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German Pages 276 [289] Year 2000
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 42
ARTI BUS
Volker Lipp
Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson Zu Funktion und Stellung der rechtlichen Betreuung im Privatrecht
M o h r Siebeck
Volker Lipp-, Geboren 1962; 1982-88 Studium der Rechtswissenschaft in Mannheim und Göttingen; 1988-91 Referendariat; 1991 Zweite juristische Staatsprüfung; 1991-1999 wiss. Mitarbeiter und wiss. Assistent an der Universität Mannheim; 1994 Promotion in Mannheim; 1997 Visiting Fellow am Institute of Advanced Legal Studies der Unversity of London; seit 1998 Associate Research Fellow; 1999 Habilitation im Mannheim; derzeit Lehrstuhlvertretung für deutsches, internationales und ausländisches Zivilprozeßrecht, Allg. Verfahrenslehre und Bürgerliches Recht an der Universität München.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaufnahme
Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson : zu Funktion und Stellung der rechtlichen Betreuung im Privatrecht / Volker Lipp. - 1. Aufl. Tübingen : Mohr Siebeck, 2000 (Jus privatum; Bd. 42) ISBN 3-16-147320-5
978-3-16-158150-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 2000 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 1999 fertiggestellt und im Sommersemester 1999 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim als Habilitationsschrift angenommen. Sie wurde für die Drucklegung auf den Stand von September 1999 gebracht. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte deshalb das danach erschienene Werk von Karl August Prinz von Sachsen Gessaphe: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, Tübingen 1999 (Ius Privatum Bd. 39). Die Diskussion wird andernorts zu führen sein. Zu Dank verflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Jochen Taupitz für viele wertvolle Hinweise und Anregungen sowie für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch der Mannheimer Fakultät und ihren Mitgliedern für vielfältige Förderung und große Diskussionsbereitschaft. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer, Prof. Dr. Hans-Martin Pawlowski. Er hat diese Untersuchung im besten Sinne des Wortes betreut und mich während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl stets großzügig gefördert. René Neubauer und Peter Sasse danke ich für die wertvolle Hilfe bei der Korrektur der Arbeit. Danken möchte ich schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung eines Zuschusses zu den Druckkosten. Mannheim, im September 1999
Volker
Lipp
Inhaltsübersicht Vorwort
V
§ 1 Einleitung und Problemstellung
1
§ 2 Zur Methode und zum Gang der Untersuchung
7
§3 Die Reform
12
§ 4 Die Funktion der Betreuung
22
§5 Die grundrechtliche Dimension
118
§6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
149
§ 7 Das Verhältnis von staatlicher Betreuung und privater Vor- und Fürsorge
194
§8 Ausblick: Die europäische Dimension
221
§ 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
236
Literaturverzeichnis
247
Sachregister
273
Inhaltsverzeichnis Vorwort § 1 Einleitung und Problemstellung § 2 Zur Methode und zum Gang der Untersuchung I. Die Aufgabe der Rechtsdogmatik II. Die „Betreuung" als Erscheinung des Rechts III. Zum Gang der Untersuchung § 3 Die R e f o r m I. Grundgedanken der Reform II. Grundlinien des neuen Rechtsinstituts 1. Erforderlichkeitsgrundsatz 2. Selbstbestimmung des Betreuten 3. Persönlichkeitsbezogene Maßnahmen 4. Persönliche Betreuung 5. Teilnahme am Rechtsverkehr § 4 Die Funktion der Betreuung I. Gesetzliche Vertretung 1. Die allgemeine Diskussion 2. Die Diskussion im Vormundschafts- und Familienrecht 3. Die gesetzliche Vertretung Minderjähriger II. Die Betreuung als Handlungsorganisation 1. Rechtssubjekt, subjektives Recht und Rechtsperson 2. Rechtliche Selbstbestimmung und ihre tatsächlichen Voraussetzungen 3. Rechtliches Handeln als Aufgabe a) Der Entscheidungsunfähige b) Der nur beschränkt Entscheidungsfähige 4. Formen der Handlungsorganisation III. Handeln im Rechtsverkehr 1. Unmittelbare oder zustandsbedingte Handlungsunfähigkeit a) Handlungsbezogene Voraussetzungen b) Personale Voraussetzungen 2. Das Problem der beschränkten Eigenverantwortlichkeit IV. Die doppelte Funktion der Betreuung 1. Der Schutz des Betroffenen als allgemeine Aufgabe der Betreuung . . . a) Betreuung mit Einwilligung
Vili
Inhaltsverzeichnis b) Betreuung ohne Einwilligung 2. Die Formen des Schutzes a) Handeln im Rechtsverkehr b) Tatsächliches Handeln aa) Das allgemeine Problem der Bestimmungsbefugnis als „Herrschaft über einen anderen" bb) Das Problem der Bestimmungsbefugnis im Betreuungsrecht . . . cc) Die Ermächtigung eines Dritten zur Ausübung der Bestimmungsbefugnis V. Verfahrenspflegschaft 1. Verfahrenspfleger als Handlungsorganisation im Betreuungsverfahren 2. Der Schutz des Betroffenen im Betreuungsverfahren 3. Das Verhältnis von Verfahrenspfleger und Betroffenem
§5 Die grundrechtliche Dimension I. Betreuung und Freiheitsgrundrechte 1. Die Bedeutung der Einwilligung des Betreuten 2. Betreuung und Grundrechtseingriff 3. Die verfassungsrechtliche Grundlagen der Betreuung II. Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit und Freiheitsgrundrechte
§6 Die rechtliche Struktur der Betreuung I. Die Binnenstruktur: Wunsch und Wohl des Betreuten 1. Das Gesetz: § 1901 B G B 2. Der rechtsdogmatische Ausgangspunkt: Die Funktionen der Betreuung a) Die allgemeinen Voraussetzungen für das Handeln des Betreuers . . b) Der äußerungsunfähige Betreute c) Der äußerungsfähige Betreute 3. Die Aufgabe des Vormundschaftsgerichts 4. Konsequenzen a) Vermögenssorge b) Personensorge aa) Arztliche Maßnahmen bb) Sterilisation cc) Organspende und Humanexperiment II. Das Außenverhältnis: Die organisierte Rechtsperson im Rechtsverkehr . . 1. Der Betreute als organisierte Rechtsperson 2. Die Handlungsfähigkeit des Betreuten a) Die Funktion des Einwilligungsvorbehalts b) Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts bei „Geschäftsunfähigkeit nach §§104 Nr.2, 105 B G B " ? c) Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit auch nach Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts? d) Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit nach Anordnung der Betreuung e) Einwilligungsunfähigkeit nach Anordnung der Betreuung
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149 149 149 152 153 153 155 159 161 161 164 164 167 169 171 171 172 172 173 174 177 179
Inhaltsverzeichnis
IX
f) Die Zustimmung des Betreuers außerhalb seines Aufgabenbereiches 3. Die Handlungskompetenz des Betreuers a) Gesetzliche Vertretungsmacht b) Vertretungsmacht und Wohl des Betreuten c) Mißbrauch der Vertretungsmacht d) Das Problem der Doppelkompetenz e) Bestimmungsbefugnis 4. Das Vormundschaftsgericht
181 182 182 184 187 188 192 193
§ 7 Das Verhältnis von staatlicher Betreuung und privater Vor- und Fürsorge
194
I. Staatliche Betreuung und private Handlungsorganisation 1. Teilnahme am Rechtsverkehr 2. Schutz des Betroffenen 3. Das Problem der Entscheidungsunfähigkeit II. Staatliche Betreuung und Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch Private III. Staatliche Betreuung und eigene Entscheidung des Betroffenen
§ 8 Ausblick: Die europäische Dimension I. Ein europäisches Problem II. Personenrecht und Europäisierung des Privatrechts 1. Legislatorische Rechtsvereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union 2. Europäisches Privatrecht als Aufgabe der Wissenschaft 3. Ansätze für ein europäisches Privatrecht: Das Beispiel der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit III. Das europäische Internationale Privatrecht 1. Die Bedeutung des Kollisionsrechts 2. Status und Handlungsfähigkeit im europäischen IPR - Eine Skizze - . IV. Schlußbemerkung
194 196 200 207 214 216
221 221 223 224 227 229 231 231 233 235
§ 9 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
236
Literaturverzeichnis
247
Sachregister
273
Abkürzungen Es werden die üblichen Abkürzungen nach Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993, verwendet.
§ 1 Einleitung und Problemstellung Die Einführung des Rechtsinstituts der Betreuung zum 1.1. 1992 durch das Betreuungsgesetz 1 gilt als eine der wichtigsten und tiefgreifendsten Reformen unseres Rechtssystems in diesem Jahrhundert 2 . Es betrifft nicht etwa nur wenige entlegene Teile des Familienrechts, sondern zentrale Fragen des Personenrechts 3 . Mit ihm sind weitreichende Änderungen des materiellen Zivilrechts, des Verfahrensrechts und zahlreicher anderer Rechtsgebiete verbunden, deren Bedeutung und Auswirkungen erst ansatzweise und in Teilbereichen reflektiert worden sind. Dies zeigen bereits die folgenden Beispiele: So ist im Vorfeld der Reform auch die Regelung der sogenannten „natürlichen Geschäftsunfähigkeit" in §104 Nr. 2 B G B generell in Frage gestellt worden 4 , während heute gerade im Hinblick auf das Betreuungsrecht ihre „Flexibilisierung" und damit die Anerkennung einer bislang überwiegend abgelehnten, am Schwierigkeitsgrad des Geschäfts ausgerichteten „relativen Geschäftsunfähigkeit" gefordert wird 5 . Manche bezeichnen gar das ungeklärte Verhältnis von Geschäftsfähigkeit und Betreuung als Kardinalfehler der Reform 6 . Schwierigkeiten bereitet das Verhältnis der Handlungskompetenz des Betreuers zu der des Betreuten. Da der Betreute nach der Konzeption des Gesetzes durch die Anordnung der Betreuung seine Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit nicht verliert 7 , aber zugleich einen gesetzlichen Vertreter erhält 8 , sind 1 Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz - BtG), BGBl 1990 I, 2002. Das Gesetz ist mit Ausnahme des darin enthaltenen Betreuungsbehördengesetzes (BtBG) ein Bündel von Änderungsgesetzen, ist also in die jeweiligen bereits bestehenden Gesetze integriert worden. 2 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1896 BGB Rn. 1, 3. 3 Schwab, Referat, K 12; ders., FamRZ 1990, 681f. 4 Lachwitz, ZRP 1987, 364f.; Canaris, JZ 1987, 996ff. 5 Holzhauer, FamRZ 1995,1466f. Zur bislang ganz h.M. vgl. BGHZ 30,112 (117); B G H NJW 1953,1342; 1961,261; 1970,1680 (1681); O G H Z 2,45 (53); BayObLG NJW 1989,1678f.; Hefermehl, in: Soergel12, §104 BGB Rn.7; Dilcher, in: Staudinger12, §104 BGB Rn.23; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 104 B G B Rn. 19. 6 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 15. Vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Holzhauer und Herbst (damals Präsident des BayObLG) auf dem 57. DJT (Verhandlungen des 57. DJT, Bd. II, K 139, 145). 7 Es sei denn, es ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, § 1903 BGB. Vgl. dazu zunächst nur Diskussionsentwurf, 96ff.; Regierungsentwurf, 59ff. Ausführlich Müller, 49ff. 8 §1902 BGB.
§ 1 Einleitung und
2
Problemstellung
grundsätzlich beide in der L a g e , w i r k s a m für den B e t r e u t e n z u handeln. B e r e i t s v o r der R e f o r m hat m a n e r k a n n t , daß aus dieser „ D o p p e l z u s t ä n d i g k e i t " 9 P r o b l e m e nicht n u r i m v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n B e r e i c h , s o n d e r n i n s b e s o n d e r e a u c h bei der H e i l b e h a n d l u n g entstehen k ö n n e n 1 0 . D i e M a t e r i a l i e n bieten dafür k e i n e L ö s u n g , s o n d e r n verweisen den b e h a n d e l n d e n A r z t darauf, v o r s i c h t s h a l b e r s o w o h l die E i n w i l l i g u n g des B e t r e u e r s w i e die des B e t r e u t e n e i n z u h o l e n . A u f w e s s e n E i n w i l l i g u n g es i m K o n f l i k t f a l l a n k o m m e n soll, ließen sie indes b e w u ß t o f f e n 1 1 . A u c h die R e c h t s w i s s e n s c h a f t hat dafür bis heute keine ü b e r z e u g e n d e A n t w o r t gefunden12. U n g e k l ä r t ist w e i t g e h e n d das Verhältnis der gesetzlichen B e t r e u u n g z u den v e r s c h i e d e n e n F o r m e n der privaten V o r s o r g e u n d F ü r s o r g e , i n s b e s o n d e r e z u ein e r „ P a t i e n t e n v e r f ü g u n g " , d.h. einer f r ü h e r e n E r k l ä r u n g des B e t r o f f e n e n h i n sichtlich seiner ärztlichen B e h a n d l u n g u n d V e r s o r g u n g , o d e r zu einer f ü r den Fall der F ü r s o r g e b e d ü r f t i g k e i t erteilten o d e r diesen jedenfalls mit u m f a s s e n d e n „ V o r s o r g e v o l l m a c h t " 1 3 . Z u m einen w i r k t sich auch hier die U n k l a r h e i t ü b e r die r e c h t l i c h e n F u n k t i o n e n der B e t r e u u n g aus, weil diese F o r m e n der privaten V o r sorge an die Stelle der staatlichen B e t r e u u n g treten sollen u n d dafür ihre F u n k t i o n e n ü b e r n e h m e n m ü s s e n . Z u m anderen b e s t e h t ü b e r die r e c h t l i c h e B e h a n d lung v o n P a t i e n t e n v e r f ü g u n g u n d V o r s o r g e v o l l m a c h t selbst n o c h g r o ß e U n s i cherheit. Ist bei der P a t i e n t e n v e r f ü g u n g s c h o n deren rechtliche B e d e u t u n g u n d v.a. ihre V e r b i n d l i c h k e i t für den A r z t in Praxis u n d W i s s e n s c h a f t u m s t r i t t e n 1 4 , Schwab, FamRZ 1990, 683. Diskussionsentwurf, 99 (Geschäftsfähigkeit), 279 (Einwilligungsfähigkeit); Regierungsentwurf, 61 (Geschäftsfähigkeit), 141 (Einwilligungsfähigkeit); Holzhauer, Gutachten, B 73 (Geschäftsfähigkeit), 82f. (Einwilligungsfähigkeit). 11 Diskussionsentwurf, 279; Regierungsentwurf, 141. 12 Z.B. wird der Bestellung eines Betreuers für Gesundheitsangelegenheiten Indizwirkung für die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten beigelegt (Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1904 Rn. 6; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1904 Rn. 2,4; Kuhlmann, 76) oder eine entsprechende Erklärung des Vormundschaftsgerichts in Gestalt einer Beratung des Betreuers befürwortet (Frost, 95; Winkler-Wilfurth, 88f.). Beides widerspricht jedoch der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit des Betreuten im Betreuungsverfahren gerade nicht festzustellen, sondern sie vielmehr offenzulassen (Regierungsentwurf, 60ff.). Zu anderen Lösungsversuchen vgl. Kuhlmann, 144ff. (Haftungsbeschränkung), 166ff. (Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich Heilbehandlung). Zur Praxis Bobenhausen, Rpfleger 1997, 53. 9
10
13 Als „Altersvorsorge-Vollmacht" bezeichnete erstmals Müller-Freienfels (Festschrift Coing, Bd. II, 395ff.) die auch vorher schon anerkannte private Vorsorge mittels Vollmacht (dazu Gernhuber, FamRZ 1976, 195f.). Da man damit nicht nur für das Alter, sondern auch für jeden anderen Fall der Fürsorgebedürftigkeit Vorsorgen kann, verwendet man heute vorwiegend den Begriff der „Vorsorgevollmacht" (vgl. Walter, Vorsorgevollmacht, 2ff. m.w.N.). 14 Für ihre Verbindlichkeit Uhlenbruck, Patiententestament, 10ff.; ders., NJW 1978, 566ff.; ders., MedR 1983, 16ff.; dagegen z.B. Geilen, 27; Spann, MedR 1983, Off. Zurückhaltend Laufs, NJW 1997,1616; Roxin, A.T. § 13 Rn. 66; ausführlich dazu Eisenbart, Patienten-Testament, 47ff.; Rickmann, 35ff.; Rover, 79ff.; Schöllhammer, 26ff. Grundsätzlich verbindlich ist eine Patientenverfügung nach Ziff. II.3.4. der „Medizinisch-Ethischen Richtlinien für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst geschädigter Patienten" der Schweizerischen Akademie der
§1 Einleitung und
Problemstellung
3
geht es bei der V o r s o r g e v o l l m a c h t i m w e s e n t l i c h e n d a r u m , f ü r w e l c h e B e r e i c h e sie erteilt w e r d e n k a n n u n d wie die Stellung des B e v o l l m ä c h t i g t e n bei H a n d lungsunfähigkeit des V o l l m a c h t g e b e r s ausgestaltet ist. D i e D i s k u s s i o n d a r ü b e r ist d u r c h das B e t r e u u n g s g e s e t z w i e d e r in B e w e g u n g geraten 1 5 u n d hat mit der erstmaligen gesetzlichen R e g e l u n g einiger Teilfragen d u r c h das B e t r e u u n g s r e c h t s ä n d e r u n g s g e s e t z 1 9 9 8 1 6 einen neuen S c h u b erhalten 1 7 . Z u n e h m e n d A u f m e r k s a m k e i t findet die F r a g e der sog. Z w a n g s b e f u g n i s s e des B e t r e u e r s . I n der R e f o r m d i s k u s s i o n standen die A b l e h n u n g der Zwangssterilisation u n d die d u r c h m e h r e r e E n t s c h e i d u n g e n des B V e r f G 1 8 v o r s t r u k t u r i e r t e R e g e l u n g der U n t e r b r i n g u n g u n d ähnlicher M a ß n a h m e n im V o r d e r g r u n d 1 9 . D i e verfassungsrechtliche L e g i t i m a t i o n der B e t r e u u n g als s o l c h e r w u r d e j e d o c h nicht b e z w e i f e l t 2 0 . D a g e g e n w i r d heute mit verfassungsrechtlichen A r g u m e n t e n die bislang a n e r k a n n t e B e f u g n i s des B e t r e u e r s , auch d o r t o h n e o d e r gegen den W i l l e n des B e t r e u t e n z u handeln, w o dies gesetzlich n i c h t ausdrücklich zugelassen ist, s c h o n i m G r u n d s a t z bezweifelt. D a der B e t r e u e r v o m Staat bestellt w e r de, liege darin ein staatlicher E i n g r i f f in die jeweils b e r ü h r t e n G r u n d r e c h t e des
Medizinischen Wissenschaften vom 24.2. 1995 (NJW 1996, 767ff.) und jetzt auch nach Ziff. V. der „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" vom 11.9. 1998 (NJW 1998, 3407). Von großer praktischer Bedeutung ist zudem die Frage, ob die Patientenverfügung eine Entscheidung für den konkreten Fall enthält, also das Problem ihrer Auslegung (vgl. dazu Rickmann, 132ff., 149ff.; Schöllhammer, 55ff.). 15 Zur Diskussion über die Zulässigkeit einer Vollmacht im personalen Bereich vor dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 ausführlich Walter, Vorsorgevollmacht, 104ff., 187ff., 201 ff.; Eisenbart, MedR 1997,305ff., und dies., Patienten-Testament, 207ff.; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, 5ff., 84ff.; Rover, 170ff., alle mit umfassenden Nachweisen. Aus der Rechtsprechung vgl. LG Göttingen VersR 1990, 1401f.; LG Stuttgart BtPrax 1994, 64ff.; O L G Stuttgart BtPrax 1994, 99ff. (bejahend), LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 125 (ablehnend). Nach Eintritt der Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers reicht nach Flume, A.T. II 3 , §51,6, (852ff.), und Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 773, die Kompetenz des Bevollmächtigten nicht weiter als diejenige eines gesetzlichen Vertreters, d.h. er bedarf insbesondere auch für bestimmte Geschäfte der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Dagegen die h.M. (ausführlich dazu Müller-Freienfels, Festschrift Coing, Bd. II, 403ff. m.w.N.; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, 16f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn. 152) und für die Vollmacht in personalen Angelegenheiten auch Rover, 191ff.; LG Stuttgart BtPrax 1994, 64 (67); O L G Stuttgart BtPrax 1994, 99 (100). 16 Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (Betreuungsrechtsänderungsgesetz - BtÄndG) v. 25.6. 1998, BGBl 1998 I, 1580. 17 Vgl. §§ 1904 II, 1906 V BGB i.d.F. des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes 1998 und dazu Dodegge, NJW 1998, 3076f.; Genz, FamRZ 1996, 1326; A. Weber/Wienand, FuR 1996, 248. 18 BVerfGE 10, 302 (309ff.); 30, 47 (53f.); 58, 208 (220ff.). Vgl. auch die obiter dicta in den Nichtannahmeentscheidungen BVerfGE 63, 340 (341 ff.); 66, 191 (195ff.); 74, 236 (242f.). 19 Diskussionsentwurf, 81f., 143ff., 165ff.; Regierungsentwurf, 53f., 73ff., 79ff., 142ff., 145ff.; Holzhauer, Gutachten, B 84ff., 90ff.; Schwab, Referat, K 32ff., 34ff.; Reis, ZRP 1988, 318ff.; A. Wolf, ZRP 1988, 315ff.; Pieroth, FamRZ 1990, 117ff. 2 0 Vgl. Holzhauer, Gutachten, B 55 a.E. Auch die ausdrucklich die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Reform behandelnde Untersuchung von Pardey beschränkt sich auf einen zweifelnden Hinweis (Pardey, Rahmenbedingungen, 163f.).
4
§ 1 Einleitung und
Problemstellung
Betreuten, der nur unter den dafür geltenden Voraussetzungen zulässig sei 21 . Hinter dem damit angesprochenen Problem der rechtlichen Stellung des Betreuers verbirgt sich die ungeklärte und für die verfassungsrechtliche Beurteilung entscheidende Frage nach dem Grund und der Rechtfertigung vormundschaftlicher Fürsorge für Erwachsene. Das unsichere Verhältnis von Betreuung und Handlungsfähigkeit des Betreuten wirkt sich bis ins Kollisionsrecht hinein aus. Traditionell beurteilte das deutsche IPR wie die anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen Fragen der Geschäftsfähigkeit, gleich ob sie vom Alter, staatlichen Anordnungen oder unmittelbar vom Zustand des Handelnden abhängen, ebenso wie Fragen der Vormundschaft nach dem regelmäßig durch die Staatsangehörigkeit bestimmten Personalstatut. Dem entsprach es, die Zuständigkeit für Entmündigung und Anordnung der Vormundschaft, Pflegschaft oder anderer Schutzmaßnahmen grundsätzlich dem Heimatstaat vorzubehalten und auch die Anerkennung ausländischer Entscheidungen daran zu orientieren 22 . Mit dem Betreuungsgesetz ist das deutsche Recht im Einklang mit der internationalen Entwicklung jedoch vollends dazu übergegangen, die Zuständigkeit für staatliche Schutzmaßnahmen am Ort des Aufenthaltes oder des Fürsorgebedürfnisses anzuerkennen und diese Anordnungen jedenfalls in ihren Wirkungen dem Recht des Anordnungsstaates zu unterstellen 23 . Die einheitliche Anknüpfung aller Fragen der Ge21 Daraus wird z.B. abgleitet, daß der Zutritt des Betreuers zur Wohnung des Betreuten gegen dessen Willen unzulässig sei und vom Vormundschaftsgericht auch nicht genehmigt werden könne (LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; O L G Frankfurt/M. DAVorm 1996, 79. Zustimmend Bauer, FamRZ 1994,I5(,2ff.-Kemper, FuR 1996,152ff,;Knittel, § 1896 BGB Rn. 32m; und wohl auch Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 1154. Anders aber LG Berlin FamRZ 1996, 821 ff.). 22 Vgl. Art. 7, 8, 24 EGBGB a.F., d.h. vor Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes. Dieser Zusammenhang tritt besonders deutlich hervor in den Motiven Gebhards zum ersten Entwurf des EGBGB (bei Niemeyer, 74) und noch bei Pagenstecher, RabelsZ 15 (1949/50), 195ff.; M. Wolff, IPR 3 , §20 VI (105ff.); Beitzke, in: Staudinger12, Art. 8 EGBGB Rn. 1,15ff., 42, 46f. Vgl. dazu die kritische Darstellung von Schlosser, in: Stein/Jonas20, § 648 ZPO Rn. 4ff. Uberblick über die frühere Rechtslage in Europa bei Beitzke, in: Staudinger12, Art. 8 EGBGB Rn. 2ff.; Dutoit, Rev. crit. d.i.p. 56 (1967) 465 ff.; von Overbeck, IECL III/5, 24ff. 23 §§35b I Nr.2, II, 16a Nr. 1 FGG, Art.24 III EGBGB (ausführlich Oelkers, 158ff., 263ff.). Die Haager Konferenz für IPR hat die Arbeit an einem Abkommen zum Schutze Erwachsener nach dem Vorbild der Minderjährigenschutzabkommen (MSA) 1961 (BGBl 1971 II, 219) bzw. 1996 (RabelsZ 62 (1998), 502ff.) aufgenommen (vgl. das Abschlußdokument der 18. Sitzung 30.9.-18.10. 1996, International Legal Materials 35 (1996) 1391ff. (1405); Siebr, RabelsZ 62 (1998), 468). Es steht daher zu erwarten, daß auch ein solches Abkommen die Zuständigkeit am Ort des Aufenthaltes oder des Fürsorgebedürfnisses vorsehen wird und die Maßnahme dem Recht des Anordnungsstaates unterliegt (vgl. Art. 1,8,9 und 2 MSA 1961 bzw. Art. 5,6,11 und 15 I MSA 1996). Nach dem derzeitigen Rechtszustand unterliegen diese Maßnahmen dem Personalstatut z.B. in Frankreich (Batiffol/Lagarde II, Nr. 499 (152ff.)), Österreich (§§15, 27 I I P R G 1978) und Italien (Art. 43 IPRG 1995), dem Recht des anordnenden Staates außer in Deutschland auch in der Schweiz (Art. 85 II IPRG) und in England (Cheshire/North/Fawcett 1 2 , 773). Zu den Voraussetzungen und zum Umfang der Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Frankreich vgl. Batiffol/Lagarde II, Nr.742ff. (617ff.), zu England vgl. Cheshire/North/Fawcett12, 773 ff.
§ 1 Einleitung und
Problemstellung
5
schäftsfähigkeit und staatlicher Schutzmaßnahmen an das Personalstatut ist damit aufgegeben, ohne daß schon klar wäre, was jeweils an ihre Stelle getreten ist. Das beruht wesentlich darauf, daß bereits die sachrechtliche Funktion dieser Rechtsinstitute unklar ist, denn die kollisionsrechtliche Anknüpfung eines Rechtsinstituts kann nur in Abstimmung mit seiner sachrechtlichen Funktion entwickelt werden 24 . Die rechtswissenschaftliche Literatur hat sich bislang vorwiegend mit unmittelbar anwendungsbezogenen Fragen und weniger mit den Strukturfragen des neuen Rechts beschäftigt. Zentrale Fragen und Begriffe des Betreuungsrechtes und des allgemeinen Personenrechts sind bis heute ungeklärt. Die Rechtswissenschaft hat damit ihre eigentliche Aufgabe noch nicht erfüllt, das neue Recht systematisch aufzubereiten, auf seine Auswirkungen zu überprüfen und damit zugleich an seiner Anwendbarkeit zu arbeiten, indem sie der Praxis klare Kriterien und praktikable Lösungsvorschläge an die Hand gibt. Hierzu versucht die vorliegende Untersuchung ihren Beitrag zu leisten. Fragen nach Struktur und Funktion grundlegender Institute des Privatrechts haben heute im Zuge der Europäisierung des Privatrechts notwendig einen europäischen Bezug. Auch wenn es auf absehbare Zeit kein einheitliches europäisches Personen- oder Betreuungsrecht geben wird und geben soll 25 , sind derartige Fragen von zentraler Bedeutung für eine sich zunehmend europäisch verstehende Rechtswissenschaft, die Rechtsetzung und Rechtsprechung auf europäischer Ebene konzeptionell begleiten kann und muß. Die Verständigung über grundlegende Konzepte und Begriffe des Privatrechts wird um so wichtiger, je mehr sich auch das klassische Privatrecht europäisiert. Die Untersuchung einer Grundfrage des deutschen Privatrechts nimmt damit zugleich an der Diskussion um ein europäisches Privatrecht teil. Die Orientierung auf die europäische Diskussion hat Konsequenzen für den Inhalt der Untersuchung und die Form der Darstellung 26 . Im Bereich der Rechtsfürsorge und der rechtlichen Handlungsfähigkeit steckt diese Diskussion derzeit noch in ihren Kinderschuhen 27 . Hier gilt es vor allem, sich über die grundlegenden Sachprobleme zu verständigen und damit einen Bezugspunkt für die Diskussion zu gewinnen. Deshalb muß der Schwerpunkt der Untersuchung inhaltlich darauf liegen, diese Grundfragen herauszuarbeiten und darauf klare Antworten aus Sicht des deutschen Rechts zu entwickeln. Mangels einer E. Lorenz, Struktur, 64f., 88f.; Wandt, Rn.536ff., 544. Zur Frage eines europäischen Familienrechts Martiny, RabelsZ 59 (1995), 419ff.; Pintens, ZEuP 6 (1998), 670ff. 2 6 Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, VII; Flessner, RabelsZ 92 (1992), 257f. 27 Vgl. die Beiträge für die 3. Europäische Konferenz zum Familienrecht 1995 (in: Council of Europe, Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 97ff.); und aus der Literatur Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 383ff.; van Rossum, in: Towards a European Civil Code, 135ff.; Verbeke, ERPL 2 (1994), lOff. 24
25
6
§ 1 Einleitung und
Problemstellung
gemeinsamen europäischen Wissenschaftssprache hat sie sich dabei besonders um eine auch ausländischen Lesern verständliche, an den Sachproblemen orientierte Sprache zu bemühen. Beides zwingt dazu, die Strukturfragen in den Vordergrund zu stellen und sie nur exemplarisch an bestimmten Fällen und Problemkonstellationen zu verdeutlichen. Die Erörterung von Einzelfragen ist demgegenüber in die Anmerkungen zu verweisen.
§ 2 Zur Methode und zum Gang der Untersuchung I. Die Aufgabe
der
Rechtsdogmatik
Die Rechtspraxis kennzeichnet und prägt ihr Bezug zur „Anwendung" des Rechts im konkreten Fall. Der jeweiligen Aufgabe der Rechtsanwendung entspricht das anzuwendende Verfahren und die damit verbundene Richtigkeitsgewähr für die dort getroffenen Aussagen über das Recht. Sie sind durch ihren Fallbezug zugleich legitimiert und begrenzt1. Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Dogmatik ist es demgegenüber, über den Einzelfall hinaus die „Reihe rätselhafter, teils bisher gar nicht beachteter, teils mangelhaft begriffener Erscheinungen unter dem richtigen Gesichtspunkt zusammenzufassen und damit dem juristischen Verständnis zu erschließen"2, mit anderen Worten: das vorhandene rechtliche Material zu systematisieren und zu allgemeinen Aussagen über die strukturellen Zusammenhänge des Rechts zu gelangen3. Gerade diese systematischen Einsichten der Dogmatik ermöglichen es, den Grundsatz der Gleichbehandlung in der Rechtspraxis zu verwirklichen4. Das rechtliche Material und damit den Gegenstand dieser Untersuchung bilden zunächst die zahlreichen neuen Rechtssätze, die das Betreuungsgesetz und das Betreuungsrechtsänderungsgesetz in die Rechtsordnung eingeführt haben und deren praktische Anwendung bislang im Zentrum der literarischen Aufmerksamkeit standen. Schon die einführend genannten Beispiele haben jedoch gezeigt, daß die Schwierigkeiten der Rechtspraxis beim Umgang mit dem neuen Recht vielfach auf der Unsicherheit über dessen Grundlagen beruhen. Diese Grundlagen und die Struktur des neuen Rechtsinstituts der Betreuung werden jedoch erst dann angemessen erfaßt, wenn man die neuen Regelungen als Bestandteil der Rechtsordnung versteht und damit in deren Zusammenhang ein1 Pawlowski, Methodenlehre3, Rn. 1029ff.; Schlüter, obiter dictum, 21 f., 33ff. Zu den sich daraus für das Verhältnis von Rechtsprechung und Gesetzgeber ergebenden Konsequenzen Roellekke, DRiZ 1996, 175. 2 Jhering, JherJb 10 (1869), 388f. Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich heute bei Latenz, Methodenlehre6, 242f. 3 Zum Unterschied von einzelfallbezogener Rechtsprechung und auf allgemeine Aussagen hin orientierter Dogmatik vgl. Larenz, Methodenlehre6, 234f.; ebenso Latenz/Canaris, Methodenlehre3, 56. 4 Pawlowski, Methodenlehre3, Rn. 156ff., 930ff.
8
§2 Zur Methode und zum Gang der Untersuchung
ordnet. Will man die Strukturfragen des Betreuungsrechts5 klären, kann sich die Systematisierung daher nicht auf die „Binnensicht" des Betreuungsrechts beschränken. Sie muß vielmehr das Rechtsinstitut der Betreuung in seinen Bezügen zur gesamten Rechtsordnung in den Blick nehmen. In einem ersten Schritt sind deshalb die rechtlichen Funktionen des Rechtsinstituts der Betreuung zu analysieren, und es ist danach zu fragen, welche Aufgaben der Betreuung im Zusammenhang der Rechtsordnung zukommen. Von dem so gewonnenen Ausgangspunkt aus können dann in einem zweiten Schritt die Regelungen des neuen Betreuungsrechts systematisiert und zugleich entfaltet werden. Diese Vorgehensweise verspricht Antworten auf die Fragen nach der inneren Struktur der Betreuung, nach ihrem Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten und danach, inwiefern die Einführung dieses neuen Rechtsinstituts aus systematischen Gründen (Gleichbehandlung) auch außerhalb des Betreuungsrechts zu Änderungen führen muß. Auch wenn sich diese Untersuchung als dogmatische Analyse des deutschen Rechts versteht, macht es ihre eingangs skizzierte europäische Dimension erforderlich, insbesondere bei der Diskussion der grundlegenden Sachprobleme auf Regelungen und Konzeptionen anderer europäischer Rechte einzugehen. Diese rechtsvergleichende Hinweise haben eine zweifache Funktion. Sie dienen zum einen der dogmatischen Argumentation zum deutschen Recht, indem sie die maßgeblichen Sachfragen und die Strukturentscheidungen des deutschen Rechts verdeutlichen. Zum anderen ermöglichen sie den Anschluß an die sich langsam entwickelnde europäische Diskussion der hier behandelten Fragen6. Das Erkenntnisinteresse einer solchen dogmatischen Untersuchung erschöpft sich jedoch nicht darin, theoretische Einsichten in die Grundlagen des geltenden Rechts zu formulieren. Sie ist zugleich den Anwendungsproblemen der Rechtspraxis verpflichtet. In der Praxis kommen die Strukturprobleme und Auswirkungen des neuen Rechtes vielfach überhaupt erst zum Vorschein, und durch die Praxis erhalten sie jedenfalls ihre Bedeutung. Die hier entwickelten dogmatischen Einsichten in den Strukturfragen des Betreuungsrechts müssen sich daher gerade in der Rechtspraxis bewähren und zur Lösung ihrer Probleme beitragen. Hierbei kann eine monographische Untersuchung keine Vollständigkeit anstreben, will sie nicht zum Handbuch werden. Vielmehr kann es allein darum gehen, Erkenntnisse der Dogmatik für einzelne ausgewählte praktische Problemlagen fruchtbar zu machen und sie zugleich daran exemplarisch zu überprüfen.
In Anlehnung an eine Formulierung von Schwab, Festschrift Mikat, 881. Sowohl der Europarat (Auskunft des Generalsekretariats des Europarates vom 14.1. 1998) als auch die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (vgl. oben § 1 Fn. 23) arbeiten derzeit an einer Empfehlung bzw. an einem internationalen Abkommen betreffend den staatlichen Schutz fürsorgebedürftiger Erwachsener. 5 6
II. Die „Betreuung" als Erscheinung des Rechts
9
II. Die „ Betreuung" als Erscheinung des Rechts Im praktischen Alltag geht es in aller Regel darum, die angemessene medizinische, psychiatrische, psychologische, sozialpädagogische oder finanzielle Versorgung eines Menschen sicherzustellen, der dazu selbst nicht allein in der Lage ist. Die Betreuung dieses Menschen im Sinne der §§ 1896ff. BGB erscheint dann in erster Linie als Mittel, seine entsprechenden tatsächlichen Bedürfnisse zu befriedigen, wenn nicht gar dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend die tatsächliche Sorge um einen Menschen mit der gesetzlichen Betreuung gleichgesetzt wird. Diese Sichtweise hat die Vorarbeiten zum neuen Recht stark geprägt. Beispielsweise begriff die am Anfang des politischen Reformprozesses stehende Psychiatrie-Enquete des Deutschen Bundestages das von ihr geforderte neue Rechtsinstitut der Betreuung primär als Mittel zur besseren psychiatrischen Versorgung der Bevölkerung7. Und entsprechend der Vorstellung von „Betreuung als sozialer Arbeit" 8 haben später zahlreiche Betreuer die in § 1897 I BGB geforderte persönliche Betreuung9 als Aufforderung verstanden, die tatsächliche Sorge und Hilfe im Alltag zu übernehmen10, weshalb der Gesetzgeber mit dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz die Beschränkung des Betreuers auf die Aufgabe der Rechtsfürsorge verdeutlichte11. Eine derartige Sicht der gesetzlichen Betreuung als Mittel zur Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse oder als Aufgabe sozialer Arbeit hat ihre Berechtigung im Rahmen der Gesetzgebung, Politik, Psychiatrie, Sozialpädagogik o.ä. Für die Rechtswissenschaft geht es dagegen ausschließlich um die Betreuung als Erscheinung des Rechts. Sie kann die Betreuung nicht nur von den politischen, ethischen oder medizinischen Zielen des Gesetzgebers her als Mittel zum (außerrechtlichen) Zweck begreifen, weil sie damit deren Rechtscharakter mißachtet. Als Recht verstehen kann man die mit der Betreuung verbundenen Rechtsnormen nur, wenn man sie als Anworten des Rechts auf bestimmte Sachfragen begreift, die sich einer Rechtsordnung stellen. Außerrechtliche Überlegungen haben dafür nur insofern Bedeutung, als sie im geltenden Recht ihren Niederschlag gefunden haben und damit zum rechtlichen Material gehören, das Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Dogmatik ist. Das betrifft vor allem die medizinischen, psychiatrischen, gerontologischen sowie die sozialen und finanBT-Drucks. 7/4200, 371 ff., insbesondere 375. Dazu noch unten §3 1. Vgl. Bienwald, BtPrax 1996, 198ff.; Hufen, BtPrax 1996, 56. 9 Dazu näher unten § 3 II.4. 10 Ausführlich dazu Bienwald, BtR 3 , § 1897 Rn.27ff.; T. Diercks, Persönliche Betreuung, 21 ff. 11 Vgl. dazu BR-Drucks. 960/96,15f., 33; Deinert, ZfJ 1998, 234; Dodegge, NJW 1998, 3076. Bisher ergab sich dies indirekt aus §§ 1896 II 2,1902 BGB (Regierungsentwurf, 121 f.; T. Diercks, 21 ff.; Knittel, § 1896 BGB Anm.6; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn.27), während es nach dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 (BGBl 1998 I, 1580) nunmehr ausdrücklich aus der Überschrift vor § 1896 BGB („Rechtliche Betreuung") und den §§ 1901 1,1897 I BGB hervorgeht. 7 8
10
f 2 Z»r Methode
und zum Gang der
Untersuchung
ziellen Möglichkeiten, einen hilfsbedürftigen Menschen zu versorgen. Sie prägen zwar maßgeblich die gesellschaftliche Wirklichkeit, auf die sich auch das Betreuungsrecht bezieht, und damit die von ihm geregelten Sachverhalte. Doch sind die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur bei der Rechtsanwendung, sondern auch für die Rechtswissenschaft nur insoweit von Bedeutung, als sie rechtlich erheblich sind, d.h. bestimmte Rechtssätze auf sie angewandt werden. Für die dogmatische Analyse des Betreuungsrechts als dem Produkt einer breit angelegten Reformgesetzgebung sind die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur als Sachverhalt, d.h. als Bezugspunkt einer Rechtsnorm, sondern auch darüber hinaus von Interesse, soweit sie die Ziele und Vorstellungen des Gesetzgebers beeinflußt und seine Antworten auf bestimmte, sich dem Recht in diesem Zusammenhang stellende Sachfragen geprägt haben. In dieser Beziehung hängt ihre Bedeutung für das Recht von der Bewertung und Entscheidung des Gesetzgebers ab. Erst durch diese Umsetzung werden sie zu rechtlichem Material und damit zum Gegenstand der Rechtswissenschaft.
III. Zum Gang der Untersuchung Ein neues Rechtsinstitut zu verstehen erfordert zunächst einen Blick auf die mit seiner Einführung verbundenen und für den Gesetzgeber maßgeblichen Überlegungen (§ 3). Demgegenüber sind das frühere Recht und seine Probleme nur insoweit von Interesse, als sich daraus für das neue Recht etwas ergibt, sei es, daß es die frühere Lösung verwirft, sei es, daß es sie modifiziert oder unverändert fortführt. Soweit erforderlich ist deshalb auf das frühere Recht im Zusammenhang der jeweiligen Fragestellung einzugehen. Eine gesonderte Darstellung der geschichtlichen Entwicklung verspricht demgegenüber für unsere Zwecke keinen Erkenntnisgewinn. Auf diesem Hintergrund ist dann die Funktion der Betreuung dogmatisch zu analysieren, d.h. danach zu fragen, welche Aufgaben dem Rechtsinstitut der Betreuung im Zusammenhang der Rechtsordnung zukommen (§ 4). Die dabei gewonnenen Einsichten erlauben dann eine Diskussion der verfassungsrechtlichen Fragen, in die auch die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention12 einzubeziehen sind (§ 5). Damit ist eine Grundlage für die nachfolgende nähere Untersuchung der rechtlichen Struktur der Betreuung (§ 6) und des Verhältnisses der staatlichen Betreuung zur privaten Vorsorge (§ 7) gewonnen. Ein Blick auf die Diskussionen um ein europäisches Privatrecht und die Entwicklung eines europäischen Kollisionsrechts verdeutlicht die europäische Di12 Konvention des Europarates vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - E M R K - (BGBl 1952 II, 685, 953; B G B l 1954 II, 14), die die Bundesrepublik nicht nur völkerrechtlich bindet, sondern innerstaatlich im Range eines Bundesgesetzes steht. Dazu unten §5.
III. Zum Gang der
Untersuchung
11
mension und Bedeutung der hier entwickelten Konzepte und Erkenntnisse (§8). Eine thesenförmige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (§9) schließt die Untersuchung ab.
§ 3 Die Reform Die Geschichte der Reform ist vielfach dargestellt worden und muß deshalb hier nicht erneut beschrieben werden1. Von Bedeutung für unsere Untersuchung sind jedoch die maßgeblichen Überlegungen, die die Reform geprägt haben und damit dem heutigen Recht zugrunde liegen.
I. Grundgedanken der Reform Einen ersten Vorstoß zur Reform des Rechts der Entmündigung, der Vormundschaft über Volljährige und der Gebrechlichkeitspflegschaft unternahm im Jahre 1971 E. Arnold, ein Mitglied der seit 1964 bestehenden Kommission zur Reform des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit2. Er wies darauf hin, daß einerseits mit der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung die Zahl altersbedingt geistig Gebrechlicher stark zunehme, für die die Entmündigung eine Diskriminierung darstelle. Andererseits seien psychisch Kranke mittels moderner Psychopharmaka häufig in der Lage, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Beides zwinge nach dem Grundsatz der Angemessenheit zur Abstufung und Differenzierung der gerichtlichen Maßnahmen in einem Ausmaß, das im geltenden Recht nicht vorgesehen sei. Er schlug daher vor, Entmündigung, Vormundschaft und Pflegschaft, sowie die Unterbringung durch das einheitliche Institut der „Besonderen Betreuung" zu ersetzen, das eine auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmte Anpassung der zum Schutz des Betroffenen erforderlichen Maßnahmen erlaube. Dementsprechend hatte der 1977 von der Kommission vorgelegte „Entwurf für eine Verfahrensordnung für die freiwillige Gerichtsbarkeit" in Entmündigung, Vormundschaft, Pflegschaft und Unterbringung zur Behandlung oder Fürsorge nach Art und Grad unterschiedliche Maßnahmen der „Betreuung" des Betroffenen gesehen, die jedenfalls verfahrensrechtlich zusammenzufassen seien3. Ahnliche Überlegungen lagen den Reformforderungen durch die im Jahre 1 Vgl. nur BT-Drucks. 11/4528, 38ff., 48ff.; Holzhauer, Gutachten, B 35ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1896 BGB Rn. 1 ff.; den., FamRZ 1990, 681f. 2 E. Arnold, FamRZ 1971, 289ff. Ebenso Sauer, 44ff., 91ff. 3 Vgl. § 182 FrGO-E und die Begründung dazu (Bericht der Kommission für die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 161f.).
I. Grundgedanken
der Reform
13
1975 veröffentlichte Psychiatrie-Enquête des Deutschen Bundestages4 zugrunde, seit der in der politischen Öffentlichkeit die Notwendigkeit einer Reform außer Streit stand5. Die Behandlung und Versorgung psychisch Kranker und Behinderter müsse sich an deren Bedürfnissen und Möglichkeiten orientieren. Die Entwicklung medikamentöser Behandlung und anderer Methoden der Therapie, Rehabilitation und Betreuung habe die Möglichkeiten für eine bedarfsgerechte individuelle Versorgung des jeweiligen Patienten erweitert und erlaube ihm in weitaus größerem Maße als bisher ein selbständiges Leben in der Gesellschaft6. Dies verlange auch eine Reform der zivilrechtlichen Schutz-und Hilfsmaßnahmen. Die Entmündigung solle abgeschafft werden und anstelle der bisherigen Vormundschaft und Pflegschaft über Erwachsene solle ein flexibles und abgestuftes System von „Betreuungsmaßnahmen" treten 7 . Bruder wies in seinem medizinischen Gutachten zum 57. Deutschen Juristentag 1988 8 darauf hin, daß eine an den jeweiligen Unterstützungsbedarf angepaßte Betreuung in besonderem Maße für in ihren geistigen Fähigkeiten eingeschränkte alte Menschen notwendig sei, die bereits jetzt mit Abstand die größte Gruppe Betreuungsbedürftiger darstellten9. Für sie gebe es keine Hoffnung auf Besserung des Krankheitsprozesses; es gehe allein darum, die letzte Lebensphase möglichst gut zu gestalten. In der nach 1975 einsetzenden rechtspolitischen Diskussion spielte darüber hinaus die mangelnde Beachtung verfahrensrechtlicher Garantien bei der Anordnung sog. Zwangspflegschaften in der Rechtspraxis eine maßgebliche Rolle. Diese ohne Einwilligung des Betroffenen angeordnete Gebrechlichkeitspflegschaft10 hielt man für zulässig11, wenn eine Verständigung mit dem Betroffenen entweder tatsächlich oder infolge seiner Geschäftsunfähigkeit rechtlich unmöglich und seine Einwilligung daher entbehrlich12 sei. Die Zwangspflegschaft hatte sich schon bald nach dem Inkrafttreten des B G B neben der vorläufigen Vormundschaft13 zu einer Ersatzform für die Entmündigung und die darauf beru4 Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drucks. 7/4200. 5 Vgl. dazu BT-Drucks. 7/4200,48f.; 2.enz/von Eicken/Ernst/Hofmann, 31 ff., jeweils m.w.N. 6 BT-Drucks. 7/4200,4,16,35f. Zur Entwicklung auch Hähner, in: Vom Betreuer zum Begleiter, 25 ff. 7 BT-Drucks. 7/4200,34,371 ff.; Mende, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 27; Sauer, 128f. 8 Bruder, Gutachten, C 44; vgl. auch die Angaben bei Mende, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 15f., 22. 9 Vgl. auch die Angaben bei Zenz/von Eicken/Ernst/Hofmann, 11 ff. 10 §1910 BGB a.F. 11 Zuletzt ausführlich BGHZ 90,1 (4ff.); 70,252 (258ff.). Vgl. im übrigen die Nachweise bei Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 Rn. 18ff.; Bienwald, Untersuchungen, 66ff.; Diamand, 76ff. 12 §1910 III BGB a.F. 13 §1906 BGB a.F.
§3 Die Reform
14
hende V o r m u n d s c h a f t entwickelt 1 4 . D a s B V e r f G 1 5 billigte die Zwangspflegschaft später als ein i m Verhältnis zur E n t m ü n d i g u n g milderes Mittel. Z w a r hatte die obergerichtliche R e c h t s p r e c h u n g die wesentlichen
Verfahrensgarantien
des kontradiktorischen Entmündigungsverfahrens auf das vormundschaftsgerichtliche Verfahren z u r A n o r d n u n g einer Zwangspflegschaft
übertragen 1 6 ,
d o c h w u r d e n diese in der amtsgerichtlichen Praxis vielfach mißachtet 1 7 . D e s weiteren w u r d e n s o w o h l die rechtliche Ausgestaltung wie auch die p r a k tische H a n d h a b u n g der traditionell zweigleisigen Unterbringung
kritisiert 1 8 .
Die polizeiliche, also öffentlichrechtliche U n t e r b r i n g u n g einerseits u n d die zivilrechtliche U n t e r b r i n g u n g d u r c h den V o r m u n d bzw. Pfleger mit G e n e h m i gung des Vormundschaftsgerichts andererseits unterschieden sich s o w o h l in ihren materiellen Voraussetzungen 1 9 als auch in der Ausgestaltung des U n t e r b r i n gungsverfahrens 2 0 . Dies führte dazu, daß in der Praxis die Wahl des Verfahrens häufig nicht v o n dessen Aufgaben her erfolgte, sondern danach, welches den geringeren A u f w a n d bedeutete 2 1 . Daraus ergab sich als grundlegendes Ziel der Reform,
die M a ß n a h m e n staatli-
cher F ü r s o r g e über E r w a c h s e n e auf das im Einzelfall erforderliche M a ß zu beschränken u n d damit die Selbstbestimmung des Betroffenen zu achten. Dabei 14 Vgl. die grundlegende Untersuchung von Diamand, 43 ff. (vorläufige Vormundschaft), 76ff. (Gebrechlichkeitspflegschaft). Aus der neueren Zeit Holzhauer, Gutachten, B 28ff.; Sauer, 18ff.; Weinriefer, 94ff., 143ff.; Zenz/von Eicken/Ernst/Hofmann, 11 ff. 15 BVerfGE 19, 93 (96f.). 16 Verfahrensfähigkeit des Betroffenen im Verfahren über die Zwangspflegschaft, Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines medizinisches Gutachtens für die Feststellung der Geschäftsunfähigkeit oder Verständigungsunfähigkeit (vgl. im einzelnen Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 Rn.25ff.; Holzhauer, Gutachten, B 33f., alle m.w.N.). 17 Dies zeigt insbesondere die rechtstatsächliche Untersuchung von Zenz/von Eicken/Emst/ Hofmann, 22ff. 18 Überblick bei Holzhauer, Gutachten, B 90ff., 100; Diskussionsentwurf, 81 ff., 88; Regierungsentwurf, 79ff. 19 Für die öffentlichrechtliche Unterbringung war nach den landesrechtlichen Regelungen regelmäßig eine psychische Krankheit oder Störung des Betroffenen und eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder eine schwerwiegende Selbstgefährdung erforderlich (Saage/Göppinger2, III Rn.55, 57ff., 140ff.) Die zivilrechtliche Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen galt als zulässig, wenn dessen Wohl sie erforderte und dieser nicht geschäftsfähig war (Saage/Göppinger2, II Rn. 6, 9ff.). 2 0 Die für die zivilrechtliche Unterbringung erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts wurde in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem F G G erteilt, das nur in geringem Umfang gesetzlich geregelt war (Saage/Göppinger 2 , II Rn.23ff.). Für die öffentlichrechtliche Unterbringung verwiesen die Landesgesetze zwar ebenfalls grundsätzlich auf das FGG, enthielten aber zahlreiche, meist unterschiedliche Sonderregelungen einschließlich verfahrensrechtlicher Sicherungen zugunsten des Betroffenen (Saage/Göppinger2, III Rn. 209ff.). 21 Das zeigen die rechtstatsächlichen Untersuchungen von Zenz/von Eicken/Ernst/Hofmann, 15 f., und von Oberloskamp, in: Oberloskamp/Schmidt-Koddenberg/Zieris, 68 f. Vgl. auch Diskussionsentwurf, 88; Regierungsentwurf, 80. Zur Auswirkung auf die Entmündigung, die damit praktisch zum Mittel der Unterbringung wurde, vgl. Weinriefer, 130ff.
II. Grundlinien
des neuen
Rechtsinstituts
15
war seine Rechtsstellung nicht nur materiellrechtlich, sondern vor allem auch verfahrensrechtlich abzusichern. Uber dieses Ziel herrschte sowohl in der rechtspolitischen Diskussion wie im Gesetzgebungsverfahren Einigkeit 22 . Es wurde auch in der Diskussion über das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 nicht wieder in Frage gestellt23. Seine Verwirklichung durch das Betreuungsrecht ist nun nachzuzeichnen.
II. Grundlinien des neuen Rechtsinstituts24 Durch das Betreuungsgesetz sind die Entmündigung und die Vormundschaft und Gebrechlichkeitspflegschaft über Volljährige zum 1.1. 1992 durch das Rechtsinstitut der Betreuung abgelöst worden. Danach wird vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer als gesetzlicher Vertreter 25 in dem jeweils erforderlichen Umfang für bestimmte Aufgabenkreise 26 bestellt, wenn jemand infolge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine eigenen rechtlichen Angelegenheiten 27 zu besorgen 28 . Der Betreuer ist bei seinem Handeln auf das Wohl des Betreuten verpflichtet 29 . Er muß dabei den Wünschen des Betreuten entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist 30 .
1.
Erforderlichkeitsgrundsatz
Das Prinzip, sowohl die Fürsorge für den Betroffenen als auch die Beschränkung seiner Rechtsstellung auf das jeweils im Einzelfall erforderliche Maß zu beschränken, liegt der gesamten Konzeption des neuen Betreuungsrechts zu2 2 Aus den Materialien zum Betreuungsgesetz: Diskussionsentwurf, 76; Regierungsentwurf, 52. Aus der Reformdiskussion: Holzhauer, Gutachten, B 39f.; Schwab, Referat, K 9f. 23 Vgl. BR-Drucks. 960/96, lf., 11.; Deinert, ZfJ 1998, 232ff. 2 4 Ubersichten über das Betreuungsgesetz z.B. bei Coester, Jura 1991, 1 ff.; Schwab, FamRZ 1990, 681 ff.; Taupitz, JuS 1992, 9ff.; Wesche, Rpfleger 1990, 441 ff.; W. Zimmermann/Damrau, NJW 1991, 538ff.; und in den meisten Lehrbüchern zum Familienrecht, z.B. bei Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 76 (1230ff.); Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 1138ff.; Henrich5, §26 II (312ff.); Schlüter, Familienrecht8, Rn.447ff.; Schwab, Familienrecht9, Rn. 814ff. 2 5 §§1896112, 1902 BGB. 2 6 §1896 I I I BGB. 2 7 Die Beschränkung auf die Rechtsfürsorge ergab sich bisher aus §§ 1896 II 2,1902 BGB und folgt nach dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 nunmehr ausdrücklich aus der Überschrift vor § 1896 BGB („Rechtliche Betreuung") und §§ 1901 1,18971 BGB (vgl. dazu auch BRDrucks. 960/96, 15f., 33; Deinert, ZfJ 1998, 234). 2 8 §1896 1 1 BGB. 2 9 §1901 II 1 BGB. 30 §1901 III 1 BGB.
53 Die Reform
16
gründe 3 1 . Damit mußte der individuelle Unterstützungsbedarf des Betroffenen sowohl die gesetzliche Ausgestaltung wie die konkrete Anwendung des neuen Rechtsinstituts maßgeblich bestimmen. Die notwendige Anpassung der staatlichen Fürsorgemaßnahme an den individuellen Unterstützungsbedarf sollte danach nicht wie im früheren deutschen R e c h t oder jedenfalls dem Grundsatz nach auch in vielen ausländischen Rechtsordnungen 3 2 generell durch ein gesetzlich vorgegebenes „mehrstufiges" Modell erfolgen, sondern erst im konkreten Fall durch das Vormundschaftsgericht im R a h m e n des einheitlichen Rechtsinstituts der Betreuung vorgenommen werden 3 3 . Das entspricht im übrigen der Richtung der internationalen Entwicklung 3 4 . Die Betreuung wird demnach nur für diejenigen Aufgabenkreise angeordnet, für die der Betroffene der Rechtsfürsorge durch einen gesetzlichen Vertreter bedarf 3 5 . Sie ist deshalb gegenüber anderen Hilfen und insbesondere gegenüber Diskussionsentwurf, 93ff.; Regierungsentwurf, 58ff.; Knittel, § 1896 BGB Rn. 17 m.w.N. Überblick bei Heldricb/Steiner, IECLIV/2,18ff.; Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 383ff. Der französische Rechtskreis kannte früher neben der umfassenden interdiction (Entmündigung) und anschließender tutelle (Vormundschaft) nur die Möglichkeit, für Vermögensangelegenheiten einen conseil judicaire (Beirat) zu bestellen (Malaurie/Aynés, Nr. 695ff. (266f.); W. Hellermann, Schutz, 4ff. - Frankreich; Verbeke, ERPL 2 (1994), 12f. - Belgien; Oberto, FamRZ 1998, 83f. - Italien. Die Niederlande führten eine dauernde Vermögenspflegschaft erst 1982 ein, dazu Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts-und des Pflegschaftsrechts, 121,166ff.). Dieses System wird zunehmend durch auf den Einzelfall abstimmbare Maßnahmen ergänzt. Zudem steht die Einführung einer ähnlichen Form der Fürsorge für personale Angelegenheiten zur Debatte (Verbeke, ERPL 2 (1994), 12f. - Belgien, Niederlande). Das französische Recht sieht seit der Reform 1968 drei abgestufte Formen der staatlichen Rechtsfürsorge vor: tutelle des majeurs (Vormundschaft), curatelle (Pflegschaft) und sauvegarde de justice (gerichtliche Schutzbetreuung), die das Vormundschaftsgericht allerdings in gewissem Umfang wiederum jeweils den konkreten Verhältnissen anpassen kann (Uberblick bei Malaurie/Aynés, Nr.683ff. (259ff.); Heldrich, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 59ff.; Ferid/Sonnenberger l / l 2 , 1 F 330ff.; /-má/Sonnenberger 3 2 ,4 C 819ff.; ausführlich W. Hellermann, Schutz, 19ff.). Das Schweizer Recht sieht ein abgestuftes System von Fürsorgemaßnahmen vor, das von der Entmündigung mit Bestellung eines Vormunds über die Beiratschaft bis hin zur Beistandschaft reicht, wobei die letzten beiden in verschiedenen Formen und für bestimmte Bereiche angeordnet werden können (Heldrich, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs- des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 86ff.; Tuor/Schnyder, 356ff., 362ff., 374ff., 378ff.). Zweispurig ist das 1976 und 1988 reformierte System in Schweden (Saldeen/Westmann/Dopffel, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs- des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 189ff.; Danielsen, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 129) und das 1983 reformierte spanische Recht (Morón/Baldus, Informaciones Bd. I (1998), lOff. Osterreich dagegen hat 1984 mit der Sachwalterschaft ebenfalls ein einheitliches Institut der Rechtsfürsorge eingeführt (Hopf, Referat, K 52ff.; Waters, 52ff.). Auch das norwegische Recht kennt nur eine Form der Fürsorge, die auch für Dänemark vorgeschlagen worden ist (Danielsen, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 127ff.). 31
32
Diskussionsentwurf, 77, 88 ff.; Regierungsentwurf, 52, 57f. Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 383ff.; Verbeke, ERPL 2 (1994), lOff. Abschlußempfehlung der 3. Europäischen Konferenz zum Familienrecht 1995 (in: Council of Europe, Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 32ff.). 35 §§1896 II, 1902 BGB. Zur Rechtsfürsorge als Aufgabe der Betreuung vgl. oben §3 Fn.27. 33 34
II. Grundlinien des neuen
Rechtsinstituts
17
derjenigen durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter subsidiär 36 . Auch darf sie nicht länger dauern als erforderlich, wofür eine Reihe verfahrensrechtlicher Sicherungen vorgesehen sind 37 .
2. Selbstbestimmung
des
Betreuten
Die Selbstbestimmung des Betreuten wird zunächst gegenüber der Betreuung insgesamt dadurch gewahrt, daß diese nach Art und Umfang auf das jeweils für den Betreuten Erforderliche beschränkt ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit sie innerhalb der Betreuung verwirklicht wird. Nach dem bisherigen Recht waren im Rahmen der Vormundschaft oder Pflegschaft die Wünsche oder Anträge eines Geschäftsunfähigen unbeachtlich38. Der Vormund oder Pfleger orientierte sich daher nicht an den Wünschen des Mündels oder Pfleglings, sondern an seinem objektiv verstandenen Wohl. Dagegen hatte der Gebrechlichkeitspfleger eines Geschäftsfähigen dessen Wünsche zu beachten und wurde deshalb oft als „staatlich bestellter Bevollmächtigter" bezeichnet 39 . Das Betreuungsrecht erklärt demgegenüber die Anträge und Wünsche des Betreuten unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit für beachtlich 40 . Den Antrag auf Bestellung eines Betreuers kann auch ein Geschäftsunfähiger stellen 41 , wie ganz allgemein die Verfahrensfähigkeit nicht von der Geschäftsfähigkeit abhängt 42 . Dem Vorschlag des Betroffenen zur Person des Betreuers ist grundsätzlich zu entsprechen 43 , und auch im Rahmen der Betreuung sind die Wünsche des Betroffenen maßgeblich, soweit dies seinem Wohl nicht widerspricht und dem Betreuer zuzumuten ist 44 . Dies schließt Wünsche mit ein, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, daß er hieran erkennDas Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 versucht die Vorsorgevollmacht als Alternative zur Betreuung zu stärken, indem es die §§1904, 1906 B G B auch auf die vertretungsweise Zustimmung des Bevollmächtigten erstreckt und sie damit zugleich in diesen Bereichen ausdrücklich für zulässig erklärt (vgl. BR-Drucks. 960/96, 2, 19, 34). 36 §1896 II 2 BGB. 37 §§ 69 I Nr. 5, 68b I 5, 69i VI F G G (vgl. Regierungsentwurf, 66). 38 B G H NJW1967,2404 (2406); B G H Z 48,147 (159f.); 70,252 (258ff.). AusführlichKollmer, 108ff. 39 B G H Z 48,147 (160f.); Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 Rn. 69. So schon die Motive IV, 1256. Das beruhte darauf, daß der Geschäftsfähige jederzeit die Aufhebung der Gebrechlichkeitspflegschaft verlangen konnte, §§ 1920, 1910 III B G B a.F. (Goerke, in: MünchKommBGB 2 , §1920 Rn.lOff.). 4 0 Diskussionsentwurf, 123 ff. (allgemein), 136f. (für die Heilbehandlung); Regierungsentwurf, 67f. (allgemein), 71 (für die Heilbehandlung). 41 § 1896 I 2 BGB. Gleiches gilt für die Aufhebung der Betreuung, § 1908d II 2 BGB. 42 §66 F G G . 43 §1897 IV BGB. 44 §1901 III 1 BGB.
18
j j Die
Reform
bar nicht festhalten will45. Denn zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten46. 3. Persönlichkeitsbezogene
Maßnahmen
Mit der Orientierung an der Person des Betreuten und ihren Bedürfnissen rückten die persönlichkeitsbezogenen Maßnahmen des Betreuers ins Blickfeld der Reform. Um der Selbstbestimmung des Betreuten und dem Erforderlichkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen47, enthält das Betreuungsgesetz nicht nur für die Vermögenssorge, sondern auch für die Personensorge eine eingehende Regelung. Dies umfaßt insbesondere Vorschriften für bestimmte, als wichtig angesehene Angelegenheiten der Personensorge, für die der Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf und für die auch besondere verfahrensrechtliche Sicherungen vorgesehen sind48: Untersuchung des Gesundheitszustandes, ärztliche Eingriffe und Heilbehandlung49, Sterilisation50, Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen51. Gleiches gilt für Maßnahmen der Vermögenssorge im Bereich der Wohnungsauflösung52 wegen ihres starken Bezuges zur Persönlichkeit des Betreuten53. 4. Persönliche
Betreuung
Das Betreuungsgesetz versucht durch eine Vielzahl von Regelungen direkter und indirekter Art sicherzustellen, daß die Betreuung im persönlichen Kontakt erfolgt54. Die „persönliche Betreuung" soll gewährleisten, daß die individuellen Bedürfnisse und Wünsche des Betreuten vom Betreuer beachtet werden55 und wahrt damit die Selbstbestimmung des Betroffenen56. Zum Betreuer darf deshalb nur jemand bestellt werden, der zur persönlichen Betreuung in der Lage ist57. In erster Linie ist der vom Betroffenen Vorgeschla45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
68ff. 55
56 57
§1901 III 2 BGB. §1901 II 2 B G B . Diskussionsentwurf, 133; Regierungsenrwurf, 70. §§67 I 2 Nr. 3, 69d I 3, II, III, 69i I 3, 70ff. F G G . §1904 B G B . §1905 B G B . §1906 B G B . §1907 BGB. Diskussionsentwurf, 135; Regierungsentwurf, 70. Eine Aufstellung findet sich im Diskussionsentwurf, 129ff. bzw. im Regierungsentwurf, Diskussionsentwurf, 127f., 131 f.; Regierungsentwurf, 68f. Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1896 B G B Rn. 13. §§1897 I, 1900 I 1, IV 1 BGB.
II. Grundlinien des neuen Rechtsinstituts
19
gene oder eine ihm nahestehende Person zu bestellen 58 . Erst wenn eine Betreuung durch eine natürliche Personen nicht möglich ist, kann ein Betreuungsverein oder gar die Betreuungsbehörde zum Betreuer bestellt werden 59 . Der Betreuer ist verpflichtet, alle wichtigen Angelegenheiten von sich aus mit dem Betreuten zu besprechen 60 und im übrigen dem Wunsch des Betreuten nach einer Besprechung grundsätzlich nachzukommen 61 . Die Verwirklichung dieses Zieles hängt davon ab, daß eine ausreichende Zahl geeigneter Betreuer gewonnen werden kann 62 . Dem dienen vor allem63 die Beratung der Betreuer durch das Vormundschaftsgericht 64 und die Betreuungsbehörde 65 , die darüber hinaus die Aufgabe hat, Betreuer aus- und fortzubilden und private Maßnahmen zugunsten Betreuungsbedürftiger zu unterstützen 66 , und die finanzielle Absicherung der Betreuer. Ehrenamtliche Betreuer können ihre Aufwendungen einschließlich der Kosten für eine Haftpflichtversicherung vom Betreuten und bei dessen Mittellosigkeit von der Staatskasse verlangen 67 und auch eine angemessene Vergütung aus dem Vermögen des Betreuten erhalten, wenn es das Vermögen des Betreuten sowie Art und Umfang der Betreuung rechtfertigen 68 . Berufsbetreuer erhalten neben ihren Aufwendungen immer eine Vergütung 69 . Diese Grundstruktur blieb auch vom Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 unberührt, das die Regelungen des Aufwendungsersatzes und der Vergütung zum Teil erheblich geändert hat 70 .
5. Teilnahme am
Rechtsverkehr
Nach altem Recht stellten sowohl die Entmündigung wegen Geisteskrankheit als auch die Entmündigung wegen Geistesschwäche, Verschwendung, Trunksucht oder Rauschgiftsucht die Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkte Geschäftsfähigkeit des Entmündigten konstitutiv fest 71 . Eine vergleichbare §1897 IV und V BGB. §1897 I BGB. 60 § 1901 III 3 BGB. 61 Das folgt aus der allgemeinen Pflicht nach § 1901 III 1 BGB, den Wünschen des Betreuten nachzukommen (so auch die Materialien, vgl. Diskussionsentwurf, 132; Regierungsentwurf, 69). 62 Diskussionsentwurf, 129; Regierungsentwurf, 55. 63 Vgl. den Uberblick über die damit verbundenen Regelungen im Regierungsentwurf, 69f. 64 §§1908i I, 1837 1 1 BGB. 65 §4 BtBG. 66 §§5, 6 BtBG. 67 §§ 1908i I, 1835 BGB. 68 §§ 1908i I, 1836 I 2 und 3 BGB. 69 §§1908i 1, 1835, 1836 II BGB. Die Kosten für eine Haftpflichtversicherung sind dann aber nicht gesondert zu ersetzen, §1835 II 2 BGB. 70 Vgl. dazu Deinert, ZfJ 1998, 232ff.; Dodegge, NJW 1998, 3073ff. 71 §§6 I Nr. 1, 104 Nr.3 bzw. 6 I Nr. 1 - 3, 114 BGB a.F. 58
59
20
53 Die
Reform
Wirkung hatte im Ergebnis auch die Anordnung einer Zwangspflegschaft. D a sie die Geschäftsunfähigkeit des Pfleglings für das Aufgabenfeld des Pflegers voraussetzte 72 , mußte das Vormundschaftsgericht die Geschäftsunfähigkeit im Verfahren feststellen. Die Anordnung der Zwangspflegschaft enthielt demnach zugleich die gerichtliche Feststellung der Geschäftsunfähigkeit für den Bereich der Pflegschaft 73 . Von daher wird verständlich, daß nicht nur die Entmündigung, sondern auch die Anordnung der Zwangspflegschaft zum Verlust des Wahlrechts führte 74 . Demgegenüber führt heute die Anordnung der Betreuung als solche weder zu einer Beschränkung der Geschäfts-, Ehe-, Testier- oder Einwilligungsfähigkeit 75 noch setzt sie die Feststellung der Geschäftsunfähigkeit notwendig voraus 76 . Nur wenn und soweit eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des Betreuten erforderlich ist, weil er sich selbst oder sein Vermögen erheblich gefährdet, kann ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden. Dieser führt praktisch zu einer partiell beschränkten Geschäftsunfähigkeit des Betreuten 77 . Unverändert blieben die Regelungen der sog. natürlichen Geschäftsunfähigkeit 78 , die auch für die Eheunfähigkeit maßgeblich ist 79 , und der Testierunfähigkeit 80 , die auf den jeweiligen geistigen Zustand des Handelnden abstellen81. Diese „Entkoppelung" von Geschäftsfähigkeit und Betreuung wirft sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch im Hinblick auf die Wirkungen der Betreuung Probleme auf. Zum einen wird gefragt, ob auch ein Geschäftsfähiger unter Betreuung gestellt werden kann. Zum anderen müssen die Handlungsmöglichkeiten von Betreutem und Betreuer auf einander abgestimmt werden. B G H Z 35, 1 (6); 48, 147 (159); 70, 252 (258ff.); Holzhauer, Gutachten, B 28ff. Schwab, Festschrift Mikat, 886. 7 4 §§13 Nr. 2 bzw. 13 Nr. 1, 15 II Nr. 1 BundeswahIG a.F. 7 5 Diskussionsentwurf, 96ff.; Regierungsentwurf, 59ff. Zur Einwilligungsfähigkeit Regierungsentwurf, 141. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren nochmals klargestellt (vgl. BTDrucks. 11/4528,208,227, BT-Drucks. 11/6949, 72) und ergibt sich zwingend schon daraus, daß auch der ausschließlich körperlich Behinderte einen Betreuer erhalten kann, § 1896 1 1 , 3 B G B {Taupitz, J u S 1992, 11). Z u m Ganzen auch Müller, 49ff. 7 6 Auch ein lediglich körperlich Behinderter kann einen Betreuer erhalten, § 1896 1 1 , 3 B G B (dazu oben §3 Fn. 75). Die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen ist unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit, §§ 1896 I 2 B G B , 66, 70a F G G (vgl. die Begründung dazu, Regierungsentwurf, 63,120,170,183). Zur Frage, ob die Anordnung der Betreuung gegen den Willen des Betroffenen dessen Geschäftsunfähigkeit voraussetzt, unten §4 IV.l.b. 7 7 §§1903, 1 0 8 - 113, 131 II, 206 B G B . Vgl. Taupitz,}uS 1992, 12. 78 §104 Nr. 2 B G B . 7 9 §1304 B G B in der Fassung durch das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz - EheschlRG) v o m 4.5.1998, B G B l 1998 1,833. Bis zum 30.6.1998 (Art. 18 III EheschlRG) ergab sich dies aus dem gleichlautenden § 2 E h e G . 8 0 §2229 IV B G B . 81 Diskussionsentwurf, 78 (allgemein), 97 (Geschäftsunfähigkeit), 115ff. (Ehe-, Testierunfähigkeit); Regierungsentwurf, 52f. (allgemein), 59f. (Geschäftsunfähigkeit), 64ff. (Ehe-, Testierunfähigkeit). 72
73
II. Grundlinien
des neuen Rechtsinstituts
21
Darauf wurde schon im Vorfeld der Reform hingewiesen82. Der Gesetzgeber hat sich gleichwohl einer Antwort enthalten83, - u.a. deshalb, weil es an einer dogmatischen Grundlage hierfür fehlte84.
82 Vgl. nur Schwab, Festschrift Mikat, 889ff.; Holzhauer, Gutachten, B 73 (Geschäftsfähigkeit), 82f. (Einwilligungsfähigkeit). 83 Diskussionsentwurf, 99, 268f. (Geschäftsfähigkeit), 279 (Einwilligungsfähigkeit); Regierungsentwurf, 60, 137 (Geschäftsfähigkeit), 141 (Einwilligungsfähigkeit). 84 Deutlich wird das im Diskussionsentwurf, 268f. („Es ist wünschenswert, daß dieser Frage ... weiter nachgegangen wird."). In der Sache unverändert Regierungsentwurf, 137.
§4 Die Funktion der Betreuung Im Rahmen der Reformdiskussion spielte die Frage nach der rechtlichen Funktion der Betreuung, d.h. nach ihrer Aufgabe im Zusammenhang der Rechtsordnung keine Rolle. Die Betreuung erschien dort vielmehr als Mittel zu außerrechtlichen Zwecken wie der Verbesserung der psychiatrischen Versorgung oder der humanen Gestaltung der letzten Lebensphase alter Menschen1. Welche rechtliche Funktion sie erfüllen sollte, blieb dabei ungeklärt und ist auch seitdem nicht diskutiert worden. Für eine dogmatische Analyse der Betreuung als Erscheinung des Rechts ist sie jedoch von grundlegender Bedeutung. Das Gesetz bezeichnet seit dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 19982 die Betreuung ausdrücklich als „rechtliche Betreuung"3 und weist dem Betreuer die Aufgabe zu, die Angelegenheiten des Betreuten „rechtlich zu besorgen"4. Die Rechtsfürsorge durch den Betreuer ist dadurch gekennzeichnet, daß er in seinem Aufgabenkreis kraft Gesetzes Vertreter des Betreuten ist5 und die Betreuung erst angeordnet werden darf, wenn ein gesetzlicher Vertreter erforderlich ist6. Die gesetzliche Vertretung des Betreuten durch den Betreuer ist damit notwendig mit der Betreuung verbunden7. Die Frage nach der Funktion der Betreuung verweist daher zunächst auf die allgemeine Frage nach der Funktion der gesetzlichen Vertretung und deren Bedeutung.
I. Gesetzliche
Vertretung
Herkömmlich wird die gesetzliche Vertretung im Privatrecht systematisch an zwei verschiedenen Stellen behandelt. Im Rahmen des Allgemeinen Teils erscheint sie als besonderer Fall der Stellvertretung, im Familienrecht als Mittel zur Ausübung der elterlichen Sorge oder der Vormundschaft, Pflegschaft und ' Vgl. oben §3 I. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (Betreuungsrechtsänderungsgesetz - BtÄndG) vom 25.6. 1998, B G B l 1998 I, 1580. 3 So die Uberschriften vor §§ 1773, 1896 B G B , die durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 eingefügt worden sind. 4 §§1897 1,1901 I B G B i.d.F. des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes 1998. 5 §§1896 112, 1902 B G B . 6 §1896 II 2 B G B . 7 Diskussionsentwrf, 262; Regierungsentwurf, 135. 2
I. Gesetzliche
Vertretung
23
Betreuung 8 . Diese zunächst nur systematische Trennung v o n A u ß e n - und Innenseite der gesetzlichen Vertretung hat sich auch auf die Überlegungen zu ihrer rechtlichen Funktion ausgewirkt.
1. Die allgemeine
Diskussion
Im Rahmen des Allgemeinen Teils stellte die gesetzliche Vertretung f ü r den historischen Gesetzgeber des B G B und die Lehre zu A n f a n g des Jahrhunderts zunächst eine besondere F o r m dar, die Vertretungsmacht des Vertreters zu begründen 9 . Sie umfaßte alle Fälle, in denen die Vertretungsmacht nicht auf dem Willen des Vertretenen beruhte 1 0 und trat damit neben die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht 1 1 . Heute versteht man dagegen die organschaftliche Vertretung und teilweise auch die Vertretung kraft A m t e s als eigene Ordnungsgruppen und bezeichnet als gesetzliche Vertretung nur noch diej enigen Fälle, in denen die Vertretungsmacht direkt auf dem Gesetz oder auf einem aufgrund eines Gesetzes ergehenden Staatsakt beruht 1 2 . In diesem Sinne ist der v o m Vormundschaftsgericht nach § 1 8 9 6 B G B bestellte Betreuer ein gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Abgesehen v o n der Form, in der die Vertretungsmacht begründet wird, er8 Die Zuweisung zum Familienrecht setzte sich erst im Verlaufe der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch. Sie beruht darauf, daß jede Form der Vormundschaft letztlich Fürsorge für die Person darstellt (vgl. zuletzt Windscheid/Kipp91, S. XI, und III, §432 Fn. 4 (115f.). Als Form der Geschäftsführung und damit Teil des Obligationenrechts behandelt die Vormundschaft beispielsweise noch Puchta3, §332 (464)). Für beide stand aber außer Frage, daß davon die Handlungskompetenz im Außenverhältnis zu unterscheiden und bei den allgemeinen Lehren zu behandeln war. 9 Motive I, 223; Cosack, Lehrbuch I4, §67 I (233ff.); Dernburg, Bürgerliches Recht I3, §162 VII (529); Oertmann, A.T., Vor §164 BGB Anm.3b; v. Tuhr, A.T. II/2, §84 I 2 (335); Windscheid/Kipp9 I, §74 (357, 360). 10 Diesen Sammelbegriff nannten manche auch „Vertretung kraft Gesetzes", während „gesetzlicher Vertreter" im eigentlichen Sinn nur der notwendige Vertreter eines Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen sei, der auch im Gesetz als solcher bezeichnet werde (v. Tuhr, A.T. II/2, § 8614 (418f.); Müller-Freienfels, Vertretung, 335f. m.w.N.; Bienwald, Untersuchungen, 347ff., 355). Allerdings war auch der Gebrechlichkeitspfleger nach §53 ZPO a.F. im Prozeß gesetzlicher Vertreter (vgl. dazu Leipold, in: Stein/Jonas20, §53 ZPO Rn. 11,14 m.w.N.), was sich mit dieser Begriffsbildung nicht vereinbaren ließ (vgl. schon Enneccerus, A.T.11, § 168 I (452f.). Nachdem heute der Betreuer vom Gesetz selbst als gesetzlicher Vertreter bezeichnet wird (§1896 II 2 BGB) und diese gesetzliche Vertretungsmacht von der Geschäftsfähigkeit des Betreuten unabhängig sein soll (oben §3 II.5.), ist die Grundlage für eine Unterscheidung von „gesetzlicher Vertretung" und „Vertretung kraft Gesetzes" spätestens durch das Betreuungsgesetz entfallen (kritisch gegenüber dem Betreuungsgesetz deshalb Bienwald, Untersuchungen, 357). 11 So die Legaldefinition der Vollmacht in § 166 II 1 BGB. 12 H. Hübner, A.T.2, Rn.1236; Larenz/Wo//, A.T.8, §46 Rn.9ff.; Leptien, in: Soergel12, Vor § 164 BGB Rn. 20ff.; Schilken, in: Staudinger13, Vorbem. zu §§ 164ff. BGB Rn. 21 ff.; Schramm, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 164 BGB Rn.4ff.; Steffen, in: RGRK 12 , Vor § 164 BGB Rn. 7ff. Anders aber noch H. Köhler, A.T.23, § 18 Rn. 1.
24
§4 Die Funktion der Betreuung
scheinen in dieser Sicht gewillkürte und gesetzliche Stellvertretung im übrigen gleichermaßen als Handeln in Verantwortung für den Vertretenen, bei dem die Vertretungsmacht im Außenverhältnis gegenüber der internen Pflichtbindung verselbständigt ist13. Die Betonung der rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Vertretung gemeinsamen Vertretungswirkung ist konsequent, wenn man die Vertretungsmacht als Voraussetzung für rechtsgeschäftliches Handeln des Vertreters begreift und die Stellvertretung damit von der Person des Vertreters her analysiert. Das Innenverhältnis ist dann lediglich insoweit von Bedeutung, als es die grundsätzlich verselbständigte Vertretungsmacht ausnahmsweise beschränkt, also im Falle des „Mißbrauchs der Vertretungsmacht". Zwar mögen dort die Unterschiede in der Begründung der Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft einerseits, durch Gesetz andererseits eine Rolle spielen14, doch stellt dies die Einheit des Rechtsinstituts der Stellvertretung nicht in Frage 15 . Damit ist jedoch nichts darüber ausgesagt, was es rechtfertigt, dem Vertretenen das Handeln des Vertreters zuzurechnen. Gerade wenn man das Rechtsgeschäft als Verwirklichung der Selbstbestimmung des einzelnen begreift 16 , stellt sich die Frage, wie damit die Stellvertretung als Handeln für einen anderen zu vereinbaren ist, worauf insbesondere Müller-Freienfels17 hingewiesen hat. Während er die rechtsgeschäftliche Vertretung - wie das Rechtsgeschäft generell - auf die Entscheidung des Vertretenen zurückführt und damit auf dessen Selbstbestimmung, habe der gesetzlich Vertretene weder bei der Begründung noch hinsichtlich des Umfanges der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters etwas zu bestimmen. Die Einrichtung einer gesetzlichen Vertretung stelle daher einen Akt sozialstaatlicher Fremdbestimmung des Vertretenen dar18. Diese Fremdbestimmung rechtfertigt er mit dem knappen Hinweis, die gesetzliche Vertretung solle den Ausschluß des Vertretenen vom Privatrechtsverkehr ausgleichen. Schon Savigny hatte darin ihren rechtlichen Sinn gesehen19. Die gesetzliche Vertretung erscheint dabei als notwendige Folge dieses Ausschlusses. Sie erst ermöglicht den Unmündigen und in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten die Teilnahme am Rechtsverkehr 20 und wird deshalb von John und Paw13 Flume, A.T. II 3 , §45 II 4 (791 f.). Ihm folgend Schilken, in: Staudinger13, Vorbem. zu §§164ff. BGB Rn.23. 14 Ausführlich Frotz, Verkehrsschutz, 30ff., 33. 15 Flume, A.T. II 3 , §45 II 4 (791); Leptien, in: Soergel12, Vor § 164 BGB Rn.23; Schilken, in: Staudinger13, Vorbem. zu §§164ff. BGB Rn.21. 16 Flume, A.T. II 3 , § 2 1 1 (23); Larenz/Wolf, A.T. 8 , §22 Rn. 1; Medicus, A.T. 7 , Rn. 175; Schapp, Grundfragen, 50ff.; H. Hübner, A.T.2, Rn.600; H. Köhler, A.T.23, §12 Rn.3. 17 Müller-Freienfels, Vertretung, 50ff. Ebenso Flume, A.T. II 3 , §43, 3 (754). 18 Müller-Freienfels, Vertretung, 335ff., insbesondere 341 ff. Vgl. auch BVerfGE 72,155 (171). 19 Savigny I, §55 (362). 20 Thiele, Zustimmung, 70ff.; H.J. Wolff Organschaft II, 177; Larenz /Wolf A.T. 8 , §5 Rn.6 (etwas anders jedoch §46 Rn. 13). Grundsätzlich ebenso Windscheid/Kipp9 I, §74 (360f.): „der Idee nach". Vgl. schon Puchta3, § 332 (464): Handlungsunfähigkeit nicht als Folge der Vormundschaft, sondern als ihr Anlaß.
I. Gesetzliche
Vertretung
25
lowski als notwendige Handlungsorganisation beschrieben, die erforderlich sei, daß der Vertretene als Rechtsperson überhaupt handeln könne21. Aus diesem Grund hält auch die h.L. die gesetzliche Vertretung mit dem Grundsatz der Privatautonomie für vereinbar22. Diese Begründung vermochte allerdings schon die damalige Rechtslage nur insoweit zu erklären, als der Vertretene aufgrund seines Alters bzw. infolge der Entmündigung entweder völlig geschäftsunfähig oder jedenfalls in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war und Eltern oder Vormund als gesetzliche Vertreter handelten. Die verschiedenen Formen der Pflegschaft, bei denen der Pflegling geschäftsfähig blieb, konnte man damit jedoch nicht erfassen23. Schon die Motive zum 1. Entwurf eines BGB erkannten zwar das praktische Bedürfnis für eine solche Pflegschaft, zeigten sich in ihrer rechtlichen Einordnung jedoch äußerst unsicher und bezeichneten den Gebrechlichkeitspfleger eines Geschäftsfähigen einmal als gesetzlichen Vertreter, ein anderes Mal als „von Staats wegen bestellten Spezialbevollmächtigten" des Pfleglings24. Heute kann man jedoch allenfalls noch die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen damit zu begründen versuchen, daß sie dessen völligen Ausschluß vom Rechtsverkehr oder seinen beschränkten Zugang dazu ausgleiche25. Demgegenüber setzt die Betreuung und damit die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers den Entzug oder die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des Betreuten gerade nicht mehr voraus26. Die Geschäftsfähigkeit des Betreuten kann nur noch durch Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes beschränkt werden27. Der Ausschluß des Betreuten vom Rechtsverkehr ist daher keine Voraussetzung für seine gesetzliche Vertretung durch den Betreuer28, sondern vielmehr erst eine besonders anzuordnende Folge der Betreuung. Er vermag deshalb die mit der Betreuung verbundene gesetzliche Vertretung auch nicht zu rechtfertigen.
John, Rechtsperson, 78, 231 f.; Pawlowski, A.T.5, Rn. 129ff., 136, 672. Auf die fehlende oder beschränkte Geschäftsfähigkeit verweisen z.B. Flume, A.T. II 3 , § 43,3 (754); Leptien, in: Soergel12, Vor § 164 BGB Rn. 15; Steffen, in: RGRK 12 , Vor § 164 BGB Rn. 10. Anders dagegen Larenz/Wolf, A.T.8, § 46 Rn. 13, wo allerdings unklar bleibt, was mit der tatsächlichen im Gegensatz zur rechtlichen Fähigkeit zur Selbstgestaltung gemeint ist. Auch der Hinweis auf Flume (Larenz/Wo//, A.T.8, §46 Rn. 13 Fn. 11) führt nicht weiter, denn bei ihm bezeichnet die Fähigkeit zur Selbstbestimmung die Geschäftsfähigkeit (Flume, A.T. II 3 , § 13, 1 (182)). 23 Was Müller-Freienfels selbst an anderer Stelle andeutet (Vertretung, 345f.). Zutreffend schon v. Tuhr, A.T. II/2, § 86 I 4 (419); Oertmann, A.T., Vor § 164 BGB Anm. 3 b ß. Vgl. auch Windscheid/Kipp9 I, §74 (360f.). 24 Vgl. Motive IV, 1252 einerseits, Motive IV, 1256 andererseits, sowie Aug. Fuchs, in: Holder, BGB, §1910 BGB Anm. 2 c. Zur Entwicklung der Diskussion ausführlich Bienwald, Untersuchungen, 195 ff. 25 Auch für den Minderjährigen erweist sich diese Begründung letztlich als unzureichend, vgl. unten §4 1.3. 26 Dazu oben §3 11.5. 27 Vgl. §1903 BGB. 28 Zutreffend Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1902 Rn. 8; Larenz/Wolf, A.T. 8 , §46 Rn. 13. 21
22
26
§ 4 Die Funktion der Betreuung
2. Die Diskussion im Vormundschafts-
und
Familienrecht
Nachdem das BGB die elterliche Gewalt als vormundschaftliche Fürsorge für das minderjährige Kind konzipiert hatte29, erschien die gesetzliche Vertretungsmacht des Vormunds, Pflegers oder der Eltern aus familienrechtlicher Sicht als Mittel zur Wahrnehmung der diesen jeweils obliegenden Aufgaben der Fürsorge für Kind, Mündel oder Pflegling30. Problematisch wurde die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters allerdings dort, wo derjenige, dem die vormundschaftliche Fürsorge galt, durch diese in seiner Handlungsfähigkeit nicht beschränkt wurde, also vor allem bei der Gebrechlichkeitspflegschaft. Die Motive waren sich durchaus darüber im klaren, daß die Gebrechlichkeitspflegschaft auch dann einen nicht ungefährlichen Eingriff in die bürgerliche Selbständigkeit des Pfleglings darstellte, wenn sie die Geschäftsfähigkeit des Pfleglings unberührt ließ, weil er an die Rechtshandlungen seines gesetzlichen Vertreters gebunden wurde. Sie hielten sie aber in den vorgesehenen Fällen aus einem dringenden praktischen Bedürfnis für geboten31. Die systematische Einordnung und damit letztlich auch die rechtliche Funktion eines solchen gesetzlichen Vertreters blieb jedoch unklar, wie die an anderer Stelle erfolgte Bezeichnung als „von Staats wegen bestellter Spezialbevollmächtigter"32 zeigt. In der späteren Diskussion um den Gebrechlichkeitspfleger als gesetzlichen Vertreter oder als staatlich bestellten Bevollmächtigten des Pfleglings33 ging es nicht um die Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis der Vertretungsmacht des Gebrechlichkeitspflegers, sondern um Probleme infolge der parallelen Handlungsmöglichkeiten von Pfleger und Pflegling einerseits34 und um seine Bestimmungsbefugnis über den Pflegling35 andererseits. Zur Lösung dieser Probleme griff man jedoch nicht auf den Ursprung der Vertretungsmacht zurück, sondern knüpfte an die Geschäftsfähigkeit des Pfleglings an. Wenn ein ge-
2 9 Motive IV, 721 ff., 724; Windscheid/Kipp9 III, §513 (62);Dernburg, Bürgerliches Recht IV 4 , §73 I (266); v. Blume, in: Opet/v. Blume, Familienrecht, Vor §1626 BGB Anm. 1; Unzner, in: Planck3, Vor § 1626 BGB Anm. 1. 30 Motive IV, 724,740 (Eltern), 1083 f. (Vormund), 1044,1253 (Pfleger); Windscheid/Kipp9 III, §§432 (114f.), 513 (62); Dernburg, Bürgerliches Recht IV 4 , §§73 I (266), 104 I (370f.); v. Blume, in: Opet/v. Blume, Familienrecht, Vor §1626 BGB Anm.3c, §1793 BGB Anm.3, Vor §1909 Anm. 5; Unzner, in: Planck3, Vor § 1626 BGB Anm. 1. Ebenso die heutige Lehre, vgl. Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 803 f.; Henrich5, § 19 I (215); Schlüter, Familienrecht8, Rn. 349; Schwab, Familienrecht9, Rn. 540. 31 Motive IV, 1253ff. Dazu ausführlich Bienwald, Untersuchungen, 202ff. 32 Dazu oben §4 Fn. 24. 33 Ausführlich dazu Bienwald, Untersuchungen, 183 ff. 34 Übersicht bei Engler, in: Staudinger10'11, §1910 B G B Rn.27ff.; Damrau, in: Soergel12, §1910 B G B Rn. 14. 35 BGHZ48,147 (157ff.); Damrau, in: Soergel12, § 1910 BGB Rn. 15,17; Engler, in: Staudinger 1 0 " 1 , §1910 BGB Rn.20.
I. Gesetzliche
Vertretung
27
schäftsfähiger Pflegling gegen seinen Willen keinen Pfleger erhalten konnte 36 , unterlag er auch nicht dessen Anordnungen und durfte deshalb insbesondere auch nicht gegen seinen Willen untergebracht werden 37 . Er konnte seinen Pfleger zu an sich genehmigungspflichtigen Geschäften bevollmächtigen und dadurch von den Beschränkungen des Pflegschaftsrechts befreien 38 . Die Bezeichnung des Gebrechlichkeitspflegers als gesetzlicher Vertreter oder staatlich bestellter Bevollmächtigter trug damit zur inhaltlichen Lösung dieser Fragen nichts bei 39 . Nicht weiter erörtert wurde dagegen, warum ein Geschäftsfähiger überhaupt einen staatlich bestellten Vertreter erhalten sollte, was also die staatliche Anordnung und deren gesetzliche Grundlage materiell rechtfertigte*0. Der Zweck der Gebrechlichkeitspflegschaft schien offensichtlich in der Fürsorge zugunsten nicht entmündigter Volljähriger zu liegen, die durch ein Gebrechen an der Besorgung ihrer Angelegenheiten auch durch Bevollmächtigte gehindert seien 41 . Uber die systematische Stellung der Gebrechlichkeitspflegschaft bestand deshalb ebensowenig Klarheit wie über den Rechtsgrund für die Vertretungsmacht des Gebrechlichkeitspflegers. Die Materialien zum Betreuungsgesetz verstehen die gesetzliche Vertretung durch den Betreuer ebenfalls als Mittel der Hilfe für den Betreuten. Diese Hilfe sei dadurch charakterisiert, daß der Betreuer als gesetzlicher Vertreter zwingend der Aufsicht durch das Vormundschaftsgericht unterliege, von der er auch durch den Betreuten nicht befreit werden könne, und daß er bei seiner Tätigkeit nicht an einen Wunsch des Betreuten gebunden sei, der dessen Wohl zuwiderlaufe42. Das gelte auch für die freiwillige Betreuung eines Körperbehinderten 43 , die nur auf dessen Antrag hin eingerichtet wird und auch wieder aufgehoben werden muß, wenn er dies beantragt 44 . Insofern unterscheide sich seine Stellung von der eines Bevollmächtigten oder gar eines Helfers ohne Rechtsmacht 45 . Da36 RGZ 65, 199 (202); Damrau, in: Soergel12, §1910 BGB Rn.6; Engler, in: Staudinger10/n, §1910 BGB Rn. 14; Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 BGB Rn.20ff. 37 BGHZ 48,147 (157ff.), Damrau, in: Soergel12, § 1910 BGB Rn. 15; Engler, in: Staudinger10'1 § 1910 BGB Rn.20, beide m.w.N. zum Streitstand. 38 RG HRR 1930 Nr. 615; KG WM 1971, 871 (872); Engler, in: Staudinger 10/1 § 1910 BGB Rn.27; Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 Rn.69, beide m.w.N. 39 Gernbuber, Familienrecht3, §70 VI 4 (1098); Bienwald, Untersuchungen, 461 f. 40 Vgl. die Darstellung bei Bienwald, Untersuchungen, 299ff. 41 Gernbuber, Familienrecht3, §70 VI 1 (1094); Bienwald, Untersuchungen, 303. Ohne den Hinweis auf die Bevollmächtigung Goerke, in: MünchKommBGB 2 , § 1910 Rn. 1. Noch knapper Engler, in: Staudinger10'11, Vorbemerkungen zu §§ 1909ff. BGB Rn. 1,12, und Damrau, in: Soergel12, § 1910 BGB Rn. 1, vor § 1909 Rn. 1: Fürsorge für schutzbedürftige Personen mit begrenztem Aufgabenkreis. 42 Diskussionsentwurf, 262f.; Regierungsentwurf, 135f. 43 Diskussionsentwurf, 92, 125; Regierungsentwurf, 58, 67. 44 §§1896 13, 1908d II BGB. 45 Diskussionsentwurf, 89f., 95f.; Regierungsentwurf, 57, 59.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
bei war man sich darüber im klaren, daß die Einräumung einer derartigen Vertretungsmacht nicht nur eine Hilfe darstellt, sondern durchaus mit einer Beschränkung der Rechtsstellung des Betreuten verbunden ist46, was sich an § 53 ZPO und der Bindung an die vom Vertreter vorgenommenen Handlungen zeigt47. Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine solche gesetzliche Vertretung bei einem nur körperlich Behinderten berechtigt ist, der in seiner Einsichtsfähigkeit und Freiheit der Willensbildung nicht beeinträchtigt ist und deshalb auch nicht den einseitigen Bestimmungsbefugnissen des Betreuers unterliegt48. Die Antwort der Materialien beschränkt sich darauf, daß dies dem bisherigen Recht der Gebrechlichkeitspflegschaft entspreche und im übrigen ein praktisches Bedürfnis bestehe49. Der Hinweis auf die ungeklärte systematische Stellung und rechtliche Funktion des Gebrechlichkeitspflegers hilft jedoch nicht weiter, sondern verdeckt nur die Unsicherheit über die Grundlage der Betreuung insgesamt. In der Literatur wird die Verbindung von Betreuung und gesetzlicher Vertretung deshalb als inkonsequent bezeichnet, weil die gesetzliche Vertretung bei einem Geschähsfähigen funktionslos sei50. Eine ähnliche Frage stellt sich bei der Verfahrenspflegschaft. Für den Betroffenen kann vom Vormundschaftsgericht ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn es zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist und er nicht von einem Bevollmächtigten im Verfahren vertreten wird51. Er ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers Helfer und nicht Vormund des Betroffenen52. Anders als ein Bevollmächtigter soll er aber nicht an dessen Weisungen gebunden sein, sondern nur dessen objektive Interessen wahrnehmen53. Wie sich der mit diesem besonderen gesetzlichen Vertreter54 bezweckte Schutz des Betroffenen55 mit dessen weiterhin bestehender Verfahrensfähigkeit56 verträgt, die Ausdruck sei-
Diskussionsentwurf, 95; Regierungsentwurf, 59. Vgl. Diederichsen, in: Palandt58, § 1896 BGB Rn.2; Coester, Jura 1991, 6, und schon Motive IV, 1253 (zur Gebrechlichkeitspflegschaft). 48 Diskussionsentwurf, 221; Regierungsentwurf, 117; Schwab, in: MünchKommBGB3, § 1896 BGB Rn. 17. 49 Diskussionsentwurf, 220; Regierungsentwurf, 116. 50 Schwab, in: MünchKommBGB3, § 1896 BGB Rn. 17 a.E.; Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 17f. 51 §671 1 und 6 FGG. 52 Regierungsentwurf, 89, 171. 53 Regierungsentwurf, 171. 54 Als gesetzlichen Vertreter bezeichnen den Verfahrenspfleger Bienwald, BtR 3 , §67 FGG Rn. 13 (daneben auch: Pfleger eigener Art); Bumiller, in: Bumiller/Winkler6, §67 FGG Anm. 1; Herbst, in: Bassenge/Herbst7, §67 FGG Rn. 10; Kayser, in: Keidel14, §67 FGG Rn. 11; Mertens, in: Jürgens, BtR, § 67 FGG Rn. 12. Offengelassen wird die Frage von W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, § 67 FGG Rn. 17f. 55 Regierungsentwurf, 89. 56 §66 FGG. 46
47
I. Gesetzliche
Vertretung
29
ner Subjektstellung im Verfahren ist 57 , wird weder in den Materialien noch in der Literatur beantwortet 58 . Die Praxis betrachtet deshalb den Verfahrenspfleger vielfach als überflüssig59, was mit ein Grund für den Gesetzgeber war, den Anwendungsbereich der Verfahrenspflegschaft mit dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 einzuschränken 60 .
3. Die gesetzliche
Vertretung
Minderjähriger
Liegt demnach die Funktion der gesetzlichen Vertretung Erwachsener durch den Betreuer im heutigen Recht ebenso im dunkeln wie die durch den Gebrechlichkeitspfleger alten Rechts, vermag vielleicht ein Blick auf die gesetzliche Vertretung Minderjähriger weiterzuhelfen. Obwohl hier die gesetzliche Vertretung schon wegen der beschränkten Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen erforderlich zu sein scheint, ist sie in mehrfacher Hinsicht problematisch geworden. Soweit dabei andere Begründungen für die gesetzliche Vertretung als die Aufgabe, die beschränkte Handlungsfähigkeit des Vertretenen auszugleichen, in die Diskussion eingeführt wurden, ist sie auch für unsere Fragestellung von Interesse. Unter dem Stichwort der „Grundrechtsmündigkeit" des Minderjährigen wird seit einem Aufsatz Krügers aus dem Jahre 1956 61 unter anderem62 darüber diskutiert, ob und inwieweit der Minderjährige auch jenseits gesetzlich vorgesehener Teilmündigkeiten63 alleine rechtswirksam handeln kann. Von der unmittelbaren Geltung der Grundrechte im Verhältnis von Kind und Eltern ausgehend, sah sie im Problem der Mündigkeit die verfassungsrechtlich mittels einer Güter- und Interessenabwägung zu lösende Kollision zwischen den Grundrechten des Kindes und dem Elternrecht aus Art. 6 II 1 G G . Demgegenüber wird heute die verfassungsrechtliche Frage nach dem Verhältnis von Kindesgrundrechten und Elternrecht überwiegend mit der Charakterisierung des Elternrechts als Pflichtrecht beantwortet, das um des Kindes willen besteht und aus Regierungsentwurf, 89. Kritisch daher Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 B G B Rn. 88. 59 In diesem Sinne ausdrücklich Coeppicus, Handhabung, 113 ff. (Die Dissertation beruht nach den Angaben im Vorwort auf seiner Tätigkeit als Betreuungsrichter.). Vgl. im übrigen die Nachweise bei Rogalla, R&P 14 (1996), 132ff. 57 58
6 0 Vgl. §67 I 3 FGG i.d.F. durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 und dazu BRDrucks. 960/96, 2, 18, 36. 61 Krüger, FamRZ 1956, 329ff. 62 Einen Uberblick über die mit der „Grundrechtsmündigkeit" angesprochenen verfassungsrechtlichen Probleme geben Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § \7; Jestaedt, in: BK, Art.6 II und III GG Rn. 132ff.; Stern, Staatsrecht III/l, 1064ff. Zur Diskussion um die Handlungsfähigkeit Minderjähriger ausführlich Moritz, 177ff. 63 Zusammenstellung bei Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, §1626 BGB Rn.77ff.; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1626 BGB Rn.25ff.; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 529ff.
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§4 Die Funktion der Betreuung
sich heraus in dem Maße überflüssig und gegenstandslos wird, in dem das Kind in die Mündigkeit hineinwächst 64 . Verfassungsrechtlich wandelt sich die Kollision von Kindesgrundrechten und Elternrecht damit in die Frage nach der näheren Bestimmung des sachlichen Schutzbereiches von Art. 6 II 1 G G und den Voraussetzungen des Art. 6 II 2 G G , also danach, was vom Elternrecht umfaßt und wann der Eingriff des Staates aufgrund seines Wächteramtes gerechtfertigt ist 65 . Gleichwohl versteht man die mit der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes verbundene elterliche Sorge 66 weiterhin grundsätzlich als Einschränkung der Rechtsstellung des Kindes, die nur gerechtfertigt ist, solange das Kind nicht urteilsfähig ist und deshalb nicht selbst handeln kann 67 . Die elterliche Sorge für ein bereits urteilsfähiges Kind und seine gesetzliche Vertretung bis zu dessen Volljährigkeit kann dann nicht mehr vom Kind her als Ausgleich für dessen Ausschluß vom Rechtsverkehr gerechtfertigt werden. Sie ist vielmehr bloße Folge der pauschalisierenden gesetzlichen Regelung 68 , die die Mündigkeit im Interesse des Rechtsverkehrs nicht an die individuelle Urteilsfähigkeit, sondern an das Alter des Kindes knüpft. Erscheint die generelle Regelung des Gesetzes für den vermögensrechtlichen Bereich noch als berechtigt, vermag das Interesse des Rechtsverkehrs eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeit des urteilsfähigen Minderjährigen bei personenbezogenen Rechten gerade wegen ihres Persönlichkeitsbezuges nicht mehr zu begründen. Deshalb wird teilweise der urteilsfähige Minderjährige jedenfalls insoweit kraft Verfassungsrechts für handlungsfähig erachtet 69 . Ahnliche Überlegungen führen dazu, daß man heute vielfach im Anschluß an ein obiter dictum des B G H aus dem Jahre 1958 70 den Minderjährigen für rechtBVerfGE 59, 360 (387); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67. Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 71ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III GG Kn.2lff.;Jestaedt, in: BK, Art.6 II und III GG Rn. 144; P. Kirchhof, in: Praxis des neuen Familienrechts, 180; Ossenbühl, Erziehungsrecht, 56f.; Schmitt Glaeser, 53ff. Vgl. auch BVerfGE 72, 155 (173). Von einer Kollision geht auch heute noch Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 17 Rn.6, aus. Im Rahmen eines synkretistischen Ansatzes qualifiziert Nolting-Hauff, 25ff., die verwaltungsrechtlichen Mündigkeitsregelungen einerseits als Eingriff in die Grundrechte des Minderjährigen und begründet sie andererseits nebeneinander mit dem kollidierenden Elternrecht und den aus verschiedenen Gesichtspunkten abgeleiteten staatlichen Schutzpflichten, ohne die Vereinbarkeit dieser verschiedenen, einander widersprechenden Konzepte darzulegen. 66 §1629 I 1 BGB. 67 BVerfGE 72, 155 (170). Ebenso Fehnemann, Innehabung, 34ff., 37; Roell, 51ff.; Hohm, NJW 1986, 3107 (3112f.). 68 Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 17 Rn. 15; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III GG Rn.27; Enderlein, 223 ff.; Reuter, Kindesgrundrechte, 156ff., 178ff.; Rouka, 187. Ebenso für die Prozeßfähigkeit Minderjähriger Reinicke, 248ff. 69 Reuter, Kindesgrundrechte, 178ff., 185; ders., AcP 192 (1992), 117ff.; Schwerdtner, AcP 173 (1973), 245f. In diesem Sinne könnte man auch ein obiter dictum des BVerfGE (BVerfGE 59,360 (387f.)) verstehen, dem allerdings im nächsten Satz eine Aufzählung gesetzlicher Teilmündigkeiten folgt. Dagegen z.B. Enderlein, 227ff. 70 BGHZ 29, 33 (36f.). Eine Zustimmung der Eltern lag nicht vor. Der BGH hielt die erteilte Einwilligung des Minderjährigen wegen unzureichender Aufklärung für unwirksam. Die Frage, 64 65
I. Gesetzliche Vertretung
31
lieh befugt hält, ohne M i t w i r k u n g seines gesetzlichen Vertreters allein ü b e r die Zulässigkeit ärztlicher M a ß n a h m e n und anderer Eingriffe in seine p e r s o n e n b e zogene R e c h t e zu entscheiden, soweit er im k o n k r e t e n Fall bereits „einwilligungsfähig" ist, d.h. Bedeutung und Tragweite des Eingriffs in das b e t r o f f e n e R e c h t s g u t erfassen und sich danach entscheiden kann 7 1 . Allerdings folgt die Entscheidung dieser Frage nicht s c h o n daraus, daß man die Einwilligung heute allgemein nicht m e h r mit den M o t i v e n z u m 1. E n t w u r f des B G B als Willenserklärung72,
sondern mit einer schon früher vertretenen Auffassung 7 3 und dem
heutigen Gesetzgeber 7 4 als W i l l e n s h a n d l u n g bzw. Willensäußerung 7 5 qualifiziert. D e n n eine andere begriffliche E i n o r d n u n g begründet n o c h nicht, w a r u m ob der Minderjährige hätte allein entscheiden können, war deshalb nicht entscheidungserheblich. Im übrigen konnte man angesichts der besonderen Umstände des Falles (Der Minderjährige war fast volljährig und aus der DDR geflohen. Seine Eltern hätten dort unter Repressalien zu leiden gehabt, falls seine Flucht bekannt geworden wäre.) von einem mutmaßlichen Einverständnis der Eltern ausgehen (so auch G. Boehmer, MDR 1959, 707). 71 Belling/Eberl/Michlik, 135; Deutsch, AcP 192 (1992), 175; Dilcher, in: Staudinger12, § 107 BGB Rn. 27; Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 57 VII 4 (883ff.); H. Hübner, A.T.2, Rn. 475; Krüger-Nieland, in: RGRK 12 , § 107 BGB Rn. 11; Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 837; Pesch el-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1626 BGB Rn. 89ff., 96; Strätz, in: Soergel12, § 1626 BGB Rn. 47, § 1629 BGB Rn. 6; OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742 (743); LG München NJW 1980, 646. Zurückhaltend Hinz, in: MünchKommBGB3, §1626 BGB Rn.44. Zur Gegenauffassung vgl. die Nachweise unten in §4 Fn. 90, 91. 72 Deren Wirksamkeit daher die volle Geschäftsfähigkeit voraussetzte, vgl. Motive II, 730, 799. Dem entsprach die Rechtsprechung des Reichsgerichts und zunächst auch des Bundesgerichtshofs sowie die bis 1958 herrschende Lehre; vgl. nur RG JW 1907, 505ff.; 1911, 748f.; RGZ 141,262 (265) und noch BGHZ 2,159ff.; 7,198 (207) sowie LM BGB § 107 Nr. 2 bzw. Zitelmann, AcP 99 (1906), lff., 51 ff.; Engelmann, in: Staudinger7/S, §823 II BGB Anm. B 5; SoergeP, § 107 BGB Anm. 3; Oertmann, Schuldverhältnisse2, § 823 BGB Anm. 7d; Warneyer2, § 107 BGB Anm. I, und nach 1945 Enneccerras/Nipperdey, A.T.15, 2, §210 II (921). 73 Im Anschluß an Protokolle II, 578f.: „Jedenfalls ist es nicht richtig, wenn der Entwurf... davon ausgeht, daß eine Einwilligung immer den Karakter eines Rechtsgeschäfts habe; sie können ganz verschieden zu karakterisieren sein". Oertmann, Schuldverhältnisse2, § 823 BGB Anm. 7 d, verstand dies nur als Hinweis darauf, daß Einwilligungen die Rechtswidrigkeit nicht in allen Fällen ausschließen (so auch jetzt Kohte, AcP 185 (1985), 105 (156ff.)), während andere daraus entnahmen, daß derartige Einwilligungen auch dann wirksam waren, wenn der Einwilligende zwar nicht voll geschäftsfähig war, aber die Fähigkeit hatte, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs angemessen zu beurteilen; vgl. Kiehl, in: RGRK 2 , §106 BGB Anm. 2; Riezler, in: Staudinger7'8, §107 BGB Anm.7; v. Tuhr, A.T. II/l, §59 IV (343). 74 Der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes ging ausdrücklich von der neueren Rechtsprechung und Lehre zur Einwilligung aus (vgl. Diskussionsentwurf, 137ff., 274; Regierungsentwurf, 71 f., 140) und übernahm sie damit ins allgemeine Zivilrecht des BGB. Schon früher fand sie ihren Niederschlag in speziellen Bundesgesetzen (§3 KastrationsG v. 15.8. 1969, BGBl 1969 I, 1143; §§40 IV Nr. 4 S. 1, 41 Nr. 3,4 ArzneimittelG v. 28.8. 1976, BGBl 1976 1,2445) und einigen landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen (vgl. z.B. §21 II 2 brem. UnterbringungsG v. 16.10. 1962, GBl 1962,203; § 26 II 1 PsychKG NRW v. 2.12.1969, GVB11969, 872; § 1912, 3 saarl. UnterbringungsG v. 10.12. 1969, ABl 1970, 22. Zu den heutigen Unterbringungsgesetzen vgl. die Zusammenstellung bei Sauge/Göppinger3, Anhang). 75 Seit BGHZ 29, 33 (36). Vgl. auch BGH NJW 1972, 335ff.; BGHZ 105, 45 (47). Allgemein dazu Kohte, AcP 185 (1985), 105ff.
32
5 4 Die Funktion der Betreuung
die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen entgegen den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers 76 nicht auch für die Einwilligung zu Eingriffen in personenbezogene Rechte notwendig sein sollte. Der B G H stützte deshalb seine Auffassung darauf, daß der Schutz des Minderjährigen durch die Regelungen der §§ 107ff. B G B dann nicht mehr geboten sei und deshalb entfallen könne, wenn er einwilligungsfähig sei. Mochte dies als rechtspolitische Kritik für die Anwendung des geltenden Rechts unbeachtlich sein, galt das nicht für den unterstützenden Hinweis auf die Anerkennung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen im Strafrecht 77 . Erst die nähere Analyse zeigt, daß die Entwicklung im Strafrecht wesentlich mit der besonderen strafrechtlichen Handlungsfähigkeit des Minderjährigen zur Stellung eines Strafantrags auch gegen den Willen seines gesetzlichen Vertreters78 zusammenhing und daher nicht ins Zivilrecht übertragbar war, das gerade keine derartige Sonderregelung enthielt 79 . Deshalb verweist man heute regelmäßig darauf, daß die Handlungsfähigkeit des einwilligungsfähigen Minderjährigen im Hinblick auf seine personenbezogene Rechte aus seinem Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 I i.V.m. 1 I G G ) folge und deshalb verfassungsrechtlich gefordert sei80. Hier mündet die Diskussion um die Einwilligung des Minderjährigen in die allgemeine Diskussion um seine Grundrechtsmündigkeit. Mittlerweile ist allgemein anerkannt, daß aufgrund des Persönlichkeitsrechts des Minderjährigen seine Einwilligung zu einem Eingriff in seine personenbezogenen Rechte erforderlich ist, soweit er Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu beurteilen vermag81. Darin zeigt sich der Charakter der elterlichen Sorge als Pflichtrecht, der es ausschließt, in diesem Fall gegen den Wunsch des Min76 Nach § 706 des 1. Entwurfes zum BGB sollte die Einwilligung des Verletzten den Anspruch auf Schadensersatz ausschließen. Er wurde gestrichen, weil die Einwilligung die Rechtswidrigkeit nicht immer ausschließe, und er damit zu weit gefaßt sei (Protokolle II, 578f.). Nicht die Geschäftsfähigkeit bzw. die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters als Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung, sondern die Rechtsfolgen der Einwilligung sollten also anders bestimmt werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen blieb es daher beim ausdrücklichen Hinweis in den Motiven zum 1. Entwurf auf die Regelungen der Geschäftsfähigkeit einschließlich der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (Motive II, 730).
BGHZ 29, 33 (37). § 65 RStGB bzw. später § 77 III 3 StGB, der durch Art. 7 §34 Nr. 1 BtG zum 1.1.1992 aufgehoben wurde. 79 Pawlowski, Festschrift Hagen, 8 ff. 80 Belling/Eberl/Michlik, 135f. Ähnlich Reuter, AcP 192 (1992), 118, 123, der allerdings die Frage offenläßt, ob eine neue Teilmündigkeit erst durch den Gesetzgeber geschaffen werden kann. Auf die Höchstpersönlichkeit der Entscheidung ohne deren verfassungsrechtlichen Bezug stellen ab Kern, NJW 1994, 755; Deutsch, AcP 192 (1992), 175. 81 BGH NJW 1974,1947 (1950) - obiter dictum; O L G Düsseldorf FamRZ 1984,1221 (1222); O L G Karlsruhe FamRZ 1983,742 (743); Belling/Eberl/Michlik, 127ff.; Belling/Eberl, FuR 1995, 290; Flume, A.T. II 3 , § 13,11 (219f.); Gitter, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 104 BGB Rn. 89-Jäger, 144ff.; Pawlowski, Festschrift Hagen, 17ff.; Reiserer, 102ff.; Strätz, in: Soergel12, §1629 B G B Rn. 6. Vgl. auch die Nachweise unten in §4 Fn. 90, 91. 77 78
I. Gesetzliche
Vertretung
33
derj ährigen zu handeln. Sein Persönlichkeitsrecht ist damit die Grundlage für eine immanente Begrenzung der elterlichen Sorge im Einzelfall, die §1626 II BGB und den damit verbundenen Vorstellungen des Gesetzgebers82 entspricht. Aus ihm läßt sich jedoch nicht ableiten, daß er damit schon im Hinblick auf alle personenbezogenen Rechte von Rechts wegen allein entscheiden kann und daher teilmündig ist83. Denn auch für die Eheschließung, die nicht nur ihrem Inhalt nach personenbezogen84, sondern rechtlich als höchstpersönliche Entscheidung85 ausgestaltet ist, bedarf der Minderjährige der Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter bzw. der Personensorgeberechtigten86, die Ausfluß der Personensorge ist und seinem Wohl dient87. Darüber hinaus stellt die Einführung einer neuartigen Teilmündigkeit eines Minderjährigen eine allgemeine Einschränkung des Elternrechts aus Art. 6 II 1 G G dar, die wegen des Gesetzesvorbehaltes bei Eingriffen in Grundrechte dem
82 Vgl. BT-Drucks. 8/2788,34. Allgemein z u r Bedeutung des § 1626 II B G B Hinz, in: M ü n c h K o m m B G B 3 , § 1626 B G B R n . 5 7 f f . 83 M ü n d i g k e i t bedeutet Alleinentscheidungsbefugnis ( L a r e n z / W o l f , A.T. 8 , § 6 Rn. 19), gleich ob sie v o m Alter oder von der individuellen Reife abhängt. Das w i r d vielfach verkannt (z.B. Belling/Eberl/Michlik, 127). 84 Entschluß zur Heirat u n d Partnerwahl gehören z u m personalen Kernbereich (Schwab, Festschrift R e b m a n n , 692). 85 D.h. der Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter entzogen ist ( E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y , A.T. 1 5 2, § 178 V (1095); Reichel, 1; und schon die M o t i v e IV, 1085). Es ist deshalb irreführend, w e n n mit dem Begriff der „Höchstpersönlichkeit" nicht nur der Ausschluß der Vertretung durch den (gesetzlichen) Vertreter, sondern zugleich ihr sachlicher Grund, nämlich die Zugehörigkeit z u m personalen Kernbereich bezeichnet w i r d (so z.B. Diskussionsentwurf, 118; Regierungsentw u r f , 65; österr. O G H , JB1 1998, 443 (444); aber auch Schwab, Festschrift Rebmann, 688, 692.). Werden sachlicher Gehalt der Entscheidung und rechtliche U m s e t z u n g des Entschlusses i m Rechtsverkehr nicht mehr auseinandergehalten, entsteht die Gefahr, den A u s s c h l u ß der Vertretung bei einem Rechtsakt mit dessen Höchstpersönlichkeit zu „begründen", eine Gefahr, der in der Diskussion u m die „Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten" viele erlegen sind (dazu unten § 7 I.I.). 86 § § 1303 II - IV, 107 BGB, die sachlich die früheren § § 1 , 3 EheG zusammenfassen ( H e p t i n g , F a m R Z 1998, 716). 87 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 4 , § 9 III 4 (89f.); Müller-Gindullis, in: M ü n c h K o m m B G B 3 , § 3 EheG R n . 19; Dölle, Familienrecht I, § 15 II 1 d (173); und schon die M o t i v e IV, 11, f ü r die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nach § 1 3 0 4 B G B a.F. D e m g e g e n ü b e r hatte der historische Gesetzgeber des B G B die bis z u m 25. Lebensjahr des Kindes einzuholende Einw i l l i g u n g der Eltern nach §§ 1305f. B G B a.F. als ein in ihrem persönlichen Interesse u n d i m Interesse der Familie bestehendes eigenes Recht bezeichnet (Motive IV, 25). N a c h d e m einerseits schon § 3 EheG diese Zweispurigkeit aufgegeben hatte u n d nur noch die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen verlangte u n d andererseits heute die elterliche Sorge allein v o m Wohl des Kindes her legitimiert w e r d e n kann, ist die Grundlage f ü r eine eigennützige Befugnis der Eltern entfallen. Allerdings w e r d e n die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht i m m e r erkannt u n d deshalb auch eigene Interessen der Eltern oder der Familie als G r u n d f ü r die Verweigerung der Einwilligung anerkannt (vgl. Diederichsen, in: Palandt 5 8 , § 1303 B G B R n . 18; u n d für § 3 EheG a.F. ebenso B G H Z 21, 340 (345, 348); Heintzmann, in: Soergel 1 2 , § 3 EheG R n . 11, 13; dagegen z.B. Lüderitz, Familienrecht 2 7 , R n . 141f., 144).
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§4 Die Funktion der
Betreuung
Gesetzgeber vorbehalten ist 88 . S o w o h l nach der K o n z e p t i o n des B G B wie auch nach der Ansicht des heutigen Gesetzgebers 8 9 braucht aber auch das bereits einwilligungsfähige K i n d bei seinen Entscheidungen noch den Schutz durch die zwingende Beteiligung seiner gesetzlichen Vertreter. D e r B G H hat daher in späteren Entscheidungen neben der Einwilligung des Minderjährigen in die Operation zusätzlich die der gesetzlichen Vertreter f ü r erforderlich gehalten, u m die Rechtswidrigkeit des Eingriffs auszuschließen 9 0 . Diese Auffassung gewinnt in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur langsam an Boden 9 1 und dürfte auch f ü r das Strafrecht zutreffen 9 2 , nachdem die besondere strafrechtliche Handlungsfähigkeit des Minderjährigen beim Strafantrag seit dem 1 . 1 . 1 9 9 2 entfallen ist 93 , die am Ausgang der strafrechtlichen Lehre v o n der alleinigen Einwilligungsbefugnis des Minderjährigen stand 94 . 88 Pawlowski, Festschrift Hagen, 15f. In diese Richtung deutet BVerfGE 59, 360 (382, 388). Vgl. auch Reuter, Kindesgrundrechte, 178ff., 185; ders., AcP 192 (1992), 123. Das übersehen Kohte, AcP 185 (1985), 150; und Rouka, 132ff., die eine feste Altersgrenze nur mit dem Gedanken der Rechtssicherheit verbinden. Jestaedt (in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 150ff.) betont zwar, daß eine Herabsetzung der Mündigkeit gegenüber dem Elternrecht aus Art. 6 II 1 GG gerechtfertigt werden muß, spricht aber den Vorbehalt des Gesetzes bei Eingriffen in Grundrechte nicht an. 89 Vgl. nur die Regelung für die mit derartigen Eingriffen in personenbezogene Rechte verbundene klinische Prüfung in §40 IV Nr.4 ArzneimittelG (v. 24.8. 1976, BGBl 1976 I, 2445, in der Fassung v. 19.10. 1994, BGBl 1994 I, 3018) oder §17 IV Nr.4 MedizinprodukteG (v. 2.8. 1994, BGBl 1994 I, 1963) oder für die Mitteilung personenbezogener Daten in §45 I JugendarbeitsschutzG (v. 12.4.1976, BGBl 19761,965). Die dagegen angeführten Regelungen der §§ 52 II 1, 81c III 2 StPO {Kohte, AcP 185 (1985), 147; Lenckner, in: Schönke/Schröder25, vor §32 StGB Rn. 40 a.E.) betreffen nicht den allgemeinen Rechtsverkehr, sondern die Ausübung von Rechten innerhalb eines Verfahrens, in dem der Schutz des Minderjährigen vom Gericht bzw. von der Staatsanwaltschaft (im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, § 161a StPO) gewährleistet werden kann. Liegt hierin auch ein Abbau des Schutzes Minderjähriger im Strafverfahren, hat der Gesetzgeber für den allgemeinen Rechtsverkehr gleichwohl ausdrücklich an dem bisherigen Schutz durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters festgehalten. Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber keine neue Teilmündigkeit geschaffen hat, läßt sich daher (entgegen Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 837) keine stillschweigende Billigung „der" Rechtsprechung zur Alleinentscheidungsbefugnis Minderjähriger ableiten, zumal es eine Reihe anderslautender Entscheidungen gibt (vgl. die Nachweise in den folgenden Fußnoten 90, 91). 90 BGH NJW 1972, 335 (337). Ebenso BGH NJW 1991, 2344 (2345); NJW 1970, 510 (512f.) und - obiter - NJW 1974, 1947 (1950). 91 Vgl. aus der Rechtsprechung neben den eben in §4 Fn. 90 zitierten Entscheidungen des BGH noch OLG Hamm NJW 1998, 3424f.; OLG Düsseldorf FamRZ 1984, 1221 (1222); BayObLG FamRZ 1987, 87 (89). Aus der Literatur Gitter, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 104 BGB Rn. 8 8 f . - J ä g e r , 144ff.; Lüderitz, AcP 178 (1978), 277f.; Pawlowski, Festschrift Hagen, 17ff.; Reiserer, 106ff.; Scherer, FamRZ 1997, 592. Im Ergebnis auch Flume, A.T. II3, §13,11 (219f.); Medicus, A.T.7, Rn. 201; Heinrichs, in: Palandt58, Vor § 104 BGB Rn. 8; Teichmann, in: Jauernig 8 , § 823 BGB Rn. 54. 92 Ebenso M. Köhler, Strafrecht A.T, 251 ff. Die h.M. im Strafrecht ist allerdings anderer Auffassung, vgl. nur Jescheck/Weigend, A.T.5, 382; Lenckner, in: Schönke/Schröder25, vor § 32 StGB Rn. 39ff. 93 § 77 III 3 StGB wurde durch Art. 7 § 34 Nr. 1 BtG zum 1.1. 1992 aufgehoben. Seitdem kann nicht mehr der Minderjährige selbst, sondern nur sein gesetzlicher Vertreter oder (im Falle des
I. Gesetzliche
Vertretung
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Auch das BVerfG 95 hielt die gesetzliche Vertretung Minderjähriger insoweit für gerechtfertigt, als sie deren Schutz insbesondere vor dem Abschluß von Verträgen diene, die nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse liegen. Der Schutz des Minderjährigen vor den Gefahren des Rechtsverkehrs wird jedoch nicht durch die dem gesetzlichen Vertreter zukommende Vertretungsmacht erreicht. Er besteht vielmehr darin, daß das Rechtsgeschäft des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen nach §§ 107, 108 B G B zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedarf96 und er selbst nach §§51, 52 ZPO von der eigenverantwortlichen Führung eines Prozesses ausgeschlossen wird97. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder sein stellvertretendes Handeln gleichen nur die Beschränkung seiner Geschäftsfähigkeit bzw. seine Prozeßunfähigkeit aus. Nicht die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters, sondern die Beschränkung der Geschäfts- bzw. Prozeßfähigkeit des Minderjährigen dient demnach seinem Schutz. Mit dem Schutz des Minderjährigen läßt sich die Vertretungsmacht seines gesetzlichen Vertreters deshalb nicht ausreichend begründen. Den gemeinsamen Ausgangspunkt der hier skizzierten Auffassungen bildet das überkommene Verständnis der gesetzlichen Vertretung als Ausgleich für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Kindes. Doch ist die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen nach § 162911 B G B ein Bestandteil der elterlichen Sorge und endet wie diese erst mit Eintritt der Volljährigkeit 98 . Bis dahin sind die Eltern für Person und Vermögen des Kindes verantwortlich, auch wenn das Kind teilweise schon zu eigenen Entscheidungen in der Lage ist und sie das bei der Ausübung ihrer Sorge berücksichtigen müssen99. Selbst wenn es vor Eintritt der Volljährigkeit durch Gesetz für bestimmte Bereiche für mündig erklärt und damit uneingeschränkt handlungsfähig wird, bleibt das Recht und die Pflicht der Eltern bestehen, für das Kind zu sorgen und es zu vertreten100. Mit Eintritt § 1673 II 2 BGB) sein Personensorgeberechtigter Strafantrag stellen (vgl. BGH NJW 1994, 1165f.; Stree, in: Schönke/Schröder25, §77 StGB Rn. 15). Dies läßt sich nicht mit der alleinigen Befugnis des Minderjährigen vereinbaren, durch seine Einwilligung die Strafbarkeit auszuschließen (a.A. Bender, MedR 1997, 14, der dabei übersieht, daß es allein um die Frage der Entscheidungsbefugnis geht, nicht um die Bestimmung des Rechtsgutsinhabers). 94 Vgl. dazu Pawlowski, Festschrift Hagen, 8 ff. 95 BVerfGE 72, 155 (172). 96 Dazu grundlegend Thiele, 158ff., 161; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1629 BGB Rn. 5. 97 So im Anschluß an den historischen Gesetzgeber (Begründung zu §§50ff. CPO (= §§51 ff. ZPO), bei Hahn 2/1,167; ausführlich dazu^«g. Fuchs, Gruchot 29 (1885), 595ff.) die ganz h.M., die sich auf den Schutz des Minderjährigen beruft (ausführlich Henckel, 67ff., 70ff.; vgl. noch RG LZ 1933, 591 f.; Bork, in: Stein/Jonas21, §51 ZPO Rn.2f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald 15 , §44 II 1 (225), jeweils m.w.N.; dagegen Koch, in: AK-ZPO, § 52 Rn. 8; Grunsky, Grundlagen2, § 27 II 2 (253f.); und schon Oertmann, Iudicium 1 (1928/29), 169ff.). 98 §§2, 16261 1 BGB. 99 §1626 11 1 BGB. 100 Wie hier Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 154. Für die Vertretung des Minderjährigen im Prozeß auch Fehnemann, Innehabung, 47ff. Für den Verwaltungsgerichtsprozeß Kopp/ Schenke", §62 VwGO Rn.9.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
der Teilmündigkeit entfällt zwar die Befugnis der Eltern zur Bestimmung über das Kind, nicht aber ihr Recht und ihre Pflicht zur Fürsorge in Form seiner Unterstützung. Allein aufgrund ihrer weiterbestehenden Unterstützungspflicht sind beispielsweise die Eltern eines über 14jährigen und damit religionsmündigen 101 Kindes berechtigt, als dessen gesetzliche Vertreter Klage zu erheben, um seine diesbezüglichen Wünsche durchzusetzen 1 0 2 . Entsprechendes gilt für die sachlich beschränkte sozialrechtliche Handlungsfähigkeit des Minderjährigen ab Vollendung des 15. Lebensjahres 1 0 3 , für die aufgrund einer Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters eintretende Erweiterung der Geschäftsfähigkeit nach §§112, 113 B G B oder für seine Generaleinwilligung zu den Geschäften des Minderjährigen nach § 1 0 7 B G B 1 0 4 . Die Eltern können und müssen in Ausübung ihrer weiterbestehenden Sorge sowohl die aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 3 6 1 1 S G B I 1 0 5 als auch die aufgrund ihrer Entscheidung bestehende Handlungsfähigkeit des Minderjährigen einschränken oder zurücknehmen 1 0 6 , soweit es dessen Wohl erfordert, wobei im Falle des § 112 B G B sowohl die Ermächtigung wie deren Rücknahme an die vorherige Kontrolle des Vormundschaftsgerichts gebunden ist. Besteht aber die elterliche Sorge fort, schließt sie nach § 1629 I 1 B G B die Vertretungsbefugnis mit ein. Die h.L. nimmt demgegenüber in den Fällen der § § 1 1 2 , 1 1 3 B G B an, daß mit der bereichsbezogenen vollen Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen die gesetzliche Vertretungsmacht erlösche 1 0 7 . Sie beruht in erster Linie auf der Auffassung, die gesetzliche Vertretung ersetze die fehlende oder beschränkte Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen und sei deshalb mit dessen unbeschränkter 101 § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung - RelKErzG - vom 15.7. 1921, RGBl 1921 I, 939. 102 BVerwGE 68, 16 (18f.); OVG Lüneburg, NVwZ 1992, 79 (80). Zustimmend Umbach, Festschrift Geiger, 373f.; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 154; Hinz, in: MünchKommBGB 3 ,5 5 RelKErzG Rn. 4. In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hatten die Eltern sogar in eigenem Namen Klage erhoben, was das BVerwG im Einklang mit der h.M. für zulässig hielt (vgl. zum Streitstand Hinz, in: MünchKommBGB3, § 1629 BGB Rn.4f.). 103 §36 11, II 2 SGB I. Dem entspricht ihre Prozeßfähigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren, § 72 II SGG. Zu § 36 SGB I und seiner Bedeutung für die allgemeine Rechtsstellung des Minderjährigen Coester, FamRZ 1985, 982ff. 104 Dazu Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 107 BGB Rn.24; kritisch Scherner, FamRZ 1976, 673 ff. 105 §36 I I I SGB I. 106 §§112 II, 113 II BGB. Der Widerruf einer Generaleinwilligung nach §107 BGB ist nach §183 BGB bis zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes, d.h. jederzeit mit Wirkung für die Zukunft möglich (vgl. Larenz/Wolf, A.T.8, §25 Rn.32). 107 Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 112 BGB Rn. 8, § 113 BGB Rn. 24; Hefermehl, in: Soergel12, § 112 BGB Rn. 1; H. Köhler, A.T.23, § 17 Rn. 34; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 112 BGB Rn. 1, § 113 BGB Rn. 10; Medicus, A.T.7, Rn. 583, und schon v. Tuhr, A.T. II/l, §59 VIII2 (355); Dernhurg, Bürgerliches Recht I 3 , § 122 IV (410); Flad, in: Planck4, § 112 BGB Anm. 1, § 113 BGB Anm. 1; Oertmann, A.T., § 112 BGB Anm. 5b, § 113 BGB Anm. 5c; für § 112 BGB auch Flume, A.T. II 3 , §13, 8 (208f.). A.A. dagegen Cosack, Lehrbuch I 4 , §55 II 7 b (168f.); Crome, System I, §83 114 (370).
I. Gesetzliche
Vertretung
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Geschäftsfähigkeit unvereinbar 108 . Schon Cosack109 hat allerdings darauf hingewiesen, daß die vom Gesetz in §§ 112 11,113 11 B G B als unbeschränkt bezeichnete Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen anders als die eines Volljährigen durch die auf der elterlichen Gewalt beruhende Möglichkeit zur Rücknahme oder Einschränkung der Ermächtigung beschränkt sei. Flume110 meint deshalb, die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen beschränke zugleich die elterliche Gewalt, was sich allerdings weder mit §§2,1626 B G B vereinbaren läßt, noch für §§112 II, 113 II B G B eine Erklärung bietet. Teilweise begründet man deshalb den Ausschluß der gesetzlichen Vertretung damit, eine Einmischung des gesetzlichen Vertreters widerspreche generell dem Sinn der Ermächtigung 111 und bei §112 B G B zudem der Genehmigungsbedürftigkeit ihrer Rücknahme 112 . Im Rahmen des § 113 B G B kommt die h.L. jedoch vielfach zu denselben Ergebnissen wie die hier vertretene Konzeption, indem sie das Handeln des gesetzlichen Vertreters als konkludente Rücknahme oder Einschränkung der Ermächtigung qualifiziert 113 . Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb das unterstützende Handeln des gesetzlichen Vertreters notwendig zugleich die Einschränkung der Ermächtigung bedeuten soll. Die h.L. übersieht, daß der gesetzliche Vertreter nicht nur gegen oder ohne den Willen des Minderjährigen, sondern auch zu seiner Unterstützung tätig werden kann. Grundlage dafür ist aber keine Vollmacht des Minderjährigen, sondern das Sorgerecht des gesetzlichen Vertreters 114 . Dieser Zusammenhang schließt es demnach auch beim Minderjährigen aus, die gesetzliche Vertretung auf seine beschränkte Handlungsfähigkeit zurückzuführen. Sie hat ihren Grund vielmehr in der elterlichen Sorge115. Die elterliche Sorge wird ihrerseits auf das Bedürfnis des Kindes nach Pflege und Erziehung bezogen, dem es noch an der vollen Fähigkeit zur Selbstbestimmung fehlt und das deshalb zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung hingeführt werden 108 Larenz/Wolf, A.T. 8 , §25 Rn.67; v. Tuhr, A.T. II/l, §59 VIII 2 (355); Dernburg, Bürgerliches Recht I 3 , § 122 IV (410); Oertmann, A.T., § 112 BGB Anm.5b. 109 Cosack, Lehrbuch I 4 , §55 II 7 b (168f.). 110 Flume, A.T. II 3 , §13, 8 (209). 111 Dernburg, Bürgerliches Recht I 3 , § 122IV (410); Flad, in: Planck4, § 112 BGB Anm. 1, § 113 BGB Anm. 1; Oertmann, A.T., §112 BGB Anm. 5b, §113 BGB Anm. 5c; für §112 auch Harne, A.T. II 3 , §13, 8 (209). 112 Oertmann, A.T., § 112 BGB Anm. 5b. 113 Flume, A.T. II 3 , § 13, 8 (209f.); Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 113 BGB Rn.24; H. Köhler, A.T. 23 , § 17 Rn. 36; Oertmann, A.T., § 113 BGB Anm. 5c. 114 Ebenso für die aus seinem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten - hier abgelehnte - Mündigkeit des Minderjährigen für Entscheidungen über seine personenbezogenen Rechte Belling/ Eberl/Michlik, 137. 115 Das legt schon die Formulierung des § 162911 B G B nahe und entspricht auch der Auffassung des historischen Gesetzgebers (vgl. dazu oben §4 Fn.30). Aus der heutigen Literatur vgl. Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 803f.; Schwab, Familienrecht9, Rn. 540; Henrich5, §19 I (215); Schlüter, Familienrecht8, Rn. 349.
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5 4 Die Funktion der Betreuung
muß 116 . Die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen beruht daher nicht auf dessen beschränkter Handlungsfähigkeit im Rechtsverkehr, sondern darauf, daß seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung altersbedingt eingeschränkt ist. Umgekehrt bildet die unbeschränkte Handlungsfähigkeit nicht den Grund der Volljährigkeit, sondern ist lediglich die Folge der mit dem Eintritt der Volljährigkeit zuerkannten vollständigen Selbstbestimmung und damit der Mündigkeit 117 . Das minderjährige Kind benötigt seinen gesetzlichen Vertreter, weil es infolge seines Alters (noch) nicht zur vollen Selbstbestimmung in der Lage ist und deshalb Unterstützung und Beistand braucht. Nur wenn und soweit dem Kind die Fähigkeit zur vollständigen Selbstbestimmung fehlt, stellt sich überhaupt die Frage, ob neben der gesetzlichen Vertretung zu seinem Schutz besondere Beschränkungen seiner Handlungsfähigkeit im Rechtsverkehr erforderlich sind. Die gesetzliche Vertretung erweist sich daher als organisatorische Einrichtung zur Verwirklichung der elterlichen Sorge. Damit ist noch nicht geklärt, inwieweit gerade die gesetzliche Vertretung zur Ausübung der elterlichen Sorge erforderlich ist. In der rechtspolitischen Diskussion um die Neubestimmung des Umfangs der elterlichen Vertretungsmacht nach dem Beschluß des BVerfG vom 13.5. 1986 118 hat man die gesetzliche Vertretung des Kindes durch die Eltern gegenüber einer elterlichen Treuhand über das Kindesvermögen 119 damit gerechtfertigt, daß sie den Rechtsverkehr besser schütze 120 und unternehmerisches Handeln statt der bloßen Verwaltung des Vermögens erlaube 121 . Während letzteres nur auf die Vertretung in vermögensrechtlichen, nicht aber in personenrechtlichen Angelegenheiten zutrifft und deshalb keine allgemeine Begründung für die gesetzliche Vertretung darstellt, verkennt der Ansatz beim Verkehrsschutz die Notwendigkeit, die gesetzliche 116 BVerfGE 72, 155 (172); 59, 360 (382, 387); 24, 119 (144); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 65; Därig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III GG Rn. 22; Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 105,140,142 ; Larenz/Wolf, A.T.8, §46 Rn. 13; Moritz, 140ff.; Schwab, AcP 172 (1972), 270. Vgl. auch BGH NJW 1972, 335 (337): Der Minderjährige unterliegt der Personensorge und bedarf deshalb nach dem Gesetz der Unterstützung durch die als überlegen vorgestellte Einsichts- und Urteilsfähigkeit des gesetzlichen Vertreters. 117 Mayer-Maly, FamRZ 1970, 619, 620f.; Schwab, JZ 1970, 745; ders., AcP 172 (1972), 270. 118 BVerfGE 72,155ff.: Die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerinnen hatte das von ihnen gemeinsam ererbte Handelsgeschäft in ungeteilter Erbengemeinschaft fortgeführt und für die dabei entstandenen Schulden auch als gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder ein Schuldanerkenntnis erteilt. Der B G H (BGHZ 92, 259ff.) hielt dies für wirksam und verurteilte die Kinder dementsprechend. Auf ihre Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG das Urteil des B G H auf, verwies die Sache an den BGH zurück und verpflichtete den Gesetzgeber zur Neuregelung. Dem kam der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1629a BGB durch das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger (Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz MHbeG) v. 25.8.1998, BGBl 1998 1,2487, nach. Vgl. dazu Behnke, NJW 1998,3078ff.; DaunerLieb, ZIP 1996, 1816ff.; Habersack/Schneider, FamRZ 1997, 649ff. 119 Dafür z.B. Ramm, NJW 1989, 1711f. 120 K. Schmidt, NJW 1989, 1715. 121 Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 133ff.
I. Gesetzliche
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Vertretung vom Persönlichkeitsrecht des Kindes her zu begründen. Soweit sie nicht vom Kind her als Einrichtung zu seinem Wohl erforderlich ist, ist sie verfassungsrechtlich mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes nicht vereinbar122. Der häufige Hinweis auf das Elternrecht des Art. 6 II 1 G G als Grundlage für die gesetzliche Vertretung beruht noch auf der früheren Vorstellung einer Kollision von Kindesgrundrechten und Elternrecht, die bereits durch die Einsicht in den Charakter des Elternrechts als Pflichtrecht überwunden ist. Das Elternrecht stellt keine eigennütziges, sondern ein fremdnütziges Recht dar, das im Interesse des Kindes besteht. Soweit die gesetzliche Vertretung kein Rechtsinstitut um des Kindes willen ist, wird sie deshalb auch durch das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht nicht begründet. Zudem läßt sich auf Art. 6 II 1 G G nur die gesetzliche Vertretung durch die „Eltern" stützen. Die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen durch den Vormund oder Pfleger würde damit jedenfalls zweifelhaft123 und die eines Volljährigen durch den Betreuer oder Pfleger insgesamt unzulässig124. Weiterführend erscheint die Überlegung, die gesetzliche Vertretung des Kindes durch die Eltern ermögliche es, die Entscheidungen und Handlungen der Eltern als diejenigen des Kindes auszuweisen und damit das Kind als Rechtssubjekt anzuerkennen. Anders als bei der Treuhandschaft der Eltern über das Kindesvermögen oder dem Vertrag mit Schutzwirkung für das Kind bzw. zu seinen Gunsten sei das Kind dabei nicht nur Begünstigter und Nutznießer, sondern handele durch seinen gesetzlichen Vertreter selbst. Insofern liege in der gesetzlichen Vertretung nicht lediglich die Fremdbestimmung des Kindes durch die Eltern, sie stelle vielmehr ein Mittel dar, mit dessen Hilfe das Kind seine Persönlichkeit im Rechtsverkehr entfaltet125. Diese Überlegung ist als „Harmonisierungsthese" kritisiert worden, die das Verhältnis von Freiheit und Fürsorge im Ungewissen lasse und damit im Ergebnis der Fremdbestimmung Vorschub leiste126. Das trifft insoweit zu, als damit nur der Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Fürsorge bezeichnet, nicht aber das Verhältnis selbst schon bestimmt ist. Die Kritik stellt daher genau genommen keinen Einwand gegen den Grundgedanken dar, daß die gesetzliche Vertretung die Selbstbestimmung des Vertretenen verwirklicht. Sie verweist jedoch zutreffend darauf, daß damit noch nicht die Antwort, sondern zunächst nur die Fragestellung formuliert worden ist, die erst noch konkretisiert und
BVerfGE 72, 155 (172). Zum Streit, ob dem Vormund oder Pfleger das Grundrecht aus Art. 6 II 1 GG zusteht, vgl. Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn.87ff. 124 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 7 1 1 (61). 125 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 7 I (60ff.), §57 VI 1 (878) und schon Gernhuber, FamRZ 1962, 89 (92); Pawlowski, A.T.5, Rn. 134. Ebenso Thiele, 72ff. Vgl. auch Reuter, AcP 192 (1992), 123 f. 126 Reuter, Kindesgrundrechte, 23, 42, 59; Moritz, 61, 149. 122 123
40
§ 4 Die Funktion der Betreuung
entfaltet werden muß127. Da diese Überlegung in gleichem Maße Gültigkeit auch für die gesetzliche Vertretung eines Volljährigen durch seinen Betreuer beansprucht128, soll sie nun eingehender betrachtet werden.
II.
Die Betreuung
1. Rechtssubjekt,
als
subjektives
Handlungsorganisation Recht und
Rechtsperson
Der Gedanke, die gesetzliche Vertretung diene dazu, den Vertretenen als Rechtssubjekt anzuerkennen, wirft zunächst die Frage auf, was die Anerkennung als Rechtssubjekt rechtlich bedeutet, welche rechtlichen Zusammenhänge also damit angesprochen sind. Herkömmlich versteht man das Rechtssubjekt als einen Träger von Rechten und Pflichten129. Rechtssubjekt ist damit jeder, der rechtsfähig ist. Da das B G B allen Menschen gleichermaßen Rechtsfähigkeit zuspricht130, ist in diesem Sinne jeder Mensch Rechtssubjekt. Dann bedürfte es allerdings keines weiteren Rechtsinstituts wie der gesetzlichen Vertretung, um einen Menschen als Rechtssubjekt anzuerkennen. Diese Anerkennung wäre bereits mit der Anerkennung seiner Rechtsfähigkeit erfolgt. Das Verständnis der Rechtsfähigkeit als der Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, ist jedoch auf Kritik gestoßen131. Sie verweist darauf, daß die Rechtsfähigkeit als Rechts trägerschaft zu einseitig vom bloßen Innehaben eines Rechtes her bestimmt wird. Dabei werde außer acht gelassen, daß das subjektive Recht auch eine Handlungskompetenz hinsichtlich des Gegenstandes vermittle, auf den sich das Recht beziehe. Rechtsfähigkeit umfasse auch die Möglichkeit zur Ausübung dieser rechtlichen Handlungskompetenz, also das Handelnkönnen132. Damit wird jedoch die Rechtsfähigkeit des unmündigen Menschen und seine Stellung als Rechtssubjekt zum Problem. Dieses Problem 127 Eine solche Konkretisierung unternimmt der Sache nach auch Reuter, Kindesgrundrechte, 59ff., der damit Gernhuber näher steht, als es zunächst den Anschein hat. 128 Anklänge daran finden sich bei Müller-Freienfels, Vertretung, 340, den Bienwald, Untersuchungen, 303, zustimmend zitiert, ohne allerdings daraus Konsequenzen für die Rechtsstellung des Gebrechlichkeitspflegers abzuleiten. In diese Richtung deutet auch der Hinweis auf Betreuung und Vormundschaft bei Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 7 1 (60ff.). 129 Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, §83 I (312); Fahse, in: Soergel12, Vor § 1 BGB Rn.3; Habermann/Weick, in: Staudinger13, Vorbem. zu § 1 BGB Rn. 1; Heinrichs, in: Palandt58, Uberblick vor § 1 BGB Rn. 1; H. Hühner, A.T.2, Rn. 123; H. Köhler, A.T. 23 , § 8 Rn. 1. 130 § 1 BGB setzt dies voraus. Vgl. Motive 1,25; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 1 Rn. 3; Hahermann/Weick, in: Staudinger13, Vorbem. zu § 1 BGB Rn. 2, § 1 B G B Rn. 1; H. Hübner, A.T.2, Rn. 123; H. Köhler, A.T. 23 , §8 Rn.2. 131 In neuerer Zeit Müller-Freienfels, Vertretung, 155ff., 176ff.; Fabricius, 31 ff., 43ff., 235ff., beide m.w.N. zur früheren Kritik. Ebenso Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 1 BGB Rn. 5ff. Vgl. auch v. Lübtow, Festschrift Wolf, 422f. 132 Müller-Freienfels, Vertretung, 184f.; Fabricius, 43ff.
II. Die Betreuung als Handlungsorganisation
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wird mit der Wendung, daß es um potentielles Handelnkönnen gehe133 bzw. auch das Handeln durch einen anderen mit umfaßt sei134, eher verdeckt als gelöst. Wird die gesetzliche Vertretung dagegen mit einer Verteilung der Rechtsmacht des subjektiven Rechts auf gesetzlichen Vertreter und Vertretenen 135 oder gar damit erklärt, in Wirklichkeit sei der gesetzlicher Vertreter Träger des subjektiven Rechts 136 , wird dem Vertretenen die ihm von der Rechtsordnung zugedachte Rechtsstellung teilweise oder gar ganz wieder genommen und dem gesetzlichen Vertreter zugewiesen. Dann nimmt dieser aber nicht mehr als Vertreter, sondern kraft eigenen Rechts am Rechtsverkehr teil. Die gesetzliche Vertretung wird mit dieser Auffassung also nicht erklärt, sondern beseitigt137. Jhering hat deshalb eine Lösung darin gesucht, die Handlungskompetenz aus dem Begriff des subjektiven Rechts vollständig zu entfernen und seine Funktion mit dem rechtlichen Schutz von Interessen zu beschreiben, die ein Unmündiger ebenso hat wie ein Mündiger 138 . Der Hinweis auf die menschlichen Interessen, die mit dem Gegenstand eines Rechts befriedigt werden können, erklärt zwar, warum es auch für einen unmündigen Säugling sinnvoll ist, ein Recht an diesem Gegenstand zu haben. Offen bleibt jedoch, was der mit dem subjektiven Recht an diesem Gegenstand verbundene rechtliche Schutz bedeutet, den sein als Rechtssubjekt bezeichneter Inhaber genießt139. Bezieht man aber mit der heute überwiegend vertretenen Auffassung den durch das subjektive Recht vermittelten rechtlichen Schutz in Begriff des subjektiven Rechts mit ein140, sieht man sich wiederum dem Problem gegenüber, daß nur der Mündige diesen Schutz selbständig fordern und die damit verbundenen Befugnisse selbst eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Das subjektive Recht scheint damit einen unterschiedlichen Inhalt anzunehmen, je nachdem, ob es einem Mündigen oder einem Unmündigen zusteht 141 . 133 Müller-Freienfels, Vertretung, 184 (Die aktive Seite des subjektiven Rechtes „ruhe".); Fabriaus, 72. Vgl. auch v. Tuhr, A.T. I, § 1 II (56f.) 134 Fabricius, 44; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 1 BGB Rn. 7. 135 Holder, Personen, 120ff.; Binder, 61 ff., 63 f. Ahnlich auch Michaelis, Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 323 f., der den Minderjährigen als Inhaber des Hauptrechtes ansieht, das durch das eigene Recht des Inhabers der elterlichen Gewalt gemindert sei. 136 Beseler, ZRG Rom. Abt. 46 (1926), 85f.; Bernatzik, AöR 5 (1890), 233; ähnlich H.A. Fischer, Subjekt und Vermögen, 47ff., 48 und 49: rechtliche Herrschaft hat der gesetzliche Vertreter, nicht der Geschäftsunfähige. 137 Müller-Freienfels, Vertretung, 162. Diese Konsequenz zieht in der Tat Michaelis, Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 324. 138 Jhering, Geist III, §§ 60f. (327ff.). Ähnlich Zitelmann, Internationales Privatrecht 1,47f. in Fn. 8, der dies allerdings auf das subjektive Recht eines Unmündigen beschränkt und damit die Einheit des subjektiven Rechts aufgibt. 139 Vgl. Müller-Freienfels, Vertretung, 157; Larenz/Wolf, A.T.8, § 14 Rn. 8. 140 So die heute vorherrschende Auffassung, vgl. nur Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, §72 (272f.); H. Köhler, A.T.23, §5 Rn.5; Larenz/Wolf A.T.8, § 14 Rn. 11 ff. 141 Vgl. Reuter, Kindesgrundrechte, 51 ff.
§ 4 Die Funktion der Betreuung
42
]ohnxn hat im Anschluß an Pawlowskiui gegenüber diesen Versuchen, das Rechtssubjekt vom subjektiven Recht her zu bestimmen, darauf hingewiesen, daß rechtlich gesehen mit dem Begriff des Rechtssubjekts die Rechtsperson als Entscheidungsträger gemeint sei, der rechtlich eigenverantwortlich handelt und für seine Handlungen rechtlich verantwortlich ist. Die Frage lautet daher nicht, ob der einzelne Rechtssubjekt „ist", sondern unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise ihn die Rechtsordnung als Rechtsperson behandelt, wie er also von ihr zur Rechtsperson gemacht wird144. Rechtsperson ist der einzelne Mensch danach, soweit ihn das Recht als eigenverantwortlichen Entscheidungsträger anerkennt, dessen Entscheidungen gelten, weil er es so gewollt hat, und der für seine Handlungen verantwortlich ist145. Mit Blick auf die rechtliche Beurteilung einer bestimmten Entscheidung oder Handlung kann man insofern sachlich gleichbedeutend von einer Anerkennung der Selbstbestimmung146 bzw. des freien Willens des einzelnen147 durch das Recht sprechen. Rechtlich kommen Selbstbestimmung bzw. ein freier Wille daher dem einzelnen Menschen zu, wenn und soweit ihn das Recht als Rechtsperson anerkennt. Mit dem Eintritt der Mündigkeit wird ein Mensch allgemein als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger148, mit anderen Worten: als Rechtsperson anerkannt149. Dadurch wird er in vollem Umfang, d.h. unter den gleichen Bedingungen wie jede andere Rechtsperson, zum Rechtsverkehr zugelassen150. Diese allgemeine Zulassung zum Rechtsverkehr ist generell: Sie umfaßt nicht nur die Möglichkeit eigenständigen Handelns im rechtsgeschäftlichen Bereich durch Willenserklärungen, sondern alle Formen, mit denen der einzelne seine Rechtsverhältnisse eigenverantwortlich gestalten kann, also auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen bzw. Willensäußerungen151 oder Verfahrenshandlungen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren152. Außer auf die rechtliche 142 143 144 145
John, Rechtsperson, 60ff., 72ff., 218ff. Pawlowski, A.T. I1, § 1 (4ff.) und jetzt A.T.5, Rn. 86, 96. Vgl. H.J. Wolff, Organschaft I, 144. John, Rechtsperson, 72 f. Vgl. auch Flame, A.T. II 3 , §1,5 (6); Larenz /Wolf, A.T. 8 , §2 Rn. 15,
25. Flume, A.T. II 3 , § 1, 1 und 2 (lf.); Larenz/WW/, A.T.8, §2, 15: Privatautonomie. Pawlowski, Willenserklärungen, §10, 2 (235ff.); ders., Festschrift Fenge, 479, 492ff. 148 Beitzke, AcP 172 (1972), 240; Mayer-Maly, FamRZ 1970, 619; Schwab, JZ 1970, 745, 750. Vgl. auch Larenz/Wo//, A.T.8, §2 Rn. 15: Die Privatautonomie steht jedem mündigen Bürger zu. 149 Deshalb ist formales, rechtliches Ziel der Erziehung eines Kindes seine Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, vgl. dazu BVerfGE 72,155 (172); 59,360 (382,387); 24,119 (144); Bökkenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 65; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III GG Rn.22;Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 105,140,142 ; Moritz, 140ff.; Schwab, AcP 172 (1972), 270. 150 Mayer-Maly, FamRZ 1970, 619; Schwab, JZ 1970, 745, 747; Schwimann, Geschäftsfähigkeit, 31, 37ff. (für die Geschäftsfähigkeit). 151 Medicus, A.T. 7 , Rn. 195ff.; H. Hübner, A.T. 2 , Rn. 580; H. Köhler, A.T. 23 , § 12 Rn. 7. 152 Die Mündigkeit hat mit der unbeschränkten Handlungsfähigkeit auch die vollständige Prozeß- oder Verfahrensfähigkeit zur Folge (vgl. nur §§ 52 ZPO, 621 Nr. 1,2 VwGO, 581 Nr. 1,2 FGO, 71 I, II SGG, 12 I Nr. 1 VwVfG, 79 AO, 11 SGB X). § 52 ZPO knüpft ausdrücklich an die 146 147
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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Gestaltung der Rechtsverhältnisse erstreckt sie sich auf die eigenverantwortliche Wahrnehmung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten, die eine Rechtsposition dem einzelnen vermittelt, d.h. eigenverantwortliches tatsächliches Handeln153, und schließt die Verantwortung für die tatsächlichen Folgen seines Handelns mit ein154. Nicht nur die gesetzliche Regelung der Ehe-, Testier- oder Deliktsfähigkeit, sondern auch die der Geschäftsfähigkeit betrifft also nur einen Ausschnitt der Zulassung zum Rechtsverkehr155. Dies drückt man herkömmlicherweise damit aus, daß für die verschiedenen Rechtshandlungen unterschiedliche Anforderungen an die Handlungsfähigkeit zu stellen sind156. Solange man in dieser „Fähigkeit" jedoch nur eine Voraussetzung für die Wirksamkeit rechtlichen Handelns oder die Verantwortlichkeit sieht157, vermag man nicht zu erkennen, daß diese Vorschriften die Zulassung Fähigkeit an, sich selbständig zu verpflichten und erklärt damit alle in ihrer Geschäftsfähigkeit Beschränkten für prozeßunfähig (Begründung zu §§50ff. CPO (= §§51 ff. ZPO), bei Hahn 2/1, 167; ausführlich dazu,4«g. Fuchs, Gruchot 29 (1885), 595ff. Vgl. auch oben §4 Fn.97). 153 Der Eigentümer kann z.B. nicht nur über das Eigentum an der Sache rechtlich verfügen, sondern auch mit der Sache selbst nach seinem Belieben verfahren (§ 903 BGB), d.h. sie tatsächlich gebrauchen (vgl. Larenz/Wolf, A.T. 8 , § 15 Rn. 5). Die Bedeutung des Schutzes der Rechtsgüter des einzelnen, wie Leben, Freiheit, Gesundheit, durch das Zivilrecht oder durch die entsprechenden Grundrechte liegt in erster Linie darin, ihm diese tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Der darin begründete Unterschied zwischen dem tatsächlichen Handeln und dem Geltendmachen der Abwehrbefugnisse, d.h. dem rechtlichen Handeln, wird in der Diskussion um die Grundrechtsmündigkeit vielfach mißachtet (vgl. Fehnemann, Innehabung, 34ff. (anders aber 49f. für den Prozeß); Reuter, Kindesgrundrechte, 51 ff.). Aber auch die Dogmatik des Zivilrechts erfaßt die Befugnis, selbständig tatsächlich zu handeln, nicht positiv als Ausdruck der einem Mündigen zukommenden Selbstbestimmung, sondern lediglich negativ unter dem Aspekt des Eingriffs in die Person oder in die Persönlichkeitsrechte (vgl. Enneccems/Nipperdey, A.T. 15 1, §78 I (291); H. Hübner, A.T. 2 , Rn.363f.; H. Köhler, A.T. 23 , §5 Rn.8; Larenz/Wo//, A.T.8, §15 Rn.4; v. Tuhr, A.T. I, §6 V (148ff.). Kritisch Binder, 55ff.; Holder, Personen, 118ff.; Leonhard, §28 II (70); Michaelis, Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 307). Dabei geht der Zusammenhang mit der Selbstbestimmung des einzelnen verloren. Nicht nur dessen Freiheit, sondern seine Befugnis, über sich selbst zu bestimmen, d.h. seine Selbstbestimmung in tatsächlicher Hinsicht ist Kern der Persönlichkeitsrechte. Deshalb führt z.B. bei Eingriffen in personenbezogene Rechte die Einwilligung nicht deswegen zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit, weil das Interesse des Verletzten an dem Eingriff überwiegt, sondern weil sich darin die rechtlich anerkannte Selbstbestimmung des Mündigen über seine körperliche Integrität ausdrückt. Das entspricht der allgemeinen Auffassung im Zivilrecht (vgl. nur Kohte, AcP 185 (1985), 108ff.; Gotting, 142f.; Voll, 48ff.) und grundsätzlich auch der strafrechtlichen Lehre (dazu und zum Streit über die sich daraus ergebenden Folgen ausführlich Sternberg-Lieben, 57ff.; Weigend, ZStW 98 (1986), 44ff.; Gö§34 II 3 (377)). Die Verankerung in der bel, 21 ff.; Roxin3, §13 Rn.l2ff.; Jescheck/Weigend', Selbstbestimmung des einzelnen ist heute auch grundrechtlich anerkannt (BVerfGE 52,131 (170, 171-187); K. Amelung, Einwilligung, 29ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art.2 I GG Rn.34). 154 Die Mündigkeit führt zu vollständigen Deliktsfähigkeit (arg. §828 II BGB), die auch für die Verletzung schuldrechtlicher Verpflichtungen maßgeblich ist, § 276 I 3 BGB. 155 Insofern setzen die auf die Geschäftsfähigkeit beschränkten Überlegungen Schwimanns, Geschäftsfähigkeit, 34f., 36f., nicht tief genug an, weil sie nur einen Aspekt der Mündigkeit erfassen (vgl. auch Reuter, Kindesgrundrechte, 66f.). 156 Motive I, 129. 157 Wie der historische Gesetzgeber des BGB (Motive 1,129) und die heute h.L. (vgl. statt aller
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
zum Rechtsverkehr bereichsspezifisch regeln und daher gleichermaßen auf die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Mündigen bezogen sind. Insbesondere die sogenannte tatsächliche Rechtsausübung scheint dann lediglich noch von den tatsächlichen Eigenschaften und Möglichkeiten eines Menschen abzuhängen158 und keinen Bezug zur rechtlich konstituierten Selbstbestimmung und damit zum Rechtsakt der Anerkennung eines Menschen als Rechtsperson zu haben.
2. Rechtliche Selbstbestimmung
und ihre tatsächlichen
Voraussetzungen
Diese Anerkennung des Menschen als Rechtsperson erfolgt durch die Rechtsordnung, ist also Rechtsakt. Sie ergibt sich deshalb nicht unmittelbar aus bestimmten, tatsächlich vorhandenen Eigenschaften des konkreten Menschen und scheitert ebensowenig unmittelbar an deren Fehlen. Die tatsächlichen Eigenschaften eines Menschen erlangen ihre rechtliche Bedeutung erst, wenn und soweit das Recht seine Anerkennung als Rechtsperson daran anknüpft. Deshalb tritt die Mündigkeit und damit die rechtliche Eigenverantwortlichkeit nicht schon von selbst ein, sobald der konkrete Mensch eine bestimmte soziale Selbständigkeit, körperliche oder geistige Reife oder auch nur ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat, sondern erst aufgrund einer entsprechenden rechtlichen Anordnung, die in unserer Rechtsordnung der Gesetzgeber treffen muß. Dieser orientiert sich bei seiner Entscheidung über die Zulassung eines Menschen als Rechtsperson zum Rechtsverkehr zwar an den vorhandenen Erkenntnissen über die menschliche Entwicklung und den gesellschaftlichen Verhältnissen, doch berücksichtigt er bei der rechtlichen Ausgestaltung dieser Zulassung beispielsweise ebenso das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, den Schutz des Betroffenen oder des Verkehrs159. Die mit der Mündigkeit verbundene rechtliche Anerkennung des konkreten Menschen als sich selbst bestimmende und zur freien Entscheidung fähige Rechtsperson ist daher einerseits auf seine tatsächliche Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bezogen und setzt diese voraus, erfolgt aber andererseits unabhängig davon mit Eintritt der gesetzlich festgelegten Voraussetzungen. Wird jeder Mensch von Rechts wegen mit Eintritt Dilcher, in: Staudinger12, § 104 BGB Rn.2; Enneccerus/Nipperdey, A.T.' 5 2, § 14911,1501 (927); Hefermehl, in: Soergel12, Vor § 104 BGB Rn. 1; H. Hübner, A.T.2, Rn.699; Larenz/Wolf, A.T.8, §25 Rn. 1 ff.). Zur Gegenauffassung vgl. die Nachweise unten §4 Fn. 171. 158 Das illustriert beispielsweise die Diskussion um den Besitzerwerb und -Verlust des Unmündigen, vgl. dazu Flume, A.T. II 3 , §13, 11 c (213ff.); Bund, in: Staudinger13, §854 BGB Rn. 14ff., 17; Westermann/Gursky/Eickmann7, § 13 I 2 (91 ff.). 159 Für die Geschäftsfähigkeit Schwimann, Geschäftsfähigkeit, 31, 37ff.; Pawlowski, A.T.5, Rn. 176. Das wird an der Diskussion um das Mündigkeitsalter deutlich, vgl. Mayer-Maly, FamRZ 1970, 617ff.; Schwab, JZ 1970, 745ff.; ders., AcP 172 (1972), 266ff.; Beitzke, AcP 172 (1972), 240ff.
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
45
der Volljährigkeit als mündig anerkannt, stellt sich damit umgekehrt die Frage, wie die Rechtsordnung darauf reagiert, daß ein einzelner aus tatsächlichen Gründen in seiner Eigenverantwortung und damit in seiner Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt ist. Sein „natürliches Defizit" mag es dann rechtfertigen, die an das Lebensalter geknüpfte und damit formale Anerkennung als Mündiger rechtlich zu beschränken160. Auch hier ist aber der tatsächliche Zustand des einzelnen von seinen rechtlichen Folgen sorgfältig zu unterscheiden. Die tatsächliche Beschränkung der Entscheidungsfähigkeit eines Menschen kann man rechtlich zunächst als Mangel der jeweiligen Handlung auffassen und ihr deshalb die rechtliche Anerkennung als eigenverantwortliche Entscheidung versagen. Sein Verhalten wird ihm nicht als eigene Handlung zugerechnet. Die Frage der Zurechenbarkeit wird in diesem Fall verbindlich erst rückblickend vom Gericht im Streit um die rechtliche Bedeutung gerade dieser bestimmten Handlung beurteilt. Sie kann deshalb nur mit ja oder nein beantwortet werden. Verneint man sie wegen des tatsächlichen Zustandes des Betroffenen, wird ihm rechtlich gesehen im Hinblick auf diese konkrete Handlung die Fähigkeit zur Selbstbestimmung oder der freie Wille abgesprochen. Er mag dann zwar mit seiner Handlung bestimmte Vorstellungen und Wünsche verfolgt haben, die man psychologisch ermitteln kann, doch wird er weder für ihre tatsächlichen Folgen rechtlich verantwortlich gemacht161, noch gestaltet sie seine rechtlichen Verhältnisse162. Seine Vorstellungen und Wünsche werden von der Rechtsordnung Vgl. zum „natürlichen Defizit" des Kindes Reuter, Kindesgrundrechte, 61 f. Unzurechnungsfähigkeit, §§827, 276 I 3 BGB, 233 ZPO. In Europa wird diese Frage durchaus unterschiedlich beantwortet (ausführlich v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Rn. 61 ff., 324ff.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2, Rn.452): Das Spektrum reicht vom völligen Ausschluß der Verantwortlichkeit im Falle der Unzurechnungsfähigkeit (Schweiz: Art. 19 III ZGB. Osterreich: Bei Unzurechnungsfähigkeit entfällt das Verschulden im Sinne des § 1295 I AGBG (Koziol/Welser3,58,447). England: Soweit die Haftung für tort Verschulden erfordert, ist der Einwand der Unzurechnungsfähigkeit möglich (Carty, in: Clerk&Lindsell on Torts16, § 2-39 (167f.)) bis hin zu ihrer völligen Unbeachtlichkeit (Frankreich: Seit 1968 schließt Art. 489-2 CC den Einwand der Unzurechnungsfähigkeit für Volljährige aus, was die Rechtsprechung auf Minderjährige übertragen hat (Cass. Plén. 9.5. 1984, Dalloz 1984.2. 20291; vgl. Malaurie/Aynés, Nr.606 (230), 721 (275ff.); Ferid/Sonnenberger l / l 2 , 1 D 7)). 160 161
162 Sog. „natürliche", zustandsbedingte (Flume, A.T. II 3 , § 13, 3 (184ff.); Müller, 11) oder unmittelbare (Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 195ff.) Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB, Prozeßunfähigkeit nach §52 ZPO, 104 Nr. 2 BGB, Testierunfähigkeit nach §2229 IV BGB, Ehegeschäftsunfähigkeit nach § 1304 BGB bzw. Einwilligungsunfähigkeit. Hierher gehört auch § 105 II BGB. Der Unterschied zwischen einem dauernden und einem nur vorübergehenden Ausschluß der freien Willensbestimmung ist für die Wirksamkeit der eigenen Handlung des Betroffenen unerheblich. Er gewinnt nur Bedeutung für den Zugang fremder Erklärungen, § 1311 BGB (statt aller Medicus, A.T.7, Rn. 544f.). Eine derartige Handlungsunfähigkeit ist in Europa allgemein anerkannt, vgl. den Überblick bei Heldrich/Steiner, IECL IV/2, 30; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 149; und im übrigen Art. 13, 16, 18 Schweiz. ZGB, §865 österr. ABGB, Art.l262ff. span. CC., Art.489 I franz. CC (für Volljährige; zur incapacité naturelle Minderjähriger Malaurie/Aynés, Nr. 605 (230)). In England ist dies allerdings auf den Fall beschränkt, daß der Vertragspartner den Zustand des anderen
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
nicht als sein Wille anerkannt, mit anderen Worten: ihm. fehlt die (rechtliche) Fähigkeit 163 zur Bildung eines (rechtlichen) Willens 164 bzw. zur (rechtlichen) Selbstbestimmung 165 . Die Geschäftsfähigkeit ist deshalb eine rechtliche und keine psychisch-kognitive oder anthropologische Voraussetzung der Rechtshandlung 166 . Die Frage, ob einer bestimmten Handlung im Hinblick auf den Zustand eines Menschen die rechtliche Anerkennung zu versagen ist, stellt sich jedoch erst, wenn und soweit er überhaupt zum Rechtsverkehr zugelassen ist. Es geht hier also nicht um eine bestimmte rechtliche Handlungsfähigkeit als positive Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung einer bestimmten Handlung, d.h. die Zulassung zu diesem Teil des Rechtsverkehrs, sondern allein negativ darum, trotz der allgemeinen Zulassung zum Rechtsverkehr einer bestimmten Handlung ausnahmsweise die rechtliche Anerkennung zu versagen, also um die Handlungsunfähigkeit. Die Frage nach der „natürlichen" Geschäftsunfähigkeit (§§104 Nr. 2, 105 II B G B ) erhebt sich deshalb erst, wenn der Minderjährige beschränkt geschäftsfähig ist, die nach der „natürlichen" Prozeßunfähigkeit (§§52 Z P O , 104 Nr. 2,105 II B G B ) erst, wenn er unbeschränkt geschäfts- und damit prozeßfähig ist 167 , die nach der Testierunfähigkeit i.S.d. § 2 2 2 9 I V B G B , wenn er testiermündig (§ 2229 I B G B ) ist, und die nach der Ehegeschäftsunfähigkeit (§ 1304 B G B ) , wenn er ehemündig oder von dem Erfordernis der Ehemündigkeit befreit worden ist (§ 1303 B G B ) . Auch die Unzurechnungsfähigkeit nach § 827 B G B spielt erst eine Rolle, wenn jemand die allgemeine Deliktsfähigkeit erlangt hat. Dieser Zusammenhang wird dadurch etwas verdunkelt, daß im Rahmen des § 828 II B G B kannte (Imperial Loan Co. Ltd. v. Stone [1892] 1 Q.B. 599,601) und das Geschäft nicht „necessaries" betrifft (s. 3 Sale of Goods Act 1979). Auch das niederländische Recht schützt den gutgläubigen Geschäftspartner (Art. 3:34 und 35 B.W.B, und dazu Hartkamp, AcP 191 (1991), 400; van Rossum, in: Towards a European Civil Code, 151). 163 Schwimann, Geschäftsfähigkeit, 30, 35; v. Tuhr, A.T. I, §7 II (160f.), §21 III (378f.), A.T. II/l, §59 I (334). Meist wird der Rechtscharakter dieser „Fähigkeit" nur indirekt deutlich, wenn sie als „Fähigkeit, Rechtswirkungen hervorzurufen" beschrieben (Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 2, § 150 I (927); Hefermehl, in: Soergel12, Vor § 104 BGB Rn. 1) oder von ihren tatsächlichen Voraussetzungen unterschieden (Medicus, A.T.7, Rn. 535f.) wird. 164 Zum Unterschied von empirisch-psychologischen Vorstellungen und Wünschen und rechtlichem Willen ausführlich Pawlowski, Willenserklärungen, §9 (202ff.), § 10 (232ff.); ders., Festschrift Fenge, 490ff., und Schwimann, Geschäftsfähigkeit, 30; Schapp, Grundfragen, 8ff., insbesondere 12 Fn. 9 (lebensweltlicher Wille und Willenserklärung), HJ. Wolff, Organschaft I, 137f.; Brandt, Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 366ff. 165 Selbstbestimmung ist daher in unserem Zusammenhang ebenso ein Rechtsbegriff wie Wille. Wann einem Menschen die rechtliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung fehlt, muß von der Rechtsordnung festgelegt werden. Auch diese „Unfähigkeit" ist deshalb eine rechtliche und von ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu unterscheiden. Das übersieht z.B. Holzhauer, FamRZ 1995, 1469. 166 So aber Holzhauer, FamRZ 1995, 1467. 167 Dazu oben §4 Fn. 97.
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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die Deliktsfähigkeit des Minderjährigen positiv bestimmt werden muß. Seine Verantwortlichkeit als Teil der Zulassung zum Rechtsverkehr steht daher nicht schon generell fest, sondern muß individuell ermittelt werden 168 . Ahnlich verhält es sich bei der Einwilligung zu Eingriffen in personenbezogene Rechte. Während bei Mündigen die Einwilligungs«wfähigkeit eine bereichsspezifische Form der Handlungsunfähigkeit darstellt, entscheidet die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger über ihre Zulassung zu diesem Teil des Rechtsverkehrs und ist daher positiv zu bestimmen. Da es hier anders als bei der Deliktsfähigkeit nicht um die Einhaltung bestehender allgemeiner Rechtspflichten, sondern um die Gestaltung des eigenen Rechtskreises geht, für die es an derartigen Vorgaben fehlt 169 , kann die positive Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger allerdings nicht individuell, sondern nur generell bestimmt werden. Hierfür bietet sich eine Analogie zur Regelung des §5 RelKErzG 1 7 0 an, die ebenfalls die Entscheidung in einer personalen Angelegenheit betrifft. Weil seine Einwilligungsfähigkeit entscheidet, wann er einen Eingriff in sein personengebundenes Recht verweigern kann, kommt es auf die Vollendung seines 12. Lebensjahres an. Dieser sachliche Unterschied wird verdeckt, wenn man die allgemeine Zulassung zum Rechtsverkehr einerseits und die Abwesenheit von konkreter Handlungsunfähigkeit andererseits gleichermaßen als Voraussetzung einer wirksamen Rechtshandlung begreift und als Geschäfts-, Prozeß-, Ehe-, Testier-, Einwilligungs- oder Deliktsfähigkeit in einem Rechtsinstitut zusammenfaßt 171 . 168 Vgl. Waibel, 56ff., zu den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers; für das heutige Recht Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 170ff., 174. 169 Zu dieser Differenzierung noch unten §4 Ill.l.a. 170 Dazu oben §4 Fn. 101. 171 So nach dem Vorgang des historischen Gesetzgebers der CPO (Begründung zu §§50ff. CPO (= §§51 ZPO), bei Hahn 2/1,166f., 169) und des BGB (Motive 1,129) die h.L. zum deutschen Recht (vgl. statt aller Dilcher, in: Staudinger12, § 104 BGB Rn.2; "Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 2, § 149 1 1,150 I (927); Hefermehl, in: Soergel12, Vor § 104 BGB Rn. 1; H. Hübner, A.T. 2 , Rn. 699; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 148f.; Larenz/Wolf, A.T. 8 , §25 Rn.lff.; und zur Prozeßfähigkeit Bork, in: Stein/Jonas21, §51 ZPO Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald 15 , §44 I (224)). Der Gesetzgeber des Eheschließungsrechtsgesetzes (Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts v. 4.5.1998, BGBl 1998 1,833) hat die zusammenfassende Bezeichnung Ehefähigkeit für die Regelung der Ehemündigkeit und der Ehegeschäftsunfähigkeit aus dem früheren Recht übernommen (vgl. die Überschriften vor § 1303 BGB n.F. und vor § 1 EheG; kritisch dazu Gernhuber/Coejier- Waltjen, Familienrecht4, § 91 (86)). Auch für das Schweizer ZGB sind Mündigkeit und „natürliche" Urteilsfähigkeit positive Voraussetzungen der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit (Art. 12ff. ZGB. Vgl. auch/1. Bucher, Natürliche Personen, Rn. 55ff.). Die französische und englische Lehre behandeln herkömmlich darüberhinaus alle persönlichen Voraussetzungen wirksamen Handelns als Fragen der capacité bzw. capacity der Person (Zum französischen Recht: ¥end/Sonnenberger l / l 2 , 1 F 304ff., differenzierend jetzt Malaurie/Aynés, Nr. 507ff. (207ff.). Zum englischen Recht: Whittaker, in: Chitty on Contracts26, §§551 ff. (369ff.); enger z.B. Furmston, Law of Contract13, 440ff.).
Den Unterschied zwischen Mündigkeit und Handlungsunfähigkeit betonen jedoch Flume, A.T. II 3 , § 13,2 und 3 (183 ff.): Status und Zustand; ebenso Müller, 11; Holzhauer, FamRZ 1995, 1464f.; Scherner, A.T., 140f.; Schwimann, Geschäftsfähigkeit, 65ff.: generelle und korrektive
5 4 Die Funktion der Betreuung
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Nur die Handlungsunfähigkeit ist in ihrer rechtlichen Bedeutung auf die bestimmte einzelne Handlung beschränkt, der die rechtliche Anerkennung versagt wird, und kann daher als rechtlicher Mangel dieser Handlung verstanden werden. Demgegenüber bestimmt die Zulassung zum Rechtsverkehr die Rechtsstellung des einzelnen, d.h. seinen Statusm.
3. Rechtliches a) Der
Handeln
als
Aufgabe
Entscheidungsunfähige
Geltend machen kann der Betroffene diesen rechtlichen Mangel jedoch nur, wenn und soweit er selbst Klage erheben, also die sich daraus ergebenden Rechte selbständig durchsetzen kann. Versagt man auch diesen Handlungen aufgrund seines tatsächlichen Zustandes die rechtliche Anerkennung173, ist sein Recht zwar noch zu beachten (wie das objektive Recht auch), er kann es aber nicht mehr geltend machen. Zutreffend haben in der Diskussion um das subjektive Recht viele darauf hingewiesen, daß in diesem Fall das bloße „Haben" eines Rechtes etwas anderes bedeutet als bei einem Entscheidungsfähigen174. Deshalb muß das Recht auch die Frage beantworten, ob überhaupt jemand für den Entscheidungsunfähigen handeln kann. Wird diese Frage verneint, kann man das Recht im eigentlichen Sinne höchstpersönlich nennen, weil es ausschließlich durch den Inhaber ausgeübt werden kann, wie z.B. bei der Eheschließung oder Verfügung von Todes wegen175. Die Interessen eines Entscheidungsunfähigen können ad hoc für eine einzelne Komponente; Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 195f.: Status und unmittelbare Geschäftsunfähigkeit; für die Schweizer Lehre "Tuor/Schnyder10,69ff.; allgemein Heldrich/Steiner, IECLIV/2,11. Das niederländische Bürgerliche Gesetzbuch behandelt die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit als einen Fall des Willensmangels (Art. 3:34 und 35 B.W.B.) und unterscheidet sie damit von der statusbedingten Handlungsunfähigkeit nach Art. 3:32 B.W.B., die z.B. bei einem unter Curatele gestellten Volljährigen eintritt (Art. 1:381 B.W.B.). 172 Zu den Konsequenzen dieser systematischen Unterscheidung für das europäische Vertragsrecht und das Kollisionsrecht vgl. unten §8 II. und III. 173 Weil er jedenfalls insofern geschäftsunfähig und deshalb auch prozeßunfähig sei, §§52 ZPO, 104 Nr.2, 105 II BGB. Ebenso das französische Recht (Ferid/Sonnenberger l / l 2 , 1 D 6). 174 Jhering, Geist III, §60 (332f.); Holder, Personen, 117f.; Binder, 63f.; Michaelis, Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 308f. Vgl. auch Müller-Freienfels, Vertretung, 158f. 175 §§1311 S. 1,2064, 2274 BGB. Zu anderen Fällen Reichel, 11 ff. Eine andere Frage ist, ob er allein entscheidet oder ob zu seinem Schutz die Zustimmung eines anderen erforderlich ist, denn dadurch wird sein „Initiativrecht" nicht berührt. Vgl. dazu §§ 1303f. BGB: Der Minderjährige braucht zur Eheschließung die Befreiung nach § 1303 II BGB und nach § 107 BGB die Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter, geht aber die Ehe selbst ein und nicht durch seinen gesetzlichen Vertreter, §1311 S. 1 BGB. Die Höchstpersönlichkeit der Eheschließung schließt den Schutz durch das Zustimmungserfordernis nicht aus (so schon Motive IV, 1085).
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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Entscheidung von einer anderen Rechtsperson gewahrt werden, die ihre Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung in dessen Dienst stellt (mutmaßliche Einwilligung, „echte" Geschäftsführung ohne Auftrag)176. Er greift damit zugleich in den Rechtskreis des Entscheidungsunfähigen ein. Dieser Eingriff kann nur gerechtfertigt werden, wenn er im Interesse des Betroffenen liegt. Was seinem Interesse entspricht, bestimmt jedoch ein Mündiger selbst. Darin liegt gerade die Bedeutung der rechtlichen Anerkennung seiner Selbstbestimmung. Die Tätigkeit des anderen im Interesse des Betroffenen setzt daher grundsätzlich voraus, daß dieser damit einverstanden ist177. Ist er aus tatsächlichen Gründen entscheidungsunfähig, verliert er dadurch gleichwohl seinen rechtlichen Status als Mündiger nicht. Auch dann kommt es allein auf seine Definition seiner Interessen an, nicht auf die eines Dritten. Kann die Angelegenheit warten, bis er selbst entscheiden kann, besteht daher kein Grund, ihm die Möglichkeit zur eigenen Entscheidung zu nehmen und ihn dadurch vor vollendete Tatsachen zu stellen178. Droht er jedoch ohne ein Eingreifen des anderen die Möglichkeit zur Entscheidung tatsächlich zu verlieren, wahrt dessen Zuwarten seine Selbstbestimmung allerdings nicht. Denn mit der tatsächlichen Möglichkeit zur Entscheidung verliert sie ihren Gegenstand. In diesem Fall entfällt die Wartepflicht. Voraussetzung für die ad hoc erfolgende Tätigkeit eines anderen in dem Rechtskreis des Betroffenen ist deshalb, daß dieser selbst überhaupt nicht mehr entscheiden kann und ohne das Eingreifen des anderen die Möglichkeit zur Entscheidung tatsächlich zu verlieren droht. Die Notwendigkeit fremden Handelns hebt jedoch die Anerkennung seiner Selbstbestimmung nicht auf179. An die Stelle seines erklärten tritt sein mutmaß176 Vgl. auch für Schottland: Scottish Law Commission, Scot Law Com No. 151, §§ 1.14,1.22 (4f.); für England: Law Commission, Law Com Consultation Paper No. 119, §§6.17ff. (150ff.); für Frankreich: Art. 4 9 1 ^ CC (Malaurie/Aynes, Nr. 732 (282); rechtsvergleichend G. Fischer, Festschrift Deutsch, 545ff. m.w.N.; zur ärztlichen Behandlung auch van Oosten, Festschrift Deutsch, 673 ff. 177 Vgl. §§677, 683 S. 1, 684 S.2 BGB und dazu Wittmann, in: Staudinger12, Vorbemerkungen zu §§677ff. BGB Rn. 10f., 49ff.; Sprau, in: Palandt58, §677 BGB Rn. 12. Soweit in der Literatur aus dem Wortlaut der §§677, 683 BGB bei der Übernahme des fremden Geschäfts der Vorrang (Seiler, in: MünchKommBGB 3 , §677 BGB Rn.45) bzw. bei Geschäftsführung der Gleichrang (Larenz, Schuldrecht II/l 13 , §57 Ia (444) und Ib (447)) des objektiven Interesses gegenüber dem Willen auch für den Fall abgeleitet wird, daß dieser dem Handelnden erkennbar ist, trägt das der Selbstbestimmung des Mündigen nicht genügend Rechnung (Fikentscber, Schuldrecht9, Rn. 931, 937; Wittmann, in: Staudinger12, Vorbemerkungen zu §§677ff. BGB Rn.49). 178 Für die Geschäftsführung ohne Auftrag BGH WM 1983, 679; Steffen, in: RGRK 1 2 , Vor § 677 BGB Rn. 67. Vgl. auch die Wartepflicht des § 681 S. 1 BGB, die dem Willen des Geschäftsherrn Geltung verschaffen soll (Protokolle II, 727; Wittmann, in: Staudinger12, § 681 BGB Rn. 3). Zur mutmaßlichen Einwilligung BGH NJW 1977, 337 - OP-Erweiterung; BGH JZ 1985, 236; BGH VersR 1985,1187 (1188); BGH NJW 1993,2372 (2374); Deutsch, Medizinrecht3, Rn. 109f.; D. Giesen JZ 1988,1031; Voll, 56,141 f.; Roxin3, § 18 Rn. 1 Off., 24; Hirsch, in: LK 11 , Vor § 32 StGB Rn. 129, 136. Unzutreffend daher BGHSt 35, 246ff. - OP-Erweiterung. 179 D. Giesen, JZ 1990, 938; Helgerth, J R 1995, 339; Bernsmann, ZRP 1996, 92.
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§4 Die Funktion der Betreuung
lieber Wille - und nicht etwa die Ansicht des anderen180. Maßgeblich für das Handeln des anderen ist dann, wie der Betroffene selbst entschieden hätte. Dabei sind vor allem seine früheren Äußerungen und Einstellungen von Bedeutung. Sind diese nicht zu ermitteln, muß notfalls auf sein Interesse und damit auf allgemeine Kriterien zurückgegriffen werden181. Auch wenn er sich dabei am mutmaßlichen Willen und Interesse des Betroffenen orientiert, erfolgt die Entscheidung des anderen für den Entscheidungsunfähigen immer „bei Gelegenheit" seiner eigenen Tätigkeit. Zwar werden dadurch die Interessen des Betroffenen gewahrt, doch bleibt sein mit der Mündigkeit eröffneter Zugang zum Rechtsverkehr solange ungenutzt, als sein Zustand der Entscheidungsunfähigkeit andauert. Die Anerkennung als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger im Rechtsverkehr ist insoweit mir potentiell. b) Der nur beschränkt
Entscheidungsfähige
In der Ausübung seines Rechtes ist jedoch nicht nur derjenige beschränkt, dessen Handlung man die rechtliche Anerkennung versagt, weil er tatsächlich zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung nicht in der Lage ist. Auch soweit seine Entscheidungsfähigkeit nicht aufgrund seines Zustandes ausgeschlossen ist, kann sie doch in einem Maße gemindert sein, daß er sein Recht nicht in seinem Interesse und nach seinen Wünschen auszuüben vermag. Er ist dann zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich beschränkt, Entscheidungen im Hinblick auf seine Rechtsverhältnisse zu treffen und am Rechtsverkehr teilzunehmen182. Damit stellt sich für das Recht die Frage, inwieweit der einzelne hierbei Hilfe und Unterstützung erhalten kann. Eine Rechtsordnung, die alle Menschen ungeachtet der tatsächlich bestehenden Unterschiede zwischen ihnen in rechtlicher Hinsicht gleich zu behandeln trachtet183, kann diesen Zustand der faktisch beschränkten Entscheidungsfähigkeit und die damit verbundene Beschränkung des Zugangs zum Rechtsverkehr 180 BGH NJW 1993,2372 (2374); BGHSt 12,379 (384); RGZ 151, 349 (354). Vgl. auch §§677, 680,683 S. 1 BGB und Wittmann, in: Staudinger12, Vorbemerkungen zu §§ 677ff. B G B Rn. 50; G. Fischer, Festschrift Deutsch, 548. 181 BGHSt 40, 257 (263); 35, 246 (249f.); Steffen, in: RGRK 1 2 , Vor §677 Rn.74f.; Hirsch, in: LK,"Vor §32 StGB Rn. 137; G. Fischer, Festschrift Deutsch, 549f. Auskünfte von Angehörigen des Patienten und von anderen ihm nahestehenden Personen sind allein für die Ermittlung seines mutmaßlichen Willens von Bedeutung, BGHZ 29,46 (52); Deutsch NJW 1980,1307; Kuhlmann, 127f.; Voll, 142f. 182 Vgl. Larenz/Wolf, A.T. 8 , §46 Rn. 13: Die Fähigkeit zur Selbstgestaltung kann tatsächlich fehlen. Ahnlich schon v. Blume, in: Opet/v. Blume, Vor § 1773 BGB. Vorbemerkungen zum Vormundschaftsrecht, Anm. 2. 183 Zur Anerkennung der formalen, d.h. von den tatsächlichen Unterschieden absehenden Gleichheit der Menschen im Privatrecht vgl. schon Motive 1,25, und zur heutigen Lehre Habermann/Weick, in: Staudinger13, Vorbem. zu §1 BGB Rn.2; Larenz /Wolf, A.T.8, §2 R n . l l , §5 Rn. 6; Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 140ff.
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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nicht bestehen lassen, da sie sonst die tatsächlichen Unterschiede in unterschiedliche Rechtsstellungen verwandeln und damit rechtliche Ungleichheit schaffen würde. Will sie jeden Menschen gleichermaßen als Rechtsperson behandeln, muß sie daher einen aus tatsächlichen Gründen in seiner Fähigkeit zu eigenverantwortlichen Entscheidungen eingeschränkten Menschen einem Mündigen gleichstellen und seine beschränkte Eigenverantwortlichkeit ausgleichen, indem sie seine Fähigkeit zu rechtserheblichen Handlungen dort und insoweit herstellt, als sie im Vergleich zu einem Mündigen gemindert ist184. Dafür ist eine rechtlich geordnete Organisation erforderlich, die für den Betroffenen handeln kann (Handlungsorganisation) m . Der konkrete Mensch „ist" dann zwar nicht die Rechtsperson wie der Mündige, aber doch Zentrum und Bezugspunkt der für ihn geschaffenen organisierten Rechtsperson. Mit ihrer Hilfe erlangt der in seiner Entscheidungsfähigkeit teilweise oder gar völlig eingeschränkte Mensch dieselbe Rechtsstellung als Rechtsperson wie der Mündige und kann in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie dieser am Rechtsverkehr teilnehmen. Handelt er in Form der organisierten Rechtsperson im Rechtsverkehr, werden deren Entscheidungen rechtlich ebenso anerkannt wie die eines Mündigen. Insofern verwirklicht die organisierte Rechtsperson die Selbstbestimmung des in ihrem Zentrum stehenden Menschen, indem sie seinen rechtlichen Willen, d.h. seine Entscheidung im Rechtsverkehr herstellt186. Die Errichtung einer Handlungsorganisation zu seiner Unterstützung im Rechtsverkehr sagt jedoch nichts darüber aus, ob sein mit der Mündigkeit vollständig eröffneter Zugang zum Rechtsverkehr ganz oder teilweise, punktuell oder generell beschränkt ist. Das bedarf einer gesonderten Entscheidung der Rechtsordnung187. Die Aufgabe, für den Betroffenen im Rechtsverkehr zu handeln, erfüllt letzt184 Vgl. Thiele, 72; Miiller-Freienfels, Vertretung, 340; Reuter, Kindesgrundrechte, 60,67,200; Windel, FamRZ 1997, 717. Der B G H (BGHZ 93, 1 (9)) stellte deshalb zutreffend fest, daß ein Rechtssubjekt nicht auf Dauer vom Rechtsverkehr ausgeschlossen bleiben dürfe. Vgl. auch Österreich. OGH, JB1 1998, 443 (445): Der Gleichheitssatz wäre gefährdet, wenn die nicht Geschäftsfähige von der Möglichkeit eines ihrem Wohle dienenden Schwangerschaftsabbruchs von vorneherein ausgeschlossen wäre, der ein anderer wirksam zustimmen könne. Der Bedeutung des Gleichheitssatzes zu wenig Rechnung trägt Bernat, JBl 1998, 464ff., der zwar keine Vertretung, gleichwohl aber eine Entscheidung des Arztes über den Schwangerschaftsabbruch für zulässig hält und dabei allein auf das objektive Wohl der Schwangeren abstellt. 185 Dazu ausführlich John, Rechtsperson, 74ff., 96ff., 107ff., 230ff., und Pawlowski, A.T.5, Rn. 129ff. Vgl. schon Levis, lf. 186 Allgemein Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 7 I 3 (62f.). Für den Minderjährigen Gemhuber, FamRZ 1962,92; zustimmend Schwab, JZ 1970, 746; P. Kirchhof, in: Praxis des neuen Familienrechts, 178. 187 Die gesetzliche Vertretung eines Betreuten oder eines Minderjährigen ist unabhängig von ihrer Geschäftsfähigkeit (vgl. dazu oben §§3 II.5., 4 I.3.). Diese beiden Sachfragen werden auch in der internationalen Diskussion sorgfältig unterschieden (aus der jüngeren Zeit vgl. Danielsen, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 124f.; Scottish Law Commission, Scot Law Com No. 151, 113f.).
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
lieh ein bestimmter Mensch, der dafür nach den Regeln der Handlungsorganisation zuständig ist und seine Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung in den Dienst des Betroffenen stellt. Verfolgt der andere bei der Wahrnehmung dieser Funktion seine eigenen Ziele und Interessen, statt die Wünsche, Ziele und Interessen des Betroffenen in rechtserhebliche Handlungen der organisierten Rechtsperson umzusetzen, ist sie nicht eigenverantwortlicher Teilnehmer am Rechtsverkehr, sondern in ihren Entscheidungen durch ein fremdes Interesse bestimmt. Der Betroffene, der ihr rechtliches Zentrum bildet, wird dadurch zum bloßen Objekt der fremden Entscheidung. Die Handlungsorganisation verwirklicht in diesem Fall nicht länger seine Selbstbestimmung, sondern ist ein Instrument seiner Fremdbestimmung. Die Rechtsgleichheit mit einem Mündigen ist deshalb erst dann hergestellt, wenn die Handlungsorganisation allein die Wünsche und Interessen des Betroffenen verwirklicht, nicht diejenigen eines anderen. Die Handlungsorganisation muß deshalb unabhängig von fremden Interessen allein die Interessen desjenigen Menschen verfolgen, der ihr rechtliches Zentrum bildet und für den sie errichtet wurde188. Rechtlicher Ausdruck dieser unbedingten Ausrichtung auf die Verwirklichung der Interessen des betroffenen Menschen ist die Bindung der Handlungsorganisation an dessen „Wohl" 189 . Den in der Handlungsorganisation tätigen Menschen stehen ihre Befugnisse daher nicht um ihretwillen als eigennützige zu, sondern als fremdnützige allein um desjenigen Menschen willen, der das rechtliche Zentrum der Handlungsorgani188 Sie verwirklicht also nicht das „objektiv Richtige" (so aber Müller-Freienfels, Vertretung, 346ff.), sondern die Interessen des betroffenen Menschen, d.h. das für diesen „subjektiv Richtige" (zutreffend Thiele, 68ff.). 189 Allgemein Müller-Freienfels, Vertretung, 365. Für die Betreuung vgl. § 1901 II 1 BGB und dazu Holzhauer, in: Erman9, §1901 BGB Rn.2; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn. 1,4;Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1901 Rn.4; Kollmer, \l\\ders., FuR 1993,325, 326. Entsprechendes galt bereits für das frühere Recht der Vormundschaft und Pflegschaft, vgl. Motive IV, 724, 1009; Engler, in: Staudinger10'11, § 1793 Rn.2. Zum Wohl des Kindes als Ziel der Sorge für Minderjährige vgl. BVerfGE 60, 79 (88,94); 59,360 (376); Coester, Kindeswohl, 204ff.; Gernhuher, FamRZ 1962, 90; Schwab, JZ 1970, 746-Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn.34ff., 37. Zu kurz greift daher ein Verständnis des Kindeswohls, das es allein vom Staat her als Eingriffslegitimation und Entscheidungsmaßstab begreift (Coester, Kindeswohl, 135ff., 143ff.; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1666 BGB Rn.22ff.), oder die Ausrichtung auf das Kind nur als ein Element des Wohls betrachtet (Moritz, 186ff., 209,215). Denn dabei wird das zentrale und auch für die in der Handlungsorganisation tätigen Privatpersonen maßgebende Ziel der Fürsorge für den Betroffenen außer Acht gelassen. Allerdings ist mit dem „Wohl" das Ziel zunächst nur formal beschrieben (kritisch gegen die Leistungsfähigkeit des Begriffs daher z.B. Gernhuber/CoesferWaltjen, Familienrecht4, §57 IV 3 (863ff.); Lüderitz, FamRZ 1975, 606f.). Was es inhaltlich bedeutet, zeigt erst eine Analyse seiner rechtlichen Funktionen.
Die Schwierigkeit einer unmittelbaren inhaltlichen Bestimmung zeigt sich auch in der Diskussion in England und Schottland. Während die englische Law Commission mit einem Konzept des „best interest" arbeitet, das subjektive und objektive Elemente vereinigen soll (Law Com No. 231, §§3.24ff. (42ff.)), versteht die Scottish Law Commission dieses Konzept rein objektiv und lehnt es deshalb in unserem Zusammenhang ab, weil es auf die Perspektive des Betroffenen ankomme (Scot Law Com No. 151, §§2.50ff. (21f.)).
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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sation bildet. Sie sind daher pflichtgebundene Befugnisse190. Trifft jemand in dieser Funktion eine Entscheidung, wird diese rechtlich nicht deswegen anerkannt, weil er es so will, sondern nur wenn und soweit sie im Hinblick auf das Wohl des Betroffenen gerechtfertigt werden kann. Die Bindung an dessen Wohl bedeutet daher zunächst einmal, daß die Entscheidungen im Rahmen der Handlungsorganisation zu begründen sind und nur vom Betroffenen und seinen Interessen her begründet werden können191. Damit ist die in einer konkreten Situation zu treffende Entscheidung allerdings noch nicht positiv, inhaltlich festgelegt. Vielmehr sind dadurch nur negativ, formal bestimmte Handlungsmöglichkeiten ausgeschlossen192. Ausschlaggebend ist deshalb, wer innerhalb der organisierten Rechtsperson die Interessen des Betroffenen definiert und vor allem entscheidet, was im konkreten Fall seinem Interesse am besten entspricht. Aufgrund der mit seiner Mündigkeit verbundenen rechtlichen Anerkennung seiner Eigenverantwortlichkeit ist hierfür grundsätzlich der Betroffene selbst zuständig. Die Handlungsorganisation muß deshalb zunächst seine Entscheidung herbeiführen. Besteht jedoch die Gefahr, daß weiteres Zuwarten dem Betroffenen die Möglichkeit zur eigenen Bestimmung tatsächlich nimmt, muß die Handlungsorganisation gerade im Interesse seiner Selbstbestimmung sofort handeln. Grund und Ziel ihres Handelns liegt dann darin, die Möglichkeit des Betroffenen zur Selbstbestimmung zu erhalten oder wieder herzustellen193. Hat der Betroffene allerdings eine derartige Bestimmung getroffen, ist sie für die Handlungsorganisation grundsätzlich verbindlich. Sie ist nur dann nicht daran gebunden, wenn diese rechtlich nicht anerkannt werden kann, weil sie seiner Selbstbestimmung nicht unterliegt. Kann man sich wegen des Verbots der Selbstentmündigung seiner Hand-
190 Allgemein Enneccerus/Nipperdey, A.T. I5 1, §78 II 1 (454); Gernhuber!Coester-Waltjen, Familienrecht4, §2 II 6 (19). Die Pflichtgebundenheit der Betreuerbefugnisse ergibt sich aus § 1901 II 1 BGB. Zur elterlichen Sorge als Pflichtrecht vgl. BVerfGE 24,119 (143); 59, 360 (387); Dölle, Familienrecht II, §91 I (137); Hinz, in: MünchKommBGB 3 , §1626 Rn.6; Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 57 IV 2 (862f.); und schon Motive IV, 724. 191 Coester, Kindeswohl, 213f.; Pawlowski!Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn.26. 192 Rassek, 45ff., 48, 101; Pawlowski, Methodenlehre3, Rn.208ff., 210, 214a. 193 Allgemein Müller-Freienfels, Vertretung, 341. Die elterliche Sorge ist darauf angelegt, sich selbst überflüssig zu machen (vgl. §§ 1626 II BGB, 1 I SGB VIII; BVerfGE 24,119 (144); 59, 360 (387); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67; Erichsen, 35f.; Wenz, in: RGRK 1 2 , §1626 BGB Rn. 28; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1626 BGB Rn. 4, § 1626 Rn. 32, 57ff.). Für die Betreuung vgl. § 1901 II 2, IV, V BGB. Die Bedeutung dieser Vorschrift liegt allein in ihrem Bezug zur Selbstbestimmung des Betroffenen, nicht darin, daß sie seine ärztliche Versorgung sicherstellt. Für letzteres ist der Betreuer nur zuständig, wenn es zu seinem Aufgabenkreis gehört. Meist wird dies jedoch nicht erkannt und beides nebeneinander gestellt (so schon Regierungsentwurf, 134. Vgl. auch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn. 5,15; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1901 BGB Rn.6, 11). Bezieht man die Vorschrift gar allein auf die ärztliche Versorgung {Bienwald, in: Staudinger12, § 1901 BGB Rn.46ff.), verliert sie ihren Sinn.
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§4 Die Funktion der Betreuung
lungsfähigkeit nicht begeben194, kann man weder zugunsten eines anderen für die Zukunft auf seine eigene Handlungsfähigkeit noch auf ihre Herstellung durch eine Handlungsorganisation verzichten, und sich so dem allgemeinen Rechtsverkehr und seinen eigenen Verpflichtungen entziehen. Daraus folgt, daß die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters auch zulässig ist, um einem Dritten die Verfolgung seines Rechts (nicht schon: seiner Interessen)195 gegenüber dem Betroffenen zu ermöglichen196. Das ist kein Widerspruch zur ausschließlichen Orientierung der Betreuung am Wohl des Betreuten, sondern Ausdruck der allgemeinen Grenzen der Privatautonomie. Die Handlungsorganisation kann auch dann nicht rechtlich an die Bestimmung des Betreuten gebunden sein, wenn diese Entscheidung nicht Ausdruck seiner Selbstbestimmung ist. In diesem Fall setzt die Handlungsorganisation ihre Bestimmung seines „Wohls" an die Stelle derjenigen des Betroffenen. Die Verpflichtung auf sein „Wohl" gibt damit der Handlungsorganisation auch die Befugnis, entgegen den Wünschen und Vorstellungen des Betroffenen zu handeln197. Näheres läßt sich dazu erst sagen, wenn wir die möglichen Formen einer solchen Handlungsorganisation untersucht haben, denen wir uns jetzt zuwenden. 4. Formen der
Handlungsorganisation
Geht es darum, die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen im Rechtsverkehr herzustellen, muß eine Handlungsorganisation unabhängig von einer einzelnen Entscheidung für die Zukunft eingerichtet werden. Dadurch ist einerseits gewährleistet, daß eventuell später notwendig werdende Handlungen auch vorgenommen werden können. Andererseits kann bereits im Vorfeld ihrer eigentlichen Tätigkeit geprüft werden, ob und in welchem Umfang eine Handlungsorganisation überhaupt erforderlich ist und dementsprechend ihre Zuständigkeit auf Entscheidungen in einem bestimmten Bereich beschränkt bzw. an den Umfang der vorhandenen tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen an194 Das entspricht der ganz h.M., vgl. vorerst nur Flume, AT II 3 , §53,6 (883ff.); Sack, in: Staudinger13, §137 BGB Rn.26. Ausführlich dazu unten §7 1.2. 195 So aber Coeppicus, FamRZ 1992, 742,744, und Dröge, FamRZ 1998,1214. Es geht demgegenüber ausschließlich um die Teilnahme am Rechtsverkehr (Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 1143) und damit allein um die Möglichkeit der Rechtswahrnehmung. 196 Zur Zulässigkeit der sogenannten Betreuung im Drittinteresse vgl. Regierungsentwurf, 117f.; Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn.69ff.; Knittel,% 1896 BGB Anm.7f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 BGB Rn.19; BayObLG FamRZ 1998, 922 (923); 1996, 1369 (1370); für die Gebrechlichkeitspflegschaft ebenso BGHZ 93, 1 (9f.). 197 Coester, Kindeswohl, 135ff., bezeichnet diese Funktion als Eingriffslegitimation, bezieht sie aber nur auf das Verhältnis Staat - Eltern und damit auf die Grundlage des staatlichen Wächteramtes (Art. 6 II 2 GG). Beide wirken aber zusammen an der Erziehung des Kindes mit und sind gegenüber dem Kind legitimiert, sein Wohl zu bestimmen.
II. Die Betreuung als Handlungsorganisation
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gepaßt werden. Darin liegt zugleich eine Sicherung gegen die eigenmächtige Anmaßung von Entscheidungsbefugnissen. Vor allem aber kann man bereits bei der Bestellung darauf achten, daß die als Funktionsträger zu bestellenden Personen nicht ihre eigenen Interessen verfolgen werden und die Handlungsorganisation damit ihrem eigentlichen Zweck entfremdet wird, die Wünsche und Interessen des Betroffenen im Rechtsverkehr zu verwirklichen. Die Trennung von Bestellung und Tätigwerden der Handlungsorganisation ermöglicht daher zusätzlich ein ^präventive Kontrolle. Daneben ist die Prüfung der Erforderlichkeit der Einrichtung einer solchen Organisation und ihrer Tätigkeit immer im Rahmen nachträglicher Sanktionen möglich. Die präventive Kontrolle darauf, ob und in welchem Umfang eine Handlungsorganisation im Interesse des Betroffenen liegt und erforderlich ist, erfolgt zunächst bei ihrer Errichtung und obliegt deshalb demjenigen, der sie errichtet. Das kann der Betroffene selbst sein (Vollmacht)198 oder der Staat als Träger der Rechtsordnung und Garant der Rechtsgleichheit199 (Betreuung). Ein Bedürfnis für eine vom Staat einzusetzende Handlungsorganisation entsteht, wenn der Betroffene aufgrund seiner tatsächlich eingeschränkten Eigenverantwortung nicht in der Lage ist, selbst eine Handlungsorganisation zu errichten, oder die von ihm bereits eingerichtete Handlungsorganisation nicht ausreicht, um ihn einem Mündigen gleichzustellen und in vollem Umfang zur Rechtsperson zu machen200. Nähme eine staatliche Behörde die Aufgabe der Betreuung insgesamt wahr, unterläge der Bürger direktem staatlichen Zugriff Damit würde jedoch der Sinn der Betreuung verfehlt, soll doch der Betroffene durch sie als eigenverantwortliche Rechtsperson handeln können, die über ihre Rechtsverhältnisse selbst bestimmt. Das setzt Unabhängigkeit nicht nur von anderen Privatrechtspersonen, sondern auch und gerade Unabhängigkeit vom Staat voraus201. Die Rechtsperson als Organisation zur Verwirklichung der Selbstbestimmung des Betroffenen kann nur privatautonom handeln, wenn die Handlungsorganisation gegenüber der staatlichen Gewalt selbständig und d.h.privatrechtlich organisiert ist202. Dazu ausführlich unten §71. Art. 3 I GG. Vgl. vorerst nurß Kirchhof, in: HStRV, § 124 Rn. 199 m.w.N. und ausführlich dazu unten §5 1.3. 200 Vgl. §1896 II 2 BGB. Zum Vorrang der Vorsorgevollmacht Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 114ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn. 28ff.; Walter, Vorsorgevollmacht, 13 ff. Eine andere Frage ist es, ob das Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers verweigern kann, weil der Betroffene jemanden bevollmächtigen könnte (bejahend Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 Rn. 115; ders., BtR 3 , § 1896 Rn. 102; Holzhauer, in: Erman9, § 1896 BGB Rn. 38; verneinend Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 Rn. 32; ders., FamRZ 1992,495; ders., Festschrift Gernhuber, 822f.; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1896 BGB Rn. 18). Dabei geht es der Sache nach um die Grenzen für die Inanspruchnahme der Betreuung als staatlich organisierter und ggf. auch finanzierter (§§1835 IV, 1836a, 1836c-e BGB) Leistung. 201 Müller-Freienfels, Vertretung, 350f. Vgl. auch Thiele, 74. 202 Windel, FamRZ 1997, 715; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor §1773 BGB Rn.l5ff.; 198
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5 4 Die Funktion
der
Betreuung
Darin und nicht im allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität oder des Vorrangs der privaten vor der öffentlichen Hilfe 203 liegt der sachliche Grund für den Vorrang der Betreuung durch eine natürliche Person oder einen privatrechtlich organisierten Verein vor derjenigen durch eine Behörde 204 und dafür, daß ein Mitarbeiter eines Betreuungsvereins oder der Betreuungsbehörde, der selbst Betreuer ist 205 oder im Rahmen der Betreuung durch den Verein oder die Behörde tätig wird, dabei keinen Weisungen unterliegt 206 . Und hieraus folgte auch schon bisher der Vorrang des privaten Einzelbetreuers vor einem Vereins- oder Behördenbetreuer, weil diese finanziell oder organisatorisch staatsnäher sind 207 . Der Vorrang des ehrenamtlichen vor dem berufsmäßigen Betreuer, den jetzt die durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 zur Entlastung der öffentlichen Kassen 208 eingefügten §§1897 VI, 1908b 12 B G B enthalten, beruht jedoch nicht auf dem Gedanken der Staatsferne, soweit er auch gegenüber dem privaten Berufsbetreuer gilt. Insofern liegt der sachliche Grund für die Bevorzugung eines ehrenamtlichen Betreuers darin, daß dieser keine eigenen finanziellen Interessen an der Betreuung hat und deshalb eher die Gewähr dafür bietet, ausschließlich die Interessen des Betroffenen zu verfolgen. Bildet eine Privatrechtsperson die Handlungsorganisation, besteht andererseits die Gefahr, daß sie ihre eigenen Zwecke zu verfolgen beginnt und den Betroffenen ihrer privaten Fremdbestimmung unterwirft, anstatt seine Selbstbestimmung zu verwirklichen. Der Betreute darf nicht lediglich privater Willkür statt staatlicher Überwachung ausgeliefert werden 209 . Eine mögliche Auflösung dieses Widerspruchs besteht darin, die Aufgabe der Handlungsorganisation auf verschiedene Funktionsträger zu verteilen und ihnen verschiedene KompetenP. Kirchhof, in: Praxis des neuen Familienrechts, 185. Vgl. auch BVerfGE 22, 163 (173); 24, 119 (149). 2 0 3 So aber Holzhauer, in: Erman 9 , Vor § 1897 - 1899 B G B Rn.5; Hufen, BtPrax 1996, 56; Schwab, FamRZ 1992, 501; vgl. auch Knittel, § 1897 B G B Rn.4. 204 §§1897,1900,1908b V BGB. Ebenso für Österreich §281 ABGB. Dieser Zusammenhang ist in der österreichischen Reformdiskussion mehrfach betont worden (vgl. Forster/Pelikan, in: Rechtsfürsorge für psychisch Kranke und geistig Behinderte, 155; Forster, in: Rechtsfürsorge für psychisch Kranke und geistig Behinderte, 264, 268ff.). 2 0 5 Vereins- oder Behördenbetreuer, § 1897 II B G B . 206 Deinert, DAVorm 1992, Sp. 635-Jürgens, in:Jürgens, BtR, § 1897 B G B Rn. 5,7, § 1900 B G B Rn.8; Bienwald, BtR 3 , §1897 B G B Rn.45, §1900 B G B Rn.29; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1897 B G B Rn.6, § 1900 B G B Rn. 12; Knittel, § 1897 B G B Rn. 14. Zur Weisungsunabhängigkeit der früher mit der Wahrnehmung der Amtsvormundschaft oder -pflegschaft nach §§1897, 1791b B G B , 37, 54a J W G betrauten Mitarbeiter vgl. Brüggemann, in: Oberloskamp, Vormundschaft1, §16 Rn.69ff. 2 0 7 Im Ergebnis ebenso Bauer, in: H K - B U R , §1900 Rn. 16; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1897 B G B R n . l ; Holzhauer, in: Erman 9 , Vor §1897 - 1899 B G B Rn.5; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1897 B G B Rn.4. 208 Vgl Jag Beschwerderecht des Vertreters der Staatskasse in § 69g 12 F G G und die Begründung in BR-Drucks. 960/96, 16. Vor dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz schon Bauer, in: H K - B U R , §1900 Rn. 21. 209 Müller-Freienfels, Vertretung, 364.
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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zen dergestalt zuzuweisen, daß einerseits eine vom Staat unabhängige Person die konkrete Entscheidung für den Betroffenen jeweils selbständig trifft (Betreuer als gesetzlicher Vertreter), andererseits deren staatliche Kontrolle und Überwachung gewährleistet ist. Die Wahrnehmung dieser staatlichen Aufgabe wird gegenüber politischen Einflüssen und vor allem gegenüber Einflüssen aus der Wahrnehmung anderer staatlicher Aufgaben 210 , die sich vom Betroffenen her als fremde Interessen darstellen, neutralisiert, wenn sie von einem unabhängigen Gericht in justizförmiger Weise wahrgenommen wird (Vormundschaftsgericht) 211 . Die Organisation wird dadurch komplexer und bedarf zahlreicher rechtlicher Regelungen, die die Kompetenzen der einzelnen Funktionsträger und ihr Zusammenwirken sowohl im Verhältnis untereinander als auch im Verhältnis zum Betroffenen bei der Herstellung seiner Rechtsperson festlegen (Betreuungsverfahren). Eine derartige Aufteilung der Funktionen innerhalb der Handlungsorganisation setzt jedoch voraus, daß außer dem Vormundschaftsgericht als staatlicher Behörde auch ein Betreuer vorhanden ist. Das Vormundschaftsgericht muß daher schnellstmöglicht einen Betreuer bestellen, um die Rechtsperson des Betroffenen als einen vom Staat unabhängigen Entscheidungsträger im Rechtsverkehr herzustellen 212 . Deshalb kann es in dringlichen Fällen durch einstweilige Anordnung einen vorläufiger Betreuer bestellen 213 , bei Gefahr in Verzug sogar ohne Anhörung des Betroffenen und eines Verfahrenspflegers allein aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses 214 . Wenn eine Entscheidung allerdings so dringlich ist, daß nicht einmal die Bestellung eines vorläufigen Betreuers abgewartet werden kann, ohne dem Betroffenen irreparabel zu schaden, kann dessen Handlungsorganisation nur durch das Vormundschaftsgericht selbst gebildet werden. Bis ein vorläufiger Betreuer bestellt werden kann, ist demnach das Vor210 Z.B. der Verteilung knapper Mittel im Rahmen der Sozialhilfe, der Gesundheitsfürsorge u.s.w. Ahnliche Probleme stellten sich im Rahmen der Amtsvormundschaft oder -pflegschaft bzw. der Behördenbetreuung, weshalb die Aufgabe der privatrechtlichen Fürsorge nicht im Rahmen der allgemeinen Sozialverwaltung wahrgenommen wird, sondern im Jugendamt bzw. der Betreuungsbehörde verselbständigt und auch dort organisatorisch getrennt wird, vgl. Brüggemann/Kunkel, in: Oberloskamp, Vormundschaft2, §16 Rn. 71ff., 84, 89ff.; Zu den rechtlichen Anforderungen und ihren organisatorischen Konsequenzen ausführlich Kaufmann, DAVorm 1998, Sp.481ff. 211 Smid, Rechtsprechung, 107ff.; Pawlowski/Smiä, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn.28. 212 Deshalb hat die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters stets den Vorrang gegenüber dem Handeln auf Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag für den Betroffenen oder aufgrund seiner mutmaßlichen Einwilligung, vgl. BGHZ 29, 46 (52); BGH NJW 1966, 1855 (1856); Deutsch, Medizinrecht3, Rn. 109f.; Laufs, Arztrecht, Rn.224ff.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch §139 Rn.47; Schäfer, in: Staudinger12, §823 BGB Rn.482; Nüßgens, in: RGRK 1 2 , §823 BGB Anh. II Rn.76f.; Mayer, U l f . , 114f.; Meier, BtPrax 1994, 191; Weise, ZRP 1997,344. Unzutreffend Wigge, MedR 1996,291 (296): Betreuung erst, wenn kein mutmaßlicher Wille festzustellen sei. 213 214
§69f. I FGG. §69f. I 4, 5 FGG.
58
§4 Die Funktion der Betreuung
mundschaftsgericht verpflichtet und befugt, alle Aufgaben der Betreuung selbst wahrzunehmen215. Da es hierbei an die Stelle eines Betreuers tritt, unterliegt es dabei denselben materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, die für die Bestellung und Tätigkeit eines (vorläufigen) Betreuers gelten216. Die Kontrolle darauf, ob der Entscheidungsträger in der Handlungsorganisation auch tatsächlich die Wünsche und Interessen des Betroffenen im Rechtsverkehr verwirklicht oder ob nicht die Hilfe zur Selbstbestimmung in Fremdbestimmung umschlägt, ist nicht nur bei der Errichtung der Handlungsorganisation und der Bestimmung ihrer Funktionsträger, sondern während der gesamten Zeit ihres Bestehens erforderlich. Im Rahmen der staatlichen Betreuung untersteht der Betreuer bei seiner Tätigkeit der dauernden Aufsicht und Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht217. Kommt er seinen Pflichten nicht nach, indem er beispielsweise untätig bleibt oder einen verbindlichen Wunsch oder die Interessen des Betreuten mißachtet, muß das Vormundschaftsgericht eingreifen und ihm Anweisungen erteilen; notfalls kann es ihn auch entlassen und durch einen anderen Betreuer ersetzen218. Darüber hinaus bedarf er für bestimmte, vom Gesetzgeber als besonders wichtig oder gefährlich erachtete Entscheidungen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts219, das damit eine präventive Kontrolle ausübt220. Das begründet in jedem Fall die Pflicht des Betreuers, eine Genehmigung einzuholen, deren Einhaltung das Vormundschaftsgericht mit den Mitteln der Aufsicht erzwingen und bei deren Verletzung sich der Betreuer schadensersatzpflichtig machen kann221. In bedeutenden Fällen macht das Gesetz zudem die Wirksamkeit des Vertreterhandelns von der Genehmigung des 215 §§ 1908i 11,1846 BGB. Zum Vorrang des vorläufigen Betreuers Klüsener, in: Jürgens, BtR, § 1846 BGB Rn. 3ff., 5; Engler, in: Staudinger12, § 1846 BGB Rn. 6; Schwab, FamRZ 1990, 688. Meist wird dies allerdings etwas verkürzt mit der Selbständigkeit des Vormunds bzw. Betreuers begründet (vgl. z.B. Damrau, in: Soergel12, §1846 BGB Rn. 1; Engler, in: Staudinger12, §1846 BGB Rn. 1). 216 Für die aufgrund des § 1846 BGB erfolgende Unterbringung ordnet § 70h III F G G das ausdrücklich an. Vgl. im übrigen Engler, in: Staudinger12, §1846 BGB Rn. 3f.; W. Zimmermann, FamRZ 1990,1315; O L G Schleswig NJW 1992, 2974f. Insofern trifft die Kritik an dieser Möglichkeit der Unterbringung (OLG Frankfurt/M. FamRZ 1993,357i.; Rink, FamRZ 1993, 512ff.; Wiegand, FamRZ 1991,1022ff.) nicht zu. Im übrigen geht es der Sache nach darum, daß zugleich mit der Anordnung nach § 1846 BGB ein Betreuungsverfahren eingeleitet wird mit dem Ziel, einen Betreuer zu bestellen. Die Kritik an der fehlenden vorherigen Bestellung eines Betreuers wird so zur Kritik an der fehlenden gleichzeitigen Einleitung eines Betreuungsverfahrens (vgl. O L G Frankfurt/M. FamRZ 1993, 357f.).
§§1908i i.V.m. 1837 II 1 BGB. §§1908i i.V.m. 1837 II 1, 1908b I BGB. 219 §§ 1904- 1907,1908i i.V.m. 1810 S.2,1811,1812 III, 1814- 1816, 1819-1821, 1822 Nr. 1 4, 6 - 13, 1823, 1825 BGB. Zur Funktion der Genehmigung vgl. schon Motive IV, 1028, 1085, 1136. 220 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §60 IV 8 (756); Diederichsen, in: Palandt58, §1821 B G B Rn.2. 221 §§ 1908i I 1, 1837, 1833 BGB. 217 218
II. Die Betreuung als
Handlungsorganisation
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Vormundschaftsgerichts abhängig 222 und beschränkt dadurch die Rechtsmacht des Betreuers zum Schutz des Betreuten nach außen 223 . Hat der Betroffene dagegen selbst mittels einer Vollmacht eine Handlungsorganisation errichtet, obliegt auch deren Überwachung und Kontrolle zunächst ihm selbst. Sie findet daher ausschließlich im Innenverhältnis statt. Zum Problem wird dies dann, wenn er infolge seiner tatsächlich beschränkten Eigenverantwortung dazu nicht mehr (vollständig) in der Lage ist. In dieser Lage kann zunächst eine weitere, diesmal staatliche Handlungsorganisation mit der speziellen Aufgabe errichtet werden, ihn bei der Überwachung und Kontrolle der ersten Handlungsorganisation zu unterstützen 224 . Die Rechtsmacht des Bevollmächtigten nach außen bleibt davon allerdings unberührt. Insbesondere unterliegt er keiner präventiven Kontrolle des Vormundschaftsgerichts. Dafür müssen die Erfordernisse der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung auch auf das Handeln des Bevollmächtigten erstreckt werden 225 . Zusammenfassend läßt sich demnach die Betreuung als Handlungsorganisation des Betreuten beschreiben, die (zumindest) aus dem Betreuer als seinem gesetzlichem Vertreter, dem Vormundschaftsgericht und dem Betreuten selbst besteht und deren rechtliche Funktion darin besteht, daß auch ein aus tatsächlichen Gründen in seiner Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit eingeschränkter Mensch als Rechtsperson im Rechtsverkehr auftreten kann und damit einem Mündigen rechtlich gleichgestellt wird. Die Aufgabe des Betreuungsrechts liegt daher in der Organisation der „natürlichen (Rechts-)Person" mit dem Ziel, dem jeweiligen Menschen als ihrem rechtlichen Zentrum den Zugang zum Rechtsverkehr als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger unabhängig von seinem tatsächlichen Zustand zu eröffnen. Die Betreuung ist auf die222 Außengenehmigung im Gegensatz zur reinen Innengenehmigung in den Fällen der §§1810, 1823 BGB („soll") und des §1811 BGB {Schwab, in: MünchKommBGB 3 , 1811 BGB Rn. 12). 223 Motive IV, 1028, 1085; Engler, in: Staudinger12, § 1828 BGB Rn. 1, 9. Das betrifft sowohl das stellvertretende Handeln als auch z.B. die Erteilung der nach §§1903, 108ff. BGB erforderlichen Zustimmung zum Handeln des Betreuten (Motive IV, 1136; Engler, in: Staudinger12, § 1821 BGB Rn. 10, §1828 BGB Rn.3). 224 § 1896 III BGB. Zur sogenannten Vollmachts- oder Überwachungsbetreuung vgl. vorerst Bienwald, Rpfleger 1998, 231 ff., und ausführlich unten § 7 1.3. 225 So jetzt ausdrücklich für die Einwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen und die Unterbringung bzw. unterbringungsähnliche Maßnahmen §§ 1904 II, 1906 V BGB, die durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 eingeführt worden sind. Nach Flume, A.T. II 3 , §51, 6, (852ff.), und Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 773, reicht nach Eintritt der Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers die Kompetenz des Bevollmächtigten generell nicht weiter als diejenige eines gesetzlichen Vertreters, d.h. er bedarf insbesondere auch der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Dagegen die h.M. (ausführlich dazu Müller-Freienfels, Festschrift Coing, Bd. II, 403ff. m.w.N.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn. 152) und für die Vollmacht in personalen Angelegenheiten vor dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 auch Langenfeld, 16f.; Rover, 191 ff.; LG Stuttgart BtPrax 1994,64 (67); OLG Stuttgart BtPrax 1994,99 (100). Ausführlich dazu unten §7 1.2.
60
§ 4 Die Funktion der Betreuung
sen Menschen bezogen und dient allein seinem Wohl. Insofern verwirklicht sie seine Selbstbestimmung. Soweit sie jedoch über das dafür Erforderliche hinausgeht und ihre Bindung an das Wohl des Betreuten mißachtet, schränkt sie die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten des Betreuten ein und verfehlt damit ihre Aufgabe: seine Selbstbestimmung. Sie ist zwar nicht aktuelle, aber doch, potentielle Fremdbestimmung. Das Betreuungsrecht muß deshalb Sicherungen vorsehen, damit sich diese Gefahr der Fremdbestimmung des Betreuten nicht realisiert.
III. 1. Unmittelbare
Handeln
im
oder zustandsbedingte
Rechtsverkehr Handlungsunfähigkeit
Neben der Aufgabe, die gleichberechtigte Teilnahme des in seiner Eigenverantwortung eingeschränkten Menschen am Rechtsverkehr organisatorisch zu verwirklichen, stellt sich für das Recht die Frage, wie sich sein Zustand auf die eigenen Handlungen des Betroffenen im Rechtsverkehr auswirkt. Wir haben schon gesehen, daß man die eingeschränkte Fähigkeit zu eigenverantwortlichen Entscheidungen als Mangel der jeweiligen Handlung begreifen kann, deren verbindliche Feststellung nachträglich durch das Prozeßgericht im Streit um die rechtliche Zurechnung der Handlung erfolgt226. Da einem Mündigen grundsätzlich jede seiner Handlungen zurechenbar ist, weil sich darin seine Anerkennung als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger im Rechtsverkehr ausdrückt, geht es hier allein darum, welche Gründe den Ausschluß der Anerkennung in einem bestimmten Fall rechtfertigen. Das Gericht ist auch dabei auf die Anwendung des Rechts beschränkt. Würde es nämlich die Handlung des Betroffenen inhaltlich beurteilen, müßte es auf einen allgemeinen außerrechtlichen Maßstab zurückgreifen und z.B. danach fragen, ob sie „vernünftig", vertretbar u.s.w. ist. Eine solche inhaltliche Prüfung der Entscheidungen einer Rechtsperson anhand eines vorgegebenen Maßstabes ist jedoch mit ihrer Anerkennung als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger im Rechtsverkehr unvereinbar. Ihre Eigenverantwortung drückt sich gerade darin aus, daß sie im Rahmen der Rechtsordnung nach ihren eigenen Maßstäben, d.h. autonom entscheidet227. Der rechtliche Mangel kann deshalb nur darin bestehen, daß die Oben §411.2. Flume, A.T. II 3 , §1,5 (6f.); v. Hippel, 61 f.; Pawlowski, Willenserklärungen, § 10 III 1 (250); ders., Festschrift Fenge, 494f.; Bydlinski, 133; Schapp, 50f.; vgl. auch Fastrich, 37, 41 f.; Singer, Selbstbestimmung, 7, lBff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 246;K. Amelung, ZStW 104 (1992), 547,551 („subjektive Vernünftigkeit" der Einwilligung nach dem eigenen Wertmaßstab); für die Testierunfähigkeit ebenso O L G Frankfurt/M. FamRZ 1996, 635 (636); NJW-RR 1998, 870 (872); BayObLG NJW 1992, 248 (249). Das schließt die Uberprüfung anhand eines allgemeinen rechtlichen Maßstabes gerade nicht 226 227
III. Handeln im
Rechtsverkehr
61
Entscheidung nicht mehr als Ergebnis der Selbstbestimmung des Betroffenen anerkannt werden kann. Da ihm dadurch punktuell im Hinblick auf eine bestimmte Handlung die Anerkennung als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger verweigert wird228, müssen die tatsächlichen Voraussetzungen dieser allgemeinen Anerkennung im konkreten Fall fehlen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn er aufgrund seines Zustandes überhaupt keine eigenverantwortliche Entscheidung mehr treffen kann, also entweder nicht mehr weiß, was er tut, oder sich nicht nach seiner Einsicht zu richten vermag. Ist die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eines Menschen im konkreten Fall ausgeschlossen, kann ihm sein Verhalten nicht mehr rechtlich als seine Handlung zugerechnet werden. Diese allgemeine Überlegung macht verständlich, warum der historische Gesetzgeber des BGB die deliktische Unzurechnungsfähigkeit in §827 BGB und die Geschäftsunfähigkeit in § 104 Nr. 2 BGB parallelisierte und an die Regelung der strafrechtlichen Schuldunfähigkeit in dem damaligen § 51 RStGB anlehnte229. a) Handlungsbezogene
Voraussetzungen
Geht es nicht um die allgemeine Zulassung zum Rechtsverkehr, sondern um den Ausschluß der Zurechenbarkeit einer einzelnen konkreten Handlung, lassen sich die Voraussetzungen hierfür nicht allgemein, sondern erst im Hinblick auf die Art der Zurechnung und die rechtliche Form und Bedeutung der konkreten Handlung bestimmen. Nicht ihr sachlicher Inhalt oder ihre wirtschaftlichen und persönlichen Auswirkungen, sondern allein ihre rechtliche Ausgestaltung bestimmt die rechtlichen Anforderungen an die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für eine bestimmte rechtliche Handlung ist daher erst dann und nur dann ausgeschlossen, wenn aus, weil der einzelne seine Zwecke nur im Rahmen des Rechts verfolgen kann. Dieser wesentliche Unterschied geht verloren, wenn man nach der „Richtigkeit" der Entscheidung fragt, sei es generell (so z.B. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, 61 f., 67ff., 73f.; Habersack, Vertragsfreiheit, 50; grundsätzlich auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 15 f., wenngleich sich die Angemessenheitskontrolle nicht auf den Inhalt des Vetrages erstrecken soll (a.a.O., 17f.)) oder jedenfalls in „gravierenden Fällen", die vom notwendig typisierenden Gesetz nicht erfaßt werden (so z.B. Singer, Selbstbestimmung, 33ff., 39; ders., JZ 1995, 1138ff.). 228 Insofern ist jede Handlungsunfähigkeit partiell, d.h. auf einen bestimmten Bereich bezogen. §§1304, 2229 IV BGB stellen deshalb besondere Fälle der partiellen Geschäftsunfähigkeit dar (Holzhauer, Gutachten, B 52; Müller, 19; Weser, MittBayNotK 1992, 169). Die Bedenken von Pawlowski, A.T.5, Rn. 198, betreffen daher genau genommen nicht die Anerkennung einer partiellen Geschäftsunfähigkeit, sondern ihre Begründung aus dem Inhalt des Geschäfts. Dazu noch unten §4 Ill.l.a. 229 Motive II, 733; Protokolle I, 56; vgl. schon Savigny III, § 112 (84); und heute Oechsler, in: Staudinger13, §827 BGB Rn. 16. Zur Deliktsfähigkeit Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2, Rn.449; ausführlich Waihel, 16ff. Auch bei der Einführung des heutigen §2229 IV BGB orientierte man sich wieder am Strafrecht (Holzhauer, Gutachten, B 52).
62
§ 4 Die Funktion der Betreuung
der einzelne aufgrund seines Zustandes nicht in der Lage ist, ihre rechtliche Bedeutung und ihre rechtliche Folgen zu erkennen und sich danach zu entscheiden230. Heute betont man daher, daß sich die rechtliche Beurteilung der „natürlichen Geschäftsunfähigkeit", Prozeßunfähigkeit, Einwilligungsunfähigkeit, Deliktsunfähigkeit oder gar der strafrechtlichen Schuldunfähigkeit nach unterschiedlichen Gesichtspunkten richten231 - und vergißt darüber nicht selten ihren gemeinsamen Kern als punktuelle Ausnahme von der mit der Mündigkeit verbundenen rechtlichen Anerkennung der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des einzelnen232. Geht es um die Zurechnung der tatsächlichen Folgen des Handelns, also um die Haftung für Delikte oder für die Verletzung schuldvertraglicher Pflichten, legt das allgemeine Recht oder die Ordnung des Schuldverhältnisses bereits unabhängig von der zu beurteilenden Handlung fest, was dem einzelnen rechtlich ge- oder verboten ist. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit muß daher gerade im Hinblick auf die Einhaltung dieser rechtlichen Verpflichtung ausgeschlossen sein233. Demgegenüber bezieht sich die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei der 230 Vgl. O G H Z 4, 66 (72); 2, 45 (54); RG Warn 1911 Nr. 164; und schon RG SeuffArch Bd. 40 (1884) Nr. 5 (6f.) für die Testierunfähigkeit nach gemeinem Recht: Es kommt nur darauf an, ob der Erblasser sich bewußt war, daß er die Legate aufhob und die Erfüllung seiner Wünsche in das Ermessen seiner Frau als Erbin legte. Dagegen ist es unerheblich, ob er alle weiteren Folgen seiner Handlung überblickte. Die inhaltliche Schwierigkeit spielte für das RG keine Rolle. Der Entscheidung läßt sich daher entgegen G. Gebauer, AcP 153 (1954), 347 Fn.45, nicht die Anerkennung der relativen Handlungsfähigkeit entnehmen. 231 Dilcher, in: Staudinger12, §104 BGB Rn.19; Müller, 11; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 824f.; und schon Rümelin, 31 ff. Konsequenterweise wird in vielen Darstellungen des Allgemeinen Teils die Deliktsfähigkeit nicht mehr erwähnt (so z.B. Flume, A.T. II 3 , § 13, 3 (184ff.); H. Hübner, A.T. 2 , Rn.700ff.; H. Köhler, A.T. 23 , §17 Rn.3; Medicus, A.T. 7 , Rn.542. Anders aber noch Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, §92 II 1 und 2 (530f.)). 232 Larenz/Wolf, A.T. 8 , §2 Rn. 14ff., 25ff., §6 Rn.5; Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 168ff.; und schon Savigny III, §112 (82ff., 84). Zum Zusammenhang der zivilrechtlichen Delikts- mit der strafrechtlichen Schuldfähigkeit Kuhlen, JZ 1990, 275. 233 §§827, 276 I 3 BGB, 233 ZPO. Der BGH (NJW 1989, 1612f.) hat daher für § 827 BGB zu Recht darauf abgestellt, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eines Betrunkenen gerade im Hinblick auf das elementare Verbot ausgeschlossen war, sich betrunken ans Steuer zu setzen. Zustimmend Mertens, in: MünchKommBGB 3 , § 827 BGB Rn. 1, 4. Dasselbe gilt auch im Rahmen des §20 StGB (BGHSt 14, 114 (116); Lenckner, in: Schönke/Schröder25, §20 StGB Rn.31 m.w.N.). Kommt es für den Ausschluß der Verantwortlichkeit nach § 827 BGB nicht nur auf die Einsichts-, sondern auch auf die Steuerungsfähigkeit an, kann es für die nach §828 II BGB positiv und individuell festzustellende Deliktsfähigkeit eines Minderjährigen zwischen sieben und achtzehn Jahren bereits de lege lata nicht anders sein, weil für eine Sonderbehandlung Minderjähriger kein sachlicher Grund besteht (Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 174; Kuhlen, JZ 1990,276f.; anders aber die h.M., vgl. Oechsler, in: Staudinger13, § 828 BGB Rn. 8 m.w.N.). Rechtspolitisch gefordert wird eine derartige Reform des §828 II BGB schon lange (vgl. Scheffen, ZRP 1991, 458ff.; Waibel, 156ff., 172ff.; beide m.w.N. Dagegen aber z.B. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht2, Rn.451).
III. Handeln
im
Rechtsverkehr
63
Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse durch Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen auf die Fähigkeit z u r eigenverantwortlichen G e staltung. Nach dem oben Gesagten kann das Gericht die unmittelbare G e schäfts-, Prozeß-, Ehegeschäfts-, Testier- oder Einwilligungsunfähigkeit nicht anhand des Inhalts der Entscheidung feststellen, also nicht danach fragen, ob sie „vernünftig", „normal" u.s.w. ist 234 . Deshalb kann es w e d e r auf die Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung noch darauf ankommen, ob sich der tatsächliche Zustand des Betroffenen in der konkreten Entscheidung ausgewirkt hat, denn beides setzt voraus, daß man den Inhalt der Entscheidung anhand eines heteronomen Maßstabes beurteilt 2 3 5 . Eine „relative", an der Schwierigkeit des Geschäfts orientierte Geschäftsunfähigkeit im Rahmen des § 1 0 4 Nr. 2 B G B 2 3 6 ist also nicht wegen der mit ihr verbundenen Rechtsunsicherheit abzu234 So aber ausdrücklich Brandt, Verkehrssicherheit, 56f.; ders., Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), 372; Hardeland, JherJb 37 (1897), 167f., 182f.; Regelsberger, § 133 I (484). Die von den letzteren zitierten Entscheidungen aus dem 19. Jahrhundert besagen aber mit Ausnahme der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des OAG Berlin SeuffArch Bd. 25 (1871 ) Nr. 117, das Gegenteil. Wie hier dagegen für die Testierunfähigkeit nach deutschem Recht ausdrücklich BayObLG NJW 1992,248 (249); OLG Frankfurt/M. FamRZ 1996, 635 (636); NJW-RR 1998, 870 (872); für die Einwilligungsunfähigkeit K. Amelung, ZStW 104 (1992), 547, 551; allgemein Kohl, in: AKBGB, §104 BGB Rn.5; und die englische Law Commission, Law Com No. 231, §§3.4ff. (33); Consultation Paper No. 128, §§3.27ff. (29ff.); Consultation Paper No. 129, §§2.14ff. (17ff.). Der BGH hat lediglich in zwei zivilrechtlichen Entscheidungen ergänzend und damit obiter auf die Unvernünftigkeit der vom Betroffenen getätigten Geschäfte hingewiesen (BGH WM 1996, 104 (104f.); FamRZ 1970, 641). In einer vereinzelt gebliebenen strafrechtlichen Entscheidung (BGH NJW 1978, 1206 - Zahnextraktionsfall; anders dagegen RGSt 25, 375 (378f.); BGHSt 11, 111 (114); BGH NJW 1980, 1333 (1334); BGH NJW 1980, 2751 (2753). BGHZ 90, 103 (105f.)) begründete er die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten mit der Unvernunft seiner Entscheidung. Diese Entscheidung wird daher zu Recht abgelehnt, vgl. Hruschka, JR 1978, 519ff.; Rogall, NJW 1978, 2344f.; Rüping, Jura 1979, 90ff.; Roxin\ §13 Rn.57f.; ausführlich Meyer, 71 ff. 235 Das französische Recht läßt dagegen die Begründung des trouble mental aus dem Inhalt des Geschäfts (preuve intrinsèque) allgemein zu (ähnlich Art. 3:34 I 2 des niederländischen B.W.B.). Nach dem Tod des Handelnden ist der Nachweis zum Schutz des Rechtsverkehr grundsätzlich darauf beschränkt (Art. 489-1 CC; dazu Malaurie/Aynés, Nr. 717ii. (272ff.); Ferid/Sorcnenberger l/l 2 ,1 F 333; W. Hellermann, Schutz, 21 f.). Für die Urteilsunfähigkeit nach Art. 16 des schweizerischen ZGB soll die Unvernünftigkeit des Geschäfts als Indiz dienen können (BGE 44 II, 447 (450); A. Bucher, Natürliche Personen, Rn. 85). 236 Dafür Flume, A.T. II3, § 13, 5 (186ff.); Holzhauer, Gutachten, B 44ff., 52ff.; de lege ferenda auch G. Gebauer, AcP 153 (1954), 361 ff. Entgegen G. Gebauer (a.a.O., 347f.) hat auch die neuere gemeinrechtliche Lehre und Praxis die relative Handlungsunfähigkeit nicht anerkannt. Von den dort zitierten Entscheidungen Hesse sich allenfalls RG SeuffArch Bd. 40 (1884) Nr. 5 bei flüchtiger Betrachtung in diesem Sinne verstehen. Doch ist das unzutreffend (dazu oben §4 Fn.230). Die Urteilsunfähigkeit nach Art. 16 des schweizerischen ZGB wird allgemein als „relativ" bezeichnet, ohne daß ganz deutlich wird, ob damit nur der Bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft gemeint ist (so z.B. Rabel, RheinZ 4 (1912), 151); BGE 32 II, 739 (749ff.); vgl. auch£. Bucher, in: Berner Kommentar3, Art. 16 ZGB Rn. 87f.), oder auch dessen inhaltliche Schwierigkeit eine Rolle spielen soll (in diese Richtung A. Bucher, Natürliche Personen, Rn. 86ff.). Die herkömmlichen Formulierungen lassen beide Deutungen zu (vgl. BGE 98 Ia, 324 (325f.); 108 V, 121 (128f.); 111 V,
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§4 Die Funktion der Betreuung
lehnen 237 , sondern weil sie mit der Anerkennung der Selbstbestimmung unvereinbar ist 238 . Darin liegt auch die sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Regelung, die für die „natürliche" Geschäftsunfähigkeit, Testierunfähigkeit oder Ehegeschäftsunfähigkeit die Vornahme der Handlung „im Zustand" der Entscheidungsunfähigkeit genügen läßt 239 und auf das Erfordernis der Kausalität verzichtet 240 . Nach dem Ergebnis unserer bisherigen Überlegungen ruft aber auch die in Rechtsprechung und Lehre schon seit langem anerkannte „partielle", auf einen bestimmten gegenständlichen Bereich beschränkte unmittelbare Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 B G B Bedenken hervor, weil sie regelmäßig damit begründet wird, daß sich der Zustand des Betroffenen nur auf diesem Gebiet, d.h. partiell auswirke und er daher nur insoweit unmittelbar geschäftsunfähig sei 241 . Denn das scheint die Beurteilung des Inhalts der Entscheidung vorauszusetzen 242 . Diese Bedenken betreffen jedoch in erster Linie die angeführte Begründung, nicht die Ergebnisse der jeweiligen Entscheidungen. Die unmittelbare zustands bedingte Geschäftsunfähigkeit bezieht sich nämlich immer auf eine konkrete einzelne Handlung im Rechtsverkehr und setzt nach dem oben Gesagten voraus, daß die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gerade im Hinblick auf diese bestimmte Form rechtlichen Handelns ausgeschlossen ist. Insofern ist nie über die allgemeine Fähigkeit zu Rechtsgeschäften, sondern schon von vornherein immer nur über die Fähigkeit zu dem im konkreten Fall in Rede stehenden Rechtsgeschäft zu entscheiden 243 . Die unmittelbare Handlungsunfähigkeit ist daher notwendig partiell, als sie sich auf den konkreten Typ der rechtlichen 58 (61); 117 II, 231 (232f.); 118 Ia, 236 (237); E. Bucher, in: Berner Kommentar3, Art. 16 ZGB Rn. 90ff.; Tuor/Schnyder 10 , 71). 2 3 7 Darauf stützt sich die h.M., vgl. O G H Z 2,45 (53); BGHZ 30,112 (117); B G H NJW 1953, 1342; 1961,261; 1970,1680 (1681); BayObLG NJW 1989,1678f.; Hefermehl, in: Soergel12, § 104 BGB Rn. 7; Dächer, in: Staudinger12, § 104 BGB Rn. 23; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 104 BGB Rn. 19; zweifelnd Enderlein, 179. 238 So auch Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 198, 171; Kohl, in: AK-BGB, § 104 BGB Rn. 8. 239 Vgl. §§ 104 Nr. 2,105 II, 1304,2229 IV BGB. So auch schon Savigny III, § 112 (85). Ebenso das französische Recht, wenngleich dies dort pragmatisch mit Beweisschwierigkeiten begründet wird {Malaurie/Aynes, Nr. 717 (272); VeriA/Sonnenberger l / l 2 , 1 F 333). 240 Deshalb überzeugt der Versuch Holzhauers, Gutachten, B 54, nicht, im Anschluß an frühere Vorstöße in der Literatur (vgl. z.B. G. Gebauer, AcP 153 (1954), 353f.) die Berücksichtigung der Kausalität des Zustandes als konsequente Weiterentwicklung der partiellen Geschäftsunfähigkeit darzustellen. Nach niederländischem Recht wird die Kausalität der geistigen Störung vermutet, wenn das Geschäft nachteilig ist (Art.3:34 I 2 B.W.B.). 241 BGHZ 30, 112ff.; 18, 184ff.; NJW 1971, 843; RGZ 162, 223 (229); RG Warn 1933 Nr.91 (182f.); JW 1922, 1007; 1912, 872f.; SeuffArch Bd. 51 (1896/97) Nr. 89 (134f.); Flume, A.T. II 3 , § 13, 4 (186); H. Hübner, A.T.2, Rn.700; Larenz/Wolf, A.T.8, §6 Rn.27ff. 242 Ablehnend deshalb Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 198. 243 BayObLG FamRZ 1997, 294 (295) für Ehegeschäftsunfähigkeit und Testierunfähigkeit; Müller-Gindullis, in: MünchKommBGB 3 , §2 EheG Rn.4 für die Ehegeschäftsunfähigkeit; und schon Kabel, RheinZ 4 (1912), 151. Das verkennen z.B. C. Böhmer, StAZ 1992,67, und hinsieht-
III. Handeln im
65
Rechtsverkehr
Handlung bezieht, beispielsweise auf die Eingehung der E h e 2 4 4 , die Errichtung eines Testaments 2 4 5 , den Abschluß eines Erbvertrages 2 4 6 , oder die F ü h r u n g eines bestimmten Prozesses 2 4 7 . Wird die Handlungsunfähigkeit dagegen nicht ausschließlich von der rechtlichen
Form der Entscheidung her bestimmt, sondern
darüber hinaus ihrem Inhalt nach auf Geschäfte mit bestimmten Personen oder über bestimmte Gegenstände beschränkt, verstößt das gegen die Anerkennung der Selbstbestimmung des Mündigen und ist deshalb abzulehnen 2 4 8 . Die herkömmliche Diskussion u m „relative" und „partielle" Geschäftsunfähigkeit trifft demnach nicht den entscheidenden Gesichtspunkt. D a es u m den Ausschluß der rechtlichen Anerkennung einer konkreten einzelnen Handlung des Betroffenen geht, muß seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gerade im Hinblick auf diese F o r m rechtlichen Handelns ausgeschlossen sein. Die A n f o r derungen an seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit werden deshalb jeweils von der rechtlichen Ausgestaltung
und den rechtlichen Bedingungen
dieser
Handlungsform festgelegt. So ist beispielsweise der Patient im Vorfeld einer ärztlichen
Maßnahme
über
Art, U m f a n g und Risiken dieser Maßnahme aufzuklären, u m ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen 2 4 9 . A u c h die zahlreichen pflichten,
Informations-
den künftigen Vertragspartner vor dem Abschluß bestimmter G e -
lich der (allgemeinen) Geschäftsunfähigkeit auch Finger, StAZ 1996, 228f., obwohl er bei der Ehegeschäftsunfähigkeit die hier vertretene Auffassung teilt. Diesen Bezug bezeichnet die schweizerische Rechtsprechung und Lehre aus deutscher Sicht etwas mißverständlich als „Relativität" der Urteilsunfähigkeit nach Art. 16 ZGB (vgl. die Nachweise oben in §4 Fn.236). 244 BayObLG FamRZ 1997, 294 (295); Müller-Gindullis, in: MünchKommBGB 3 , §2 EheG Rn.4; Finger, StAZ 1996, 228f. 245 BayObLG FamRZ 1997, 294 (295); Baumann, in: Staudinger13, §2229 BGB Rn.20. 246 BGH FamRZ 1984, 1003 (1004). 247 BGH VersR 1989, 931; NJW 1971, 843; BGHZ 20,112 (116ff.); 18, 184 (186f.); RGZ 162, 223 (229); 120, 170 (173). 248 So jetzt auch für die Testierunfähigkeit BayObLG NJW 1992,248 (249); OLG Frankfurt/ M. FamRZ 1996, 635 (636); NJW-RR 1998, 870 (872); Edenhofer, in: Palandt58, §2229 BGB Rn. 3; Weser, MittBayNotK 1992,169. Die bisherige Rechtsprechung hat diese Grenze der „partiellen Geschäftsunfähigkeit" meist respektiert (vgl. nur BGH NJW 1970,1680 (1681); OGHZ 2, 45 (53)). Zur Berücksichtigung des Geschäftsinhalts bei der unmittelbaren Urteilsunfähigkeit nach Art. 16 des schweizerischen ZGB vgl. oben §4 Fn.236. Eine grundsätzlich andere Bedeutung kam der Lehre von der partiellen Geschäftsunfähigkeit im Rahmen der früheren Gebrechlichkeitspflegschaft zu. Dort ging es um die Frage, ob ein geistig Behinderter oder Kranker notwendig entmündigt werden mußte, oder ob er gegen seinen Willen auch einen auf bestimmte Bereiche beschränkten Gebrechlichkeitspfleger erhalten konnte, was seine (partielle) Geschäftsunfähigkeit voraussetzte (dazu oben §3 II.5.). Seine partielle Geschäftsunfähigkeit beschrieb somit den Bereich der Fürsorgebedürftigkeit. Vgl. zuletzt noch BGHZ 93, 1 (4ff.); BayObLG NJW 1992, 2100f. 2 4 9 Zu dieser Funktion der Aufklärung („Selbstbestimmungsaufklärung") Deutsch, Medizinrecht3, Rn. lOOff.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch §61 Rn. 13ff., §63; ders., Arztrecht5, Rn. 160ff. Vgl. auch BVerfGE 52, 131 (170ff.).
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
Schäfte über dessen Inhalt zu informieren250, sollen diesen in die Lage versetzen, eine selbständige Entscheidung zu treffen, und gewährleisten so die tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung251. Diese rechtlichen Bedingungen der Entscheidung bestimmen daher auch die Anforderungen an die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen. Wenn jemand nach der rechtlich gebotenen Aufklärung oder Information aufgrund seines Zustandes nicht in der Lage ist, die rechtliche Bedeutung und Tragweite der Entscheidung zu verstehen oder sich danach zu entscheiden, ist er daher unmittelbar handlungsunfähig252. Dagegen spielt es keine Rolle, ob er auch alle außerrechtlichen Gesichtspunkte überblicken kann, wie z.B. die wirtschaftliche oder persönliche Schwierigkeit des Entscheidung oder ihre wirtschaftlichen Folgen253. Eine „wirtschaftliche Rechtsgeschäftsfähigkeit"254 ist daher nicht anzuerkennen255. Die sogenannte „Relativität" der Einwilligungsunfähigkeitlib erweist sich von daher als Konsequenz der rechtlichen Ausgestaltung der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen. Dagegen kommt es auch bei der Einwilligungsunfähigkeit nicht auf die Kausalität der Störung für die Entscheidung oder deren inhalt250 Vgl. z.B. §4 14,5 12 VerbrKrG, 4 TzWrG, 651a III, V BGB, 10a VAG, 5a W G und das in §9 AGBG verortete Transparenzgebot (dazu Brandner, in: Ulraer/Brandner/Hensen8, §9 AGBG Rn. 87ff.), die alle auf entsprechenden Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft beruhen und daher Bestandteil des europäischen Privatrechts sind (Uberblick bei Reich3, 334ff.). Zu den vertragsschlußbezogenen Informationspflichten in den europäischen Rechtsordnungen vgl. St. Lorenz, Schutz, 416ff. m.w.N., zum deutschen Recht Roth, in: MünchKommBGB 3 , §242 BGB Rn.210ff.; Grunewald, AcP 190 (1990), 609ff. 251 Es geht daher bei diesen vertragsschlußbezogenen Informationspflichten weniger um den Schutz der materiellen Interessen des Verbrauchers als um den „mündigen Verbraucher" (der insbesondere auf der europäischen Ebene das Leitbild des Verbraucherschutzes ist, vgl. Reich3, 63f.; 304f.; Kind, 50ff.) und damit um die tatsächliche Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung (Breidenbach, 12; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, 62ff., 104ff. Ahnlich auch St. Lorenz, Schutz, 421, wenn er auf die Möglichkeit zur Selbstinformation abhebt, was auf die Eigenverantwortung verweist. Unklar Kind, 96f., die ihr Augenmerk vorwiegend auf den Eingriff in die Vertragsfreiheit des Anbieters richtet.). 252 Das ist für die Unfähigkeit zur Einwilligung in Eingriffe in personengebundene Rechte und insbesondere in die körperliche Integrität allgemein anerkannt (Schäfer, in: Staudinger12, §823 BGB Rn. 455, 470; Nüßgens, in: RGRK 1 2 , §823 BGB Anh. II Rn.60, 70ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§32ff. StGB Rn.40; ausführlich dazu Kohte, AcP 185 (1985), 105ff.; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 525ff., 821 ff.), gilt aber allgemein. 253 Zutreffend OGHZ 4, 66 (72); 2, 45 (54); und bereits RG Warn 1911 Nr. 164; SeuffArch Bd. 40 (1884) Nr. 5. Dagegen bezieht K. Amelung, ZStW 104 (1992), 544ff. und öfter, zuletzt J R 1999, 47, die Einwilligung nur pauschal auf Rechtsgut und Interessen des Einwilligenden und verliert dadurch die Möglichkeit, die Anforderungen jeweils normativ aus ihrem Gegenstand zu konkretisieren. 254 Graf von Westphalen, MDR 1994, 7, unter Berufung auf BVerfGE 89, 214 (234) - Bürgschaft. Ahnlich schon M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, 125ff., 180. 255 Ebenso Fastrich, 40f., Singer, Selbstbestimmung 18ff.; ders., JZ 1995, 1138. 256 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1904 BGB Rn. 7; Regierungsentwurf, 7\;Knittel, § 1904 BGB Rn. 3a; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 557f. Versteht man abweichend vom eingeführten Sprachgebrauch mit Voll, 65, darunter lediglich den Bezug auf eine konkrete Handlung, ist jede Art der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit in diesem Sinne relativ.
III. Handeln im
Rechtsverkehr
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liehe Prüfung auf Vernünftigkeit 257 , Vertretbarkeit oder Schwierigkeit an. Beispielsweise bestimmt die inhaltliche Bedeutung und Schwierigkeit einer ärztlichen Maßnahme zunächst Art und Umfang der für die Einwilligung rechtlich erforderlichen ärztlichen Aufklärung und ist daher für die Einwilligung nicht unmittelbar, sondern nur vermittels der Aufklärungspflicht bedeutsam 258 . Die Einwilligungsunfähigkeit ist deshalb im herkömmlichen Sinne gerade nicht relativ. Im Ergebnis erweist sich daher die herkömmliche Unterscheidung von unmittelbarer Geschäftsunfähigkeit i.S.d. §104 Nr.2 B G B und Einwilligungs««fähigkeit 259 in zweifacher Hinsicht als unzureichend. Sie verdeckt zum einen, daß es in beiden Fällen um dasselbe Sachproblem geht, nämlich um den völligen Ausschluß der Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Entscheidung zur Zeit einer bestimmten Handlung. Sie ist zum anderen aber auch zu undifferenziert, weil sie die verschiedenen Formen und Bedingungen rechtlichen Handelns nicht berücksichtigt. Die gesetzliche Regelung der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit in §104 Nr. 2 B G B gilt daher für alle Formen selbstbestimmten Handelns und damit auch für die unmittelbare Einwilligungsunfähigkeit. Nicht nur bei der Einwilligung, sondern auch bei allen anderen Handlungsformen bestimmt aber ihre jeweilige rechtliche Ausgestaltung den maßgeblichen Bezugspunkt für die Frage nach der Handlungsunfähigkeit. Bisher haben wir die Anforderungen beschrieben, die von der rechtlichen Form der Handlung bzw. dem Gegenstand der Entscheidung her an die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des einzelnen im konkreten Fall gestellt werden. Diese Anforderungen sind für jeden Mündigen in der entsprechenden Situation gleich. Der Grund, der es rechtfertigt, einen bestimmten volljährigen Menschen anders zu behandeln und ihm seine Entscheidung ausnahmsweise rechtlich nicht zuzurechnen, liegt in seiner fehlenden Eigenverantwortlichkeit, also darin, daß seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in diesem konkreten Fall ausgeschlossen ist. Das wirft die Frage nach den personalen Voraussetzungen der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit auf.
257 RGSt 25, 375 (378f.); BGHSt 11, 111 (114); BGH NJW 1980, 1333 (1334); BGH NJW 1980, 2751 (2753); BGHZ 90, 103 (105f.). Vgl. auch oben §4 Fn.234. 258 Das hat man bisher meist nicht erkannt (vgl. aber Knittel, § 1904 BGB Rn. 3a) und deshalb für die Anforderungen an die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unmittelbar auf die Bedeutung und Schwierigkeit der Maßnahme abgestellt, vgl. nur Regierungsentwurf, 71; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1904 BGB Rn.7; Flume, A.T. II 3 , § 13, 11 f. (219f.); Voll, 88. 259 Der herkömmlich verwendete Begriff der „Einwilligungsfähigkeit" umfaßt demgegenüber sowohl die generell zu bestimmende Mündigkeit hinsichtlich der Entscheidung zu Eingriffen in personenbezogene Rechte als auch die unmittelbare Einwilligungsunfähigkeit im konkreten Einzelfall (vgl. auch oben §4 H.2.).
68
§4 Die Funktion der Betreuung
b) Personale
Voraussetzungen
Auch hinsichtlich der personalen Voraussetzungen der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit darf die Rechtsordnung wegen der jedem Mündigen gleichermaßen zukommenden Autonomie nicht auf die Entscheidung und deren Inhalt abstellen260. Die Anerkennung einer bestimmten Entscheidung des Mündigen kann daher nur im Hinblick auf seine von Natur aus vorhandenen Defizite versagt werden, weil seine natürliche Unterlegenheit dem Recht vorgegeben ist und eine andere rechtliche Behandlung erlaubt und erfordert261. Ansonsten würde die formale Rechtsgleichheit aller Mündigen zu seiner tatsächlichen Ungleichbehandlung führen262. Das Gesetz umschreibt diese Voraussetzungen in der Weise, daß sich der Betroffene in einem „Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit"263, der „Bewußtlosigkeit"264, „Geistesschwäche"265, „Bewußtseinsstörung"266 oder „Geistesstörung"267 befinden muß, der seine freie Willensbestimmung ausschließt268, d. h. ihn außer Stande setzt, die Bedeutung seiner rechtlichen Handlung zu erkennen und nach dieser Entscheidung zu handeln269. Dabei ist man sich heute darüber einig, daß diese Formulierungen als Rechtsbegriffe zu verstehen sind, die alle geistigen Anomalien umfassen, unabhängig von deren medizinischer Einordnung und Bezeichnung. Maßgebend ist allein, ob eine derartige geistige Anomalie im konkreten Fall die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausschließt270. Das soll nach einer schon vom Reichsgericht271 geprägten Formulierung der Fall sein, wenn die Entschlüsse des Betroffenen nicht mehr auf einer „der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechenden Würdigung der Außendinge und Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden, krankhafte Vorstellungen und Gedanken oder durch Einflüsse dritter Personen dauernd derart beeinflußt werden, daß sie tatsächlich nicht mehr frei sind, vielmehr sich Dazu oben §4 111.1. Vgl. K. Amelung, ZStW 104 (1992), 551ff.; Reuter, Kindesgrundrechte, 61. 262 Oben §4 II.3.b. 263 §§104 Nr. 2, 827 S.l BGB. 264 §§105 II, 827 S.l BGB. 265 §2229 IV BGB. 266 §2229 IV BGB. 267 §§105 II, 827 S. 1 BGB. 268 §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB. Dasselbe gilt nach allgemeiner Ansicht für § 105 II BGB (RGZ 74, 110 (111 ff.); 103, 399 (400); BGH FamRZ 1970, 641; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 105 BGB Rn. 11; Medicus, A.T. 7 , Rn. 544). 269 §2229IV BGB, der sachlich §§ 104 Nr. 2,105 II BGB entspricht (OLG Düsseldorf FamRZ 1998,1064 (1065); Flume, A.T. II3, § 13, 3 (185); M. Schmidt, in: Erman9, §2229 BGB Rn. 7; Baumann, in: Staudinger13, §2229 BGB Rn. 17, 24). 270 RGZ 162, 223 (229); Dächer, in: Staudinger 12 , §104 BGB Rn.20; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 104 BGB Rn. 5; Hefermehl, in: Soergel12, § 104 BGB Rn. 5; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 104 BGB Rn. 17; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 555f.; ders., JR 1999, 47. 271 RGZ 162, 223 (228). 260 261
III. Handeln im
Rechtsverkehr
69
den genannten regelwidrigen Einwirkungen schranken- und hemmungslos hingeben und von ihnen widerstandslos beherrscht werden". In ähnlicher Weise stellt man auch heute in Rechtsprechung und Literatur vielfach auf die Fähigkeit zu einer „vernünftigen Entscheidung" ab 272 . Damit unterwirft man den Betroffenen jedoch einem fremden, heteronomen Maßstab, obwohl ihm die Rechtsordnung mit der Mündigkeit und der damit verbundenen Anerkennung als Rechtsperson die autonome Entscheidung nach eigenen Maßstäben in den Grenzen des für alle geltenden Rechts verbürgt. Die Beurteilung der tatsächlichen Fähigkeiten des einzelnen anhand eines solchen außerrechtlichen Maßstabes ist deshalb mit der Anerkennung seiner Selbstbestimmung als Rechtsperson ebenso unvereinbar wie eine Überprüfung des Inhalts seiner Entscheidung anhand eines derartigen außerrechtlichen Maßstabes 273 . Welches Maß an die tatsächlichen Fähigkeiten des einzelnen zur eigenverantwortlichen Entscheidung anzulegen ist, ergibt sich daher weder aus einer fachwissenschaftlich zu bestimmenden „Normalität" 2 7 4 , noch aus einer empirisch verstandenen allgemeinen Verkehrsauffassung 275 , die im Prozeß jeweils durch Sachverständige festzustellen wären. Auch die persönliche Auffassung des Richters über das, was „normal" ist, kann nicht entscheidend sein, wäre sie doch allein von der Persönlichkeit des Richters abhängig und damit letztlich willkürlich. Die maßgebliche Grenze, von der ab die tatsächlichen Fähigkeiten eines Mündigen nicht mehr ausreichen, ihm sein tatsächliches Verhalten rechtlich zuzurechnen und im Zusammenhang des Rechts als seine Handlung oder Entscheidung zu behandeln, muß vielmehr von der Rechtsordnung, also normativ, festgelegt werden. Diese Grenze ist deshalb nicht tatsächlicher, sondern rechtlicher Natur 2 7 6 . Die Rechtsordnung bestimmt also nicht nur, auf welche Fähig272 B G H WM 1996,104f.; O L G Düsseldorf FamRZ 1998,1064 (1065); Dilcher, in: Staudinger 12 , §104 B G B Rn.22; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , §104 B G B Rn.7; Köhler, A.T. 23 , §17 Rn.3; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 104 B G B Rn. 17; Medicus, A.T. 7 , Rn.542; Baumann, in: Staudinger 13 , §2229 B G B Rn. 21; Oechsler, in: Staudinger 13 , § 827 B G B Rn. 16; ähnlich schon R G Warn 1908 Nr. 349. Etwas anders formulieren B G H NJW 1970,1680 (1681); Hefermehl, in: Soergel 12 , § 104 B G B Rn.4 (Fähigkeit zur sachlichen Prüfung); und Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, §92 II 1 (531); L a r e n z / W o l f , A.T. 8 , § 6 Rn. 21 (Fähigkeit zu normaler Urteilsbildung), ohne daß damit allerdings sachliche Unterschiede verbunden sind. B G H WM 1996, 104f., stellt deshalb die Fähigkeit zur sachlichen Prüfung und das unvernünftige Verhalten nebeneinander. 273 Kritisch gegenüber einem derartigen Maßstab auch Pawlowski, Festschrift Fenge, 497f.; Kohl, in: A K - B G B , § 104 B G B Rn.5; Wetterling, ZEV 1995, 50; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 547, 551. 274 So könnte man beispielsweise die Fähigkeit zur „normalen Urteilsbildung" oder zur „sachlichen Prüfung" verstehen (vgl. Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, §92 II 1 (531); Larenz/ Wolf, A.T. 8 , §6 Rn.21 bzw. B G H NJW 1970, 1680 (1681); Hefermehl, in: Soergel 12 , § 104 B G B Rn.4). 2 7 5 Was die zitierte Formulierung des Reichsgerichts nahelegt, R G Z 162, 223 (228). 2 7 6 In diese Richtung tendiert auch K. Amelung, ZStW 104 (1992), 821 ff., 825, für die Einwilligungsunfähigkeit („auch normativ").
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54 Die Funktion der Betreuung
keiten es ankommt (handlungsbezogene Anforderungen), sondern auch, in welchem Ausmaß sie beeinträchtigt sein müssen (personale Anforderungen), um die rechtliche Anerkennung der Entscheidung auszuschließen. Insofern kommt den Regelungen über den Ausschluß der rechtlichen Handlungsfähigkeit aufgrund des Lebensalters auch für die Bestimmung der personalen Voraussetzungen der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit Bedeutung zu. Denn diese Regelungen zeigen, welches Mindestmaß an tatsächlicher Fähigkeit zu Einsicht und Steuerung die Rechtsordnung voraussetzt, um einem Menschen sein Verhalten rechtlich als seine Entscheidung zuzurechnen oder ihn dafür verantwortlich zu machen 277 . Nach deutschem Recht ist ein Kind bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres sowohl geschäfts- wie deliktsunfähig (§§104 I Nr. 1, 828 I BGB). Während der über sieben Jahre alte Minderjährige aus eigenem Recht am Rechtsverkehr teilnehmen kann, wenngleich beschränkt durch das Erfordernis der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters 278 oder der individuellen Reife 279 , ist ein Kind unter sieben Jahren davon unbedingt und vollständig ausgeschlossen280. Der Grund liegt in der entwicklungsbedingt regelmäßig fehlenden Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Kindes 281 . Mit anderen Worten: Die Festlegung der Altersgrenze von sieben Jahren beruht auf der typischerweise fehlenden Eigenverantwortlichkeit des Kindes. Diese Entscheidung des Gesetzgehers2S2über das Maß der für die Teilnahme am Rechtsverkehr erforderlichen tatsächlichen Fähigkeiten ist auch zu beachten, wenn es nicht um die generelle Zulassung zum Rechtsverkehr, sondern umgekehrt um den Ausschluß vom Rechtsverkehr hinsichtlich einer bestimmten Handlung geht. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eines Mündigen ist demnach ausgeschlossen, wenn seine tatsächlichen Fähigkeiten aufgrund seines Zustandes nicht die tatsächlichen Fähigkeiten eines durchschnittlichen Siebenjährigen erreichen 283 . Da die gesetzliche Altersgrenze von sieben Jahren sowohl für die eigene Teilnahme am Rechtsverkehr (§ 104 Nr. 1 B G B ) als auch für die deliktische Verantwortlichkeit (§828 I B G B ) gilt, ergeben sich aus der Art der Zurechnung insoDazu oben §4 11.1. und 2. §§107ff. BGB. 279 §828 II BGB; und schon oben §4 II.2. 280 §§104 Nr. 1, 105 I, 828 I BGB. 281 Motive 1,129: Solchen Personen geht der Regel nach die erforderliche Willenskraft und jedenfalls das erforderliche Erkenntnisvermögen ab. Vgl. auch Protokolle I, 48f.; Larenz/Wolf, A.T.8, §6 Rn. 12f.; Flame, A.T. II 3 , § 13, 1 und 2 (182f.). 282 Die als solche nicht von vorneherein feststeht, sondern wie das Volljährigkeitsalter einer Entscheidung des Gesetzgebers bedarf, die je nach den Verhältnissen durchaus verschieden ausfallen kann (vgl. Protokolle I, 48f., und schon oben §4 II.2., sowie den Überblick über die verschiedenen Altersgrenzen in ausländischen Rechten bei Beitzke, in: Staudinger12, Art. 7 EGBGB Rn. 20ff.; Dilcber, in: Staudinger12, § 104 BGB Rn. 11 ff.). 283 Ebenso Kohl, in: AK-BGB, §104 BGB Rn.4 (allerdings ohne weitere Begründung), und schon RG Seuff.Bl. 70 (1905), 671 (674). Diese Entscheidung hat aus noch gleich darzustellenden Gründen nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden. 277 278
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weit keine Unterschiede für den an die tatsächlichen Fähigkeiten des Mündigen anzulegenden Maßstab. Anders als die gesetzliche Altersgrenze bei einem Kind unter sieben Jahren führt die unmittelbare Handlungsunfähigkeit allerdings nicht zu einem allgemeinen, sondern nur zu einem punktuellen Ausschluß vom Rechtsverkehr. Welche tatsächlichen Fähigkeiten die Rechtsordnung in einem bestimmten Fall für die Teilnahme am Rechtsverkehr voraussetzt, muß deshalb von der jeweiligen Form der Zurechnung und der konkreten Rechtshandlung her bestimmt werden. In dieser Hinsicht ist zunächst zwischen Delikts- und Geschäftsunfähigkeit zu differenzieren und weiter danach, welche tatsächlichen Fähigkeiten zur Erfüllung der konkreten Rechtspflicht oder zur Vornahme einer bestimmten Rechtshandlung rechtlich erforderlich sind 284 . Die Unterschiede beruhen daher auf den je verschiedenen handlungsbezogenen Voraussetzungen der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit, die die relevanten tatsächlichen Fähigkeiten bestimmen 285 . Das für den Ausschluß der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit als personale Voraussetzung erforderliche Ausmaß ihrer Beeinträchtigung durch die geistige Störung ist dagegen in allen Fällen gleich. Jemand ist demnach unmittelbar handlungsunfähig, wenn seine jeweils rechtlich relevanten tatsächlichen Fähigkeiten aufgrund seines Zustandes nicht denen eines durchschnittlichen Siebenjährigen entsprechen 286 . Der Schluß von den Rechtswirkungen auf das Maß der erforderlichen tatsächlichen Fähigkeiten war unter der Geltung des früheren Rechts 287 nur für die Entmündigung allgemein anerkannt 288 . Entsprachen die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen einem noch nicht sieben Jahre alten Kind, wurde er wegen Geisteskrankheit entmündigt und dadurch völlig geschäftsunfähig 289 . Hatte er noch die Fähigkeiten eines Minderjährigen über sieben Jahren, erfolgte die Entmündigung wegen Geistesschwäche und er erhielt die Rechtsstellung eines beschränkt Geschäftsfähigen 290 . Die personalen Voraussetzungen der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit (§§104 Nr. 2, 105 B G B ) oder Deliktsunfähigkeit (§ 827 B G B ) versuchte man demgegenüber unabhängig von den Voraussetzun-
Vgl. dazu §4 Ill.l.a. und schon RG Seuff.Bl. 70 (1905), 671 (674f.). Oben §4 Ill.l.a. 286 Die von K. Amelung, ZStW 104 (1992), 825ff., für die Einwilligungsunfähigkeit vorgeschlagene Abwägung von Selbstbestimmung und Bedeutung des Rechtsguts bestimmt demgegenüber die Grenze der Autonomie des einzelnen nicht anhand eines auch von ihm an sich für erforderlich erachteten (a.a.O., 825) allgemeinen normativen Maßstabes, sondern mit Hilfe einer ex post durch das Gericht erfolgenden Einzelfallabwägung. Das hebt die Autonomie letztlich auf (vgl. dazu unter verfassungsrechtlichem Aspekt noch unten §5 1.2.). 287 D.h. bis zur Reform durch das Betreuungsgesetz. 288 RGZ 50, 203 (205ff.); O G H MDR 1950, 668f.; Fahse, in: Soergel12, §6 BGB Rn. 8; Gitter, in: MünchKommBGB 2 , § 6 BGB Rn. 11 f.; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 6 BGB Rn. 16; Enneccerras/Nipperdey, A.T.15 1, §93 I 1 (533f.); v. Tuhr, A.T. I, §25 II 2 (408f.). 289 §§6 I Nr. 1, 104 Nr.3 BGB a.F. 290 §§6 I Nr. 1, 114 BGB a.F. 284
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
gen der Entmündigung in § 6 I Nr. 1 B G B a.F. zu bestimmen 291 . Dabei ging man von der zutreffenden Überlegung aus, daß es bei der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit nicht wie bei der Entmündigung um den generellen Entzug oder die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit für die Zukunft, sondern um die Unzurechnungsfähigkeit in einem in der Vergangenheit liegenden Einzelfall geht 292 . Da die unmittelbare Handlungsunfähigkeit die allgemeine Rechtsstellung des Betroffenen unberührt läßt, sei sie nicht mit der Stellung eines Kindes unter sieben Jahren oder eines wegen Geisteskrankheit Entmündigten vergleichbar 293 . Dementsprechend würden §6 I Nr. 1 B G B a.F. und §104 Nr.2 B G B unterschiedliche geistige Zustände voraussetzen 294 . Das trifft allerdings nur für den Umfang zu, in dem die geistige Störung die tatsächlichen Fähigkeiten beeinträchtigt. Da die Entmündigung wegen Geisteskrankheit dem Betroffenen die Geschäftsfähigkeit generell entzog, mußte die geistige Störung alle seine zur Teilnahme am Rechtsverkehr erforderlichen Fähigkeiten erfassen. Demgegenüber ist für die unmittelbare Handlungsunfähigkeit nur die Beeinträchtigung der für die jeweilige Art der Zurechnung und Form der Handlung erforderlichen einzelnen Fähigkeiten von Bedeutung. Insofern setzen § 104 Nr. 2 B G B und 61 Nr. 1 B G B a.F. tatsächlich verschiedene Zustände voraus 295 . Das Ausmaß, in dem die jeweils relevanten Fähigkeiten beeinträchtigt sein müssen, ist jedoch gleich. Denn es geht in beiden Fällen um den Ausschluß der rechtlichen Anerkennung. Nicht der Zustand 296 , sondern der Grad der Beeinträchtigung^7 muß angesichts derselben Rechtsfolgen derselbe sein. 291 RG Seuff.Arch. 63 (1908), 89 (91), Nr.56; Knoke, in: Planck4, §6 BGB Anm.2.b.; ausführlich Riezler, in: Staudinger9, § 6 Anm. B 1.4.c. und § 104 Anm. 4.c., der diese Frage soweit ersichtlich letztmals erörterte. Danach finden sich in Rechtsprechung und Literatur zu §§ 104 Nr. 2,105 II BGB nur die bereits dargestellten Formulierungen (vgl. z.B. Enneccerus, A.T. 11 , §85 II 1 (206f.); Eißer, AcP 146 (1941), 226f.; und die Nachweise oben § 4 Fn. 272). Auch im Kommentar von Staudinger sind beim Ubergang von der 10./11. zur 12. Auflage die auf Riezler zurückgehenden Passagen entfallen (vgl. Going, in: Staudinger 10/n , §6 BGB Rn.8, §104 BGB Rn.6; Going/ Habermann, in: Staudinger12, §6 BGB Rn. 10; Dilcher, in: Staudinger12, § 104 BGB Rn.22). 292 Riezler, in: Staudinger9, § 6 Anm. B I.4.C. Schon die Motive (1,60f.) hielten deshalb die Regelung der strafrechtlichen Unzurechnungsfähigkeit in §51 RStGB zur Bestimmung der Entmündigungsvoraussetzungen für ungeeignet. Die Voraussetzungen für die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und für die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit waren jedoch noch gleichlautend formuliert (vgl. §§28, 64 E I). Erst die Kommission für die 2. Lesung (Protokolle I, 32) führte diesen Gedanken konsequent zu Ende und behandelte die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit als einen Fall der Unzurechnungsfähigkeit. Dazu bereits oben §4 III. 1. 293 RG Seuff.Arch. 63 (1908) 89 (91), Nr.56. 294 Riezler, in: Staudinger9, §6 Anm. B I.4.C.; RG Seuff.Arch. 58 (1903), 50 (54), Nr. 28 (insoweit in RGZ 50, 203ff., nicht abgedruckt); RG Warn 1908 Nr. 349; RG JW 1911, 179; RGZ 162, 223 (228). Das hatte vor allem Bedeutung für die Möglichkeit der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit nach Aufhebung der Entmündigung (OLG Dresden Sächs.Arch. 14 (1904), 629f.) oder bei Entmündigung wegen Geistesschwäche (RGZ 130, 69 (70f.)). 295 Vgl. Oertmann, A.T. 2 , § 104 BGB Anm. 3 d. 2 9 6 So aber z.B. v. Tubr, A.T. I, §25 II 1 (407). 2 9 7 RG Seuff.Bl. 70 (1905), 671 (674); Kohl, in: AK-BGB, §104 BGB Rn.4.
III. Handeln im
Rechtsverkehr
73
Diese Überlegung führte zunächst dazu, die Entmündigungsvoraussetzungen an den gesetzlichen Altersgrenzen auszurichten 298 . Später zog man daraus den Schluß, daß auch die in § 105 II B G B erfaßten vorübergehenden Störungen trotz des von §104 Nr. 2 B G B abweichenden Wortlauts nur dann den Ausschluß der rechtlichen Anerkennung rechtfertigen, wenn sie den für § 104 Nr. 2 B G B erforderlichen Grad der Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erreichen 299 . Bestehen aber die Unterschiede zwischen §§104 Nr. 1 oder 828 I B G B einerseits und §§ 104 Nr. 2,105 II oder 827 B G B andererseits allein im Umfang der rechtlich bedeutsamen Fähigkeiten, nicht aber im Grad ihrer Beeinträchtigung, bestimmt die gesetzliche Altersgrenze in §§ 104 Nr. 1 oder 828 I B G B auch das rechtliche Maß der für die unmittelbare Handlungsunfähigkeit erforderlichen tatsächlichen Fähigkeiten.
2. Das Problem
der beschränkten
Eigenverantwortlichkeit
Ist die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen nicht völlig ausgeschlossen, sondern nur gemindert, sind die Voraussetzungen für die Anerkennung seiner Handlung nicht schon deshalb entfallen. Legte das Recht auch in diesem Fall der Handlung keinerlei rechtliche Wirkung bei, würde es ihn in seinen rechtlichen Handlungsmöglichkeiten stärker beschränken, als aufgrund seines Zustandes erforderlich ist. Hielte es ihn andererseits trotz seines Zustandes immer an seiner Handlung fest, kann die formale Gleichbehandlung mit einem Mündigen in seine materielle Benachteiligung umschlagen, wenn er gerade infolge seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit zu Schaden kommt. Die Rechtsordnung würde ihn dann nicht einem Mündigen gleichstellen, sondern den aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit bestehenden tatsächlichen Nachteil rechtlich billigen. Er bedarf daher eines besonderen rechtlichen Schutzes vor derartigen Nachteilen, um die Rechtsgleichheit mit einem Mündigen zu erlangen. Hinge dieser Schutz allein von der Benachteiligung des Betroffenen ab, wäre er jedoch einerseits gegenüber anderen Rechtspersonen ungerechtfertigt bevorzugt, weil diese neben den Vorteilen auch die Nachteile ihrer Handlungen in Kauf nehmen müssen. Andererseits wäre er in einem größeren Maße als erforderlich in seiner rechtlichen Selbstbestimmung beschränkt. Der besondere rechtliche Schutz ist daher nur insoweit materiell gerechtfertigt, als sich der Betroffene gerade wegen seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst zu 298 Grundlegend RGZ 50,203 (205ff.). Vgl. auch Knoke, in: Planck4, § 6 BGB Anm. 2h.-, Riezler, in: Staudinger9, § 6 Anm. B 1.4.a. und b., beide mit umfassenden Nachweisen zur Diskussion am Anfang des Jahrhunderts, und im übrigen die Angaben in §4 Fn. 288. 299 RGZ 74,110 (111 ff.); 103,399 (400); Enneccerus, A.T. 11 , § 85 H.2.; Knoke, in: Planck 4 , § 105 BGB Anm. 3; Riezler, in: Staudinger9, § 105 Anm. 8. Das entspricht heute der allgemeinen Auffassung, vgl. Gitter, in: MünchKommBGB 3 , § 105 BGB Rn. 11; Medicus, A.T. 7 , Rn.544.
74
§4 Die Funktion der Betreuung
schädigen droht oder aus diesem Grund eine bestehende Gefahr für seine Person oder sein Vermögen nicht abwehren kann. Dieser Schutz kann nun in der Weise erfolgen, daß die Rechtsordnung dem Betroffenen bestimmte materiellrechtliche Ansprüche oder besondere Rechtsbehelfe zubilligt, mit denen er sich gegen eine etwaige Benachteiligung wehren und eine angemessene Regelung verlangen kann. Diese Form des rechtlichen Schutzes hat eine lange Tradition300 und findet sich auch heute noch in manchen europäischen Rechtsordnungen301. Sie hat jedoch mehrere Nachteile. Der durch sie vermittelte Schutz greift erst nachträglich ein, wenn die Handlung schon vorgenommen und ein eventueller Nachteil bereits eingetreten ist, und kann daher den Betroffenen im konkreten Fall nur insoweit wirksam schützen, als sich dessen Benachteiligung noch rückgängig machen läßt. Er ist daher im wesentlichen auf den Schutz vor wirtschaftlichen Nachteilen im Vermögensbereich beschränkt302. Der Schutz der Person muß daher anderweitig erfolgen, wie z.B. dadurch, daß die Betroffenen in Anstalten untergebracht und damit in ihren tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten beschränkt werden303. Darüber hinaus setzt der besondere Schutz voraus, daß der Betroffene diesen Anspruch oder Rechtsbehelf geltend macht. Soweit er dazu aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit nicht in der Lage ist, bedarf er wiederum der Unterstützung durch eine Handlungsorganisation304. 300 £ ) e r e n Wurzel in der „in integrum restitutio" des römischen und später des gemeinen Rechts liegt, nach der Kinder bis 25 Jahren und Geisteskranke oder Bevormundete die Rückgängigmachung bestimmter nachteiliger Geschäfte verlangen konnten (vgl. Savigny VII, §§315ff. (90ff.), insbes. §§322ff. (145ff.) und § 324 (160f.); Puchta3, § 104 (150); Windscheid/Kipp91, § 117 Fn. 9 (593); zur Entwicklung bei Minderjährigen ausführlich Knothe, 62ff., 133f., 183,204f., 245, 264f., 298ff.). 301 Das französiche Recht sieht für Minderjährige und Volljährige mit geistigen Störungen die Klage wegen lésion vor, Art. 1305,491-2 CC (dazu Ferid/Sonnenberger l / l 2 , 1 F 326,353f.;Heldrich, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 73; Malaurie/Aynés, Nr.609ff. (232ff.), 730 (281)). Ähnlich auch das schottische Recht (Walker I, 217ff., 224). Das niederländische Recht vermutet bei einem nachteiligen Geschäft den Einfluß der geistigen Störung und ermöglicht dem Betroffenen dessen Anfechtung, wenn dies für den Gegner erkennbar war (Art. 3:34 und 35 B.W.B.). 302 Ferid /Sonnenberger l / l 2 , 1 F 326,353f.; Heldrich, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 73. Vgl. auch Knothe, 193. 303 Wenn der Betroffene schon tatsächlich nicht am Rechtsverkehr teilnehmen kann, stellt sich die Frage der rechtlichen Anerkennung seiner Handlungen in weitem Umfang überhaupt nicht (Danteisen, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 123f.). Das zeigt deutlich das Bespiel des englischen Rechts, das immer noch stark auf die Unterbringung ausgerichtet ist und erst in jüngster Zeit Fragen der „capacity" bei der Teilnahme im Rechtsverkehr zu behandeln beginnt (vgl. Law Commission, Law Com No. 231, §§2.1ff. (6ff.); Consultation Paper No. 119, §§3.1 ff. (55ff.)). 304 Auch das englische Recht kennt für diesen Fall einen (in deutscher Terminologie:) gesetzlichen Vertreter, den next friend auf Seiten des Klägers oder Antragstellers bzw. den guardian ad litem auf Seiten des Beklagten bzw. Antraggegners (Rules of the Supreme Court 1965, Order 80; County Court Rules 1981, Order 10; Family Procédure Rules 1991, Part IX.; dazu Hoggett, 250f.; Müller-Freienfels, Vertretung, 166ff.). Für eine weitergehende Anerkennung der gesetzli-
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
IV. Die doppelte Funktion der
75
Betreuung
Es liegt daher nahe, dieser Organisation neben ihrer Aufgabe, die Rechtsperson des Betroffenen herzustellen und seinen gleichberechtigten Zugang zum Rechtsverkehr zu eröffnen, auch die weitere Aufgabe zuzuweisen, den Betroffenen vor den Nachteilen zu schützen, die ihm aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit durch seine eigenen Entscheidungen im Rechtsverkehr drohen305. Das erfordert die Feststellung, daß seine Eigenverantwortlichkeit tatsächlich beschränkt ist und ihm aus diesem Grund ein Nachteil droht. Anders als seine völlige Entscheidungsunfähigkeit läßt sich dies in keinem Fall ohne nähere Kenntnis des betroffenen Menschen und seiner Verhältnisse beurteilen. Diese Feststellung kann deshalb nicht nur gelegentlich bei der Interessenwahrnehmung im Einzelfall durch eine andere Privatperson erfolgen, sondern erfordert eine auf eine gewisse Dauer angelegte Organisation, die sich vor einer Entscheidung über die Person und die Verhältnisse des Betroffenen informieren und der diese Erkundigung deshalb auch als Rechtspflicht auferlegt werden kann, also die staatliche Betreuung306.
1. Der Schutz des Betroffenen als allgemeine Aufgabe der Betreuung Eine dauerhafte Handlungsorganisation wie die Betreuung kann den Betroffenen bei seiner Handlung unterstützen und beraten und damit den Schutz bereits im Vorfeld seiner Handlung gewähren. Sie ist dabei auch nicht auf den Schutz des Vermögens beschränkt, sondern bietet Schutz vor Nachteilen in allen Rechtsangelegenheiten des Betroffenen, soweit sie für diese überhaupt zuständig ist. Zugleich ist damit gesichert, daß individuell im Hinblick auf seine jeweils konkret vorhandene Eigenverantwortlichkeit geprüft wird, ob der Entscheidung des Betroffenen die Anerkennung zu versagen ist. Dies wahrt seine Selbstbestimmung in größtmöglichem Umfang. Da der besondere Schutz in das chen Vertretung plädiert jetzt die englische Law Commission, Law Com No. 231, §§2.51 (29), 8.22 (139f.), 8.41ff. (149ff.). Im französischen Recht besteht die wesentliche Funktion des Instituts der gerichtlichen Schutzbetreuung (sauvegarde de justice) darin, daß sie anderen Personen die Befugnis einräumt, die Klage wegen lésion zu erheben (Heldrich, in: Gutachten zu einer Reform des Entmündigungs-, des Vormundschafts- und des Pflegschaftsrechts, 73f.; Ferid/Sonnenberger 32, 4 C 848). 305 Schon Savigny VII, §322 (149) sah keinen inneren Grund mehr für das Fortbestehen der Restitution des Minderjährigen. Sein Schutz müsse durch die Verbesserung des Vormundschaftsrechts erfolgen. 306 Vgl. die Anhörungs- und Aufklärungspflichten im Betreuungsverfahren einschließlich der Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens (§§ 68,68a, 68b, 69d FGG) und die Pflicht zur persönlichen Betreuung (§§1897 I, 1901 III 3 BGB, dazu T. Diercks, Persönliche Betreuung, 72ff., 79ff.; Voigt, 62ff., 69ff.).
§ 4 Die Funktion der Betreuung
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„Innere" der Rechtsperson verlagert wird, sind besondere Rechte und Rechtsbehelfe entbehrlich. Das verwirklicht die Gleichbehandlung aller Rechtspersonen im allgemeinen Rechtsverkehr besser als eine materiellrechtliche oder prozessuale Sonderstellung des Betroffenen 307 . Damit ist noch nichts über die Art und Weise gesagt, in der die Betreuung diesen besonderen Schutz verwirklicht. Auszugehen ist dabei von unserer Feststellung, daß ein solcher Schutz materiell nur insoweit gerechtfertigt ist, als sich der Betroffene dadurch gerade aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst zu schädigen droht oder deswegen eine Gefahr für seine Person oder Vermögen nicht abwehren kann. Erst dann dürfen die Organe der Betreuung im allgemeinen bzw. der Betreuer als gesetzlicher Vertreter im besonderen sich weigern, seinen Wunsch rechtlich zu verwirklichen und für ihn am Rechtsverkehr teilzunehmen, bzw. dürfen sie ihn an seiner eigenen Handlung im Rechtsverkehr hindern 308 . Andererseits muß die Betreuung sicherstellen, daß in einem solchen Fall der mögliche Schutz auch tatsächlich gewährleistet wird. Den Schutz vor einer Schädigung durch eine eigene Handlung des Betroffenen kann sie jedoch nur sicherstellen, wenn sie seine Tätigkeit generell überwacht. Damit gewinnt ihre bereits früher im Hinblick auf die Herstellung der Rechtsperson beschriebene Aufgabe, ihn in ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich zu beraten und unterstützen, eine zusätzliche Dimension. Ihre Beratung und Unterstützung dient daher nicht nur dazu, den Wunsch des Betroffenen rechtlich zu verwirklichen und ihm zu ermöglichen, gleichberechtigt am Rechtsverkehr teilzunehmen, sondern soll gleichzeitig sicherstellen, daß er sich bei seiner eigenen Teilnahme am Rechtsverkehr nicht selbst schädigt. Sowohl die generelle Überwachung des Betreuten wie auch die Weigerung, seinem Wunsch in einem bestimmten Fall nachzukommen, ist daher Ausdruck der Verpflichtung der Betreuung auf das „Wohl" des Betreuten. Weil sie das „Wohl" des Betreuten zu verwirklichen hat, ist sie zwar grundsätzlich an dessen Wunsch gebunden, hat ihn aber auch vor einer Selbstschädigung infolge seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit zu schützen. Das „Wohl" des Betreuten stellt deshalb nicht nur das rechtliche Ziel ihrer Tätigkeit dar 309 , sondern bildet zugleich die rechtliche Grundlage für diesen Schutz 310 . Die Bindung an „Wohl" des Betreuten hat daher zwei sehr unterschiedliche rechtliche Funktionen, die sorgfältig auseinanderzuhalten sind. Geschieht dies nicht, läßt sich die Grenze zwischen Hilfe und Schutz nicht mehr normativ bestimmen, sondern So schon Savigny VII, §322 (149). O L G Köln NJW-RR 1997, 451 f., zur Aufenthaltsbestimmung durch den Betreuer. 309 Oben § 4 II.3.b. Ausschließlich diesen Aspekt trifft die Definition des Wohls des Betreuten als des „Inbegriffs der Integritäts-, Entfaltungs- und Vermögensinteressen des Betreuten gemäß seiner jeweiligen Lebenssituation" (Kollmer, S. 124ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn.4). 310 In diese Richtung auch Frost, 38; Enderlein, 188. 307 308
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
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löst sich in eine unbestimmte und unvorhersehbare Abwägung von subjektivem Wunsch und objektiven Interessen des Betreuten auf, die letztlich der Willkür des Betreuers und gegebenenfalls auch des Vormundschaftsgerichts freien Raum läßt311. Dieser Schutz des Betreuten vor Selbstschädigung ist Bestandteil jeder Betreuung, gleichviel ob sie auf Antrag und mit Einverständnis oder gegen den Willen des Betreuten angeordnet wird. Sie obliegt daher auch dem Betreuer eines nur körperlich Behinderten 312 . Während dessen Weisungen gegenüber einem von ihm Beauftragten grundsätzlich bindend sind 313 , muß sie Betreuer nur insoweit befolgen, als sie nicht seinem Wohl widersprechen 314 . Die Betreuung stellt damit nicht nur eine staatliche Hilfe dar, die die gleichberechtigte Teilnahme am Rechtsverkehr organisiert, sondern schränkt zugleich den Einfluß des Betreuten auf diese Organisation und damit auf den durch sie vermittelten Zugang zum Rechtsverkehr ein, weil der Wunsch des Betreuten daraufhin überprüft wird, ob er sich im konkreten Fall durch dessen Verwirklichung schädigen würde. Insofern steht der Betreute einem Mündigen nicht gleich, denn ein Mündiger ist nicht daran gehindert, sich selbst zu schädigen, soweit nicht Rechte Dritter betroffen sind 315 . Auch wenn die Betreuung keinen Einfluß auf seine rechtliche Handlungsfähigkeit und damit auf seine allgemeine Zulassung zum Rechtsverkehr hat, kommt dem Betreuten deshalb eine andere Rechtsstellung zu als einem Nichtbetreuten, der dieser Kontrolle nicht unterliegt. Die mit der Betreuung notwendig verbundene Beschränkung der Rechtsstellung bedarf daher im Hinblick auf den Grundsatz der allgemeinen Rechtsgleichheit der Rechtfertigung. Dafür kommen grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht: die Einwilligung des Betroffenen oder seine tatsächlich eingeschränkte Eigenverantwortlichkeit, die einen derartigen Schutz vor sich selbst erforderlich macht 316 . a) Betreuung
mit
Einwilligung
Solange die Betreuung materiell auf der Einwilligung des Betreuten beruht, d.h. auf seinen Antrag oder mit seiner Einwilligung angeordnet und auf seinen 311 Für eine solche Abwägung plädieren z.B. Kollmer, S. 142; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 B G B Rn. 8; im Ansatz auch Voigt, S. 77ff.; ähnlich B a y O b L G FaraRZ 1996,1374f. 312 Diskussionsentwurf, 92, 125; Regierungsentwurf, 58, 67. 313 Soweit sie nicht im Einzelfall nach §§ 104 Nr. 2, 105 II B G B unwirksam sind. 314 §1901 III 1 BGB. 315 Vgl. vorerst nur BVerfG NJW 1998, 1774 (1775); BVerfGE 58, 208 (224ff.); V G H BadenWürttemberg, NJW 1998,2235 (2236); v. Münch, Festschrift Ipsen, 127f.; Schwabe, J Z 1998,68f. Ausführlich dazu unten § 5 1.2. 316 Schwab, Festschrift Mikat, 881, 891; Veit, FamRZ 1996,1313. Anders aber Dröge, FamRZ 1998,1213f., der die Zwangsbetreuung nicht nur zur Herstellung der Rechtsperson des Betroffenen, sondern auch im überwiegenden Interesse Dritter oder der Allgemeinheit zulassen will und sie damit instrumentalisiert (vgl. auch oben §4 Fn. 195).
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5 4 Die Funktion der Betreuung
Antrag hin auch wieder aufgehoben wird317 und nicht seine eigene rechtliche Handlungsfähigkeit beschränkt318, lassen sich die damit verbundenen Beschränkungen auf seine Entscheidung zurückführen. Für den nur körperlich Behinderten ist diese „Doppelnatur" des Antrags als Verfahrenshandlung und als Einwilligung in die Beschränkungen der eigenen Rechtsstellung anerkannt319. Dann besteht aber auch bei andersgearteten Krankheiten oder Behinderungen kein Grund, dem Antrag eines Mündigen ungeachtet seines individuellen Zustandes und ungeachtet seiner tatsächlich vorhandenen Eigenverantwortlichkeit von vornherein keine materielle, sondern allein verfahrensrechtliche Bedeutung zuzumessen, d.h. die Wirkung des Antrags darauf zu beschränken, das Verfahren einzuleiten320. Stellt ein Mündiger den Antrag, für ihn einen Betreuer zu bestellen, ist die darin liegende Einwilligung in die damit verbundene Beschränkung seiner Rechtsstellung daher wie jede seiner sonstigen Entscheidungen grundsätzlich anzuerkennen. Im Betreuungsverfahren ist in diesem Falle nur zu überprüfen, daß und in welchem Umfang der Betroffene hilfsbedürftig und für welchen Aufgabenkreis deshalb ein Betreuer zu bestellen ist321. Muß die Frage seiner Eigenverantwortlichkeit als Voraussetzung der Betreuung nicht geklärt werden und verzichtet der Betroffene auf die Begutachtung durch einen Sachverständigen, genügt deshalb ein ärztliches Zeugnis322. Wird daraufhin ein Betreuer bestellt, können Ehegatte und nahe Verwandte oder Verschwägerte des Betroffenen nur aus eigenem Recht323, nicht aber für den Betroffenen Beschwerde einlegen324, weil sonst die rechtliche Anerkennung seiner Entscheidung indirekt wieder aufgehoben würde325. Ist der Betroffene allerdings aufgrund seines Zustandes nicht in der Lage, nach der im Betreuungsverfahren erfolgenden Anhörung und Aufklärung326 die §§1896 I 1-3, 1908d II BGB. Weil das gegen das Verbot der Selbstentmündigung verstieße (vgl. dazu oben §4 II.3.b. und noch unten § 71.2.). Der Einwilligungsvorbehalt kann daher materiell nicht auf der Einwilligung des Betroffenen beruhen (Regierungsentwurf, 137; Schwab, in: MünchKomraBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 7: Einwilligungsvorbehalt bei körperlich Behinderten unzulässig, § 1896 BGB Rn. 63: Antrag spielt für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes keine Rolle). 319 Vgl. Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn.23; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1896 BGB Rn.4; Holzhauer, in: Erman9, § 1896 BGB Rn. 15; Veit, FamRZ 1996, 1312. 320 So aber Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 59, der deshalb die für das Antragsverfahren geltenden Erleichterungen für ungerechtfertigt halten muß (a.a.O., Rn. 60, 66). Ähnlich Lüderitz, Familienrecht27, Rn. 1145; Müller, 158. 321 Insoweit geht es um die Erforderlichkeit der Betreuung als Sozialleistung (Regierungsentwurf, 121; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn.24). 322 §68b I 2 FGG. 323 §20 FGG. 324 § 69g I 1 F G G . 325 Insofern ist die Kritik von Schwab (FamRZ 1992, 494) und Bienwald (in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 60, 66) an der gesetzlichen Regelung unberechtigt. 326 §68 I 1, 3, V FGG. 317
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rechtliche Bedeutung und Folgen einer Betreuung einzusehen und sich danach zu entscheiden, ist er also insoweit einwilligungsunfähig, kann seine Einwilligung nicht die materielle Rechtfertigung der Betreuung bilden. Sein Antrag leitet zwar das Betreuungsverfahren ein327, hat aber keine materielle Bedeutung für die Anordnung der Betreuung und entbindet daher auch nicht von der Einhaltung der für das Verfahren von Amts wegen vorgeschriebenen Kautelen328. Hat die Erklärung des Betroffenen keine rechtliche Bedeutung329, gelten daher dieselben Regeln wie für den Fall, daß der Betroffene sich tatsächlich nicht äußern kann und deshalb von Amts wegen zu verfahren ist330. b) Betreuung ohne
Einwilligung
Im Gesetz kommen diese unterschiedlichen materiellen Voraussetzungen der Betreuung mit Einwilligung des Betroffenen einerseits und gegen bzw. ohne seinen Willen andererseits nur insoweit zum Ausdruck, als für einen ausschließlich körperlich Behinderten ein Betreuer nur auf seinen Antrag hin bestellt werden kann, solange er sich zu äußern vermag331. Für die Betreuung gegen bzw. ohne den Willen des Betroffenen werden sie deshalb teils aus der Verfassung332, teils aus dem betreuungsrechtlichen Grundsatz333 der Erforderlichkeit334 abgeleitet. Über die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte besteht jedoch sowohl im Grundsatz wie in den Einzelheiten große Unsicherheit. Die Voraussetzungen der Betreuung gegen bzw. ohne den Willen des Betroffenen sind im Gesetz nur angedeutet und lassen sich deshalb nur von der rechtlichen Funktion der Betreuung her näher bestimmen. Die Betreuung soll die mit Eintritt der Volljährigkeit zunächst rein formale Rechtsgleichheit aller Mündigen materiell herstellen, wenn ein Mensch aus tatsächlichen Gründen nicht unter gleichen Bedingungen am Rechtsverkehr teilnehmen kann. Deshalb können grundsätzlich alle psychischen oder physischen Krankheiten oder Behinderungen zur Betreuung führen, die die Möglichkeit zur Teilnahme am Rechtsverkehr beeinträchtigen. Auch ein nur körperlich Behinderter muß einen Betreuer er§§66 FGG, 1896 1 2 BGB. Ebenso Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn. 64a; Pawlowski, Festschrift Fenge, 480 Fn.39; Veit, FamRZ 1996, 1312. 329 Zu ihrem psychologischen Wert Regierungsentwurf, 118. 330 §1896 1 3 BGB. 331 §1896 1 3 BGB. 332 So insbesondere das BayObLG FamRZ 1993, 851; 1993, 18; 1993, 208 (209); 1994, 720 (721); 1994, 1551ff.; 1995, 116f.; 1995, 510; 1995, 1085; 1995, 1296f.; 1996, 897f.; BtE 1992/93 Nr. 5, 6; 1994/95 Nr. 1, 3-7, jeweils zu § 1896 I BGB; Dröge, Zwangsbetreuung, 192ff., 229. 333 Vgl. § 1896 II 1 BGB, der als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips des Betreuungsrechtes verstanden wird (Regierungsentwurf, 58, 120; Bienwald, in: Staudinger12, §1896 BGB Rn. 109; Knittel, § 1896 BGB Rn. 17). 334 O L G Hamm FamRZ 1995, 433 (435); DAVorm 1997, Sp. 135 ( 1 3 8 J ü r g e n s , in: Jürgens, BtR, § 1896 BGB Rn. 12; Müller, 172f. 327 328
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
halten, falls er infolge seiner Behinderung nicht in der Lage ist, am Rechtsverkehr teilzunehmen. Die Betreuung als staatliche Handlungsorganisation wird demnach erforderlich, wenn er keine private Handlungsorganisation zu errichten und mit ihrer Hilfe seine Entscheidungen zu verwirklichen und umzusetzen vermag. Kann er seinen Willen nicht kundtun, d.h. sich nicht mitteilen, beruht sein Fernbleiben vom Rechtsverkehr nicht auf seiner Entscheidung, sondern auf seinem Zustand. In diesem Fall muß er wie jeder Entscheidungsunfähige auch ohne seine Einwilligung einen Betreuer erhalten, falls dies zur Besorgung seiner Rechtsangelegenheiten erforderlich wird335. Ist der Betroffene dagegen zu einer Stellungnahme in der Lage und wehrt sich gegen die Bestellung eines Betreuers, erhebt sich die Frage, wann die Betreuung gegen seinen erklärten Willen angeordnet werden kann. Dies hat man zunächst in Anlehnung an die frühere Praxis der Zwangspflegschaft336 danach zu bestimmen gesucht, ob der Betroffene insoweit geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 B G B ist 337 . Andere stellen auf die Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Betreuung und damit letztlich auf seine Einwilligungsunfähigkeit ab 338 . Dadurch werden allerdings entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers339 auch diejenigen Fälle aus dem Anwendungsbereich der Betreuung ausgeschieden, die früher zur Entmündigung wegen Geistesschwäche geführt haben340. Entscheidend ist jedoch, daß die Regelung der Geschäftsoder Einwilligungs««fähigkeit allein die Frage betrifft, ob eine konkrete Erklärung eines Volljährigen im Hinblick auf seinen Zustand ausnahmsweise 335 § 1896 I 2 BGB. Zur Notwendigkeit der Betreuung bei Entscheidungsunfähigen vgl. oben §4 II.3.a. 336 Dazu oben §3 I., II.5. 337 In der Reformdiskussion Bürgle, NJW 1988, 1884; Pardey, Rahmenbedingungen, 117f. Zum Betreuungsrecht Knittel, § 1896 BGB Rn. 13; G. Schmidt, in: Schmidt/Böcker2, Rn. 12ff. In der Rechtsprechung hat insbesondere das BayObLG den §104 Nr. 2 BGB entlehnten „Ausschluß der freien Willensbestimmung" als verfassungsrechtlich gebotene Voraussetzung der Zwangsbetreuung bezeichnet (BayObLG FamRZ 1993, 851; 1993,18; 1993,208 (209); 1994,720 (721); 1994, 1551 ff.; 1995, 116f.; 1995, 510; 1995, 1085; 1995, 1296f.; 1996, 897f.; BtE 1992/93 Nr.5, 6; 1994/95 Nr.l, 3-7, jeweils zu §1896 I BGB; vgl. auch O L G Hamm DAVorm 1997, Sp. 135 (138)). Das wird von der Literatur teilweise dahingehend verstanden, daß die Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB Voraussetzung der Zwangsbetreuung sein solle (Knittel, § 1896 BGB Rn. 15c; Müller, 169ff.; dagegen aber Seitz, BtPrax 1996, 93). 338 Holzhauer, FamRZ 1995, 1469; den., in: Erman9, §1896 BGB Rn.26; ihm folgend Damrau, in: Damrau/Zimmermann1, § 1896 BGB Rn. 8 (anders jetzt 2. Aufl., Rn. 6); Enderlein, 182f.; Sonnenfeld, Rn. 32; dies., FamRZ 1995, 394; für die Einwilligung in die ärztliche Behandlung auch Knittel, § 1896 BGB Rn. 15d. Vgl. auch Diederichsen, in: Palandt58, § 1896 B G B Rn. 7: Vielfach werde die Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Betreuung fehlen. 339 Diskussionsentwurf, 39; Regierungsentwurf, 52. 340 Schwab, FamRZ 1992, 494; ders., in: MünchKommBGB 3 , § 1896 B G B Rn. 31; Pawlowski, Festschrift Fenge, 487f.; Veit, FamRZ 1996,1313. Bienwald, BtR 3 , § 1896 BGB Rn. 36, 66ff. will deshalb auch alle bisherigen Entmündigungsfälle mit einschließen und gibt daher die „natürliche" Geschäftsunfähigkeit als Eingriffsschwelle im Ergebnis auf (vgl. auch die letztlich unentschiedene Diskussion bei Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 18ff.).
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nicht als Mittel zur Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse anzuerkennen ist. Sie bezeichnet daher lediglich rein negativ, wann eine bestimmte Entscheidung des Mündigen im Rechtsverkehr nicht mehr anzuerkennen ist (unmittelbare Geschäftsunfähigkeit) oder sein Einverständnis die Betreuung materiell nicht mehr rechtfertigen kann (unmittelbare Einwilligungsunfähigkeit). Für die positiv zu bestimmenden Anforderungen an eine Zwangsbetreuung besagt sie nichts341. Die gegen seinen Willen erfolgende Anordnung einer Betreuung zwingt dem Betroffenen den mit ihr verbundenen Schutz auf. Dieser Schutz vor sich selbst342 ist nach unseren Überlegungen nur zulässig, wenn und soweit die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen aufgrund seines Zustandes fehlt343, er sich gerade dadurch zu schädigen droht344 oder deswegen Gefahren für seine Person oder sein Vermögen nicht abwehren kann, und deshalb ein gesetzlicher Vertreter erforderlich ist 345 . Da die Anerkennung als Mündiger auch dann nicht entfällt, wenn sich jemand aus tatsächlichen Gründen nicht äußern kann oder seine Einwilligung rechtlich nicht anzuerkennen ist, weil er insofern einwilligungsunfä-
341 Ähnlich Schwab, in: MünchKommBGB 3 ,1896 B G B Rn.21,31; ders., FamRZ 1992,494. In Widersprüche führt daher der Versuch von Dröge, FamRZ 1998,121 Of., der auf die relative, nach dem Schwierigkeitsgrad des Geschäfts abgestufte Geschäftsunfähigkeit abstellen will. Denn einerseits soll sie nur als Voraussetzung der Zwangsbetreuung eine Rolle spielen, andererseits trotzdem die Handlungsunfähigkeit ausschließen. 342 Diesen Zusammenhang betont zutreffend Dröge, Zwangsbetreuung, 195 f. 343 Das entspricht im Grundsatz auch der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung (OLG Hamm FamRZ 1995, 1519 (1521): Fähigkeit zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts ausgeschlossen oder so erheblich beeinträchtigt, daß Betroffener zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht mehr in der Lage ist; ähnlich BayObLG FamRZ 1993, 851; 1993, 18; 1993, 208 (209); 1994, 720 (721); 1994,1551ff.; 1995,116f.; 1995, 510; 1995,1085; 1995,1296f.; 1996, 897f.; 1998,454 (455); BtE 1992/93 Nr. 5, 6; 1994/95 Nr. 1, 3-7, jeweils zu § 1896 I BGB; O L G Hamm FamRZ 1995, 433 (435); DAVorm 1997, Sp. 135 (138): keine freie Willensbestimmung), der sich die Lehre überwiegend angeschlossen hat (Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1896 BGB Rn. 12; Diederichsen, in: Palandt58, § 1897 BGB Rn. 7; Bienwald, in: Staudinger12, §1896 BGB Rn. 72f.; Müller, 172f.). Der von Müller, 169ff., betonte Unterschied zwischen der Rechtsprechung des BayObLG und des O L G Hamm ist sprachlicher Natur („freie Willensbestimmung" bzw. „Selbstbestimmung"). Das BayObLG bezieht sich nicht auf die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB, sondern auf den Grad, in dem die Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt ist (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 454 (455)). 344 Die fehlende Eigenverantwortlichkeit allein rechtfertigt die Zwangsbetreuung nicht. Sie muß auch zum Schutz vor Selbstschädigung erforderlich sein. Darauf wird erst vereinzelt hingewiesen (Dröge, Zwangsbetreuung, 195 ff.; Winterstein, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 63a; andeutungsweise auch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , 1896 BGB Rn. 31 a.E.). 345 Falls der Betreuer diese Gefahren nicht mit seinen ihm rechtlich zugewiesenen Kompetenzen abzuwenden vermag, darf die Betreuung nicht angeordnet werden, BayObLG FamRZ 1994, 1551 (1552f.); BtE 1994/95 Nr.6 zu BGB §1896 II - Erforderlichkeitsgrundsatz; vgl. auch Schleswig-Holsteinisches O L G FGPrax 1998,196f. Diesen Gesichtspunkt beachtet nicht ausreichend Dröge, FamRZ 1998,1213f., der die Zwangsbetreuung auch zum Schutz faktischer Interessen Dritter zulassen will.
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§ 4 Die Funktion der
Betreuung
hig ist, gelten diese Voraussetzungen für alle Fälle, in denen die Betreuung nicht auf der Einwilligung des Betroffenen beruht 346 . Entscheidende personale Voraussetzung der Zwangsbetreuung ist demnach die fehlende Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen. Wie wir bereits bei der Diskussion der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit gesehen haben, darf die Rechtsordnung dafür weder an die „Unvernünftigkeit" seiner Entscheidungen noch an seine Unfähigkeit zu „vernünftigen Erwägungen" anknüpfen, weil das mit seiner Anerkennung als autonome, selbstbestimmt entscheidende Rechtsperson unvereinbar ist 347 . Es kommt vielmehr darauf an, daß die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen aufgrund seines Zustandes in einem Ausmaß eingeschränkt sind, daß er zur eigenverantwortlichen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist 348 . Dafür bedarf es eines Maßstabs, der darüber Auskunft gibt, welche Fähigkeiten tatsächlich vorhanden sein müssen, um von der Rechtsordnung als selbständiger Entscheidungsträger behandelt zu werden. Diese Grenze läßt sich nicht empirisch, sondern nur normativ bestimmen. Sie wird von den gesetzlichen Altersgrenzen markiert, die für die Zulassung des einzelnen zum Rechtsverkehr gelten 349 . Für die Entmündigung nach früherem Recht stellte man deshalb darauf ab, ob die Fähigkeiten des Betroffenen denen eines Kindes unter sieben Jahren oder einem Minderjährigen über sieben Jahren entsprachen. Im ersten Fall erfolgte die Entmündigung wegen Geisteskrankheit mit der Folge völliger Geschäftsunfähigkeit, im zweiten Fall wegen Geistesschwäche, was zur beschränkten Geschäftsfähigkeit führte 350 . Dieses einfache Schema ist infolge der Flexibilisierung der staatlichen Fürsorge durch die Betreuung nicht länger verwendbar. Denn das Betreuungsrecht kennt keine Anordnung der völligen Geschäftsunfähigkeit mehr und sieht eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nur im Rahmen des Einwilligungsvorbehalts und angepaßt an die jeweiligen individuellen Verhältnisse vor 351 . Damit verbietet sich ein Vergleich mit einem Siebenjährigen sowohl dem Grad der Eigenverantwortlichkeit nach, als auch hinsichtlich des Umfangs der Fähigkeiten, deren er zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedarf. Der zugrundeliegende Gedanke, daß die gesetzliche Altersgrenze das typisierte Maß der tatsächlichen Fähigkeiten angibt, die für die Anerkennung als eigenverantwortliche Rechtsperson durch die Rechtsordnung erforderlich sind und die damit auch umgekehrt die rechtliche Grenze dieser Anerkennung auf346 Dröge, Zwangsbetreuung, 231. Pawlowski, Festschrift Fenge, 492, verweist hier zu Recht darauf, daß ihm die „Möglichkeit zur Freiheit" erhalten bleiben muß. 347 Oben §4 111.1. 348 So zutreffend das OLG Hamm FamRZ 1995, 1519 (1521). 349 Oben §4 Ill.l.b. 350 RGZ 50, 203 (205ff.); OGH MDR 1950, 668f.; Fahse, in: Soergel 12 , §6 BGB Rn. 8; Gitter, in: MünchKommBGB 2 , § 6 BGB Rn. 11 f.; Krüger-Nieland, in: RGRK 12 , § 6 BGB Rn. 16; Ennecc e r u s / N i p p e r d e y , A.T. 15 1, §93 I 1 (533f.); v. Tuhr, A.T. I, §25 II 2 (408f.). 351 Vgl. §§1896 II 1, 1903, 108ff. BGB, und dazu oben §3 II.l. und 5.
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zeigt, ist jedoch weiterhin zutreffend. Er muß nun für das Betreuungsrecht fruchtbar gemacht werden. Das Betreuungsrecht hat die staatliche Rechtsfürsorge zunächst hinsichtlich ihres Umfangs flexibilisiert. Sie erfaßt die Angelegenheiten des Betroffenen nur, soweit es erforderlich ist 352 . Maßgeblich ist danach der individuelle Unterstützungsbedarf 353 , nicht das alle Angelegenheiten umfassende abstrakte Leitbild eines geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen 354 . Das gilt auch für die Zwangsbetreuung. Deshalb muß die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen gerade im künftigen Aufgabenkreis des Betreuers fehlen. Es kommt also nur auf diejenigen tatsächlichen Fähigkeiten an, die in diesen Angelegenheiten zur Teilnahme am Rechtsverkehr notwendig sind. Die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen, unter denen die Teilnahme am Rechtsverkehr jedem Mündigen offensteht, bestimmen damit den Umfang der im Einzelfall erforderlichen tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen. Die tatsächlichen Bedingungen für die Teilnahme am Rechtsverkehr gewinnen dadurch entscheidende Bedeutung für die personale Voraussetzung der Zwangsbetreuung. Deshalb muß sich das Gutachten des Sachverständigen auch auf den voraussichtlichen Umfang des Aufgabenkreises und die dafür maßgeblichen Umstände erstrecken 355 . Aber auch die Auswirkungen der staatlichen Rechtsfürsorge auf die Rechtsstellung des Betroffenen haben sich mit dem Betreuungsrecht geändert. Im Unterschied zur früheren Entmündigung wegen Geisteskrankheit nach § 6 I Nr. 1 B G B a.F. oder zur unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit nach §§ 104 Nr. 2,105 II B G B führt die Zwangsbetreuung nicht zum völligen Ausschluß des Betroffenen vom Rechtsverkehr, sondern nur zu einer Beschränkung seiner Eigenständigkeit im Rechtsverkehr durch die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Der den Ausschluß vom Rechtsverkehr markierenden Altersgrenze von sieben Jahren in §104 Nr. 1 B G B kommt daher für die Bestimmung der personalen Voraussetzung der Zwangsbetreuung keine Bedeutung zu. Maßstab für den Grad der dafür vorauszusetzenden Einschränkung der tatsächlichen Fähigkeiten sind vielmehr die gesetzlichen Altersgrenzen für die yl//ez«entscheidungsbefugnis eines beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen. Sie geben an, welches Maß an tatsächlichen Fähigkeiten die Rechtsordnung typischerweise voraussetzt, wenn sie einen Menschen als eigenverantwortlichen Entscheidungsträger anerkennt, dessen Entscheidungen schon deshalb gelten, weil er sie getroffen hat 356 . §1896 11 1 BGB. Oben §3 II.l. 354 Insofern unterscheidet sich der Status des Betreuten auch nach Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts von dem eines beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen (vgl. Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 1). 355 § 68b I 5 FGG; dazu Diederichsen, Festschrift Henckel, 130f. 356 Oben §4 II.l. 352
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In vollem Umfang mündig wird ein Mensch erst mit Eintritt der Volljährigkeit, nach deutschem Recht also mit der Vollendung des 18. Lebensjahres357. Diese Altersgrenze beruht allerdings auf der Erziehungs- und Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen und nicht auf seiner fehlenden Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, wie bereits die zahlreichen gesetzlichen Teilmündigkeiten zeigen358. Nicht das Volljährigkeitsalter, sondern die gesetzlichen Vorschriften über die Teilmündigkeiten geben daher Auskunft über den Grad der tatsächlichen Fähigkeiten eines Menschen, an den die Rechtsordnung die Anerkennung seiner Selbstbestimmung knüpft. Im deutschen Recht beginnen die Alleinentscheidungsbefugnisse eines Minderjährigen mit der Vollendung des 14. Lebensjahres359. Danach kann er allein, ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters, z.B. sein religiöses Bekenntnis bestimmen360, seine Einwilligung zur Adoption widerrufen361, sein Recht auf Gehör im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren selbständig ausüben362 und selbständig Beschwerde einlegen363. Elterliche Sorge und gesetzliche Vertretung dienen dann in diesen Bereichen nicht länger dem Ausgleich seiner mangelnden Eigenverantwortlichkeit, sondern seiner Erziehung und Unterstützung364. Die damit verbundene Anerkennung des Minderjährigen als eigenständigem Entscheidungsträger im Rechtsverkehr beschränkt sich zwar zunächst auf bestimmte Bereiche und erweitert sich erst allmählich365. Gleichwohl markiert die gesetzliche Altersgrenze von vierzehn Jahren das Mindestmaß an tatsächlichen Fähigkeiten, die das deutsche Recht für die Zuerkennung von Alleinentscheidungsbefugnissen unbedingt voraussetzt. Vor der Vollendung des 14. Lebensjahres hält es einen Menschen insgesamt für unfähig, selbst und allein zu entscheiden. Soweit die tatsächlichen Fähigkeiten eines Mündigen in einem bestimmten Bereich nicht diejenigen eines typischen Vierzehnjährigen erreichen, fehlt ihm also dort rechtlich gesehen die Fähigkeit zu eigenverantwortlichen Entscheidungen. Die personalen Voraussetzungen der Zwangsbetreuung orientieren sich demnach hinsichtlich des Grades der Beeinträchtigung an der gesetzlichen Regelung der Teilmündigkeit Minderjähriger. Wie die gesetzlichen Altersgrenzen allge§§2, 106ff., 828 II, 1626 I 1 BGB. Dazu bereits oben §4 1.3. 359 Vgl. Gitter, in: MünchKommBGB 3 , §2 BGB Rn.6ff.; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , §1626 BGB Rn.25ff.; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1626 BGB Rn.77ff. 360 § 5 S. 1 RelKErzG (dazu oben § 4 Fn. 101). 361 §1746 II BGB. 362 § 50 b II 1 FGG. Im Gegensatz zur Anhörung nach § 50b I F G G geht es hier nicht nur um Sachaufklärung, sondern um die eigenständige Ausübung des Rechts auf Gehör durch den Minderjährigen (BT-Drucks. 8/2788, 73f.; Engelhardt, in: Keidel14, §50b FGG Rn.3, 21; Schleicher, 203 ff., 212). 363 §59111 1 FGG. 364 Dazu ausführlich oben §4 1.3. 365 Überblick bei Gitter, in: MünchKommBGB 3 , §2 BGB Rn.6ff.; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1626 BGB Rn. 77ff. 357 358
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
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mein beruht auch sie auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, mit der der einzelne Mensch (zunächst partiell) als selbstbestimmt entscheidende Rechtsperson anerkannt wird. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist ihrerseits nicht empirisch oder (verfassungs-)rechtlich determiniert, sondern beruht auf einer Abwägung vielfältiger Gesichtspunkte366. Hat der Gesetzgeber jedoch eine solche Altersgrenze und damit den Mindestgrad der für die Anerkennung der Selbstbestimmung erforderlichen Eigenverantwortlichkeit festgelegt, ist diese Entscheidung im Hinblick auf den Gleichheitssatz auch für die Beschränkung der Selbstbestimmung durch die Zwangsbetreuung verbindlich. Die Anordnung einer Zwangsbetreuung setzt somit in personaler Hinsicht voraus, daß die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen zur selbständigen Erledigung seiner Angelegenheiten im Aufgabenkreis des Betreuers aufgrund seines geistigen oder seelischen Zustandes hinter denen eines durchschnittlichen Vierzehnjährigen zurückbleiben. Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit und Zwangsbetreuung unterscheiden sich demnach nicht nur in ihren rechtlichen Wirkungen auf die Handlungsfähigkeit des Betroffenen, sondern auch in ihren personalen Voraussetzungen hinsichtlich der jeweils dafür rechtlich bedeutsamen tatsächlichen Fähigkeiten und des Grades, in dem seine Eigenverantwortlichkeit beeinträchtigt sein muß367. Das materielle Recht legt demnach fest, auf welche Fähigkeiten es rechtlich ankommt und in welchem Grad sie aufgrund des Zustandes des Betroffenen beeinträchtigt sein müssen. Ob der Zustand eine psychische Krankheit oder eine geistige oder seelische Behinderung im Sinne des § 1896 I 1 BGB darstellt, läßt sich ihm dagegen nicht entnehmen. Der Gesetzgeber368 hielt zwar die früher als Voraussetzungen der Entmündigung bzw. Gebrechlichkeitspflegschaft verwendeten Begriffe der Geisteskrankheit, Geistesschwäche369 und des geistigen Gebrechens370 für ungeeignet und ersetzte sie durch die Regelung des § 1896 1 1 BGB. Sie soll allerdings den medizinischen Befund als Voraussetzung der Betreuung lückenlos umschreiben371 und stellt daher ebenso einen blankettartigen Verweis auf die „natürlichen Defizite" oder die „geistige Anomalie" dar wie die in §§ 104 Nr. 2, 105 II, 2229 IV, 827 BGB enthaltenen Voraussetzungen der un-
Dazu schon oben §4 III.2. und noch unten §5 1.2. Das kommt nicht zum Ausdruck, wenn man in beiden Fällen unterschiedslos auf den „Ausschluß der freien Willensbestimmung" abstellt (so insbesondere das BayObLG (vgl. die Nachweise in § 4 Fn. 337)). Vorzugswürdig ist demgegenüber die Formulierung des O L G Hamm FamRZ 1995, 1519 (1521): Die Fähigkeit zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts muß ausgeschlossen oder so erheblich beeinträchtigt sein, daß der Betroffene zur eigenverantwortlichen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist. Vgl. auch Müller, 169ff., 172f. 368 Regierungsentwurf, 115f. 369 §6 I Nr. 1 BGB a.F. 370 §1910 II BGB a.F. 371 Regierungsentwurf, 116. 366 367
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§4 Die Funktion der Betreuung
mittelbaren Handlungsunfähigkeit372 oder die Geisteskrankheit, Geistesschwäche bzw. das geistige Gebrechen in §§6 I Nr. 1, 1910 II B G B a.F.373. Nicht das materielle Recht, sondern die Regelungen des Betreuungsverfahrens bestimmen daher die rechtlichen Maßstäbe, die an die Feststellung des medizinischen Befunds als Voraussetzung der Zwangsbetreuung anzulegen sind374. Insofern kommt dem in § 68b F G G zwingend vorgeschriebenen Gutachten eines medizinischen375 Sachverständigen maßgebliche Bedeutung zu, weil die Auswahl der maßgeblichen Fachwissenschaft indirekt darüber entscheidet, was als „Krankheit" oder „Behinderung" im Sinne des § 189611 B G B gilt. Verlangt das Verfahrensrecht ein medizinisches Gutachten, ist bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen dementsprechend ein psychiatrischer Sachverständiger zu beauftragen376 und nicht etwa ein nach ganz anderen fachwissenschaftlichen Kriterien urteilender Psychologe oder ein Sozialpädagoge377. Dieses Gutachten muß auf einer persönlichen Untersuchung oder Befragung des Betroffenen beruhen378, sich mit der Notwendigkeit einer Betreuung hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, ihres Umfang und ihrer Dauer befassen379, und im übrigen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Anforderungen an ein Sachverständigengutachten entsprechen, d.h. Grundlagen, Befund und Beurteilung nachvollziehbar darstellen380. Das Vormundschaftsgericht hat das Gutachten mit dem Betroffenen zu erörtern381. Das dient nicht nur der Sachaufklärung, sondern wahrt vor allem sein rechtliches Gehör 382 und ist daher regelmäßig erforderlich383. Dazu oben §4 III. 1 .b. Vgl. RGZ 50,203 (206f.); O G H MDR1950,668f.; Fahse, in: Soergel12, § 6 B G B Rn. 8; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , §6 BGB Rn. 12f.; Enneccerus/Nipperdey, A.T. 1 5 1, §93 1 1 (533f.). 374 Vgl. zum folgenden Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 191 ff. Dieser Gesichtspunkt kommt in der Darstellung von Diederichsen, Festschrift Henckel, 129ff., zu kurz. 375 Vgl. Regierungsentwurf, 174; Knittel, § 68b FGG Rn. 12; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 BGB Rn. 100; ausführlich Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, § 68b F G G Rn. 12f. Für das Unterbringungsverfahren ist dies in § 70e I 2 FGG ausdrücklich angeordnet. 376 BayObLG BtPrax 1993, 30f.; KG FamRZ 1995, 1379 (1380); Knittel, §68b FGG Rn. 12; Bienwald, BtR 3 , § 68b FGG Rn. 36; Diederichsen, Festschrift Henckel, 1 2 9 f K r ö g e r , in: Jürgens/ Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 377; Kayser, in: Keidel14, §68b FGG Rn. 6; Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, § 68b FGG Rn. 13; vgl. auch § 70e I 2 FGG für das Unterbringungsverfahren. 377 Anders möglicherweise Oberloskamp, in: Oberloskamp/Schmidt-Koddenberg/Zieris, 126, die ein sozialpädagogisches Gutachten über eine psychische Krankheit oder körperliche oder geistige Behinderung zwar zunächst ausschließt, andererseits ein solches Gutachten über „psychische oder psycho-soziale Behinderungen" für möglich hält. 378 §68b I 4, 70 e I 1 FGG. 379 §68b I 1 und 5 FGG. 380 KG FamRZ 1995,1379 (1380f.); Bienwald, BtR 3 , § 68b F G G Rn.27ff.; Kröger, in: Jürgens/ Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 383ff. 381 §68 V I , 70c S. 5 FGG. 382 Darauf weist schon der Wortlaut des § 6 8 V 1 F G G hin. Vgl. auch Kröger, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 373. 383 Kröger, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 4 , Rn.373; Kayser, in: Keidel 14 , §68 372
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IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
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Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Feststellung des „medizinischen Befunds" als Voraussetzung der mangelnden Eigenverantwortlichkeit gelten zunächst für das Betreuungs384- und Unterbringungsverfahren385. Bislang hat man deshalb die verfahrensrechtliche Verpflichtung, ein psychiatrischen Fachgutachten einzuholen, in anderen gerichtlichen Verfahren rein beweisrechtlich mit der fehlenden Sachkunde des Gerichts begründet386. Die Verfahrensgarantien des Betreuungsverfahrens dienen nicht allein der Sachaufklärung, sondern vor allem auch dem Schutz der Rechte des Betroffenen und der Wahrung seines rechtlichen Gehörs387. Die Rechtsstellung und das rechtliche Gehör bedürfen jedoch eines solchen Schutzes in allen gerichtlichen Verfahren, in denen die mangelnde Eigenverantwortlichkeit eines Mündigen festzustellen ist388. Die verfahrensrechtlichen Garantien des Betreuungsverfahrens sind daher beispielsweise auch bei der Entscheidung über die unmittelbare Geschäftsoder Prozeßunfähigkeit zu beachten389. Die personalen Voraussetzungen der Zwangsbetreuung wie der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit sind daher im Zusammnewirken von Gericht, Betroffenem, psychiatrischen Sachverständigen sowie eventuell einem Verfahrenspfleger festzustellen. Gegenüber der bisherigen Lehre und Praxis390, die häufig die gesamte Entscheidung über die Betreuungsvoraussetzungen bzw. die Handlungsunfähigkeit auf den Sachverständigen delegierte, hat sich dessen Aufgabe wesentlich präzisieren und zugleich beschränken lassen. Das Gericht gibt ihm an, welche tatsächlichen Fähigkeiten jeweils rechtlich gefordert werden. Der Sachverständige hat nurmehr zu bestimmen, über welchen Grad an diesen tatsächlichen Fähigkeit ein durchschnittlicher 14-Jähriger verfügt und ob der Betroffene dahinter zurückbleibt.
FGG Rn. 18. Die Diskussion um die Notwendigkeit eines Schlußgesprächs betrifft nur die Fälle, in denen das Gutachten schon in einem früheren Termin erörtert worden ist (vgl. Bienwald, BtR 3 , §68 F G G Rn.52f.). 384 §§68 V, 68b FGG. 385 §§70e, 70c, 70c S.4 i.V.m. 68 V FGG. 386 BGH ZZP 72 (1959), 201 ff.; BayObLGZ 1995, 383 (388); BayObLG FamRZ 1990, 1405 (1406); KG NJW 1961, 2066; Rosenberg/Schwab/GotimjM, § 123 III.2.a. (720). 387 Vgl. nur §§68 11, V 1,70c FGG und Regierungsentwurf, 8 9 f f K r ö g e r , in: Jürgens/Kröger/ Marschner/Winterstein4, Rn.342ff., 347, 373. 388 Vgl. BSG NJW 1994, 214. 389 Zur persönlichen Anhörung des Betroffenen bei unmittelbarer Prozeßunfähigkeit ebenso BSG NJW 1994, 214f.; Vollkommer, in: Zöller21, §56 ZPO Rn.8. Schon früher hat der B G H (FamRZ 1984, 1003 (1004)) die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens für die Feststellung der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit mit dem Hinweis darauf begründet, daß nach der Rechtsprechung (BGHZ 70, 252 (261)) ein solches Gutachten auch für die Anordnung einer Zwangspflegschaft erforderlich sei. Für die Entmündigung waren Anhörung des Betroffenen und Sachverständigengutachten gesetzlich vorgeschrieben (§§654f. ZPO a.F.). 390 Ausführlich dazu Diederichsen, Festschrift Henckel, 125 ff.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
2. Die Formen des Schutzes Die Anordnung der Betreuung schafft jedoch nur die generellen Voraussetzungen dafür, den Betroffenen vor einer Selbstschädigung zu schützen. Erst der Betreuer verwirklicht im konkreten Fall diesen Schutz391. Er hat daher den Wunsch des Betreuten daraufhin zu prüfen, ob dieser sich dadurch selbst schädigen würde und dies auf seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit beruht. Nur wenn und soweit dies zutrifft und demnach die materiellen Voraussetzungen dieses Schutzes auch im jeweiligen Einzelfall erfüllt sind, ist der Betreuer legitimiert, gegen den Wunsch des Betreuten zu handeln392. Die Verwirklichung dieses Schutzes durch den Betreuer im Einzelfall erfordert demnach u.a. die Feststellung, daß die Gefahr der Selbstschädigung auf der eingeschränkten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Betreuten beruht. Die mit der Feststellung der Ursächlichkeit verbundene Beurteilung des Inhalts der Entscheidung des Betreuten ist im Hinblick auf seine Selbstbestimmung nur gerechtfertigt, wenn und soweit seine Rechtsstellung als Mündiger durch die vorhergehende Anordnung der Betreuung eingeschränkt worden ist. Demgegenüber hat das Vormundschaftsgericht bei der Anordnung der Betreuung nicht über die Auswirkung des Zustandes des Betroffenen auf eine konkrete einzelne Entscheidung zu befinden, sondern darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sein Zustand seine Fähigkeit zu eigenverantwortlichen Entscheidungen beeinträchtigt und er deshalb der Fürsorge durch einen Betreuer bedarf393. Nicht das staatliche Vormundschaftsgericht, sondern der nichtstaatliche Betreuer beurteilt demnach die konkrete Entscheidung des Betroffenen ihrem Inhalt nach. Sind damit die allgemeinen Voraussetzungen beschrieben, unter denen die Betreuung den Schutz des Betroffenen gewährleistet und auch insoweit seine rechtliche Gleichheit herstellt, ist nun zu klären, auf welche Art und Weise dieser Schutz im Hinblick auf die verschiedenen Möglichkeiten rechtlichen Handelns jeweils organisiert wird.
391 Die Problematik der Zwangsbetreuung betrifft daher nicht nur die Anordnung der Betreuung durch das Vormundschaftsgericht, sondern umfaßt auch das jeweilige Handeln des Betreuers. Bisher hat man nur den ersten Aspekt diskutiert (vgl. z.B. Dröge, FamRZ 1998,1201; Pawlowski, Festschrift Fenge, 479ff.). 392 § 1901 III 1 BGB. Wie hier Peters, 282ff.; Kollmer, 182. Für die Zustimmung des Betreuers im Rahmen des §1903 I 1 BGB auch Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn.39, 70; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , §107 BGB Rn.23 a.E. 393 Der Fürsorgebedarf muß auf seinen Zustand zurückzuführen sein: Regierungsentwurf, 117 („Ursache"); Schwab, FamRZ 1992, 494; Bienwald, in: Staudinger12, §1896 B G B Rn.30; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1896 BGB Rn.7; Diederichsen, in: Palandt58, § 1896 BGB Rn.4; Dröge, FamRZ 1998, 1201; Winterstein, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 57.
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
a) Handeln
im
89
Rechtsverkehr
Im Rechtsverkehr ist der Schutz des Betreuten ohne weiteres dort möglich, wo es um die rechtliche Verwirklichung eines Wunsches des Betroffenen durch die Betreuung in Form der Stellvertretung geht, weil der Betreuer dabei prüfen kann, ob ein Schutz in diesem Fall erforderlich ist, und dann gegebenenfalls die Umsetzung dieses Wunsches verweigert. Ebenfalls keine Probleme bereitet die Abwehr einer von Dritten drohenden Gefahr, weil dafür stellvertretendes Handeln genügt und auch entgegen der Entscheidung des Betroffenen zu seinem Schutz möglich ist. Die bisher beschriebenen Formen des Schutzes erfordern keine zusätzlichen Regelungen, sondern können von den Organen der Betreuung im Rahmen ihrer Zuständigkeit wahrgenommen werden. Reicht die im Vorfeld der Handlung erfolgende Beratung und Unterstützung allerdings nicht aus, um den Betroffenen daran zu hindern, sich aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit durch seine eigene Handlung zu schädigen394, stellt sich erneut die Frage nach der rechtlichen Anerkennung einer solchen Handlung. Besteht eine Betreuung, braucht die Rechtsordnung darauf nicht mehr ausschließlich mit Ja oder Nein zu antworten; sie kann vielmehr die Handlung des Betroffenen auch unter der Bedingung anerkennen, daß sie „innerhalb" der organisierten Rechtsperson daraufhin geprüft wurde, ob sich der Betroffenen dadurch selbst zu schädigen droht. Die rechtliche Anerkennung seiner Handlung hängt dann von der Zustimmung derjenigen Funktionsträger der Betreuungsorganisation ab, die für diese Prüfung zuständig sind395. Ein solches Zustimmungserfordernis ist deshalb nur im Zusammenhang einer bereits bestehenden oder gleichzeitig zu errichtenden Betreuung möglich396 und sinnvoll und bedarf wie diese der staatlichen Anordnung (Einwilligungsvorbehalt)397. Wie der Aufgabenbereich der Betreuung im allgemeinen, kann auch ihre Zuständigkeit für diese besondere Aufgabe flexibel an den Grad der Beeinträchtigung der Eigenverantwortlichkeit und das Schutzbedürfnis des Betroffenen angepaßt werden398. Soweit das Zustimmungserfordernis reicht, wird die allgemeine Anerkennung des Betroffenen als eigenverantwortlicher Entscheidungsträger zwar nicht aufgehoben, jedoch generell mit Wirkung für die Zukunft eingeschränkt und ihm daher eine im Vergleich zum Mündigen geminderte RechtsDazu Holzhauer, in: Erman9, § 1903 BGB Rn.2; Knittel, § 1903 BGB Rn.2. Zu dieser Funktion der Zustimmung grundlegend Thiele, 158 ff., 161. 396 Regierungsentwurf, 138; Bienwald, in: Staudinger12, §1903 BGB Rn.22f.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1903 BGB Rn. 5f.;Holzhauer, in: Erman9, § 1903 BGB Rn. 33;Knittel, §1903 BGB Rn.5; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1903 BGB Rn.2. 397 §1903 BGB. 398 Regierungsentwurf, 52, 63, 163; Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn.31; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1903 BGB Rn.6. Vgl. auch §69 I Nr. 4 FGG. 394
395
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54 Die Funktion der Betreuung
Stellung zugewiesen399. Diese Beschränkung seines Status hat ihre Grundlage allein in der Notwendigkeit, die rechtlichen Handlungen des Betroffenen vorbeugend daraufhin zu überprüfen, ob er sich damit selbst schädigen würde und dies auf seine eingeschränkte Eigenverantwortlichkeit zurückzuführen ist. Nur wenn dies im konkreten Fall zutrifft, darf die Zustimmung und damit im Ergebnis die rechtliche Anerkennung seiner Handlung verweigert werden. In allen anderen Fällen ist die Zustimmung zu erteilen, weil der besondere rechtliche Schutz dann materiell nicht berechtigt ist400. Bei Bargeschäften kann sich der Betreute regelmäßig nicht in seinem Vermögen schädigen. Denn er vermag diese Geschäfte nur im Rahmen der ihm aktuell verfügbaren Mittel zu tätigen, und diesen Rahmen kontrolliert der Betreuer in Vermögensangelegenheiten. Solange diese Form der Kontrolle zum Schutz vor einer Selbstschädigung am Vermögen ausreicht, ist für Bargeschäfte des Betreuten kein Einwilligungsvorbehalt erforderlich, - falls er sich nicht durch diese Geschäfte die Mittel für eine Schädigung seiner Person beschafft 401 . Da es nur um den Schutz vor Selbstschädigung geht und nicht um die Erziehung zur Selbständigkeit und damit zur vollen Geschäftsfähigkeit, ist der Betreute dabei nicht wie ein Minderjähriger auf die Mittel beschränkt, die er mit Zustimmung des Betreuers erhalten hat 402 , sondern kann alle verfügbaren Mittel verwenden 403 . Das Vormundschaftsgericht darf einen Eigentumsvorbehalt daher nicht auf Bargeschäfte erstrecken, wenn das nicht ausnahmsweise für den Schutz der Person des Betreuten erforderlich ist. Das gilt nicht nur für die von § 1903 III 2 B G B erfaßten alltäglichen404, sondern für alle Bargeschäfte. Andererseits ist eine präventive Kontrolle des Betreuers und damit die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes bei jeder Art von Kreditgeschäften erforderlich, weil dabei immer die Gefahr der Verschuldung besteht. § 1903 III 2 B G B kann daher auch auf alltägliche Kreditgeschäfte
399 Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn.61f.; Bienwald, in: Staudinger12, § 1903 BGB Rn.3; Taupitz, JuS 1992,12. Das ist zwar nicht der Status „der" beschränkten Geschäftsfähigkeit eines Minderjährigen oder früher eines wegen Geistesschwäche Entmündigten (§§ 6 I Nr. 2,114 BGB a.F.), aber gleichwohl ein gegenüber einem Mündigen beschränkter Status (unzutreffend deshalb Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 1). 400 Nur dann legitimiert die Verpflichtung auf das Wohl des Betreuten den Betreuer, den Wunsch des Betreuten nicht zu befolgen, §19011111 BGB (Peters, 282ff. Ähnlich auch Kollmer, 182. Für die Entscheidung des Betreuers über die Erteilung der Zustimmung Bauer, in: HKBUR, §1903 BGB Rn.39, 70; Gitter, in: MünchKommBGB 3 , §107 BGB Rn.23 a.E.). 401 Z.B. indem ein Alkoholiker Alkohol kauft (Regierungsentwurf, 139). 402 § 110 BGB, der über § 1903 I 2 BGB auch für den Betreuten gilt. Zu § 110 BGB als Ausübung des elterlichen Sorgerechts vgl. H. Köhler, A.T.23, §17 Rn.24ff.; Pawlowski, A.T.5, Rn. 178; Scherner, A.T., 157f. 403 Regierungsentwurf, 139. 404 Regierungsentwurf, 139; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn.20;/«rgens, in: Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn.25; Knittel, § 1903 BGB Rn.25.
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
91
keine Anwendung finden405. Erweist sich § 1903 III 2 B G B demnach als Ausprägung des betreuungsrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatzes, spricht alles dafür, ihn über seinen Wortlaut hinaus auf alle „geringfügigen", d.h. Bargeschäfte anzuwenden und damit die funktionslose und unpraktikable Beschränkung auf „Angelegenheiten des täglichen Lebens" obsolet werden zu lassen. Der Schutz des Betreuten vor einer Selbstschädigung im Rechtsverkehr wäre jedoch unvollständig, wenn er sich nur auf seine Handlungen erstreckte. Schaden kann ihm auch drohen, wenn er auf die Erklärungen oder Rechtshandlungen anderer Teilnehmer im Rechtsverkehr nicht reagiert und dadurch Nachteile erleidet406. Das stellvertretende Handeln des Betreuers vermag diese Nachteile nur dann abzuwenden, wenn er davon erfährt. Das hängt vor allem vom Betreuten und seiner Ansicht darüber ab, ob eine Tätigkeit des Betreuers notwendig und wünschenswert ist. Diese Ansicht kann nun ebenso wie das aktive Handeln im Rechtsverkehr auf der eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit des Betreuten beruhen und die Unterrichtung des Betreuers aus diesem Grund unterbleiben. Droht er sich dadurch selbst zu schädigen, kann er davor nur geschützt werden, wenn auch die Zuständigkeit für den Empfang solcher Erklärungen der vorbeugenden Kontrolle des Betreuers unterworfen wird. Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts verlagert deshalb auch diese Empfangszuständigkeit zunächst generell auf den Betreuer (§§ 1903 I 2,131 II 1 BGB), der die Zuständigkeit des Betreuten für den konkreten Fall durch seine Einwilligung begründen kann 407 und nach dem Gesagten auch muß, falls nicht im konkreten Fall der besondere rechtliche Schutz erforderlich ist. Die Zulassung eines einzelnen zum allgemeinen Rechtsverkehr schließt auch die Möglichkeit mit ein, seine Rechte im Prozeß auszuüben: Ein Mündiger ist daher in vollem Umfang prozeßfähig 408 . Dementsprechend hat die Betreuung seinen Schutz auch im Hinblick auf den Prozeß zu gewährleisten. Wie im außerprozessualen Rechtsverkehr kann der Betreuer als gesetzlicher Vertreter erforderlichenfalls zum Schutz des Betreuten eingreifen und an dessen Stelle den Prozeß führen. An das Ergebnis des Prozesses ist der Betreute als Par405 Zutreffend Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1903 BGB Rn.37; Knittel, §1903 BGB Rn. 25. Dagegen Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1903 BGB Rn. 20, der allerdings schon generell die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes zum Schutz vor Verschuldung ablehnt (a.a.O., Rn. 4. Hiergegen zu Recht BayObLG BtPrax 1996, 160 (161); Holzhauer, in: Erman9, §1903 BGB Rn.8; Bienwald, in: Staudinger12, § 1903 BGB Rn.27). 406 Vgl. nur Bienwald, in: Staudinger12, § 1903 BGB Rn. 5; Knittel, § 1903 BGB Rn. 13. 407 Er willigt dadurch also nicht in den Zugang einer Erklärung ein (so aber Dieckmann, JZ 1988, 794; ihm folgend Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn.4; Bienwald, in: Staudinger12, § 1903 BGB Rn.24) sondern begründet die Empfangszuständigkeit des Betreuten (zutreffend Hefermehl, in: Soergel12, §131 BGB Rn.6; Dilcher, in: Staudinger12, §131 BGB Rn. 8). 408 §§51 I, 52 ZPO, 62 I Nr. 1,2 VwGO, 58 I Nr. 1,2 FGO, 711, II SGG. Vgl. nur die Begründung zu §§50ff. CPO (= §§51ff. ZPO) bei Hahn 2/1,166, und Bork, in: Stein/Jonas21, §51 ZPO Rn.2f.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
tei gebunden, und die Rechtshängigkeit hindert ihn daran, einen zweiten Prozeß in derselben Sache zu führen. Innerhalb eines Verfahrens sichert jedoch erst die Regelung des § 53 ZPO den Vorrang des Betreuers und damit die Effektivität des durch ihn zu verwirklichenden Schutzes 409 . Der Betreuer kann daher im Namen des Betreuten als dessen gesetzlicher Vertreter sowohl selbst einen Prozeß beginnen, als auch in einen Prozeß des Betreuten eintreten und diesen übernehmen 410 . Er darf den Betreuten jedoch nur dann von der Führung des Prozesses ausschließen, wenn dies im konkreten Fall zu dessen Schutz erforderlich ist 411 . Ob das Eingreifen des Betreuers materiell gerechtfertigt ist, hat jedoch nicht das Prozeßgericht zu entscheiden, weil es sonst die Prozeßführung einer Partei nicht nur auf ihre Berechtigung, sondern auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin beurteilen und sich damit schon vor Abschluß des Prozesses in der Sache festlegen würde. Der Richter könnte dann kein unparteiliches Urteil mehr fällen 412 und müßte als befangen ausscheiden413. Das ist vielmehr Aufgabe des Vormundschaftsgerichts im Betreuungsverfahren oder eines anderen Gerichtes im Rahmen eines Prozesses über die Haftung des Betreuers nach §§ 1908i 1,1833 B G B . Der Vorrang des Betreuers nach §53 ZPO erstreckt sich jedoch nur auf die Führung des Prozesses. Der Betreute kann daher jederzeit außerhalb des Prozesses, d.h. materiellrechtlich über das streitbefangene Recht verfügen und damit im Ergebnis die Prozeßführung des Betreuers konterkarieren. Dadurch wird allerdings weder die Prozeßführung des Betreuers unzulässig, noch der Betreute entgegen § 53 ZPO prozessual handlungsfähig, sondern nur die materiellrechtliche Lage verändert 414 . Der dadurch drohenden Selbstschädigung des 409
Rn.l.
Bork, in: Stein/Jonas21, §53 ZPO Rn.13; Lindacher,
in: MünchKoramZPO, §53 ZPO
410 RGZ 52,223 (224); Bork, in: Stein/Jonas 21 , § 53 ZPO Rn. 15; Vollkommer, in: Zöller21, § 53 ZPO Rn. 5; vgl. auch BGH NJW 1988, 49 (51). 411 Nicht das Allgemeininteresse oder das Interesse des Gegners (so aber Kahlke, ZZP 100 (1987), 25), sondern allein der Schutz des Betreuten rechtfertigt daher den Vorrang des Betreuers nach §53 ZPO (unklar BGHZ 41, 303 (306): „vielfach im Interesse des Pfleglings"). 412 Zum Zusammenhang von Ergebnisoffenheit des Prozesses und der Unparteilichkeit des Richters vgl. BVerfGE 78, 331 (338); 82, 30 (35); Riedel, 115ff., 120ff.; Smid, Rechtsprechung, 271, 300f.; Vollkommer, in: Zöller21, §42 ZPO Rn.25; Feiber, in: MünchKommZPO, §42 ZPO Rn 34; und ausführlich Lipp, Das private Wissen des Richters, 49ff. 413 Er ist zur „Selbstablehnung" verpflichtet. Unterläßt er dies, liegt darin ein Revisionsgrund (BGH NJW 1995, 1677 (1678f.) - obiter; BVerwG NJW 1998, 323 (324) - „naheliegend"; Vollkommer, in: Zöller21, §48 ZPO Rn.4,11; Kopp/Schenke", §54 VwGO Rn.22; vgl. auch BVerfGE 89, 28 (36)). Demgegenüber ging man früher nur von einer irrevisiblen Dienstpflicht des Richters aus (so z.B. noch BGHZ 120,141 (144f.); BVerwG NVwZ 1990,460 (461); und die Literatur zur Rechtslage vor der o.g. Entscheidung des BVerfG und der Streichung des §48 II ZPO, vgl. Bork, in: Stein/Jonas21, § 48 ZPO Rn. 3; Feiber, in: MünchKommZPO, § 48 ZPO Rn. 2. Unentschieden heute noch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach58, §48 ZPO Rn.2 (nicht nur Dienst-, sondern Verfahrenspflicht des Richters), 11 (keine Anfechtung)). 414 Bork, MDR 1991,98; Vollkommer, in: Zöller21, § 53 ZPO Rn. 5; BGH NJW 1988,49 (51) obiter. Unzutreffend dagegen O L G Düsseldorf OLGZ 1983, 119 (121), das sowohl die Be-
IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
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Betreuten ist gegebenenfalls durch die Beschränkung seiner Handlungsfähigkeit im allgemeinen Rechtsverkehr mittels eines Einwilligungsvorbehaltes zu begegnen. Soweit der Betreute nach der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes schon im allgemeinen Rechtsverkehr nicht selbständig rechtlich handeln kann, sondern dazu die Zustimmung des Betreuers braucht, kann er auch nicht prozessieren 415 . Führt er dennoch einen Prozeß, darf das Gericht keine Sachentscheidung treffen, und seine Prozeßhandlungen sind unwirksam 416 . Der Betreuer kann zwar jederzeit an Stelle des Betreuten den Prozeß übernehmen und dabei auch dessen bisherige Prozeßführung insgesamt genehmigen, womit der prozessuale Mangel geheilt wird 417 . Er kann aber nicht im voraus seine Einwilligung zur Prozeßführung des Betreuten erteilen und ihm damit Prozeßfähigkeit verleihen 418 . Denn da die Prozeßfähigkeit als Voraussetzung eines Sachurteils vor der Entscheidung feststehen muß und nicht ungewiß bleiben darf 419 , müßte die Einwilligung pauschal, unbedingt und vor allem unwiderruflich erteilt werden, obwohl die Rechtslage bis zum Urteil ungeklärt ist und erst durch das Urteil verbindlich festgestellt wird 420 . Eine unwiderrufliche Einwilligung ist aber mit der Verpflichtung des Betreuers auf das Wohl des Betreuten unvereinbar. Das materielle Recht läßt daher jederzeit einen Widerruf, eine Beschränkung oder eine Änderung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu 4 2 1 , worauf schwende des Pfleglings zuließ, als auch die Klage des Pflegers wegen des Widerspruchs des Pfleglings für unzulässig hielt, obwohl der Pflegling noch nicht einmal auf den einzuklagenden Anspruch wirksam verzichtet hatte. Dem O L G Düsseldorf zustimmend aber Kahlke, ZZP 100 (1987), 26; Lindacher, in: MünchKommZPO, §53 ZPO Rn.3. 415 §52 I ZPO setzt die Fähigkeit voraus, sich „selbständig" zu verpflichten, und schließt damit alle beschränkt Geschäftsfähigen von der Prozeßführung aus (Begründung zu §§50ff. CPO (= SS51 ff. ZPO) bei Hahn 2/1, Aug. Fuchs, Gruchot 29 (1885), 595ff.; RG LZ 1933, 591f.; Bork, in: Stein/Jonas21, $51 ZPO Rn.2f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald i5 , §44 II 1 (225); Vollkommen in: Zöller21, §52 ZPO Rn.8). 416 Prozeßfähigkeit ist sowohl Sachurteils- bzw. Prozeßvoraussetzung als auch Voraussetzung für die Wirksamkeit der jeweiligen Prozeßhandlung (Rosenberg/Schwab/GoifzWi/ 15 , §44 III (227f.); Bork, in: Stein/Jonas21, §51 ZPO Rn.6). 417 Sie entspricht daher nicht der nachträglichen Genehmigung einzelner Handlungen des Betreuten nach §§ 193 12,108 BGB, sondern ist Heilung eines prozessualen Mangels durch eine eigene Handlung des Betreuers; vgl. Lindacher, in: MünchKommZPO, §§51, 52 ZPO Rn.3, 39; Bork, in: Stein/Jonas21, §56 ZPO Rn.3. 418 RG LZ 1933, 591 f.; Bork, in: Stein/Jonas 21 , §51 ZPO Rn.3,17; Rosenberg/Schwab/Gottwald15, §44 2 a (226), jeweils m.w.N. 419 BGHZ 110,294 (297f.); 18,184 (189f.); BGH NJW 1990,1734(1735); 1962,1510; Bork, in: Stein/Jonas21, § 56 ZPO Rn. 9f.; Vollkommer, in: Zöller21, § 56 ZPO Rn. 9. Dagegen wollen andere (z.B. Koch, in: AK-ZPO, §56 ZPO Rn.3; Leipold, in: Stein/Jonas20, §56 ZPO Rn.9) die Beweislast wie bei der materiellrechtlichen Geschäftsfähigkeit verteilen. Diese Parallele trifft jedoch nur für die Prozeßfähigkeit als Voraussetzung einer Prozeßhandlung zu, nicht aber, soweit sie Sachurteilsvoraussetzung ist. 420 Henckel, 72f. 421 § 183 S. 1 BGB.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
er auch nicht verzichten kann, weil er die Einwilligung nicht in seinem Interesse ausübt, sondern ausschließlich im Interesse und zum Wohl des Vertretenen 422 . Im Prozeß ist das nicht möglich. Hier muß der Betreuer von vornherein selbst auftreten. Die Frage nach der Rechtfertigung seiner Tätigkeit verlagert sich damit völlig ins Innenverhältnis. Das ändert jedoch nichts an ihren materiellen Voraussetzungen. Er darf erst dann gegen den Willen des Betreuten handeln, wenn das zu dessen Schutz erforderlich ist.
b) Tatsächliches
Handeln
Die Gefahr, daß sich der Betroffene aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst schädigt, besteht jedoch nicht nur hinsichtlich seiner Teilnahme am Rechtsverkehr, also bei seinen Entscheidungen, rechtlich zu handeln oder untätig zu bleiben. Sie droht vielmehr auch infolge seiner Entscheidung, auf einen ihm zugeordneten Rechtsgegenstand oder eines seiner Rechtsgüter, d.h. auf sich selbst 423 , tatsächlich einzuwirken oder dem natürlichen Geschehen seinen Lauf zu lassen. Da es hier weder um die Abwehr fremder Einwirkungen noch um den Schutz vor den Folgen seines rechtlichen Handelns geht, bieten die Vertretung durch den Betreuer oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes keinen Schutz dagegen, daß er sich in dieser Weise aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst schädigt 424 . Soweit die eintretenden Folgen nicht wieder rückgängig zu machen sind, setzt ein wirksamer Schutz voraus, daß nicht nur die Entscheidung des Betroffenen rechtlich für unbeachtlich erklärt, sondern er darüber hinaus an einer derartigen Handlung auch tatsächlich gehindert wird. So hindert beispielsweise die Anordnung eines entsprechenden Einwilligungsvorbehalts den Betreuten zwar, den Heimvertrag zu kündigen oder seinen Wohnsitz i.S.d. §§ 7,8 B G B 4 2 5 zu ändern, nicht aber daran, das Heim tatsächlich zu verlassen und sich an einem anderen Ort aufzuhalten. Dazu bedarf es der Befugnis des Betreuers, den tatsächlichen Aufenthalt des Betreuten zu bestimmen 426 . Flume, A.T. II 3 , §55 (897). Vgl. Müller-Freienfels, Vertretung, 377. Pawlowski, A.T. 5 , Rn.291. 424 Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn.35ff.; Bienwald, in: Staudinger12, §1903 BGB Rn. 16ff.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1903 BGB Rn. 1 a.E.; Holzhauer, in: Erman9, § 1903 BGB Rn. 25; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1903 B G B Rn. 7; Windel, BtPrax 1999, 47. 425 Vgl. dazu §691 II FGG, 1907 II 1 BGB. 426 Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn.35; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn. 1; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn.26, § 1896 BGB Rn.38; Klüsener/ Rausch, NJW 1993, 619; BayObLG FamRZ 1993, 852f.; Rpfleger 1985, 300f.; LG Köln FamRZ 1992, 857 (858). Wie hier auch Bienwald, in: Staudinger12, §1903 BGB Rn.21, unklar dagegen ders., BtR 3 , § 1903 BGB Rn. 17f. einerseits, Rn. 19f. andererseits. Unzutreffend dagegen Mitko, 41 f. Dies ist in der Sache anerkannt. Unterschiede bestehen allerdings in der Terminologie, was regelmäßig zu Verwirrung führt und manchmal auch als sachlicher Unterschied verstanden wird (vgl. dazu unten §4 Fn.490). 422 423
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IV. Die doppelte Funktion der Betreuung
Da die generelle Befugnis und Verpflichtung des Betreuers, den Betreuten zu beraten und zu unterstützen, auch den Sinn hat, ihn auf diese Weise vor einer Selbstschädigung zu bewahren, geht es hier allein darum, wie der Schutz auch dann gewährleistet werden kann, wenn der Betreute ihn ablehnt. Die Frage lautet daher, ob der Betreuer nicht nur gesprächsweise auf den Betreuten einwirken, sondern ihn gegebenenfalls auch zwangsweise daran hindern kann. Dafür muß dem Betreuer zunächst für die Zukunft die Rechtsmacht eingeräumt werden, über das tatsächliche Handeln des Betreuten und damit letztlich über ihn selbst zu bestimmen. Besteht im konkreten Fall die Gefahr der Selbstschädigung und läßt sich der Betreute nicht davon abbringen, ist der Betreuer dann befugt, zum einen den Betreuten an dessen eigener Handlung zu hindern und zum anderen eine anderweitige Bestimmung durchzusetzen. Eine derartige Bestimmungsbefugnis ist deshalb zugleich eine Zwangsbefugnis des Betreuers. Bestimmung und eigenmächtige Durchsetzung sind daher nicht zu trennen, sondern stellen gleichermaßen die Ausübung der pflichtgebundenen Befugnis des Betreuers dar, den Betreuten vor einer Schädigung durch sein tatsächliches Handeln zu schützen. Soweit ihm dieser Schutz der Person des Betreuten aufgetragen ist, steht ihm deshalb die Bestimmungsbefugnis einschließlich ihrer eigenmächtigen Durchsetzung materiell zu. Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, inwieweit die Ausübung dieser Befugnis der vorherigen Kontrolle des Vormundschaftsgerichts unterworfen wird, indem sie dessen Genehmigung erfordert. Ob das heutige Recht eine solche Bestimmungsbefugnis überhaupt kennt, ist ebenso umstritten wie ihre betreuungs- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit. Die verfassungsrechtliche Frage werden wir später im Zusammenhang mit anderen verfassungsrechtlichen Problemen der Betreuung behandeln. Im folgenden geht es darum, ob eine Bestimmungsbefugnis rechtlich möglich und vom Betreuungsrecht vorgesehen ist. aa) Das allgemeine Problem über einen anderen "
der Bestimmungsbefugnis
als
„Herrschaft
In der zivilrechtlichen Grundlagendiskussion wird sie vielfach als problematisch empfunden, weil damit die mit der Rechtsgleichheit als Privatrechtssubjekte unvereinbare Herrschaft eines Menschen über einen anderen verbunden sei427. Dabei wird jeder Mensch als Privatrechtssubjekt gedacht und nicht beachtet, daß die Gleichheit der Menschen im Recht angesichts ihrer tatsächlichen Unterschiede erst durch das Recht hergestellt werden muß. Ihre Stellung als 427 Gernbuber, FamRZ 1962,89; Larenz/Wolf, A.T. 8 , § 15 Rn.31; Raiser,]Z 1961,470; Reuter, AcP 192 (1992), 112; E. Wolf, FamRZ 1968,498;Fehnemann, D Ö V 1982,354ff. Anders dagegen die früher h.L., vgl. nur 'Enneccems/Nipperdey, A . T . " 1, §73 I 2 (279f.); Dolle, Familienrecht I, § 1 V 1 (9); Oertmann, AcP 123 (1925), 152ff.; v. Tuhr, A.T. I, §6 III (144ff.).
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
gleichberechtigte Rechtssubjekte beruht auf ihrer rechtlichen Organisation zur Rechtsperson. Der Schutz, den diese organisierte Rechtsperson davor bietet, daß sich der in ihrem Zentrum stehende Mensch aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit durch Entscheidungen im Rechtsverkehr oder in tatsächlicher Hinsicht selbst schädigt, kompensiert diesen spezifischen Unterschied zu einem Mündigen. Er verwirklicht damit ihre Gleichheit als Rechtspersonen und steht ihr nicht etwa entgegen. Dieser Schutz ist in jeder seiner Formen einschließlich des Einwilligungsvorbehaltes oder der Bestimmungsbefugnis ein rechtsförmiger Schutz im ausschließlichen Interesse des betroffenen Menschen, der seine Grundlage, Grenzen und Bindungen im Recht findet. Er vermittelt deshalb keine eigennützige, sondern eine fremdnützige und pflichtgebundene Rechtsposition, die zutreffend als Pflichtrecht charakterisiert wird 428 . Da die Bestimmungsbefugnis die Rechtsgleichheit des Betroffenen mit einem Mündigen herstellen soll, bietet sie keine Grundlage dafür, ihn gegenüber diesem zu bevorzugen. Sie räumt deshalb dem Sorgeberechtigten keine besondere Rechtsmacht gegenüber anderen Rechtspersonen ein. Gegenüber Dritten kann er zunächst die Ansprüche des Betroffenen als dessen gesetzlicher Vertreter geltend machen und auf dem Rechtsweg durchsetzen. Diese Möglichkeit versagt aber dort, wo Dritte die Unterstützung und den Schutz durch den Sorgeberechtigten tatsächlich vereiteln, indem sie z.B. den Betroffenen festhalten, dem Einfluß des Sorgeberechtigten entziehen oder diesem aktiv entgegenwirken. Hier geht es nicht mehr darum, die Rechte des Betroffenen zu wahren, sondern die Voraussetzungen für die Ausübung der Sorge zu schaffen bzw. zu sichern. Dazu kann der Sorgeberechtigte von Dritten die Herausgabe des Betroffenen verlangen 429 , dessen Umgang mit Wirkung gegenüber ihnen bestimmen 430 und darüber hinaus jede Behinderung bei der Ausübung seines Aufgabe abwehren bzw. ihre Beseitigung oder Schadensersatz verlangen 431 . Diese Rechte stehen ihm um seiner Funktion willen zu und unterliegen daher ebenfalls der Bindung an das Wohl des Betroffenen 432 . Der Gesetzgeber hat deshalb mit dem Sorgerechtsge-
428 Gernhuber, FamRZ 1962,90; Gernhuber!Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 2 II 6 (19); H. Hübner, A.T. 2 , Rn.365; Larenz/Wolf, A.T. 8 , § 15 Rn.32. 429 §§1632 1, 1908i I I BGB. 430 §§1632 11, 1908i I I BGB. 431 Zur elterlichen Sorge vgl. BGHZ 111, 168 (172f.) - Ersatz der Detektivkosten für die Ermittlung des Aufenthalts des entzogenen Kindes; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 57 V (870ff.); Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1626 BGB Rn. 5. Darin liegt die rechtliche Bedeutung des Charakters der elterlichen Sorge als absolutes Recht (vgl. Strätz, in: Soergel12, § 1626 BGB Rn. 4; Rebmann, in: MünchKommBGB 3 , Einl. vor §1297 BGB Rn.14; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §2 II 5 (19)). Absolutes Recht ist auch die Vormundschaft (Rebmann, in: MünchKommBGB 3 , Einl. vor § 1297 BGB Rn. 14; Gernhuber!Coester-Waltjen, Familienrecht4, §2 II 5 (19)). Daher kann für die Personensorge des Betreuers nichts anderes gelten. 432 BGHZ 111, 168 (173); Michalski, in: Erman 9 , §1632 BGB Rn.7.
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setz 433 die Streitigkeiten über die Herausgabe oder den Umgang des Betroffenen vom allgemeinen Prozeßgericht auf das Vormundschaftsgericht 434 übertragen, dem auch sonst die Aufgabe obliegt, die Einhaltung dieser Bindung zu kontrollieren 435 . Dies ist in der Sache weitgehend anerkannt; der Streit geht vor allem um die systematische Einordnung in die Dogmatik des subjektiven Rechts 436 . Früher bezeichnete man die elterliche bzw. vormundschaftliche Gewalt wegen der Bestimmungsbefugnis einerseits und der damit verbundenen Rechte zur Abwehr Dritter andererseits zusammen mit den dinglichen Rechten und Immaterialgüterrechten als Herrschaftsrecht 437 . Dadurch stellte man entscheidend auf ihre Wirkung gegenüber Dritten, d. h. im Außenverhältnis, ab, ohne allerdings ihre rechtliche Bindung an das Wohl des Betroffenen im Innenverhältnis und damit ihren Schutzcharakter zu verkennen 438 . Angesichts der darin begründeten Unterschiede zur Herrschaft über Sachen oder über immaterielle Rechtsgüter hält man heute die Bezeichnung der elterlichen oder vormundschaftlichen Sorge als Herrschaftsrecht für wenig aussagekräftig 439 und mißverständlich 440 , ohne daß sich eine andere Bezeichnung schon durchgesetzt hätte 441 . Kaum weiterführen dürften allerdings die häufig anzutreffende Versuche, die unstreitig bestehende Bestimmungsbefugnis als unwesentlichen Teil des Sorgerechts zu bezeichnen und damit gleichsam wegzudefinieren 442 oder seinen Pflichtcharakter zu betonen 443 , 433
1061.
Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7. 1979, BGBl 1979 I,
434 Seitdem 1.7.1998 ist nach 51632 III B G B (in der Fassung durch das Kindschaftsreformgesetz v. 16.12. 1997, BGBl 1997 I, 2942) das Familiengericht zuständig, wenn Minderjährige betroffen sind. 435 Dazu Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1632 Rn. 3f. m. w.N.; Michalski, in: Erman 9 , § 1632 B G B Rn. 7; Strätz, in: Soergel 12 , § 1632 B G B Rn. 7. 436 Überblick bei Gem/>«WCoester-Waltjen, Familienrecht 4 , §2 II (17ff.). 437 Ennecceras/Nipperdey, A.T. 1 5 1, § 73 11 (440f.), 7712 (459); Dölle, Familienrecht I, § 1 V 1 (9); Oertmann, AcP 123 (1925), 152ff.; v. Tuhr, A.T. I, §6 III (144ff.). Vgl. auch R G Z 35, 141 (142): Der Vater habe einen Schadensersatzanspruch bei Verletzung des Kindes, weil er über dieses ein eigentumsähnliches Herrschaftsrecht habe. 438 Vgl. schon Motive IV, 724: Schutzinstitut im Interesse des Kindes; Oertmann, AcP 123 (1925), 153: Rechtsverhältnis. Demgegenüber nehmen noch Enneccerus/Nipperdey, A.T. 15 1, § 78 II 1 (454) eine ausschließlich sittliche Pflichtbindung an. 439 Gernhuber, FamRZ 1962, 89f. Dagegen z.B. Raiser, J Z 1961, 470 und noch Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 60; Jestaedt, in: BK, Art.6 II und III G G Rn.26. 440 Erichsen, 32; Fehnemann, D Ö V 1982, 355f.; Ossenbühl, 49. 441 Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 303f.: Weisungsrecht; L a r e n z / W o l f , A.T. 8 , § 15 Rn. 31: persönliches Familienrecht; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §2 II 1 (17): subjektives Familienrecht. Demgegenüber faßt Portmann, Rn. 396,316ff., die Bestimmungsbefugnis ungeachtet ihres Pflichtcharakters wieder mit anderen Herrschaftsrechten als „Rechte des Dürfens" zusammen, was einen Rückfall in die frühere Betrachtungsweise bedeutet. 442 Fehnemann, D Ö V 1982, 355. 443 Fehnemann, D Ö V 1982, 355; Gernhuber, FamRZ 1962, 90; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 4 , §2 II 6 (19); Larenz /Wolf, A.T. 8 , § 15 Rn. 32.
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
den die Bestimmungsbefugnis notwendig teilt. Denn gerade die Möglichkeit, eine Entscheidung unmittelbar gegenüber dem Betroffenen selbst durchzusetzen, unterscheidet das Sorgerecht von anderen absoluten Rechten444. bb) Das Problem der Bestimmungsbefugnis
im
Betreuungsrecht
Während sich die Unklarheit über diese Zusammenhänge in der zivilrechtlichen Grundlagendiskussion in einer gewissen Scheu ausdrückt, Grund und Möglichkeit der Bestimmungsbefugnis zu erörtern, hat sie im Betreuungsrecht dazu geführt, daß einige Gerichte und Autoren eine Bestimmungs- bzw. Zwangsbefugnis des Betreuers gegenüber dem Betreuten für unzulässig erklären, soweit sie nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist445. Das Gesetz regelt jedoch den Zwang durch den Betreuer nur insoweit, als es freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung an die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bindet446, setzt also seine Befugnis dazu voraus und unterwirft nur ihre Ausübung der Kontrolle des Vormundschaftsgerichts447. Im übrigen ist eine besondere Anordnung des Vormundschaftsgerichts erforderlich, wenn die vom Betreuer bei der Durchführung der 444 Gernhuber, FamRZ 1962, 91; Pawlowski, A.T.5, Rn.303; Raiser, JZ 1961, 470. Vgl. auch Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 60; Ericbsen, 32, die die unmittelbare Durchsetzung betonen. Diese Möglichkeit wird auch von Fehnemann, DOV 1982, 355, nicht bestritten, sondern nur für unwesentlich erklärt. 445 Allgemein: Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1901 BGB Rn. 3b; Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn. 19ff. Gegen eine Befugnis des Betreuers, die Wohnung gegen den Willen des Betreuten zu betreten: OLG Frankfurt/M. FamRZ 1996, 821; LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; Bauer, FamRZ 1994,1562ff.; ders., BtPrax 1996, 55ff.; Kemper, FuR 1996,152ff.; Knittel, § 1896 BGB Rn.32m. Gegen eine Zwangsbehandlung: LG Kassel FamRZ 1996, 1501 (1502); R. Arnold/Kloß, FuR 1996, 265f.; Bienwald, in: Staudinger12, § 1904 BGB Rn.28 (anders aber ders., BtR 3 , § 1904 BGB Rn.24); z.T. auch Knittel, § 1896 BGB Rn.32g. Gegen eine zwangsweise Verbringung in ein offenes Altenpflegeheim LG München FamRZ 1997, 899f. Im Ansatz ähnlich, wenngleich er Zwang zur Abwendung einer Unterbringung als milderes Mittel unter deren Voraussetzungen für zulässig hält, Rink, in: HK-BUR, Vor § 1904 BGB Rn. 19; Schweitzer, FamRZ 1996,1321 f. Vgl. auch Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn.238ff., 240,247 (Ermächtigungsgrundlage für Zwang durch Betreuer sei nötig, aber nicht vorhanden. Gleichwohl soll Zwang im Ergebnis zulässig sein.). Dagegen jetzt entschieden Windel, BtPrax 1999, 46ff., der sich allerdings nur mit der zwangsweisen Durchsetzung der Entscheidung des Betreuers befaßt und die Frage der Bestimmungsbefugnis ausklammert (aaO., 47). 446 § 1906 BGB. Das setzt voraus, daß der Betreuer gegen bzw. ohne den Willen des Betreuten handelt (Regierungsentwurf, 146; Bienwald, in: Staudinger12, §1906 BGB Rn. 16; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 6. Zur Diskussion um die Anforderungen an die Zustimmung des Betreuten vgl. Holzhauer, in: Erman9, §1906 BGB Rn. 12ff. einerseits, Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1906 BGB Rn. 17f. andererseits). 447 Bienwald, in: Staudinger12, §1906 BGB Rn. 20; Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1906 Rn.20; Rink, in: HK-BUR, §1906 BGB Rn.lOf.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1906 BGB Rn.4; Windel, BtPrax 1999, 47. Deshalb kann der Betreuer im Notfall die Unterbringung auch ohne vorherige Genehmigung des Vormundschaftsgerichts veranlassen, § 1906 11 2 BGB (Rink, in: HK-BUR, § 1906 BGB Rn. 11).
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Unterbringung um Unterstützung gebetene Betreuungsbehörde selbst oder durch die Polizei Gewalt anwenden muß oder wenn sie den Betroffenen zur Begutachtung vorführen oder unterbringen soll 448 . Auch §1896 IV B G B beschreibt nur einen Aufgabenkreis und regelt nicht die Ausübung von Zwang durch den Betreuer 449 . Genau genommen enthält das Gesetz demnach überhaupt keine ausdrückliche Befugnis des Betreuers, über den Betreuten unmittelbar, d.h. zwangsweise zu bestimmen 450 . Gleichwohl halten auch die Kritiker einer Bestimmungsbefugnis des Betreuers jedenfalls im Rahmen der genannten Vorschriften, d.h. insbesondere bei der Unterbringung nach § 1906 B G B , Zwang gegenüber dem Betreuten für zulässig, soweit eine darauf gestützte Anordnung des Vormundschaftsgerichts vollstreckt wird und im Rahmen dieser Vollstreckung nach § 33 II F G G Gewalt anzuwenden ist 451 . Die Zwangsbefugnis steht dann nicht dem Betreuer als notwendiger Bestandteil seiner Bestimmungsbefugnis, sondern dem Vormundschaftsgericht als Mittel der Vollstreckung zu. Auch soweit der Betreuer die Aufgabe und die Pflicht hat, über den Betreuten tatsächlich zu bestimmen, wie z.B. bei der Aufenthaltsbestimmung, ist er nach dieser Auffassung für die Durchsetzung seiner Entscheidung auf das Vormundschaftsgericht angewiesen. Als Grundlage für eine entsprechende Anordnung galt im früheren Recht die Verpflichtung des Vormundschaftsgerichts nach §§1631 III, 1800, 1897 S. 1 bzw. 1915 I B G B , den Vormund bzw. Pfleger bei der Personensorge zu unterstützen 452 . Nachdem das Betreuungsgesetz die Verweisung auf §1631 III B G B nicht in § 1908i B G B aufgenommen hat, scheint damit Zwang gegenüber dem Betreuten grundsätzlich ausgeschlossen zu sein 453 . Ahnliches wird auch zum Kindschaftsrecht vertreten. Zwar findet dort § 1631 III B G B Anwendung, doch soll nach einer verbreiteten Auffassung jegliche Anordnung von Zwang gegenüber dem Kind durch das Vormundschaftsgericht unzulässig sein 454 , während die Befugnis der Eltern, das Kind zwangsweise von einem bestimmten Verhal§§68b III 1, IV 5, 70g V FGG. Dazu Walther, BtPrax 1997, 42ff. Also z.B. ob das Entreißen eines Briefes zulässig ist, den der Betroffene nicht hergeben möchte und den der Betreuer für das Kündigungsschreiben des Vermieters hält. 450 Unzutreffend deshalb Bauer, FamRZ 1994, 1563; den., BtPrax 1996, 55; Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn.238; Windel, BtPrax 1999, 47. Richtig dagegen Kemper, FuR 1996, 153 f. 451 Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1901 BGB Rn. 3b für § 70g V FGG. Vgl. auch Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.21f. 452 Helle, FamRZ 1984, 640ff. Zur Diskussion im Kindschaftsrecht vgl. gleich im Text. 453 So Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1901 BGB Rn.3b; Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.22f.; ders., FamRZ 1994, 1563ff.; ders., BtPrax 1996, 55ff.; Schweitzer, FamRZ 1996, 1321 ff.; Kemper, FuR 1996, 153f.; R. Arnold/Kloß, FuR 1996, 265f. Im Ergebnis auch Rink, in: HK-BUR, Vor § 1904 BGB Rn. 19. 454 Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1631 BGB Rn.29f., § 1632 BGB Rn. 32a; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, §1631 BGB Rn.87; Bumiller, in: Bumiller/Winkler6, §33 FGG Anm.4; K. Diercks, FamRZ 1994, 1226ff. 448
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ten abzuhalten, meist nur unter dem Aspekt der körperlichen Züchtigung als fragwürdiges Erziehungsmittel Erwähnung findet455 oder ganz abgelehnt wird456. Die Ausübung von Zwang gegen den Minderjährigen bzw. den Betreuten und die Durchsetzung des Herausgabeanspruchs nach §1632 II BGB gegen Dritte stellen sich in dieser Sicht gleichermaßen als Vollstreckung einer vormundschaftsgerichtlichen Anordnung dar, die nur auf unterschiedliche materiellrechtliche Grundlagen gestützt ist. Um die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung geht es jedoch nur im Falle des Herausgabeanspruchs des Sorgeberechtigten nach § 1632 II BGB gegen denjenigen, der ihm das Kind vorenthält. Diesen mußte der Sorgeberechtigte früher im normalen Zivilprozeß durchsetzen und nach den allgemeinen Regeln der ZPO vollstrecken457. Die Übertragung der Herausgabestreitigkeiten auf das Vormundschaftsgericht bzw. Familiengericht sollte es ermöglichen, sowohl bei der Entscheidung als auch bei ihrer Vollstreckung nach §33 F G G zu überprüfen, ob dadurch das Kindeswohl gefährdet wird und Anlaß für vormundschaftsgerichtliches Einschreiten besteht458. Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts, das Kind herauszugeben, verpflichtet jedoch nur den darin bezeichneten Antragsgegner. Vollstreckungstitel und damit Grundlage für die Ausübung staatlicher Vollstreckungsgewalt ist sie nur gegenüber dem darin zur Herausgabe Verpflichteten459. Sie stellt aber keine Grundlage für die gewaltsame Rückführung des Kindes oder Mündels dar, gleichgültig, ob sie im normalen Zivilprozeß ergangen und nach der ZPO zu vollstrecken ist, oder als Anordnung des Vormundschaftsgerichts nach § 33 F G G vollstreckt wird460. Als Regelung der Vollstreckung der Herausgabeanordnung begründet § 33 F G keine Befugnis zur Gewaltwendung gegen das Kind461. Deshalb greift man in Rechtsprechung und Lehre vielfach auf die Verpflich455 Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1631 BGB Rn. 23. Anders aber Diederichsen, in: Palandt58, §1631 BGB Rn. 13. 456 Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1631 BGB Rn.70ff., §1632 BGB Rn.38. Anders jetzt Windel, BtPrax 1999, 47. 457 Bärmann, §36 I 4 a (225); Nußbaum, ZZP 29 (1901), 452f. 458 BT-Drucks. 8/2788, 51f.; Michalski, in: Erman9, §1632 BGB Rn.7; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , §1632 Rn.4, 12; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, §1632 BGB Rn. 18; Strätz, in: Soergel12, § 1632 BGB Rn.7; Wieser, FamRZ 1990, 694. Vgl. auch OLG Hamburg FamRZ 1994, 1128. 459 Vgl. Rosenberg/GaaZ/Schilken11, §10 IV 5 (117). 460 Allgemein: Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 57 V 4 (875); KG FamRZ 1966, 155 (157). Für den Zivilprozeß: BGHZ 64, 19 (29) - obiter; OLG Celle NJW 1979, 988; AG Springe NJW 1978,834. Für das Vormundschaftsgericht: O L G Celle FamRZ 1994,1129; Donau, in: Staudinger10'11, §1632 BGB Rn.33. 461 O L G Celle FamRZ 1994, 1129; BayObLG FamRZ 1996, 499 (500); LG Offenburg FamRZ 1997, 899f.; Bassenge, in: Bassenge/Herbst7, §33 F G G Rn. 1; Jansen2, §33 F G G Rn. 19, 49.
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tung des Vormundschaftsgerichts nach §1631 III BGB zurück, den Sorgeberechtigten bei der Ausübung der Personensorge zu unterstützen462. Auf dieser Grundlage soll das Vormundschaftsgericht gegenüber dem Kind Anordnungen erlassen und für deren Durchsetzung auch die Anwendung von Gewalt nach § 33 II FGG anordnen können463. Da § 33 FGG nur die Vollstreckung einer anderweitig begründeten Verpflichtung regelt und das Vormundschaftsgericht nicht dazu ermächtigt, eine solche Verpflichtung erst zu begründen464, kann eine derartige Anordnung des Vormundschaftsgerichts gegenüber dem Kind ihre Ermächtigungsgrundlage nur in §1631 III BGB finden. Schon die Motive465 gingen jedoch davon aus, daß § 1631 III BGB dem Vormundschaftsgericht keine Befugnisse vermittelt, sondern es dafür besonderer Vorschriften bedarf466, was sich heute bereits aus dem Vorbehalt des Gesetzes für staatliche Eingriffe in die Rechte der Bürger ergibt und damit auch verfassungsrechtlich gefordert ist467. Der Antrag und damit die Zustimmung des Personensorgeberechtigen ist erforderlich und ausreichend, um die staatliche Tätigkeit im Bereich der ihm vorbehaltenen Personensorge zu rechtfertigen468, begründet aber keine Befugnis gegenüber dem Kind. Sowenig wie Polizei oder Jugendamt können Gerichtsvollzieher oder Vormundschaftsgericht von den Eltern zur Ausübung staatlicher Gewalt gegenüber dem Kind ermächtigt werden und damit die Ermächti462 O L G Celle FamRZ 1994,1129; KG FamRZ 1966,155 (157); O L G Hamm DAVorm 1975, 156 (168); Diederichsen, in: Palandt58, §1632 BGB Rn.16; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 57 VIII4 (892); Michalski, in: Erman9, § 1632 BGB Rn. 18; Strätz, in: Soergel12, § 1632 BGB Ergänzung zu Rn.26; Jansen2, §33 F G G Rn. 19, 49; und schon Nußbaum, ZZP 29 (1901), 455, 483. 463 So schon KG DJZ 1913, 355 (356) für die Vollstreckung nach preußischem Landesrecht; Finger, ZfJ 1986, 49; Strätz, in: Soergel12, § 1631 BGB Rn.26 (anders aber §1632 BGB Rn.22); Wieser, FamRZ 1990, 695; W. Zimmermann, in: Keidel14, §33 FGG Rn.37, 42. So auch im Grundsatz diejenigen, die die Anordnung von Zwang (nur) gegenüber einem älteren Kind im Hinblick auf dessen Grundrechte bzw. Grundrechtsmündigkeit für unzulässig halten, vgl. BGHZ 64, 19 (29) - obiter; BayObLG FamRZ 1974, 534 (536f.); FamRZ 1984, 1259 (1262); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §57 VIII 4 (892). Vgl. auch Diederichsen, in: Palandt58, § 1632 BGB Rn.16. 464 KG NJW 1958, 2071 (2072); BayObLG FamRZ 1979, 737 (739); O L G Hamm FamRZ 1981, 706 (707); FamRZ 1982, 94f.; Baur, §26 A III (284); Brehm2, Rn.592; Bärmann, §36 11 b (223); Habscheid7, §37 1 1 (263);Jansen 2 , §33 FGG Rn.2; Schlegelb erger, Anm.4 vor §33 FGG. 465 Motive IV, 752. 466 Ebenso Dölle, Familienrecht II, §92 I 2 (151). Vgl. auch RGZ 75, 230 (231f.): Das Vormundschaftsgericht darf nicht die Polizei eines anderen deutschen Staates mit der Rückführung des Mündels beauftragen, weil das nicht zu (seinen) staatlichen Aufgaben gehört, sondern Aufgabe des Vormunds ist. Deshalb begründet Schnitzerling, FamRZ 1957, 291 f. die Kompetenz des Vormundschaftsgerichts mit den §§34, 45, 47 J G G 1943. Anders dagegen Nußbaum, ZZP 29 (1901), 440; Helle, FamRZ 1984, 641; Scherer, FamRZ 1999, 90. 467 pjj r jjg f r e i w iU;g e Gerichtsbarkeit schon Baur, §26 A III (284). Zum Vorbehalt des Gesetzes und seiner Verankerung in Art. 20 III G G vgl. Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 26ff., 27, 31; Stern, Staatsrecht I 2 , §20 IV 4 (805ff.). 468 Vgl. schon Motive IV, 752.
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gungsgrundlage liefern, die das Gesetz nicht enthält469. Gewalt gegenüber dem Kind kann daher allein der Sorgeberechtigte in den Grenzen des Sorgerechts ausüben470. Damit stellt sich die entscheidende Frage nach der Bestimmungsbefugnis des Betreuers erneut. Nachdem das Betreuungsgesetz den - scheinbaren - Ausweg über die Unterstützung des Vormundschaftsgerichts gemäß §1631 III BGB 4 7 1 in § 1908i BGB nicht mehr eröffnet, kann man ihr heute nicht mehr ausweichen. Entweder enthält das Betreuungsrecht die Möglichkeit, dem Betreuer eine solche Bestimmungsbefugnis über den Betreuten zu übertragen, wenn er sich aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit in tatsächlicher Hinsicht selbst irreversibel zu schädigen droht, oder es läßt ihn insoweit schutzlos und verleiht damit seiner tatsächlichen Ungleichheit gegenüber einem Mündigen rechtliche Billigung472. Der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes hat sich mit dieser Frage nicht generell auseinandergesetzt. Er ging jedoch davon aus, daß die zivilrechtliche Unterbringung auf der Grundlage der Entscheidung des Betreuers und nicht auf die Anordnung des Gerichts hin erfolgt, was dessen Bestimmungsbefugnis voraussetzt. Materielle Grundlage der Unterbringung ist nicht die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, sondern die Entscheidung des Betreuers473. Deshalb ist der Betreute zu entlassen, sobald der Betreuer es verlangt474. Das gilt auch für 469 Im Ergebnis ebenso K. Diercks, FamRZ 1994, 1228f. Für die Polizei: KG DJZ 1913, 355f. (Den späteren Entscheidungen des KG läßt sich nichts anderes entnehmen, vgl. Helle, FamRZ 1984, 640f.); Schnitzerling, FamRZ 1957, 292; Helle, FamRZ 1984, 640f. Unzutreffend deshalb O L G Düsseldorf NJW 1968, 453 (454). Das Jugendamt hat die Rechte nach §§ 42, 43 SGB VIII {Hinz, in: MünchKommBGB 3 , §42 KJHG Fn.5; Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1632 BGB Rn. 39), die aber nur sorgerechtliche Befugnisse, keine Zwangsbefugnisse vermitteln (Wiesner, in: Wiesner, §42 SGB VIII Rn.24; §43 SGB VIII Rn. 12f.). Für den Gerichtsvollzieher: Rosenberg/GiZ«//Schilken, § 25IV (421). Unzutreffend deshalb O L G Hamm DAVorm 1975,156 (168). Für das Vormundschaftsgericht: Diederichsen, in: Palandt58, §1837 BGB Rn.l. Unzutreffend deshalb O L G Celle FamRZ 1994, 1129. 470 K. Diercks, FamRZ 1994,1228ff.; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , § 1632 B G B Rn.32a; Reinicke, 199ff., 205;Strätz, in: Soergel12, § 1632 BGB Rn.22. 'Ebenso Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1632 BGB Rn. 38, die das allerdings unzutreffend mit der Frage nach den Befugnissen des Sorgeberechtigen verbindet. Für die Durchsetzung des Umgangsrechts schließt der durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16.12. 1997 (BGBl. 1997 I, 2942) eingefügte § 33 II 2 FGG die Gewaltanwendung gegen das Kind ausdrücklich aus. Dem läßt sich entgegen Peschel-Gutzeit, in: Staudinger12, § 1632 B G B Rn. 38, jedoch nichts für das hier diskutierte Problem entnehmen, weil der Gesetzgeber nur die bisherige Rechtsprechung übernehmen wollte, die die Anwendung von Gewalt im Hinblick auf den Zweck des Umgangsrechts als unverhältnismäßig ablehnte (vgl. BR-Drucks. 180/96, 138).
So ausdrücklich Helle, FamRZ 1984, 640. Darauf weist zu Recht hin LG Berlin FamRZ 1996, 821 (823). 473 Regierungsentwurf, 82; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1906 BGB Rn. 5; Holzhauer, in: Erman9, § 1906 BGB Rn. 61 ff .-Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 2,27,28; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1906 BGB Rn.4. 474 Regierungsentwurf, 82; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 28. 471
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den Vollzug und die Anwendung staatlichen Zwangs bei der Unterbringung, denn die staatliche Unterstützung erfolgt nach § 70g V 1 F G G nur auf Wunsch des Betreuers475. Im übrigen hielt der Gesetzgeber z.B. eine Zwangsbehandlungm für zulässig, wenn der Betreute aufgrund seines geistigen Zustandes seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und deshalb eine u.U. lebensnotwendige Behandlung ablehnt. Daran solle seine medizinische Versorgung nicht scheitern 477 . Die Zwangsbehandlung stellt danach den gleichen Zugang zur ärztlichen Versorgung sicher, wie er für einen in seiner Entscheidungsfähigkeit nicht beschränkten Menschen besteht. Das entspricht unserer eingangs angestellten Überlegung, daß der Schutz des Betreuten davor, sich selbst aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit zu schädigen, seine Gleichheit mit einem Mündigen rechtlich herstellt und darin seine Rechtfertigung findet. Die medizinische Versorgung des Betreuten ist allerdings nicht schon dadurch gesichert, daß der Betreuer gegen den Wunsch des Betreuten den Behandlungsvertrag abschließt und in die Behandlung einwilligt. Der Betreute muß notfalls auch gezwungen werden, die Behandlung zu dulden. Hierfür kann allein die Entscheidung des Betreuers die Grundlage bieten. Denn der Arzt hat gegenüber dem Betreuten keine anderen Befugnisse als gegenüber jedem anderen Patienten, also auch kein eigenes Recht zur zwangsweisen Behandlung478. Wenn der Gesetzgeber also eine Zwangsbehandlung des Betreuten für zulässig erklärt, setzt das die Befugnis des Betreuers voraus, den vom „natürlichen Willen" des Betreuten getragenen Widerstand479 zu überwinden. Das bedeutet der Sache nach die Anerkennung einer entsprechenden Zwangsbefugnis des Betreuers gegenüber dem Betreuten durch den Gesetzgeber. Zwang bedeutet, daß der bewußte Widerstand des Betreuten überwunden wird. Dieser Widerstand kann durch jede Form der Ablehnung oder Gegenwehr zum Ausdruck kommen, drückt also den sogenannten „natürlichen" Willen480 des Betroffenen aus und steht damit im Gegensatz zum „rechtlichen" Willen als Ausdruck einer selbständigen Entscheidung des Mündigen481. Wie 475 W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, § 70g FGG Rn. 17ff.; Mertens, in: Jürgens, BtR, § 70g F G G Rn. 11 f.; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 51. 476 Mit Ausnahme der Sterilisation, vgl. § 1905 I Nr. 1 BGB (Regierungsentwurf, 76, 143). 4 7 7 Diskussionsentwurf, 140, 276; Regierungsentwurf, 72, 141. 478 Grundlegend RGSt 25, 375 (378ff.); BGHSt 11, 111 (114); RGZ 68, 431 (432); 151, 349 (351 ff.); BGHZ 29, 46 (49f., 51f.). Vgl. auch Laufs, Arztrecht, Rn.221; Deutsch, Medizinrecht3, Rn. 256, 485. 479 Der bei der Sterilisation gerade nicht überwunden werden darf, § 1905 I Nr. 1 BGB (dazu oben §4 Fn.476). Ebenso für die Aufenthaltsbestimmung Knittel, § 1896 BGB Rn.32h. 480 Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1906 Rn. 7; Holzhauer, in: Erman9, § 1906 BGB Rn. 13ff.; zur Sterilisation vgl. Regierungsentwurf, 143; G. Schmidt, in: Schmidt/Böcker2, Rn. 448; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1905 BGB Rn. 7; Knittel, § 1905 BGB Rn. 13; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1905 BGB Rn. 10. 481 Vgl. Schweitzer, FamRZ 1996, 1319f.
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§1905 I Nr. 1 und 2 BGB zeigen, die die Zwangssterilisation eines Einwilligungsunfähigen ausschließen, ist Zwang nämlich auch gegenüber einem unmittelbar Geschäfts- oder Einwilligungsunfähigen möglich, solange dieser zu bewußtem Verhalten überhaupt fähig ist482. Folgt dieser einem anderen aus eigenem Antrieb, wird er daher nicht gezwungen 483 . Wird Zwang ausgeübt, stellt sich die weitere Frage, ob der Betroffene darin rechtswirksam eingewilligt hat 484 . Dafür ist nicht sein „natürlicher", sondern allein sein „rechtlicher" Wille entscheidend. Weil die Entscheidung eines Mündigen grundsätzlich rechtlich anzuerkennen ist, kommt es allein auf den Ausschluß seiner Fähigkeit zur Einwilligung in die Beschränkung seiner persönlichen Freiheit an485, nicht auf seine positiv zu bestimmende Einwilligungsfähigkeit 486 . Die Kritik an der herkömmlichen Auffassung 487 ist insofern berechtigt, als diese auf den „natürlichen Willen des Einsichtsfähigen" abstellt 488 und damit den Unterschied beider Sachfragen nicht beachtet489. Das Beispiel der Zwangsbehandlung zeigt zugleich, daß sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Bestimmungsbefugnis des Betreuers nicht auf die Unterbringung beschränkt, sondern auch im übrigen Aufgabenbereich des Betreuers in Betracht kommen kann. Das wird der Sache nach von Praxis und Lehre anerkannt, wenn sie dem Betreuer neben der Zwangsbehandlung insbesondere die Bestimmung des tatsächlichen Aufenthalts des Betreuten 490 als Aufgabe 482 Knittel, §1905 BGB Rn.13; Per au, MittRhNotK 1996, 295; vgl. auch BGHSt 32, 183 (187f.); Bloy, ZStW 96 (1984), 721 ff., 723; Eser, in: Schönke/Schröder25, §239 StGB Rn.3; Schumacher, Festschrift Stree/Wessels, 439; Schweitzer, FamRZ 1996, 1319f. 483 BayObLG FamRZ 1998,452 (453); Binschus, DAVorm 1998, Sp. 283; BGHSt 32,183 (188). 484 Für das Strafrecht vgl. BGH NJW 1993, 1807f.; Bloy, ZStW 96 (1984), 723f.; für das Betreuungsrecht Perau, MittRhNotK 1996, 295; BayObLG FamRZ 1994, 1418f. 485 Marschner, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 6; Rink, in: HK-BUR, vor § 1906 BGB Rn. 3; BayObLG FamRZ 1994, 1418f. 486 So aber Regierungsentwurf, 146; Holzhauer, in: Erman 9 , § 1906 BGB Rn. 13; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1906 BGB Rn. 2; Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1906 BGB Rn. 16; Schumacher, Festschrift Stree/Wessels, 444; BayObLG FamRZ 1996, 1375 (1376). 487 Insbesondere Schwab, FamRZ 1990, 787; ders., in: MünchKommBGB 3 , § 1906 Rn. 17; vgl. auch Diederichsen, in: Palandt 58 , § 1906 BGB Rn.4. 488 Vgl. z.B. BayObLG FamRZ 1996, 1375 (1376); Regierungsentwurf, 146; Holzhauer, in: Erman9, § 1906 BGB Rn. 13; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1906 BGB Rn. 2; Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1906 BGB Rn. 16; Knittel, § 1906 BGB Rn.9ff.; Schumacher, Festschrift Stree/ Wessels, 444. 489 Das zeigt sich deutlich z.B. in der Darstellung von Schumacher, Festschrift Stree/Wessels, 439,444,446, der Freiheitsfähigkeit und Einwilligung in die Freiheitsbeschränkung nicht unterscheidet und deshalb erstere mit dem mutmaßlichen Willen (a.a.O., 439) identifiziert und für letztere Einwilligungsfähigkeit fordert (a.a.O., 444), obwohl er sie danach als rein tatsächlichen Vorgang (a.a.O., 446) bezeichnet (vgl. dagegen Roxin3, § 13 Rn. 55). 490 Aufenthaltsbestimmung im engeren Sinn, im Gegensatz zur Aufenthalts£eire»««g, die auch die Rechtshandlungen wie z.B. den Abschluß oder die Kündigung von Miet- oder Heimverträgen und die Begründung oder Veränderung des Wohnsitzes nach §§7, 8 BGB umfaßt (Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 Rn.38.; vgl. auch Bienwald, in: Staudinger 12 , §1896 BGB Rn. 82; Knittel, § 1896 BGB Rn. 32k). Diese Unterscheidung wird meist nicht mit besonde-
IV. Die doppelte Funktion
der
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zuweisen 491 . Begründung, Umfang und Ausübung dieser Bestimmungsbefugnis richten sich deshalb nach den allgemein für die Befugnisse des Betreuers geltenden Grundsätzen. Nach unseren früheren Überlegungen ist sie deshalb überall dort zulässig, wo sich der Betreute aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit in tatsächlicher Hinsicht selbst zu schädigen droht und dies nicht wieder rückgängig zu machen wäre, so daß er an seiner entsprechenden Handlung tatsächlich gehindert werden muß. Dieses Prinzip ist von Rechtsprechung und Lehre zwar in einzelnen Fällen beachtet, aber als Rechtsprinzip bislang noch nicht erkannt worden 492 . Die Beschränkung der tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten eines Betreuten durch die Anordnung der Bestimmungsbefugnis des Betreuers stellt jedoch ebenso eine generelle Beschränkung seiner Stellung als Rechtsperson dar wie die Beschränkung seiner rechtlichen Handlungsmöglichkeiten durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Nicht nur die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, sondern auch die einer Bestimmungsbefugnis des Betreuers beschränkt daher den rechtlichen Status des Betreuten. Die Anordnung der präventiven Kontrollbefugnis des Betreuers für die Handlungen im Rechtsverkehr, d.h. für den Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 B G B , und für den Bereich tatsächlichen Handelns, d.h. für die tatsächliche Bestimmungsbefugnis, unterliegen daher im Grundsatz denselben materieller Deutlichkeit durchgeführt. „Aufenthaltsbestimmung" bezeichnet dann alle mit dem Aufenthalt des Betreuten verbundenen Angelegenheiten (vgl. Bauer, in: H K - B U R , § 1896 B G B Rn. 230; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1896 B G B Rn. 17; Holzhauer, in: Erman 9 , §1896 B G B Rn. 54). Zwischen stellvertretendem Handeln im Rechtsverkehr und der Bestimmung über den Betreuten in tatsächlicher Hinsicht bestehen jedoch sachliche Unterscheide (Sonnenfeld, FamRZ 1995,395f.). Ihre begriffliche Unterscheidung ist sowohl im Hinblick auf §§ 1903,1907 II 1 B G B , 691 II F G G als auch zur genauen Bestimmung des Aufgabenbereiches des Betreuers geboten (vgl. Bienwald, in: Staudinger 12 , §1896 B G B Rn.82ff., 86; Knittel, §1896 B G B Rn.32k; L G Köln FamRZ 1992, 857ff.; BtPrax 1992, 109f.). Das erkennt auch das B a y O b L G der Sache nach an (FamRZ 1992,1222f.; 1993, 852f.). Sachliche Unterschiede sollten dann aber auch benannt und nicht begrifflich verwischt werden. 4 9 1 Vgl. z.B. B a y O b L G FamRZ 1992, 1222f.; 1993, 852f.; L G Köln FamRZ 1992, 857ff.; BtPrax 1992,109f.; Bauer, in: H K - B U R , § 1896 B G B Rn.230; Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1896 B G B Rn. 82ff., 86; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1896 B G B Rn. 17; Holzhauer, in: Erman 9 , §1896 B G B Rn. 54; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 Rn.38; KlüsenerlRausch, N J W 1993, 619; allgemein Windel, BtPrax 1999, 47. 4 9 2 Zur Aufenthaltsbestimmung Bienwald, in: Staudinger 12 , §1896 B G B Rn. 86; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 B G B Rn.38; zur Zwangsbehandlung Marschner, in: Jürgens, BtR, § 1904 B G B Rn. 11; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1904 B G B Rn.22. Es entspricht im übrigen der Regelung des § 1906 I Nr. 1 B G B . Das Erfordernis der drohenden Selbstschädigung gilt auch für dessen Nr. 2, weil sonst die Unterbringung nicht zum Wohle des Betreuten erforderlich ist ( B a y O b L G FamRZ 1994, 1617 (1618f.); O L G Hamm DAVorm 1997, 55 (60); A G Soltau BtPrax 1993,212f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1906 B G B Rn. 14; Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1906 Rn. 29f.; ders., BtR 3 , § 1906 B G B Rn. 47; Marschner, in: Jürgens/Kröger/Marschner/ Winterstein 4 , Rn. 506; Schumacher, FamRZ 1991, 280). Der hier entwickelten Konzeption kommt nahe Windel, BtPrax 1999, 49.
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§4 Die Funktion der Betreuung
len Voraussetzungen™. Wie die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes muß deshalb auch die tatsächliche Bestimmungsbefugnis vom Vormundschaftsgericht ausdrücklich angeordnet 494 und in die Urkunde über die Betreuerbestellung 495 als seine Aufgabe aufgenommen werden 496 . Die Bestimmungsbefugnis ist materiell ebenfalls nur als vorbeugende Kontrolle zum Schutz des Betreuten vor einer Selbstschädigung durch tatsächliche Einwirkungen auf seine Rechtsgegenstände und Rechtsgüter gerechtfertigt und darf im konkreten Fall nur ausgeübt werden, wenn und soweit es zu diesem Schutz erforderlich ist. Deshalb ist z.B. der Betreuer, dem die Aufenthaltsbestimmung übertragen ist, nicht frei in der Wahl des Aufenthaltsortes, sondern nach § 1901 III 1 BGB grundsätzlich an den Wunsch des Betreuten gebunden 497 . Die Einhaltung dieser materiellrechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen bei der Anordnung einer tatsächlichen Bestimmungsbefugnis muß darüber hinaus auch verfahrensrechtlich in gleicher Weise abgesichert werden wie bei der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Wird sie nicht sofort bei der Bestellung des Betreuers mit angeordnet, sondern erfolgt erst später, stellt sie daher keine unwesentliche Erweiterung des Aufgabenbereichs des Betreuers dar, die nach § 68i 12 F G G ein vereinfachtes Verfahren erlaubt, sondern m u ß wie ein Einwilligungsvorbehalt nach § 68i VI F G G unter Einhaltung aller Verfahrensgarantien erfolgen. Nicht erst bei der Durchsetzung der Betreuerentscheidung 498 , sondern schon bei der Anordnung der Bestimmungsbefugnis hat daher das Vormundschaftsgericht die Notwendigkeit von Zwang zu prüfen. Die Genehmigung nach § 1906 BGB betrifft dagegen nicht die Ausübung der Bestimmungsbefugnis durch den Betreuer, sondern ihre Übertragung auf Dritte im Wege der Ermächtigung 499 . Wie bei der Tätigkeit des Betreuers im allgemeinen haben Vormundschaftsgericht 500 und Betreuungsbehörde 501 ihn auch bei der Ausübung seiner Bestim493
Für die Aufenthaltsbestimmung ebenso Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 BGB Rn.38. 494 § 69 I Nr. 2, 4 F G G . 495 §69b II Nr. 3, 4 F G G . 496 p ü r jjg Aufenthaltsbestimmung im Ergebnis ebenso Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1896 BGB Rn. 85; für die Unterbringung/argem, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 22; Knittel, § 1906 BGB Rn. 2; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1906 BGB Rn. 4; allgemein für alle Aufgaben mit stark personalem Eingriffscharakter Bauer, in: HK-BUR, § 1896 BGB Rn. 228, der darin aber eine praktische Empfehlung und kein rechtlich zwingendes Erfordernis sieht (vgl. Rn. 218ff.); ähnlich auch Holzhauer, in: Erman 9 , §1906 BGB Rn. 61 („empfehlenswert"); ablehnend dagegen z.B. Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1906 BGB Rn. 6. 497 O L G Köln NJW-RR 1997, 451 f. 498 Windel, BtPrax 1999, 50ff. 499 Dazu ausführlich unten §4 IV.2.b.cc. 500 §§18371, 1908i I 1 BGB. 501 §4 BtBG.
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mungsbefugnis zu beraten und zu unterstützen. Doch stellt die Zuweisung dieser Aufgabe keine Ermächtigungsgrundlage für staatliche Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Betreuten dar 502 . Das Betreuungsgesetz hat die Ausübung staatlichen Zwangs im Bereich der Betreuung der Betreuungsbehörde übertragen, die dafür einer Anordnung des Vormundschaftsgerichts bedarf 503 . Der Betreuer kann daher staatlichen Zwang nur im Rahmen der Zuführung zur Unterbringung nach § 70g V F G G in Anspruch nehmen. Nicht der Betreuer, sondern der Staat ist deshalb auf die gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Zwangsbefugnisse beschränkt. Nimmt in besonders dringlichen Fällen ausnahmsweise das Vormundschaftsgericht die Aufgaben des Betreuers wahr 504 , umfaßt dies unter den eben herausgearbeiteten Voraussetzungen auch Bestimmungs- bzw. Zwangsbefugnisse 505 einschließlich der freiheitsentziehenden Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung 506 . Das Vormundschaftsgericht übt diese Bestimmungsbefugnis jedoch auch dann nicht „selbst" aus, etwa dergestalt, daß der jeweils als Vormundschaftsrichter tätige Richter oder Rechtspfleger persönlich handelt und den Betroffenen zwingt. Denn auch wenn das Vormundschaftsgericht funktionell als Betreuer tätig wird, bleibt es eine gerichtliche Tätigkeit, bei der der Vormundschaftsrichter zur Neutralität und Distanz gegenüber den Beteiligten verpflichtet ist 507 . Diese für seine Neutralität unabdingbare Distanz gegenüber dem Be502 Engler, in: Staudinger12, § 1837 BGB Rn. 14; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1837 BGB Rn. 11 (gegenüber dem Mündel), 13 (gegenüber Dritten); Damrau, in: Damrau/Zimraermann2, §1837 B G B Rn.2, 10. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §71 IV 1 (1174) (gegenüber Dritten); Diederichsen, in: Palandt58, § 1837 BGB Rn. 6 (gegenüber Dritten). Vgl. auch RGZ 75, 230 (231 f.). 503 §§68 III, 68b III, IV 5, 70c S.5, 70e II, 70g IV, V, 70h FGG. 504 §§ 1908i I 1, 1846 BGB. Dazu oben §4 11.4. 505 Nußbaum, ZZP Bd.29 (1901), 455, 583, der allerdings nicht danach unterscheidet, ob das Vormundschaftsgericht zur Unterstützung des Vormundes oder an dessen Stelle tätig wird. 506 Vgl. §§ 1908i 1 1,1846 BGB i.V.m. §70h III FGG. Das hatte noch der Regierungsentwurf, 160, ausschließen wollen, der aber insoweit gerade nicht Gesetz geworden ist (BT-Drucks. 11/ 4528, 211, 229). Zu Recht hält die h.M. daher auch eine freiheitsentziehende Unterbringung im Rahmen des § 1846 BGB für zulässig, wenn im übrigen deren Voraussetzungen vorliegen (OLG Schleswig NJW 1992,2874f.; LG Berlin BtPrax 1992,43 f.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1906 BGB Rn. 13; Diederichsen, in: Palandt58, §1906 B G B Rn.15; Holzhauer, in: Erman9, §1908i BGB Rn. 128; Engler, in: Staudinger12, §1846 B G B R n . l l . Dagegen BezG Chemnitz, BtPrax 1992,111 f.; O L G Frankfurt/M. FamRZ 1993, 357ff., die jedoch dem im Gesetz deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers (vgl. § 70h III FGG) nicht genügend Rechnung tragen. Eine ganz andere Frage ist jedoch, ob nicht mit der Unterbringung zugleich ein Betreuungsverfahren einzuleiten ist. Dies wird gerade von den Kritikern der h.M. nicht unterschieden (vgl. z.B. O L G Frankfurt/M. FamRZ 1993, 357ff.). 507 Grundlegend BVerfGE 21,139 (145f.); vgl. auch BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 14, 56 (69); 18, 241 (255); 26, 141 (154); 26, 186 (198); 27, 312 (322); 30, 149 (153); 42, 206 (209); 46, 34 (37); 60,175 (202); 67,65 (68); 87,68 (85). Aus der Literatur vgl. Bettermann, AöRBd.92 (1967), 506ff.; ders., HStR III, 791; W.-R. Schenke, in: BK, Art. 19 IV G G Rn.41; Stern, Staatsrecht I 2 , 897; II, 907ff.; Stürner, Richterliche Aufklärung, 25; ausführlich Lipp, Das private Wissen des Richters, 49ff., 52ff., 54.
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troffenen gibt der Vormundschaftsrichter auf, wenn er seine Anordnung persönlich durchführt und möglicherweise mit Gewalt durchsetzt. Er wird daher nach §8 BtBG die Unterstützung der Betreuungsbehörde in Anspruch nehmen508. Dadurch erhält die Betreuungsbehörde jedoch keine zusätzliche Befugnis zur Ausübung staatlichen Zwangs gegenüber dem Betroffenen. Wie der Betreuer kann das an seiner Stelle tätige Vormundschaftsgericht staatlichen Zwang nur im Rahmen des § 70g V F G G in Anspruch nehmen. cc) Die Ermächtigung Bestimmungsbefugnis
eines Dritten zur Ausübung
der
Der Bestimmungsbefugnis des Betreuers kommt insbesondere angesichts der steigenden Zahl altersdementer Menschen509 erhebliche praktische Bedeutung zu. Ihre Wirkungsweise ist jedoch sehr verschieden, je nachdem, ob der Betreuer zugleich die tatsächliche Pflege und Versorgung übernommen hat oder nicht. Erfolgt auch die tatsächliche Pflege durch den Betreuer, wenn der Betreute z.B. in der Familie lebt und von einem Angehörigen betreut wird, übt der Betreuer die Bestimmungsbefugnis regelmäßig persönlich und direkt aus. Übernimmt dagegen ein Dritter die tatsächliche Pflege und Versorgung, kann nur dieser den Betreuten tatsächlich von einer Selbstschädigung abhalten. Auch diese Maßnahmen müssen sich jedoch auf die Bestimmungsbefugnis des Betreuers zurückführen lassen, denn nur dem Betreuer kann sie das Vormundschaftsgericht überhaupt einräumen510. Dritte haben daher keine eigene Befugnis, in tatsächlicher Hinsicht über den Betreuten zu bestimmen, sondern handeln auf Grundlage der Bestimmungsbefugnis des Betreuers. Nur wenn und soweit der Betreuer von seiner Befugnis Gebrauch gemacht und wenn und soweit er den Dritten dazu ermächtigt hat, seine Anordnung durchzuführen, handelt dieser rechtmäßig, wenn er Zwang gegenüber dem Betreuten ausübt. Der Betreuer muß daher den Dritten zur Ausübung der Bestimmungsbefugnis gegenüber dem Betreuten ermächtigen. Die Befugnisse des Dritten werden durch diese Ermächtigung begründet und begrenzt511. Das gilt 508 Im Ergebnis ebenso Holzhauer, in: Erman9, §1908i BGB Rn. 128 a.E. Vgl. auch Pawlowski/Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn.239ff. 509 Bruder, Gutachten, C 44; Zenz/von Eicken/Ernst/Hofmann, 11 ff.; Deinert, FamRZ 1998, 934. 510 Dazu oben §4 IV.2.b.bb. 511 Eine vergleichbare Konstellation entsteht, wenn Eltern ihr Kind in Pflege geben und die dafür notwendigen Befugnisse der Personensorge auf die Pflegeeltern übertragen. Diese werden insoweit zur Ausübung der weiterhin den Eltern zustehenden Personensorge ermächtigt (dazu Windel, FamRZ 1997, 716f.; Schwab, Gutachten, A 75ff., 76, und jetzt §1688 I, III 1 BGB). Schon das RG (JW 1917, 656) hielt die Ermächtigung der Stiefmutter zur Ausübung des väterlichen Sorgerechts für zulässig. Demgegenüber hatte der Gesetzgeber des „Gesetzes zur Reform
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auch dann, wenn der Betreuer nicht vor Ort bzw. sofort erreichbar ist, wie z.B. bei der Pflege in Heimen oder anderen Einrichtungen, und deshalb eine allgemeiner gehaltene Anordnung trifft, die der Dritte dann bei Bedarf konkretisiert und durchsetzt. Die Grenzen für die Ermächtigung eines Dritten ergeben sich zum einen aus der Pflicht des Betreuers zur persönlichen Betreuung, die es ausschließt, einen Dritten generell zur Ausübung der Bestimmungsbefugnis zu ermächtigen, zum anderen aus dem Erfordernis der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung512. Da sich die Genehmigung auf eine bestimmte Maßnahme bezieht, kann sie nicht unabhängig davon „auf Vorrat" erteilt werden und der Betreuer deshalb auch den Dritten nicht vorsorglich dazu ermächtigen. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung bei der Ausübung der Bestimmungsbefugnis über die Bewegungsfreiheit des Betreuten nach §§1906 I, IV BGB ermöglicht daher nicht nur die präventive Kontrolle des Vormundschaftsgerichts, ob deren materielle Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen, sondern sichert den Betreuten zugleich vor der faktisch unkontrollierten Gewalt eines Dritten, indem sie eine ausdrückliche Entscheidung des Betreuers verlangt. Sie ist daher immer dann erforderlich, wenn die Bestimmungsbefugnis nicht vom Betreuer persönlich und direkt, sondern von einem dazu ermächtigten Dritten ausgeübt werden soll. Keiner Genehmigung nach §§ 1906 I, IV BGB bedürfen daher nur Maßnahmen, die der Betreuer selbst durchführt, denn deren Notwendigkeit ist bereits bei der Anordnung der Bestimmungsbefugnis vom Vormundschaftsgericht geprüft worden. Im übrigen unterliegt der Betreuer anders als der Dritte der allgemeinen Kontrolle des Vormundschaftsgerichts. Dieser Zusammenhang kommt im Gesetz nur insoweit zum Ausdruck, als ein Mitarbeiter der in § 1906 BGB erfaßten Einrichtungen nicht zum Betreuer bestellt werden darf 513 und daher die Freiheitsentziehung bei einem in einer Einrichtung befindlichen Betreuten notwendig durch einen Dritten erfolgt. Das ist darauf zurückzuführen, daß sich die Diskussion am Beispiel des pflegenden Familienangehörigen entzündete, der zum Betreuer bestellt wird, und danach unter dem Stichwort Familienpflege vs. Heimpflege geführt wurde 514 . Zum Teil wird daraus der Schluß gezogen, der Familienangehörige könne sich nur auf die des Kindschaftsrechts (KindRG)" vom 16.12. 1997, BGBl 1997 I, 2942, bei der Einführung des § 1688 BGB allerdings nur die Vertretungsmacht nach außen, nicht die Bestimmungsbefugnis gegenüber dem Kind im Blick (BT-Drucks. 13/4899, 67, 108). 512 D.h. insbesondere aus §§ 1904ff. BGB. 513 §1897 III BGB. 5 1 4 Vgl. in zeitlicher Reihenfolge Holzhauer, Gutachten, B 104f.; Schwab, Referat, K 37; Diskussionsbeiträge von Bauer und Klie, Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentages II, K 189, 194; Beschluß des 57. DJT, Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentages II, K 256; Vorschlag des Bundesrates, BT-Drucks. 11/4528, 210, der dann im wesentlichen übernommen wurde (BTDrucks. 11/4528,228; 11/6949, 76); zusammenfassend Holzhauer, FuR 1992,252; kritisch dagegen Schumacher, FamRZ 1991, 282: verfassungswidrig.
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54 Die Funktion der Betreuung
allgemeinen Rechtfertigungsgründe berufen515. Das trifft jedoch nur zu, wenn er nicht zum Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis bestellt ist. Die Kontrolle des die faktische Gewalt ausübenden Dritten ist darüber hinaus auch angezeigt, weil er im Gegensatz zum selbst pflegenden Betreuer regelmäßig nicht ehrenamtlich, sondern nur gegen Entgelt tätig sein wird. Hat er nicht nur die faktische Gewalt, sondern auch die rechtliche Befugnis, über den Betreuten zu bestimmen, droht dieser zum bloßen Objekt unpersönlicher, professioneller Verwaltung gerade im personalen Bereich zu werden. Demgegenüber handelt der ehrenamtliche selbstpflegende Betreuer aus privater, meist familialer Solidarität. Insofern wird verständlich, daß in der Diskussion um § 1906 IV BGB die Familienpflege im Vordergrund stand516, weil dies der praktische Regelfall sein dürfte. Der Grund für den Ausschluß der Genehmigungspflicht für freiheitsentziehende Maßnahmen liegt jedoch nicht in der Familienpflege, sondern in der Einheit von tatsächlicher Pflege und rechtlicher Betreuung. Seinem tragenden Grundgedanken entsprechend ist § 1906IV BGB daher auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Freiheitsentziehung nicht durch den Betreuer persönlich, sondern durch einen Dritten erfolgt517. Insofern handelt es sich um eine „sonstige Einrichtung" im Sinne dieser Vorschrift. Das Problem der Ermächtigung Dritter stellt sich allerdings nicht nur bei der Freiheitsentziehung, sondern in allen Fällen, in denen Zwang gegenüber dem Betreuten ausgeübt wird. Das zeigt bereits das Beispiel der ambulanten Zwangsbehandlung eines nicht untergebrachten Betreuten518. Auch hier kann Zwang nur aufgrund einer vom Vormundschaftsgericht anzuordnenden Bestimmungsbefugnis des Betreuers angewandt werden. Da die Zwangsbehandlung nicht vom Betreuer persönlich, sondern von Arzt und Pflegepersonal durchgeführt wird, müssen sie vom Betreuer hierzu ermächtigt werden. Dadurch entsteht jedoch dieselbe Gefahr einer unkontrollierten privaten Gewalt wie bei der Freiheitsentziehung durch einen Dritten. Deshalb ist entsprechend dem Grundgedanken des § 1906 IV BGB jede Ermächtigung eines Dritten zur Ausübung der Bestimmungsbefugnis vom Vormundschaftsgericht zu genehmigen. Das ist bislang übersehen worden, weil man Anordnung der Bestimmungsbe515 Rink, in: HK-BUR, § 1906 BGB Rn. 45; ähnlich auch Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1906 BGB Rn. 20a; Bienwald, in: Staudinger12, §1906 BGB Rn.45. 516 Vgl. die Nachweise in §4 Fn.514. 517 Zutreffend deshalb LG Hamburg BtPrax 1995, 31 ff. (bestätigt von O L G Hamburg FamRZ 1995, 1019); AG Berlin-Tempelhof/Kreuzberg BtPrax 1998, 194f.; jeweils für die vom Betreuer organisierte, aber nicht persönlich durchgeführte „Unterbringung in der eigenen Wohnung" des Betreuten. Zustimmend auch Marschner, in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 36; kritisch Knittel, § 1906 BGB Rn.40. Dagegen will Bienwald (BtR 3 , § 1906 BGB Rn. 81; ders., in: Staudinger12, §1906 BGB Rn.45; zustimmend Knittel, §1906 BGB Rn.40) jede Art der Familienpflege ausnehmen, auch wenn sie nicht durch den Betreuer und gegen Entgelt erfolgt. 518 Dazu Rink, in: HK-BUR, vor § 1904 BGB Rn. 19.
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Verfahrenspflegschaft
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fugnis und Ermächtigung eines Dritten zu ihrer Ausübung nicht unterscheidet, sondern undifferenziert entweder von der Anordnung 519 oder der Genehmigung520 von Zwangsmaßnahmen spricht. Meist wird jedoch bereits die Notwendigkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Anordnung der Bestimmungsoder Zwangsbefugnis nicht erkannt 521 . Häufig werden die Anordnung einer Bestimmungsbefugnis und die Ermächtigung eines Dritten zu ihrer Ausübung gleichzeitig erforderlich werden und deshalb Anordnung und Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht gleichzeitig und in einem Beschluß erfolgen. Doch enthält ein derartiger Beschluß rechtlich gesehen zwei verschiedene, von einander zu trennende Entscheidungen, die nur aus verfahrensökonomischen Gründen in einem Beschluß zusammengefaßt sind. Unterscheidet ein solcher Beschluß im konkreten Fall nicht zwischen Anordnung der Bestimmungsbefugnis und Genehmigung der Ermächtigung eines Dritten zu ihrer Ausübung, sondern „genehmigt" beispielsweise die Zwangsbehandlung des Betreuten 522 oder die Unterbringung in dessen eigener Wohnung 523 , muß der Inhalt dieses Beschlusses erst im Wege der Auslegung ermittelt werden. Kann wie bei der Zwangsbehandlung nur der Dritte die Bestimmungsbefugnis ausüben, oder soll er es im konkreten Fall jedenfalls tun, wie bei der vom Betreuer organisierten, aber nicht persönlich durchgeführten Unterbringung des Betreuten in der eigenen Wohnung, enthält die Entscheidung des Vormundschaftsgericht regelmäßig sowohl die Anordnung der nötigen Bestimmungsbefugnis, als auch die Genehmigung der Ermächtigung des Dritten. Nur insofern kann man vereinfachend von der vormundschaftsgerichtlichen „Genehmigung von Zwangsmaßnahmen" sprechen.
V.
Verfahrenspflegschaft
Dient das Betreuungsverfahren dazu, durch die Betreuung die Rechtsperson herzustellen und dem Betroffenen die gleichberechtigte Teilnahme am Rechtsverkehr zu ermöglichen, ist davon regelmäßig seine Rechtsstellung betroffen und er deshalb notwendig am Verfahren zu beteiligen524. Da es in diesem Ver519 Für die Aufenthaltsbestimmung Bienwald, in: Staudinger12, § 1896 BGB Rn. 86; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 BGB Rn.38. 520 Für die Zwangsbehandlung Marschner, in: Jürgens, BtR, § 1904 BGB Rn. 11; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1904 BGB Rn.22; allgemein Windel, BtPrax 1999, 50ff. 521 Vgl. z.B. OLG Hamm FGPrax 1997, 64f., das die Zwangsbehandlung nur unter dem Aspekt der Gefährlichkeit der Behandlung nach § 1904 BGB diskutiert. Aus der Literatur ebenso Frost, 66ff.; Mayer, 106ff.; T. Zimmermann, 237, 307ff., alle zur Zwangsbehandlung. 522 Marschner, in: Jürgens, BtR, § 1904 BGB Rn. 11; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1904 BGB Rn.22. 523 LG Hamburg BtPrax 1995, 31ff.; AG Berlin-Tempelhof/Kreuzberg BtPrax 1998, 194f. 524 Kayser, in: Keidel14, §12 FGG Rn.107; Baur, §19 III (193f.); Bärmann, §17 III 4 (125);
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§4 Die Funktion der Betreuung
fahren um die Herstellung der auf ihn bezogenen Rechtsperson geht und damit um seinen rechtlichen Status, der erst als Ergebnis dieses Verfahrens festgelegt wird, kann dieser künftige Status nicht bereits zuvor seine Handlungsfähigkeit im Verfahren bestimmen525. Aufgrund seiner Mündigkeit ist er daher im Betreuungsverfahren immer verfahrensfähig. § 66 F G G schreibt dies nun ausdrücklich fest und bestätigt dadurch die mit der Mündigkeit verbundene allgemeine Anerkennung der Entscheidungen des Betroffenen auch für das Betreuungsverfahren. Wie im allgemeinen Rechtsverkehr kann sich jedoch auch im Hinblick auf seine Beteiligungsbefugnisse im Betreuungsverfahren das Problem stellen, daß er sie infolge seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit nicht wie ein Mündiger ausüben kann. Die Regelung des § 66 F G G verbietet hier nur den früher üblichen Rückgriff auf die Regelungen für den allgemeinen Rechtsverkehr in §§ 104ff. BGB 526 , enthält aber selbst keine Lösung. Das Gebot der Rechtsgleichheit aller Menschen beschränkt sich jedoch nicht auf den allgemeinen Rechtsverkehr, sondern erfordert die Herstellung der Rechtsgleichheit des Betroffenen auch im Betreuungsverfahren.
1. Verfahrenspfleger
als Handlungsorganisation
im
Betreuungsverfahren
Benötigt der Betroffene wegen seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit Unterstützung, kann diese sofort im Rahmen des Verfahrens durch das Vormundschaftsgericht erfolgen, indem es ihm mit Fragen oder Hinweisen hilft, seine Befugnisse auszuüben, oder indem es seinen Anregungen von Amts wegen nachgeht, wozu es nach § 12 F G G verpflichtet ist527. Das ist allerdings nicht mehr ausreichend, wenn der Betroffene am Verfahren überhaupt nicht mehr teilnehmen kann, weil er entweder dazu tatsächlich nicht in der Lage ist528 oder
Habscheid, §20 II 1 (148); Pawlowski/Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn. 149ff., 160. Das ist wegen Art. 103 I GG auch verfassungsrechtlich geboten, der für alle Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt (vgl. BVerfGE 19, 49 (51); 21, 139 (144f.); 60, 7 (13); BGH NJW 1989, 985; Kayser, in: Keidel14, § 12 FGG Rn. 105 m.w.N.). 525 Für das frühere Entmündigungsverfahren ergab sich das schon aus §§ 664 II, 675 ZPO a.F., während es für das Pflegschaftsverfahren erst nach BVerfGE 10, 302 (306) allgemein anerkannt wurde (BGHZ 35, 1 (4ff.); 52, 1 (2); 70, 252 (255f.); Habscheid, §15 III 1 (106f.)). Vgl. auch BVerfGE 19, 93 (101); BGHZ 110, 294 (296ff.); Rosenberg/Schwab/Goim>*M15, §44 IV 2 (229f.); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 I GG Rn.30. 526 Regierungsentwurf, 170; Bumiller, in: Bumiller/Winkler6, §66 FGG Anm. 1; Kayser, in: Keidel14, §66 FGG Rn. lf.; Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §66 FGG Rn. lf. 527 Ygj j a z u Kayser, in: Keidel14, § 12 FGG Rn. 1 ff., 21 ff.; Pawlowski!Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn.225ff. 528 Vgl. die Fälle der §§ 68 II Nr. 2 i.V.m. 6712 Nr. 1,6712 Nr. 2 FGG; aus der Rechtsprechung Saarl. OLG BtPrax 1999, 153 ff.
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Verfahrenspflegschaft
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zu seinem Schutz davon ausgeschlossen wird 529 . Dann muß seine Teilnahme am Verfahren durch eine spezielle Handlungsorganisation ermöglicht werden, die seine Beteiligungsbefugnisse allein in seinem Interesse ausübt und im Verfahren keine eigenen Ziele verfolgt. Nun ist Gegenstand des Betreuungsverfahrens ausschließlich das Wohl des Betroffenen 530 . Insofern scheint es keine Interessenkonflikte zu Lasten des Betroffenen geben zu können. Damit wird übersehen, daß es hier nicht um die Ausübung der Rechte des Betroffenen im allgemeinen Rechtsverkehr, sondern um die Ausübung seiner Beteiligungsrechte im Betreuungsverfahren gerade gegenüber den anderen Beteiligten und gegenüber dem Vormundschaftsgericht geht. Da jene die potentiell gegen sich selbst gerichteten Beteiligungsrechte des Betroffenen nicht ohne Zielkonflikte ausüben können, ist dafür eine gesonderte Handlungsorganisation erforderlich 531 . Auch diese besondere Handlungsorganisation kann entweder vom Betroffenen selbst (Verfahrensbevollmächtigter) 532 oder notfalls vom Vormundschaftsgericht im Rahmen des Betreuungsverfahrens (Verfahrenspfleger) 533 bestellt werden. Die Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht also darin, die Teilnahme des Betroffenen am Betreuungsverfahren zu verwirklichen, soweit dieser dazu selbst außerstande ist und seine Unterstützung durch das Vormundschaftsgericht nicht mehr genügt. Die Verfahrenspflegschaft stellt daher die Rechtsperson des Betroffenen im Betreuungsverfahren her 534 und wahrt dadurch insbesondere sein rechtliches Gehör (Art. 103 I G G ) in diesem Verfahren 535 . Deshalb kann er alle Beteiligungsrechte des Betroffenen einschließlich der Einlegung eines
Vgl. den Fall des §§68 II Nr. 1 i.V.m. 67 I 2 Nr. 1 FGG. Nicht nur die Tätigkeit des Betreuers, sondern auch diejenige des Vormundschaftsgerichts ist auf das Wohl des Betreuten verpflichtet (§§ 1901 III 1, 1908i I 1 i.V.m. 1837 BGB. Vgl. dazu Damrau, in: Soergel12, § 1837 BGB Rn. 3; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 71IV 3 (1175)), dessen Verwirklichung das Betreuungsverfahren dient (Kröger, in: Jürgens/Kröger/ Marschner/Winterstein4, Rn. 295). 531 So zu Recht die Arbeitsgruppe 10 des 2. Vormundschaftsgerichtstages hinsichtlich des Verfahrenspflegers (2. Vormundschaftsgerichtstag, 159). Vgl. auch LG Stuttgart BWNotZ 1996,14. 532 § 67 I 6 FGG. Voraussetzung ist allerdings eine nach den allgemeinen Regeln wirksam erteilte Vollmacht. Daran fehlt es, wenn der Betroffene bei der Erteilung unmittelbar geschäftsunfähig (§§ 104 Nr. 2,105 II BGB) war. Das verkennt z.B. Saarl. O L G BtPrax 1999,153 (155), wenn es hierbei auf den „natürlichen Willen" (d.h. den Wunsch) des Vollmachtgebers statt auf seinen „rechtlichen Willen" abstellt. 533 §67 I 1 FGG. Wie hier die Arbeitsgruppe 10 des 2. Vormundschaftsgerichtstages (2. Vormundschaftsgerichtstag, 159). Allgemein zur Notwendigkeit eines Pflegers, wenn der gesetzliche Vertreter in Interessenkonflikte gerät, U. Hühner, Interessenkonflikt, 72f. Zum Verfahrenspfleger insbesondere vgl. Kayser, in: Keidel14, §12 FGG Rn. 111; Bumiller, in: Bumiller/Winkler6, § 12 FGG Anm. 10; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 I G G Rn.29, und BVerfGE 72, 122 (133ff.). 534 Ähnlich Bienwald, BtR 3 , §67 F G G Rn.9f. 535 Regierungsentwurf, 171; Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drucks. 11/4528, 231); Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §67 F G G Rn.5; Kayser, in: Keidel14, §67 FGG Rn.4. Zur Bedeutung des Art. 103 I GG vgl. oben §4 Fn. 524. 529
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§ 4 Die Funktion der Betreuung
Rechtsmittels536 für diesen ausüben, ist also dessen gesetzlicher Vertreter im Betreuungsverfahren. Der grundlegende Unterschied zwischen Verfahrenspflegschaft und Betreuung besteht darin, daß diese die Teilnahme und den Schutz des Betroffenen im allgemeinen Rechtsverkehr, die Verfahrenspflegschaft seine Beteiligung am Betreuungsverfahren organisiert537. Diese besondere Aufgabe bestimmt die Rechtsstellung des Verfahrenspflegers und erfordert einige besondere, die allgemeinen betreuungsrechtlichen Grundsätze ergänzende oder auch verdrängende Regelungen. So unterliegt der Verfahrenspfleger anders als der Betreuer538 nicht den Weisungen des Vormundschaftsgerichts539, weil er die Beteiligungsrechte des Betroffenen auch gegenüber dem Vormundschaftsgericht wahrzunehmen hat. Das Vormundschaftsgericht entscheidet deshalb nur über die Anordnung und Aufhebung der Verfahrenspflegschaft und die Bestellung des Verfahrenspflegers540. Darauf beschränken sich auch seine Möglichkeiten, die Einhaltung der rechtlichen Bindung des Verfahrenspflegers an das Wohl des Betroffenen zu überwachen. Im übrigen, d.h. soweit es mit der Funktion des Verfahrenspflegers vereinbar ist, gelten jedoch die allgemeinen betreuungsrechtlichen Regeln. Während sich der Vorrang des Verfahrensbevollmächtigten bereits im Gesetz findet541, ergibt sich beispielsweise die allgemein anerkannte Verpflichtung des Vormundschaftsgerichts, sich bei der Auswahl eines Verfahrenspflegers an dem Vorschlag des Betroffenen zu orientieren und ihn dazu anzuhören542, aus der entsprechenden Anwendung der für die Bestellung eines Betreuers geltenden §§1897 BGB, 68 FGG. Für die bisher heftig umstrittene543 Vergütung des Verfahrenspflegers ist seit dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 die entsprechende Anwendung der betreuungsrechtlichen Vorschriften in § 67 III 2 F G G nun ausdrücklich angeordnet544. Das gilt jedoch generell, weil es der Aufgabe des Verfahrenspflegers als einer besonderen Form der Rechtsfürsorge für Volljährige, d.h. der Betreuung entspricht. Der Verfahrenspfleger wird deshalb zu Recht zunehmend als besondere Form der Pflegschaft angesehen, die §1915 BGB unterfällt, soweit dies mit ihrem Zweck vereinbar ist545. Die Bezeichnung als „Pfleger eigener §67 II FGG. Zutreffend Bienwald, BtR 3 , §67 F G G Rn. 10. 538 §§1837 11, 1908i I 1 BGB. 539 Regierungsentwurf, 171; Mertens, in: Jürgens, BtR, §67 F G G Rn. 12; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, § 67 FGG Rn. 17. 540 §67 1 6 FGG. 541 §67 1 6 FGG. 542 Bumiller, in: Bumiller/Winkler6, §67 FGG Anm.3; Mertens, in: Jürgens, BtR, §67 FGG Rn. 10; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §67 F G G Rn. 12. 543 Ausführlich dazu Küsgens, 9ff., 46ff. 544 Vgl. BR-Drucks. 960/96, 17, und schon Regierungsentwurf, 88. 545 Küsgens, 34ff.; Kröger, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn.360; Holzhauer, in: Erman9, vor §1909 BGB Rn.8; Pohl, BtPrax 1992, 20. Im Grundsatz ebenso Schwab, in: 536
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V.
Verfahrenspflegschaft
115
Art" 5 4 6 ist wenig aussagekräftig und erklärt zudem nicht, warum der Verfahrenspfleger zwar nicht „dem B G B " unterfallen soll 547 , seine Vergütung sich aber gleichwohl nach den §§ 1835ff. B G B richtet 548 . Schon nach früherem Recht hat man bei der Verweisung des §1915 B G B danach unterschieden, ob die Pflegschaft für einen Minderjährigen oder einen Volljährigen angeordnet war und dementsprechend die Regeln der Minderjährigen- oder Erwachsenenvormundschaft entsprechend angewendet. Seit dem 1.1.1992 verweist § 1915 B G B daher für Pflegschaften über Volljährige grundsätzlich auf das Betreuungsrecht 549 .
2. Der Schutz des Betroffenen im
Betreuungsverfahren
Auch im Betreuungsverfahren stellt sich nicht nur die Aufgabe, die Teilnahme des Betroffenen zu organisieren und die Wahrnehmung seiner Rechte zu ermöglichen, wenn er in seiner Eigenverantwortlichkeit beschränkt ist. Wie im allgemeinen Rechtsverkehr muß er darüber hinaus auch bei seiner Teilnahme am Betreuungsverfahren davor geschützt werden, sich aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst zu schädigen 550 . Besteht die Gefahr, daß er schon allein infolge seiner Teilnahme selbst in tatsächlicher Hinsicht, d.h. körperlich oder psychisch Schaden erleidet, kann der Schutz nur in seinem Ausschluß aus dem Verfahren bestehen 551 . Drohen ihm hingegen infolge seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit keine tatsächlichen, sondern Rechtsnachteile, ist sein genereller Ausschluß sowenig gerechtfertigt wie die pauschale Anordnung der rechtlichen Unwirksamkeit seiner Verfahrenshandlungen 552 . Man könnte nun daran denken, seine VerMünchKommBGB 3 , §1915 BGB Rn.4; Diederichsen, in: Palandt58, vor §1909 BGB Rn.4; für den Verfahrenspfleger alten Rechts schon D'Angelo, 139ff., 142 m.w.N. 546 So im Anschluß an eine Formulierung im Regierungsentwurf, 171, z.B. Bienwald, BtR 3 , §67 FGG Rn. 13; ders., in: Staudinger12, Vorbemerkungen vor §1909 BGB Rn.4; Mertens, in: Jürgens, BtR, § 67 FGG Rn. 12; Knittel, § 1896 BGB Rn. 54, § 67 F G G Rn. 2; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §67 FGG Rn. 17. 547 Bienwald, in: Staudinger12, §1915 BGB Rn. 1; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §67 F G G Rn. 17. 548 So schon vor der Einführung des § 67 III 2 FGG durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 Bienwald, BtR 2 , § 67 FGG Rn. 15; Mertens, in: Jürgens, BtR, § 67 F G G Rn. 12; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §67 FGG Rn. 19a ff. 549 Vgl. auch Küsgens, 27 Fn. 102. Nicht überzeugend dagegen Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1915 BGB Rn.6, der die Regeln des Betreuungsrechts ohne weitere Begründung nicht für passend hält und deshalb das Recht der Minderjährigenvormundschaft anwenden will. 550 Darauf weisen zu Recht hin W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §66 F G G Rn. 3f.; Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §66 FGG Rn. 3. 551 So jetzt §68 II Nr. 1 F G G und früher schon z.B. BayObLGZ 1965, 359 (361); 1966, 435 (440f.); Eickmann, Rpfleger 1982,451. Zum ganzen auch Kayser, in: Keidel14, § 12 FGG Rn. 111. 552 Zu Recht wird daher eine über § 68 II Nr. 1 FGG hinausgehende Verfahrensunfähigkeit abgelehnt (Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §66 FGG Rn.3; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1896 Rn. 83; dagegen W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §66 F G G Rn.4).
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§4 Die Funktion
der
Betreuung
fahrenshandlungen im Betreuungsverfahren ähnlich wie seine Rechtshandlungen im allgemeinen Rechtsverkehr mittels eines Einwilligungsvorbehalts der vorbeugenden Kontrolle der Handlungsorganisation zu unterwerfen und ihre rechtliche Anerkennung von der Zustimmung des Verfahrenspflegers abhängig zu machen. Dieser müßte seine Zustimmung immer dann versagen, wenn sich der Betroffene gerade aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit zu schädigen drohte. Allerdings könnte die Einhaltung der rechtlichen Bindung des Verfahrenspflegers an das Wohl des Betroffenen nicht durch das Vormundschaftsgericht kontrolliert werden, weil dieses damit mittelbar wieder die Ausübung der auch gegen sich selbst gerichteten Beteiligungsrechte des Betroffenen kontrollieren müßte553. Ohne eine solche Kontrolle wäre der Betroffene aber der privaten Willkür des Verfahrenspflegers ausgeliefert554. Ein Einwilligungsvorbehalt zugunsten des Verfahrenspflegers für das Betreuungsverfahren ist jedoch auch nicht erforderlich, um den Schutz des Betreuten vor Rechtsnachteilen sicherzustellen. Es genügt vielmehr, dem Verfahrenspfleger eine freiere Stellung im Verfahren einzuräumen, als dem Betreuer im allgemeinen Rechtsverkehr zukommt. Während der Betreuer grundsätzlich an die Wünsche des Betreuten gebunden ist555, hat der Verfahrenspfleger nach der Konzeption des Gesetzes unabhängig vom Betroffenen alle Beteiligungsrechte für ihn auszuüben556. Es kommt insoweit nicht nur zu einer „Doppelzuständigkeit" 557 , sondern sogar zu einer Verdoppelung der Beteiligtenstellung558. 3. Das Verhältnis von Verfahrenspfleger
und
Betroffenem
Insofern kann man davon sprechen, daß der Verfahrenspfleger nur an das objektive Wohl und nicht an die subjektiven Wünsche des Betroffenen gebunden ist559. Andererseits ist der Verfahrenspfleger weder im öffentlichen noch in sei5 5 3 Dieser Konflikt besteht allerdings nicht bei der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Es erscheint aber nicht sinnvoll, hier ausnahmsweise und punktuell die Einhaltung der Pflichtbindung des Verfahrenspflegers im Betreuungsverfahren selbst zu überprüfen, wie es zum Teil im Anschluß an eine Äußerung in den Materialien (Regierungsentwurf, 170) gefordert wird (W. Zimmermann, in: Damrau/ Zimmermann 2 , §67 F G G Rn.21). 554 Dazu oben §4 11.4. 5 5 5 §1901 III 1 B G B . 5 5 6 Regierungsentwurf, 170f.; Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §67 F G G Rn.3. 5 5 7 So aber Knittel, §1896 B G B Rn.54, §67 F G G Rn.2; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 B G B Rn. 88. 5 5 8 Vgl. Regierungsentwurf, 170: Widersprechende Rechtsmittel des Betroffenen und Verfahrenspflegers sind wie Rechtsmittel verschiedener Beteiligter zu behandeln. 5 5 9 Regierungsentwurf, 170; Knittel, § 1896 B G B Rn. 54, § 67 F G G Rn. 2; W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann 2 , §67 F G G Rn. 18. Kritisch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 B G B Rn. 88. Die Kritik von Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, § 67 F G G Rn. 3, verfehlt ihr Ziel, weil der Gesetzgeber ausdrücklich die Interessen des Betroffenen als Maßstab des Handelns des
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Verfahrenspflegschaft
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nem eigenen Interesse tätig, sondern übt die Beteiligungsrechte des Betroffenen aus, - und zwar auf dessen Kosten 560 . Auch betreffen die Wirkungen des Betreuungsverfahrens allein den Betroffenen. Insoweit kommt dessen Bindung an das Wohl des Betroffenen durchaus praktische Bedeutung zu. Zwar ist die Einhaltung dieser Bindung nicht im Betreuungsverfahren selbst vom Vormundschaftsgericht zu überwachen, doch stellt sie eine Rechtspflicht des Verfahrenspflegers dar, deren Verletzung entsprechend §§1833, 1908i I 1, 1915 I B G B zu einem Schadensersatzanspruch des Betroffenen führt 561 . Von daher läßt sich auch die Frage beantworten, inwieweit der Verfahrenspfleger an die Wünsche des Betroffenen gebunden ist. In den Materialien zum Betreuungsgesetz wird sie kurzerhand verneint 562 , während in der Literatur daran Zweifel geäußert werden 563 . Auszugehen ist dabei von der Einsicht, daß die Verfahrenspflegschaft die besondere Aufgabe hat, die Rechtsperson im Hinblick auf die Beteiligung des Betroffenen am Betreuungsverfahren zu organisieren. Der Verfahrenspfleger nimmt deshalb die Beteiligungsrechte des Betroffenen als dessen gesetzlicher Vertreter wahr und ist dabei an sein Wohl gebunden. Wie im allgemeinen Rechtsverkehr ist aber auch im Betreuungsverfahren eine Einschränkung der mit der Mündigkeit des Betroffenen verbundenen allgemeinen rechtlichen Anerkennung seiner Entscheidungen nur gerechtfertigt, wenn diese auf seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit beruht und ihre Verwirklichung den Betroffenen schädigen würde 564 . Da ein Verfahrenspfleger nur in den Fällen bestellt wird, in denen der Betroffene sich aufgrund seines Zustandes nicht mehr selbständig am Verfahren beteiligen und dort seine Rechte ausüben kann, wird dies praktisch häufig der Fall und sein Wunsch daher unbeachtlich sein. Doch sind auch Fälle denkbar, in denen dem Betreuten kein Nachteil daraus erwächst, daß der Verfahrenspfleger seinem Wunsch folgt. Wenn sich der Betreute z.B. nach anfänglichem Sträuben zuletzt ausdrücklich mit einer Betreuung in allen seinen Angelegenheiten einverstanden erklärt und der Verfahrenspfleger gleichwohl dagegen Beschwerde einlegt mit dem Ziel, sie auf bestimmte Bereiche zu beschränken, mag dies zwar bei Mittellosigkeit des Betreuten im Interesse der Staatskasse liegen. Es ist aber nicht zu erkennen, wie dies gegenüber dem Betreuten gerechtfertigt werden könnte, auf dessen Wohl auch der Verfahrenspfleger verpflichtet ist. Verfahrenspflegers genannt hat (Regierungsentwurf, 170), was Reinickes eigener Auffassung entspricht. 560 §§ 67 I U I , 2 FGG, 1908i 11,1835 I, II, 1836,1836c - 1836e BGB. Vgl. W. Zimmermann, in: Damrau/Zimmermann2, §67 FGG Rn. 19e. 561 So auch für den Verfahrenspfleger alten Rechts D'Angelo, 150f. 562 Regierungsentwurf, 170f. 563 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1896 BGB Rn.88; Reinicke, in: Holzhauer/Reinicke, §67 F G G R n . 3 . 564 Auch hier gelten also die zu §1901 II, III BGB entwickelten Grundsätze (ähnlich Pohl, BtPrax 1992, 20).
§ 5 Die grundrechtliche Dimension Die internationale menschenrechtliche Diskussion hat sich in den letzten Jahren verstärkt den Rechten psychisch kranker oder behinderter Menschen und ihrer Verwirklichung gewidmet. Neben der Tätigkeit der Vereinten Nationen 1 haben die Arbeit des Europarates 2 und insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention 3 und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der Europäischen Kommission für Menschenrechte 4 auf die Entwicklung und Verbesserung ihrer Rechtsstellung besonderen Einfluß ausgeübt und zu Reformen in mehreren europäischen Ländern geführt 5 . Insofern ist die Reform des deutschen Rechts durch das Betreuungsgesetz Ausdruck und Bestandteil einer europäischen Entwicklung. Die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung der Konventionsorgane hat jedoch nicht nur rechtspolitische Bedeutung. Sie begründet zum einen völkerrechtliche Verpflichtungen eines 1 UN-Generalversammlung: Declaration on the Rights of Mentally Retarded Persons, Res. 26/2856 (26. Session, Resolution 2856), 20.12.1971, UN Doc A/8429; Declaration on the Rights of Disabled Persons, Res. 30/3447 (30. Session, Resolution 3447), 9.12. 1975, UN Doc A/10034; Principles for the Protection of Persons with Mental Illness and the Improvement of Mental Health Care, Res. 46/119 (46. Session, Resolution 119), 17.12. 1991, UN Doc A/46/49; Standard Rules on the Equalisation of Opportunities for Persons with Disabilities, Res. 48/96 (48. Session, Resolution 96), 20.12.1993. UN-Menschenrechtskommission: Principles, Guidelines and Guarantees for the Protection of Persons Detained on Grounds of Mental Ill-Health or Suffering from Mental Disorders (Daes-Report), UN Doc E/CN 4/Sub 2/1983/17; Human Rights and Disabilities (Despouy-Report), UN Doc E/CN 4/Sub 2/1991/31. 2 Beratende Versammlung: Recommendation 818 (1977) on the situation of the mentally ill, 8.10. 1977. Ministerkomitee: Recommendation R (83) 2 concerning the legal protection of persons suffering from mental disorder who have been institutionalized involuntarily, 22.2. 1983. Parlamentarische Versammlung: Recommendation 1235 (1994) on psychiatry and human rights, 12.4. 1994. 3 Konvention des Europarats vom 4.11. 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl 1952 II, 685, 953; BGBl 1954 II, 14). 4 Mit dem 11. Zusatzprotokoll zur EMRK v. 11.5. 1994 (European Treaty Series No. 155; BGBl 1995 II, 578), das zum 1.11.1998 in Kraft trat (Human Rights Law Journal 19 (1998), 124 Nr. 12c), wurde ein neuer ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte errichtet, der an Stelle der bisherigen Konventionsorgane Kommission und Gerichtshof tritt (vgl. dazu MeyerLadewig, NJW 1995, 2813ff.). 5 Ausführlich Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 354ff.; Verbeke, ERPL 2 (1994), 4ff.; Rosenthal/ Rubenstein, Int. J. Law and Psych. 16 (1993), 257ff.; Shelton, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 97ff. Für England vgl. Law Commission, Law Com No. 231 §§2.40ff. (23ff.).
§ J Die grundrechtliche
Dimension
119
Mitgliedsstaates, die wegen des Gebots der völkerrechtskonformen Interpretation auch bei der Auslegung und Anwendung seines innerstaatlichen Rechts zu beachten sind6. Darüber hinaus gilt sie in der Bundesrepublik Deutschland als einfaches Bundesgesetz7. Das Betreuungsrecht hat daher nicht nur den Vorgaben des Grundgesetzes, sondern auch denen der Menschenrechtskonvention Rechnung zu tragen. Die Europäische Menschenrechtskonvention hat zudem noch eine besondere Bedeutung für die Diskussion um ein europäisches Privatrecht, weil sie nicht nur eine gemeinsame Tradition der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union darstellt, sondern auch von der Europäischen Union selbst zu beachten ist8. Auch die Europäisierung des Privatrechts im Rahmen der Europäischen Union muß daher den Anforderungen der Konvention entsprechen. Die Regelung der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit in §§104 Nr. 2, 105 BGB wird nun ebenso wie die Anordnung der Betreuung durch das Vormundschaftsgericht und auch die im Rahmen der Betreuung getroffene einzelne Maßnahme des Betreuers als Eingriff in die durch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleisteten Grundrechte des Betroffenen begriffen, den der Staat selbst oder der von ihm bestellte und ihm daher zuzurechnende Betreuer vornehme und der den für die Ausübung öffentlicher Gewalt geltenden verfassungs- bzw. konventionsrechtlichen Anforderungen unterworfen sei. Dementsprechend wird beispielsweise über die Verfassungswidrigkeit der §§104 Nr. 2, 105 BGB 9 , die Bedeutung des Gesetzesvorbehaltes 10 6 BVerfGE 74,358 (370); 83,119 (128); Sommermann, AöR 114 (1989), A\bi.-,]arass, in: Jarass/ Pieroth 4 , Art. 25 GG Rn.4; Roth, 55 f. 7 BGBl 1952 II, 685. Zur Stellung in den anderen Mitgliedsstaaten vgl. Frowein, in: Frowein/ Peukert 2 , Einführung Rn. 6. 8 Art. F II des Vertrages über die Europäische Union (EUV) v. 7.2. 1992, ABl EG 1992 Nr. C 191/1; Art. 1 Nr. 8a des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte v. 2.10. 1997, ABl EG 1997 Nr. C 340/1. Zum Verhältnis von EMRK und den Europäischen Gemeinschaften vgl. den Uberblick von Frowein, in: Frowein/ Peukert 2 , Einführung Rn. 13. 9 Vgl. Canaris, JZ 1987, 996ff. und JZ 1988, 496ff. einerseits; Ramm, JZ 1988,491; Wieser, JZ 1988, 493f. andererseits. 10 Pardey, Rahmenbedingungen, 163f.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1901 BGB Rn.3b; Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn. 19ff. Mangels gesetzlicher Grundlage lehnen eine Befugnis des Betreuers, die Wohnung gegen den Willen des Betreuten zu betreten, ab: OLG Frankfurt/M. FamRZ 1996, 821; LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; Bauer, FamRZ 1994, 1562ff.; ders., BtPrax 1996,55ff.; Kemper, FuR 1996,152ff.; Knittel, § 1896 BGB Rn. 32m. Für die Zwangsbehandlung ebenso: Bienwald, in: Staudinger 12 , §1904 BGB Rn.28 (anders aber ders., BtR 2 , § 1904 BGB Rn. 24); Knittel, § 1896 BGB Rn. 32g. Im Ansatz ähnlich, wenngleich er Zwang zur Abwendung einer Unterbringung als milderes Mittel unter deren Voraussetzungen für zulässig hält, Rink, in: HK-BUR, Vor § 1904 BGB Rn. 19; Schweitzer, FamRZ 1996, 1321f. Vgl. auch Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 4 , Rn.238ff., 240, 247 (Ermächtigungsgrundlage für Zwang durch Betreuer nötig, aber nicht vorhanden. Gleichwohl soll Zwang im Ergebnis zulässig sein.).
120
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
oder des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes11 für die Anordnung der Betreuung oder die Tätigkeit des Betreuers oder die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines damit verbundenen Schutzes des Menschen vor sich selbst diskutiert12. Die Problematik reicht jedoch tiefer. Versteht man nicht nur die Anordnung der Betreuung, sondern auch die Tätigkeit des Betreuers als staatlichen Eingriff in Ausübung öffentlicher Gewalt gegenüber dem Betreuten, wird die Betreuung im Grunde insgesamt öffentlichrechtlich begriffen. Die privatrechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses von Betreuer und Betreutem ist dann nur noch etwas Äußerliches. Der Sache nach ist die Tätigkeit des Betreuers öffentlichrechtlich. Ein derartiges Verständnis der Betreuung wird weder ihrer Funktion gerecht, die Rechtsperson des Betroffenen als einen auch gegenüber dem Staat unabhängigen Entscheidungsträger herzustellen, noch entspricht es der historischen Entwicklung des deutschen Vormundschaftsrechts. Während im früheren Recht 13 der Vormund vielfach als staatlicher Amtsträger erschien, begriff das BGB 1 4 die Vormundschaft und Pflegschaft nach dem Vorbild der preußischen Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 187515 als privatrechtliches Verhältnis unter staatlicher Aufsicht16. Das gilt auch für die an ihre Stelle getretene Betreuung, die ebenfalls privatrechtliche und öffentlichrechtliche Elemente vereint17. Die Frage nach der Stellung des Vormunds ist bislang vor allem im Rahmen der Haftung des Staates für den von ihm bestellten Vormund erörtert worden. Dabei ging man überwiegend davon aus, daß der Staat nach Art. 34 GG, § 839 B G B nur für den Amtsvormund haftet, weil nur dieser, nicht aber der private Vormund in Ausübung eines öffentlichen Amtes handele18. Seitdem das Aus der Sicht der EMRK für die Freiheitsentziehung Kopetzki, Festschrift Rill, 172ff.; und Unterbringungsrecht I, 116ff., 270ff., II, 951 ff. 11 Dröge, Zwangsbetreuung, 64ff. 12 In der verfassungsrechtlichen Literatur hat erstmals v. Münch, Festschrift Ipsen, 113ff., die Frage nach dem „Grundrechtsschutz vor sich selbst?" gestellt (ähnlich Littwin: „Grundrechtsschutz gegen sich selbst"), die Hillgruber als „Schutz des Menschen vor sich selbst" und K. Fischer, Selbstschädigung, als „aufgedrängten staatlichen Schutz vor Selbstschädigung" reformulierten. Letztere bezeichnen das Problem genauer, weil es nicht um den Schutz der Grundrechte gegen den Staat, sondern der von den Grundrechten geschützten Rechtsgüter gegen deren Inhaber geht {Schwabe, JZ 1998,67). Der Topos selbst ist jedoch älter (vgl. Singer, JZ 1995,1133 Fn.2 m.w.N.). Für das Betreuungsrecht ist dieser Aspekt noch kaum aufgearbeitet worden. Pardey, Rahmenbedingungen, 116ff., 123ff., referiert lediglich die Rechtsprechung des BVerfG, während ihm Dröge in seiner Analyse der Zwangsbetreuung überhaupt keine Beachtung schenkt (vgl. z.B. Dröge, Zwangsbetreuung, 67f.; etwas anders jetzt aber ders., FamRZ 1998,1210). Angesprochen wird er jedoch von Biirgle, AnwBl 1989, 509f., und Enderlein, 180ff. 13 Beispielsweise im Preußischen Allgemeinen Landrecht, Teil II, Tit. 18, §§ 1, 3, 235, 237. 14 Motive IV, 1008 f. 15 GS 1875,431. 16 Zur Entwicklung vgl. Dernburg, Bürgerliches Recht IV 4 , § 96 (374ff.); Dölle, Familienrecht II, § 116 II (646); Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1773 BGB Rn. 8f.; BGHZ 17,108 (116). 17 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1773 BGB Rn.20. 18 BGH NJW 1987, 2664 (2664); VersR 1983, 1080 (1081); BGHZ 22, 72 (73); 9, 255 (256f.);
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
121
Grundgesetz alle staatliche Gewalt an die Grundrechte bindet19 und zwar auch dann, wenn sie auf Private übertragen und von diesen ausgeübt wird20, muß darüber hinaus die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Betreuung und den Grundrechten des Betroffenen gestellt werden21. Diese für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Betreuung grundlegende Problematik des Verhältnisses von Fürsorge und Freiheitsgrundrechten ist für Volljährige noch nicht aufgearbeitet worden. Für Minderjährige hat man sie zunächst als Kollision von Kindesgrundrechten und Elternrecht des Art. 6 II 1 G G und später als Frage nach dem sachlichen Schutzbereich des Elternrechts des Art. 6 II 1 GG und den Voraussetzungen für einen Eingriff des Staates aufgrund seines Wächteramtes nach Art. 6 II 2 G G diskutiert22. Beide Ansätze reichen nur so weit wie das verfassungsrechtliche Elternrecht. Sie enden dort, wo die staatliche Fürsorge beginnt. Da Vormundschaft über Minderjährige, Pflegschaft und Betreuung allein auf das Wohl des Betroffenen verpflichtet sind, stellen auch die Rechte Dritter oder der Allgemeinheit keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für eventuelle Eingriffe in Freiheitsgrundrechte des Mündels, Pfleglings oder Betreuten dar. Ist diese staatliche Fürsorge mit den Freiheitsgrundrechten nicht vereinbar, muß sie demnach aufgegeben werden23. Entsprechendes gilt für die Regelung der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit in §§ 104 Nr. 2, 105 BGB, denn auch der Ausschluß der rechtlichen Anerkennung einer konkreten rechtlichen Handlung ist eine punktuelle Beschränkung der Mündigkeit und kann daher als Eingriff jedenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit24 begriffen werden25. Im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention beschränkt sich die Diskussion dagegen bislang auf die Anforderungen an die formellen VorausRiedl, 98ff., 112f.; K. Schreiher, AcP 178 (1978), 533ff., 539, 546ff. Dagegen Pardey, FamRZ 1989,1030ff., 103 3 f.: Der Vormund bzw. Betreuerhandele immer hoheitlich. Auf die Frage nach der Grundrechtsbindung überträgt diese Differenzierung Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III GG Rn. 107; für Art. 104 GG ebenso BGHZ 17, 108 (114ff.). 19 Art. 1 III GG. 2 0 BVerfGE 10, 302 (327); 75, 318 (327); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III GG Rn. 107; Kunig, in: v. Münch4, Art. 1 GG Rn. 60; Rüfner, HStR V, § 116 Rn. 9,11; Schwabe, AöR 100 (1975), 453 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art. 1 G G Rn. 146. Für die EMRK vgl. EGMR, 25.3. 1993 (Fall Costello-Roberts), A/247-C, §27f.; Frowein, in: Frowein/Peukert2, Art. 1 EMRK Rn. 10. 21 Lachwitz, DAVorm 1989, Sp.346. 22 Vgl. oben §4 1.3. Im Rahmen der EMRK nimmt eine Kollision an: Kopetzki, Festschrift Rill, 173. Als Frage des Schutzbereichs des Elternrechts fassen das Problem dagegen auf EGMR, 28.11.1988 (Fall Nielsen), A/144, §§64ff., 72; Köck, ÖJZ 1995, 487ff. 23 Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht4, § 7 1 (60ff.). 24 Zum Verständnis des Art. 2 I GG als Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit grundlegend BVerfGE 6, 32 (36ff.); seither ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt ausführlich BVerfGE 80, 137 (152ff.). Überblick bei Murswiek, in: Sachs2, Art.2 G G Rn.42ff. 25 Canaris, JZ 1987, 994f.
122
5 5 Die grundrechtliche
Dimension
Setzungen staatlicher F ü r s o r g e m a ß n a h m e n 2 6 . Z u r materiellen Rechtfertigung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung v e r w e i s t man regelmäßig auf die nach A r t . 5 1 2 lit. e E M R K zulässige Freiheitsentziehung w e g e n Geisteskrankheit 2 7 , f ü r sonstige F ü r s o r g e m a ß n a h m e n auf den Schutz der Gesundheit, der nach A r t . 8 II E M R K einen Eingriff in das P r i v a t - u n d Familienleben, die W o h n u n g und den B r i e f v e r k e h r des B e t r o f f e n e n auch im Interesse seiner G e s u n d h e i t erlaube 2 8 . Das entspricht im übrigen d e m Stand der internationalen D i s k u s s i o n ü b e r die Menschenrechte psychisch K r a n k e r und Behinderter 2 9 . Erst ansatzweise ist die Frage a u f g e w o r f e n w o r d e n , w a s diese schützende F ü r s o r g e gegenü b e r d e m B e t r o f f e n e n materiell
I. Betreuung 1. Die Bedeutung
rechtfertigt^.
und
Freiheitsgrundrechte
der Einwilligung
des
Betreuten
Gewährleistet A r t . 2 I G G mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit die allgemeine Handlungsfreiheit des einzelnen im umfassenden Sinn 3 1 , k ö n n e n sow o h l die A n o r d n u n g der Betreuung w i e die M a ß n a h m e des Betreuers einen Eingriff in seine jedenfalls d u r c h A r t . 2 1 G G grundrechtlich geschützte Freiheit darstellen 3 2 . Im R a h m e n der Europäischen M e n s c h e n r e c h t s k o n v e n t i o n k o m m t 26 Dementsprechend standen beispielsweise bei der Reform der fürsorgerischen Freiheitsentziehung in der Schweiz im Jahre 1978 (dazu Caviezel-Jost, 5 Iff.) oder des österreichischen Unterbringungsrechts im Jahre 1990 ( K o p e t z k i , Unterbringungsrecht 1,124f.) die formellen Anforderungen der EMRK eindeutig im Vordergrund. 27 EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §38; EGMR, 28.5. 1985 (Fall Ashingdane), A/93, §36; Peukert, in: Frowein/Peukert 2 , Art. 5 EMRK Rn.90. 28 EKMR, 7.5. 1979, EuGRZ 1981, 119 Nr.97; EKMR, 5.5. 1981, EuGRZ 1983, 19 Nr. 104; Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 300. 29 Vgl. Art. 3 lit. b Recommendation R (83) 2 des Ministerkomitees des Europarates v. 22.2. 1983 (concerning the legal protection of persons suffering from mental disorder who have been institutionalized involuntarily); §1 lit. a Recommendation 1235 (1994) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates v. 12.4. 1994 (on psychiatry and human rights); Principle 16 der Resolution 46/119 der UN-Generalversammlung v. 17.12.1991 (Principles for the Protection of Persons with Mental Illness and the Improvement of Mental Health Care). Kritik daran bei Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 294 Fn. 1911; Rosenthal/Rub enstein, Int. J. Law and Psych. 16 (1993), 265. 30 Köck, ÖJZ 1995, 487, 490 (familale Fürsorge); Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 290ff. (Unterbringung); Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn.267ff. (Selbsttötung), 270ff. (Sterbehilfe). 31 BVerfGE 6, 32 (36ff.), und jüngst nochmal ausdrücklich BVerfGE 80, 137 (152ff.). Dazu Dreier, in: Dreier, Art.2 I GG Rn. 15ff., 20; Murswiek, in: Sachs2, Art.2 GG Rn.42ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art.2 GG Rn.8ff. 32 BVerfGE 19, 93 (95ff.); Dröge, Zwangsbetreuung, 45; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art.2 GG Rn. 131. Deshalb können für unsere Zwecke die besonderen Freiheitsgrundrechte außer Acht bleiben (Dröge, Zwangsbetreuung, 29, 130; Hillgruber, 111 ff.). Da die Betreuung für alle Angelegenheiten des Betroffenen mit Ausnahme seiner höchstpersönlichen Entscheidungen an-
I. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
123
ein E i n g r i f f in die d u r c h A r t . 8 I E M R K garantierte Privatsphäre 3 3 o d e r die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t des A r t . 5 1 1 E M R K 3 4 in B e t r a c h t . B e r u h t die B e t r e u u n g o d e r die M a ß n a h m e des B e t r e u e r s hingegen auf seiner Einwilligung,
hat er also die B e s t e l l u n g eines B e t r e u e r s beantragt o d e r k o m m t
dieser seinem W u n s c h n a c h , liegt darin k e i n E i n g r i f f in seine F r e i h e i t s g r u n d rechte, weil seine S e l b s t b e s t i m m u n g nicht e i n g e s c h r ä n k t wird. E r ü b t sie vielm e h r gerade aus 3 5 . D i e E i n w i l l i g u n g des B e t r e u t e n legitimiert daher a u c h u n t e r g r u n d r e c h t l i c h e n A s p e k t e n die mit der B e t r e u u n g n o t w e n d i g v e r b u n d e n e n B e s c h r ä n k u n g e n seiner R e c h t s s t e l l u n g u n d das f ü r die B e s t e l l u n g eines B e t r e u e r s auf A n t r a g des B e t r o f f e n e n v o r g e s e h e n e vereinfachte V e r f a h r e n 3 6 . A u c h soweit die E i n w i l l i g u n g die materielle G r u n d l a g e der B e t r e u u n g bildet, befreit sie V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t u n d B e t r e u e r als O r g a n e der B e t r e u u n g nicht v o n ihrer B i n d u n g an die V o r g a b e n u n d S c h r a n k e n des B e t r e u u n g s r e c h t e s . D e r einzelne k a n n in A u s ü b u n g seiner F r e i h e i t n u r ü b e r sich selbst, n i c h t ü b e r das f ü r andere geltende staatliche G e s e t z b e s t i m m e n . Zwingendes
Gesetzesrecht
steht nicht zu seiner D i s p o s i t i o n . E r k a n n daher w e d e r andere Private n o c h den Staat v o n der B e a c h t u n g der für sie geltenden gesetzlichen V o r s c h r i f t e n e n t b i n den37. geordnet werden kann, können grundsätzlich alle Freiheitsgrundrechte von ihr berührt sein (Überblick bei Pardey, Rahmenbedingungen, 126ff.; Dröge, Zwangsbetreuung, 28f.). 33 Für die Entmündigung bzw. Anordnung der Pflegschaft EKMR, 7.5. 1979, EuGRZ 1981, 119 Nr. 97; EKMR, 5.5. 1981, EuGRZ 1983,19 Nr. 104; Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 300. 34 Kopetzki, Festschrift Rill, 173, unter Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung der EKMR. Der EGMR hat demgegenüber die zivilrechtliche Unterbringung eines minderjährigen Kindes durch die Mutter aufgrund und im Rahmen ihres Sorgerechts ausdrücklich nicht als Freiheitsentziehung qualifiziert (EGMR, 28.11. 1988 (Fall Nielsen), A/144, §§62ff.). 35 BVerfGE 85, 386 (398f.); 61, 1 (41ff., 43); 52, 131 (168, 171ff.); K. Amelung, Einwilligung, 24, 63ff.; Bethge, W D S t R L 57 (1998), 43; Dreier, in: Dreier, Vor Art. 1 GG Rn. 83; Hillgruber, 134ff.; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 60; Sachs, in: Sachs2, vor Art. 1 GG Rn. 55f.; W.-R. Schenke, in: BK, Art. 19IV Rn. 66f.; Schwabe, Probleme, 99ff. Diesen Ausgangspunkt teilt auch Stern, Staatsrecht III/2, §86 II 4, 5 (906ff.). Allerdings soll nur die Rechtswidrigkeit entfallen, der Charakter als Grundrechtseingriff aber bestehen bleiben (Stern, Staatsrecht III/2, §86 III 2 (918)). Damit versucht Stern zu begründen, daß der Staat weiterhin an die rechtlichen Vorgaben und Beschränkungen aus Verfassung und Gesetz gebunden bleibt. Das trifft zwar zu, folgt aber nicht aus dem Eingriffscharakter der Maßnahme, sondern daraus, daß diese Bindung nicht zur Disposition des einzelnen steht. Zur EMRK Herzog, AöR 86 (1961), 207; Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,270f.; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn. 9. Vgl. auch EGMR, 21.2. 1990 (Fall van der Leer), A/l 70A, § 9f., 30 (Nur der zwangsweise, nicht der freiwillige Aufenthalt in der Klinik wurde an Art. 5 EMRK gemessen.); EGMR, 28.5. 1970 (Fall De Wilde, Ooms, Versyp), A/12, §64f. (Alle Beschwerdeführer hatten sich zwar selbst bei der Polizei gemeldet, wurden danach aber gegen ihren Willen festgehalten.). 36 Dazu ausführlich §4 IV.l.a. 37 In der verfassungsrechtlichen Diskussion um den „Grundrechtsverzicht" (ausführlich dazu Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 15; Stern, Staatsrecht III/2, §86 (887ff.)) wird das meist als Beschränkung der Verfügungsfähigkeit des Grundrechts diskutiert (vgl. z.B. K. Amelung, 31 f.;
124
5 i Die grundrechtliche
Dimension
Deshalb unterliegt der B e t r e u e r bei seiner Tätigkeit auch dann der K o n t r o l le des Vormundschaftsgerichts u n d den Beschränkungen des
Betreuungs-
rechts, w e n n ihn der Betreute bevollmächtigt hat 3 8 , - solange er als handelt39.
Tritt er hingegen als Bevollmächtigter
Betreuer
auf, ergibt sich seine K o m p e -
tenz ausschließlich aus der Vollmacht, die ihm auch der Betreute erteilen kann, solange er nicht unmittelbar geschäftsunfähig o d e r d u r c h die A n o r d n u n g eines Einwilligungsvorbehalts
in seiner Geschäftsfähigkeit
beschränkt ist 4 0 .
Die
Vollmacht für den Betreuer kann daher allenfalls die Betreuung überflüssig w e r d e n lassen und damit zu ihrer A u f h e b u n g führen 4 1 . Sie befreit den B e t r e u er j e d o c h nicht v o n den zwingenden gesetzlichen Bindungen des B e t r e u u n g s rechts. Stellt die Einwilligung des Grundrechtsinhabers die A u s ü b u n g seiner Selbstbestimmung dar, schließt sie einen Eingriff in seine grundrechtlich geschützte Freiheit nur aus, w e n n er z u r Selbstbestimmung fähig ist 4 2 . K a n n er sich dagegen aufgrund seines Zustandes nicht eigenverantwortlich entscheiden, legitimiert seine Z u s t i m m u n g das staatliche H a n d e l n in seinem durch das G r u n d r e c h t beschriebenen Freiheitsbereich nicht. N i c h t nur staatliches H a n d e l n gegen Willen43,
sondern auch ohne
wirksame
Einwilligung
den
des Grundrechtsinhabers
kann daher einen Eingriff in dessen Freiheitsgrundrechte darstellen. Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 5 (908ff.). Ebenso für die EMRK Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,271 f.; Trechsel, in: The European System for the Protection of Human Rights, 287). Die Freiheit des Grundrechtsträgers ist jedoch überhaupt nicht berührt, weil es allein um die gesetzlichen Pflichten anderer geht (ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art. 1 GG Rn. 260, der die Einwilligung des Bürgers auf die Freiheitsbeschränkung bezieht und davon die objektiv-rechtliche Bindung des Staates unterscheidet. Differenzierend auch Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 15 Rn.21ff., der allerdings die Privatautonomie in die Abwägung nur „einbeziehen" will und damit ihre zentrale Bedeutung nicht berücksichtigt.). 38 Insofern zutreffend Regierungsentwurf, 135f. 39 Darauf wies zutreffend hin Bienwald, BtR 2 , §1902 BGB Rn. 51 (weniger deutlich jetzt ders., BtR 3 , §1902 BGB Rn.8ff.). Vgl. auch O L G Frankfurt a.M. FGPrax 1997, 111 (112). 40 Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1902 BGB Rn. 2. Entgegen Holzhauer, in: Erman9, § 1902 BGB Rn. 13, beschränkt die Anordnung der Betreuung den Betreuten gerade nicht in seiner eigenen Geschäftsfähigkeit und damit auch nicht in der Möglichkeit, eine Vollmacht zu erteilen. 41 §§1908d I 1, 1896 II 2 BGB (ebenso Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1902 BGB Rn.8). Falls der Geschäftsherr zur Überwachung des Bevollmächtigten nicht in der Lage ist, ist hingegen der bevollmächtigte Betreuer zu entlassen und ein anderer als Uberwachungsbetreuer zu bestellen, §§ 1908d 1,1896 III BGB. Zum Verhältnis von Betreuung und privater Vorsorge ausführlich unten §7. 42 Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 15 Rn. 29; Sachs, in: Sachs2, vor Art. 1 GG Rn. 56 („Einsichtsfähigkeit"). Als Problem der Freiwilligkeit begreift die Eigenverantwortlichkeit Lutwin, 234. Meist wird die Freiwilligkeit der Einwilligung bzw. des Grundrechtsverzichts nur im Hinblick auf Willensmängel wie Irrtum, Zwang u.s.w. diskutiert (vgl. z.B. K. Amelung, Einwilligung, 79ff.; Dreier, in: Dreier, Vor Art. 1 G G Rn. 83; Stern, Staatsrecht III/2, §86 II 6 b (913f.)). Für die EMRK Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,271 f.; Trechsel, in: The European System for the Protection of Human Rights, 287. 43 So z.B. Isensee, HStR V, § 111 Rn. 59.
I. Betreuung und 2. Betreuung
und
125
Freiheitsgrundrechte Grundrechtseingriff
D i e F r e i h e i t s g r u n d r e c h t e d i e n e n in ihrer k l a s s i s c h e n F u n k t i o n als A b w e h r r e c h t e d e m S c h u t z eines B e r e i c h e s p r i v a t e r S e l b s t b e s t i m m u n g g e g e n ü b e r d e m Staat44. Sie s c h ü t z e n die Freiheit des einzelnen, seine Interessen u n d Ziele selbst zu definieren, mit anderen Worten: seine A u t o n o m i e 4 5 . D i e s e r grundrechtliche S c h u t z ist d a v o n u n a b h ä n g i g , w e l c h e n G e b r a u c h d e r e i n z e l n e v o n s e i n e r F r e i heit m a c h t , o b er h a n d e l t o d e r u n t ä t i g b l e i b t 4 6 , o b s i c h s e i n e E n t s c h e i d u n g in d e n A u g e n eines a n d e r e n als v e r n ü n f t i g o d e r u n v e r n ü n f t i g d a r s t e l l t 4 7 , o d e r o b er sich d a d u r c h an seiner P e r s o n oder seinem V e r m ö g e n schädigt48. W i r d d e r S t a a t in d e m g r u n d r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e n F r e i h e i t s b e r e i c h ohne gegen
oder
d e n W i l l e n d e s G r u n d r e c h t s t r ä g e r s tätig, s e t z t er s e i n e e i g e n e E n t s c h e i -
d u n g a n d i e Stelle d e r E n t s c h e i d u n g d e s B ü r g e r s . E i n s o l c h e r Eingrifft
in d e s s e n
F r e i h e i t s g r u n d r e c h t u n t e r l i e g t d e n d u r c h d i e V e r f a s s u n g u n d d a s a u f ihrer 44 BVerfGE 7,198 (204f.); 50,290 (337f.); 68,193 (205); Bethge, W D S t R L 57 (1998), 14; Dreier, in: Dreier, Vor Art. 1 G G Rn. 45; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 2; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art. 1 G G Rn. 148,150,175. Für die E M R K Hailhronner, Festschrift Mosler, 359ff., 369; Fahrenhorst, 63; Bergmann, 106f. 45 Stern, HStR V, §109 Rn.42; Roth, 67ff., 70; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §66 II 2 a (625f.) und e (641 ff.). 46 BVerfGE 93, 1 (15f., 31); 12, 1 (4); 38, 281 (298); 50, 290 (354, 367); 10, 89 (102); Bethge, NJW 1982, 2147; Dreier, in: Dreier, Vor Art. 1 G G Rn.48; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art. 1 G G Rn.230. Grundlegend dazu /. Hellermann, Grundrechte, 20ff., 36ff., 116£f., nach dessen Ansicht die Freiheit zur Untätigkeit jedenfalls über Art. 21 G G geschützt ist (a.a.O., 76ff., 250f.). 4 7 Das Differenzierungsverbot untersagt dem Staat, die Grundrechtsausübung zu bewerten, vgl. BVerfGE 80,137(152); 90,145(171); 75,'369 (377); 61,1 (7f.); 85,1 (14); Bethge, W D S t R L 57 (1998), 22. Für die E M R K Peukert, in: Frowein/Peukert 2 , Art. 5 E M R K Rn.91; Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,286; Art. 2 Recommendation R (83) 2 des Ministerkomitees des Europarates v. 22.2. 1983 (concerning the legal protection of persons suffering from mental disorder who have been institutionalized involuntarily); E G M R , 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §37. 48 Ausführlich dazu jüngst K. Fischer, Selbstschädigung, 29ff. Ebenso Dietlein, 223; Hillgruber, 116; Littwin, 240ff., 243; v. Münch, Festschrift Ipsen, 127f.; Sachs, in: Sachs 2 , Vor Art. 1 G G Rn. 57; Schwabe, J Z 1998, 68f.; Sternberg-Lieben, 39f. Das BVerfG anerkennt ausdrücklich die durch Art. 2 II 1 G G geschützte „Freiheit zur Krankheit" und damit die Freiheit des Patienten, sich nicht behandeln zu lassen, auch wenn er dadurch zu Schaden zu kommen droht (BVerfG NJW 1998, 1774 (1775); BVerfGE 58, 208 (224ff.). Vgl. auch BVerfGE 52, 131 (170,171 ff.) und im übrigen B G H Z 90, 103 (105f.); B G H S t 37, 376 (378); 11,111 (114); V G H Baden-Württemberg, NJW 1998, 2235 (2236)). Auch hinsichtlich der Selbstötung ist heute weitgehend anerkannt, daß sie Ausübung grundrechtlicher Freiheit darstellt. Streitig ist, ob sie in Art. 2 I oder Art. 2 II 1 G G verortet ist (K. Fischer, Selbstschädigung, 67ff.; Bottke, 42ff.; Fink, 72ff., 110; Hellermann, 33; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II G G Rn. 17. Generell ablehnend nochZ). Lorenz, HStR VI, § 128 Rn.62; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art.2 G G Rn. 176).
Im Rahmen der E M R K steht die Diskussion hierüber noch am Anfang. Als Ausübung der von Art. 8 I E M R K geschützten Freiheit begreift Selbsttötung und (passive) Sterbehilfe Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 E M R K Rn.267ff., 270ff. 49 Das ist der heute weithin akzeptierte Kern des sogenannten „weiten" Eingriffsbegriffes, vgl. BVerfGE 85, 386 (397); Bethge, W D S t R L 57 (1998), 40; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 59, 63; Lerche, HStR V, §121 Rn.45. Die Freiheitsbeeinträchtigung als den entscheidenden Gesichts-
126
5 i Die grundrechtliche
Dimension
Grundlage bestehende einfache Recht vorgesehenen formellen und materiellen Anforderungen, d.h. er muß insbesondere in einem hinreichend bestimmten Gesetz vorgesehen und zum Schutze Dritter oder der Allgemeinheit geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein50. Danach darf der Staat den einzelnen Grundrechtsträger nur daran hindern, in Ausübung seiner Freiheit andere zu schädigen. Er hat jedoch nicht die Befugnis, ihn zu bessern. Der fürsorgerische Schutz vor einer .Se/fetschädigung gegen oder ohne den Willen des Betreffenden ist ihm deshalb grundsätzlich untersagt51. Daran ändert sich auch nichts, wenn man davon ausgeht, daß die Grundrechte nicht nur Bereiche privater Selbstbestimmung gegenüber dem Staat gewährleisten, sondern darüber hinaus eine objektive Wertordnung konstituieren52 oder dem Staat die Pflicht auferlegen, die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter vor Angriffen zu schützen53. Denn diese Wirkungsweisen der Grundrechte punkt betont Roth, 161 ff., 259ff. Vgl. im übrigen die umfassende Darstellung der Diskussion bei Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 78, und Eckhoff. Für die EMRK fehlt es bislang an einem anerkannten Begriff des Eingriffs (Weher-Dürler, W D S t R L 57 (1998), 86). Die Rechtsprechung scheint jedoch wesentlich auf die Zwangswirkung und damit ebenfalls auf die Beeinträchtigung der Freiheit abzustellen (vgl. die Analyse bei Roth, 55ff.; zur Freiheitsentziehung auch Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn.9). 50 Allgemein Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 12 Rn. 55 ff., 73 ff., 102; Dreier, in: Dreier, Vor Art. 1 GG Rn. 84ff.; Sachs, in: Sachs2, Vor Art. 1 GG Rn.96ff., 97, 134f. Zur materiellen Legitimation noch Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rn. 73; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV (301 ff.). Die EMRK läßt demgegenüber Eingriffe auch auf anderer Rechtsgrundlage als der eines förmlichen Gesetzes zu (EGMR, 24.4. 1990 (Fall Kruslin), A/176-A, §29; EGMR, 24.4. 1990 (Fall Huvig), A/176-B, §28; Wildhaber/Breitenmoser, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 525ff.) und enthält in Art. 5 und 8 EMRK weitgespannte Kataloge von zulässigen Zielen für Eingriffe in die jeweiligen Rechte (Frowein, in: Frowein/Peukert2, Vorb. Art. 8-11 EMRK Rn. 11 ff.; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art.5 EMRK Rn. 1, 47f.; Weber-Dürler, W D S t R L 57 (1998), 61). 51 BVerfGE 90, 145 (172); 59, 275 (278f.); 58, 208 (225); 30, 47 (53f.); 22, 180 (219f.); Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 12 Rn. 102ff.; Schwabe, JZ 1998, 70ff. und die oben in § 5 Fn. 48 Genannten. Vgl. auch BVerfGE 66, 191 (195); 91, 1 (28). Anders allerdings BVerfGE 60, 123 (132) in einem obiter dictum (Die Entscheidung beruht auf Art. 3 I GG, nicht auf den Ausführungen zu Art. 21 GG); dagegen wiederum zutreffend Hillgruber, 76ff. Nicht erörtert hat das BVerfG diese Frage in seiner Entscheidung zur Zwangspflegschaft (BVerfGE 19, 93 (96)), während die Kammerentscheidung zur Organentnahme bei Lebenden das obiter dictum aus BVerfGE 60, 123 (132) wiederholt, ohne die Problematik zu vertiefen (BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, NJW 1999, 3399 (3401)). Im Rahmen der EMRK wird der Schutz vor Selbstschädigung dagegen bislang ohne weiteres als zulässiges Ziel angesehen (vgl. zu Art. 5 EMRK: EGMR, 24.10.1979 (Fall Winterwerp), A/33, §38; EGMR, 28.5. 1985 (Fall Ashingdane), A/93, §36; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art.5 EMRK Rn.90; und zu Art.8 EMRK: EKMR, 7.5. 1979, EuGRZ 1981, 119 Nr.97; EKMR, 5.5. 1981, EuGRZ 1983,19 Nr. 104; Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 300). Problematisch erscheinen jetzt allerdings die Fälle der Selbsttötung und Sterbehilfe (dazu Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art.8 EMRK Rn.267ff., 270ff.). 52 So z.B. BVerfGE 7, 198 (204f.), und noch 73, 261 (269); 77, 170 (214). Ausführlich dazu Stern, Staatsrecht III/l, §69 I 3 (899ff.). 53 So z.B. BVerfGE 39,1 (41), und noch 91,335 (339); 92,26 (46). Dazu Dietlein, 51 ff.; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 86ff.; und im vorliegenden Problemzusammenhang Littwin, 181 ff. Zu den Schutzpflichten nach der EMRK allgemein Murswiek, in: Grundrechtsschutz und Ver-
I. Betreuung
und
Freiheitsgrundrechte
127
sollen die Schutzwirkung der Grundrechte lediglich verstärken, aber nichts an ihrem Schutzzweck ändern, der in dem „Schutz konkreter ... Bereiche menschlicher Freiheit" 5 4 besteht 5 5 . Sie können dem Staat daher nicht die Befugnis verleihen, gegen oder ohne den Willen des Grundrechtsträgers in diesen Freiheitsbereich einzugreifen 5 6 . Eine derartige Befugnis ergibt sich auch nicht aus der Verpflichtung aller staatlichen G e w a l t z u m Schutz der Menschenwürde. Die durch A r t . I I I G G garantierte W ü r d e des Menschen besteht in seiner A u t o n o m i e 5 7 , genauer: in der verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen A n e r k e n n u n g des einzelnen als Rechtsperson 5 8 und deren Selbstbestimmung 5 9 . Ersetzt der Staat die Entscheidung des einzelnen durch seine eigene Entscheidung, erkennt er dessen Selbstbestimmung nicht länger an, sondern u n t e r w i r f t ihn einer f r e m d e n Entscheiwaltungsverfahren, 213ff.; zu Art. 5 Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn. 7; zu Art. 8 Frowein, in: Frowein/Peukert2, Art. 8 EMRK Rn. 9ff., 19f., 29, 35. 54 BVerfGE 50, 290 (337f.). 55 Zur objektiven Wertordnung BVerfGE 7, 198 (204); 50, 290 (337f.); 68, 193 (205); 75, 192 (195). Bei der Schutzpflicht hat das BVerfG davon gesprochen, daß sie „insbesondere vor Angriffen Dritter" schützen solle, vgl. BVerfGE 39,1 (42); 53, 30 (57); 56, 54 (73). Darin erschöpft sich jedoch ihre Funktion (Isensee, HStR V, §111 Rn.89, 113ff.). Zum generellen Vorrang der Abwehrfunktion vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art. 1 GG Rn. 171 ff. Davon gehen auch Rechtsprechung und Lehre zur EMRK aus, vgl. EGMR, 13.6. 1979 (Fall Marckx), A/31, §31; Brötel, 69ff.; Fahrenhorst, 63ff.; Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 53. 56 Hermes, 228ff.; Hillgruber, 126ff., 142ff. Zustimmend K. Fischer, Selbstschädigung, 181 ff., 197ff.; Isensee, HStR V, §111 Rn. 114; Littwin, 153ff., 181ff.; Schwabe, JZ 1998, 69f.; SternbergLieben, 33ff. Den Gesichtspunkt der Eingriffsbefugnis übersieht man, wenn man die Schutzpflicht zwar bejaht, aber einen Verzicht des Grundrechtsträgers auf das fürsorgerische Handeln des Staates für möglich hält (so z.B. Robbers, 220f.; Sachs, in: Sachs2, Vor Art. 1 GG Rn. 57, 93) oder die künftige gegen die gegenwärtige Freiheit „maximiert" ( E n d e r l e i n , 149f.). Im Rahmen der EMRK ist die Problematik eines Schutzes des Gegenstandes gegen den Träger des Freiheitsrechtes bislang nicht diskutiert worden. Ansätze dazu jetzt bei Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 290ff., 294. 57 Bleckmann, Staatsrecht II4, §21 Rn.4,17; Dreier, in: Dreier, Art. 1 I GG Rn.90, 44; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rn. 18; Geddert-Steinacher, 31 f.; Huber J u r a 1998,507f.; Stern, Staatsrecht III/l, §58 II 6 c (31); Sternberg-Lieben, 38. Das ist der Kerngehalt der vom BVerfG im Anschluß an Dürig (in: Maunz/Dürig, Art. 1 I Rn.28) verwendeten „Objektformel" (deutlich z.B. BVerfGE 65,1 (41,65), weitere Nachweise bei Geddert-Steinacher, 31f.; Bleckmann, Staatsrecht II4, §21 Rn. 12f.; Huber, Jura 1998, 507). Zu ihrem Zusammenhang mit der Philosophie Kants Hollerbach, in: Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft aus deutscher und japanischer Sicht, 41 ff.; ausführlich Lorz, 119ff., 271ff., 287ff. 58 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rn. 19; Stern, Staatsrecht III/l, § 5814 (13ff.); Hattenhaue r J u S 1982,407ff.; v. Lübtow, Festschrift Wolf, 423,432f.; Wahl, Festschrift Böckenförde, 84f., 88. Ausführlich dazu jetzt Enders, 377ff., 502ff. Ähnlich Häberle, HStR I, §20 Rn. 47, 52; Höfling, in: Sachs2, Art. 1 GG Rn. 47, bei denen jedoch die Bedeutung der Anerkennung als Rechtsakt und die Qualität der Person als Rechtsperson undeutlich bleiben. 59 Bleckmann, Staatsrecht II4, §21 Rn.4,17; Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art. 1 GG Rn. 10; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §66 II e (641); Zippelius, in: BK, Art. 11 und II GG Rn. 14, 79ff. Zum historischen Zusammenhang von Person und Freiheit vgl. v. Lübtow, Festschrift Wolf, 432ff.
128
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
dung. Die Autonomie kann daher nicht gegen den Träger der Autonomie geschützt werden; ein solcher „Schutz" hebt sie vielmehr auf60. Der grundrechtliche Schutz eines bestimmten Freiheitsbereiches ist wesentlich Schutz der Selbstbestimmung des einzelnen in diesem Bereich. Deshalb kann man zwar darüber streiten, ob ein bestimmtes menschliches Verhalten durch ein spezielles Freiheitsgrundrecht oder durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG geschützt ist61. Die „Aufspaltung" des Grundrechtsschutzes in den Schutz des Gegenstandes der Freiheit z.B. des Lebens des einzelnen durch Art.2 II 1 GG einerseits und den Schutz seiner diesbezüglichen Entscheidungsfreiheit durch Art. 2 I GG andererseits und vor allem ihre Abwägung gegeneinander62 oder mit anderen Rechtsgütern des Betroffenen 63 sind dagegen schon im Ansatz verfehlt 64 . Auch die in Art. 1 1 2 GG enthaltene Verpflichtung, die Würde des einzelnen zu schützen, verleiht dem Staat demnach nicht die Befugnis zum Eingriff in dessen mit den Freiheitsgrundrechten näher umschriebenen Bereich der Selbstbestimmung65. Von daher erscheint es zunächst konsequent, die Anordnung der Betreuung durch das Vormundschaftsgericht als einen staatlichen Eingriff in diesen Freiheitsbereich zu begreifen, wenn sie ohne oder gegen den Willen des Betroffenen erfolgt. Sofern nicht zugleich ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wird, beschränkt die Anordnung der Betreuung die Freiheit des Betreuten allerdings nur potentiell. Sie wird erst durch die Entscheidung des Betreuers aktualisiert, wenn dieser unter Berufung auf dessen Wohl ohne oder entgegen dem Willen des Betreuten handelt. Diese Übertragung der konkreten Freiheitsbeschränkung im Einzelfall auf den vom Vormundschaftsgericht bestellten Betreuer be60 Im Grundsatz ebenso Dreier, in: Dreier, Art. 1 I G G Rn. 90; Enderlein, 158 ff. (vgl. aber 149f.). 61 Zur Selbsttötung Bottke, 42ff.; K. Fischer, Selbstschädigung, 67ff., 72; Fink, 72ff., 110; D. Lorenz, HStR VI, §128 Rn.62. 62 Vgl. z.B. K. Amelung, Einwilligung, 26ff. 63 So Lachwitz, DAVorm 1989, Sp.349f., 457. 64 Zutreffend z.B. Murswiek, in: Sachs2, Art. 2 G G Rn. 211 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II G G Rn. 50; Frisch, in: Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft aus deutscher und japanischer Sicht, 117ff.; Sternberg-Lieben, 17ff., 30; im Grundsatz auch Enderlein, 155f. (anders aber 149f.). 65 Hillgruber, 106ff., 138f.; Schwabe, JZ 1998, 70; K. Fischer, Selbstschädigung, 185ff., 195; Geddert-Steinacher, 86ff., 91 f.; Dreier, in: Dreier, Art. 1 I G G Rn. 90;Jarass, in: Jarass/Pieroth 4 , Art. 1 G G Rn. 7; Kunig, in: v. Münch 4 , Art. 1 G G Rn.34; Murswiek, in: Sachs2, A n . 2 G G Rn. 209ff. Anders z.B. Isensee, HStR V, § 111 Rn. 115. Die Sittenwidrigkeit einer Peepshow i.S.d. § 33a II Nr. 2 G e w O kann daher nicht mit der Pflicht begründet werden, die Menschenwürde der Darstellerinnen gegen ihren Willen zu schützen (so aber BVerwGE 64,274 (279); dagegen v. Olshausen, N J W 1982, 2221 ff.; Höfling, N J W 1983, 1582ff.; Hillgruber, 104ff.; Zippelius, in: BK, Art. 11 und II G G Rn. 81. Das BVerwG hat diese Begründung mittlerweile aufgegeben, vgl. etwa N V w Z 1990, 668 (669); N J W 1996, 1423.). Vgl. auch BVerfGE 61, 126 (137f.): Die staatliche Schutzpflicht des Art. 1 I G G könne, jedenfalls in Fällen dieser Art - es ging um die Erzwingungshaft zur Abgabe einer eidesstaatlichen Versicherung - , nicht soweit reichen, daß sie gegen den Willen des Schuldners wahrgenommen werde müsse.
I. Betreuung
und
Freiheitsgrundrechte
129
freit den Staat jedoch nicht von seiner Bindung an die Grundrechte 66 . Auch die einzelne, ohne oder gegen den Willen des Betreuten getroffene Maßnahme des Betreuers wäre danach ein Eingriff in dessen grundrechtlich geschützte Freiheit. Da die Betreuung insgesamt wie auch die einzelnen Maßnahmen des Betreuers ausschließlich zum Wohl des Betroffenen erfolgen, wäre eine Zwangsbetreuung demnach - im Gegensatz etwa zu der zum Schutz der Allgemeinheit erfolgenden öffentlichrechtlichen 67 oder strafrechtlichen Unterbringung 68 mangels einer materiellen Rechtfertigung verfassungsrechtlich unzulässig. Diese Schlußfolgerung hat bislang zwar noch niemand gezogen; sie ergibt sich aber zwangsläufig, wenn man das Erfordernis einer bestimmten Rechtsgrundlage nach der Europäischen Menschenrechtskonvention 69 , die Geltung des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts 70 , des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 71 oder der für den staatlichen Freiheitsentzug vorgesehenen Sicherungen des Art. 104 II - IV G G 7 2 mit dem Eingriffscharakter der Zwangsbetreuung begründet. Trifft dies zu, unterliegt sie eben nicht nur den formellen, sondern auch den materiellen Anforderungen für einen staatlichen Eingriff in die Grundrechte. Wenn man gleichwohl mit dem BVerfG die der Zwangsbetreuung strukturell vergleichbare Zwangspflegschaft und auch die fürsorgerische, zum Schutz des Betroffenen vor einer Selbstschädigung erfolgende Unterbringung für verfassungsgemäß erachtet 73 , setzt das voraus, daß diese staatliche Fürsorgemaßnah66 BVerfGE 10, 302 (327); 75, 318 (327); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III GG Rn. 107; Kunig, in: v. Münch 4 , Art. 1 GG Rn. 60; Rüfner, HStR V, § 116 Rn. 9,11; Schwabe, AöR 100 (1975), 453ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art. 1 GG Rn. 146. Für die EMRK vgl. EGMR, 25.3. 1993 (Fall Costello-Roberts), A/247-C, §27f.; Frowein, in: Frowein/Peukert2, Art. 1 EMRK Rn. 10. 67 BVerfGE 22, 180 (219); 58, 208 (224); 66, 191 (195). 68 BVerfGE 91, 1 (28, 47). 69 Zur Postkontrolle durch einen österreichischen Sachwalter unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK vgl. EGMR, 24.9.92 (Fall Herczegfalvy), A/244, §§ 89ff. (obiter dictum, vgl. dazu die Analyse des Urteils im Text bei § 5 Fn. 99); zur Freiheitsentziehung ebenso Kopetzki, Festschrift Rill, 172ff., und Unterbringungsrecht II, 963ff. 70 Pardey, Rahmenbedingungen, 163f.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1901 BGB Rn.3b; Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.l9ff.; vgl. im übrigen die Diskussion um die Zwangsbefugnisse des Betreuers oben §4 IV.2.b. 71 Dröge, Zwangsbetreuung, 64ff. Etwas anders jetzt ders., FamRZ 1998, 1210. 72 BVerfGE 10, 302 (323ff., 327); 74, 236 (242); Degenhart, in: Sachs2, Art. 104 GG Rn. 8. Andererseits verweist das BVerfG auch auf die „objektive Wertentscheidung" des Art. 104 (BVerfGE 10, 302 (322f.); ebenso Kunig, in: v. Münch, Art. 104 Rn. 4; Grabitz, HStR VI, § 130 Rn. 33). Es läßt damit letztlich den Grund für die Geltung des Art. 104 II GG gerade offen (Schwabe, AöR 100 (1975), 456f.; Windel, BtPrax 1999, 48). 73 BVerfGE 19, 93 (95ff.) - Zwangspflegschaft; 58, 208 (224ff.); 63, 340 (342); NJW 1998, 1774f. -fürsorgerische Unterbringung. Ebenso BayVerfGHE 41,151 (157ff.). Diese Rechtsprechung ist allgemein auf Zustimmung gestoßen (vgl. nur Hillgruber, 69ff., 121; Schwabe, JZ 1998, 70; v. Münch, Festschrift Ipsen, 124f.; K. Fischer, Selbstschädigung, 273; Sternberg-Lieben, 248ff.).
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5 5 Die grundrechtliche
Dimension
men keine Eingriffe in den grundrechtlichen geschützten Freiheitsbereich darstellen. Das verweist auf die personalen Voraussetzungen dieser Freiheit als Voraussetzung des Grundrechts und seiner effektiven Geltung74. Liegt die Funktion der Freiheitsgrundrechte darin, dem einzelnen einen Bereich der Selbstbestimmung gegenüber dem Staat zu gewährleisten, in dem er in eigener Verantwortung entscheidet, setzt dies die tatsächliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung voraus75. Soweit ihm die Eigenverantwortlichkeit tatsächlich fehlt, wird ihm seine Freiheit nicht genommen, wenn der Staat seine Entscheidung für unbeachtlich erklärt und an seiner Stelle eine eigene Entscheidung in dessen Angelegenheiten trifft76. In diesem Falle greift der Staat nicht in die grundrechtliche Freiheit des einzelnen ein und bedarf daher auch nicht der Rechtfertigung aus den Rechten Dritter oder der Allgemeinheit. Das BVerfG hat daher zu Recht darauf hingewiesen, daß die beschränkte Eigenverantwortlichkeit des einzelnen „... dem Staat fürsorgerisches Eingreifen auch dort erlaubt, wo beim Gesunden Halt geboten ist" 77 . Sein entgegenstehender natürlicher Wille ist dann rechtlich unbeachtlich78. Auch grundrechtlich ist daher zwischen Zwang, d.h. der Uberwindung des natürlichen Willens, und der autonomen Entscheidung über den Gebrauch der Freiheit zu unterscheiden79. Jeder staatliche Zwang berührt den Schutzbereich des Freiheitsgrundrechts80. Ein Zur prinzipiellen Vereinbarkeit mit der EMRK vgl. EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §38; EGMR, 28.5. 1985 (Fall Ashingdane), A/93, §36; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn.90 (jeweils zur fürsorglichen Unterbringung); EKMR, 7.5. 1979, EuGRZ 1981, 119 Nr. 97; EKMR, 5.5. 1981, EuGRZ 1983,19 Nr. 104; Wildhaber, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn. 300 (zur Entmündigung bzw. Zwangspflegschaft). 74 Zur dogmatischen Kategorie der „Grundrechtsvoraussetzung" Isensee, HStR V, §115 Rn. 7ff. Das BVerfG hat sie in seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit Taubstummer für die hier diskutierte Problematik übernommen (BVerfG FamRZ 1999, 985ff.). 75 Ebenso jetzt BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). 76 Hillgruber, 121; Schwabe, JZ 1998, 70; Sternberg-Lieben, 248ff.; K. Fischer, Selbstschädigung, 273; Bleckmann, Staatsrecht II 4 , §12 Rn.104; Murswiek, in: Sachs2, Art. 2 GG Rn.209; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 211 GG Rn. 50. In diese Richtung auch v. Münch, Festschrift Ipsen, 124f.; für die EMRK Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,290ff. Unklar dagegen Littwin, 20ff., 45 f., 187f., 243 ff. 77 BVerfGE 58,208 (225). Vgl. auch BVerfGE 63, 340 (342); BVerfG FamRZ 1999, 985 (987); BayVerfGHE 41, 151 (157). Dieser Befund trifft auch für die EMRK zu, weil darin die Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der psychisch Kranken und Behinderten liegt, die das Differenzierungsverbot sonst untersagt (vgl. oben §5 Fn.47). 78 Hillgruber, 122. 79 H.J. Wolff, DÖV1951,316; Pieroth, FamRZ 1990,119f.; Hoffmann, Sterilisation, 85ff.; Perau, MittRhNotK 1996, 295. Vgl. dazu oben §4 IV.2.b.bb. 80 Insofern zutreffend BVerfGE 10, 302 (309f.); 30,173 (194); Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/ 2, § 7812 (81 f.); Dröge, Zwangsbetreuung, 38 ff., Dunz, JZ 1960,478; Kopetzki, Unterbringungsrecht 1,243 ff. Da § 1905 I Nr. 1 BGB die Zwangssterilisation gerade ausschließt, stellt die Einwilligung des Betreuers nie einen Eingriff das Grundrecht des Betreuten aus Art. 2 II 1 GG, sondern ausschließlich eine Sicherung gegen eigenmächtiges Handeln des Arztes dar (anders, jedoch ohne Begründung, Pieroth, FamRZ 1990, 120; Hoffmann, Sterilisation, 83, 85).
I. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
131
Eingriff in diese Freiheit liegt darin jedoch nur, wenn die eigenverantwortliche Entscheidung des Grundrechtsinhabers mißachtet wird81. Denn der grundrechtliche Schutz der Freiheit setzt die tatsächliche Selbstbestimmungsfähigkeit des Grundrechtsinhabers voraus82. Sowohl Anordnung der Betreuung als auch einzelne Maßnahmen des Betreuers ohne oder gegen den natürlichen Willen des Betroffenen greifen demnach nicht in dessen Freiheitsgrundrechte ein, wenn seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung aus tatsächlichen Gründen eingeschränkt ist. Insofern ist diese betreuungsrechtliche83 Voraussetzung einer Zwangsbetreuung oder einer Zwangsmaßnahme des Betreuers auch verfassungsrechtlich gefordert84. Damit entfällt jedoch nicht automatisch der grundrechtliche Freiheitsschutz insgesamt, was man früher des öfteren behauptete85. Umgekehrt zwingt dieser Schutz der Freiheit aber auch nicht zur Konstruktion eines Eingriffs, wie man heute vielfach annimmt86. Die staatlichen Fürsorge ohne oder gegen den Willen des Betroffenen stellt nämlich nur dann keinen Eingriff in dessen Freiheit dar, soweit und solange ihm die Eigenverantwortlichkeit tatsächlich fehlt. Umfang, Grad und Dauer der Beeinträchtigung der Eigenverantwortlichkeit bestimmen daher den zulässigen Umfang der staatlichen Fürsorge, weil sonst der Betroffene auch dort bevormundet würde, wo er noch zur Selbstbestimmung fähig ist87. Dem trägt das Betreuungsrecht dadurch Rechnung, daß es zum einen den Willen des Betroffenen nicht bereits mit der Anordnung der Betreuung generell für die Zukunft für unbeachtlich erklärt, sondern die Fürsorge im konkreten Fall dem Betreuer zuweist und diesen grundsätzlich an den Wunsch des Betroffenen bindet, sofern er sich nicht aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit zu schädigen droht88. Zum anderen ist die Betreuung nur für die Angelegenheiten und nur 81 Dietlein, 220. Ahnlich jetzt Dröge, FamRZ 1998,1210 (anders allerdings ders., Zwangsbetreuung, 38ff.). 82 BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). 83 Vgl. oben § 4 IV. 1 .b. 84 Verfassungsrechtlich argumentieren insbesondere das BayObLG FamRZ 1993, 1489ff.; 1994, 720 (721); 1994, 1551 ff.; 1995,116f.; 1995, 510; 1995,1085; 1995, 1296f.; 1996, 897f.; 1998, 1327 (1328); BtE 1992/93 Nr. 5,6; 1994/95 Nr. 1,3-7, jeweils zu § 18961 BGB;Dröge, Zwangsbetreuung, 192ff., 229. Für die Unterbringung auch Pardey, Rahmenbedingungen, 189f.; Schumacher, FamRZ 1991,280; und für die Zwangsbehandlung Wagner/Volckart, in: Saage/Göppinger3, Kap. 4 Rn. 317ff., 321. 85 Vgl. z.B. Ehrhardt, NJW 1954, 1752; Roß, NJW 1959, 2286; Zutt, JZ 1951, 433. 86 Umfassend jüngst Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 246ff.; ebenso Gusy, NJW 1992, 462; Marschner, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn.494; Neumann, NJW 1982, 2589; Dunz,]Z 1960, 475 87 BVerfGE 66, 191 (195); 58, 208 (224); 53, 152 (158); 19, 342 (349); zur Dauer auch EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §39; EGMR, 28.5. 1985 (Fall Ashingdane), A/93, §367. 88 § 1901 III 1 BGB. Vgl. dazu Peters, 282ff.; Kollmer, 182; und ausführlich oben §4 IV. 1. Wie dort bereits ausgeführt wurde, gilt dies auch dann, wenn ein Einwilligungsvorbehalt oder eine Bestimmungsbefugnis angeordnet wurde.
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§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
mit den Beschränkungen der Rechtsstellung des Betroffenen anzuordnen, die jeweils konkret erforderlich89 und bei Wegfall ihrer Voraussetzungen wieder aufzuheben90 sind. Die Struktur der Betreuung und das Zusammenspiel von Erforderlichkeitsgrundsatz und Willensvorrang des Betreuten gewährleisten daher, daß die staatliche Fürsorge nur geleistet wird, wenn und soweit die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen im Hinblick auf die jeweils konkret anstehende Entscheidung beschränkt ist. Die einzelfallbezogene Anpassung der Fürsorgemaßnahme an den individuellen Unterstützungsbedarf des Betroffenen im Rahmen des einheitlichen Rechtsinstituts der Betreuung entspricht demnach den grund- und menschenrechtlichen Anforderungen besser als ein gesetzlich vorgegebenes und nur beschränkt oder gar nicht an den jeweiligen Zustand und die konkreten Bedürfnisse des Betroffenen anpaßbares mehrstufiges Modell, wie es andere europäische Rechtsordnungen zum Teil vorsehen91. Insofern wird die internationale Entwicklung hin zu derartigen flexiblen, dem Vorbild der Betreuung entsprechenden Fürsorgemaßnahmen in der Tat von den Grund- und Menschenrechten des Betroffenen gefordert92. Zielt die Betreuung nach ihrer rechtlichen Konzeption auch nicht auf einen Eingriff in die Freiheitsgrundrechte des Betreuten, so besteht doch die Gefahr, daß sie im konkreten Fall das Erforderliche überschreitet, den Betreuten an der ihm tatsächlich möglichen Selbstbestimmung hindert und damit zu einem Eingriff wird. Sie ist zwar nicht aktuell, aber gl ei ch wohl potentiell staatliche Fremdbestimmung und Eingriff in die grundrechtliche Freiheit. Die Möglichkeit eines derartigen Eingriffs durch die Betreuung stellt eine Gefährdung dieser Freiheit dar und verpflichtet den Staat zu ihrem Schutz im Vorfeld eines Eingriffes durch Organisation und Verfahren93. Die Regelungen des Betreuungsrechtes haben daher eine freiheitssicbernde Funktion, indem sie die Voraussetzungen und Grenzen staatlicher Fürsorge materiell umschreiben und verfahrensrechtlich 89 Vgl. § 1896 II 1 BGB, der als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips des Betreuungsrechts gilt (Regierungsentwurf, 58, 120; Bienwald, in: Staudinger12, §1896 BGB Rn.109). 90 § 1908dl BGB. 91 Das betonen Jäckle, Festschrift Hanisch, 146; Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 421; Verheke, ERPL 2 (1994), lOff. Überblick über die gegenwärtige Rechtslage bei Heldrich/Steiner, IECL IV/2, 18ff.; Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 383ff.; und oben §3 1.1. 92 Clive, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 151f.; Pousson-Petit, ERPL 3 (1995), 423ff.; Shelton, in: Proceedings of the 3rd European Conference on family law, 104. Ebenso die englische Law Commission (Law Com Consultation Paper No. 119, §4.20 (104)). 93 Bethge, W D S t R L 57 (1998), 43f.; BVerfGE 90, 60 (96); 53, 30 (65f.). Zur Grundrechtsgefährdung Ossenbühl, Festschrift Kriele, 147ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, §78 IV.2 (210ff.). Zum staatlichen Schutz vor einer Gefährdung der von der EMRK geschützten Freiheit Fahrenhorst, 281; EGMR, 28.11. 1988 (Fall Nielsen), A/144, S.31, 34f. (Minderheitsvotum), § 102 (EKMR).
1. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
133
wie organisatorisch gewährleisten. Dem für Eingriffe in die Freiheitsgrundrechte geltenden Vorbehalt des Gesetzes 94 bzw. dem Erfordernis einer bestimmten Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention 95 müssen sie jedoch nicht genügen. Nicht jede einzelne Maßnahme des Betreuers ohne oder gegen den Wunsch des Betreuten bedarf daher als Eingriff in dessen Grundrechte einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Das Gesetz muß aber Vorkehrungen treffen, um die damit stets verbundene Gefahr eines solchen Eingriffes abzuwehren. Das ist bisher im Betreuungsrecht noch nicht erkannt worden 96 . Auch in der Diskussion der „Grundrechtsgefährdungen" im deutschen Verfassungsrecht wird das Problem der Abwehr potentieller Eingriffe erst seit neuestem von der Frage nach dem Gesetzesvorbehalt unterschieden97. Im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention hat der E G M R dagegen bereits 1988 entschieden, daß die zivilrechtliche Unterbringung eines minderjährigen Kindes durch seine sorgeberechtigte Mutter keine Freiheitsentziehung und damit keinen Eingriff in das Recht des Kindes aus Art. 5 E M R K darstellt, der einer bestimmten Rechtsgrundlage bedarf, sondern vielmehr die Frage nach dem staatlichen Schutz bei einem Mißbrauch des Sorgerechts aufwirft98. In einer späteren Entscheidung 99 bezeichnete er jedoch die von einem österreichischen Sachwalter im Rahmen seiner Personensorge ausgeübte Briefkontrolle beiläufig als Eingriff in Art. 8 E M R K , die in §282 A G B G keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage finde. Für die Entscheidung des Falles ausschlaggebend war allerdings sowohl für den Gerichtshof wie für die Kommission, daß die staatliche Krankenanstalt den Briefverkehr des dort Untergebrachten aufgrund eigener Befugnisse beschränkte und überwachte 100 . Das beiläufige und äußerst knappe obiter dictum problematisiert zudem die Personensorge des Sachwalters mit kei94 Vgl. Ossenbühl, HStR III, §62 Rn.16, 33, 40; Jarass, in: Jarass/Pieroth4, Vor Art.l GG Rn.33, Art.20 GG Rn.31; Schnapp, in: v. Münch4, Art.20 GG Rn.44; Sachs, in: Sachs2, Art.20 GG Rn. 114. 95 Vgl. die hier vor allem einschlägigen Bestimmungen der Art. 5 I 2, 8 II EMRK und dazu EGMR, 24.4.1990 (Fall Kruslin), A/176-A, §29; EGMR, 24.4.1990 (Fall Huvig), A/176-B, §28; Wildhaber/Breitenmoser, in: IntKommEMRK, Art. 8 EMRK Rn.525ff. 96 Vgl. z.B. die Diskussion um den Zutritt des Betreuers zur Wohnung des Betreuten gegen dessen Willen (für Unzulässigkeit LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; O L G Frankfurt/M. DAVorm 1996, 79; Bauer, FamRZ 1994,1562ff.; Kemper, FuR 1996,152ff.; Knittel, § 1896 BGB Rn.32m; für zulässig hält eine Anordnung des Vormundschaftsgerichts dagegen LG Berlin FamRZ 1996, 821 ff.) oder um die Postkontrolle des Pflegers bzw. Vormunds im früheren Recht (OLG Hamm NJW-RR1986,81 (83); BayObLG FamRZ 1988,320f.). Für §§ 104,105 BGB ähnlich wie hier dagegen jetzt Enderlein, J R 1998, 489. 97 Vgl. dazu Ossenbühl, Festschrift Kriele, 148f.; Bethge, W D S t R L 57 (1998), 43f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, §78 IV.2 (210ff., 215). 98 EGMR, 28.11. 1988 (Fall Nielsen), A/144, §§62ff.; grundsätzlich ebenso die EKMR, a.a.O., § 102, und das Minderheitsvotum, a.a.O., S.31, 34f. 99 EGMR, 24.9.92 (Fall Herczegfalvy), A/244, §§87ff. 100 EGMR, 24.9.92 (Fall Herczegfalvy), A/244, §§90f. (EGMR), 269 (EKMR).
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§ 5 Die grundrechtliche
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nem Wort, obwohl das angesichts der früheren Entscheidung im Falle Nielsen zu erwarten gewesen wäre. Man kann ihm daher nicht entnehmen, daß der EGMR Maßnahmen eines Sachwalters, Betreuers o.ä. generell als Eingriffe in die Konventionsrechte qualifizierte101. Die Regelungen des Betreuungsrechts unterliegen demnach allein dem eingriffsunabhängigen Parlamentsvorbehalt, der alle „wesentlichen" Entscheidungen dem formellen Gesetzgeber vorbehält102. Der Gesetzgeber ist daher nicht nur berechtigt103, sondern auch verpflichtet, das Prinzip der Selbstbestimmung des einzelnen zu konkretisieren. Dabei kommt ihm ein Beurteilungsspielraum zu104. Dieser wird seinerseits durch die Grundrechte und ihre Garantie der Selbstbestimmung des einzelnen in dem von ihnen umschriebenen Freiheitsbereich gegenüber dem Staat begrenzt105, die eine inhaltliche Bestimmung des Gebrauches der Freiheit durch den Staat gerade ausschließen106. Fehlt dem einzelnen aufgrund seines Zustandes die Eigenverantwortlichkeit und damit die Fähigkeit, seine Grundrechte selbständig auszuüben, muß die stellvertretende Entscheidung ebenfalls staatsfrei sein, weil sonst die grundrechtliche Freiheit insgesamt aufgehoben wird. Der Staat ist deshalb darauf beschränkt, diese Entscheidung zu organisieren; inhaltlich determinieren oder gar selbst treffen darf er sie nicht107. Die konkrete Entscheidung muß deshalb durch den vom Staat unabhängigen und gegenüber dem Vormundschaftsgericht selbständigen Betreuer erfolgen, während das staatliche Vormundschaftsgericht über die Voraussetzungen und Grenzen der Fürsorge wacht. Die Freiheitsgrundrechte des Be101 So aber Kopetzki, Festschrift Rill, 1 7 2 f u n d Unterbringungsrecht II, 973ff. Wenig aussagekräftig sind auch die von Kopetzki angeführten Entscheidungen der EKMR. Entweder betreffen sie die zivilrechtliche Freiheitsentziehung überhaupt nicht (so z.B. EKMR, 2.10. 1968, CD 27,128ff., wo die Unterbringung öffentlichrechtlich erfolgte, nicht durch den Vormund des Entmündigten), oder sie brauchten die Frage des Eingriffs in Art. 8 EMRK nicht zu erörtern, weil er nach Art. 8 II EMRK gerechtfertigt war (EKMR, 7.5. 1979, EuGRZ 1981, 119 Nr. 97; EKMR, 5.5. 1981, EuGRZ 1983, 19 Nr. 104). 102 So die deutsche Formulierung des Problems. Neuester Uberblick dazu bei Sachs, in: Sachs2, Art.20 GG Rn. 116f.; ausführlich Ossenbühl, HStR III, §62 Rn.32ff., 40ff. Im Rahmen der EMRK erscheint dies als Verletzung des Art. 8 I EMRK bereits unmittelbar durch den staatlichen Gesetzgeber (und nicht erst durch eine spätere Einzelmaßnahme), weil er für einen bestimmten Bereich überhaupt keine Regelungen getroffen hat (vgl. EGMR, 13.6.1979 (Fall Marckx), A/31, §31; EGMR, 18.12. 1986 (Fall Johnston), A/112, §72; Brötel, 85f.). 103 Das BVerfG beschränkte sich in seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit Taubstummer auf diesen Aspekt, vgl. BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). 104 BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). 105 Bethge, W D S t R L 57 (1998), 33f. 106 Dazu oben §5 1.2. Die Staatsfreiheit des grundrechtlichen Freiheitsbereiches ist keine Besonderheit z.B. der Medienfreiheit (Art. 5 I GG, dazu BVerfGE 90, 60 (88f.)), sondern ist allen Freiheitsgrundrechten immanent (Isensee, HStR V, § 111 Rn. 2; Bethge, W D S t R L 57 (1998), 33). 107 Eine unmittelbare Tätigkeit des Staates ist deshalb nur zulässig, wenn eine derartige Organisation nicht mehr rechtzeitig errichtet und dem Betroffenen infolge der tatsächlichen Entwicklung die Möglichkeit zur Selbstbestimmung entzogen würde. Denn das sichert ihm zumindest die tatsächlichen Voraussetzungen für eine freie Entscheidung. Dazu noch unten § 5 II.
I. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
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troffenen fordern also zum einen die staatsfreie und damit privatrechtliche10S Organisation der staatlichen Fürsorge in der Betreuung109, zum anderen Vorkehrungen gegen mögliche Eingriffe dieser staatlich errichteten Organisation in seine Freiheit110. Damit erweisen sich alle Versuche als unzureichend, die verfassungsrechtliche Problematik der staatlichen Betreuung entweder mit ihrer umfassenden Zuweisung an das öffentliche Recht oder mit der „Drittwirkung" der Freiheitsgrundrechte des Betreuten im Verhältnis zum privaten Betreuer zu beantworten111. Nicht die „Natur" der Betreuung als öffentliche Aufgabe112, sondern die rechtliche Ausgestaltung der Organisation113 entscheidet über den privatrechtlichen Charakter der Tätigkeit des Betreuers. Der verfassungsrechtliche Grund für die privatrechtliche Stellung des Betreuers liegt daher bereits in den Freiheitsrechten des Betreuten selbst. Sie ist deshalb unabhängig davon, ob und wieweit die private Fürsorge für den Betroffenen als solche durch Art. 6 I G G oder Art. 8 I EMRK geschützt ist114. Daraus ergeben sich nun Konsequenzen in zwei Richtungen. Zum einen schützt der Betreuer den Freiheitsbereich des Betreuten gegenüber dem Staat, in dem er die damit verbundenen Befugnisse einschließlich der Abwehrrechte als dessen Vertreter gegenüber dem Staat wahrnimmt. Die staatliche Einmischung etwa des Vormundschaftsgerichts in diesen Freiheitsbereich gegen den Willen des Betreuers stellt dann einen staatlichen Eingriff in die Freiheitsgrundrechte 108 Pawlowski, A.T. 5 , Rn. 7ff., 15. Vgl. auch Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 66, der „persönlichkeitsgeprägte Beziehungen" vom Vorbehalt des Gesetzes ausnehmen will. Ebenso für die EMRK Brötel, 85. Einseitig betonen den privatrechtlichen Charakter der Vormundschaft insgesamt Düng, in: Maunz/Dürig, Art. 104 GG Rn. 3; BGHZ 17,108 (114ff.), ohne ihre Grundlage aufzudekken. 109 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1773 BGB Rn. 15ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §7 II 2 (64). Vgl. auch P. Kirchhof, in: Praxis des neuen Familienrechts, 185; BVerfGE 22, 163 (173); 24, 119 (149); Windel, FamRZ 1997, 715. 110 Bürgle, AnwBl 1989, 509, spricht zutreffend von einer „Gefahr der Beeinträchtigung von Grundrechten", die es zu beachten gelte; ähnlich auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §7 II 2 (64) („Garantie persönlicher Freiheit" durch das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für die Unterbringung); und jetzt BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). 111 Die maßgebliche Entscheidung des BVerfG zur Geltung des Art. 104 II GG für die Unterbringung eines Volljährigen durch seinen Vormund (heute: Betreuer) ließ dies auch letztlich offen (vgl. BVerfGE 10,302 (322 bzw. 327)), was Schwabe, AöR 100 (1975), 456, zu Recht hervorhebt. 112 So aber im Anschluß an eine Bemerkung des BVerfG (BVerfGE 10,302 (327), wo dies aber letztlich offenblieb, vgl. oben § 5 Fn. 72) eine im Betreuungsrecht zunehmend vertretene Ansicht (Pardey, FamRZ 1989, 1033; Schumacher, FamRZ 1991, 282; Schweitzer, FamRZ 1996, 1321; Kemper, FuR 1996, 153; LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; LG Berlin FamRZ 1996, 821 (822f.)). 113 Böckenförde, Festgabe Hefermehl, 23. 114 Dazu sogleich. Die herkömmliche Auffassung begründet den privatrechtlichen Charakter der elterlichen bzw. familialen Fürsorge demgegenüber gerade mit diesen Gewährleistungen (Bauer, FamRZ 1994, 1563; Pieroth, FamRZ 1990,121; Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 272f., II, 975ff.).
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5 5 Die grundrechtliche
Dimension
des Betreuten dar115, es sei denn, die stellvertretende Entscheidung des Betreuers ist nicht mehr als Verwirklichung der durch die Freiheitsgrundrechte gewährleisteten Selbstbestimmung des Betreuten anzuerkennen. Daran fehlt es, wenn sie entweder eine rechtlich anzuerkennende Entscheidung des Betreuten mißachtet oder sie die Person oder das Vermögen des Betreuten schädigt und nicht auf einer solchen eigenverantwortlichen Entscheidung des Betreuten beruht116. Mit der Abwehr derartiger staatlicher Eingriffe macht der Betreuer allerdings nur das Freiheitsgrundrecht des Betreuten gegenüber dem Staat geltend. Seine verfassungsrechtliche Stellung ist von der des Betreuten abgeleitet. Eine eigenständige Grundrechtsposition wird daraus, wenn und soweit die Fürsorge für den Betroffenen selbst als Freiheitsgrundrecht gegenüber dem Staat anerkannt wird, wie dies in Art. 6 II 1 GG mit dem Elternrecht ausdrücklich geschehen ist117 und als Teil des Familienlebens durch Art. 6 I GG 118 und Art. 8 IEMRK 119 gewährleistet wird. Eltern und Familienangehörige sind daher in ihrer familialen Fürsorge für den Betroffenen grundrechtlich geschützt. Ist Rechtsfürsorge durch die Betreuung erforderlich, muß der Betreuer deshalb vorrangig aus dem Kreis dieser Personen bestellt werden120. Seine Tätigkeit steht ebenfalls unter dem grundrechtlichen Schutz der familialen Fürsorge121. Auch als eigenes
115
Schwab, in: M ü n c h K o m m B G B 3 , Vor § 1773 B G B Rn. 17. Der Betreuer k a n n deshalb z.B. gegen eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts auch als Vertreter des Betreuten Beschwerde (§ 69 g II 1 F G G ) , Verfassungsbeschwerde (Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, § 9 0 BVerfGG R n . 3 7 ; Lechner/Zuck4, § 9 0 BVerfGG R n . 3 7 ) oder Individualbeschwerde nach Art. 25 E M R K (vgl. Peukert, in: Frowein/Peukert 2 , A r t . 25 E M R K R n . 19; Rogge, in: I n t K o r a m E M R K , Art. 25 E M R K R n . 142ff.) einlegen. 116 Die Kriterien für die staatliche Einmischung in den Freiheitsbereich des einzelnen bleiben dieselben. Sie sind jedoch i m H i n b l i c k darauf zu modifizieren, daß das Grundrecht gegenüber dem Staat n u n m e h r im Z u s a m m e n w i r k e n von Betreuer und Betreutem w a h r g e n o m m e n w i r d . 117 BVerfGE 61, 358 (371 );Jestaedt, in: BK, A r t . 6 II u n d III G G R n . 9 . 118 BVerfGE 80, 81 (92): A r t . 6 I G G „berechtigt die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit u n d Rücksicht frei zu gestalten". Vgl. auch BVerfGE 9 1 , 1 3 0 (134); Schmidt-Kammler, in: Sachs 2 , Art. 6 G G R n . 20; z u m Schutz der familialen Fürsorge Pirson, in: BK, A r t . 6 I G G R n . 2 7 . 119 Brötel, 55ff., 58; Fahrenhorst, lOlff., 103f.; Köck, Ö J Z 1995, 487ff.; Wildhaber, in: IntK o m m E M R K , Art. 8 E M R K R n . 353, 388ff., jeweils m . w . N . auch z u r Rechtsprechung. Das für ein „Familienleben" i.S.d. Art. 8 I E M R K geforderte starke Abhängigkeitsverhältnis des volljährigen Betroffenen von seinem Familienangehörigen w i r d bei Betreuungsbedürftigkeit regelmäßig vorliegen. 120 BVerfGE 33, 236 (238); Lachwitz, DAVorm 1989, Sp.459f. M i t § 1897 V B G B w o l l t e der Gesetzgeber dem durch A r t . 6 I G G aufgegebenen Schutz der Familie n a c h k o m m e n (Regierungsentwurf, 128). 121 Vgl. BVerfGE 3 4 , 1 6 5 (200), w o das eigene A b w e h r r e c h t der Großeltern bejaht, aber statt aus Art. 6 1 G G fälschlich aus Art. 6 II 1 G G abgeleitet w u r d e (dagegen zu Recht kritisch Jestaedt, in: BK, A r t . 6 II u n d III G G R n . 9 ) . Ähnlich E K M R , 10.3. 1981, D R 24, 183 (185) zu A r t . 8 E M R K . Vgl. zur E M R K auch Brötel, 58; Fahrenhorst, 106.
I. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
G r u n d r e c h t der F ü r s o r g e p e r s o n b l e i b t die F ü r s o r g e j e d o c h
137 pflichtgebunden122
u n d darf n i c h t z u m E i n g r i f f in die F r e i h e i t des B e t r o f f e n e n w e r d e n 1 2 3 . A u s der M ö g l i c h k e i t eines s o l c h e n E i n g r i f f s d u r c h die F ü r s o r g e p e r s o n u n d der V e r p f l i c h t u n g des Staates, hiergegen V o r k e h r u n g e n z u treffen, e r g e b e n sich z u m anderen s o w o h l Verfahrens- als auch materiellrechtliche Anforderungen die Betreuung.
an
Sie b e g r ü n d e t den A n s p r u c h des B e t r o f f e n e n auf ein faires V e r -
fahren v o r e i n e m u n a b h ä n g i g e n , unparteiischen u n d auf G e s e t z b e r u h e n d e n G e r i c h t ( A r t . 6 I E M R K 1 2 4 , 9 7 , 101 1 2 G G 1 2 5 ) , das i h m rechtliches G e h ö r z u gew ä h r e n ( A r t . 103 I G G , 6 1 1 E M R K ) u n d gegebenenfalls einen V e r f a h r e n s p f l e ger z u bestellen h a t 1 2 6 , e r ö f f n e t d e m B e t r o f f e n e n den R e c h t s w e g ( A r t . 19 I V 122 Das Grundrecht ist Pflichtrecht, vgl. zum Elternrecht BVerfGE 24,119 (143); 56,363 (382); 92, 158 (178); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67f.; Gröschner, in: Dreier, Art.6 GG Rn. 68; Schmidt-Kammler, in: Sachs2, Art. 6 GG Rn. 47. Für das Elternrecht nach Art. 8 I EMRK ebenso EGMR, 28.11. 1988 (Fall Nielsen), A/144, §§64ff., 72; Brötel, 91 ff.; Fahrenhorst, 123f. Allgemein zum Charakter der Sorgerechte als Pflichtrechte Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht4, §2 II 6 (19). 123 Aus Art. 6 II 1 GG ergibt sich deshalb keine Beschränkung der Freiheitsrechte des Kindes; die Notwendigkeit der Fürsorge folgt vielmehr aus der beschränkten Eigenverantwortlichkeit des Kindes. Art.6 II 1 GG gewährleistet vielmehr allein den Primat der Eltern gegenüber dem Staat bei „Pflege und Erziehung" des Kindes, d.h. bei ihrer Fürsorge (Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 71 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 III GG Rn. 21 {f.;Jestaedt, in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 144; P. Kirchhof, in: Praxis des neuen Familienrechts, 180; Ossenbühl, Erziehungsrecht, 56f.; Schmitt Glaeser, 53ff. Vgl. auch BVerfGE 72,155 (173), und für Art. 8 I EMRK Köck, OJZ 1995,487ff. Von einer Kollision von Elternrecht und Freiheitsgrundrechten des Kindes gehen demgegenüber aus Bleckmann, Staatsrecht II 4 , § 17 Rn. 6 (für Art. 6 GG); Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 272f., II, 977f. (für Art. 8 I EMRK). Zur früheren Diskussion um die „Grundrechtsmündigkeit" vgl. oben §4 I.3.). 124 Jede staatliche Bestellung eines gesetzlichen Vertreters (und damit jede Anordnung einer Betreuung) berührt die Ausübung der „civil rights and obligations" des Betroffenen i.S.d. Art. 61 I EMRK und muß daher dessen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §73 (Entmündigung); zustimmend Miehsler, in: IntKommEMRK, Art.6 EMRK Rn. 135. Die bei Miehsler (a.a.O.) berichtete ältere Entscheidung der EKMR, nach der die Entscheidung über die Prozeßfähigkeit nicht Art.6 I EMRK unterfalle, dürfte dadurch überholt sein.). Die Entziehung der Bewegungsfreiheit hat dagegen auf die rechtliche Handlungsfähigkeit keinen Einfluß, weshalb die Freiheitsentziehung als solche nicht Art. 6 I I EMRK, sondern Art. 5 EMRK unterfällt, der in Art. 5 I V EMRK eine nachträgliche Kontrolle vorsieht (Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 304f.; Miehsler, in: IntKommEMRK, Art.6 EMRK Rn. 159 m.w.N. auch zum Ausbau dieser Kontrollen). Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind bislang noch nicht erkannt worden. So rechtfertigt man herkömmlich die NichtÖffentlichkeit aller Verfahren der Rechtsfürsorge damit, daß Art.6 I EMRK hierauf schon von vorneherein keine Anwendung finde (OLG Hamm FamRZ 1996, 1356 (1359); Kahl, in: Keidel14, Vor §§ 8-18 FGG Rn. 7a). Das ist allerdings unzutreffend, wenn das Verfahren den Status des Betroffenen berührt. Der Ausschluß der Öffentlichkeit muß dort im Hinblick auf Art. 6 11 EMRK mit dem Schutz der Privatsphäre des Betroffenen nach Art. 6 1 2 EMRK gerechtfertigt werden. 125 Zur Geltung des Art. 10112 GG und des Gebots der Neutralität des Richters für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit BVerfGE 21, 139 (144f.); Degenhart, in: Sachs2, Art. 101 GG Rn. 8f. 126 Zu Art. 103 I GG vgl. BVerfGE 19,49 (51); 21,139 (144f.); 60,7(13); BGH NJW1989,985;
138
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
GG) 1 2 7 und verlangt eine ausreichende Tatsachengrundlage der Entscheidung 128 . Materiell hat sich die Fürsorge ohne oder gegen den Willen des Betroffenen auf die im jeweiligen konkreten Fall geeigneten, erforderlichen und verhältnismäßigen Maßnahmen zu beschränken, um den potentiellen Eingriff in seine Freiheit so gering wie möglich zu halten 129 . Der Betreuer darf sich daher erst dann über den Wunsch bzw. den „natürlichen Willen" des Betreuten zu dessen Wohl hinwegsetzen, wenn dessen Eigenverantwortlichkeit erheblich beeinträchtigt ist und sein Eingreifen erforderlich ist, weil dieser sich selbst zu schädigen droht 130 . Die Selbstschädigung muß auf demselben Grund beruhen, der die Eigenverantwortlichkeit beeinträchtigt, weil sonst der Betroffene auch dort bevormundet würde, wo er noch zur Selbstbestimmung fähig ist. Das Handeln des Betreuers richtet sich dann nach dem betreuungsrechtlichen Prinzip der Erforderlichkeit, das Ausdruck der verfassungsrechtlich geforderten Verhältnismäßigkeit ist 131 . Der Zwang muß danach der Schwere des drohenden Schadens entsprechen. In der präventiven Sicherung der Freiheit gegenüber möglichen Eingriffen liegt auch der Grund für die formellen Garantien des Art. 5 E M R K 1 3 2 und die darüber hinausgehenden verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte in Art. 104 II 1 G G und in Art. 13 II G G 1 3 3 und deren Geltung für die Tätigkeit des BetreuKayser, in: Keidel14, § 12 F G G Rn. 105 m.w.N.; zu Art. 5 IV bzw. 6 I EMRK vgl. EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §61, 74; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 6 EMRK Rn.97. 127 Dazu allgemein W.-R. Schenke, in: BK, Art. 19 IV GG Rn. 296. Zur Rechtsweggarantie in Rechtsfürsorgeverfahren Smid, Rechtsprechung, 473ff., 523ff. 128 BVerfGE 58, 208 (223, 227); 63, 340 (342); 66,191 (196); NJW 1998, 1774 (1775); EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §39; EGMR, 28.5. 1985 (Fall Ashingdane), A/93, §37; jeweils zur Unterbringung. 129 Dröge, FamRZ 1998, 1209f. Der betreuungsrechtliche Erforderlichkeitsgrundsatz wird allgemein auch für verfassungsrechtlich geboten erachtet (vgl. nur Regierungsentwurf, 58; Bienwald, in: Staudinger12, §1896 BGB Rn. 109). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Verfassungsrechts entfällt hier also nicht, er ändert nur seine Funktion (vgl. auch Isensee, HStR V, § 115 Rn. 13). 130 Vgl. BVerfGE 58, 208 (224ff.), bestätigt in BVerfGE 63, 340 (342); BVerfG FamRZ 1999, 985 (987); BayVerfGHE 41, 151 (157); Regierungsentwurf, 146; O L G Hamm DAVorm 1997, Sp. 55 (59); NJW-RR 1986, 81 (82f.); BayObLG FamRZ 1993,600; Hillgruber, 121; Schwabe, JZ 1998, 70. Zustimmend Sternberg-Lieben, 248ff. Unklar dagegen Littwin, 20ff., 45f., 187, 243ff. Dröge, Zwangsbetreuung, 213ff., und FamRZ 1998,1213f., will demgegenüber auch das Interesse Dritter genügen lassen, was den auf das Wohl des Betreuten beschränkten Fürsorgezweck der Betreuung verfehlt. 131 Knittel, § 1896 BGB Rn. 17. 132 EGMR, 8.6. 1976 (Fall Engel), K/22, §58; EGMR, 6.11. 1980 (Fall Guzzardi), A/39, §92: Art. 5 schütze vor willkürlicher Festnahme und Haft; Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 301 f.; Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn. 1. 133 Ossenbühl, Festschrift Kriele, 161; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, §78 IV.2.b (214); Bethge, W D S t R L 57 (1998), 44 Fn.247. Vgl. BVerfGE 51, 97 (107): Art. 13 II G G soll Gefahr von Mißbräuchen bannen. Auf den Schutz durch Verfahren stellen auch ab BVerfGE 75, 319 (328); NJW 1996, 2165 (2166). Den vorbeugenden Charakter dieses Schutzes übersieht z.B. Lachwitz, DAVorm 1989, Sp.457f.
I. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
139
ers134. Sie gewährleisten, daß der Betreuer nicht in die entsprechenden Freiheitsgrundrechte des Betreuten eingreift, d.h. nur dann entgegen dessen „natürlichen Willen" bzw. Wunsch tätig wird, wenn und soweit es wegen der tatsächlich beschränkten Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen erforderlich ist, denn sowohl der Entzug der Freiheit wie der Bruch des Hausrechts sind irreversibel. Dasselbe gilt für das in Art. 10 GG gewährleistete Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Der Betreuer darf daher den Post- oder Fernmeldeverkehr gegen den Wunsch des Betreuten nur kontrollieren, wenn ihm das Vormundschaftsgericht diese Aufgabe ausdrücklich zugewiesen hat135. Von daher erweist sich das obiter dictum des EGMR im Falle Herczegfalvy136 aus deutscher Sicht im Ergebnis als zutreffend, weil es dort an einer derartigen Entscheidung des österreichischen Pflegschaftsgerichts gefehlt haben dürfte, mit dem das Gericht dem Sachwalter die Aufgabe der Briefkontrolle zuwies. Doch auch dort, wo weder das Grundgesetz noch das Betreuungsrecht einen solchen Schutz ausdrücklich vorsehen, ist er nach seinem Grundgedanken zur präventiven Sicherung gegen irreversible Eingriffe in die Freiheitsgrundrechte notwendig. Dies betrifft insbesondere die Grundrechte, die die sogenannte „natürliche Freiheit" tatsächlichen Handelns137 schützen. Wenn der Betreuer tatsächlich über den Betreuten bestimmt, ist diese Freiheit unwiederbringlich verloren. Der einmal ausgeübte physische Zwang läßt sich nicht wieder rückgängig machen; die eigene Entscheidung nicht nachholen. Der verfassungsrechtlich gebotene vorbeugende Schutz gegen irreversible Eingriffe in die Freiheit des Betreuten bestimmt daher die materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen138 an die Anordnung einer Bestimmungsbefugnis. Eine Bestim134 BVerfGE 10, 302 (322ff.); 74, 236 (242) - Art. 104 II GG; LG Berlin FamRZ 1996, 821 (824f.) - Art. 13 II GG (allerdings unter dem Gesichtspunkt der Ermächtigungsgrundlage). Zu Art. 5 1 1 EMRK als Garantie eines präventiven staatlichen Schutzes gegen Freiheitsentziehung durch den Sorgeberechtigten, d.h. gegen den Mißbrauch des Sorgerechts vgl. EGMR, 28.11. 1988 (Fall Nielsen), A/144, §§62ff. 72 (Mehrheitsvotum), 102 (EKMR), S.31, 34f. (Minderheitsvotum). Vgl. auch Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 973f., der jedoch präventiven Schutz und Eingriff nicht unterscheidet. Zutreffend dagegen Köck, OJZ 1995, 489ff. 135 §1896 IV BGB. Der Gesetzgeber hat das damit begründet, es handele sich um einen „schwerwiegenden Eingriff" (Regierungsentwurf, 124). Aussagekraft gewinnt dies erst, wenn man es mit der hier vertretenen Auffassung auf die Irrversibilität eines möglichen Eingriffes in das Grundrecht und die dadurch erforderlich werdende präventive Kontrolle des Vormundschaftsgerichts bezieht. 136 EGMR, 24.9.92 (Fall Herczegfalvy), A/244, §§87ff., 91. 137 Zur Unterscheidung von „natürlicher" und rechtlich konstituierter Freiheit und ihrer Tragfähigkeit ausführlich Lübbe-Wolff, 75ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §66 II 2-4 (624ff.). 138 BVerfGE 83,24 (33f.) - Art. 104 II GG. Für die vergleichbare Problematik von faktisch irreversiblen Eingriffen in die Familie bzw. das Elternrecht zum Wohl des Kindes ebenso BVerfG FamRZ 1994, 223 (224) (für Art.6 GG); EGMR, 14.7. 1988 (Fall Eriksson), A/156, §238; EGMR, 26.5.1994 (Fall Keegan), FamRZ 1995,110(111); Brötel, 139ff.; Fahrenhorst, 184ff. (für Art. 8 I EMRK).
140
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
mungsbefugnis, d.h. die Befugnis, über den Betreuten entgegen dessen „natürlichem Willen" in tatsächlicher Hinsicht zu bestimmen, bedarf daher der auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage beruhenden Feststellung des Vormundschaftsgerichts, daß die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen im konkreten Fall eingeschränkt ist und deshalb der Fürsorge gerade in Form der Bestimmungsbefugnis bedarf. Sie kann deshalb dem Betreuer nicht generell, sondern nur für einen bestimmten Bereich zugewiesen werden. Ihre Reichweite wird durch die gerichtliche Feststellung, daß und inwieweit der Betreute nicht eigenverantwortlich handeln kann und deshalb der Fürsorge bedarf, begründet und begrenzt 139 . Im Hinblick auf die Gefährdung der durch Art. 2 II 2 G G geschützten Freiheit der Person 140 des Betreuten durch den Betreuer wird dem durch Art. 104 II G G gewährleisteten vorbeugenden Grundrechtsschutz141 heute 142 bereits dadurch Rechnung getragen, daß nicht erst die Ausübung, sondern schon die Anordnung einer Bestimmungsbefugnis des Betreuers über den Aufenthalt des Betreuten die ausdrückliche Feststellung des Vormundschaftsgerichts voraussetzt, daß sie wegen der beschränkten Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen erforderlich ist, und diese denselben verfahrensrechtlichen Anforderungen unterliegt wie die Anordnung eines EinwilligungsVorbehalts. Der vorbeugende Grundrechtsschutz gegenüber freiheitsentziehenden Maßnahmen des selbst pflegenden, meist ehrenamtlichen Betreuers wird daher bei der Anordnung einer derartigen Bestimmungsbefugnis gewährleistet 143 . Demgegenüber sichert das Erfordernis der gesonderten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für freiheitsentziehende Maßnahmen in § 1906 BGB die Freiheit des Betreuten dagegen, daß er der tatsächlichen Gewalt eines Dritten ausgeliefert und damit 139 Zum Zusammenhang von gerichtlicher Entscheidung und darauf bezogener Befugnis im Rahmen des vorbeugenden Grundrechtsschutzes bei Art. 13 G G vgl. BVerfG N J W 1997, 2165 (2166). Für das Betreuungsrecht B a y O b L G FamRZ 1994, 1059 (1060). 140 Murswiek, in: Sachs2, Art. 2 G G Rn.228ff. 141 BVerfGE 19, 302 (323); 29, 183 (195); E u G R Z 1997, 519 (520); Degenhart, in: Sachs2, Art. 104 G G Rn. 1. Art. 5 IV EMRK sieht dagegen nur eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle vor. O b Art. 8 EMRK für besonders schwerwiegende Eingriffe in das Familienleben eine vorherige gerichtliche Entscheidung fordert (so das nicht näher begründete Minderheitsvotum in EGMR, 24.8.1988 (Fall Olsson), A/130, S.48), ist dagegen äußert zweifelhaft (ausführlich Brötel, 172ff.). 142 Zur Zeit der Entscheidung des BVerfG im Jahre 1960 (BVerfGE 19, 302ff.) enthielten die Entscheidungen zur Entmündigung bzw. Anordnung einer Zwangspflegschaft dagegen regelmäßig keine Aussage über die Unterbringung des Entmündigten oder Pfleglings oder das diesbezügliche Aufenthaltsbestimmungsrechts des Vormunds oder Pflegers (vgl. den Bericht in BVerfGE 19, 302 (307f.)). Dem entspricht heute etwa die Rechtslage im österreichischen Sachwalterrecht (dazu Kopetzki, Unterbringungsrecht I, 964ff.). 143 Das übersieht Schumacher, FamRZ 1991,282, wenn er wegen Art. 104 II G G auch hierfür eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für verfassungsrechtlich geboten hält. Kritisch demgegenüber Windel, BtPrax 1999, 49, der jedoch den -hier abgelehnten - Ausgangspunkt Schuhmachers teilt.
1. Betreuung und
141
Freiheitsgrundrechte
die den vorbeugenden Grundrechtsschutz gewährleistende Kontrolle des Betreuers durch das Vormundschaftsgericht praktisch wirkungslos wird 144 . Entsprechendes muß überall dort gelten, wo der Betreuer einen Dritten zur Ausübung seiner Bestimmungsbefugnis ermächtigt, also in allen Fällen des Zwangs durch Dritte, wie z.B. der Zwangsbehandlung145. Die unterschiedliche verfahrensrechtliche Verwirklichung des vorbeugenden Grundrechtsschutzes ändert jedoch nichts daran, daß die Anordnung einer Bestimmungsbefugnis und die Genehmigung der Übertragung der tatsächlichen Gewalt auf Dritte materiell denselben grundrechtlichen Anforderungen unterliegen. Insofern ist es zutreffend, wenn die Anordnung jeglicher Art von Zwangsbefugnissen des Betreuers an die Voraussetzungen des §1906 I Nr. 1 B G B geknüpft wird, die diese Vorgaben umsetzen 146 .
3. Die verfassungsrechtliche
Grundlagen
der
Betreuung
Mit den bisherigen Überlegungen haben wir nur nachgewiesen, daß und unter welchen Bedingungen die Betreuung mit den Freiheitsgrundrechten des Betreuten vereinbar ist. Ihre materielle verfassungsrechtliche Grundlage ist damit noch nicht benannt. Sie läßt sich nur im Hinblick auf ihre rechtliche Funktion bestimmen, die rechtliche Gleichheit des einzelnen Menschen als Rechtsperson organisatorisch herzustellen, wenn und soweit ihm die Eigenverantwortlichkeit fehlt 147 . Verfassungsrechtlich ist damit die jedem Menschen als solchem nach Art. I I I G G zukommende „Würde" angesprochen, aufgrund derer er als autonome Rechtsperson anerkannt („geachtet") wird 148 . Diese rechtliche Anerkennung des Menschen als Rechtsperson erfolgt unabhängig von seinem jeweiligen tatsächlichen Zustand und seinen tatsächlich vorhandenen konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten und verwirklicht damit seine durch Art. 3 I G G geforderte 144 Vgl. dazu bereits oben §4.IV.2.b.cc. Wo die Bestimmungsbefugnis dagegen nicht erst gesondert angeordnet werden muß, stellt allein die gerichtliche Genehmigung die präventive Kontrolle sicher. Im österreichischen Sachwalterrecht hält man daher die Entscheidung des Sachwalters zur Unterbringung für „wesentlich" i.S.d. §§ 282 S. 1,216 II AGBG, d.h. der Genehmigung der Pflegschaftsgerichts bedürftig (vgl. Kremzow, 132; Schwimann, in: Schwimann, Praxiskommentar, §282 AGBG Rn.3; weitergehend Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 978ff.). 145 Oben § §4.IV.2.b.cc. 146 Dazu oben § 4 IV.2.b.bb. Wegen ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage müssen dieselben Grenzen z.B. auch für die Zwangsbehandlung des zu seinem Schutze öffentlichrechtlich Untergebrachten gelten (Wagner/Volckart, in: Saage/Göppinger3, Kap.4 Rn.317ff., 321). 147 Dazu oben §4 II.3. und 4., III., IV. 148 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art.l I GG Rn.19; Bleckmann, Staatsrecht II 4 , §21 Rn.4, 17; Stern, Staatsrecht III/l, §58 I 4 (13ff.); Häberle, HStR I, §20 Rn.52: Subjekt; Kunig, in: v. Münch4, Art.l GG Rn.23: Rechtssubjekt; Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art.l G G Rn.10: Selbstbestimmung; Geddert-Steinacher, 57f. Ausführlich dazu jetzt Enders, 377ff., 502ff.
142
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
Rechtsgleichheit 1 4 9 . S o w e i t er den dadurch zu gleichen Bedingungen e r ö f f n e t e n Zugang z u r R e c h t s o r d n u n g aus tatsächlichen G r ü n d e n nicht w a h r n e h m e n kann, bleibt diese rechtliche A n e r k e n n u n g als Rechtssubjekt j e d o c h abstrakt und folgenlos. A r t . 1 1 2 G G verpflichtet den Staat daher auch, die W ü r d e des Menschen zu schützen. Diese V e r p f l i c h t u n g u m f a ß t nicht n u r die Sicherung der physischen Existenz des Menschen 1 5 0 , s o n d e r n auch und v o r allem die Herstellung seiner Rechtsperson
u n d damit seiner Rechtsgleichheit1^.
Die staatliche
Rechtsfürsorge f ü r einen in seiner Eigenverantwortlichkeit beschränkten M e n schen d u r c h die Betreuung f i n d e t daher ihre verfassungsrechtlichen G r u n d l a gen in der S c h u t z p f l i c h t des A r t . 1 1 2 G G 1 5 2 und dem G e b o t der Rechtsgleichheit in A r t . 3 I G G . Dessen K o n k r e t i s i e r u n g im V e r b o t der Benachteiligung Behinderter in A r t . 3 III 2 G G 1 5 3 und auch d e m Sozialstaatsprinzip 1 5 4 k o m m e n dagegen f ü r die Herstellung der Rechtsgleichheit durch die Rechtsfürsorge
- an-
ders als f ü r die tatsächliche F ü r s o r g e - keine eigenständige Bedeutung zu. D i e
149 Düng, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I GG Rn. 29,33ff.; P. Kirchhof, HStRV, § 124 Rn. 62,100f., 112,196; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art. 3 GG Rn. 3. Den Zusammenhang der Rechtsgleichheit mit der Würde des Menschen betonen auch Höfling, in: Sachs2, Art. 1 GG Rn. 27; Jarass, in: Jarrass/Pieroth 4 , Art. 1 GG Rn.4; Huber, Jura 1998, 509. 150 BVerfGE 40,121 (133); BVerwGE 1,159 (161 f.); 23,141 (153ff.); Höfling, in: Sachs2, Art. 1 GG Rn.24f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art. 1 GG Rn.36; Zippelius, in: BK, Art. 1 I und II GG Rn. 102. 151 In der auf die Fürsorge für Minderjährige konzentrierten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur spielte dieser Gesichtspunkt neben dem Elternrecht des Art. 6 II 1 GG bislang nur eine ergänzende Rolle (vgl. BVerfGE 24,119 (144); 60,79 ( 8 8 ) ; J e s t a e d t , in: BK, Art. 6 II und III GG Rn. 6,36,173). Anders dagegen in der zivilrechtlichen Diskussion Thiele, 72; Müller-Freienfels, Vertretung, 340; Reinicke, 38; Reuter, Kindesgrundrechte, 60, 67, 200; Windel, FamRZ 1997, 717. Vgl. auch Lachwitz, DAVorm 1989, Sp.346f., 457f. Das BVerfG hat des öfteren betont, daß Art. 1 I GG es verbiete, den einzelnen als bloßes Objekt des Verfahrens zu behandeln und deshalb aktive verfahrensrechtliche Befugnisse voraussetze (BVerfGE 57, 250 (274ff.); 63, 322 (337f.); vgl. auch Bleckmann, Staatsrecht II4, §21 Rn. 36f.; Häherle, HStR I, §20 Rn.52; Zippelius, in: BK, Art.l I und II GG Rn.64). Die Stellung als Rechtssubjekt im Verfahren muß jedoch ausgeübt, die Teilnahmebefugnis aktiviert werden. 152 Insofern ist es zutreffend, daß der Schutz des Menschen vor sich selbst seinen Grund in Art. 1 I 2 GG findet {Roth, 424; ähnlich Isensee, HStR V, § 111 Rn. 115: Grundrechtsfürsorge). Nur ermächtigt auch dies den Staat nicht zu einem Eingriff in die Freiheit des einzelnen. 153 Dazu BVerfG NJW 1998, 131 (132); Osterloh, in: Sachs2, Art. 3 GG Rn.305; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art.3 III GG Rn. 174; Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art.3 GG Rn.383. 154 Darauf beziehen sich für den Schutz des einzelnen vor Selbstschädigung durch die fürsorgerische Unterbringung BVerfGE 58, 208 (225); Starck, in: v. Mangoldt/Klein 4 , Art. 2 GG Rn.224 (der das Existenzminimum aber in Art.l I 2 GG garantiert sieht, a.a.O., Art.l GG Rn.36); Grabitz, HStR VI, §130 Rn.34. Auf die Betreuung insgesamt überträgt dies Dröge, FamRZ 1998, 1210, 1211 f. Bei der Unterbringung geht es dagegen um die tatsächliche Fürsorge (deutlich Göppinger, FamRZ 1980, 858). Von daher ist es verständlich, wenn das BVerfG hier auf das Sozialstaatsprinzip zurückgreift, das es bei seiner Entscheidung zur Zwangspflegschaft (BVerfGE 19, 93ff.) mit keinem Wort erwähnt.
1. Betreuung und
Freiheitsgrundrechte
143
Herstellung der Rechtsperson durch Rechtsfürsorge geht ihnen vielmehr historisch wie systematisch voraus. Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält kein allgemeines Gebot zum Schutz der Menschenwürde155, sondern gewährleistet dem einzelnen bestimmte Freiheitsrechte gegenüber dem Staat156 und verpflichtet diesen zu ihrem Schutz157. Kann er davon aufgrund seiner mangelnden Eigenverantwortlichkeit keinen Gebrauch machen, erwächst dem Staat daraus die Pflicht, ihm die Ausübung dieses Rechts unter gleichen Bedingungen wie anderen Bürgern158 zu ermöglichen159. Insofern umfassen die Grundrechte auch die Verpflichtung, die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für ihre Ausübung zu schaffen; sie enthalten Vorgaben für die staatliche Ausgestaltung dieser Grundrechtsvoraussetzung160. Die Konvention verpflichtet den Staat daher nicht allgemein, die Rechtsperson des einzelnen herzustellen, sondern nur im Hinblick auf die von ihr gewährleisteten Rechte. Von den Grundrechten des Betroffenen her gesehen erweist sich die Betreuung demnach nicht als Eingriff in deren Freiheitsgewährleistung, sondern dient der Herstellung der Rechtsperson des einzelnen als Voraussetzung der Ausübung dieser Grundrechte. Die Regelungen des Betreuungsrechts gestalten diese Ausübungsvoraussetzungen aus und bringen damit die Grundrechte erst zur effektiven Geltung. Die Aufgabe, die Statusgleichheit des einzelnen als Rechtsperson herzustellen, erschöpft sich nicht darin, den gleichen Zugang zur Rechtsordnung und insbesondere zum Rechtsverkehr zu verwirklichen161. Seine beschränkte Eigenverantwortlichkeit hindert ihn nicht nur am Zugang zur Rechtsordnung, sondern auch an einer eigenverantwortlichen Entscheidung darüber, ob er bestimmte tatsächliche Nachteile für seine Person oder sein Vermögen akzeptie155 Bergmann, 119ff. Art. 3 und 4 EMRK lassen sich jedoch als spezifische Ausprägungen eines derartigen Schutzes begreifen (so schon Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 GG Rn. 30). 156 Hailbronner, Festschrift Mosler, 359ff., 369; Fahrenhorst, 63; Bergmann, 106f. 157 Murswiek, in: Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, 213ff.; Fahrenhorst, 81ff.; zu Art. 5 Peukert, in: Frowein/Peukert2, Art. 5 EMRK Rn. 7; zu Art. 8 Brötel, 69ff.; Frowein, in: Frowein/Peukert2, Art. 8 EMRK Rn.9ff., 19f., 29, 35. 158 Art. 14 EMRK. 159 EGMR, 26.3.1985 (X. & Y. gegen die Niederlande), A/91, §§23, 80: Einen zur Strafverfolgung erforderlichen Strafantrag konnte nur das geistig behinderte Opfer selbst und nicht seine Eltern für sie stellen, weil sie schon über 16 Jahre alt und damit insofern mündig war. Sie konnte aber auch trotz ihrer mangelnden Eigenverantwortlichkeit keinen Pfleger erhalten, weil dieser nach niederländischem Recht damals nur für Volljährige bestellt werden konnte. Darin sah der EGMR eine Verletzung des Art. 8 EMRK, weil anderen der Schutz ihrer Privatsphäre mittels eines Strafantrags möglich war. 160 Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechtes dazu Isensee, HStR V, §115 Rn. 13, 136ff.; BVerfGE 50, 290 (355) (zur Ausgestaltung der Vereinsfreiheit des Art. 9 I GG). 161 Vgl. dazu Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I GG Rn.29ff.; P. Kirchhof, HStR V, §124 Rn. 199; Starck, in: v. Mangoldt/Klein4, Art.3GGRn.265; sowie BVerfGE 78,104 (121); 81,347 (356ff.). Zu dieser Aufgabe der Betreuung oben §4 II.3. und 4.
144
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
ren oder abwehren will. Seine Selbstschädigung ist dann nicht - wie bei anderen - Folge seiner eigenen freien Entscheidung, sondern seines tatsächlichen Zustands bzw. seiner fehlenden Eigenverantwortlichkeit. Auch in dieser Hinsicht muß deshalb seine Rechtsgleichheit erst hergestellt werden. Der verfassungsrechtliche Auftrag der Art. 112,3 I GG zur Rechtsfürsorge für den in seiner Eigenverantwortlichkeit beschränkten Menschen umfaßt demnach auch den Schutz des einzelnen davor, sich gerade dadurch selbst zu schädigen oder eine drohende Gefahr für sich selbst nicht abwehren zu können. Dafür kann es keine Rolle spielen, in welchem Bereich die Gefahr droht, ob sie also das Handeln im Rechtsverkehr oder tatsächliches Handeln betrifft. Einwilligungsvorbehalt und Bestimmungsbefugnis des Betreuers über das tatsächliche Verhalten als fürsorgerische Mittel zum Schutz des Betroffenen in rechtlicher bzw. tatsächlicher Hinsicht sind daher nicht nur mit dessen Freiheitsgrundrechten vereinbar162, sondern auch verfassungsrechtlich gefordert. In der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, die Rechtsperson des in seiner Eigenverantwortlichkeit eingeschränkten Menschen herzustellen und ihm den staatsfreien Gebrauch seiner Freiheit zu ermöglichen, liegt zugleich der Grund für den Vorrang der zivilrechtlichen
Unterbringung
durch den Betreuer vor der
öffentlichrechtlichen Unterbringung, soweit diese aufgrund der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze auch dem Schutz des Betroffenen selbst dient163. Zwar wird ihm hier in beiden Fällen gleichermaßen die Freiheit zur Fortbewegung zwangsweise gegen seinen natürlichen Willen entzogen, doch erfolgt die Entscheidung hierüber nicht durch das Vormundschaftsgericht als staatliche Behörde, sondern durch den selbständigen Betreuer. Nur der selbständige Betreuer, nicht das staatliche Vormundschaftsgericht kann die Freiheit des Betroffenen gegenüber dem Staat garantieren. Deshalb ist die öffentlichrechtliche, unmittelbar durch den Staat veranlaßte Unterbringung gegenüber der Unterbringung durch einen Betreuer subsidiär und nur im Notfall zulässig, bis ein Betreuer bestellt werden kann164. Der freiheitsverbürgende Charakter der Betreuung ist darüber hinaus der Grund, warum die Tätigkeit des Betreuers im Freiheitsbereich des Betreuten zwar der vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, aber keiner ihre Ausübung inhaltlich regelnden und determinierenden gesetzlichen Ermächti162 163
BVerfGE 58,208 (224ff.); 63,340 (342); N J W 1 9 9 8 , 1 7 7 4 f . - fürsorgerische Unterbringung. Uberblick bei Wagner/Marschner/Volckart, in: Saage/Göppinger3, Kap.4 Rn.241ff.,
317 ff. 164
Holzhauer, FamRZ 1995, 1472f. Mit gleichem Ergebnis, wenngleich vom Zweck der öffentlichrechtlichen Unterbringung als Krisenintervention her argumentierend, T. Weber, Unterbringung, 148. Dagegen halten z.B. Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1906 BGB Rn. 3; Knittel, § 1905 BGB Rn. 3, und Marschner, in: Saage/Göppinger3, Kap. 3, § 1906 BGB Rn. 54 bzw. in: Jürgens, BtR, § 1906 BGB Rn. 48, die zivilrechtliche Unterbringung nur dann für vorrangig, wenn schon ein Betreuer bestellt ist.
II. Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit
und Freiheitsgrundrechte
145
gungsgrundlage bedarf165. Die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für Zwangsmaßnahmen des Betreuers ist daher weder aus dem Grundgesetz166 noch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention167 zu begründen. Die mangelnde Eigenverantwortlichkeit eines Menschen schließt ihn weder von der Garantie seiner Freiheit durch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention aus, noch unterwirft sie ihn unmittelbarem staatlichen Zugriff. Auch im Hinblick auf die Grund- und Menschenrechte des einzelnen, und das heißt: gegenüber dem Staat, stellt die Betreuung die Rechtsperson des Betroffenen und damit seine Rechtsgleichheit her. Der Grund staatlicher Rechtsfürsorge markiert andererseits zugleich ihre Grenze. Geht es um die Verwirklichung der Würde des Menschen in Freiheit und Gleichheit168, muß sich die Rechtsfürsorge auf die Organisation seiner Rechtsperson beschränken, denn damit ist die Rechtsgleichheit im Status vollständig verwirklicht. Eine fürsorgerisch begründete Sonderstellung des in seiner Eigenverantwortlichkeit Beschränkten in materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Hinsicht durch die Zuweisung besonderer Ansprüche oder Rechtsbehelfe ist daher auch mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren169.
II.
Unmittelbare
Geschäftsunfähigkeit
und
Freiheitsgrundrechte
Gegen die Regelung der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit in §§ 104 Nr. 2, 105 BGB hat Canaris170 den Vorwurf erhoben, die dort vorgesehene Nichtigkeit sei zum Schutz des Betroffenen nicht erforderlich und greife deshalb übermäßig in die Privatautonomie ein. Die vorstehenden Überlegungen haben demgegenüber gezeigt, daß die rechtliche Unbeachtlichkeit einer konkreten Entscheidung eines Mündigen, seines „natürlichen Willens", dann keinen Eingriff in seine grundrechtliche Freiheit darstellt, wenn und soweit seine EigenverantwortDazu oben §5 1.2. So aber Pardey, Rahmenbedingungen, 163f.; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1901 BGB Rn.3b; Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn. 19ff.; O L G Frankfurt/M. FamRZ 1996, 821; LG Frankfurt/M. FamRZ 1994, 1617; zustimmend Bauer, FamRZ 1994, 1562ff.; ders., BtPrax 1996, 55ff.; Kemper, FuR 1996, 152ff.; für die Zwangsbehandlung ebenso: Bienwald, in: Staudinger12, § 1904 BGB Rn.28 (anders aber ders., BtR 2 , § 1904 BGB Rn.24); vgl. auch Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn.238ff., 240, 247; Rink, in: HK-BUR, Vor §1904 BGB Rn. 19; Schweitzer, FamRZ 1996, 1321 f. 167 So aber Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 963, 973ff. 168 P. Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 62. 169 Schon Savigny VII, §322 (149) sah keinen inneren Grund für den Sonderbehelf der Restitution bei Minderjährigen und Geisteskranken. Deren Schutz müsse durch eine Verbesserung des Vormundschaftsrechtes erfolgen, d.h. durch die Organisation der Rechtsperson. Vgl. dazu oben §4 III.2. und IV. 170 Canaris, JZ 1987, 996ff.; zustimmend Lachwitz, DAVorm 1989, Sp. 348ff., 352, 462. 165
166
146
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
lichkeit in dieser Hinsicht aufgrund seines Zustandes eingeschränkt ist 171 . Die staatliche Reaktion hat sich allerdings daran auszurichten, daß sie gleichwohl potentiell in diese Freiheit eingreift. Erfolgt die Feststellung der rechtlichen Unwirksamkeit in einem gerichtlichen Verfahren, muß dieses den bereits beschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Auch hier sind daher nicht nur die verfahrensrechtlichen Garantien der Art. 6 I EMRK, 97, 101 1 2 , 103 1,19 IV GG 1 7 2 , sondern auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Insoweit bleibt also die von Canaris aufgeworfene Frage noch zu beantworten. Die Regelung der §§ 104 Nr. 2,105 B G B betrifft die Folge der mangelnden Eigenverantwortlichkeit für eine konkrete Entscheidung des Betroffenen im allgemeinen Rechtsverkehr einschließlich des Prozesses 173 . Der Ausschluß der rechtlichen Anerkennung nach §§ 104 Nr. 2,105 B G B betrifft nur einen einzelnen Rechtsakt174. Demgegenüber setzen die Regelungen der §§107ff. B G B zwingend die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes nach §1903 B G B voraus, der die Handlungsfähigkeit des Betroffenen für alle künftigen Rechtsakte in seinem Anwendungsbereich beschränkt und sie an die Zustimmung des Betreuers als gesetzlichem Vertreter knüpft. Damit ist jedenfalls eine weitergehende Beschränkung der Rechtsstellung des Betroffenen verbunden als mit der punktuellen, nur einen Einzelakt betreffenden Unwirksamkeit nach §§104 Nr. 2, 105 BGB 1 7 5 . Schon dadurch erweist diese sich als das gegenüber der Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nach §§ 1903, 107ff. B G B mildere Mittel. Wie im Rahmen der Betreuung besteht auch bei der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit nur die Möglichkeit, entweder die konkrete Entscheidung eines Mündigen als Ausdruck seiner Selbstbestimmung rechtlich anzuerkennen oder ihr ausnahmsweise die Anerkennung wegen seiner beschränkten EigenEbenso jetzt auch BVerfG FamRZ 1999, 985 (987). Diese gelten nicht nur für die Entscheidung der materiellrechtlichen Frage der Unwirksamkeit einer außerhalb des Prozesses erfolgten Handlung, sondern ebenso für die Feststellung der unmittelbaren, zustandsbedingten Prozeßunfähigkeit einer Partei nach §§51 I, 52 ZPO, 104 Nr.2, 105 BGB. Die bei Miehsler, in: IntKommEMRK, Art.6 EMRK Rn. 135, berichtete ältere Entscheidung der EKMR, nach der die Entscheidung über die Prozeßfähigkeit nicht Art.6 I EMRK unterfalle, dürfte durch die Entscheidung des EGMR, 24.10. 1979 (Fall Winterwerp), A/33, §73, überholt sein, die das für die Entmündigung bejahte. Denn die prozessuale Handlungsfähigkeit einer Person betrifft ebenso die Ausübung ihrer „civil rights and obligations" wie die materiellrechtliche Geschäftsfähigkeit. 171
172
§§51 1,52 ZPO. Vgl. dazu ausführlich oben §4 II.l. und III.l. 175 Canaris QZ 1987, 996ff., und JZ 1988, 496f., ebenso jetzt Enderlein, JR 1998, 490), unterscheidet dagegen nicht zwischen der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit nach §§ 104 Nr.2, 105 BGB und der Beschränkung bzw. dem Ausschluß der Geschäftsunfähigkeit aufgrund einer staatlichen Anordnung, d.h. der damaligen Entmündigung oder dem heutigen Einwilligungsvorbehalt. Er hat vielmehr nur die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts im Blick und übersieht deshalb die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Betroffenen. 173
174
II. Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit
und Freiheitsgrundrechte
147
Verantwortlichkeit zu versagen. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, daß diese Frage unmittelbar vom Prozeßgericht entschieden werden muß und daher nicht staatsfrei erfolgen kann. Dem Prozeßgericht als staatlicher Behörde ist es aber im Hinblick auf die Freiheitsgrundrechte versagt, die Grundrechtsausübung inhaltlich zu bewerten176. Es kann daher weder auf die Vernünftigkeit oder Schädlichkeit der Handlung zurückgreifen, noch darauf, ob sich der Zustand des Betroffenen gerade in der konkreten Entscheidung ausgewirkt hat, sondern ist vielmehr auf die Prüfung beschränkt, ob dessen Einsichtsund Steuerungsfähigkeit im fraglichen Zeitpunkt gerade im Hinblick auf diese Form rechtlichen Handelns ausgeschlossen ist 177 . Die Unwirksamkeit nach §§104 Nr. 2, 105 B G B greift deshalb nicht bereits bei einer Beschränkung der Eigenverantwortlichkeit ein; sie setzt vielmehr deren Ausschluß voraus. Demgegenüber kann die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nach §§1903, 107ff. B G B bereits angeordnet werden, wenn der Betroffene in seiner Eigenverantwortlichkeit eingeschränkt ist und sich dadurch zu schädigen droht, weil das staatliche Vormundschaftsgericht dabei nur die Voraussetzungen des Einwilligungsvorbehaltes festzustellen, nicht aber die erst zukünftig erfolgende konkrete Handlung des Betroffenen inhaltlich zu beurteilen hat. Dies ist vielmehr Aufgabe des Betreuers178. Die privatrechtliche Organisation der Betreuung ermöglicht es daher, schon dann gegen den „natürlichen Willen" des Betroffenen fürsorgerisch tätig zu werden, wenn dies dem über die unmittelbare Handlungsunfähigkeit entscheidenden Prozeßgericht noch versagt ist. War die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Hinblick auf einen bestimmten Rechtsakt jedoch völlig ausgeschlossen, kommt es dagegen nicht mehr darauf an, ob sich der Betroffene dadurch selbst schädigt. Diese Feststellung kann daher auch das Prozeßgericht treffen. Betrifft die Regelung der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit verglichen mit der Betreuung nur die Extremfälle, in denen die Eigenverantwortlichkeit ganz ausgeschlossen ist, erweist sie sich insoweit nicht als unverhältnismäßig. Man könnte daran denken, die Anordnung der Unwirksamkeit als Rechtsfolge der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit für unverhältnismäßig zu halten, zeigt doch der Blick über die Grenze oder in die Geschichte, daß der Schutz des Betroffenen auch durch die Einräumung eines Anfechtungsrechtes gewährleistet werden kann179. Ein solcher Rechtsbehelf dürfte allerdings - abweichend Vgl. oben bei §5 Fn.47, 48. Das betont zutreffend Ramm, JZ 1988, 491. Dazu oben §4 111.1. 178 Dazu oben §4 IV.2. 179 Das französische Recht sieht in einem solchen Fall die Klage wegen nullité vor (Art. 489 CC; Malaurie/Aynés, Nr. 716 (271)), das niederländische Recht die Anfechtbarkeit, falls es sich nicht um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt (Art.3:34 B.W.B.). Dagegen weicht hier das schottische vom französischen Recht ab; die Nichtigkeit tritt ex lege ein (Walker 1,224). Vgl. zur Klage wegen lésion im Falle der Schädigung des Betroffenen aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit oben §4 III.2. 176 177
148
§ 5 Die grundrechtliche
Dimension
von seinen Vorbildern - keine inhaltliche Beurteilung des Rechtsaktes auf seine wirtschaftliche Vernünftigkeit, Schädlichkeit o.ä. voraussetzen, um mit den Freiheitsgrundrechten des Betroffenen vereinbar zu sein. Doch setzt er in jedem Fall voraus, daß entweder der Betroffene selbst noch oder wieder in der Lage ist, ihn geltend zu machen, oder ein gesetzlicher Vertreter für ihn tätig wird 180 . Der Schutz des Betroffenen ist daher durch eine solche Regelung nicht in jedem Fall sichergestellt und bleibt daher hinter der von Art. 1 1 2 , 3 1 G G geforderten vollständigen Herstellung seiner Gleichheit als Rechtsperson zurück. Demgegenüber ist die Unwirksamkeit aufgrund der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit immer zu beachten, unabhängig davon, ob sich der Betroffene darauf beruft oder berufen kann 181 . Sie verwirklicht daher den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Betroffenen im Falle des Ausschlusses seiner Eigenverantwortlichkeit umfassender als ein besonderer Rechtsbehelf. Deshalb verstößt sie auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Ubermaßverbot 182 . Neben der Betreuung als staatlicher Rechtsfürsorge findet daher auch die Regelung der unmittelbaren Handlungsunfähigkeit in §§104 Nr. 2, 105 B G B ihre verfassungsrechtliche Grundlage in der durch Art. 1 I 2, 3 I G G konstituierten Pflicht des Staates, die Rechtsperson und Rechtsgleichheit des einzelnen herzustellen, wenn seine Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen ist, und ist unter dieser Voraussetzung mit seinen Freiheitsgrundrechten vereinbar.
180 Im französischen Recht ist daher die fünfjährige Anfechtungsfrist für den Betroffenen gehemmt, solange er handlungsunfähig und ohne Vertreter ist (Cass. Civ. 1", 19.11.1991 und 18.2. 1992, D. 1993.227). 181 Die unmittelbare Handlungsunfähigkeit nach materiellem Recht muß nicht gesondert geltend gemacht werden; sie ist rechtshindernde Einwendung, nicht Einrede (H. Hübner, A.T. 2 , Rn. 444). Die Prozeßunfähigkeit nach §§51 I, 52 ZPO, 104 Nr. 2, 105 B G B ist von Amts wegen zu beachten, § 56 I ZPO. 182 Auch das BVerfG hatte jüngst insoweit keine Bedenken (BVerfG FamRZ 1999, 985ff.).
§6 Die rechtliche Struktur der Betreuung Mit der Analyse der rechtlichen Funktionen der Betreuung samt ihren grundrechtlichen Bezügen haben wir einen Ausgangspunkt gewonnen, von dem aus wir die rechtliche Struktur der Betreuung näher untersuchen können. Dabei stellen sich vor allem zwei grundlegende Fragen: Welchen Einfluß hat der Betreute in der für ihn geschaffenen Organisation und auf ihre Funktionsträger Betreuer und Vormundschaftsgericht?, und: Wie und durch wen werden die Kompetenzen dieser gewissermaßen „um ihn herum" organisierten Rechtsperson im Rechtsverkehr mit anderen Rechtspersonen wahrgenommen? Da die Stellung des Betreuten innerhalb der Organisation die Wahrnehmung der Kompetenzen nach außen beeinflußt, wenn nicht gar bestimmt, werden wir uns zunächst der Binnenstruktur der Betreuung zuwenden und im Anschluß daran das Außenverhältnis untersuchen.
I. Die Binnenstruktur:
Wunsch und Wohl des
1. Das Gesetz: §1901
Betreuten
BGB.
Die zentrale Vorschrift für die gesamte Tätigkeit von Betreuer und Vormundschaftsgericht ist § 1901 BGB 1 . Sie betrifft das Verhältnis von Betreuer und Vormundschaftsgericht einerseits und dem Betreuten andererseits und stellt damit die Grundnorm für die Binnenstruktur der Betreuung dar2. In § 1901 II BGB 3 wird der Betreuer verpflichtet, „die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht", wozu auch die Möglichkeit gehört, „im Rahmen seiner Fähigkeit sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten". Dies verdichtet sich im nächsten Absatz zu der Pflicht des Betreuers „den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist" 4 . 1 Regierungsentwurf, 53, 67, 133; Holzhauer, in: Erman 9 , §1901 B G B Rn. 2; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 B G B R n . l . 2 Bienwald, in: Staudinger12, §1901 B G B R n . l , 3. 3 Bis zum Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes 1998 waren die jetzigen Absätze 2 - 5 die Absätze 1 - 4 (vgl. Art. 1 Nr. 13 BtÄndG). 4 §1901 III 1 BGB.
150
§ 6 Die rechtliche Struktur
der
Betreuung
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers des Betreuungsgesetzes sollte damit das bereits für das frühere Recht der Vormundschaft und Pflegschaft zentrale Wohl des Betroffenen weiterhin entscheidender Maßstab für die Tätigkeit des gesetzlichen Vertreters sein. Dessen nähere Konkretisierung sei jedoch nicht möglich. Die Erfüllung der Wünsche des Betreuten sei zwar nicht mit seinem Wohl identisch, aber doch ein Teilaspekt, der neben anderen bei der Bestimmung dessen berücksichtigt werden müsse, was seinem Wohl diene. Betreuung dürfe jedenfalls nicht Hilfe zur Selbstschädigung werden. Andererseits stünden Wohl und Wunsch des Betreuten nicht notwendig im Gegensatz. Soweit es mit seinem Wohl vereinbar sei, solle der Betreuer daher an den Wunsch des Betreuten gebunden sein, ohne daß es hierfür auf dessen Geschäftsfähigkeit ankomme. Dessen „natürlicher Wille"5 genieße daher grundsätzlich Vorrang6. Angesichts dieses Befunds verwundert es kaum, wenn das Verhältnis von Wunsch und Wohl des Betreuten zu den umstrittensten Fragen des Betreuungsrechts gehört und noch heute von einer Klärung weit entfernt ist7. Die praxisorientierte Literatur verwendet entweder die Formulierung der Materialien8 oder verweist auf den Einzelfall, weil eine generelle Aussage nicht möglich sei9. Im übrigen wird meist versucht, das Wohl des Betreuten gleich dem Kindeswohl unmittelbar inhaltlich zu bestimmen, um von daher beurteilen zu können, wann ein Wunsch des Betreuten seinem Wohl widerspricht. Das legt ein objektives Verständnis dieses „Wohls" nahe, etwa im Sinne des „durchschnittlich Vernünftigen"10 oder eines auf den Betreuten bezogenen „Inbegriffs seiner Integritäts-, Entfaltungs- und Vermögensinteressen gemäß seiner jeweiligen Lebenssituation" 11 , das als Gegengewicht gegenüber seinem subjektiven Wunsch fungieren kann12. Dem Betreuer käme dann die Aufgabe zu, zwischen subjektivem
5 Regierungsentwurf, 67,133. Wunsch und natürlicher Wille sind demnach synonym (zusammenfassend T. Diercks, Persönliche Betreuung, 65ff.). Die zum Verhältnis von „Wunsch" und „Wille" geführte Diskussion leidet daran, daß meist nicht zwischen dem Wunsch (dem natürlichem oder psychologischen Willen) des einzelnen einerseits und seiner rechtlichen Anerkennung als verbindliche Entscheidung einer Rechtsperson in Ausübung ihrer Selbstbestimmung (dem rechtlichen Willen) andererseits unterschieden wird (vgl. z.B. Voigt, 60f.; A. Wolf, ZRP 1988, 314). Ausführlich dazu oben §4 II.2. 6 Regierungsentwurf, 67f., 133, 142. 7 Die gesetzliche Regelung bezeichnete Diederichsen, Festschrift Deutsch, 131, als „wertungsleere Verweisung auf gegenseitige Empathie". 8 Diederichsen, in: Palandt58, § 1901 B G B Rn. 7-Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4, Rn. 161. 9 Sonnenfeld, Rn. 181; Mees-Jacobi/Stolz, BtPrax 1994, 85. 10 Holzhauer, in: Erman 9 , §1901 B G B Rn.9. 11 Kollmer, 124ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 B G B Rn. 4; zustimmend Bauer, in: H K - B U R , § 1901 B G B Rn.24; T. Diercks, Persönliche Betreuung, 62. „Subjektiv" ist diese Definition des Wohls nur in dem - wohl selbstverständlichen - Sinn, daß es sich um die Interessen des Betreuten handelt. 12 Vgl. auch Müller, 212ff.
I. Die Binnenstruktur:
Wunsch und Wohl des
Betreuten
151
Wunsch und objektiven Interessen des Betreuten abzuwägen13, - wobei völlig offen bleibt, wie diese objektiven Interessen des Betreuten im konkreten Fall zu bestimmen sind und nach welchen Kriterien der Betreuer abzuwägen hat. Dabei hilft auch der Hinweis nicht weiter, wegen § 1901 II 2 BGB enthalte das Wohl auch ein subjektives Element14 oder sei insgesamt aus der subjektiven Sicht des Betreuten zu verstehen 15 , geht es doch gerade um die Bestimmung der rechtlichen Grenze für die Beachtlichkeit seines Wunsches. Diese Grenze soll sich daher wiederum aus einer vom Betreuer vorzunehmenden Abwägung der Selbstbestimmung mit dem Schutz der betroffenen Rechtsgüter ergeben16. Führt der Wunsch zu einer Selbstschädigung17 oder gefährdet er höherrangige Rechtsgüter 18 , sei er danach unbeachtlich. Mangels klarer rechtlicher Kriterien ist daher auch von einem Entscheidungsspielraum des Betreuers die Rede19, womit letztlich dem Betreuer das Risiko zugeschoben wird, die rechtliche Grenze seines Handelns zu verfehlen und pflichtwidrig zu handeln. Er gerät dadurch nicht nur in die Gefahr einer zivilrechtlichen Haftung, sondern auch der Strafbarkeit21. Daraus vermag ihn we2 der eine Versicherung , noch eine Beratung etwa durch das Vormundschaftsgericht24 zu befreien. Eine Versicherung vermindert das Risiko der Strafbarkeit nicht, und der Vormundschaftsrichter kann mangels verfügbarer rechtlicher Kriterien ebenfalls keine bestimmte Rechtsauskunft geben. Er läuft daher allen13 Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1901 BGB Rn. 2; Kerkloh, 3ff., 46ff., 54ff.; Kollmer, 142; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn.8; im Ansatz auch Voigt, 77ff. Ähnlich BayObLG FamRZ 1996, 1374f. 14 T. Diercks, Persönliche Betreuung, 62f. 15 Bienwald, BtR 2 , § 1901 BGB Rn. 26 a.E.; Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/ Winterstein4, Rn. 160f., und in: Jürgens, BtR, § 1901 BGB Rn.4; Peters, 202ff. 16 Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1901 BGB Rn.6; Mees-Jacobi/Stolz, BtPrax 1994, 85. 17 Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1901 BGB Rn. 7, und in: Jürgens/Kröger/Marschner/ Winterstein4, Rn. 167; Knittel, § 1901 BGB Rn.2, 9; Peters, 206. 18 Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn.6; Knittel, §1901 BGB Rn.2, 9; Mees-Jacobi/ Stolz, BtPrax 1994, 85. 19 Mees-Jacobi/Stolz, BtPrax 1994, 87. Ähnlich Müller, 214. 20 §§1833, 1908i I 1 BGB. Dazu Bienwald, in: Staudinger 12 , §1901 BGB R n . l l ; ausführlich Diederichsen, Festschrift Deutsch, 135 ff. 21 Mißachtet er einen beachtlichen Wunsch des betroffenen Rechtsgutsinhabers, kann dies auch eine Verletzung des entsprechenden Straftatbestandes darstellen, z.B. bei eigenmächtiger Zustimmung zur Heilbehandlung oder bei eigenmächtiger Anordnung des Behandlungsabbruchs nach §§223ff. oder 212,13 StGB (weil er bei der eigenmächtigen und dementsprechend strafbaren Handlung des Arztes mitwirkt, vgl. nur BGHSt 40, 257ff., und dazu Merkel, ZStW 107 (1995), 556). 22 Vgl. Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1901 BGB Rn.4. 23 Mees-Jacobi/Stolz, BtPrax 1994,87; Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn. 47,52; Bienwald, FamRZ 1992, 1129. 24 §§183711,1908i 11 BGB. Folgt der Betreuer einer Rechtsauskunft des Vormundschaftsgerichts, schließt das zwar nicht die Pflichtwidrigkeit, aber doch regelmäßig sein Verschulden aus (RGZ 132, 257 (260); BGH FamRZ 1964, 199 (200); Diederichsen, in: Palandt 58 , §1833 BGB Rn. 3; D. Wolf, Haftung, 80ff., 82).
152
§ 6 Die rechtliche
Struktur der
Betreuung
falls Gefahr, selbst pflichtwidrig zu handeln, mit den entsprechenden rechtlichen Folgen 2 5 . U m solche Risiken zu vermeiden, w e r d e n Betreuer wie V o r mundschaftsrichter daher im Zweifel davon ausgehen, daß der W u n s c h des Betreuten seinem W o h l zuwiderläuft 2 6 . Will man verhindern, daß das gesetzgeberische Anliegen, dem Wunsch des Betreuten grundsätzlich den Vorrang einzuräumen, deshalb im praktischen Ergebnis leer läuft 2 7 , kann man die Entscheidung nicht einfach dem Betreuer oder dem Vormundschaftsrichter zuschieben, sondern muß die A n w o r t auf die Frage nach dem Verhältnis v o n W u n s c h und W o h l des Betreuten rechtsdogmatisch erarbeiten.
2. Der rechtsdogmatische
Ausgangspunkt:
Die Funktionen
der
Betreuung
Ausgangspunkt entsprechender Überlegungen müssen daher die rechtlichen Funktionen sein, die die Verpflichtung der Betreuung auf das W o h l des Betreuten erfüllt. W i r haben bereits gesehen, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Aufgaben handelt 2 8 : Die Betreuung hat z u m einen die Handlungsfähigkeit des Betreuten als Rechtsperson im Rechtsverkehr herzustellen, und ihn z u m anderen v o r einer Selbstschädigung aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit zu schützen. Die Frage nach Ziel und Maßstab ihrer Tätigkeit und der rechtlichen Bedeutung der W ü n s c h e des Betreuten stellt sich jedoch erst, w e n n der Betreuer überhaupt tätig w e r d e n darf 2 9 . 25 Der Vormundschaftsrichter haftet in Betreuungssachen als Verfahren der Rechtsfürsorge umfassend nach § 8391, III BGB, Art. 34 GG (vgl. nur Coeppicus, NJW1996,1947; Diederichsen, in: Palandt58, Vor § 1896 BGB Rn. 17). Das „Richterprivileg" oder genauer: „Rechtsprechungsprivileg" (dazu Smid, Jura 1990, 225) des § 839 II BGB greift hier nicht ein (Papier, in: MünchKommBGB3, § 839 BGB Rn. 322; Schäfer, in: Staudinger12, § 839 BGB Rn. 449; Smid, Jura 1990, 226). Das ergab sich früher unmittelbar aus §§1697, 1848 BGB a.F., deren Aufhebung durch Art.lNr.34, 42 des l.EheRGv. 14.6. 1976 (BGBl 19761, 1421)keine sachliche Änderung herbeiführen sollte (BT-Drucks. 7/650, 178). Entgegen Coeppicus, NJW 1996,1948f., gilt dies auch für die Anordnung der Betreuung, denn anders als der frühere Entmündigungsbeschluß (zur Anwendung des § 839 II BGB in diesem Fall BGH NJW 1966,3207 (3208)) erfolgt sie nicht in einem Streitverfahren zwischen zwei Parteien, sondern wie früher schon die Pflegschaftsanordnung durch das Vormundschaftsgericht in einem Rechtsfürsorgeverfahren ( P a p i e r , in: MünchKommBGB3, §839 BGB Rn.321 Fn.1003; Smid, Jura 1990, 226). Demgegenüber hält die strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur überwiegend auch den in den klassischen, nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätigen Richter oder Rechtspfleger nur für strafbar, wenn seine Tätigkeit zugleich eine Rechtsbeugung nach §339 StGB n.F. (= §336 StGB a.F.) darstellt ( C r a m e r , in: Schönke/Schröder25, §336 StGB Rn.3; Rudolphe in: SK-StGB, §339 StGB Rn.7; Tröndle, in: Tröndle48, §336 StGB Rn.4; BGHSt 35, 224 (230ff.) für den Rechtspfleger im Nachlaßverfahren. Zur Sperrwirkung der Rechtsbeugung vgl. Rudolphi, in: SK-StGB, §339 StGB Rn.22 m.w.N.). 26 Darauf weist zutreffend hin Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1901 BGB Rn. 4. 27 Diese Gefahr betonen zu Recht Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.52; Bienwald, FamRZ 1992, 1129; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1901 BGB Rn.4. 28 Oben §4 II.-IV. 29 Zutreffend Bienwald, in: Staudinger12, § 1901 BGB Rn. 16.
I. Die Binnenstruktur:
Wunsch und Wohl des Betreuten
153
a) Die allgemeinen Voraussetzungen für das Handeln des Betreuers Selbstverständlich erscheint zunächst, daß der Wunsch in den Aufgabenbereich des Betreuers fallen muß 30 . Außerhalb des ihm vom Vormundschaftsgericht zugewiesenen Aufgabenbereichs kann der Betreuer weder berechtigt noch verpflichtet sein, in irgendeiner Weise tätig zu werden. Der insofern gerade nicht von ihm Betreute mag ihm zwar im Rahmen der für alle geltenden Rechtsordnung anderweitig Befugnisse einräumen; dies ist aber kein Problem der Betreuung. Sowenig er beispielsweise wegen §216 StGB irgendeinem anderen rechtswirksam gestatten kann, ihn zu töten, vermag er dies dem Betreuer zu gestatten. Die „aktive Sterbehilfe" ist dem Betreuer schon wegen §216 StGB verboten, und nicht erst, weil sie dem „Wohl" des Betreuten widerspricht 31 . Da die Betreuung ihren Grund darin hat, die Rechtsperson des einzelnen herzustellen und seine Rechtsgleichheit zu verwirklichen, und hierin auch ihre Grenzen findet, weil sie nur insoweit im Hinblick auf seine Freiheit legitimiert ist, kann sich der Aufgabenbereich des Betreuers nur auf diese Aufgabe der Rechtsfürsorge beziehen32. Die Zerstörung des Eigentums33, d.h. der im Eigentum des Betroffenen stehenden Sache, hat für sich allein genommen hiermit nichts zu tun und gehört schon deshalb nicht zur Aufgabe des Betreuers. Die Frage nach seinem Wohl stellt sich hier erst gar nicht34. Das wird anders, wenn der Wunsch den vom Vormundschaftsgericht bestimmten Tätigkeitsbereich des Betreuers und seine Aufgabe betrifft, die Handlungsfähigkeit des Betreuten im Rechtsverkehr herzustellen 35 oder ihn vor einer Selbstschädigung zu schützen. b) Der äußerungsunfähige
Betreute
Allein um den Aspekt der Herstellung der Handlungsfähigkeit geht es, wenn der Betreute selbst keine Entscheidung getroffen hat und auch keine mehr treffen kann, weil er zu einer Äußerung nicht (mehr) in der Lage ist. Die Befugnis des Betreuers, an Stelle des Betreuten zu entscheiden, soll dessen Handlungsfähigkeit als Rechtsperson herstellen und besteht daher nur um des Betreuten willen. Das Wohl des Betreuten bildet hier Ziel und Maßstab für die stellvertretende Entscheidung des Betreuers. Sie ist deshalb immer von diesem herzu begrün30
Knittel, §1901 BGB Rn.8. So aber Kollmer, 143; dagegen Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1901 BGB Rn. 16. 32 Vgl. die Überschrift vor §1896 BGB („Rechtliche Betreuung") und die §§1901 I, 1897 I BGB, die durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz 1998 eingeführt wurden (dazu BRDrucks. 960/96, 15f., 33.). Zum verfassungsrechtlichen Hintergrund oben §5 1.2. und 3. 33 So das Beispiel im Regierungsentwurf, 133. 34 Bienwald, in: Staudinger 12 , §1901 BGB Rn.16. 35 Wenn z.B. der Betreuer auf Wunsch des Betreuten die Anweisung gibt, bei einem von ihm zu organisierenden Umzug etwas wegzuwerfen und dadurch zu zerstören. 31
154
§ 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
den. Weder die persönlichen Vorstellungen des Betreuers noch diejenigen Dritter oder gar die Auffassung der Allgemeinheit etwa in der Gestalt des „durchschnittlich Vernünftigen" 36 spielen eine Rolle, denn sonst würde der Betreute stärkeren Einschränkungen unterliegen als ein Nichtbetreuter, seine Rechtsgleichheit durch die Betreuung nicht hergestellt, sondern beschränkt. Insofern ist das Wohl des Betreuten notwendig subjektiv17. Die entscheidende Frage lautet hier, wie der Betreute selbst entscheiden würde, wenn er dazu in der Lage wäre. Materiell sind daher für diese Entscheidung des Betreuers dieselben Kriterien maßgeblich wie für den Geschäftsführer ohne Auftrag oder den aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung Handelnden 38 . Allerdings wird hier die Entscheidung für den Betreuten von dem allein auf sein Wohl verpflichteten Betreuer und nicht von einem interessierten Beteiligten bei Gelegenheit seiner eigenen Tätigkeit getroffen. Erst durch die Einschaltung des Betreuers wird die Rechtsperson des Betroffenen hergestellt, seine Selbstbestimmung verwirklicht und Fremdbestimmung durch andere Privatrechtspersonen vermieden 39 . Materiell kommt es auch für die Entscheidung des Betreuers zunächst auf die individuellen Ansichten und Einstellungen, Vorlieben und Abneigungen des Betreuten an. Läßt sich daraus keine bestimmte Entscheidung ableiten, muß zusätzlich auf allgemeinere Kriterien zurückgegriffen werden. In § 1901 II 2, IV, V B G B hat das normative Ziel jeder Rechtsfürsorge, sich selbst überflüssig zu machen und die Entscheidung in Zukunft dem Betroffenen selbst zu überlassen 40 , seinen Niederschlag im Betreuungsrecht gefunden 41 . Deshalb hat der Betreuer so zu handeln, daß dem Betreuten die tatsächliche Möglichkeit zur eigenen Entscheidung erhalten oder wieder verschafft wird. § 1901 II 2 B G B besagt daher So z.B. Holzhauer, in: Erman9, § 1901 BGB Rn.9. Voigt, 54ff., 78ff.; Bienwald, in: Staudinger12, §1901 BGB Rn.23f.; Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn. 24ff.; Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn.4; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn.4; Peters, 202ff. Hier besteht keine Spannung zwischen objektivem und subjektiven Wohl, wie Holzhauer, in: Erman9, § 1901 BGB Rn. 5, meint. 38 Frost, 46; Bienwald, in: Staudinger12, §1901 BGB Rn. 24; andeutungsweise auch Knittel, § 1901 BGB Rn. 10 (zumindest gut geeignetes Korrektiv für die Wertung des Betreuers). 39 Dazu oben §4 II.3. 40 Allgemein Müller-Freienfels, Vertretung, 341. Zur elterlichen Sorge vgl. §§1626 II BGB, 11 SGB VIII; BVerfGE 24,119 (144); 59, 360 (387); Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 67; Erichsen, 35f.; Wenz, in: RGRK 12 , § 1626 BGB Rn.28; Hinz, in: MünchKommBGB 3 , Vor § 1626 BGB Rn.4, § 1626 Rn.32, 57ff.). Vgl. im übrigen oben §4 II.3. 41 Auch die Bedeutung des § 1901 IV BGB liegt allein in diesem Bezug zur Selbstbestimmung des Betreuten, nicht darin, seine ärztliche Versorgung sicherzustellen. Für letzteres ist der Betreuer nur zuständig, wenn es zu seinem Aufgabenkreis gehört. Meist wird dies jedoch nicht erkannt und beides nebeneinander gestellt (so schon Regierungsentwurf, 134. Vgl. auch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn.5, 15-Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn.6, 11). Bezieht man die Vorschrift gar allein auf die ärztliche Versorgung (Bienwald, in: Staudinger12, § 1901 BGB Rn. 46ff.), verliert sie jeglichen Sinn als eine allgemeine, für jede Betreuung geltende Norm. 36 37
I. Die Binnenstruktur: Wunsch und Wohl des Betreuten
155
nichts über die rechtliche Bedeutung aktueller Wünsche des Betreuten, sondern ist eine normative Zielvorgabe für den Fall, daß er keinen Wunsch äußert oder äußern kann. Im übrigen kommt es auf das Interesse des Betreuten an. In diesem Zusammenhang hat die Beschreibung seines Wohls als des „Inbegriffs der Integritäts-, Entfaltungs-und Vermögensinteressen des Betreuten gemäß seiner jeweiligen Lebenssituation"42 ihre (beschränkte) Berechtigung. c) Der äußerungsfähige
Betreute
Ist der Betreute dagegen in der Lage, sich zu äußern und eine eigene Entscheidung zu treffen, oder hat er dies bereits getan43, bedarf es einer solchen stellvertretenden Entscheidung des Betreuers zunächst nicht. Die Aufgabe des Betreuers besteht vielmehr darin, die Entscheidung des Betreuten herbeizuführen44, sie dann zu kontrollieren und ihr gegebenenfalls die Anerkennung zu versagen. Erst dann kann und muß er an Stelle des Betreuten entscheiden. Die Verpflichtung der Betreuung auf das Wohl des Betreuten legitimiert insofern die Kontrolle durch den Betreuer und sein Handeln entgegen dem natürlichen Willen bzw. Wunsch des Betreuten. Das dient nicht dem Schutz Dritter, sondern ausschließlich dem Schutz des Betreuten vor sich selbst, seinem Wohl. Hier lautet die Frage deshalb nicht, woran sich der Betreuer zu orientieren hat, wenn er an Stelle des Betreuten entscheidet, sondern unter welchen Voraussetzungen es ihm erlaubt ist, den Betreuten vor sich selbst zu schützen. Sie hatte sich im früheren Recht so nicht gestellt, denn dort war mit der Entmündigung oder Anordnung der Zwangspflegschaft die Geschäftsfähigkeit und damit die Mündigkeit des Betroffenen im Aufgabenbereich des Vormunds bzw. Pflegers generell beschränkt45. Insofern lag es nahe, seinen Wünschen in diesem Bereich ebenfalls generell die rechtliche Anerkennung und damit ihre Verbindlichkeit zu versagen46 und es dem Vormund oder Pfleger zu überlassen, ob er aus eigenem Entschluß darauf eingehen wollte47. Nach dem Betreuungsrecht ist 42 Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn. 23; Kollmer, 124ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn.4; zustimmend T. Diercks, Persönliche Betreuung, 62; kritisch dagegen Knittel, §1901 BGB Rn. 9. 43 Das umfaßt selbstverständlich auch diejenigen Entscheidungen, die er bereits vor der Betreuung getroffen hat, wie § 1901 III 2 BGB klarstellt (dazu Regierungsentwurf, 134; Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.36ff.). 44 Deshalb verpflichtet ihn § 1901 III 3 BGB, mit dem Betreuten über alle für diesen wichtigen Angelegenheiten zu sprechen (Regierungsentwurf, 69), wobei die „Wichtigkeit" vom Betreuten her zu verstehen ist (Diederichsen, in: Palandt58, § 1901 BGB Rn. 11). 45 Konstitutiv wirkte nur die Entmündigung (§§ 6 I Nr. 1,104 Nr. 3,114 BGB a.F.), aber auch die Feststellung der (partiellen) Geschäftsunfähigkeit als Voraussetzung der Zwangsbetreuung hatte im praktischen Ergebnis eine vergleichbare Wirkung (Holzhauer, Gutachten, B 28ff.; Schwab, Festschrift Mikat, 886). 46 BGH NJW 1967, 2404 (2406); Kollmer, 108ff.; Müller, 208ff. Vgl. oben §3 II.3. und 5. 47 Darauf weist auch Müller, 210, hin.
156
§ 6 Die rechtliche Struktur
der
Betreuung
hingegen die Frage, ob der „natürliche Wille" bzw. Wunsch des Betreuten rechtlich anzuerkennen ist, nicht mehr vom Vormundschaftsgericht bereits bei der Anordnung der Betreuung, d.h. generell und für die Zukunft zu beantworten, sondern erst im konkreten Fall individuell vom Betreuer zu entscheiden. Diese Verlagerung und Individualisierung der Entscheidung wird zwar dem Erfordernis des geringstmöglichen Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betreuten besser gerecht als das frühere Recht 48 . Angesichts des ebenfalls grundrechtlich gebotenen Schutzes gegen einen möglichen Eingriff in diese Freiheit durch eine den immanenten Fürsorgezweck verfehlenden Gebrauch der damit verbundenen Befugnisse 49 kann die Rechtsordnung diese Entscheidung jedoch nicht dem freien Belieben des Betreuers überlassen, sondern muß sie rechtlich strukturieren. Die Frage, wann der Betreuer einen Wunsch des Betreuten für unbeachtlich erklären kann, ist damit eine Rechtsfrage 50 . Stellt man dabei auf die Vernünftigkeit 51 oder Vertretbarkeit 52 des Wunsches, auf die Gefahr der Selbstschädigung 53 oder die Bedeutung des betroffenen Rechtsgutes 54 ab, werden auch diejenigen Wünsche des Betreuten für rechtlich unbeachtlich erklärt, die nicht Ausdruck seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit sind und die bei Nichtbetreuten akzeptiert werden. Dies ist weder mit dem Gebot der Rechtsgleichheit noch mit demjenigen der geringstmöglichen Beschränkung seiner rechtlichen Selbstbestimmung vereinbar 55 . Ein solcher Schutz des Betreuten vor sich selbst ist daher sowohl betreuungsrechtlich 56 wie von den Grund- und Menschenrechten des Betreuten her gesehen 57 nur insoweit gerechtfertigt, als er sich gerade aufgrund seiner beschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst zu schädigen droht oder deswegen eine Gefahr für seine Person oder Vermögen nicht abwehren kann, und diese Gefahr durch das Handeln des Betreuers abgewendet werden kann. Dieses Handeln richtet sich dann nach dem betreuungsrechtlichen Prinzip der Erforderlichkeit, das Ausdruck der verfassungsrechtlich geforderten Verhältnismäßigkeit eines möglicherweise darin liegenden Eingriffs in die Grundrechte des Betreuten ist 58 . Nur insoweit kommt es auf die Bedeutung des gefährD a z u oben §5 1.2. D a z u oben §5 1.2. 5 0 Das wird selbst von denjenigen Autoren nicht klar erkannt, die das Recht des Betreuten zum Risiko betonen (vgl. nur Bienwald, F a m R Z 1992, 1129). 51 Holzhauer, in: Erman 9 , §1901 B G B Rn.9; Müller, 214. 52 Voigt, 80. Ahnlich Frost, 45: nachvollziehbar; Müller, 214: akzeptabel, tolerabel. 53 Regierungsentwurf, 67, Iii', Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 4 Rn. 167, und in: Jürgens, BtR, § 1901 B G B Rn.7; Holzhauer, in: Erman 9 , §1901 B G B Rn. 11; Kuhlmann, 206f.; Peters, 206, 213; grundsätzlich auch Knittel, § 1901 B G B Rn.9. 54 Schwab, in: M ü n c h K o m m B G B 3 , § 1901 B G B Rn. 8 55 Vgl. Voigt, 79f.; T. Diercks, Persönliche Betreuung, 63ff. 5 6 O b e n §4 IV. 5 7 O b e n § 5 1.2. und 3. 58 Knittel, § 1896 B G B Rn. 17. 48
49
I. Die Binnenstruktur:
Wunsch und Wohl des
Betreuten
157
deten Rechtsgutes59 an oder darauf, ob der Betreute wünscht, daß der Betreuer für ihn tätig wird, oder vielmehr seinen Wunsch selbst realisiert und daran nicht gehindert werden möchte60. Die schlichte Weigerung des Betreuers, den Wunsch des Betreuten etwa nach dem Kauf von Zigaretten oder alkoholischen Getränken61 zu erfüllen, beschränkt die Freiheit des Betreuten zwar in einem geringeren Maß als wenn er zwangsweise daran gehindert wird, es selbst zu kaufen oder zu konsumieren. Und deshalb genügt für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes oder einer Bestimmungsbefugnis nicht bereits jede, sondern nur eine erhebliche Gefährdung von Person oder Vermögen62. Das ändert jedoch nichts daran, daß nicht nur der rechtliche oder tatsächliche Zwang durch Einwilligungsvorbehalt oder Bestimmungsbefugnis, sondern jede Entscheidung des Betreuers, mit der er einen auf seinen Aufgabenbereich bezogenen Wunsch des Betreuten im Hinblick auf dessen Wohl für unbeachtlich erklärt, als Schutz des Betreuten vor sich selbst nur zulässig ist, wenn dieser Wunsch auf dessen eingeschränkter Eigenverantwortlichkeit beruht. Denn der Betreute hat wie jeder andere das Recht, im Rahmen der für alle geltenden Rechtsordnung bestimmte Lebensrisiken einzugehen63, sein Vermögen für eine aufwendige Lebensführung zu verwenden64 oder seine Vorstellung von Ordnung in der eigenen Wohnung verfolgen65 und damit seine Person oder sein Vermögen selbst zu gefährden. Nicht die Selbstschädigung als solche, sondern erst die fehlende Eigenverantwortlichkeit, die darin ihren Ausdruck findet, rechtfertigt die Weigerung des Betreuers. Zugespitzt ausgedrückt darf der Betreuer demnach dem von ihm betreuten Alkoholiker zwar den Wunsch nach Alkohol, nicht aber den nach Zigaretten abschlagen66. Eine ganz andere Frage ist es, ob die Tätigkeit des Betreuers im konkreten Fall überhaupt erforderlich ist. Daran kann es insbesondere fehlen, wenn der Betreute insoweit aufgrund seines Zustandes weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert ist, seinen Wunsch wie andere Privatrechtspersonen selbst zu verwirklichen. Denn der Betreuer hat nur die Aufgabe und die Befugnis, seine Benachteiligung auszugleichen und seine Rechtsgleichheit herzustellen. Damit endet sie jedoch; er darf und kann den Nachteil nicht überkompensieren. SolanDarauf stellt ab Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn. 8. Diese Differenzierung findet sich bei Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn.42f. 61 Beispiel von Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn.44f.; Kollmer, 143. 62 Vgl. §§ 1903 I, III 2, 1906 I Nr. 1 BGB, und im übrigen oben §4 IV.2. 63 Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn.43; Knittel, § 1901 BGB Rn.9. 64 Regierungsentwurf, 67. 65 Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4 Rn. 163f.; BayObLG FamRZ 1998, 1257(1258). 66 Vgl. Knittel, §1901 BGB Rn.9. Anders Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.44, der den Betreuer für berechtigt hält, beides zu verweigern. Darf er nicht zu einer Selbstschädigung beitragen, muß er darüberhinaus auch dazu verpflichtet sein. Insofern konsequent Kollmer, 143. 59
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158
§ 6 Die rechtliche Struktur
der
Betreuung
ge der Betreute daher noch selbst einkaufen kann, muß ihm der Vermögensbetreuer zwar Geld aus dem von ihm verwalteten Vermögen zur Verfügung stellen, das er nach seinen Wünschen ausgeben kann, aber nicht seine Einkäufe für ihn organisieren. Der Wunsch, Zigaretten oder Alkohol zu besorgen, wirft daher erst dann die Frage nach dem Schutz vor Selbstschädigung auf, wenn der Betreute auch dazu nicht in der Lage ist. Hier geht es aber nicht um den „Anspruch darauf, daß der Staat ihm bei einer klaren Selbstschädigung durch einen gerichtlich bestellten und unter Umständen mit öffentlichen Mitteln bezahlten Betreuer hilft" 67 , sondern lediglich um die Organisation seiner rechtlichen Handlungsfähigkeit, die er wie jeder andere im Rahmen der für alle geltenden Rechtsordnung ausüben kann. Denn auch den in seinen tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten beschränkten Menschen darf der Staat nur vor sich selbst schützen, wenn und soweit er nicht mehr eigenverantwortlich ist. Entspricht der Betreuer einem beachtlichen Wunsch des Betreuten, handelt er daher auch dann pflichtgemäß, wenn das in den Augen anderer wie z.B. des Vormundschaftsrichters zu dessen Nachteil ist. Das eröffnet ihm die Möglichkeit, dem Vorwurf pflichtwidrigen Handelns entgegen zu halten, er habe nur einen beachtlichen Wunsch des Betreuten befolgt. Weil dies häufig unwiderlegbar sei und daher den Betreuten gefährde, wollen die Materialien ihm diese Möglichkeit verwehren, indem sie alle selbstschädigenden Wünsche des Betreuten von vornherein für unbeachtlich erklären 68 . Sie gehen dabei jedoch von unzutreffenden Voraussetzungen aus und verfehlen zudem die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Nicht der Betreute, sondern der Betreuer muß nämlich nachweisen, daß seine Schädigung des Vermögens oder der Person des Betreuten entgegen dem äußeren Anschein keine Pflichtverletzung ist, weil er einem beachtlichen Wunsch nachkam 69 . Das gilt sowohl gegenüber den Aufsichtsmaßnahmen des Vormundschaftsgerichts als auch in einem späteren Schadensersatzprozeß 70 . Die behauptete Gefahr für den Betreuten besteht daher in Wirklichkeit nicht. Schon deshalb kann sie die generelle Unbeachtlichkeit eines selbstschädigenden Wunsches nicht rechtfertigen. Eine entsprechende Regelung beschränkte zudem seine Selbstbestimmung zu seinem Schutz, ohne daß ihm insoweit die Eigenverantwortlichkeit fehlte, und würde daher eine übermäßige Beschränkung seiner Freiheit darstellen. Auch würde er gleichheitswidrig vor der Verantwortung für diejenigen Folgen seines eigenverantwortlichen Handelns bewahrt, die ein Nichtbetreuter zu tragen hat, dessen Vertreter seinem Wunsch Folge leistet. So die Formulierung im Regierungsentwurf, 133. Regierungsentwurf, 133 f. Zustimmend Müller, 214. 6 9 Vgl. Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1837 B G B Rn. 18: Die Verletzung von wichtigen persönlichen Interessen des Betreuten ist pflichtwidrig. 70 In beiden Fällen wird die Pflichtwidrigkeit des Handelns vorausgesetzt, vgl. §§1837 II 1, 1833 I 1, 1908i I 1 BGB. 67 68
I. Die Binnenstruktur:
Wunsch und Wohl des Betreuten
3. Die Aufgabe des
159
Vormundschaftsgerichts
Der Betreuer unterliegt bei seiner Tätigkeit der dauernden Aufsicht und Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht 71 . Kommt er seinen Pflichten nicht nach, muß das Vormundschaftsgericht eingreifen und ihm Anweisungen erteilen; notfalls kann es ihn auch entlassen und durch einen anderen Betreuer ersetzen 72 . Darüber hinaus bedarf er der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für bestimmte, vom Gesetzgeber als besonders wichtig oder gefährlich erachtete Entscheidungen 73 . Die Genehmigungspflicht unterwirft diese Entscheidungen des Betreuers der präventiven Kontrolle des Vormundschaftsgerichts 74 . Wie die §§1837 II 1, 1908i I 1 BGB zeigen, ist das Vormundschaftsgericht bei der Aufsicht und Kontrolle des Betreuers allgemein auf die Prüfung beschränkt, ob er gegen seine Pflichten als Betreuer verstößt, d.h. rechtswidrig handelt oder das Wohl des Betreuten gefährdet 75 . Darin drückt sich die Selbständigkeit des Betreuers aus76, die ihrerseits die grundrechtliche Freiheit des Betreuten gegenüber dem staatlichen Vormundschaftsgericht sichert und deshalb auch durch die Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet ist. In diesen Freiheitsbereich darf das Vormundschaftsgericht nur intervenieren, wenn der Betreuer entweder eine rechtlich anzuerkennende Entscheidung des Betreuten mißachtet oder die Person oder das Vermögen des Betreuten schädigt und dies nicht auf einer solchen eigenverantwortlichen Entscheidung des Betreuten beruht 77 . Das Vormundschaftsgericht trifft also keine Entscheidung darüber, was für den Betreuten besser ist, sondern nur, ob die vorgesehene Entscheidung des Betreuers rechtlich zulässig ist78. 71
§§ 1908i i.V.m. 1837 II 1 BGB. §§ 1908i i.V.m. 1837 II 1, 1908b I BGB. 73 Vgl. Regierungsentwurf, 70, und schon Motive IV, 1028, 1085, 1136. 74 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 4 , §69 IV 8 (756); Diederichsen, in: Palandt 58 , §1821 BGB Rn.2. 75 Engler, in: Staudinger 12 , §1837 BGB R n . l , 17, 20ff.; Diederichsen, in: Palandt 58 , §1837 BGB Rn. 14f.; Knittel, §1896 BGB Rn.32i (für die Aufenthaltsbestimmung); Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1837 BGB Rn.l8f.; O L G Schleswig FamRZ 1996, 1368 (1369); BayO b L G FamRZ 1992, 108 (109); Rpfleger 1998, 126 (127). 76 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 4 , § 71 IV (1174f.). 77 Oben §5 1.2. 78 O L G Schleswig FamRZ 1996, 1368 (1369); LG Köln N J W 1993, 206 (207). Vgl. auch A G Berlin-Neukölln (FamRZ 1987, 1083f.), wo der Gebrechlichkeitspfleger den Abbruch der Behandlung des Pfleglings ablehnte und das Vormundschaftsgericht entscheidend darauf abstellte, ob er damit pflichtwidrig handelte. Obwohl dies im Vormundschafts- und Betreuungsrecht allgemein anerkannt ist (vgl. Engler, in: Staudinger 12 , §1837 BGB Rn.22; Diederichsen, in: Palandt 58 , § 1837 BGB Rn. 15), besteht im Rahmen des § 1904 BGB erhebliche Unklarheit darüber, ob das Vormundschaftsgericht eine eigene Entscheidung über die Behandlung trifft (so verstehen und kritisieren die gesetzliche Regelung Diederichsen, in: Palandt 58 , § 1904 BGB Rn. 6; Coeppicus, Handhabung und Reform des Betreuungsgesetzes, 209ff.) oder nur die Entscheidung des Betreuers präventiv auf Pflichtwidrigkeiten kontrolliert (vgl. Schwab, in: MünchKommBGB 3 , 72
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§ 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
Teilweise wird das Verhältnis von Betreuer und Vormundschaftsgericht deshalb mit dem Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit parallelisiert und dem Betreuer z.B. im Rahmen des §1904 B G B ein Beurteilungsspielraum zu- 79 oder abgesprochen 80 . Damit wird jedoch die Struktur der Betreuung verkannt 81 . Denn materiell ist auch das Vormundschaftsgericht auf das Wohl des Betreuten verpflichtet, wie schon §§ 1846,1908i 11 B G B zeigen. Seine Aufgabe besteht in der Fürsorge für den Betreuten, nicht in der Entscheidung eines Rechtsstreites 82 . Ist erst einmal ein Betreuer bestellt, beschränken sich jedoch seine Kompetenzen auf dessen Kontrolle im Rahmen der allgemeinen Aufsicht83 oder bei der Erteilung der Genehmigungen 84 . Das Wohl des Betreuten legitimiert in diesem Fall die Intervention des staatlichen Vormundschaftsgerichts in dessen Freiheitsbereich. Der Betreuer nimmt nur dessen Kompetenzen gegenüber dem Vormundschaftsgericht war, sofern die Fürsorge nicht zugleich Bestandteil seines eigenen, durch Art. 6 I G G und Art. 8 I E M R K grundrechtlich geschützten Familienlebens ist 85 . Ist auch das Vormundschaftsgericht auf das Wohl des Betreuten verpflichtet, gilt demnach für seine Entscheidungen sowohl der grundsätzliche Vorrang des Wunsches bzw. natürlichen Willens des Betreuten als auch die Orientierung an dessen mutmaßlicher Entscheidung, falls er nicht mehr danach gefragt werden kann. Dafür ist es gleichgültig, ob es in besonders dringenden Fällen selbst die Kompetenzen eines Betreuers wahrnimmt, den Betreuer beaufsichtigt oder bestimmte Entscheidungen präventiv kontrolliert. Nicht nur die Genehmigungspflicht 86 , sondern jede Form vormundschaftsgerichtlicher Kontrolle sichert daher die grundsätzliche Bindung des Betreuers an die Wünsche des Betreuten 87 .
§1904 B G B Rn.22). Diese Unklarheit kam schon im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats und die Gegenäußerung der Bundesregierung zu § 1904 BGB, BT-Drucks. 11/4258, 208f., 227f.). 79 Kollmer, 123. 80 Mayer, 147f., 70ff. 81 Vgl. Pawlowski/Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Rn.62ff., 73ff. Ebenso Helle, N J W 1998, 806 gegen Mayer, 147f., 70ff. 82 Ausführlich Smid, Rechtsprechung, 207ff., 235ff., 618ff. 83 §§ 1908i i.V.m. 1837 BGB, 1908 b I 1 BGB. 84 §§1904ff., 1908i I 1, 1822ff. BGB. 85 Zur parallelen Problematik im Verhältnis Vormundschaftsgericht - Eltern vgl. Coester, Kindeswohl, 135ff. 86 Diese Funktion der Genehmigung wird in den Materialien mehrfach betont (Regierungsentwurf, 67f.; Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/4528, 228). Aus der Rechtsprechung vgl. B a y O b L G FamRZ 1998, 455 (456). 87 Bienwald, in: Staudinger 12 , § 1901 B G B Rn. 12; Müller, 208.
I. Die Binnenstruktur: Wunsch und Wohl des Betreuten
4.
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Konsequenzen
Aus dieser grundsätzlichen Einsicht in das Verhältnis von Wunsch und Wohl des Betreuten und seine Bedeutung für das Handeln von Betreuer und Vormundschaftsgericht ergeben sich Konsequenzen sowohl für die Vermögenssorge als auch für die Personensorge. a)
Vermögenssorge
Heute geht man im Anschluß an eine Bemerkung in den Materialien zum Betreuungsgesetz88 allgemein davon aus, daß der Betreuer das Vermögen des Betreuten nicht für etwaige Erben zu erhalten und zu mehren hat. Das Ziel der Vermögenssorge besteht vielmehr darin, die materielle Versorgung des Betreuten entsprechend seinem bisherigen Lebenszuschnitt sicherstellen89. Das ist zwar zutreffend, soweit es um die Entscheidung des Betreuers anstelle des äußerungs««fähigen Betreuten geht, also um dessen selbständige Konkretisierung des Wohls des Betreuten. Es sagt aber nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen ein geäußerter Wunsch des Betreuten unbeachtlich ist. Auch hier kommt es nicht etwa darauf an, ob der Wunsch auf einen vertretbaren Luxus gerichtet ist90 oder seine Verwirklichung einen Zugriff auf die Substanz des Vermögens erfordert und die zukünftige Versorgung des Betreuten gefährdet91. Entscheidend kann wiederum nur sein, ob und inwieweit der das Vermögen gefährdende Wunsch des Betreuten auf seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit beruht und deshalb der Schutz durch den Betreuer erforderlich ist. Damit ist eine allgemeine Vernünftigkeits- oder Vertretbarkeitskontrolle des Betreuers ebenso unvereinbar wie sein Eingreifen bei jeder drohenden Selbstschädigung. Auch ein wirtschaftlich unvernünftiger Wunsch ist daher grundsätzlich beachtlich92. Die Betreuung besteht allein im Interesse des Betreuten zur Herstellung seiner Rechtsperson, nicht im Interesse potentieller Erben oder Unterhaltsschuldner und auch nicht im Interesse der Allgemeinheit, die Zahl der Sozialhilfeempfänger gering zu halten93. Wie jeder andere kann deshalb der BeRegierungsentwurf, 133. Kerkloh, 9ff., 17f.; Bauer, in: HK-BUR, §1901 BGB Rn.51; Bienwald, in: Staudinger12, §1901 BGB Rn.23\Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1901 BGB Rn.2; Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn.6; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn.8; O L G Düsseldorf BtPrax 1993, 103 (104); BayObLGZ 1993, 63 {Mi.) und schon 1990, 249 (252) (zum früheren Pflegschaftsrecht). 90 Regierungsentwurf, 133. 91 Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1901 BGB Rn.8; zustimmend Bauer, in: HK-BUR, §1901 B G B Rn.51. 92 Bienwald, in: Staudinger12, § 1901 BGB Rn. 17 (für den körperlich Behinderten). 93 BayObLGFamRZ 1994,1551(1553);LGMünchenIFamRZ 1998,923 (924);Bienwald, in: Staudinger12, § 1901 BGB Rn. 17 (für den körperlich Behinderten). Vgl. auch Schwab, in: Münch88 89
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§ 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
treute seine eigenen Vorstellungen und Ziele dadurch verfolgen, daß er wirtschaftliche Nachteile für andere, ideelle Vorteile in Kauf nimmt94, solange er hierüber eigenverantwortlich zu entscheiden vermag und sich im Rahmen der für alle geltenden Rechtsordnung bewegt95. Mit der Subjektivierung des Wohls einerseits und dem grundsätzlichen Vorrang des Wunsches bzw. natürlichen Willens des Betreuten andererseits wird das generelle Verbot in §§ 1804, 1908i II 1 B G B problematisch, das es dem Betreuer verbietet, Schenkungen vertretungsweise vorzunehmen oder dazu seine Einwilligung zu erteilen96, sofern es nicht Pflicht-, Anstands- oder Gelegenheitsgeschenke sind. Denn diese Regelung beruht auf dem Gedanken, Schenkungen aus dem Vermögen des Betroffenen entsprächen nicht seinem wohlverstandenen Interesse; der Betreuer als Verwalter eines fremden Vermögens solle es erhalten, nicht vermindern97. Was Pflicht und Anstand gebieten, ist daher regelmäßig objektiv bestimmt worden98. Das Betreuungsgesetz erweitert die Möglichkeit zu Schenkungen vorsichtig99 auf die üblichen Gelegenheitsgeschenke100 und bleibt daher diesem objektiven Ausgangspunkt verhaftet. Da der Betreuer eine solche Schenkung nur auf den Wunsch des Betreuten hin vor-
KomraBGB 3 , §1828 BGB Rn. 17, zur vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung und ihrer Orientierung ausschließlich am Wohl des Betroffenen. 94 Zur Maßgeblichkeit der Verwendungsbestimmung des (geschäftsfähigen) Pfleglings nach früherem Pflegschaftsrecht vgl. BayObLGZ 1990, 249 (254). Ideelle Gesichtspunkte sind herkömmlich auch im Rahmen vormundschaftsgerichtlicher Genehmigungen bei Entscheidung der Frage, ob eine Maßnahme gegen das Wohl des Betroffenen verstößt, berücksichtigt worden (BGH NJW1986,1829 (1830). Ausführlich Engler, in: Staudinger12, § 1828 BGB Rn. 16; M. Böhmer, MittBayNot 1996, 409). Dabei darf es, wie Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1828 BGB Rn. 18, zutreffend betont, sich nur um ideelle Interessen des Betroffenen selbst handeln, nicht um diejenigen Dritter, die sich dahinter verbergen mögen. 95 Weil z.B. Sozialhilfe nur der Bedürftige erhält (§§2, 76ff., 88 BSHG), muß sich auch ein Betreuter vorrangig aus eigenem Vermögen unterhalten. An dieser Verpflichtung findet der Wille des Betreuten seine rechtliche Grenze. Deshalb, und nicht weil er im öffentlichen Interesse tätig wird, kann der Betreuer nicht schlicht Sozialhilfe beantragen, sondern muß das Vermögen des Betreuten auch gegen dessen Wunsch zu seinem Unterhalt einsetzen und beispielsweise Rentenund andere Versorgungsansprüche geltend machen. Dieser Unterschied wird in BayObLG FamRZ 1994, 1551 (1553) nicht genügend deutlich. 96 Das Verbot betrifft jede Form der Beteiligung des Betreuers, vgl. schon Motive IV, 1106; Engler, in: Staudinger12, § 1804 BGB Rn. 1, 10; Holzhauer, in: Erman9, § 1804 B G B Rn. 1. 97 Motive IV, 1106; Engler, in: Staudinger12, §1804 BGB Rn.l; GemhubedCoester-Waltjen, Familienrecht4, §61 II 1 (982). 98 Vgl. z.B. BayObLG BtPrax 1998,72 (74); FamRZ 1996,1359 (1360); M. Böhmer, MittBayNot 1996, 406ff. Die Entscheidung des O L G Hamm OLGZ 1987, 162 (163), die dies in einer subjektiven Bestimmung des Mündelwohls aufgelöst hatte, ist daher allgemein abgelehnt worden (ausführlich M. Böhmer, MittBayNot 1996, 409f.; Engler, in: Staudinger12, §1804 BGB Rn. 17; Holzhauer, in: Erman9, § 1804 BGB Rn. 3; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1804 BGB Rn. 10). 9 9 So ausdrücklich der Regierungsentwurf, 160. 100 § 1908i II 1 2. Alt. BGB.
I. Die Binnenstruktur: Wunsch und Wohl des Betreuten
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nehmen darf, ist gleichzeitig ein subjektives Element hinzugetreten 101 . Der Wunsch hat allerdings nur für die nach den Lebensverhältnissen des Betreuten üblichen Gelegenheitsgeschenke Bedeutung. Nachdem das Betreuungsrecht davon ausgeht, daß jeder Wunsch des Betreuten grundsätzlich beachtlich ist, bedarf diese Ausnahme der Rechtfertigung. Anders als noch im früheren Recht kann sie nicht darin gefunden werden, daß es auf die Entscheidung des Betreuten wegen seiner festgestellten Entscheidungsunfähigkeit von vornherein nicht ankomme und der Betreuer dessen Wohl selbständig zu konkretisieren habe. Der Ausschluß der Vertretung bei der Schenkung beruht auch nicht wie bei der Verfügung von Todes wegen oder der Eheschließung auf ihrer rechtlichen Höchstpersönlichkeit, denn damit wäre weder die Ausnahme für die auf keiner sittlichen oder sozialen Verpflichtung beruhenden Gelegenheitsgeschenke vereinbar, noch die Beschränkung der „Schenkungsfähigkeit" durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts 102 . Deshalb hat man diese Beschränkung der Vertretungsmacht des Betreuers mit dem Schutz des Betreuten vor ihrem Mißbrauch zu begründen versucht 103 und dabei übersehen, daß auch die Handlungsmöglichkeit des Betreuten selbst beschränkt wird. Ist er nämlich unmittelbar geschäftsunfähig oder steht unter Einwilligungsvorbehalt, kann er weder selbst noch mit Hilfe des Betreuers etwas verschenken 104 . Sein Schutz rechtfertigt daher allein die Bindung des Betreuers an eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, um sicherzustellen, daß die Schenkung auf einem Wunsch des Betreuten beruht und seinem Wohl nicht widerspricht 105 . Diese nicht nur für die karitativen oder religiös motivierten Schenkungen 106 , sondern z.B. auch für die Geschäfte im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge 107 äußert bedeutsame Konsequenz ist angesichts der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers des Betreuungsrechts, das Schenkungsverbot nur für übliche Gelegenheitsgeschenke aufzuheben, zunächst eine Forderung de lege ferenda10*. Die gesetzliche Regelung geht jedoch nicht nur über ihren tragenden Grund hinaus, sie verwehrt dem Betreuten zugleich die verfassungsrechtlich durch Art. 1 I 2, 3 I G G gebotene vollständige Herstellung seiner Rechts-
Ausführlich dazu Kollmer, 224ff. Vgl. §1903 II BGB. 103 BayObLG FamRZ 1996, 1359 (1360); zustimmend M. Böhmer, MittBayNot 1996, 410 Fn. 71. 104 Bobenhausen, BtPrax 1994,160f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1908i BGB Rn.33. 105 M. Böhmer, MittBayNot 1996, 410; Bobenhausen, BtPrax 1994, 160f.; Canaris, JZ 1987, 999. 106 Auf diese weist hin Canaris, JZ 1987, 998f. 107 Vgl. z.B. BayObLG BtPrax 1998,72 (74); FamRZ 1996,1359 (1360); M. Böhmer, MittBayNot 1996, 406ff. 108 So ausdrücklich M. Böhmer, MittBayNot 1996, 410; Bobenhausen, BtPrax 1994, 160f. 101
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§ 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
person und damit seiner Rechtsgleichheit 109 , ohne daß dies in der Höchstpersönlichkeit der Schenkung begründet wäre. Die deshalb gebotene verfassungskonforme Interpretation der §§ 1908i II 1, 1804 B G B zwingt bereits de lege lata zur teleologischen Reduktion des Schenkungsverbots auf eine Genehmigungspflicht hinsichtlich aller Schenkungen, die nicht Pflicht-, Anstands- oder übliche Gelegenheitsgeschenke betreffen, da dem Gesetzgeber hier keine Regelungsalternativen zur Verfügung stehen 110 . b)
Personensorge
Die grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Wunsch und Wohl des Betreuten beanspruchen auch Geltung für die Ausübung der Personensorge durch den Betreuer 111 . Sie sind für die Einwilligung des Betreuers in ärztliche Maßnahmen von besonderer Bedeutung, weil nach der Vorstellung des Gesetzgebers der für diesen Aufgabenkreis bestellte Betreuer einerseits nur dann an Stelle des Betreuten in dessen Behandlung einwilligen kann, wenn dieser im konkreten Zeitpunkt unmittelbar einwilligungsunfähig ist 112 , d.h. Bedeutung und Tragweite der Maßnahme nach vorheriger Aufklärung nicht verstehen oder sich nicht danach entscheiden kann 113 , andererseits aber der Wunsch des Betreuten gerade unabhängig von seiner Einwilligungsunfähigkeit grundsätzlich beachtlich sein soll 114 . aa) Ärztliche
Maßnahmen
Auch bei Entscheidung über die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen stellt sich daher die Frage nach dem Wohl des Betreuten in zweifacher Hinsicht. Ist der Betreute nicht mehr ansprechbar, muß sich der Betreuer an dessen früheren Erklärungen und Betreuungsverfügungen orientieren (§§1901 III 2, 1901a BGB). Er hat im übrigen alle sonstigen Möglichkeiten auszuschöpfen, Vorstellungen und Einstellungen des Betreuten in Erfahrung zu bringen, also beispielsweise den Ehegatten oder Lebensgefährten, Familienangehörige, 109 Hierin und nicht im übermäßigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 I G G (so aber Canaris, JZ 1987, 998f.) liegt der Verfassungsverstoß. 110 Für die frühere Rechtslage schon Canaris, JZ 1987, 999. 111 Vgl. z.B. BayObLG FamRZ 1998, 1257 (1258): Ein krankhafter Sammeltrieb rechtfertigt das Auf- und Ausräumen der Wohnung gegen den Willen der Betreuten erst, wenn sie sich dadurch selbst gefährdet. 112 Regierungsentwurf, 141. Das entspricht der h.M., vgl. nur Holzhauer, in: Erman9, § 1904 B G B Rn. 5 m.w.N. Zu den dadurch im Außenverhältnis zu Dritten und insbesondere zum Arzt entstehenden Problemen unten §6 II. 113 Schäfer, in: Staudinger12, §823 BGB Rn.455, 470; Nüßgens, in: RGRK 1 2 , §823 BGB Anh. II Rn. 60, 70ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder25, Vorbem. §§32ff. StGB Rn.40. Ausführlich dazu Kohte, AcP 185 (1985), 105ff.; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 525ff., 821ff. 114 Regierungsentwurf, 70f., 133,142. Vgl. im übrigen Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1901 BGB Rn. 7; Kollmer, 117ff.; Mayer, 83; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn.6.
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Wunsch und Wohl des
Betreuten
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Freunde oder den Hausarzt zu fragen 115 . In zweiter Linie kommen die Interessen des Betreuten und das in § 1901 IV BGB ausdrücklich verankerte normative 116 Ziel der Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten zum Tragen, dem Betreuten die tatsächliche Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wieder zu verschaffen. Erst in diesem Rahmen erlangt das medizinisch Mögliche oder Gebotene rechtliche Bedeutung für die Entscheidung des Betreuers. Maßgebend ist danach, ob und welche Behandlung die Fähigkeit des Patienten zu eigenverantwortlichen Entscheidungen wieder herstellt und seinem Interesse entspricht. Das gilt beispielsweise auch für seine ärztliche Behandlung und Versorgung am Lebensende. Insofern stellt sich hier dasselbe Problem, das in der Sterbehilfe-Diskussion im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung als Frage nach den Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht erörtert wird. Dort wird allerdings häufig danach gefragt, ob der Abbruch und damit der Tod im Interesse des Patienten liege 117 , - womit hier die Antwort feststünde, weil der staatlich bestellte Betreuer im Hinblick auf Art. 2 II 1 G G das Leben des Patienten nicht bewerten und deshalb nicht feststellen kann, daß er besser sterben solle 118 . Dabei wird übersehen, daß schon die Zustimmung des Betreuers zur Behandlung-und d.h. auch zur weiteren Behandlung - dem Interesse des Patienten entsprechen muß. Nicht der Abbruch, sondern schon die Behandlung bedarf daher der Rechtfertigung aus dem Interesse des Patienten. Diese Unterscheidung gewinnt um so größere praktische Bedeutung, je mehr die technischen Möglichkeiten der Lebenserhaltung und -Verlängerung wachsen, denn nicht alles, was medizinisch möglich ist, entspricht dem Interesse des Patienten 119 . 115 Wunschermittlungspflicht, vgl. Regierungsentwurf, 68; T. Diercks, Persönliche Betreuung, 48f., 51 ff.; Voigt, 62ff. 116 Die Bedeutung des § 1901 IV BGB als allgemeine Norm für jede Betreuung liegt allein in diesem Bezug zur Selbstbestimmung des Betreuten, nicht darin, seine ärztliche Versorgung sicherzustellen (vgl. oben § 61.2.b.). Für letzteres ist der Betreuer nur zuständig, wenn es zu seinem Aufgabenkreis gehört. Meist wird dies jedoch nicht erkannt und beides nebeneinander gestellt (so schon Regierungsentwurf, 134. Vgl. auch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1901 BGB Rn. 5, 15•, Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn. 6,11). Bezieht man die Vorschrift gar allein auf die ärztliche Versorgung ( B i e n w a l d , in: Staudinger 12 , § 1901 BGB Rn. 46ff.), verliert sie ihren Sinn als eine allgemeine, für jede Betreuung geltende Norm. 117 Merkel, ZStW 107 (1995), 573f.; Vogel, MDR 1995, 337; Lilie, Festschrift Steffen, 283. 118 Tolmein, KJ 1996, 523; Seitz, ZRP 1998, 420. 119 Die folgenden Hinweise mögen diese allgemeine Aussage verdeutlichen: Stets seinem Interesse entspricht — und ist deshalb auch geboten - Basispflege und -Versorgung, Schmerzbehandlung und ggf. Sterbebegleitung. Eine Behandlung des Grundleidens oder akuter Krankheiten dürfte dagegen nur dann im Interesse des Patienten liegen, soweit sie noch ärztlich sinnvoll erscheint (so auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften in Ziff. II.1.2. und 3. ihrer „Medizinisch-Ethischen Richtlinien für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst geschädigter Patienten" vom 24.2. 1995 (NJW 1996, 767ff.) und die Präambel bzw. Ziff. I - III. der „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" vom 11.9. 1998 (NJW 1998, 3407)). Auch eine Weiterbehandlung nach dem irreversiblen Verlust des Bewußtseins über die eben beschriebene Basisversorgung hinaus dürfte vom Interesse des Patienten her nicht begründbar sein (vgl. Eser, in: Schönke/Schröder25, Vorbem. §§211 ff.
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5 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
Ganz anders liegt die Problematik hingegen, wenn der Betreute hinsichtlich seiner ärztlichen Behandlung und Versorgung Wünsche äußern kann und dies auch tut. Denn dann stellt sich die Frage, wann sich der Betreuer über diesen Wunsch hinwegsetzen, also ihn zwangsweise behandeln lassen oder ihm die gewünschte Behandlung versagen darf. Die Materialien halten eine Zwangsbehandlung zwar für zulässig, nennen aber keine rechtlichen Kriterien dafür, sondern beschränken sich auf ein Beispiel. Eine Zwangsbehandlung solle möglich sein, wenn der Betreute aufgrund seines geistigen Zustands seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und deshalb seine Zustimmung zu einer lebensnotwendigen Behandlung verweigert 120 . Das entspricht im Ergebnis unseren grundsätzlichen Überlegungen, nach denen sich der Betreuer erst dann über den Wunsch des Betreuten hinwegsetzen darf, wenn dieser Wunsch gerade auf der beschränkten Eigenverantwortlichkeit des Betreuten beruht und zur Selbstschädigung führen würde, was durch das Eingreifen des Betreuers verhindert werden kann. Das Handeln des Betreuers richtet sich dann nach dem betreuungsrechtlichen Prinzip der Erforderlichkeit, das Ausdruck der verfassungsrechtlich geforderten Verhältnismäßigkeit ist 121 . Der Zwang durch den Betreuer muß danach der Schwere des drohenden Schadens entsprechen. In Anlehnung an die Bewertung, die der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes in §§ 19041,19061 Nr. 1 B G B getroffen hat 122 , erscheint eine zwangsweise Behandlung dann erforderlich bzw. verhältnismäßig, wenn die Gefahr besteht, daß der Betreute ohne sie stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet 123 . Dort liegt die Grenze seines Vetorechts 124 . StGB Rn.29 m.w.N.; Opderbecke/Weißauer, MedR 1998,397; T. Zimmermann, 296ff.). Problematisch ist hier weniger die rechtliche als vielmehr die tatsächliche Frage, wann der Verlust des Bewußtseins wirklich unwiderruflich ist. Ausgeschlossen sind dagegen alle wirtschaftlichen Überlegungen zu den Kosten der weiteren Behandlung, weil sie nicht vom Wohl des Betreuten her legitimierbar sind (ebenso Seitz, ZRP 1998,421). Das Vermögen des Betreuten dient ihm und nicht den mutmaßlichen Erben, ist daher auch nicht für sie zu erhalten. Auch die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen ist keine Frage seines Wohls. Zur weiteren Frage, ob der Betreuuer für die Einstellung der Behandlung die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts benötigt, vgl. O L G Frankfurt/M. NJW 1998, 2749ff. (bejahend), LG München I NJW 1999, 1788f. (verneinend); BGHSt 40, 257ff. (obiter, bejahend); Saliger, KritV 81 (1998), 118ff.; ders., JuS 1999,16ff. (bejahend); Müller-Freienfels, JZ 1998,1122ff. (verneinend); Wagenitz/Engers, FamRZ 1998,1256f. (verneinend); ausführlich Lipp, in: Einwirkungen der Grundrechte, 85 ff. 120 Regierungsentwurf, 72,141. Ähnlich Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1904 BGB Rn.22. 121 Knittel, § 1896 BGB Rn. 17. 122 Vgl. auch §§3 IV, 4 II Kastrationsgesetz v. 15.8.1969, BGBl 19691,1143, für die Kastration ohne Einverständnis des Betroffenen (dazu K. Amelung, Vetorechte, 12f.). 123 Im Ergebnis ebenso Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1904 BGB Rn.22; Marschner, in: Jürgens, BtR, §1904 BGB Rn. 11. Auf die Voraussetzungen des §1906 I BGB verweist auch Schweitzer, FamRZ 1996, 1322ff., allerdings nicht für die Einwilligung des Betreuers, sondern erst für deren zwangsweise Durchsetzung gegen den Widerstand des Betreuten. 124 T. Zimmermann, 237; K. Amelung, Vetorechte, 23. Vgl. auch Knittel, § 1904 BGB Rn.6e,
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Im Hinblick auf die ärztliche Behandlung erweist sich danach ein Abbruch der vom Betreuten gewünschten Behandlung regelmäßig als unzulässig, weil die Weiterbehandlung meist nicht mit einer derartigen Selbstschädigung verbunden ist. Andererseits ist eine Zwangsbehandlung entgegen dem Wunsch des Betreuten nur dann zulässig, wenn dieser Wunsch gerade Ausdruck des eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit ist, er sich gegen eine medizinisch notwendige und erfolgversprechende Behandlung richtet, und der Betreute ohne diese Behandlung zu sterben oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden zu erleiden droht. In allen anderen Fällen ist eine weitere Behandlung gegen den Wunsch des Betreuten unzulässig. Insbesondere ist daher sein Veto gegen eine vom Betreuer befürwortete Behandlung beachtlich, die nicht mehr sein Grundleiden heilt, sondern nur sein Leben und damit sein Leiden zu verlängern vermag125. bb)
Sterilisation
Wie jede Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Maßnahme ist auch die Zustimmung des hierfür zu bestellenden besonderen Betreuers nach §§ 1899 II, 1905 B G B zur Sterilisation des Betreuten weder im Interesse Dritter noch der Allgemeinheit, sondern nur zum Wohl des Betreuten erlaubt126. Obgleich § 1905 I Nr. 1 B G B die Zwangssterilisation gegen den natürlichen Willen 127 des Betreuten ausdrücklich ausschließt, ist das Wohl des Betreuten im Hinblick auf die Entscheidung des Betreuers über die Sterilisation unterschiedlich zu bestimmen, je nachdem, ob der Betreute sich noch selbst äußern kann oder nicht. Wünscht der Betreute selbst seine Sterilisation, entspricht sie nur dann nicht seinem Wohl, wenn dieser Wunsch gerade auf seiner mangelnden Eigenverantwortlichkeit beruht. Kann der Betreute keinen Wunsch mehr äußern, hat der der allerdings nur auf die Gefahr, nicht auf die fehlende Eigenverantwortlichkeit des Betreuten abstellt. 125 So auch Regierungsentwurf, 142; Bauer, in: HK-BUR, § 1901 BGB Rn.49; Diederichsen, in: Palandt58, § 1901 BGB Rn.7; Holzhauer, in: Erman9, § 1901 BGB Rn. 10; Knittel, § 1904 BGB Rn.9b ff.; Rink, in: HK-BUR, vor §1904 BGB Rn.25; K. Amelung, Vetorechte, 24 Fn.67; D. Giesen, JZ 1990, 939; Mayer, 108f. Da der rechtliche Grund hierfür bislang im Dunklen lag, haben manche einen derartigen Wunsch des Betreuten für unbeachtlich erklärt, weil er gegen sein Wohl verstoße {Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1901 BGB Rn.8; Marschner, in: Jürgens, BtR, §1904 BGB R n . l l ; Weise, ZRP 1997, 345) oder die Gefahr des Mißbrauchs eröffne {Frost, 41 f.). Zur Frage der Genehmigungsbedürftigkeit nach §1904 BGB vgl. die Nachweise oben in Fn. 119. 126 Regierungsentwurf, 75f., 142, der damit sowohl fiskalische oder gesundheitspolitische Gründe als auch Interessen von Verwandten oder vorgebliche Interessen des ungezeugten Kindes ausschloß (vgl. auch Holzhauer, in: Erman9, § 1905 BGB Rn. 10). 127 Regierungsentwurf, 76, 143; G. Schmidt, in: Schmidt/Böcker2, Rn.448•, Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1905 BGB Rn. 7; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1905 BGB Rn. 10.
168
§ 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
Betreuer seine stellvertretende Einwilligung am mutmaßlichen Willen des Betreuten auszurichten128. Von daher läßt sich erstmals die mittlerweile heftig umstrittene Frage nach der Zulässigkeit der Sterilisation eines betreuten Mannes beantworten. Während sie der Gesetzgeber aus Gründen der Gleichbehandlung ebenso für möglich hielt wie die Sterilisation einer betreuten Frau129, wird sie heute zunehmend für unzulässig gehalten, weil sie allein im Interesse der Partnerin als Dritter erfolge und deshalb nicht dem Wohl des Mannes entsprechen könne130. Beide Ansichten gehen gleichermaßen von einer objektiven Bestimmung des Wohls des Betreuten aus und verkennen, daß sein Wohl zunächst vom Betreuten selbst und notfalls von seiner hypothetischen Entscheidung her zu bestimmen ist. Wünscht der Betreute selbst seine Sterilisation gerade im Hinblick auf seine Partnerin, darf sich der Betreuer über diesen Wunsch nur hinwegsetzen, wenn er auf mangelnder Eigenverantwortlichkeit beruht. Denn der Betreute muß sich wie ein Nichtbetreuter131 im Interesse seiner Partnerschaft sterilisieren lassen können, sofern er sich dadurch nicht gerade aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst schädigt. Die Sterilisation eines betreuten Mannes entspricht daher seinem Wohl, wenn er ihr selbst zustimmt. Stimmt er dagegen nicht zu, sondern wehrt sich lediglich nicht, kann man seine Sterilisation angesichts dieser Passivität nicht einfach damit rechtfertigen, daß sie seinem seelischen Wohl entspreche132. Solange er sich äußern kann, muß man sein Schweigen vielmehr als Ablehnung interpretieren. Ist er überhaupt nicht ansprechbar, kommt es auf darauf an, wie er selbst mutmaßlich entscheiden würde. Für seine persönlichen Einstellungen und Ansichten wird regelmäßig auch die Art und Intensität seiner Beziehung ausschlaggebend sein. Dafür bildet die Ehe wiederum ein äußeres Anzeichen. Im Ergebnis stellt daher auch die Einwilligung in die Sterilisation eines Mannes im Rahmen des § 1905 BGB keine Ausnahme von der ausschließlichen Verpflichtung der Betreuung auf das Wohl des Betreuten dar. Seine Ehe oder Part128 Vgl. Kollmer, 209f. Die Bedeutung des Vorrangs des natürlichen Willens des Betreuten betont auch Hoffmann, Sterilisation, 79, zieht daraus allerdings keine weiteren Konsequenzen. 129 Regierungsentwurf, 79, 143. Ebenso Diederichsen, in: Palandt58, §1905 BGB Rn. 7; Bienwald, BtR 2 , § 1905 BGB Rn. 12, und in: Staudinger12, § 1905 BGB Rn. 39; aus der Reformdiskussion Bruder, Gutachten, C 43. 130 Holzhauer, in: Erman9, §1905 BGB Rn.25; Damrau, in: Damrau/Zimraermann2, §1905 BGB Rn.6; Hoffmann, Sterilisation, 108ff. (etwas anders jetzt aber in: HK-BUR, §1905 BGB Rn. 71); Kern, MedR 1993, 251; Kern/Hiersche, MedR 1995, 465; Mayer, 193f. Kritisch auch Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1905 BGB Rn. 17 (unverhältnismäßig). Dagegen meint Frost, 168, das Wohl des Mannes umfasse auch sein ideelles Interesse an der Partnerschaft und sei deshalb mit einer Sterilisation zugunsten der Partnerin vereinbar. 131 Bei diesen ist die mit ihrer wirksamen Einwilligung erfolgende Sterilisation grundsätzlich zulässig (BGHSt 20, 81 ff.; BGHZ 67,48ff.; VersR 1984, 864ff.; ausführlich Hoffmann, Sterilisation, 50ff.). 132 So aber Frost, 168.
I. Die Binnenstruktur: Wunsch und Wohl des Betreuten
169
nerschaft rechtfertigt nur die Zurechnung der schwangerschaftsbezogenen Voraussetzungen der § 1905 I Nr. 3 - 5 B G B , nicht aber die Sterilisation im alleinigen Interesse der Frau als Dritter 133 . Das „seelische Wohl" des Betroffenen bezeichnet daher nicht die maßgeblichen rechtlichen Kriterien für die Entscheidung des Betreuers. Diese ist vielmehr an dem aktuellen Wunsch bzw. der mutmaßlichen Entscheidung des Betreuten zu orientieren. Aufgabe der Betreuung ist es, diesen Wunsch zu verwirklichen und in rechtliche Entscheidungen umzusetzen. Sie dient nicht dazu, den Betreuten auf die persönliche Ansicht des Betreuers bzw. des Vormundschaftsrichters oder auf die Meinung der Bevölkerungsmehrheit in Fragen der Sterilisation zu verpflichten, sondern bewahrt ihn davor, für die Interessen Dritter und der Allgemeinheit weitergehend als andere, voll eigenverantwortliche Rechtspersonen in Anspruch genommen zu werden134. cc) Organspende
und
Hitmanexperiment
Ein vergleichbares Problem stellte sich bis zum Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes135 hinsichtlich der Einwilligung des Betreuers in eine Organspende durch den Betreuten, also die sogenannte Lebendspende. Im Anschluß an Materialien zum Betreuungsgesetz hielt man sie grundsätzlich für unzulässig, weil die Organspende nicht auf das Wohl des Betreuten, sondern eines Dritten gerichtet sei. In Ausnahmefällen sollte sie aber doch dem seelischen Wohl des Betreuten dienen, wenn er z.B. sein Kind dadurch retten könnte 136 . Auch hier kommt es für die Frage nach dem Wohl des Betreuten darauf an, ob sich der Betreute noch äußern kann oder nicht mehr ansprechbar ist. Falls er der Organspende zustimmt, ist der Betreuer nur dann nicht daran gebunden, wenn dieser Wunsch auf der mangelnden Eigenverantwortlichkeit des Betreuten beruht. Lehnt er sie ab oder bleibt untätig, liegt darin jedenfalls keine Selbstschädigung, die den Betreuer zum Handeln berechtigt und verpflichtet. Kann sich der Betreute nicht mehr dazu äußern, hat sich der Betreuer an dessen mutmaßlicher Entscheidung zu orientieren und dabei neben den persönlichen Einstellungen oder Ansichten auch die familiären Bindungen zu berücksichtigen. Die Lebensgefahr für das eigene Kind rechtfertigt daher nicht in jedem Fall die Zustim133 Das verkennt Hoffmann, in: HK-BUR, § 1905 BGB Rn. 71 (etwas anders noch diess., Sterilisation, 108). 134 Zum Schutz durch die Einschaltung eines Betreuers vgl. Regierungsentwurf, 141. 135 Transplantationsgesetz v. 5.11. 1997, BGBl 19971, 2631, das nach seinem §26 11 am 1.12. 1997 in Kraft trat. 136 Regierungsentwurf, 142; Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, § 1904 BGB Rn.9; Diederichsen, in: Palandt58, §1904 BGB Rn.9; Frost, 113ff.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1904 BGB Rn. 17; Winkler-Wilfurth, 69. Vgl. auch den von Laufs, Festschrift Narr, 40, berichteten Beschluß des AG Tübingen, der die Knochenmarkspende einer 14jährigen für ihren an Leukämie erkrankten Bruder betraf.
170
5 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
mung des Betreuers zur Organspende, sondern nur, wenn der Betreute selbst so entschieden hätte. Daran kann es beispielsweise fehlen, wenn er Organspenden aus religiösen Gründen generell ablehnt. Das Transplantationsgesetz hat die Entscheidung über die Lebendspende nunmehr als höchstpersönliche Entscheidung des Spenders ausgestaltet, ebenso wie §§40 II ArzneimittelG, 17 II MedizinprodukteG 137 die Einwilligung zur fremdnützigen klinischen Prüfung von Arzneimitteln bzw. Medizinprodukten am eigenen Körper oder §41 VI StrahlenschutzVO 138 die Einwilligung zur Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen in der medizinischen Forschung. Zwar schreibt § 8 I Nr. 1 TransplantationsG anders als §§40 II Nr. 2 ArzneimittelG, 17 II Nr. 2 MedizinprodukteG, 41 VI Nr. 1 StrahlenschutzVO nicht ausdrücklich vor, daß der Betroffene selbst einwilligen müsse. Die Vorschrift läßt aber eine Lebendspende nur zu, wenn die Person volljährig und einwilligungsfähig ist und nach einer entsprechenden Aufklärung in die Entnahme eingewilligt hat. Die Einwilligung eines (gesetzlichen) Vertreters ist im Transplantationsgesetz nicht vorgesehen. Damit wollte der Gesetzgeber die Organspende Minderjähriger und nicht einwilligungsfähiger Erwachsener generell ausschließen139. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß Einwilligung in die Organspende zu Lebzeiten nunmehr vertretungsfeindlich140, oder anders ausgedrückt: absolut höchstpersönlich141 ist. Nicht die Fremdnützigkeit der Organspende, sondern die rechtliche Ausgestaltung der Einwilligung in eine Lebendspende als höchstpersönlich durch das Transplantationsgesetz steht daher heute einer Zustimmung des Betreuers entgegen. Entsprechendes gilt auch für die Beteiligung des Betreuten an fremdnütziger Forschung im Rahmen der §§40 II ArzneimittelG, 17 II MedizinprodukteG, 41 VI StrahlenschutzVO. Nicht die Fremdnützigkeit, sondern die dort gesetzlich statuierte Höchstpersönlichkeit der Einwilligung schließt die Zustimmung des 137 Arzneimittelgesetz v. 28.8. 1976, BGBl 1976 I, 2445; Medizinproduktegesetz v. 2.8. 1994, BGBl 19941,1963. Vgl. dazu Holzhauer, NJW 1992,2337f., und in: Erman9, § 1904 BGB Rn. 24; Jürgens, KritV 81 (1998), 42ff.; zu § 17 MedizinprodukteG auch Deutsch, NJW 1994, 753. 138 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) v. 13.10. 1976 (BGBl 1976 I, 2905,1977 I, 184, 269) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30.6. 1989 (BGBl 19891,1321,1926), zuletzt geändert durch die Vierte Änderungsverordnung vom 18.8. 1997 (BGBl 1997 I, 2113). 139 Begründung zum insoweit unverändert gebliebenen §7 des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 13/4355, 14. 140 Knittel, § 1904 BGB Rn. 18. Das übersieht Deinert, BtPrax 1998, 62. 141 Walter, FamRZ 1998,203. „Absolut" deshalb, weil jede Form der Vertretung ausgeschlossen ist, Reichel, 5. Es ist deshalb irreführend, wenn mit dem Begriff der „Höchstpersönlichkeit" nicht nur der rechtliche Ausschluß der Vertretung durch den (gesetzlichen) Vertreter (Enneccerus/Nipperdey, A.T.15 2, § 178 V (1095); Reichel, 1; und schon die Motive IV, 1085), sondern zugleich ihr sachlicher Grund, nämlich die Zugehörigkeit zum personalen Kernbereich bezeichnet wird (so z.B. Diskussionsentwurf, 118; Regierungsentwurf, 65; österr. OGH, JB1 1998, 443 (444); aber auch Schwab, Festschrift Rebmann, 688, 692.). Dazu noch unten §7 1.1.
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson im
171
Rechtsverkehr
Betreuers aus. Das wird in der Diskussion um die Forschung an einwilligungsunfähigen Personen oft nicht beachtet142, ist aber für die Teilnahme solcher Personen an fremdnützigen Humanexperimenten außerhalb des Anwendungsbereiches der spezialgesetzlichen Regelungen von zentraler Bedeutung. Da hier die Einwilligung von der Rechtsordnung nicht als höchstpersönliche ausgestaltet ist, kann der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Einwilligungsunfähigen grundsätzlich für ihn einwilligen, sofern das seinem aktuellen Wunsch oder mutmaßlichen Willen entspricht143. Auch hier dient die Betreuung der Verwirklichung seiner Selbstbestimmung einerseits und deren Schutz andererseits. Sie gewährleistet daher auch im Bereich der medizinischen Forschung einen Mindestschutz des Betreuten. Darüberhinaus bestehen noch zahlreiche weitere materiell- und verfahrensrechtliche Sicherungen, die den besonderen Gefahren aus der Teilnahme an der medizinischen Forschung Rechnung tragen144.
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson
im
Rechtsverkehr 1. Der Betreute als organisierte
Rechtsperson
Die Aufgabe, die Rechtsperson eines in seiner Eigenverantwortlichkeit beschränkten Mündigen herzustellen, ihn vor einer gerade hierdurch drohenden Selbstschädigung zu bewahren und auf diese Weise seine Rechtsgleichheit mit anderen Rechtspersonen zu verwirklichen, wird erst im Zusammenwirken von Betreutem und den Organen der Betreuung vollständig erfüllt. Denn die Betreuung tritt nur insoweit ergänzend hinzu, als dem Mündigen die tatsächliche Fähigkeit fehlt, eigenverantwortlich zu entscheiden. Rechtsperson „sind" Betreuter, Betreuer und Vormundschaftsgericht erst zusammen. Eine rechtliche Analyse ihres Auftretens im Rechtsverkehr darf sich also nicht auf die isolierte Betrachtung der Kompetenzen von Betreutem, Betreuer und Vormundschaftsgericht beschränken, sondern muß diese auch in ihrer rechtlichen Verbindung als Teile der organisierten Rechtsperson erfassen. Weil die Betreuung die Aufgabe hat, die Rechtsperson des Betreuten herzustellen, bestehen die Kompetenzen von Betreuer und Vormundschaftsgericht nicht um ihrer selbst willen, sondern allein um des Betreuten willen. Der fremdnützige Charakter ihrer Rechtsmacht 142 Vgl. z.B. Frost, 120ff.; R. Giesen, MedR 1995, 355f.; Jürgens, KritV 81 (1998), 42ff.; Kern, NJW 1994, 756; Knittel, §1904 BGB Rn.l9ff.; Schimikowski, 19ff.; Schmidt-Elsaeßer, 164ff., 228; Tolmein, KritV 81 (1998), 68f.; Winkler-Wilfurth, 69. 143 Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 916f. Es bedarf deshalb keiner fragwürdigen „doppelten Analogie" zu § 40IV ArzneimittelG (so aber Knittel, § 1904 BGB Rn. 19c f.; skeptisch Frost, 122). 144 Vgl. nur §§ 40 ArzneimittelG, 17 MedizinprodukteG, 41 Strahlenschutz VO, und Deutsch, NJW 1995, 3019ff.; Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 915ff.
172
5 6 Die rechtliche Struktur der Betreuung
und der Bezug der Betreuung auf die Rechtsperson des Betreuten muß daher bei der Untersuchung sowohl der Handlungsfähigkeit des Betreuten im Rechtsverkehr als auch der Vertretungsmacht des Betreuers beachtet werden.
2. Die Handlungsfähigkeit a) Die Funktion des
des
Betreuten
Einwilligungsvorbehalts
Das Betreuungsrecht hat die Entscheidung darüber, ob dem natürlichen Willen des Betreuten die rechtliche Anerkennung versagt werden muß, vom Vormundschaftsgericht auf den Betreuer verlagert. Damit wird sie zugleich nicht mehr generell für die Zukunft, sondern individuell im Einzelfall getroffen145. Das verändert auch die Funktion, die einer gerichtlichen Beschränkung der rechtlichen Handlungsfähigkeit des Betreuten im Rechtsverkehr zukommt. Enthielten nach früherem Recht die Entmündigung und die Anordnung einer Zwangspflegschaft zugleich die gerichtliche Feststellung, daß die Entscheidungen des Entmündigten bzw. Pfleglings im Rechtsverkehr zukünftig generell nicht mehr anzuerkennen seien, er also nicht mehr in vollem Umfang geschäftsfähig sei146, dient der Einwilligungsvorbehalt im Betreuungsrecht ausschließlich dazu, die schützende Kontrolle des Betreuers zu ermöglichen. Er macht zwar die rechtliche Wirksamkeit aller Entscheidungen des Betreuten über die Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse von der Zustimmung des Betreuers abhängig und beschränkt so dessen rechtliche Handlungsfähigkeit. Der Betreuer ist dabei jedoch an den Wunsch des Betreuten gebunden, falls dieser sich nicht dadurch aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst zu schädigen droht (§1901 III 1 BGB) 1 4 7 . Von daher ist die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes nicht erforderlich, wenn der Betreute tatsächlich nicht mehr am Rechtsverkehr teilnimmt, weil er beispielsweise zu bewußtem Verhalten nicht in der Lage ist oder in einem Heim wohnt, das er aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht verlassen kann. Handelt er nicht im Rechtsverkehr und wird er auch von anderen nicht als Teilnehmer am Rechtsverkehr behandelt148, kann ihm hieraus auch kein Schaden entstehen149. Dazu oben §5 1.2. Bei der Entmündigung ergab sich das bereits aus dem Gesetz (vgl. §§6 I Nr. 1, 104 Nr.3, 114 BGB), bei der Zwangspflegschaft daraus, daß sie die Geschäftsunfähigkeit des Pfeglings für das Aufgabenfeld des Pflegers voraussetzte (BGHZ 35,1 (6); 48,147 (159); 70,252 (258ff.); Holzhauer, Gutachten, B 28ff.; Schwab, Festschrift Mikat, 886). 147 Ausführlich dazu oben §6 I.2.c. 148 Indem sie ihm gegenüber keine Erklärungen abgeben (zur Abwehr der durch den Zugang von Erklärungen entstehenden Gefahr durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes vgl. oben §4 IV.2.a.). 149 Das ist allgemein anerkannt (vgl. nur Regierungsentwurf, 137; Damrau, in: Damrau/Zim145
146
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson im
b) Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach §§104 Nr. 2,105 BGB"?
bei
Rechtsverkehr
173
„Geschäftsunfähigkeit
Ist er jedoch dazu in der Lage und nimmt auch tatsächlich am Rechtsverkehr teil, kann ein Einwilligungsvorbehalt notwendig sein, um den Schutz und die individuelle Kontrolle des Betreuers sicherzustellen. Diese Notwendigkeit soll nach einer verbreiteten Ansicht entfallen, wenn der Betreute „nach §§ 104 Nr. 2, 105 B G B geschäftsunfähig" ist 150 . Allerdings ist die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit kein gegenwärtiger rechtlicher oder tatsächlicher Zustand eines Menschen151, sondern eine in der Zukunft zu treffende rechtliche Entscheidung, dem Betroffenen eine ganz bestimmte einzelne Handlung im Rechtsverkehr nicht zuzurechnen, die erst im Hinblick auf den jeweiligen Rechtsakt und seine rechtliche Ausgestaltung getroffen werden kann. Diese Einzelfallentscheidung setzt zudem voraus, daß die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen völlig ausgeschlossen ist 152 . Als Schutzinstrument greift sie daher nur möglicherweise, punktuell und später ein als ein Einwilligungsvorbehalt. Die Möglichkeit, daß künftig einzelne Rechtsakte des Betreuten wegen unmittelbarer Geschäftsunfähigkeit nach §§104 Nr. 2, 105 B G B unwirksam sein könnten, läßt deshalb den Schutz des Betreuten durch einen Einwilligungsvorbehalt nicht entbehrlich werden. Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes ist daher rechtlich von der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit des Betreuten unabhängig. Sie ist auch aus praktischer Sicht durchaus sinnvoll, kann doch der Betreuer schlicht auf seine fehlende Zustimmung verweisen, ohne im Einzelfall nachweisen zu müssen, daß der Betreute völlig unfähig war, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen 153 . Zudem entspricht es dem Grundsatz des schonendsten Eingriffes, wenn der Betreute einem solchen Verfahren, das regelmäßig mit seiner Begutmermann2, § 1903 BGB Rn. 4; Diederichsen, in: Palandt58, § 1903 BGB Rn. 9; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 9), wird jedoch fälschlicherweise oft mit der offenkundigen Geschäftsunfähigkeit nach §§ 104 Nr. 2,105 B G B gleichgesetzt (Holzhauer, in: Erman9, § 1903 BGB Rn. 3; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn. 2, 4; Müller, 196. Anders dagegen Damrau, in: Dararau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn.4, 8; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1903 BGB Rn. 9, 11 f.). 150 Sonnenfeld, Rn. 60; W. Zimmermann, FamRZ 1991, 277. Davon gehen dem Grunde nach auch alle diejenigen aus, die hier mit den Materialien (Regierungsentwurf, 137) den Einwilligungsvorbehalt allein mit dem Schutz vor Beweisschwierigkeiten begründen (so z.B. Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn.8; Holzhauer, in: Erman9, §1903 BGB Rn.i; Jürgens, in: Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn. 4; Knittel, § 1903 BGB Rn. 14; Müller, 194f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 BGB Rn. 12; BayObLG BtPrax 1994, 136 (137). Zu Recht kritisch demgegenüber Bienwald, BtR 3 , §1903 BGB Rn.37f.). 151 Der Ausschluß eines vorübergehenden Zustandes in §§ 104 Nr. 2,105 I BGB hat keine Bedeutung für die Unwirksamkeit der Handlung, wie bereits § 105 II BGB zeigt, sondern nur für den Zugang nach § 131 I BGB (Medicus, A.T. 7 , Rn. 544f.). 152 Dazu oben §4 III.l.b. 153 Darauf verweisen neben dem Regierungsentwurf, 137, z.B. BayObLG BtPrax 1994, 136 (137); Damrau, in: Damrau/Zimmermann2, §1903 BGB Rn.8; Holzhauer, in: Erman9, §1903
174
§ 6 Die rechtliche Struktur
der
Betreuung
achtung verbunden ist, nur einmal bei der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes und nicht im Rahmen eines etwaigen Prozesses in jedem Einzelfall erneut ausgesetzt wird 154 . Die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit nach §§104 Nr. 2, 105 B G B ist demnach aus rechtlichen und nicht bloß aus praktischen Gründen 155 kein Hindernis für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. c) Unmittelbare Geschäftsunfähigkeit Einwilligungsvorbehalts ?
auch nach Anordnung
eines
Besteht ein Einwilligungsvorbehalt, stellt sich umgekehrt die Frage, ob man sich gleichwohl auch dann auf die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten nach §§104 Nr. 2, 105 B G B berufen kann. Eine Antwort läßt sich hierauf erst finden, wenn man sich die Fallkonstellationen vergegenwärtigt, in denen sich diese Frage überhaupt stellt. Hat der Betreute ohne Zustimmung des Betreuers gehandelt und ist der Betreuer der Ansicht, das Geschäft widerspreche dem Wohl des Betreuten, wird er gegenüber dem Geschäftspartner schlicht auf seine fehlende Zustimmung verweisen 156 . Auf die den völligen Ausschluß der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit voraussetzende unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten darf er sich schon wegen der damit verbundenen unnötigen Belastung des Betreuten nicht berufen. Will sich der Geschäftspartner von seiner vertraglichen Bindung lösen, braucht er nur seine eigene Erklärung zu widerrufen157. Er wird sich daher kaum auf das Wagnis einlassen, die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten als seines Vertragspartners nachzuweisen. Die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten gewinnt deshalb nur Bedeutung, wenn der Betreuer seine Zustimmung bereits erteilt hat. Denn dann ist das Rechtsgeschäft hinsichtlich des Einwilligungsvorbehalts wirksam; der Betreuer kann seine Zustimmung, der Geschäftspartner seine eigene Erklärung nicht mehr widerrufen oder das einseitige Rechtsgeschäft des Betreuten zurückweisen158. Die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten würde damit eine weitere, diesmal nicht an eine Frist gebundene Möglichkeit eröffnen, das B G B Rn.3-Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1903 B G B Rn.4; Knittel, §1903 B G B Rn.14; Müller, 194f.; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , § 1903 B G B Rn. 12. Als rechtfertigender Grund für die in der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts liegende Beschränkung der Rechtsstellung des Betreuten reicht das Praktikabilitätsargument jedoch nicht aus. 154 Ähnlich Müller, 195. 155 So aber die überwiegende Auffassung, vgl. Regierungsentwurf, 137; Damrau, in: Damrau/ Zimmermann2, §1903 B G B Rn. 8; Holzhauer, in: Erman 9 , § 1903 B G B Rn.3 -Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1903 B G B Rn.4; Knittel, §1903 B G B Rn.14; Schwab, in: MünchKommBGB 3 , §1903 B G B Rn. 12; BayObLG BtPrax 1994, 136 (137). 156 §§1903 I, III 1, 108 I, 111 B G B . 157 §§1903 12, 109 B G B . 158 §§1903 I, 108 I, 1091 1, 111 S.3 B G B .
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson im
Rechtsverkehr
175
Geschäft zu Fall zu bringen, die wiederum auf der mangelnden Eigenverantwortlichkeit des Betreuten beruht. Der Betreuer hat jedoch bereits mit seiner Zustimmung zum Ausdruck gebracht, daß das Geschäft ungeachtet der eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit des Betreuten nicht gegen dessen Wohl verstößt und deshalb Bestand haben soll. Damit ist der auf seinem Zustand beruhende faktische Nachteil des Betreuten im Rechtsverkehr bereits ausgeglichen. Eine zweite, zusätzliche Möglichkeit des Betreuten, sich aus demselben Grund vom Geschäft zu lösen, läßt sich mit der Herstellung seiner Rechtsgleichheit nicht mehr begründen. Sie verstößt vielmehr ihrerseits gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit aller Privatrechtspersonen, weil sie ihm ein Sonderrecht gegenüber seinem Geschäftspartner einräumt159. Damit entfällt aber nicht nur die Befugnis des Betreuers bzw. Betreuten, sich ungeachtet der Zustimmung des Betreuers auf die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit des Betreuten zu berufen, sondern der tragende Grund für die Anwendung der §§ 104 Nr. 2,105 B G B insgesamt. Denn diese sichert jeder natürlichen Person unabhängig von der Betreuung und einem Einwilligungsvorbehalt ein Mindestmaß an Schutz davor, sich aufgrund ihrer mangelnden Eigenverantwortlichkeit zu schädigen. Gerade deshalb ist sie als Einwendung - und nicht als erst vom Betreuten geltend zu machende Einrede - ausgestaltet160 und greift auch gegenüber einem gutgläubigen Geschäftspartner durch 161 . Ist dieser Schutz bereits im Rahmen des Einwilligungsvorbehalts durch die vorbeugende Kontrolle des Betreuers gewährleistet, ist ein zusätzlicher Schutz durch die §§ 104 Nr. 2,105 B G B nicht mehr gerechtfertigt. Sie werden deshalb von den Regelungen des Einwilligungsvorbehalts insgesamt verdrängt™2. Auch der Geschäftspartner des Betreuten kann sich deshalb nicht auf dessen unmittelbare Geschäftsunfähigkeit berufen, wenn der Betreuer zugestimmt hat. Damit schafft die Zustimmung des Betreuers Rechtssicherheit sowohl für den Betreuten wie für den Rechtsverkehr. Das ist jedoch nur die Folge, nicht der Grund ihrer verdrängenden Wirkung. Diese beruht allein darauf, daß der Minimalschutz der §§ 104 Nr. 2,105 B G B im Schutz durch die Regelungen des Einwilligungsvorbehalts bereits enthalten163 und ein zusätzlicher Schutz ungeOben §§5 1.3. a.E., 4 III.2., IV. H. Hübner, A.T.2, Rn.444, und oben §5 II. 161 § 105 BGB. Vgl. dazu RGZ 120, 170 (174); Dilcher, in: Staudinger12, § 105 BGB Rn.5ff. 162 So im Ergebnis wegen des Gebots der Rechtssicherheit früher Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1903 BGB Rn. 15ff., und in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein3 Rn. 184ff. (aufgegeben in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4 Rn. 185ff.), und jetzt auch - ausschließlich verfassungsrechtlich argumentierend - Enderlein, JR 1998, 488 ff. Unsicher bislang Bienwald, BtR 2 , §1903 BGB Rn.65, 80ff. (einerseits), 61 (andererseits), der sich nunmehr einer Stellungnahme ganz enthält (BtR 3 , § 1903 BGB Rn. 5). 163 Unzutreffend daher die früher von Jürgens (in: Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn. 17, und in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein3 Rn. 186; mittlerweile hat er sich der h.L. angeschlos159 160
176
§ 6 Die rechtliche
Struktur der
Betreuung
rechtfertigt ist 164 . Da die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts des Betreuten durch die Zustimmung des Betreuers herbeigeführt wird, entfällt die Notwendigkeit für die bisher angebotenen Hilfskonstruktionen, die ihrerseits wiederum als untauglich kritisiert worden sind 165 . Es bedarf daher keiner Umdeutung (§140 BGB) der Zustimmung des Betreuers in eine Eigenvornahme als Vertreter des Betreuten 166 , die der Betreute gegebenenfalls als Bote überbringen muß 167 , oder in eine nachträgliche Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts (§ 141 BGB) 168 , um die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu begründen. Der Gesetzgeber hatte sich einer Regelung dieser Frage enthalten und auf die Möglichkeit einer Umdeutung als bereits anerkannten Ausweg verwiesen, weil die dogmatischen Grundlagen hierfür noch fehlten 169 . Die Einsicht in die Funktion der §§ 104 Nr.2,105 BGB als Mindestschutz, der durch den Einwilligungsvorbehalt mit umfaßt wird, erlaubt es nun, auf derartige Behelfskonstruktionen zu verzichten 170 . Denn das Ergebnis, die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts aufgrund der Zustimmung des Betreuers, hält man allgemein für sachgerecht 171 . Allerdings ist die Zustimmung des Betreuers bei lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäften und bei geringfügigen Angelegenheiten des täglichen Lebens (d.h. bei Bargeschäften 172 ) nach § 1903 III BGB nicht erforderlich. an der Mitwirkung
des Betreuers
Fehlt es aber
und damit an dem Schutz durch die Betreu-
sen, vgl. dem., in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 4 Rn. 185ff.) angeführte
Begründung
des Vorrangs des § 1903 BGB. Dagegen zu Recht Mitko, 81. 164 Das übersehen Coester, Jura 1991, 7; Holzhauer, in: Erman 9 , § 1903 BGB Rn. 19. 165 Überblick bei Knittel, § 1903 BGB Rn. 15. 166 So aber Diskussionsentwurf, 286; Regierungsentwurf, 137; Bauer, in: HK-BUR, §1903 BGB Rn. 80; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1903 BGB Rn. 8; Holzhauer, in: Erman 9 , §1903 BGB Rn. 19; Mitko, 83f.; Sonnenfeld, Rn.66; ausführlich Jurgeleit, Rpfleger 1995, 283f. Kritisch Coester, Jura 1991, 7; Taupitz, JuS 1992,12. Gegen eine Umdeutung, weil die Eigenvornahme weiter gehe als die Zustimmung, Bienwald, BtR 2 , § 1903 BGB Rn.60 (ohne Stellungnahme jetzt in BtR 3 , § 1903 BGB Rn. 66); Diederichsen, in: Palandt 58 , § 1903 BGB Rn. 1 9 ; J ü r g e n s , in: Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn. 18, und in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 3 Rn. 186. Gegen sie wiederum Jurgeleit, Rpfleger 1995, 284. 167 Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1903 BGB Rn. 8. Kritisch Bürgle, AnwBl 1989,508. 168 Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , § 1903 BGB Rn. 8; Mitko, 83. Kritisch Schwab, Festschrift Mikat, 895. 169 Deutlich wird das im Diskussionsentwurf, 268f. („Es ist wünschenswert, daß dieser Frage ... weiter nachgegangen wird."). In der Sache unverändert Regierungsentwurf, 137. Der Gesetzgeber hat daher die hier entwickelte Begründung auch nicht verworfen, wie Schwab, FamRZ 1992, 505; Mitko, 82; Bauer, in: HK-BUR, § 1903 BGB Rn. 80, meinen. 170 Vgl. auch Taupitz, JuS 1992,12, der zu Recht darauf hinweist, daß es um die Abstimmung von Einwilligungsvorbehalt und § 105 BGB gehe. 171 Diskussionsentwurf, 268f.; Regierungsentwurf, 137; Schwab, Festschrift Mikat, 895; Bauer, in: HK-BUR, § 1903 BGB Rn. 80; Bienwald, BtR 2 , § 1903 BGB Rn. 61, 65 (abeschwächt jetzt in BtR 3 , § 1903 BGB Rn.68); Cypionka, DNotZ 1991, 581f.; den., NJW 1992,210; Damrau, in: Damrau/Zimmermann 2 , §1903 BGB Rn.8; Diederichsen, in: Palandt 58 , §1903 BGB Rn.19; Holzhauer, in: Erman 9 , § 1903 BGB Rn. 1 9 - J ü r g e n s , in:Jürgens, BtR, § 1903 BGB Rn. 15-, Jurgeleit, Rpfleger 1995, 284; Taupitz, JuS 1992, 12. 172 Dazu oben §4 IV.2.a.
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson im
Rechtsverkehr
177
ung, bleibt es bei dem allgemeinem Mindestschutz durch die §§ 104 Nr. 2,105 II BGB 1 7 3 . Denn dieser kann nur entfallen, soweit der Schutz durch die Mitwirkung des Betreuers anderweitig gewährleistet ist. Wirkt er aber mit, sind die §§104 Nr. 2, 105 II BGB unanwendbar174. Die Zustimmung des Betreuers kann ihre Funktion, den Betreuten vor einer Selbstschädigung zu schützen, allerdings nur erfüllen, wenn nicht nur der Betreute, sondern auch der Betreuer die rechtlich vorgesehenen und vorgeschriebenen Informationen, Hinweise und Belehrungen erhält. Soll mit der Information zugleich eine entsprechende Rechtspflicht gegenüber dem Betreuten erfüllt werden, muß sie bereits wegen §§ 1903 12,131 II BGB gegenüber dem Betreuer erfolgen. Häufig werden die Belehrung oder der Schutz vor einer übereilten Bindung jedoch nur mittelbar sichergestellt, indem das Rechtsgeschäft an die Einhaltung einer bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Form gebunden wird175. Hier könnte man daran denken, die Zustimmung des Betreuers wegen des Formzwecks ebenfalls der gesetzlichen Form des Rechtsgeschäfts zu unterwerfen und damit § 182 II B G B insoweit einzuschränken176. Die Belehrung des Betreuers wie auch sein Schutz vor Übereilung erfolgen in diesen Fällen177 allerdings bereits „innerhalb" der Rechtsperson durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts178. Seine Zustimmung bedarf deshalb nicht der Form des Rechtsgeschäfts179. d) Unmittelbare
Geschäftsunfähigkeit
nach Anordnung
der
Betreuung
Aus den vorstehenden Überlegungen ergeben sich Konsequenzen auch für das allgemeine Verhältnis von Betreuung und unmittelbarer Geschäftsunfähigkeit des Betreuten. Solange allein der Betreute und sein Geschäftspartner am Rechtsgeschäft beteiligt sind, wird der durch die §§ 104 Nr. 2, 105 B G B garanInsoweit zutreffend Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4 Rn. 185. Das übersieht Jürgens, in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein4 Rn. 185. 175 Zur Warn- und Beratungsfunktion vgl. Förschler, in: MünchKommBGB 3 , §125 BGB Rn. 3ff.; H. Köhler, A.T. 23 , § 19 Rn. 3; H. Hühner, A.T. 2 , Rn. 853; Krüger-Nieland, in: RGRK 1 2 , § 125 BGB Rn. 1; Medicus, A.T. 7 , Rn. 614; Larenz/Wolf, A.T.8, §27 Rn. 7,9. Grundsätzlich zu den Funktionen der gesetzlichen Form Flume, A.T. II 3 , § 15 I 1 (244ff.), 3 (247f.), und Häsemeyer, Form, 159ff. 176 In diesem Sinne z.B. Diskussionsentwurf, 268f.; Regierungsentwurf, 138. Zur teleologischen Reduktion des § 182 II BGB im Hinblick auf den Formzweck des §313 BGB ablehnend BGHZ 125, 218 (220ff.). Vgl. im übrigen Larenz /Wolf, A.T.8, §51 Rn. 15ff.; Gurksky, in: Staudinger13, § 182 BGB Rn. 19ff. 177 Im allgemeinen Zivilrecht: §§313, 518, 766 BGB. 178 Vgl. §§ 1908i I 1, 1821, 1822 Nr. 10 BGB; und zur Schenkung oben §6 I.4.a. 179 Flume, A.T. II 3 , §54, 6 b (891); Thiele, in: MünchKommBGB 2 , §182 BGB Rn. 19. Diese Besonderheit der gesetzlichen Vertretung wird in der Diskussion um die teleologische Reduktion des § 182 II BGB meist übersehen (vgl. nur Gurksky, in: Staudinger13, § 182 BGB Rn. 19ff.; Schramm, in: MünchKommBGB 3 , § 182 BGB Rn. 13ff.; Larenz /Wolf, A.T. 8 , §51 Rn. 15ff.). 173
174
178
§ 6 Die rechtliche
Struktur der
Betreuung
tierte Mindestschutz nicht durch die Betreuung ersetzt und bleibt daher erforderlich. Das ändert sich, wenn der Betreuer hinzugezogen wird. Denn dieser kann in seinem Aufgabenkreis kraft seiner gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 1902 BGB) für den Betreuten jeden Rechtsakt im Rechtsverkehr vornehmen. Wenn der Betreuer demnach ein wegen unmittelbarer Geschäftsunfähigkeit nichtiges Rechtsgeschäft des Betreuten nachträglich zu bestätigen vermag180 oder dieses selbst auf Wunsch des Betreuten insgesamt vornehmen kann181, kann er einem solchen Rechtsgeschäft des Betreuten erst recht auch bereits bei seiner Vornahme zustimmen. Die Zustimmung des Betreuers führt ebenso zur vollständigen Wirksamkeit des vom Betreuten vorgenommenen Rechtsgeschäfts wie dessen nachträgliche Bestätigung oder seine Eigenvornahme durch den Betreuer. Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts beruht in allen drei Fällen auf der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers und findet ihre sachliche Rechtfertigung darin, daß der Betreuer in jedem Fall zu prüfen hat, ob sich der Betreute durch die Vornahme des Geschäfts aufgrund seiner eingeschränkten Eigenverantwortlichkeit selbst schädigt. Nur wenn das Wohl des Betreuten dem von diesem gewünschten Geschäft nicht entgegensteht, kann und darf er es vornehmen, nachträglich bestätigen oder ihm zustimmen. Dem Betreuer als gesetzlichem Vertreter steht die Handlungsform der Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft des Betreuten entsprechend §§1903, 108 ff. BGB neben den Handlungsformen der Eigenvornahme und der Bestätigung des Rechtsgeschäfts auch dann zur Verfügung, wenn kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist. Sie entspricht dem betreuungs- und verfassungsrechtlichen Grundsatz, die Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betreuten so gering wie möglich zu halten. Das Erfordernis der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung ist unabhängig von der konkreten Form, in der der Betreuer im Rechtsverkehr tätig wird. Er unterliegt deshalb der präventiven Kontrolle des Vormundschaftsgerichts bei der Zustimmung ebenso wie bei der Eigenvornahme oder der Bestätigung182. Die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts gewährleistet zugleich die notwendige Beratung und den Ubereilungsschutz, den im allgemeinen Rechtsverkehr vielfach die gesetzliche Form sicherstellen soll183. Demgegenüber besteht die Besonderheit des Einwilligungsvorbehaltes darin, daß er die Zustimmung des Betreuers und damit seine Beteiligung zwingend vorschreibt und nicht dem Betreuten oder dessen Geschäftspartner überläßt. Daraus folgt, daß er solange nicht erforderlich ist, als der Betreuer tatsächlich 180 181 182
§141 B G B . §1902 B G B . Vgl. Engler, in: Staudinger 12 , § 1821 B G B Rn. 10, § 1828 B G B Rn. 3; und schon Motive IV,
1136. 183
Dazu oben §6 II.2.C.
II. Das Außenverhältnis:
Die organisierte Rechtsperson
im Rechtsverkehr
179
zugezogen wird und auf diese Weise seine Schutzaufgabe wahrnehmen kann. Erst falls das nicht mehr ausreicht, muß seine Beteiligung durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes rechtlich erzwungen werden. Der notwendige Schutz des Betreuten bei der Vornahme des Geschäfts ist deshalb nicht nur gewährleistet, wenn es der Betreuer selbst auf Wunsch des Betreuten vollständig vornimmt oder das nach §§ 104 Nr. 2, 105 B G B möglicherweise nichtige Geschäft des Betreuten nachträglich bestätigt, sondern auch, wenn er einem Geschäft des Betreuten zustimmt. Die Zustimmung des Betreuers schließt demnach die Unwirksamkeit wegen unmittelbarer Geschäftsunfähigkeit des Betreuten immer und nicht nur im Rahmen eines Einwilligungsvorbehaltes aus. Durch die Einschaltung des Betreuers läßt sich deshalb das Risiko der unmittelbaren Geschäftsunfähigkeit des Betreuten generell vermeiden, soweit die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers reicht. Die Betreuung gewinnt dadurch eine erhebliche Bedeutung für die Sicherheit des Rechtsverkehrs mit einem „unerkennbar Geisteskranken", die man seit langem auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen suchte 184 . e) Einwilligungsunfähigkeit
nach Anordnung
der
Betreuung
Das ist für die ärztliche Behandlung von besonderer Bedeutung. Der Betreuer hat zwar dessen medizinische Behandlung und Versorgung zu organisieren und insbesondere den Behandlungsvertrag als Grundlage und Rahmen der Behandlung 185 abzuschließen. Gleichwohl muß aber der Betreute darüber hinaus zusätzlich in die geplante Maßnahme und die damit verbundenen Eingriffe in seine körperliche Integrität und sein Persönlichkeitsrecht, d.h. in seine Person, einwilligen 186 . Ist der Betreute im konkreten Zeitpunkt einwilligungsunfähig, kann er also Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung in die Maßnahme nach vorheriger Aufklärung nicht verstehen oder sich nicht danach entscheiden 187 , fehlt es an einer wirksamen Einwilligung. Der Arzt ist dann für seinen 1 8 4 Vgl. dazu den Uberblick bei Holzhauer, Gutachten, B 45ff.; und die Zusammenfassung der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geführten Diskussion bei Brandt, Verkehrssicherheit, 15ff.; Gerstherger, Gruchot 71 (1931), lff.; Mönch, 7ff. Die Rechtssicherheit betonte bislang im Zusammenhang des Einwilligungsvorbehalts Jürgens, in: Jürgens, BtR, §1903 B G B Rn. 15ff., und in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 3 Rn. 184ff. (anders jetzt ders., in: Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein 4 Rn. 185), der sie aber fälschlich als tragenden G r u n d und nicht als Folge der die unmittelbare Geschäftsunfähigkeit ausschließende Wirkung der Zustimmung des Betreuters begreift (dagegen auch Mitko, 81; Müller, 196). 1 8 5 Eine vertragliche Beziehung des Arztes bzw. Krankenhausträgers kommt nicht nur mit dem Privat-, sondern nach § 76 I, IV S G B V auch mit dem Kassenpatienten zustande (Laufs, Arztrecht, Rn. 87; Rover, 40ff., 70ff., jeweils m.w.N.). 186 Regierungsentwurf, 140. 187 Schäfer, in: Staudinger 1 2 , § 823 B G B Rn. 455,470; Nüßgens, in: R G R K 1 2 , § 823 B G B Anh. II Rn. 60, 70ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder 2 5 , Vorbem. §§32ff. S t G B Rn.40. Ausführlich dazu Kohte, A c P 185 (1985), 105ff.; K. Amelung, ZStW 104 (1992), 525ff., 821ff.
180
§ 6 Die rechtliche Struktur
der
Betreuung
rechtswidrigen Eingriff in die Person des Betreuten zivil- und gegebenenfalls auch strafrechtlich verantwortlich 188 . Die Einwilligungsz