zwar umso mehr, als auch die Achtung vor der Wittelsbacher Monarchie ungeachtet ihrer Wohlgelittenheit bis 1914 unter Ludwig III . und seiner Frau rapide dahinschwand . Das königliche Gut Leutstetten profitierte in den Augen der Bevölkerung unangemessen von der Ernährungskrise; Ludwig III . zog sich den Vorwurf zu, gegen all die Missstände mit seiner Autorität nicht ausreichend vorgegangen zu sein . Der Umsturz versprach also nicht nur den revoltierenden Arbeitern, sondern auch dem geplagten Mittelstand und schließlich sogar den Bauern eine Erleichterung ihrer Lage – den Bauern vor allem, weil sie die zahlreichen Vorschriften zu Kontingentierungen und Ablieferungspflichten loswerden wollten . Heute erscheint es rätselhaft, wie der 61-jährige Kurt Eisner, jüdischer langjähriger Schriftleiter der linken „Fränkischen Tagespost“ in Nürnberg und Mitbegründer der linken Sezession aus der SPD, der USPD, die randvollen Münchner Biersäle zu jubelnder Zustimmung treiben konnte . Er agitierte jedoch geschickt mit den Hauptthemen der aufgewühlten bayerischen Volksseele, dem Hass gegen den unerträglich gewordenen Krieg und seine Stützen in Militär und Politik sowie gegen die vermeintlichen Verantwortlichen für diese „Kriegspolitik“, die in den Augen der meisten Bayern rücksichtslos zentralistischen und militaristischen Preußen, die das bayerische Land und seine Ressourcen für ihre Zwecke ausbeuteten und beraubten .2 Gleichwohl schien die Münchner und bayerische Entwicklung in ruhigere Bahnen gelenkt, nach-
Vgl . dazu die ausführliche Schilderung einer Eisner-Kundgebung im Dezember 1918 von Victor Klemperer sowie dessen Berichte über die Zustände und das Stimmungs- und Meinungschaos in München während der Revolutionsmonate, wobei er vor allem auf den Verlust des politischen und wirtschaftlichen common sense und der üblichen moralischen Maßstäbe abhob; bes . aufschlussreich und sarkastisch auch der Bericht über eine Versammlung des „politischen Rats geistiger Arbeiter“ am 10 .12 .1918 im Bayerischen Hof: „Im Ganzen hat mir die Versammlung einen elenden Eindruck gemacht . Schmock, Literaten, Phraseure, Manteldreher, Feiglinge“; Klemperer, Leben, Bd . 1, S . 27–34, Zitat S . 29, insgesamt S . 8–111; dazu: Hardtwig, Klemperers Tagebücher; anschauliche Schilderung der Revolutionsvorgänge zuletzt bei Käppner, 1918, S . 435–451; Weidermann, Träumer .
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
dem die Landtagswahl am 12 . Januar 1919 den Radikalen eine vernichtende Absage erteilt hatte . Stärkste Kraft wurde der politische Katholizismus mit der vom Reichszentrum sezessionierten BVP mit 66 Mandaten vor der SPD mit 61, der Vereinigten Liberalen Mitte (DDP, DVP) mit 25 und dem antiklerikalen bayerischen Bauernbund mit 16 Mandaten . Die eigentliche Rechte (in Bayern statt DNVP „Mittelpartei“ genannt und die Nationalliberalen) kam auf neun, die USPD Eisners nur auf drei Sitze . Der Weg zu einer parlamentarischen Regierungsbildung schien geebnet . Doch der Gewaltexzess bei der Landtagseröffnung am 21 . Januar 1919 warf das Land aus der Bahn und öffnete der allgemeinen Erbitterung und politischen Erregung den Weg zu einer landesweiten Radikalisierung, deren Formen und Ausmaße man kennen muss, um die regionale Sonderentwicklung zu verstehen, die Bayerns politische Kultur bis Ende 1923 durchlief . Zunächst tötete der 22-jährige Leutnant der Reserve und nunmehrige Student Anton Graf von Arco-Valley Kurt Eisner durch zwei Pistolenschüsse . In einem Revancheakt verletzte wenig später der 32-jährige Metzger Alois Lindner, ein Mitglied des Revolutionären Arbeiterrates, den amtierenden Innenminister Erhard Auer schwer und traf zudem zwei weitere Anwesende tödlich . Dieser Gewaltausbruch kam nicht ganz überraschend . Seit Jahresende 1918 hatte es bereits mehrere Anschläge in München gegeben . Eine Radikalisierung der äußersten Linken in München hatte bereits kurz nach den Wahlen Mitte Januar eingesetzt und steigerte sich jetzt durch einen dreitägigen Generalstreik, die allgemeine Notlage und durch Gewaltaktionen gegen Zeitungshäuser .3 Spartakisten, Kommunisten und USPD-Anhänger sorgten in dem allgemeinen Chaos für die Bewaffnung der Arbeiter . Unter dem Vorsitz des Volksschullehrers, USPD-Mannes und späteren Nationalbolschewisten Ernst Niekisch konstituierte sich ein „Zentralrat der Bayerischen Republik“, in dem anfangs noch mehrere gemäßigte Sozialdemokraten mitwirkten, die sich jedoch bald zurückzogen (Erhard Auer, Albert Roßhaupter und Johann Timm) .4 Am 17 ./18 . März bestätigte gleichwohl der Landtag eine aus der Parteienkonstellation der Wahlen hervorgegangene legale Regierung unter Führung des linken, wenig führungsstarken Sozialdemokraten Johannes Hoffmann, dem nach der schweren Verletzung des allseits respektierten Auer die Führung der SPD zugefallen war .5 Die Machtrivalität zwischen Landtag Für den Anteil der Bürgerkriegsrhetorik der Linken an der Polarisierung der deutschen Gesellschaft vgl . Lehnert, Propaganda . 4 Prägnante Darstellung aus der Sicht des wichtigsten Akteurs in dieser Phase der bayerischen Rätebewegung bei Niekisch, Leben, S . 63–104 . 5 Vgl . Henning, Hoffmann; vgl . auch Fenske, Hoffmann; Ehberger/Bischel, Kabinett Hoffmann II, S . 3–69 . 3
1. Die Revolution 1918/19 und der Kampf um die Sozialisierung
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und gewählter Regierung einerseits und dem revolutionären bayerischen Nationalrat andererseits entschied der letztere für sich, da er sich auf die mit Waffen versehenen revolutionären Soldaten und Arbeiter stützen konnte . Der Landtag und die Regierung Hoffmann flüchteten aus der unruhigen Hauptstadt in das sichere Bamberg, nachdem der Zentralrat am 4 . April einen weiteren Zusammentritt des Landtagsplenums gewaltsam verhindert und in der Nacht zum 7 . April eine bayerische Räte-Republik ausgerufen hatte . Das war die Initialzündung zur sogenannten Dritten Revolution, die nur Übergangscharakter gewann, aber die revolutionäre Unruhe in München und Bayern noch einmal verstärkte . Der Zentralrat berief „Volksbeauftragte“, hauptsächlich aus der USPD, unter ihnen auch den Anarchisten Gustav Landauer .6 Die Dritte Revolution verbrüderte sich demonstrativ mit dem Bolschewismus in Russland und Ungarn und proklamierte den Anschluss an die Weltrevolution – woraufhin Lenin in seinem Antwortschreiben genaue Anweisungen über die in Bayern zu ergreifenden Maßnahmen erteilte . Die bayerische Räteregierung brach die Beziehungen zur verhassten Berliner Regierung „Ebert-Scheidemann-Noske-Erzberger“ ab . Lokale Räterepubliken entstanden unter anderem in Lindau, Augsburg und Fürth, Ansätze dazu gab es in Würzburg, Ingolstadt, Regensburg und Schweinfurt . Nachdem ein erfolgloser Putschversuch der Münchner Garnison am 13 . und 14 . April in schweren Straßenkämpfen gescheitert war, versuchte die Regierung Hoffmann von Bamberg aus, der Bürgerkriegstruppe der „Roten Armee“ unter dem Matrosen Rudolf Eglhofer und dem Dramatiker Ernst Toller eine sozialdemokratische „Volkswehr“ entgegenzusetzen . Nachdem dieser Versuch misslungen war, rief sie die Reichswehr und die Nachbarstaaten Bayerns um militärische Hilfe an . Am 13 . April hatte die sogenannte Vierte Revolution in Bayern mit der Absetzung des Zentralrats in München und der Übertragung der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt an einen Vollzugsrat aus vier Mitgliedern begonnen . An dessen Spitze standen die russischen Kommunisten Max Levien und Eugen Leviné . Mit der Annäherung der zu Hilfe gerufenen Reichswehr- und Freikorpseinheiten stieg auch die Gewalt in München bis hin zur Misshandlung und Ermordung von zehn zufällig zusammengetriebenen Geiseln . Diese Untat schien der Rückeroberung Münchens am 1 . und 2 . Mai in einem erbitterten Straßenkampf mit vollem militärischem Einsatz von Artillerie und Flammenwerfern, Panzerzügen, Panzerwagen und Kampfflugzeugen zusätzliche Legitimation zu verleihen .7 In diesem erbarmungslosen Kampf kamen mindestens
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Zur Rolle der Intellektuellen in der Revolution vgl . Frühwald, Kunst . Hürten, Revolution; vgl . auch Winkler, Revolution, S . 184–190 .
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
1 .000 Münchner Arbeiter ums Leben . Dies und der Artilleriebeschuss, der neben Bränden und Zerstörungen auch den Tod und die Verwundung zahlreicher Zufallsopfer wie den vom Regierungsmilitär noch vier Tage nach der Eroberung der Stadt ermordeten 21 katholischen Gesellen zur Folge hatte, hinterließen auf Seiten der radikalen Linken einen nach der Niederlage nur zeitweise unterdrückten Hass . Andererseits machte sich im verängstigten und aufgewühlten Bürgertum ein massiver Aggressionsschub bemerkbar . Eduard Hamm war außer durch seine täglichen Wahrnehmungen auf der Straße mit den Revolutionsereignissen auch insofern konfrontiert, als Kurt Eisner schon im Dezember 1918 auf die Sozialisierung der gesamten bayerischen Wirtschaft drängte . Um eine autoritative Kontaktperson zur Wirtschaft hin zu gewinnen, berief er am 7 . Dezember 1918 den professoralen Doyen der Linksliberalen, den Nationalökonomen Lujo Brentano, zum „Volkskommissar für Handel und Industrie“ . Der legte dieses Amt aber schon nach neun Tagen wieder nieder, nachdem er sich mit der katastrophalen Lage der bayerischen Wirtschaft vertraut gemacht und jegliche Art von Sozialisierung für undurchführbar befunden hatte . Eisner verdarb es sich auch bald mit der bayerischen Unternehmerschaft, der er Anfang 1919 vorwarf, sie betreibe Sabotage, halte Kohle und Rohstoffe zurück und stelle absichtlich nicht mehr Arbeiter ein, um der Regierung zu schaden . Ein förmlicher Bruch konnte nur vermieden werden, weil der persönlich immer beherrschte und verbindliche Eduard Hamm vermittelnd eingriff .8 Dass die erste republikanische Regierung unter dem linken Sozialdemokraten Hoffmann ein eigenes Ministerium für Handel, Gewerbe und Industrie schuf und zu ihrem Leiter den Gewerkschafter und USPD-Abgeordneten Josef Simon berief,9 erklärt sich ironischerweise im Wesentlichen daraus, dass der Nationalökonom und Professor an der Münchner Handelshochschule Edgar Jaffé als Finanzminister aus der Eisner-Regierung und der gelehrte Anarchist Gustav Landauer im Rätekongress in einem Ministerium für Handel, Gewerbe, Industrie, Sozialisierung das gegebene Instrument zur Durchführung einer konsequent sozialistischen Wirtschaftspolitik – und das heißt, entsprechend der Namensgebung durch Landauer,10 einer Sozialisierung der Produktionsmittel – sahen .11 Hamm geriet daher zunächst noch als Legationsrat
Vgl . Unger, Staatsministerium, S . 53 . Zu Simon vgl . ebd ., S . 243–249 . 10 Zum Stellenwert von Landauers wichtigster Utopieschrift „Die Revolution“ (1907) im Übergang zu konkreten Vorstellungen über eine Gesamttransformation der Gesellschaft vgl . u . a . Graf, Mentalisierung, S . 152 ff; Braun, Siedlung . 11 Zur Gründungsgeschichte und zum Ressortzuschnitt des Ministeriums vgl . jetzt abschließend Unger, Staatsministerium, S . 49–87; zur Sozialisierungspolitik ebd ., S . 49–73 u . passim . 8 9
1. Die Revolution 1918/19 und der Kampf um die Sozialisierung
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im Außenministerium und dann als designierter Regierungsrat im neu zu schaffenden Handelsministerium sogleich ins Zentrum einer revolutionären Gesellschafts- und Wirtschaftsverfassungspolitik, die in Bayern – noch unter dem Vorzeichen einer machtvollen Rätebewegung – früher und energischer vorangetrieben wurde als im Reich . Konkrete Konzepte lagen dafür aber zunächst weder hier noch dort vor . Auf der Ebene des Reichs schufen das Reichssozialisierungsgesetz und das Reichskohlengesetz am 13 . März 1919 zwar einen Rechtsrahmen, doch gelang es den bürgerlichen Parteien im Sozialisierungsausschuss des Reichstags, Zeit zu gewinnen und den gesamten Sozialisierungsimpuls abzubremsen, zumal auch die MSPD angesichts der Versorgungslage im Reich vor Experimenten zurückschreckte .12 In München dagegen proklamierte Ministerpräsident Hoffmann sogleich die Sozialisierung zur Hauptaufgabe seiner Regierung . Handelsminister Simon berief am 21 . März 1919, drei Tage nach seiner Amtseinführung, den Wiener Nationalökonom und Soziologen Otto Neurath in sein Ministerium und beauftragte ihn mit der Durchführung der Sozialisierung . Neurath hatte im österreichischen Kriegsministerium die sogenannte „wissenschaftliche Kriegswirtschaftslehre“ entwickelt und strebte eine komplette staatliche Durchorganisation von Produktion und Konsumption mit Hilfe eines Gesamtwirtschaftsplans an . Mit einer von Hoffmann angedachten Teilsozialisierung von Bergbau und Kohlewirtschaft wollte sich der in kriegswirtschaftlich-technokratischen Kategorien denkende Neurath nicht zufrieden geben . Am 27 . März gewann er in einer äußerst kontroversen Kabinettssitzung die Zustimmung der Minister für seinen Plan und vor allem auch für die Einrichtung einer neuen Behörde unter nur sehr loser Direktion des neu aufzubauenden Handelsministeriums: des „Zentralwirtschaftsamts“ . Er kam damit durch, weil er Minister Simon sowie den Regierungschef Hoffmann hinter sich wusste und der ansonsten zögernden Runde mit einer neuerlichen Mobilisierung der Massen drohte . Hamm als designierter Industriereferent des Handelsministeriums erfuhr von dem ganzen Vorgang und davon, dass die Sozialisierung nach einem inzwischen vorliegenden Plan bereits in Angriff genommen sei, nicht durch seinen Minister, sondern aus der halbamtlichen „Correspondenz Hoffmann“ . Daraufhin erklärte er Simon am 26 . März „in einem ebenso ausführlichen wie belehrenden Referentenvortrag die schlichte Unmöglichkeit einer partikularistischen Lösung der Sozialisierungsfrage“ .13 Eine sozialisierungsfreundliche Politik, die er persönlich ablehne, habe, so Hamm, nur eine Chance, wenn
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Vgl . Winkler, Revolution, S . 191–205 . Unger, Staatsministerium, S . 68 .
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
darüber ohne Vorabfestlegungen zwischen den beteiligten Landesressorts und der Reichsregierung verhandelt werde . Hamm wie der gesamten etablierten, etatistisch denkenden und hoch qualifizierten Ministerialbeamtenschaft war die Einrichtung einer neuen, in den Verwaltungsaufbau der Münchner Ministerialbürokratie kaum integrierten Behörde ein Dorn im Auge . Persönlich stand er vor der Perspektive, als zuständiger Referent im Ministerium künftig beiseitegeschoben zu werden . Konsequenterweise erklärte er am Tag der offiziellen Ernennung zum Regierungsrat im Handelsministerium seinen Rücktritt und bat um Versetzung, möglichst ins Statistische Landesamt . Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil Simon bereits am 7 . April 1919 selbst zurücktrat . Mit der Zuspitzung des Kampfes gegen die Räteregierung verlor auch die hektisch betriebene Sozialisierungspolitik ihren ohnehin geringen Rückhalt im Kabinett, und Eduard Hamm hatte die Genugtuung, mit der Abwicklung des Zentralwirtschaftsamts betraut zu werden . In der Öffentlichkeit äußerte sich Hamm zu den Sozialisierungsforderungen zwar ablehnend, aber doch sehr artikuliert .14 1919 schloss er die Möglichkeit einer Teilsozialisierung in bestimmten Branchen nicht aus, doch dürfte es sich bei solchen Äußerungen mehr um die Wahrung des Koalitionsfriedens in einer SPD-geführten Regierung als um wirkliche Überzeugung gehandelt haben . In einem Rückblick aus dem Jahr 1924 ließ Hamm aber auch eine gewisse Enttäuschung über die mangelnde Standfestigkeit mancher bürgerlicher Akteure in den revolutionsbewegten ersten Monaten des Jahres 1919 erkennen: „Ich habe die Revolution in Bayern ziemlich aus der Nähe erlebt . Meine Achtung vor manchen Männern, die jetzt sich ziemlich nach rechts haben treiben lassen, ist in jenen Tagen nicht gewachsen, in denen ich als Beamter dem Herrn Eisner, Herrn Simon, Herrn Neurath usw . entgegenzutreten hatte“ .15
2. Monarchie- und Revolutionskritik und die Wendung zur demokratischen Republik
Die lange Dauer, die teilweise anarchischen Zustände und schließlich die Gewalthaftigkeit der Räteherrschaft in München mobilisierten die wiedererweckten Ordnungsinstinkte bei Bürgern und Bauern umso mehr, als sich die Rede vor der Versammlung der bayerischen Handelskammern in Nürnberg am 11 .7 .1919, in: BayHStA, NL Hamm, 45, in der er die Sozialisierungsdenkschrift des Reichswirtschaftsministers Rudolf Wissell (SPD) als eine „Zusammenspannung von Ideen Rathenauscher Provenienz mit solchen des sozialistischen Gedankenkreises“ bezeichnete . 15 Hamm an den Direktor der MAN, Gottlieb Lippart, 27 .3 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32 . 14
2. Monarchie- und Revolutionskritik und die Wendung zur demokratischen Republik
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Stadt im „langen“ 19 . Jahrhundert zu einem florierenden Zentrum von Wirtschaft und Kultur inmitten einer zutiefst konservativen, agrarisch-stabilen Umwelt entwickelt hatte . Daher hinterließ auch die Ansammlung jüdischer Journalisten und politisierender Literaten wie Eisner, Toller, Landauer, Jaffé, aber vor allem Max Levien und Eugen Leviné bleibende Spuren der Irritation und vielfach auch eines maßlosen Hasses gegen alles Jüdische, Fremde oder Nicht-Bayerische . Die tiefe revolutions- und fremdenfeindliche Prägung des Bürgerbewusstseins in diesen Monaten lässt sich in erstaunlicher und besonders symptomatischer Weise ausgerechnet am Einstellungswandel des Lübecker Bürgersohns und international bekannten Erfolgsschriftstellers Thomas Mann ablesen, der gerade seit 1917 aus seiner tiefsitzenden Aversion gegen den westlichen und im Krieg siegreichen „Bourgeois“ heraus salon-bolschewistische Neigungen entwickelt hatte . Von seiner Bogenhausener Villa aus registrierte er den Lärm der Gefechte um die Hauptstadt und deutete den Geiselmord am 30 . April 1919 als Mischung aus „bodenständiger ‚Gemütlichkeit‘ und kolonialem Literatur-Radikalismus“ . Er sprach von „untilgbarer Blamage“ der Stadtbürgerschaft, dass man sich die „wüste Narrenwirtschaft so lange stumpfsinnig“ habe gefallen lassen .16 Manns Reflexionen bewegten sich im Vorstellungskreis einer Weltkatastrophe, Rücksichten konnten da nicht genommen werden . Mit seinem Freund, dem Literaturwissenschaftler und George-Anhänger Ernst Bertram, besprach er sich über den „Typus des russischen Juden, des Führers der Weltbewegung, dieser sprengstoffhaften Mischung aus jüdischem Intellektual-Radikalismus und slawischer Christusschwärmerei . Eine Welt, die noch Selbsterhaltungsinstinkt besitzt, muß mit aller aufbietbaren Energie und standrechtlichen Kürze gegen diesen Menschenschlag vorgehen“ .17 Auch die „Ausmerzung des lümmelhaften Soldatentyps“ auf Seiten der Revolutionäre hatte seinen vollen Beifall . Den Einmarsch des Epp’schen Freikorps als radikalnationalistische Avantgarde der „weißen“ Truppen begrüßte er von Herzen und fand, „daß es sich unter der Militärdiktatur bedeutend freier atmet, als unter der Herrschaft der Crapule .“18 Eine solch wortgewaltige, ungeachtet der Tagebuchform auch rhetorisch aufgeputzte Apologie der bewaffneten Reaktion hätte wahrscheinlich nicht
Mann, Tagebücher 1918–1921, 4 .5 .1919, S . 226 . Ebd ., 2 .5 .1919, S . 223 . 18 Ebd ., 5 .5 .1919, S . 227; zu ähnlichen, wenn auch in ihrer literarischen Zugespitztheit nicht vergleichbaren Bekundungen einer radikalen Abwendung von der Revolution bei dem zunächst sympathisierenden Harry Graf Kessler und dem bis 1918 national-konservativen Victor Klemperer vgl . Hardtwig, Gewalt, S . 8–10; zu den Umwälzungen in den europäischen Städten 1914–1922/23 vgl . Lenger, Metropolen, S . 275–316 . 16 17
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
den Beifall des soliden Regierungsrats und Verwaltungsjuristen Eduard Hamm gefunden, auch wenn er die politischen Kernaussagen – die Erleichterung über das Ende des gewalthaften und unberechenbaren Regimes unlegitimierter „Räte“ sowie die Rückkehr von „Ruhe und Ordnung“ – teilte . Aber ihn beschäftigte weniger die Machtusurpation utopiebewegter Intellektueller als der krisenhafte Zustand der deutschen Gesellschaft und Staatlichkeit vor und nach dem Ende des Krieges und seine Folgen . Aus Hamms Sicht stellte sich die Revolution auch nicht als demokratisch-republikanische Volksbewegung dar, sondern als Resultat eines massiven Versagens der Monarchien und als „Einsturz eines unhaltbaren Systems“ .19 In den ersten beiden Jahren nach der Revolution bekannte er noch mehrfach, dass es ihm schwer gefallen sei, sich gefühlsmäßig von der Monarchie zu lösen . In einer Wahlrede aus dem Jahr 1920 machte er „kein Hehl“ daraus, „daß mir der Sturz des deutschen Kaisertums Bismarcks und Wilhelms I . das schmerzlichste politische Erlebnis ist .“ Dieses Eingeständnis ging aber rasch in eine Attacke auf die Diskreditierung der Monarchie unter Wilhelm II . und auf Anhänger der DNVP über, die eine Transformation in eine „Volksmonarchie“, wie sie die Anhänger Naumanns und seines Programms von Demokratie und Kaisertum gefordert hatten, durch ihre Mitwirkung an der faktisch entstandenen „Höflingsmonarchie“ ebenso wie die Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts verhindert hätten . Heute zur Rückkehr der Monarchie aufzurufen sei gleichbedeutend mit der Aufforderung zum Bürgerkrieg . Da sei auch viel „Demagogie der guten, alten Zeit am Werk“ .20 Es gibt kein Indiz dafür, dass Hamm vor Hitlers Machtergreifung oder allenfalls – zu deren Verhinderung – seit Herbst 1932 eine Wiederherstellung der Monarchie ins Auge gefasst hätte . Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Hamm an der scharfen Abgrenzung des linken Flügels der DDP und der Parteiführung zwischen Republikanismus und Monarchismus in den frühen Jahren der Republik deutliche Kritik übte . Wie die gesamte bayerische DDP hielt er den Beschluss des Bremer Parteitags vom 14 . November 1920, dass die Partei die Republik bejahe und die Monarchie ausdrücklich ablehne, für verfehlt . Er teilte die Meinung seines Fraktionsvorsitzenden Pius Dirr im Bayerischen Landtag, der es auf dem Parteitag ablehnte, dass „Demokratie
Wahlrede Eduard Hamms in Augsburg, in: Münchner Neueste Nachrichten, Jg . 73, Nr . 224, Juni 1920; angesichts des Fehlens großer Synthesen zur Revolution vgl . die pointierten, kurzgefassten Darstellungen von Klugem, Revolution; Peukert, Weimarer Republik, S . 32–60; Mai, Weimarer Republik, S . 16–31; die Aufsatzsammlung von Gallus, Revolution . 20 Manuskript einer Wahlrede 1920, in: BayHStA, NL Hamm 47, S . 5, 8 . 19
2. Monarchie- und Revolutionskritik und die Wendung zur demokratischen Republik
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und monarchische Überzeugung als unvereinbar hingestellt werden“ .21 Wie fast alle bayerischen Linksliberalen fand er es zu viel verlangt, dass alle, die sich bis 1918 hinter Naumanns Parole von „Kaisertum und Demokratie“ versammelt hatten, jetzt binnen weniger Jahre ihre Überzeugung von Grund auf geändert haben sollten .22 Entscheidend war die Demokratie, nicht die Staatsform . Hamm vertrat diese Meinung auch, wenn ihm in den Gremien der Berliner Parteiführung dafür heftiger Gegenwind entgegenschlug . Auf dem außerordentlichen Parteitag der DDP am 2 . November 1924, im zweiten Reichstagswahlkampf des Jahres, fasste er sie so zusammen: „Der Sinn der Synthese von alt und neu muß da und dort noch stärker gepflegt werden . Das gilt auch von der Staatsform . Die meisten von uns sind zunächst nur Republikaner geworden durch den Zwang der Ereignisse . [lebhafter Widerspruch] Die Einsicht, daß jede andere Staatsform Krieg und Vernichtung bedeuten würde, macht auch uns in diesen Dingen klar und fest, die wir aus Ländern stammen, die ihr Königtum niemals als etwas Hartes und Drückendes empfunden haben . Man ehrt die schwarzrot-goldenen Farben aber nicht, indem man schwarz-weiß-rot beschimpft . [Große Unruhe und Rufe: wer tut das?] Das geschieht nicht in unseren Reihen, aber wir müssen einen klaren Strich ziehen zwischen dieser historischen Auffassung, die wir haben, und denen, die das Alte befehden, auch wenn es groß und stark gewesen ist . Dann werden wir alle die zusammenfassen können, die sich heute noch bekämpfen . [Beifall .]“ .23
Im Umsturz von 1918/19 konnte Hamm zunächst „keine Revolution einer neuen ringenden Idee“ erkennen und in den bürgerkriegsartigen Kämpfen von März/April 1919 nur den Aufruhr eines „zuchtlosen Haufens Bewaffneter“, angeführt von Träumern, Anhängern anarchischer Herrschaftslosigkeit oder zielstrebigen Technikern eines klassenpolitischen Umsturzes mit antinationaler Stoßrichtung .24 In einer Rede in Ulm im September 1920 dankte Hamm den Württembergern als den Bewohnern eines „Landes alter, festgewurzelter Demokratie“ Die „erste und edelste Aufgabe der Demokratie“ sei es, „alle positiv schöpfenden Kräfte, die gewillt sind mitzuarbeiten an der Erneuerung unseres Volkes und dem Wiederaufbau unseres Staates, zu sammeln und nutzbringend zu verwerten“; Abdruck der Rede in: Süddeutsche demokratische Korrespondenz, 15 .12 .1920 . 22 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass es einen eigentlichen „Linksliberalismus“ in Deutschland, vergleichbar etwa mit dem französischen Republikanismus, nicht gab . Das Attribut „linksliberal“ kann daher nur als Relationsbezeichnung für die Position der DDP im Verhältnis zum Nationalliberalismus verwendet werden . Zur Bezeichnung der am weitesten links stehenden politischen Gruppierung des deutschen Bürgertums erscheint das Attribut allerdings sinnvoll; vgl . Holl, Überlegungen, S . 227–233 . 23 Außerordentlicher Parteitag der DDP am 2 .11 .1924 in Berlin, S . 1–42, Wortmeldung und Rede Hamms S . 20–24, Zitat S . 24, in: BArch, R 45-III, 4 . 24 Ebd ., S . 7 . 21
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für die Unterstützung, als es vor anderthalb Jahren darum gegangen sei, die „Münchner Räteherrschaft“ als Ära „tiefster Unfreiheit und schmachvoller Verwirrung“ zu beseitigen .25 In der Denkweise des Bürgertums erschienen die Revolutionäre als Menschen, die – gegenüber der Nation – „eine große Schuld auf sich geladen“ hätten, ein moralisierendes Argument, das Hamm wie andere zur Selbstkritik fähige Bürger dann auf das Bürgertum selbst und sein Versagen gegenüber der Umsturzbewegung ausweiteten . Allerdings erinnerte er sein Publikum auch daran, dass man „das Elend, unter dem wir jetzt litten […], nicht in Bausch und Bogen“ auf die Revolution zurückführen könne, sondern dass es hauptsächlich als Folge des Krieges zu erklären sei .26 Das ist eine vergleichsweise maßvolle Bewertung des gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Umbruchs von 1918/19 . Schließlich war die politische Mentalität des Bürgertums zutiefst geprägt von der jahrhundertealten und gerade in Deutschland äußerst engräumig und dicht an den Menschen organisierten monarchischen Herrschaftsform . Gleichwohl sah Hamm in der demokratischen Republik die jetzt einzig mögliche Verfassungsform . Man solle sie nicht als ein von außen aufgedrängtes Dogma betrachten, sondern als ein Prinzip, das aus deutschen Traditionen bäuerlicher und bürgerlicher Selbstverwaltung erwachse, die jetzt freigelegt, praktiziert und gestärkt werden müssten .27 In einer leidenschaftlichen Reichstagsrede zur Republikschutzgesetzgebung 1922 erklärte sich der bayerische Handelsminister und DDP-Abgeordnete Hamm – in der Begrifflichkeit Friedrich Meineckes von 191928 – ausdrücklich nicht nur zum „Vernunft“-, sondern zum „Herzensrepublikaner“ .29 In der DDP war in den Jahren 1919–1924 auf den Parteitagen und in den Parteiversammlungen vor Ort oft die Rede davon, was Demokratie sei, welche Chancen sie ermögliche und was sie zu leisten habe .30 Eine erste und fundamentale Antwort auf diese Fragen beim reformoffensten, „linkesten“
Rede Eduard Hamms in Ulm, 20 .9 .1920, in: BayHStA, NL Hamm, 47; vgl . auch Hamms Rede vor der Versammlung der bayerischen Handelskammern am 11 .7 .1919, in der er sich die verbreitete Negativwertung der „Intellektuellen“ zu eigen machte und von „Entgleisungen Münchner Intellektueller, nicht Kultureller“ sprach; BayHStA, NL Hamm, 45 . 26 Bericht über eine Wahlversammlung in Lindau: „Handelsminister Hamm über die Lage“, in: Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Kurier, Nr . 13, 16 .1 .1920 . 27 Rede Eduard Hamms in Ulm, 20 .9 .1920, in: BayHStA, NL Hamm, 47 . 28 Meinecke, Verfassung, S . 281 . 29 Verhandlungen des Reichstags, 249 . Sitzung, 12 .7 .1922, S . 8469–8477, hier S . 8475 f; zur Brauchbarkeit, Trennschärfe und Reichweite der Begriffe vgl . Wirsching, Vernunftrepublikanismus . 30 Vgl . Reichsgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (Hg .): Berichte über die Verhandlungen der ordentlichen Parteitage der Deutschen Demokratischen Partei, Berlin 1919, 1920, 1921, 1924 . 25
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Teil des deutschen Bürgertums lautete durchweg, „die Demokratie von damals“ [Ende 1918/19; W . H .] sei das „Gegengift der Revolution“ – also nicht ihre Folge .31 Das war wortwörtlich auch Hamms Meinung . Dass die Demokratie, wie Ernst Troeltsch meinte, „Weltschicksal“ sei, hat Hamm ähnlich gedacht, wenn er es auch so nicht ausgesprochen hätte . Wie Troeltsch war er der Auffassung, dass „eine große, liberale, demokratische Partei“ notwendig sei, „wenn die Regierungsmaschine gut laufen“ soll .32 Wie alle bildungsbürgerlichen DDP-Anhänger glaubte er an den Primat der Ideen vor den materiellen Interessen . Den Inhalt der demokratischen und liberalen Idee sah er wie sein Freund und (bis Ende 1920) DDP-Landesvorsitzender Georg Hohmann im „Selbstbestimmungsrecht der freien Persönlichkeit gegen den Druck von oben und gegen den Terror von unten“ .33 Dabei blieb es auch bis in die letzten Jahre der Republik . Friedrich Meineckes klassisch gewordene Unterscheidung von „Vernunft“- und „Herzensrepublikaner“ schloss keineswegs aus, dass die Herzensrepublikaner unter anderem aus eben den Gründen für die Republik eintraten, die auch für die Vernunftrepublikaner galten, nur eben mit größerer Entschiedenheit . Für Hamm gilt jedenfalls uneingeschränkt, was zuletzt als vernunftrepublikanische Einstellung definiert worden ist: eine „kritisch-rationale, zivilgesellschaftliche Vernunftethik, die weniger auf die Verwirklichung eines konkreten politisch-gesellschaftlichen Modells zielte als auf die Bildung freier, vernunftbegabter und damit kritischer und diskursionsfähiger Menschen“ .34
So der bedeutende Reformtheologe Ernst Troeltsch, Max Weber-Freund und 1919–1922 Unterstaatssekretär im preußischen Kultusministerium, während einer Wahlversammlung im Schwabingerbräu, in: München-Augsburger Tageszeitung, 28 .5 .1920, S . 3; vgl . auch den kurzen Artikel von Troeltsch „Gegenwärtige und bleibende Werte der Deutschen demokratischen Partei“ in der Eröffnungsnummer der Demokratischen Rundschau, Nr . 1, 4 .5 .1919, abgedruckt in: Troeltsch, Gesamtausgabe, Bd . 15, S . 98 f; dort heißt es: „In einem so ungeheuren und beispiellosen tragischen Zusammenbruch, wie es der des Deutschen Reiches infolge der Selbstauflösung seiner Armee ist, können Ordnung und Gerechtigkeit nur geschaffen werden durch eine ehrliche und vorbehaltlos durchgeführte Demokratie . Nur so kann der organisierte Volkswille an Stelle der früheren Organisation treten“ . Diesem Satz hätte Hamm vorbehaltlos zugestimmt . 32 Rede Eduard Hamms in Ulm, 20 .9 .1920, in: BayHStA, NL Hamm, 47 . 33 Landesparteitag der Deutschen Demokratischen Partei, in: Süddeutsche demokratische Korrespondenz, Nr . 244, 26 .10 .1920; dieses ceterum censeo auch in Troeltschs Programmschrift, wo der internationale „demokratische Gedanke“ in einer charakteristischen Wendung verknüpft wird mit dem „Nationalen Gefühl für den Wert der selbständigen Persönlichkeit“; Troeltsch, Gesamtausgabe, Bd . 15, S . 99 . 34 Wirsching, Vernunftrepublikanismus, S . 15; vgl . zum vernunftrepublikanischen Element im „Hilfe“-Kreis Hertfelder, Meteor . 31
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
1924 – nach Inflation und Konsolidierungskrise, nach Ruhrkampf und Hitler-Putsch – leitete Hamm eine Wahlversammlung in Dessau mit folgendem Satz ein (in der sinngemäß paraphrasierenden Zeitungsberichterstattung): „Ich bin hierher gekommen, um Zeugnis abzulegen für die Demokratie . Ich spreche deshalb für die Demokratie, weil ich in ihrem Schicksal das Schicksal des deutschen Volkes und des Reiches besiegelt sehe . Die Demokratie ist nichts anderes als die notwendige Erweiterung des liberalen Gedankens vom einzelnen auf das ganze deutsche Volk . Ich bin also Demokrat um des Staates willen . Die Monarchie ist nicht mehr . Sie ist nicht gestürzt worden, sondern ist in sich zerfallen . Die Demokratie erfordert eine starke innere Reife des deutschen Volkes . Das Ziel der Politik in Deutschland kann nur das sein, Deutschland wieder stark und frei zu machen, wieder zu einem Staat der Wohlfahrt nach innen, zu einem Staat, dessen inneres Recht der äußeren Macht entspricht . Ich bin der Meinung, daß die Demokratie ein geeignetes Mittel dazu ist, und jeder muß dann diesen Weg gehen, der es ehrlich mit seinem Vaterlande meint“ .35
Dieses Zitat ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich . Es deutet auf ein teils beamtenliberal-etatistisches, teils aber auch volksnationales Demokratieverständnis, in dem die nationale Einheit im Vordergrund steht, nicht der diskursive Interessenausgleich und die pluralistisch geordnete Entscheidungsfindung . Die Freiheit im Inneren schien in der demokratischen Republik gesichert und wurde in dieser Sicht vielfach auch schon allzu extensiv praktiziert und ausgenutzt – so weit, dass sie die Einheit gefährden konnte . Innere Konflikte gab es in dieser rechts- und wohlfahrtsstaatlich konzipierten Demokratie in der Legislaturperiode von 1920–1924 genug, der Konfliktaustrag musste da nicht noch demokratietheoretisch überhöht werden .
3. Von der Kriegs- zur Marktwirtschaft: Wirtschaftspolitik 1919–1922
Dass der 39-jährige Ministerialrat Hamm beim offiziellen Eintritt der DDP in das umgebildete Ministerium Hoffmann am 31 . Mai 1919 zum Minister für „Handel, Gewerbe und Industrie“ aufstieg – die „Sozialisierung“ entfiel jetzt –, brachte zunächst einige Unruhe in das Gefüge der Münchner Ministerialbürokratie . Die Partei hatte zunächst seinen Vorgesetzten und, wie Hamm später selbst schrieb, „Lehrmeister“, Wilhelm Ritter von Meinel, gefragt, doch der hatte es abgelehnt, der DDP beizutreten .36 Das entsprach dem konserva-
Berliner Tageblatt, 29 .11 .1924 . Meinel war 1911 Ministerialdirektor und Leiter der Handelsabteilung im Außenministerium geworden, hatte schon 1910 den persönlichen Adel verliehen bekommen, amtierte
35 36
3. Von der Kriegs- zur Marktwirtschaft: Wirtschaftspolitik 1919–1922
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Abb. 7: Eduard Hamm, um 1920
tiven Selbst- und Staatsbewusstsein der Münchner Ministerialbürokratie, für das Meinel als repräsentativ gelten kann .37 Hamm dagegen hatte zwar gegenüber Eisner durchgesetzt, dass sich die Ministerialbeamten nicht auf die revolutionäre Regierung vereidigen lassen mussten, hatte sich selbst aber auf den Boden der parlamentarischen Demokratie und ihres Parteiensystems gestellt . Er übersprang nun Meinel in der Hierarchie und verstieß damit gegen den strengen Karriere-Comment im hohen Beamtentum . Für Aufregung im eigenen Haus wie in den Nachbarressorts, besonders im Finanzministerium, sorgte er aber auch, indem er das bis dahin strikt gewahrte Juristenmonopol durchbrach und außerdem – vermutlich als erster Landesminister überhaupt – einen persönlichen Referenten berief . Für mehrere hohe Positionen im Ministerium gewann Hamm externe Fachleute . So beförderte er außerplanmäßig zum Regierungsrat für den faktischen Referentendienst im Bereich Kredit-, Banken- und Börsenwesen Karl Micheler (Juni 1919), der seine Laufbahn als Bankinspektor begonnen hatte . Ebenfalls aus der Wirtschaft kam der Direktor bei der MAN, Oberingenieur Georg Marx, der auch in der „Technikerbewegung“ nach der Revolution
1922–1927 als Handelsminister und erscheint mit seiner fachlichen Qualifikation, Herkunft und Karriere geradezu als Archetyp des Beamtenministers konstitutioneller Prägung; vgl . Unger, Staatsministerium, S . 269–291 u . ö ., Zitat S . 270 . 37 Vgl . ebd ., S . 279 ff .
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
eine bedeutende Rolle spielte, allerdings schon nach einem Jahr auf einen Lehrstuhl für Konstruktionslehre an der Technischen Hochschule München wechselte . Länger blieb Carl Engerer als Fachmann für Ostfragen . Er sollte als Fachberater dazu beitragen, die Handelsbeziehungen mit ost- und südosteuropäischen Ländern auszubauen . Als die folgenreichste Berufung sollte sich die des Brentano-Schülers Guido Brettauer zum persönlichen Referenten erweisen . Brettauer war der konvertierte Sohn eines jüdischen Bankdirektors aus Hohenems, seit seiner Studienzeit auch mit Theodor Heuss befreundet, DDP-Mitglied und damit höchst geeignet für die Funktionen eines persönlichen Referenten, der den Minister fachlich beriet, aber auch Redemanuskripte erstellte .38 Inhaltlich fallen während der Amtszeit Hamms drei Schwerpunkte in der Arbeit des Ministeriums ins Auge: der vorsichtige Abbau der zwangswirtschaftlichen Regelungen aus dem Erbe der Kriegswirtschaft, die Förderung mittelständischer Betriebe, vor allem der Selbständigen in Handwerk und Kleinhandel, und der Kampf gegen die Inflationsfolgen . Nach Meinung Hamms mussten die Regelungen der Bedarfsdeckungswirtschaft mit den nötigen Anpassungen so lange verteidigt werden, bis der lebensnotwendige Bedarf an bestimmten Gütern der Grundversorgung wie Getreide und Kartoffeln durch die freie Marktwirtschaft auch wirklich sichergestellt werden konnte . Hamm hielt die unumgängliche Anpassung der Agrarpreise an das weltwirtschaftliche Niveau erst nach einer schrittweisen Vorbereitung darauf für möglich, wenn der Ausverkauf deutscher Erzeugnisse infolge der Markentwertung vermieden werden sollte . Dringend und schnell abgebaut werden musste nach seiner Meinung dagegen die im Weltkrieg entstandene Zentralisierung aller Regelungen, etwa der Aus- und Einfuhrgesuche, in Berlin .39 Dass der Weimarer Reichsverfassung eine Tendenz zur wirtschaftlichen und
Nach dem Rücktritt Hamms suchte sein Nachfolger Meinel diese Ergänzung des juristischen Fachwissens durch nationalökonomische Ausbildung und Erfahrung in der Privatwirtschaft fortzusetzen . Es gelang ihm aber nur, wenigstens Micheler und Brettauer zu halten – Brettauer, der mit schweren antisemitischen und standespolitischen Widerständen zu kämpfen hatte, vor allem deshalb, weil er sich neben seiner persönlichen Zuarbeit für Hamm als volkswirtschaftlicher Fachbetreuer bei Wirtschaftskonferenzen im In- und Ausland unentbehrlich gemacht hatte . Vgl . zu der ganzen Thematik Unger, Staatsministerium, S . 337–420, hier bes . S . 395–409 . 39 Handelsminister Hamm über die Aufgaben des Handels, ref . in: Münchner Neueste Nachrichten, 15 .10 .1919 . Auch in anderen Ländern schärften die wirtschafts- und ordnungspolitischen Fragen nach Kriegsende bereits Forderungen nach einer stärkeren Dezentralisierung von Wirtschafts- und Finanzstrukturen und damit auch das Problembewusstsein für die künftigen Themen der Reichsreform; vgl . John, Weimarer Bundesstaat, S . 137 ff; zu den Transformationen des Liberalismus im Krieg vgl . Leonhard, Krieg . 38
3. Von der Kriegs- zur Marktwirtschaft: Wirtschaftspolitik 1919–1922
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politischen Vereinheitlichung innewohnte, war ihm klar und schien ihm nur dann erträglich, wenn sie „durch eine gleich starke Dezentralisierung in der Ausführung und in einer hochgesteigerten Selbstverwaltung ausgeglichen wird“ .40 Dem Staat in Gestalt des Ministeriums schrieb Hamm vor allem die Rolle eines Förderers und Moderators zwischen divergierenden Interessen zu . Gegenüber der Großindustrie zeigte er deutliche Vorbehalte . „Industrielle Herzogtümer“ in Gestalt allzu machtvoller Großunternehmen waren ihm suspekt .41 In den Wahlreden von 1920 folgte auf das ceterum censeo, dass sich gerade auch der Unternehmer frei entfalten können müsse, eine deutliche Kritik an „jeder Entartung des Großkapitals“ . Als abschreckendes Beispiel nannte er den Ruhrindustriellen Hugo Stinnes, der seit Beginn des Jahrhunderts ein gewaltiges Firmenimperium aufgebaut, im Weltkrieg an der Spitze der schwerindustriellen Kriegszielbewegung gestanden, im November 1918 aber auch mit dem Gewerkschaftsführer Carl Legien die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ins Leben gerufen hatte und jetzt auf der Reichsliste der DVP für den Reichstag kandidiere . Dass Stinnes „von der Kohle und dem Wald bis zur Zeitung und dem Wahlzettel“ Wirtschaftsgüter zusammengekauft hatte, schien ihm eine „ernste Gefahr, nicht bloß für die Freiheit der Wirtschaft, sondern auch für die Gesinnung der Menschen“ .42 Besonders, dass Stinnes jetzt auch auf den Medienmarkt vorstieß, beunruhigte Hamm – zu Recht . Denn die bayerische Presselandschaft mit ihren zahlreichen liberalen Zeitungen begann sich jetzt bereits nach rechts zu orientieren .43 Um der Gefahr zu großen Einflusses von Großunternehmern in der Wirtschaft entgegentreten zu können, verlangte Hamm für das Reich ein Kartellgesetz, das dem Staat mehr Einblick in die Betriebsführung und sogar die Möglichkeit eines „Eingreifens in die Politik größerer Industriekartelle“ geben sollte . 1920 sprach Hamm auch noch von der Gefahr einer „Diktatur der Schwerindustrie“ – was er in späteren Jahren so nicht
Handelsminister Hamm über die Aufgaben des Handels, ref . in: Münchner Neueste Nachrichten, 15 .10 .1919; vgl . auch die programmatischen Reden „Demokratische Partei und Wirtschaftspolitik“ auf dem Parteitag der bayerischen DDP am 23 .10 .1920, in: Süddeutsche demokratische Korrespondenz, 26 .10 .1920; „Zwangswirtschaft oder freie Wirtschaft?“, in: Süddeutsche Monatshefte 18, Nr . 3, Dezember 1920, S . 187–192 . 41 „Zwangswirtschaft oder freie Wirtschaft“, Manuskript Hamms für die Süddeutschen Monatshefte, o . D . [Nov . 1920], in: BayHStA, NL Hamm, 102 . 42 Hamm, Manuskript einer Wahlrede, 1920, S . 15, in: BayHStA, NL Hamm, 47; ähnlich im Referat einer Wahlrede in Ingolstadt, in: Fränkischer Kurier, 26 .5 .1920, S . 2; zu Stinnes vgl . Feldman, Stinnes . 43 Vgl . Hoser, Hintergründe, S . 69–120, 598–616 . 40
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
Abb. 8: Eröffnung der Luftpostlinie München–Frankfurt auf dem Münchner Oberwiesenfeld durch Eduard Hamm (Mittelgruppe, 3. v. l.), 1920
mehr getan hat . Dabei ging es ihm primär um den Schutz der Verbraucher und der mittelständischen Fertigwarenindustrie .44 Die starke Ausrichtung von Hamms Wirtschaftspolitik in Bayern auf den Mittelstand entsprang nicht nur der Orientierung auf die spezifische Wirtschaftsstruktur Bayerns und der Sorge vor allzu großer ökonomischer Machtballung bei einzelnen Unternehmern und Firmen, sondern auch dem noch recht traditionell geprägten gesellschaftspolitischen Leitbild sowohl bei der für die Wirtschaft zuständigen Münchner Ministerialbürokratie als auch bei Hamm persönlich . Für Hamm stellte wirtschaftliche Selbstständigkeit nicht nur das Fundament einer liberal-kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dar, sondern auch eine unverzichtbare Grundlage für die „ständige Erneuerung staatsbürgerlichen Geistes der Selbstverantwortlichkeit“ .45 In diesen ersten Jahren aktiver Wirtschaftspolitik trat in Hamms politischem Weltbild eine geradezu altliberale Bevorzugung des kleinen und mittleren freien Unternehmers hervor, bedingt natürlich auch durch die regionale Wirtschaftsstruktur Bayerns mit ihrem schwachen, nur in den Großstädten München, Nürnberg und Augsburg florierenden industriellen Sektor . Hand-
44 45
Hamm, Manuskript einer Wahlrede, 1920, S . 15, in: BayHStA, NL Hamm, 47 . Ebd ., S . 14 .
4. Verteidigung der Republik: Kapp-Putsch, Wehrverbände, Republikschutzgesetze
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werk und Kleinhandel sah er im Zeitalter des Hochkapitalismus zwar als gefährdet, nicht aber als von Vernichtung bedroht .46 Die historische Sozialwissenschaft der 1960er bis 1980er Jahre hat dazu geneigt, in einer mittelstandsfreundlichen Politik in der Weimarer Republik ein Element des demokratie-gefährdenden Sozialprotektionismus aus dem Kaiserreich und einer konservativ-reaktionären Gesellschaftspolitik zu sehen .47 Angesichts der kontinuierlichen Rechtsentwicklung des gewerblichen Mittelstandes in den 1920er und – schubartig beschleunigt – frühen 1930er Jahren und seiner nicht unberechtigten politischen Deprivationsangst in der neuen sozialen Demokratie mit dem großen Einfluss der SPD erscheint jedoch ein Mittelstandsschutz mit Augenmaß zu diesem Zeitpunkt als durchaus sinnvoll . Zudem hatte in dem pluralistischen und durchweg von ökonomischen Interessen beeinflussten Parteiensystem der demokratische Liberalismus Rücksicht auf seine mittelständische Wählerbasis zu nehmen . In einem Land mit der Wirtschaftsstruktur Bayerns mutete eine mittelstandsfreundliche Politik für eine bürgerliche Partei daher eher als Gebot der politischen Vernunft denn als Demokratiegefährdung an .
4. Verteidigung der Republik: Kapp-Putsch, Wehrverbände, Republikschutzgesetze
Seit dem Kampf um die Wiedereroberung Münchens im Frühjahr 1919 formierte sich dort ein politisches Milieu, in dem sich politische und militärische Kräfte aus dem konservativen und rechtsradikalen Lager der jungen Republik zusammenfanden, konkurrierten und diverse Koalitionen eingingen . Zusammengehalten wurden sie vor allem durch ein Ziel: die Integration des Landes Bayern in die entstehende demokratisch-republikanische politische Kultur des Reichs zu verhindern oder zumindest so weit wie möglich zu blockieren . Dabei entstand ein Gewirr von sozial- und nationalkonservativen, partikularistischen und radikalnationalistischen Strömungen und Gruppierungen, die sich in einer Vielzahl halb- oder paramilitärischer Verbände und
46 Diese Grundsätze u . a . in einer Ausarbeitung Hamms „Zu den wirtschaftlichen Bedingungen“, o . D . [1920]; vgl . auch die Ausarbeitung „Zur Neubildung der Regierung in Bayern“, [Juni 1920], beide in: BayHStA, NL Hamm, 17 . Einer „weiteren Massenansiedlung in den Städten“ stand Hamm ablehnend gegenüber, stattdessen forderte er, „die Arbeiterschaft so weit als irgend möglich auch bodenständig zu machen, ihr Heimatgefühl zu geben . Wir haben Siedlung zu treiben nicht in der Landwirtschaft allein, auch in der Industrie“; Rede Hamms in Nürnberg, o . D . [1919], in: ebd ., 46; zum Ganzen vgl . Unger, Staatsministerium, S . 256–260 . 47 Vgl . pars pro toto Winkler, Mittelstand; Ders ., Protest; Kocka, Problematik .
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II. Zwischen Revolution und Gegenrevolution
Zirkel organisierten . Nachdem sich seit Anfang April 1919 mit Unterstützung der Reichswehr bayerische Freikorps wie das Freikorps Epp, das Freikorps Oberland und das Freikorps Chiemgau gebildet hatten, konstituierten sich seit Mai 1919 die bayerischen Einwohnerwehren als anfangs rein lokale nichtmilitärische Schutzverbände .48 Die SPD-geführte bayerische Regierung trug ihre Gründung und ihren Fortbestand in den ersten Jahren der Republik zunächst durchaus mit, weil sie nach den Revolutionswirren Ruhe und Ordnung zu garantieren schienen . Noch im Oktober 1920 standen in den Reihen der Münchner Wehren zahlreiche SPD-Mitglieder .49 Dieses ganze Verbändemilieu konnte sich auch deshalb so gut entwickeln, weil der Regierungspräsident von Oberbayern, Gustav Ritter von Kahr, bald für ein Nachlassen staatlicher Kontrollen durch Wehrkommissare sorgte und damit eine durchgängige Militarisierung und Rechtsverlagerung der Wehren förderte . Linke Mitglieder und Sympathisanten wurden hinausgedrängt, sodass sich die Verbände bis zum Kapp-Putsch im März 1920 zu einem Instrument des rechten Lagers mit über 250 .000 einsatzfähigen und -willigen Mitgliedern entwickeln konnten . Für ihre Bewaffnung sorgte die Reichswehr, die seit Mai 1919 ihre Stellung in München systematisch ausbaute und für die Besetzung wichtiger Positionen auch in Polizei und Beamtentum sorgte, so etwa Ernst Pöhner als Münchner Polizeipräsident, Wilhelm Frick als politischer Leiter im Polizeipräsidium und Hans Ritter von Seisser als Chef der Landespolizei .50 Die Wehrverfassung gewährte Bayern insofern einen Sonderstatus, als der Kommandant der „Bayerischen Division“ zwar der Reichsgewalt unterstand, zugleich aber von der bayerischen Staatsregierung als Landeskommandant bestellt wurde – ein Konstrukt, das bis zum Hitler-Putsch zu anhaltenden Reibungen zwischen der Reichswehrführung unter dem Wehrminister Gessler bzw . dem Chef des Truppenamts Hans von Seeckt einerseits und der bayerischen Landesregierung und ihrem Landeskommandanten andererseits führte .51 Die Münchner Reichswehroffiziere Oberst Franz Ritter von Epp und Hauptmann Ernst Röhm förderten darüber hinaus den Ausbau der entschieden radikaleren Wehrverbände wie „Unterland“, „Reichsflagge“ oder der studentischen Zeitfreiwilligenverbände . In ihnen sammelten sich vorzugsweise ehemalige Soldaten und seit dem Frühjahr 1920 Mitglieder der aufgelösten Zum Folgenden vgl . die noch immer maßgeblichen Darstellungen von Hoffmann, Hitlerputsch; Deuerlein, Hitler-Putsch; Fenske, Konservativismus; Gordon, Hitlerputsch; Maser, Sturm; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd . VII, S . 175–178 . 49 Vgl . Geyer, Verkehrte Welt, S . 119 . 50 Zum Ganzen ebd ., S . 112–122, hier bes . S . 113 . 51 Vgl . Carsten, Reichswehr . 48
4. Verteidigung der Republik: Kapp-Putsch, Wehrverbände, Republikschutzgesetze
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Marinebrigade Erhardt, Mitglieder der Organisation Consul und – als eine Art Stab für diese Verbände mit völkischem und radikalnationalistischem Zuschnitt – Offiziere aus dem Umkreis Erich Ludendorffs, der seinen Wohnsitz nach München verlegt hatte .52 Der ehemalige Forstrat Georg Escherich führte im Mai 1920 die Wehrverbände in einer Spitzenorganisation Escherich (Orgesch) zusammen, die auch norddeutsche Landbünde umfasste, und ein Apotheker namens Rudolf Kanzler versuchte mit seiner Organisation Kanzler (Orka) auch die österreichischen Wehren in das deutsche System der Wehrverbände einzubauen . Dass dieses inzwischen paramilitärische System von Verbänden sich in Bayern ungestört ausbreiten konnte, verdankten die Verbände ihrem informellen Protektor und Förderer von Kahr, dessen Einfluss mit seiner Regierungsübernahme im März 1920 noch einmal entscheidend wuchs . Politik in Bayern war seit dem Ende der Räterevolution zunehmend bestimmt vom Kampf der Verbände untereinander um die Führungsrolle, von ihrem gemeinsamen Kampf um Einfluss im Staat und schließlich vom Kampf des Staates um das von den Verbänden bedrohte staatliche Gewaltmonopol . Die DDP verstand sich in dieser Konstellation als Verfechterin der Reichsautorität auf der Basis der Weimarer Verfassung und als Vorkämpferin rechtsstaatlicher Prinzipien und eines Ausgleichs mit der demokratischen Linken . Ein Schlüsselereignis in der Sonderentwicklung Bayerns stellt der KappLüttwitz-Putsch am 13 ./14 . März 1920 dar . In einer gemeinsamen Erklärung verurteilte das Kabinett den reaktionären Staatsstreichversuch am 13 . März scharf, doch dann entwickelte die Münchner paramilitärische Szene mit ihren Verbindungen in den staatlichen Sicherheitsapparat ihre eigene Dynamik . Aus den Verbänden und der Reichswehr wurde die Befürchtung laut, gegen Kapp-Lüttwitz-Truppen eingesetzt zu werden und gleichzeitig Aktionen der Linksradikalen tatenlos zusehen zu müssen . Nachdem sich Regierungspräsident von Kahr, Reichswehrgeneral Arnold von Möhl, Polizeipräsident Pöhner und der Landeshauptmann der bayerischen Einwohnerwehr Escherich nachts um 2 Uhr miteinander verständigt hatten, tagte am 14 . März um 6 Uhr früh das Kabinett mit diesen Personen – bedrängt von der Gegenwart eines Leutnants mit zehn Mann . Über den genauen Verlauf dieser Kabinettssitzung gibt es unterschiedliche Berichte . General von Möhl, der den Putschversuch ablehnte, sich aber auch nicht zu einer sofortigen und eindeutigen Loyalitätserklärung durchringen konnte, verlangte zur Aufrechterhaltung der Ordnung die vollziehende Gewalt in München und in ganz Bayern . Laut einer sehr
Vgl . Thoss, Ludendorff-Kreis; neuere Zusammenfassungen zur gegenrevolutionären paramilitärischen Gewaltorganisation: Gerwarth, Counter-Revolution; die Aufsatzsammlung von Ders ./Horne, War .
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ausführlichen Darstellung des sozialdemokratischen Ministers Hans Dill im Bayerischen Landtag am 30 . März 1920 fragte Hamm, als Möhl und seine Delegation ihre Forderung vorgebracht hatten: „Von woher droht Gefahr? Was erwarten Sie von der Übertragung der vollziehenden Gewalt?“ Möhl antwortete: „Beruhigung nach allen Seiten .“ Nachdem Möhl und seine Begleiter auf eine bevorstehende Versammlung der Verbände im Zirkus Krone aufmerksam gemacht hatten, die sich dem Putsch anschließen könnten, sagte Hamm: „Die Krone-Versammlung muß verboten werden . Dies ist Sache des Polizeipräsidenten . Ich glaube, daß wir ohne Übertragung der vollziehenden Gewalt auskommen“ . Aus dem Vorzimmer meldete ein Militär: „Die Truppen wollen sich nicht mehr halten lassen .“ Woraufhin Hamm gerufen haben soll: „Unglaublich!“ Wieder unterbrach ein Militär die Beratung mit der Meldung, die sich Möhl ausdrücklich noch einmal zu eigen machte: Für die Sicherheit des Ministeriums könne nicht mehr garantiert werden .53 Nach einigem Hin und Her stimmte die Ministerrunde nunmehr der Forderung Möhls zu – allerdings nur für München-Stadt und -Land . Einzig Ministerpräsident Hoffmann selbst votierte dagegen . Tatsächlich blieb es dann bei der Reichswehr und den Verbänden ruhig . Allerdings rief die Linke im Anschluss an den Aufruf der Gewerkschaften in Berlin und im Reich den Generalstreik auch in München aus . In Regensburg, Münchberg und Nürnberg kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikenden bzw . Demonstranten und rechten Einheiten, am heftigsten in Nürnberg, wo am 17 . März eine Straßenschlacht mindestens 21 Tote und zahlreiche Schwerverletzte forderte . Nach seiner Abstimmungsniederlage am frühen Morgen des 14 . März stellte Ministerpräsident Hoffmann sein Amt zur Verfügung und war davon auch durch den entschiedenen Widerspruch Hamms und des DDP-nahen Verkehrsministers Heinrich von Frauendorfer nicht abzubringen: „Wir Demokraten beschworen leidenschaftlich die Sozialisten, daß sie dies nicht tun dürften, daß sie dadurch zu Kapps Schuld eine neue Schuld fügen würden; es gelte, die Demokratie der Mitte aufrechtzuerhalten“ .54 Am 16 . März wählte der Landtag dann mit einer Stimme Mehrheit Gustav von Kahr, den bisherigen Regierungspräsidenten von Oberbayern und Protektor der Wehrverbän-
Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 58 . Sitzung, 30 .3 .1920, S . 858 f; für die Darstellung aus Sicht der DDP vgl . die Rede des Fraktionsvorsitzenden Pius Dirr, in: ebd ., S . 867– 880 . 54 So Hamm in seiner Rede am 23 .3 .1920 vor der DDP in Nürnberg, ref . in: Fränkischer Kurier, Nürnberg, 23 .3 .1920; „Mit keinem Wort wurde mit [sic!] der Möglichkeit eines Verfassungsbruches gedacht […] . Wir faßten in voller Freiheit den Entschluss, das zu tun, was uns zum Schutz der Verfassung nötig erschien“ . 53
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de, der von der BVP getragen wurde, ihr aber nicht angehörte, zum Ministerpräsidenten .55 Während die Darstellung Dills und der anderen Sozialdemokraten im Kabinett darauf abstellte, Hoffmann sei durch Möhl, Pöhner, Escherich und die hinter ihnen versammelte Soldateska unter Androhung von Gewalt zum Rücktritt genötigt worden, betonten Hamm und die nichtsozialdemokratischen Mitglieder des Kabinetts, Möhl sei in voller Freiheit und Einigkeit des Kabinetts befristet mit der vollziehenden Gewalt betraut worden . Nur der Ministerpräsident habe sich dem Beschluss widersetzt .56 Die beiden SPDMinister Fritz Endres und Martin Segitz hätten ebenfalls für Möhl gestimmt . Tatsächlich schloss sich die Fraktion nur zögerlich dem Rückzug Hoffmanns aus der Regierung an . Insbesondere Hamm bemühte sich, die SPD an der Regierung zu halten, doch gab die Partei ihrer Regierungsmüdigkeit nach . Daher wählte die bürgerliche, sehr knappe Mehrheit des Landtags, darunter die DDP, am 16 . März Gustav von Kahr zum Ministerpräsidenten . Aus Hamms und der DDP Sicht war diese Option „nicht erwünscht“, da Kahr „nunmehr der Exponent des unpolitischen Bürgertums“ sei – womit die großen Teile des Bürgertums gemeint waren, die ihren Konservativismus mit einer vorpolitischen generellen Vernünftigkeit verwechselten .57 Einen Anlass, „an der Person von Kahrs die Bildung der Regierung scheitern zu lassen“, sah Hamm jedoch nicht .58 Es lässt sich allerdings kaum bestreiten, dass Hoffmanns Rücktrittsbeschluss eine Panikreaktion nach dem halb symbolischen, halb physischen Aufmarsch der militarisierten rechten Szene vor dem Kabinett darstellte . Jedenfalls verzichtete die gemäßigte Linke mit dem Austritt aus der von ihr geführten Koalition auf die Regierungsgewalt in Bayern, ohne dass es zu einer wirklichen Kraftprobe gekommen wäre . Sie gab das Land damit nolens volens dem verstärkten Einfluss der Rechtsverbände, ihres jetzt legal als Ministerpräsident amtierenden Vertrauensmannes Kahr und der ihn stützenden BVP preis . Vier Jahre später, nach dem besonders für die bayerische DDP desaströsen Ausgang der Landtags- und Reichstagswahlen von 1924, kom-
Zur BVP als der dominierenden Kraft in der bayerischen Politik 1920–1933 vgl . Schönhoven, Bayerische Volkspartei . 56 Hamm, Rede vom 23 .3 .1920 vor der DDP in Nürnberg, ref . in: Fränkischer Kurier, Nürnberg, 23 .3 .1920; die Gesamtdarstellungen zur Weimarer Republik folgen durchweg dieser SPD-nahen Deutung; vgl . z . B . Winkler, Weimar, S . 131; anders dagegen Schwarz, Zeit, S . 454 ff . 57 Dazu v . a . Bussche, Konservativismus . 58 Hamm, Rede vom 23 .3 .1920 vor der DDP in Nürnberg, ref . in: Fränkischer Kurier, 23 .3 .1920, diese Rede auch als Manuskript in: BayHStA, NL Hamm, 47 . 55
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mentierte Hamm diese bayerischen Weichenstellungen vom März 1920 mit klaren Worten: „Wir haben die demokratisch Gesinnten in Bayern verloren dadurch, daß der sozialdemokratische Ministerpräsident Hoffmann die Regierung bei dem Kapp-Putsch fortgeworfen hat und aus der Koalition ausgetreten ist . Damit sind die Machtmittel völlig in die Hand der Rechten gekommen . Der Fall lehrt, daß die Parteien nicht früher die Staatsmacht aus der Hand geben sollen, als bis es unbedingt notwendig ist“ .59
Hamm selbst hielt sich strikt an seine Erkenntnis, als er im September 1932 dringend davor warnte, die staatlichen Machtmittel der NSDAP auszuliefern, selbst wenn sie nur Juniorpartner in einer Koalitionsregierung sei .60 Hamms politische Position in den Krisentagen während und nach dem Putschversuch verdeutlicht am besten ein Brief an seinen engen persönlichen und politischen Freund Otto Gessler vom 22 . März 1920 . Er berichtet darin von dem Besuch, den ihm eine Münchner Bürger- und Arbeitgeberdelegation (unter anderen aus Vertretern des Münchner Bürgerrats und des Arbeitgeberkartells)61 in seinem Ministerium abgestattet und bei dem sich die Münchner Bürger bei ihm über Aussagen Gesslers unmittelbar nach dem Kapp-Putsch beschwert hatten: „zwischen dem Putsch des Herrn Kapp und einem kommunistischen Putsch [so Gessler; W . H .] bestehe kein Unterschied; Du hättest Dich ferner zur Berechtigung des politischen Generalstreiks bekannt […] . In der Verhandlung mit der Streikleitung […] hättest Du Säuberung der Reichswehr zugesagt und auch sonst noch Zusagen gemacht in einem Sinn, der als bürgerfeindlich gelten müsse . Ich habe den Herren erklärt, dass es am Sonntag und Montag gegolten habe, starke Gelüste bei Militärs nach Rechtsumsturz zu bekämpfen und mit aller Schärfe die notwendige gemeinsame Aufrechterhaltung der Verfassung durchzusetzen […] .“
Hamm registrierte eine „reaktionäre Bürgerstimmung, die nun herrliche Zeiten angebrochen glaubt .“ Der Gegensatz von republikfreundlich und -feindlich gehe auch durch die Partei: „Ich weiß nicht, ob wir, die wir zwar in keiner Weise der Sozialdemokratie nachlaufen, die wir aber doch den wirtschaftlichen und seelischen Bedürfnissen des Arbeitervolkes Rechnung tragen
Sitzung des Vorstands, 26 .5 .1924, in: Wegner/Albertin, Linksliberalismus, Dok . 115, S . 326 . 60 Vgl . unten S . 377–379 . 61 Zu den Bürgerräten als Antwort auf die sozialistische Rätebewegung vgl . Bieber, Bürgertum, zu ihrem Verhalten im Kapp-Putsch S . 313–319; zur Bewegung der im „Bayerischen Bürgerblock“ zusammengeschlossenen Bürgerräte seit Sommer 1919 vgl . Geyer, Verkehrte Welt, S . 117 . 59
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wollen, im Augenblick, bei dem größten Pendelausschlag der öffentlichen Stimmung, wirklich die Mehrheit haben .“ In der bayerischen Regierung gehe es bisher friedlich zu; dagegen habe die Münchner Polizeidirektion wieder einmal versagt, „indem sie die Öffentlichkeit […] völlig wilden Flugblättern deutsch-völkischer Judenhetze einerseits und kommunistischen Handzetteln andererseits überließ […] .“62 Die Folgen des Regierungswechsels zeigten sich sofort . Am 12 . März 1920 hatte die Alliierte Militärkommission die Auflösung der Einwohnerwehren verlangt . Die BVP, ihre Minister und Kahr selbst verteidigten diese jedoch als Selbstschutzeinrichtungen einer wehrhaften Demokratie . Hamm vertrat diese Position auch in einer Reichstagsrede am 31 . Juli 1920, ebenfalls vor seiner eigenen Reichstagsfraktion, die gegenüber den bayerischen Sonderwegen immer ungeduldiger wurde .63 Als das Reich angesichts der Sanktionsdrohungen der Entente am 22 . März 1921 nach hinhaltendem Widerstand ein Entwaffnungsgesetz beschloss, das den Einwohnerwehren und den „Vaterländischen Verbänden“ jede Rechtsgrundlage entzog, stellte sich Hamm jedoch strikt auf den Boden des verfassungsrechtlich bindenden Reichsgesetzes und forderte seinen Vollzug auch in Bayern .
Brief von Eduard Hamm an Otto Gessler, 22 .3 .1920, in: BArch, N 1032, II, Bl . 27–29 . Gessler selbst, seit Oktober 1919 Chef des neu gegründeten „Ministeriums für Wiederaufbau“, berichtet in seinen Erinnerungen über den Vorgang: Er sei bei dem Ausweichen von Reichspräsident und Kabinett aus dem von den Kapp-Lüttwitz-Truppen besetzten Berlin über das unsichere Dresden nach Stuttgart am 13 . März auf Anordnung des Reichspräsidenten Ebert von Nürnberg aus nach München „abgezweigt“, um dort die Regierung Hoffmann zu unterrichten und die dortige Entwicklung zu beobachten: „Ich hörte nach meiner Ankunft in München sofort, dass der […] Aufruf zum Generalstreik die Gemüter außerordentlich erregte […], und habe daher meine früheren Beziehungen zu Münchner Gewerkschaftsführern dazu benutzt, um ihnen den Rat zu geben, den Generalstreik in München nicht durchzuführen . In diesem Sinne habe ich dann auch im Münchner Gewerkschaftshaus eine Ansprache an die Funktionäre gehalten .“ Das hätte – so Gessler weiter – eigentlich gerade jene Kreise beruhigen müssen, „die hinter dem Generalstreik schon das Gespenst des Bolschewismus sahen“; eben diese Kreise aber hätten ihm sein Eingreifen sehr verübelt . In der Tat machte die Bürgerdelegation – laut Hamm – Gessler besonders die Tatsache zum Vorwurf, dass er das Gewerkschaftshaus betreten hatte; vgl . die Autobiographie Gessler, Reichswehrpolitik, S . 125 f; zu der gleichwohl ablehnenden Haltung der bayerischen DDP gegenüber dem Generalstreik vgl . auch Albertin, Liberalismus, S . 372 f; zu Gesslers von ihm selbst in Anspruch genommenem „Vernunftrepublikanismus“ zuletzt kritisch Hertfelder, Meteor, S . 30 . 63 Verhandlungen des Reichstags, 15 . Sitzung, 31 .7 .1920, S . 489 f; zur Vermittlungsrolle von Hamm vgl . Stephan, Aufstieg, S . 210 f; 1924 gestand Hamm vor der DDP-Reichstagsfraktion ein: „Wir haben dort [in Bayern] den Fehler begangen, daß wir nicht von Anfang an scharf die Trennungslinie gegenüber den vaterländischen Verbänden gezogen haben“; Wegner/Albertin, Linksliberalismus, Dok . 115, S . 326 . 62
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Hatten DDP und BVP bzw . Kahr in ihrer Haltung gegenüber den Einwohnerwehren anfangs noch übereingestimmt, so trennten sich die Wege jetzt doch entschieden . Schon seit dem Sommer 1919, als sich das radikalnationalistische und bayerisch-partikularistische Milieu in München zu verfestigen begann, intervenierte Hamm bei General von Möhl gegen den Einsatz des Grafen Karl von Bothmer in einem der Schulungskurse, die im Auftrag der Reichswehr in der Universität stattfanden und an denen bekanntlich auch Adolf Hitler zeitweise teilnahm .64 Hamm und der Vorsitzende der bayerischen DDP, Georg Hohmann, waren mit der Abhaltung der Kurse und ihrer antibolschewistischen Stoßrichtung an sich durchaus einverstanden, Hamm hielt aber die Person Bothmers für ungeeignet; außerdem fürchteten beide die Reaktion der Linken, wenn die Beteiligung Bothmers bekannt würde, der gegen Kriegsende eine führende Rolle in der Vaterlandspartei gespielt hatte und nun gelegentlich gemeinsam mit den NS-Ideologen Dietrich Eckart und Alfred Rosenberg publizierte . Ein Jahr später wurde der zweite Hauptakteur der nächtlichen Intervention in der Kabinettsitzung vom 14 . März, Polizeipräsident Pöhner, Gegenstand einer offiziellen Protestaktion der DDP-Spitze . Hohmann und der Fraktionsvorsitzende der DDP im Landtag, Pius Dirr, beschwerten sich bei Kahr über die politische Tätigkeit des Chefs der Münchner Polizeidirektion . Sie kritisierten vor allem die regelmäßige Zusammenarbeit Pöhners mit dem „Ordnungsblock“ – das heißt den vereinigten Wehrverbänden –, während er mit den Parteien überhaupt nicht verkehre .65 Die Demokraten verlangten daher „Personenwechsel bei der Polizeidirektion München, gründliche Änderung des Systems, […] Information der Presse nicht durch die Polizeidirektion, Endpolitisierung [sic!] der Polizeidirektion .“66 Auch die Pressepolitik der Regierung Kahr zog die Kritik der DDP auf sich, weil sie mit zahlreichen Verboten gegen die Organe der Linken vorging, sehr viel weniger aber gegen die rechtsradikalen Blätter . Im Kabinett verteidigte Hamm in der Regel entschiedener als der alte linksliberale, aber in Krieg und Revolution weit nach rechts gerückte Fahrensmann Ernst Müller-
Vgl . dazu Plöckinger, Hitler, S . 38 f; Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 165–172; Herbst, Hitlers Charisma, S . 99–108 . 65 Pöhner, dessen Kontakt zu Hitler Dietrich Eckart hergestellt hatte, war einer der wichtigsten Unterstützer beim Aufstieg der NSDAP . Er und sein Mitarbeiter Wilhelm Frick „hielten in München ihre ‚schützende Hand‘ über die rechtsradikale, völkische ‚Szene‘ und insbesondere über die DAP/NSDAP“; Herbst, Hitlers Charisma, S . 133 . 66 Niederschrift zur Besprechung: Das Verhalten des Polizeipräsidenten Pöhner, 13 .4 .1920, in: BayHStA, NL Hamm, 57 . 64
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Meiningen im Justizministerium die Pressefreiheit .67 Am 1 . September 1921 forderte Hamm Kahr energisch auf, gegen die „verhetzenden Plakate der National-sozialistischen Partei in München“ vorzugehen . Er „bedauere aufs Tiefste, daß die bayerischen Behörden nicht längst gegen den Miesbacher Anzeiger und den Völkischen Beobachter eingeschritten sind, die Zulassung einer solchen Verhetzung aber, wie sie hier getrieben wird, darf meines Erachtens schlechterdings nicht mehr möglich sein“ . Mit der von Hamm beklagten neuerlichen Steigerung der rechtsradikalen Hetze sind die Beleidigungen gegenüber Matthias Erzberger gemeint, die am Tage seiner Beerdigung in den genannten Blättern erschienen waren .68 Hamm teilte zwar durchaus die im Bürgertum verbreitete Aversion gegen Erzberger, wandte sich aber entschieden gegen die gängig gewordene Zuspitzung bis zur Hysterie und zu Gewaltphantasien und -taten .69 In dem Klima der Gewalt, das 1919–1924 phasenweise im ganzen Reich herrschte und in Bayern zusätzlich durch die paramilitärischen Verbände verschärft wurde, war wenige Tage vor Erzbergers Ermordung Karl Gareis, der Vorsitzende der USPD-Fraktion im bayerischen Landtag, einem Attentat zum Opfer gefallen . Hamm verlangte am 20 . Juni 1921 im Reichstag eine Erziehung zu „Versöhnung und Gerechtigkeit“ und fragte rhetorisch: „Was hat die Rechte zur Beruhigung der öffentlichen Meinung beigetragen, was hat sie getan, um den Radauantisemitismus auszurotten? Es ist schon schlimm, ihn auch nur zu dulden, schlimmer, ihn als Bundesgenossen und Nutznießer zu dulden . In unhistorischer nationalistischer Auffassung wird von der Rechten die Weimarer Verfassung der Gleichmacherei angeklagt“ .
Nach dieser Attacke folgte, wie fast immer in Hamms Reden, der Versuch, die Mitte zu halten, und daher eine scharfe Wendung auch gegen die Linke: „Die unablässigen wüsten Schimpfereien gegen die Reichsregierung müssen schließlich zu einer schweren Schädigung des Reichsgedankens führen . Wie lange aber auch will die äußerste Linke mit ihrer Verächtlichmachung und Verhöhnung jeder staatlichen Ordnung noch fortfahren?“70 Die bloße Zu-
Vgl . Hoser, Hintergründe, S . 448 ff u . ö .; zur radikal-nationalistischen Wende MüllerMeiningens vgl . Jahr, Antiparlamentarismus . 68 An Ministerpräsident von Kahr, 1 .9 .1921, in: BayHStA, NL Hamm, 20 . Hamm bekräftigte in diesem Brief seine Beschwerde, die er am Tag zuvor bereits im Ministerrat vorgebracht hatte . 69 Vgl . dazu als aufschlussreiche Quellendokumente die Eintragungen Kesslers in: Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 25 .4 .1919, 24 .7 .1919 u . ö . 70 So die komprimierte Paraphrase in einem Zeitungsausschnitt, o . D ., o . Titel, in: BayHStA, NL Hamm, 20; Rede in: Verhandlungen des Reichstags, 118 . Sitzung, 20 .6 .1921, S . 3991–3997, Zitat S . 3996 . 67
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rückweisung des „Radauantisemitismus“, mag sie auch noch so energisch formuliert sein, ist allerdings nicht unproblematisch . Sie lässt Raum für einen „gemäßigten Antisemitismus“ als „kultureller Code“71, der im deutschen Bürgertum des Kaiserreichs fast selbstverständlich war und der es erlaubte, sich von den manifesten, krasseren Formen des Antisemitismus abzugrenzen .72 Vieles spricht dafür, dass der antisemitische Code seit Krieg, Revolution und der materiellen Not der Nachkriegsjahre durch die Verknüpfung mit dem sozialen Konflikt radikalisiert wurde .73 In diesen Jahren gewann der organisierte rassische Antisemitismus massenhaft Anklang, wie ihn der „Alldeutsche Verband“ und seit 1918 der einflussreiche, gut finanzierte und vor seiner Auflösung im Juli 1922 200 .000 Mitglieder starke „Deutsch-Völkischen Schutzund Trutzbund“ verbreiteten . Er kontaminierte die „Dolchstoßlegende“ und den Hass auf die Revolution und auf die Republik überhaupt mit den alten Stereotypen der Judenfeindschaft . Da die Republik die Emanzipation vollendet und den Juden den Eintritt in den Staatsdienst und hohe politische Positionen ermöglicht hatte, identifizierten sich die Juden in besonderem Maß mit ihr und bis zum Ende der 1920er Jahre auch mit der bürgerlichen Republikpartei par excellence, der DDP .74 In den bayerischen Wahlkämpfen von 1920 spielte der vom „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“ geschürte radikalisierte Antisemitismus eine zentrale Rolle, weil hier die Gleichsetzung des Judentums mit der Revolution besondere Wirkung entfalten konnte . Hinzu kam, dass die Bevölkerung nur allzu gerne die wirtschaftliche Beschwerde über das verhasste „Wucher- und Schiebertum“ mit den Juden, besonders den „Ostjuden“ verband .75 Auch Hamm sprach im Wahlkampf 1920 wie allgemein üblich von der „jüdischen Frage“, und noch 1923 setzte er in einer Denkschrift in der Reichskanzlei die strikte Begrenzung der Zuwanderung von Ostjuden auf die Agenda der Regierung, gerade im Blick auf die Wucherbekämpfung . Dass Volkov, Jüdisches Leben, S . 166–188 . Die scharfsinnige Entzifferung dieses Codes und seiner Verschärfung durch die Konjunktur eines in Dualismen verfahrenden „charakterologischen Denkens“ bei Leo, Wille . 73 Vgl . Zimmermann, Juden, S . 100–106 . 74 Vgl . zusammenfassend Berding, Antisemitismus, S . 165–188; Herbst, Deutschland, S . 37–58 . 75 Vgl . Geyer, Sprache; zu den Grundlinien der Politik gegenüber ausländischen Arbeitsmigranten in der Weimarer Republik vgl . Oltmer, Schutz; zum partiellen Übergreifen des Abwehrstereotyps „Ostjuden“ auch auf die DDP Aschheim, Brothers S . 237; zum – partiellen – Vordringen des Schlagworts „Ostjuden“ 1923/24 auch in der Sprache der Ministerialbürokratie und zur restriktiven Einbürgerungspolitik vgl . Gosewinkel, Homogenität S . 182 f; zur Vergleichbarkeit der restriktiven Migrationspolitik in Deutschland und England vgl . Reinecke, Wanderungen . 71 72
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die Wuchergesetzgebung, für die er in Bayern wie im Reich eintrat, keine faktisch-ökonomische, sondern allenfalls eine psychologisch beruhigende Wirkung haben würde, war ihm dabei klar . Auch erlag er zu einem gewissen Grad der Suggestion von der „Überflutung“ Deutschlands durch „fremden Geisteseinfluss“ und die teilweise im Kriegseinsatz als Zwangsarbeiter erzwungene jüdische Immigration .76 Gleichzeitig erinnerte er aber an die Juden, „die seit Generationen in unserem Lande lebten und [die] Sprache mit uns teilen und die der deutschen Wissenschaft wichtige, hervorragende Männer gegeben haben, ohne die auch unsere Kriegsrüstung rückschauend gar nicht mehr denkbar ist . Sollen sie totgeschlagen, ausgewiesen, in ein Ghetto gesperrt werden?“77 Im Ganzen argumentierte Hamm gegenüber dem Vorwurf, „die deutsche demokratische Partei ist ja die Judenpartei“, einerseits defensiv, indem er den Vorwurf übergroßen jüdischen Einflusses zu entkräften suchte und auf die Bedeutung von Juden auch in der DVP und der DNVP hinwies . Andererseits aber reagierte er offensiv mit einer massiven Anklage nicht nur gegen den „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“, sondern auch gegen „die Schlauen, […] die Führer [vor allem der DNVP; W . H .], die sich von solchen Kampfgenossen Unter den Linden nicht gerne grüssen lassen und ab und zu in ihren Blättern ein vornehm tuendes Wort über guten Ton und menschliche Gesinnung sprechen“ .78 Mit solchen Worten und seinen Forderungen nach entschiedener Bekämpfung der rechtsradikalen Presse gehörte Hamm zweifellos zu den prononciertesten Kämpfern gegen den militanten Antisemitismus in jenem Münchner antisemitischen Milieu, das möglicherweise Adolf Hitler erst vom Eiferer gegen den Bolschewismus und Versailler Vertrag zum antisemitischen Großhetzer gemacht hat .79 Die Vergiftung des politischen Klimas in Bayern nahm noch zu, nachdem die Landtagswahlen am 6 . Juni 1920 die DDP von 25 auf 13 Mandate fast halbiert und die bayerische Variante der DNVP (Mittelpartei) auf 19 Mandate
Die Volkszählung von 1925 erfasste in Deutschland insgesamt 564 .000 Glaubensjuden = 0,9 % der Bevölkerung, davon 108 .000 Ostjuden; vgl . Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 489; dort und bei Zimmermann, Juden, S . 14 f, die Berufsstruktur mit den im Vergleich überrepräsentierten Berufsgruppen im öffentlichen Dienst und in den freien Berufen, bei Anwälten, Ärzten, Journalisten, Schriftstellern und Universitätsdozenten; zur Konjunktur der Flut-Metapher im Diskurs über die moderne Großstadt Leo, Wille, S . 43–48 . 77 Manuskript einer Wahlrede, in: BayHStA, NL Hamm, 47, S . 26 f . 78 Ebd ., S . 27 . Die Anspielung auf Heinrich Heines süffisanten Vierzeiler „Und grüß mich nicht Unter den Linden“ über unwillkommene Begegnungen auf der Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“ scheint für die Bildungsbürger im Publikum deutlich gewesen zu sein; Gedicht zitiert in: Wolf, Märkischer Dichtergarten, S . 296 . 79 So Herbst, Hitlers Charisma, S . 59–124 . 76
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fast verdreifacht hatten .80 Die DDP verlor ihren zweiten Ministersitz, Justizminister Müller-Meiningen wurde durch den deutschnationalen Scharfmacher Christian Roth ersetzt, der sich mit seiner Partei als Mitstreiter des konservativ-partikularistischen Kurses gegen alles stemmte, was von den sogenannten „Linksregierungen“ im Reich kam . Die DDP verteidigte ihr Verbleiben in der Koalition von jetzt an bis zum Rückzug aus der Regierungskoalition im Juli 1922 mit der Notwendigkeit, die Mitte nunmehr nicht gegen die Linke, sondern gegen die Rechte verteidigen zu müssen .81 Im Rahmen ihrer Möglichkeiten tat sie das auch und trat damit der fatalen Politik der „Ordnungszelle Bayern“ entgegen, die den Hitler-Putsch von 1923 erst möglich machte .82 Die DDP tendierte insgesamt zu deutlich mehr Unitarismus, als ihn die Bismarck’sche Reichsverfassung aufgewiesen hatte, aber sie zählte auch zu den Trägern des republiktreuen, von der SPD geführten demokratischen und bei weitem größten und mächtigsten Einzelstaats Preußen . In ihrer deutlichen Mehrheit konnte sie sich die von Hugo Preuß vorgeschlagene Aufteilung Preußens zugunsten einer strikt unitarischen Reichsorganisation nicht vorstellen .83 Einen „dezentralisierten Einheitsstaat“ anzustreben, wie Preuß vorgeschlagen hatte, ging den Linksliberalen zu weit, obwohl sie zu einer deutlichen Stärkung der Reichsgewalt tendierten . Unmittelbar vor der dritten Lesung der Reichsverfassung war es auf dem ersten Parteitag der DDP vom 19 . bis 22 . Juli 1919 in Berlin bereits zu einer scharfen Attacke der unitaristischen Delegierten unter Anführung des einflussreichen Redakteurs der „Frankfurter Zeitung“ Wilhelm Cohnstaedt gegen den gemäßigten Kurs des Parteivorstands in dieser Frage gekommen . Eine „rechtzeitige und gründliche Durchführung der Gedanken von Hugo Preuß“ zu einer Neugliederung des Reichs hätte – so das stärkste realpolitische Argument Cohnstaedts – dem Reich viele Gefahren erspart, unter denen man in den letzten Wochen oft gezittert habe „und die uns noch auf Jahre hinaus in den Grenzgebieten des Reichs bedrohen werden“ .84
Vgl . zur Rolle der DNVP in den Anfangsjahren der Republik Trippe, Verfassungspolitik; in Bayern rekrutierte sie ihre Anhänger fast ausschließlich im protestantischen Franken; vgl . ebd ., S . 91–93; Kittel, Fundamentalismus; Kiiskinen, Deutschnationale Volkspartei . 81 Vgl . u . a . Süddeutsche demokratische Korrespondenz, Nr . 209, 13 .9 .1921; zur Rolle der DDP in der bayerischen Politik vgl . grundlegend Jones, Nationalism . 82 Vgl . Gelberg/Latzin, Ordnungszelle Bayern . 83 Zu den Weimarer Verfassungsberatungen und ihren Stationen vgl . kurz und präzise Möller, Weimarer Republik, S . 130 ff; Lehnert, Hugo Preuß; Ders ., Verfassungsdemokratie . 84 Reichsgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (Hg .): Bericht über die Verhandlungen des ersten Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Berlin vom 19 . bis 22 . Juli 1919, Berlin 1919 . 80
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Eineinhalb Jahre später stand das Thema wieder auf der Tagesordnung der Partei . Am 11 . Dezember 1920 hielt Hamm auf dem zweiten ordentlichen Parteitag der DDP in Nürnberg das Grundsatzreferat über das Verhältnis Reich–Länder in und aufgrund der Weimarer Reichsverfassung . Hamms Rede lässt über das spezielle Thema hinaus einige Grundzüge seines politischen Weltbilds erkennen: „Alle Leidenschaft und alle Glut legen wir hinein in [den] Gedanken an den einen deutschen Staat […] . Die deutsche Aufgabe dieser Zeit ist der deutsche Staat“ .85 Dass Hamm den Staat so in den Vordergrund stellte, zeigt die stark beamtenliberale Prägung des deutschen Liberalismus, steht aber hier auch im Kontext der unmittelbar drängenden Aufgabe, die erste demokratische Republik Deutschland lebensfähig zu machen . Dabei werden Staat und Volk eng zusammengeführt . Die deutsche „Volkspersönlichkeit“ verlange, dass man ihr „Schutz und Kraft in einem deutschen Staat […], aber auch Heim und Herd“ gebe, sie verlange „wirtschaftliche Wohlfahrt, ausgleichende Gerechtigkeit, Schutz der Schwachen“; und nicht zuletzt verlange sie, dass dieser deutsche Staat der „Freiheit und Persönlichkeit Raum“ gebe .86 Das nationale Pathos solcher Sätze wird gemildert durch den ausdrücklichen Hinweis auf frühere deutsche „Patrioten“, die grundsätzlich übernational gedacht hätten . Hamm zählt sie zu den „größten und unsterblichen Gestalten“ der deutschen Geschichte, weil sie „weit über das Deutschtum hinaus in einem übernationalen Beruf die eigentliche Aufgabe des deutschen Volkes“ erblickt hätten .87 Die bedrängende Nachkriegsgegenwart verlange jedoch nicht übernationale, sondern nationale Gesinnung . Bei allem gesamtdeutschen Einheitsbewusstsein – so Hamm weiter – gehöre jedoch zur deutschen Staats- und Volkspersönlichkeit die Vielheit der „kulturellen, wirtschaftlichen, stammlichen Eigenarten und Besonderheiten“, die durch die „bildende und bindende Kraft der Geschichte mehr als bloße Zufallsbildung“ geworden seien .88 Natürlich ist der Hinweis auf die übernationale Aufgabe Deutschlands selbst auch eine nationalistische Denkfigur, und natürlich argumentierte Hamm hier aus der Tradition süddeutschen
Reichsgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (Hg .): Bericht über die Verhandlungen des zweiten deutschen Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Nürnberg vom 11 . bis 14 . Dezember 1920, Berlin [1921], S . 44 . 86 Ebd . 87 Ebd ., S . 44 f; zum republikanisch-demokratischen Nationalismus der DDP insgesamt vgl . Heß, Deutschland; die beste Zusammenfassung zur Situation des Liberalismus in der Weimarer Republik bei Langewiesche, Liberalismus, S . 233–286 . 88 Reichsgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (Hg .): Bericht über die Verhandlungen des zweiten Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Nürnberg vom 11 . bis 14 . Dezember 1920, Berlin [1921], S . 45 . 85
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Reichsdenkens heraus gegen eine borussianisch-protestantisch-kleindeutsche Verengung der deutschen Identität . In der Manier des altliberalen historischorganologischen Denkens verlangt er eine gewisse „Ehrfurcht vor der Geschichte“ und die „Abkehr von einer allzu nationalistischen Neu-Berliner Art, die da glaubt, alle Dinge ‚aufziehen‘ oder organisieren zu können, von heute auf morgen machen zu können, was doch nur wachsen“ könne .89 Dass das Ungleichgewicht in der Reichsgliederung durch das Übergewicht Preußens in Zukunft abgebaut werden müsse, schrieb er den Delegierten schon einmal ins Stammbuch . Als wesentlichen Pfeiler der Gesellschafts- und Staatsordnung und als Korrektiv für „ausschließliche Einförmigkeit und zentralistische Verwaltung“ postulierte er eine umfassende Stärkung der „Selbstverwaltung“ auf allen Ebenen .90 Hamm berief sich bei seiner Betonung der Selbstverwaltung unter anderem auf die Erfahrungen mit der Ineffizienz und der Zerstörung aller Eigeninitiative durch die Kriegswirtschaft der vergangenen Jahre, deren von Land zu Land unterschiedliche Regelungen bekanntlich noch bis 1921/22 weiter bestanden .91 Vor allem mit den zwei wichtigsten Konfliktpunkten zwischen dem Rechtsblock aus BVP und dem bayerischen Zweig der DNVP (Mittelpartei) einerseits und dem – im bayerischen Parteienspektrum – linksbürgerlichen DDP-Liberalismus andererseits bekam es Eduard Hamm als einziges verbleibendes Kabinettsmitglied nun erneut zu tun . Innerhalb Bayerns stemmte er sich weiterhin gegen das Anwachsen des Rechtsradikalismus . Und in dem Kampf um die verfassungsrechtliche Prärogative des Reichs gegenüber dem Einzelstaat Bayern stellte er sich gegenüber dem bayerischen Kabinett und der vorherrschenden Strömung der öffentlichen Meinung eindeutig auf die Seite Berlins . Dass in Berlin aus der Sicht einer großen Bevölkerungsmehrheit in den Jahren 1921/22 eine „Linksregierung“ aus SPD, Zentrum und DDP unter der Führung des linken Flügelmanns im Zentrum, Joseph Wirth, und einem sozialdemokratischen Justizminister, Gustav Radbruch, amtierte, brachte die reichsloyale DDP in München in eine Position zwischen Baum und Borke . Ihr selbst war der Kurs der beiden Regierungen Wirth (10 . Mai 1921 – 22 . November 1922) in der Außenpolitik zu erfüllungsbereit, in der Sozialpolitik zu sozialistisch und in der Rechts- und Ordnungspolitik zu zentralistisch . Dass sie sich in den entscheidenden Fragen trotzdem auf den Ebd ., S . 45, 52 . Zur Spezifik des liberalen Nationalismus in Deutschland vgl . u . a . die Beiträge in Hardtwig, Nationalismus, bes . S . 91–273; Langewiesche, Nation . 90 Reichsgeschäftsstelle der Deutschen Demokratischen Partei (Hg .): Bericht über die Verhandlungen des zweiten Parteitages der Deutschen Demokratischen Partei, abgehalten in Nürnberg vom 11 . bis 14 . Dezember 1920, Berlin [1921], S . 56 u . ö . 91 Ebd ., S . 47 ff . 89
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Boden der Reichspolitik und gegen die Politik der „Ordnungszelle Bayern“ stellte – der Begriff kam seit dem Regierungsantritt Kahrs im März 1920 in Umlauf –, setzte sie zerstörerischen innerparteilichen Zerreißproben aus und dezimierte ihre Wählerbasis bis zu den Landtags- und Reichstagswahlen 1924 dramatisch .92 Aber sie trug eben auch dazu bei, dass Kahr mit seinem aus bayerischem Partikularismus und Nationalkonservativismus seltsam gemischten Konfrontationskurs gegen das Reich zunächst einmal scheiterte . In der Frage der Einwohnerwehren blieb Kahr nichts anderes übrig, als dem Auflösungsbefehl durch die Reichsregierung nachzukommen . Hamm spielte bei dieser kurzfristigen Entspannung der Situation insofern eine Rolle, als er im Reich unermüdlich dafür warb, die bayerischen Empfindlichkeiten so weit wie möglich zu respektieren, und in der bayerischen Regierung ebenso unermüdlich darauf drang, die Reichsgesetze einzuhalten . Am 8 . Juni 1921 wurden die Einwohnerwehren durch eine Verordnung der bayerischen Regierung aufgelöst . Politisch und militärisch erwies sich das allerdings nicht unbedingt als Erfolg für das Reich, denn der Schritt schwächte die gemäßigten Kräfte in den Einwohnerwehren, und die radikaleren Mitglieder schlossen sich den illegalen Wehrverbänden an . In deren Kreis trat durch die Gründung der SA nunmehr eine neue Gruppierung auf, die langsam an Zug- und Schlagkraft gewann . Zunächst im November 1921 von Hitler als reine Truppe zum Saalschutz und für Propagandazwecke gegründet, etablierte sie sich mit Hilfe Ernst Röhms und seiner Funktion in der Reichswehr als Waffenbeschaffer als paramilitärische Truppe, die bis Ende 1922 1 .000 Mitglieder zählte .93 Für Kahr und seine Gesinnungsfreunde stellte die offizielle Auflösung der Einwohnerwehren eine schwere politische Niederlage dar . Sie führte zur Annäherung seines Lagers an Hitler und die NSDAP . Für diese wiederum wurde das Jahr 1921 zu einer einzigen Erfolgsgeschichte .94 Damit waren wesentliche Weichen für die Konstellation einer Zusammenarbeit gestellt, die Hitler zwei Jahre später zu dem Irrtum
Bei der Landtagswahl vom 6 .4 .1924 verlor die DDP 10 ihrer 13 Sitze . Auch die DVP verlor fast ein Drittel, die SPD fast die Hälfte ihrer Sitze . Gewinner war der „Völkische Block“, in dem sich die Anhänger der inzwischen verbotenen NSDAP und der völkischen Splittergruppen zusammengeschlossen hatten . Sie legte im Landtag explosionsartig von 2 auf 23 Sitze zu und gewann in der Landeshauptstadt München 50 % aller Stimmen . Damit ging die Mehrheit des bayerischen Bürgertums ohne weitere Zwischenaufenthalte bei DVP oder DNVP (Mittelpartei) direkt zu den Rechtsradikalen über . 93 Vgl . dazu Longerich, Bataillone, S . 19–30; Siemens, Stormtroopers, S . 3–31 . 94 Vgl . Herbst, Hitlers Charisma, S . 112 f; zur Agitation Hitlers und zu seinem Aufstieg im Lager des Rechtsradikalismus und der Wehrverbände vgl . Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 175–253 . 92
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verleitete, Kahr durch den Handstreich im Bürgerbräukeller am Abend des 8 . November 1923 zum „Marsch auf Berlin“ mitreißen zu können . Das zweite Hindernis beim weiteren Aufstieg Kahrs war dessen Weigerung, nach der Ermordung Erzbergers am 26 . August 1921 die Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz der Republik anzuerkennen .95 Das ganze bayerische Kabinett – anfangs auch Hamm – lehnte zunächst die Verordnung und das Vorgehen des Reiches als einen inakzeptablen Eingriff in die Polizeihoheit der Länder ab . Zudem war die Verordnung – formal durchaus rechtens – ohne Absprache mit den Landesregierungen erlassen worden, was die Erregung in München noch steigerte . Dass Verbote gegen periodische Druckschriften sowie gegen Versammlungen, Vereinigungen, Aufzüge und Kundgebungen jetzt nicht mehr in der Hoheit der bayerischen Behörden, sondern allein des Reichsinnenministers liegen sollten, kränkte den bayerischen Selbstständigkeitsanspruch ebenso wie die Verlagerung der Beschwerdekompetenz weg von den Gerichten der Länder hin zu einem Ausschuss des Reichsrats unter dem Vorsitz des Reichsinnenministers . Aus der Sicht Kahrs stellte die ganze Verordnung ein Mittel der Berliner „Linksregierung“ dar, die Zentralisierung auf dem Gebiet des Polizeiwesens vorantreiben . Diese Sicht teilte Hamm nicht . Am meisten Empörung löste im bajuwarisch-nationalistischen Lager aber die Forderung der Regierung Wirth aus, dass Bayern seinen noch aus dem November 1919 datierenden eigenen Ausnahmezustand aufheben solle .96 Gerade diese Forderung aber fand Hamm völlig rechtens . Konkurrierende Ausnahmezustände im Reich und in den Ländern erschienen ihm unzulässig, Reichsrecht stand für ihn über dem Landesrecht; außerdem – so Hamm – habe der bayerische Ausnahmezustand ohnehin mehr als Verhandlungsmasse gegenüber der Berliner Regierung gedient, denn praktischen Nutzen gehabt .97 Am Ende wollten auch die gemäßigten Kräfte in der BVP und dem mitregierenden Bayerische Bauernbund einen wirklichen Verfassungsbruch gegenüber dem Reich vermeiden und begannen, von der harten Haltung Kahrs und Roths abzurücken . Kahr und seinem Justizminister blieb daher nur der Rücktritt am 12 . September 1921, der für Kahr allerdings auch eine gern genutzte Chance darstellte, nunmehr unbeschmutzt von aller Kompromissbereitschaft seine Politik von der Position eines Mentors und Protektors der „Vaterländischen Verbände“ aus weiter betreiben zu können . Und der rechte
Vgl . insgesamt Jasper, Schutz; Sabrow, Rathenaumord, S . 17–68 . Vgl . Lange, Bayern; der Protest des bayerischen Gesandten Konrad von Preger nach dem Protokoll des Reichsrats abgedr . bei Huber, Dokumente, Bd . 4, Dok . 240, S . 283 f . 97 BayHStA, MA 99516, Ministerratsprotokolle, Kabinett von Kahr, 31 .8 .1921 . 95 96
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Flügel der BVP fand schnell einen Hauptverantwortlichen für das Scheitern der Kahr’schen Konfliktpolitik: Eduard Hamm . So jedenfalls äußerte sich der populistische Vorsitzende des katholisch-konservativen Bayerischen Bauernvereins, der sogenannte „Bauerndoktor“ Georg Heim, der nach der Revolution 1918 die Trennung des bayerischen Zentrums vom Reichs-Zentrum und die Neukonstituierung als BVP durchgesetzt hatte .98 Nachfolger Kahrs wurde – wiederum als Vertrauensmann der BVP – der vergleichsweise konziliante Diplomat Hugo von Lerchenfeld-Koefering . Die Reichsregierung kam Bayern entgegen, sodass sich das Verhältnis Bayern– Reich entspannte, bis nach dem Mord an Außenminister Walther Rathenau am 24 . Juni 1922 der Konflikt wieder aufbrach .99 Gegen die noch am Abend desselben Tages erlassenen zwei neuen Notverordnungen zum Schutz der Republik protestierte Lerchenfeld-Koefering sofort . Wieder lautete das Argument, sie stellten einen Angriff auf die von der Reichsverfassung garantierte Justiz- und Polizeihoheit der Länder dar . Die Möglichkeit von Zeitungsverboten wurde erweitert, Mitwisserschaft bei Attentatsplänen mit Zuchthausstrafe sanktioniert und die Verleumdung oder öffentliche Beschimpfung von Opfern, die durch Gewalttaten ums Leben gekommen waren, unter Strafe gestellt .100 Das bayerische Kabinett beschloss daraufhin, gegen den Widerspruch Hamms, die Durchführung dieser Gesetze zu sperren, zugleich aber die wichtigsten Strafbestimmungen selbst zu erlassen sowie die Aburteilung vom Staatsgerichtshof beim Reichsgericht auf die bayerischen Volksgerichte zu übertragen . Hamm sah in diesem Vorgehen einen unzulässigen Verfassungsbruch und war sich darin mit seinen Parteifreunden einig . Dahinter stand die Einsicht, dass das Vorgehen der bayerischen Regierung nicht nur die Absichten des Republikschutzes selbst desavouierte, sondern geeignet war, die Anerkennung der Weimarer Reichsverfassung zu blockieren .101 Am 27 . Juli 1922 trat Hamm daher als bayerischer Handelsminister zurück, nachdem er schon Monate zuvor Anzeichen von Resignation hatte erkennen lassen . Am 24 . Juli hatte er noch dem Parteivorsitzenden der DVP Gustav Stresemann eine Aufzeichnung zukommen lassen, in der er Stresemann seine Einschätzung der aktuellen Krisensituation zwischen Reich und Bayern darstellte und ihn auch
Süddeutsche demokratische Korrespondenz, 23 .9 .1921, dort die Richtigstellung durch Hamm . 99 Vgl . Sabrow, Rathenaumord, S . 69–157 . 100 Die Position Lerchenfelds und seiner Minister mit Ausnahme Hamms in: AdR, Wirth, Bd . 2, Dok . 304; zum Ganzen vgl . Jasper, Schutz, S . 70–75 . 101 Vgl . Brief an den Staatsrat Dr . von Meinel, München, 22 .7 .1922, in: BayHStA, NL Hamm, 54 . 98
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darauf aufmerksam machte, dass der Landesvorstand der DVP in Bayern der BVP-Linie zuletzt gefolgt sei, was Hamm sehr bedauerte: „Denn gerade die gegenwärtige Lage hätte in Bayern Ihre und meine Partei einig finden können und müssen und zwar doch wohl auf der Linie der verständigen verfassungsmäßigen Bemühungen um die Rechte Bayerns, aber auch der unbedingten Anerkennung der Rechtshoheit des Reiches“; wenn sich in dieser Frage der weit überwiegende Teil der bayerischen Bevölkerung, auch der von der DVP repräsentierte, nicht einig sei, werde man wohl „jeden Glauben an die politische Zukunft unseres Volkes aufgeben“ müssen .102 Frei von den Bindungen des Amtes übernahm Hamm sofort eine informelle Vermittlerrolle zwischen den Positionen in München und Berlin . Schon am 28 . Juli 1922 unterrichtete Ministerialrat Karl Wever aus der Reichskanzlei in einem Schreiben aus München seinen Staatssekretär Heinrich Hemmer über die Vorschläge, die ihm Hamm zur Lösung des Konflikts unterbreitet hatte . Dazu gehörte die Einrichtung eines Senats beim Staatsgerichtshof, dessen Richter möglichst „in freundschaftlichem Einvernehmen mit Bayern“ ausgewählt und dem die bayerischen Sachen zugewiesen werden sollten . Die Ausführungsbestimmungen, die der offiziellen regierungsamtlichen Position in München sehr nahe kamen, sollten „möglichst viele Sachen (Gebiete) den bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften überweisen“ .103 Auf der Grundlage dieser Vorstellungen kam dann am 11 . August 1922 das sogenannte „Berliner Protokoll“ zustande . Es erlaubte beiden Seiten, das Gesicht zu wahren . Die bayerische Regierung hob ihre eigene Notverordnung auf und erklärte die Republikschutzgesetzgebung des Reiches für gültig . Auf ihrer Grundlage kam es dann am 3 . Oktober 1922 unter großer Teilnahme der Öffentlichkeit vor dem neu gebildeten Staatsgerichtshof in Leipzig zum Prozess gegen 13 Angeklagte wegen Mord, Beihilfe zum Mord, Begünstigung sowie der Nichtanzeige eines geplanten Verbrechens . Die Urteilsbegründung für die Strafen zwischen 15 Jahren Zuchthaus und drei Monaten Gefängnis ließ offen, ob es sich um ein Komplott gehandelt habe oder nicht .104 Eine wirkliche Lösung im Streit zwischen Bayern und Reich um die Einschränkung von Justiz- und Polizeihoheit des Landes durch das Reich stellte das „Berliner Protokoll“ allerdings nicht dar . Wegen der weichen Ausführungsbe-
Brief an Gustav Stresemann, 24 .7 .1922, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, NL Stresemann, 3096/248/144145–46 . Die Ausarbeitung der „Aufzeichnung über die bayerische Krise“, 24 .7 .1922, ging auch an den Fraktionsvorsitzenden der DDP in Berlin, Anton Erkelenz; BArch, N 1072, 127 . 103 Das Schreiben Wevers mit den Vorschlägen Hamms abgedruckt in: AdR, Wirth, Bd . 2, Dok . 335, S . 992 f, Anm . 1 . 104 Vgl . Sabrow, Rathenaumord, S . 103–114 . 102
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stimmungen blieb die Verfolgung der entsprechenden Straftaten weitgehend in der Kompetenz der bayerischen Behörden, die es einigen Beteiligten am Rathenau-Mord erlaubten, sich über Bayern ins Ausland zu retten . Immerhin war die drohende schwere Reichsverfassungskrise erst einmal für ein Jahr abgewendet .105 Da Hamm schon vier Monate später selbst als Staatssekretär in die Reichskanzlei wechselte, stellte sich ihm die ganze Problematik alsbald aus der umgekehrten, reichischen Perspektive dar . Auch im neuen Amt sollte er reichlich Gelegenheit haben, sich mit der Sonderrolle Bayerns auseinanderzusetzen .
Christoph Gusy urteilt dazu, dass das Berliner Protokoll vom 11 .8 .1922 nicht nur eine „politische Niederlage des Reichs“, sondern auch eine „Niederlage für den Republikschutz“ dargestellt habe; die Vermeidung der Verfassungskrise bleibt dabei unterbelichtet; vgl . Gusy, Weimar, S . 146 .
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ereits am 22 . November 1922 nahm die politische Karriere Hamms einen neuen Anlauf, als ihn Reichkanzler Wilhelm Cuno als Staatssekretär in die Reichskanzlei holte . Dass an diesem Tag der Generaldirektor der Hapag Lloyd das Reichskanzleramt übernahm, überraschte viele, erklärt sich aber bis zu einem gewissen Grad aus der aktuellen Krisenlage der Republik . Im Laufe des Sommers und Herbstes 1922 war die Regierung Wirth in immer stärkere Bedrängnis geraten . Die im internationalen Vergleich singuläre deutsche „Sonderkonjunktur“ der Nachkriegsjahre lief aus, was die Chancen zu einer korrekten Erfüllung der Liefer- und Überweisungspflichten aus dem Versailler Vertrag verschlechterte . Wirths eigene Position war schon seit dem Sommer 1921 geschwächt, als er nach einer Rücktrittsankündigung im Gefolge der Oberschlesien-Entscheidung der Alliierten zurückgekommen war und ein zweites Kabinett gebildet hatte . Zudem polarisierte sich das Parteienfeld, nachdem sich Teile der USPD am 23 . September 1922 wieder der SPD angeschlossen hatten . Dies schien zunächst den parlamentarischen Rückhalt für Wirth zu stärken, verminderte aber die Kompromissfähigkeit zwischen der SPD und den bürgerlichen Parteien . Das Abflauen der Konjunktur verschärfte auch insofern die sozialpolitischen Spannungen, als die Unternehmer, insbesondere der Schwerindustrielle Hugo Stinnes, verstärkt sozialpolitische Revisionen vor allem beim Achtstundentag und bei den Löhnen einforderten .1 Zudem hatte sich das Verhältnis zwischen Wirth und Reichspräsident Ebert entschieden verschlechtert, nachdem Wirth und sein Außenminister Rathenau im Frühjahr 1922 ohne Konsultation mit dem Reichspräsidenten den
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Vgl . Feldman, Stinnes, S . 892–905 .
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Rapallo-Vertrag abgeschlossen hatten .2 Im Kontext dieser Regierungskrise forderten die bürgerlichen Parteien auch einen Personalwechsel im entschieden sozialliberal geführten Reichswirtschaftsministerium . Wirth und Ebert verteidigten zwar den SPD-Wirtschaftsminister Robert Schmidt, erwogen aber, den energisch sozialliberalen, doch persönlich unleidlichen Staatssekretär Julius Hirsch durch Eduard Hamm zu ersetzen .3 Dazu kam es allerdings nicht mehr . Die Berufung Cunos schien im November 1922 durchaus Sinn zu machen .4 Zunächst hatte Ebert erwogen, den DVP-Vorsitzenden und ehemaligen Verbandsfunktionär Stresemann zu berufen, doch waren weder die DVP noch die SPD in dieser Konstellation willens und fähig, eine Große Koalition zu bilden; auch Stresemann sah seine Stunde noch nicht gekommen . Parlamentarisch stand diese Regierung auf schwachen Beinen . Das lag zum einen am zeitgenössischen Parlamentarismus-Verständnis, das eine Regierungsbildung aus den Fraktionen heraus fast durchweg ablehnte .5 Da die nach links gerückte SPD und die zunehmend SPD-kritischen bürgerlichen Parteien eine wirkliche Einbindung in die Regierungsverantwortung scheuten, musste sich Cuno mit bloßen Tolerierungsangeboten von SPD und DVP und einer faktischen Tolerierung durch die DNVP begnügen und verzichtete notgedrungen auch auf die übliche Vertrauensfrage bei Regierungsantritt . An ihre Stelle trat eine Resolution des DDP-Abgeordneten Eugen Schiffer, die trotz der Abwesenheit zahlreicher SPD-Abgeordneter vom linken Flügel eine breite Mehrheit fand .6 Reichskanzler Cuno und seine Regierung wurden schon nach der Hälfte der neunmonatigen Amtszeit von den Zeitgenossen überwiegend kritisch beurteilt, und die Geschichtsschreibung ist diesem Urteil gefolgt . Gleichwohl finden sich gelegentlich an eher unauffälliger Stelle bei der Bilanzierung seiner Regierungszeit Bemerkungen, in manchem sei sie doch erfolgreich gewesen .7 Diese Zwiespältigkeit erklärt sich zum Teil aus seiner SonderstelZum Ende der Regierung Wirth vgl . Mommsen, Aufstieg, S . 165 f; Winkler, Weimar, S . 178–185; Raithel, Spiel, S . 162–170; Mühlhausen, Ebert, S . 158 ff . 3 Zu dem in den Anfangsjahren der Republik einflussreichen Julius Hirsch vgl . Müller, Demokratie, S . 272 ff; Ders ., Wirtschaftspolitik . 4 Zur Regierungsbildung Cuno vgl . vor allem Mühlhausen, Ebert, S . 559–591; zur Regierung Cuno insgesamt vgl . das Manuskript „Regierung Cuno“ von Hamm, in: BayHStA, NL Hamm, 107; Raithel, Spiel, S . 164 ff . 5 Vgl . bes . ebd ., S . 182 ff; Mühlhausen, Ebert, S . 191 f . 6 Raithel, Spiel, S . 196, nimmt an, dass eine stärkere parlamentarische Anbindung der Regierung seit Januar 1923 durch die Notwendigkeit eines möglichst breiten Konsenses im Ruhrkampf verhindert worden sei . 7 Als Beispiel dafür Büttner, Weimar, S . 151; zur Skepsis gegenüber Cuno aus den „Insiderkreisen“ Berlins vgl . Kessler, Tagebuch, Bd . 7, zwischen dem 20 .11 .1923 und dem 27 .11 .1923 2
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lung im Kreis der Reichskanzler, als früherer Spitzenbeamter und späterer Generaldirektor von Hapag Lloyd, vor allem aber aus seiner politischen Position als Chef eines „Kabinetts der Fachleute“, der von Reichspräsident Ebert durchgesetzt worden war und sich in der Regierungspraxis mehrfach auf Notverordnungen des Reichspräsidenten stützte . Beide Faktoren, die Berufung durch den Reichspräsidenten und von Fall zu Fall das Regieren auf der Basis von Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung haben der bürgerlichen Minderheitsregierung Cuno das Verdikt eines „erste[n], wenn auch noch verdeckte[n] Präsidialkabinett[s] der Weimarer Republik“ eingetragen .8 Zu dieser Einschätzung trug auch der starke Anteil von Parteilosen im Kabinett bei, so des Berufsdiplomaten und Außenministers Frederic von Rosenberg,9 des früheren Oberbürgermeisters von Essen (und späteren Reichskanzlers und Reichsbankpräsidenten) Hans Luther als Ernährungsminister, des früheren Generalquartiermeisters und Ludendorff-Nachfolgers Wilhelm Groener als Verkehrsminister sowie des früheren Staatssekretärs in der Reichskanzlei (Februar 1919 bis Mai 1922) Heinrich Albert als Schatzminister . Diese sogenannten Fachminister waren allerdings ebenso wie der Reichskanzler selbst politisch keineswegs ortlos . Cuno und Luther standen der DVP nahe, Groener der DDP . Die übrigen Minister gehörten dem Zentrum, der Bayerischen Volkspartei, der DDP und der DVP an . Die Konstruktion dieses Kabinetts ergab sich unter anderem aus der Überlegung Eberts und der Parteiführer, dass ein solches „Kabinett der Fachleute“ die entscheidenden Aufgaben der neuen Regierung – Haushaltskonsolidierung und Erleichterung der Reparationen – noch am ehesten einer Lösung näher bringen könne . Cuno galt als Fachmann in Finanz- und Wirtschaftsfragen und verfügte als früherer hoher Beamter im Reichsschatzamt und als Generalreferent für Kriegswirtschaftsfragen im Reichswirtschaftsamt sowie als Nachfolger des legendären Albert Ballin bei der Hapag Lloyd auch über praktische Erfahrung in der Wirtschaft und Wirtschaftsverwaltung . Wirtschaftsvertreter und bürgerliche Parteien begrüßten seinen überraschenden Auftritt in der Reichspolitik und deuteten ihn als willkommenes Symptom einer stärkeren Rechtsorientierung .10 Auf der Linken allerdings überwog das Misstrauen . Für die meisten SPD-Mitglieder verkörperte Cuno eine bedrohliche
u . ö .; dagegen Harbeck, Einleitung, in: AdR, Cuno, S . XIX–XLVI, bes . S . XXXIV ff; Krüger, Außenpolitik, S . 204 f; Raithel, Spiel, S . 178 (mit zeitgenössischen Belegen) . 8 Winkler, Weimar, S . 185 . 9 Vgl . jetzt die Biographie von Becker, Rosenberg . 10 Vgl . Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 21 .11 .1922, S . 577 f; dort referiert Kessler auch die Aufforderung des SPD-Wirtschaftsexperten Rudolf Hilferding an die Adresse der DDP, sie müsse Cuno sofort stürzen .
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Rechtswendung . Der durchsetzungsstarke preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) misstraute schlichtweg den politischen Fähigkeiten Cunos .11 Aus der Sicht der Spitzenbeamten in den Ministerien erschien die Ernennung des neuen Reichskanzlers und seines Kabinetts zunächst allerdings als ein wohltuender Schritt zu besserer Regierungsarbeit . So notierte Max von Stockhausen, Regierungsrat in der Reichskanzlei 1922 bis 1927 und häufiger Protokollführer bei Ministerratssitzungen: „Der Unterschied zwischen den alten und neuen Herren war frappant, Wirth war ausschließlich Politiker gewesen und hatte alle Dinge nur unter politischen, oft, besser gesagt, parteipolitischen Gesichtspunkten gesehen . Cuno […] war ganz der hochgestellte Fachmann der alten kaiserlichen Ministerialbürokratie, der nur ein Bestreben kannte, die Geschäfte streng sachlich zu führen“ .12
Der unreflektierte Gegensatz, den Stockhausen zwischen Parteipolitik und Sachlichkeit herstellte, ist symptomatisch für die konservative Beamtensicht auf den politischen Betrieb . Für viele jüngere Ministerialbeamte waren dagegen „demokratische Reflexion und Diskussion“ bereits gängig, wenn nicht sogar die „politische Geschäftsgrundlage ihres Handelns“ .13 Stockhausen hob aber auch auf den aus seiner Sicht seriöseren Arbeitsstil Wilhelm Cunos gegenüber dem sanguinischen, um nicht zu sagen saloppen Joseph Wirth ab .14 Für Hamm bedeutete sein neues Amt einen weiteren entscheidenden Karriereschritt: den Wechsel von der Landes- in die Reichspolitik . Am 22 . No-
„So angenehm der persönliche Verkehr mit Cuno“ sei – was auch Eberts Faible für ihn erkläre –, so erschreckend sei doch seine „fast kindliche Naivität und Ratlosigkeit, mit der er schwierigen politischen Situationen gegenüberstand“; Braun, Weimar, S . 121 . 12 Stockhausen, Reichskanzlei, S . 53 . 13 So Müller, Wirtschaftspolitik, S . 85; laut Middendorf, Fundamente, S . 315–343, ist eine klare Abgrenzung zwischen eindeutig demokratisch gesinnten Ministerialbeamten und den „vor allem gouvernemental-etatistisch orientierten Bürokraten“ kaum möglich . Zur lange dominierenden Kritik an der vermeintlich politisch ganz indifferenten bzw . unreflektiert konservativen Verwaltung in der Weimarer Republik vgl . v . a . Mommsen, Staat; Ruck, Korpsgeist . 14 Im politischen Betrieb der Weimarer Republik erregten schon die körperliche Erscheinung und das Auftreten Cunos Aufsehen: „Der neue Herr, vorzüglich aussehend, groß, schlank, in der Form ganz der elegante Weltmann bester alter Schule, war kühl, fast unnahbar, äußerst vorsichtig in allen Äußerungen, streng und auf die Minute pünktlich“; Stockhausen, Reichskanzlei, S . 53 . Auch der seinerseits immer elegante, seit dem November 1918 recht abrupt ins linksintellektuelle Lager gewechselte Harry Graf Kessler, der bedeutendste Chronist des politischen und kulturellen Geschehens in Deutschland zwischen dem Ende der Bismarck-Ära und der Machtübertragung an Hitler, gestand Cuno widerwillig „eine Art von aristokratischem Charme [zu], dem man sich schwer entziehen“ könne; Kessler, Tagebuch, Bd . 8, 7 .7 .1923, S . 56 . 11
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vember 1922, um 22:00 Uhr abends, teilte er nicht ohne Stolz, aber auch nicht ohne einen Hauch von Selbstironie seiner Frau Maria in München mit, er sitze jetzt in der Reichskanzlei am einstigen Schreibtisch Bismarcks; anders als einst von einem Lehrer prophezeit, sei er nun doch nicht Sekretär eines Sparkassenvereins, sondern Staatssekretär in der Reichskanzlei geworden; seine neuen Mitarbeiter seien erfreulicherweise „kräftige Leute“, mit denen sich gut arbeiten lassen werde – was eine gemeinsame demokratisch-republikanische Gesinnungsgrundlage einschloss .15 Die stärkste Kraft im Hause war zweifellos der Ministerialrat und Abteilungsleiter Franz Kempner, der seine Laufbahn im Reichskolonialamt begonnen hatte, von allen seinen Chefs in der Reichskanzlei geschätzt wurde und 1924 bis 1926 als Staatssekretär amtierte . Er zählte in den späten Jahren der Republik und danach bis zum Umzug Hamms nach München 1936 zu dessen ständigen Gästen . Innerhalb der Reichskanzlei übernahm er vielfach die schwierige Koordination mit der preußischen Regierung, insbesondere dem Innenministerium unter der Leitung Carl Severings, diente während des Ruhrkampfs als Ansprechpartner von Behörden an Rhein und Ruhr und übernahm die Erledigung eiliger Aufträge seines Staatssekretärs im Tagesgeschäft, wie etwa die kurzfristige Beschaffung präziser Zahlen aus der Wirtschaft . Eine ähnlich intensive und dauerhafte Beziehung entwickelte sich zum Pressechef der Reichsregierung Friedrich Heilbron . Er hatte das Amt bereits unter dem Reichskanzler Konstantin Fehrenbach (Zentrum) ausgeübt, war dann in die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts gewechselt und musste von Hamm in einer ausführlichen Besprechung für die Rückkehr in die Reichskanzlei gewonnen werden . Einer handschriftlichen Aufzeichnung Hamms ist zu entnehmen, dass Heilbron fürchtete, in der Funktion des Pressechefs bereits „verbraucht“ und der liberalen Hauptstadtpresse nicht genehm zu sein . Er hatte dabei vor allem seinen „Freund und Gegner Bernhard“, den Chefredakteur der „Vossischen Zeitung“ im Auge . Nachdem Heilbron seine Wünsche für eine Rückkehr in die Reichskanzlei genannt und mit Hamm darüber Übereinstimmung erzielt hatte – täglicher Vortrag beim Reichskanzler wie beim Außenminister sowie vor allem das Recht zum Vortrag beim Reichspräsidenten –, nahm er den Antrag an . Heilbron agierte mit Zustimmung Hamms weitgehend selbstständig, traf sich mit ihm aber gelegentlich zu eingehenderen Strategiebesprechungen .16
Brief an Maria Hamm, 22 .11 .1922, in: BayHStA, NL Hamm, 140 . AdR, Cuno, Dok . 45, S . 147, Anm . 3; vgl . handschriftliche Aufzeichnung Hamms, in: BArch, R 43-I, 1774; Kessler berichtet aus einem Gespräch mit Georg Bernhard: „Auch Heil-
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Hamm setzte sich in der Reichskanzlei rasch durch, wie unter anderem die Erinnerungen Max von Stockhausens deutlich erkennen lassen: „Ganz ungewöhnlich schien unser Chef in der Reichskanzlei, Minister a . D . Hamm, ein kleiner, zierlicher Mann von unstillbarer Betriebsamkeit, als Sohn eines Oberlandesgerichtsrates ganz der Vertreter der guten, alten bayerischen Beamtenschaft . Er hielt seinen Stab derart in Atem mit einer Fülle neuer Ideen, dass sowohl Geheimrat Wever wie Ministerialdirektor Kempner sehr bald reif für einen längeren Erholungsurlaub waren . […] . Hamm, der sich meist gar nicht die Zeit gönnte, vernünftig zu Mittag zu essen, sondern sehr oft Mittag- und Abendbrot durch ein Butterbrot zu ersetzen pflegte, das er am Schreibtisch sitzend verzehrte (wobei er sich dann auch noch höflich entschuldigte […]), hatte die für Referenten wenig angenehme Gewohnheit, jeden Auftrag auf einem Zettel schriftlich festzuhalten . Diese Zettel wurden uns zwecks rascher und genauer Erledigung zugestellt . Der Sekretär notierte sich peinlich genau, wem und wann er solche Auftragszettel gab, und kontrollierte ihre Bearbeitung sehr scharf . Niemand konnte sich so seinem Arbeitsdrang entziehen, obwohl ich mich der Überfülle seiner Einfälle gegenüber meist mit Gelassenheit zu wappnen suchte“ .17
In der Reichsbürokratie außerhalb der Reichskanzlei war Hamm binnen kurzer Zeit bestens vernetzt . Mit Heinrich Albert verband ihn eine enge persönliche Freundschaft, ebenso mit Hermann Geib, von 1919 bis 1932 unentbehrlicher und einflussreicher Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium . Mit Reichswehrminister Otto Gessler war er seit ihren gemeinsamen Jahren bei den bayerischen Jungliberalen befreundet . Zu einer der stärksten Persönlichkeiten des Kabinetts Cuno, dem Ernährungsminister und baldigen Finanzminister Hans Luther, entwickelte sich eine persönliche Beziehung . Darüber hinaus agierte Hamm auch als Kommunikator zwischen Regierung und DDP . Innerhalb der DDP pflegte er den Kontakt auch zum linken Flügel . So berichtet Harry Graf Kessler etwa von einem nächtlichen Anruf, mit dem Hamm eine kleine erlesene Gesellschaft – Kessler, Georg Bernhard (Chefredakteur der „Vossischen Zeitung“), den Pazifisten Helmut von Gerlach und die Sozialdemokraten Rudolf Hilferding und Rudolf Breitscheid – am 21 . November 1922 bei Hugo Preuß über den schwierigen Verlauf der Kabinettsbildung informierte .18
bron sei wieder da, leitet die Presseabteilung ganz im Sinne des Kriegspresseamtes .“ Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 20 .1 .1923, S . 636 . Im selben Notat ist bereits von den Spannungen zwischen Cuno und seinem Finanzminister Andreas Hermes (Zentrum) die Rede, die sich für die Regierung zu einem massiven Problem auswachsen sollten . 17 Stockhausen, Reichskanzlei, S . 54 . 18 Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 21 .11 .1922, S . 577 .
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Nach Ausbruch des Ruhrkampfs spielte Hamm bei der Konzeption und Durchführung des passiven Widerstands eine maßgebliche Rolle und übernahm als Chef der Reichskanzlei die Funktion eines „Chefs des Stabes aller Kräfte des passiven Widerstands“ – so Heilbron . Nach dessen Ansicht war Hamm „seiner ganzen Natur nach für den Posten […] geradezu prädestiniert“, abgesehen vielleicht von der unbegrenzten Belastbarkeit, die dieses Amt forderte .19 Einen ähnlichen Eindruck hatte Kessler, der in einem Gespräch mit dem Außenstaatssekretär Ago von Maltzan die Idee eines „Ruhrdiktators“ verfolgte und mit diesem Anliegen am 6 . Februar 1923 Hamm in der Reichskanzlei aufsuchte . Kessler lernte Hamm bei dieser Gelegenheit erstmals persönlich kennen und schildert ihn als „kleinen feinen Süddeutschen (Baier) . […] Man hatte bei ihm im Ganzen den Eindruck eines großen guten Willens und einer menschlich sympathischen Feinheit und Durchgeistigung . Weniger von Kraft“ .20 Ago von Maltzan, damals der starke Mann im Außenministerium, urteilte dazu, Hamm habe die Sache in der Hand, aber er habe auch noch anderes zu tun .21 Die Frage der „Kraft“ ist nicht unwichtig . Immerhin bedeuteten die Krisenjahre der Republik für fast alle wichtigen Akteure eine Phase extremer Strapazen . Gessler, der seinerseits als stabil, aber auch bequem galt, sah beispielsweise Cuno vor seinem Rücktritt am 13 . August 1923 vor einem „nervösen Zusammenbruch“ .22 Die Nerven von Cunos Vorgänger Wirth waren am Ende seiner Amtstätigkeit völlig verschlissen, ebenso wie die des letzten Finanzministers der Brüning-Ära, Hermann Dietrich und vieler anderer Kanzler und Minister, die die Last der Arbeit und Verantwortung nur auf Kosten schwerer Gesundheitsschäden tragen konnten . Friedrich Ebert, Hermann Müller und Gustav Stresemann starben unter den Belastungen ihrer Ämter .23 Hamm scheint die Arbeitslast in den Jahren der Republik ohne Weiteres geschultert zu haben . An seine gesundheitlichen Grenzen geriet er erst während der Widerstandstätigkeiten 1942–1944 .
„Nach meiner Beobachtung fehlte ihm nur eins: das Maß von Robustheit, das erforderlich gewesen wäre, um ohne eigenen Schaden die ungemessene Arbeitslast zu tragen, die sein Amt ihm unentrinnbar auferlegte .“ Bericht Heilbron, Manuskript, 3 . Ausfertigung, in: BayHStA, NL Hamm, 110, S . 4 f . 20 Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 6 .2 .1923, S . 667 . 21 Ebd ., 3 .2 .1923, S . 665 . 22 Gessler, Reichswehrpolitik, S . 250 . 23 Die vielfach berechtigte Klage über eine gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastung gehört schon seit den Kriegstagen zu den Topoi der Selbstbeschreibung gerade in Beamtenkreisen; vgl . Föllmer, Volkskörper . 19
1. Schwierige Regierungsbildung: das Kabinett Cuno
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Hamm hatte mit seinem Arbeitspensum neben dem laufenden Betrieb als Chef der Reichskanzlei einschließlich der Sonderbelastung durch die Organisation des Ruhrkampfs auch die erheblichen Defizite in der Amtsführung des Reichskanzlers auszugleichen . Stockhausen beschreibt sie vornehm als „Zurückhaltung […] und […] Neigung, unnahbar über den Wolken zu schweben, so unnahbar, dass er einen manchmal einfach nicht zu kennen schien […]“ . Daher „mußte der Staatssekretär das meiste allein bewältigen, den Verkehr mit den Parteien, die rechts wie links wieder aufgeregter denn je wurden, den Verkehr mit den Ressorts, die Kontrolle der Sorgenkinder des Reichs, des teils klerikal-föderalistischen oder separatistischen oder gar nationalsozialistisch sich gebärdenden Bayern mit seinen Sonderwünschen, und der kommunistisch regierten Länder Thüringen und Sachsen, endlich das Schlimmste, den Verkehr mit der Reichsbank“ .24
Die Aktenführung der Reichskanzlei im Jahr 1923 weist beträchtliche Lücken auf, unter anderem bei den Protokollen mancher wichtiger Besprechungen . Der Grund dafür mag im vielfach hektischen Betrieb während des Ruhrkampfs liegen . Über manche Besprechungen liegen Protokolle Kempners vor, häufig führte aber auch Hamm selbst das Protokoll . Das fiel ihm offenbar leicht, und seine stenographischen Mitschriften oder nachträglichen Aufzeichnungen wurden in der Regel in kürzester Zeit getippt und verschickt .25 Die Protokolle Kempners zeichnen sich durch genialische Kürze, die Hamms durch Genauigkeit und Vollständigkeit aus . Jenseits der in den Monaten des Ruhrkampfs überbordenden Alltagsgeschäfte und ihrem aktenmäßigen Niederschlag findet sich in den Akten eine Reihe grundsätzlicher Vermerke und Denkschriften, in denen Hamm versuchte, sich bzw . dem Reichskanzler Rechenschaft zu geben über die jeweils anstehenden Probleme, Ziele und Aufgaben der Regierungsarbeit . Diese Dokumente tragen nur manchmal ausdrücklich Datum und Unterschrift . Gelegentlich scheinen sie rasch hingeworfen und kommen nicht über die handschriftliche Form hinaus, manche sind voll ausgearbeitet .26 Zu diesem
Stockhausen fährt dann fort: „Der alte Präsident Havenstein sah allmählich sämtliche Felle wegschwimmen . Er wußte keinen Rat mehr . Und nun war Hamm tatsächlich in Urlaub gegangen . Ich glaubte es erst, als er vierundzwanzig Stunden fort war“; Stockhausen, Reichskanzlei, S . 66 . 25 Hamm nutzte wohl auch die Gelegenheit des Protokollierens, um an Besprechungen teilzunehmen, die nicht in seine eigentliche Zuständigkeit fielen . 26 In der Literatur werden sie häufig mit dem Vermerk zitiert: „vermutlich Staatssekretär in der Reichskanzlei, Hamm“, oder mit dem Hinweis „Der Vermerk trägt keine Überschrift und ist nicht unterzeichnet . Die Schrifttype deutet auf Hamm als Verfasser hin“; Müller, Wider24
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III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
Aktentypus gehört zum Beispiel die „Aufzeichnung Staatssekretär Hamms über notwendige Maßnahmen der nächsten Zeit“ vom 17 . Januar 1923 . Diese Denkschrift schickte Hamm an die Minister für Inneres, Wirtschaft, Ernährung und Arbeit mit einem Anschreiben, in dem es sinngemäß heißt, der Reichskanzler habe ihn beauftragt, auf der Grundlage früherer Aufzeichnungen über die Kabinettsarbeit diejenigen Fragen knapp zusammenzufassen, die „für die politisch und wirtschaftlich notwendigen Maßnahmen der nächsten Zeit in Betracht“ kämen . Für diese Denkschrift nutzte Hamm Aufzeichnungen, die er seinerseits in der Reichskanzlei bei den zuständigen Referenten in Auftrag gegeben hatte . Die Schrift behandelt denkbare Maßnahmen zur Einwanderungsfrage, zur Versorgungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik und bricht beim Stichwort „Kartelle“ ab .27 Unter den genannten Punkten diskutierte Hamm jeweils die Problem- und Rechtslage, die bislang vorgebrachten Vorschläge und den Stand ihrer Beratung und beendete jeden Abschnitt mit stichwortartig formulierten Vorschlagskatalogen . Im Fall der Wirtschaftspolitik umfassen sie zum Beispiel zehn Stichworte von der „Suspendierung der Kohlensteuer“ über die „öffentliche Beobachtung und Beeinflussung des Kartellwesens“ und eine „wirtschaftlich kluge Wucherbekämpfung“ bis zur „Bekämpfung unberechtigter Preistreibereien, namentlich bei Holz“ .28 Im „Vermerk über den Marksturz, 30 . Januar 1923“ hielt Hamm zunächst das Faktum des Kursanstiegs des Dollars auf 44 .000 RM und dessen unmittelbare Folgen fest – „ungeheure Preissteigerung, […] Zerstörung der Stimmung, Hoffnungslosigkeit der Wirtschaftskreise“ – und listete dann „zufolge der Besprechungen“, die er mit dem SPD-Finanzexperten Rudolf Hilferding und den Ministern für Finanzen, Wirtschaft und auswärtige Politik, Andreas Hermes, Johann Becker und Stresemann geführt hatte, für den Reichskanzler Entscheidungsoptionen auf: „1 . ob Intervention der Reichsbank möglich, 2 . ob Einwirken auf Banken und Börse und von Banken und Börse selbst möglich, 3 . ob nicht Devisenzentralisation möglich und geboten, 4 . was zur
stand, S . 162, Anm . 461; AdR, Cuno, Dok . 60, S . 206, Anm . 1 . Nicht namentlich gekennzeichnete Aufzeichnungen Hamms lassen sich darüber hinaus meist eindeutig anhand ihrer Systematik und sprachlichen Besonderheiten, des Gedankengangs und der handschriftlichen Korrekturen identifizieren . Die Prägnanz und Relevanz dieser Denkschriften und Vermerke findet ihren Niederschlag auch in dem Stellenwert, dem ihnen der Bearbeiter der AdR, KarlHeinz Harbeck, einräumt; vgl . AdR, Cuno, u . a . Dok . 9, 18, 36, 48, 60, 70, 78, 87, 95, 103, 110, 113, 121, 130, 131, 133, 141, 145, 157, 169, 176, 179, 192, 221, 224, 239, 244, 247, 248 . 27 AdR, Cuno, Dok . 48; vgl . dazu ebd . die Kommentierung in den Anmerkungen 1–38 . 28 Ebd ., S . 171 .
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weiteren Abschneidung überflüssiger Devisennachfragen für Einfuhrzwecke geschehen kann […]“ .29 Denkschriften dieser Art lassen auch Hamms Bedürfnis erkennen, die Regierung aus dem Modus des bloßen Reagierens und des vor allem finanzpolitischen Sich-Treibenlassens herauszubringen und ein planmäßiges, koordiniertes Handeln zu ermöglichen . Angesichts der Führungsschwäche des Reichskanzlers erwies es sich aber als unmöglich, die ausgeprägten Ressortegoismen zu überwinden – ganz abgesehen von den sachlichen Gegensätzen im Kabinett . Dabei trug der Ruhrkampf zunächst eher dazu bei, diese zu verdecken, da der Kampf gegen den äußeren Gegner anfänglich sogar in diesem Kabinett der unflexiblen und wenig kooperationswilligen Fachleute eine Stimmung notwendiger Gemeinsamkeit schuf . In der Öffentlichkeit kursierte – abgesehen von Kommunisten und Nationalsozialisten – durchweg die Parole eines neuen „Burgfriedens“ wie zu Beginn des Weltkriegs . Aufs Ganze gesehen hielt der Friede zumindest zwischen den Parteien angesichts der Problemlast und der von ihr erzeugten sozialen und politischen Spannungen erstaunlich lange . Aber ihn aufrechtzuerhalten wurde immer komplizierter und aufwendiger .
2. Ruhrbesetzung und passiver Widerstand
Cunos erste und wichtigste Aufgabe schien es zunächst, die Reparationsverhandlungen wieder in Gang zu bringen, um günstigere Bedingungen für Deutschland auszuhandeln . Er und sein Außenminister Rosenberg gingen daher in ihrer Reparationsnote vom 9 . Dezember 1922 über die Vorschläge Wirths vom 14 . November deutlich hinaus, indem sie die Notwendigkeit einer Finanz- und Währungssanierung als Voraussetzung für die Einberufung eines Sachverständigenausschusses zur Neuregulierung des Reparationsproblems anerkannten und darüber hinaus ankündigten, die Währungssanierung auch ohne vorgängige ausländische Stabilitätsanleihe einzuleiten .30 Gleichwohl drängte die französische Regierung unter der Leitung von Raymond Poincaré immer ausdrücklicher und energischer auf die pünktliche und vollständige Erfüllung der deutschen Verpflichtungen . Seit dem Sommer 1922 hatte sie die Option ins Auge gefasst, bei Nichterfüllung der deutschen Leistungen
AdR, Cuno, Dok . 60; Anfang Februar begann dann die Reichsbank mit einer Stützungsaktion zu intervenieren, die den Markkurs zwischen 19 .000 und 22 .000 pro Dollar stabilisierte, ehe der Kurs am 18 .4 .1923 wieder einbrach . 30 Vgl . Krüger, Außenpolitik, S . 194 . 29
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das Ruhrgebiet zu besetzen . Unter keinen Umständen zeigte sich Poincaré bereit, Lieferschwierigkeiten Deutschlands als ökonomisch berechtigt anzuerkennen . Nicht ganz zu Unrecht befürchtete er, dass sich hinter der Dramatisierung ökonomischer Probleme nur der deutsche Zahlungsunwille verstecke . In seinem prinzipiellen Misstrauen sah er sich durch das deutsch-sowjetische Zusammengehen im Rapallo-Vertrag vom 16 . April 1922 bestätigt . In der zweiten Jahreshälfte 1922 verschärfte Poincaré seinen antideutschen Kurs, wobei bis heute nicht abschließend geklärt ist, wann genau er sich zu der französisch-belgischen Militäroperation zur Besetzung des Ruhrgebiets entschloss und welche Ziele er eigentlich damit verfolgte: die buchstabengetreue Erzwingung der Versailler Verpflichtungen, darüber hinaus eine weitere ökonomische Schwächung Deutschlands und eine fundamentale, auch militärische Verbesserung der französischen Sicherheitslage?31 Auf deutscher Seite hatte man von diesen weitreichenden Planungen keine Ahnung . Ein militärischer Übergriff auf das Ruhrgebiet durch Frankreich und Belgien lag angesichts der aus deutscher Sicht äußersten, wenn auch notgedrungenen „Erfüllung“ außerhalb des Vorstellbaren . Denkbar erschien allenfalls eine Verschärfung der französischen Rheinlandpolitik mit dem Ziel, das Rheinland durch hohe Zollschranken und möglichst auch eine eigene rheinische Franc-Währung vom restlichen Deutschland wirtschaftlich abzutrennen und es aus dem Reichsverband mit Hilfe eines eigenen „Rheinlandstatuts“ herauszulösen . Es wundert daher nicht, dass Gustav Stresemann, damals noch nicht Mitglied der deutschen Regierung, am 21 . Juni 1922 Außenminister Rathenau zu der – für diesen ganz unproblematischen – Festlegung nötigte, eine deutsche Reichsregierung werde „niemals für irgendwelche Zugeständnisse, und mögen sie noch so groß sein“, dazu bereit sein, „das Rheinland […] preiszugeben oder seinen Bestand schädigen zu lassen“ .32 Trotzdem nahm in der Folgezeit in der rheinischen Bevölkerung die Angst vor neuen französischen Schritten zu . Am 4 . Dezember 1922 hielt Eduard Hamm in einer ausführlichen Notiz die wichtigsten Punkte aus einer Besprechung mit dem Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete, Staatssekretär Philipp Brugger vom Reichsinnenministerium, fest, der gerade von Gesprächen unter anderem mit dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, wichtigen Unternehmern – Zur älteren Forschungslage vgl . Rupieper, Cuno Government; Krüger, Außenpolitik, S . 183–199; Bariéty, Relations franco-allemands; Schwabe, Ruhrkrise; Hildebrand, Reich, S . 503–506; Möller, Europa, S . 40–46; Fischer, Ruhr Crisis; Krumeich/Schröder, Schatten, darin bes . Soutou, Rhein; Schulte, Verweigerung; mit ausführlicher Würdigung der revisionistischen Positionen in der französischen Forschung Blessing, Frieden, S . 91–138 . 32 Verhandlungen des Reichstags, 231 . Sitzung, 21 .6 .1922, S . 7941 f . 31
2. Ruhrbesetzung und passiver Widerstand
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Carl Duisberg und Louis Hagen – und den Gewerkschaftern Gottlieb Meier und Karl Knoch zurückgekommen war . „Die Leute … in allen Kreisen“ sähen „die Lage für sehr ernst“ an . Man benötige Geld zur Unterstützung der Presse, der Wohlfahrtsanstalten, für Lebensmittelsammlungen, aber auch von Gewerkschaften und einzelnen wichtigen Unternehmen, um sich gegen die mögliche Einführung einer Franc-Währung und sonstige Aktivitäten der Besatzungsmacht, aber auch gegen die regierungsfeindliche Agitation von Kommunisten und Syndikalisten wehren zu können . Hamm hielt fest, dass auch Adenauer schwere Bedenken äußerte und im Übrigen davon abrate, als mögliche deutsche Gegenmaßnahme die Kohlenlieferung an Frankreich einzustellen . Brugger berichtete auch über ein Gespräch mit dem britischen Bezirksdelegierten in Köln, Julian Piggott, und dessen Frage, was man im Rheinland notfalls zu tun gedenke . In diesem Gespräch fiel bereits das Stichwort für die schließlich gewählte Strategie gegen die Ruhrbesetzung: „Wollen Sie aktiven Widerstand leisten oder passiven Widerstand, oder in Streik treten auf 2 mal 24 Stunden? Sie können nichts machen! Was wollen Sie tun, wenn Abstimmung über Pufferstaat oder Sonderstaat käme?“33 Die Begriffe „passiver Widerstand“ und „aktiver Widerstand“ bezogen sich dabei nicht auf das Ruhrgebiet, sondern auf das Rheinland . Am 19 . Dezember 1922 verständigte sich der Ministerrat über „allgemeine Grundsätze“ zur Abwehr französischer Maßnahmen, die von der SPD-geführten preußischen Regierung übernommen wurden . Obwohl nur für das Rheinland konzipiert, stellten sie dann auch die Basis für die ersten Abwehrmaßnahmen im Ruhrgebiet nach dem Einmarsch der französisch-belgischen Truppen am 11 . Januar 1923 dar .34 Nachdem am 4 . Januar die alliierte Reparationskonferenz in London gescheitert war, konkretisierte sich in den preußischen Behörden, aber auch im Reichsverkehrsministerium, im Reichsinnenministerium und im Auswärtigen Amt das Nachdenken über den Ernstfall . In Absprache mit Ebert, Cuno und Hamm traf sich ein Gewerkschaftsfunktionär am 8 . Januar im Ruhrgebiet mit Hugo Stinnes, der zum Widerstand entschlossen war .35 Am 9 . Januar fiel die Vorentscheidung zur Verlegung der Zentrale des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats nach Hamburg, wovon sich Regierung und Reichspräsident auch eine Signalwirkung auf die Arbeiter erhofften .
Besprechung zwischen Staatssekretär Hamm und Staatssekretär Brugger, 4 .12 .1922, in: AdR, Cuno, Dok . 9, S . 22 . 34 Vgl . Krüger, Widerstand . 35 Zur Politik Stinnes’ seit der Konferenz von Spa, die ihn wegen seiner völligen Kompromisslosigkeit auch von ehemaligen Mitstreitern und Freunden wie den Bankiers Carl Melchior und Max Warburg entfremdete und gleich zu Beginn der Kanzlerschaft Cunos in eine scharfe Gegnerschaft mit diesem führte, vgl . Feldman, Stinnes, S . 575 ff . 33
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Für den Fall einer Besetzung sprach sich Reichspräsident Ebert in einem Gespräch mit Hamm und dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer und Reichstagsabgeordneten Rudolf Wissell am 8 . Januar für einen Streik aus, der allerdings eng befristet sein und die Handlungsfreiheit der Regierung nicht beschränken sollte .36 Am 9 . Januar tagte der Ministerrat bei Reichspräsident Ebert . Als Vorlage für den Kanzler diente eine fünfseitige, undatierte, zum größten Teil handschriftliche Aufzeichnung Hamms, die mit folgenden Sätzen beginnt: „Wenn es nun zu Sanktionen und Gewaltmaßnahmen im Rheinland kommt, so wird die nächste Folge wohl eine starke nationale Welle sein . Es gilt, diese Welle dem Staate dienstbar zu machen, sie nicht sich selbst zu überlassen und nicht etwa unter das Zeichen des Hakenkreuzes, auch nicht der schwarz-weiß-roten Flagge kommen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, daß sie von vornherein der Einigung und Versöhnung im deutschen Volke diene, und daß sie, fern jeder Hurrabegeisterung, den Willen stärke, schwere Not zu tragen, die nun kommen wird .“37
Sodann prognostizierte Hamm Folgen der notwendigerweise ansteigenden Inflation: einen „maßlosen“ Anstieg des Brotpreises und aller anderen Preise, die schwere Störung der Kohleversorgung Deutschlands, das Sinken der Inlandsbeschäftigung infolge der rückläufigen Kaufkraft im Inneren und, ungeachtet der Ausfuhrerleichterung durch den Marksturz, der Kreditschwierigkeiten für den Export . Bei vielen, die heute eine harte Haltung gegenüber den Franzosen verlangten, werde sich alsbald der „Unmut […] gegen die Regierung wenden .“ Auch weiterreichende Gefahren diskutierte Hamm: Aus der Arbeitslosigkeit könnte eine „vielleicht mit nationalistischen Elementen durchsetzte Linksbewegung starke Kräfte ziehen“ – eine Annahme, mit der er die Strategie der Moskauer Kommunistischen Internationale und Karl Radeks hin zu einer nationalbolschewistischen Mobilisierung im Frühjahr und Sommer 1923 präzise vorwegnahm .38 Ebenso genau prognostizierte Hamm die „Gefahr, dass in Bayern die nationalistische Bewegung separatistisch wird, nicht im Willen vielleicht, aber in der Wirkung .“ Hier nahm er die Ausrufung
Mühlhausen, Ebert, S . 598 f . Hamm und Ebert schätzten sich; den Magdeburger Landesverratsprozess Eberts kommentierte Hamm im Kabinett am 23 .12 .1924: „Wir sind jedem Esel von Richter in Deutschland preisgegeben, das ist noch schlimmer wie die Tatsache, dass wir jedem Lausbuben zur Beschimpfung preisgegeben sind“; AdR, Marx, Bd . 2, S . 1246; zu Ebert als Stütze des Ruhrkampfs vgl . Mühlhausen, Ebert, S . 595 ff . 37 Auch im Folgenden AdR, Cuno, Dok . 37, S . 122 f, Anm . 3 . 38 Vgl . zur Einwirkung der Komintern auf die Arbeiter im Ruhrgebiet immer noch Winkler, Revolution, S . 553–604 . 36
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des bayerischen, gegen das Reich gerichteten Ausnahmezustands nach Beendigung des passiven Widerstands ebenso vorweg wie das Anschwellen des Rechtsradikalismus und besonders des Nationalsozialismus und der SA bis hin zum Hitler-Putsch am 8 ./9 . November 1923 . Die Wirtschaftsnot könne schließlich sogar „zur Auflösung des Reiches“ führen – genau die Gefahr, der dann die Nachfolgeregierung Stresemann im Herbst 1923 entgegenzutreten hatte . „Alle diese Gefahren“, so Hamm weiter, dürften nicht zu einem „Abweichen von der Linie des Rechtes und des Protestes“ führen; sie zwängen vielmehr dazu, „auf diesem Wege erst recht folgerichtig zu bleiben, weil jetzt alles darauf ankommt, die geschichtliche Moral auf unserer Seite festzuhalten und sie zu Kraft in unserem Volk zu bringen .“ Es folgt eine Liste von Vorschlägen zu Einzelmaßnahmen unter den Obergesichtspunkten „Rechtsverwahrung“, „Internationale Kundgebungen“, „Nationale Kundgebungen“ wie etwa „Versammlungen im ganzen Reich zu bestimmter Stunde […], eine Stunde Arbeitsstillstand aller Behörden, Betriebe, Läden“ und andere mehr . Mit der ersten Sitzung des Reichstags nach dem französisch-belgischen Einmarsch ins Ruhrgebiet am 13 . Januar stellte sich tatsächlich eine Art neuer Burgfrieden her . Der Reichstag billigte mit großer Mehrheit – bei sechs Enthaltungen, dem Fehlen zahlreicher SPD-Abgeordneter und zwölf Gegenstimmen der KPD – die Protesterklärung des Reichskanzlers . Diese beklagte den „Rechtsbruch“ der Okkupanten und rief die Bevölkerung zum „Ausharren“ auf . Von irgendeinem „Widerstand“ war hier noch nicht die Rede . Er war auch in der Form, wie er sich später entwickeln sollte, nicht vorgedacht .39 Gleichwohl fielen in Berlin kurz nach dem Einmarsch Entscheidungen, die zur Eskalation beitrugen, in ihrer Tragweite aber falsch eingeschätzt wurden . Zwischen dem 11 . und 14 . Januar kam die Regierung bei den Beratungen über die Kohlelieferung schrittweise einer Konfrontationsstrategie näher, obwohl sie mit ihren Erklärungen einen Angriff auf die Gültigkeit des Versailler Vertrags insgesamt strikt vermied . Sie beschloss, die Reparations-Sachleistungen einzustellen und suspendierte damit einseitig die entsprechenden Ausführungsverträge des Versailler Vertrags .40 Die Verweigerungshaltung, die unter dem Begriff „passiver Widerstand“ zusammengefasst wird, wurde ursprünglich nicht von der Regierung geplant und in Gang gesetzt, sondern kam aus Teilen der Ruhrbevölkerung selbst und war insofern auch alternativlos . Eine führende Rolle übernahmen dabei von
Müller, Passiver Widerstand, S . 120 . Auch der Maßnahmenkatalog in einer Vorlage Hamms enthielt nichts, was über Protestaktionen und Rechtsverwahrung hinausging; AdR, Cuno, Dok . 37, S . 122 f, Anm . 3 . 40 Vgl . Müller, Passiver Widerstand, S . 120–122; Ruck, Gewerkschaften, S . 62–80 . 39
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Beginn an die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, besonders die staatlichen Eisenbahner, und nolens volens die unmittelbar betroffenen Beamten . Der halbstündige Streik der Gewerkschaften wurde von der Regierung, nicht aber von den Arbeitgebern unterstützt . Einige Ruhrindustrielle wie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, August Thyssen und der Vorsitzende des RDI Kurt Sorge lavierten zunächst, andere, besonders Hugo Stinnes, waren zum Widerstand entschlossen . Möglicherweise war das Lavieren vor allem taktisch gemeint, um die Regierung zur offiziellen Unterstützung des Widerstandskurses zu nötigen .41 Tatsächlich begannen die Ministerien für Verkehr und Finanzen jetzt die Verweigerungshaltung nach dem Beispiel der Resistenzen anlässlich der Besetzung von Frankfurt am Main 1920 sowie von Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort 1921 zu organisieren . Am 16 . Januar traten die Beamten offiziell in den passiven Widerstand ein . Am 17 ./18 . Januar dehnte die Regierung gegen die Warnungen des Auswärtigen Amts den Widerstand auf das sogenannte „altbesetzte Gebiet“, das heißt das Rheinland, aus . Am 20 . Januar erstellte Hamm eine erste Übersicht über die wesentlichen Verordnungen der Reichsregierung zur Durchführung des passiven Widerstands .42 Die Flut der Richtlinien ging jedoch bis zum 24 . Januar weiter . Am 3 . Februar bilanzierte Hamm in der Antwort auf eine Anfrage des hessischen Staatspräsidenten Carl Ulrich (SPD) die Maßnahmen und rechtfertigte sie mit dem Argument, das Vorgehen der Regierung sei „seit einiger Zeit bewährt“ .43 Nachdem sich die Rheinländer in den Jahren davor mit der Besetzung der Rheinzone relativ rasch arrangiert hatten, zeigte sich Frankreich von der Widerstandsbereitschaft der Ruhrbevölkerung völlig überrascht – was zur Eskalation auf französisch-belgischer Seite wesentlich beitrug .44 Die ersten, zügig einsetzenden Gewaltmaßnahmen der Besatzungsmächte, so etwa die ersten Ausweisungen und Verhaftungen von Beamten und die Verhaftung Fritz Thyssens am 20 . Januar, führten zur Solidarisierung der Beamtengewerkschaften und der Betriebsräte im Namen von insgesamt etwa 65 .000 Arbeitern mit den Verhafteten . Bis Ende Januar hatten sich die wichtigsten Kampfmittel gegen die Besetzung herausgebildet: die Verweigerung der Zusammenarbeit, Streiks und Kundgebungen . Es waren die „Tage der euphorischen Massen-
So jedenfalls ebd ., S . 46–48; Müller, Passiver Widerstand, S . 129 ff; dass die „Ruhrbarone“ ungeachtet der massiven Eingriffe der Besatzer und der durchgängigen Störung des Wirtschaftslebens ihre Unternehmen während des Ruhrkampfs vielfach erfolgreich ausbauen konnten, zeigt Kleinschmidt, Rekonstruktion; zu Stinnes vgl . Feldman, Stinnes, S . 805 . 42 BArch, R 43-I, 211; vgl . Müller, Passiver Widerstand, S . 134–143 . 43 BArch, R 43-I, 206; Müller, Passiver Widerstand, S . 141 . 44 Vgl . Rupieper, Cuno Government, S . 121–147; Müller, Passiver Widerstand, S . 144–146, 193–198 . 41
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stimmung des Widerstands“ .45 Das hinderte jedoch die Fachgruppe Bergbau des RDI nicht, in einem Brief an Hamm Kritik an Durchbrechungen der Verweigerungshaltung zu üben . Die Polemik der Schwerindustriellen richtete sich dabei vor allem gegen den preußischen SPD-Innenminister Carl Severing, der ungeachtet seiner grundsätzlichen Zustimmung zum passiven Widerstand immer wieder bemüht war, die Eskalation von Fall zu Fall zu bremsen .46 Grundsätzlich hätte diese durch die Reichsregierung wohl vermieden werden können, vor allem das Hineinschlittern in den nächsten Eskalationsschritt nach der Besetzung durch die sofortige Stornierung der Sachlieferungen . Allerdings hätte das Hinausschieben oder völlige Vermeiden eines solchen Schrittes ein außerordentliches Maß an Besonnenheit vorausgesetzt, das angesichts der Emotionalisierung der Bevölkerung wie auch der politischen und wirtschaftlichen Eliten kaum zu erwarten war .47 In der Reichskanzlei gingen zahlreiche Briefe und Vorschläge ein, die auf eine Verschärfung des Widerstands drängten, sich über die angeblich mangelnde Vorbereitung der Bevölkerung beschwerten, „Tagesbefehle der einheitlichen Führung“ vermissten und schließlich den Reichskanzler aufforderten: „Schießen Sie auch […] . Wir warten hier zu Hunderttausenden […] auf den Donner der Kanonen“ .48 Das Denken in Kriegsszenarien und speziell die Analogisierung der aktuellen Situation im Westen mit dem Krieg setzten bereits in den ersten Tagen nach der Besetzung ein und waren selbst im Juni 1923 noch in Schreiben des Auswärtigen Amtes und des immer um Mäßigung bemühten preußischen Innenministers Severing zu spüren – umso mehr, als man in Deutschland vielfach die Befürchtung hegte, dass Polen die Gelegenheit zu Okkupationen an der deutschen Grenze nutzen würde .49 Über ihre pure Militanz hinaus
Ebd ., S . 144–152, Zitat S . 148 . Ebd ., S . 153 . 47 Der aufmerksame Chronist Kessler registrierte eine nur „mühsam und nervös für Besonnenheit gezügelte nationale Erregung“; Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 19 .1 .1923, S . 632 . Am 20 .1 .1923 hielt er aus einem Gespräch mit Stresemann dessen Beobachtung fest, dass bei der massenhaft besuchten Protestkundgebung am 14 .1 . in Berlin die offiziellen Redner, wie er selbst, viel gemäßigter aufgetreten seien als die improvisierten Volksredner; ebd ., 20 .1 .1923, S . 635 . Am 21 .1 . verzeichnete er heftige Erregung in der Arbeiterschaft des Ruhrgebiets; der größere Teil sei für „passive Resistenz“, der kleinere Teil für Streik; selbst „der Gedanke eines Krieges gegen Frankreich“ finde Anklang; ebd ., 21 .1 .1923, S . 637 . 48 Schreiben des Oberinspektors H . Schmidt, 4 .2 .1923, in: BArch, R 43-I, 207, Bl . 136–141 . 49 Davon ging man sowohl im Reichswehrministerium wie auch im Auswärtigen Amt aus; zu ähnlichen Ängsten in Teilen der Presse vgl . z . B . Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 20 .1 .1923, S . 634–636; über die Befürchtungen Georg Bernhards ebd ., 19 .1 .1923, S . 633, wo er aus einem Gespräch mit Staatssekretär von Maltzan berichtet, dass „Deutschland an Polen den Krieg er45 46
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sind die Stimmen aus dem Ruhrgebiet symptomatisch für die Stimmungslage, dass der Weltkrieg eigentlich noch nicht beendet sei, sondern sich in Form eines kleinen Krieges fortsetze . Dieser Eindruck konnte durch die vielfachen alltäglichen Erfahrungen mit der Besatzungsmacht nur verstärkt werden .50 Im Januar und Februar überschwemmte geradezu eine Flut von Solidaritätsadressen die Reichskanzlei – vom Reichsverband deutscher Konsumvereine über den Verein deutscher Zeitungsverleger und das Rektorat der Universität München bis zum Evangelischen Oberkirchenrat, der ankündigte, dass seine Mitglieder, darunter der Oberkirchenrat (und spätere Berliner Landesbischof) Otto Dibelius, sich am Sonntag, den 25 . Februar, ins „neubesetzte Gebiet“ begeben würden, um dort zu predigen .51
3. Regieren im Chaos: Organisationsprobleme
Als ein Hauptproblem für die Durchführung des passiven Widerstands erwiesen sich alsbald die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem besetzten Gebiet und der Regierungszentrale in Berlin sowie die unklaren Kompetenzen und Abspracheformen zwischen den Ministerien . An Rhein und Ruhr selbst entstand binnen kurzer Zeit ein enges Netz von spontan gebildeten Einrichtungen und lokalen sowie regionalen Behörden, das an der Basis eine Selbstorganisation des Widerstands ermöglichte . An der Beschaffung und Weitergabe von Informationen waren unter anderem die Provinzialbehörden, die obersten Post-, Eisenbahn-, Justiz-, Kanalbau- und Finanzverwaltungen, die Handels-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern sowie Wirtschaftsausschüsse verschiedener Art beteiligt . Am Rande des Besetzungsgebiets bildeten sich zusätzlich Zentralstellen für die Organisation der Resistenz unter anderem beim Wehrkreiskommando und beim Oberpräsidium Münster . Hinzu kamen die sogenannten „Abwehrausschüsse“ aus Vertretern der Gewerkschaften, des Handels und des Handwerks, die vielfach im Einvernehmen mit den Lokal- und Regionalbehörden Proteststreiks, die Schließung von Geschäften, Verkaufsboykotts und sonstige Maßnahmen beschlossen und durchführten . Rasch entstanden zudem die Nachrichtenstellen der verschiedenen Ressorts . In einer vermutlich von Hamm verfassten „Aufzeichnung über die Situation
klären werde, wenn die Polen irgendwo wie die Franzosen die deutsche Grenze überschritten .“ Vgl . die Position Gesslers in: AdR, Cuno, Dok . 35, S . 120; vgl . auch BArch, R 43-I, 213, 203 . 50 Vgl . Föllmer, Feind . 51 BArch, R 43-I, 209, 112, 206, 37, 207, 187, 209, 286 . Der deutsche Hochschulverband schickte noch am 25 .6 .1923 einen Aufruf zum Durchhalten .
3. Regieren im Chaos: Organisationsprobleme 101
im Ruhrgebiet“ wurde am 31 . Januar die Frage aufgeworfen, ob und wie sich gegebenenfalls „das abgeschlossene Gebiet […] im wesentlichen aus sich selbst regieren“ sollte .52 Allerdings erwiesen sich die Beschaffung und Weitergabe verlässlicher Informationen und Anweisungen angesichts der Verschiedenheit der Informationsquellen und der Schwerfälligkeit besonders der Berliner Behörden als schwierig . Für die wesentlichen Entscheidungen blieben die Berliner Ministerien auf der Ebene des Reichs und Preußens zuständig . Als zentrale Organisationen wurde neben dem „Reichskommissar für das besetzte Rheinland“ ein „Reichskommissar für das Ruhrgebiet“ beim Innenministerium geschaffen, im Ruhrgebiet selbst die „Stelle Mehlich“ in Dortmund . Vor allem aber übernahm die Reichskanzlei selber rasch die Koordinierung innerhalb der Berliner Ministerien sowie zwischen Berlin und dem „Einbruchsgebiet“ . Ein Ortskenner und Verwaltungsfachmann, der von den Franzosen ausgewiesene Düsseldorfer Bürgermeister Carl Christian Schmid, wechselte in die Reichskanzlei, wurde mit Personal und Räumlichkeiten ausgestattet und sollte für eine reibungslose Zusammenarbeit sorgen . Sehr bald stellte Hamm jedoch fest, dass eine „einheitliche Zusammenfassung der Angelegenheiten des vergewaltigten Gebietes“ nicht zustande kam .53 Schmids Anspruch, den ganzen Widerstand von seiner Dienststelle aus gleichrangig mit dem Staatssekretär zu steuern, hätte selbst bei reibungsloser Zusammenarbeit neue Koordinierungsprobleme vor allem im Verhältnis zum Reichskanzler selbst produziert und stieß bei Hamm auf wenig Gegenliebe . Vor allem aber widersetzten sich die zuständigen Beamten in den Ministerien den robust vorgetragenen Kompetenzforderungen Schmids . Die Staatssekretäre aller Ministerien, besonders des Arbeitsministeriums, sabotierten ihn geradezu .54 Diese Reibungen dauerten während des gesamten Ruhrkampfs an . Noch am 16 . Juni 1923 widmete der Finanzminister Hermes in seinem dringlich angeforderten Bericht über die Finanzlage des Reiches der Beschwerde über die Kompetenzanmaßungen Schmids ebenso viel Raum wie der Aufzählung des desaströsen Schulden-
AdR, Cuno, Dok . 62; zum ganzen vgl . Müller, Passiver Widerstand, S . 169–188 . Vermerk des Staatssekretärs Hamm über die politische Lage vom 18 .2 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 78, S . 264; vgl . Hartewig, Ruhrbesetzung . 54 Vgl . z . B . Müller, Passiver Widerstand, S . 310–320 . Müller beschreibt ausführlich die Versuche Schmids, seine Stelle zur alleinigen Koordinationszentrale aller Ruhrkampfmaßnahmen auszubauen . Dies konnte angesichts der festgefügten Kompetenzabgrenzungen zwischen den Ministerien, deren eifersüchtiger Besitzstandswahrung und des fordernden Auftretens Schmids nicht gelingen . 52 53
102 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
standes und der speziellen Kosten für das Reich durch die Verpflichtungen im besetzten Gebiet .55 Nach den ersten Erfahrungen mit den Informations- und Koordinierungsproblemen zwischen besetztem Gebiet und Berlin, aber auch in den Berliner Ministerialapparaten des Reichs und Preußens unternahm Hamm Ende Februar selbst einen Versuch, die Prozesse der Beschlussfassung und Abstimmung im Behördenwirrwarr besser zu koordinieren und zu beschleunigen . Zur Vorbereitung der Ministerbesprechung am 19 . und 20 . Februar über das weitere Vorgehen im Besetzungsgebiet holte Hamm zunächst die Stellungnahme der Ministerien ein und schlug dann vor, ein „Kriegskabinett“ mit dem Reichskanzler, dem Außen-, Innen-, Wirtschafts-, Finanz-, Wehr-, Arbeits- und Schatzminister bzw . ihren Staatssekretären sowie einem Vertreter Preußens zu bilden, das sich täglich zu festgesetzten Stunden treffen sollte . Industrie, Banken, Handwerk und Landwirtschaft sollten jeweils einen, die Gewerkschaften zwei bevollmächtigte Vertreter benennen . Dieser umfassende Organisationsvorschlag scheiterte ebenfalls an den Ministerien, gegen die sich der Reichskanzler nicht durchzusetzen vermochte .56 Immerhin hätte der Vorschlag vermutlich die oft unerträgliche Langsamkeit bei der Bearbeitung der Vorgänge, die Kompetenzüberschneidungen und die Widersprüchlichkeit und Unausgegorenheit vieler Einzelmaßnahmen beheben können . Auch hätte er die Möglichkeit geschaffen, die notorischen Reibungen zwischen den Reichsbehörden und dem preußischen Innenminister sowie die kontraproduktive Isoliertheit des Auswärtigen Amtes unter seinem Leiter Frederic Rosenberg von allen Vorgängen des passiven Widerstands zu vermeiden . Die Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen hätte eine Chance geboten, die zunehmenden Spannungen zwischen Arbeitgeberlager und Gewerkschaften aufzufangen und abzumildern . Vielfach war Hamm mit Presse- und „Propaganda“-Fragen beschäftigt . Immer wieder verlangten gerade regierungsfreundliche Briefschreiber, die Regierung müsse ihre Presse- und Propagandatätigkeit sowohl gegenüber Frankreich wie gegenüber innenpolitischen Scharfmachern verstärken . Der ehemalige Bethmann-Hollweg-Berater und nunmehrige Kanzler der Universität Frankfurt a . M ., Kurt Riezler, forderte Hamm auf, den Besitzer der „Münchner Neuesten Nachrichten“, Paul Reusch, mit Artikeln „bombardieren“ zu lassen Der Reichsminister der Finanzen an den Reichskanzler, 16 .6 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 193; vgl . auch Regierungsrat Carl O . E . Wever für Eduard Hamm über die Ressortbesprechung bei Bürgermeister Schmid am 21 .7 .1923, in: BArch, R 43-I, 214 . 56 Müller, Passiver Widerstand, S . 310 f; zu den verschiedenen Versuchen, eine klare, für die besetzte Zone wie für die Berliner Zentrale befriedigende Struktur in die Organisation des Widerstands zu bringen, und Hamms Anteil daran vgl . ebenfalls sehr gründlich ebd ., S . 113–188 . 55
3. Regieren im Chaos: Organisationsprobleme 103
und „die Verantwortlichkeit des Besitzers schriftlich festzuhalten – solange bis er den radikal deutsch-nationalen Chefredakteur Nikolaus Cossmann hinausschmeiße“ .57 Andererseits berichtete Mitte April der Geschäftsträger des Reichs in München, Edgar Haniel von Haimhausen, die SPD-Zeitung „Münchner Post“ habe die Großindustrie „in heftigster Form“ angegriffen und werfe ihr vor, die Besetzung von Rhein und Ruhr zur Selbstbereicherung zu nutzen; es scheine, „als ob das bisher maßvolle sozialistische Blatt unter den allerdings unerfreulichen nationalsozialistischen Hetzereien […] die Nerven verloren“ habe .58 Daraufhin schickte Hamm ein Rundschreiben an das Finanz-, Wirtschafts-, und Ernährungs-/Landwirtschaftsministerium mit einer Kopie des Hanielschen Schreibens und der Aufforderung, Darstellungen solcher Art, die „auf das schärfste die Fortdauer einer einmütigen starken Haltung des Volkes“ gefährdeten, „mit allen Mitteln der Aufklärung“ entgegenzutreten .59 Immer wieder erging an die Reichskanzlei von den verschiedensten Seiten, von Privat- und Amtspersonen innerhalb und außerhalb des besetzten Gebiets, die Aufforderung, angesichts der französischen Werbearbeit die eigene Presse- und Propagandatätigkeit zu intensivieren . Seit Ende Februar 1923 schlossen sich auch die Botschafter, vor allem in London, Paris und Washington, diesem Drängen an .60 Die Presseabteilung der Reichsregierung beantwortete solche Schreiben meist individuell und mit Hinweisen auf einzelne Aktionen und Verordnungen, bilanzierte aber für sich auch mehrfach den aktuellen Bedarf, die Aktivitäten der eigenen Behörden und die Situation und Bedürfnisse der Adressaten der eigenen Informationstätigkeit .61 Am 18 . April 1923 verschickte Hamm an alle Minister und das Büro Eberts eine Aufzeichnung des Pressechefs der Reichsregierung Heilbron über die „Aufklärungsarbeit“ im In- und Ausland, mit einem umfassenden Überblick über die regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten und Ansprech-
Kurt Riezler an Hamm, 11 .2 .1923, in: BArch R 43-I, 207, Bl . 32 . Ein Schreiben Hamms an Reusch in diesem Zusammenhang findet sich nicht, aber 1924 forderte Hamm Reusch in einem ausführlichen Brief auf, der Tendenz seiner bayerischen Zeitungen zu den Nationalsozialisten entgegenzutreten; vgl . unten S . 143 f . 58 BArch, R 43-I, 212, Bl . 297 . 59 Ebd ., Bl . 301 f . 60 Vgl . u . a .: Der Botschafter in London, Friedrich Sthamer, an das Auswärtige Amt, 6 .3 .1923; in: ADAP, Serie A, Bd . VII, Dok . 126, S . 305–307; Der Botschafter in Washington, Otto Wiedfelt, an das Auswärtige Amt, 13 .4 .1923, in: ebd ., Dok . 188, S . 460 f . 61 Vgl . z . B . Aufzeichnung des Mitarbeiters der Presseabteilung der Reichsregierung Karl Brammer vom 23 .2 .[1923] „über die Lage im Ruhrgebiet, über deutsche Aufklärungsarbeit und französische Propaganda“, in: ebd ., S . 230–239 . 57
104 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
partner sowie über den Einsatz der einzelnen Medien von der Presse über Photos, Lichtbildvorträge und Filme .62 Die Wortwahl und Diktion der in der Reichskanzlei eintreffenden Schreiben lassen fast überdeutlich erkennen, in welchem Umfang die Vorstellungen über Pressearbeit und Propaganda – insbesondere die Erwartungen an die Reichsregierung – noch von der Erinnerung an die Erfindung und Zentralisierung der „Propaganda“ in den letzten Jahren des Weltkriegs geprägt waren .63
4. Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage
Verschiedentlich wurde – gerade im „Einbruchsgebiet“ selbst und auf Seiten der betroffenen Gewerkschaften, aber auch bei einzelnen Ministerialen – gefordert, einen „Ruhrdiktator“ mit Sitz nahe am Besetzungsgebiet und ausgestattet mit umfassenden Vollmachten zu schaffen .64 Aufgrund des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung und den Möglichkeiten des Reichspräsidenten, im Falle einer staatsgefährdenden Bedrohungslage durch „Ermächtigungsgesetze“ und Notverordnungen die Rechte des Reichstags einzuschränken, konnte in der Weimarer Republik von der „Diktaturgewalt“ des Reichspräsidenten gesprochen werden . Im Krisenjahr 1923 kamen daher die Bezeichnungen „Ruhrdiktator“65 und „Wirtschaftsdiktator“ vor allem in Bayern in Umlauf . Im Herbst 1923 hoffte die radikale Rechte allerdings tatsächlich auf einen Staatsstreich zur Einführung einer „Diktatur“, deren inhaltliche Ausgestaltung aber ganz vage blieb .66 Aufschlussreich ist dafür erneut ein Bericht Kesslers über einen Besuch bei Maltzan im Auswärtigen Amt: „Malzahn [sic] griff meine Idee eines Organisators des neuen Kriegs an der Ruhr sehr lebhaft auf . ‚Wem sagen Sie das? Ich predige das seit Wochen . Die Leute kommen zu mir gelaufen; aber ich habe auch noch Etwas Anderes zu tun, als die Sabotage an der Ruhr zu organisieren […] . Wir brauchen einen Ruhr-Diktator . Aber es war bisher
Ebd ., S . 469–476 . Vgl . Grupp, Voraussetzungen; Welch, Germany; Daniel, Kommunikation . 64 Vgl . Ministerbesprechung vom 3 .2 .1923, in der Ernährungsminister Luther, als Ex-Oberbürgermeister von Essen eine Autorität im Ruhrgebiet, berichtete, „von allen Seiten sei ihm die Schaffung einer Diktatur an der Grenze nahegelegt“ worden; AdR, Cuno, Dok . 63, S . 211 . 65 Vgl . Geyer, Verkehrte Welt, S . 309–315 . 66 Vgl . u . a . Mergel, Dictatorship, S . 423–429 . 62 63
4. Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage 105
nicht durchzusetzen . Sehen Sie Hamm! Sagen Sie ihm, was Sie mir gesagt haben; vielleicht werden Sie mehr Eindruck machen‘“ .67
Auch diese Idee lehnte das Kabinett ab, teils weil die von dem SPD- und Gewerkschaftsmitglied Ernst Mehlich als Staatskommissar für gewerbliche Fragen im Ruhrgebiet und als Vorsitzenden des Abwehrausschusses Dortmund geleitete Koordinierungsstelle in Dortmund von den Gewerkschaften akzeptiert wurde und effektiv arbeitete, teils, weil bei einer zentralen Steuerung der Aktionen aus der Nähe der Demarkationslinie befürchtet wurde, dass den Franzosen die für sie relevanten Informationen noch schneller und leichter zufließen könnten, als es ohnehin geschah .68 Angesichts dieser Situation blieb Hamm nichts anderes übrig, als die Koordinierung der Ruhrkampfaktivitäten in eine von Fall zu Fall unter seiner Leitung tagende Runde der Staatssekretäre zu verlegen, der immerhin bescheinigt wurde, dass sie eine rückhaltlose und vergleichsweise effektive Kommunikation ermöglicht habe .69 Hamm selbst verfocht in strittigen Fragen des passiven Widerstands meist eine harte Linie . So etwa als es darum ging, von den Franzosen angeforderte Streikbrecher aus dem oberschlesischen Kohlerevier festzusetzen und abzuschieben, oder als der Ärzteverband Leipzig vorschlug, den Besatzungssoldaten vor Ort solle die ärztliche Hilfe verweigert werden .70 Vergleichsweise alltäglich erscheinen dagegen Vorschläge, die darauf hinausliefen, von Fall zu Fall die Widerstandskraft bei einzelnen Personenkreisen oder bei der Bevölkerung des gesamten besetzten Gebiets zu stärken . Nach dem Ergänzungsmemorandum des Auswärtigen Amtes vom 7 . Juni zur Note vom 2 . Mai 1923 mit den Erläuterungen zu einer möglichen deutschen Verhandlungsposition wuchs im Rheinland stärker als im Ruhrgebiet die Sorge, zur Verhandlungsmasse für irgendwelche Zugeständnisse gemacht werden zu können . Hamm verfiel auf die Idee, am 1 . Juli 1923 einen „Deutschen Volkstag“ zur Solidari-
Vgl . Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 3 .2 .1923, S . 665 . Zum Gespräch mit Hamm drei Tage später in der Reichskanzlei brachte Kessler den Gewerkschafter Gustav Dabringhaus mit, der ein Aide Mémoire überreichte, von Hamm aber mit Hinweis auf den Regierungskommissar Mehlich abgewiesen wurde; ebd ., 6 .2 .1923, S . 667 . 68 Vgl . dazu u . a . Aufzeichnung über die Situation im Ruhrgebiet, 31 . Januar 1923, vermutlich von Hamm, im Anschluss an Aufzeichnungen Hamms über Besprechungen mit Johannes Bell, Florian Klöckner, Kommerzienrat Theodor Frank und Hermann Bücher, in: AdR, Cuno, Dok . 62, 31 .1 .1923; Ministerbesprechung vom 3 . Februar 1923, 11 Uhr, in: ebd ., Dok . 63, S . 211, Anm . 4, wonach Hamm über eine Besprechung mit dem Abgeordneten Bell vom Zentrum berichtet; vgl . ausführlich dazu Müller, Passiver Widerstand, S . 182 ff, 310–328 . 69 Ebd ., S . 320 . 70 BArch, R 43-I, 207, Bl . 15, 21 . 67
106 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
sierung des unbesetzten mit dem besetzten Gebiet zu organisieren . Tatsächlich gab es dann am 11 . Juni eine von den landsmannschaftlichen Verbänden des Rhein-Ruhrgebiets veranstaltete „Kundgebung der Berliner Bevölkerung“ mit einem „Treuegelöbnis für Rhein, Ruhr und Saar“ und einer prominenten Rednerliste: dem Zweiten Berliner Bürgermeister Adolf Ritter, dem Essener Ex-Oberbürgermeister und Reichsernährungsminister Luther, dem Kölner SPD-Abgeordneten und Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann und dem sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe, der das Schlusswort sprach .71 Hamm war auch einverstanden, als die Regierung auf Betreiben des Reichskanzlers selbst sowie Gesslers, Brauns’ und Seeckts beschloss, eine eigene Abteilung unter der Leitung des ehemaligen Duisburger Oberbürgermeisters und alsbaldigen Innenministers Karl Jarres (DVP) zu schaffen, die Sabotageakte vorbereiten und unterstützen sollte .72 Aus den betroffenen Ländern Preußen, Baden und Hessen erhob sich schon seit April 1923, besonders aber seit Anfang Juni scharfe Kritik an den Sabotageakten, die von den Besatzern umgehend mit harten Strafmaßnahmen geahndet wurden und an sich unbeteiligte Bevölkerungskreise treffen konnten . Durchweg bezweifelten diese Länderregierungen die Verhältnismäßigkeit von Gewinn und Verlust bei diesen Aktionen . Hamm hatte hier unter anderem die Verärgerung Severings über die Reichsbehörden aufzufangen, die direkt oder indirekt an der Organisation der Sabotageakte beteiligt waren, den Innenminister und die Polizeibehörden Preußens aber nicht zu informieren pflegten . In einem Schreiben an Hamm vom 8 . Juni 1923 kritisierte Severing nicht die Sabotage als solche, bat ihn aber ausdrücklich, für die Änderung der „augenblicklichen höchst bedenklichen Verhältnisse“ einzutreten .73 Auch in die Turbulenzen um die Verhaftung des Freicorpskämpfers und NSDAP-Mitglieds Leo Albert Schlageter
BArch, R 43-I, 188, Bl . 310–314; BArch, R 43-I, 213, Bl . 203 ff . Auch der meist zurückhaltende preußische Innenminister griff aus diesem Anlass voll in die Saiten und erklärte es vor dem Rheinischen Provinziallandtag am 25 . Juni im Rathaussaal von Barmen zum „Zweck des ganzen Widerstandes, daß die junge Republik zu einem gleich geachteten Glied in der großen Völkerfamilie Europas und der Welt“ werde . Eine wie immer geartete Annexion der Rheinlande würde nicht zu Reparationen, sondern nur zu „neuem Blutvergießen und neuen Zerstörungen“ führen . Er sei gekommen, um den Rheinländern für ihren nunmehr 4 ½ Jahre währenden Widerstand gegen die französische Besatzung zu danken und den „engen Zusammenhang zwischen dem Staate und der Rheinprovinz zum lebendigen Ausdruck“ zu bringen; Wolffs Telegraphisches Büro, Erste Früh-Ausgabe, 26 .6 .1923 . 72 Vgl . zu den Sabotageaktivitäten und dem Verhältnis zwischen Regierungsstellen und Aktivisten vor Ort u . a . Krüger, Fanal . 73 BArch, R 43-I, 213, Bl . 278; vgl . auch der preußische Minister des Innern an Staatssekretär Hamm, in: AdR, Cuno, Dok . 184, auch Anm . 2, 3 . 71
4. Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage 107
geriet Hamm hinein . Schlageter hatte sich als Mitglied des Freicorps Hauenstein („Organisation Heinz“) an der Sprengung von Bahnanlagen beteiligt, war dann aber aus den eigenen Reihen heraus verraten, am 8 . Mai 1923 von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und nach der Bestätigung des Urteils durch den französischen Ministerpräsidenten unter großer öffentlicher Erregung besonders in den sogenannten „nationalen Kreisen“ in Deutschland standrechtlich erschossen wurden . In einer Besprechung am 18 . Juni informierte Severing Hamm über die Details von Verrat und Verhaftung, kündigte an, dass er im Landtag dazu eine Erklärung abgeben müsse, versprach aber, nichts zu sagen, „was der Reichsregierung Schwierigkeiten“ bereiten könne . Er werde für möglichste Geheimhaltung sorgen, wollte aber von Hamm die bestimmte Erklärung, dass die Reichsregierung mit „Hauenstein und seinen Bestrebungen nicht das Geringste zu tun habe“ .74 In eine ähnliche Lage war Hamm als faktischer Vermittler zwischen dem Reich und den Ländern gegenüber Hessen und Baden gekommen . Vor allem der badische Staatspräsident Adam Remmele (SPD) beschwerte sich mehrfach über die seiner Meinung nach kontraproduktiven Gewaltakte .75 Nicht zu Unrecht befürchteten die betroffenen Landesregierungen auch schon seit Ende April 1923, dass rechtsradikale „deutsche Banden“ die Sabotageakte im Besetzungsgebiet dazu benutzen würden, den passiven Widerstand schrittweise in eine offene militärische Konfrontation zu verwandeln .76 Hamm erkannte das Dilemma der Landes- und Reichspolitik mit den Sabotageakten in vollem Umfang an, rechtfertigte diese aber auch als „notwendige Begleiterscheinungen des passiven Widerstands“ und versprach schließlich die Einstellung aller Aktionen auf badischem Boden . Die Sabotageakte flössen „aus der Stimmung der Eisenbahner, die ihrer Berufstätigkeit vom Feinde beraubt“ und „von Haus und Hof vertrieben“ seien . Es sei daher verständlich, dass auch Gewerkschaftsvertreter in Elberfeld oder Berlin „gewisse Akte der Störung als notwendige Begleiterscheinungen begriffen“ . Die Reichsregierung sei bemüht, „sinnlose Akte“ zu verhindern . Von irgendeiner Absicht der Reichswehr, die Aktionen bis zu einem Krieg zu steigern, könne keine Rede sein . In der Reichswehr sei man sich völlig darüber im Klaren, dass entsprechende Pläne bei vereinzelten „Rechtsradikalsten […] jetzt oder in nächster Zukunft“ zu einem Krieg und damit zu dem schwersten Unglück führen würBArch, R 43-I, 213, Bl . 280–282 . Vgl . bes . Badischer Ministerpräsident an den Reichskanzler, 15 .6 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 189 . 76 Der badische Staatsminister Remmele an den Reichskanzler, 20 .4 .1923, in: BArch, R 43-I, 212, Bl . 351–354, dort das Zitat; der hessische Staatspräsident Carl Ulrich am 30 .6 .1923 und das Schreiben Hamms an Ulrich vom 18 .7 .1923, in: BArch, R 43-I, 214, Bl . 22, 26 f . 74 75
108 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
den, das Deutschland treffen könne . Auch sei die Regierung bemüht, „wilde Organisationen grundsätzlich fernzuhalten“ .77 Er, Hamm, wolle aber doch auch „ein Wort dafür einlegen, die zu solchen Taten Bereiten nicht in Bausch und Bogen als gewissenlose eigennützige Quertreiber zu betrachten, die unter allen Umständen moralisch zu verurteilen“ seien .78 Tatsächlich hatte sich die Regierung mit ihrer anfänglichen, auch finanziellen Unterstützung von Sabotageakten in eine Zwangslage manövriert . Akteure wie der in Hamburg verhaftete Freicorpsführer Gerhard Rossbach drohten, ihre Kontakte zu offiziellen Stellen öffentlich zu machen . Cuno hatte Rossbach sogar zu einem Gespräch empfangen und sich damit in der Tat für die Linke angreifbar und für die Rechte bis zu einem gewissen Grad erpressbar gemacht . Nachdem der Vorfall im Reichstag angesprochen worden war, gab die Reichskanzlei am 29 . Mai eine Erklärung heraus, die ihn möglichst herunterzuspielen suchte .79 In der Reichsregierung wünschte vor allem Außenminister Rosenberg die völlige Einstellung der Sabotageakte . Informell aber verteidigte er doch auch das Lavieren der Regierung, die im Ruhrgebiet schon zwei „Bartholomäus-Nächte“ mit knapper Not verhindert habe – was nur möglich gewesen sei, weil die Regierung Cuno „das Vertrauen auch der rechtsgerichteten Kreise habe“; vor allem sei es aber der Regierung gelungen, „durch das Zusammenhalten des ganzen deutschen Volkes [unter Einschluss auch der gewaltbereiten Rechten – ohne die NSDAP; W . H .] eine historische Aufgabe“ zu erfüllen – was der Berichterstatter Kessler seinem Gesprächspartner Rosenberg bestätigte .80 Mit ihrer Toleranz gegenüber der Rechten geriet die Regierung allerdings an die Grenze des demokratisch-republikanisch Vertretbaren . Als Severing
Vgl . dazu Hürten, Krisenjahr, S . XVIII; dort auch der Hinweis, dass gerade General von Seeckt durch seine Berufung zum Chef der Heeresleitung 1920 „die Erwartungen auf einen baldigen Waffengang mit Frankreich gründlich zerstört“ habe . 78 Der Staatssekretär in der Reichskanzlei an den Badischen Staatspräsidenten, 19 .6 .1923, Entwurf, handschriftlich von Hamm und Wever korrigiert, in: BArch, R 43-I, 213, Bl . 264– 266; auch ebd ., Bl . 249–254 . Dass es jetzt mit der Verhinderung von Sabotageakten ernst wurde, zeigt ein äußerst eiliges Schreiben Hamms vom 18 .7 .1923 an Reichswehrminister Gessler und den Reichskommissar für die Ruhrabwehr Schmid, in dem Hamm die Information eines ihm „befreundeten völlig zuverlässigen Gewährsmanns“ über einen Trupp junger Leute mit schwarz-weiß-roten Schleifen, Stahlhelmen und Abzeichen weitergab, der sich über den Abmarsch von „Rachestaffeln“ ins Ruhrgebiet unterhielt, „um für Schlageter und die Dortmunder Opfer je 3 Franzosen umzubringen“; BArch, R 43-I, 213 . 79 AdR, Cuno, Dok . 172, Anm . 2, 3 . 80 Kessler, Tagebuch, Bd . 8, 4 .7 .1923, S . 52 . Bei diesem Argument gab Kessler dem Außenminister ausdrücklich Recht, rückte aber von seiner Forderung nach einer vorbehaltlosen Verurteilung aller Sabotageakte nicht ab . 77
4. Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage 109
am 22 . März 1923 die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) in Preußen verbot, erkannten die zuständigen Juristen der Reichsregierung in Anwesenheit Hamms die Rechtmäßigkeit des Verbots an,81 doch bezweifelte Hamm in einer Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 27 . März die Klugheit dieses Beschlusses unter politischen Gesichtspunkten . Es sei nicht ratsam, diese zweifellos rechtsradikale Organisation, deren Abgeordnete aber nach wie vor dem Reichstag angehörten, in der angespannten politischen Lage zu verärgern und damit definitiv ins Lager der Regierungsgegner zu treiben .82 Hamms Sorge galt zwei Aspekten: Schon am nächsten Tag erschien der DVFP-Mitbegründer Albrecht von Graefe bei ihm, verlangte ein Gespräch mit General von Seeckt, räumte die Beschäftigung mit „militärischen Fragen für den Fall der notwendigen Abwehr eines von Frankreich nur aufgezwungenen Krieges“ ein und drohte unverhohlen damit, Verbindungen von Saboteuren mit der Reichswehr auffliegen zu lassen . Ob vor oder nach dem Gespräch – jedenfalls erinnerte Hamm Graefe im Namen des Reichskanzlers schriftlich, „mit allem Ernst an die vaterländische Pflicht, […] Unbesonnenheiten zu vermeiden, die uns außen- und innenpolitisch aufs schwerste schädigen könnten“ .83 Der zweite Aspekt bezog sich auf die Gefahr, dass der rechte Flügel des Regierungslagers, dem die Gruppe Albrecht von Graefe und Reinhold Wulle bis zum Austritt aus der DNVP angehört hatte, noch zu den Nationalsozialisten hin abbröckeln könne . In diesen aber sah Hamm verfassungsfeindliche Extremisten . Als sich in der Sabotagefrage schließlich Anfang Juli der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII ., einschaltete, entschloss sich die Regierung zu einem Kurswechsel und verstand sich zumindest zu einer verhaltenen „Kundgebung“ gegen die Sabotageakte in Form eines Zeitungsartikels über die Unterredung des Reichskanzlers mit dem Nuntius .84 Dass Hamm, wie Kessler nach dem erwähnten Gespräch mit Außenminister Rosenberg notierte, den Insurgenten selbst anfänglich „Checks“ übergeben haben soll, ist angesichts der Sabotageorganisation durch Innenministerium, Reichswehr und örtliche Aktivisten äußerst unwahrscheinlich . Die Notiz zeigt aber, dass man in nicht ganz genau informierten Berliner Kreisen da-
Vgl . Severing, Lebensweg, Bd . II, S . 383 ff; Besprechung im Reichsjustizministerium, 14 .4 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 119, S . 371 f . 82 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 27 .3 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 108, S . 339; die Aufzeichnung stammt von Hamm, der an dieser Sitzung teilnahm . 83 Gesprächsnotiz, 28 .3 .1923, in: BArch, R 43-I, 213, Bl . 385 . 84 Vgl . Kundgebung der Reichsregierung gegen die Sabotageakte, in: Vossische Zeitung, 7 .7 .1923 . 81
110 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
von ausging, dass in Berlin die Fäden des passiven Widerstands bei Hamm zusammenliefen .85 Auf der anderen Seite des politischen Spektrums machte Ende Juni 1923 auch die „Deutsche Friedensgesellschaft“ mobil . Sie schickte eine Eingabe an den Reichstag, in der sie ihre anfängliche Unterstützung des passiven Widerstands hervorhob, dann zu den Inflationsproblemen überging und schließlich die „sich häufenden nationalistischen Akte gewalttätiger Sabotage“ scharf kritisierte . Breite Schichten des deutschen Volkes empfänden diese Akte, „verbunden mit der zum Teil eigensüchtigen Haltung der deutschen besitzenden Schichten […] als einen Dolchstoß in den Rücken der passiven Resistenz“ . Die Eingabe verlangte, „diese Akte verbrecherischer Aktivität“ einzustellen und sofort eindeutig zu erklären, dass man bereit sei, den passiven Widerstand zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen .86 Das Schriftstück ging auch als persönlicher Brief an den Reichskanzler und an seinen Staatssekretär . Diese Adressierung ist nicht ohne eine besondere Pointe, denn der Verfasser, der Historiker Ludwig Quidde, war bis 1920 der Vorgänger Hamms auf dem Reichstagsmandat München/Oberbayern gewesen und seither für seine Partei wegen seines ausgeprägten Pazifismus immer mehr zum Problem geworden .87 Trotz der politischen Meinungsverschiedenheiten auch mit Hamm hatte er diesem ausdrücklich persönliche Integrität zugebilligt . Hamm sah sich wohl auch deshalb jetzt zu einer persönlichen Antwort an Quidde genötigt, die ebenso rückhaltlos ausfiel wie Quiddes Attacke auf die Regierung . Besonders provoziert musste sich Hamm dadurch fühlen, dass Quidde die antirepublikanisch-rechtsnationalistische Formel vom „Dolchstoß in den Rücken“ [des Heeres; W . H .] aufnahm, sie aber jetzt auf die angebliche Sabotierung einer Politik rascher Konzessionsbereitschaft an Frankreich durch nationalistische Gewaltakte anwandte . „Versteht man denn wirklich nicht“, so Hamms Antwort, „daß aus einer gepeinigten Bevölkerung des besetzten Gebietes heraus Gewalttaten sich ergeben, die schwer abzuwehren sind? Versteht man nicht, daß auch anständige und realpolitisch empfindende Menschen darin ein Mittel sehen können“, die französischen Ziele wie die Aneignung der deutschen Kohleausfuhr und das Sich-Festsetzen französischer Beamter und Überläufer zu behindern? Er „sage nichts für die Sabotage“; aber eine „moralische Gesamtverurteilung“ der Akteure erscheine ihm unangemessen .88
Kessler, Tagebuch, Bd . 8, 7 .7 .1923, S . 56 f . BArch, R 43-I, 213, Bl . 312–320 . 87 Vgl . z . B . dazu auch Holl, Quidde, S . 297 . 88 BArch, R 43-I, 213, Bl . 324–328 . 85 86
4. Pro und Contra „Ruhrdiktator“ und Sabotage 111
Hamms Antwort hielt – im Einklang mit der großen Mehrheit der öffentlichen Meinung – die Gewalttäter innerhalb des nationalen Konsenses, aber sie verschleierte mit dem Rekurs auf die „gepeinigte Bevölkerung“ die wirkliche Verantwortung bei den rechtsradikalen Aktivisten und regierungsoffiziellen Förderern und Organisatoren wie dem Oberstleutnant Joachim von Stülpnagel beim Wehrkreiskommando Münster und undurchsichtigen Mittelsmännern aus der Sabotageabteilung des Innenministeriums . Außerdem vermied er es damit, die Unterstützung der Sabotageakte durch Reichswehrorgane, also in letzter Instanz durch seinen Freund Otto Gessler, anzusprechen . Diese rhetorisch bereits abgeschwächte Verteidigungsposition der Regierung ließ sich seit Mitte Juli aber nicht mehr aufrechterhalten, da sie die deutsche Position bei den irgendwann unvermeidlichen Verhandlungen schwächen musste . Laut dem Bericht zweier örtlicher Gewerkschaftsführer wandten sich auch die Arbeiter und Gewerkschaften im Besetzungsgebiet von dieser Linie ab, seit sich einzelne rechtsradikale Attentate auch gegen ihre eigenen Einrichtungen wie das Verlagsunternehmen „Volkswille“ in Münster richteten (24 . Juni 1923) oder, wie bei einem Sprengstoffanschlag auf der Duisburger Rheinbrücke am 30 . Juni, zum Tod von neun belgischen Soldaten führten . Die Gewerkschaftsführer, so Hamm in einer Aufzeichnung vom 20 . Juli 1923 über dieses Gespräch,89 hätten sich angesichts dieser Aktionen aufs äußerste empört gezeigt, im Übrigen aber, trotz zahlreicher Beschwerden über die schlechte Zusammenarbeit mit Berlin, die „Kampfstimmung noch [als] fest“ bezeichnet .90 Dass der passive Widerstand, wie die Gewerkschaften meinten, auch noch im Herbst – wenn auch nur mühsam – durchgehalten werden könne, glaubte Hamm selbst nicht . Eine längere Zeitperspektive als bis zum Sommer hatte er von Anfang an nicht für realistisch gehalten . Ein deutliches Indiz dafür, dass Hamm baldige Verhandlungen für unumgänglich, aber auch möglich hielt, stellt seine Aufforderung an Außenminister Rosenberg vom 11 . Juli 1923 dar, über die Rechtslage zu „Reparationsverhandlungen Deutschlands mit einzelnen alliierten Mächten“ Auskunft zu geben . Hamm bezog sich angesichts der seit Anfang des Monats offen hervortretenden Differenzen zwischen Großbritannien und Frankreich auf die – wenn auch nur vage – Hoffnung, dass Deutschland von einem der Alliierten zu Sonderverhandlungen aufgefordert werden könnte . Diese Erwartung erfüllte sich zwar
Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm über die Lage im Ruhrgebiet, 20 .7 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 221 . 90 Ebd ., S . 651 . 89
112 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
nicht, aber sie zeigt doch, dass Hamm jetzt einen – wie immer gearteten – Eintritt in Verhandlungen für unvermeidlich hielt .91
5. Krieg oder Frieden: Konzepte zur Außenpolitik
Seit Ende März 1923 erhoben sich erste Stimmen, die von nachlassender Widerstandsbereitschaft an Rhein und Ruhr sprachen und auf Verhandlungen hindrängten . Diese konnten jedoch nur einen Sinn haben, wenn sie mit einem neuen, aus Sicht der Siegermächte verbesserten deutschen Reparationsangebot verbunden waren . In diese Richtung drängten Gewerkschaften und SPD, aber auch die unmittelbar betroffene badische Regierung . Da die SPD die Regierung des hauptbetroffenen Landes Preußen und damit auch den für Rhein und Ruhr zuständigen Innenminister Carl Severing stellte, kam diesen Stimmen ein erhebliches Gewicht zu . Für den 17 ., 18 ., 19 . April war eine außenpolitische Debatte im Reichstag angesetzt, bei der Hermann Müller für die SPD ein neues Gesamtangebot an die Alliierten als Grundlage neuer Verhandlungen fordern wollte .92 In dieser Situation durchdachte Hamm am 13 ./14 . April in einer Denkschrift die Situation und erwog die möglichen französischen Absichten und die denkbaren deutschen Reaktionen darauf bis in die letzte Konsequenz .93 Reale Chancen, auf die deutsche Außenpolitik wirklich Einfluss nehmen zu können, dürfte sich Hamm kaum ausgerechnet haben . Vielmehr entstand die Niederschrift offensichtlich aus einem Gefühl der Unzufriedenheit mit der Unklarheit und Initiativlosigkeit der Rosenbergschen Außenpolitik und dem Fehlen jeglicher Koordination im Verlauf des passiven Widerstandes und der inneren Politik: „Die politische Lage drängt zu Entschlüssen . Der passive Widerstand kann noch einige Zeit mit Ruhe gehalten werden; innerhalb dieser Zeit aber muss es zu bestimmten Zielsetzungen mit den politischen Parteien, der passive Widerstand muss konkrete
Das Auswärtige Amt [Maltzan] an Staatssekretär Hamm, 17 .7 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 219 . 92 Vgl . Ministerbesprechung vom 16 .4 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 123; Ministerbesprechung vom 17 .4 .1923, in: ebd ., Dok . 125; dazu Krüger, Außenpolitik, S . 202 f; bei Hildebrand, Reich, S . 556 ff, werden auch die zukunftsträchtigen Aspekte der Außenpolitik der Regierung Cuno nicht behandelt . Zum Verhältnis der Sozialdemokraten zum Ruhrkampf vgl . u . a . Schustereit, Linksliberalismus; Groh/Brandt, Vaterlandslose Gesellen, S . 187–192 . 93 BArch, R-43 I, 213 . Diese Denkschrift ist nicht unterschrieben, doch stammt das Datum von der Hand Hamms, und auch Perspektive und Gedankenführung weisen eindeutig auf Hamm als Autor hin . 91
5. Krieg oder Frieden: Konzepte zur Außenpolitik 113
Absichten, die Frage: ‚Was dann‘ bestimmte klare, wenn zunächst auch vertrauliche Antworten, bekommen .“94
Möglichkeiten, die französische Position zu schwächen, sah Hamm nur in Form einer schweren Franc-Krise – worauf man aus Deutschland keinen Einfluss nehmen könne – und in einem möglichen „Einspruch“ von außen . Damit war der Blick auf Großbritannien gerichtet . England könne kein Interesse daran haben, dass Frankreich ungestört eine Kontinentalherrschaft anstrebe . Deutschland müsse daher an England die Frage stellen, „was es […] gegen die Diktatur Frankreichs in Europa“ tun wolle . Gelinge es nicht, mit der Unterstützung Englands eine Konferenz über die Reparationenfrage einzuberufen und bis dahin das Ruhrgebiet einer internationalen, wenn möglich amerikanisch geführten Wirtschaftspolizeikontrolle zu unterstellen, so müsse Deutschland „den passiven Widerstand natürlich mit allem Nachdruck fortsetzen zum Zweck des Beweises, dass auch Frankreich nichts daran gewinnen“ könne . Allerdings könne es dann auch jederzeit vor die Wahl gestellt sein, „entweder den Verteidigungskrieg gegen Frankreich anzunehmen, oder sich kampflos zu fügen, gewissermaßen zu entstaatlichen“ . Im letzteren Falle würde sehr wahrscheinlich zu den Waffen gegriffen . Das „Reich, das sich fügt – Berlin“ – stünde dann weithin als „Verräter“ da . Nehme das Reich aber den Kampf an, schon um dieser „Gefahr der Selbstauflösung“ entgegenzutreten, so sei ein Krieg im Westen ohne Entlastung im Osten praktisch chancenlos .95 Hamm befürchtete, dass Deutschland durch den passiven Widerstand an Rhein und Ruhr unbedacht in einen neuen Krieg hineingerate . Für die „Historie und die Wiedergeburt“ möge ein Krieg zwar wichtig, aber die Entscheidung über Krieg oder Frieden müsse „auch aus dem Verstande geschöpft sein .“ Wichtiger als die aktuelle Selbstbehauptung um jeden Preis sei es, dem nach einem Krieg mit Frankreich drohenden Reichszerfall vorzubeugen . Entschieden werden müsse mit kühler Klarheit und aus freiem Willen . Die Option, dem langsamen Bröckeln der inneren Einheitsfront mit dem von Sozialdemokraten und Länderregierungen ins Auge gefassten neuen und erweiterten
Ebd . Alle Zitate auch im Folgenden in: ebd .; Krüger, Außenpolitik, S . 202, zufolge war die „Überlegung, sich auf das Eingreifen der Engländer und Amerikaner zu konzentrieren, die einzig richtige, sofern man nicht vor Frankreich kapitulieren wollte“ . Aber man habe sich über den „Zeitpunkt und die Umstände dieses Eingreifens“ geirrt; das gilt auch für Hamm, wobei er dann die Situation nach dem Ausbleiben oder Scheitern eines solchen Eingreifens durchspielt . Die Bedeutung, die das Weiterbestehen der Kriegskultur in Deutschland und Frankreich gerade infolge der Besatzungserfahrungen 1914 bis 1924 für die folgenden Jahre gewinnen sollte, ist angedeutet bei Föllmer, Feind, S . 17 .
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114 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
Reparationsangebot zu begegnen, tauchte in Hamms Überlegungen nicht auf . Hier befand er sich wohl auch innerlich in Übereinstimmung mit der Linie Cunos und seines Kabinetts . Das betrifft auch seine Hoffnung auf ein Ausscheren Großbritanniens aus der Solidarität mit Frankreich, wenngleich er diese Chance als gering einschätzte . Hamms Blick auf die außenpolitische Situation folgte noch stark einem historisch fundierten Gleichgewichtsdenken, das die emotionale ebenso wie die rational-kalkulierende Komponente der französisch-angelsächsischen Bundesgenossenschaft im Krieg durchaus in Übereinstimmung mit dem Außenminister unterschätzte . Dass Hamm aus der Situation des Ruhrkampfs heraus mit der Möglichkeit eines neuen Krieges rechnete, erscheint dagegen wenig erstaunlich . Zu Recht ist anlässlich einer scharfsinnigen Analyse des Ruhrkampfs festgestellt worden, dass der Erste Weltkrieg im Hinblick auf Deutschland, Belgien und Frankreich in gewisser Weise „erst mit Abschluss der Ruhrbesetzung“ sein Ende gefunden habe .96 Aus der Sicht der deutschen Akteure konnte sich die Politik der „produktiven Pfänder“ in ihrer Kombination mit der Besetzung des Saargebiets und des Rheinlands und der faktisch eingetretenen Militarisierung des Konflikts sehr wohl als Schritt in Richtung einer allmählichen Zernierung des Reichs darstellen . Für die Gefahr, dass die Opposition von rechts gegen die Reichspolitik aus dem Ruder laufen könne, hatte Hamm aus seinen Erfahrungen mit der Politik der „Ordnungszelle Bayern“ heraus ein waches Gespür . Vor allem aber lag ihm offensichtlich daran, dem ziellos wirkenden Dahintreiben der Politik Cunos und seines Kabinetts eine klare Analyse der Lage gegenüberzustellen und aus dieser Analyse auch Konsequenzen zu ziehen . Ein einschneidendes persönliches Erlebnis mit der französischen Besatzungsmacht hatte Hamm am 9 ./10 . April 1923, als er im Auftrag der Regierung ins besetzte Gebiet nach Essen zu reisen versuchte . Dort sollte er in Vertretung des Reichskanzlers die Trauerrede für die 13 Krupp-Arbeiter halten, die bei der Ausübung des passiven Widerstandes von französischen Soldaten erschossen worden waren . In Scharnhorst holten ihn französische Grenzposten aus dem Abteil und verfrachteten ihn nachts zwischen 1:20 und 2:15 Uhr in einem Auto nach Castrop .97 Dort traf er auf die Zentrumsabgeordneten und ehemaligen Reichsminister Johannes Giesberts und Adam Stegerwald, die sich ebenfalls auf der Reise nach Essen befunden hatten und verhaftet worden waren . Die Gruppe wurde in einem Saal einer Höheren
Krumeich, Ruhrkampf; vgl . auch Cornelißen, Ruhrkampf; Hallenberger/Schütz, Schüsse . Das Folgende nach Eduard Hamm: Bericht über meine Verhaftung und Festhaltung in Scharnhorst und Castrop, an den Reichskanzler, 11 .4 .1923, in: BArch, R 43-I, 3011 .
96 97
5. Krieg oder Frieden: Konzepte zur Außenpolitik 115
Mädchenschule untergebracht, der jetzt als Büro des Divisionsstabs diente . Ein französischer Zivilbeamter versuchte zunächst, in nahegelegenen Hotels und Lazaretten eine Unterkunft zu beschaffen, hatte damit aber keinen Erfolg . So verbrachten die drei Herren auf Schemeln sitzend die Nacht . Hamm verlangte mehrfach, sogleich vernommen zu werden, schon um die Reise nach Essen noch rechtzeitig für die Trauerfeier fortsetzen zu können . Eine morgendliche Waschgelegenheit gab es nicht, wohl aber ein reichliches Frühstück an gedecktem Tisch . Gegen 9:00 Uhr erschien der Divisionsgeneral und entließ Giesberts und Stegerwald, da sie keine amtierenden Minister mehr seien . Hamm blieb in Haft und verlangte nach nunmehr 14-stündiger Verhaftung schriftlich, aber vergeblich ein „vollgültiges rechtliches Verhör“ . Schließlich fand eine Art Vernehmung durch einen untergeordneten Polizeioffizier statt . Immerhin erfuhr Hamm, dass der Oberkommandierende der französischen Besatzungsmacht, General Jean-Marie Degoutte, Fühlung mit Paris aufnehme . Abends um 19:30 Uhr erließ Degoutte per Depesche die Anordnung, Hamm durch den Polizeioffizier an die Stelle der Einreise zurückzubringen und für sein Verlassen des Besatzungsgebiets zu sorgen; eine neuerliche Einreise werde schwere Folgen haben . Gegen 21:00 Uhr wurde Hamm im Auto nach Scharnhorst zurückgebracht . Dabei übergab er seinen französischen Begleitern ein Schreiben für General Degoutte, in dem er seinen Rechtsstandpunkt klarlegte: Erstens ermangelten alle Akte auf der Grundlage der gegenwärtigen Besetzung des Ruhrgebiets der Rechtsgültigkeit . Die französischen Ordonnanzen, mit denen seine Verhaftung begründet wurde, seien obsolet . Zweitens wäre seine – Hamms – Anwesenheit bei der Trauerfeier in Essen für die Besatzungsmacht gefahrlos gewesen, da er dort nur Pflichten der „Pietät und Treue“ zu erfüllen gehabt habe . Drittens sei ihm ein „vollgültiges rechtliches Gehör“ verwehrt worden, seine Gespräche mit dem Polizeikommissar und auch mit dem befehlshabenden General könnten als solches nicht gewertet werden . Viertens müsse er um seiner Stellung als Reichsbeamter willen dagegen protestieren, dass er – ebenso wie Giesberts und Stegerwald – im Schulsaal „ohne Liegestatt und Möglichkeit des Ausruhens“ geblieben sei . Nach seiner Rückkehr nach Berlin schrieb Hamm einen Bericht für den Reichskanzler und legte diese Rechtsverwahrung bei . Aus dem Disput mit dem Polizeioffizier, den dieser anstelle einer offiziellen Vernehmung zu führen bereit war, verdient ein französisches Argument besondere Hervorhebung: Als Hamm auf die getöteten Krupp-Arbeiter zu sprechen kam, verwies der Polizeioffizier auf die französischen Kriegstoten und auf „Belgien“, woraufhin Hamm die Unterhaltung abbrach . Das Stichwort „Belgien“ diente der Publizistik der Siegermächte schon seit Herbst 1914 als Chiffre für die rücksichtslosen Kriegsverbrechen der Deutschen – und er-
116 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
öffnete regelmäßig den Assoziationsstrang zu deren prinzipiell zivilisationsfeindlichem „Barbarentum“ . Tatsächlich hatten sich die deutschen Soldaten bei ihrem Einmarsch ins neutrale Belgien und dem unerwartet heftigen Widerstand auch der belgischen Zivilbevölkerung sehr viel mehr und schrecklichere Kriegsverbrechen zuschulden kommen lassen, als in Deutschland bekannt war .98 Dazu gehörte auch der Brand der Bibliothek von Löwen, der die Kulturfeindlichkeit der deutschen Barbaren zu unterstreichen schien . Zudem hatte die Reichsleitung gegen den vergeblichen Widerstand des deutschen „Generalgouverneurs“ in Brüssel und der deutschen Zivilverwaltung etwa 60 .000 Zwangsarbeiter rekrutiert, die dann vor allem in der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie eingesetzt wurden und teilweise unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen gelitten hatten .99 Mit dem Stichwort „Belgien“ hatte die Unterredung die Ebene rechtlicher und politischer Argumentation verlassen . Umso symptomatischer ist sie für die unterschiedlichen Kriegsnarrative sowie die angesammelten Ressentiments und politisch-propagandistischen Hilfskonstruktionen im Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen zu dieser Zeit .100 Die Verhaftung Hamms erregte beträchtliches Aufsehen . In dem aufgeheizten innenpolitischen Klima mit dem Erstarken des Rechtsradikalismus gerade auch in dieser Situation eines vermeintlichen neuen „Burgfriedens“ erfuhr Hamm nach der Veröffentlichung seiner Erklärung gegenüber Degoutte von Seiten der „Völkischen“ maßlose Kritik . Hamms Äußerung, er sei „kein Reichsminister“ sondern „nur Staatssekretär“, sei gleichbedeutend mit der Anerkennung des französischen Standpunkts – selbstverständlich sei ein Staatssekretär Mitglied der Regierung . Und mit dem Satz „darüber (‚Belgien‘) wird die Geschichte urteilen“ habe Hamm die Rechtmäßigkeit der Ruhrbesetzung anerkannt . Auf einer Versammlung der Rechten in München war von „wehleidiger Haltung und wehleidiger Entschuldigung“ die Rede .101 Am 2 . Mai 1923 schickte die Reichsregierung ihre lang erwartete neue Reparationsnote an die Siegermächte . Darin forderte Deutschland die Einleitung von Verhandlungen und bot als Reparationsleistung 20 Milliarden Goldmark an . Diese Note ist von der Forschung durchweg kritisiert worden . Für sie mag zumindest sprechen, dass sie in Deutschland selbst von beiden Seiten her scharf kritisiert wurde .102 Akteure und Hauptbetroffene des passi-
Vgl . Kramer, Greueltaten . Vgl . Thiel, Menschenbassin . 100 Vgl . Soutou, Rhein . 101 Münchner Neueste Nachrichten vom 14 .4 .1923 . 102 Zur Ablehnung der Note durch die Alliierten vgl . Becker, Rosenberg, S . 144 f . 98 99
5. Krieg oder Frieden: Konzepte zur Außenpolitik 117
ven Widerstands an Rhein und Ruhr sahen in ihr ein fatales Indiz deutscher Nachgiebigkeit und machten sie in der Rückschau verantwortlich für das vereinzelte Nachlassen des Widerstandes und ein allmähliches Abbröckeln der Einheitsfront gegen Frankreich . Sozialdemokraten und auch einzelne Linksliberale kritisierten hingegen die zu geringe Dimensionierung des Reparationsangebots und die Unklarheit von Diktion und Sprache .103 Aus seiner eigenen Fraktion ging Eduard Hamm ein Brief des früheren Staatssekretärs des Reichskolonialamtes, des Bankiers und jetzigen führenden Parlamentariers Bernhard Dernburg zu, in dem dieser ein Angebot von 30 Milliarden Goldmark und ein klareres Bekenntnis zur Erfüllungsbereitschaft verlangte . Außerdem – so Dernburg – sei der Text der Note allenfalls Spezialisten der Außenpolitik verständlich, nicht aber geeignet, die Politik der Regierung den auswärtigen Regierungen und selbst der eigenen Nation deutlich zu machen . Folgt man dem Text von Hamms eigener Denkschrift vom 13 ./14 . April 1923, so teilte Hamm die Position Dernburgs keineswegs, doch reichte er das Schreiben wunschgemäß zunächst an den Reichskanzler und dann, nach Anfrage aus dem Auswärtigen Amt, an dieses weiter . Informell einigten sich kurz darauf die eng befreundeten externen Fachleute Carl Melchior und John Maynard Keynes darauf, die Fixierung der Verhandlungen auf eine Gesamtsumme zu brechen und Jahresleistungen Deutschlands vorzuschlagen . Schon kurz zuvor hatte sich Rosenberg in einer Erklärung an Hamm für das Kabinettsprotokoll vom 15 . Mai 1923 bereit erklärt, zwar an dem „ziffernmäßigen Angebot vom 2 . Mai“ festzuhalten, aber auch „eine Verwandlung des auf Kapital abgestellten Systems in ein Annuitätensystem“ zu akzeptieren .104 Am 26 . September 1923 gab Stresemann den passiven Widerstand auf . Es folgte der „heiße Herbst“ 1923, mit dem im Ansatz steckengebliebenen, von der Kommunistischen Internationale geforderten „deutschen Oktober“ in den mitteldeutschen Industrierevieren, der Reichsexekution in Sachsen und Thüringen, dem Hitler-Putsch in München am 8 ./9 . November und seiner Niederwerfung durch Landespolizei und Reichswehr, gestützt auf die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten . Nationalkonservative Staatsstreichpläne scheiterten, weil die Reichswehr sich loyal verhielt und der militärische Oberbefehlshaber der Reichswehr, General von Seeckt, vor dem Schritt zur Diktatur zurückschreckte . Die Politik des passiven Widerstandes war zwar gescheitert, doch auch für Frankreich und Belgien hatte die Politik der Ruhrbesetzung ins Desaster geführt . Zweifellos waren Cuno und Rosenberg mit ihrem Verhandlungs- und Reparationsangebot vom 2 . Mai zu unklar und
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Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 3 .–7 .5 .1923, S . 782–786 . Zit . nach Becker, Rosenberg, S . 147 .
118 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
zögerlich geblieben . Es war nicht gelungen, Großbritannien rechtzeitig für ein Verhandlungsende des Ruhrkonflikts zu gewinnen . Allerdings hatte die Note mit der Forderung nach einer Sachverständigenkonferenz und einer klareren Trennung von Reparations- und Sicherheitsfragen schon den Weg gewiesen, auf dem man nach dem Abbruch des Ruhrkampfs einer Verständigung näher kam . Zweifellos hat auch das Memorandum vom 7 . Juni 1923, mit dem Cuno und Rosenberg Unklarheiten bereinigt und den Verständigungswillen stärker betont hatten, zu einer Veränderung des Klimas in den internationalen Beziehungen seit Anfang August 1923 beigetragen . Die entscheidende neue Weichenstellung auf Seiten der Alliierten hatte noch zur Regierungszeit Cunos stattgefunden, als der britische Außenminister George Curzon in seiner Note vom 5 . August den amerikanischen Vorschlag einer Sachverständigenkonferenz aufnahm und erstmals auch nach außen deutlich erkennbar auf Distanz ging zu Poincarés Kompromisslosigkeit . Alles deutet darauf hin, dass dieser Kurswechsel erst denkbar geworden war, nachdem die wirtschaftlich-soziale und damit auch politische Katastrophe im Gefolge des Ruhrkampfs ein solches Ausmaß angenommen hatte, dass sie ganz Europa in ihren Sog zu reißen drohte . Ohne Ruhrkampf kein Locarno und kein Völkerbundbeitritt . Andererseits aber auch kein Ruhrkampf ohne Rapallo 1922 . Auf Seiten aller Beteiligten jedenfalls setzte sich seit August/September 1923 die Einsicht durch, dass man den Versailler Vertrag in Hinnahme wie in Durchsetzung zunächst einmal so, wie er war, akzeptieren und auf seinem Boden neue Lösungen finden müsse . Diese Einsicht brauchte freilich Zeit, auf allen Seiten . Auch Stresemann begann seine Politik als Reichskanzler und Außenminister keineswegs mit der Absicht, den passiven Widerstand sogleich abzubrechen . Der einseitige Abbruch kam erst, nachdem sich der Nachfolger Cunos mühsam davon hatte überzeugen müssen, dass Poincaré auch nur zur geringsten, für Deutschland gesichtswahrenden Gegenleistung für den Abbruch des Kampfes nicht bereit war . Am Ende war es doch die britische Option, die einen Lösungsweg eröffnete . Ob es aber wirklich möglich gewesen wäre, Großbritannien früher zur Einsicht in die Notwendigkeit eines Kurswechsels zu bewegen, steht dahin .
6. Links- und Rechtsextremismus und der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol
Während seiner ganzen Amtszeit als Staatssekretär in der Reichskanzlei war Hamm damit beschäftigt, den angestrebten und weithin zumindest bis ins Frühjahr 1923 auch erreichten neuen „Burgfrieden“ durch Gespräche mit allen verständigungsbereiten Parteien und Verbänden aufrechtzuerhalten
6. Links- und Rechtsextremismus und der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol 119
und zu sichern . Dieses Unterfangen war anfangs erleichtert worden durch die – demokratietheoretisch problematische – schwache parlamentarische Fundierung der Regierung, die vor allem die Parteien, aber auch die „Vorfeldorganisationen“, Gewerkschaften und Unternehmerverbände, von unmittelbarer politischer Verantwortung entlastete . Erste Reibungen zwischen den politischen Lagern setzten jedoch schon Ende Januar 1923 ein . Hamm übernahm praktisch die Aufgabe, die inoffizielle, immerhin knapp acht Monate haltende Koalition von der nach links gerückten SPD bis zur DNVP zusammenzuhalten . Als Belastung erwies sich dabei vor allem die außerparlamentarische nationalistische Rechte . Diese verlangte einerseits von Anfang an ein schärferes, auch über die vereinzelten Sabotageakte hinausgehendes paramilitärisches Vorgehen . Andererseits bezichtigte sie sogleich die Arbeiterschaft, die SPDgeführten Gewerkschaften und bevorzugt den preußischen Innenminister Severing der nationalen Unzuverlässigkeit – während gerade die Gewerkschaften und die SPD ungeachtet ihrer seit März 1923 einsetzenden Zweifel am außenpolitischen Kurs der Regierung größte nationale Loyalität bewiesen . Wenn dann zum Beispiel der Hauptvorstand des Nationalverbands deutscher Offiziere aus Sorge über den angeblich mangelnden Abwehrwillen mehrfach um einen Gesprächstermin bei Cuno bat, lehnte Hamm wegen „Terminschwierigkeiten“ ab .105 Bereits Anfang Februar schrieb das Direktorium des Pommerschen Landbundes an den Reichskanzler, die SPD verfolge weiterhin ihre vaterlandsfeindlichen Ziele und ihre Agitation gegen die Landwirtschaft .106 Aus Bremen meldete die Zentrale für Heimatdienst innenpolitischen Hader, der vor allem von den Nationalsozialisten und ihrem „antisemitischen Hetzapostel […] Oberlehrer Dr . Rüthing“ ausgehe .107 Am 9 . Februar beschwerte sich sogar die Reichsgeschäftsstelle der von Gustav Stresemann geführten DVP bei Hamm, dass SPD-Zeitungen im Widerspruch zur zentralen Redaktionssitzung der SPD-Presse Verhandlungen mit Frankreich forderten und die Regierung Cuno scharf angriffen .108 Tatsächlich hatte gerade zwei Tage zuvor der „Vorwärts“ über die einstimmige Entschließung des SPD-Parteiausschusses berichtet, „alles zu tun, um die Abwehr des gewaltsamen französisch-belgischen Einmarsches zu unterstützen“, gleichzeitig aber „scharf den Trennungsstrich gegen die nationale Verhetzung zu ziehen“ .109
BArch, R 43-I, 207 . 3 .2 .1923, in: ebd ., Bl . 52 . 107 Ebd ., Bl . 676 . 108 Ebd ., Bl . 123 . 109 Vorwärts, Nr . 62, 7 .2 .1923, in: BArch, R 43-I, 207, Bl . 676 . 105 106
120 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
Je länger der Ruhrkampf dauerte, desto mehr Nahrung erhielten der politische Extremismus und die Neigung zu gewaltsamem Konfliktaustrag . Die Hauptursache lag in der Mobilisierung der nationalen Leidenschaften, aber auch – und letztlich für den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft noch bedrohlicher – im Anwachsen sozialer Unruhen durch die Inflationsfolgen . Die Produktionsstörungen im Besatzungsgebiet und vor allem die rapide Geldentwertung minderten die Realeinkommen der Arbeiter in der Schwerindustrie, besonders an Rhein und Ruhr, bis hin zu vielfach existenzbedrohenden Ernährungskrisen .110 Nicht nur an Rhein und Ruhr, aber vor allem dort, kam es massenhaft zu Teuerungsunruhen und gewaltsamem sozialem Protest . Aufgebrachte Demonstranten plünderten Geschäfte und Vorratsspeicher und gingen handgreiflich gegen Händler, mitunter auch Magistratsangestellte und vor allem gegen die Polizei vor, wenn diese versuchte, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten .111 Dieser spontane Aufruhr mit der entsprechenden „kleinen Gewalt“, an dem sich auch Frauen beteiligten, stand in der Tradition vormoderner und frühindustrieller Protestformen, mit lokal eng beschränkten Handlungsorten auf den Märkten oder im Betrieb, wobei sich die Protestierenden kurzfristig auch zu Beherrschern von Industriedörfern und Kleinstädten aufschwingen konnten . Es breitete sich ein „Nahrungsregionalismus“ aus, in dem die kommunalen und staatlichen Behörden ihre Legitimation zu verlieren drohten .112 Im Ruhrgebiet wie in Mitteldeutschland wurden die ursprünglich spontanen, allenfalls anarcho-syndikalistisch inspirierten Teuerungsunruhen von den zunehmend aktiven Kommunisten auch stärker politisiert . Diese Radikalisierungsprozesse von links – und rechts – verlangten die Aufmerksamkeit der Reichsregierung . In der Reichskanzlei erarbeitete Hamm Lageanalysen und Vorschläge, wie der Militarisierung der Gesellschaft von links und rechts begegnet werden könne . Die Erfahrungsgrundlage für diese Geschehnisse bildeten auf beiden Seiten, bei den Protestierenden wie bei den Behörden, die Streiks und Unruhen seit dem Frühjahr 1917 mit der Einmündung in die Revolutionsereignisse zwischen November 1918 und dem Frühjahr 1919 sowie der „Märzrevolution“ im Ruhrgebiet 1920, bei der es zu massenhaften schweren Kämpfen gekommen war . Rechter und linker, nationalistischer und kommunistischer Radikalismus trieben sich zudem gegenseitig hoch . Bekanntlich pries der
Fischer, Verwerfungen . Hartewig, Jahrzehnt; Geyer, Verkehrte Welt; Ders ., Teuerungsprotest und Teuerungsunruhen, S . 333 ff; Ders ., Teuerungsprotest, Konsumentenpolitik . 112 Tenfelde, Stadt; Geyer, Teuerungsprotest und Teuerungsunruhen, S . 333 ff; Hardtwig, Gewalt, S . 1–23 . 110 111
6. Links- und Rechtsextremismus und der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol 121
Abgesandte der Dritten Internationale, Karl Radek, in Moskau den Ende Mai von den Franzosen hingerichteten Unterführer eines illegalen Sabotagetrupps, Schlageter, als „Märtyrer des deutschen Nationalismus“ und Mitstreiter in dem von den Kommunisten propagierten Kampf gleichermaßen gegen Raymond Poincaré und gegen Wilhelm Cuno .113 Gleichzeitig trieb die KPD in Sachsen und Thüringen die Bildung einer Volksfrontregierung voran, SPD und KPD wählten in Sachsen den linken Sozialdemokraten Erich Zeigner zum Ministerpräsidenten .114 Die radikalen Kräfte bei den Kommunisten in den mitteldeutschen Industrierevieren bildeten bewaffnete Hundertschaften, die in den bürgerlich dominierten Regierungen und der Öffentlichkeit als gefährliche Truppen für eine Sozialrevolution eingeschätzt wurden . Die Gefahr eines kommunistischen Aufstandes war durchaus real, auch wenn die Krise in Mitteldeutschland erst seit Anfang Oktober in ihre entscheidende Phase treten sollte .115 In welchem Maße die proletarischen Hundertschaften und die vorläufig noch „kleine Gewalt“ von unten das Ergebnis von Gewaltaktionen eigentumsschützender Bürgerwehren und Stahlhelmformationen waren, übersah das bürgerliche Lager in der Hitze der Auseinandersetzungen gerne .116 Auch auf der Rechten spitzte sich im Laufe des Jahres 1923 die Bedrohungslage zu . Hitler hatte schon am 11 . Januar im Zirkus Krone die Parole ausgegeben: „Nicht nieder mit Frankreich, sondern nieder mit den Novemberverbrechern!“117 Am 1 . Mai versuchten SA und „Bund Oberland“ die Kundgebung von SPD und Gewerkschaften gewaltsam zu sprengen . Der Aufmarsch der SA vom 23 . August 1923 zeigte, dass hier die eigentliche, straff geführte und von der Reichswehr vielfach geduldete Bürgerkriegstruppe entstanden war, wenngleich auch ihre wirkliche militärische Schlagkraft noch gering war . Beim „Deutschen Tag“ in Nürnberg am 1 ./2 . September 1923 gründeten die SA sowie die Wehrverbände „Reichskriegsflagge“ und „Bund
Vgl . Winkler, Revolution, S . 561 ff; Ders ., Weimar, S . 190 . Dem „Märtyrer“ Schlageter widmete die deutsche Bevölkerung alsbald etwa 100 Denkmäler . Das größte davon errichtete Clemens Holzmeister 1931 in Düsseldorf; vgl . Fuhrmeister u . a ., Instrumentalisierung . 114 Vgl . Winkler, Revolution, S . 570 ff, 619 ff . 115 Vgl . ebd ., S . 619, 649 . 116 Erst die jüngste Forschung hat die massive Gewaltbereitschaft bei den selbsternannten Verteidigern der bürgerlichen Ordnung und den primär defensiven Charakter und die Harmlosigkeit dieser vermeintlich schlagkräftigen kommunistischen Einheiten herausgearbeitet . Vgl . u . a . Schumann, Gewalt; Mallmann, Kommunisten; vgl . auch Winkler, Revolution, S . 619–622, 649 f . 117 Vgl . Winkler, Weimar, S . 189 . 113
122 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
Oberland“ den gemeinsamen „Deutschen Kampfbund“, wodurch auch die Staatsstreichabsichten Ludendorffs und Hitlers offener hervortraten .118 Hamms Vorschläge folgten verschiedenen Leitlinien . Die wichtigste: Der Schutz der Rechtsordnung sei Sache des Staates, dieser müsse sein Gewaltmonopol sehr viel energischer als bislang verteidigen bzw . zurückerkämpfen . Hamm sah in der Friedenswahrung die wahrscheinlich wichtigste Legitimationsgrundlage des Staates überhaupt . Daher müssten alle „Sonderbildungen“, d . h . die sogenannten Selbstschutzverbände aller politischen Lager, bekämpft werden . Das betraf nicht nur die extreme Rechte und Linke . In seiner Sicht war auch die „republikanische Notwehr“, wie sie zum Beispiel in Magdeburg geschaffen wurde, „unerfreulich“ und nach Möglichkeit aufzulösen .119 Aus Hamms Sicht erfüllten sowohl die rechts- wie die linksgerichteten Länderregierungen ihre polizeilichen Aufgaben nicht hinlänglich und zu uneinheitlich: „die gegenwärtige Art, wie in den großen Ländern regiert wird“, gefährde die Reichseinheit, das Reich dürfe nicht „von einzelnen Landesregierungen auseinanderregiert“ werden . Einen württembergischen Vorschlag, die Landesregierungen durch eine Notverordnung nach Artikel 48 zu härterem Vorgehen zu ermächtigen, lehnte er ab, teils motiviert durch sein penibles Verfassungsverständnis, teils zweifellos auch aus Sorge vor einem allzu weiten Umsichgreifen von Notverordnungen bei den Ländern selbst – was wiederum die Reichsautorität geschwächt hätte . Dementsprechend wandte sich Hamm auch gegen die unterschiedliche Behandlung von Kommunisten einerseits und Nationalsozialisten andererseits, besonders in Preußen und Bayern .120 In einer ausführlichen Analyse beschrieb er am 15 . April die Situation in einzelnen Ländern, so die proletarischen Hundertschaften in Sachsen und Thüringen, die „bei Zuspitzung der politischen Verhältnisse zu Vereinigungen des Klassenkampfes“ zu werden drohten . Gleichwohl könne bei der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht gegen sie vorgegangen werden, da sie keine militärischen Einheiten darstellten und auch keine verbotenen Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches oder des Republikschutzgesetzes seien . Gegen die „kommunistischen Hundertschaften“ in einigen thüringischen Orten sei
Knappe Zusammenfassung bei Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 244–253; Hürten, Revolution, S . 471–483 . 119 Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm über die innere Lage [19 .4 .1923], in: AdR, Cuno, Dok . 131, Zitat S . 410 . 120 Aufzeichnungen des Staatssekretärs Hamm über die innere Lage, 15 .4 .1923, in: ebd ., Dok . 121, S . 377–383, hier S . 382, 377 . Hamms Einstellung zum Umgang der Länder mit Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung hatte sich also geändert . Als Minister in Bayern hatte er noch erwogen, gegen die Wehrverbände mit Hilfe einer bayerischen Verordnung nach Artikel 48 vorzugehen . 118
6. Links- und Rechtsextremismus und der Kampf um das staatliche Gewaltmonopol 123
jedoch ein Verbot ohne weiteres möglich, da es zu ihrem Zweck gehöre, „die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern“ .121 Sehr viel breiteren Raum nahm dann in Hamms Denkschrift die Diskussion der Situation in Bayern ein . Er unterschied die zum größten Teil stark bewaffneten „aktiven Kampfvereinigungen“ wie die Bünde „Oberland“, „Reichsflagge“, „Bayern und Reich“ und andere deutlich von der NSDAP, die in München und in Bayern besonders stark sei . „Ihr Führer Adolf Hitler ist der gefeiertste Redner in München, dessen persönlicher Einfluß auch stark in gebildete Kreise, besonders auch des Offizierskorps, auch der Wirtschaft reicht“ . Anders als in Preußen, Sachsen, Thüringen, Baden, Mecklenburg-Schwerin, Hamburg und Bremen sei die Partei in Bayern nicht aufgelöst worden, obwohl sie, „wenn überhaupt, so vor allem in Bayern“ aufgelöst werden müsse .122 Hamm führte dann die Gründe auf, denen zufolge sich die bayerische Regierung selbst nicht zur Auflösung der NSDAP entschließen werde . Immerhin seien in Einzelfällen Verbote und Anklagen gegen die Schriftleiter Dietrich Eckart und Martin Weger vom „Völkischen Beobachter“ und vom „Miesbacher Anzeiger“ veranlasst worden, doch sei noch kein endgültiges Urteil ergangen . Hamms ceterum censeo beim Kampf gegen die extremen Parteien und Verbände lautete: „gleiches Maß gegen die Drohung der äußersten Linken wie der äußersten Rechten“ anzuwenden und zu verlangen .123 De facto drängte er aber stärker auf die Bekämpfung der KPD und der proletarischen Verbände, aus zwei Gründen: Zum einen schien ihm die Gefahr kommunistischer Umsturzversuche gegen die Weimarer Ordnung aufgrund der Erfahrungen mit den Revolutionswellen seit 1918 und der akuten Situation im April 1923 größer als die nationalsozialistische Bedrohung – womit er irrte . Zum anderen war er – wie sich zeigen sollte zu Recht – aufgrund seiner bayerischen Insiderkenntnisse davon überzeugt, dass die BVP-geführte Regierung in München weder die Kampfverbände noch die NSDAP auflösen werde . Man werde daher zunächst versuchen müssen, die staatsfeindlichen Bestrebungen der Kommunisten wie auch der Rechtsradikalen mit Hilfe der Republikschutzgesetze zu bekämpfen . Hilfreich wäre auch eine Initiative im Reichstag zum „gesetzlichen Versammlungsschutz“, den er als „wertvolles Mittel zur Wiederaufrichtung der Ordnung“ sah . Auch sollte der DDP-Antrag im Reichstag vom 5 . April 1923 unterstützt werden, dem zufolge Reichstagsabgeordnete „nicht als verantwortliche Schriftleiter“ zeichnen dürften .124 Dass ihm, wie dem ge-
Ebd ., S . 377–383, hier S . 378 . Ebd ., S . 379 . 123 Ebd ., S . 381 . 124 Ebd ., S . 383 . 121 122
124 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
samten deutschen Bürgertum, die Kommunisten innerlich ferner standen als die „Vaterländischen Verbände“, muss nicht weiter erläutert werden . Tatsächlich wollte die Regierung aufgrund des Artikels 48 eine Verordnung erlassen, die ihr erlaubt hätte, polizeiähnliche Verbände wie den proletarischen Selbstschutz und die nationalsozialistischen Sturmtrupps auf Reichsebene zu verbieten, gab diese Absicht aber angesichts des erbitterten Widerspruchs aus Bayern auf . In der zweiten Denkschrift zur inneren Lage, vier Tage nach der ersten, war Hamm über die Strategie mit sich ins Reine gekommen und formulierte: „Die Auflösung ganzer Parteien, die sich über das Reich erstrecken, soll möglichst vermieden, der staatliche Eingriff auf Sonderbildungen von besonderer Gefährlichkeit innerhalb der Parteien beschränkt werden (Die proletarischen Hundertschaften der Kommunisten, die Turnerschaften der Deutsch-völkischen Freiheitspartei, die Sturmabteilungen der nationalsozialistischen Arbeiterpartei) . Demgemäß ist eine Auflösung der kommunistischen Partei nicht in Aussicht genommen; demzufolge ist aber auch die Auflösung radikaler Rechtsparteien nicht bedenkenfrei“ .125
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung
Die schwerste Hypothek für einen Erfolg des passiven Widerstands an Rhein und Ruhr stellte die fortschreitende Entwertung der Reichsmark in der Phase der Hochinflation dar . Dabei waren die Vermögenswerte der Deutschen schon im Herbst 1922, lange vor Ausbruch des Ruhrkampfs, weitgehend vernichtet . Die Inflation hatte vor allem zwei Ursachen: die Kriegsfinanzierung 1914–1918 durch – niemals zurückerstattete – Kriegsanleihen, die vor allem vom nationalen Bürgertum bereitwillig gezeichnet worden waren; und das Erkaufen des relativen sozialen Friedens nach dem Abflauen der Revolutionswellen 1918 bis März 1920, der trotz der Kriegsniederlage durch die Zahlung hoher Löhne und Gehälter eine deutsche Sonderkonjunktur 1919– 1922 ermöglichte . Diese – und insofern die rasch fortschreitende Inflation – dämpfte die Revolutionsbereitschaft der Arbeiter und trug so erst einmal zur Stabilisierung der jungen Republik bei .126 Doch die Zerstörung der Weltwirtschaftsordnung durch den Krieg schuf neue und bedrohliche Verwerfungen
Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm über die innere Lage [19 .4 .1923], in: AdR, Cuno, Dok . 131, S . 409 . 126 Feldman, Inflation; Ders ., Nachwirkungen; Ders ., Disorder; Winkler, Revolution, S . 373–433; Ders ., Weimar, S . 143–185; Mommsen, Aufstieg, S . 253 ff; zur Forschungsdiskussion vgl . Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S . 202–206 . 125
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung 125
für die deutsche Wirtschaft in der Ära der Weimarer Republik . Als die anderen europäischen Volkswirtschaften und die USA sich seit 1922 zu erholen begannen, trugen der Kapitalmangel durch die Reparationszahlungen und die Verhärtung der Tarifpolitik gegenüber den Arbeitern zur Verschlechterung der deutschen Wirtschaftsdaten bei . Seit Jahresbeginn 1923 entstanden dem Reich immense Kosten aus den Folgen des Ruhrkampfs . Der Reichshaushalt musste für Gehaltsverluste aller Art einspringen, Produktion und Verkauf von Kohle und Eisen bzw . Stahl brachen ein, Kohle wurde beschlagnahmt . Die Talfahrt der Reichsmark ließ sich durch Stützungsaktionen der Reichsbank zwischen Februar und Mitte April 1923 nicht aufhalten, vielmehr kosteten sie die Reichsbank fast ihre gesamten Goldreserven – was das Vertrauen in die deutsche Währung im Ausland zusätzlich untergrub .127 Für eine erfolgreiche Inflationsbekämpfung wäre es unabdingbar gewesen, die permanente Geld- und Kreditschöpfung zu beenden oder zumindest einzudämmen . Allerdings lösten sich viele Politiker und die meisten Industriellen vielfach erst im Katastrophensommer und angesichts der verstärkten sozialen Unruhe und paramilitärischen Organisierung der politischen Extreme von dem bis dahin scheinbar so erfolgreichen Inflationskonsens . Zwar sprach vieles für die Überzeugung der meisten Unternehmer und auch mancher Wirtschaftsfachleute – wie selbst des Kapitalismustheoretikers und SPD-Wirtschaftsexperten Rudolf Hilferding –, dass eine erfolgreiche Währungssanierung erst nach Ende des Ruhrkampfs möglich sein werde . Zumindest aber hätten schon seit Ende 1922 die Steuereinnahmen deutlich erhöht und ein kohärentes Konzept für die Finanzierung des Ruhrkampfs entwickelt werden können . Die Steuersätze hinkten weit hinter der Geldentwertung her und viele Steuern verloren zwischen dem Zeitpunkt der Veranlagung und der Zahlung so stark an Wert, dass sie auf Dollar- oder Goldbasis nur noch einen kleinen Teil der ursprünglichen Bemessung einbrachten . Schon während des gesamten Jahres 1922 hatte auch die Steuergerechtigkeit schwer gelitten . Den Arbeitnehmern wurde die Lohnsteuer sofort bei der Auszahlung der Löhne und Gehälter abgezogen, während die Besteuerungsformen für die Unternehmer in Industrie, Handel und Landwirtschaft oftmals lange Verzögerungen der Einzahlung bedingten oder erlaubten, sodass die rapide Geldentwertung ihr reales Steueraufkommen deutlich minderte . Wer bei den Banken über Kredite in Papiermark verfügte, konnte diese in Sachwerte, Devisen oder Geld anlegen und die Kredite nach einiger Zeit in entwerteten Reichsmark
Vgl . das Protokoll Hamms von der Ministerbesprechung vom 19 .4 .1923 mit Reichsbankpräsident Havenstein u . a ., in: AdR, Cuno, Dok . 128; die genauen Zahlenangaben Havensteins, in: ebd ., S . 400, Anm . 4 .
127
126 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
zurückzahlen . Auf diese Weise expandierten zahlreiche Unternehmen – oft über den realen Kapazitätsbedarf hinaus . Vor allem Hugo Stinnes baute so sein Industrieimperium aus, das dann allerdings nach der Währungssanierung auch sofort zusammenbrach .128 Trotz der Hektik des tagespolitischen Geschehens schon seit Ende 1922 wären Schritte zur Sanierung des Steuersystems, zum Abschöpfen der vielfach enormen Spekulationsgewinne und zur Bekämpfung wucherhafter Auswüchse der inflationären Scheinblüte möglich gewesen . Teilweise wurden sie auch in Angriff genommen . Sie blieben aber angesichts verschiedener Widerstände entweder wirkungslos oder versandeten im politischen Betrieb dieser Katastrophenmonate des Jahres 1923 ganz . Nur zur Bekämpfung von Wucher, Alkoholmissbrauch und Schlemmerei kam nach langen Verhandlungen ein Notgesetz zustande, weil vor allem Hamm von der Reichskanzlei aus diese Maßnahmen energisch betrieb und die Wucher- und Luxusgesetzgebung auch die Unterstützung der Gewerkschaften und des Arbeitsministers genoss .129 Mit seinen Versuchen, Kabinett und Reichsbank zu einer gemeinsamen und abgestimmten Strategie zu treiben und damit auch wirklich effektive Schritte zur Haushalts- und Währungssanierung einzuleiten, scheiterte er jedoch im Winter 1922 und Frühjahr 1923 . Wirtschafts- und Finanz- sowie das für die Eisenbahnerlöhne zuständige Verkehrsministerium waren völlig zerstritten, die Reichsbankführung unter ihrem seit 1908 amtierenden 66-jährigen Präsidenten Rudolf Havenstein stand der bis dato unbekannten Problemlage hilflos gegenüber, und Industrie und Banken zeigten sich nicht bereit, ohne die Zusage weitreichender und politisch für die Republik untragbarer Revisionen der sozialpolitischen Errungenschaften Lasten in Form von Garantiezusagen für Reparationszahlungen zu übernehmen .130 Seit Mitte April 1923, nach dem Scheitern einer zweimonatigen Stützungsaktion der Reichsbank und im Kontext der ersten großen außenpolitischen Debatte des Reichstags über ein neues Reparationsangebot, entwickelte
AdR, Cuno, S . XXXVI ff; James, Weimar Economy . AdR, Cuno, Dok . 27, 48, 65, 66, 196 . 130 In einer Notiz vom 28 .7 .1923 anlässlich einer Beschwerde des Ernährungs- über den Finanzminister hielt Hamm seine Empörung über das desolate Nebeneinander der Ministerien fest: „Meines Erachtens fordert die Sach- und Zeitlage hierbei ein sehr deutliches Wort gegen das unerträgliche Nebeneinanderarbeiten der Ressorts . Ich habe mir schon von München aus wenig von Zusammenarbeit erwartet, bin aber entsetzt über die Zusammenhanglosigkeit, die nicht zum geringsten übrigens zwischen dem sie in diesem Falle beklagenden RFMin . und den anderen Ressorts besteht“; BArch, R 43-I, 1174, abgedr . in: AdR, Cuno, Dok . 234, S . 701, Anm . 9 . 128 129
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung 127
die Reichskanzlei schließlich von sich aus finanz- und währungspolitische Initiativen, mit denen sie seit Mitte Juni die Stagnation im Kabinett tatsächlich zu durchbrechen vermochte . Motiviert waren diese Anfänge einer Haushalts- und Währungssanierung vor allem durch die Notwendigkeit, einschneidende Maßnahmen zur Befriedung der immer schärfer aufbrechenden sozialen Konflikte zu unternehmen . Deren zerstörerische Auswirkungen beschrieb Hamm zusammenfassend in seiner Denkschrift vom 25 . Juli 1923: „Die ständige Entwertung der Mark bringt fieberhafte Unruhe in Geschäfts- und Familienleben, drückt die Stellung des Käufers gegenüber dem Verkäufer und wird, selbst wo die Einnahmen einigermaßen folgen, zu einer allmählich unerträglichen seelischen Qual . Die gleiche Entwertung der Mark bringt weiten Kreisen eine unsinnige Steigerung der vermeintlichen Gewinne aus Börsengeschäften, deren Erträge zum großen Teil in ärgerlichem Luxus angelegt werden […] . Was demgegenüber Heilung bringen kann, ist grundsätzlich Stilllegung der Notenpresse, möglichste Herstellung der Bilanz von Ein- und Ausfuhr, außen- und innenpolitische Befestigung der staatlichen Sicherheit Deutschlands“ .131
Schon am 16 . März 1923 hatte der linksliberale Nationalökonom Moritz Julius Bonn einen zwölfseitigen Reparationsplan an Hamm geschickt, in dem er die Verpfändung von Staatsgruben und -wäldern und Obligationen einer zu gründenden Industrie-Treuhandgesellschaft sowie der Reichsbank als Deckung der Staatsschuld vorschlug .132 Am 15 . April 1923 legte Ministerialrat Kempner eine gründlich durchgearbeitete Denkschrift zur Reparationsfrage vor, die sich teilweise auf den Vorschlag Bonns stützte, Möglichkeiten einer Garantie der Wirtschaft für Reparationszahlungen diskutierte und Maßnahmen zur Reform unterbreitete .133 Vier Tage später konferierte eine kleine Ministerrunde zusammen mit den Reichsbankvertretern .134 Am selben 19 . April erörterte der Reichskanzler mit Havenstein und einer Runde hochkarätiger Bankdirektoren (unter anderem Franz von Mendelssohn, Paul von Schwabach, Oscar Wassermann) Möglichkeiten einer neuen Markstützung .135 Ende Mai 1923 legte der RDI ein erstes Angebot zur Übernahme von Reparations-
Denkschrift des Staatssekretärs Hamm zur Finanz- und Wirtschaftspolitik, 25 .7 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 224, Zitat S . 662, vgl . ähnlich auch Dok . 192 . 132 BArch, R 43-I, 36 . 133 AdR, Cuno, Dok . 122 . Die Denkschrift trägt keine Überschrift, doch vermerkte Kempner auf der ersten Seite: „Zur Reparationenfrage (die Niederschrift wurde vor der Reichstagsrede des Außenministers gemacht) .“ Sie basierte also auf der Hoffnung, dass Rosenberg mit seiner Rede ein neues Angebot auf der Grundlage neuer Überlegungen machen werde; vgl . ebd ., S . 384, Anm . 1 . 134 Vgl . Anm . 127 . 135 AdR, Cuno, Dok . 129 . 131
128 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
garantien vor, verlangte aber im Gegenzug praktisch die Rückabwicklungen sozialpolitischer Errungenschaften der Jahre 1918/19 durch die Verlängerung der Arbeitszeit, Lohnkürzungen und die Aushöhlung der Tariffreiheit .136 Einen Tag später fertigte Hamm einen Vermerk über die Aufnahme des Industrieangebots in der Öffentlichkeit an und sprach sich dabei gegen dessen Veröffentlichung aus, weil diese im In- und Ausland nur kontraproduktive Debatten auslösen werde . Über die Reaktion der Gewerkschaften vor allem zu den Arbeitszeitforderungen, die dann am 1 . Juni in einem Schreiben an den Reichskanzler in schärfster Form eintraf, gab er sich keinerlei Illusionen hin .137 Seit Anfang Juni 1923 drängte Hamm auch auf Maßnahmen zur Verbesserung der Reichseinnahmen . Zudem solle die Regierung auf die Tarifpartner einwirken, um im Rahmen des Möglichen die Lohn-Preis-Spirale zu stoppen . Den Aufhänger für seine Initiative bot ihm die bevorstehende Reichstagsdebatte, in der die Regierung konkrete Vorschläge machen müsse . Er listete auf: „1 . […] steuerliche Maßnahmen (Zwangsanleihesteuer, Einkommenssteuer, Erhöhung der Straffolge bei verspäteter Steuerzahlung, Erhöhung von Luxussteuer); 2 . wirtschaftliche Maßnahmen (Wucherbekämpfung, wobei keinerlei Aussicht auf Erfolg besteht, Unterdrückung von Vergnügungen, Kartellschiedsgerichtsbarkeit), 3 . Lohn- und Gehaltsfragen […]“ .138
Diesen Forderungskatalog arbeitete Hamm in den folgenden Tagen weiter aus . Sachlich ging es ihm um die Bekämpfung der Finanznot des Reiches und der wachsenden Verzweiflung in der Bevölkerung, kurzfristig und tagespolitisch zugleich aber darum, die betroffenen Ressorts, besonders Wirtschaftsminister Johann Baptist Becker und Finanzminister Andreas Hermes (beide Zentrum), zu einer abgestimmten Politik der Inflationsbekämpfung zu nötigen . Hamms Denkschriften und Briefe zu diesem Thema münden daher immer in die Aufforderung, dass die Ressortminister dazu umgehend schriftlich und mündlich Stellung nehmen sollten, um dann einheitliche Grundlinien der Wirtschaftspolitik festlegen zu können .139
Der Reichsverband der Deutschen Industrie an den Reichskanzler, 25 .5 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 168 . 137 Vermerk des Staatssekretärs Hamm über die Aufnahme des Industrieangebots, 26 .5 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 169 . 138 Aufzeichnung vom 3 .6 .1923, in: BArch, R 43-I, 1152, Teilabdruck in: AdR, Cuno, Dok . 192, S . 575, Anm . 2 . 139 Ebd ., S . 575, 577; hierzu und zum Folgenden vgl . v . a . Rupieper, Cuno Government, S . 180–210 . 136
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung 129
In einer Denkschrift vom 16 . Juni verlangte Hamm Sofortmaßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung der Steuererhebung und zum längerfristigen Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden . Der Finanzminister solle noch vor den Sommerferien des Reichstags in einer kurzen Denkschrift einen „Gesamtüberblick über die Ziele der Finanzpolitik“ geben . Darüber hinaus drängte er darauf, die Möglichkeiten zu einem „Übergang zu Verrechnung in wertbeständiger Mark“ zu prüfen und zu diesem Zweck Formen einer Devisenbewirtschaftung und der Schaffung „privater wertbeständiger Anlagemittel“ zu prüfen, da der Ansturm auf die Devisen zum großen Teil durch den „Mangel werterhaltender Sparmöglichkeiten“ bedingt sei . Auch die Wucherbekämpfung blieb für Hamm trotz seiner Skepsis auf der Agenda, ebenso wie die „Bekämpfung übermäßigen Luxusgenusses“ unter anderem durch eine „stärkere Belastung überflüssigen Einkommens“ . Dabei hielt er – auch aus symbolischen Gründen – „ein stärkeres Vorgehen der Polizei“ für erwünscht – schon deshalb, weil der vielfach demonstrative Luxus inmitten der schweren Wirtschaftskrise bei Arbeitern und Bürgern heftigen Anstoß erregte und gerade die Gewerkschaften immer wieder ein intensiveres Eingreifen des Staates dagegen forderten .140 Die von Hamm verlangte baldige umfassende Kabinettsberatung über all diese Fragen kam nicht zustande, doch behandelte der Ministerrat am 21 ., 22 . und 26 . Juni einzelne dieser Punkte . Am 14 . Juni hatte Hamm eigens noch einmal die Forderungen des Arbeitsministers Heinrich Brauns zur Wucherbekämpfung an die zuständigen Minister weitergeleitet .141 Am 28 . Juli schließlich drängte er bei den Landesregierungen von Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden unter anderem: „Die wirtschaftliche Not dieser Zeit wird seelisch verschärft durch zahlreiche Bilder ärgerlichen Wohllebens und Genusses […] . Der Reichskanzler würde es dankbar begrüßen, wenn es gelänge, diesen Missständen gegenüber sichtbare Erfolge des staatlichen Wil-
Denkschrift des Staatssekretärs Hamm zur Wirtschaftslage, 16 .6 .1923, mit zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen, in: AdR, Cuno, Dok . 192 . 141 Am 7 .6 .1923 hatte Arbeitsminister Brauns an Hamm geschrieben: „Aus den Kreisen der Gewerkschaften geht mir der Hinweis zu, daß innen- wie außenpolitisch der noch immer andauernde Luxus einzelner Kreise des unbesetzten Gebiets, das Auftreten dieser Elemente in der Öffentlichkeit, die große Zahl neuer Kraftwagen im Straßenbilde, die Veranstaltung von Festlichkeiten, die übergroße Zahl von Gaststätten kostspieligster Art usw . den denkbar schlechtesten Eindruck mache . Innenpolitisch werde bei der außerordentlich steigenden Teuerung und der wachsenden Not der breiten Massen eine große Erbitterung durch die bezeichneten Erscheinungen wachgerufen, die außerdem von den Agitatoren der äußersten Linken als willkommenes Werbemittel benutzt würden“; AdR, Cuno, Dok . 196, S . 588, Anm . 7 . 140
130 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
lens aufzuzeigen und sie mit aller Kraft zu unterdrücken“ .142 Die Vorschläge Hamms fanden dann ihren fast deckungsgleichen Niederschlag in einem Rundschreiben Cunos an die Landesregierungen vom 18 . Juni 1923 .143 Jedem Einsichtigen war schon seit längerem klar, dass eine dauerhafte Stabilisierung der Mark nur durch eine grundlegende Währungsreform möglich sein würde . Im April 1923 hatte Ministerialdirektor Rudolf Dalberg im Reichswirtschaftsministerium Vorschläge zur schrittweisen Einführung einer neuen Mark („Banko-Mark“) vorgelegt, die zur Umstellung auf eine neue Währung auf Goldbasis führen sollten . Dalbergs Plan hatte die Zustimmung seines Ministers Becker und bereits am 23 . April auch des Reichskanzlers gefunden . Der erkrankte Finanzminister Hermes reagierte allerdings erst darauf, nachdem ihn Hamm zweimal, am 20 . Juni und am 11 . Juli, zu einer Antwort gedrängt hatte . In Übereinstimmung mit der Blockadehaltung der Reichsbank fiel sie ablehnend aus . Immerhin war das Finanzministerium Ende Juli endlich so weit, Gesetzentwürfe vorzulegen, die Hamms dringliche Forderungen vom 16 . Juni aufgriffen . Verschiedene Steuern, die Einkommens- und Körperschaftssteuern sowie diverse Verbrauchssteuern, sollten in der Höhe den wechselnden Währungsverhältnissen angepasst und kurzfristig eingezogen werden, bei Zahlungsversäumnissen waren Zuschläge vorgesehen . Die wohlhabenderen Kreise sollten durch ein Rhein-Ruhr Opfer besonders belastet werden . Hermes schlug jetzt auch eine wertbeständige Reichsanleihe über etwa 20 Millionen Goldmark vor . Diese Gesetze eröffneten zwar die Aussicht, auf längere Frist zu einem beträchtlichen Einnahmezuwachs zu führen, und gehören insofern zu den Voraussetzungen für die erstaunlich rasche Besserung der Finanzlage der öffentlichen Hand seit dem Spätherbst 1923, blieben aber so lange nur Notmaßnahmen, als die notwendige grundlegende Steuerreform nicht in Angriff genommen wurde . Der Reformergruppe in der Reichskanzlei ging es darüber hinaus darum, einen festen Wechselkurs der Mark festzulegen, unter anderem durch die Einführung von Goldkonten für Deviseneinnahmen und die Regulierung von Devisengeschäften . Zur Vorlage dieses Projektes kam es jedoch vor dem Ende der Regierung Cuno nicht mehr .144 Zu der Reformergruppe stieß jetzt auch der
Ebd ., S . 588, Anm . 7 . Ebd ., Dok . 196, S . 588 f; abgedruckt ist Hamms Entwurf dieses Rundschreibens . 144 Ebd ., Dok . 200 und 203; vor allem die Denkschrift des Staatssekretärs Hamm zur Finanz- und Wirtschaftspolitik, 25 .7 .1923, in: ebd ., Dok . 224; Kabinettsitzung vom 26 .7 .1923, in: ebd ., Dok . 225; vgl . auch das Projekt zur Auflegung einer wertbeständigen Anleihe, die der SPD-Abgeordnete Hermann Müller angeregt hatte und für die sich Hamm in der Reichskanzlei einsetzte; ebd ., S . 667, Anm . 4 . 142 143
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung 131
mit Hamm befreundete Schatzminister Heinrich Albert, der zusammen mit dem Vorstandsmitglied der „Deutschen Werke“ Otto Henrich am 27 . August 1923 eine Denkschrift „Über die Möglichkeit einer Rettung Deutschlands vor dem Währungszerfall, einer Lebensmittelkatastrophe und dem politischen Chaos“ vorlegte .145 Albert und Henrich schlugen eine große wertbeständige Reichsanleihe über 500 Millionen Goldmark vor, die es ermöglichen sollte, durch einen günstigen Zeichnungskurs Devisen freizumachen und für das breitere Publikum ein wertbeständiges Anlagemittel bereitzustellen . Hamm und auch der Reichskanzler machten sich das Programm zu eigen und bemühten sich, auch führende Wirtschaftsvertreter dafür zu gewinnen .146 Die Steuergesetzgebung wurde am 8 . August vom Reichstag mit großer Mehrheit bewilligt . Industrie und Banken erklärten sich Anfang August bereit, Dollarschatzanweisungen in Höhe von 50 Millionen Goldmark zu zeichnen, um damit die nötigen Devisen für Lebensmitteleinfuhren zu erhalten . In den letzten beiden Monaten ihrer Amtsführung gelang es also der Regierung Cuno – vor allem auf Betreiben des Staatssekretärs in der Reichskanzlei und seiner Mitarbeiter – doch noch, erfolgreiche Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung zumindest auf den Weg zu bringen und das Thema Währungsreform so auf die Agenda zu setzen, dass die Nachfolgeregierung Stresemann hier anknüpfen konnte . Die zentralen Ideen der Währungsreform: die Deckung der neuen Mark über die fiktive Belastung von Getreide „Roggenmark“ (Karl Helfferich) bzw . die Bildung eines Fonds, der eine Grundschuld von Industrie und Landwirtschaft aufnehmen sollte (Rudolf Hilferding), wurden allerdings erst nach dem Rücktritt Cunos am 13 . August in den Währungsdiskurs eingespeist .147 Es bedurfte dazu einer ultimativen Ernährungskrise und sozialer Unruhen, die den Bestand des Staates definitiv bedrohten . Vor diesem Zusammenbruch waren weder die SPD mit Hilferding noch die DNVP mit Helfferich bereit, sich wirklich in die VerantworEbd ., Dok . 229; vgl . dazu ebd ., S . 682, Anm . 1; Rupieper, Cuno Government, S . 180– 210: „Financial Alternatives in the Summer of 1923“, zum Albert/Henrich-Papier, S . 207 ff . 146 AdR, Cuno, Dok . 234 . Diese Aufzeichnung ist von Hamm handschriftlich überschrieben: „Aufzeichnung für die Besprechung der RReg . mit den Wirtschaftsvertretern am 13 . Juli und 1 . August 1923“ und hat vermutlich Cuno als Konzept für die Besprechung gedient . Über diese liegen keine Aufzeichnungen vor, zugesagt hatten aber die Bankiers Wassermann, Henry Nathan, Salomons Sohn, Jacob Goldschmidt und Fritz Andreä; aus der Industrie geladen waren die führenden Namen aus der Schwerindustrie sowie wichtige Verbandsvertreter; Besprechung mit Wirtschaftsführern, 9 .8 .1923, in: ebd ., Dok . 243 . Das Protokoll stammt von Hamm . Anwesend war neben dem Reichskanzler und den Ministern Johann Becker und Albert eine kleine Runde von Wirtschaftsvertretern aus dem Industrie- und Bankwesen wie Carl Friedrich von Siemens, Hermann Bücher, Kurt Sorge, Franz von Mendelssohn . 147 Vgl . Winkler, Revolution, S . 610–612 . 145
132 III. Reichspolitik im Katastrophenjahr 1923
tung nehmen zu lassen . Der Finanzminister Hermes der Regierung Cuno hätte sich einem solchen Schritt ohnehin verweigert . Tatsächlich konnten aber auch die am 15 . November 1923 eingeführte „Rentenmark“ und neue Reichsmark auf Gold- und Devisenbasis erst stabil gehalten werden, nachdem mit der Beendigung des passiven Widerstands auch die unproduktiven, aber politisch notwendigen Gehaltszahlungen an die Opfer der Besatzung und die offenen und verdeckten Subventionen zur Aufrechterhaltung der Produktion an Rhein und Ruhr weggefallen waren .148 Diese Erfolge der Regierung Cuno kamen freilich zu spät, um sie vor ihrem Sturz am 13 . August 1923 zu bewahren . Die Gewerkschaftsführer Heinrich Meyer und Albert Martmöller hatten Hamm am 20 . Juli 1923 über die allmählich unhaltbare Versorgungslage im besetzten Gebiet und das Umsichgreifen einer „dumpfen Stimmung“ in Kenntnis gesetzt – „wir machen noch weiter, aber die Sache ist doch verloren“ .149 Auslöser für Cunos Rücktritt waren die sogenannten Cuno-Streiks, die sich seit Anfang August in den Industrierevieren des Reichs ausbreiteten150 und mit denen die Arbeiterschaft auf die sozialen Verwerfungen und die akute Not reagierte, auf die das Kabinett Cuno so lange keine Antwort gefunden hatte . Bedenkt man das Ausmaß der Teuerung und ihre desaströsen sozialen und ordnungspolitischen Folgen, so erscheint es geradezu erstaunlich, wie lange die Regierung den burgfriedensähnlichen nationalen Konsens aufrechterhalten konnte . Sowohl Stresemann und die DVP als auch die SPD schreckten davor zurück, die volle Verantwortung für die jetzt fälligen radikalen Schritte zu übernehmen . Auch Reichspräsident Ebert zögerte, den immerhin bis dahin gehaltenen, wenn auch prekären „Gleichgewichtszustand zwischen Parlament und Reichskanzler“ durch die Ablösung Cunos zu gefährden .151 In der Außenpolitik zeichnete sich noch in den letzten Wochen der Regierung Cuno der Kurswechsel Großbritanniens und der USA gegenüber der unnachgiebigen französischen
„Die Einführung der Rentenmark unter der Regierung Stresemann war der Anfang eines Stabilisierungsprozesses, der sich unter der Regierung Marx fortsetzte und über die Schaffung einer Golddiskontbank am 7 . April 1924 und mit der Annahme des Dawes-Plans am 30 . August 1924 zur goldgedeckten Währung der Reichsmark führte“; AdR, Stresemann, Einleitung zu Bd . I, S . LXXXII . 149 AdR, Cuno, Dok . 221, Zitat S . 650 . 150 Vgl . Winkler, Revolution, S . 600–603; zum Nachlassen der Ruhrkampfstimmung bei den Arbeitern und der kommunistischen Agitation ebd ., S . 588–599 . 151 Becker, Rosenberg, S . 163 . Hamm schrieb am 16 .8 .1923 an Rosenberg, dass der „tief besorgte“ Reichspräsident „aus seinem Unwillen über den unzeitigen Wechsel“ kein Hehl mache; ebd ., S . 163, Anm . 312; vgl . auch den „Bericht Heilbrons an die Familie Eduard Hamm“, o . O ., o . D ., S . 1, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 148
7. Anfänge der Inflationsbekämpfung 133
Besetzungspolitik ab, der einen grundsätzlichen Klimawandel in den internationalen Beziehungen einleitete . Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu mehr Kooperation in den Beziehungen zwischen Sieger- und Verliererstaaten und einer längerfristigen Entspannung bildete aber nach wie vor der passive Widerstand .
IV. Zerreißprobe der Republik Der heiße Herbst 1923 und die Regierung Stresemann
1. Das bittere Ende des passiven Widerstands
B
is zum Rücktritt der Regierung Cuno am 13 . August 1923 und folglich bis zu seinem eigenen Ausscheiden aus der Reichskanzlei tat Hamm alles in seinen Kräften stehende, um den passiven Widerstand aufrechtzuerhalten . Dass ihn das Thema auch nach dem Ausscheiden aus der Reichskanzlei aufs Intensivste beschäftigte, liegt auf der Hand, doch war sein Einfluss jetzt auf den Wirkungskreis eines Reichstagsabgeordneten beschränkt . In einem Schreiben vom 18 . August 1923 an den neuen Reichskanzler Stresemann deutete Hamm seinen Wunsch zu einer Besprechung mit Stresemann an . Stresemann antwortete sofort, er werde „mit großem Vergnügen davon Gebrauch machen“ . Der Termin kam am 14 . September 1923 zustande und galt neben dem Thema „Bayern im Reich“ sicher auch der Frage nach einem Abbruch des passiven Widerstands .1 Zweifellos wollte Hamm die Aufnahmebereitschaft des Kanzlers und der neuen Regierung in Fragen der Außen-, Wirtschaft- und Wehrpolitik für seine Ansichten und Ratschläge nicht überstrapazieren, fand aber eine dezente Form, sie drei Tage später trotzdem auch schriftlich zur Kenntnis Stresemanns und seines Kabinetts zu bringen . Am 17 . September 1923 schickte Professor Philipp Stein, Mitarbeiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amts, an seinen aktuellen Chef und Reichskanzler Stresemann eine neunseitige Denkschrift über den Abbruch des passiven Widerstands . Das Anschreiben beginnt mit dem Satz: „Einer Anregung des Herrn Staatssekretärs Hamm folgend erlaube ich mir, eine kurze Zusammenstellung von Gedanken zu überreichen, die ich […] in der vori-
1
Vgl . AdR, Stresemann, Bd . 1, Dok . 6, S . 11, Anm . 2, S . 17, Anm . 22 .
1. Das bittere Ende des passiven Widerstands 135
gen Woche [mit Staatssekretär Hamm; W . H .] durchgesprochen und auch auf seinen Wunsch zusammengestellt habe“ .2 Es ist anzunehmen, dass die Denkschrift die übereinstimmenden Ansichten Steins und Hamms zum Ausdruck bringt . Dass sich Stein so explizit auf Hamm bezog, zeigt, dass er dessen Autorität hoch einschätzte . Umgekehrt hätte Hamm sicher den Autor nicht zu diesem Anschreiben autorisiert, wenn er die Ansichten Steins nicht in wesentlichen Punkten geteilt hätte . Ausweislich seiner Paraphe las Stresemann die Denkschrift am 20 . September und beauftragte seinen Ministerialrat Kempner einen Tag später, diese an alle wichtigen Reichsministerien sowie an das preußische Staatsministerium und an das preußische Innenministerium weiterzureichen . Stein und Hamm gingen von dem Befund aus, dass die Politik der Regierung Cuno/Rosenberg mit ihrer Absicht, durch die Hilfe Großbritanniens zu einer „Remislösung von Gleich zu Gleich zu kommen“, gescheitert sei . Andererseits sei von Anfang an klar gewesen, dass sich der passive Widerstand angesichts der Finanzbelastung, dem „Erlahmen der Stimmung“ und der Unmöglichkeit einer ausreichenden Kohleversorgung im bevorstehenden Winter höchstens bis Mitte Oktober aufrechterhalten lasse . Bis dahin noch mit britischer Hilfe die erhoffte Remislösung zu erreichen sei wohl ausgeschlossen . Daher blieben nur noch vier Möglichkeiten: Erstens eine unmittelbare Verständigung mit Frankreich und Belgien unter dem Grundsatz: Jede tragbare Last auf ganz Deutschland, keinerlei Sonderlast auf das besetzte Gebiet . Zweitens „Abbruch des Kampfes nach dem Muster der gewerkschaftlichen Kampfweise in Form des Streikabbruchs und Rückkehr zur Arbeit ohne Friedensschluss zu den alten Arbeitsbedingungen“ . Drittens „Offene Kapitulation der Regierung“ . Viertens „das Abbröckeln, der Zusammenbruch des Widerstands, […] schließlich die Kapitulation der Regierung auf Gnade oder Ungnade“ . Die Autoren hielten zwar die erste Lösung für die eigentlich beste, glaubten aber nicht an ihre Realisierbarkeit . Mit dem eigenständigen Abbruch des Widerstands – Variante zwei – begebe sich Deutschland seiner „letzten wirksamen Waffe“ . Bei den Varianten drei und vier befürchteten die Autoren, dass die offizielle Aufgabe des Widerstands das Volk, die Parteien und die Presse nicht nur „seelisch und geistig unvorbereitet“ träfe, sondern auch Unruhen und Revolten sowohl von links wie von rechts her auslösen könne, ganz zu schweigen von der Gefahr der separatistischen Tendenzen . Stein und Hamm diskutierten dann die innenpolitischen Kräfteverhältnisse bei Parteien, Wirt-
Die Möglichkeiten der Lösung des Ruhrkampfes und der Propaganda, 17 .9 .1923, in: BArch, R 43-I, 215 .
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136 IV. Zerreißprobe der Republik
schaftsverbänden und Reichswehr . Die Parteien, besonders die SPD, hätten an Rückhalt und Geschlossenheit verloren, Gegner der „jetzigen Staatsform des Reiches“ an Boden gewonnen . Allerdings sei bei den Kommunisten der „Glaube an Moskau fadenscheinig geworden“, und auf der Rechten fehle der „Prätendent“, sei es als Diktator oder als Monarch;3 der Hitler-Putsch und Hitlers Auftreten als „Führer“ lagen noch in – wenn auch naher – Zukunft . Die Regierung wiederum sei jetzt besser als in den Jahren zuvor auf die Gefahr einer Revolution vorbereitet und die Reichswehr verlässlich . Bei dem schlimmst denkbaren Ausgang des Ruhrkampfs könnten „wohl Putsche und Revolten entstehen“, aber sie würden nicht den „Reichsbestand erschüttern“ . Der ganze Gedankengang brachte die Autoren schließlich zur Lösung zwei, den „Kampfabbruch“, trotz seiner Nachteile . Er wahre den einzigen tatsächlichen Erfolg des Ruhrkampfs, den „sittlichen und volklichen Gewinn, endlich wieder Widerstand geleistet zu haben“ . Dafür sei die Gefahr eines Übergangs in einen offenen Krieg notfalls in Kauf zu nehmen . Denn „Abbruch bedeutet nicht Ende, sondern Fortsetzung des Kampfes auf verbreiteter Front“ . Am Ende aber liege die Entscheidung doch bei einem Eingreifen Englands oder einem Wandel in der europäischen Politik insgesamt . Mit parlamentarischen Mitteln allein sei allerdings die „Politik des Kampfabbruchs nicht zu führen“ . Diese Überlegungen von Stein und Hamm dürften sich mit denen Stresemanns weitgehend gedeckt haben . Am 25 . September nahm Hamm an einer Besprechung Stresemanns mit den Parteiführern teil, darunter für die SPD Otto Wels, Hermann Müller und Rudolf Breitscheid, für die DVP Ernst Scholz und Adolf Kempkes, für die DNVP Oskar Hergt, Graf Kuno von Westarp, Karl Helfferich und für die DDP neben Hamm Erich Koch-Weser und Gertrud Bäumer . Der Kanzler erklärte, dass wegen des Währungsverfalls, des Nachlassens der Widerstandskraft der Bevölkerung und der Unmöglichkeit, außenpolitisch irgendein Zugeständnis Frankreichs zu erlangen, der passive Widerstand aufgegeben werden müsse . Die versammelte Runde stimmte dem zu, ebenso wie es einige Stunden zuvor die Ministerpräsidenten getan hatten . Die bisherigen Kampfformen müssten beendet und die Verordnungen aufgehoben werden . Trotzdem, so Stresemann, sei der „Kampf ein Aktivum“ gewesen .4 Nur Oskar Hergt von der DNVP zeigte sich zwar zum Abbruch des
Zu den Vorstellungen Stinnes’ über eine rechte Diktatur, die durch eine Provokation von links herbeigeführt werden müsse, vgl . Feldman, Stinnes, S . 888 ff . Feldman hält es für „gut vorstellbar“, dass Stinnes an Ludendorff als Diktator dachte, während er den „Phantasten“ Hitler ablehnte . 4 AdR, Stresemann, Bd . 1, Dok . 80 . 3
1. Das bittere Ende des passiven Widerstands 137
Widerstands bereit, nannte sie aber eine bedingungslose Kapitulation, die gegen die „Ehre“ verstoße, weshalb es nötig sei, den Versailler Vertrag generell für ungültig zu erklären . In der Diskussion blieben die DNVP-Vertreter mit diesem Vorschlag jedoch allein; Hermann Müller (SPD) erwartete von ihm im Gegenteil nur den endgültigen „Zusammenbruch der Reichseinheit“ . Sehr wohl allerdings diskutierte der Kreis die Frage, ob und in welcher Weise in der Proklamation der Regierung die Rechtswidrigkeit der Besetzung angesprochen werden müsse . Es lag nahe, dass sich der Organisator des Ruhrkampfs Hamm hier schärfer äußerte als sein in dieser Frage eher defensiver Parteifreund Koch-Weser: „Es muß gesagt werden, dass Einbruch [der französischbelgischen Truppen ins Ruhrgebiet; W . H .] Bruch des Vertrags war! Durch Schwäche erreichen wir nichts, schaden aber innenpolitisch“ .5 Am Abend desselben Tages beschloss der Ministerrat den Abbruch, und Kanzler Stresemann verkündete dann am folgenden Tag die Entscheidung offiziell im Reichstag .6 Neben dem passiven Widerstand konnte Hamm auch für das Verhältnis Bayerns zum Reich, das seit Mitte August 1923 einem neuen, die Einheit des Reichs gefährdenden Tiefpunkt zustrebte, besondere Sachkenntnis beanspruchen . Schon vor seiner Wortmeldung zum Abbruch des Ruhrkampfes hatte sich Hamm – drei Tage nach dem Rücktritt der Regierung Cuno – aus München ausdrücklich an Stresemann gewandt, um ihm die aktuelle Situation in Bayern und die von ihr ausgehenden Gefahren für die neue Regierung und den Bestand des Reiches zu schildern .7 Die Regierung Cuno war in Bayern selbst nicht wirklich attackiert worden, da die hauptsächlich von Hamm inspirierte Politik gegenüber den Ländern und speziell gegenüber Bayern ungeachtet aller Differenzen auf Verständigung gesetzt und die Politik des passiven Widerstandes voll und ganz die Zustimmung der bayerischen Regierung gefunden hatte . Der Regierungswechsel zu Stresemann und die Regierungsbeteiligung der SPD änderten die Lage jedoch abrupt . Sogleich kamen in Bayern wieder die Ängste vor einer „roten“ Berliner Regierung und einem länder- und besonders bayernfeindlichen Kurs auf, wie sie sich in der vermeintlich antibayerischen Republikschutzgesetzgebung der Jahre 1921/22 niedergeschlagen zu haben schienen .8
Ebd ., S . 361 . Ebd ., Dok . 81 . 7 Hamm an den Reichskanzler, 16 .8 .1923, in: AdR, Stresemann, Bd . 1, Dok . 6; dazu Winkler, Weimar, S . 206 . 8 Hürten, Revolution, S . 483–488 . 5 6
138 IV. Zerreißprobe der Republik
Tatsächlich nahmen jetzt die Aktivitäten im Lager „Vaterländischer Verbände“ erneut stark zu . Unter der Führung Hitlers schob sich die SA angesichts der Rivalitäten in der Szene stärker in den Vordergrund . Mit dem „Deutschen Tag“ in Nürnberg am 1 ./2 . September, bei dem in einer gewaltigen Kundgebung 100 .000 Aktivisten aufmarschierten, vereinigte sich die NSDAP mit dem „Bund Oberland“ und der „Reichsflagge“ zu einem neuen „Deutschen Kampfbund“ . Hitler stand beim Vorbeimarsch der Einheiten neben General Ludendorff, Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern und dem militärischen Kommandeur der „Vaterländischen Verbände“, Oberstleutnant Hermann Kriebel, auf dem Podium und festigte seine Stellung im nationalen Lager einmal mehr durch seine rhetorischen Fähigkeiten .9 Angesichts der zugespitzten Lage berief die Regierung von Knilling am 26 . September 1923, unmittelbar nachdem Stresemann den passiven Widerstand abgebrochen hatte, den zwei Jahre zuvor wegen der Republikschutzgesetze zurückgetretenen ehemaligen Regierungschef und Patron der Nationalen Verbände, Gustav von Kahr, auf der Grundlage des noch immer bestehenden speziellen bayerischen Ausnahmezustands zum „Generalstaatskommissar“ und damit zum Inhaber der vollziehenden Gewalt in Bayern .
2. Ausnahmezustand und Hitler-Putsch
In seinem Brief an Stresemann vom 18 . August analysierte Hamm die Situation in Bayern .10 Die Bevölkerung sehe in der neuen Regierung unter Beteiligung der SPD „keinen Fortschritt, sondern eher eine Gefahr für eine national kraftvolle Staatsführung starker Persönlichkeiten und für die Wahrung bayerischer politischer und wirtschaftlicher Belange, so wie eben diese große Zahl sie sieht“ . Besonders anstößig erscheine die Berufung des Reichsjustizministers Gustav Radbruch, mit dem Hamm selbst im Sommer 1922 um die genaue Formulierung des Republikschutzgesetzes und die Berücksichtigung bayerischer Eigenständigkeitswünsche gerungen hatte . Man lehne ihn in Bayern als Anwalt des Republikschutzgesetzes und als Befürworter der Straffreiheit für Abtreibung ab . Auch mache man ihm besonders sein anwaltliches Eintreten für Felix Fechenbach zum Vorwurf, der 1919 als Eisners Privatsekretär zusammen mit Eisner die angeblich gefälschte Denkschrift über
Vgl . Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 224–253 . Vgl . auch im Folgenden Hamm an den Reichskanzler, 16 .8 .1923, in: AdR, Stresemann, Bd . 1, Dok . 6, hier zit . nach Abschrift, in: BayHStA, NL Hamm, 67; zur Regierung Stresemann vgl . Winkler, Weimar, S . 186–243; Kolb, Stresemann, S . 76–93 .
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2. Ausnahmezustand und Hitler-Putsch 139
die deutsche Schuld am Weltkrieg herausgegeben hatte und im Oktober 1922 von einem bayerischen Volksgericht zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt worden war . Der neue Innenminister Wilhelm Sollmann (SPD) werde abgelehnt, weil er für die „historische Art der Länder, besonders für die bäuerlich-bürgerliche Art Bayerns“ voraussichtlich kein Verständnis aufbringe . Die Übertragung des Innen-, des Finanz- und des Justizministeriums an SPD-Leute stoße – aus Hamms Sicht mit einer gewissen Berechtigung – auf Widerspruch . Als höchst bedenklich schilderte Hamm die bereits weit gediehene Abwanderung der bürgerlichen Presse Bayerns ins bayerisch-partikularistische Lager der „Vaterländischen Verbände“ . Die bürgerliche Presse in Bayern versage vor der Aufgabe, deren Mitglieder, von denen viele durch persönliche „Überzeugung und Tradition“ eigentlich gemäßigt seien, wieder „zum rechten Gleichmaß zu führen“ . Es sei dringend nötig, in diesem Sinne auf die „öffentliche Meinung“ einzuwirken . Den grundsätzlichen Bemerkungen ließ Hamm dann noch eine Reihe konkreter praktischer Ratschläge folgen: eine bessere Personalauswahl für die Reichsvertretung in München, die Aufhebung der bayerischen Volksgerichte,11 für die auch der bayerische Innenminister Franz Gürtner eintrete, energische Maßnahmen gegen die „linkrevolutionäre“ Agitation, Aufrechterhaltung der Polizeihoheit der Länder und das Vorantreiben des Schulgesetzes, um einen äußerst gefährlichen Kampf im Volk zu vermeiden; die bayerische Position im Kampf um die Reichsbahn „müsse stärker berücksichtigt und den parteipolitischen Einflüssen bei der Beamtenauslese in den Reichsressorts“ entgegengetreten werden . Diese Hinweise und Vorschläge entspringen einem bayerischen Landespatriotismus, den Hamm in gewissem Umfang mit dem in der BVP vertretenen teilte, den er aber dem Primat der Reichseinheit vorbehaltlos unterordnete . Zudem liegt ihnen ein Staatsverständnis zugrunde, das den staatlichen Institutionen, der Exekutive, der Verwaltung und der Justiz großes Gewicht beimaß und parteipolitische Einflüsse auf die Verwaltung als grundsätzlich schädlich ansah . Dass sich dieser aus der bayerischen Staatstradition heraus geprägte Etatismus sehr wohl mit unbedingter Loyalität zu Demokratie und Republik vertrug, wenn er auch deren staats-, verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen auf ein „vernünftiges Maß“ begrenzt sehen wollte, lässt schon die Warnung vor den Radikalisierungs- und Militarisierungstendenzen in den „Vaterländischen Verbänden“ und vor dem Schwenk der bürgerlichen öffentlichen Meinung nach rechts erkennen . Aus seiner genauen Kenntnis der bayerischen Ansprüche auf Eigenständigkeit und der Stärke des radikalnationalistisch-konservativen Lagers heraus schätzte Hamm die Gefahr von Bürgerkrieg
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Vgl . Bauer/Schmidt, Volksgerichte .
140 IV. Zerreißprobe der Republik
und Reichszerfall bei einem scharfen Vorgehen gegen Bayern sehr viel höher ein als bei entsprechenden Maßnahmen gegen Sachsen und Thüringen .12 Als dann am 28 . Oktober die militärische Reichsintervention in Sachsen, nicht aber in Bayern vollzogen wurde, deckte sich die Lagebeurteilung Stresemanns nahtlos mit der von Hamm . Den Hitler-Putsch vom 9 ./10 . November 1923 erlebte Hamm in unmittelbarer Nähe in München . Die Nachricht von den Ereignissen im Bürgerbräu erhielt Hamm durch einen Telefonanruf seines Partei-und Duz-Freundes, des Münchner Juraprofessors Karl Rothenbücher, dem Hamm auf dessen Anfrage hin am 16 . Februar 1924 einen genauen brieflichen Bericht gab, wie er selbst die Nacht vom 8 . auf den 9 . November verbracht hatte .13 Hamm rief dann seinerseits die ihm nahestehenden Ministerialbeamten Guido Brettauer und Rudolf Decker aus dem Handelsministerium sowie seinen Nachfolger im Ministeramt von Meinel zu einer Besprechung in Deckers Wohnung in der Innenstadt zusammen . Anrufe bei den Ministern Franz Matt, Franz Xaver Schweyer, Gürtner und Hans Schmelzle blieben ohne Ergebnis, doch erfuhr die Runde dabei, dass die Reichsbahnbeamten ihre Loyalität zur Reichsregierung erklärt hätten . Sie beriet dann für den Fall eines erfolgreichen Umsturzes ein Ausweichen nach Neu-Ulm, um sich von dort aus um die Wiederherstellung der Regierungsgewalt zu bemühen . Gegen drei Uhr morgens erhielt die Runde die Nachricht, dass einige Minister und Abgeordnete der BVP sich in der Theresienstraße im Heim des Katholischen Frauenbundes treffen wollten . Hamm versuchte noch, seine Parteifreunde, den Bayerischen DDP-Vorsitzenden Karl Hammerschmidt und den Ex-Justizminister Müller-Meiningen, zu mobilisieren, doch der eine lehnte seine Beteiligung als nicht notwendig ab, der andere konnte nicht geweckt werden . Gegen halb fünf traf sich die liberale Runde mit dem Minister Heinrich Oswald und einigen BVP-Abgeordneten in der Theresienstraße und erfuhr dort, dass die in Freiheit befindlichen Minister mit Ausnahme Oswalds nach Regensburg abgefahren seien . Alle Versammelten „gingen als von fester Tatsache davon aus, dass Herr von Kahr mit Herrn von Lossow und Herrn von Seisser [dem Reichswehrkommandanten und dem Chef der Landespolizei; W . H .] zusammen die Partei Hitler und Ludendorff ergriffen“ hätten .14 Gleichwohl herrschte eine gefasste und zuver-
Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm über die innere Lage, 19 .4 .1923, in: AdR, Cuno, Dok . 131, S . 407 . 13 Hamm an Prof . Dr . Rothenbücher, Berlin, 17 .2 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32, danach die folgende Darstellung; Rothenbücher seinerseits hatte seinem Parteifreund die mit fliegender Feder fertig gestellte Schrift „Der Fall Kahr“ (München 1924) zugesandt; vgl . Rothenbücher an Hamm, München, 8 .2 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 74 . 14 Hamm an Prof . Dr . Rothenbücher, Berlin, 17 .2 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32, S . 3 . 12
2. Ausnahmezustand und Hitler-Putsch 141
sichtliche Stimmung . Hamm versuchte auch noch, Verbindung mit einigen Reichswehrgeneralen herzustellen, doch kam er nicht durch . Erst jetzt lief auch die Nachricht ein, dass von Kahr, Otto von Lossow und von Seisser inzwischen in der Infanterie-Kaserne eingetroffen seien . Diese Information über das Abspringen des sogenannten Triumvirats und ein angeblich nur momentanes Mitmachen unter dem Druck der Verhältnisse löste bei den Versammelten Überraschung aus . Inzwischen war auch der Adjutant des Generalstaatskommissars Baron Karl von Freyberg eingetroffen und verlas eine Erklärung von Kahrs, die dann auch durch die Presse ging, dass die Regierungsgewalt weiterhin ausschließlich bei ihm liege . Zu Hamm gewandt fügte Freyberg allerdings an, dass sich von Kahr „in voller Übereinstimmung“ mit General von Seeckt befinde; es müsse auch „in der Tat anders regiert werden, als bisher, viel straffer – ich weiß nicht mehr, ob er den Ausdruck der ‚nationalen Diktatur‘ brauchte, der Sinn war es“ .15 Hamms Darstellung zeigt, dass sich in der Krise zunächst die miteinander persönlich verbundenen, liberal-konservativ gesonnenen Beamten und Minister zusammenfanden und diese dann gemeinsam den Kontakt zu den übrigen Regierungsmitgliedern herzustellen versuchten . Aufschlussreich ist ihre gemeinsame Einschätzung, dass der bayerische Regierungschef, der bayerische Polizeichef und der Chef der bayerischen Reichswehrdivision selbstverständlich mit den Putschisten gemeinsame Sache machten . Die Distanzierung des Triumvirats von Hitler und Ludendorff erscheint in dem Bericht als überraschend – was darauf hindeutet, für wie eng die Liaison zwischen Putschisten und den Protektoren der Wehrverbände bei den Reichs- und Landesbehörden eingeschätzt wurde . Von Kahrs Vertrauter von Freyberg ging offenbar davon aus, dass der Befehlshaber der Reichswehr in Berlin, von Seeckt, sich dem Putsch anschließen oder ihn zumindest vorläufig dulden würde . Hamms persönliches Verhältnis zu seinem früheren Förderer und späteren Regierungschef Gustav von Kahr ging an diesem Abend endgültig in die Brüche, nachdem es schon in den Jahren zuvor angesichts der Differenzen zur Behandlung von „Vaterländischen Verbänden“ und Einwohnerwehr, Republikschutz und antisemitischer Hetze, Fragen der Schulpolitik und im Hinblick auf weitere Streitpunkte tiefe Risse erhalten hatte .16 Unmittelbar nach dem
Ebd ., S . 4 . Am Institut für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München wird derzeit unter Leitung von Prof . Dr . Ferdinand Kramer die Edition der „Erinnerungen“ vorbereitet, die Gustav von Kahr 1924/25 niedergeschrieben hat . Ich verdanke dem Kollegen Kramer den Hinweis auf die Fundstellen, in denen sich von Kahr über Hamm äußert . Von Kahrs früherer Zögling und jetziger Kontrahent erscheint durchweg im Lichte eines reichsrechtlichen Bedenkenträgers gegenüber dem bayerischen Eigenständigkeitsanspruch im Reich
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142 IV. Zerreißprobe der Republik
Scheitern des Putsches, am 13 . November 1923, verfasste Hamm, sichtlich noch aufgewühlt von den Ereignissen, einen für seine Verhältnisse erbitterten Brief an Kahr, in dem er diesem eine erhebliche Mitverantwortung für den Staatsstreich zuschrieb .17 Hamm berief sich zunächst auf die „glücklicheren Zeiten“, als er von Kahrs Hilfs- und Mitarbeiter im Innenministerium gewesen war, und begründete mit dem damaligen Vertrauensverhältnis seine folgenden, sehr offenen Worte . Er bezog sich auf von Kahrs eigene Erklärungen post festum, um diese dann einer schonungslosen Analyse und Kritik sowie eines ebenso schonungslosen Rückblicks auf die Vorgeschichte des Putsches zu unterziehen . Er beklagte die „Schädlichkeit dieses für München tief beschämenden Putsches, die Begleiterscheinung des hässlichen Wortbruchs und all das Widerliche“ sowie die Tatsache des „schweren Rechtsbruchs und des verbrecherischen Anschlags gegen die bestehende Staats- und Verfassungsordnung“ . Um für die Zukunft ähnliche „Gefahren neuer Rechtsbrüche, neuen Aufruhrs, neuer Volksentzweiung zu bannen“, müsse auf die Mitverantwortung von Kahrs und der ihm nahestehenden Kreise hingewiesen werden . Zu den „seelischen Voraussetzungen“ des Putsches gehöre die systematische Irreführung der Jugend, dass es nur „der kühnen Tat entschlossener Männer bedürfe“, um das Vaterland zu befreien . Wer hingegen auf die „Jahre der schweigenden Arbeit und des Harrens des Frhr . vom Stein, Scharnhorsts und der anderen“ verwiesen habe, sei verhöhnt worden und zwar von den Vertretern der sogenannten Vaterländischen Bewegung, ihrer Presse und ihrer Parteien . Zu dieser Irreführung unter dem Schutze der sogenannten Nationalen Bewegung seien auch „wirtschaftliche und klassenpolitische Ziele ihrer Auftraggeber, nicht selten mit staunenswerter Anpassung“ verfolgt worden . Wer hingegen die „Politik der Worte und Gesten“ kritisiert habe, sei der Schwächlichkeit bezichtigt worden .
und gegen die radikalnationalistischen Ziele und ihre wehrpolitischen Methoden bei von Kahr . Nachdem Hamm Staatssekretär in der Regierung Cuno geworden war, hielt von Kahr ihm zwar dessen länderfreundlichen Kurs zugute, verdächtigte Hamm aber gleichwohl, diesen nur zum Zwecke einer Sicherung der Berliner Herrschaft der Linken durchgesetzt zu haben . Zudem stehe Cuno mit seinem Versuch, die Sozialdemokraten in das Regierungsbündnis einzubinden, ganz unter dem Einfluss Hamms, dessen hartnäckig-penetranter Energie tatsächlich schwer zu widerstehen sei . Schließlich zitiert von Kahr einen württembergischen General, der berichtete, dass Hamm in rechtsgerichteten Kreisen Berlins als „Agent der Sozialdemokratie“ in der Regierung Cuno gelte . 17 Brief an Exzellenz von Kahr, München, 13 .11 .1923, Kopie in: BayHStA, NL Hamm, 74, hieraus die folgenden wörtlichen Zitate; zu einer Mitverantwortung der BVP bzw . der bürgerlichen Parteien – einschließlich der DDP – an der Entwicklung in Bayern bis zum Hitler-Putsch aus der Sicht der Linken vgl . Becker, Lebenswelt, u . a . S . 438–493 .
2. Ausnahmezustand und Hitler-Putsch 143
Sodann kritisierte Hamm, dass nach der vom Reich erzwungenen Auflösung der Einwohnerwehren „Waffenverbände mit parteipolitischen und persönlichen Zielen“ unter „ehrgeizigen Führern“ gebildet worden seien . Damit verwies er auf jene radikalen Wehrverbände, die sich am 1 . August 1923 zum putschtragenden „Kampfbund“ unter Führung Hitlers zusammengeschlossen hatten . Hamm bestritt, dass von Kahr das Recht habe, sich über den angeblichen „Wortbruch Hitlers“ zu empören . Vielmehr spreche diese scheinheilige Empörung ein „vernichtendes Urteil“ über die Vorkehrungen zur rechtzeitigen Abwehr des Putsches und darüber hinaus über das Versagen vor der „ersten Aufgabe jedes verantwortlichen Führers“, der „Erziehung zu Staat und Recht“ . Auch in den vergangenen Tagen habe von Kahr jedes klare Wort zu der entscheidenden Frage vermissen lassen, ob die großen Ziele, von denen er spreche, „auf dem Boden des geltenden Rechts und nur auf diesem“ angestrebt werden durften oder nicht . In „weniger verwirrten Zeiten“ sei schon diese Frage an sich unmöglich, aber im putschenden Kampfbund sei, wie von Kahr und wie auch die ganze Öffentlichkeit sehr genau wüssten, „offen zum Bruch der Verfassung aufgefordert worden“; Ludendorff sei „offenkundig gegen die Verfassung vorzugehen entschlossen“ gewesen und „Erhardt, der in Bayern der richterlichen Verfolgung wegen Meineids und Meineidsverleitung entzogen“ sei und jetzt für von Kahr eintrete, habe sich bereits einmal – gemeint ist der Kapp-Putsch – „unverhüllt […] gegen die Verfassung erhoben“ . Er – Hamm – wisse wohl, wie wenig von Kahr mit der Weimarer Reichsverfassung einverstanden sei, und von Kahr seinerseits wisse, wie sehr er – Hamm – die Revolution des Jahres 1918 beklage . Aber die Legitimität der Nationalversammlung und des Bayerischen Landtags zur Verfassungsgebung sei überall anerkannt worden; nahezu alle bayerischen Abgeordneten hätten die Reichsverfassung mitbeschlossen und der Bayerische Landtag selbst habe die Bayerische Verfassung zum Bestandteil der Reichsverfassung erklärt . Wer „seinem Volk den Bürgerkrieg ersparen und als Grundlage der nationalen Befreiung die Einheit wahren“ wolle, der müsse zu diesem Recht stehen . Schließlich erwog Hamm auch noch in sehr differenzierter, freilich auch etwas umständlicher Diktion die Alternative von charismatisch geführter nationaler Revolution und dem „Weg der stillen Arbeit, des Harrens und Erziehens und der Entwicklung auf dem Boden der Verfassung“ und entschied sich gegen jede „selbstverschuldete Verwirrung der Rechtsbegriffe“ . Auch nach dem gescheiterten Hitler-Putsch kämpfte Hamm von Berlin aus darum, dem bayerischen Liberalismus nicht abzusagen . Konkret konnte dies heißen, dass er etwa bei Paul Reusch, der ähnlich wie Stinnes und später auch Alfred Hugenberg bemüht war, ein Presseimperium aufzubauen, intervenierte und ihn dringend aufforderte, der zunehmenden Rechtsdrift seiner
144 IV. Zerreißprobe der Republik
Zeitungen in Bayern („Münchner Neueste Nachrichten“, „Fränkischer Kurier“ in Nürnberg) entgegenzutreten . Anfang März 1924 begründete er gegenüber Reusch noch einmal, warum er die vielfache „begeisterte Anhängerschaft an Kahr nicht mitmachen“ konnte . Er habe immer „im Kampfe gegen allzu lautes Reden und buntes Fahnenschwenken, gegen Einwohnerwehrschießen und Wortgepränge“ gestanden und stattdessen die Auffassung vertreten, „daß die Entwicklung unseres Volkes, soweit wir sehen, nur auf dem gesetzmäßigen Wege vorwärts führen“ könne . Das „Spiel mit gewaltsamem Umsturz, gleichviel aus welchen Beweggründen und nach welcher Seite hin“, betrachte er als verderblich; „vielleicht finden nach den Erfahrungen des 8 . und 9 . November 1923 diese Ausführungen auch in solchen Kreisen freundlichere Beachtung, die sich ihnen versagten …“ .18 Nach dieser grundsätzlichen Klarstellung listete Hamm eine Reihe von Zitaten insbesondere aus dem „Fränkischen Kurier“ auf, in denen er die Reichsregierung im Übermaß beschimpft und die innen- und außenpolitische Situation allzu polemisch-simplifizierend dargestellt fand .19 Reusch antwortete sogleich mit der gängigen Formel einflussreicher Anteilseigner . Hamm setze einen zu großen persönlichen Einfluss seiner Person beim „Fränkischen Kurier“ voraus – „Verlagsdirektor und Hauptschriftleiter sind mir nicht einmal dem Namen nach bekannt“ . Er bekundete jedoch seine Bereitschaft, mit Hamm über das Thema zu sprechen und ihn demnächst zu diesem Zweck im Ministerium aufzusuchen .20 Kontroverse Auseinandersetzungen des Politikers und später auch des Verbandsfunktionärs Hamm mit der Presse gab es freilich nicht nur gegenüber der Rechten, sondern auch gegenüber den Blättern der liberalen „Berliner Weltpresse“, wozu ja auch die „Frankfurter Zeitung“ zu zählen ist . Hier richtete sich die Beschwerde öfter gegen allzu eigensinnig-unitarische und im Tonfall herablassende Kommentare über Bayern und die bayerische Politik .21
Hamm an Reusch, Berlin, 5 .3 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 74 . Ebd . 20 Reusch an Hamm, 14 .3 .1923, in: ebd ., 32 . 21 Vgl . z . B . Hamm an Dr . Cohnstaedt, Frankfurter Zeitung, Entwurf, 19 .5 .1924, in: ebd .; Hamm an Dr . Fritz Klein, Hauptschriftleiter der „Allgemeine Deutsche Zeitung“, 18 .8 .1932, in: ebd ., 41 . 18 19
V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925 1. Regieren aus der Minderheit: die Kabinette Marx I und II
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ach dem Rücktritt der Regierung Cuno gehörte Hamm zwar weiterhin dem Reichstag an, hatte aber keine amtliche Funktion inne . Nach viereinhalb Monaten kehrte er jedoch als Wirtschaftsminister in die Reichsregierung zurück . Reichskanzler war nach dem Sturz Stresemanns Ende November 1923 der rheinische Richter und Zentrumsabgeordnete Wilhelm Marx geworden, der allerdings erst nach vier vergeblichen Versuchen Eberts, einen Stresemann-Nachfolger zu finden, zum Zuge kam . Es war die komplizierteste und zäheste Regierungsbildung seit der Ausrufung der Republik 1918 . Denn nach dem Ende der ersten Großen Koalition im Herbst 1923, die nur drei Monate gehalten hatte, herrschte zunächst allgemeine Ratlosigkeit . Stresemann war an der Ungleichbehandlung der Regierungen in Sachsen und Bayern gescheitert, indem er das „rote“, von einem linken Sozialdemokraten gemeinsam mit den Kommunisten regierte Sachsen unterworfen, das BVPregierte Bayern aber trotz der Zuspitzung der rechtsradikalen Umtriebe bis zum Hitler-Putsch am 9 . November 1923 geschont hatte . Die SPD-Fraktion hatte daraufhin dem Reichskanzler das Vertrauen entzogen .1 Diese Entscheidung erwies sich als höchst problematisch, auch wenn sie aus sozialdemokratischer Sicht fast zwingend war und mit großer Mehrheit gefällt wurde .2 Tatsächlich setzte sich die SPD damit im bürgerlichen Lager dem – in diesem Fall nicht unberechtigten – Vorwurf aus, parteiegoistische Interessen über die Staatsnotwendigkeiten gestellt zu haben . Über Wochen hinweg verharrte die Fraktion in einer Art Schockstarre, die sie bei der Suche
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Vgl . von Hehl, Marx; Winkler, Weimar, S . 228–243; Kolb, Stresemann, S . 83–93 . Winkler, Revolution, S . 655–669 .
146 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
Abb. 9: Eduard Hamm, um 1924
nach einer neuen Regierung lähmte . Die Chance einer Großen Koalition war auf Jahre verspielt . Die Regierung Marx stand dann so weit rechts wie noch keine vor ihr . Da die SPD als offizieller Regierungspartner praktisch ausschied und die DNVP sich noch immer weder zu einem Bekenntnis zur Republik noch zu einer pragmatischen Außenpolitik bereitfand, setzte Reichspräsident Ebert zunächst noch einmal, ähnlich wie bei Cuno, auf eine „überparteiliche“ Lösung . In der ebenso komplexen wie verfahrenen Situation blieb, wie schon bei der Regierung Cuno, nur jenes Aushilfsmittel, das in der Sprache der Zeit „Kabinett der Persönlichkeiten“ hieß – eine Regierung aus Ministern, deren Berufung zwar von den Parteien gebilligt wurde, ohne dass diese sich jedoch zu fester Regierungsbeteiligung verpflichteten . Die Regierung musste sich mit der Zusage der Parteien – von der SPD bis zum Zentrum – begnügen, sie nach Möglichkeit zu stützen, und war bei Uneinigkeit der Parteien genötigt, sich von Fall zu Fall eine Mehrheit zu organisieren . Einen Sonderfall stellte der Ernährungsminister Gerhard Graf von Kanitz dar, der mit dem Eintritt in die Regierung aus der DNVP ausschied, weil sich die Partei der Regierungsverantwortung nicht stellen wollte, der jedoch ohne Wenn und Aber ihre Positionen vertrat . Eduard Hamm verdankte seine Berufung zwar einerseits seiner allseits anerkannten Arbeit als Staatssekretär in der Reichskanzlei . Andererseits sprach für ihn aber auch die Überlegung von Reichspräsident und Reichskanzler, das immer noch mit der Zerstörung des Weimarer Staates drohende Bayern mit Reichswehrminister Otto Gessler, Hamm und Justizminister Erich Emminger von der BVP betont prominent im Kabinett zu repräsentieren .
1. Regieren aus der Minderheit: die Kabinette Marx I und II 147
Ungeachtet zeitweiliger Spannungen mit einzelnen entschieden sozialliberalen Spitzenbeamten wie Hans Staudinger und Hans Schäffer, die noch unter dem Eindruck der gemeinwirtschaftlichen Ideen Wichard von Moellendorffs oder zumindest im sozialliberalen Spektrum weit links standen, setzte sich Hamm im Ministerium selbst rasch durch und brachte es nach den Turbulenzen der ersten Jahre einigermaßen zur Ruhe .3 Anders als die ältere Forschung meinte, war die Wirtschaftspolitik der Weimarer Republik keineswegs konzeptionslos und prinzipiell durchsetzungsschwach .4 Im Gegenteil: Den Ministern und Spitzenbeamten des Reichswirtschaftsministeriums nach 1918 war völlig klar, dass sich der neue Staat vorrangig über seine ökonomische und soziale Leistungsfähigkeit zu definieren hatte und das Schicksal des demokratischen Staates unmittelbar von ihr abhing . Nicht nur im Reichswirtschaftsministerium, aber dort im besonderen Umfang und mit besonderer Qualität, gab es eine „Verwaltungselite, deren Projekt der demokratische Staat von Weimar war“ .5 Stärker noch als in dem kleinen, aber hochqualifizierten und republikloyalen Apparat der Reichskanzlei vertraten diese Spitzenbeamten einen „liberalen Paternalismus, bei dem die grundlegenden Parameter der Debatte zwar von staatlichen Institutionen gesetzt wurden“, aber in selbstverständlicher Anerkennung der Parlamentsrechte und mit dem „Ziel, die öffentliche Diskussion anzuleiten“ .6 Ungeachtet der in Krisenlagen wie dem Ruhrkampf verstärkt und vor allem auf der Ebene der Minister hervortretenden Ressortegoismen war den beteiligten Spitzenbeamten klar, dass Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu kooperieren hatten .7 Hamms beamtenhafte Prägung dürfte ungeachtet der anfänglichen programmatischen
Staudinger, Wirtschaftspolitik, S . 34 f . Von kapitalismuskritischen Autoren der 1970er Jahre wurde Hamms Politik als nahtlose Interessenpolitik von Industrie bzw . Großindustrie dargestellt; vgl . z . B . Krohn, Kapitalismus, S . 113–129 . 4 Diese Position referiert bei Ambrosius, Staat, S . 81; dagegen erstmals Witt, Wirtschaftspolitik, S . 151–179 . 5 Müller, Demokratie und Wirtschaftspolitik; vgl . auch den internationalen Überblick bei Metzler, Dimension; Doering-Manteuffel, Soziale Demokratie . 6 Müller, Legitimation, S . 7; zur Geschichte des Reichswirtschaftsministeriums vgl . jetzt grundlegend Holtfrerich, Reichswirtschaftsministerium; darin zur Konstituierungsphase und zum Versuch, das Gemeinwirtschaftsprogramm des Unterstaatssekretärs Wichard von Moellendorff und des Gewerkschafters und SPD-Ministers Rudolf Wissell durchzusetzen, Fisch, Zentralstellen; Ders ., Strukturwandel; für die Entwicklung des Personalkörpers bis 1923 Homburg, Reichswirtschaftsamt . 7 An der Kabinettskonstellation der Regierung Cuno und der Führungsschwäche Cunos selbst rieb sich der Staatssekretär in der Reichskanzlei Hamm allerdings vielfach vergeblich auf bei dem Bemühen, die Arbeit der Ressorts zu koordinieren und einem gemeinsamen Plan zu unterwerfen; vgl . oben S . 100–104 . 3
148 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
Spannungen die Zusammenarbeit mit seinen führenden Mitarbeitern, die neben ihrer Qualifikation alle auch über ein beträchtliches Selbstvertrauen verfügten, erleichtert haben . Dass etwa Julius Hirsch, Hans Staudinger, Hans Schäffer oder Cora Berliner das liberal-paternalistische Amtsverständnis entschieden republikanisiert haben, steht außer Zweifel und zeigt sich zuletzt auch daran, dass sie nach Hitlers Machtergreifung allesamt emigrierten oder – wie Cora Berliner – ermordet wurden .8 Mit seinen eigenen wirtschaftsliberalen Überzeugungen befand sich Hamm weitgehend im Einklang mit den Anschauungen der leitenden Beamten bzw . „des Hauses“, vor allem nachdem Ernst Trendelenburg, Schäffer und Staudinger ihre zunächst dominierende gemeinwirtschaftliche Einstellung bis zum Ende des Jahres 1923 weitgehend gemildert oder ganz abgelegt hatten . Vor allem in der Außenhandels- und Zollpolitik waren sich das Haus und sein Leiter einig . Beide orientierten sich am Leitbild des Freihandels und der Regelung der Außenhandelsbeziehungen durch das „Meistbegünstigungsprinzip“ . Schwieriger als im eigenen Haus war Hamms Position im Kabinett . Zu anfänglichen Unklarheiten bei den Kompetenzen kam hinzu, dass gerade die Ministerien, mit denen sich die Kompetenzen überschnitten, von den stärksten Persönlichkeiten des Kabinetts geleitet wurden: Außenminister Stresemann, Finanzminister Luther, Arbeitsminister Heinrich Brauns und Hjalmar Schacht . Letzterer war zwar ohne Ministeramt, aber er saß zunächst als Reichswährungskommissar und ab Anfang Januar 1924 als Reichsbankpräsident bei den die Reichsbank betreffenden Themen am Kabinettstisch . Das Verhältnis Hamms zu Stresemann war nicht frei von Ambivalenzen . Nach den innerliberalen Berliner Querelen, die zu Stresemanns Neugründung der DVP und in deren Gefolge zu dessen scharfer Abgrenzungsstrategie gegen die Linksliberalen geführt hatten, stand Hamm 1921/22, obgleich politisch ganz nahe bei Stresemann, den Fusionsversuchen zwischen DVP und DDP ablehnend gegenüber . Er hatte sich aber bei seiner Vermittlung zwischen Bayern und Reich 1921/22 auch explizit an Stresemann als Führer der DVP-Reichstagsfraktion gewandt .9 In den Kabinetten Marx I und II waren sich die beiden in den Grundzügen der Wirtschafts- und Außenhandelspolitik völlig einig . Neben Stresemann spielte qua Amt und Persönlichkeit der Finanzminister, spätere Nachfolger von Marx als Reichskanzler und nach dem Rücktritt Schachts im Frühjahr 1930 Reichsbankpräsident Hans Luther eine maßgebliche Rolle . Er verkörperte exemplarisch den Typus des verwal-
Vgl . auch das Tableau der Spitzenbeamten bei Müller, Legitimität, S . 12 f; vgl . u . a . Wandel, Schäffer; Danzl, Erinnerungen . 9 Vgl . oben S . 81 f . 8
1. Regieren aus der Minderheit: die Kabinette Marx I und II 149
tungserfahrenen, erfolgreichen und selbstbewussten Oberbürgermeisters einer Großstadt im Kaiserreich (Essen),10 gab sich in dieser Tradition „überparteilich“ – wobei er der DVP nahestand – und war es von seinem politischen Herkommen her gewohnt, entscheidungsfreudig aufzutreten . Fiskalpolitisch passten die Positionen Luthers und Hamms meist, wenn auch nicht immer, mit denen des neuen starken Mannes in der Finanz- und Haushaltspolitik des Reichs, Hjalmar Schachts, zusammen .11 Den Part des sozialpolitischen Gegenspielers zu Luther und Hamm im Kabinett hatte Heinrich Brauns inne, gelernter Volkswirt und Staatswissenschaftler, ursprünglich „roter Kaplan“ und einer der Führer der katholischen christlichen Gewerkschaftsbewegung sowie von 1920 bis 1928 (in 13 Kabinetten) Reichsarbeitsminister . Er sicherte mit einer Fülle von Gesetzen die sozialpolitischen Errungenschaften der Revolutionsmonate ab und trug damit wesentlich zur sozialen Fundierung der demokratischen Republik bei .12 Die wichtigste Aufgabe der Regierung Marx bestand zunächst einmal darin, ihre eigene Existenz zu sichern, da sie über keine verlässliche parlamentarische Mehrheit verfügte und von der Regierung Stresemann eine Reihe ungelöster und überaus konfliktträchtiger Probleme vererbt bekommen hatte . Die Regierung Stresemann II hatte die Masse der sich gegenseitig verstärkenden Konflikte genauso, wie Stein und Hamm in ihrer Denkschrift vom 17 . September 1923 prognostiziert hatten,13 nur mit Hilfe eines umfassenden Ermächtigungsgesetzes und der Ausrufung des militärischen Ausnahmezustandes bewältigt . Angesichts einer Inflationsrate von 24 .280 % allein im Oktober 1923 und dem dadurch herrschenden wirtschaftlichen Ausnahmezustand erschien es „rechtsstaatlich zulässig und geboten“, mithilfe der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit eine befristete Ermächtigung für das Reichskabinett zu schaffen, um die ökonomische Krisensituation ohne den Zeitbedarf des normalen Gesetzgebungsverfahrens beenden zu können .14 Dabei hatte die Große Koalition Stresemanns aber noch – anders als das Kabinett Marx – über eine solide parlamentarische Mehrheit verfügt . Die instabile Mehrheit der Regierung Marx I im Reichstag zwang das Kabinett also sofort nach seinem Amtsantritt, eine neue Ermächtigung durch den Reichstag und eine Gesetzgebung durch Notverordnungen ins Auge zu fassen . Im Umkreis des Reichspräsidenten dachte man über ein Notverordnungsregime
Hofmann, Rathaus . Vgl . Kopper, Schacht; James, Schacht . 12 Deuerlein, Brauns . 13 Vgl . oben S . 134 ff . 14 Lehnert, Weimarer Republik, S . 132 . 10 11
150 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
mit Reichstagsauflösung nach, wobei auch die verfassungsmäßige Frist von 60 Tagen (Art . 24 WRV) ausgesetzt werden könnte .15 Schon in der ersten Kabinettssitzung am 1 . Dezember 1923 stand die Initiative zu einem Ermächtigungsgesetz auf der Tagesordnung .16 Am 2 . Dezember diskutierte der Ministerrat ausführlich die verfassungsrechtliche Problematik dieses Vorgehens . Angesichts der geplanten weitreichenden Ermächtigung stellte das beabsichtigte Gesetz eine Abweichung von der normalen verfassungsmäßigen Regierungspraxis dar – worüber sich das Kabinett auch mit dem Reichspräsidenten Ebert einig war – und bedurfte für die Zustimmung des Reichstags dessen Zweidrittelmehrheit .17 Unter dem Druck und den unmittelbaren Handlungszwängen der Regierungsbildung und des Regierungshandelns fand die grundsätzliche Problematik des Regierens durch Ermächtigungsgesetze und darauf gestützte Notverordnungen des Reichspräsidenten wenig Beachtung . Mit Ermächtigungen war seit Inkraftsetzung der Weimarer Reichsverfassung immer wieder gearbeitet worden . Allerdings hatte es sich zunächst vorwiegend um Einzelverordnungen gehandelt, und die Person des Reichspräsidenten Ebert stand dafür, dass von dem Mittel kein grundsätzlich verfassungswidriger Gebrauch gemacht wurde .18 Der Rückgriff auf dieses Mittel hatte aber schon während der Regierungszeit Cunos ein Ausmaß angenommen, das so mit dem Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung eigentlich nicht vorgesehen war und das bereits einen schleichenden Verfassungswandel indizierte . Die Ermächtigungen für die Kabinette Stresemann und Marx mussten diese Tendenz noch zusätzlich festigen .19 Tatsächlich erwies es sich für die neue Regierung als unmöglich, die angestrebten Stabilisierungsgesetze anders als mit diesem Verfassungsnotbehelf auf den Weg zu bringen . Daher erhoben sich auch nur vereinzelte Stimmen, die mit der Gesetzgebungsfunktion des Reichstags das korrekte Funktionieren der Verfassung überhaupt bedroht sahen . Die Gründe für diese Sorglosigkeit waren sowohl langfristig prinzipieller wie kurzfristig pragmatischer Art . Ein republikanisches Verfassungsbewusstsein, das sensibel außer auf die Funktionsfähigkeit auch auf die rechtliche Sicherung der republikanischen
Vgl . dazu unter der Überschrift „Stabilisierungsdiktatur“ Lehnert, Weimarer Republik, S . 136 f . 16 AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 1, S . 2 f . 17 Ebd ., Dok . 2; Dok . 4, S . 17 f . 18 Scheuner, Anwendung; Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S . 98–114; Mühlhausen, Ebert, S . 722–774; Raithel, Spiel . 19 Ebd ., S . 280 ff; mit starken Argumenten, dass bereits das Ausnahmerecht im Krieg dem Rekurs auf Art . 48 WRV vorgearbeitet habe, Geyer, Grenzüberschreitungen . 15
1. Regieren aus der Minderheit: die Kabinette Marx I und II 151
Verfassungsorgane geachtet hätte, hatte sich in Deutschland seit 1919 noch kaum herausgebildet . Und die ebenso akute wie umfassende Staatskrise lud Politiker und Verfassungsrechtler nicht dazu ein, ihren Geschäften gleichsam immer mit dem Text der Weimarer Reichsverfassung im Hinterkopf nachzugehen . Vor allem Reichskanzler Marx selbst drängte auf ein umfassendes Ermächtigungsgesetz und darauf, den Reichstag so weit wie möglich aus dem Gesetzgebungsprozess auszuschließen .20 Die hauptsächlich betroffenen Minister, Luther und Brauns, plädierten energisch für eine allgemeine Ermächtigung . Nur Hamm warf zwei alternative Vorschläge in die Debatte: zum einen, Notverordnungen mit „kurzer Frist“ zu erlassen, für die eine verfassungsändernde Mehrheit möglicherweise nicht erforderlich sei; zum anderen, die Initiative zum Ermächtigungsgesetz dem Reichstag zu überlassen .21 Ob diese Vorschläge rein pragmatischen oder grundsätzlich verfassungspolitischen Überlegungen entsprangen, lässt sich anhand des Protokolls nicht entscheiden . Immerhin scheinen bei Hamm die Skrupel größer gewesen zu sein als bei seinen Kollegen . Zustimmung fand er jedoch keine . Staatssekretär Erich Zweigert wandte ein, dass auch Notverordnungen mit kurzer Frist verfassungsändernden Charakter hätten, und Brauns wandte sich gegen die Überlassung der Initiative an den Reichstag . Man könne vom Parlament nicht erwarten, dass es sich selbst ausschalte, daher müsse „die Regierung vorangehen“ . Der Gesetzentwurf fasste die Ermächtigung dann auch denkbar weit: „Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblick auf die Not von Volk und Reich für erforderlich und dringend erachtet . Eine Abweichung von den Vorschriften der Reichsverfassung ist nicht zulässig .“ Die Vorbereitung des Gesetzes war schwierig, die Verabschiedung dann aber recht einfach . Als es am 5 . Dezember in der ersten Lesung eingebracht wurde, gingen die Redner der befürwortenden Parteien, Gustav Scheidemann (SPD), Ludwig Kaas (Zentrum), Ernst Scholz (DVP), Ludwig Haas (DDP) und Johann Leicht (BVP) nur ganz beiläufig auf die verfassungsrechtliche Problematik ein . Zu Recht ist bemerkt worden, dass der „weitgehende Verzicht auf eine parlamentarische Diskussion oder doch zumindest auf eine öffentliche Rechtfertigung“ bei dieser „Verabschiedung eines legislativen Blankoschecks“ einen „eklatanten Mangel an verfassungsrechtlichem Problembewußtsein“ offenbare .22 Vor allem der SPD war dabei auch nicht wohl . Zur dritten Lesung am 6 . Dezember fehlten 62 ihrer Abgeordneten, in der anschließenden
AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 2; Raithel, Spiel, S . 254 ff . Auch im Folgenden AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 2, Vorschläge Hamms S . 8 f . 22 Raithel, Spiel, S . 322 . 20 21
152 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
Schlussabstimmung allerdings wurde das Ermächtigungsgesetz mit 313 zu 18 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen . Um das notwendige Quorum bei der Anwesenheit sicherzustellen, war eine überraschend große Zahl von DNVP-Abgeordneten im Saal geblieben und hatte mit ihrer Ja-Stimme die Absenz der dissentierenden SPD-Abgeordneten ausgeglichen . Hier bahnte sich schon die Spaltung der Partei bei der Abstimmung über das DawesAbkommen acht Monate später an .
2. Verfassungs- und Machtfragen: Wahlrecht, Wahlen und Ausnahmezustand
Das umfassende Ermächtigungsgesetz lief am 15 . Februar 1924 aus . Weder die Regierung noch die sie unterstützenden Parteien beabsichtigten eine Verlängerung oder den Erlass eines neuen Ermächtigungsgesetzes . Die Regierung hatte seit dem 8 . Dezember 1923 eine Fülle von Verordnungen erlassen, von denen einige mit den Interessen der Flügelparteien kollidierten . So waren von SPD und DNVP, die den Erlass der Verordnungen zunächst unterstützt oder zumindest toleriert hatten, Änderungs- und sogar Aufhebungswünsche zu erwarten . Das betraf vor allem die tief einschneidende Steuergesetzgebung, die Arbeitszeitregelung und den radikalen Personalabbau, den die Regierung allen staatlichen Behörden einschließlich ihrer eigenen Ministerien verordnet hatte . Sowohl die Stabilisierung der Währung wie die Konsolidierung des Haushalts waren jedoch wesentlich vorangekommen, die Wirtschaft begann sich zu erholen, die Gefahren des Radikalismus schienen erst einmal gebannt .23 Verständlicherweise wollte das Kabinett in dieser Situation seine bisherige Arbeit nicht gefährden . Es beschloss daher, einige Notverordnungen für „intangibel“ zu erklären und Ausschussberatungen im Reichstag nicht zuzulassen . Auch hierin waren sich die Minister einschließlich Eduard Hamms einig .24 Damit war allerdings auch klar, dass das Parlament möglicherweise, wenn sich im Reichstag keine Mehrheit für dieses Prozedere fand, vorzeitig aufgelöst und neu gewählt werden müsse . Marx suchte nun in zahlreichen Gesprächen mit den Parteiführern nach Zustimmung für dieses Verfahren, stieß aber bei der DNVP und vor allem bei der SPD auf Widerspruch . In einer Besprechung mit der SPD-Spitze bekam Marx zu hören, die Haltung der Regierung erscheine „schroff und diktatorisch“ (Hermann Müller), und
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Winkler, Weimar, S . 244–263; James, Deutschland . AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 104; Dok . 107, S . 374; Dok . 123, S . 410 .
2. Verfassungs- und Machtfragen: Wahlrecht, Wahlen und Ausnahmezustand 153
Reichstag und Bevölkerung betrachteten sie als „Diktaturpolitik“ (Otto Wels) . Der Abgeordnete Breitscheid schließlich kündigte an, bei dieser Regierungspolitik werde die Wahlparole notwendigerweise lauten: „Für die Demokratie, gegen die Diktatur“25 – das könne der Regierung doch unmöglich recht sein . Dass die SPD-Führer so scharf formulierten, dürfte allerdings nicht nur an ihren verfassungsrechtlichen Bedenken gelegen haben . Ihnen passte auch ein vorgezogener Wahltermin nicht ins Konzept, da die Partei nach der Aufkündigung der Großen Koalition noch nicht wieder kampagnenfähig erschien . Für das Kabinett andererseits verband sich die Strategie gegenüber dem Reichstag mit der Frage nach dem aus seiner Sicht bestmöglichen Wahltermin . Darüber herrschten unterschiedliche Meinungen . Stresemann wollte die deutschen Wahlen auf einen Termin nach den bevorstehenden französischen Kammerwahlen am 11 . April verschieben . Hamm sah dafür keine Notwendigkeit; er wollte offenkundig das Momentum des Aufschwungs und der relativen Befriedung in der deutschen Gesellschaft nutzen und schon deutlich früher wählen lassen – was, wie sich zeigen sollte, sicherlich sinnvoll gewesen wäre . Auch Hamm schwankte aber in seiner Einschätzung der Lage .26 Tatsächlich erwies sich der schließlich aus organisatorischen Gründen festgesetzte Termin am 4 . Mai als ungünstig . Die Vorlage des Dawes-Gutachtens am 4 . April 1924 katapultierte die umkämpfte Reparationenfrage mitten in den Wahlkampf hinein . Und eine Intervention Schachts zur Reduzierung der Reichsbankkredite am 7 . April 1924 verschärfte wahlpolitisch zur Unzeit die Stabilisierungskrise . Die Wahl endete für die republiktragenden Parteien desaströs . Die DDP sank auf 5,7 %, die DVP auf 9,2 % und die SPD auf 20,5 %, wobei ungeachtet dieses scheinbar geringen Verlustes in Rechnung zu stellen ist, dass die SPD nach der Wiedervereinigung mit der USPD 1922 jetzt weniger Stimmen bekam, als die MSPD 1920 erhalten hatte . Hauptgewinner der Wahl war die Rechte, die DNVP mit 19,5 % und die Deutsch-Völkischen einschließlich der gerade führerlosen NSDAP mit auf Anhieb 6,5 % . Auf der äußersten Linken holte die KPD 12,6 % – weitgehend das Äquivalent der SPD-Verluste .27 Angesichts dieser Polarisierung blieb für die Regierungsbildung nur der Weg, das Kabinett Marx zu erneuern . Es konnte sich allerdings allein auf Zentrum, DVP und DDP stützen, auf 138 von 472 Abgeordneten . Schon für die einfache Mehrheit war die Regierung auf die Tolerierung durch SPD oder DNVP angewiesen .
Ebd ., Dok . 111, S . 381 . Ebd ., Dok . 115, S . 391; Dok . 131, S . 435 . 27 Lehnert, Weimarer Republik, S . 137–142 . 25 26
154 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
Ob das Wahlergebnis mit einem anderen Wahlrecht wesentlich günstiger ausgefallen wäre, lässt sich im Nachhinein schwer beurteilen . Immerhin hatte die Regierung Marx I eine tief eingreifende Revision des Wahlgesetzes geplant . Knapp zwei Monate nach Amtsantritt diskutierte der Ministerrat eine Vorlage des Innenministers, die vorsah, dass die Zahl der Abgeordneten von 459 auf 399 reduziert und die Anzahl der jeweils über die Reichsliste zu wählenden Abgeordneten auf 4 beschränkt werden sollte .28 Umgekehrt erhöhte der Entwurf die Anzahl der Wahlkreise von 35 auf 156 und verkleinerte entsprechend ihren Umfang auf etwa 380 .000 Einwohner . Schon auf den ersten Blick ließ der Entwurf die Absicht erkennen, den einzelnen Abgeordneten und seine Wählerschaft stärker als nach dem geltenden Recht möglichst in eine persönlichere Beziehung zueinander zu setzen . Das Prinzip der Persönlichkeitswahl sollte gestärkt und die Macht der Parteiapparate geschwächt werden . Der Initiative kam insofern große Bedeutung zu, als die uneingeschränkte Verhältniswahl vielfach von den Zeitgenossen ebenso wie von der späteren Forschung ganz wesentlich für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gemacht worden ist .29 Neuerdings wird diesem Aspekt weniger Gewicht beigemessen als in der Frühzeit der Weimar-Forschung . An der grundsätzlichen Einschätzung, dass das uneingeschränkte Verhältniswahlrecht die Probleme der Republik verschärft habe, hat sich aber nichts geändert .30 Auch die Parteien selbst schienen sich Anfang 1924 zunächst weitgehend über den Reformbedarf einig . Am energischsten setzte sich die DDP für die Reform ein; eine Mehrheit in der Fraktion hoffte, das Gesetz noch rechtzeitig vor der Maiwahl unter Dach und Fach bringen zu können . Allerdings signalisierte ihr Fraktionsvorsitzender Koch-Weser, dass die Änderung nicht auf dem Wege eines Ermächtigungsgesetzes durchgeführt werden dürfe .31 Als das Kabinett am 8 . Februar 1924 erstmals über den Entwurf beriet, sprach sich Hamm dagegen aus, die Reichsliste auf 4 Abgeordnete zu beschränken, und Reichskanzler Marx, Arbeitsminister Brauns und Außenminister Stresemann schlossen sich diesem Bedenken an .32 Hamms Einwand war plausibel . Zweifellos sprach der DDP-Abgeordnete aus Bayern hier pro domo . Das galt in ähnlicher Form aber für wichtige Abgeordnete aller Parteien – insbesondere für die unverzichtbaren „Fachleute“, die nur geringe
AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 73, S . 275 f . Schäfer, Frage; Witt, Wahlrecht . 30 Zum Diskussionsstand vgl . Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S . 183–185; Möller, Weimarer Republik . 31 Koch-Weser an den Reichskanzler, 26 .1 .1924, zit . in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 73, S . 275, Anm . 2 . 32 Ebd ., Dok . 94, S . 338 . 28 29
2. Verfassungs- und Machtfragen: Wahlrecht, Wahlen und Ausnahmezustand 155
Aussicht hatten, direkt gewählt zu werden . Das Kabinett war dabei, sich auf eine großzügigere Quote zu einigen, doch verloren die Parteien nach dem Ende des Ermächtigungsgesetzes am 15 . Februar rasch das Interesse an dem Gesetz . Offenkundig waren sie angesichts der bevorstehenden Neuwahl nicht willens, sich kurzfristig auf wesentliche Neuerungen einzustellen . Aber auch längerfristig konnten sie sich auf die Reformierung des Wahlrechts nicht mehr einigen .33 Nach dem für die Republikparteien desaströsen Ausgang der Reichstagswahlen im April 1924 betrieb der Innenminister erneut die Verabschiedung der bereits am 8 . Februar 1924 gebilligten Wahlreformnovelle, vor allem, um dem Aufkommen der Klein- und Interessenparteien Schranken zu setzen .34 Nachdem das Kabinett der unveränderten Vorlage zugestimmt hatte, machte Hamm noch zwei Vorschläge: Das Wahlalter solle von 20 auf 24 Jahre heraufgesetzt werden; und Abgeordnete, die Minister geworden seien, sollten für die Zeit ihrer Ministertätigkeit aus dem Parlament ausscheiden . Beide Vorschläge lassen ein eher konservatives Verständnis von „Volksvertretung“ und Ministeramt erkennen . Das heraufgesetzte Wahlalter sollte den Einfluss der radikalisierungsanfälligen jungen und möglicherweise arbeitslosen Männer und Frauen auf die Zusammensetzung des Reichstags schwächen, was – blickt man auf die Jahre 1930–1932 – zweifellos Sinn gemacht hätte . Stresemann schloss sich diesen Vorschlägen an . Der Wunsch, Abgeordnetenmandat und Ministertätigkeit zu trennen, beruht sicherlich unter anderem auf der Erfahrung mit Pressionen aus der eigenen Fraktion, wie Hamm sie bei der „Aufwertungsfrage“ massiv erlebt hatte . Er reflektiert aber auch das Verlangen von Exekutive und Ministerialverwaltung nach mehr Unabhängigkeit von der Legislative, soweit das im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung möglich war . Die Trennung von Amt und Mandat ist, wie die Geschichte der Grünen in der Bundesrepublik gezeigt hat, ein Dauerbrenner und hat einiges für sich . Sie schwächt aber das parteienstaatliche Element in der politischen Kultur und reproduziert so die fragwürdige, aus dem Frühparlamentarismus stammende und oft konfliktverschärfende Oppositionsstellung von Parlament und Regierung . Der preußische Ministerialdirektor Arnold Brecht schlug jedoch vor, diese beiden Punkte nicht sofort, sondern erst nach ausführlicher Debatte zu entscheiden . Beide Traktanden, die unveränderte Wahlreformnovelle und die Vorschläge Hamms, blieben jedoch auf der Strecke, weil es nicht einmal gelang, die Wahlreformnovelle vor der nächsten Reichstagsauflösung am 20 . Oktober 1924 durch das Parlament zu bringen .
33 34
Ebd ., Dok . 104, S . 363 f; Dok . 115, S . 390 f . Kabinettssitzung vom 12 .6 .1924, in: ebd ., Bd . 2, Dok . 220, S . 691 f .
156 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
3. Inflationsfolgen und der Streit um die „Aufwertung“
Die wichtigste kurzfristige Aufgabe der Regierung Marx bestand darin, die Inflation endgültig zu beseitigen . Dass dies nur möglich war, wenn auch der Haushalt saniert würde, war jedermann klar, ebenso wie die Tatsache, dass Haushalts- und Währungssanierung nur gelingen konnten, wenn die Wirtschaft nach dem zerstörerischen Jahr von Ruhrbesetzung und Zollabschließung, passivem Widerstand und Hochinflation wieder in Gang kam . Dazu bedurfte es einer konsequenten Haushalts-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik .35 Der schon seit der Regierung Cuno amtierende Finanzminister Hans Luther legte bereits eine Woche nach der Bildung des neuen Kabinetts am 7 . Dezember 1923 eine erste Steuernotverordnung vor . Sie zog die Steuertermine nach vorne, sodass – für viele überraschend – noch bis Ende Dezember die am dringendsten benötigten Steuereinnahmen eingingen . Die zweite Steuernotverordnung vom 12 . Dezember 1923 erhöhte die Umsatzsteuer und setzte die Einkommens-, Körperschafts- und Vermögenssteuersätze neu fest .36 Diese beiden Verordnungen sorgten sogleich für eine bessere Haushaltslage des Reichs und waren bei den die Regierung tragenden Parteien nicht weiter umstritten . Die dritte Notverordnung vom 14 . Februar 1924 erfasste über eine Mietzinssteuer und eine Obligationensteuer einen Teil der Inflationsgewinne und regelte den Finanzausgleich mit den Ländern – wenn auch nicht auf einer dauerhaft tragfähigen Basis . Immerhin wies das Reich mit der Mietzinssteuer und mit regulären Steuerüberweisungen an die Länder diesen in bescheidenem Umfang eigene Einnahmequellen zu . Vor allem aber regelte die dritte Steuernotverordnung die Frage, ob und in welchem Umfang die Hypothekenschulden nach der Währungsreform aufgewertet werden sollten . Dabei handelte es sich neben den Reparationen und der Rhein- und Ruhrfrage um das „größte wirtschaftliche, rechtliche und finanzielle Problem unseres Volkslebens“, wie Eduard Hamm es formulierte .37 Die Aufwertungsfrage war hochpolitisch, denn das Gesetz zog nolens volens einen Strich unter die gewaltige Umverteilung und Vernichtung von Vermögen durch die Inflation . Diese hatte mit der Entwertung der Geldvermögen alle Geldschuldner entschuldet und gleichzeitig den Sachwertbesitzern große Vorteile gebracht . Die Besitzer von Geldvermögen und die Gläubiger waren
Ebd ., Bd . 1, S . XIX–XXIX; Blaich, Wirtschaftskrise; James, Weltwirtschaftskrise, S . 136– 150; Lehnert, Weimarer Republik, S . 134–142 . 36 Vgl . die kurze Problemskizze in: AdR, Marx, Bd . 1, S . XXVII f; auch ebd ., Dok . 4 und 7 . 37 Schreiben an den Reichskanzler, 6 .1 .1924, betreffend die Aufwertungsfrage, in: BArch, R 3101, 15413 . 35
3. Inflationsfolgen und der Streit um die „Aufwertung“ 157
praktisch enteignet worden . Daher tauchte bereits am Ende des Jahres 1923 verschärft die Frage auf, ob die Gläubiger und Besitzer von Geldvermögen durch eine nachträgliche Wiederaufwertung von Hypotheken, Pfandbriefen, Sparkassenguthaben, Lebensversicherungen, aber auch Industrieobligationen und Anleihen der öffentlichen Hand für ihre Verluste zumindest partiell entschädigt werden sollten . Von den Parteien machte sich besonders die DNVP zur Anwältin der Gläubiger und forderte eine Aufwertung um 25 % . Vor allem aber setzte das Reichsgericht in Leipzig die Regierung sachlich und zeitlich unter Druck, indem es am 28 . November 1923 in einem Grundsatzurteil die Aufwertung von Hypothekenschulden bejahte und ganz allgemein eine individuelle Regulierung der Schulden empfahl .38 Das Urteil führte zu scharfen Kontroversen in der Öffentlichkeit, aber auch im Kabinett . Justizminister Emminger von der BVP plädierte aus rechtlichen, aber auch aus materiellen Gründen für eine Aufwertung um 10 % des Goldmarkbetrags . Finanzminister Luther hingegen wehrte sich gegen jede Aufwertung . Damit waren zu Beginn der Kabinettsberatungen die Extrempositionen markiert . Bis zur Verabschiedung des Gesetzes verschoben sich dann die jeweils favorisierten Sätze erheblich . Die von der DNVP geforderten 25 % lagen jenseits allem volkswirtschaftlich Vertretbaren und wurden vom Kabinett gar nicht erst in Erwägung gezogen . Der Druck, der in dieser Frage auch innerhalb der DDP ausgeübt wurde, war enorm . So erhielt Hamm bald nach Amtsantritt einen Besuch seines einflussreichen Fraktionskollegen, des Bankiers Bernhard Dernburg, und ein „persönliches“ Schreiben des Parteivorsitzenden und Hamburger Bürgermeisters Carl Petersen, die sich beide für höhere Aufwertungssätze einsetzten, wobei Petersen ausdrücklich für den gesamten Hamburger Senat sprach . Er verlangte im Namen einer „ethischen“ Sicht, dass die DDP sich der „durch die Entwicklung der Dinge Depossidierten“ annehmen müsse . Hamm vertrat dagegen die Ansicht, dass „im Grundsätzlichen das einmal Geschehene nicht mehr geändert“ werden und nur nach Möglichkeit „allzu groben Ungerechtigkeiten abgeholfen“ werden könne . Vorrangig sei jetzt „das Leben der Nation, nicht des Ethischen“ .39 Finanzminister Luther und Wirtschaftsminister Hamm waren sich in der Sache weitgehend einig . Luther legte am 15 . Dezember 1923 seinen Gesetzentwurf vor, der auf ein komplettes Verbot jeglicher Aufwertung hinauslief .40 Hamm stimmte dem Entwurf grundsätzlich zu, verlangte aber eindeutige Normen
AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 25 . Brief von Senator Petersen an Hamm, 27 .12 .1923, und Antwort Hamms vom 3 .1 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 30 . 40 AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 25, S . 108–113 . 38 39
158 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
für die Rechtsprechung und gab in sehr zurückhaltender Form zu bedenken, ob nicht für die dinglich gesicherten Forderungen eine „kleine Aufwertung“ erwogen werden könne .41 Am 6 . Januar 1924 schickte er an Reichskanzler und Finanzminister eine zehnseitige offizielle Stellungnahme, in der er Pro und Contra einer Aufwertung präzise und umfassend abwog .42 Eine Beilage zur Denkschrift bezifferte die Gesamtsumme aller in Frage kommenden Forderungen im Einzelnen: Reichs-, Bundesstaats-, und Kommunalanleihen im Jahr 1914: 25 Milliarden; Reichsschulden zum 30 . September 1922: 75,70 Milliarden; Gesamtbelastung des städtischen und ländlichen Grundbesitzes mit Hypotheken und Grundschulden bei Kriegsausbruch: 50–70 Milliarden . Hinzu kamen Schuldverschreibungen deutscher Aktiengesellschaften, Schuldverschreibungen und Pfandbriefe deutscher Bodenkreditinstitute und die Gesamtsumme aller Lebensversicherungen vor Kriegsausbruch: 37,6 Milliarden Goldmark . Die Forderungen der öffentlichen Hand wies Hamm kurzerhand ab . Für ihn ging es im Wesentlichen um die Aufwertung der Hypothekenforderungen, bei der folgender Kreis von Institutionen und Personen betroffen war: die unmittelbaren Hypothekengläubiger – unter ihnen auch zahlreiche öffentliche Stiftungen und Anstalten –, alle Pfandbriefeigner, Sparkassen, Privatversicherungsanstalten sowie alle Gläubiger dieser Einrichtungen . Die Aufwertungsforderungen von Öffentlichkeit und interessierten Parteien – so Hamm – beträfen aber jetzt auch die industriellen Obligationen und unverbriefte Privatforderungen, die durch das Reichsgericht ohnehin zunehmend gegen die Entwertung geschützt worden seien . Hamms denkschriftartige Stellungnahme verdient eine ausführliche Würdigung, weil sie exemplarisch zeigt, wie er die Argumente gegeneinander abwog, empirisch untermauerte und über seine Ressortzuständigkeit hinaus Grundsatzfragen der staatlichen Legitimations- und Autoritätssicherung einbezog . Die inhaltliche Erörterung begann Hamm mit einer harten Urteilsschelte . Die Rechtsprechung der letzten Monate habe die Lösung des Problems „ungeheuer erschwert“, indem sie die Aufwertungsfrage primär als Rechts- und nicht als wirtschaftliche Frage definiert habe . Wenn der Staat sich jetzt gegen die Aufwertung ausspreche, erscheine er in den Augen der interessierten Öffentlichkeit als „Rechtsbrecher […], der gewissenlos Inflationsgewinne auf der einen Seite zuließ und beläßt, den alten ehrlichen Besitz aber gerade nun, da Recht und Richter ihm zu Hilfe kommen […], in das
Ebd ., S . 111 . Schreiben von Hamm an den Reichskanzler, 6 .1 .1924, einschließlich Stellungnahme, in: BArch, R 3101, 15413 .
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3. Inflationsfolgen und der Streit um die „Aufwertung“ 159
Nichts“ zurückstoße .43 In der Sicht Hamms drohte dem Staat bei einem Aufwertungsverbot ein erheblicher Legitimitätsverlust . Ökonomisch sah er durch die Entwertung hypothekarischer Forderungen, die früher als sicherste Kapitalanlage gegolten hätten, den Realkredit und damit die Bereitschaft zu neuer, besicherter Kreditvergabe bedroht – gerade in Zeiten der Kreditnot eine massive Gefahr für die Kapitalbildung und damit auch für die konjunkturelle Erholung . Wenn die Regierung trotz all dieser Nachteile ein Aufwertungsverbot verordne, dann müssten dafür „zwingende Gründe des staatlichen Wohles“ sprechen, die Hamm dann Punkt für Punkt diskutiert . Tatsächlich funktioniere die deutsche Wirtschaft aktuell auf der Grundlage der faktischen Entwertungen einerseits und der Entschuldung andererseits . Würden etwa die alten Hypotheken auf dem landwirtschaftlichen Grundbesitz aufgewertet, so beschränke dies die Möglichkeiten neuer Kapitalbeschaffung gegen wertbeständige Verschuldung – ganz abgesehen von der Verminderung der staatlichen Steuereinnahmen . Dasselbe gelte für den städtischen Hausbesitz, der auf neue Kredite dringend angewiesen sei, um den heruntergekommenen Hausbestand sanieren zu können und Neubauten zu ermöglichen . Industrieobligationen aufzuwerten sei kontraproduktiv für die Ankurbelung der Wirtschaft, die ohnehin durch die nach der Währungsreform fälligen Bilanzierungen in Gold erhebliche Einbußen erlitten habe . Inflationsgewinne seien kaum noch irgendwo flüssig, da sie in den Ausbau von Produktionsanlagen gesteckt worden seien – mit ambivalenten Folgen; vernünftig investiert, kämen sie der Wirtschaft zugute, doch gehe derzeit der Ausbau des industriellen Apparates über den tatsächlichen Bedarf vielfach hinaus . Wenn tatsächlich eine Aufwertung kommen sollte, so ginge dies nur über ein „jahrzehntelanges Moratorium für Kapital und Zinsen“, wodurch aber gerade die „schonungs- und pflegebedürftigen verarmten Gläubigerkreise, auch die öffentlichen Anstalten und Stiftungen, die fortlaufende Aufgaben zu erfüllen haben“, darauf angewiesen seien, ihre Schuldtitel gegen geringsten Erlös zu veräußern . Aus praktischen, wirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen Gründen hielt Hamm den Vorschlag des Reichsgerichts, das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner jeweils individuell zu prüfen und danach die Aufwertung zu bemessen, für „völlig unmöglich“ .44 Unabdingbar sei eine generelle Regelung . Die Wirtschaft benötige unbedingte Klarheit und Rechtssicherheit . Auf keinen Fall dürfe der Reichshaushalt belastet und der Finanzausgleich mit den Ländern gefährdet werden . Auch drohten durch aufwertungsbedingte Preissteigerungen wieder inflationäre Tendenzen, die um jeden Preis verhin-
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Stellungnahme, in: ebd ., S . 2 . Stellungnahme, in: ebd ., S . 6 .
160 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
dert werden müssten . Eine neue Inflation, so Hamm, würde die deutsche Staatlichkeit zerstören . Gleichwohl – so die einschränkende Argumentation – könne das Rechtsempfinden gegenüber den wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ganz außer Acht gelassen werden . Hamm schlug daher vor, die Aufwertung der öffentlichen Schulden rundweg sowie der Industrieobligationen praktisch auszuschließen und für hypothekarische Forderungen „endgültig auf das bescheidene Maß von 5 bis 10 %“ zu beschränken .45 Nach heftigen Debatten billigte der zuständige Reichstagsausschuss Luthers Gesetzentwurf – allerdings erst, nachdem dieser schrittweise zuerst auf eine fünfprozentige und dann zehnprozentige Aufwertung der Hypothekenschulden zurückgewichen war . Im Wirtschaftsministerium waren inzwischen elf Stellungnahmen betroffener Verbände eingegangen, vom Zentralverband des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes über den DIHT, einzelne Handelskammern und den Richterverband beim Reichsgericht bis zum Deutschen Sparkassenverband und Deutschen Versicherungs-Schutz-Verband . Die Voten Pro und Contra hielten sich etwa die Waage .46 Am 29 . Januar 1924 einigten sich die Vertreter von DDP und DVP, Hamm und Stresemann, mit dem Finanzminister auf die 10 % . In einer Besprechung führender Reichstagsabgeordneter mit dem Reichskanzler plädierte der DDP-Abgeordnete Koch-Weser dann aber doch für 15 %; Rudolf Hilferding erklärte für die SPD, er sei zwar gegen jede Aufwertung, könne aber im Interesse einer Erledigung der Sache gegebenenfalls einer „geringen Aufwertung“ zustimmen . Auf Betreiben der Reichstagsmehrheit wurde der Aufwertungssatz schließlich auf 15 % festgesetzt, allerdings zugleich die Tilgung der Aufwertungsschuld im Sinne des Moratoriumsvorschlags bis zum Jahr 1932 hinausgeschoben . Mit diesen Modifikationen gelang es, die dritte Steuernotverordnung einen Tag vor Ablauf des Ermächtigungsgesetzes am 14 . Februar 1924 in Kraft zu setzen . Hamm war inzwischen zwar von seinem ursprünglichen Null-ProzentVorschlag abgewichen, hatte aber zweifellos eingesehen, dass ein Festhalten an ihm sinnlos geworden war, nachdem Finanzminister Luther dem Druck der Interessenten ein Stück weit nachgegeben hatte . So erklärte er die 15 % für „nur schwer tragbar“ und gehörte neben Luther zweifellos zu den drei Stimmen, die gegen eine Mehrheit von fünf Stimmen an den 10 % festhielten .47
Stellungnahme, in: ebd ., S . 8 . Vermerk „Eingaben zur Aufwertungsfrage vom 5 .2 .1924“, in: BArch, R 3101, 15413, Bl . 269–276 sowie Bl . 123–238 . 47 Ministerrat vom 13 .2 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 103, S . 360 f . Lothar Döhn kritisiert die Position Hamms in der Aufwertungsfrage scharf als pure Übernahme der industriellen Interessenpolitik, der es darum gegangen sei, die Produzenten so weit wie möglich zu entlasten und eine Kaufkraftstärkung und dadurch erwartete Konsumwelle bei breiten Kon45 46
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 161
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen
Die mit Abstand wichtigste Entscheidung des Jahres 1924 und damit der Regierungen Marx I und II bestand darin, das Dawes-Abkommen zu verhandeln und seine Annahme durch den Reichstag durchzusetzen . Der Vertrag regelte die Reparationenfrage neu und schuf mit festgelegten Annuitäten und einem verbesserten Transfer-Management die Basis für eine breit angelegte internationale Verständigungspolitik – ein Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Beziehungen zwischen 1918 und 1931/32 . Das innenpolitische Klima in Deutschland wie auch die aktuelle Kräfteverteilung im internationalen System schufen für das Zustandekommen des Vertrags seit Beginn des Jahres 1924 in vieler Hinsicht günstige Voraussetzungen .48 Entscheidend für eine neue Verständigungsbereitschaft auf Seiten Deutschlands wie der Siegermächte war zweifellos die Erfahrung des Ruhrkampfs mit seinen desaströsen Folgen für Deutschland, aber auch für Frankreich und seine Verbündeten sowie für das weltwirtschaftliche System insgesamt . Die wirtschaftliche „Rendite“, die Frankreich und Belgien aus der Besetzung von Rhein und Ruhr gezogen hatten, war sehr viel geringer ausgefallen als erhofft . Der Abbruch des passiven Widerstands hatte für Frankreich auch sicherheitspolitisch keinerlei langfristige Vorteile gebracht . Die durch den Ruhrkampf ins Uferlose gesteigerte Inflation in Deutschland hatte die Exportchancen Großbritanniens und der USA auf dem großen deutschen Markt geschwächt und mit dem Zusammenbruch der deutschen Zahlungsfähigkeit in Goldmark bzw . Devisen auch den Fluss der deutschen Reparationszahlungen weitgehend zum Erliegen gebracht . Dadurch wiederum waren auch die Chancen Frankreichs und Großbritanniens gemindert worden, ihre
sumentenschichten zu verhindern, weil diese Preissteigerung zur Folge gehabt hätten . Hamm habe nachträglich die Flucht in Sachwerte belohnt, indem er die Industrieobligationen von der Aufwertung ausnehmen wollte . In der Tat stand bei Hamm der Aspekt notwendiger neuer Kapitalbildung nach der Inflation im Vordergrund . Eine Sorge vor einer Kaufkraftstärkung breiter Bevölkerungskreise ist jedoch in keiner Weise zu erkennen, so weit ging Hamms Bevorzugung der Kapitalbildungstheorie keineswegs . Dass – wie Döhn klagt – mittelständische Wünsche nach einer möglichst hohen Aufwertung enttäuscht wurden, ist nicht zu bestreiten . Interessenpolitisch stellte die Aufwertungsdebatte für die DDP tatsächlich eine Katastrophe dar, weil sich die Interessen ihrer Klientel aus Industrie und Mittelstand hier konträr gegenüberstanden . In der Debatte über das Gesetz und bei seiner Verabschiedung spielte die Partei daher auch eine unglücklich unentschiedene Rolle, was zum dauerhaften Verlust mittelständischer Wähler sicherlich beigetragen hat . Sie lehnte das Gesetz mit einer in sich widersprüchlichen Erklärung ab; Döhn, Wirtschafts- und Sozialpolitik, S . 100 f; Stephan, Aufstieg, S . 297 . 48 Krüger, Außenpolitik, S . 218–242; Blessing, Frieden, S . 138–149 .
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Kriegsschulden bei den USA zahlen zu können . Die zerstörerischen Folgen des harten Konfrontationskurses hatten bei allen Beteiligten ein Umdenken gefördert . Tatsächlich kam die entscheidende Initiative, das Verhältnis zwischen den Siegermächten und Deutschland grundsätzlich neu zu ordnen, von der amerikanischen Außenpolitik . Sie stützte sich dabei auf den Grundgedanken amerikanischer Wirtschaftsexperten, politische und wirtschaftliche Interessen stärker zu entflechten und den Schwerpunkt zunächst auf eine sachliche Erörterung der rein ökonomischen Fragen zu legen . Die USA brachten ihren zuvor von Raymond Poincaré abgelehnten Plan einer Expertenkommission wieder ins Gespräch .49 Das entsprach dem deutschen Verlangen, die tatsächliche Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bei der Bemessung der Reparationszahlungen stärker in Rechnung zu stellen . Schon die Regierungen Wirth II und Cuno hatten daher der Berufung einer Expertenkommission zugestimmt . Am 9 . April 1924 legten die Dawes-Experten ihren Abschlussbericht, das sogenannte Dawes-Gutachten, vor . Die Reichsregierung stimmte diesem und den in ihm enthaltenen Vorschlägen bereits am 16 . April 1924 zu, während Frankreich für seine grundsätzliche Zustimmung bis zum 25 . April brauchte und zahlreiche Bedingungen für den endgültigen Vertragstext formulierte . Im deutschen Kabinett zeichneten der Außen-, der Finanz- und der Wirtschaftsminister verantwortlich für die Themen, die in den Dawes-Verhandlungen zur Debatte standen . An der Spitze der deutschen Delegation, die die Verhandlungen nach zweiwöchigen Beratungen der Siegermächte untereinander schließlich im August 1924 in London abschloss, standen Reichskanzler Marx persönlich, Außenminister Stresemann, Finanzminister Luther und der Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, Carl von Schubert . Für das Wirtschaftsministerium verhandelte Staatssekretär Ernst Trendelenburg . Vor allem das federführende Außenministerium hatte schon die Beratungen der Dawes-Kommission in Paris von Januar bis April 1924 aufmerksam begleitet und sich auf den Moment vorbereitet, in dem Deutschland zum Gutachten Stellung zu nehmen hatte . Das Kabinett beriet unter anderem bereits am 30 . Januar und dann am 12 . April 1924 auf seiner informellen Kenntnisbasis über den Stand der Kommissionsarbeit . Am 30 . Januar kam erstmals die von den Alliierten verlangte Verpfändung der deutschen Eisenbahnen für Reparationszwecke zur Sprache . Sie bildete, wie Luther erklärte, das größte Aktivum, das als „Mittel für die Auslösung des Ruhrgebiets zur Verfügung stand“ – wo-
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Krüger, Außenpolitik, S . 225–229; Blessing, Frieden, S . 146 f .
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 163
mit er auch den für die deutsche Seite zentralen Zusammenhang zwischen Reparationen und Ruhrräumung ansprach .50 Die mit der Verpfändung verbundene „Internationalisierung“ der Bahn und ihrer Leitungsgremien bedeutete allerdings einen erheblichen Verlust an Souveränität für das Deutsche Reich und musste die nationalpolitische Erregung im Lande zusätzlich befeuern . Verkehrsminister Rudolf Oeser (DDP) sah in dem „unvermeidlichen Verlust der Tarifhoheit“ denn auch einen „außerordentlich schweren Nachteil für die Gesamtwirtschaft“ und lehnte eine solche „Fortgabe der Eisenbahnen“ generell ab . Sehr viel zurückhaltender verlangte Hamm, dass die deutschen Unterhändler gegenüber den Sachverständigen die „Bedenken gegen eine Internationalisierung der Eisenbahnen“ stark betonen müssten . Er stimmte aber mit dem Auswärtigen Amt darin überein, dass sich eine „internationale Mitwirkung“ bei der Verpfändung staatlicher Vermögenswerte zugunsten einer Erleichterung der Reparationslast nicht völlig vermeiden lasse . Damit war unbeschadet der noch ungeklärten materiellen Durchführungsbestimmungen die gravierendste Streitfrage um das Dawes-Abkommen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt grundsätzlich entschieden . Da mit dem Auslaufen des Ermächtigungsgesetzes am 15 . Februar 1924 die fragile Reichstags-Mehrheit für die Regierung zum Problem geworden war und Neuwahlen vor der Tür standen, überschnitten sich die Pariser Verhandlungen der Dawes-Expertenkommission mit den Überlegungen der Regierung zu einem möglichst günstigen Wahltermin . Dabei zeigte sich, dass Hamm durchaus auch kurzfristig-taktische Überlegungen anzustellen bereit war, hauptsächlich aber die Grundlinien der Stresemann’schen Außenpolitik in den Vordergrund stellte . Im Wahlaufruf der Regierung müssten die außenpolitischen Ziele „so klar wie möglich“ benannt werden . Man müsse die heutige Lage des Reiches mit der im November 1923 kontrastieren und dabei hervorheben, dass es sich „jetzt nicht um Einzelfragen“ handele, sondern „um das Bestehen des Reiches“ .51 Wenn Hamm zugleich davon abriet, das DawesGutachten selbst – das am 7 . April zur Veröffentlichung anstand – zu sehr in den Vordergrund zu stellen, so dachte er dabei an die Wähler der Rechten . Es stellte sich dann aber heraus, dass die am weitesten rechts stehenden Mitglieder der Regierung, Ernährungsminister von Kanitz und Innenminister Jarres (DVP), den Entwurf eines Wahlaufrufs der Regierung vom 24 . April ohnehin
Ministerbesprechung vom 30 .1 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 81, S . 302; die folgenden Zitate ebd ., S . 301 f sowie Anm . 5 . 51 Ministerbesprechung vom 16 .4 .1924, in: ebd ., Dok . 181, S . 571; Ministerbesprechung vom 24 .4 .1924, in: ebd ., Dok . 184, S . 580 . 50
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ablehnten, weil ihnen die positive Bewertung des Dawes-Gutachtens darin zu weit ging . Die Regierung musste daher ohne Aufruf in die Wahl gehen .52 In der Neuorientierung der Außen- und Außenwirtschaftspolitik nach dem Ruhrkampf war den Akteuren die Tragweite dieser Politikwende sehr wohl bewusst . Hamm gab im Kabinett wie in mehreren seiner Denkschriften seiner Einschätzung Ausdruck, dass man hier und jetzt „vor wichtigen und grundsätzlichen Entscheidungen“ stehe .53 Zu diesen gehörte auch die Einsicht, dass Deutschland dringend die weltwirtschaftlichen Beziehungen wieder aufnehmen und stärken müsse, die durch den Krieg und die Nachkriegskonfrontationen bis zum Herbst 1923 so stark gestört, wenn nicht ganz unterbrochen worden waren . Die erhoffte Rückkehr zur – freilich selbst prekären – weltwirtschaftlichen „Normalität“ verlangte eine kooperative Handelspolitik mit einem möglichst weitgehenden Abbau der Zollschranken . Als die Dawes-Verhandlungen mit der Londoner Konferenz in ihr entscheidendes Stadium traten, galt es für die deutsche Wirtschafts- und Außenhandelspolitik, diese Linie mit den nationalpolitischen, zugleich freilich auch ökonomisch begründeten Bedürfnissen und Emotionen der deutschen Bevölkerung auszubalancieren . Ein Abkommen zur Neufixierung der Reparationsschuld, selbst wenn es den Status quo verbesserte, erschien aus deutscher Sicht nur akzeptabel, wenn gleichzeitig über das Ende der Besetzung von Rhein und Ruhr verhandelt wurde, die ja auch nach der Aufgabe des passiven Widerstands Ende September 1923 weiterging . Das alliierte Besatzungs- und Kontrollregime musste mit dem Anspruch auf nationale Souveränität so ausgeglichen werden, dass die nationale Empörung nicht neue Nahrung bekam . Zugleich galt es dort zu einem Kompromiss zu kommen, wo die französischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen mit den Interessen der Schwerindustrie an Rhein und Ruhr kollidierten . Dabei mussten auch Grundsatzentscheidungen darüber gefällt werden, wo für die deutsche Regierung und insbesondere für den Wirtschaftsminister die Prioritäten lagen: bei den Interessen der deutschen Schwerindustrie oder bei der Verständigungspolitik . Im Prinzip begrüßte die deutsche Wirtschaft zwar die Vorschläge des Dawes-Gutachtens .54 Aber bei der Frage, ob für eine möglichst frühzeitige Räumung des Ruhrgebiets
Die Vorbehalte von Jarres sowie das Schreiben von Kanitz an den Reichskanzler vom 30 .4 .1924, teilweise abgedruckt in: ebd ., Dok . 190, S . 600, Anm . 1 . 53 So Krüger, Außenpolitik, S . 252, unter Bezug auf Hamm, Memoranden, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 46; ebd ., Bd . 2, Dok . 385 . 54 Vgl . z . B . die Resolution der IHK Berlin, 2 .5 .1924, in: BArch, R 3101, 14913; AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 175, S . 558, Anm . 8; dort die Erklärung des Präsidenten des RDI, Kurt Sorge, vom 11 .4 .1924, dass die Vorschläge des Dawes-Gutachtens angenommen werden müssten . 52
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 165
notfalls einzelne Konzessionen zu Lasten der Industrie an Rhein und Ruhr gemacht werden sollten, prallten die Ansichten doch heftig aufeinander . Auf der Tagesordnung der Londoner Konferenz standen hauptsächlich drei Problemkreise: die vertragliche Fixierung und die Durchführungsmodalitäten des Dawes-Plans, die Räumung des Ruhrgebiets durch die Besatzungstruppen und die Möglichkeit eines deutsch-französischen Handelsvertrags, mit dem die französische Regierung das Faktum der Ruhrräumung zu kompensieren hoffte . Verglichen mit der Ausgangslage vor Antritt der Regierung Marx am 15 . November 1923 hatte sich die französische Verhandlungsposition dramatisch verschlechtert . Die Hauptursache dafür lag neben den Regierungswechseln in London und Paris auf einem Feld, das von Deutschland aus nur sehr partiell überblickt werden konnte . Allerdings hatte Eduard Hamm schon in seiner April-Denkschrift 1923 zur Beendigung des Ruhrkampfes zwei maßgebliche Faktoren benannt, die allein ein französisches Einlenken bewirken könnten: die Trennung der britischen Außenpolitik vom französischen Vorgehen – eine Hoffnung, die sich seit Ende Juli 1923, also unmittelbar vor dem Rücktritt der Regierung Cuno, schrittweise zu realisieren begann; und eine Franc-Krise, die kurzfristig – im Frühjahr/Sommer 1923 – nicht zu erwarten gewesen, bis zum Sommer 1924 jedoch eingetreten war . Heute lässt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den durch die US-Regierung vermittelten Krediten amerikanischer Banken an Frankreich und dem Fortschreiten der französischen Konzessionsbereitschaft bis in den August 1924 herstellen . Diese Vorgänge blieben der deutschen Politik freilich unbekannt . Sie konnte nur immer wieder überrascht konstatieren, dass der Dawes-Prozess sehr viel erfolgreicher ablief, als sie erwartet hatte .55 Einen wesentlichen Baustein für die Implementierung des Reparationsplanes bildete die Industrie-Obligation, mit der – neben der Verpfändung der Reichsbahn – die Reparationszahlungen dinglich abgesichert werden sollten . Die deutsche Industrie hatte sich aus ihrem grundsätzlichen Interesse an einer
Vgl . z . B . Ministerrat vom 15 .8 .1924, in: ebd ., Bd . 2, Dok . 276, S . 960 . Die Unkenntnis dieser Hintergründe wirft ein fatales Licht auf die schwungvoll-bedenkenlose Kritik auch mancher Großunternehmer wie zum Beispiel Paul Reuschs an der Dawes-Politik der Regierung und übrigens auch des RDI: „Ich habe gegen verschiedene Punkte des Gutachtens die allerschwersten Bedenken […] Ich sage Ihnen – und habe das auch offen ausgesprochen, dass die Regierung nicht anders handeln konnte und durfte, als sie gehandelt hat . Ich hätte aber gewünscht, dass die Regierung sich im Lande sowohl bei Wirtschaftlern als Politikern eine energischere Opposition bestellt hätte, damit das Ausland sich darüber klar wird, dass wir nur unter dem Druck der Verhältnisse das Diktat – es ist doch nichts anderes als ein Diktat – annehmen .“ Reusch an Hamm, Nürnberg, 6 .6 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32 .
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Dawes-Einigung heraus mit dieser Auflage einverstanden erklärt .56 Zur Bearbeitung der ungemein komplexen Materie berief der Wirtschaftsminister eine Kommission von Finanzexperten, die von deutscher Seite von Hans Schäffer geleitet wurde und die schließlich noch den schwedischen Großindustriellen und Bankier Marcus Wallenberg als neutrale Instanz hinzuzog . Das Gremium erarbeitete einen praktikablen Gesetzentwurf .57 Sehr viel politischer eingefärbt waren die Beratungen um den Zusammenhang von Ruhrräumung und Handels- und Zollpolitik . Innerhalb Deutschlands verliefen sie natürlich nicht im luftleeren Raum .58 Als am 13 . Juli 1924 die Verhandlungen zur Implementierung des Dawes-Plans im Wesentlichen abgeschlossen waren, brachte die französische Regierung die für sie essentielle Sicherheitsfrage wieder aufs Tapet . Mit Erfolg drängte Ministerpräsident Édouard Herriot seinen britischen Kollegen Ramsay MacDonald dazu, die Kölner Zone erst räumen zu lassen, wenn die deutsche Entwaffnung sichergestellt sei . Infolgedessen blieb der Rückzug aus der Kölner Zone bis zum Ende der Amtszeit Stresemanns im Oktober 1929 auf der Tagesordnung – ein Gegenstand permanent abrufbarer Entrüstung in Deutschland . Vor allem aber forcierte die französische Regierung jetzt den Wunsch nach einem Handelsvertrag mit Deutschland . Er diente einerseits als Verhandlungsmasse für den Zeitplan bei der Räumung des Ruhrgebiets, sollte aber auch einige substanzielle Privilegien längerfristig sichern, die noch aus den ursprünglichen zollpolitischen Auflagen des Versailler Vertrags stammten . Die auf beiden Seiten des Rheins angestellten Überlegungen zu einem deutsch-französischen Handelsvertrag nahmen daher eine dramatische Wende, als die französische Delegation in London die Verhandlungen über das Dawes-Abkommen unvermittelt für ihre kurz- und langfristigen handelspolitischen Interessen zu nutzen suchte . Es ging ihr darum, die Privilegien, die sie gemäß den handelspolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrags besaß, vor deren Auslaufen am 10 . Januar 1925 durch den Abschluss eines neuen Vertrags so weit wie möglich zu retten: die langfristige zollfreie Einfuhr von Waren aus Elsass-Lothringen, das heißt vor allem von Roheisen und Stahl,
Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder, 14 .4 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 175, S . 560 f . 57 Kabinettssitzung vom 26 .5 .1924, in: ebd ., Dok . 208 . 58 Schon die Internationalisierung der Eisenbahnen rief die Länder auf den Plan, die unter der Führung Bayerns eine Entschädigung für ihre Besitzanteile verlangten; vgl . ebd ., Bd . 2, Dok . 228, 243, 248, 252, 282 . Hamm empfahl in einer Ministerbesprechung am 19 .6 .1924 nach einer Intervention des bayerischen Handelsministers von Meinel dringend, den Wünschen Bayerns nach einer Beteiligung an den Verhandlungen über das Eisenbahngesetz entgegenzukommen; ebd ., Dok . 228, S . 722 f . 56
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 167
und die generelle Erhaltung der deutschen Meistbegünstigung für die französische Ausfuhr . Damit traf sie auf den Widerstand der deutschen Schwerindustrie . Die Londoner Verhandlungen boten für Frankreich die letzte Möglichkeit, diese handelspolitischen Ziele mit dem Druckmittel der Ruhrräumung zu erzwingen .59 Am 8 . August 1924 gab es darüber ein Gespräch zwischen Herriot und Stresemann, und am 11 . August präsentierte die französische Delegation den Entwurf eines Handelsvertrags mit weitreichenden Bestimmungen: der einseitigen Gewährung der Meistbegünstigung für Frankreich, der Verlängerung der elsass-lothringischen Kontingente um drei Jahre und eine Beteiligung der französischen Industrie an deutschen Bergwerken, um ihre Kohleversorgung zu sichern . Zudem stellte der Entwurf ein Junktim her zwischen dem Abschluss eines Handelsvertrags vor dem 10 . Januar 1925 und der Drohung mit einem Übergangsabkommen, das Deutschland nur einige Handelsvorteile eingeräumt, Frankreich aber einstweilen seine Versailler Zollprivilegien gesichert hätte . Allerdings war die deutsche Regierung auf eine solche Verhandlungssituation vorbereitet . Am 11 . Juli 1924 hatten der Reichskanzler und die Minister für Finanzen und Wirtschaft Luther und Hamm mit Gewerkschaftsvertretern über das Dawes-Abkommen beraten . Hamm hatte versichert, dass bei Industrieerzeugnissen Einfuhrzölle nur insoweit geplant seien, „als damit die Aufhebung der bestehenden Einfuhrverbote erleichtert werden könne“ .60 Damit war klar, dass das gewerkschaftliche Interesse an preiswerten, also zollfreien auswärtigen Konsumgütern möglichst bedient werden sollte – das entsprach ohnehin der Linie der Regierungspolitik . Und am 29 . Juli hatte Stresemann im Kabinett den Wirtschaftsminister aufgefordert, seine Position zu einem deutsch-französischen Handelsvertrag darzustellen . Hinter seiner Frage standen Überlegungen des Auswärtigen Amts, eine frühere Ruhrräumung eventuell durch handelspolitische Konzessionen an Frankreich zu erkaufen . Demgegenüber verwies Hamm zunächst auf die Grundsatzprobleme, die durch das Auslaufen der Versailler Zollbestimmungen am 10 . Januar 1925 aufgeworfen würden, sprach sich aber auch für einen Handelsvertrag mit Frankreich aus, den Deutschland angesichts seiner handelspolitischen Übermacht nicht zu fürchten brauche .61 Am 10 . August 1924 erkundete Hamm in einer ausführlichen Besprechung mit den Vertretern der Eisen- und Stahlindustrie, Peter Klöckner und
Vgl . Blessing, Frieden, S . 169 ff . AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 250, S . 882 . 61 Ebd ., Dok . 264, S . 922 f . 59 60
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Jakob Wilhelm Reichert, sowie der Chemieindustrie, Ernst von Simson, inwieweit die deutsche Industrie zu handelspolitischen Konzessionen im Gegenzug zu einer frühzeitigen Ruhrräumung bereit war . Die handelspolitische Kommission des RDI hatte über das Thema am 5 . August 1924 diskutiert und seine Linie festgelegt . Die Vertreter der Eisen- und Stahlindustrie, Paul Reusch, Eugen Köngeter, Reichert und Max Schlenker, hatten für kompromisslose Härte plädiert . Reusch erklärte, dass die Räumung des Ruhrgebiets „unter keinen Umständen“ zum Gegenstand eines „Kuhhandels“ gemacht werden dürfe . Irgendwelche Konzessionen würden nur die „Anerkennung der Rechtmäßigkeit der Besetzung“ bedeuten .62 Die Industriellen befürchteten auch, dass jetzige Zugeständnisse die deutsche Verhandlungsposition bei künftigen Handelsverträgen schwächen würden . Demgegenüber erklärte Hamm, dass „er persönlich die trostlose Lage der Industrie sehr wohl einsehe . Man sei hier aber in der Etappe; wie es an der Front in London im Einzelnen aussehe und wie da der Stand der Verhandlungen sei, könne man von hier aus nicht beurteilen“ .63 Das war die Linie Hamms auch gegenüber der deutschen Verhandlungsdelegation und speziell gegenüber seinem Staatssekretär Trendelenburg in London . Zwar telegraphierte er diesem am 9 . August 1924, er halte es für „unzulässig“, für die Räumung des Ruhrgebiets wirtschaftliche Konzessionen zu machen – schon deshalb, weil Frankreich die Besetzung wohl kaum noch „auf längere Dauer“ durchhalten könne .64 In offiziellen Telegrammen an die deutsche Delegation (Trendelenburg und von Schubert) verlangte er, den Eindruck „nicht besonders notwendiger Konzessionen oder vorschneller Opferung“ unbedingt zu vermeiden .65 Und am 13 . August telegraphierte Staatssekretär Franz Kempner aus der Reichskanzlei: „Bei elsass-lothringischen Kontingenten tritt Kabinett Standpunkt Wirtschaftsministers bei und bittet der Verlängerung stärkst-möglichen Widerstand zu leisten“ .66 Doch war dies vor allem eine taktische Position . Grundsätzlich war Hamm überzeugt, dass die Londoner Konferenz nicht scheitern dürfe . Am 13 . August telegraphierte Trendelenburg seinerseits aus London, dass die jüngsten Forderungen des französischen Finanzministers Étienne Clémentel „schwere Gefahren“ für die deutsche Wirtschaft mit sich brächten und aus „wirtschaftlichen Gründen“ keinesfalls akzeptiert werden könnten; diese Position habe er auch
BArch, R 3101, 20458, Bl . 130 f . AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 272, S . 947 . 64 BArch, R 3101, 20458, Bl . 58 . 65 Telegramm Hamm und Simon, 12 .8 .1924, in: ebd ., Bl . 115–117 . 66 Ebd ., Bl . 118 f . 62 63
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innerhalb der deutschen Delegation vertreten .67 Demgegenüber berichtete Hamm in handschriftlichen Briefen an Trendelenburg am 10 . und 13 . August 1924 zwar seinerseits über die Position der Industrievertreter, hielt aber Abstand dazu und wies auf die konziliantere Position hin, die unter anderen Rudolf Frank, Georg Müller-Oerlinghausen und Hans Kraemer eingenommen hätten . Zudem ging er knapp auf die Spannung ein, die sich zwischen den Vertretern des Auswärtigen Amts und des Wirtschaftsministeriums (Trendelenburg) in London ergeben hatten . Offenbar sei Außenminister Stresemann über die von Trendelenburg verfochtene strikt ablehnende Linie etwas indigniert . Natürlich müssten die wirtschaftlichen Auflagen möglichst gering gehalten werden . Die Berliner Zentrale sei jedoch konzilianter – „wir wären auch mit etwas weniger einverstanden gewesen“ .68 Die Londoner Verhandlungen dürften jedenfalls an der Frage des Räumungstermins – und das hieß in der aktuellen Verhandlungssituation an den Interessen der Industrie – nicht scheitern . Abschließend bekundete Hamm Trendelenburg und den anderen Delegationsmitgliedern seine Bewunderung und das „rückhaltlose Vertrauen“ für ihre Arbeit .69 Sein Bestreben war es offenkundig, der Delegation gegenüber den Wirtschaftsvertretern den Rücken freizuhalten und die unbedingte Vorrangigkeit des Dawes-Abschlusses auch gegenüber seinem Unterhändler in London, Trendelenburg, hervorzuheben . Überraschenderweise lenkte die französische Delegation nunmehr sowohl in der Frage der Räumung wie des Handelsvertrags ein . Beim Handelsvertrag kollidierten die Interessen Großbritanniens und der USA mit denen Frankreichs, sodass die Anglosachsen ein Junktim zwischen Handelsvertrag und Räumungsfrage sicher abgelehnt hätten . Für die deutsche Delegation andererseits stellte das möglichst rasche Ende der Ruhrbesetzung eine zentrale Prestigefrage dar, bei der auch die Reichstagsmehrheit für das ganze Abkommen auf dem Spiel stand . Als Herriot eine kürzere Frist als das schon angebotene eine Jahr ablehnte, sich dafür aber bereit zeigte, Dortmund sofort zu räumen, steckten die Verhandlungen in einer so dramatischen Sackgasse, dass Reichskanzler, Außen- und Finanzminister in London erst einmal beschlossen, die Meinung des Reichspräsidenten Ebert und des Gesamtkabinetts einzuholen . Ebert und das Kabinett berieten darüber am 14 . August 1924 . Hamm erklärte sich zwar damit einverstanden, dass die Delegation die Verhandlungen erst einmal unterbreche, plädierte aber eindeutig dafür, notfalls für eine kürzere Räumungsfrist auch wirtschaftliche Zugeständnisse in Kauf zu nehmen .
Ebd ., Bl . 106 f . Schreiben Hamm an Trendelenburg, 13 .8 .1924, in: ebd . 69 Ebd . 67 68
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Dass London nicht scheitern dürfe und wohl auch gar nicht scheitern könne, das sei gemeinsame Auffassung .“70 Das Kabinett einigte sich darauf, der Delegation Handlungsfreiheit zu lassen . Hamms Formel im Kabinett lautete, dass „die militärische Räumung nicht durch zu hohe wirtschaftliche Zugeständnisse erkauft werden dürfe“ – womit der Delegation ein breiter Entscheidungsspielraum eröffnet war . In einer weiteren Sitzung am 15 . August, an der sich auch Reichspräsident Ebert lebhaft beteiligte, bewertete die kleine Ministerrunde das letzte französisch-belgische Angebot, nicht nur Dortmund, sondern auch Mannheim, Karlsruhe und Offenburg zu räumen sowie die französischen und belgischen Eisenbahner sofort aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, als ausreichend . Zudem hatte man sich in London darauf geeinigt, dass offizielle Gespräche über ein deutsch-französisches Handelsabkommen erst am 1 . Oktober 1924, also nach der Unterzeichnung des Dawes-Abkommens, beginnen sollten . Hamm – und ebenso Ebert – betonten im Kabinett noch einmal den Erfolg, dass Ruhrräumung und handelspolitische Abmachungen voneinander getrennt worden waren .71 Die am 1 . Oktober 1924 wiederaufgenommenen Verhandlungen über einen deutsch-französischen Handelsvertrag, die auf deutscher Seite erneut Staatssekretär Trendelenburg führte, verliefen dann auch überaus zäh . Zu einem ersten, provisorischen Abschluss kam es erst am 28 . Februar 1925 . Erst am 17 . August 1927 gelang es endlich, den Vertrag auf Dauer zu stellen . Nachdem die Regierung das Londoner Verhandlungsergebnis gebilligt hatte, ging in den letzten Augusttagen 1924 der Kampf um das Dawes-Abkommen in die letzte und entscheidende Runde . Man brauchte eine Reichstagsmehrheit . Diese war für die meisten Dawes-Vereinbarungen gesichert, da neben den Regierungsparteien auch die SPD die Verhandlungsergebnisse guthieß und für die meisten Dawes-Gesetze die einfache Mehrheit genügte . Das Reichsbahn-Gesetz allerdings hatte verfassungsändernden Charakter und benötigte eine Zweidrittelmehrheit . Diese war bis zum letzten Augenblick ungewiss . Von Anfang an hatten die Deutschnationalen gegen den Verständigungskurs der Regierung Marx/Stresemann opponiert . Jetzt mussten sie sich entscheiden, ob sie mit ihren Stimmen dem Eisenbahngesetz als unverzichtbarem Baustein des ganzen Dawes-Gebäudes zustimmen sollten oder nicht . Als der Reichstag am 26 . und 28 . August die Gesetze in zweiter Lesung diskutierte, trug neben der Ungewissheit über das Votum der DNVP auch die neue Stärke der Extremen von Links und Rechts – die KPD mit ihren 12,6 % und die Rechtsradikalen mit ihren 6,5 % – zur aufgeheizten Atmosphäre bei .
70 71
Ministerrat vom 14 .8 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 274, S . 953 . Ministerrat vom 15 .8 .1924, in: ebd ., Dok . 276, S . 961 .
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 171
Am 26 . August hatte Eduard Hamm zunächst das Reichsbank-Gesetz einzubringen . Unmittelbar vor ihm sprach Gottfried Feder, der im Mai erstmals in den Reichstag gewählte NS-„Wirtschaftsexperte“ und Mitverfasser des „NS-Parteiprogramms“ von 1920 . Seine Rede war auf den Grundton einer maßlosen Polemik gestimmt . An den Anfang stellte Feder als rhetorisches Grundmotiv die angebliche „Knechtseligkeit“ der deutschen Politik der letzten Jahre . Dieses Motiv variierte er in einer Vielzahl von Schimpfwörtern wie „Dummheit“, „Verbrechen“, „Verantwortungsmüdigkeit“, „Tiefstand deutscher Staatsmoral“, „neudeutsche Gehirnkrankheit der Erfüllungsparalyse“ . Am Reichsbank-Gesetz beklagte er die „Finanzautorität des Auslandes“ . Mit diesem und dem Eisenbahngesetz gebe die deutsche Regierung die „zwei wesentlichsten Hoheitsrechte des deutschen Volkes […] an die Weltfinanz“ preis .72 Diese Polemik deckte sich strukturell weithin mit den Ausführungen des KPD-Abgeordneten Ernst Thälmann am dritten Tag der Debatte, dem 28 . August . Rechts- und Linksradikale bedienten einen ganz analogen Nationalismus, kombiniert mit der Polemik gegen die angebliche Herrschaft des internationalen Finanzkapitals . Als Hamm im Anschluss an Feder das Wort ergriff, setzte er einleitend auf den groben Klotz einen groben Keil und bezeichnete die Rede seines Vorgängers als „Verhetzung“ und „Gipfelpunkt der negativen Kritik“, ging dann aber zur sachlichen Erörterung der Einwände über, die von DVP- und DNVP-Abgeordneten vorgebracht worden waren . Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass er Reichsbankpräsident Schacht, zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der DDP und durch die restriktive Reichsbankpolitik bei der Währungsstabilisierung zunächst eine – wahlpolitisch problematische – Stütze der republikanischen Wirtschaftspolitik, gegen die „Flut von Beschimpfungen“ verteidigte, die Feder über ihn ausgegossen hatte .73 Abschließend erklärte Hamm, dass keines der notwendigen Dawes-Gesetze aus deutscher Sicht wirklich gut sei . Trotzdem müsse man zustimmen, um dem „deutschen Volk […] in diesem Meer von Bitterkeit […] jetzt nicht auch noch die Hoffnung [zu] nehmen“ .74 Anschließend unterstrich für die DDP ihr außenpolitischer Sprecher, der frühere Botschafter Johann-Heinrich Graf von Bernstorff, noch einmal, dass die Partei die Annahme des Dawes-Abkommens „für eine unbe-
Verhandlungen des Reichstags 1924, 24 . Sitzung, 26 .8 .1924, S . 895–898 . Schacht trug später, als er sich im Laufe des Jahres 1929 scharf nach rechts orientierte, wesentlich zur Destabilisierung der letzten parlamentarisch fundierten Regierung (Müller/ Stresemann) bei und finanzierte nach der Machtergreifung als wiedergekehrter Reichsbankpräsident und alsbald auch allmächtiger Wirtschaftsminister bis 1938 die Aufrüstungspolitik des NS-Regimes . 74 Verhandlungen des Reichstags, 24 . Sitzung, 26 .8 .1924, S . 900–903 . 72 73
172 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
dingte nationale Notwendigkeit“ halte . Ausdrücklich als Erfolg verbuchte er, dass man sich bei den Handelsverträgen in keiner Weise gebunden habe, und verwies dann auf Deutschlands möglichen Eintritt in den Völkerbund . Dieser komme nur in Frage bei völliger deutscher Gleichberechtigung im Rat, könne aber dann „als Krönung des ganzen Gebäudes der Verständigung“ dienen .75 Eine gewisse Gefahr für den Abschluss des Dawes-Abkommens bestand schließlich noch in der öffentlichen Debatte darüber, ob auf der Londoner Konferenz nicht unbedingt die deutsche Position zum Kriegsschuldparagraphen des Versailler Vertrags zum Ausdruck gebracht werden müsse . Dies war eine Forderung der deutschen Rechten, die im Reichstag durch die DNVP und die Deutschvölkischen/NSDAP, in den Verhandlungen der Länder mit der Reichsregierung von der bayerischen Regierung und in der Öffentlichkeit vor allem von der nationalistischen Presse vorgetragen wurde . In der Ablehnung des Kriegsschuldparagraphen war sich allerdings die gesamte deutsche Bevölkerung einig . In einer Besprechung der Länderministerpräsidenten mit dem Reichskabinett am 3 . Juli 1924 hatte der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held schwere Bedenken gegen das Dawes-Gutachten erhoben, dann aber eingeräumt, man werde es wohl annehmen müssen, um an die unabdingbaren „langfristigen ausländischen Kredite“ zu kommen . Allerdings müsse um der innenpolitischen Akzeptanz willen die Kriegsschuldfrage zur Sprache gebracht werden . Im bayerischen Landtag sei die Frage gestellt worden, ob die „Kriegsschuldlüge“ neben der Anleihefrage nicht sogar in den Mittelpunkt gerückt werden müsse .76 Drei Tage später wandte sich der frühere Förderer von Eduard Hamm und spätere Nachfolger als bayerischer Handelsminister, Wilhelm Ritter von Meinel, an Hamm und bat in dieser Frage um seine „stets so bereitwillig geliehene freundliche Vermittlung“ .77 Hamm antwortete darauf mit großer Zurückhaltung, obwohl das Thema für ihn persönlich prekär war, weil die bayerische Rechtspresse gerade damit gegen die Verständigungspolitik agitierte .78 Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Reichstag brachte die DNVP dann tatsächlich eine regierungsoffizielle Erklärung zur Kriegsschuldfrage aufs Tapet . Angesichts der außenpolitischen Risiken beschloss das Kabinett jedoch, auf eine Reichstagserklärung bzw . eine offizielle Erklärung bei Unterzeichnung des Abkommens zu verzichten . Es zeigte sich aber bereit zu Ebd ., S . 903–905 . Besprechung mit den Staats- und Ministerpräsidenten der Länder, 3 .7 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 243, S . 794 . 77 BayHStA, NL Hamm, 32 . 78 Hamm an von Meinel, Entwurf, 9 .7 .1924: „Es wird sich von hier aus wohl kaum klar sehen und sagen lassen, was in London auf diesem Gebiete geschehen kann“, in: ebd . 75 76
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 173
einer „Kundgebung der Reichsregierung zur Kriegsschuldfrage“ über Wolff’s Telegraphisches Büro . Die zentrale Passage daraus sei hier zitiert, weil sie deutlich macht, unter welchem innenpolitischen Druck und unter welcher vernunftpolitischen Anspannung die Londoner Verhandlungen und die Berliner Dawes-Beratungen zu Ende gebracht worden waren: „Die uns durch den Versailler Vertrag unter dem Druck übermächtiger Gewalt auferlegte Feststellung, daß Deutschland den Weltkrieg durch seinen Angriff entfesselt habe, widerspricht den Tatsachen der Geschichte . Die Reichsregierung erklärt daher, daß sie diese Festlegung nicht anerkennt . Es ist eine gerechte Forderung des deutschen Volkes, von der Bürde dieser falschen Anklage befreit zu werden . Solange das nicht geschehen ist und solange ein Mitglied der Völkergemeinschaft zum Verbrecher an der Menschheit gestempelt wird, kann die wahre Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern nicht vollendet werden .“79
Ungeachtet der betont zurückhaltenden Form ihrer Publikation löste diese Erklärung zusammen mit zwei entsprechenden Briefen des Reichskanzlers an die Ministerpräsidenten Herriot und MacDonald große Erregung bei den Siegermächten aus . Sie schlug auch hohe Wellen bei der Völkerbundstagung Mitte Oktober 1924 in Genf, bei der es hauptsächlich um den möglichen Beitritt Deutschlands ging . Zudem kursierten im In- und Ausland Gerüchte, dass es in der Frage der Kriegsschulderklärung zum Streit in der Regierung gekommen sei . Die interessierte Öffentlichkeit deutete den Verzicht auf eine amtliche Notifikation der Erklärung von Wolff’s Telegraphischem Büro als Hinweis auf eine von Außenminister Stresemann betriebene Kabinettskrise, die ihn selbst wieder an die Spitze der Regierung bringen sollte . Um die Lage zu beruhigen, sah sich Stresemann schließlich sogar zur vorzeitigen Rückkehr aus dem Urlaub genötigt .80 Auch diese Vorgänge zeigen, wie diszipliniert die herzens- und vernunftrepublikanischen Politiker im Kabinett ihre vernunftgesteuerte Verständigungspolitik durchhielten . In ihrem tiefsten Herzen hätten sie alle nichts lieber getan, als schon auf der Londoner Bühne und jetzt auch zu Hause die Kriegsschuldfrage in den Mittelpunkt einer weltöffentlichen Debatte zu stellen und die Haltung der Siegermächte in dieser Frage zu skandalisieren . Das trifft zweifellos auch für Hamm zu . Von seiner ursprünglich wenig verständigungsbereiten Position hatte er sich unter sichtbarer Anstrengung gelöst . Er war dabei denselben Weg gegangen wie Stresemann, der sich zu seiner neuen verständigungspolitischen Linie erst schrittweise durchgekämpft hatte . Wie Hamm hatten ihm dabei seine
Kundgebung der Reichsregierung zur Kriegsschuldfrage, 29 .8 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 290 . 80 Vgl . ebd ., Dok . 301, 302 . 79
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wirtschaftliche Kompetenz und Einsichtsfähigkeit geholfen . Angesichts der von Krieg und Niederlage aufgeputschten Empörung und Enttäuschung, der Verbitterung über die vermeintliche Ungerechtigkeit und Demütigung, der Frustrationen, der materiellen Not in Deutschland und der Bedrohtheit der eigenen politischen Position durch die nationalistische Agitation war das eine enorme und angemessen zu würdigende Leistung . Die von der Rechten forcierten Debatten über die Kriegsschuldfrage hatten aber nicht verhindern können, dass der Reichstag am 29 . August das umstrittene Eisenbahngesetz und damit das Dawes-Abkommen insgesamt mit Zweidrittelmehrheit billigte . Entscheidend war, dass sich in der Abstimmung die DNVP-Fraktion spaltete: 52 Mitglieder stimmten mit Nein, 48 mit Ja . Erforderlich waren insgesamt 294 Ja-Stimmen, am Ende stimmten 314 Abgeordnete für die Vorlage .81 Dieses Ergebnis wurde schon zeitgenössisch als bedeutender Sieg der republikanischen Kräfte gewertet . Zwar musste Deutschland mit der Annahme des Dawes-Plans erhebliche Zugeständnisse machen . Bei maßgeblichen Gremien der für die Reparationsleistungen mitverantwortlichen Institutionen wurden die deutschen Souveränitätsrechte erheblich beschränkt: Der Generalrat der Reichsbank und der Verwaltungsrat der Reichsbahngesellschaft bestanden jeweils hälftig aus Deutschen und Ausländern, und für den Transfer der Reparationszahlungen wurde ein ausländischer Generalagent bestellt, der britische Bankier Gilbert Parker . Aber mit der Festlegung einer Annuität von 2 Milliarden Goldmark und eines Prüfmechanismus, ob diese Annuität für Deutschland jeweils verkraftbar sei, wurden die Reparationslasten kalkulierbarer als vorher . Das Abkommen erlaubte der Reichsbank, das Provisorium der „Rentenmark“ durch die neue Reichsmark abzulösen, die zu 40 % durch Gold oder Devisen gedeckt zu sein hatte . Das Rheinland blieb zwar besetzt, wurde aber staatsrechtlich und wirtschaftlich wieder voll ins Reichsgebiet eingegliedert . Das Ruhrgebiet hatten die französischen und belgischen Besatzer binnen eines Jahres zu räumen . Deutschland kam in den Genuss einer 800 Millionen-Anleihe des New Yorker Bankhauses Morgan, die für die Ankurbelung der Wirtschaft so dringend gebraucht wurde und für zahlreiche Akteure in Politik und Wirtschaft den Ausschlag gab, den Vertrag zu akzeptieren . Das Abkommen beruhte erstmals seit dem Krieg auf einer „vereinbarten Übereinkunft“ (MacDonald) und leitete damit eine neue Epoche der Kooperation zwischen den Großmächten ein, in der mit dem Völkerbundeintritt Deutschlands und dem Locarno-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich sowie ergänzenden Abkommen mit mittelost-
81
Vgl . Winkler, Weimar, S . 265 f .
4. Entspannung und Neubeginn: das Dawes-Abkommen 175
europäischen Staaten die Basis gelegt schien für eine neue gesamteuropäische Friedensordnung .82 Gleichwohl war das Abkommen nur ein Anfang und barg auch ohne äußere Turbulenzen diverse Risiken, mit denen sich die deutsche Wirtschaftspolitik – und so auch Eduard Hamm in seinem künftigen Amt – auseinanderzusetzen hatte .83 Mit der 800-Millionen-Anleihe eröffneten sich vorzugsweise die amerikanischen Banken einen aufnahmehungrigen Anleihemarkt, auf dem sich vor allem Länder und Gemeinden alsbald übermäßig verschuldeten . Das Reparationssystem orientierte sich nicht an der Handels-, sondern an der Zahlungsbilanz, die infolge der einströmenden Auslandskredite ein geschöntes Bild der deutschen Zahlungsfähigkeit bot . Für den Reparationsagenten standen monetäre Faktoren stärker im Vordergrund als realwirtschaftliche, was neben anderen Faktoren zu hohen Zinsen und damit zu einer Erschwerung der Investitionstätigkeit führte . Die Folgen von Krieg und Inflation für die deutsche Wirtschaft konnten so nur verzögert abgebaut werden, was entsprechende Verteilungskämpfe provozierte . Der Reparationsagent war aus Sicht der Siegermächte verantwortlich für die Stabilität der deutschen Währung und stärkte damit die Tendenz zu staatlicher Sparsamkeit und restriktiver Geldpolitik . Das Reichswirtschaftsministerium und sein Chef Eduard Hamm sahen einen Teil dieser Risiken von Anfang an recht klar voraus . Vor allem konnte sich Hamm trotz seines Eintretens für den Plan von seinem grundsätzlichen Vorbehalt gegen den Versailler Vertrag nicht lösen . Auf einer Sitzung des DDPVorstands am 16 . August warnte er energisch davor, die positiven Wirkungen des Abkommens zu überschätzen . Es sei unangebracht, „jetzt nur Optimismus zu zeigen . ‚Wir sind eine Etappe vorwärts gekommen, aber auch eine Etappe vorwärts auf der Bahn zur Verwirklichung des Versailler Vertrages .‘“84 Dieser kritische Hinweis auf die Affirmation des Versailler Vertrags durch das Dawes-Abkommen traf einen wesentlichen Punkt . Auch wenn die Reparationszahlungen jetzt weniger als vorher politisch instrumentalisiert werden konnten und die Poincaré’sche Politik der „produktiven Pfänder“ krachend gescheitert war, bestätigte das Abkommen doch ex post die höchst strittige Rechtmäßigkeit der Ruhrbesetzung auf der Basis des Versailler Vertrags . Zudem sollte die Kölner Zone auf das Betreiben Frankreichs hin so lange
82 Zur Gesamtbewertung vgl . u . a . Krüger, Außenpolitik, S . 229–246; Winkler, Weimar, S . 264 f; Tooze, Sintflut, S . 564–576 . 83 Vgl . dazu vor allem Blessing, Frieden, S . 174 ff . 84 Sitzung des Parteiausschusses, 16 .8 .1924, in: Wegner/Albertin, Linksliberalismus, Dok . 116, S . 328 f .
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besetzt bleiben, bis die Alliierten die deutsche Entwaffnung für abgeschlossen erklären würden . Demnach blieb zweifelhaft, ob der vorgesehene Räumungstermin für das Rheinland auch eingehalten würde .85 Es dauerte denn auch nur wenige Wochen, bis Frankreich erfolgreich auf eine langfristige Verschiebung des Termins hinzuarbeiten begann . Es war ein später Erfolg Stresemanns, dass die alliierten Besatzer 1930 endlich abzogen – den er selbst allerdings nicht mehr erlebte .
5. Land gegen Stadt: prekäre Agrar- und Zollpolitik
Mit den Debatten um einen deutsch-französischen Handelsvertrag war ein Generalthema angeschlagen, das die gesamte Amtszeit Hamms durchzog: die Außenhandels- und Zollpolitik . Ihre Bedeutung hatte Hamm schon in einer Kabinettsvorlage am 3 . Januar 1924 in einem systematischen Arbeitsprogramm für die Zolltarifrevision hervorgehoben .86 Der gültige deutsche Zolltarif stammte aus dem Jahr 1902 („Bülowtarif “) und diente seither als Grundlage für die Zoll- und Handelstarife Deutschlands im Verhältnis zu zahlreichen europäischen Staaten . Die bereits in Gang befindlichen Revisionsarbeiten müssten – so Hamm – aus zwei Gründen beschleunigt werden: Zum einen, weil die diskriminierenden handelspolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrags mit der einseitigen Meistbegünstigung zulasten Deutschlands am 10 . Januar 1925 ausliefen . Zum anderen, weil mit einem „möglichst weitgehenden Abbau der Einfuhrverbote“ nicht länger gewartet werden könne . Mit einem neuen Zolltarif könne das noch aus den Kriegsjahren stammende allgemeine Einfuhrverbot völlig aufgehoben werden . Der am 8 . Dezember 1923 unterzeichnete – allerdings erst am 17 . August 1925 verkündete – Handelsvertrag zwischen Deutschland und den USA räume dem Reich bereits die allgemeine Meistbegünstigung ein . Das Fehlen eines neuen Zolltarifs bilde generell ein schweres Hindernis für die notwendige Handelspolitik auf der Basis der Meistbegünstigung, das so bald wie möglich beseitigt werden müsse . Hamm argumentierte hier vor allem aus der Sicht der Außen- und Außenhandelspolitik, für die primär das Auswärtige Amt zuständig war . Als Wirtschaftsminister lag bei ihm jedoch die Verantwortung für die nationale Wirtschaftsleistung insgesamt . Demnach hatte er möglichst günstige Voraus-
Vgl . zur kontroversen Beurteilung, ob die Londoner Konferenz für Frankreich ein Erfolg oder Misserfolg gewesen sei, Blessing, Frieden, S . 173 ff . 86 Der Reichswirtschaftsminister an die Reichsregierung, 3 .1 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 46 . 85
5. Land gegen Stadt: prekäre Agrar- und Zollpolitik 177
setzungen für die Produktion und Zirkulation aller Waren zu schaffen . Die Zollpolitik regulierte die weltwirtschaftliche Verflechtung der deutschen Wirtschaft und damit auch die Verteilung von Produktionschancen für alle Branchen sowie wesentliche Bedingungen des Konsums . Dabei standen sich vitale Interessen diametral gegenüber: Die Landwirtschaft verlangte nach hohen Schutzzöllen, die verarbeitende- bzw . die Exportindustrie drängte auf optimale Exportbedingungen, was eine beiderseitige Herabsetzung von Zöllen voraussetzte . Die Konsumenten wünschten niedrige Preise für die Güter des täglichen Bedarfs . Alle Bürger und Betriebe sehnten sich nach niedrigen Steuern – was jedoch anderweitige Staatseinnahmen voraussetzte, wenn die Anforderungen des neuen Sozialstaats bezahlt werden sollten . Außen-, wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitische Faktoren waren aufs engste miteinander verknüpft und verlangten Lösungen, die möglichst alle Bürger, die agrarischen Produzenten, die großstädtischen Konsumenten vor allem mit niedrigen Einkommen, die verschiedenen Branchen von Industrie und Handwerk sowie den Handel gleichermaßen zufriedenstellten . Das Wirtschaftsministerium trat grundsätzlich für möglichst gute Exportbedingungen ein . Das bedeutete Weltmarktorientierung, Tendenz zum Freihandel und generell die wirtschaftliche Öffnung nach außen .87 Da Hamm als erster Wirtschaftsminister nach der Währungsreform amtierte, hatte er diese Neukonzeption der Wirtschafts- und insbesondere der Außenwirtschaftspolitik nach dem Wechsel der „terms of trade“ seit der Währungsstabilisierung und der Milderung der außenpolitischen Konfrontation in Übereinstimmung mit seinem Ministerium auch nach außen zu vertreten . Er tat das unter anderem in einer ausführlichen und schwungvollen Rede vor der 44 . Vollversammlung des DIHT in Berlin am 13 . März 1924 sowie in zwei Auftritten vor dem Vorläufigen Reichswirtschaftsrat am 14 . Februar und am 9 . April 1924 . Grundsätzlich postulierte er unter dem Beifall der DIHTHonoratioren, nunmehr weniger die Verluste der Vergangenheit zu beklagen als die Erfordernisse von Gegenwart und Zukunft ins Auge zu fassen und die Wirtschafts- und Handelspolitik nach außen, zum Weltmarkt hin, zu öffnen .88 Man müsse der „Gefahr einer wirtschaftspolitischen Balkanisierung Europas“ entgegentreten, die deutsche Exportkraft stärken und die restriktive Handelspolitik der Nachkriegsära mit ihren Import- und Exportverboten hinter sich Zur politischen Linie des Reichswirtschaftsministeriums in der Weimarer Republik insgesamt vgl . jetzt v . a . Müller, Demokratie und Wirtschaftspolitik; Ders ., Wirtschaftspolitik; eine grundsätzliche Bilanz der Außenhandels- und Zollpolitik der Jahre 1924–1930 zieht Ambrosius, Staat, S . 28–31 . 88 Verh ., 44 . Vollversammlung, 13 .3 .1924, S . 5–10; vgl . zum Ganzen jetzt eingehend Holtfrerich, Alltag, S . 349–354 . 87
178 V. Staats- und Wirtschaftspolitik in der Konsolidierung 1923–1925
lassen .89 Spätestens seit dem Regierungsantritt Stresemanns als Reichskanzler und Außenminister traf sich hier die Linie des Wirtschaftsministeriums und seines Leiters mit der der Außenpolitik .
Abb. 10: Eröffnung der ersten Kölner Messe auf dem Messegelände durch den Kölner Oberbürgermeis ter Konrad Adenauer (vorne l.), Reichspräsidenten Friedrich Ebert (vorne Mitte) und Reichskanzler Wilhelm Marx (vorne r.), dabei auch Eduard Hamm (2. v. r.), 11.5.1924
Den tendenziell freihändlerischen Positionen Eduard Hamms und seiner Ministerialen standen die Akteure des agrarischen Protektionismus und partiell auch der binnenmarktorientierten Schwerindustrie gegenüber . Regierungskunst bestand in dieser Situation darin, Kompromisse zu erzielen – gerade dort, wo die Grenzen der Kompromissbereitschaft eng gezogen waren . Dies war nach den Krisen der unmittelbaren Nachkriegsjahre besonders im Jahr 1924 der Fall, als die Währungsstabilisierung phasenweise eine radikale Kreditverknappung verlangte und sich das in den Jahren davor so freizügig gehandhabte Aushilfsmittel des leichten Geldes verbot . Zudem traten nach den irregulären Wirtschaftsbedingungen der Hochinflationsphase die Strukturprobleme der Landwirtschaft und der Schwerindustrie, aber auch manch anderer Branchen brutal zu Tage . Diese Situation aktivierte die Interessen-
Mitteilungen des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats, Jg . 4, Nr . 4, 25 .2 .1924, S . 15 f; Jg . 4, Nr . 6, 22 .4 .1924; dazu Holtfrerich, Alltag, S . 352 f .
89
5. Land gegen Stadt: prekäre Agrar- und Zollpolitik 179
verbände von gewerblicher Wirtschaft und Landwirtschaft ebenso wie die Gewerkschaften und trieb sie alle verstärkt zu dem Versuch, unmittelbaren Einfluss auf die Politik der Regierung zu nehmen . Vor allem aber verschärfte die desolate Lage der Agrarwirtschaft die interessenpolitischen Konflikte .90 Der Knoten schürzte sich, als die Regierungen Marx I und II neue bilaterale Handelsverträge, zuerst mit Spanien und Österreich, anstrebten . Vergleichsweise problemlos schien der deutsch-spanische Handelsvertrag über die Bühne zu gehen . Hier standen auch nicht die Interessen der ostelbischen Agrarier auf dem Spiel, sondern die der deutschen Weinbauern, die sich vor der spanischen Konkurrenz fürchteten . Landwirtschaftsminister von Kanitz beantragte am 29 . Oktober 1924, den bereits abgeschlossenen Vertrag wieder aufzuheben, weil er „das Schicksal des deutschen Weinbaues“ besiegle . Hamm hob demgegenüber das Interesse der Industrie an dem Vertrag hervor und kritisierte das in sich nicht stimmige Vorgehen der Interessenvertreter des Weinbaus . Ähnlich wie auch der Vertreter des Auswärtigen Amts hatte er zuvor schon mit der Verlässlichkeit der deutschen Politik argumentiert . Eine Zurückziehung des Gesetzes würde das „Vertrauen des Auslands in die Zuverlässigkeit der deutschen Politik erschüttern“ und die „hoffnungsvollen Ansätze zu einer Ausweitung des Exports in das für deutsche Waren aufnahmewillige Spanien“ zerstören .91 Als modus vivendi blieb der am 27 . Juli abgeschlossene Vertrag vorläufig in Kraft . Allerdings war das Thema damit nicht erledigt und beschäftigte 1925 auch noch die Kabinette Luther; im Zweifelsfall siegte bei den Abgeordneten das heimische ökonomische Interesse über gesamtwirtschaftliche Rationalität und Parteidisziplin . So setzte sich etwa der Württemberger Theodor Heuss (DDP) mit wirtschaftlichen und „volklichen“ Argumenten über die Entscheidung seines Freundes Hamm und der Mehrheit der DDP-Fraktion hinweg und stimmte im Reichstag gegen den Vertrag .92 Sehr viel massiver ging es beim geplanten deutsch-österreichischen Handelsvertrag zur Sache . Die Initiative ging zunächst von Österreich aus . Der österreichische Gesandte Richard Riedl teilte Anfang 1924 mit, dass im März in Wien mit der Tschechoslowakei über einen Handelsvertrag verhandelt werde . Der österreichischen Regierung sei daran gelegen, gleichzeitig mit Deutschland über die Beschränkung der Ein- und Ausfuhrverbote sowie über die Zolltarifpositionen zu sprechen . In einer Chefsitzung kamen Außen-,
Vgl . Becker, Handlungsspielräume, S . 87–188 . Kabinettssitzung vom 29 .10 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 344, S . 1139–1142, sowie S . 1139, Anm . 5 . 92 Vgl . Theodor Heuss an Robert Bosch, 2 .5 .1924, in: Heuss, Briefe 1918–1933, S . 247–249 . 90 91
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Wirtschafts- und Finanzminister darin überein, dieses Verhandlungsangebot anzunehmen .93 In der Debatte über die Kabinettsvorlage brachte Kanitz das grundsätzliche Thema der Agrarzölle ins Spiel, das sich nun mit dem deutsch-österreichischen Handelsvertrag verknotete und mit dem schon seit 1923 angebahnten Kampf um eine große Zolltarifreform in ein entscheidendes Stadium trat . Hamm wollte ursprünglich eine Wiedereinführung der Agrarzölle, wie sie zuletzt im „Bülow-Tarif “ von 1903 fixiert worden waren, vermeiden und im Blick auf das Auslaufen der zollpolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrags am 10 . Januar 1925 eine umfassende Regelung sowohl für die Industriewie auch für die Agrarzölle schaffen . Aus der Sicht der einflussreichen Agrarlobby (Reichslandbund) und der DNVP kam dabei der Schutz besonders der ostelbischen Großlandwirtschaft zu kurz; die Mäßigung beim Zollschutz begünstige allein die Exportwirtschaft . Tatsächlich drückten sowohl die hohen Kreditzinsen wie auch die neuerdings erhobenen Steuern auf die Gewinne der Landwirte, und die Preise sanken stärker als die der Produkte aus der weithin kartellierten Industriewirtschaft . Hamm gab daher den Forderungen der Agrarier ein Stück weit nach und versuchte, die konträren zollpolitischen Forderungen auszubalancieren, doch innen- wie außenpolitische Interessen ließen die große Zolltarifreform scheitern .94 Am 19 . Juni 1924 debattierte das Kabinett zunächst über die Verhandlungen mit Österreich . Hamm plädierte wie das Auswärtige Amt für diejenigen Konzessionen bei den Agrarzöllen, die Österreich erwartete . Danach ging die Debatte ins Grundsätzliche . Hamm referierte über den Entwurf einer „Verordnung über Zolländerungen“, die noch unter dem Regime eines Ermächtigungsgesetzes für Zolländerungen vom 5 . August 1922 erlassen werden sollte . Sie sah vor, die Zollsätze für eine Reihe gewerblicher Produkte um 30 bis 80 % zu erhöhen und auch für einige bisher zollfreie Chemieprodukte einen Zoll einzuführen .95 Ihr Zweck sei es nicht primär, Zölle einzuführen, sondern die noch bestehenden Einfuhrsperren aufzuheben . Für die Landwirtschaft entstehe daraus kein Nachteil, Agrar- und Industriezölle könnten also getrennt behandelt werden . Dem widersprach Kanitz heftig, indem er die desolate Lage der Landwirtschaft breit ausmalte, auf eine bevorstehende Interpellation von DNVP, DVP und Zentrum im Reichstag verwies, die Agrarzollfrage mit
BArch, R 43-I, 107, Auszüge auch in: Kabinettssitzung vom 22 .2 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 118, S . 397, Anm . 1 . 94 Vgl . Panzer, Ringen . 95 Kabinettssitzung vom 19 .6 .1924, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 227, S . 716; Ministerbesprechung vom 19 .6 .1924, in: ebd ., Dok . 228, S . 717–722 . 93
5. Land gegen Stadt: prekäre Agrar- und Zollpolitik 181
einer möglichen Zustimmung der DNVP zum Dawes-Vertrag verknüpfte und mit dem Rücktritt drohte . Das Kabinett war sich in den Befunden über die Notlage der Landwirtschaft weitgehend einig, nahm die Vorlage zu den Industriezöllen an, verschob aber die Verhandlungen über den deutsch-österreichischen Handelsvertrag und stimmte schließlich auch dem Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Vorkriegs-Zollsätze auf landwirtschaftliche Produkte zu . Der Vorstoß von Kanitz trug der Not der landwirtschaftlichen Betriebe Rechnung, nutzte aber politisch auch den Wahlerfolg der DNVP vom Mai 1924 aus – ebenso wie die Sorge des Kabinetts um die Zustimmung der DNVP-Abgeordneten zum Dawes-Abkommen . In der aktuellen Situation stellte die Rücktrittsdrohung des Landwirtschaftsministers für das Kabinett eine ernsthafte Gefahr dar . Mit seinem Vorgehen war es Kanitz gelungen, ein Junktim zwischen den Industrie- und den Agrarzöllen herzustellen . Die Verhandlungen mit Österreich verliefen gleichwohl erfolgreich, weil es dem Auswärtigen Amt gelang, die Agrarfragen weitgehend auszuklammern . Auf dieser Grundlage schlossen Deutschland und Österreich am 12 . Juli 1924 einen Vertrag, in dem sich beide Staaten gegenseitig für eine Reihe von Exportgütern Zollermäßigungen und Zollbindungen garantierten . Die Agrarzollfrage blieb zunächst offen, daher stellte der Vertrag nur ein Provisorium dar . Allerdings hatte die Verschleppung des ganzen Verfahrens dazu geführt, dass der Reichstag das Gesetz vor seiner neuerlichen Auflösung im Oktober 1924 nicht mehr verabschieden konnte . Und sehr viel wichtiger: Wie Hamm schon befürchtet hatte, führte das Hochspielen der Agrarzollfrage zu einer gegenseitigen Blockade von Industrie- und Agrarzollvorhaben . Zunächst verzögerte Reichspräsident Ebert auf Drängen des Kanzlers wie auch der DDP die Überweisung der Vorlagen an den Reichstag so lange, bis das Londoner Abkommen ratifiziert war . Als sie am Tag darauf, dem 30 . August, im Reichstag zur Abstimmung gestellt wurden, brachten SPD und KPD die Agrarzölle zu Fall, indem sie aus dem Plenum auszogen . Es blieb nur noch übrig, wenigstens einzelne Industriezölle provisorisch zu verabschieden . Die sogenannte „große Zollvorlage“, mit der Hamm und das Auswärtige Amt die gesamte Zollproblematik hatten bereinigen wollen, war damit auf der Strecke geblieben .96
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Winkler, Weimar, S . 266 .
VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik 1. Familienhaushalt, Lebensführung und Kulturkonsum
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amms finanzielle Lage hatte sich seit dem Frühjahr 1919 weiterhin zügig verbessert, obgleich ihn wie alle höheren Beamten die Einnahme- und Vermögensumschichtung durch Krieg und Inflation durchaus schädigte .1 Eine Goldmark des Jahres 1913 war im Januar 1920 nur noch 15,4 Mark wert .2 Laut Alfred Weber, der sich mit dem Thema intensiv beschäftigte, besaß der höhere Beamte Ende 1921 „durchschnittlich nur noch ein Drittel bis ein Viertel seiner Vorkriegseinnahmen“ .3 Da Hamm mehrfach in beträchtlichem Umfang Kriegsanleihen gezeichnet hatte, war bei ihm, wie bei vielen gläubig-nationalen Bürgern – das bekannteste Beispiel bietet Max Weber –, die Vermögenssubstanz angegriffen worden, wenn auch nicht allzu stark . Mit dem Antritt des bayerischen Ministeramtes im Mai 1919 stieg das Gehalt dann in drei Monatsschritten auf 2 .822 RM an . Zusammen mit monatlichen Zinserträgen von rund 100 RM und häufigen Honoraren für Zeitungsartikel in der demokratischen Presse (pro Artikel rund 50 RM) betrug das Einkommen im Jahr 1921 um die 5 .000 RM im Monat . Seit August 1920 kamen als großer Posten die Diäten für das Reichstagsmandat in Höhe von monatlich 1 .100 RM hinzu . Vergleicht man dieses Einkommen des Landesministers und Reichstagsabgeordneten Hamm mit dem eines höchstdotierten Berliner Ordinarius wie Werner Sombart, für den präzise Daten vorliegen, Vgl . zu den Inflationsfolgen generell Feldman u . a ., Anpassung; darin bes . Niehuss, Lebensweise, mit Schwerpunkt auf den Arbeiterhaushalten, aber auch Hinweisen zu einigen Beamtenhaushalten; zur Zerstörung der bescheidenen Vermögenswerte des beamteten Bildungsbürgertums vgl . auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 248 f . 2 Ebd ., S . 246 . 3 Lenger, Sombart, S . 260 . 1
1. Familienhaushalt, Lebensführung und Kulturkonsum 183
so liegt es mehr als doppelt so hoch wie dessen Grundgehalt von jährlich 30 .050 RM (März 1921) und damit auch mehr als doppelt so hoch wie derjenige Betrag (30 .000 RM), den Sombart 1920 seinem Kollegen Othmar Spann als den unabdingbaren Mindestbetrag für eine standesgemäße Lebensführung in Berlin angab .4 Allerdings handelte es sich bei Sombarts 30 .000 RM eben nur um das Grundgehalt, das der umtriebige und immer geldbedürftige Sombart fast zu verdoppeln wusste .5 Sehr groß dürfte die Differenz zwischen den Bezügen eines auch als Redner und Publizist überaus erfolgreichen Berliner Großordinarius und denen eines noch jungen Landesministers und Reichstagsabgeordneten in den frühen 1920er Jahren nicht gewesen sein . Ein durchschnittliches Professorengehalt darf man damit allerdings nicht vergleichen . Zwar ist bei der Bewertung die subjektive Erfahrung eines erheblichen Einkommens- und Statusverlusts gerade bei den höheren Beamten im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen – den klein- und besitzbürgerlichen Sachwertbesitzern, den Bauern, insbesondere aber den gelernten und ungelernten Arbeitern – zu bedenken .6 Nach Kriegsende und Revolution stieg die Lohnquote noch einmal entschieden an . Die Unternehmergewinne aus der in Deutschland singulären Nachkriegskonjunktur, die gestiegene Durchsetzungsmacht von Gewerkschaften und Arbeiterparteien und die Furcht vor neuen Arbeiterunruhen erzeugten bis in die Hyperinflation im Jahr 1923 hinein einen Inflationskonsens, der Löhne und Gehälter tendenziell nivellierte .7 Werner Sombarts Gehalt war 1913 siebenmal so hoch gewesen wie das eines ungelernten Arbeiters, im April 1922 war es nur noch knapp doppelt so hoch . Es gilt als unbestritten, dass das Bildungsbürgertum in seiner großen Mehrheit diesen finanziellen Deklassierungsprozess als überaus bedrohlich empfand und unter anderem in der Konsequenz dieser Erfahrung politisch nach rechts rückte . Bei Hamm findet sich darauf kein Hinweis . Der soziale und finanzielle Aufstieg zum Reichstagsabgeordneten und zum Reichsministeramt 1924 dürfte die gängige Nivellierungserfahrung überlagert haben . Der Übergang zum leitenden Vorstandsmitglied des DIHT 1925 schien diesen Aufstieg auf Dauer abzusichern . Allerdings geriet das inzwischen angesam-
Ebd ., S . 262 . Lenger zufolge addierten sich seine Hörgelder an der Universität und an der von der Berliner Kaufmannschaft finanzierten Handelshochschule Berlin im Sommer- und Wintersemester sowie in den damals an der Universität üblichen „Zwischensemestern“ auf rund 18 .000 RM jährlich . Hinzu kamen die Einkünfte aus Sombarts erfolgreichen Büchern und aus den – allerdings seit dem Kriegsende gegenüber dem Vorkriegsniveau deutlich gesunkenen – Honoraren für Vorträge und Zeitungsartikel; vgl . Lenger, Sombart, S . 260–268 . 6 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 294–299 . 7 Ebd ., S . 246–250 . 4 5
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melte Geldvermögen in den vernichtenden Inflationsstrudel, ehe das Aufwertungsgesetz von 1924 einen kleinen Teil davon wiederherstellte . Im November 1922 brachte der Eintritt in die Reichsregierung einen Anstieg des Gehalts von 26 .143 RM (August 1922) auf 61,160 RM (November 1922) . Diese Summen spiegeln bereits die Beschleunigung der Geldentwertung wider . Die Einträge im Haushaltsbuch Maria Hamms werden ab Anfang 1923 durch Sonderzahlungen und Anpassungen des Gehalts und der Reichstagsdiäten unübersichtlich . Im Januar 1923 überschritten die Einkünfte insgesamt erstmals die 13-Millionen-Grenze . Sie setzten sich zusammen aus den Posten „Nachzahlung“ (2 × 500 .000), „Reichstag“ (116 .000, 166 .000, 178 .000), „Gehaltsnachzahlung“ 3 . Woche September (2 .000 .000), 4 . Viertel am 16 . September (7 .500 .000) und „Reichstagsnachzahlung“ (2 .200 .000) . Im November 1923 wurden Gehalt und Diäten jeweils in neuen Tranchen ausgezahlt, die sich beim Gehalt von zwei Milliarden auf 20 Milliarden steigerten und sich schließlich auf insgesamt 386 Milliarden addierten . Nach dem Währungsschnitt, der sich an den Vorkriegszahlen orientierte, belief sich das Ministergehalt plötzlich wieder auf überschaubare 1 .202 RM und ab Juni 1924 auf 2 .691 RM . Die nächste Zäsur bildete der Übergang zum Verbandsfunktionär im April 1925 . Das neue Gehalt orientierte sich erkennbar am Ministergehalt, lag aber um knapp 1 .000 RM darüber . Es setzte sich zusammen aus einem Grundgehalt von 3 .000 RM und einem monatlichen Wohnungszuschuss von 500 RM . Ein Jahr lang bezog Hamm noch eine Staatspension von zuerst 553 und dann 1 .616 RM . Seit August 1926 kamen vierteljährlich Diäten für den Sitz im Reichsrat von rund 350 RM hinzu sowie gelegentlich ein Betrag zwischen 50 und 500 RM durch publizistische Aktivitäten . Im Jahr 1927 belief sich das Gehalt auf 38 .250 RM, die Gesamteinnahmen (einschließlich Zinsen) auf 56 .163 RM . Das Jahr 1928 weist Zinseinkünfte über rund 1 .100 RM aus, also knapp ein Drittel des Monatsgehalts . Im April 1929 wurden insgesamt 7 .200 RM neu angelegt, davon 2 .000 RM in eine Reichsanleihe . Im Juni 1930 waren die Gesamteinkünfte aus dem zurückliegenden Jahr unter anderem durch eine Gehaltsaufbesserung um monatlich 750 RM auf 64 .249 RM gestiegen und hatten damit ihren Höchststand erreicht . Danach forderten die Weltwirtschaftskrise und die von Hamm strikt befürworteten Notverordnungen Brünings ihren Preis . Das Gehalt sank einschließlich des Wohnungszuschusses um knapp 1 .000 RM auf 2 .850 RM pro Monat . 1932 erwarb Hamm einen Bauernhof am Alpenrand in Reit im Winkl, in schöner Lage, mit acht Zimmern, einem Stall für rund 15 Kühe und sieben Hektar landwirtschaftlichem Grund . Das Anwesen kostete insgesamt 24 .855 RM, machte also nicht einmal die Hälfte von Hamms jährlichem Einkommen in den Jahren zuvor aus .
1. Familienhaushalt, Lebensführung und Kulturkonsum 185
Naturgemäß stand Hamm in den Jahren von 1914–1933 weniger Zeit für Unternehmungen aller Art zur Verfügung als vor dem Weltkrieg, doch suchte er seine Lebensführung mit viel Arbeit, aber auch den weiterhin gepflegten musischen Interessen und der Erholung durch Ausflüge und Wanderungen beizubehalten . Der Hauptwohnsitz blieb zunächst München . Zwischen Sommer 1920 und Sommer 1922 reiste er zu den Reichstags- und mitunter auch den Reichsratssitzungen nach Berlin . Die ersten Wochen als Staatssekretär in der Reichskanzlei wohnte er im Reichskanzlerhaus . Seit dem Sommer 1923, als die Anspannung nach dem Ausscheiden aus der Reichskanzlei nachließ, fuhr er einmal im Monat mit dem Nachtzug für ein paar Tage zur Familie nach München . Die Unsicherheit der politischen Karriere scheint erst mit dem Amt beim DIHT gewichen zu sein, denn jetzt erst, im Februar 1925, zog die Familie nach Berlin nach . Man wohnte in Charlottenburg, gegenüber dem Schloss in einer großbürgerlichen Wohnung, die den Ansprüchen einer fünfköpfigen Familie mit mindestens einem Dienstmädchen und dem Raumbedarf für die repräsentative Geselligkeit genügen musste . Ermöglicht wurde dieser Aufwand durch den monatlichen Wohnungszuschuss des DIHT in Höhe von 500 RM . Nach dem Wegzug der beiden Töchter und sicher auch infolge der beträchtlichen Gehaltskürzungen durch die Brüning’schen Notverordnungen bezog die Familie 1931 eine bescheidenere Wohnung in Steglitz .
Abb. 11: Eduard und Maria Hamm, BerlinSteglitz, 1932
186 VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik
Die bürgerliche Lebensform aus den Vorkriegs- und Kriegsjahren behielten Hamm und seine Familie bei – jetzt noch gesteigert durch die arbeitende Honoratiorengeselligkeit im eigenen Haus wie bei den zahlreichen Einladungen, die Hamm und seine Frau aus dem Kreis der politisch-wirtschaftlichen Funktionselite in Berlin erhielten und wahrnahmen . Auch an dem für das Bürgertum so charakteristischen Vereinsleben nahm Hamm weiterhin teil, wenn auch gegenüber den Anfängen in der oberschwäbischen Provinz deutlich zurückgenommen bzw . konzentriert . Seit dem Jahr, das Hamm im Krieg im Reichsernährungsamt verbracht hatte, erweiterte sich sein Bekanntenkreis oder sein „Netzwerk“ nach Berlin und gewann dabei entschieden an Dichte, Reichweite und Prominenz . Die ideale Form der Kommunikation bot sich dem ehrgeizigen, tüchtigen und mit angenehmen Umgangsformen ausgestatteten bayerischen Ministerialbeamten zunächst in der „Deutschen Gesellschaft 1914“ . Diese war Ende November 1915 gegründet und von ihrem wichtigsten Mäzen, Robert Bosch, mit dem billig zu mietenden, komfortablen Palais Pringsheim ausgestattet worden . Sie sollte die Erfahrung und den Geist des „Augusterlebnisses von 1914“ wachhalten und die Eliten aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft zu Vorträgen und Diskussionen und zum informellen Gedankenaustausch zusammenführen . Die Organisation griff über Berlin hinaus . In zahlreichen Städten – so auch in München – entstanden Filiationen der „Deutschen Gesellschaft“ . Der Zugang war durch eine Beschränkung der Mitgliederzahl auf höchstens 2 .800, durch – normale – Mitgliedsbeiträge und vor allem durch Beitritt per Kooptation und Empfehlungen begrenzt . Politisch stand der Kreis ursprünglich Theobald von Bethmann-Hollwegs „Politik der Diagonale“ nahe . In der Weimarer Republik bot er mit der Wahl der Vortragsthemen und Referenten hauptsächlich ein Forum für den liberal-fortschrittsorientierten Teil des Berliner Establishments . Hamm fand hier den Anschluss an die politische und wirtschaftliche Elite Berlins, aber auch an die intellektuellen Debatten und vor allem den liberalen Journalismus .8 Dazu kam in ähnlicher Funktion der „Club von Berlin“ .9 Dem Deutschen Sprachverein blieb Hamm ebenso treu wie dem Alpenverein, dem Bund Naturschutz in Bayern, dem Bayerischen Waldverein, den einer seiner Vorfahren mitbegründet hatte, und dem AGV . Etwas sonderbar muten die Beitragszahlungen für den kulturprotestantischen Gustav-Adolf-Verein an, die sowohl ein Tribut an den Protestantismus von Maria Hamm wie Ausdruck von Hamms Abneigung gegen den in Bayern immer noch festgefügten katholi-
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Vgl . Sösemann, Kommunikation . Alle Angaben nach: Haushaltsbuch, 1 .4 .1925–31 .12 .1926, in: BayHStA, NL Hamm, 127 .
1. Familienhaushalt, Lebensführung und Kulturkonsum 187
schen Klerikalismus gewesen sein mögen . Kostenmäßig den größten Posten bei den Mitgliedsbeiträgen aller Art machten durchweg die Zahlungen für die „Partei“ aus: die Deutsche Demokratische Partei und ab 1930 die Deutsche Staatspartei . Für die Initiation der Töchter in die bürgerliche Lebensform fielen Beiträge zu einem Turn- und einem Ruderverein an, beide Töchter erhielten Klavier-, die ältere, Gertrud, auch noch Violinunterricht . Den schulischen Leistungen wurde gelegentlich mit Nachhilfeunterricht weitergeholfen, obwohl von ernsthaften Schulproblemen nichts zu erkennen ist . Beim Bezug von Zeitungen ist davon auszugehen, dass Hamm das gesamte Spektrum der politisch relevanten Blätter im Büro zur Verfügung stand . Den stabilen Posten bei den eigenen Abonnements stellt das linksliberale „Berliner Tageblatt“ dar, das Hamm offensichtlich gegenüber der „Vossischen Zeitung“ und der „Frankfurter Zeitung“ vorzog, obwohl letztere in unregelmäßigen Abständen ebenfalls gekauft wurde . Hinzu kamen die Zeitschriften der genannten Vereine sowie die Monatszeitschrift „Wille und Weg“, das offiziöse Organ der bayerischen Heimatpflege „Bayerland“, die „Deutsche Bergzeitung“ und eine Funkzeitung für das Radioprogramm . Laut familiärer Überlieferung gönnte sich Maria Hamm bei ihrer Tagesarbeit gelegentlich eine kleine Pause mit einer Zigarette und den neuesten politischen Nachrichten – überraschend „moderne“ Elemente im Leben einer konventionell erzogenen großbürgerlichen Hausfrau .10 Finanziell durchaus ins Gewicht fielen die Geschenke bei den zahlreichen Familienbesuchen und zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten, Geburten und Geburtstagen im Verwandtenkreis sowie die sorgsam betriebene Pflege der Familiengräber, die auch regelmäßig besucht wurden . In den späteren Jahren veranstaltete Hamm auch „Familientage“, um die vielfältigen Kontakte zu nahen und fernen Verwandten nicht abreißen zu lassen und das familiäre Gemeinschaftsbewusstsein zu fördern . Diese soziale Praxis, die wohletablierte bürgerliche Familien ursprünglich vom Adel übernommen hatten, verweist bei Hamm nicht, wie für die Familie Bassermann um 1900 angenommen worden ist, auf einen Rückzug in den Bestand der engsten – familiären – Verkehrskreise und ein Gefühl sozialer Bedrohtheit, sondern auf ein selbstbewusstes, jedenfalls durchaus zukunftsorientiertes Sammeln und Zusammenhalten der familiären Kräfte .11 Dies schien allerJede Form einer „demonstrativen Emanzipiertheit“, wie sie jüngere Frauen in Weltstädten wie Berlin an den Tag legten, lag ihr fern . Vgl . Möller, Bürgertum S . 325; die von Möller 1997 festgehaltenen Forschungsdesiderate zur Bürgertumsgeschichte seit 1918 bestehen zu einem Gutteil heute noch . 11 Vgl . Gall, Bürgertum, S . 443–465, hier S . 443 ff . Überhaupt scheinen die von Gall beschriebenen Symptome von Orientierungsverlust, Resignation und Vergangenheitsfixierung 10
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dings im „Dritten Reich“ umso nötiger, als die von der nationalsozialistischen Ideologie ausgelösten politischen Fliehkräfte auch an der Geschlossenheit und inneren Solidarität dieses Familienbandes zerrten . Die nach wie vor häufigen Ausflüge führten jetzt nicht mehr ins Isartal oder in die Allgäuer Berge, sondern an den Müggelsee, nach Staaken oder Wandlitz und im Sommerhalbjahr mindestens einmal im Monat nach Potsdam . In München blieb es beim Besuch der AGV- und Akademiekonzerte sowie der einen oder anderen Wohltätigkeitsveranstaltung mit Theater und Konzert . In Abwesenheit von Eduard frequentierte Maria – vor allem, wenn sie Besuch hatte – Veranstaltungen im Prinzregenten- und im Nationaltheater und besuchte die Lenbachgalerie oder das Bayerische Nationalmuseum . 1924/25 ging das Ehepaar mehrmals ins Theater, in Lessings „Minna von Barnhelm“, Hebbels „Agnes Bernauer“, Kleists „Prinz von Homburg“ und Shaws „Heilige Johanna“ . Für die Jahre 1928–1930 in Berlin verzeichnet das Haushaltsbuch den Besuch von Ibsens „Gespenstern“, Goethes „Egmont“ und Shakespeares „Romeo und Julia“ . Mehrfach stand Shaws „Kaiser von Amerika“ auf dem Plan, und insgesamt sechsmal wurde ein Konzert besucht – bevorzugt mit dem Dirigenten Bruno Walter .12 Eine Auflockerung im strengen Programm der Hochkultur boten allenfalls Johann Strauß’ „Fledermaus“ und der „Chor der Donkosaken“ . Auch für gelegentliche Vorträge fand sich Zeit . Verzeichnet sind der sehr bekannte DDP-nahe Berliner Pädagogikprofessor Eduard Spranger und Dr . Hugo Eckener, der Nachfolger des Grafen Zeppelin in den Friedrichshafener Werken nach dessen Tod 1917, der selbst zwischen 1928 und 1937 590 Zeppelinfahrten leitete, darunter die Weltfahrt 1929 . Von Ferne vergleichbar mit der öffentlichen Rolle Einsteins in der Welt nach 1918, repräsentierte der weltweit gefeierte, hochgebildete und kosmopolitische Eckener das „bessere Deutschland“ . In den hilf- und erfolglosen Bemühungen der zusammengeschmolzenen liberalen Parteien avancierte er 1931/32 kurzzeitig zum Hoffnungsträger der bürgerlichen Sammlung, zog sich aber vor der Reichspräsidentenwahl von 1932 zurück .
auch der Tatsache geschuldet, dass eine über Generationen reich, gebildet und mächtig gewordene Familie den Zenit ihres Lebenszyklus überschritten hatte; als generalisierbarer sozialund kulturhistorischer Befund eignen sie sich nicht . 12 Darstellungen zur „Weimar Culture“ konzentrieren sich meist ganz auf die Moderne in den Künsten und in der Unterhaltungskultur und vernachlässigen den Anteil der traditionellen bürgerlich-aristokratischen Hochkultur an Kulturpflege und -konsum in der Weimarer Republik, was für die Gesamtbeurteilung die Proportionen verzerrt; vgl . z . B . Laqueur, Weimar; Gay, Republik .
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2. Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren
So wie im Besuch von Theateraufführungen, Konzerten und Vorträgen schlug sich die bildungsbürgerliche Prägung von Hamms Lebens- und Arbeitsstil in seinen Lektüregewohnheiten nieder . Sie entsprachen einem über den politisch-gesellschaftlichen Wissensbedarf weit hinausgehenden intellektuellen und wissenschaftlichen Interesse, das bis zu religiös-spirituellen Fragen reichte . Ein erheblicher Teil von Hamms Bibliothek ist erhalten geblieben, sodass es möglich war, anhand der Bücher und Broschüren mit ihren zahlreichen Benutzungsspuren Hamms spezifische Interessen und sein Weltbild so präzise zu rekonstruieren, wie das ansonsten für kaum einen der politischen Akteure seiner Epoche möglich ist .13 Viele dieser Schriften sind mehr oder weniger sorgfältig mit Bleistift durchgearbeitet und erlauben so Rückschlüsse auf eine kontinuierliche und offenkundig auch in Zeiten angestrengter politischer Aktivität durchgehaltene Lektüre . Wie in jeder bildungsbürgerlichen Bibliothek dieser Jahre war die deutsche Literatur von Lessing bis Theodor Storm in meist vielbändigen Ausgaben vertreten, ergänzt durch die beim Publikum des späten 19 . Jahrhunderts äußerst beliebten Werke von Gustav Freytag und Viktor von Scheffel, die Hamm noch von seinem Vater geerbt oder geschenkt bekommen haben dürfte . In seinen späteren Jahren bevorzugte er die Romane von Theodor Fontane und von Ludwig Thoma, letztere in einer inzwischen zerlesenen fünfbändigen Ausgabe . Das eigentliche Hauptinteresse Hamms lag aber auf der Geschichte . Selbstverständlich enthielt die Bibliothek Jacob Burckhardts „Kultur der Renaissance in Italien“ (1860) und den „Cicerone“ (1855) . Von Leopold von Ranke standen die Einzelausgaben seiner wichtigsten Essays im Regal . Die spätere sogenannte „Ranke-Renaissance“ ist unter anderem durch Max Lenz mit dem an Ranke angelehnten Essay „Die großen Mächte . Ein Rückblick auf unser Jahrhundert“ (1900) und seine Aufsatzsammlung „Von Luther zu Bismarck“ (2 Bände, 1920/22) und der Bismarck-Biographie „Geschichte Bismarcks“ (1902) vertreten .14 Als Bismarckverehrer besaß Hamm auch die zum Bismarck-Jubiläum 1915 publizierte kleinere Bismarck-Biographie von Erich Marcks, die im Bildungsbürgertum Furore machte und bis 1935 nicht weniger
Eine Ausnahme in dieser Hinsicht stellt Theodor Heuss dar, dessen Bibliothek eingehend beschrieben worden ist in Hertfelder, Bücher . 14 Zur Prägung des bildungsbürgerlichen Bewusstseins im 19 . und frühen 20 . Jahrhundert durch das Denken in geschichtlichen Kategorien vgl . Hardtwig, Geschichtskultur und Wissenschaft; Ders ., Hochkultur, S . 19–113 . 13
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als 28 Auflagen erlebte . Hinzu kam die ebenfalls sehr beliebte zweibändige Essaysammlung „Männer und Zeiten“ (1922) von Marcks .15 Von Heinrich von Treitschke standen dagegen lediglich seine 1897/98 aus dem Nachlass in zwei Bänden herausgegebenen Berliner Politikvorlesungen im Regal, und Johann Gustav Droysen fehlte ganz . Im Juni 1923, auf dem Höhepunkt des Ruhrkampfes, erwarb Hamm zwei Übersichtsdarstellungen zur deutschen Geschichte und zur Weltgeschichte von Dietrich Schäfer, einem alldeutsch und konservativ gesonnenen Berliner Historiker aus dem späten Kaiserreich, dessen Geschichtsschreibung allerdings durchaus moderne Züge aufweist .16 Während seiner erzwungenen politischen Untätigkeit im „Dritten Reich“ schaffte Hamm auch das zweibändige Alterswerk von Marcks „Der Aufstieg des Reiches . Deutsche Geschichte von 1807 bis 1870/78“ (1936) an . Von Hermann Oncken besaß er die Sammlung „Historisch-politische Aufsätze und Reden“ (1914) und „Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges“ (1933) .17 Thematisch passte dazu Friedrich Stieve, „Deutschland und Europa 1890–1914 . Ein Handbuch zur Vorgeschichte des Weltkrieges mit den wichtigsten Dokumenten“ (1928) .18 Eine Sonderstellung nahm Friedrich Meinecke ein mit seinen Hauptwerken „Weltbürgertum und Nationalstaat . Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates“ (1908)‚ „Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte“ (1924) und zahlreichen kleineren Schriften, von denen die 1919 publizierte Vortragssammlung „Nach der Revolution . Geschichtliche Betrachtungen über unsere Lage“ für Hamm sicher am wichtigsten war .19 An Sammelwerken fanden sich unter anderem die von Erich Marcks und Karl Alexander von Müller herausgegebenen „Meister der Politik . Eine weltgeschichtliche Reihe von Bildnissen“ (3 Bände, 1922/23), die 1929–1933 von Walter Goetz herausgegebene zweite Auflage der „Pro-
Zu Marcks vgl . Nordalm, Historismus . Dietrich Schäfer: Deutsche Geschichte, Bd . 1: Mittelalter, Bd . 2: Neuzeit, Jena 1910; Ders .: Weltgeschichte der Neuzeit, Bd . 1: Von der Reformations- und Entdeckungszeit bis zum Siebenjährigen Krieg, Bd . 2: Vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zur Gegenwart, Berlin 1907; vgl . dazu Müller, Globalisierung . 17 Zur Kriegsschulddiskussion immer noch Faulenbach, Ideologie . 18 Wann Hamm 24 Bände aus der von Friedrich Thimme herausgegebenen offiziellen Aktenpublikation des Auswärtigen Amtes über die „Große Politik der europäischen Kabinette in der Zeit von 1871–1914“ (insgesamt 52 Bde .) erworben hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren . 19 Zu Meineckes Bedeutung als liberaler Geschichtsschreiber und akademischer Lehrer in Berlin zuletzt zusammenfassend Hardtwig, Neuzeit-Geschichtswissenschaften, S . 414–417; umfassend Ritter, Meinecke, dort auch die gesamte Meinecke-Literatur; jüngste Forschungsbilanz Bock/Schönpflug, Meinecke; für die politische Entwicklung Meineke, Meinecke . 15 16
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pyläen-Geschichte“ (Bände 8–10, 1930/33) und Delbrücks „Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ (Bände 1–4, 1900–1920) .20 An aktuellen Werken, die Hamm in den Jahren 1928 bis 1930 erwarb, verzeichnet Maria Hamms Haushaltsbuch die „Gedanken eines Soldaten“ (1929) des zurückgetretenen Chefs des Heeresamtes General Hans von Seeckt, der 1923/24 mit Hamm häufig am Kabinettstisch gesessen und vor allem mit der Frage der Behandlung Bayerns zu tun gehabt hatte, Carl Schmitts „Verfassungslehre“ von 1928, Erich Maria Remarques Antikriegsbuch „Im Westen nichts Neues“, das 1929 den Streit um die Kriegsdeutung in Deutschland neu entfachte und zum Welterfolg wurde, und schließlich den erfolgreichen, mehrfach neu aufgelegten Roman „Meister Joachim Pausewang“ (1910) des völkischen Schriftstellers Erwin Guido Kolbenheyer . Es könnte der Eindruck entstehen, dass die borussianisch-kleindeutsche Lesart der deutschen Geschichte in dieser Bibliothek dominierte . Dem war aber nicht so . 1943 schenkte Hamm seinem Schwiegersohn das Hauptwerk der demokratisch-revisionistischen Sicht auf die 48er Revolution, Veit Valentins zweibändige „Geschichte der deutschen Revolution von 1848–49“ (1930/31) . Von der im Banne des Alten Reiches und des 19 . Jahrhunderts stehenden Ricarda Huch gab es zahlreiche Titel . Im Übrigen konterkarierten Hauptwerke zur bayerischen Geschichte von Ludwig Doeberl und Siegmund von Riezler die borussianische und norddeutsch-reichische Sicht auf das Reich . Karl Alexander von Müllers Broschüre „Das bayerische Problem in der deutschen Geschichte“ (1931) versah Hamm mit durchgängigen Unterstreichungen, obwohl er den ihm persönlich aus München bekannten Autor wegen seiner politischen Position und seiner Eitelkeit nicht leiden konnte .21 Auch sonst gab es zahlreiche Bavarica, unter anderem Traktate des konservativen Loyalisten und Schriftleiters der „Münchner Neuesten Nachrichten“ Erwein von Aretin, wie „Bayerns gefährdete Ostgrenze“ (1930) und „Das bayerische Problem“ (1924) . Dazu kamen diverse Kampfschriften zum bayerischen Eigenständigkeitsanspruch seit 1918 . Hier geht die Geschichtsschreibung in die Publizistik und die Dokumentation der unmittelbaren Zeitgeschichte über . Gründlich mit Bleistiftunterstreichungen durchgearbeitet sind die 200 auf schlechtem Papier eng gedruckten Seiten des Quellenwerks „Der Hitler-Prozeß vor dem Volksgericht in München“ (1924) mit den Wortprotokollen der Gerichtsverhandlung . In der Bibliothek des Juristen Hamm durfte die staatsrechtliche Standardliteratur zum Reich und zu Bayern nicht fehlen: Paul Labands „Das
Vgl . Thomas, Geschichtsschreibung . Zu Laufbahn und Geschichtsschreibung des begnadeten Autors und politischen Opportunisten jetzt Berg, Müller; die Einschätzung durch Hamm laut familiärer Überlieferung .
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Staatsrecht des Deutschen Reiches“ (Bde . I–III/1,2, 1 . Aufl . 1876–1882) und Max von Seydels „Bayerisches Staatsrecht“ (Bde . 1–7, 1 . Aufl . 1884–1894) . Politische Literatur im engeren Sinn tritt demgegenüber eher zurück . Am wichtigsten für Hamm war wohl das broschierte und stark zerlesene Exemplar von Naumanns „Neudeutsche Wirtschaftspolitik“ (1902), in dem dieser die Hinwendung des Linksliberalismus zur modernen Industriegesellschaft und die Anerkennung ihrer spezifischen Probleme und Konflikte vollzog . Daneben fanden sich einige Grundschriften des Liberalismus wie Naumanns „Nationalsozialer Katechismus . Erklärung der Grundlinien des Nationalsozialen Vereins“ (1897), Theodor Barths „Was ist Liberalismus? Eine Gegenwartsfrage!“ (1905) mit dem handschriftlichen Eintrag: „Eduard Hamm, 18 . Juni 1905 (Naumanns Münchner Wahlkampfrede)“ sowie Paul Rohrbachs Propagandaschrift „Die Bagdadbahn“ (2 . Aufl . 1911) .22 Präsent waren die liberalen Vorkämpfer aus den älteren Generationen wie Conrad Haußmann mit seinen Tagebuchaufzeichnungen (1924) und Lujo Brentano mit seinen Erinnerungen „Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands“ (1931) . Hamms Parteifreund und zeitweiliger Kontrahent in Verfassungsfragen Hugo Preuß war mit seinen Vorträgen „Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke“, publiziert 1916, vertreten . Dick unterstrichen hat Hamm hier Zitate des Historikers Otto Hintze über den Unterschied zwischen „Völkern, die sich selbst regieren wie England, Frankreich, Amerika, und solchen, die von Monarchen regiert werden, wie Preußen, Österreich und Rußland […] . Es ist doch eine große Sache darum, wenn Staat und Volk Begriffe sind, die sich decken . Das ist bisher bei uns in Deutschland nicht in demselben Maße der Fall wie in Frankreich oder England oder in Amerika“ .
Markiert ist auch das folgende Hintze-Zitat: „Das Maß von Freiheit muß normalerweise umgekehrt proportional sein dem militärisch-politischen Druck, der auf ihren Grenzen lastet“23 – mithin das liberale und konservative Standardargument für eine starke deutsche Rüstung und die militärstaatlichen Elemente der Bismarck’schen Reichsverfassung . Natürlich durfte in dieser Bibliothek auch die Kriegspublizistik der deutschen Professoren nicht fehlen, von Karl Lamprecht über Lujo Brentano bis zu Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff und Georg Simmel . Ernsthaft gelesen
Eduard Hamms jüngerer Bruder Gottfried arbeitete kurz vor dem 1 . Weltkrieg als Architekt am Bau der Bagdadbahn mit . 23 Hugo Preuß: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, Jena 1916, S . 7 f . 22
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hat Hamm wohl nur die Vorträge Brentanos und Simmels .24 An ihnen interessierten Hamm vor allem zwei Gesichtspunkte: die Nachdrücklichkeit, mit der Simmel die weltgeschichtliche Dimension und den Zäsurcharakter des Krieges betonte,25 und die Perspektive auf den in der Zukunft notwendigen umfassenden Neuaufbau der deutschen Wirtschaft ungeachtet des „‚europäische[n] Hass[es]‘ und der Zusammenbrüche an allen Ecken und Enden des weltwirtschaftlichen Kreises“ .26 Auch die Polemiken der Nachkriegszeit über die Dolchstoßlegende und die damit verbundene Frage, ob man im Herbst 1918 hätte weiterkämpfen können, ist vertreten .27 Neben anderen Werken von Hans Delbrück ist auch die Schrift vorhanden, mit der der Berliner Welt- und Kriegshistoriker die erbitterte Debatte über die deutsche Strategie im Ersten Weltkrieg und insbesondere über die Fehler Ludendorffs eröffnete .28 Deutliche Lektürespuren weist auch John Maynard Keynes „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“ (1920) auf . Dieses Werk über die Fehlentscheidungen des Versailler Vertrages war in Deutschland sofort nach seinem Erscheinen 1920 übersetzt worden und diente in der reflektierteren Literatur über Versailles als immer wieder bemühte Argumentationshilfe gegen Hybris und Torheit der Siegermächte . Daneben standen Broschüren zum Ruhrkampf und zur französischen Rheinpolitik und eine Reihe von Schriften aus den Weimarer Parteien zu aktuellen politischen Fragen, insbesondere zur Wirtschafts- und Sozialpolitik des Zentrums (Clemens Lammers, Heinrich Brauns, Adam Stegerwald)29 sowie „Reichstagsreden 1922–1924“ (1925) des
Lujo Brentano: Das ganze deutsche Volk . Unser Schlachtruf und Kriegsziel, zum 1 . August 1916, München 1916; Georg Simmel: Der Krieg und die geistigen Entscheidungen . Reden und Aufsätze, München/Leipzig 1917 . 25 Simmel, Krieg, S . 13; vgl . das ganz ähnliche Argument bei Rudolf Borchardt: Der Krieg und die deutsche Verantwortung, Berlin 1916, S . 19; dazu Hardtwig, Bismarck-Mythos, S . 66; Mommsen, Kultur; weiterhin u . a . Verhey, Geist; Ulrich/Ziemann, Krieg . 26 Simmel, Krieg, S . 14 . 27 U . a . Adolf Köster: Konnten wir im Herbst 1918 weiterkämpfen?, Berlin o . J .; General d . Inf . v . Kuhl: Die Kriegsniederlage im Herbst 1918 . Warum konnten wir weiterkämpfen?, Berlin 1922; Dr . Adolf Köster (Reichsminister des Innern): Fort mit der Dolchstoßlegende! Warum wir 1918 nicht weiterkämpfen konnten, Berlin 1922 . Die Kriegsschuldfrage blieb mit weiteren Publikationen auf der Lektüreliste Hamms . 28 Hans Delbrück: Ludendorff, Tirpitz, Falkenhayn, Berlin 1920; durchgearbeitet ist vorwiegend der Aufsatz über Tirpitz, dessen Flottenpolitik vor 1914 Hamm bewundert hatte . 29 Clemens Lammers: Wirtschaft und Kultur, Berlin 1924; Ders .: Mit altem Wollen in die neue Zeit . I . Unternehmertum und Arbeiterschaft . Aus Aufsätzen, Schriften, Vorträgen, Reden und Briefen, Berlin (Eigenverlag) [1933]; Heinrich Brauns: Wirtschaftskrisis und Sozialpolitik, Mönchen-Gladbach 1924; Adam Stegerwald: Arbeiter-Interesse und Friedensziele . Vortrag gehalten von Generalsekretär Stegerwald auf der Konferenz der Vertrauensleute 24
194 VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik
deutschnationalen Hetzers, aber auch sachkundigen Wirtschaftspolitikers Karl Helfferich, des Miterfinders der „Rentenmark“ vom 15 . November 1923, mit der die Währungsstabilisierung eingeleitet wurde . Inwieweit Hamm die strenger wissenschaftlichen Werke in seiner Bibliothek zum System der Kriegswirtschaft und zu den ökonomischen Folgen der Kriegsniederlage und des Ruhrkampfes wirklich gelesen hat, steht dahin, ebenso wie bei den Publikationen von Hamm nahestehenden politischen Akteuren wie Koch-Weser über „Deutschlands Außenpolitik in der Nachkriegszeit 1919–1929“ (1929) und bei Hans Luther über Deutschlands „Lage in der Weltwirtschaft“ von 1928 . In Hamms Bibliothek prangten auch die beiden edel gedruckten und gebundenen Bände der Erstausgabe von Hans Grimms „Volk ohne Raum“ von 1926, die ungeachtet ihrer fast 1 .300 Seiten bis 1944 eine Gesamtauflage von mehr als 500 .000 Exemplaren und die Auszeichnung als Schullektüre erreichte . Die Bände weisen allerdings keinerlei Benutzungsspuren auf, die Romanhandlung war Hamm sicher zu langwierig, und für seine schon vor 1914 entstandene Überzeugung von einer bedrohlichen Raumnot Deutschlands brauchte Hamm den Bestseller offenkundig nicht .30 In manchen Reden Hamms vor dem DIHT finden sich einerseits Passagen über die deutsche Raumnot, andererseits aber auch längere Ausführungen über die Irrtümer des Malthusianismus und seines Bevölkerungsgesetzes, wonach die natürliche Vermehrung der Menschheit in geometrischer Progression, die Nahrungsmittelmenge aber nur in arithmetischer Reihe zunehme . Immer wieder betonte Hamm die kulturelle Leistung des Menschen, durch Arbeit seinen Nahrungsspielraum prinzipiell erweitern zu können . Auf die neue weltgeschichtliche Herausforderung des Kommunismus und Bolschewismus reagierte Hamm, indem er gründlich Lenins Programmschrift „Staat und Revolution . Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution“ (1918) durcharbeitete und die Programmschriften der Dritten Kommunistischen Internationale überflog .31 Nicht vertreten waren in dieser
der christlich-nationalen Arbeiterbewegung am 6 . Mai in Essen, Cöln 1917 (erworben am 25 .5 .1917) . 30 Zu Grimm und zum Raumdenken der Epoche vgl . jetzt die Gesamtdarstellung von Jureit, Ordnen, S . 265–275 . 31 Verlag „Rote Fahne“, Berlin, August 1919 . Dieser erste Band des „Organs des ExekutivKomitees der kommunistischen Internationale“ enthielt programmatische Texte von Lenin, Sinowjew und Gorki, sowie Dokumente des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale . Zwei Broschüren „Die Bilanz des russischen Bolschewismus“ von dem ehemaligen russischen Sozialrevolutionär Dimitrj Gawronsky, Berlin 1919 und eine Polemik von Coudenhove-Kalergi über „Stalin & Co .“ im Paneuropa Verlag, Leipzig/Wien 1931, rundeten die kleine Bolschewikica-Abteilung ab; zu den intensiven Diskussionen in den Berliner Salons
2. Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren 195
Bibliothek die Schriften des Kulturpessimismus (Julius Langbehn, Arthur Moeller van den Bruck) und der Konservativen Revolution (Ernst Niekisch, Ernst Jünger, Edgar Jung), mit Ausnahme von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ .32 Auf einige Publikationen muss etwas genauer eingegangen werden, weil sich in ihrer gründlichen Lektüre das Bedürfnis Hamms niederschlug, sich über den Epochenwandel vom Kaiserreich über den Weltkrieg und die Revolution zur politischen und ökonomischen Verfassung der Republik sowie über den weltgeschichtlichen Kulturprozess der Gegenwart insgesamt grundsätzlich zu orientieren . Als vielleicht wichtigste dieser Schriften ist Friedrich Meineckes „Nach der Revolution“ zu nennen . Meinecke revidierte hier das gängige kleindeutsch-protestantische Geschichtsbild in einer für das Jahr 1919 sehr weitgehenden Weise und verlangte, die bisherige „Kanonisierung des nationalen Entwicklungsprozesses“ zu modifizieren .33 Hamm registrierte im Text das auch von Meinecke vorgebrachte borussianische Argument, die deutsche Mittellage habe die Ausprägung der Militärstaatlichkeit verlangt,34 aber auch die Umdeutung der 48er Revolution, in der Meinecke die wünschenswerte „Verschmelzung von Staat und Volk, von Autorität und Freiheit“ gescheitert sah . Angestrichen sind im Text die Passagen zur Überständigkeit des preußischen Junkertums und seiner Unfähigkeit, „die Kunst des rechtzeitigen Nachgebens“ zu üben .35 Da die Freiheit 1848/49 und in der Bismarck’schen Reichsverfassung zu sehr unterdrückt worden sei, habe der „Obrigkeitsstaat“ das „sozialdemokratische Problem“ mit seinen Mitteln nicht mehr lösen können . Meinecke rechnete unter erkennbarer Zustimmung Hamms mit den Übersteigerungsformen des preußischen „Militarismus“ und der Hybris von Heeres- und Marineleitung ab, die in einer aus der preußischen Geschichte resultierenden, fehlgeleiteten „politischen Mentalität“ den fatalen Weg zum unbeschränkten U-Bootkrieg und zu einem maßlosen „Annexionismus“ ein-
und intellektuellen Zirkeln über den Bolschewismus in den Monaten nach der Revolution 1918/19 vgl . aufschlussreich Kessler, Tagebuch, Bd . 7, in den Jahren 1919/20, passim; vgl . auch Wirsching, Antibolschewismus . 32 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes . Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Band 1: Gestalt und Wirklichkeit, 7 .–10 . unveränderte Auflage, München 1920, Bd . 2: Welthistorische Perspektiven, 31 .–42 . Auflage, München 1922 (erworben am 1 .12 .1922) . 33 Friedrich Meinecke: Nach der Revolution . Geschichtliche Betrachtungen über unsere Lage, München/Berlin 1919, S . 54 . 34 Ebd ., S . 30 . 35 Ebd ., S . 22 .
196 VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik
geschlagen hätten .36 Jetzt, nach der Revolution, sei es daher umso dringlicher, den „mittleren Weg“ zu suchen .37 Dick unterstrich Hamm einen der abschließenden Sätze: „Nur eine geistige und seelische Erneuerung, genährt von dem festen Willen, unsere politische Freiheit im Rahmen der allgemeinen Völkerfreiheit früher oder später zurückzugewinnen, kann uns helfen . […] Wir wissen nur das Eine, dass Aufrichtung der Weltherrschaft, politische Unfreiheit und geistiger Niedergang der Völker in einem verhängnisvollen Kausalzusammenhange [stehen]“ .38
Mit diesen Sätzen aus Meineckes eigener Neuorientierungs-Schrift ist auch Hamms politisches Credo im Gefolge des Zusammenbruchs im Wesentlichen umrissen . Ähnliche Bedeutung, diesmal in Bezug auf Grundfragen der Wirtschaftsund Sozialpolitik und der Arbeitsverfassung, kam den Schriften Walther Rathenaus zu . Das ist erstaunlich genug, zählte Rathenau doch zwischen 1914 und seiner Ermordung 1922 nicht nur zu den rätselhaftesten, sondern auch zu den umstrittensten Personen aus dem militärisch-politisch-industriellen Komplex .39 Zudem hatte sich Rathenau durch seine kultur- und kapitalismuskritischen Schriften in den letzten Vorkriegsjahren den Ruf eines etwas abgehobenen Schöngeistes erarbeitet .40 Hamm hatte demgegenüber vermutlich ein eigenes Verhältnis zu Rathenau gewonnen und ihn als erfolgreichen Manager in der Privat- ebenso wie in der Kriegswirtschaft schätzen gelernt, der zudem auf der Grundlage solider ökonomischer Kenntnisse und Erfahrungen über den Mut und den Geist verfügte, sich weitreichende Gedanken über „kommende Dinge“ zu machen . Jedenfalls hat sich Hamm jede der zahlreichen zwischen 1917 und 1920 erschienenen Publikationen verschafft und gründlich studiert .
36 Ebd ., S . 16, 12 f, 31 . Die scharfe Kritik Meineckes an der Unfähigkeit Wilhelms II ., die Prärogative der Politik vor dem Militär zu wahren, kommentierte Hamm am Rand der Seite – leider in Kurzschrift . Hier wie an manchen anderen Stellen ist der Autor dieser Biographie an seine Grenzen gestoßen . Im Nachlass liegt eine Reihe stenographischer Mitschriften aus der Reichstagsfraktion der DDP vor, ebenso im Aktenbestand der Reichskanzlei im Bundesarchiv . In zahlreichen der hier genannten Schriften liegen Blätter mit zum Teil ausführlichen stenographischen Exzerpten, die ich nicht auswerten konnte . 37 Ebd ., S . 45 . 38 Ebd ., S . 104 f . 39 Vgl . Kruse, Kriegswirtschaft . 40 Aus der reichhaltigen Rathenau-Literatur vgl . hier nur Kessler, Rathenau; vgl . auch die noch schärfer pointierenden unmittelbaren Beobachtungen in Kessler, Tagebuch, Bd . 7, passim; Hughes u . a ., Mann; Schulin, Rathenau; Wilderotter, Rathenau .
2. Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren 197
Wenig Interesse zeigte er an Rathenaus kulturkritischen Betrachtungen wie etwa in den Kapiteln „Der Weg der Sitte“ und „Der Weg des Willens“ aus dessen Hauptwerk dieser Periode „Von kommenden Dingen“ . Dagegen richtete er seine Aufmerksamkeit auf Fragen der Arbeitsverfassung, von Konsum und Bedarf, von Arbeitszeit und Steuern, von sozialer Schichtung und Sozialismus . Markiert sind in „Von Kommenden Dingen“ Rathenaus Überlegungen zur Besteuerung von Konsum und Luxus, zur Bändigung und Besteuerung von „Monopolisten, Spekulanten und Großerben“ und zu „Bildung“ als unabdingbarem Instrument sozialer Egalisierung .41 Hervorgehoben ist auch Rathenaus Polemik gegen die traditionelle Bevorzugung des Kriegshandwerks und die aus ihr hervorgegangene ständisch-feudale Schichtung im preußisch dominierten Deutschland, die sich mit der neuen Herrschaft des Kapitals in der Unternehmensstruktur vermischt habe . Diejenigen Einrichtungen, die eine „erbliche kapitalistische Schichtung“ eigentlich hätten erschüttern müssen, hätten vor dieser Aufgabe versagt: die Volksschule, die Aktiengesellschaft mit der Ablösung des Eigentümer-Unternehmers und die „politisch-militärische Emanzipation“ .42 In seiner Broschüre „Probleme der Friedenswirtschaft“ von 1917 rechnete Rathenau die ökonomischen Folgen des Krieges auf die Zukunft hoch und prognostizierte, von Hamm durch Anstreichungen hervorgehoben, dass der Krieg die deutsche Wirtschaft etwa auf ihren Stand um 1900 zurückwerfen und dass infolge der Vermögenszerstörung durch Kriegsanleihen und die bereits eingeleitete „soziale Umschichtung“ die besitzende Schicht verarmen werde . Die Möglichkeit zur Regeneration der Wirtschaft durch Mehrarbeit sei begrenzt, umgekehrt werde sich ein maßvoller Konzentrationsprozess nicht vermeiden lassen .43 Rathenau räsonierte dabei auch über den Umgang mit den Begriffen Optimismus und Pessimismus im Krieg . In Zukunft gelte es, „jeder Gefahr ohne Furcht ins Auge“ zu blicken, sich aber auch den „Willen und die Entschlußkraft des höchsten Optimismus“ zu erhalten .44 In Rathenaus nächster Publikation aus dem Jahre 1919, „Die neue Gesellschaft“, beachtete Hamm vorzugsweise dessen Beschreibung des „gewaltigen Aufstiegs imperialistischer und kapitalistischer Leidenschaften“ ab 1918 und, wie schon in „Von Kommenden Dingen“, die Polemik gegen die zwar schwindende, aber zumindest bislang unbelehrbare deutsche feudal-kapitalistische Ober-
Walther Rathenau: Von kommenden Dingen, Berlin 1917, S . 130–132 . Ebd ., S . 76–78 . 43 Walther Rathenau: Probleme der Friedenswirtschaft, Berlin 1917, S . 12, 18, 20, 32 . 44 Ebd ., S . 8; zu dem tiefgreifenden Optimismus–Pessimismus Diskurs in der Weimarer Republik vgl . Graf, Zukunft . 41 42
198 VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik
schicht .45 Rathenau warnte davor, jetzt an die Stelle des „politischen Lügengewebes“ ein wirtschaftliches Lügengewebe zu setzen, das sich der Einsicht in die Konsequenzen eines allgemeinen erhöhten Konsums, von wachsenden Ansprüchen an den Staat und des bevorstehenden Zehrens an der Substanz verweigere .46 Der durchschnittliche Architekt, Kunstgewerbler und Kulturpolitiker gebe sich „einfältigem Lug und Trug“ hin, wenn „stillschweigend so getan wird, als laufe radikale Sozialisierung auf etwas Ähnliches hinaus wie Gartenstadtidylle mit Festspielhäusern, Naturtheater, Freiluftvergnügen, malerischen Reformtrachten und Heimatkunst“ .47 In „Der neue Staat“ von 1919 registrierte Hamm vorzugsweise Prognosen von einer Umwertung der Prioritäten in der Politik, von der Diplomatie zur Sozial- und Wirtschaftspolitik und den Aufstieg der Arbeiterschaft zum zukünftigen Herren des Arbeitsmarktes anstelle des Unternehmers . Rathenaus scharfe Kritik der Weimarer Reichsverfassung wird ebenso vermerkt wie seine beißende Parlamentarismuskritik .48 Hamm vollzog schließlich die Wendung der Rathenau’schen Argumentation zu ethischen Fragen nach und hielt fest, dass in Zukunft auch die „scheinbar materiellsten aller Fragen […] durch ideelle Werte: Geist und Sitte“ entschieden würden . Zweifellos war er Rathenaus Meinung, dass im „Bürgertum“ noch Tugenden wie „Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Gründlichkeit, […] Güte, Wärme, Hilfsbereitschaft“, die „schönsten Eigenschaften der mittleren und unteren Schichten“, vorhanden seien . Dagegen wird er Rathenaus generelle These vom „Sterben“ des Bürgertums nicht geteilt haben .49 Elf Jahre später sollte Hamm dann angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit und Arbeitsunsicherheit und ihrer Folgen selbst von der „Entbürgerlichung der bürgerlichen Gesellschaft“ sprechen .50 Es ist schwer zu sagen, ob sich in der Berliner Szene dieser Jahre persönliche Berührungen zwischen Hamm und Rathenau ergaben . Es fällt jedoch auf, dass Hamm über weitere Rathenau-Schriften hinaus auch von den Polemiken um Rathenau Kenntnis genommen hat – unkommentiert (und vielleicht ungelesen) die deutschnationale Kampfschrift von Walther Lambach, „Diktator Rathenau“,51 und – mit einigen wenigen Anstreichungen
Walther Rathenau: Die neue Gesellschaft, Berlin 1919, S . 24, 56 . Ebd ., S . 26, 40, 43, 25 . 47 Ebd ., S . 25 . 48 Walther Rathenau: Der neue Staat, Berlin 1919, S . 54, 23, 30, 27, 65; vgl . auch Sösemann, Partei . 49 Rathenau, Staat, S . 17 . 50 Verhandlungen des DIHT, 30 .1 .1930, S . 135 . 51 Walther Lambach: Diktator Rathenau, Hamburg/Leipzig, 1918, in einer 2 . Aufl . 13 .– 50 .000 erschienen . 45 46
2. Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren 199
versehen – die Schrift des Berliner Nationalökonomen und Großordinarius Gustav Schmoller, „Walther Rathenau und Hugo Preuß . Die Staatsmänner des Neuen Deutschland“ .52 In Schmollers Buch unterstrich Hamm ein Zitat Rathenaus, dass an die Stelle der intellektuellen die intuitiven Kräfte treten müssten, dass eine „Lossagung vom Dienst des Überflüssigen, von den Dingen als Machtquelle, vom Eigennutz des Familienstrebens“ notwendig sei, dass es stattdessen gelte, „zum Wesentlichen des äußeren Lebens, zur Solidarität, zur Hingabe an die Gemeinschaft“ hinzustreben und dass ein „Übergang der Verantwortung an geistige und sittliche Mächte“ nötig sei .53 Im Übrigen sind Schmollers Essays über Rathenau und Preuß gehässige, von einem bösartigen Antisemitismus durchzogene Polemiken des hochangesehenen alten Großmeisters der Nationalökonomie und der Politikberatung an der Friedrich-Wilhelms-Universität, die Hamms Grundanschauung sicher nicht entsprachen . Offenkundig interessierte ihn der Neuidealismus Rathenaus, doch dürfte er ihm zu schwammig gewesen sein . Dem „Erfüllungspolitiker“ und Außenminister Rathenau stand er wie die konservativeren Kollegen in der DDP-Reichstagsfraktion 1921/22 skeptisch gegenüber . Hingegen hielt er wie Rathenau wirtschaftliche Rationalisierung und Effizienz für unabdingbar, glaubte aber wie dieser auch daran, dass es vor allem auf verstärkte Erkenntnis, Einsicht und Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft ankomme . Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht in Hamms Bibliothek Oswald Spengler . Es fanden sich die beiden Bände vom „Untergang des Abendlandes“ von 1918 und 1922, in einer der späteren Auflagen, doch scheint Hamm das Werk nicht gelesen zu haben – jedenfalls gibt es keinerlei Benutzungsspuren . Persönlich geriet Hamm in eine Kontroverse mit Spengler . Am 1 . Dezember 1924 schrieb Hamms Parteifreund, der ehemalige Reichsinnenminister und jetzige Gesandte in Riga, Adolf Köster, einen Brief an Hamm, in dem er aus zweiter Hand berichtete, Spengler habe in der Vorwoche in einem vertraulichen Kreis um den Baltenführer Paul Schiemann „zur Charakterisierung der augenblicklichen Reichsregierung erzählt, dass dieser Regierung auch Herr Hamm angehöre, der durch sein Verhalten in Oberschlesien verschuldet habe, dass Hunderte von national gesinnten deutschen Männern der polnischen Justiz zum Opfer gefallen wären .“ Hamm, damals Reichswirtschaftsminister, schrieb daraufhin an Spengler, bat um Stel-
Gustav Schmoller: Walther Rathenau und Hugo Preuß . Die Staatsmänner des Neuen Deutschland, München/Leipzig 1922 . 53 Ebd ., S . 10 . 52
200 VI. Bürgerliches Leben in der Weimarer Republik
lungnahme und drohte Rechtsmittel an .54 Spengler antwortete umgehend mit einem Handschreiben und der Auskunft, die ihm zugeschriebenen Äußerungen seien frei erfunden . Bemerkenswert ist schließlich Hamms Rezeption der letzten Schriften Max Schelers . In „Der Mensch im Zeitalter des Ausgleichs“55 fand Hamm die Globalisierung und den möglichen und wünschenswerten europäischen und deutschen Umgang mit diesem Thema behandelt, das ihn als aktiven Politiker intensiv beschäftigte . Scheler deutete die Globalisierung als Zeitalter umfassender Ausgleichsprozesse zwischen Kontinenten, Staaten und Kulturen, zwischen physischen und psychischen „Naturmerkmalen“, zwischen den „Rassen“ und Mentalitäten, den Selbst-, Welt-, und Gottesauffassungen der großen Kulturkreise, vor allem Asiens und Europas, zwischen männlicher und weiblicher Geistesart, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, zwischen Ober- und Unterklassen, Fachwissenschaft und Menschenbildung, körperlicher und geistiger Arbeit .56 Hamm hielt an Schelers Ausführungen die Absicht fest, Demokratie und Elite zusammenzubringen und so die Demokratie in der „gefährlichen Krisis, in der sich heute die parlamentarische Demokratie fast der ganzen Welt […] befindet“, zu stärken und überlebensfähig zu machen . Andererseits unterstrich Hamm Schelers Polemik gegen Friedrich Nietzsches Sehnsucht nach dem „Übermenschen“ und Schelers Antithese, dass eine „fortschrittlich biologische Art- und Höherentwicklung des irdischen Menschen“ ebenso unwahrscheinlich sei wie eine „biologisch gerichtete Dekadenz“ .57 Hamm folgte auch der Polemik Schelers gegen die Lehren der „Panromantiker“ wie Ludwig Klages, Edgar Daqué und anderer: „Der ‚Geist‘ ist kein Feind des Lebens und der Seele“ .58 Schließlich ist hier noch Schelers – von Hamm unterstrichene – Meinung festzuhalten, dass die künftige Elite sich „keiner positiven Kirche wird verschreiben dürfen“ und dass sie „freie Auseinandersetzung über Wert und Wahrheit der positiven Religionen“ auf der „höchsten geistigen und moralischen Ebene“ fordern werde – dies entsprach ganz Hamms eigener Meinung .59
Darin heißt es u . a . „Ich habe keinerlei Anlaß, an der Richtigkeit dieser mir gemachten Mitteilungen zu zweifeln . Wenn sie aber zutreffen, so wiegen die mir gemachten Vorwürfe um so schwerer, als sie von einem Manne ausgehen, der starke Autorität genießt .“ Der Briefwechsel befindet sich im BayHStA, NL Hamm, 113 . 55 Max Scheler: Der Mensch im Zeitalter des Ausgleichs, Berlin 1928 (ein Geschenk aus der Schriftenreihe „Politische Wissenschaft“ der Deutschen Hochschule für Politik) . 56 Ebd ., S . 11 f . 57 Ebd ., S . 6, 8 . 58 Ebd ., S . 9 . 59 Ebd ., S . 34; vgl . unten S . 430–433 . 54
2. Von Lenin bis Sombart: Bibliothek und Lektüren 201
Von einer „Krise des Bürgertums“ ist auch in den letzten Lektüren Hamms nichts zu finden, selbst wenn er entsprechende Sätze bei Rathenau 1917 bis 1921 angestrichen hatte . Wenn aber auch Hamm ab 1930 von einer „Krise der Bürgerlichkeit“ sprach, so bezog er diese Diagnose unmittelbar auf die ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, von denen er annahm, dass sie wie eine Epidemie in wenigen Jahren wieder verschwinden und zurückkehrender ökonomischer und politischer Vernunft Platz machen würden . Dass es im Bürgertum, wie in Thomas Manns „Buddenbrooks“ geschildert, schon seit der Jahrhundertwende Dekadenzstimmungen gab, wusste er ebenso wie dass die herkömmlich liberale Honoratiorenpolitik an ihre Grenzen gestoßen war . Aber von einer generellen Niedergangsperspektive für das Bürgertum oder das Bildungsbürgertum ist bei ihm nichts zu sehen . Wenn sich zahlreiche Bildungsbürger zu „Geistesaristokraten unter pessimistischer Zukunftserwartung“ stilisierten, so ist das in der Tat mit Klaus Tenfelde als eine durch das Wachstum und den schließlichen Sieg der Arbeiterbewegung 1918 „ungemein begünstigte Fehlperzeption des langfristigen sozialen und politischen Strukturwandels“ zu deuten, die Hamm ungeachtet seiner Sorge vor einem Ausufern des Sozialstaates nicht teilte .60
Vgl . Tenfelde, Stadt und Bürgertum, S . 328; zur These von der „Krise des Bürgertums“ v . a . in ökonomischer Sicht vgl . Jarausch, Krise; Titze, Hochschulen .
60
VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrieund Handelstag 1. Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT
S
ofort nachdem klar geworden war, dass auch die zweite Regierung Marx nach den zweiten Reichstagswahlen des Jahres 1924 keinen Bestand haben würde, fragte der Präsident des DIHT, Franz von Mendelssohn, Anfang Oktober bei dem noch als Reichswirtschaftsminister amtierenden Eduard Hamm an, ob er die Position eines Geschäftsführenden Präsidialmitglieds des Verbandes übernehmen wolle . Hamm zeigte sich über das Angebot „sehr erfreut“ und trat sein Amt intern am 28 . Januar 1925 an . Der prompte Übertritt vom Ministeramt in die führende Stellung eines Spitzenverbandes der deutschen Wirtschaft stellte offenkundig damals kein Problem dar, jedenfalls findet sich in den Quellen kein Hinweis darauf . Möglicherweise hängt dies auch mit der Natur des Verbandes zusammen . Er war unter dem Namen „Deutscher Handelstag“ 1861 als Dachverband aller Handelskammern gegründet worden . 1919 benannte er sich in „Deutscher Industrie- und Handelstag“ (DIHT) um . Als öffentlich-rechtliche Korporationen mit Zwangsmitgliedschaft aller selbstständig Gewerbetreibenden nahmen die Kammern neben ihrer Funktion als Selbstverwaltungsorgane der selbständigen Unternehmerschaft auch quasi-staatliche Aufgaben wahr . Erst 1924 wandelte ein Gesetz die preußischen Handelskammern offiziell in „Industrie- und Handelskammern“ um, und die meisten übrigen Länder folgten bis 1933 dieser Regelung . Landwirtschaft und Handwerk blieben in eigenen Kammern und Interessenverbänden organisiert .1 Obgleich auch die
Zur Vorgeschichte immer noch Fischer, Unternehmerschaft; als erste knappe zusammenfassende Darstellung Hardach, Deutsche Industrie- und Handelstag; für die Weimarer Republik und das „Dritte Reich“ vgl . ebd ., S . 62–95; nach wie vor ergiebig Schäfer, Deutsche
1
1. Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT 203
Großindustrie vertreten war, diente der Spitzenverband doch hauptsächlich als Interessenvertretung des Groß- und Einzelhandels sowie des Bank-, Versicherungs- und Verkehrsgewerbes . Von 1918 bis 1921 hielt sich der Verband mit Aktivitäten aller Art zurück, da es in den revolutionären Zeiten zunächst ungewiss erschien, ob die Kammern in ihrer bisherigen Form überhaupt überleben oder in ein allgemeines System von wirtschaftlichen Räten eingegliedert werden würden . Erst nachdem die Rätebewegung mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 und mit der Planung des „Vorläufigen Reichswirtschaftsrates“ zum Abschluss gekommen war und das Reich gegenüber den Ländern auf eine einheitliche Regelung des Industrie- und Handelskammerwesens verzichtet hatte, trat der DIHT stärker hervor . Umgekehrt ließ die Politik von den ersten Jahren der Republik an ein gesteigertes Interesse am DIHT erkennen . Das zeigte sich schon daran, dass die führenden Repräsentanten des Weimarer Staates regelmäßig auf den Vollversammlungen sprachen, so die Reichskanzler Wirth 1922, Cuno 1923, Marx 1924, Luther 1925 und Brüning 1931, Reichsbankpräsident Schacht 1925, 1926, 1929, Außenminister Stresemann sprach insgesamt viermal, zuletzt 1928, und Wirtschaftsminister Julius Curtius einmal, 1929 . Brünings Rede war in dieser Reihe die kompetenteste – kein Wunder, wurde sie doch im März 1931 von Ministerialrat Othmar Fessler und Eduard Hamm gemeinsam in der Reichskanzlei ausgearbeitet .2 Im Dezember 1931 erschien der Exkanzler und jetzige Reichsbankpräsident Hans Luther in Köln bei der Sitzung des Hauptausschusses und ließ sich – bei den damaligen Usancen höchst ungewöhnlich – auf eine kontroverse Debatte über Kreditausweitung und die Zinspolitik der Reichsbank ein .3 Häufig verzeichnet die Gästeliste neben sachlich betroffenen weiteren Reichsministern wie dem Finanz- und Wehrminister und Mitgliedern des Reichsrats die führenden Beamten aus den mit Wirtschaftsfragen beschäftigten Ministerien – Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Justiz, Verkehr, Post sowie aus der Preußischen Ministerialbürokratie . Entscheidend für die zunehmend prominente Rolle des DIHT als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft war zunächst zweifellos 1921 die Berufung von Franz von Mendelssohn zum Präsidenten . Zusammen mit seinem
Industrie- und Handelstag; für die Debatte um die Stellung der Handelskammern in der Wirtschafts- und Sozialverfassung der Weimarer Republik vgl . den Beitrag von Eduard Hamm „Fragen des Handelskammerwesens“, in: Verh ., HA, 17 .4 .1928, S . 35–46 . 2 Schäfer, Industrie- und Handelstag, S . 63 . 3 Verh ., HA, 3 .12 1931, S . 40–51; Luther mischte sich in die Debatte ein, um die Forderung Paul Silverbergs, des Präsidenten der IHK Köln, nach einer Ausweitung des Kreditvolumens abzulehnen .
204 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
Bruder Paul von Mendelssohn-Bartholdy war er Inhaber des Bankhauses Mendelssohn & Co ., das zu den größten Privatbankhäusern Deutschlands zählte . Es war 1805 von den Söhnen des Philosophen Moses Mendelssohn gegründet worden, hatte sich zu einer der größten Emissionsbanken Europas entwickelt und lag Ende der 1920er Jahre mit rund 120 Millionen RM Finanzkapital an der Spitze des privaten deutschen Finanzreichtums, erst mit großem Abstand gefolgt von den Bankhäusern Goldschmidt, Rothschild und Warburg .4 Franz von Mendelssohn war gelernter Jurist, seit 1902 Mitglied der Berliner Handelskammer, seit 1914 ihr Vorstand und seit 1913 auch Mitglied des preußischen Herrenhauses . Aufsichtsratsmandate zu übernehmen war im Hause Mendelssohn nicht üblich, aber Franz von Mendelssohn galt allerorten als der geborene Vorsitzende und gehörte im Krieg und danach zahlreichen Expertengremien an . Im Mai 1931 wählte ihn die Internationale Handelskammer in Washington zu ihrem Vorsitzenden . Schwere private Schicksalsschläge und gesundheitliche Probleme zwangen ihn jedoch im Dezember 1931 66-jährig zum Rücktritt von allen Ehrenämtern .5 Mendelssohns Einfluss auf den Kurs des Verbandes kann kaum überschätzt werden . Sogleich nach Amtsantritt trieb er die Reorganisation des DIHT mit dem Ziel voran, der Spitzenorganisation von Handel, Banken, Versicherungen und Fertigwarenindustrie ein schärferes Profil und größeres Gewicht zu verschaffen .6 Entscheidende Bedeutung kam dabei der Berufung von Hamm zu, der sich wegen seiner kommunikativen Begabung, seiner bereits nach zwei Jahren in Berliner Regierungsämtern weitreichenden Vernetztheit im politischen und wirtschaftlichen Establishment und wegen seiner administrativen und politischen Erfahrung für das Amt besonders eignete . Zwischen Hamm und Mendelssohn entwickelte sich über das sachliche und politische Einverständnis hinaus eine respektvolle und zugleich enge persönliche Beziehung .7
Vgl . hierzu und zum Folgenden Schäfer, Industrie- und Handelstag, S . 35–38; zur Geschichte der Privatbanken in Deutschland und ihrer zunehmend schwierigen Situation in der Konkurrenz zu den aufsteigenden Aktienbanken zusammenfassend Pohl, Festigung, S . 258– 277; Wixforth/Ziegler, Privatbanken . 5 Harry Graf Kessler notierte anlässlich der Gründung der Walther-Rathenau-Gesellschaft am 24 .6 .1928 in sein Tagebuch: „Ich sah immer nur das von Gram über den Tod seiner Tochter völlig zerstörte Gesicht Mendelssohns“; Kessler, Tagebuch, Bd . 9, S . 192 . 6 Vgl . dazu u . a . den Brief von Carl Duisberg an Rudolf Frank vom 17 .11 .1921, in dem Duisberg berichtet, dass er als stellvertretender Vorsitzender die „Neuorganisation des Industrie- und Handelstages“ vorzubereiten habe; Cordula Kühlem, Duisberg, S . 487 . 7 Vgl . z . B . die Briefe Mendelssohns an Hamm, in: Privatarchiv Wolfgang Hardtwig . 4
1. Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT 205
Als Geschäftsführendes Präsidialmitglied entfaltete Hamm in seinen acht Amtsjahren eine reichhaltige offiziöse Geselligkeit . Der DIHT stellt eine Repräsentationspauschale von monatlich 500 RM zur Verfügung, über die Maria Hamm in ihrem Ausgabenbuch minutiös Buch führte . Hier sind auch die kleinsten Ausgaben verzeichnet, von den zusätzlichen Bedienungskräften und den Einladungs- und Tischkarten über Blumenschmuck und Kerzen, Salzgebäck, Kaffee und Mineralwasser bis zu den eigentlichen Gerichten und zu den angebotenen Weinen . Gelegentlich taucht auch der Posten „Silberputzen“ auf .8 Grundsätzlich unterschied das Ausgabenbuch zwischen „Einladungen im Amt“, die monatlich verzeichnet wurden, durchweg als „Frühstücke“ (das heißt Mittagessen) oder „Anteil an Frühstücken“ mit Posten zwischen 10 und 90 RM, und „Einladungen zu Hause“ mit Kosten zwischen 100 und 800 RM, wobei der Durchschnitt etwa bei 150 RM bis 200 RM gelegen haben dürfte . Form und Aufwand variierten zwischen kleinem Imbiss und „gesetztem Essen“ im kleinen oder großen Kreis von 3 bis 20 Gästen . Die Regie führte Maria als Gastgeberin; sie gab die Ordres für das zum Haushalt gehörende Dienstmädchen (Köchin) und kurzfristig angemietete Tageskräfte . Der kulinarische Aufwand war nicht gering, aber auch nicht luxuriös . Das Hauptessen bestand meist aus Geflügel, Wild und edlerem Fleisch und unterschiedlichen Gemüsesorten . Zum Nachtisch wurden Obst, Käse, Kaffee und Pralinen angeboten . Im Ausgabenbuch besonders ausgewiesen sind auch die Weine mit Herkunftsangaben, Flaschenanzahl und Preisen . Man trank deutsche Weine, Mosel-, Rheinwein oder Pfälzer Wein . Mehrfach lief die Bestellung über Mitarbeiter oder befreundete Gäste mit günstigen Bezugsquellen; so lautet etwa der Eintrag über eine Bestellung vom Oktober 1929: „40 Flaschen Pfälzer Wein von Wever [Ministerialrat in der Reichskanzlei; W . H .] […] 207,25“ . Ein Jahr zuvor hatte Paul Reusch für das passende Getränk gesorgt, verzeichnet als: „25 Flaschen Rheinwein von Reusch […] 250“ . Im Durchschnitt lud das Ehepaar Hamm einmal im Monat zu einer größeren Gastlichkeit meist zwischen 12 und 20 Personen ein . Die Zahl 13 musste vermieden werden, was der 16-jährigen älteren Tochter Gertrud 1926 einmal die Gelegenheit gab, als Einspringerin an der Tafel Platz zu nehmen .9 Den Anlass für die Geselligkeit bot meist eine der wichtigeren Sitzungen des DIHT-Vorstands oder die Vollversammlung . Daher konzentrierten sich die
Haushaltsbuch, 1 .4 .1925–31 .12 .1926, in: BayHStA, NL Hamm, 127; Abrechnungsbuch, November 1928 – März 1933, in: ebd ., 137 . 9 Haushaltsbuch, 1925/26, in: ebd ., 127; die folgenden Angaben nach den Haushaltsbüchern vom 1 .4 .1925 bis zum 31 .7 .1928, in: ebd ., 127, 128, sowie dem Abrechnungsbuch für Einladungen und Repräsentation von Eduard und Maria Hamm, in: ebd ., 137 . 8
206 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
Zusammenkünfte auf die Herbst- und Wintermonate . Die Gästeliste führte in unterschiedlichen Besetzungen Vorstandsmitglieder und führende Mitarbeiter des DIHT mit Politikern vor allem aus dem Wirtschaftsflügel von DDP/Staatspartei, einzelnen Ministern und zahlreichen Staatssekretären und Ministerialbeamten aus dem Wirtschafts-, dem Finanz- und dem Innen- und Außenministerium sowie aus der Reichskanzlei zusammen . Hinzu kamen immer wieder einzelne Vorstandsmitglieder aus anderen Industrieverbänden, vor allem dem RDI . Hamm legte aber offenkundig Wert darauf, keine reine Lobbyisten-Geselligkeiten zu veranstalten . Mit einigen leitenden Ministerialen war er persönlich befreundet, so etwa mit Friedrich Heilbron und dem Ministerialdirektor Franz Kempner, die er während seiner Staatssekretärszeit in der Reichskanzlei kennengelernt hatte, oder mit den langjährigen Staatssekretären Hans Schäffer (Wirtschafts- und Finanzministerium), der jedes Jahr einmal, und Hermann Geib (Arbeitsministerium), der insgesamt zwölfmal geladen war . Am häufigsten (siebzehnmal) taucht Hamms engster politischer Freund Gessler auf, auch nach seiner Ministerzeit und außerhalb engerer Verbindungen mit der Wirtschaft, der auch allein oft zu Gast war, gefolgt von dem Patriarchen des DIHT Franz Mendelssohn und dem ehemaligen Schatz- und Wiederaufbauminister Heinrich Albert . Persönlich befreundet war Hamm auch mit dem Ehepaar Heuss, das seit 1928 regelmäßig geladen wurde – was nicht hinderte, dass Heuss’ innerparteilicher Konkurrent um ein württembergisches DDP-Reichstagsmandat, der Unternehmer Philipp Wieland, ebenfalls gebeten wurde . Zur intellektuell-bildungsbürgerlichen Seite hin ergänzten der Herausgeber des „Deutschen Volkswirt“ (seit 1926) und zeitweilige Reichstagsabgeordnete Gustav Stolper mit seiner Frau sowie gelegentlich der Herausgeber der „Vossischen Zeitung“ und ebenfalls zeitweilige DDP-Reichstagsabgeordnete Georg Bernhard das Tableau . Bei den Ministern führte der zeitweilige preußische DDP-Finanzminister Walther Schreiber die Zahl der Einladungen an, gefolgt von Hans Luther, Kabinettskollege Hamms 1923/24 und von 1930 bis 1933 Reichsbankpräsident . Etwas aus dem Rahmen fallen der ehemalige Generalstabschef der Dritten OHL und spätere DDP-nahe Verkehrs-, Reichswehr- und Innenminister Erich Groener (viermal, 1926–1929) und der vom Marxismus ausgehende zeitweilige SPD-Finanzminister und KapitalismusTheoretiker Rudolf Hilferding (zweimal) . Eine dieser Einladungen fällt in die Zeit, als Hilferding versuchte, den Reichshaushalt in der letzten Großen Koalition einigermaßen in Ordnung zu halten (1 . März 1929) . Bei dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz (14 . Juni 1932) und von Papens Staatssekretär Erwin von Planck (24 . November 1932) sowie bei von Papens und von Schleichers Verkehrs- und Postminister Paul von Eltz-Rübenach, die als eingefleischte Konservative alle nicht recht in das liberale DIHT-Milieu
1. Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT 207
passten, liegt das unmittelbare politische Beziehungsinteresse auf der Hand . Mehrfach war Ludwig Kastl zu Gast, Hamms direktes Pendant beim Reichsverband der Deutschen Industrie . An eigentlichen Unternehmern tauchten im Umkreis der Sitzungen des DIHT unter anderen Carl Duisberg (Generaldirektor der Farbenfabrik Bayer und seit 1925 Vorsitzender des RDI), Carl von Siemens (1920–1924 DDP-Reichstagsabgeordneter, danach Direktor der Deutschen Reichsbahn), der Münchner Brauereibesitzer, DVP-Reichstagsabgeordnete und Präsident der IHK München Josef Pschorr, der Generaldirektor von „Rheinbraun“ und führende – erst strikt konservative, seit 1926 gemäßigt-kooperative – schwerindustrielle Interessenpolitiker Paul Silverberg auf, sowie Paul Reusch, mit dem Hamm auch eine engere persönliche Beziehung verband .10 Sehr präsent waren auch die Vertreter der bayerischen Wirtschaftsinteressen, so insgesamt elfmal der Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der bayerischen Gesandtschaft in Berlin, Konrad von Preger . Schwerpunktmäßig trafen sich hier „Männer“ aus Wirtschaft und Verwaltung zur „arbeitenden Geselligkeit“, wie Karl August Varnhagen von Ense im Vormärz diese typische neue Form bürgerlicher Soziabilität genannt hatte . Da es sich um herkömmliche Honoratiorengeselligkeit handelte, waren oft die Ehefrauen mit dabei .11 Vereinzelt waren auch liberale Politikerinnen geladen, so Elisabeth Lüders 1930 und Gertrud Bäumer 1932 . Eine Besonderheit stellt die mehrmalige Einladung an Louise Ebert dar – eine Geste der Verbundenheit gegenüber der Witwe des Reichspräsidenten, mit der sich Maria Hamm gut verstand . Bemerkenswert ist, dass Hamm nach dem Verlust des Amtes im April 1933 auf rein privater Basis und weniger häufig an dieser Form der Geselligkeit festhielt . Die Industriellen fehlten jetzt, ebenso die Ministerialen . Der Kreis verengte sich bis zum letzten Berliner Treffen im November 1935 auf die eigentlichen Freunde, zu denen zahlreiche Juden und einige ehemalige Poli-
Insgesamt viermal war auch der junge Präsident der Lübecker Handelskammer Theodor Eschenburg geladen – in der Bundesrepublik Lehrstuhlinhaber in Tübingen, einer der Begründer der deutschen Politikwissenschaft und führender Publizist, vor allem in der Wochenzeitung „Die Zeit“; vgl . Wengst, Eschenburg . 11 So verzeichnet z . B . die Einladungsliste im Haushaltsbuch, 5 .12 .1928: „Groener und Frau, Gessler und Frau, Koch [-Weser; W . H .] und Frau, Demuth und Frau, Wever und Frau, Heuss und Frau, Frau Ebert, Kempner“, die vom 13 .1 .1932 dagegen eine rein männliche Runde von führenden Vertretern der Kammern und des DIHT-Vorstands: „v . Mendelssohn, Grund, Witthoefft, Pschorr, Reusch, Huber, Achelis, Duisberg, Flechtheim, Frowein, Jaeger, Jucho, Kauffmann, Lenel, Melchior, von Norden, Salomon, Uebel, Wimmer, Gelpcke“; BayHStA, NL Hamm, 127 . 10
208 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
tiker gehörten .12 Aus heutiger Sicht fällt aus der Reihe der bayerische Justizminister und dann Reichsjustizminister Franz Gürtner (DNVP), den Hamm noch aus seiner Münchner Zeit kannte und für „vernünftig“ hielt und von dem er wohl hoffte, dass er die NS-Justizpolitik in einigermaßen rechtlichen Bahnen halten werde – was er zumindest bis 1934 teilweise auch tat . Auch diejenigen Freunde waren zugegen, mit denen Hamm von nun an in der Opposition gegen Hitler verbunden blieb: der bayerische Generalstabsoffizier und damalige Gesandte in Berlin Franz Sperr, die Ex-Minister Gessler und Heinrich Albert und die Mitarbeiter Hamms in der Reichskanzlei, Franz Kempner und Friedrich Heilbron . Neben der persönlichen Autorität einzelner seiner Repräsentanten trug zum Aufstieg des DIHT vor allem die Tatsache bei, dass sich in der gewerblichen Wirtschaft und im Handel das Bedürfnis nach einer eigenen Interessenvertretung gegenüber dem 1919 gegründeten RDI mit seiner starken schwerindustriellen Repräsentanz regte . Im Kreis der Spitzenverbände nahm der DIHT eine gewisse Sonderstellung ein .13 Sie ergab sich aus den öffentlich-rechtlichen Funktionen, die den Handelskammern im 19 . Jahrhundert übertragen worden waren, aus der Tatsache der Zwangsmitgliedschaft aller wirtschaftlich Tätigen mit Ausnahme der Landwirte und Handwerker sowie aus dem ursprünglichen Schwerpunkt der Aktivitäten auf der lokalen Ebene . Die Handelskammern etwa in Berlin, Hamburg, München, Köln, Essen, Duisburg, Breslau, etc . stellten – jeweils gemäß der lokalen Wirtschaftsstruktur – eigene Organismen dar . Obwohl das Spektrum der zu vertretenden Branchen sehr breit gestreut war, standen die Interessen von Handel, Banken und verarbeitendem Gewerbe im Vordergrund . Eine relativ klare Funktionsteilung mit dem RDI, der damals wie auch in der jüngeren Forschung primär
Franz von Mendelssohn, der 1933 abgesetzte Berliner Bürgermeister Fritz Elsas, der Syndikus der Berliner Handelskammer und spätere Vorstand des „Schutzverbandes der deutschen Wissenschaft im Ausland“ Fritz Demuth, der ehemalige DDP-Grande und Mitbegründer der „Liberalen Vereinigung“ Eugen Schiffer, der erste SPD-Reichsstaatssekretär (Minister) noch im Kaiserreich 1917, August Müller, der ehemalige preußische Finanzminister Schreiber (DDP), das Ehepaar Heuss . Dazu kamen die engsten und loyalsten Mitarbeiter aus dem DIHT: Karlheinrich Riecker und Gerhard Riedberg . Riedberg war 1930–1939 ständiger Deutscher Delegierter bei der Internationalen Handelskammer in Paris und ab 1949 Leiter der Pariser Vertretung des BDI; vgl . Riedberg, Gründung, S . 111, 114 . 13 Zur Verbandstheorie vgl . Beyme, Interessengruppen; einen knappen Überblick über das Interessenverbandswesen in der Weimarer Republik bieten Ullmann, Interessenverbände, S . 124–182; Grübler, Spitzenverbände, S . 15–48 . Sieht man von der überaus sorgfältigen Arbeit Grüblers ab, so blieb der DIHT in der Verbändeforschung bis heute sträflich vernachlässigt . Stärkere Berücksichtigung fand er nur in einzelnen Studien zu Spezialthemen wie Winkler, Unternehmerverbände; Wolffsohn, Industrie, S . 211–230 . 12
1. Organisation, Funktion und Kontaktpflege des DIHT 209
als Interessenvertretung der Schwerindustrie wahrgenommen wurde, lag daher nahe . In der Tat hatte der RDI die 1924 bevorstehende Berufung Hamms in den DIHT mit deutlichem Misstrauen beobachtet . Laut Hermann Bücher, dem zu diesem Zeitpunkt selbst durchaus gemäßigten, bald darauf in die Industrie wechselnden Geschäftsführenden Präsidialmitglied des RDI, hatte Hamm als Reichswirtschaftsminister dem Verband „außerordentlich viel Sorgen gemacht“ . Doch rechnete die RDI-Spitze für die Zukunft mit einer „geschätzten und erfolgreichen Tätigkeit“ Hamms im DIHT und erwartete ungeachtet vorherzusehender unterschiedlicher Positionen im Ganzen auch, dass Hamm mit dem RDI effizient kooperieren werde .14 Eine gewisse, von Fall zu Fall auszuhandelnde Kooperation der beiden Verbände ergab sich schon daraus, dass herausragende Akteure der Verbandspolitik über ihre zahlreichen Mehrfachmitgliedschaften und -funktionen sowohl in den Vorständen von RDI als auch DIHT vertreten waren . Vorstandsposten im DIHT übernahmen zeitweise der vielfach kritisch gegenüber der Interessenpolitik der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie eingestellte Carl Duisberg, Paul Reusch, Generaldirektor der Gute-Hoffnung-Hütte, Paul Silverberg, der führende Industrielle im rheinischen Braunkohlerevier, und Abraham Frowein, Textilunternehmer aus Elberfeld – alle auch Vorstandsmitglieder im RDI . Überraschend erscheint dabei vor allem die Mitwirkung von Paul Reusch, „einem Scharfmacher ohnegleichen“, der aber – bedingt durch seine unternehmerischen Interessen – Wert legte auf ein gutes Verhältnis zur (eisen-)verarbeitenden Industrie .15 Auch die großen Unternehmen aus den jüngeren und besonders dynamischen Industrien hatten eine wichtige Stimme, neben Carl Duisberg für die Chemieindustrie auch Carl Friedrich von Siemens . Andererseits war es kein Zufall, dass mit Franz von Mendelssohn ein Privatbankier an der Spitze stand – seit den liberal-konservativen „Achtundvierzigern“ David Hansemann und Hermann Beckerath hatten durchweg führende Bankiers als Präsidenten amtiert . Auch andere große Privatbankiers wie Max Warburg und Carl Melchior, Teilhaber des Bankhauses Warburg, trugen und vertraten die Politik des DIHT in den 1920er Jahren . Daneben spielten Vertreter der herkömmlichen Gewerbe und der verarbeitenden Industrie, wie der Münchner IHK-Präsident Josef Pschorr, der Kaufmann Franz
Pohl, Weimars Wirtschaft, S . 7 . Bücher war es übrigens auch, der Hamm 1922 aufgefordert hatte, sich der Reichspolitik zuzuwenden; Bücher an Hamm, 16 .8 .1922: „Ich war immer der Auffassung, daß für einen Mann von Aktivität in einem bundesstaatlichen Ministerium kein reiches Betätigungsfeld vorhanden ist“; BayHStA, NL Hamm, 22; ähnlich Gustav Stresemann an Hamm, 1 .8 .1922, in: ebd . 15 Feldman, Weltkrieg, S . 178 f; zu Reusch auch die erste umfassende Biographie von Langer, Macht . 14
210 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
Heinrich Witthoefft oder der mittelständische Chemie-Händler Bernhard Grund, jahrelang als Vizepräsidenten eine wichtige Rolle . Da der DIHT auch die kleineren und mittleren Betriebe vertrat, war er auch mit deren Spezialverbänden durch Doppel- oder Mehrfachmitgliedschaften personell vielfach vernetzt, so etwa durch Multifunktionäre wie Falk Valentin Grünfeld als Vorsitzendem der „Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels“ und Otto Keinath, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des „Reichsverbands des Deutschen Groß- und Überseehandels“ .16 Je stärker die Unternehmerinteressen in der hochdifferenzierten Wirtschaft zu divergieren drohten, desto intensiver wurde auch die Vernetzung . Schon allein um die unterschiedlichen Interessen verbandsintern sortieren, ausgleichen und zu einer gemeinsamen Politik bündeln zu können, bedurfte es ausgebauter Geschäftsführungen, deren Leitung beträchtliche Fähigkeiten in der Moderation und Beilegung von Konflikten verlangte . Viele ehrenamtliche und hauptamtliche Funktionäre waren schon im Kaiserreich politisch aktiv gewesen . In der Weimarer Zeit verstärkte sich diese Überschneidung mit politischen Mandaten und Ämtern noch . Zahlreiche Interessenvertreter gehörten zu den maßgeblichen Parlamentariern der bürgerlichen Parteien . Der RDI stand vor allem der DVP,17 der DIHT der DDP nahe . Es lag daher für den Vorstand des DIHT nahe, für die Pflege der Kontakte in die Reichsministerien und in den Reichstag hinein einen führenden Wirtschaftspolitiker der DDP zu gewinnen: Eduard Hamm erfüllte dieses Anforderungsprofil in idealer Weise . Eine Rolle mag angesichts der zahlreichen jüdischen Bankiers in den Kammern auch gespielt haben, dass die DDP unter den bürgerlichen Parteien die bei weitem judenfreundlichste war .
2. Arbeitsstil und „Gemeinwohlbezug“
Im verschachtelten System der Verbände verstanden Mendelssohn und Hamm ihre Aufgabe im Sinne einer gleichberechtigten Arbeitsteilung zwischen RDI und DIHT . Um diesen Anspruch auch wirklich geltend machen zu können, erwies es sich freilich als nötig, den bis dahin recht unauffälligen, selbstgenügsamen und unbeweglichen Honoratiorenverein der koordinierten Handelskammern in einen flexiblen, effizienten und öffentlichkeitswirksamen Verband umzuformen . Vom ersten Moment seiner Tätigkeit an ging Hamm daran, die lokale und regionale Behäbigkeit und intellektuelle
16 17
Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 41 . Vgl . Döhn, Politik; Weisbrod, Schwerindustrie; Feldman, Weltkrieg .
2. Arbeitsstil und „Gemeinwohlbezug“ 211
Selbstbeschränkung des Kammerwesens zu durchbrechen und die Arbeit des Verbandes zu professionalisieren . Das verlangte einen neuen Arbeitsstil, der nicht allen Mitarbeitern in den örtlichen Kammern wie in der expandierenden Zentrale zusagte . Alle späteren Würdigungen Hamms durch seine engeren Mitarbeiter heben zunächst seine exorbitante eigene Arbeitsleistung und – damit verbunden – die gestiegenen Anforderungen an die Mitarbeiter hervor . In diese Schilderungen mischt sich indessen auch ein Hauch von Ironie und Selbstironie über die vorgelebte und erwartete asketische Arbeitsethik .18 Hamm forderte unentwegt Berichte und Denkschriften an . Intern wie nach außen verlangte er immer wieder eine Erweiterung der statistischen Kenntnisgrundlagen und wies auf Lücken und Mängel in der amtlichen Statistik und auf die Notwendigkeit genauer Erhebungen hin . Dies entsprach dem für einen Verwaltungsmann und Politiker ungewöhnlich gelehrtenhaften Zug in den Wissensinteressen und im Arbeitsstil von Hamm, aber auch einer klaren Bedürfnislage in den Verbänden wie in der staatlichen Bürokratie .19 Die Gründe, warum die maßgeblichen ökonomischen Daten zuletzt immer mehr zum Gegenstand der Betrachtung durch Regierung, Wissenschaftler, Vertreter der Wirtschaft und öffentliche Meinung geworden seien, sah Hamm in der „neuen Dynamik“ und in den aktuellen Turbulenzen des Wirtschaftsgeschehens .20 Für den DIHT insgesamt stand ihm weniger der Normalbetrieb eines ökonomischen Interessenverbandes vor Augen als die Umwandlung des Verbandes in eine „Akademie der Deutschen Wirtschaft“, wie es einer der jüngeren Mitarbeiter prägnant formulierte .21 Von seiner Persönlichkeit wie von seinem Bildungsgang her ging es Hamm nicht primär um instrumentelles, sondern um „objektives“ Wissen . Dies und ebenso Hamms berufliche Prägung als Jurist und Staatsbeamter waren dem Verband neu und anfangs auch durchaus fremd . Sehr bewusst dachte Hamm in einer von manchen als unbequem und dysfunktional empfundenen Weise über den Tag hinaus und transformierte nach Möglichkeit die konkreten Klagen und Wünsche der Kammern in
Vgl . Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42; Riedberg: Eduard Hamms Wirken in der Internationalen Handelskammer, Stockholm, 20 .10 .1946, in: ebd . 19 Vgl . Tooze, Statistics; Ders ., Trouble; Köster, Schmalenbachkontroverse; knapper, weit gefasster Überblick bei Plumpe, Expertise . 20 Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 101 . 21 Robert Siegert: Der Deutsche Industrie- und Handelstag . Würdigung der Tätigkeit von Dr . Eduard Hamm, 1 .9 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 42; Siegert war 1922–1937 Mitglied der Geschäftsführung des DIHT . 18
212 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
grundsätzliche Konzepte zur Lösung einiger der wichtigen Strukturprobleme der Weimarer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik . Zudem reflektierte der Politiker in ihm bei allen Voten, Forderungen und Vorschlägen immer schon den Gesetzgebungsprozess mit . Auch seine Mitarbeiter forderte er auf, grundsätzlich über die Tagesanforderungen und -antworten hinaus das „Ganze“ der Wirtschaft und der staatlichen Politik mitzubedenken . Diese Haltung brachte den Mitarbeitern des DIHT häufig die „halb mitleidige, halb anerkennende Kritik“ ein: „Was zerbrecht ihr Euch immer die Köpfe der Regierung .“22 In diese Richtung geht auch die Kritik, die der Sekretär der Handelskammer Salzburg Dr . Erich Gebert während eines dreimonatigen Gastaufenthalts im DIHT aus den Kreisen der Kammern immer wieder gehört hatte: dass die Arbeiten zu „wissenschaftlich-dokrinär“ geführt würden und daher vielfach „nur akademische Bedeutung“ hätten und dass den Ministerien gegenüber „zu wenig fest aufgetreten würde“ . Es gebe in den Stellungnahmen zu viel einerseits-andererseits, die „unbedingten Forderungen“ der Wirtschaft würden zu wenig nachdrücklich betont . Als objektive Schwierigkeit beschrieb Gebert die Unterschiede zwischen großen, etablierten und reibungslos arbeitenden Kammern – „einer Oberschicht von Kammern“ –, bei denen „gewisse Generaldirektiven“ ausreichten, um eine einheitliche Position zu sichern, und der Mehrzahl von sachlich und personell weniger gut aufgestellten Kammern, für die der Großteil des anfallenden Materials weitgehend vorbereitet und „genussfertig“ geliefert werden müsse . Für die Auflösung dieser Spannung zwischen „potenzierter“ und „nur addierter Kammerarbeit“ wusste aber auch der österreichische Beobachter keinen Rat . Vielmehr zog er sich auf die Feststellung eines „Grundfehlers des allzu gründlich-doktrinären Deutschen – auch des rationellen Wirtschaftsführers“ zurück, den gerade Hamm selbst als übermäßiges „Verschulen“ kritisiere .23 Einer von Hamms Mitarbeitern sprach wohl nicht ganz zu Unrecht von einer „gewissen Tragik des Alleinseins mit dem Gedanken, nicht voll verstanden zu sein“ .24 Zwar gehört die Berufung auf das „Gemeinwohl“ zu den gängigsten rhetorischen Strategien von Interessenvertretern, und auch Hamm bediente sich selbstverständlich dieser Technik . Bei Hamm mit seiner spätidealistisch geprägten Staatsauffassung,
Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42, S . 1 . 23 Hamm hatte Gebert gebeten, ihm seine Eindrücke und gerade auch die festgestellten Schwachpunkte mitzuteilen, was Gebert in österreichisch-höflicher und doch unmissverständlicher Weise in einem Brief vom 3 .2 .1930 auch tat; BayHStA, NL Hamm, 42 . 24 Siegert, Industrie- und Handelstag, S . 2 f, in: ebd . Eine gewisse Irritation mag im Kreis der „Beamten“ der Geschäftsführung auch das „sprühende Genie“ Hamms ausgelöst haben, von dem Siegert spricht . 22
2. Arbeitsstil und „Gemeinwohlbezug“ 213
seiner Herkunft aus dem Beamtentum mit ihrer gerade in den Umbrüchen der Weimarer Republik aufrechterhaltenen Selbstdeutung als „allgemeiner Stand“ (Hegel) über den Parteien ist diese Denk- und Handlungsweise aber mehr als nur eine rhetorische Floskel oder eine bloße Funktion neuartiger interessenpolitischer Selbstlegitimierung . Seiner Sicht auf das Gemeinwohlinteresse entsprechend setzte Hamm auch seine eigenen Arbeitsschwerpunkte – neben dem Alltagsgeschäft eines Verbandsfunktionärs und Leiters eines bürokratischen Apparates . Sie ergaben sich teilweise auch aus der Aufgabenteilung mit dem RDI . Neben dem Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden und den Problemen, die sich aus den Plänen für die sogenannte Reichsreform ergaben, waren dies alle wesentlichen Fragen der Haushalts- und Steuer- sowie der Handelsund Zollpolitik, das Verhältnis zu den Agrarinteressen mit Schwerpunkt auf der sogenannten „Osthilfe“, die Beschäftigungspolitik und die Förderung des Fremdenverkehrs . Die Außenvertretung der sozialpolitischen Vorstellungen fiel absprachegemäß hauptsächlich in die Zuständigkeit des RDI und der VDAV . Doch legten der DIHT und sein Sprecher Hamm zunehmend Wert darauf, ihre meist deutlich gemäßigtere Haltung auch selbständig nach innen und außen zu artikulieren . Wenig Interesse zeigte Hamm an einem Reichshandelskammergesetz, wohl weil er hier die Mobilisierung aller möglichen divergierenden Interessen innerhalb des DIHT und vor allem eine gesetzliche Regelung von Mitwirkungsansprüchen der Arbeitnehmer befürchtete .25 Andererseits nutzte er jede Gelegenheit, die Notwendigkeit und die Vorzüge der Kammerorganisation als einer in Deutschland historisch gewachsenen Ausprägung bürgerlicher „Selbstverwaltung“ hervorzuheben .26 Gewiss verdankt sich die Rolle, die Eduard Hamm im Verbandswesen der Weimarer Republik spielte, zu einem guten Teil seinen persönlichen Qualitäten . Doch fragt sich, ob er nicht jenseits seiner individuellen Eigenschaften auch einen neuen Typus des Verbandsfunktionärs verkörperte, mit dem die Wirtschaft auf die spezifischen Herausforderungen der 1920er und 1930er Jahre reagierte, der über die Jahre des „Dritten Reichs“ hinweg bis in die Bundesrepublik nachwirkte und der auch nicht auf Deutschland beschränkt blieb . Die ökonomischen Interessenverbände spielten in Deutschland schon seit dem Kaiserreich eine größere Rolle als in anderen, vergleichbaren Indus-
Vgl . dazu u . a . Verh ., HA, 6 .12 .1928, S . 77–80 . Vgl . z . B . die Vorträge „Fragen des Handelskammerwesens“, Verh ., HA, 17 .4 .1928, S . 35– 46; „Um die Zukunft der Handelskammern“, Verh ., VV, 17 .4 .1929, S . 3–42; „Pflichten und Ansprüche der Handelskammern für die deutsche Wirtschaft“, Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 1–45 (Sonderdruck) .
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214 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
triestaaten . Die Gründe dafür liegen in starken korporatistischen Traditionen ebenso wie in der traditionell großen Bedeutung der Bürokratie in Deutschland . Hinzu kommt gerade im Vergleich zu Großbritannien und den USA die schwache Ausprägung des Ideals des Wettbewerbs .27 Die Durchorganisierung der Kriegswirtschaft und die Krise der deutschen Staatlichkeit seit 1917 förderten die Neigung der Verbände, sich in der Rolle von Vertretern des Gemeinwohls zu sehen „und massiv auf der politischen Bühne zu agieren“ .28 Ökonomische Interessenpolitik in Europa hatte sich nach dem Ende des Weltkriegs zudem mit einer Reihe neuartiger Faktoren auseinanderzusetzen . Zunächst und vorrangig galt es, die durch den Krieg und seine Folgen schwer geschädigten und in ihren Funktionsmechanismen deformierten Nationalwirtschaften zu restrukturieren und auf die neuen Bedingungen des Weltmarktes einzustellen . Millionen von Menschen mussten nach der Umstellung auf die Kriegswirtschaft wieder in Arbeit gebracht und die zwangswirtschaftlichen Regelungen abgebaut werden . Die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung der Vorkriegsära war zusammengebrochen und erschwerte die Marktbedingungen der deutschen Wirtschaft . Die politischen Systembrüche in den Verliererstaaten und die kriegsbedingten Modernisierungen des politischen Systems in den Siegerstaaten rückten die Wirtschaft in einer ganz neuen Weise in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und Debatten . Die Einführung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland stärkte die Macht und den Einfluss der Arbeitnehmerschaft und verschob den Schwerpunkt der Macht weit nach links . Die neue Qualität des Interventionsstaates verlieh dem Staat und seiner Bürokratie ein größeres Gewicht als zuvor und nötigte die Wirtschaft, sich noch sehr viel stärker auf den Kampf um politische Macht einzulassen, als sie dies bereits im Kaiserreich getan hatte . Umgekehrt verlangten der demokratische Parlamentarismus und die verstärkte Rolle von Wirtschafts- und Sozialpolitik einen neuen Politikstil: die Abkehr von honoratiorenhaften Traditionen, die Erweiterung volkswirtschaftlicher Kenntnisse, einen temporeicheren und flexibleren Handlungsstil und Geschicklichkeit im Umgang mit einer permanent aufgeregten öffentlichen Meinung . Zudem verschärfte die Belastung der deutschen Volkswirtschaft mit den Reparationskosten die innen- und außenpolitischen Spannungen – auch unabhängig davon, wie gravierend sie wirklich gewesen sind .29 Vgl . Feldman, Weltkrieg, S . 158 f; Abelshauser, Korporativismus . Vgl . Tooze, Economy, S . 405 . 29 Vgl . dazu v . a . die Überlegungen von Philipp Müller, der die Geschichte des Verbandswesens in Deutschland und Frankreich von den 1920er bis zu den 1950er Jahren mit der Geschichte neuliberaler Theorien und darüber hinaus mit der deutsch-französischen Beziehungsgeschichte verknüpft; Müller, Kapitalismus; Ders ., Neuer Kapitalismus . 27 28
2. Arbeitsstil und „Gemeinwohlbezug“ 215
Das neue Gewicht der Ökonomie im öffentlichen Diskurs schlug sich weithin sichtbar in einer Restrukturierung der politischen und ökonomischen „Eliten“ bzw . ihrer öffentlichen Präsenz nieder . Es ist kein Zufall, dass die – höchst unterschiedlichen – charismatischen Gestalten in der Politik der Weimarer Jahre entweder aus der Wirtschaft kamen – Walther Rathenau als schreibender Unternehmer und Gustav Stresemann als Funktionär eines regionalen Interessenverbandes – oder sich in der Öffentlichkeit – wie Adolf Hitler – betont als wirtschaftsfern und „antimaterialistisch“ stilisierten . Großunternehmer und Manager wie Hugo Stinnes, Paul Reusch, Paul Silverberg, August und Fritz Thyssen, Karl Wiedtfeld und Alfred Hugenberg beanspruchten informell die Rolle maßgeblicher politischer Entscheider oder brachten sich als Diktaturanwärter auf gesamtnationaler Ebene in Stellung .30 Langfristig ebenso wichtig wie das Auftauchen solcher Gestalten auf der Ebene der Reichspolitik sind jedoch die unauffälligeren Veränderungen auf der Ebene der alltäglichen Verbandspolitik . Besonders ins Auge fällt die Parallele der Hamm’schen Karriere mit der von Ludwig Kastl . Ein Jahr jünger als Hamm und wie dieser Jurist war er zunächst in der Kolonialverwaltung und seit 1921 als Ministerialrat und Spezialist für die Reparationsfragen im Reichsfinanzministerium tätig, bevor er parallel zu Hamm im Winter 1925 als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des RDI ins wirtschaftliche Verbandswesen wechselte . Wie Hamm sollte er sich vor allem um die Kontakte zu Politik und Ministerialbürokratie kümmern . Wie dieser bemühte er sich um den Ausgleich der internen Differenzen im Verband – was im RDI schwieriger war als im DIHT – und wie dieser vertrat er – bei allen Vermittlungsbemühungen – doch klar und eindeutig die gemäßigtere Linie .31 Wie Hamm verlor er – als Jude zusätzlich gefährdet – im Frühjahr 1933 seine Position und baute danach als Rechtsanwalt eine neue Existenz auf . Einen anderen, aber vergleichbaren neuen Typus des Verbandsfunktionärs verkörperte Clemens Lammers . Er kam nicht aus der Verwaltung, war aber Jurist und Volkswirtschaftler und etablierte sich in der Szene zunächst als Wirtschaftsspezialist der Zentrumsfraktion des Reichstags, gehörte dem Vorstand des RDI an und übernahm seit 1927 wie Hamm auf Betreiben Stresemanns die Vertretung deutscher Interessen in wirtschaftspolitischen Gremien des Völkerbunds . 1929 legte er mit einem gezielten Eklat sein Reichstagsmandat nieder und begründete den Vgl . Feldman, Stinnes; Langer, Macht; Neebe, Großindustrie; Holzbach, System Hugenberg . 31 Vgl . u . a . die zahlreichen Belege in: Maurer/Wengst, Politik; Grübler, Spitzenverbände, passim; Pyta, Vernunftrepublikanismus, S . 99 f, 103 f u . ö .; Langer, Macht . Sicher zu Recht weist Weisbrod darauf hin, dass Geschäftsführende Präsidialmitglieder mit ihrer Betonung des Gemeinwohlbezugs ihrer Verbände mitunter allein standen; Weisbrod, Befreiung, S . 325 . 30
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Schritt öffentlichkeitswirksam mit der Behauptung, dass Sachkompetenz und öffentliches Wohl in der aktuellen Parteipolitik nicht mehr hinreichend zum Tragen kämen .32 An solchen Karrieren zeigt sich, dass die Aufgaben leitender Verbandsfunktionäre jetzt auch für Spitzenbeamte, ambitionierte Bildungsbürger und Politiker attraktiv wurden . Das lag keineswegs nur am Gehalt, sondern auch und vielleicht noch mehr an den Gestaltungsmöglichkeiten eines solchen Amtes . Zudem wurden hier Qualifikationen verlangt, die den Unternehmern selbst meist nicht per se gegeben waren, so die Freude am politischen Agieren bei gleichzeitiger – mehr oder weniger ausgeprägter – Distanz zum parlamentarischen Machtspiel und einer stärkeren Betonung dessen, was gerne „Sachpolitik“ genannt wurde . Dazu gehörte auch die Bereitschaft und Gabe, publizistisch tätig zu werden – und zwar gerade mit einer Mischung von ökonomischer Kompetenz und politischer Rhetorik . Alle diese Akteure fungierten als Herausgeber und Autoren von Verbandszeitschriften, Vorträgen, Broschüren und Büchern für den wirtschafts- und sozialpolitischen Tageskampf . Als sich gegen Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre die ökonomischen und sozialen Krisen zuspitzten, fiel ihnen zusätzlich die Aufgabe zu, „den Kapitalismus“ überhaupt zu verteidigen, wobei sie einerseits neben Nationalökonomen, Juristen und Soziologen, andererseits aber auch neben den Parteiagitatoren von links und rechts zu bestehen hatten .
3. Sozialstaat oder Unternehmerinteresse: Positionen des DIHT 1925–1928
Die ersten vier Jahre von Hamms Amtstätigkeit fielen mit wirtschaftlicher Erholung und politischer Normalisierung in die sogenannten guten Jahre der Weimarer Republik; die letzten vier Jahre waren erfüllt von den Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise und des Zerfalls des demokratisch-republikanischen Systems .33 Wie sich schon seit 1928 zunehmend herausstellte, stand der wirtschaftliche Aufschwung auf instabilen Füßen, und die politische Normalisierung erwies sich als brüchig . Tatsächlich mündete der Aufschwung nach der Währungsstabilisierung 1923/24 ungeachtet steigender Produktionsziffern und Reallöhne in eine „relative Stagnation“, die als solche angesichts sich wieder belebender Zukunftshoffnungen nur bei genauem Hinsehen wahrge-
Vgl . Müller, Neuer Kapitalismus, S . 154 f, 158 ff . Zur Wirtschaftsentwicklung in der Weimarer Republik allgemein vgl . Fischer, Wirtschaftspolitik; Ders ., Weimarer Republik; Petzina, Wirtschaft; James, Weltwirtschaftskrise; Winkler, Schein, S . 26–45; Tooze, Economy .
32 33
3. Sozialstaat oder Unternehmerinteresse: Positionen des DIHT 1925–1928 217
nommen wurde .34 Im Produktionssystem wie im Politikbetrieb verschärften sich untergründig die Spannungen, die seit dem Winter 1929/30 auf die soziale und politische Ordnung durchschlugen .35 Am Fundament der gesamten Wirtschaftsordnung verschlechterte sich das ohnehin schon gespannte Verhältnis zwischen primärem und sekundärem Sektor – Agrar- und gewerblichindustrieller Produktion – rapide, vorläufig noch ohne das Gesamtsystem zu sprengen . Die Schwerpunktverlagerung von der Agrar- zur Industriewirtschaft und -gesellschaft vollzog sich nach dem stürmischen industriellen Wachstum des späten Kaiserreichs jetzt deutlich verlangsamt, da sich Deutschland seit dem Ende des Ersten Weltkriegs als „alterndes Industrieland“ darstellte, dessen Wachstumstempo von „jüngeren Ländern“ überholt wurde .36 Die Industrieproduktion stieg nicht mehr, wie vor 1914, schneller, sondern nur noch parallel zum Volkseinkommen . Erst 1928/29 übertraf Deutschland geringfügig die Industrieproduktion des letzten Vorkriegsjahres . Der Export blieb nach dem Krieg generell hinter dem Volumen von 1913 zurück . Zwar eroberte das Reich 1925/26 wieder den zweiten Platz unter den Industrieländern, vor Großbritannien und Frankreich und hinter den USA, aber „junge“ Industrieländer wie Japan und die Sowjetunion steigerten ihr Produktionsvolumen sehr viel schneller als Deutschland . Während Deutschland zwischen 1924 und 1929 darum kämpfte, das Vorkriegsniveau wieder zu erreichen, überschritt die Weltproduktion den Vorkriegsstand 1925 um 21 %, 1928/29 um 42 % . Auch im Wirtschaftsaufschwung 1924–1928 blieben diese sogenannten „goldenen Jahre“ der Republik geprägt von erheblichen Wachstumsstörungen .37 Um die neue „Reichsmark“, die im Oktober 1924 die vorläufige „Rentenmark“ ersetzte, vor Inflationstendenzen zu schützen, beschränkte die Reichsbank zunächst im Frühjahr 1924 und verstärkt noch einmal ein Jahr später den Kredit und löste damit jeweils eine „Stabilisierungskrise“ aus, die die Zahl der Unterstützten im Januar/Februar 1926 über die Zweimillionengrenze trieb .38 Von Herbst 1926 bis Ende 1927 setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung ein, der 1928 in eine Flaute und schließlich in eine Rezession mündete . Die deutsche Wirtschaft stagnierte somit bereits lan-
Petzina/Abelshauer, Problem; James, Weltwirtschaftskrise, S . 117–165; Wirsching, Weimarer Republik, S . 69–74 . 35 Forschungsüberblick bei Wirsching, Weimarer Republik, S . 73–83; zahlreiche Beiträge in: Mommsen/Petzina/Weisbrod, Industrielles System . 36 Wagenführ, Industriewirtschaft, S . 40 . 37 Dazu noch immer ebenso knapp wie informativ Petzina, Crisis . 38 Vgl . Hardach, Weltmarktorientierung, S . 64 ff; vgl . auch Blaich, Wirtschaftskrise; HertzEichenrode, Wirtschaftskrise, S . 19 ff . 34
218 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
ge vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem „Schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse am 24 . Oktober 1929 .39 Die erheblichen konjunkturellen Schwankungen riefen naturgemäß die Verbände der Arbeitgeber wie auch die Gewerkschaften mit ihren unterschiedlichen Rezepten auf den Plan . Nach dem Ende des Inflationskonsenses und dem darauffolgenden Ende der im November 1918 gegründeten „Zentralarbeitsgemeinschaft“ von Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmten 1924 die Marktmechanismen wieder stärker die Tariffindung, vor allem in der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie .40 Diese war durch sinkende Weltmarktpreise für Kohle und Stahl und auch durch die Turbulenzen des Ruhrkampfes sowie vielfach durch falsche Unternehmensentscheidungen in eine tiefe Krise geraten . In dieser Lage verstärkte sich die Opposition der Schwerindustriellen gegen die Gewerkschaften, gegen die wohlfahrtsstaatlichen Elemente der Weimarer Republik und auch gegen die Sozialpolitik der Bürgerblockregierungen von 1925 bis 1928 . Daran änderten auch einzelne Initiativen wie die „Dresdener Rede“ des Braunkohlemagnaten Paul Silverberg im Oktober 1926 vor der Vollversammlung des RDI nichts Wesentliches, in der er unter anderem dafür geworben hatte, die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ oder zumindest die kooperative Politik der Partner in ihr wieder aufzunehmen .41 Unter Führung des Generaldirektors der Gute-Hoffnung-Hütte, Paul Reusch, und des Generaldirektors der „Vereinigten Stahlwerke“, Albert Vögler, bildete sich im RDI ein schwerindustrieller radikaler Flügel heraus, der den sogenannten LangnamVerein dominierte und Ende 1927 die sogenannte „Ruhrlade“ organisierte . Der „Ruhrlade“ gehörten exklusiv die zwölf größten Kohle- und Stahlindustriellen an, zu denen allerdings auch der moderate Paul Silverberg gehörte . Den Anstoß für die Gründung dieser Vereinigung durch Paul Reusch gaben unter anderem der exportorientierte und auf Weltmarktöffnung drängende Kurs des DIHT und des mittelständischen „Hansabundes“ sowie die Politik des Reichswirtschaftsministers (und späteren Außenministers der Regierung Brüning) Julius Curtius (DVP), die deren Ziele teilte .42 Die Politik der Unternehmerverbände wurde infolge der kontroversen Interessenlage der Branchen
James, Weltwirtschaftskrise, S . 193–212, 249–274; zur deutschen Wirtschaftsentwicklung im europäischen Vergleich vgl . Mai, Europa, S . 53–71 . 40 Feldman/Steinisch, Industrie; Tschirbs, Tarifpolitik, S . 190–482; Bähr, Staat . Für Neebe war die (sehr schwankende) Gewerkschaftsfreundlichkeit Silverbergs nichts anderes als ein besonders gangbarer Weg zum „organisierten Kapitalismus“; Neebe, Großindustrie, S . 29; vgl . dazu unten S . 223–228 . 41 Vgl . Neebe, Großindustrie, S . 35–49; Winkler, Weimar, S . 316 f . 42 Turner, Ruhrlade; Abraham, Collapse, S . 142 f; zu Reuschs Stellung im Verhandlungssystem vgl . insgesamt Holzbach, System Hugenberg, S . 186 . 39
3. Sozialstaat oder Unternehmerinteresse: Positionen des DIHT 1925–1928 219
nach innen immer komplizierter und nach außen aggressiver – ungeachtet zahlreicher tarif- und im weiteren Sinne sozialpolitischer Positionen, die sie grundsätzlich teilten .43 Im Ensemble der gewerblich-industriellen Interessenverbände nahm der DIHT durchweg eine gemäßigte Position ein . In den Stellungnahmen des Verbandspräsidiums und in den Reden Eduard Hamms vor der Vollversammlung und dem Hauptausschuss kehrten dabei einige zentrale Motive immer wieder, die nur geringfügig differenziert wurden . Dazu gehörten vorrangig die Beschreibung der veränderten weltwirtschaftlichen Position Deutschlands mit ihren Konsequenzen für die deutschen Produktions- und Beschäftigungszahlen, die deutsche Exportkraft und die durchgängig negative Handelsbilanz, die Zollpolitik, die Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik, die Tarif- und Sozialpolitik, die Mechanismen des Tarifsystems und dabei insbesondere die staatliche Zwangsschlichtung . Regelmäßig kamen auch weitere Fragen zur Sprache, die auf die Produktions- und Beschäftigungsziffern einwirkten, so vor allem die Geld- und Zinspolitik der Reichsbank und die Reparationenfrage . Darüber hinaus griff Hamm von Fall zu Fall einzelne Gesetzesvorhaben und Grundfragen der Wirtschafts- und Sozialverfassung auf, so etwa die Verwaltungs-, Finanz- und Reichsreform, die Gesetzgebungsprozesse zum geplanten endgültigen Reichswirtschaftsrat und zum Kammerwesen . Immer wieder schnitt Hamm auch Grundfragen der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft sowie die zeitgenössische Diskussion um die Ordnung der Wirtschaft und die „Krise des Kapitalismus“ an . In den ersten drei Jahren (1925–1927) gab sich Hamm in diesen Reden eher entspannt und erlaubte sich sogar einige Scherze, die bereitwillig belacht wurden . Danach hörte der Spaß auf, und der Ton wurde generell schärfer, wenn auch immer auf Ausgleich bedacht . 1925 hört sich am dramatischsten die einleitende Zusammenfassung der Folgen von Krieg und Versailler Vertrag sowie der weltwirtschaftlichen Veränderungen an: Hamm, der Naumannianer, beschrieb vor der Versammlung von weithin exportorientierten Unternehmern zunächst die Vorteile der europäischen Siegermächte aus ihrem Kolonialbesitz und dann die durch den Versailler Vertrag hervorgerufene „Verengung des Lebensraumes, der Ernährungs- und der Rohstoffgrundlage“ des Deutschen Reichs . Dazu kämen „andere ebenso verhängnisvolle GrundVgl . noch immer Weisbrod, Schwerindustrie, u . a . S . 441–449; als kurze prägnante Darstellung vgl . Feldman, Weltkrieg, S . 182–191; James, Weltwirtschaftskrise, S . 166 ff; Mommsen, Aufstieg, S . 271–328; Winkler, Weimar, S . 244–305; allzu vereinfachende Bewertungen der Haltung von Groß- und Schwerunternehmern zur Republik und ihrer Sozialstaatlichkeit vielfach revidiert bzw . differenziert bei Neebe, Großindustrie, S . 62–67; zuletzt Plumpe, Reichsverband; Pyta, Vernunftrepublikanismus .
43
220 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
veränderungstatsachen im Vergleich zur Zeit vor dem Kriege: die Kapitalverarmung Deutschlands, die ungeheure Umschichtung der weltwirtschaftlichen Beziehungen, das Erwachen der großen überseeischen Länder und Völker zum Bewußtsein ihrer Kraft und ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten“ .44 Genau ein Jahr später, am 28 . April 1926, ging Hamms Bericht „Zur gegenwärtigen Wirtschaftslage Deutschlands“ sehr viel detaillierter ins Einzelne und markierte deutlich wichtige Grundpositionen des Verbands, an denen sich bis zum Ende der Republik nichts Wesentliches ändern sollte . An den Anfang stellte er die Diagnose der aktuellen „wirtschaftlichen Depression“ .45 Zur Bestätigung des Befunds referierte Hamm die Erkenntnisse des Statistischen Reichsamts und seines Präsidenten Ernst Wagemann sowie den ersten Jahresbericht des Generalagenten für Reparationsleistungen Parker Gilbert .46 Dann folgten die Arbeitslosenziffern und ihre Ursachen in der Beschäftigungslage der Schwer- und der Fertigwarenindustrie, besonders im Maschinenbau . Für ein „verarmtes Land wie Deutschland“ sei eine andauernde Depression mit einer bedenklich hohen Arbeitslosigkeit eine beängstigende Vorstellung . Damit wandte sich Hamm den Mitteln und Methoden zu, wie konjunkturelle Krisen und Depressionen in Zukunft verhindert werden könnten . Ein zentrales, auch später immer wiederkehrendes und sich verstärkendes Argument bildete dabei der Kapitalmangel der deutschen Wirtschaft .47 Deutschland sei von einem Kapitalexportland zu einem Land großer „Kreditnot“ geworden . Die Bildung von flüssigem Kapital im Lande selbst werde durch zu hohe Steuern und mangelnde Kaufkraft notorisch behindert . Das Einströmen der überwiegend US-amerikanischen Kredite seit dem Abschluss des Dawes-Abkommens im August 1924 registrierte Hamm zwar als positiv, hielt aber fest, dass dieser Zufluss für ein stabiles Wachstum nicht ausreiche . Zugleich klang der Vorbehalt an, dass diese Kredite in Deutschland keineswegs nur für die „Verbesserung des Produktionsapparats“ benutzt würden . Dieser hier noch verhaltene Wink steigerte sich in den folgenden Jahren zu einer deutlichen Kritik an der häufigen Verwendung der Kredite zum Ausbau der kommunalen Leistungsverwaltung, also für den Bau von Wohlfahrtseinrichtungen aller Art, von Schwimmbädern, Sportplätzen und Stadien, Theatern und sonstigen ausgedehnten Kulturprogrammen .48
Verh ., VV, 29 .4 .1925, S . 6 . Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 39 . 46 Ebd ., S . 38 f . 47 So auch bei dem linksliberalen Wirtschaftspublizisten Gustav Stolper; vgl . Stolper, Finanzplan . 48 Ebd ., S . 41 . 44 45
3. Sozialstaat oder Unternehmerinteresse: Positionen des DIHT 1925–1928 221
Wenn Hamm hier und in den folgenden Jahren ganz auf der Generallinie aller Unternehmerverbände immer deutlicher eine sparsame Haushaltsführung bei Reich, Ländern und Gemeinden forderte, so bedeutete das konkret auch eine grundsätzliche Kritik an der Tendenz der Weimarer Regierungen bis in den Herbst 1929 hinein, die Sozialstaatlichkeit der Republik immer weiter auszubauen . In sorgfältig ausgewogener Formulierung sprach Hamm von den Errungenschaften der Sozialgesetzgebung und den Leistungsverbesserungen bei der Invaliditäts- und Krankenversicherung – um dann die Schlussfolgerung zu ziehen: Sozialleistungen seien „ein notwendiges Gegenstück und eine notwendige Ergänzung unserer Wirtschaftsordnung und eines Lohnstandes, der die Selbstfürsorge nur in beschränktem Umfange“ zulasse; aber beim gegenwärtigen Zustand der deutschen Wirtschaft und ihrer Überfrachtung mit Steuern müsse „sorglicher als je geprüft werden, welche neuen Erweiterungen wirtschaftlich zulässig und wo Einschränkungen möglich sind […]“ .49 Die vorbereitenden Arbeiten zur Einführung der Arbeitslosenversicherung durch die Bürgerblockregierung Marx IV im Jahr 1927 kommentierte Hamm mit zwei grundsätzlichen, wenn auch vorsichtig formulierten Vorbehalten . Zum einen fürchtete er – wie Arbeitgeber und ihre Verbände zu allen Zeiten –, dass eine neuerliche Steigerung der Versicherungsleistungen für die Erwerbslosen den unbedingten Arbeitswillen und die Bereitschaft zu flexibler Arbeitssuche schwächen könnten . Zum anderen äußerte er eine Sorge, die sich – wenig überraschend – schon wenige Monate nach Einführung der Arbeitslosenversicherung als zutreffend herausstellen sollte: dass ihre finanzielle Deckung nur bei einem „Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt“ ausreiche, nicht aber in Zeiten konjunktureller „Störungen“ .50 Was die unternehmerischen Entscheidungen im engeren Sinn anging, so machte sich Hamm auch für die zu dieser Zeit viel diskutierten Rationalisierungsmaßnahmen stark . Er befand sich dabei im Einklang mit Carl Friedrich von Siemens, der später am Tag ein ausführliches Referat über „Rationalisierung und ihre Wirtschaftsformen“ hielt .51 Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zogen hier an einem Strang; es bestand ein Rationalisierungskonsens, obwohl allen, auch den Gewerkschaften, klar war, dass
Ebd ., S . 54 f; vgl . die Beiträge in Abelshauser, Weimarer Republik; Winkler, Normalität, S . 311–314; Ritter, Sozialstaat, S . 114–131 . 50 Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 56 . 51 Ebd ., S . 78–93; Siemens war einer der agilsten, in vielen Verbänden und mit vielen Reden aktiver Befürworter der Rationalisierung in Deutschland; demgegenüber vergleichsweise zurückhaltend war Ludwig Kastl vom RDI, der angesichts der fehlenden Massenkaufkraft in Deutschland Zweifel an der Rentabilität hatte; Weber, Sozialpartnerschaft, S . 672–675; Winkler, Schein, S . 467 f . 49
222 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
die Rationalisierung Arbeitsplätze kosten werde .52 Hamm gab sich hier als Verbandssprecher deutlich weniger kritisch denn als Wirtschaftsminister zwei Jahre vorher, als er entschieden auf die mit der forcierten Rationalisierung vielfach verbundene übermäßige Kapazitätsausweitung in der Groß- und Schwerindustrie hingewiesen hatte .53 Es gehört nun einmal nicht zu den Aufgaben des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds, während der öffentlichen Vollversammlung des Verbandes in großer Rede falsche Unternehmerentscheidungen anzuprangern . Dass die Löhne aus Sicht der Unternehmer generell zu hoch waren, versteht sich von selbst . Auch hier achtete Hamm freilich sorgsam auf ausgewogene Formulierungen . Im Konflikt der grundsätzlichen Doktrinen, der unternehmerfreundlichen Kapitalbildungstheorie einerseits und der arbeitnehmerfreundlichen Kaufkrafttheorie andererseits, betonte er selbstverständlich immer wieder den Primat der Kapitalbildung . Das entsprach der klassischen national-ökonomischen Lehre ebenso wie der grundsätzlichen Einstellung des Liberalismus . Das schloss aber die Einsicht nicht aus, dass der wirtschaftsnotwendige Konsum auch konsumermöglichende Löhne voraussetzte .54 „Auf lange Sicht“ sei eine „hohe Lohnhaltung zweifellos anzustreben“ – schon wegen des „inneren Rechts der deutschen Arbeitnehmerschaft […] auf eine im Vergleich mit anderen Völkern befriedigende Lebenshaltung“ . Wirtschaft sei „Waren- und Geldkreislauf zwischen Erzeugung und Verbrauch“ . Da dieser Kreislauf jedoch im Augenblick gestört sei, würden zu hohe Löhne die Gestehungskosten erhöhen und die Preise treiben, sodass die inländische Kaufkraftbelebung wieder zunichte gemacht würde . Im Jahr 1924 seien Lohnerhöhung und Lebenshaltungskosten parallel verlaufen, seit Jahresbeginn 1926 jedoch stiegen die Löhne weiter, während die Lebenshaltungskurve etwas abgesunken sei . Von einer pauschalen Kritik an zu hohen Löhnen, wie sie zum Standardprogramm des radikalen Unternehmerflügels gehörte, hielten sich die Rechenschaftsberichte Hamms generell frei . Im Einklang mit allen Unternehmern befand sich Hamm dann aber wieder mit der Kritik am staatlichen Schlichtungswesen .55 Ebenso viel Gewicht wie dem Kapitalmangel und den Löhnen maß Hamm regelmäßig Fragen des Welthandels und des deutschen Außenhandels
Hamm und ebenso Reichskanzler Luther in seinem ausführlichen Vortrag, Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 22–34, hier S . 31 . 53 Insofern bedarf die These von Weber einer gewissen Korrektur, dass die deutschen Industriellen, anders als die französischen, „das Problem der Überkapazitäten weder coram publico noch hinter verschlossenen Türen“ thematisiert hätten; Weber, Sozialpartnerschaft, S . 672 . 54 Vgl . unten S . 308 f . 55 Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 46 . 52
4. „Organisierter Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“ 223
zu und beklagte dabei insbesondere die negative deutsche Handelsbilanz . Wie schon in seiner Amtsführung als Wirtschaftsminister verfocht er das Prinzip des freien Welthandels und beklagte den stärker werdenden internationalen Trend zu Schutzzöllen . Für die deutsche Außenhandelspolitik müsse das „System der Meistbegünstigung“ beibehalten werden – allerdings nur so weit, als eine „übermäßige Erschwerung des Wettbewerbs deutscher Arbeit im Ausland dabei vermieden werden“ könne .56
4. „Organisierter Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“
Auf der anderen Seite des tarifpolitischen Spektrums hatte der Bundeskongress des ADGB Anfang September 1928 in Hamburg das Programm einer umfassenden „Wirtschaftsdemokratie“ angenommen, das eine Expertengruppe unter Leitung des sozialdemokratischen Gewerkschaftsvordenkers Fritz Naphtali seit dem Breslauer ADGB-Kongress vom Sommer 1925 ausgearbeitet hatte .57 Naphtali erwartete, dass sich das privatkapitalistische System schrittweise zum Sozialismus hin umbilden werde, getrieben von dem Bedürfnis, gerade angesichts der autokratischen Machtfülle der Vorstände großer Unternehmensverbände das Gemeinschaftsinteresse, das der Staat vertreten sollte, zur Geltung zu bringen . Erste, allerdings noch weiter zu entwickelnde Träger dieser gemeinwirtschaftlichen Interessen sah Naphtali in den bereits bestehenden öffentlichen Betrieben von Reich, Ländern und Gemeinden, in den wirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter wie zum Beispiel dem „Zentralverband deutscher Konsumvereine“ mit rund 3 Millionen Mitgliedern und in den Baugenossenschaften . Tagespolitisch lässt sich dieses Programm als Versuch verstehen, die Gewerkschaften aus ihrer partiellen Lähmung und ihrer geschwächten Kampfkraft in den zurückliegenden zwei Jahren des Konjunkturaufschwungs und der Bürgerblockregierungen herauszuführen . Grundsätzlich aber reagierte es auch auf Strukturprobleme der kapitalistischen Wirtschaftsform, die in den vergangenen Jahren verstärkt zu Tage getreten waren und eine breite Debatte über die Krise des Kapitalismus überhaupt ausgelöst hatten .
Ebd ., S . 60 . Nötigenfalls könnten „auch andere Wege eingeschlagen werden“ . Die „Schutzzollwelle“ sei in der Welt nicht schwächer sondern stärker geworden . Hamm verwies dann auf den steigenden Protektionismus in England, den USA und Frankreich, allerdings auch auf die deutsche Zolltarifnovelle vom August 1925, die wesentliche Zollerhöhungen gebracht habe, allerdings vor allem in der „Absicht, […] ein handelspolitisches Werkzeug zu schaffen“ . Damit verteidigte er auch seine eigene Zollpolitik als Wirtschaftsminister 1924 . 57 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie; vgl . dazu Winkler, Schein, S . 469–471, 606–613 . 56
224 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
In diese Situation hinein hielt Hamm am 4 . Oktober 1928 vor dem Hauptausschuss des DIHT eine weit ausholende Grundsatzrede unter der Überschrift „Die nächsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik“ . Nach den verbandspolitischen Pflichtaussagen zur aktuellen konjunkturpolitischen Lage, zu den Arbeitslosenzahlen, zur Ertragslage in Industrie, Landwirtschaft und Außenhandel und zu den Positionen des DIHT zu den einzelnen steuerpolitischen Forderungen ging Hamm zur theoriepolitischen Kür über und nahm zu den laufenden Debatten über die Ordnung der Wirtschaft in Deutschland generell Stellung . Ins Zentrum stellte er die Probleme des „Organisierten Kapitalismus“ . Konzept und Begriff hatte der Theoretiker des Finanzkapitals und marxistische Wirtschaftsfachmann der SPD Rudolf Hilferding seit 1915 für die aktuelle Tendenz der Unternehmen zur Kartellbildung und zur Einschränkung des freien Marktes geprägt, seit 1924 in die politische Debatte eingeführt und auf dem Kieler Parteitag der SPD im Mai 1927 zum Gegenstand der parteioffiziellen Debatte gemacht . Zur „Organisierung des Kapitalismus“ gehörte für ihn unter anderem die Tendenz zur Kartellbildung und zu einer staatlich vermittelten Tarifgestaltung mit Hilfe der Schlichtung als Schritte zur Bändigung der chaotischen Marktkräfte und insofern auch als wesentlicher Fortschritt hin zu einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung . Als Sozialist versuchte er, die aktuellen und unübersehbaren Tendenzen der Konzentration, Rationalisierung und Bürokratisierung mit der nach wie vor in der Arbeiterbewegung dominierenden Zukunftsvorstellung einer Wirtschaftsordnung ohne Privateigentum zu verknüpfen .58 Aus bürgerlicher Sicht kreiste dieser ganze Debattenkomplex auch um die Kernfrage, wie unter den gegebenen Umständen das Verhältnis von „Individualismus“ und „Kollektivismus“ – so die Schlagworte der Epoche – neu zu bestimmen sei . Dass die aktuelle „kapitalistische Ordnung der Welt keineswegs nur ideale Zustände“ gebracht habe, erklärte Hamm zum Konsens . Kritisch dagegen setzte er sich mit Werner Sombart auseinander, einem der führenden Nationalökonomen und Soziologen der 1890er bis 1930er Jahre . Sombart, zunächst reformorientierter Kathedersozialist und Sozialliberaler, hatte sich im Laufe seines Lebens deutlich nach rechts bewegt und färbte
In den 1970er Jahren machte die Historische Sozialwissenschaft in Deutschland den Versuch, das Modell des „Organisierten Kapitalismus“ als Theoriekonzept für die Analyse hochkapitalistischer Wirtschaftssysteme einzuführen; vgl . Winkler, Organisierter Kapitalismus . Das Konzept hat sich aber nicht durchgesetzt . Skepsis zeigte sich auch bei den ursprünglichen Befürwortern bereits früh . Winkler bemerkt, die Theorie erwecke den irrigen Eindruck, als habe es Staatsinterventionen vorher nicht gegeben und die Transformation des Kapitalismus sei zum Abschluss gekommen; Winkler, Organisierter Kapitalismus (1979) .
58
4. „Organisierter Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“ 225
seine ursprünglich von links kommende Kapitalismuskritik seit der Mitte der zwanziger Jahre rechts ein .59 Er fand jetzt im Lager jungkonservativer Kapitalismuskritiker Anklang, indem er den Verlust an „Wärme“ und Opferbereitschaft im konkurrenz- und gewinnfixierten gegenwärtigen Kapitalismus, die fortschreitende Bürokratisierung der Betriebsorganisation, aber auch die tariflichen Bindungen des Arbeitsverhältnisses anprangerte . Damit beteiligte er sich an dem großen, kulturkritisch fundierten Diskurs über die Moderne, der seit Beginn des Jahrhunderts die Sozial- und Kulturwissenschaften, aber auch die gebildete Öffentlichkeit bewegte und der um die Gefährdung der individuellen Freiheit durch die fortschreitende Rationalisierung und Bürokratisierung nicht nur von Organisationen, sondern aller menschlicher Beziehungen kreiste . Führend daran beteiligt waren unter anderen Max Weber, der das Heilmittel gegen bürokratische Erstarrung in einer Art linksliberalen Vorwärtsstrategie zu einer parlamentarisch beschränkten „plebiszitären Führerdemokratie“ sah, aber auch Robert Michels, der schon vor dem Krieg organisations- und parteiensoziologisch die Dialektik von Fundamentaldemokratisierung und oligarchischem Herrschaftsaufbau thematisiert hatte .60 Hamm bezog sich in seiner Rede auf zwei Vorträge Sombarts: auf „Das kapitalistische Wirtschaftssystem“ bei der Tagung des Vereins für Sozialpolitik in Zürich 1926 und einen ähnlichen Vortrag beim Herbstlehrgang der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung in Bad Reichenhall 1928, den er offenbar gehört hatte und der die Rationalität des modernen Kapitalismus und ihre Folgen für „Volkszersetzung und Volksgemeinschaft“ beklagte . Sombart ängstigte sich vor einer Zerstörung der natürlichen Daseinsgrundlagen und der Entseelung der Welt und langte im Zuge seiner Kapitalismusanalyse und -kritik inzwischen bei dem kulturpessimistisch genährten Idealbild einer autarken Wirtschaft und „Gemeinschaft“ im Sinne von Ferdinand Tönnies an .61 Sombart – so dagegen Hamm – sehe die „gebundenen Wirtschaftsverhältnisse früherer Zeit allzu romantisch im Schimmer des Vergangenen“ . Heute stelle sich die Aufgabe, neue „innere Verbindungen der Menschen mit der Arbeit und ihrem Zwecke“ herzustellen . Ein Zurück gebe es nicht, man habe die Entwicklung als etwas Notwendiges zu akzeptieren und sie „als Schicksal zu begreifen“ . Das bedeute jedoch nicht, sie einfach hinzunehmen, vielmehr müsse „darum gerungen werden, dies Schicksal so
Lenger, Sombart, S . 115–170, 255–387 . Vgl . ebd ., S . 345–357, hier S . 348; zu Weber hier nur Peukert, Webers Diagnose; Schluchter, Entstehung; zu Robert Michels vgl . Genett, Fremde, S . 412–476 . 61 Vgl . Lenger, Sombart, S . 345–357, hier S . 348; zum Kontext des Denkens in Kategorien der „Gemeinschaft“ auch Nolte, Ordnung, S . 165–187 . 59 60
226 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
abzuwandeln, dass es den seelischen und geistigen Bedürfnissen des Menschen möglichst guten Raum gibt“ .62 Hamm zufolge hieß das, den Konzentrationsprozess in der Wirtschaft mit seinen Folgen grundsätzlich zu akzeptieren, im Einzelnen aber zu korrigieren . So nahm er einzelne Gesichtspunkte der vor allem in der mittelständischen Wirtschaft und im Verbraucherlager verbreiteten und auch von liberalen Wirtschaftswissenschaftlern vorgetragenen Kartellkritik auf . Ihr zufolge trug die Preispolitik der Kartelle zur Erhöhung der Lebenshaltungskosten bei, was wiederum höhere Löhne verlange . Die Preisabsprachen machten bequem und schwächten die Innovationsfähigkeit der Betriebe .63 Tatsächlich verdreifachte sich die Zahl der Kartelle unter den stabilitätsfeindlichen Bedingungen der 1920er Jahre von rund 1 .000 (1920) auf rund 3 .000 (1930), und die „Kartellierungsquote“, die Summe aller von Kartellen kartellierten Produkte, verdoppelte sich von 25 % im Jahr 1914 auf 50 % im Jahr 1930 . Das bedeutete eine „Vermachtung weiter Marktfelder“, die auf Marktbeherrschung, aber auch Inflexibilität hinauslaufen konnte, in den aktuellen ökonomischen Krisenlagen aber auch eine vorteilhafte Form wirtschaftlicher Selbstverwaltung bot, da sie erlaubte, Absatz und Preise stabil zu halten und durch den internationalen Zuschnitt zahlreicher Kartelle die nationalpolitische Wirtschaftskonkurrenz teilweise zu domestizieren .64 In seiner Zeit als bayerischer Handelsminister hatte Hamm entschieden auf ein Kartellgesetz gedrungen, wie es dann von der Regierung Stresemann am 2 . November 1923 auch erlassen worden war und das für die Konfliktregelung zwischen Kartellinteressen und Gemeinwohlorientierung einen eigenen Kartellgerichtshof schuf . Vor der Unternehmerversammlung, der auch führende kompromisslose Verfechter der hochkartellierten Schwerindustrie, wie Paul Reusch und Max Schlenker (Hauptgeschäftsführer der „Nordwestlichen Gruppe“ und des Langnam-Vereins), wie auch der weithin durchkartellierten Chemieindustrie angehörten, formulierte er diese Bedenken ebenfalls – vorsichtig zwar, aber doch gezielt: „da und dort verantwortliche Unternehmerkreise der Privatwirtschaft“ sollten sich fragen, ob nicht an verschiedenen Stellen wieder ein „größeres Maß an Bewegungsfreiheit“ hergestellt werden müsse . Gerade in einer „organisierten Wirtschaft“ müsse das „Moment des Wettbewerbs erhalten und gesteigert werden“ .65 Rhetorisch verpackte Hamm solche Aussagen freilich in eine kompakte Argumentation, mit der größere
Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 49 . Vgl . u . a . Mommsen, Aufstieg, S . 277, 284 . 64 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 265 ff, Zitat S . 265 . 65 Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 55 . 62 63
4. „Organisierter Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“ 227
Kontroll- und Eingriffsrechte des Staates in den Konzentrationsprozess der Wirtschaft eher zurückgewiesen werden sollten . So heißt es zwar, dass „Kartelle und ähnliche Wirtschaftsgebilde eine gewisse staatliche Beobachtung, unter Umständen eine gewisse staatliche Reaktion“ erforderten . Doch wandte sich Hamm gegen die Ansicht, dass „Kartelle wegen der Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs schlechthin schädlich und hassenswert seien“ .66 Insbesondere schien ihm der Schutz von schwächeren Mitgliedern der Kartelle gegenüber dem Verbandsdruck regelungsbedürftig . Die Einrichtung eines eigenen Kartellamts lehnte er jedoch ab, ebenso wie ein „positives Eingriffsrecht“ des ressortmäßig zuständigen Reichswirtschaftsministers zur Festsetzung von Preisen und Verkaufsbedingungen .67 Hamm wies auch das Schlagwort von der „Wirtschaftsdemokratie“ nicht einfach zurück – zweifellos aus Gründen der Sprachpolitik . Vielmehr referierte er das Konzept Naphtalis ausführlich und fasste es schließlich zusammen als Instrument zur „Beseitigung jeder Herrschaft“ und zur „Umwandlung der leitenden Organe der Wirtschaft aus Organen der kapitalistischen Interessen in solche der Allgemeinheit“ . Wohlüberlegt verzichtete er darauf, die zusammenfassende These, die der Bundesvorstand des ADGB im September 1928 mit großer Mehrheit angenommen hatte, und die Resolution aufzugreifen, die da lautete: „Die Demokratisierung der Wirtschaft führt zum Sozialismus“ .68 Er vermied es auch, die eigentlichen Schwächen des Konzepts der Gewerkschaftstheoretiker klar zu benennen: dass eine verstärkte staatliche Produktionsplanung eine weitere Aufblähung des bürokratischen Apparates verlangte, dass die Ausweitung der öffentlichen und der gewerkschaftseigenen Betriebe zu Instrumenten zur „Überführung der privaten Produktionsmittel in ein sozialistisches Wirtschaftssystem“69 die Privatinitiative als Triebkraft des Wirtschaftens weitgehend ausschalten würde und dass mit „Demokratisierung“ nicht etwa erweiterte innerbetriebliche Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer gemeint waren, sondern hauptsächlich ein wirtschaftliches Steuerungsrecht für die gesamtnationalen Gewerkschaftsverbände .70 Der
Ebd ., S . 52 . Tatsächlich standen laut Wehler die Kartelle „dem Produktivitätsfortschritt, der Wohlstandssteigerung im Sinne steigender Reallöhne, der Diffusion von Innovationen nicht hemmend im Wege“; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 267; deutlich kritischer die Sicht bei Winkler, Schein, S . 731 . 67 Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 54: „letzten Endes würde das dem Reichswirtschaftsminister auf dem gesamten Kartellgebiete eine Allmacht verleihen, die eine Verantwortung in sich schlösse, die schlechterdings nicht zu tragen sein würde“ . 68 Ebd ., S . 44 . 69 Mommsen, Aufstieg, S . 323 . 70 Ebd ., S . 323 f . 66
228 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
Sinn dieser Zurückhaltung lag zweifellos darin, nicht auf Konfrontationskurs zur SPD-geführten Großen Koalition zu gehen, sondern nach Möglichkeit ordnungspolitische Gemeinsamkeiten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlager herauszuarbeiten .71
5. Große Koalition und Haushaltskrise 1928–1930
Die Reichstagswahlen vom 30 . Mai 1928 brachten einen klaren Sieg für die Republikparteien . Die SPD gewann 3,8 % im Vergleich zur Reichstagswahl vom 7 . Dezember 1924 dazu . Allerdings legte auch die KPD von 9 auf 10,6 % zu . Die seit drei Jahren mitregierende DNVP büßte dafür mit einem Minus von 6,5 % . Auch die liberalen Parteien verloren, die DDP sank knapp unter 5 % . Nutznießer dieses Abschmelzens der bürgerlichen Mitte waren hauptsächlich die kleineren ökonomischen Interessenparteien des gewerblichen Mittelstands und der Bauern sowie die NSDAP, diese allerdings vorläufig nur mit kleinen regionalen Erfolgen . Für die SPD folgte aus diesem Ergebnis der Wille, mit Reichskanzler Hermann Müller wieder an die Macht zurückzukehren . Gegen heftige Widerstände in seiner Partei zwang der DVPVorsitzende und Außenminister Gustav Stresemann die DVP von seiner Kur in Bühlerhöhe aus, sich der zweiten „Großen Koalition“ anzuschließen . Wegen der absehbaren Konflikte in der Sozial-, aber auch Wehrpolitik standen die Auspizien für dieses Zusammengehen von SPD, Zentrum, DDP und der zunehmend von (Schwer-)Industriellen beherrschten DVP von Anfang an schlecht, doch hielten die Autorität von Stresemann (bis zu seinem Tod am 3 . Oktober 1929) und die Verhandlungen zum Abschluss eines neuen Reparationsabkommens – des Young-Plans – das prekäre Regierungsbündnis bis zum März 1930 zusammen .72 Als Hauptproblem für die Große Koalition stellte sich die dramatische Haushaltslage dar . Seit die Konjunktur Ende 1928 abflaute, stiegen die Arbeitslosenzahlen weit über die von der Arbeitslosenversicherung einkalkulierten 600 .000–700 .000 hinaus . Die Wirtschaftsverbände hatten schon zuvor immer wieder Steuersenkungen und Einschnitte ins soziale Netz gefordert .73 Konfliktverschärfend, wenn auch noch nicht systemgefährdend, kam seit Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 51 f, S . 56 ff, 61 . Vgl . Winkler, Weimar, S . 334–374; Ders ., Normalität, S . 521–825 . 73 Für den DIHT vgl . u . a . Hamm in seiner Rede „Zur deutschen Wirtschaftspolitik“, in: Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 118–120, und in seiner Grundsatzrede „Die nächsten Fragen und Aufgaben der Wirtschaftspolitik“, in: Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 71; für den RDI vgl . u . a . Winkler, Weimar, S . 325 f . 71 72
5. Große Koalition und Haushaltskrise 1928–1930 229
1927 die neuerliche, die bislang bekannten Ausmaße sprengende Agrarkrise hinzu, die in den Folgejahren vorrangig die ostelbische Großlandwirtschaft, dann aber auch die rheinischen und süddeutschen Mittel- und Kleinbetriebe und deren Veredelungswirtschaft betraf . Diese Krise verschärfte nicht nur den Kurs der von Ostelbien aus gesteuerten Verbandspolitik des Reichslandbundes, sondern auch der kleineren Bauernverbände . 1929 gelang es dem Reichslandbund, mit den kleineren, auch konfessionell geprägten Bauernverbänden eine gemeinsame „Grüne Front“ zu bilden, die dem Konfrontationskurs seines Vorsitzenden Eberhard von Kalkreuth weitgehend folgte . Die Agrarkrise förderte auch den Aufstieg des republikfeindlichen Alfred Hugenberg in der DNVP und damit deren Zerfallstendenzen und raubte der DDP die letzten Reste ihrer mittel- und kleinbäuerlichen Wählerschaft . 1929 bereits erzielte die NSDAP erhebliche Gewinne bei Landtagswahlen in Mittel- und Norddeutschland .74 Der radikale, schwerindustrielle Flügel des RDI stand der Regierungsbeteiligung der SPD unter ihrem Kanzler Müller von Anfang an ablehnend gegenüber .75 Er scheute sich daher auch nicht, die Gelegenheit der – vorläufig nur sektoralen – Konjunkturabschwächung zu nutzen, um die Sozialstaatlichkeit der Republik grundsätzlich zurückzuschneiden .76 Als am 30 . Oktober 1928 die Laufzeit eines Schiedsspruchs für die Eisenindustrie an der Ruhr auslief, sperrten die Arbeitgeber ihre 230 .000 Arbeiter für mehr als einen Monat aus – eine Kampfmaßnahme der Unternehmer, wie sie bis dahin noch nicht vorgekommen war . Nach siebenwöchiger Dauer endete dieser Ruhreisenstreit am 21 . Dezember 1928 mit einem Schiedsspruch des sozialdemokratischen preußischen Innenministers Severing .77 Dieser Spruch und die Reaktionen darauf erhellen schlaglichtartig, vor welche Probleme sich die Beteiligten zunehmend dringlich gestellt sahen . Zwar kam er den Gewerkschaften bei der Regelung der Arbeitszeit und den Arbeitgebern bei den Löhnen entgegen . Die Industriellen hatten ihr Hauptziel, die Beseitigung der staatlichen Zwangsschlichtung, nicht erreicht, aber die Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht . Aber auch das Reichsarbeitsministerium – und damit der Staat in seiner Eigenschaft als Schlichter und Friedensstifter – hatte eine Niederlage
Gessner, Agrarverbände, S . 83–219; Schulz, Deutschland, Bd . 2, S . 149 ff; James, Weltwirtschaftskrise, S . 249–274; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 331–342; Baranowski, Convergence . 75 Weisbrod, Schwerindustrie, S . 415 ff; Langer, Macht, S . 446 ff . 76 Vgl . für den Ausbau der Sozialstaatlichkeit seit der Revolution 1918/19 den vorzüglichen Überblick bei Abelshauser, Weimarer Republik, S . 9–31 . 77 Vgl . dazu u . a . Weisbrod, Schwerindustrie, S . 415–456; Winkler, Schein, S . 558–572; Langer, Macht, S . 414 ff . 74
230 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
erlitten, als das Reichsarbeitsgericht die sogenannten „Ein-Mann-Schiedssprüche“, also die Stichentscheide, für ungültig erklärte . Der rechte Flügel des Arbeitgeberlagers hatte somit zwar in seinem Kampf um den Abbau des bestehenden Tarifsystems einen Teilsieg errungen, war aber mit dem Ergebnis keineswegs zufrieden .78 Man sollte allerdings die jahrzehntelang in der Forschung übliche – und berechtigte – Kritik an Hardlinern im Unternehmerlager, die sich vor allem im Langnam-Verein und in der „Nordwestdeutschen Gruppe“ organisiert hatten und in der „Ruhrlade“ und im RDI ihre Position durchsetzen wollten, nicht übertreiben .79 Denn auch Wortführer wie Paul Reusch blieben in der Folgezeit vernunftrepublikanischen Überlegungen sehr wohl zugänglich; eine – vorläufige – Grundloyalität zur Weimarer Republik blieb vielfach bestehen .80 Aber die Positionen im Unternehmerlager traten nun deutlicher auseinander, und der radikale Flügel machte unmissverständlich klar, dass er das Konzept der sozialen Demokratie mit zunehmender Härte zu bekämpfen gedachte . Innerhalb des RDI folgte die Verbandsspitze um Duisberg und Kastl dem Konfrontationskurs seines schwerindustriellen Flügels nicht, verschärfte aber die Tonlage der Kritik . Die Gelegenheit dazu bot die massive Haushaltskrise, die seit Herbst 1929 die Große Koalition belastete und im Winter 1930 zum Bruch führte . Sie hatte – zunächst nur von den Industrieverbänden beklagt – mit den Steuersenkungen des jungen linksliberalen Finanzministers Peter Reinhold Anfang 1926 begonnen . Diese gelten zwar als erster Versuch einer kurzfristig erfolgreichen antizyklischen, „keynesianischen“ Finanzpolitik, doch bildeten sie gleichzeitig den Einstieg in eine Defizitwirtschaft, bei der nichts anderes übrig blieb, als mangelnde Steuereinnahmen durch Anleihen zu ersetzen, um das Defizit der „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ gemäß der gesetzlichen Verpflichtung auszugleichen .81 Ausgelegt James, Deutschland, S . 179, spricht gar von einem „blamablen“ Fehlschlag . So tendenziell Feldman, Weltkrieg; Weisbrod, Schwerindustrie, S . 479–502; Winkler, Weimar, S . 342 . Im Ruhreisenstreit waren sich übrigens auch der „Scharfmacher“ Reusch und der zu wirklicher Zusammenarbeit mit der Republik bereite Silverberg einig; vgl . Gehlen, Silverberg, S . 371 . 80 Vgl . Pyta, Vernunftrepublikanismus; Plumpe, Reichsverband; zurückhaltend auch schon Schulz, Deutschland, Bd . 2, S . 121–148 . 81 Vgl . Blaich, Wirtschaftskrise; Hertz-Eichenrode, Wirtschaftskrise, S . 103–114 . Im Herbst 1927 berechnete der Amtsnachfolger Reinholds, der seinerseits wenig sparsame Zentrumspolitiker Heinrich Köhler, den Anleihebedarf für 1926/27 auf rund 1,5 Milliarden Reichsmark . Das Reich könne voraussichtlich seine Verpflichtungen nicht mehr erfüllen und müsse möglicherweise wie im Herbst 1923 einen Ausgabestopp verhängen, was allerdings noch vermieden werden konnte . 78 79
5. Große Koalition und Haushaltskrise 1928–1930 231
auf eine Höchstzahl von 800 .000 Empfängern von Arbeitslosenhilfe war die „Reichsanstalt“ schon im Winter 1927/28 mit 2 Millionen und erst recht im folgenden Winter mit mehr als 3 Millionen Unterstützungsbedürftigen stark überfordert . Schon Ende 1928 plante daher der sozialdemokratische Finanzminister der Großen Koalition, Rudolf Hilferding, eine umfangreiche Reichsanleihe, die ungeachtet der Ablehnung durch die meisten Fachleute 1929 auch aufgelegt wurde, um den Reichshaushalt längerfristig zu konsolidieren . Diese sogenannte „Hilferding-Anleihe“ über 500 Millionen RM konnte schon nur noch zu etwa einem Drittel und auch das nur mit einer erheblichen Nachbesserung der Konditionen platziert werden . Der Ausgabenzuwachs der Jahre 1928–1930 beruhte zudem auf Gesetzen, die nicht einfach rückgängig gemacht werden konnten . Als Kastl und Hamm am 1 . März 1930 – wohl auf Einladung von Staatssekretär Hans Schäffer – in einer langen Nachtsitzung den Etat 1930 noch einmal durcharbeiteten, um eventuell doch noch Streichungsmöglichkeiten ausfindig zu machen, stellten sie fest, dass ohne eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen und unter Umständen sogar Verfassungsänderungen höchstens noch 30 bis 35 Millionen RM gestrichen werden könnten .82 Um aus der kurzfristigen Verschuldung herauszukommen, bemühten sich Finanzminister und Reichsbankpräsident nebeneinander und ohne Absprache hektisch um Überbrückungskredite .83 Längerfristige Verschuldung, kurzfristige ungelöste Kassenprobleme und die entsprechende Kreditsuche, rezessionsbedingt sinkende Steuereinnahmen, steigende, kurzfristig nicht korrigierbare Ausgaben sowie schließlich eine Panik nach Gerüchten, dass die neuen Pariser Reparationsverhandlungen unter dem Vorsitz des amerikanischen Bankiers und Sachverständigen Arthur Young scheitern könnten, führten zu einer Vertrauenskrise . Diese erschütterte die Kreditwürdigkeit des Reichs national und international schwer und erhob die Haushaltskrise des Reichs schon im Jahr vor dem fatalen New Yorker Kurssturz am 24 . Oktober 1929 zum beherrschenden Problem . Gleichzeitig schürzte sich zwischen DVP und SPD der Knoten im Streit um die Erhöhung der Beträge zur Ar-
Der Vorgang an sich ist ungewöhnlich genug und zeigt, wie eng die Verbindung der beiden Verbandsgeschäftsführer in einigen Ministerien war . Höchst aufschlussreich für den Druck, den zumindest der RDI nötigenfalls ausübte, ist der anschließende Satz Kastls in seinem Bericht in der Vorstandssitzung des RDI am 28 .3 .1930: „In der Öffentlichkeit werde ich selbstverständlich eine derartige Aufklärung nicht geben, und wir werden in der Öffentlichkeit immer den Anspruch erheben, daß auf der Ausgabenseite noch sehr erhebliche Ersparnisse gemacht werden können“; zit . in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 21, S . 54, Anm . 6 . 83 Vgl . James, Weltwirtschaftskrise, S . 67 ff; Kopper, Schacht, S . 159 . 82
232 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
beitslosenversicherung, der innerhalb der Koalition nicht mehr durchschlagen werden konnte . Anfang Dezember legte Finanzminister Hilferding (SPD) einen Finanzreformplan mit drei Aufgabenkomplexen vor: die Sanierung der Reichsfinanzen, einen Finanzausgleich mit den Ländern und eine Steuerreform, die die Wirtschaft entlasten sollte . Zugleich sollte die Arbeitslosenversicherung reformiert, das heißt die Leistungen so weit reduziert werden, dass sie bei der aktuellen Mittelknappheit auch bezahlt werden konnten .84 RDI und DIHT kritisierten den Finanzreformplan und die von der SPD nur zähneknirschend akzeptierten Leistungskürzungen der „Reichsanstalt“ als unzureichend . Hamm hatte schon am 30 . Januar 1929 anlässlich der Debatten über die Haushaltsplanung des Reiches die dort vorgesehenen und Ende 1929 im Hilferding’schen Finanzreformplan noch einmal bestätigten steuerlichen Maßnahmen ausgiebig diskutiert und abschließend geurteilt, das Steuerprogramm der Regierung bringe „Steuererhöhungen, während die Lage der Volkswirtschaft nach Steuermäßigungen ruft“ .85 Ein dreiviertel Jahr später kamen die Parteien in der Nacht vor Stresemanns tödlichem Schlaganfall am 3 . Oktober 1929 jedoch noch einmal zu einer Einigung, zumindest über die Beseitigung von Missbrauchsmöglichkeiten, wobei die DVP allerdings im Reichstag geschlossen Stimmenthaltung übte . Für Hamm waren diese Oktoberbeschlüsse zwar „sozialpolitisch bedeutsam, finanzpolitisch aber bei weitem nicht genügend“ .86 Weiterreichende Vorschläge zum Abbau von Leistungen scheiterten jedoch an der SPD, solche zur Beitragserhöhung an der DVP . Auch die kleine Einigung ging schon auf Kosten des Reichshaushalts, dessen Einnahmen sich nunmehr von Woche zu Woche verschlechterten .87 Der Finanzreformplan, den Hilferding und sein Staatssekretär Popitz (DNVP) im Dezember 1928 zur langfristigen Konsolidierung des Haushalts und zur Steuervereinfachung vorgelegt hatten, sah unter anderem Senkungen der Einkommens- und der Grundsteuer vor . Noch inmitten der Krise, die sich nach dem New Yorker Börsencrash Ende Oktober fortgesetzt hatte, versicherte die Regierung am 10 . Dezember 1929, die Steuersenkungen sofort durchzuführen . Kurz danach aber – so Hamm – hätten die Reichstagsreden von Kanzler Müller und Finanzminister Hilferding in erschütternder Weise die wahre Finanzlage des Reichs offengelegt . Demnach stehe die Sanierung der Hierzu und zum Folgenden die präzise Darstellung bei Maurer, Reichsfinanzen, S . 82–94 . Verh ., HA, 30 .1 .1929, S . 13–24, hier S . 23; vgl . auch Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 130 ff; Verh ., HA, 30 1 .1930, S . 119 . 86 Verh ., HA, 30 .1 .1930, S . 117 . 87 Allein für den Winter 1929 benötigte die „Reichsanstalt“ mindestens Reichsdarlehen von 180 Millionen RM, wenn die Beiträge nicht erhöht würden; Maurer, Reichsfinanzen, S . 86 . 84 85
5. Große Koalition und Haushaltskrise 1928–1930 233
öffentlichen Finanzen ganz oben . Jetzt räche sich die „Hauptsünde der Finanzpolitik des vergangenen Jahres“, dass man bei noch „günstigerer politischer und wirtschaftlicher Konjunkturlage“ im Mai 1929 die Arbeitslosenversicherung nicht nach „wirklichen Versicherungsgrundsätzen“ reformiert und die „schleichende Krankheit steigender Reichsvorschüsse“ nicht gestoppt habe .88 Anfang Dezember 1929 veröffentlichten RDI und DIHT zusammen mit vier anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft eine umfangreiche Denkschrift . Schon der Titel „Aufstieg oder Niedergang? Deutsche Wirtschafts- und Finanzreform 1929“ macht den grundsätzlichen Anspruch der vorgetragenen Forderungen deutlich und suggeriert eine unwiderrufliche Entscheidungssituation, von der Sein oder Nichtsein der deutschen Wirtschaft abhänge . Ungeachtet des alarmistischen Tons waren aber wesentliche Postulate so formuliert, dass sich Gemäßigte und Radikale im Unternehmerlager darin wiederfinden konnten . Die Sozialversicherung sollte demnach zwar im Ganzen erhalten bleiben, Ausgaben und Leistungen müssten aber den „Grenzen wirtschaftlicher Tragfähigkeit“ angepasst werden . Die Sozialpolitik insgesamt müsse sich stärker an der „Leistungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeit der Wirtschaft“ orientieren . Die „Vorteile der Sozialversicherungsgesetze“ sollten nur den „wirklich Bedürftigen“ zukommen, was darauf hinauslief, den rechtlichen Anspruch auf Unterstützung durch die Bedürftigkeitsprüfung zu ersetzen . Eine Senkung des Lohnniveaus forderte die Denkschrift nicht direkt, wohl aber verlangte sie, den staatlichen Einfluss auf die Tarifgestaltung einzuschränken und zu diesem Zweck die sogenannte „Verbindlichkeitserklärung“ auf „Gesamtstreitigkeiten in lebenswichtigen Betrieben“ zu beschränken .89 Mit diesen, sehr allgemein gehaltenen Formulierungen konnte sich auch der DIHT bzw . Hamm identifizieren . Doch schickte der DIHT am Tag nach der Publikation der RDI-Denkschrift eigene „Leitsätze für ein Finanz- und Steuerprogramm“ an die Reichsregierung .90 Dass die DIHT-Spitze darauf verzichtete, sie zu veröffentlichen, deutet auf ihre gemäßigtere Haltung und Verständigungsbereitschaft hin . Zudem erscheinen diese DIHT-Leitsätze in sich wesentlich kohärenter und ausgewogener als die RDI-Denkschrift, obgleich die einzelnen Forderungen zum großen Teil übereinstimmen .91 Vor
Verh ., HA, 30 .1 .1930, S . 117 . Aufstieg oder Niedergang? Deutsche Wirtschafts- und Finanzreform 1929 . Eine Denkschrift des Präsidiums des Reichsverbands der Deutschen Industrie (Veröffentlichungen des RDI, H . 49), Berlin 1929, S . 12, 28, 13, 29; eingehend dazu: Grübler, Spitzenverbände, S . 55–65 . 90 Abschrift in: BArch, N 1013, 645, Bl . 108–116; dazu Grübler, Spitzenverbände, S . 66 f . 91 Vgl . ebd ., S . 66 . 88 89
234 VII. Interessenpolitik im Deutschen Industrie- und Handelstag
allem enthielten sie im Gegensatz zur RDI-Denkschrift einen konkreten Lösungsvorschlag zur Einnahmesteigerung für das Reich, nämlich eine „mäßige Erhöhung der allgemeinen Umsatzsteuerbelastung“ – also keine nur die Konsumenten belastenden Verbrauchssteuern –, um so die Einnahmeausfälle aus den geforderten Steuersenkungen zu kompensieren .92 Das entspricht ganz der von manchen DIHT-Mitarbeitern bespöttelten Haltung Hamms, sich nicht nur den Kopf der Interessenten, sondern immer auch den der Regierung zu zerbrechen .93 Die Radikalen im RDI drängten zu diesem Zeitpunkt bereits auf ein Ende der Großen Koalition und auf eine neue, nach rechts gerückte und stark auf eine Ermächtigungsgesetzgebung gestützte Regierung, während die Gemäßigten um Duisberg und Kastl die Große Koalition zumindest vorläufig noch erhalten wollten . Die Diktion von Hamms Rechenschaftsbericht „Zur gegenwärtigen Lage“ in der Hauptausschusssitzung am 30 . Januar 1930 lässt darauf schließen, dass die DIHT-Spitze die Große Koalition ebenfalls stützen wollte . Zwar hob Hamm hervor, was trotz Hilferdings Finanzreformplans vom 10 . Dezember 1929 an Reformforderungen der Wirtschaft und speziell des DIHT noch nicht erreicht bzw . in Angriff genommen worden sei . Er zollte aber besonders Kanzler Müller und Finanzminister Hilferding ausdrückliche Anerkennung dafür, dass sie die Senkung der Einkommensteuer und der Realsteuern sowie die teilweise Aufhebung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag als notwendig anerkannt hätten .94
Ebd . Vgl . oben S . 211 f . 94 Vgl . Verh ., HA, 30 .1 .1930, S . 129 . 92 93
VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931 1. Freihandelspolitik und Hoffnung auf den Völkerbund
Z
u den stark umkämpften Problemen der deutschen Politik 1925 bis 1933 gehörten die Außenwirtschafts- und die Zollpolitik . Über sie konnte die deutsche Regierung Einfluss auf die Position der deutschen Wirtschaft in Weltwirtschaft und Welthandel nehmen – was aus mehreren Gründen dringend notwendig war . Als entwickeltes Industrieland mit einer ausgesprochen konkurrenzfähigen Fertigwarenindustrie und den dynamischen „neuen“ Leitsektoren der Jahre seit etwa 1890, der Chemie- und der Elektroindustrie, war es darauf angewiesen, zu exportieren . Dies umso mehr, als die deutsche Handelsbilanz wegen der umfangreichen Importe an Rohstoffen und Konsumgütern notorisch negativ ausfiel . Um die Reparationszahlungen leisten zu können, benötigte Deutschland dringend Devisen, die nur durch Exportüberschüsse erwirtschaftet werden konnten . Am 10 . Januar 1925 waren die restriktiven Zollbestimmungen des Versailler Vertrags ausgelaufen . Für die bevorstehenden Verhandlungen mit den Handelspartnern brauchte es ein in sich kohärentes zollpolitisches Konzept, das die Ausfuhrchancen in der anhaltenden Schrumpfung des deutschen Anteils am Welthandel zu verbessern versprach .1 Entsprechend den strukturellen Gegebenheiten der deutschen Industrie und der aktuellen Interessenlage Deutschlands orientierten sich die zuständigen Ressorts, das Auswärtige Amt (federführend) und das Reichswirtschaftsministerium, seit den Anfängen der Republik an den Prinzipien von Freihandel und weltwirtschaftlicher Verflechtung . Niedrige Einfuhrzölle waren
Vgl . zum Folgenden Krüger, Außenpolitik, hier S . 247–259, 284–294, 324–338; Schulz, Deutschland, S . 70–173, 193–204, 313–347 .
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236 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
die Voraussetzung dafür, dass auch die Partnerländer ihre Zölle für deutsche Einfuhren niedrig hielten . Das wichtigste Instrument einer solchen Politik der Weltmarktorientierung und eines möglichst hindernisfreien internationalen Warenverkehrs war die sogenannte „Meistbegünstigung“ . Anders als der Terminus suggeriert, begünstigt sie niemanden besonders . Vielmehr gewährt die „Meistbegünstigungsklausel“ dem betreffenden Land nur denselben Zolltarif, der auch für alle anderen Länder gilt, zu denen normale Handelsbeziehungen bestehen . Bestandteil dieser Klausel ist in der Regel das Reziprozitätsprinzip, dem zufolge sich die Partner jeweils gegenseitig die Handelspräferenzen gewähren . Heute liegt das Meistbegünstigungsprinzip allen Vertragswerken der Welthandelsorganisation (WTO) zugrunde . In den 1920er Jahren mit ihren diversen Wachstumsstörungen kam es zunehmend in die Diskussion, da alle Wirtschaftssektoren bzw . -branchen mit ungünstiger Konkurrenzsituation auf Zollschutz drängten . Die Zölle stiegen weltweit . Großbritannien verhängte ab 1921 Schutzzölle, verstärkt seit es 1923/26 den weit entlegenen Dominions Zollpräferenzen für ihre Waren zusprach . Die USA folgten ab 1922 . Mitte der zwanziger Jahre stellte dies noch keine große Gefahr dar, aber die weltweite Tendenz, das Prinzip der Meistbegünstigung aufzugeben und auf Zollpräferenzen zu setzen, störte das System des Welthandels . Herbert Hoover versprach im Wahlkampf 1928 eine Anhebung der Zölle, womit die Schraube des Protektionismus sich unwiderruflich und stark beschleunigt zu drehen begann .2 In Deutschland war es seit dem späten 19 . Jahrhundert die Agrarwirtschaft, insbesondere die ostelbische Großlandwirtschaft, die sich durch den Import hochwertiger und billiger Getreidesorten aus Nord- und Lateinamerika bedroht sah . Zudem prallten die Interessen der Landwirte auf das Verlangen breiter Konsumentenschichten nach niedrigen Preisen für Fleisch, Gemüse, Früchte, Wein etc . Da hier nicht nur unterschiedliche Produktionsweisen, sondern auch Lebensformen und Deutungsmuster für die Gesamtgesellschaft und die Stellung jedes Einzelnen in ihr aufeinanderstießen, erschütterte dieser Konflikt die Gesellschaft der Weimarer Republik in ihren Fundamenten .3 Zwar hatte die Industriewirtschaft mit ihrer Dynamik den erbitterten Streit, ob Deutschland ein Agrar- oder Industriestaat sei, rein sachlich gesehen schon in den 1890er Jahren für sich entschieden . Das änderte jedoch nichts daran, dass die Agrarwirtschaft nach wie vor für die Subsistenzgrundlage der deutschen Bevölkerung sorgte – ein Argument, das nach den Mangeljahren des
Zusammenfassend Kindleberger, Weltwirtschaftskrise, S . 77 f . Vgl . Gessner, Agrarverbände; Ders ., Agrardepression; zusammenfassend Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 331–342 .
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1. Freihandelspolitik und Hoffnung auf den Völkerbund 237
Weltkriegs jedermann einleuchtete . Unzweifelhaft blieb die gefühlsmäßige Bindung an die Traditionswelt von bäuerlicher, bürgerlicher und mittelständischer Lebensweise und Kultur für die Bevölkerung auf dem flachen Land nach wie vor bestimmend, und sie formte auch das nationale Selbstverständnis des Bürgertums noch immer wesentlich mit . Während Hamms Amtszeit als Reichswirtschaftsminister 1924 hatte es der Interessenkonflikt von verarbeitender Industrie und Agrariern der Regierung nicht einmal erlaubt, zum Auslaufen der Zollbestimmungen des Versailler Vertrags am 10 . Januar 1925 ein klares Programm zu entwickeln . Hamms Position in diesem Streit war eindeutig . Im Einklang mit Stresemanns Außenpolitik hatte er für eine möglichst weitgehende Öffnung nach außen, für Weltmarktorientierung und Zollabbau plädiert . Zwar hatte auch er sich für Schutzzölle für die Industrie eingesetzt, doch war diese Position vor allem taktisch begründet . Er und große Teile der Industrie wollten „Verhandlungszölle“, um bei den Verhandlungen über Handelsverträge eine günstige Ausgangsposition zu haben . Und ein moderater Zollschutz für die Landwirtschaft schien Hamm zumindest in deren aktueller Krisenlage unverzichtbar . Die Grundlinien dieser Politik hatte Hamm in programmatischen Denkschriften am 3 . Januar 1924 und als Memorandum für die Politik der Nachfolgeregierung bei seinem Ausscheiden aus dem Reichswirtschaftsministerium am 3 . Januar 1925 mit Nachdruck formuliert .4 Jetzt, rund ein Jahr nach seinem Ministerauftritt vor dem DIHT, beschrieb er die Problemlage und seine kurz- und langfristigen Lösungskonzepte erneut in einer großen Rede in seiner Eigenschaft als DIHT-Vorstand . Es gehe darum, Deutschland wieder in den „Weltgüterverkehr“ zurückzuführen, was umso schwieriger sei, als das „alte Europa […] einen großen Teil seines Gebietes handelspolitisch zu einem erweiterten Balkan“ habe werden lassen .5 Früher seien „Freihandel und Schutzzoll Fragen der Weltanschauung und Gegenstand heftiger Kämpfe“ gewesen, heute gehe es um eine pragmatische Politik, notfalls auch der kleinen Schritte . Auch wer den „Freihandel als Endziel“ weiter im Auge behalte, sei sich darüber im Klaren, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen an die reine Durchführung des Freihandels in Deutschland nicht mehr zu denken sei .6 Hamm begrüßte es zwar ausdrücklich, dass Professoren der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften im September 1924 mit AdR, Marx, Bd . 1, Dok . 46; Bd . 2, Dok . 385; vgl . auch Krüger, Außenpolitik, S . 251–254; vgl . oben S . 176 f . 5 Verh ., VV, 29 .4 .1925, S . 19, 21 . 6 Ebd ., S . 21 f; Hamm dachte ähnlich wie sein Parteifreund Hermann Dietrich, Ernährungsund Finanzminister 1928–1932, der im März 1929 erklärte, es gebe „in der demokratischen Fraktion heute keinen einzigen Freihändler“ mehr; zit . nach James, Weltwirtschaftskrise, S . 261 . 4
238 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
einer öffentlichen Erklärung in die aufgeheizte Debatte hinein für weltwirtschaftliche Verflechtung und liberale Handelspolitik votiert hatten, mahnte aber zu Vorsicht und Prüfung, „welcher Schutz da und dort“ auch jetzt noch nötig sei . Für die Zolltarifnovelle, die Regierung und Reichstag gerade berieten, forderte er „einen Tarif ausreichender Verhandlungszölle und, wo es not tut, eines mäßigen Schutzzolls“ . Andererseits erklärte er in der Diktion dieser Jahre eine Industrialisierung auf Kosten der Landwirtschaft sowohl nationalwie weltwirtschaftlich für verfehlt und die Förderung der Landwirtschaft „um unserer Volkskraft und Volksgesundheit willen“ für notwendig .7 Tatsächlich setzte die Zolltarifnovelle vom 17 . August 1925 dann einen Zollschutz für Getreide und Eisen fest, aber mit deutlich gemilderten Sätzen gegenüber dem Bülow-Tarif von 1902 . Sie ermöglichten es der deutschen Außenhandelspolitik in der Folgezeit, zu einer Reihe von zwar heftig umstrittenen, insgesamt aber für den Export günstigen Handelsverträgen mit Italien und Spanien sowie einem Meistbegünstigungsvertrag mit Großbritannien zu kommen . Am wichtigsten war jedoch zweifellos der provisorische Handelsvertrag vom 5 . August 1926 mit Frankreich, der 1927 verlängert wurde . Noch mehr als die anderen Abkommen wies er neben seiner ökonomischen eine politische Dimension auf, indem er zeigte, dass eine Politik längerfristiger ökonomischer Verständigung zwischen kurz zuvor noch verfeindeten Staaten möglich war . Wirtschaftlicher und politischer Spannungsabbau ergänzten und verstärkten sich gegenseitig . Stresemann und sein Ministerialdirigent Karl Ritter waren sich in den Grundzügen dieser Außenhandelspolitik einig . Auch die Industrie- und Handelsverbände standen hinter ihr – am deutlichsten der DIHT . Hamm hielt im Interesse der politischen Annäherung an Frankreich auch einzelne weiterreichende zollpolitische Konzessionen Deutschlands für sinnvoll . Der RDI wiederum suchte seit Januar 1925 verstärkt den Kontakt zum DIHT, um auf diese Weise seinen Einfluss auf die Wirtschafts- und Handelspolitik der Regierung verstärken zu können .8 Zur internationalen Durchsetzung dieser tendenziell freihändlerischen Handels- und Zollpolitik, die im Fall des deutsch-französischen Handelsvertrags mit umfassenden Kartellvereinbarungen der Stahl- und Chemieindustrie einherging, kamen zwei internationale Organisationen infrage: der Völkerbund und die Internationale Handelskammer . Mit ihnen bot sich die Möglichkeit, gleichberechtigt an dem Diskurs eines multilateralen Interessenausgleichs teilzunehmen, und sie konkordierten darüber hinaus ohnehin weitgehend mit dem deutschen Konzept . Das wichtigere Forum stellte – nach
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Verh ., VV, 29 .4 .1925, S . 22; allgemein vgl . James, Weltwirtschaftskrise, S . 249–254 . Vgl . Krüger, Außenpolitik, S . 289 .
1. Freihandelspolitik und Hoffnung auf den Völkerbund 239
dem Beitritt Deutschlands am 10 . September 1926 – der Völkerbund mit seinen verschiedenen Gremien dar . Das Sekretariat in Genf verfügte über eine wirtschaftspolitische Sektion, die von dem wirtschaftsliberalen Briten Sir Arthur Salter geleitet wurde . Seit Februar 1927 war das Reich auch im Wirtschaftsausschuss des Völkerbunds vertreten . Der Einstieg in eine deutsche Außenwirtschaftspolitik über den Völkerbund vollzog sich aber zunächst vor allem über die Vorbereitung der „Weltwirtschaftskonferenz“, die von der Völkerbundsversammlung im September 1925 auf Betreiben des französischen Delegierten Louis Loucheur beschlossen worden war und die im Mai 1927 in Genf stattfand . Stresemann und Ministerialdirektor Ritter sowie das Reichswirtschaftsministerium mit Staatssekretär Trendelenburg sahen in der Konferenz eine große Chance, die mit Locarno und dem Völkerbundbeitritt in Fahrt gekommene Verständigungspolitik mit dem Westen wirtschafts- und handelspolitisch zu fundieren und auszubauen .9 Um sich mit der Wirtschaft zu verständigen, beschloss das Kabinett, Kontakt zu Hamm aufzunehmen . Als unabhängige Experten für das Vorbereitungskomitee schlug Stresemann den Zentrumsabgeordneten und RDI-Vorstand Clemens Lammers als Industrievertreter und für die Arbeitnehmerinteressen das Vorstandsmitglied des ADGB Wilhelm Eggert vor . Ritter, Trendelenburg und Lammers gehörten jeweils zu den häufigsten Gästen bei Eduard Hamms DIHT-Geselligkeit . Aus deutscher Sicht schien die Weltwirtschaftskonferenz in Genf vom 4 . bis zum 23 . Mai 1927 ein voller Erfolg . Die beteiligten Sachverständigen zeigten sich in ihrer Zielvorstellung für eine liberale Welthandelsordnung weitgehend einig . Die Konferenz leitete damit einen wirtschafts- und handelspolitischen Annäherungsprozess ein, der allerdings wenige Jahre später in den Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise zum Stillstand kam . Unter günstigeren Bedingungen hätte er aber sehr wohl das Potenzial gehabt, auf dem Weg über eine engere wirtschaftliche Arbeitsteilung und Verflechtung auch zur allmählichen politischen Befriedung des Kontinents beizutragen und selbst die Lösung der großen euroatlantischen Probleme wie die interalliierten Schulden und die Reparationstransfers einer Lösung näher zu bringen . Die Sachverständigen legten erste Vorschläge für eine weltweite Harmonisierung der nationalen Wirtschaftsrechte und Zollregelungen vor . Weiterhin einigte sich die Konferenz im Grundsatz darauf, dass die Beschränkungen und Verbote von Ein- und Ausfuhr abzuschaffen und dafür konkrete Vorschläge zu erarbeiten seien . Die Zolltarife sollten vereinfacht, stabilisiert oder gesenkt und die Prinzipien von Meistbegünstigung und Schiedsklauseln durchgesetzt werden .
9
Vgl . Schulz, Wirtschaftsordnung, S . 68–127; Krüger, Außenpolitik, S . 364 ff .
240 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
In einigen Ländern zeichnete sich im Gefolge der Konferenz eine gewisse Bereitschaft ab, die Zolltarife zumindest nicht mehr zu erhöhen und sich dem Protektionismus entgegenzustellen . Damit unterstützte die Konferenz aktuell auch die günstige Konjunkturentwicklung mit dem Aufschwung des Handels in und mit Europa zwischen 1926 bis 1928 .10 In Deutschland verabschiedete der Hauptausschuss des DIHT am 21 . Juni 1927, einen Monat nach Abschluss der Konferenz, eine von Hamm vorbereitete Resolution . Sie begrüßte, dass die Genfer Konferenz den „Abbau internationaler Handelshemmnisse“ verlangt habe, und brachte die Hoffnung auf baldige „entsprechende Arbeiten und Taten des Völkerbunds und der Regierungen“ zum Ausdruck .11 Diese Aufbruchsstimmung ging allerdings bald verloren . Schon im Sommer 1927 rückte die von Loucheur und Stresemann angestrebte Aufwertung der Wirtschaftsorganisation des Völkerbunds in den Hintergrund, weil der neue (und alte) französische Ministerpräsident Raymond Poincaré seinen Außenminister Aristide Briand dazu drängte, auf der Herbsttagung des Völkerbunds das französische Sicherheitsproblem und das Thema Polen in den Vordergrund zu rücken . Gleichwohl griff Stresemann einen Vorschlag der Internationalen Handelskammer auf, eine „ständige Handels- und Zollkonferenz“ einzurichten . Trotz des Einspruchs Großbritanniens gelang es, ein besonderes „Comité Consultatif “ zu etablieren, das aus unabhängigen Experten bestehen, keine bindenden Beschlüsse fassen, aber in Jahresberichten dokumentieren sollte, welche Konferenzresolutionen auch tatsächlich einer Verwirklichung näher gebracht worden seien; außerdem sollte es „allgemeine Empfehlungen“ aussprechen können .12 Stresemann als Berichterstatter des Völkerbunds für Wirtschaftsfragen schlug dafür eine Gruppe von 47 sachverständigen Personen vor, zu der von deutscher Seite wieder Clemens Lammers, aber auch Eduard Hamm und Franz von Mendelssohn gehörten . Wirklichen Einfluss konnte dieses beratende Gremium allerdings nicht gewinnen, da vor allem Großbritannien mit seiner Bindung an das Empire jede faktische Einschränkung seiner Handlungsfreiheit ablehnte . Gleichwohl trug das „Comité Consultatif “ zur Verdichtung jenes Netzwerks von Wirtschafts- und Handelsfachleuten bei, die in den Ämtern der Internationalen Handelskammer, der Ausschüsse des Völkerbunds und der nationalen Wirtschaftsverbände saßen und bei denen ein gewisser Konsens darüber bestand, dass für eine europäische wirtschaftliche Verständigungspolitik die notwendi-
Krüger, Außenpolitik, S . 369; Schulz, Wirtschaftsordnung, S . 127; Überblick u . a . bei Milward, Handel . 11 Verh ., HA, 21 .6 .1927, S . 23 . 12 Schulz, Wirtschaftsordnung, S . 128 f . 10
2. Wirtschaftsverflechtung und Politik: die Internationale Handelskammer 241
gen empirischen Daten bereitgestellt und generell nationale Egoismen und Sonderregelungen möglichst abgebaut werden müssten .13 Gleichwohl bilanzierte Hamm im November 1929 – also in einer sehr viel aufgewühlteren Zeit als zwei Jahre zuvor – vor dem Hauptausschuss des DIHT diese ganze Völkerbundsarbeit, an der er selbst beteiligt war, recht ambivalent: Immer wieder seien in vielen Ländern zunächst ein „großer Impuls“ und „lebendige Mitarbeit der Wirtschaftskreise“ zu verzeichnen gewesen, doch habe die Begeisterung meist rasch nachgelassen . Er listete eine Reihe von Fehlschlägen bei handelspolitischen Initiativen auf, kam dann aber auf den deutschfranzösischen Handelsvertrag vom 17 . August 1927 zu sprechen und führte dessen Zustandekommen nicht ganz zu Unrecht auf das politische Klima zurück, das erst durch die Genfer Weltwirtschaftskonferenz im Mai 1927 und ihre Vorbereitung geschaffen worden sei .14
2. Wirtschaftsverflechtung und Politik: die Internationale Handelskammer
Die Internationale Handelskammer war 1919 in Paris gegründet worden und hatte im Oktober 1925 auch die Aufnahme der deutschen Kammern beschlossen . An ihrer Spitze stand ein für zwei Jahre vom Verwaltungsrat gewählter Präsident . Der Verwaltungsrat selbst fungierte als Exekutivorgan, trat dreimal jährlich in Paris zusammen, steuerte die Tätigkeit der Organisation und hatte bei der Beschlussfassung die letzte Entscheidung .15 Für die operative Arbeit der Internationalen Handelskammer war das Generalsekretariat mit dem Generalsekretär an der Spitze mit festem Sitz in Paris zuständig . Die Mitgliederversammlung (Kongress), die alle zwei Jahre tagte, übernahm die Funktion eines „Weltwirtschaftsparlaments“, in unserem Zeitraum 1927 in Stockholm, 1929 in Amsterdam und 1931 in Washington . Die Hauptarbeit der Institution leisteten internationale Studienausschüsse mit Enqueten und Vorschlägen, die dann dem Verwaltungsrat vorgelegt wurden .
Vgl . Müller, Kapitalismus . Verh ., HA, 28 .11 .1929, S . 29–32 . Zum Scheitern der Initiativen zur Niederlassungsfreiheit, zum Kartellrecht und zu sektoralen Zollsenkungen vgl . Schulz, Wirtschaftsordnung, S . 170–173 . Im deutsch-französischen Handelsvertrag wurden sämtliche Fragen des Handelsverkehrs umfassend geregelt . Angesichts der hochprotektionistischen Tradition Frankreichs und der Widerstände in der Kammer war es umso bemerkenswerter, „daß Frankreich den Weg der Meistbegünstigung beschritt und sich außerdem zu weitgehenden vertraglichen Bindungen seiner Zölle bereit erklärte, also nicht mehr autonom darüber befand“; Krüger, Außenpolitik, S . 370 . 15 Vgl . dazu und zum Folgenden Rosengarten, Internationale Handelskammer, S . 45–48 . 13 14
242 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
Die Gesamtorganisation der Internationalen Handelskammer baute sich aus den Landesgruppen heraus auf, die ihrerseits teils aus den großen Unternehmen („außerordentliche Mitglieder“), teils aus Wirtschaftsverbänden („ordentliche Mitglieder“) bestanden . Insgesamt gehörten der Internationalen Handelskammer 1 .929 Mitglieder aus 45 Ländern an, 25 Staaten hatten Landesgruppen gebildet . Die Mitgliederzahlen lassen ein erhebliches Interesse der internationalen Unternehmerschaft an der Arbeit der Kammer erkennen, an der Spitze die USA, gefolgt von Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien . In Deutschland gehörte der DIHT neben dem RDI und einigen anderen Verbänden zu den Gründungsmitgliedern der Landesgruppe . Zu den deutschen „außerordentlichen Mitgliedern“ der Internationalen Handelskammer zählten unter anderem die AEG, die Vereinigten Stahlwerke, die I . G . Farbenindustrie, Krupp, Hoesch, Wertheim und die Deutsche Lufthansa . Zu ihrem Präsidenten hatte die deutsche Gruppe Franz von Mendelssohn gewählt . Prominente Mitglieder des RDI wie etwa Paul Silverberg engagierten sich von Beginn an im Präsidium, im Verwaltungsrat und in den Ausschüssen . Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise fungierte zum Beispiel Hermann J . Abs, Vorstandsmitglied und in der Bundesrepublik Deutschland langjähriger Vorstandssprecher der Deutschen Bank, als Mitglied des Ausschusses für Währungs- und Kreditpolitik . Die Geschäftsführung der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer übernahm Eduard Hamm . Er widmete dieser Aufgabe einige Zeit und Aufmerksamkeit . Wiederholt reiste er zu Tagungen nach Paris und pflegte ein besonders freundschaftliches Verhältnis zu Pierre Vasseur, dem Leiter der wirtschaftspolitischen Sektion im Sekretariat des Völkerbunds .16 Die Vollversammlungen der Internationalen Handelskammer in Stockholm 1927, Amsterdam 1929 und in Washington 1931 besuchte Hamm gerne und nutzte dabei auch jeweils die Gelegenheit, Arbeits- und Bildungsreise zu verbinden . Besonders die Reisen nach Paris hatten es ihm, ungeachtet der politischen Dauerkonfrontation mit dem Nachbarland, angetan . Vor allem 1929 bis 1931 schlug sich dieses Engagement auch in der Diskussion europapolitischer Konzepte vor den wichtigsten Foren des DIHT nieder, dem Außenhandelsausschuss, dem Hauptausschuss und der Vollversammlung . Zweifellos trug die Arbeit Hamms auch dazu bei, dass Franz von Mendelssohn 1931 zum Präsidenten der Internationalen Handelskammer gewählt wurde . Ihm folgte nach seinem gesundheitsbedingten Rücktritt Ende 1931 der Elberfelder Textilindustrielle Abraham Frowein, Vorstandsmitglied sowohl des RDI wie des DIHT, nach .
Vgl . den Briefwechsel Hamm/Vasseur über die Zäsur des Rücktritts Hamms hinweg bis nach dem Anschluss Österreichs 1938, in: BayHStA, NL Hamm, 54 .
16
2. Wirtschaftsverflechtung und Politik: die Internationale Handelskammer 243
Auch wenn der Schwerpunkt der Arbeit der Internationalen Handelskammer auf der Erhebung von Daten und der Formulierung von Empfehlungen lag und diese Empfehlungen zur Handels-, Wohnungs- und Finanzpolitik allem Anschein nach nur punktuellen Einfluss auf die Politik gewannen,17 so verdient die Tätigkeit der Internationalen Handelskammer selbst wie auch der Deutschen Gruppe in ihr aus mehreren Gründen Aufmerksamkeit . Sie zeigt die Bereitschaft zur Kooperation von Unternehmen und Verbänden weltweit bei der Bearbeitung der Hindernisse, die einem reibungslosen Ablauf des Welthandels de facto im Wege lagen . Die Akteure blieben vielfach über alle Grenzen und Hindernisse hinweg in Kontakt – auch während der Jahre des „Dritten Reichs“ – und konnten nach 1945 teilweise wieder an sie anknüpfen .18 Und es wird deutlich, dass gerade bei zentralen und prekären Fragen zu den Ursachen und Lösungsmöglichkeiten der Weltwirtschaftskrise die Einschätzungen und Rezepte der deutschen und nichtdeutschen Experten und Beteiligten aus der Wirtschaft und ihren Verbänden meist sehr nahe beieinander lagen . In der deutschen Regierung nahm man die Empfehlungen der Internationalen Handelskammer zur Kenntnis . Doch im Dezember 1927 wehrte sich das Kabinett gegen den Wunsch der Internationalen Handelskammer, über das Auswärtige Amt direkt mit der Regierung zu verkehren . Es blieb also bei der bisherigen Praxis, dass Beschlüsse nur über die Deutsche Gruppe mitgeteilt wurden . Dieser Usus verschärfte ein bei internationalen Gremien dieser Art nicht seltenes Hemmnis eines funktionierenden Austauschs: dass sich ein beteiligtes Land und seine Repräsentanten an selbst beschlossene, im eigenen Land aber missliebige Einschätzungen und Empfehlungen nicht hielten . So rechtfertigte etwa die Deutsche Gruppe der Internationalen Handelskammer Anfang 1931 im Widerspruch zu den Empfehlungen der Dachorganisation das sehr hohe deutsche Zinsniveau mit dem – allerdings plausiblen – Grund, dass nur so die Kreditwürdigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten werden könne .19 Im Allgemeinen deckten sich jedoch die Lageeinschätzung und die Empfehlungen der Deutschen Gruppe und der zentralen Beschlussgremien in der Internationalen Handelskammer in bemerkenswertem Umfang . Das betraf etwa die Empfehlung an alle Länder, die Steuern zu senken und den
Rosengarten, Internationale Handelskammer, S . 268 f . Eine Ausnahme machten die Kartellgesetzgebung, die Deutschland weitgehend gemäß den Empfehlungen der Internationalen Handelskammer in der Weltwirtschaftskrise weiterentwickelte, und das für die endgültige Bereinigung der Kriegsschuldenfrage vorentscheidende Hoover-Moratorium . 18 Vgl . Müller, Wirtschaftskoordination . 19 Ebd ., S . 265 f; Mitteilungen der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer 1 (1931), S . 3 . 17
244 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
Handelsverkehr so weit wie möglich zu liberalisieren, um weltweit eine effiziente Verteilung des knappen Kapitals zu ermöglichen .20 Um den freien Kapitalverkehr und eine optimale Verteilung des Kapitals an die Orte mit der höchsten Wertschöpfung zu sichern, schlug Hamm 1931 der Deutschen Gruppe vor, die Liberalisierung des Handelsverkehrs in Übereinstimmung zu bringen mit den jeweiligen kapitalmäßigen Verpflichtungen . Die Internationale Handelskammer blieb hier aber unentschieden: Sie bejahte dieses Prinzip als Voraussetzung der Stabilisierung, verlangte aber andererseits auch „währungspolitische Sicherheiten gegenüber plötzlich auftauchenden Fluktuationen“ .21 In ähnlicher Weise lavierte die Internationale Handelskammer, als sie 1929 zwar für alle Handelsverträge die Meistbegünstigungsklausel empfahl, diese aber bei überstaatlichen Wirtschaftseinheiten wie den britischen und französischen Kolonialreichen nur auf das Mutterland beschränkt sehen wollte .22
Abb. 12: Eduard Hamm (Mitte) vor der Abreise zum Kongress der Internationalen Handelskammer in Washington, rechts neben ihm der Präsident der IHK Berlin, Fritz Demuth, Mai 1931
Rosengarten, Internationale Handelskammer, S . 183, 229 . Ebd ., S . 228 . 22 Ebd ., S . 254 . 20 21
2. Wirtschaftsverflechtung und Politik: die Internationale Handelskammer 245
Einen gewissen Erfolg konnten die Deutsche Gruppe und ihre Delegierten Eduard Hamm, Abraham Frowein und der ehemalige Staatssekretär und Reparationssachverständige Carl Bergmann beim Kongress der Internationalen Handelskammer Anfang Mai 1931 in Washington verzeichnen . Gegen den hartnäckigen Widerstand der amerikanischen Delegation gelang es ihnen während der Tagung, das Reparationenproblem zum öffentlich diskutierten Thema zu erheben . Zahlreiche Delegierte erwarteten vom amerikanischen Präsidenten Hoover erhebliche Zugeständnisse in der internationalen Schuldenfrage, doch hielt sich Hoover in seiner Eröffnungsrede am 4 . Mai darüber noch sehr zurück . Die US-Vertreter in der Internationalen Handelskammer fürchteten die Auswirkungen einer Debatte, die auch die interalliierten Ansprüche Amerikas betraf oder gar die unter anderem schon seit 1930 von der Deutschen Gruppe erhobene Forderung nach völliger Beseitigung aller Kriegsschulden und Reparationen .23 In Washington schlossen sich jedoch Großbritannien und Italien vorsichtig der deutschen Forderung an, sodass auf Betreiben von Frowein, Hamm und Bergmann eine Resolution verabschiedet wurde, in der die Internationale Handelskammer verlangte, die Auswirkungen der Kriegsschulden auf den Welthandel genau zu untersuchen . In einem Vermerk über ein Telefonat mit der Reichskanzlei meinte Hamm dazu, die einschlägige Resolution sei für Deutschland einigermaßen befriedigend, zumal sie gegen den starken Widerstand der amerikanischen Regierung herbeigeführt worden sei .24 Als Präsident Hoover dann am 20 . Juni 1931 das „Hoover-Moratorium“ mit der Stundung aller Reparationszahlungen und alliierten Schulden für ein Jahr verkündete, glaubten zeitgenössische Kenner der Szene darin eine direkte Reaktion auf den Washingtoner Kongress der Internationalen Handelskammer erkennen zu können, was allerdings schwer zu bestimmen ist .25 Drei Tage später erklärte Hamm im Hauptausschuss des DIHT den „Hoover-Plan“ zu einem „großen, vielleicht entscheidenden Schritt“ zur Lösung nicht nur der internationalen Schuldenfrage, sondern zur Behebung der großen Krise und zur Restrukturierung der Weltwirtschaft überhaupt .26
Ebd ., S . 220–223 . Vermerk an die Reichskanzlei über ein Telefongespräch mit Eduard Hamm, in: BArch, R 43-I, 1171, Bl . 191; Rosengarten, Internationale Handelskammer, S . 221 f . 25 Vgl . die nicht belegte Feststellung in ebd ., S . 221 f; vgl . u . a . Sitzung des Verwaltungsrats der Internationalen Handelskammer, in: Mitteilungen der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer 4 (1931), S . 1 . 26 Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 13–17 . 23 24
246 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
3. Europäische Wirtschaftspolitik? „Zollunion“ und „Zollfrieden“
Schon bei der Vorbereitung der Weltwirtschaftskonferenz im Jahr 1926 war eine politisch-ökonomische Ordnungsidee ins Spiel gekommen, mit der sich die Wirtschafts- und Staatspolitik zunächst nur am Rande beschäftigte und die spätestens seit der Bankenkrise und Pfundabwertung 1931 ihren Realitätsgehalt fast ganz einbüßte . Diese Idee wurde aber rund eineinhalb Jahrzehnte später, nach den katastrophalen Ergebnissen von Austeritätspolitik, NS-Herrschaft und Weltkrieg, zu einer der stärksten Triebkräfte der europäischen Staatenpolitik . Es handelt sich um den Gedanken einer europäischen Zollunion mit dem „Wunschbild“ einer auch politischen europäischen Gesamtordnung .27 Im Auswärtigen Amt wie im Reichswirtschaftsministerium waren schon 1926 Memoranden entstanden, die einer „relativen Freihandelsordnung“ mit der Möglichkeit zur „Bildung einer Zollunion“ den Weg ebnen sollten .28 Ein von Ritter und seinem Mitarbeiter Ernst Eisenlohr verfasster Erlass Stresemanns an die deutschen Botschaften vom 21 . Januar 1926 begrüßte grundsätzlich einen Abbau der europäischen Handelshemmnisse mit der Zielvorstellung einer europäischen „Zollunion“ .29 Ähnlich empfahl Ministerialrat Ludwig Imhoff im Reichswirtschaftsministerium – wie Ritter ein regelmäßiger Gast bei Hamms geselligen Abenden – eine pragmatische und flexible Politik zu mehr „wirtschaftlicher Zusammenarbeit“ mit der Perspektive auf eine Zollunion .30 Allzu große Hoffnungen und Erwartungen dämpfte Stresemann allerdings sogleich mit dem Hinweis, dass die Beziehungen zu den USA, dem Vereinigten Königreich und zu Russland – die allen europäischen Integrationsbemühungen misstrauisch gegenüber standen – nicht gefährdet werden dürften .31 Zum Abbau der zu erwartenden Widerstände im In- und Ausland schlug er einen Stufenplan vor, der von der Sicherung der Währungsstabilität über die europaweite Vereinheitlichung des Zolltarifschemas bis zum Abbau der Zölle für Fertigerzeugnisse führen sollte . Die „inneren Widerstände“ erwartete er – zu Recht – vor allem bei der Landwirtschaft . Daher kam als Fernziel zunächst nur eine „partielle Zollunion“ unter Ausschluss der Agrarproduktion in Frage .32
Vgl . Lipgens, Einigungsidee; Holl, Europapolitik; Krüger, Ansätze . Schulz, Deutschland, S . 76 . 29 Ebd ., S . 77 . 30 Denkschrift Ludwig Imhoff: Die Idee einer europäischen Zollunion, vorgelegt am 16 .4 .1926, zit . nach Schulz, Deutschland, S . 80 . 31 ADAP, Serie B, Bd . I/1, Nr . 51, S . 133 f . 32 Genauso verfuhr 1960 die unter Führung Großbritanniens ins Leben gerufene Europäische Freihandelszone (EFTA); vgl . Schulz, Deutschland, S . 78 f . 27 28
3. Europäische Wirtschaftspolitik? „Zollunion“ und „Zollfrieden“ 247
Widerspruch, wenn auch verhalten, regte sich jedoch auch in der Industrie . Die rheinisch-westfälische Schwerindustrie hatte seit 1925 ihren „Solidarprotektionismus“ mit den Großagrariern reaktiviert, um mit Hilfe des Schutzzolls und weitreichender Kartellierungen den deutschen Binnenmarkt nach außen zu schützen . Das lief den Interessen der Exportindustrie zuwider . Im Dezember 1925 äußerte sich der RDI in seiner Denkschrift über „Deutschlands Wirtschafts- und Finanzpolitik“ in unverbindlicher Form über den „durchaus begrüßenswerten Gedanken einer europäischen Zollunion“ und kündigte Recherchen über die Frage an, ob eine europäische Zollunion in absehbarer Zeit Sinn mache .33 Eine interne Umfrage bei 13 führenden Mitgliedern der deutschen Industrie ergab eine vorsichtig positive Antwort bei der Chemie- und eine klare Ablehnung bei der Schwerindustrie . Der RDI begrüßte daher die Idee einer europäischen Zollunion nur mit sehr distanzierten Worten .34 Die innerdeutsche Debatte um Zollsenkungen war im Frühjahr 1928 immerhin so weit gediehen, dass der Reichswirtschaftsrat dem Konsultationskomitee des Völkerbunds am 9 . April 1928 kurz vor dessen zweiter Sitzung ein Fachgutachten zusandte, in dem er eine differenzierte Liberalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen empfahl . Das Gutachten war aus den detaillierten Vorschlägen zu Zollreduzierungen hervorgegangen, die der Zollausschuss des Reichswirtschaftsrats, dem auch Eduard Hamm angehörte, Anfang April 1928 vorgelegt hatte . Die Bemühungen um generelle Zollreduktionen liefen sich aber ungeachtet der Unterstützung durch die Internationale Handelskammer an den nationalen und branchenpolitischen Widerständen fest .35 Trotzdem maß Eduard Hamm Ende November 1929 vor dem DIHT der empirischen und konzeptionellen Arbeit in den wirtschaftlichen Sektionen des Völkerbunds mehr Gewicht und Seriosität bei als Aristide Briands aufsehenerregender Rede über ein „wirtschaftliches Paneuropa“ vor der Versammlung des Völkerbunds im September 1929 in Genf .36 Dabei bezog er sich auf eine neue Initiative im Rahmen des Völkerbunds, nachdem der Aufschwung, den die freihändlerische Bewegung mit der Weltwirtschaftskonferenz vom Mai 1927 genommen hatte, an den protektionistischen Wi-
Vgl . Frommelt, Paneuropa, S . 38 f . Ebd ., S . 39–41 . Ähnlich wie die Chemieindustrie äußerten sich offenbar auch die Braunkohle-, die Maschinen- und die Elektroindustrie positiv, während die Landwirtschaft die Zollunion grundsätzlich ablehnte; vgl . dazu auch Stegmann, Zoll- und Handelspolitik, S . 512 . 35 Schulz, Deutschland, S . 158–167 . 36 Er bezog sich vor allem auf die Denkschrift von Sir Arthur Salter, dem Leiter des Wirtschaftssekretariats, über den „Gedanken der vereinigten Staaten von Europa“; Verh ., HA, 28 .11 .1929, S . 35 . 33 34
248 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
derständen überall in Europa aufgelaufen war, in Deutschland speziell am Agrarprotektionismus . An die Stelle der ursprünglich geplanten Zollreduktionen war in den Arbeitsgremien des Völkerbunds nun die Idee einer „trève douanière“, eines „Zollfriedens“, oder, wie Hamm formulierte, eines „Zollwaffenstillstands“ getreten, der langfristig auch zur politischen Befriedung Europas beitragen sollte .37 Diese Initiative war zunächst von den Handelsministern Großbritanniens und Belgiens, William Graham und Paul Hymans, ausgegangen, die damit primär spezielle Interessen ihrer Länder verfolgten, die sich in diesem Fall mit den deutschen Interessen deckten . Grundsätzliche Einwände erhob zunächst niemand . Die deutschen und französischen Vertreter beim Comité Économique, Trendelenburg und Daniel Serruys, einigten sich auf einen gegenüber einem ursprünglichen Entwurf Trendelenburgs abgeschwächten Vorschlag . Diesem gegenüber äußerte Hamm zwar einige Vorbehalte: Der Verzicht auf wirkliche Zollsenkung bedeute zunächst eine „Erstarrung“ . Ausnahmen von der generellen Regelung müssten möglich sein . Der Beitritt mache nur für Länder Sinn, die in einem „gewissen handelspolitischen Verwandtschafts- und Ergänzungsverhältnis“ zueinander stünden . Es komme auch sehr auf die Wahl des Stichtags an .38 Wichtiger schien ihm aber, dass der Europagedanke zoll- und handels-, aber auch gesamtpolitisch wieder in Bewegung gebracht werde . In ganz Europa gebe es ein Bedürfnis, die gegenwärtige Stagnation zu überwinden . An diese Beobachtung knüpfte Hamm dann sehr grundsätzliche Betrachtungen, die man als seine Vision von Europa ansehen kann: „An allen Ecken und Enden fühlt man, wie die gegenwärtige Regelung, namentlich in Europa, den Lebensgesetzen dieses Erdteils zuwiderläuft . Der Gedanke ‚Europa‘ ist aus der Erkenntnis der außerordentlichen Minderung der Wirtschaftskraft gegenüber neuen Erdteilen und der Erkenntnis harter Lebensbedingungen und einer engen Schicksalsgemeinschaft zu einer großen Mode geworden . Aber man darf eine gute Sache nicht ablehnen, weil sich ihrer die Mode bemächtigt . Man wird nur noch schärfer und kritischer zusehen müssen, daß das Wesen der Sache nicht darunter leidet . Hier scheint es mit dem Europäismus nicht anders als mit dem Pazifismus zu liegen . Ein Pan-Europa nach den Vorstellungen des Grafen Coudenhove-Calergi, ebenso rationalistisch kühl wie phantasievoll blühend, möchte ich mir persönlich für die Zeit, in die ich sehe, nicht als eine Tatsache, auch nicht als ein Wunschbild vorstellen . Ein Europa aber, dessen Staaten erkannt haben, wie sie aus voller Wahrung ihrer Souveränität sich stärker aneinanderschließen können, um gemeinsam besser das
37
Ebd ., S . 36; zu den Zollfriedensbemühungen vgl . Schulz, Wirtschaftsordnung, S . 193–
198 . 38
Verh ., HA, 28 .11 .1929, S . 37 .
3. Europäische Wirtschaftspolitik? „Zollunion“ und „Zollfrieden“ 249
Beste Europas, nämlich die Kultur ihres eigenen Volkstums mit einem gemeinsamen Grundzug europäischen Denkens und Fühlens aufrechtzuerhalten, scheint mir auch um Deutschlands willen ein großes Ziel .“39
Auf deutscher Seite lagen die Voraussetzungen für einen Erfolg des Projekts relativ günstig . Die Agrarlobby hatte seit dem Juni 1928 in der neuen Regierung der Großen Koalition – ohne DNVP – weniger unmittelbare Blockademöglichkeiten als zuvor, und der wichtigste Vertreter der offiziellen Handelspolitik, Staatssekretär Trendelenburg aus dem Wirtschaftsministerium, hatte sich bereits nach kurzer Zeit als stellvertretender Vorsitzender des Comité Économique erhebliches Ansehen verschafft . Trotzdem formierten sich Widerstände, als der Leiter der Wirtschaftssektion des Völkerbundsekretariats, Sir Arthur Salter, am 4 . Dezember 1929 in Berlin die Lage sondierte . Auch Salter waren die Nöte der deutschen Landwirtschaft bekannt, die ihm vom Präsidenten des Deutschen Landwirtschaftsrates, Ernst Brandes, prompt noch einmal vorgehalten wurden .40 Aber auch Abraham Frowein, Vorstandsmitglied des RDI und des DIHT, Mitglied des Reichswirtschaftsrates und als Nachfolger Mendelssohns 1932/33 Präsident der Internationalen Handelskammer, äußerte sich distanziert . Selbst Paul Silverberg und das Mitglied des Finanzausschusses des Völkerbunds, Carl Melchior, beide Hauptvertreter eines Kooperationskurses in der Handelspolitik, wiesen darauf hin, dass Deutschland gerade aufgrund seiner Reparationsverpflichtungen genötigt sei, seine Exporte mit allen Mitteln zu fördern, und daher eine Bindung seiner Zolltarife nicht akzeptieren könne . Am eindeutigsten für den Zollfrieden sprach sich in dieser Sitzung Eduard Hamm aus . Zwar gehöre Deutschland in der Zollpolitik nicht zu den Starken, doch zwinge der „Druck der wirtschaftlichen Übermacht Amerikas“ dazu, „auch in Europa ein einheitliches Wirtschaftsgebiet zu schaffen“ .41 Reichstag, Reichsrat und Regierung unterstützten an der Jahreswende 1929/30 das Zollfriedensprojekt, und am 14 . Januar 1930 einigte sich der Völkerbundsrat darauf, zum 17 . Februar 1930 eine Zollfriedenskonferenz einzuberufen . Diese blieb allerdings ohne Ergebnis .
Ebd ., S . 34 f . Es muss nicht weiter erläutert werden, wie sehr diese Sätze auch in die aktuelle europapolitische Debatte hineintreffen . Dass die Kooperation heute allerdings nicht mehr bei „voller Wahrung der Souveränität“ zu haben ist, liegt ebenfalls auf der Hand . 40 Zur tatsächlich desaströsen Lage der Landwirtschaft und zu den Radikalisierungen u . a . in der schleswig-holsteinischen „Landvolkbewegung“, die seit Anfang 1928 in regionale Steuerstreiks, Massendemonstrationen und vereinzelte Terrorakte mündeten, vgl . noch immer Stoltenberg, Strömungen, S . 107–204; Gessner, Industrie; zusammenfassend Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 331–342 . 41 Zit . nach Schulz, Deutschland, S . 196 . 39
250 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
Am 9 . April 1930 stellte Hamm vor der Vollversammlung des DIHT resigniert fest, dass das Zollfriedensprojekt fast vollständig in den Hintergrund getreten sei und stattdessen die meisten Länder von einer „neuen Welle von Protektionismus“ erfasst seien .42
4. Wirtschafts- und Raumpolitik: „Mitteleuropa“-Pläne
Den gesamt- oder zumindest kontinentaleuropäischen Ansätzen zu einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit Europas standen schon bald nach der Verkündung der Pariser Vorortverträge von 1919/20 mit den Nachfolgestaaten des Habsburger Reichs Aktivitäten gegenüber, die auf eine stärkere Binnenintegration des südost- und des mitteleuropäischen Raumes abzielten . Der früheste Kristallisationskern solcher Absichten lag zunächst im Anschlussgebot der revolutionären österreichischen Verfassung vom 12 . November 1918, wo es hieß: „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik“ – und in dem Anschlussverbot des Friedens von Saint-Germain 1920 sowie seiner Bekräftigung in den sogenannten „Genfer Protokollen“ vom Oktober 1922 . Innerhalb Europas hatte die Pariser Nachkriegsordnung mit der Zerstörung des Habsburger Reichs und der Etablierung der zahlreichen Nachfolgestaaten eine Fülle neuer Grenzen, Rechtsordnungen und Zölle geschaffen . Um den zu erwartenden Revisionsbestrebungen der territorial beschnittenen Verliererstaaten Deutschland, Österreich und Ungarn von Anfang an entgegenzutreten, hatte die französische Außen- und Außenwirtschaftspolitik das Konzept eines „Cordon Sanitaire“ entwickelt, das sich im Juni 1921 in der „Kleinen Entente“ niederschlug, einem Bündnisvertrag zwischen der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien unter dem Patronat Frankreichs .43 Der Abschluss des Locarno-Vertrags am 16 . Oktober 1925 und der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund am 10 . September 1926 erleichterten es Deutschland jedoch, seine traditionell starken Handelsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs weiter auszubauen, während die seit dem Ruhrkampf notorischen Franc-Krisen Frankreich daran hinderten, seine Einflusszonen in Ostmittel- und Südosteuropa wie beabsichtigt durch intensivierte Wirtschaftsbeziehungen zu festigen .44
Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 38 . Vgl . immer noch den vorzüglichen Überblick über die Neuordnung Europas und das internationale System von Schieder, Europa, S . 126 ff . 44 Krüger, Außenpolitik, S . 269–427; Hildebrand, Reich, S . 503–590; Graml, Stresemann . 42 43
4. Wirtschafts- und Raumpolitik: „Mitteleuropa“-Pläne 251
Unter dem Druck nationaler Selbstbehauptung und Konkurrenz traten im Lauf der 1920er Jahre besonders in den ost- und südosteuropäischen Randstaaten und ihren Beziehungen zu Mittel- und Westeuropa neue wirtschafts- und zollpolitische Konfliktlinien und Kooperationsversuche auf . Das alliierte Anschlussverbot hauchte den an sich abflauenden Anschlussbestrebungen quer durch das österreichische Parteienspektrum neues Leben ein . In Deutschland hatte, wie in den meisten europäischen Staaten mit neuen, nicht den Ethnien folgenden Grenzen, der Volksnationalismus Konjunktur, sodass der großdeutsche Gedanke und die Zukunftsvision eines früher oder später doch noch zu verwirklichenden Anschlusses Österreichs bis in die SPD hinein größte Resonanz fand .45 Zudem brachte die permanente Wirtschaftskrise Österreichs das Thema 1924/25 verstärkt wieder auf die Agenda . Aufgeschreckt durch Berichte des deutschen Botschafters in Prag über Vorbereitungen zu einem österreichisch-tschechischen Handelsvertrag suchten Auswärtiges Amt und Reichswirtschaftsministerium verstärkt den Kontakt zu Österreich und griffen dabei auf das „Mitteleuropa“-Konzept zurück, das der linksliberale Friedrich Naumann im Krieg 1917 entwickelt hatte . Es lief darauf hinaus, eine den gesamten Donauraum und Polen umfassende Wirtschaftsgemeinschaft unter der Führung Deutschlands und Österreichs zu schaffen, wobei der ökonomische Zusammenschluss letztlich auch eine politische Hegemonialstellung Deutschlands (und Österreichs) im ganzen Donauraum einschloss .46 Allerdings gab es auch gegenläufige Tendenzen . 1925 schlug der ungarische Wirtschaftswissenschaftler Elemér Hantos ein Präferenz-Zollsystem zwischen Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien vor, in dem eine wirtschafts- und handelspolitische Patronatsrolle Frankreichs nahe lag . Aus einer solchen „Donauföderation“, wie derartige Staatenkombinationen jetzt genannt wurden, wäre Deutschland ausgeschlossen geblieben . Das entsprach nicht seinem Selbstverständnis als mitteleuropäisch-südosteuropäische Führungsmacht mit starkem Wirtschaftspotenzial und auch nicht seiner aktuellen industrie- und handelspolitischen Interessenlage . 1925 konstituierte sich in Wien zunächst eine Vereinigung namens „Mitteleuropäische Wirtschaftstagung“ unter Anführung von Hantos und den österreichischen Unternehmern und Freihandelsanhängern Julius Meinl und Richard Dalberg, die auf eine „Donauföderation“ zusteuerte . Im Dezember 1926 rief
Vgl . Dann, Nation, S . 275 ff . Zu Naumanns „Mitteleuropa“-Konzept vgl . Schieder, Einleitung; Frölich: Naumanns „Mitteleuropa“; vgl . auch Hardtwig, Naumann; Sundhaussen, Weltwirtschaftskrise; Stegmann, Mitteleuropa; Schröder, Südosteuropapolitik; Höpfner, Südosteuropapolitik .
45 46
252 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
daraufhin der ehemals „freisinnige“ und jetzige DDP-Reichstagsabgeordnete Georg Gothein, der auch Vorsitzender des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ war, eine „Deutsche Gruppe“ des jetzt sogenannten Mitteleuropäischen Wirtschaftstags (MWT) ins Leben, die sogleich auf Konfrontationskurs zu Hantos’ Idee einer Donaukonföderation ging .47 Von Januar bis April 1928 trugen Gothein und Hantos im „Hamburger Fremdenblatt“ eine Kontroverse aus, in der Hantos für eine wirtschaftliche „Annäherung“ Österreichs, Ungarns und der Tschechoslowakei eintrat . Nach der ungünstigen Resonanz auf seine Pläne in Deutschland bestand er jetzt, zumindest rhetorisch, nicht mehr auf einem völligen Ausschluss Deutschlands . Gothein dagegen attackierte die Idee einer Donaukonföderation mit scharfen Worten als Angriff auf die deutsche Wirtschaft und bezeichnete sie auch als nicht lebensfähig .48 Die im DIHT organisierten deutschen Unternehmen standen dem Thema mit lebhaftem Interesse gegenüber – was sich schon daran ablesen lässt, dass die von Hamm herausgegebene „Deutsche Wirtschafts-Zeitung“ die Debatte kurz nach ihrer Erstpublikation nachdruckte . Der Grund dafür ist einfach: Die Fertigwarenausfuhr Deutschlands nahm seit 1925 kontinuierlich zu, stärker als die der anderen europäischen Industriestaaten . Seit dem Anwachsen des Protektionismus in den USA und in Großbritannien schob sich, besonders ab 1929, Europa als Absatzraum in den Vordergrund, wobei sich auch der Export von Fertigwaren in die Agrarstaaten Südosteuropas kontinuierlich steigerte .49 Die deutsche Schwerindustrie zeigte zu diesem Zeitpunkt noch kein allzu großes Interesse am MWT . Hamm dagegen erklärte für den DIHT bereits am 22 . Februar 1927 die „Mitwirkung hierzu bereiter Männer der Wirtschaft“ für „zweckmäßig“, damit „in der Gesamtheit des MWT der deutsche Standpunkt in Einklang mit den Arbeiten der allgemeinen Interessenvertretung in der Wirtschaft und auch der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer vertreten“ werden könne .50 Seit Anfang 1927 traten der Deutschen Gruppe des MWT zahlreiche Kammer-Präsidenten und Funktionäre des DIHT bei, angeführt von einem der engsten Mitarbeiter Hamms, Robert Siegert .51 Ziel dieser Aktivitäten war es – übrigens ausdrücklich in Übereinstimmung mit den Arbeiten der Internationalen Handelskammer –,
Vgl . Freytag, Drang, S . 22–39; Frommelt, Paneuropa, S . 23–72 . Vgl . Freytag, Drang, S . 32 ff . 49 Vgl . Doering, Außenhandelsverflechtung, S . 515 f, 518 f . Für die deutsche Handelsbilanz war dieser Handel im Vergleich zu den Vorkriegsjahren ein deutlicher Aktivposten geworden; vgl . auch Rosengarten, Internationale Handelskammer, S . 94 f . 50 Eduard Hamm an die Mitglieder des MWT/Deutsche Arbeitsgemeinschaft, zit . nach Freytag, Drang, S . 37, zit . auch bei Frommelt, Paneuropa, S . 68, Anm . 101 . 51 Vgl . Frommelt, Paneuropa, S . 68 . 47 48
4. Wirtschafts- und Raumpolitik: „Mitteleuropa“-Pläne 253
Handelshemmnisse im Donauraum abzubauen . Dabei fielen nun allerdings die Interessen und Zielsetzungen von Schwer- und Exportindustrie sichtbar auseinander . Hamm und Siegert widersetzten sich den jetzt einsetzenden Versuchen der Schwerindustrie, ihre speziellen südosteuropäischen Interessen durchzusetzen . Schauplatz dieser Auseinandersetzung war am 30 . Oktober 1927 die Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft (DÖAG) . Hamm gehörte der DÖAG an, die sich für ein deutsch-österreichisch geführtes „Mitteleuropa“ Naumann’scher Prägung einsetzte . Ihr Vorsitzender war zunächst der Münchner Staatswissenschaftler und Schriftsteller Gerhard Freiherr von Branca und anschließend bis zum erzwungenen Ende des Vereins nach dem tatsächlich erreichten „Anschluss“ 1938 Otto Gessler .52 Es waren nicht nur Wirtschaftsinteressen, die das Augenmerk von Unternehmern und Verbandsfunktionären auf den Balkan- und Donauraum lenkten; auch die offizielle Außenpolitik beschäftigte sich seit 1924 angesichts von BalkanSpannungen herkömmlich-machtpolitischer Art wieder intensiver mit dem südöstlichen Raum .53 Stresemann hielt Abstand zu den „Mitteleuropa“-Projekten, unterstützte aber diskret den MWT und die DÖAG mit bescheidenen finanziellen Mitteln . Die offizielle Zurückhaltung bedeutete nicht, dass der grundsätzliche Revisionsanspruch im Osten, besonders gegenüber Polen, aufgegeben worden wäre . Praktisch konnte eine Aktivierung der Revisionsabsichten vor allem über Konzepte zur Verstärkung der Zusammenarbeit in „Mitteleuropa“ laufen . Ungeachtet des Primats der Westpolitik und des sehr vorsichtigen Agierens Richtung Südosteuropa zeichnete sich seit Februar 1928 in der Politik des Auswärtigen Amtes ein entschiedeneres Interesse an diesem „Mitteleuropa“ ab . Der deutsche Botschafter in Rumänien, Gerhard von Mutius, ein Cousin des ehemaligen Reichskanzlers von Bethmann-Hollweg, verwies in einer Denkschrift an das Auswärtige Amt darauf, dass sich nach der AuflöZu den Zielen der DÖAG, jetzt schon stark unter dem Eindruck der außenpolitischen Erfolge Hitler-Deutschlands und in der Sprache und Diktion der 1930er Jahre vgl . Gessler, Volk; zur Bedeutung des Auslandsdeutschtums im Denken und politischen Handeln des nationalistischen Linksliberalismus in der Weimarer Republik vgl . Heß, Deutschland . Anfang 1926 bat der Vorstand der DÖAG auch Theodor Heuss in das Präsidium . Der lehnte jedoch ab, weil er gleichzeitig zum 1 . Stellvertretenden Vorsitzenden des „Bundes der Auslandsdeutschen“ gewählt worden war, der seit 1919 die Interessen der im Ausland lebenden Deutschen vertrat; vgl . Heuss, Briefe 1918–1933, Dok . 102, S . 262 f, Anm . 2, 3, 4, 5 . Heuss war auch Vorstandsmitglied des Deutsch-Österreichischen Volksbundes in Berlin, der ebenfalls auf den Anschluss hinarbeitete . Zur Mitgliedschaft zahlreicher weitere DDP-Politiker vgl . Schneider, Deutsche Demokratische Partei, S . 205; zur Massenbewegung der „Volkstumsarbeit“ und ihrer Vereine seit 1919 vgl . Dann, Nation, S . 277 f . 53 Vgl . Krüger, Außenpolitik, S . 376–406 . 52
254 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
sung Österreich-Ungarns und nach der deutsch-sowjetischen Annäherung in Rapallo „im Südosten ein von Deutschland geistig und wirtschaftlich beherrschter Raum“ herausbilde, „den man Mitteleuropa nennen könnte“ . Hier lägen „Kolonisationsgebiete vor unseren Toren“, hier böten sich „Aufgaben und Ziele für das im Reich zusammengefaßte Deutschtum, die umso sicherer erreichbar sein werden, je weniger eine laute Publizistik und Politik sich ihrer ermächtigt, je mehr sie nur als Richtungspunkte einer sozusagen unpolitischen Politik wirtschaftlicher und geistiger Expansion nach Südosten sich darstellen“ .54 Im April 1929 entschied sich auch Stresemann selbst für ein aktiveres Vorgehen in der „Mitteleuropa“-Frage . Er unterstützte die Deutsche Gruppe des MWT bei dem Plan, ihre nächste Tagung in Breslau abzuhalten, womit der MWT kurz vor dem Tod Stresemanns im Oktober 1929 in eine Schlüsselstellung für die in diesem Punkt nunmehr stärker konvergierenden Interessen in Wirtschaft und Außenpolitik rückte . Es ist also festzuhalten, dass die deutsche Außenpolitik in „Mitteleuropa“ noch in den letzten Monaten Stresemanns und auch noch vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine gewisse Schwerpunktverlagerung hin zum südost- und osteuropäischen Raum vorgenommen hatte .55
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion
Der Nachfolger Stresemanns, Curtius, forcierte nun sogleich nach seinem Amtsantritt im Oktober 1929 das Projekt einer „Deutsch-Österreichischen Zollunion“ . Dabei kam ihm entgegen, dass der neue Reichskanzler Brüning ab Frühjahr 1930 jede deutsch-französische Annäherung vor einer Gesamtrevision der Versailler Reparationsverpflichtungen ablehnte und die deutschösterreichischen Zollunionspläne des Auswärtigen Amtes wohlwollend duldete .56 Das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt gilt heute durchweg als „Sündenfall“ der deutschen Außenpolitik, mit dem das Erbe Stresemanns „mit einem Schlag verspielt“ worden sei .57 Tatsächlich steht es in Inhalt und Methode für einen Schwerpunktwechsel, obgleich es auf den ersten Blick nur um ein Zollabkommen zu gehen schien . In den Augen seiner deutschen Be-
Mutius an AA, 14 .2 .1928, zit . nach Frommelt, Paneuropa, S . 70 . Vgl . dazu Frommelt, Paneuropa, S . 70 ff; Krüger, Außenpolitik S . 366 ff . 56 Vgl . Hömig, Brüning, S . 284–313; Rödder, Stresemanns Erbe; vgl . auch Niedhardt, Außenminister . 57 Krüger, Außenpolitik, S . 531 f, vgl . auch ebd ., S . 523–552; dieses Urteil übernimmt Hildebrand, Reich, S . 613; vgl . zum Ganzen ebd ., S . 591–620; Tooze spricht von einer „milde gesagt, hochriskanten Strategie“; Tooze, Sintflut, S . 616 . 54 55
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 255
treiber stellte es den Ausgangspunkt für weiter ausholende Planungen dar, den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland doch noch herbeizuführen und von dieser Basis aus eine „deutsche Großmachtstellung im Donauraum“ aufzubauen .58 Durch die ost- und südosteuropäische Agrarkrise genötigt, würden sich – so die weitreichende Vision des neuen starken Manns im Auswärtigen Amt, des Staatssekretärs Bernhard von Bülow – Rumänien und Jugoslawien, darüber hinaus aber auch die Tschechoslowakei und sogar Polen der Anziehungskraft des großen mitteleuropäischen Absatzmarktes nicht entziehen können . Infolge des Zollabbaus und der Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen müssten diese Staaten Deutschland schließlich auch eine politische Hegemonialstellung einräumen . Die Handels- und Wirtschaftspolitik sollte es mithin ermöglichen, wirtschaftlich, politisch und auch militärisch den Sicherheitskordon zu sprengen, den Frankreich an den südöstlichen Grenzen Österreichs und Deutschlands durch Verträge mit den Nachfolgestaaten aufzubauen versucht hatte . Dadurch könnte – so die Hoffnung Bülows – in langer Sicht vielleicht sogar das wirtschaftlich bedrängte Polen zur Revision seiner Westgrenze gebracht und damit auch die machtpolitische Position Deutschlands in Europa insgesamt gestärkt werden . Weil es sich indes vordergründig um ein rein wirtschafts- und zollpolitisches Projekt handelte, waren sowohl der RDI wie der DIHT als Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in das Projekt involviert und zu einer Stellungnahme aufgefordert . Da das Projekt einer aktuellen Forschungsmeinung zufolge den „ungeteilten Beifall der deutschen Industrie“ fand, steht diese im Verdacht, bei der Trendwende weg von den Prinzipien Stresemanns hin zu einem riskanten Revisionismus eine wesentliche, wenn nicht sogar maßgebliche Rolle gespielt zu haben .59 Inwieweit trifft diese Vermutung auf den DIHT und speziell auf Eduard Hamm zu? Zwei Gesichtspunkte sollten bei der Bewertung des deutsch-österreichischen Zollprojekts nicht außer Acht gelassen werden: das Denkmuster der wirtschaftlichen „Großraumbildung“ und die verschärfte politische Konfrontation vor allem Frankreichs, aber auch anderer europäischer Staaten, mit den USA . Das Argumentieren mit den wirtschaftlichen Großräumen hatte sich international seit der Mitte der 1920er Jahre herausgebildet und entwickelte im deutschen Diskurs seit 1929 große Dynamik .60 Bei Eduard Hamm zeichnet sich die Relevanz dieser Denkfigur seit 1925 klar ab . Das Erwachen der überKrüger, Außenpolitik, S . 531 . Hildebrand, Reich, S . 618 . 60 In der Forschung wird der „Großraum“ immer nur unter dem Vorzeichen des nationalsozialistischen „Großraum“-Denkens gesehen, was dazu führt, dass die Rede vom „Großraum“ in Deutschland zwischen 1925 und 1932 seines eigentlichen handelspolitischen Kontextes beraubt wird; vgl . z . B . Milward, Handel, S . 473 ff; Rosengarten, Internationale Handelskam58 59
256 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
seeischen Völker marginalisiere Europa in der Welt . Man müsse daher lernen, in den „neuen Größenbegriffen des 20 . Jahrhunderts“ zu denken .61 Solche Hinweise tauchten nun regelmäßig in seinen Reden auf . Gefördert wurde das Sprechen von den „großen“ oder „größeren Wirtschaftsräumen“62 durch Briands Rede auf der Völkerbundsversammlung am 5 . September 1929 in Genf sowie durch sein nachgeschobenes Memorandum „An die Völker Europas“ vom 15 . Mai 1930, das einen stärkeren Zusammenschluss der europäischen Staaten forderte . Ähnlich wie im Deutschen Auswärtigen Amt mit der Wendung zu „Mitteleuropa“ hatte sich auch bei Briand der Schwerpunkt des Denkens verschoben, in seinem Fall weg von der deutsch-französischen Aussöhnung hin zu einem Europaplan, der die neue Wendung Frankreichs gegen die USA unterstützen sollte .63 Darin kristallisierte sich eine neuartige Zuspitzung der Außenwirtschaftspolitiken der Siegerstaaten Frankreich, USA, Großbritannien, aber eben auch Deutschlands heraus, die ihre weltwirtschaftliche und auch ihre machtpolitische Konkurrenzsituation zu verbessern suchten . Den Ausgangspunkt für diese Neuorientierung sucht man am besten bei der ökonomisch-finanziellen Lage Frankreichs seit der Mitte der zwanziger Jahre . Frankreich musste nach dreijährigen Verhandlungen und heftigen inneren Auseinandersetzungen Mitte 1929 dem kompromisslosen Mellon-BérangerAbkommen zustimmen, das Frankreich dazu verpflichtete, seine Kriegsschulden bei den USA über die Dauer von 62 Jahren zu tilgen . Zudem bereiteten die USA seit 1928 den Smoot-Hawley-Tarif vor, der 1931 verabschiedet wurde und eine neuerliche Steigerung des amerikanischen Protektionismus bis hin zu einer über fünfzigprozentigen Schutzzollblockade brachte . Ähnlich kompromisslos wie gegenüber Frankreich setzten die USA ihr Interesse an der vollständigen Rückzahlung der Kriegsschulden gegenüber Großbritannien durch . Gerade angelsächsische Forscher haben zuletzt die massive Mitverantwortung der USA für die Verschärfung der allgemeinen Schulden- und Handelskrise seit dem Ende der 1920er Jahre betont: ihre massive Exportoffensive bei gleichzeitigem Hochziehen der Importzölle und dem kompromisslosen Einfordern der britischen und französischen Kriegsschulden .64
mer, S . 94 f . Die Begriffsschöpfung „Wirtschaftsraum“ wird in das Jahr 1926 datiert; Frommelt, Paneuropa, S . 25 . 61 Verh ., VV, 29 .4 .1925, S . 5, 6, 20 f, Zitat S . 5 . 62 Vgl . u . a . Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 68 ff, 78 . 63 Dieser Zusammenhang bleibt unberücksichtigt bei Hildebrand, Reich, S . 576–590; unterbelichtet auch bei Krüger, Außenpolitik, S . 489–492; vgl . Wurm, Frankreich . 64 Tooze, Ökonomie, S . 34 f; Ders ., Sintflut, S . 612 f; Eichengreen, Crashs, S . 149–152; zuvor auch schon, wenn auch weniger eindeutig Kindleberger, Weltwirtschaftskrise, S . 137–141; zusammenfassend Möller, Europa, S . 84–90 .
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 257
Die USA provozierten damit nolens volens Überlegungen der europäischen Staaten, ihre Märkte stärker vor US-Importen zu schützen und ihrerseits Druck auf den amerikanischen Protektionismus auszuüben . In Frankreich wurden gleichzeitig Befürchtungen laut, dass die deutsche Wirtschaft gerade mit Hilfe US-amerikanischer Kredite in den Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches expandieren und so die französische Containmentpolitik gegenüber Deutschland unterlaufen könne .65 Am Rande einer Völkerbundstagung in Madrid 1929 schlug Briand daher eine innereuropäische Einigung vor, „um sich vor der amerikanischen Übermacht zu schützen“ – und auch den europäischen Frieden zu stabilisieren .66 Stresemanns Außenpolitik war allerdings wegen des deutschen Kreditbedarfs und der Abhängigkeit von den USA in der Reparationenfrage ganz auf ein gutes Verhältnis zu den USA angelegt, sodass er allen Initiativen mit antiamerikanischer Stoßrichtung skeptisch gegenübertrat .67 In diesem Kontext müssen auch Hamms leise ironischen Bemerkungen über die Substanzlosigkeit der Briand’schen Vorschläge gesehen werden . Hamm beklagte, dass Briand auf die in den Gremien des Völkerbunds konkret bearbeiteten Fragen gar nicht eingegangen sei, und registrierte die tatsächlich weithin kühle Reaktion auf den Briand-Plan in der internationalen Wirtschaft und Politik . Hinzu kam aus deutscher Sicht, dass der Briand-Plan zwar stark ökonomisch argumentierte und appellierte, dass er aber schließlich doch das sicherheitspolitische Interesse Frankreichs gegenüber Deutschland deutlicher durchscheinen ließ, als konkrete Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Verflechtung Europas aufzuzeigen . Auch der westorientierte und verständigungswillige Staatssekretär Carl von Schubert im Auswärtigen Amt hielt die politische Komponente des Briand-Plans für verfrüht .68 Dem entspricht die von Hamm vor dem DIHT gewählte Formulierung, für Deutschland könne
Vgl . Krüger, Außenpolitik, S . 443–457, 505–523; Frommelt, Paneuropa, S . 73–78 . Zit . nach Frommelt, Paneuropa, S . 75 . 67 Die These, dass Stresemann auch schon frühzeitig auf die Abhängigkeit des Gläubigers von der Leistungsfähigkeit des Schuldners setzte, zuletzt bei Tooze, Ökonomie, S . 21 ff . 68 Krüger, Außenpolitik, S . 525; Hildebrand, Reich, S . 584 ff; Mai, Europa, S . 226 . Ganz in diesem Sinn urteilte auch Clemens Lammers in einer Rede vor der Mitgliederversammlung der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer über die Arbeiten im Völkerbund und in der Internationalen Handelskammer zur zwischenstaatlichen Kartellbildung am 17 .5 .1930: So bereitwillig er „im Rahmen des Völkerbundes“ mitarbeite, so sei dort doch das für eine gedeihliche Arbeit notwendige „Gleichgewicht der Kräfte“ nicht gegeben, und selbst das offensichtlich nach „Neutralität“ strebende Sekretariat des Völkerbundes könne sich den politischen Machtinteressen oft nicht entziehen; Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 27, Nr . 27, 3 .7 .1930, S . 622 . 65 66
258 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
nur ein Plan in Betracht kommen, der „rein wirtschaftlich, ohne politische konservativ-hegemoniale Absichten“ gedacht sei – womit selbstverständlich nur Frankreich gemeint war . Der DIHT und Hamm lagen mit ihrer Kritik am Briand-Plan ganz auf der außenpolitischen Linie der neuen Regierung Brüning/Curtius, die den Plan schroff ablehnte, auch wenn Hamm seine Kritik wie üblich öffentlich recht zurückhaltend vortrug .69 Und dass die zunächst von der Internationalen Handelskammer, dem DIHT und speziell Eduard Hamm mit beträchtlichen Hoffnungen begleitete Genfer Zollfriedenskonferenz im Frühjahr 1930 ohne Ergebnis blieb, verstärkte nun auch bei den gemäßigten wirtschaftspolitischen Akteuren in Deutschland die Bereitschaft, der „Mitteleuropa“-Politik mehr Gewicht als bislang beizumessen . Für manche von ihnen wuchs daher die Südosteuropapolitik im Lauf des Jahres 1930 zu einer vermeintlich tragfähigen Alternative zur Westpolitik heran . Der Anstoß zur Aktualisierung der deutsch-österreichischen Anschlusspolitik, zunächst in Gestalt eines deutsch-österreichischen Zollvertrags, kam von dem wirtschaftlich bedrohten, politisch labilen und seit Sommer 1929 rasch in den Strudel der Weltwirtschaftskrise hineingezogenen österreichischen Nachbarn . Der österreichische Bundeskanzler Johann Schober brachte bei seinem Berlin-Besuch vom 22 . bis 24 . Februar 1930 – für Deutschland zunächst unerwartet – das Projekt der deutsch-österreichischen Zollunion aufs Tapet . Der zuständige Ministerialdirektor Ritter wurde davon völlig überrascht, Schubert blieb ausdrücklich bei seiner von jeher gehegten Ablehnung, aber Curtius und Bülow trieben den Plan jetzt im Auswärtigen Amt voran, wenn auch zunächst sehr diskret . Als der neue Reichswirtschaftsminister und Vizekanzler Hermann Dietrich von der Deutschen Staatspartei, also ein Parteifreund Hamms, am 9 . April 1930 vor der 50 . Vollversammlung des DIHT seine Antrittsrede hielt, sprach er ausführlich über die steigenden deutschen Exporte nach Österreich und in die Tschechoslowakei sowie über den bereits abgeschlossenen, aber noch nicht ratifizierten (und tatsächlich auch nicht mehr rechtsgültig gewordenen) deutsch-polnischen Handelsvertrag, der den voraufgehenden fünfjährigen Handelskrieg zwischen beiden Staaten beenden sollte . Nach einer tour d’horizon über Deutschlands Position im Welthandel zog er am Ende den Schluss, „daß bei allem Willen, unsere Beziehungen zur Gesamtweltwirtschaft aufrecht zu erhalten, die Ordnung unserer Beziehungen zu den ost- und südosteuropäischen Staaten eine vordringliche und vielleicht die wichtigste Aufgabe der deutschen Wirtschafts- und Handelspolitik
Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 70; vgl . Blessing, Frieden; AdR, Brüning, Bd . 1, Dok . 68; bei Krüger, Außenpolitik, S . 526 ff, eine vorzügliche Zusammenfassung der Gründe für das Scheitern Briands .
69
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 259
ist“ .70 Ungeachtet der Schwerpunktsetzung bei Südost- und Osteuropa hielt sich die Rede frei von jeder Spitze gegen die westlichen Siegerstaaten, und von speziellen deutsch-österreichischen Verhandlungen war nicht die Rede . Schärfer trat eine solche Alternative dagegen in den Aktivitäten des Reichslandbundes hervor, der am 23 . September 1930 einen Forderungskatalog vorlegte, der zwar keine Präferenz für die „Mitteleuropa“-Politik erkennen ließ, wohl aber in Gestalt radikaler Zollforderungen eine mehr oder weniger vollständige Abschließung gegenüber den Westmächten verlangte . Deutschland solle gegenüber dem Ausland abgedichtet und die deutsche Landwirtschaft vom Weltmarkt abgeschlossen werden . Alle Handelsverträge mit der angeblich unerträglichen Öffnung für die Einfuhr ausländischer Agrarerzeugnisse, wie sie in den Handelsverträgen mit Italien, Spanien, Frankreich, der Schweiz, Belgien und Jugoslawien enthalten seien, sollten sofort gekündigt werden . In einer Rede vor dem Hauptausschuss des DIHT am 9 . Oktober 1930 kritisierte Hamm diese Forderungen ungewöhnlich scharf: Sie bedeuteten „nichts anderes als die Zerstörung aller der Verträge, auf denen die deutsche Ausfuhrentwicklung sich wesentlich mit aufbaute, eine völlige grundsätzliche Wandlung zu voller landwirtschaftlicher Preisautonomie“; eine solche Politik sei „doch allzu primitiv; sie würde der Landwirtschaft nichts nützen, die Volkwirtschaft aber aufs schwerste schädigen .71 Im Herbst 1930 verteidigte Hamm für den DIHT das bisherige System der Handelsverträge gegen die Angriffe der Agrarier und damit auch das Prinzip der Meistbegünstigung und eines pragmatisch gehandhabten Freihandels . Gleichwohl befürwortete er aber eine aktivere Handels- und Zollpolitik in Südosteuropa .72 Sein Gedankengang nahm das Argument von den größeren Wirtschaftsräumen auf: „Je mehr in anderen Erdteilen große Wirtschaftsgebiete sich zusammen schließen, desto mehr muß auch Europa und besonders
Hermann Dietrich: Zur deutschen Wirtschaftspolitik . Rede, gehalten auf der 50 . Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstags am 9 . April 1930, in: Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 27, Nr . 17, 24 .4 .1930, S . 377–379 . Zu Hermann Dietrich die knappe Biographie von von Saldern, Dietrich . 71 Vgl . u . a . Grübler, Spitzenverbände, S . 250 f; Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 60, 62 f . 72 Ebd ., S . 70–79; für diese Sitzung lag dem Ausschuss auch ein umfangreiches Exposé „Zur Handelspolitik mit Südosteuropa“ als Arbeitspapier vor; hierzu und zum Folgenden vgl . die genaue Analyse bei Grübler, Spitzenverbände, S . 291–300; vgl . auch Schröder, Südosteuropapolitik, S . 34 . Karl Ritter unterstrich im November 1930, dass die deutsche Diplomatie „unter keinen Umständen“ auf eine aktive Handelspolitik verzichten könne, weil nach dem „Verlust unserer militärischen Macht in der Handelspolitik wegen der Größe des deutschen Marktes das einzig wirksame Machtmittel liegt, das uns für die politische Gestaltung zur Verfügung steht“; Entwurf AA vom 24 .11 .1930, nach ebd . 70
260 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
Mitteleuropa an eine Stärkung seiner Kräfte denken“ .73 Im Kreis der Internationalen Handelskammer sei gerade von Amerikanern zu hören, dass sich endlich auch die europäischen Länder ähnlich den Vereinigten Staaten von Amerika zu den Vereinigten Staaten von Europa vereinigen sollten . Da „aus offen liegenden Gründen politischer, geschichtlicher, kultureller Art eine solche Vereinigung der europäischen Staaten zu einem föderativen Staatsgebilde offenbar unmöglich ist, so sollte doch ein engerer Anschluß aufeinander angewiesener Länder zu agrarisch-industriellem Austausch als ein bescheidenes Teilstück […] nicht erschwert werden“ . Heute könne es sich nur darum handeln, sich „auf dem Boden voller nationaler und wirtschaftlicher Gleichberechtigung der Beteiligten“ zum Nutzen aller zusammenzuschließen . Wenn sich dabei die Stellung Deutschlands auf einem nahe gelegenen und expansionsfähigen Markt verbessere, so sei dies „gewiß nicht zum Schaden dieser Länder“, denn der Aufbau autarker Industrien würde sie „viel Lehrgeld kosten“ und viel Kapital verschleudern .74 Völkerrechtlich vereinbar mit dem Meistbegünstigungsprinzip war – so das Argument – eine Zollunion Österreichs mit dem Reich . Hamm war demnach bereit, zugunsten einer aktiveren Handelspolitik in Richtung Südosteuropa mit regionalen Zollpräferenzen das Meistbegünstigungsprinzip partiell preiszugeben . Die Frage sei, wie ein Ausgleich zu finden sein könne zwischen „dem Bedürfnis nach Aufrechterhaltung der Meistbegünstigung“ und nach „bevorzugten Austauschverhältnissen im näheren Kreise einander agrarisch-industriell ergänzender Länder in der Mitte und im Süden Europas“ .75 Es ging also darum, innerhalb eines von Zollgrenzen befreiten umfassenden Weltmarktes regionen- bzw . länderübergreifende Zollsysteme aufrechtzuerhalten oder – wie im Falle Deutschlands und der ost- und mitteleuropäischen Volkswirtschaften – neu zu schaffen, die aufgrund einander ergänzender Strukturen der Produktion und des Handels dazu besonders geeignet seien . Die aus dieser Position folgenden, von Hamm unterschriebenen DIHT-„Leitsätze zur Handelspolitik“ stellten die „grundsätzliche Beibehaltung der Meistbegünstigung
Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 78 . Ebd . 75 Ebd ., S . 76 . Weiter heißt es dort: Dass in Genf die britischen Dominions und Japan Einspruch gegen eine solche Beeinträchtigung der Meistbegünstigung erhoben hätten, könne das letzte Wort nicht sein . Japan und die Länder an der Peripherie des Empire erscheinen hier als unbedingte Verfechter der Globalisierung, um ihre Waren auf dem gesamteuropäischen Markt ungehindert anbieten zu können, während „einander nahestehende Staatengruppen“ in Europa schon seit langem bestehende Zollpräferenzen verteidigten, so etwa die skandinavischen Länder untereinander, Spanien und Portugal und die baltischen Staaten untereinander und mit Russland . 73 74
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 261
nicht in Frage“ – eine vornehme Umschreibung der Tatsache, dass man im Zuge der Europapolitik von ihr abzuweichen bereit war .76 Hamm war sich der außenpolitischen Dimension einer deutsch-österreichischen Zollunion wohl bewusst, obgleich er sie mit der Behauptung herunterzuspielen suchte, es gehe hier um eine rein wirtschaftliche Frage .77 Tatsächlich war es auch die außenwirtschaftliche und nicht die politische Situation, welche die Spitzenverbände in der Frage der „Mitteleuropa“-Politik seit dem Frühjahr 1930 aktiviert hatte . Zu den Veränderungen in den euroatlantischen Beziehungen kam die allmählich vordringende Einsicht, dass es sich bei der aktuellen Wirtschaftskrise um mehr handelte als nur um einen besonders tiefen Konjunktureinbruch . Angesichts der zahlreichen zollpolitischen Aktivitäten zwischen den Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches im Verlauf des Jahres 1930 ging im RDI wie im DIHT die Sorge um, dass Deutschland ganz aus den geplanten Vereinbarungen über Zollverbesserungen ausgeschlossen werden könne, oder dass – selbst wenn Deutschland teilnähme – das bestehende Handelsvertragssystem auf der Grundlage der Meistbegünstigung ins Wanken käme .78 Hamm insistierte an der Jahreswende 1930/31 auf der Beibehaltung der Meistbegünstigung . Aber die deutsche Handelspolitik müsse sich Österreich und „den angrenzenden Gebieten des großen Donauraumes“ zuwenden, da Fortschritte beim Zollabbau mit den westlichen Ländern von diesen blockiert würden .79 Das führte zu ausführlichen und kontroversen Debatten im RDI und zu einem plötzlich verstärkten Interesse der Schwerindus-
Grübler, Spitzenverbände, S . 293 . Hamm formulierte für die Öffentlichkeit sehr viel verhaltener als dies der Vizepräsident des DIHT, Bernhard Grund, in der Debatte im Außenhandelsausschuss getan hatte: „Wir werden damit zu rechnen haben, daß wir uns Märkte in Ost- und Südosteuropa eröffnen müssen, und wir werden nicht daran vorübergehen können, ihnen auch die entsprechenden Gegenleistungen durch Aufnahme der dortigen Agrarausfuhr zu gewähren und sie vielleicht an die Stelle der amerikanischen Weizeneinfuhr zu setzen“; zit . nach ebd . 77 Vgl . Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 75 . Die umfangreiche Argumentation bezieht sich ausschließlich – wenn man von dem Hinweis auf die größeren Räume absieht – auf Fragen von Export und Import, Landwirtschaft und Industrie, Meistbegünstigung oder Vorzugszölle . 78 Einer der stellvertretenden Vorsitzenden des RDI, Hans Kraemer, lehnte es in einer 1930 publizierten Bilanz zum Stand der Diskussionen im Völkerbund über die von den nichtdeutschen, mittel- und südeuropäischen Staaten beantragte Zollvorzugsbehandlung für ihre Agrarprodukte noch ausdrücklich ab, das Prinzip der unbedingten Meistbegünstigung zu gefährden, da man in der ganzen Nachkriegszeit damit gute Erfahrung gemacht habe; vgl . Doering, Außenhandelsverflechtung, S . 516 f . 79 Eduard Hamm: Zur Jahreswende, in: Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 28, Nr . 1 ., 2 .1 .1931, S . 1–3 . Behindert werden könne dieses Ziel vielfach, „allerdings nicht im Namen eines allgemeinen Interesses Europas“ oder der Weltwirtschaft . 76
262 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
trie am MWT . „Ruhrlade“ und Langnam-Verein versuchten, die personelle Vertretung der Schwerindustrie in der Deutschen Gruppe des MWT zu verstärken und damit den Stimmen in der Österreichischen Gruppe des MWT entgegenzutreten, die Deutschlands Einfluss auf den südosteuropäischen Markt kleinhalten wollten . Max Schlenker als Geschäftsführer der VDAV und Sprachrohr von Paul Reusch äußerte die Befürchtung, dass Deutschland eines seiner „zukunftsreichsten Absatzgebiete“ verlieren werde, wenn es sich nicht bald in die Bemühungen um einen „mitteleuropäischen Großwirtschaftsraum“ einschalte .80 Den Akteuren im Auswärtigen Amt war die politische Sprengkraft eines bilateralen Zollvertrags mit Präferenzzöllen zwischen den Verliererstaaten des Weltkriegs mit der Perspektive zum Einschluss der Donaustaaten zu einem weiträumigen gemeinsamen Wirtschaftsraum sehr bewusst, weniger aber die währungspolitische Sprengkraft .81 Sie hielten die Verhandlung mit Österreich streng geheim und schlossen auch den Vorvertrag im Geheimen ab . Was die mutmaßliche Zustimmung für eine solche Überraschungspolitik in Deutschland anging, so konnten sich Curtius, Bülow und wohl auch Brüning, der sich dem Projekt mehr anschloss, als dass er es selbst betrieben hätte, auf die bei allen Verantwortlichen gemeinsame Ansicht stützen, dass die Regierung nach dem Scheitern der Völkerbundsinitiativen und im Sog der Weltwirtschaftskrise jetzt außenwirtschaftspolitisch in irgendeiner Weise aktiv werden müsse . Darüber hinaus mag Staatssekretär Bülow tatsächlich gehofft haben, dass die deutsch-österreichische „Mitteleuropa“-Initiative neuen Schwung auch in die Westpolitik bringen würde .82 Als dann die Presse am 21 . März 1931 vorzeitig den Vorvertrag bekannt machte, war die internationale, besonders natürlich die französische Reaktion scharf ablehnend . Dass die Deutschen das Projekt im Sinne des Briand-Plans als Schritt zu einer kontinentalen Wirtschaftseinheit darstellten, musste die Franzosen zusätzlich erzürnen .83 Da die Spitzenverbände gerade in diesen Tagen ihre routinemäßigen Frühjahrs-Hauptsitzungen abhielten, sahen sie sich von einem Tag auf den anderen genötigt, zu dem auch ihnen vorher nicht bekannt gewordenen Vorvertrag Stellung zu nehmen . Am leichtesten taten sich die Agrarier . Sie trugen
Zit . nach Grübler, Spitzenverbände, S . 295 . Laut Tooze bewirkte das Bekanntwerden der „bis Frühjahr 1931 geheim gehaltene Initiative […] den ersten großen Erdrutsch der Weltwirtschaftskrise“; Tooze, Sintflut, S . 615 . 82 Krüger, Außenpolitik, S . 532 . 83 Ebd ., S . 533 . Tatsächlich hatte Bülow im Januar 1931 davon gesprochen, man müsse der Angelegenheit ein „paneuropäisches Mäntelchen“ umhängen . Es wäre aber verfehlt anzunehmen, dass Bülow mit der zynischen Bemerkung die Denkgewohnheiten der außenpolitischen Profis in Europa verlassen hatte; ebd . 80 81
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 263
ihre ohnehin großen Bedenken bereits am 23 . März 1931 in einem Offenen Brief an Reichskanzler Brüning vor und lehnten damit de facto das Projekt ab . Am 24 . März erklärte die Geschäftsführung des RDI trotz der nicht einheitlichen Meinung im Verband den Vorvertrag zu einem bedeutsamen ersten Schritt zu einer Neuordnung der europäischen Wirtschaftsverhältnisse . Und als am 25 . März Eduard Hamm seine übliche Rede vor der Vollversammlung des DIHT zur Handelspolitik zu halten hatte, erwähnte er den Vertrag selbst nur ganz beiläufig im Kontext der handelspolitischen Probleme der südosteuropäischen Staaten . Die politische Dimension des Ganzen ließ sich freilich bei einem engagierten Großdeutschen wie Hamm nicht ganz ausklammern . Man brauche nicht erst nach politischen Zielsetzungen zu suchen, um eine „Zolleinheit zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche als verständig und notwendig zu begreifen . Unmittelbarstes wirtschaftliches Bedürfnis“ dränge die beiden Staaten dazu . Die deutschen und österreichischen Handelskammern seien im Lauf einer bereits fünfjährigen Zusammenarbeit zu der Erkenntnis gekommen, dass eine solche „handelspolitische Annäherung“ sinnvoll sei, daher könne die Zollunion ihrer „bejahenden Aufnahme sicher“ sein . Was die Erweiterungsperspektive in die Donauländer anging, so begnügte sich Hamm mit dem gleichwohl eindeutigen Satz: „Es ist gewiß nicht Deutschlands Wille, es bei dem Zusammenschluß mit Österreich bewenden zu lassen . Nichts könnte uns erwünschter sein, als die Erweiterung des Kreises .“ Die Zustimmung des DIHT, von Hamm auf großer Bühne vorgetragen, war eindeutig . Nur in einem Nebensatz klang Kritik an – nicht am Inhalt, sondern am Vorgehen der Regierung, als Hamm sich wunderte, wie „überraschend“ der Plan „aus dem Schlusse der Staatsmänner“ hervorgetreten sei .84 Diese Kritik wurde auch vom RDI geteilt, und einzelne Stimmen im DIHT verstärkten sie in den folgenden Monaten, als immer deutlicher wurde, dass das Projekt in einem deutsch-österreichischen Alleingang vorbereitet worden war . Als sich der RDI in der zweiten Aprilhälfte erneut mit dem Zollunionsprojekt beschäftigte, votierte zwar Max Schlenker im Namen der Schwerindustrie massiv für den Vertrag und seine weitere Ausdehnung nach Südosten, der Vorstand aber kritisierte das Vorgehen des Auswärtigen Amtes .85 Und kontrovers verlief auch im DIHT die Hauptausschusssitzung am 23 . Juni 1931 . Die weltwirtschaftlichen Turbulenzen hatten in den vorausgegangenen 14 Tagen im Zuge der Bankenkrise ihren Höhepunkt erreicht, und
Verh ., VV, 25 .3 .1931, S . 24 f, zit . nach Grübler, Spitzenverbände, S . 297 f . Das dürfte die diplomatisch formulierte Kritik dessen sein, was Winkler als „wilhelminisch anmutenden Coup“ bezeichnet; Winkler, Weimar, S . 406 . 85 Grübler, Spitzenverbände, S . 299 . 84
264 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
der amerikanische Präsident Hoover hatte in Reaktion darauf sein umfassendes Kriegsschulden-Moratorium für ein Jahr verkündet . Damit schien für den Augenblick die Perspektive auf eine neue internationale Zusammenarbeit eröffnet . Hamm sprach zu Beginn seiner Rede von einem „großen, vielleicht entscheidenden Schritt“ .86 In dieser veränderten Konstellation kritisierte der Braunkohle-Magnat Paul Silverberg ausdrücklich den Abschluss des Vorvertrags . Angesichts der Isolation, in die sich Deutschland durch Inhalt und Verfahren bei der Zollunion gebracht hatte, verlangte er von der Regierung Brüning, sie solle auf das Zollunionsprojekt völlig verzichten . Dies wiederum wollte Hamm so nicht stehen lassen, und er distanzierte sich in der Diskussion von Silverberg, wohl in der Hoffnung, dass Silverbergs Meinung nicht als die offizielle Meinung des DIHT insgesamt verstanden werde .87 Nachdem Frankreich alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um die Zollunion zu verhindern, und der Internationale Gerichtshof in Den Haag am 3 . September 1931 den Vertrag für völkerrechtswidrig erklärt hatte, war die Zollunionspolitik definitiv gescheitert . Außenminister Curtius blieb nichts anderes übrig, als einen Monat später zurückzutreten . Schon an diesem Rücktritt zeigt sich, welche Dimensionen der internationale Streit um das Unionsprojekt angenommen hatte . Tatsächlich fällt auf, wie sich der Stil der Außenpolitik unter der neuen Führungsmannschaft Curtius/Bülow gewandelt hatte . An die Stelle umsichtiger Konsultationen war ein unflexibles Insistieren auf den eigenen Zielvorstellungen getreten, an die Stelle von Stresemanns beharrlicher Geduld ein neues forciertes Tempo . Stresemanns umsichtiger Verhandlungsstil wandelte sich in ein betont anspruchsvolles Auftreten .88 Auch auf der Ebene der Verbände bahnte sich in der „Mitteleuropa“-Frage ein Stilwandel an, und zwar beim Vorgehen der schwerindustriellen Verbände im MWT . Hier suchten seit dem Frühjahr 1931 die Statthalter von Paul Reusch, Tilo von Wilmowsky, in Personalunion stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Friedrich Krupp AG, Vorsitzender des Landbunds der Provinz Sachsen und Präsident des MWT, der Geschäftsführer der VDAV Max Schlenker und dessen Mitarbeiter Max Hahn, die Schwerindustrie in eine dominante Position zu bringen und schufen ohne Wissen von RDI und DIHT am 1 . August 1931 in Berlin ein eigenes Büro mit dem Namen „Zentralstelle für Mitteleuropa“ .89 Ziel war es, mit Hilfe von Präferenzzöllen und Kontingentregelungen eine geschlossene mitteleuropäische Großraumwirtschaft zu
Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 13 . Grübler, Spitzenverbände, S . 299 . 88 Vgl . zusammenfassend Krüger, Außenpolitik, S . 514 ff . 89 Vgl . Frommelt, Paneuropa, S . 88 f . 86 87
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 265
errichten .90 Dies hätte einen definitiven Bruch mit dem Meistbegünstigungsprinzip zumindest im „mitteleuropäischen“ Raum bedeutet, was die Präsidialmitglieder des MWT aus dem DIHT, Grund, Hamm und Alfred Toepfer, so nicht hinnehmen wollten . Ihnen ging es darum, zwar ein gewisses Maß an Protektionismus zuzulassen, aber nur als völkerrechtlich erlaubte Ausnahme vom Prinzip der Meistbegünstigung . Andernfalls – so ihre Befürchtung – werde die Axt an die Grundlagen des gesamten deutschen Handelsvertragssystems gelegt . In den komplexen Verhandlungen des MWT und der ohnehin stärker schwerindustriell ausgerichteten DÖAG drängten Schlenker und Hahn schließlich darauf, Hamm ganz von den Beratungen auszuschließen .91 Schutzzöllnerisch gesonnene Schwerindustrielle und die im Prinzip immer noch freihändlerisch orientierten Vertreter der verarbeitenden Industrie verfochten also divergente Ziele . Auch das Tempo und der Zeithorizont der Politik gegenüber den südöstlichen Staaten wandelten sich . Mitte der 1920er Jahre ging es dem Auswärtigen Amt, dem Reichswirtschaftsministerium und den interessierten Branchen und Verbänden primär um ökonomische Ziele und damit verbunden auch um eine langfristige Stärkung des politischen Einflusses Deutschlands . Dem entsprach die rein ökonomische Argumentation Hamms bis in den Sommer 1931 hinein, bei der machtpolitische Ziele nur ganz vereinzelt durchklangen . In der Weltwirtschaftskrise und angesichts der neuen Welle des Protektionismus trat nun die explizit politische Seite der „Mitteleuropa“-Ideologie in den Vordergrund . Der radikale Flügel der Schwerindustrie suchte unter der Parole der „Großraumwirtschaft“ und mit Blick auf eine konsistente ökonomisch-politische Durchdringung des gesamten südosteuropäischen Raums Anschluss an das von den Großagrariern propagierte Konzept der „Autarkie“, ohne es sich vollständig zu eigen zu machen . Dahinter stand ein sehr viel protektionistischeres und zugleich expansionistischeres Konzept als beim RDI und beim DIHT .92 In der Sicht des DIHT und Hamms stellte sich die Frage nach der Schwerpunktsetzung bei der „Mitteleuropa“- oder Westpolitik keineswegs als so eindeutige Alternative dar, wie es die gängigen Aussagen der Historiker über den Kurswechsel der deutschen Außen- und Außenhandelspolitik seit Stresemanns Tod nahelegen . Die Perspektive einer deutsch-österreichischen Zollunion mit Erweiterungsabsicht in die Donauländer war – wie erwähnt – auch
Wilmowsky forcierte im November 1932 gegenüber Reichskanzler von Papen die These, dass die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder für die gesamte deutsche Wirtschaft von allergrößter Bedeutung sei; vgl . Schröder, Südosteuropapolitik, S . 346 f . 91 Hahn an DÖAG, 29 .1 .und 30 .1 .1931, zit . nach Fommelt, Paneuropa, S . 88, Anm . 12 . 92 Vgl . bes . Stegmann, Zoll- und Handelspolitik, S . 511 f . 90
266 VIII. Handels-, Zoll- und Europapolitik 1925–1931
in der Ära Stresemann verfolgt worden, wenn auch mit eindeutiger zeitlicher und sachlicher Priorität für eine Verständigung mit Frankreich . Inzwischen hatte aber nicht nur das Führungspersonal des Auswärtigen Amts gewechselt, auch die ökonomische und politische Konstellation in Deutschland wie im internationalen System hatte sich verändert . Innenpolitisch waren sowohl in Frankreich wie in Deutschland die scharfmacherischen Kräfte erstarkt . In Deutschland hatte die Reichstagswahl vom 14 . September 1930 die Zahl der NS-Abgeordneten von 9 auf 107 vermehrt . Dieser Erdrutschsieg der extremen Rechten war möglich geworden durch die Agitation um das neue Reparationsabkommen (Young-Plan), die Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise im Laufe des Jahres 1930 und das Scheitern der internationalen Verständigungspolitik in Richtung einer europäischen Zollunion oder zumindest eines europäischen Zollfriedens . Der großdeutsche Anhänger einer deutsch-österreichischen Zollunion Eduard Hamm hielt an der Zielvorstellung eines Zollfriedens auch nach dem Desaster der Genfer Zollfriedenskonferenz im Frühjahr 1930 fest . Und während die deutsch-österreichischen Zollunionsverhandlungen liefen, plädierte er im Januar 1931 eindeutig für die Fortsetzung der deutsch-französischen Verständigungspolitik: „eine weitreichende Einigung mit Frankreich würde gewiß den stärksten Fortschritt bedeuten und eine außerordentliche Stärkung Europas gegenüber anderen Erdteilen“ .93 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Hamm im Lauf des Jahres von dieser Position abgewichen wäre . Er befand sich damit im Einklang mit den verständigungswilligen Kräften, die es auch im Auswärtigen Amt (Karl Ritter) sehr wohl noch gab und die auch in der Wirtschaft noch vorhanden waren .94 Es ist nicht zu bestreiten, dass die außen- und wirtschaftspolitischen Akteure in Frankreich wie in Deutschland seit dem Frühjahr 1931 dazu tendierten, ihre nationalen Positionen und Interessen unflexibler und unbedenklicher zu verfechten, wenngleich auch nicht übersehen werden sollte, dass bis zum Sommer 1932 umfangreiche bilaterale Kartellvereinbarungen abgeschlossen wurden . Aber die Rede von der Wirtschaft, den Großunternehmern und den weiten Kreisen der Wirtschaft erweist sich hier wie in vielen anderen Fällen als zu ungenau . Auch die Vorstellung, dass den Akteuren eine eindeutige Alternative zwischen Verständigungs- und Konfrontationspolitik
Verh ., HA, 21 .1 .1931, S . 118 f . So vertrat etwa der Vorstandsvorsitzende der Dedi-Bank, Oscar Wassermann, am 17 .4 .1931 öffentlich die Meinung, dass nur eine politische Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich die wirtschaftliche Lage in Europa wirklich verbessern könne; vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 300 .
93 94
5. Der Briand-Plan und das Projekt einer Deutsch-Österreichischen Zollunion 267
Abb. 13: Eduard Hamm (rechte Reihe, 3. v. r.) während einer Konferenz der Donaukommission der Internationalen Handelskammer in Budapest, November 1932
vor Augen gestanden habe, vereinfacht die Erkenntnis- und Bewusstseinslage vieler Akteure allzu sehr . Subjektiv ging es für sie mehr um eine Verlagerung von Interessenschwerpunkten und Konzepten, nicht um ein ausschließendes Entweder-Oder . Auch die jeweilige Zeitperspektive spielte eine Rolle – ob es nun um die Gleichzeitigkeit oder um ein Nacheinander von Handlungszielen ging . Symptomatisch dafür sind die Formulierungen Hamms vom 21 . Januar 1931, mit denen er die vorgängige Einigung mit Frankreich zur Basis weiteren Fortschritts erklärte, dann aber die Feststellung folgen ließ, es sei eben leider nicht abzusehen, „wie Deutschland bei Aufrechterhaltung der hegemonialen Ansprüche Frankreichs“ zu einem Abkommen gelangen könnte, das die Beziehungen dauerhaft verbessere; daher bleibe als „wichtiges Betätigungsfeld“ der Südosten Europas .95
95
Verh ., HA, 21 .1 .1931, S . 118 f .
IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933 1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen
V
erfolgt man Hamms ausführliche, durchaus akademisch angelegte Reden im DIHT, etwa alljährlich unter anderem über die wirtschafts-, finanzund handelpolitische Lage, so befindet man sich ab 1925 im Zentrum jener Probleme, die sich in der deutschen Wirtschafts-, Sozial- und Haushaltspolitik seit 1928 und in der Weltwirtschaftskrise seit 1929 dramatisch zuspitzten und am Ende zum Untergang der Republik führten .1 Über die Ursachen der großen Weltwirtschaftskrise seit 1929 wird nach wie vor kontrovers diskutiert, einig ist sich die Wissenschaft nur in dem Gemeinplatz, dass sie letzten Endes aus einer „zufälligen Verkettung unglücklicher Umstände“ entstanden sei .2 Sie gilt als Zuspitzung einer ökonomischen Krisengeschichte, auf die die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Seiten aller Beteiligten letztlich nur noch reagiert, und zwar vielfach falsch reagiert habe .3 Als Krisenursachen bzw . Faktoren der Krisenverschärfung werden vorrangig
Die „Verhandlungen des Deutschen Industrie- und Handelstages“ verzeichnen u . a . Referate über „Handelspolitik und Handelsverträge“ (1925), über „Reparationszahlungen“ und „Finanzausgleich“ (1926), über Fragen von Staat und Wirtschaft (1927), über wirtschaftsund sozialpolitische Fragen und über „Fragen des Handelskammerwesens“ (1928), über die „Finanzpolitische Lage“, „Reparationsfragen“ und „Handelspolitische Arbeiten des Völkerbundes“ (1929), über die „Handelspolitische Lage“ und „Fragen der Arbeitslosigkeit und Preissenkung“ (1930), über die „Reparationspolitische Lage“ und die „Frage der Vorzugszölle und Zollbündnisse“ (1931) sowie zur „Wirtschaftspolitischen Lage“ (1932) . 2 Plumpe, Wirtschaftskrisen, S . 89; vgl . auch Pressler, Weltwirtschaftskrise . 3 Allgemeine Darstellungen: Kindleberger, Weltwirtschaftskrise; Aldcroft, Zwanziger Jahre; Eichengreen, Golden Fetters; Bernanke, Essays; Tooze, Sintflut, S . 607–632; Hesse/Köster/ Plumpe, Große Depression; vgl . auch Eichengreen, Crashs . 1
1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen 269
genannt: Erstens die Zerstörung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung durch den Krieg und die allseitige Unfähigkeit nach 1918, eine funktionsfähige Arbeitsteilung wiederherzustellen – ein auch bei Hamm Jahr für Jahr wiederkehrender Befund .4 Zweitens die Verschiebung der Schuldner-GläubigerRelationen durch die internationale Kriegsfinanzierung, die dadurch veränderten globalen Finanzmärkte und die Tatsache, dass die USA ihrer neuen weltwirtschaftlichen Führungsverantwortung nicht gerecht wurden – dieser Problemkreis spiegelt sich bei Hamm regelmäßig in der Klage über die Reparationszahlungen und die von ihnen ausgelösten Störwirkungen auf die deutsche Wirtschafts- und Finanzlage ebenso wie auf den internationalen Wirtschaftskreislauf wider . Drittens waren weltweit im und nach dem Ersten Weltkrieg Überkapazitäten entstanden, die allerorten auf die Produktionsziffern und die Preise drückten – wiederum ein Standardbefund bei Hamm .5 Viertens wird die weltweite Agrarkrise genannt, mit sinkenden Preisen, dramatischer Verschuldung und der Neigung aller landwirtschaftlichen Produzenten, sich in nationale Schutzzölle zu flüchten . Dies war auch im DIHT seit 1927 ein immer wieder diskutiertes Thema, zu dem Hamm am 28 . Juni 1929 auch die „Richtlinien“ des DIHT zur „Förderung der Landwirtschaft“ vorlegte .6 Fünftens findet man in fast jeder Rede – jetzt speziell auf Deutschland bezogen – die übermäßige und zu wenig für produktionsfördernde Zwecke genutzte Auslandsverschuldung – verbunden mit der Reparationenfrage –, die mangelnde Auslastung der Kapazitäten und eine notorische Investitionsschwäche .7 Überall in Europa stellten sechstens der Ausbau des Sozial- und Interventionsstaats und der hektisch agierende politische Massenmarkt nach 1918 eine schlecht bewältigte Herausforderung für das Funktionieren der Wirtschaft dar – nie zuvor war über Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik so viel, so kontrovers und vielfach auch so hasserfüllt gestritten worden . Bei Hamm stand dieses Thema regelmäßig auf der Tagesordnung – immer mit
Vgl . u . a . Verh ., VV, 29 .4 .1925, S . 19; Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 50 ff, 79 ff . Vgl . u . a . Verh ., HA, 28 .4 .1925, S . 7–9; Verh ., HA, 5 .10 .1927, S . 20 ff; Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 136 f . Zum Sinken der Nachfrage nach deutschen Exportgütern vgl . James, Weltwirtschaftskrise, S . 31 f u . ö .; die wichtigsten Befunde zur Stagnation der Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit in gesamteuropäischer Perspektive bei Mai, Europa, S . 53–72 . 6 Verh ., HA, 28 .6 .1929, S . 61–76 . 7 Zu den Schwierigkeiten der Kapitalbeschaffung und den Auswirkungen der Kapitalknappheit vgl . James, Weltwirtschaftskrise, u . a . S . 31, 39; vgl . Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 76 f; Verh ., HA, 28 .6 .1929, S . 53 . 4 5
270 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
der Forderung, den Staatsinterventionismus auf allen einschlägigen Feldern zurückzufahren .8 Die längerfristigen Ursachen der Weltwirtschaftskrise sind nicht primär in der deutschen Wirtschaft zu suchen . Allerdings ist es kein Zufall, dass die Krise Deutschland – nach den USA – bei weitem mit der größten Wucht traf und die weitaus verheerendsten politischen Auswirkungen hatte . Dafür macht ein Teil der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung seit etwa 35 Jahren eine spezifisch deutsche „Krise vor der Krise“ mitverantwortlich, in der sich wirtschafts- und sozialpolitischer Zündstoff über das Maß der weltwirtschaftlichen Wachstumsstörungen hinaus angesammelt habe . Knut Borchardt bezeichnete 1979 die deutsche Wirtschaft in der Phase der Stabilisierung 1924 bis 1929 als „krank“ und sah die Symptome dafür in einem schwachen gesamtwirtschaftlichen Wachstum mit niedriger Investitions- und Exportquote sowie mit Gewinnrückgängen der Unternehmer . Verantwortlich machte Borchardt dafür einen massiven Kapitalmangel bzw . die zu hohen Kapitalkosten und zu hohe Reallöhne im Vergleich zur Produktivitätsentwicklung .9 Ob die Löhne wirklich zu hoch waren, um mit ausreichendem Gewinn wirtschaften und neu investieren zu können, ist weiterhin strittig .10 Über den Kapitalmangel und die zu hohen Kapitalkosten ist man sich jedoch weitgehend einig11 – und dieser Befund rechtfertigt auch die permanente Klage Hamms und der Wirtschaftsverbände insgesamt über zu hohe Steuern . Auch dass die Produktivität zu gering anstieg und 1928 sogar sank, steht außer Zweifel .12 Beide Argumente – zu hohe Löhne und Mangel an Kapital – nah-
Im Grunde sind alle Aussagen zur staatlichen Sozialpolitik zugleich Aussagen über zu viel Staatsintervention; vgl . u . a . Verh ., VV, 22 .6 .1927, S . 92 ff; Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 10 f; vgl . Plumpe, Wirtschaftskrisen, S . 91 . 9 Borchardt, Zwangslagen, sowie zahlreiche weitere Studien Borchardts; dagegen v . a . Ritschl, Knut Borchardts Interpretation; Holtfrerich, Alternativen; Büttner, Alternativen; prägnante Forschungsüberblicke bei Spoerer, Scheingewinnen; Wirsching, Weimarer Republik, S . 24–46, 69–83 . Bilanzen der Debatte u . a . bei Kruedener, Economic Crisis; Ritschl, Reparation transfers; Ders ., Deutschlands Krise; Tooze, Economy, S . 402–411; zur Frage, ob die Reallöhne wirklich zu hoch gewesen sind, vor allem Holtfrerich, Löhne; Ders ., Debatte; vgl . auch Ritschl, Löhne; Balderston, Origins, S . 57–59, 80 f, 401, 403–405; zuletzt Weber, Sozialpartnerschaft, S . 671 f . 10 Vgl . Plumpe, Reichsverband, S . 137 . 11 So jetzt der wichtige Kritiker an Borchardts These von der „Krise vor der Krise“, Holtfrerich, im Anschluss an Joseph Schumpeter und weitere Wirtschaftswissenschaftler; Holtfrerich, Kultur, S . 52 . 12 James, Weimar Economy, S . 105 f . Den zeitgenössischen Klagen über den Rückgang wird jetzt weitgehend Recht gegeben, auch wenn man sich über deren Ursachen nicht einig ist; vgl . Spoerer, Scheingewinnen, S . 22 ff . 8
1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen 271
men in den angebotsorientierten wirtschaftspolitischen Stellungnahmen der Unternehmerverbände – und so auch in denen Eduard Hamms – eine zentrale Stellung ein . Die Dauerkontroverse um die Arbeitszeit dagegen hatte seit dem Arbeitszeitnotgesetz vom 28 . April 1927 und angesichts des durchschnittlichen Sinkens der Arbeitszeit erst einmal an Brisanz verloren .13 Als längerfristiger Belastungsfaktor speziell der deutschen Wirtschaft zu Beginn der großen Krise 1929 gilt weiterhin der nur von den USA übertroffene scharfe Rationalisierungstrend mit übermäßiger Kapazitätsausweitung, die auf die Gewinne gedrückt und zur ungewöhnlich hohen strukturellen Arbeitslosigkeit in Deutschland beigetragen habe . Hinzu kommt die Abhängigkeit der deutschen Haushalts- und Zinspolitik von den Auflagen der Siegermächte . Diese forderten zur Sicherung der Reparationszahlungen einen ausgeglichenen deutschen Staatshaushalt trotz negativer Handelsbilanz und extrem hoher Verschuldung . Diese Konstellation verstärkte den Druck der internationalen Finanzmärkte hin zu einer wirtschaftspolitisch kontraproduktiven Hochzinspolitik der Reichsbank . Tatsächlich stimmten die Bürgerblockregierungen 1925–1928 und die Große Koalition 1928–1930 in ihrer Wirtschafts-, Finanzund Haushaltspolitik bis zum Bruch der Großen Koalition im März 1930 weitgehend überein, und auch über die anschließende Deflationspolitik Brünings herrschte zumindest bis zum Sommer 1931 weitgehend Konsens . Die Handlungsspielräume aller deutschen Regierungen zwischen 1924 und 1932 waren durch die ökonomischen Gegebenheiten eng begrenzt . Die scharfe partei- und interessenpolitische Lagerbildung verengte sie zusätzlich . Es fällt auf, wie sehr sich Hamm schon im Winter 1929/30 Sorgen um die politischen Konsequenzen der Wirtschaftskrise machte . Aus der von ihm diagnostizierten „weitgehenden Entkapitalisierung der kapitalistischen Wirtschaft“ ergebe sich eine „vielleicht nicht minder weitgehende Entbürgerlichung der bürgerlichen Gesellschaft“ . Viele Menschen, „die sich früher klar und eindeutig zur bürgerlichen Wirtschaftsauffassung“ bekannt hätten, seien heute, „von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunsicherheit bedroht, schwer dazu zu bringen, die realen Erfordernisse einer realistischen Wirtschaftspolitik anzuerkennen“ .14 Diese Beobachtung zeigt, welche Bedeutung Hamm und die DIHT-Spitze Gesichtspunkten der sozialen und politischen Stabilität und damit dem Funktionieren des Weimarer politischen Systems zumaßen . Vor der Vollversammlung des DIHT drei Monate später, am 9 . April 1930, referierte Hamm zunächst die Konjunkturentwicklung und den Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf eine Gesamtzahl von 3 ¼ Millionen sowie den An-
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Weber, Sozialpartnerschaft, S . 770 f; Winkler, Weimar, S . 323 . Verh ., HA, 30 .1 .1930, S . 135 .
272 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
teil derer, die „vom Schicksal der Arbeitslosigkeit berührt“ seien, auf knapp 10 % der Bevölkerung .15 Das Datum ist insofern besonders bedeutsam, als das Scheitern der Großen Koalition und die Berufung der stark nach rechts gerückten, von der SPD nur mehr „tolerierten“ Regierung Brüning unmittelbar zurücklagen (29 . März 1930) . Auch nach dem Ende der Großen Koalition erkannte Hamm ausdrücklich an, dass sich die SPD vom Ziel einer „alsbaldigen radikalen Durchführung der neuen sozialistischen Wirtschaftsordnung“ abwende, warnte dabei aber zugleich vor der Gefahr, dass unter dem Namen der „Sozialpolitik“ doch wieder „sozialistische“ Politik betrieben werden könne .16 Den Trend zur Entbürgerlichung der bürgerlichen Gesellschaft sah er jetzt, im April 1930, eher noch verstärkt als gebrochen . Die Gefahren des Radikalismus in Deutschland seien gestiegen, eine „Berauschung an nationalistischen wirklichkeitsfremden Träumen“ – wie sie durch die Agitation gegen den Young-Plan gefördert worden war – gehe Hand in Hand mit der Verleugnung von Recht und Eigentum und mit wirtschaftspolitischen Irrlehren, mit denen eine „ernsthafte Auseinandersetzung“ gar nicht mehr möglich sei .17 Auch die Erosion des Parteiensystems sprach Hamm an, deutlich vor dem endgültigen Durchbruch der NSDAP zur Mehrheitspartei bei der Septemberwahl 1930 . Die gegenwärtigen Parteigrenzen seien vielfach nicht mehr sinnvoll, die drohenden Gefahren verlangten „höhere staatspolitische Einigung“ . Die gegenwärtige „Zerklüftung der Parteien“ stoße zudem die Jugend von den republiktragenden Parteien ab . Den Grund für diese Hinwendung zu den Extremen links und rechts fand Hamm letztlich in der Schwäche eines „Bürgertums im echten Sinne des Wortes, das etwas anderes bedeutet, als dumpfes Spießertum, blindwütigen Bereicherungsdrang oder satte Bourgeoisie“ .18 Im Reflex auf einen Vortrag Carl Schmitts vom Vortag stellte sich Hamm entschieden auf den Boden der Weimarer Verfassung . Diese betone die „Grundsätze der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle“ . Sie sichere die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen und das Eigentum, wobei eine Änderung einzelner Gesetze immer möglich
Hamm, Pflichten und Ansprüche der Handelskammern für die deutsche Wirtschaft, Sonderdruck aus dem Sitzungsbericht, 9 .4 .1930, S . 5 f . 16 Ebd ., S . 27 . Zu dem ungeachtet allen Verzichts auf Revolutionsrhetorik festgehaltenen Ziel einer sozialistisch organisierten Wirtschaft und Gesellschaft vgl . Hölscher, Revolution; Groh/Brandt, Vaterlandslose Gesellen, S . 188 f; zum Dilemma, dem sich die SPD nicht nur durch das Anwachsen der KPD, sondern auch durch die Gefahr weiterer Absplitterungen nach links – etwa durch die SAP mit Willy Brandt – ausgesetzt sah, vgl . Winkler, Weg, S . 399 ff . 17 Hamm, Pflichten und Ansprüche der Handelskammern für die deutsche Wirtschaft, Sonderdruck aus dem Sitzungsbericht, 9 .4 .1930, S . 44 . 18 Ebd ., S . 44 f . 15
1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen 273
sei . Wer auf dem Boden dieser Verfassung stehe, vertrete eine „von sozialem Pflichtbewußtsein durchdrungene individualistische Wirtschaftsordnung“ .19 Hamm ging bei seiner Gedankenführung vor den DIHT-Gremien naturgemäß immer von der Wirtschaftsordnung sowie der Konjunktur- und Beschäftigungslage aus, führte dann aber hinüber zu den Spannungen zwischen Wirtschaft und Staat bzw . Regierung sowie zu den Krisensymptomen für den gefährdeten Zusammenhalt der sozialen Republik . Zwar gab es auch im DIHT unterschiedliche Meinungen, aber seine Führung ließ an der Republikloyalität des Verbandes nicht den geringsten Zweifel . Daran änderte sich auch nichts, als mit der Ausweitung und Festigung des Notstandsregimes die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit eines reinen Präsidialregimes deutlicher hervortrat . Im April 1930, beim Start der Ära Brüning, wurde diese Problematik innerhalb des bürgerlichen Lagers kaum gesehen und thematisiert . Insofern ist die Zäsur im Übergang vom Kabinett Müller zum Kabinett Brüning, wenn man vom Urteilshorizont der Zeitgenossen ausgeht, keineswegs so tief, wie sie in den Anfangsjahren der Weimar-Forschung noch unter dem beherrschenden Eindruck der Katastrophe des NS-Regimes gesehen worden ist .20 Die Frage, ob das Ende der Republik auf den Regierungsantritt Brünings am 29 . März 1930, die Reichstagsauflösung durch Brüning am 16 . Juli 1930, den Amtsantritt Hitlers am 30 . Januar 1933 oder – wofür sich auch gute Gründe finden ließen – Franz von Papens am 1 . Juni 1932 zu datieren sei, ist in der Forschung inzwischen weitgehend zurückgetreten, nachdem die Kontinuitäten über das Jahr 1930 und auch über die Zäsuren von 1932 und
Ebd ., S . 10 f . Carl Schmitt hielt zu dieser Zeit zahllose Vorträge vor den verschiedensten Verbänden und Vereinigungen . Seit 1928 bewegte er sich in Berlin auf den Vorhof der Macht zu, d . h . auf Politiker und hohe Ministerialbeamte der Weimarer Republik . Dabei half ihm seine – noch bescheidene – Berater- und Gutachtertätigkeit . Im Januar 1930 schrieb er im Auftrag des langjährigen Staatssekretärs im Justizministerium, Erich Zweigert, mit dem Hamm schon am 2 .12 .1923 im Kabinett Marx I über die notwendige Form des geplanten umfassenden Ermächtigungsgesetzes diskutiert hatte und der jetzt häufig zu Hamms „Salon“ eingeladen war, ein Gutachten für die Regierung Brüning „über die Zulässigkeit finanzgesetzesvertretender Notverordnungen, mit dem er seine frühere Beschränkung von Diktaturmaßnahmen auf das Organisationsprinzip der Gewaltenteilung revidierte“; Mehring, Schmitt, S . 281 f; vgl . auch Witt, Finanzpolitik, S . 414 . 20 Das klassische und noch immer unverzichtbare Werk dazu ist Bracher, Auflösung; die alternative Periodisierung mit der Zäsur beim Übergang von Brüning zu von Papen vertrat vergleichbar richtungweisend zuerst Conze, Krise; Ders ., Brünings Politik; Ders ., Scheitern; Becker, Brüning; vgl . auch Wengst, Brüning; Schulz, Suche; Ders ., Bemerkungen; Bilanz der Kontroverse zuletzt bei Büttner, Republik, S . 261 f . 19
274 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
sogar den 30 . Januar 1933 hinweg an Bedeutung gewonnen haben .21 Ungeachtet der steigenden Arbeitslosenzahlen, der sinkenden Steuereinnahmen und der zunehmenden Konkurse gingen Wirtschaft und Politik auch bis weit in den Herbst 1930, meist sogar bis zur Bankenkrise im Juni 1931, von einer zwar besonders tiefen und langen Depression aus, nicht aber von einer Krise, die den zyklischen Verlauf von Auf- und Abschwung grundsätzlich sprengen würde . Am 30 . Januar 1930 erwartete Hamm noch, dass im Jahr 1931 trotz aller Anstrengungen für die Haushaltssanierung Steuersenkungen möglich sein würden: zum einen, weil sich nach Verabschiedung des Young-Plans die Reparationskosten vermindern würden; zum anderen aber, weil sich für 1931 „wohl nach Überwindung der Wirtschaftsdepression“ das Steueraufkommen etwas verbessern werde .22 Das entsprach der allgemeinen Meinung unter den „Experten“ .23 Am 18 . Juni 1930 äußerte der Präsident des Statistischen Reichsamts und Direktor des Instituts für Konjunkturforschung, Professor Ernst Wagemann, immerhin die Einschätzung, dass Deutschland gerade einen „Wechsel in der Länge des Konjunkturzyklus“ durchlaufe, woraus sich ergebe, dass möglicherweise noch eine zweijährige Depression bevorstehe . Als diese Prognose durchsickerte, reagierte Brüning mit einer empörten Attacke gegen Wagemann und die beiden von ihm geleiteten Institute . Noch sehr verdeckt plädierte Wagemann, um in der Schwebelage von Optimismus und Pessimismus die Waagschale zugunsten des Optimismus zu senken, für eine Ausweitung des Inlandskredits .24 In seinem Referat vor dem Hauptausschuss am 9 . Oktober 1930 über die „Handelspolitische Lage“ verglich
Forschungsüberblicke bei Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S . 255–260; Wirsching, Weimarer Republik, S . 111 f . Die Formulierung von Winkler, der Rücktritt des Kabinetts Müller am 27 .3 .1930 bilde eine der tiefsten Zäsuren in der Geschichte der Weimarer Republik, lässt diese Frage ganz offen; Winkler, Weg nach Westen, Bd . 2, S . 487 . 22 Verh ., HA, 30 .1 .1930, „Zur gegenwärtigen Lage“, S . 125 f; vgl . auch Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 8, wo Hamm die Hoffnung ausdrückte, dass sich „bei außen- und innerpolitischer Beruhigung trotz mancher Depressionen in der Weltwirtschaft eine aufsteigende Linie allmählich durchsetzen wird“; dieses Urteil relativiert aber nicht die von allen Akteuren wie Betroffenen geteilte Meinung, dass es sich um eine Krise epochalen Ausmaßes handle – ein Gefühl, das die Krise selbst noch verstärkte; vgl . so schon Fischer, Wirtschaftspolitik, S . 40 . 23 Finanzstaatssekretär Schäffer zeigte sich am 12 . September 1930 im Gespräch mit Reichsbankpräsident Luther überzeugt, „daß die gegenwärtige Krise ebenso eine der im Rhythmus der kapitalistischen Wirtschaftsordnung regelmäßig eintretenden Krise sei wie alle früheren“, sowie dass die Krise ihren tiefsten Punkt erreicht habe, auf diesem aber noch eine „längere Zeit“ verharren werde; Tagebuchaufzeichnungen Schäffers, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 134, S . 380 . 24 Vgl . Tooze, Wirtschaftsstatistik, S . 405 ff . 21
1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen 275
Hamm erstmals die aktuelle Situation mit den Merkmalen und dem Ausmaß der deutschen Krise im Katastrophenjahr 1923, die den Rahmen eines bloßen Konjunkturabschwungs in jeder Hinsicht gesprengt hatten . Jetzt sei eine fundamentale Neuorientierung von Regierung und Volk nötig .25 Eineinhalb Monate später ging Hamms Analyse noch mehr ins Grundsätzliche . Als weltwirtschaftliche Ursachen nannte Hamm: die Überproduktion in Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie infolge der Erschließung riesiger landwirtschaftlicher Flächen in Übersee durch technische Innovationen und infolge des Strebens der neuen Staaten in Europa und Übersee nach agrarischer wie industrieller Selbstversorgung . Produktion und Konsum fänden keinen Ausgleich, auch wegen der überall zunehmenden quasi-merkantilistischen Tendenzen . Damit zog Hamm im Grunde eine Bilanz der Globalisierungsprozesse aus den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Weltkriegs, die sich auch nach dem Krieg fortsetzten, im Gefolge des Weltkriegs und der gestörten Staatsbeziehungen der Nachkriegsära aber in politisch nicht kontrollierte weltweite Störungen des weltwirtschaftlichen Gleichgewichts umschlügen . Zu Recht ist gesagt worden, dass die Globalisierung „parallel und simultan zur Nationsbildung“ verlaufen sei und dass sich deshalb bereits seit Ende der 1870er Jahre Globalisierungsverlierer wie die deutschen ostelbischen Großlandwirte auf der Suche nach Abhilfe an den Staat wandten . Die seither anlaufende Rückwendung zum Protektionismus sei daher „Indiz wie Ursache einer politischen Klimaveränderung“,26 die sich – so muss man ergänzen – durch die Radikalisierung der Nationalismen im Weltkrieg noch einmal dramatisch verschärfte . Hamm beklagte aber auch, dass der allgemeinen Produktionsausweitung der Ausfall bzw . die Selbstabsperrungstendenz großer Absatzgebiete wie Russlands, Indiens, des Britischen Empires und der USA gegenüberstünde .27 Eine mögliche, noch nicht wirklich gesicherte „Krisenwende“ fasste Hamm erst am 5 . Oktober 1932 ins Auge, als dafür auch erste zahlenmäßige Indizien vorlagen .28 Hamm hielt jetzt zumindest die Talsohle für erreicht, warf aber die
Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 50–52 . Vgl . Osterhammel/Petersson, Geschichte, S . 63–70, Zit . S . 69 . 27 Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 79–85 . 28 Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 45–49 . Zusammenfassend heißt es: „es sind da und dort Anzeichen einer beginnenden Belebung der Wirtschaft zu bemerken, wennschon von der Weltwirtschaft hier seit Mitte September die Belebungskräfte wieder unsicherer geworden sind und in Deutschland die politische Lage für ein wirkliches Erstarken der Wirtschaft gewiß nicht günstig ist“; anschließend diskutierte Hamm die jetzt eher günstigen Voraussetzungen für eine Konjunkturbelebung wie den Bedarf der Industrie nach Neuanlagen, die Leere der Lager, den „aufgestauten Verbraucherbedarf “; ebd ., S . 47 f . 25 26
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Frage auf, ob die gewohnten „Konjunkturregeln“ angesichts der Überkapazitäten, der allgemeinen Bedarfssenkung, des Kapitalmangels in Deutschland und der Absperrungstendenzen in der Weltwirtschaft für die aktuelle Krise überhaupt noch gälten .29 Im Rückblick wirken diese Zweifel Hamms wie ein Kommentar zu den zukünftigen Entwicklungen, da der Zeitpunkt und die Dimension des Konjunkturaufschwungs in Deutschland seit 1933 nur durch außenwirtschaftliche Abschottung, massivste Steuerungsmaßnahmen des NS-Staates und den finanz- und außenpolitisch bedenkenlosen Aufrüstungskurs Hitlers möglich wurden .30 Wie schon im April 1930 ging Hamm auch Ende November 1930 auf die politischen Folgen der Krise ein: „zwischen politischen Nöten und wirtschaftlichen Nöten“ bestehe ein „verhängnisvoller Zirkelschluß“ .31 Die wirtschaftliche Not sei der Nährboden einer umfassenden politischen Desorientierung, in der vielen Menschen in Deutschland begreiflicherweise das „gerechte Urteil“ über die ökonomischen Zusammenhänge und Leistungen abhanden komme . So breite sich massenhaft eine „Stimmung radikalisierter Empörung wider das Bestehende und ein radikalisierter Drang nach Änderung der Dinge irgendwohin mit irgendwelchen Mitteln“ aus . Betroffen seien vor allem die verschuldete und unrentabel gewordene Landwirtschaft, die Inflationsverlierer bei den „vordem besitzenden Rentnerschichten“, vor allem aber die älteren und jüngeren Arbeitslosen, die immer hoffnungsloser die Zukunft „in dumpfer gedrückter Stimmung grau in grau vor sich liegen“ sähen .32 So blühe fast nur ein Gewerbe, „das der politischen Wunderdoktoren“ .33 Mit diesen Feststellungen zog Hamm die konkrete politische Bilanz aus der Septemberwahl, in der die NSDAP ihren Stimmenanteil von 2,6 % (1928) auf 18,3 % gesteigert hatte und mit 109 Reichstagssitzen zur zweitstärksten Fraktion aufgestiegen war . Die Kommunisten hatten einen Zugewinn auf 10,6 % verzeichnet . Die liberalen Parteien hingegen waren praktisch zerrieben worden . Zwei Jahre später, als die Konjunkturwende noch nicht offensichtlich war, diskutierte Hamm wiederum den Zusammenhang von Wirtschaftskrise und politischer Radikalisierung . Wieder ging er von der gemeldeten Zahl von Arbeitslosen aus – in der zweiten Septemberhälfte 1932 4,355 Millionen –
Ebd ., S . 42 . Vgl . Herbst, Deutschland, S . 89–110, 237–250; Buchheim, Wirtschaftsentwicklung; Bähr/Banken, Wirtschaftssteuerung, S . 3–34; Banken, Achillesferse . 31 Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 77 . 32 Ebd ., S . 78; vgl . zu den Krisenverlierern die ausführliche Darstellung der Einkommensund Statuseinbußen quer durch die Sozialhierarchie bei Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd . 4, S . 284–330 . 33 Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 78 . 29 30
1. Ökonomische Ursachenanalyse und Diagnose der politischen Folgen 277
und diskutierte dann die Dimension der „unsichtbaren Arbeitslosigkeit“ von geschätzten 2 Millionen einerseits und der nichtgemeldeten Formen von Beschäftigung andererseits . Dabei beklagte er die „erschütternde Volksnot“ der Arbeitslosigkeit .34 Aus der Wirtschaftslage ergab sich für ihn das beunruhigende Zahlenbild einer Einkommensverteilung, der zufolge 80–90 % der Einkommensteuerzahler ein Einkommen bis zu 1 .500 RM und nur etwa 5 % von über 1 .800 RM zu versteuern hatten, nicht zu reden von den Arbeitslosen mit einem Unterstützungseinkommen von 500–600 RM . Diese Zahlen glich er ab mit dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 31 . Juli 1932 und stellte fest, dass bei 14,6 % Kommunisten, 21,6 % Sozialdemokraten und 37,4 % Nationalsozialisten fast drei Viertel aller Stimmen der „bestehenden Wirtschaftsordnung betont ablehnend, wenn auch nicht mit gleichen Zielsetzungen“ gegenüberstünden . Bei den Streitern um die Wirtschafts- und Staatsordnung unterschied Hamm verschiedene „intellektuelle Kreise“ – die heroischen Pessimisten im Stile Spenglers, die Planwirtschaftler und die Autarkisten, wobei er die Planwirtschaftler vor allem auf der Linken, in Kombination mit dem Autarkiegedanken aber auch auf der Rechten platzierte .35 Alles komme jetzt darauf an, einer Stimmungslage zu widerstehen, die durch die Not, die „Erschütterung jeglichen Gefühls wirtschaftlicher Sicherheit“ geprägt sei . Nötig sei eine „evolutionäre Entwicklung von Staat und Wirtschaft“ und die Vermeidung eines „revolutionären Bruchs“ – womit sowohl die Linke als auch die Nationalsozialisten gemeint waren . Entscheidend sei jetzt, den „Tiefpunkt der Verzweiflung, wie er sich zum großen Teil in Stimmzetteln ausdrückte“, zu überwinden und einer „ruhigeren bürgerlichen Beurteilung“ der politischen und wirtschaftlichen Situation Raum zu geben .36 Das Attribut „bürgerlich“ meint hier eine gemäßigte Linie von Staats- und Wirtschaftspolitik zwischen den Extremen . Daran zeigt sich, dass Hamm ungeachtet seiner Kritik an der Erosion des „bürgerlichen“ Werte- und Verhaltenskodex zwei Jahre zuvor bürgerliche Gesinnung und Handlungsorientierung weiterhin normativ positiv wertete . Dem Nationalsozialismus sprach er somit die Qualität von Bürgerlichkeit ab . Sozialstrukturell und wahlsoziologisch lag er damit falsch, im Sinne einer Wertvorstellung von politischer Bürgerlichkeit allerdings richtig . Da er die NS-Bewegung und ihren aktuellen Höhenflug als Krankheitserscheinung einschätzte, die mit der erwarteten Wirtschaftserholung abklingen werde, ging er von einer vorübergehenden Aberration vieler Bürger von der
Hamm, Zur gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Lage, in: Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 44 f . Ebd ., S . 40 . 36 Ebd ., S . 64 f . 34 35
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ökonomischen und politischen Vernunft aus, die beim Durchhalten eines wirtschafts- und staatspolitischen Vernunftkurses aber wieder verschwinden werde . Die wahlpolitische Trendwende vom 6 . November 1932 schien ihm in dieser Einschätzung grundsätzlich recht zu geben .37 Da Papens autoritäre Verfassungsreformpläne zu diesem Zeitpunkt als gescheitert gelten konnten und sein Nachfolger Schleicher sich explizit gegen jede Änderung der Weimarer Reichsverfassung aussprach, wäre die parlamentarische Republik am Ende des Jahres 1932 gerettet gewesen . Diese Feststellung gilt auch, wenn mit einer Stärkung der verfassungsrechtlichen Stellung von Reichspräsident und Regierung und der Einführung einer zweiten berufsständischen Kammer der reine Parlamentarismus geschwächt und die Elemente einer Präsidialverfassung gestärkt worden wären . Diese – realistische – Entscheidungsoption an dem vielleicht folgenreichsten Wendepunkt der deutschen Geschichte kam jedoch wegen des dilettantischen und verantwortungslosen Handelns einiger weniger Akteure bei ihrem Kampf um die Macht und ihren Nachruhm nicht zum Tragen . Paul von Hindenburg, lange resistent gegenüber dem Machtanspruch Hitlers, gab ihm zuletzt nach, aus einer Mischung von (interessen-)politischer Voreingenommenheit gegen alles in seinen Augen „Linke“ und für die ostelbischen Agrarier . Schleichers Agieren hinter den Kulissen stärkte den Reichspräsidenten in seiner Aversion gegen die Sozialdemokraten in der ersten Jahreshälfte 1930, als eine Zusammenarbeit der republikloyalen Kräfte trotz des Bruchs der Großen Koalition am 27 . März 1930 möglicherweise doch noch hätte zustandekommen können . Ohne Schleichers Einfluss auf Hindenburg wäre Franz von Papen nicht Reichskanzler geworden, der das Tor zum Untergang der Republik weit öffnete, hauptsächlich indem er durch eine Reichstagsauflösung auf dem absoluten Höhepunkt der Wirtschaftskrise und durch den Verzicht auf eine nennenswerte gesellschaftliche und parteipolitische Basis für sein Rechtskabinett eine zweite Reichstagsauflösung und Neuwahl provozierte, wobei er sich auch noch durch den gerissen taktierenden Reichstagspräsidenten Hermann Göring übertölpeln ließ . Durch seine Intrigen gegen seinen Nachfolger Schleicher im Januar 1933 verhalf Papen schließlich eben jenem Hitler zur Macht, dessen Bekämpfung er als Ziel seiner halbjährigen Regierung im Sommer und Herbst 1932 ausgegeben hatte . Verrechnet man die Faktoren von individueller und kollektiver Verantwortlichkeit oder auch von Persönlichkeit und Struktur, so tritt im Laufe der
Sie wurde von vielen Beurteilern im NS-kritischen Lager geteilt, zum Teil in einer euphorischen Stimmungslage, die Hamm sicher nicht teilte .
37
2. Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning 279
entscheidenden Monate seit dem Sturz Brünings vor allem das fatale Gewicht einzelner Akteure hervor, die ihren Aufgaben aus intellektuellen, charakterlichen und politisch-handwerklichen Gründen nicht gewachsen waren . Tatsächlich löste sich spätestens seit dem Regierungsantritt Papens das politische Machtspiel weitgehend von seinen ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen ab . Die sozio-ökonomischen Interessenvertretungen wurden jetzt, wie tendenziell schon in der Regierungszeit Brünings, mit Ausnahme der Grünen Front kaum mehr gehört, das jahrhundertealte deutsche Parteiensystem war zerfallen bzw . durch die Extremismen von rechts und links zerniert worden . Dass das institutionelle und organisatorische Gehäuse einer funktionierenden demokratischen Republik so morsch geworden war, lag aber letztlich in der Verantwortlichkeit der deutschen Wählerinnen und Wähler . Diese erst eröffneten mit ihren Wahlentscheidungen den Handlungsraum für die politisch ebenso ahnungs- wie bedenkenlosen Akteure des Machtspiels um die – gescheiterte – „Zähmung“ der NS-Bewegung und ihres „Führers“ .38
2. Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning
Die Berufung Brünings zum Reichskanzler am 29 . März 1930 fand in den Industrieverbänden nicht durchweg Zustimmung . Max Schlenker, der Geschäftsführer des schwerindustriellen Langnam-Vereins, beklagte zum Beispiel angesichts der Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien, dass wegen des ständig zunehmenden „Kuhhandels“ die eigentliche Regierungstätigkeit fast zum Erliegen gekommen sei . Dass die SPD aus der Regierung ausgeschieden war, überging Schlenker – dieses Faktum allein reichte offensichtlich nicht aus, beim neuen Kabinett hinreichende Kampfbereitschaft gegen den „Marxismus“ anzunehmen, dem Schlenker umstandslos die SPD zurechnete .39 Zu solcher Kritik trug sicher auch bei, dass dem Kabinett ein Sprecher der Großindustrie fehlte, während mit Martin Schiele ein Top-Funktionär der Grünen Front das Landwirtschaftsministerium übernahm . Die Spitzen von RDI (Kastl) und DIHT äußerten sich gleichwohl positiv . Bei der Eröffnung der 50 . Vollversammlung des DIHT am 9 . April 1930 in
Vgl . Jasper, Zähmung . Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 108 f; ähnlich Fritz Springorum und der Vorsitzende des Sächsischen Industriellenverbandes Wilhelm Wittke . Zu den Anfängen der Regierung Brüning bis zur Reichstagswahl am 14 .9 .1930 Hömig, Brüning, S . 149–210; Winkler, Weimar, S . 375–389; Mommsen, Aufstieg, S . 349–382 . 38 39
280 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
Berlin erklärte Präsident von Mendelssohn, man werde zwar nicht „optimistisch, aber doch mit einer gewissen Zuversicht auf einen festen, erfolgverbürgenden Willen der politischen Führung sehen können . […] Möge starke staatspolitische Führung und ihre Unterstützung in einer breiten staatsbejahenden Gemeinschaftsarbeit […] uns eine bessere Zukunft erlangen lassen“ .40 Unmissverständlich machte Mendelssohn deutlich, was der Verband erwartete: starke Führung – wenn es nicht anders ging, auch unabhängig von den Parteien . „Staatspolitisches Führertum“ war angesagt – und diese Erwartung erfüllte der neue Kanzler zumindest in seinem ersten Regierungsjahr . Eduard Hamm jedenfalls bescheinigte ihm in seinem Leitartikel „Zur Jahreswende“ in der „Deutschen Wirtschafts-Zeitung“ vom 2 . Januar 1931 „politisches Führertum“ . Zwar liege noch vieles im Argen, aber immerhin sei „zum ersten Male in den letzten 5 Jahren der Wille, mit dem ununterbrochenen Anschwellen des Finanzbedarfs zu brechen […], zur Tat geworden“ .41 Aufschlussreich genug, dass „politisches Führertum“ in gut demokratisch-republikanisch-bürgerlicher Perspektive nicht in militaristischen Heldentaten und politischen Coups, auch nicht in gekonnter offener oder verdeckter Machtakkumulation gesehen wurde, sondern im Rechenwerk bürgerlicher Haushaltsplanung, in der die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen sollten .42 Anschließend zählte Hamm die Steuerungsvorhaben auf, mit denen die Industrie hoffte, der Krise in Deutschland Herr zu werden: Leistungskürzungen bei der Arbeitslosenversicherung, die „Preisanpassung“ bzw . Kostensenkung, die Senkung der Löhne, den Erhalt des Handelsvertragssystems, die Verteidigung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit einer „stärkeren kollektiven Verantwortung“ der Einzelnen gegenüber dem Staat und den anderen Bürgern sowie die Reichsreform . Als letztes nannte Hamm die „unentrinnbare Aufgabe, die Last der Kriegsschulden zu verringern“ – wozu eine „wehrhafte große Führung“ nötig sei . Diese sei allerdings nur bei gewissenhaftester und „ernstester Gedankenarbeit“ imstande, sich der Macht der Tatsachen zu stellen und „alle guten Geister“ des Volkes sinnvoll in den Dienst einer klaren Idee zu stellen .43 Gedankengang und Pathos des Textes signalisieren die offenen und untergründigen politischen Ordnungs- und Verhaltensmuster, mit deren Hilfe der reflektierte und eloquente Geschäftsführer des DIHT die Mitglieder seines
Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 38 f . Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 28, Nr . 1, 2 .1 .1931 . 42 Zum Aufstieg der Denkfigur „Führer“ und zur Ausbreitung charismatischer Herrschaftserwartung vgl . Schreiner, Retter; Hardtwig, Religion . 43 Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 28, Nr . 1, 2 .1 .1931 . 40 41
2. Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning 281
Verbandes anzusprechen und die Krise zu meistern hoffte . Die Denkfigur von Führung und Gefolgschaft klingt an, die Hoffnung auf innere Einheit der Deutschen jenseits der Spaltungen in Gesellschaft und Politik, die Hoffnung auf die Bereitschaft aller Bürger, sich in der außeralltäglichen Notlage im Denken und Handeln außergewöhnlich anzustrengen und Solidarität zu üben . Für heutige Ohren hört sich das alles verdächtig nach „Führerherrschaft“ und autoritärem Staat an, nach „Volksgemeinschaft“, von der bei Mendelssohn auch ausdrücklich die Rede gewesen ist, und nach einer wehrhaft formierten nationalen Gesellschaft .44 Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Diskurses zeigt sich allerdings, dass damit entgegen dem ersten Anschein weder das Ende von Demokratie und Republik noch von Parteien und Verbänden, noch von grundsätzlicher politischer Auseinandersetzung und Konfliktaustrag intendiert war . Konkret ging es zunächst um die Kürzung der Haushalte und die Senkung von Steuern, um die Einschränkung von Sozialleistungen und damit nolens volens um Konsumverzicht – alles freilich Vorhaben, die in der Politik dieser Jahre aufs Äußerste umkämpft waren und die von einer Regierung ohne parlamentarische Mehrheit durchgeführt werden mussten . Brüning befand sich zunächst vor derselben parlamentarischen Situation, an der Hermann Müller gescheitert war . Nur stand die SPD jetzt in der Opposition, und Brüning musste ohne Parlamentsmehrheit hoffen, dass seine Vorlage zur Haushaltsdeckung von ihr und den gemäßigten DNVP-Abgeordneten toleriert würde . Die Hauptstreitpunkte waren ein weiterer Leistungsabbau bei der Arbeitslosenversicherung, ein „Notopfer“ für die Beamten und Angestellten und eine „Bürgersteuer“, die die Einkommensschwachen besonders hart treffen musste, weil sie nicht gestaffelt war . Da sich keine Mehrheit für diese Gesetze fand, setzte Büning – nach langem Zögern – die Deckungsvorlage mit Unterstützung Hindenburgs in der Form seiner ersten wirtschafts- und sozialpolitischen „Notverordnung“ (16 . Juli 1930) durch . Die Industrieverbände unterstützten all diese Sparbemühungen ohne Wenn und Aber . Allenfalls kritisierten sie, dass sie nicht rasch und energisch genug vorgenommen würden . RDI und DIHT hielten die erste Notverordnung und Brünings Kampf gegen die Einberufung des Reichstags nach dessen Ablehnung der Notverordnung am 18 . Juli 1930 für unumgänglich .45 Dass mit dem Erlass der Notverordnung de facto der Übergang von der parlamentarischen Demokratie zum Präsidialsystem vollzogen war, erregte zu diesem Zeitpunkt wenig Aufsehen . Man war es von den Regierungen Stresemann,
44 45
Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 38 . Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 112–135; Winkler, Weimar, S . 378–382 .
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Marx I und II 1923/24 her gewohnt, dass auch für wirtschafts- und handelspolitische Gesetze der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung mit dem Notstandsrecht des Reichspräsidenten in Anspruch genommen wurde . Brüning selbst richtete sich zwar mit dem Präsidialsystem ein, er baute es sogar aus – wenn auch nicht so zielstrebig, wie seine späteren Kritiker behaupteten . Aber er bemühte sich doch bis zu seiner Abberufung im April 1932 erfolgreich, seine Regierung für die SPD „tolerierbar“ zu halten – was zur Schwächung seiner Stellung bei Hindenburg wesentlich beitrug . Sein Kalkül, sich nach Möglichkeit von Fall zu Fall parlamentarische Unterstützung zu holen, verharrte grundsätzlich in der Tradition des bisherigen parlamentarischen Regierungshandelns .46 Wirkliche Versuche, seine verfassungsrechtliche Stellung in Richtung stärkerer diktatorialer Befugnisse für den Reichspräsidenten und den Reichskanzler über die impliziten Rückwirkungen der Notverordnungen auf das Verhältnis Reich-Länder hinaus auszubauen, hat er während seiner Regierungszeit nicht unternommen .47 In der Wirtschafts- und Sozialpolitik teilte Brüning die Einschätzung der Industrieverbände, dass es eine spezifisch deutsche Fehlentwicklung schon vor 1930 gegeben habe und dass daher jetzt, im Konjunkturabschwung, der Korrekturbedarf besonders groß sei . Davon, dass er sich ihre Politik zu eigen gemacht oder sich von ihr auch nur habe beeinflussen lassen, kann aber keine Rede sein . Im Gegenteil – in seiner Regierungszeit verloren die Industrieverbände deutlich an Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesetzgebung . Vor allem gegen die Groß- und Schwerindustrie entwickelte Brüning zunehmend ein ausdrückliches Misstrauen . Sowohl im RDI wie im DIHT wurde daher Kritik an der mangelnden Möglichkeit zur „Beratung“ mit der Regierung laut .48 Allerdings unterschieden sich die Stellungnahmen und Forderungen bei Hardlinern der Schwerindustrie und bei den gemäßigten Kräften an der
Anders dagegen Bracher, Brünings unpolitische Politik . Brüning hat auch in diesem Punkt seine wirkliche Politik durch die spätere Darstellung seiner weitreichenden, aber nicht energisch in Angriff genommenen Pläne zu einem autoritären Verfassungsumbau in seinen Memoiren ins Zwielicht gerückt . Zwischen diesen Plänen und dem tatsächlichen Regierungshandeln Brünings muss schärfer unterschieden werden als die gängige Brüningkritik dies meist tut; vgl . Mommsen, Aufstieg, S . 358–362; Ders ., Brünings Politik; ähnlich argumentiert auch die wichtige neuere Brüning-Monographie von Patch, Brüning, S . 384; vgl . auch Pyta, Hindenburg, S . 574 f . 48 So schon Wolffsohn, Industrie, S . 151–154; Neebe, Großindustrie, S . 60–63; Kim, Industrie, S . 122 f; zu den Gründen für die anfänglich breite Unterstützung Brünings durch die Industrieverbände zusammenfassend Hesse/Köster/Plumpe, Große Depression, S . 72–74; dort auch das Urteil, Brünings Politik sei bis zum Zusammenbruch des internationalen Währungs- und Finanzsystems im Sommer und Herbst 1931 durchaus erfolgreich gewesen . 46 47
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Spitze des RDI und im Präsidium des DIHT im Ausmaß der Wünsche und im Ton von Fall zu Fall immer wieder recht deutlich . Das betraf zum Beispiel die grundsätzliche Einstellung zum Konsum . Kurz nach der Übernahme der Geschäftsführung des DIHT im Winter 1925 hatte Hamm über die vielen sozialpolitischen Anträge der Linken im Reichstag geklagt und darüber, dass die anhaltenden Wahlkämpfe allzu oft eine „ruhige, nüchterne, sachliche Durchsetzung des Notwendigen“ bedrohten, andererseits aber sein Publikum auch gewarnt: „Ein Unternehmertum, das sich von vornherein gegen hohe Löhne ausspräche, würde nicht nur die politischen Zeichen der Zeit verkennen und soziale Aufgaben geringschätzen, sondern auch gegen seinen eigenen wirtschaftlichen Nutzen handeln“ . Starker Konsum sei an sich wünschenswert – eine Position, die bei der Schwerindustrie und auf der politischen Rechten nicht geteilt wurde .49 Als Sozialliberaler wusste Hamm selbstverständlich um die politische Legitimationsfunktion des Konsums . Aber die Frage, inwieweit die Entfaltung der Konsumgesellschaft zur Stabilisierung von Republik und Demokratie in Deutschland beitragen könne, hat er nie ausdrücklich diskutiert . Gemäß seiner angebotsorientierten Wirtschaftstheorie musste jetzt in Deutschland die Kapitalbildung und nicht der Konsum im Vordergrund stehen .50 Unmissverständlich verlangte Hamm im April 1930 auch gegenüber der neuen Regierung Brüning, man brauche jetzt „eine völlige Wandlung des Steuerprogramms“, wie sie schon das – nicht erreichte – Ziel des SPD-Finanzministers Hilferding und seines deutschnationalen Staatssekretärs Popitz gewesen sei .51 Ende 1931 dagegen hieß es zu der Frage, was wichtiger sei, Steuersenkungen oder Haushaltsausgleich, in einer charakteristischen Formulierung: „so wird man jetzt zu der Frage der Umsatzsteuer, wohl auch der Hauszinssteuer, gewiß mit Recht, betonen, die Ausgeglichenheit des Reichshaushalts sei das erste Erfordernis .“52 Hinter der komplizierten Formulierung verbirgt sich eine deutliche, die Forderungen abmildernde Abweichung von der generellen steuerpolitischen Linie auch des DIHT . Hamm scheint es aus Gründen der rhetorischen Ausgewogenheit für nötig gehalten zu haben, das zu langsame Tempo der Steuersenkungspolitik scharf zu kritisieren . Gleichzeitig erinnerte Hamm aber auch daran, dass die Regierung Brüning seit Frühjahr 1930 bereits „Unerhörtes zur Einsparung“ geleistet habe . Das LavieVerh ., HA, 29 .4 .1925, S . 13 f . Zum Stellenwert des Konsums in der Wirtschafts- und Finanzpolitik vgl . Torp, Konsum; vgl . auch Wirsching, Generationen, S . 49 f . 51 Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 15; es sei allzu lange verzögert und durch „Parteiforderungen“ der SPD zu sehr beschränkt und belastet worden . 52 Verh ., HA, 3 .12 .1931, S . 59 . 49 50
284 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
ren ergab sich aus Hamms Absicht, einerseits die Regierung Brüning sogar bei grundsätzlichen Differenzen in einer steuerpolitischen Kernfrage zu stützen, andererseits aber diese Abweichung von der Hauptlinie der Verbandspolitik auch den Hardlinern im eigenen Haus schmackhaft zu machen . Er befand sich damit in Übereinstimmung mit dem Braunkohleindustriellen Silverberg, der im DIHT wie auch im RDI häufiger von der Mehrheitsmeinung abwich und sich hier gegenüber den Regierungen, wie schon öfter seit 1926, als kooperativ erwies .53 Ähnliches gilt für die Lohn- und Tarifpolitik . In der heiß umkämpften Arbeitszeitfrage war Hamm seit jeher als Gegner des Achtstundentages hervorgetreten . Im Herbst 1930 erhielt dieser Konflikt eine neue Dimension, weil die hohe Arbeitslosigkeit der gewerkschaftlichen Forderung in einem Lohnkonflikt der Berliner Metallindustrie, die Arbeitszeit von 48 auf 40 Wochenstunden ohne vollen Lohnausgleich zu verkürzen, verstärkte Plausibilität verlieh . Die verkürzte Arbeitszeit sollte die Wiedereinstellung von Arbeitslosen erleichtern . Der ADGB dramatisierte diese Forderung noch, indem er sie aus der Zuständigkeit der Tarifparteien heraushob und eine gesetzliche Regelung verlangte . Tatsächlich fuhren die Unternehmen im Oktober 1930 vielfach Feierschichten, Robert Bosch führte Kurzarbeit ein, und sogar Paul Reusch zeigte sich kompromissbereit, um Arbeiter von der Straße zu holen .54 Carl Bosch von der IG-Farben verlangte schließlich sogar selbst die gesetzliche Einführung der 40-Stunden-Woche, blieb damit aber im Kreis seiner Arbeitgeberkollegen isoliert . Im Januar 1931 stellte sich heraus, dass viele Branchen eine Arbeitszeitsenkung nicht als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit anerkannten . Der DIHT hielt sich in dieser Frage zunächst bedeckt . Zu einer gesetzlichen Regelung ist es am Ende nicht gekommen . Das Thema stand aber im Herbst 1931 erneut auf der Tagesordnung, wobei jetzt auch jüngere, links orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie der Heidelberger Ordinarius Emil Lederer die 40-Stunden-Woche forderten . Hamm lehnte sie vor dem Hauptausschuss des DIHT am 10 . September 1931 ab, indem er auf die drohende Kostenverteuerung in einer Situation hinwies, in der die Senkung von Produktionskosten allen anderen Gesichtspunkten übergeordnet werden müsse . Aber er deutete in sehr verschlüsselter Form doch an, dass es nicht dasselbe sei, ob man die Arbeitszeitverkürzung wie Lederer als „Dauermaßnahme“ oder ob man sie nur als „vorübergehende Krisenhilfe“ fordere .55
Ebd ., S . 58–60; vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 125 ff; Neebe, Großindustrie, S . 66–87 u . passim; Gehlen, Silverberg, S . 362 ff, 394–403 . 54 Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 341–347 . 55 Verh ., HA, 10 .9 .1931, S . 29 f . 53
2. Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning 285
Einen Hauptstreitpunkt in der Debatte um notwendige produktions- und ertragssteigernde Reformen der Wirtschaftsverfassung bildete das System der staatlichen Schlichtung . Es war in der Demobilisierungsphase 1918–1920 entstanden und in den kritischen Monaten der Währungsstabilisierung seit Ende 1923 verstärkt eingesetzt worden, um Arbeitskämpfe möglichst zu vermeiden, die die Währungssanierung und Wirtschaftserholung hätten bedrohen können . Dem Reichsarbeitsminister stand das Recht zu, staatliche Schlichter zu ernennen, die Schiedssprüche auch gegen den Willen der Tarifparteien für verbindlich erklären konnten (Verbindlichkeitserklärung) .56 Der langjährige Arbeitsminister Heinrich Brauns vom Arbeitnehmerflügel des Zentrums benutzte die Zwangsschlichtung anfangs vor allem als Mittel, um in den ökonomischen und politischen Katastrophenmonaten zwischen Herbst 1922 und Frühjahr 1924 lange Arbeitszeiten sicherzustellen . Andererseits bediente er sich ihrer aber auch, um dem sozialpolitischen Reaktionskurs insbesondere der Schwerindustrie seit Ende 1922 entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen . In den Augen der Arbeitgeberverbände verhinderte die Zwangsschlichtung das vermeintlich freie Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt, das in Zeiten hoher struktureller und später auch konjunktureller Arbeitslosigkeit die Arbeitgeberseite zu begünstigen schien . Aus der Sicht der Unternehmer nahmen die vom Arbeitsminister benannten Schlichter tendenziell immer die Partei der Arbeitnehmer ein; daher führten sie die in ihren Augen überhöhten „politischen Löhne“ vorrangig auf diese staatliche Intervention in den Arbeitsmarkt zurück . Das schloss aber keineswegs aus, dass gelegentlich auch die Arbeitgeber die Schlichtersprüche guthießen, wenn die Arbeitslage günstig war oder eine Radikalisierung der Arbeiter drohte . Vor allem gab es große regionale Unterschiede . Im Gegensatz zu den Ruhrindustriellen fürchteten etwa die Industriellen in Sachsen in den Arbeitskämpfen des Jahres 1928 tariflose Zustände mehr als Zwangsschlichtung und Verbindlichkeitserklärung . Im Oktober 1930 zum Beispiel sorgte sich die IHK Leipzig, dass es der KPD gelingen könne, die Streiks zu radikalisieren, wenn staatliche Stellen nicht vermittelnd eingriffen .57 Einzelne Gewerkschaftsführer wiederum fürchteten nicht zu
Zur Verbindlichkeitserklärung als Instrument der Zwangsschlichtung und seiner Anwendung in der Weimarer Republik immer noch Preller, Sozialpolitik, S . 255–261, 310–323; Bähr, Schlichtung; Zahn, Arbeitskosten; neuerdings umfassend Weber, Sozialpartnerschaft; für die Aktivierung der Zwangsschlichtung 1924/25 vgl . Mommsen, Aufstieg, S . 232; für die Jahre 1924–1927 vgl . die Tabellen bei Winkler, Schein, S . 476–478, und die Darstellung der gewerkschaftlichen Position zum Zwangstarif ebd ., S . 472–476; zu den Hauptstreikjahren und der endgültigen Etablierung der Zwangsschlichtung vgl . Blaich, Wirtschaftskrise, S . 77 f, 84–90 . 57 Weber, Sozialpartnerschaft, S . 771 ff, 776 ff . 56
286 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
Unrecht, dass der Rekurs auf die Zwangsschlichtung den Kampfwillen der Gewerkschafter schwächen könne . Andererseits sahen sie aber deutlich, dass sie gerade angesichts von hoher Arbeitslosigkeit vielfach auf die Schlichtung angewiesen waren .58 Einig waren sich die Tarifparteien zumindest darin, dass sie die staatliche Befriedungspraxis nicht für den Idealzustand hielten . Die meisten Zwangsschlichtungen hatten im konjunkturell günstigen und gesellschaftspolitisch vergleichsweise ruhigen Jahr 1927 stattgefunden . Der Nachfolger von Heinrich Brauns im Arbeitsministerium während der Großen Koalition 1928–1930, der Gewerkschafter Rudolf Wissell (SPD), hielt sich demgegenüber deutlich zurück . Als aber mit dem raschen Anstieg der Arbeitslosenzahlen seit 1929 und mit dem Übergang zur Deflationspolitik Brünings die Zahl und Bedeutung der Zwangsschlichtungen stark zunahm, geriet auch die konkrete Tarifpolitik wieder ins Zentrum der ordnungspolitischen Debatten . Der radikale Flügel in den Arbeitgeberverbänden um Paul Reusch, Peter Klöckner, Fritz Springorum und Ernst von Borsig zielte seit dem Ruhreisenstreit letztlich darauf ab, das staatliche Schlichtungssystem ganz zu beseitigen – und zwar umso mehr, als ihm durch die Schlichtersprüche im Ruhreisenstreit eine schwere Niederlage bereitet worden war .59 Die Mehrheit im RDI und der DIHT insgesamt hätten wohl die Zwangsschlichtung und die Verbindlichkeitserklärung ebenfalls gerne beseitigt, doch zeigten sich die Vorstände politisch besonnen genug, sie prinzipiell zu akzeptieren . So sprach Hamm im April 1928 zwar von der außerordentlichen Macht des Schlichters und deutete vorsichtig eine Präferenz der staatlichen Schlichtung für die Arbeitnehmerseite an, stellte die Schlichtung selbst aber nicht in Frage und forderte, die bei den Schwerindustriellen besonders verhasste Verbindlichkeitserklärung auf diejenigen Fälle zu beschränken, „wo überragende Interessen des Staates und der Volkswirtschaft zusammentreffend danach verlangen“60 – was allerdings doch eine erhebliche Einschränkung darstellte . Zu den unterschiedlichen Positionen im Gewerkschaftslager in den späten 1920er Jahren vgl . ebd ., S . 805–807 . 59 Vgl . oben S . 229 f; Winkler, Schein, S . 565–572; vgl . das zusammenfassende Urteil ebd ., S . 572: „Der Zwangstarif passte nicht in eine freiheitlich verfasste Gesellschaft . Aber eine solche Gesellschaft war Weimar nur bedingt . Es gab in der ersten deutschen Demokratie noch eine kräftige obrigkeitsstaatliche Tradition, und in diese Tradition passte die Zwangsschlichtung sehr wohl hinein . […] Die deutschen Gewerkschaften machten sich von einem Staat abhängig, der kein festes demokratisches Fundament besaß“ . Zu gering veranschlagt wird dabei die Konfliktentschärfung bei Streiks in einer Wirtschaft, die vor allem auf die Möglichkeit innerer Kapitalbildung dringend angewiesen war; vgl . Weber, Sozialpartnerschaft, S . 799 ff . 60 Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 133 f; zur Politik der Schwerindustrie vgl . Weisbrod, Schwerindustrie, S . 408 f; Ders ., Befreiung; James, Weltwirtschaftskrise, S . 179 ff; für den DIHT Grübler, Spitzenverbände, S . 130 ff, 238 ff, 297 ff . 58
2. Unterstützung für den „Hungerkanzler“? Der DIHT und Heinrich Brüning 287
Die DIHT-Spitze war in dieser Frage 1930–1932 nicht ganz geschlossen . Wie mühsam auch hier der Widerwille gegen die Zwangsschlichtung und die Einsicht in ihre staatspolitische Unverzichtbarkeit in Extremfällen ausbalanciert werden mussten, verraten die komplexen Formulierungen Hamms vor dem Hauptausschuss am 30 . Januar 1930 . Einerseits deklarierte er, dass „das Schlichtungswesen eben nie für sich, sondern immer im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Gesamterfordernissen“ zu betrachten sei . Der Rekurs auf die wirtschaftliche Realität diente hier wie auch sonst dazu, gewerkschaftliche Forderungen zurückzuweisen . Auch Hamm hätte es bevorzugt, wenn die Tarifpartner ihre Vereinbarungen ganz autonom hätten treffen können – was in vielen Fällen ja auch geschah – und zwar möglichst von Betrieb zu Betrieb selbständig . Ein solches Verfahren hätte es erlaubt, die jeweilige wirtschaftliche Situation der einzelnen Unternehmer stärker zu berücksichtigen, dabei aber auch den Einfluss außerbetrieblicher Gewerkschaftsfunktionäre zu schwächen . Andererseits erkannte Hamm doch ausdrücklich an, dass insbesondere bei Arbeitskämpfen mit Rückwirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft auf die staatliche Intervention nicht verzichtet werden könne . Daraus ergab sich dann: „Ich bin persönlich nicht der Meinung, daß der Staat sich vom Schlichtungswesen ganz fernhalten könne und müsse; aber ein Schlichtungswesen, das weder auf die Verantwortlichkeit der Beteiligten noch auf die volkswirtschaftliche Verantwortlichkeit des Schlichters abstellt, ist unmöglich .“61 Auch auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, am 23 . Juni 1931, beharrte Hamm darauf, dass die „Entwicklung des Staats vom Sicherheits- zum Wohlfahrts- und Sozialstaat […] grundsätzlich unentbehrlich“ sei .62 Brünings Deflationspolitik brachte das Thema der Zwangsschlichtung auch ein Jahr später wieder in den Mittelpunkt der Debatte . Mit der Notverordnung vom 5 . Juni 1931 sollten die Beamtengehälter und -Pensionen nach der sechsprozentigen Kürzung in der Notverordnung vom Dezember weiter gekürzt und das Lohnniveau noch einmal gesenkt werden .63 Im Mai 1931 fanden mehrere Gespräche von Vertretern der Arbeitgeberverbände mit Brüning und Arbeitsminister Stegerwald statt, in denen die Schwerindustriellen darauf drangen, insbesondere die Unabdingbarkeit von Schlichtungssprüchen zu durchbrechen . Der Langnam-Verein verlangte öffentlich pauschal, die volle Tariffreiheit wiederherzustellen . Der DIHT äußerte sich in der Hamm’schen Diktion dazu sehr vorsichtig und verlangte eine „elastischere Gestaltung des
Verh . HA, 30 .1 .1930, S . 114 . Für diese Äußerung gab es aus dem Publikum ausdrücklich „Zustimmung“ . 62 Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 37 . 63 Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 389; zum Folgenden ebd ., S . 389–408 . 61
288 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
Tarif- und Schlichtungswesens zwecks beweglicherer Anpassung der Löhne und Gehälter an die wirtschaftlichen Notwendigkeiten“ .64 Der Präsident der Mannheimer Kammer Richard Lenel als Berichterstatter im DIHT-Vorstand wollte eigentlich auf eine deutlich ablehnende Formulierung hinaus, wurde aber von Hamm zu der abgeschwächten Erklärung bewogen, dass der Staat auf die Tarifverträge nicht mehr „einseitig im Interesse der Arbeitnehmer einwirken“ solle . Statt von einer pauschalen „Abschaffung“ der Verbindlichkeitserklärung war jetzt die Rede von ihrer „Abschaffung oder Milderung“ bzw . von der „begrenzten Minderung oder Milderung“ .65 Damit waren die Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets mit dem Versuch gescheitert, ihre harte Haltung im Gesamtverband durchzusetzen .66 Auch noch Ende 1932 hielten Hamm und der DIHT-Vorstand – zumindest in stark eingeschränkter Form – an der Zwangsschlichtung wie an der von der Schwerindustrie und auch von manchen DIHT-Mitgliedern scharf abgelehnten Verbindlichkeitserklärung fest .67
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungsund Reparationspolitik
Die Spar- und Deflationspolitik Brünings ist seit jeher Gegenstand einer nicht endenden erbitterten Diskussion . Nach 1945 stand die Interpretation der internationalen und der deutschen Wirtschafts- und Finanzkrise 1929–1933 weitgehend im Zeichen der Krisen- und Konjunkturtheorie von John Maynard Keynes . Ihr zufolge intervenierten die beiden Regierungen Brüning (1930–1932) zu schwach oder zu spät und wenn überhaupt, dann jedenfalls mit prozyklischer Wirkung ins Wirtschaftsgeschehen . Statt sich ganz auf den Haushaltsausgleich zu konzentrieren, hätten sie mit Hilfe eines kräftigen Deficit-Spending Liquidität schaffen und mit staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Arbeitslosigkeit bekämpfen müssen . Nur eine solche „keynesianische“ staatliche Ankurbelungspolitik hätte die dramatische soziale und politische Krise und damit die Zerstörung der Weimarer Republik verhindern können . Demgegenüber betonte Knut Borchardt 1979 die „Zwangslage“, in der sich die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik seit 1929 befunden habe . Um diese richtig beurteilen zu können, müssten neben
Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 54 . Ebd . 66 Grübler, Spitzenverbände, S . 408 . 67 Vgl . Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 63 f . 64 65
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 289
den Strukturproblemen aus der „Krise vor der Krise“ auch der Zustand der internationalen Finanzmärkte und des Währungssystems sowie außenpolitische Faktoren berücksichtigt werden .68 Dieser Argumentation zufolge waren die vom Young-Plan verlangten Transferleistungen ohne neue Kredite nur bei einer aktiven Handelsbilanz, das heißt durch Exportüberschüsse zu erwirtschaften . Um die Exportfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu steigern, mussten die Produktionskosten der Unternehmen sinken – daher die Zielrichtung auf niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und niedrigere Steuern . Steuersenkungen – bei krisenbedingt ohnehin stark rückläufigen Steuereinnahmen – verlangten Kürzungen in den Haushalten von Reich, Ländern und Gemeinden . Als geeignet für Haushaltskürzungen kamen vorrangig die konsumptiven Ausgaben, die Gehälter von Beamten und Angestellten und die Reichszuschüsse zur hochdefizitären Arbeitslosenversicherung in Frage . Diese Maßnahmen bedeuteten umfassende Einkommensverluste sowohl in der bürgerlichen Mittelschicht wie in der Arbeiterschaft und schwächten die Güternachfrage auf dem Binnenmarkt, besonders im Konsumbereich . Unbestreitbar wirkte das Fehlen einer ausreichenden Binnennachfrage kurzfristig krisenverschärfend . Doch dieser Nachteil musste nach nahezu einhelliger Meinung von Regierung und Wirtschaftsverbänden aus mehreren Gründen in Kauf genommen werden . Nur bei einem ausgeglichenen Staatshaushalt lasse sich, so die durchgängige Einschätzung, die seit 1929 einsetzende und nach dem Wahlsieg der NSDAP im September 1930 verstärkte Kapitalflucht zumindest so weit eindämmen, dass der Wirtschaftskreislauf notdürftig in Gang blieb . Das bedeutete, dass man angesichts der tiefen Störung der Kapitalmärkte durch die Weltwirtschaftskrise ein als Handlungsoption durchaus präsentes Deficit-Spending sowohl für die private wie für die staatliche Kreditaufnahme für unmöglich hielt . Jede weitere Verschuldung hätte zudem nach allgemeiner – und zutreffender – Meinung die Siegermächte und Vertragspartner des Young-Abkommens am Erfüllungswillen Deutschlands zweifeln lassen und damit die notorische Behauptung jeder deutschen Regierung konterkariert, am Ende der finanziellen Leistungskraft angelangt zu sein . Damit wäre auch die Chance geschwunden, früher oder später zu einer Milderung oder völligen Beseitigung der Reparationslasten zu kommen . Vor allem hätte eine weitere Verschuldung – so die Befürchtung – die Inflationsspirale wieder in Gang gesetzt, sofern Kreditgeber überhaupt zu finden waren . Da die Reparationen in Goldmark bezahlt werden mussten, hätte eine
Vgl . die oben auf S . 268 in Anm . 3 genannte Literatur sowie Köster, Krise; als jüngsten Forschungsüberblick Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S . 260 ff .
68
290 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
Abwertung der Reichsmark auch eine entsprechende Erhöhung der Auslandsschulden nach sich gezogen .69 So sehr der Brüning’sche Deflationskurs heute in der Kritik steht, sollte nicht übersehen werden, dass Deutschland den Weg der Deflationspolitik keineswegs isoliert ging . Vielmehr suchten alle großen Volkswirtschaften, unter anderem die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien, ihr Heil in deflatorischen Maßnahmen . Die Erklärung für diesen umfassenden Konsens liegt noch jenseits der – international ganz unterschiedlich wirksamen – Faktoren der Inflationsangst oder sozialrestaurativen Tendenzen nach dem politischen Partizipationsschub für die Arbeiterbewegungen seit dem Weltkrieg . Alle Regierungen und Notenbanken der großen Volkswirtschaften teilten bis zum Herbst 1931 den Wunsch, im internationalen Währungssystem am Goldstandard festzuhalten, den sie nach dem Katastrophenjahr 1923 fast überall wieder eingeführt hatten . Wo es um die kritischen Punkte des internationalen Systems ging, schien der Goldstandard mit Blick auf allzu ausgabenfreudige Sozialisten hie und Militaristen dort gleichsam „schurkensicher“ . Er wurde allgemein mit einem tragfähigen Rezept von internationaler Kooperation assoziiert .70 Seit dem Sommer 1930 tauchten jedoch in der politischen Debatte gewichtige Vorschläge auf, wie neue Entlassungen verhindert und Neubeschäftigung durch staatliche Beschäftigungsmaßnahmen ermöglicht werden könnten . Manche von ihnen waren auch gesellschaftspolitisch einschneidend, so etwa die Einführung eines Arbeitsdienstjahres oder die Verlängerung der Schulpflichtzeit um ein neuntes Jahr . 1931/32 häuften sich die Ideen, durch Kreditausweitung die Wirtschaft anzukurbeln . Letzten Endes ging es dabei immer um die Frage der Finanzierung bei der sich dramatisch verschlech-
In knappster Zusammenfassung finden sich diese oft wiederholten Argumente bei Hamm in seinem Vortrag „Zu Fragen der Arbeitslosigkeit und Preissenkung“, Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 86 f . Die Argumentation hat inzwischen in der Literatur sehr viel Anerkennung gefunden . Zuletzt ganz im Sinne Borchardts: Tooze, Ökonomie, S . 37: „Die hitzigen Diskussionen, die […] über die zwischen März 1930 und Mai 1932 getroffenen wirtschaftspolitischen Entscheidungen von Reichskanzler Brüning und Reichsbankpräsident Luther geführt wurden, lassen sich kaum noch zählen . Doch kaum eine dieser Debatten traf ins Schwarze . […] Da sie [Brüning, Luther; W . H .] an den Regeln des Goldstandards festhalten mußten, während der Young-Plan Annuitäten von 2 Milliarden Reichsmark forderte und die internationalen Kapitalmärkte angesichts der deutschen Kreditnahmen zunehmend nervös reagierten, war Deflation die einzig noch verbliebene Möglichkeit .“ So auch Hesse/Köster/Plumpe, Große Depression, S . 74 ff, bes . S . 77, sowie Köster, Zwangslagen, bes . S . 250 ff; aus der älteren Literatur vgl . v . a . Mommsen, Brünings Politik, S . 16–45; Becker, Probleme; Ders ., Brüning . 70 So das Argument von Tooze, Sintflut, S . 608 . Zur Problematik des Goldstandards insgesamt Eichengreen, Golden Fetters . 69
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 291
ternden Haushaltslage der öffentlichen Hände, des Reichs, der Länder und Gemeinden . Das grundlegende Dilemma bestand darin, dass Alles mit Allem zusammenhing, die Innen- mit der Außenpolitik, die Geldpolitik der Reichsbank mit dem Zustand der internationalen Finanzmärkte, die tief sitzende Inflationsangst in Bevölkerung und Politik mit der internationalen Kreditwürdigkeit der deutschen Wirtschaft und der öffentlichen Hände . In den ersten Monaten der Regierung Brüning erschien die schon von der Großen Koalition eingeleitete Deflationspolitik in Deutschland daher als alternativlos .71 Sie wurde außer von den in der Regierung vertretenen Parteien – Zentrum, DDP, DVP, Wirtschaftspartei und Volkskonservativen – auch von den Gewerkschaften und der SPD mitgetragen, wenn auch nur in der Form der Tolerierung . Ungeachtet der fehlenden Reichstagsmehrheit für Brüning bestand der fast durchgängige Deflationskonsens mindestens bis in den Sommer 1931 hinein, unterstützt auch von der Ministerialbürokratie und den Koryphäen der Nationalökonomie .72 Dass Brüning seine maßgeblichen vier haushalts- und sozialpolitischen Gesetzespakete nur mit Hilfe der präsidentiellen Notverordnungen nach Artikel 48 erlassen konnte, liegt daran, dass die systemfeindlichen Parteien KPD, NSDAP und DNVP zusammen über eine „negative Mehrheit“ verfügten, mit der sie nicht nur den normalen Gesetzgebungsvorgang blockieren, sondern durchaus verfassungskonform jederzeit auch die Aufhebung einer Notverordnung erzwingen konnten . Unter diesen Umständen lag es auf der Hand, dass die Industrieverbände die Regierung Brüning stützten – und zwar ebenso aus ökonomischer wie politischer Überzeugung . Allerdings zeigte sich der radikale Flügel der Schwerindustrie mit dem Umfang und dem Tempo der Deflationspolitik, des Sozialabbaus und der geplanten Steuersenkungen alsbald unzufrieden .73 Die RDI-Führung um die Präsidenten Carl Duisberg bzw . – ab Oktober 1931 – Gustav Krupp von Bohlen und Halbach sowie vor allem um den Geschäftsführer Kastl blieb jedoch auch dann noch auf ihrem Kurs, als seit Ende 1930, verstärkt ab März 1931 und dann noch einmal zunehmend nach der Bankenkrise im Juni 1931, die Friktionen im Verband deutlich zunahmen . Angeführt wurde die Opposition von Paul Reusch und Fritz Springorum, dem Generaldirektor der Hoesch-AG, Mitglied der „Ruhrlade“ und Vorstandsmitglied im RDI und im Bergbauverein . Sie operierte dabei auch auf der parteipolitischen Ebene und verlangte von der DVP-Fraktion im Reichstag, „brutalste“ Ausga-
Tooze, Sintflut, S . 616; Ders ., Ökonomie, S . 37 f . Vgl . u . a . Abelshauser, Korporatismus, S . 166 f . 73 Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 118–125, 228–249, 318–354, 410–462; Kim, Industrie, S . 48–123 . 71 72
292 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
benkürzungen durchzusetzen, „um auf diese Weise die Wirtschaft wirklich zu entlasten und so den Gesundungsprozess einzuleiten“ .74 Seit der erneuten Talfahrt der Wirtschaft im Gefolge der Bankenkrise vom Juni 1931 verschärfte sich der Ton der Schwerindustrie gegen die Regierung Brüning noch einmal .75 Am 6 . September forderte Reusch in einem Schreiben an Kastl den RDI-Vorstand auf, Brüning, der zu einer noch weitergehenden Deregulierung des Tarifsystems nicht bereit war, nunmehr „auf das Allerschärfste zu bekämpfen und ihm ganz offen“ das Misstrauen auszusprechen, weil er nicht den Mut habe, „sich von der Sozialdemokratie zu trennen“ .76 Auch im DIHT traten die Meinungen über die Maßnahmen der Regierung im Laufe des Jahres 1931 deutlich auseinander . Doch war man sich im DIHT darüber einig, dass unter den herrschenden Umständen die Regierung Brüning die bestmögliche Option sei .77 Wenn sich trotzdem bereits seit der Jahresmitte 1930 Differenzen zur Regierung auftaten, so lag das an zwei – auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen – Gründen . Der erste war die Distanz, die Brüning gegenüber den Industrieverbänden wahrte .78 Sein ausgesprochenes Misstrauen gegenüber der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie steigerte sich noch einmal, als die DVP-Fraktion nach einer Regierungskrise im September 1931 aufgrund zweier Anlässe aus der Regierung ausschied: zum einen, weil ihr Außenminister Julius Curtius, der Betreiber des Deutsch-Österreichischen Zollunionsprojekts, nach dem ablehnenden Votum des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag am 5 . September 1931 nicht mehr zu halten war; zum anderen, weil der schwerindustrielle DVP-Flügel Anfang Oktober 1931 verlangte, die Partei solle in die Opposition gehen und einen Misstrauensantrag gegen die Regierung
Brief des Berlin-Residenten der Gute-Hoffnung-Hütte, Reusch-Vertrauten und DVPAbgeordneten (bis 1930) Erich von Gilsa an den DVP-Vorsitzenden Eduard Dingeldey vom 31 .3 .1931, zit . nach Grübler, Spitzenverbände, S . 238; zum Ganzen ebd ., S . 237–241; Kim, Großindustrie, S . 185 ff . 75 Vgl . Bähr, Banken- und Währungskrise; James, Bankenkrise . 76 Reusch an Kastl, 6 .9 .1931, zit . nach Weisbrod, Schwerindustrie, S . 487 . Zum Konfrontationskurs Reuschs und seiner Mitstreiter, insbesondere Springorums, vgl . auch Langer, Macht, S . 472 ff . Da Kastl sich dieser Zuspitzung widersetzte, setzte Reusch in einem weiteren Brief am 16 .9 .1931 noch einmal nach: „Wenn der Reichsverband in der jetzigen kritischen Stunde versagt und seine Stimme nicht laut ertönen läßt, so kann er seine besten Freunde verlieren . […] Nicht diejenigen, die vor der Regierung strammstehen, leisten dem deutschen Volk heute einen Dienst, sondern diejenigen, welche […] mit aller Energie gesetzliche Maßnahmen fordern, die uns vor dem Abgrund retten können“; Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 314; vgl . auch Kim, Großindustrie, S . 185 . 77 Grübler, Spitzenverbände, S . 410–462 u . passim . 78 Vgl . oben S . 282 f . 74
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 293
stellen . In der am 9 . Oktober 1931 gebildeten zweiten Regierung Brüning war die DVP nicht mehr vertreten .79 Der zweite Grund für aufkommende Divergenzen zumindest zwischen der DIHT-Spitze und der Regierung lag in der wachsenden Beunruhigung der Verbandsspitze über den explosionsartigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen von rund 4 Millionen Ende 1930 auf 6,1 Millionen im Februar 1932 und über die Frage, wie er zu bekämpfen sei . Das Thema Arbeitsbeschaffung war schon seit den Stabilisierungskrisen von 1924/25 in der Öffentlichkeit präsent und seit 1929 allgegenwärtig . Es beschäftigte selbstverständlich auch immer wieder die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft .80 Hamm jedenfalls hatte schon im April 1928 den Anstieg der Arbeitslosenzahlen alarmiert registriert und die Arbeitgeber aufgefordert, „soziale Härten und Nöte im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen“ zu vermeiden . „Kaum eine andere der Tatsachen unseres sozialen Lebens ist seelisch belastender für die Arbeitnehmer als die Unsicherheit ihrer Beschäftigung“ . Vor allem auf die Entlassung älterer Angestellter solle möglichst verzichtet werden .81 Tatsächlich war die Regierung Brüning auf diesem Gebiet nicht ganz untätig . Auf der Basis der Notverordnung vom 26 . Juli 1930 gründete sie eine Finanzierungsgesellschaft – die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG (Öffa), deren Verwaltungsrat auch Hamm angehörte – mit dem ausdrücklichen Auftrag, möglichst viele Arbeitslose wieder in „produktive Arbeit“ zu bringen .82 Das Geld sollte aus langfristigen ausländischen Krediten kommen, Kommunen und Wirtschaftsbetrieben mit einer Beteiligung der öffentlichen Hand – nicht aber privatwirtschaftlichen Unternehmen – zugute kommen und in Tiefbauprojekte, Straßenbauten, Kanäle und Staudämme fließen . Reichsbankpräsident Luther verzögerte seine Zustimmung aber so lange, bis es für erfolgreiche Kreditverhandlungen zu spät war . Der Ausgang der September-Wahlen mit dem Sensationserfolg der Nationalsozialisten hatte den
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Winkler, Weimar, S . 430 ff; Mommsen, Aufstieg, S . 483–489; Hömig, Brüning, S . 390–
398 . Neben der oben in Anm . 9 genannten Literatur zur „Borchardt-Kontroverse“ vgl . u . a . Schneider, Arbeitsbeschaffungsprogramm, S . 22–24; Petzina, Arbeitslosigkeit; Reiß, Staat . 81 Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 132 . 82 Vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 365 f; Schneider, Arbeitsbeschaffungsprogramm, S . 186 f; Meister, Depression, S . 46–55, 322–343, 477–485 . Zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung Brüning zusammenfassend Wolffsohn, Industrie, S . 45–77; der amtierende Wirtschaftsminister Trendelenburg bezifferte im Juli 1930 den Umfang der vorgesehenen Mittel für das Haushaltsjahr 1930 auf 1,5 Milliarden RM, von denen allerdings nur ein kleiner Teil eingesetzt wurde . 80
294 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
deutschen Kredit im Ausland massiv erschüttert .83 Die Notverordnung vom 5 . Juni 1931 erlaubte der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Mittel für Projekte eines freiwilligen Arbeitsdienstes bereitzustellen, so etwa zur Förderung von Meliorationen und zur Umsiedelung von Arbeitslosen aufs Land . Doch blieb diese Initiative ohne durchschlagende Wirkung . Im Frühjahr 1931 gab es zudem Anzeichen, dass ein allgemeiner Wirtschaftsaufschwung bevorstehe . Die Zinssätze lagen vergleichsweise niedrig und der übliche Frühjahrsrückgang bei der Arbeitslosigkeit dauerte länger als sonst . Joseph Schumpeter vertrat die Meinung, dass die deutsche Volkswirtschaft jetzt die Talsohle erreicht habe .84 Gleichzeitig deutete Brüning eine Abkehr von seiner strikten Deflationspolitik an, und Finanzminister Dietrich verstärkte seine Versuche, indirekt durch eine Reihe staatlicher Maßnahmen einen konjunkturpolitischen Umschwung anzustoßen .85 Hamm diskutierte in seinen Reden alle diese Vorschläge sehr grundsätzlich . Die DIHT-Gremien lehnten jede Form staatlicher Arbeitsbeschaffungspolitik rigoros ab, und Hamm brachte diese Position auch deutlich zum Ausdruck . Bis zum Sommer 1931 kam er zumindest nach außen hin in Übereinstimmung mit den sonstigen Wirtschaftsverbänden und den Mitgliedern des DIHT zu dem Ergebnis, dass sie entweder nicht durchführbar seien oder mittel- und längerfristig mehr schadeten als nutzten . Wie die Industrieverbände insgesamt ließ er die Befürchtung anklingen, dass jede Art von direkter Arbeitsbeschaffung Reformdruck aus der Regierung nehmen würde, dass sie also die so dringend gewünschte Beschränkung der Weimarer Sozialstaatlichkeit – niedrigere Steuern, längere Arbeitszeit, Autonomie der Tarifpartner gegenüber dem Staat, niedrigere Löhne – verzögern oder ganz verhindern würden . Bei den gemäßigten Verbandspolitikern galt im Allgemeinen die Parole, die Krise müsse eben durchgestanden werden . Die Hardliner dagegen sahen die Krise als Chance, endlich ihre Forderungen vollständig durchzubringen, und lehnten schon deshalb staatliche Interventionen zur Linderung der Krise ab . Diese Position vertrat im RDI nicht nur der schwerindustrielle Flügel, sondern auch der sonst eher auf Ausgleich bedachte Geschäftsführer Ludwig Kastl .86 Aber auch engagierte Sozialpolitiker wie der Arbeitsminister der Regierung Brüning, Adam Stegerwald vom Arbeitnehmerflügel des Zentrums, und Rudolf Hilferding von der SPD sahen bis in das Frühjahr 1931 aus einer Vielzahl finanzieller, beschäftigungspraktischer und politischer Gründe
Vgl . Wolffsohn, Industrie, S . 64 f sowie Mommsen, Aufstieg, S . 448 . Vgl . James, Weltwirtschaft, S . 282 . 85 Wolffsohn, Industrie, S . 62 ff; Grübler, Spitzenverbände, S . 371–374 . 86 Weisbrod, Befreiung, S . 313–325, bes . 324 f; Grübler, Spitzenverbände, S . 301–432 . 83 84
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 295
heraus keine Möglichkeit, extensive Arbeitsbeschaffungsprogramme aufzulegen . Allerdings finden sich unter der Oberfläche der Verbandsrhetorik im DIHT bereits seit dem Herbst 1930 deutliche Spuren einer Umorientierung von der „angebotsorientierten Deflationspolitik zur nachfrageorientierten Konjunkturpolitik“ .87 In einer Sitzung des Hauptausschusses am 28 . November 1930 bemühte Hamm zwar die Standardargumente, dass die Betriebe von Lohnnebenkosten und Steuern entlastet werden müssten und dass ihre Versorgung mit Kapital nicht durch staatliche Kreditaufnahmen gefährdet werden dürfe, erklärte aber auch, dass es eine Rückkehr Deutschlands zu einer völlig freien Wirtschaft nicht geben könne . Sorgfältig diskutierte er mehrere Vorschläge unter anderem zur Arbeitsbeschaffung durch „werteschaffende Arbeitslosenfürsorge“ in Form staatlicher Infrastrukturprojekte . Diese sei zwar unwirtschaftlich . Zur Untermauerung dieses Befundes berief er sich auf eine auf Arbeitgeberseite häufiger bemühte Expertise des Präsidenten der „Reichsanstalt“, Friedrich Syrup, der zufolge die Beschäftigung eines Notstandsarbeiters mindestens das Vier- bis Fünffache der Arbeitslosenunterstützung kostete .88 Aber die abschließende Formulierung zu diesem Thema lautete doch nicht strikt ablehnend: „die Milderung der Arbeitslosigkeit durch Arbeitsaufträge der öffentlichen Hand ist […] in ihren Möglichkeiten sehr beschränkt“ und „der entscheidende Anstoß“ zur Überwindung der Depression müsse vom Binnenmarkt kommen .89 Im Blick auf die Frage, wer die Deflationspolitik der Regierung Brüning zu welchem Zeitpunkt, in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität in Frage gestellt habe, ist die Zustimmung zu staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht das einzige und auch nicht das ausschlaggebende Kriterium . Der keynesianische Lösungsansatz sieht vor, dass der Staat durch eigene Kreditaufnahme der Wirtschaft Geld zuführt und so deren Investitionsbereitschaft fördert, wobei allerdings der Staat auch selbst als Auftraggeber fungieren kann und soll . Zum Verständnis der zeitgenössischen Diskussionen ist es
Kim, Großindustrie, S . 182 . Kim weicht damit deutlich ab von dem pauschalen Urteil Mommsens, Aufstieg, S . 450, eine „Arbeitsbeschaffungspolitik durch Kreditschöpfung im Innern hätte die Absicht der industriellen Spitzenverbände, die Krise zu einer Generalbereinigung auf dem Gebiet der Sozialpolitik zu benutzen, durchkreuzt […] .“ Mommsen unterscheidet – wie auch sonst häufig die ältere Literatur – zu wenig zwischen RDI und DIHT; häufig wird die Position des RDI bzw . einzelner seiner Vertreter mit der der industriellen Spitzenverbände oder gar der Industrie schlechthin gleichgesetzt . 88 Verh ., HA, 28 .11 .1930, S . 89 f . 89 Ebd ., S . 95 . Laut Kim ging Hamm damit innerhalb der Industrieverbände mit der „inflationistischen“ Position voran; Kim, Großindustrie, S . 182 . 87
296 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
notwendig, wie damals üblich zwischen „mittelbarer“ und „unmittelbarer“ Arbeitsbeschaffung zu unterscheiden . Unter der „mittelbaren“ ist das Prinzip zu verstehen, dass der Staat zur Ausweitung von Produktion und Konsumption anregt und so eine Steigerung der Investitionstätigkeit induziert . Als Instrumente dazu können Maßnahmen zur Kostensenkung der Unternehmen durch Beschränkung der Sozialabgaben, Steigerung der Arbeitszeit oder Steuerentlastung dienen, aber auch die Vergabe von Subventionen . „Unmittelbare“ Arbeitsbeschaffung meint dagegen die Vergabe staatlicher Aufträge vorzugsweise für Infrastrukturmaßnahmen wie zum Beispiel den Straßen-, Wasserstraßen- oder Eisenbahnbau, Hochwasserschutz oder Meliorationen .90 Entscheidend ist hier wie dort die Finanzierung . Auslandskredite waren nach dem September 1930 kaum mehr zu bekommen, also ging es um eine Kreditausweitung im Inneren . In Kauf zu nehmen waren dabei die Risiken neuer Inflationsschübe und des Vertrauensverlustes des Auslands in die Stabilität der deutschen Wirtschaft und Währung und der Reparationstransfers .91 Für Hamm war die Absatznot der deutschen Wirtschaft eine Folge der Kostenübersteigerung und der Entwertung des investierten Kapitals durch Unrentabilität – an dieser Grundüberzeugung aller deutschen Unternehmer hielt auch er unverbrüchlich fest . Daher verlangte er wie üblich eine weitere Senkung der Sozialausgaben sowie Steuerentlastungen, gestand dabei jedoch – im Unternehmerlager ungewöhnlich – ausdrücklich zu, dass sie vielleicht nicht sofort zu erzielen seien .92 „Unmittelbare“ Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in größerem Umfang, die den Haushalt belasteten, lehnte Hamm in seinen öffentlichen Reden bis in den Sommer 1932 hinein ab . Mit dem Anhalten der Krise und den weiter steigenden Arbeitslosenzahlen schienen jedoch – in kleinem Umfang – auch unorthodoxe Mittel denkbar, um die politischen Folgen der sozialen Not in Schach zu halten . So sprach er bereits im November 1930 von einem erheblichen, zeitlich regulierbaren Auftragsbedarf etwa bei den öffentlichen Bauten und bei Erneuerungen und Erweiterungen von Betrieben der öffentlichen Hand .93 Allerdings würde nach seiner Meinung der Effekt dieser Art von Investitionstätigkeit gering bleiben . Im Januar 1931 schlug Finanzminister Dietrich von der Staatspartei darüber hinaus Lohnkostenzuschüsse für Mehrbeschäftigte
Die Unterscheidung hier nach Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik, S . 15–29 . Dass von den Industrieverbänden nicht immer klar erkennbar zwischen beiden Varianten unterschieden wurde, kann zu Missverständnissen führen, zumal heute nur die zweite Variante als „Arbeitsbeschaffung“ bezeichnet wird; vgl . auch Wolffsohn, Industrie, S . 45–65, 273–282 . 91 Verh . HA, 28 .11 .1930, S . 88 . 92 Ebd ., S . 87 . 93 Ebd ., S . 91 . 90
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 297
vor und verlangte schließlich, einen Krisen- und Wirtschaftsfonds einzurichten, aus dem Lohnbeihilfen und Kredite für Meliorationen, für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur durch die Reichsbahn sowie für die Förderung des staatlichen Wohnungsbaus bereitgestellt werden sollten . Ohne es deutlich zu sagen, strebte Dietrich damit einen Kurswechsel hin zu einer aktiven Konjunkturpolitik an . Die Wirtschaftsverbände lehnten diese Vorschläge zwar durchweg ab – was ihnen dadurch erleichtert wurde, dass Dietrich die Mittel für den Fonds aus einer neu aufzulegenden „Krisensteuer“ zu beschaffen gedachte .94 Gleichwohl zeichnete sich seit Januar 1931 auch im RDI und in der VDAV ein Sinneswandel zu einer stärkeren staatlichen Intervention in den Arbeitsmarkt ab .95 Seit Mitte Mai 1931 nahm die Kritik an der Schrumpfung der Wirtschaft infolge der Deflationspolitik und die Hinwendung zu einer Politik der Kreditausweitung zusätzlich Fahrt auf . Eine eigens von der Regierung berufene Sachverständigenkommission unter Leitung des ehemaligen Arbeitsministers Heinrich Brauns – die „Brauns-Kommission“ – legte Vorschläge für staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Größenordnung von 1 bis 2 Milliarden RM vor, die über Auslandskredite finanziert werden sollten – die zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht zu haben waren .96 Einen weiteren heftigen Anstoß für die Stärkung der „expansionistischen“ Richtung in den Industrieverbänden gab die Bankenkrise vom Juni 1931 . In ihrem Gefolge transformierte sich die Weltwirtschaftskrise von einer Anpassungskrise an die Absatzflaute nach dem Überschäumen der Hochkonjunktur 1929 in eine Strukturkrise, in der sich der Abschwung kumulativ verstärkte . Die Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie sank von 56 % im letzten Quartal 1930 auf 41 % im ersten Quartal 1932, die Arbeitslosenquote stieg von 25,3 % im Frühjahr 1931 auf 39,4 % im ersten Quartal 1932 . Die nominale Geldmenge sank von September 1930 bis zum Mai 1932 um 24,6 % .97 Die neuerliche Zuspitzung bewegte am 15 . Juli 1931 eine Runde von Schwerindustriellen – unter anderen Albert Vögler, Fritz Thyssen, Ernst Poens-
Vgl . zum Ganzen Grübler, Spitzenverbände, S . 365–402 . Kim, Industrie, S . 111 ff; Ders ., Großindustrie, S . 182 . 96 Vgl . Kim, Großindustrie, S . 183 . Für Mommsen, Aufstieg, S . 448, kam die Brauns-Kommission von 1931 über „fragwürdige Palliative“ nicht hinaus . Zur ablehnenden Stellungnahme der Industrieverbände vgl . Grübler, Spitzenverbände, S . 362–364, 368 f . Holtfrerich hält dem zweiten Gutachten der Brauns-Kommission zugute, dass es zumindest die Debatte über die notwendige Kreditexpansion gefördert habe; Holtfrerich, Konjunkturpolitik, S . 644–647; Ritschl, Schuldenkrise; die unterschiedlichen Positionen von Holtfrerich und Ritschl stehen in diesem Sammelband ohne Vermittlungsversuch nebeneinander . 97 Kim, Industrie, S . 104 . 94 95
298 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
gen, Oskar Sempell, Peter Klöckner – zu der Erkenntnis, dass ein energischer geldpolitischer Kurswechsel nötig sei .98 Der harte Kern der schwerindustriellen Regierungskritiker hielt allerdings auch jetzt noch an der Obsession fest, eine Konjunkturwende sei erst dann erwünscht, wenn die Wirtschaft endgültig dereguliert und das bestehende Tarifsystem unwiderruflich zerstört sei .99 Im Ganzen setzte sich aber im RDI im Sommer 1931 der „expansionistische“ Kurs der Verbandsführung durch . Gleichwohl achtete vor allem Kastl in seinen Reden, Denkschriften und Briefen sorgfältig darauf, den Riss im Verband zwischen Deflationisten und Expansionisten – bzw . jetzt auch den Befürwortern unmittelbarer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – durch eine zwischen den Positionen mäandernde Gedankenführung möglichst zu verschleiern . Ähnlich verfuhr auch Hamm im DIHT . Dabei sah er sich bei den „offiziösen“ Verlautbarungen des Verbands in der Vollversammlung oder im Hauptausschuss deutlich stärker zu einer manchmal abenteuerlich anmutenden Gratwanderung genötigt als im Schriftverkehr mit anderen Vorstandsmitgliedern, mit der Reichsregierung oder mit der Reichsbank . Hier wagte er sich mit der Aufforderung zu einer neuen Kreditpolitik früher und deutlicher aus der Deckung des Deflationskonsenses als sein Kollege Kastl vom RDI .100 In der Hauptausschusssitzung am 23 . Juni 1931, unmittelbar nach der Verkündung des Hoover-Moratoriums, würdigte Hamm die Senkung der Arbeitslosenversicherungsleistungen um 7–14 % durch die Notverordnung vom 5 . Juni 1931 als gewaltige Einschränkung, „die vielleicht in der Größe nicht sofort überall wahrgenommen“ worden sei,101 und sprach sich für Arbeitsbeschaffung durch eine Erweiterung der Reichsbahnaufträge im – sehr bescheidenen – Umfang von 140 Millionen RM aus . Die Deflationisten unter seinen Zuhörern suchte er mit dem Hinweis zu beschwichtigen, hier liege keine Subvention vor, da es sich um einen „wirklichen gegenwärtigen Bedarf “ der Reichsbahn handle . Außerdem bekannte er, wenn auch sehr vorsichtig: „Ich möchte persönlich nicht unter allen Umständen ausschließen, daß sich einmal ein gewisser Punkt ergeben kann, wo schon die Einsetzung geringer Kräfte eine Bewegung erzielt .“102
Vögler schlug „produktive Arbeiten“ in Straßen- und Eisenbahnbau im Umfang von 1–2 Milliarden RM vor . Arthur Klotzbach, Direktoriumsmitglied der Krupp-AG, Präsidiumsmitglied des RDI und mehrerer schwerindustrieller Verbände, erhoffte von einem Einsatz von 1 Milliarde RM die Neueinstellung von 400 .000 Beschäftigten; ebd . 99 Ebd ., S . 105–114 . 100 Vgl . Wolffsohn, Industrie, S . 215; zum Ganzen ebd ., S . 211–218; mit noch stärkerer Betonung der Eigenständigkeit des DIHT und seines Geschäftsführers gegenüber dem RDI Kim, Industrie, S . 115–118; Ders ., Großindustrie, S . 183–200 . 101 Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 43 . 102 Ebd ., S . 45 . 98
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 299
Auf dem Höhepunkt der Bankenkrise plädierte die Verbandsspitze zudem eindeutig für eine Ausweitung der Geldmenge .103 Nachdem sich jedoch der Zahlungsverkehr wieder normalisiert hatte, kam es am 26 . August 1931 im Kreditausschuss des DIHT zu einem heftigen Disput . Hamm hatte die Aufgabe übernommen, „die Meinungen des Kreditausschusses auf die von der Verbandsführung gewünschte Linie zu bringen“,104 und so votierte die Mehrheit am Ende erneut für eine expansive Geldpolitik .105 Anschließend teilte Hamm das Beratungsergebnis der Reichsregierung und der Reichsbank mit . Für die Sitzung von Vorstand und Hauptausschuss am 10 . September 1931 verfasste er eine „Stellungnahme zur gegenwärtigen Wirtschaftslage und den wirtschaftspolitischen Erfordernissen“, in der er ausdrücklich eine expansive antizyklische Konjunkturpolitik befürwortete .106 Zwar kritisierte Paul Reusch diesen Entwurf scharf, doch zeigte sich Hamm nur zu marginalen Änderungen bereit .107 Neu war jetzt vor allem, dass Hamm ausdrücklich auf eine Ausweitung der öffentlichen Aufträge, also der „unmittelbaren“ Arbeitsbeschaffung drängte . In seiner Rede vor dem Hauptausschuss am 10 . September 1931 bemühte er dann wiederum erst das ganze wohlbekannte Arsenal antigewerkschaftlicher Forderungen, bevor er für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eintrat .108 Die Äußerungen Hamms zur staatlichen Arbeitsbeschaffung erscheinen bis zum Ende der Regierung Brüning widersprüchlich . Einerseits betonte er immer wieder, dass der Wirtschaft über die Steuern nicht zusätzlich Geld entzogen werden dürfe und dass Inflationsgefahren strikt vermieden werden müssten . Andererseits verlangte er, zum Beispiel auch nach dem Kurswechsel vom Herbst 1931, im Gespräch mit dem Wirtschaftsstaatssekretär Hans Schäffer, dass Reichsbankpräsident Luther jetzt „allerlei tun muss, um Kre-
DIHT an Dietrich, Trendelenburg und Luther, undatiert, vermutlich 2 . Julihälfte 1931, in: BArch, N 1013, 640; vgl . Kim, Industrie, S . 115 . 104 Kim, Industrie, S . 115 . 105 Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Kredit-, Geld- und Bankwesen, 26 .8 .1931, in: Verh ., 1931, S . 18–23 . 106 Ref . nach Kim, Industrie, S . 116 . 107 Hamm solle, so Reusch, der Regierung nahelegen, „daß der starke Schrumpfungsprozess der Wirtschaft als ein vorläufiger Dauerzustand betrachtet werden muss und infolgedessen Reich, Länder und Stadt in ihren Aufgaben und Organisationen diesen Schrumpfungsprozess in vollem Maße mitmachen müssen“; Reusch an Hamm, 2 .9 .1931, zit . nach ebd ., S . 116 . 108 Verh ., HA, 10 .9 .1931, S . 23 u . 45 . Auch für den DIHT trifft die Feststellung über den RDI zu, dass der Verband „konjunkturpolitische Maßnahmen stets nur als Dreingabe zu seinen eigentlichen Forderungen nach Senkung der Steuern und Abgaben und der Einschränkung der Tarifautonomie ins Werk gesetzt wissen wollte .“ Hesse/Köster/Plumpe, Große Depression, S . 74 . 103
300 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
ditmöglichkeiten zu schaffen und zu belassen“ .109 Die Widersprüche erklären sich aus zwei Faktoren: Im DIHT ebenso wie im RDI standen sich Gegner und Anhänger einer Kreditausweitung konträr gegenüber, und Hamm hatte im DIHT Rücksicht auf beide Positionen zu nehmen . Daher rühren seine oft komplizierten Formulierungen . Manchmal eckte er aber gerade mit seinen Vermittlungsversuchen an . In der Hauptausschusssitzung am 3 . Dezember 1931 in Köln zum Beispiel plädierte der Präsident der IHK Köln, Silverberg, der hier auch den Hauptvortrag übernommen hatte, vehement für eine Erhöhung des Kreditvolumens der Reichsbank . Reichsbankpräsident Luther hielt in einem – höchst ungewöhnlichen – direkten Schlagabtausch dagegen und erklärte die Zinshöhe und die restriktive Reichsbankpolitik für unumgänglich . Hamm lavierte in der Diskussion . Wer aber genau hinhörte, vernahm ein Plädoyer für Zinssenkungen . Das genügte Silverberg jedoch nicht, und er beschwerte sich bei Hamm schriftlich, seine Ausführungen seien im Protokoll unzureichend wiedergegeben . Was Silverberg nicht wusste: Hamm hatte angesichts der politischen Brisanz des Streits seinen Protokollentwurf an den Reichskanzler geschickt, und Brüning hatte eine Abänderung des Protokolls verlangt . Diesen Änderungswunsch wiederum korrigierte Hamm deutlich, weil er ihm zu weit ging .110 Spätestens seit der Bankenkrise waren demnach die Führungsgremien von RDI und DIHT haushalts- und finanzpolitisch in deutlichem Gegensatz zur Regierung Brüning geraten, blieben aber politisch bei ihrer Unterstützung . Der Reichskanzler manövrierte den Druck der „expansionistischen“ Verbandsspitzen unter anderem dadurch aus, dass er Ende Juli/Anfang August 1931 nicht die Verbandsvertreter, sondern einzelne ausgewählte Industrielle und sonstige Fachleute zu Beratungen über die Wirtschaftslage in die Reichskanzlei bat, „Expansionisten“ wie Vögler, Silverberg, Hermann Warmbold und Hermann Schmitz, aber auch Deflationisten wie Hermann Bücher und Rudolf Hilferding (!) . Im Übrigen spaltete er die Unternehmerfront auch damit, dass er die Eingaben der Verbände schlicht ignorierte .111 Hamms Denkschrift mit der dringlichen Aufforderung, auf die Reichsbank einzuwirken, damit sie sich „so weit wie irgend möglich in den Dienst der Krediterleichterung und -ausweitung“ stelle, ging daher ins Leere .112 Die Inflationsgefahr sei zwar zu
Tagebucheintrag Schäffers, 29 .1 .1932, in: Institut für Zeitgeschichte, ED 93, 17; vgl . Kim, Großindustrie, S . 197 . 110 Verh ., HA, 3 .12 .1931; vgl . dazu Neebe, Großindustrie, S . 114; Kim, Industrie, 144 f . 111 Kim, Großindustrie, S . 189 f; Winkler, Weimar, S . 420 ff . 112 DIHT an den Reichskanzler, 27 .8 .1931, in: BArch, R 43-I, 659; vgl . auch Wolffsohn, Industrie, S . 215 . Zu diesem Zeitpunkt wollte der DIHT auch nicht mehr auf der buchstabengetreuen Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung auf den Goldstandard bestehen . Auch 109
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 301
vermeiden, so Hamm in einem weiteren Schreiben des DIHT an den Kanzler einen Monat später, aber „Deflation auf unabsehbare Zeit“ sei eben auch keine Alternative .113 Auch die direkte Aufforderung an Brüning, es seien jetzt dringend „Führung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Fragen der Kreditpolitik“ nötig, blieb ohne Ergebnis . Nach dem 20 . September 1931 ließ dann allerdings das Eintreten der zeitweise „expansionistischen“ Verbandsvertreter nach einem Ende der Deflationspolitik deutlich nach . RDI, DIHT und neun weitere Spitzenverbände gaben am 29 . September 1931 eine „gemeinsame Erklärung“ heraus, in der sie die gewohnten Forderungen nach Haushaltskürzungen, Sozialabbau und Beendigung der Tarifbindung wieder ganz in den Vordergrund stellten und auf die Arbeitsbeschaffung überhaupt nicht eingingen . Was war geschehen? Zum einen war im August/September 1931 klar geworden, dass Brüning jetzt, anders als zeitweise im Frühjahr, eine Lockerung der Deflationspolitik definitiv ausschloss und dabei kaum verhüllt mit dem Rücktritt drohte – was die Industrie in Verlegenheit brachte, weil sie keine Alternative zu Brüning präsentieren konnte .114 Zum anderen aber änderte sich am 20 ./21 . September 1931 schlagartig die gesamte währungs- und außenhandelspolitische Situation . Großbritannien gab von einem Tag auf den anderen den in den zwanziger Jahren gerade von den britischen Regierungen so stark forcierten Goldstandard auf, gefolgt erst von den Ländern des Sterlingblocks und dann auch von den USA und den meisten europäischen Staaten . Der Kurs des Pfund sank bis zum Jahresende 1931 um 30 % . Entsprechend verbilligten sich die Ausfuhren aus den Abwertungsländern, während sich deren Importe aus Deutschland im selben Umfang verteuerten und entsprechend in den Keller gingen . Nach der Aufgabe der Goldparität lag die Verantwortung für die Geldschöpfung auch wieder ganz bei den einzelnen Staaten . Wer sich jetzt vom Goldstandard löste und eine expansive Geldpolitik betrieb, gehörte zu den Gewinnern der neuen internationalen Konkurrenzsituation und des Wettlaufs um die Konjunkturbelebung . Großbritannien, Schweden und Japan boten dafür die Hauptbeispiele . Trotzdem lehnten die deutschen Wirtschaftsverbände eine Abwertung der Reichsmark entschieden ab . Wie die Regierung und die Parteien ein-
wenn die Deckungsgrenze von 40 % für den Güter- und Goldumlauf unterschritten werde, führe das noch nicht notwendig zur Inflation; vgl . ähnlich Hamm an die Mitglieder des Vorstands des DIHT, 29 .8 .1931, in: BArch, N 1013, 640; Wolffsohn, Industrie, S . 215 . 113 DIHT an den Reichskanzler, 24 .9 .1931, in: BArch, R 43-I, 2351; vgl . Wolffsohn, Industrie, S . 215 . Holtfrerich, Konjunkturpolitik, S . 657, sieht in Hamm die „treibende Kraft“ bei den „Expansionisten“ im DIHT . 114 Vgl . Hömig, Brüning, S . 384–392 .
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schließlich der SPD fürchteten sie eine neue Inflationsgefahr und dass die deutsche Auslandsschuldenlast, die auf Dollar lautete, entsprechend dem sinkenden Wechselkurs der Reichsmark zunehmen würde . Tatsächlich verfügte die Reichsbank auch nicht über genügend Reserven, um die zu erwartenden Angriffe der Währungsspekulation abzuwehren .115 Das Inflationstrauma aus den Jahren 1922/23 beherrschte jetzt auch die Lagebeurteilung bei denjenigen, die es zuletzt abgelehnt hatten, die eigene Haushalts- und Finanzpolitik von der Furcht vor einer neuen Inflation bestimmen zu lassen – so auch bei Hamm und der DIHT-Spitze insgesamt . Hamm, der zuvor neue Inflationsgefahren nicht mehr allzu tragisch genommen hatte, meinte nunmehr, der Weg der Inflation sei für Deutschland „nach dem Stande unserer Erfahrungen und unserer Verhältnisse offenbar ungangbar“ . Es bleibe jetzt nichts anderes mehr übrig, als den „mühe- und opfervollen Weg der Kostensenkung“ auf der ganzen Linie durchzuziehen . Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die er zuvor propagiert hatte, schienen ihm nunmehr als „zunächst durchaus undurchführbar“ .116 Als der Leiter des Statistischen Reichsamts und des Instituts für Konjunkturforschung Ernst Wagemann Anfang Februar 1932 seinen weitreichenden Vorschlag zu einer partiellen Währungsreform und massiver Kreditausweitung vorlegte, zählte Hamm im Einklang mit dem Präsidium des DIHT und auf der Grundlage einer Expertise des Präsidenten der Berliner Handelskammer zu den scharfen Kritikern des Vorschlags . Hamm schien das Inflationsrisiko im Falle seiner Verwirklichung zu groß, aber zweifellos missbilligte er auch das Vorgehen Wagemanns, das mit dem öffentlichen Vorpreschen bei der Publikation des Plans einer Desavouierung Brünings gleichzukommen schien .117 Die Wiederannäherung der DIHT-Spitze – und des RDI – an Brünings Wirtschaftskurs hatte aber noch einen weiteren Grund . Er beruhte auch auf dem durch die englische Entscheidung wiederhergestellten Konsens über die deutsche Reparationspolitik, der sich seit dem Herbst 1930 gelockert hatte . Noch galten die erst im März 1930 gegen die enthemmte radikal-nationalistische Agitation des Volksbegehrens gegen den Young-Plan unterschriebenen
Vgl . u . a . Witt, Auswirkungen; James, Deutschland, S . 368 ff; Eichengreen, Crashs, S . 184–194; Tooze, Sintflut, S . 626: „Das Land, für das die Situation nun wirklich unerträglich wurde, war Deutschland .“ 116 Verh ., HA, 8 .10 .1931, S . 64; Kim, Industrie, S . 137 f; vgl . u . a . James, Deutschland, S . 368 ff; zur Relevanz des Inflationstraumas vgl . Feldman, Aspekte, S . 112; James, Deutschland, S . 370 f: „Die Annahme, daß Deutschland durch eine Abkehr vom Goldstandard die mühsam wiedergewonnene, aber keineswegs gesicherte Stabilität aufs Spiel setze, war durchaus realistisch“ . Vgl . auch Borchardt, Gewicht . 117 Zu dem ganzen Vorgang vgl . BArch, R 11, 1371 . 115
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 303
Regeln dieses neuen Reparationsabkommens . Bei einer Mark-Abwertung und bzw . oder bei deutlicher Kreditexpansion befürchteten Regierung und Verbände, dass der durch die eklatante deutsche Notlage herbeigeführte Druck auf die Siegermächte nachlassen würde, die Reparationslast nach Ablauf des auf ein Jahr beschränkten Hoover-Moratoriums vom 20 . Juni 1931 dauerhaft zu mildern oder ganz zu beseitigen . Brüning hielt an der Deflationspolitik bekanntlich vorrangig aus nationalpolitischen Gründen fest . Er wollte die Wirtschaftsnot dazu nutzen, die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands zu demonstrieren und die Alliierten zur Aufgabe ihrer Reparationsforderungen zu zwingen .118 Auch die Verbände wollten – aus nicht nur national, sondern auch weltwirtschaftlich einleuchtenden Gründen – die deutsche Zahlungsverpflichtung abschütteln und alles vermeiden, was diese Hoffnung schmälern konnte . Seit dem Herbst 1930 waren die Forderungen nach einer baldigen Revision der Young-Bestimmungen in der politischen Öffentlichkeit immer lauter geworden . Die Reichskanzlei wurde von einer Flut von Briefen und Denkschriften dieses Inhalts überschüttet . Auch wenn – wie die Forschung seit Langem annimmt – die unmittelbare finanzielle Belastung Deutschlands durch die Transferleistungen nicht so bedenklich war wie damals angenommen,119 ist es doch völlig plausibel, dass sich die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik in Zeiten einer dramatischen Einbuße an Einkommen und sozialer Sicherheit verstärkt auf dieses Thema fixierte, zumal es in der Kampagne gegen den Young-Plan von der radikalen Rechten systematisch hochgespielt worden war . Allerdings bestanden sowohl in der Ministerialbürokratie wie im Kabinett erhebliche Zweifel, ob der richtige Zeitpunkt für eine massive Revisionsinitiative schon gekommen sei . Am 15 . November 1930 hatten sich die führenden Beamten aus dem Finanz-, Wirtschafts- und Außenministerium und auch Vertreter der Reichsbank entschieden gegen eine „offizielle sofortige Revisionspropaganda“ ausgesprochen; gegenwärtig hätten die Umschuldung kurzfristiger in langfristige Kredite, der erneute Bedarf an ausländischem Geld
118 Vgl . Krüger, Reparationsproblem; Winkler betont, dass die Prioritäten, d . h . v . a . die Priorität der Deflations- und Reparationspolitik Brünings im Kabinett und im Beraterkreis umstritten waren; das gilt ebenso für die Industrieverbände; Winkler, Weimar, S . 443; zum Primat einer „Gesamtlösung der Reparationsfrage“ bei Brüning vgl . auch Mommsen, Aufstieg, S . 461 . 119 Dabei ist aus heutiger Sicht gar nicht entscheidend, wie belastend für die deutsche Volkswirtschaft die Transferleistungen wirklich gewesen sind; hierzu gibt es nach wie vor sehr unterschiedliche Positionen .
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und damit „die Sicherung ausländischen Vertrauens“ unbedingten Vorrang .120 Stattdessen solle sich die Regierung auf den Tag X möglicher neuer Revisionsverhandlungen gründlich vorbereiten und einstweilen andere Einflusskanäle nutzen . So solle etwa für die Vorbereitung der im Mai 1931 bevorstehenden Tagung der Internationalen Handelskammer in Washington Kontakt zu „Herrn Minister Hamm“ aufgenommen werden .121 Tatsächlich erzielte die deutsche Gruppe bei der Jahrestagung der Internationalen Handelskammer im Frühjahr 1931 in Washington dann auch einen großen Erfolg, als es ihr gelang, gegen den entschiedenen Widerstand der amerikanischen Delegation das Thema der Reparationstransfers und ihrer desaströsen Folgen für die gesamte Weltwirtschaftskrise auf die Tagesordnung zu bringen .122 Am 21 . Januar 1931 hatten auch die DIHT-Granden im Hauptausschuss über die Reparationsfragen beraten, nachdem sie dazu ein Referat Hamms gehört hatten . Hamm hielt – wie ein Großteil der Nation und die ökonomischen und politischen Eliten – eine „Änderung der Kriegstributregelung“ aus „weltwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gründen“ für notwendig . Aber die Entscheidung über den Zeitpunkt liege nicht in deutscher Hand; Deutschland sei auf ausländische Kredite zu mäßigem Zinsfuß angewiesen; eine neuerliche Vertrauenskrise des Auslands könne „schwerste Gefahren der Kreditentziehung und -erweiterung mit sich bringen“; das „mit einer solchen Krise verbundene weitere Anschwellen der Arbeitslosenziffern und der Zahlungsschwierigkeiten privater und öffentlicher Wirtschaftsträger“ könne sich „allzu leicht auch zu unmittelbaren politischen Gefahren auswachsen“ .123 In der anschließenden Diskussion meldete sich nur der Reparationsexperte und Young-Unterhändler Carl Melchior zu Wort . Er stimmte Hamms Ausführungen vorbehaltlos zu und schlug ergänzend nur noch vor, die Regierung sol-
Ministerialdirektor Herbert Dorn (Reichsfinanzministerium); vgl . Niederschrift des Landrichters Kurt Hamann über eine Besprechung des Reparationsausschusses, 15 .11 .1930, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 164, Zitat S . 467 . 121 Ebd ., S . 468 . 122 Vgl . oben S . 245; Hömig, Brüning, S . 333–345 . 123 Vertraulicher Bericht von Reichsminister a . D . Dr . Hamm über die reparationspolitische Lage nebst der Aussprache hierüber in der Hauptausschusssitzung am 21 .1 .1931, in: Sonderdruck zu Heft 1, Verh ., 1931, S . 11 . Hamm gab „zu erwägen, welche zeitlich nächsten und unmittelbaren Folgen sich aus dem Revisionsverlangen ergeben könnten . In der deutschen Wirtschaft stecken gegenwärtig 7–8 Milliarden kurzfristige Kredite aus dem Ausland, 8,8 Milliarden langfristige“ . Dann rechnete Hamm die Auslandsverschuldung der öffentlichen Hand vor . Zum „Aufstieg seiner [des Reichs; W . H .] Wirtschaft, namentlich zur Ingangsetzung öffentlicher Arbeiten, die die Arbeitslosigkeit auf dem richtigen Wege der Schaffung nicht allein irgendwie produktiver, sondern auch in ausreichendem Maße rentabler Werte mindern sollen, ist Deutschland auf ausländische Kredite zu mäßigem Zinsfuß angewiesen .“ 120
3. Sparpolitik und Kreditausweitung, Arbeitsbeschaffungs- und Reparationspolitik 305
le – zur Vorbereitung auf den Tag X und weil die „öffentliche Erregung“ ein bloßes Abwarten nicht zulasse – einen Sachverständigenausschuss berufen .124 Damit waren die verhängnisvollen kredit- und währungspolitischen Folgen der Revisionspolitik, so wie Reichskanzler Brüning sie eingestandenermaßen seit Anfang März 1931 betrieb und im Moment größter internationaler Aufmerksamkeit am Tag seiner Abreise nach Chequers im sogenannten „Tributaufruf “ öffentlich bekundete, präzise vorhergesagt . Brüning selbst hatte noch am 7 . Februar 1931 erklärt, die ganze Reparationenfrage müsse derzeit in der Schwebe gehalten werden . Aber die Suche nach Kompensationen für das Scheitern des Deutsch-Österreichischen Zollunionsplanes im März 1931 und mehr noch für die sozialpolitischen Zumutungen der Wirtschafts-Notverordnung vom 5 . Juni 1931 trieb ihn seit Mai 1931 dazu, die Revision und möglichst die völlige Aufhebung der Reparationszahlungen zur offiziellen Agenda zu erheben . Dieser Kurswechsel mündete in den fatalen „Tributaufruf “ vom 6 . Juni 1931, in dem Brüning erklärte, dass die Belastbarkeit des deutschen Volkes ihre Grenze erreicht habe . Einen Tag nach seiner Abreise nach Chequers zu Gesprächen mit der englischen Regierung und kurz nach dem Zusammenbruch der Danat-Bank publiziert, stellte dieser „Tributaufruf “ für alle Welt, vor allem für die tatsächlichen und potenziellen Kreditgeber, einen ökonomisch und politisch überaus explosiven Zusammenhang zwischen Wirtschaftskatastrophe, Krise des deutschen Bankensystems und einer mutmaßlichen deutschen Zahlungsunfähigkeit bzw . -unwilligkeit her .125 Der DIHT und Hamm persönlich waren sich mit Brüning spätestens seit dem Frühjahr 1931 darüber einig, dass die deutsche Politik energischer als bisher darauf dringen müsse, die Reparationsverpflichtungen ein für alle Mal zu beseitigen, und dass alles getan werden müsse, was geeignet sei, den Alliierten die wirkliche Zahlungsunfähigkeit Deutschlands glaubhaft zu machen . Aber wie schon bei der Deutsch-Österreichischen Zollunion kam es den politisch sensibleren Experten in der DIHT-Führung in hohem Maße auf ein umsichtiges und maßvolles Vorgehen zum richtigen Zeitpunkt an . Unmittelbare Kritik aus den Verbänden an Brünings „Tributerklärung“ hat es offenbar nicht gegeben . Aber nach der Stellungnahme des DIHT vom Januar 1931 ist doch anzunehmen, dass man dort für die Forcierung der Revisionsfrage nicht genau den fatalen Zeitpunkt gewählt hätte, zu dem eine solche Erklärung zum endgültigen Zusammenbruch des internationalen Währungssystems und der in ihm notwendigen Kooperationen beitragen musste .
Ebd ., S . 16 . Vgl . im Einzelnen Gosmann, Stellung, S . 253 ff; Schulz, Reparationen; Winkler, Weimar, S . 409; Hömig, Brüning, S . 270–277, 323–343 .
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Das Urteil über Brünings Deflationspolitik und ihre desaströsen sozialen Folgen fällt heute in politischer Perspektive durchweg negativ aus . Anders verhält es sich mit dem Urteil aus ökonomischer und arbeitsmarktpolitischer Sicht . Hier herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass ungeachtet aller autarkistischen, rüstungspolitischen und finanzierungstechnischen Vorgaben des NS-Regimes die Erholung der deutschen Wirtschaft und der rasche Abbau der Arbeitslosenzahlen nicht möglich gewesen wären ohne den Sozial- und Konsumabbau in der Ära der Deflationspolitik Brünings .126 Fest steht jetzt auch, dass Brüning bei seinen Entscheidungen keineswegs der Logik und den Forderungen vermeintlich durchweg sozialreaktionärer Industrieverbände gefolgt ist, sondern dem spätestens seit Herbst 1931 bei ihm obsessiv gewordenen Primat der reparationspolitischen Revision . Entscheidend für das politische Schicksal Brünings sollte tatsächlich auch nicht das soziale Elend der Arbeitslosigkeit und die daraus folgende Radikalisierung in der gewerblich-industriellen Mittel- und Unterschicht werden,127 sondern die Tatsache, dass er trotz großen Entgegenkommens die Agrarlobby nicht für sich gewinnen konnte . Vor allem entfremdete er sich die ostelbischen Großagrarier, als er sich weigerte, ihrer immer hemmungsloseren Agitation gegen jegliche soziale Ausgewogenheit bei den – sehr großzügig bemessenen – Subventionen des „Osthilfe“-Programms nachzugeben . Dies – und der diffuse Vorwurf, er sei insgesamt nicht weit genug „nach rechts“ gegangen – waren die Hauptgründe dafür, dass ihm Reichspräsident Hindenburg das Vertrauen entzog und dass der Kanzler am 30 . Mai 1932 demissionierte .128
4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher
Mit dem Sturz Brünings und der Regierungsübernahme Franz von Papens am 2 . Juni 1932 entstand auch für den DIHT eine neue Situation . Von Papen selbst als politisch weitgehend unbeschriebenes Blatt und als Intimus Hindenburgs sowie sein „Kabinett der Barone“ stießen bei den Parteien einschließlich des Zentrums, dem von Papen angehörte, auf Ablehnung . Eben-
126 Vgl . u . a . von Roehl, Depression, S . 228–234; Borchardt/Ritschl, Bruening, S . 699 ff; Dimsdale/Horsewood/Riel, Unemployment; Hesse, Bewältigungsstrategien, S . 322; prägnante Zusammenfassung bei Herbst, Deutschland, S . 91–95; vgl . auch Buchheim, Wirtschaftsentwicklung . 127 Zusammenfassend zum Verhältnis von Arbeitslosigkeit und Radikalisierung in der Arbeiterschaft vgl . Geary, Arbeitslosigkeit . 128 Winkler, Weimar, S . 446–472; Mommsen, Aufstieg, S . 521 f; Hömig, Brüning, S . 547– 574 .
4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher 307
so wie die Gewerkschaften zeigten sich auch die Industrieverbände höchst besorgt .129 Dass von Papen keinerlei parlamentarischen Rückhalt genoss, fiel dabei weniger ins Gewicht als die Schwerpunktverlagerung im Kabinett und in der ansonsten dürftigen Programmatik hin zu DNVP-Positionen und den Interessen der ostelbischen Agrarier . Für Hamm waren jetzt wie schon zuvor die allgemein-politischen neben den interessenpolitischen Überlegungen bedeutsam . Bei der Reichstagswahl vom 31 . Juli 1932 führte seine Partei, die Deutsche Staatspartei, einen kompromisslosen Wahlkampf gegen von Papen und die NSDAP, bezahlte diese Haltung aber mit einer neuerlichen Niederlage und dem Schwund ihrer Reichstagsmandate auf vier .130 In den ersten drei Monaten der Regierung Papen verhielt sich der DIHT in der Konjunkturpolitik auffallend abwartend . Anders als in den Jahren zuvor, als er mit seinen Eingaben kontinuierlich Einfluss zu nehmen versucht hatte, beschränkte er sich in diesem Zeitraum auf wenige Stellungnahmen, in denen er sich auf sehr allgemeine Formulierungen über die „Lebensnotwendigkeiten“ der Privatwirtschaft zurückzog .131 Seit dem 28 . August allerdings verbesserte sich das anfangs desaströs schlechte Ansehen von Papens bei den Wirtschaftsverbänden rasch und entschieden . Maßgeblich dafür war das Wirtschaftsprogramm, das von Papen an diesem Tag verkündete – bezeichnenderweise auf einem Treffen des Westfälischen Bauernvereins in Münster .132 RDI und DIHT zeigten sich vor allem erfreut über die ursprünglich aus der Reichsbank stammende Idee, den Unternehmen Steuergutscheine als neues Instrument zur Ankurbelung der Konjunktur anzubieten .133 Demnach konnten die Finanzämter nach den entsprechenden Verordnungen im September 1932 auf ein Jahr Gutscheine für einen Teil der fälligen Steuerzahlungen aus-
Vgl . Mommsen, Aufstieg, S . 524–591 u . passim; Winkler, Weimar, S . 515 f . Vgl . Stephan, Aufstieg, S . 453–472 . 131 Stellungnahme des Vorstands des DIHT zur Wirtschaftspolitik, 30 .6 .1932, in: BArch, R 43-I, 1078; Denkschrift des DIHT zur Handelspolitik, 15 .7 .1932, in: AdR, Papen, Bd . 1, Dok . 62; vgl . Kim, Industrie, S . 200 . 132 Die neue Zustimmung zu von Papen war allerdings keineswegs „enthusiastisch“; Mommsen, Aufstieg, S . 573; ähnlich Langer, Macht, S . 525, der von der „begeisterten Zustimmung“ spricht, die von Papen aus dem Lager der Industrie entgegengeschlagen sei; für die Grundstimmung in der Wirtschaft ist eher typisch der Tagebucheintrag von Kessler, Tagebuch, Bd . 9, 31 .8 .1932, S . 499: „Man darf die Augen nicht davor verschliessen, dass Papen mit seiner Rede sehr weite Kreise (Gross- und Kleinkapitalisten, Junker und auch Juden) für sich gewonnen hat . Mittags den früheren Reichswirtschaftsminister Raumer getroffen . Er ist von Papens Programm voll befriedigt . Gibt zu, dass es ein Glücksspiel ist, aber Papen habe doch wenigstens gehandelt, während Brüning immer zögerte“; zur Wirtschaftspolitik von Papens und seines Nachfolgers von Schleicher vgl . immer noch Petzina, Hauptprobleme . 133 Vgl . hierzu und zum Folgenden Kim, Industrie, S . 209–237, hier S . 216 ff . 129 130
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geben, die an der Börse gehandelt und von den Banken als Kreditunterlage angenommen werden sollten . Dadurch sollte es möglich werden, Kredite in Höhe von am Ende 2,2 Milliarden RM zu vergeben . Die Reichsbank und die Regierung hofften, dadurch ein bis zwei Millionen Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen . Dieses Konzept war das Ergebnis eines heftigen Ringens zwischen Wirtschaftsminister Warmbold auf der Seite der „Expansionisten“ und dem „Deflationisten“ Luther . Warmbold hatte als soziale Flankierung der Steuerentlastung für Unternehmer eine gestaffelte Zwangsanleihe für größere Unternehmen und eine Sonderabgabe für größere Einkommen vorgesehen . Der Reichsbankpräsident setzte jedoch durch, dass die Zwangsanleihe und die Steuererhöhung wieder gestrichen wurden . Er blieb damit im Rahmen der wirtschaftsliberalen Tradition, indem er auf eine lediglich indirekte Arbeitsbeschaffung durch Hilfe zur Selbsthilfe für die Unternehmen setzte . Allerdings sprengte die Größenordnung der Aktion den bisherigen Rahmen staatlicher Konjunkturpolitik entschieden . Hamm bezeichnete am 5 . Oktober 1932 vor dem Hauptausschuss des DIHT das Kreditinstrument der Steuergutscheine als „gedanklich gewiß kühn“ – zweifellos weil es mit dem Dogma brach, dass der Kreditrahmen der Reichsbank angesichts der Inflationsgefahren nicht erweitert werden dürfe . Es verbinde „in glücklicher Weise künftige Steuerentlastung mit gegenwärtiger Krediterleichterung“ .134 In der Literatur wird das Gutscheinsystem gelegentlich als „kühner Fall von antizyklischem deficit spending“ im Sinne von Keynes eingeschätzt .135 Es stellt eine Spielart der bislang so misstrauisch beäugten inneren Kreditausweitung dar – noch dazu in einem je nach Nachfrage beträchtlichen finanziellen Umfang . Es spekulierte aber auch nicht einfach blind auf die Zukunft . Vielmehr hatte das Institut für Konjunkturforschung soeben erste Ansätze zu einer konjunkturellen Trendwende festgestellt, sodass die Erwartung, dass die Kredite und gestundeten Steuern auch wirklich zurückgezahlt werden würden, nicht unrealistisch erschien . Hamm beschrieb diese „Anzeichen einer beginnenden Belebung der Wirtschaft“ in seinem Vortrag ausführlich und rechtfertigte so die kreditpolitische Vorwegnahme des
Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 57 . Das Urteil bei Winkler, Weimar, S . 515 . Eine Inflationsgefahr sah der DIHT zu diesem Zeitpunkt nicht, da er parallel eine Verstärkung des Warenumlaufs erwartete . Die Geschäftsführung forderte die Mitglieder infolgedessen auf, auf die Steuergutscheine zuzugreifen und so zur Steigerung der Produktion beizutragen . Das geschah jedoch nicht, sodass Hamm in der Vorstandssitzung am 6 .12 .1932 empfahl, die Regelung nur „um des Prinzips der Kontinuität willen weiterbestehen“ zu lassen; Wolffsohn, Industrie, S . 118–121 .
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4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher 309
künftigen Aufschwungs als ökonomisch vertretbar .136 Weniger Begeisterung zeigte Hamm dagegen für die von Papen angekündigte Möglichkeit einer Unterschreitung der Tariflöhne bis zu 12,5 % bzw . bis 20 % bei Neueinstellung zusätzlicher Arbeitskräfte bzw . einer existenzbedrohenden Lage eines Betriebs . Diese Verordnung hätte das noch bestehende Tarifsystem praktisch beseitigt . Hamm kritisierte sie für den DIHT öffentlich, indem er erhebliche Zweifel an der Zuträglichkeit einer Tariflohnunterschreitung anmeldete, mit der die Arbeiter unter das Existenzminimum sinken könnten .137 Seit Anfang August hatte jedoch auch die Debatte um die unmittelbare Arbeitsbeschaffung wieder Fahrt aufgenommen . Günter Gereke, Präsident des Deutschen Landgemeindetags, hatte am 29 . Juli 1932 einen Plan vorgestellt, der den Gemeinden zinslose Darlehen für 20 bis 30 Jahre zu Arbeitsbeschaffungszwecken gewähren sollte .138 Auch das Finanzministerium unternahm einen Anlauf zu einem kreditfinanzierten Sofortprogramm . Luther stellte sich zwar zunächst wieder gegen diese Pläne, bewilligte dann aber doch grundsätzlich 500 Millionen RM . Damit ging der Kampf um die Kreditausweitung in eine neue Runde, und der DIHT hatte sich erneut zu positionieren . Am 5 . Oktober 1932 referierte Hamm im Hauptausschuss die verschiedenen Pläne zur Arbeitsbeschaffung: den sogenannten „WTB“-Plan der ADGB,139 der jedoch von der SPD mehrheitlich abgelehnt wurde; die NS-Arbeitsbeschaffungsvorschläge, die, im Einzelnen noch unbestimmt, die „Bauernwirtschaft“ und die „Ernährungsautarkie“ stärken wollten; die damit weitgehend konvergierenden Vorstellungen des „Tat“-Kreises; Sombarts Vorschläge zu einer Reorganisierung und den Gereke-Plan .140 Die durchweg angesetzte Summe in Höhe von insgesamt 2 Milliarden RM bezeichnete er als „nach Umfang, Größenordnung und Begründung der Kreditausweitung in höchstem Maße bedenklich“ und schloss sich in Anwesenheit Luthers scheinbar vorbehaltlos dessen Zurückhaltung an .141 Das hieß aber andererseits auch – und für den Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 47 . Ebd ., S . 60 f; auch Wolffsohn, Industrie, S . 193 f; Kim, Industrie, S . 240 f; Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik, S . 201 . 138 Vgl . Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik, S . 255–279; Wolffsohn, Industrie, S . 80–82, 218–222; Kim, Industrie, S . 223–229 . 139 So genannt nach seinen Autoren, den Gewerkschaftern Wladimir Woytinsky und Fritz Tarnow und dem SPD-Reichstagsabgeordneten Fritz Baade; zur Entwicklung des Arbeitsbeschaffungsprogramms des ADGB und zum WTB-Plan vom Winter 1931/32 Schneider, Arbeitsbeschaffungsprogramm, S . 45–102; Winkler, Weg, S . 498 ff; zum Stand der Debatte und den bereits eingesetzten und zusätzlich geforderten Summen vgl . Petzina, Hauptprobleme, S . 24–26 . 140 Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 51 f . 141 Ebd ., S . 54 f . 136 137
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DIHT keineswegs selbstverständlich –, dass er Luthers 500-Millionen-Kredit akzeptiert hatte . Hamm und die DIHT-Führung versteckten sich mit dieser Stellungnahme in gewisser Weise hinter dem Reichsbankpräsidenten – wohl wissend, dass Luther währungspolitisch konservativ dachte und vor jedem Anschein von Inflationsgefahr zurückschreckte, dass er aber andererseits unter dem Druck der „Expansionisten“ im Kabinett und in der Wirtschaft auch schon ein deutliches Stück nachgegeben hatte . Luther und der DIHT waren sich allerdings einig in der Absicht, die Position Gerekes insgesamt zu schwächen, der als „enfant terrible“ der Arbeitsbeschaffungsbewegung galt und dessen Einfluss im Steigen war .142 Die Freien und die Christlichen Gewerkschaften unterstützten seine Pläne vorbehaltlos, und der Nachfolger von Papens im Reichskanzleramt, Kurt von Schleicher, beförderte ihn bald nach seinem Amtsantritt zum Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung . Es mag daher verwundern, dass Hamm Anfang Dezember 1932 die Bedenken der Industrie gegen Gereke zu dämpfen versuchte . Aber nach seiner Einschätzung hatte die Ernennung Gerekes mehr den Zweck, „Herrn Gereke an die Reichsregierung zu binden als die Reichsregierung an die Vorschläge des Herrn Gereke“ .143 Im Ganzen gesehen lehnte der DIHT einen weiteren Ausbau der unmittelbaren Arbeitsbeschaffung über die von Luther bewilligten 500 Millionen RM hinaus ab . Er blieb aber insofern flexibel, als er weitere Maßnahmen guthieß, sofern sie vom Reichsbankpräsidenten akzeptiert würden .144 Damit verzichtete der DIHT darauf, in der Frage der Arbeitsbeschaffungsprogramme eine selbständige und vorwärtstreibende beschäftigungspolitische Position zu beziehen, wie er sie bis zur Pfundabwertung am 20 . September 1931 vertreten hatte . Das Gebot der Stunde lautete für den DIHT und Hamm „Pragmatismus“ – und das hieß die Regierung von Papen zu stützen . Diese Politik als Resultat bloßer Unentschiedenheit oder Resignation zu deuten, trifft gleichwohl nicht den Kern der Sache .145 Zwei wesentliche Argumente lassen gerade diese Zurückhaltung als sehr plausibel erscheinen . Erstens ging die Regierung von Papen in den wenigen ihr zur Verfügung stehenden Monaten tatsächlich – was immer sonst von ihr zu halten ist – wesentliche konzeptionelle und politische Schritte in die Richtung eines extensiven staatlichen Beschäftigungsprogramms, wenngleich sie immer noch am Primat der indirekten Arbeitsbeschaffung festhielt und erst
Vgl . Marcon, Arbeitsbeschaffungspolitik, S . 255 . Protokoll der Vorstandssitzung des DIHT vom 6 .12 .1932, zit . nach Kim, Industrie, S . 207 . 144 Vgl . Kim, Industrie, S . 206 f . 145 So die These in ebd ., S . 223 ff . 142 143
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der Übergang von der Regierung von Papen zu von Schleicher den entscheidenden Wandel brachte .146 Die Vorarbeiten in den Regierungen Papen und Schleicher brauchte die Regierung Hitler nach dem 30 . Januar 1933 dann nur umzusetzen, in den Dimensionen noch auszubauen und vor allem propagandistisch für sich auszuschlachten .147 Die Regierung Hitler profitierte dabei von den wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Effekten der Brüning’schen Deflationspolitik, aber auch von dem von Luthers Nachfolger Schacht erfundenen Finanzierungsinstrument der Mefo-Wechsel, das schon auf die Sicht von sechs oder sieben Jahren nur funktionieren konnte, wenn die inzwischen aufgelaufene Schuldenlast am Ende unter der schuldentilgenden Katastrophe eines Ausbeutungskrieges begraben werden konnte . Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn sich Reichsbankpräsident Luther schon zur Regierungszeit Brünings zu einer Lockerung der Kreditschranken hätte entschließen können . Aber im Jahr 1932 war Luthers Deflationskurs auch der Grund dafür, dass die Finanzierung der Arbeitsbeschaffung in einem Rahmen blieb, der – abgesehen von den seit dem Bankenkrach ohnehin unabdingbaren Devisenkontrollen – anders als durch zwangswirtschaftliche Methoden und uneinlösbare Wechsel auf die Zukunft nicht zu finanzieren gewesen wären . Luther beharrte zunächst zwar immer wieder auf Haushaltsdisziplin und Antiinflationspolitik, erwies sich dann aber de facto als sehr viel flexibler, als es zunächst den Anschein hatte . Mit seinem 500-Millionen-Programm ermöglichte er nolens volens den Einstieg in ein auch ökonomisch sinnvolles Beschäftigungsprogramm von beträchtlichem Umfang ohne währungs- und außenpolitische Risiken . Insofern konnte es durchaus als sinnvoll erscheinen, sich auf das beschäftigungspolitische Kräftespiel zwischen der Regierung und der Reichsbank zu verlassen – das außerdem noch den Vorteil bot, den eigenen Verband nicht in eine Zerreißprobe zwischen Deflationisten und Expansionisten zu treiben .
Auch rhetorisch räumte erst von Schleicher mit seiner Rundfunkrede am 15 . Dezember 1932 der Arbeitsbeschaffung unbedingte Priorität ein: „Unser Regierungsprogramm besteht aus einem einzigen Punkt: Arbeitsbeschaffung“; vgl . Petzina, Hauptprobleme, S . 26; eine ähnliche Fokussierung, aber noch ohne die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, bei Hamm am 5 .10 .1932: Die Arbeitsbeschaffung „hat stimmungsmäßig weiteste Volkskreise hinter sich . Sie kann politisch und wirtschaftlich kaum zu ernst genommen werden . Der ganze Arbeitsdrang eines arbeitsamen Volkes, namentlich einer heranwachsenden arbeitsuchenden Jugend, ist in ihr zusammengedrängt . Was will diese Jugend denn haben? Sie will kein Wohlleben, sie weiß, daß das Leben für sie ernst und schwer sein wird . Nur Arbeit will sie […]“; Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 51 . 147 So das übereinstimmende Urteil in der Literatur seit Petzina, Hauptprobleme, S . 42–50 . 146
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Zweitens sollte nicht übersehen werden, dass sich im Zwiespalt der Wirtschaft über die Frage von Kreditausweitung und Arbeitsbeschaffung hier, Haushaltsdisziplin und Deflationspolitik dort, einerseits zwei Grunddoktrinen kapitalistischer Wachstumsförderung – die Angebots- und die Nachfragetheorie – gegenüberstanden, andererseits aber abgewogen werden musste, wo in der aktuellen Situation die Prioritäten zu liegen hatten: beim Primat der reinen Lehre privatkapitalistischer Wirtschaftsgesetze oder beim Primat der politischen Überlegung, wie der politischen Radikalisierung in einer Situation extremer Arbeitslosigkeit entgegengetreten werden könne . Die Führungen von DIHT und RDI hatten sich spätestens seit Anfang 1931 zu einer – zunächst in der Dimension knapp bemessenen, aber dann doch immer größer dimensionierten – kreditfinanzierten direkten Arbeitsbeschaffung bekehrt, nicht primär, weil sie das für ökonomisch sinnvoll, sondern weil sie es für politisch notwendig hielten . Und eine Reihe von Maßnahmen und Erfolgen der Regierung Papen konnte bis zum Ende seiner Regierungszeit die Hoffnung stützen, dass sich die Lage in Deutschland ungeachtet des äußeren Anscheins eines Landes im latenten Bürgerkrieg beruhigen würde . Dabei ist von Papen am allerwenigsten gutzuschreiben, dass die Talsohle der Wirtschaftskrise im Sommer 1932 erreicht war und die Konjunkturindikatoren im Laufe der folgenden Monate nach oben deuteten . Wichtiger für die damalige Bewertung seiner Regierungsleistung war, dass er in seinem erklärten Kampf gegen die Nationalsozialisten unbestreitbare Erfolge erzielte . Zwar hob er sogleich – auf Betreiben Hindenburgs – das SA-Verbot auf . Aber die dadurch mitverursachte Verstärkung der Gewaltwelle auf den Straßen der Städte, Kleinstädte und Dörfer begann nun doch das Bürgertum der NS-Bewegung mehr zu entfremden als ihr näher zu bringen . Die brutale Ermordung eines arbeitslosen KPD-Sympathisanten in Potempa am 10 . August 1932 und der Prozess gegen die Mörder bereits 10 Tage danach auf Grund der von Papen erlassenen Notverordnung gegen den Terror vom 9 . August 1932 stabilisierten den neuen Ruf von Papens als Kämpfer gegen die Gesetzlosigkeit der Nazi-Schläger – ungeachtet der Tatsache, dass die Regierung Papen die Potempa-Mörder eine Woche nach dem Todesurteil des Sondergerichts Beuthen am 22 . August 1932 zu lebenslänglich Zuchthaus begnadigte .148 Im Gegensatz zu der in der Forschung üblichen Verdammung des „Preußen-Schlags“ am 20 . Juli 1932 als gegen das letzte Bollwerk republikanischer
Vgl . zum Ganzen Winkler, Weimar, S . 507–514; Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 461– 492, hier S . 467 f; vgl . auch den Eintrag bei Kessler, Tagebuch, Bd . 9, 26 .7 .1932, S . 472: „Auch Mutius, der seine Sympathie für die Nazis bekennt, meint, sie hätten in letzter Zeit viele Stimmen verloren, weil den Spiesser die Gewalttätigkeiten abschrecken“ .
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Institutionen und Politiker gerichteter Staatsstreich von oben, der die Gleichschaltungspolitik der NS-Regierung vorweggenommen habe, erschien dem zeitgenössischen NS-kritischen bürgerlichen Establishment auch der Staatsstreich als ein erfolgreicher Schritt zur Schwächung der NS-Bewegung, da von Papen damit Energie und Kampfbereitschaft bewiesen habe . Hochkarätige Linksliberale wie Hans Schäffer deuteten gerade das rigide Vorgehen als bewusste Demonstration antirevolutionärer und nationaler Handlungsstärke, das der NS-Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen könne . Auch zum Beispiel der – jüdische – Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Richard Meyer zeigte sich äußerst zufrieden und überzeugt, von Papen habe „den Nazis hunderttausende von Anhängern fortgezogen“ .149 Die scharfe Abfuhr für Hitler durch Hindenburg am 13 . August 1932 – „Herr Hitler, ich schieße“ –, die Reichswehrminister von Schleicher in der offiziellen Regierungserklärung über das Gespräch noch absichtlich zuspitzte, wurde nicht nur von Hitler als persönliche Niederlage empfunden, sondern auch von seinen Anhängern und der Wählerschaft insgesamt .150 Danach ging Hitler zum offenen Kampf gegen die Regierung Papen über, während er gleichzeitig alle Hände voll zu tun hatte, die Krisen und Desintegrationserscheinungen, in welche die NSBewegung bis zum Jahresende geriet, so weit als möglich aufzufangen und die drohende Abspaltung des Strasser-Flügels zu verhindern .151 Trotz der Pluspunkte, die die Regierung Papen damit in großen Teilen der Wirtschaft sammeln konnte, blieb der DIHT deutlich auf Distanz zu ihr . Der Grund dafür lag hauptsächlich in der Sorge vor der Dynamik der Schutzzollbzw . Autarkiebewegung der Agrarier – die bei der Schwerindustrie vielfach auf Sympathie traf . Tatsächlich hatte auch die Agrarkrise 1932 ihren Höhepunkt erreicht . Die Erzeugerpreise für alle landwirtschaftlichen Produkte lagen 1932 um 26 % unter denen von 1925; 1932/33 erreichten sie nur noch 62 % des Standes von 1928/29 . Dementsprechend stiegen die Verschuldung und die Zahl der Zwangsversteigerungen bereits 1931 besonders in der nordostdeutschen Großlandwirtschaft mit Schwerpunkt in Ostpreußen und Pommern auf
Ebd ., 22 .7 .1932, S . 470; vgl . auch ebd ., 23 .7 .1932, S . 471: „Enttäuschung über das schwächliche Verhalten der preußischen Regierung und die Ansicht, dass die Nazis im Rückgang sind, ist was man in den verschiedenen Kreisen immer wieder hört“ . Selbst Rudolf Hilferding, ansonsten äußerst kritisch gegenüber der Regierung Papen, sah am 26 .7 . „möglicherweise eine leichte Abschwächung der Nazibewegung“; ebd ., 26 .7 .1932, S . 473 . 150 Vgl . Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 477 f; Winkler, Weimar, S . 510 ff; Mommsen, Aufstieg, S . 558–566 . 151 Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 492–510 . Für die Stimmen in der Berliner Gesellschaft, die von Papen für seine Erfolge gegen die NS-Bewegung Kredit gaben, vgl . Kessler, Tagebuch, Bd . 9, Einträge zwischen dem 13 .6 . und dem 10 .11 .1932 . 149
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einen absoluten Höchststand .152 Ungeachtet der – weitgehend erfolglosen – unmittelbaren Hilfsmaßnahmen der Regierung Brüning bis 1932 in Höhe von rund drei Milliarden RM verstärkte daher der Reichslandbund jetzt den Druck auf die Nachfolgeregierung . Im „Kabinett der Barone“ und angesichts der Tatsache, dass Brüning vor allem auf das Betreiben der Agrarlobby hin gestürzt worden war, konnte sich dieser Druck noch sehr viel unmittelbarer in Regierungsplanungen und -handeln umsetzen als zuvor .153 Dies wiederum rief den DIHT und auch den RDI auf den Plan . Die Wortmeldungen bei den Vorstands- und Ausschusssitzungen hatten schon in den Jahren davor deutlich erkennen lassen, dass manche Präsidenten und Syndici der Industrie- und Handelskammern ihre Wut über die sehr weitgehenden und höchst ungeniert vorgetragenen Wünsche der Ostelbier nur mehr mühsam zügeln konnten . Schon am 9 . Oktober 1930 hatte Hamm die Forderungen des Reichslandbundes, die Lage der Landwirtschaft „durch Kündigung der Handelsverträge und prohibitive Einfuhrzölle“ zu sanieren, als „allzu primitives Vorgehen“ scharf kritisiert, das „der Landwirtschaft nicht nützen, die Volkswirtschaft aber aufs Schwerste schädigen würde“ . Er hatte trotzdem eine „Diagonale“ zwischen Agrar- und Industrieinteressen empfohlen,154 damit aber eine kontroverse Debatte ausgelöst . Fritz Demuth, Syndikus der Berliner Kammer, geißelte die Vorschläge des Präsidenten des Reichslandbundes von Kalkreuth als „Fieberphantasien eines Kranken“, „der sich auf seinem Krankenbett daran gewöhnt hat, nur die Dinge zu sehen, die ihn umgeben, nicht aber die weite Welt da draußen“ .155 Reichskanzler von Papen suchte im Sommer 1932 prinzipiell noch einen Interessenausgleich, indem er eine Einigung zwischen Industrie und Landwirtschaft auf Kosten eines schwächeren Dritten, nämlich der Arbeiterschaft vorschlug .156 Konzessionen der Industrie in der Handels- und Zollpolitik sollten kompensiert werden durch eine Senkung der Löhne – ein Deal, der jedoch an der Intransigenz der Agrarier scheiterte . Ernährungsminister Magnus von Braun verlangte ohne Wenn und Aber eine massive Begrenzung der Agrarimporte mit Hilfe einer Kontingentierung
Petzina, Hauptprobleme, S . 31 . Vgl . insgesamt Gessner, Agrardepression, bes . S . 165 f . 154 Verh ., HA, 9 .10 .1930, S . 61, 80 . 155 Ebd ., S . 80–83 . In der Vollversammlung am 25 .3 .1931 warb Hamm wieder für eine Politik der „Mittellinie“ zwischen „Stadt- und Landwirtschaft“ und erklärte den „ernsten Willen“ des DIHT zur Zusammenarbeit mit all jenen Agrariern, die sich „übersteigerten Forderungen“ widersetzten; Verh ., VV, 25 .3 .1931, S . 14 . Zum Diskussionsstand im Herbst 1930 vgl . die Debatte zu den Berichten Hamms und des Vizepräsidenten der Mannheimer Kammer Wilhelm Vögele in der Hauptausschusssitzung am 5 .10 .1932, Verh ., HA, S . 70–88 . 156 Petzina, Grundprobleme, S . 50–58, hier S . 53 . 152 153
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und wirksamer Prohibitiv-Zollsätze . Wie zu erwarten, stieß er damit auf heftigen Widerspruch der industriellen Spitzenverbände, vor allem des DIHT . Schon in ihrer ersten Eingabe, am 2 . Juli 1932, also gleich zu Beginn der Regierung Papen, hatten Präsident Bernhard Grund und Eduard Hamm dem Reichskanzler in knapper Form ihre grundsätzliche Ablehnung von Kontingenten bei Agrarimporten mitgeteilt .157 Am 15 . Juli folgte eine ausführliche Denkschrift, in der sie diese Position mit einer Vielzahl von ökonomischen und politischen Argumenten untermauerten und verlangten, dass „die Reichsregierung der Verwirrung der Geister, wie sie durch mißverstandene und mißverständliche Schlagworte [d . i . Autarkie; W . H .] entstanden ist und um sich greift“, entgegentrete .158 Die DIHT-Spitze lehnte dabei beschränkte Restriktionen bei einzelnen Importgütern nicht völlig ab, machte aber zwei grundsätzliche Bedenken geltend . Zum einen müsse derjenige inländische Bedarf an Agrargütern, der anders als durch Einfuhren nicht gedeckt werden könne, gesichert sein . Zum anderen müssten exportschädigende Retorsionszölle oder sonstige Gegenmaßnahmen der agrarexportierenden Länder unter allen Umständen vermieden werden . Zwar hätten sich in letzter Zeit die Handelshemmnisse weltweit verstärkt . Aber man müsse unterscheiden zwischen einem strukturellen Wandel in der Wirtschaft, willkürlichen protektionistischen Absperrungen und vorübergehenden Maßnahmen, die je nach den Umständen wieder aufgehoben werden könnten oder müssten . Auf keinen Fall dürfe man „eine immer weitergehende wechselseitige Auflösung der Weltwirtschaft gewissermaßen als ein unabwendbares Schicksal“ hinnehmen .159 Auch die Gewichtsverschiebung zwischen den europäischen Industrieländern und den überseeischen Rohstoffgebieten gebe keineswegs nur Anlass zur Sorge . Die Industrialisierungsansätze in Übersee, etwa in der indischen und ostasiatischen Eisen- und Textilindustrie, dürften nicht überschätzt werden und böten im Übrigen Chancen für eine verstärkte Ausfuhr von Investitionsgütern, besonders Maschinen . Selbst bei der aktuellen Schrumpfung des Welthandels und deren Folgen für die deutsche Ausfuhr handle es sich um eine vorübergehende Erscheinung . Auch gerate der weltweite Protektionismus neuerdings selbst zunehmend in die Kritik .160
157
Schreiben des DIHT an den Reichskanzler, 2 .7 .1932, in: BArch, R 43-I, 1078, Bl . 176–
179 . AdR, Papen, Bd . 1, Dok . 62, S . 236, Hervorhebung i . O .; ausdrücklich zurückgewiesen wird die Erklärung des Ernährungsministers von Braun, die Autarkie Deutschlands „sei kein Ziel, sie sei ein Schicksal“; ebd ., S . 224 . 159 Ebd ., S . 226 . 160 Ebd ., S . 226 f . 158
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Tatsächlich behandelten von Papen und sein Landwirtschaftsminister die Kontingentfrage keineswegs „dilatorisch“, auch wenn von Papen den Forderungen des Reichslandbundes und seines Ernährungsministers von Braun erst im September 1932 nachgab .161 Jedenfalls sah sich Hamm Mitte September 1932 genötigt, namens der industriellen Spitzenorganisationen dringlich um ein Gespräch im kleinen Kreis zu bitten . Im Streit um die agrarische Autarkiepolitik übernahm er innerhalb des Industrielagers jetzt offensichtlich die Führung, nachdem sich der RDI mit Rücksicht auf die Schwerindustrie in dieser Frage zumindest zu diesem Zeitpunkt deutlich zurückhielt .162 In der Ruhrindustrie gab es durchaus Sympathien für hohe Schutzzölle, da sie selbst wenig exportierte und deshalb auch immer wieder der interessenpolitischen Tradition des Solidarprotektionismus von ostelbischen Agrariern und Schwerindustrie zuneigte .163 Nach der Gesprächsbitte Hamms fand dann auch bereits am nächsten Tag eine Besprechung zwischen Vertretern der Spitzenverbände von Industrie, Handel und Bankgewerbe (Hamm, Vögler, Keinath, Petersen, Georg Solmssen, Carl Cremer, Kastl und Otto Bernstein) und Reichskanzler von Papen, Wirtschaftsminister Warmbold und Landwirtschaftsminister von Braun statt . Im Anschluss an diese Besprechung fasste Hamm in einer Aufzeichnung für den Reichskanzler seine Deutung der Ergebnisse in vier Punkten zusammen . Erstens habe der Reichskanzler den Gedanken einer „grundsätzlichen Autarkie“ abgelehnt . Zweitens: Eine durch Importkontingente herbeigeführte Gefährdung der Exporte stehe mit dem „Aufbauprogramm der Reichsregierung“ im Widerspruch, weil die Nachteile für die Exportwirtschaft die erwarteten Vorteile für die Landwirtschaft überwögen . Drittens: Angesichts des weltweit abflauenden Protektionismus wären „neue weitgehende Sperrmaßnahmen“ gerade Deutschlands besonders kontraproduktiv . Viertens: Weitreichende Kontingentierungen seien nur durch „zwangswirtschaftliche Einrichtungen“ mit neuen Kosten und mit Gefahren für die Privatinitiative zu erreichen .164
So Mommsen, Aufstieg, S . 574 . Am 22 .8 . hatte der Präsident des Reichslandbundes von Kalkreuth in einer Eingabe an den Reichskanzler die Forderungen noch einmal aggressiv vorgetragen, obwohl er sich grundsätzlich mit dem politischen Kurs des Kabinetts einverstanden zeigte . Die Kompromisslosigkeit von Kalkreuths blieb allerdings nicht einmal im ostelbischen Adel unumstritten; vgl . Merkenich, Grüne Front, S . 313 ff . 162 Paul Reusch z . B . machte erst Ende 1932 entschieden Front gegen die Agrarier; vgl . Langer, Macht, S . 541 . 163 Vgl . u . a . Merkenich, Grüne Front, S . 195–232 . 164 Zit . nach AdR, Papen, Bd . 2, Dok . 144, S . 590, Anm . 2 . Tatsächlich waren die Außenhandelsüberschüsse für das Reich lebenswichtig und der Außenhandel insgesamt in der Weimarer Republik ein „Stabilisator der Wirtschaftslage“; Hesse/Köster/Plumpe, Große De161
4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher 317
Die Unruhe im DIHT über die Kontingentierungspläne blieb aber so groß, dass Hamm am 3 . November 1932 – dem Tag, an dem das Kabinett über die Einführung der Kontingente beschließen wollte – noch einmal an den Reichskanzler schrieb und dabei zwei Argumente besonders hervorhob .165 Die Kontingentforderungen würden durch ein „Autarkiegerede“ unterstützt, das nur „unerfüllbare und verhängnisvolle Vorstellungen von einer Isolierungsmöglichkeit der deutschen Wirtschaft“ wecke; das „beherrschende Gesetz dieser Stunde“ sei es jedoch, die Arbeitslosigkeit „besonders da zu bekämpfen, wo sie wirtschaftlich, sozial und politisch die schwersten Gefahren“ mit sich brächte, und das sei nun einmal der Industriesektor .166 Außerdem würde eine Kontingentierung rein ökonomisch der Landwirtschaft nicht wesentlich nützen . Schon die bloße Ankündigung von Kontingenten habe dagegen bei einzelnen Ländern zu Gegenmaßnahmen geführt – was auch zutraf . Vor allem aber: Preissteigerungen für landwirtschaftliche Produkte, wenn sie denn durch die Kontingentierung wirklich erreicht würden, seien in der gegenwärtigen Notlage des überwiegenden Teils der Bevölkerung fehl am Platze .167 Tatsächlich kam es in der Kabinettsitzung an diesem Tag zwischen den Vertretern des Agrarlagers – von Papen und von Braun – einerseits, der Industrie – Warmbold, Schwerin von Krosigk und Konstantin von Neurath – andererseits zu einem so heftigen Streit, dass sich die Minister wechselseitig ihren Rücktritt androhten . Um eine Eskalation der Kabinettskrise zu einer Regierungskrise drei Tage vor der Reichstagswahl am 6 . November 1932 zu vermeiden, beschloss das Kabinett, die Entscheidung bis nach der Wahl zu vertagen .168 Im Anschluss an die Kontingentfrage behandelte das Kabinett dann noch den in der Vorgeschichte der Machtübertragung an Hitler so bedeutsam ge-
pression, S . 71 . Bezeichnenderweise nahm an der Unterredung für RDI und Schwerindustrie nur Albert Vögler teil . Auch innerhalb des DIHT gab es durchaus Unterschiede in der Frage, wie das Verhältnis von Freihandels- und Autarkieforderung konkret ausgestaltet werden sollte . Die schwerindustriell geprägte IHK Bochum/Dortmund/Essen/Münster, von der aus Reusch schon 1923 einen Vorstoß zu einer DIHT-Reform mit stärkerer Rechtsausrichtung unternommen hatte, neigte dem Protektionismus stärker zu als die meisten anderen Kammern . Der Wortführer des jungkonservativen „Tat“-Kreises, Hans Zehrer, übertrieb diese Tendenz, um den DIHT insgesamt für sein eigenes Ziel in Anspruch zu nehmen, die Verflechtungen Deutschlands in die Weltwirtschaft besser zu lösen; Die Tat 23 (1932), H . 12, S . 979 f; vgl . dazu Treue, Unternehmer . 165 DIHT an Reichskanzler, 3 .11 .1932, in: AdR, Papen, Bd . 2, Dok . 190 . 166 Ebd ., S . 862, Hervorhebung i . O . 167 Ebd ., S . 861 . 168 Vgl . Ministerbesprechung vom 3 .11 .1932, in: ebd ., Dok . 191, S . 863–872 . Zur nach wie vor gegen jede Abschottung gerichteten Politik des Reichswirtschaftsministeriums vgl . James, Reichswirtschaftsministerium .
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wordenen Streik der Berliner Verkehrsbetriebe, der an diesem Tag von der kommunistischen „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ ausgerufen worden war und bei dem erstmals Kommunisten und Nationalsozialisten aktiv zusammenwirkten . Die Reichswehrführung (miss)deutete bekanntlich diese bis dahin tatsächlich für undenkbar gehaltene Kooperation der Extremisten von links und rechts als Menetekel eines von ihr und den Polizeikräften nicht zu beherrschenden Bürgerkriegs – was die Abwehrbereitschaft der Republik gegen ihre Feinde noch einmal schwächte .169 Die Reichstagswahl am 6 . November 1932 brachte dann allerdings – nicht ganz unerwartet – bei einer schwachen Beteiligung der wahlmüden Bevölkerung die von den republiktreuen Kräften ersehnte Trendwende in der Erfolgskurve der NSDAP . Deren Stimmenanteil sank von 37,3 auf 33,1 % . Die größten Verluste erlitt die Partei dabei in Wahlkreisen mit hohem Arbeiteranteil sowie in den protestantischen Agrarregionen Ostdeutschlands .170 Damit bestätigte sich Hamms Argumentation, dass eine Schutzzollpolitik zugunsten der Agrarproduzenten, wie sie zu diesem Zeitpunkt noch stärker als von Papens Kabinett der Barone von den NS-Ideologen gefordert wurde, keineswegs nötig war, um die politisch von den Rechtsextremisten ausgenutzte soziale Protestwelle einzudämmen . Man mag dem Hindenburg-Protége und Reichskanzler ohne Gefolgschaft – außer der Neun-Prozent-Partei DNVP – Franz von Papen zugutehalten, dass es in seiner sechsmonatigen Regierungszeit tatsächlich gelang, den seit 1928 ununterbrochenen Aufschwung der NSDAP zu stoppen und den Trend umzukehren . Mit dieser Parole war von Papen angetreten . Was ihm dabei am meisten geholfen hat, sei hier dahingestellt: der Rechtsruck durch einen auf die Spitze getriebenen Honoratiorenkonservativismus, der sich auch außerlegaler Mittel bediente wie beim „Preußenschlag“; die ersten Anzeichen einer Wende bei der Konjunktur – und bei den Arbeitslosenzahlen; oder der Erfolg der Lausanner Konferenz mit dem Ende der Reparationen, wobei die Regierung Papen – wie auch bei der Konjunkturwende – vor allem die Früchte der Brüning’schen Politik erntete . Mit seinen Verfassungsplänen und der Bereitschaft, sie notfalls in einem Bürgerkrieg durchzusetzen, untergrub der Reichskanzler allerdings selbst seine Stellung bei Hindenburg . Und sein Nachgeben gegenüber den ostelbischen Lobbyisten und der Autarkie-Propaganda kam am Ende nur den Nationalsozialisten und Hitlers Aufrüstungsund Kriegsplänen zugute .
169 170
Vgl . Kolb/Pyta, Rettung, S . 171; zuletzt Pyta, Hindenburg, S . 764 ff . Vgl . Mommsen, Aufstieg, S . 584 f; Winkler, Weimar, S . 535 ff .
4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher 319
Nach dem Sturz von Papens am 2 . Dezember 1932 betraute Hindenburg den Wehrminister General Kurt von Schleicher mit der Regierungsbildung .171 Schon eine Woche nach seinem Amtsantritt empfing von Schleicher führende Wirtschaftsvertreter zu einem Gespräch, an dem auch Hamm teilnahm und in dem die Spitzenverbände der Industrie den neuen Reichskanzler drängten, die ursprüngliche Linie der von Papen’schen Wirtschaftspolitik vor dessen Einknicken vor der Agrar-Lobby fortzusetzen .172 Nach der Regierungserklärung des neuen Reichskanzlers in Gestalt einer Rundfunkrede am 15 . Dezember 1932 kam es zunächst zu einem vertraulichen Gespräch zwischen von Schleicher, Grund und Hamm und am 19 . Dezember zu einer Besprechung der DIHT-Vertreter mit Wirtschaftsminister Warmbold . Dabei zeichnete sich ab, dass in der Arbeitsbeschaffungspolitik jetzt definitiv der Primat nicht mehr bei der mittelbaren, sondern der unmittelbaren Arbeitsbeschaffung, also bei Aufträgen der öffentlichen Hand liegen sollte . Schon im Januar 1933 lief dann ein durch die Öffa vorfinanziertes Sofortprogramm über die von Luther bewilligten 500 Millionen RM an . Es sollte für die Frist eines Jahres vor allem für die Erneuerung bestehender Anlagen durch kleinere und mittlere Unternehmen eingesetzt werden . Tatsächlich kam dieses Programm ökonomisch und finanziell sehr rasch den Gemeinden, politisch aber bereits dem „Dritten Reich“ zugute .173 Dagegen hob die Regierung Schleicher die lohnpolitischen Bestimmungen in den Septemberverordnungen von Papens auf – was der DIHT ausdrücklich guthieß, weil sie nur die Radikalisierung gefördert hätten . Auf einer Vorstandssitzung des DIHT am 18 . Januar 1933 äußerte sich Hamm zufrieden mit von Schleichers Arbeitsbeschaffungspolitik . Grund, Frowein und Reusch wiederholten aber auch das ceterum censeo des DIHT, dass der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft intervenieren solle .174 Der DIHT hatte sich damit zuerst der Neuorientierung von Papens, dann dem entschiedenen Kurswechsel von Schleichers hin zu „direkten“, staatlich finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angepasst, die er bis in die erste Jahreshälfte 1931 – allerdings mit unterschiedlichen Akzenten im Vorstand – immer abgelehnt hatte . War dies pure Hilf- und Orientierungslosigkeit oder
Zur Regierung Schleicher vgl . Winkler, Weimar, S . 557–594; Mommsen, Aufstieg, S . 593–644; zu von Schleichers Rolle in der Spätphase der Republik noch immer Vogelsang, Reichswehr; Ders ., Schleicher; Schildt, Militärdiktatur (methodisch und auch in den Wertungen vielfach fragwürdig); Strenge, Politik . 172 Vgl . Wolffsohn, Industrie, S . 222 ff; Kim, Industrie, S . 207 f, 226 f . 173 Marcon, Arbeitsbeschaffung, S . 253–282; Reiß, Staat, S . 199 . 174 Sitzung des Vorstands des DIHT, 18 .1 .1933, in: BArch, N 1013, 642; vgl . auch Wolffsohn, Industrie, S . 224 f . 171
320 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
gar reiner politischer Opportunismus?175 In einem Rundschreiben an die Vorstandsmitglieder des DIHT berichtete Hamm noch am 19 . Dezember 1932 über den Verlauf und die Ergebnisse der Unterredung mit von Schleicher am selben Tag und zeigte sich im Großen und Ganzen damit zufrieden . Von Schleichers Regierungsprogramm sei von der Wirtschaft, insbesondere auch von den Industrie- und Handelskammern, „trotz mancher Bedenken gegen einzelne Teile mit großer Befriedigung aufgenommen“ worden .176 Von Schleicher seinerseits versuche, die maßgeblichen Kontrahenten im Kabinett, Wirtschaftsminister Warmbold und Ernährungsminister von Braun, auf eine „mittlere Linie“ zu verpflichten . Die nicht mehr zu verhindernden Importsperren für Agrarprodukte sollten wenigstens nicht durch die Festlegung von Kontingenten, sondern durch autonome Zölle geregelt werden, die mit den Verbänden erst noch auszuhandeln seien . Über die ersten Erfahrungen mit diesen Zöllen sollte dann mit den einzelnen Verbänden, besonders dem Reichslandbund, verhandelt werden . Auf diese Weise bestehe die Möglichkeit, der Falle der Kontingentfestlegung erst einmal zu entkommen . Dafür wolle von Schleicher der agrarischen Veredelungswirtschaft in einzelnen Punkten entgegenkommen . Tatsächlich hatte dieses Konzept von Schleichers den Vorteil, dass die Veredelungswirtschaft vor allem für Milchprodukte in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Süddeutschland mehr als ein Viertel aller landwirtschaftlichen Erlöse einbrachte, die Hebelwirkung für eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Ertragslage also erheblich größer auszufallen versprach als eine weitere direkte oder indirekte Subventionierung der ostelbischen Großagrarier . Auch der Forderung des Reichslandbundes, den Schutz der Güter vor Zwangsvollstreckungen zu verstärken, widersetzte sich von Schleicher und stellte sich damit – wie von den Industrievertretern gefordert – schützend vor die Bank- und Gewerbebetriebe, bei denen die Landwirtschaft in der Kreide stand .177 Der DIHT war beunruhigt darüber, dass infolge des Osthilfegesetzes und seiner Anwendung in der Praxis die Rückforderung der gewährten Kredite erschwert werden könne – eine Sorge, die angesichts der zahlreichen Finanzskandale um die Vergabe der Osthilfe nur allzu berechtigt erscheint .178
So Kim, Industrie, S . 206 ff . Rundschreiben des DIHT an die Mitglieder des Vorstands, unterzeichnet von Eduard Hamm, 19 .12 .1932, hier zit . nach Langer, Macht, S . 540 . 177 Vgl . Petzina, Grundprobleme, S . 55–58; Winkler, Weimar, S . 562–565 . 178 Vgl . Hamm in der Debatte über die Osthilfe in der gemeinsamen Sitzung des Hauptausschusses des DIHT und des Landesausschusses der Preußischen Industrie- und Handelskammern in Berlin, in: Verh ., 13 ./14 .1 .1932, S . 23–43, hier S . 41: Leicht könne aus dem „Eigentumsschutz ein Einbruch in die Rechtsordnung im Ganzen“ und aus „einer Schuldnernot 175 176
4. Land gegen Stadt: die Regierungen Papen und Schleicher 321
Im Wesentlichen hielt von Schleicher damit dem gewaltigen Druck der „Grünen Front“ mit ihrem Unterstützer Hindenburg im Hintergrund stand .179 Genützt hat ihm dieser Versuch, die interessenpolitischen Extrempositionen zu einer gangbaren Mitte hin auszugleichen, allerdings nicht . Über die Maßnahmen zur Stabilisierung des Butterpreises empörten sich namens der Konsumenten so gut wie alle nicht-landwirtschaftlichen Verbände von den Gewerkschaften bis zum RDI sowie die meisten Parteien . Der Reichslandbund wiederum attackierte von Schleicher trotz seiner partiellen Zugeständnisse aufs Schärfste . So berechtigt das Verdikt der Nachwelt über von Schleichers illusionäre „Querfront“-Idee auch ist, mit der er eine Massenanhängerschaft von den Gewerkschaften bis zu den vermeintlich gemäßigten NS-Anhängern unter Führung von Gregor Strasser sammeln wollte, so zeigte er in der Wirtschafts- und Sozialpolitik doch mehr Einsicht als sein Vorgänger und Protegé von Papen und auch als Heinrich Brüning in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit .180 Aber die interessenpolitischen Extrempositionen waren nun schlechterdings nicht mehr auszugleichen . Das zeigt auch die Polemik, mit der Paul Reusch auf den um Beruhigung der Gemüter bemühten Rundbrief Hamms reagierte . In schroffer Form hielt er ihm die Versäumnisse vor, deren sich die Wirtschaftsvertreter im Allgemeinen und Hamm im Besonderen bei ihrer Unterredung mit von Schleicher schuldig gemacht hätten: erstens von Schleichers verschwommene Formel von der Durchführung des „Vernünftigen“ und seinen Anspruch, er sei weder ein Anhänger des Kapitalismus noch des Sozialismus, hingenommen zu haben; zweitens nicht stärker die Inflationsgefahren der Arbeitsbeschaffungsprogramme betont zu haben; drittens nicht stärker auf noch weitergehende steuerliche und sozialpolitische Entlastung gedrängt zu haben; viertens die Tendenz der Agrarpolitik zu einer „totalen Zwangswirtschaft“ nicht stärker gegeißelt zu haben; fünftens der immer noch zunehmenden „Vermischung von Staats- und Privatwirtschaft“ nicht entschiedener entgegengetreten zu sein; sechstens die endlose Verschiebung einer tiefgreifenden Verfassungsreform – im Sinne eines autoritären Staates – zugelassen zu haben .181 Reusch verzichtete zwar darauf, diesen scharfen Angriff auf Hamm öffentlich zu machen . Aber Inhalt und Ton des Schreibens an einen Mann, mit dem er sich mindestens einmal
eine Schuldner- und Gläubigernot und eine Vernichtung von Berufsständen“ werden, auf die die Landwirtschaft angewiesen sei . 179 Vgl . die Literatur in: Jones, German Right, S . 18 . 180 Vgl . Vogelsang, Politik Schleichers; Pyta, Verfassungsumbau; Ders ., Demokratie . 181 Reusch an Hamm, 22 .12 .1932, zit . nach Langer, Macht, S . 540 f; vgl . auch Reusch an Hamm, 31 .12 .1932, zit . nach ebd ., S . 542 f .
322 IX. Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise 1930–1933
im Monat, manchmal öfter, zum Essen traf – von den offiziellen Gesprächen ganz abgesehen –, zeigen doch überdeutlich, wie sehr die Akzeptanz für eine Politik des Abwägens, des Interessenausgleichs, des Zusammenführens – wie Hamm sie vertrat – geschwunden war .
X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933 1. Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus
D
ie politische Karriere Eduard Hamms als Parteipolitiker und Parlamentarier war mit dem Ende des Kabinetts Marx II im Januar 1925 abgebrochen . Die verheerenden Niederlagen der DDP bei den Wahlen in Bayern und im Reich 1924 und sein Abweichen von der Mehrheitsmeinung der DDP-Fraktion in der Frage des Acht-Stunden-Tages hatten seiner Karriere parteipolitisch die Basis entzogen . Gleichwohl blieb er seiner Partei auch nach der Übernahme des DIHT-Amtes verbunden, gehörte 1925–1929 dem Parteiausschuss an, zahlte seine Mitgliedsbeiträge und hielt den Kontakt zu den Parteifreunden aufrecht, die ihm politisch nahe standen . Der bayerische Landtagsabgeordnete und Münchner Staatsrechtsprofessor Karl Rothenbücher hatte ihm im Sommer 1924 nahegelegt, den Landesvorsitz der Partei zu übernehmen – was Hamm ablehnte . Auf Rothenbüchers Frage, warum er eigentlich die Partei nicht verlasse, hatte er geantwortet, er fühle sich wohl in einer Partei, die einen Theodor Heuss in ihren Reihen habe .1 In den beiden großen Parteikrisen der DDP, der Krise um Eugen Schiffer 1924 und den Spannungszuständen zwischen dem vergleichsweise populären Reichswehrminister Gessler und seiner Partei, die bis zum Parteiaustritt Gesslers 1927 führten, blieb Hamm seiner politischen Heimat treu, obwohl ihm beide Abweichler von der Parteilinie politisch und persönlich nahe standen . Man wird vermuten dürfen, dass neben der politischen Leidenschaft, die Hamm nach 1924 keineswegs verließ,
Brief Rothenbücher an Eduard Hamm, 9 .6 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32 . Heuss spielte zu diesem Zeitpunkt im Führungspersonal der DDP noch keine große Rolle; es war wohl neben dem politischen Standort das intellektuelle Profil von Heuss, das diese Freundschaft begründete; vgl . Heuss, Briefe 1918–1933, Dok . 70 u . 80 .
1
324 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
die Rücksicht auf die Interessenwahrnehmung des DIHT zu diesem Beharren beigetragen hat . Je mehr sich zudem der Kampf der Verbände um Einfluss auf das Regierungshandeln verschärfte, desto intensiver wurde auch von der Position des Interessenvertreters her wieder die Einbindung in das Berliner politische Milieu und die Verwicklung in die Reichspolitik . Blickt man nur auf das Ergebnis der Reichstagswahl vom 20 . Mai 1928, so schien die Republik mit diesem Tag über den Berg zu sein . Allerdings hatten die republiktragenden Parteien der Mitte Stimmen eingebüßt, die liberalen Parteien jeweils 1,4 % und das Zentrum 1,5 % . In der Gesamtbilanz der republiktragenden Parteien schienen diese Verluste wenig bedeutsam . Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Erosion des deutschen Parteiensystems, die bereits 1920 eingesetzt hatte, auch 1928 weiterging . Regierungsbeteiligungen wurden vom Wähler bestraft . Das betraf in geringerem Umfang die Mittelparteien Zentrum, DDP, DVP, vor allem aber die Deutschnationalen . Alle etablierten Parteien gaben Stimmen an die mittelständischen und agrarischen Interessenparteien ab, die dem parlamentarischen Regierungssystem bestenfalls distanziert gegenüberstanden, so etwa an die „Reichspartei des deutschen Mittelstandes“ – die sogenannte „Wirtschaftspartei“ – (4,6 %) und die „Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei“ (2,9 %) . Ein Indiz für künftige Radikalisierungsprozesse waren sensationelle Stimmenerfolge der Nationalsozialisten in einzelnen agrarischen Krisengebieten wie etwa in Süderdithmarschen mit 36,8 % .2 Die Bindekraft der Parteien gegenüber ihren „Milieus“ hatte schon vor dem Mai 1928 nachgelassen .3 Dieser Prozess verstärkte sich nach der Reichstagswahl – und zwar bei allen Parteien der Mitte und der nichtextremistischen Rechten . Außerparlamentarische Kräfte gewannen an Boden, die Reichstagsfraktionen verloren an Geschlossenheit und Einfluss auf die Parteiführungen . Ökonomische Sonderinteressen gewannen gegenüber gesamtpolitischen Konzeptionen und Orientierungen an Gewicht – mit dem Ergebnis, dass die Parteiführungen wechselten und nach rechts rückten .4 Vorreiter dieser fatalen Entwicklung war die DNVP, in der sich schon seit 1927 der ehemalige Krupp-Direktor, langjährige Vorsitzende des „Alldeutschen Verbandes“ und Inhaber eines weit
Vgl . Winkler, Weimar, S . 334–374; Mommsen, Aufstieg, S . 312–328 . Vgl . Albertin, Auflösung; Fritzsche, Rehearsels; Ders ., Fragmentation; Bösch, Milieu; Ders ., Geselligkeit . 4 Vgl . dazu grundsätzlich immer noch Bracher, Auflösung, S . 56–115; Ders ., Demokratie; Matthias/Morsey, Ende; Lepsius, Parteiensystem . Zuletzt mit der Beobachtung, wie stark die Segmentierung der deutschen Gesellschaft und die Gewohnheit, die einzelnen Parteien den Segmenten als „natürliche“ Interessenvertreter zuzuordnen, auch auf die Formen der Wahlwerbung einwirkten, Schröder, Freund . 2 3
1. Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus 325
verzweigten Presseimperiums, Alfred Hugenberg, in den Vordergrund schob und die allmähliche Integration der Partei in das Weimarer parlamentarische System blockierte . Allerdings setzten sich die gemäßigteren Pragmatiker um den Fraktionsvorsitzenden Graf Westarp hartnäckig, aber am Ende erfolglos zur Wehr, sodass ihnen 1929/30 nur noch die Sezession zu „volkskonservativen“ Splitterparteien übrig blieb .5 In der DVP hatte sich der Parteivorsitzende Stresemann mit wachsender Anstrengung gegen den rechten, stark schwerindustriell beeinflussten Parteiflügel gestemmt und im Frühjahr 1928 gegen dessen Widerstand den Beitritt seiner Partei in das Kabinett der Großen Koalition erzwungen . Doch sofort nach seinem Tod am 3 . Oktober 1929 driftete die Partei erleichtert nach rechts und machte sich noch mehr als zuvor zum Anwalt der Unternehmerkritik am Weimarer Sozialstaat .6 Zwar hatten noch unter Stresemann 1928 verstärkt Bemühungen eingesetzt, sich mit den Linksliberalen zu einer bürgerlichen Sammelpartei zu vereinigen . Doch kamen die Gespräche über unverbindliche Fühlungnahmen nicht hinaus, da sich die jeweiligen Flügelgruppen dagegen sträubten und persönliche Führungsansprüche der neuen DVP-Parteispitze (Ernst Scholz, Eduard Dingeldey) die Annäherung störten .7 Im Zentrum schließlich drifteten der sozialreformerische Arbeitnehmer- und der konfessionell starre Mittelstands- und Beamtenflügel so stark auseinander, dass auf dem Kölner Parteitag 1928 der bis dahin wenig hervorgetretene Trierer Prälat und Kirchenrechtler Ludwig Kaas zum Parteivorsitzenden gewählt wurde .8 In der DDP führte das Scheitern der liberalen Sammlungsversuche im Juli 1930 zu einer panikartigen Flucht der Parteispitze in eine Fusion mit der Volksnationalen Reichsvereinigung, dem parteipolitischen Arm des außerparlamentarisch-plebiszitären und tendenziell auch antisemitischen „Jungdeutschen Ordens“ mit rund 100 .000 Mitgliedern unter der Führung Artur Mahrauns .9 Die neue Gruppierung nannte sich „Deutsche Staatspartei“ – womit sie auf die „Demokratie“ in ihrem Namen verzichtete, sich von dem als verschlissen und unzeitgemäß empfundenen Attribut „liberal“ distanzierte und vor allem die parteienkritische und volksnational gestimmte bürgerliche
Überblick bei Jones/Retallack, German Conservatism; Jones, German Right, S . 1–24; Jonas, Volkskonservativen; Stürmer, Koalition, S . 213 ff, 249 ff; Mergel, Scheitern; Ohnezeit, Opposition; Malinowski, Graf Westarp; Gasteiger, Friends; Nielsen, Verantwortung, S . 294– 314 . 6 Richter, Deutsche Volkspartei . 7 Jones, German Liberalism, S . 309–322; Papke, Koch-Weser, S . 175 ff; vgl . auch Schulz, Deutschland, S . 211–233 . 8 Jones, Stegerwald; Hömig, Brüning, S . 119 ff; Hehl, Marx; Ruppert, Dienst . 9 Vgl . die – allerdings unzureichende – Monographie von Kessler, Jungdeutsche Orden . 5
326 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
Jugend anzusprechen hoffte .10 Im Blick auf die bevorstehende Reichstagswahl zog der Parteivorsitzende Erich Koch-Weser im Juli 1930 in Übereinstimmung mit dem aufsteigenden neuen Anführer Hermann Dietrich, der auch als Finanzminister im Kabinett Brüning saß, diese Gründung mehr oder weniger an den Parteigremien vorbei durch . Offensichtlich zahlte er, indem er die Führungsrolle des Parteivorsitzenden in diesem Fall zu sehr forcierte, einen fatalen Preis für die allzu persönlich genommene Ideologie von der Notwendigkeit starker Führungspersönlichkeiten, die zu dieser Zeit im Bürgertum generell und auch bei den Linksliberalen umging .11 Als symptomatisch für das Vorgehen des Führungsduos Koch-Weser und Dietrich auf der einen und die Stimmung im Mitte-Links-Lager der DDP auf der anderen Seite kann der Tagebucheintrag Harry Graf Kesslers über die entscheidende Sitzung des Parteiausschusses der DDP am 30 . Juli 1930 gelten: „Koch-Weser hielt das Referat u . beantragte das Aufgehen der Demokratischen Partei in der neuzugründenden ‚Staatspartei‘ . Er wurde, als er ans Rednerpult trat, mit eisigem Schweigen aufgenommen . Auch nach der Rede war der Beifall schwach . […] Schließlich wurde der Antrag gegen 4 Stimmen […] angenommen . Ich stimmte unter starken Vorbehalten für die Gründung, weil man mitten im Wahlkampf nicht auf einem Trümmerhaufen sitzen bleiben kann . In der Pause sprach ich mit Georg Bernhard, Fischer, Reinhold, die Alle ungefähr so urteilten wie ich . Ich glaube nicht, daß diese Gründung ein langes Leben haben wird .“12
Entschiedene Linksliberale übten heftige Kritik oder wechselten, wie der langjährige Partei- und Fraktionsvorsitzende und Anführer des linken Flügels Anton Erkelenz, zur SPD .13 Prominente bürgerlich-konservative Linksliberale wie Friedrich Meinecke und Theodor Heuss stimmten dem Experiment zu, wenn auch mit einigem Zögern . Wie alle anderen Befürworter hofften sie,
Matthias/Morsey, Deutsche Staatspartei; Stephan, Aufstieg, S . 439–450; Schneider, Deutsche Demokratische Partei, S . 253–257; zur widerspruchslosen Hinnahme der Staatsparteigründung auch im vergleichsweise stabilen Hamburger Linksliberalismus vgl . Büttner, Vereinigte Liberale, S . 34; Krabbe, Zukunft, S . 111–191 . 11 Vgl . Hardtwig, Volksgemeinschaft; Papke, Koch-Weser, S . 175 ff . 12 Kessler, Tagebuch, Bd . 9, 30 .7 .1930, S . 373; vgl . auch ebd ., 27 .7 .1930 . Kesslers Vorhersage traf insofern zu, als die Fusion mit Artur Mahraun und seinen Anhängern bereits kurz nach der Wahlniederlage vom 14 .9 .1930 wieder platzte . Die „Staatspartei“ dagegen hielt sich, wenn auch 1932 weiter schrumpfend und bei der Wahl am 5 .3 .1933 nur durch eine Listenverbindung mit der SPD, mit fünf Abgeordneten im Reichstag . Alle fünf stimmten, nachdem Heuss und Hermann Dietrich zunächst für Enthaltung plädiert hatten, geschlossen für das Ermächtigungsgesetz . Am 28 .6 .1933 musste sich die Partei schließlich auflösen; vgl . Becker, Ermächtigung . 13 Vgl . Büttner, Deflation; Kellmann, Anton Erkelenz . 10
1. Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus 327
dass die alten DDP-Kräfte damit Anschluss an eine bürgerlich engagierte, am Gesamtwohl des Staates orientierte Jugend gewinnen könnten .14 Auch Hamm begrüßte in einem Brief an Paul Reusch vom 28 . Juli 1930 zunächst die Gründung der Deutschen Staatspartei als einen ersten Schritt zu einem umfassenderen Zusammenschluss der bürgerlichen Mitte, die damit – so seine Hoffnung – auch einen stärker nationalen und kulturkonservativen Zuschnitt erhalten sollte als die alte DDP .15 Offensichtlich formulierte Hamm diesem Adressaten gegenüber seine eigentliche Meinung deutlicher, als er es in der Öffentlichkeit zu tun pflegte . Er sprach von einer „Verstärkung der weniger weltbürgerlich als deutschbürgerlich eingestellten, weit überwiegenden Mehrheit der Demokratischen Partei“, die gleichzeitig eine „Sicherung gegen libertinistische Kulturauflockerung bedenklicher Art“ sein sollte . Hamm begrüßte auch die schon Ende Januar bzw . Ende Juli 1930 vollzogene Neuformierung des ehemaligen gemäßigten Flügels der DNVP zur Volkskonservativen Vereinigung bzw . Konservativen Volkspartei unter Führung von Kuno Graf Westarp, Gottfried Treviranus und Walther Lambach und betrachtete sie – mit gewissen Einschränkungen wegen der agrarisch-schutzzöllnerischen Prägung ihrer Interessen, die hier allerdings deutlich gemäßigter hervortraten als in der radikalisierten Rest-DNVP – als möglichen Bestandteil der erstrebten Sammlung der konservativ-republiktragenden Kräfte .16 Reusch seinerseits bezog sich in seiner Antwort auch gleich auf die von ihm „ersehnte Einigung von Westarp bis Koch-Weser“, die leider gescheitert sei, und zeigte sich skeptisch, dass die neue „Staatspartei“ in der rechten Mitte neue Wähler holen könne, da die „weltbürgerliche Anschauung“ weiterhin dominiere .17 Hamm befand sich demnach vor der Schicksalswahl vom September 1930 im Einklang mit der Rechtsverschiebung aller bürgerlichen Parteien in Deutschland . Dies bedeutete jedoch nicht, dass er am Liberalismus grundsätzlich verzweifelt wäre . In einem Vortrag in Tübingen am 2 . September 1930 umriss er in der ihm eigenen Diktion eines gedämpften Pathos, das sich aus der unerschütterten Selbstsicherheit seiner politischen Weltanschauung ebenso wie aus dem permanenten Appell an das politische Pflichtbewusstsein seiner Zuhörer speiste, die Grundzüge seiner liberal-konservativen Weltanschau-
Vgl . Heuss, Briefe 1918–1933, Dok . 159 (Heuss an Robert Bosch, 28 .7 .1930), Dok . 169 (Heuss an Albert Hopf, 12 .10 .1930), Dok . 171 (Heuss an Theodor Wilhelm, 30 .10 .1930); Wehrs, Demokratie, S . 107; zur faktischen Abkehr der Jugend vom Liberalismus vgl . u . a . Krabbe, Zukunft, S . 280 ff; Rusinek, Krieg; Wildt, Generation; Reichardt, Gewalt; Siemens, Romantiker . 15 Hamm an Reusch, 28 .7 .1930, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 120a . 16 Ebd . 17 Reusch an Hamm, 2 .8 .1930, in: ebd ., Dok . 125 . 14
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ung . Liberale Gesinnung beschränke sich nicht auf einzelne Theorien oder Handlungsfelder: „Wer liberal sein will, muß es ganz sein“ . Liberale Gesinnung sei ein „Lebensprinzip, ein Grundsatz, nach dem ich handle und möglichst viele andere handeln sehen möchte“ .18 Die demokratische Staatsform wie die Wirtschaftsordnung der deutschen Republik beruhten auf dem „Typ des selbstverantwortlichen Menschen“ . Ein sozialstaatlich gezügelter Kapitalismus und die Demokratie bedingten sich bei Hamm gegenseitig und stützten einander . Grundsätzlich blieb für Hamm auch im September 1930 noch das politische Ordnungsmodell des Sozialliberalismus bestimmend, allerdings in einer deutlich konservativeren und stärker individualistischen Akzentuierung als in den Anfangsjahren der Republik . Es überrascht nicht weiter, dass aus der Sicht des industriellen Interessenvertreters der Industrialisierungsprozess die Lebenschancen des Individuums unaufhaltsam erweiterte . Der konservative Liberale hätte es aber besser gefunden, wenn eine gesündere Balance von Stadt und Land erhalten geblieben wäre, als es ihm jetzt der Fall schien . Bei aller Sorge für die „Massen der industriellen Arbeiter“ und den Schutz der Schwachen dürften auch die „selbständigen Existenzen und Gewerbe und Handel“ nicht vernachlässigt werden, da gerade sie für den „gesunden Aufbau eines demokratischen Staatswesens, wie wir es in Deutschland haben“, unverzichtbar seien .19 Der Liberalismus habe dafür zu sorgen, dass die Gegner der „individuellen kapitalistischen Wirtschaftsauffassung“ von links und rechts, der „proletarische Sozialismus“ und der ständische Konservativismus, wie er vor allem in der Landwirtschaft und bei katholischen Wirtschaftsethikern gepflegt werde, nicht überhandnähmen . Den Sozialdemokraten, namentlich Rudolf Hilferding mit seinem Konzept einer „organisierten Wirtschaft“, konzedierte Hamm erneut, wie schon 1928, dass sie sich von der sozialrevolutionären Programmatik weithin verabschiedet hätten . Dem Sozialkatholizismus gestand er zu, dass die Sorge vor der „Entpersönlichung und Entseelung einer großen Zahl wirtschaftender Menschen“ auch vom Liberalismus geteilt werden müsse .20 Gleichwohl hielt Hamm die Rationalisierungs- und Vertrustungsprozesse in der Wirtschaft für unumkehrbar . Zudem, so sein Argument, trage gerade die internationale Kartellierung nicht nur zu einer sinnvollen Marktregulierung, sondern auch zur
Auch im Folgenden Vortragsmanuskript „Staat und Wirtschaft“, in: BayHStA, NL Hamm, 51; ganz ähnlich die Position von Heuss; Heuss, Neue Demokratie; vgl . auch Heß, Deutsche Lage . 19 Zur Metaphorik von Krankheit und Gesundheit im bürgerlichen Denken der 1920er Jahre vgl . Föllmer, Volkskörper . 20 Zur Konjunktur des „Seelen“-Paradigmas gerade bei Linksliberalen vgl . Hardtwig, Volksgemeinschaft, S . 244 f . 18
1. Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus 329
Stabilisierung des Friedens bei .21 Allerdings förderten die Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft den Übergang von großen Eigentümer-Unternehmen alten Stils zum modernen Manager – was Probleme beim Verantwortungsbewusstsein dieses neuen Unternehmertyps mit sich bringen könne . Hamm warf diese Frage auf, legte sich aber nicht auf eine Antwort fest . Wie bei ihm üblich, wog er Risiken und Chancen ab: die Gefahr einer Erosion des Verantwortungsgefühls gegenüber dem Unternehmen und die Chance, dass diese neue Elite von Wirtschaftsführern ein eigenes, selbstverantwortliches Ethos hervorbringen könne . Aus der Sicht Hamms hatte der Liberalismus dem Vordringen der Großindustrie und dem dadurch bedingten Wandel der Unternehmenskultur Rechnung zu tragen, ohne die Interessenvertretung des Mittelstandes preiszugeben . Den tragenden Pfeiler der bürgerlich-liberalen Weltanschauung seit ihren Anfängen in der Aufklärung, die „selbstverantwortliche Persönlichkeit“, die im ökonomisch selbständigen, mittelständischen Bürger, in der verstaatlichten Intelligenz des Beamtentums und in den freien Intelligenzberufen ihren Ort finden konnte, sah er bedroht – ökonomisch durch den Strukturwandel der kapitalistischen Wirtschaft, politisch durch den Sozialismus ebenso wie durch einen reaktionären Konservativismus . Liberales Gedankengut sei auch außerhalb des organisierten Liberalismus vertreten, eine Garantie für den Dreh- und Angelpunkt seiner politischen Ideenwelt, die „selbstverantwortliche Persönlichkeit“, fand er jedoch weder in der SPD noch im Zentrum oder in der DNVP, von KPD und NSDAP ganz zu schweigen . Hamms Thesen über die Herkunft und die Aufgaben des Liberalismus im Jahr 1930 deckten sich dabei weitgehend mit dem Programmentwurf für die Wirtschafts- und Sozialpolitik der DDP, mit dem die Partei 1928 den Nationalökonom, Journalisten und seit 1930 Reichstagabgeordneten Gustav Stolper beauftragt hatte . Was Stolper dabei rhetorisch zugespitzt als „Leitsätze“ für die „Demokratie“ in Anspruch nahm und auf dem Mannheimer Parteitag im Oktober 1929 vortrug, lief bei Hamm unter dem Stichwort „Liberalismus“: „Demokratie glaubt an die Möglichkeit des sozialen und wirtschaftlichen Interessenausgleichs im freien Staat . […] Demokratie glaubt an die Schicksalsverbundenheit der Klassen . […] Demokratie glaubt an den freien Menschen, nicht an die staatliche Maschine“ .22 Stolpers Entwurf wurde zwar auf dem Parteitag frenetisch bejubelt, konnte jedoch die konkreten Interessendivergenzen in der Partei nicht überbrücken .
Zu diesem Argument vgl . Wurm, Kartelle . Stolper, Weltanschauung, abgedr . auch bei Stephan, Aufstieg, S . 418 f und Langewiesche, Liberalismus, S . 268; vgl . dazu auch Schneider, Deutsche Demokratische Partei, S . 163–175; Heß, Wandlungen, S . 55–63 .
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Ein gängiger Vorwurf von Liberalismusexperten an die DDP/DStP lautet, sie habe sich mit ihrer „Theorieschwäche“ zufriedengegeben und dadurch die Fähigkeit verloren, zwischen ihren grundsätzlichen Zielen und den parteipolitischen Alltagserfordernissen in einer für die Wähler attraktiven Weise zu vermitteln .23 Der Einwand geht allerdings ins Leere . Wenn überhaupt eine bürgerliche Partei – DDP, DVP, DNVP – über eine tragfähige Theoriebasis verfügte, so war es mit Friedrich Naumann, Max Weber, Hugo Preuß, Moritz J . Bonn und anderen bedeutenden Staatsrechtlern und Nationalökonomen der Weimarer Republik die DDP .24 Vor allem aber in der Endphase der Republik war keine Theorie gefragt, sondern die Fähigkeit zu schlagwortartiger Rhetorik und zur organisatorischen Mobilisierung wie bei KPD und NSDAP . Auch der SPD als der theoriefreudigsten Weimarer Partei gelang es trotz ihrer Theoriebildung um den „organisierten Kapitalismus“ oder die „Wirtschaftsdemokratie“ nicht, mit diesen Konzepten Wähler zu mobilisieren . Mobilisierung und Wahlerfolge gelangen denen, die sich von der Regierungsverantwortung fernhielten, vor allem der extremen Rechten und Linken . Ein grundsätzlicher Theoriebedarf drängte sich beim Linksliberalismus auch deshalb nicht auf, weil er von seiner Theorietradition her primär auf Verfassungsziele konzentriert war – die 1919 mit der sozialen Republik gleichsam „übererfüllt“ waren – und weil er mit den Naumann-Schriften der Vorkriegszeit eine für die anstehenden Probleme eines sozial gebändigten Kapitalismus kohärente, wenn auch in den Konfliktlagen der Weimarer Republik nur noch teilweise tragfähige Grundlage besaß .25 Das Problem des Linksliberalismus war nicht eine Theorieschwäche und auch nicht der immer wieder von seinen Vertretern als Rechtfertigung ihres Handelns herangezogene Topos einer republikanischen Staatspolitik jenseits einzelner Gruppeninteressen . Sein Problem bestand darin, dass – wie Hermann Dietrich im Oktober 1929 völlig zutreffend formulierte – die „Interessenwirtschaft“ in der Wählerschaft ganz in den Vordergrund getreten war .26 Die Linksliberalen, die sich aus den Kämpfen des 19 . Jahrhunderts um politische und ökonomische Freiheit, um politische Gleichheit und den Nationalstaat formiert hatten, verstanden sich noch in der Weimarer DDP als Garanten dieser Ziele; doch konnte es
Schneider, Deutsche Demokratische Partei, S . 26 f, sowie auch schon Albertin, Liberalismus, S . 431–439 . 24 Vgl . u . a . Hacke, Staatsrecht; Becker, Dimension; Hertfelder, Demokratie . 25 Merkwürdigerweise ist die wichtigste und für Hamm zweifellos grundlegende Theorieschrift Naumanns – sein Buch über „Neudeutsche Wirtschaftspolitik“ – in der Liberalismus-Literatur so gut wie völlig unbeachtet geblieben . 26 Langewiesche, Liberalismus, S . 265 f; allgemein zur Verschärfung der ökonomischen Interessenpolitik bereits seit 1923/24 Mommsen, Aufstieg, S . 271–328 . 23
1. Partei- und Interessenpolitik im Niedergang des Liberalismus 331
ihnen immer weniger gelingen, die gesellschaftlichen Interessendivergenzen ihrer ursprünglichen Wählerschaft in einer entwickelten Industriegesellschaft zu überbrücken . Bei Hamm kann auch keine Rede sein von einer Flucht aus dem Liberalismus oder zumindest aus dem Weltanschauungs- und Begriffsgehäuse des Liberalismus, wie sie von manchen prominenten DDP- bzw . Staatsparteivertretern angetreten wurde – so etwa dem neuen Parteivorsitzenden Hermann Dietrich und der Kustodin des Naumann-Erbes Gertrud Bäumer . Bis 1933 glaubte Hamm an die Gestaltungskraft eines „Elementarliberalismus“ – wie Theodor Heuss noch im November 1932 formulierte –, der nicht unbedingt an die aktuelle Parteiformation gebunden sein musste . Wie Heuss verteidigte Hamm den Liberalismus als eine Haltung desjenigen, „dem das Wort ‚bürgerliche Freiheit‘ nicht zu einer verwehten Sentimentalität geworden“ sei, und hoffte auf einen künftigen Zeitpunkt, zu dem „eine tapfere bürgerliche Gesinnung und eine Neuprägung liberaler Gedanken den Deutschen notwendig sein werden“ .27 Wie bei Hamm üblich, verbanden sich auch in diesem Text Grundsatzreflexion und Pragmatismus . Im DIHT hatte Hamm schon am 25 . Juli 1930 die Aufgabe übernommen, die Handelskammern auf die Relevanz der Wahl hinzuweisen . In einer Aussprache zwischen den Vorstandsmitgliedern des DIHT diskutierte er die Aussichten der einzelnen Parteien und beklagte, dass die Handelskammern im Reichstag anders als Landwirtschaft und Handwerk unzureichend vertreten seien . Da nach dem Scheitern des Reichswirtschaftsratsgesetzes mit bedrohlichen Vorschlägen zur Neuordnung der Kammern zu rechnen sei, müsse die Position der Handelskammern über die wenigen sympathisierenden Reichstagsmitglieder aus DDP, DVP und DNVP hinaus gestärkt werden .28 Lobbyistisch verfocht Hamm damit die Position der Industrie, urteilte aber insofern zutreffend aus der Perspektive der gesamten gewerblichen Wirtschaft wie eines integrativen Liberalismus, als die zahlreichen wirtschaftsnahen DVP-Abgeordneten vor allem schwerindustrielle Interessen vertraten .29 Hamm schlug daher vor, ein Rundschreiben an wichtige Repräsentanten der Handelskammern zu schicken, das dringend eine verstärkte Einflussnahme auf die Kandidatenauswahl vor Ort empfehlen sollte und darüber hinaus einmal mehr die Notwendigkeit einer bürgerlichen Sammlung betonte . Nach lebhafter Debatte und Befürwortung des Vorschlags beson-
Zit . nach Becker, Heuss, S . 63 . Aufzeichnung über eine Ansprache zwischen Vorstandsmitgliedern des DIHT, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 120c . 29 Vgl . insgesamt Döhn, Politik, besonders S . 91–233 . 27 28
332 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
ders durch den Lübecker Kammerpräsidenten Theodor Eschenburg entwarf Hamm ein neues Schreiben, das am 28 . Juli mit der Unterschrift von Franz von Mendelssohn hinausging . Die bevorstehende Wahl werde – so heißt es dort – über das „Gesamtschicksal der wirtschaftlichen wie aller anderen Berufsstände“ entscheiden . Sie betreffe Industrie, Groß- und Einzelhandel, Banken und Verkehrsgewerbe, Handwerk und Landwirtschaft gleichermaßen . Insbesondere gehe es darum, den gewerblichen und freiberuflichen Mittelstand zu erhalten und das Berufsbeamtentum zu sichern . Ein akzeptables Wahlergebnis sei nur bei „Sammlung aller staatsbürgerlich bejahenden Kräfte“ zu erwarten, „die bereit sind, auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen und Gesetze eine illusionsfreie Politik der staatlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu führen […], und damit einer zielbewussten Politik der Staatsnotwendigkeiten die parlamentarische Grundlage“ sicherten .30 Hamm verknüpfte so das Lobbyisteninteresse an einer stärkeren Repräsentanz des DIHT im künftigen Reichstag mit dem Aufruf zur Sammlung der gemäßigten bürgerlichen Parteien und band beide Gesichtspunkte zurück an die Forderung, das parlamentarische System der Weimarer Verfassung funktionsfähig zu erhalten . Was das Verbandsinteresse des DIHT anging, setzte Hamm dabei eine gewisse Hoffnung auf Paul Reusch . Der Generaldirektor der Gute-Hoffnungs-Hütte trat, zu diesem Zeitpunkt noch am rechten Rand der vernunftrepublikanischen Kräfte stehend, sehr energisch für die Sammlung der bürgerlichen Kräfte von der DDP bis zur DNVP ein und ging dabei so weit, seine finanzielle Unterstützung von Parteien ausdrücklich an dieses Ziel zu koppeln .31 Reuschs Antwort fiel allerdings ablehnend und ungewöhnlich verdrossen aus .32 Nicht unerwartet brachte die vorgezogene Neuwahl nach der Reichstagsauflösung durch Brüning am 14 . September 1930 den endgültigen Zusammenbruch der bürgerlich-liberalen Mitte . Die Mobilisierung der Wähler führte mit 82 % zur höchsten Wahlbeteiligung aller Reichstagswahlen in der Weimarer Republik . Die NSDAP stieg von 800 .000 Stimmen im Mai 1928 auf 6,4 Mil-
Maurer/Wengst, Politik, Dok . 120d, Zitat S . 336 f . Hamm an Reusch, 28 .7 .1930, in: ebd ., Dok . 120a; zu Reuschs hartnäckigem Drängen auf eine bürgerliche Sammlungsbewegung zuletzt Langer, Macht, S . 463 ff; zu den desolaten Bemühungen um eine Neuformierung der bürgerlichen Mitte Jones, Sammlung; schließlich dazu auch Heuss, Briefe 1918–1933, Dok . 162, 169, 170, 171, 185, 185a . 32 Reusch an Hamm, 2 .8 .1930, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 125: „Die ersehnte Einigung von Westarp bis Koch-Weser ist ja leider gescheitert . Die bedauerlichen Vorgänge bei der Gründung der Staatspartei schließen m . E . es aus, daß das Ziel einer Sammlung der bürgerlichen Parteien in absehbarer Zeit erreicht wird . Ich glaube, die Staatspartei irrt sich, wenn sie glaubt, von ‚rechts‘ her einen großen Stimmenzuwachs zu erhalten“ . 30 31
2. Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932 333
lionen (von 2,6 auf 18,3 %, von 12 auf 107 Mandate .) Auch die KPD gewann deutlich, wenn auch nicht so dramatisch, mit 13,1 % statt vorher 10,6 % (77 statt vorher 54 Mandate) . Die Deutschnationalen büßten die Hälfte ihrer Wähler ein und sanken von 14,3 auf 7 % . Auch der Abstieg des Liberalismus setzte sich fort: Die DVP ging von 8,7 % auf 4,5 %, die Deutsche Staatspartei (früher DDP) von 4,9 % auf 3,8 % zurück . Vergleichsweise stabil blieben der politische Katholizismus mit dem Zentrum (von 12,1 auf 11,8 %) und der BVP (3,1 auf 3,0 %) . Auch die SPD erlitt mit einem Rückgang von 29,8 auf 24,5 % eine schwere Niederlage, blieb aber immer noch die größte deutsche Partei .33 Der dramatische Rechtsruck hatte sich schon in den Landtagswahlen in Thüringen und Baden sowie in den Kommunalwahlen in Hessen und Berlin im November und Dezember 1929 angekündigt . Gleichwohl überraschte die erdrutschartige Dimension . Aber zwischen Mai 1928 und September 1930 hatte sich die politische Landschaft in Deutschland von Grund auf verändert .
2. Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932
Zu den wichtigsten Arbeitsfeldern im DIHT gehörten Fragen der sogenannten Reichsreform . Bei diesem Thema gingen die Interessenpolitik des DIHT und Hamms eigenste politische Anliegen unmittelbar ineinander über . Es lag daher in der Logik dieser Interessenkonkordanz, dass Hamm im DIHT die Federführung zu diesem Themenfeld übernahm . Unter der Politik der Reichsreform sind alle diejenigen Bestrebungen zu verstehen, die darauf drängten, das Binnenverhältnis von Reich, Ländern und Gemeinden anders als in der Weimarer Reichsverfassung vorgesehen zu ordnen, dabei auf klarere Kompetenzabgrenzungen und auf einen deutlichen Kompetenzzuwachs des Reichs hinzuwirken . Ein wesentlicher Bestandteil der Reichsreform sollte darin bestehen, das Verhältnis zwischen dem Reich und dem Land Preußen neu zu regeln .34 Tatsächlich bestand für eine solche Reform von Verwaltung und Verfassung des Reichs dringender Bedarf . Er trat schon in der Konsolidierungsphase der Republik seit 1923/24 und dann vor allem seit 1927 immer deutlicher hervor, als sich die Haushaltsprobleme verschärften . Die Erzberger’sche Finanzreform hatte dem Reich 1919/20 erstmals eine solide Basis an Steuer-
Winkler, Weimar, S . 388 . Nach wie vor das Standardwerk zur Reichsreform, das diese in eine ebenso breite wie tiefgehende Erörterung der einschlägigen Probleme von Verfassungsordnung und Innenpolitik einbettet, Schulz, Demokratie, Bd . 1, Bd . 2, Bd . 3 .
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einnahmen verschafft, dabei aber die Länder und Gemeinden in mehrfacher Hinsicht benachteiligt . Beide Gebietskörperschaften verloren einen Großteil ihrer bisherigen eigenen Steuereinnahmen und waren jetzt hauptsächlich auf festgelegte Zuschläge aus dem Steuereinkommen des Reichs angewiesen . Andererseits fielen gerade den Städten im Zuge der Industrialisierung, des rasanten Städtewachstums und der Wohlfahrtsentwicklung seit dem späten 19 . Jahrhundert verstärkt Aufgaben der Daseinsvorsorge zu, wobei sich die expandierenden Kommunalverwaltungen in der Regel als integrationsfähig gegenüber der Arbeiterschaft und insgesamt als sehr leistungsstark erwiesen .35 Hinzu kam, dass der interventionsstaatlich verstärkte Durchgriff des Reichs auf die Versorgung der Bürger die Aufgaben und Kosten aus der Auftragsverwaltung der Kommunen für die Reichs- und Ländergesetzgebung erweiterte . Für die Sozialfürsorge waren seit jeher die Gemeinden zuständig . Seit 1929 belasteten daher die steigenden Arbeitslosenzahlen und die mehrfache Verringerung der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung die Gemeindehaushalte mit zum Teil dramatisch steigenden Kosten bei gleichzeitig dramatisch sinkenden Steuereinnahmen .36 Aus der Sicht des Reichs und der Reichsbank hatte das Haushaltsgebaren vor allem der Kommunen, aber auch der Länder besorgniserregende Formen angenommen, seit im Gefolge des Dawes-Abkommens der Anleihemarkt den vermeintlich problemlosen Zugriff auf US-Kredite ermöglichte . Neben den notwendigen Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur – Straßen-, Eisenund Untergrundbahnen sowie Flughäfen – wurde viel Geld ausgegeben für den Ausbau und Betrieb von Messehallen, Sportstätten, Schwimmbädern, Schulen, Museen, Theatern und vieles andere . Diese Ausgaben wurden zum größten Teil ökonomisch nicht zu den „produktiven“ gerechnet, kamen aber auch dem ärmeren Teil der Bevölkerung zugute . Insgesamt dienten sie der Funktionsfähigkeit des Industriestaats, aber auch dem sozialen Ausgleich in der städtischen Gesellschaft . Aus heutiger Sicht stehen sie aber für die auch im europäischen Vergleich sehr respektable kulturelle Modernität der Weimarer Republik und eine Neubewertung der staatlichen Bildungsaufgaben .37 Die Wirtschaftsverbände tendierten besonders bei den Kulturausgaben zu pauschaler Kritik .38 Im Jahr 1929 wurden rund 11 % aller von US-Kreditoren ausgegebenen Anleihen von deutschen Städten gezeichnet .39 Für eine zusätzVgl . u . a . Reulecke, Geschichte, S . 62 ff; Hardtwig/Tenfelde, Soziale Räume . Vgl . Hansmeyer, Finanzpolitik; Heindl, Haushalte; Wirsching, Leistungsexpansion . 37 Vgl . u . a . Stölzl, Zwanziger Jahre; Hansert, Bürgerkultur; Hermann, Kulturpolitik; Schmidt, Kultur (ausführlich zum Forschungsstand) . 38 Vgl . Abelshauser, Weimarer Republik, S . 18 . 39 James, Weltwirtschaftskrise, S . 95 ff . 35 36
2. Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932 335
liche Dramatisierung der Verwaltungs-, Finanz- und Reichsreformdebatte sorgten seit 1927 die Berichte des Reparationsagenten Gilbert Parker, der in der Beseitigung des Behördenwirrwarrs und einer strengeren Aufsicht über das Finanzgebaren von Ländern und Gemeinden ein erhebliches Einsparungspotenzial sah .40 Anders – aber nicht völlig anders – lagen die Verhältnisse beim Föderalismus-Problem . Hier ging es um eine Rationalisierung der Ländereinteilung zwischen einzelnen verbliebenen Klein- und Kleinststaaten in Nord- und Mitteldeutschland, vor allem aber um das Verhältnis Preußens zum Reich . Der Einzelstaat Preußen umfasste ungefähr drei Fünftel der Gesamtbevölkerung, verfügte über zwei Fünftel der Stimmen im Reichsrat und einen gewaltigen Verwaltungsapparat, auf den das Reich vielfach angewiesen war . Preußen kam damit in der Innenpolitik des Reichs eine Bedeutung zu, die zwar seiner Größe und seinen Ressourcen entsprach, die Ausbalancierung von Wirtschaftskraft und Macht im Reichsgefüge aber massiv erschwerte . Zwar wurde Preußen von einer erstaunlich stabilen „Weimarer Koalition“ unter dem führungsstarken SPD-Ministerpräsidenten Otto Braun regiert und konnte in den innenpolitischen Turbulenzen der Republik in den zwanziger Jahren als eine Art demokratisches Musterland gelten – durchaus im Gegensatz zu seinem in den Jahrhunderten zuvor erworbenen Ruf als „Militär-“ und „Obrigkeitsstaat“ .41 Aber das Nebeneinander und häufige Gegeneinander von Reich und Preußen störte die Regierungsarbeit vor allem auf Seiten des Reichs . Die Irritationen beruhten keineswegs nur darauf, dass der konsequente republikanisch-demokratische Kurs der sozialdemokratisch geführten Regierung Preußens notorisch die Kritik der Rechten auf sich zog . Vielmehr führten die unterschiedlichen Auffassungen etwa über den Republikschutz, die Rolle der Reichswehr, die Ordnungspolitik gegenüber Links- und Rechtsextremismus sowie die ständigen Versuche der Rechten, Preußen der „Linksregierung“ aus SPD, DDP und Zentrum zu entreißen, immer wieder zu Verwerfungen und Komplikationen in der Parteien- und Koalitionspolitik im Reich – ganz abgesehen von der Spannung, die zwischen dem übermächtigen Preußen und den anderen Ländern, insbesondere Bayern, fortdauerte .42
Vgl . u . a . Winkler, Schein, S . 514 ff . Vgl . Schulze, Braun, S . 310–823; Möller, Parlamentarismus . Neuerdings weist v . a . John zu Recht darauf hin, dass die Reich-Länder-Kommunen Beziehungen ungeachtet wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit für das Reich-Preußen Problem weithin eine reine Fachdebatte in den Verwaltungseliten gewesen sei, die von der Öffentlichkeit kaum nachvollzogen werden konnte; vgl . John, Weimarer Bundesstaat, S . 127 . 42 Biewer, Preußen, S . 331–356 . 40 41
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Eduard Hamm hatte die Reich-Länder-Problematik praktisch vom Beginn seiner amtlichen Tätigkeit im Reichsernährungsamt an von allen Seiten her kennengelernt . Auf dem Parteitag der DDP in Regensburg 1920 hatte er sich kritisch mit dem Unitarismus Preuß’scher Prägung auseinandergesetzt und die Vielfalt unterschiedlicher regionaler Kulturen und Traditionen als Stärke der nationalen Kultur Deutschlands gepriesen . Diese Einstellung hatte sich aber im Amt des Staatssekretärs in der Reichskanzlei deutlich gewandelt .43 Die Tätigkeit im DIHT mit den Arbeitsfeldern der Steuer- und Haushaltspolitik konfrontierte ihn jetzt auch noch mit den Problemen der örtlichen Industrie- und Handelskammern in ihrem Verhältnis zu den Verwaltungen und dem Haushaltsgebaren der Kommunen sowie – je mehr die allgemeine Verschuldungsneigung der Gebietskörperschaften zunahm – der Länder . Seit seiner Rede am 24 . Oktober 1925 vor dem Hauptausschuss des DIHT über die „gegenwärtige politische Lage“ stand die Forderung nach einer Reichsfinanz- und einer Reichsverwaltungsreform regelmäßig auf Hamms Agenda .44 Seit dem Herbst 1928 sprach er dann ausdrücklich von einer „Weiterentwicklung der Reichsverfassung“ .45 1926 forderte er vor dem DIHT eine tiefgreifende Verwaltungsreform auf allen Ebenen, eine planvolle und umfassende Steuerreform und einen Finanzausgleich zwischen den Ländern – vor allem das letztere eine „seit Karl dem Großen noch nicht gelöste Aufgabe des deutschen Volkes“ .46 Die Verwaltungsausgaben der Städte hätten von 1914 bis 1925 um 60 bis 70 % zugenommen, vornehmlich auf Grund der gestiegenen Ausgaben für die Beamten, für Wohlfahrtsaufgaben und kulturelle Zwecke . Die Einstufung der Gehaltsklassen bei den Gemeindebeamten liege häufig über denen von Reich und Ländern .47 Die Aufgabenverteilung bei den neuen Wohlfahrtslasten verlange eine scharfe Abgrenzung zwischen Reichs- und Länderausgaben . Die aus dem Erbe des deutschen Föderalismus kommenden Verwaltungseinteilungen seien vielfach dysfunktional . Der Zersplitterung des Steuersystems in Deutschland könne nur durch eine grundlegende Vereinfachung des Steueraufbaus begegnet werden . An die Stelle der diversen Steuerbehörden von Reich, Ländern und Gemeinden müssten „zusammengefaßte Behörden“ treten . Hamms Forderungen reflektierten nicht nur den gewaltigen Aufgabenzuwachs und die notwendige weitere Differenzierung der Verwaltungen, Vgl . dazu oben S . 122 f . Verh ., HA, 24 .10 .1925, S . 9 . 45 „Die nächsten Fragen und Aufgaben der Wirtschaftspolitik“, in: Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 25 f . 46 „Zur gegenwärtigen Wirtschaftslage Deutschlands“, in: Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 53 . 47 Ebd ., S . 54 . 43 44
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sondern auch den vom Ausbau der wohlfahrtsstaatlichen Elemente der Weimarer Demokratie geförderten Trend zur „Verreichlichung“, der schon seit den Anfängen der Bismarck’schen Sozialversicherungspolitik in der Logik der deutschen Sozialpolitik lag – bis hin zur Einführung der zentral organisierten Arbeitslosenversicherung .48 Insbesondere bei den Gewerbesteuern sei eine Vereinfachung der Verwaltung nötig . Die Haushaltspläne müssten vereinheitlicht und offengelegt, die Finanzstatistik der Länder und Gemeinden ausgebaut werden .49 Hamm setzte sich auch mit dem Vorschlag des Reichsfinanzministers Otto von Schlieben (DNVP) auseinander, ein „unbegrenztes Zuschlagsrecht der Länder und Gemeinden zur Einkommenssteuer“ einzuführen .50 Dem Zuschlagsrecht stimmte Hamm namens des DIHT prinzipiell zu, machte jedoch die im Steuerausschuss des Verbands formulierte Bedingung geltend, dass dann die Einkommenssteuer erhöht und die Realsteuern gesenkt werden müssten . Da der DIHT befürchtete, die Gebietskörperschaften würden das Zuschlagsrecht überspannen, sollten neben der bestehenden Staatsaufsicht noch weitere „Sicherungsmaßnahmen“ geschaffen werden .51 Festzuhalten ist hier vor allem, dass Hamm vorschlug, den Ländern finanziell entgegenzukommen .52 Denn damit widersprach er der allgemeinen Tendenz, die Einnahmen des Reichs auf Kosten der Länder zu steigern – eine Tendenz, die mit den Jahren, besonders in den Präsidialkabinetten, immer stärker wurde .53 Am 30 . März 1927 legte Hamm dem Hauptausschuss des DIHT „Leitsätze zur Verwaltungsreform“ vor, in denen er die Prinzipien von Funktionalität, klarer Kompetenzabgrenzung und Selbstbeschränkung der Verwaltung betonte, eine Vereinheitlichung der Haushaltspläne und
Vgl . Ellwein, Dilemma; Ruck, Tradition; Metzler, Dimension, S . 205–232 . Vgl . dazu auch das Referat „Verwaltungsreform“, in: Verh ., HA, 8 .12 .1927, S . 42 f; dort behandelt Hamm ebenfalls umfassend das Problemfeld der Verwaltungs- und Finanzreform; ebd ., S . 39–88 . 50 „Stand der Arbeiten über den Reichsfinanzausgleich“, in: Verh ., HA, 14 .10 .1926, S . 27– 31, Zit . S . 30 . 51 Ebd ., S . 31 . In gemeinsamen Vorschlägen von RDI und DIHT 1927 und 1929 sahen die Verbände vor, dem Finanzminister in finanzpolitischen Fragen ein Vetorecht gegen die Beschlüsse von Reichstag und Reichsrat zu gewähren und die Unabhängigkeit und Zuständigkeit des Reichssparkommissars zu stärken; Kim Industrie, S . 14 f . 52 Vgl . Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 53 f; Verh ., HA, 14 .10 .1926, S . 32 f . 53 Vgl . James, Weltwirtschaftskrise, S . 59 f, 89 ff . Der Reichsanteil an den Staatsausgaben stieg von 1913/14 bis 1928/29 auf 38,7 %, doch ist dieser Anstieg nur zu einem geringen Teil auf die Sozialausgaben zurückzuführen; schwerer ins Gewicht fiel der Übergang der Steuer-, Zoll-, Post- und Eisenbahnverwaltungen und der Heeresausgaben auf das Reich; vgl . Kim, Industrie, S . 14 . 48 49
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-rechnungen forderte und mehr Öffentlichkeit des Finanzgebarens sowie die gesetzliche Absicherung und den Ausbau der Stellung des Reichssparkommissars verlangte . Wenig später formulierte er das Bestreben des DIHT nach einer dauerhaft funktionsfähigen Aufgaben- und Lastenteilung in einer „Entschließung“, in der er eine „starke gemeindliche Selbstverwaltung“ gegenüber der gegenwärtigen, angeblich „übertrieben schematischen Auferlegung von Zwangsaufgaben und -ausgaben“ für unentbehrlich erklärte .54 Am 7 . Dezember 1927 entwickelte Hamm dann in einem Grundsatzreferat die Motive, Prinzipien und Ziele einer umfassenden Verwaltungsreform, in der auch schon das Konzept einer weitergehenden Verfassungs- bzw . Reichsreform enthalten war .55 Seit Oktober 1927 nahm die Reichsreformdebatte – vor allem auf das zunächst vorsichtige und indirekte Betreiben des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun hin – auch auf der Ebene der Länder und der Reichsregierung Fahrt auf .56 Die „Länderkonferenz“, eine ständige Einrichtung der Länderregierungen, setzte eine grundlegende territoriale Neuordnung des Reichs auf die Tagesordnung . Seit Juli 1928 nahm sich auch die Regierung der Großen Koalition des Themas an . Der ehemalige Oberbürgermeister von Kassel, spätere Innen- und Justizminister und seit 1925 Parteivorsitzende der DDP, Erich Koch-Weser, legte detaillierte Vorschläge vor .57 In der Reichskanzlei sammelten sich Eingaben von Einzelpersonen . Sogar die großen süddeutschen Länder Bayern, Württemberg und Baden, die besonders über ihre Rechte in der Justiz, bei der Polizei, in der Bildungs-, Kirchen- und Wirtschaftspolitik wachten, schienen zu Kompromissen bereit . Nach dem Zusammentritt der Länderkonferenz am 13 . Juli 1928 berief das Kabinett einen Ausschuss für Verfassungs- und Verwaltungsreform, dem neben dem preußischen Reichsratsbevollmächtigten Ministerialdirektor Arnold Brecht auch Hamm angehörte .58 Am 10 . Oktober 1928 bat Staatssekretär Hermann Pünder Reichsinnenminister Carl Severing, eine Kabinettsvorlage zur Reichsreform vorzubereiten .59 Eigene Vorschläge legte auch der „Bund zur Erneuerung des Reiches“ vor . In der politischen Umgangssprache hieß er kurz „Erneuerungsbund“ oder
Verh ., VV, 22 .6 .1927, S . 120; in einem Atemzug damit postuliert die Entschließung das ceterum censeo des DIHT gegenüber den Gemeinden, die Forderung nach mehr Sparsamkeit und nach mehr Zurückhaltung beim Ausbau der Gemeindebetriebe . 55 Verh ., HA, 8 .12 .1927, S . 39–83 . 56 Schulze, Braun, S . 584–601; John, Weimarer Bundesstaat, S . 99–168, bes . S . 202–208 . 57 Vgl . Papke, Koch-Weser, S . 146–150 . 58 AdR, Müller II, Bd . 1, Dok . 9, S . 25 . 59 Ebd ., Dok . 40 . 54
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auch – nach dem Namen des ersten Vorsitzenden, des ehemaligen Reichskanzlers und Reichsfinanzministers – „Lutherbund“ . Diese Vorschläge verdienen schon deshalb Aufmerksamkeit, weil der „Erneuerungsbund“ lange Zeit unzureichend erforscht, dafür aber Gegenstand heftiger Polemiken und Fehleinschätzungen geworden ist . Der Bund wird gerne als reine Interessenvertretung der Großindustrie und als Instrument Luthers und seiner schwerindustriellen Freunde dargestellt, den Umbau der Reichsverfassung zu einem autoritären System voranzutreiben und dem ehrgeizigen Vorsitzenden wieder zu Reichskanzlerehren zu verhelfen .60 In der Tat war die treibende Kraft bei der Gründung zunächst Paul Reusch, und dem Kuratorium gehörten zahlreiche Großindustrielle an . Daneben engagierten sich aber auch Großkaufleute wie der Hamburger DIHT-Vizepräsident Franz Heinrich Witthoefft und Großbankiers wie Jacob Goldschmidt und Paul Kempner (Mendelssohn & Co) . Generell unterschlagen wird in den Polemiken gegen den „Erneuerungsbund“, dass ihm mehrere Oberbürgermeister und kommunale Verwaltungsbeamte aus den liberalen Parteien und – wie Konrad Adenauer – aus dem Zentrum beitraten . Schon weil diese in der Regel ausgewiesene Verwaltungs- und Finanzexperten waren, ist es verfehlt, den „Erneuerungsbund“ als bloßen Agenten verfassungsfeindlicher Schwerindustrieller und Erfinder eines diffusen verfassungspolitischen „Gedankengebräus“ darzustellen .61 Parteipolitisch reichte das Spektrum von der DVP bis zu einzelnen konservativen Sozialdemokraten – die bald wieder austraten –, verbandspolitisch vom RDI über den DIHT bis zum Reichslandbund . Gerne übersehen wird auch, dass sich dem Bund auch republikfreundliche Gelehrte wie Gerhard Anschütz, Hans Delbrück und Friedrich Meinecke anschlossen .62 1928 publizierte der Bund seine Programmschrift „Reich und Länder . Vorschläge, Begründung, Gesetzentwürfe“, in der auch die umfangreiche Liste der Unterstützer aus Industrie- und Bankwesen, Großlandwirtschaft, Politik und Wissenschaft abgedruckt ist .63 Das Interesse der Industrie an der Reichsreform erklärt sich vor allem aus ihrem Kampf gegen die in ihren Augen viel zu hohen Staatsausgaben . Tatsächlich war der Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen von 1913 bis
Vgl . exemplarisch Winkler, Unternehmerverbände, S . 371; Feldman, Weltkrieg, S . 188; James, Weltwirtschaftskrise, S . 25 f . 61 Langer, Macht, S . 522 . 62 Knapp aber zutreffend zur Bedeutung des „Bundes“ dagegen Heimers, Unitarismus, S . 241 f; John, Weimarer Bundesstaat, S . 200 f; zum Ganzen jetzt die erste gründliche Darstellung bei Kim, Industrie, S . 11–47 . 63 Bund zur Erneuerung des Reiches: Reich und Länder . Vorschläge, Begründung, Gesetzentwürfe, Berlin 1928 . 60
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in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre um 14 auf 25,8 % gestiegen .64 Höhere Staatsausgaben verlangten höhere Steuern, und damit waren die Unternehmer an einer empfindlichen Stelle getroffen . Während die Unternehmer selbst permanent gegen die Steigerung der Reichsausgaben polemisierten, hatten sich einsichtige Interessenvertreter wie Hamm und Kastl davon überzeugt, dass Steuerersparnisse weniger beim Reich als bei den Gemeinden zu Buche schlagen würden . Daraus erklärt sich die auf den ersten Blick unverständliche Schärfe und Hartnäckigkeit der Kritik am Finanzgebaren der Städte und Gemeinden, wie sie vom DIHT und vom RDI seit 1925 permanent vorgetragen wurde und wie sie auch in den Forderungen des „Erneuerungsbundes“ nach einer umfassenden Finanz- und Verwaltungsreform ihren Niederschlag fand .65 Verbandsvertreter wie Hamm, Kastl und Otto Most erkannten zwar an, dass die Gemeindefinanzen nur bei einer deutlichen Reduzierung der vom Staat den Gemeinden übertragenen Aufgaben realisierbar war .66 Es sei auf die Dauer „ein unmöglicher Zustand“, so Hamm am 8 . Dezember 1927 vor dem DIHT, dass den Gemeinden von Reichs wegen immer neue Aufgaben bei der Fürsorge, dem Schulwesen und anderen Aufgaben zugewiesen würden, ohne dass für einen finanziellen Ausgleich gesorgt werde .67 Gleichzeitig teilten die Verbandsvertreter aber auch die in der Industrie weit verbreitete und kaum je präzisierte politische Erwartung, dass „eine Schwächung des parlamentarischen Einflusses auf die kommunale Finanzpolitik zu einer nennenswerten Ausgabensenkung führen würde“ .68 In der Hauptausschusssitzung des DIHT vom 4 . Oktober 1928 verkündete Präsident Franz von Mendelssohn ausdrücklich seine Zustimmung zu den Vorschlägen des „Erneuerungsbundes“, nachdem Hamm einen ausführlichen Überblick über den Stand der Debatte zur „Reform von Verwaltung und Verfassung“ gegeben hatte .69 Hamm unterschied bei den Verfechtern der Reichsreform vier Hauptrichtungen: Erstens konservative Anhänger der Bismarck’schen Reichsverfassung und ihres Reichsaufbaus . Gegen ihre Vorstellungen spreche, dass die Basis der Konstruktion Bismarcks, die enge Verbindung der Monarchie in Preußen und im Reich und damit die Ausstattung des Reichs mit der Hausmacht Preußens und seiner Bürokratie, zerbrochen
64 65 66 67 68 69
Hierzu und zum Folgenden Kim, Industrie, S . 12–20 . Dazu im Einzelnen ebd ., S . 18 ff . Vgl . u . a . die Entschließung des DIHT, Verh ., VV, 22 .6 .1927, S . 119 . Verh ., HA, 8 .12 .1927, S . 62 f . Kim, Industrie, S . 18 . Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 74 ff, 95 .
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sei .70 Zweitens die Befürworter eines „echten Föderalismus“, die das Reich in 15 oder 18 Länder aufgeteilt sehen, damit aber auch Preußen zerschlagen wollten . Es würde, so Hamm, starke Widerstände auslösen, die zum großen Teil neu zu bildenden Länder mit denselben Rechten auszustatten, wie sie die Weimarer Verfassung den bestehenden, historisch fundierten Ländern zubilligte; zudem ginge die „einheitliche Kraft des preußischen Staates“ verloren, der er große Bedeutung für die Stabilität des Reichs beimaß . Drit tens die Verfechter eines „gleichförmigen dezentralisierten Einheitsstaates“ . Sie wünschten die eigentlich staatlichen Aufgaben und Rechte beim Reich zu konzentrieren, den Ländern aber möglichst weitreichende Kompetenzen in der Auftragsverwaltung bei gleichzeitiger Dezentralisation bestimmter Reichsaufgaben einzuräumen . Hamm sympathisierte zwar offensichtlich mit dieser Variante, fand sie aber noch unzureichend vorbereitet . Viertens die Mitglieder des „Erneuerungsbundes“ . Ihr Vorschlag sehe vor, Preußen und ganz Norddeutschland zum Reichsland zu erklären, was praktisch bedeutet hätte, dass die Reichsregierung auch die Regierung Preußens und der Reichstag die Aufgaben des preußischen Landtags zu übernehmen hätte . Für Sachsen und die süddeutschen Länder sollte alles beim alten Zustand bleiben . Auf diese Weise könne Preußen mit staatlichen Rechten für bestimmte Aufgaben erhalten werden . Eine Bedrohung der Reichseinheit und eine Schwächung der süddeutschen Länder sah Hamm bei diesem Vorschlag nicht, da sich die „süddeutsche Verwaltungskraft“ im Kaiserreich sehr wohl behauptet habe und die ökonomische und die finanzwirtschafts- und sozialpolitische Verflechtung zwischen Nord und Süd inzwischen weit fortgeschritten sei . Dass aus der „Verreichlichung Preußens zugleich die Verpreußung des Reiches“ folge, sei nicht zu befürchten .71 Hamm sah in den Vorschlägen des „Erneuerungsbundes“ auch keine Teil- oder Übergangs-, sondern die definitive Gesamtlösung für das Problem Preußen . Gegenüber seinen Positionen in den Jahren 1919 bis 1922 hatte Hamm damit seine antizentralistischen und antipreußischen Vorbehalte erheblich abgeschwächt, ohne bei aller stärkeren Hinneigung zum „Einheitsstaat“ die Forderung nach möglichst weitgehender Dezentralisierung von Aufgaben und Rechten aufzugeben . Das ist schon deshalb festzuhalten, weil die neuerliche Gewichtsverschiebung in Hamms Verfassungsvorstellung nach 1933, Damit stand Hamm auch im Widerspruch zu seinem als Reichsjustizminister amtierenden Parteifreud Koch-Weser, der in der Großen Koalition auf eine Reichsreform drängte, für den es aber kein Preußen-Problem gab, sondern nur ein Problem Reich-Länder . Versuche u . a . von Hamm, ihm das Konzept des „Erneuerungsbundes“ nahezubringen, blieben vergeblich; vgl . Schulz, Deutschland, S . 300 f . 71 Verh ., HA, 4 .10 .1928, S . 78 . 70
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hin zur Wiederherstellung der bayerischen Monarchie, in dieser Perspektive weniger radikal wirkt, als es auf den ersten Blick scheinen mag . Im „Erneuerungsbund“ war er selbst allerdings nicht speziell für das Problem Reich– Preußen, sondern für die Verwaltungsreform zuständig, die ihrerseits aufs engste mit der Reform des Steuer- und Finanzsystems verknüpft war . Hier lag auch das Hauptinteresse des DIHT, der sich von der Reform klarere Zuständigkeiten bei der Erhebung der Steuern durch Reich, Länder und Gemeinden erhoffte . Daher forderte Hamm auch mehr steuerpolitische Selbständigkeit für die Kommunen . Wenn die Organe der kommunalen Selbstverwaltung bestimmte Steuersätze selbst festsetzten, würden sie auch verantwortlicher, das heißt sparsamer, mit ihren Einnahmen umgehen .72 Vor allem sei ein einheitliches Finanzkonzept für Reich, Länder und Gemeinden nötig . Isolierte Steuersenkungen wie bei der Umsatzsteuersenkung von 1926 oder den mehrfachen Lohnsteuersenkungen seither reichten zur Haushaltskonsolidierung nicht mehr aus .73 Die Verschwendung und Fehlsteuerung der Steuermittel sei bei den Ländern und Gemeinden noch größer als beim Reich, daher müsse das gesamte Finanzwesen durchgeprüft werden .74 Eine gewisse „produktive Verschuldung“ etwa für die Verkehrsinfrastruktur und für den Wohnungsbau erkannte Hamm zwar als notwendig an, mahnte dabei aber auch, auf ausländische Kredite möglichst zu verzichten .75 Tatsächlich trugen die deutschen Kommunalverwaltungen mit ihrer vielfach bedenkenlosen Verschuldungspolitik wesentlich zur deutschen Finanz- und Haushaltskrise seit 1929 bei . Amerikanische Bankiers machten für die Bankenkrise vom Sommer 1931 neben den schlechten Nerven der deutschen Bankiers auch und vor allem die großzügige Kreditvergabe deutscher Banken an die Kommunen verantwortlich . Damit lagen sie, zumindest was die Vergabepraxis der fallierten Danatbank angeht, nicht falsch, lenkten aber auch von der Bedenkenlosigkeit der amerikanischen Kreditgeber ab .76 Wie schon 1926, als Hamm vorgeschlagen hatte, den Ländern bei den Steuereinnahmen entgegenzukommen, verteidigte er auch 1930, als die Kosten der Arbeitslosigkeit verstärkt auf die Gemeinden durchzuschlagen begannen, die Länder und Gemeinden gegen allzu eilfertige Kritik . Es gehe nicht an, erklärte er am 9 . April 1930 vor der DIHT-Hauptversammlung, die Länder- und Gemeindeaufgaben als zweitrangig gegenüber denen des Reichs Verh ., HA, 8 .12 .1927, S . 54 ff, 62 f . Verh ., HA, 28 .6 .1929, 55 f . 74 Ebd ., S . 55 . 75 Verh ., VV, 22 .6 .1927, S . 20 . 76 James, Weltwirtschaftskrise, S . 300 . Am 4 .7 .1931 standen die rheinischen und westfälischen Großstädte unmittelbar vor dem Bankrott; ebd . 72 73
2. Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932 343
zu betrachten; Justiz, Polizei, Schulen seien so wichtig wie die Reichsaufgaben . Auch in der großen Krise insistierte er auf der Finanz- und Verwaltungsreform, obgleich er sich über die dann zu erwartenden Einsparungen keinen Illusionen hingab .77 Brüning hatte die Reichsreform bis dahin schon deshalb nicht als vordringlich angesehen, weil mit dem Ausbau des Präsidialregimes im Reich die Länderrechte und die Macht der Länder ohnehin erodierten .78 Hamm begrüßte die Brüning’sche Notverordnung vom 5 . Juni 1931 ausdrücklich als das „fiskalische Werkzeug, um den Reichshaushalt in Ordnung zu bringen“, und als Versuch, „auf fiskalischem Weg staatspolitische Zwecke“ zu fördern, wozu aus seiner Sicht auch die von den Kommunen heftig befehdeten Bestimmungen zu einer Intensivierung der Staatsaufsicht gehörten . Während sich jedoch Brüning angesichts seiner Prioritäten in der Politik mit Einzelmaßnahmen begnügte, verlangte Hamm ausdrücklich, mit der grundsätzlichen Verfassungs- und Verwaltungsreform jetzt nicht mehr länger zu warten .79 Auch auf der Ebene der Reich-Länder-Beratungen kam die Reichsreform nicht voran . Brüning wollte sich angesichts der Wirtschaftskrise und des Fehlens einer parlamentarischen Mehrheit für sein Kabinett nicht auch noch mit diesem Problem belasten . Dabei setzte die desaströse Haushaltslage Preußens auch die preußische Regierung unter Otto Braun zunehmend unter Druck, zumal Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht alles in seiner Macht Stehende tat, um bei der Aufnahme neuer Kredite den Handlungsspielraum des preußischen Finanzministers einzuschränken . Allerdings verfuhr Schacht gegenüber den anderen Ländern genauso – auch gegenüber dem konservativ regierten und notorisch sparsamen Bayern .80 Schließlich bot Braun selbst dem Reichskanzler eine teilweise „Verreichlichung“ Preußens mit Hilfe des Notverordnungsrechts an . Mitte 1931 schlug er vor, dass der preußische Ministerpräsident qua Amt Reichsvizekanzler werden und die Innen- und Justizministerien von Reich und Preußen zusammengelegt werden könnten . Dafür sollte das Reich die preußische Finanzverwaltung übernehmen – und damit auch die Zuständigkeit für die Schulden der preußischen Kommunen . Brüning schlug das Angebot aber aus, letztlich wohl deshalb, weil sich Reichsprä-
Verh ., VV, 9 .4 .1930, S . 18 . Vgl . Witt, Finanzpolitik . Allerdings zieht Witt aus seinen Befunden die überspitzte Schlussfolgerung, dass damit eine grundsätzliche „Aushebelung des parlamentarischen Systems“ und die Zerstörung der sozialen Komponente in der Weimarer Verfassungsordnung“ intendiert gewesen sei; ebd ., S . 44 . 79 Vgl . Verh ., HA, 23 .6 .1931, S . 35, 45 . 80 Vgl . James, Weltwirtschaftskrise, S . 90–98 . 77 78
344 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
sident Hindenburg mit scharfen Worten widersetzte .81 Selbst wenn gegen die Glaubwürdigkeit von Brünings Memoiren an manchen Stellen Vorbehalte angebracht sind, spricht an dieser Stelle doch vieles für seine Einschätzung des Vorgangs als einer fatalen Weichenstellung für das Jahr 1932: Brauns Angebot sei ein Schritt von gewaltiger Tragweite gewesen: „Als Reichskanzler konnte ich vom Reichspräsidenten entlassen werden, als preußischer Ministerpräsident nicht . Alles, was im Sommer 1932 sich ereignete, der Bruch der Verfassung seitens der Reichsregierung und des Reichspräsidenten, wäre zu verhindern gewesen .“82 Auch wenn eine auf den Machtapparat Preußens gestützte Regierung Brüning nicht wieder vollständig zum Parlamentarismus der Weimarer Verfassung zurückgekehrt wäre, hätte eine Brüning’sche Notstandsdiktatur doch immer noch eine ungleich bessere Lösung der Staatskrise dargestellt als die dann tatsächlich eingetretene Abfolge der Regierungen Papen, Schleicher und Hitler .83 Der Nachfolger Brünings im Reichskanzleramt, Franz von Papen, verfolgte das verfassungspolitische Ziel der Präsidialregierungen, die Stärkung der Staatsgewalt und die Schwächung parteipolitisch organisierter Partizipationsrechte aller Bürger ungleich gezielter als Brüning in einer scharfen antiparlamentarischen Wendung .84 Als Haupthindernis auf diesem Weg erschien das republikanische Preußen mit seiner SPD-geführten Weimarer Regierungskoalition . Papen und sein preußisch-deutschnationaler Innenminister Freiherr Wilhelm von Gayl verfügten am 20 . Juli 1932 die Amtsenthebung der Regierung Braun/Severing und stellten das Bundesland und seine Machtmittel, insbesondere die Polizei, unmittelbar unter die Verfügungsgewalt der Reichsregierung . Dieser sogenannte „Preußenschlag“ war ein klarer Verfassungsbruch und gilt als wesentlicher Schritt zum Abbau des demokratischen Institutionengefüges in Deutschland schon vor 1933 .85
Braun muss dieses Angebot schon deshalb schwergefallen sein, weil er laut seiner späteren Aussage in der ganzen Reichsreformbewegung im Kern nichts anderes sah als einen Versuch des „bayerisch-süddeutschen Partikularismus, Preußen zu zerschlagen“; Braun, Weimar, S . 211–217, hier S . 214; Schulze, Braun, S . 692–707; Hömig, Brüning, S . 380 ff . 82 Brüning, Memoiren, S . 483; zur Aussagekraft der Brüning-Memoiren vorzüglich Rödder, Dichtung . 83 So auch das prägnante Urteil von Schulze, Braun, S . 704 f: „damit war eine Sternstunde, eine der letzten der Republik, verstrichen“ . 84 Vgl . u . a . Petzold, Papen; Mommsen, Aufstieg, S . 529–591; Winkler, Weimar, S . 477–556 . 85 Zusammenfassend und jeweils den Forschungsstand repräsentierend vgl . Biewer, Preußenschlag; Weiduschat, Staatsstreich; auch Mangold, Auseinandersetzung, S . 119–144; Freund, Gewalt, S . 61–79 . 81
2. Kampf um die Reichsreform und der „Preußenschlag“ 1932 345
Zweieinhalb Monate nach dem Ereignis kommentierte Eduard Hamm während einer Sitzung des Hauptausschusses des DIHT die neu entstandene Lage deutlich kritisch, aber auch in sehr gewundenen Formulierungen . Er tadelte die staatsstreichartige Vorgehensweise Papens und bemerkte ansonsten, die Reichsregierung habe „durch die Ergreifung der Macht in Preußen das Fähnlein weit hinausgesteckt“ . Dieses Fähnlein müsse nun hereingeholt werden: „Das große Problem der Verfassungsreform ist aufgeworfen und drängt nach Lösung . Man kann nicht ungestraft jenseits des Rubicon stehenbleiben“ .86 Gemeint ist damit, dass die Reichsregierung Preußen staatsstreichartig unterworfen habe, ohne noch über ein schlüssiges Gesamtkonzept zu einer kohärenten Reichsreform zu verfügen . Dabei lägen „Vorarbeiten“, wie etwa die Vorschläge des „Erneuerungsbundes“, gebrauchsfertig vor . Eine einvernehmliche Lösung sowohl der Föderalismusproblematik als auch einer Parlamentarismusreform durch die Schaffung einer berufsständischen Kammer sei durch die Vorgehensweise der Reichsregierung erschwert worden . Hamm tadelte demnach Papens Vorgehen beim „Preußenschlag“, bejahte aber namens des DIHT eine „Verreichlichung“ Preußens im Sinne einer umfassenden Reichsreform .87 Damit äußerte sich Hamm sogar kritischer als Otto Braun, der am 29 . August 1932 seinem für die Reichsreform zuständigen Ministerialdirigenten Arnold Brecht mitteilte, dass der Zustand, „wie er jetzt geschaffen ist“, durchaus seiner Grundidee entspräche, wenn auch nicht in der „Art ihres Zustandekommens“ . Kritischer als Brauns briefliche Mitteilung ist Hamms öffentliche Erklärung insofern, als er die mit der bloßen Gleichschaltung Preußens nicht gelösten Fragen einer Neuordnung der Beziehungen zwischen dem Reich und den anderen, vor allem den süddeutschen Ländern ansprach, die Otto Braun wenig interessierten .88 Bis heute liegt das Augenmerk der Historiker bei der Beurteilung des „Preußenschlags“ fast ausschließlich auf der verwunderten Frage, warum sich Verh ., HA, 5 .10 .1932, S . 66 . Der Sache nach hatte sich der wichtigste kritische Chronist der Jahre 1930–1933, der im Frühjahr 1932 zurückgetretene Schäffer, im Gespräch mit dem eigentlichen Organisator des Staatsstreichs, Papens Staatssekretär Erwin Planck, ganz ähnlich geäußert, indem er vor allem „die betonte Klotzigkeit und Uneleganz“ kritisierte, „mit der man die preußische Sache angefaßt“ habe, und folgerte, „dass man alles tun wollte, um die Robustheit zu zeigen, die in der Reichswehr und in Teilen der Bevölkerung als Kraft angesehen werden sollte“; Gespräch mit Planck, 28 .7 .1932, zit . nach von Pufendorf, Plancks, S . 275 . 88 Morsey, Sprung, S . 44, sowie auch schon bei Biewer, Preußenschlag, S . 165 f; ähnlich wie Braun äußerte sich am 26 . Juli 1932 auch schon Konrad Adenauer, der jetzt für „längere Zeit in Deutschland Ruhe und Ordnung gewährleistet“ sah, auch wenn er die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Vorgehen der Regierung „durchaus teile“; zit . nach Morsey, Sprung, S . 44 . 86 87
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Otto Braun und sein Innenminister Carl Severing gegen die Übernahme der Regierungsgewalt durch die Reichsregierung nur mit einer Klage beim Reichsgericht in Leipzig und nicht mit stärkeren Mitteln gewehrt hätten . Konkret gemeint ist damit eine Mobilisierung der preußischen Schutzpolizei und der Arbeiter zum Widerstand gegen diesen „Staatsstreich von oben“ mit der Waffe in der Hand oder zumindest mit einem Generalstreik . Zweifellos treffen die gängigen Argumente für die schwache Reaktion der SPD-Spitze zu: Braun war nach zwölf anstrengenden Regierungsjahren gesundheitlich schwer angeschlagen und der Resignation nahe . Nach den verlorenen Landtagswahlen vom 24 . April 1932 verfügte seine nur noch geschäftsführende Regierung über eine dürftige Legitimation . Die Lageeinschätzung, dass es unverantwortlich wäre, Arbeiter und Polizei in einen aussichtslosen Kampf zu schicken, trifft ohne jede Einschränkung zu . Gerne übersehen wird bei dieser Argumentation jedoch, dass die seit langem schwelende Reichsreformdebatte und der weitgehende Konsens auch der republiktragenden Teile der politischen Elite in Berlin über die Notwendigkeit einer Neuordnung des Verhältnisses von Reich und Ländern einem aktiven Widerstand gegen den „Preußenschlag“ jeglichen Boden entzogen hatten .89 Zwar gingen in der Publizistik die Wogen hoch . Die politische Öffentlichkeit, besonders die demokratische Presse in Berlin und Frankfurt, registrierte vor allem, dass mit der Regierung Braun/Severing und der preußischen Schutzpolizei ein für die demokratische Republik vermeintlich lebenswichtiger Macht- und Ordnungsfaktor ausgeschaltet wurde – und das von einer Reichsregierung, die sich den Umbau des Staates zu einem autoritären System nunmehr ganz offen auf die Fahnen geschrieben hatte . Große Teile der politischen Führungsschicht außerhalb der SPD – auch der republiktreuen Kreise – deuteten den „Preußenschlag“ jedoch primär als Schritt in die Richtung der Reichsreform und damit der so dringlich erhofften Stärkung der Reichsexekutive .90 Dass damit auch die „Linksregierung“ – die Regierung der „Weimar-Koalition“ aus SPD, DDP und Zentrum – in dem bei weitem wichtigsten Bundesstaat Preußen beseitigt wurde, störte das zusammengeschmolzene Häuflein an prinzipiell verfassungstreuen Rechtsrepublikanern vor allem in der DDP sowie vereinzelt in der DVP und bei den Volkskonservativen wenig . Aus der vornehmen Zurückhaltung des DIHT und Eduard Hamms Vgl . Schulze, Braun, S . 745–762; Mommsen, Aufstieg, S . 544 ff; Winkler, Weimar, S . 500 ff; die Fixierung der Forschung auf die Haltung von SPD und Gewerkschaften deutlich auch im Forschungsüberblick bei Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S . 263 ff . 90 So widersetzten sich z . B . die Staatsrechtler Gerhard Anschütz und Georg Thoma und der Historiker Walter Goetz einem Vorschlag von Thimme im Juli 1932, eine Protestaktion gegen die Entmachtung der preußischen Regierung in Gang zu setzen; vgl . Meineke, Parteien, S . 90 f . 89
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 347
gegenüber dem „Preußenschlag“ eine generelle Zustimmung zur Linie der Regierung Papen abzuleiten, würde jedoch in die Irre führen .
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung
Eine durchgreifende Verwaltungs- und Finanzreform sowie die Neuordnung des Verhältnisses von Reich und Ländern ließen sich in der Krisenlage seit 1929 nicht trennen von grundsätzlichen Verfassungsfragen, wie sie durch den Zerfall des deutschen Parteiensystems, die Funktionsschwäche des Parlamentarismus und die Zunahme der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung aufgeworfen wurden . Im Februar 1930 verabschiedete der „Erneuerungsbund“ eine Entschließung, die verlangte, „die in der Reichsverfassung vorgesehenen Rechte des Reichspräsidenten als des deutschen Staatsoberhauptes und ihre Verwurzelung im Bewußtsein des Volkes“ wirksam zu machen .91 Forderungen dieser Art nach einer stärkeren Stellung des Reichspräsidenten wurden in der Literatur lange Zeit als Indizien nicht nur wachsender Parlamentarismuskritik, sondern eines prinzipiellen Antiparlamentarismus gedeutet . Hier gilt es jedoch sorgfältig zu differenzieren – sowohl chronologisch als auch im Hinblick auf die jeweiligen politischen Kontexte und die Personen, die sich kritisch zum bestehenden Parlamentarismus und zu einzelnen Verfassungsparagraphen äußerten . Nicht jede Aussage über ein Versagen des deutschen Reichsparlaments oder über die Landtage deutet auf einen grundsätzlichen Antiparlamentarismus hin . Aus der zitierten Forderung des „Erneuerungsbundes“ die „Überzeugung“ abzuleiten, „auch ohne Parlamente auskommen zu können“, geht jedenfalls fehl .92 Parlamentarismuskritische Äußerungen konnten, mussten aber nicht Indizien eines prinzipiellen Antiparlamentarismus sein . Im Gegenteil – häufig entsprang die Kritik an den aktuellen Formen des Parlamentarismus einer politischen Grundüberzeugung, der dessen Überleben besonders wichtig war, – so etwa, wenn Theodor Heuss am 16 . Oktober 1931 über den „Sauzustand des deutschen Parlamentarismus“ schimpfte .93 Parlamentarismuskritik grundsätzlich mit der Ablehnung der Weimarer Verfassung zu assoziieren, wird weder dem Vernunftrepublikanismus noch gar dem Herzensrepublikanismus überzeugter Demokraten
Zit . nach James, Deutschland, S . 86 . Ebd . 93 Heuss an Albert Hopf, 16 .10 .1931, in: Heuss, Briefe 1918–1933, Dok . 185, S . 428; vgl . Müller, Demokratie, S . 291: „Wird die demokratische Selbstkritik jener Jahre nicht allzu schnell als Kritik an der Demokratie verstanden?“; vgl . auch Dreyer, Weimar . 91 92
348 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
gerecht .94 Gustav Stresemanns vehemente Philippika gegen den aktuellen parlamentarischen Betrieb vom 26 . Februar 1928 vor dem Zentralvorstand der DVP entsprang einem geschärften Bewusstsein für die akute Funktionsschwäche des parlamentarischen Systems, das Stresemann inzwischen für unverzichtbar hielt .95 Hamm verfolgte mit seinen Reformvorstellungen die Absicht, den deutschen Parlamentarismus aus seiner aktuellen Hyperbetriebsamkeit bei gleichzeitiger Unfähigkeit zu produktiver Gesetzgebungsarbeit herauszuführen . Ende 1927 sprach Hamm in seinem Vortrag über die Verwaltungsreform von einem „Übermaß von Parlamentarismus im Reiche, den Ländern und Gemeinden“ . In einer – keineswegs ganz unberechtigten – verwaltungstraditionellen Perspektive fand er den Einfluss des Parlaments auf die Besetzung und Handhabung von Verwaltungsposten bedenklich . Vor allem aber kritisierte er die Formen eines „nachgeahmten politischen Parlamentarismus“ in Ländern und Gemeinden, speziell in „reinen Verwaltungskörperschaften“ wie den Provinziallandtagen, den Kreistagen und den städtischen Gremien . Diese – wie Hamm meinte – Übertreibung des Parlamentarismus habe „mit Demokratie nur insofern zu tun“, als sie diese auf die Dauer kompromittiere und schädige .96 Es entsprach dieser Position, dass Franz von Mendelssohn wenige Monate später bei der Eröffnung der Vollversammlung des DIHT, kurz vor der Reichstagswahl vom 20 . Mai 1928, die Arbeit des Reichstags ausdrücklich würdigte und anschließend Stresemann dafür dankte, dass er „gegenüber dem viel angegriffenen Reichstag doch auf dessen sachliche Arbeit“ hingewiesen habe .97 Die Parlamentarismuskritik von Herzens- und Vernunftrepublikanern zielte einerseits auf das, was sie als Überpolitisierung bis hinein in einfache Verwaltungspositionen empfanden . In diesem Sinn konnten sich auch führende Sozialdemokraten äußern, so etwa der SPD-Oberbürgermeister von Magdeburg, Hermann Beims .98 Primär aber ging es um die vermeintlich allzu So schon prägnant und auf breiter Quellengrundlage zu den Verfassungsvorstellungen der Deutschen Staatspartei Heß, Wandlungen; vgl . zuletzt Groh, Staatsrechtslehrer; die Beiträge in dem Sammelband von Wirsching/Eder, Vernunftrepublikanismus . 95 Stresemann, Vermächtnis, Bd . 3, S . 428–433: „Täuschen wir uns nicht darüber: wir stehen in einer Krise des Parlamentarismus, die schon mehr als eine Vertrauenskrise ist . Diese Krisis hat zwei Ursachen: einmal das Zerrbild, das aus dem parlamentarischen System in Deutschland geworden ist, zweitens die völlig falsche Einstellung des Parlamentarismus in Bezug auf seine Verantwortlichkeit gegenüber der Nation“ . 96 Gemeinsame Sitzung des Landesausschusses der preußischen Handelskammern und des Hauptausschusses, in: Verh ., 8 .12 .1927, S . 55 . 97 Verh ., VV, 18 .4 .1928, S . 30, 31, 37 . 98 Zit . nach einer Anlage zu Hamms Vortrag, in: ebd ., S . 55 . Beims war auch Abgeordneter des Provinziallandtags der Provinz Sachsen und kurzzeitig Mitglied des „Erneuerungsbundes“ . 94
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 349
große Ausgabenfreudigkeit des Reichstags . Anfang 1929 plädierte Hamm im Namen des DIHT für eine „weise bemessene Selbstbeschränkung“ des parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrechts und eine Stärkung der Position des Finanzministers und der Exekutive überhaupt .99 Er ging auch jetzt schon so weit, den Einsatz des Notverordnungsrechts für den Fall vorzusehen, dass eine Reichstagsmehrheit für Ausgabebeschränkungen nicht zu finden war . Aber auch dies bedeutete keineswegs einen prinzipiellen Antiparlamentarismus .100 Vielmehr beklagte Hamm am 3 . Dezember 1931, während der wichtigen und hochkontroversen Sitzung des DIHT-Hauptausschusses in Anwesenheit von Reichsbankpräsident Luther und der Minister Warmbold und Trendelenburg, eine zu weitgehende Ausschaltung des Reichstags . Man habe „manchmal den Eindruck, als ob die Methoden der Reichsregierung zu einer Zwangsbekehrung des deutschen Volkes zum Parlamentarismus führen müssten; denn so unerfreulich so viele Parteibeeinflussungen der Gesetzgebung sind, so ist durch den ordentlichen Weg der Gesetzgebung der Öffentlichkeit doch in einem starken Maß die Möglichkeit des Mitdenkens und einer vorbereitenden Kontrolle gegeben . Diese Möglichkeiten sind gegenwärtig m . E . allzusehr ausgeschaltet in einem Maß, das nicht notwendigerweise durch das verfassungsmäßige Wesen der Ausnahmeverordnung nach Artikel 48 begründet ist“ .101
Verh . HA, 30 .1 .1929, S . 33 . Hamm bezog sich dabei zustimmend auf die Vorschläge der DVP; ebd ., S . 34 f; zu den von DVP und DDP sowie im Reichsfinanzministerium ausgearbeiteten Vorschlägen zu einer Selbstbeschränkung des parlamentarischen Ausgabenrechts vgl . u . a . Maurer, Reichsfinanzen; jetzt ausführlich Middendorf, Fundamente, S . 334–339; zutreffend dort die Feststellung, dass die Vorschläge des Ministerialrats Herbert Dorn zur Regelung des parlamentarischen Budgetrechts „nicht in einem anti-demokratischen Kontext formuliert“ wurden; ebd . S . 335 . 100 In Bayern befand sich der Parlamentarismus schon in den Monaten des Hitler-Putsches so sehr in der Defensive, dass Hamm einem Parteifreund, dem Oberlehrer Jakob Zintl in Regensburg, in einer Antwort auf ein Beschwerdeschreiben konzedieren musste: „Der Parlamentarismus hat gewiß an Achtung verloren . Sie wissen, daß gerade unsere Fraktion unter Führung von Schiffer unablässig bemüht ist, die Geschäftsordnung im Sinne einer stärkeren Zusammenfassung der Geschäfte und einer verständigeren Ordnung zu ändern […] . Im Übrigen scheint mir, daß gerade auch gewisse Erfahrungen der Diktatur nicht von vornherein gegen das Parlament sprechen“ . Hamm dürfte mit dieser Bemerkung das quasi-diktatoriale Regime Gustav von Kahrs unter dem bayerischen Ausnahmezustand vor Augen gehabt haben, das gerade in den Hitler-Putsch gemündet hatte; Eduard Hamm an Oberlehrer Zintl, 23 .12 .1923, in: BayHStA, NL Hamm, 30 . 101 Aussprache zum Vortrag von Paul Silverberg über „Die wirtschaftspolitische Lage“, in: Verh ., HA, 3 .12 .1931, S . 26 ff, hier S . 66 f . 99
350 X. Krise des Parteiensystems und Pläne zur Verfassungsreform 1930–1933
Bei wichtigen Entscheidungen wie den Notverordnungen dürfe die Öffentlichkeit nicht derart weitgehend – wie tatsächlich geschehen – ausgeschaltet werden . Dazu seien die Gesetzgebungsvorhaben zu wichtig und brisant . Das Thema einer Reform der Weimarer Reichsverfassung mit dem Ziel, die Exekutive zu stärken und zu diesem Zweck die Rechte des Reichspräsidenten auszuweiten oder zumindest extensiv auszulegen, stand seit 1923 auf der Tagesordnung der öffentlichen Debatte und seit Ende 1924 auch auf der Tagesordnung der Politik . Der langjährige Reichswehrminister Otto Gessler hatte erstmals ausdrücklich von einer Verfassungs- und nicht nur Regierungskrise gesprochen, nachdem es im Anschluss an die Reichstagswahl vom 7 . Dezember 1924 nicht gelungen war, der Minderheitsregierung Marx II eine tragfähige Reichstagsmehrheit zu verschaffen .102 Gessler machte weitreichende Vorschläge zu einer Stärkung der Präsidialgewalt . Eine ausgewählte Ministerrunde (Marx, Brauns, Stresemann, Gessler) und Friedrich Eberts Staatssekretär Otto Meissner diskutierten am 19 . Dezember 1924 darüber . Sie äußerten viel Zustimmung,103 allerdings sahen Reichspräsident, Reichskanzler und Minister unter den gegebenen Umständen keine Möglichkeit, einzelne dieser Vorschläge oder gar das Gesamtpaket zu realisieren . Sie schätzten die Situation in Öffentlichkeit und Reichstag damit sicher richtig ein . In der Rückschau von heute sollte man indessen nicht übersehen, an welchen Punkten Gessler ansetzte . Er warf die Frage auf, welche Gefahren der Republik drohten, wenn in Preußen anstelle der amtierenden Regierung der Weimarer Parteien (SPD, Zentrum, DDP) eine Rechtsregierung ans Ruder käme – und damit die Machtmittel des preußischen Staates einschließlich der Schutzpolizei in die Hand systemfeindlicher Kräfte fielen . Genau diese Situation trat bekanntlich ein, seit nach dem 14 . September 1930 immer wieder eine Regierungsbeteiligung der NSDAP erwogen wurde . Gessler, obgleich rechter Flügelmann innerhalb der DDP und vorrangige Feindfigur der großen linksliberalen Tageszeitungen, antizipierte im Dezember 1924 zutreffend die Bedrohungslage für die Republik, wie sie seit der Berufung des Präsidialkabinetts Brüning Ende März 1930 tatsächlich bestand – allerdings mit dem Unterschied, dass die antidemokratische Bedrohung jetzt nicht von einem nach rechts gerückten Preußen, sondern von nach rechts gerückten Reichsregierungen und Reichspräsident Paul von Hindenburg anstelle Friedrich Eberts ausging . Gessler konzipierte also eine die Exekutive stärkende Verfassungs-
Schulz, Deutschland, S . 234–242; Möller, Weimarer Republik, S . 191–215; Winkler, Weimar, S . 271 ff . 103 Niederschrift des Staatssekretärs Meissner über die Ministerbesprechung vom 19 .12 .1924 in der Wohnung des Reichsarbeitsministers, in: AdR, Marx, Bd . 2, Dok . 375 . 102
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 351
reform von links her – links im Sinne der republiktragenden Parteien von 1924 von der SPD bis zur DVP –, um einer drohenden „Machtergreifung“ von rechts zuvorzukommen .104 Die wirtschaftliche Erholung seit 1924 und die relative politische Stabilisierung während der Bürgerblockregierungen Luther und Marx 1925 bis 1928 rückte das Thema „Verfassungsrevision“ erst einmal wieder in den Hintergrund . Allerdings mischten sich in die Parlamentarismuskritik von rechts schon seit der Stabilisierungskrise 1924 zunehmend grundsätzlich systemkritische Töne .105 Die Krise des Parlamentarismus ist keineswegs ein rein deutsches Phänomen . Sie muss zwar vor dem Hintergrund des deutschen Eigenwegs in die Moderne, aber auch im Kontext der gesamteuropäischen Krise von Liberalismus und Demokratie in der Zwischenkriegszeit gesehen werden . Die heutige, zunehmend transnational ausgerichtete Forschung hat die spezifisch deutschen Vorbelastungen für einen funktionierenden Parlamentarismus und die relative Stabilität des Parlamentarismus in Frankreich und vor allem Großbritannien miteinander abgeglichen und den deutschen Weg in die Diktatur durch den Vergleich nicht nur mit den alten westlichen, sondern auch mit den neuen östlichen Nationalstaaten historisch kontextualisiert .106 Überall in Europa mit Ausnahme Großbritanniens und der skandinavischen Länder entwickelte sich unter dem Druck der ökonomischen Krisenlagen und der nationalpolitischen Leidenschaften die Tendenz, das parlamentarische Regierungssystem zugunsten einer autoritären Staatsführung bzw . eines mehr oder weniger legitimen „Führers“ aufzugeben .107 So gab es, was die Wi-
Die Beurteilung der Gessler’schen Verfassungsreforminitiative leidet bis heute unter dem politischen Verdikt, das die linksliberalen Blätter über Gessler verhängt hatten, seitdem er die Nachfolge Gustav Noskes als Reichswehrminister angetreten hatte . Die stärksten Impulse zu einer Revision dieses Bildes hat – eher en passant – Thomas Raithel mit seiner Untersuchung über die Handhabung des Ausnahmerechts in Deutschland und Frankreich 1924/25 gegeben; Raithel, Spiel; einseitig bleibt dagegen Möllers, Reichswehrminister; zum Dilemma der Wehrpolitik der Weimarer Parteien insgesamt sowie speziell der DDP vgl . Schustereit, Wehrfragen . 105 Carl Schmitts folgenreiche und in mancher Hinsicht diskursbestimmende Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“, 1923, 2 . Aufl . München/Leipzig 1926, entstand im Mai 1923 aus der unmittelbaren Erfahrung der Schwäche des Staates im Ruhrkampf sowie der spezifisch Münchner Situation; vgl . Mehring, Carl Schmitt, S . 155–162; für den Liberalismus zuerst Weber, Krise; Kelsen, Problem; zur Parlamentarismusdebatte immer noch grundlegend Möller, Parlamentarismus-Diskussion; Hacke, Staatsrecht . 106 Möller, Europa; Mai, Europa; Barth, Europa; Kolb/Mühlhausen, Demokratie; Möller/Kittel, Demokratie; Recker, Parlamentarismus; Wirsching, Herausforderungen, darin bes . Mommsen, Krise, und Grüner, Probleme; Lehnert, Gemeinschaftsdenken; Gusy, Demokratie; Müller, Weltkrieg . 107 Typisierungen bei Gusy, Verfassungsumbruch; Föllmer, Führung . 104
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derstandskraft des Parlamentarismus anging, maßgebliche Vorbedingungen: ob es sich um alte oder neue, aus dem Zerfall von Habsburger- und Zarenreich entstandene Staaten handelte; ob es um bereits etablierte oder erst seit Kriegsende entstandene parlamentarische Systeme ging; ob sich die Wähler an längerfristige stabilisierende, mehr oder wenig mythisch aufgeladene Erfolgserzählungen über die Partizipations- und Machtsteigerung für das Volk durch parlamentarisch legitimierte Regierungen halten konnten; ob es sich um Sieger- oder Verliererstaaten des Weltkriegs handelte .108 Im Vergleich mit den parlamentarisch regierten alten Nationalstaaten im Westen – Großbritannien und Frankreich – hatte sich infolge des spezifisch deutschen Wegs in die Moderne bis zum Ende der 1920er Jahre nur eine schwache und störanfällige Verfassungs- und Demokratiekultur ausgebildet,109 die aber im Vergleich mit den Nachfolgestaaten der zerfallenen Imperien Russland und Habsburgerreich und den südeuropäischen Staaten keineswegs aus dem Rahmen fällt .110 In Deutschland waren die verschiedenen Initiativen zu einer Sammlungsbewegung der Mitte bis zum Frühjahr 1931 an den unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten und der – in der Ohnmacht noch stärker als zuvor hervortretenden – Machtrivalität der beiden bereits in ihrer Existenz bedrohten liberalen Parteien gescheitert . Die Lage der Regierung Brüning erschien im Sommer 1931 – vor dem Zusammentritt des Reichstags nach einer langen Sitzungspause am 13 . Oktober 1931 – bedenklich . Die Bankenkrise vom Juni/Juli 1931 hatte die Abwärtsspirale der Wirtschaft und den Vertrauensverlust Deutschlands bei den ausländischen Finanziers noch einmal verstärkt . Zwar hatte das Hoover-Moratorium die Zahlungsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag erst einmal suspendiert, die Widerstände Frankreichs gegen eine endgültige Revision des Young-Plans aber wieder verstärkt und damit die öffentliche Debatte in Deutschland über die Revisionsfrage noch einmal angeheizt . In Berlin verschärfte sich der Kampf um die Straße zwischen SA und Rotfrontkämpferbund, und auch in den Städten und Dörfern in der Provinz steigerte sich die Gewalt von rechts und links noch einmal .111 In dieser Situation ergriffen Politiker der Deutschen Staatspartei ein letztes Mal die Initiative zu einer Sammlung der Mittelparteien, zu denen jetzt neben den Links- und Rechtsliberalen auch die „volkskonservativen“ Linksabsplitterun-
Vgl . grundsätzlich Ziemann, Veteranen; Weiß, Soldaten . Vgl . u . a . Hardtwig, Weg . 110 Zu den Konzepten von „Verfassungskultur“ und „Demokratiekultur“ vgl . Wirsching, Verfassung; Daum u . a ., Verfassungskulturen; Lehnert, Demokratiekultur, S . 7–22; Pyta, Demokratiekultur . 111 Blasius, Weimars Ende, S . 22–32 . 108 109
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 353
gen aus der DNVP unter der Führung von Gottfried Treviranus, Kuno Graf von Westarp und Hans Schlange-Schöningen gezählt werden konnten .112 Ende August traf sich der linksliberale Staatssekretär im preußischen Innenministerium Wilhelm Abegg113 zunächst mit den Volkskonservativen Schlange-Schöningen und Karl Passarge und zwei Wochen später noch einmal, jetzt auch in Anwesenheit des Fraktionsführers der Staatspartei im Reichstag August Weber . Tagebuchaufzeichnungen unterrichten über eine Sitzung des Abegg-Kreises am 13 . September 1931 – jetzt auf zwölf Personen erweitert –, darunter Abegg, Passarge, Schlange-Schöningen, Weber und Westarp und – unter dem Vorsitz von Hamm – am 21 . September 1931 in den Räumen der Deutschen Gesellschaft .114 Behandelt wurde, trotz der Misserfolge der zurückliegenden Initiativen, noch einmal die Möglichkeit einer Sammlung „der Mitte“ . Bewusst stellte der Kreis alle Ambitionen auf eine Fusion bisheriger oder die Formierung einer neuen Partei zurück . Organisatorisch sollten allenfalls ein gemeinsames Büro und eine parlamentarische Arbeitsgemeinschaft etabliert werden . Vor allem Hamm wirkte darauf hin, zunächst nicht mehr als eine kurzfristige Unterstützungsaktion für die Regierung Brüning beim Wiederzusammentritt des Reichstags zu starten und erst längerfristig die Gründung einer „wirklichen Staatspartei zwischen der Rechten und der Linken“ für eine „schlagkräftige Mitte“ ins Auge zu fassen .115 Tatsächlich kam zwar die von Hamm vorgeschlagene gemeinsame Erklärung der Mittelparteien – ohne Zentrum – für Brüning im Reichstag zustande, nicht aber ein Aufruf außerparlamentarischer Persönlichkeiten zur Unterstützung Brünings . Die Treffen des Kreises fanden zu einem für die Kanzlerschaft Brünings durchaus prekären Zeitpunkt statt . Mit der sogenannten „Dietramszeller Notverordnung“ vom 24 . August 1931 – datiert aus dem Urlaubsort Hinden-
Vgl . Hiller von Gaertringen, Deutschnationale Volkspartei; Mergel, Scheitern; Jones/ Pyta, Westarp; Gasteiger, Friends . 113 Zu Abegg vgl . Schulze, Braun, S . 306 . Schulze zufolge gehörte der Ministerialdirektor Wilhelm Abegg zu den „Außenseitern“, die abseits der üblichen Beamtenlaufbahn in ihre Ämter kamen und vermutlich deshalb von Kollegen und Untergebenen „hauptsächlich unfreundlich beurteilt“ wurden, während seine Vorgesetzten ihn als sehr befähigt, als überzeugten Republikaner und guten Demokraten (Severing, Albert Grzesinski) beurteilten . Abegg wurde „einer der tragenden Pfeiler der preußischen Politik, der Aufbau und die Führung der neuen Polizei waren vor allem sein Verdienst“ . 114 Die Sitzung ist zusätzlich gut dokumentiert durch eine weitere Niederschrift von Passarge und durch einen Aktenvermerk des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Hermann Pünder über ein Gespräch mit Hamm über diesen Kreis; Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 311, 312, 321; vgl . zum Ganzen Jones, Sammlung, S . 273–276; Ders ., Liberalismus, S . 427–429 . 115 Aktenvermerk Pünder, 21 .9 .1931, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 321, S . 986 . 112
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burgs in Oberbayern – zwang Brüning die Länder und Gemeinden gerade zu neuen Einsparungen und schränkte dabei auch ihre haushaltsrechtliche Selbständigkeit ein . Diese Maßnahmen standen im Kontext der umfassenden Reichsreformbemühungen und bedrohten damit auch die Eigenständigkeit Preußens . Mit der preußischen Regierung stand Brüning dabei in Fühlung, doch Reichspräsident Hindenburg wollte von einer Beschränkung der preußischen Eigenstaatlichkeit nichts wissen . Am 15 . September erlitt er zudem einen gesundheitlichen Einbruch . Sein Vertrauensverhältnis zu Brüning war von jetzt an gestört .116 Auch die im Frühjahr 1932 fällige Neuwahl des Reichspräsidenten warf bereits ihren Schatten voraus . Hindenburg stand vor der für ihn höchst unerfreulichen Perspektive, sich unter Anführung Brünings von den „falschen“ Kräften – Zentrum, SPD, Liberalen – gegen seine eigentlichen Gesinnungsfreunde von der nationalen Rechten unter Anführung Hugenbergs unterstützen zu lassen – was seine Sympathie für Brüning ebenfalls nicht steigerte . Am 30 . August 1931 konferierten Hugenberg und Hitler in Kreuth über die Reichspräsidentenfrage und über den für den 11 . Oktober geplanten Aufmarsch der „nationalen Opposition“ (NSDAP, DNVP, Alldeutscher Verband und die Vaterländischen Verbände, SA und Stahlhelm) in Bad Harzburg – ein Ereignis, das nach Einschätzung der Republikanhänger und der Reichswehr ohne weiteres in einen Umsturzversuch Hitlers übergehen konnte . Außerdem begannen seit dem 6 . September die radikalen Kräfte in der Großindustrie und der DVP unter Anführung von Paul Reusch gegen den aus ihrer Sicht zu nachgiebigen und SPD-freundlichen Kanzler mobil zu machen – allerdings gegen den Willen der RDI-Führung unter Duisberg und Kastl .117 Gerade in diesem Moment engagierten sich Hamm und die genannten industrienahen Staatsparteiler und republikloyalen Volkskonservativen für den bedrohten Kanzler . Brüning war für sein politisches Überleben im September 1931 auf die Initiative des Abegg-Kreises nicht angewiesen, und auch dieser letzte Versuch einer „Sammlung“ der Mitte verlief im Sande . Trotzdem erweisen sich diese Treffen in historischer Perspektive als aufschlussreich, denn sie zeigen, wie profilierte Repräsentanten des liberal-konservativen demokratischen Lagers die Situation von Parteien, Parlamentarismus und Demokratie in Deutschland zu diesem Zeitpunkt einschätzten und von welchen Maßnahmen sie sich eine Stabilisierung der Republik erhofften . Über die grundsätzliche Treue zur Verfassung war man sich einig . Hamm jedenfalls stellte die gesamte Diskussion unter das Motto, man müsse sich der Mitarbeit all derer versichern, „die für die Erhaltung dieses Staates
116 117
Vgl . Hömig, Brüning, S . 382–384 . Ebd ., S . 378–390; Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 307 .
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sind“ .118 Die – nur teilweise anwesenden – jeweiligen Parteiführer stellten allerdings von Anfang an eine Bedrohung für die Kohärenz des Kreises dar . Der von Abegg bereits im Vorfeld der Kreisbildung angesprochene DVPVorsitzende Ernst Scholz hatte erklärt, solche Leute [wie im Abegg-Kreis; W . H .] seien „nicht nach seinem Geschmack, die Richtung erst recht nicht“; die neue Gruppe müsse zumindest den sofortigen Sturz der SPD-geführten preußischen Regierung fordern, und „mit so vielen Demokraten“ – gemeint sind die Linksliberalen – setze er sich ohnehin nicht an einen Tisch; im Übrigen sei Hitler „ein sehr verständiger Mann“ . Passarge und Abegg einigten sich daraufhin, dass Scholz selbst „der einzige“ der ins Auge gefassten Teilnehmer sei, auf den man verzichten könne .119 Offenkundig fiel es den Republikverteidigern überhaupt schwer, Ansprechpartner aus der DVP zu finden . In Frage kamen neben den Reichstagsabgeordneten Albrecht Morath und Siegfried von Kardorff nur der frühere Finanzminister Paul Moldenhauer .120 Am rechten Rand des Spektrums machten der ehemalige DNVP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Kuno Graf Westarp, der sich – allerdings erst nach 1924 – als Vertreter der Pragmatiker in seiner Partei zu einer republikneutralen Haltung durchgerungen hatte, und sein Parteifreund Paul Lejeune-Jung Vorbehalte gegen die Linksliberalen wegen ihrer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der SPD geltend .121 Von Seiten des Staatsparteilers Weber und des Volkskonservativen Schlange-Schöningen spielte die Kritik an der Zentrumspartei und ihrem angeblich übergroßen Einfluss auf die Regierung Brüning eine wesentliche Rolle . Die Frontlinien des Parteienhaders waren also auch in diesem Kreis sehr wohl noch zu spüren, obwohl man sich darüber einig war, dass die bestehenden Parteien erst einmal zurückzutreten hätten und dass der Bewegungscha-
Ebd ., Dok . 312, S . 958 . Ebd ., Dok . 311, S . 956 . 120 Letzterer wurde allerdings von vornherein ausgeschlossen, weil seine Frau Kathinka doch sofort alles ausplaudern würde; ebd ., S . 957 . 121 Graf Westarp an Frhr . v . Hammerstein-Loxten, 22 .9 .1931, in: ebd ., Dok . 322, S . 989 . 1932 publizierte Westarp eine Schrift „Am Grabe der Parteiherrschaft . Bilanz des deutschen Parlamentarismus von 1918–1932“, in der er sich gegen eine Pauschalkritik an den politischen Parteien wandte; zur Vertretung materieller und ideeller Interessen seien sie nach wie vor auch in einer stärker berufsständisch ausgerichteten Verfassung notwendig; vgl . Mommsen, Regierung, S . 12 f . Nachdem die Weber-Abegg-Initiative – unter anderem durch einen übertriebenen Bericht über das Treffen am 21 .9 .1931 im „Berliner Tageblatt“ – bekannt geworden war, zogen sich die Volkskonservativen um Westarp zurück; am anderen Ende des Spektrums wurde August Weber im Vorstand der DStP am 26 .9 .1931 scharf angegriffen und verteidigte sich u . a . durch den Hinweis auf die Rolle Hamms, der der Deutschen Staatspartei doch nahe stehe; vgl . Wegner/Albertin, Linksliberalismus, Dok . 182, S . 662–669 . 118 119
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rakter der Initiative in den Vordergrund gestellt werden müsse .122 SchlangeSchöningen erklärte die jetzigen Parteien für „überlebt“ . Die Rechtsparteien hätten ihren Höhepunkt überschritten, von ihren Führungen sei nichts zu erwarten, „weil jeder die Verantwortung scheut“; nur das Zentrum stehe noch fest, aber seine Aktionsfähigkeit sei gering .123 Eine ähnliche Einstellung zu den Parteien zeigt ein aufschlussreicher Brief, den Hamms früherer Ministerialrat in der Reichskanzlei, Franz Kempner, etwa zeitgleich an Hamm schrieb und in dem er Einschätzungen und konzeptuelle Vorstellungen schriftlich formulierte, die offenbar wenige Tage vorher mündlich von den beiden Männern erörtert worden waren . An den Anfang seiner Überlegungen stellte Kempner die These, dass sich zur Zeit nur Anwärter oder Inhaber von Mandaten oder „Funktionärsstellungen“ für das Parteiwesen interessierten, die „Hoffnungen oder Befürchtungen für ihre amtliche Karriere haben“ . Das „Gros des Volksteils, der in der Politik das Mittel sieht, um die Position der Nation zu erhalten und zu verbessern, blickt auf die Führung der Staatsgeschäfte, und nicht auf die Parteien“ . Zweifellos werde „auch wieder einmal die Zeit des Parlaments und damit der Parteien kommen“; aber dafür müsse dahin gewirkt werden, „ein deutsches Parteiwesen zu ermöglichen, das besser, reibungsloser, würdiger und also wirksamer arbeitet“ . Kempner zog aus seiner Parteienkritik die Schlussfolgerung, es komme jetzt auf „Einzelpersönlichkeiten“ an, die für eine bestimmte Frist, sechs oder zwölf Monate zum Beispiel, die Führung des Volkes übernehmen könnten, ohne dass sie „durch kleinliche, zänkische und hämische Kritik“ in ihrer Wirkungsmöglichkeit beeinträchtigt werden könne . Er wünschte sich also eine „innenpolitische Stillehaltung“ und machte sich Gedanken darüber, auf welchem Weg man sie erreichen könne .124 Diese Überlegungen wirken aus heutiger Sicht reichlich weltfremd . Zwar war die Meinung weit verbreitet, die Menschen seien weithin in politische Apathie versunken, aber die Vorstellung, das Agieren der politischen Extreme auf diese Weise einhegen oder gar ganz beruhigen zu können, verkennt die soziale und politische Dynamik in diesen Monaten der Massenverelendung und weitverbreiteten Perspektivlosigkeit . Weder Kempner noch Hamm scheinen dann auch auf diese Überlegungen noch einmal zurückgekommen zu sein . An der Richtigkeit der Diagnose von der „Überlebtheit“ der Parteiformationen rechts der SPD in der Schlussphase der Republik ist dagegen nicht
So August Weber und Hamm, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 312, S . 958 f . Ebd ., S . 957 . 124 Aufzeichnung, unterschrieben von Franz Kempner, Berlin, 17 .9 .1931, in: BayHStA, NL Hamm, 86 . 122 123
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zu rütteln . Durch die gesamte Parlamentarismusdiskussion in Deutschland zog und zieht sich die Kritik an der Unfähigkeit der Parteien, stabile Regierungsmehrheiten zu bilden .125 Die Gründe dafür sind vielgestaltig: die tiefe soziale, konfessionelle und regionale Segmentierung der deutschen Gesellschaft, noch verstärkt und ausdifferenziert durch das uneingeschränkte Verhältniswahlrecht der Weimarer Reichsverfassung, sowie die weitgehende Durchdringung der politischen Parteien durch ökonomische Interessenvertretungen . Auch nach 1918 verharrten die Parteien zudem in dem durch die Tradition des deutschen Konstitutionalismus vorgezeichneten Dualismus von Regierung und Parlament und einem unzureichenden Verständnis für die Notwendigkeit pluralistischen Meinungskampfes . Gegenüber den Radikalisierungstendenzen an der Basis erwiesen sie sich als wenig integrations- und steuerungsfähig . Der Druck der Basis auf die Fraktionen und Parteiführungen reduzierte ihre Kompromissbereitschaft . All dies führte zum Zusammenbruch des ganzen Parteiensystems, so wie es sich seit der Reichsgründung über 60 Jahre hinweg eingespielt hatte . Aus dem Kaiserreich geerbte Defizite an Parlamentarismus verstärkten die sozialen und politischen Fliehkräfte, die sich aus den Folgen von Krieg und Niederlage und der ökonomischen und sozialen Katastrophen von 1922/23 und 1929–1932 ergaben .126 Große Aufmerksamkeit widmete der kleine Kreis den „Massen“ . Man war sich darüber einig, dass man sie gewinnen müsse und dass man sich dabei nicht auf die gegenwärtigen Parteiführer stützen könne, weil die allgemeine Missstimmung gegen sie zu groß sei . Hamm meinte, mit „Honoratioren“ allein käme man nicht mehr durch, man brauche „Namen“, aber auch diese allein täten es nicht, zumal solche „mit ganz großem Klang“ fehlten . Tatsächlich hatte der Durchbruch des politischen Massenmarktes seit der Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts einen Bedarf an parlamentarischen und gouvernementalen Führungsfähigkeiten erzeugt, für deren Ausbildung die etatistisch geprägte politische Kultur in Deutschland – anders als etwa das britische parlamentarische System – wenig geeignet war . Der Übergang von der „Honoratioren-„ zur „Massenpartei“ fiel gerade dem deutschen Liberalismus besonders schwer – worüber die Liberalen selbst schon seit der Jahrhundert-
Dies war auch der Ausgangspunkt von Carl Schmitts Parlamentarismus-Schrift von 1923; Möller, Parlamentarismus-Diskussion, S . 152: „Die Wirksamkeit der Polemik Schmitts beruhte auf der intellektuellen und oft scharfsinnigen Verbrämung eines in der Öffentlichkeit ständig wachsenden Unbehagens an der ‚Parteienwirtschaft‘“ . 126 Grundlegend dazu noch immer die klassischen Studien von Lepsius, Parteiensystem; Ritter, Kontinuität; zu den durch die extremen Parteien seit 1930 systematisch betriebenen Regelverstößen im Reichstag, die die Gesetzgebungsarbeit endgültig lahmlegen sollten, vgl . Mergel, Kultur, S . 411–471 . 125
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wende lebhaft debattiert hatten . Schlange-Schöningen zog aus der Funktionsschwäche des Reichstags zusätzlich die Konsequenz, man brauche die Namen „führender Männer aus dem Lande“, nicht „neuen parlamentarischen Klüngel“ .127 Die Runde rechnete also mit Parlamentariern aus dem Reichstag und den Landtagen, empfand ihre aktuelle Zugkraft aber als unzureichend . Auch scharfe programmatische Festlegungen – so Hamm – seien verfehlt, weil sie derzeit wenig bewirkten . Dagegen brauche man ein „gemeinsames Ideengut“, und um dieses geltend zu machen, müsse man die dafür geeigneten „Volkskreise“ suchen .128 Diese Forderung klingt in der aufgeheizten politischen Streitlage des Jahres 1931 seltsam naiv . Sie lässt aber ein deutliches Gespür dafür erkennen, wie sehr die politischen Programme der deutschen Parteien an Zugkraft verloren hatten und dass ein dringender Bedarf an kulturellen und politischen Ideen und Handlungsnormen bestand, die dem politischen Establishment und dem politischen Massenpublikum in der Krise Halt und Orientierung zu geben versprachen . Hamm sah auch, dass diese Konzepte nicht einfach durch die ausgelaugten Apparate der systembejahenden Parteien geschaffen oder verordnet werden könnten, sondern dass sie aus kulturell und politisch kreativen Personenkreisen kommen müssten, die möglicherweise noch gar nicht bis zu öffentlicher Wahrnehmung und Resonanz durchgedrungen waren .129 Tagespolitisch dagegen ergab eine Kampagne zur Unterstützung der Präsidialregierung Brünings in dieser Situation durchaus verfassungskonformen Sinn, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht . Denn Brüning war ein zwar von der Gnade Hindenburgs abhängiger, aber verfassungsgemäß berufener Reichskanzler und zudem, worauf es dem Kreis wesentlich ankam, bereit zu unpopulären Entscheidungen . Nach Ansicht des Abegg-Kreises konnte die gegenwärtige Krise unter seiner Führung ungeachtet diverser Vorbehalte noch am ehesten durchgestanden werden . Die Option bedeutete, das Prinzip der Präsidialregierung auf der Grundlage des Notverordnungsrechts für den Augenblick anzuerkennen, solange die deutschen Wähler keine regierungsfähigen Mehrheiten zustandebrachten . So erklärt sich die für heutige Ohren missverständlich klingende Äußerung Hamms, es gelte jetzt, „sich ganz betont hinter die Führerpersönlichkeit des Reichskanzlers zu stel-
Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 312, S . 958; zur Transformation des Politikstils im Zeichen einer neuartigen Visualisierung des Politischen vgl . Hardtwig, Performanz . 128 Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 312, S . 958 . 129 Zum Bemühen um ein politisches Ethos, das bewährte liberale und konservative Traditionen mit den Herausforderungen der Gegenwart verknüpfen könnte, vgl . Müller, Weltkrieg; Ders ., Demokratie; Nielsen, Verantwortung; Hacke, Staatsrecht; Becker, Dimension . 127
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 359
len“ und „die plebiszitäre Grundlage einer verfassungsmäßigen Diktatur“ zu schaffen .130 Hinter diesem tastenden Versuch, eine Strategie zur Bewältigung der kulturellen und politisch-ökonomischen Krise zu finden, stand bei allen Beteiligten der Eindruck, dass sich die Öffentlichkeit trotz aller Aufgeregtheit kaum mehr wirklich für das politische Geschehen interessiere und dass daher neue Formen der Artikulation und Organisation von Meinungen und der Mobilisierung nötig seien . Dass man dabei dann doch wieder auf eingefahrene Parteipositionen zurückfiel oder, um eben dies zu vermeiden, sich aktuell mit einem „Aufruf “ bescheiden und dann auf die Suche nach einer gemeinsamen Ideengrundlage begeben wollte, enthüllt die Ratlosigkeit und Zersplitterung der bürgerlichen Mitte gerade im Vergleich zur Organisations- und Propagandakraft der weltanschaulich reduktionistischen und vergleichsweise geschlossenen totalitären Bewegungen von Faschismus und Kommunismus . Wer daher den Weimarer Staat ungeachtet der Funktionsunfähigkeit seines Parteiensystems erhalten wollte, dem blieb nur noch die Alternative einer Um- oder Weiterbildung der Verfassung . Das Ziel war dann, deren Kernbestandteile zu bewahren – das demokratische Egalitätsprinzip und die parlamentarisch fundierte Gesetzgebung –, wenn auch in modifizierter Form . Generell kreiste die vor allem von den demokratischen Staatsrechtlern auf hohem Niveau geführte Verfassungsdebatte um die Alternative: Verfassungsumbau oder Verfassungsüberwindung .131 Seit dem faktischen Übergang zum Präsidialsystem und dem Durchbruch der NSDAP in den Septemberwahlen war die Überzeugung Gemeingut geworden, dass eine wesentliche Krisenursache in der Weimarer Reichsverfassung selbst lag . Die verbliebenen Anhänger der Republik befürworteten einen Verfassungsumbau: entweder mit dem Minimalziel, nach vorübergehenden Notmaßnahmen zum bestehenden System zurückzukehren, oder – wie die überwiegende Mehrheit – mit der Absicht, durch eine Stärkung von Präsidialgewalt und Regierung gegenüber
130 So Hamm, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 321, S . 986; vgl . z . B . Klemperer, Leben, Bd . 2, 15 .9 .1930 . John M . Keynes berichtete nach der Rückkehr von einer DeutschlandReise im Januar 1932: „I have been to Germany at all the times of crisis since the War but never, I think, have I found them so extraordinarily depressed […] everyone is reduced to a dead level of absence of pleasurable anticipation . […] no one sees any chance of an improvement, except of a result of drastic change“; zit . nach Müller, Demokratie, S . 287; über den Zukunftspessimismus in der Weimarer Republik generell und gegen dessen Überbewertung vgl . Graf, Zukunft, S . 65–134 . 131 Zur Verfassungsgeschichte der Jahre 1930–1933 nach wie vor grundlegend Huber, Verfassungsgeschichte, Bd . VII, S . 749–1281; zur Verfassungsdiskussion v . a . Grimm, Verfassungserfüllung; Mommsen, Regierung; Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S . 420–458 .
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dem Parlament den Staat zu festigen . Dadurch sollte der Staat vor seiner – wie das Schlagwort lautete – Ausartung in einen von egoistischen Interessen beherrschten „Parteienstaat“ geschützt werden . Hamm und die Linksliberalen insgesamt traten für eine solche „Fort“- oder „Umbildung“ der Verfassung ein, wobei es auch dafür mehrere Varianten gab .132 Von Beginn der Republik an hatten nicht nur die Rechte, sondern auch Liberale und Zentrum dem ur-parlamentarischen Prinzip der Regierungsbildung aus dem Parlament heraus kritisch gegenübergestanden und sich auch darum gesorgt, wie eine geeignete politische Elitebildung und Führungsauswahl zustande kommen könne . Linksliberale hatten Demokratie und Parlamentarismus gerade mit dem Argument befürwortet, dass sie sich besser für eine solche Führungsauslese eigneten als die zusammengebrochene konstitutionelle Monarchie . Dass sie dabei stärker als die anderen Parteien auf die Leistungsfähigkeit und den Wert der „Persönlichkeit“ abstellten, entsprach der Tradition der liberalen Weltanschauung, die man gerade unter dem als dramatisch empfundenen Druck des „Kollektivismus“ seit der Revolution reformulierte . Wähler und Gewählte in Deutschland waren sich spätestens seit dem Tod Stresemanns darüber einig, dass es der Republik entgegen der anfänglichen Hoffnungen an geeigneten „Führern in der Not“ (Max Weber) mangelte .133 Die Republik, von Anfang an eine „Demokratie auf Bewährung“,134 schien in diesem Punkt zu versagen – es sei denn, es gab noch irgendwo unentdeckte charismatische Talente . Wer an Republik und Demokratie festhalten wollte, hoffte ebenso dringlich wie angesichts der unzureichenden Symbolleistung des Reichstags und seiner Abgeordneten zu Recht auf Repräsentation durch Personalität .135 Die dualistische Struktur des Weimarer Verfassungs- und Regierungssystems, das Elemente einer parlamentarischen und einer präsidialen Demokratie so nebeneinander stellte, dass eine Regierung in Notlagen – das Einverständnis des Reichspräsidenten vorausgesetzt – jederzeit auf die präsidiale „Reserveverfassung“ zurückgreifen konnte, trat unter den Bedingungen der Staatskrise verschärft hervor .136 Und der vom Volk gewählte Reichspräsident
132 Vgl . Heß, Wandlungen; Langewiesche, Liberalismus, S . 270 ff; Meineke, Parteien, S . 83– 93; Wehrs, Demokratie, S . 113–118 . 133 Zum Konzept „charismatischer Herrschaft“ bei Max Weber, das hinter jeder heutigen Verwendung des Begriffs steht, aus der Unmenge der Literatur die klassischen Studien von Mommsen, Weber; Schluchter, Rationalismus . 134 Gusy, Verfassungsumbruch, S . 30; vgl . auch Raithel, Haltung . 135 Pyta, Ideenwelt, S . 98 . 136 Die in dieser Form überzogene These von der zerstörerischen Wirkung des Dualismus von „Normal- und Reserveverfassung“ vertrat vor allem Bracher, Demokratie; vgl . Pyta, Präsidialgewalt .
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 361
verkörperte die Herrschaft auf „plebiszitärer Grundlage“, von der Hamm im September 1931 sprach . Gemeint war eine „Vertrauensdiktatur“ auf Zeit – nicht bis zu einer Rückkehr zum status quo ante, sondern bis zu dem Moment, in dem ein stabileres, stärker als zuvor präsidial ausgerichtetes System der Repräsentation eingerichtet sein würde . Eine solche „verfassungsmäßige Diktatur“ war eine in den staatsrechtlichen Debatten der Weimarer Jahre gängige Denk- und Argumentationsfigur .137 Die Diskussion über die Verfassungsreform nahm nach dem Herbst 1931 in den knapp anderthalb Jahren bis zur Machtübertragung an Hitler an Breite und Intensität noch zu . Eine Konjunkturwende und damit eine Beruhigung der Gemüter waren bis zum Sommer 1932 nicht in Sicht . Der Sturz Brünings am 30 . Mai 1932 und die anschließende Berufung von Papens zum Reichkanzler demonstrierten deutlicher noch als die Brüning’sche Regierungspraxis das Scheitern der parlamentarisch fundierten Gesetzgebung und die Abhängigkeit der Regierung vom Reichspräsidenten . Die Pläne des neuen Reichskanzlers und seines hochkonservativen Innenministers von Gayl zielten, obgleich noch unbestimmt, so doch unverkennbar darauf ab, das parlamentarische Regierungssystem überhaupt zu beseitigen und Wirtschaft, Gesellschaft und Staat wieder stärker unter Rückgriff auf das alteuropäische Ständeprinzip zu organisieren . Ständische Vorstellungen wurden außer von einigen katholisch-konservativen Autoren wie Othmar Spann vor allem von jungkonservativen Intellektuellen entwickelt . Dabei überschnitten sich zwei Ordnungsmodelle und gingen verschiedene Legierungen ein . Zum einen war da die altbürgerliche Tradition beruflicher Selbstverwaltung . Zum anderen gab es die konservative Wunschvorstellung, der modernen, alle Rechte legalisierenden Staatlichkeit mit ihrer Bürokratie, ihrem Parlament und ihren Parteien Institutionen zu implantieren, in denen lebensnahe, in Beruf und Öffentlichkeit erfahrene „Bürger“ an der Gesetzgebung beteiligt werden sollten, denen daher vermeintlich alle ideologische und „parteiische“ Verblendung, alle Übertreibungen und Fanatismen fernstanden . Die Ideen zu einer ständischen Ordnung von Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsverfassung hatten aus mehreren Gründen Konjunktur: Der alte Mittelstand, vor allem das Handwerk, strebte zurück zu einer mehr oder weniger konkurrenzfreien Wirtschaft, in der soziale Konflikte entweder nach dem alteuropäischen Modell zünftischer Friedenswahrung – und Privilegierung – oder autoritativ von einer sozialkonservativen Staatsverwaltung geregelt werden sollten . Auch durch die ge-
Llanque, Diktatur, der vor allem auf die politische Theorie im England der Zwischenkriegszeit abhebt .
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samte Unternehmerschaft zog sich schon seit 1918/19 und verstärkt seit der Großen Koalition 1928–1930 der Eindruck, dass im „Parteienstaat“ und seinem Parlament grundsätzlich der Sachverstand und die Einsicht in die für unveränderlich erklärten „Gesetze der Wirtschaft“ zu kurz kämen . Das probate Mittel dagegen schien eine Zweite – in der deutschen konstitutionellen Tradition mit ihren Zweikammersystemen nannte man sie „Erste“ – Kammer mit berufsständischer Zusammensetzung .138 Seit 1930 interessierten sich auch die Industrieverbände für sie . Vor allem die Zeitschrift der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, „Der Arbeitgeber“, behandelte das Thema in mehreren Beiträgen . Die NSDAP hatte das Thema „ständische Organisation“ schon in ihrem Parteiprogramm vom 24 . Februar 1920 auf die Agenda gesetzt und im Punkt 25 die „Bildung von Stände- und Berufskammern zur Durchführung der vom Reich erlassenen Rahmengesetze in den einzelnen Bundesstaaten“ gefordert . Damit zielte sie darauf, den verunsicherten alten Mittelstand zu gewinnen . Anfang der dreißiger Jahre rivalisierten in der Partei verschiedene, zum Teil sehr weitreichende, aber gleichermaßen vage Ideen für eine korporative Gesellschafts- und Staatsordnung, und zwar sowohl unter mittelständisch-konservativem (Gottfried Feder) wie linkem (Otto Wagener) Vorzeichen . Weiterreichende altständisch beeinflusste jungkonservative Elitemodelle spielten in den zwanziger Jahren zunächst nur in adlig-reaktionären Zirkeln wie der „Ringbewegung“ und dem „Deutschen Herrenclub“ ein Rolle, die von einer antiegalitären „Führersammlung“ in der Massengesellschaft schwärmten .139 Politisch wirklich relevant wurden solche Konzepte dann zu Beginn der dreißiger Jahre in der Wunschvorstellung eines „autoritären Staats“, in dem die Parteien und das Parlament ausgeschaltet und durch die Exekutivmacht des Reichspräsidenten, durch kleine, elitäre Beratungszirkel und durch vermeintlich neutrales Verwaltungshandeln ersetzt werden sollten . Solche Ideen konnte man bei maßgeblichen Autoren der „Konservativen Revolution“ wie dem Herausgeber der Zeitschrift „Die Tat“ Hans Zehrer oder dem Mitglied des „Deutschen Herrenclubs“ Walter Schotte mit seinem Programm des „Neuen Staates“, bei Franz von Papens Ideengeber Edgar Jung in Rudolf Pechels „Deutscher Rundschau“ oder in Jungs Hauptwerk „Die Herrschaft der Minderwertigen . Ihr Zerfall und ihre Ablösung“ (2 . Auflage 1932) lesen . Alle diese Ideen zielten darauf, die Weimarer Reichsverfassung und damit das moderne, „liberalistische“ Zeitalter grundsätzlich zu überwinden und an die Stelle des liberal-freiheitlichen einen hierarchisch gegliederten und von
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Vgl . Winkler, Unternehmerverbände . Vgl . Ishida, Jungkonservative; Malinowski, König; Ders ., Führertum .
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oben her beherrschen Staat zu setzen . Damit widersprachen sie prinzipiell der individualistischen Denkweise des Wirtschaftsbürgertums jenseits des alten Mittelstandes . Mit den „Umbau“-Plänen der Republikanhänger hatten sie wenig zu tun . Aber auch bei den Linksliberalen140 und sogar in der SPD fasste der Wunsch nach einer Zweiten Kammer Fuß .141 Die bürgerliche Mitte und sozialdemokratische Intellektuelle ließen sich dabei von der Vorstellung leiten, dass eine solche Vertretungskörperschaft von „Praktikern“ aus dem bürgerlichen Leben ein Korrektiv gegenüber den Parteiinteressen und einem „Parlamentsabsolutismus“ sei und die Gesetzgebung versachlichen könne . Unter dem Problemdruck der Wirtschafts- und manifesten Staatskrise transformierte sich das alteuropäisch-geburtsständische Schichtungsmodell einer umfassenden Ständeordnung und die in der bürgerlichen Gesellschaft aus ihr herausgewachsene Tradition beruflich„korporativer“ Selbstverwaltung142 in eine bis weit nach links ausstrahlende neokonservative Ordnungsidee . Diese konnte entweder eine Re-Organisation der Wirtschaftssubjekte oder eine konservative Neuverteilung staatsbürgerlicher Partizipations- und Repräsentationsrechte oder auch die Kombination von beidem umfassen . Für die Unternehmerschaft war sie in zwei Punkten relevant: in der Zurückdrängung des Parteieneinflusses und in der Einführung eines ständischen Elements in der Verfassung .143 Relevant für die Kammern und den DIHT ging es dabei zum einen um die Verteidigung von „Selbstverwaltung“ und verbandlicher Autonomie, zum anderen um die Einführung der staatskonservativen Zweiten Kammer . Die großindustrielle Unternehmerschaft blieb – sieht man von exzentrischen Figuren wie dem NSDAP-Anhänger Fritz Thyssen ab – distanziert .144 Für den DIHT stellte sich die Situation schon deshalb schwieriger dar, weil einzelne Kammern 1931/32 der NSDAP zuzuneigen begannen .145 Im Sommer 1931 beauftragte der Vorstand daher einen eigenen Ausschuss unter Vgl . Heß, Wandlungen, S . 70 f . Vgl . Winkler, Weg, S . 802–805; auch bei den Verfassungsreformanhängern in der SPD sollte die zweite, berufsständische Kammer die „Gesetzgebungsarbeit entpolitisieren und damit versachlichen“; ebd ., S . 805 . 142 Vgl . Abelshauser, Korporatismus; Ders ., Nation . 143 Vgl . u . a . Mommsen, Regierung; aus der umfangreichen Literatur über die konservative Revolution Mohler, Konservative Revolution; Breuer, Völkischen; Ders ., Anatomie . 144 Vgl . die Stellungnahme des Vorstandsmitglieds Clemens Lammers in einer Hauptausschusssitzung des RDI am 24 .6 .1932, in: Winkler, Unternehmerverbände, S . 181 . 145 So forderte etwa der Syndikus der Handelskammer Villingen, Karl Jordan, im Januar 1932 die endgültige Auseinandersetzung mit dem Marxismus, und das hieß auch die Abschaffung des parlamentarischen Systems zugunsten einer korporativen Ordnung, und erklärte in einem Brief an Hamm vom 24 .6 .1932: „Erst der Nationalsozialismus gibt nun dem 140 141
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Leitung Eduard Hamms damit, Sinn und Funktion der umlaufenden Stände-Konzepte zu klären . Im Oktober 1932 referierte dann Hamm vor dem DIHT-Verfassungsausschuss in einer breit fundierten Rede von mehr wissenschaftlicher als politischer Diktion den zeitgenössischen Diskurs, wobei seine eigenen Vorstellungen von Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverfassung doch unmissverständlich hervortraten .146 Den Primat nationalpolitischer Ziele in Fragen der Wirtschaftsordnung lehnte er ab, wandte sich mehrfach deutlich gegen die von der politischen Rechten und den Agrariern vorgebrachten Autarkiepostulate147 sowie gegen jede Art von Dirigismus, sei er links-sozialistisch oder national-sozialistisch akzentuiert . Auch jedwede Anlehnung an den Faschismus Mussolinis lehnte er ab, insbesondere die Verknüpfung von ständestaatlichen Ideen mit der Hervorhebung eines forcierten „FührerPrinzips“ .148 Nützliche und zukunftsträchtige berufsständische Traditionen sah er in Deutschland ohnehin im Genossenschafts- und Kammerwesen vertreten . Insofern plädierte er dafür, an dem in Deutschland besonders ausgeprägten staatsnahen, aber freiheitlichen Korporatismus festzuhalten . Ein ständestaatlicher Aufbau des Gemeinwesens war damit ausgeschlossen . Allerdings plädierte Hamm wie die meisten Linksliberalen und die sozialdemokratischen Verfassungsreformer zu diesem Zeitpunkt für die Einführung der Zweiten bzw . „Ersten“ berufsständischen Kammer – mit dem gängigen Argument, dass so die Repräsentation von Sachkunde und Lebensnähe der Bürger neben dem in ideologische Parteilager zerfallenen Reichstag gestärkt und die Regierung „vom Wechsel der Parteimeinungen“ unabhängiger gemacht werden könne .149 Es ist wahrscheinlich, dass Hamm dabei in die Richtung dachte, den 1920 neben den Betriebsräten als einziges Rudiment der ganzen Rätebewegung geschaffenen Vorläufigen Reichswirtschaftsrat umzuwandeln in ein effektives Gesetzgebungsorgan neben dem Reichstag .150 Darauf deuten schon die Formulierungen hin, mit denen Hamm 1926 in seinem Grundsatzreferat vor der Vollversammlung des DIHT die gewünschte Form
Unternehmertum als Teilganzem seine positive Bedeutung für den Staat“; zit . nach Winkler, Unternehmerverbände, S . 188; vgl . auch Treue, Unternehmer, S . 118 f . 146 Eduard Hamm: Zum Problem des berufsständischen Aufbaus . Sonderdruck aus der Deutschen Wirtschafts-Zeitung, Berlin 1932, Nr . 30, 28 .7 .1932; zu den zeitgenössischen Ständekonzepten für Deutschland und Europa vgl . Nolte, Ordnung, S . 179–186; Ders ., Ständische Ordnung . 147 Hamm, Problem, u . a . S . 2 . 148 Ebd ., S . 8 . 149 Verh . HA, 5 .10 .1932, S . 68 f . Denkbar ist, dass sich Hamm diese Kammer so ähnlich vorstellte wie den ‚Senat‘ in der Bayerischen Landesverfassung, der erst 2000 abgeschafft wurde . 150 Vgl . Ritter, Entstehung .
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des geplanten Reichswirtschaftsrates umschrieben hat .151 Am 18 . Januar 1927 hatte Hamm über den „Entwurf eines Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat“ referiert und einen Entschließungsantrag vorgelegt, der auf intensivere Beratung und genauere Bestimmungen des Gesetzentwurfs drang – was dem Wunsch aller Verbände entsprach, jeweils stärker vertreten zu sein . Aus der Formulierung, „daß der Reichswirtschaftsrat gute, entwicklungsfähige Seiten“ habe, lässt sich jedoch auf den Plan einer einflussreichen, einer Zweiten Kammer gleichkommenden berufsständischen Vertretung noch nicht gesichert schließen – wohl aber darauf, dass Hamm die Beratungsatmosphäre in diesem Verfassungsorgan als wohltuend und zielführend empfand .152 Nunmehr, 1932, hielt Hamm eine „sachgemäße Umwandlung des vorläufigen Reichswirtschaftsrats in eine endgültige Form, die aus nicht sehr tiefgehenden Gründen vor einigen Jahren gescheitert“ sei, ohne allzu große Schwierigkeiten für möglich . Allerdings schien ihm die Einführung der berufsständischen Kammer auch unvereinbar mit dem Weimarer föderalistischen Staatsaufbau .153 Vor diesem Hintergrund verdient ein Artikel des preußischen Ministerialrats Otto Frielinghaus „Zur Neugestaltung der Staats- und Wirtschaftsverfassung“ am 13 . Oktober 1932 in der von Hamm herausgegebenen „Deutschen Wirtschafts-Zeitung“ größere Aufmerksamkeit, als ihm bisher zuteil geworden ist .154 Frielinghaus war langjähriger Ministerialrat in dem von linksliberalen Ministern geführten preußischen Handelsministerium und zählte zu den Verh ., VV, 28 .4 .1926, S . 56 . Verh ., HA, 18 .1 .1927, S . 50–52 . Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat würde weitere Untersuchungen verdienen: Sowohl bei der Zollfriedens-Politik wie bei der Konzeption kreditfinanzierter Arbeitsbeschaffung entwickelte er produktive Programme, die freilich in Reichstag und Regierung nicht durchgesetzt werden konnten . Hamm gehörte u . a . dem im August 1931 eingesetzten 15-köpfigen „Zentralausschuss über die Hebung der Produktion, insbesondere durch Arbeitsbeschaffung“ an, der weitreichende Vorschläge zur staatlichen Arbeitsbeschaffung vorlegte; vgl . Bericht des Zentralausschusses des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates (Auszug) vom 12 .3 .1932, abgedruckt in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 442 . 153 Hamm, Problem, S . 23 . In einer Tischrede vor der IHK Köln am 27 .9 .1932 plädierte Hamm mit den bei ihm gängigen distanzierten Formulierungen für eine Ständekammer: „Wirtschaft führen heißt handeln . Das bloße Parlieren wird in ihr gering geschätzt . Aber das schließt die Wertschätzung und Pflege fruchtbarer Diskussion nicht aus . Auch sie ist heute wichtiger als je . Die Handelskammern sehen in ihr die wichtige Aufgabe, über die volkswirtschaftlichen Anliegen Klärung in den beteiligten Kreisen des Gewerbes, nach Möglichkeit aber auch Klärung von Gewerbe zur Landwirtschaft, vom Unternehmer zum Arbeitnehmer herbeizuführen . Es wird eine Aufgabe der künftigen Neuordnung unserer Verfassung in Reich und Land sein, hierfür geeignete Stellen im Aufbau der Gewalten zu schaffen […]“; BayHStA, NL Hamm, 55 . 154 Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 29, Nr . 41, 13 .10 .1932, S . 975–978; vgl . auch Frielinghaus, Einheitsstaat . 151 152
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Gästen bei Hamms geselligen Abenden . Die Schriftleitung der „Deutschen Wirtschafts-Zeitung“ stellte dem Artikel – zweifellos mit dem Einverständnis des Herausgebers Hamm – die Empfehlung voran, sie halte den Aufsatz für einen besonders wertvollen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion über die Wirtschafts- und Staatsverfassung und behalte sich vor, ausführlicher auf ihn zurückzukommen . Der Artikel ging aus von den alternativen Vorschlägen von links und rechts zur Einführung eines staatswirtschaftlichen oder berufsständischen Systems für die wirtschaftliche Selbstverwaltung . Frielinghaus lehnte „Überspannungen“ des berufsständischen Gedankens wie bei Othmar Spann und bei den NS-Ideologen ab . Er äußerte sich aber anerkennend zu dem Vorschlag des „Tat“-Kreises bzw . Hans Zehrers, den Reichswirtschaftsrat zu einer berufsständischen Kammer auszubauen . Frielinghaus’ einleitende Bemerkungen über den Zusammenhang von Wirtschafts- und Staatsverfassung dienten aber nur der Hinführung zum Entwurf einer tiefgreifenden Verfassungsreform . Diese dachten sich Autor und Herausgeber zweifellos nicht als Übergangs-, sondern als Dauerlösung . Mit ihr sollten der Parlamentarismus im Reich eingeschränkt und in den Ländern beseitigt, das Reich neu gegliedert und seine Staats- und Selbstverwaltung nach einheitlichen Gesichtspunkten geordnet werden . Das Konzept war sehr viel gründlicher und sachkundiger durchgearbeitet als die Visionen für einen neuen autoritären Staat und ging vor allem bei der Sitzverteilung für die „Erste Kammer“ auch ins Detail .155 Der Föderalismus und der Länderparlamentarismus in ihrer bisherigen Form sollten abgeschafft werden . Die Landtage sollten nicht mehr aus allgemeinen und direkten, sondern aus indirekten Wahlen hervorgehen . Ein berufsständischer Schlüssel verteilte die Zahl der Sitze: ein Drittel für die Stadt- und Landkreise, jeweils ein Sechstel für Unternehmer und Arbeitnehmer und das letzte Drittel zur einen Hälfte für Vertreter aus den „übrigen Berufsständen, Bünden, Kulturfaktoren“ und zur anderen für Vertrauenspersonen des „Landespräsidenten“ . Frielinghaus lehnte sich also deutlich an die Sitzverteilung in den Zweiten Kammern der frühkonstitutionellen Landesverfassungen aus dem 19 . Jahrhundert an . Unverkennbar, und auch unmissverständlich ausgesprochen, war die Absicht, die Wählerrepräsentation auf Landesebene zu entpolitisieren . Als „ausführendes Organ in der Selbstverwaltung“ sollte ein „Landeshauptmann“ aus den Landtagen heraus gewählt werden . Auf Reichsebene dachte sich Frielinghaus in Analogie zum Landtag eine neu zu schaffende Erste Kammer („Reichsrat“) – demnach eine in indirekter Wahl aus der regionalen Mittelin-
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Ebd ., S . 978 .
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stanz heraus gebildete Gesetzgebungskörperschaft mit etwa 250 Sitzen, von denen ein Viertel dem Landtag und ein Viertel dem Organ der Selbstverwaltung zustehen sollte . Ein weiteres Viertel sollten die Spitzenverbände der Kommunen, der Wirtschaft und der übrigen Berufe dem Reichspräsidenten vorschlagen, dem das Bestätigungsrecht zustehen sollte . Das letzte Viertel sollte sich ganz aus Vertrauenspersonen des Reichspräsidenten zusammensetzen . Reichsrat und Reichswirtschaftsrat sollten dann in der neuen Körperschaft aufgehen . Frielinghaus wollte demnach über die Erste Kammer im Reich das alte liberale Prinzip wirtschaftlich-politischer „Selbstverwaltung“ revitalisieren, die politische Dimension von Bürgerlichkeit stärken und damit ein Korrektiv zur politischen Monopolstellung der Parteien, ihrer Bürokratien, ihrer Führungsauswahl und ihrer politischen Konkurrenzfixierung schaffen . Die indirekte Wahl sollte das Prinzip der beruflichen Bewährung und der Nähe zur Lebenspraxis stärken . Da Frielinghaus für den Reichstag unverändert das politische Repräsentationssystem vorsah, blieb in seiner Sicht der Sinn von Artikel 1 der Reichsverfassung erhalten, dem zufolge der Volkswille das staatliche Handeln bestimmte . Allerdings war in diesem Verfassungsaufbau die Erste Kammer dem Reichstag als „gleichberechtigter gesetzgebender Faktor“ beigesellt . Für das Regierungssystem bedeutete dies praktisch, dass der Reichskanzler für seine Wahl die Zustimmung sowohl des Reichstags als auch der Ersten Kammer benötigte, bzw . umgekehrt, dass ein Misstrauensvotum der Zustimmung sowohl des Reichstags wie der Ersten Kammer bedurfte . Damit sollte einem allzu leichthändigen Gebrauch des Misstrauensvotums oder der bloßen Drohung damit ein Riegel vorgeschoben und der Regierungsarbeit größere Kontinuität gesichert werden . Die Rekrutierung der Kandidaten für das Reichskanzleramt sollte über den Kreis der Parteiführer im Reichstag auf alle Personen erweitert werden, die „ihre Qualifikation zum Staatsmann in der Ersten Kammer nachgewiesen haben, oder die als Beamte das Vertrauen beider Häuser“ genössen .156 Als letztgültiges Entscheidungskriterium dafür, ob hier ein demokratisches oder ein autoritäres Konzept vorliegt, kann wohl die Frage gelten, ob der Reichstag in seiner maßgeblichen Gesetzgebungsfunktion und als Körperschaft einer repräsentativen Demokratie erhalten blieb oder nicht . Eine Zweiteilung der Legislative in zwei Kammern gibt es in altbewährten Demokratien wie Großbritannien und den USA, aber auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland . Die bayerische Landesverfassung von 1947 kannte den
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Ebd ., S . 977 .
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berufsständisch organisierten „Senat“ als Zweite Kammer, der erst im Jahr 2000 abgeschafft wurde . Die Mitglieder des heutigen Bundesrats sind als Repräsentanten der Länder indirekt bestellt, allerdings auf der Basis desselben egalitären allgemeinen Wahlrechts wie der Bundestag . Frielinghaus’ Verfassungskonzept spiegelt wohl zumindest in seinen Grundzügen die Vorstellungen von liberal-republikanischen Ministerialbeamten und von jenem Teil des Wirtschaftsbürgertums wider, das zu diesem Zeitpunkt noch den Nationalsozialisten die Gefolgschaft verweigerte . Es konnte demnach mit der Zustimmung der Spitzenorganisation der Industrie, zumindest aber der Vernunftrepublikaner in DIHT und RDI rechnen . Zu berücksichtigen ist dabei allerdings auch die Tatsache, dass die Mitgliederbasis in den meisten Verbänden inzwischen deutlich weiter rechts stand als die Führungsorgane . Das war zweifellos auch im DIHT so . Anders lässt sich das widerstandslose Einknicken des Präsidiums bei der Beseitigung Hamms und der Gleichschaltung im Mai 1933 nicht erklären . Herzensrepublikaner gab es dort zu diesem Zeitpunkt kaum mehr . Bezeichnungen wie „Vernunft-„ und „Herzensrepublikaner“ sind allerdings missverständlich oder zumindest ungenau . Denn es ging um das Grundprinzip, dass alle Gewalt im Staate vom Volk in seiner Gesamtheit ausgehen sollte, wie es auch für die heutigen parlamentarischen Monarchien selbstverständlich ist . Eindeutiger wären demnach die Ausdrücke „Vernunft-“ und „Herzensdemokraten“ . Herzensdemokrat dürfte Eduard Hamm wenigstens bis zur Machtergreifung Hitlers geblieben sein . Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er vor der Machtergreifung an eine Stärkung der Staatsmacht und -autorität durch die Wiedereinführung der Monarchie gedacht hätte . Die Enttäuschung über das Versagen Hindenburgs als rettende Instanz für die demokratische Republik stand ihm im Herbst 1932 noch bevor . Seine Sympathie für den Entwurf von Frielinghaus bedeutete jedenfalls, dass die Gesetzgebungskompetenz nach wie vor – wie es der Autor postulierte – von unten nach oben legitimiert sein sollte . Die Garantie dafür lag zum einen in dem beibehaltenen allgemeinen gleichen Reichstagswahlrecht, zum anderen in der nicht weiter diskutierten, da selbstverständlichen Volkswahl des Reichpräsidenten und in der – freilich indirekten – Wahl der großen Mehrheit der Abgeordneten in den Landtagen bzw . in der Ersten Kammer durch das Volk . Allerdings wurden den Wählern für den einen Teil ihrer Repräsentation berufsständische Quoten auferlegt, die den unmittelbaren Volkswillen deutlich verzerren mussten – verzerren zugunsten von „Bewährung“, also einer meritokratischen Auswahl . „Catilinarischen Existenzen“ (Bismarck), wie sie in den Führungsfiguren der NSDAP verkörpert waren, und reinen Partei-
3. Parlamentarismuskritik und „Weiterbildung“ der Verfassung 369
funktionären sollte der Aufstieg erschwert werden .157 Berücksichtigt man die Extremsituation am Ende des Jahres 1932, so erscheint die Einschränkung des Parlamentarismus durch die Zusammensetzung der „Ersten Kammer“ als entschieden geringeres Übel gegenüber dem Treibenlassen des Machtspiels unzureichend legitimierter und inkompetenter politischer Intriganten bis zur Machtübertragung an Hitler .158 Eine Bewährungschance hat ein solches demokratisch-ständisches Mischsystem nicht erhalten – weder in Deutschland noch, in anderen Varianten, in den zahlreichen seit 1918/19 demokratischen europäischen Staaten, die dem Ansturm der wirtschaftlichen Interessen, der politischen Massenmobilisierung und der Ideologien im Zeitalter totalitärer Weltanschauungen nicht standhalten konnten . Ob es in Deutschland funktioniert hätte, nachdem im Herbst 1932 die wirtschaftliche Erholung einsetzte, scheint eine müßige Frage zu sein . Aber nicht jede kontrafaktische Frage ist müßig . Man kann sich vorstellen, dass sich die politischen Emotionen im Zeichen der wirtschaftlichen Erholung und einer dann stärkeren staatlichen Durchsetzungsmacht gegenüber Demagogie und Straße bald beruhigt hätten . Der entscheidende Faktor in diesem Gedankenexperiment ist letztlich, ob sich der im Frühjahr 1932 wiedergewählte Reichspräsident Hindenburg zu einer solchen Verfassungsreform unter dem Vorzeichen des Notverordnungsrechts bereitgefunden hätte . Einige zeitgenössische Akteure hielten dies für möglich .159 Aber selbst die Pläne seines „Lieblings“ Franz von Papen und dessen Innenministers von Gayl lehnte Hindenburg letzten Endes ab – aus welchen Motiven auch immer . Zweifellos spielte sein viel zitierter Legalismus gegenüber der Weimarer Reichsverfassung eine wesentliche Rolle . Neuerdings ist aber auch plausibel auf das persönliche Interesse Hindenburgs an der Erhaltung seines Mythos hingewiesen worden, dem ein solch tiefer Eingriff in die Reichsverfassung zumindest in seinem eigenem Kalkül abträglich gewesen wäre .160
Das Attribut „catilinarische Existenzen“ hatte Bismarck allerdings ironischerweise bewährten Honoratioren aus der demokratischen Fortschrittspartei – wie etwa dem zeitweiligen Breslauer Oberbürgermeister Max Forckenbeck – verpasst, da er sie für ebenso gefährlich hielt wie die Anführer einer Aufstandsbewegung . 158 Die Einschätzung Ulrich Herberts, dass für Hitlers Machtantritt das „stetige Hinarbeiten“ u . a . der „großen Wirtschaftsverbände auf eine autoritäre, nicht parlamentarisch gebundene Elitendiktatur“ ausschlaggebend gewesen sei, trifft demnach für den DIHT nicht zu; Herbert, Geschichte Deutschlands, S . 299 . 159 Den Forschungsstand zu den geringen Realisierungsmöglichkeiten eines verfassungsändernden Eingriffs resümiert Rödder, Reflexionen, S . 96 f; vgl . auch Pyta, Hindenburg, S . 760 . 160 Ebd ., S . 760–766 . 157
XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus 1. Einschätzung Hitlers und der NSDAP
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it ihren Plänen zu einer Reform der Weimarer Reichsverfassung reagierten die Republikanhänger auf die zunehmende Instabilität des Regierungssystems, auf die Erosion der staatlichen Autorität und Durchsetzungskraft im Inneren, auf das Anwachsen des Extremismus von rechts und links und damit auch auf die Bedrohung, die der Nationalsozialismus im Parlament und auf der Straße für die demokratische Republik darstellte . Seit der Septemberwahl von 1930 stand die Frage einer informellen Duldung oder gar Unterstützung einer Regierungsbeteiligung und seit dem Sommer 1932 einer Regierungsführung durch Adolf Hitler und die NSDAP im Raum .1 Die Industrieverbände lehnten beide Optionen ab . An diesem Grundfaktum ändert auch nichts, dass sich einzelne Unternehmer vor allem aus der Schwerindustrie zeitweise – wie der bereits aus dem aktiven Geschäft ausgeschiedene Bergbau-Großunternehmer und zeitweilige DNVP-Reichstagsabgeordnete Emil Kirdorf – oder dauerhaft, wie Fritz Thyssen, zum Nationalsozialismus bekannten oder, wie Paul Reusch, zeitweise mit ihm sympathisierten . Für die Unternehmer stellte sich die NSDAP bis zur Machtübertragung an Hitler ganz überwiegend als sozialrevolutionäre Bewegung dar . Selbst wenn, wie fast durchweg, zwischen positiven, aufbauenden, „gesunden“ und aufrührerischen, zerstörerischen Kräften in der NS-Bewegung unterschieden wurde, fürchteten die Unternehmer in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit die anti-
Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 425–523; Hömig, Brüning, S . 390–399, 486–512, 561– 575; Mommsen, Aufstieg, S . 556–569; besonders irritierend zu den Fehleinschätzungen und Hoffnungen Brünings dessen Gespräch mit Hitler, Frick, Gregor Strasser und Göring am 5 .10 .1930, dazu Hömig, Brüning, S . 204–208 .
1
1. Einschätzung Hitlers und der NSDAP 371
kapitalistischen Tendenzen im linken Flügel des Nationalsozialismus, soziale Unruhen und politische Erschütterungen, die der Produktion und dem Geschäft abträglich sein würden .2 Das galt, ausgeprägter noch als für die Führung des RDI, für die DIHTSpitze – ungeachtet der Tatsache, dass sich gerade prominente jüdische Vertreter der Berliner IHK wie ihr Syndikus Fritz Demuth und der Fraktionsführer der DDP (1928–1930) Oskar Meyer unmittelbar nach der Septemberwahl 1930 dafür aussprachen, die Nationalsozialisten an der Regierung zu beteiligen, um sie sich „abreagieren zu lassen“ .3 Eduard Hamm hatte seit den Anfängen der Bewegung 1920/21 in München persönlich Erfahrungen mit den „Völkischen“, dem fanatischen Rasse-Antisemitismus und der rechtsradikalen Presse – dem „Völkischen Beobachter“ und dem „Miesbacher Anzeiger“ – gemacht und sofort energisch dagegen Stellung bezogen .4 Als Staatssekretär in der Reichskanzlei hatte er im Februar 1923 gegenüber Harry Graf Kessler davon gesprochen, dass die Hitlerbewegung im Abklingen sei, er schien sich im Gespräch aber nicht ganz sicher .5 Im Frühjahr und Sommer 1923 drang er bei Reichskanzler Cuno und dem Kabinett auf ein schärferes Vorgehen gegen den Links- und vor allem gegen den NS-Radikalismus . Mit dem linksliberalen Nürnberger Oberbürgermeister Hermann Luppe besprach er gelegentlich Abwehrmaßnahmen für den Fall eines NS-Putschversuchs in München und kündigte dabei an, dass sich die bayerische Regierung nicht in München abkapseln lassen, sondern notfalls von außerhalb Münchens die verfassungsmäßige Gewalt wieder in die Hand nehmen werde . Im Übrigen hielt er einen Putschversuch zumindest bis in das Frühjahr 1923 hinein für unwahrscheinlich .6 In einem Volksverhetzungsprozess gegen den Nürnberger Radikal-An-
Grundlegend für die Revision der in den 1960er und frühen 1970er Jahren beliebten These vom Großkapital als Steigbügelhalter Hitlers Turner, Faschismus; Ders ., Großunternehmen; Neebe, Großindustrie; vgl . auch Plumpe, Reichsverband; Kershaw, Hitler . 1889–1936, S . 451 f; Pyta, Vernunftrepublikanismus . 3 Diese Information erhielt Hans Schäffer gesprächsweise von Hamm und Paul Kempner; Institut für Zeitgeschichte, ED 93, zit . nach „Tagebuchaufzeichnung des Staatssekretärs Schäffer“, 15 .9 .1930; Maurer/Wengst, Politik, Bd . 1, Dok . 135, S . 382, Anm . 2 . 4 Vgl . oben S . 72 ff, 140–144 . 5 Kessler, Tagebuch, Bd . 7, 6 .2 .1923, S . 667 . 6 Aus einem alarmierten Anruf Luppes in den Morgenstunden des 1 . Mai 1923, dem Tag, an dem Reichswehr und Polizei einen bewaffneten Angriff von SA und „Bund Oberland“ auf die Maifeier des ADGB auf der Theresienwiese in München verhinderten, entstand eine bizarre kleine Staatsaffäre . Luppe erreichte bei seinem alarmierten Telefonanruf in der Reichskanzlei nicht wie beabsichtigt Hamm, sondern Reichskanzler Cuno, der sogleich Reichswehrminister Gessler informierte . Aus diesem Vorgang konstruierte die bayerische Regierung Knilling den Vorwurf, das Reich habe unter Umgehung der bayerischen Regierung einen Reichswehreinsatz 2
372 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
tisemiten Julius Streicher und seine Zeitschrift „Der Stürmer“ wurde er zu einer Zeugenaussage aufgerufen .7 In der Nacht des Hitler-Putsches beteiligte sich Hamm an den ersten Versuchen, die Reichswehr gegen die Frondeure in Stellung zu bringen .8 Nach den Reichstagswahlen vom Dezember 1924 und vom März 1928 schien die Gefahr durch die nationalsozialistische Bewegung nach außen hin gebannt . Noch bevor die NSDAP mit der Septemberwahl 1930 als zweitstärkste Fraktion in den Reichstag einzog, bewiesen allerdings das Auftreten der SA auf der Straße und einzelne Kommunal- und Landtagswahlen 1929 das Gegenteil . Wenn Hamm schon seit dem Sommer 1930 von der „Entbürgerlichung“ der Gesellschaft und ihren politischen Radikalisierungstendenzen sprach, so dachte er noch vor den Kommunisten an die Nationalsozialisten . Seine vorsichtige, schrittweise Hinwendung zu öffentlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen widersprach seiner wirtschaftspolitischen Grundüberzeugung und entsprang der rein politischen Überlegung, wie der Radikalisierung entgegengetreten werden könne . Auch an seiner strikten Ablehnung der antisemitischen Agitation besteht kein Zweifel, selbst wenn er 1920 als bayerischer Handelsminister und 1923 als Staatssekretär in der Reichskanzlei für eine Verschärfung der Gesetze gegen den Zuzug von „Ostjuden“ eingetreten war .9 Am 26 . Januar 1932 wandte sich der jüdische Hamburger Kaufmann Jacques Meyer brieflich mit einer bitteren Klage über antisemitische Ausschreitungen an der Schule seiner Kinder an ihn und bat ihn darum, für Abhilfe einzutreten . Hamm leitete den Brief mit empfehlenden Worten über Meyer und dessen Tätigkeit im Reichsernährungsamt während des Ersten Weltkriegs an Reichsinnenminister Groener weiter, identifizierte sich in seinem Anschreiben ganz mit Meyers Anliegen, informierte diesen darüber und bekundete gleichzeitig deutlich seine Anteilnahme am Geschick der Familie Meyer . Groener antwortete, wie zu erwarten, mit dem Hinweis darauf, dass die Sache in die Kompetenz der Hamburger Behörden falle, versprach aber, dort vorstellig zu werden .10
in München, Nürnberg und Augsburg geplant, und beschwerte sich im Ton höchster Empörung in Berlin; der ganze Vorgang in: BayHStA, NL Hamm, 73 . 7 BayHStA, NL Hamm, 30 . 8 Brief Hamm an Karl Rothenbücher, 17 .2 .1924, in: BayHStA, NL Hamm, 32; als Augenzeugenbericht für dessen Publikation: Der Fall Kahr, Tübingen 1924, in: BayHStA, NL Hamm, 74 . 9 Vgl . oben S . 74 f . 10 Briefwechsel Jacques Meyer mit Eduard Hamm, 26 .1 .1932, 18 .1 .1932, 10 .2 .1932; Hamm mit Groener, 28 .1 .1932, 8 .2 .1932 . Hamm bezog sich in seinem Brief an Groener auch auf eine
1. Einschätzung Hitlers und der NSDAP 373
Im DIHT veranlasste Hamm im August 1932 eine Artikelserie über „Das Wirtschaftsprogramm des Nationalsozialismus“, mit der er seinen Mitarbeiter Karlheinrich Riecker beauftragte .11 Die Publikation entstand in enger Absprache zwischen Riecker und Hamm und erschien im Hausorgan des DIHT, der „Deutschen Wirtschafts-Zeitung“ . Riecker stützte sich für seine Analysen und Urteile auf einige Grundschriften der NS-Bewegung, darunter vor allem das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 mit seinen 25 Punkten, das „Wirtschaftliche Sofortprogramm“ vom 10 . Mai 1932, mit dem die NSDAP in den Sommerwahlkampf 1932 ging, sowie auf einzelne Reden und Artikel unter anderen von Gregor Strasser, Alfred Rosenberg, Joseph Goebbels und Gottfried Feder . Er wies dabei mehrfach auf die Vagheit der Aussagen, das Fehlen eines wirtschaftspolitischen Konzepts in Hitlers „Mein Kampf “ sowie auf die Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit vieler Zahlenangaben in den genannten Schriften hin und monierte, dass die „maßgeblichen Führer“ der Partei in ihren wirtschaftspolitischen Programmaussagen weithin uneins seien . Vieles sei „unklar“ und „rein gefühlsmäßig erfasst . Auch staatspolitisch und staatsrechtlich hat [die nationalsozialistische Bewegung; W . H .] bislang keine konkreten Pläne aufgestellt, über die rein gefühlsmäßige Auflehnung hinaus, die ihre Eigenart bildet, aber auf die Dauer nicht ausreicht“ .12 Riecker prangerte damit den populistischen Zug in den diffusen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der NS-Propagandisten an . Die einzelnen Punkte dieser Kritik müssen hier nicht ausführlich referiert werden; sie verstanden und verstehen sich bei Anhängern einer sozial eingehegten liberal-kapitalistischen Verkehrswirtschaft von selbst . Riecker konzentrierte sich auf einige Hauptfragen: den Stellenwert des Privateigentums, die Gegenüberstellung von Finanz- und Sachkapital und deren Behandlung, das Autarkietheorem und die Parole vom „Staat ohne Steuern“ . Er wies die Forderung nach Verstaatlichung „der bereits vergesellschafteten Betriebe (Trusts)“ und nach einer Sozialisierung der Banken zurück und kritisierte die Stoßrichtung der Programme gegen den Handel, dessen wirtschaftliche Leistung generell unterschätzt werde, sowie die grundsätzliche Ablehnung des Kredits als kenntnislos und anachronistisch .13 Selbstverständlich wandte sich Riecker auch gegen die agrarpolitischen Forderungen des Nationalsozialismus: Der
Verhandlung Groeners mit den Unterrichtsverwaltungen der Länder, in der über die Politisierung der Schulen gesprochen worden war; BayHStA, NL Hamm, 32 . 11 Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 39, Nr . 33, 18 .8 .1932, S . 781–784; Nr . 34, 25 .8 .1932, S . 807–810; Nr . 36, 8 .9 .1932, S . 857–860; Nr . 38, 22 .9 .1932, S . 906–910; Nr . 39, 29 .9 .1932, S . 928–931; Nr . 40, 6 .10 .1932, S . 955–960 . 12 Ebd ., Nr . 33, 18 .8 .1932, S . 781 . 13 Ebd ., Nr . 34, 25 .8 .1932, S . 809; Nr . 36, 8 .9 .1932, S . 857–860 .
374 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
Anteil der landwirtschaftlichen Produktion an Bruttosozialprodukt und Erwerbstätigkeit liege etwa bei einem Drittel dessen, was die industrielle Reinproduktion an Wert erzeuge . Der Bedarf an landwirtschaftlichen Erzeugnissen werde bereits jetzt weitgehend ohne Importe gedeckt . Eine Privilegierung der Agrarwirtschaft sei daher strikt abzulehnen . Die von den Nationalsozialisten geforderte Abschottung vom internationalen Agrarmarkt führe notwendigerweise dazu, dass sich die betroffenen Länder mit Schutzzöllen gegen den Import der deutschen Fertigprodukte zur Wehr setzen würden; dies wiederum werde angesichts des hohen Anteils der Industrieproduktion an der gesamten Wertschöpfung in Deutschland die Arbeitslosigkeit noch einmal verstärken . Die angestrebte Re-Agrarisierung Deutschlands werde das Volkseinkommen und Volksvermögen insgesamt massiv schädigen .14 Riecker nutzte auch die Gelegenheit, die von Gottfried Feder erhobene Forderung nach einem „Staat ohne Steuern“ ad absurdum zu führen, indem er unter anderem die Belastungen zusammenzählte, die allein die Erfüllung der sozialpolitischen Anträge der NSDAP-Fraktion im preußischen Landtag für den Haushalt bedeuten würde .15 Dass der ganze nationalökonomische Argumentationsaufwand der Artikelserie sich sehr bald als obsolet erweisen sollte, weil nach der Machtübertragung 1933 nichts aus diesem Ideenkonglomerat tatsächlich verwirklicht wurde, konnten weder der Autor noch der Herausgeber der Artikelserie zu diesem Zeitpunkt vorhersehen . Sie hielten sich an das, was an „Programmatik“ vorlag . Aus heutiger Sicht verdienen daher die Diktion der Artikel und die Bemerkungen über die geplante Wirtschaftsverfassung und das Gesellschaftsideal des Nationalsozialismus mehr Beachtung als die volkswirtschaftliche Kritik an den dilettantischen Programmaussagen . Riecker hat später darauf hingewiesen, dass ihn Hamm zu einer betont sachlichen Auseinandersetzung angehalten habe .16 Daraus erklärt sich wohl auch die durchgängige Argumentationsfigur des Einerseits-Andererseits, wie Ebd ., Nr . 39, 29 .9 .1932, S . 928–931 . Ebd ., Nr . 40, 6 .10 .1932, S . 955–958 . 16 Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42, S . 4 f . Völlig zu Recht wird den Hauptakteuren der Machtübertragung an Hitler der Vorwurf gemacht, dass sie sich mit der Programmatik Hitlers und der NS-Bewegung niemals ernsthaft auseinandergesetzt haben; vgl . Turner, Hitlers Weg, S . 236: Nichts deute darauf hin, dass einer der Beteiligten jemals „Mein Kampf “ gelesen oder auch nur jemanden konsultiert habe, der das Buch oder sonstige Programmschriften kannte, oder die Analysen von Experten im höheren Staatsdienst angefordert habe . Hamm verfuhr dagegen hier wie schon 1919/20 ganz anders, als er Programmschriften des Weltkommunismus durchgearbeitet hatte . Die Aktenpublikation zum Hitler-Putsch 1924 hat er mit dem Bleistift in der Hand durchgearbeitet, auch die Bibliographie zu seinem Vortrag über ständestaatliche Ideen verrät eine gründliche vorgängige Lektüre . 14 15
1. Einschätzung Hitlers und der NSDAP 375
man sie bei Hamm immer wieder antrifft . Sie verband hier die (Selbst-)Kritik eines manchesterlichen Wirtschaftsliberalismus mit Hinweisen auf die sozialliberalen Errungenschaften der Weimarer Republik . Von einem naturnotwendig vernünftigen Handeln des homo oeconomicus könne man keineswegs ausgehen . Das Axiom, man müsse nur den wirtschaftlichen Egoismus als Agens des Gemeinwohls freisetzen, bedürfe der Korrektur . Riecker griff auch aktuelle Beschwerden über Missmanagement und Verantwortungslosigkeit bei einzelnen Branchen oder Unternehmen auf und machte sie sich teilweise zu eigen . So wollte er, rund 14 Monate nach der Bankenkrise, „gewiß nicht behaupten, daß die Banken bei der Kreditgewährung stets das Richtige getroffen hätten . Daß sie in der Zeit einer geborgten Konjunktur kurzfristige Gelder für Investierungen verwendet haben, daß sie Kredite für das Vergnügungsgewerbe gegeben haben, während die Klein- und Mittelbetriebe unter schwerem Kapitalmangel litten, sind Fehlleistungen, die nur mangelhaft dadurch entschuldigt werden können, daß die Banken sich bei ihren damaligen Irrtümern in recht guter Gesellschaft befunden haben“ .17
Abschließend – und nach all der Kritik etwas unvermittelt – wies Riecker darauf hin, dass die NS-Autoren vielfach berechtigte Empfindungen und Wünsche aus der Bevölkerung aufgegriffen hätten . Es solle „nicht verkannt werden, daß die sittlichen Grundlagen des Nationalsozialismus zum Teil auf die besten Eigenschaften deutschen Menschentums“ zurückgingen; manches in der Motivation auch der wirtschaftlichen Forderungen dürfe nicht ohne Weiteres abgelehnt werden – so etwa die „Geringschätzung des Geldverdienens“, die an sich „Romantik, aber in gutem Sinn“ sei .18 Was auf den ersten Blick wie eine Captatio Benevolentiae aussieht und in der Würdigung der „sittlichen Grundlagen des NS“ auch eine weitgehende Konzession darstellt, verfolgte jedoch klare diskurspolitische Ziele . Im September und Oktober 1932 stand Deutschland zum zweiten Mal in diesem Jahr in einem Reichstagwahlkampf . Dass der Nationalsozialismus an der Basis des DIHT, bei den durchschnittlichen Mitgliedern der Kammern, den Inhabern klein- und mittelständischer Betriebe, inzwischen viel Resonanz gefunden hatte, lag auf der Hand .19 Diese in ihrem persönlichen und beruflichen Umkreis oft sehr einflussreichen Wähler sollten natürlich nicht verschreckt, sondern gewonnen werden . Es ging darum, die wirtschaftspolitischen Vorstellungen des Nationalsozialismus vor den Augen seiner potenziellen Wähler
Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 39, Nr . 36, 25 .8 .1932, S . 860 . Ebd ., Nr . 40, 6 .10 .1932, S . 960 . 19 Vgl . Turner, Großunternehmer, S . 224–256 . 17 18
376 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
zu entzaubern . Darauf deuten auch die einleitenden Bemerkungen darüber hin, dass der Nationalsozialismus „die weit überwiegende Mehrheit der früheren Wählerschaft der bürgerlichen Mittel- und Rechtsparteien sowie der in den letzten Jahren wahlfähig gewordenen Jungwähler an sich gezogen“ habe . Angesichts der neuen Stärke des Nationalsozialismus und des „in weiten politischen Kreisen vorhandenen Strebens, den Nationalsozialismus in der einen oder anderen Form zur praktischen Mitarbeit heranzuziehen“, gehe es nicht mehr an, sich mit den wenigen großen, schlagwortartig gefassten „Wunschzielen“ zufrieden zu geben, mit denen die junge Bewegung bisher ausgekommen sei .20 Mit knappen Worten legte Riecker dar, was auch die zeitgenössische Soziologie über die Sozialstruktur und den Bewusstseinszustand der NS-Anhänger ermittelt hatte: „Der wirtschaftliche Teil des nationalsozialistischen Programms beruht letzten Endes auf der Tatsache, dass Krieg und Inflation den alten Mittelstand, der noch zu Beginn des 20 . Jahrhunderts zwischen ‚Besitz‘ und ‚Masse‘ lag, nahezu vollkommen zerstört haben“ . Die Geldanlagen seien durch die Inflation weitgehend vernichtet, der städtische Hausbesitz, neben den Wertpapieren die zweite wichtige Vermögensgrundlage des Mittelstandes, zwar durch die Inflation weitgehend entschuldet, durch die Wohnungszwangswirtschaft und die Hauszinssteuer aber ebenfalls stark entwertet worden . Die soziale Aufstiegsmobilität sei stark zurückgegangen, die Kluft zwischen oben und unten „wenn nicht vergrößert, so doch schärfer sichtbar“ geworden .21 Es habe einige Jahre gedauert, „bis diese Entwicklung den Betroffenen voll zum Bewußtsein“ gekommen und eine durchaus verständliche antikapitalistische Einstellung entstanden sei . Mit diesen Beobachtungen reagierte der DIHT in seiner Verbandszeitschrift politisch erstaunlich deutlich auf den aktuellen „politisch blinden Antikapitalismus“,22 den die Nationalsozialisten so geschickt zu nutzen verstanden, etwa wenn Gregor Strasser im Reichstag am 10 . Mai 1932 von der „tiefen antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes“ sprach .23 Die
Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 39, Nr . 33, 29 .9 .1932, S . 781 . Vgl . die nach Inhalt und Titel klassisch gewordene Studie von Theodor Geiger: Panik im Mittelstand, in: Die Arbeit 7 (1930), S . 637–653; zur sozialen Zusammensetzung der NSDAPWählerschaft vgl . Falter, Hitlers Wähler, S . 285–289 . Die NSDAP war zwar eine „Volkspartei“, die als nationale und soziale Protestpartei alle Schichten der Gesellschaft ansprach, doch stellten die Mittelschichtwähler mit rund 40 % einen deutlich überproportionalen Anteil . Zu den Depossedierungs- und Entwertungserfahrungen im Gefolge von Inflation und Wirtschaftskrise zusammenfassend Mommsen, Aufstieg, S . 383–430 . 22 Ebd ., S . 366 . 23 Zit . nach Kissenkötter, Strasser, S . 83 . 20 21
1. Einschätzung Hitlers und der NSDAP 377
„Überbrückung der Kluft zwischen wenigen Besitzenden und einer übergroßen Masse von Nichtbesitzenden“ müsse daher heute als das „entscheidende Problem der deutschen Gesellschaftsordnung“ angesehen werden – eine bemerkenswert klare klassenpolitische Formulierung für die wachsende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft . Dass der so entstandene neue Antikapitalismus weniger der Linken als der extremen Rechten zugutekam, führte Riecker völlig zu Recht auf den teils tradierten, teils neuerdings verstärkten tiefsitzenden Nationalismus – die „nationale Gesinnung“ – des Bürgertums zurück .24 Aus der ganzen Analyse ergab sich für Riecker schließlich logisch das ständestaatliche Ideal, das den Nationalsozialisten vor Augen stehe und das im faschistischen Italien, zumindest auf dem Papier, verwirklicht worden sei . Für bestimmte Aspekte der wirtschaftlichen Selbstverwaltung zeigte Riecker großes Verständnis, was der Sympathie des DIHT seit 1931 für die Einrichtung einer berufsständischen Kammer entsprach .25 Die Grenze dieser Sympathie lag allerdings bei der völligen staatlichen Stillstellung des Tarifkonflikts durch das Verbot jeglichen Arbeitskampfes und der zwangsweisen Regulierung durch den Staat bzw . „eine einwandfrei nationalsozialistische Persönlichkeit“ . Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände würden so zu staatlichen Behörden, auf deren Ernennung und Abberufung beide Tarifparteien keinen rechtlichen Einfluss hätten . „In dem nationalsozialistischen Programm ist der allmächtige ‚totale‘ Staat Wirklichkeit, die wirtschaftliche Selbstverwaltung eine Form“ .26 Dieser eine Programmpunkt in der NS-Ideenwelt wurde in der „Deutschen Arbeitsfront“ tatsächlich verwirklicht . Die präziseste Auskunft über Hamms Einschätzung des Nationalsozialismus findet sich in einem Brief vom 6 . September 1932 an den Vorsitzenden der BVP und späteren ersten Finanzminister der Bundesrepublik, Fritz Schäffer .27 Schäffer befand sich gerade in Berlin, um Besprechungen über die Reichsreformpläne der Regierung Papen/von Gayl zu führen . Die süddeut-
Deutsche Wirtschafts-Zeitung, Jg . 39, Nr . 40, 6 .10 .1932, S . 959 . Ebd ., S . 958 f . 26 Ebd ., S . 959 . Im Nachlass Hamms fanden sich zahlreiche Zeitungsausschnitte zur Entstehung der DAF, leider nur mit Unterstreichungen, nicht mit Randbemerkungen . Sie waren alle eingelegt in die Broschüre von Ernst Rudolf Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934 (im Besitz des Autors) . 27 Hamm an Schäffer, Abschrift, 6 .9 .1932, in: BayHStA, NL Hamm, 86 . Diesen Briefentwurf schickte Hamm an Gessler und bat ihn um eine telefonische Rückäußerung dazu . Den Aufhänger für diese nicht durch irgendein konkretes Ereignis motivierte Äußerung über die Gefahren einer NS-Regierung und legale Möglichkeiten, sie trotz der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag zu verhindern, bot die Berliner Reaktion auf die Denkschrift der bayerischen Regierung Held vom 20 .8 .1932; AdR, Papen, Bd . 1, Dok . 108, S . 421–431 . 24 25
378 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
schen Länder und insbesondere Bayern fürchteten tiefe Einschnitte in die föderale Reichsstruktur . Hamm berichtete Schäffer von seinem Eindruck aus Gesprächen mit dem – bayerischen – deutschnationalen Reichsjustizminister Franz Gürtner, dass die Regierung Papen offenbar bereit sei, die Reichsreform „im Einvernehmen mit den süddeutschen Ländern“ durchzuführen . Wichtiger war ihm aber in diesem Schreiben, vor einer möglichen Regierungsbeteiligung bzw . vor Koalitionsregierungen mit Einschluss der NSDAP im Reich und in Bayern zu warnen . Staats- und wirtschaftspolitisch sei eine solche Zusammenarbeit „vom Standpunkt einer konservativ-demokratischen und bürgerlichen Staats- und Wirtschaftsauffassung“ aus nicht zu verantworten . Eine Einigung sei nur auf der Grundlage „unverhohlen sozialistischer Forderungen mit einem mehr oder weniger staatskapitalistisch oder staatssozialistisch gedachten Ankurbelungs- und Beschäftigungsprogramms“ möglich, selbst bei Einschluss mittelständischer Interessen . Hamm kritisierte hier auch bereits vorwegnehmend das „Querfront“-Konzept Kurt von Schleichers: „eine Gemeinschaftslinie Strasser – Imbusch [des Vorsitzenden der Christlichen Gewerkschaften; W . H .] […] wäre für unser Wirtschaftsleben ungeheuer gefährlich“ . Noch dringlicher malte Hamm aber die macht- und verfassungspolitische Gefahr einer Regierungsbeteiligung des Nationalsozialismus aus: „staatspolitisch würde eine Einigung zwischen Zentrum und Sozialisten“ – gemeint sind hier vorrangig die Nationalsozialisten – „nur durch stärkste Konzessionen an die Omnipotenz des Staates möglich sein .“ Daran änderten auch gewisse Übereinstimmungen in der „berufsständischen Ideologie“ zwischen politischem Katholizismus und Nationalsozialismus nichts . Binnen kurzer Zeit würde eine solche Koalition „wahrscheinlich mit dem Verdrängen des Zentrums aus dem Regierungseinfluß und mit dem Streben der Nationalsozialisten enden […], die Macht ausschließlich für sich festzuhalten“ . Den Einwand, „dass es geschichtlich notwendig sei, die Nationalsozialisten an der Verantwortung zu beteiligen, um ihre staatspolitische Eignung oder Nichteignung zu erweisen“, ließ Hamm nicht gelten . Gerade nach den Ereignissen der letzten Wochen – gemeint sind wohl vor allem die Wiederzulassung der SA und die bürgerkriegsartigen Gewaltexzesse im „Terrorwahlkampf “ Juni/Juli 1932 – könne es „sehr zweifelhaft sein, ob für eine solche Probe es noch einer Ausfolgung der Staatsgewalt bedarf “ .28
Nach der Aufhebung des SA-Verbots Mitte Juni 1932 kam es bis zum Monatsende zu 17 politisch motivierten Morden . Der Juli brachte 86 Tote und hunderte Schwerverletzte, hauptsächlich Nationalsozialisten und Kommunisten . Dem sog . „Blutsonntag von Altona“ am 17 .7 .1932 fielen 18 Menschen zum Opfer, 64 wurden verletzt . Auch nach der Reichstagswahl setzte sich die Terrorwelle fort, wobei jetzt eindeutig die SA-Gewalttaten die der Kom-
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2. Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm 379
Hamm teilte die bei den meisten Unternehmern noch vorherrschende Sorge vor der sozialistischen Komponente des Nationalsozialismus und hielt auch, wie die meisten deutschen Bürger, Teile der NSDAP und ihrer Wähler vor allem aus nationalpolitischen Gründen für „wertvoll“ . Den unbedingten Machtwillen der NS-Führung und vor allem Hitlers und die zu erwartende Zerstörung der Weimarer Verfassung sah er aber mit Bestimmtheit voraus . Sollte der Reichstag nach einer neuerlichen, von Hamm zu diesem Zeitpunkt – sechs Tage nach der konstituierenden Sitzung des neuen Reichstags – allerdings nicht erwarteten, Reichstagauflösung wirklich nur noch negative Mehrheiten zustande bringen, dann träte eine „echte Verfassungslücke“ auf . Also müssten dann „die anderen Träger der Reichsgewalt, Reichspräsident und Reichsrat, die notwendigen Maßnahmen treffen, bis die Überwindung der schwersten Wirtschaftskrise zu einem Wiedereinlenken der Gemüter in Staatsauffassungen führt, aus denen heraus eine positive, die Staatsnotwendigkeiten bejahende, Mehrheit bei den Wahlen in Aussicht stünde“ . Hamm bekannte sich in diesem Brief zur „Demokratie“, wenn auch jetzt in einer in ihren Zielen „konservativen“ Fassung . Das setzte die Fortgeltung der Weimarer Verfassung voraus – jedenfalls ihrer eigentlichen Grundlage, der egalitären Partizipation, und in ihrer unbedingten Rechtsstaatlichkeit . Auch die Rede von der „Verfassungslücke“ deutet darauf hin, dass er ganz auf dem Boden der Weimarer Reichsverfassung stand, zumal er in dieser „Lücke“ auf ein subsidiäres Handeln der beiden funktionsfähig gebliebenen Exekutivbzw . Legislativorgane, Reichspräsident und Reichsrat, setzte . Jedenfalls deutete er hier noch die Lage als Übergangssituation, bevor nach der Genesung vom Radikalismus auch der Reichstag seine Aufgaben wieder wahrnehmen könne . Zwei Monate später war der Ton dann auf eine weitergehende Umbildung der Verfassung gestimmt . Hinweise auf ein autoritäres „Verfassungsmodell“ im Sinne der „neuen Rechten“ um von Papen, des „Tat“-Kreises oder anderer Intellektueller der „konservativen Revolution“ gibt es aber weder hier noch dort .
2. Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm
Die Vorgänge beim Ausscheiden Hamms aus seinem Amt als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT lassen sich wegen der ungünstigen Quellenlage nur teilweise rekonstruieren . Allerdings erlauben die nachträglichen
munisten übertrafen; Winkler, Weimar, S . 493, 507; zu Ursachen, Organisation und Formen der SA-Gewaltausübung vgl . u . a . Reichardt, Kampfbünde; Ders ., Gewaltpolitik .
380 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
Berichte von Hamms engsten Mitarbeitern und die Korrespondenz von Paul Reusch einen recht genauen Einblick in das Geschehen bei der Gleichschaltung des DIHT .29 Unmittelbar vor der Machtübertragung an Adolf Hitler unternahmen die beiden Geschäftsführer von DITH und RDI, Hamm und Kastl, noch einen verzweifelten Versuch, eine Kanzlerschaft Hitlers oder eine neue Regierungsbildung durch von Papen unter Einschluss Hitlers zu verhindern . In einem gemeinsamen Schreiben an Hindenburgs Staatssekretär Meissner warnten sie am 28 . Januar 1933 vor einem neuerlichen Regierungswechsel . Eine Erholung der Wirtschaft und eine Beruhigung des Volkes seien nur möglich, wenn die „fortgesetzten Beunruhigungen durch politische Krisen“ aufhörten .30 Nach dieser erfolglosen Intervention im Reichspräsidialamt besprachen sich die Vertreter der Spitzenverbände bereits am 31 . Januar, dem Tag nach Hitlers Amtsantritt, über das weitere Vorgehen . Außer Hamm und Kastl waren dies Otto Bernstein (Centralverband des deutschen Bank- und Bankiersgewerbes), Otto Keindl (Reichsverband des deutschen Groß- und Überseehandel) und Joachim Tiburtius (Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels) . Sie einigten sich darauf, vorläufig nicht um eine Audienz bei Hitler oder Hugenberg zu bitten, um, so Kastl, den Eindruck zu vermeiden, „als ob wir uns in irgendeiner Form anwerfen wollten“ .31 Allerdings schickte Eduard Hamm für den DIHT schon einen Tag später, am 1 . Februar 1933, eine Denkschrift an den neuen Reichskanzler und sein Kabinett, in der er die Positionen und Erwartungen des DIHT, wie sie am 31 . Januar im Hauptausschuss festgelegt worden waren, für die zukünftige Politik zusammengefasst darlegte . Sie liefen auf die Forderung hinaus, die bisherige Wirtschaftspolitik im Wesentlichen beizubehalten . Den Autarkie- und Schutzzollforderungen der Agrarlobby dürfe auf keinen Fall nachgegeben werden . Die Steuergutscheine sollten beibehalten und die Hauszinssteuer schon deshalb gesenkt werden, weil auf diese Weise im Mittelstand Realwerte wiederhergestellt und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden könnten . Ausdrücklich befürwortete Hamm die „öffentliche Arbeitsbeschaffung“ – allerdings nur in einem Umfang, der die freie Entfaltung der Privatwirtschaft und die Stabilität der Währung nicht beeinträchtige . Deutlich zu spüren ist in dem Memorandum die Furcht vor staatskapitalistiDie bisher genaueste Rekonstruktion der Vorgänge mit Hilfe der Reusch’schen Korrespondenz bei Langer, Macht, S . 579–583 . 30 Zum Telegramm von Hamm und Kastl an Meissner vgl . Winkler, Weimar, S . 586 . 31 Zitat Kastl in: Neebe, Industrie, S . 158; vgl . auch im Folgenden ebd ., S . 155–176 (beschäftigt sich allerdings hauptsächlich mit dem RDI und nur am Rande mit dem DIHT); Wengst, Reichsverband, S . 94–110 . 29
2. Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm 381
schen Tendenzen, obwohl Hamm sichtbar bemüht war, sie nicht offen auszusprechen . Wichtig seien Garantien für die „Rechtssicherheit“ – womit Hamm auch die neue Regierung an den notwendigen Schutz der Gläubiger für die weithin bankrotten ostelbischen Großagrarier erinnerte . Konzessionen an die Ideologie der Regierung Hitler/Hugenberg machte Hamm in diesem Schreiben allenfalls rhetorisch, indem er mit leichter sprachlicher Anpassung seinen und seiner Klientel Wunsch aussprach, dass jetzt eine „starke Regierung neben einer Staatspolitik der Überbrückung der Parteigegensätze und der Herausbildung aller aufbauwilligen Kräfte ein zielklares wirtschaftspolitisches Programm“ verfolgen möge . Sehr weit ging allerdings auch das rhetorische Entgegenkommen nicht, denn es war nur allzu klar vorherzusehen, dass die Strategie der neuen Regierung gerade nicht auf die „Überbrückung der Parteigegensätze“ zielte, sondern auf deren – notfalls gewaltsame – Beseitigung zugunsten eines totalitären Regimes . Die „Erhaltung eines lebensstarken Deutschtums im Ausland“ – eine Formulierung, die man zu den Konzessionen rechnen könnte – hatte dagegen seit jeher auf der linksliberalen Agenda gestanden . Und auch die Fortführung der „Verwaltungs- und Staatsreform“, die Hamm einforderte, zielte nicht auf Gleichschaltungen auf allen Ebenen, sondern auf ein – nunmehr eher stärker als zuvor betontes – „gesundes Eigenleben in lebenskräftigen Ländern und in der Selbstverwaltung“ . In der Sozialpolitik schrieb Hamm nur die Standardwünsche des DIHT aus den letzten Jahren fort: die „Aufrechterhaltung der Sozialversicherung in ihrem Grundkern“ – das heißt also mit möglichst weitgehenden Einsparungen; die „möglichste Zusammenfassung der Arbeitslosenhilfe“ – das heißt ihre Rückführung auf das Fürsorgeniveau; und eine „Auflockerung“ des „Tarifvertragswesens“ zur stärkeren Berücksichtigung von „Sonderverhältnissen“ – das heißt gerade nicht seine Beseitigung .32 Am 9 . Februar 1933 kam es dann zu einer ersten Begegnung zwischen Industrievertretern und dem neuen Wirtschafts- und Ernährungsminister Alfred Hugenberg von der DNVP . Dabei sprachen sich Kastl, Hamm, Silverberg und Frowein – letzterer für die Internationale Handelskammer – erneut gegen die von der Landwirtschaft gewünschte Einführung von Handelskontingenten aus . Zudem wies Hamm auf die Gefahren für die Beschäftigungslage bei einer Schwächung der Exportindustrie hin .33 Am 10 . und 12 . Februar ließ dann der RDI jeweils kurz verlauten, dass die Stellungnahme der Industrie zur neuen Regierung ganz von deren wirtschaftspolitischen Maßnahmen ab-
Schreiben Hamms an den Reichskanzler und die Mitglieder der Reichsregierung, 1 .2 .1933, in: BArch, R 2, 18659, Bl . 1–8 . 33 Neebe, Industrie, S . 159 . 32
382 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
hänge . Der Reichsverband hielt sich also politisch bedeckt, deutete aber seine Distanz zur erwarteten neuen Finanz- und Währungspolitik an . Große Unruhe in der gesamten Wirtschaft löste die Entlassung von Reichsbankpräsident Luther am 16 . März 1933 aus, der als Garant einer soliden Haushalts- und Währungspolitik galt .34 Bereits zwei Wochen vorher, am 1 . März, war Hamm in einer Vorstandssitzung des DIHT mit verhaltener, aber unmissverständlicher politischer Kritik am neuen Regime hervorgetreten . Wie nicht anders zu erwarten, ging Hamm dabei zunächst auf die wirtschaftspolitischen Auspizien der Regierung Hitler/Hugenberg ein – wobei zu beachten ist, dass sich im ersten Monat der neuen Koalitionsregierung die Aufmerksamkeit der Wirtschaft vor allem auf den „bürgerlichen“ Superminister und Wirtschaftsfachmann Hugenberg richtete, von dem man erwartete, dass er staatssozialistischen Forderungen aus der NSDAP entgegentreten werde . Wenn Hamm dann aber davon sprach, dass die „schwerste Belastungsprobe“ noch bevorstehe – dann nämlich, wenn „Verfassungsänderungen als notwendig gefordert würden“ –, dann betraf die Besorgnis Hamms nicht nur die Politik der bürgerlichen Minister und die sozialrevolutionären Tendenzen des linken Flügels der NS-Bewegung – das „Drängen starker Kräfte nach Kollektivismus“ –, sondern die Verfassungspolitik und das Rechtsbewusstsein der Regierung Hitler insgesamt .35 Hamm, „ein Berliner Insider“, warnte hier vor den „kommenden Entwicklungen“ und forderte „die im DIHT organisierten Unternehmer dazu auf, ihre Einflußmöglichkeiten auf die Politik der NS-Regierung schleunigst zu nutzen“ .36 Trotz seiner unmissverständlichen Ablehnung der NS-Bewegung und ihres Antisemitismus trat Hamm allerdings auch nach dem Judenboykott vom 1 . April 1933 und nach dem wesentlich gegen Juden im Staatsdienst gerichteten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7 . April 1933 zunächst nicht zurück . Beide Ereignisse signalisierten – neben dem Terror gegen die Linke und neben der systematischen Einschüchterung der Republikanhänger – den Übergang zu einem Unrechtsstaat deutlich genug . Hamms vorläufiges Festhalten an seinem Amt lag sicher weniger darin begründet, dass es im neuen Regierungsapparat mehrere Versuche gab, Hamm zur Mitarbeit im neuen Staat zu bewegen – im Wissen darüber, dass der Nationalsozialismus für die künftige Regierungsarbeit deutlich mehr wirt-
Zur Neuausrichtung der nationalsozialistischen Wirtschafts-, Währungs- und Handelspolitik vgl . jetzt Banken, Achillesferse, S . 111–184; Herbst, Deutschland, S . 119–129 . 35 Niederschrift der Sitzung des Vorstandes des DIHT vom 1 .3 .1933, zit . nach Langer, Macht, S . 580 . 36 Ebd . 34
2. Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm 383
schaftspolitische Kompetenz benötigen würde als bisher . Eine solche Mitarbeit hätte seinen Eintritt in die NSDAP vorausgesetzt, die Hamm strikt ablehnte .37 Vielmehr wollte er nach Aussage seiner Mitarbeiter so weit als möglich „sein Werk“ retten – die Formung des DIHT in seinem Sinne . Außerdem hoffte er bis auf Weiteres, dass sich die gemäßigteren Kräfte im neuen Regime durchsetzen würden .38 Dabei dürfte er sich schon im Februar und März 1933 darüber klar geworden sein, wie gefährdet seine eigene Position im DIHT war . Ungeachtet seiner strikten Ablehnung der NSDAP äußerte er sich in seiner öffentlichen Stellungnahme in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ am 1 . November 1933 noch durchaus hoffnungsvoll über den „bevorstehenden Neuaufbau des Reiches“ und seine Folgen für die Wirtschaft . Die Brücke von den spezifisch deutschen Traditionen in die Zukunft sah er wohl in der ursprünglichen, liberalen Fassung des „Volksgemeinschafts“-Gedankens, so wie er in den Anfangsjahren der Republik von der DDP formuliert worden war .39 Jetzt sprach er vom „deutschen Sozialismus der Gemeinschaft, der Schätzung jeder Arbeit, der Einordnung persönlichen Gewinnstrebens in Gemeinwohl und Gemeinnutz“ – vermied aber offenkundig den Begriff der „Volksgemeinschaft“, der inzwischen ganz vom Nationalsozialismus besetzt war .40 Im RDI begann der Gleichschaltungsprozess am 23 . März, als der bis dahin im Verband weitgehend einflusslose Hitler-Anhänger Fritz Thyssen heftige Vorwürfe gegen den bisherigen Vorstand als „Schleppenträger“ des bisherigen Systems erhob .41 Im nächsten Schritt erschien am 1 . April 1933, dem Tag des Judenboykotts, der Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung in der Reichsleitung der NSDAP Otto Wagener in der Geschäftsführung des RDI und verlangte den sofortigen Rücktritt Ludwig Kastls sowie der sonstigen „Mitglieder jüdischer Rasse“ aus dem Präsidium .42 Am 8 . April 1933 berich-
Vgl . Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42, S . 4: „Doch konnten alle Bemühungen seitens führender Wirtschaftspolitiker der NSDAP nichts an Hamms Entschlossenheit ändern, im Grundsätzlichen nicht die geringste Konzession zu machen und vor allem keinen Schritt über die Schranken hinaus zu tun, die ihm sein Gewissen zog“ . 38 Vgl . ebd ., S . 4 . 39 Vgl . Hardtwig, Volksgemeinschaft; zur nationalsozialistischen Handhabung des Konzepts „Volksgemeinschaft“ vgl . u . a . Wildt, Volksgemeinschaft; Bajohr/Wildt, Volksgemeinschaft; Aufriss des Forschungsstandes zuletzt bei Steber/Gotto, Visions; Diskussion von Steber u . a ., Volksgemeinschaft . 40 Eduard Hamm: Recht und Wirtschaft, in: Deutsche Juristen-Zeitung 38 (1933), S . 1402– 1410, Zitat S . 1410 . 41 Zit . nach Neebe, Industrie, S . 165; vgl . auch Wengst, Reichsverband, S . 94–110 . 42 Gemeint waren Silverberg, Kraemer, Konrad Piatscheck, Edmund Pietrkowski, von Simson und Walter Sobernheim . Die Aktion fand genau zu der Zeit statt, als Krupp und Sie37
384 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
tete Paul Reusch Eduard Hamm brieflich darüber und erklärte sich mit dieser „Entwicklung der Dinge“ im Reichsverband „durchaus nicht einverstanden“ . Gleichzeitig wurde der jüdische Präsident der IHK Köln und DIHT-Vorstand Paul Silverberg aus dem Amt gedrängt . Hamms eigene Position im DIHT hatte sich in den letzten Monaten deutlich verschlechtert . Der neue Präsident Bernhard Grund verfügte nicht über dieselbe Autorität wie sein Vorgänger Franz von Mendelssohn . Eine enge persönliche Bindung zwischen Präsident und Geschäftsführer wie bei Mendelssohn und Hamm bestand nicht . Grund war seit seinem DDP-Austritt in der „Schiffer-Krise“ 1924 nach rechts gerückt, hatte aber im Sommer 1931 die gemäßigte sozialpolitische Linie des DIHT noch einmal bekräftigt . Hamm hatte ihn zu der letzten, von ihm selbst geleiteten Sitzung des Abegg-Kreises im August 1931 mitgenommen, hatte also noch auf Grunds liberaldemokratische Grundüberzeugung vertraut . Hamms enger Mitarbeiter Riecker äußerte im Nachhinein (1946) die Vermutung, Hamm sei sich schon im November 1932 „innerlich wohl längst darüber klar“ gewesen, „daß die Gegner des Nationalsozialismus auf verlorenem Posten kämpften und keine Schonung zu erwarten hätten“ .43 Jetzt stellte sich jedenfalls heraus, dass sich Grund bereitwillig zum Helfer bei der Gleichschaltung des DIHT machte . Am 3 . April 1933, drei Tage nach dem Juden-Boykott, verkündete er in der Vorstandssitzung des DIHT, er habe Hitler bei einem Gespräch „die freudige Mitarbeit der Handelskammern zum Wiederaufbau der Wirtschaft und des Staates versprochen“, und bat anschließend darum, „mit Rücksicht auf die schwierigen Verhältnisse auf jede Art der Diskussion“ zu verzichten . Seit Hitlers Regierungsantritt war auch die Position des langjährigen Vorstandsmitglieds Witthoefft, eines Hamburger Kaufmanns und ehemaligen Senators, stärker geworden, der weit rechts stand und wohl der einzige wirkliche Gegner Hamms im Vorstand des DIHT war . Bei vielen Gelegenheiten hatte er vorsichtig, aber doch unverkennbar, gegen den Kurs von Hamm opponiert . Die für den 4 . April turnusgemäß einberufene Vollversammlung, für die der Leipziger Oberbürgermeister, Reichssparkommissar und spätere Kopf des bürgerlich-konservativen Widerstands Carl Friedrich Goerdeler als Hauptreferent vorgesehen war, ließ Grund „aus Zweckmäßigkeitsgründen“ ausfallen . Ende April machte sich Grund die „Anregung“ aus dem Reichswirtschafts-
mens im Auftrag des RDI mit Hitler in der Reichskanzlei verhandelten; vgl . Neebe, Industrie, S . 167 f . 43 Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42, S . 4 .
2. Der DIHT nach der Machtübertragung an Hitler und der Rücktritt von Hamm 385
ministerium zu eigen, dass alle Vorstandsmitglieder zurücktreten sollten, um die „Erneuerung der Industrie- und Handelskammern durch Neu- bzw . Ersatzwahlen“ zu ermöglichen . Bis dahin sollten der Präsident und die Vizepräsidenten die Geschäfte führen . Vizepräsident Reusch, der sich am 8 . April gegenüber Hamm über die Vorgänge im RDI noch entrüstet gezeigt hatte, erklärte Grund, den er persönlich wenig achtete, sein volles Einverständnis mit diesem Vorgehen, wobei ihm absolut klar gewesen sein musste, dass Hamm bei dieser Gelegenheit über die Klinge springen würde .44 Aus der ungeliebten Vorstandsposition im DIHT strebte er ohnehin heraus . Auch in der Geschäftsführung des DIHT gab es plötzlich „Unruhe“ – so Grund gegenüber Reusch am 10 . Mai 1933 bei einem abendlichen Gespräch, bei dem er Reusch mitteilte, er habe deswegen Hamm „in Urlaub“ schicken müssen . Diese Unruhe war die Folge einer „widerlichen Intrige“, so Hamms Mitarbeiter Riecker, die Hamm angesichts der fehlenden Unterstützung im Präsidium keinen Ausweg ließ, als zurückzutreten . „Ein überzeugter Nationalsozialist“ in der Geschäftsführung hatte das Gerücht in Umlauf gebracht, Hamm habe in der Revolution 1918/19 in München mit Kurt Eisner zusammengearbeitet – eine zweckmäßige Verdrehung der Tatsache, dass Hamm in den kritischen ersten Monaten der Münchner Revolution sowohl Eisners Separatismus wie auch seinen Sozialisierungsideen entgegengetreten war .45 Von der Intrige zu profitieren gedachte auch der Präsident der Handelskammer Bochum und DVP-Reichstagsabgeordnete Otto Hugo . Er bat Reusch noch in dessen Eigenschaft als DIHT-Vizepräsident, sich für ihn beim NSWirtschaftsbeauftragten Wagener einzusetzen, damit nicht „als Nachfolger von Herrn Hamm ein gänzlich unerfahrener, mit Handelskammern niemals befaßter Vertrauensmann als Kommissar für den Industrie- und Handelstag“ bestellt werde .46 Reusch wiederum erklärte laut eigener Darstellung im Gespräch mit Grund am 10 . Mai, „in dieser Gesellschaft nichts mehr zu tun“ zu
So die Rekonstruktion der Vorgänge bei Langer, Macht, S . 580 f, die Zitate dort nach den Rundschreiben des DIHT an die Vorstandsmitglieder vom 16 .3 ., 19 .3 ., 1 .4 ., 25 .4 .1933, sowie Brief von Paul Reusch an Grund, 26 .4 .1933; vgl . allgemein Scholtyseck, Eliten . 45 Dr . Riecker: Reichsminister a . D . Dr . Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag, in: BayHStA, NL Hamm, 42, S . 4 f; Siegert, Würdigung, S . 3; laut Riecker schloss sich dem Gerüchtestreuer „die Masse der Lakaiennaturen an, die das, was Hamm qualitativ und quantitativ von ihnen verlangte, als unbequem empfanden und gerne die Gelegenheit ergriffen, einen für nachlässige Arbeiter lästigen Vorgesetzten loszuwerden“ . 46 Der Bevollmächtigte von Reusch in dessen Berliner Büro, Martin Blank, an Reusch, 12 .5 .1933, zit . nach Langer, Macht, S . 582 . 44
386 XI. Hamms Kampf gegen den Nationalsozialismus
haben, und trat am Tag darauf ohne Angabe von Gründen vom Vizepräsidentenamt zurück .47 Der Ablauf der gegen Hamm persönlich gerichteten Intrige im DIHT erscheint wie die wortwörtliche Durchführung jenes Drehbuchs, das Otto Wagener allen NS-Anhängern in wirtschaftspolitisch relevanten Positionen zweieinhalb Jahre zuvor empfohlen hatte . Die Zeit sei gekommen, so hatte er in einem Rundschreiben am 13 . September 1931 wissen lassen,48 „dem Gefüge der industriellen Verbände zu Leibe“ zu rücken . Diese Verbände seien bekanntlich die „Hauptstütze der Deutschen Volkspartei“ und hätten diese auch mit ihrem gesamten Apparat gefördert . Satzungsgemäß seien sie zwar überparteilich, aber durch die „wirtschaftliche Not des Augenblicks und die nationalsozialistische Propaganda“ sei nun in diese Verbände „ein politisches Moment“ hineingetragen worden . Man diskutiere dort jetzt die NS-Politik, wodurch zwei Lager entstanden seien . Das eine stehe für die „liberalistische und kapitalistische Wirtschaftsordnung“ und behaupte bis jetzt noch den größten Einfluss . Diese „Leute der alten Auffassung“ müssten jetzt durch „Leute unserer Gesinnung ersetzt werden“ . Das dazu geeignete Mittel sei in erster Linie „Aufklärung“ – was hier nichts anderes heißt, als in den einschlägigen Gremien und Versammlungen immer wieder auf die „Fehler des jetzigen Systems und auf die Richtigkeit aller unserer Voraussagen und unserer Ziele hinzuweisen“ . Der zweite Weg sei, „in die industriellen Verbände dadurch Unzufriedenheit hineinzutragen, dass man gewisse Vorgänge der Vergangenheit und der Gegenwart aufdeckt, wie sie bisweilen bekannt werden, die die Stellung der einzelnen augenblicklichen Führerpersönlichkeiten untergraben“ . Wenn erst „die Macht der Liberalisten in den Wirtschaftsverbänden“ beseitigt sei, werde man damit auch den Einfluss der liberalen Parteien beseitigen – und darauf komme es im Augenblick an . Abschließend bat Wagener die Gauleiter, die Gau-Wirtschaftsreferenten und die Wirtschaftsredakteure der NS-nahen Zeitungen, in diesem Sinne baldmöglichst eine „großzügige Propaganda zu beginnen“ . In Hamms Vergangenheit hatte man ein einschlägiges „Delikt“ gefunden . Aber auch Grunds Politik der vorauseilenden Unterwerfung unter die NS-Instanzen nutzte weder ihm noch dem Verband . Bereits wenige Tage später musste Grund selbst gehen, womit die Gleichschaltung auch des DIHT abgeschlossen war .
Reusch an Witthoefft, IHK Hamburg, 15 .5 .1933, zit . nach Langer, Macht, S . 581 . Auch im Folgenden Rundschreiben der wirtschaftspolitischen Abteilung der Reichsleitung der NSDAP, 13 .9 .1931, in: Maurer/Wengst, Politik, Bd . 2, Dok . 310 .
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XII. Im Widerstand 1. Leben im Abseits 1933–1944
M
it dem Ausscheiden aus dem DIHT und dem Umzug nach München knapp drei Jahre später begann für Eduard Hamm ein neuer Lebensabschnitt . Die Umstellung von einem überaus aktiven Leben nahe an den Berliner Schaltstellen der Politik zur erzwungenen Untätigkeit fiel ihm schwer, doch bemühte er sich, sie klaglos zu ertragen . Im Herbst 1933 begann der 54-Jährige mit dem Aufbau einer neuen beruflichen Existenz . Er lernte Maschinenschreiben und beantragte bei der Berliner Rechtsanwaltskammer seine Zulassung als Anwalt . Da seine Einstellung zum Nationalsozialismus allgemein bekannt war, sondierte er zunächst über den früheren bayerischen und jetzigen Reichsjustizminister Franz Gürtner, ob er mit Widerständen zu rechnen habe .1 Dieser Vorgang wirft ein symptomatisches Schlaglicht auf die komplexen und vielfach widersprüchlichen Beziehungen zwischen Akteuren, die politisch in unterschiedlichen Lagern standen, sich persönlich aber mehr oder weniger gut kannten – eine Problemlage, wie sie uns im „Dritten Reich“ in unterschiedlichsten Konstellationen zahlreich begegnet . Gürtner fühlte in Sachen Hamm am 6 . Dezember 1933 beim preußischen Justizminister Hanns Kerrl und beim Staatssekretär und Leiter der Personalabteilung im Preußischen Justizministerium Roland Freisler vor und notierte danach: „Eindruck, kein Hindernis“ . Am 8 . Dezember 1933 sprach Gürtner noch einmal mit Freisler und notierte: „Wird keine Schwierigkeiten machen“ .2 Die
Korrespondenz zwischen Hamm und Gürtner, November/Dezember 1933, in: BArch, R 3001, 24109, Bl . 175–183 . 2 Notizen Gürtners auf Schreiben Hamm an Gürtner, 2 .12 .1933, ebd ., S . 183; den Hinweis auf diesen Vorgang verdanke ich Manuel Limbach . Dass Gürtner am 13 .5 .1934 gemeinsam 1
388 XII. Im Widerstand
Rechtsanwaltskammer nahm Hamm zwar auf, doch wartete er vergeblich auf Aufträge . Am 18 . November 1934 schrieb er an den abgesetzten ehemaligen DIHT-Präsidenten Bernhard Grund, dass er bis jetzt außer von einem persönlichen Freund [Clemens Lammers; W . H .] noch kein Mandat erhalten habe .3 Daran änderte sich zunächst auch nichts, sodass Hamm in der Hoffnung auf günstigere Verhältnisse in seiner bayerischen Heimat im Oktober 1936 nach München umzog . Zwischen 1934 und 1936 wandte er sich mehrfach an den, wie er meinte, ihm nahestehenden Paul Reusch mit der Bitte, sich nach einer Beschäftigungsmöglichkeit umzutun . Die Briefe Hamms an Reusch zeigen einigermaßen erschütternd, in welche Bittstellerlage das ehemalige Vorstandsmitglied des DIHT geraten war . Hamm zählte auf, auf welchen Feldern er sich kompetent und sofort einsatzfähig fühlte .4 Reusch versprach, „wegen einer Beschäftigung Ihrer Person“ auch mit dem inzwischen allmächtigen Hjalmar Schacht zu sprechen, der schon zugesagt habe, „sich gegebenenfalls Ihrer zu erinnern“, und zwar für die „eine oder andere ehrenamtliche Tätigkeit“ .5 Einmal mehr zeigte sich Reusch ziemlich gleichgültig gegenüber dem Schicksal naher Bekannter im „Dritten Reich“, wie auch schon bei der Gleichschaltung des DIHT .6 Hamm selbst musste es als bittere Ironie empfinden, dass er seinerseits zur gleichen Zeit von dem ehemaligen Reichspostminister Georg Schätzel (BVP) aufs Dringlichste genau mit derselben Bitte um eine Empfehlung – hier ausgerechnet bei Franz von Mendelssohn – angegangen wurde .7 Mit dem Ausscheiden aus dem DIHT im Mai 1933 verschlechterte sich auch Hamms finanzielle Lage dramatisch . Bis September 1933 wurde das Monatsgehalt von insgesamt 2 .346,65 RM noch weitergezahlt, ab Oktober gingen vom DIHT monatlich nur noch zwischen 225 und 250 RM ein . Die Ruhebezüge von Land und Reich beliefen sich auf rund 800 RM . Die plötzliche Erwerbslosigkeit musste sich insofern als besonders belastend darstellen, mit Albert und Gessler zu einem Abendessen bei Hamm geladen wurde, steht sicher in diesem Zusammenhang . Zweifellos hoffte Hamm, den vergleichsweise gemäßigten Deutschnationalen Gürtner, der in den Anfangsjahren des Regimes den Abbau des Rechtsstaates durch den Nationalsozialismus tatsächlich hie und da bremste, auch in Zukunft für sich und seine Freunde in Anspruch nehmen zu können . 3 Brief Hamm an Grund, 18 .11 .1934, in: BayHStA, NL Hamm, 84 . 4 Briefentwürfe von Hamm an Reusch u . a . Februar 1936, in: BayHStA, NL Hamm, 91 . 5 Reusch an Hamm, 8 .10 .1934, in: ebd .; am 23 .2 .1936 gab Reusch in einem Brief an Hamm zu, sich in der Hoffnung geirrt zu haben, dass dieser ein „befriedigendes Betätigungsfeld“ in Berlin finde, und äußerte zugleich die Befürchtung, dass „wohl manche Beziehungen“, die Hamm früher in Süddeutschland gehabt haben möge, nicht mehr vorhanden seien; ebd . 6 Siehe oben S . 385 . 7 Schätzel an Hamm, 24 .5 .1934, 4 .7 .1934, in: BayHStA, NL Hamm, 92 .
1. Leben im Abseits 1933–1944 389
als Zins und Tilgung in Höhe von monatlich 100 RM für den 1932 erworbenen Bauernhof in Reit im Winkl aufzubringen waren . Jetzt entfielen auch die zuvor beträchtlichen Nebeneinnahmen durch die Diäten für den Reichswirtschaftsrat, Zahlungen der Handelshochschule Berlin für die dortige Lehrtätigkeit, Zeitungsartikel und Vorträge . Das letzte derartige Honorar in Höhe von 100 RM ging im November 1933 von der „Deutschen Juristen-Zeitung“ ein . Von jetzt an trugen die Zinseinnahmen aus den Geldanlagen wesentlich zum Familieneinkommen bei: 1933 beliefen sie sich auf 2 .103 RM . Zudem brachte ein Aufsichtsratsmandat, das noch Franz von Mendelssohn vermittelt hatte, monatlich 300 RM ein . In München besserte sich Hamms berufliche Lage deutlich . Er fand jetzt in seinem engeren Kreis unternehmerisch tätiger Bekannter, die sich in komplizierten wirtschaftsrechtlichen Fragen an ihn wandten, genügend Klienten .8 Das Haushaltsbuch von Maria Hamm 1938/39 verzeichnet zum Beispiel für Januar 1938 bis Juli 1939 vierteljährlich eine Summe von 450 RM als Honorar der Papierfabrik Dachau, mit deren Inhaber Hamm befreundet war .9 Die familiäre Überlieferung berichtet, dass Hamm für das Haus von Ernst Stromer von Reichenbach bei Altdorf, das zum Bekanntenkreis der Familie von Merz zählte, einen Fidei-Kommiss-Vertrag ausgearbeitet hat . Weiterhin ist unter der Rubrik „Arbeitseinkommen“ zweimal die Summe 2 .537 RM eingetragen, ebenfalls von der Papierfabrik Dachau . Ein Aufsichtsratsmandat der Waren-Treuhandgesellschaft Hamburg brachte 1938 und 1939 jeweils 1 .750 RM ein – ein Zubrot, das Hamm ausweislich eines Briefes des alten DIHT-Bekannten Otto Most als wesentliche Erleichterung seiner finanziellen Situation empfand .10 Gelegentlich erhielt er für Aufträge aus der WirtschaftsSchiedsgerichtsbarkeit kleinere Honorare . Die reinen Versorgungsbezüge addierten sich im Januar 1938 aus der staatlichen Pension von 745,19 RM und der monatlichen Rente aus dem DIHT von 234,66 RM auf 979,85 RM . Die Einkünfte aus dem Kapitalvermögen beliefen sich aufs ganze Jahr 1938 gerechnet auf 1 .667,30 RM . Die Einnahmen aus der Bauernwirtschaft in Reit im
Schon 1933 hatte ihn sein Bekannter aus dem Naumann-Kreis von 1914, der Historiker und frühere DDP-Reichstagskollege Walter Goetz, um seinen Beistand gebeten, als ihm nach seiner zwangsweisen Emeritierung in Leipzig die Emeritierungsbezüge gestrichen wurden . Hamm verwies darauf, dass er die Rechtsanwaltszulassung noch nicht besitze und dass eine Vertretung von Goetz durch ihn, Hamm, in der aktuellen politischen Lage eher kontraproduktiv sei, bot aber seine informelle Beratung an . 9 1943 wurde zum Schutz vor Bombenangriffen ein Teil des Hamm’schen Mobiliars in einem Lagerhaus der Firma untergebracht, das aber – im Gegensatz zur Münchner Wohnung – bald darauf einer Brandbombe zum Opfer fiel . 10 Brief von Otto Most an Hamm, 3 .7 .1938, in: BayHStA, NL Hamm, 88 . 8
390 XII. Im Widerstand
Winkl betrugen im Januar 305,58 RM . All dies zusammengenommen ergab sich eine monatliche Gesamteinnahme von 1 .931,62 RM (Januar 1938) . Der Hof in Reit im Winkl blieb ein Zuschuss- und Liebhaberbetrieb, dem Hamm dennoch viel Aufmerksamkeit widmete . Die genannten Summen dürften für die Einkommenssituation in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre einigermaßen typisch sein .11 Anlässlich der Hochzeit der jüngeren Tochter Fride 1938 waren erhebliche einmalige Ausgaben in Höhe von 12 .264,53 RM zu bestreiten . Verbunden damit war im Jahr 1939 die Ausgabensumme von 1 .035,03 RM für den Ausbau des Zuhauses am Hof mit einer Wohnung aus fünf kleinen Zimmern für das junge Paar . Diese Beträge konnten ohne weiteres aus den Rücklagen bestritten werden, zumal zum 60 . Geburtstag Hamms eine Lebensversicherung mit der damals stattlichen Summe von 45 .108 RM ausgezahlt wurde . Das Ehepaar Hamm hatte von Anfang an Gütergemeinschaft vereinbart . Demgemäß vermachte Hamm in seinem kurz vor seinem Tod niedergeschriebenen Testament das Gesamtvermögen seiner Frau Maria . Damit überließ er ihr auch die Verteilung des Erbes bei ihrem Tod, nachdem er zuvor seine diesbezüglichen Wünsche mündlich deutlich gemacht hatte . 1935 eröffnete sich Hamm die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen . Sein alter Kollege und Freund aus dem DIHT, Fritz Demuth, der auch nach seiner Emigration in die Schweiz 1933 noch bis 1935 die Hamm’schen Abendgeselligkeiten besuchte,12 übernahm in Zürich den Vorsitz der „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“, die im April 1933 von emigrierten jüdischen Wissenschaftlern gegründet worden war .13 Die nach dem Muster der „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft“ – der Vorgängerorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft – gestaltete Organisation hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit Hilfe weltweit bekannter Mitglieder ihres „Rates“ wie Ernst Cassirer, James Franck, Hans Kelsen, Peter Pringsheim und Hermann Weyl deutsche Emigranten in neue Stellungen zu vermitteln . Demuth fragte dringlich bei Hamm an, ob er nicht eine Funktion beim Aufbau der neuen Wirtschaftsverwaltung in der kemalistischen Türkei übernehmen wolle . Doch Hamm schob sein Alter und mangelnde Gewandtheit in den Fremdsprachen vor . Kein Zweifel, dass er das Land nicht verlassen wollte . Immerhin erlaubte er sich in diesem Briefwechsel zum ersten und – soweit zu sehen – einzigen
Die oben und im Folgenden genannten Angaben stammen aus den Haushaltsbüchern 1933–1939, in: BayHStA, NL Hamm, 131, 132 . 12 Haushaltsbuch, 1934/35, in: ebd . 13 Briefwechsel zwischen Hamm und Demuth, Januar bis Sommer 1935, in: BayHStA, NL Hamm, 42 . 11
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Mal das Eingeständnis, dass ihm das Einwerben von Aufträgen für seine neue Anwaltstätigkeit nicht leicht falle .14 Seit dem Ausscheiden aus dem DIHT ist die Geselligkeit im Hause Hamm nur noch sporadisch belegt, weil in Marias Haushaltsbuch die Rubrik „Repräsentation“ entfiel . Immerhin geben auch der Briefwechsel Hamms und das Gästebuch in Reit im Winkl einige Hinweise . Eng blieb die Verbindung mit Gessler, sowohl anfangs in Berlin als auch später in Bayern . Während Frau Gessler wegen ihrer Schwerhörigkeit den großen Geselligkeiten meist ferngeblieben war, besuchten sich die Ehepaare wechselweise in Berlin, München und auf ihren Höfen in Lindenberg im Allgäu und Reit im Winkl . Im August 1933 war in Berlin Ludwig Kastl zu Gast, der sich jetzt wie Hamm als Rechtsanwalt zu etablieren suchte . Im März 1934 gab es bei Hamm ein Abendessen für Gesslers und den Ex-Kanzler Brüning . In München blieb der Kontakt zu der alten Parteifreundin und Frauenrechtlerin Rosa Kempf aufrecht, ebenso wie zu Georg Hohmann, dem Naumann-Anhänger, Landtagsabgeordneten und bayerischen DDP-Parteivorsitzenden (1919/20), Orthopäden und späteren ersten Nachkriegsrektor der Universität München . Ein Teil der Geselligkeit verlagerte sich seit dem Umzug der Familie am 1 . Oktober 1936 nach München auch auf den Hof in Reit im Winkl . Im Juli 1934 bereits waren die befreundeten Ehepaare Heuss und Geib zu Besuch gewesen . Im Sommer 1941 quartierte sich der ehemalige DVP-Abgeordnete und Finanzminister Moldenhauer für mehrere Wochen in einem nahegelegenen Gasthof ein .15 Zudem tauchten jetzt die beiden Töchter mit ihren Freunden zum Bergwandern und Skifahren auf, ebenso wie engere und fernere Familienmitglieder, die zum Teil für mehrere Wochen beherbergt wurden . Eduard Hamm blieb nach wie vor ein kontaktfreudiger und umtriebiger Mann . 1935 zahlte er Mitgliedsbeiträge für die Staatswissenschaftliche Gesellschaft Berlin, die Weltwirtschaftliche Gesellschaft, die Gesellschaft der Berliner Freunde, den Donnerstags-Club, den Deutsch-Österreichischen Alpenverein, den Akademischen Philisterverband, den Universitätsbund Erlangen, den Bayern-Verein und den Rotary-Club .16 Dauerhafte Stützpunkte im Vereinswesen blieben bis zu seiner Auflösung 1937 der Rotary-Club, für den
Ebd . Im Frühjahr 1934 bot Demuth diese oder eine ähnliche Position dem schon im März 1933 aus seinen Ämtern entfernten Paul Silverberg an, der aber ablehnte, weil er eine solche Stellung nur mit Zustimmung der Reichsregierung annehmen wollte; Gehlen, Silverberg, S . 514 . 15 BayHStA, NL Hamm, 88 . 16 Haushaltsbuch, 1934/35, in: BayHStA, NL Hamm, 131 . Zu den obligatorischen Beiträgen gehörten jetzt die für die Berliner Anwaltskammer und den Bund Nationalsozialistischer Juristen; zu den Aktivitäten für den Rotary-Club vgl . ebd ., 144 . 14
392 XII. Im Widerstand
Abb. 14: Der 1932 erworbene Bauernhof in Reit im Winkl (Oberbayern), wo sich Hamm mit seiner Familie seit 1943 vorrangig aufhielt, um 1940
sich Hamm auch als Jurist engagierte, der AGV und die Münchner Sektion der „Deutschen Gesellschaft 1914“, die sich in den Augen Hamms 1943 eigentlich überlebt hatte und zu den „neuen Verhältnissen“ nicht mehr recht passte .17 Auch in der DÖAG blieb Hamm bis zu ihrer zwangsweisen Auflösung nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 Mitglied, ohne jedoch in irgendeiner Weise aktiv zu werden .18 Später kam noch der Wehrwissenschaftliche Verein hinzu, in dem Franz Sperr ein zum Teil konspiratives Wirkungsfeld gefunden hatte . Beiträge für den Bund Naturschutz, das Rote Kreuz und neuerdings für den Luftschutz-Verein komplettierten ein nach wie vor starkes, freilich weitgehend ins Apolitische abgedrängtes zivilgesellschaftliches und geselliges Engagement .19 Ein Bundesbruder aus dem AGV berichtete nach dem Krieg, dass Hamm regelmäßig an den monatlichen Sitzungen eines Freundeskreises von Gelehrten und Schriftstellern, des sogenannten FreitagAbends teilnahm, wobei er „oft erst spät nach Konzertbesuchen kam“ . In dieser Runde wurden auch politische Fragen besprochen . Hamm habe dabei
Brief von Hamm an Erwin Hardtwig, 10 .12 .1943, in: BayHStA, NL Hamm, 143 . Ein in zeitgemäß verschärftem Ton gehaltener Vortrag Gesslers auf einer Tagung der DÖAG lag ihm jedenfalls in der Druckfassung vor; Gessler, Volk . 19 Haushaltsbuch, 1936/37, in: BayHStA, NL Hamm, 132 . 17 18
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seine „völlige Ablehnung des NS selbstverständlich zum Ausdruck“ gebracht, womit er in diesem Kreis nicht immer auf Zustimmung gestoßen sei . Der Meinungsaustausch sei aber nie verletzend geworden, und die Diskretion nach außen blieb immer gewahrt .20 Auch der Bezug von Zeitungen blieb umfänglich . In Berlin las Hamm 1935 regelmäßig das „Berliner Tageblatt“, die „Frankfurter Zeitung“ und „Die Hilfe“ sowie gelegentlich die „Münchner Neuesten Nachrichten“ und die „Deutsche Juristen-Zeitung“ . Nach dem Umzug nach München 1936 kam der „Völkische Beobachter“ hinzu . Seit dem Ausbruch des Krieges bezog Hamm regelmäßig auch noch die „Wehrmachtshefte“, unregelmäßig eine italienische Zeitung sowie das Goebbels’sche Renommierblatt „Das Reich“ mit seinen manchmal unangepassten Artikeln .21 Die frei gewordene Zeit nutzte Hamm mit seiner Frau und häufig auch mit den Töchtern zu Ausflügen und Wanderungen . Von München aus ging es wie in den früheren Jahren gerne ins Isartal oder auf den Peissenberg, von Reit im Winkl aus zum Chiemsee, nach Hohenaschau und auf die umliegenden Berge bis zu größeren Wanderungen im Kaisergebirge . Im Mai 1938 genehmigte man sich zwölf Tage in Lugano, im Krieg dann einen Kuraufenthalt in Bad Gastein . Sehr lebhaft blieb der Kontakt zu der engeren und weiteren Familie, wobei die zahlreichen Besuche in Nürnberg und Augsburg vor allem seit 1938 mehr den konspirativen Kontakten für den Sperr-Kreis dienten . Der klassische Kulturkonsum ging zurück, doch verzeichnet das Haushaltsbuch etwa halbjährlich einen Theater- und Konzertbesuch .22 War das Ehepaar Hamm und besonders Maria Hamm mit Besuchern aus dem Familienkreis schon in Berlin öfter ins Kino gegangen, so nahmen die Filmbesuche jetzt deutlich zu, mit einem für die Kulturszene im „Dritten Reich“23 nicht untypischen Programm zwischen Unterhaltung – „Hotel Sacher“ oder „Heimat“ (Frühjahr 1939) –, Historischem wie einem Bismarckfilm (November 1940), aber auch dem Riefenstahl’schen Propagandafilm über den Nürnberger Reichsparteitag „Triumph des Willens“ (April 1934) und Veit Harlans berüchtigtem „Jud Süß“ im Frühjahr 1941 – einer raffinierten antisemitischen Indoktrination im Gewand eines üppig ausgestatteten historischen Kostüm-
Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach: Erinnerungen an Eduard Hamm, 17 .7 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 21 Vgl . Frei/Schmitz, Journalismus, S . 108–120 . 22 Etwa für August 1938 eine „Serenade im Brunnenhof “ in der Münchner Residenz, im Dezember 1938 die Haydn’sche „Schöpfung“ in der protestantischen Lukaskirche und im April/Mai 1941 eine Aufführung von Shakespeares „Sommernachtstraum“, ein Symphoniekonzert und Brahms’ „Deutsches Requiem“; Haushaltsbuch, in: BayHStA, NL Hamm, 132 . 23 Vgl . jetzt Föllmer, Leben, S . 81–96 . 20
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Abb. 15: Eduard und Maria Hamm bei einer Gebirgswanderung, um 1943
films . Beide NS-Propagandafilme sah sich Hamm wohl aus Informationsgründen an, ähnlich wie er im Dezember 1935 in Reit im Winkl einen „Hitlerabend“ besuchte . Bis zur Verschärfung der Kriegslage hielt sich auch das breite Bildungsbedürfnis, für das der Besuch eines Robert Koch-Film oder eines Vortrags über österreichische Dichter (November 1940) stehen möge . Systematisch hielt Hamm seit 1933 brieflich Kontakt mit alten Freunden und Bekannten aus dem Umkreis der Kammern wie der Politik . Hamms Verbundenheit mit Franz von Mendelssohn führte dazu, dass er nach dessen Tod im Sommer 1935 kondolenzartige Grüße unter anderen von Hans Luther und dem Frankfurter Handelskammervorstand Karl von Kotzenberg erhielt .24 Hamms enger Vertrauter aus dem DIHT, Gerhard Riedberg, zuständig für die Beziehungen zur Internationalen Handelskammer, berichtete Ende August 1936 ausführlich über die Sitzung der IHK in Berlin, nachdem er Hamm schon vorher, allerdings vergeblich, ermuntert hatte, selbst zu diesem An-
Luther an Hamm, 14 .6 .1935, Kotzenberg an Hamm, 15 .6 .1935, in: BayHStA, NL Hamm, 87; sowie anlässlich des Zusammenbruchs des Bankhauses Mendelssohn Kotzenberg an Hamm, 15 .8 .1939, in: BayHStA, NL Hamm, 42 .
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lass nach Berlin zu kommen .25 Manche dieser Briefe von inzwischen alt oder sehr alt gewordenen Herren aus dem Kammer- und Verbandswesen sind im Ton melancholisch-resignierter Rückschau gehalten,26 der den Mittfünfziger Hamm mehr deprimiert als ermuntert haben muss . Dem früheren Präsidenten des DIHT, Grund, der in vorauseilendem Gehorsam die Gleichschaltung des DIHT betrieben hatte, trug Hamm sein Verhalten nicht nach, sondern dankte ausdrücklich für die Übersendung einer kleinen Festschrift für Grunds Firma . Es handele sich, so schrieb er, um eine „kulturgeschichtlich wertvolle Familienerinnerung“ vor allem deshalb, weil sie dem „berühmtesten neueren Abbild bürgerlicher Familiengeschichte in Deutschland, den Buddenbrooks“ mit Thomas Manns Schilderung von „Dekadenzerscheinungen und Stimmungen“ im Bürgertum ein „Bild ungebrochen kraftvollen“ bürgerlichen Wirkens entgegenstelle . Zugleich bekannte Hamm ein „schales Gefühl der Überflüssigkeit“ und seines – nur allzu berechtigten – Zweifels an einem Einsatz Schachts für seine Beschäftigung . Allgemeinpolitisch erlaubte er sich in Anlehnung an ein berühmtes Bismarck-Wort die Frage, ob das neue Deutschland, „wenn es nur einmal im Sattel sitze“, auch wirklich reiten könne – zumindest für einige Personen bezweifle er das .27 So wie Hamm selbst nach Möglichkeit an seiner bürgerlichen Lebensweise mit der Pflege von Freundschaften und Bekanntschaften, mit historischpolitischen Lektüren, mit Reisen, Besichtigungsausflügen, Wanderungen und Vereinsgeselligkeit festhielt, so taten dies mit entsprechenden individuellen Variationen auch seine meist in die Jahre gekommenen und beruflich ausgemusterten Korrespondenzpartner . Diese berichteten etwa über den Besuch einer althistorischen Vorlesung bei Heinrich Gelzer in Frankfurt (Kotzenberg) oder über Görres- und Machiavelli-Lektüren (Lammers) . Beträchtlichen Raum nehmen in den Briefen die Berichte über das Tun und Befinden der alten Freunde ein .28 Besonders die offenbar noch immer vorhandene Strahlkraft Gesslers zeigt sich hier in einem – wenn auch abgeschwächten – Reflex, zumal bei diesen Informationen sein schlechter Gesundheitszustand im Vordergrund steht .29
Riedberg an Hamm, 30 .8 .1936, in: BayHStA, NL Hamm, 91 . Vgl . z . B . die Briefe von Julius Flechtheim, Aufsichtsratsmitglied der IG Farben, Vorstandsmitglied des RDI und des DIHT, und Bernhard Salomon, Generaldirektor der Elektrizitäts-AG Frankfurt und Vorstandsmitglied des DIHT an Hamm, 27 .2 .1935, in: BayHStA, NL Hamm, 42 . 27 Hamm an Bernhard Grund, 18 .11 .1934, in: BayHStA, NL Hamm, 84 . 28 Lammers an Hamm, 15 .12 .1942, in: BayHStA, NL Hamm, 87 . 29 Vgl . bes . Hamm an Albert, 18 .3 .1938, in: BayHStA, NL Hamm, 80; dort auch die Schilderung, wie Gessler im Nymphenburger Krankenhaus in München von Gestapo-Leuten über 25 26
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Ab 1939 nahm die Schilderung der Situation der befreundeten Familien im Krieg zunehmenden Raum ein . Man berichtete über die Schicksale von Söhnen und Schwiegersöhnen im Feld, die wachsende physische und seelische Belastung der Ehefrauen durch die Sorge um die Kinder und durch Bombenschäden an den Wohnungen und das vor allem für ältere Menschen rundum beschwerlich gewordene Leben im Krieg .30 Hamms Anwaltstätigkeit diente dazu, den Lebensunterhalt zu sichern, aber sie stellte in diesen Jahren sicher nicht den eigentlichen Lebensinhalt dar . Möglicherweise hatte er zeitweise einen Beratervertrag mit der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft gehabt, der hauptsächlich dazu dienen sollte, seine zahlreichen Reisen zu den ihm politisch nahestehenden Freunden und Bekannten finanziell abzusichern und deren eigentlichen Zweck zu kaschieren . Die Aufsichtsratssitzungen, zu denen Hamm zweimal im Jahr nach Hamburg reiste, boten regelmäßig die Gelegenheit, in Nürnberg oder Augsburg Halt zu machen und – wie im Juli 1944 – auch nach Berlin weiterzureisen, um dort alte Kollegen und Gesinnungsfreunde zu treffen .31 Elly Heuss-Knapp bezeugt, dass Hamm bei jedem seiner Berlin-Besuch vorbeikam, solange die Familie Heuss noch in Berlin lebte .32 Auch das für sein weiteres Schicksal möglicherweise entscheidende Treffen mit seinem Amtsvorgänger in der Reichskanzlei und persönlichen Freund Heinrich Albert und mit dem befreundeten ehemaligen Ministerialdirektor Franz Kempner in Berlin im Juni 1944 fand anlässlich einer solchen Hamburg-Berlin-Reise statt .33 Um sich wenigstens irgendwie nützlich machen zu können, arbeitete Hamm unentgeltlich in der Rechtsberatungsstelle der Landesbauernschaft,
die zwangsweise Auflösung der „Deutsch-Österreichischen Gesellschaft“ belehrt wurde . Zur Pflege der „Beziehungen“ im doppelten Sinn des Wortes gehörte es dann aber auch, dass sich Hamm im Oktober 1936 bei Hans Luther, zu diesem Zeitpunkt noch deutscher Botschafter in Washington, nach Stipendienmöglichkeiten für seine ältere Tochter Gertrud in den USA erkundigte, die gerade ihr Staatsexamen in Romanistik und Anglistik abgelegt hatte; vgl . Hans Luther an Hamm, 16 .10 .1936, in: BayHStA, NL Hamm, 87; die Frage erledigte sich dann allerdings, weil Gertrud Hamm bald darauf Gelegenheit zu einem Studienaufenthalt in London fand . 30 Vgl . v . a . die Briefe von Heinrich Albert (21 .9 .1939, 16 .12 .1942), Clemens Lammers (15 .12 .1942, 25 .4 .1944) und Hermann Dietrich (7 .5 .1942), in: BayHStA, NL Hamm, 80, 87, 82 . 31 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 1, 3, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 32 Vgl . die undatierte Aufzeichnung von Elly Heuss-Knapp „Persönliche Erinnerung an Dr . Eduard Hamm“, in: ebd . 33 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 3, in: ebd .
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wobei ihm zugutekam, dass die Stelle von einem alten Freund, Rechtsanwalt Winter, geleitet wurde .34 Seit Mitte der dreißiger Jahre arbeitete Hamm, nach seinem Amtsverlust ohne eigentliche Beschäftigung und beruflich wie politisch ruhelos, mit einem unbesoldeten offiziösen Auftrag der „Deutschen Akademie“ in München an einem Buch über die Geschichte bayerischer Unternehmer . Einige sorgfältige, maschinengeschriebene Exzerpte aus der zeitgenössischen nationalökonomischen und wirtschaftsgeschichtlichen Literatur liegen im Nachlass noch vor . Doch ging diese literarisch-wissenschaftliche Arbeit nur zögerlich voran . Hamm war ungeachtet seiner intensiven geistigen Interessen und seiner umfassenden Bildung primär ein Praktiker, der weniger kontemplative Ruhe als arbeitenden Umgang mit Menschen brauchte . Gleichwohl las er jetzt sehr viel – vor allem Historisches . Die ohnehin reiche Ausstattung seiner Bibliothek mit den deutschen Geschichtsschreibern von Leopold von Ranke bis Hermann Oncken und Erich Marcks erfuhr jetzt einen neuerlichen Schub . Neu hinzu kam vor allem das dreibändige Hauptwerk des linksliberalen katholischen Historikers und Republikanhängers Johannes Ziekursch „Politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreiches“ (1925–1930), in dem der Autor, ausgehend von der Erfahrung von dessen Scheitern und einer positiven Bewertung der parlamentarischen Demokratie, das Kaiserreich einer Kritik unterzog, die vom Mainstream der noch immer protestantischborussianisch geprägten zeitgenössischen Geschichtsschreibung abgelehnt wurde . Ausdrückliche Erwähnung verdient auch der Kauf der drei Bände „Gesammelte Abhandlungen“ des Berliner Verwaltungs- und Verfassungshistorikers Otto Hintze . Dieser war neben Friedrich Meinecke zweifellos der bedeutendste deutsche Historiker der ersten Jahrhunderthälfte,35 politisch ursprünglich ebenfalls preußisch-konservativ, in seinem strukturgeschichtlichen Ansatz aber methodisch bedeutend moderner als Meinecke . Seine Studien decken ein breites Feld ab und reichen von der Behörden-, Finanz- und Wirtschaftsgeschichte Preußens in der Neuzeit bis zu universalgeschichtlichvergleichenden Arbeiten über Feudalismus und Ständeverfassungen und zu theoretisch-methodologisch orientierten Reflexionen . Gemeinsam mit Meinecke hatte er innerhalb der Berliner Historikerschaft zunehmend die liberale Position vertreten und war schließlich durch seine Heirat mit seiner als Historikerin bedeutenden jüdischen Schülerin Hedwig Guggenheimer ins
Stromer von Reichenbach, Erinnerungen, in: ebd ., S . 1 . So das Urteil von Jürgen Kocka in seinem Beitrag über Otto Hintze, in: Wehler, Historiker, S . 275–298, hier S . 275 .
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Schussfeld nationalsozialistischer Kritiker geraten . Hamm muss die HintzeBände kurz vor seinem Tod erworben haben, denn die von dessen Schüler Fritz Hartung besorgte Edition kam erst 1942/43 heraus .36 Symptomatisch und aufschlussreich ist aber vor allem, dass sich Hamm jetzt mit den kleineren Schriften von Oswald Spengler auseinandersetzte . Auslöser für die gründliche Lektüre dürfte die Übersendung der Festschrift „Oswald Spengler zum Gedenken“ gewesen sein, die Paul Reusch, Förderer und Finanzier Spenglers, nach dessen Tod herausgab und Hamm zuschickte .37 Hamm dankte, indem er auf seine Distanz zu Spenglers Gedankenwelt in der Weimarer Republik, aber sein Interesse an dessen Schriften unter den jetzigen Umständen hinwies .38 Spenglers „Jahre der Entscheidung . Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung“ vom Sommer 1933 hat Hamm gründlich durchgearbeitet und ein ausführliches stenographisches Exzerpt angelegt . Wahrscheinlich stimmte er mit Spenglers Prognose einer „cäsaristischen“ Epoche harter weltgeschichtlicher Machtkämpfe überein .39 Wichtiger ist aber, dass Hamm den Thesen in den ebenfalls sorgfältig durchgearbeiteten Aufsätzen „Pessimismus?“ (1921) und „Nietzsche und sein Jahrhundert“ (1924, bis dahin unveröffentlicht), nicht zustimmen konnte .40 Den Schlusssatz des „Pessimismus“-Textes: „Zu einem Goethe werden wir Deutsche es nicht wieder bringen, aber zu einem Cäsar“, unterstrich Hamm und versah ihn mit einem Ausrufungs- und einem Fragezeichen . Im „Pessimismus“- wie im Nietzsche-Aufsatz unterstrich er vor allem die Passagen über die „großartige Kritik der Moral“, die Nietzsche geleistet habe: „Tat und Gedanke, Wirklichkeit und Ideal, Erfolg und Erlösung, Stärke und Güte: das sind die Mächte, die einander nie verstehen werden“ .41 Wenn es ein Motto für Hamms persönliche Lebensführung gäbe, so wäre es eine Versöhnung dieser Gegensätze – mit einem leichten Ausschlag der Waage zugunsten von Ideal, Güte und Moral . Und eine Zustimmung zu Spenglers Satz, man überschätze Kunst und abstraktes Denken: „In der Kunstgeschichte ist die Bedeutung Grünewalds und Mozarts nicht zu überschätzen . In der wirklichen Geschichte des Zeitalters Karls V . und Ludwigs XV . denkt man gar nicht an
Zum Spätwerk Hintzes vgl . zuletzt mit weiterführender Literatur Oexle, Bedingungen; zur Situation der Berliner Geschichtswissenschaften bis 1945 vgl . Hardtwig, Berliner Geschichtswissenschaft . 37 Oswald Spengler zum Gedenken, hg . von Paul Reusch, bearb . von Richard Korherr, als Manuskript gedruckt [München 1938] . 38 Hamm an Reusch, 13 .7 .1938, in: BayHStA, NL Hamm, 91 . 39 Spengler, Jahre, S . 63 . 40 Spengler, Reden, S . 110–124 . 41 Ebd ., S . 122 . 36
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ihr Vorhandensein“,42 hätte Hamms zutiefst ernst gemeinte, gelebte Bildungsbürgerlichkeit völlig entwertet . Auf die Anmaßung einer nietzscheanisch ausgelegten neuen Moral der Rücksichtslosigkeit und Selbstüberhebung bezog sich Hamm dann ein Jahr später in seinem Entsetzensbrief, in dem er die Gräuel der Reichspogromnacht vom 9 ./10 . November 1938 beklagte .43 Immer öfter hielten sich Eduard und Maria Hamm jetzt auch auf dem Bauernhof in Reit im Winkl auf, über dessen Bewirtschaftung durch eine kinderreiche Bauernfamilie, die eine Hälfte des Hauses bewohnte, er genau Buch führte . Bei den unmittelbaren Nachbarn und bei den Dorfbewohnern stand Hamm bald in hohem Ansehen, weil er sich sogleich auch der Interessen des Dorfes annahm . Noch im Januar 1933 hatte er in seiner Eigenschaft als von Brüning ernannter „Beauftragter der Reichsregierung für den Fremdenverkehr“ eine Tagung der bayerischen Fremdenverkehrsverbände in Reit im Winkl organisiert und dafür gesorgt, dass das Ereignis in der Presse entsprechend gewürdigt wurde . Die Rede, die er aus diesem Anlass im großen Saal des Gasthofs „Oberwirt“ hielt, verschaffte ihm allseitigen Respekt .44 Als die neue, landschaftlich reizvolle und technisch anspruchsvolle „Queralpenstraße“ von Berchtesgaden über Bad Reichenhall, Inzell und Ruhpolding bis zum Achental angelegt wurde, sorgte er dafür, dass – anders als ursprünglich vorgesehen – auch Reit im Winkl an die Straße angeschlossen wurde – eine für die touristische Erschließung des Ortes wichtige Maßnahme . Mit seinen Verbindungen in die Wirtschaft gelang es ihm noch mitten im Krieg, neue Rohre für die neun Höfe der Wassergenossenschaft Oberbichl/Birnbach zu beschaffen, eine bei den „Genossen“ nahezu legendär gewordene Leistung . Folgt man dem mündlichen Bericht der Tochter Fride, so beklagten sich die Bauern aus der Nachbarschaft nach dem Tod Hamms im September 1944 gegenüber der Witwe, dass man ihnen dessen Gefährdetheit verschwiegen hatte . Es hätte doch genug Plätze auf den abgelegenen Almen und Forsthütten in den Bergen gegeben, wo man ihn bis zum Kriegsende hätte unterbringen können . Die beiden Töchter befanden sich 1936, beim Umzug nach München, noch mitten in ihrer beruflichen Ausbildung . Die ältere, Gertrud, damals 26 Jahre alt, studierte in München und Paris Romanistik und Anglistik . Auf das Staatsexamen folgte die romanistische Promotion bei Karl Vossler, die sie 1938 mit einer Arbeit über drei Marienlieder Bernhards von Clairvaux
Ebd ., S . 76 . Vgl . unten S . 431 . 44 Vgl . u . a . Eduard Hamm: Vom Fremdenverkehr, wohl 1933 (ohne genaue Datierung), in: BayHStA, NL Hamm, 99 . 42 43
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abschloss .45 Mit diesen Abschlüssen ausgestattet, begab sich Gertrud auf den Weg der Schullaufbahn und unterrichtete bis zur Geburt ihres ersten Kindes am 1 . Januar 1943 zuerst an der staatlichen Luisenschule in München und dann an dem privaten Mädchengymnasium „Grothschule“ in MünchenPasing . Dort war sie freier von den staatlichen Zwängen, doch auch hier wurde ihr mit zunehmender Schärfe nahegelegt, endlich in die NSDAP einzutreten . Der Druck brachte sie in eine unerfreuliche Zwangslage, da sie die politischen Ansichten ihres Vaters teilte . Nichts stand ihr ferner als der Eintritt in die Partei . Aber der Vater redete ihr zu . Sie müsse das auf sich nehmen, um die durch ihn ohnehin gefährdete Familie nicht weiteren Verdächtigungen und Gefahren auszusetzen . So kam es, dass Gertrud tatsächlich der NSDAP beitrat und sich demgemäß 1946 auch der Prozedur eines Spruchkammerverfahrens zu unterziehen hatte . Für ihre Entlastung sorgten ein junger früherer Freund und Bewunderer Eduard Hamms, Anton Hechtl, der nach dem Ende des NS-Regimes in der bayerischen Justiz rasch Karriere machte, sowie die gleichzeitig mit Hamm verhaftete Witwe von Franz Sperr .46 Im August 1938 war Gertrud allein auf einer Italienreise unterwegs und traf beim Durchwandern der Boboli-Gärten hinter dem Palazzo Pitti in Florenz ihren künftigen Ehemann Erwin Hardtwig, den sie im März 1942 heiratete . Die politischen Ansichten passten zusammen . Hardtwig, geboren 1903 in Goerz, dem heutigen Gorizia an der italienisch-slowenischen Grenze, war österreichischer Republikaner mit antipreußischem Affekt . Tatsächlich bahnte sich zwischen Eduard Hamm und seinem künftigen Schwiegersohn rasch ein vertrauensvolles Verhältnis an, das dazu führte, dass Hamm sich auch politisch relativ offen äußerte .47 Erwin Hardtwig zeigte sich ungeachtet seines Hangs zu anarchistischer Staatsfeindlichkeit und auch einer deutlichen Tendenz zu einer betont nüchternen Sichtweise, die er dem prinzipiellen „Idealismus“ in der Familie Hamm entgegensetzte, von der Person seines Schwiegervaters tief beeindruckt . In seinen Briefen an Gertrud führte er jedoch seinen betonten Realismus auch gegen die nationalen Erwartungen und Hoffnungen ins Feld, die er bei der deutschen Familie in München zu
Gertrud Hamm: Das altfranzösische Gedicht zu Mariae Himmelfahrt in seinen geistesund formgeschichtlichen Beziehungen, Würzburg 1938; das menschliche, intellektuelle und politische Profil Vosslers und seine Rolle als akademischer Lehrer erschließen sich sehr weitgehend aus den vielen Tagebucheintragungen seines Schülers Klemperer, Leben . 46 Die entsprechende Recherche verdanke ich Manuel Limbach . 47 Vgl . u . a . Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), in: BayHStA, NL Hamm, 110 .; Briefwechsel zwischen Hamm und Erwin Hardtwig, in: BayHStA, NL Hamm, 138 . 45
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Abb. 16: Eduard Hamm bei der Hochzeit seiner Tochter Gertrud mit Erwin Hardtwig, März 1942
spüren glaubte . Zwar hat es den Anschein, als habe er angesichts der anfangs so erfolgreichen „Blitzkriege“ jeweils für ein paar Wochen im Sommer 1940 und 1941 an einen Sieg erst über Großbritannien und dann über Russland geglaubt . Nach dem Frankreichfeldzug bei einer österreichischen Flakeinheit nahe der Atlantikküste stationiert, überzeugte er sich aber doch sehr rasch davon, dass Großbritannien und später auch Russland grundsätzlich nicht zu besiegen seien und dass sich „die Leute im Heimatgebiet […] Illusionen“ machten über einen baldigen Frieden im Westen . Schon im Herbst 1941 hielt er den Krieg für definitiv verloren .48 Damit widersprach er auch seinem Schwiegervater, der ungeachtet aller Ablehnung des NS- Regimes einen deutschen Sieg über Russland ebenso wie über die Westmächte selbstverständlich jetzt, da der Krieg einmal da war, für notwendig und zunächst auch für möglich hielt . Als Gertrud aber Anfang 1944 schrieb, sie mache sich Sorgen um die Gesundheit ihres Vaters, weil er kaum mehr etwas esse und seine Unrast immer schlimmer werde, zeigte sich der Schwiegersohn ernsthaft besorgt . Hardtwig erlebte zu dieser Zeit, als Meteorologe und zugleich mit einem geophysikalischen Forschungsprojekt in Stuttgart stationiert, am eigenen Leib die permanenten und schweren Luftangriffe auf die Stadt und nahm auch die – nicht sehr gravierenden – Schäden
Erwin Hardtwig an Gertrud Hamm, 4 .7 .1941, vgl . auch 26 .9 .1940, in: BayHStA, NL Hamm, 138 .
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in Augenschein, die eine Fliegerbombe in der Hamm’schen Wohnung in der Münchner Friedrichstraße angerichtet hatte . Jetzt schrieb er seiner Frau, der Schwiegervater vernachlässige die Verdunkelung des Hofes in Reit, was bei den Überfliegungen des Dorfes durch alliierte Bomber eine Gefahr darstelle . Auch das permanente Herumreisen fange an, zur Bedrohung für die Familie zu werden und sei eigentlich unverantwortlich .49 Die jüngere Tochter Hamms, Fride, war von Anfang an eher praktisch orientiert und durchlief auf eigenen entschiedenen Wunsch nach dem Abitur in Berlin eine stationenreiche und teilweise physisch strapaziöse landwirtschaftliche Ausbildung . Ein praktischer Ausbildungssteil im Bayerischen Wald war begleitet von regelmäßigen morgendlichen Fahnenappellen, den die jungen Frauen eher gelangweilt-pflichtgemäß als begeistert absolvierten . Ausgeprägtere politische Interessen hatte Fride nicht, ihre Grundeinstellung blieb jedoch vom elterlichen Milieu bestimmt . 1938 schloss sie ihre Ausbildung ab, begann ihr Berufsleben mit einer Anstellung als Lehrerin an der Landwirtschaftsschule in Miesbach/Oberbayern und heiratete im selben Jahr mit 24 Jahren Hans Siewecke .50 Anders als die erst nach erheblichem bürokratischem Aufwand möglich gewordene Hochzeit der älteren Schwester vier Jahre später mitten im Krieg mit einem nur kurz für diesen Anlass beurlaubten Wehrmachtsangehörigen, konnte diese Hochzeit in Friedenszeiten noch mit all der freudigen Pracht gefeiert werden, den finanziell gutgestellte großbürgerliche Familien zu diesem Anlass zu entfalten pflegten . Die Aussteuer war erheblich und belief sich, rechnet man den Umbau des „Zuhauses“ in Reit zu einer Wohnung für das junge Paar hinzu, auf die Hälfte der Summe, die sechs Jahre zuvor der Kauf des ganzen Anwesens gekostet hatte . Mehrfach reisten Mutter und Tochter nach Nürnberg, um dort in den traditionellen großbürgerlichen Geschäften, die Maria noch aus ihrer eigenen Jugend kannte, Wäsche, Geschirr und die sonstigen üblichen Gegenstände für eine reichlich bemessene Aussteuer zu kaufen .51 Ein wesentliches Motiv für den Kauf des Hofes 1932 war es gewesen, dem infolge der Kehlkopfdiphterie geistig behinderten Sohn Hans, der in diesem Jahr 19 Jahre alt wurde, eine passende und angenehme Bleibe zu verschaffen . Der Junge fühlte sich den Umständen entsprechend auf dem Hof anfangs auch wohl, kränkelte dann aber und starb 1940 . In diesen Jahren trafen die Familie noch weitere schwere Verluste: Wenige Monate nach der Hochzeit mit Fride starb der Schwiegersohn Hans Siewecke an einer unheilbaren Kehl-
Erwin Hardtwig an Gertrud Hardtwig, 24 .3 .1944, in: BayHStA, NL Hamm, 138 . Vgl . Briefe von Fride Hamm bzw . Siewecke an Maria und Eduard Hamm, in: ebd . 51 Vgl . Haushaltsbuch, 1938, in: BayHStA, NL Hamm, 133 . 49 50
2. Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm 403
Abb. 17: Die Familie Eduard Hamms vor dem Hof in Reit im Winkl, vordere Reihe, v. r. n. l.: Hamms Bruder Gottfried, Enkel Wolfgang Hardtwig, Maria Hamm, Hamms Schwester Luise Bresele; hintere Reihe, v. r. n. l.: Gertrud Hardtwig, Enkelin Christine Hardtwig, Hamms jüngere Tochter Fride und ihr Mann Fritz Krug, 1951
kopftuberkulose . Bei dem überaus verlustreichen Angriff der deutschen Fallschirmjäger auf Kreta im Sommer 1941 kam einer der Neffen, der Sohn von Eduard Hamms Schwester Louise, ums Leben . Diese Schicksalsschläge trafen den Familienmenschen Eduard Hamm schwer und versetzten ihn in eine monatelange Depression .52
2. Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm
In der ersten Zeit nach Hamms Rücktritt, als er noch mit einer beruflichen Zukunft als Rechtsanwalt in Berlin rechnete, gehörte er einigen Gesprächskreisen an, die es ihm erlaubten, mit alten Kollegen und Gesinnungsfreunden, die teilweise später eine führende Rolle im Widerstand spielen sollten, Informationen und Gedanken auszutauschen . Am 21 . Juni 1929 war Hamm
52
Brief Hamms an Otto Most, 13 .8 .1941, in: BayHStA, NL Hamm, 88 .
404 XII. Im Widerstand
in die „Staatswissenschaftliche Gesellschaft zu Berlin“ aufgenommen worden . Der schon 1883 gegründete „Kreis staatswissenschaftlich Gebildeter“ vereinte Staatswissenschaftler, Politiker, Ökonomen, Geographen, Pädagogen, Philosophen und Historiker .53 Auch eine Reihe späterer wichtiger Widerständler gehörte ihm an, so Fritz Elsas, Constantin von Dietze, Johannes Popitz, Albrecht Haushofer, Albrecht Graf von Bernstorff und Klaus Bonhoeffer . Zu dem bis 1943 amtierenden preußischen Finanzminister Johannes Popitz hatte Hamm in den letzten Jahren der Republik beruflichen Kontakt gepflegt und ihn mehrfach zu seinen geselligen Abenden eingeladen .54 Insgesamt blieb die Runde in ihren Äußerungen recht vorsichtig . Es dürfte daher auch „kein Zufall“ gewesen sein, „daß außer Elsas, Hamm und Haushofer keiner dieser Regimekritiker nach 1933 das Wort ergriffen hat“ .55 Am 23 . Februar 1934 referierte Hamm über den „Problemkreis Staat und Wirtschaft, unter Berücksichtigung des Nationalsozialismus“ . Der Inhalt des Vortrags ist nicht überliefert, doch bei Hamms Ablehnung des NS-Wirtschaftsprogramms ist anzunehmen, dass er – wenn auch in seiner charakteristischen distanzierten Diktion – seine Meinung hat durchblicken lassen . Außerdem gehörte er bis zu seinem Umzug nach München 1936 zu einem Gesprächskreis, der sich „Berliner Mittagstisch“ nannte, vierzehntägig zusammentraf und dessen Diskussionen von Hamms Parteifreund Eugen Schiffer geleitet wurden .56 Der frühere langjährige Nürnberger DDP-Oberbürgermeister Hermann Luppe, der freilich erst im Winter 1937/38 zum Kreis stieß, spricht von „ca . 60 Herren“, „bedeutende[n] Männer[n], welche die Probleme sachlich und ernsthaft erörterten, freilich aus ihrer Sorge um die neuere Entwicklung und ihrer Achtung vor der Vergangenheit“ kein Hehl machten .57 Gegründet worden war dieser Kreis von Minister Popitz, genannt wurde er mitunter auch einfach „Schiffer-Kreis“ . Eugen Schiffer war Jude und schon vor 1918 für den jungen Eduard Hamm eine Autorität gewesen, an die er sich gelegentlich mit der Bitte um Rat gewandt hatte . Für den bedeutenden Staatsrechtler Erich Kaufmann, einen der Teilnehmer des Kreises, gehörte die Existenz des „Schiffer-Kreises“ „zu den Antinomien des Lebens im Dritten Reich“ .58 Der Berliner Mittagstisch schrumpfte bis 1938 jedoch immer mehr
53 54
Bruch, Staatswissenschaftliche Gesellschaft, S . 9 . Vgl . Abrechnungsbuch, Repräsentation, 14 .6 .1932, 31 .3 .1933, in: BayHStA, NL Hamm,
137 . Fischer, Vorträge, S . 80 f, Zitat S . 82 . Luppe, Leben, S . 318 . 57 Ebd .; über die Teilnahme Hamms gibt ein Brief von 1934 Auskunft, der neben ihm als Teilnehmer auch Theodor Heuss nennt; vgl . von Moltke, Völkerrecht, S . 146 . 58 Vgl . den Beitrag von Erich Kaufmann in: Bott/Leins, Begegnungen, S . 86–90 . 55 56
2. Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm 405
zusammen und löste sich schließlich auf . Hamm genoss wahrscheinlich die Gespräche dort, empfand sie aber als allzu dürftigen Ersatz für eigenes politisches Handeln . In der Familie sprach er gelegentlich selbst „ironisch über seine politischen Kaffeekränzchen mit mehr oder weniger ‚alten Weibern‘“ .59 Die für ihn ungewöhnlich drastische Ausdrucksweise lässt einmal mehr darauf schließen, wie er unter seiner eigenen erzwungenen politischen Untätigkeit litt . Sehr viel entschiedener in seinen Aktivitäten und Zielen war dann der Sperr-Kreis, der sich zu einer förmlichen Organisation des Widerstands gegen das NS-Regime entwickelte . Am Anfang des Kreises, der sich zunächst nur zu Gesprächsrunden traf, stand eine Initiative des bayerischen Kronprinzen Rupprecht . Der Kronprinz hatte nach der Flucht seines Vaters Ludwig III . auf die Anwartschaft zum bayerischen Königsthron nicht verzichtet, aber erklärt, dass er sie derzeit nicht geltend machen werde . In den Weimarer Jahren tat er das tatsächlich auch dann nicht, als eine katholisch-monarchistische Strömung in Bayern zunächst seit 1924 und dann wieder in der finalen Krise der Republik seine Rückkehr auf den Thron forderte . Rupprecht gilt als der politisch begabteste und potenziell tatkräftigste Wittelsbacher seit Ludwig I .60 Im Weltkrieg hatte er zuerst die 6 . Armee und seit 1916 als Generalfeldmarschall die Heeresgruppe „Kronprinz Rupprecht“ in den großen Schlachten geführt und dabei eine eigenständigere Rolle gespielt als die üblichen nachgeborenen Prinzen als nominelle Oberbefehlshaber . Seine maßvolle Kritik an der Dritten Obersten Heeresleitung (Hindenburg/Ludendorff) wurde erst durch sein 1929 veröffentlichtes „Kriegstagebuch“ bekannt . Sein militärisches und politisches Ziel war ein Frieden ohne Annexionen . Mit dem bayerischen Generalstabsoffizier Franz Sperr war Rupprecht seit langem bekannt . Sperr hatte seine Offizierslaufbahn nach dem Krieg beendet und 1919 eine Karriere als Diplomat in bayerischen Diensten begonnen, die ihn 1927 als Geschäftsführenden Leiter und seit März 1933 als Chef der Bayerischen Gesandtschaft nach Berlin führte, bis er im November 1934 in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde . Spätestens dort ergab sich für ihn auch der engere Kontakt zu den bayerischen Politikern Otto Gessler und Eduard Hamm . Im März 1933 nahm Sperr mit seiner Frau an einer der letzten DIHT-Geselligkeiten im Hause Hamm teil, gleichzeitig mit dem Ehepaar von Meinel (dem Nachfolger Hamms als bayerischer Handelsminister)
Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 1, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 60 Zur Person vgl . die alte, etwas hagiographische Biographie von Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach; neuerdings maßgeblich Weiß, Kronprinz Rupprecht . 59
406 XII. Im Widerstand
und Friedrich Tilgner von der österreichischen IHK . Der Zusammensetzung der Runde zufolge ging es hier vor allem um Wirtschaftsfragen . Kurz nach der Machtergreifung sprach Kronprinz Rupprecht zunächst Sperr und dieser dann den ehemaligen Reichswehrminister Gessler an . Mutmaßlich über letzteren, vielleicht aber auch über Sperr selbst, stieß bald auch Eduard Hamm zum Kreis .61 Den Anstoß zur Kreisbildung gaben die Erfahrung der Gleichschaltung Bayerns im März 1933 und die Überlegung, dass die überlieferte föderale Reichsstruktur möglicherweise die Machtgier Hitlers einschränken könne . Damit verband sich bei Rupprecht und den bayerischen Liberalen Gessler und Hamm die Vorstellung, dass für den erhofften Zusammenbruch des NSRegimes in Bayern Vorsorge getroffen werden müsse . Laut Gessler sollte eine zu schaffende „Auffangorganisation“ die Wiederkehr von Chaos und Pöbelherrschaft wie in der Revolution 1918/19 verhindern .62 Alle Bemerkungen Hamms zu den Revolutionsereignissen – gerade auch die im Abegg-Kreis im Sommer 1931 – deuten darauf hin, dass er diese Einschätzung seines Freundes teilte . Für Rupprecht wie für seine bürgerlichen Gesprächspartner bedeutete „Auffangorganisation“ allerdings darüber hinaus ein Netzwerk mit klaren programmatischen und personellen Vorstellungen für den Wiederaufbau einer bürgerlich-liberalen staatlichen Organisation, freilich mit monarchischer Spitze . Die Annäherung an den Kronprinzen Rupprecht erklärt sich bei Hamm – anders als bei Gessler, dessen Neigung zur monarchischen Staatsform bekannt war – aus der aktuellen Situation und der Suche nach einer prinzipiellen Alternative zum NS-Regime, dessen Unrechtscharakter für Hamm seit Ende 1933 offenbar schwerer wog als die Hoffnung auf eine nationale Erneuerung . Rupprecht orientierte sich zwar nach dem Zusammenbruch der Monarchien 1918 neu, lehnte aber ein parteiendemokratisches Regierungssystem weiterhin ab . Zwar hielt er Distanz zu den monarchischen Strömungen in der bayerischen Politik bis zur Machtergreifung Hitlers, erklärte aber nach dem Tod Ludwigs III . am 18 . Oktober 1921, er sei nun in die Rechte seines Vaters eingetreten .63 Im Folgenden behielt er sich vor, „souve-
Die von Winfried Becker angenommene gleichgewichtige Rolle des bayerischen Bauernbündlers und ehemaligen kurzzeitigen Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Anton Fehr konnte Limbach trotz seiner ausführlichen Recherchen nicht bestätigen; vgl . Limbach, Hamm, S . 57 f . 62 Entwurf der Niederschrift über die Ausführungen von H . Minister a . D . Dr . Gessler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9 . November 1950, in: BArch, N 1032, 36, Bl . 102, abgedr . in: Becker, Sperr, S . 164–167, hier S . 165 f; weiteres Material hierzu bei Limbach, Hamm, S . 58, Anm . 266 . 63 Vgl . zum Ganzen Weiß, Kronprinz Rupprecht, S . 195–272 . 61
2. Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm 407
rän über Weg und Inhalt der Restauration“ zu gebieten .64 In den kritischen Jahren der bayerischen Politik bis zum Hitler-Putsch hielt er engen Kontakt zu Gustav von Kahr, der sich selbst für den Vertrauensmann des Kronprinzen in der Tagespolitik hielt . Einen restaurativen Staatsstreich lehnte Rupprecht in all diesen Jahren – auch 1932/33 – ab . Zumindest in der Gründungsphase des Sperr-Kreises und für die Debatten über die verfassungspolitische Neuordnung spielte der Kronprinz dann allerdings eine maßgebliche Rolle .65 Einige der regelmäßigen Treffen von Sperr, Gessler und Hamm ab 1935 fanden im Wohnsitz Rupprechts, in Schloss Leutstetten bei Starnberg, statt . Meist traf man sich jedoch in der Wohnung von Rupprechts Kabinettschef Franz von Redwitz, der von Anfang an – auch aus Geheimhaltungsgründen – die Vermittlerrolle zwischen dem Kronprätendenten und den bürgerlichen Politikern übernahm . Auch nach Rupprechts Flucht ins Exil nach Italien blieb der Kontakt erhalten . Er lief wie bis dahin über von Redwitz sowie über Gessler, dessen Reisefreiheit ins Ausland durch den Chef der deutschen Abwehr Wilhelm Canaris gedeckt wurde . Redwitz zufolge wäre Rupprecht nach dem erhofften Zusammenbruch des NS-Regimes nach Bayern zurückgekehrt, „um hier einzugreifen“ . In diesem Fall wäre „Gessler, Sperr und Hamm […] die Aufgabe zugefallen, eine Regierung in Bayern zu bilden, gestützt auf die Persönlichkeiten und Kreise, die Sperr zur Verfügung standen“ .66 Genauere Kenntnisse der Verfassungsvorstellungen der bürgerlichen Politiker im Kreis fehlen, da die Mitglieder – nach bisherigem Wissen – aus Geheimhaltungsgründen auf Niederschriften aller Art verzichteten .67 So ist man auf eine 241 Seiten umfassende Niederschrift Rupprechts mit dem Titel „Bemerkungen über den Staat, seine Formen und Aufgaben mit besonderer Berücksichtigung Deutschlands“ angewiesen, die wohl zwischen 1941
Ebd ., S . 223 . Zum bayerischen Monarchismus in der Weimarer Republik, zur vergleichsweise starken Persistenz der Loyalität des katholischen bayerischen Adels gegenüber dem Haus Wittelsbach und zu den damit verbunden vergleichsweise stark ausgeprägten Resistenzkräften gegenüber dem „Dritten Reich“ vgl . von Aretin, Adel; Malinowski, König, S . 367–384 . 66 Franz Frhr . von Redwitz: Kronprinz Rupprecht und der Widerstand in Bayern, Manuskript im Nachlass Meier, zit . nach Limbach, Hamm, S . 61 . 67 Neuerdings ist allerdings ein Bericht darüber aufgetaucht, dass Otto von Waldenfels, Kreismitglied und Direktor des Bayerischen Kriegsarchivs in München, von Sperr Schriftstücke überreicht bekam, sie im Archiv versteckte, aber nach dem Krieg nicht wiederfinden konnte; Brief von Wilhelm von Waldenfels an Wolfgang Hardtwig, 19 .7 .2014, in: Privatarchiv Wolfgang Hardtwig . 64 65
408 XII. Im Widerstand
und 1943 in Italien entstand .68 Der Kronprinz entwarf darin einen liberalen Staat, der der „individuellen Entwicklung des Einzelnen keine Hindernisse“ bereiten solle . Gleichwohl äußerte Rupprecht klassisch-konservativ stärkste Vorbehalte gegen die „Masse“, die „urteilslos und unstet, von Instinkten getrieben“ und daher zur Leitung des Staates ungeeignet sei69 – eine Meinung, der sich die bürgerlich liberal-konservativen Politiker gerade nach den Erfahrungen der frühen dreißiger Jahre angeschlossen haben dürften, wenn auch weniger deutlich . Zumindest für Bayern verspreche daher eine Erbmonarchie mehr Kontinuität und Stabilität als die Republik .70 Für das Deutsche Reich plante Rupprecht ein föderales Gebilde aus republikanisch oder monarchisch regierten, ungefähr gleichgroßen Gliedstaaten mit Einschluss Österreichs . Ein Zweikammersystem sollte die Mitwirkung der Bürger und der Einzelstaaten an der Regierung sichern, wobei die Reichstags-Abgeordneten aus Delegierten der Einzellandtage bestehen und die Zweite Kammer – das Staatenhaus – dem Reichsrat des Kaiserreichs nachgebildet sein sollte . Für Bayern sah Rupprecht einen vom Volk gewählten Landtag und ein ständisch gegliedertes Oberhaus vor . Das deutsche Staatsoberhaupt sollte ein von den Staatsoberhäuptern der Länder auf Lebenszeit gewählter „deutscher König“ sein . Um die Stellung der Staatsspitzen in den Einzelstaaten zu stärken und eine meritokratischkonservative Führungsauswahl zu sichern, sollten sie das Recht haben, dem Reichsmonarchen die Vorschlagsliste für die Berufung des Bundeskanzlers vorzulegen .71 Ruprecht sah also im Einklang mit liberal-konservativen, jedoch auch demokratieskeptischen Grundüberzeugungen einen Rechtsstaat mit – begrenzten – Partizipationsrechten der Bürger vor . Die konservativ-monarchische Tradition machte sich dagegen in der starken Stellung der einzelstaatlichen Staatsoberhäupter geltend, die – wenn auch mit Ausnahme Bayerns – republikanische Präsidenten sein konnten, sowie in der monarchischen Reichsspitze, die auf einer Wahlmonarchie beruhte . Das demokratische Repräsentationsprinzip kam in den Ersten Kammern, dem Reichstag und den Landtagen zur Geltung, wobei jedoch der Wählerwille auf Reichsebene sowohl föderal wie auch qualitativ durch die Zwischenschaltung der Landtage gebrochen wurde . Rupprecht schwebte also eine im Grundsatz monarchisch-republika-
Herzogliche Verwaltung Nymphenburg, Autobiographische Aufzeichnungen Kronprinz Rupprechts von Bayern, Mappe 23; der Biograph Weiß hatte uneingeschränkten Zugang zum Nachlass Rupprechts im Geheimen Hausarchiv München und konnte den Text gründlich auswerten; Weiß, Staatsauffassung; die folgende Zusammenfassung danach . 69 Zitate ebd ., S . 555 f . 70 Ebd ., S . 555 . 71 Ebd ., S . 556 . 68
2. Die Entstehung des Sperr-Kreises und sein verfassungspolitisches Programm 409
nische Mischverfassung vor, in der die demokratische Egalität zwar prinzipiell gewahrt, jedoch über die berufsständischen Zweiten Kammern und über die Zwischenschaltung der Landtage faktisch stark eingeschränkt wurde . Das Reich sollte eine konstitutionelle Wahlmonarchie mit ausgeprägt bundesstaatlicher Ausrichtung sein . Die Regelung für die Berufung des Bundeskanzlers weist eine ausgeprägt antiparlamentarische Stoßrichtung auf . Rupprechts Verfassungskonzept stellt somit eine aus monarchischer Tradition, liberalem Repräsentationsdenken und antiparlamentarischer Erfahrung gespeiste Kompromisslösung dar . In der damaligen Situation mochte sie den Vorzug haben, modernes Egalitätsprinzip, altliberal-ständische Überzeugungen und monarchisches Prinzip einigermaßen kohärent zusammenzubringen, wodurch sie allerdings auch verkompliziert wurde . Wie ausgereift diese Konzeption schon in den Anfangsjahren des NS-Regimes war, steht dahin . Unbestreitbar stimmt sie in einigen Elementen mit dem Verfassungskonzept von Otto Frielinghaus überein, das Hamm im Oktober 1932 in der „Deutschen Wirtschafts-Zeitung“ hatte publizieren lassen72 – wobei hier allerdings die Staatspitze nicht aus einem Monarchen, sondern aus einem vom Volk gewählten Staatspräsidenten bestehen sollte . Für die Jahre nach 1933 mag dieses Konzept eine tragfähige Basis für den Sperr-Kreis gebildet haben, eine dauerhafte Lösung dürfte Hamm darin aber zumindest in einigen Punkten nicht gesehen haben . Anders als der konservative Sperr und der liberal-konservative Gessler, die beide schon in den Jahren der Republik aus ihrem vernunftrepublikanischen Monarchismus kein Hehl gemacht hatten, genoss Hamm bis in die 1940er Jahre hinein den Ruf eines lupenreinen Demokraten und Republikaners . Davon zeugen sowohl eine Aussage des konservativen ehemaligen deutschen Botschafters in Rom (1932–1938) und späteren Widerständlers Ulrich von Hassell von 193973 als auch ein Bericht des letzten Oberbürgermeisters von München der Weimarer Zeit, Karl Scharnagl (BVP), der dann auch als erster Nachkriegs-Oberbürgermeister (CSU) amtierte . Scharnagl fungierte 1943/44 als Verbindungsmann des Kreises zu Carl Friedrich Goerdeler und bemerkte in einer Niederschrift am 30 . Juli 1946 ausdrücklich, man habe bei den Besprechungen „alle politischen Probleme erörtert, auch die Monarchie . Ich war angenehm überrascht, wie positiv Dr . Hamm zu diesen Fragen eingestellt war […] . Selbstverständ-
72 73
Vgl . oben S . 365–369 . Vgl . unten S . 416 f .
410 XII. Im Widerstand
lich erörterten wir auch eine demokratische Staatsführung unter starker Betonung des bayer . Standpunktes“ .74 Hamms Hinwendung zu einer vermutlich konstitutionellen Monarchie jedenfalls für Bayern, möglicherweise aber auch für das Reich, ist nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag . Keine Widerstandsgruppe rechts der SPD, welcher Couleur auch immer, hat nach 1933 das Programm einer Rückkehr zur Weimarer Reichsverfassung vertreten . Diese Form der demokratischen Republik hatte sich aus der Sicht der Akteure als nicht überlebensfähig erwiesen . Ein rein egalitäres Repräsentationsprinzip kam daher für die Gegner des NS-Regimes diesseits der SPD nicht mehr in Frage . Das gilt sowohl für monarchisch-konservative Gruppen wie den bayerischen HarnierKreis als auch für den nach links zur nicht-kommunistischen Arbeiterschaft geöffneten Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke, vor allem aber für die adlig-bürgerliche Offiziersopposition .75 Im Falle Hamms erstaunt der Kurswechsel von 1918/19 hin zum überzeugten Demokraten und Republikaner im Grunde mehr als die Rückwendung zur konstitutionellen Monarchie unter den Bedingungen des NS-Regimes . Hamm war als junger Mann in die Blütezeit des liberal-gouvernemental regierten Königreichs Bayern hinein sozialisiert worden . Für die Linksliberalen in Bayern wie im Reich hatte die Legitimität der monarchischen Staatsform bis in die letzten Kriegsmonate hinein nirgends in Frage gestanden, sieht man von dem Berliner Staatsrechtler und Gemeindeverordneten Hugo Preuß ab .76 Zweifellos waren es die Erfahrungen Hamms während des Krieges in München und Berlin, das Versagen des Reichsmonarchen Wilhelm II . und der rapide Autoritätsverfall der Wittelsbacher in München 1917/18 sowie die offenkundig enttäuschend verlaufene Audienz bei Ludwig III . ausgerechnet anlässlich einer Ordensverleihung im Januar 1918, die Hamm zu der Überzeugung brachten, dass die Monarchie in Deutschland definitiv abgewirtschaftet habe . Dass er im Zuge der seit 1924 zunehmenden Parlamentarismuskritik auch und gerade unter maßgeblichen republikfreundlichen Politikern und Publizisten wie diese für eine Stärkung der Exekutive gegenüber der Legislative eingetreten war, ist oben deutlich geworden . Seit die Machtübernahme durch Hitler drohte, dürfte er sich über die demokratische Sehnsucht nach Führerpersönlichkeiten hinaus mangels personeller Alternativen auf die jahrhundertealte Legitimität der bayerischen Monarchie und speziell auf das
Karl Scharnagl: Die politische Tätigkeit des Herrn ehem . Staatsministers Dr . Hamm, München, 30 . Juli 1946, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 75 Grundlegend dazu Mommsen, Gesellschaftsbild; Ders ., Neuordnungspläne . 76 Vgl . oben S . 76 f . 74
3. Konspirative Netzwerkbildung 411
persönliche wie auch das Amtscharisma des Kronprinzen besonnen haben . Hamms Hoffnung von 1920 auf das „verantwortliche Staatsbürgertum aller Klassen“ hatte sich jedenfalls in der Krise nicht bewährt . Auch in der Föderalismusfrage hat Hamm seine Position zwischen Kriegsende 1918 und der Etablierung der NS-Herrschaft mehrfach geändert . Wie oben gezeigt, verteidigte er als bayerischer Handelsminister und Reichstagsabgeordneter die in der Weimarer Reichsverfassung genau definierte Eigenstaatlichkeit des Bundeslandes Bayern . Je mehr sich dann die BVP-geführte bayerische Regierung in Widerspruch setzte zum Reichsrecht und zur reichsrechtlich legitimierten Berliner Politik, desto mehr verteidigte er in Bayern die Positionen des Reichs . Der überzeugte bayerische Föderalist Hamm, der dem radikalunitarischen Parteifreund Hugo Preuß auf dem Regensburger Parteitag der DDP 1920 energisch entgegengetreten war, wandelte sich spätestens seit den Erfahrungen als Staatssekretär in der Reichskanzlei mit den divergierenden Positionen und dem Egoismus der Länderregierungen zum föderalistisch gemäßigten Unitaristen . Die Erfahrungen als Reichswirtschaftsminister und als Verbandsfunktionär verstärkten noch seine Hinwendung zu einer umfassenden Reichsreform . In den Anfängen der NS-Herrschaft wusste Hamm auf bestimmten, begrenzten Feldern, etwa im semistaatlichen Bereich der Fremdenverkehrsförderung, den Abbau bürokratischer Hemmnisse und die Verstärkung von zentralistischen Durchgriffsmöglichkeiten durchaus zu schätzen .77 Aber die Machtexpansion und der systematische Machtmissbrauch aus Berlin ließen ihn auf die machtverteilende föderale Tradition zurückgreifen .
3. Konspirative Netzwerkbildung
Im Mittelpunkt der Kreisbildung stand Franz Sperr . Die wichtigsten Funktionen übernahmen daneben Gessler und Hamm . Als Versorgungsexperte bewegte sich Anton Fehr in der Nähe dieses Zentrums . Franz von Redwitz spielte nach der Gründungsphase bis 1935 nur noch die Rolle des Mittelsmannes zum Kronprinzen . Die Kontakte und Treffen der Beteiligten hatten von Anfang an konspirativen Charakter, der sorgfältig gewahrt wurde . Eine Art „Schottensystem“78 sorgte dafür, dass möglichst viele Mitglieder möglichst wenig über alle anderen wussten . So waren sämtliche Verbindungen nur Sperr bekannt, der alle Informationen erhielt, diese aber nur an andere weitergab,
Vgl . Eduard Hamm: Vom Fremdenverkehr, wohl 1933 (ohne genaue Datierung), in: BayHStA, NL Hamm, 99 . 78 Becker, Widerstandskreis, S . 39 . 77
412 XII. Im Widerstand
wenn er es für notwendig hielt .79 Wenn die Mitglieder des Führungskreises einzelne Personen ansprachen, so geschah dies unter sorgfältiger Vorauswahl vertrauenswürdiger Persönlichkeiten und im Prinzip ohne Kenntnis der anderen Führungsmitglieder mit Ausnahme Sperrs . Dass dieses Prinzip bei den Gesprächen im Führungskreis nicht strikt durchgehalten werden konnte, ist klar . Doch erwies sich die konspirative Organisation am Ende doch als sehr erfolgreich . Nur fünf der inzwischen über 49 ermittelten Mitglieder des Kreises sind der Gestapo nach dem 20 . Juli 1944 bekannt geworden .80 Alle Beteiligten rechneten damit, dass ihre Post und ihr Telefon überwacht werden konnten . Daher befolgten sie strengstens den Grundsatz, „keine Zeile zu schreiben und kein Telefongespräch zu führen“ .81 Die frühen Treffen liefen über einen Kontaktmann, den alle Beteiligten kannten, den Polizeioberst a . D . Franz Hunglinger .82 Hamm wusste, dass sein Postverkehr kontrolliert wurde und korrespondierte daher in den späteren Jahren nur noch unter einer Deckadresse mit den alten und neuen Verbündeten .83 Wenn er sich in Reit im Winkl aufhielt, empfing der mit ihm bekannte Tierzuchtinspektor Dr . Hoffmann in Traunstein für ihn Briefe und gab „ihren Inhalt dann in getarnter Form“ telefonisch nach Reit im Winkl weiter .84 Nicht bekannt war Hamm hingegen, dass er seit 1939 in einer Übersicht des Reichssicherheitsdienstes mit dem Titel „Erfassung führender Männer der Systemzeit (Liberalisten – Pazifisten)“ geführt wurde und dass darin festgehalten war, dass er sich „vorwiegend“ in München aufhalte, daneben aber ein Gut in Reit im Winkl
Redwitz, Kronprinz Rupprecht, S . 4 . Freundliche mündliche Auskunft von Limbach am 28 .4 .2018; zudem macht Limbach noch 17 „Sympathisanten“ namhaft; zu den von Sperr und Gessler angesprochenen Kontaktpersonen vgl . Becker, Sperr, S . 50 ff . Das Funktionieren dieses „Schottensystems“ bestätigt jetzt auch ein Brief von Prof . Wolfgang Helfrich an den Autor vom 31 .10 .2016 . Wolfgang Helfrich ist der älteste Sohn des Syndikus der Industrie- und Handelskammer München, Paul Helfrich, und berichtet aus der familiären Überlieferung, dass sein Vater „Mitglied einer Dreierzelle war, deren andere Mitglieder ein Haindl (von der Papierfabrik gleichen Namens) aus Augsburg und ein dritter Mann waren . Dieser Dritte habe sich in Plötzensee durch einen Sturz vom dritten Stock das Leben genommen, um zu verhindern, dass man ihn durch Folter zu Geständnissen zwingen könnte“ . Trotz der Verwechslung des Lehrter Gefängnisses mit dem Gefängnis Plötzensee, wo viele Verschworene des 20 . Juli hingerichtet wurden, handelt es sich zweifelsfrei um Eduard Hamm . 81 Redwitz, Kronprinz Rupprecht, S . 5 . 82 Ebd ., S . 5; Limbach, Hamm, S . 60 . 83 Schreiben Otto Gessler an Marie Elisabeth Lüders, 13 .7 .1951, zit . nach Limbach, Hamm, S . 68 . 84 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 3, in: BayHStA, NL Hamm, 110; Limbach, Hamm, S . 68 . 79 80
3. Konspirative Netzwerkbildung 413
besitze .85 Nach dem Umzug der gesamten Familie nach Reit wegen der Bombenangriffe im Jahr 1943 auf München sorgte sich Hamm zu Recht darum, dass seine häufigen Reisen hauptsächlich nach München und Augsburg, aber unter anderem auch nach Nürnberg, Berlin, Hamburg auffallen könnten .86 Dass NS-Anhänger im Dorf Reit im Winkl ein Auge auf ihn hatten, geht aus der mündlichen Überlieferung hervor .87 Laut Aussage seiner Tochter verschaffte sich Hamm eine plausible Tarnung durch eine beratende Tätigkeit für die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, die sich unter dem früheren ersten Reichswirtschaftsminister der Regierung Hitler 1933 und späteren Vorstandsvorsitzenden Kurt Schmitt „zu einer Art Zuflucht für dem Widerstand nahestehende Personen“ entwickelt hatte .88 Von Januar bis Juli 1944 arbeitete Hamm an einer umfangreichen Denkschrift für die Münchener Rückversicherung, „Aufgaben und Fragen der deutschen Privatversicherung und Angriffen gegen sie“, die er am 23 . Juli 1944 mit einem handschriftlichen Begleitbrief an Schmitt schickte, wobei er auch eine Diskussion seiner Überlegungen gemeinsam mit den Herren Alzheimer und Riebesall vorschlug .89 Hamm war 1934 über Gessler als Wirtschaftsfachmann zum Beraterkreis um den Kronprinzen gestoßen . Die Wirtschaft blieb auch weiterhin sein Aufgabenfeld bis hin zu der „Spezialaufgabe“, der „wirtschaftspolitischen Vorbereitung des Umsturzes in Bayern“ .90 Zudem war er beauftragt, „den nötigen Personalstatus für die innere Verwaltung […] und für die Justiz“ zusammenzustellen .91 Das lag nahe, weil er durch seine bisherigen Ämter über umfas-
Schumacher, M . d . R ., S . 168 . Zahlreiche Reisen sind in den Haushaltsbüchern von Maria Hamm mit Angaben zu den Daten und Kosten dokumentiert . Ob sie auf diese Weise alle Reisen ihres Mannes festgehalten hat, lässt sich nicht mehr feststellen; Haushaltsbücher, in: BayHStA, NL Hamm, 122–136 . 87 So z . B . mündliche Mitteilung von Dr . Franz Heigenhauser an den Verfasser in den 1980er Jahren . 88 So das Vorstandsmitglied Alois Alzheimer; vgl . Feldman, Allianz, S . 521; Seidel, Reichswirtschaftsminister; Bähr/Kopper, Munich Re . 89 Kopie im Besitz des Autors; mit „Angriffen“ war wohl ein Schriftstück des Gutachters Klaus Wilhelm Rath, „Gegenwärtiger Zustand und Probleme des deutschen Versicherungswesens“ gemeint, das dieser 1943 im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums vorgelegt hatte; Erwin Hardtwig vermutet, dass die aufwendige Arbeit Hamms auch der Vorbereitung auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben gedient haben könnte; vgl . Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 1, in: BayHStA, NL Hamm, 110, vgl . auch Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, S . 3, in: ebd . 90 Abschrift Helfrich an Hauptausschuß Opfer des Faschismus, in: BayHStA, NL Hamm, 108 . 91 Brief von Reichsminister a . D . Dr . Otto Gessler an Präsident Rudolf Flach in Kempten, Lindenberg i . Allgäu, 28 .2 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 5 . 85 86
414 XII. Im Widerstand
sende Personalkenntnisse verfügte . Als geeignet galt, wer sich „bei der überall herrschenden Korruption sauber gehalten“ hatte,92 „tüchtiger Fachmann“ war, „Land und Leute kannte“ und „im Lande selbst genügend Ansehen“ besaß .93 In einem Brief an den „Hauptausschuß Opfer des Faschismus“ berichtet der Syndikus der IHK München, Paul Helfrich, in dem Hamm offenbar einen geeigneten Verbindungsmann in die Wirtschaft gesehen hatte, wie eine solche Kontaktaufnahme ablief .94 Demnach fragte Hamm gewöhnlich zunächst nach irgendeinem Gegenstand aus dem Tätigkeitsbereich des Angesprochenen und kam danach auf politische Fragen zu sprechen . Solche Gespräche fanden unter vier Augen entweder in Hamms Wohnung in München in der Friedrichstraße 17 oder in nahegelegenen Lokalen statt . Im Falle Helfrichs selbst ging es inhaltlich um fünf Problemkreise: erstens die „Benennung von Persönlichkeiten aus der bayerischen Wirtschaft, mit deren Zuverlässigkeit man rechnen und die man deshalb in die Vorbereitungen einbeziehen konnte“; zweitens die Erörterung über „Personen, die für die Übernahme der Regierungsgeschäfte im Wirtschaftsministerium und leitenden Stellen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung (Industrie- und Handelskammer) in Frage kämen“; drittens „Währungspolitik“; viertens „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“; fünftens „Sozialpolitik“ .95 Laut Helfrich traten im Laufe der Zeit die „Spezialfragen der Sozialpolitik“ etwas zurück, weil es „gelungen war, auch die Verbindung mit alten Gewerkschaftlern aufzunehmen“ .96 Zu den Angesprochenen gehörte zum Beispiel der Vorstand des bayerischen Energieversorgers Bayernwerk AG, Ministerialrat a . D . Dr . Rudolf
Abschrift von Otto Gesslers Erklärung über den ehemaligen Zweiten Bürgermeister Nürnbergs, Walter Eickemeyer, Lindenberg i . Allgäu, 9 .8 .1946, zit . nach Limbach, Hamm, S . 68 . 93 Brief von Reichsminister a . D . Dr . Otto Gessler an Präsident Rudolf Flach in Kempten, Lindenberg i . Allgäu, 28 .2 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 5 . 94 Vgl . Eidesstattliche Erklärung von Dr . Johannes Meier, Hauptgeschäftsführer der IHK Augsburg, 10 .10 .1947, in: Staatsarchiv München, Spruchkammerakte Paul Helfrich, K 671, das betreffende Schreiben „An den Hauptausschuß Opfer des Faschismus“, 21 .7 .1946 auch in: BayHStA, NL Hamm, 108; alle weiteren Informationen zum Aufbau des Personennetzes in: Limbach, Hamm, S . 69–73 . Demnach fungierte Helfrich als „Mittelsmann“ zwischen Meier und Hamm . Helfrich stand 1943 auch in Kontakt mit Adolf Lampe, der zum „Freiburger Kreis“ gerechnet wird, einer Gruppe von Wirtschaftsexperten, die in Verbindung zu Goerdeler stand . 95 Helfrich an den „Hauptausschuß Opfer des Faschismus“, 21 .7 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 108 96 Ebd . Die sorgfältige Auswertung der Nachlässe Hamm, Gessler, Meier sowie von Spruchkammerakten ermöglichte es Manuel Limbach, eine Reihe von weiteren angesprochenen Persönlichkeiten zu identifizieren und ihre vorgesehene Verwendung zu erschließen . 92
3. Konspirative Netzwerkbildung 415
Decker, den Hamm noch aus seiner Beamtenzeit im bayerischen Innenministerium kannte .97 Auch den Vorstand des mittelständischen Nahrungsmittelherstellers Diamalt AG und rumänischen Generalkonsul Hermann Aumer kannte Hamm noch aus der Anfangszeit als bayerischer Handelsminister im Jahr 1919 . Aumer bewohnte das prachtvolle Jugendstilhaus an der Ecke Friedrich-/Franz-Joseph-Straße, schräg gegenüber von Hamms Wohnung . Er fungierte auch als Verbindungsmann Hamms und Sperrs zu Günther Caracciola-Delbrück und Philipp Schubert . Besprechungen im kleinen Kreis fanden häufig in der Wohnung des Senatspräsidenten am Reichsfinanzhof in München, Heinrich Schmittmann, statt . Diese Bekanntschaft stammte wahrscheinlich noch aus der Zeit, als sich Hamm 1924 Gedanken über seine eigene berufliche Zukunft gemacht und eine Tätigkeit am Reichsfinanzhof ins Auge gefasst hatte .98 Als „Staatskommissar für die Justiz“, oder als Vorsitzenden des „Gerichtshofs für die Verbrechen der PG“ sah Hamm laut Gessler den Präsidenten des Landgerichts Kempten Rudolf Flach vor, der als „unabhängiger Richter und tadelloser Charakter“ galt .99 Hamm ging bei seinen Sondierungen sehr vorsichtig vor, indem er zunächst ihm seit langem bekannte und im öffentlichen Leben bewährte Persönlichkeiten ansprach und von dieser Basis aus seine Fühler weiter ausstreckte . Er verließ sich dabei weitgehend auf seine Menschenkenntnis . Das konnte dazu führen, dass er sogar ein bei der Regierung in Ansbach tätiges NSDAPMitglied, Konrad Frank, ansprach und im Falle eines Umsturzes für einen leitenden Posten in Mittelfranken ins Auge fasste .100 Auch einzelne Personen aus der bayerischen Landbauernschaft genossen Hamms Vertrauen . Dass sich Hamm auch nach seinem Umzug nach München 1936 mehr oder weniger systematisch mit NS-kritischen alten Freunden und Mitarbeitern wie Heinrich Albert, Theodor Heuss, Fritz Elsas, Franz Kempner und Friedrich Heilbron traf, wurde bereits erwähnt . Seit Anfang 1939 nahm Vgl . die Niederschrift „Eduard Hamm“ von Decker, wohl 1946 (ohne Datierung), in: BayHStA, NL Hamm, 110, die Hamms Tätigkeit im bayerischen Innen- und Handelsministerium ausführlich würdigt . 98 Brief Hamms an Gessler, 25 .11 .1923, abgedr . in: Gessler, Reichswehrpolitik, S . 494 f . 99 Brief Gessler an Flach, 28 .2 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 5 . Aus der Korrespondenz Gesslers nach 1945 ergibt sich, dass er sich mit Hamm mehrfach über die anzusprechenden Personen ausgetauscht hat, angesichts der engen Freundschaft der beiden eine Selbstverständlichkeit . 100 Dies berichtet jedenfalls Otto Gessler nach dem Krieg; vgl . die beglaubigte Abschrift seines Schreibens an Konrad Frank, Lindenberg i . Allgäu, 14 .12 .1945, abgedr . in: Becker, Sperr, S . 162 f; Frank trat wohl infolge der Kampagne zum NS-Beitritt von Beamten in die Partei ein, er war 1919 als Regierungsassessor ins Handelsministerium berufen worden; vgl . Unger, Staatsministerium, S . 376 . 97
416 XII. Im Widerstand
Hamm zudem gemeinsam mit seinen engsten Mitstreitern gleichsam kreisoffizielle Gespräche mit Hitleropponenten außerhalb Bayerns auf . So kam es im Laufe dieses Jahres zu drei nachgewiesenen Treffen mit dem konservativen früheren deutschen Botschafter in Rom und am 8 . September 1944 hingerichteten Widerständler Ulrich von Hassell .101 Die ersten beiden Gespräche am 17 . Januar 1939 und am 13 . Juli 1939 fanden bei Walter Goetz in München-Gräfelfing statt,102 das dritte Treffen am 13 . Dezember 1939 bei Eduard Hamm . An allen Treffen nahmen neben von Hassell Hamm und Gessler teil, an zweien Franz Sperr . Von Hassells Tagebucheinträge sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich . Zum ersten Treffen notierte er: „Stimmung politisch sehr besorgt . Hamm und Gessler sind alte Demokraten, Goetz alter Naumannianer . Zwischen ihren Auffassungen und denen alter Deutschnationaler bestehen heute materiell keine Unterschiede . Politics makes strange bed fellows“ .103 Von Hassell verortete Hamm und Gessler noch eindeutig bei ihrer ursprünglichen linksliberalen Position, obgleich Hamm sich schon seit 1923/24 als Anhänger einer „Rechtserweiterung“ der Regierung über die DVP hinaus zur DNVP erwiesen und bei seinem kurzen Eingreifen in die bürgerlichen Sammlungsversuche im Sommer 1931 mit Vertretern des linksabweichlerischen Westarp-Flügels kooperiert hatte . Vor allem waren Gesslers gute Verbindungen zu einzelnen Deutschnationalen und zeitweise auch zu Hindenburg allgemein bekannt .104 Zum Treffen am 13 . Juli 1939 hielt von Hassell fest: „Erörterung der Notwendigkeit von Aufnahmestellungen für den Fall, daß die Geschichte schief geht . G[essler] überzeugt, daß man für diesen Fall auf die Monarchie losgehen müsse“ .105 Daraus lässt sich schließen, dass von Hassell vor allem in Gessler den Vertreter des Monarchismus sah . Von Hassells Begriff „Aufnahmestellungen“ besagt in etwa dasselbe wie Gesslers Terminus „Auffangbewegung“ – was zeigt, dass von Hassell die Planung des Sperr-Kreises kannte . Nach dem letzten Treffen am 13 . Dezember 1939 bei Hamm notierte von Hassell:
Vgl . von Hassell, Deutschland, S . 40; von Hassell, Hassell-Tagebücher, S . 98, 148 f . Zudem sind die Treffen belegt durch die „Kaltenbrunner-Berichte“, Bericht vom 15 .9 .1944, in: Jacobsen, Opposition, S . 387–391, hier S . 390; zu von Hassells politischem Standort und seiner oppositionellen Tätigkeit seit 1938 vgl . Schöllgen, von Hassell, S . 96–174; dort keine Hinweise auf die Treffen mit dem Sperr-Kreis . 102 Goetz sympathisierte zweifellos mit den Zielen des Kreises, von einer eigentlichen Widerstandsaktivität kann bei ihm jedoch keine Rede sein – so zumindest das Urteil seines Biographen Wolf Weigand, Goetz, S . 339 f . 103 Von Hassell, Deutschland, S . 45 . 104 Ders ., Hassell-Tagebücher, S . 98 . 105 Ebd . 101
4. Kontakte zum Militär 417
„Sie beurteilen übereinstimmend die wirtschaftliche Lage außerordentlich ernst . Die englische Ausfuhrblockade trifft einen der empfindlichsten Punkte . Auf der anderen Seite sind die Verluste und Hemmnisse der Schiffahrt von und nach England zweifellos groß . Ich bin überzeugt, man könnte bei einem Systemwechsel in Deutschland heute noch einen anständigen Frieden bekommen, aber wie lange noch?“106
Die Notiz zeigt, dass es bei diesem Treffen hauptsächlich um Probleme der Wirtschaft, insbesondere der Kriegswirtschaft ging . Die Beteiligten hofften wohl, dass ein Angriffskrieg gegen Belgien und die Niederlande noch verhindert werden könne . Auf eine Verabredung mit Gessler hin traf sich von Hassell jedenfalls mit Paul Reusch, und auch Hamm reiste zwischen dem 10 . und 14 . November zu einem förmlich vereinbarten Besuch auf Reuschs Katharinenhof bei Bruchsal .107 Reusch sollte offenbar dazu bewogen werden, entsprechend Einfluss auf die Generäle, vor allem auf Franz Halder, zu nehmen, doch hielt sich Reusch – wie schon seit der Machtergreifung – strikt bedeckt .108 Es ist anzunehmen, dass Hamm Reusch zumindest andeutungsweise auf oppositionelle Aktivitäten hin ansprach . Spätere Treffen mit ihm sind jedoch nicht belegt . Auf einen brieflichen Versuch Hamms, politische Fragen anzusprechen, reagierte Reusch im Dezember 1942 deutlich ablehnend .109
4. Kontakte zum Militär
Hamms Kontakte, die weit über den hier genannten Personenkreis hinausgingen, reichten also vom bayerischen Wirtschaftsbürgertum – besonders Vertretern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung (DIHT) – über die bayerische Beamtenschaft bis zu Vertretern der Intellektuellenberufe und zu einzelnen Offizieren . Über Franz Sperr waren von Anfang an auch Gespräche mit vertrauenswürdigen bayerischen Militärs im Gang . Sperr war sich frühzeitig darüber im Klaren, dass an eine Machtübernahme während des erhofften Zusammenbruchs des „Dritten Reichs“ in Bayern nur zu denken war, wenn wichtige Militärs auf der eigenen Seite standen, schon, um mit der SS fertig zu werden .110 Sperr stützte sich dabei zum einen auf seinen Bekanntenkreis aus seiner Zeit als Generalstabsoffizier, zum Beispiel Oberstleutnant a . D .
Ebd ., S . 148 . Haushaltsbuch, Nr . 14, in: BayHStA, NL Hamm, 134; vgl . auch den Terminvorschlag im Brief von Reusch an Hamm, 1 .10 .1939, in: BayHStA, NL Hamm, 91 . 108 Reusch an Hamm, 16 .11 .1939, in: ebd . 109 Vgl . Reusch an Hamm, 23 .12 .1943, in: ebd . 110 Entwurf der Niederschrift über die Ausführungen von H . Minister a . D . Dr . Gessler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9 . November 1950, in: BArch, 106 107
418 XII. Im Widerstand
Rudolf Gierl, Major a . D . Ernst Ferdinand Demmler, Generalmajor Adolf Herrgott sowie Rittmeister und Staatsarchivar im Bayerischen Kriegsarchiv Otto Freiherr von Waldenfels, zum anderen auf neu geknüpfte Kontakte zu jüngeren Reserveoffizieren im bayerischen Wehrkreis VII . Um diese Verbindungen zu fördern und gleichzeitig zu tarnen, übernahm Sperr im Oktober 1936 die Leitung der Münchner Zweigstelle der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft . Er selbst und der wegen „nationaler“ bzw . „politischer Unzuverlässigkeit“ aus der Wehrmacht entlassene Erlanger Privatdozent Ernst Meier hielten dort regelmäßig Vorträge . 1940 gab Sperr dieses Amt ab, da es ihm nach der Einsetzung eines „Gaubeauftragten für das militärische Vortragswesen“ durch die NSDAP zu heikel wurde . Hamm wusste schon bald nach Beginn des Krieges in Russland über die Zustände im Osten Bescheid . Seine Informationen stammten im Wesentlichen von General a . D . Oswald Lutz, der bis zur Blomberg-Fritsch-Krise 1938 Panzergeneral und Chef der „Schnellen Truppen“ gewesen war .111 Lutz war Eigentümer der großbürgerlichen Mietwohnung Hamms in der Friedrichstraße 17 und wohnte wie dieser im ersten Stock, auf der anderen Seite des Flurs . Hamm hielt zwar von Lutz „als Politiker gar nichts“ und „staunte nur über dessen Kindlichkeit und Wankelmut“,112 brachte ihm aber gleichwohl „besondere Sympathien“ entgegen .113 Im Krieg vertiefte Hamm bewusst diese Bekanntschaft, um mehr über die Stimmung in der Wehrmacht zu erfahren und Lutz eventuell auch für die eigene Position zu gewinnen .114 Bei einem Abendessen zusammen mit Gertrud Hamm erzählte Lutz „schon sehr früh und vollkommen unverblümt von den Verbrechen wider die Menschlichkeit, die er im Osten mit angesehen habe“ . Hamms Tochter berichtet über die Reaktion ihres Vaters: „Damals sah ich, wie der Vater förmlich zusammenbrach, so schwer litt er unter den Erzählungen, die ihm auch schon von anderer Seite zugetragen worden waren . Er prophezeite mit erschreckender Klarheit, wie jeder Deutsche für die Grausamkeiten
N 1032, 36, Bl . 102, abgedr . in: Becker, Sperr, S . 164–167, hier S . 166; im Folgenden stütze ich mich wiederum auf Limbach, Hamm, S . 63–67, und Becker, Sperr . 111 Chef des Stabes in den letzten Dienstjahren von Lutz war der spätere Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, mit dem Lutz noch bis zum „Kessel von Stalingrad“ Ende 1942 Kontakt hatte . 112 Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, S . 4, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 113 Schreiben von Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm, 24 .7 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 108 . 114 Erwin Hardtwig-Hamm: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 4, in: BayHStA, NL Hamm, 110 .
4. Kontakte zum Militär 419
verantwortlich gemacht werden würde, und ich weiß gewiß, dass er mit dem Gedanken in den Tod gegangen ist, damit auch eine winzige Sühne für die Freveltaten seiner deutschen Brüder geleistet zu haben“ .115
Der prominenteste Militär, den der Kreis zu gewinnen hoffte, war der am 24 . September 1942 von Hitler entlassene Generalstabschef des Heeres, Franz Halder . Von ihm wusste man, dass er sowohl vom Angriff auf Frankreich und Belgien wie auf Russland dringend abgeraten hatte . Die Bekanntschaft zwischen Sperr und Halder datierte schon von Casino-Abenden in München und „Kriegsspielen“ des Generalstabs aus dem Jahr 1912 . Sperr war mit dem Zahnarzt und Major der Reserve Philipp Schubert bekannt geworden, der als Stabsoffizier bei der Münchner Ersatzdivision ein Treffen mit Halder arrangieren konnte . Dieses fand am 4 . Oktober 1943 in unmittelbarer Nähe von Hamms Wohnung in der Wohnung Schuberts in der Franz-Joseph-Straße, Ecke Habsburger Platz statt . Zwar erinnerte sich Halder später namentlich nur an die Militärs, Sperr, Schubert und den mit Schubert befreundeten Hauptmann Caracciola-Delbrück, sowie etwa acht weitere Herren – aber immerhin auch daran, von Sperr um eine Beurteilung der Kriegslage gebeten worden zu sein, die „natürlich in der Feststellung gipfeln (musste), dass der Krieg militärisch verloren sei“ . Auf die Frage, „ob auf einen Umsturzversuch aus militärischen Kreisen zu rechnen sei“, gab es für Halder „nur eine negative Antwort“ . Sperr erklärte dann, dass man bei dem „zu erwartenden militärischen Zusammenbruch in die Bresche“ springen und die „Herrschaft des Hitlerschen Klüngels“ beseitigen müsse . Als Sperr abschließend Halder fragte, ob er in diesem Fall bereit wäre, „das Kommando über die militärischen Potenzen in Bayern“ zu übernehmen, erklärte sich dieser damit „vorbehaltlos“ einverstanden .116 Die dubiose Rolle, die Halder gegenüber dem militärischen Widerstand gespielt hat, und seine Fertigkeit, nach 1945 seine Rolle im „Dritten Reich“ zu beschönigen, sind inzwischen hinlänglich bekannt .117 Aus der Sicht des SperrKreises sprach für Halder, dass er zu den ältesten Offiziersbekanntschaften Sperrs zählte, und sicher auch, dass er Bajuware war . Hamm hatte sich in seiner Einschätzung der Generalität im Lauf des Krieges von einem zwar nicht positiven, „aber doch nicht ganz ablehnenden“ Urteil zu einer „pessimisti-
Gertrud Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm (Frühjahr 1947), S . 12, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 116 Caracciola-Delbrück war Verbindungsoffizier des Heeres zum Reichsstatthalter in Bayern, General Franz Ritter von Epp; Schreiben von Halder an Ernst Meier, Aschau/Chiemgau, 18 .4 .1963, abgedr . in: Becker, Sperr, S . 168–171 . 117 Vgl . noch die sehr positive Beurteilung bei Hoffmann, Widerstand, S . 165–185; Hartmann, Halder, S . 162–171 . 115
420 XII. Im Widerstand
schen Auffassung durchgerungen, wenn auch schweren Herzens . Er sprach zuletzt eigentlich nur noch mit Verachtung von den Generalen und ihrem Kadavergehorsam Hitler gegenüber“ – so berichten jedenfalls seine Tochter und sein Schwiegersohn in ihren Niederschriften nach dem Krieg .118 Hardtwig konnte über das „aktive Offizierscorps im Allgemeinen […] und für die Generale im Besonderen nur ablehnende Auffassungen“ vorbringen und traf damit jetzt zu seiner Überraschung auf die Zustimmung des Schwiegervaters .119 Vor Halder allerdings habe Hamms „scharfes Urteil über die Militärs“ Halt gemacht . Zwar sprach Hamm nicht über seine Zusammenkünfte mit Halder, doch war er über dessen Sturz so gut informiert, dass seine Tochter annahm, er habe ihn „persönlich gekannt und mit ihm verkehrt“ .120 Sicher ist, dass Hamm anlässlich des Begräbnisses von Otto Lutz im Winter 1944 mit Halder und bei einem anschließenden kleinen Bankett mit dem Panzergeneral und legendären Helden des „Blitzkriegs“ gegen Frankreich Heinz Guderian ins Gespräch kam . Gertrud Hamm zufolge kehrte ihr Vater jedenfalls „von dieser Beerdigung besonders angeregt nach Hause .“121 Darüber hinaus berichtet der Schwiegersohn von einer Äußerung Hamms, „man werde von Guderian noch viel hören, er sei ein fähiger Mann und werde in der Zukunft eine große Rolle spielen“ .122 Sollte Hamm wirklich Hoffnungen auf die beiden Generäle gesetzt haben, so wurde er jedenfalls enttäuscht .
5. „Anschluss“ Österreichs und Revision der Ostgrenze
Hamms politisch-militärische Lageeinschätzung in den Jahren 1938 bis 1940 wirft allerdings ungeachtet seiner oppositionellen Aktivitäten Fragen auf . Denn den „Anschluss“ Österreichs am 12 . März 1938 hatte er – ebenso wie Gessler und so gut wie alle Linksliberalen der Weimarer Republik – freudig
Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 4, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . In der Tat lässt sich daraus schließen, dass Hamm einiges über die vergeblichen Versuche vor allem Goerdelers wusste, hohe Generäle für den Widerstand zu gewinnen . 119 Ebd ., S . 4 . 120 Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, in: ebd . 121 Ebd ., S . 2 . 122 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 4, in: ebd . Die tatsächliche Rolle Guderians im Zusammenhang mit dem 20 . Juli hat Hardtwig in seiner Niederschrift schon reflektiert . Guderian selbst spricht in seinen Erinnerungen nur von zwei Gesprächen mit Goerdeler, dessen Ansinnen er mit Berufung auf seinen Fahneneid abgelehnt habe; Guderian, Erinnerungen, S . 274 f . 118
5. „Anschluss“ Österreichs und Revision der Ostgrenze 421
begrüßt . Er geriet hier in ein Dilemma, aus dem er sich auch durch die für ihn schreckliche Erfahrung der Reichspogromnacht vom 9 . auf den 10 . November 1938123 nicht wirklich befreien konnte: den Widerspruch zwischen dem Unrechts- und Gewaltcharakter der NS-Herrschaft und der Bejahung der bis dahin so erfolgreichen Außenpolitik Hitlers . Dem heutigen Betrachter ist dieses Dilemma kaum mehr verständlich, weil er die per se mörderische Natur des Regimes von dessen Weg in den Holocaust her kennt, der auch scharfsichtigen Kritikern bis in das Jahr 1941 hinein unvorstellbar blieb . Zudem ist ihm die innere Logik der Kriegspolitik Hitlers über die Angriffe auf Polen 1939, Frankreich und Großbritannien 1940/41 und Russland 1941 sowie den Kriegseintritt gegen die USA bekannt, die sich in dieser Form ebenfalls niemand außerhalb des engsten NS-Führungszirkels – vielleicht nicht einmal Hitler selbst – vorstellen konnte .124 Die Brücke über diesen Widerspruch zwischen Ablehnung und Bejahung des NS-Regimes bildete auch für regimekritische Bürger der tief verwurzelte deutsche Nationalismus und seine permanente schwere Kränkung in den Jahren 1918 bis 1933 . Was den „Anschluss“ Österreichs betrifft, war nicht nur für das nationale Bürgertum, sondern auch für die politische Arbeiterbewegung seit 1919 die Zielvorstellung „Großdeutschland“ selbstverständlich .125 Die großdeutsche Überzeugung und damit die Hoffnung auf eine früher oder später eintretende Vereinigung mit Österreich stellte auch eine der wenigen stabilen Gemeinsamkeiten im Weimarer Linksliberalismus dar . In einem Brief an seinen Freund Heinrich Albert am 18 . März 1938 – also unmittelbar nach dem „Anschluss“ – schilderte Hamm ex post in knappen Worten die Entstehung seiner eigenen großdeutschen Überzeugung: „In der Sache selbst kann es ja nur helle Freude geben . Ich habe vom Anfang meines politischen Denkens das Bismarcksche Reich bei aller Bewunderung für Bismarck immer nur als eine Etappe betrachtet, nachdem über die Grenze immer deutlicher zu erkennen war, daß es mit einer wirklichen deutschen Beherrschung des Habsburger Reichs zu Ende war – zufolge von Versäumnis und Schicksal hüben und drüben der Grenze . So erschien mir der Einsturz der Dynastien als Hoffnung auf eine Einigung
Vgl . unten S . 431 . Zum Schwanken der strategischen Konzepte und der Unvorstellbarkeit eines Zweifrontenkriegs durch einen Angriff auf Russland in der Militärführung bis in den Juli 1940 vgl . Hildebrand, Reich, S . 848 f; Kershaw, Hitler . 1936–1945, S . 437–460 . 125 Vgl . oben S . 250; zu Hitlers Politik vom „Anschluss“ bis zum Münchner Abkommen vgl . Hildebrand, Reich, S . 746–787; zur Diskussion über die verpasste Chance zum Frieden nach dem Abkommen vgl . Kershaw, Hitler . 1936–1945, S . 107–182; zur konservativen Elite in der Diplomatie und ihrer Bejahung von Anschluss und Ostrevision vgl . die Darstellung bei Schöllgen, von Hassel, S . 117 f . 123 124
422 XII. Im Widerstand
im großdeutschen Sinn . Wie das Zurückweichen in Posen und Westpreußen schien mir dann der voreilige Verzicht auf die Durchführung der Vereinigung als ein schwerer Fehler, auch wenn die Vereinigung damals nicht gegen die Gewalt der Feindmächte durchzusetzen war . Seitdem habe ich mich bemüht, die Unverzichtbarkeit des Anschlusses auch von der wirtschaftlichen Seite her begreiflich zu machen . 1933 und 34 warfen uns weit zurück, und nun ist gerade aus 1933 die kühn im rechten Augenblick zupackende Tat erwachsen […]“ .126
Wie fast alle deutschen Bürger stand Hamm im Bann des Reichsmythos . Als katholischem Süddeutschen aus Passau musste ihm die Trennung zwischen dem „Volkstum“ diesseits und jenseits der Grenze besonders künstlich und zumal nach dem österreichischen Votum bei der Volksabstimmung 1920 als Produkt französisch inspirierter alliierter Teilungspolitik gegenüber dem hegemonialen deutschen „Raum“ in der Mitte Europas erscheinen . Allerdings findet sich in der aktiven Zeit Hamms keine öffentliche Äußerung von solcher Deutlichkeit . Es mag sein, dass im Briefwechsel mit einem vertrauten Freund und im Moment der scheinbaren Erfüllung des vielleicht wichtigsten politischen Lebenstraums des alten bayerischen Liberalen die Schranken gefallen waren, die der aktive Politiker Hamm immer respektiert hatte . Trotz allem erstaunt es, mit welchem Enthusiasmus Hamm den „Anschluss“ Österreichs ausgerechnet durch den verhassten Adolf Hitler und dessen Gefolgschaft begrüßte . Der heutige Leser dieser an einer Hand abzuzählenden und auf das halbe Jahr zwischen dem „Anschluss“ am 12 . März 1938 und dem Münchner Abkommen am 29 . September 1938 begrenzten begeisterten Sätze über den „Führer“ kann sich einer gewissen Beklemmung nicht entziehen .127 Erklären lassen sie sich allerdings nur allzu gut aus dem subjektiven Gefühl permanenter nationaler Demütigung in den Jahren 1918– 1932 und aus der umfassenden Entwertungserfahrung, der sich die im Lande gebliebenen und wegen ihrer mangelnden Unterwerfungsbereitschaft ins Abseits gedrängten Wortführer und Akteure eines demokratisch-republikanischen Deutschland seit 1933 ausgesetzt sahen . Die knappen Äußerungen von Begeisterung über die „Tat des Führers“ sehen bei Beachtung der Umstände, unter denen sie zustande kamen, wie die Schauseite einer Medaille aus, auf deren Rückseite eine verzweifelte Resignation über das Scheitern der eigenen, sehr viel besonneneren und verantwortungsbewussteren Bemühungen eingraviert war . Noch mehr als die Begeisterung über den Hitler’schen „Anschluss“-Erfolg verwundern muss allerdings die briefliche ahnungsvolle Vorwegnahme einer
126 127
Hamm an Albert, 18 .3 .1938, in: BayHStA, NL Hamm, 80 . Zum Dilemma des Widerstands seit dem „Anschluss“ vgl . u . a . Blasius, Appeasement .
5. „Anschluss“ Österreichs und Revision der Ostgrenze 423
kriegerischen Revision der Ostgrenze durch den Überfall auf Polen im Herbst 1939 . Natürlich ist auch hier daran zu erinnern, dass diese Revision nicht nur für deutschnationale Hardliner, sondern auch für den Entspannungspolitiker Stresemann selbstverständliches und eisern festgehaltenes, wenn auch offiziell vorläufig zurückgestelltes außenpolitisches Ziel war . Sie sollte mit friedlichen Mitteln erzielt werden, aber eine militärische Vorgehensweise schloss auch Stresemann nicht aus .128 Schließlich darf nicht vergessen werden, dass die heute in Deutschland so gängige Gleichsetzung von „Demokratie“ mit außenpolitischer Zurückhaltung und Friedlichkeit ein Produkt der deutschen Niederlagen- und Katastrophenerfahrungen von 1918 und vor allem 1945 ist . Demokratie und Expansionismus haben sich weder in der Revolution von 1848/49 noch im Zeitalter des Imperialismus ausgeschlossen, im Gegenteil: Die Ideologie des Egalitären und ihre Durchsetzung als humanes Menschheitsprinzip notfalls mit informellen oder offenen Gewaltmitteln gehören seit Beginn der französischen Revolutionskriege 1792 zusammen . Auch das Prinzip des Parlamentarismus schließt – wie die euroatlantischen Imperialismen zeigen – den kriegerischen Expansionismus keineswegs aus . Gleichwohl verwundert es, dass ein Weimarer Demokrat, der sich zwischen 1920 und 1924 vom Gegner der Erfüllungs- zum entschiedenen Verfechter der Verständigungspolitik gewandelt und der sich im Kampf um die deutschösterreichische Zollunion 1931 vor allen lauten Tönen gehütet hatte, 1938/39 den machtpolitischen Realitätsbezug verlor und auch den Polenfeldzug noch guthieß . Hamm fand es richtig, dass damit altes „kerndeutsches Gebiet“ zurückgeholt werde .129 Man gewinnt den Eindruck, dass ein jahrzehntelanges Sich-Mühen um die Disziplinierung des nationalistischen Machtimpulses im Moment des vermeintlichen Triumphs der historisch-politischen Gerechtigkeit weggespült worden ist . Wie stark dieser Impuls bei Hamm wie bei fast allen deutschen Bürgern wirklich war, zeigt sich in erschreckendem Umfang an der momentanen Bereitschaft, angesichts der vermeintlichen außen- und volkstumspolitischen Erfolge die schwerwiegenden rechtsstaatlichen und moralischen Vorbehalte gegen das Regime zurücktreten zu lassen . Wenn Hamm wie Gessler „Aufnahmestellungen“ ähnlich den „Auffangstellungen“ Ulrich von Hassells vorbereiten wollte, so stand dahinter, kurz bevor Hitler gegen vielfache Warnungen führender Militärs den Zweiten Weltkrieg entfesselte, die Hoffnung auf einen Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ in absehbarer Zeit . Diese Hoffnung stützte sich auch auf die skeptische Einschätzung der deutschen militärischen Erfolgschancen . Die Treffen
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Hildebrand, Reich, S . 535–546 . Hamm an Erwin Hardtwig, 4 .12 .1941, in: BayHStA, NL Hamm, 143 .
424 XII. Im Widerstand
mit von Hassell vor und nach Kriegsausbruch deuten darauf hin, dass man sich von dem erfahrenen Diplomaten genauere Aufschlüsse über die außenpolitische Lage erhoffte .130 Hamm schwankte offenkundig zu diesem Zeitpunkt: zwischen der Freude an der Verwirklichung lang gehegter großdeutscher Hoffnungen auf den „Anschluss“ Österreichs sowie auf einen deutsch dominierten „mitteleuropäischen“ Wirtschaftsraum und seiner grundsätzlichen Ablehnung des Regimes . Völlig ins Reine kam Hamm mit diesem Widerspruch wohl erst seit Ende 1941, als für die Einsichtigen das Scheitern des Russlandfeldzugs und damit die definitive Niederlage im Weltkrieg feststanden .131
6. Das Ende
Seit 1942 mehrten sich die Kontakte zwischen dem innerbayerischen SperrKreis und der zentralen bürgerlich-adligen Widerstandsplanung um den Kreisauer Kreis, Carl Friedrich Goerdeler und schließlich Claus Schenk von Stauffenberg . Über den Jesuitenpater Alfred Delp kam eine lockere Verbindung zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke zustande . Beide Gruppen lehnten ein Attentat ab, waren überkonfessionell und überparteilich . Im Frühsommer 1943 trafen sich in Delps Pfarrhof St . Georg in Bogenhausen einige Mitglieder des Sperr-Kreises mit drei Jesuitenpatres und den „Kreisauern“ Theodor Steltzer, Carlo Mierendorff und – mit Ausnahme des ersten Treffens – auch Moltke selbst . Allerdings gab es Differenzen . Moltke galt als Verfechter eines nicht-marxistischen Sozialismus britischer Prägung, Sperr, Hamm und Gessler traten für eine sozial eingehegte liberal-kapitalistische Wirtschaftsauffassung ein . Deutliche Divergenzen tauchten, wie nicht anders zu erwarten, auch bei Verfassungsfragen und militärischen Überlegun-
Schöllgen, von Hassel, S . 96–135 . Erwin Hardtwig ließ sich laut Schreiben an Gertrud Hamm vom 30 .6 .1941 für wenige Tage durch den raschen Vormarsch in Russland euphorisieren: „Wenn es so weitergeht, dann dauert die Rußlandgeschichte nur wenige Wochen“; schon am 4 .7 .1941 schrieb Hardtwig aber dann, zwar werde es mit Russland wohl nicht mehr lange dauern . „Freilich, es erhebt sich die Frage: was dann? Ihr Münchner, vielleicht überhaupt die Leute im Heimatgebiet, scheinen sich der Illusion hinzugeben, daß dann die Engländer sich sagen werden, ein weiterer Krieg sei ja doch zwecklos, und es wäre gescheiter, Schluß zu machen . Wir hier [in Amiens; W . H .] glauben nicht daran . Der Krieg geht weiter, es geht dann vielleicht auch von hinten her aus [dem] Mittelmeer und [aus] Ägypten: aber das Ende kommt nicht . Freilich, schwören kann mans nicht“; BayHStA, NL Hamm, 138 .
130 131
6. Das Ende 425
gen auf .132 Die Kreisauer Pläne, Bayern aufzuteilen, stießen ebenso auf Ablehnung wie „die Zumutung“, mit der „preußische Generäle […] durch die Vermittlung des Grafen Moltke“ an die Bayern herantraten, „Bayern solle mit einem bewaffneten Aufstand vorausgehen, sie würden daraufhin ebenfalls losschlagen“ .133 Auch zu Goerdeler entstand 1943 ein intensiver Kontakt, der offenkundig von diesem selbst ausging und über Hamm lief . Die beiden kannten sich spätestens seit den frühen dreißiger Jahren, als Goerdeler nach der Ernennung zum Reichspreiskommissar durch Brüning (Dezember 1931) im Januar 1932 vor dem DIHT über „Probleme des Preisabbaus“ referierte .134 Goerdeler hielt viel von Hamm, dieser stand ihm seinerseits mit Vorbehalten gegenüber, „nannte ihn einen Hitzkopf und bezeichnete seine Ideen über den Ständestaat als etwas verworren“ .135 In engem Austausch stand Hamm weiterhin mit ehemaligen politischen Mitstreitern aus der hohen Ministerialbürokratie wie etwa mit seinem Amtsvorgänger in der Reichskanzlei, Heinrich Albert, mit Friedrich Heilbron und – wenn auch deutlich weniger intensiv – Franz Kempner sowie mit seinen ehemaligen Parteifreunden Theodor Heuss, Eugen Schiffer und Hermann Dietrich .136 Kurz vor dem Attentat vom 20 . Juli 1944 suchte schließlich Stauffenberg selbst den Kontakt zu Sperr . Dieser hielt ein Attentat angesichts der unzureichenden Vorbereitungen für verfrüht, über die detaillierten Planungen des militärischen Widerstands war er offenbar nicht
Zur Entwicklung der Programmatik im Kreisauer Kreis vgl . die noch immer grundlegenden Aufsätze in Mommsen, Alternative; Brakelmann, von Moltke, S . 137–208, 260–268 . 133 So das Augsburger Kreismitglied Franz Reisert, zit . nach Limbach, Hamm, S . 80 . 134 Gemeinsame Sitzung des HA des DIHT und des Landesausschusses der Preußischen Industrie- und Handelskammern, in: Verh . des DIHT 1932, Heft 1, S . 15–22 . Die Wiederaufnahme des Kontakts geschah über Karl Scharnagl, den Münchner Oberbürgermeister vor und nach dem „Dritten Reich“ . Offenbar benötigte dieser für die Kommunalwahl im Mai 1948 noch einen „Persilschein“ für den US-Informationsdienst und wandte sich an Maria Hamm . Diese bestätigte mehrere Besuche und Gespräche Anfang 1943 sowie eine Äußerung Eduard Hamms nach einem Anruf Scharnagls: „Dieser Scharnagl könnte auch vorsichtiger sein . Wenn er mit mir was besprechen muß, soll er doch lieber selber kommen als zu telephonieren“; Karl Scharnagl an Maria Hamm, 26 .12 .1947; Maria Hamm an Karl Scharnagl, 5 .1 .1948, in: BayHStA, NL Hamm, 108 . 135 Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, in: BayHStA, NL Hamm, 110; vgl . dazu auch Limbach, Hamm, S . 82–85; knappe Zusammenfassung des Beziehungsgeflechts und der programmatischen Übereinstimmungen bzw . Divergenzen zwischen Kreisauer Kreis, Offiziersopposition und Goerdeler bei Gillmann/Mommsen, Schriften, Bd . 1, S . XXXVII–LXV . 136 Vgl . dazu die Briefwechsel mit den Genannten (mit Ausnahme von Eugen Schiffer), in: BayHStA, NL Hamm, 85, 82 . 132
426 XII. Im Widerstand
informiert .137 Sperr zögerte, mit Stauffenberg zusammenzutreffen, und holte die Meinung Hamms ein . Im späteren Verhör erklärte Sperr, dass Hamm ihm geraten habe, zum Treffen nach Bamberg zu fahren .138 Hamm wusste jedenfalls über Sperr von Stauffenbergs Plänen, zeigte sich aber nach dem misslungenen Attentat vom 20 . Juli relativ gelassen . Laut Bericht seines Schwiegersohnes meinte er, „das Ganze [sei] offenbar ungeschickt gemacht worden, nicht nur technisch, sondern vor allem auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Tat“ . Der Fehlschlag kam für Hamm nicht überraschend, vielmehr „sah er darin offenkundig […] eine Bestätigung für die Unfähigkeit der Generäle, selbst zu handeln, wo es darauf ankommt“ .139 Seine Einschätzung der Generalität entsprach damit ganz der von Stauffenberg selbst, der bekanntlich an deren Untätigkeit verzweifelte und schließlich notgedrungen beschloss, selbst in Aktion zu treten .140 Mitte Juni 1944 traf sich Hamm mit seinem Freund Heinrich Albert und seinem mit fast allen Widerstandskreisen vernetzten früheren Ministerialdirektor Franz Kempner zu einem Frühstück in Berlin . Möglicherweise wurde ihm erst dieses Treffen kurz vor Stauffenbergs Attentat zum Verhängnis . Jedenfalls gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er dabei von der Gestapo überwacht wurde .141 Auf dem Weg zurück nach Reit im Winkl legte Hamm in München einen Halt ein und schrieb am 22 . Juni 1944 sein Testament . Kurz nach dem 20 . Juli wurden aus dem Sperr-Kreis Otto Gessler, Franz Sperr und Anton Fehr verhaftet . Maria Hamm berichtet, dass ihr Mann nach dem missglückten Attentat dann doch mit einer „großen Anzahl von Verhaftungen unter den alten Politikern“ gerechnet und „alle jene Männer in Gefahr“ gesehen habe, „die gleich ihm in der Lage waren, nach einem Sturz des nationalsozialistischen Regimes die Regierungsgeschäfte weiterzuführen“ .142 Man kennt diese seit Mitte August 1944 einsetzende Verhaftungswelle unter dem Namen „Aktion Gewitter“ . Als Grundlage diente eine Auflistung des Staatssicherheitsdienstes, „Erfassung führender Männer der Systemzeit“, in der auch Hamm verzeichnet war .143 In den Kreis der zu Verhaftenden kann er aber auch auf
Limbach, Hamm, S . 81 . Ebd . 139 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 5, in: BayHStA, NL Hamm, 110; vgl . Limbach, Hamm, S . 81 f . 140 Hoffmann, von Stauffenberg, S . 268 . 141 Schreiben von Heinrich Albert an Gertrud Hardtwig-Hamm, 27 .4 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 108 . 142 Schreiben von Maria Hamm an die Alliierte Militärregierung in Deutschland, 16 .10 .1945, in: ebd . 143 Vgl . dazu Hett/Tuchel, Reaktion . 137 138
6. Das Ende 427
anderem Wege gekommen sein . Er selbst sagte zu seiner Tochter: „wenn mich Goerdeler nur nicht auf einer Liste stehen hat!“ – doch war diese Befürchtung unberechtigt .144 Der Bericht Ernst Kaltenbrunners an Martin Bormann vom 31 . August enthält hingegen Hinweise darauf, dass es möglicherweise Sperr war, der im Verhör den Namen Hamms preisgegeben hat .145 Hamm selbst gab in den Verhören im Gefängnis Lehrter Straße über sein Verhältnis zum „Dritten Reich“ zu Protokoll, er habe „vor 1933 […] im Hinblick auf die schwache Stellung Deutschlands die außenpolitische Zielsetzung des Nationalsozialismus für gefährlich gehalten“ und sei „gegen die Wirtschaftspolitik von Gottfried Feder eingestellt gewesen“ . Nach 1933 habe er „nur die nationalsozialistischen Rechtsauffassungen beanstandet“ .146 Diese Aussage klingt unscheinbar, bedeutet aber bei näherem Hinsehen im lebensbedrohlichen Moment eine unmissverständliche Absage an das Regime im entscheidenden Punkt .147 Nach mehr als 60 Jahren Widerstandsforschung, die nach zögerlichem Beginn immer mehr an Breite, Intensität und Begriffsschärfe gewonnen hat, liegt wie bei vielen Aktivitäten auch bei denen des Sperr-Kreises im Allgemeinen und Hamms im Besonderen die Frage nahe, welche Wertigkeit und welches Gewicht diesem Tun beizumessen sind . Die Forschung hat sich nach der Rekonstruktion und Würdigung des militärischpolitischen Widerstands im Umkreis des 20 . Juli 1944 den verschiedenen religiös-kirchlichen und politischen Milieus, aber auch dem Verhalten gesellschaftlicher Gruppen wie der Industriearbeiterschaft, der Bauern und der Jugend zugewandt und so auch Widerstands- oder Resistenzformen erforscht, die weit entfernt sind vom Kernwiderstand bewusst und zielstrebig handelnder politisch-oppositioneller Kreise .148 Angesichts des totalitären Prinzips der
Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, S . 5, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 145 Vgl . den Bericht Kaltenbrunners vom 31 .8 .1944, in: Jacobsen, Opposition, S . 331; vgl . auch Limbach, Hamm, S . 94 . In ihrer verzweifelten Ungewissheit über die Todesumstände ihres Mannes wandte sich Maria Hamm während der Nürnberger Prozesse sogar an Kaltenbrunner selbst mit der Bitte um Auskunft . Kaltenbrunners Verteidiger antwortete: „Der Angeklagte Kaltenbrunner hat keine Kenntnis über diesen Fall“; Kurt Kauffmann an Maria Hamm, 2 .3 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 108 . 146 Kaltenbrunner-Bericht, 15 .9 .1944, in: Jacobsen, Opposition, S . 390 . 147 Vgl . Limbach, Hamm, S . 94 . 148 Aus der überaus umfangreichen Literatur vgl . hier nur Altgeld, Geschichte; Schmädeke/ Steinbach, Widerstand; Becker, Begriffe . Im Folgenden schließe ich mich teilweise den Argumenten und begrifflichen Unterscheidungen dieses vorzüglichen Aufsatzes an . Zu jüngeren Beiträgen zur Begriffs- und Wertungsdebatte vgl . Scholtyseck, Freiheit; Kissener, Katholischer Widerstand; Ders ., Widerstand . 144
428 XII. Im Widerstand
NS-Herrschaft – ganz unabhängig von der Frage, wie „polykratisch“ oder auch inkohärent sie im Einzelnen gewesen sein mag – hat die Widerstandsforschung auch bescheidene Formen von Resistenz, innerer Emigration und sogar purer Passivität zumindest als Vorformen von Widerstand gewertet . Sie hat dabei in Rechnung gestellt, welch geringer Spielraum den Akteuren in der Illegalität blieb und wie sehr sich ihre Organisationsmöglichkeiten einengten . Die umfassende Durchdringung aller Lebensbereiche und der immer härter werdende Druck der inhumanen Ideologie transformierten tendenziell jede Form des Nicht-Mitmachens zu einem Akt der Resistenz . Gleichwohl zeigte sich, dass die bewussten Akte reflektierter Zurückweisung oder gar aktiver Bekämpfung des Regimes in kleinen und verborgenen Kreisen von den oft alltäglichen, passageren und eher unauffälligen Resistenzen deutlich unterschieden werden müssen . Je mehr die Widerstandsforschung die Schwelle der erfassten Aktivitäten nach unten verschob und dabei die unendlich differenzierten Übergänge zwischen aktivem und passivem Widerstand herausarbeitete,149 desto klarer traten auch die Reflektiertheit und die lebensbedrohliche Risikobereitschaft bei den Trägern der organisierten, auf die Beendigung des NS-Systems und den Aufbau einer neuen, humanen Ordnung zielenden Widerstandshandlungen gegenüber den „Kleinformen“150 der Resistenz hervor . Die zahlreichen Typisierungen von Grundformen des Widerstands heben alle gegenüber den verschiedenen Spielarten gesellschaftlicher Verweigerung, Herrschaftsbegrenzung durch Resistenz, Nonkonformität und Leistungsverweigerung – insgesamt also eines mehr oder weniger deutlichen abweichenden Verhaltens oder auch von bloßem „Dissens“ (Ian Kershaw) – die Besonderheit eines „politischen Widerstands (Widerstand im engeren Sinn)“ mit vergleichsweise hohem Organisationsgrad und daher notwendigerweise konspirativen Elementen hervor .151 Hamms Agieren im Sperr-Kreis setzte eine klare politische Absicht voraus und schloss ein gemeinsames Nachdenken über Ordnungsalternativen, also eine theoretische Selbstvergewisserung über die künftige Staats- und Gesellschaftsverfassung, ein . Im Rahmen des systembedingt Möglichen erreichte der Sperr-Kreis, zumindest was seine vier Hauptvertreter anging, einen hohen Organisations- und Aktivitätsgrad . Er zielte auf den Umsturz und das Ende des NS-Regimes – auch wenn ein Attentat ähnlich wie im Kreisauer Kreis nicht angestrebt wurde . Selbstverständlich bleibt eine große Differenz zu den Akteuren des militärischen Widerstands, die über die für ein Attentat
Becker, Begriff, S . 16 . Fröhlich, Forschungen, S . 31 . 151 Botz, Methoden- und Theorieprobleme . 149 150
6. Das Ende 429
und einen gewaltsamen Umsturz möglichen Mittel verfügten . Festzuhalten ist auch der parteiübergreifend antitotalitäre, auf einem bewusst liberal-ethischen Freiheitsverständnis beruhende Grundkonsens im Kreis . Die genaue Erforschung des Sperr-Kreises zeigt darüber hinaus, dass es, wenn auch nur sporadisch, durchaus Residuen bürgerlich-freiheitlicher Milieus in der bayerischen Gesellschaft gab,152 die bereit waren, zu ihrer Verteidigung auch beträchtliche Risiken einzugehen . Eduard Hamm jedenfalls rekrutierte die von ihm für den Umsturzfall und den Neubau einer freiheitlichen politischen Ordnung vorgesehenen Personen aus dem Mitgliederkreis der ehemaligen Industrie- und Handelskammern sowie aus der bayerischen Beamtenschaft . Zu Recht urteilt Eric Kurlander: „In fact Elsas and Eduard Hamm were the only prominent Democrats to pay the ultimate price for their involvement in the 20 July plot“ .153 Angesichts der Befunde zu Hamm und zum SperrKreis fällt vielleicht auf das deutsche Bürgertum insgesamt ein – wenn auch sehr bescheidenes – freundlicheres Licht . Einige Mitglieder des Sperr-Kreises verstanden sich zweifellos als Liberale . Damit wäre dann auch der Anteil des Liberalismus am Widerstand ein wenig ansehnlicher, als der bisherige Forschungsstand nahelegt .154 Da Hamms Schwiegersohn zufällig gerade am 20 . Juli 1944 von Stuttgart aus nach Reit im Winkl zu Besuch gekommen war, ist auch Einiges bekannt über Hamms Einschätzung der Lage unmittelbar nach Bekanntwerden des gescheiterten Attentats . Hamm hatte gegenüber seiner Familie nie etwas über seine Widerstandsaktivitäten verlauten lassen . Jetzt allerdings forderte
Vgl . demnächst die Dissertation von Manuel Limbach über den Sperr-Kreis . Kurlander, Living, S . 42–46, hier S . 43 . Eine positivere Würdigung müsste Otto Gesslers Rolle im „Dritten Reich“ erfahren . Zur Rolle von Theodor Heuss, der Hamm im Krieg eigene Manuskripte zur Verwahrung auf dessen Hof in Reit im Winkl übergab, vgl . Heß, Nazis; zu dem im Vergleich zu Hamm vorsichtigeren, aber auch gelasseneren Verhältnis von Heuss zum Nationalsozialismus, Becker, Heuss, S . 62–95; zum Freundeskreis von Heuss 1933–1945 vgl . Heuss, Briefe 1933–1945, mit Briefen u . a . an Hamm, 26 .11 .1941 (S . 427–429), 28 .12 .1942 (S . 447–449), vgl . auch Dok . 102, 156, 184; breite Schilderung von Heuss’ persönlichem und politischem Werdegang und seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus bei Radkau, Heuss, S . 119–248; zutreffend die Beobachtung Radkaus (S . 195), dass der sonst so erzählfreudige Heuss „trotz mancher Kontakte zu späteren Widerständlern […] über seine Beziehungen zum Widerstand nie sehr deutlich geworden ist“ . Am leichtesten scheint er sich an den „Dahlemer Kreis“ mit dem Historiker Hermann Oncken, dem Pädagogen Eduard Spranger und dem Agrarpolitiker Max Sering erinnert zu haben: „alles unabhängige Geister, aber keine Fronde“ . Seine beiden nahen Freunde Gessler und Hamm verzichteten offenbar darauf, ihn über den Sperr-Kreis ins Vertrauen zu ziehen . 154 Vgl . Sassin, Liberale; Ders ., Widerstand; Erkens/Sassin, Dokumente; Schaser, Erinnerungskartell . 152 153
430 XII. Im Widerstand
er seinen Schwiegersohn erregt zu einem Spaziergang auf und ließ dann im Gespräch doch erkennen, dass er über die Umsturzplanung sehr viel informierter war, als die Familie je hätte ahnen können . So wusste er sofort, wer Stauffenberg war . Erbittert zeigte er sich jetzt – wie allerdings zuvor schon öfters – über das Versagen der „ersten Garnitur“ der Generalität und demgemäß auch über den seiner Meinung nach verfehlten Zeitpunkt des Putsches, für den es entweder zu spät oder zu früh gewesen sei: „Zu spät insoferne, als er zu einem früheren Zeitpunkt, etwa nach Stalingrad, günstiger gewesen wäre . Und zu früh insoferne, als eine neue in die Augen springende Niederlage fehle, die auch den Dümmsten die Augen geöffnet hätte .“155 Nachdem der Spaziergang ins freie Feld geführt hatte, eröffnete Hamm seinem Schwiegersohn auch, er fürchte für das Leben Goerdelers . Auf Hardtwigs Frage, wie er gerade auf Goerdeler käme, erklärte er, „Goerdeler sei das politische Zentrum der Verschwörung und die Generale seien nur die Ausführenden“ . Hamm hielt Goerdeler selbst für eine durchaus problematische Gestalt . Immerhin aber habe Goerdeler den Mut zur Opposition besessen und verfüge als Oberbürgermeister von Leipzig über eine gewisse Erfahrung und einen großen Bekanntenkreis . Auch er selbst – so Hamm – rechne mit seiner Verhaftung, „und sei es auch nur im Zuge einer allgemeinen Verhaftungswelle, die alle alten demokratischen Politiker erfassen sollte“ . Der Putsch sei definitiv gescheitert, andernfalls säße er, Hamm, bereits in einem Münchner Büro . Auch über den denkbaren Verlauf der Ereignisse im Falle eines Gelingens des Putsches machte sich Hamm – folgt man dem Bericht seines Schwiegersohns – keine Illusionen: „Er rechnete mit einer Niederlage, aber auch damit, daß die am Umsturz beteiligten Personen gar nicht die Möglichkeit haben würden, von sich aus zu regieren, sondern nur, das Land einigermaßen in Ruhe zu halten und das Chaos zu verhindern, bis der Gegner verfügt habe“ . Zum Schluss sei noch kurz auf mögliche persönliche Motive für das lebensgefährliche Agieren Eduard Hamms eingegangen . Er war beim Ausscheiden aus dem DIHT 53 Jahre alt und stand auf dem Höhepunkt seiner Kräfte und Möglichkeiten . Der von politischer Leidenschaft und bei aller Bescheidenheit doch von dem berechtigten Bewusstsein einer überlegenen sachlichen Kompetenz getriebene Mann ertrug die erzwungene Passivität nur schwer . Die Familie berichtet von seiner immerwährenden Unruhe in diesen Jahren . Hamm war religiös, wenn auch kritisch gegenüber beiden Kirchen . Höchst aufschlussreich für seine Denkweise und seine zunehmende Verzweiflung über die Untaten des Regimes sind zwei Briefe, die er an den über Maria
Zitate auch im Folgenden nach Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 6, in: BayHStA, NL Hamm, 110 .
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6. Das Ende 431
Hamm mit ihm verwandten Erlanger Kirchenhistoriker Walther von Loewenich schrieb . Der erste stammt aus den Tagen unmittelbar nach der Reichspogromnacht im November 1938: „Dabei sind ja wirklich nicht Erdbeben und Vulkanausbrüche als das Schlimmste zu empfinden, sondern die Greuel, die von Menschen selbst ausgehen, und zwar nicht von unentwickelten, ‚wildem‘ Zustand nahen Menschen, sondern von zivilisierten, bewusst grausamen Menschen, die darin Rechte eines Übermenschentums sehen […] . Woher kommt diese entsetzliche Greuelfähigkeit des Menschen?“ .156
Die protestantische Antwort, die Hamm der Lektüre einiger Schriften des Theologen Helmut Thielicke entnommen hatte, der zum Kreis der Bekennenden Kirche gehörte und mit Loewenich verschwägert war, genügte ihm nicht: „Dazu wird darauf hingewiesen, dass Gott duldete, dass sein eigener Sohn an dieser Welt sterbe […] . Dabei scheint mir manchmal der Ausweg nach der Stelle des geringeren Widerstands genommen zu werden“ .157 Es ist nicht endgültig geklärt, ob Hamm während des Verhörs aus dem 3 . Stock des Gefängnisses an der Lehrter Straße gestoßen wurde oder selbst sprang . Neuester Erkenntnis zufolge spielte sich das Ereignis nicht, wie bislang immer angenommen, in der Lehrter Straße selbst ab, sondern in einer während des Krieges eingerichteten Außenstelle in der Meinekestraße nahe dem Kurfürstendamm .158 Die Evidenz für einen Freitod ist aber fast unumstößlich, und auch die Töchter und der Schwiegersohn akzeptierten sie nach einigem Zögern .159 Dass Hamm die Mitverschworenen und die Familie schüt-
Eduard Hamm an Walther von Loewenich, 16 .11 .1938, in: Stadtarchiv Passau, NL Eduard Hamm . Hamm verlangte von den Kirchen, nicht bloß ihrer eigenen Zerschlagung entgegenzutreten, sondern als einzig verbliebene moralische Instanz im „Dritten Reich“ auch ethisch und geistig deutlicher gegen den Nationalsozialismus aufzutreten . 157 Hamm an von Loewenich, 16 .5 .1944, in: Stadtarchiv Passau, NL Eduard Hamm . Ein weiteres Dokument über die einerseits liberale, andererseits suchende Religiosität Hamms ist Elly Heuss-Knapp zu verdanken . Vermutlich unter dem Eindruck der Nachricht von seinem Tod schrieb sie eine „Persönliche Erinnerung an Dr . Eduard Hamm“ nieder, in der sie auch die „Aura“ der „Stille“ schildert, die den gleichwohl temperamentvollen und rastlos aktiven Mann umgeben habe . Unter anderem fragte er sie nach Berliner Kirchen, in denen man eine gute Predigt hören könne, und wurde von ihr auf Otto Dibelius und Romano Guardini verwiesen . Heuss fand diese undatierte Aufzeichnung beim Ordnen des Nachlasses seiner Frau und schickte sie am 21 .10 .1952 an Maria Hamm, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 158 Freundliche mündliche Auskunft vom Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Johannes Tuchel, am 5 .2 .2018; zum Gefängnis an der Lehrter Straße und den Inhaftierten vgl . Tuchel, Strick, zu Hamm S . 34 . 159 Vgl . Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (undatiertes Manuskript, 1946), S . 7 f, in: BayHStA, NL Hamm, 110 . 156
432 XII. Im Widerstand
Abb. 18: Eduard Hamm, um 1943
zen wollte und auch erfolgreich geschützt hat, liegt auf der Hand und gilt auch allen seinen Bekannten und Freunden als das eigentliche Motiv – von den etwa 80 inzwischen bekannten Mitgliedern des Sperr-Kreises wurden nur fünf verhaftet . Hamm wusste, was auf ihn zukommen konnte und bereitete sich physisch und seelisch darauf vor . Seine jüngere Tochter Fride Krug berichtet aus einem Gespräch während einer langen Wanderung im Kaisergebirge kurz vor der Verhaftung sinngemäß seinen Ausspruch, dass er die Entscheidung über sein Schicksal nicht von „diesen Leuten“ abhängig machen werde; „das mache ich mit mir und meinem Gott selber aus“ . Sehr plausibel klingt auch der Bericht der älteren Tochter Gertrud, dass ihr strikt rechtlich denkender Vater nicht bereit war, sich der von Hitler, Gürtner, Freisler etc . deformierten NS-Justiz zu unterwerfen . „Nichts hat der Vater so verabscheut wie den sog . Volksgerichtshof und mehrmals, zuletzt im Zusammenhang mit einer möglichen bevorstehenden Verhaftung, hat er die Äußerung getan, dass er sich nicht vor solche Burschen und juristische Ignoranten stellen lassen würde“ .160
Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr . E . Hamm, in: ebd . Auf dieses Motiv lässt auch der Bericht des Mitverschworenen Hermann Aumer schließen, der bei der Volksgerichtshofsitzung gegen „Prof . Huber und Genossen“ in München zugegen gewesen war und deren „krasse und schreckliche Formen“ einem kleinen Freundeskreis geschildert hatte; Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm, 24 .7 .1946, in: BayHStA, NL Hamm, 108 .
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6. Das Ende 433
Diese Äußerung klingt authentisch . Aus ihr sprechen ein unbeugsamer Wille zur Selbstbestimmtheit bei gleichzeitiger Anerkennung einer übergeordneten Fügung, das professionelle Ethos eines christlich-humanistischen Juristen und ein Selbstbewusstsein, das seine Mitmenschen illusionslos einzuschätzen wusste und sich zu klaren Bewertungen bekannte .
XIII. Resümee Eduard Hamm: Freiheitliches Bürgertum in den Brüchen der deutschen Geschichte 1900–1944 Minderheitenpositionen und regionale Prägungen
E
duard Hamm stand mit seinen politischen Überzeugungen von Beginn seiner Laufbahn an in mehrfacher Hinsicht in einer Minderheitenposition im deutschen Bürgertum – wobei er diese etwas exzentrische Stellung nicht so deutlich empfunden haben dürfte, wie sie sich mit dem Wissen ex post über den Verlauf der deutschen Geschichte 1918 bis 1945 darstellt . Als Katholik schloss er sich dem politisierenden protestantischen Ex-Pfarrer Friedrich Naumann und damit als Bayer demjenigen Zweig des am Reich orientierten und protestantisch geprägten Liberalismus an, der seit der Jahrhundertwende innerhalb des Bürgertums am entschiedensten für eine fortschreitende Demokratisierung der politischen Kultur und damit auch für die Anerkennung der sozialistischen Arbeiterbewegung als gleichberechtigter politischer Kraft eintrat . Die Verortung im bayerischen Linksliberalismus brachte zudem im Verhältnis zu den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen im Reich eine Reihe von Abweichungen vom Mainstream mit sich, die eine politische Karriere im Reich notwendigerweise erschwerten . Aufgrund der stark agrarisch geprägten Sozialstruktur Bayerns hatte der bayerische Liberalismus in der deutschen Politik nach 1918 von vornherein einen schweren Stand – auch wenn die Stärke der liberal-gouvernementalen Tradition im Königreich Bayern den strebsamen jungen Ministerialbeamten früh in eine vergleichsweise einflussreiche Position aufsteigen ließ . In der politischen Sonderkultur des Königreichs Bayern war der regionale Eigenständigkeitsanspruch vor und nach 1918 besonders ausgeprägt, sodass sich zwischen dem Land Bayern und dem Reich stärkere verfassungs- und allgemeinpolitische Spannungen ausbildeten als sonst im Verhältnis von Reich und Ländern üblich . Im Zusammenbruch der monarchischen Ordnung 1918 kam hinzu, dass durch die – aufgrund lokaler Faktoren in München von der
Eduard Hamm: Freiheitliches Bürgertum in den Brüchen der deutschen Geschichte 435
bayerischen Bevölkerung als besonders krass wahrgenommenen – revolutionären Ereignisse die antirevolutionäre Reaktion in München und Bayern stärkere Schubkraft entwickelte als andernorts . Besonders seit dem Kapp-Putsch vom März 1920 bildete sich die Ideologie der „Ordnungszelle Bayern“ heraus, die den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung bis zum HitlerPutsch im November 1923 entschieden begünstigte .
Mittlerrollen
Die bayerischen Liberalen schwenkten im Herbst 1918 rasch vom Monarchismus zur demokratischen Republik über, standen aber von Anfang an weiter rechts als der Linksliberalismus im Reich . Dass sie sich der Deutschen Demokratischen Partei und nicht der liberal-konservativen Deutschen Volkspartei anschlossen, geht nicht nur, aber doch auch auf Zufälligkeiten der Gründungsgeschichte der beiden Parteien in den anfänglichen Wirren um den wegen seiner entschieden imperialistischen Überzeugungen vor 1918 umstrittenen Gustav Stresemann zurück . Hamm stand vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen dem gemäßigten Flügel der DVP näher als dem linken Flügel der DDP . Gerade auch unter den spezifisch bayerischen Voraussetzungen empfand er die traditionelle und 1918/19 erneut bekräftigte Spaltung des deutschen Liberalismus als kontraproduktiv . Die vor allem von der DVP ausgehenden Fusionsinitiativen der Jahre 1921/22 lehnte er jedoch ab, weil er das Programm der DDP in einer DVP-dominierten liberalen Sammelpartei zu sehr bedroht sah . Gleichwohl entwickelte sich eine engere politische Beziehung zwischen Stresemann und Hamm, die Hamm mehrfach besonders für die Verbesserung der Beziehungen zwischen der Reichs- und der bayerischen Landespolitik zu nutzen suchte . Den Fusionsbestrebungen der „Liberalen Vereinigung“ unter Führung Eugen Schiffers 1925/26 brachte er Sympathie entgegen, wollte aber den Boden der DDP nicht verlassen und die politische Gemeinschaft mit einigen ihrer profilierten Mitglieder wie zum Beispiel Theodor Heuss nicht preisgeben . An der bayerischen Regierung war die DDP bis zum Kapp-Putsch als Juniorpartner der SPD, danach der BVP beteiligt, bis sie sich Ende Juli 1922 wegen des reichsfeindlichen Kurses der BVP und des von ihr getragenen Regierungschefs zurückzog . Eduard Hamm als Minister für Handel, Gewerbe und Industrie managte in diesen Jahren einen konsumentenfreundlich gemäßigten Übergang von den planwirtschaftlichen Elementen der Kriegswirtschaft zur liberalen Marktwirtschaft und forderte ein – moderates – Kartellgesetz, um den Monopolisierungstendenzen von Unternehmern wie Hugo Stinnes
436 XIII. Resümee
entgegenzutreten . Er vermittelte – auch in seiner Funktion als Reichstagsabgeordneter – im Konflikt zwischen Bayern und Reich über die antirevolutionären Einwohnerwehren und über die Anerkennung der nach den Morden an Erzberger und Rathenau erlassenen Republikschutzgesetze . Gemeinsam mit seinen Parteifreunden stemmte er sich gegen die Ausbreitung und regierungsamtliche Duldung des zunehmenden Radikalnationalismus und des Nationalsozialismus sowie gegen den damit anwachsenden Antisemitismus . In seiner politischen Methode und Rhetorik setzte er dabei jedoch durchweg auf den Weg des Diskurses, der persönlichen Überzeugungsarbeit und des versöhnlichen Miteinanders . Mit den Programmen und Theorien sowohl der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Linken wie – gegen Ende der Republik – der agrarischen und der nationalsozialistischen Rechten setzte er sich kenntnisreich und auf hohem intellektuellen Niveau auseinander . Immer wieder betonte er sowohl in internen Aufzeichnungen wie in öffentlichen Reden, dass bei aller Verständlichkeit starker Emotionen in den nationalen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen die abwägende kühle Vernunft die Oberhand behalten und die – ebenfalls unabdingbar notwendige – politische Leidenschaft beherrschen müsse . Eine singuläre Mischung aus politischer Leidenschaft, auf systematisch erarbeitete Sachkenntnis gestützte Analysefähigkeit und rationalem politischem Kalkül leitete auch die Politik Hamms als industrieller Interessenvertreter in der finalen Krise der Republik .
Demokratischer Nationalismus und das demokratische Konzept von „Volksgemeinschaft“
Bei alledem waren die bayerische DDP und Eduard Hamm ihrerseits keineswegs pazifistisch-internationalistisch angehaucht, wie ihnen von der Rechten immer wieder vorgeworfen wurde . Innerhalb der Reichs-DDP, die über die Anerkennung des Versailler Vertrags und des Londoner Ultimatums von 1921 tief zerstritten war, gehörten sie zum rechten Flügel der Partei . Der „Erfüllungspolitik“ der Jahre 1920 bis 1922 zum Abbau der Spannungen mit den Siegermächten folgten sie nur zögernd . Die kulturell-konfessionelle Tradition, das Naumann-Erbe des „Mitteleuropa“-Gedankens und wirtschaftliche Bindungen Bayerns machten die bayerischen Linksliberalen einschließlich Hamms auch besonders empfänglich für die großdeutsche Idee, für deren Realisierung auch die anderen Parteien in Deutschland einschließlich der SPD mehr oder weniger entschieden eintraten . In der heutigen Terminologie gesprochen waren Hamm und seine Parteigenossen entschiedene „Nationalisten“ – entschiedener als die Linke mit ihrer, freilich abstrakt bleibenden,
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Idee eines vom Proletariat getragenen Internationalismus und entschiedener auch als die Zentrumspartei mit ihrem ideellen Schwerpunkt bei der katholischen Konfessionalität . Die DDP begründete ihren Nationalismus aber wesentlich aus einer linksbürgerlich-demokratischen Tradition und Denkfigur . Die nationale Loyalität und Kräftekonzentration sollte der Integration besonders der sozialistischen Arbeiterschaft in den gemeinsamen Staat in Zeiten zugespitzter und in Revolution und Bürgerkrieg gewaltsamer Klassenkämpfe dienen . Für die Linksliberalen gehörten daher eine „nationale“ Gesinnung und Politik sowie die Verfassung der neuen demokratischen Republik zusammen . Eduard Hamm – ursprünglich durchaus monarchisch gesonnen wie der gesamte Liberalismus – erklärte nach der Revolution den Sturz der Monarchien mit „volksnationalen“ Argumenten für legitim: dass sie einer stärkeren Begründung der Staatsautorität von unten, vom „Staatsvolk“ im Weg gestanden und so eine stärkere „nationale“ Kraftentfaltung von der Volksbasis her behindert hätten . Mit diesem Argument ließ sich allerdings auch die von der Rechten als vaterlandsfeindlich denunzierte Politik einer befristeten „Erfüllung“ der aus dem Versailler Vertrag folgenden Forderungen der Siegermächte begründen – und zwar langfristig sehr viel erfolgversprechender als die bloße Weigerung, die Tatsachen von Kriegsniederlage und mangelnder Durchsetzungskraft gegenüber den Forderungen der Alliierten anzuerkennen . Aus ihm entsprang das ursprünglich linksbürgerlich-demokratische Konzept der „Volksgemeinschaft“, das auch Eduard Hamm teilte . Als Gemeinschaft der Opfer- und Leistungsbereiten, die niemanden, der diese Eigenschaften aufwies, ausschloss – weder sozialistische Arbeiter noch Juden noch Angehörige sonstiger Minderheiten –, sollte sie durch Konsumverzicht und verstärkte Arbeitsbereitschaft effektivitätshemmende gesellschaftliche Konflikte verhindern und die nationale Wirtschaftskraft so steigern, dass die Nation an wirtschaftlicher, politischer und auch militärischer Durchsetzungskraft mit den Siegerstaaten wieder gleichzog und diese womöglich am Ende sogar übertraf . Dieses linksbürgerliche, demokratisch-republikanische, integrative und niemanden im Staatsvolk exkludierende Konzept von „Volksgemeinschaft“ als Antwort auf die Erfahrung von Klassenkampf, Bürgerkrieg und Kriegsniederlage sah sich allerdings von Anfang an zwei Gefahren ausgesetzt: erstens der Bereitschaft, das Ziel der „Gemeinschaft“ gegen die Notwendigkeit eines geregelten Interessenkampfes, die Anerkennung der unaufhebbaren Konflikthaftigkeit moderner Gesellschaften und des Konfliktaustrags durch politische Parteien auszuspielen und es zu verabsolutieren; und zweitens der Bereitschaft, mehr gesellschaftliche, kulturelle und politische Gemeinschaftlichkeit, also Homogenität, durch die Exklusion vermeintlich gemeinschaftsfremder –
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Juden und anderer Ethnien, Kommunisten, „Devianten“ unterschiedlichster Art – herbeizuzwingen . Der ersteren Gefahr erlagen unterschiedlich intensiv und mit unterschiedlichen Konzepten auch viele Liberale und Demokraten – und zwar eindeutig in kausaler Relation zu der Erfahrung, dass die Konfliktregelungsmechanismen der demokratischen Republik mit den Jahren und unter dem Druck zum Teil durchaus unverschuldeter Belastungen unzureichend oder gar nicht mehr funktionierten, wofür manche Unvernunft in der Politik der Sieger, vor allem aber die langfristigen Vorprägungen der deutschen politischen Kultur verantwortlich waren . Daraus begründete sich die zunehmende Kritik an den Verbänden, den Parteien, dem Reichstag, schließlich dem Parlamentarismus und der Weimarer Reichsverfassung insgesamt . Die zweite Gefahr, die Tendenz zur Verengung der Staatsbürgerlichkeit auf ein „rassisches“ Substrat von „Volk“ durch die Exklusion mehr oder weniger deviant erscheinender Personen und Gruppen, wurde durch die politische Rechte bewusst geschürt – insbesondere durch die Nationalsozialisten, die das Konzept der „Volksgemeinschaft“ als Chance begriffen, „völkische“ bzw . „rassische“ Reinheit herzustellen . Dieser Gefahr widersetzte sich Hamm ungeachtet volksnationaler Züge in seinem Denken und einer – partiellen und in den Anfangsjahren der Republik zeitweiligen – Eingebundenheit in Teile des allgemeinbürgerlichen antisemitischen Sprachcodes vom Anfang bis zum Ende seiner politischen Laufbahn mit aller Entschiedenheit .
Logik der Ökonomie und internationale Verständigung
Hamms Nationalismus fand zudem stärker als bei der Mehrheit des deutschen Bürgertums ein Gegengewicht in der Einsicht, wie sehr die deutsche Wirtschaft in die Weltwirtschaft eingebunden und vom Zugang zu ihr abhängig war . Je mehr er in der bayerischen und der Reichsregierung sowie im Verbandswesen verantwortliche Ämter übernahm, desto stärker betonte er die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, die Notwendigkeit, sich für den Welthandel zu öffnen, und trat für das außenhandelspolitische Prinzip der Meistbegünstigung und damit für eine – freilich pragmatisch an deutschen Interessen orientierte – Freihandelspolitik ein . Sehr entschieden verfocht er diese Position in seiner Eigenschaft als Reichswirtschaftsminister 1924, als er in nahtloser Übereinstimmung mit Stresemanns Verständigungspolitik für die Annahme des Dawes-Abkommens sowie für den Abschluss weiterer Handelsabkommen auf den genannten Grundlagen kämpfte . Er tat es aber auch in seiner anschließenden Tätigkeit als Geschäftsführender Vorstand des DIHT .
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Dieser Verband, in dem vor allem das verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungen wie Banken und Versicherungen von Amts wegen organisiert waren, berief ihn wegen seiner liberalen Überzeugungen, aber auch wegen seiner herausragenden kommunikativen und organisatorischen Fähigkeiten sowie seiner Vernetztheit in der Berliner politischen Szene und in der Ministerialbürokratie . Dieses Amt übte er bis zu seiner Vertreibung im Zuge der NS-Gleichschaltungspolitik gegenüber allen ökonomischen Interessenverbänden im April/Mai 1933 mit wachsender Autorität aus . Mit seiner Kompetenz und seiner gegenüber der reinen Interessenpolitik immer das allgemeine Staatsinteresse im Auge behaltenden Energie trug er zu einer verstärkten Rolle des DIHT neben dem RDI in der Reichspolitik bei . 1926 übernahm er auch die Geschäftsführung der deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer sowie die Rolle eines deutschen Repräsentanten in wirtschafts- und handelspolitischen Gremien und Aktivitäten des Völkerbundes, dem Deutschland im Zuge der internationalen Entspannungspolitik seit dem Abbruch des Ruhrkampfes im Herbst 1923 im Jahr 1926 beitrat . Die Logik des Interesses an einer zunehmenden Verflechtung der deutschen Exportwirtschaft – mit ihrem Schwerpunkt bei der verarbeitenden Industrie – in die weltwirtschaftlichen Handelsströme führte Hamm im Namen des DIHT zur Mitarbeit in einem internationalen Kreis von Verbandsvertretern und Wirtschaftspolitikern . Sie trafen sich in diesen Gremien regelmäßig und versuchten dort, den Tendenzen zu nationalwirtschaftlicher Verengung und autarkistischen Strömungen entgegenzutreten, die sich in der gesamten Weltwirtschaft spätestens seit dem Ausbruch der Großen Weltwirtschaftskrise 1929 auf dem Vormarsch befanden . Viele dieser Bemühungen blieben ohne Ergebnis, doch dürfte zumindest die erfolgreiche Verfechtung der deutschen Position durch Hamm und seine Mitstreiter während der Vollversammlung der Internationalen Handelskammer im Mai 1931 in Washington auf den Entschluss des amerikanischen Präsidenten nicht ohne Einfluss geblieben sein, am 20 . Juni 1931 das Hoover-Moratorium zu verkünden .
Kontroverse um die Zollunion und europäischer Zollfrieden
Die Ausrichtung Hamms an einer internationalen, ökonomisch fundierten Verständigungspolitik wird teilweise dadurch unterlaufen, dass er im Einklang mit der offiziellen Außenpolitik des Reiches und der Interessenpolitik der Industrieverbände seit 1929 eine Expansion deutscher Warenströme und Machtinteressen nach „Mitteleuropa“ befürwortete – das heißt im Kontext dieser Jahre in den südosteuropäischen Raum . Diese Akzentverschiebung in der deutschen Außenwirtschaftspolitik war nicht so neu, wie die Forschung
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vielfach angenommen hat . In der Exportindustrie bestand darüber seit den ausgehenden 1920er Jahren Konsens, und die ganz wesentlich von den USA und Frankreich ausgehenden massiven Störungen in der internationalen Verständigungspolitik seit 1929 luden zu einer stärkeren Gewichtung dieser „Mitteleuropa“-Politik geradezu ein . Diese entbehrte angesichts der schweren Agrarkrise auch in den ostmittel- und südosteuropäischen Staaten nicht einer starken ökonomischen Logik, sodass sich auch die Internationale Handelskammer und die wirtschaftspolitische Abteilung des Völkerbundes für solche Initiativen offen zeigten . Handels- und Zollpolitik ist immer auch nationalstaatliche Interessenpolitik . Hamm und seine internationalen Partner suchten den nationalen Vorteil ihrer Staaten durch einen Ausgleich der jeweiligen außenwirtschaftlichen Interessen herbeizuführen . Als Hamm schon Ende 1929 feststellen musste, dass ein allgemeiner Zollabbau, wie er im Völkerbund seit 1926 zunächst angestrebt worden war, nicht zustandekommen werde, verfocht er entschiedener noch als seine deutschen Mitstreiter zumindest die – einer belgischbritischen Initiative entstammende – Idee eines allgemeinen „Zollfriedens“, also wenigstens des Verzichts auf neue Zollerhöhungen . An seinen Prinzipien eines internationalen ökonomischen Interessenausgleichs als Grundlage auch der politischen Entspannung – gerade auch im Verhältnis zu Frankreich – hielt Hamm auch 1931 noch fest, als die Fliehkräfte in der Weltwirtschaft und im internationalen System auf das genaue Gegenteil hindrängten . Dass es dabei immer auch darum ging, die ökonomische und politische Macht der Republik im internationalen System zu stärken und letzten Endes nach der Abschüttelung des Versailler Vertrags wieder eine gleichberechtigte, nach Möglichkeit sogar hegemoniale Stellung in Europa zurückzugewinnen, verstand sich von selbst .
Diskurse um den Kapitalismus und seine Krise
Im Gesamtspektrum des in sich höchst differenzierten und zerstrittenen Liberalismus gehörte der Wirtschaftspolitiker Hamm zum industrienahen, rechten Flügel in der DDP . Als bayerischer Handelsminister vertrat er entsprechend der Wirtschaftsstruktur des Landes primär eine mittelstandsnahe Position und galt in Unternehmerkreisen eher als „links“ – wobei seine allgemeinpolitische liberal-freiheitliche Position in der bayerischen Regierung sicher in diese Bewertung einfloss . Er befürwortete nicht nur ein Kartellgesetz, wie es dann von der Regierung Stresemann im Herbst 1923 auch beschlossen wurde, sondern wandte sich auch entschieden gegen den Aufbau nationalkonservativer, seit 1923 sich auch zum Nationalsozialismus öffnender Pres-
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seimperien durch Hugo Stinnes und Paul Reusch . Die daraus folgende Aversion zwischen Stinnes und Hamm spielte 1923 auch noch in die sehr kritische Haltung der Reichskanzlei zu den restaurativen Angriffen von Stinnes auf die Sozialpolitik hinein . Im Reichswirtschaftsministerium 1924 galt Hamm den dortigen, noch vom gemeinwirtschaftlichen Aufbruch von 1918/19 beeinflussten Spitzenbeamten zwar als der Mann, der in das neue und in sich noch ungefestigte Ministerium Ruhe und einen klaren Kurs brachte . Er wurde aber teilweise auch als zu industrienah eingeschätzt . Tatsächlich bezog er im sozialpolitischen Streit um Löhne und den von der Republik prinzipiell eingeführten Achtstundentag von jetzt an immer die konservativ-unternehmernahe Position . Doch leitete ihn dabei meines Erachtens weniger ein grundsätzlicher Sozialkonservativismus als vielmehr das nationalpolitische Motiv, die deutsche Wirtschaft und insbesondere ihre Exportkraft in der Auseinandersetzung mit den Siegermächten zu stärken . Die Wirtschaft und der ökonomische Erfolg der im DIHT vertretenen Unternehmen galten ihm nie als Selbstzweck . Vielmehr deutete er wirtschaftliches Handeln als Äußerungsform individueller Freiheit und Kreativität . Es liegt auf der Hand, wie sehr diese Anschauung auf dem besitz- und bildungsbürgerlichen Fundament eines privilegierten Zugangs zu den persönlichen Lebenschancen beruhte . Dass dieses Fundament in den Konzentrations- und Rationalisierungsprozessen der Industriewirtschaft im Hochkapitalismus zu erodieren drohte und dass man sich in der zeitgenössisch viel diskutierten „Krise des Kapitalismus“ und angesichts der radikalen Ideologien von links und rechts nicht einfach auf das altliberale Ideologem einer auf ökonomisch und politisch selbstbestimmte Individuen gestützten „Bürgergemeinschaft“ zurückziehen könne, war ihm sehr bewusst . In vielen seiner Reden suchte er nach zeitgemäßen Lösungen, um so weit wie möglich die persönliche Freiheit jedes Einzelnen in den komplexen Strukturen und Funktionsmechanismen des industriell dominierten Wirtschaftens zu sichern . Er setzte sich dabei insbesondere seit 1927 mit den weitreichenden Reformvorschlägen von SPD und Gewerkschaften – bzw . ihren führenden Theoretikern – zu einem „organisierten Kapitalismus“ und zu einer „Wirtschaftsdemokratie“ auseinander, diskutierte aber auch die konservative Kapitalismuskritik und die Autarkievorstellungen etwa von Werner Sombart und aus dem „Tat“-Kreis . Allerdings konnte und wollte er dies nicht in purer gelehrtenhafter Gedankenarbeit und Kontemplation tun . Vielmehr war er in die Praxis interessenpolitischer Verbandsarbeit und staatsbürgerlichen Engagements eingebunden und betrachtete diese aktive Mitarbeit am politischen Geschehen auch als seine eigentliche Begabung und Aufgabe . Dementsprechend war er immer bemüht, die verschiedenen antagonistischen Interessen, Sichtweisen und Lagedeutungen
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zu analysieren, herauszufinden, welche Möglichkeiten der Gestaltung von Fall zu Fall bestanden, und das für richtig Erkannte im politischen Tageskampf durchzusetzen .
In der Weltwirtschaftskrise – Sparkurs oder Kreditausweitung
Die Weltwirtschaftskrise und ihre ökonomischen, sozialen und politischen Folgen stellten für diese Art staatsbürgerlicher Reflexion und verbandspolitischer Praxis eine extreme Herausforderung dar . Obgleich Hamm – wie alle industriellen Interessenvertreter in sich keineswegs widerspruchsfrei – prinzipiell einen möglichst weitgehenden Rückzug des Staates aus der Wirtschaftsregulierung forderte, rang er sich seit dem Herbst 1930 doch zu der Erkenntnis durch, dass die desaströse Lage auf dem Arbeitsmarkt nur durch eine – tendenziell inflationsgefährdende – Ausweitung des staatlichen Kreditrahmens und – in beschränktem Umfang – auch durch staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbessert werden könne . In gewissem Umfang befürwortete Hamm also ein keynesianisches Deficit-Spending . Im DIHT standen sich allerdings Anhänger der reinen wirtschaftsliberalen Lehre und Befürworter einer momentan notwendigen staatlichen Ankurbelungspolitik gegenüber . Für einen verantwortungsethisch denkenden und für realisierbare Beschlüsse mitverantwortlichen Politiker wie Hamm blieb daher nichts anderes übrig, als zwischen den Lagern so weit wie möglich zu vermitteln, wenn nötig auch zu lavieren, gleichwohl aber – wenn ein solches Vorgehen Erfolg versprach – in besonders kontroversen Fragen auch seine persönliche Meinung zu erkennen zu geben . Als Mitglied des DIHT-Präsidiums drängte Hamm beim Reichskanzler Brüning bis in den September 1931 hinein auf staatliche Ankurbelungsmaßnahmen . Dabei leitete ihn – wie manche andere Verbandspolitiker auch – mehr die allgemeinpolitische Einsicht in die politische Radikalisierungsgefahr durch die extrem hohe Arbeitslosigkeit als eine wirtschaftstheoretische Hinwendung zu mehr Staatsinterventionismus . Seit der britischen Pfundabwertung im September 1931 schien ihm die gefürchtete Verstärkung der Inflationsgefahr aber gesamtwirtschaftlich und -politisch so bedrohlich, dass er wie sein Verband zu seiner ursprünglichen wirtschaftsliberalen Ablehnung eines extensiven Deficit-Spending zurückkehrte . In den letzten eineinviertel Jahren der Republik zogen sich Hamm und sein Verband darauf zurück, die jeweilige Konjunkturpolitik der Regierungen Brüning II, von Papen und von Schleicher zu unterstützen . Der DIHT nahm dabei die Gefahr in Kauf, dass sein und seines Verbandes politisches Handeln als profillos und unentschieden erscheinen konnte . Doch erklärt sich dieser Kurs nicht nur aus der inne-
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ren Uneinigkeit der Industrieverbände und der zunehmenden Harthörigkeit der Reichsregierungen gegenüber den Äußerungen der Unternehmerverbände . Vielmehr entsprang er zum einen den nie aufgegebenen wirtschaftsliberalen Grundüberzeugungen, zum anderen aber der Überlegung, dass vorrangig die noch immer im Rahmen der republikanisch-demokratischen Verfassung agierenden Reichsregierungen gegen die immer ungehemmteren Ansprüche der verfassungsfeindlichen Extremisten von links und vor allem von rechts gestützt werden müssten .
Republikanische Parlamentarismuskritik und Reform der Weimarer Reichsverfassung
Spätestens seit dem bedrückenden Erfolg der NSDAP bei der Septemberwahl 1930 war das Reich auf rein parteidemokratischer Basis nicht mehr zu regieren . Systematisch machte die Regierung Brüning jetzt vom Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung Gebrauch . Die Hemmungen vor dem Einsatz dieses Instruments waren schon seit dem Herbst 1923 gesunken, als sich herausgestellt hatte, dass die Reichsregierung nur noch auf der Grundlage dieser verfassungsmäßigen Ausnahmeregelung wirklich handeln und entscheiden konnte . Eduard Hamm war in seiner gesamten politischen Laufbahn bis in den Widerstand hinein als überzeugter Demokrat bekannt und stand bis zum Ende seiner Amtszeit im Mai 1933 hinter der Weimarer Reichsverfassung . Gleichwohl lehnte er 1923/24 und 1929–1933 nicht den Einsatz des Artikels 48 ab . Wie viele überzeugte Republikaner beklagte er schon seit 1927 Funktionsschwächen der parlamentarischen politischen Kultur und trat im Namen eines vereinfachten und effektiveren parlamentarisch fundierten Regierens für einzelne Änderungen der Reichsverfassung ein . Dabei ging es ihm wie den meisten seiner linksliberalen Parteifreunde auch 1931/32 nie um die Umformung des Reichs in ein wie auch immer geartetes autoritäres System, sondern darum, die Regierbarkeit von Reich und Ländern unter den aktuellen Bedingungen bei möglichst weitgehender Erhaltung der demokratisch-republikanischen Errungenschaften des Weimarer Staatsgebildes zu sichern und zu stärken . Die Verfassungskonformität des politischen Handelns galt ihm von 1919 bis 1933 als unabdingbar . Die seit 1927 ins Auge gefasste „Weiterbildung“ der Verfassung konnte seiner Meinung nach auch nur auf verfassungsmäßigem Weg, also über die sogenannte „Diktaturgewalt“ des Reichspräsidenten, bewerkstelligt werden . Auch damit blieben Hamm und seine linksliberalen Parteifreunde allerdings in einer entschiedenen Minderheitenposition . Durchaus zu Recht wies
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Hamm 1932 mehrfach darauf hin, dass die geltende liberal-kapitalistische, sozialstaatlich gezähmte Wirtschaftsordnung und damit auch das auf ihr aufgebaute liberal-demokratisch-republikanische politische System ausweislich der Wahlergebnisse nur noch von rund einem Drittel der Deutschen akzeptiert wurde . Die SPD qualifizierte er dabei allzu vereinfachend, aber auch keineswegs völlig zu Unrecht, als systemkritisch – hatte sie doch ihre grundsätzliche Ablehnung der „kapitalistischen Eigentumsordnung“, mit der das liberal-demokratische politische System aufs engste verwoben war, nie offiziell revidiert . Jedenfalls befanden sich die wenigen verbliebenen – wenn auch im Einzelnen änderungswilligen – Befürworter der Weimarer Grundordnung deutlich in der Defensive . Dass sich Hamm, wie vereinzelt zu lesen, von der Weimarer Republik abgewandt habe, trifft jedoch keineswegs zu . „Weiterbildung“ der Weimarer Verfassung hieß nicht grundsätzliche Abkehr von ihr, sondern Stärkung der Exekutive und nach Möglichkeit die Schaffung einer zweiten, berufsständisch zusammengesetzten Kammer im weiterbestehenden Weimarer Verfassungsrahmen .
Freiheitliches Bürgertum und Nationalsozialismus
Eduard Hamm hat sich dem „Dritten Reich“ nicht vom ersten Tag an verweigert . Das tat niemand, der irgendwo in Amt und Würden war und, wie Hamm, einige Monate lang hoffte, dass sich die gemäßigteren und, wie es im Denkmuster des nationalen Liberalismus hieß, „gesunden“ und „idealistischen“ Kräfte in der NS-Bewegung behaupten würden . Eine absolute Grenze stellte für Hamm allerdings die Forderung dar, der NSDAP beizutreten – die Bedingung für eine weitere, in irgendeiner Weise „amtliche“ Tätigkeit . Diese Grenze konnte und wollte Hamm nicht überschreiten, sei es aus intellektuellen oder politisch-moralischen Gründen oder einer Mischung von beidem . Damit gehörte er von jetzt an zu den Ausgegrenzten, den potenziellen „Volksfeinden“ oder „Volksschädlingen“ . Wie scharf diese Exklusion gewesen ist und wie weitgehend das Exkludieren von der großen Mehrheit des deutschen Bürgertums auch gutgeheißen oder zumindest unter dem Druck der Sorge um eigene Vorteile hingenommen wurde, musste Hamm erkannt haben . Obgleich er in den Kreisen von Wirtschaft und Bürokratie als vorzüglicher Jurist und gewandter Unterhändler bestens bekannt war, musste er feststellen, dass er in seinem neuen Beruf als Rechtsanwalt in Berlin keinerlei Aufträge erhielt – auch nicht aus den Unternehmerkreisen, mit denen er jahrelang aufs Engste verkehrt und deren ökonomische und politische Interessen er vertreten hatte .
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Wie es in vergleichbaren Situationen in der deutschen Geschichte oft geschah, kam dann den an der einen Stelle – im Falle Hamms in Berlin – Ausgegrenzten die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der politischen Regionen und Milieus in Deutschland zu Hilfe . In München konnte er mit Hilfe einer ihm persönlich oder sachlich nahestehenden – sehr überschaubaren – Klientel als Anwalt wieder Geld verdienen . Die Verwurzelung in der bayerischen Heimat war es dann auch, die ihm den Weg in die politische Resistenz und schließlich in die explizite Widerstandstätigkeit wies . Die Wiederherstellung der aus der Sicht der bayerischen Bevölkerung über die Jahrhunderte bewährten und in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs liberal-großzügig agierenden Wittelsbacher Monarchie mit der ebenfalls bewährten Elite einer hochqualifizierten liberal-konservativen Ministerialbürokratie als Regierungsinstrument mochte ihm als geeignetes Remedium gegenüber dem zentralistischen Unrechtsregiment in Berlin und seiner Gewalthaftigkeit erscheinen . Ob er darin eine dauerhafte Lösung sah, lässt sich nicht sagen – denkbar ist es jedoch, vielleicht sogar wahrscheinlich . Denn dass er angesichts der Anfälligkeit des „Volkes“ für die – wie er gelegentlich formulierte – „Krankheit“ des Nationalsozialismus eine straffere Regierung und Verwaltung für nötig hielt, als sie die Realität der demokratischen Republik seit 1918/19 gezeigt hatte, das wird man mit Sicherheit annehmen können . Die Grundwerte des liberalen Rechtsstaates dagegen hielt er für unabdingbar, das zeigen seine Argumentationen und Handlungsvorschläge in den Krisenjahren der Weimarer Republik ebenso wie seine Verweigerungshaltung gegenüber dem NS-Unrechtsstaat . Hamms Selbstverständnis als deutscher Bürger und Staatsbürger war von Anfang an durchaus selbstbewusst, fortschrittsfreudig und fortschrittsoffen gegenüber der entwickelten Industriegesellschaft, aber auch kritisch gegenüber den Gefährdungen, die sie aus seiner Sicht für die individuelle Freiheit aller mit sich bringen konnte . Er verkörperte – wie viele andere Bürger in ähnlichen Ämtern und Funktionen – durch sein Studium, sein Berufsleben und seine Vita insgesamt eine weitgehende Annäherung von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum . Ihr gegenüber greift die in der Bürgertumsforschung gängige Polarisierung von fortschrittskritischen und vielfach in panisch-reaktionäre Haltungen verfallenden Bildungsbürgern auf der einen und bedenkenlos gewinnsüchtigen, politisch obrigkeitshörigen und kurzsichtigen Wirtschaftsbürgern auf der anderen Seite nicht . Die politischen Ordnungsvorstellungen dieser Bürger hatten sich zwar nicht frei halten können von der im Zeitalter des Imperialismus verbreiteten bürgerlich-aristokratischen Obsession weltweiter Machtentfaltung der Großstaaten . „Freiheitlich“ kann man sie aber insofern nennen, als sie auf eine fortschreitende Demokratisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens drängten .
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Traditionell-ständische und modern-egalitäre Ordnungsvorstellungen gingen zwar im späten Kaiserreich ebenso wie in der Weimarer Republik noch die verschiedensten Legierungen ein . Selbstverständlich spielten auch in der Sozialisation der Generationskohorte der zwischen 1870 und 1890 Geborenen „Hierarchie“ und „Autorität“ eine beherrschende Rolle . Aber in dem kleinen „fortschrittlich-freiheitlichen“ Segment des deutschen Bürgertums, wie es sich in den linksliberalen Gruppierungen und gerade im Umkreis Friedrich Naumanns sammelte, akzeptierte man die fortschreitende Industrialisierung als unumkehrbare Tatsache und wandte sich gegen die Macht feudaler Traditionen . Dieses liberale Bürgertum forderte ein demokratisches Wahlrecht auch in den Länderverfassungen, trat für ein freieres Vereinsrecht mit dem Recht auf politische Betätigung auch der Frauen ein – so wie man sich, wenn auch sehr zögerlich, mit dem allgemeinen gleichen und geheimen Wahlrecht auch für Frauen anfreundete – und kämpfte gegen klerikale Bevormundung und gegen alle möglichen Erscheinungsformen des „Obrigkeitsstaates“, ohne deshalb die schon durch die Reichsgründungsgeschichte und die Mächterivalität im Zeitalter des Imperialismus neu legitimierte Vorstellung eines grundsätzlich „starken Staates“ zu verwerfen . Bei Eduard Hamm kam noch ein aus der Tradition des süddeutschen Beamtenliberalismus gespeister individueller Staatsidealismus hinzu, der auch in dem altliberalen Glauben an die Handlungsbereitschaft und Zugewandtheit des Menschen als „Zoon politikon“ wurzelte . Zusammen mit dem Glauben an die Nation als innerweltliche Sinngebungs- und Rechtfertigungsinstanz bildete er bei Hamm – bei aller Nähe zur und Fähigkeit für die bürokratisch-politische Praxis – ein streng moralisches politisches Bewusstsein heraus, das die Übernahme von Verantwortung für andere sowie extensive Arbeitsleistung, fundamentale Sachkenntnis und eine rigorose Rechtlichkeit der politischen Akteure verlangte . Das Leitbild war das liberale Ideal des selbstbestimmten Menschen inmitten seiner Gesellschaft oder Nation . Letzten Endes beruhte dieses politische Verantwortungsbewusstsein auf einer individuell ausgestalteten christlich-religiösen Glaubensüberzeugung, in der die „Nation“ die Rolle der maßgeblichen innerweltlichen Sinngebungsinstanz übernommen hatte . Dabei ergänzen sich die Idealvorstellungen von Nation und politischer Region als integralem Teil des Nationsganzen . Die Bindung an eine – nur wenig sozial-konservativ ideologisierte – Vorstellung von lebenstragender und schützender „Heimat“ vertiefte dieses Ensemble von politischen, sozialen und kulturellen Ordnungsgedanken zusätzlich ins Emotionale . Dabei wirkten Gefühle der Verpflichtung zum Schutz nahestehender Menschen, gegenüber dem geschichtlichen Erbe und der Bewahrung der humanen Normen zusammen . Die letzten Gründe für die radikale Entschlossenheit Hamms entziehen sich allerdings dem Blick des rückschauen-
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den Betrachters . Sie liegen im unauflöslichen Geheimnis der Persönlichkeit . Diese und die ganz besondere Form des politischen Glaubens verlangten angesichts der beispiellosen Inhumanität des NS-Staats schließlich das Äußerste, die Bereitschaft zum Einsatz des eigenen Lebens .
Nachwort
E
in Buch wie dieses benötigt für seine Entstehung mannigfache Unterstützung durch Institutionen, Freunde und Kollegen . Sie ist mir in einem Ausmaß und einer Intensität zuteilgeworden, die mich gefreut und vielfach auch überrascht hat und für die ich hier nur in unzureichenden Worten danken kann . Großzügige Stipendien des Historischen Kollegs in München und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichten mir die gründliche Einarbeitung in ein Themenfeld, das mich aus familiären Gründen von jeher interessiert, aber von meinem Werdegang als Historiker und von meinen Aufgaben in der akademischen Lehre her eher ferngelegen hatte . Kollegen und Freunde bestärkten mich in meinem Arbeitsvorhaben und gaben wichtige Hinweise; dafür danke ich Knut Borchardt, Stefan Fisch, Klaus Hardach, Carl-Ludwig Holtfrerich, Ferdinand Kramer, Werner Plumpe, Reinhard Mehring, Albrecht Ritschl, Erhart Schütz, Michael Unger, Alexa Geisthövel, Per Leo, Jens Thiel und Alexander Thomas . Besonderen Dank schulde ich Martin Baumeister, Moritz Föllmer, Rüdiger Graf, Philipp Müller, Tim B . Müller, Daniel Siemens und Christine Tauber, dass sie das Manuskript teilweise oder ganz gelesen und dabei weder mit kritischen und also nützlichen Hinweisen noch mit freundlichem Zuspruch gespart haben . Ich möchte diese Gelegenheit auch nicht vorbeigehen lassen, dankbar an die Diskussionen in meinem Berliner Forschungskolloquium und an die Gespräche mit vielen seiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erinnern . Die freundschaftliche Atmosphäre und der intellektuelle Austausch dort haben wesentlich dazu beigetragen, mir meine wissenschaftliche Neugier und Arbeitsfreude zu erhalten . Für die tatkräftige Unterstützung bei biblio-
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graphischen Recherchen und redaktionellen Arbeiten habe ich Birgit Lulay und Cordula Schütz zu danken . Eine wesentliche Grundlage für meine Arbeit stellten die Forschungen von Manuel Limbach zum Sperr-Kreis dar . Seine kürzlich fertig gestellte Dissertation erscheint demnächst im Druck, für alle Informationen zum SperrKreis sei ausdrücklich noch einmal auf dieses Werk verwiesen . Limbach stellte mir seine Forschungsergebnisse in Form seiner Magisterarbeit zur Verfügung, nach der hier zitiert wird . Unsere zahlreichen Gespräche über die einander ergänzenden Themen haben mich immer in besonderem Maß ermuntert . Darüber hinaus empfand ich es als hilfreich, einige meiner Befunde und Thesen vor einem größeren und meist sachkundigen Publikum zur Diskussion stellen zu können . Birgit Aschmann, Norbert Frei, Thomas Hertfelder, Thomas Mergel und Paul Nolte bin ich für solche Gelegenheiten zu Dank verpflichtet . Michael Stephan, Michael Unger, Thomas Paringer und Gerhard Hetzer haben sich – zum Teil schon vor langer Zeit – namens des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München in dankenswerter Weise für die Sicherung, Ordnung und Auswertung der Nachlässe von Eduard Hamm und Gertrud HammHardtwig engagiert . Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag war freundlicherweise bereit, einen Beitrag zu den Druckkosten zu leisten . Besonders zu danken habe ich der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart, ihrem Beirat und Vorstand und vor allem ihrem Leiter Thomas Hertfelder . Während meiner zwölfjährigen Tätigkeit im Beirat und bei der Edition der Briefe von Theodor Heuss festigte sich bei mir der Entschluss, das Leben und Wirken meines Großvaters, der mit Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp eng befreundet war, genauer zu erforschen . Da lag es dann auch sachlich nahe, die Hamm-Biographie in der wissenschaftlichen Reihe der Stiftung „Zeithistorische Impulse“ zu publizieren . Dem Beirat, Thomas Hertfelder und Ernst Wolfgang Becker schulde ich Dank dafür, dass sie gegenüber der langwierigen Arbeit am Projekt so ausdauernde Geduld bewiesen haben . Ernst Wolfgang Becker hat sich zudem, unterstützt von Simon Lindörfer, der Lektorierung des Manuskripts mit großem Engagement, bemerkenswerter Sachkenntnis und außerordentlicher Sorgfalt angenommen . Das Thema aus der eigenen Familiengeschichte brachte es mit sich, dass der innerfamiliäre Austausch von Informationen und Erinnerungen stärker in Gang kam, als das normalerweise der Fall sein mag . Ich danke der jüngeren Tochter Eduard Hamms, Fride Krug, die 2014 hundertjährig gestorben ist, sowie ihren Töchtern und Enkeln für die lebhaften und ertragreichen Gespräche und für das förderliche Interesse, das sie meiner Arbeit entgegenbrachten . Ausdrücklich danken möchte ich auch den Münchner Freunden Dorothee und Karl Nehring für ihre nie nachlassende Bereitschaft, meine mehr oder
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weniger erfreulichen und manchmal ausufernden Erzählungen aus der Familiengeschichte aufmerksam und geduldig anzuhören, zu kommentieren und schließlich das Gespräch wohlwollend – und unterstützt durch vorzügliche Speisen und Weine – zu Themen hinüberzuleiten, die mehr Anlass zu Heiterkeit und Gelächter boten . Zum Schluss das Wichtigste: Dieses Buch wäre nicht zustande gekommen ohne die rückhaltlose und unermüdliche Unterstützung meiner Frau . Ihr soll es auch gewidmet sein .
Bildnachweis Privatarchiv Wolfgang Hardtwig: Umschlagphoto, Abb . 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 14, 16, 17, 18 Familienarchiv Krug: Abb . 8, 11, 13, 15 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bild-Nr . 210380: Abb . 10 ullstein bild / Getty Images: Abb . 12
Abkürzungsverzeichnis AA ADAP ADGB AdR AEG AGV Ausgabenbuch BArch BayHStA BVP CSU DDP DIHT DNVP DÖAG DStP DVFP DVP Familienchronik GG GWU HA Haushaltsbuch HZ IHK KPD
Auswärtiges Amt Akten zur deutschen auswärtigen Politik Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Akten der Reichskanzlei Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Akademischer Gesangverein Ausgabenbuch für Repräsentation Maria Hamm Bundesarchiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Bayerische Volkspartei Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Partei Deutscher Industrie- und Handelstag Deutschnationale Volkspartei Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft Deutsche Staatspartei Deutschvölkische Freiheitspartei Deutsche Volkspartei Maria Hamm: Familienchronik 21 .9 .1908 – 21 .9 .1918 Geschichte und Gesellschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hauptausschuss des DIHT Haushaltsbuch Maria Hamm Historische Zeitschrift Industrie- und Handelskammer Kommunistische Partei Deutschlands
Abkürzungsverzeichnis 453
MSPD MWT NL NS NSDAP Öffa OHL RDI RM SA SPD SS USPD VDAV Verh . VfZ VSWG VV WRV
Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands Mitteleuropäischer Wirtschaftstag Nachlass nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG Oberste Heeresleitung Reichsverband der Deutschen Industrie Reichsmark Sturmabteilung Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Verhandlungen des Deutschen Industrie- und Handelstags, Berlin 1925–1932 Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vollversammlung des DIHT Weimarer Reichsverfassung
Quellen und Literatur Ungedruckte/archivalische Quellen Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München MA (Außenministerium) Nachlass Eduard Hamm
Bundesarchiv N 1013 (Nachlass Paul Silverberg) N 1032 (Nachlass Otto Gessler) N 1072 (Nachlass Anton Erkelenz) R 2 (Reichsfinanzministerium) R 11 (Reichswirtschaftskammer) R 43–1 (Reichskanzlei 1919–1945) R 45-III (Liberale Parteien . Deutsche Demokratische Partei – Deutsche Staatspartei) R 3001 (Reichsjustizministerium) R 3101 (Reichswirtschaftsministerium)
Institut für Zeitgeschichte München–Berlin ED 93 (Nachlass Hans Schäffer)
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin Nachlass Gustav Stresemann
Privatarchiv Wolfgang Hardtwig Staatsarchiv München Spruchkammerakte Paul Helfrich
Stadtarchiv Passau Nachlass Eduard Hamm
Quellen und Literatur 455
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Personenregister A Abegg, Wilhelm 353, 355 Abs, Hermann J . 242 Achelis, Eduard 207 Adenauer, Konrad 94, 178, 339, 345 Albert, Heinrich 86, 89, 131, 206, 208, 388, 395 f, 415, 421 f, 425 f Alzheimer, Alois 413 Andreä, Fritz 131 Anschütz, Gerhard 339, 346 Arco-Valley, Anton Graf von 50 Aretin, Erwein von 191 Auer, Erhard 50 Aumer, Hermann 415, 418, 432
B Baade, Fritz 309 Bäumer, Gertrud 136, 207, 331 Ballin, Albert 86 Barth, Theodor 192 Bassermann, Familie 47, 187 Becker, Johann 92, 128, 130 f Beckerath, Hermann 209 Beims, Hermann 348 Bergmann, Carl 245 Berliner, Cora 148 Bernhard, Georg 88, 206, 326 Bernstein, Otto 316, 380 Bernstorff, Albrecht Graf von 404 Bernstorff, Johann-Heinrich Graf von 171
Bertram, Ernst 55 Bethmann-Hollweg, Theobald von 102, 186, 253 Bielschowsky, Albert 28 Bismarck, Otto von 24, 41, 43, 46, 56, 88, 189, 337, 340, 368 f, 421 Blank, Martin 385 Bonhoeffer, Klaus 404 Bonn, Moritz Julius 127, 330 Bormann, Martin 427 Borsig, Ernst von 286 Bosch, Carl 284 Bosch, Robert 179, 186, 284, 327 Bothmer, Karl Graf von 72 Brahms, Johannes 393 Branca, Gerhard Freiherr von 253 Brandes, Ernst 249 Brandt, Willy 272 Braun, Magnus von 314–317, 320 Braun, Otto 87, 106, 335, 338, 343–346 Brauns, Heinrich 129, 148 f, 151, 193, 285 f, 297, 350 Brecht, Arnold 155, 338, 345 Breitscheid, Rudolf 89, 136, 153 Brentano, Lujo 38, 52, 192 f Brettauer, Guido 62, 140 Briand, Aristide 240, 247, 256 f Brüning, Heinrich 184 f, 203, 254, 262 f, 271, 273 f, 279–282, 286–288, 290–292, 294, 300–303, 305–307, 311, 314, 318,
Personenregister 493
321, 332, 343 f, 353 f, 358, 361, 370, 391, 399, 425, 442 Brugger, Philipp 94 f Bücher, Hermann 131, 209, 300 Bülow, Bernhard von 255, 258, 262, 264 Burckhardt, Jacob 27, 189
C Caesar, Gaius Julius 398 Canaris, Wilhelm 407 Caracciola–Delbrück, Günther 415, 419 Cassirer, Ernst 390 Clairvaux, Bernhard von 399 Clémentel, Étienne 168 Cohnstaedt, Wilhelm 76, 144 Cossmann, Nikolaus 103 Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus Graf 194, 248 Cremer, Karl 316 Cuno, Wilhelm 84–87, 89–93, 95, 97, 99, 102, 106, 108–110, 114 f, 117–119, 121, 127–132, 142, 146 f, 150, 203, 371 Curtius, Julius 203, 218, 254, 258, 262, 264, 292 Curtius, Ludwig 38 f Curzon, George 118
D Dabringhaus, Gustav 105 Dalberg, Richard 251 Dalberg, Rudolf 130 Daqué, Edgar 200 Decker, Rudolf 140, 415 Degoutte, Jean-Marie 115 f Delbrück, Hans 191, 193, 339 Delp, Alfred 424 Demmler, Ernst Ferdinand 418 Demuth, Fritz 207 f, 244, 314, 371, 390 f Dernburg, Bernhard 117, 157 Dibelius, Otto 100, 431 Dietrich, Hermann 90, 237, 258, 294, 296 f, 299, 326, 330 f, 425 Dietze, Constantin von 404 Dill, Hans 68 f Dingeldey, Eduard 292, 325 Dirr, Pius 56, 72 Doeberl, Ludwig 191
Dohrn, Wolf 38 Dorn, Herbert 304, 349 Droysen, Johann Gustav 190 Duisberg, Carl 95, 204, 207, 209, 230, 234, 291, 354
E Ebert, Friedrich 34 f, 71, 84–87, 90, 95 f, 103, 132, 145 f, 150, 169 f, 178, 181, 207, 350 Ebert, Louise 34, 207 Eckart, Dietrich 72, 123 Eckener, Hugo 188 Eggert, Wilhelm 239 Eglhofer, Rudolf 51 Einstein, Albert 188 Eisenlohr, Ernst 246 Eisner, Kurt 49 f, 52, 54 f, 61, 138, 385 Elisabeth, Kaiserin von Österreich 21 Elsas, Fritz 11, 208, 404, 415, 429 Eltz-Rübenach, Paul von 206 Emminger, Erich 146, 157 Endres, Fritz 69 Engerer, Carl 62 Epp, Franz Ritter von 66, 419 Erhardt, Hermann 143 Erkelenz, Anton 82, 326 Erzberger, Matthias 13, 73, 80, 333, 436 Eschenburg, Theodor 207, 332 Escherich, Georg 67, 69
F Fechenbach, Felix 138 Feder, Gottfried 171, 362, 373 f, 427 Fehr, Anton 406, 411, 426 Fehrenbach, Konstantin 88 Fessler, Othmar 203 Fischer, Hermann 326 Flach, Rudolf 413–415 Flechtheim, Julius 207, 395 Fontane, Theodor 189 Forckenbeck, Max 369 Franck, James 390 Frank, Konrad 415 Frank, Rudolf 169, 204 Frauendorfer, Heinrich von 68 Freisler, Roland 387, 432
494 Personenregister
Freyberg, Karl Baron von 141 Freytag, Gustav 189 Frick, Wilhelm 66, 72, 370 Frielinghaus, Otto 365–368, 409 Frowein, Abraham 207, 209, 242, 245, 249, 319, 381 Furtwängler, Wilhelm 39
G Gareis, Karl 13, 73 Gawronsky, Dimitrj 194 Gayl, Wilhelm Freiherr von 344, 361, 369 Gebert, Erich 212 Geib, Hermann 89, 206, 391 Gelpcke, Karl 207 Gelzer, Heinrich 395 Gereke, Günter 309 f Gerlach, Helmut von 89 Gessler, Otto 18, 25, 33, 38 f, 66, 70 f, 89 f, 106, 108, 111, 146, 206–208, 253, 323, 350 f, 371, 377, 388, 391 f, 395, 405– 407, 409, 411–417, 420, 423 f, 426, 429 Gierl, Rudolf 418 Giesbert, Johannes 114 f Gilsa, Erich von 292 Goebbels, Joseph 373, 393 Goerdeler, Carl Friedrich 384, 409, 414, 420, 424 f, 427, 430 Göring, Hermann 278, 370 Görres, Joseph 395 Goethe, Johann Wolfgang von 22, 28, 188, 398 Goetz, Walter 38, 190, 346, 389, 416 Goldschmidt, Jacob 131, 339 Gorki, Maxim 194 Gothein, Georg 252 Graefe, Albrecht von 109 Graham, William 248 Grimm, Hans 194 Groener, Wilhelm 86, 207, 372 Grünewald, Matthias 398 Grünfeld, Falk Valentin 210 Grund, Bernhard 207, 210, 261, 265, 315, 319, 384–386, 388, 395 Grzesinski, Albert 353 Guardini, Romano 431 Guderian, Heinz 420
Gürtner, Franz 139 f, 208, 378, 387 f, 432 Guggenheimer, Hedwig, verh . Hintze 397
H Haas, Ludwig 151 Hagen, Luis 95 Hahn, Max 264 f Haimhausen, Edgar Haniel von 103 Haindl 412 Halder, Franz 417, 419 f Hamm, Fride, verh . Krug 28, 31, 187, 390 f, 393, 399, 402 f, 431 f Hamm, Gertrud, verh . Hardtwig 19, 28, 31, 35, 187, 205, 391, 393, 396, 399–403, 418, 420, 424, 426 f, 431 f Hamm, Gottfried 21 f, 28, 192, 403 Hamm, Hans 28, 33, 35, 402 Hamm, Johann Baptist 21 f, 28, 35, 47, 189 Hamm, Luise, geb . Niederleuthner 21, 28, 35, 47 Hamm, Luise, verh . Bresele 21, 403 Hamm, Maria, geb . von Merz 16, 25–30, 33 f, 38, 88, 184–188, 205, 207, 389–391, 393 f, 398, 402 f, 413, 425–427, 430 f Hamm, Max 21 Hammerschmidt, Karl 140 Hammerstein-Loxten, Adolf Freiherr von 355 Hansemann, David 209 Hantos, Elemér 251 f Hardtwig, Christine 403 Hardtwig, Erwin 19, 191, 391 f, 400 f, 420, 423 f, 426, 429–431 Hardtwig, Wolfgang 403 Harlan, Veit 393 Hartung, Fritz 398 Hassell, Ulrich von 409, 416 f, 423 f Hauenstein, Heinz 107 Haußmann, Conrad 192 Havenstein, Rudolf 91, 125–127 Haydn, Joseph 393 Hebbel, Friedrich 188 Hechtl, Anton 400 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 213 Heilbron, Friedrich 88, 90, 103, 206, 208, 415, 425 Heim, Georg 81
Personenregister 495
Heimpel 31 Heine, Heinrich 28 Held, Heinrich 172 Helfferich, Karl 131, 136, 194 Helfrich, Paul 412, 414 Hemmer, Heinrich 82 Henrich, Otto 131 Hergt, Oskar 136 Hermes, Andreas 89, 92, 101, 128–130, 132 Herrgott, Adolf 418 Herriot, Édouard 166 f, 169, 173 Heuss, Theodor 38, 62, 179, 189, 206–208, 253, 323, 326–328, 331, 347, 391, 396, 404, 415, 425, 429, 431, 435 Heuss-Knapp, Elly 206–208, 391, 396, 431 Hilferding, Rudolf 86, 89, 92, 125, 131, 160, 206, 223, 231 f, 234, 283, 294, 300, 313, 328 Hindenburg, Paul von 278, 287 f, 306, 312 f, 318 f, 321, 344, 350, 354, 358, 368 f, 380, 405, 416 Hintze, Otto 192, 397 f Hirsch, Julius 85, 148 Hitler, Adolf 14 f, 56, 72, 75, 79, 121–123, 136, 138, 140 f, 143, 148, 208, 215, 253, 273, 276, 278 f, 313, 317 f, 354 f, 361, 368–370, 373 f, 379–381, 383 f, 406, 410, 419–423, 432 Hochstettler 29 Hoffmann 412 Hoffmann, Johannes 50, 52 f, 68–70 Hohmann, Georg 38 f, 59, 72, 391 Holzmeister, Clemens 121 Hoover, Herbert 236, 245, 264, 439 Hopf, Albert 327, 347 Huber, Fritz 207 Huber, Kurt 432 Huch, Ricarda 19, 191 Hugenberg, Alfred 143, 215, 229, 325, 354, 380–382 Hugo, Otto 385 Hunglinger, Franz 412 Hymans, Paul 248
I Ibsen, Henrik 188 Imbusch, Heinrich 378 Imhoff, Ludwig 246
J Jucho, Heinrich 207 Jaeger, Ernst 207 Jaffé, Edgar 52, 55 Jarres, Karl 106, 155, 163 Jordan, Karl 363 Jünger, Ernst 195 Jung, Edgar 195, 362
K Kaas, Ludwig 151, 325 Kahr, Gustav Ritter von 66–69, 71–73, 79–81, 138, 140–144, 349, 407 Kalkreuth, Eberhard von 229, 314, 316 Kaltenbrunner, Ernst 427 Kanitz, Gerhard Graf von 146, 163, 179–181 Kanzler, Rudolf 67 Kapp, Wolfgang 68, 70 Kardorff, Siegfried von 355 Kastl, Ludwig 207, 215, 221, 230 f, 234, 279, 291 f, 294, 298, 316, 340, 354, 380 f, 383, 391 Kauffmann, C . 207, 427 Kaufmann, Erich 404 Keinath, Otto 210, 316 Keindl, Otto 380 Kelsen, Hans 390 Kempf, Rosa 391 Kempkes, Adolf 136 Kempner, Franz 88 f, 91, 127, 135, 168, 206, 208, 365, 396, 415, 425 f Kempner, Paul 339, 371 Kerrl, Hanns 387 Kessler, Harry Graf 55, 87–90, 99, 104 f, 108 f, 326, 371 Keynes, John Maynard 117, 193, 288, 308, 359 Kirdorf, Emil 370 Klages, Ludwig 200 Klein, Fritz 144 Kleist, Heinrich von 188 Klemperer, Victor 49, 55 Klöckner, Peter 167 f, 286, 298 Klotzbach, Arthur 298 Knoch, Karl 95 Koch, Robert 394
496 Personenregister
Koch-Weser, Erich 136 f, 160, 194, 326 f, 332, 338, 341 Köhler, Heinrich 230 Köngeter, Eugen 168 Köster, Adolf 199 Kolbenheyer, Erwin Guido 191 Kotzenberg, Karl von 394 f Kraemer, Hans 169, 261, 383 Kriebel, Hermann 138 Krug, Fritz 403 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 98, 291, 383
L Laband, Paul 191 Lambach, Walther 198, 327 Lammers, Clemens 193, 215, 239 f, 257, 363, 388, 395 Lampe, Adolf 414 Lamprecht, Karl 192 Landauer, Gustav 51 f, 55 Langbehn, Julius 195 Lederer, Emil 284 Legien, Carl 63 Leicht, Johann 151 Lejeune-Jung, Paul 355 Lenel, Richard 207, 288 Lenin (Uljanow), Wladimir Iljitsch 51, 194 Lenz, Max 189 Lerchenfeld-Koefering, Hugo von 81 Lessing, Gotthold Ephraim 188 f Levien, Max 51, 55 Leviné, Eugen 51, 55 Lindner, Alois 50 Lippart, Gottlieb 54 Löbe, Paul 106 Loewenich, Walther von 431 Lossow, Otto von 140 f Loucheur, Louis 239 f Ludendorff, Erich 67, 86, 122, 136, 138, 140 f, 143, 193, 405 Lüders, Marie Elisabeth 207, 412 Ludwig I ., König von Bayern 405 Ludwig III ., König von Bayern 49, 405 f, 410 Ludwig Ferdinand, Prinz von Bayern 138 Luitpold, Prinzregent von Bayern 30, 41
Luppe, Hermann 371, 404 Luther, Hans 86, 89, 106, 148 f, 151, 156– 158, 160, 162, 167, 169, 180, 203, 206, 274, 290, 293, 299 f, 308–311, 319, 339, 349, 382, 394, 396 Lutz, Oswald 418
M MacDonald, Ramsay 166, 173 f Machiavelli, Niccolò 395 Mahraun, Artur 325 f Maltzan, Ago von 90, 99, 104, 112 Mann, Thomas 28, 55, 201, 395 Marcks, Erich 189 f, 397 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 26 Martmöller, Albert 132 Marx, Georg 61 Marx, Wilhelm 145 f, 148, 151 f, 156, 158, 160, 162, 167, 169, 173, 178, 181, 203, 350 Matt, Franz 140 Maximilian II ., König von Bayern 22 Mehlich, Ernst 105 Meier, Ernst 418 f Meier, Gottlieb 95 Meier, Johannes 414 Meinecke, Friedrich 58 f, 190, 195 f, 326, 339, 397 Meinel, Wilhelm Ritter von 60–62, 140, 166, 172, 405 Meinl, Julius 251 Meissner, Otto 350, 380 Melchior, Carl 95, 117, 207, 209, 249, 304 Mendelssohn, Franz von 127, 131, 202– 204, 206–210, 240, 242, 249, 280 f, 332, 340, 348, 384, 388 f, 394 Mendelssohn, Moses 204 Mendelssohn-Bartholdy, Paul von 204 Merz, Antonie von 26, 35 Merz, Carl von 26, 28, 35 Merz, Carl von (Junior) 26, 28 Meyer, Heinrich 132 Meyer, Jacques 372 Meyer, Oskar 371 Meyer, Richard 313 Micheler, Karl 61 f Michels, Robert 225
Personenregister 497
Mierendorff, Carlo 424 Möhl, Arnold von 67–69, 72 Moellendorff, Wichard von 147 Moeller van den Bruck, Arthur 195 Moldenhauer, Kathinka 355 Moldenhauer, Paul 355, 391 Moltke, Helmuth James Graf von 410, 424 f Moltke, Helmuth von 46 Morath, Albrecht 355 Most, Otto 340, 389, 403 Mozart, Wolfgang Amadeus 398 Müller, August 208 Müller, Hermann 90, 130, 136 f, 152, 228 f, 232, 234, 281 Müller, Karl Alexander von 190 f Müller-Meiningen, Ernst 39, 72 f, 76, 140 Müller-Oerlinghausen, Georg 169 Mussolini, Benito 364 Mutius, Gerhard von 253 f, 312
Paulus, Friedrich 418 Pechel, Rudolf 362 Petersen, Carl 157, 316 Piatscheck, Konrad 383 Pietrkowski, Edmund 383 Piggott, Julian 95 Planck, Erwin von 206, 345 Pöhner, Ernst 66 f, 69, 72 Poensgen, Ernst 298 Poincaré, Raymond 93 f, 107, 118, 162, 175, 240 Popitz, Johannes 206, 232, 283, 404 Preger, Konrad von 207 Preuß, Hugo 76, 89, 192, 199, 330, 410 f Pringsheim, Peter 390 Pschorr, Josef 207, 209 Pünder, Hermann 338, 353
Q Quidde, Ludwig 110
N
R
Naphtali, Fritz 223, 227 Nathan, Henry 131 Naumann, Friedrich 14, 38, 40–43, 47, 57, 192, 251, 330 f, 434, 436, 446 Neurath, Otto 53 f Neurath, Konstantin von 317 Niederleuthner, Anna 21 Niederleuthner, Anton 21 Niekisch, Ernst 50, 195 Nietzsche, Friedrich 200, 398 Norden, von 207 Noske, Gustav 351
Radbruch, Gustav 78, 138 Radek, Karl 96, 121 Ranke, Leopold von 189, 397 Rath, Klaus Wilhelm 413 Rathenau, Walther 13, 81, 84, 94, 196–199, 201, 215, 436 Raumer, Hans von 307 Redwitz, Franz von 407, 411 Reichert, Jakob Wilhelm 168 Reinhold, Peter 230, 326 Remarques, Erich Maria 191 Remmele, Adam 107 Reusch, Paul 102 f, 143 f, 165, 168, 205, 207, 209, 215, 218, 226, 230, 262, 264, 284, 286, 291 f, 299, 316 f, 319, 321, 327, 332, 339, 354, 370, 380, 384–386, 388, 398, 417, 441 Richter, Eugen 39 Riebesall 413 Riecker, Karlheinrich 208, 373–377, 384 f Riedberg, Gerhard 208, 394 f Riedl, Richard 179 Riefenstahl, Leni 393 Riezler, Kurt 102 f Riezler, Sigmund von 191
O Oeser, Rudolf 163 Oncken, Hermann 190, 397, 429 Oswald, Heinrich 140
P Pacelli, Eugenio 34, 109 Papen, Franz von 206, 265, 273, 278 f, 306 f, 309 f, 312–319, 321, 344 f, 361 f, 369, 379 f Parker, Gilbert 174, 220, 335 Passarge, Karl 353, 355
498 Personenregister
Ritter, Adolf 106 Ritter, Karl 238 f, 246, 258 f, 266 Röhm, Ernst 66, 79 Rohrbach, Paul 192 Roon, Albrecht von 46 Rosenberg, Alfred 72, 373 Rosenberg, Frederic von 86, 93, 102, 108 f, 111 f, 117 f, 127, 132 Rossbach, Gerhard 108 Roßhaupter, Albert 50 Roth, Christian 76, 80 Rothenbücher, Karl 140, 323, 372 Rüthing 119 Rupprecht, Kronprinz von Bayern 405– 409, 411, 413
S Salomon, Bernhard 207, 395 Salter, Sir Arthur 239, 247, 249 Schacht, Hjalmar 148 f, 153, 171, 203, 231, 311, 343, 388, 395 Schäfer, Dietrich 190 Schäffer, Fritz 377 f Schäffer, Hans 147 f, 166, 206, 231, 274, 299, 313, 345 Schätzel, Georg 388 Scharnagl, Karl 409, 425 Scharnhorst, Gerhard von 142 Scheffel, Viktor von 189 Scheidemann, Gustav 151 Scheler, Max 200 Schiele, Martin 279 Schiemann, Paul 199 Schiffer, Eugen 85, 208, 323, 349, 384, 404, 425, 435 Schlageter, Leo Albert 106–108, 121 Schlange-Schöningen, Hans 353, 355 f, 358 Schleicher, Kurt von 206, 278, 307, 310 f, 313, 319–321, 378 Schlenker, Max 168, 226, 262–265, 279 Schlieben, Otto von 337 Schmelzle, Hans 140 Schmid, Christian Carl 101, 108 Schmidt, Robert 85 Schmitt, Carl 191, 272 f, 351, 357 Schmitt, Kurt 413 Schmittmann, Heinrich 415
Schmitz, Hermann 300 Schmoller, Gustav 199 Schneider 29 Schober, Johann 258 Scholz, Ernst 136, 151, 325, 355 Schotte, Walter 362 Schreiber, Walther 206, 208 Schubert, Carl von 162, 168, 257 f Schubert, Franz 29 Schubert, Philipp 415, 419 Schützinger, Heinrich 29–31 Schumpeter, Joseph 294 Schwabach, Paul von 127 Schwerin von Krosigk, Lutz Johann Graf 317 Schweyer, Franz Xaver 140 Seeckt, Hans von 66, 109, 117, 141, 191 Segitz, Martin 69 Seisser, Hans Ritter von 66, 140 f Sempell, Oskar 298 Sering, Max 429 Serruys, Daniel 248 Severing, Carl 88, 99, 102, 106–108, 112, 119, 229, 338, 346, 353 Seydel, Max von 192 Shakespeare, William 188, 393 Shaw, George Bernard 188 Siegert, Robert 252 f Siemens, Carl Friedrich von 131, 207, 209, 221 Siewecke, Hans 402 Silverberg, Paul 203, 207, 209, 215, 218, 230, 242, 249, 264, 284, 300, 381, 383 f, 391 Simmel, Georg 192 f Simon, Josef 52–54 Simson, Ernst von 168, 383 Sinowjew¸ Grigori Jewsejewitsch 194 Sobernheim, Walter 383 Sollmann, Wilhelm 106, 139 Solmssen, Georg 316 Sombart, Werner 182 f, 224 f, 309, 441 Sorge, Kurt 98, 131, 164 Spann, Othmar 183, 361 Spengler, Oswald 195, 199 f, 277, 398 Sperr, Franz 18, 208, 392, 405 f, 409, 411 f, 415–419, 424–427
Personenregister 499
Spranger, Eduard 188, 429 Springorum, Fritz 279, 286, 291 f Staudinger, Hans 147 f Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 17, 424–426, 430 Stegerwald, Adam 114 f, 193, 287, 294 Stein, Karl Freiherr vom und zum 142 Stein, Philipp 134–136, 149 Steltzer, Theodor 424 Stettner, Thomas 31 Stieve, Friedrich 190 Stinnes, Hugo 63, 84, 95, 98, 126, 136, 143, 215, 435, 441 Stockhausen, Max von 87, 89, 91 Stoecker, Alfred 38 Stolper, Gustav 206, 220, 329 Storm, Theodor 189 Strasser, Gregor 313, 321, 370, 373, 376, 378 Strauß, Johann 188 Streicher, Julius 372 Stresemann, Gustav 38, 81, 85, 90, 92, 94, 99, 117–119, 134–138, 140, 145, 148, 153–155, 160, 162 f, 166 f, 169, 173, 176, 178, 180, 203, 209, 215, 228, 232, 237–240, 246, 253–255, 257, 264–266, 325, 348, 350, 360, 423, 435, 438 Stromer von Reichenbach, Ernst Freiherr 389 Stülpnagel, Joachim von 111 Syrup, Friedrich 295
T Tarnow, Fritz 309 Thälmann, Ernst 171 Thielicke, Helmut 431 Thimme, Friedrich 190, 346 Thoma, Georg 346 Thoma, Ludwig 189 Thyssen, August 98, 215 Thyssen, Fritz 98, 215, 297, 363, 370, 383 Tiburtius, Joachim 380 Tilgner, Friedrich 406 Timm, Johann 50 Tirpitz, Alfred von 193 Tönnies, Ferdinand 225 Toepfer, Alfred 265
Toller, Ernst 51, 55 Treitschke, Heinrich von 29, 190 Trendelenburg, Ernst 148, 162, 168–170, 239, 248 f, 293, 299, 349 Treviranus, Gottfried 327, 353 Troeltsch, Ernst 59
U Uebel, Friedrich 207 Ulrich, Carl 98
V Valentin, Veit 191 Varnhagen von Ense, Karl August 207 Vasseur, Pierre 242 Vögele, Wilhelm 314 Vögler, Albert 218, 297 f, 300, 316 f Vollmar, Georg von 39 Vossler, Karl 399 f
W Wagemann, Ernst 220, 274, 302 Wagener, Otto 362, 383, 385 f Waldenfels, Otto Freiherr von 407, 418 Wallenberg, Marcus 166 Walter, Bruno 188 Warburg, Max 95, 209 Warmbold, Hermann 300, 308, 316 f, 319 f, 349 Wassermann, Oscar 127, 131, 266 Weber, August 353, 355 f Weber, Max 42–44, 182, 225, 330, 360 Weger, Martin 123 Wels, Otto 136, 153 Westarp, Kuno Graf von 136, 325, 327, 332, 353, 355, 416 Wever, Karl 82, 89, 205, 207 Weyl, Hermann 390 Wiedtfeld, Karl 215 Wieland, Philipp 206 Wilamowitz-Möllendorff, Ulrich von 192 Wilhelm I ., Deutscher Kaiser 46, 56 Wilhelm II ., Deutscher Kaiser 46, 56, 196, 410 Wilhelm, Theodor 327 Wilmowsky, Tilo von 264 f Wimmer, M . A . 207
500 Personenregister
Winter 397 Wirth, Joseph 78, 84 f, 87, 90, 93, 203 Wissell, Rudolf 54, 147, 286 Witthoefft, Franz Heinrich 207, 210, 339, 384, 386 Wittke, Wilhelm 279 Woytinsky, Wladimir 309 Wulle, Reinhold 109
Y Young, Arthur 231
Z Zehrer, Hans 317, 362, 366 Zeigner, Erich 121 Zeppelin, Ferdinand Graf von 31, 188 Ziekursch, Johannes 397 Zintl, Jakob 349 Zweigert, Erich 151, 273
zeithistorische impulse
–
wissenschaftliche reihe
d e r s t i f t u ng b u n d e s p r ä s i d e n t - t h e o d o r - h e u s s - h au s
Die Bände 1–6 sind bei der Deutschen Verlagsanstalt (München) erschienen. Bis einschließlich Band 12 erschien die Reihe unter: Stiftung Bundespräsident-TheodorHeuss-Haus – Wissenschaftliche Reihe
Franz Steiner Verlag
ISSN 2511-2228
7.
Wolfgang Hardtwig / Erhard Schütz (Hg.) Geschichte für Leser Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert 2005. 408 S., 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08755-1
8.
Frieder Günther Heuss auf Reisen Die auswärtige Repräsentation der Bundesrepublik durch den ersten Bundespräsidenten 2006. 178 S., 28 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08819-0
9.
Andreas Wirsching / Jürgen Eder (Hg.) Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik Politik, Literatur, Wissenschaft 2008. 330 S., geb. ISBN 978-3-515-09110-7
10. Angelika Schaser / Stefanie Schüler-Springorum (Hg.) Liberalismus und Emanzipation In- und Exklusionsprozesse im Kaiserreich und in der Weimarer Republik 2010. 224 S., geb. ISBN 978-3-515-09319-4
11.
Werner Plumpe / Joachim Scholtyseck (Hg.) Der Staat und die Ordnung der Wirtschaft Vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik 2012. 231 S., 5 Abb., 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10142-4
12.
Anselm Doering-Manteuffel / Jörn Leonhard (Hg.) Liberalismus im 20. Jahrhundert 2015. 347 S., geb. ISBN 978-3-515-11072-3
13.
Frank Bösch / Thomas Hertfelder / Gabriele Metzler (Hg.) Grenzen des Neoliberalismus Der Wandel des Liberalismus im späten 20. Jahrhundert 2018. 371 S., 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12085-2
Andreas Braune / Michael Dreyer (Hg.)
Republikanischer Alltag Die Weimarer Demokratie und die Suche nach Normalität
Weimarer schriften zur republik - banD 2 Die herausgeber Andreas Braune ist Politik wissenschaftler und stell vertretender Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich SchillerUniversität Jena. Michael Dreyer ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte an der FriedrichSchillerUniversität Jena, Vorstandsvorsitzender des Weimarer Republik e.V. und Leiter der Forschungs stelle Weimarer Republik.
Die Jahre von 1918/19 bis 1933 sind eine turbulente Zeit in der deutschen Geschichte. Zwischen Putschversuchen und Wirtschaftskrisen, Straßenkämpfen und einem „Staats streich auf Raten“ kannte die Weimarer Republik nur eine kurze Phase der Stabilität. Für die Zeitgenossen war sie aber das politische System, das das Kaiserreich abgelöst hatte und nun das politische und gesellschaftliche Leben der Bürgerinnen und Bürger prägte – und zwar vermeint lich auf Dauer. Überall deuteten sich ein neues republika nisches Selbstverständnis, neue demokratische Spielregeln und Handlungsformen an. Die Republik wurde mehr und mehr zur Normalität. Einen selbstverständlichen und unangefochtenen republi kanischen Alltag gab es in der Weimarer Republik jedoch nicht. „Weimar“ war eine Transformationsgesellschaft, die nach dem Alltag der Republik suchte und um ihn rang. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes bieten mit den hier vereinten aktuellen Forschungen ein Kaleidoskop der Normalitäten, mit allen Anfeindungen und Erfolgen, die die Weimarer Republik kennzeichneten.
mit beiträgen von
XVIII, 353 Seiten mit 4 s/w-Fotos, 4 s/w-Abbildungen und 3 Tabellen 978-3-515-11952-8 kart. 978-3-515-11954-2 e-book
Marcel Böhles, Andreas Braune & Michael Dreyer, Albert Dikovich, Sebastian Elsbach, Christian Faludi, Reiner Fens ke, Anne Gnausch, Oded Heilbronner, Dominik Herzner, Florian Heßdörfer, Friederike Höhn, Volker Köhler, Paul Köppen, Daniel Münzner, Ronny Noak, Martin Platt, Sebastian Schäfer, Antonia Schilling, Rebecca Schröder, Thomas Schubert, Alexander Wierzock, Verena Wirtz
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Andreas Braune / Mario Hesselbarth / Stefan Müller (Hg.)
Die USPD zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus 1917–1922 Neue Wege zu Frieden, Demokratie und Sozialismus?
Weimarer schriften zur republik - banD 3 Die herausgeber Andreas Braune ist Politik wissenschaftler und stell vertretender Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich SchillerUniversität Jena. Mario Hesselbarth ist Histo riker und ehrenamtlicher Mitarbeiter der RosaLuxem burgStiftung Thüringen e.V. Stefan Müller ist Historiker und Referent im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der FriedrichEbertStiftung.
Die Spaltung der Arbeiterbewegung zwischen Kommunis mus und Sozialdemokratie prägte die verhängnisvolle Ge schichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland entscheidend mit. In Vergessenheit gerät dabei oft, dass sich zu Beginn nicht KPD und SPD gegenüberstanden. Vielmehr hatte sich im April 1917 die USPD in Opposition zur Burgfriedens politik der SPD gegründet. Sie war an den Protesten und Massenstreiks gegen den Krieg beteiligt und trat in der Re volution 1918/19 für einen radikaleren Schnitt mit der alten Ordnung ein. Zwischen einer an Stabilität orientierten SPD und dem zur Weltbewegung strebendem Kommunismus war für die USPD als radikalem Flügel der sozialdemokrati schen Arbeiterbewegung jedoch bald kein Platz mehr. Die kurze Phase der USPD als Massenpartei von 1917 bis 1922 veranschaulicht, dass es in den Vorstellungen der Zeitgenossen viele Wege zu Frieden, Demokratie und So zialismus gab – in jedem Fall mehr als zwei. Der Blick auf die USPD lädt dazu ein, den offenen Zukunftshorizont der Akteure des demokratischen Aufbruchs seit 1918 ernster zu nehmen.
mit beiträgen von Stefan Müller & Andreas Braune & Mario Hesselbarth, Hartfrid Krause, Wolfgang Kruse, Thilo Scholle, Walter Mühlhausen, Max Bloch, Marcel Bois, Stefan Bollinger, Bernd Braun, Mike Schmeitzner, Axel Weipert, Reiner Tosstorff 2018 XXXII, 262 Seiten mit 7 s/w-Fotos und 3 s/w-Abbildungen 978-3-515-12142-2 kart. 978-3-515-12148-4 e-book
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Stefano Cavazza / Thomas Großbölting / Christian Jansen (Hg.)
Massenparteien im 20. Jahrhundert Christ und Sozialdemokraten, Kommunisten und Faschisten in Deutschland und Italien
aurora. schriften Der villa vigoni – banD 5 Die herausgeber Stefano Cavazza ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Bologna. For schungsthemen: italienische und deutsche Geschichte, Faschismus, Konsum. Thomas Großbölting arbeitet seit 2009 als Professor für Neuere und Neueste Ge schichte an der Universität Münster. Christian Jansen ist seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt 19. Jahrhun dert an der Universität Trier
Gibt es noch „Massenparteien“? Die jüngsten Wahlergeb nisse in Deutschland und Italien lassen daran zweifeln, ob der für viele Dekaden des 20. Jahrhunderts prägende Parteitypus heute noch Strahlkraft entfaltet. Angesichts dessen widmen sich die Beiträge dieses Bandes der Ent stehung, der Entwicklung und dem Wirken von Massen parteien in Deutschland und Italien. Mit Blick auf das 19., vor allem aber auf das 20. Jahrhundert analysieren sie die bedeutendsten konservativen, liberalen, sozialdemo kratischen, sozialistischen und kommunistischen Varianten in der Demokratie, aber – am Beispiel der Partito Nationale Fascista und der NSDAP – auch in Diktaturen. Klassisch parteigeschichtlich fragen die Autorinnen und Autoren nach Organisations und Finanzierungsformen. In kulturhistorischer Perspektive untersuchen sie, wie die Massenparteien das Konzept einer lebenslangen Mit gliedschaft „von der Wiege bis zur Bahre“ zu realisieren versuchten. Thematisiert wird darüber hinaus, welche möglichen Trends für eine Neukonzeptionalisierung der Politik sich aus den historischen Befunden ableiten lassen.
mit beiträgen von Thomas Welskopp, Maurizio Punzo, Antonio Scornajenghi, Detlef Lehnert, Aldo Agosti, Armin Nolzen, Susanne Meinl, Loreto Di Nucci, Stefano Cavazza, Chiara Giorgi, Paolo Mattera, Daniel Schmidt, Rüdiger Schmidt, Paolo Pombeni, Massimiliano Livi, Thomas Großbölting 2018 268 Seiten 978-3-515-11192-8 geb. 978-3-515-11195-9 e-book
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Das Wirken Eduard Hamms ist eng verbunden mit der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Weimarer Republik agierte Hamm 1922–1923 als Staatssekretär in der Reichskanzlei, 1923–1925 als Reichswirtschaftsminister und schließlich 1925–1933 als Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelstags auf einflussreichen Positionen. Seine Tätigkeiten werfen ein neues Licht auf die Wirtschaftsauffassung, das Verfassungsverständnis und das politische Gewicht der liberalen und konservativen Demokraten zwischen der Revolution 1918, Ruhrkampf, Inflation, Konsolidierungsphase und Weltwirtschaftskrise. Darüber hinaus beleuchten Hamms Aktivitäten im Widerstand einen bis heute weitgehend unbekannten Aspekt in der Geschichte des deutschen Bürgertums. Eine erstmals erschlossene, umfangreiche Überlieferung erlaubt tiefe Einblicke in den Bildungshorizont und die politische Moral eines unkonventionellen Politikers sowie in die Lebensführung einer typischen bildungsbürgerlichen Familie. Wolfgang Hardtwig gelingt mit diesem Band eine überzeugende Verknüpfung der Biographie Hamms mit der politischen, aber auch mit der Gesellschafts- und Kulturgeschichte zwischen spätem Kaiserreich und „Drittem Reich“. Wolfgang Hardtwig war bis 2011 Professor für Neuere Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-12094-4
9
78 3 5 15 1 20 9 4 4