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German Pages 448 Year 2012
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 312
Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz als Privatrecht Funktion und Schutz der arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbote des AGG
Von
Johannes Bader
Duncker & Humblot · Berlin
JOHANNES BADER
Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz als Privatrecht
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn
Band 312
Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz als Privatrecht Funktion und Schutz der arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbote des AGG
Von
Johannes Bader
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Wintersemester 2011/2012 als Dissertation angenommen.
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© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-13787-9 (Print) ISBN 978-3-428-53787-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83787-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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„Schubladendenken“ – Scherenschnitt von Hedwig Goller – Korntal 2007
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Für Elisabeth
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/2012 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechungs- und Literaturnachweise befinden sich auf dem Stand Juni 2011, wobei vereinzelt spätere Aufsätze und Entscheidungen berücksichtigt wurden. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Thomas Lobinger, meinem Doktorvater, für die große fachliche und menschliche Unterstützung sowie die lehrreiche Zeit als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl und bei Herrn Prof. Dr. Sebastian Krebber, LL.M. (Georgetown) für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe. Danken möchte ich des Weiteren Herrn Prof. Dr. Felix Hartmann sowie Herrn Dr. Jan Hoffmann für die Diskussionsbereitschaft und die hilfreichen Anregungen. Ein besonderer Dank gilt Frau Hedwig Goller, meiner Großtante, die im Alter von fast 90 Jahren den abgedruckten Scherenschnitt „Schubladendenken“ gefertigt und die Veröffentlichung im Rahmen dieser Arbeit gestattet hat. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die studienbegleitende sowie promotionsbegleitende ideelle und materielle Förderung. Schließlich bedanke ich mich bei meiner Frau Elisabeth sowie meinen Eltern und Geschwistern für die große Unterstützung. Stuttgart, im August 2012
Johannes Bader
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Freiheit oder Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Die dogmatischen Wirrungen im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Die Durchmischung der Teilrechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Der Einfluss des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1. Kapitel Grundstrukturen des Privatrechts
35
A. Eigentum und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Privatrecht als Zuweisungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Der Vertrag als Mittel des Austausches von Zuweisungsgütern . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Die Rechtsschutzfunktion des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Die „Trias“ der Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die verhaltenssteuernde Wirkung der drei Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Integritätsschutz und Rechtskreiserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Der Vertrag als dynamische Komponente des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Der Integritätsschutz als statische Komponente des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Wirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. Die Allgemeingültigkeit dieser Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Die Geltung der Grundsätze für immaterielle Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . 45
12
Inhaltsübersicht II. Die innere Struktur der Substanzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
E. Die Beschränkung der Privatautonomie durch das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2. Kapitel Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht
50
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . 50 I. Diskriminierungsverbote in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Die Entwicklung und Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsverhältnis 110
3. Kapitel Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
125
A. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B. Die Einwände gegen ein Verständnis des Diskriminierungsschutzes als Persönlichkeitsrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Regelmäßig keine Herabwürdigung durch bloße Vertragsverweigerung . . . . . . . . 129 II. Fehlen einer Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Beschränkung der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Beschränkung auf den Arbeitsvertrag als Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 V. Vorvertragliches Schuldverhältnis oder absolutes Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 VI. Integritätsschutz oder Teilhaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Inhaltsübersicht
13
4. Kapitel Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
188
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Die ersatzfähigen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 II. Die Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 III. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Bereicherungsabschöpfung bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 III. Übertragung der gefundenen Ergebnisse auf das Antidiskriminierungsrecht . . . . . 378 IV. Abschöpfung gemäß § 687 Abs. 2 BGB als Notbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 C. Das negatorische Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 I. Die fehlende Regelung im arbeitsrechtlichen Teil des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 II. § 1004 BGB bzw. § 21 Abs. 1 AGG analog als Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . 386 III. Die Bedeutung von § 1004 BGB im Rahmen des allgemeinen Ehrschutzes . . . . . 388 IV. Die Negatoria in den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen . . . . . . . . . . . . . . 391 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Freiheit oder Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Die dogmatischen Wirrungen im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Die Durchmischung der Teilrechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Der Einfluss des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Kapitel Grundstrukturen des Privatrechts
35
A. Eigentum und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Privatrecht als Zuweisungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Der Vertrag als Mittel des Austausches von Zuweisungsgütern . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Die Rechtsschutzfunktion des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Die „Trias“ der Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die verhaltenssteuernde Wirkung der drei Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Integritätsschutz und Rechtskreiserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Der Vertrag als dynamische Komponente des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Der Integritätsschutz als statische Komponente des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Wirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. Die Allgemeingültigkeit dieser Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Die Geltung der Grundsätze für immaterielle Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . 45
16
Inhaltsverzeichnis II. Die innere Struktur der Substanzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
E. Die Beschränkung der Privatautonomie durch das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Kapitel Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht
50
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . 50 I. Diskriminierungsverbote in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Die Entwicklung vor 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Das betriebsverfassungsrechtliche Überwachungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die Entwicklung seit 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Rs. Defrenne II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Richtlinie 76/207/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Die Umsetzung der Richtlinie durch das EG-Anpassungsgesetz . . . . . . . . . 60 d) Rs. Colson/Kamann und Harz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Die Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Die Reaktionen in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung . . . . . . . . . 64 e) Rs. Dekker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 f) Rs. Marshall II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 g) Das Zweite Gleichberechtigungsgesetz von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 h) Rs. Draehmpaehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 i) Die erneute Änderung von § 611a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 j) Die Reaktionen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 k) Die Beweislastrichtlinie 97/80/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 l) Die Gleichbehandlungsrichtlinien 2000/43/EG (Ethnie) und 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 m) Die Einführung von § 81 Abs. 2 SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Inhaltsverzeichnis
17
n) Die Neufassung der Richtlinie 76/207/EWG durch die Richtlinie 2002/73/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 o) Die Zusammenfassung der Geschlechtsdiskriminierungsrichtlinien . . . . . . 85 p) Das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Der Schutz der Persönlichkeit vor Inkrafttreten des Grundgesetzes . . . . . . . . . 88 2. Der Durchbruch des Persönlichkeitsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg . . . 91 a) Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Der Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . 93 c) Der Anspruch auf Geldersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen . . . . . 95 d) Die Entwicklung der Genugtuungs- bzw. Präventivfunktion des Geldersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Die Entstehung der Genugtuungsfunktion beim Schmerzensgeldanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Die Übertragung des Genugtuungsgedankens auf den Geldersatz wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Die Genugtuung als Mittel zur Abschöpfung des Verletzergewinns . . . 102 dd) Die Entwicklung von der Genugtuungs- zur echten Präventivfunktion . 103 e) Diskriminierende Vertragsverweigerung als Verletzung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Die Entwicklung und Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsverhältnis 110 1. Der Grund für die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts im Arbeitsverhältnis . 110 2. Die einzelnen Fälle des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Arbeitsrecht . . . . . . 111 a) Der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz im außervertraglichen Bereich. 112 aa) Kein Recht auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Einschränkungen der Informationserhebungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Der Schutz vor Benachteiligungen bei der Einstellung . . . . . . . . . . . . . 115
18
Inhaltsverzeichnis b) Der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz im bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Integritätsschützende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Entfaltung und Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Kapitel Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
125
A. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B. Die Einwände gegen ein Verständnis des Diskriminierungsschutzes als Persönlichkeitsrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Regelmäßig keine Herabwürdigung durch bloße Vertragsverweigerung . . . . . . . . 129 1. Kritik: Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung nach herkömmlichen Maßstäben 129 a) Beispiele aus der Rechtsprechungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Benachteiligung aus paternalistischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Benachteiligung wegen irrtümlicher Annahme eines ausreichenden Sachgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 cc) Mittelbare Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Erfordernis erniedrigenden Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Das Verhalten als Kriterium zur Bestimmung des geschützten Rechtskreises 134 b) Verschärfung und Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts durch § 7 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Gründe für die Verschiebung der Grenze zwischen Persönlichkeitsrecht und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Der ehrverletzende Kern von ungerechtfertigten Benachteiligungen . . 139 bb) Der besondere Grund für die diskriminierungsrechtliche Erfassung von Massengeschäften gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Die besondere Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit als Grund des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 dd) Die Berücksichtigung der Diskriminierungserfahrungen für die Bestimmung des Erfolgsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Inhaltsverzeichnis
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ee) Der objektive Unwertgehalt benachteiligenden Verhaltens in den Sonderfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Schaden . . . . . . . . . . 146 II. Fehlen einer Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Kritik: Gefahr der Uferlosigkeit des Diskriminierungsschutzes . . . . . . . . . . . . 147 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Die Vertatbestandlichung als Beschreibung der unsichtbaren Grenze zwischen subjektivem Recht und allgemeiner Handlungsfreiheit . . . . . . . . 149 b) Die Beschränkungen des AGG zur Verhinderung der Uferlosigkeit . . . . . . 149 aa) Beschränkung auf bestimmte Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Beschränkung der Rechtswidrigkeitsindikation auf unmittelbare Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Gefahr der Ausuferung in den Fällen mittelbarer Benachteiligungen 150 (2) Konsequenz im AGG: Keine Rechtswidrigkeitsindikation bei mittelbaren Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (a) Interessenabwägung als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Die Beweislastverteilung bei mittelbaren Benachteiligungen . . 153 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Beschränkung der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Kritik: Beschränkung widerspricht der Vielschichtigkeit der individuellen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Befürchtete bzw. erhoffte Erweiterungen aufgrund von Art. 21 EU-Charta . . . 156 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Erforderliche Ausweitung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Gefahr der Wertungswidersprüchlichkeit im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes bei besonders gefährdeten Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (1) Die Ausgrenzung der Gruppe als Indikator für häufige persönlichkeitsverletzende Kränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (2) Die Unveränderbarkeit der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (3) Die Irrelevanz der intersubjektiven Übereinstimmung hinsichtlich des Ausgrenzungspotentials für die subjektive Kränkung des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (4) Die Gründe für die Auswahl der Merkmale in § 1 AGG . . . . . . . . . 160 (a) Historische Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Inhaltsverzeichnis (b) Strukturelle Nachteile – Das Sonderproblem rationaler Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Beschränkung auf den Arbeitsvertrag als Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Kritik: Kein Grund für die Sonderbehandlung des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . 167 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 V. Vorvertragliches Schuldverhältnis oder absolutes Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Kritik: Hochstilisierung eines vertraglichen Bandes zum absoluten Recht . . . . 168 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Die Homogenität der deliktischen und vertraglichen Integritätshaftung . . . 169 b) Keine auf den (vor-)vertraglichen Bereich beschränkte APR-Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) § 7 Abs. 1 AGG als grundlegende Zuweisungsnorm des AGG . . . . . . . 171 bb) Das Fehlen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Die Kodifizierung der Rechtsprechung des BAG aus dem Jahre 1989 . 174 dd) § 7 Abs. 3 AGG als missglückte Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 ee) Die Begrenzung der Haftung gemäß § 15 AGG auf den Arbeitgeber . . 177 ff) Die Definition des Arbeitgebers in § 6 Abs. 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VI. Integritätsschutz oder Teilhaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Kritik: Kein subjektives Privatrecht auf Persönlichkeitsentfaltung . . . . . . . . . . 179 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Zusammengehörigkeit von Integritätsschutz und Ausgrenzungsschutz . . . . 180 b) Die Parallele zur Einschränkung des Fragerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Vorrang des Integritätsschutzes – Teilhabe als Rechtsreflex . . . . . . . . . . . . 182
C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
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4. Kapitel Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
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A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Die ersatzfähigen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Der Ersatz von Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) H.M.: Ersatz des positiven Interesses für den bestqualifizierten Bewerber – Ersatz des negativen Interesses für die minderqualifizierten Bewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Die Ansicht Wagners: Erstattung des Erwartungswertes der entgangenen Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) M.M.: Ersatz des negativen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 dd) Zeitliche Begrenzung oder Haftung bis zum Renteneintritt . . . . . . . . . 192 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Die Unbeachtlichkeit öffentlich-rechtlicher Argumentationsmuster . . . 194 bb) Die Ambivalenz von § 15 Abs. 6 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 dd) Die Systemwidrigkeit eines Ersatzes des positiven Interesses . . . . . . . . 197 ee) Die Unmöglichkeit der Bestimmung des bestqualifizierten Bewerbers . 199 ff) Keine außervertragliche Haftung auf das Erfüllungsinteresse . . . . . . . . 201 gg) Der fehlende Wille des Gesetzgebers zur Schaffung einer systemwidrigen Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 hh) Kein europarechtlicher Zwang zum Ersatz des positiven Interesses . . . 206 ii) Der Ersatz des negativen Interesses als Ersatz vermögensmäßiger Begleitschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Der Ersatz immaterieller Schäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Der Normzweck – Das Problem der Systemkonformität eines präventiven oder pönalen Entschädigungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Die Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (1) Kein pönaler Entschädigungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
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Inhaltsverzeichnis (2) Prävention durch vollen Schadensausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (a) Der Abschreckungsbegriff in den Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . 216 (b) Abschreckungswirkung statt Präventionsfunktion . . . . . . . . . . . 216 (c) Voller Schadensausgleich – Überwindung der Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten als inhaltliches Gebot der Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (d) Die präventive Wirkung der Trias an Schutzrechten . . . . . . . . . 219 (e) Bereicherungsverbot und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) § 15 Abs. 2 AGG als Schutzrecht des durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Substanzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Schaden . . . . . . . 223 (1) Die Unwiderlegbarkeit der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Die Widerlegbarkeit der Vermutung eines immateriellen Schadens in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (3) Die Voraussetzungen einer Ausnahmekonstellation . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Der Umfang des Restitutionsanspruchs – Kriterien zu Bestimmung der Entschädigungshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Zulässige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (a) Die Unterscheidung nach der Einstellungswahrscheinlichkeit . 233 (b) Der Verschuldensgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (c) Art, Schwere und Grund der Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . 237 (d) Dauer und Bedeutung der Tätigkeit für den Benachteiligten . . 238 (e) Folgen der Benachteiligung – (Un-)Wirksamkeit der benachteiligenden Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (f) Wiedergutmachung durch den Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (g) Das Bruttomonatseinkommen als Bemessungsgrundlage . . . . . 241 (2) Die unzulässigen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (a) Der Sanktions- oder Präventionszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (b) Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Parteien . . . . . . . . . . 246 (c) Das Vorliegen eines Wiederholungsfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Die Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Die Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Subjektive Ernsthaftigkeit und objektive Eignung als Anspruchsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Die Ansichten in Literatur und älterer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Die BAG-Ansicht in neuerer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
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cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (1) Ausschluss nicht ernsthafter und ungeeigneter Bewerber als Folge der Orientierung am Ausgleichsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (2) Die fehlende Ernsthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (a) Indizien für die fehlende Ernsthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (b) Die dogmatische Begründung der Anspruchsversagung . . . . . . 257 (3) Die fehlende objektive Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (a) Die fehlende objektive Eignung als Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (b) Die fehlende objektive Eignung als Folge einer Selbstüberschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (c) Die Voraussetzungen einer fehlenden objektiven Eignung . . . . 261 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Die Anspruchsberechtigung bei der mittelbaren Benachteiligung . . . . . . . . 263 aa) Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Die Anspruchsberechtigung bei der assoziierten Diskriminierung . . . . . . . . 266 aa) Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 d) Die Anspruchsberechtigung vermeintlicher Merkmalsträger . . . . . . . . . . . . 273 e) Die Anspruchsberechtigung „zu später“ Bewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 aa) Die Ansichten in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Die Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Die Haftung des Arbeitgebers als Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Die Sonderkonstellationen – Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . 282 aa) Die Haftung von Personalberatungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 bb) Die Haftung anderer Beschäftigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 cc) Die Haftung diskriminierender Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 dd) Die Konsequenz der h.M.: Umfassende Zurechung von Drittverhalten zum Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Das „Ob“ der Haftung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Allgemeine Gründe für die Haftung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (2) Im Besonderen: Die Haftung diskriminierender Beschäftigter . . . . 294
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Inhaltsverzeichnis (3) Im Besonderen: Die Haftung diskriminierender Kunden . . . . . . . . . 295 bb) Das „Wie“ der Haftung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (1) Die Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (2) Die Voraussetzungen der Haftung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Formen der Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Die (sexuelle) Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 bb) Die unmittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 cc) Die mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 dd) Die Anweisung zur Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 c) Absichtserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 4. Das Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Das Verschuldenserfordernis im deutschen Schadensrecht . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Begrifflichkeiten: Vertretenmüssen und Verschulden . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Der Grundgedanke des Verschuldensprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 cc) Die Einschränkungen des Verschuldensprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Das Verschuldenserfordernis im Rahmen der Haftung für Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG – Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 aa) M.M.: Europarechtskonformität der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 bb) H.M.: Europarechtswidrigkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (1) Die Argumente für eine Richtlinienwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (2) Die (Un-)Möglichkeit einer europarechtskonformen Auslegung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 c) Das Verschuldenserfordernis im Rahmen der Haftung für Nichtvermögensschäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG – Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 aa) H.M.: Verschuldensunabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs . . . . 325 bb) M.M.: Verschuldensabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs . . . . . 326 d) Stellungnahme: Die Europarechtskonformität des Verschuldenserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 aa) Die Vereinbarkeit des Verschuldenserfordernisses mit den Richtlinien . 327
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bb) Die Vereinbarkeit des Verschuldenserfordernisses mit der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 cc) Die Geltung dieser Grundsätze für § 15 Abs. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . 335 dd) Die Systemwidrigkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung . . . . . 336 ee) Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 e) Haftungsbeschränkung bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen . 340 5. Die Ausschlussfristen in § 15 Abs. 4 AGG und § 61 b Abs. 1 ArbGG . . . . . . . 345 III. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Bereicherungsabschöpfung bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 1. Die Rechtsprechungsansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Die Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 a) Die Rechtswidrigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Die Lehre vom Zuweisungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c) Die Lehre vom „rechtwidrigen Haben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Die irrige Aufteilung in Rechte mit und ohne Zuweisungsgehalt . . . . . . . . 364 b) §§ 134, 138 BGB als Grenzen der Rechtszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 c) Die überschießende Annahme einer Sittenwidrigkeit im Bereicherungsrecht 367 d) Das Fehlen eines rationalen Marktes als Grund der Verneinung des Zuweisungsgehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 III. Übertragung der gefundenen Ergebnisse auf das Antidiskriminierungsrecht . . . . . 378 1. Die Möglichkeit der Überwindung der bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgenprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Die Indisponibilität der durch § 7 Abs. 1 AGG geschützten Ehrposition . . . . . 379 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 IV. Abschöpfung gemäß § 687 Abs. 2 BGB als Notbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
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C. Das negatorische Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 I. Die fehlende Regelung im arbeitsrechtlichen Teil des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 II. § 1004 BGB bzw. § 21 Abs. 1 AGG analog als Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . 386 III. Die Bedeutung von § 1004 BGB im Rahmen des allgemeinen Ehrschutzes . . . . . 388 1. Die Kausalitätslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 2. Die Usurpationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 IV. Die Negatoria in den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen . . . . . . . . . . . . . . 391 1. Die Bedeutungslosigkeit eines Anspruchs auf Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 2. Verbleibende Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 a) Anspruch auf Unterlassung analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . 392 b) Anspruch auf Beseitigung analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . 395 aa) Kein Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 bb) Gegenständliche Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 cc) Vorenthalten von Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Einleitung A. Freiheit oder Gleichheit Kaum ein Gesetz der letzten Jahre versetzte die rechtswissenschaftliche Literatur bereits Jahre vor seiner Verabschiedung in solch helle Aufregung wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Am 18. 8. 2006 schließlich trat das neue Gesetz in Kraft. Mit ihm wurden die europäischen Richtlinien 2000/43/EG (AntirassismusRichtlinie), 2000/78/EG (Rahmen-Richtlinie), 2002/73/EG1 (revidierte Geschlechter-Gleichbehandlungs-Richtlinie) und 2004/113/EG (Zugang zu Gütern und Dienstleistungen) umgesetzt. Allein bei der Richtlinie 2000/43/EG war die Umsetzungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als 3 Jahren abgelaufen. Warum fiel die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsregeln in das deutsche Privatrecht so schwer und veranlasste Gegner und Befürworter dazu, sich im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses Wortgefechte mit außerordentlich schwerem Geschütz zu liefern? Repgen etwa hörte bereits „die Totenglocke des Privatrechts läute[n]“2. Picker konstatierte einen „wirklichkeitsblinden, weil menschenwidrigen Radikalmoralismus“3. Adomeit sprach von einer „sozialistische[n] Regulierung“4, woraufhin Däubler entgegnete, Adomeit scheine davon auszugehen, dass „die Menschen in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg unbemerkt in einer sozialistischen Ordnung gelebt haben“, gebe es doch Antidiskriminierungsregeln bereits ebenso lange5. Brauns Beitrag trug den Titel: „Übrigens – Deutschland wird wieder totalitär“6. Schmelz beschrieb die geplanten Regelungen als „ideologisches Zwangskorsett“7. Jestaedt betrachtete den Diskriminierungsschutz im Privatrecht als „implantierten Fremdkörper“8. Und Säcker befürchtete, die Diskriminierungsregeln könnten in einer „Tugendrepublik der neuen Jakobiner“9 münden, woraufhin Neuner einwandte, wer die französische Revolution als Maßstab für illegitime Systemver1 Richtlinie 2002/73/EG wurde zwischenzeitlich durch Richtlinie 2006/54/EG ersetzt, siehe dazu ausführlich unten 2. Kap. A. II. 2. o). 2 Repgen, S. 11 ff. 3 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 7 (60). 4 Adomeit, NJW 2002, S. 1622 (1623). 5 Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, Einleitung, Rn. 69. 6 Braun, JuS 2002, S. 424 ff. 7 Schmelz, ZRP 2003, S. 67 (67). 8 Jestaedt, VVDStRL 64 (2004), S. 298 (350). 9 Säcker, ZRP 2002, S. 286 ff; zustimmend Adomeit, NJW 2006, S. 2169 (2171).
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Einleitung
änderungen heranziehe, „drehe die Zeituhr um über 200 Jahre zurück und wähle das Staatsmodell des früheren Liberalismus als Paradigma“10. Den Einwand Pickers, der privatrechtliche Fundamentalgrundsatz „stat pro ratione voluntas“ werde in sein Gegenteil verkehrt („pro voluntate stat ratio“)11, bezeichnete Singer als „kräftig überzeichnetes Schreckensszenario“12. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.13 In der Tat handelt es sich beim Antidiskriminierungsrecht um eine Materie, die wie kaum eine andere rechtspolitisch aufgeladen ist. Bei der Lektüre der Fachliteratur kann man den Eindruck gewinnen, dass sich hier Anhänger zweier Grundüberzeugungen nahezu unversöhnlich gegenüberstehen: die Liberalisten und die Egalitaristen. Offensichtlich geht es hier um nichts Geringeres als um die Grundfrage nach dem Verhältnis von Freiheit und Gleichheit.14 In kaum einem anderen Gebiet verlaufen die Fronten so klar und werden aus nüchternen Hochschullehrern auf beiden Seiten echte Zyniker und Polemiker. Einleitend möchte ich zunächst klarstellen, dass die vorliegende Arbeit kein Beitrag zu dieser Mutter aller Schlachten sein will. Ihr Ziel ist es vielmehr, einen Beitrag zum besseren dogmatischen Verständnis des Antidiskriminierungsrechts zu leisten. Dabei soll lediglich ein, wenn auch wesentlicher, Bereich des Gleichbehandlungsgesetzes näher betrachtet werden: der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz15.
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Neuner, Vertragsfreiheit, S. 91. Picker, JZ 2003, S. 540 (542); ders., JZ 2002, S. 880 (881). 12 Singer, FS Adomeit, S. 703 (704). 13 Allein die Einleitung des Kommentars von Adomeit/Mohr enthält eine Fülle weiterer derartiger Äußerungen: „durch das AGG [wird] die Büchse der Pandora zum Denunziantentum geöffnet“ (Rn. 244); „der Zwang zur Tugend wird die Bereitschaft zu gesellschaftsdurchdringendem Lug und Trug fördern: als Notwehr zur Erhaltung der Freiheit!“ (Rn. 223); „die Antidiskriminierungsstelle […] kann gar nicht anders fungieren als wie eine Gesinnungspolizei“ (Rn. 246); „der ,Siegeszug‘ der Antidiskriminierung hat der Europa-Idee keineswegs genützt“ (Rn. 272); siehe auch Picker, FS Adomeit, S. 541 (542): „radikale Gleichmacherei“; Steiner, NZA 2008, S. 73 (74): „Das Gesetz [hat] mehr Privatautonomie beseitigt, als dies das BVerfG in seiner gesamten, mehr als 50jährigen Rechtsprechung vermochte“; Schmelz, ZRP 2003, S. 67 (67): „Das Überstülpen von politischen Wert- und Wertevorstellungen ist ein Relikt aus Zeiten totalitärer Staaten und sollte nicht wieder aus der historischen Mottenkiste hervorgekramt werden“; vgl. auch Säcker, BB-Beilage 6/2004, S. 16 (19), der sich über folgende Aussage von Baer empört, weil er sie auf sich bezogen versteht: Baer, ZRP 2002, S. 290 (Fn. 23): „Heute treten Faschisten für ungehinderte Freiheit ein, die ihnen ein Recht auf Diskriminierung sichert“. 14 Neuner, Vertragsfreiheit, S. 91; Krause, FS Adomeit, S. 377 (392): „Im ewigen Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit als den beiden zentralen Axiomen des westlichen Rationalismus neigt sich die Waage zusehends zur Gleichheit“. 15 Geregelt in den §§ 6 bis 18 AGG. 11
B. Die dogmatischen Wirrungen im AGG
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B. Die dogmatischen Wirrungen im AGG I. Die Durchmischung der Teilrechtsgebiete Im Antidiskriminierungsrecht herrscht tiefe dogmatische Verwirrung. Das AGG wird zwar überwiegend als im Kern privatrechtliches Gesetz verstanden,16 was wegen des privatrechtlichen Charakters der zentralen Rechtsbehelfe in § 15 AGG und § 21 AGG und der ansonsten äußerst knappen Bezugnahme auf das öffentliche Recht (§ 24 AGG) nicht weiter verwundert.17 Dennoch werden dem Gesetz weithin Zwecke beigemessen, die nach dem klassischen Grundverständnis unserer Rechtsordnung nicht zum Privatrecht gehören. Die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, Verhaltenssteuerung, Abschreckung, der Schutz vor Ausgrenzung, der Abbau von Vorurteilen oder gar Bestrafung sind Schlagworte, die man spontan mit dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht, kaum jedoch mit dem Privatrecht in Verbindung bringt. Genau diese Begriffe sind aber in der Diskussion um die AGGRegeln allgegenwärtig. Ein wesentlicher Einwand der Kritiker privatrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes besteht denn auch in der als fatal empfundenen Vermischung der Teilrechtsgebiete.18 § 15 AGG, die zentrale Sanktionsnorm im arbeitsrechtlichen Teil des AGG, wird als „Gesinnungszivilrecht“ mit „Strafcharakter“ bezeichnet.19 Es werden verschiedentlich „Systembrüche“20 attestiert, aus denen teilweise gar der Schluss auf eine (partielle) Verfassungswidrigkeit des AGG gezogen wird21. Beispiele für angemahnte Systembrüche sind etwa die von der h.M. angenommene Verschuldensunabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG22 sowie die Heranziehung von Kriterien für die Bestimmung der Entschädigungshöhe, die sich mit dem herkömmlichen Schadensausgleichsgedanken (scheinbar) nicht erklären lassen (z. B. das Vorliegen eines Wiederholungsfalls; der Verschuldensgrad; die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Diskriminierers; das Abschreckungsbedürfnis etc.)23. Auch die weithin akzeptierte Haftung des Arbeitgebers auf das positive Interesse bei unterbliebenen Einstellungen bzw. Beförderungen gemäß § 15 Abs. 1 AGG (Stichwort: „Ewigkeitshaftung“)24 oder die zahl16 A.A. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, Einleitung, Rn. 220, der die Ansicht vertritt, das Antidiskriminierungsrecht lasse sich weder dem öffentlichen Recht noch dem Privatrecht eindeutig zuordnen. 17 Siehe Rudolf/Mahlmann/Rudolf, 2007, S. 186 ff. 18 Siehe Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 79. 19 So Adomeit, NJW 2006, S. 2169 (2171). 20 Vgl. dazu etwa Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, Einleitung, Rn. 32 f. 21 Adomeit/Mohr, 2007, Einleitung, Rn. 277: „Verdacht gravierender Verfassungsverstöße“; Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 62; Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 101 f; ders. ZfA 2005, S. 167 (183 ff); wohl auch Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 78. 22 Dazu unten 4. Kap. A. II. 4. 23 Dazu unten 4. Kap. A. I. 2. b) bb). 24 Dazu unten 4. Kap. A. I. 1.
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Einleitung
reichen ungelösten Probleme im Rahmen der Aktivlegitimation25, etwa die umstrittene Frage, ob auch der sogenannte „professionelle Diskriminierungskläger“ als Förderer eines vermeintlichen Präventionszwecks anspruchsberechtigt ist, lassen Zweifel an der Systemkonformität der AGG-Regeln aufkommen. Andererseits wird auch von den Kritikern des Gesetzes anerkannt, dass das AGG, verstanden als Gesetz zum Schutz der Rechtsgüter der diskriminierten Arbeitnehmer vor integritätsverletzenden Übergriffen, mit der Privatrechtsidee durchaus konform geht.26 Es ist die Überlagerung der unterschiedlichen Programmatiken27, auf denen Antidiskriminierungsregeln basieren können, durch die das AGG so schwer fassbar wird. Die Gesetzesbegründung vermag die Konfusion kaum aufzulösen. Sie erschöpft sich in allgemeinen, vorwiegend historischen Erwägungen sowie (nicht immer) empirisch unterlegten Beschreibungen der Gesellschaftswirklichkeit. Das AGG wird als „Baustein einer umfassenden Integrationspolitik“ zur Überwindung einer „besorgniserregenden“ sozialen Lage begriffen.28 Lediglich an versteckter Stelle, bei der Frage nach der Höhe des Entschädigungsanspruchs im zivilrechtlichen Teil des Gesetzes29, findet sich ein Hinweis darauf, dass es (auch) um Integritätsschutz gehen soll. Dort30 heißt es: „Für die Geldentschädigung, die die Rechtsprechung […] bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus dem Schutzauftrag der Artikel 1 und 2 GG gewährt, steht der Gesichtspunkt der Genugtuung regelmäßig im Vordergrund […]. Auch für den spezialgesetzlichen Geldentschädigungsanspruch nach § 21 Abs. 2 Satz 1 und 3 wegen der in der Benachteiligung liegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung31 liegt hierin der maßgebliche Entschädigungszweck“.
Dies scheint ein hilfreicher Hinweis zu sein, wird durch ihn doch deutlich, dass es um Persönlichkeitsschutz gehen soll. Andererseits wird aber mit dem diffusen Begriff der „Genugtuung“ gerade ein Kriterium angesprochen, das seit seiner Schöpfung durch den BGH32 im Jahre 1955 äußerst umstritten ist.33 Insbesondere die Weiterentwicklung der Genugtuungsfunktion zur echten Präventionsfunktion im
25
Dazu unten 4. Kap. A. II. 1. Siehe Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 141 ff. 27 Eine Analyse der möglichen Programmatiken hinter modernen Antidiskriminierungsprogrammen findet sich bei Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 119 ff. Dabei lassen sich grundsätzlich drei Programmatiken ausmachen: die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, Verhaltenssteuerung und Integritätsschutz. 28 Etwa BT-Drucks. 16/1780, S. 25. 29 §§ 19 bis 21 AGG. 30 BT-Drucks. 16/1780, S. 46. 31 Hervorhebung durch den Verfasser. 32 BGH, 6. 7. 1955, Großer Zivilsenat 1/55, NJW 1955, S. 1675 ff. 33 Ausführlich unten 2. Kap. B. I. 2. d). 26
B. Die dogmatischen Wirrungen im AGG
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Rahmen des Geldersatzanspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen34 hat ähnlich heftige Reaktionen hervorgerufen wie die Antidiskriminierungsgesetzgebung.35 Teilweise sind die Kritiken sogar wortidentisch. Wiederum wird die Vermischung der Teilrechtsgebiete und die Einführung von „punitive damages“ kritisiert.36 Nicht zuletzt aus diesem Grunde lohnt sich der systematische Vergleich des Antidiskriminierungsrechts mit dem Persönlichkeitsrecht.
II. Der Einfluss des Europarechts Zunächst ist aber ein weiterer wichtiger Aspekt in der Gesetzesbegründung auszumachen. Mehrfach wird dort37 auf den europarechtlichen Zwang zur Schaffung einer Regelung verwiesen. Damit ist ein Umstand angesprochen, der zu dem schwer verständlichen Rechtsgebilde beigetragen hat. Der geltende Gesetzestext ist maßgeblich durch europäisches Recht geprägt. Wie eingangs gezeigt, dient das AGG der Umsetzung europäischer Richtlinien. Auch zahlreiche Einzelpunkte des Gesetzes und mit ihnen einhergehende Streitfragen lassen sich ohne Kenntnis der Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene kaum verstehen. Insbesondere gerät dabei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den Fokus. Das höchste europäische Gericht hat die geltenden Antidiskriminierungsregeln durch eine Fülle von Urteilen seit den 1970er Jahren wesentlich gestaltet. Mitgestaltet wäre eine Untertreibung. Deshalb widmet sich eines der ersten Kapitel dieser Arbeit der Analyse der europäischen Antidiskriminierungsgeschichte. Zur weiteren Verwirrung musste der europäische Einfluss wohl auch deshalb beitragen, weil es die in Deutschland relativ stringente Unterscheidung zwischen Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht auf europäischer Ebene nicht gleichermaßen gibt.38 Zudem ist durch die Fülle an spartanisch begründeten Einzelfallentscheidungen des EuGH nur schwer eine dogmatische Struktur europäischen (Antidiskriminierungs-)Rechts auszumachen.39 Auch eine gesamteuropäische Rechtswissenschaft, die diese Aufgabe übernehmen könnte, gibt es erst in Ansätzen. Überwiegend besteht in der nationalen Wissenschaft der Hang dazu, eine Vorgabe des EuGH als Systembruch zu geißeln, dann aber ohne eine genaue Untersuchung 34
BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 ff (Caroline I). Näheres unten 2. Kap. B. I. 2. d) dd). 36 Vgl. Stürner, AfP 1998, S. 1 (1); Dreier, GRUR Int. 2004, S. 706 (708); Rosengarten, NJW 1996, S. 1935 ff; Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (212 ff); Bydlinski, AcP 204 (2004), S. 309 (345); Seitz, NJW 1996, S. 2848 (2849). 37 Siehe etwa BT-Drucks. 16/1780, S. 1 und S. 23. 38 Siehe Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 336. 39 Vgl. zur Kritik an der Rechtsprechung des EuGH etwa Steiner, NZA 2008, S. 73 (74): „Man kann sich natürlich fragen, ob es dem deutschen Arbeitsrecht gut tut, den EuGH zu oft zu fragen“. 35
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Einleitung
dieses Bruchs das Augenmerk rasch auf die nun notwendig gewordene Umgestaltung der eigenen Rechtsordnung zu lenken, die dann nicht selten umfassend ausfällt. Dies ist ein Trend, der angesichts des Anwendungsvorrangs des Europarechts und des Auslegungsmonopols des EuGH sicherlich nachvollziehbar ist. Andererseits will sich die vorliegende Arbeit diesem Trend nicht vorbehaltlos anschließen. Die europäische Rechtsentwicklung und insbesondere die Rolle des EuGH, der sich selbst als „Motor der europäischen Integration“40 sieht, sollen durchaus kritisch hinterfragt werden. Hierauf wird noch an mehreren Stellen zurückzukommen sein.41
C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zum besseren dogmatischen Verständnis des AGG leisten. Bei dem Versuch der Entwirrung des oben beschriebenen Geflechts soll folgendermaßen vorgegangen werden: Es soll ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass es sich bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG um privatrechtliche Regelungen handelt, ein privatrechtliches Verständnis des AGG zu Grunde gelegt werden. Nach einer kurzen Darstellung der Grundstrukturen der geltenden Privatrechtsordnung soll in einem nächsten Schritt die durch das AGG geschützte Rechtsposition näher bestimmt werden. Wie bereits angedeutet, bietet sich hierfür eine enge Anlehnung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht an.42 Die erwähnte Passage der Gesetzesbegründung genauso wie die schlagende Ähnlichkeit der kritischen Einwände43 lässt ver40
Dazu ausführlich v. Danwitz, EuR 2008, S. 769 ff. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass das europäische Recht selbstverständlich in der Normenhierarchie Vorrang vor den nationalen Vorschriften hat. Trotz der immer noch vorhandenen Demokratiedefizite in der europäischen Gemeinschaft ist dieser Vorrang richtig und demokratisch begründbar. Probleme entstehen jedoch dann, wenn sich der Europäische Gerichtshof zu einem Ersatzgesetzgeber aufschwingt, indem er Voraussetzungen schöpft, die dem Primär- und Sekundärrecht nicht im Ansatz zu entnehmen sind. Richterliche Rechtsfortbildung, auch auf europäischer Ebene, hat Grenzen, die insbesondere im Gewaltenteilungsprinzip wurzeln. Wenn der europäische Gesetzgeber, obgleich sicherlich verwundert darüber, was er ohne es zu bemerken etwa beim Erlass einer Richtlinie nicht bereits alles gewollt hat, später (deklaratorisch) diese Voraussetzungen in den Wortlaut der nächsten Fassung der Richtlinie aufnimmt, dann stimmt demokratisch betrachtet schlichtweg die Reihenfolge nicht mehr. Vgl. auch die fundamentale Kritik an der Rechtsprechung des EuGH von Herzog/Gerken, DRiZ 2009, S. 141 ff: „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“. 42 Wobei hier bereits darauf hinzuweisen ist, dass dem AGG der Privatrechtscharakter selbst dann nicht automatisch abzusprechen wäre, wenn die These der Verwandtschaft von Diskriminierungsschutz und Persönlichkeitsschutz falsifiziert würde. Auch wenn es im AGG nicht um den Schutz der Persönlichkeit gehen sollte, könnte dennoch eine strukturell privatrechtliche Rechtsposition Gegenstand des Gesetzes sein. Methodisch bietet es sich jedoch an, zunächst von der Nähe zu einer bereits etablierten Rechtsposition auszugehen, bevor ausgehend von den abstrakten Strukturen ein privatrechtliches Verständnis versucht wird. 43 Siehe dazu bereits oben, Einleitung B. I. 41
C. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung
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muten, dass Antidiskriminierungsrecht und Persönlichkeitsrecht etwas miteinander zu tun haben. Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzudecken, bedarf es zunächst einer historischen Betrachtung sowohl der Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts als auch des Persönlichkeitsrechts. Der zweitgenannte Bereich kann dabei in die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes allgemein und seine Entwicklung speziell im Arbeitsrecht untergliedert werden. Anschließend sollen die zahlreichen, aber diffus vorgetragenen Einwände gegen ein Verständnis des AGG44 als Persönlichkeitsrechtsschutzgesetz im Einzelnen untersucht werden. Dabei wird zu klären sein, ob und inwieweit sich das Gesetz tatsächlich rein privatrechtlich verstehen lässt. Die so oft und so laut angeprangerten Systembrüche sollen dabei nicht bereits dort ausgemacht werden, wo dies dem einen oder anderen Autor rechtspolitisch wünschenswert erscheint. Vielmehr soll, soweit möglich, wertungsneutral analysiert werden, inwieweit die geltende Rechtslage klassisch privatrechtlich denkbar ist und wo die Grenzen verlaufen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen sodann auf ausgewählte, allesamt höchst umstrittene Einzelprobleme der zentralen arbeitsrechtlichen Sanktionsnorm, § 15 AGG, angewandt werden. Dabei geht es etwa um die Funktion des Entschädigungsanspruchs, das Verhältnis der Ansprüche in § 15 Abs. 1 und 2 AGG, das Erfordernis eines Vertretenmüssens, Fragen der Passivlegitimation sowie der Aktivlegitimation, die Bemessung des Entschädigungsanspruchs sowie die Höhe des Vermögensschadens, das Problem der Privilegierung bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen in § 15 Abs. 3 AGG oder um das Verhältnis von § 15 AGG zu den Schadensersatzansprüchen außerhalb des AGG. Nach der Untersuchung des kodifizierten Schadensersatzanspruchs soll schließlich der Frage nachgegangen werden, ob ein privatrechtliches Verständnis des AGG, konsequent zu Ende gedacht, dazu führen müsste, auch weitere Ansprüche, namentlich solche bereicherungsrechtlicher und negatorischer Art, anzuerkennen. Bereicherungsrechtliche Ansprüche sieht das AGG überhaupt nicht vor, negatorische Ansprüche enthält lediglich der zivilrechtliche Teil des AGG45, nicht aber der arbeitsrechtliche. Dies liegt nicht etwa daran, dass es keine bereicherungsrechtlichen oder negatorischen Sachverhaltskonstellationen gibt, die es zu regeln gälte. In bereicherungsrechtlicher Hinsicht sind dabei die Fälle der „customer preferences“ besonders interessant. Diese werden zwar kontrovers diskutiert, jedoch nur in Bezug auf die Rechtfertigungswirkung des diskriminierenden Kundenverhaltens für den Arbeitgeber.46 Es ließe sich jedoch erwägen, in diesen Konstellationen an eine bereicherungsrechtliche (Teil-)Abschöpfung des durch die Diskriminierung erlangten (zusätzlichen) Gewinns zu denken. Als mögliche Anspruchsgrundlagen kommen dabei § 812 Absatz 1 Satz 1 Var. 2 BGB (analog) und § 687 Absatz 2 Satz 1 BGB 44 Wenn im Folgenden vom AGG gesprochen wird, so beschränkt sich dies auf den arbeitsrechtlichen Teil des Gesetzes. 45 In § 21 Abs. 1 AGG. 46 Siehe dazu etwa Lobinger, EuZA 2009, S. 365 ff; Krause, FS Adomeit, S. 377 ff.
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Einleitung
(analog) in Betracht. Da das AGG bereits im vorausgehenden Verlauf der Untersuchung auf seine Tauglichkeit als Persönlichkeitsschutzgesetz untersucht worden sein wird, bietet es sich an, auch hier Parallelen zu ziehen. Dabei wird insbesondere auch der Rechtsstand zur Bereicherungsabschöpfung im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kritisch hinterfragt werden müssen.
1. Kapitel
Grundstrukturen des Privatrechts Wenn nun in einem ersten Schritt ein privatrechtliches Verständnis der arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG versucht werden soll, so sind zunächst die Grundstrukturen der geltenden Privatrechtsordnung zu skizzieren.
A. Eigentum und Vertrag Reduziert man die Grundstrukturen unserer Privatrechtsordnung, zumindest nach klassischem Verständnis,1 auf ihren absoluten Kerngehalt, so kann man schlagwortartig von „Eigentum und Vertrag“ sprechen.2 In diesem Begriffspaar kommen die Eckpfeiler unseres freiheitlichen Privatrechts zum Ausdruck. 1 Das hier beschriebene Privatrechtsverständnis (siehe dazu insb. die Nachweise in 1. Kap. Fn. 3) soll als Axiom der Arbeit dienen. Es handelt sich zugegeben um die klassische, liberale Privatrechtsidee. Die Basierung unseres Privatrechtssystems auf der Freiheit des einzelnen dürfte, gerade aus rechtshistorischer Sicht, aber nicht ernstlich in Frage stehen. Dennoch ließe sich einwenden, dass unser heutiges Privatrecht doch viel mehr sei als „Eigentum und Vertrag“. Dem ist zuzugeben, dass unsere Rechtsordnung sicherlich aus weit mehr als diesen beiden Prinzipien besteht. Ohne Mittel zur Schaffung eines sozialen Ausgleichs und ohne die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit wäre unsere Rechtsordnung wahrlich herzlos und kalt. Dem begrüßenswerten Streben nach sozialer Gerechtigkeit dürften auch Arbeiten dienen, die etwa das Sozialstaatsprinzip mit dem Privatrecht vereinigen wollen, vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat. Allerdings liegt der hiesigen Arbeit die Überzeugung zu Grunde, dass die funktionale Trennung der rechtlichen Subsysteme und die Schaffung klarer dogmatischer Strukturen für sich einen hohen Wert darstellen, weil sich nur so Rechtssicherheit und Rechtsklarheit herstellen lassen. Die Voraussehbarkeit des Rechts leidet, wenn man dogmatische Strukturen verwischt und sich darauf beschränkt, lediglich in jedem einzelnen Fall „Gerechtigkeit“ herstellen zu wollen. Natürlich muss gerade in der Praxis die Schaffung gerechter Einzelfallergebnisse im Vordergrund stehen. Dafür bedarf es aber zunächst der Anlegung genereller Bewertungsmaßstäbe, die anschließend am Einzelfall zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren sind. Nur durch eine solche deduktive Vorgehensweise sind Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit zu erzielen; vgl. zur Aufgabe der einzelnen Subsysteme Hoffmann, Zession, S. 44 ff; zum deduktiven Ansatz ebenda, S. 35. Es sei hier abermals betont, dass mit dem beschriebenen Axiom keinesfalls Rechtspolitik betrieben werden soll. Sollte unter Anlegung des liberalen Privatrechtsverständnisses ein „Systembruch“ attestiert werden, so bedeutet dies noch lange nicht, dass es hierfür keinen in der Gerechtigkeitsidee wurzelnden Grund gibt. Dies bitte ich bei Lektüre der Arbeit zu bedenken. 2 So etwa Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77) m.w.N. in Fn. 4; ähnlich ders., Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 102 f; ders., Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 89 ff.
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
I. Privatrecht als Zuweisungsordnung Mit dem Eigentum ist das Wesen unseres Privatrechtssystems als „Zuweisungsordnung“3 angesprochen. Dem Einzelnen wird eine Herrschaftssphäre zugewiesen, bestehend aus subjektiven Rechten, auf die kein Dritter ohne besondere Legitimation zugreifen darf. Die Gesamtheit der zugewiesenen (Ausschließlichkeits-)Rechte verkörpert die private Rechtssphäre des Einzelnen, seine „Privatheit“4, und ist Ausgangspunkt des Privatrechts.5 Das jeweilige Zuweisungsgut kann man als „Substanzrecht“6 bezeichnen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die ursprüngliche Zuweisung der Güter heteronom durch den Gesetzgeber erfolgt. Dieser kann die Substanzrechte im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben enger oder weiter fassen. Paradigmatisch ist, wie bereits die obige Bezeichnung dieses zentralen Prinzips zeigt, das in § 903 BGB geregelte Eigentum.7 Allerdings ist diese Vorschrift bei Weitem nicht die einzige Norm, die den Zuweisungsgehalt des Eigentums umschreibt. Es gibt eine Vielzahl weiterer Normen des Privatrechts (etwa §§ 904 ff BGB), aber auch des öffentlichen Rechts und des Strafrechts, die den Umfang des Eigentums definieren. Genannt seien etwa die nachbarschützenden baurechtlichen Vorschriften8, die umfassende Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums enthalten und dieses Substanzrecht somit konkretisieren.9 Bei der Zuweisung von Substanzrechten geht es um die Abgrenzung von Herrschafts- und Interessensphären, da ein ausgewogener Ausgleich zwischen den Privatrechtssubjekten bereits auf dieser Ebene verwirklicht werden muss. Vielfach geht es bei der Zuweisung der Substanzrechte auch um politische Entscheidungen. Dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber obliegt es, die Freiheitssphäre des einen zulasten der Freiheitssphäre eines anderen auszuweiten. Rechtspolitische Überle3 Dazu Picker, FS Canaris, S. 1001 (1017); ders., JZ 2010, S. 541 (546 ff); ders., FS Medicus II, S. 311 (317); ders., FS Lange, S. 625 (680 ff); Wilhelm, Sachenrecht, 2007, Rn. 64 ff; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 89 ff; Gebauer, Jura 1998, S. 128 (132); Holzapfel, GRUR 2002, S. 193 (195); Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142 ff; Hartmann, S. 22 ff; Hüftle, S. 68 ff; Bernhard, FS Picker, S. 83 (103 ff); Hoffmann, Zession, S. 35 ff m.w.N. in Fn. 1 (S. 35). 4 Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77). 5 Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77). 6 Zu dieser Terminologie: Picker, FS Canaris, S. 1001 (1017); ders., FS Medicus II, S. 311 (318); ders., JZ 2010, S. 541 (546); ders., FS Bydlinski, 2002, S. 269 (313 f); ders., FS Lange, S. 625 (680 ff); Gebauer, Jura 1998, S. 128 (132); Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142 f; Hartmann, S. 22; Bernhard, FS Picker, S. 83 (103 f). 7 Siehe Hartmann, S. 22; Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 89 f; Bernhard, FS Picker, S. 83 (103 f); Hoffmann, Zession, S. 57 f. 8 Vgl. zu den nachbarschützenden Vorschriften im öffentlichen Baurecht, Dürr, KommJur 2005, S. 201 ff. 9 Siehe Picker, FS Lange, S. 625 (680 ff); ders., AcP 176 (1976), S. 28 (42); ders., JZ 2010, S. 541 (551).
A. Eigentum und Vertrag
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gungen spielen dabei zweifellos eine bedeutende Rolle. In die Ausgestaltung des Umfangs eines Substanzrechts können insbesondere auch soziale Erwägungen einfließen. Die in das einfache Recht übertragene Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG, prägt etwa das gesamte Mietrecht und führt hier zu einer engeren Definition des eigentumsrechtlichen Herrschaftsbereichs des Vermieters, zu einer Einschränkung seiner Freiheitssphäre. Entscheidend auf der Ebene der Rechtszuweisung ist die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Umschreibung der Substanzrechte hat, wie ihm auch sonst bei der Gesetzgebung eine umfassende Einschätzungsprärogative zukommt, die aus seiner Stellung als demokratische Zentralgewalt10 folgt.
II. Der Vertrag als Mittel des Austausches von Zuweisungsgütern Die vom Gesetzgeber zugewiesenen Substanzrechte bilden sodann den Gegenstand, das „Substrat[…]“11, für einen nun anschließenden selbst bestimmten, marktmäßigen Austausches von Gütern zwischen den Rechtsteilnehmern. Das Mittel der Interaktion ist dabei der Vertrag.12 Er ermöglicht den einzelnen Rechtsteilnehmern, nach ihrem gemeinsam zu findenden Willen Rechtsgüter auszutauschen und mit Abschluss eines Vertrages eine neue Zuweisungsordnung zu schaffen.13 Die schuldrechtlichen Verträge bewirken hierbei zunächst eine neue relative Rechtszuweisung, die mit Vollzug des dinglichen Geschäfts auch absolute Wirkung bekommt. Diese autonome Bindung aufgrund der freien Willensübereinkunft ist grundsätzlich unabhängig von heteronomen Zwängen. Die Rolle des Staates beschränkt sich bei dem auf zweiter Ebene stattfindenden Austausch von Rechtsgütern auf die Gewährleistung einer wirklich autonomen Bindung. In Bereichen, in denen ein selbstbestimmter Austausch, eine freie Willensbildung, nicht möglich ist und damit ein funktionierender Markt nicht besteht, muss der Staat notfalls eingreifen. Dies ist etwa der Fall, wenn in Monopolbereichen beim Austausch bedeutsamer Güter ein Kontrahierungszwang über § 826 BGB von der Rechtsprechung und Literatur angenommen wird14 oder sogar gesetzlich vorgeschrieben ist. Will man jedoch das 10
Siehe Degenhart, Staatsrecht I, 2010, Rn. 266: Legislative als „Leitgewalt“. So Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77). 12 Siehe Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77). 13 Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (511 ff); Hartmann, S. 23; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 90 f. 14 Vgl. BGH, 2. 12. 1974, II ZR 78/72, NJW 1975, S. 771 ff; BGH, 26. 6. 1979, KZR 25/78, NJW 1980, S. 186 ff; BGH, 9. 11. 1989, IX ZR 269/87, NJW 1990, S. 761 (762); Staudinger/ Olzen, 2009, Einleitung zum Schuldrecht, vor § 241 BGB, Rn. 56; Staudinger/Bork, 2003, Vorb. zu § 145 BGB, Rn. 15 ff m.w.N.; Bydlinski AcP 180 (1980), S. 1 ff; Busche, Kontrahierungszwang, S. 124 ff. 11
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
Wesen der freiheitlichen Privatrechtsordnung wahren, so darf ein solcher Eingriff in die privatautonome Entscheidungsfreiheit nur als ultima ratio erfolgen.15 Bevor ein Eingriff erfolgt, hat der Staat über die Gestaltung des Steuerrechts, des Sozialrechts oder auch des Strafrechts die Funktionsfähigkeit des Privatrechtsystems zu gewährleisten, einen sozialen Ausgleich zu schaffen und Verteilungsgerechtigkeit sicherzustellen.16 Auch im Rahmen dieser Erforderlichkeitsprüfung ist jedoch eine weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers anzuerkennen.
B. Die Rechtsschutzfunktion des Privatrechts I. Die „Trias“17 der Schutzrechte Ein weiteres wesentliches Prinzip der geltenden Privatrechtsordnung folgt bereits daraus, dass eine Rechtszuweisung, ganz gleich ob sie durch den Gesetzgeber oder autonom mittels eines Vertrages erfolgt, kaum Sinn machen würde, wenn die Rechtsordnung den zugewiesenen Substanzrechten nicht auch einen umfassenden Rechtsschutz zukommen lassen würde18. Der Schutz des Substanzrechts muss dabei grundsätzlich in drei Richtungen erfolgen, damit es sich um vollkommenen Rechtsschutz handelt. Deshalb ordnet das Gesetz jedem Substanzrecht, sei es relativer oder absoluter Natur, drei Rechte zu, die man als „Schutzrechte“19 bezeichnen könnte: Erstens einen auf Rechtsverwirklichung gerichteten negatorischen Beseitigungsund Unterlassungsanspruch im Falle der fremden Rechtsusurpation. Dieses Schutzrecht kommt paradigmatisch in § 1004 BGB zum Ausdruck, der nach einhelliger Ansicht20 einen weit über das Eigentum hinausgehenden Anwendungsbereich hat. 15
Staudinger/Bork, 2003, Vorb. zu § 145 BGB Rn. 22; Neuner, Vertragsfreiheit, S. 80 f: Die private Inanspruchnahme muss das letzte Mittel vor der planwirtschaftlichen Versorgung sein. 16 Neuner, Vertragsfreiheit, S. 80: „Primat des Steuerrechts“; siehe auch Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 116 ff. 17 Picker, JZ 2010, S. 541 (546). 18 Picker, FS Gernhuber, S. 315 (340); ders., FS Bydlinski, S. 269 (314); ders., FS Canaris, S. 1001 (1017); ders., FS Medicus II, S. 311 (317); Hartmann, S. 22; Bernhard, FS Picker, S. 83 (104); Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 92 f; Gebauer, Jura 1998, S. 128 (132); Hoffmann, Zession, S. 35 ff. 19 Bezeichnung nach Picker, FS Lange, S. 625 (680 ff); ders., AcP 183 (1983), S. 369 (511 ff); ders., FS Bydlinski, 2002, S. 269 (313 ff): „drei fundamental[e] Haftungssysteme“; ders., FS Canaris, S. 1001 (1018 ff); ders., FS Medicus II, S. 311 (317 ff); ders., JZ 2010, S. 541 (546 f); Hartmann, S. 22; Lobinger, RdA 2011, S. 76 (77); Bernhard, FS Picker, S. 83 (104); Hoffmann, Zession, S. 36. 20 BeckOK-BGB/Fritzsche, Stand: 1. 8. 2010, § 1004 BGB, Rn. 2 ff mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; Jauernig/Jauernig, 2009, § 1004 BGB, Rn. 2; zur An-
B. Die Rechtsschutzfunktion des Privatrechts
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Zweitens sieht das Gesetz die Möglichkeit der Bereicherungsabschöpfung bei rechtswidriger Inanspruchnahme des Substanzrechts vor. Derartige Schutzrechte enthalten etwa die §§ 812; 28521; 326 Abs. 2 Satz 2; 346 Abs. 1, Abs. 3 Satz 222; 816; 615 Satz 2; 878, Abs. 1 oder 988 BGB.23 Und drittens besteht bei rechtswidrigen Beschädigungen des Substanzrechts regelmäßig die Pflicht des Schädigers zur Restitution unter Rückgriff auf sein eigenes Vermögen. Dieser Schutzrichtung lassen sich etwa die Ansprüche aus §§ 823; 280; 989 (i.V.m. 990); 818 Abs. 4 (i.V.m. 819 Abs. 1); 292 i.V.m. 989, 990 und 346 Abs. 4 i.V.m. 280 BGB zuordnen.24
II. Die verhaltenssteuernde Wirkung der drei Schutzrechte In neuerer Zeit wurde in der zivilrechtlichen Diskussion verstärkt über die Legitimität der Heranziehung des Privatrechts zur präventiven Verhaltenssteuerung diskutiert.25 Dabei wird von den Befürwortern einer solchen Präventivfunktion regelmäßig der Stand von Rechtsprechung und Wissenschaft im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie auf dem Gebiet des Antidiskriminierungsrechts als Beweis für die Richtigkeit ihrer Ansicht genannt.26 In beiden Bereichen hat die Rechtsprechung präventive, auf Abschreckung zielende Gesichtspunkte wiederholt zur Begründung von Entscheidungen herangezogen.27 Und in beiden Bereichen haben die Gegner einer solchen Präventivfunktion die Durchmischung von Zivilrecht und Strafrecht scharf kritisiert und die „Amerikanisierung des Privatrechts“28 durch die Einführung von „punitive damages“29 angeprangert. Ausgetragen wird der Streit
wendung von § 1004 BGB im Rahmen des Persönlichkeitsrechts MüKo-BGB/Baldus, 2009, § 1004 BGB, Rn. 7 f. 21 Dazu ausführlich Hartmann, commodum. 22 Für ein bereicherungsrechtliches Verständnis des Rücktrittsrechts, Soergel/Lobinger, 2010, Vor § 346 BGB, Rn. 18 ff. 23 Aufzählung nach Lobinger, RdA 2011, S. 76 (82). 24 Aufzählung nach Lobinger, RdA 2011, S. 76 (82). 25 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 ff m.w.N; Schubert, JR 2008, S. 138 ff; Möller, Präventionsprinzip; Ebert, Pönale Elemente; Müller, Punitive Damages; Schlobach, Präventionsprinzip. 26 Etwa Möller, Präventionsprinzip, S. 170 ff (zum APR) und S. 212 ff (zu § 611a BGB a.F.). 27 Für den Bereich des APR: BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 ff (Caroline I) und BGH, 5. 12. 1995, VI ZR 332/94, NJW 1996, S. 984 ff (Caroline II). Für das Antidiskriminierungsrecht: EuGH, 10. 4. 1984, Rs. 14/83, NZA 1984, S. 157 ff (Colson/Kamann); EuGH, 22. 4. 1997, Rs. C 180/95, NZA 1997, S. 645 ff (Draehmpaehl). 28 So der Arbeitstitel von Diller, FA 2001, S. 97 ff; ähnlich Adomeit/Mohr, NJW 2007, S. 2522 (2524); dagegen Kasper, NZA-RR 2003, S. 1 (5). 29 Ausführlich zum Begriff Müller, Punitive Damages, S. 7 ff.
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
überwiegend im Schadensrecht, das in den beiden genannten Rechtsgebieten besonders ausdifferenziert ist. Um die Ursache der Auseinandersetzung verstehen und eine Antwort geben zu können auf die Frage, warum sich eine Präventivfunktion im Schadensrecht dieser beiden Rechtsgebiete durchsetzen konnte, müssen die geschichtlichen Hintergründe und Entwicklungen zuvor genauer betrachtet werden.30 An dieser Stelle sei jedoch bereits soviel gesagt: Eine verhaltenssteuernde Wirkung kommt der Trias an Schutzrechten zweifellos zu. Dass es einen präventiven Effekt hat, wenn ein Schädiger unter Rückgriff auf sein eigenes Vermögen31 ein verletztes Rechtsgut reparieren muss, gleichzeitig als Kondiktionsschuldner einen ihm nicht zustehenden Vorteil auszukehren hat und zudem als Störer auf eigene Kosten32 ein usurpiertes Recht freigeben und künftiges Unterlassen geloben muss, steht außer Frage. Gerade das Zusammenspiel der drei Schutzrechte veranlasst jeden einzelnen dazu, den Rechtskreis der anderen Rechtsteilnehmer zu respektieren. Erst dann, wenn die sorgsam ausdifferenzierten und in ihrer Reichweite und Funktion richtig verstandenen Schutzrechte im Einzelfall ausnahmsweise keinen umfassenden Rechtsschutz zu leisten vermögen, sind weitergehende Überlegungen anzustellen, etwa dahingehend, ob im Einzelfall besondere zivilrechtliche Instrumentarien existieren, die als Notbehelf eine Prävention sicherstellen können, oder ob die anderen Teilrechtsgebiete diese Aufgabe zu übernehmen haben.33
C. Integritätsschutz und Rechtskreiserweiterung I. Der Vertrag als dynamische Komponente des Privatrechts Aus den bisher dargelegten Strukturen wird bereits klar, dass innerhalb einer Privatrechtsordnung der marktmäßige Austausch der Rechtsgüter, den der Einzelne mit dem Ziel der Rechtsgüteraufstockung betreibt, Sache des Vertragsrechts ist.34 Nur durch die Erzielung eines gemeinsamen Willens mit einem anderen Rechtsteilnehmer kann der Einzelne seinen Rechtskreis erweitern, sein Vermögen in der Zusammensetzung verändern und im Idealfall vergrößern. Der Vertrag repräsentiert somit die dynamische Komponente des Privatrechts, die auf Veränderung und Entfaltung abzielt. Ihre Legitimation zieht die Verpflichtung des Einzelnen, einem anderen zur Rechtskreiserweiterung zu verhelfen, aus dem dieser Verpflichtung zu 30
Dazu sogleich in Kap. 2. Siehe zur enteignenden Wirkung von Restitutionspflichten, Lobinger, JuS 1997, S. 981 (983); ders., Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 92 f. 32 Zur Kostentragungspflicht des Störers siehe Lobinger, JuS 1997, S. 981 (983); ausführlich Hoffmann, Zession, S. 65, Fn. 160 m.w.N. 33 Siehe dazu insbesondere die Diskussion hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 687 Abs. 2 BGB in den Diskriminierungsfällen unten, 4. Kap. B. IV. 34 Siehe Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 90 ff; S. 31 f. 31
C. Integritätsschutz und Rechtskreiserweiterung
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Grunde liegenden autonomen Willen. Dass grundsätzlich allein dieses so genannte „Willensdogma“ eine Rechtfertigung des enteignenden Zugriffs auf fremde Rechtskreise im Rahmen einer Austauschbeziehung bilden kann, wurde von anderen35 bereits ausführlich dargelegt. Aus diesem Grundprinzip der Privatrechtsordnung folgt unmittelbar, dass echte güteraufstockende Leistungspflichten sowie wertgleiche Pflichten zum Ersatz des positiven Interesses grundsätzlich nur entstehen können, wenn dahingehende rechtsgeschäftliche Erklärungen vorliegen.36 Bei Normen, die eine schuldrechtliche Leistungspflicht oder die Ersetzbarkeit des Erfüllungsinteresses scheinbar illegitim, ohne einen zugrunde liegenden Willen zur Güteraufstockung anordnen, ist dies bei Lichte besehen zumeist gar nicht der Fall.37 Insbesondere kann auch die Ersetzbarkeit des positiven Interesses nicht allein mit dem privatrechtlich ebenfalls erforderlichen38 Integritätsschutz erklärt werden. Das Schadensrecht stellt eine ausreichende Legitimation für den enteignenden Zugriff auf einen fremden Rechtskreis nur insoweit dar, als hierdurch bereits zugewiesene Rechtsgüter geschützt werden. Keinesfalls werden durch die Schadensersatzpflicht aber selbst Güter zugewiesen. Mit der Ersetzbarkeit des positiven Interesses wird lediglich dem Umstand Rechnung getragen, dass inter partes durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung bereits eine neue relative Rechtszuweisung erfolgt ist. Diese Zuweisung kann sich folglich immer nur durch den Willen des Verpflichteten legitimieren, weshalb bei Fehlen dieses Willens ein Ersatz des positiven Interesses nicht in Betracht kommt.
II. Der Integritätsschutz als statische Komponente des Privatrechts Repräsentiert der Vertrag somit den dynamischen Teil des Privatrechts, so wird der Bestandsschutz weitestgehend durch das Deliktsrecht verwirklicht. Die Integrität der bereits vorhandenen Rechtsgüter zu sichern, hat mit dem vertraglichen Versprechen zunächst nichts zu tun.39 Der Vertrag als Rechtsgeschäft ist für den Bestandsschutz ohne Bedeutung.40 Dies wird oftmals deshalb verkannt, weil das Vertragsrecht im Vergleich zum außervertraglichen Bereich einen weitergehenden In35
Siehe Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 89 ff, insb. S. 94 f, m.w.N. auch für konträre Ansichten. 36 Siehe Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 94 f. 37 Siehe ausführlich Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 107 ff. 38 Vgl. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 92 ff, wonach der enteignende Zugriff auf einen fremden Rechtskreis sich nur mit dem Willen des Rechtsinhabers oder mit dem Schutz des Rechtskreises des Eingreifenden legitimieren lässt. 39 Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (403) spricht von der „totalen Irrelevanz der vertraglichen Beziehung für die ,vertraglich‘ gedeutete Haftung auf Schadensersatz bei der Verletzung von Integritätsinteressen“. 40 Siehe Picker, JZ 1987, S. 1041 (1045); Katzenstein, Jura 2004, S. 800 (803 ff) m.w.N.
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
tegritätsschutz gewährleistet: Während im außervertraglichen Bereich reine oder primäre Vermögensbestandteile im Regelfall41 nicht geschützt sind, sondern nur absolute Rechte, ist dies im vertraglichen Bereich anders. Zudem gewährt der vertragliche Integritätsschutz geschädigtenfreundlichere Beweislastregelungen42 und ein Mehr an Zurechnung von schädigendem Verhalten Dritter43. Dies alles führte in der Rechtsentwicklung zu einer ständigen Ausweitung der vertraglichen Haftung in den außervertraglichen Bereich hinein, insbesondere zur Entwicklung der Rechtsfigur culpa in contrahendo44, die jetzt in §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommen soll.45 Die Vermischung von Vertrag und Integritätshaftung verstellt jedoch den Blick darauf, dass das eigentliche vertragliche Versprechen immer nur dahin geht, das fremde Vermögen aufzustocken oder, allgemeiner gesprochen, den fremden Rechtskreis zu vergrößern, nicht aber auch dahin, einen stärkeren Bestandsschutz hinsichtlich der vorhandenen Güter zu sichern.46 Mit der rechtsgeschäftlichen Zusage zur Vermögensaufstockung lässt sich die vertragliche Integritätshaftung nicht erklären.47 Vielmehr wird man davon ausgehen müssen, dass jegliche Integritätshaftung vom Grundsatz neminem laedere48 ausgeht.49 Danach müssen Schäden, die auf rechtswidriges Verhalten zurückzuführen sind, grundsätzlich immer ausgeglichen werden. Da jedoch die allgemeine Handlungsfreiheit durch eine allumfassende Ersatzpflicht über Gebühr eingeschränkt würde, bedient sich das Gesetz unterschiedlicher Mittel der Haftungsbegrenzung, die alle zunächst auf eine Verminderung der Anzahl der Haftungsgläubiger hinauslaufen.50 Im außervertraglichen Bereich wird die Reduzierung der potentiellen Gläubigerzahl durch die grundsätzliche Beschränkung der Ersatzpflicht auf die Fälle der Verletzung absoluter Rechte erreicht. Diese bieten sich insoweit an, als diese Rechte aufgrund ihrer typischen 41
Ausnahmen: § 826 BGB; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB etc.; § 824 BGB. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. 43 § 278 BGB im Vergleich zu § 831 BGB. 44 Zurückgehend auf Jhering, JhJb 4, S. 1 ff. 45 Siehe zur Geschichte und den Entstehungsgründen der c.i.c. MüKo-BGB/Emmerich, 2007, § 311 BGB, Rn. 55 ff; vgl. auch Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 94; Jauernig/ Stadler, 2009, § 311 BGB, Rn. 34; eingehend zu den Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf die c.i.c., Mertens, ZGS 2004, S. 67 ff. 46 So Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (403); ders., JZ 1987, S. 1041 (1044); Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Richardi/Buchner, 2009, § 31, Rn. 3. 47 Picker, JZ 1987, S. 1041 (1045); vgl. auch die Kritik an der „mystifizierende[n] Überhöhung des Schuldverhältnisses“ von Lobinger, ZfA 2004, S. 101 (118 ff; insb. Fn. 90). 48 Zur Herkunft dieses Prinzips: Picker, JZ 1987, S. 1041 (Fn. 43). 49 Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (462); ders., JZ 1987, S. 1041 (1048); Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 35 ff; Katzenstein, Jura 2004, S. 800 (805); Bernhard, FS Picker, S. 83 (95); für das Arbeitsrecht: Staudinger/Richardi, 2005, § 611 BGB, Rn. 569; ders., NZA 2002, S. 1004 (1011); Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Reichold, 2009, § 49, Rn. 14 sowie § 51, Rn. 1. 50 Picker, JZ 1987, S. 1041 (1053); Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 36 f. 42
C. Integritätsschutz und Rechtskreiserweiterung
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Körperlichkeit (Eigentum, menschlicher Körper) einen für alle Teilnehmer des Rechtsverkehrs leicht zu überschauenden Rechtsraum darstellen, in den einzudringen grundsätzlich verboten ist.51 Bei diesen so genannten „sozialtypisch offenkundigen Gütern“52 weiß der Rechtsgenosse unmittelbar, wo die allgemeine Handlungsfreiheit endet und der geschützte (private) Bereich beginnt.53 Beim absoluten Recht handelt es sich jedoch um keine naturrechtliche, sakrosankte Vorgabe, sondern um ein profanes Mittel zur Haftungsbegrenzung. Als hiermit strukturell völlig homogen54 erweist sich die (vor-) vertragliche Integritätshaftung. Die Anzahl der Haftungsgläubiger wird dort durch das Institut der Sonderverbindung beschränkt. Ist ein besonderes Verhältnis zu einer bestimmten Person oder einem bestimmten Personenkreis geschaffen, so ist es zwanglos möglich, dieser reduzierten Personenzahl in weiterem Umfang Schäden zu ersetzen, als dies gegenüber jedermann der Fall ist. Die allgemeine Handlungsfreiheit wird hierdurch nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt. Picker, der das vorstehende Konzept entwickelt und ausführlich dargestellt hat, beschreibt die Sonderverbindung als im Hinblick auf die Integritätshaftung mit dem absoluten Recht funktionsgleiches „Nadelöhr“.55 Schwierig ist freilich die Klärung, ab wann eine Sonderverbindung bejaht werden kann und wann man sich noch (bzw. wieder) im außervertraglichen Bereich befindet. § 311 Abs. 2 BGB gibt darauf eine sehr vage Antwort. Das Jahrhundertproblem, eine stringente Definition der Sonderverbindung zu finden, kann hier freilich nicht gelöst werden.56 Für den weiteren Gang der Untersuchung gilt es sich nur klarzumachen, dass der Integritätshaftung im vertraglichen und außervertraglichen Bereich der gleiche Gedanke zu Grunde liegt und dieser mit der güteraufstockenden Funktion des Vertrages als Rechtsgeschäft nichts gemein hat.
III. Die Wirkung der Grundrechte Die soeben beschriebene Zweiteilung (Integritätsschutz/Rechtskreiserweiterung) findet ihre Entsprechung im herrschenden Grundrechtsverständnis. Dabei geht es 51
Bernhard, FS Picker, S. 83 (104 f). Bernhard, FS Picker, S. 83 (104). 53 Da dies beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht und beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gerade nicht der Fall ist, gelten für diese als „absolute Rechte“ anerkannten Positionen Sonderregeln; insbesondere bedarf es einer umfassenden Interessensabwägung, in deren Rahmen die allgemeine Handlungsfreiheit des Schädigers zu berücksichtigen ist, siehe dazu unten 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 54 Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (479 ff); Katzenstein, Jura 2004, S. 800 (805). 55 Picker, JZ 1987, S. 1041 (1053); ähnlich Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 37: „Filterfunktion“. 56 Vgl. dazu die Monographie von Krebs, S. 210 ff. 52
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
weniger um die auf nationaler Ebene57 mittlerweile wohl geklärte Frage, ob Grundrechten im Privatrecht unmittelbare58 oder, wovon die herrschende Ansicht ausgeht, mittelbare59 Wirkung zukommt. Vielmehr geht es darum, dass die Grundrechte nach einhelliger Ansicht im öffentlichen Recht nicht mehr lediglich eine Abwehrfunktion haben, sondern ihnen auch eine Schutz-, Leistungs- und Teilhabefunktion zukommt.60 Der Staat muss sich nicht lediglich aus der Freiheitssphäre der Bürger heraushalten, sondern er muss im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit und des finanziell Machbaren auch dafür Sorge tragen, dass die Grundrechtsberechtigten sich frei entfalten und am gesellschaftlichen Leben tatsächlich teilhaben können. Der Staat muss Chancengleichheit herstellen und durch Güterumverteilung einen sozialen Ausgleich schaffen. Auch wenn dabei erhebliche Spielräume bestehen, die je nach politischer Couleur ein Mehr oder ein Weniger an sozialem Ausgleich zur Folge haben, ist diese Grundrechtsdogmatik allgemeinhin akzeptiert. Im öffentlichen Bereich besteht damit durchaus eine Pflicht zur (Unterstützung bei der) Rechtskreiserweiterung. Dies ist im Privatrecht anders. Und dabei ist es nicht entscheidend, ob man davon ausgeht, dass die Grundrechte auch Abwehrrechte gegen andere Private darstellen und insoweit unmittelbare Wirkung haben. Denn damit ist noch nicht gesagt, dass ihnen auch eine Leistungs- und Teilhabefunktion zukommt. Dies wird jedoch, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten. Teilhabe und Entfaltungschancen müssen Private einander grundsätzlich nicht gewährleisten,61 weder im vermögenswerten noch im ideellen Bereich. Insbesondere kann ein Privatrechtssubjekt nicht allein unter Berufung auf seine verfassungsrechtliche Privatautonomie von einem anderen den Abschluss eines Vertrages verlangen.62 Die Grundrechte bieten hierfür keine ausreichende Legitimationsgrundlage. Pflichten zur Rechtskreiserweiterung bedürfen 57 Anders auf europäischer Ebene, wo die erst seit kurzem bestehende Verbindlichkeit der europäischen Grundrechtecharta nun dazu führen dürfte, dass sich eine eigene Grundrechtsdogmatik herausbildet. Die Frage nach der mittelbaren oder unmittelbaren Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverhältnis wird hierbei erneut gestellt werden, siehe v. Danwitz, ZRP 2010, S. 143 (146) sowie Meyer/Borowsky, 2011, Art. 51 EU-Charta, Rn. 31; speziell für das Arbeitsrecht Hanau, NZA 2010, S. 1 (4 f), der davon ausgeht, dass die europäischen Grundrechte „nicht nur zu einer Intensivierung der richtlinienkonformen Auslegung führen [können], sondern sogar zu einer Anerkennung der horizontalen Wirkung von Richtlinien unter Privaten“; vgl. auch Ritter, NJW 2010, S. 1110 ff, der in der europäischen Grundrechtecharta eine „neue Werteordnung für die Gesetzesauslegung“ erblickt. 58 In diesem Sinne Nipperdey, RdA 1950, S. 121 (125) und früher auch das BAG, 15. 1. 1955, 1 AZR 305/54 NJW 1955, S. 684 (686); heute dagegen ganz anders BAG, 27. 5. 2004, 6 AZR 129/03, NZA 2004, S. 1399 (1401). 59 Maunz/Dürig/Herdegen, 2010, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 59 ff; Pieroth/Schlink, 2010, Grundrechte, Rn. 189 ff. 60 Jarass/Pieroth/Jarass, 2011, Vorb. zu Art. 1 GG, Rn. 6 ff; ErfK/Dieterich, 2011, GG, Einleitung, Rn. 33 ff; Pieroth/Schlink, 2010, Grundrechte, Rn. 95 ff: Der Staat muss die Bedingungen der Freiheit schaffen und sichern. 61 MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130 f. 62 Siehe Boemke/Gründel, ZfA 2001, S. 245 (253 ff).
D. Die Allgemeingültigkeit dieser Grundsätze
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hiernach einer anderen Rechtfertigung, die in der gemeinsamen Willensübereinkunft bereits gefunden wurde.
D. Die Allgemeingültigkeit dieser Grundsätze I. Die Geltung der Grundsätze für immaterielle Rechtspositionen Bisher wurde überwiegend von „Vermögensaufstockung“, „Vermögensschutz“, „Vermögensabschöpfung“ etc. gesprochen. Obgleich das Gesetz immaterielle Rechtspositionen auf den ersten Blick anders behandelt und ihm ihr Schutz weniger wichtig zu sein scheint, wie etwa § 253 Abs. 1 BGB nahelegt, funktioniert der Schutz von Nichtvermögensinteressen im Prinzip völlig gleich. Die eigentlichen Probleme liegen hier woanders, wie noch zu zeigen sein wird.63 Auch zugewiesene immaterielle Güter sind grundsätzlich dreifach geschützt. Exemplarisch sei hier im Vorgriff auf den weiteren Gang der Untersuchung das von der Rechtsprechung aus Art. 1 i.V.m. 2 GG entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen der „Medienfälle“ genannt.64 Wird etwa unerlaubt ein (intimes) Foto einer prominenten Person zu Werbezwecken verwendet oder eine unrichtige Behauptung über sie aufgestellt, so kann sie gestützt auf § 1004 BGB (analog) auf Unterlassung und Widerruf klagen, gemäß § 823 Absatz 1 BGB beim Vorliegen von Verschulden Schadensersatz auch für erlittene immaterielle Schäden verlangen und letztlich über § 812 Absatz 1 Satz 1 Var. 2 BGB eine „fiktive Lizenzgebühr“ beanspruchen.65 Die Trias an Schutzrechten besteht somit grundsätzlich auch hier. Hinzu kommt, dass auch eine Aufstockung immaterieller Güter im Privatrecht grundsätzlich nur aufgrund eines privatautonomen Willensaktes in Betracht kommt und der vertragliche und deliktische Integritätsschutz hiervon zu trennen ist. Beispielsweise müssen die durch eine Urlaubreise erstrebten Glücksgefühle und immateriellen Vorteile nur Reiseveranstalter im Rahmen eines Reisevertrages dem Reisenden zuwenden (bzw. dies gemäß der vertraglichen Vereinbarung versuchen). Zielt die Vereinbarung auf einen immateriellen Güterzuwachs, ist dieser zu gewähren. Ohne rechtsgeschäftliche Legitimation sind Private untereinander auch nicht zur Erweiterung ihrer immateriellen Rechtskreise verpflichtet. Ansonsten wird durch die Rechtsordnung lediglich sichergestellt, dass der Bestand an vorhandenen immateriellen Werten vor rechtswidrigen Eingriffen geschützt ist.66 Auch der immaterielle Integritätsschutz ist Ausdruck der Rechtsschutzfunktion des Privatrechts. 63 64 65 66
Siehe unten 2. Kap. B. I. 2. d) aa). Siehe dazu ausführlich unten 2. Kap. B. I. Siehe MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 201 ff. Vgl. MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130.
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
II. Die innere Struktur der Substanzrechte Zusammenfassend lässt sich aus den vorgenannten Grundsätzen eine allgemeine Erkenntnis über die innere Struktur der privaten Substanzrechte gewinnen: Aus sich selbst heraus sind sie nie auf Vergrößerung oder Erweiterung gerichtet. Genauso wie der Kuchenteig ohne Hefe sich nicht verändert, kann auch die Masse der Substanzrechte nach dem Zuweisungsakt nicht von allein wachsen. Ohne vertragliche Willensübereinkunft vergrößert sich der private Rechtsraum eines Einzelnen gegenüber bzw. auf Kosten anderer Privater nicht. Freilich steigt durch die vermehrte Zuweisung von Rechten die faktische Möglichkeit, den ursprünglichen Rechtsraum zu vergrößern, erheblich an, wobei diese Möglichkeit mit erweitertem Rechtskreis zudem stetig weiter wächst. Bei Eigentums- und Vermögensrechten wird dies besonders deutlich. Ohne jegliche Umverteilung von Gütern, die nach der herkömmlichen Aufgabenverteilung der Rechtsgebiete über das öffentliche Recht, insbesondere das Steuerrecht, zu erfolgen hat, würden „die Reichen“ zweifellos immer reicher und „die Armen“ immer ärmer. Dies resultiert jedoch allein aus der Tatsache, dass derjenige, der mehr hat, im Rechtsverkehr eben auch mehr anzubieten hat. Wer über eine größere Zahl an Substanzrechten verfügt, hat je nach dem Nutzungspotential derselben auch mehr Handlungsoptionen, für die er sich entscheiden kann. Die daraus folgende rechtskreiserweiternde Wirkung von Substanzrechten ist aber rein tatsächlicher und nicht rechtlicher Natur. Ohne die (gemeinsame) Entscheidung verändert sich der Rechtsbestand des einen zulasten des anderen nicht. Die rechtliche Zielrichtung der Substanzrechte und damit auch der ihrem Erhalt bzw. ihrer Verwirklichung dienenden Schutzrechte hat mit ihrer tatsächlichen Wirkung nichts zu tun.
E. Die Beschränkung der Privatautonomie durch das AGG Die Verwirklichung des Güteraustausches als dynamische Komponente des Privatrechts erfolgt, wie gezeigt, durch den Vertrag als Rechtsgeschäft. Den Grundpfeiler des Vertragsrechts bildet die in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Privatautonomie.67 Das wichtigste Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie stellt die Vertragsfreiheit dar. Diese umfasst neben der freien Entscheidung über das Ob und den Inhalt eines Vertragsabschlusses gerade auch die freie Wahl des Vertragspartners (Abschlussfreiheit).68 Und das Entscheidende daran ist der fehlende Rechtfertigungszwang über die inneren Beweggründe der Wahl. In jeder Auswahl eines Vertragspartners liegt aber zugleich eine Diskriminierung all jener Vertragsinteressenten, mit denen kein Vertrag geschlossen wird. Das gesamte marktwirtschaft67
Zu diesem grundlegenden Rechtsprinzip vgl. etwa Staudinger/Coing/Honsell, 2004, Einleitung zum BGB, Rn. 113. 68 Flume, AT, Bd. 2, S. 12 f; Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 103.
E. Die Beschränkung der Privatautonomie durch das AGG
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liche Vertragswesen lebt von Zurückweisungen und Unterscheidungen. Picker bezeichnet die alltägliche Diskriminierung all derer, mit denen nicht kontrahiert wird, als konstituierend für eine freie wirtschaftliche Ordnung und das Funktionieren eines jeden Marktes als „Garant von Pluralismus und Marktmechanismus“.69 Es ist unbestreitbar, dass sich gerade durch Diskriminierungen Angebot und Nachfrage aufeinander abstimmen. Ohne diese Diskriminierungen im Sinne eines „Unterscheidungs-, Bewertungs-, und Auswahlverfahrens“70 ist Privatrecht undenkbar. Antidiskriminierungsregeln werden von ihren Kritikern nicht zuletzt deshalb so harsch angegangen, weil sie in offenem Widerspruch hierzu stehen. Ein Verhalten wird sanktioniert, das die Basis des marktwirtschaftlichen Systems darstellt. Andererseits darf es mittlerweile als gesicherte Erkenntnis gelten, dass ein freier Markt eben immer auch zahlreiche Verlierer produziert71 und sogar die innere Tendenz zur Selbstzerstörung haben kann.72 Neben dem über das öffentliche Recht zu schaffenden sozialen Ausgleich und der staatlichen Regulierung in bestimmten Bereichen73 muss ein ungezügeltes Marktstreben, das auf Kosten der Rechte anderer geht, auch mit Mitteln des Privatrechts bekämpft werden. Dies wird von den Kritikern moderner Antidiskriminierungsprogramme auch nicht bezweifelt. Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines privatrechtlichen Marktsystems ist das Gegenübertreten von Rechtsteilnehmern, die sich als gleichberechtigt akzeptieren. Deshalb ist Diskriminierungen, die einem friedlichen Zusammenleben entgegenstehen und zu sozialen Verwerfungen führen können, auch mit Mitteln des Privatrechts zu begegnen.74 Insoweit besteht Einigkeit. Gemeint sind dabei zuvorderst diejenigen Diskriminierungen, die einen anderen herabwürdigen, in seiner Ehre verletzen und ihm die Stellung als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft absprechen. Diese „hässlichen“75 Diskriminierungsformen werden seit jeher auch von dem auf Privatautonomie basierenden Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geduldet und entsprechend sanktioniert.76 Picker bezeichnet dies im Zusammenhang 69 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 43; siehe auch S. 26: „positive Funktion von ,Diskriminierung‘“; ähnlich Neuner, JZ 2003, S. 57 (58): „systemimmanente Diskriminierungen“. 70 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 26; ders., FS Adomeit, S. 541 (547 ff); ders., ZfA 2005, S. 167 (171). 71 So Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 108. 72 Wie die Finanz- und Wirtschaftskrise unlängst einmal mehr deutlich gezeigt hat. 73 Wie dem Bankensektor als Auslöser eben dieser Krise. 74 So Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 43; ders., Privatrechtsgesellschaft, S. 207 (257); ders., ZfA 2005, S. 167 (172). 75 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 2; ders., Privatrechtsgesellschaft, S. 207 (257); siehe auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1780, S. 22: „Zivilgesellschaften sind auf das vor allem durch Verträge in freier Selbstbestimmung gesetzte private Recht angewiesen. Bei den hiermit verbundenen Unterscheidungen, die auf unterschiedlichsten Gründen beruhen, kann es sich allerdings teilweise auch um sozial verwerfliche Diskriminierungen handeln“. 76 Insb. durch § 826 BGB sowie §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 ff StGB und nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch § 823 Abs. 1 BGB (allgemeines Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht).
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1. Kap.: Grundstrukturen des Privatrechts
mit § 826 BGB als „innersystemische Selbstschutzakte gegen systemgefährdendes illoyales Verhalten“77. Streit besteht jedoch über die Reichweite der Beschränkung der Privatautonomie durch das Verbot von Diskriminierungen. Die Kritiker des AGG wollen lediglich einen Minimalschutz sicherstellen, den sie bereits über §§ 826, 138 BGB ausreichend gewährleistet sehen.78 Alles andere beeinträchtige die Privatautonomie und mit ihr das zivilrechtliche System selbst unverhältnismäßig.79 Die Gegenansicht betont zutreffend, dass die Vertragsfreiheit als Teil der Handlungsfreiheit eben „in [den] Rechte[n] anderer“80 ihre Grenzen erfährt. Wo durch die Ausübung der Vertragsfreiheit die Integrität der Rechtsgüter Dritter tangiert ist, kann der Gesetzgeber durchaus die Grenze des Zulässigen zulasten der Handlungs- und Vertragsfreiheit und zugunsten des Integritätsschutzes verschieben, ohne dass hierdurch das System gesprengt und der Boden der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes verlassen wird.81 Die Privatrechtsordnung basiert, wie gezeigt, sowohl auf der Privatautonomie als Säule des dynamischen Vertragsrechts als auch auf dem (statischen) Rechtsschutzprinzip. Der Privatautonomie kommt kein derartiger Vorrang zu, dass jegliche Beschränkung unterhalb der hohen Schwelle der Sittenwidrigkeit unmittelbar in den Verdacht der Verfassungswidrigkeit geraten muss.82 Zumal bei der Frage nach der Verfassungskonformität bzw. -widrigkeit von 77
Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 43; ders., ZfA 2005, S. 167 (172); ders., Privatrechtsgesellschaft, S. 207 (257). 78 Säcker, BB 2004, S. 16 (17): „Die Antidiskriminierungsgesetzesentwürfe tragen […] Eulen nach Athen“; Adomeit/Mohr, 2007, Einleitung zum AGG, Rn. 244; v. Koppenfels, WM 2002, S. 1489 ff; Feuerborn, JR 2008, S. 485 (487); Picker, Privatrechtsgesellschaft, S. 207 (258): „überflüssiges Recht“; ders., ZfA 2005, S. 167 (177): „Dem Anliegen der europäischen Direktiven ist bei richtiger Sicht des deutschen Rechts schon entsprochen“; diese Ansicht Pickers bezeichnet Thüsing, ZfA 2006, S. 241 (242) als „grottenfalsch“; vgl. auch Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 119 sowie 142. 79 Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 62; ders., FS Adomeit, S. 477 (484 ff); Picker, Privatrechtsgesellschaft, S. 207 (261). 80 Art. 2 Abs. 1 GG. 81 Vgl. Singer, FS Adomeit, S. 703 (704): „Die Vertragsfreiheit besteht nicht unbegrenzt, sondern darf insbesondere zum Schutze der Rechte anderer eingeschränkt werden. Zu den Rechten anderer gehört zweifellos die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht der Diskriminierten sowie deren Recht auf Selbstbestimmung, das nur ausgeübt werden kann, wenn Benachteiligte nicht systematisch und willkürlich ausgegrenzt werden“; ähnlich Britz, VVDStRL 64 (2004), S. 351 (366 f): Der „Grundrechtseingriff ist rechtfertigungsbedürftig […] jedoch auch rechtfertigungsfähig“. 82 So aber Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 62; Picker, FS Adomeit, S. 541 (557): „Dem AGG auch in seiner heutigen Form fehlen die Geeignetheit und Erforderlichkeit für die verfolgten Zwecke. Zugleich verletzt die Radikalität des erstrebten moralischen und rechtlichen, sozialen und ökonomischen Umbruchs die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit […]. Angesichts des beschriebenen Übermaßes, mit der insbesondere die Privatautonomie als Teil der Handlungsfreiheit verdrängt wird, widerspricht das AGG auch in seiner jetzigen Form der deutschen Verfassung“; ders., Karlsruher Forum 2004, S. 101 f; ders., ZfA 2005, S. 167 (181 f).
E. Die Beschränkung der Privatautonomie durch das AGG
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Antidiskriminierungsrecht auch die Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes83 als der Privatautonomie ranggleiche „verfassungsrechtliche[n] Grundentscheidungen“84 zu beachten sind, die einen Eingriff in die Privatautonomie in nicht unerheblichem Umfang zu rechtfertigen vermögen. Insbesondere hat eine Privatrechtswidrigkeit keinesfalls automatisch eine Verfassungswidrigkeit zur Folge. Die maßgeblichen Kriterien sind hier andere.85 Und selbst privatrechtswidrig ist die Einschränkung der Privatautonomie so lange nicht, wie es tatsächlich um Integritätsschutz als privatrechtskonformen Regelungszweck geht. Ob dies beim AGG der Fall ist, wird im Folgenden zu klären sein. Festzuhalten ist jedoch, dass Antidiskriminierungsregeln zweifellos erheblich in die Privatautonomie eingreifen, allein dies jedoch noch keinen Systembruch darstellt.
83
Dazu sogleich unter 2. Kap. A. I. So Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 2008, S. 359 (366 f). 85 Diese Kriterien sind einzig dem Grundgesetz zu entnehmen. Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Verfassungsgeber zwar bei Inkrafttreten des Grundgesetzes die (viel älteren) Privatrechtsstrukturen zweifellos als Verfassungswert akzeptiert. Er hat sie aber nicht derart auf die verfassungsrechtliche Ebene gehoben, dass ihre Modifizierung, zumindest außerhalb des naturgemäß schwer zu bestimmenden absoluten Kernbereichs, nur mittels eines verfassungsändernden Gesetzes erfolgen könnte oder wegen der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG gar unmöglich ist. Genauso wenig wie das Grundgesetz nach herrschender Ansicht ein bestimmtes Wirtschaftsmodell zwingend vorschreibt (siehe dazu BVerfG, 1. 3. 1979, 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, S. 699 [702]; siehe dazu im Kontext des AGG aber auch Adomeit/Mohr, RdA 2011, S. 102 [104], wonach durchaus eine „normative Grundentscheidung für eine soziale Marktwirtschaft“ der Verfassung zu entnehmen ist), hat es sich einer Veränderung der bei seinem Inkrafttreten bestehenden Privatrechtsstrukturen von vornherein verschlossen. So erscheint es etwa als möglich, wenn auch kaum als wünschenswert, dass der einfache Gesetzgeber die historisch gewachsene relativ strikte Aufgabentrennung der Teilrechtsgebiete partiell aufgibt und etwa vermehrt Instrumente des „Private Enforcement“ einführt (siehe dazu Zimmer/Höft, ZGR 2009, S. 662 ff). Die Bestimmung der genauen Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen, die Destillation des (einfachgesetzlich) unantastbaren Kerngehalts privatrechtlicher Strukturen, kann hier nicht geleistet werden, ohne den Umfang dieser Arbeit zu sprengen. Das Problem bedarf umfassender staatsrechtlicher Aufarbeitung, bei der der verfassungsrechtlich zentrale Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sicherlich eine gewichtige Rolle spielt. Ein Eingriff in die Grundstrukturen der Privatrechtsordnung müsste danach nicht zuletzt geeignet und erforderlich zur Erreichung eines anderen verfassungsrechtlich akzeptierten oder gar geforderten Ziels sein (die Geeignetheit und Erforderlichkeit verneint etwa Picker, ZfA 2005, S. 167 [183]). Bei dieser Geeignetheits- und Erforderlichkeitsbestimmung dürfte der Gesetzgeber dann aber über einen aus seiner Einschätzungsprärogative folgenden erheblichen Gestaltungsspielraum verfügen. Andererseits darf es sicherlich nicht dem Gesetzesanwender überlassen bleiben, ein ambivalentes Gesetz in Richtung eines Systembruchs bzw. -wechsels zu interpretieren. Will der Gesetzgeber in vorhandene Privatrechtsstrukturen eingreifen, dann muss er sich eindeutig in Gesetzeswortlaut und -begründung hierzu bekennen und die hinter den Strukturen steckenden Wertungen in seine Abwägung einbeziehen. Ohne einen solchen hinreichend klar artikulierten Willen darf ein mehrdeutiges Gesetz kaum in Richtung eines Strukturwandels interpretiert werden. Darauf wird bei Behandlung der Einzelfragen noch zurückzukommen sein, siehe unten 4. Kap. A. I. 1. b) dd) und gg) sowie 4. Kap. A. II. 4. d) dd). 84
2. Kapitel
Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht „In Deutschland gibt es bisher keine Kultur der Antidiskriminierung“. Zu diesem Schluss kommt die Gesetzesbegründung des AGG.1 In scheinbarem Widerspruch hierzu erkannten andere2 bereits vor gut 10 Jahren einen unbeschreiblichen „Gleichbehandlungsboom“ im deutschen Arbeitsrecht. Was nun tatsächlich zutreffend ist, sei hier dahingestellt. Unbestreitbar dürfte jedoch sein, dass die Gleichbehandlungsproblematik durch das AGG ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist.
I. Diskriminierungsverbote in der Verfassung Im Verfassungsrecht stellt Art. 3 Abs. 3 GG bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes spezielle Diskriminierungsverbote auf. Lange Zeit wurde die Vorschrift im verfassungsrechtlichen Diskurs wenig beachtet. Nicht zuletzt durch die zunehmende Bedeutung von Diskriminierungsverboten auf europäischer Ebene rückte auch Art. 3 Abs. 3 GG jedoch verstärkt in den Fokus und das erhebliche „verfassungsrechtliche Potential“3 der Vorschrift findet zunehmend Anerkennung. Art. 3 Abs. 3 GG normiert Anknüpfungs- oder Unterscheidungsverbote.4 Verboten ist eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen und der Behinderung.5 Art. 3 Abs. 3 GG ergänzt insoweit den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Hiernach muss Gleiches gleich und 1
BT-Drucks. 1617/80, S. 23. Fastrich, RdA 2000, S. 65 (65). 3 So Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 2008, S. 359 (370). 4 Kocher, RdA 2002, S. 167 (168). 5 § 1 AGG beinhaltet folgende dieser Merkmale nicht: Abstammung, Sprache, politische Anschauung, Heimat und Herkunft; dafür ist die ethnische Herkunft, das Alter und die sexuelle Identität im AGG, nicht aber im GG erwähnt. Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Konsequenzen der Diskrepanz Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 2008, S. 359 (368). 2
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht
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Ungleiches ungleich behandelt werden. Eine sachgrundlose Gruppenbildung hat zu unterbleiben. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG funktionieren nach herrschender Meinung nicht grundsätzlich unterschiedlich. Art. 3 Abs. 3 GG stelle vielmehr eine „Wertakzentuierung im Hinblick auf das allgemeine Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 GG insofern dar, als er Differenzierungen wegen der genannten Merkmale grundsätzlich verbietet“6. Das Verhältnis sei zunächst einmal ein solches von lex specialis und lex generalis.7 Diese Annahme einer Wesensgleichheit von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG zeigt sich auch darin, dass das BVerfG im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Frage der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung immer dann auf seine „neue Formel“8 zurückgreifen und eine umso strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen will, je näher das tertium comparationis an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale heranreicht.9 Dieser vorherrschenden Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als sie annimmt, dass Art. 3 Abs. 3 GG Vorgaben für die Rechtmäßigkeit des tertium comparationis macht und dadurch den allgemeinen Gleichheitssatz konkretisiert. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Art. 3 Abs. 3 GG daneben einen normativen Gehalt hat, der sich von Art. 3 Abs. 1 GG ganz wesentlich unterscheidet und qualitativ einem Freiheitsrecht ähnelt.10 Während bei einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig kein Substanzverlust eintritt, hat eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG einen solchen grundsätzlich zur Folge.11 Auch in seiner abwehrrechtlichen Dimension schützt Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor Integritätsverletzungen. Es wird hier nicht unrechtmäßig in einen fremden, monopolisierten Rechtsraum eingegriffen, sondern die Vorschrift verbietet nur die ungleichmäßige Lastenverteilung. Eine damit einhergehende Integritätsverletzung ist nur für die vorausgehende12 Prüfung der Freiheitsrechte relevant, hat für Art. 3 Abs. 1 GG aber keine unmittelbare Bedeutung. Demgegenüber hat Art. 3 Abs. 3 GG eine weitaus stärkere klassisch-abwehrrechtliche Funktion, weil die Vorschrift vor substanzverletzenden, namentlich
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Maunz/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 1. Maunz/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 255. 8 Dazu BeckOK-GG/Kischel, Stand 1. 2. 2010, Art. 3 GG Rn. 28 f; siehe auch Pieroth/ Schlink, 2010, Grundrechte, Rn. 539, wonach die speziellen Gleichheitsrechte keinen eigenen Schutzbereich haben, sondern bloße Rechtfertigungsanforderungen stellen. 9 Siehe BVerfG, 26. 1. 1993, 1 BvL 38/92, NJW 1993, S. 1517 (1517). 10 Siehe Badura, ZaöRV 68 (2008), S. 347 (348); vgl. auch Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 2008, S. 359 (369): „[…] zwischen dem allgemeinen Gleichheitssatz […] und den besonderen Diskriminierungsverboten [besteht] nicht nur ein gradueller, sondern ein qualitativer Unterschied. […] Dieser Unterschied dürfte sich auch mit Hilfe des flexiblen Instrumentariums, den das Bundesverfassungsgericht mit der sog. neuen Formel entwickelt hat, nicht überwinden lassen“. 11 Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (347). 12 Siehe etwa Schmalz, Rn. 359. 7
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
persönlichkeitsrechtsverletzenden Eingriffen schützt.13 Durch die Nähe zu der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG liegt den Fällen des Art. 3 Abs. 3 GG „die Vermutung zugrunde, dass Bevorzugungen oder Benachteiligungen wegen der aufgeführten Unterschiede menschlichen Seins oder Verhaltens grundsätzlich den Wertanspruch auf Menschenwürde verletzen“14. Der Fokus liegt in Art. 3 Abs. 3 GG nicht mehr primär auf der Ungleichbehandlung im Kollektiv, sondern auf der individuellen Integritätsbeeinträchtigung. Im Vordergrund steht nicht die Ungleichbehandlung, sondern die Ungleichbehandlung wegen eines der genannten persönlichkeitsbildenden Merkmale und die damit einhergehende Integritätsverletzung. Salzwedel vertrat deshalb bereits 1964 die Ansicht, dass Art. 3 Abs. 3 GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG weitaus näher steht als Art. 3 Abs. 1 GG, weil er den individuellen Status substantiell schütze, während Art. 3 Abs. 1 GG „substanzlos“ sei.15 Bei Art. 3 Abs. 3 GG gehe es im Kern um Persönlichkeitsschutz.16 Nach dieser Auffassung stellt die Ungleichbehandlung in den Fällen des Art. 3 Abs. 3 GG in erster Linie das Mittel des Übergriffs auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als primäres Unrecht dar. In den Worten Salzwedels: „Art. 3 Abs. 3 GG verbietet noch einmal ausdrücklich staatlich-hoheitliche Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrecht, die mit den Mitteln unsachlicher Differenzierung gleicher Tatbestände begangen werden“17. Nach herrschender Ansicht hat Art. 3 Abs. 3 GG wie auch die übrigen Grundrechte, mit Ausnahme von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, jedoch keine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privaten.18 Die Grundrechte binden über Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar nur alle Träger staatlicher Gewalt, nicht aber private Rechtssubjekte untereinander. Seine gegenteilige Ansicht19 hat das BAG schon vor Jahrzehnten aufgegeben.20 Auch vereinzelte Versuche in der Wissenschaft, wegen des in der Norm zum Ausdruck kommenden Menschenwürdegehalts eine unmittelbare Dritt-
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Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (346 ff). Maunz/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 1; vgl. auch Uerpmann-Wittzack, ZaöRV 2008, S. 359 (369 f), der aufgrund der Nähe zur Menschenwürde eine staatliche Schutzpflicht annimmt. 15 Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (347). 16 Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (349 f); ihm für den Bereich des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz folgend: v. Koppenfels, WM 2002, S. 1489 (1492): „Das Diskriminierungsverbot ist ein Unterfall des Verbots der Verletzung von Persönlichkeitsrechten“; ähnlich Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (950). 17 Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (347). 18 Maunz/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 172 m.w.N. 19 Eine unmittelbare Drittwirkung noch bejahend: BAG, 15. 1. 1955, 1 AZR 305/54, NJW 1955, S. 684 ff; BAG, 28. 9. 1972, 2 AZR 469/71, NJW 1973, S. 77 (78) m.w.N. 20 Heute sieht das BAG mit der herrschenden Ansicht in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG den einzigen Fall der unmittelbaren Drittwirkung eines Grundrechts, BAG, 19. 9. 2006, 1 ABR 2/06, NJW 2007, S. 622 (623). 14
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wirkung von Art. 3 Abs. 3 GG zu begründen,21 haben sich nicht durchsetzen können.22 Wegen der fehlenden unmittelbaren Drittwirkung der Vorschrift ist auch die Ansicht von Canaris23 abzulehnen, der dafür plädiert, Art. 3 Abs. 3 GG ein ungeschriebenes gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB zu entnehmen, demzufolge Rechtsgeschäfte nicht differenzierend an eines der dort genannten Merkmale anknüpfen dürfen. Allerdings sind die Gerichte nach allgemeiner Ansicht bei der Gesetzesauslegung unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Deshalb wirken diese mittelbar, insbesondere über die besonders auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffe, in das Privatrecht hinein.24 Einen umfassenden Gleichheitssatz bei der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses im weitesten Sinne enthält Art. 33 Abs. 2 GG, der das Prinzip der Bestenauslese für den Zugang zu öffentlichen Ämtern enthält. Über die genaue Reichweite der Vorschrift besteht keine Einigkeit. Einerseits wird angenommen, sie betreffe nur alle beruflichen und nebenamtlichen Funktionen staatlicher Kernorganisation, insbesondere die Beamten und Richter, während Positionen in der privatrechtlich organisierten Verwaltung aus dem Anwendungsbereich der Norm herausfielen, sofern sie keine öffentlichen Aufgaben wahrnähmen.25 Andere ziehen den Kreis weiter und wollen alle Arbeitsverhältnisse, an denen der Staat, wenn auch nur mittelbar über die Körperschaften des öffentlichen Rechts, als Arbeitgeber beteiligt ist, einbeziehen, ganz gleich in welcher Form gehandelt wird.26 Auch wenn man den Anwendungsbereich des Prinzips der Bestenauslese mit der zweitgenannten Ansicht verbreitert, so ist dies doch insoweit unproblematisch, als die staatliche Verwaltung, auch wenn sie in Privatrechtsform handelt, doch keinesfalls selbst grundrechtsberechtigt wird.27 Deshalb besteht in den Bereichen, in denen der „Staat“ im weitverstandenen Sinn als Arbeitgeber auftritt, kein Bedürfnis, konkurrierende Grundrechtspositionen miteinander in Einklang zu bringen. 21 So insbesondere auch Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (349 ff). Der entscheidende Fehler von Salzwedel liegt darin, dass er das öffentlich-rechtliche und das privatrechtliche Persönlichkeitsrecht sachwidrig gleichsetzt. Da es sich seiner Ansicht nach bei Art. 3 Abs. 3 GG um Persönlichkeitsschutz handelt und ein solcher wegen des privatrechtlichen Persönlichkeitsrechts auch im Privatrechtsverkehr gilt, schließt er daraus auf die unmittelbare Drittwirkung von Art. 3 Abs. 3 GG. Richtigerweise kann Art. 3 Abs. 3 GG aber nur eine Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrechts darstellen. Siehe zum Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Persönlichkeitsschutz, unten 2. Kap. B. I. 2. b). 22 Siehe Maunz/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 172. 23 Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (236); ablehnend wegen der fehlenden unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, v. Koppenfels, WM 2002, S. 1489 (Fn. 39). 24 Grundlegend Dürig, FS Nawiasky, S. 166 ff; siehe auch Maunz/Dürig/Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 505 ff; Badura, ZaöRV 68 (2008), S. 347 (349). 25 BeckOK-GG/Hense, Stand: 1. 10. 2010, Art. 33 GG, Rn. 8 f. 26 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 135. 27 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Richardi, 2009, § 12, Rn. 9.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Grundrechte sind hier überhaupt nur auf einer Seite, der des Arbeitnehmers, zu berücksichtigen. Dies ist im „echten“ privaten Arbeitsrecht anders. Handelt es sich bei dem Auswählenden um einen privaten Arbeitgeber, so kommt diesem im Unterschied zum Staat die in Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Vertrags- bzw. Berufsfreiheit zu Gute.28 Das Prinzip der Bestenauslese, das bis ins Detail nur rationale Auswahlentscheidungen erlaubt, auf das Privatrecht zu übertragen, würde einer Abschaffung der Privatautonomie in diesem Bereich gleichkommen. Insoweit wird die Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GG auf den privaten Bereich zu recht nahezu einhellig abgelehnt.29
II. Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht 1. Die Entwicklung vor 197630 Vielfach wird behauptet, der Schutz vor Diskriminierungen im Arbeitsverhältnis komme ausschließlich von der europäischen Ebene und sei dem deutschen Recht seit der Anerkennung der unmittelbaren horizontalen Drittwirkung von Art. 119 EWGV (heute: Art. 157 AEUV) durch den EuGH im Jahre 1976 Schritt für Schritt eingepflanzt worden. Auch wenn sich kaum bestreiten lässt, dass die europäische Rechtsentwicklung ganz wesentlich zu den heutigen nationalen Regelungen beigetragen hat, so ist diese Aussage in ihrer Pauschalität doch unzutreffend.31 a) Das betriebsverfassungsrechtliche Überwachungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG Auch vor 1976 war gesetzlich anerkannt, dass dem Arbeitgeber gewisse Unterscheidungen verboten sind. Bereits § 51 BetrVG vom 11. 10. 1952 verpflichtete Arbeitgeber und Betriebsrat dazu, darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden und insbesondere jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung, wegen ihrer Einstellung oder wegen ihres Geschlechts unterblieb. Die gleiche Regelung trifft heute noch § 75 Abs. 1 BetrVG, wobei die Vorschrift 2001 um das Merkmal der sexuellen Identität und 2006 mit dem Inkrafttreten des AGG um die
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Badura, ZaöRV 68 (2008), S. 347 (355); Boemke, NZA 1993, S. 532 (535). Zu der Forderung nach einem privaten „Recht auf Arbeit“, das auf eine Erstreckung von Art. 33 Abs. 2 GG hinausliefe, siehe unten 2. Kap. B. II. 2. a) aa). 30 Die Aufteilung in die Rechtslage vor und nach 1976 erfolgt in Anlehnung an Krebber, Regelungsvorbild, S. 99 ff. 31 Siehe Krebber, Regelungsvorbild, S. 99. 29
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht
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Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Weltanschauung, Behinderung und Alter erweitert wurde.32 Überwiegend wird angenommen, dass § 75 Abs. 1 BetrVG als kollektivrechtliche Verpflichtung unmittelbar lediglich Amtspflichten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, aber keine subjektiven Rechte der Arbeitnehmer begründet.33 Andererseits sieht das BAG die in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze voll in der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht aufgehen.34 Als Ausdruck arbeitsvertraglicher Nebenpflichten sollen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 (und Abs. 2) BetrVG demnach indirekt im Arbeitsverhältnis durchaus Anwendung finden.35 Zu beachten ist jedoch die hieraus folgende Beschränkung auf den bestehenden Arbeitsvertrag. Für die Erstauswahl eines Bewerbers hat § 75 Abs. 1 BetrVG demnach individualrechtlich allenfalls über den Umweg der §§ 95 Abs. 1, 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG Bedeutung.36 Unmittelbare Ansprüche des Bewerbers ergeben sich hieraus jedoch nicht.37 Auch für Beförderungsentscheidungen wurde § 75 Abs. 1 BetrVG, soweit ersichtlich, noch nicht herangezogen. Allerdings hat das BAG bei der Frage der Übernahme eines Auszubildenden nach Ende der Ausbildungszeit aus der durch § 75 Abs. 1 BetrVG konkretisierten Fürsorgepflicht als Nebenpflicht des Ausbildungsvertrages einen individuellen Anspruch auf eine an Sachgründen orientierte, willkürfreie Entscheidung bejaht.38 Vereinzelt wurde hieraus der Schluss gezogen, dass konsequenterweise bei allen betriebsinternen Bewerbern, die in einem
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Rn. 6.
Vgl. Richardi/Richardi, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 2; ErfK/Kania, 2011, § 75 BetrVG,
33 ErfK/Kania, 2011, § 75 BetrVG, Rn. 6; Krebber, Regelungsvorbild, S. 100; Thees, S. 174. 34 BAG, 5. 4. 1985, 2 AZR 513/82, NZA 1985, S. 329 (330 f); vgl. auch Fitting, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 24. 35 Fitting, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 11. 36 Vgl. Richardi/Richardi, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 8; Fitting, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 16; nach der wohl h.M. hat § 75 Abs. 1 BetrVG für Stellenbewerber aber überhaupt keine Bedeutung, siehe Fritsch, BB 1992, S. 701 (702) m.w.N.; siehe ausführlich zur individualrechtlichen Wirkung der Verletzung von Mitbestimmungstatbeständen, Lobinger, RdA 2011, S. 76 (86 ff). 37 Fitting, 2010, § 75 BetrVG, Rn. 16. 38 BAG, 5. 4. 1985, 2 AZR 513/82, NZA 1985, S. 329 (330 f): „Nach § 75 Abs. 1 BetrVG sind alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln. […] Diese Vorschrift [..] räumt […] auch dem einzelnen Arbeitnehmer das individuelle Recht ein, nach diesen Grundsätzen behandelt zu werden, zumal es sich hierbei letztlich ohnehin nur um unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis ergebende gesteigerte Treue- und Fürsorgepflichten handelt. […] Auch der Kläger hat daher – da er auch als Auszubildender in einem befristeten Ausbildungsverhältnis Betriebsangehöriger ist […] ein Recht darauf, bezüglich seiner Übernahme in ein Arbeitsverhältnis nach den Grundsätzen des § 75 Abs. 1 BetrVG behandelt zu werden“; zustimmend Thees, S. 250.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Vertragsverhältnis zum Arbeitgeber stehen39, ein Recht auf sachangemessene Beurteilung angenommen werden müsse.40 Neben Übernahmeentscheidungen bei Auszubildenden würde dies Beförderungsentscheidungen sowie Entscheidungen zur Verlängerung befristet beschäftigter Arbeitnehmer betreffen. Einen solch weitgehenden Schluss haben bisher jedoch weder die Rechtsprechung noch der überwiegende Teil des Schrifttums aus § 75 Abs. 1 BetrVG gezogen. Hierauf wird an anderer Stelle noch näher einzugehen sein.41 Festzuhalten ist hier bereits, dass ein Diskriminierungsschutz außerhalb eines bestehenden Vertragsverhältnisses vor 1976 durch § 75 Abs. 1 BetrVG nicht gewährleistet wurde. Im bestehenden Vertragsverhältnis war er jedoch grundsätzlich über den Umweg der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers anerkannt. b) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz Des Weiteren hatte sich lange vor dem Beginn der europarechtlich geprägten Ära im Antidiskriminierungsrecht ein weiteres Rechtsprinzip durchgesetzt, das ebenfalls auf Gleichbehandlung abzielt. Bereits im Jahr 1938 war der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vom Reichsarbeitsgerichts (RAG) geschöpft worden.42 Rechtsprechung und Literatur beriefen sich seither in der konstruktiven Ableitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwar auf unterschiedliche Ansätze. An den Voraussetzungen und Rechtsfolgen änderte sich hierdurch jedoch nichts. Als dogmatische Begründung dafür, dass der Arbeitgeber zwischen formal gleichgestellten Vertragsparteien nicht willkürlich den einen oder anderen bevorzugen darf, wurde und wird angeführt43 : die Bindung des Arbeitgebers an eine selbst gesetzte Norm44, das betriebliche Gemeinschaftsverhältnis45, die Treue- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers46, eine Beschränkung der Machtposition des Arbeitgebers durch die Generalklauseln in § 242 BGB47 und § 315 BGB48, ein Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts49, 39
Ausgenommen sind somit die Leiharbeitnehmer bei der Frage nach der Übernahme in ein Festarbeitsverhältnis, da sie zwar im Betrieb tätige Arbeitnehmer sind, jedoch in keinem Vertragsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. 40 Siehe Thees, S. 250; für die Beförderungsentscheidung dies jedoch in Teilen zurücknehmend auf S. 271 f. 41 Siehe unten 2. Kap. B. II. 2. c). 42 Siehe Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 9; allgemein zur Entstehung des Grundsatzes, Schlachter, Gleichberechtigung, S. 88 ff. 43 Siehe die Übersichten bei Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 10; Staudinger/ Richardi, 2005, § 611 BGB, Rn. 343. 44 Fastrich, RdA 2000, S. 65 (71); Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 47; Bötticher, RdA 1953, S. 161 ff; ders. RdA 1957, S. 317 ff; vgl. auch Rieble, RdA 2011, S. 36 (43). 45 Hueck, S. 127 ff, S. 171 f; Högenauer, S. 49 f. 46 BAG, 4. 10. 1956, 2 AZR 213/54, NJW 1956, S. 1853 (1854); BAG, 5. 5. 1955, 2 AZR 55/ 53, NJW 1955, S. 1005 (1006). 47 BAG, 9. 11. 1972, 5 AZR 224/72, AP Nr. 36 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, 17. 5. 1978, 5 AZR 132/77, NJW 1979, S. 181 (182).
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eine stillschweigende Vertragsabrede50, Art. 3 Abs. 1 GG51 oder auch ein Zusammenspiel mehrerer dieser Rechtsgedanken52. Heute wird der Grundsatz überwiegend als Gewohnheitsrecht anerkannt.53 Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz fungiert dabei nach herrschender Meinung zugleich als Anspruchsgrundlage und als Rechtsausübungsschranke.54 Er ist nach einhelliger Ansicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten generalisierenden Prinzip vergibt und dazu bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt.55 Allerdings verbietet das Prinzip nur willkürliche, d. h. sachgrundlose Differenzierungen.56 Eine Besserstellung einzelner Arbeitnehmer durch individualvertragliche Vereinbarung wird durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verhindert, da solche begünstigenden Einzelmaßnahmen Ausfluss der Vertragsfreiheit sind.57 Zudem ist allgemein anerkannt, dass die Anwendung des Grundsatzes ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraussetzt.58 Bei der Einstellungsentscheidung wird der Arbeitgeber somit in seiner Auswahlfreiheit durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht eingeschränkt.59 Dies gilt zumindest für die erstmalige Einstellungsentscheidung. In der Literatur wird teilweise zwar die Ansicht vertreten, dass bei der Frage nach der Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages der Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers Anwendung finden soll.60 Das BAG61 hat sich jedoch unlängst in dem Fall der Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses hiergegen ausgesprochen, da andernfalls dem Arbeitgeber entgegen dem in der Gesetzesbegründung festgelegten Zweck von § 14 Abs. 2 TzBfG die Möglichkeit genommen würde, frei und ohne Bindung an sachliche Gründe entscheiden zu können, ob er den befristet beschäftigten Arbeitnehmer nach Ablauf der ver48
BAG, 21. 12. 1970, 3 AZR 510/69, NJW 1971, S. 1149 (1150). Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, S. 260. 50 Buchner, RdA 1970, S. 225 (227). 51 Nipperdey, RdA 1950, S. 121 ff; ebenso Raab, FS Kreutz, S. 317 (333) bzgl. einer Beschränkung des Weisungsrechts; anders jedoch für Sonderzahlungen, S. 336 ff. 52 Bzgl. Sonderzahlungen etwa Raab, FS Kreutz, S. 317 (341). 53 ErfK/Preis, 2011, § 611 BGB, Rn. 574; Högenauer, S. 48 f; krit. Raab, FS Kreutz, S. 317 (319), der eine hinreichend konkretisierte communis opinio bezweifelt. 54 ErfK/Preis, 2011, § 611 BGB, Rn. 575. 55 ErfK/Preis, 2011, § 611 BGB, Rn. 576. 56 BAG, 13. 8. 2008, 7 AZR 513/07, NZA 2009, S. 27 (28) m.w.N. 57 Schlachter, Gleichberechtigung, S. 91; BAG, 13. 8. 2008, 7 AZR 513/07, NZA 2009, S. 27 (28) m.w.N. 58 Ganz h.M., vgl. Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 40; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 90. 59 Fastrich, RdA 2000, S. 65 (68) m.w.N.; Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 47. 60 KR/Bader, 2009, § 17 TzBfG, Rn. 84; KDZ/Däubler, 2008, § 15 TzBfG, Rn. 23; a.A. ErfK/Preis, 2011, § 611 BGB, Rn. 311. 61 BAG, 13. 8. 2008, 7 AZR 513/07, NZA 2009, S. 27 (28 f). 49
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einbarten Vertragslaufzeit weiterbeschäftigen will oder nicht. Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung überwiegend wegen des Vorrangs der Vertragsfreiheit auf die Fälle der Befristung mit Sachgrund, § 14 Abs. 1 TzBfG, ausgedehnt.62 Wichtigster Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes bleibt somit die Leistung von Sondervergütungen im bestehenden Arbeitsverhältnis.63 c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass es auch vor dem Beginn des europarechtlichen Einflusses Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsregeln im deutschen Arbeitsrecht gab. Diese waren jedoch in ihrem Anwendungsbereich insofern beschränkt, als sie immer ein bestehendes Vertragsverhältnis zur Voraussetzung hatten und demnach die Auswahlfreiheit des Arbeitgebers bei der Stellenbesetzung nicht einschränkten. Die Vertragsfreiheit wurde durch diese Regelungen auch insoweit geschont, als eine Ungleichbehandlung aufgrund individueller Vereinbarung immer möglich blieb und generell eine bloße Willkürkontrolle durchgeführt wurde. 2. Die Entwicklung seit 1976 a) Rs. Defrenne II Im Jahr 1976 erklärte der EuGH64 in einer Aufsehen erregenden Entscheidung das Gebot gleichen Entgelts für Männer und Frauen aus Art. 119 EWGV (heute: Art. 157 AEUV) als unmittelbar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anwendbares Recht. Diese Schöpfung der unmittelbaren horizontalen Drittwirkung von europäischem Primärrecht sollte auch in den folgenden Jahren im Arbeitsrecht, und hier ganz besonders im Recht der Antidiskriminierung, eine wichtige Rolle spielen und zu erheblichem Konfliktstoff führen.65 Mit dieser Entscheidung war zudem der Auftakt für eine zunehmende Dominanz des Europarechts im deutschen Arbeitsrecht bei Fragen der (Un-)Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen getan. Am Anfang dieser Entwicklung stand damit genauso wie am Anfang der nationalen Diskussion um eine 62 Strecker, RdA 2009, S. 381 (386); zur Frage, ob sich ein Anspruch auf Fortsetzung des befristeten Arbeitsvertrages aus dem AGG ergeben kann, siehe S. 385 sowie die Anmerkungen von Diller, FD-ArbR 2009, 273640 und Grobys/Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2009, S. 52 ff. 63 Siehe dazu Raab, FS Kreutz, S. 317 (336 ff). 64 EuGH, 8. 4. 1976, Rs. 43/75, NJW 1976, S. 2068 ff (Defrenne II); siehe dazu Schlachter, Gleichberechtigung, S. 110 f. 65 Vgl. die äußerst umstrittenen Entscheidungen des EuGH, 22. 11. 2005, C 144/04, NZA 2005, S. 1345 ff (Mangold), dazu Bauer/Arnold, NJW 2006, S. 6 (9): „Falsche Entscheidung zum falschen Zeitpunkt“; Gas, EuZW 2005, S. 737: „Dammbruch“; Gerken/Rieble/Roth/Stein/ Streinz, „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, S. 17 ff; a.A. BVerfG, 6. 7. 2010, 2 BvR 2661/ 06, NJW 2010, S. 3422 ff; Herrmann, EuZW 2006, S. 69 ff; sowie EuGH, 19. 1. 2010, C-555/ 07, NZA 2010, S. 85 ff (Kücükdeveci), dazu Mörsdorf, NJW 2010, S. 1046 (1049): „Urteil erzeugt […] Ratlosigkeit“; a.A. Preis/Temming, NZA 2010, S. 185 ff.
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Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis die Frage nach der Gleichbehandlung von Männern und Frauen.66 b) Richtlinie 76/207/EWG Auch die erste praktisch bedeutsame Antidiskriminierungsrichtlinie betraf die Thematik der Geschlechtergleichstellung. Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen ging freilich in ihrem Anwendungsbereich weit über die Frage der Entgeltgleichheit im bestehenden Arbeitsverhältnis hinaus. Sie verbot jede unmittelbare oder mittelbare67 Diskriminierung auf Grund des Geschlechts nicht nur im bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern gerade auch im Bezug auf den Zugang zu einem Arbeitsverhältnis selbst.68 Den Mitgliedsstaaten wurde in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie lediglich die Befugnis eingeräumt, Diskriminierungen hinsichtlich solcher Tätigkeiten zu erlauben, „für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt“. Konkrete Sanktionsformen, wie etwa Schadensersatzzahlungen, schrieb die Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung nicht vor. In Art. 6 der Richtlinie wurden die Mitgliedsstaaten lediglich im Wege einer Rechtswegsgarantie dazu verpflichtet, „innerstaatliche Vorschriften [zu erlassen], die notwendig sind, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung […] auf seine Person für beschwert hält […] seine Rechte gerichtlich geltend machen kann“. Durch die Richtlinie wurden damit hauptsächlich zwei neue Aspekte in das deutsche Arbeitsrecht eingebracht: Erstens wurde die Gleichbehandlung von Männern und Frauen nun auch bei der Vertragspartnerauswahl und nicht nur im bestehenden Arbeitsverhältnis verlangt. Und zweitens wurden (auch im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses) die Anforderungen für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung der Geschlechter durch das Merkmal der unabdingbaren Voraussetzung verschärft.69
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Das Problem der Frauengleichbehandlung bildete den Anfang der Diskussion über die Grundrechtsdrittwirkung, siehe Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 3; Nipperdey hatte bereits 1950 (RdA 1950, S. 121 ff) den Anspruch der Frauen auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit den Grundrechten entnommen; vgl. auch BAG, Urteil vom 15. 1. 1955, 1 AZR 305/54, NJW 1955, S. 684 ff. 67 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bezog die mittelbare Diskriminierung von Anfang an in den Anwendungsbereich mit ein. 68 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie untersagte jede mittelbare oder unmittelbare Ungleichbehandlung u. a. hinsichtlich der Einstellungsbedingungen und Auswahlkriterien; vgl. zum Ganzen Schlachter, Gleichberechtigung, S. 131. 69 Siehe Knigge, BB 1980, S. 1272 ff; Lorenz, DB 1980, S. 1745 ff.
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c) Die Umsetzung der Richtlinie durch das EG-Anpassungsgesetz Die Umsetzung der Richtlinie 76/207/EWG erfolgte im Jahr 1980 durch das EGAnpassungsgesetz.70 Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens war die in der Richtlinie vorgesehene Umsetzungsfrist bereits seit mehr als zwei Jahren abgelaufen. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland hatte die EGKommission bereits eingeleitet.71 Die Umstände der Umsetzung zeigen genauso wie der Name des Gesetzes selbst, dass der Gesetzgeber nur widerwillig tätig wurde.72 Man war verbreitet der Ansicht, dass es einer besonderen Umsetzung der Richtlinie überhaupt nicht bedürfe. Mit den vorhandenen Instrumentarien könne die Gleichberechtigung der Geschlechter ausreichend gewährleistet werden.73 Hintergrund dieses Widerwillens war sicherlich die seit jeher zentrale Bedeutung der Vertragsabschlussfreiheit im deutschen Recht,74 die, wie oben gezeigt, durch den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz genauso wenig beschnitten war wie durch § 75 Abs. 1 BetrVG. Durch die in der Richtlinie vorgesehene Erweiterung des Gleichbehandlungsgebots auf die Einstellungsbedingungen und Auswahlkriterien sowie die Verschärfung der Rechtfertigungsvoraussetzungen sah man den Fundamentalgrundsatz nunmehr in Gefahr.75 Die von vielen76, zumindest anfänglich, für übertrieben gehaltene Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Umsetzung der Richtlinie trat auch in der konkreten Form ihrer Umsetzung offen zu Tage. § 611a BGB in der Fassung vom 21. 8. 1980 sah als Sanktion für vom Arbeitgeber zu vertretende Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot in Abs. 2 lediglich den Ersatz des Schadens vor, „den der Arbeitnehmer dadurch erleidet, dass er darauf vertraut, die Begründung des Arbeitsverhältnisses werde nicht wegen eines solchen Verstoßes unterbleiben“. Gleichzeitig enthielt § 611b BGB eine bloße „Soll-Vorgabe“ für Stellenanzeigen. Hiernach „soll[te] [der Arbeitgeber] einen Arbeitsplatz weder öffentlich noch innerhalb des Betriebs nur für Männer oder nur für Frauen ausschreiben“. Im Regierungsentwurf zum EG-Anpassungsgesetz wurde betont, dass sich aus § 611a Abs. 2 BGB wegen des Vorrangs der Vertragsfreiheit kein Anspruch auf Einstellung oder Beförderung eines zurückgewiesenen Bewerbers ergebe und auch ein Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens, also des entgangenen Lohns bei 70
BGBl. I, S.1308. Näheres dazu bei Schlachter, Gleichberechtigung, S. 145. 72 Vgl. Mayer-Maily, FS Herschel, S. 257 (258); Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 1; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 145. 73 Siehe Kappes, Der Arbeitgeber 1979, S. 1394; weitere Nachweise bei Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 2. 74 Siehe Krebber, Regelungsvorbild, S. 99. 75 Siehe die kritischen Anmerkungen zum neuen Gesetz von Adomeit, DB 1980, S. 2388 ff; Eich, NJW 1980, S. 2329 ff; Lorenz, DB 1980, S. 1745 ff; Zöllner, FS Strasser, S. 223 (237 ff). 76 Siehe Krebber, Regelungsvorbild, S. 102. 71
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Nichteinstellung bzw. der Lohndifferenz bei unterbliebener Beförderung, nicht anzuerkennen sei.77 Ein Ersatz immaterieller Schäden aufgrund von § 611a Abs. 2 BGB war ebenfalls nicht anerkannt. Er wurde im Gesetzentwurf nirgends erwähnt und spielte auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zunächst keine Rolle. § 611a Abs. 2 BGB führte somit nur zu einem Ersatz des materiellen Vertrauensschadens. Dieser erschöpfte sich jedoch regelmäßig in den sehr begrenzten Bewerbungskosten, was § 611a BGB die spöttische Bezeichnung als „Portoparagraph“78 einbrachte. Im Schrifttum wurde zudem sogar die Ansicht vertreten, dass jeglicher Schadensersatz dann ausscheiden müsse, wenn der Arbeitgeber von Anfang an klar gemacht habe, dass er nur Männer oder nur Frauen einstellen wolle. Dann sei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand beim Bewerber überhaupt nie entstanden. § 611b BGB als bloße Soll-Vorschrift könne dies nicht verhindern, da sie keinen Zwang schaffe, Vertrauen zu erwecken, das sicher enttäuscht werden müsse.79 Angesichts der anders lautenden Gesetzesbegründung, wonach dem Arbeitgeber der Einwand fehlenden Vertrauens als „rechtsmissbräuchlich“80 verwehrt sein sollte, blieb diese Ansicht jedoch in der Minderheit.81 Schließlich ist noch zu erwähnen, dass der Gesetzgeber in § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB von der gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hatte. Danach war eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für eine bestimmte Tätigkeit war. Zugleich enthielt § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB jedoch eine Beweiserleichterung82, nach der im Falle der Glaubhaftmachung von Tatsachen durch den Arbeitnehmer, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten ließen, der Arbeitgeber beweisen musste, dass nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigten oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit war. Diese Formulierung führte vielfach zu der
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BT-Drucks. 8/3317, S. 10. Zuleeg, RdA 1984, S. 325 (327); Annuß, NZA 1999, S. 738 (740); Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 139. 79 Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388). 80 BR-Drucks. 353/79, S. 14. 81 Vgl. Lorenz, DB 1980, S. 1745 (1746); Knigge, BB 1980, S. 1272 (1274); Eich, NJW 1980, S. 2329 (2333). 82 § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB enthielt keine vollständige Beweislastumkehr, sondern lediglich eine Beweiserleichterung. Aus der Formulierung der Vorschrift wurde zudem geschlossen, dass sich die Beweislasterleichterung nur auf den Grund der Benachteiligung bezog, während der Arbeitnehmer weiterhin das Vorliegen der benachteiligenden Maßnahme unabhängig von § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen müsse, vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 336; ders., RdA 1999, S. 107 (111); Lorenz, DB 1980, S. 1745 (1746); vgl. auch Röthel, NJW 1999, S. 611 (614); Windel, RdA 2007, S. 1 (2). 78
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Annahme, dass eben auch bloße „sachliche Gründe“ rechtfertigend wirken können und nicht zwingend eine „unverzichtbare Voraussetzung“ vorliegen müsse.83 d) Rs. Colson/Kamann und Harz aa) Die Urteile des EuGH Die deutsche Regelung rief aufgrund ihrer praktischen Unzulänglichkeiten nahezu zwangsläufig den EuGH auf den Plan. Bereits im Jahr 1984 bekam dieser durch eine Vorlage der ArbG Hamm und Hamburg die Möglichkeit, den deutschen Gesetzgeber zurechtzuweisen. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 177 EWGV (heute: Art. 267 AEUV) hatte das ArbG Hamm dem EuGH den Fall zweier Sozialarbeiterinnen vorgelegt. Diese hatten sich für mehrere offene Stellen in einer Justizvollzugsanstalt in Nordrhein-Westfalen beworben, in die nur männliche Gefangene aufgenommen wurden. Die Einstellung der beiden Frauen wurde ausdrücklich wegen ihres Geschlechts abgelehnt, da man der Ansicht war, dass die Einstellung von weiblichen Bewerbern für derartige Anstalten problematisch und risikoreich sei.84 Eingestellt wurden schließlich männliche Bewerber, die nachweislich schlechter qualifiziert waren als die beiden Frauen. Das ArbG Hamm kam aufgrund von § 611a Abs. 2 BGB zu einem Schadensersatzanspruch in Höhe von gerade einmal 7,20 DM für die Fahrtkosten zum Bewerbungsgespräch. Angesicht dieses Ergebnisses hatte das ArbG Hamm Zweifel an der rechtmäßigen Umsetzung der Richtlinie und stellte dem EuGH unter anderem die Frage, ob „die Richtlinie 76/207 die Mitgliedsstaaten verpflichtet, für Fälle der Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung besondere Rechtsfolgen oder Sanktionen vorzusehen“. Das ArbG Hamburg hatte den Fall einer Diplom-Kauffrau zu entscheiden, die ebenfalls ausdrücklich wegen ihres Geschlechts als Bewerberin um eine Stelle bei der Deutschen Tradax GmbH, die mit landwirtschaftlichen Rohstoffen handelte, abgewiesen worden war. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass bisher im Management des Handels mit landwirtschaftlichen Rohstoffen fast nur Männer tätig seien und sie als Frau etwa in Geschäftbeziehungen mit arabischen Ländern nicht eingesetzt werden könne. Der Vertrauensschaden betrug in diesem Fall sogar nur 2,31 DM.85 Der EuGH stützte seine parallel ergehenden Entscheidungen maßgeblich auf eine Vorschrift in der Richtlinie 76/207/EWG, der eine derart zentrale Bedeutung bislang 83 Bellgardt, BB 1983, S. 2187 (2188): § 613a I 3 BGB als „Generalklausel“ der Rechtfertigung; ebenso Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331); Hunold, NZA 1987, S. 4 (6); Molitor, RdA 1984 S. 13 (16); krit. Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 72 f. 84 Sachverhaltsdarstellung bei EuGH, 10. 4. 1984, Rs. 14/83, NZA 1984, S. 157 f (Colson/ Kamann). 85 Sachverhaltsdarstellung bei EuGH, 10. 4. 1984, Rs. 79/83, DB 1984, S. 1042 f (Harz).
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keinesfalls beigemessen worden war: den oben bereits erwähnten Art. 6, der an sich nur eine Rechtswegsgarantie enthielt. Der Gerichtshof führte aus, dass der Wortlaut von Art. 6 vorsehe, dass jeder, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert halte, „seine Rechte gerichtlich geltend machen [könne]”86. Aus dieser Bestimmung folge, „dass die Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, die hinreichend wirksam sind, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen sich vor den nationalen Gerichten tatsächlich auf diese Maßnahmen berufen können“. Solche Maßnahmen könnten Entschädigungszahlungen, Einstellungsansprüche oder Bußgeldregelungen umfassen. Eine bestimmte Sanktion sehe die Richtlinie zwar nicht vor. Sie belasse vielmehr den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen zur Verwirklichung der Richtlinienziele geeigneten Lösungen. Jedoch verlange Art. 6 der Richtlinie, dass die gewählte Sanktion „geeignet [sei], einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten“ und dass sie ferner „eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber“ haben müsse. Entscheide sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so müsse diese in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Folglich werde eine nationale Rechtsvorschrift wie § 611a Abs. 2 BGB, die Schadensersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurden, auf eine „rein symbolische Entschädigung“ wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränke, den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.87 Es ist wichtig, sich diese Anfänge der nachfolgenden „unendlichen Geschichte“88 des § 611a BGB klarzumachen, da dies für die weitere Beurteilung der Rechtsprechung des EuGH und letztlich auch die Auslegung der Vorschriften des AGG von Bedeutung sein wird. Deshalb hier noch einmal ein kurzes Zwischenfazit: Die europäische Gemeinschaft wollte mit der Richtlinie Geschlechterdiskriminierungen auch bei Einstellungen bekämpfen, einen Schritt, den das deutsche Arbeitsrecht trotz Beschäftigung mit der Gleichstellungsfrage wegen der überragenden Bedeutung der Vertragsfreiheit (noch) nicht gegangen war. Zudem forderte die Richtlinie erhöhte Rechtfertigungsvoraussetzungen im Vergleich zum deutschen Recht. Der deutsche Gesetzgeber handelte zunächst nicht und schuf sodann unter dem Druck eines Vertragverletzungsverfahrens lediglich eine zivilrechtliche Regelung, nach der in aller Regel nur marginale Beträge im einstelligen DM- oder sogar Pfennigbereich zugesprochen werden konnten, und dies selbst dann, wenn wie im Fall Colson/Kamann eine offene und unmittelbare Diskriminierung vorlag, die noch dazu zwei bestqualifizierte Bewerberinnen betraf, die bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden wären. Zudem ließ auch die ungeschickt formulierte deutsche Regelung zu den Rechtfertigungsgründen an einem echten Umsetzungs86 87 88
Hervorhebung durch den Verfasser. EuGH, 10. 4. 1984, Rs. 14/83, NZA 1984, S. 157 (158). Möllers, EuR 1998, S. 20 (41); Müller, JA 2000, S. 119 (120).
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willen des Gesetzgebers zweifeln. Dieses (zunächst nicht unzutreffende) Bild von dem deutschen Gesetzgeber, der sich am liebsten aus seinen vertraglichen Verpflichtungen gestohlen und die Richtlinie schlicht ignoriert hätte, prägte die weitere Rechtsprechung des EuGH und führte letztlich auch dazu, dass der Gerichtshof in die Richtlinie und ihre Nachfolgerinnen fortwährend Dinge hineinlas, die dort nüchtern betrachtet nicht zu finden waren. In Colson/Kamann und Harz betraf dies das Erfordernis einer „abschreckenden Sanktion“. Dem Wortlaut der Richtlinie war diese Voraussetzung nicht zu entnehmen. Wenn aus der Rechtswegsgarantie sowie der Formulierung „seine Rechte“ überhaupt etwas abzuleiten war, dann dass wirksame Sanktionen vorgesehen werden mussten. Denn ohne derartige Sanktionen bestand die Gefahr, dass die Richtlinie lediglich zu einem rein moralischen Appell verkümmerte. Dennoch war mit diesen Entscheidungen die Trias an Anforderungen geboren, an der der EuGH zukünftig nationale Sanktionsnormen messen sollte: wirksam, verhältnismäßig, abschreckend. bb) Die Reaktionen in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Die Reaktion auf die EuGH-Entscheidungen in Deutschland waren vielfältig. Überhaupt keine Reaktion zeigte jedoch der deutsche Gesetzgeber. Er blieb über mehr als 10 Jahre untätig und überließ es Rechtsprechung und Wissenschaft, Folgerungen aus den EuGH-Urteilen zu ziehen. Von Seiten des Schrifttums kam grundsätzlichere Kritik an den Entscheidungen lediglich von Birk, der die Heranziehung des Effektivitätsgrundsatzes durch den EuGH bemängelte. Es sei zwar sicher wünschenswert, dass die Richtlinien der EG wirksam in nationales Recht umgesetzt würden, daraus aber ein kaum überprüfbares Prinzip zu machen, erscheine problematisch.89 Das Ausbleiben von Grundsatzkritik größeren Ausmaßes ist insoweit verständlich, als nicht ernsthaft angenommen werden konnte, dass der EuGH die unbefriedigende deutsche Rechtslage mit dem Ersatz bloßer Pfennigbeträge akzeptieren würde. Andererseits hätte das Urteil genügend Angriffsfläche geboten, insbesondere mit der Ableitung der Anforderungstrias aus Art. 6 der Richtlinie. Zudem hatte der EuGH nicht konkretisiert, welcher Schaden einem abgewiesenen Bewerber überhaupt entstehe. Er hatte nur ausgeführt, dass der Schaden wirksam ausgeglichen werden müsse. Demzufolge wurde in der Literatur im Anschluss an das Urteil nahezu jeder Standpunkt vertreten: Pfarr/Bertelsmann und Eckertz-Höfer vertraten die weitestgehende Lösung.90 Nach ihrer Ansicht sollte der bestqualifizierte Bewerber91 den positiven Vermö89 90 91
Birk, NZA 1984, S. 145 (146). Pfarr/Bertelsmann DB 1984, S. 1297 ff; Eckertz-Höfer, JuS 1987, S. 611 ff. D.h. der Bewerber, der bei diskriminierungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre.
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gensschaden (entgangener Lohn) ersetzt bekommen, alle anderen Bewerber immerhin noch den Vertrauensschaden. Zusätzlich sei allen Bewerbern der immaterielle Schaden zu ersetzen. Die Wertung aus § 611a Abs. 2 BGB müsse aus europarechtlichen Gründen schlicht ignoriert werden.92 Anzuwenden seien zunächst die Regelungen der culpa in contrahendo inklusive der Beweiserleichterung aus § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB, wobei der Anspruch auf das positive Interesse gehe.93 Letztlich müsse ein flankierender Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus dem Deliktsrecht anerkannt werden. Eine diskriminierende Nichteinstellung stelle eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, die auch immer schwerwiegend und nicht anders ausgleichbar sei, so dass über § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG eine Geldentschädigung gezahlt werden müsse.94 Wer diskriminiert werde, fühle sich in seinem Selbstwertgefühl und in seinem Interesse auf Achtung durch andere verletzt. Eine Diskriminierung sei eine persönlichkeitsrechtsverletzende Benachteiligung. Art. 3 Abs. 3 GG, der Diskriminierungen durch den Staat verbiete, stehe in enger Beziehung zur Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG und zur freien Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG. Der BGH habe schließlich genau aus diesen beiden Verfassungsnormen das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt95 und unter den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB gestellt. Es bestünden deshalb keine dogmatischen Bedenken, über § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 611a Abs. 1 BGB die entstandenen immateriellen Schäden zu ersetzen. Die gegenteilige Position nahm Scholz96 ein. Nach seiner Ansicht müsse die in § 611a Abs. 2 BGB enthaltene Wertung weiterhin voll berücksichtigt werden, bis es zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber komme. Keinesfalls dürfe aus den Entscheidungen des EuGH der Schluss gezogen werden, nunmehr auch nur dem bestqualifizierten Bewerber den vollen Erfüllungsschaden zu gewähren. Denn dies würde die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers über Gebühr beeinträchtigen, und zwar nicht nur bei Anerkennung eines Einstellungsanspruchs, sondern auch bei einem auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Geldersatzanspruch, da dieser wertmäßig eben dem Einstellungsanspruch entspreche und den Arbeitgeber letztlich genauso belaste.97 Wenn der EuGH nun mehr als den Ersatz des Vertrauensschadens fordere, so sei eine Lösung entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Betracht zu ziehen. Hierfür müsse 92
Pfarr/Bertelsmann, DB 1984, S. 1297 (1298): „Die EG-konforme Auslegung und Anwendung muss dazu führen, dass die Gerichte die gesetzliche Regelung des § 611a Abs. 2 BGB als nicht mehr existent werten“; ähnlich Steindorff, Jura 1992, S. 561 (567 f). 93 Die Ansicht, dass ein Anspruch aus c.i.c. immer nur auf das negative Interesse gerichtet sein kann, wurde als unzutreffend abgelehnt, siehe Eisemann, AuR 1988, S. 225 (225); Brüggemeier, ZeuP 1998, S. 752 (760); dazu auch unten 4. Kap. A. I. 1. b) ff). 94 Pfarr/Bertelsmann, DB 1984, S. 1297 (1300); Eckertz-Höfer, JuS 1987, S. 611 (615). 95 Dazu sogleich unter 2. Kap. B. I. 2. a). 96 Scholz, SAE 1984, S. 250 ff; ebenso Birk, NZA 1984, S. 145 (147); Westermann, ZRP 1983, S. 249 (257); LAG Niedersachsen, 23. 11. 1984, 14 Sa 111/83, NZA 1985, S. 327 (328). 97 Scholz, SAE 1984, S. 250 (251).
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jedoch zwingend der Gesetzgeber tätig werden. Eine Lösung über § 823 Abs. 2 BGB oder gar über § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts komme nicht in Frage.98 Dies gelte schon allein deshalb, weil eine gesetzlich angeordnete Haftungsbeschränkung im (vor-)vertraglichen Bereich, wie in § 611a Abs. 2 BGB geschehen, sich zwangsläufig immer auch auf den deliktischen Bereich auswirke.99 Andernfalls würden die Wertungen des Gesetzgebers missachtet und drohe die Haftungsbeschränkung leer zu laufen.100 Neben diesen beiden Extrempositionen wurden auch vermittelnde Ansichten vertreten. Zuleeg ging etwa von einer beschränkten Sperrwirkung des § 611a Abs. 2 BGB aus. Die Norm wolle nur verhindern, dass es aufgrund einer Diskriminierung zu Einstellungsansprüchen und zum Ersatz des vollen positiven Interesses in Form des entgangenen Arbeitsentgelts bis zum Renteneintritt kommen könne. Nicht ausgeschlossen sei es jedoch, dass über die culpa in contrahendo sowie die deliktischen Anspruchsgrundlagen andere materielle oder immaterielle Schäden ersetzt würden.101 In materieller Hinsicht könnten durchaus über das negative Interesse hinausgehende Vermögensschäden ersetzt werden, die nur nicht an den vollen Erfüllungsschaden heranreichen dürften. Eine andere Ansicht wollte demgegenüber die Sperrwirkung des § 611a Abs. 2 BGB auf alle Vermögensschäden ausweiten. Hinsichtlich materieller Schäden sei die Norm abschließend. Auch der bestqualifizierte unter den Bewerbern könne deshalb keinen über den Vertrauensschaden hinausgehenden materiellen Ersatz verlangen.102 Allerdings regele § 611a Abs. 2 BGB immaterielle Schäden gar nicht. In der Gesetzesbegründung seien diese nicht erwähnt. Zudem sei es wertungswidersprüchlich, den Arbeitgeber hinsichtlich des Ersatzes immaterieller Schäden aufgrund von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber anderen Schädigern zu privilegieren.103 Dies sei auch nicht der Zweck von § 611a Abs. 2 BGB. Imma-
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Scholz, SAE 1984, S. 250 (253). Vgl. auch Pfarr/Bertelsmann DB 1984, S. 1297 (1300), die sich verwundert über das Verhalten der Bundesregierung im EuGH-Verfahren äußerten. Obwohl die Regierungsbegründung des EG-Anpassungsgesetzes noch von einer umfassenden Sperrwirkung des § 611a Abs. 2 BGB ausgegangen sei und dementsprechend vor der EuGH-Entscheidung auch niemand einen über den Vertrauensschaden hinausgehenden deliktischen Anspruch bejaht habe, habe die Bundesregierung auf die Anfrage des EuGH, ob § 611a Abs. 2 BGB tatsächlich, wie die vorlegenden Gerichte angenommen hatten, andere Schadensersatznormen ausschlössen, geantwortet, dass dem nicht so sei und etwa § 823 Abs. 2 BGB anwendbar bliebe. 100 Ausführlich zur Frage der Sperrwirkung des § 611a Abs. 2 BGB (1. Fassung), Kandler, S. 133 ff; eine Sperrwirkung bejahend Birk, NZA 1984, S. 145 (147); Wiese, JuS 1990, S. 357 (358); Kandler, S. 141 f. 101 Zuleeg, RdA 1984, S. 325 (330). 102 Nicolaysen, EuR 1984, S. 380 (384); Beyer/Möllers, JZ 1991, S. 24 (27); siehe auch Kandler, S. 138 m.w.N. 103 Siehe Kandler, S. 138 m.w.N. 99
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terielle Schäden könnten deshalb aufgrund von § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 611a Abs. 1 BGB neben dem Vertrauensschaden ersetzt werden.104 Die ArbG Hamm105 und Hamburg106 wählten im Anschluss an die EuGH-Entscheidung die zuletzt genannte Lösung, um zu einer Anpassung des deutschen Rechts an die Vorgaben des EuGH zu gelangen. Sie gingen folglich weiterhin von einer Sperrwirkung des § 611a Abs. 2 BGB hinsichtlich des materiellen Schadens aus und gewährten demnach nicht das Erfüllungsinteresse, sondern nur einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB.107 Dem schloss sich schließlich auch das BAG an. Im Jahr 1989 kam das Gericht in zwei parallelen Urteilen108 zu folgendem Schluss: „Im Arbeitsleben hat jeder Arbeitnehmer ein Recht, nach sachangemessenen Maßstäben beurteilt zu werden. Ein Arbeitgeber, der bei der Auswahl zu Unrecht auf das Geschlecht abstellt, beeinträchtigt die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewerber, die dem gesuchten Geschlecht nicht angehören. Darin liegt eine Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten der ausgeschlossenen Bewerber. Sie werden bei der Bewerbung um Einstellung daran gehindert, die erstrebte Berufstätigkeit aufzunehmen und damit ihre individuelle Persönlichkeit zu entfalten, indem ihnen die chancengleiche Teilnahme an einem Auswahlverfahren von vornherein verweigert wird. In der Benachteiligung eines Menschen aufgrund seines Geschlechts liegt zugleich eine Verletzung seiner Würde als Person. […] Eine geschlechtsbezogene Diskriminierung verletzt regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen Inhalt für den Zugang zum Arbeitsverhältnis durch § 611a BGB konkretisiert wird“.
Einem potentiellen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz des immateriellen Schadens stehe, so das BAG weiter, auch der nach wie vor unveränderte § 611a Abs. 2 BGB nicht entgegen. Zwar würden grundsätzlich gesetzliche Haftungsbeschränkungen auch für deliktische Ansprüche gelten. Dies aber nur, soweit die Haftungsbeschränkungen reichten. Die Beschränkung des Schadenersatzes gemäß § 611a Abs. 2 BGB auf das negative Interesse bezwecke ausschließlich, einen Einstellungsanspruch des benachteiligten Arbeitnehmers und damit auch einen Anspruch auf Zahlung des entgangenen Lohns auszuschließen. Betroffen von dem
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Eisemann, AuR 1988, S. 225 (234); Beyer/Möllers, JZ 1991, S. 24 (27); vgl. auch Käppler, AR-Blattei ES Nr. 86 Gleichbehandlung. 105 ArbG Hamm, 6. 9. 1984, 4 Ca 1076/82, DB 1984, S. 2700 ff. 106 ArbG Hamburg, 7. 3. 1985, 8 Ca 124/81, DB 1985, S. 1402 ff. 107 Eckertz-Höfer, JuS 1987, S. 611 (615): „Minimallösung“. 108 BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 351/86, NJW 1990, S. 67 ff (Sozialarbeiter) sowie 8 AZR 447/ 87, NJW 1990, S. 65 ff (Tierheim); bestätigt in BAG, 14. 11. 1991, 8 AZR 145/91, juris; BAG, 5. 3. 1996, 1 AZR 590/92, DB 1996, S. 2627 ff; zur Behindertendiskriminierung später ebenso BAG, 15. 2. 2005, 9 AZR 635/03, NZA 2005, S. 870 ff; siehe auch zur Übernahme dieser Rechtsprechung durch die Instanzgerichte die zahlreichen Nachweise bei Kandler, Fn. 306.
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haftungsbeschränkenden Teil dieser Regelung seien somit nur Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens.109 Folglich prüfte das BAG jeweils einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Gleichzeitig legte es jedoch die vom BGH im Rahmen der Medienfälle entwickelten Maßstäbe110 an und prüfte jeweils, ob eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung und ein schweres Verschulden vorlagen. Im „Tierheim-Fall“ bejahte es dies und gestand der Klägerin, die für eine Stelle in der Tierannahme abgelehnt worden, weil der Betreiber des Tierheims aus paternalistischen Motiven die Nachtarbeitsstelle als zu gefährlich für weibliche Angestellte ansah, eine Entschädigung in Höhe von einem Monatsgehalt zu. Im „Sozialarbeiter-Fall“ verneinte das BAG dagegen einen Anspruch, weil es nur ein leichtes Verschulden und eine lediglich geringe Verletzung des Persönlichkeitsrechts feststellen konnte. In diesem Fall war die weibliche Bewerberin für eine Stelle als Gruppenbetreuer in einem Wohnheim für strafentlassene Männer zurückgewiesen worden, da die Arbeitgeberin nach eigenem Bekunden ihr pädagogisches Konzept einhalten wollte, das vorsah, dass von den fünf Betreuerstellen drei mit Männern und lediglich zwei mit Frauen besetzt sein sollten. Zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung waren aber gerade je zwei Frauen und zwei Männer beschäftigt und es wurde Ersatz für einen ausgeschiedenen männlichen Betreuer gesucht. Eine unverzichtbare Voraussetzung im Sinne von § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB war das männliche Geschlecht nach Ansicht des BAG schon deshalb nicht, weil die Beklagte keinerlei Tatsachen vortragen konnte, die ein nachvollziehbares pädagogisches Konzept mit gerade diesem Aufteilungsschlüssel begründeten. Andererseits hielt das BAG der Arbeitgeberin zugute, dass diese irrtümlich von der Zulässigkeit ihres Handelns aufgrund des jahrelang angewandten „pädagogischen Konzepts“ ausgegangen war (geringes Verschulden). Zudem waren die Auswirkungen gering, weil die Klägerin nicht arbeitslos war, sondern sich von einer anderen Stelle aus beworben hatte. Demnach hielt das BAG eine Entschädigungszahlung hier für nicht notwendig. Im Anschluss an diese Entscheidungen entbrannte eine heftige Diskussion über die Richtigkeit der Einordnung einer diskriminierenden Nichteinstellung als Persönlichkeitsrechtsverletzung. Da dies jedoch einen zentralen Punkt der Arbeit darstellt, wird diese Frage in einem eigenen Kapitel zu klären sein.111 e) Rs. Dekker Das nächste wichtige Ereignis in der historischen Entwicklung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes, wie er schließlich in das AGG in seiner heutigen Fassung mündete, stellte wieder eine Entscheidung des EuGH dar. In der 109 110 111
BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, NJW 1990, S. 65 (66). Siehe dazu unten 2. Kap. B. I. 2. d) bb). Siehe unten 3. Kap.
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Rs. Dekker112 hatte sich der Gerichtshof auf Vorlage durch den Hoge Raad der Nederlanden, das höchste niederländische Gericht, mit dem Fall einer Erzieherin zu befassen, die sich in einer Bildungsstätte für junge Erwachsene beworben hatte. Unter den Bewerbern, allesamt Frauen, war sie die bestqualifizierte. Dies stand fest, da die Auswahlkommission der Bildungsstätte ihre Einstellung vorgeschlagen hatte. Als die Bewerberin der Arbeitgeberin jedoch mitteilte, dass sie im dritten Monat schwanger sei, lehnte diese eine Einstellung mit dem Argument ab, dass bei einer bereits zum Einstellungszeitpunkt schwangeren Bewerberin ihr Versicherer die Leistungen nicht erstatte, die sie selbst während des Mutterschaftsurlaubs zu gewähren habe. Da auch sonst kein Geld für eine Schwangerschaftsvertretung vorhanden sei, andererseits aber die Personalstärke aufrechterhalten werden müsse, sei ihr eine Einstellung finanziell unmöglich. Der EuGH entschied auf eine entsprechende Frage des vorlegenden Gerichts hin zunächst, dass die Zurückweisung einer Bewerberin aufgrund ihrer Schwangerschaft eine unmittelbare Geschlechterdiskriminierung darstelle.113 Dabei mache es auch keinen Unterschied, dass sich auf die Stelle nur Frauen beworben hätten. Letzteres hatte das vorlegende Gericht und bis dahin auch das BAG in ständiger Rechtsprechung angenommen.114 Neben diesem gerade für typische Frauenberufe außerordentlich wichtigen Punkt ging ein weiterer Aspekt der Entscheidung in den nachfolgenden Besprechungen zunächst etwas unter, der jedoch für die heutige Gestalt des AGG äußerst bedeutsam werden sollte. In einer weiteren Frage hatte der Hoge Raad der Nederlanden wissen wollen, „ob es die Art. 2 und 3 der Richtlinie ausschließen, dass ein mit der Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung begründeter Schadenersatzanspruch nur dann zugewiesen wird, wenn darüber hinaus nachgewiesen wird, dass sich der Arbeitgeber schuldhaft verhalten hat und feststeht, dass er sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann“. Dies war im niederländischen Recht bis dato der Fall. Es bedurfte eines positiven Beweises eines Verschuldens des Arbeitsgebers und der Feststellung des Fehlens von Rechtfertigungsgründen. Das Gericht antwortete wie folgt:115 Es ist „festzustellen, dass die Richtlinie […] die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung [keineswegs] davon abhängig macht, dass ein Verschulden nachgewiesen wird oder kein Rechtfertigungsgrund 112
EuGH, 8. 11. 1990, C-177/88, NZA 1991, S. 171 ff (Dekker). EuGH, 8. 11. 1990, C-177/88, NZA 1991, S. 171 (172). 114 Vgl. BAG, 20. 2. 1986, 2 AZR 244/85, NZA 1986, S. 739 (740): „Bewerben sich aber – wie vorliegend – nur weibliche Arbeitnehmer um einen freien Arbeitsplatz, bedeutet die Frage nach der Schwangerschaft gegenüber den anderen Bewerberinnen keine geschlechtsspezifische Benachteiligung, weil sich die Frage an alle Bewerberinnen richtet und auch jede von ihnen schwanger sein kann“; dazu Hunold, NZA 1987, S. 4 ff; Sowka, NZA 1994, S. 967 ff; aus neuerer Zeit Pallasch, NZA 2007, S. 306 ff. 115 EuGH, 8. 11. 1990, C-177/88, NZA 1991, S. 171 (172) – Hervorhebungen durch den Verfasser. 113
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vorliegt“. Nach Wiederbelebung der in Colson/Kamann entwickelten Formel116 führte das Gericht weiter aus, dass „[w]enn die Haftung eines Arbeitgebers für Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung davon abhinge, dass ein Verschulden des Arbeitgebers nachgewiesen wird und kein durch das anwendbare nationale Recht anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt, würde dies die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich beeinträchtigen.“ Daraus folge, dass dann, wenn sich ein Mitgliedsstaat für eine Sanktion entscheide, die sich in den Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers einfüge, „jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen [müsse], um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne dass die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden [dürfen]“117. Wie die Entscheidungsgründe belegen, ging es dem EuGH folglich um den Ausschluss besonderer Rechtfertigungsgründe des nationalen Rechts sowie um die Gewährleistung einer sinnvollen Beweislastverteilung bezüglich des Verschuldenserfordernisses. Das Gericht erkannte eine erhebliche Einschränkung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie, wenn positiv nachgewiesen werden musste, dass der Arbeitgeber die Ungleichbehandlung verschuldet hatte. Auch für Generalanwalt Darmon war dies der entscheidende Punkt. In seinem Schlussantrag vom 14. 11. 1989 führte er aus: „Hierzu bin ich der Ansicht, daß die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie aufgehoben würde, wollte man bei Vorliegen einer gegen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verstoßenden Diskriminierung überdies den Beweis eines besonderen Verschuldens des Arbeitgebers fordern“118. Dies ist zweifellos richtig. Bei rechtswidrigen Diskriminierungen geht es um Ungleichbehandlungen auf Grund unerlaubter Motive. Die Feststellung eines unerlaubten Motivs als innere Tatsache bereitet enorme Schwierigkeiten.119 Ein Nachweis ist vom Arbeitnehmer kaum zu führen, weshalb schon die erste Fassung von § 611a BGB Beweiserleichterungen hierfür vorsah. Mindestens ebenso schwierig wie der Nachweis des Motivs ist aber die Beweisführung hinsichtlich des Verschuldens einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung.120 Ob sich der Arbeitgeber der unerlaubten Ungleichbehandlung bewusst war oder dies zumindest bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte sein können, entzieht sich regelmäßig der Kenntnis des Arbeitnehmers. Insofern würde es die praktische Wirksamkeit der Antidiskriminierungsregeln zweifellos mindern, wenn man den positiven Nachweis eines Verschuldens durch den Arbeitnehmer fordern würde. 116
„Wirksam, abschreckend, verhältnismäßig“. EuGH, 8. 11. 1990, C-177/88, NZA 1991, S. 171 (172). 118 Schlussantrag von Generalanwalt Darmon vom 14. 11. 1989, abrufbar unter http://eurlex.europa.eu/, Rn. 35 – Hervorhebung durch den Verfasser. 119 Siehe dazu Wörl, S. 44. 120 Möller, S. 215 Fn. 622 hält den Beweis eines Verschuldens für noch schwerer zu führen als den Nachweis einer unerlaubten Diskriminierung. 117
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Die deutsche Rechtslage in den vom EuGH herausgegriffenen Punkten (Rechtfertigungsgründe/Verschuldensnachweis) war verwirrend. Wie oben bereits erwähnt, sah die Beweisregelung in § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB eine Rechtfertigung auf Grund rein „sachlicher Gründe“ vor, obwohl in § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB nur die „unverzichtbaren Voraussetzungen“ genannt waren und die Richtlinie (zumindest bei unmittelbaren Diskriminierungen) auch nur dann eine Rechtfertigung zuließ. Bezüglich des nunmehr in den Blickpunkt gerückten Merkmals eines Verschuldens war die Rechtslage ähnlich undurchsichtig. Die Regierungsbegründung des EGAnpassungsgesetzes121 berief sich darauf, dass § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB der Rechtsprechung des BGH und des BAG zu den klassischen Fällen eines Beweisnotstandes nachgebildet sei, in denen eine „Beweislastumkehr“ unter anderem im Bezug auf „das Verschulden“ angenommen werde. Andererseits kam diese angebliche Beweisbelastung des Arbeitgebers bezüglich des Verschuldens im Wortlaut von § 611a Abs. 2 BGB keineswegs zum Ausdruck. Dieser sah einen Schadensersatzanspruch nur bei einem „von dem Arbeitgeber zu vertretenden Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot“ vor und formulierte nicht etwa im Sinne einer Beweislastumkehr klassisch derart, dass der Arbeitgeber hafte, es sei denn er habe den Verstoß nicht zu vertreten. Demnach ging die überwiegende Literaturansicht auch davon aus, dass es nach den üblichen Beweislastregeln dem Arbeitnehmer oblag, das Verschulden darzulegen und zu beweisen.122 f) Rs. Marshall II Die nächste wichtige Entscheidung erging knapp drei Jahre später. Im Jahr 1993 entschied der EuGH123, dass dann, wenn ein Mitgliedsstaat eine Entschädigung des Diskriminierungsopfers als Sanktion im Sinne der Richtlinie vorsehe, es der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie entgegenstehe, wenn von vorn herein eine Obergrenze für die Entschädigung festgelegt sei. In diesem aus Großbritannien stammenden Fall ging es um die diskriminierende Entlassung eines Beschäftigten, wofür das britische Recht eine starre Begrenzung der Entschädigungshöhe vorsah. Der EuGH vertrat, wieder unter Berufung auf die Rechtswegsgarantie in Art. 6 der Richtlinie, die Ansicht, dass die Besonderheiten eines jeden Einzelfalls nicht angemessen berücksichtigt werden könnten, wenn die finanzielle Entschädigung von vornherein im Umfang auf ein bestimmtes Niveau begrenzt sei. Im Einzelfall könne durch eine derartige pauschale Obergrenze ansonsten verhindert werden, dass der erlittene Schaden voll ausgeglichen werde. Eine solche Obergrenze sei demnach richtlinienwidrig.
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BT-Drucks. 8/3317, S. 9. Siehe Schlachter, Gleichberechtigung, S. 182; Kandler, S. 96. EuGH, 2. 8. 1993, C-271/91, EuZW 1993, S. 706 ff (Marshall II).
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
g) Das Zweite Gleichberechtigungsgesetz von 1994 Im Jahr 1994 unternahm der deutsche Gesetzgeber endlich, 10 Jahre nach der Entscheidung des EuGH in Colson/Kamann, den Versuch, § 611a BGB europarechtskonform auszugestalten. Doch nicht nur dieser erneute erhebliche zeitliche Vorlauf provozierte weitere Reaktionen des EuGH, sondern auch die konkrete Neufassung selbst. Zunächst wurde gemäß den in Colson/Kamann gemachten Vorgaben des EuGH die Ersatzfähigkeit des bloßen Vertrauensschadens in § 611a Abs. 2 BGB zwar aufgegeben. Der neue § 611a Abs. 2 BGB lautete danach wie folgt: „Hat der Arbeitgeber bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 zu vertreten, so kann der hierdurch benachteiligte Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld in Höhe von höchstens drei Monatsverdiensten verlangen“.
Bei der Gesetzeslektüre sticht jedoch sofort die offensichtliche Unvereinbarkeit124 dieser Regelung mit der erst ein Jahr zuvor ergangenen Entscheidung des EuGH in Marshall II ins Auge, in der der EuGH eine Obergrenze gerade als richtlinienwidrig qualifiziert hatte. Des Weiteren fällt unmittelbar auf, dass auch die Beweislastverteilung hinsichtlich des Vertretenmüssens nicht geklärt wurde, sondern der Wortlaut des alten § 611a Abs. 2 BGB unverändert übernommen worden war. Somit war weiterhin von einer Beweisbelastung des Arbeitnehmers auszugehen,125 was ersichtlich den Vorgaben der Dekker-Entscheidung widersprach. Auch wurde der ebenfalls durch diese Entscheidung zweifelhaft gewordene § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB, der die Möglichkeit der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung beim Vorliegen bloßer sachlicher Gründe suggerierte, nicht verändert.126 Der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers wurde insoweit Rechnung getragen, als durch den neu eingefügten § 611a Abs. 3 BGB ein Einstellungsanspruch nun kraft Gesetz ausgeschlossen wurde. Gleiches galt gemäß § 611a Abs. 5 BGB für die Beförderung. In beiden Fällen ging der Gesetzgeber von einer rein deklaratorischen 124 So Pfarr, RdA 1995, S. 204 (209); a.A. MüKo-BGB/Müller-Glöge, 1997, § 611a BGB, Rn. 50, der darauf verweist, dass es in Marshall II eben nur um diskriminierende Entlassungen gegangen und die Rechtsprechung hierauf zu beschränken sei und zudem das deutsche Recht anders als das englische Recht ja insoweit eine flexible Obergrenze anerkenne, als die Höhe eines Monatsgehalts durchaus verschieden sein könne. 125 Siehe Worzalla, NJW 1997, S. 1809 (1812); anders allerdings Schieck, AiB 1994, S. 450 (453 f); dies., Zweites Gleichberechtigungsgesetz, § 611a BGB, Rn. 94, die dafür plädierte, das Merkmal Vertretenmüssen im Sinne einer nur objektiven Pflichtwidrigkeit auszulegen. Ein objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot sei ausreichend. Damit wollte Schieck das Merkmal letztlich komplett abschaffen, was ihrer Ansicht nach EG-rechtlich gefordert war, aber ersichtlich dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers widersprach. 126 Pfarr, RdA 1995, S. 204 (208) weist darauf hin, dass die Verkennung von Dekker umso erstaunlicher sei, als der Gesetzgeber den Reformbedarf gerade auch mit dieser Entscheidung des EuGH begründet hatte, vgl. BT-Drucks. 12/5468, S. 18.
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Anordnung aus.127 Darüber hinaus wurde in § 611a Abs. 4 BGB erstmals eine zweimonatige Ausschlussfrist eingeführt, die gemäß dem ebenfalls neu gefassten § 61b Abs. 1 ArbGG durch eine darauf aufbauende dreimonatige Klagefrist ergänzt wurde. Zudem wurde die Pflicht zu geschlechtsneutralen Stellenausschreibungen in § 611b BGB von der bloßen „Soll“- zur „Muss“- Regelung abgeändert.128 Ausweislich des Regierungsentwurfs129 sollte mit dem Gesetz die Rechtsprechung des BAG aus dem Jahr 1989 zur Persönlichkeitsrechtsverletzung bei Diskriminierungen aufgegriffen und verbessert werden. Danach konnte nicht nur der bestqualifizierte Bewerber bei diskriminierender Ablehnung eine Entschädigung beanspruchen, sondern wegen des erlittenen immateriellen Schadens jeder benachteiligte Bewerber. Geschützt werden sollte „der Anspruch jedes Bewerbers auf eine diskriminierungsfreie Durchführung des Stellenbesetzungsverfahrens“130. Die Rechtsprechung des BAG, die eine Lösung basierend auf § 823 Abs. 1 BGB gesucht hatte, wurde vom Gesetzgeber nach der EuGH-Entscheidung in Dekker als nicht mehr ausreichend empfunden. Denn nach dieser BAG-Rechtsprechung hing die Haftung vom Vorliegen einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts und von einem schweren Verschulden ab. Der Gesetzgeber verstand den EuGH in Dekker jedoch derart, dass der Grad des nachgewiesenen Verschuldens und der Rechtsgutsverletzung bei der Frage nach dem „Ob“ einer Haftung keine Rolle spielen dürfe.131 Da nach Auffassung des Gesetzgebers aus der Haftungsverschärfung nun jedoch die Gefahr resultierte, dass ein Arbeitgeber wegen eines einzigen diskriminierenden Stellenbesetzungsverfahrens an eine unbestimmte Vielzahl von Bewerbern sich aufsummierende Entschädigungen zu zahlen hatte, fügte er in die Arbeitsgerichtsordnung das Summenbegrenzungsverfahren132 ein. Gemäß § 61b Abs. 2 ArbGG war dann, wenn mehrere Bewerber wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses eine Entschädigung gerichtlich geltend machten, auf Antrag des Arbeitgebers die Summe dieser Entschädigungen auf sechs bzw. zwölf Monatsverdienste zu begrenzen.
127 BT-Drucks. 12/5468, S. 44: „Der neu einzufügende Absatz 3 stellt klar, dass ein Einstellungsanspruch des benachteiligten Bewerbers ausgeschlossen ist. Ein solcher Einstellungsanspruch wäre mit dem geltenden Arbeitsrecht nicht zu vereinbaren“. 128 Vgl. dazu Pfarr, RdA 1995, S. 204 (207); hierzu bestand jedoch keine europarechtliche Verpflichtung, siehe EuGH, 21. 5. 1985, C-248/83, NJW 1985, S. 2076 (2080): „[…] die Einfügung von § 611b BGB [kann] nicht als die Erfüllung einer durch die Richtlinie 76/207 auferlegten Verpflichtung angesehen werden, sondern diese Vorschrift [ist] als eine autonome Rechtsnorm anzusehen, die zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erlassen worden ist“. 129 BT-Drucks. 12/5468, S. 18, 44. 130 BT-Drucks. 12/5468, S. 18. 131 BT-Drucks. 12/5468, S. 18; ebenso Worzalla, DB 1994, S. 2446 (2446). 132 Vgl. Annuß, NZA 1999, S. 738 (740).
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Völlig unklar war nach der Gesetzesreform weiterhin, welcher Schaden nun tatsächlich von der angemessenen Entschädigung erfasst sein sollte. Angesichts der Gesetzesbegründung, die ausdrücklich auf die BAG-Rechtsprechung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verwies, wurde vertreten, dass nun allein immaterielle Schäden aufgrund von § 611a BGB ausgeglichen werden sollten.133 Neben der Gesetzesbegründung berief sich diese Ansicht auf den Wortlaut. Den Begriff der Entschädigung verwende das Gesetz immer dort, wo es um den Ausgleich immaterieller Schäden gehe.134 Diese vermeintliche Beschränkung auf den immateriellen Schaden wurde vereinzelt als Teil eines „frauenfeindliche[n] Rückschritt [s]“135 empfunden. Andere136 sahen neben dem immateriellen Schaden auch weiterhin das negative Interesse als ersetzbar an, was sich bereits aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe. Eine dritte Gruppe wollte neben den immateriellen Schäden nun das positive Interesse des bestqualifizierten Bewerbers ersetzen, nicht mehr jedoch das negative Interesse, da es sich nach der Differenzhypothese um bloße Sowieso-Kosten handele.137 Eine vierte Ansicht betrachtete neben dem immateriellen Schaden sowohl das positive Interesse als auch das negative Interesse als ersetzbar. Der bestqualifizierte Erwerber erhalte stets den vollen Erfüllungsschaden, alle anderen Bewerber den Vertrauensschaden.138 Der Begriff der Entschädigung sei insoweit flexibel interpretierbar. Auch sonst stehe er im BGB nicht ausnahmslos für immaterielle Schäden, hierfür sei vielmehr der Zusatz „wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist,“ erforderlich.139 Letztlich wurde die Norm sogar vereinzelt derart interpretiert, dass für alle Bewerber nunmehr das positive Interesse ersetzbar sein sollte.140 Diese undurchsichtige Rechtslage führte nun dazu, dass erstmals Stimmen laut wurden, die in § 611a Abs. 2 BGB eine Strafschadensersatznorm141 erblickten. § 611a Abs. 2 BGB enthalte eine echte Zivilstrafe142, die Norm sei ein „verkorkstes Konstrukt“143, sie gehöre ins Strafgesetzbuch144. Es solle in Wahrheit gar kein 133 Geck/Schimmel, JA 1997, S. 830 (832); Steinmeister, PersR 1995, S. 9 (10); Oetker, ZIP 1997, S. 802 (803); Möller, S. 218, Fn. 640; Volmer, BB 1997, S. 1582 (1583); in diese Richtung aber letztlich unentschieden auch Pfarr, RdA 1995, S. 204 (210). 134 Oetker, ZIP 1997, S. 802 (803); Kandler, S. 162 . 135 So der gleichnamige Aufsatz von Steinmeister, ZRP 1993, S. 127 ff; ähnlich Schieck, AiB 1994, S. 450 (452). 136 MüKo-BGB/Müller-Glöge, 1997, § 611a BGB, Rn. 47. 137 KR/Pfeiffer, 1994, § 611a BGB, Rn. 99. 138 Treber, DZWir 1998, S. 172 (182). 139 Treber, DZWir 1998, S. 172 (180). 140 Vgl. Kandler, S. 165. 141 KR/Pfeiffer, 1994, § 611a BGB, Rn. 101. 142 Vgl. Blomeyer, NZA 1994, S. 633 (633): Es werde der Eindruck vermittelt, dass der Ersatzanspruch letztlich auf „punitive damages“ gerichtet sei. 143 Müller, Punitive Damages, S. 151. 144 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (35); Müller, Punitive Damages, S. 160.
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Schaden ausgeglichen, sondern lediglich sanktioniert werden. Das Schadensersatzrecht werde seiner „zivilrechtlichen Ausgleichsfunktion beraubt und zu einem Sanktionsvehikel pervertiert“145. Der Gesetzgeber habe die Forderung des EuGH nach einer präventiv, wenn nicht gar sühnend wirkenden Sanktionsnorm in Gesetzesform gegossen und ein „schadensersatzrechtliches Monstrum“146 geschaffen. Die Begrenzung der Entschädigungshöhe auf drei Monatsgehälter erinnere an eine Strafobergrenze.147 Auch das Summenbegrenzungsverfahren deute darauf hin, dass nicht die Kompensation des Opfers, sondern die Angemessenheit der Sanktion der Diskriminierung das Gesetz präge.148 h) Rs. Draehmpaehl Die Neuregelung hatte nicht lange Bestand. Bereits knapp drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes bekam der EuGH149 im Frühjahr 1997, wieder aufgrund einer Vorlage des ArbG Hamburg150, in der Rs. Draehmpaehl die Möglichkeit, den deutschen Gesetzgeber als – das Wortspiel sei gestattet – „Trampel“ hinzustellen. Geklagt hatte der ehemalige Jurastudent Nils Draehmpaehl. Auf eine lediglich weiblich formulierte Stellenanzeige151 der Firma Urania im Hamburger Abendblatt hin hatte er sich um eine Stelle als „Assistentin der Vertriebsleitung“ beworben, jedoch weder eine Rückmeldung von Urania erhalten noch seine Bewerbungsunterlagen zurückgeschickt bekommen. Draehmpaehl, der sich als bestqualifizierter Bewerber wähnte, klagte darauf hin 3 12 Monatsgehälter als Entschädigung ein. Das ArbG Hamburg konnte zwar eine ungerechtfertigte Benachteiligung feststellen, jedoch blieb zweifelhaft, ob Urania auch schuldhaft gehandelt hatte. Zudem sah sich das Gericht durch § 611a Abs. 3 BGB daran gehindert, mehr als drei Monatsgehälter zuzusprechen und legte dem EuGH drei Fragen vor: Ob erstens das Erfordernis eines Vertretenmüssens, zweitens die pauschale Beschränkung der Entschädigung auf drei 145
Müller, Punitive Damages, S. 151. Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (35). 147 Müller, Punitive Damages, S. 151. 148 KR/Pfeiffer, 1994, § 611a BGB, Rn. 100. 149 EuGH, 22. 4. 1997, Rs C 180/95, NZA 1997, S. 645 ff (Draehmpaehl). 150 Beschluss vom 22. 5. 1995, 21 Ca 7/95, NZA-RR 1996, S. 85 ff. 151 Die Anzeige war sehr sonderbar formuliert: „Für unseren Vertrieb suchen wir eine versierte Assistentin der Vertriebsleitung. Wenn Sie mit den Chaoten eines vertriebsorientierten Unternehmens zurechtkommen können, diesen Kaffee kochen wollen, wenig Lob erhalten und viel arbeiten können, sind Sie bei uns richtig. Bei uns muß einer den Computer bedienen können und für die anderen mitdenken. Wenn Sie sich dieser Herausforderung wirklich stellen wollen, erwarten wir Ihre aussagefähigen Bewerbungsunterlagen. Aber sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt …”. Dies erweckte, zusammen mit anderen Eigentümlichkeiten, den Eindruck eines konstruierten Falles, vgl. Oetker, ZIP 1997, S. 802 (804); Adomeit, NJW 1997, S. 2295 (2296) spricht diesbezüglich von einem „Skandal für sich“. 146
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Monatsgehälter und drittens die Gesamthöchstgrenze des § 61b Abs. 2 ArbGG richtlinienkonform sei. Der EuGH beantwortete die erste Frage äußerst knapp mit einem schlichten Verweis auf seine Rechtsprechung in Dekker: „Insoweit hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 8. 11. 1990 […] dargelegt, dass die Richtlinie die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung keineswegs vom Nachweis eines Verschuldens oder vom Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes abhängig macht. Der Gerichtshof hat im vorerwähnten Urteil Dekker […] außerdem folgendes ausgeführt: […] der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot [muss] für sich genommen ausreichen, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne dass die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können. Somit [!] ist festzustellen, dass die Richtlinie einer innerstaatlichen gesetzlichen Regelung entgegensteht, die wie § 611a Abs. 2 BGB für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung die Voraussetzung des Verschuldens aufstellt“.152
Die Leichtigkeit, mit der der EuGH das im deutschen Schadensrecht zentrale153 Verschuldenserfordernis hiermit abschaffte, verblüfft. Ging es in Dekker doch, wie gezeigt, um die Frage der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens und des Vorliegens bzw. Fehlens von besonderen Rechtfertigungsgründen, so zog der EuGH nun, weit überschießend und in Verkennung seiner eigenen Rechtsprechung, den Schluss, dass das Verschuldenserfordernis an sich richtlinienwidrig sei.154 Trotz dieses bedeutenden Unterschieds begründete der EuGH seine Auffassung mit keinem wei152
EuGH, 22. 4. 1997, Rs C 180/95, NZA 1997, S. 645 (646) – Hervorhebungen durch den Verfasser. 153 Siehe etwa Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 (892): „Die Freiheitsgewährung prägt sich […] im Verschuldensprinzip aus“; Lobinger, Leistungspflichten, S. 298 bezeichnet das Verschuldensprinzip als „Fundamentalsatz des Schadensersatzrechts“ sowie als „Kulturleistung“ (S. 303); zum Verschuldensprinzip ausführlich unten 4. Kap. A. II. 4. a). 154 Die Zweifelhaftigkeit der Schlussfolgerung erkannte Oetker, ZIP 1997, S. 802 (802): „Im Lichte des Urteils Dekker wäre jedoch […] denkbar gewesen, die Nachweisproblematik vertiefter zu würdigen: Bereits damals hob der EuGH hervor, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt wird, wenn ein Verschulden des Arbeitgebers nachgewiesen werden muss. Ob dieses Verdikt auch dann gilt, wenn das Verschulden – wie aus den §§ 282, 285 BGB [heute : § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB] bekannt – zu vermuten ist und es dem Arbeitgeber obliegt, sein fehlendes Verschulden nachzuweisen, problematisiert der EuGH nicht. Der apodiktische Leitsatz des Gerichtshofs […] lässt für einen derartigen prozessualen Ausweg indes keinen Raum mehr“; ähnlich Soergel/Raab, 1998, § 611a BGB, Rn. 50 sowie ders., DStR 1999, S. 854 (855): „Es ist auch nicht einzusehen, warum nur ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch den Anforderungen an eine wirksame Sanktion genügen soll. Dem Problem des Verschuldensnachweises könnte mit einer Beweislastumkehr analog § 282 BGB Rechnung getragen werden“; ebenso Franzen, FS Maurer, S. 889 (905); wohl auch Worzalla, DB 1994, S. 2446; i.E. ebenso MüKo-BGB/Müller-Glöge, 1997, § 611a BGB, Rn. 48, der den EuGH in Dekker derart versteht, dass subjektive Fehlbewertungen des Arbeitgebers unbeachtlich sein müssten, was jedoch angesichts des objektiven Sorgfaltsmaßstabs im deutschen Recht ohnehin gewährleistet sei; a.A. Pfarr, RdA 1995, S. 204 (208), die aus Dekker die Unzulässigkeit des Verschuldenserfordernisses an sich geschlossen hatte; ebenso Wissmann, DB 1991, S. 650 (652) sowie Däubler, NZA 1992, S. 577 (582).
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teren Wort.155 Die Argumentation erschöpfte sich somit in einer wenig überzeugenden Schlussfolgerung, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Wie bereits festgestellt, ist ein vom Nachweis eines Verschuldens abhängiger Anspruch richtlinienwidrig. „Somit“ ist auch ein vom Verschulden abhängiger Anspruch richtlinienwidrig.156 Das eine hat mit dem anderen freilich wenig bis gar nichts zu tun. Die Nachweisproblematik ist von der Frage nach dem Verschuldenserfordernis sachlich zu trennen. Dem EuGH ist jedoch zugute zu halten, dass die deutsche Rechtslage in der Tat den Vorgaben der Dekker-Entscheidung widersprach. Die Beweisbelastung des Arbeitnehmers bezüglich des Verschuldens sowie die pauschale157 Möglichkeit der Rechtfertigung aufgrund sachlicher Gründe in § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB waren danach tatsächlich unzulässig. Insoweit stimmte das Ergebnis der Richtlinienwidrigkeit der deutschen Regelung inhaltlich mit der Dekker-Entscheidung überein. Nur war die Vorlagefrage in Draehmpaehl, so wie sie das ArbG Hamburg gestellt hatte158, wesentlich weiter formuliert als in Dekker, da nach der Richtlinienkonformität des Verschuldenserfordernisses an sich gefragt war, unabhängig von der Beweislastfrage. Diesen wesentlichen Unterschied der beiden Fragestellungen verkannte der EuGH, weshalb das Gericht irrtümlich annahm, die Antwort aus Dekker einfach wiederholen zu können. Angesichts der weitergehenden Frage hatte freilich auch diese Antwort, zumindest bei undifferenzierter Betrachtung, einen weitergehenden Gehalt. Zur Konfusion trug sicherlich auch der Schlussantrag des Generalanwalts Léger in der Rs. Draehmpaehl bei. Dort159 heißt es: „Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens […] nicht über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht entscheiden kann. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand zu geben, die dieses Gericht in die Lage versetzen, die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen. Daher 155
Unrichtig ist es daher, die Begründung des EuGH wie Abele, NZA 1997, S. 641 (641) als „lakonisch“ zu bezeichnen. So beschreibt Lakonik doch die besonders kurze, aber auch gleichzeitig treffende Art des Ausdrucks, siehe Duden, Das große Fremdwörterbuch, 1994. Zutreffend war der Verweis des EuGH auf seine Rechtsprechung in Dekker jedoch gerade nicht. 156 Der Widerspruch ist auch in den anderen sprachlichen Fassungen der Urteile enthalten: In der englischen Fassung wandelt sich „proof of a fault“ in „requirement of fault“; in der französischen Fassung wird „à la preuve d’une faute“ zu „à la condition d’une faute“. 157 D.h. auch unmittelbare Diskriminierungen einbeziehende Regelung. 158 ArbG Hamburg, 22. 5. 1995, 21 Ca 7/95, NZA-RR 1996, S. 85 (85): „Verstößt eine gesetzliche Regelung, die für einen Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung die Voraussetzung des Verschuldens des Arbeitgebers aufstellt, gegen Art. 2 I und Art. 3 I der Richtlinie des Rates vom 9. 2. 1976 […]?“ – Hervorhebung durch den Verfasser. 159 Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 14. Januar 1997, C-18/95, BeckEuRS 1997, 221705, Rn. 19 ff.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz sind die vorgelegten Fragen umzuformulieren. So möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Vorlagefrage von Ihnen wissen, ob Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 so auszulegen sind, daß es untersagt ist, den Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung vom Nachweis [Hervorhebung durch den Verfasser] eines Verschuldens des Arbeitgebers abhängig zu machen […]“.
Nachdem der Generalanwalt somit die Frage des ArbG Hamburg an die in Dekker gestellte Frage angepasst hatte, verwundert es auch nicht weiter, dass er zu dem Schluss kam: „Nach meiner Ansicht ist das Urteil Dekker eindeutig und durchaus auf die vorliegende Rechtssache übertragbar“160.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass offensichtlich eine äußerst unglückliche Verkettung von Umständen zu dem apodiktischen Leitsatz des EuGH in Draehmpaehl führte, wonach das Verschuldenserfordernis selbst und nicht lediglich die diesbezügliche Beweisbelastung des Arbeitnehmers richtlinienwidrig ist. Die Antwort des EuGH auf die zweite Frage verwunderte angesichts der zuvor ergangenen Entscheidung in Marshall II wenig.161 Eine pauschale Obergrenze für den Entschädigungsanspruch widerspreche dem Erfordernis einer abschreckenden Wirkung. Das Vorbringen der deutschen Regierung, dass ein Schadensersatz von bis zu drei Monatsgehältern über eine symbolische Entschädigung hinausgehe und dem Arbeitgeber eine erhebliche, spürbare und abschreckende finanzielle Belastung auferlege, kanzelte der EuGH als „nicht stichhaltig“162 ab. Zudem dürfe ein Mitgliedsstaat bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtlich fundiertes Recht keine stärkeren Beschränkungen in Form von Höchstgrenzen einführen als bei nach Art und Schwere gleichartigen Verstößen gegen das nationale Recht. Da das deutsche Schadensrecht Höchstgrenzen auch ansonsten nicht vorsehe163, sei dies auch bei § 611a Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Nachdem der EuGH nun die Merkmale „abschreckend“ und „wirksam“ schon bemüht hatte, griff er abschließend auch das Merkmal „verhältnismäßig“ auf. Damit relativierte er die soeben ausgesprochene Unzulässigkeit von Höchstgrenzen dahingehend, dass dies nur für den bestqualifizierten unter den diskriminierten Be-
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Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 14. Januar 1997, C-18/95, BeckEuRS 1997, 221705, Rn. 26. 161 Siehe Freis, NJW 1998, S. 2779 (2789), die jedoch auch der Ansicht ist, dass angesichts der Entscheidung in Dekker die Richtlinienwidrigkeit des Verschuldenserfordernisses ebenso „wenig überraschend“ kam, was nicht richtig ist. 162 EuGH, 22. 4. 1997, Rs C 180/95, NZA 1997, S. 645 (646). 163 Was freilich angesichts der schon damals bestehenden Regelungen in § 10 ProdHaftG, § 12 StVG oder § 15 UmwHG pauschal so nicht richtig war, vgl. Abele, NZA 1997, S. 641 (642).
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werbern gelte. Eine Unterscheidung zwischen diesem Bewerber und den übrigen Bewerbern (sog. minderqualifizierten) wurde ausdrücklich anerkannt.164 Letztlich beanstandete der EuGH in Beantwortung der dritten Frage auch das Summenbegrenzungsverfahren, ebenfalls unter Verweis auf die ansonsten fehlende Abschreckungswirkung. i) Die erneute Änderung von § 611a BGB Somit war der Gesetzgeber gezwungen, das gerade erst in Kraft getretene Zweite Gleichbehandlungsgesetz erneut zu ändern. Er tat dies „ungewöhnlich zügig“165 mit dem Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 29. 6. 1998166. Die sehr knappe Gesetzesbegründung erschöpfte sich im Wesentlichen in einer Generalverweisung167 auf die Entscheidungsgründe von Draehmpaehl und Dekker. In der Sache wurden das Verschuldenserfordernis sowie das Summenbegrenzungsverfahren ersatzlos gestrichen. Die individuelle Entschädigungshöchstgrenze von drei Monatsgehältern galt fortan für den bestqualifizierten Bewerber ausdrücklich nicht mehr, sondern gemäß § 611a Abs. 3 BGB n.F. nur noch für die minderqualifizierten Bewerber. Unverändert blieb der in seinem Wortlaut missglückte § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB. Genauso wenig wurde der Begriff der Entschädigung präzisiert. Auch in der Gesetzesbegründung wurde nicht zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob § 611a Abs. 2 BGB n.F. nur immaterielle Einbußen umfassen sollte oder auch Vermögensschäden und wenn ja, welche. Der erste Referentenentwurf hatte noch in § 611a Abs. 2 BGB nur eine Anspruchsgrundlage für immaterielle Schäden gesehen und Vermögensschäden über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 611a Abs. 1 BGB ausgleichen wollen.168
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EuGH, 22. 4. 1997, Rs C 180/95, NZA 1997, S. 645 (647): „[…] ein derartiger Schadensersatz [kann] der Tatsache Rechnung tragen, dass bestimmte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikationen des eingestellten Bewerbers nicht erhalten hätten. Es steht außer Frage, dass solche Bewerber, da sie nur einen Schaden erlitten haben, der sich aus ihrem Ausschluss von dem Einstellungsverfahren ergibt, nicht geltend machen können, ihr Schaden sei ebenso hoch wie der von Bewerbern, die bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position erhalten hätten. […] In Anbetracht dieser Erwägungen erscheint es nicht unangemessen, dass ein Mitgliedstaat eine gesetzliche Vermutung aufstellt, wonach der Schaden, den ein Bewerber der ersten Gruppe erleidet, eine Höchstgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen kann“. 165 So die spöttische Bemerkung von Annuß, NZA 1999, S. 738 (740). 166 BGBl. I. 1998, S. 1694 ff; zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und alternativen Gesetzesvorschlägen der damaligen Oppositionsparteien, siehe Freis, NJW 1998, S. 2779 ff. 167 So zutreffend Annuß, NZA 1999, S. 738 (740). 168 Siehe den Nachweis bei Treber, NZA 1998, S. 856 (858) in Fn. 30.
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j) Die Reaktionen in der Literatur Die Reaktionen in der Wissenschaft auf die EuGH-Entscheidung in Draehmpaehl sowie die nachfolgende Gesetzesänderung fielen überraschend aus; nicht hinsichtlich der Intensität der Kritik, aber hinsichtlich ihrer Ansatzpunkte. Einige Autoren kritisierten schon das gesamte Verfahren in Draehmpaehl als konstruiert, worauf in der Tat einiges hindeutete.169 Andere170 fokussierten sich auf die dogmatischen Brüche, die durch das Urteil und die anschließende Gesetzesänderung entstanden seien. Insbesondere kenne das deutsche Schadensrecht eine verschuldensunabhängige Haftung nur bei Übernahme einer Garantie oder im Rahmen der Gefährdungshaftung. Hierin füge sich § 611a Absatz 2 BGB jedoch nicht ein. Wieder andere171 bemängelten, dass durch § 611a BGB nun die widersinnige Abart einer verschuldensunabhängigen culpa in contrahendo geschaffen worden sei. Letztlich finden sich auch zahlreiche Stellungnahmen, die sich mit der Frage befassen, ob § 611a BGB nun endgültig eine Strafschadensnorm amerikanischer Prägung darstelle und damit das „in Jahrhunderten mühsam erarbeitete“172 Trennungsprinzip zwischen zivilrechtlicher Kompensation und öffentlich-rechtlicher Sanktion schließlich aufgegeben worden sei. Vielfach wurde bemängelt, dass eine verschuldensunabhängige Haftung, die nicht dem Ausgleich entstandener Schäden, sondern pönalen Zwecken diene, mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip unvereinbar und deshalb verfassungswidrig sei.173 Teilweise wurde hieraus dann der Schluss gezogen, § 611a Abs. 2 BGG sei als nichtige Norm unanwendbar.174 An-
169
Siehe oben 3. Kap. Fn. 151. Westenberger, AP Nr. 23 zu § 611a BGB; Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259); Raab, DStR 1999, S. 854 (855); Hergenröder, JZ 1997, S. 1172 (1175); Brüggemeier, ZEuP 1998, S. 752 (763 f); a.A. Worzalla, NJW 1997, S. 1809 (1812), der § 611a BGB als „Gefährdungshaftung bei der Vertragsanbahnung“ betrachtete; vgl. auch Däubler, NZA 1992, S. 577 (582), Fn. 60, der bereits nach der Entscheidung in Dekker der Ansicht war, hiermit sei wohl eine neuartige Form der verschuldensunabhängigen Haftung geboren, es sei denn, „man qualifiziere die Einstellung als gefährliches Tun, vergleichbar der Tierhaltung oder dem Betreiben eines Kraftfahrzeugs“, was er jedoch selbst als eine „etwas verkrampft wirkende Parallele“ bezeichnete; Kandler, S. 203 wollte § 611a BGB (2. Fassung) „im weitesten Sinne“ als Garantiehaftung begreifen; KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 11 bezeichnet den heutigen § 15 Abs. 2 AGG als „Gefährdungshaftungstatbestand“; dazu ausführlich unten 4. Kap. A. II. 4. d) dd). 171 Raab, DStR 1999, S. 854 (855); Oetker, ZIP 1997, S. 802 (804); vgl. auch Ebert, S. 343. 172 Annuß, NJW 1999, S. 738 (740). 173 Annuß, NJW 1999, S. 738 (742); Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 123; vgl. auch Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (262): „gravierende verfassungsrechtliche Bedenken“; Adomeit, NJW 1997, S. 2295 (2295); krit. bereits zum verschuldensabhängigen Anspruch KR/ Pfeiffer, 1994, § 611a BGB, Rn. 101; Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (39); Volmer, BB 1997, S. 1582 (1583); a.A. Wendeling-Schröder, DB 1999, S. 1012 (1013). 174 So bereits zur Vorgängernorm Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (39). 170
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht
81
dere175 hielten eine verfassungskonforme Interpretation für möglich und plädierten dafür, das Verschuldenserfordernis in die Vorschrift weiter hineinzulesen, soweit es nicht um Schadensausgleich, sondern um Sanktion für begangenes Unrecht sowie um Prävention gehe. Trotz dieser nachvollziehbaren Ansatzpunkte der Kritik fällt doch auf, dass die Frage nach der Folgerichtigkeit der Rechtsprechung des EuGH beinahe gar nicht gestellt wurde. Dem EuGH wurde nahezu kritiklos abgenommen, dass die Entscheidung in Draehmpaehl hinsichtlich der Frage des Verschuldenserfordernisses eine bloße Bestätigung der Entscheidung in Dekker war.176 Schnell setzte sich die Ansicht durch, dass die Entscheidung in Draehmpaehl nach der Entscheidung in Dekker „nicht überraschend“177 kam, da der EuGH dort bereits festgestellt habe, dass ein Entschädigungsanspruch verschuldensunabhängig ausgestaltet sein müsse. Folgerichtig (aber inhaltlich unzutreffend) wurde dann auch angenommen, der Gesetzgeber habe keine andere Wahl gehabt, als § 611a Abs. 2 BGB verschuldensunabhängig auszugestalten. Dass aus der Feststellung, es sei richtlinienwidrig, den Schadensersatzanspruch vom Nachweis eines Verschuldens abhängig zu machen (Dekker), die hiervon verschiedene Feststellung wurde, es sei richtlinienwidrig, den Schadensersatzanspruch von einem Verschulden abhängig zu machen (Draehmpaehl), blieb nahezu unbeachtet. Lediglich vereinzelt fanden sich Stimmen178, die erkannten, dass der pauschale Verweis des EuGH auf seine Rechtsprechung in Dekker für die Annahme der Europarechtswidrigkeit des Verschuldenserfordernisses nicht taugte, da es dort eben nur um die Beweislastfrage gegangen war. k) Die Beweislastrichtlinie 97/80/EG Die nächste Entwicklungsstufe betraf die zentrale Frage der Beweislastverteilung. Bereits Ende der 80er Jahre hatte der EuGH erkannt, dass der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 76/207/EWG die dem Diskriminierungsrecht immanenten mannigfaltigen Erkenntnis- und Beweisschwierigkeiten entgegenstehen können. Demnach waren im Laufe der Jahre vom EuGH bereits einige Beweiser-
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Annuß, NJW 1999, S. 738 (742); a.A. Möller, S. 215, Fn. 622. Siehe Brüggemeier, ZeuP 1998, S. 752 (760): „[d]er EuGH [stellte] erneut – wie schon in dem Dekker-Urteil von 1990 – klar, daß die Entschädigung nicht an die Voraussetzung des Verschuldens geknüpft werden kann“. 177 Annuß, NJW 1999, S. 738 (740); Reuter, JuS 1997, S. 938 (938); siehe auch Monen, S. 104, Fn. 402: die Entscheidung sei „vorgezeichnet“ gewesen; ähnlich Otto, EwiR 1998, S. 79 (80); Hergenröder, JZ 1997, S. 1172 (1175); Wendeling-Schröder/Buschkröger, FS Däubler, S. 127 (130); Treber, DZWir 1998, S. 177 (178); ders. NZA 1998, S. 856 (857). 178 Oetker, ZIP 1997, S. 802 (803); Soergel/Raab, 1998, § 611a BGB, Rn. 50; ders., DStR 1999, S. 854 (855); Franzen, FS Maurer, S. 889 (905). 176
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
leichterungen geschaffen worden,179 die im Jahr 1997 in der Richtlinie 97/80/EG kodifiziert wurden. Zentraler Regelungsinhalt der Richtlinie war die in Art. 4 Abs. 1 getroffene Regelung zur Beweislast: „Die Mitgliedstaaten ergreifen […] die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat“.
Aus dieser Formulierung wurde überwiegend gefolgert, dass sich die Beweiserleichterung auf den gesamten Diskriminierungstatbestand beziehen müsse, mithin von der Richtlinie nicht lediglich eine Beweiserleichterung hinsichtlich des verbotenen Grundes bzw. Motivs der Benachteiligung, sondern eine umfassende Beweislastumkehr auch bezüglich der Ungleichbehandlung selbst gefordert werde.180 Dies entsprach nicht dem herrschenden Verständnis in Rechtsprechung und Literatur zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB. Danach bezogen sich Glaubhaftmachung und Beweislastumkehr nur auf das Motiv der Benachteiligung, also das subjektive Anknüpfen an ein verpöntes Merkmal, während der Arbeitnehmer das Vorliegen der benachteiligenden Maßnahme nach den normalen Beweislastgrundsätzen zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen musste.181 Demnach wurde vielfach ein erneutes Tätigwerden des Gesetzgebers für unabdingbar gehalten,182 was jedoch bis zuletzt nicht geschah. l) Die Gleichbehandlungsrichtlinien 2000/43/EG (Ethnie) und 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie) Im Jahr 2000 wurde durch zwei Richtlinien eine „neue Generation“183 europarechtlicher Diskriminierungsverbote ins Leben gerufen. Richtlinie 2000/43/EG verbietet seither Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft und weitet den Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote nun erstmals über das Arbeitsrecht hinaus auf andere Bereiche des Privatrechts aus. 179
Vgl. EuGH, 17. 10. 1989, C-109/88, NZA 1990, S.772 ff; EuGH, 27. 10. 1993, C-127/92, recherchiert über juris; EuGH, 31. 5. 1995, C-400/93, DB 1995, S. 1615 ff; zur Entwicklung der Rechtsprechung, siehe auch Röthel, NJW 1999, S. 611 (612). 180 Röthel, NJW 1999, S. 611 (613); Windel RdA 2007, S. 1 (2); Wörl, S. 92 ff; vgl. auch Däubler/Bertzbach/Bertzbach, 2008, § 22 AGG, Rn. 17. 181 Vgl. Schlachter, RdA 1998, S. 321 (325); Bergwitz, DB 1999, S. 94 (97 f); Staudinger/ Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 117; Prütting, RdA 1999, S. 107 (111); Grobys, NZA 2006, S. 898 (900); Willemsen/Schweibert, NJW 2006, S. 2583 (2591). 182 Röthel, NJW 1999, S. 611 (614); a.A. Bergwitz, DB 1999, S. 94 (99). 183 So Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 8, S. 174, Rn. 20.
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht
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Anders die Richtlinie 2000/78/EG, die auf das Arbeitsrecht beschränkt bleibt, jedoch gleich eine Vielzahl neuer Diskriminierungsmerkmale einführt. Namentlich sind nun Ungleichbehandlungen aufgrund der Religion, Weltanschauung, Behinderung, sexuellen Ausrichtung und des Alters grundsätzlich verboten.184 In der konkreten Ausgestaltung lehnen sich die Richtlinien bewusst an den Rechtsstand im Bereich der Geschlechterdiskriminierung an. Verboten sind danach sowohl unmittelbare als auch mittelbare Ungleichbehandlungen, wobei Belästigungen und Anweisungen zu Diskriminierungen als Ungleichbehandlungen gelten.185 Des Weiteren findet sich in beiden Richtlinien eine nahezu wortlautidentische Beweislastregelung186, die der Regelung im Bereich der Geschlechterdiskriminierung entspricht. Auch die Anforderungen an die von den Mitgliedsstaaten zu schaffenden Sanktionen sind aus dem Bereich der Geschlechterdiskriminierung bekannt: wirksam, verhältnismäßig, abschreckend. Anderseits bleibt den Mitgliedsstaaten jedoch die freie Wahl, welche Sanktionsmittel ergriffen werden sollen. Schadensersatzansprüche an die Opfer sind demnach nur möglich, aber nicht zwingend.187 Hinsichtlich möglicher Rechtfertigungsgründe werden in beiden Richtlinien zunächst die Fälle genannt, in denen das verpönte Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die jeweilige Tätigkeit darstellt.188 Ein Terminus, der dem bis dato im Bereich der Geschlechterdiskriminierung geltenden Begriff der „unverzichtbaren Voraussetzungen“ inhaltlich entspricht und diesen dort auch bald ablösen sollte.189 Zusätzlich sehen die Richtlinien noch weitergehende Rechtfertigungsgründe für mittelbare Diskriminierungen vor, die regelungstechnisch als negative Tatbestandsvoraussetzungen ausgestaltet sind.190 m) Die Einführung von § 81 Abs. 2 SGB IX In teilweiser Umsetzung der RL 2000/78/EG trat am 1. 7. 2001 der neu geschaffene § 81 Abs. 2 SGB IX in Kraft. Die Vorschrift war bis auf wenige Unterschiede § 611a BGB nachgebildet.191 Sie enthielt ein umfassendes Diskriminierungsverbot wegen der Schwerbehinderung. Die Sanktionen bei einem Verstoß entsprachen den aus § 611a BGB bekannten Rechtsfolgen. Insoweit verwundert es kaum, dass die Vorschrift ebenfalls als systemwidrige Strafschadensnorm kritisiert 184
Art. 1 RL 2000/78/EG. Art. 2 RL 2000/43/EG, Art. 2 RL 2000/78/EG; dies entsprach im Bereich der Geschlechterdiskriminierung bereits der Rechtsprechungspraxis des EuGH. Eine Aufnahme in den Wortlaut der Richtlinie 76/207/EWG erfolgte erst zwei Jahre später, dazu sogleich. 186 Art. 8 RL 2000/43/EG; Art. 10 RL 2000/78/EG. 187 Art. 15 RL 2000/43/EG; Art. 17 RL 2000/78/EG. 188 Art. 4 RL 2000/43/EG; Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG. 189 Siehe unten 2. Kap. A. II. 2. o). 190 Wie im Bereich der Geschlechterdiskriminierung genügt hiernach jeder legitime Sachgrund, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. 191 Siehe Hansen, NZA 2001, S. 985 (986); Welti, NJW 2001, S. 2210 (2214). 185
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
wurde.192 Dem trat das BAG in einem Urteil aus dem Jahr 2005 entgegen. Das Gericht knüpfte in ihm ausdrücklich an seine Rechtsprechung zur Persönlichkeitsrechtsverletzung bei geschlechtsbedingten Diskriminierungen aus dem Jahr 1989 an und stellte fest: „Die Bestimmung unterliegt […] keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil bei der Bemessung der Entschädigung allein auf den immateriellen Schaden abzustellen ist. Es liegt insoweit keine nach dem Rechtsstaatsprinzip […] bedenkliche Zivilstrafe vor […]. Jede Diskriminierung wegen Schwerbehinderung stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, die auch nach allgemeinen Grundsätzen zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen würde“193.
n) Die Neufassung der Richtlinie 76/207/EWG durch die Richtlinie 2002/73/EG Im Bereich der Geschlechterdiskriminierung kam es 2002 zu einer wesentlichen Überarbeitung der mittlerweile über 25 Jahre alten Richtlinie 76/207/EWG. Die Überarbeitung diente hauptsächlich einer Anpassung des Richtlinientextes an die vom EuGH gestaltete Rechtswirklichkeit der vergangenen Jahre.194 Zunächst enthielt die Richtlinie erstmals Definitionen der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung.195 Zudem wurden zum ersten Mal auch die geschlechtsbedingte Belästigung sowie die sexuelle Belästigung als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz angesehen und ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie definiert. Gemäß Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie galt zudem nun auch die Anweisung zur Diskriminierung einer Person auf Grund des Geschlechts als Diskriminierung im Sinne der Richtlinie. Der Rechtfertigungsgrund der „unverzichtbaren Voraussetzung“ wurde gemäß Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie durch den Rechtfertigungsgrund der „wesentliche[n] und entscheidende[n] berufliche[n] Anforderung“ ersetzt. Darüber hinaus wurde für die mittelbare Benachteiligung das Fehlen eines legitimen Grundes als negative Tatbestandsvoraussetzung in den Wortlaut der Richtlinie aufgenommen. Auch dies entsprach der Rechtsprechung des EuGH, wonach bloße sachliche Gründe für die Rechtfertigung einer mittelbaren Ungleichbehandlung herangezogen werden konnten, sofern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen war.196 In der Richtlinie fanden sich zudem die besonderen Anforderungen an einen Schadensersatzanspruch wieder, die der EuGH im Laufe der Jahre entwickelt hatte, wobei die 192
Siehe Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 126. BAG 15. 2. 2005, 9 AZR 635/03, NZA 2005, S. 870 (871). 194 Vgl. zu den Neuerungen: Hadeler, NZA 2003, S. 77 ff; Rust, NZA 2003, S. 72 ff; vgl. auch oben Einl. Fn. 41 zur Kritik an der demokratisch zweifelhaften Reihenfolge der Schöpfung von Rechtsgrundsätzen durch den EuGH und deren nachfolgender Kodifizierung durch die europäische Gesetzgebung. 195 Art. 2 Abs. 2. 196 Rechtsprechungsnachweise bei Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 112 f. 193
A. Die Entwicklung des Schutzes vor Diskriminierungen im Arbeitsrecht
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maßgebliche Norm, Art. 6 Abs. 2, sich wie eine Zusammenfassung dieser Rechtsprechungsgeschichte liest.197 Ergänzend wurden in Art. 8d der Richtlinie die drei entscheidenden Anforderungen an einen (jedoch immer noch nicht zwingend vorgesehenen) Schadensersatzanspruch nochmals genannt.198 Ein konkreter Umsetzungsbedarf wurde im Schrifttum überwiegend nicht gesehen199 und dementsprechend § 611a BGB auch im Anschluss an die Neufassung der Richtlinien nicht verändert. o) Die Zusammenfassung der Geschlechtsdiskriminierungsrichtlinien Das Nebeneinander mehrere Richtlinien200 zur Regelung von Einzelaspekten im Rahmen der Geschlechterdiskriminierung wurde zunehmend als unbefriedigend empfunden, so dass im Jahr 2006 aus Gründen der Rechtsklarheit diese Richtlinien in der allgemeinen Geschlechterdiskriminierungsrichtlinie 2006/54/EG zusammengefasst wurden.201 Inhaltliche Änderungen waren hiermit nicht verbunden.
197 Danach mussten die Mitgliedstaaten sicherstellen, „dass der einer Person durch eine Diskriminierung im Sinne von Art. 3 entstandene Schaden – je nach Rechtsvorschrift der Mitgliedsstaaten – tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss; dabei darf ein solcher Ausgleich oder eine solche Entschädigung nur in den Fällen durch eine im Voraus festgelegte Höchstgrenze begrenzt werden, in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der einem/einer Bewerber/in durch die Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie entstandene Schaden allein darin besteht, dass die Berücksichtigung seiner/ihrer Bewerbung verweigert wird“. Gemäß der Schöpfung dieser Anforderungen aus der bloßen Rechtswegsgarantie wurde die Regelung in Art. 6 Abs. 2 unter der Normüberschrift „Klagebefugnis“ eingefügt, was einzig angesichts der Rechtsprechungshistorie nachvollziehbar wird. 198 „Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“. 199 Siehe Hadeler, NZA 2003, S. 77 (81). 200 Neben den bereits genannten zentralen RL 76/207/EWG (neu gefasst durch die RL 2002/ 73/EG) sowie 97/80/EG (ausgedehnt auf das VK Großbritannien und Nordirland durch die RL 98/52/EG) gab es in diesem Bereich noch die RL 75/117/EWG (Entgeltgleichheit – diese RL hatte eine geringe praktische Bedeutung wegen der unmittelbaren Drittwirkung von Art. 119 EWGV [heute: Art. 157 AEUV]) und RL 86/378/EWG (berufsständische Systeme der sozialen Sicherheit, geändert durch RL 96/97/EG). 201 Als eigenständige RL erhalten blieben die RL 97/81/EG (Teilzeit), 99/70/EG (Befristung), 92/85/EWG (Mutterschutz) und 96/34/EG (Elternurlaub), die zum erweiterten Umfeld des Bestrebens zur Herstellung von Chancengleichheit von Männern und Frauen gezählt werden können; siehe Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 8, S. 173, Rn. 18.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
p) Das AGG Am 18. 8. 2006 trat schließlich das AGG in Kraft. Obwohl bereits kurze Zeit später in Einzelheiten nachgebessert werden musste,202 gilt das Gesetz in seinen wesentlichen Punkten in dieser Form noch heute. Auch die gesetzgeberische Vorgeschichte des AGG passte zur bisher dargestellten geschichtlichen Entwicklung der Antidiskriminierungsgesetzgebung in Deutschland. Im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses kam es zu heftigen rechtspolitischen Grabenkämpfen, aus denen einleitend bereits zitiert wurde. Die von den Richtlinien gesetzten Umsetzungsfristen waren bereits abgelaufen203, allein bei der Richtlinie 2000/43/EG seit mehr als 3 Jahren. In zwei Vertragsverletzungsverfahren hatte der EuGH die Säumigkeit der Bundesrepublik Deutschland bereits gerügt, allerdings ohne konkrete Sanktionen zu verhängen.204 Inhaltlich benennt das Gesetz in § 1 AGG die verbotenen Unterscheidungsmerkmale und legt in § 2 AGG den sachlichen und in § 6 AGG für das Arbeitsrecht den persönlichen Anwendungsbereich fest. Die den Richtlinien entnommene Definition der Benachteiligungsformen befindet sich in § 3 AGG. Das zentrale Benachteiligungsverbot ist in § 7 Abs. 1 AGG geregelt, wobei sich die Norm nach Wortlaut und Gesetzesbegründung nicht lediglich an den Arbeitgeber, sondern an jedermann richtet.205 Als Sanktion sieht das Gesetz Schadensersatzansprüche vor, wobei nun erstmals zwischen materiellen und immateriellen Schäden getrennt wird. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG sind Vermögensschäden zu ersetzen. Allerdings kann der Schädiger sich gemäß Satz 2 exkulpieren, es handelt sich mithin um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Ob § 15 Abs. 1 AGG das Erfüllungsinteresse und/oder das negative Interesse betrifft, ist nach wie vor umstritten und wird in einem eigenen Abschnitt zu klären sein.206 Der immaterielle Schaden ist in § 15 Abs. 2 AGG geregelt. Obwohl § 15 Abs. 2 AGG seinem Wortlaut nach eine reine Rechtsfolgenregelung darstellt und insoweit Einigkeit besteht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen § 15 Abs. 1 AGG zu entnehmen sind, ist streitig, ob das in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG geregelte Vertretenmüssen Tatbestandsvoraussetzung des Entschädigungsanspruchs ist.207 § 15 Abs. 2 202 Art. 8 Abs. 1 G zur Änd. des BetriebsrentenG und anderer G vom 2. 12. 2006, BGBl. I, S. 2742. 203 Dies gilt nicht für das Kriterium „Alter“, da die Rahmenrichtlinie diesbezüglich die Möglichkeit einer späteren Umsetzung vorsah, vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, Einleitung zum AGG, Rn. 6. 204 Siehe Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, Einleitung zum AGG, Rn. 6; Feuerborn, JR 2008, S. 485 (486). 205 Dazu unten 3. Kap. B. V. 2. b) sowie 4. Kap. A. II. 2. b). 206 Dazu unten 4. Kap. A. I. 1. 207 Dazu unten 4. Kap. A. II. 4.
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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Satz 2 AGG übernimmt die aus der EuGH-Rechtsprechung in Draehmpaehl bekannte Unterscheidung zwischen dem bestqualifizierten und den minderqualifizierten Bewerbern und deckelt den Entschädigungsanspruch für die letztgenannte Gruppe auf drei Monatsgehälter. Absatz 3 enthält eine Privilegierung des Arbeitgebers bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen und Absatz 4 eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Ansprüche. Gemäß Absatz 6 ist ein Anspruch auf Einstellung oder Beförderung ausgeschlossen.
III. Zwischenergebnis Die Geschichte des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes in Deutschland ist, man kann es nicht anders ausdrücken, verkorkst. Sie ist seit dem Beginn des europarechtlichen Einflusses geprägt durch zwei antagonistische Kräfte: Auf der einen Seite befindet sich der deutsche Gesetzgeber, der europarechtliche Vorgaben durchgängig verzögerte und schließlich nur unter dem Druck konkreter Sanktionen (Vertragsverletzungsverfahren) umsetzte. Dies geschah dann bis auf wenige Ausnahmen auch nur im absoluten Mindestumfang bzw. die Umsetzung blieb oftmals sogar erkennbar dahinter zurück. Die zögerliche Haltung des Gesetzgebers begründet sich nicht zuletzt mit der Angst, die Vertragsfreiheit als für die Privatrechtsordnung wesentlichen Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit über Gebühr einzuschränken. Auf der anderen Seite steht der EuGH, der auf die Widerwilligkeit des deutschen Gesetzgebers mit einer fortwährenden Ausweitung der Sanktionsanforderungen reagierte. Dabei zeigte das Gericht wenig Respekt vor nationalen Ängsten oder Befindlichkeiten. Die mangelnde Sensibilität des EuGH wird in der Kürze und Begründungsarmut seiner Entscheidungen genauso deutlich wie in dem Ausmaß und dem Tempo der Rechtsfortbildung selbst. Der Machtkampf mündete in einer fortwährenden Rechtsunsicherheit. Nie wurde geklärt, ob es um Rechtsgüterschutz, Bestrafung, Prävention oder um alles zusammen gehen soll. Es bestand zwar Einigkeit, dass auszugleichende Schäden vorhanden sind. Worin die Schäden jedoch bestehen, wurde vom EuGH bis zuletzt nicht geklärt. Auch mit Inkrafttreten des AGG ist eine Klärung nicht erfolgt.
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes Für ein privatrechtliches Verständnis des AGG bedarf es nach der oben208 dargelegten Privatrechtsidee zunächst eines geschützten Substanzrechts. Da dies, wie bereits mehrfach erwähnt, das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder ein ihm nahe 208
Siehe oben 1. Kap.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
stehendes Recht sein könnte209, soll im Folgenden dessen Entwicklung kurz dargestellt werden. Dabei geht es zunächst um die Entwicklung im allgemeinen Zivilrecht und anschließend um die Entstehung und Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsrecht.
I. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilrecht 1. Der Schutz der Persönlichkeit vor Inkrafttreten des Grundgesetzes Die Geschichte des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Mehrere Abhandlungen befassen sich mit dem Ehrund Persönlichkeitsrechtsschutz weit vor Inkrafttreten des BGB.210 Für die hiesigen Zwecke soll jedoch eine Betrachtung der Rechtsentwicklung ab Geltung des BGB genügen. In dem ersten Entwurf zu der zentralen Vorschrift im Deliktsrecht, dem heutigen § 823 Abs. 1 BGB, war die Ehre als Kernbestandteil des Persönlichkeitsrechts noch ausdrücklich geschützt.211 Sie war, anders als das Eigentum, neben dem Leben, dem Körper, der Gesundheit sowie der Freiheit in der Aufzählung des damaligen § 704 Abs. 2 genannt. Die Verfasser hielten die explizite Nennung dieser Güter für notwendig, weil zu diesem Zeitpunkt noch höchst umstritten war, ob es sich bei ihnen tatsächlich um subjektive Rechte handelt.212 Teilweise wurde behauptet, dass das subjektive Recht dem Berechtigten eine Herrschaft verleihe, die ihm sonst nicht zustehe. Mit den genannten Gaben sei ein Mensch jedoch bereits von Natur her ausgestattet. Diese natürliche Persönlichkeit sei für das Recht irrelevant.213 Zudem wurde eingewandt, subjektive Rechte an der eigenen Person könnten bereits deshalb nicht bestehen, weil ein subjektives Recht neben einem Subjekt immer auch ein Objekt als Bezugspunkt der Herrschaftsmacht voraussetze.214 Durch die explizite
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„Könnte“, nicht „müsste“! Ein privatrechtliches Verständnis des AGG bliebe auch dann möglich, wenn sich die bereits angedeuteten und noch zu vertiefenden Parallelen zwischen Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz als nicht tragfähig erweisen sollten, siehe dazu bereits oben Einl. Fn. 42. 210 Siehe Hubmann, S. 12 ff; Kastl, S. 4 ff. 211 Siehe Gottwald, S. 7 f. 212 Vgl. zu diesem Streit Hubmann, S. 113 ff. 213 v. Savigny, System I, S. 335 ff. 214 Siehe dazu und zu den sonstigen Einwänden gegen die Anerkennung des Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht Hubmann, S. 113 m.w.N.; vgl. auch Staudinger/Weick, 2004, vor § 1 BGB, Rn. 20.
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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Aufzählung der genannten Güter sollte diesen Einwänden von Anfang an entgegengewirkt werden.215 In der zweiten Kommission wurden jedoch vermehrt Stimmen laut, die einem zivilrechtlichen Ehrschutzkonzept kritisch gegenüber standen. Es wurde eingewandt, dass insbesondere durch einen umfassenden Schutz auch vor fahrlässigen Ehrverletzungen die allgemeine Handlungsfreiheit über Gebühr eingeschränkt werden könnte. Der strenge Schutz der Persönlichkeit erschien als das größere Übel im Vergleich zur Hinnahme ihrer Verletzung.216 Der Schutz der Ehre wurde deshalb ins Strafrecht verlagert,217 wo in den §§ 185 ff StGB nur die vorsätzliche Ehrverletzung als strafwürdig anerkannt war. Die Ehre wurde aus dem Katalog der absolut geschützten Rechtsgüter gestrichen. Ein zivilrechtlicher Ehrschutz sollte nur in den engen Grenzen der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB sowie, ebenfalls bei Vorsatz, über § 826 BGB im Falle einer sittenwidrigen Schädigung bestehen. Lediglich bei Schädigung der geschäftlichen Ehre durch Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen sollten Vermögensschäden gemäß § 748 des zweiten Entwurfs, dem heutigen § 824 BGB, auch bei bloßer Fahrlässigkeit ausgeglichen werden.218 Es waren wahrlich „stolze Sätze“219 der Verfasser des BGB, mit denen ein zivilrechtlicher Ehrschutz, gerichtet auf den Ersatz immaterieller Schäden in Geld, letztlich abgelehnt wurde: Es sei „nicht ehrenvoll“, sich Beleidigungen durch Geld abkaufen zu lassen, und derjenige habe „wenig Ehre zu verlieren, der die Verletzung derselben durch eine Klage auf Geld zu reparieren such[e]“220. Angesichts dieser Zurückhaltung bei der Schaffung eines zivilrechtlichen Ehrschutzes überrascht es wenig, dass die Normierung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den Vätern des BGB nie ernsthaft erwogen wurde,221 obwohl zu diesem Zeitpunkt durchaus bereits vereinzelte Autoren dafür plädierten, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anzuerkennen und ihm auch deliktischen Schutz zukommen zu lassen.222 Ein so wenig fassbares, in seiner Weite und Vielschichtigkeit undurchschaubar erscheinendes Recht anzuerkennen, hätte offensichtlich eine noch viel größere Einschränkung der Handlungsfreiheit und des Verkehrslebens bedeutet als ein deliktischer Ehrschutz.223
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Siehe Gottwald, S. 7 f. Siehe Gottwald, S. 9. 217 Mugdan II, Motive, S. 418 f; siehe dazu Gottwald, S. 10. 218 § 824 BGB betrifft einen gesetzlich geregelten Aspekt des Persönlichkeitsrechts, Staudinger/Hager, 2009, § 824 BGB, Rn. 1. 219 So Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (461). 220 Mugdan II, Kom.Ber., S. 1297. 221 Siehe Gottwald, S. 11 ff. 222 Etwa v. Gierke, S. 702 ff; weitere Nachweise bei Gottwald, S. 14. 223 Siehe Gottwald, S. 11 ff. 216
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Die Schwäche dieses ersten Ansatzes im BGB fällt unmittelbar auf. Die Hürden für die Bestrafung eines beleidigenden Verhaltens sind genauso hoch wie für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB. In beiden Fällen wird zunächst Vorsatz verlangt. Zudem scheiden über §§ 185 ff StGB zahlreiche Fälle einer tatsächlich erfolgten Kränkung als strafbare Beleidigung schon deshalb aus, da die Normen des Strafrechts als ultima ratio grundsätzlich restriktiv zu interpretieren sind. § 826 BGB gewährt ebenfalls lediglich einen die Ehre schützenden sittlichen Mindeststandard. Die guten Sitten sind nur der kleinste gemeinsame Nenner an Moral, sie verkörpern das Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden.224 Folglich war die Rechtsprechung des Reichsgerichts zunächst auch äußerst restriktiv. Ein allgemeines Persönlichkeitsrecht wurde vom Reichsgericht nicht anerkannt und lediglich vereinzelt auf § 823 Abs. 2 i.V.m. § 185 ff StGB sowie § 826 BGB zurückgegriffen.225 Allerdings war die Entwicklung der Immaterialgüterrechte zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gang. Nicht zuletzt im Kunst- und Urheberrecht wurde erkannt, dass es persönlichkeitsrelevante Rechte gibt, die auch einen vermögensrechtlichen Gehalt haben.226 Freilich wurde dort noch versucht, eine genaue Unterscheidung zwischen dem vermögensmäßigen Verwertungsrecht des Urhebers und dem ideellen, in seiner Person wurzelnden Urheberinteresse zu treffen.227 Nur ersteres war als Recht anerkannt. Später berief sich der BGH in der zentralen Herrenreiter-Entscheidung, einer der ersten, in der das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließlich anerkannt wurde,228 gerade darauf, dass auf dem Gebiet des Bildnisschutzes bereits lange vor Inkrafttreten des Grundgesetzes aus der Sonderregelung in §§ 22 ff KUG geschlossen wurde, dass eine Verletzung des höchstpersönlichen Verfügungsrechts am eigenen Bild rechtlich nicht geduldet werde.229 Die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nahm ihren Ausgangspunkt mithin in Bereichen wie dem Bildnisschutz, in denen persönlichkeitsrelevante Merkmale fassbar waren, in denen Handel mit ihnen getrieben und ein Gewinn erwirtschaftet werden konnte. Der enge Vermögensbezug machte das Persönlichkeitsrecht, das „seinem Wesen nach ins Unendliche strebt“230, greifbar und letztlich beherrschbar. Hierzu passt auch die Anerkennung der vermögensmäßigen Unternehmerehre in § 824 BGB. Nahezu zwangsläufig ins Stocken geriet die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts während des Nationalsozialismus.231 Die nationalsozialistische 224
Vgl. MüKo-BGB/Armbrüster, 2006, § 138 BGB, Rn. 14. Vgl. mit zahlreichen Nachweisen BeckOK-BGB/Bamberger, Stand: 1. 5. 2010, zu § 12 BGB, Rn. 96. 226 Siehe Gottwald, S. 18 ff. 227 Siehe Gottwald, S. 28 ff. 228 Dazu unten 2. Kap. B. I. 2. c). 229 BGH, 14. 2. 1958, I ZR 151/56, NJW 1958, S. 827 (829). 230 So Hubmann, S. 115. 231 Siehe Gottwald, S. 47 ff; Kastl, S. 190 ff. 225
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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Idee, nach der das Kollektiv Vorrang genoss und der Einzelne als solcher keinerlei Wert hatte, setzte sich in Rechtsprechung und Schrifttum schnell durch.232 In der nun vorherrschenden gemeinschaftsbezogenen Rechtstheorie war kein Platz mehr für Individuen, nur noch für Volksgenossen. Das subjektive Recht wurde gänzlich in Frage gestellt. Insofern war die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts in dieser Zeit auf dem Tiefpunkt. 2. Der Durchbruch des Persönlichkeitsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg Gerade unter diesem Eindruck der Zurückdrängung des Einzelnen und seiner individuellen Würde im Nationalsozialismus kam es alsbald nach dem Krieg zu einer Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den BGH. Insbesondere die Entscheidungen vom 25. 5. 1954233, 2. 4. 1957234 und 14. 2. 1958235 stellten einen „Paradigmenwechsel“236 dar. a) Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG In der Leserbrief-Entscheidung vom 25. 5. 1954 wurde das privatrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht als solches anerkannt. Der BGH stützte sich dabei auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und wählte damit keine privatrechtliche, BGBimmanente Lösung, sondern ging den Umweg über die zentralen Normen der Verfassung, in denen die Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert sind. In der Leserbrief-Entscheidung heißt es dazu: „Das RG glaubte, einen solchen von dem Urheberrecht unabhängigen Persönlichkeitsschutz […] deshalb versagen zu müssen, weil die damals geltende deutsche Rechtsordnung keine positiven Gesetzesbestimmungen über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht enthielt […]. Nachdem nunmehr das GG das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde (Art. 1 GG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht anerkennt, […] muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden […]“237. 232 Statt vieler Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 241: „Nicht als Individuum, als Mensch schlechthin oder als Träger einer abstrakt-allgemeinen Vernunft habe ich Rechte und Pflichten […], sondern als Glied […] der Volksgemeinschaft. Nur als in der Gemeinschaft lebendes Wesen, als Volksgenosse ist der Einzelne eine konkrete Persönlichkeit. Nur als Glied der Volksgemeinschaft hat er seine Ehre, genießt er Achtung als Rechtsgenosse“. 233 BGH, 25. 5. 1954, I ZR 211/53, NJW 1954, S. 1404 ff (Leserbrief). 234 BGH, 2. 4. 1957, VI ZR 9/56, NJW 1957, S. 1146 ff. 235 BGH, 14. 2. 1958, I ZR 151/56, NJW 1958, S. 827 ff (Herrenreiter). 236 So MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 11. 237 BGH, 25. 5. 1954, I ZR 211/53, NJW 1954, S. 1404 (1405).
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Die Gründe für diese Flucht in die Verfassung sind sicherlich vielfältiger Natur. Rechtshistorische Abhandlungen weisen darauf hin, dass von großen Teilen der Rechtsprechung und Wissenschaft hiermit nicht zuletzt versucht werden sollte, die eigene konträre Rechtsansicht während des Nationalsozialismus zu rechtfertigen.238 Es waren schließlich vielfach dieselben Autoren, die in Rechtslehre und Rechtsprechung nun unter veränderten Vorzeichen zu altbekannten Problemen Stellung zu nehmen hatten. Ein Meinungsumschwung weg von der Überbetonung der Volksgemeinschaft und hin zur Fokussierung auf den Einzelnen konnte insoweit nur gelingen, wenn auf geänderte rechtliche Rahmenbedingungen verwiesen wurde. Das BGB war nicht neu, das Grundgesetz sehr wohl.239 Neben dieser Begründung des verfassungsrechtlichen Ansatzes mit der Vergangenheitsbewältigung240 der Jurisprudenz ist jedoch auch nicht zu leugnen, dass das Grundgesetz tatsächlich gerade wegen der schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus die Würde des einzelnen Menschen und sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit an die Spitze der Verfassung stellte und somit eine neue Werteordnung schuf.241 Die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) sollte das maßgebliche Prinzip der neuen Republik werden. Ein weiterer Begründungsansatz, wenn auch nicht direkt für die verfassungsrechtliche Verwurzelung des Persönlichkeitsrechts, sondern mehr für seinen Durchbruch gerade in den 1950er Jahren, hebt auf die damals stattfindende Entwurzelung des Menschen aus der dörflichen und familiären Bindung ab. Diese habe das feine „Netz sozialer Sanktionen“ (bis hin zum Duell) entwertet, das in der großbürgerlichen Gesellschaft der Jahrhundertwende noch vorgeherrscht habe. Der Mensch habe „nicht mehr darauf hoffen [können], dass rüpelhafter Missachtung persönlicher Interessen gesellschaftliche Missachtung entgegenschlagen würde“242.
238 Ausführlich hierzu Gottwald, S. 62 ff: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als justizspezifische Vergangenheitsbewältigung“; ähnlich Hattenhauer, JuS 1982, S. 405 (410 f); differenziert Kastl, S. 216. 239 Siehe Hattenhauer, JuS 1982, S. 405 (411): „Es war wohl der Versuch einer Verleugnung der eigenen Irrwege, wenn die Rechtslehrer und -praktiker sich an die Arbeit einer Auslegung des alten Gesetzbuches nach den nur scheinbar neuen Verfassungslehren machten“. 240 Gottwald, S. 70 ff bezeichnet dies als Offensivfunktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; davon unterscheidet er die Defensivfunktion (S. 78 ff), die sich ebenfalls geschichtlich erklären lasse. Bei der Defensivfunktion sei es insbesondere darum gegangen, die „Ehre der Nazis“ zu schützen. Dies belegt Gottwald mit einigen Entscheidungen, bei denen der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Ehrschutz dazu benutzt wurde, kritische Äußerungen oder Veröffentlichungen bezüglich ehemaliger Nationalsozialisten der zweiten und dritten Garde zu unterbinden. Hierzu zählt er nicht zuletzt auch die Mephisto-Entscheidungen des BGH und des BVerfG. In derartigen Entscheidungen sei es letztlich darum gegangen, mithilfe des neu entwickelten Persönlichkeitsrechts die Vergangenheit „unter den Teppich zu kehren“. 241 Siehe Kastl, S. 220, Fn. 98 mit Nachweisen aus der Entstehungsgeschichte des GG. 242 Pfeifer, GRUR 2002, S. 495 (496).
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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Letztlich wird zu recht betont, dass der Durchbruch des Persönlichkeitsrechts nicht zufällig mit dem Beginn des Medienzeitalters zusammenfiel. Hierdurch entstanden neuartige Gefahren für Persönlichkeitsinteressen, die es nicht mehr länger zuließen, die Hinnahme von Persönlichkeitsrechtsverletzungen als kleineres Übel gegenüber einer Beschränkung der Handlungsfreiheit zu betrachten.243 In den Worten des BGH244: „Neben einer gewandelten Rechtsauffassung fällt für die Rechtsentwicklung weiter ins Gewicht, dass sich seit 1900 tief greifende technische und soziale Entwicklungen vollzogen haben. Sie schufen nicht nur ganz neue, für den Gesetzgeber schlechthin unvorhersehbare Möglichkeiten einer Verletzung von Persönlichkeitsgütern, sondern auch – zumal mit dem Einfluss und der Verbreitung der so genannten Massenmedien – besonders günstige Voraussetzungen für eine nachhaltige Auswirkung von Persönlichkeitsverletzungen“.
b) Der Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrecht245 Die Verankerung des privatrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts unmittelbar im Verfassungsrecht darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das privatrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem ebenfalls auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG basierenden öffentlich-rechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht keineswegs identisch ist.246 Die Unterscheidung folgt aus der unterschiedlichen Bedeutung der Grundrechte im Verhältnis von Staat und Bürger.247 Gegenüber dem Staat wirken die Grundrechte nicht als bloße Abwehrrechte. Der Staat muss darüber hinaus im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit Entfaltungs- und Teilhabechancen erst ermöglichen. Diese Verpflichtung trifft ihn gerade auch aufgrund des öffentlich-rechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts.248 Repräsentiert Art. 1 Abs. 1 GG die Abwehrkomponente des Persönlichkeitsrechts, so ist in Art. 2 Abs. 1 GG der Gedanke der Entfaltung verstärkt enthalten.249 Das Persönlichkeitsrecht besteht insoweit aus zwei Komponen243 Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, C 2; BVerfG, 14. 2. 1973, 1 BvR 112/65, NJW 1973, S. 1221 (1221). 244 BGH, 5. 3. 1963, VI ZR 55/62, NJW 1963, S. 902 (903) (Fernsehansagerin). 245 Zu den Unterschieden zwischen dem privaten und dem öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrecht, siehe ausführlich Baston-Vogt, S. 122 ff; speziell für das Arbeitsrecht Wiese, ZfA 2006, S. 631 (635 ff). 246 Siehe BVerfG, 22. 8. 2006, 1 BvR 1168/04, NJW 2006, S. 3409 (3410); Palandt/Sprau, 2010, § 823 BGB, Rn. 84; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 30; Jarass, NJW 1989, S. 857 (858); Wiese, ZfA 1971, S. 273 (276); Ehmann, FS Wiese, S. 99 (106); Raiser, JZ 1961, S. 465 (471); a.A. Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, C 4. 247 So zutreffend Baston-Vogt, S. 124. 248 Siehe Thees, S. 42 f. 249 Siehe Götting/Schertz/Seitz/Ladeur, 2008, § 7 Rn. 4: „Die eher aktive Komponente […] wird durch Art. 2 Abs. 1 geschützt, während die eher passive dem Schutzbereich von Art. 1 Abs. 1 zuzurechnen ist“ – so genannte „Binnendifferenzierung des Persönlichkeitsschutzes“; ebenso Thees, S. 54 f.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
ten, die im öffentlich-rechtlichen Bereich beide zum Tragen kommen.250 Dem Staat ist danach nicht nur verwehrt, sich der Entfaltung seiner Bürger in den Weg zu stellen. Er muss darüber hinaus aktiv die Voraussetzungen für die Entfaltung erst schaffen und den Weg zur Selbstverwirklichung ebnen. Dies geschieht beispielsweise durch die Pflicht zur Bereitstellung von Bildungseinrichtungen im Rahmen des finanziell Möglichen sowie in vielerlei Hinsicht über das Sozial- und das Steuerrecht. Im Verhältnis Privater untereinander ist dies anders. Das privatrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht hat ausschließlich abwehrenden Charakter, woran auch seine Ableitung aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG nichts ändert.251 Man kann es deshalb als eindimensional bezeichnen.252 Wie gezeigt, ging es dem BGH bei der Schöpfung des Persönlichkeitsrechts primär darum, den durch das Aufkommen der Massenmedien in Anzahl und Umfang erhöhten Eingriffsmöglichkeiten in die persönliche Integrität zu begegnen. Es sollte das Recht auf Selbstdarstellung, das persönliche Ansehen und die Ehre sowie der intime und private Bereich geschützt werden. Keinesfalls ging es der Rechtsprechung jedoch um die Schaffung einer Pflicht, anderen außerhalb eines vertraglichen Versprechens Entfaltungschancen zu verschaffen253. Denn wie Rixecker treffend ausdrückt, kann in einem privatrechtlichen System „[n]iemand […] von anderen die Beteiligung an der Umsetzung seiner Selbstverwirklichung verlangen, solange sein Gegenüber sich dazu nicht privatautonom und rechtswirksam verpflichtet hat“254. Ein Aktivitätsschutz im Sinne eines Schutzes der dynamischen, nach Entfaltung strebenden Seite des Persönlichkeitsrechts besteht nur insoweit, als die Entfaltungschancen eines anderen nicht blockiert werden dürfen.255 Insofern taugt das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht allein auch nicht als Ermächtigungsgrundlage für einen Kontrahierungszwang.256 Ein solcher ist vielmehr nur bei hinzutretenden Umständen wie beispielsweise der Monopolstellung 250
Vgl. Ehmann, FS Wiese, S. 99 (106). MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130; Wiese, ZfA 1971, S. 273 (279); ders., ZfA 2006, S. 631 (637); vgl. auch Raiser, JZ 1961, S. 465 (471). 252 Der Begriff soll hier das Fehlen der auf Entfaltung und Teilhabe gerichteten Komponente des privatrechtlichen Persönlichkeitsrechts zum Ausdruck bringen. Demgegenüber spricht Wiese, ZfA 2006, S. 631 (637) davon, dass das Persönlichkeitsrecht im öffentlichen Recht eindimensional wirke und im Privatrecht zweidimensional. Dies widerspricht jedoch der hier vertretenen Auffassung keineswegs, will Wiese damit doch zum Ausdruck bringen, dass sich im Privatrecht gegenseitige (deshalb zweidimensional) Grundrechtsberechtigte begegnen, während dies im öffentlichen Recht wegen des lediglich grundrechtsverpflichteten Staates anders ist. Auch Wiese geht von einer bloßen Abwehrfunktion des privatrechtlichen Persönlichkeitsrechts aus. 253 Siehe Baston-Vogt, S. 127; insoweit will Thees, S. 55 eine Pflicht zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung auch nur innerhalb des Arbeitsvertrages anerkennen. 254 MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130. 255 Siehe Wiese, ZfA 2006, S. 631 (637); MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130. 256 Siehe Busche, Kontrahierungszwang, S. 215 sowie S. 290. 251
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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eines Anbieters gerechtfertigt. Auch dann handelt es sich jedoch nicht mehr um Privatrecht im klassischen Sinn, sondern um einen aus übergeordneten Zielen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Systembruch.257 c) Der Anspruch auf Geldersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Die Entscheidung vom 2. 4. 1957 markiert einen wichtigen Punkt in der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts, da der BGH hier erstmals feststellte, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB ist und ihm demnach deliktischer Schutz zukommt.258 Auch in diesem Fall ging es ausschließlich um die abwehrrechtliche Komponente des Persönlichkeitsrechts, namentlich den Schutz der Ehre vor beleidigenden Äußerungen. Der Herrenreiter-Entscheidung vom 14. 2. 1958 kommt insofern eine wesentliche Bedeutung im Rahmen der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts zu, als der BGH hier anerkannte, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu einem Anspruch auf Geldentschädigung führen kann. Ein solcher Anspruch sei erforderlich, weil bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts als Verletzung der inneren Freiheit regelmäßig nur immaterielle Schäden entstünden und es „eine nicht erträgliche Missachtung dieses Rechts darstellen“ würde, die aus der „Freiheitsberaubung im Geistigen“ resultierenden Schäden nicht zu ersetzen.259 Stützte der BGH den Geldersatzanspruch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in dieser Entscheidung noch auf eine Analogie zu § 847 BGB a.F. [heute: § 253 Abs. 2 BGB], so ging er später dazu über, ihn exklusiv dem Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu entnehmen.260 Dies wurde nahezu einhellig begrüßt, da die Begründung mit der „Freiheitsberaubung im Geistigen“ sicherlich nicht überzeugen konnte.261
257 Vgl. Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 (1495): Beim Kontrahierungszwang wird der privatrechtliche „Vertrag […] lediglich als rechtstechnisches Instrument eingesetzt, um einer Person aus übergeordneten, vom Willen des Betroffenen völlig unabhängigen Gründen eine bestimmte Rechtsstellung zu verschaffen“. Dabei geht es insbesondere um den „Schutz von Marktteilnehmern, die auf eine bestimmte, existenzielle Grundbedürfnisse befriedigende Leistung besonders angewiesen sind“. 258 BGH, 2. 4. 1957, VI ZR 9/56, NJW 1957, S. 1146 (1147). 259 BGH, 14. 2. 1958, I ZR 151/56, NJW 1958, S. 827 (829 f) (Herrenreiter). 260 Vgl. BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 (864) (Caroline I), wo der Unterschied zum Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB ausdrücklich betont wird. 261 Siehe Schwerdtner, JuS 1978, S. 289 (295); Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 24.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
d) Die Entwicklung der Genugtuungs- bzw. Präventivfunktion des Geldersatzanspruchs aa) Die Entstehung der Genugtuungsfunktion beim Schmerzensgeldanspruch Für die Entwicklung des Persönlichkeitsrechtsschutzes sollte eine weitere BGHEntscheidung aus den 1950er Jahren bedeutsam werden, in der es nicht um das Persönlichkeitsrecht selbst ging, sondern um die Bemessung des Schmerzensgeldes aus § 847 BGB a.F. im Falle der Körperverletzung. In seinem Beschluss vom 6. 7. 1955262 wies der Große Zivilsenat des BGH dem Anspruch auf Schmerzensgeld zunächst die klassische Ausgleichsfunktion zu. Dem Geschädigten sei ein angemessener Ausgleich für diejenigen Schäden, diejenigen Lebens- (oder Persönlichkeits-)minderungen zu leisten, die nicht vermögensrechtlicher Art seien. Allein mit dem Ausgleich lasse sich der Schmerzensgeldanspruch jedoch nicht erklären. Der Anspruch erfülle vielmehr auch eine Genugtuungsfunktion. Der Schädiger schulde dem Geschädigten Genugtuung für das, was er ihm zugefügt habe. Mit der Genugtuungsfunktion des Ersatzes immaterieller Schäden war damit ein komplexer Rechtsbegriff geboren, der bis heute die Rechtswissenschaft intensiv beschäftigt und dessen genauer Gehalt keinesfalls als geklärt angesehen werden kann.263 Manche sehen in der Genugtuung ein Element der Strafe und Sühne.264 Der Schädiger solle für das dem Geschädigten zugefügte seelische Leid büßen. Andere wollen an dem Begriff das Erfordernis präventiven Schadensersatzes festmachen.265 Es gehe maßgeblich um die Vermeidung künftiger Rechtsverletzungen. Und wieder andere setzen die Genugtuung mit der Kompensation gleich und meinen, in der Genugtuung drücke sich nichts anderes aus als die Pflicht, die durch die Rechtsverletzung entstandenen negativen Eindrücke und Gefühle durch positive Gefühle auszugleichen. Zweck der Genugtuung sei allein, durch eine pekuniäre Leistung einen gewissen Ausgleich für körperliche Schmerzen und seelisches Leid herzustellen.266 Zutreffend sei zwar der in der Genugtuung enthaltene Gedanke, dass neben 262
BGH, 6. 7. 1955, Großer Zivilsenat 1/55, NJW 1955, S. 1675 ff. Vgl. zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten Kern, AcP 191 (1991), S. 247 (251 ff); Wagner, ZeuP 2000, S. 200 (204 ff). 264 Kern, AcP 191 (1991), S. 247 (255): „Die Genugtuung ist ihrem Inhalt nach Privatstrafe“. 265 Wagner, ZeuP 2000, S. 200 (207 ff); ders., AcP 206 (2006), S. 352 (380 ff). 266 v. Gerlach, VersR 2002, S. 917 (921): „Ziel der Genugtuung ist der Ausgleich der erlittenen seelischen Unbill: Das seelische Wohlbefinden des Geschädigten soll durch eine materielle Leistung wiederhergestellt werden. Die Geldzahlung soll es dem Geschädigten – auch wenn immaterielle Beeinträchtigung und materielle Leistung an sich inkommensurabel sind – doch erleichtern, über die Verletzung seiner Gefühlswelt hinwegzukommen. Dies geschieht durch eine ,Kompensation der Unlustgefühle durch Lustgefühle‘ oder, anders ausge263
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dem äußeren immateriellen Schaden, also dem Verlust an äußerer Lebensqualität, immer auch der innere immaterielle Schaden, der so genannte „Gefühlsschaden“ zu ersetzen sei.267 Dieser Gedanke könne aber bereits beim richtig verstandenen Schadensausgleich berücksichtigt werden, so dass im Ergebnis „kein legitimes Feld mehr für eine zusätzliche Genugtuungsfunktion“ bleibe.268 Die letztgenannte Ansicht kann für sich in Anspruch nehmen, der herrschenden Meinung im schweizerischen Recht zu entsprechen.269 Diesem hatte der BGH den Begriff der Genugtuung entnommen.270 Zudem hat sie den Vorteil, Grundprinzipen des Schadensrechts, insbesondere das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, nicht ohne Not zugunsten der zivilrechtsfremden Zwecke der Verhaltenssteuerung oder gar Bestrafung zu opfern. Solange keine nicht hinnehmbaren Sanktionslücken entstehen, ist eine präventive Funktion eines zivilrechtlichen Rechtsbehelfs nicht zuzulassen, zumal in aller Regel die drei Schutzrechte gemeinsam eine ausreichende präventive Wirkung zeitigen. Insbesondere überzeugt auch die Anerkennung des Gefühlsschadens als eines echten immateriellen Schadens. Es ist nicht einzusehen, warum eine innere Kränkung, ein verringertes Selbstwertgefühl oder eine rein seelische Verletzung nicht kompensabel sein sollten.271 Worum es dem BGH bei der Schöpfung der Genugtuungsfunktion inhaltlich in Wahrheit ging, wird aus den Entscheidungsgründen des Beschluss vom 6. 7. 1955 deutlich. Der BGH betont hier, dass bei § 847 BGB die Wiederherstellungsfunktion sich nicht wie bei der Naturalherstellung von Vermögensschäden durchführen lasse, da es bei immateriellen Schäden keine wirkliche Wiedergutmachung gebe. Es solle „gewiss ein Ausgleich vorgenommen werden; dieser [sei] aber rechnerisch nicht streng festlegbar“. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken sei un-
drückt, durch ,Erzeugung eines Wohlbefindens durch das Gefühl der materiellen Bereicherung‘“. 267 Canaris, FS Deutsch, S. 85 (102 ff); gegen die Ersatzfähigkeit des bloßen Gefühlsschadens, Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 55 ff; vgl. auch Ady, S. 196 f, der zwar subjektive Schmerzen wie Canaris und entgegen Lorenz ersetzen will, aber die Bezeichnung als „Gefühlsschaden“ ablehnt. 268 So Canaris, FS Deutsch, S. 85 (103); Ady, S. 197 ist demgegenüber der Ansicht, dass sich subjektive Einbußen nicht mit der Ausgleichsfunktion erklären lassen. 269 Siehe v. Gerlach, VersR 2002, S. 917 (918 ff) sowie Wagner, ZeuP 2000, S. 200 (207). 270 Vgl. BGH, a.a.O.: „Wenn auch den Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung, auch denen auf Entschädigung wegen immaterieller Schäden, kein unmittelbarer Strafcharakter mehr innewohnt, so schwingt doch in dem Ausgleichsgedanken auch heute noch etwas vom Charakter der Buße oder, um mit dem treffenden Ausdruck der entsprechenden Schweizer Rechtseinrichtung zu reden, der Genugtuung mit“. 271 Gerade im Bereich der verletzten Ehre als Kernbereich des Persönlichkeitsrechts ist seit langem anerkannt, dass nicht nur die äußere Ehre (das Ansehen), sondern auch die innere Ehre (das Selbstwertgefühl) geschütztes Rechtsgut ist, vgl. Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 21. Eine Verletzung der inneren Ehre wird aber regelmäßig „nur“ einen Gefühlsschaden nach sich ziehen.
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möglich, weil „immaterielle Schäden sich nie und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken lassen“272. Angesprochen ist damit das Grundproblem immaterieller Schäden: Man kann sie sich kaum vorstellen, kann gar überhaupt nicht mit Sicherheit sagen, ob sie im Einzelfall tatsächlich vorliegen, und sinnvoll berechnen sowie in Geld bewerten kann man sie schon gar nicht.273 Eine mehr oder weniger stringente Differenzhypothese und ein Taschenrechner reichen hier, anders als bei den Vermögensschäden, nicht aus. Genauso wenig können immaterielle Schäden mit den herkömmlichen Beweismitteln im Prozess festgestellt werden. Dem trägt § 287 ZPO teilweise Rechnung. Das Gesetz bietet ansonsten jedoch kaum Hilfe. In § 253 Abs. 1 BGB wird lediglich festgelegt, dass immaterielle Schäden nur in den im Gesetz geregelten Fällen zu ersetzen sind, wobei § 253 Abs. 2 BGB [§ 847 BGB a.F.] solche Ausnahmefälle bestimmt. Was immaterielle Schäden jedoch sind, wie sie festgestellt und in Geld beziffert werden können, dazu findet sich im Gesetz kein Wort. Die Negativabgrenzung zu den Vermögensschäden hilft nicht weiter. Diese erheblichen Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten führten nun dazu, dass der BGH die Genugtuungsfunktion entwickelte und als scheinbar eigenständige Funktion neben das Ausgleichsprinzip stellte. Denn die Kapitulation vor den Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten mit der Folge, immaterielle Beeinträchtigungen gar nicht zu ersetzen, wäre einem Armutszeugnis der modernen Jurisprudenz gleichgekommen und war demnach kein gangbarer Weg mehr.274 Andererseits mussten aber konkrete Kriterien entwickelt und den Richtern an die Hand gegeben werden, um zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen. Naturgemäß schien auf der Suche nach brauchbaren Bemessungskriterien allerdings nur der Blick auf die Seite des Geschädigten als mit dem dem zivilrechtlichen Ausgleichsprinzip vereinbar.275 Dieses Vorgehen war jedoch alles andere als ergiebig. Die bloße Betrachtung der Geschädigtenseite konnte kaum zu einer Feststellung und Bewertung der immateriellen Einbußen führen. Andererseits gab es auf Seiten des Schädigers eine Vielzahl dem Beweis zugänglicher, konkret bestimmbarer Umstände, die bei einem reinen Schadensausgleich scheinbar nicht berücksichtigt werden konnten. Allen voran der Grad des Schädigerverschuldens, das konkrete Schädigerverhalten während der Tat und während der Schadensabwicklung sowie die Vermögensverhältnisse der Parteien schienen bei einer rein kompensatorischen Betrachtung keine
272
BGH, 6. 7. 1955, Großer Zivilsenat 1/55, NJW 1955, S. 1675 (1675). Vgl. Kern, AcP 191 (1991), S. 247 (247): „[E]inen immateriellen Schaden kann man nicht sehen, feststellen oder berechnen, sondern nur nachempfinden“; ähnlich Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 34. 274 Vgl. Hubmann, S. 135. 275 Dies war und ist eine weit verbreitete Ansicht, siehe Kern, AcP 191 (1991), S. 247 (254): „Der Blick auf den Schädiger, oder anders ausgedrückt, auf den Täter, ist […] für das Strafrecht typisch“; vgl. auch Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 71, 135 ff; Treber, DZWir, 1998, S. 177 (185). 273
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Rolle spielen zu dürfen.276 Damit diese gut handhabbaren Kriterien für die Schadensbestimmung nicht verloren gingen, entwickelte der BGH die Genugtuungsfunktion.277 Dies wird besonders deutlich in folgender Passage des obigen Urteils: „Die Genugtuungsfunktion bringt eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigten zum Ausdruck, die aus der Natur der Sache heraus bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet“278.
Die Genugtuungsfunktion wurde damit aus einer rein praktischen Not geboren. Die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, die nach Ansicht des BGH für eine praxistaugliche Lösung notwendig war, erschien bei einer strengen Beschränkung auf die Ausgleichsfunktion als nicht zulässig. bb) Die Übertragung des Genugtuungsgedankens auf den Geldersatz wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen Den Gedanken der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs griff der BGH in seiner Ginseng-Entscheidung vom 19. 9. 1961279 auf und übertrug ihn auf den Geldersatzanspruch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Der Gerichtshof führte aus, dass unter dem Einfluss der Werteentscheidung des Grundgesetzes und des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG anerkannten hohen Werts der individuellen Persönlichkeit der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz lückenhaft und unzulänglich wäre, wenn eine Persönlichkeitsrechtsverletzung keine der ideellen Beeinträchtigungen adäquate Sanktion auslösen würde. Eine Geldentschädigung sei oft das einzige Mittel, das geeignet sei, die Respektierung der Persönlichkeit des
276 Siehe Treber, DZWir, 1998, S. 177 (185): „Mit der Interessenabwägung zwischen Geschädigtem und Schädiger, der Berücksichtigung von Art und Grad des Verschuldens oder gar der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten werden Begründungselemente in die Entscheidungsfindung einbezogen, die bei einer nur am Ausgleichsgedanken ausgerichteten Schadensberechnung ausgeklammert werden müßten“; Müller, Punitive Damages, S. 96: „Die Berücksichtigung des Verschuldensmoments würde den Ausgleichsgedanken konterkarieren“; ähnlich Kern, AcP 191 (1991), S. 247 (250 ff). 277 Siehe Honsell, VersR 1974, S. 205 (205): „Den dem Schweizer Vorbild entlehnten Genugtuungsgedanken hat das Gericht verwendet, weil es glaubte, nur so die für die Bemessung des Schmerzensgeldes wesentlichen Faktoren, wie den Grad des Verschuldens sowie die Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem berücksichtigen zu können“. Ebenso Treber, DZWir, 1998, S. 177 (185): Die „Integration [aller Umstände] zeugt […] von dem Bemühen, die ,Billigkeitsentscheidung‘ mit nachvollziehbaren Kriterien auszustatten. Denn einen immateriellen Schaden kann man nicht sehen, feststellen oder berechnen, sondern nur nachempfinden”. 278 BGH, 6. 7. 1955, Großer Zivilsenat 1/55, NJW 1955, S. 1675 (1676) – Hervorhebung durch den Verfasser. 279 BGH, 19. 9. 1961, VI ZR 259/60, NJW 1961, S. 2059 ff (Ginseng).
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Individuums wirksam zu sichern und eine Genugtuung des Geschädigten zu erreichen.280 Eine erste wichtige Voraussetzung für den Geldersatzanspruch war in der mangelnden Möglichkeit einer anderweitiger Abwehr der Persönlichkeitsrechtsverletzung somit gefunden. Die billige Entschädigung in Geld musste das einzig verbleibende Mittel sein281. In der Ginseng-Entscheidung entwickelte der BGH aber noch weitere wichtige Voraussetzungen für einen Geldanspruch. Er bekräftigte so zunächst die bereits in früheren Entscheidungen angedeutete Auffassung, dass es aufgrund der tatbestandlichen Unbestimmtheit und Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Feststellung einer deliktischen Verletzung immer einer umfassenden Interessensabwägung bedürfe. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht könne nur generalklauselartig umschrieben werden,282 weshalb nicht, wie sonst im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB, die Rechtswidrigkeit durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert werde, sondern positiv festgestellt werden müsse. Es gilt seither als gesicherte Erkenntnis, dass die Frage, ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt, nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung beantwortet werden kann.283 Lediglich bei gesetzlich hinreichend konkretisierten Persönlichkeitsaspekten, den so genannten besonderen Persönlichkeitsrechten,284 soll eine derartige Abwägung entbehrlich sein.285 Dem bei einer umfassenden Güter- und Interessensabwägung gefundenen Ergebnis schien der BGH jedoch selbst nicht zu trauen. In der Ginseng-Entscheidung stellte er deshalb zusätzlich zur Interessensabwägung zwei weitere Voraussetzungen für die Zahlung eines Geldanspruchs wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf, die es bei den sonstigen Fällen des Schmerzensgeldes nicht gibt. Das Gericht war der Ansicht, dass eine Geldzahlung nur bei „erheblichen“ Verletzungen des Persönlichkeitsrechts sowie bei einem „schweren Verschulden“ des Schädigers in Betracht komme.286 Ob diese beiden Voraussetzungen kumulativ oder 280
BGH, 19. 9. 1961, VI ZR 259/60, NJW 1961, S. 2059 (2060). Krit. Stuhlmann, S. 264 ff. 282 Weshalb es heute allgemein als „Rahmenrecht“ bezeichnet wird, vgl. MüKo-BGB/ Wagner, 2009, § 823 BGB, Rn. 179. 283 Zuletzt etwa BGH, 16. 3. 2010, VI ZR 176/09, NJW 2010, S. 1533 ff m.w.N.; zum Ganzen MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 132 ff. 284 Vgl. dazu ausführlich, Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 27 ff. Zu den besonderen Persönlichkeitsrechten gehören nach h.M. das Namensrecht, das Urheberpersönlichkeitsrecht, das Recht am eigenen Bild sowie das Recht am gesprochenen Wort. Dagegen soll die Ehre nicht als besonderes Persönlichkeitsrecht ausgeformt sein, sondern im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt werden, vgl. Staudinger/Weick, 2004, vor § 1 BGB, Rn. 28. 285 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 30 f. 286 Krit. Stuhlmann, S. 262 ff. 281
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alternativ zu verstehen sind, ist der Entscheidung nicht mit letzter Sicherheit zu entnehmen.287 Der BGH stellte die zuletzt genannten Voraussetzungen („erhebliche Beeinträchtigung“ und „schweres Verschulden“) zwar ausdrücklich nur für den Geldersatzanspruch auf, so dass man annehmen könnte, es handele sich um eine Einschränkung auf Rechtsfolgenseite. Andererseits ist aus den Entscheidungsgründen ersichtlich, dass der Gerichtshof in Wahrheit mindestens ebenso sehr dem Ergebnis der Interessensabwägung auf Tatbestandsebene misstraute. Das Gericht führte so aus: „Gerade wenn eine so genannte Güter- und Interessenabwägung stattfinden muss, ist die Grenze des Erlaubten nicht immer leicht festzustellen. Müsste bei jeder, auch geringfügigen Überschreitung der Grenze auf Verlangen des Betroffenen immaterieller Schadensersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts zugebilligt werden, dann bestände allerdings die Gefahr, dass unbedeutende Beeinträchtigungen in unangemessener Weise ausgenutzt werden, um daran zu verdienen. Alsdann wäre der Zweck verfehlt, der mit der Zubilligung einer Genugtuung erreicht werden soll. Es muss ferner beachtet werden, dass sich Verletzungen des Persönlichkeitsrechts im geistigen Bereich noch schwerer am allgemeinen Wertmesser des Geldes abschätzen lassen als die Folgen körperlicher Beeinträchtigungen“288.
Da die Grenze des Erlaubten nicht leicht festzustellen ist, musste nach Ansicht des BGH also verhindert werden, dass bei einer geringfügigen Überschreitung der Grenze eine ungerechtfertigte Verdienstmöglichkeit des dann in Wahrheit nicht Verletzten entsteht. Diese Aussage ist paradox. Entweder ist die Grenze des Erlaubten nicht überschritten, dann gibt es auch keinen Ausgleichsanspruch. Oder sie ist überschritten, dann macht aber auch die lediglich geringfügige Überschreitung den Ausgleichsanspruch nicht zur ungerechtfertigten Einnahmequelle. Die Einführung der zusätzlichen Kriterien auf Rechtsfolgenseite lässt sich meines Erachtens deshalb nur mit der Besorgnis des BGH erklären, die Grenze des Erlaubten auf Tatbestandsseite vielleicht doch nicht zutreffend festgestellt zu haben. Deshalb wurde mit den zusätzlichen Voraussetzungen ein doppelter Boden eingezogen. Dies ist durchaus verständlich. Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt zu der Unsicherheit bei der Feststellung eines immateriellen Schadens im Vergleich zum Schmerzensgeld etwa bei Körperverletzungen erschwerend hinzu, dass zumeist gar nicht genau bestimmt werden kann, wann das Rechtsgut tatsächlich verletzt ist. Es bestehen hier genau genommen drei Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten: Liegt wirklich eine Überschreitung der Grenze des Erlaubten und somit eine Rechtsverletzung vor? Wenn ja, welcher immaterielle Schaden resultiert dann aus der Rechtsverletzung und wie lässt er sich beschreiben? Und letztlich, wie viel ist dieser immaterielle Schaden in Geld wert, wenn wir ihn ausgleichen wollen? 287 In den meisten Entscheidungen werden beide Kriterien geprüft und einheitlich bejaht oder verneint; vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 23 m.w.N. 288 BGH, 19. 9. 1961, VI ZR 259/60, NJW 1961, S. 2059 (2060).
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Der BGH hält diese Fragen nicht klar auseinander. Und dass sie in gewisser Weise auch zusammengehören, lässt sich kaum bestreiten. Zumindest sind die rechtstatsächlichen Schwierigkeiten dieselben. In jedem Fall hat der BGH Recht, wenn er meint, dass beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Erkenntnis- und Bewertungsprobleme noch größer sind als beim herkömmlichen Schmerzensgeldanspruch. Demzufolge kommt folgende Feststellung in der Ginseng-Entscheidung auch nicht überraschend: „Bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts rückt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gegenüber der Entschädigungsfunktion […] in den Vordergrund“289.
Umso deutlicher wird, wofür der BGH die Zauberformel der Genugtuung braucht: zur Überwindung der mannigfaltigen Vorstellungs-, Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten. cc) Die Genugtuung als Mittel zur Abschöpfung des Verletzergewinns Im Ginseng-Fall führte der BGH zudem ein weiteres Kriterium ein, das bei der Überwindung der Erkenntnisschwierigkeiten und der konkreten Bezifferung des Entschädigungsanspruchs helfen kann: den Verletzergewinn. Das Gericht führte dazu aus: „Die Voraussetzungen für die Zubilligung immateriellen Schadensersatzes werden im Besonderen dann gegeben sein, wenn – wie in dem vorliegenden Falle – in das Persönlichkeitsrecht eines anderen leichtfertig aus dem materiellen Grund eingegriffen wird, die eigene kommerzielle Werbung zugkräftiger zu gestalten. Solchem unlauteren Gewinnstreben kann wirksam nur entgegengetreten werden, wenn es mit dem Risiko eines fühlbaren materiellen Verlustes belastet wird, und andererseits darf der, der mittels unlauteren Eingriffs in eine fremde Persönlichkeitssphäre Geld zu verdienen sucht, sich nicht beschwert fühlen, wenn er zu einem Ausgleich in Geld herangezogen wird“290.
Hiermit wurde dem Schadensrecht ein völlig fremdes Element eingepflanzt. Die Erzielung eines Gewinns durch den Schädiger ist an sich für die Bestimmung eines Schadens irrelevant. Entscheidend ist nur, ob dem Geschädigten ein Gewinn entgangen ist, § 252 BGB. Dann liegt ein Vermögensschaden vor. Ansonsten ist schlicht die Perspektive falsch. Falsch zumindest für das Schadensrecht. Es handelt sich um die typisch bereicherungsrechtliche Perspektive291, bei der es einzig darauf ankommt, ob der Schuldner rechtswidrig etwas hat, was dem Gläubiger gebührt.
289 290 291
BGH, 19. 9. 1961, VI ZR 259/60, NJW 1961, S. 2059 (2060). BGH, 19. 9. 1961, VI ZR 259/60, NJW 1961, S. 2059 (2060 f). So auch Seitz, NJW 1996, S. 2848 (2849); näheres unten 4. Kap. B.
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dd) Die Entwicklung von der Genugtuungszur echten Präventivfunktion Die BGH-Rechtsprechung wurde von zahlreichen Autoren und Instanzgerichten zum Anlass genommen, dem Schadensrecht eine neue Funktion zuzuschreiben: die Präventivfunktion. Die Genugtuung wurde immer weniger als ein Schadensausgleichskriterium verstanden, sondern immer mehr als Element der Abschreckung, das den Zweck erfülle, unerwünschte Verhaltensweisen, wie etwa unlauteres Gewinnstreben der Medien, zu verhindern.292 Die Feststellung eines Präventiveffekts des Schadensrechts war dabei keine neue Erkenntnis. Denn dass eine Verpflichtung zum Schadensausgleich immer auch präventive Wirkung für zukünftige Fälle haben wird, war bereits weitgehend anerkannt. Nur wurde die Prävention bisher nicht als eigene Schadensersatzfunktion angesehen, sondern vielmehr als erwünschter Nebeneffekt des Ausgleichsprinzips.293 Die Meinungen im Schrifttum gingen so weit, dass der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen vereinzelt gar die Funktion einer echten Privatstrafe orientiert am Präventions- und am Sühnegedanken beigemessen wurde.294 Andererseits wurde auch vielfach versucht, die Genugtuungsfunktion zurückzudrängen und das Ausgleichsprinzip wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.295 Honsell296 und Schwerdtner297 setzten sich beispielsweise vehement dafür ein, die Genugtuungsfunktion kompensatorisch zu begreifen und jegliche Elemente der Prävention oder gar Sühne ins Strafrecht zu verbannen. Die vom BGH geschöpfte Genugtuungsfunktion wurde vom BVerfG in seinem Beschluss vom 14. 2. 1973298 jedoch ausdrücklich als verfassungsgemäß gebilligt. Insbesondere sei die BGH-Rechtsprechung mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, weil „der Ausspruch des Zivilrichters, dass im konkreten Fall für immateriellen Schaden
292 Für eine echte Präventivfunktion des Schadensrechts: Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 ff; Möller, S. 36 ff; vgl. auch Dreier, Kompensation, S. 413 ff. 293 Siehe MüKo-BGB/Oetker, 2007, § 253 BGB, Rn. 14; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 38 f. 294 So in neuerer Zeit auch noch Ebert, S. 409 ff; Schäfer, AcP 202 (2002), S. 397 (399 ff); Körner, NJW 2000, S. 241 ff; Müller, Punitive Damages, S. 91 ff. 295 Siehe MüKo-BGB/Oetker, 2007, § 253 BGB, Rn. 13: „Wenn der Geschädigte auch eine Genugtuung erfahren soll, dann ist dies letztlich eine notwendige Erweiterung der zu eng definierten Ausgleichsfunktion, die den erlittenen immateriellen Schaden auf den Ausgleich von Schmerzen verkürzt“. 296 Honsell, VersR 1974, S. 205 (206): „[d]ie Genugtuungsfunktion [ist] ganz überflüssig; denn man kann sie im Ausgleichsbetrag insofern aufgehen lassen, als jede Ersatzpflicht dem Geschädigten Genugtuung verschaffen kann, wie umgekehrt für den Schädiger die Schadensersatzpflicht nicht selten wie eine Strafe wirkt“. 297 Schwerdtner, JuS 1978, S. 289 (296 ff). 298 BVerfG, 14. 2. 1973, 1 BvR 112/65, NJW 1973, S. 1221 ff (Soraya).
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Ersatz zu leisten sei, – mögen ihm auch ,pönale Elemente‘ nicht ganz fremd sein – keine Strafe im Sinn dieser Verfassungsbestimmung [ist]“299. In den folgenden Jahren ergingen einige Entscheidungen des BGH, die den Genugtuungsgedanken weg von einer eigenständigen Präventionsfunktion und wieder hin zum Ausgleichsgedanken rückten.300 So lehnte es das Gericht ab, eine gegen einen Schädiger verhängte Kriminalstrafe bei der Bemessung des Schmerzensgeldes schadensmindernd zu berücksichtigen,301 entschied zudem, dass trotz eines umfassenden Versicherungsschutzes des Schädigers die Genugtuungsfunktion bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen sei302 und stellte schließlich im Bereich des Schmerzengeldanspruchs aus § 847 BGB a.F. klar: „[Die Genugtuung] nötigt nämlich nach heutigem Verständnis nicht dazu, ein dem Zivilrecht fremdes Bedürfnis nach Rache oder Abrechnung mit dem Schädiger zu unterstellen. [Es] handelt sich […] beim Schmerzensgeld nach heute herrschender Auffassung nicht um eine Buße oder Privatstrafe […], sondern um den Ausgleich des immateriellen Schadens“303.
In den Aufsehen erregenden Entscheidungen vom 15. 11. 1994304 und vom 5. 12. 1995305 erfolgte dann jedoch ein klares Bekenntnis des BGH zur Genugtuung als Ausdruck der Präventivfunktion des Schadensrechts bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.306 Beiden Entscheidungen lagen Fälle zugrunde, in denen Caroline von Monaco als Klägerin auftrat. In dem der erstgenannten Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die beklagten Illustrierten frei erfundene Interviews über das Privatleben der Prinzessin veröffentlicht. Im zweitgenannten Fall hatten sie auf der Titelseite bewusst wahrheitswidrig den Eindruck erweckt, Caroline von Monaco leide an Brustkrebs. Bereits im Leitsatz der erstgenannten Entscheidung heißt es: „Erfolgt der Einbruch in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorsätzlich mit dem Ziel der Auflagensteigerung und Gewinnerzielung, dann gebietet der Gedanke der Prävention, die Gewinnerzielung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen“307. 299
BVerfG, 14. 2. 1973, 1 BvR 112/65, NJW 1973, S. 1221 (1226). Siehe dazu Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (380 ff). 301 BGH, 29. 11. 1994, VI ZR 93/94, NJW 1995, S. 781 ff. 302 BGH, 16. 12. 1975, VI ZR 175/74, NJW 1976, S. 1147 ff; BGH, 16. 2. 1993, VI ZR 29/ 92, NJW 1993, S. 1531 ff. 303 BGH, 29. 11. 1994, VI ZR 93/94, NJW 1995, S. 781 ff; dagegen Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (381), wonach es keinen Sinn macht, zunächst die Genugtuungsfunktion der Ausgleichsfunktion gegenüber zu stellen, um die Genugtuung anschließend doch wieder im Sinne von Kompensation zu interpretieren. 304 BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 ff (Caroline I). 305 BGH, 5. 12. 1995, VI ZR 332/94, NJW 1996, S. 984 ff (Caroline II). 306 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (384) beschreibt dies als „Auferstehung der Genugtuungsfunktion“. 307 BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 (861) – Hervorhebung durch den Verfasser. 300
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In den Gründen erläutert der Gerichtshof sein Bekenntnis zum Präventionsgedanken: „Ohne eine für die Beklagten fühlbare Geldentschädigung wäre die Klägerin einer solchen rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung ihrer Persönlichkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert […] Eine Verurteilung zur Geldentschädigung ist aber nur dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn die Entschädigung der Höhe nach ein Gegenstück auch dazu bildet, dass hier die Persönlichkeitsrechte zur Gewinnerzielung verletzt worden sind. […] Von der Höhe der Geldentschädigung muss deshalb ein echter Hemmungseffekt auch für solche Vermarktungen der Persönlichkeit ausgehen“308.
Die kritischen Reaktionen in der Literatur auf die Caroline-Urteile waren zahlreich und den Reaktionen auf die EuGH-Entscheidungen im Antidiskriminierungsrecht äußerst ähnlich309 : Das Gericht habe Strafrecht geschaffen („Der BGH als Kriminalgesetzgeber?“310) und im Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 4. 6. 1992311 nun die „dubiose“312 amerikanische Rechtsfigur der „punitive damages“ auch in das deutsche Deliktsrecht eingeführt313. Stürner wehrte sich gegen „den Einbruch des amerikanischen Cowboy-Rechts in unsere sorgsam differenzierende und filigran abwägende Hochkultur, gegen die Plakatfarbe im abgestimmten impressionistischen Gemälde unseres Medienpersönlichkeitsrechts, gegen den lauten Ton im wohlkomponierten Konzert des feineren und leiseren Klanges“314. Bydlinski konstatierte einen „Rückfall in archaische Rechtsepochen“ und kritisiert die „Preisgabe aller wohlbegründeten rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen an die Straftatbestände“315 durch die Schaffung eines zivilen Strafrechts. Seitz fasste zusammen: „Der BGH hat ,praktisch‘ die Strafbarkeit der vorsätzlichen Persönlichkeitsverletzung eingeführt (sonst tut so etwas der Bundestag); er hat das Deliktsrecht (bei wertender Betrachtung) mit dem Bereicherungsrecht vereint; er [der VI. Senat] hat Grundgedanken der Entscheidung des IX. Zivilsenats zu den ,punitive damages‘ verleugnet316, aber nicht dem Großen Senat vorgelegt“317. 308
BGH, 15. 11. 1994, VI ZR 56/94, NJW 1995, S. 861 (865). Die Parallele zieht etwa Rosengarten, NJW 1996, S. 1935 (1936). 310 Seitz, NJW 1996, S. 2848 (2848). 311 In BGH, 4. 6. 1992, IX ZR 149/91, NJW 1992, S. 3096 ff hatte es der IX. Zivilsenat des BGH abgelehnt, ein US-amerikanisches Schadensersatzurteil, das auf punitive damages lautete, für vollstreckbar zu erklären, da das Gericht einen Verstoß gegen den „ordre public“ Grundsatz annahm. 312 Canaris, FS Deutsch, S. 85 (108). 313 Stürner, AfP 1998, S. 1 (1); Dreier, GRUR Int. 2004, S. 706 (708); Rosengarten, NJW 1996, S. 1935 ff; Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (212 ff). 314 Stürner, AfP 1998, S. 1 (1). 315 Bydlinski, AcP 204 (2004), S. 309 (345). 316 Siehe oben 2. Kap. Fn. 311; der VI. Senat des BGH erwiderte diese Kritik in einer nachfolgenden Entscheidung jedoch mit dem Hinweis, dass das Urteil des IX. Senats einen „ganz anders gelagerten Sachverhalt“ betroffen habe, BGH, 5. 10. 2004, VI ZR 255/03, NJW 2005, S. 215 (216 f). 309
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Neben diesen fundamentalkritischen Äußerungen wurde insbesondere auch bemängelt, dass es eines Rückgriffs auf die vermeintliche Präventivfunktion des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz gar nicht bedurft hätte, um zu der erstrebten Gewinnabschöpfung zu gelangen. Denn hierfür hätten sowohl bereicherungsrechtliche Regelungen als auch Ansprüche aus angemaßter Eigengeschäftsführung gemäß § 687 Abs. 2 BGB zur Verfügung gestanden.318 Insbesondere das Bereicherungsrecht spielte in der Rechtsprechung des BGH bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen jedoch lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Denn neben dem bei Persönlichkeitsrechten problematischen Kriterium des Zuweisungsgehalts319 war nach Ansicht des BGH Voraussetzung für einen Anspruch aus einer Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB die hypothetische Vermarktungsbereitschaft des Rechtsinhabers. Bereits in der HerrenreiterEntscheidung hatte der BGH dieses Kriterium entwickelt320 und seither in ständiger Rechtsprechung angewandt. Eine Bereitschaft Caroline von Monacos zur Vermarktung ihrer Persönlichkeit war jedoch undenkbar, so dass die Betonung der Präventivfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs durch den BGH vielfach als Folge der zweifelhaften Herrenreiter-Doktrin angesehen wurde. Knapp 12 Jahre nach den Caroline-Entscheidungen erlebte der bereicherungsrechtliche Persönlichkeitsschutz dann allerdings eine nicht unerhebliche Aufwertung durch den BGH. In seiner Entscheidung vom 26. 10. 2006321 schuf der Gerichtshof die heftig attackierte Herrenreiter-Doktrin unter dem überwiegenden Jubel der rechtswissenschaftlichen Literatur322 kurzerhand ab. Freilich ohne darauf einzugehen, ob dies irgendwelche Auswirkungen auf die Präventivfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs hat. Wegen der verbleibenden Unzulänglichkeiten des Bereicherungsrechts323 kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass sich die Präventivfunktion des immateriellen Schadensersatzes mit der Abkehr von der Herrenreiter-Doktrin erledigt hat. Dies gilt umso mehr, als die Präventivfunktion genau wie die Genugtuungsfunktion nicht nur der Abschöpfung von rechtswidrig erzielten Vermögenswerten über das Schadensrecht dient, sondern vielmehr auch der Überwindung mannigfaltiger Erkenntnis-, Bewertungs- und Be317
Seitz, NJW 1996, S. 2848 (2849). Vgl. Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (214 ff); Canaris, FS Deutsch, S. 85 ff sowie zum Ganzen noch näher unten 4. Kap. B. 319 Dazu ausführlich unten 4. Kap. B. II. 2. b). 320 Weshalb es allgemein als Herrenreiter-Doktrin bezeichnet wird, siehe Helle, JZ 2007, S. 444 ff. 321 BGH, 26. 10. 2006, I ZR 182/04, NJW 2007, S. 689 ff (Lafontaine). 322 Vgl. Ehmann, AfP 2007, S. 81 (84); Balthasar NJW 2007, S. 664 (665); MüKo-BGB/ Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 274; a.A. Helle, JZ 2007, S. 444 ff. 323 Nach h.M. ist eine Bereicherungsabschöpfung über die Eingriffskondiktion bei fehlendem Zuweisungsgehalt der verletzten Rechtsposition ausgeschlossen. Zudem ist die (partielle) Gewinnabschöpfung weithin nicht als bereicherungsrechtliche Rechtsfolge anerkannt. Dazu ausführlich unten 4. Kap. B. II. 2. b). 318
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weisschwierigkeiten. Insoweit verwundert es kaum, dass die Präventivfunktion in der Rechtsprechung auch heute noch vielfach herangezogen wird, um Geldentschädigungsansprüche wegen Persönlichkeitsverletzungen zu bemessen.324 e) Diskriminierende Vertragsverweigerung als Verletzung des Persönlichkeitsrechts Außerhalb des Arbeitsrechts wurde die Frage, ob eine diskriminierende Vertragsverweigerung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, vor Inkrafttreten des AGG lediglich am Rande diskutiert. Im Zentrum der persönlichkeitsrechtlichen Diskussion standen und stehen die Fälle der Beeinträchtigungen des Rechts durch Veröffentlichungen in den Massenmedien. Soweit ersichtlich, existiert bisher auch nahezu ausschließlich strafrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die pauschale Verweigerung des Zutritts zu einer Diskothek oder zu einer Gaststätte, etwa wegen der Hautfarbe, gemäß §§ 185 ff StGB zu sanktionieren ist.325 Die Zivilgerichte beginnen gerade erst, sich mit dieser Problematik und insbesondere mit der Frage nach den privatrechtlichen Folgen eines solchen Verhaltens auseinanderzusetzen.326 In der Literatur besteht jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass in diesen Fällen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, mit der Folge einer Ersatzpflicht für die entstandenen immateriellen Schäden gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB.327 Dabei wird darauf verwiesen, dass die Vertragsverweigerung in derartigen Konstellationen nichts anderes als das Mittel zu einem Übergriff in die fremde Persönlichkeitssphäre darstellt328 und die entstandene Integritätsverletzung durch Ersatz des immateriellen Schadens ausgeglichen werden muss. Lediglich vereinzelt wird die Ansicht vertreten, dass es in diesen Fällen um mehr als den Schutz der Integrität des Persönlichkeitsrechts gehe, nämlich „auch um die gleichberechtigte Teilhabe am Güter- und Leistungsverkehr“329. Dies hat zur Kon324 Aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BGH, 1. 10. 2009, III ZR 18/09, NJW-RR 2010, S. 167 ff; LG Köln, 14. 7. 2010, 28 O 857/09 – juris, Rn. 67; LG Berlin, 2. 12. 2009, 23 O 68/09, AfP 2010, S. 284 ff; OLG Hamburg, 30. 7. 2009, 7 U 4/08, NJW-RR 2010, S. 624 ff; LG Hamburg, 10. 7. 2009, 324 O 840/07, ZUM-RD 2009, S. 676 ff; OLG Frankfurt, 7. 7. 2009 , 16 U 15/09, NJW-RR 2010, S. 403 ff. 325 BayObLG, 7. 3. 1983, 2 St 140/82, NJW 1983, S. 2040 ff (Zurückweisung eines Farbigen vor einer Diskothek); OLG Frankfurt, 8. 1. 1985, 5 Ss 286/84, NJW 1985, S. 1720 f (Zutrittsverbot zu einer Gaststätte für Türken). 326 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 84 sprechen deshalb noch von einem „Schulfall“; angesichts des Urteils des OLG Stuttgart, 12. 12. 2011, 10 U 106/11, juris, dürfte sich dies wohl jedoch bald ändern. 327 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 84; Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (349 ff); Bydlinski, AcP 180 (1980), S. 1 (44 f, Fn. 69); Bezzenberger, AcP 196 (1996), S. 395 (424 f). 328 Siehe Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 142 f. 329 So Bezzenberger, AcP 196 (1996), S. 395 (425).
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
sequenz, dass von den Vertretern dieser Auffassung neben dem immateriellen Schadensersatz auch die Möglichkeit eines Kontrahierungszwangs als Folge der diskriminierenden Vertragsverweigerung bejaht wird.330 Überwiegend wird dies jedoch zu recht abgelehnt.331 Das auch schon vor Inkrafttreten des AGG bestehende Verbot beleidigender Vertragsverweigerungen mag zwar in seiner Wirkung eine Teilhabe am Güterverkehr ermöglichen.332 Das Verbot besteht jedoch ausschließlich zum Schutz der Integrität der vorhandenen Persönlichkeit und zielt keinesfalls auf eine Rechtskreiserweiterung. Weil das privatrechtliche Persönlichkeitsrecht anders als das öffentlich-rechtliche Persönlichkeitsrecht keine dynamische, auf Rechtskreiserweiterung gerichtete Komponente beinhaltet, kommt es als Grundlage eines Kontrahierungszwangs nicht in Betracht.333 Ein solcher ist nur dann anzunehmen, wenn ein Vertragsschluss von einem Monopolisten abgelehnt wird und der angestrebte Vertrag eine überragende Bedeutung für den Zurückgewiesenen hat. Ist dies der Fall, so ist letztlich von untergeordneter Bedeutung, ob der Monopolist den Vertrag aufgrund eines bestimmten diskriminierenden Motivs verweigert.334 3. Zusammenfassung Die Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts war wie die Geschichte des Diskriminierungsschutzes seit jeher geprägt von der Angst, die Handlungsfreiheit über Gebühr einzuschränken. Ging es beim Diskriminierungsschutz hauptsächlich 330
Bezzenberger, AcP 196 (1996), S. 395 (427 ff). Busche, Kontrahierungszwang, S. 212 ff; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 84; Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (349 ff); Bydlinski, AcP 180 (1980), S. 1 (44 f, Fn. 69). 332 Vgl. Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (351), wonach die teilhaberechtliche Wirkung „nicht auf einer ,Sozialpflichtigkeit‘ des öffentlichen Unternehmens oder einer gesetzgebergleichen Verpflichtung Privater zu sachlich einleuchtender Klassifizierung der Benutzergruppen [beruht], sondern auf der praktischen Unmöglichkeit, den zugelassenen Personenkreis nach Belieben zusammenzustellen, ohne die Empfindungen anderer offen zu verletzen“. 333 Siehe Busche, Kontrahierungszwang, S. 212 ff; vgl. auch Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (350): „[D]as Entscheidende ist: Von welchen Verträgen Leistungen und Annehmlichkeiten der Diskriminierende die Betroffenen auch immer ausschließen mag, sie können niemals etwas anderes als höchstmögliche Wiederherstellung ihres Persönlichkeitsrechts und angemessene Genugtuung für die Verletzung ihres Wertgefühls im Rahmen der Gesetze verlangen. Negativ ausgedrückt: Die Korrektur der Diskriminierung kann niemals dadurch erfolgen, daß der Zugang zu der privaten Einrichtungen erzwungen wird. Denn dann würde der Betroffene mehr erhalten als ihm zusteht und der Diskriminierende plötzlich einer Leistungspflicht unterworfen, die ihm Verfassung und Gesetz nicht auferlegt haben“. 334 Vgl. LG Karlsruhe, 11. 8. 2000, 2 O 243/00, NJW-RR 2002, S. 111 ff: Hier erstrebte ein Chor schwuler Männer und lesbischer Frauen die Aufnahme in den Badischen Sängerbund, was ihm aufgrund der sexuellen Ausrichtung der Chormitglieder verweigert wurde. Das Gericht bejahte einen Kontrahierungszwang, da es feststellte, dass der Badische Sängerbund eine „überragende Machtstellung im sozialen Bereich“ hat und der klagende Chor „ein wesentliches oder grundlegendes Interesse an dem Erwerb der Mitgliedschaft“ darlegen konnte. 331
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um Beschränkungen der Vertragsfreiheit als Teil der allgemeinen Handlungs- bzw. Berufsfreiheit, stand bei der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts die Befürchtung einer übermäßigen Beschneidung der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch der Wissenschafts- und Kunstfreiheit im Vordergrund. Diese Angst führte zunächst zu einer weitgehenden Ablehnung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes und anschließend zu einer besonderen Behandlung des Persönlichkeitsrechts im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB (Interessensabwägung, schwere Beeinträchtigung, schweres Verschulden, nicht anders abwendbarer Eingriff). Eine weitere Übereinstimmung in der Entwicklung der beiden Rechtsbereiche besteht darin, dass die mannigfaltigen Erkenntnis-, Bewertungs-, und Beweisschwierigkeiten beide Bereiche entscheidend geprägt haben. Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht betrifft dies zunächst die Problematik festzustellen, ob überhaupt eine Rechtsgutsverletzung vorliegt. Der genaue Umfang und die Beschaffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind äußerst schwer zu bestimmen. Auch hierfür bedarf es der genannten zusätzlichen Kriterien, insbesondere der Interessensabwägung. Ist die Rechtsverletzung schließlich festgestellt, bereitet die Bestimmung des immateriellen Schadens sowie die Bewertung dieses Schadens in Geld weitere Schwierigkeiten. Um zu handfesten Bemessungskriterien zu gelangen, greift der BGH deshalb scheinbar systemwidrig auf eine Vielzahl von konkreten Sachverhaltsumständen zurück (Verschuldensgrad, wirtschaftliche Situation des Schädigers und des Geschädigten, Verletzergewinn etc.), die er mit der Zauberformel „Genugtuung“ zu legitimieren sucht. Neben diesen insoweit identischen Erkenntnis-, Bewertungs-, und Beweisproblemen kommt beim Diskriminierungsschutz erschwerend hinzu, dass es hier bei der Verletzungshandlung entscheidend auf die Motivation des Rechtsverletzers ankommt. Die Motivation für eine Ungleichbehandlung festzustellen, ist für sich schwierig genug. In einem diffusen Motivationsbündel bei unzähligen erlaubten Differenzierungsgründen ein verpöntes Merkmal herauszufiltern, ist freilich noch viel schwieriger. Die Genugtuungsfunktion verstanden als Präventivfunktion soll darüber hinaus im Bereich des Persönlichkeitsrechts bewerkstelligen, was der BGH mit dem Bereicherungsrecht nicht zu erreichen glaubt: eine (teilweise) Abschöpfung des vorsätzlich erzielten Verletzergewinns in den Fällen der Zwangskommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts. In neuerer Zeit ist durch die Abschaffung der HerrenreiterDoktrin jedoch die Möglichkeit eines Bereicherungsausgleichs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen wieder verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Die dynamische, auf Entfaltung abzielende Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts spielt in seiner zivilrechtlichen Entwicklungsgeschichte keine Rolle. Die in der Rechtsprechung behandelten Fälle betreffen nahezu ausnahmslos die abwehrrechtliche Dimension des Persönlichkeitsrechts. Gerade in den zahlenmäßig häufigsten Medienfällen geht es ausschließlich um Integritätsschutz. Lediglich in den aus diskriminierungsrechtlicher Sicht interessanten Gasthaus- oder Diskothe-
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
kenfällen hat der Persönlichkeitsschutz teilhaberechtliche Wirkung. Auch hier ist jedoch bei näherer Betrachtung ausschließlich Integritätsschutz bezweckt.
II. Die Entwicklung und Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsverhältnis Im Arbeitsrecht hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine immense Bedeutung. Ehmann bezeichnet die Persönlichkeit als „Grundlage des Arbeitsrechts“335. Auch das BAG hat in den unterschiedlichsten Bereichen, sei es zur Begründung von Schadensersatz-, Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen, bei der Herleitung von echten Leistungsansprüchen oder im Rahmen der Anfechtungsregeln, vielfach persönlichkeitsrechtlich argumentiert. 1. Der Grund für die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts im Arbeitsverhältnis Dies verwundert nicht, ist die Arbeitskraft doch eines der wertvollsten Persönlichkeitsgüter.336 Für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist die abhängige Beschäftigung die Grundvoraussetzung zur Selbstverwirklichung in jeglichen Lebensbereichen, die einzige Möglichkeit, „an der kulturschöpferischen Aufgabe der Menschheit“337 zu partizipieren. Ohne Arbeitsstelle ist der Zugang zur Gesellschaft in vielerlei Hinsicht versperrt. Für die meisten Personen ist die eigene Arbeitskraft die einzige Einkommensquelle und somit der Schlüssel für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben338. Von den Entscheidungen im Kleinen wie bei der Frage, ob eine kulturelle Veranstaltung besucht werden kann oder nicht, bis zu grundlegenden Fragen wie bei der Wahl für ein Leben mit oder ohne Kinder, werden praktisch alle kleineren und größeren Entscheidungen des Lebens von der Einkommenssituation und somit der Beschäftigungssituation wesentlich bestimmt. Daran ändern auch die öffentlichen Unterstützungsmaßnahmen kaum etwas, sichern diese doch nur den grundlegendsten Bedarf, das Existenzminimum.339 Zudem wird auch das soziale Ansehen, der Geltungsanspruch innerhalb der Gemeinschaft, die so genannte äußere Ehre, durch die Arbeit wesentlich bestimmt. Arbeitslosigkeit wird vielfach als persönlicher Makel empfunden. Wer nicht arbeitet, wird schnell als „faul“, „dumm“ oder als „Sozialschmarotzer“ abgestempelt. Dies mag im Einzelfall zutreffen, kann ein Massenphänomen jedoch keineswegs erklären. 335 336 337 338 339
Ehmann, FS Wiese, S. 99 ff. Siehe Hubmann, S. 185. So Hubmann, S. 185. Siehe Thees, S. 65. Siehe Thees, S. 65.
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Genauso unbestritten ist, dass das Selbstwertgefühl unter anhaltender Arbeitslosigkeit oder beruflicher Stagnation leidet. Dass etwa eine längere Beschäftigungslosigkeit „verheerende persönlichkeitsverletzende Folgen“340 hat, liegt auf der Hand. Neben der äußeren Ehre ist somit auch die innere Ehre durch den beruflichen Erfolg oder Misserfolg betroffen. Hinzu kommt, dass der Einzelne zum Einsatz seiner Arbeitskraft zwangsläufig die Gesamtheit seiner Person in den fremden, vom Arbeitgeber organisierten Herrschaftsbereich einbringen muss. Denn, so hatte schon Karl Marx erkannt, die Arbeitskraft hat „keinen andern Behälter […], als menschliches Fleisch und Blut“341. Der „personale Gehalt des Arbeitsverhältnisses“342 kommt auch in § 613 BGB zum Ausdruck, wonach der Arbeitnehmer die versprochene Leistung in Person zu erbringen hat. Letztlich muss der einzelne Arbeitnehmer sich mit der Gesamtheit seiner Person in eine soziale Gemeinschaft bestehend aus dem Arbeitgeber sowie den Kollegen einbringen.343 Und dies geschieht wegen des Charakters des Arbeitsvertrages als Dauerschuldverhältnis über eine langen Zeitraum, zumeist viele Jahre, und dabei den größten Teil jedes einzelnen Tages.344 So wird die Arbeit zur „Lebensaufgabe“ und für viele auch zum Sinn ihrer Existenz.345 2. Die einzelnen Fälle des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Arbeitsrecht Aufgrund der hohen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit verwundert es nicht, dass das Persönlichkeitsrecht in der arbeitrechtlichen Rechtsprechung und Wissenschaft auf vielerlei Gebieten relevant wird. Grundsätzlich kann dabei zwischen dem Schutz im außer- und vorvertraglichen Bereich und dem Schutz im bestehenden Arbeitsverhältnis unterschieden werden.
340
Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 89. Marx, S. 22; vgl. dazu auch ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 54; Wiese, ZfA 1996, S. 439 (443); Ehmann, FS Wiese, S. 99 (102). 342 So der Titel des Aufsatzes von Wiese, ZfA 1996, S. 439 ff. 343 Siehe Thees, S. 78 f. 344 Vgl. Zöllner, FS Strasser, S. 223 (238): „Vor allem wo von der Tätigkeit her enge Zusammenarbeit erforderlich ist, führt das Arbeitsverhältnis zu einer Art Lebensgemeinschaft, die mindestens zeitlich intensiver sein kann als die Ehe“. 345 Siehe Thees, S. 79: Arbeit als „Lebensaufgabe“, als „Sinngebung der individuellen Existenz“, die „den sozialen Geltungsanspruch gegenüber dem Umwelt mitbestimmt“. 341
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
a) Der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz im außervertraglichen Bereich Im außervertraglichen Bereich ist der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz weniger stark ausgeprägt als im vertraglichen Bereich. Ein entscheidender Unterschied besteht insbesondere darin, dass in Ermangelung eines vertraglichen Versprechens die statische Komponente (abwehrrechtliche Dimension) des Persönlichkeitsrechts hier eindeutig im Vordergrund steht. aa) Kein Recht auf Arbeit Dies äußert sich insbesondere darin, dass trotz der überragenden Bedeutung der Arbeitskraft für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen überwiegend346 die Anerkennung eines Rechts auf Arbeit abgelehnt wird. Soweit die Landesverfassungen347 oder die neuerdings verbindliche Grundrechtscharta der Europäischen Union348 ein solches Recht statuieren, ist dies als Programmsatz oder Staatszielbestimmung zu verstehen.349 Ein Leistungsanspruch wird hierdurch weder gegen den Staat noch gegenüber privaten Arbeitgebern begründet.350 Der Versuch Leipolds351, ein subjektiv-privates Recht auf Arbeit in Form eines besonderen Persönlichkeitsrechts einzuführen, das ein Gegengewicht zur Machtstellung des Arbeitgebers aufgrund seiner Herrschaft über die Produktionsmittel darstellen und dazu führen soll, dass nur sachbezogene Gesichtspunkte bei Einstellungsentscheidungen zu berücksichtigen sind, konnte sich nicht durchsetzen.352 Gleiches gilt für ähnliche Ansätze von Gamillscheg, Otto und Badura, die zu einer ermessensgebundenen Entscheidung des privaten Arbeitgebers bei der Einstellung nicht unter Rekurrierung auf das Persönlichkeitsrecht, sondern mit Hilfe von Art. 3 346 Siehe statt vieler Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn. 69; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 39; Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 72. 347 Art. 18 BlnVerf, Art. 48 BbgVerf, Art. 8 BremVerf, Art. 24 NWVerf, Art. 45 SLVerf, Art. 7 SächsVerf. 348 Art. 15 EU-Charta, vgl. auch Art. 1 VO EWG/1612/68 sowie Art. 23 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und Art. 1 EUSozCh. 349 Vgl. SaarlVerfGH, 9. 6.1995, Lv 6/94, NJW 1996, S. 383 (384): „Zielvorstellung für staatliches Handeln“. 350 Gegenüber dem Staat besteht aber ein verfassungsrechtlich verwurzelter Anspruch darauf, bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes behilflich zu sein; wobei der Staat dem durch die im SGB III enthaltenen Maßnahmen gerecht wird, siehe Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn. 70. 351 Leipold, AuR 1971, S. 161 (165 f). 352 Siehe Thees, S. 68 m.w.N.; ablehnend bereits Hubmann, S. 189; siehe aber auch Krebber, FS Leipold, S. 1093 (1107) der es für „nicht ohne weiteres verständlich hält“, dass sich Leipolds Konzept eines allgemeinen Schutzregimes für den Bereich der Vertragsbegründung nicht durchgesetzt hat, obwohl ein solch allgemeines Konzept beim Beendigungsschutz seit langem existiert.
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GG353, § 75 Abs. 1 BetrVG354 oder unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG zum Fragerecht355 des Arbeitgebers gelangen wollten.356 Ein solches Recht auf Arbeit würde eine Ausweitung des Prinzips der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG auf das gesamte Arbeitsrecht bedeuten.357 Seine Anerkennung würde nicht berücksichtigen, dass sich im privaten Bereich auf beiden Seiten Freiheitsberechtigte begegnen und nicht wie im Fall von Art. 33 Abs. 2 GG lediglich auf Arbeitnehmerseite Grundrechtsberechtigte stehen. Allein die Machtstellung des Arbeitgebers führt nicht dazu, dass er vom Grundrechtsberechtigten zum Grundrechtsadressaten wird.358 Das Machtungleichgewicht berechtigt lediglich den Gesetzgeber dazu, nach seinen jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen Arbeitnehmerschutzvorschriften zum Ausgleich der Schieflage zu schaffen. Ohne eine explizite Anerkennung durch den Gesetzgeber kann es ein Recht auf Arbeit aber nicht geben.359 Würde man jegliche Einstellungsentscheidung des Arbeitsgebers auf ihre Ermessensfehlerhaftigkeit hin prüfen, würde dies letztlich zu einer staatlich verwalteten Arbeitswelt führen, in der die Richter über die „richtige“ Auswahl und somit die Verteilung der Arbeitsplätze zu entscheiden hätten.360 Eine solche staatliche Zuteilung von Arbeitsplätzen erscheint ökonomisch aber nicht sinnvoll. Auf einen nicht funktionierenden Arbeitsmarkt mit einer Quasi-Verstaatlichung dieses Marktes zu reagieren, kann auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nicht der richtige Weg sein.361
353 354 355 356
39. 357
Vgl. Gamillscheg, FS Weber, S. 793 (802 ff). Otto, Personale Freiheit, S. 28 ff. Badura, FS Berber, S. 11 (21 f), zum Fragerecht sogleich. Siehe Thees, S. 68 f; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn
Dies ist Leipold, AuR 1971, S. 161 (166) durchaus bewusst. Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 60 m.w.N; a.A. Gamillscheg, AcP 164, (1964), S. 386 (406 ff); ders., FS Weber, S. 793 (802): „Es ist inzwischen gesicherte Erkenntnis, daß der Grundrechtsschutz gegenüber den sozialen Gewalten und intermediären Mächten vielleicht wichtiger ist als gegenüber einem Staat, der ohnehin demokratisch verfasst ist und von einer freien und wachsamen Presse tagtäglich kontrolliert wird“. 359 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 22. 360 Aus diesem Grund gegen ein Recht auf Arbeit: Schwerdtner, ZfA 1977, S. 47 (81 f); Buchner, NZA 1991, S. 577 (579); Staudinger/Richardi, 2005, § 611 BGB, Rn. 66; Staudinger/ ders./Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 72; Boemke, NZA 1993, S. 532 (535); MüKo-BGB/ Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 130; Scholz, ZfA 1981, S. 265 (283); Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221 (225 ff). 361 Anders Gamillscheg, FS Weber, S. 793 (804): „[G]erade dann [= in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit] ist es besonders wichtig, daß eine neutrale Stelle darüber wacht, daß das begehrte Gut des Arbeitsplatzes gerecht verteilt wird; die Wahl besteht nur zwischen der Kontrolle durch die Gerichte oder der Zuteilung des Arbeitsplatzes durch die Arbeitsmarktverwaltung. Jede dritte Lösung, die die Verteilung der Arbeitsplätze in die Hände unkontrollierter Privater legt, handele es sich um den Arbeitgeber oder andere soziale Gewalten, wäre demgegenüber von Übel“; dagegen zu recht Zöllner, AcP 176 (1976), S. 221 (226). 358
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
Auch das BAG362 hat klargestellt, dass bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses die Grundsätze der sozialen Auswahl entsprechend § 1 KSchG keine Anwendung finden können und die erstmalige Einstellungsentscheidung nicht der Prüfung auf Ermessensfehler unterliegt.363 bb) Einschränkungen der Informationserhebungsfreiheit Mittelbar findet aber dennoch eine gewisse Überprüfung der Einstellungsentscheidung auf ihre Sachlichkeit statt.364 Diese Kontrolle erfolgt dadurch, dass das BAG dem Arbeitgeber den Weg zu zahlreichen Informationen versperrt, die für seine Einstellungsentscheidung von Bedeutung sein können. Die größte Relevanz365 hierbei hat die Rechtsprechung zum Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellungsgesprächen.366 Nach Ansicht des BAG wird der Umfang des Fragerechts durch eine Abwägung des Informationsinteresses des Arbeitgebers mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers bestimmt. Der Arbeitgeber muss ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung der Frage haben.367 Dieses Interesse des Arbeitgebers muss objektiv so stark sein, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechts und an der Unverletzlichkeit seiner Individualsphäre zurücktreten muss.368 Im Kern zulässig sind hiernach nur Fragen, die für die Feststellung der Eignung eines Einstellungsbewerbers für die konkret ins Auge gefasste Tätigkeit von Bedeutung sind.369 Ist eine Frage unzulässig, so hat der Arbeitnehmer ein „Recht zur Lüge“370. Dies wird bei den Rechtsfolgen relevant. Die unzulässige Frage führt, abgesehen vom seltenen Fall der schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Art der Fragestellung371, nicht zu einem Schadensersatzanspruch. Auch wird die Verwertung der Informationen dem Arbeitgeber nicht untersagt. Strafprozessual gesprochen führt ein Informationserhebungsverbot somit zu keinem Informationsverwertungs362
BAG, 15. 3. 1984, 2 AZR 24/83, NZA 1984, S. 226 (227); BAG, 21. 2.1985, 2 AZR 311/ 84, recherchiert über juris. 363 BAG, 5. 4.1984, 2 AZR 513/82, NZA 1985, S. 329 (330). 364 Siehe Thees, S. 70; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 234 ff. 365 Die Problematik reicht aber über diesen Komplex hinaus. Beispielsweise sind auch im Bereich der Einschaltung Dritter bei der Informationsgewinnung (frühere Arbeitgeber, Behörden, Einschaltung von Detektiven etc.) Einschränkungen zu beachten, siehe Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 234. 366 Ständige Rechtsprechung seit BAG, 5. 12. 1957, 1 AZR 594/56, NJW 1958, S. 516 ff. 367 Vgl. Buchner, NZA 1991, S. 577 (578 f) m.w.N. 368 BAG, 7. 6. 1984, 2 AZR 270/83, NJW 1985, S. 645 (645) m.w.N. 369 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 261. 370 Die Rspr. gebrauchte diesen Begriff erstmals in BAG, 22. 9. 1961, 1 AZR 241/60, NJW 1962, S. 74 (75). 371 Dazu Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 380.
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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verbot. Die einzige Rechtsfolge besteht darin, dass der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag mit einem Arbeitnehmer, der im Bewerbungsgespräch auf eine unzulässige Frage hin die Unwahrheit gesagt hat, nicht gemäß § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung anfechten kann.372 Rechtstechnisch wird dies dadurch erreicht, dass das Merkmal der Widerrechtlichkeit in § 123 Abs. 1 BGB von der Variante der widerrechtlichen Drohung auf die Variante der arglistigen Täuschung ausgedehnt und wegen des Rechts zur Lüge sodann verneint wird, wenn sich aus der Abwägung die Rechtswidrigkeit der Frage ergibt.373 Die irrationale Auswahlentscheidung bleibt wegen der Abschlussfreiheit somit weiterhin rechtmäßig, die Erhebung von Informationen für eine irrationale Entscheidung auf der vorausgehenden Stufe ist jedoch rechtswidrig. Dies wird zwar teilweise als wertungswidersprüchlich angeprangert,374 jedoch überwiegend als alternativlos gesehen.375 Denn sowohl die Einräumung eines Rechts auf Arbeit als auch ein schrankenloses Fragerecht könnten letztlich nicht überzeugen. Schließlich muss man erkennen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Bereich des Fragerechts durchaus eine teilhaberechtliche Wirkung hat, die über den reinen Integritätsschutz hinausgeht. Denn das Recht zur Lüge ermöglicht es dem Arbeitnehmer, seine Chancen auf Erhalt des Arbeitsplatzes faktisch erheblich zu steigern. Eine teilhaberechtliche Funktion hat die Einschränkung des Fragerechts jedoch nicht.376 cc) Der Schutz vor Benachteiligungen bei der Einstellung Bei der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Diskriminierungsschutzes wurden bereits die beiden Urteile des BAG vom 14. 3. 1989 erwähnt, in denen das Gericht den Diskriminierungsschutz des § 611a BGB a.F. als Persönlichkeitsrechtsschutz angesehen und § 823 Abs. 1 BGB im Falle der Benachteiligung zweier Bewerberinnen angewandt hat.377 Da dies einen zentralen Punkt dieser Arbeit betrifft, wird hierauf später umfassend eingegangen.
372
Vgl. Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 237. Siehe BAG, 6. 2. 2003, 2 AZR 621/01, NZA 2003, S. 848 (848); MüKo-BGB/Kramer, 2006, § 123 BGB, Rn. 10; Hofmann ZfA 1975, S. 1 (59 ff); alternativ wird auch vertreten, dass in einem solchen Fall keine Arglist vorliegt, vgl. Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/ Buchner, 2009, § 30, Rn. 376 m.w.N. 374 Leipold, AuR 1971, S. 161 (163 ff) stützt auf diesen seiner Ansicht nach unlösbaren Wertungswiderspruch seine Argumentation, die in der Annahme eines besonderen Persönlichkeitsrechts auf sachangemessene Beurteilung mündet. 375 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 236. 376 Vgl. dazu noch ausführlich unten 3. Kap. B. VI. 2. b). 377 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. d) bb). 373
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
b) Der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz im bestehenden Arbeitsverhältnis Wesentlich weiter als im außervertraglichen Bereich geht der Persönlichkeitsschutz im bestehenden Arbeitsverhältnis. Neben rein integritätswahrenden Regelungen wird hier durch einige vom BAG entwickelte Rechtsinstitute auch der dynamische, nach Entfaltung strebende Teil des Persönlichkeitsrechts geschützt. aa) Integritätsschützende Regelungen Von den zahlreichen Regelungen, die die Integrität des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Arbeitsverhältnis schützen, seien hier nur einige beispielhaft genannt:378 – Den Arbeitnehmern steht die Gestaltung ihrer Freizeit und ihres Privatlebens grundsätzlich völlig frei.379 Auch wenn dem Arbeitgeber die privaten Aktivitäten seiner Arbeitnehmer missfallen, darf er hieran keine nachteiligen Konsequenzen knüpfen.380 Die Arbeitnehmer müssen bei ihrem außerdienstlichen Verhalten lediglich in gewissem Umfang sicherstellen, dass dieses keinen negativen Einfluss auf die Arbeitsleistung hat.381 Letzteres wird freilich äußerst selten angenommen, wie etwa die Rechtsprechung des BAG zu den gefährlichen Freizeitsportaktivitäten zeigt.382 In aller Regel überwiegt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. – Ihr äußeres Erscheinungsbild (Kleidung; Haartracht; Körperpflege etc.) bestimmen die Arbeitnehmer grundsätzlich in freier Entscheidung. Dies folgt aus ihrem Persönlichkeitsrecht.383 Zwar kann die Einführung einer Kleiderordnung oder in bestimmten Berufen auch weitergehende Vorgaben zulässig sein, jedoch immer nur unter strenger Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht.384 – Die Überwachung der Arbeitnehmer ist zur Verhinderung von Straftaten einerseits unerlässlich, gehört aus persönlichkeitsrechtlicher Sicht aber zu einem der sensibelsten Bereiche des Arbeitsrechts.385 Dies belegt bereits das erhebliche mediale 378
Eine umfassende Übersicht findet sich etwa bei ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 79 ff, der auch die nachfolgenden Beispiele entstammen; vgl. auch Ehmann, FS Wiese, S. 99 (116 ff); Thees, S. 257 ff. 379 Thees, S. 317 ff. 380 ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 81. 381 ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 80. 382 Siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Moll/Kolvenbach/Glaser, 2009, § 22, Rn. 38 ff. 383 ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 80; Thees, S. 307 f. 384 Siehe ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 80; hiernach ist es beispielsweise unzulässig, Polizeibeamten nur Haare in Schulterlänge zu erlauben, BVerwG, 2. 3. 2006, 2 C 3/05, NVwZRR 2007, S. 781 ff. 385 ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 97.
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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Interesse an öffentlich gewordenen Fällen von heimlichen Videoüberwachungen, etwa bei einer großen Supermarktkette.386 Das latente Gefühl andauernder Beobachtung beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht erheblich.387 Hinzu kommt, dass mit fortschreitender Technisierung der Arbeitsplätze eine immer lückenlosere Überwachung möglich wird.388 Das Arbeitsrecht reagiert hierauf zunächst mit Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates bei der Einführung von Kontrollmaßnahmen, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gewährleisten sollen.389 Zudem hat die Rechtsprechung konkrete Fallgruppen entwickelt, die die Gewichtung der Interessen bei der erforderlichen Abwägung deutlich machen.390 – Der Schutz vor (sexuellen) Belästigungen am Arbeitsplatz wurde seit jeher als klassischer Persönlichkeitsrechtschutz betrachtet.391 Betroffen ist das Ehr- und Schamgefühl des Belästigten. Einen umfassenden Schutz bot bis zum Inkrafttreten des AGG das Beschäftigtenschutzgesetz.392 Neuerdings ordnen die §§ 3 Abs. 3 und 4 AGG an, dass eine (sexuelle) Belästigung eine Benachteiligung im Sinne des AGG darstellt. Obgleich sich hier bereits die Schlussfolgerung anbietet, dass es dann auch bei den übrigen Benachteiligungsformen (§§ 3 Abs. 1 und 2 AGG) im Ergebnis um Persönlichkeitsrechtsschutz gehen muss, ist doch nicht zu verkennen, dass (sexuelle) Belästigungen im Vergleich zu diesen Benachteiligungsformen strukturell anders geartete Benachteiligungen darstellen.393 Das Unrecht liegt bei Belästigungen re386 Der Stern hatte im März 2008 aufgedeckt, dass der Discounter Lidl systematisch Mitarbeiter bespitzelt hatte. Dem Magazin lagen mehrere hundert Seiten interner Lidl-Protokolle vor, in denen jeweils mit Tag und Uhrzeit notiert worden war, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gingen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis hatte, wer nach Ansicht der Überwacher unfähig war oder einfach nur ”introvertiert und naiv wirkte”; vgl. http://www.stern.de/wirtschaft/news/unternehmen/ueberwachungsskandal-lidl-gibt-bespitze lung-zu-615031.html und zu den rechtlichen Aspekten des Falles den Aufsatz von Oberwetter, NZA 2008, S. 609 ff. 387 ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 97; BAG 7. 10. 1987, 5 AZR 116/86, NZA 1988, S. 92 (92); BAG, 29. 6. 2004, 1 ABR 21/03, NZA 2004, S. 1278 (1281). 388 Damit gemeint sind nicht nur gezielt zur Kontrolle eingesetzte Vorrichtungen (z. B. Kameras; Stempeluhren). Vielmehr werden auch mittels zur Arbeit benötigtem technischem Gerät persönlichkeitsrelevante Daten gesammelt (z. B. Computer, Telefon, Fax), siehe ErfK/ Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 97 ff; zur Nutzung neuer Kommunikationstechniken bei der Mitarbeiterüberwachung, siehe Oberwetter, NZA 2008, S. 609 ff. 389 Siehe Richardi, 2010, § 87 BetrVG, Rn. 480; Ehmann, FS Wiese, S. 99 (111 ff); die Missachtung eines Mitbestimmungstatbestandes soll nach Ansicht des BAG aber nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der erzielten Kontrollergebnisse im (Kündigungs-) Prozess führen, siehe BAG, 13. 12. 2007, 2 AZR 537/06, NZA 2008, S. 1008 (1010 ff); andererseits kann sich aus der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbst ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot ergeben, siehe Lunk, NZA 2009, S. 457 ff. 390 Siehe ausführlich ErfK/Schmidt, 2011, Art. 2 GG, Rn. 98 m.w.N.; vgl. zur Zulässigkeit vorbeugender Torkontrollen nach dem neuen BDSG, Joussen, NZA 2010, S. 254 ff. 391 Wiese, ZfA 1971, S. 273 (297); ErfK/Preis, 2011, § 611 BGB, Rn. 623; Thees, S. 322 ff. 392 Vgl. dazu Worzalla, NZA 1994, S. 1016 ff. 393 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 3 AGG, Rn. 51 f betrachtet §§ 3 Abs. 3 und 4 AGG als „systemwidrig“.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
gelmäßig in der Handlung selbst, nicht im Vergleich zu anderen Handlungen.394 Belästigungen sind per se verboten, während die Verweigerung einer Einstellung oder Beförderung für sich betrachtet zweifellos erlaubt ist. Wenn der Arbeitgeber sich zur Ausschreibung einer Stelle entscheidet, dann darf er Bewerber mit bestimmten persönlichen Merkmalen allerdings nicht aufgrund dieser Merkmale anders behandeln als die übrigen Bewerber. Eine teilhaberechtliche Dimension hat der Schutz vor Belästigungen demnach nicht; auch nicht in der Form einer bloßen teilhaberechtlichen Wirkung. Es geht um reinen Integritätsschutz, so dass ein privatrechtliches Verständnis hier wesentlich leichter fällt als im Rahmen der §§ 3 Abs. 1 und 2 AGG.395 – Ebenfalls mit einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet die Rechtsprechung Ansprüche gemäß § 1004 BGB analog auf Entfernung eines rechtswidrigen Eintrags (etwa einer rechtswidrigen Abmahnung) aus der Personalakte.396 Dabei betont sie die Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens durch einen solchen Eintrag.397 Der Beseitigungsanspruch soll dennoch nicht der Rechtskreiserweiterung dienen. Durch ihn wird dem Arbeitgeber keinesfalls befohlen, dem Arbeitnehmer zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu verhelfen. Es wird ihm lediglich verboten, der (aus eigener Kraft zu bewirkenden) Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers im Weg zu stehen. Deshalb handelt es sich auch hier um Integritätsschutz. bb) Entfaltung und Teilhabe Anders als im außervertraglichen Bereich wird im bestehenden Arbeitsverhältnis die dynamische Seite des Persönlichkeitsrechts in vielerlei Hinsicht bedeutsam. Hier sind echte Leistungspflichten des Arbeitgebers anerkannt, die auf Förderung der Persönlichkeitsentfaltung und somit auf Rechtskreiserweiterung zielen: – Das prominenteste Beispiel hierfür ist der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Ihn hatte das BAG bereits in seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1955 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Dort398 heißt es: „Die Achtung und Anerkennung des Arbeitnehmers als Mensch beruht auch nicht nur auf dem wirtschaftlichen Wert seiner Leistung (die Höhe des Gehaltes), sondern weitgehend darin, wie er die ihm obliegenden Aufgaben erfüllt. Gerade das gibt ihm im Bereich des Arbeitslebens maßgeblich seine Würde als Mensch. Deshalb muss der Arbeitgeber […] vor allem auch auf Grund der jedermann aus Art. 1 und 2 GG obliegenden Verpflichtung […] alles unterlassen, was die Würde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen kann. Eine solche Beeinträchtigung beider Grundrechtspositionen 394 Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 99; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 3 AGG, Rn. 52. 395 Dazu unten 3. Kap. B. VI. 396 BAG, 27. 11. 2008, 2 AZR 675/07, NZA 2009, S. 842 (843) m.w.N. 397 Vgl. die Nachweise bei Thees, S. 301 ff. 398 BAG, 10. 11. 1955, 2 AZR 591/54, NJW 1956, S. 359 (360).
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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bedeutet es aber, wenn einem Arbeitnehmer zugemutet wird, nicht nur vorübergehend, sondern womöglich jahrelang sein Gehalt in Empfang zu nehmen, ohne sich in seinem bisherigen Beruf betätigen zu können. Das würde auf einen Zwang zum Nichtstun hinauslaufen und den betroffenen Arbeitnehmer nicht mehr als vollwertiges Glied der Berufsgemeinschaft und der Gesellschaft überhaupt erscheinen lassen. […] Im übrigen würde der Arbeitnehmer […] gehindert werden, sich weiter beruflich zu betätigen, sich seine beruflichen Fähigkeiten zu erhalten und fortzubilden, d. h. er würde gehindert sein, seine Persönlichkeit zu entfalten“.
Demnach bejahte das Gericht einen Leistungsanspruch gerade deshalb, weil es eine Pflicht des Arbeitgebers zur Förderung der Selbstentfaltung der Arbeitnehmer annahm.399 Nicht nur der Status quo muss danach erhalten werden, sondern geschuldet ist auch die Erweiterung des Rechtskreises der Arbeitnehmer, und zwar nicht nur in vermögensmäßiger Hinsicht (Lohnzahlung), sondern gerade auch in persönlicher (Fortbildung). Diese Rechtsprechung erfuhr überwiegend Zustimmung.400 Vereinzelt wurde gegen das Heranziehen der Art. 1 und 2 GG jedoch eingewandt, dass sich aus dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur Eingriffsverbote und Unterlassungspflichten, nicht aber Pflichten zu positiven Förderungshandlungen ergeben könnten.401 Der Große Senat des BAG hielt dennoch an der Herleitung des Beschäftigungsanspruchs aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fest. Er fügte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1985 jedoch hinzu, dass, vermittelt über die nebenvertragliche Pflicht des Arbeitsgebers zur Fürsorge, sich die Verpflichtung zur Berücksichtigung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG ergebe.402 Mithin wurde der Schutz der dynamischen Seite des Persönlichkeitsrechts auf das bestehende Vertragsverhältnis beschränkt.
399 Vgl. auch MüKo-BGB/Müller-Glöge, 2009, § 611 BGB, Rn. 973: „Den Arbeitgeber trifft die Pflicht, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, weil dies der Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (Art. 1, 2 GG) erfordert […]. Dem Arbeitnehmer darf nicht die Möglichkeit genommen werden, seine Persönlichkeit in der Arbeitsleistung zu entfalten“. 400 Vgl. die Nachweise in BAG, GS, 27. 2.1985, GS 1/84, AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14. 401 Lepke, DB 1971, S. 478 (479); aus heutiger Zeit: Weber/Weber, RdA 2007, S. 344 (347); vgl. auch Heinze, DB 1985, S. 111 ff. 402 BAG, GS, 27. 2.1985, GS 1/84, AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14; Gleichzeitig lehnte es das BAG jedoch entgegen einer zuvor in der Literatur vertretenen Ansicht (siehe Kraft, ZfA 1979, S. 123 [132]; Lepke, DB 1971, S. 478 [480]) ab, nur bei einem besonderen Interesse des Arbeitnehmers einen Beschäftigungsanspruch zu bejahen. Dieser stehe vielmehr jedermann zu. Darauf, ob der Arbeitnehmer eine höhere oder geringerwertige Arbeit verrichte, ob er für seine Arbeit eine spezielle Vor- oder Ausbildung benötige oder nicht, könne es nicht ankommen. Ebenso wenig könne der Beschäftigungsanspruch davon abhängig gemacht werden, ob im Einzelfall ein faktisches Interesse des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung bestehe und ob sich die vertragsgemäße Arbeitsleistung nach dem subjektiven Empfinden des Arbeitnehmers als Last und Bürde oder als sinnvolle Entfaltung seiner Persönlichkeit darstelle.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
– Während die Rechtsprechung zum Beschäftigungsanspruch von vornherein für die gesamte Dauer des Arbeitsvertrages galt und somit auch das ordentlich gekündigte Arbeitsverhältnis vor dem Ablauf der Kündigungsfrist umfasste, dehnte das BAG seine Rechtsprechung später auch auf den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist aus. Aus dem durch die Fürsorgepflicht vermittelten Persönlichkeitsrecht ergebe sich eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer über den Kündigungszeitpunkt hinaus weiter zu beschäftigen, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam sei oder der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage in erster Instanz obsiegt habe und das Verfahren in einer höheren Instanz noch anhängig sei.403 – Obwohl ein Recht auf Arbeit im Sinne einer ermessensgebundenen Auswahlentscheidung bei externen Bewerbern vom BAG und der herrschenden Literaturansicht seit jeher abgelehnt wurde, hat das Gericht dies bei betriebsangehörigen Bewerbern vereinzelt anders beurteilt.404 Gemeint sind insbesondere Auswahlentscheidungen bei der Übernahme von Auszubildenden und befristet Beschäftigten. Das BAG hat etwa entschieden, dass der Arbeitgeber aufgrund der Fürsorge- und Treuepflicht einem Auszubildenden nicht aufgrund sachfremder oder willkürlicher Gründe die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis verweigern dürfe.405 Im Ergebnis läuft diese Rechtsprechung auf eine gebundene Ermessensentscheidung hinaus.406 – Über § 242 BGB sowie die nun in § 241 Abs. 2 BGB verankerte Fürsorgepflicht ergeben sich noch zahlreiche weitere Beseitigungs-, Unterlassungs- und Leistungsverpflichtungen des Arbeitgebers, bei denen es im Kern um den Schutz der persönlichen Entfaltungsfreiheit geht. Insbesondere die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erscheint vielen als taugliche Grundlage für Förderungs- und Teilhabegewährungsansprüche. Auf sie wird nicht nur der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt,407 sondern auch diverse Auskunftsansprüche.408 Ferner wurde der Wiedereinstellungsanspruch bei Änderung der Umstände, die zu einer Kündigung geführt haben, von der Rechtsprechung aus der Fürsorgepflicht hergeleitet.409 Nach Thees dient die Fürsorgepflicht innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses als „Medium der Durchsetzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers gegenüber
403
BAG, GS, 27. 2.1985, GS 1/84, AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14. Vgl. die Nachweise bei Thees, S. 70 und 250. 405 BAG, 5. 4.1985, 2 AZR 513/82, NZA 1985, S. 329 (330 f). 406 Thees, S. 250. 407 Freilich nur als einer von mehreren Begründungsansätzen, siehe oben 2. Kap. A. II. 1. b). 408 Vgl. Thees, S. 94 f. 409 BAG, 27. 2. 1997, 2 AZR 160/96, NZA 1997, S. 757 (758 ff); ebenso Mathern, NJW 1996, S. 818 (821); Oberhofer, RdA 2006, S. 92 (93), der lediglich den Begriff der Fürsorgepflicht für „veraltet“ hält und stattdessen von einer „Interessenwahrungspflicht“ sprechen will; BAG, 28. 6. 2000, 7 AZR 904/98, NZA 2000, S. 1097 (1099): „vertragliche Nebenpflicht aus dem noch fortbestehenden Arbeitsverhältnis“; krit. zur Herleitung aus der Fürsorgepflicht Raab, RdA 2000, S. 147 (149); vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen auch Küttner/Kania, 2010, Wiedereinstellungsanspruch, Arbeitsrecht, Rn. 2. 404
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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dem Arbeitgeber“410. Im Arbeitsverhältnis bewirke sie neben dem Integritätsschutz auch die Pflicht zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung. – Zur Begründung der dynamischen Wirkung des Persönlichkeitsrechts im bestehenden Arbeitsverhältnis wird mitunter auch § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG herangezogen. Die Norm enthält zwar wie auch § 75 Abs. 1 BetrVG unmittelbar nur Amtspflichten von Betriebsrat und Arbeitgeber. Ihr Inhalt ist nach Ansicht des BAG mit der Fürsorgepflicht jedoch identisch. Gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.411 In der Norm sind mithin beide Komponenten des Persönlichkeitsrechts angesprochen. Der Arbeitgeber muss im bestehenden Arbeitsverhältnis einerseits Eingriffe in die Integrität der Arbeitnehmerpersönlichkeiten unterlassen (statische Komponente). Er soll darüber hinaus aber auch aktiv werden und die Erweiterung des Rechtskreises der Arbeitnehmer fördern (dynamische Komponente).412 c) Stellungnahme Im Arbeitsrecht gibt es somit zahlreiche Bereiche, in denen das Persönlichkeitsrecht von Rechtsprechung und Literatur zur Begründung von Ansprüchen herangezogen wird. Auch im Arbeitsrecht liegt der Fokus zunächst auf der abwehrrechtlichen Dimension des Persönlichkeitsrechts. Allerdings finden sich im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses auch einige aus dem Persönlichkeitsrecht hergeleitete Ansprüche, die auf Entfaltung und Rechtskreiserweiterung zielen. Dies erscheint mit dem eingangs beschriebenen Privatrechtsverständnis insoweit konform zu gehen, als der Vertrag die dynamische, auf Güteraufstockung gerichtete Seite des Privatrechts verkörpert. Allerdings wurde einleitend auch beschrieben, dass nach klassischem Privatrechtsverständnis allein der Wille des Verpflichteten Legitimationsgrundlage güteraufstockender Leistungspflichten sein kann (Willensdogma). Die genaue Untersuchung, ob hiernach alle soeben beschriebenen Rechtsinstitute und -ansprüche systemkonform eingeordnet werden können oder nicht, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ad hoc erscheint es weitestgehend aber zumindest als möglich, diese Ansprüche rechtsgeschäftlich zu erklären, auch wenn dies in einigen Fällen weniger überzeugend gelingen mag als in anderen. Relativ einfach lässt sich noch der Beschäftigungsanspruch rechtsgeschäftlich verstehen. Wegen der den Parteien im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses 410
Thees, S. 81. Vgl. auch MüKo-BGB/Müller-Glöge, 2009, § 611 BGB, Rn. 296, der die Fürsorgepflicht als besondere Ausgestaltung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im bestehenden Arbeitsverhältnis begreift. 412 Ausführlich Hallenberger, S. 83 ff, der die Förderpflicht in § 75 Abs. 2 BetrVG als gegenüber der Eingriffsabwehr selbständiges „neues und eigenes Element“ betrachtet. 411
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
zweifellos bekannten Bedeutung der tatsächlichen Erbringung der Arbeitsleistung für den Arbeitnehmer kann man mit Adomeit413 sicherlich den Schluss ziehen: „Die Leistung, die der Arbeitgeber mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages verspricht, ist nicht so sehr, Geld zu zahlen, sondern Arbeit zu geben. Man nimmt den Arbeitgeber erst richtig ernst, wenn man von ihm verlangt, was sein Begriff besagt: zu beschäftigen“. Konsequenterweise nimmt die herrschende Meinung dann auch an, dass der Beschäftigungsanspruch rechtsgeschäftlich abdingbar ist.414 Wesentlich schwieriger gestaltet sich schon eine rechtsgeschäftliche Herleitung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs.415 Beim speziellen Weiterbeschäftigunganspruch aus § 102 Abs. 5 BetrVG handelt es sich sicherlich um eine heteronome Anordnung des Gesetzgebers und um keinen Akt privatautonomer Rechtsetzung. Gleiches wird man für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch annehmen müssen. Beide Ansprüche zielen darauf, die Einhaltung kündigungsrechtlicher Vorschriften sicherzustellen und einen vorläufigen Bestandsschutz zu gewährleisten. Es geht darum, dass die Ungewissheit über die Rechtswirksamkeit der Kündigung keinen Grund darstellen soll, eine Beschäftigung zu verweigern, damit der Arbeitnehmer im Falle seines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess auch tatsächlich seinen Arbeitsplatz behält und nicht durch die zwischenzeitliche Besetzung seines Arbeitsplatzes vor vollendete Tatsachen gestellt wird.416 Zu einem gewissen Grad ist aber selbst hier ein rechtsgeschäftliches Verständnis möglich. Geht es beim Weiterbeschäftigungsanspruch darum, den Beschäftigungsanspruch trotz Bestehens einer rechtsunsicheren Lage zu erhalten, so geht es doch auch darum, den Arbeitgeber weiterhin an seinem im Vertragsschluss enthaltenen Versprechen festzuhalten, den Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsvertrages zu beschäftigen. Die Unsicherheit, ob ein Vertrag noch besteht, soll dabei nicht zulasten des Arbeitnehmers gehen. Rechtsgeschäftlich kaum zu begründen ist meines Erachtens die teilweise vorgenommene Einschränkung der Auswahlfreiheit bezüglich betriebsinterner Bewerber. Warum der Arbeitgeber dann, wenn er einmal einen Vertrag mit einem Auszubildenden oder befristet Beschäftigten geschlossen hat, bei der späteren Übernahmeentscheidung aufgrund des Persönlichkeitsrechts an sachangemessene Kriterien gebunden sein soll, leuchtet nicht ein. Eine solche Bindung kann man nach rechtsgeschäftlichem Verständnis nur dort annehmen, wo bei der Einstellungsentscheidung (ausdrücklich oder konkludent) vereinbart wurde, dass etwa im Falle einer anstandslosen Arbeitserbringung oder eines tadellosen Ausbildungsverhaltens während des Befristungs- bzw. Ausbildungszeitraums eine spätere Übernahme erfolgen wird.417 In diesem Fall kann, wenn nicht sogar bereits eine bedingte Über413 414 415 416 417
Adomeit, NJW 1986, S. 901 (901). Weber/Weber, RdA 2007, S. 344 (346) m.w.N. in Fn. 28. Adomeit, NJW 1986, S. 901 (902) hält dies für unmöglich. Richardi/Thüsing, 2010, § 102 BetrVG, Rn. 201 ff. So nun auch BAG, 13. 8. 2008, 7 AZR 513/07, NZA 2009, S. 27 (28).
B. Die Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes
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nahmevereinbarung vorliegt, angenommen werden, dass der Arbeitgeber sich zur Anlegung sachangemessener Maßstäbe bei der späteren Übernahmeentscheidung verpflichtet hat.418 Wann ein solches Versprechen vorliegt, kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Eine generelle Bindung an sachangemessene Maßstäbe gegenüber betriebs- bzw. unternehmensinternern Bewerbern erscheint jedoch privatrechtlich kaum begründbar.419 Einfacher ist wiederum ein privatautonomes Verständnis des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Zwar ist durchaus fraglich, ob das Prinzip, wie teilweise angenommen,420 auf ein konkludentes, jedem Arbeitsvertrag immanentes pauschales Versprechen gestützt werden kann. Sieht man jedoch in der Bindung des Arbeitgebers an eine selbst gesetzte (autonome) Norm den entscheidenden Grund der Verpflichtung,421 so ist eine rechtsgeschäftliche Einordnung fraglos möglich. Allerdings ist es bei einem solchen Verständnis unzulässig, die Gruppenbildung (und somit den autonomen Akt) einer inhaltlichen Kontrolle zu unterziehen,422 was das BAG423 und ihm folgend auch ein Teil der Literatur424 gleichwohl nicht selten tut. Letztlich ist es rechtsgeschäftlich kaum begründbar, die Fürsorgepflicht als pauschale Verpflichtung zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsvertrag zu begreifen.425 Denn dies würde darauf hinauslaufen, die konkrete Auslegung der übereinstimmenden Willenserklärungen durch eine Anwendung des höchst unbestimmten Begriffs der Fürsorge zu ersetzen, womit letztlich jedes beliebige Ergebnis begründet werde könnte.
418 Völlig verfehlt ist deshalb die Entscheidung des BAG vom 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, NZA 1989, S. 719 (722), in der ein Anspruch eines befristet Beschäftigten auf das positive Interesse aus c.i.c. angenommen wurde, weil der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages den Eindruck erweckt hatte, bei guter Arbeitsleistung werde sicherlich eine Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis erfolgen. Dies hat mittlerweile auch das BAG, 26. 4. 2006, 7 AZR 190/05, NJOZ 2007, S. 106 (107 f) erkannt. Näher dazu unten 4. Kap. A. I. 1. b) ff). 419 A.A. Thees, S. 250 sowie 355, der wenig überzeugend davon ausgeht, dass der im Vertragsschluss liegenden Willensübereinstimmung eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers entnommen werden kann. 420 Siehe Buchner, RdA 1970, S. 225 (227). 421 So Fastrich, RdA 2000, S. 65 (71); Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 47. 422 Siehe Fastrich, RdA 2000, S. 65 (71 f); vgl. auch Söllner/Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 210. 423 Etwa BAG, 6. 10. 1993, 10 AZR 450/92, NZA 1994, S. 257 (257): „[Der Arbeitgeber] muß die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, daß kein Arbeitnehmer hiervon aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen bleibt“. 424 Vgl. Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 9, Rn. 24, wonach nicht nur der Normvollzug, sondern auch die Aufstellung der Norm überprüfbar ist. 425 So aber Thees, S. 80 f.
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2. Kap.: Die Entwicklung von Diskriminierungs- und Persönlichkeitsschutz
3. Zusammenfassung Im Arbeitsrecht spielt das Persönlichkeitsrecht eine große Rolle. Allein aufgrund dieses Rechts werden jedoch auch im Arbeitsrecht keine güteraufstockenden Leistungspflichten begründet. Außerhalb des Vertrages sind nur integritätsschützende Regelungen anerkannt. Einige Rechtsinstitute im bestehenden Arbeitsverhältnis werden zwar mit der dynamischen Komponente des Persönlichkeitsrechts begründet. Eine Pflicht zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung kann jedoch in den meisten Fällen rechtsgeschäftlich und somit privatrechtskonform erklärt werden.
3. Kapitel
Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz A. Die Ausgangslage Betrachtet man die im Rahmen des Überblicks über die geschichtliche Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts gefundenen Ergebnisse, so könnte man meinen, dass es mittlerweile herrschende Ansicht sein dürfte, dass es im AGG um Persönlichkeitsschutz geht. Das BAG bezeichnete arbeitsrechtliche Diskriminierungen bereits in seinen Entscheidungen aus dem Jahr 1989 als Persönlichkeitsverletzungen, die gemäß § 823 Abs. 1 BGB Ansprüche auf Zahlung immateriellen Schadensersatzes auslösen können. In der Literatur löste dieser Befund zunächst überwiegend positive Reaktionen1 aus, vereinzelt wurde die Rechtsprechung gar als „Geniestreich“2 gefeiert. Zudem berief sich der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 611a BGB im Jahre 1994 ausdrücklich auf diese Rechtsprechung, die er kodifizieren und gleichzeitig verbessern wollte, indem die hohen Hürden des § 823 Abs. 1 BGB (schweres Verschulden; schwere Persönlichkeitsverletzung) abgesenkt werden sollten.3 Die nachfolgenden Modifikationen der Vorschrift änderten schließlich ihren 1 Beyer/Möllers, JZ 1991, S. 24 (28 f); Schlachter, Anm. zu BAG EzA Nr. 4 und Nr. 5, zu § 611a BGB unter 6.; Pfarr, RdA 1995, S. 204 (209); Treber, DZWir 1998, S. 177 (182 f); Sokol, AuR 1990, S. 393 ff; Brechmann, S. 270: Die Rechtsprechung verdient „höchste Anerkennung“; bzgl. der unmittelbaren Benachteiligung zustimmend Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 149; vorher bereits Eckertz-Höfer, JuS 1987, S. 611 (615): „Diskriminierung ist persönlichkeitsverletzende Benachteiligung“; sowohl das Selbstwertgefühl als auch das Interesse auf Achtung durch andere ist verletzt; ebenso Eisemann, AuR 1988, S. 225 (230 ff); Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 152. 2 Junker, JZ 1994, S. 277 (281). 3 Siehe Schlachter, AP Nr. 13 zu § 611a BGB unter 4., die darauf verweist, dass mit der Neuregelung aus dem Jahr 1994 der Gedanke einer Diskriminierung als Persönlichkeitsrechtsverletzung Gesetz geworden sei; ebenso Treber, DZWir 1998, S. 177 (182); a.A. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 443, der wenig überzeugend den Gesetzesmaterialien des Zweiten Gleichbehandlungsgesetzes entnehmen will, dass der Gesetzgeber lediglich die Rechtsfolgen der BAG-Rechtsprechung, nicht aber den Tatbestand der Persönlichkeitsrechtsverletzung kodifizieren wollte. Dabei verweist Franzen auf eine Passage in den Gesetzesmaterialien, in der es ausdrücklich heißt, dass die Gesetzesänderung den „Lösungsansatz“ des BAG aufgreift (BTDrucks. 12/5468, S. 44). Auch wenn in dieser Passage nicht nochmals ausdrücklich auf den Tatbestand einer Persönlichkeitsrechtsverletzung verwiesen wird, so liegt es doch sehr nahe, dass mit „Lösungsansatz“ mehr als nur die schlichte Rechtsfolge gemeint war. Zudem wird an anderer Stelle in der Begründung (S. 18) die Rechtsprechung des BAG mit Tatbestand (Diskriminierung als Persönlichkeitsrechtsverletzung) und Rechtsfolge (Ersatz des immateriellen
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Regelungscharakter nicht mehr. Die Neufassung von § 611a BGB im Jahr 1998 sollte lediglich die EuGH-Vorgaben aus Draehmpaehl bezüglich des Verschuldenserfordernisses sowie der (unzulässigen) Haftungshöchstgrenze umsetzen. Und im AGG wurde schließlich § 611a BGB als Vorbild genommen, um den Diskriminierungsschutz auf die durch die neuen Richtlinien hinzugekommenen Merkmale auszudehnen. Demnach verwundert es kaum, dass einige Autoren das Verbot von Diskriminierungen im AGG als Element des Persönlichkeitsschutzes betrachten.4 Ein Verständnis des Diskriminierungsschutzes als Persönlichkeitsschutz würde auch der im öffentlichen Recht vertretenen Ansicht Salzwedels entsprechen, der die Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 3 GG als konkretisierten Persönlichkeitsschutz begreift.5 Ist mithin alles geklärt und das AGG ein Persönlichkeitsschutzgesetz? Mitnichten. Auch wenn zunächst vielfach Zustimmung herrschte, mehrten sich im Laufe der Jahre die Stimmen, die die genannten Entscheidungen des BAG als dogmatisch verfehlt ablehnten6 oder zumindest als mit der Neufassung von § 611a BGB durch das Zweite Gleichbehandlungsgesetz überholt7 ansahen. Vielfach wird auch in aktuellen AGG-Kommentaren die Ansicht vertreten, das Gesetz lasse sich mit einem Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht, zumindest nicht ausschließlich erklären.8 In der Kommentarliteratur herrscht zudem die Meinung vor, dass es einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bzw. der Feststellung eines immateriellen Schadens für Ansprüche aus § 15 AGG nicht bedürfe.9 Schadens bei schweren Verletzungen und schwerem Verschulden) dargestellt und der gesetzliche Regelungsbedarf damit begründet, dass die Einschränkungen auf Rechtsfolgenseite ungenügend seien, nicht aber damit, dass der tatbestandliche Lösungsansatz unbefriedigend sei. Folglich ist Schlachter und Treber zuzustimmen. 4 Etwa Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 46: „Diskriminierungen stellen im Allgemeinen Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar“ sowie Rn. 47: „Der Anspruch [aus § 15 Abs. 2 AGG] ist ein solcher wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung“; i.E. ebenso ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 6; KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 27; Erman/ Belling, 2008, § 15 AGG, Rn. 7; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 32; aus der Diskussion vor Inkrafttreten des Gesetzes: v. Koppenfels, WM 2002, S. 1489 (1492): „Das Diskriminierungsverbot ist ein Unterfall des Verbots der Verletzung von Persönlichkeitsrechten“. 5 Siehe oben 2. Kap. A. I. 6 Wiese, JuS 1990, S. 357 ff; Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB; Volmer, BB 1997, S. 1582 ff; Herrmann, ZfA 1996, S. 19 ff; Kandler, S. 149 ff; Annuß, NZA 1999, S. 738 (741); Staudinger/ ders., 2005, § 611a BGB, Rn. 80; Thees, S. 51 f; Ehmann/Emmert, SAE, 1997, S. 253 (257); Müller, JA 2000, S. 119 (122); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 435 ff. 7 Möller, S. 219: „obsolet“; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 442 f: „entbehrlich“; Nicolai, AGG, Rn. 571: Die „aus der Not geborene Lösung [hat sich] erledigt“. 8 Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 2; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 9; in diese Richtung auch HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 14. 9 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 58; Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 29; Rust/Falke/Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 34; unklar Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG: In Rn. 47 bezeichnet Deinert den Entschädigungsanspruch als Anspruch „wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung“. In Rn. 51 vertritt er die Ansicht, dass alleine die
A. Die Ausgangslage
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Scheinbar bestärkt wird diese Ansicht durch eine grundlegende Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2009, in der das Gericht bereits im Leitsatz feststellte: „Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch wegen eines erlittenen Nichtvermögensschadens nach § 15 Absatz 2 AGG ist nicht, dass der Arbeitnehmer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 i.V.m. § 1 AGG ist grundsätzlich das Entstehen eines immateriellen Schadens beim Arbeitnehmer anzunehmen, der zu einem Entschädigungsanspruch führt“10.
Der Leitsatz verblüfft. Woran soll der immaterielle Schaden „grundsätzlich“ entstehen können, wenn eine Persönlichkeitsrechtsverletzung von der Norm nicht vorausgesetzt wird? In ersten Besprechungen wurde das Urteil dann auch als Bewegung des BAG in Richtung des Rechtsinstituts der punitive damages gedeutet.11 Ist damit alles geklärt und das AGG mithin ein Gesetz zur Bestrafung des Arbeitgebers?12 Bei der Lektüre der Entscheidungsgründe des BAG-Urteils kommen wiederum Zweifel auf. Anders als im Leitsatz ist dort13 nicht mehr die Rede davon, dass es gar keiner Persönlichkeitsrechtsverletzung mehr bedarf, sondern lediglich davon, dass „§ 15 Absatz 2 AGG eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Weise einer ,Herabwürdigung‘ des Beschäftigten nicht voraussetzt [und] der Eintritt eines immateriellen Schadens […] nicht zwingend eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus[setzt], jedenfalls nicht in der Weise, dass es zu einer Herabwürdigung der Person gekommen sein muss“.
Bedarf es nun gar keiner Persönlichkeitsrechtsverletzung mehr oder nur keiner erheblichen, herabwürdigenden Persönlichkeitsrechtsverletzung, wie sie im Rahmen des § 823 Absatz 1 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG vom BGH in ständiger RechtspreBenachteiligung tatbestandliche Voraussetzung sei und es insbesondere keines immateriellen Schadens bedürfe. A.A. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 8, der für die Bejahung eines Anspruchs gemäß § 15 Abs. 2 AGG die Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung verlangt, wobei die „Schwelle so niedrig nicht“ sei. Der Beschäftigte müsse „herabgewürdigt“ werden, ihm müssten sachwidrig die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme am Arbeitsleben einzig auf Grund seines „Soseins“ genommen werden; ebenso Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 75 ff. 10 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (945); bestätigt in BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1131 f). 11 So Reinhard, NJW 2009, S. 3533 (3534); für Adomeit/Mohr, RdA 2011, S. 102 (104) zeugt das Urteil davon, dass es nach der (aus ihrer Sicht unzutreffender) Ansicht des BAG im AGG „nicht nur um den Schutz des einzelnen Beschäftigten, sondern zusätzlich um überindividuelle Gerechtigkeits- oder ökonomische Verteilungsziele [geht], weshalb eine unzulässige Diskriminierung nicht allein bei einer konkret-individuellen Benachteiligung, sondern auch bei einem Zustand bejaht wird, der ohne das Vorliegen einer konkret-individuellen Benachteiligung als gesamtgesellschaftlich oder ökonomisch nachteilig angesehen wird“. 12 In diese Richtung etwa Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 2. 13 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951 f) – Hervorhebungen durch den Verfasser.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
chung14 gefordert wird? Die Unsicherheit des BAG wird auch daran deutlich, dass sich das Gericht eine Hintertür offen gelassen hat, um im Einzelfall von dem apodiktisch wirkenden Leitsatz abweichen zu können: „Ob in bestimmten Ausnahmefällen ein immaterieller Schaden und damit ein Entschädigungsanspruch zu verneinen ist, weil die Benachteiligung so geringe Auswirkungen hat, dass die Zahlung einer Entschädigung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Benachteiligung steht, brauchte im Streitfalle nicht entschieden zu werden, weil ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Absatz 2 AGG – wenn überhaupt – nur in ganz eng umrissenen Ausnahmefällen in Betracht kommen könnte und ein solcher nicht vorliegt“15.
Eine (Aus-)Wirkung setzt ein Bezugsobjekt voraus und bei diesem kann es sich nur um die geschützte Rechtsposition selbst handeln. Mithin soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob das Persönlichkeitsrecht nicht doch als im AGG geschütztes Substanzrecht in Betracht kommt und inwieweit ein privatrechtskonformes Verständnis der Regelungen möglich ist16.
B. Die Einwände gegen ein Verständnis des Diskriminierungsschutzes als Persönlichkeitsrechtsschutz Versucht man die zahlreichen und mitunter diffus vorgetragenen Einwände gegen die Annahme, durch den arbeitsrechtlichen Teil des AGG werde das allgemeine Persönlichkeit konkretisiert, zu ordnen, so ergeben sich im Wesentlichen sechs Kritikpunkte:17 Zunächst wird eingewandt, dass bei mittelbaren Benachteiligungen, bei Benachteiligungen aus paternalistischen Motiven sowie bei Benachteiligungen am Rande der Rechtfertigung ganz regelmäßig kein herabwürdigendes Verhalten und somit keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliege (I.). Zweitens wird eingewandt, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung könne wegen der uferlosen Weite dieses Rechts ohne eine umfassende Interessensabwägung gar nicht festgestellt werden (II.). 14
Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951 f) – Hervorhebung durch den Verfasser; dies begrüßen Adomeit/Mohr, RdA 2011, S. 102 (Fn. 24): „immerhin […].“ 16 Wobei hier nochmals zu betonen ist, dass die Einordnung des geschützten Substanzrechts als Persönlichkeitsrecht nahe liegend, aber für ein privatrechtliches Verständnis keinesfalls zwingend ist. Für die Frage der Privatrechtskonformität ist vielmehr entscheidend, ob die Struktur des Substanzrechts und die erfolgte Ausgestaltung der Schutzrechte den eingangs beschriebenen Kriterien entsprechen, siehe oben Fn. 42 sowie Fn. 209. 17 Eine gute Übersicht der Kritikpunkte findet sich bei Kandler, S. 149 ff. 15
B. Einwände
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Ein dritter Kritikpunkt nimmt die verpönten Merkmale ins Visier: Gehe man von einer in der Zurückweisung liegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung aus, so sei die Beschränkung auf gewisse Merkmale (§ 1 AGG) nicht haltbar, da andere Merkmale einen mindestens ebenso engen Persönlichkeitsbezug hätten (III.). Gleiches gelte, so der vierte Einwand, für die Beschränkung auf den Arbeitsvertrag als Vertragstyp.18 Gehe man davon aus, dass in der Zurückweisung eines Vertragspartners eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liege, so müsse das konsequenterweise für jeden Vertragstyp gelten (IV.). Des Weiteren wird vorgebracht, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei als absolutes Recht gegen jedermann zu verteidigen, bei § 15 AGG (bzw. früher § 611a BGB) handele es sich jedoch um eine bloß gegen den Arbeitgeber gerichtete (vor-) vertragliche Regelung und demnach um keine Konkretisierung des absolut wirkenden Persönlichkeitsrechts (V.). In engem Zusammenhang hierzu steht der sechste Einwand: Sehe man in den Regelungen des AGG eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts, so bekomme dieses absolute Recht systemwidrig eine auf Rechtskreiserweiterung gerichtete Komponente. Das Deliktsrecht diene jedoch lediglich dem Integritätsschutz, also dem Erhalt bereits zugewiesener Rechtsgüter, nicht jedoch der Rechtskreiserweiterung (VI.).
I. Regelmäßig keine Herabwürdigung durch bloße Vertragsverweigerung 1. Kritik: Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung nach herkömmlichen Maßstäben Der erste Einwand lässt sich wie folgt zusammenfassen: In einer Vertragsverweigerung wegen eines bestimmten Merkmals könne zwar im Einzelfall die Zuweisung eines minderen Rangs in der Sozialgemeinschaft und eine Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten liegen, generell deckten die Regelungen des AGG bzw. die Vorgängerregelungen aus § 611a BGB und § 81 SGB IX jedoch auch Fälle ab, in denen das nicht der Fall sei.19 Gemeint sind insbesondere die 18 Der Einwand stammt hauptsächlich aus der Zeit vor Inkrafttreten des AGG. Nun werden heute gemäß §§ 19 ff AGG vereinzelt auch andere Vertragstypen einbezogen. Dennoch hat sich der Einwand hierdurch nicht erledigt. Denn es wurde eingewandt, dass ein persönlichkeitsrechtliches Verständnis nur richtig sein könne, wenn jede vertragliche Zurückweisung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sei. Dies ist aber noch immer nicht der Fall, weil lediglich Massengeschäfte und Versicherungsverträge dem zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot unterfallen, vgl. § 19 AGG. 19 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 8; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 436 f; Annuß, NZA 1999, S. 738 (741); Müller, JA 2000, S. 119 (122); Wiese, JuS 1990, S. 357 (360).
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Fälle der mittelbaren Diskriminierung20 sowie die Fälle, in denen der Arbeitgeber aus paternalistischen Motiven handelt oder einen nachvollziehbaren Sachgrund für die Ungleichbehandlung anführen kann, der jedoch den engen Rechtfertigungsvoraussetzungen (gerade so) nicht genügt. Neuner sieht bei Benachteiligungen zwar die Möglichkeit eines deliktischen Übergriffs als gegeben an. Jedoch werde durch das Unterlassen der Gleichbehandlung grundsätzlich kein Rechtsgut verletzt, insbesondere impliziere eine Vertragsverweigerung keine Persönlichkeitsrechtsverletzung.21 Legt man die herkömmlichen Maßstäbe einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, so ist dies sicherlich zutreffend. Nach diesen Maßstäben können tatsächlich nur die Fälle einer offenen und direkten Diskriminierung aufgrund von Vorurteilen oder gar Hass auf eine bestimmte Volksgruppe eine Würdeverletzung darstellen: Wenn etwa ein Schwarzafrikaner von einem rassistischen Arbeitgeber wegen seiner Hautfarbe nicht eingestellt wird und ihm dies genauso mitgeteilt wird. Wenn ein homophober Vorgesetzter nach dem „Outing“ seines homosexuellen Untergebenen dessen weiteren beruflichen Aufstieg verhindert. Oder wenn eine betagte Empfangsdame in eine weniger repräsentative Abteilung versetzt wird, da sie, so wie sie aussehe, „einfach nicht mehr genug hermache“. In all diesen Fällen werden sich die Arbeitnehmer unmittelbar herabgesetzt und in ihrer Würde verletzt fühlen. Allerdings sind derartige Sachverhalte doch reichlich selten. Ihre Lösung ist insoweit auch nicht sonderlich problematisch. Ausnahmslos alle Autoren erkennen eine zivilrechtliche Reaktion mit Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen auf solche durch Hass und Vorurteile motivierten Ausgrenzungen an.22 Das AGG geht jedoch über die Fälle, die eindeutig als sozial nicht hinnehmbar anerkannt sind, hinaus. Dies zeigen exemplarisch folgende in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle: a) Beispiele aus der Rechtsprechungsgeschichte aa) Benachteiligung aus paternalistischen Gründen LAG Köln, 8. 11. 2000, 3 Sa 974/00, NZA-RR 2001, S. 232 ff: Der Arbeitgeber lehnte eine Bewerberin ab, da auf der zu besetzenden Stelle schwere körperliche Arbeiten zu verrichten waren, die, so der Arbeitgeber im Ablehnungsschreiben, er „von einer weiblichen Angestellten einfach nicht verlangen könne“.
20 Dazu Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 151: „Bei der mittelbaren Diskriminierung ist […] keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzunehmen“. 21 Neuner, Vertragsfreiheit, S. 78. 22 Vgl. v. Medem, S. 59 f m.w.N.
B. Einwände
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Das LAG Köln verneinte eine Rechtfertigung gemäß § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB (heute § 8 Abs. 1 AGG), da das männliche Geschlecht nicht unverzichtbare Voraussetzung der Tätigkeit sei und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung. Müsse an einem Arbeitsplatz wirklich schwere körperliche Arbeit geleistet werden, so liege in der körperlichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers ein Einstellungskriterium, nicht aber per se in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht. Denn „[m]ögen auch Frauen im Allgemeinen körperlich schwächer als Männer sein, so gibt es durchaus auch Frauen, die in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit nicht hinter Männern zurückstehen. Die körperliche Kraft eines Bewerbers kann nicht bereits auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit, sondern nur auf Grund seiner individuellen Konstitution beurteilt werden. Mit anderen Worten: Es gibt auch Frauen, die Fässer von der Laderampe zu den Reaktoren rollen und dort einkippen und an jedem zweiten Tag 50-kg-Säcke mit Chemikalien auf Schultern eine Treppe höher tragen können“23. Ist in einem solchen Fall tatsächlich das Ehrgefühl der abgewiesenen Frau tangiert? Wird ihr Selbstwertgefühl oder ihr soziales Ansehen allein dadurch beeinträchtigt, dass ein Arbeitgeber ihr aus paternalistischen Motiven schwere körperliche Arbeit nicht zumuten will? Eine menschenunwürdige Verachtung oder eine verwerfliche Gesinnung ist hierin in jedem Fall nicht zu sehen. BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, NJW 1990, S. 65 ff: Ganz ähnlich gelagert ist der Sachverhalt im bereits erwähnten „Tierheim“-Fall, in dem das BAG eine Persönlichkeitsrechtsverletzung aufgrund einer ungerechtfertigten Zurückweisung erstmals anerkannt hatte. Zur Erinnerung: In dieser Entscheidung hatte der beklagte Arbeitgeber eine Ersatzkraft für den Spätdienst der Tierannahme gesucht. Der Arbeitgeber betrachtete aus paternalistischen Gründen die Stelle jedoch als zu gefährlich für weibliche Beschäftigte. Auch hier wird man nach herkömmlichem Verständnis zwar sagen müssen, dass der Arbeitgeber vielleicht ein unzeitgemäßes Rollenverständnis gehabt haben dürfte. Eine zur Ehrverletzung führende Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten der Bewerberin kann allein hierdurch jedoch kaum angenommen werden.24
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LAG Köln, 8. 11. 2000, 3 Sa 974/00, NZA-RR 2001, S. 232 (233). Vgl. Thees, Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht S. 244: „Darin [=in der Ablehnung aufgrund paternalistischer Motive] liegt aber keine Herabsetzung der Würde der Frau, was zur Qualifizierung als Ehrverletzung erforderlich wäre, sondern vielmehr das Bestreben des Arbeitgebers, diese Würde zu wahren – sei es auch unter Zugrundelegung eines veralteten Frauenbildes“; ähnlich Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 437; Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (256 f). 24
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
bb) Benachteiligung wegen irrtümlicher Annahme eines ausreichenden Sachgrundes BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 351/86, NJW 1990, S. 67 ff: Auch in der zweiten Entscheidung des BAG vom 14. 3. 1989 erscheint die Annahme einer Herabwürdigung fern liegend.25 Die Arbeitgeberin ging irrtümlich von der Zulässigkeit ihres pädagogischen Konzepts aus und wollte weder die beruflichen Fähigkeiten der Bewerberin allein wegen ihres Geschlechts in Frage stellen noch hatte sie sonstige Vorurteile gegen weibliche Arbeitnehmerinnen. Trotzdem nahm das BAG eine Persönlichkeitsrechtsverletzung an und verneinte lediglich die für § 823 Abs. 1 BGB erforderliche Erheblichkeit der Persönlichkeitsrechtsverletzung und das schwere Verschulden. BAG, 12. 11. 1998, 8 AZR 365/97, NZA 1999, S. 370 ff: Gemäß § 5 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens konnten die Städte und Gemeinden zur Verwirklichung des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung von Frau und Mann „Gleichstellungsbeauftragte“ bestellen. Die Vorschrift verwendete das Wort vorwiegend im Plural, in Absatz 3 war jedoch eindeutig nur „die Gleichstellungsbeauftragte“, also die weibliche Form im Singular, genannt. § 12 der Gemeindeordnung bestimmte dann, dass „die Funktionsbezeichnungen dieses Gesetzes […] in weiblicher oder männlicher Form geführt [werden]“. Eine Gemeinde hatte nun, in scheinbarer Übereinstimmung mit § 5 Abs. 3, lediglich nach einer weiblichen Gleichstellungsbeauftragten gesucht und einen männlichen Bewerber abgelehnt. Nachdem das Landesarbeitsgericht Hamm26 noch entschieden hatte, dass das weibliche Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die Stelle sei, entschied das BAG anders. § 12 zeige, dass die Gemeindeordnung selbst nicht von lediglich weiblichen Gleichstellungsbeauftragten ausgehe. Eine unverzichtbare Voraussetzung sei das Geschlecht auch sonst für diese Stelle nicht, gehe es doch bei der Stelle formal um die Gleichstellung beider Geschlechter.27 Letztlich scheiterte eine Entschädigungszahlung einzig daran, dass der Bewerber eine Beschäftigung bei der Gemeinde in Wirklichkeit gar nicht anstrebte, sondern es ihm einzig um die Erlangung einer Entschädigungszahlung ging. Auch hier war die Gemeinde ersichtlich einem Irrtum erlegen, der sich aus der ungeschickt formulierten gesetzlichen Regelung ergab, und sie wollte keinesfalls dem männlichen Bewerber seine berufliche Würde absprechen oder seine Fähigkeiten grundsätzlich in Frage stellen.
25
Zum Sachverhalt, siehe oben 2. Kap. A. II. 2. d) bb). LAG Hamm Urteil 10. 4. 1997, 17 Sa 1870/96, juris. 27 Anders wegen des auf Frauen zugeschnittenen Stellenprofils des „Gleichstellungsbeauftragten“ BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 ff; siehe auch die Falllösung bei Preis, Arbeitsrecht, S. 431 ff. 26
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cc) Mittelbare Benachteiligungen ArbG Berlin, 11. 2. 2009, 55 Ca 16952/08, NZA-RR 2010, S. 16 ff: Der Arbeitgeber hatte eine ausländische Bewerberin nicht berücksichtigt, weil für die zu besetzende Stelle unstreitig tadelloses Deutsch Grundvoraussetzung war. Die Beschränkung des Bewerberkreises auf „Muttersprachler“ war deshalb aus Arbeitgebersicht gerechtfertigt. Der Arbeitgeber hatte freilich verkannt, dass auch ein „Nicht-Muttersprachler“ sich absolut fehler- und akzentfreies Deutsch aneignen kann und über das Merkmal „Muttersprache“ mittelbar das verbotene Merkmal der ethnischen Herkunft betroffen war. Das ArbG Berlin verurteilte ihn deshalb zur Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Dieser Fall passt wegen der irrtümlichen Annahme des Arbeitgebers vom Bestehen eines ausreichenden Sachgrundes auch in die zuletzt genannte Kategorie. Er geht jedoch insoweit darüber hinaus, als lediglich eine mittelbare Benachteiligung vorliegt28 und das Verbotensein der Anknüpfung an das Merkmal „Muttersprache“ nicht aus einem bloßen Blick in das Gesetz folgt. Demnach kann auch hier eine echte Herabwürdigung nicht angenommen werden, weil der Arbeitgeber ersichtlich nicht die Bewerberin als gleichrangiges Mitglied der Sozialgemeinschaft in Frage stellen wollte. Zahlreiche Stimmen im Schrifttum gehen sogar davon aus, dass bei mittelbaren Diskriminierungen generell keine herabwürdigende Missachtung der Persönlichkeit vorliegt.29 Die genannten Entscheidungen zeigen, dass es Fälle gibt, die zwar im Hinblick auf § 7 Abs. 1 AGG verboten sind, bei denen die Differenzierung jedoch trotzdem nachvollziehbar erscheint und die deshalb den Tatbestand einer deliktsrechtlich relevanten Ehrverletzung in der Form der Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten nicht erreichen.30 b) Erfordernis erniedrigenden Verhaltens Eine der heftigsten Kritiken an den Entscheidungen des BAG aus dem Jahr 1989 kam von Elke Herrmann.31 Sie konstatierte, das BAG setze völlig verfehlt die Persönlichkeitsverletzung mit der Persönlichkeitsberührung gleich.32 Nicht alles, was die Persönlichkeit berühre, sei auch eine Verletzung. Andernfalls wäre die Persönlichkeitsverletzung Wesensbestandteil der Abschlussfreiheit. Der bloße Nichtab28 Vgl. Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 276 zur Frage der mittelbaren Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft. 29 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 107; Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 151; Nicolai, AGG, Rn. 571; Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 519. 30 Siehe Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 436 f. 31 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 ff. 32 So auch Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 112; Müller, JA 2000, S. 119 (122); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 408 f.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
schluss eines Vertrages stelle jedoch keine Diffamierung dar. Es müsse vielmehr etwas hinzukommen, und zwar ein Verhalten des Vertragspartners, das geeignet sei, den Betreffenden herabzuwürdigen und verächtlich zu machen.33 Sogar noch einen Schritt weiter ging Volmer.34 Seiner Ansicht nach liegt in den meisten Fällen einer Absage an einen Bewerber aus geschlechtsdiskriminierenden Motiven nicht einmal eine Persönlichkeitsberührung vor. Die Tathandlung bestehe ausschließlich in einer inneren Einstellung des Arbeitgebers, die weder dem Bewerber noch anderen Dritten bewusst werde. Die Absage als solche sei jedoch neutral und verletze bzw. berühre das Persönlichkeitsrecht nicht. Für den Normalfall der geschlechtsdiskriminierenden Ablehnung eines Bewerbers fehle es damit an einer Verletzungs- bzw. Berührungshandlung. 2. Stellungnahme a) Das Verhalten als Kriterium zur Bestimmung des geschützten Rechtskreises Letzterer Einwand überzeugt freilich nicht. Selbstverständlich liegt mit der Zurückweisung eines Stellenbewerbers ein ausreichendes deliktisches Verhalten gemäß § 823 Abs. 1 BGB vor. Streiten lässt sich allenfalls darüber, ob es bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung schwerpunktmäßig eher um ein Unterlassen als um ein positives Tun geht.35 Dies mag von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten sein. Auch wenn die Beschaffenheit der Verletzungshandlung somit nicht immer eindeutig ist, bleibt doch festzuhalten, dass es an einem verletzenden Verhalten sicherlich nicht fehlt. Allerdings offenbart dieser Punkt eine vermeintliche Schwäche in der Argumentation der Kritiker. Betrachtet man deren Einwände näher, so fällt auf, dass durchweg allein auf Verhalten des potentiellen Rechtsverletzers abgestellt wird und aus diesem dann Rückschlüsse auf die Rechtsverletzung gezogen werden. Es wird bestritten, dass in der bloßen Vertragsverweigerung eine „Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten“36, eine „Diffamierung“ liegt, was sich zweifellos auf das Verhalten des Rechtsverletzers bezieht. Nach Herrmann muss „[d]as Verhalten des Vertragspartners […] geeignet sein, den Betreffenden herabzuwürdigen und verächtlich zu machen“37. Wiese ist der Meinung, eine Ehrverletzung könne nur angenommen werden, wenn „sich dies aus besonderen Umständen […] ergibt, die das 33 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (49); ähnlich Wiese, JuS 1990, S. 357 (360): anstößiges Verhalten; Käppler, AR-Blattei ES Nr. 86 Gleichbehandlung unter I. 2.; Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (256 f); Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 107; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 9; Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 77. 34 Volmer, BB 1997, S. 1582 (1583). 35 Vgl. BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 9. 2010, § 3 AGG, Rn. 5; Boemke, NJW 1993, S. 2083 (2084). 36 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 437. 37 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (49) – Hervorhebung durch den Verfasser.
B. Einwände
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Verhalten des Arbeitgebers als anstößig erscheinen lassen“38. Auch in aktuellen AGG-Kommentaren wird die Ansicht vertreten, der Beschäftigte müsse „in herabwürdigender Weise behandelt werden“39, nur dann könne es zu einem Entschädigungsanspruch kommen. Es ließe sich nun einwenden, dass zur Bestimmung der Rechtsverletzung als tatbestandlichem Erfolg das Verhalten gerade nicht maßgeblich sein kann, sondern vielmehr Handlungs- und Erfolgsunrecht präzise unterschieden werden müssen.40 Eine solche Sichtweise würde jedoch zwei wesentliche Punkt außer Acht lassen: Zum einen entspricht es gerade dem Stand der Wissenschaft zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dass sich Handlungs- und Erfolgsunrecht hier „untrennbar miteinander mischen“41. Zur Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung wird konsequent das Verhalten des Schädigers in eine Gesamtbetrachtung einbezogen. Wie oben42 gezeigt, bedarf es einer umfassenden Interessensabwägung zur Feststellung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Im Zuge dieser Abwägung werden grundsätzlich beide Seiten, die des Schädigers und die des Geschädigten, in den Blick genommen. Ohne nähere Betrachtung der konkreten Handlung des Schädigers und seiner Motive kann eine Verletzung der Persönlichkeitsgüter des Geschädigten nicht angenommen werden. Als Begründung wird auf die „Weite des Persönlichkeitsrechts“ verwiesen.43 Tatsächlich geht es jedoch auch und insbesondere um die bereits mehrfach beschriebenen Erkenntnis-, Beweis- und Bewertungsschwierigkeiten.44 Wie das Persönlichkeitsrecht eines Menschen beschaffen ist, wann es verletzt ist und welche immateriellen Schädigungen aus der Verletzung folgen, ist kaum vorstellbar und im Rahmen einer Beweisaufnahme nur schwer zu klären. Es bleibt in vielen Fällen nur der an sich systemwidrige Blick auf die Seite des Schädigers, um festzustellen, wie auf Seiten des Geschädigten die innere Gefühlslage aussieht. Ohne das Handlungsunrecht näher zu betrachten, kann vielfach bereits mangels handgreiflicher Kriterien das Erfolgsunrecht nicht bestimmt werden. Der zweite Punkt, der für eine Berücksichtigung des Schädigerverhaltens zur Bestimmung der Rechtsverletzung spricht, betrifft die grundsätzliche Frage, wie Substanzrechte als dem Einzelnen ausschließlich zugewiesene Rechtskreise dargestellt werden können. Dabei gilt zu beachten, dass Rechtspositionen sich durchaus als Verhaltensgebote oder -verbote beschreiben lassen. Die Umschreibung eines substantiellen Bereichs ist hierfür nicht zwingend notwendig. Die Statuierung einer 38
Wiese, JuS 1990, S. 357 (360) – Hervorhebung durch den Verfasser. Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 77 – Hervorhebung durch den Verfasser. 40 Siehe zur Bedeutung der beiden Kategorien im Deliktsrecht MüKo-BGB/Wagner, 2009, § 823 BGB, Rn. 4 ff. 41 So MüKo-BGB/Wagner, 2009, § 823 BGB, Rn. 179. 42 Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 43 Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, Rn. C 17 m.w.N. 44 Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 39
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Verhaltenspflicht steht der Rechtszuweisungsfunktion einer Vorschrift nicht entgegen.45 Es handelt sich lediglich um einen rechtstechnischen Unterschied zu anderen Rechtszuweisungsnormen (bspw. §§ 903 ff BGB). Dieser erklärt sich daraus, dass das geschützte Interesse mal auf die eine, mal auf die andere Weise verständlicher und erkennbarer beschrieben werden kann.46 Gerade bei einer Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts würden wir an die Grenzen unserer sprachlichen Mittel gelangen, wollten wir es umfassend substantiell beschreiben.47 In Bezug auf Rechtsnormen ist die Statuierung einer bestimmten Verhaltenspflicht somit durchaus ein probates Mittel der Rechtszuweisung. Gleiches muss gelten, wenn die Rechtszuweisung ausnahmsweise nicht vom Gesetzgeber ausgeht, sondern die Rechtsprechung, wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschehen, ein Recht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung unter Heranziehung grundlegender Verfassungsnormen selbst schöpft. Insoweit ist es nicht generell zu missbilligen, wenn nur bei einem herabwürdigenden Verhalten, bei einer menschenverachtenden Behandlung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen wird. b) Verschärfung und Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts durch § 7 Abs. 1 AGG Dennoch geht der Einwand der Kritiker, bei dem arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot könne es sich wegen der regelmäßig fehlenden Herabwürdigung nicht um Persönlichkeitsschutz handeln, fehl. Wer so argumentiert, geht davon aus, dass es sich bei den Voraussetzungen, die herkömmlich an eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestellt werden, um quasi naturrechtlich vorge45 Picker, AcP 178 (1978), S. 499 (502); ders., FS Lange, S. 625 (681); ausführlich Schurer, S. 79 ff ; Bernhard, FS Picker, S. 83 (104 ff); vgl. auch Hoffmann, 2. Kap. A. III. 3. a). 46 Picker, AcP 1978, S. 499 (502): „Die prinzipielle Gleichwertigkeit und damit die prinzipiell gleiche Schutzwürdigkeit der Interessen, die zu subjektiven Rechten formiert worden sind, mit den zumeist schwieriger umschreibbaren Interessen, die durch die Aufstellung von Verhaltensgeboten geschützt werden sollen, ist im deutschen Recht vor allem dadurch verunklart worden, daß man das subjektive Recht als Denkfigur überbetont und damit in einen verfehlten dogmatischen Gegensatz zu den Verhaltenspflichten gebracht hat. Tatsächlich ist dieser Gegensatz, wie sich insbesondere an dem Zusammenspiel von § 823 Abs. 1 und 2 BGB zeigen lässt, allein aus Praktikabilitätsgesichtspunkten und genauer, allein aus Gründen der besseren Beschreibbarkeit zu erklären: Die Statuierung von Verhaltensgeboten ist um nichts anders als die Formierung von subjektiven Rechten ein technisches Mittel, die geschützte Rechtssphäre des Einzelnen zu umgrenzen und damit den Handlungsspielraum anderer zu bestimmen. Beide dienen also gleichermaßen als Mittel, den Rechtskreis des Individuums zu konkretisieren, und nur der Umstand, daß sich diese Konkretisierung je nach der Art des zu schützenden Interesses und je nach dem Umfang, in dem ihm der Schutz zuteil werden soll, bald auf dem einen, bald auf dem anderen Weg plastischer durchführen lässt, nur der Gesichtspunkt der größeren Anschaulichkeit also erklärt es, daß das Gesetz sich beider Beschreibungsformen bedient“; ders., FS Lange, S. 625 (681); zust. Schurer, S. 84 ff; Bernhard, FS Picker, S. 83 (104 ff); Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183; Hüftle, S. 69; ebenso Fraenkel, S. 41 f. 47 Siehe Bernhard, FS Picker, S. 83 (105 f) zum Problem der genauen Beschreibung ungegenständlicher Substanzrechte aufgrund unserer beschränkten sprachlichen Möglichkeiten.
B. Einwände
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gebene, unumstößliche Kriterien handelt. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der naturrechtliche, vorpositivistische Charakter des Persönlichkeitsschutzes zwar betont. In diese Richtungen gehen auch Aussagen wie diejenige, dass das allgemeine Persönlichkeitsrechts das „Quellrecht der besonderen Persönlichkeitsrechte“ darstellt und dass es „Seiten des Persönlichkeitsrechts gibt, die erst neu entdeckt werden und für die sich im Laufe der Zeit das Verständnis öffnet“48. Letztere Aussage impliziert, dass hier ein Recht entdeckt wird, das als solches bereits vorhanden ist und sich zuvor von allein entwickelt hat. Dieser historisch begründbaren Sichtweise ist im Kernbereich der Menschenwürde durchaus zuzustimmen. Eine naturrechtliche Untermauerung ist hier ein Bekenntnis zur Humanität und soll ein wiederaufkeimendes Denken in Kategorien von „Herrenmenschen“ und „Untermenschen“ verhindern. Trotzdem kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das Persönlichkeitsrecht außerhalb des Menschenwürdekerns in weiten Teilen normgeprägt ist. Das gesamte Urheber- und Immaterialgüterrecht ist stark durchnormiert. Auch der gesamte Bereich des Datenschutzes betrifft Persönlichkeitswerte. Mit all diesen Normen konkretisiert der Gesetzgeber das Persönlichkeitsrecht, fasst es mal weiter und mal enger, genauso wie er mit dem Baurecht das Substanzrecht Eigentum inhaltlich bestimmt. Wie oben49 bereits erwähnt, enthält das Baurecht zahlreiche Inhaltsbestimmungen des Eigentums und legt somit die Reichweite dieses Substanzrechts fest. Gleiches gilt für das Persönlichkeitsrecht. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen seiner weiten Einschätzungsprärogative frei, neue Persönlichkeitsrechte zu schaffen oder bereits anerkannte Rechte auszuweiten.50 Genau dies hat er in § 7 Abs. 1 AGG, der entscheidenden Zuweisungsnorm im AGG, getan. Die Vorschrift wird nicht zu Unrecht als die „Grundnorm“ des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts bezeichnet.51 Sie enthält das zentrale52 Benachteiligungsverbot, das insbesondere durch die §§ 1 – 3 AGG aber auch durch die §§ 8 – 10 AGG ergänzt und konkretisiert wird. Der Charakter der Norm als Verhaltensverbot steht, wie soeben beschrieben, ihrer Einordnung als Zuweisungsnorm nicht entgegen. Auch Verhaltensgebote und -verbote können Rechtspositionen zuweisen. Mit der Zuweisung wird der rechtlich geschützte Raum, eben die Rechtsposition, festgelegt. Eine Verletzung des Verhaltensverbots stellt in diesen Fällen ein Eindringen in den geschützten Bereich und somit eine Rechtsverletzung dar. § 7 Abs. 1 AGG kann in diesem Sinne durchaus als Konkretisierung und Verschärfung des Persönlichkeitsrechts im beruflichen Bereich betrachtet werden. Der Gesetzgeber verbietet ein konkretes Verhalten, namentlich eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Gründe, und verschiebt 48
Siehe Altenhain, S. 85 ff m.w.N. Siehe 1. Kap. A. I. 50 Siehe zur Frage nach den verfassunsgrechtlichen Grenzen oben Fn. 85. 51 So Annuß, BB 2006, S. 1629 (1629). 52 So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1780, S. 25; ebenso Adomeit/Mohr, 2007, § 7 AGG, Rn. 9. 49
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
damit die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und geschütztem Rechtskreis des Beschäftigten zulasten des erstgenannten Wertes. Man kann es zwar durchaus rechtspolitisch ablehnen, dass der Gesetzgeber das Persönlichkeitsrecht im Bereich des Antidiskriminierungsrechts zulasten der Handlungsfreiheit (insbesondere der Vertragsfreiheit) weiter gefasst hat als dies bisher der Fall war. Genauso wie man es rechtspolitisch ablehnen könnte, wenn der Gesetzgeber das Grundstückseigentum durch die Einführung schärferer Bauhöhenoder Bauabstandsbestimmungen enger fassen würde. Es überzeugt jedoch keinesfalls, wenn behauptet wird, dass es sich bei den Regelungen des AGG nicht um Persönlichkeitsschutz handeln kann, nur weil das verbotene Verhalten oftmals nicht die Schwere erreichen wird, die ansonsten (also ohne das verschärfende Gesetz) für Persönlichkeitsrechtsverletzungen verlangt wird. Dies gilt insbesondere auch für die besonderen Anforderungen an den Geldersatzanspruch. Eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung und ein erhebliches Verschulden auch im AGG zu verlangen,53 nur weil dies der Rechtslage außerhalb des AGG entspricht, würde diesen Voraussetzungen eine Bedeutung zusprechen, die ihnen auch entwicklungsgeschichtlich betrachtet nicht zukommt.54 Nicht zuletzt muss beachtet werden, dass diese Voraussetzungen das Ergebnis richterlicher Rechtsschöpfung sind, wohingegen dem AGG als formellem Parlamentsgesetz eine höhere demokratische Legitimation zukommt. c) Gründe für die Verschiebung der Grenze zwischen Persönlichkeitsrecht und Vertragsfreiheit Es gibt dabei gute Gründe, die für die Zuweisung einer umfassenden Rechtsposition gemäß § 7 Abs. 1 AGG sprechen und die insbesondere zeigen, dass es sich um keine völlig neuartige Rechtsposition handelt, sondern um eine Verschärfung des Persönlichkeitsschutzes, genauer des Ehrschutzes, im beruflichen Bereich. Berücksichtigt man dies, so erscheint es als durchaus möglich, eine Integritätsbeeinträchtigung auch in den oben55 beschriebenen Fällen anzunehmen.
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So Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 75. Wie gezeigt dienten die Voraussetzungen vorrangig dem Zweck, aufgrund der Erkenntnisschwierigkeiten bei der Bestimmung der Rechtsverletzung einen „doppelten Boden“ einzuziehen, um die scharfe Rechtsfolge der Zahlung von Geldersatz zu vermeiden, falls in der Güterabwägung der Umfang der Rechtsposition nicht exakt bestimmt worden war. Die Angst davor, die „unsichtbare Linie“ zwischen Handlungsfreiheit und Recht nicht korrekt bestimmt zu haben, ist aber von vorn herein unbegründet, wenn der Gesetzgeber, wie im AGG geschehen, den geschützten Rechtskreis umfassend beschrieben und damit konkretisiert hat. 55 Siehe oben 3. Kap. B. I. 1. a). 54
B. Einwände
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aa) Der ehrverletzende Kern von ungerechtfertigten Benachteiligungen Zunächst einmal ist an dieser Stelle ein Wesensmerkmal von ungerechtfertigten Benachteiligungen zu erkennen, das über den Bereich des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes hinausreicht und es als nachvollziehbar erscheinen lässt, ein benachteiligendes Verhalten als Unrecht zu qualifizieren. Dieses Wesensmerkmal besteht darin, dass der Benachteiligende sich bei seiner Entscheidung, etwa über den Abschluss eines Vertrages, von der pauschalen Zuschreibung bestimmter negativer Eigenschaften zu einer Gruppe leiten lässt. Er sieht seinen potentiellen Vertragspartner nicht als Individuum in all seiner Vielschichtigkeit, sondern als bloßes Mitglied einer Gruppe mit ganz bestimmten (für ihn negativen) persönlichen Eigenschaften. Der Benachteiligende nimmt dabei für sich in Anspruch, eine an seinen persönlichen Präferenzen orientierte individuelle Entscheidung zu treffen, was die Vertragsfreiheit ihm an sich auch gestattet. Gleichzeitig ist er aber nicht bereit, seinen Gegenüber ebenfalls als Individuum mitsamt dessen persönlichen Stärken und Schwächen einzuschätzen und zu bewerten. Er greift vielmehr auf pauschale Bewertungen oder auch allgemeine Erfahrungssätze zurück, ohne dem Gegenüber die Chance zu eröffnen, diese im Einzelfall zu widerlegen oder eventuell tatsächlich vorhandene Nachteile mit individuellen Vorteilen zu kompensieren. Dieses Verhalten des Benachteiligenden beinhaltet einen inneren Widerspruch, der zweifellos ehrverletztenden Charakter hat. Der Betroffene wird nicht mehr als Individuum, sondern nur noch als Repräsentant seiner Gruppe wahrgenommen, mit der er sich unter Umständen nicht einmal verbunden fühlt. Dennoch ist dieses Verhalten in aller Regel rechtlich zulässig. Dies liegt jedoch nicht daran, dass eine Integritätsverletzung nicht angenommen werden könnte, sondern vielmehr daran, dass die Abschlussfreiheit als zentraler Wert dem Integritätsschutz in diesen Fällen grundsätzlich vorgeordnet bleibt. Sie erlaubt nämlich an sich auch Pauschalurteile, Schubladendenken und das Handeln nach persönlichen Präferenzen, die rational56 oder moralisch keinesfalls hochwertig sein müssen. In den Fällen des AGG liegen jedoch besondere Gründe vor, welche die Entscheidung des Gesetzgeber, den grundsätzlichen Vorrang der Vertragsfreiheit zu durchbrechen und den Integritätsschutz ausnahmsweise höher zu gewichten, nachvollziehbar erscheinen lassen.
56 Siehe unten 3. Kap. B. III. 3. a) bb) (4) (b) zu dem Sonderproblem der „rationalen Diskriminierungen“ aufgrund des Geschlechts oder einer Behinderung.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
bb) Der besondere Grund für die diskriminierungsrechtliche Erfassung von Massengeschäften gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG Für den Bereich des allgemeinen Zivilrechts sind hier exemplarisch die Massenund massenähnlichen Geschäfte zu nennen. Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind dies diejenigen Geschäfte, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen […] oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG sind jedoch nur Geschäfte über Güter und Dienstleistungen erfasst, „die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“. Obgleich über die Auslegung und Reichweite dieser unbestimmten Rechtsbegriffe (noch) keine Einigkeit besteht,57 zeigt sich doch deutlich, dass der Gesetzgeber gerade solche Sachverhaltskonstellationen im Blick hatte, in denen eine Überprüfung des Vertragspartners hinsichtlich seiner persönlichen Merkmale in aller Regel unterbleibt, weil diese für das konkrete Geschäft irrelevant sind. In diesen Fällen wird der beschriebene Widerspruch noch größer: Der Benachteiligende fordert seine umfassende persönliche Entscheidungsfreiheit in einem Punkt ein, in dem an sich jede Bewertung des potentiellen Vertragspartners unterbleibt. Dabei verweigert er dem Vertragsinteressenten dann sogar eine individuelle Bewertung und lässt sich vielmehr von Pauschalurteilen und allgemeinen Erfahrungssätzen bezüglich der Angehörigen einer bestimmten Gruppe leiten.58 Berücksichtigt man diese gesteigerte Diskrepanz zwischen Inanspruchnahme und Gewährung von Individualität, so erscheint es zumindest als nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen eine Ausnahme zu dem Grundsatz des Vorrangs der Vertragsfreiheit gegenüber dem Ehrschutz angeordnet hat. Dies gilt umso mehr, als diese Ausnahme im Bereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots durchaus moderat ausgefallen ist, weil hier allgemein das Vorliegen bloßer sachlicher Gründe gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 AGG bereits die Rechtmäßigkeit der Ungleichbehandlung zur Folge hat und darüber hinaus die Anwendung des Benachteiligungsverbots bei Geschäften, die ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien begründen, gemäß § 19 Abs. 5 AGG von vorn herein ausgeschlossen ist. Die letztgenannte Einschränkung ist nach dem Vorgesagten geradezu zwingend, weil in diesen Fällen das Ansehen und die Bewertung der Person mitsamt ihren individuellen Merkmalen gerade wieder verständlicher und die beschriebene Diskrepanz damit geringer wird.
57
Siehe zu den Auslegungsproblemen etwa Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (658 ff). Und eben gerade auch nicht von Sachgründen, die gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AGG zur Rechtmäßigkeit der Ungleichbehandlung führen würden. 58
B. Einwände
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cc) Die besondere Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit als Grund des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots Das hier vorrangig interessierende arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot kann jedoch kaum auf dieselbe Art und Weise gerechtfertigt werden wie das zivilrechtliche Verbot unsachlicher Ungleichbehandlungen bei Massengeschäften. Denn das Arbeitsverhältnis stellt ein Dauerschuldverhältnis dar, in dem der Person des Arbeitnehmers wegen § 613 S. 1 BGB gerade eine entscheidende Bedeutung zukommt und ein Vertrauensverhältnis der Parteien in aller Regel unabdingbar ist. Gerade für solche Dauerschuldverhältnisse mit engem persönlichen Kontakt schließt die Gesetzesbegründung59 aber im Rahmen des allgemeinen Zivilrechts die Geltung des Benachteiligungsverbots gemäß § 19 Abs. 5 AGG aus.60 Demnach muss es im Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots einen anderen besonderen Grund geben, der die Rechtmäßigkeit einer pauschalen Bewertung der Person des Vertragspartners ausschließt und die (berufliche) Ehre der Vertragsfreiheit ausnahmsweise vorordnet. Einen solchen Grund stellt die besondere Persönlichkeitsrelevanz von abhängiger Beschäftigung dar. Auch die entschiedensten Kritiker der Antidiskriminierungsgesetzgebung erkennen diese an.61 Der Einzelne definiert sich als Person regelmäßig ganz entscheidend über sein berufliches Fortkommen. Berufliche Erfolglosigkeit wird als persönlicher Makel empfunden, vom Betroffenen selbst (innere Ehre) genauso wie von weiten Teilen der Gesellschaft (äußere Ehre).62 Ohne Arbeitsplatz bleibt darüber hinaus in vielerlei Hinsicht der Zugang zur Gesellschaft verwehrt.63 Dies betrifft insbesondere den Bereich benachteiligender Zurückweisungen arbeitsloser Stellenbewerber sowie diskriminierende Kündigungen.64 In persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht ist fortdauernde Arbeitslosigkeit der verletzendste Zustand.65 Sowohl das Selbstwertgefühl als auch das gesellschaftliche Ansehen werden 59
BT-Drucks. 16/1780, S. 42 f: Das „besondere Nähe- oder Vertrauensverhältnis […] kann beispielsweise darauf beruhen, dass […] der Vertrag besonders engen oder lang andauernden Kontakt der Vertragspartner mit sich bringen würde“. 60 Wobei im Rahmen des § 19 Abs. 5 AGG gerade angezweifelt wird, dass solche auf besonderem Vertrauen basierenden geschäftlichen Beziehungen ausreichend sind. MüKoBGB/Thüsing, 2007, § 19 AGG, Rn. 111 will die Vorschrift, angeblich in europarechtskonformer Auslegung, auf den Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens beschränken. 61 Etwa Ehmann, FS Wiese, S. 99 (102 f); Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 89. 62 Der Ehrbegriff umfasst nach h.M. zweierlei: Den sozialen Achtungsanspruch des Einzelnen („äußere Ehre“; Ruf; Ansehen) sowie das eigene Ehr- oder Selbstwertgefühl („innere Ehre“), siehe Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 21. 63 Zur Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit bereits ausführlich oben 2. Kap. B. II. 1. 64 Wobei dem AGG wegen des ausdifferenzierten Kündigungsschutzes hier eine untergeordnete Bedeutung zukommt, vgl. dazu und insbesondere zum Umgang mit der umstrittenen Vorschrift in § 2 Abs. 4 AGG, Horn, S. 160 ff. 65 Siehe Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 89: „verheerende[..] persönlichkeitsverletzende […] Folgen dauerhafter Beschäftigungslosigkeit“.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
hier massiv beeinträchtigt. Die entstehenden seelischen Verletzungen münden nicht selten in erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.66 Die Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit spielt jedoch auch in anderen Bereichen, in denen es nicht unmittelbar um die Folgen von Arbeitslosigkeit geht, eine Rolle. Insbesondere bei der abgelehnten Bewerbung auf eine Stelle aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus, etwa beim verwehrten beruflichen Aufstieg, sind persönlichkeitsverletzende Folgen ebenfalls auszumachen. Auch der Arbeitnehmer, der bei seinem oder einem anderen Arbeitgeber nach einer beruflichen Verbesserung strebt, wird sich als Person über den Erfolg oder Misserfolg bei diesem Unterfangen definieren, mag seine Existenz auch nicht in gleichem Maße von einem Erfolg abhängen, wie dies bei einem arbeitslosen Bewerber der Fall ist. Gleiches gilt für das gesellschaftliche Ansehen. Wer Karriere macht, hat, so die weit verbreitete Ansicht, etwas geleistet im Leben und verdient eine höhere Anerkennung als derjenige, der während seines ganzen Beruflebens auf der ersten Stelle verharrt. Diese beiden Konstellationen (Zurückweisung eines Bewerbers, Ablehnung einer Beförderung) sind gleichzeitig die bei Weitem umstrittensten Anwendungsbereiche67 des arbeitsrechtlichen Teils des AGG, da hier die Vertragsfreiheit als zentrale Säule des Privatrechts am schwersten betroffen ist, wobei auch zwischen diesen zwei Bereichen nochmals differenziert werden kann. Im Rahmen eines bestehenden Vertrages und somit auch bei Beförderungsentscheidungen hat man für gewöhnlich mit einem Diskriminierungsverbot weniger Schwierigkeiten als im außervertragli66 Siehe dazu die Studie von Paul/Moser, JoVB 74 (2009), S. 264 ff – „Unemployment impairs mental health: Meta-analyses“, die zu dem Schluss kommen (S. 284): „The result is a clear and unequivocal warning that unemployment is a severe risk for public mental health that must be fought with all possible means“. 67 Siehe § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG (Einstellung und beruflicher Aufstieg); aber auch die anderen arbeitsrechtlichen Anwendungsbereiche lassen sich mit der besonderen Persönlichkeitsrelevanz abhängiger Beschäftigung erklären: § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG betrifft das weite Feld der Berufsausbildung und damit den einem Arbeitsverhältnis vorgelagerten Bereich. Die Ausbildung ist somit zwingende Voraussetzung für die beschriebene Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeit. Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG die „Entlassungsbedingungen“ nennt, geht es ebenfalls unmittelbar um den Arbeitsplatz selbst und damit um die Grundvoraussetzung der persönlichen Selbstverwirklichung. Die „Arbeitsbedingungen“ betreffen zwar nicht diesen wesentlichen Punkt. Betrachtet man jedoch den Umstand, dass die gemäß § 613 S. 1 BGB persönlich zu erbringende Arbeitsleistung bereits in zeitlicher Hinsicht einen großen Teil des Lebens beansprucht, erscheint es als nachvollziehbar, dass die Bedingungen dieser Arbeitsleistung für den Einzelnen auch in persönlicher Hinsicht wichtig sind. Das ebenfalls in § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG genannte „Arbeitsentgelt“ stellt oftmals die einzige Einkommensquelle dar und hat schon deshalb in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht eine wichtige Bedeutung. Zudem drückt sich in ihm eine Wertschätzung der persönlichen Arbeitsleistung aus, die nicht nur vom Arbeitnehmer selbst, sondern auch von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Mit steigendem Gehalt wächst zumeist auch das gesellschaftliche Ansehen der Person. Letztlich betrifft § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG die Verbandsmitgliedschaft, die insbesondere für den Arbeitnehmer deshalb eine zentrale Bedeutung hat, weil er die vorgenannten Arbeitsbedingungen und -löhne aufgrund seiner strukturell schwächeren Position oftmals wesentlich schlechter allein aushandeln kann, als dies im Kollektiv möglich ist.
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chen Bereich,68 zumal die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und (aus ihr folgend) der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im bestehenden Arbeitsverhältnis seit langer Zeit anerkannt sind.69 Besondere Kritik an diesen beiden Anwendungsbereichen wird auch deshalb laut, weil nach Ansicht der Gegner moderner Antidiskriminierungsprogramme ehrverletzende Zurückweisungen von Bewerbern schlicht unvermeidbar sind. Allein die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf weiten Teilen des Arbeitsmarktes führe dazu, dass grundsätzlich eine Vielzahl von Bewerbern mit dem Makel der Zurückweisung leben müsse.70 Obgleich dies sicherlich zutreffend ist und man die rechtspolitische Ablehnung infolgedessen durchaus nachvollziehen vermag, lässt sich doch nicht bestreiten, dass es einen sachlichen Grund für die Verschiebung der Grenze zwischen Vertragsfreiheit und Persönlichkeitsrecht durch die Einführung eines Verbots von Ungleichbehandlungen aufgrund bestimmter Merkmale gibt. Denn die Ehre als zentraler Persönlichkeitswert ist bei sachlich nicht gerechtfertigten Zurückweisungen, die durch ein dem Bewerber anhaftendes persönliches Merkmal motiviert sind, zweifellos nachteilig betroffen. Insoweit steht es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative frei, die konkretisierte und verschärfte Ehrposition der Vertragsfreiheit in bestimmten Fällen vorzuordnen. dd) Die Berücksichtigung der Diskriminierungserfahrungen für die Bestimmung des Erfolgsunrechts Die Annahme einer echten Ehrverletzung liegt in diesen Fällen auch deshalb nicht fern, weil jedes Mitglied der in § 1 AGG genannten Gruppen mit „seinem Merkmal“ leben muss und, davon geht der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung offensichtlich aus,71 über zahlreiche negative Erfahrungen verfügt, bei denen das jeweilige Merkmal eine Rolle spielte. Diese negativen Vorerfahrungen, die sich als persönliche Diskriminierungsgeschichte bezeichnen lassen, können dabei durchaus 68 Exemplarisch Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (18): „Während es einem Arbeitgeber eher zuzumuten ist, die Arbeitnehmer, die er einmal eingestellt hat, gleich zu behandeln, bedeutet es einen erheblichen Eingriff in seine Vertragsfreiheit, wenn er in seiner Auswahl unter den Bewerbern beschränkt wird“. 69 Vgl. etwa Thees, der in seiner von Ehmann betreuten Dissertation das ArbeitnehmerPersönlichkeitsrecht als Leitidee des Arbeitsrechts erkennen will und die Ansicht vertritt, das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht baue entscheidend auf dem Arbeitsvertrag auf (Thees, S. 78 ff). Genauso wie sein Doktorvater (siehe Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 [256 f]) lehnt Thees es jedoch ab, Benachteiligungen gemäß § 611a BGB a.F. als Persönlichkeitsrechtverletzung zu verstehen, weil auch der außervertragliche Bereich betroffen sei (S. 242 ff); siehe zum Ganzen bereits oben 2. Kap. B. II. 2. 70 Vgl. Adomeit, FS Westermann, S. 19 (22): In der Bewerbungssituation ist immer mit Selektion zu rechnen: „einer (eine) wird gewinnen! Die ausgeschriebene Stelle […] ist nicht teilbar, auch nicht technisch vermehrbar“. 71 BT-Drucks. 16/1780, S. 23 ff.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
zu einer erhöhten Sensibilität führen. So mag der Einzelne eine echte ehrverletzende Kränkung in Situationen empfinden, in denen man das an sich nicht erwarten würde, weil etwa ein paternalistisches Motiv des Arbeitgebers als Grund der Zurückweisung erkennbar ist und der Zurückgewiesene somit weiß, dass der Arbeitgeber ihn nicht als Mensch per se für geringwertig erachtet.72 Dass solche Vorverletzungen den Rechtsverletzer nicht entlasten können, wird auch ansonsten einhellig anerkannt.73 Gerade für psychische Folgeschäden einer Verletzungshandlung hat der BGH entschieden, dass sie auch dann zu einer Ersatzpflicht führen, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sogar einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen.74 Wird etwa wie im oben beschriebenen Fall des ArbG Berlin eine Bewerbung nicht berücksichtigt, weil der Bewerber kein „Muttersprachler“ und fehlerfreies Deutsch Grundvoraussetzung für die Stelle ist, so mag der Arbeitgeber zwar keine missbilligenswerten Ziele verfolgen, sondern schlicht verkannt haben, dass auch ein „NichtMuttersprachler“ sich absolut fehler- und akzentfreies Deutsch aneignen kann. Ein solcher Bewerber, der über perfektes Deutsch verfügt, wird sich durch die pauschale Ablehnung jedoch gerade dann gekränkt fühlen, wenn er in der Vergangenheit bereits Zurücksetzungen aufgrund seiner ethnischen Herkunft erfahren musste.75 Eine Herabwürdigung im herkömmlichen Sinn liegt dann zwar nicht vor. Andererseits wird man aber eine reale Kränkung, die als echte Ehrverletzung angesehen werden kann, in einem solchen Fall durchaus annehmen können. Die konkrete Zurückweisung wegen des persönlichen Merkmals wird zwar allein diese Verletzung oftmals nicht bewirken. Eine Kränkung wird aber durch den von der konkreten Diskriminierung ausgelösten oder verfestigten Eindruck entstehen, dass das „Sosein“ (wieder einmal) den Zugang zum Arbeitsmarkt, den beruflichen Aufstieg etc. blockiert hat, zusammen mit eigenen Vorerfahrungen oder der Angst, dass das unveränderbare Persönlichkeitsmerkmal auch zukünftig im beruflichen Bereich ein Hindernis darstellen wird. Rechtspolitisch mag man von alledem halten, was man will. Man kann das Bild eines dunkelhäutigen, türkischen, homosexuellen, alten, behinderten oder weiblichen Bewerbers als durch zahlreiche negative Erfahrungen „vorgeschädigten“ Menschen, bei dem eine (weitere) unsachliche Zurückweisung zur Vollendung oder 72
Vgl. auch Greiner, DB 2010, S. 1940 (1942): „Wer ständig diskriminiert wird, leidet unter der einzelnen Diskriminierung umso stärker; es tritt eine Art Kumulationseffekt ein“. 73 Siehe BeckOK-BGB/Schubert, Stand: 1. 2. 2007, § 249 BGB, Rn. 54. 74 BGH, 30. 4. 1996, VI ZR 55/95, NJW 1996, S. 2425 – Leitsatz 1. 75 Von regelmäßig wiederkehrenden Diskriminierungserfahrungen bei ethnischen Minderheiten geht die Gesetzesbegründung ersichtlich aus: „Untersuchungen belegen, dass Belästigungen bei ausländischen Beschäftigten besonders häufig vorkommen. Bei entsprechenden innerbetrieblichen Beschwerden wird von rassistischen Übergriffen und Belästigungen berichtet. Vorurteilsstudien zeigen, dass in Deutschland die Akzeptanz gegenüber Migrantinnen und Migranten gering ist, insbesondere gegenüber Zuwanderern aus Drittstaaten“, BTDrucks. 16/1780, S. 24.
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Vertiefung einer spürbaren Ehrverletzung genügt, als unrealistisch verwerfen oder als Realität akzeptieren. Dies hängt auch davon ab, inwieweit man mit der Gesetzesbegründung von einer tiefen Verwurzelung bestimmter Vorurteile in der Gesellschaft und von teilweise „besorgniserregenden sozialen Daten“76 ausgeht oder dies als empirisch nicht belegt bestreitet. Von diesem oftmals rechtspolitisch motivierten Glauben oder Nichtglauben sollte man sich als Rechtsanwender jedoch lösen, auch wenn dies in einem ideologisch so brisanten Bereich sicher schwierig ist. Aus rechtspolitischer Ablehnung sollte man vor allem aber nicht den Schluss ziehen, dass das AGG nicht insgesamt als Persönlichkeitsschutzgesetz verstanden werden kann. Der paternalistische Arbeitgeber, der die weibliche Bewerberin nicht einstellt, weil er die Nachtarbeit im Tierheim für zu gefährlich hält oder einer Frau das Tragen schwerer Säcke nicht zumuten will, mag zwar nicht im herkömmlichen Sinn herabwürdigen. Dass die abgewiesene Frau sich jedoch subjektiv nicht unerheblich gekränkt fühlt, weil sie ebenso stark oder mutig wie ein Mann ist oder dies zumindest so empfindet,77 ist jedoch keinesfalls ausgeschlossen. Dies gilt vor allem dann, wenn als Alternative die Arbeitslosigkeit droht. ee) Der objektive Unwertgehalt benachteiligenden Verhaltens in den Sonderfällen Zudem liegt in den genannten Fällen auch ein Verhalten vor, das nicht nur ein Erfolgsunrecht bewirkt, sondern nach dem oben78 Gesagten sehr wohl einen objektiven Unwertgehalt hat. Auch der paternalistische Arbeitgeber pauschalisiert und trifft gerade keine an den individuellen Fähigkeiten der Bewerberin orientierte Entscheidung. Er geht davon aus, dass sich Frauen allgemein schlechter verteidigen können (Tierheim-Fall) oder generell schwächer sind als Männer und deshalb schwere Säcke nicht tragen können. Die einzelne Bewerberin ist für ihn damit lediglich Repräsentantin einer Gruppe, der er bestimmte negative Eigenschaften zuschreibt. In ihrer Individualität nimmt er die Bewerberin nicht war. Gleiches gilt für die Fälle der mittelbaren Benachteiligung. Diese haben einen offensichtlichen Handlungsunrechtsgehalt dann, wenn die mittelbare Diskriminierung eine bewusste Umgehung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung darstellt. Für diese Fälle wurde das Institut ursprünglich geschaffen.79 Seine Ausweitung auf die Fälle, in denen eine überwiegende Betroffenheit einer unmittelbar 76
BT-Drucks. 16/1780, S. 25. Wobei eine offensichtliche Fehleinschätzung der persönlichen Fähigkeiten nicht zur einer dem Arbeitgeber zuzurechnenden Kränkung und somit zu Ersatzansprüchen führen kann. Das in der Rechtsprechung bereits anerkannte Merkmal der „objektiven Geeignetheit“, das freilich auch nicht überstrapaziert werden darf, ermöglicht diese Fälle auszuscheiden. Dazu näher unten unter 4. Kap. A. II. 1. a). 78 Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. c) aa). 79 Siehe zur Entwicklung des Instituts in der Rechtsprechung Koch/Nguyen, EuR 2010, S. 364 ff. 77
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
geschützten Gruppe lediglich zufällig oder versehentlich besteht, kann wohl bereits damit gerechtfertigt werden, dass es rein tatsächlich äußerst schwer feststellbar ist, welcher der beiden Fälle vorliegt. Durch die einheitliche Behandlung wird den Gerichten erspart, sich mit dem ansonsten regelmäßig auftretenden Einwand auseinanderzusetzen, die faktisch überwiegende Betroffenheit einer der in § 1 AGG genannten Gruppen sei lediglich versehentlich verkannt und keinesfalls bewusst ausgenutzt worden. Durch die fehlende Notwendigkeit einer Überprüfung der Richtigkeit dieser (Schutz-)Behauptung wird die Wirksamkeit des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung zweifellos erheblich gesteigert.80 Selbst wenn einem diese praktisch orientierte Argumentation nicht genügen sollte, kann man durchaus auch in den Fällen der versehentlichen überwiegenden Betroffenheit einer besonders geschützten Gruppe einen objektiven Unwertgehalt im Verhalten des Diskriminierenden erkennen: Auch wer nicht unmittelbar nach einem der in § 1 AGG genannten Merkmale differenziert, sondern beispielsweise nach den nur scheinbar neutralen Merkmalen „Muttersprache“ oder „Alleinerziehung eines Kindes“, pauschalisiert genauso wie ein unmittelbarer Diskriminierer. Nur weil das unmittelbare Differenzierungsmerkmal im Verbotskatalog des § 1 AGG nicht aufgezählt ist, ändert sich an dem oben81 beschriebenen Unrechtskern des Verhaltens nichts. Gleichwohl liegt das Institut der mittelbaren Diskriminierung in einem Übergangsbereich, in dem nicht immer unmittelbar festgestellt werden kann, ob im Einzelfall die Handlungsfreiheit oder der Integritätsschutz überwiegen soll. Da das Rechtsinstitut seiner Natur nach auszuufern droht82 und ihm deshalb das Risiko einer übermäßigen und ungewollten Einschränkung der Handlungsfreiheit anhaftet, unterliegt es unten83 noch näher darzulegenden besonderen Einschränkungen. d) Die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Schaden Wird durch § 7 Abs. 1 AGG nun eine verschärfte und konkretisierte Ehrposition zugewiesen, so steht mit einer Verletzung des Benachteiligungsverbots gleichzeitig die Rechtsverletzung unwiderlegbar fest. Einer Heranziehung der herkömmlichen Kriterien (Herabwürdigung; menschenverachtende Behandlung) bedarf es nicht. Damit wird keinesfalls eine Persönlichkeitsrechtsverletzung „fingiert […], wo sie
80
Siehe Koch/Nguyen, EuR 2010, S. 364 (365), die es als „Sinn und Zweck des Verbots der mittelbaren Diskriminierung“ bezeichnen, „den besonderen Diskriminierungsverboten zu voller Wirksamkeit zu verhelfen“. 81 3. Kap. B. I. 2. c) aa). 82 Siehe unten 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (1). 83 Siehe 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (2).
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nicht gegeben ist“84. Vielmehr wird durch die Vorschrift und die sie ergänzenden Regelungen gerade definiert, wann eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt. Steht die Rechtsverletzung mit dem Verhaltensverstoß fest, so folgt hieraus jedoch noch nicht automatisch, dass die Rechtsverletzung auch einen (immateriellen) Schaden zur Folge hat, der zu einem Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG führen muss. Auch wenn im Persönlichkeitsbereich die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und immateriellem Schaden schwer fällt und oftmals vernachlässigt wird, ist sie dennoch zu beachten. Darauf wird im Rahmen des § 15 Abs. 2 AGG noch näher einzugehen sein.85 Hier sei jedoch bereits erwähnt, dass zwar die Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten bei der Bestimmung von Persönlichkeitsverletzung und immateriellem Schaden äußerst ähnlich sind. Was die Rechtsverletzung angeht, kann der Gesetzgeber hierauf reagieren und den geschützten Raum möglichst detailliert, unter Umständen mittels Festlegung einer konkreten Verhaltensanforderung, beschreiben. Weitet er dabei ein bereits existierendes Recht aus, so steigt mit dem erweiterten Rechtsraum auch die Gefahr von aus einem Rechtsverstoß folgenden Schädigungen nach Anzahl und Umfang an. Anders als bezüglich des Rechts selbst kann der Gesetzgeber hinsichtlich des (immateriellen) Schadens aber nicht bestimmen, dass ein solcher immer und unwiderlegbar vorliegt. Er kann allenfalls die Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten mittels einer Schadensvermutung zu überwinden suchen. Diese muss jedoch immer widerlegbar bleiben, will man nicht den Schadensersatzanspruch zu einem bloßen Sanktionsvehikel umfunktionieren.86
II. Fehlen einer Interessenabwägung 1. Kritik: Gefahr der Uferlosigkeit des Diskriminierungsschutzes Ein zweiter Einwand betrifft die Interessenabwägung, die zur Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durchgeführt werden muss.87 Wegen der generalklauselartigen Weite des Persönlichkeitsrechts kann nach Ansicht des BGH nicht jeder Eingriff die Rechtswidrigkeit indizieren, sondern die gegenläufigen Interessen müssen bereits auf Tatbestandsseite berücksichtigt werden.88 84
So aber MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 9. Siehe unten 4. Kap. A. I. 2. b) aa). 86 Dazu ausführlich unten 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (2). 87 Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 88 Vgl. Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, Rn. C 17; in den Medienfällen, die für die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts maßgeblich waren, sind hier als gegenläufige Interessen allen voran die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG sowie die Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG und die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG von Bedeutung, vgl. Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, Rn. C 88 ff (Mei85
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
In den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen wird nun eingewandt, ohne eine umfassende Interessenabwägung könne eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht angenommen werden.89 Herrmann schreibt in Reaktion auf die BAG-Urteile vom 14. 3. 1989: „[…] von einer solchen Abwägung [ist] in der geschilderten Judikatur und Literatur […] auch in Ansätzen nichts zu erkennen. Die Gefahr der Uferlosigkeit scheint vergessen“90.
Demnach plädieren einige Autoren91 auch unter Geltung des AGG dafür, in jedem Fall einer Benachteiligung eine Interessenabwägung durchzuführen. In den Fällen benachteiligender Einstellungen sei in die Abwägung die in Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 12 GG verkörperte Abschlussfreiheit des Arbeitgebers92, ansonsten allgemein seine Berufsfreiheit93 einzustellen. Herrmann94 ist der Ansicht, aufgrund des dem BGB zu Grunde liegenden Menschenbilds, das „eine rechtsethische Entscheidung zugunsten der Selbstbestimmung“ beinhalte, lasse sich die generelle Höherbewertung der Interessen des Vertragswilligen nur rechtfertigen, wenn „wir die bisherigen Fundamente der Rechtsordnung aufgeben“. Die Frage der Güterabwägung sei zwangsläufig gleichbedeutend mit der Frage, ob „wir die Abschlussfreiheit erhalten wollen oder nicht“. 2. Stellungnahme Auch dieser Kritikpunkt verfängt nicht. Die Überhöhung der Relevanz der Interessenabwägung steht im Widerspruch zu ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung. Des Weiteren wird verkannt, dass das AGG durchaus Mittel zur Verfügung stellt, die eine Uferlosigkeit verhindern. Dabei spielt die Interessenabwägung weiterhin eine wichtige Rolle.
nungsfreiheit); C 115 (Pressefreiheit) ; C 125 ff (Kunstfreiheit); C 143 ff (Wissenschaftsfreiheit). 89 Wiese, JuS 1990, S. 357 (359); Müller, JA 2000, S. 119 (122); Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (49 f); Volmer, BB 1997, S. 1582 (1583); Kandler, S. 148 ff, insb. S. 153; Küfner-Schmitt, ZTR 1991, S. 323 (328). 90 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (49). 91 Adomeit/Mohr, AGG, Einl., Rn. 186 und 258; dies., NZA 2007, S. 179 (180). 92 Kandler, Fn. 330. 93 Vgl. Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB; ders., ZfA 1981, S. 265 ff ausführlich zur Berufsfreiheit als Grundlage und Grenze arbeitsrechtlicher Regelungssysteme. 94 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (50).
B. Einwände
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a) Die Vertatbestandlichung als Beschreibung der unsichtbaren Grenze zwischen subjektivem Recht und allgemeiner Handlungsfreiheit Zum ersten Punkt gilt es sich in Erinnerung zu rufen, warum die Interessenabwägung geschaffen wurde: erstens zum Zwecke der Beschränkung wegen der tatbestandlichen Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und zweitens aufgrund der großen Schwierigkeit, die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsposition überhaupt erst zu erkennen.95 Sieht man aber die Gefahr der Uferlosigkeit in der tatbestandlichen Weite und der fehlenden gesetzlichen Normierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet und fordert man deshalb eine Interessenabwägung, so erscheint die Gefahr als weithin gebannt, wenn eben gerade eine gesetzliche Regelung vorliegt. In diesem Fall besteht auch kein Erkenntnisproblem mehr, da das konkretisierende Gesetz die Linie zwischen Rechtskreis und Handlungsfreiheit detailliert (nach-)zeichnet. Aus eben diesem Grund wird auch bei den besonderen, durch Gesetz konkretisierten Persönlichkeitsrechten eine Interessenabwägung nicht mehr verlangt.96 Der Unterschied zu den sonstigen in § 823 Abs. 1 BGB genannten absoluten Rechten wird durch die genaue tatbestandliche Umschreibung kompensiert. Bei den sozialtypisch offenkundigen Rechten wie dem Eigentum oder dem Körper ist die Grenze zwischen subjektivem Recht und allgemeiner Handlungsfreiheit grundsätzlich für jeden sichtbar ist, weshalb es einer genauen Umschreibung hier nicht bedarf. Das regelungstechnische Problem, das sich aus der fehlenden Offenkundigkeit, d. h. aus der Unsichtbarkeit der rechtlichen Grenze zwischen subjektivem Recht und allgemeiner Handlungsfreiheit beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt, wird durch eine umfassende Beschreibung dieser Grenze in den §§ 1 – 3, 6 ff AGG aber gerade ausgeglichen.97 b) Die Beschränkungen des AGG zur Verhinderung der Uferlosigkeit Des Weiteren enthält das AGG durchaus Instrumente, die eine Ausuferung der geschützten Ehrposition zulasten der Handlungsfreiheit verhindern.
95
Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). Siehe oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 97 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83 (105 ff) m.w.N., der zutreffend darauf verweist, dass „[d] ie Unterschiede zwischen Rechten ,an’ sozialtypisch offenkundigen Gütern und solchen ,an’ ungegenständlichen Gütern […] letztlich nicht struktureller, sondern regelungstechnischer Art [sind]. Unsere sprachlichen Möglichkeiten erlauben es nicht, die Berechtigungen an ungegenständlichen Gütern im Wege eines einfachen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu beschreiben“ (S. 106). 96
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
aa) Beschränkung auf bestimmte Merkmale Zunächst ist der Diskriminierungsschutz beschränkt auf einige verpönte Merkmale. Wie sinnvoll diese Beschränkung freilich ist und ob sie einer Sicht des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz entgegensteht, wird noch zu klären sein.98 Allerdings führt die Limitierung auf einige vom Gesetzgeber für besonders wichtig erachtete Persönlichkeitsmerkmale zweifellos zu einer gewissen Berechenbarkeit. Das Persönlichkeitsrecht wird in diesen Bereichen fassbar gemacht und der Vertragsfreiheit in den Grenzen des AGG grundsätzlich vorgeordnet. Aber eben nur bei unmittelbarer Anknüpfung an eines der in § 1 AGG genannten Merkmale führt eine Benachteiligung dazu, dass die Rechtswidrigkeit nicht mehr wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht positiv festgestellt werden muss, sondern wie etwa bei Eingriffen in das Eigentum, das Namensrecht oder das Recht am eigenen Bild indiziert ist. Nur dann, wenn die differenzierende Entscheidung des Arbeitgebers von einem der in § 1 AGG genannten Merkmale unmittelbar motiviert ist, obliegt es dem Arbeitgeber, sein Verhalten zu rechtfertigen und etwa gemäß § 8 Abs. 1 AGG eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darzutun. bb) Beschränkung der Rechtswidrigkeitsindikation auf unmittelbare Benachteiligungen Zweitens wird die Gefahr der Uferlosigkeit des Diskriminierungsschutzes durch eben diese Beschränkung der Rechtswidrigkeitsindikation auf die Fälle der unmittelbaren Benachteiligung vermindert. Nur bei einer direkten Anknüpfung an eines der verbotenen Merkmale sind die Interessen des Arbeitgebers nicht bereits auf Tatbestandsseite einschränkend zu berücksichtigen. Bei mittelbaren Diskriminierungen ist aber genau dies der Fall. Hier müssen gemäß § 3 Abs. 2 AGG die Interessen des Arbeitgebers schon zur Bestimmung einer rechtsverletzenden Benachteiligung berücksichtigt werden. (1) Gefahr der Ausuferung in den Fällen mittelbarer Benachteiligungen Würde man den Schutz auch bei mittelbaren Benachteiligungen derart weit fassen wie bei unmittelbaren Diskriminierungen, so wäre tatsächlich die Gefahr der Uferlosigkeit gegeben.99 Denn durch die Einbeziehung mittelbarer Diskriminierungen wird die Anknüpfung an eine Vielzahl weiterer Merkmale bei der Auswahlentscheidung rechtlich fragwürdig. Sämtliche Merkmale, die statistisch ungleich auf die Geschlechter, Religionen, Ethnien, Jungen und Alten etc. verteilt sind, geraten plötzlich in Verruf.
98
Siehe unten 3. Kap. B. III. Vgl. auch Pfeiffer, FS Canaris, S. 981 (982), der das Institut der mittelbaren Diskriminierung im Hinblick auf die Vertragsfreiheit für besonders brisant hält. 99
B. Einwände
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Welche Ausmaße das annehmen kann, zeigt ein unlängst vom ArbG Berlin100 entschiedener Fall. Dort war eine Bewerberin mit MfS-Vergangenheit abgelehnt worden, weil eine bereits beim Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmerin sich geweigert hatte, mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Das ArbG Berlin war sich offensichtlich unsicher, ob es hier eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der in § 1 AGG genannten Weltanschauung annehmen sollte oder nicht. Die Weltanschauung umfasse schließlich gesamtgesellschaftliche Theorien und die politische Überzeugung vom Marxismus-Leninismus gehöre hierzu.101 Man müsse weiter davon ausgehen, so das Gericht, dass die überwiegende Mehrheit der MfSMitarbeiter tatsächlich an die marxistisch-lenistische Idee geglaubt habe und nur wenige aus anderen Gründen dort beschäftigt gewesen seien. Da dem Gericht das nun drohende Ergebnis aber offensichtlich nicht gefiel, rechtfertigte es die Ungleichbehandlung „jedenfalls“ damit, dass der Arbeitgeber mit der Ablehnung der Bewerberin den Betriebsfrieden habe wahren wollen und somit ein Sachgrund für die Ungleichbehandlung vorliege.102 In dieser Pauschalität ist der letztgenannte Aspekt jedoch äußerst zweifelhaft. Auch der Arbeitgeber, der keine Schwarzafrikaner einstellt, weil der überwiegende Teil seiner Belegschaft rassistisch denkt, wahrt den Betriebsfrieden und kann hiermit die Ungleichbehandlung nach einhelliger Auffassung nicht rechtfertigen. Das Gericht hätte sich näher damit auseinandersetzen müssen, inwieweit diskriminierende Motive Dritter, die den Arbeitgeber zu einer Benachteiligung veranlassen, rechtfertigend wirken können. Die Probleme sind aus dem Bereich der diskriminierenden Kundenpräferenzen („customer preferences“) bekannt, die Lösung höchst umstritten103 und ihre Übertragung auf diskriminierende Belegschaftswünsche zudem ungesichert. Dieser Fall zeigt deutlich, zu welchen Konsequenzen gerade das Verbot mittelbarer Diskriminierungen führen kann, da die Anknüpfungsverbote hierdurch vervielfältigt werden und plötzlich Anknüpfungsmerkmale in Verdacht geraten, die der Gesetzgeber sicherlich nicht für besonders schutzwürdig erachtete (MfS-Tätigkeit). Zudem kann das Institut der mittelbaren Diskriminierung dazu führen, dass bei einzelnen Anknüpfungsmerkmalen gleich eine Vielzahl verpönter Merkmale mittelbar betroffen ist, was das Risiko einer Ausuferung mit sich bringt. Thüsing etwa zeigt, dass allein die Anknüpfung an das Tragen eines Kopftuchs in unterschiedlichen Rechtsordnungen als Diskriminierung aufgrund vier verschiedener Merkmale angesehen wurde.104 In Deutschland wären drei der im AGG genannten Merkmale mittelbar betroffen: das Geschlecht, weil zwar nicht alle Kopftuchträger weiblich 100
ArbG Berlin, 30. 7. 2009, 33 Ca 5772/09, NZA-RR 2010, S. 70 ff. So auch Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 60 m.w.N.; krit. ErfK/ Schlachter, 2011, § 1 AGG, Rn. 8, da es sich um eine bloße politische Überzeugung handele. 102 ArbG Berlin, 30. 7. 2009, 33 Ca 5772/09, NZA-RR 2010, S. 70 (73). 103 Siehe etwa Krause, FS Adomeit, S. 377 ff; Lobinger, EuZA 2009, S. 365 ff. 104 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, Einleitung zum AGG, Rn. 75. 101
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sind, jedoch die weit überwiegende Mehrheit, die Religion, weil zwar nicht alle Kopftuchträger aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, aber eben die allermeisten, und die ethnische Zugehörigkeit, weil Arbeitnehmer bestimmter Ethnien eher Kopftücher tragen als andere. Selbst die Anknüpfung an die MfS-Tätigkeit kann neben der mittelbaren Betroffenheit der Weltanschauung noch weitere Merkmale betreffen. So hatte das ArbG Stuttgart die durchaus streitige Frage zu entscheiden, ob die Benachteiligung einer Bewerberin wegen ihrer Abstammung aus den neuen Bundesländern das Merkmal der ethnischen Herkunft betrifft.105 Würde man dies bejahen, so wäre die Benachteiligung wegen einer MfS-Tätigkeit nicht nur hinsichtlich der Weltanschauung, sondern auch hinsichtlich der ethnischen Herkunft fragwürdig, da die weit überwiegende Mehrheit der früheren MfS-Mitarbeiter aus Ostdeutschland stammt. (2) Konsequenz im AGG: Keine Rechtswidrigkeitsindikation bei mittelbaren Benachteiligungen (a) Interessenabwägung als Tatbestandsmerkmal Diese Gefahr der Ausuferung bei mittelbaren Diskriminierungen hat der Gesetzgeber indes gesehen und in § 3 Abs. 2 AGG das Fehlen sachlicher, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechender Gründe für eine mittelbare Benachteiligung als negative Tatbestandsvoraussetzung in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen.106 Eine mittelbare Benachteiligung besteht damit überhaupt nur dann, wenn keine sachlichen Gründe vorliegen, die nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Ungleichbehandlung rechtfertigen. An das Vorliegen von Sachgründen sind dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es reichen alle nicht ihrerseits diskriminierenden legalen Gründe aus. Ein Zugeständnis an die allgemeine Handlungsfreiheit als dem Persönlichkeitsschutz konträres Regelungsziel ist insbesondere darin zu sehen, dass auch privatautonom gesetzte Ziele im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG ausreichend sind.107 Die in der Vorschrift angeordnete Abwägung bedeutet letztlich nichts anderes als die beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ansonsten durchzuführende umfassende 105 ArbG Stuttgart, 15. 4. 2010, 17 Ca 8907/09, NZA-RR 2010, S. 344 f; vom ArbG verneint, jedoch höchst streitig: das Urteil ablehnend etwa Bauer, ArbRAktuell 2010, S. 228; Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 111; Bertzbach, jurisPR-ArbR 24/2010 Anm. 1; Greiner, DB 2010, S. 1940 ff, der den Fall wenig überzeugend als Putativdiskriminierung gemäß § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG sieht, dazu unten 4. Kap. A. II. 1. d); dem ArbG zustimmend: Berrisch, FA 2010, S. 140; ebenso vorher bereits MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 55; das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein, zumal das Urteil in der Berufungsinstanz durch Vergleich beendet wurde, siehe beck-online, becklink 1006149. 106 Vgl. zum Rechtsstand vor Inkrafttreten des AGG, Bieback, S. 102. 107 BAG, 28. 1. 2010, 2 AZR 764/08, NZA 2010, S. 625 (626): „Rechtmäßige Ziele i.S. des § 3 Abs. 2 AGG können alle nicht ihrerseits diskriminierenden und auch sonst legalen Ziele sein. Dazu gehören auch privatautonom bestimmte Ziele des Arbeitgebers, z. B. betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers“.
B. Einwände
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Interessenabwägung zur Feststellung einer Rechtsverletzung. Bei der mittelbaren Benachteiligung indiziert die Zurückweisung also gerade nicht eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung. Eine solche muss vielmehr anhand einer umfassenden Abwägung unter Berücksichtigung der legitimen Interessen des Arbeitgebers positiv festgestellt werden. Durch dieses flexible Instrument wird sowohl dem Integriätsschutz als auch der Handlungsfreiheit Rechnung getragen. Die mittelbaren Diskriminierungen befinden sich im Übergangsbereich zwischen Recht und Unrecht, sie liegen auf der Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz, so dass der Umfang des Substanzrechts hier nicht mehr klar zu sehen ist. Insofern ist die Rückkehr zur Interessensabwägung verständlich. (b) Die Beweislastverteilung bei mittelbaren Benachteiligungen Von nicht unerheblicher Bedeutung für die praktischen Auswirkungen dieser Einschränkung ist die Beweislastverteilung. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass die Beweislast bei mittelbaren Benachteiligungen den Arbeitnehmer trifft, er also zeigen muss, dass keine sachlichen Gründe seitens des Arbeitgebers die Benachteiligung rechtfertigen. Dies soll der Eingrenzung des weit geratenen Verbotsumfangs dienen:108 „[…] Dieser sehr weite Anwendungsbereich bedarf einer Einschränkung, für die der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig ist: Eine mittelbare Benachteiligung liegt nicht vor, wenn ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigt und die eingesetzten Mittel erforderlich und angemessen sind“109.
Diese Ansicht des Gesetzgebers hat sich freilich im Wortlaut nicht niedergeschlagen. Dieser legt vielmehr eine Beweisbelastung des Arbeitgebers nahe.110 Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur sind demnach auch geteilt.111 Berücksichtigt man das bei mittelbaren Benachteiligungen besonders große Risiko der ausufernden Unzulässigkeit eines grundrechtlich geschützten Verhaltens, namentlich der Ausübung der Abschlussfreiheit durch den Arbeitgeber, so wäre eine re108
So auch ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 9. BT-Drucks. 16/1780 S. 33 – Hervorhebung durch den Verfasser. 110 § 3 Abs. 2 AGG: „Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ – Hervorhebung durch den Verfasser. 111 Für eine Beweisbelastung des Arbeitgebers: Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 22 AGG, Rn. 10; Däubler/Bertzbach/Bertzbach, 2008, § 22 AGG, Rn. 37; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 22 AGG, Rn. 14; v. Medem, S. 63; Adomeit/Mohr, 2007, § 22 AGG, Rn. 62; Däubler, AiB 2007, S. 97 (98); Prütting, FS 50 Jahre BAG, S. 1311 (1319); Rust/Falke, 2007, § 22 AGG, Rn. 67; Für eine Beweisbelastung des Beschäftigten: v. Steinau-Steinrück/Schneider/Wagner, NZA 2005, S. 28 (31); Palandt/Grüneberg, 2010, § 22 AGG, Rn. 2; Schrader/Schubert, AGG, Rn. 112; Hey, 2009, § 22 AGG, Rn. 80 f; Erman/Armbrüster, 2008, § 3 AGG, Rn. 16; ders., VersR 2006, S. 1297 (1305 f); Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 98. 109
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striktive Handhabung und somit eine Beweisbelastung des Arbeitnehmers mit der Gesetzesbegründung näher liegend. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auch bei der Interessenabwägung zur Feststellung einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der Anspruchsgegner hinsichtlich der zu seinen Gunsten in die Interessenabwägung einzustellenden Belange darlegungs- und beweispflichtig. Nicht zuletzt aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes112 erscheint es meines Erachtens vorzugswürdig, einem in Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Mittelweg zu folgen und nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zu verfahren.113 Behauptet der Arbeitnehmer, ihm sei kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung bekannt, obliegt es dem Arbeitgeber, den legitimen Grund, die Erforderlichkeit und die Angemessenheit darzulegen und Beweise zu benennen. Den Beweis, dass dem nicht so ist, mag dann der Arbeitnehmer antreten.114 3. Zwischenergebnis Für die mittelbare Benachteiligung gilt damit das, was im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gilt: es bedarf einer Abwägung. Die Rechtswidrigkeit wird nicht durch die Ungleichbehandlung indiziert. Nur für den beschränkten Bereich der unmittelbaren Diskriminierung, den in der Praxis seltensten Fällen, ist demnach eine echte Abweichung erfolgt. Wobei die Abweichung wohlgemerkt eine Rückkehr in einem kleinen Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu dem ist, was auch ansonsten gilt: der Eingriff indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Bedenken Herrmanns115 treffen demnach nicht zu. Im AGG wurde die Gefahr der Uferlosigkeit nicht vergessen. Die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht bekannte Interessenabwägung wurde in § 3 Abs. 2 AGG ins Gesetz integriert und die Beschränkung auf bestimmte Merkmale tut ein Übriges.
112
Hierauf abstellend Däubler/Bertzbach/Bertzbach, 2008, § 22 AGG, Rn. 37. Ebenso ArbG Düsseldorf, 23. 4. 2010, 10 Ca 7038/09, juris, Rn. 61; Bauer/Göpfert/ Krieger, 2008, § 3 AGG, Rn. 37; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 3 AGG, Rn. 29; Nollert-Barasio/ Perreng, AGG, § 3 Rn. 16 f; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 3 AGG, Rn. 22; es handelt sich dabei um eine Senkung der Anforderungen an die konkrete Beweisführungslast, siehe APS/Preis, 2007, 1. Teil, J., Rn. 78 f. 114 Vgl. zum Ganzen BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 3 AGG, Rn. 22. 115 Die freilich noch zu § 611a BGB a.F. geäußert wurden. Insoweit dürfte aus der Sicht Herrmanns jedoch keine Verbesserung der Rechtslage, sondern durch die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes das Gegenteil zwischenzeitlich erfolgt sein. 113
B. Einwände
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III. Beschränkung der Merkmale Der dritte Einwand gegen die Annahme, durch das AGG werde das Persönlichkeitsrecht konkretisiert, betrifft gerade diese Beschränkung auf einzelne verpönte Merkmale. 1. Kritik: Beschränkung widerspricht der Vielschichtigkeit der individuellen Persönlichkeit Folgendes ist vielfach zu lesen: Wenn es tatsächlich um Persönlichkeitsrechtsschutz gehe, sei die Beschränkung auf einige wenige Merkmale nicht zu rechtfertigen, bestehe die Persönlichkeit doch aus zahlreichen, dem Einzelnen dauerhaft zugehörigen Merkmalen.116 Das Persönlichkeitsrecht solle gerade allen Menschen mit all ihren Besonderheiten die menschliche Ebenbürtigkeit und Gleichwertigkeit innerhalb des Sozialwesens sichern.117 Zahlreiche persönlichkeitsbildende Faktoren würden im Gesetz nicht erwähnt, seien aber teilweise mindestens ebenso gewichtig wie die dort genannten Merkmale. Genannt werden in der Literatur etwa die politische Anschauung118, die Sprache119, das Körpergewicht120, die Körpergröße121, die Augenfarbe122, die Haartracht123, allgemein das Aussehen124, die Staatsangehörigkeit125, Krankheiten126, das Vermögen127, die Anzahl der Kinder128 und der Famili116
Siehe Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (52): „Wenn es richtig ist, dass eine Differenzierung nach dem Geschlecht eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ist, dann ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch für Differenzierungen nach dem Glauben oder der politischen Überzeugung gilt“; ebenso Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB, unter 4.; Käppler, AR-Blattei ES Nr. 86 Gleichbehandlung unter I. 2. 117 Siehe Bielefeldt, Diskriminierungsverbot, S. 32, der einen „Widerspruch zum menschenrechtlichen Universalismus“ erkennt; vgl. auch Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 144. 118 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672); MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 94 ff; Adomeit/Mohr, 2007, § 1 AGG, Rn. 21; Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 65 hält es aus deutscher Perspektive für nicht begründbar, warum Diskriminierungen wegen einer religiösen, nicht aber wegen einer politischen Überzeugung verboten sind. 119 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (52); Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672). 120 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 14, Rn. 3. 121 Wobei bzgl. der Körpergröße teilweise eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts sowie der Ethnie angenommen wird, so Schreiber, Jura 2010, S. 499 (499). 122 Neuner, JZ 2003, S. 57 (62); Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 144; Eckert, DStR 2006, S. 1987 (1991). 123 Neuner, JZ 2003, S. 57 (62); Eckert, DStR 2006, S. 1987 (1991); Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672). 124 Runggaldier, FS Doralt, S. 511 (523): Für eine Bewerberin ist es genauso schmerzlich, wenn sie nicht wegen ihrer Hautfarbe, sondern wegen ihrer Hässlichkeit abgewiesen wird; siehe auch Eckert, DStR 2006, S. 1987 (1991), der einen realen „Ihre-Nase-gefällt-mir-nicht-Fall“ schildert. 125 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 100; vgl. dazu aus sozialwissenschaftlicher Sicht auch Scherr, S. 52 ff.
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enstand129. Ebenso wird darauf verwiesen, dass sich die Liste unendlich fortsetzen ließe.130 Konsequent zu Ende gedacht, so die Kritiker, müssten dann alle unsachlichen Differenzierungen aufgrund persönlichkeitsrelevanter Faktoren Persönlichkeitsrechtsverletzungen darstellen.131 2. Befürchtete bzw. erhoffte Erweiterungen aufgrund von Art. 21 EU-Charta Andere132 befürchten gerade diese Ausweitung der Differenzierungsverbote und sehen die Gefahr durch die mit dem Lissabonvertrag in Kraft getretene Grundrechtscharta der Europäischen Union heraufziehen. In deren Art. 21 Abs. 1 heißt es: „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten“.
Würde man dieser Bestimmung irgendwann einmal horizontale Drittwirkung beimessen133 und einen ähnlichen Inhalt wie den bereits existierenden Antidiskri-
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Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 14 Rn. 3; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 101; Scherr, S. 51: Psychatrieaufenthalt; die Abgrenzung von Krankheiten zu der in § 1 AGG genannten Behinderung ist äußerst schwierig und die Grenzen sind fließend, vgl. BAG, 17. 12. 2009, 8 AZR 670/08, NZA 2010, S. 383 ff. 127 Siehe LAG Düsseldorf, 16. 9. 2011, 6 Sa 909/11, juris, Rn. 42 ff. 128 Siehe Adomeit/Mohr, 2007, § 1 AGG, Rn. 21: „Aktuell besonders fragwürdig ist der Umstand, dass das AGG Familien nicht unter Schutz stellt, was zu erheblichen Nachteilen für Menschen mit Kindern führen kann“; ähnlich Säcker, BB 2004, S. (11) 19; vgl. auch Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 14 Rn. 3; Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672). 129 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 14 Rn. 3; Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672). 130 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (414 f); Neuner, JZ 2003, S. 57 (62). 131 So Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB, unter 4. 132 Etwa v. Medem, S. 63; vgl. auch Bauer/v. Medem, ZIP 2010, S. 449 (450); a.A. Däubler/ Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 6, der diese Entwicklung begrüßen würde: „Ein erwünschter Rechtsfortschritt könnte immer noch größer sein, solange das Paradies nicht erreicht ist. Weitere Merkmale werden einbezogen, sobald Art. 21 der Grundrechte-Charta […] rechtliche Verbindlichkeit erlangt“. 133 Die Frage nach der Drittwirkung wurde in der Charta der Grundrechte bewusst offengelassen. Ihre Beantwortung soll durch Rechtsprechung und Wissenschaft erfolgen, siehe dazu v. Danwitz, ZRP 2010, S. 143 (146); Meyer/Borowsky, 2011, Art. 51 EU-Charta, Rn. 31 erkennt einige Anhaltspunkte in der Charta, die für eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte sprechen. Zudem richteten sich einige Artikel wohl unmittelbar an die Bürger; siehe auch Hanau, NZA 2010, S. 1 (4 f); das LAG Düsseldorf, 16. 9. 2011, 6 Sa 909/11, juris, Rn. 42 ff, hat eine unmittelbare Anwendbarkeit (zutreffend) verneint.
B. Einwände
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minierungsrichtlinien geben, so wäre der Damm in der Tat gebrochen.134 Die Aufzählung geht nicht nur über die in den bisherigen Richtlinien genannten Anknüpfungsverbote hinaus, sie ist vor allem auch nicht abschließend („insbesondere“).135 In einer der ersten Entscheidungen nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages hat der EuGH seine höchst umstrittene Rechtsprechung in der Rs. Mangold136 unter direkter Bezugnahme auf diesen Verfassungsartikel bestätigt. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters als ein „allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts“, der auch im Privatrechtsverhältnis Wirkung beanspruche, sei nun über Art. 6 Abs. 1 AEUV, wonach die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Verträge rechtlich gleichrangig seien, auch schriftlich im Primärrecht niedergelegt. Denn nach Art. 21 Abs. 1 dieser Charta seien „Diskriminierungen, insbesondere wegen … des Alters“ verboten.137 Der erste Schritt in Richtung eines umfassenden allgemeinen Diskriminierungsverbotes im Privatrecht, vermittelt über Art. 21 der Grundrechtecharta, scheint damit getan.138 3. Stellungnahme Meines Erachtens ist eine generalklauselartige Ausweitung der verbotenen Anknüpfungsmerkmale unter persönlichkeitsrechtlichen Aspekten nicht zwingend erforderlich (a) und darüber hinaus auch nicht wünschenswert (b). a) Erforderliche Ausweitung? aa) Gefahr der Wertungswidersprüchlichkeit im Einzelfall Den Kritikern ist zunächst zuzugeben, dass in der Auswahl der verbotenen Merkmale tatsächlich eine entscheidende Schwäche des geltenden Antidiskriminierungsrechts zutage tritt. Wählt man bestimmte Merkmale aus, so erhebt man diese Aspekte der Persönlichkeit in ihrer Bedeutung über andere Aspekte.139 In vielen Fallkonstellationen können die Ergebnisse bereits dem Gerechtigkeitsempfinden 134
Siehe v. Medem, S. 63. Siehe dazu Meyer/Hölscheidt, 2011, Art. 21 EU-Charta, Rn. 32; Bielefeldt, Diskriminierungsverbot, S. 29, hält anknüpfend an Art. 21 EU-Charta eine Ausweitung der Merkmale „aufgrund neuer Gefährdungen von Gleichberechtigung“ sowie „aufgrund von gesellschaftlichen Lern- und Sensibilisierungsprozessen“ für „erwartbar“. 136 EuGH, 22. 11. 2005, Rs. C-144/04, NJW 2005, S. 3695 ff (Mangold). 137 EuGH, 19. 1. 2010, Rs. C-555/07, NZA 2010, S. 85 (86) (Kücükdeveci). 138 Vgl. auch Thüsing, ZfA 2006, S. 241 (254) zur Rechtsprechung in Mangold: „Dadurch kann der Ball eines unbegrenzten Diskriminierungsschutzes ins Rollen gebracht werden, auch im Bezug auf Merkmale, die die Richtlinien und das nationale Recht (noch?) nicht kennen. […] Man fragt sich, ob der EuGH hier tatsächlich alle Konsequenzen bedacht hat“; siehe aber auch LAG Düsseldorf, 16. 9. 2011, 6 Sa 909/11, juris, Rn. 42 ff, wonach Art. 21 EU-Charta bei einer diskriminierenden Kündigung wegen des Vermögens nicht anwendbar ist. 139 Baer, ZRP 2002, S. 290 (294) kritisiert dies als „Hierarchisierung von Opfern“; ebenso Bielefeldt, Diskriminierungsverbot, S. 32. 135
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
nach nicht überzeugen. Wenn es beispielsweise nach geltendem Recht möglich ist, Stellenbewerber mit Familie zurückzuweisen, etwa weil ein verstärkter betreuungsbedingter Arbeitsausfall (Krankheit der Kinder) oder auch nur eine verminderte Leistungsfähigkeit während der Arbeitszeit (verursacht durch schlaflose Nächte) vom Arbeitgeber befürchtet wird, andererseits aber schon fraglich ist, ob eine frühere MfS-Tätigkeit ein zulässiger Ablehnungsgrund sein kann, so ist dies kaum verständlich.140 Einem Laien schwer vermittelbar ist es ebenso, dass die Haftung des Arbeitgebers wegen der eindeutig diskriminierenden Ablehnung eines Bewerbers aus den neuen Bundesländern („Ossi -“)141 nach geltender Rechtslage einzig von der umstrittenen Frage abhängen soll, ob es sich bei den Ostdeutschen um eine eigene Volksgruppe (Ethnie) handelt.142 Solche Ergebnisse sind im Einzelfall nur schwer hinzunehmen und der permanenten Gefahr eines Wertungswiderspruchs143 ausgesetzt. bb) Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes bei besonders gefährdeten Gruppen Andererseits spricht die Beschränkung auf bestimmte Merkmale nicht per se gegen ein Verständnis des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz. Auch wenn die Persönlichkeit eines Menschen unendlich facettenreich ist, heißt dies doch nicht, dass der Gesetzgeber bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen nicht einen besonderen Schutz zuweisen kann, wenn er diese Merkmale für besonders gefährdet hält.144 Dass der Gesetzgeber dabei bestimmte Gruppen in den Blick nimmt, bei denen seines Erachtens das Risiko der Zurückweisung aufgrund gruppenspezifischer Merkmale besonders groß ist, kann hinsichtlich einzelner Merkmale, aber nicht als Vorgehensweise insgesamt kritisiert werden. Geht man von einem empirischen Befund aus,145 der Ausgrenzungen bestimmter Gruppen vom Arbeitsmarkt und damit ein140 Krit. zum fehlenden Schutz von Familien Adomeit/Mohr, 2007, § 1 AGG, Rn. 21; Säcker, BB-Spezial 2004, S. (11) 19; Melot de Beauregard, RiW 2009, S. 18 (21). 141 Diesen Vermerk trugen die an die ostdeutsche Bewerberin zurückgesandten Bewerbungsunterlagen im Fall ArbG Stuttgart, 15. 4. 2010, 17 Ca 8907/09, NZA-RR 2010, S. 344 f. 142 Dies verneinend MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 55: „Wir sind ein Volk – auch diskriminierungsrechtlich“; ArbG Stuttgart, 15. 4. 2010, 17 Ca 8907/09, NZA-RR 2010, S. 344 (345); ArbG Würzburg, 23. 1. 2009, 3 Ca 664/08, juris, Rn. 62; Hey, 2009, § 1 AGG, Rn. 14; a.A. Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 1 AGG, Rn. 23; Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 111; vgl. auch Lörler, NJ 2010, S. 278 (280), der die Frage zwar verneint, aber die analoge Anwendung von § 15 AGG auf die Fälle der regionalen Benachteiligung für „vorstellbar“ hält; zum Ganzen bereits oben 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (1). 143 Siehe Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 6; vgl. auch Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672): „Was das Gesetz an untersagten Diskriminierungen unter den möglichen herausgreift, ist alles andere als überzeugend“. 144 Ebenso Treber, DZWir, 1998, S. 177 (183). 145 Die Wichtigkeit verlässlicher empirischer Feststellungen betont Neuner, JZ 2003, S. 57 (62); vgl. auch ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 8, die im Kontext der mittelbaren Benachteiligung darauf hinweist, dass bei den meisten Merkmalen Datenmaterial schwer verfügbar ist oder auch aus Datenschutzgründen (z. B. bei Rasse, Religion, sexueller Orientierung)
B. Einwände
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hergehend auch von weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens belegt, dann besteht hier eine besondere Gefährdungslage für diesen Persönlichkeitsbelang und somit ein besonderes Kränkungspotential. (1) Die Ausgrenzung der Gruppe als Indikator für häufige persönlichkeitsverletzende Kränkungen Wenn hier von „Ausgrenzungen“ gesprochen wird, dann ist damit zugleich die teilhaberechtliche Wirkung von Antidiskriminierungsregelungen angesprochen. Ob sich die teilhaberechtliche Dimension von Antidiskriminierungsrecht mit der Privatrechtsidee vereinbaren lässt, wird noch gesondert zu erörtern sein.146 Hier sei jedoch schon so viel gesagt: Geht der Gesetzgeber davon aus, dass bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt und damit ausgegrenzt werden, so geht damit der Befund einher, dass es gegenüber den Angehörigen dieser Gruppen überproportional häufig zu kränkenden Zurückweisungen kommen wird. Die Gruppenangehörigen machen regelmäßig die soziale Erfahrung, nicht als Individuum mit persönlichen beruflichen Fähigkeiten und Eigenschaften, sondern nur als Repräsentanten ihrer Gruppe wahrgenommen zu werden. Nimmt der Gesetzgeber deshalb diese Gruppen ins Visier, so ergibt sich die teilhaberechtliche Wirkung gleichfalls als Folge des Schutzes der beruflichen Ehre vor Kränkungen. (2) Die Unveränderbarkeit der Merkmale Die angesprochene besondere Gefährdungslage besteht gerade dann, wenn ein persönlichkeitsbildender Faktor einem Menschen unveränderbar anhaftet, wie dies bei apriorischen Merkmalen wie dem Geschlecht, der Rasse, der ethnischen Herkunft und einer Behinderung der Fall ist.147 Sie besteht jedoch auch dann, wenn eine Veränderbarkeit zwar theoretisch denkbar ist, dem Einzelnen aber nicht zugemutet werden kann, weil die Preisgabe ein „sacrificium intellectus“148 wäre. Dies trifft etwa auf die Merkmale Weltanschauung und Religion zu. Weiß der Einzelne, dass er an seinem Schicksal nichts ändern kann, führt dies aufgrund der empfundenen Ausweglosigkeit zweifellos eher zu einer integritätsverletzenden Kränkung, als wenn er sich bewusst ist, dass er der Gruppe entkommen kann. Ihren Gruppen entfliehen können jedoch auch der klein gewachsene Mensch, der krankhaft Dicke, der Schielende oder der besonders Kinderreiche nicht. Sie werden aber vom AGG nicht besonders geschützt. Dies kann man nicht damit erklären, dass diese Menschen sich weniger gekränkt fühlen als die anderen. Jeder gar nicht erhoben werden kann. Auch in der Gesetzesbegründung fehlen größtenteils Belege der behaupteten Ausgrenzungsrealitäten. Krit. in Bezug auf fehlende Quellenangaben, Adomeit/ Mohr, 2007, § 1 AGG, Rn. 129; vgl. auch Schiek, AuR 2003, S. 44 (50): „mangelhafte Datenlage“. 146 Siehe unten 3. Kap. B. VI. 147 Neuner, JZ 2003, S. 57 (62). 148 Neuner, JZ 2003, S. 57 (62).
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Mensch hat seine persönlichen Makel, seine eigene Diskriminierungsgeschichte, seinen persönlichen Schatz an negativen Erfahrungen, mit denen er leben muss. Allein die Unveränderbarkeit der in § 1 AGG unter Schutz gestellten Merkmale vermag ihre besondere rechtliche Behandlung mithin nicht zu rechtfertigen.149 (3) Die Irrelevanz der intersubjektiven Übereinstimmung hinsichtlich des Ausgrenzungspotentials für die subjektive Kränkung des Einzelnen Ein allgemeiner Konsens, eine „intersubjektive Übereinstimmung“150, dass ein Persönlichkeitsmerkmal kollektiv betrachtet ein besonderes Ausgrenzungspotential in gesellschaftlicher Dimension hat, beeinflusst die subjektive Kränkung des Einzelnen ebenfalls nicht. Das Wissen um die Zugehörigkeit zu einer vergleichsweise großen Gruppe (weibliches Geschlecht), die statistisch gesehen häufig Benachteiligungen erfährt, führt nicht zu einer subjektiv stärkeren Kränkung als das Wissen, zu einer kleinen Gruppe (schielende Menschen; Menschen mit Haarausfall) zu gehören. Maßgeblich wird vielmehr die eigene Diskriminierungsgeschichte sein. Mit einem stärkeren Maß an Kränkung bei den Angehörigen von Gruppen, bei denen eine solche intersubjektive Übereinstimmung besteht, lässt sich die Auswahl der verbotenen Merkmale mithin ebenfalls nicht erklären.151 Zumal auch ein allgemeiner Konsens dahingehend bestehen dürfte, dass etwa Familien oftmals Benachteiligungen erfahren und diese Gruppe doch weit größer sein dürfte als die durch die sexuelle Identität geschützten Homosexuellen. (4) Die Gründe für die Auswahl der Merkmale in § 1 AGG Allerdings ist die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten. Der Gesetzgeber hat einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum bei der Auswahl der verbotenen Unterscheidungsmerkmale und bei der Einschätzung des jeweiligen Gefährdungspotentials.152 Man kann zwar sicherlich den Schutz bestimmter Gruppen anstatt anderer Gruppen im Einzelfall auch mit einer besseren bzw. schlechteren Lobbyarbeit erklären.153 Auch werden sicherlich die jeweils regierenden Parteien ihnen nahestehende Gruppen stärker schützen wollen als andere potentiell be149
So auch Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 6; a.A. wohl Högenauer, S. 105. 150 Begriff nach Neuner, JZ 2003, S. 57 (62). 151 Vgl. Neuner, JZ 2003, S. 57 (61 f) sowie ders., Vertragsfreiheit, S. 87 f: Neuner differenziert zwischen dem Schutz vor Ausgrenzungen als teilhaberechtliche Funktion und der abwehrrechtlichen Funktion von Antidiskriminierungsregeln. Die Auswahl der verbotenen Merkmale bei der Frage der Teilhabe will Neuner gerade mit der „intersubjektiven Übereinstimmung“ erklären. In Beziehung zueinander setzt Neuner die beiden Funktionen freilich nicht. 152 Neuner, Vertragsfreiheit, S. 83 f. 153 Dass eine echte Lobby für Familien nicht besteht, darf wohl als allgemeiner Konsens bezeichnet werden.
B. Einwände
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nachteiligte Gruppen, deren Dank an der Wahlurne nicht gleichermaßen gesichert ist. Der von Säcker kritisierte Schutz alter Menschen anstelle von Familien erscheint auch angesichts der Größe der dahinter stehenden Wählergruppen als verständlich.154 Hier besteht jedoch wieder die akute Gefahr, in rechtspolitische Erwägungen zu verfallen. Aus rechtlicher Sicht ist die Auswahl bestimmter Merkmale anstatt anderer Merkmale meines Erachtens solange zulässig, wie der Gesetzgeber nachvollziehbare Sachgründe hierfür hat.155 Dies folgt aus seiner Einschätzungsprärogative. (a) Historische Erfahrungen Greift der Gesetzgeber, wie im AGG geschehen, auf Merkmale zurück, die sich im Laufe der Geschichte als besonders diskriminierungsrelevant und von besonderer gesellschaftlicher Relevanz erwiesen haben,156 so ist dies nicht zu beanstanden. Bei einigen der in § 1 AGG genannten Merkmale handelt es sich zwar zugegeben um solche, die insbesondere im Laufe der Geschichte anderer Länder bedeutsam wurden.157 Das Verbot der Rassendiskriminierung erlangte in den USA, deren Gesellschaft lange Zeit wesentlich heterogener zusammengesetzt war als die deutsche, seine herausgehobene Stellung.158 Andererseits kann die Bedeutung dieses Merkmals und des verwandten Merkmals der ethnischen Herkunft für die deutsche Gesellschaft nicht ernstlich in Frage gestellt werden. Zum einen wegen der spezifisch deutschen Geschichte mit der verhängnisvollen Rassenideologie des Nationalsozialismus.159 Zum anderen ist spätestens seit dem Gastarbeiterboom der 1960er Jahre auch die deutsche Gesellschaft längst nicht mehr homogen zusammengesetzt, man denke etwa an Berlin mit seinen rund 200.000160 türkischstämmigen Bewohnern. Gerade mit dem nationalsozialistischen Teil der deutschen Geschichte lässt sich die Auswahl der Mehrheit der in § 1 AGG genannten Merkmale für die deutsche Rechtsordnung sachlich begründen. Gleiches gilt für das europäische Recht, erfolgte die Gründung der Europäischen Gemeinschaften doch nicht zuletzt in Reaktion auf das gesamteuropäische Trauma der nationalsozialistischen Ära. Die geschichtlichen Erfahrungen aus dieser Zeit haben gezeigt, dass bestimmte Merkmale besonders leicht zur kompletten Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe und somit zur Segmentierung der Gesellschaft führen können. Neben den Merkmalen Rasse und 154 155 156
(62).
Vgl. Säcker, BB-Spezial 2004, S. 11 (19). So auch Neuner, Vertragsfreiheit, S. 83. Was bei den in § 1 AGG genannten Merkmalen der Fall ist, vgl. Neuner, JZ 2003, S. 57
157 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 114; zustimmend Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, Fn. 117. 158 Siehe Schiek, AuR 2003, S. 44 (48 f): Zum Zeitpunkt der Einführung des Diskriminierungsverbotes wegen der ethnischen Herkunft in den USA waren dort ca. 20 % der Bevölkerung dunkelhäutig; vgl. auch Thüsing, RdA 2003, S. 257 (261). 159 Siehe Adomeit/Mohr, 2007, § 1 AGG, Rn. 23. 160 Zahl nach http://de.wikipedia.org/wiki/Berlin.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
ethnische Herkunft (Ausgrenzung und Vernichtung der Nichtarier) lassen sich auch die Merkmale Religion (Ausgrenzung und Vernichtung der Juden), Weltanschauung (Ausgrenzung und Vernichtung der Kommunisten) sowie sexuelle Identität (Ausgrenzung und Vernichtung der Homosexuellen) mit der nationalsozialistischen Geschichte erklären. (b) Strukturelle Nachteile – Das Sonderproblem rationaler Diskriminierungen Bei anderen Merkmalen, wie der Behinderung161 und dem Geschlecht, leuchtet die Diskriminierungsrelevanz unmittelbar ein, da die Merkmalsträger hier über strukturelle Nachteile verfügen.162 Diese Gruppen werden nicht nur aufgrund von irrationalen Vorurteilen ausgegrenzt, sondern ganz wesentlich auch aus wirtschaftlichen Erwägungen:163 Eine Frau kann schwanger werden und droht dann für einige Zeit auszufallen. Für einen Teil dieses Zeitraums muss der Arbeitgeber zudem den Lohn fortzahlen. Letzteres wurde durch die Ausweitung des Umlageverfahrens164 zwar abgemildert, bleibt aber dennoch ein relevanter Faktor. Auch bei einem behinderten Arbeitnehmer drohen vermehrte Fehlzeiten, etwa aufgrund von Arztbesuchen. Darüber hinaus wird ein behinderter Arbeitnehmer je nach Art und Umfang der Behinderung sowie der Art der Tätigkeit möglicherweise über Defizite im Leistungsbereich verfügen.165 Die Auswahl dieser beiden Gruppen durch den Gesetzgeber leuchtet damit zweifellos ein. Nicht umsonst bestanden hinsichtlich dieser beiden Gruppenmerkmale die ersten gesetzlichen Anknüpfungsverbote im deutschen Arbeitsrecht, § 611a BGB und § 81 SGB IX. Andererseits werfen diese Gruppenmerkmale (Geschlecht, Behinderung, evtl. auch Alter) nochmals besondere Fragen auf. Gerade wegen der beschriebenen strukturellen Nachteile und der daraus folgenden wirtschaftlichen Rationalität von Benachteiligungen könnte man geneigt sein, hinsichtlich dieser Fälle einen eigenen Ansatz zu verfolgen. Man könnte so argumentieren, dass ein erkennbarer Handlungsunrechtsgehalt diesen Fällen kaum je anhaften dürfte, weil es sich in den seltensten Fällen um die Bewertung der Person aufgrund von (haltlosen) Pauschalurteilen handelt, sondern vielmehr der Entscheidung in aller Regel rein rationale Erwägungen zu Grunde liegen. Das diesen Gruppen anhaftende, die Benachteiligung motivierende Merkmal ist, anders als etwa die ethnische Herkunft, die Religion oder die sexuelle Identität, für den Arbeitsmarkt bei Anlegung ökonomischer Maßstäbe 161 Wobei dieses Merkmal auch in die zuvor genannte Kategorie fällt, wurden doch im Dritten Reich systematisch die Behinderten von der Gesellschaft getrennt und umgebracht. 162 Zur Sondersituation dieser beiden Gruppen, siehe Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 159 ff. 163 Siehe Thüsing, RdA 2003, S. 257 (258). 164 Zur Ausweitung des Umlageverfahrens im Aufwendungsausgleichsgesetz, vgl. Buchner, NZA 2006, S. 121 ff. 165 Siehe zu den strukturellen Nachteilen Behinderter Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 160.
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nicht nur ausnahmsweise, sondern in der Regel von Bedeutung und die Zurückweisung deshalb zumeist wirtschaftlich vernünftig. Man könnte weiter meinen, dass in diesen Fällen mangels objektiv erkennbaren Unrechtsgehalts eine Einordnung als Privatrecht wesentlicher schwieriger ist oder gar überhaupt nicht mehr gelingt. Richtig hieran ist sicherlich, dass den genannten Merkmalen eine besondere Stellung zukommt, was schon an der bereits erwähnten Tatsache deutlich wird, dass das Geschlecht und die Behinderung die ersten verbotenen Merkmale darstellten. Zudem ist es ebenfalls zutreffend, dass ein rationales Verhalten gewöhnlich von der Rechtsordnung nicht als Unrecht eingestuft wird, weil der Gesetzgeber vernunftorientiertes Handeln in weitaus höherem Maße schützt (und auch zu schützen verpflichtet ist) als irrationale Verhaltensweisen, selbst wenn auch letztere vom weiten Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG erfasst sind. Die Rechtfertigung dafür, rationales Verhalten als unrechtmäßig zu bewerten, ist nur unter erhöhten Voraussetzungen möglich und gelingt insgesamt erheblich schwerer. Unmöglich ist sie gleichwohl nicht. Denn dass „rational“ nicht zwingend auch „legal“ bedeutet, zeigt sich bereits am Beispiel eines Diebes, der die geringe Gefahr seiner Ergreifung mit den vermögensmäßigen Vorteilen der Tat abwägt. Deren Begehung kann danach durchaus wirtschaftlich vernünftig sein. Abgesehen von dieser sprichtwörtlichen „Verbrechervernunft“ gibt es aber auch sonst Konstellationen, in denen eine Rechtsverletzung wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Man denke etwa an die oben geschilderten Fälle Caroline von Monacos oder an die Fälle der sogenannten Streuschäden, in denen ein Schädiger nachvollziehbar kalkuliert, dass wegen der starken Verbreitung eines Schadens auf viele Geschädigte die Gefahr der Geltendmachung der für sich geringen Einzelschäden unterbleiben wird.166 Auch hier liegt zweifellos wirtschaftliche Vernunft vor, die jedoch sicherlich keine Legalität zur Folge hat. Vor allem aber kann auch in den Fällen der wirtschaftlichen Vernunft eine Integritätsverletzung vorliegen. In den Medienfällen wird die Kränkung durch die Kalkulation des Schädigers regelmäßig sogar vertieft. Dies wird man freilich für die Diskriminierungsfälle nicht behaupten können. Die Tatsache, dass etwa die zurückgewiesene Frau ein wirtschaftlich vernünftiges Handeln des Arbeitgebers in einer Zurückweisung erkennt, vertieft die Persönlichkeitsverletzung nicht. Andererseits wird man aber nicht per se davon ausgehen können, dass eine als echte Integritätsverletzung zu bezeichnende Kränkung oder Verbitterung allein deshalb ausbleibt, weil die Zurückweisung nachvollziehbar für die Bewerberin ist. Die gesehene Rationalität ändert nichts daran, dass die Frau wegen eines unveränderbaren Umstandes Nachteile auf dem für ihre Persönlichkeitsentwicklung bedeutsamen Arbeitsmarkt erfährt. Zudem ist es auch nicht ohne Weiteres zutreffend, dass die Ablehnung von Frauen aus rein wirtschaftlichen Erwägungen keinerlei erkennbaren Unrechtsgehalt hat. 166 Siehe dazu Zimmer/Höft, ZGR 2009, S. 662 (664), die sich auch damit befassen, ob wegen des „rationalen Desinteresses“ der einzelnen Geschädigten an einer Rechtsverfolgung (Prozesskostenrisiko!) aus Präventionsgesichtspunkten Sonderregeln zu gelten haben.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Denn auch der derart handelnde Arbeitgeber pauschalisiert zwangsläufig und behandelt die einzelne Bewerberin als bloßes Mitglied einer Gruppe, die über den strukturellen Nachteil verfügt, schwanger werden zu können und deshalb mit ihrer Arbeitsleistung auszufallen droht. Individuelle Strategien, dieses strukturelle Defizit zu kompensieren, bleiben bei einer solchen Pauschalisierung regelmäßig außer Betracht. Dies gilt etwa bezüglich der Existenz von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und des Willens, diese wahrzunehmen, oder auch der eventuellen Bereitschaft des Partners der Bewerberin, in weitem Umfang Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Auch der Wille oder die Fähigkeit, überhaupt Kinder zu bekommen, spielt bei der pauschalisierten Entscheidung des Arbeitgebers keine Rolle. Letztlich wird auch das Aufzeigen der Möglichkeit, das strukturelle Defizit mit einem wie auch immer gearteten individuellen Vorteil auszugleichen, bei einer pauschalisierten Betrachtung verwehrt. Die Frau wird damit, wenn auch aus wirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen, nicht in ihrer Individualität, sondern als bloßes Mitglied der Gruppe potentiell Schwangerer bzw. Betreuender eingestuft. Ein solches die Ehre der einzelnen Frau zweifellos betreffendes Verhalten als Unrecht zu qualifizieren, erscheint durchaus nachvollziehbar. Zumal die regelungstechnische Alternative, nämlich die Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber der einzelnen Frau die Chance eröffnet hat, ihre individuelle Kompensationsstrategie darzulegen, bevor die Entscheidung getroffen wird, keine wirkliche Lösung darstellt. Denn dann wäre zwar der Individualität Rechnung getragen, andererseits müsste die Frau dann aber ihre persönliche Lebensplanung im Bewerbungsgespräch aufzeigen, etwa offenbaren, dass sie keine Kinder will oder gar keine bekommen kann, was schon wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kein gangbarer Weg ist. Man wird derartige Fragen des Arbeitgebers kaum als zulässig betrachten können, so dass ein Recht der Bewerberin zur Lüge hier zweifellos bestünde.167 Auch wird man von der Frau kaum verlangen können, an ihrem einmal entwickelten „Defizitkompensationsplan“ festzuhalten. Die jederzeitige Änderung des persönlichen Lebensentwurfs steht jedermann frei. Nach alledem könnte sich der Arbeitgeber aber nie sicher sein, dass im Zeitpunkt der Bewerbung bestehende oder auch nur behauptete individuelle Kompensationsstrategien tatsächlich Wirklichkeit werden. Danach bleibt als einzige Möglichkeit die Pauschalisierung, die jedoch unter dem oben genannten Aspekt problematisch bleibt. Es handelt sich damit um eine, zugegeben sehr weite, Verschiebung der rechtlichen Grenze zulasten der Handlungsfreiheit, aber nach diesem Verständnis eben gleichwohl noch um Integritätsschutz. Entscheidet man jedoch anders und verneint man die Privatrechtskonformität der Einbeziehung der strukturell nachteiligen Merkmale wegen der vielfachen Rationalität der durch sie motivierten Benachteiligungen, so muss man sich mit der weitergehenden Frage beschäftigen, ob der dann vorliegende Systembruch sich mangels anderweitiger Möglichkeiten der Beseitigung des Grundes der Benach167
Siehe dazu bereits oben 2. Kap. B. II. 2. a) bb).
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teiligung als erforderlich und angemessen zur Erreichung eines legitimen Ziels und somit als verfassungsrechtlich gerechtfertigt darstellt.168 Dabei gibt es gute Gründe, dies (unter bestimmten Voraussetzungen) zu bejahen.169 b) Die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung Eine generalklauselartige Ausweitung des Diskriminierungsschutzes ist nicht nur für ein persönlichkeitsrechtliches Verständnis des AGG nicht nötig, sondern auch nicht wünschenswert. Würde man für eine unbestimmte Vielzahl von Persönlichkeitsmerkmalen den Schutz der Ehre vor kränkenden Zurückweisungen der Vertragsfreiheit vorordnen, würde der Rechtsverkehr und mit ihm der gesamte Arbeitsmarkt zum Erliegen kommen. Wie bereits erwähnt, ist eine marktwirtschaftliche Ordnung zwingend auf Differenzierungen angewiesen. Ohne die „erwünschten“ Diskriminierungen im Sinne eines „Unterscheidungs-, Bewertungs-, und Auswahlverfahrens“ ist Privatrecht, auch privatrechtliches Arbeitsrecht, nicht möglich.170 Zu diesem Verfahren gehört nun grundsätzlich auch die Berechtigung zur Irrationalität sowie zur Bewertung der anderen Marktteilnehmer anhand von pauschalen Beurteilungen, selbst wenn dieses Schubladendenken eine Kränkung hervorrufen wird. Von Medem weist zutreffend darauf hin, dass jedem rechtlichen Kontakt ein sozialer Kontakt vorausgeht, der auf eine Einschätzung des sozialen Gegenübers anhand bestimmter Kriterien angewiesen ist.171 Schlösse man nun alle sachwidrigen Kriterien und Pauschalisierungen wegen ihres möglichen Kränkungspotentials aus, würde praktisch jede soziale Einschätzung zur prinzipiell verbotenen Diskriminierung, es sei denn, sie wäre im Einzelfall gerechtfertigt.172 Dies stellt sicherlich keine sinnvolle Lösung dar, auch wenn die Mechanismen des Arbeitsmarkts seit Jahrzehnten nicht mehr einwandfrei funktionieren. Dieses Problem mit der Abschaffung jeglicher Abschlussfreiheit im Arbeitsrecht bekämpfen zu wollen, wäre der falsche Weg und würde das Ende des marktwirtschaftlich verfassten Arbeitswesens und „das Ende der pluralistischen Ordnung“173 bedeuten. Dieser Weg brächte nach zutreffender Einschätzung von Schwab „die staatlich überwachte Bindung privaten Verhaltens an rationale Gründe und somit das Ende der Freiheit“174, 168 Siehe oben 1. Kap. Fn. 85 zur Frage der Grenzen eines Eingriffs in die bestehenden Privatrechtsstrukturen. 169 Siehe dazu Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 159 ff, der die prinzipielle Möglichkeit der Rechtfertigung eines systemwidrigen Eingriffs in die Privatrechtsstrukturen in bezug auf die Merkmale „Geschlecht“ und „Behinderung“ bejaht, hierfür allerdings aus Verhältnismäßigkeitsgründen fordert, dass der Staat vorher „sämtliche selbstgesetzten Diskriminierungsanreize abbaut“ (S. 162). 170 Siehe Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 26; ders. ZfA 2005, S. 167 (172 f). 171 v. Medem, S. 63. 172 Siehe v. Medem, S. 63. 173 So Neuner, Vertragsfreiheit, S. 87, siehe dazu auch bereits oben zur Ablehnung eines Rechts auf Arbeit, 2. Kap. B. II. 2. a) aa). 174 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (672 f).
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was auch dann nicht als akzeptabel erscheint, wenn man wie Schwab davon ausgeht, dass jede „Benachteiligung aus unsachlichem Grund [..] für den Betroffenen stets kränkend [und damit integritätsverletzend] ist“175. Dies erkennen selbst die größten Befürworter der Antidiskriminierungsregeln an. Däubler etwa sieht in der Limitierung der verbotenen Merkmale den entscheidenden Grund für die Zulässigkeit der Antidiskriminierungsregeln im Hinblick auf die Privatautonomie. Diese sei nicht über Gebühr beeinträchtigt, da die „subjektive Beliebigkeit“ mit Ausnahme der verpönten Merkmale unberührt bleibe und gerade keine allgemeine Pflicht geschaffen werde, nur noch aus sachlichen Gründen zu kontrahieren.176 Die Gefahr der übermäßigen Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit ist aus der Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht bekannt. Ein zu hohes Maß an Integritätsschutz kann grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen anderer empfindlich beeinträchtigen: bei Ehrverletzungen zumeist die Meinungsfreiheit, beim Recht auf Selbstdarstellung die Pressefreiheit, zudem unter Umständen auch die Kunstfreiheit oder die Wissenschaftsfreiheit als besondere Ausprägungen der allgemeinen Handlungsfreiheit. In den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen sind die Abschlussfreiheit sowie die Berufsfreiheit des Arbeitgebers betroffen. Eine diskriminierungsrechtliche Generalklausel sähe sich all denjenigen Einwänden ausgesetzt, die zunächst zu einer völligen Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und später zur Einführung der Interessenabwägung für die Feststellung einer rechtswidrigen Rechtsgutsverletzung geführt haben.177 Mit Herrmann gesprochen wäre dann in der Tat „die Gefahr der Uferlosigkeit […] vergessen“. Schwab weist zudem zu recht darauf hin, dass der Diskriminierungsschutz bei fortschreitender Ausweitung der verbotenen Merkmale zunehmend selbst diskriminierende Wirkung bekommen kann.178 Seines Erachtens könnte dies im schlimmsten Fall soweit gehen, dass „jemand, der kein der Benachteiligung verdächtiges Merkmal trägt, überhaupt keine Chance mehr hat, an attraktive und knappe Güter zu gelangen“179.
175
Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (653). Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, AGG, Einleitung, Rn. 73: „Wäre dies anders, so wäre die Kritik Pickers gerechtfertigt“. Nicht ganz widerspruchsfrei fügt sich hier jedoch die oben bereits zitierte Aussage Däublers ein, dass „ein erwünschter Rechtsfortschritt […] immer noch größer sein [könnte], solange das Paradies nicht erreicht ist.“ Das „Paradies“ sieht Däubler gerade in der Ausweitung der verbotenen Merkmale, vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 6. Himmel und Hölle scheinen hier sehr nahe beieinander zu liegen. 177 Siehe dazu oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 178 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (671 f): „Die Auswahl der Merkmale muss […] gut und überzeugend begründet sein. Denn sie bewirkt, dass diese Schutzmechanismen bei Benachteiligung wegen anderer Merkmale nicht zur Verfügung stehen. Indem das Gesetz durch einen abschließenden Katalog andere, möglicherweise unsachliche Benachteiligungen von seinem Schutz ausschließt, diskriminiert es selbst und erteilt – jedenfalls die von ihm gebotenen Schutzinstrumente betreffend – die Lizenz zur Diskriminierung“. 179 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (673). 176
B. Einwände
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Diskriminierungsverbote im Privatrecht leben demnach zwingend von einer „Selbstbeschränkung“180. Sie kommen, so zutreffend v. Medem181, nur in Betracht, wenn entweder eine hinreichend große Gruppe über einen nachweisbaren strukturellen Nachteil verfügt (Geschlecht, Behinderung, u. U. auch Alter) und damit ganz regelmäßig und in großer Zahl ehrverletzende Zurückweisungen auf dem Arbeitsmarkt erfährt. Oder wenn sich aufgrund geschichtlicher Erfahrungen gezeigt hat, dass ein bestimmtes Merkmal zur kompletten Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe und somit zur Segmentierung der Gesellschaft führen kann (Rasse und ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, u. U. auch die sexuelle Identität). Bei der Herstellung und Aufrechterhaltung dieser Segmentierung kommt es dann wiederum und immer wieder aufs Neue zu einer großen Anzahl von ehrverletzenden Zurückweisungen. Die Auswahl der Merkmale bleibt schwierig und wird immer einen unvollkommenen Kompromiss zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz darstellen. Wertungswidersprüche im Einzelfall sind zudem bei abstrakt-generellen Regelungen oftmals nicht zu vermeiden. Auf Wertungswidersprüche mit der permanenten Ausweitung182 der verbotenen Merkmale zu reagieren, erscheint aber genauso unrichtig, wie den verschärften Ehrschutz im beruflichen Bereich per se als systemwidrig abzulehnen.183
IV. Beschränkung auf den Arbeitsvertrag als Vertragstyp 1. Kritik: Kein Grund für die Sonderbehandlung des Arbeitsrechts Der vierte Kritikpunkt an einem Verständnis des Diskriminierungsschutzes als Persönlichkeitsschutz lässt sich nach dem bislang Gesagten leicht widerlegen. Vielfach wurde in Reaktion auf die Urteile des BAG aus dem Jahre 1989 der Einwand erhoben, die Beschränkung der Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung auf den Arbeitsvertrag als Vertragstyp lasse sich im Ergebnis nicht rechtfertigen. Wenn eine Vertragsverweigerung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstelle, so müsse dies konsequenterweise für alle Vertragstypen gelten.184
180
So v. Medem, S. 63. Siehe v. Medem, S. 63. 182 Eine solche könnte durch den Gesetzgeber oder auch, mittels einer Analogiebildung, durch den Rechtsanwender erfolgen. Die Analogiefähigkeit der verbotenen Merkmale wird man jedoch bereits grundsätzlich ablehnen müssen, siehe dazu MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 1 AGG, Rn. 93 ff. 183 Vgl. Neuner, Vertragsfreiheit, S. 87 f. 184 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (53) m.w.N; Kandler, S. 151. 181
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
2. Stellungnahme Zunächst trifft diese Aussage heute wegen der §§ 19 ff AGG gar nicht mehr in vollem Umfang zu, was freilich ein schwacher Trost für die Kritiker sein dürfte, die sich durch diese Neuerungen in ihren Warnungen wohl eher bestätigt fühlen. Darüber hinaus ist, wie bereits mehrmals erwähnt, die besondere persönlichkeitsrechtliche Bedeutung von Arbeit und die integritätsverletzende Kränkung durch andauernde Arbeitslosigkeit oder beruflichen Misserfolg zu beachten. Da der Arbeitsvertrag anders als jeder andere Vertragstyp für den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung den Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und Persönlichkeitsentfaltung darstellt, rechtfertigt sich seine Sonderbehandlung im AGG unter persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten zwanglos. Wer die Auffassung vertritt, die Anerkennung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bei diskriminierenden Zurückweisungen im Arbeitsrecht müsse konsequent zu Ende gedacht auch zur Anerkennung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bei der Verweigerung eines Darlehensvertrages oder Gastwirtvertrages führen,185 vergleicht Äpfel mit Birnen.
V. Vorvertragliches Schuldverhältnis oder absolutes Recht? 1. Kritik: Hochstilisierung eines vertraglichen Bandes zum absoluten Recht Der fünfte Einwand gegen ein Verständnis des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz basiert auf dem Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als absolutem Recht. Es wird behauptet, die Normen des AGG (bzw. früher § 611a BGB) könnten schon deshalb das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht konkretisieren, weil es sich um lediglich gegen den Arbeitgeber gerichtete (vor-)vertragliche Regelungen handele.186 Heftig kritisiert etwa Wiese187 die Urteile des BAG vom 14. 3. 1989, insbesondere die darin enthaltene Aussage, bei § 611a BGB handele es sich um eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts.188 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Privatrecht sei in seinen Konkretisierungen ein Recht, das grundsätzlich gegenüber jedermann wirke. Die Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Verpflichtungen, selbst wenn sie persönlichkeitsbezogen und schwerwiegend sein 185
So Kandler, S. 151. Käppler, AR-Blattei ES Nr. 86 Gleichbehandlung unter I. 2.; Wiese, JuS 1990, S. 357 (359); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 438; Thees, S. 245; Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (51); Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (257). 187 Wiese, JuS 1990, S. 357 (359). 188 BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, NZA 1990, S. 21 (22): „Geschlechtsbezogene Diskriminierung verletzt regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen Inhalt für den Zugang zum Arbeitsverhältnis durch § 611a I BGB konkretisiert wird“. 186
B. Einwände
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sollten, stelle, so Wiese, keine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Schon aus systematischen Gründen könne § 611a BGB als Norm des Arbeitsvertragsrechts keine Konkretisierung eines absoluten Rechts sein. Die Vorschrift enthalte eine auf das vorvertragliche Arbeitsrecht beschränkte Entscheidung des Gesetzgebers, begründe sich aus rein politischen Erwägungen und sei keine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts. Herrmann189 stimmt Wiese weitestgehend zu. Auch sie hat „gravierende dogmatische Bedenken“ gegen die Urteile des BAG vom 14. 3. 1989. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei schließlich ein absolutes Herrschaftsrecht. Es richte sich gegen jedermann. § 611a BGB betreffe aber den vorvertraglichen Bereich. Eine Ungleichbehandlung im (relativen) vorvertraglichen Bereich führe dann nach der Logik des BAG zu einem absoluten Herrschaftsrecht gegenüber jedermann. Natürlich könnten auch im Vertragsvorfeld absolute Rechtsgüter geschädigt werden. Das BAG verdichte jedoch das vorvertragliche Schuldverhältnis selbst zum absoluten Recht. Es handele sich um eine „Hochstilisierung des schuldrechtlichen Bandes zu einem absoluten Recht“190. Diese „neue Dogmatik“ könne nur als „verfehlt“ bezeichnet werden. Es finden sich jedoch auch gegenteilige Stimmen. Treber191 etwa wendet sich gegen die Ansichten Herrmanns und Wieses. Entschädigungsansprüche für immaterielle Schäden setzten nicht die Verletzung einer mit absoluter Wirkung ausgestatteten Rechtsposition voraus. § 611a BGB a.F. sieht Treber als eine gesetzliche Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränkt auf den vorvertraglichen Bereich.192 Die Norm gehöre in den gleichen Kontext wie § 651 f Abs. 2 BGB. Dem Gesetzgeber stehe es frei, die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Vergleich zum Deliktsrecht nur für den vorvertraglichen Bereich herabzusetzen. Das Interesse an der diskriminierungsfreien Durchführung eines Bewerbungsverfahrens werde vom Gesetzgeber als Schadensposition betrachtet. 2. Stellungnahme a) Die Homogenität der deliktischen und vertraglichen Integritätshaftung Zunächst ist anzumerken, dass Trebers Vergleich mit § 651 f Abs. 2 BGB fehl geht. Die Vorschrift stellt anerkanntermaßen eine Ausnahme zu § 253 Abs. 1 BGB dar, in dem sie nutzlos aufgewendete Urlaubszeit als ersatzfähigen immateriellen Schaden anerkennt. Dennoch konkretisiert die Norm hiermit keinesfalls das allge189 190 191 192
Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (51). Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (51). Treber, DZWir, 1998, S. 177 (183); siehe auch ders., NZA 1998, S. 856 (858). Ebenso Beyer/Möllers, JZ 1991, S. 24 (29).
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
meine Persönlichkeitsrecht im vertraglichen Bereich. Nicht alle immateriellen Nachteile sind auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zurückzuführen. Mag für den Einzelnen seine Urlaubsreise von noch so großer Bedeutung sein, sein Persönlichkeitsrecht wird von einem schlechtleistenden Reiseveranstalter nicht tangiert.193 Weiter erscheint es entgegen Wiese und Herrmann als verfehlt, aus der Relativität eines Schuldverhältnisses dogmatische Grenzen für den Schutz vor Integritätsbeeinträchtigungen ziehen zu wollen. In § 241 Abs. 2 BGB ist anerkannt, dass ein vertragliches Schuldverhältnis auch über den eigentlichen vertraglichen Zweck der Begründung von Forderungen hinausgehende Pflichten in Bezug auf Rechtsgüter und Interessen eines Vertragspartners begründen kann. § 311 Abs. 2 BGB erweitert diesen Integritätsschutz auf den vorvertraglichen Bereich. Die damit einhergehende Erweiterung der Haftung gegenüber dem Deliktsrecht betrifft nicht nur die Voraussetzungen einer Einstandspflicht, wie etwa die Haftung für Erfüllungsgehilfen anstatt bloß für Verrichtungsgehilfen und die Haftung auch bei vermutetem anstatt bei nachgewiesenem Verschulden. Darüber hinaus wird auch der Kreis der geschützten Güter erweitert, wenn nun etwa nicht nur absolute Rechte, sondern auch reine Vermögensbestandteile geschützt werden. Die entscheidende Erkenntnis, die hier nochmals in Erinnerung gerufen sei, liegt darin, dass die schuldrechtliche und die deliktische Integritätshaftung keinesfalls strukturell verschieden, sondern im Prinzip völlig homogen sind.194 Sie bedienen sich mit der Sonderverbindung und dem absoluten Recht nur unterschiedlicher Mittel zur Haftungsbegrenzung.195 Bei der schuldrechtlichen Haftung kann ein Mehr an Gütern und Interessen geschützt werden, da die Gläubigeranzahl hier von vorn herein beschränkt ist. Wie dieses Mehr nun jedoch ausgestaltet wird, ist dabei zunächst völlig offen. Es können beispielsweise nun Güter geschützt werden, denen im Deliktsrecht grundsätzlich196 überhaupt kein Schutz zukommt, wie dies etwa bei reinen Vermögensbestandteilen der Fall ist. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum es nicht genauso möglich sein soll, bei der schuldrechtlichen Integritätshaftung auch absoluten Rechtsgütern einen umfassenderen Schutz zukommen zu lassen, als er durch das Deliktsrecht gewährleistet wird. Damit hat Treber im Ergebnis Recht, wenn er meint, der Gesetzgeber könne das Persönlichkeitsrecht auch nur für den schuldrechtlichen Teil konkretisieren. Dadurch wird keinesfalls das schuldrechtliche Band zu einem absoluten Recht „hochstilisiert“, wie Herrmann meint. Im Gegenteil suggeriert eine solche Aussage, dass die schuldrechtliche und die deliktische Integritätshaftung grundverschieden seien. Dies ist aber, wie gezeigt, nicht der Fall. Das schuldrechtliche Band und das absolute Recht erfüllen hinsichtlich des Integritätsschutzes dieselbe Aufgabe. 193 Vgl. MüKo-BGB/Tonner, 2009, § 651 f BGB, Rn. 62: § 651 f II BGB ist eine „besondere Form des immateriellen Schadensersatzes“. 194 Siehe oben 1. Kap. C. II. 195 Siehe Picker, JZ 1987, S. 1041 (1055). 196 § 826 BGB bildet freilich die Ausnahme hinsichtlich reiner Vermögensschäden.
B. Einwände
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b) Keine auf den (vor-)vertraglichen Bereich beschränkte APR-Konkretisierung Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass die durch das AGG erfolgte Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch tatsächlich auf den schuldrechtlichen Teil beschränkt ist. Bisher wurde lediglich gezeigt, dass dies dogmatisch ohne Weiteres denkbar ist. Im Ergebnis sprechen aber die besseren Gründe ohnehin dafür, dass es sich um eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts als absoluten Rechts und nicht beschränkt auf das (vor-)vertragliche Schuldverhältnis handelt. aa) § 7 Abs. 1 AGG als grundlegende Zuweisungsnorm des AGG Insbesondere muss beachtet werden, dass sich das zentrale197 Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG nicht nur an den Arbeitgeber richtet, sondern wesentlich weiter formuliert ist. Dort heißt es: „Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden.“
Die Vorschrift spricht mithin ein generelles Verbot der Benachteiligung von Beschäftigten wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals aus. Das Verbot richtet sich auch gegen Arbeitskollegen und sonstige Dritte, etwa am Bewerbungsverfahren beteiligte Personen, sowie gegen Kunden des Arbeitgebers, die diesen zu einem diskriminierenden Verhalten veranlassen,198 im Prinzip sogar gegen jedermann.199 Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung und folgt nicht nur aus dem offenen Wortlaut von § 7 AGG, sondern auch aus den Gesetzesmaterialien.200 Mittelbar wird dieser Befund durch § 12 Abs. 3 und 4 AGG bestätigt. Diese Regelungen stellen zwar unmittelbar nur Anforderungen an den Arbeitgeber, jedoch gerade für den Fall, dass Beschäftigte (Abs. 3) oder Dritte (Abs. 4) gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Wenn nun aber auch Dritte grundsätzlich einbezogen sein sollen, dann spricht dies dafür, dass § 7 Abs. 1 AGG als „arbeitsrechtliche Grundnorm des AGG“201 das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur für den (vor-)vertraglichen Bereich im
197
BT-Drucks. 16/1780, S. 25; Adomeit/Mohr, 2007, § 7 AGG, Rn. 9. Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 7 AGG, Rn. 4; Jauernig/Mansel, 2009, § 7 AGG, Rn. 2; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 7 AGG, Rn. 1; Däubler/Bertzbach/ Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 294; a.A. Annuß, BB 2006, S. 1629 (1630). 199 Meinel/Heym/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 12; Hey, 2009, § 7 AGG, Rn. 5. 200 BT-Drucks. 16/1780, S. 34: „Die Vorschrift spricht ein generelles Verbot der Benachteiligung von Beschäftigten wegen eines in § 1 genannten Grundes aus. Das Benachteiligungsverbot richtet sich neben dem Arbeitgeber auch gegen Arbeitskollegen und Dritte, wie z. B. Kunden des Arbeitgebers“. 201 Annuß, BB 2006, S. 1629 (1629). 198
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Verhältnis zum Arbeitgeber, sondern als absolutes Recht in der Jedermann-Beziehung konkretisiert.202 bb) Das Fehlen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses Hinzu kommt, dass nach den allgemeinen Voraussetzungen einer Haftung aus culpa in contrahendo203 ein vorvertragliches Schuldverhältnis in zahlreichen AGGFällen überhaupt nicht angenommen werden kann.204 Erkennt beispielsweise ein fremdenfeindlicher Arbeitgeber bereits auf dem einer Bewerbung beigefügten Passbild, dass der Bewerber dunkelhäutig ist, wandert die Bewerbung anschließend ungelesen in den Papierkorb und kommt es niemals zu einem Bewerbungsgespräch, so liegen die Voraussetzungen des § 311 Abs. 2 BGB nicht vor.205 Weder wurden Vertragsverhandlungen abgebrochen, noch kann bereits von einem „sonstigen geschäftlichen Kontakt“ gesprochen werden. Die bloße Einsendung der Bewerbungsunterlagen reicht hierfür nicht aus.206 Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Initiativbewerbung handelt.207 Sieht man zudem mit der herrschenden Ansicht208 in der Inanspruchnahme und Gewährung von besonderem Vertrauen die Rechtfertigung der Haftungsverschärfung gegenüber dem Deliktsrecht und will man die Enttäuschung dieses Vertrauens mit der Einstandspflicht kompensieren, ordnet sich die AGG-Haftung nicht ins System der c.i.c.-Haftung ein.209 Denn gerade in dem Fall einer diskriminierenden Stellenanzeige, in der ein Arbeitgeber unter Verstoß gegen § 11 AGG ausdrücklich nur männliche, heterosexuelle, junge, katholische oder deutschstämmige Bewerber sucht und vom ersten Moment an keinen Zweifel daran lässt, dass er weibliche, homosexuelle, evangelische, muslimische, alte oder ausländische Bewerber nicht 202 Vgl. v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57, der aus dem weiten Verbotsumfang von § 7 Abs. 1 AGG den Schluss zieht, dass man § 15 Abs. 2 AGG gegenüber benachteiligenden Dritten als eine „Art deliktischen Anspruch eigener Art“ verstehen müsse. 203 Allgemein zur c.i.c.-Haftung MüKo-BGB/Kramer, 2006, vor § 241 BGB, Rn. 92 ff m.w.N. 204 Siehe Neuner, Vertragsfreiheit, S. 79 sowie Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (256), die allerdings neben der Ablehnung der c.i.c. auch einen deliktsrechtlichen Begründungsansatz verwerfen; vgl. auch Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 114. 205 Ebenso MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 22; Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (256). 206 Unrichtig deshalb BAG, 20. 5. 2010, 8 AZR 287/08, NZA 2010, S. 1006 (1008 f), das in einem solchen Fall ein Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB bejahte – ohne jede weitere Begründung. 207 Siehe Stoffels, RdA 2009, S. 204 (Fn. 43). 208 Canaris, JZ 1965, S. 475 (476); ders., Vertrauenshaftung, S. 539; ders., FS Larenz, S. 27 ff; ders., FG BGH I, S. 129 ff; MüKo-BGB/Kramer, 2006, vor § 241 BGB, Rn. 92 ff m.w.N.; vgl. zu den sonstigen Erklärungsmodellen MüKo-BGB/Emmerich, 2006, § 311 BGB, Rn. 59 ff. 209 So bereits zu § 611a BGB (1. Fassung) Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388), Binkert, JZ 1979, S. 747 (749); Eich, NJW 1980, S. 2329 (2333).
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haben will, kann man von der Erweckung eines besonderen Vertrauens beim besten Willen nicht mehr sprechen.210 Selbst wenn man entgegen der oben geäußerten Ansicht die Einsendung der Bewerbungsunterlagen zur Entstehung eines Vertrauenstatbestandes ausreichen lässt, so kann doch die vorausgehende diskriminierende Stellenanzeige keinesfalls Vertrauen enttäuschen, sondern sie wird vielmehr das Entstehen eines Vertrauensverhältnisses von vorn herein verhindern. Verfehlt sind Versuche, die Haftung wegen Bewerberdiskriminierungen in die c.i.c.-Fallgruppe des schuldhaften Abstandnehmens vom Vertrag trotz Erweckung besonderen Vertrauens auf den Vertragsschluss einzuordnen.211 Zunächst ist diese Fallgruppe von vorn herein äußerst fragwürdig, zumindest soweit sie zu einer Haftung auf das Erfüllungsinteresse führen soll.212 Abgesehen von den allgemeinen Bedenken wird jedoch in der typischen Bewerbersituation ein schützenswertes Vertrauen auf den Vertragsschluss von vorn herein nicht entstehen. Selbst wenn die Stellenanzeige nicht diskriminierend formuliert ist, kann sich ein Bewerber doch niemals sicher sein, dass er der Favorit unter den nicht selten zahlreichen Bewerbern für eine offene Stelle ist. Dies gilt umso mehr, als er die anderen Bewerber zumeist nicht kennt und demnach nicht weiß, was seine mitgebrachten Qualifikationen relativ betrachtet wert sind. Zudem hängt der Wert der eigenen Fähigkeiten von deren subjektiver Gewichtung durch den Arbeitgeber ab. Diese Gewichtung kennt der Bewerber im Regelfall gar nicht. Angesichts der zahlreichen Unbekannten im Bewerbungsverfahren kann ohne einen entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers213 ein schützenswertes Vertrauen eines einzelnen Bewerbers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages tatsächlich nicht entstehen. Wenn nun teilweise auf das „generelle Vertrauen“214 des Bewerbers in ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren abgestellt und dem Arbeitgeber gleichzeitig unter Verweis auf den Rechtsmissbrauchseinwand verboten wird, dieses generelle Vertrauen mit einer diskriminierenden Stellenanzeige im konkreten Fall zu vernichten,215 dann hat dies mit dem Rechtsinstitut der culpa in contrahendo rein gar nichts mehr zu tun. Nach zutreffender Ansicht geht es dabei doch gerade um eine verschärfte Haftung aufgrund eines freiwillig hergestellten individuellen Näheverhältnisses und nicht aufgrund eines generellen Vertrauens in eine erzwungene Sonderbeziehung. Mit anderen Worten: Es muss dem Verpflichteten freistehen, ob und mit wem er eine Sonderverbindung mit besonderen Pflichten begründen will. Eine Sonderverbindung entsteht deshalb nach herr210 Ebenso Neuner, Vertragsfreiheit, S. 79; Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (256); Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 114. 211 So aber Kandler, S. 114. 212 Krit. etwa Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139. 213 Beispielsweise dass der Bewerber unter 30 Bewerbern zu den drei Favoriten gehöre. 214 So Kandler, S. 115; auf S. 125 zieht Kandler dann jedoch im Widerspruch hierzu den Schluss, dass § 611a Abs. 2 BGB (1. Fassung) einen dogmatisch der c.i.c. zuzuordnenden Haftungstatbestand darstelle, bei dem allerdings kein dem Arbeitgeber zurechenbares Setzen eines Vertrauenstatbestandes erforderlich sei. 215 So Lorenz, DB 1980 S. 1745 (1746); Kandler, S. 115.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
schender Ansicht auch nicht allein durch das Herantreten des Vertragspartners mit einem Vertragsangebot, ohne dass der Verpflichtete sich in irgendeiner Weise auf das Näheverhältnis eingelassen hat.216 Genauso wird dem Gutachter gestattet, in sein Gutachten eine Klausel aufzunehmen, die die Entstehung einer Sonderverbindung zu einem Dritten ausschließt217. Will man nun dem Arbeitgeber aber verbieten, das Entstehen einer Sonderverbindung zu einem bestimmten Personenkreis von Anfang an zu verhindern, so kann dies aus übergeordneten Gemeinwohlgründen zwar angebracht sein. Der Boden des Privatrechts würde mit einer derartig erzwungenen Sonderverbindung aber verlassen. Ordnen sich zahlreiche der vom AGG erfassten Fälle somit nicht in das überkommene System der (vor-)vertraglichen Haftung ein, so liegt es näher, § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. §§ 1 – 3, 6 ff AGG als eine Persönlichkeitsrechtskonkretisierung im Jedermannsbereich zu begreifen.218 cc) Die Kodifizierung der Rechtsprechung des BAG aus dem Jahre 1989 Des Weiteren spricht auch die Entwicklungsgeschichte des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes für ein deliktsrechtliches Verständnis. Auch wenn es bei der ursprünglichen Fassung von § 611a BGB nicht um (deliktischen) Persönlichkeitsschutz gehen sollte, änderte sich dies spätestens mit der zweiten Fassung der Norm grundlegend. Wie ausführlich dargelegt, wollte der Gesetzgeber mit dem Zweiten Gleichbehandlungsgesetz gerade die Rechtsprechung des BAG aus dem Jahre 1989, in der Benachteiligungen als deliktische Persönlichkeitsrechtsverletzungen angesehen wurden, kodifizieren und gleichzeitig verbessern, indem fortan keine schwere Verletzung und kein schweres Verschulden mehr Voraussetzung für einen Ersatzanspruch sein sollten.219 Anders als teilweise behauptet, wurden aber nicht nur die Rechtsfolgen, sondern gerade auch der deliktische Ansatz selbst übernommen.220 Dass die Vorschrift dabei nicht ins Deliktsrecht verschoben wurde, ist insoweit verständlich, als es gerade um eine Konkretisierung und Verschärfung des Rechts wegen der besonderen Persönlichkeitsrechtsrelevanz von Arbeit ging und deshalb die §§ 611 ff BGB weiterhin als der richtige Standort erschienen.
216
Siehe Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 100. MüKo-BGB/Gottwald, 2007, § 328 BGB, Rn. 119 – Wobei es sich dann um keinen Fall der c.i.c., sondern um einen Fall des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter handelt. 218 Siehe auch Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666): „Wenn das AGG den Kreis der Schuldverhältnisse über die §§ 241, 311 Abs. 2 und 3 hinaus hätte erweitern wollen, dann hätte dieser gravierende Eingriff in das modernisierte Schuldrecht klar ausgesprochen werden müssen“. 219 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. g). 220 Siehe oben 3. Kap. Fn. 3. 217
B. Einwände
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dd) § 7 Abs. 3 AGG als missglückte Vorschrift Für eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts beschränkt auf den schuldrechtlichen Bereich könnte jedoch § 7 Abs. 3 AGG sprechen. Die Vorschrift ordnet ausdrücklich an, dass beim Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot eine vertragliche Pflichtverletzung vorliegt.221 Hiernach könnte man tatsächlich annehmen, dass es sich nur um besonderen Persönlichkeitsrechtsschutz in der vertraglichen Sonderverbindung handelt. Allerdings ist zu beachten, dass § 7 Abs. 3 AGG eine in mehrfacher Hinsicht äußerst missratene Vorschrift darstellt.222 Zunächst deckt sie ihrem Wortlaut nach die vorvertraglichen Schuldverhältnisse scheinbar überhaupt nicht ab. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die diskriminierende Einstellungsentscheidung jedoch der wichtigste Anwendungsbereich der arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG. Demnach wird auch überwiegend vertreten, dass es richtig heißen müsste: Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten.223 Die Vorschrift ist zum Zweiten deshalb missraten, weil auch abgesehen vom vorvertraglichen Schuldverhältnis ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und benachteiligtem Beschäftigten nicht bestehen muss. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG ist bei der Leiharbeit der Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes anzusehen. Ob zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher ein vertragliches Verhältnis besteht, ist jedoch sehr zweifelhaft und umstritten.224 Verneint man dies so kann eine Benachteiligung auch in diesem Fall nicht die Verletzung einer vertraglichen Pflicht darstellen.225 Drittens erscheint der Wortlaut deshalb verwirrend, weil auch die Benachteiligung „durch Beschäftigte“ die Verletzung einer vertraglichen Pflicht darstellen soll. Benachteiligt jedoch ein Beschäftigter, etwa ein Vorgesetzter bei der Beförderungsentscheidung, einen anderen Beschäftigten ungerechtfertigt, so kann dies niemals die Verletzung einer vertraglichen Pflicht zwischen den Beschäftigten sein. 221 „Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten“. 222 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 22: „Die Regelung ist […] gut gemeint, aber schlecht gemacht“. 223 Siehe etwa Rolfs, Studienkommentar, 2007, § 7 AGG, Rn. 7. 224 Siehe dazu etwa Schüren/Schüren, 2010, Einl. zum AÜG, Rn. 109 ff; siehe auch BAG, 15. 3. 2011, 10 AZB 49/10, juris, wonach der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist, wenn ein Leiharbeitnehmer einen Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG gegen den Entleiher geltend macht, weil „auch zum Entleiher rechtliche Beziehungen mit arbeitsrechtlichem Charakter [entstehen]“ (Rn. 9). Allerdings ist der Begriff „Arbeitsverhältnis“, den u. a. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG verwendet, nicht gleichbedeutend mit dem Begriff „Arbeitsvertrag“, siehe dazu, freilich in anderem Kontext, BAG, 22. 4. 2009, 4 AZR 100/08, NZA 2010, S. 41 (46; Rn. 62). 225 So etwa MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 22.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
Eine Sonderverbindung besteht zwischen ihnen nicht. Insbesondere ist seit langem anerkannt, dass es sich bei dem Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und einem Beschäftigten um keinen Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten der anderen Beschäftigten handelt.226 Kollegen haften untereinander grundsätzlich nur deliktisch. § 7 Abs. 3 AGG wird überwiegend227 auch so interpretiert, dass die Beschäftigten nur genannt sind, um klarzustellen, dass ein benachteiligender Beschäftigter zugleich seinen Arbeitsvertrag gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Viertens wird § 7 Abs. 3 AGG zu recht auch deshalb als verfehlt bezeichnet, weil der Gesetzgeber niemals festlegen kann, was Vertragsinhalt und somit eine vertragliche Pflichtverletzung ist.228 Dies können einzig die Parteien. Letztlich offenbart ein Blick in die Gesetzesbegründung, was der Gesetzgeber mit § 7 Abs. 3 AGG bezweckte. Dort229 heißt es: „Absatz 3 verdeutlicht, dass eine Benachteiligung bei Begründung, Durchführung und nach Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses eine Verletzung vertraglicher Pflichten darstellt […]. Da nach § 32 dieses Gesetzes die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts des BGB gelten, sind damit die Regelungen des vertraglichen Leistungsstörungsrechts anwendbar. Daran knüpft auch § 12 Abs. 3 an, der mögliche Maßnahmen des Arbeitgebers beschreibt“.
Dem Gesetzgeber ging es somit darum, die Anwendung der §§ 280 ff BGB sicherzustellen. Damit sollte vor allen Dingen der Regress des Arbeitgebers garantiert werden.230 Zudem zeigt der Verweis auf § 12 Abs. 3 AGG, dass es dem Arbeitgeber in jedem Fall möglich sein soll, arbeitsvertragliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung des benachteiligenden Arbeitnehmers zu ergreifen.231 Einen weitergehenden Gehalt hat § 7 Abs. 3 AGG jedoch nicht. Es lässt sich aus der Vorschrift insbesondere nicht ableiten, dass eine Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Regelungen des AGG auf die (vor-)vertragliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Bewerber bzw. Beschäftigtem beschränkt sein soll.
226
Jauernig/Mansel, 2009, § 7 AGG, Rn. 7. ErfK/Schlachter, 2011, § 7 AGG, Rn. 6; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1090); a.A. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 299, der § 7 Abs. 3 AGG gerade die Wertung entnehmen will, dass der Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem bezüglich der in § 7 Abs. 3 AGG genannten Pflichten ausnahmsweise Schutzwirkungen zugunsten der anderen Beschäftigten entfalte und demnach auch vertragliche Ansprüche zwischen den Beschäftigten in Betracht kämen. 228 Siehe MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 22; Adomeit/Mohr, 2007, § 7 AGG, Rn. 21. 229 BT-Drucks. 16/1780, S. 34. 230 Siehe Adomeit/Mohr, 2007, § 7 AGG, Rn. 23; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1090). 231 Siehe Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1090). 227
B. Einwände
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ee) Die Begrenzung der Haftung gemäß § 15 AGG auf den Arbeitgeber Einer Einordnung des AGG als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Jedermann-Bereich widerspricht es letztlich nur scheinbar, dass § 15 Abs. 1 AGG lediglich den Arbeitgeber als Gegner eines Schadensersatzanspruchs nennt. Denn natürlich wird das Verbot der ungerechtfertigten Benachteiligung hauptsächlich gegenüber dem Arbeitgeber relevant. Wie oben bereits gezeigt, geht es nicht um eine Absenkung des Maßstabes für jegliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Arbeitsleben. Es geht vielmehr darum, dass allein wegen eines bestimmten unveränderbaren Merkmals und dem mit ihm verbunden Pauschalurteil über die beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften der Zugang zu dem für die Persönlichkeitsentwicklung zentralen Arbeitsleben nicht versagt werden darf, weil hiermit eine kränkende Ehrverletzung einhergeht.232 Diese spezifische persönlichkeitsverletzende Kränkung kann jedoch nur derjenige verursachen, der den Zugang zu den Arbeitsplätzen gewährleisten kann. Dies ist in aller Regel der Arbeitgeber. Nicht jeder beliebige Dritte kann Urheber dieser speziellen Persönlichkeitsrechtsverletzung sein, aber eben auch nicht ausschließlich der Arbeitgeber. Er ist lediglich im Normalfall der Schädiger. Neben ihm kommen namentlich drei Personengruppen in Betracht, die in bestimmten Situationen die wahren Entscheidungsträger bezüglich der Arbeitsplatzverteilung sind. Erstens externe Personalberatungsfirmen oder Headhunter, die in Eigenverantwortung Arbeitnehmer für einen Arbeitgeber suchen (Outsourcing der Personalauswahl233). Zweitens Mitarbeiter der Personalabteilung eines Arbeitgebers, die Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen selbständig treffen können. Und drittens Kunden des Arbeitgebers, die eine diskriminierende Einstellungspolitik von diesem verlangen. Wie an anderer Stelle234 noch ausführlich zu zeigen sein wird, haften grundsätzlich auch diese Personengruppen, zwar nicht gemäß § 15 AGG, aber gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG. Die Beschränkung der Haftung auf den Arbeitgeber in § 15 AGG erklärt sich einzig damit, dass dieser in aller Regel der Urheber der persönlichkeitsrechtsverletzenden Diskriminierung sein wird. Aus der Beschränkung des § 15 AGG auf den Umfang der geschützten Position schließen zu wollen, wäre falsch. Denn dann würde man aus dem ausdrücklich normierten Schutzrecht das Substanzrecht ableiten wollen. Der Umfang des Substanzrechts ist jedoch grundsätzlich unabhängig von den Schutzrechten zu bestimmen. Es handelt sich um eine vorgelagerte235 Frage. Zunächst ist die Rechtsposition festzustellen. Ist sie bestimmt, so folgen die Schutz232
Dies gilt für den beruflichen Aufstieg und die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses genauso. 233 Fischer, NJW 2009, S. 3547 (3547). 234 Siehe unten 4. Kap. A. II. 2. b). 235 Picker, JZ 2010, S. 541 (546) spricht von der „Hierarchie der Berechtigungen von Substanzrecht und Schutzrecht“.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
rechte ihr zwingend nach.236 Das Substanzrecht präjudiziert die Schutzrechte.237 Das Substanzrecht selbst wird jedoch durch die zentrale Zuweisungsnorm des § 7 Abs. 1 AGG bestimmt. Das Benachteiligungsverbot verschafft dem Diskriminierten eine schutzfähige Rechtsposition gegenüber jedermann. Dass es tatsächlich nicht jedermann möglich ist, die spezifische Rechtsverletzung zu begehen, und dass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Arbeitgeber der Urheber der Diskriminierung sein wird, ist hierfür ohne Bedeutung. ff) Die Definition des Arbeitgebers in § 6 Abs. 2 AGG Auch aus § 6 Abs. 2 AGG ergibt sich nicht anderes. Die Vorschrift definiert unter der Überschrift „persönlicher Anwendungsbereich“ den Arbeitgeber im Sinne des arbeitsrechtlichen Teils des AGG. Dies wird teilweise238 als Argument für den (vor-) vertraglichen Charakter des Diskriminierungsverbots herangezogen. Eine solche Lesart steht jedoch in offenem Widerspruch zur umfassenden Rechtszuweisungsnorm in § 7 Abs. 1 AGG, die sich nach Wortlaut und Gesetzbegründung an jedermann und gerade nicht nur an den Arbeitgeber richtet.239 Auflösbar erscheint dieser Widerspruch nur, wenn man sich klar macht, dass das AGG über die Zuweisung eines konkretisierten Persönlichkeitsrechts hinaus noch weitere Regelungen trifft. Insbesondere § 12 AGG enthält einen detaillierten Pflichtenkatalog, der sich ausdrücklich an den Arbeitgeber richtet und auch nur auf ihn bezogen Sinn macht. Zudem enthält etwa § 16 AGG ein Maßregelungsverbot mit dem Arbeitgeber als Regelungsadressat. Für diese über die Rechtszuweisung hinausgehenden Regelungen erscheint es sinnvoll, die Person des Arbeitgebers exakt zu definieren und etwa bei der Leiharbeit auch den Entleiher einzubeziehen. Dies leistet § 6 Abs. 2 AGG. Nicht mehr und nicht weniger. Die in der Grundnorm des § 7 Abs. 1 AGG enthaltene Wertung vermag § 6 Abs. 2 AGG aber nicht zu erschüttern. 3. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten: Die Annahme, eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts durch die AGG-Regeln könne schon deshalb nicht vor236
Dazu bereits oben 1. Kap. B. I. Picker, JZ 2010, S. 541 (547) m.w.N. 238 Siehe Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 110: Alleinige Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für Diskriminierungen gemäß § 6 Abs. 2 AGG; dies., FS Kreutz, S. 3 (6 und 8); ausführlich Lehmann, S. 26 ff, der maßgeblich auf die Überschrift von § 6 AGG abstellt; ebenso Preis, Arbeitsrecht, S. 450 f. 239 Diesen Widerspruch erkennt Lehmann, S. 26 ff durchaus. Dennoch will er die Haftung auf den Arbeitgeber beschränken. Wobei die von der h.M. zur Schließung von Haftungslücken angenommene umfassende Haftung des Arbeitgebers für Drittverhalten ihm doch nicht geheuer erscheint und er, wenig überzeugend, unter Rückgriff auf den Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien allein auf eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers abstellen will. 237
B. Einwände
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liegen, weil es sich um (vor-)vertragliche Regelungen handele, das Persönlichkeitsrecht aber ein absolutes Recht sei, ist unzutreffend. Sie verkennt bereits im Ansatz die Homogenität von deliktischer und vertraglicher Integritätshaftung. Die Konkretisierung eines absoluten Rechts, beschränkt auf den (vor-)vertraglichen Bereich, wäre zweifellos möglich. Insbesondere wegen des zentralen Benachteiligungsverbots in § 7 Abs. 1 AGG, das nach seinem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers sich an jedermann richtet, ist jedoch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine absolute Rechtsposition auch umfassend konkretisiert hat. Mithin handelt es sich bei den AGG-Regeln entgegen der ganz herrschenden Ansicht240 um deliktsrechtliche Vorschriften.241
VI. Integritätsschutz oder Teilhaberecht Es wurde bereits mehrfach angesprochen, dass es um die Verhinderung der „Ausgrenzung“ bestimmter Personengruppen vom Arbeitsmarkt geht, dass ihnen eine „Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben“ durch das AGG gegeben werden soll. Damit ist ein weiterer wesentlicher Punkt angesprochen, an dem sich die Kritiker eines persönlichkeitsrechtlichen Verständnisses des AGG reiben. 1. Kritik: Kein subjektives Privatrecht auf Persönlichkeitsentfaltung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei in seinem deliktisch geschützten Bereich ein reines Abwehrrecht, das vor Integritätsverletzungen schütze.242 Wenn das BAG in seinen Urteilen aus dem Jahr 1989 jedoch behaupte, durch eine benachteiligende Zurückweisung würden „die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewerber beeinträch240 Zur h.M. Diller, NZA 2007, S. 649 (651); Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (254 ff); vgl. auch Mansel, FS Canaris, S. 807 (817), der die AGG-Regeln kollisionsrechtlich der Vertragshaftung und nicht der Deliktshaftung zuordnen will. 241 Vgl. Kandler, S. 125, Fn. 231, die schon zu § 611a BGB a.F. eine „Annährung an das Deliktsrecht“ erkennen wollte; Adomeit/Mohr, NJW 2007, S. 2522 (2524) wollen immerhin für Zurechnungsfragen deliktsrechtliche Vorschriften (§ 831 BGB) heranziehen, auch wenn sie die Ansprüche aus § 15 AGG als (vor-)vertraglicher Natur begreifen; ebenso bzgl. § 831 BGB Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666); Fischinger, NZA 2010, S. 1048 (1050), sieht eine Vergleichbarkeit der Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen und § 15 AGG hinsichtlich „Parteien, Schutzgut, Rechtsfolgen sowie Art und Weise der Geltendmachung“; ebenso Staudinger/ders./Richardi, 2011, § 611 BGB, Rn. 150; am weitesten in die aus hiesiger Sicht richtige Richtung geht v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57, der § 15 Abs. 2 AGG in Bezug auf benachteiligende Dritte als eine „Art deliktischen Anspruch eigener Art“ verstehen will. Konsequenter als eine Aufspaltung der Rechtsnatur von § 15 Abs. 2 AGG je nach Person des Benachteiligenden erscheint es aber, die AGG-Regeln insgesamt als deliktsrechtlich zu begreifen. 242 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 437; Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (51); Kandler, S. 149.
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
tigt“243 und deshalb das Persönlichkeitsrecht verletzt, so gehe es dem Gericht doch um eine Rechtskreiserweiterung und um die Schaffung von Teilhabechancen. Dies verstoße gegen die Systematik des Deliktsrechts.244 Ein absolutes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB auf Entfaltung eigener Rechtsgüter sei zudem absurd. Konsequent gedacht müsste dann auch jedermann für die Gesundheit seiner Mitmenschen sorgen.245 Das Deliktsrecht bewahre nur vor Übergriffen und verschaffe keine Chancen. 2. Stellungnahme Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Im Kern ist diese Kritik zutreffend. Ein auf Rechtskreiserweiterung gerichtetes Persönlichkeitsrecht widerspricht in der Tat dem oben skizzierten Privatrechtssystem, in dem ein Recht auf Güteraufstockung immer nur bei Vorliegen eines dahingehendes Willen des Verpflichteten begründet werden kann. a) Zusammengehörigkeit von Integritätsschutz und Ausgrenzungsschutz Zu widersprechen ist den Kritikern jedoch zunächst insoweit, als sich meines Erachtens der Integritätsschutz und die teilhaberechtliche Wirkung von Antidiskriminierungsregeln nicht strikt voneinander trennen lassen. In diese Richtung gehen auch die Entscheidungen des BAG aus dem Jahr 1989. Das Gericht führt dort aus, dass „in der Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeiten der ausgeschlossenen weiblichen Bewerber eine Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten dieser Bewerber“ liege246. Die integritätsverletzende Kränkung wird gerade durch die Verweigerung der chancengleichen Teilhabe bewirkt. Die beiden Dimensionen hängen untrennbar zusammen. Zu ehrverletzenden Kränkungen kommt es, wenn Mitglieder einer Gruppe pauschal wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit zurückgewiesen und vom Arbeitsleben, das für die Persönlichkeitsentwicklung so essentiell ist, ausgeschlossen werden. Kurz gesagt geht es um eine Kränkung durch Ausgrenzung. b) Die Parallele zur Einschränkung des Fragerechts Die Analyse der Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes im Arbeitsrecht hat gezeigt, dass die dynamische, auf Entfaltung und Teilhabe gerichtete Seite des Persönlichkeitsrechts in mehrfacher Hinsicht im Arbeitsrecht bedeutsam wird. Dies 243
BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, NZA 1990, S. 21 (21). Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 110; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 437 ff; Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB. 245 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (52). 246 BAG, 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, NZA 1990, S. 21 (21) – Hervorhebung durch den Verfasser. 244
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betrifft hauptsächlich Rechtsinstitute im bestehenden Arbeitsverhältnis, die sich überwiegend wegen der vorausgehenden vertraglichen Einigung (mehr oder weniger überzeugend) privatrechtskonform begründen lassen. Rechtstechnisch wird hierfür oftmals die Fürsorgepflicht als „Medium“ bemüht. Jedoch findet sich auch ein Referenzinstitut im hier primär247 interessierenden außervertraglichen Bereich – die Einschränkungen des Fragerechts des Arbeitgebers bei Einstellungsgesprächen. Zur Erinnerung: Das Informationsinteresse des Arbeitgebers muss in jedem Einzelfall mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers abgewogen werden. Ergibt sich daraus die Unzulässigkeit einer Frage, steht dem Arbeitnehmer ein „Recht zu Schweigen“ und darüber hinaus sogar ein „Recht zur Lüge“ zu.248 Diese Ausprägung des Persönlichkeitsrechts hat neben einer statischen eine dynamische, teilhaberechtliche Komponente. Persönliches muss einerseits nur insoweit preisgegeben werden, wie der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hieran hat, um das Recht des Bewerbers auf Geheimhaltung seiner persönlichen Belange zu wahren. Dabei wird aber nicht ausschließlich ein von der unzulässigen Frage ausgehender Eingriff abgewehrt. Vielmehr beeinflussen das Recht zur Verweigerung der Beantwortung einer Frage sowie das Recht zur Lüge in ihrer Wirkung ganz maßgeblich die Chance des Arbeitnehmers, die Stelle zu bekommen und somit seinen Rechtskreis zu erweitern. Thees, der das Fragerecht unter persönlichkeitsrechtlichen Aspekten analysiert, sieht deshalb in der Einschränkung des Fragerechts im „Keim […] ein besonderes Persönlichkeitsrecht des Bewerbers auf Förderung seiner Einstellungschancen“ begründet. Hierdurch solle „eine Gefährdung der Persönlichkeitsentfaltung des Bewerbers durch die Berücksichtigung sachlich nicht erforderlicher Informationen verhindert [werden]“249. Der enge sachliche Zusammenhang zwischen der auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützten Einschränkung des Fragerechts des Arbeitgebers und dem AGG ist offensichtlich. Das AGG betrifft die Zulässigkeit von Fragen in Einstellungsgesprächen unmittelbar. Zielt eine Frage auf eines der verbotenen Anknüpfungsmerkmale ab und wäre die Nichtberücksichtigung der Bewerbung wegen dieses Merkmals im Einzelfall nicht gerechtfertigt, so ist auch die Frage unzulässig.250 Denn ein Informationsbedürfnis des Arbeitgebers hinsichtlich eines Umstandes, den er bei 247
Wie bereits mehrfach erwähnt, findet das AGG auch im bestehenden Arbeitsverhältnis Anwendung. Allerdings stehen diese Fälle nicht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Kontrovers diskutiert werden fast ausnahmslos die Fälle der diskriminierenden Nichteinstellung. Da diese Fälle auch privatrechtlich am schwierigsten zu erklären sind, sollen sie im Fokus dieser Arbeit stehen. 248 Vgl. oben 2. Kap. B. II. 2. a) bb). 249 Thees, S. 216. 250 Vgl. zum Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung unter Geltung des AGG, Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, S. 169 ff; spätestens durch die Einführung des AGG hat sich zudem nach h.M. die Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung geändert, vgl. LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/09, juris (Revision anhängig).
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
seiner Entscheidung ohnehin nicht berücksichtigen darf, kann nicht anerkannt werden. c) Vorrang des Integritätsschutzes – Teilhabe als Rechtsreflex Letztlich ist jedoch das Verhältnis von Integritätsschutz und teilhaberechtlicher Dimension der Antidiskriminierungsregeln zu klären. Bisher wurde nur gezeigt, dass die leistungs- und teilhaberechtliche Komponente der Diskriminierungsregeln dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Arbeitsleben nicht fremd ist, und zwar auch im außervertraglichen Bereich nicht. Eine Auswahl bestimmter verbotener Merkmale anhand ihres Ausgrenzungspotentials ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, wobei hinsichtlich dieses sehr schwierig zu bestimmenden Ausgrenzungspotentials die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu respektieren ist.251 Ein privatrechtliches Verständnis der Antidiskriminierungsregeln erscheint, zumindest für den außervertraglichen Bereich, jedoch nur möglich, wenn die teilhaberechtliche der integritätsschützenden Dimension nachgeordnet wird.252 Lässt sich im bestehenden Arbeitsverhältnis eine Pflicht zur gleichberechtigten Förderung der Entfaltungsmöglichkeiten noch als arbeitsvertragliche Nebenpflicht rechtsgeschäftlich konstruieren, wenn auch nur mit bedingter Überzeugungskraft, erscheint dies im Jedermannsbereich nicht möglich. Eine echte teilhaberechtliche Funktion kommt dem privatrechtlichen Deliktsrecht nicht zu. In diesem Punkt ist Elke Herrmann253 Recht zu geben. Die Erweiterung von Rechtskreisen wird im Privatrecht durch das Vertragsrecht gewährleistet. Auf Güteraufstockung zielt das Deliktsrecht nicht, sondern auf Gütererhaltung. Damit ist aber freilich nicht gesagt, dass der intendierte Integritätsschutz nicht auch eine teilhaberechtliche Wirkung zeitigen kann. Eben dies ist bei der Einschränkung des Fragerechts des Arbeitsgebers der Fall. Das außervertragliche allgemeine Persönlichkeitsrecht verbietet bestimmte Fragen nicht, um dem Arbeitnehmer die Chance auf den Erwerb des Arbeitsplatzes und somit auf Güteraufstockung zu geben. Privatrechtlich gedacht lässt sich die Einschränkung des Fragerechts nur zur Abwehr des Angriffs auf das Recht zur informationellen Selbstbestimmung erklären.254 Der Einzelne muss persönliche Daten dem Arbeitgeber nicht preisgeben, weil es seine ureigenste Entscheidung ist, wem und in welchem Umfang er erzählt, welche Vorstrafen oder Krankheiten, welchen Familienstand oder wie viele Kinder er hat. Zur Sache des Arbeitgebers wird dies erst dann, wenn dieser ein berechtigtes Interesse an der Informationsgewinnung hat. Diese Berechtigung seines Interesses kann der Arbeitgeber trotz seiner Abschluss251
Vgl. oben, 3. Kap. B. III. 3. a) bb). Im Ergebnis ebenso Busche, Effektive Rechtsdurchsetzung, S. 176. 253 Vgl. Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (52). 254 Vgl. Staudinger/Richardi, 2005, § 611 BGB, Rn. 140; Preis/Bender, NZA 2005, S. 1321 (1322) vergleichen das „Recht zur Lüge“ wegen der in ihm zum Ausdruck kommenden Angriffsabwehr mit dem strafrechtlichen Notwehrrecht aus § 32 StGB. 252
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freiheit wegen des drohenden Eingriffs in die geschützten Güter des Arbeitnehmers nicht selbst bestimmen. Gleichzeitig bewirkt diese Eingriffsabwehr jedoch zweifellos, dass die Chancen auf Erwerb des Arbeitsplatzes steigen, da der Arbeitnehmer für ihn nachteilige unsachliche Informationen zurückhalten kann. Die teilhaberechtliche Dimension folgt somit auch hier dem Integritätsschutz nach. Dagegen wird eingewandt, dass in einer bloßen Frage noch kein Eingriff zu sehen sei, den es abzuwehren gelte. Zudem könne der Eingriff auch anders abgewehrt werden als durch eine Lüge, namentlich durch bloßes Verweigern der Antwort. Dass dies als nicht ausreichend angesehen werde, zeige, dass es eben nicht um eine Eingriffsabwehr gehe, sondern um die Gewährung von Teilhabe.255 Diese Einwände sind insoweit sachlich gerechtfertigt, als sie zu dem Schluss kommen, dass die teilhaberechtliche Wirkung des „Rechts auf Lüge“ in tatsächlicher Hinsicht zumeist im Vordergrund stehen wird. Dem lügenden Bewerber wird es in aller Regel primär um die Erhöhung seiner Chancen auf Erhalt des Arbeitsplatzes gehen und weniger um den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.256 Allerdings lässt sich die Einschränkung des Fragerechts in rechtlicher Hinsicht systemkonform allein mit der Abwehr eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen. Und ein solcher Eingriff liegt durchaus nicht fern. Ob man bereits das Stellen der Frage als Angriff oder nur als diesem vorgelagerte Schaffung einer Gefahrenlage ansieht, ist dabei letztlich ohne Bedeutung.257 Entscheidend ist, dass eine Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die bloße Möglichkeit des Schweigens wegen der konkreten Situation im Einstellungsgespräch nicht gewährleistet ist. Denn das Schweigen käme wegen der Interessenlage im Einstellungsgespräch einer Offenbarung gleich.258 Wer auf die Frage nach Vorstrafen oder Krankheiten schweigt, der hätte genauso gut sagen können: „Ich habe Vorstrafen“ oder „Ich bin krank“. Eine „weiße Weste“ oder eine gute Gesundheit will niemand verbergen und zwar erst Recht nicht im Einstellungsgespräch, in dem man positive Eigenschaften gerne hervorhebt, auch wenn sie nichts mit dem konkreten Arbeitsplatz zu tun haben. Denn auch durch einen guten Gesamteindruck steigen die Chancen auf die erstrebte Einstellung. Bei der Frage nach der Schwangerschaft gilt nichts anderes. Auch hier wäre das Schweigen sofort mit einer Bejahung der Frage gleichzusetzen, da wegen der Fehlzeiten und der finanziellen Belastungen kein Arbeitgeber ein Interesse an 255
Leipold, AuR 1971, S. 161 (163); ähnlich Wiedemann, FS Herschel, S. 464 (469). Ebenso Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Buchner, 2009, § 30, Rn. 379. 257 Die besseren Argumente sprechen wohl in der Tat dafür, dass es sich bei der bloßen Frage noch nicht um einen Eingriff handelt. 258 Siehe Kaehler, ZfA 2005, S. 519 (523): „Entscheidender Faktor ist damit der ggf. übermäßige Offenbarungsdruck, der sich durch die Kommunikationssituation, die spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen oder auch z. B. durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt ergeben kann. Der eigentliche […] Grundrechsteingriff besteht hier allein in der Preisgabe der geschützten Inhalte. Nicht die unzulässige Frage als solche verletzt Grundrechtspositionen des Bewerbers, sondern erst die (mit der Frage betriebene) erzwungene Offenbarung“. 256
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
einer schwangeren Bewerberin hat. Dies wissen alle Beteiligten und deshalb reicht das bloße Schweigen wegen seines Aussagegehalts in der konkreten Situation, in der ein faktischer Zwang zur Antwort259 besteht, entgegen der oben genannten Ansicht eben nicht zur Eingriffsabwehr aus. Wer nur schweigen und nicht auch lügen darf, wird im Endeffekt gezwungen, sich zu offenbaren, was er wegen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aber nicht muss. Macht man mit einem privatrechtlichen Verständnis ernst, so kann die Teilhabe aber immer nur die Wirkung, der Reflex der Eingriffsabwehr sein. Mit anderen Worten: In rechtlicher Hinsicht dient das „Recht zur Lüge“ ausschließlich dem Schutz der persönlichen Integrität. Über diesen intendierten Bestandsschutz hinaus hat es jedoch rechtskreiserweiternde Wirkung, die in tatsächlicher Hinsicht für den Bewerber die primäre Motivation der Rechtsausübung sein wird. Dieses Auseinanderfallen der Zwecke von Rechtsgewährung und Rechtsausübung ist jedoch irrelevant. Die Motive der Ausübung eines Rechts interessieren die Rechtsordnung so lange nicht, wie die Grenze zum Rechtsmissbrauch nicht überschritten ist. § 242 BGB stellt insoweit hohe Anforderungen. Unzulässig ist die Rechtsausübung nach Treu und Glauben erst dann, wenn der Rechtsinhaber in der konkreten Situation gar kein schutzwürdiges Interesse an der Ausübung seines Rechts hat.260 Das Interesse am Erhalt der faktischen Chance, den begehrten Arbeitsplatz zu bekommen, stellt aber zweifellos ein schutzwürdiges Interesse dar. Diese Erkenntnisse lassen sich nun auf die Antidiskriminierungsregeln übertragen. Deren teilhaberechtliche Wirkung ist unbestritten. Ins zivilrechtliche System fügt sich das Verbot der Benachteiligung von Bewerbern und Beschäftigten jedoch nur ein, wenn man den Integritätsschutz an die Spitze stellt und die teilhaberechtliche Komponente vom Zweck zur Wirkung des Integritätsschutzes degradiert. Die Teilhabe ist dann lediglich der durchaus erwünschte Nebeneffekt des Integritätsschutzes, mag ihr für den Bewerber auch die größere Bedeutung zukommen. Ein solches Verständnis entspricht auch dem geltenden Gesetzestext. Wäre die Teilhabe am Arbeitsleben unmittelbar bezweckt, so wäre es kaum zu verstehen, warum § 15 Abs. 6 AGG einen Einstellungs- und Beförderungsanspruch gerade ausschließt. Die Vorschrift wäre dann sogar grob zweckwidrig. Man wird die, im Übrigen deklaratorische,261 Vorschrift deshalb als weitgehendes Bekenntnis zu den privatrechtlichen Grundstrukturen verstehen dürfen.262 Hierzu passt auch die Ent259
Siehe Kaehler, ZfA 2005, S. 519 (523). MüKo-BGB/Roth, 2007, § 242 BGB, Rn. 211. 261 Dazu näher sogleich unter 4. Kap. A. I. 1. b) bb). 262 Sieht man in § 15 Abs. 6 AGG ein Bekenntnis zu den herkömmlichen privatrechtlichen Strukturen, so wird man die Vorschrift auch dementsprechend weit interpretieren müssen. Auch einen unmittelbaren Anspruch auf Vertragsänderung- oder aufhebung kann es als Folge eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot deshalb nicht geben. Für eine Analogie in diesem Sinne, siehe LAG Hamm, 26. 2. 2009, 17 Sa 923/08, juris, Rn. 118: „Die Vorschrift dient der Wahrung der Vertragsfreiheit und vermeidet einen Kontrahierungszwang als Sanktion einer unerlaubten Diskriminierung. Zwar lässt die Vorschrift offen, ob der Ausschluss eines An260
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wurfsbegründung zu der Vorgängerregelung von § 15 Abs. 6 AGG, in der es heißt: „Ein solcher Einstellungsanspruch wäre mit dem geltenden Arbeitsrecht [und seinen privatrechtlichen Grundstrukturen!] nicht zu vereinbaren“263. Die Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 6 AGG enthält hinsichtlich Bedeutung und Reichweite der Vorschrift selbst keine Aussage. Die insgesamt sehr geringe Aussagekraft der Gesetzesbegründung wurde eingangs bereits herausgestellt. Insbesondere sollte man nicht den Fehler machen, aus der bloßen Beschreibung gesellschaftlicher Ausgrenzungsrealitäten in der Gesetzesbegründung und dem dort zum Ausdruck kommenden Willen, diese zu beseitigen, den Schluss auf einen teilhaberechtlichen Zweck zu ziehen. Denn wie gezeigt dient die Beschreibung des besonderen Ausgrenzungspotentials bei bestimmten Gruppen der Rechtfertigung der Auswahl der Merkmale, weil es bei diesen Merkmalen besonders häufig zu ehrverletzenden Zurückweisungen kommt. Insoweit gehören Integritätsschutz und Ausgrenzungsschutz zusammen. Auch die Tatsache, dass die teilhaberechtliche Wirkung vom Gesetzgeber durchaus erwünscht sein dürfte, reicht nicht aus, um auf einen echten teilhaberechtlichen Zweck zu schließen. Vielmehr müsste der damit einhergehende Wille zum Strukturwandel dann klar und unmissverständlich in Gesetzesbegründung und Gesetzestext (!) zum Ausdruck kommen.264 Letzteres ist entgegen der Ansicht von Adomeit/Mohr265 auch in § 5 AGG nicht geschehen. Die Vorschrift enthält vielmehr, unter engen Voraussetzungen,266 einen besonderen Rechtfertigungsgrund, bei dessen Vorliegen der Gesetzgeber aus guten Gründen die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz wieder zugunsten des erstgenannten Wertes verschiebt. Als Beleg für eine teilhaberechtliche Zweckrichtung kann die Regelung nicht herhalten.267 Dieses Konzept entspricht auch dem bisherigen Verständnis der Gasthausfälle.268 Auch bei ihnen lässt sich ein Schadensersatzanspruch ausschließlich mit der mit spruchs auch in anderen Fällen als der Einstellung und des beruflichen Aufstiegs gegeben [ist]. Die Erwägungen zur Privatautonomie greifen jedoch auch bei anderen Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen in gleichem Maße ein wie bei Einstellung und beruflichem Aufstieg, so dass der Parallelschluss zur Einstellung und Beförderung nahe liegt“; ebenso MüKo-BGB/ Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 42; A.A. ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 15 sowie BAG, 25. 2. 2010, 6 AZR 911/08, NZA 2010, S. 561 (562) bezüglich eines Anspruchs auf Vertragsaufhebung (obgleich i.E. dennoch verneint). 263 BT-Drucks. 12/5468, S. 44, dazu näher unten 4. Kap. A. I. 1. b) bb). 264 Dazu bereits oben 1. Kap. Fn. 85. 265 Adomeit/Mohr, RdA 2011, S. 102 (105): § 5 AGG als Beleg des Zwecks einer „Verteilung knapper Ressourcen unter überindividuellen Verteilungsaspekten“. 266 Dazu ErfK/Schlachter, 2011, § 5 AGG, Rn. 4. 267 Auch der EuGH hat bereits in seiner Entscheidung in Colson/Kamann (10. 4. 1984, Rs. 14/83, NZA 1984, S. 157 ff) klargestellt, dass ein Kontrahierungszwang europarechtlich nicht gefordert ist. Unterstellt man einen echten teilhaberechtlichen Zweck, so wäre dies kaum zu verstehen, weil ein solcher Zweck unmittelbar nur durch einen Einstellungsanspruch verwirklicht werden könnte. 268 Dazu oben 2. Kap. B. I. 2. e).
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3. Kap.: Das AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz
einer Ablehnung einhergehenden Integritätsverletzung erklären. Die Vertragsverweigerung ist hier nicht als solche verboten, sondern nur wegen des damit verbundenen Übergriffs in eine fremde Rechtssphäre.269 Wird die Vertragsverweigerung aber deshalb rechtlich sanktioniert, so hat dies zweifellos eine teilhaberechtliche Wirkung. In den Wirtshausfällen sieht man den Vorrang des Integritätsschutzes nur deutlicher, da der Teilhabe am Wirtshausleben nicht ansatzweise dieselbe Bedeutung zukommt wie der Teilhabe am Arbeitsleben und deshalb die Teilhabedimension hier nicht gleichermaßen in den Vordergrund drängt.270 Das soeben beschriebene Verhältnis von Integritätsschutz und Teilhabe hat auch Folgen für die konkrete Rechtsanwendung, insbesondere für das Verhältnis von § 15 Abs. 1 und § 15 Abs. 2 AGG, auf das sogleich näher einzugehen sein wird.
C. Zwischenergebnis Nach alledem ist festzuhalten: Ein klassisch privatrechtliches Verständnis des AGG ist weitestgehend möglich. Danach wird hauptsächlich durch die zentrale Regelung in § 7 Abs. 1 AGG eine besondere Rechtszuweisung im Sinne einer Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im beruflichen Bereich vorgenommen. Neben der tatbestandlichen Konkretisierung tritt hierdurch zugleich eine Verschärfung ein. Durch den nunmehr im Vergleich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht präzisierten Verlauf der Grenze zwischen der allgemeiner Handlungsfreiheit und dem geschützten persönlichen Bereich bedarf es bei unmittelbaren271 Benachteiligungen keiner umfassenden Interessenabwägung zur Feststellung einer Rechtsverletzung mehr. Genauso wenig ist ein herabwürdigendes Schädigerverhalten oder ein schweres Verschulden für den auf Geld gerichteten Schadenser269 Vgl. Lobinger, Vertragsfreiheit und Diskriminierungsverbote, S. 143; siehe auch OLG Stuttgart, 12. 12. 2011, 10 U 106/11, juris, Rn. 37: „Eine Demütigung, die im Alltag geschieht und nach dem AGG verboten ist, muss […] nicht entschädigungslos hingenommen werden“. 270 Andererseits wird diesseits natürlich auch nicht verkannt, dass sich die Wirtshausfälle von den arbeitsrechtlichen Konstellationen in einem weiteren wichtigen Punkt unterscheiden: Ein Arbeitgeber muss notwendigerweise eine Auswahl treffen, weil er zumeist mehrere Bewerber für einen Arbeitsplatz hat, während der Gastwirt regelmäßig genügend Kapazitäten hätte, auch den abgewiesenen Gast zu bewirten, vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 436. Zudem ist der Gastwirt dem Vertragszweck entsprechend nicht in gleichem Maße darauf angewiesen, dass er „mit seinen Gästen kann“, sondern sein Interesse beschränkt sich in aller Regel auf die Bonität der Kunden. Deshalb ist bei einer benachteiligenden Vertragsverweigerung aufgrund persönlicher Merkmale ein Sachgrund in den Gasthausfällen von vornherein undenkbar, während dies beim Arbeitsvertrag wegen der Komplexität des Vertragszwecks und der persönlichen Verbindung zwischen den Vertragsparteien für einen längeren Zeitraum anders ist. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass die Vertragsverweigerung auch hier das Mittel des Eingriffs darstellt und das Verbot des Eingriffs aus Integritätsschutzgründen rechtskreiserweiternd wirkt. 271 Anders bei der mittelbaren Benachteiligung, siehe oben 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (2).
C. Zwischenergebnis
187
satzanspruch erforderlich. Vielmehr begegnet das AGG den zahlreichen Erkenntnis-, Vorstellungs- und Bewertungsschwierigkeiten mit der Vermutung, dass als echte immaterielle Einbußen zu bezeichnende innere Wirkungen beim Zurückgewiesenen entstehen. Diese Vermutung ist wegen der großen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit auch nicht aus der Luft gegriffen. Die Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts ist entgegen der herrschenden Ansicht auch nicht auf das Verhältnis zum Arbeitgeber beschränkt. Es handelt sich vielmehr um die Zuweisung einer absolut geschützten Rechtsposition. Das Verbot der Benachteiligung Beschäftigter richtet sich danach grundsätzlich an jedermann. Gleichzeitig kann aber nicht jedermann die spezifische persönlichkeitsrechtsverletzende Kränkung hervorrufen. Es bedarf hierfür einer tatsächlichen Macht über die Verteilung von Arbeitsplätzen, die neben dem Arbeitgeber auch externen Personalberatern und Angehörigen der Personalabteilung, in Ausnahmefällen zudem bestimmten Kunden zukommen kann. Letztlich ist einzig ein auf Teilhabe gerichtetes Verständnis des AGG mit der Privatrechtsidee unvereinbar. Substanzrechte sind aus sich heraus niemals auf Rechtskreiserweiterung gerichtet. Hierfür bedarf es vielmehr einer rechtsgeschäftlichen Legitimation. Allerdings kann sich aus dem primär bezweckten Integritätsschutz eine teilhaberechtliche Wirkung ergeben, die in ihrer Bedeutung für den Rechtsträger sehr wohl im Vordergrund stehen kann. Insoweit hängen Integritätsschutz und Teilhabe untrennbar zusammen. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber die verbotenen Merkmale nach ihrem besonderen Ausgrenzungspotential ausgewählt hat. Wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale kommt es in Anzahl und Umfang besonders häufig zu kränkenden Zurückweisungen. Bei der Auswahl der Merkmale ist eine weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers anzuerkennen. Gerade wegen der notwendigen Limitierung der verbotenen Merkmale ist letztlich der in § 1 AGG enthaltene Katalog nicht zu beanstanden, auch wenn es im Einzelfall zweifellos zu Wertungswidersprüchen kommen kann.
4. Kapitel
Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG Nachdem nun genügend Vorarbeit geleistet ist, soll im Folgenden § 15 AGG näher untersucht werden. Die Vorschrift enthält die wesentlichen Sanktionen für Verstöße gegen das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot. In Absatz 1 gewährt sie für diesen Fall den Ersatz von Vermögensschäden, in Absatz 2 von Nichtvermögensschäden. Welche Schadensposten jedoch hierunter fallen, ist genauso umstritten wie die Voraussetzungen einer Haftung.
I. Die ersatzfähigen Schäden 1. Der Ersatz von Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG a) Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur aa) H.M.: Ersatz des positiven Interesses für den bestqualifizierten Bewerber – Ersatz des negativen Interesses für die minderqualifizierten Bewerber Beim Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens nach § 15 Abs. 1 AGG ist vieles streitig. Die wohl herrschende Ansicht geht davon aus, dass es sich primär um einen auf das positive Interesse gerichteten Anspruch handelt, der jedoch nur dem bestqualifizierten Bewerber, also dem bei benachteiligungsfreier Auswahl tatsächlich eingestellten Bewerber, zustehen soll.1 Bei allen anderen (minderqualifizierten) Bewerbern fehle es an der Kausalität zwischen Benachteiligung und Erfüllungsschaden.
1 Willemsen/Schweibert, NJW 2006, S. 2583 (2589); ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 3; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 15 AGG, Rn. 4; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212)¸ Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 23; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 24; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 39; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 26 f; KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 4; Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 131.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
189
Bereits aus § 15 Abs. 6 AGG folge die Ersatzfähigkeit des positiven Interesses des Bestqualifizierten. Die Norm zeige, dass der Gesetzgeber ersichtlich von der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses ausgegangen sei. Ansonsten wäre der Ausschluss eines Kontrahierungszwanges schlicht sinnlos.2 Stoffels3 sieht zudem eine Parallele zum Fall der fehlerhaften Vergabe eines öffentlichen Auftrages. Dort sei wegen § 126 Satz 2 GWB eine zivilrechtliche Haftung auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo möglich. Für solche Ansprüche habe der BGH4 aber anerkannt, dass hier das positive Interesse und nicht lediglich die Aufwendungen für die erfolglose Bewerbung zu ersetzen seien.5 Zudem gehe es inhaltlich um den Verlust einer Chance, die als materielle Einbuße durchaus vermögensmäßig bewertet werden könne, wegen der Dogmatik des deutschen Rechts allerdings nur im Rahmen einer Haftung auf das Erfüllungsinteresse. Letztlich spricht nach dieser Auffassung auch die Entstehungsgeschichte der Norm für eine Haftung auf das positive Interesse. Wiederum Stoffels gelangt zu der Erkenntnis, dass „schon zu § 611a BGB – soweit ersichtlich – einhellig die Meinung vertreten wurde, dass der oder die geschlechtsbedingt Benachteiligte Ersatz des positiven Interesses verlangen kann“6. Vielfach wird innerhalb dieser Ansicht zudem vertreten, dass neben der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses durch den bestqualifizierten Bewerber die minderqualifizierten Bewerber das negative Interesse erhalten sollen.7 Begründet wird dies historisch mit den Anfängen von § 611a BGB, der zunächst sogar nur einen Ersatz des negativen Interesses vorsah8 sowie mit dem Rechtsgedanken aus § 284 BGB.9 Zu Recht vereinzelt geblieben ist die Ansicht des OLG Köln10, wonach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG dafür sprechen „könnte“, dass auch im Rahmen des materiellen Schadensersatzes der Einwand der Minderqualifizierung unerheblich ist. Dies würde zu der absurden Konsequenz führen, dass jeder Bewerber den vollen Erfüllungsschaden geltend machen könnte. Dieses Ergebnis ist absolut unvertretbar, so dass die Ansicht – soweit ersichtlich – von niemandem sonst auch nur in Erwägung gezogen wird. Damit erklärt sich dann auch – wie vom OLG verwundert festgestellt – dass ein 2 Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 24; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212); Krieger, FS Bauer, S. 613 (619). 3 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212). 4 BGH, 8. 9. 1998, II ZR 172 – 97, NJW 1998, S. 3644 (3646). 5 Dazu näher Immenga/Mestmäcker/Stockmann, 2007, § 126 GWB, Rn. 24 und 28 m.w.N. 6 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212 f). 7 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 37; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 24; Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 5; a.A. Wisskirchen, DB 2006, S. 1491 (1499); Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15 AGG Rn. 51; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212, Fn. 117); Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG Rn. 18. 8 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. c). 9 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 37; Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 5. 10 OLG Köln, 29. 7. 2010, 18 U 196/09, DB 2010, S. 1878 (1882 f).
190
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
derartiger Lösungsweg „bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht thematisiert worden [ist]“11. bb) Die Ansicht Wagners: Erstattung des Erwartungswertes der entgangenen Chance Wagner12 wendet sich gegen das Alles-oder-Nichts-Prinzip der herrschenden Ansicht. Seine Bedenken fußen auf der „unsichere[n] Kausalität“13, d. h. auf der fehlenden Möglichkeit, den hypothetischen Kausalverlauf bei diskriminierungsfreiem Verhalten des Arbeitgebers mit Sicherheit zu bestimmen. Man müsse sich verabschieden von der realitätsfernen Vorstellung, es gebe im Einstellungsverfahren eine Erfolg versprechende und zahlreiche von Anfang an aussichtslose Bewerbungen. In Wirklichkeit habe jeder Bewerber lediglich eine Chance auf Einstellung. Deshalb sei der nach § 15 Abs. 1 AGG zu liquidierende Vermögensschaden im „Erwartungswert der entgangenen Chance“14 zu sehen. Dieser müsse in drei Schritten bestimmt werden:15 Auszugehen sei vom Erfüllungsinteresse (positives Interesse). Dieses sei im entgangenen Nettolohn nicht zutreffend ausgedrückt, da darin nicht berücksichtigt sei, dass der Arbeitnehmer keine Gegenleistung erbringen müsse. Wagner schlägt deshalb vor, den Erfüllungsschaden in Anlehnung an § 1a KSchG nach der Formel zu bestimmen: branchentypischer Abfindungsfaktor x hypothetischer Monatsverdienst x branchendurchschnittliche Beschäftigungsdauer. In einem zweiten Schritt müsse für jeden Bewerber gesondert die Einstellungswahrscheinlichkeit (zwischen 0 und 1) bestimmt werden. Hierfür erlaube § 287 ZPO auch eine Schätzung. Lediglich die Gesamtwerte aller Bewerber müssten in der Summe 1 ergeben. Als Vermögensschaden erhalte dann jeder Bewerber den Anteil am positiven Interesse, der sich aus der Multiplikation der auf ihn entfallenden Erfolgswahrscheinlichkeit mit dem Erfüllungsinteresse ergebe (dritter Schritt).
11
OLG Köln, 29. 7. 2010, 18 U 196/09, DB 2010, S. 1878 (1882). Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (396 f und 403) sowie ders./Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1095 f). 13 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1095). 14 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1095). 15 Zum Folgenden ausführlich: Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094 f); vgl. auch Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (403). 12
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
191
cc) M.M.: Ersatz des negativen Interesses Es finden sich jedoch durchaus auch Stimmen in der Literatur16, die sich für eine Beschränkung des Anspruchs aus § 15 Abs. 1 AGG auf das negative Interesse aussprechen. Insbesondere Meinel/Heyn/Herms17 versuchen dies aus § 15 Abs. 6 AGG abzuleiten. Der Vorschrift sei nicht nur der Ausschluss der Naturalrestitution zu entnehmen, sondern auch die Entscheidung des Gesetzgebers, dass ein Ersatz des Erfüllungsinteresses nicht in Betracht komme.18 Wie schon die Rechtsprechung zu Art. 33 Abs. 2 GG bei Konkurrentenstreitigkeiten zeige, setze ein Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens immer voraus, dass zuvor ein Anspruch des Bewerbers auf Erhalt der Stelle bestanden habe.19 Dies sei bei § 15 Abs. 1 AGG wegen § 15 Abs. 6 AGG aber gerade nicht der Fall. Zudem diene nach dem Schutzzweck der Norm der Ausschluss des Kontrahierungszwangs nicht nur dem Schutz der Besetzungshoheit des Arbeitgebers, sondern auch dem Schutz anderer Arbeitnehmer. Es solle verhindert werden, dass wegen eines Abschlusszwangs anderen Arbeitnehmern, etwa dem bevorzugten Bewerber, von dem Arbeitgeber gekündigt werde, um eine wirtschaftliche Doppelbelastung zu vermeiden.20 Stein21 bringt darüber hinaus ein systematisches Argument vor: Die herrschende Meinung könne kaum erklären, warum ein bestqualifizierter Bewerber gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG eine nicht begrenzte und damit möglicherweise höhere Entschädigung als andere erhalte, wenn sein Erfüllungsinteresse bereits in Abs. 1 abgedeckt sei. Es sei wenig plausibel, wenn die Höhe des immateriellen Schadens wegen einer Diskriminierung von einem bereits anderweitig berücksichtigten Erfüllungsinteresse abhängen solle. Zudem könne der Arbeitgeber immer auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten verweisen, weil er nach dem AGG nicht dazu gezwungen sei, den objektiv geeignetsten Bewerber einzustellen.
16
Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 41 ff; Heyn/Meinel, NZA 2009, S. 20 (22 f); Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 15 ff; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20. 17 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 41 ff; Heyn/Meinel, NZA 2009, S. 20 (22 f). 18 Ebenso Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (894); Zöllner/Loritz/Hergenröder, 2008, § 18, VIII, 7., S. 206; siehe auch Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20, wonach § 15 Abs. 6 AGG nicht zwingend auf der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses aufbaue (so aber die h.M., vgl. Stoffels, RdA 2009, S. 204 [212]), sondern auch als Klarstellung gedeutet werden könne, dass das positive Interesse nicht zu ersetzen sei. 19 A.A. ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG Rn. 3. 20 Heyn/Meinel, NZA 2009, S. 20 (22 f); das LAG Berlin-Brandenburg, 26. 11. 2008, 15 Sa 517/08, NJOZ 2008, S. 5205 (5223) hat die Ansicht von Meinel/Heyn/Herms gerade mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH zu Art. 33 Abs. 2 GG abgelehnt. Hiernach erhalte auch der zurückgewiesene Bewerber um eine öffentliche Stelle trotz Doppelbelastung des öffentlichen Arbeitgebers einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf das Erfüllungsinteresse. 21 Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20.
192
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
dd) Zeitliche Begrenzung oder Haftung bis zum Renteneintritt Auch wenn nach herrschender Ansicht das positive Interesse ersatzfähig ist, wird doch vielfach versucht, das aus einer konsequenten Anwendung der Differenzhypothese folgende Ergebnis abzuschwächen. Denn eine Endloshaftung bis zum Eintritt ins Rentenalter wird weithin als unbillig empfunden. Manche22 wollen bei der diskriminierenden Nichteinstellung den Anspruch wegen entgangenem Lohn auf den Zeitraum bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin beschränken, weil der Arbeitgeber vor Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zunächst immer frei kündigen könne (Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens). Wegen der regelmäßig vereinbarten Probezeit und der damit einhergehenden zweiwöchigen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 3 BGB beschränkt sich der Anspruch dann zumeist auf das halbe Monatsgehalt. Vielfach23 wird diese Lösung jedoch auch abgelehnt, weil eine Probezeitkündigung ebenfalls nicht aus einem der in § 1 AGG genannten Gründen erfolgen dürfe.24 Vorgeschlagen wird zudem eine analoge Anwendung von §§ 9, 10 KSchG25 bzw. § 113 Abs. 1 BetrVG,26 weil diese Normen den Wert eines zu Unrecht vorenthaltenen Arbeitsplatzes verkörperten. Andere27 wollen die zu § 628 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätze28 zur Begrenzung des Anspruchs heranziehen, was freilich im Ergebnis keine wesentlichen Unterschiede zur vorgenannten Auffassung mit sich bringt.
22 Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 131; Annuß, BB 2006, S. 1629 (1634); Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 5; Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (895); Seel, MDR 2006, S. 1321 (1323); vgl. auch bereits zu § 611a BGB a.F. Oetker, ZIP 1997, S. 802 (803). 23 Roesner, Gleichbehandlungsgesetz, S. 153; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1096); Krieger, FS Bauer, S. 613 (621). 24 Das BAG, 6. 11. 2008, 2 AZR 523/07, NZA 2009, S. 361 ff hat sich mittlerweile für die Anwendbarkeit der §§ 1 ff AGG auf die Fälle diskriminierender Kündigungen ausgesprochen, obwohl § 2 Abs. 4 AGG dem scheinbar entgegensteht. Vgl. dazu auch v. Medem, S. 153 ff. 25 Boemke/Danko, 2007, § 9, Rn. 57. 26 Krieger, FS Bauer, S. 613 (622) für den Fall einer unterbliebenen Beförderung. 27 Wolf, FS Hromadka, S. 511 (522 f); Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, Gleichbehandlungsrecht, § 8, Rn. 61; Steinkühler, AGG, 2007, Rn. 370; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 3, allerdings beschränkt auf die Fälle unterbliebener Einstellung; bei der unterbliebenen Beförderung spricht sich Schlachter für einen unbegrenzten Anspruch aus; grds. gegen eine Heranziehung von § 628 Abs. 2 BGB Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 39. 28 Siehe dazu BAG, 26. 7. 2001, 8 AZR 739/00, NZA 2002, S. 325 ff: „Nach dem Zweck der Norm beschränkt sich der Anspruch grundsätzlich auf den dem kündigenden Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einer fiktiven Kündigung entstehenden Vergütungsausfall, zu dem allerdings eine den Verlust des Bestandsschutzes ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend §§ 9, 10 KSchG hinzutreten kann“.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Wieder andere29 sprechen sich dafür aus, grundsätzlich 6 Monatsgehälter zuzusprechen, weil wegen § 1 Abs. 1 KSchG sowie § 622 Abs. 3 BGB regelmäßig nach diesem Zeitraum eine endgültige Einstellungsentscheidung getroffen werde. Letztlich gibt es auch Autoren30, die eine Hochrechnung am Maßstab der üblichen oder durchschnittlichen Fluktuation von Bewerbern im konkreten Betrieb oder der jeweiligen Branche vorschlagen. Das LAG Berlin-Brandenburg31 ist jedoch, zumindest für den Fall einer unterbliebenen Beförderung, der Auffassung, dass durchaus auch eine Endloshaftung in Betracht komme, also die gesamte Lohndifferenz bis zum Renteneintrittsalter unter Abzug der ersparten Aufwendungen zu ersetzen sei. Das Gericht gelangt zu dieser Ansicht zunächst durch einen Ausschluss aller konkret vorgeschlagener Begrenzungsmöglichkeiten. Eine hypothetische Kündigung des Arbeitnehmers sei schon kein rechtmäßiges Alternativverhalten. Auch eine Beschränkung entsprechend §§ 9, 10 KSchG oder § 628 Abs. 2 BGB komme nicht in Betracht. Für diese Vorschriften sei charakteristisch, dass der Arbeitnehmer, wenn auch unter Druck, aber doch freiwillig auf den weiteren Schutz des Arbeitsverhältnisses verzichte32. Entweder weil der Arbeitgeber wie in § 628 Abs. 2 BGB einen Grund für eine fristlose Kündigung liefere oder weil trotz Unwirksamkeit der Kündigung für den Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei (wie bei §§ 9, 10 KSchG). Der Arbeitgeber sei mit einem von ihm gestellten Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses aber immer nur dann erfolgreich, wenn der Arbeitnehmer Gründe für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geliefert habe. In den Diskriminierungsfällen sei dem Arbeitnehmer jedoch weder etwas vorzuwerfen, noch verzichte er freiwillig auf das Arbeitsverhältnis. Zudem komme eine zeitliche Beschränkung des Anspruchs auch deshalb nicht in Betracht, weil auch Art. 33 Abs. 2 GG dies für Konkurrentenschutzstreitigkeiten nicht vorsehe und das Europarecht verlange, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet würden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen das nationale Recht.33 29 Rolfs, Studienkommentar, 2007, § 15 AGG, Rn. 9; Schrader/Schubert, AGG, S. 150, Rn. 484; ebenso zu § 81 Abs. 2 SGB IX a.F. ArbG Berlin, 13. 7. 2005, 86 Ca 24618/04, NZARR 2005, S. 608 (612 f); vgl. auch Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 39, der dies de lege ferenda für einen gute Lösung hält. 30 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 541; Frenzel, ZESAR 2010, S. 62 (66); in diese Richtung auch Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1096); Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (396); dazu Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 39: „Diskussionswürdig“, aber mit Potential für „erhebliche praktische Probleme“. 31 LAG Berlin-Brandenburg, 26. 11. 2008, 15 Sa 517/08, NJOZ 2008, S. 5205 (5222 f); zustimmend Däubler, GS Zachert, S. 227 (228); eine rechtsökonomische Analyse des Urteils findet sich bei Frenzel, ZESAR 2010, S. 62 ff; das Urteil des LAG wurde durch das BAG, 22. 7. 2010, 8 AZR 1012/08, NZA 2011, S. 93 ff aufgehoben, jedoch aus anderen Gründen. 32 So auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 540. 33 LAG Berlin-Brandenburg, 26. 11. 2008, 15 Sa 517/08, NJOZ 2008, S. 5205 (5223).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Auch im Schrifttum34 wird mitunter die Möglichkeit einer Haftung für den bis zum Rentenalter entgangenen Lohn befürwortet. b) Stellungnahme aa) Die Unbeachtlichkeit öffentlich-rechtlicher Argumentationsmuster Das zuletzt genannte Argument des LAG Berlin-Brandenburg drückt die Durchmischung der zivilrechtlichen Diskussion mit öffentlich-rechtlichen Aspekten geradezu paradigmatisch aus. Es ist in der Tat richtig, dass der EuGH für Verstöße gegen gemeinschaftsrechtlich fundiertes Recht eine wirkungsähnliche Sanktion verlangt wie für Verstöße gegen gleichartiges nationales Recht. Vergleichen lassen sich Art. 33 Abs. 2 GG und § 15 Abs. 1 AGG jedoch gerade nicht,35 zumindest dann nicht, wenn es sich bei § 15 Abs. 1 AGG nicht um einen öffentlichen Arbeitgeber handelt. Art. 33 Abs. 2 GG kann den öffentlichen Arbeitgeber zu einer Bewerberauswahl, die in jeglicher Hinsicht auf Sachkriterien beschränkt ist, gerade deshalb zwingen, weil hierdurch nicht in die Privatautonomie oder die Berufsfreiheit dieses Arbeitgebers eingegriffen wird. Denn grundrechtsberechtigt ist der öffentliche Arbeitgeber nicht, sondern ganz im Gegenteil grundrechtsverpflichtet, und zwar unmittelbar. Für den öffentlichen Bereich ist deshalb bereits in dogmatischer Hinsicht weder ein Kontrahierungszwang noch ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch weiter problematisch. Der Staat muss auch ohne einen dahingehenden Willen Rechtskreiserweiterungen und Persönlichkeitsentfaltungen aktiv fördern und Teilhabe sichern. Hieraus aber mit dem LAG Berlin-Brandenburg ein Argument für einen privatrechtlich gedeuteten § 15 Abs. 1 AGG gewinnen zu wollen, erscheint als verfehlt. Denn, wie eingangs gezeigt, kann eine Pflicht zur Güteraufstockung im Privatrecht nur aufgrund eines dahingehenden Willens des Verpflichteten entstehen. Und auf Güteraufstockung ist die Verpflichtung zum Ersatz des Erfüllungsinteresses zweifellos gerichtet. Zudem sind Art. 33 Abs. 2 GG sowie § 15 Abs. 1 AGG auch schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Vorschrift des Grundgesetzes alle unsachlichen Kriterien ausschließt, während sich das AGG auf einige verbotene Merkmale beschränkt. Das Problem der unsicheren Kausalität, das Wagner angesprochen hat, stellt sich im öffentlichen Bereich demnach praktisch nicht. Denn jegliche Irrationalität des Arbeitgebers darf hier zur Bestimmung des hypothetischen Kausalverlaufs ausge34 Für die grundsätzliche Möglichkeit einer Haftung bis zum Renteneintritt Lehmann, S. 65 ff; Rust/Falke/Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 22; v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 43 ff; Möller, S. 221; beschränkt auf den Fall der unterbliebenen Beförderung ebenso Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 542. 35 So auch Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 47.
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blendet und durch das objektiv-sachliche Urteil des Richters ersetzt werden. Aus Art. 33 Abs. 2 GG lassen sich demnach keine Argumente für den Umfang der in § 15 Abs. 1 AGG angeordneten Haftung ziehen. Aus den gleichen Gründen geht auch der Vergleich Stoffels mit der c.i.c.-Haftung des öffentlichen Auftraggebers im Vergaberecht fehl.36 Dies gilt ganz unabhängig davon, dass es sich nach dem oben dargelegten Verständnis bei § 15 AGG gerade um keinen Sonderfall der culpa in contrahendo, sondern um eine deliktsrechtliche Vorschrift handelt. Soweit Stoffels eine pauschale Parallele zwischen dem Vergaberecht und dem Antidiskriminierungsrecht ziehen will, verkennt er schlicht die unterschiedliche Grundrechtswirkung zwischen privaten und öffentlichen Stellen. Die Bewerber um öffentliche Aufträge haben nach Art. 3 GG einen Anspruch auf gleichen Zugang zu den Aufträgen nach Leistungsfähigkeit und Eignung gegen den grundrechtsverpflichteten öffentlichen Auftraggeber.37 Genauso wie Arbeitsplatzbewerber im öffentlichen Sektor gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nur umfassend nach Sachkriterien bewertet werden dürfen. Auch in diesem Bereich ist eine Haftung auf das positive Interesse demnach nicht weiter problematisch.38 Es handelt sich dann aber nicht mehr um Privatrecht nach dem oben dargelegten Verständnis, sondern im Kern um öffentliches Recht. Da das erklärte Ziel dieser Untersuchung gerade ist, den privatrechtlich erklärbaren Teil des AGG vom Rest abzugrenzen, müssen diese beiden öffentlich-rechtlichen Argumente zur Bestimmung des Umfangs der Schadensersatzpflicht aus § 15 Abs. 1 AGG außer Betracht bleiben. bb) Die Ambivalenz von § 15 Abs. 6 AGG Aus § 15 Abs. 6 AGG folgt entgegen der vorherrschenden Ansicht im Schrifttum ebenfalls nicht die Ersatzfähigkeit des positiven Interesses. Die Norm kann vielmehr auf zweierlei Arten gelesen werden,39 so dass es nicht verwundert, dass auch die Anhänger der Mindermeinung sich gerade auf diese Vorschrift berufen: Entweder man versteht die Norm mit der herrschenden Meinung konstitutiv als Ausschluss der Naturalrestitution, die man gerade in der Einstellung oder Beförderung sieht. Dies würde aber voraussetzen, dass der Anspruch aus § 15 Abs. 1 AGG ansonsten auf das Erfüllungsinteresse zielt. Oder man liest § 15 Abs. 6 AGG mit der Mindermeinung gerade als Bestätigung für die Annahme einer gegensätzlichen Voraussetzung, nämlich einer Zielrichtung auf das negative Interesse. Auch die 36 Gegen eine Übertragung der vergaberechtlichen Rechtsprechung auch Meinel/Heyn/ Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 48; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20. 37 Siehe Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 140. 38 Vgl. dazu Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 140, der eine auf das positive Interesse gerichtete c.i.c.-Haftung ablehnt, aber wegen der unterschiedlichen Grundrechtswirkung für das Vergaberecht eine Ausnahme machen will. 39 So auch Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Gesetzesbegründung ist nicht sonderlich ergiebig. Wenn aus ihr im Hinblick auf § 15 Abs. 6 AGG überhaupt irgendetwas geschlossen werden kann, dann im Sinne der Mindermeinung: Die Gesetzesbegründung zum AGG verweist lediglich darauf, dass § 15 Abs. 6 AGG den aus §§ 611a Abs. 2 und 5 BGB a.F. bekannten Regelungen entspreche und demnach Einstellungs- und Beförderungsansprüche ausgeschlossen seien.40 In der Gesetzesbegründung zu § 611a BGB in seiner letzten Fassung (von 1998) ist ebenso wenig Erhellendes zu finden. Auch hier wird lediglich darauf verwiesen, dass weiterhin, wie bisher auch, ein Einstellungs- und Beförderungsanspruch ausgeschlossen sein soll.41 In der Gesetzesbegründung des Zweiten Gleichbehandlungsgesetzes, das erstmals eine dahingehende Regelung enthielt, heißt es dann aber: „Der neu einzufügende Absatz 342 stellt klar, dass ein Einstellungsanspruch des benachteiligten Bewerbers ausgeschlossen ist. Ein solcher Einstellungsanspruch wäre mit dem geltenden Arbeitsrecht nicht zu vereinbaren“43.
Die Formulierung „stellt klar“ spricht jedoch für einen deklaratorischen Charakter der Vorschrift, wovon die Mindermeinung auch in Bezug auf § 15 Abs. 6 AGG ausgeht.44 cc) Die historische Auslegung Entgegen der herrschenden Ansicht spricht auch die weitere historische Auslegung keinesfalls für eine Ersatzfähigkeit des positiven Interesses. In der oben dargelegten wechselvollen Geschichte von § 611a Abs. 2 BGB als Vorgängernorm von § 15 AGG bildete sich nie eine übereinstimmende Meinung hierüber heraus. Stoffels45 irrt, wenn er eine solche einhellige Meinung ausgemacht haben will. Nachdem die auf das materielle negative Interesse beschränkte erste Fassung von § 611a BGB als europarechtswidrig verworfen war, wurde 1994 mit der „Entschädigung“ gerade ein Rechtsbegriff in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen, in den bis zum Schluss alles hineingelesen wurde: lediglich eine Ersatzfähigkeit des immateriellen Schadens, nicht aber des Vermögensschadens,46 eine Ersatzfähigkeit des materiellen
40
BT-Drucks. 16/1780, S. 38. BT-Drucks. 10/13242, S. 7. 42 In § 611a BGB vom 1994 war die Regelung noch in Abs. 3 BGB enthalten. 1998 wurde sie dann inhaltsgleich in Abs. 2 aufgenommen, auf den Abs. 5 für Beförderungen Bezug nahm. 43 BT-Drucks. 12/5468, S. 44. 44 Siehe Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20; Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 (1496). 45 Vgl. oben 4. Kap. A. I. 1. a) aa). 46 Oetker, ZIP 1997, S. 802 (803); Volmer, BB 1997, S. 1582 (1583); Schiek, Gleichberechtigungsgesetz, Rn. 88; dies., AiB 1994, S. 450 (453). 41
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Erfüllungsschadens sowie des immateriellen Schadens47 und letztlich eine Ersatzfähigkeit des materiellen Vertrauensschadens sowie des immateriellen Schadens48. In § 15 AGG ist nun erstmals eine Trennung der materiellen und immateriellen Schadensersatzregelungen erfolgt. Aus der Geschichte von § 611a BGB kann auf eine Ersatzfähigkeit des materiellen Erfüllungsschadens jedoch nicht geschlossen werden. Im Gegenteil gibt es in der Gesetzesbegründung des Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes, in dem der Entschädigungsanspruch erstmals normiert wurde, wiederum Anhaltspunkte, die für die Mindermeinung sprechen. Hier ist ausdrücklich die Rede davon, dass die Rechtsprechung des BAG zur Persönlichkeitsrechtsverletzung nunmehr Eingang ins Gesetz finden soll, bei gleichzeitiger Vermeidung der Defizite einer Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB.49 Bei der Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB ging es jedoch ausschließlich um den Ersatz immaterieller Nachteile aufgrund der in der Diskriminierung liegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung. Das positive Interesse wurde auf Grundlage dieser Rechtsprechung, soweit ersichtlich, niemals zugesprochen.50 dd) Die Systemwidrigkeit eines Ersatzes des positiven Interesses Nach alledem ist die Frage nach dem Umfang der Haftung aus § 15 Abs. 1 AGG völlig offen. Meines Erachtens stellt die Beschränkung der Haftung auf das negative Interesse den einzig privatrechtskonformen Lösungsweg dar. Um es vorwegzunehmen: Nicht, wie so oft behauptet, § 15 Abs. 2 AGG ist mit der eingangs beschriebenen Privatrechtsidee unvereinbar. Wenn man der herrschenden Ansicht folgt und das positive Interesse für ersetzbar hält, stellt vielmehr § 15 Abs. 1 AGG die eigentlich systemrechtswidrige Norm dar. Denn eine Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses bedeutet wirtschaftlich betrachtet nichts anderes als eine Pflicht zur Erfüllung. In beiden Fällen ist eine Güteraufstockung geschuldet. Es geht jeweils nicht um einen Schutz des Bestandes der vorhandenen Rechtsgüter, sondern um Rechtskreiserweiterung. Das Absehen von einem Kontrahierungszwang aufgrund der Annahme, ein erzwungenes Arbeitsverhältnis sei wegen der erforderlichen engen persönlichen Zusammenarbeit
47
Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 98 ff. MüKo-BGB/Müller-Glöge, 1997, § 611a BGB, Rn. 47; unklarer formulierend dagegen in der Folgeauflage MüKo-BGB/Müller-Glöge, 2005, § 611a BGB, Rn. 62. 49 BT-Drucks. 12/5468, S. 18 und 44. 50 Vgl. zur eingeschränkten Ersatzfähigkeit materieller Schäden bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts BAG, 16. 5. 2007, 8 AZR 709/06, NZA 2007, S. 1154 (1164): „Ein Ersatz […] materieller Schäden wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts […] [kommt hier] nicht in Betracht. Der materielle Schaden fällt nicht in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. […] Die Zahlung von Verdienstausfall […] für den Verlust des Arbeitsplatzes [ist] vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB i.V. mit den Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG nicht erfasst“. 48
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
(vgl. § 613 BGB) kaum im Interesse der Beteiligten,51 ändert hieran nichts. Ein Ersatz des positiven Interesses in Geld mag aus persönlicher Sicht mit einem Einstellungsanspruch nicht vergleichbar sein, wirtschaftlich betrachtet handelt es sich jedoch um dasselbe.52 Ein Kontrahierungszwang kann aus übergeordneten öffentlichen Interessen zwar durchaus in Betracht kommen, wie dies beim Anbietermonopol hinsichtlich eines überragend wichtigen Gutes der Fall ist53. Um echtes Privatrecht nach dem oben dargelegten Verständnis handelt es sich dann jedoch nicht mehr. In den umstrittenen Fällen der Einstellungsdiskriminierung kann ein rechtsgeschäftlicher Wille des Arbeitsgebers, der eine Güteraufstockungspflicht privatrechtskonform rechtfertigen könnte, nicht festgestellt werden. Bei der benachteiligenden Verweigerung einer Beförderung bliebe zwar der vorgelagerte Arbeitsvertragsabschluss als Anknüpfungspunkt. In diese unter Umständen Jahre zurückliegende rechtsgeschäftliche Erklärung den Willen des Arbeitsgebers hineinzuinterpretieren, bei einer in ferner Zukunft zu treffenden Beförderungsentscheidung diskriminierungsfrei zu handeln, läuft jedoch auf eine Fiktion hinaus. Auch hier lässt sich demnach ein Ersatz des positiven Interesses privatrechtlich nicht erklären. Wenn die herrschende Meinung geltend macht, es gehe inhaltlich um den Verlust einer Chance, die vermögensmäßig einzig im Erfüllungsanspruch ausgedrückt werden könne,54 dann legt sie bereits ein privatrechtswidriges Verständnis zugrunde. Denn ganz abgesehen davon, dass nach herkömmlichem Verständnis bloße Gewinnchancen keine Vermögensbestandteile sind,55 setzt diese Ansicht voraus, dass Private sich untereinander Entfaltungs-, Teilhabe- und Vermögensaufstockungschancen gewähren müssen. Solche aus sich selbst heraus auf Vergrößerung gerichteten („self-inflating“) Substanzrechte gibt es jedoch nicht. Deshalb kann nach dem oben Gesagten die Erhöhung der Chance auf Erhalt der begehrten Stelle auch nur der Rechtsreflex des Integritätsschutzes sein, nicht aber Teil des Persönlichkeitsrechts selbst. Geschützt durch die Schutzrechte, zu denen der Schadensersatzanspruch gehört, werden aber immer nur Substanzrechte und keine Rechtsreflexe. Ein auf das Erfüllungsinteresse gerichteter Anspruch gemäß § 15 Abs. 1 AGG kann privatrechtlich mithin nicht erklärt werden. Damit ist freilich nicht gesagt, dass der Gesetzgeber einen solchen Anspruch im Rahmen seiner Einschätzungspräro51
Siehe dazu etwa Busche, Effektive Rechtsdurchsetzung, S. 166: Dem Diskriminierten helfe es wenig, wenn er „in eine mutmaßlich wenig erfreuliche Austauschbeziehung mit dem Diskriminierer gezwungen [werde]“. 52 Siehe Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139; Staudinger/Busche, 2011, Eckpfeiler, F. V. 1.; vgl. auch Scholz, AP Nr. 6 zu § 611a BGB. 53 Nach Busche, Effektive Rechtsdurchsetzung, S. 175 ist ein Kontrahierungszwang nur anzunehmen, wenn die diskriminierende Vertragsverweigerung dazu führt, dass der Diskriminierte von einem „lebenswichtigen Bedarf“ abgeschnitten wird. 54 Siehe oben 4. Kap. A. I. 1. a) aa). 55 Siehe Fleischer, JZ 1999, S. 766 (768 ff) m.w.N.
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gative aus übergeordneten Gründen nicht trotzdem anordnen kann. Von der Privatrechtswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit ist es ein weiter Weg. Dennoch folgt aus der Erkenntnis der Systemwidrigkeit eines Ersatzes des Erfüllungsinteresses, dass ohne konkrete Anhaltspunkte, die auf einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers schließen lassen, ein solcher nicht gewährt werden kann. ee) Die Unmöglichkeit der Bestimmung des bestqualifizierten Bewerbers Neben der Systemwidrigkeit eines auf das positive Interesse gerichteten Anspruchs spricht gegen eine solche Lösung noch ein weiterer Umstand, der freilich eng mit dem zuvor Gesagten zusammenhängt: Wegen der (notwendigen) Beschränkung der verbotenen Merkmale verbleibt dem Arbeitgeber immer noch eine ganze Reihe von Ablehnungsgründen, die zwar erlaubt sind, aber dennoch sachwidrig sein können (Haarfarbe, Körpergröße, Gewicht, Familienstand, Kinderzahl etc.).56 Es ist nun aber nahezu unmöglich, aus der Vielzahl der sachwidrigen Motive die unerlaubten herauszufiltern und anhand der verbleibenden Ablehnungsgründe den bestqualifizierten Bewerber zu ermitteln. Bei der Bestimmung des hypothetischen Kausalverlaufs, den die schadensrechtliche Differenzhypothese verlangt, müssen die erlaubten Irrationalitäten Berücksichtigung finden. Der objektiv am besten geeignete Bewerber, der unter Ausblendung aller sachwidrigen Motive ermittelt werden kann und etwa im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG derart bestimmt werden muss, ist nicht zwangsläufig der „Sieger“ dieser Differenzhypothese.57 Mag der Bestqualifizierte im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG anhand objektiver Eignung und Befähigung durch einen Richter noch bestimmbar sein, der nach den Kriterien des AGG subjektiv zu ermittelnde Bestqualifizierte ist es nicht. Zwischen der Bewerbung und der erstrebten Einstellung steht immer die lediglich um einige Ablehnungsmotive verkürzte Privatautonomie. Diese Privatautonomie lässt Irrationalitäten und einen Mangel an objektiver Vernunft aber nicht nur zu, sie setzt die Zulässigkeit des Unsachlichen vielmehr voraus.58 Ohne die Freiheit auch des unsachlich gebildeten Willens liegt keine echte Selbstbestimmung mehr vor. Soweit die Privatautonomie reicht, muss der Einzelne auch eine kränkende Zurückweisung hinnehmen. Der Gesetzgeber kann zwar die Grenze zwischen Privatautonomie und 56
Siehe BAG, 21. 7. 2009, 9 AZR 431/08, NJW 2009, S. 3319 (3322): „Eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale ist immer dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber beweist, dass ausschließlich andere Gründe erheblich waren […]. Diesen Beweis kann er auch mit solchen Gründen führen, die die Benachteiligung nicht ohne weiteres objektiv sachlich rechtfertigen“. 57 Siehe BAG, a.a.O.: „Für den Bewerbungsverfahrensanspruch gelten […] andere Kriterien als für die Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG.“; vgl. auch KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 20: „[D]er bestqualifizierte“ Bewerber […] muss, soweit nicht Art. 33 Abs. 2 GG eingreift, nicht die am ,besten‘ qualifizierte Person sein“. 58 Vgl. Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 43 ff.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Integritätsschutz verschieben. Solange er jedoch die Privatautonomie nicht völlig aufgibt, wird die der Privatautonomie immanente Willkür der Bestimmung eines hypothetischen Vertragsschlusses mit dem bestqualifizierten Bewerber im Weg stehen. Es ließe sich nun einwenden, dass es sich wiederum um ein reines Erkenntnisproblem handele, das abermals mit einer Vermutung überwunden werden könne. Wenn der Arbeitgeber trotz der Vielzahl an theoretisch verbleibenden Ablehnungsmotiven ein verbotenes Motiv handlungsleitend werden lässt, so könnte man annehmen, dass er auch innerhalb seiner subjektiven Vernunft nicht mehr auf zulässige Ablehnungsgründe zurückgreifen konnte und somit eine Bestqualifizierung anzunehmen ist. Diese Überlegung hat jedoch einen offensichtlichen Schwachpunkt: Hiernach gäbe es letztlich nur noch bestqualifizierte Bewerber oder es läge schon gar keine Diskriminierung vor. Anders gewendet würde letztlich das Vorliegen einer ungerechtfertigten Benachteiligung die Vermutung der Bestqualifizierung auslösen. Ein solches Ergebnis wird der Wirklichkeit ersichtlich nicht gerecht. Es liegt auf der Hand, dass in einem Bewerbungsverfahren auch mehrere Bewerber für lediglich eine Stelle diskriminiert werden können, gleichzeitig aber nur einer der bestqualifizierte sein kann. Wie soll der Richter also bei all den zulässigen Irrationalitäten einen hypothetischen Kausalverlauf mit hinreichender Sicherheit bestimmen? Wie soll er wissen, ob der Einwand des Arbeitgebers, er habe die groß gewachsene Bewerberin nicht nur deshalb zurückgewiesen, weil Frauen seines Erachtens „an den Herd gehören“ (unzulässiges Motiv), sondern auch, weil er ohnehin sehr ungern Arbeitnehmer beschäftige, die größer als er sind (zulässiges Motiv59), zutreffend oder eine reine Schutzbehauptung ist? Sicherlich ließ sich die Glaubhaftigkeit dieser Behauptung anhand der Körpergrößen der Belegschaft in gewisser Weise verifizieren. Andererseits ist selbst dies kein sicherer Anhaltspunkt, ist es doch durchaus möglich, dass für den Arbeitgeber bei der Einstellung anderer groß gewachsener Mitarbeiter in der Vergangenheit bestimmte Vorzüge den „Nachteil“ der Körpergröße überwogen. Oder der Arbeitgeber hat seine diskriminierende Haltung gegenüber groß gewachsenen Arbeitnehmern tatsächlich erst nach der Einstellung der anderen Mitarbeiter eingenommen. All dies erlaubt ihm die Privatautonomie. Er kann nicht nur unsachliche Motive zur Grundlage seiner Entscheidung machen, er muss diese unsachlichen Gründe nicht einmal konsequent anwenden oder über einen bestimmten Zeitraum durchhalten. Wie schon Salzwedel feststellte, beinhaltet die Privatautonomie die „Freiheit auch zur Unvernünftigkeit, Inkonsequenz, Unlogik und Sprunghaftigkeit“60. Dies macht eine Klärung der Bestqualifizierung im Rahmen einer Beweisaufnahme aber unmöglich. Das Beispiel zeugt davon, wie absurd die 59
Wobei bei der Körpergröße als Differenzierungsmerkmal vereinzelt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Ethnie angenommen wird, siehe Schreiber, Jura 2010, S. 499 (499). 60 Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (348).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Überlegungen bei der Bestimmung des Bestqualifizierten schnell werden. Wie man es dreht und wendet: Schon rein tatsächlich stößt man bei der Ermittlung des „geeignetsten“ Bewerbers an seine Grenzen. Und auch in rechtlicher Hinsicht verhindert der verbleibende Rest an Privatautonomie einen Ersatz des positiven Interesses. Es handelt sich um mehr als ein Erkenntnisproblem.61 Das Festhalten an der (wenn auch eingeschränkten) Privatautonomie bedeutet auch ein Festhalten an dem Grundsatz, dass eine Pflicht zur Rechtskreiserweiterung immer auf den autonomen Willen des Verpflichteten zurückgeführt werden muss. Denn dieser Grundsatz findet seinen Ursprung ebenfalls in der Privatautonomie.62 ff) Keine außervertragliche Haftung auf das Erfüllungsinteresse Gegen die hier vertretene Ansicht lässt sich nicht anführen, dass auch sonst im Privatrecht echte vermögensaufstockende Leistungspflichten ohne einen dahingehenden Willen des Verpflichteten entstehen können. Dies wird gerade im Zusammenhang mit diskriminierenden Einstellungen nicht selten eingewandt. Insbesondere diejenigen Autoren, welche diese Fälle der c.i.c.-Fallgruppe des schuldhaften Abbruchs von Vertragsverhandlungen zuordnen, behaupten oftmals, dass die Ent-
61 Deshalb ist es auch nicht möglich, in den seltenen Sachverhaltskonstellationen, in denen die Bestimmung des „Bestqualifizierten“ nicht an den fehlenden Erkenntnismöglichkeiten scheitert, das positive Interesse zu gewähren. Der Dekker-Entscheidung lag ein solcher Sachverhalt zugrunde, denn hier hatte die für die fachliche und persönliche Bewertung der Bewerber intern zuständige Auswahlkommission die Klägerin als „geeignetste“ Bewerberin ausgemacht und ihre Einstellung scheiterte allein aus (diskriminierenden) finanziellen Gründen, siehe oben 2. Kap. A. II. 2. e). Obwohl in einer derartigen Sonderkonstellation ein Anspruch auf das positive Interesse sicherlich näher liegt als im Normalfall, muss ein solcher auch hier ausscheiden, weil die interne Willensbildung der Arbeitgeberin bezüglich der Einstellungsentscheidung mit dem Beschluss der Auswahlkommission eben nicht abgeschlossen war, sondern es sich nur um einen (unverbindlichen) Vorschlag gegenüber der Geschäftsleitung handelte, die die Letztentscheidung zu treffen hatte. Auch wenn die Ablehnung dieses internen Vorschlags aus diskriminierenden Gründen erfolgte, lag doch ein privatautonom abschließend gebildeter, nach außen tretender Wille, der Bewerberin zur Rechtskreiserweiterung zu verhelfen, noch nicht vor. Ein Ausgleich des positiven Interesses würde der auch nach dem internen Vorschlag immer noch im Kern verbleibenden Privatautonomie nicht gerecht. Insofern handelt es sich um mehr als nur eine Erkenntnisfrage. 62 Vgl. dazu auch Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Richardi/Buchner, 2009, § 31, Rn. 2: „Die Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss [sind] nicht auf das Erfüllungsinteresse gerichtet […], sondern immer nur auf Ersatz des Vertrauensschadens. Die Leistungspflicht, bei der es darum geht, den Rechtsgüterstand des Gläubigers um das versprochene Gut aufzustocken, setzt nämlich die Willenserklärung als Tatbestand privatautonom gesetzter rechtsgeschäftlicher Bindung voraus. Es handelt sich um eine Konsequenz des Prinzips der Vertragsfreiheit, die nicht durch die Anerkennung einer Sonderverbindung für die Schadenshaftung ersetzt oder eingeschränkt wird“.
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stehung echter vermögensaufstockender Leistungspflichten aufgrund vorvertraglicher Pflichtverletzungen nichts Besonderes, sondern seit langem anerkannt sei.63 Dies ist freilich unzutreffend, und zwar selbst dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Fälle der Einstellungsdiskriminierung der c.i.c.-Haftung zuordnet. Denn richtigerweise ist auch die c.i.c.-Haftung niemals auf das positive Interesse gerichtet.64 Soweit der BGH65 oder das BAG66 dies angenommen haben, handelt es sich um besonders gelagerte Fallkonstellationen, die sich allesamt auf andere Weise privatrechtskonform erklären lassen.67 So hatte etwa das BAG entschieden, dass ein Arbeitgeber verpflichtet sein könne, einen befristeten Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, wenn er bei einem Arbeitnehmer die Erwartung geweckt habe, er werde bei Eignung und Bewährung nach Ablauf der Vertragszeit unbefristet weiterbeschäftigt und wenn der Arbeitgeber sich mit der späteren Ablehnung in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten und dem von ihm geschaffenen Vertrauenstatbestand gesetzt habe.68 Dieses Ergebnis stützte das BAG auf einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo. In einer späteren Entscheidung69 äußerte das Gericht hieran jedoch bereits Zweifel und ließ ausdrücklich dahinstehen, „ob ein treuwidriges Verhalten des Arbeitgebers überhaupt zum Fortbestand des befristeten Arbeitsverhältnisses führen […] kann [und] ob im Falle eines vom Arbeitgeber hervorgerufenen und hernach enttäuschten Vertrauens des Arbeitnehmers der nach § 249 BGB auszugleichende Schaden auch im unterbliebenen Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Arbeitgeber liegen kann oder ob er sich auf die vom Arbeitnehmer auf Grund des Vertrauens vorgenommenen oder unterlassenen Dispositionen beschränkt“70. Richtigerweise kann sich ein Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses nur dann ergeben, wenn die Aussage des Arbeitgebers als eine mit der Bewährung des Arbeitnehmers bedingte Zusage zum Abschluss eines unbefristeten Anschlussvertrages gedeutet werden kann. Dies hat nunmehr auch das BAG erkannt und entschieden, dass „ein zu Unrecht enttäuschtes Vertrauen lediglich zum Ersatz des 63 Statt vieler Kandler, S. 118 ff, insb. S. 123 f, die es sogar als „inkonsequent“ betrachtet, dass der Gesetzgeber in der ersten Fassung von § 611a BGB die Ersatzpflicht ausdrücklich auf den Vertrauensschaden beschränkte. 64 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Richardi/Buchner, 2009, § 31, Rn. 2; Staudinger/Busche, 2011, Eckpfeiler, F. V. 1.; Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139; Wiedemann, FS Herschel, S. 463 (475); Flume, AT, Bd. 2, S. 282 ff; a.A. MüKo-BGB/Emmerich, 2007, § 311 BGB, Rn. 261; v. Craushaar, JuS 1971, S. 127 (129 ff); Kandler, S. 123; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, S. 113; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 192. 65 Nachweise bei MüKo-BGB/Emmerich, 2007, § 311 BGB, Rn. 261. 66 BAG, 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, NZA 1989, S. 719 (722). 67 Sie dazu insbesondere Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139. 68 So der Leitsatz in BAG, 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, NZA 1989, S. 719 ff; bestätigt in BAG, 26. 4. 1995, 7 AZR 936/94, NZA 1996, S. 87 (89). 69 BAG, 17. 4. 2002, 7 AZR 283/01, EzA zu § 620 BGB Nr. 191. 70 Ebenso LAG Mainz, 8. 8. 2008, 9 Sa 145/08, juris.
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Vertrauensschadens verpflichtet, aber keinen Erfüllungsanspruch gewährt“71. Die konkreten Umstände und der Inhalt der Aussage müssten den Schluss auf einen Rechtsbindungswillen zulassen. Inhaltlich prüfte das BAG auch nie etwas anderes. Warum es zur dogmatischen Begründung die Regeln der culpa in contrahendo bemühen wollte, leuchtet nicht ein, zumal die systemkonforme Lösung so nahegelegen hätte.72 Auch die anderen Entscheidungen, in denen der BGH einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten c.i.c.-Anspruch anerkannt hat, lassen sich weitestgehend privatrechtskonform erklären. Dies gelingt mit Hilfe einer normativen Schadensbetrachtung. Den Entscheidungen lagen nahezu ausnahmslos Sachverhaltskonstellationen zugrunde, in denen nach den konkreten Umständen angenommen werden konnte, dass ein vergleichbares Alternativgeschäft nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge in jedem Fall vom Geschädigten durchgeführt worden wäre, hätte er nicht auf das Zustandekommen oder die Wirksamkeit des jeweiligen Vertrages vertraut.73 Die Heranziehung des Erfüllungsschadens diente hier in Wahrheit der einfacheren Bestimmung des eigentlich zu ersetzenden Vertrauensschadens. Wegen §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO musste der Geschädigte den Nachweis konkret ausgeschlagener Alternativgeschäfte nicht führen.74 Das Erfüllungsinteresse verkörpert in diesen Fällen lediglich das geschätzte Vertrauensinteresse. Exemplarisch sei der so genannte „Kleinsiedler-Fall“75 genannt. Hier hatte ein Ehepaar einen formunwirksamen Vertrag über den Kauf einer Immobilie geschlossen. Der Verkäufer, der den Formfehler verschuldet hatte, haftete nach Ansicht des BGH auf das Erfüllungsinteresse aus culpa in contrahendo. In diesem Fall war aber klar, dass das Ehepaar, hätte es nicht auf die Wirksamkeit des Vertrages vertraut, sich anderweitig eine vergleichbare Immobilie beschafft hätte. Die „Lebensfrage“76 des Erwerbs eines Eigenheims hatte das Paar nämlich bereits für sich im positiven Sinne beantwortet, ohne dass es ihm auf dieses konkrete Geschäft ankam. Im entgangenen Alternativgeschäft als Teil des negativen Interesses lag somit in Wahrheit der Schaden. Der
71 BAG, 13. 8. 2008, 7 AZR 513/07, NZA 2009, S. 27 (28); 26. 4. 2006, 7 AZR 190/05, NJOZ 2007, S. 106 (107 f); das BAG kehrt damit zu der zutreffenden Ansicht aus früherer Rechtsprechung zurück, vgl. BAG, 10. 11. 1955, 2 AZR 282/54, NJW 1956, S. 398 (398) und BAG, 7. 6. 1963, 1 AZR 276/62, NJW 1963, S. 1843 (1844). 72 So auch Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139. 73 Siehe Staudinger/Löwisch, 2005, § 311 BGB, Rn. 139. 74 Siehe Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 46. 75 BGH, 29. 1. 1965, V ZR 53/64, NJW 1965, S. 812 ff. 76 Siehe Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 45. Die genannten Fälle haben, so Lobinger, gemein, dass es sich nicht um Gelegenheitsgeschäfte handelte, die aus einer Laune heraus oder wegen eines besonders günstigen Angebots getätigt wurden. Es ging vielmehr um existentiell bedeutsame Geschäfte, die „Lebensfragen“ betrafen. Deshalb war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge anzunehmen, dass ein vergleichbares Geschäft anderweitig getätigt worden wäre.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Erfüllungsschaden aus dem gescheiterten Vertrag diente lediglich der Schätzung dieses Schadens.77 Man könnte nun versuchen, diesen Gedanken der normativen Schadensberechnung auf den Anspruch aus § 15 Abs. 1 AGG zu übertragen. Man müsste dann annehmen, dass der diskriminierte Arbeitnehmer, wäre er nicht vom Arbeitgeber rechtswidrig zurückgewiesen worden, jedenfalls ein Alternativgeschäft getätigt und anderweitig eine Anstellung erhalten hätte. Zu ersetzen wäre dann der entgangene Lohn aus diesem Alternativarbeitsverhältnis, der lediglich durch den Erfüllungsschaden aus der gescheiterten Anstellung geschätzt würde. Gegen eine solche Annahme ließe sich nun aber zunächst einwenden, dass der Arbeitsmarkt mit dem Immobilienmarkt nicht zu vergleichen ist. Während im „Kleinsiedler-Fall“ klar war, dass eine andere Immobilie zur Verfügung gestanden hätte, kann dies hinsichtlich einer alternativen Arbeitsstelle zumeist nicht angenommen werden. Oftmals wird es schlichtweg keine anderen offenen Stellen geben, so dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eher die Arbeitslosigkeit droht. Dem ließe sich nun wiederum entgegenhalten, dass es sich immerhin um den bestqualifizierten Bewerber handelt, der nach § 15 Abs. 1 AGG anspruchsberechtigt sein soll. Geht man davon aus, dass sich in einem bestimmten Gebiet in einem gewissen Zeitraum immer dieselben Arbeitnehmer um offene Stellen für eine bestimmte Tätigkeit bewerben, dann könnte man durchaus annehmen, dass der objektiv am besten geeignete Bewerber auch ein Alternativgeschäft hätte tätigen können, wenn im selben Gebiet zeitgleich zumindest eine weitere Stelle ausgeschrieben war, auf die er sich im Vertrauen auf den Erhalt der anderen Stelle nicht beworben hatte. Allenfalls mit diesem Gedankengang könnte man eine Ersatzfähigkeit des Erfüllungsschadens (als Ausdruck der Schätzung des Vertrauensschadens) rechtfertigen, auch dann allerdings nur beschränkt auf den Zeitraum, den der Arbeitnehmer im schutzwürdigen Vertrauen auf den Erhalt der Stelle ungenutzt, d. h. ohne sich anderweitig zu bewerben, hat verstreichen lassen. Ein sonderlich langer Zeitraum wird dies regelmäßig nicht sein, weil es sich schließlich um den bestqualifizierten Arbeitnehmer im lokalen Bewerberkreis handelt und die ganze Annahme darauf basiert, dass es andere offene Stellen als Alternativgeschäfte gibt.78 Ein solches müsste der Arbeitnehmer dann jedoch zeitnah tätigen können, sobald er bemerkt, dass das zunächst ins Auge gefasste Arbeitsverhältnis an der Diskriminierung scheitert.79 Letztlich ist jedoch auch dieser Versuch, den Ersatz des positiven Interesses zumindest in Teilen zu rechtfertigen, abzulehnen. Denn der dargestellte Gedankengang basiert auf der Annahme, dass es einen objektiv bestgeeigneten Bewerber 77 Siehe zum Ganzen ausführlich Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 40 ff, der beispielhaft auch die „Hofübergabefälle“ behandelt, S. 44 f. 78 Ebenso Möller, S. 221. 79 Vgl. dazu auch den Vorschlag von BeckOK-BGB/Fuchs, Stand: 1. 5. 2010, § 15 AGG, Rn. 4. Danach ist der entgangene Gewinn „im Hinblick auf die Zeitdauer zu ermitteln, die benötigt wird, um im Hinblick auf den konkreten Beruf und die Qualifikation des abgewiesenen Bewerbers eine vergleichbare Tätigkeit aufzunehmen“.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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im lokalen Bewerberkreis für eine bestimmte Stelle gibt. Diese Annahme ist jedoch nach dem oben Gesagten unzulässig. Selbst wenn man die rechtstatsächlichen Schwierigkeiten überwinden und den (ohne eine unzulässige Diskriminierung) ausgewählten Bewerber für eine bestimmte Stelle ermitteln könnte, so steht damit noch lange nicht die Bestqualifizierung für ein Alternativgeschäft fest. Dies hängt gerade damit zusammen, dass der alternative Arbeitgeber die Anforderungen an die Stellenbewerber aufgrund seiner im Kern erhaltenen Privatautonomie unter Rückgriff auch auf unsachliche Voraussetzungen völlig anders festlegen kann. Selbst wenn die Stellenprofile nach der Tätigkeitsbeschreibung weitestgehend dieselben sind, kann keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass sich derselbe Bewerber im lokalen Bewerberkreis für beide Stellen durchgesetzt hätte. Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn allein objektive und im Wesentlichen fachliche Kriterien maßgeblich wären, wie dies bei Art. 33 Abs. 2 GG der Fall ist. Im privaten Arbeitsrecht ist dies, wie gezeigt, aber gerade anders. Der angedeutete Gedankengang bricht somit in sich zusammen, weil die zugrunde liegende Annahme der Möglichkeit des zurückgewiesenen „bestqualifizierten“ Bewerbers, ein Alternativgeschäft schließen zu können, sich als unrichtig erweist. Die letzte der Fallgruppen, in denen der BGH einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten c.i.c.-Anspruch bejaht hat, betrifft gerade die fehlerhafte Vergabe eines öffentlichen Auftrages.80 Dass ein Ersatz des Erfüllungsinteresses hier jedoch wegen der unterschiedlichen Grundrechtsbindungen keinesfalls privatrechtswidrig ist, wurde bereits gezeigt. gg) Der fehlende Wille des Gesetzgebers zur Schaffung einer systemwidrigen Norm Steht somit fest, dass einzig ein Ersatz des negativen Interesses privatrechtskonform wäre, ist weitergehend zu fragen, ob der Gesetzgeber nicht dennoch einen auf das positive Interesse gerichteten Anspruch schaffen wollte. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen wäre dies ohne Weiteres möglich. Allerdings fehlen die Hinweise in den Gesetzesmaterialien, die auf einen derartigen Willen des Gesetzgebers schließen lassen. Nirgends ist die Rede davon, welches Interesse gemäß § 15 Abs. 1 AGG auszugleichen sein soll. Hätte der Gesetzgeber aber einen systemwidrigen Anspruch gerichtet auf das Erfüllungsinteresse schaffen wollen, so hätte es eines ausdrücklichen dahingehenden Hinweises in den Gesetzesmaterialien bedurft. Wie gezeigt, spricht der Verweis auf § 611a BGB a.F. sogar eher dafür, dass lediglich das negative Interesse zu ersetzen sein soll. Denn in den Gesetzesmaterialien zu § 611a BGB (2. Fassung) wurde der Ausschluss des Kontrahierungszwangs lediglich als Klarstellung angesehen.81
80 81
Etwa BGH, 8. 9. 1998, II ZR 172 – 97, NJW 1998, S. 3644 (3646). Siehe oben 4. Kap. A. I. 1. b) cc).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
hh) Kein europarechtlicher Zwang zum Ersatz des positiven Interesses Es ließe sich nun letztlich erwägen, dass die Ersatzfähigkeit des positiven Interesses sich aus einer europarechtskonformen Auslegung von § 15 Abs. 1 AGG ergibt. Dies würde jedoch voraussetzen, dass das Europarecht zum Ersatz dieses Schadens tatsächlich verpflichtet. Dies kann entgegen dahingehender Stimmen in der Literatur82 nicht angenommen werden. Die Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/ EG verpflichten sogar überhaupt nicht dazu, Schadensersatz als Sanktion für eine Diskriminierung vorzusehen. Einzig Art. 18 der Richtlinie 2006/54/EG verpflichtet für den Bereich der Geschlechterdiskriminierung hierzu.83 Auch dort wird jedoch nicht präzisiert, welcher Schaden ausgeglichen werden muss. Vom positiven Interesse ist hier keine Rede. Die Formulierung „je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten“ wird man vielmehr so verstehen müssen, dass auch die Art des entstandenen Schadens aus den Vorschriften der Mitgliedsstaaten folgt und keineswegs europarechtlich determiniert ist. Gefordert wird lediglich, dass die vom EuGH aufgestellte Trias an Anforderungen,84 die an die Sanktionen zu stellen ist, durch das Gesamtsystem der nationalen Sanktionen eingehalten wird. Auch in der Rechtsprechung des EuGH wurde niemals eine konkrete Aussage zur Art des bei einer Diskriminierung entstandenen Schadens gemacht. In Colson/Kamann wurde lediglich völlig zu recht darauf verwiesen, dass allein ein Ersatz des materiellen negativen Interesses der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie entgegensteht. Diese unbefriedigende Situation besteht jedoch wegen § 15 Abs. 2 AGG und des darin angeordneten Ersatzes des immateriellen Schadens ohnehin nicht mehr. § 15 Abs. 2 AGG mit der Vermutung der Entstehung eines immateriellen Schadens beim Vorliegen einer ungerechtfertigten Benachteiligung stellt für sich bereits eine umfassende und wirksame Sanktion dar. Und dazu noch eine systemkonforme, wie noch näher zu zeigen sein wird. Den europarechtlichen Anforderungen wird hierdurch hinreichend Rechnung getragen.85 Auch die Gesetzesbegründung des AGG spricht davon, dass die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG die 82 Vgl. ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 3; offengelassen bei Stoffels, RdA 2009, S. 204 (212). 83 Art. 18 RL 2006/54/EG lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandene Schaden – je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss. Dabei darf ein solcher Ausgleich oder eine solche Entschädigung nur in den Fällen durch eine im Voraus festgelegte Höchstgrenze begrenzt werden, in denen der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der einem Bewerber durch die Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie entstandene Schaden allein darin besteht, dass die Berücksichtigung seiner Bewerbung verweigert wurde“. 84 „Wirksam, verhältnismäßig, abschreckend“, siehe dazu näher oben 2. Kap. A. II. 2. d). 85 Ebenso Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 21; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 49.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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„zentrale Rechtsfolge“86 darstelle. Die Bundesregierung geht sogar davon aus, dass der Ersatz materieller Vermögensschäden überhaupt nicht europarechtlich geboten ist und auch § 15 Abs. 2 AGG allein den Anforderungen der Richtlinien genügen würde.87 Letztlich zwingt somit weder eine richtlinienkonforme Auslegung zum Ersatz des positiven Interesses noch ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber zu einem anderen Schluss kam und eine Ersatzfähigkeit des Erfüllungsschadens intendierte. ii) Der Ersatz des negativen Interesses als Ersatz vermögensmäßiger Begleitschäden § 15 Abs. 1 AGG hat nach alledem mit dem in § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Substanzrecht an sich nichts zu tun. Das auf Restitution gerichtete Schutzrecht für dieses Substanzrecht enthält § 15 Abs. 2 AGG. § 15 Abs. 1 AGG dient lediglich dem Schutz vor Begleitschäden am Vermögensbestand, nicht aber dem Persönlichkeitsschutz selbst. Dieser Schutz richtet sich nur auf bereits vorhandene Vermögenswerte, mithin auf das negative Interesse. Die Bedeutung der Vorschrift ist danach äußerst begrenzt. Ersatzfähig sind beispielsweise ärztliche Heilbehandlungskosten, die durch eine diskriminierende Zurückweisung oder, praktisch relevanter, im Fall des § 3 Abs. 3 und 4 AGG bei (sexuellen) Belästigungen entstehen können, sowie die Kosten anwaltlicher Beratung.88 Bereits die Ersatzfähigkeit von Bewerbungskosten ist allerdings fraglich. Denn bei ihnen handelt es sich um Kosten, die dem Bewerber auch dann entstanden wären, wenn der Arbeitgeber sich pflichtgemäß verhalten und eine diskriminierungsfreie Auswahl getroffen hätte.89 Allenfalls mit den historischen Anfängen von § 611a BGB ließe sich eine Ersatzfähigkeit dieser Kosten begründen.90 Auch dies ist jedoch kaum überzeugend, markierte das Zweite Gleichbehandlungsgesetz doch gerade eine Zäsur in der Entwicklung von § 611a BGB. Die Kodifizierung des deliktsrechtlichen Ansatzes des BAG mit der Diskriminierung als Persönlichkeitsverletzung rückte den immateriellen Schaden in den Vordergrund. Ob entsprechend der ersten Fassung von § 611a BGB auch weiterhin die Bewerbungskosten ersetzbar bleiben sollten, kann der Gesetzesbegründung des Zweiten Gleichbehandlungsgesetzes nicht entnommen werden. In jedem Fall spielt § 15 Abs. 1 AGG selbst dann, wenn man mit dem (schwachen) historischen Argument die Bewerbungskosten für ersetzbar halten sollte, in der Praxis eine untergeordnete Rolle, da die Bewer86
BT-Drucks. 16/1780, S. 38. BT-Drucks. 17/994, S. 3, dazu unten mehr 4. Kap. A. II. 4. b) aa). 88 Siehe Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 22 und 25 sowie Meinel/Heyn/ Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 51. 89 Wisskirchen, DB 2006, S. 1491 (1499); Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 39. 90 So Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 37; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 22. 87
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
bungskosten zumeist marginal ausfallen und kaum je selbständig eingeklagt werden dürften. Bedeutender ist die Beantwortung der Frage, ob der entgangene Lohn aus einem anderen Arbeitsverhältnis, das im Vertrauen auf den Erhalt der Stelle gekündigt oder ausgeschlagen wurde, Teil des nach § 15 Abs. 1 AGG ersetzbaren negativen Interesses sein kann. Insoweit handelt es sich um einen Posten, der etwa im Rahmen der culpa in contrahendo durchaus ersatzfähig ist, ohne dass hierdurch das Willensdogma durchbrochen wird.91 Gleichzeitig zeigt der Fall, dass das negative Interesse in Einzelfällen durchaus ähnliche Dimensionen wie das positive Interesse annehmen kann. Unter den Vertretern der Ansicht, die gemäß § 15 Abs. 1 AGG nur das negative Interesse ersetzen wollen, besteht keine Einigkeit, wie in diesem Fall zu verfahren ist. Während Meinel/Heyn/Herms92 auch diesen Posten nicht gemäß § 15 Abs. 1 AGG gewähren wollen, bejaht Stein93 theoretisch seine Ersetzbarkeit, obgleich er den Fall für „relativ unwahrscheinlich“ hält. Auf Basis des oben dargelegten Verständnisses der AGG-Regeln als deliktsrechtlicher Vorschriften, die das Entstehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses gerade nicht voraussetzen, ist der Ansicht von Meinel/Heyn/Herms zuzustimmen. Danach kann ein derartiger Schadensposten überhaupt nur ersetzbar sein, wenn der Bewerber aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers davon ausgehen durfte, er werde den angestrebten Arbeitsplatz (aller Voraussicht nach) erhalten. Ansonsten handelt er auf eigene Gefahr, wenn er sein altes Arbeitsverhältnis kündigt oder ein anderes Angebot ausschlägt. Selbst wenn der Arbeitgeber aber pflichtwidrig Hoffnungen beim Bewerber auf eine Einstellung geweckt hat, ist der genannte Schadensposten nicht aufgrund von § 15 Abs. 1 AGG, sondern einzig nach den allgemeinen Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss zu ersetzen.94 c) Zwischenergebnis Demnach ist eine wesentliche Erkenntnis gewonnen, die sich auch auf die praktische Anwendung von § 15 AGG auswirkt: § 15 Abs. 1 AGG verpflichtet lediglich zum Ersatz des negativen Interesses und hat demnach eine sehr eingeschränkte Bedeutung. Eine Ersatzfähigkeit des Erfüllungsschadens widerspräche dem Privatrechtssystem. Für einen Willen des Gesetzgebers, eine systemwidrige Vorschrift zu schaffen, finden sich keinerlei Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien. Auch das Europarecht zwingt zu keinem anderen Ergebnis.
91
Vgl. BAG, 15. 5. 1974, 5 AZR 393/73, AP Nr. 9 zu § 276 BGB – Verschulden bei Vertragsschluss. 92 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 50. 93 Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 20. 94 So auch Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 50; siehe dazu auch unten 4. Kap. A. III.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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2. Der Ersatz immaterieller Schäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann der Diskriminierte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach einhelliger Ansicht handelt es sich dabei um die maßgebliche Sanktionsnorm95 im arbeitsrechtlichen Teil des AGG. Folglich wird die Vorschrift auch an denjenigen Regelungen in den Richtlinien gemessen, die konkrete Anforderungen an die Sanktionen aufstellen. Allen voran ist hier Art. 18 RL 2006/54/EG zu nennen, wonach von den Mitgliedsstaaten sichergestellt werden muss, dass der durch eine Geschlechterdiskriminierung entstandene Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird und dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschieht. a) Der Normzweck – Das Problem der Systemkonformität eines präventiven oder pönalen Entschädigungszwecks aa) Die Ansichten in der Literatur Ebenso wie früher § 611a Abs. 2 BGB a.F. sowie § 81 SGB IX a.F. wird heute auch § 15 Abs. 2 AGG vielfach als systemwidrig96 kritisiert. Die Norm sehe einen aus dem amerikanischen Rechtskreis bekannten Strafschadensersatz (punitive damages) vor, der sich nicht in unsere nationale Rechtsordnung einfüge.97 Es gehe in Wahrheit nicht um Rechtsgüterschutz, insbesondere auch nicht um Persönlichkeitsschutz. Dieser diene nur als Vorwand zur Durchsetzung schadensfremder Zwecke, namentlich der Bestrafung missbilligter Verhaltensweisen.98 Schon die bei der Schadensberechnung herangezogenen Kriterien zeigten, dass es nicht um Schadensausgleich gehe. Die Schwere der Verletzungshandlung, der Grad des Verschuldens, die Vermögensverhältnisse der Parteien sowie die Wiederholungstätereigenschaft des Arbeitgebers seien keine Kriterien, die für die Rechtsgutsverletzung von Relevanz seien. Dies zeige, dass es in Wahrheit um Sühne und Vergeltung, nicht aber um Restitution gehe.99 Der breite Sturm der Entrüstung, der noch bei den Vorgängerregeln100 und während des Gesetzgebungsverfahrens101 herrschte, 95
Statt aller Jacobs, RdA 2009, S. 193 (194). Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 53 ff; zu § 611a Abs. 2 BGB a.F. Annuß, NZA 1999, S. 738 (742); Adomeit, NJW 1997, S. 2295 (2295); Müller, JA 2000, S. 119 (122); Melot de Beauregard, RiW 2009, S. 18 (21): „systemfremder Instrumentariums“. 97 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 54; Benecke/Kern, EuZW 2005, S. 360 (363); Reinhard, NJW 2009, S. 3533 (3534); Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (25). 98 Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (25); ders., FS Richardi, S. 441 (445): „es [handelt] sich um eine Bestrafung für Fehlverhalten“; Müller, JA 2000, S. 119 (122). 99 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 49 f, 53 ff. 100 Vgl. etwa die scharfe Wortwahl von Adomeit, NJW 1997, S. 2295 (2295): „Das BGB […] hat, unter Euro-Diktat, die amerikanische Einrichtung der ,punitive damages‘ in sich aufnehmen müssen, ganz quer zur Systematik unseres gesamten Schadensersatzrechts“; 96
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
ist zwar zwischenzeitlich etwas abgeflaut. Darin kommt aber wohl keine bessere Einsicht oder gar Akzeptanz der neuen Regelungen zum Ausdruck, sondern vielmehr eine gewisse Resignation der Kritiker. Andererseits halten auch zahlreiche Autoren102 § 15 Abs. 2 AGG für systemkonform, soweit die Vorschrift präventiven Zwecken dient. Die Präventivfunktion des Schadensrechts sei mittlerweile auch im deutschen Recht durchweg anerkannt.103 Dies gelte insbesondere im Bereich des Persönlichkeitsrechtsschutzes, in dem der BGH die Prävention sogar in den Vordergrund gerückt habe.104 Auch § 15 Abs. 2 AGG habe „präventive Sanktionsfunktion“; die Vorschrift bewirke „Prävention durch Schadensausgleich“105. Wagner kritisiert, dass allgemein Prävention und Sühne bzw. Vergeltung in der rechtswissenschaftlichen Diskussion nicht genau genug auseinandergehalten würden, sondern allzu oft pauschal von privatrechtswidrigen Strafzwecken gesprochen werde.106 Die Strafe habe jedoch eine Vielzahl von Funktionen.107 Tatsächlich sei nur die Sühne bzw. Vergeltung dem Strafrecht vorbehalten, während die Prävention Aufgabe aller Teilrechtsgebiete und somit auch des Privatrechts sei.108 Nach dieser Ansicht verlangen die Richtlinien sowie die Rechtsprechung des EuGH keinen Systembruch. Wenn eine abschreckende Wirkung gefordert werde, dann bedeute dies nur, dass ein voller Schadensausgleich gewährleistet werden müsse. Neben der Forderung nach einer abschreckenden Wirkung stehe immer auch die Mahnung des EuGH, dass der Entschädigungsbetrag in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen müsse.109 Der Gerichtshof gehe mithin davon aus, dass eine vollumfängliche Kompensation des Schadens des Diskriminierungsopfers automatisch das gebotene Maß an AbschreHerrmann, ZfA 1996, S. 19: „systemfremde […], alttestamentarische […] Manier“ (S. 25); „Rückfall in archaisches Rechtsdenken“ (S. 39); „Als Strafschadensregelung ist § 611a Abs. 2 BGB nichtig“ (S. 41). 101 Siehe dazu oben die zahlreichen Zitate in der Einleitung. 102 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (206 f); Jacobs, RdA 2009, S. 193 (194); Däubler/Bertzbach/ Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 13 ff; ders., AP Nr. 1 zu § 15 AGG; zu § 611a Abs. 2 BGB a.F. Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (393 ff); vgl. Korthaus, S. 218, die eine „Strafschadensnorm“ für europarechtlich geboten hält, damit aber wohl nur die Prävention meint. 103 Dazu ausführlich Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 ff; Möller, S. 238 ff. 104 Siehe dazu oben 2. Kap. B. I. 2. d) dd). 105 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1088); Jacobs, RdA 2009, S. 193 (194); Stoffels, RdA 2009, S. 204 (206 f); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 38: „Die Verhaltenssteuerung findet […] über den Schadensausgleich statt“; vgl. zu § 611a Abs. 2 BGB a.F. Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (400). 106 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (361 f); zustimmend Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 13; a.A. Körner, NJW 2000, S. 241 (242), wonach pönale und präventive Elemente zwei Seiten „derselben Medaille“ sind und sich gerade nicht scharf trennen lassen. 107 Zum Sinn und Zweck von Strafe sowie den unterschiedlichen Straftheorien Lackner/ Kühl, 2007, § 46 StGB, Rn. 1 ff. 108 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (362 f). 109 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (206).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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ckung bewirke.110 Der Sanktionszweck sei durch den Schadensausgleichsgesichtspunkt begrenzt.111 Auch der EuGH habe sich immer wieder zum schadensrechtlichen Bereicherungsverbot bekannt.112 Sühne oder Vergeltung habe der Gerichtshof jedoch nie gefordert.113 Möller114 kommt in seiner Arbeit über das Präventionsprinzip im deutschen Schadensrecht allerdings zu dem Schluss, dass die gebotene Abschreckung allein durch den Schadensausgleich nicht erreicht werden könne. Die durch eine Diskriminierung tatsächlich entstehenden materiellen und immateriellen Schäden seien viel zu gering, als dass ihr Ausgleich wie vom EuGH gefordert verhaltenssteuernd wirken könne.115 Bei § 611a Abs. 2 BGB a.F. handele es sich deshalb um einen „echten präventiven Entschädigungsanspruch, d. h. um eine an Präventionsgesichtspunkten orientierte Sanktion“, die allerdings den Ausgleich des Schadens in sich aufnehme.116 Die Vorschrift habe primären Sanktionszweck, der Schadensausgleich sei lediglich ihre nachrangige Aufgabe.117 Allerdings sieht auch Möller die Rechtfertigung einer Entschädigungszahlung, die über den zum Schadensausgleich erforderlichen Betrag hinausgeht, einzig im Präventions- und nicht auch im Sühnegedanken begründet. Ebert118 geht noch einen Schritt weiter. Nach ihr hat § 15 AGG neben der klassischen Ausgleichsfunktion sowie der Präventivfunktion noch einen dritten Zweck: die bereits erfolgte Diskriminierung durch den Arbeitgeber zu sanktionieren und somit den Rechtsverstoß zu sühnen. Die Rechtsnatur des § 15 AGG sei „auch pönal“119. Dies ergebe sich schon aus der Tatsache, dass auch minderqualifizierten Bewerbern ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, ohne dass die Gefahr einer wiederholten Diskriminierung verlangt werde. Minderqualifizierte Bewerber würden jedoch „keinen wie auch immer gearteten Schaden“ erleiden, so dass die Ausgleichsfunktion den Anspruch nicht rechtfertigen könne.120 Ohne Wiederholungsgefahr könne auch nicht präventiv argumentiert werden. Es bleibe lediglich die 110 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1088); Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (394); Stoffels, RdA 2009, S. 204 (206). 111 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 14; ders., AP Nr. 1 zu § 15 AGG; KR/ Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 144. 112 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (395) mit den entsprechenden Nachweisen. 113 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 14; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1088); Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (398). 114 Möller, S. 212 ff; Die Ausführungen beziehen sich noch auf § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung), sind jedoch ohne Weiteres auf die heutige Rechtslage übertragbar. 115 Vgl. auch Korthaus, S. 218. 116 Möller, S. 221. 117 Möller, S. 297. 118 Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 2. 119 So auch bereits zu § 611a BGB a.F. und dabei wesentlich ausführlicher Ebert, S. 353 ff. 120 Ebenso Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (25), der dies anders als Ebert jedoch kritisiert.
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Sühne. Allerdings komme ein echter Strafaufschlag aus verfassungsrechtlichen Gründen nur in Betracht, wenn der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verschuldet sei.121 Dies sei in der Praxis jedoch ohnehin nahezu ausnahmslos der Fall.122 bb) Die Ansicht der Rechtsprechung Die Ansichten in der Rechtsprechung hinsichtlich der Funktion von § 15 Abs. 2 AGG sind uneinheitlich. Einerseits verweist das BAG123 darauf, dass bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung auch der „Sanktionszweck der Norm“ zu berücksichtigen sei und die erforderliche „Abschreckungswirkung“ gewährleistet werden müsse. Dabei müsse erreicht werden, dass die Entschädigung eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber habe und gleichzeitig in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehe. Andererseits betont das Gericht, dass § 15 Abs. 2 AGG nicht dazu dient, „eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers zu sanktionieren, sondern vor ungerechtfertigter Benachteiligung zu schützen“124. Zudem hatte das BAG zur zweckidentischen Vorgängernorm aus § 81 Abs. 2 SGB IX kurz vor Inkrafttreten des AGG noch betont, dass die Vorschrift „keinen verfassungsrechtlichen Bedenken [unterliege], weil bei der Bemessung der Entschädigung allein auf den immateriellen Schaden abzustellen [sei]. Es lieg[e] insoweit keine nach dem Rechtsstaatsprinzip […] bedenkliche Zivilstrafe vor“125. Diese Ansicht hat das BAG nach Inkrafttreten des AGG bestätigt. In seiner Entscheidung vom 17. 8. 2010 führt es aus: „Die Entschädigung erfolgt allein wegen des immateriellen Schadens“126. In krassem Widerspruch hierzu steht die Bestätigung eines Urteils des LAG Niedersachsen durch das BAG, in dem eine Klägerin eine Entschädigung zugesprochen erhielt, obwohl das LAG explizit festgestellt hatte, „dass […] kein messbarer immaterieller Schaden eingetreten ist“127. Diesen Umstand berücksichtigte das
121 Diese Einschränkung ebenfalls befürwortend Staudinger/Annuß, 2005, § 611a BGB, Rn. 94; ders., NZA 1999, S. 738 (742); weitergehend Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 51. 122 Ebert, S. 350 f zu § 611a Abs. 2 BGB a.F. 123 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952). 124 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, juris, Rn. 22 sowie BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1134); a.A. Greiner, DB 2010, S. 1940 (1941): „Das AGG will bereits die diskriminierende Gesinnung sanktionieren“; ähnlich Preis, Arbeitsrecht, S. 428. 125 BAG, 15. 2. 2005, 9 AZR 635/03, NZA 2005, S. 870 (871) – Hervorhebung durch den Verfasser. 126 BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (158; Rn. 61) – Hervorhebung durch den Verfasser. 127 LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (129); zu diesem Urteil noch ausführlich unten 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (3).
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LAG, vom BAG128 unbeanstandet, allerdings nur zur Begrenzung der Entschädigungshöhe und nicht zu einem Ausschluss des Anspruches selbst. Unentschieden zeigt sich das LAG Schleswig-Holstein in einer 2009 ergangenen Entscheidung. So führt es darin einerseits aus, dass „sicherlich vieles dafür [spricht], dass § 15 Abs. 2 AGG in Verbindung mit § 11 AGG pönalisierend auch bezwecken will, die Arbeitgeber dazu anzuhalten, diskriminierungsfrei auszuschreiben“129. Andererseits führt das Gericht in Bezug auf den professionellen Diskriminierungskläger130 aber aus: „Damit wird er dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gerecht und missbraucht den vom Gesetzgeber gesetzten Zweck des § 15 Abs. 2 AGG, nämlich die Sanktion der durch die Benachteiligung erfolgten Verletzung von Persönlichkeitsrechten“131. cc) Stellungnahme (1) Kein pönaler Entschädigungszweck Die Ansicht Eberts überzeugt nicht. Eine echte Zivilstrafe wäre in vielerlei Hinsicht verfassungsrechtlich bedenklich.132 Allein die Einführung eines Verschuldenserfordernisses für den Strafaufschlag genügt nicht, um die Bedenken zu zerstreuen. Zunächst wäre eine Haftung für vermutetes Verschulden, wie es § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG vorsieht, kaum mit der im Strafrecht geltenden Unschuldsvermutung133 zu vereinbaren. Auch die im Bereich des Zivilrechts so nützlichen und speziell im Antidiskriminierungsrecht dringend notwendigen Beweiserleichterungen zur Überwindung der Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten (§ 22 AGG) wären hinsichtlich eines Strafaufschlages aus dem gleichen Grunde höchst fragwürdig. Zudem genügt der zivilrechtliche Verschuldensbegriff mit seinem in weiten Teilen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab134 den strafrechtlichen Anforderungen an den Schuldvorwurf nicht.135 Auch die Verfahrensgarantien des Strafprozesses würden im Arbeitsgerichtsprozess nicht gelten. Letztlich würde das Strafmonopol des Staates durch einen Strafaufschlag in Frage gestellt.136 Auch die Argumente Eberts verfangen nicht. Ihre Prämisse, minderqualifizierte Bewerber würden keinerlei Schaden erleiden, ist bereits falsch. Eine immaterielle Beeinträchtigung ist auch bei diesen Bewerbern zweifellos denkbar. Sie mag nicht ebenso hoch sein wie bei dem bestqualifizierten Bewerber bzw. den Bewerbern, die 128
BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff. LAG Schleswig-Holstein, 29. 1. 2009, 4 Sa 346/08, juris, Rn. 56. 130 Dazu ausführlich unten 4. Kap. A. II. 1. a). 131 LAG Schleswig-Holstein, 29. 1. 2009, 4 Sa 346/08, juris, Rn. 54. 132 Vgl. ausführlich zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer überkompensierenden Entschädigung KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 144; Wank, FS Richardi, S. 441 (445 f). 133 Dazu Haberstroh, NStZ 1984, S. 289 ff. 134 Dazu näher unten 4. Kap. A. II. 4. a) cc). 135 So auch Koziol, FS Canaris, S. 631 (661). 136 Siehe KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 144. 129
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
ohne das nachteilige Merkmal eine realistische Einstellungschance gehabt hätten. Denn derjenige, der weiß, dass die Zurückweisung (auch) sachliche Gründe hatte und andere Bewerber einfach besser waren, wird die Auswahlentscheidung eher akzeptieren können als derjenige, dem bewusst wird, dass es (wieder einmal) einzig das ihm unveränderlich anhaftende Merkmal war, das dem Zugang zum Arbeitsmarkt oder dem beruflichen Aufstieg im Wege stand.137 Aber auch der minderqualifizierte Bewerber wird regelmäßig eine innere Kränkung erfahren, die sich als echte immaterielle Einbuße qualifizieren lässt. Denn auch hier hat „sein“ Merkmal (neben anderen) für die Auswahlentscheidung tatsächlich eine Rolle gespielt. Andernfalls ist der Tatbestand von § 7 Abs. 1 AGG schon gar nicht erfüllt. Die Vorschrift verlangt gerade die Benachteiligung wegen eines der verbotenen Merkmale. Das Kriterium muss zumindest als Teil eines Motivbündels handlungsleitend gewesen sein.138 Diese Erkenntnis wird am Betroffenen zweifellos nicht spurlos vorübergehen. Auch er bekommt vor Augen geführt, dass das ihm anhaftende Merkmal seine Arbeitsmarktchancen negativ beeinflusst hat. Dass dies zu einer echten Ehrverletzung und zu einem immateriellen Schaden führen kann, liegt auf der Hand. Anhaltspunkte für eine echte Sühne- oder Vergeltungsfunktion der Entschädigung sind demnach, entgegen der Ansicht Eberts, § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG nicht zu entnehmen. Freilich ist es nicht förderlich, wenn selbst das BAG hinsichtlich des Anspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG mitunter ohne Not Begrifflichkeiten verwendet, die aus dem Strafrecht bestens bekannt sind. Dies gibt den Befürwortern einer echten Straffunktion zweifellos neue Nahrung und führt zudem dazu, dass bei den Instanzgerichten139 eine gewisse Konfusion über den Rechtscharakter der Norm entsteht. Schon die gängige Bezeichnung des Schädigers als „Täter“140 und des Geschädigten als „Opfer“141 ist schlicht unnötig.142 Genauso überflüssig ist es, die in § 1 AGG genannten Anknüpfungsverbote als „pönalisierte Merkmale“143 zu bezeichnen. Noch
137
Vgl. Wendeling-Schröder, DB 1999, S. 1012 (1013): „Gerade unter dem Gesichtspunkt einer weniger gravierenden Persönlichkeitsrechtsverletzung im Falle einer ohnehin aussichtslosen Bewerbung ist im Übrigen die Differenzierung zwischen Bestqualifizierten und anderen Bewerbern einleuchtend und gerechtfertigt“. 138 BAG, 22. 10. 2009, 8 AZR 642/08, NZA 2010, S. 280 (283) m.w.N.; siehe unten 4. Kap. A. II. 3. b). 139 Vgl. LAG Schleswig-Holstein, 29. 1. 2009, 4 Sa 346/08, juris; dazu oben 4. Kap. A. I. 2. a) bb). 140 So auch LAG Berlin-Brandenburg, 26. 11. 2008, 15 Sa 517/08, NJOZ 2008, S. 5205 (5230); Kolbe, EuZA 2011, S. 65 (67). 141 Etwa BAG, 24. 9. 2009, 8 AZR 636/08, NZA 2010, S. 159 (162). 142 Angesichts der verwendeten Terminologie verwundert es nicht, dass sich das ArbG Düsseldorf, 10. 6. 2008, 11 Ca 754/08, NZA-RR 2008, S. 511 (514) unlängst allen Ernstes mit der Frage auseinandersetzte (und sie glücklicherweise verneinte), ob es sich bei § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG um die Bestimmung eines „Strafmaßes“ handele. 143 BAG, 22. 10. 2009, 8 AZR 642/08, NZA 2010, S. 280 (283) – Diese Bezeichnung ist allerdings mittlerweile üblich.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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unverständlicher ist es jedoch, wenn das BAG144 neuerdings in Bezug auf die Regelung in § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG sogar davon spricht, dass auch der „Versuch am untauglichen Objekt“ grundsätzlich eine verbotene Benachteiligung darstelle und zu einem Entschädigungsanspruch führen könne. Dies ist ersichtlich eine Anlehnung an § 23 Abs. 3 StGB, die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, bei dem jegliche Rechtsgutsverletzung von vornherein ausgeschlossen ist.145 Tatsächlich lässt sich aber auch § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG mit dem Schadensausgleichsgedanken erklären. Dies wird an anderer Stelle146 noch ausführlich dargelegt. Kurz gesagt, hat § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG zunächst einen beweisrechtlichen Zweck: Der Diskriminierte soll von dem Nachweis entbunden werden, dass er tatsächlich, wie vom Arbeitgeber angenommen, Merkmalsträger ist.147 Zudem ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass auch der scheinbare Merkmalsträger, der bestimmte Verhaltensmuster oder Äußerlichkeiten aufweist, die landläufig auf ein bestimmtes Merkmal schließen lassen, von der Zurückweisung gleichfalls oder sogar stärker innerlich betroffen ist als der tatsächliche Merkmalsträger.148 Eine als Rechtsverletzung zu bezeichnende Beeinträchtigung, die zu einem immateriellen Schaden führt, liegt auch in diesen Fällen regelmäßig vor. Damit ist die Anlehnung an die Terminologie des strafrechtlichen untauglichen Versuchs, bei dem ein Verletzungserfolg gerade nicht vorliegt, schlichtweg verfehlt. (2) Prävention durch vollen Schadensausgleich Die insbesondere von Wagner149, Stoffels150 und Deinert151 vertretene Ansicht, die unter den Schlagworten „Prävention durch Schadensausgleich“ firmiert, überzeugt in Teilen.
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BAG, 17. 12. 2009, 8 AZR 670/08, NZA 2010, S. 383 (384). Bsp.: Der „Dieb“ wähnt sich in Verkennung der Eigentumslage nicht als Eigentümer der weggenommenen Sache, der er aber tatsächlich ist. Vgl. zum untauglichen Versuch, dessen Strafwürdigkeit nicht unumstritten ist (Stichwort: „Gesinnungsstrafrecht“) Schönke/Schröder/ Eser, 2006, § 23 StGB, Rn. 12 ff. 146 Siehe unten 4. Kap.A.II.1.d). 147 Andernfalls müsste etwa der Bewerber, den der homophobe Arbeitgeber als „schwul“ identifiziert und deshalb abgelehnt hat, zur Anspruchsbegründung beweisen, dass er tatsächlich homosexuell ist. Dazu unten 4. Kap. A. II. 1. d). 148 Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/1780, S. 34) wird durch § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG gerade berücksichtigt, dass Menschen oft bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden, z. B. allein auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes. 149 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (393 ff); ders./Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1088). 150 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (206 f). 151 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 13 ff; ders., AP Nr. 1 zu § 15 AGG. 145
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
(a) Der Abschreckungsbegriff in den Richtlinien Tatsächlich gibt es keine Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des EuGH oder in den Richtlinien, die auf einen Zwang zur Schaffung eines über den vollen Schadensausgleich hinausgehenden Entschädigungsanspruchs hindeuten. Das Merkmal „Abschreckung“ wurde vom EuGH aus der Rechtswegsgarantie hergeleitet. Ursprünglich sah die Richtlinie 76/207/EWG lediglich vor, dass derjenige, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt, seine Ansprüche auch gerichtlich geltend machen kann.152 Schon diese Abstammung des Begriffs der Abschreckung zeigt, dass es bei der Sanktion auf die Rechtsbeeinträchtigung des Diskriminierten entscheidend ankommt. Den Schaden an „seinen Rechten“ gilt es auszugleichen. Losgelöst vom Schadensausgleich sollte die Abschreckung nie sein, sondern auf diesen bezogen. Sühne oder Vergeltung für ein missbilligtes Verhalten, unabhängig vom Vorliegen oder dem Ausmaß einer Rechtsverletzung, wurde vom EuGH zu keinem Zeitpunkt verlangt. (b) Abschreckungswirkung statt Präventionsfunktion Nicht überzeugend ist es jedoch, die schlichte Abschreckungswirkung als echte Präventionsfunktion zu titulieren. Schon die Bezeichnung als „Prävention durch Schadensausgleich“ zeigt doch, dass es zuvorderst um Kompensation geht. Die vollständige Wiederherstellung ist das eigentliche Ziel.153 Zweck des Schadensersatzanspruchs als Schutzrecht ist gerade die Restitution des verletzten Substanzrechts. Der volle Schadensausgleich hat dann zusammen mit den beiden anderen Schutzrechten zweifellos präventive Wirkung. Keinesfalls ist der Schadensausgleich aber das bloße Mittel zur Erreichung präventiver Zwecke. Allein könnte er diese Funktion auch gar nicht erfüllen. Die Aufwertung der Prävention vom bloßen Reflex zum selbständigen Schadensersatzzweck bringt auch keinerlei Vorteile mit sich. Vielmehr wird hierdurch nur der Blick auf den im Vordergrund stehenden Aspekt, die Wiederherstellung der verletzten Rechtsposition, verstellt. Die Prävention ist nur das erwünschte Nebenprodukt, der Reflex des Schadensausgleichs.154 Wäre es anders und käme der Prävention eine eigenständige Funktion im Rahmen des Schadensersatzes zu, so müsste dies zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Höhe der Ersatzleistung haben. Macht man mit dem Funktionsgedanken ernst, dann ließe es sich kaum rechtfertigen, dass der Schadensersatz, wie von den Anhängern dieser Lehre behauptet, nicht über den zur Kompensation erforderlichen Betrag hinausgehen darf. Wenn es wirklich gleich-155 oder gar vorrangig156 um Prävention gehen würde, dann 152
Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. d) aa). Auf den Vorrang des Schadensausgleichs vor der Prävention weist im allgemeinen Kontext Koziol, FS Canaris, S. 631 (655) hin. 154 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 50; ebenso zu § 611a Abs. 2 BGB WendelingSchröder, DB 1999, S. 1012 (1013). 155 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1088). 156 Möller, S. 297. 153
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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müsste man zweifellos in solchen Fällen einen Zuschlag gewähren, in denen ein kühl kalkulierender Schädiger trotz Schadensausgleichsverpflichtung sich nicht von der Diskriminierung abhalten ließe. Angesprochen sind damit die Sachverhalte, in denen ein Arbeitgeber sich aus einer diskriminierenden Beschäftigungspolitik zusätzliche Gewinne verspricht.157 Gleichermaßen müsste es einen Zuschlag in den Fällen geben, in denen die Diskriminierung zwar objektiv unvernünftig ist, aber die subjektive Bilanz des Diskriminierenden gleichwohl stimmt, weil er bereit ist, diesen Preis für sein Tun zu zahlen.158 Auch Wagner, Stoffels oder Deinert wollen aber nicht etwa einen Präventionsaufschlag gewähren, der zum Schadensausgleich hinzutritt.159 Der Schadensausgleich soll vielmehr allein und automatisch die Prävention sicherstellen. Dann sollte aber auch nicht von einer Präventionsfunktion gesprochen werden. (c) Voller Schadensausgleich – Überwindung der Erkenntnisund Bewertungsschwierigkeiten als inhaltliches Gebot der Abschreckung Der sachlich richtige Kern dieser Ansicht besteht in dem zutreffenden Hinweis darauf, dass im Antidiskriminierungsrecht die traditionell große Zurückhaltung bezüglich des Ersatzes von Nichtvermögensschäden nicht hingenommen werden kann. Die normale Reaktion des deutschen Schadensrechts auf die mannigfaltigen Erkenntnis-, Bewertungs- und Beweisschwierigkeiten wäre es, den Schaden „auf Null zu setzen“.160 Der Kompensation von Nichtvermögensschäden steht das deutsche Schadensrecht schon grundsätzlich ablehnend gegenüber. Dies kommt in § 253 Abs. 1 BGB unmissverständlich zum Ausdruck. Die Schwelle für die Annahme einer kompensationsfähigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zudem verhältnismäßig hoch. Neben der umfassenden Interessensabwägung bedarf es noch einer schweren Verletzung sowie eines schweren Verschuldens, um einen Geldersatzanspruch zu begründen. All dies resultiert aus der Angst, die unsichtbare Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsposition nicht korrekt bestimmt zu haben, und aus der fehlenden Möglichkeit, diese Grenze exakt bestimmen zu können.161 Europarechtlich gefordert ist deshalb, und darauf weisen insbesondere Wagner/ Potsch162 zu recht hin, vor den Erkenntnis-, Vorstellungs- und Bewertungsschwie157
Dazu noch ausführlich unten 4. Kap. B. Nach einer ökonomischen Analyse des Diskriminierungsrechts handelt auch ein solcher Diskriminierer nutzenmaximierend, wobei jedoch Teile seines Nutzens nicht wirtschaftlicher Art sind, siehe Thüsing, RdA 2003, S. 257 (259). 159 Wagner ist freilich nicht per se gegen überkompensatorischen Schadensersatz. Er befürwortet ihn im Gegenteil in bestimmten Bereichen ausdrücklich (bspw. in den Fällen, in denen bestehende Ansprüche nur von einem Bruchteil der Geschädigten tatsächlich durchgesetzt werden AcP 206 (2006), S. 352 [464 ff]). Für Diskriminierungsschäden bleibt er jedoch bei der Aussage „Prävention durch Schadensausgleich“. 160 Siehe hierzu und zum Folgenden Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (394 ff). 161 Siehe dazu bereits oben 2. Kap. B. I. 2. d) bb). 162 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1097): „Eine Kapitulation vor der Unmöglichkeit exakter Berechnung ist mit Blick auf die Antidiskriminierungs-Richtlinien ausgeschlossen. Berechnungsschwierigkeiten dürfen nicht dazu führen, dass der Schaden auf Null gesetzt wird“. 158
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
rigkeiten nicht zu kapitulieren, sondern vielmehr den Ausgangspunkt der Betrachtungen zu verändern: Es ist nicht mehr davon auszugehen, dass von vornherein keine Rechtsverletzung und kein immaterieller Schaden vorliegt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Vielmehr liegt ein Übergriff in die fremde Rechtssphäre und somit eine echte Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits bei jeder ungerechtfertigten Benachteiligung vor, da § 7 Abs. 1 AGG über die Anordnung eines Verhaltensverbots hinaus gerade die konkrete Rechtsposition zuweist. Zudem ist in weitem Umfang zu vermuten, dass eine innere Wirkung (Kränkung) als echte immaterielle Einbuße in Folge der Rechtsverletzung entsteht.163 Auch vor den Bemessungsschwierigkeiten des immateriellen Schadens darf nicht kapituliert werden. Handhabbare Kriterien sind unerlässlich, damit der Richter keine Schadensschätzung im luftleeren Raum vornehmen muss. Allein aus diesem praktischen Bedürfnis heraus rechtfertigt sich die Heranziehung von Kriterien, bei denen ein Bezug zur Rechtverletzung vorstellbar ist. Gleichzeitig sind solche Kriterien, die zwar leicht festzustellen sind, bei denen ein solcher Bezug aber denklogisch ausgeschlossen ist, bei einer am Ausgleichsprinzip orientierten Betrachtung auszusondern. Letztlich führt auch an einer großzügigen Schadensschätzung anhand der verbleibenden Kriterien kein Weg vorbei.164 Akzeptiert man jedoch diese sogleich noch zu vertiefenden Punkte, dann bedarf es keiner Präventivfunktion des Entschädigungsanspruchs und schon gar keiner Einordnung als systemwidrigen Vergeltungsstrafschadensersatz. Vielmehr fügt sich der Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG dann in das geltende Privatrechtssystem zwanglos ein. Er verkörpert sogar insoweit einen Idealtypus des Ausgleichsprinzips als mit dem aus ihm abgeleiteten Grundsatz der Totalreparation ernst gemacht wird. Im Vordergrund steht der vollständige und restlose Ausgleich des durch die Rechtsverletzung angerichteten Schadens,165 unabhängig von Bewertungs- und Erkenntnisschwierigkeiten. Zudem erweist sich bei einer solchen Sichtweise auch der Ausgangspunkt von Möller als falsch. Dieser will den Präventionszweck bei der Bemessung der Entschädigung vor den Schadensausgleichszweck stellen, weil seines Erachtens regelmäßig keine nennenswerten Schäden infolge einer Diskriminierung entstünden 163
Dazu bereits oben 3. Kap. B. I. 2.und sogleich näher unter 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (2). Nach Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1096 f) liegt in der möglichst adäquaten Schadensschätzung das „europarechtliche Gebot der Stunde“. 165 Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (460) ist freilich der Ansicht, dass dieses umfassende Ausgleichsprinzip im Antidiskriminierungsrecht auch die Kompensation des Erwartungswerts der entgangenen Chancen verlange, mithin jeder Bewerber einen Anteil am Erfüllungsinteresse verlangen könne, der seine Einstellungschancen widerspiegele. Wie oben bereits ausgeführt, verkennt Wagner damit aber gerade den Inhalt der durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Rechtsposition. Ein von sich heraus auf Vermögenszuwachs gerichtetes Substanzrecht widerspräche dem Willensdogma. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber ein solches neuartiges Substanzrecht schaffen wollte. Zugewiesen wird deshalb ein verschärftes Persönlichkeitsrecht, dessen Integrität einzig durch § 15 Abs. 2 AGG geschützt wird. Das Erfüllungsinteresse unter den Bewerbern zu verteilen, würde keinen vollen Schadensausgleich darstellen, sondern gerade den Inhalt der vorrangig zu bestimmenden Rechtsposition verkennen. An dieser Rechtsposition ist der „dienende“ Schadensersatzanspruch aber auszurichten. 164
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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und der Schadensausgleich deshalb eine unzureichende präventive Wirkung habe. Hierin kommt einerseits das herkömmliche schadensrechtliche Denken zum Ausdruck, wonach (zu) hohe Voraussetzungen an den Ersatz immaterieller Schäden und an das Vorliegen von zum Geldersatz führenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen geknüpft werden. Da Möller diese Grundsätze nicht hinterfragt, geht er wie selbstverständlich davon aus, dass es zu keinen nennenswerten Schäden infolge der Diskriminierung und nur selten überhaupt zu einer Rechtsverletzung kommt. Unberücksichtigt bleibt bei einer solchen Sichtweise aber, dass es gerade nicht um Schäden am herkömmlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht geht, sondern vielmehr um Schäden an einer zulasten der Handlungsfreiheit bereits ausgeweiteten Rechtsposition. Das Substanzrecht, das § 7 Abs. 1 AGG zuweist, stellt sich nicht als bloße Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts dar, sondern gerade als Vergrößerung des geschützten Rechtsraums. Es handelt sich um einen verschärften Ehrschutz im beruflichen Bereich. Mit der ausgeweiteten Position erhöht sich jedoch auch das Ausmaß der Schäden im Falle einer Verletzung. Insoweit macht Möller denselben Fehler wie diejenigen, die per se davon ausgehen, dass bei Diskriminierungen das Persönlichkeitsrecht nicht betroffen sei, weshalb das AGG kein Rechtsgüterschutzgesetz sein könne. Er verkennt, dass zuvorderst eine umfassendere Position im AGG zugewiesen wird, woran sich die Schutzansprüche ihrerseits zu orientieren haben. (d) Die präventive Wirkung der Trias an Schutzrechten Die Überflüssigkeit einer eigenständigen Präventionsfunktion des Entschädigungsanspruchs wird umso deutlicher, wenn man erkennt, dass dem durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Substanzrecht grundsätzlich ein dreifacher Schutz zukommt.166 Der Schadensersatzanspruch steht nicht allein, sondern er wird ergänzt durch negatorische, vor allem auch durch Bereicherungsansprüche. Die Präventivfunktion des Schadensrechts wurde nun aber nicht zuletzt deshalb im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom BGH entwickelt, weil die anderen Schutzrechte aufgrund bestimmter Defizite sich als untauglich zur Erzielung präventiver Effekte erwiesen hatten. Neben der Überwindung der Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten diente die Präventiv- oder Genugtuungsfunktion vorwiegend der Abschöpfung von auf Kosten fremder Persönlichkeitswerte erzielten Gewinnen.167 Dies lag jedoch hauptsächlich an dem lange Zeit im Persönlichkeitsbereich erheblich unterentwickelten Bereicherungsrecht. Eine (teilweise) Abschöpfung der Gewinne über die Eingriffskondiktion scheiterte allzu oft am vermeintlich fehlenden Zuweisungsgehalt oder auch an der Tatsache, dass der Rechtsinhaber zur Vermarktung seiner Persönlichkeit niemals bereit war und deshalb nach der Herrenreiter-Doktrin eine hypothetische Lizenzgebühr nicht errechnet werden konnte.168 Zudem ist der Be166
Dazu bereits oben 1. Kap. B. I. Siehe dazu oben 2. Kap.B.I.2.d)cc). 168 Vgl. zu den vermeintlichen Schwächen des Bereicherungsrechts, die einen Präventionsaufschlag im Schadensrechts legitimieren sollen, Möller, S. 194; auch Dreier, Kompen167
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
reicherungsausgleich nach verbreiteter Ansicht nicht auf Gewinnherausgabe, sondern lediglich auf die Herausgabe des objektiven Werts in Form der üblichen Lizenzgebühr gerichtet. Die Abschöpfung der Gewinne über das Schadensrecht erschien dem BGH deshalb als Königsweg zur Überwindung der andernorts liegenden Schwierigkeiten. Hierfür musste die Präventivfunktion herhalten.169 Erkennt man jedoch die Trias an Schutzrechten auch im Persönlichkeitsbereich grundsätzlich an und gestaltet diese Schutzrechte sachgerecht aus, so bedarf es schon aus praktischen Gründen einer eigenen Präventivfunktion des Schadensrechts nicht mehr. Denn dann bewirken die Schutzrechte gemeinsam, was nach der Gegenansicht das Schadensrecht alleine leisten soll: Sie verhindern die Rechtsbeeinträchtigung von vornherein und wirken damit präventiv und abschreckend. Erst wenn im Einzelfall die Trias an Schutzrechten ausnahmsweise einmal keine ausreichende präventive Wirkung zeitigen kann und auch die anderen Teilrechtsgebiete eine Abschreckung nicht gewährleisten, ist über ein privatrechtliches Präventionsinstrument als Lückenfüller nachzudenken.170 Auch dann sollte jedoch eine Umfunktionierung des Schadensrechts oder eines der anderen beiden Schutzrechte tunlichst unterbleiben, wenn die erstrebte Prävention auch mittels eines anderen Rechtsbehelfs gewährleistet werden kann. Ob eine derartige Ausnahmekonstellation vorliegt, kann erst beantwortet werden, wenn die drei Schutzrechte genau untersucht worden sind. Vorrangig gilt es jedoch, den Schadensausgleich und die anderen Schutzrechte zutreffend zu erfassen und auszugestalten. (e) Bereicherungsverbot und Prävention Letztlich erscheint ein Präventivaufschlag beim Entschädigungsanspruch auch deshalb als nicht gerechtfertigt, weil er dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot widersprechen würde. Das Bereicherungsverbot wurzelt genauso wie das Prinzip der Totalreparation im Ausgleichsprinzip selbst.171 In ihm kommt jedoch eine allgemeine Wertung zum Ausdruck, deren Bedeutung über das Ausgleichsprinzip hinausreicht.172 Diese Wertung lässt sich gerade aus der Funktion des Zivilrechts ableiten, Rechtsgüter zuzuweisen und mit der Zuweisung für einen angemessenen sation, S. 617, sieht das Bedürfnis für eine Gewinnabschöpfung aus Präventionsgründen über das Schadensrecht in dem oftmals fehlenden Zuweisungsgehalt persönlicher Rechte begründet. Anders als Möller erkennt Dreier die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung für den Fall der Kommerzialisierung von Persönlichkeitsgütern aber durchaus an und spricht der Prävention dort nur ein eingeschränktes Bedürfnis zu. 169 Möller, S. 244 rechtfertigt die Heranziehung des Präventionsprinzips bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen gerade mit dem ansonsten beim Schädiger verbleibenden Eingriffsgewinn. Er erkennt allgemein drei Fallgruppen an, in denen das Prinzip zum Tragen komme (S. 242 ff): Bei Verletzungen ohne oder mit geringem Schaden, wozu er § 611a Abs. 2 BGB a.F. zählt; bei Verletzungen mit Profit (bspw. APR-Verletzungen in den Medien) und bei Verletzungen mit geringem Ersatzleistungsrisiko (bspw. GEMA-Rechtsprechung des BGH). 170 Dazu unten 4. Kap. B. IV. 171 Vgl. Dreier, Kompensation, S. 41. 172 Siehe Möller, S. 264.
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Interessensausgleich zwischen Privatrechtssubjekten zu sorgen. Hieraus folgt ein Grundsatz, den Koziol173 im Anschluss an Bydlinski174 als „Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung“ bezeichnet. Danach reicht es nicht aus zu begründen, warum einem Normadressaten eine nachteilige Rechtsfolge zugeordnet wird. Genauso wenig genügt die Rechtfertigung der vorteilhaften Rechtsfolge für einen anderen Normadressaten. Vielmehr muss immer gerade auch das Verhältnis der beiden in den Blick genommen und danach gefragt werden, was den konkreten Anspruch zwischen diesen beiden Rechtssubjekten rechtfertigt. Nach Bydlinski175 wird durch dieses Strukturprinzip gefordert, „dass im Privatrecht rechtliche Regelungen nie einseitig auf die vielleicht evidente Verdienstlichkeit, Schutzbedürftigkeit oder auch Verwerflichkeit eines bestimmten beteiligten Subjekts gestützt werden dürfen“. Vielmehr müsse „bei der Zumessung von Rechten und Pflichten, Lasten und Vorteilen, Risken und Chancen zwischen gleichberechtigten Privatrechtssubjekten immer auch gefragt werden, warum die negativen Folgen zulasten eines Beteiligten gerade zu positiven Folgen für diesen anderen Beteiligten führen sollen, und umgekehrt“. Eine Schadensersatzzahlung an einen Verletzten, die betragsgemäß über den zur Kompensation erforderlichen Betrag hinausgeht, ist danach aber an sich nicht zu rechtfertigen. Mag das Verhalten des Schädigers auch noch so missbilligenswert und sanktionswürdig sein, einen Anspruch gerade dieses Gläubigers rechtfertigt es nur insoweit, als dieser Gläubiger auch einen Schaden erlitten hat. Alles andere würde eine ungerechtfertigte Bereicherung, einen „Windfall-Profit“176, darstellen. Hiergegen wird etwa von Möller177 eingewandt, es gebe gute Gründe, die eine Besserstellung des Gläubigers rechtfertigten. Das allgemeine Präventionsbedürfnis, das mit dem Schadensersatzanspruch befriedigt werden solle, werde eben gerade durch die Schädigung der Rechtsgüter des Gläubigers ausgelöst. Das rechtfertige aber auch, dass gerade dieser Gläubiger mehr erhalte, als er zum Schadensausgleich benötige, namentlich den Präventionsaufschlag. Aus ökonomischer Sicht sei zudem von Relevanz, dass die angestrebte Prävention weitaus besser erreicht werde, wenn der Gläubiger einen stärkeren Anreiz in Form eines höheren Anspruchs erhalte, gegen die Rechtsverletzung vorzugehen. Zudem sei zu bedenken, dass dem Rechtsinhaber oftmals erhebliche Schadensvermeidungskosten entstünden, die er mangels Kausalität nicht auf den konkreten Schädiger abwälzen könne. Auch dies stelle einen ausreichenden Grund dar, warum gerade dieser Gläubiger den Präventionszuschlag erhalten solle.
173
Koziol, FS Canaris, S. 631 (660). Bydlinski, AcP 204 (2004), S. 309 (341 ff). 175 Bydlinski, AcP 204 (2004), S. 309 (342). 176 Bydlinski, AcP 204 (2004), S. 309 (344) spricht hinsichtlich des Strafschadensersatzes von einem „unverdiente[n], wundersame[n] Lotterietreffer“. Gleiches gilt auch für einen Präventionszuschlag, siehe Koziol, FS Canaris, S. 631 (660). 177 Möller, S. 264 f. 174
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Dies überzeugt freilich nicht. Schadensvermeidungskosten mögen andernorts entstehen, im Antidiskriminierungsrecht spielen sie keine Rolle. Zudem lässt sich mit dem Argument des stärkeren Anreizes einer Rechtsverfolgung bei Gewährung eines Präventionszuschlages praktisch jeglicher Betrag rechtfertigen. Je mehr zu holen ist, desto größer ist die Klagebereitschaft. Dann könnte man aber auch gleich dem Vorschlag von Alenfelder178 folgen und dem Verletzten tatsächlich für jede Diskriminierung durch einen Arbeitgeber wenigstens 1 – 2 % seines Umsatzes (!) als Entschädigung gewähren. Bei umsatzkräftigen Unternehmen wäre der Anreiz zweifellos enorm. Trotzdem wäre das Ergebnis schlicht absurd. Warum gerade dieser Gläubiger einen solchen exorbitanten Betrag erhalten sollte, ließe sich nicht begründen. Auch die Tatsache, dass die konkrete Rechtsverletzung Auslöser des generellen Präventionsbedürfnisses ist, stellt keine hinreichende Verbindung im Sinne des Prinzips der relativen zweiseitigen Rechtfertigung dar. Begründungsbedürftig ist danach nicht nur das Bestehen eines Anspruchs zwischen diesen Rechtsubjekten, sondern auch seine Höhe. Zudem sind die Ausführungen Möllers bereits in sich widersprüchlich. Denn obwohl Möller die Überkompensation mit der Rechtsverletzung des Anspruchsstellers rechtfertigen will, weil diese das allgemeine Präventionsbedürfnis auslöse, verlangt er gerade in den Diskriminierungsfällen überhaupt keine Rechtsverletzung. So will Möller179 auch dem professionellen Diskriminierungskläger einen Entschädigungsanspruch zugestehen, also demjenigen, der überhaupt kein Interesse an einer Einstellung hat, sondern die Entschädigungsklage nur als Einnahmequelle sieht. Ein solcher Bewerber hat jedoch zweifellos keinerlei Rechtsverletzung erlitten.180 Letztlich soll nicht geleugnet werden, dass es auch dann zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten kommen kann, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht die Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten nicht mehr wie sonst üblich zu seinen Lasten auflöst, indem man hohe Voraussetzungen an das Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung und eines immateriellen Schadens stellt. Denn vermutet man im Gegensatz dazu eine immaterielle Einbuße in weitem Umfang, so kann durchaus die Situation entstehen, dass ein Geschädigter mehr erhält als ihm zu Kompensationszwecken eigentlich zustehen würde. Dies ist dann jedoch nicht Ausdruck eines Präventions- oder gar Vergeltungsdenkens, sondern die unerwünschte, aber unvermeidliche Folge unzureichender Erkenntnismöglichkeiten. Diese verlangen die Wahl zwischen Pest (mögliche Durchbrechung des Prinzips des vollen Schadensausgleichs) und Cholera (mögliche Durchbrechung des Bereicherungsverbots). Insoweit kann man tatsächlich, darin ist Wagner181 zuzustimmen, das Windfall-Profit-Argument auch in die andere Richtung wenden: Letztlich geht es nicht um die Abwehr einer rechtswidrigen Bereicherung, sondern vielmehr darum zu 178 179 180 181
Alenfelder, ZAD 2010, S. 22 (41 f). Möller, S. 222 ff. Dazu noch ausführlich unten 4. Kap. A. II. 1. a) cc). Wagner, AcP 206 (2006), S. 352 (470 f); ähnlich Körner, NJW 2000, S. 241 (246).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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bestimmen, wessen Bereicherung als Folge mangelnder Erkenntnismöglichkeiten notfalls eher hinzunehmen ist. Nach Meinung Wagners fällt es dabei nicht allzu schwer, sich zugunsten des Geschädigten zu entscheiden. In jedem Fall schlägt sich das Europarecht, wenn auch als Folge seiner mitunter kritisierten Eindimensionalität182, auf die Seite des Diskriminierten. b) § 15 Abs. 2 AGG als Schutzrecht des durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Substanzrechts § 15 Abs. 2 AGG hat demnach keine Pönal- und auch keine selbständige Präventivfunktion. Die Vorschrift verkörpert vielmehr das auf Restitution gerichtete Schutzrecht, das zusammen mit den anderen Schutzrechten die Rechtszuweisung des § 7 Abs. 1 AGG absichert. Die Entschädigung soll den aufgrund der Persönlichkeitsrechtsverletzung erlittenen Schaden ausgleichen. Wie bei anderen immateriellen Beeinträchtigungen handelt es sich bei der Geldzahlung um einen Notbehelf. Da ein anderer Schadensausgleich regelmäßig nicht möglich ist,183 verbleibt nur die beste aller schlechten Lösungen: die immaterielle Einbuße in Geld zu beziffern. aa) Die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Schaden Steht mit dem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot die Rechtsverletzung nach dem oben Gesagten fest, so ist damit noch nicht gesagt, dass aus der Rechtsverletzung auch ein immaterieller Schaden folgt. 182 Vgl. dazu Franzen, FS Maurer, S. 889 (902 f): „[D]em Zweck einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung [kommt] im Rahmen der Auslegung großes Gewicht zu. Der EuGH versteht den Normzweck in Verbindung mit dem Gesichtspunkt des ,effet utile‘ als ,Optimierungsgebot‘, als Befehl, den Schutzzweck einer Regelung möglichst vollständig zu verwirklichen. Allerdings regeln Richtlinien insbesondere im Bereich des Privatrechts das jeweilige Rechtsgebiet nur punktuell und fragmentarisch; sie wollen zumeist nur eine bestimmte Personengruppe, etwa Arbeitnehmer oder Verbraucher, schützen […]. [Dadurch] entsteht freilich die Gefahr, daß die Heranziehung des Zwecks einer Richtlinie zu einer einseitigen Betrachtung der Interessen der geschützten Gruppe führt, ohne daß das Blickfeld geöffnet würde für die Belange aller am gesamten Interessenkonflikt beteiligten Parteien. Das zielorientierte, finale Verständnis des Gemeinschaftsrechts blendet nicht in der Gemeinschaftsrechtsordnung verankerte gegenläufige Interessen anderer am Rechtskonflikt beteiligter Personen aus […]. Dies ist ein Teilaspekt von dem, was in der Literatur als ,Eindimensionalität‘ des Gemeinschaftsrechts bezeichnet wurde“; vgl. dazu auch ders., Privatrechtsangleichung, S. 461 ff sowie Schoch, JZ 1995, S. 109 (117 ff) und Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 128. 183 Selbst der durch § 15 Abs. 6 AGG ausgeschlossene Einstellungs- oder Beförderungsanspruch könnte die Kränkung nur unvollkommen ausgleichen. Denn hat der Bewerber dann zwar bekommen, was er anstrebte und dadurch zweifellos eine die immateriellen Einbußen kompensierende Genugtuung erfahren. Trotzdem wurde ihm die Nachteilhaftigkeit „seines“ Merkmals für den für die Persönlichkeitsentfaltung so wichtigen beruflichen Bereich durch die ursprüngliche Ablehnung und den Umstand, dass er eine gleichwertige Behandlung beanspruchen musste, vor Augen geführt. Auch die Einstellung bzw. Beförderung kann die verbleibenden Spuren nicht immer restlos beseitigen.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Selbst bei körperlichen Gegenständen und materiellen Vermögenseinbußen ist die Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Schaden häufig nicht einfach zu treffen. Noch schwieriger ist dies beim unkörperlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weshalb die an sich gebotene Differenzierung hier oftmals nur unzureichend erfolgt.184 Die Trennung zwischen der Rechtsverletzung und dem aus ihr folgenden immateriellen Schaden fällt im Persönlichkeitsbereich nicht zuletzt deshalb so schwer, da ähnliche Vorstellungs-, Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten bestehen. Diese treten etwa beim Schmerzensgeld infolge einer Körperverletzung nicht in gleichem Maße auf, weil dort zumindest die Rechtsverletzung greifbar ist. Wer ein blutüberströmtes Unfallopfer vor sich hat, kann sich durchaus vorstellen, dass aus der Verletzung auch immaterielle Einbußen folgen. Die Schwierigkeiten liegen dann hauptsächlich in der Bewertung dieser Einbußen. (1) Die Unwiderlegbarkeit der Rechtsverletzung Das im Persönlichkeitsbereich hinzutretende Probleme der Feststellung einer Rechtsverletzung hat der Gesetzgeber mit der in § 7 Abs. 1 AGG (i.V.m. §§ 1, 3 AGG) erfolgten Vertatbestandlichung nunmehr gelöst. Eine Rechtsverletzung liegt in diesen Fällen immer vor. Sie steht mit dem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unwiderlegbar fest. § 7 Abs. 1 AGG umschreibt den rechtlich geschützten persönlichen Bereich der Beschäftigten und dehnt ihren Rechtskreis zulasten der Handlungsfreiheit (insbesondere) des Arbeitgebers aus. Wird gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, ist damit auch klar, dass ein Übergriff in die fremde Rechtssphäre vorliegt. Den Stimmen in der Literatur,185 die die Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung von § 15 Abs. 2 AGG verlangen, ist mithin zu widersprechen. Vielmehr ist der Rechtsprechung186 zuzustimmen, welche die Feststellung einer herkömmlichen Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht voraussetzt. Missverständlich ist freilich der 184 Beispielhaft für die synonyme Verwendung von Persönlichkeitsverletzung und immateriellem Schaden, Schlachter, AP Nr. 1 zu § 15 AGG, 5. b): „Bereits in dem Umstand, eine Benachteiligung wegen eines Grundes gemäß § 1 AGG erlitten zu haben, liegt die Persönlichkeitsverletzung als nicht materieller Schaden, den § 15 Abs. 2 AGG auszugleichen verpflichtet“ – Hervorhebung durch den Verfasser. 185 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 8; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 519; ders., NZA-Sonderbeilage Heft 22/2004, S. 3 (15) verlangt für die Bejahung eines Anspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG die gesonderte Feststellung einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung, wobei die „Schwelle so niedrig nicht“ sei. Der Beschäftigte müsse „herabgewürdigt“ werden, ihm müssten sachwidrig die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme am Arbeitsleben einzig auf Grund seines „Soseins“ genommen werden; auch Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 39 fordern die Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, wobei lediglich die Schwere der Verletzung nicht denjenigen Grad erreichen müsse, der ansonsten im Deliktsrecht gelte; a.A. Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 132. 186 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 ff; BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/ 08, NZA 2010, S. 1129 ff; LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 ff.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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oben187 bereits zitierte Leitsatz des BAG188 in seiner Leitentscheidung vom 22. 1. 2009, denn er suggeriert, dass es gar keiner Rechtsverletzung bedarf.189 Deshalb wurde die Entscheidung in einer ersten Anmerkung als Hinweis für die Einordnung von § 15 Abs. 2 AGG als Strafschadensersatznorm gedeutet.190 Selbstverständlich ist nach privatrechtskonformem Verständnis eine Rechtsverletzung Voraussetzung des Anspruchs. Mit dem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot steht die Rechtsverletzung allerdings unwiderlegbar fest, weil § 7 Abs. 1 AGG gerade die Rechtszuweisung enthält. Der gesonderten Feststellung einer Verletzung anhand der ansonsten, d. h. ohne das konkretisierende und verschärfende Gesetz, anzulegenden Kriterien (Interessensabwägung, schweres Verschulden, schwere Verletzung etc.) bedarf es daher nicht.191 Zutreffend sind mithin die ebenfalls bereits zitierten Erwägungen192 in den Gründen des Urteils, die scheinbar dem Leitsatz widersprechen. Zu diesen richtigen Erkenntnissen gelangt das Gericht freilich eher zufällig. Anstatt die in § 7 Abs. 1 AGG erfolgte Konkretisierung und Verschärfung des Persönlichkeitsschutzes, also die Erweiterung des geschützten Rechtskreises herauszustreichen, argumentiert das Gericht193 schlicht mit § 15 Abs. 2 AGG selbst: „Bereits der Wortlaut […] steht der Annahme entgegen, zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für den Entschädigungsanspruch sei, dass der Beschäftigte ,herabgewürdigt‘ oder ihm sachwidrig die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme am Arbeitsleben einzig auf Grund seines ,Soseins‘ genommen worden sei. […] § 15 Abs. 2 AGG enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch, so dass nicht die Grundsätze, die für den Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, anzuwenden sind“.
Das BAG rückt mithin nicht das Substanzrecht in den Vordergrund. Im Gegenteil, es versucht allein mit dem Schutzrecht zu argumentieren. Sachlich ist dies unzutreffend, weil das Schutzrecht sich gerade am vorrangig zu bestimmenden Sub-
187
Siehe oben 3. Kap. A. BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (945): „Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch wegen eines erlittenen Nichtvermögensschadens nach § 15 Absatz 2 AGG ist nicht, dass der Arbeitnehmer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist“. 189 Siehe Deinert, AP Nr. 1 zu § 15 AGG, der dies als „Missverständlichkeit“ kritisiert. 190 Reinhard, NJW 2009, S. 3533 (3534). 191 Ebenso Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 50; ders., AP Nr. 1 zu § 15 AGG; Schlachter, AP Nr. 1 zu § 15 AGG; LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (127 f); Jacobs, RdA 2009, S. 193 (195) m.w.N. 192 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951 f): „§ 15 Absatz 2 AGG setzt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Weise einer Herabwürdigung des Beschäftigten nicht voraus“ und auch eine „erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung“ ist nicht zu fordern, siehe dazu bereits oben 3. Kap. A. 193 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951). 188
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
stanzrecht zu orientieren hat.194 Es gilt zunächst die Rechtsposition korrekt zu erfassen, der Schadensersatzanspruch ergibt sich sodann automatisch wegen des notwendigen Schutzes der Rechtszuweisung. Nicht aus § 15 Abs. 2 AGG folgt demnach, dass es der qualifizierten Voraussetzungen nicht mehr bedarf, sondern aus § 7 Abs. 1 AGG als zentraler Zuweisungsnorm. Das Ergebnis des BAG bleibt aber richtig, obgleich das Gericht es mit seiner unsauberen Argumentation versäumt hat klarzustellen, dass es sich bei § 15 Abs. 2 AGG um Rechtsgüterschutz und um keine „nach dem Rechtsstaatsprinzip […] bedenkliche Zivilstrafe“195 handelt. (2) Die Widerlegbarkeit der Vermutung eines immateriellen Schadens in Ausnahmefällen Definiert der Gesetzgeber mit § 7 Abs. 1 AGG den Umfang des Rechts unwiderleglich, so ist damit noch nicht gesagt, dass hieraus auch die unwiderlegliche Vermutung eines immateriellen Schadens folgen muss. Teilweise196 wird allerdings gerade eine solche unwiderlegliche Vermutung eines immateriellen Schadens angenommen. Dabei wähnt man sich im Einklang mit den Richtlinien und dem Willen des nationalen Gesetzgebers. Dies ist freilich nicht zutreffend. In der Gesetzesbegründung zum AGG197 wird lediglich ausgeführt, dass „die Entschädigung ausschließlich für immaterielle Schäden gewährt wird, die regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus den in § 1 genannten Gründen vorliegen“. Damit geht der Gesetzgeber aber gerade davon aus, dass es auch Ausnahmen gibt („regelmäßig“) und mithin nicht jede Rechtsverletzung automatisch auch einen immateriellen Schaden nach sich zieht. In Übereinstimmung hiermit gehen einige Autoren198 davon aus, dass es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt. Dies überzeugt. Wer eine unwiderlegliche Vermutung fordert, sieht sich zwangsläufig mit dem Einwand konfrontiert, dass es in Wahrheit nicht um Rechtsgüterschutz, sondern um Strafschadensersatz geht; denn eine unwiderlegliche Vermutung kann leicht mit einem Verzicht auf jeglichen Schaden gleichgesetzt werden.199 Auch den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen wird eine widerleg194
Siehe dazu bereits oben 1. Kap. B. I. BAG, 15. 2. 2005, 9 AZR 635/03, NZA 2005, S. 870 (871) zur Vorgängerregelung in § 81 SGB IX. 196 LAG München, 19. 11. 2008, 5 Sa 556/08, juris, Rn. 33; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 51; ders., AP Nr. 1 zu § 15 AGG; Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 15 AGG, Rn. 36; ebenso zu § 611a BGB a.F. bereits Soergel/Raab, 1997, § 611a BGB, Rn. 53. 197 BT-Drucks. 16/1780, S. 38; hierauf aufbauend BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952). 198 HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 6; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 38 f; Kern, Diskriminierungskläger, S. 141 f; KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 149; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 6. 199 So explizit Reinhard, NJW 2009, S. 3533 (3534). 195
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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liche Vermutung gerecht.200 Wie oben ausgeführt, wird europarechtlich lediglich verlangt, den mannigfaltigen Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten nicht mit der im deutschen Schadensrecht üblichen Reaktion zu begegnen, den Schaden auf Null zu setzen. Bürdete man dem Arbeitnehmer die Last des Nachweises eines immateriellen Schadens auf, würde man die Möglichkeit der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs aufgrund der beschriebenen tatsächlichen Schwierigkeiten derart einengen, dass ein Konflikt mit dem Gebot der effektiven Sanktionierung durch vollen Schadensausgleich bestünde.201 Dem wird jedoch Genüge getan, wenn man das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und den immateriellen Schaden grundsätzlich vermutet. Ein neues Prinzip, wonach ausnahmslos und unabhängig von den Einzelfallumständen immer ein Schaden anzunehmen ist, wird danach nicht verlangt. Es muss lediglich sichergestellt sein, dass die Widerlegbarkeit nicht dazu führt, dass die Ausnahme ihrerseits wieder zur Regel wird. Demnach kann ein immaterieller Schaden durchaus verneint werden, jedoch nur in eng begrenzten Sonderfällen.202 Das BAG203 hat diesen Weg selbst angedeutet, wobei es sich mangels Entscheidungserheblichkeit letztlich nicht festlegen wollte: „Ob in bestimmten Ausnahmefällen ein immaterieller Schaden und damit ein Entschädigungsanspruch zu verneinen ist, weil die Benachteiligung so geringe Auswirkungen hat, dass die Zahlung einer Entschädigung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Benachteiligung steht, brauchte im Streitfalle nicht entschieden zu werden, weil ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG – wenn überhaupt – nur in ganz eng umrissenen Ausnahmefällen in Betracht kommen könnte und ein solcher nicht vorliegt“.
Dieser „kleine Ausweg“204 stellt einen sachgerechten und europarechtskonformen Lösungsansatz dar. Es wird einerseits klargestellt, dass bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot in aller Regel ein immaterieller Schaden vorliegen wird. Andererseits wird aber zutreffend zwischen Rechtsverletzung und Schaden unterschieden. Insbesondere wahrt eine widerlegbare Schadensvermutung mit hohen Anforderungen an die Widerlegbarkeit auch die notwendige Balance zwischen dem europarechtlich geforderten wirksamen Rechtsgüterschutz durch vollen Schadensausgleich und der deutschen Zivilrechtsdogmatik. Mit letzterer wäre ein Verzicht auf jeglichen Schaden, womit eine unwiderlegbare Vermutung sachlich gleichzusetzen ist, nicht zu vereinbaren. Wenn Deinert205 die beschriebene Urteilspassage kritisiert,
200
Im Ergebnis ebenso Kern, Diskriminierungskläger, S. 142. So zutreffend HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 6. 202 Schlachter, AP Nr. 1 zu § 15 AGG, 5. b): „nur im Extremfall“; ebenso KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 149. 203 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951), dazu bereits oben 3. Kap. A. 204 So Reinhard, NJW 2009, S. 3533 (3533). 205 Deinert, AP Nr. 1 zu § 15 AGG, II. 1. 201
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
dann passt dies zwar zu seiner andernorts206 erhobenen Forderung nach einer unwiderlegbaren Schadensvermutung. Gleichzeitig wirkt sein Bekenntnis zum Ausgleichsprinzip hierdurch aber unglaubhaft. Seine für sich genommen so zutreffende Aussage, dass der „[d]er Sanktionszweck […] durch den Gesichtspunkt des Schadensausgleichs begrenzt wird“207 entpuppt sich angesichts der Forderung nach einer ausnahmslosen Schadensvermutung als folgenlose Worthülse. (3) Die Voraussetzungen einer Ausnahmekonstellation Nun stellt sich die Frage, wann ein derartiger Ausnahmefall vorliegt.208 Man wird dies nicht pauschal beantworten können, sondern immer nur hinsichtlich konkreter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Es ist danach zu fragen, ob nach diesen Umständen aus der Benachteiligung folgende innere Wirkungen, die sich als echter immaterieller Schaden darstellen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Dabei ist die durch die ausgeweitete Rechtsposition erhöhte Wahrscheinlichkeit an Schädigungen, was oben als Absenkung des Maßstabes hinsichtlich der Kränkung bezeichnet wurde, zu berücksichtigen. Entscheidend war für das BAG209 in der zitierten Leitentscheidung, dass nach den konkreten Umständen keine „unbedeutende, [die Benachteiligte] kaum belastende Situation“ geschaffen worden war, die eine Ausnahme hätte rechtfertigen können. Bedauerlich ist, dass das BAG unlängst210 die Möglichkeit gehabt hätte, den bereits angedeuteten Schritt in die richtige Richtung zu gehen und die Widerlegbarkeit der Vermutung eines immateriellen Schadens in Ausnahmefällen anzuerkennen. Das Gericht hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem meines Erachtens eine Ausnahmekonstellation vorlag. Da die Entscheidung in anderem Zusammenhang nochmals relevant werden wird, sei der Sachverhalt hier etwas ausführlicher dargestellt: Beklagt vor dem ArbG Hannover waren zwei Unternehmen. Die Beklagte zu 1 bot Objektschutz, Messe- und Veranstaltungsdienste an. Bei der Beklagten zu 2 handelte es sich um die Betreiberin einer Messe. Im Rahmen einer fünftägigen Messe war die Beklagte zu 1 von der Beklagten zu 2 beauftragt worden, eine Besucherregistrierung durchzuführen, um die exakte Zahl der Messebesucher zu ermitteln. Auf eine Zeitungsannonce der Beklagten zu 1 meldete sich die spätere Klägerin, eine knapp 50 Jahre alte Frau, die über eine ausreichende Qualifikation, insbesondere gute Fremdsprachenkenntnisse verfügte. Sie war an sich im öffentlichen Dienst beschäftigt, jedoch für die Dauer von fünf Monaten beurlaubt worden. Auf ihre 206 207 208 209 210
Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 51. Deinert, AP Nr. 1 zu § 15 AGG, I. Dazu auch KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 149. BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952). BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Nachfrage hin wurde der Klägerin von einem Mitarbeiter der Beklagten zu 1 mitgeteilt, dass sowohl Stellen an einem Checkpoint, die mit knapp 8 E vergütet werden sollten, als auch etwas besser vergütete Stellen (etwa 9 E) in der Vollregistrierung zu vergeben seien. Zunächst wurde der Klägerin wegen ihrer guten Fremdsprachenkenntnisse von dem Mitarbeiter eine Stelle in der Vollregistrierung in Aussicht gestellt. Nach kurzer Rücksprache mit einer Kollegin erklärte er dann jedoch, die Klägerin sei für diese Stelle zu alt. Die Beklagte zu 2 habe für die Stellen in der Vollregistrierung der Beklagten zu 1 konkrete Altersvorgaben gemacht, die eingehalten werden müssten.211 Gleichzeitig wurde der Klägerin jedoch eine Stelle am Checkpoint angeboten, die diese jedoch nicht annahm, weil sie sich wegen ihres Alters diskriminiert fühlte. Am Tag des Beginns der Messe ging den Beklagten ein Anwaltsschreiben der Klägerin zu, in dem diese eine Entschädigung geltend machte. Noch am gleichen Tag bot die Beklagte zu 1 der Klägerin eine Stelle in der Vollregistrierung an, die diese annahm, jedoch wegen zwischenzeitlicher anderweitiger Terminplanungen erst am dritten Tag der Messe tatsächlich antrat. Obwohl die Klägerin nur drei Tage gearbeitet hatte, zahlte die Beklagte zu 1 den Lohn für die gesamten fünf Tage und entschuldigte sich darüber hinaus bei der Klägerin wegen des „Missverständnisses“. Dennoch verfolgte die Klägerin den Entschädigungsanspruch weiter und bezog in ihre Klage auch die Beklagte zu 2 wegen der von dieser stammenden diskriminierenden Vorgaben ein. Während das ArbG Hannover einen Entschädigungsanspruch noch verneint hatte, bejahte das LAG Niedersachsen212 und ihm folgend schließlich das BAG213 einen Entschädigungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1.214 Der Sachverhalt verkörpert meines Erachtens das Paradebeispiel eines Falles, in dem ausnahmsweise ein immaterieller Schaden nicht angenommen werden kann. Unrichtig war es sicherlich, einen Entschädigungsanspruch allein deshalb zu verneinen, weil keine schwere Persönlichkeitsverletzung und kein schweres Verschulden vorlag. Das ArbG Hannover, das derart argumentierte, verkannte schlicht die Konkretisierung und Verschärfung des Persönlichkeitsschutzes durch § 7 Abs. 1 AGG. Trotzdem hatte das ArbG Hannover im Ergebnis Recht. Denn gegen das Vorliegen einer echten immateriellen Einbuße sprachen in dem konkreten Fall zahlreiche Gesichtspunkte: Zunächst handelte es sich bei der Stelle in der Vollregistrierung um eine auf lediglich fünf Tage befristete Kurzbeschäftigung. Die Stelle hatte für die Klägerin von Anfang an keine wesentliche Bedeutung für ihre Persönlichkeitsentfaltung. Sie verfügte über eine andere Arbeitsstelle, von der sie lediglich vorübergehend beurlaubt war. Die Tätigkeit auf der Messe sollte nur einen Zwischenverdienst sichern, u. U. auch der Ablenkung dienen. Der Ansicht des LAG 211
Bis zuletzt konnte in dem Verfahren nicht geklärt werden, ob eine solche Vorgabe tatsächlich gemacht worden war oder der Mitarbeiter dies nur irrtümlich angenommen hatte. 212 LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, NZA-RR 2009, S. 126 ff. 213 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff. 214 Zum Anspruch gegen die Beklagte zu 2, siehe unten 4. Kap. A. II. 2. b) cc) bei der Frage der Passivlegitimation.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Niedersachsen215, dass die Dauer und die Bedeutung der angestrebten Beschäftigung für den immateriellen Schaden grundsätzlich ohne Bedeutung ist, ist zu widersprechen. Gerade weil es um verschärften Ehrschutz wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit geht, können Dauer und Bedeutung der konkreten Stelle nicht unberücksichtigt bleiben. Keinesfalls strebt ein Bewerber um eine fünftägige Kurzzeitstelle in gleichem Maße wie ein Bewerber um eine unbefristete hauptberufliche Stelle nach gesellschaftlicher Anerkennung oder Teilhabe, so dass die diskriminierende Zurückweisung die beiden Bewerber nicht gleichermaßen hart trifft. Hinzu kommt, dass die Klägerin von der Beklagten zu 1 nicht per se abgewiesen wurde, sondern ihr im Gegenteil zunächst die unwesentlich (1 E Differenz) geringer vergütete Stelle am Checkpoint angeboten wurde. Das Angebot einer geringfügig schlechter bezahlten Stelle hat Auswirkungen auf das Maß der Kränkung, gerade weil sich die gefühlte Wertschätzung auch in der Lohnhöhe ausdrückt.216 Des Weiteren basierte der gesamte Vorgang auf der (irrigen) Annahme des Mitarbeiters der Beklagten zu 1, dass die Beklagte zu 2 verbindliche Vorgaben gemacht habe. Unabhängig von dem weiterführenden Problem der Rechtfertigungswirkung von Kundenpräferenzen217 wird doch zumindest anzunehmen sein, dass das Maß an Kränkung auch davon abhängt, inwieweit die Benachteiligung dem diskriminierenden Arbeitgeber vorgeworfen werden kann.218 Die Bindung an einen (vermeintlichen) Kundenwunsch führt dabei zu einer Pflichtenkollision, die ihrerseits schuld- und somit schadensmindernd wirken kann. Dies verkennt das BAG, wenn es meint, ein möglicher Irrtum über eine Altersvorgabe sei für die Entschädigungshöhe irrelevant, da „die Beklagte zu 2 […] mit oder ohne Vorgabe von dritter Seite die Klägerin nicht wegen ihres Alters diskriminieren [durfte]“. Denn hiermit ist nur eine Aussage zum Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG und somit zur Rechtsverletzung getroffen, nicht aber zur weitergehenden Frage des immateriellen Schadens. Zudem war in dem konkreten Fall mit dem Alter ein Kriterium betroffen, dem unter den in § 1 AGG genannten Merkmalen eine Sonderstellung zukommt. Dies zeigen schon die erweiterten Rechtfertigungsmöglichkeiten des § 10 AGG. Nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass letztlich jeder einmal das Glück bzw. Unglück hat, jung bzw. alt zu sein, betrifft eine altersbedingte Benachteiligung nicht in gleichem Maße den Kern der Persönlichkeit wie etwa eine Benachteiligung wegen der Rasse oder wegen einer Behinderung. Auch dies ist meines Erachtens bei der Frage nach dem Vorliegen einer echten immateriellen Einbuße zu berücksichtigen. Letztlich kommt hinzu, dass die Beklagte zu 1 unmittelbar nach der Mitteilung durch die Klägerin, dass sie sich diskriminiert fühle, alles ihrerseits Mögliche unternahm, um den (vermeintlich) erlittenen immateriellen Schaden wiedergutzumachen. Neben 215
LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, NZA-RR 2009, S. 126 (129). Siehe dazu unten 4. Kap. A. I. 2. b) bb) (1) (g). 217 Dazu Krause, FS Adomeit, S. 377 ff; Lobinger, EuZA 2009, S. 365 ff. 218 Den Verschuldensgrad als Bemessungskriterium akzeptiert auch das BAG, vgl. BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1132); siehe dazu näher unten 4. Kap. A. I. 2. b) bb) (1) (b). 216
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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einer umfassenden Entschuldigung wurde der Klägerin die besser bezahlte Stelle angeboten und trotz der bloßen Tätigkeit an 3 statt 5 Tagen der volle Lohn gezahlt. Dass angesichts dieser Umstände tatsächlich noch etwas bei der Klägerin „hängen blieb“, das sich als echte psychische Belastung und damit als relevante immaterielle Einbuße qualifizieren ließe, erscheint als ausgeschlossen. Zu dieser Einschätzung gelangt auch das LAG Niedersachsen, das bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe explizit feststellte, dass „zu Gunsten der Beklagten zu 1 […] auch berücksichtigt [wurde], dass […] kein messbarer immaterieller Schaden eingetreten ist“219. Dann hätte das Gericht, wenn es ihm tatsächlich um Rechtsgüterschutz und Schadensausgleich gegangen wäre, aber auch keine Entschädigung zusprechen dürfen. Die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von unglaublichen 1.000 E (orientiert am Bruttomonatsgehalt, obwohl die Anstellung nicht einmal eine volle Woche dauern sollte!) wirkt zweifellos wie eine Strafe. Auch die an Strafzumessungserwägungen erinnernden Ausführungen220 sprechen dafür, dass das LAG eine Strafe festsetzen und keinen realen Schaden ausgleichen wollte. Die Zurückweisung der Anschlussrevision der Beklagten zu 1 durch den achten Senat des BAG221 passt keinesfalls mit seiner in selbiger Entscheidung getroffenen Aussage zusammen, dass es bei § 15 Abs. 2 AGG nicht darum gehe, „eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers zu sanktionieren, sondern vor ungerechtfertigter Benachteiligung zu schützen“222. Erst recht passt die Entscheidung nicht zu der Aussage des neunten Senats, der zur Vorgängerregelung festgestellt hatte, dass „keine nach dem Rechtsstaatsprinzip […] bedenkliche Zivilstrafe vorliegt, weil bei der Bemessung der Entschädigung allein auf den immateriellen Schaden abzustellen ist“223. Wenn das LAG Niedersachsen als letzte Tatsacheninstanz rechtsfehlerfrei das vollständige Fehlen eines immateriellen Schadens festgestellt hat, dann kann ein Entschädigungsanspruch gemessen an dieser Aussage nicht gerechtfertigt sein. Der Anschlussrevision der Beklagten zu 1 hätte stattgegeben werden müssen. Geradezu grotesk erscheint es letztlich, dass das BAG das Vorliegen eines Ausnahmefalls unter anderem mit dem Argument ablehnte, dass es zu einer tatsächlichen Beschäftigung nur an drei der ursprünglich vorgesehenen fünf Tage gekommen sei und deshalb „Auswirkungen“ vorlägen, die „eine Entschädigung nicht als unangemessen erscheinen [lassen]“224. Das Gericht verkennt dabei, dass es die Klägerin war, die aus persönlichen Gründen die angebotene und schließlich sogar bezahlte (!) Beschäftigung an den ersten beiden Tagen zurückgewiesen hatte. Daraus für die Beklagte nachteilige Folgen zu knüpfen, erscheint geradezu als absurd. 219
LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, NZA-RR 2009, S. 126 (129). LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, NZA-RR 2009, S. 126 (128 ff): „Zu Gunsten/zu Lasten der Beklagten [Angeklagten?] war zu berücksichtigen …“. 221 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1133). 222 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1131); ebenso am selben Tag BAG, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (874). 223 BAG, 15. 2. 2005, 9 AZR 635/03, NZA 2005, S. 870 (871) zu § 81 Abs. 2 SGB IX a.F. 224 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1132). 220
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
bb) Der Umfang des Restitutionsanspruchs – Kriterien zu Bestimmung der Entschädigungshöhe Steht mithin fest, dass sich der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG allein am immateriellen Schaden zu orientieren hat, den es mit der Entschädigungszahlung auszugleichen gilt, so ist weiter zu fragen, welche Kriterien Berücksichtigung finden können und welche als systemwidrig auszusondern sind. Dabei sind all diejenigen Kriterien zu akzeptieren, bei denen ein Bezug zur inneren Gefühlslage des Diskriminierten denkbar ist. Diese Kriterien können Einfluss auf den immateriellen Gefühlsschaden225 haben. Durch die Einbeziehung aller potentiellen Bemessungsfaktoren wird gewährleistet, dass die Gerichte keine freischwebende Schadensschätzung vornehmen müssen, sondern auf handfeste und nachweisbare Umstände zurückgreifen können. Nach der in Rechtsprechung226 und Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht sind bei der Bemessung der Entschädigung alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei werden genannt: die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, eine etwa geleistete (finanzielle) Wiedergutmachung oder eine erhaltene Genugtuung, das Vorliegen eines Wiederholungsfalls227, die Frage der Best- oder Minderqualifizierung228, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers229 sowie die Benachteiligung aufgrund mehrerer in § 1 AGG genannter Gründe230. Auch die Frage, ob die Benachteiligung bei der Einstellung bzw. Beförderung oder nur im Rahmen einer Versetzung erfolgt, soll von Relevanz sein.231 Teilweise wird auch zwischen Einstellung und Beförderung selbst unterschieden.232 Streitig ist, ob die Lohnhöhe tatsächlich taugliches Bemessungskriterium sein kann, wie § 15 Abs. 2 S. 2 AGG scheinbar voraussetzt233. Ebenfalls umstritten ist, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berück225
Zur Ersatzfähigkeit des sog. Gefühlsschadens, Canaris, FS Deutsch, S. 85 (102 ff) sowie bereits oben 2. Kap. B. I. 2. d) aa); dagegen Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 55 ff. 226 Vgl. statt vieler die Aufzählung in BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952) sowie BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (159). 227 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 13. 228 Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Entschädigungshöhe zunächst unabhängig davon zu bestimmen und lediglich bei Darlegung einer Minderqualifizierung durch den Arbeitgeber in den Fällen des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf drei Monatsgehälter zu „deckeln“, siehe BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (159). 229 Herms/Meinel, DB 2004, S. 2370 (2373); Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 74. 230 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 73; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 13; krit. Lehmann, S. 131. 231 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (953). 232 Zwanziger, DB 1998, S. 1330 (1331); vgl. auch Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 84 sowie BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (158). 233 Krit. etwa Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 15 AGG, Rn. 36.
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sichtigen sind.234 Wie bereits beschrieben, soll nach dem LAG Niedersachsen die Dauer und die Bedeutung der angestrebten Beschäftigung kein Bemessungskriterium sein können. Nach Ansicht Deinerts235 spielt es keine Rolle, wenn der Arbeitgeber dem zunächst rechtswidrig zurückgewiesenen Bewerber die Stelle letztlich doch anbietet oder ihn gar einstellt. Andererseits soll aber von Bedeutung sein, inwieweit der Arbeitgeber andere Bewerber im Rahmen desselben Einstellungsvorgangs diskriminiert und von diesen Bewerbern auch in Anspruch genommen wird.236 Im Folgenden werden die wichtigsten dieser Kriterien auf ihre Systemkonformität untersucht. (1) Zulässige Kriterien (a) Die Unterscheidung nach der Einstellungswahrscheinlichkeit Es wurde bereits gezeigt237, dass sich entgegen der Ansicht Eberts der Entschädigungsanspruch der minderqualifizierten Bewerber in ein am Schadensausgleich orientiertes System zwanglos einfügt. Eine immaterielle Einbuße erleidet auch derjenige, der zumindest auch wegen des ihm anhaftenden Merkmals zurückgewiesen wurde, obwohl dies aufgrund des Vorliegens objektiver Gründe (andere waren besser geeignet) nicht nötig gewesen wäre. Problematisch ist jedoch die strenge Zweiteilung in einen bestqualifizierten und viele minderqualifizierte Bewerber.238 Eine solche „Schwarz-Weiß-Situation“239 wird es in der Realität, in der regelmäßig mehrere Bewerber zunächst in die engere Auswahl kommen und sich erst im Laufe der Zeit ein Favorit herausbildet, kaum jemals geben. Darüber hinaus scheitert die Bestimmung des hypothetischen Kausalverlaufs an den vielen unsachlichen Ablehnungsgründen, die wegen der verbleibenden Privatautonomie weiterhin zulässig sind. Dies haben Wagner/Potsch240 zutreffend erkannt. Und auch ihr Lösungsansatz241 erscheint überzeugend, allerdings gerade nicht im Zusammenhang mit dem Vermögensschaden gemäß § 15 Abs. 1 AGG, sondern übertragen auf den Nichtvermögensschaden des § 15 Abs. 2 AGG. Die feine Differenzierung nach Einstellungswahrscheinlichkeiten wird von Wagner/ Potsch dafür verwandt, den Erfüllungsschaden unter den Bewerbern zu verteilen. Dafür kann ihr Modell nach dem oben Gesagten wegen des fehlenden Vermögenswertes bloßer Chancen und insbesondere wegen der Systemwidrigkeit eines 234 Verneinend Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 76; bejahend MüKoBGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 13. 235 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 71. 236 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 75. 237 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. a) cc) (1). 238 A.A. Lehmann, S. 67, der dies für konsequent hält. 239 So Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1095). 240 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1095). 241 Dazu bereits oben 4. Kap. A. I. 1. a) bb).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Ersatzes des positiven Interesses nicht herhalten. Andererseits ist es aber folgerichtig, die gesehene Chance auf Einstellung als Kriterium zur Bemessung der subjektiven Beeinträchtigung zu akzeptieren. Denn das Maß an Kränkung wird durch die erkannte Wahrscheinlichkeit einer Einstellung zweifellos erhöht. Wer ohnehin nur äußerst geringe Einstellungschancen hatte, den wird die Zurückweisung weniger hart treffen als denjenigen, der ohne „sein“ Merkmal zum Favoritenkreis unter den Bewerbern gezählt hätte. Dabei erscheint es notwendig, auf die tatsächliche Einstellungswahrscheinlichkeit abzustellen. An sich müsste man meinen, dass die vom Benachteiligten angenommene Wahrscheinlichkeit entscheidend für das Maß seiner Kränkung ist. Je näher sich der Bewerber der angestrebten Stelle wähnt, desto verbitterter wird er über die Zurückweisung sein. Bei einer solchen Betrachtung würde man allerdings auch das Maß an Kränkung und somit den immateriellen Schaden berücksichtigen, der sich nicht als Folge der Benachteiligung, sondern als Folge einer Selbstüberschätzung oder eines Informationsdefizits des Bewerbers ergibt. Wer sich selbst unter den besten 10 % im Bewerberkreis oder sogar als den Bestqualifizierten sieht, weil er sich für geeigneter hält, als er tatsächlich ist, kann jedoch den aus dieser Selbstüberschätzung fließenden immateriellen Schaden nicht ersetzt verlangen. Auch wenn es sich um verschärften Ehrschutz handelt, so kann der Einzelne den ihm gebührenden Respekt doch nicht selbst festlegen. Die innere Ehre wird durch eine Selbstüberschätzung nicht erweitert, weil ein Recht auf Selbstbestimmung der eigenen Würde nicht anerkannt werden kann.242 Eine tatsächliche Verbitterung, die auf einer Selbstüberschätzung beruht, stellt sich deshalb nicht als kausale Folge der Rechtsverletzung dar. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Kenntnis des Benachteiligten von der Bewerberlage.243 Eine persönliche Einordnung der objektiven Einstellungswahrscheinlichkeit wird dadurch im Zeitpunkt der Ablehnung nur selten möglich sein. Ohne die Kenntnis des Bewerberkreises und des internen Anforderungsprofils wird man jedoch kaum annehmen können, dass der immaterielle Schaden durch die tatsächlichen Einstellungschancen bestimmt wird. Allerdings kann dieses Problem damit gelöst werden, dass man die, insbesondere im Rahmen eines Prozesses, später gewonnenen Erkenntnisse bei der Schadensbestimmung berücksichtigt. Erhält der abgelehnte Bewerber Einblick in die maßgeblichen Unterlagen des Bewerbungsverfahrens, so wird ihm schnell klar, wie realistisch seine Einstellungschancen waren. Erfährt er etwa, dass diese Chancen ohne „sein“ Merkmal überraschend gut gewesen wären, so wird die innere Betroffenheit sich weiter vertiefen. Diese neuerlichen immateriellen Einbußen sind dann als ebenfalls auf der Benachteiligung basierende Schäden zu berücksichtigen. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall: Nahm der Bewerber irrtümlich eine für ihn günstigere Bewerberlage an und erkennt er später, dass er bei der übermächtigen Konkurrenz ohnehin keine Einstellungschance 242 243
So Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 21. Vgl. auch Lehmann, S. 48.
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gehabt hätte, so wird dies die subjektive Beeinträchtigung grundsätzlich verringern. Durchhalten lassen sich diese Überlegungen freilich nur, wenn gewährleistet ist, dass spätestens im Prozess alle Informationen hinsichtlich des Bewerberkreises und der Einstellungskriterien offen gelegt werden. Ein rechtliches Instrument dafür wäre ein Auskunftsanspruch des Bewerbers. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist momentan Gegenstand einer Vorlage des BAG an den EuGH.244 Der dargelegte Gedankengang ist freilich nicht frei von Schwächen. Eine solche in jeder Hinsicht widerspruchsfreie Lösung wird man in diesem schwierigen Bereich jedoch kaum finden können. Es geht vielmehr darum, die beste, d. h. systemkonformste unter den allesamt mängelbehafteten Lösungen zu finden. Insoweit erscheint es auch hinnehmbar, dass durch die hier vorgeschlagene Berücksichtigung im Prozess gewonnener Erkenntnisse Schwierigkeiten entstehen können, wenn dem Benachteiligten die maßgeblichen Umstände unbekannt bleiben, etwa weil er zwischenzeitlich verstorben ist und ein Erbe den Prozess führt.245 Ob in einem solchen Ausnahmefall noch eine Veränderung des Umfangs des immateriellen Schadens angenommen werden kann, soll hier dahinstehen. In jedem Fall würden Schwierigkeiten in derartigen Sonderkonstellationen durch einen Gewinn an Systemkonsistenz in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ausgeglichen. Nur die vorrangige Berücksichtigung der Gefühlslage des Benachteiligten erscheint mit dem Schadensausgleichsprinzip vereinbar. Ist somit die vom Benachteiligten erkannte objektive Einstellungswahrscheinlichkeit ein taugliches Kriterium zur Bemessung des immateriellen Schadens, so muss noch ergänzt werden, dass bei der Bestimmung dieser Einstellungswahrscheinlichkeit dem vom Arbeitgeber im Rahmen seiner Unternehmerfreiheit weitestgehend frei bestimmbaren Stellenanforderungsprofil eine entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei dürfen freilich rechtswidrig diskriminierende Anforderungen von vorn herein keine Berücksichtigung finden. Andererseits müssen diskriminierende, aber erlaubte Anforderungen mit in die Betrachtung einbezogen werden. Dies erscheint zwar einerseits nur schwer verständlich, weil es für die Gefühlslage des Benachteiligten immer nur darauf ankommen wird, inwieweit er die seiner Einstellung entgegenstehenden Aspekte als sachlich begründet nachvollziehen kann.246 Andererseits ist die Berücksichtigung dieser Anforderungen aber Folge der Beschränkung der verbotenen Merkmale in § 1 AGG und letztlich ein Resultat der verbleibenden Privatautonomie. Enthält ein Stellenprofil beispielsweise die sachlich nicht gerechtfertigten Anforderungen „bevorzugt Normalgewichtige“ und „bevorzugt Männer“, so ist bei der Bestimmung der Einstellungswahrscheinlichkeit
244
BAG, 20. 5. 2010, 8 AZR 287/08, NZA 2010, S. 1006 ff; siehe dazu auch Wörl, S. 144 f. Der Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist vererblich, siehe Kutschera, AfP 2000, S. 147 ff. 246 Siehe Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (653): „Benachteiligung aus unsachlichem Grund ist für den Betroffenen stets kränkend“. 245
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einer übergewichtigen Frau zwar ihr Geschlecht nicht negativ zu berücksichtigen, ihr Körpergewicht aber sehr wohl.247 (b) Der Verschuldensgrad Auch die Berücksichtigung des Verschuldensgrades lässt sich durchaus mit einer am Schadensausgleichsprinzip orientierten Betrachtungsweise rechtfertigen. Dies wird mitunter in Abrede gestellt.248 Schon bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie bei Körperverletzungen war die Einbeziehung des Verschuldensgrades zur Bestimmung des immateriellen Schadens als systemwidrig kritisiert worden. Man war vielfach der Meinung, dass die Genugtuungsfunktion vom BGH überhaupt nur geschöpft wurde, um den Verschuldensgrad zur Bestimmung der Anspruchshöhe heranziehen zu können. Denn dies wäre bei einer lediglich am Geschädigten orientierten Betrachtungsweise nicht möglich gewesen.249 Letzteres ist freilich nicht richtig. Es ist im Gegenteil gerade plausibel, dass sich auch das Maß an Kränkung danach ausrichtet, inwieweit dem Schädiger die Benachteiligung vorgeworfen werden kann.250 Dies gilt im Antidiskriminierungsrecht genauso wie bei Ehrverletzungen im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Erkennt der Geschädigte (spätestens im Prozess), dass die Benachteiligung absichtlich geschah und von vornherein keinerlei Rechtfertigungsgründe in Betracht kamen, so wird ihn dies schwer treffen und seine Verbitterung entsprechend groß sein. Andererseits wird die immaterielle Einbuße geringer ausfallen, wenn der Schädiger ersichtlich einem, wenn auch vermeidlichen, Irrtum über den Umfang der Rechtfertigungsgründe aufgesessen war.251 Dies gilt etwa dann, wenn der Benachteiligende auf eine zwar angezweifelte, aber noch nicht abgeänderte ständige Rechtsprechung vertraut hat252 oder in gutem Glauben eine gesetzliche Regelung anwandte, die sich im Prozess als europarechtswidrig entpuppt.253 Gleiches gilt, 247 Freilich kann eine offene, bewusst unsachliche Diskriminierung dicker oder dünner Bewerber im Einzelfall eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen und einen Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB begründen. 248 Etwa von Treber, DZWir, 1998, S. 177 (185). 249 Vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 134 ff, der die Berücksichtigung des Verschuldensgrades folglich ablehnt sowie bereits oben 2. Kap. B. I. 2. d) aa). 250 Ebenso BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952); Wendeling-Schröder/ Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 39; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 64; Lehmann, S. 139 m.w.N.; OLG Köln, 29. 7. 2010, 18 U 196/09, DB 2010, S. 1878 (1883). 251 Ebenso Lehmann, S. 139. 252 Vgl. LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/09, juris, Rn. 49 (Revision anhängig), wonach der immaterielle Schaden geringer ausfällt, wenn dem Diskriminierenden keine Absicht vorgeworfen werden kann, da er angesichts der jahrzehntelang gefestigten Rechtsprechung (irrtümlich) davon ausging, dass die Frage nach der Schwerbehinderung auch nach dem Inkrafttreten des AGG weiterhin zulässig ist. 253 Vgl. dazu Gaul/Köhler, BB 2010, S. 503 (505); dies., ArbRB 2010, S. 53 (55 f), die sich mit der Frage befassen, in welcher Höhe gekündigte Arbeitnehmer eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen können, wenn die Kündigungsfrist unter Anwendung der al-
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wenn er bei der mittelbaren Benachteiligung lediglich fahrlässig verkannt hat, dass die Anknüpfung an ein Merkmal statistisch betrachtet eine durch § 1 AGG geschützte Gruppe weit überwiegend nachteilig betrifft. Der Verschuldensgrad oder präziser, die Kenntnis des Geschädigten vom Verschuldensgrad, ist danach zweifellos ein zulässiges und systemkonformes Kriterium zur Bestimmung des immateriellen Schadens. (c) Art, Schwere und Grund der Benachteiligung Auch Art, Schwere und Grund der Benachteiligung können das Maß der immateriellen Einbuße betreffen. In aller Regel wird eine unmittelbare Anknüpfung an ein unzulässiges Kriterium (unmittelbare Benachteiligung) den Benachteiligten in höherem Maße kränken, als eine Anknüpfung an ein an sich neutrales Kriterium (mittelbare Benachteiligung),254 wobei dies eng mit dem zuvor erörterten Verschuldensgrad zusammenhängt. Verkennt der Arbeitgeber die ungleiche statistische Verteilung des von ihm gewählten Differenzierungskriteriums, wird die Verbitterung geringer ausfallen. Wird andererseits aufgedeckt, dass der Arbeitgeber bewusst ein mittelbar benachteiligendes Kriterium ausgewählt hat, um den Diskriminierungsschutz zu umgehen, kann das Gegenteil der Fall sein. Entgegen Bauer/Krieger/Göpfert255 ist auch die Schwere der Benachteiligungshandlung zu berücksichtigen. Begrüßenswert ist zwar der Versuch der genannten Autoren, keine reinen Strafkriterien einzuführen und maßgeblich auf den Benachteiligungserfolg abzustellen. Das Problem liegt jedoch gerade in der Bestimmung des Schadenserfolges. Zur Überwindung der tatsächlichen Schwierigkeiten ist die Heranziehung der Schwere der Benachteiligungshandlung aber nicht zu beanstanden. Denn darin zeigt sich die fehlende Achtung des fremden Persönlichkeitsrechts, die der Benachteiligte je nach Schwere als größere oder geringere Kränkung empfinden wird. Auch der Grund der Benachteiligung spielt sicherlich eine Rolle. Bewegt sich der Arbeitgeber am Rande der Rechtfertigung, so wird sein Handeln nachvollziehbar und die immaterielle Einbuße entsprechend kleiner. In gewisser Weise wird ein Getersdiskriminierenden Regelung in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zu kurz bemessen war. Hier stellt sich meines Erachtens aber zunächst die Frage, ob in einem solchen Fall überhaupt ein Verschulden vorliegt, was nach h.M. freilich keine Voraussetzung von § 15 Abs. 2 AGG ist, vgl. unten 4. Kap. A. II. 4. 254 Ebenso MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 13; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 15 AGG, Rn. 8; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094); BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1132). 255 Nach Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 15 AGG, Rn. 36 soll die Schwere der Verletzungshandlung anders als die Schwere des Verletzungserfolges nicht von Bedeutung sein, da dies mit der Schadensausgleichfunktion unvereinbar sei und zu einem „primär[en] Strafcharakter“ führe. Dies passt meines Erachtens freilich kaum damit zusammen, dass an selber Stelle behauptet wird, der immaterielle Schaden werde unwiderlegbar vermutet.
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schädigter auch einen paternalistisch handelnden Arbeitgeber besser verstehen können als einen einzig aus verwerflichen Gründen handelnden, von Vorurteilen getriebenen Arbeitgeber. (d) Dauer und Bedeutung der Tätigkeit für den Benachteiligten Entgegen der Ansicht des LAG Niedersachsen sind auch Dauer und Bedeutung der angestrebten Tätigkeit für den Umfang der immateriellen Einbußen relevant. Wer sich lediglich um einen auf kurze Zeit befristeten Nebenjob bewirbt (Aushilfstätigkeiten etc.), der strebt nicht in gleichem Maße nach gesellschaftlicher Anerkennung oder Teilhabe wie der arbeitslose Bewerber um eine Vollzeitstelle. Die diskriminierende Zurückweisung trifft diesen Bewerber dann aber auch nicht ebenso hart, weil die Stelle für seine Persönlichkeitsentfaltung nicht die gleiche Relevanz hat. Insoweit erscheint es auch gerechtfertigt, den Entschädigungsanspruch bei Einstellungsdiskriminierungen generell etwas höher anzusetzen als bei Diskriminierungen im Rahmen von Beförderungsentscheidungen.256 Sicherlich definiert sich der Einzelne auch maßgeblich über sein berufliches Fortkommen und die diskriminierungsbedingte Stagnation der Karriere kann echte immaterielle Schäden hervorrufen. In persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht sind die immateriellen Auswirkungen einer Einstellungsdiskriminierung jedoch gewichtiger als die einer Beförderungsdiskriminierung. Denn der persönliche Makel der Arbeitslosigkeit ist zweifellos größer als der Makel beruflicher Stagnation, zumal durch längere Arbeitslosigkeit der soziale Absturz drohen kann. Insoweit wird der Betroffene bei Einstellungsdiskriminierungen regelmäßig257 eine stärkere Kränkung erfahren. (e) Folgen der Benachteiligung – (Un-)Wirksamkeit der benachteiligenden Maßnahme Aus ähnlichen Gründen erscheint es auch plausibel, einer Benachteiligung bei der Einstellung oder Beförderung einen höheren Entschädigungsanspruch folgen zu lassen als einer Benachteiligung bei der Versetzung.258 Zwar wird man sicherlich nicht sagen können, dass allein wegen der Unwirksamkeit der Versetzung (§ 7 Abs. 2 AGG) gar kein immaterieller Schaden entsteht. Dennoch ist das Maß an Kränkung 256 So zu § 611a BGB a.F. bereits Zwanziger, DB 1998, S. 1330 (1331); a.A. Däubler/ Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 84. 257 Freilich kann die Betroffenheit in Einzelfällen bei verweigerten Beförderungen genauso groß sein wie bei Nichteinstellungen. Insoweit widerspricht die Aussage des BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (158), wonach „[d]ie Persönlichkeitsverletzung […] im Fall der Auswahl bei Aufstiegsentscheidungen keine geringere sein [muss] als bei einer nicht erfolgten erstmaligen Einstellung“ nicht der hier vertretenen Ansicht. Die Konsequenz, die das BAG, a.a.O., daraus zieht, nämlich die Nichtanwendbarkeit von § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf Beförderungen, erscheint jedoch sehr zweifelhaft. Der vom BAG ebenfalls erwogene ErstRecht-Schluss hätte näher gelegen; vgl. auch Walker, NZA 2009, S. 5 (9). 258 Vgl. BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (953).
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geringer, wenn die Benachteiligung keine bleibenden Konsequenzen hat. Wegen § 15 Abs. 6 AGG ist dies bei der diskriminierenden Einstellung oder Beförderung anders. Die erstrebte Erweiterung des Rechtskreises wird hier, aus guten Gründen, verwehrt. Der Benachteiligte kann sich nicht, wie in den Fällen des § 7 Abs. 2 AGG, bereits an dem Erhalt seines Status quo erfreuen, weil er diesen gerade verändern wollte. Gleiches wie für die Versetzung gilt für die diskriminierende Kündigung. Die Unwirksamkeit einer treuwidrigen Kündigung gemäß § 242 BGB sowie einer sozial ungerechtfertigten Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG, wozu die diskriminierende Kündigung nach Ansicht der herrschenden Meinung259 gehört, führt dazu, dass auch die immateriellen Beeinträchtigungen entsprechend geringer sind. Der Diskriminierte bekommt hier bereits durch die Unwirksamkeit der Kündigung das wohltuende Gefühl vermittelt, dass die Benachteiligung von der Rechtsordnung nicht akzeptiert wird und für ihn ohne spürbare Folgen bleibt. Damit fällt auch der Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG, der nach überwiegender Ansicht nicht von § 2 Abs. 4 AGG gesperrt wird,260 entsprechend geringer aus. Im Einzelfall kann wegen des besonderen, beleidigenden Charakters einer diskriminierenden Kündigung oder der Begleitumstände freilich trotzdem eine nicht unerhebliche Entschädigungszahlung angebracht sein.261 Entsprechendes gilt auch im Rahmen der Anfechtung. Stellt der Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch eine diskriminierende Frage (bspw. nach der Schwangerschaft, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG) und sagt der Arbeitnehmer daraufhin die Unwahrheit, so kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten.262 Die in der unzulässigen Frage steckende Benachteiligung263 wird in 259 Vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 2 AGG, Rn. 59: unwirksam gemäß §§ 242, 138 BGB; BAG, 6. 11. 2008, 2 AZR 523/07, NZA 2009, S. 361 ff: unwirksam gemäß § 1 KSchG, falls KSchG anwendbar. 260 Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 2 AGG Rn. 29 ff; LAG Bremen, 29. 6. 2010, 1 Sa 29/ 10, NZA-RR 2010, S. 510 (511); Jacobs, RdA 2009, S. 193 (196) m.w.N. in Fn. 45; Deinert, RdA 2007, S. 275 (277); MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 2 AGG, Rn. 26; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 2 AGG, Rn. 66; Bayreuther, DB 2006, S. 1842 (1843); a.A. Sagan, NZA 2006, S. 1257 (1260); Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 2 AGG, Rn. 59; Löwisch, BB 2006, S. 2189 (2190); differenziert Freckmann, BB 2007, S. 1049 (1050 f); offengelassen in BAG, 22. 10. 2009, 8 AZR 642/08, NZA 2010, S. 280 (281 f), wobei eine Tendenz zugunsten der herrschenden Literaturansicht zu erkennen ist: „Eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG in solchen Fällen erschiene jedenfalls nicht systemwidrig: Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen“. 261 Vgl. LAG Bremen, 29. 6. 2010, 1 Sa 29/10, NZA-RR 2010, S. 510 (513 f): 5.400 E bei Kündigung mit den Worten: „Was sollen die Kunden denken, was das für ein Scheißladen ist, wenn hier nur Ausländer beschäftigt würden“. 262 Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 7 AGG, Rn. 39; siehe auch oben 2. Kap. B. II. 2. a) bb). 263 Vgl. BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 3 AGG, Rn. 2.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
diesem Fall kaum je nennenswerte immaterielle Beeinträchtigungen nach sich ziehen, weil die Freude über den Erhalt des erstrebten Arbeitsplatzes die negative Erfahrung der diskriminierenden Frage leicht kompensieren wird. Anders wird dies natürlich sein, wenn die Frage ehrlich beantwortet wird und das Arbeitsverhältnis nicht zustande kommt. Wobei dann der immaterielle Schaden schwerpunktmäßig nicht durch die Frage, sondern durch die diskriminierende Nichteinstellung verursacht wird. Um diese nachzuweisen, kann der Bewerber auf die unzulässige Frage als Indiz gemäß § 22 AGG zurückgreifen.264 Versucht der Arbeitgeber bei vorausgegangener Lüge des Arbeitnehmers das zustandegekommene Arbeitsverhältnis anzufechten, so kann darin eine neuerliche Diskriminierung zu sehen sein.265 Diese wird jedoch, entsprechend dem zur Versetzung und Kündigung Gesagten, wegen der Unwirksamkeit der Anfechtung lediglich geringe immaterielle Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Mithin wird die Entschädigungszahlung hier ebenfalls gering ausfallen. Kommen Umstände hinzu, die zu einer weiteren Verringerung des immateriellen Schadens führen, so kann im Einzelfall sogar eine Ausnahme zur Schadensvermutung im oben266 genannten Sinne vorliegen, so dass gar kein Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG besteht. Das LAG Hessen267 hat genau dies im Fall einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über die Schwerbehinderteneigenschaft angenommen. Da es als erstes Obergericht den in der Literatur bereits erwarteten Schritt vollzog und die tätigkeitsneutrale Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG nach neuer Rechtslage nunmehr als unzulässig betrachtete,268 wertete es das Verschulden des Arbeitgebers als äußerst gering. Überzeugend kam es deshalb zu dem Schluss: „Da im Streitfall eine materielle Einbuße durch Bestandsschutzverlust nicht eingetreten ist, ist […] die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits […] ausgeglichen“. Dies gelte insbesondere deshalb, weil nicht von einem Vorsatzfall ausgegangen werden konnte, da „über Jahrzehnte in der Rechtsprechung anerkannt [war], dass auch eine tätigkeitsneutrale Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zulässigerweise gestellt werden [konnte]“269. (f) Wiedergutmachung durch den Schädiger Genauso wie die gesetzliche Unwirksamkeit einer diskriminierenden Maßnahme (Versetzung, Kündigung, Anfechtung) den immateriellen Schaden im Vergleich zu anderen Maßnahmen (Einstellung, Beförderung) mindert, verringert sich der Schaden auch dann, wenn der Benachteiligende im Wege der „tätigen Reue“ freiwillig die Folgen zu beseitigen versucht. Wenn etwa im oben beschriebenen Fall die 264
Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 7 AGG, Rn. 39. Vgl. Krebber, FS Leipold, S. 1093 (1106). 266 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (3). 267 LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/09, juris; nachfolgend BAG, 7. 7.2011, 2 AZR 396/10, juris. 268 Vom BAG, 7. 7.2011, 2 AZR 396/10, juris, Rn. 17 ff offengelassen. 269 LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/09, juris, Rn. 49. 265
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Beklagte zu 1 der Klägerin die zunächst verweigerte Stelle doch noch anbot, so ist dies entgegen der Ansicht Deinerts270 schadensmindernd zu berücksichtigen. Denn hierdurch erfuhr die Benachteiligte bereits eine nicht unerhebliche Genugtuung, die ihre Kränkung zumindest teilweise beseitigen konnte.271 Freilich wird generell für die Wiedergutmachung eines immateriellen Schadens mittels eines – an sich gerade nicht geschuldeten – Angebots zur Rechtskreiserweiterung272 von Bedeutung sein, inwieweit dieses Angebot freiwillig erfolgte. Für die Gefühlslage des Geschädigten ist es nämlich von Relevanz, ob der Schädiger die Benachteiligung ehrlich bedauert oder lediglich vermeiden will, mit einer Entschädigungsklage überzogen zu werden. Auch die Frage der Zumutbarkeit des Angebots für den Geschädigten muss berücksichtigt werden.273 Bietet etwa der zunächst offen diskriminierende, rassistische Arbeitgeber dem dunkelhäutigen Bewerber (unter dem Druck einer drohenden Entschädigungsklage) schließlich doch die Stelle an, so ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass die Aussicht der Begründung eines Dauerschuldverhältnisses mit diesem Arbeitgeber dem Bewerber keine große Freude bereiten wird. Genauso wie das freiwillige und zumutbare Einstellungs- bzw. Beförderungsangebot kann auch eine ehrlich gemeinte Entschuldigung schadensmindernd wirken.274 (g) Das Bruttomonatseinkommen als Bemessungsgrundlage Ein problematisches Kriterium zur Bemessung des immateriellen Schadens stellt die Lohnhöhe dar. Nach überwiegender Ansicht in der Literatur steht die immaterielle Einbuße, die aus einer Missachtung der persönlichen Eignung aufgrund eines in § 1 AGG genannten Grundes resultiert, in keinerlei Bezug zur Höhe des Monatsentgelts des erstrebten Arbeitsverhältnisses.275 Bauer/Krieger/Göpfert276 sind etwa
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Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 71. Ebenso BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1132); Bauer/Göpfert/ Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 68; nach Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 128 lässt nicht das bloße Angebot, wohl aber seine Annahme durch den Bewerber den Schaden entfallen. 272 Vgl. § 15 Abs. 6 AGG. 273 So auch Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 128. 274 Vgl. BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1132). 275 Siehe etwa Schiek, NZA 2004, S. 873 (879); Wank, FS Richardi, S. 441 (447); Wagner/ Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094); Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 85; Meinel/ Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 66; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 47; Schlobach, S. 129; OLG Köln, 29. 7. 2010, 18 U 196/09, DB 2010, S. 1878 (1883); zurückhaltender Schiek/ Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 42, wonach das Monatseinkommen „nicht in allen Fällen“ eine sachgerechte Bemessungsgröße darstellt; differenzierend nach den Funktionen des Entschädigungsanspruchs Lehmann, S. 133 f. 276 Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 36; ähnlich Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (338): „Der immaterielle Schaden des türkischen Mechanikers, der auf Grund seiner ethnischen Herkunft nicht eingestellt wird, kann nicht von vornherein niedriger angesetzt 271
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der Meinung, dass es für die Bestimmung des immateriellen Schadens keinen Unterschied machen kann, ob eine Putzfrau oder eine Investmentbankerin rechtswidrig benachteiligt wird. Das BAG277 ist demgegenüber der Ansicht, dass das Bruttomonatsentgelt zwar nicht im bestehenden Arbeitsverhältnis, aber sehr wohl bei diskriminierenden Nichteinstellungen oder Kündigungen taugliches Kriterium zur Bemessung der Entschädigungshöhe ist. Bezüglich Kündigungen beruft sich das Gericht dabei auf § 10 KSchG. Dieser Vergleich ist freilich nicht richtig. Nur weil sich die Abfindungshöhe bei ungerechtfertigten Kündigungen am Bruttomonatsgehalt orientiert, muss dies nicht auch für die Entschädigungshöhe gemäß § 15 Abs. 2 AGG gelten.278 Vielmehr ist die Orientierung der Abfindungshöhe am Bruttomonatsentgelt schon deshalb gerechtfertigt, weil sich der Arbeitnehmer mit der Abfindung den vermögenswerten Bestandsschutz, der ihm im Arbeitsverhältnis zusteht, abkaufen lässt.279 Demnach geht es bei § 10 KSchG in erster Linie um eine vermögenswerte und nicht um eine immaterielle Rechtsposition.280 Hinsichtlich der diskriminierenden Nichteinstellung verweist das BAG auf den Wortlaut von § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach sich das Bruttomonatsgehalt „bei einer Nichteinstellung“ als angemessenes Kriterium darstelle. Diese Vorschrift legt in der Tat den Schluss nahe, dass das Bruttomonatsgehalt nach Ansicht des Gesetzgebers taugliches Bemessungskriterium bei Einstellungsdiskriminierungen sein soll. Allerdings wird hiergegen vorgebracht, dass es sich eher um ein historisch begründbares gesetzestechnisches Versehen handele als um die bewusste Verknüpfung von Bruttomontagsgehalt und immateriellem Schaden.281 § 611a Abs. 3 BGB a.F. sah nämlich eine inhaltsgleiche Regelung vor. Auch hier war der Entschädigungsanspruch der Minderqualifizierten auf drei Monatsgehälter beschränkt. Allerdings ging ein nicht unerheblicher Teil von Rechtsprechung und Wissenschaft davon aus, dass die Entschädigung gemäß § 611a BGB a.F. sowohl materielle als auch immaterielle Nachteile ausgleichen sollte.282 Hinsichtlich der Vermögenswerden als der immaterielle Schaden eines türkischen Ingenieurs, der das gleiche Schicksal erfährt“. 277 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (953). 278 Vgl. Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 80, wonach § 10 KSchG nicht als Anlehnungspunkt tauge, weil die Vorschrift eine Entschädigung für einen Arbeitsplatzverlust und nicht für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung regele. 279 Vgl. APS/Biebl, 2007, § 9 KSchG, Rn. 2, wonach die Abfindungszahlung „quasi als Schadensersatz“ bezweckt, den Arbeitsplatzverlust auszugleichen. 280 Vgl. MüKo-BGB/Hergenröder, 2009, § 10 KSchG, Rn. 4, wonach die Abfindung ein „vermögensrechtliches Äquivalent für den Verlust des Arbeitsplatzes“ darstellt und dabei insbesondere den Ausgleich materieller Nachteile sicherstellen will. 281 Siehe etwa Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094); Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 66. 282 Siehe dazu und zu den anderen Ansichten oben 2. Kap. A. II. 2. j).
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schäden schien der Bezug zum Monatseinkommen wie bei § 10 KSchG dann gerade zu passen. Nach der Trennung der Vermögens- und Nichtvermögensschäden in § 15 AGG ist nach dieser Ansicht die Heranziehung des Bruttomonatsgehalts für die nunmehr ausschließlich immaterielle Einbußen umfassende Entschädigung sinnlos geworden.283 Meines Erachtens ist § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG in der Tat nun schwer, im Ergebnis aber gleichwohl erklärbar. Auf den ersten Blick leuchtet es nicht ein, warum der Ausgleichanspruch für die gekränkte Ehre von der Lohnhöhe der erstrebten Beschäftigung abhängen soll.284 Wagner/Potsch285 vergleichen den Diskriminierungsfall mit dem Fall der identisch schweren Körperverletzungen zweier unterschiedlich Verdienender (etwa Putzfrau/Investmentbankerin) und meinen, die Gewährung eines unterschiedlich hohen Schmerzensgeldes in beiden Konstellationen würde zu einer nicht hinnehmbaren „soziale[n] Schieflage“ führen. Allerdings gibt es bei näherer Betrachtung durchaus Rechtfertigungsmöglichkeiten für die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG erfolgte Verknüpfung von Lohnhöhe und immaterieller Einbuße. Ein möglicher, im Ergebnis allerdings abzulehnender Rechtfertigungsansatz ist folgender: Geht man davon aus, dass die Entschädigungszahlung auch die negativen Gefühle und Erfahrungen ausgleichen und somit genugtuend wirken soll, so könnte man argumentieren, dass bei höheren Gehaltsklassen aufgrund des damit typischerweise verbundenen Lebenswandels auch höhere Zahlungen zum Schadensausgleich nötig sind. Nach Lehmann286 ist es „nicht fern liegend anzunehmen, dass das X-fache eines Monatsgehalts bei zwei unterschiedlichen Personen das gleiche Gefühl vollständiger Zufriedenheit […] bewirkt“. 283
Siehe Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094). Dies zeigt auch ein Vergleich der Fälle des OLG Köln, 29. 7. 2010, 18 U 196/09, DB 2010, S. 1878 ff einerseits und des LAG Hamm, 7. 8. 2008, 11 Sa 284/08, juris, andererseits. In beiden Fällen ging es um Diskriminierungen aufgrund des Alters. Beide Diskriminierungen wogen im Hinblick auf den immateriellen Schaden ähnlich schwer, so dass beide Gerichte den Entschädigungsanspruch auf 2 Monatsgehälter festsetzten. Im Fall des OLG Köln entsprach dies 36.600 E, da es sich um einen gut bezahlten Geschäftsführer handelte (vgl. § 6 Abs. 3 AGG). Im Fall des LAG Hamm waren es 3.000 E, weil es sich „nur“ um einen Bewerber für den Justizvollzugsdienst handelte. Ist die berufliche Ehre eines Geschäftsführers über 10-mal mehr wert als diejenige eines Vollzugsbeamten? 285 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1094). 286 Lehmann, S. 133 f. Allerdings sieht Lehmann die Lohnhöhe nur als geeignetes Kriterium im Rahmen der „Präventiv- und Straffunktion“ der Entschädigung an, die er neben der Ausgleichsfunktion anerkennt. Dies ist in sich aber nicht schlüssig. Die präventive oder sühnende Wirkung einer Entschädigungszahlung hat keinen Bezug zum Lohnniveau der zu vergebenden Stelle. Gerade im Extremfall eines rassistischen Arbeitgebers macht es aus Präventions- oder Bestrafungsgesichtspunkten keinen Unterschied, ob eine dunkelhäutige Putzfrau oder eine dunkelhäutige Investmentbankerin zurückgewiesen wird. Der Betrag, ab dem einem Arbeitgeber das Festhalten an seiner Überzeugung „zu teuer“ wird und er deshalb von der Diskriminierung ablässt, ist in beiden Fällen derselbe. 284
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Diese Argumentation mit dem unterschiedlichen Lebenswandel überzeugt jedoch nicht. Denn der Lebenswandel einer Person bestimmt sich sicherlich durch ihre gesamte Einkommens- und Vermögenssituation (Mieteinnahmen, Kapitalerträge, geerbtes Vermögen), nicht jedoch allein durch ihre Gehaltsklasse. Deutlich wird dies am Beispielsfall: Die rechtswidrig zurückgewiesene Friseuse, die einer reichen Familie entstammt, über ein beträchtliches Vermögen verfügt und in der Arbeit mehr eine Sinnstiftung denn eine Einkommensquelle sucht, wird gemäß ihrem gewohnten Lebenswandel beim Erhalt des x-fachen Monatsgehalts einer Friseuse keine adäquaten Glücksgefühle empfinden. Andererseits wird die Bewerberin um eine Stelle als Investmentbankerin, die gerade erst ihr BWL-Studium abgeschlossen hat und einen studentischen Lebenswandel gewohnt ist, nicht den x-fachen Betrag des Monatsgehalts einer Investmentbankerin benötigen, um die durch die Diskriminierung entstandenen negativen Erfahrungen durch positive Gefühle auszugleichen. Das Bruttomonatsgehalt einer in Zukunft angestrebten Beschäftigung bestimmt den maßgeblichen aktuellen Lebenswandel in aller Regel nicht. Denn mit einer Bewerbung strebt man zumeist gerade nach einer Verbesserung seines Lebensstandards. Scheitert dieser Rechtfertigungsansatz noch, so führen folgende Überlegungen wohl zumindest dazu, dass man § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG nicht als willkürlich wird verwerfen müssen, sondern die Norm sich vielmehr noch im gesetzgeberischen Regelungsspielraum bewegen dürfte: Sieht man die immaterielle Kränkung und Verbitterung eines abgelehnten Bewerbers auch darin begründet, dass ihm wegen eines bestimmten persönlichen Merkmals verweigert wurde, mit den anderen Bewerbern um denselben materiellen und immateriellen Erfolg zu konkurrieren, so kann man unter Umständen doch eine Verbindung zwischen dem immateriellen Schaden und der Lohnhöhe erkennen. Der materielle Erfolg und der immaterielle Achtungsanspruch sind danach miteinander verknüpft, weil sich in der Lohnhöhe gerade auch die individuelle Wertschätzung ausdrückt und der Lohn zudem gerade für den arbeitslosen Bewerber die einzige Einkommensquelle und damit eine zwingende Voraussetzung der Persönlichkeitsentfaltung darstellt. Der Bewerber erkennt in dem Lohn nicht nur das Ergebnis von Angebot und Nachfrage, sondern vor allen Dingen auch den Preis dessen, was er nach seinen persönlichen und fachlichen Fähigkeiten „verdient“ und deshalb mit seiner Bewerbung anstrebt. Der in Aussicht gestellte Lohn kann insoweit auch als Ausdruck der Anerkennung dieser Fähigkeiten und des Zutrauens in sie begriffen werden. Dann erscheint die Lohnhöhe als Messgröße für das Maß an verweigertem Zutrauen, aber nicht mehr als derart verfehlt, wie es zunächst den Anschein hat. Folgte man auch diesem Rechtfertigungsansatz nicht, so stellte sich die Vorschrift jedoch als willkürlich dar. Zur Vermeidung eines gesetzgeberischen Gleichheitsverstoßes (Art. 3 Abs. 1 GG) bliebe nur ihre Korrektur, die durch eine exzessive Auslegung des Wortlauts gelingen könnte. Man müsste § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG insoweit schlicht als Orientierungshilfe für die Entschädigungshöhe begreifen. Denn auch bei Berücksichtigung all derjenigen Kriterien, die bisher als systemgerecht
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qualifiziert wurden, verbliebe doch die Schwierigkeit der Bestimmung einer generellen Größenordnung der immateriellen Einbußen. Es könnte dabei durchaus sinnvoll sein, den Erkenntnis- und Bewertungsschwierigkeiten durch die Vorgabe eines gewissen Rahmens287 Rechnung zu tragen, in dem sich die Entschädigung bewegt.288 Weiter müsste man zur Vermeidung des gesetzgeberischen Gleichheitsverstoßes davon ausgehen, dass die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG genannten „drei Monatsgehälter“ keinen Verweis auf das Entgelt des konkret ins Auge gefassten Arbeitsverhältnisses bedeuten, sondern an das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt anknüpfen. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes289 betrug im Jahr 2009 der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst abhängig beschäftigter Arbeitnehmer 3.141 E.290 Der Höchstbetrag gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG würde sich danach derzeit auf knapp 9.500 E belaufen. Diese Lösung wird man allerdings aufgrund ihrer offensichtlichen Schwächen291 nur als letzten Ausweg betrachten und nur dann anwenden können, wenn man § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG mit der herrschenden Meinung als vollkommen willkürlich und deshalb bereits aus Verfassungsgründen als korrekturbedürftig bewertet. Wegen des oben beschriebenen Rechtfertigungsansatzes, mit dem sich eine Verknüpfung von immaterieller Kränkung und konkretem Bruttomonatsgehalt erklären lässt, wird man von einer solchen Sachwidrigkeit aber nicht ausgehen können. De lege lata ist die Vorschrift somit anzuwenden. De lege ferenda bietet sich meines Erachtens jedoch eine Lösung wie in Österreich an. Dort existiert für den Entschädigungsanspruch minderqualifizierter Bewerber eine Höchstgrenze, die auf einen fixen Eurobetrag292 festgesetzt ist. Immaterielle Einbußen werden in Österreich mithin unabhängig von der konkreten Gehaltsklasse ausgeglichen. Durch die Übernahme einer solchen 287
Krit. hinsichtlich der Einordnung von § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG als genereller Rahmen, Lehmann, S. 171. 288 Allerdings hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG streng genommen gar keine konkrete Größenordnung angegeben, sondern nur eine Höchstgrenze für minderqualifizierte Bewerber geschaffen. Da man jedoch davon ausgehen muss, dass dies keine völlig hypothetische Höchstgrenze darstellen soll, wird der Entschädigungsanspruch generell nicht sehr weit unterhalb dieser Grenze anzusetzen sein. 289 Angaben abrufbar über http://www.destatis.de => Verdienste und Arbeitskosten => Verdienste nach Branchen. 290 Berücksichtigt wurden vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer/-innen im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich ohne Sonderzahlungen. 291 So wäre es beispielsweise schwer einzusehen, warum der Gesetzgeber keinen fixen Eurobetrag genannt, sondern diesen verklausuliert in durchschnittlichen Bruttomonatsgehältern ausgedrückt hat, wenn er bloß einen „Rahmen“ vorgeben wollte. 292 In Österreich beträgt die Höchstgrenze freilich gemäß § 12 GlBG nur 500 E. Insoweit würde es dem deutschen Gesetzgeber aber freistehen, diesen Betrag (wesentlich) höher anzusetzen, ohne gegen das Ausgleichsprinzip zu verstoßen. Höhere Beträge können nämlich genauso gut als Ausdruck der ausgeweiteten Rechtsposition gewertet werden, ohne dass ein nicht gegebener Schaden unterstellt wird. Je weiter die Rechtsposition reicht, desto größer werden regelmäßig auch die bei einem Eingriff entstehenden immateriellen Schäden sein, die es mit der Geldzahlung auszugleichen gilt.
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Lösung in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG würde der Vorwurf des Herbeiführens einer „sozialen Schieflage“ vermieden und die gesellschaftliche (und wissenschaftliche) Akzeptanz der Regelung zweifellos größer. (2) Die unzulässigen Kriterien (a) Der Sanktions- oder Präventionszweck Unschwer als unzulässiges Kriterium für die Bestimmung der Entschädigungshöhe ist bei einem streng am Ausgleichsprinzip ausgerichteten Verständnis der Sanktions- bzw. Präventionszweck auszumachen. Seine Heranziehung durch das BAG293 steht in offenem Widerspruch zu der Aussage des Gerichts, dass es bei § 15 Abs. 2 AGG nicht darum gehe, „eine unredliche Gesinnung […] zu sanktionieren“294 und die Entschädigung „allein wegen des immateriellen Schadens“295 erfolge. Hat § 15 Abs. 2 AGG, wie ausführlich dargestellt,296 zwar präventive Wirkung, aber keinen Sanktionszweck, so hat dieser Aspekt bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe unberücksichtigt zu bleiben. (b) Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Parteien Entgegen der herrschenden Ansicht297 ist bei einer einzig am Schadensausgleichsprinzip orientierten Betrachtungsweise die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Parteien ohne Relevanz für die Entschädigungshöhe. Insbesondere bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers bzw. diskriminierender Dritter ist keinerlei Bezug zur inneren Gefühlslage des Betroffenen denkbar.298 Einen Erfahrungssatz, nach dem man sich umso stärker gekränkt fühlt, je vermögender derjenige ist, der einem persönliches Unrecht zufügt, gibt es nicht. Für den Bewerber macht es keinen Unterschied, ob er von einem umsatzstarken Dax-Konzern rechtswidrig zurückgewiesen wird oder von einem kleinen Familienunternehmen. Nicht umsonst machen sich insbesondere diejenigen vehement für eine Berücksichtigung dieses Merkmals stark, die § 15 Abs. 2 AGG als echte Strafschadensnorm begreifen. So ist nach Ansicht von Ebert299 die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers neben zwei anderen Kriterien300 maßgeblich für die Bestimmung der 293 Etwa BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (952): „Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist“. 294 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (874). 295 BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (158; Rn. 61) – Hervorhebung durch den Verfasser. 296 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. a) cc). 297 Statt vieler MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 13; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 36. 298 Im Ergebnis ebenso v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 59a. 299 Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 4. 300 Verschuldensgrad und Vorliegen eines Wiederholungsfalls.
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Entschädigungshöhe. Tatsächlich kann man die Vermögensverhältnisse des Diskriminierenden aber nur dann heranziehen, wenn man mit § 15 Abs. 2 AGG Strafrecht betreiben will. Denn dort bestimmen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters die Tagessatzhöhe bei der Geldstrafe. Bei privatrechtskonformem Verständnis kann das Kriterium indes nicht berücksichtigt werden. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit der Vermögensverhältnisse eines zurückgewiesenen Bewerbers. Wenn man argumentiert, dass die Verwehrung des Zugangs zum Arbeitsmarkt auch deshalb für die Betroffenen regelmäßig so schmerzlich ist, weil ihnen damit die einzige Einnahmequelle301 vorenthalten bleibt und somit eine Teilhabe an vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens schon aus finanziellen Gründen unmöglich ist, dann könnte dies für eine Berücksichtigung anderer Einnahmequellen oder auch des Vermögens sprechen. Ein zurückgewiesener Bewerber, der über beträchtliche Mieteinnahmen oder ein erhebliches Vermögen aus einer Erbschaft verfügt, wird durch die fortdauernde Arbeitslosigkeit nicht gleichermaßen hart getroffen und an seiner Persönlichkeitsentfaltung gehindert. Insofern könnte man meinen, dass einem solchen Bewerber ein geringerer Entschädigungsanspruch zusteht.302 Allerdings folgt die Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit nicht allein aus der Tatsache, dass der Arbeitslohn die einzige Einnahmequelle darstellt. Zahlreiche ideelle Aspekte, wie etwa die persönliche Selbstverwirklichung durch Arbeit, treten hinzu.303 Dafür spielen die Vermögensverhältnisse von vornherein keine Rolle. Des Weiteren könnte man gerade auch gegenteilig argumentieren. Man muss nicht annehmen, dass der immaterielle Schaden für vermögenslose Bewerber per se höher ist, weil sie eine Zurückweisung härter trifft als finanziell abgesicherte Bewerber. Genauso gut könnte man unter Heranziehung des Genugtuungsgedankens, verstanden als Schadensausgleichskriterium, annehmen, dass bei vermögenden Bewerbern höhere Entschädigungszahlungen zu leisten sind. Sollen mit der Entschädigung Glücksgefühle hervorgerufen werden, die eine Kompensation der negativen Erfahrungen und somit eine Genugtuung bewirken sollen, dann könnte man genauso gut argumentieren, dass es bei vermögenden Bewerbern hierfür naturgemäß eines entsprechend höheren Betrages bedarf.304 Schon diese Ambivalenz der denkbaren Argumentationsmuster spricht gegen eine Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des zurückgewiesenen Bewerbers. Gegen eine Beachtung speziell guter wirtschaftlicher Verhältnisse des Arbeitnehmers sprechen letztlich auch normative Erwägungen. Eine Parallele lässt sich zu dem Fall ziehen, in dem ein Dritter einen Vermögensschaden ausgleicht. Dies soll aus 301
Sozialleistungen bleiben dabei schon deshalb unberücksichtigt, weil sie eben nur das absolute Existenzminimum sichern sollen. 302 Dies befürwortend v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 59a; a.A. Däubler/ Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 76; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (203). 303 Siehe dazu oben 2. Kap. B. II. 1. 304 Zu dieser Argumentation bereits oben 4. Kap. A. I. 2. b) bb) (1) (g).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
normativen Gründen den Schädiger nicht entlasten können. Entsprechend lässt sich aber auch in den Diskriminierungsfällen argumentieren: Es darf den Schädiger nicht entlasten, wenn die immateriellen Einbußen aufgrund des Vorhandenseins anderer Mittel (Mieteinnahmen, Erbe, Lottogewinn) geringer ausfallen. Hinsichtlich erspartem Vermögen gilt dies erst recht, weil der sorgsame und vorausschauende Arbeitnehmer nicht schlechter stehen soll als der verschwenderische Arbeitnehmer, der auf einen „Notgroschen“ verzichtet.305 Demnach ist die Berücksichtigungsfähigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschäftigten ebenfalls zu verneinen.306 (c) Das Vorliegen eines Wiederholungsfalls Genauso wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kann auch das Vorliegen eines Wiederholungsfalls für den Schadensausgleich nicht von Relevanz sein.307 Für die innere Gefühlslage des Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob der Schädiger in der Vergangenheit bereits diskriminiert hat oder nicht. Dies gilt insbesondere, wenn sich die vergangene Diskriminierung an Dritte richtete. Genauso wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist dies für den immateriellen Schaden belanglos. Nur weil ein Schädiger in der Vergangenheit einen anderen mit einer ehrverletzenden Beleidigung überzogen hat, verändert sich dadurch die Gefühlslage des später Beleidigten nicht. Gleiches gilt für die Diskriminierung Dritter in demselben Bewerbungsverfahren.308 Einzig wenn eine vormalige Diskriminierung sich gegen denselben Geschädigten richtete, ist ein Einfluss auf die Höhe des immateriellen Schadens überhaupt denkbar, auch dann allerdings in zweierlei Hinsicht: Einerseits könnte eine Vertiefung der Kränkung angenommen werden, weil der Schädiger dem Geschädigten das persönliche Unrecht schon wieder angetan hat. Dann müsste man konsequenterweise aber auch berücksichtigen, wenn ein anderer Schädiger den Geschädigten zuvor diskriminiert hatte. Dies tut die herrschende Meinung aber nicht. Beim Wiederholungsfall geht es ihr einzig um die wiederholte „Täterschaft“ des Schädigers und nicht um die wiederholte „Opfereigenschaft“ des 305 Vgl. zu einer ähnlichen Argumentation im Rahmen von § 10 KSchG, APS/Biebl, 2007, § 10 KSchG, Rn. 27. 306 Im Ergebnis ebenso Lehmann, S. 132 m.w.N. in Fn. 796; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (203). 307 A.A. die h.M., siehe v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 59 m.w.N.; vgl. auch Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 4, die berücksichtigen will, „ob es sich bei dem Arbeitgeber um einen Erstdiskriminierer oder einen Wiederholungsfall handelt“. Die terminologische Parallele zum Strafrecht ist offenkundig. 308 A.A. v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 59, der der Ansicht ist, dass der Entschädigungsanspruch des Einzelnen umso höher ausfallen muss, je mehr Personen in demselben Verfahren diskriminiert werden. Gleichzeitig soll es die erhöhten Einzelansprüche aber auch nicht mindern, wenn alle diskriminierten Bewerber Entschädigungsansprüche geltend machen.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Geschädigten.309 Andererseits kann man in Ausnahmefällen sogar annehmen, dass durch die wiederholte Benachteiligung eine gewisse Gewöhnung oder Abstumpfung eintritt und der Geschädigte die späteren Benachteiligungen deshalb als weniger schwerwiegend empfindet. Demnach erscheint das Kriterium Wiederholungsfall wegen seiner Ambivalenz selbst im Fall der wiederholten Diskriminierung desselben Geschädigten als nur eingeschränkt taugliches Kriterium.310
II. Die Haftungsvoraussetzungen 1. Die Aktivlegitimation Bezüglich der Aktivlegitimation für die Ansprüche aus § 15 AGG werden im Wesentlichen fünf Problemkreise diskutiert. Dabei geht es erstens um die Anspruchsberechtigung der so genannten professionellen Diskriminierungskläger311, auch AGG-Hopper312 genannt. Diese bewerben sich einzig zur Erzielung von Entschädigungen auf eine bestimmte Stelle, die zumeist unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben wurde. Am Erhalt der Stelle sind sie in Wahrheit nicht interessiert, weshalb auch von einem Fehlen der subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbungen gesprochen wird. In diesem Kontext wird zumeist auch die Frage diskutiert, ob neben der subjektiven Ernsthaftigkeit einer Bewerbung auch die objektive Eignung Voraussetzung der Aktivlegitimation ist. Zweitens ist bei der mittelbaren Diskriminierung fraglich, ob innerhalb der benachteiligten Gruppe auch diejenigen Beschäftigten anspruchsberechtigt sind, die selbst nicht Träger des verbotenen Differenzierungsmerkmals sind. Ein Beispiel hierfür wäre die Frage nach der Anspruchsberechtigung alleinerziehender Männer, wenn alleinerziehende Eltern benachteiligt werden.313
309
Vgl. Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 4. Allerdings liegt es wohl näher, bei wiederholten Diskriminierungen derselben Person von einem Kumulationseffekt anstatt von einer Abstumpfung auszugehen. In der Regel wird deshalb die wiederholte „Opfereigenschaft“ als Kriterium berücksichtigt werden können. 311 Der Begriff geht zurück auf Pfarr, RdA 1995, S. 204 (208). 312 Siehe Diller, BB 2006, S. 1968 ff; nach Ansicht des LAG Hamburg, 23. 6. 2010, 5 Sa 14/ 10, NZA-RR 2010, S. 629 ff stellt die Bezeichnung des Prozessgegners als „AGG-Hopper“ in einem Verfahren nach dem AGG regelmäßig keine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, die gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu Geldersatzansprüchen führt. 313 Das Differenzierungsmerkmal „alleinerziehend“ ist scheinbar geschlechtsneutral, betrifft aber tatsächlich zu 90 % Frauen (Angabe der Financial Times Deutschland, abrufbar unter http://www.ftd.de/politik/deutschland/:neue-belege-alleinerziehende-frauen-stark-benachteiligt/ 50150740.html). 310
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Drittens ist seit der Coleman-Entscheidung des EuGH314 die Frage aufgekommen, ob und, wenn ja, wem Entschädigungsansprüche in dem Fall zustehen, in dem ein Beschäftigter benachteiligt wird, weil nicht er selbst, sondern ein naher Angehöriger Merkmalsträger ist. Viertens ist fraglich, wie sich die Anspruchsberechtigung desjenigen rechtfertigen lässt, der nur scheinbar Merkmalsträger ist, vgl. § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG. Und fünftens wird die Anspruchsberechtigung des zu späten Bewerbers, also desjenigen, der sich erst nach der Vergabe der Stelle bewirbt, als Problem der Aktivlegitimation diskutiert. a) Subjektive Ernsthaftigkeit und objektive Eignung als Anspruchsvoraussetzung Aktivlegitimiert ist gemäß § 15 Abs. 2 AGG der oder die Beschäftigte. Hiervon erfasst sind gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG insbesondere auch die Bewerber um eine Arbeitsstelle. aa) Die Ansichten in Literatur und älterer Rechtsprechung Das BAG nahm unter Geltung von § 611a BGB a.F. an, dass ein Bewerber nicht jeder sei, der Bewerbungsunterlagen einreiche. Das Gesetz stelle nicht allein auf diese formale Position ab, sondern vielmehr auf die materiell zu bestimmende Eignung als Bewerber. Danach könne nur „im Rechtssinne benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben ha[be] und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht komm[e]“315. Die objektive Eignung und die subjektive Ernsthaftigkeit wurden somit als Voraussetzung der Aktivlegitimation betrachtet.316 Die vom BAG317 zunächst erwogene Alternativbegründung, wonach bei fehlender subjektiver Ernsthaftigkeit auch analog § 118 BGB vom Fehlen einer echten Bewerbung ausgegangen werden könnte, wurde zu recht in der Folgezeit nicht mehr weiter vertieft.318 314
EuGH, 17. 7. 2008, C-303/06, NZA 2008, S. 932 ff. BAG, 12. 11. 1998, 8 AZR 365/97, NZA 1999, S. 371 (373). 316 Siehe Kern, Diskriminierungskläger, S. 135 f; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 33. 317 BAG, 12. 11. 1998, 8 AZR 365/97, NZA 1999, S. 371 (373). 318 § 118 BGB passt ersichtlich nicht, weil der Scheinbewerber gerade nicht erwartet, dass der Mangel an Ernstlichkeit erkannt wird, sondern darauf hofft, dass seine wahren Absichten unerkannt bleiben, siehe Kern, Diskriminierungskläger, S. 139; Walker, SAE 2000, S. 64 (66); auch der Versuch, den Rechtsgedanken aus § 117 Abs. 2 BGB heranzuziehen, so BeckOKArbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 6 AGG, Rn. 3, ist von vornherein abzulehnen. Denn die Scheinbewerbung dient nicht der Verdeckung einer anderen Bewerbung, sondern ist das Mittel zur Erreichung völlig andersartiger Ziele (Gewinnerzielung durch Entschädigungsklage). Auch 315
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Diese Rechtsprechung, die im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen war,319 wurde von einigen Instanzgerichten auf die neue Rechtslage unter Geltung des AGG übertragen und die Aktivlegitimation bei ungeeigneten und nicht ernsthaften Bewerbern verneint.320 Auch dies fand überwiegend den Beifall der Literatur.321 Teilweise wurde jedoch zu § 611a BGB a.F. und wird auch zu § 15 AGG die Verortung des Problems im Rahmen der Aktivlegitimation kritisiert. So wird eingewandt, dem professionellen Diskriminierungskläger fehle es nicht an der Bewerbereigenschaft, sondern es handele sich vielmehr um den typischen Fall von Rechtsmissbrauch. Nach dieser Ansicht ist zwar die Bewerbereigenschaft zu bejahen, der Arbeitgeber kann einem Scheinbewerber aber die Einrede aus § 242 BGB entgegenhalten.322 Eine weitere Literaturansicht versucht das Problem über die Rechtsfolgenseite zu lösen: Bei subjektiv nicht ernsthaften oder objektiv ungeeigneten Bewerbern sei eine Ausnahme zur Vermutung eines immateriellen Schadens im Rahmen von § 15 Abs. 2 AGG zu machen.323 Andere wollen bereits das Vorliegen einer Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 und 2 AGG für diese Bewerbergruppen verneinen.324 Ein praktischer Unterschied zwischen diesen unterschiedlichen Ansichten wird vor allem in beweisrechtlicher Hinsicht gesehen.325 Nach Ansicht der (bisherigen) Rechtsprechung muss nämlich der Bewerber darlegen und beweisen, dass er sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die Stelle in Betracht kommt, weil es sich bei der Bewerbereigenschaft um eine anspruchsbegründende Voraussetzung
die Rechtsfolge des § 117 Abs. 2 BGB hilft nicht weiter. Mit den rechtsgeschäftlichen Regeln lässt sich das Problem nicht lösen. 319 Zustimmend etwa Schlachter, EWiR zu § 611a BGB, 1999, S. 205 (205); a.A. Müller, MDR 1999, S. 750 (751). 320 LAG Rheinland-Pfalz, 11. 1. 2008, 6 Sa 522/07, NZA-RR 2008, S. 343 (343); LAG Baden-Württemberg, 13. 8. 2007, 3 Ta 119/07, juris; LAG Schleswig-Holstein, 29. 1. 2009, 4 Sa 346/08, juris. 321 Walker, NZA 2009, S. 5 (6); Bissels, jurisPR-ArbR 16/2008 Anm. 3. 322 Zu § 611a BGB a.F.: Annuß, EzA zu § 611a BGB, 1999, S. 11 (16 f); Walker, SAE 2000, S. 64 (66); zu § 15 AGG: KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 155; Maier, AuR 2008, S. 273 (274); Fuhlrott-Hoppe, ArbRAktuell 2011, 313334; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199), der sich jedoch irrig in Übereinstimmung mit der bisherigen BAG-Rechtsprechung wähnt. Das BAG sah die objektive Eignung und die subjektive Ernsthaftigkeit aber gerade nicht als Einwendung, sondern als Anspruchsvoraussetzung. 323 HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 6; ebenso ArbG Celle, 20. 6. 2007, 2 Ca 35/07, juris, Rn. 31. 324 ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 9; Erman/Belling, 2008, § 15 AGG, Rn. 8; unklar Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2008, die einerseits die Ansicht vertreten, es liege in einem solchen Fall keine Benachteiligung vor (§ 3 AGG Rn. 15), andererseits aber auch die Bewerbereigenschaft verneinen wollen (§ 6 AGG, Rn. 10); allgemein zu den unterschiedlichen Ansätzen, siehe Kern, Diskriminierungskläger, S. 138 ff sowie Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199). 325 Dazu ausführlich Kern, Diskriminierungskläger, S. 150 ff; Walker, SAE 2000, S. 64 (66).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
handelt.326 Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man die beiden Voraussetzungen im Benachteiligungsbegriff verortet, da auch insoweit der Beschäftigte darlegungs- und beweisbelastet ist.327 Wer auf § 242 BGB abstellt, bürdet demgegenüber dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast auf, weil es sich bei der Regelung um eine Einrede handelt.328 Gleiches gilt, wenn man die Vermutung eines immateriellen Schadens ausnahmsweise als widerlegt betrachten will. Denn eine Ausnahme muss beweisen, wer sich auf sie beruft. Letztlich gibt es auch Stimmen, die eine Beschränkung der Anspruchsberechtigten auf subjektiv ernsthafte und objektiv geeignete Bewerber gänzlich ablehnen. Wolle man mit der Präventionsfunktion des Entschädigungsanspruchs ernst machen, müsse man auch diesen Bewerbern einen Anspruch zugestehen.329 Die professionellen Diskriminierungskläger seien aus Präventionsgesichtspunkten ein schlechthin erwünschtes Phänomen.330 Sie betrieben keinen Rechtsmissbrauch, sondern im Gegenteil Rechtsförderung.331 Gerade die Möglichkeit von Entschädigungsansprüchen nicht ernsthafter Bewerber trage maßgeblich zu der von den Richtlinien geforderten abschreckenden Wirkung bei.332 Ihre Herausnahme aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten sei europarechtlich höchst bedenklich. Die vom EuGH geforderte effektive Rechtsdurchsetzung sei auf die professionellen Diskriminierungskläger zwingend angewiesen.333 Die Aussicht auf Entschädigung verschaffe den Einzelnen erst den nötigen finanziellen Anreiz, Diskriminierungstatbestände offen zu legen, was zu einer „Generalprävention auf breiter Basis“ führe und damit „eine effiziente und dezentralisierte Durchsetzung des Richtlinienziels sicherstell[e]“334. Polemisch wird vom Arbeitgeber als „professionellem Diskriminierer“ gesprochen, der den Schutz der Rechtsordnung nicht verdient habe,
326
Vgl. BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 6 AGG, Rn. 5, der allerdings selbst den Arbeitnehmer nur hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und nicht hinsichtlich der objektiven Geeignetheit beweisbelastet sieht. 327 Insoweit unverständlich, dass ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 9 von einer Beweisbelastung des Arbeitgebers spricht. Allenfalls könnte man annehmen, dass es zu einer Beweisverschiebung gemäß § 22 AGG kommt, weil sich die Norm auf die Beweislast hinsichtlich der „Benachteiligung“ bezieht. Die Anwendung von § 22 AGG auf diesen Fall ist jedoch sehr zweifelhaft, siehe BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 6 AGG, Rn. 3; Kern, Diskriminierungskläger, S. 150 und eher abzulehnen. 328 Vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg, 26. 11. 2008, 15 Sa 517/08, NJOZ 2008, S. 5205 (5221): fehlende objektive Eignung als Einwendung. 329 So bereits Volmer, BB 1997, S. 1582 (1584). 330 Möller, S. 222. 331 Müller, JA 2000, S. 119 (123). 332 Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 7. 333 Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 45. 334 Müller, MDR 1999, S. 750 (751).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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sondern vielmehr die „Privatstrafe“335. Insoweit verhalte sich der Anspruchssteller auch nicht anders als derjenige, der eine Straftat anzeige. Dies sei ausdrücklich erwünscht.336 Manche gehen sogar so weit, den professionellen Diskriminierungskläger als eine Art Beliehenen mit der Erfüllung einer Ordnungsaufgabe betrauen zu wollen.337 bb) Die BAG-Ansicht in neuerer Rechtsprechung Nachdem das BAG unter Geltung des AGG zunächst ein Festhalten an seiner bisherigen Rechtsprechung angedeutet hatte,338 ist es schließlich in einigen neueren Entscheidungen339 bezüglich der objektiven Eignung340 einen anderen Weg gegangen. Neu ist insoweit jedoch lediglich die dogmatische Herleitung und nicht das Ergebnis. Daran, dass dem objektiv ungeeigneten Bewerber kein Anspruch zustehen soll, hat sich nichts geändert. Denn, so das BAG, könnte ein solcher Bewerber eine immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Dieser bestehe nicht darin, „eine unredliche Gesinnung des (potenziellen) Arbeitgebers zu sanktionieren, sondern vor ungerechtfertigter Benachteiligung zu schützen“341. Andererseits ist nach Meinung des Gerichts die objektive Eignung eines Bewerbers aber keine Voraussetzung der Bewerbereigenschaft mehr. Der Wortlaut von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG biete keinen Anhaltspunkt für das Erfordernis eines solchen Tatbestandsmerkmals. Für eine Verortung des Problems im Rahmen der Aktivlegitimation bestehe nach Inkrafttreten des AGG auch kein Bedürfnis mehr. Denn der neue § 3 Abs. 1 AGG setze voraus, dass eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfahre als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Vergleichbar sei die Situation zweier Personen aber nur dann, wenn sie gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufwiesen.342 Nebenbei konkretisierte das BAG in den genannten Entscheidungen, was es unter dem Merkmal der objektiven Eignung versteht. Maßgeblich hierfür sei nicht das 335
Ebert, S. 357. Ebert, S. 355 ff. 337 Schlobach, S. 159. 338 BAG, 28. 5. 2009, 8 AZR 536/08, NZA 2009, S. 1016 (1018). 339 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 ff; 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff; 19. 8. 2010, 8 AZR 466/09, NZA 2011, S. 203 (205); 19. 8. 2010, 8 AZR 530/09, juris, Rn. 31. 340 Zur Frage der subjektiven Ernsthaftigkeit äußerte sich das Gericht in den genannten Entscheidungen ausdrücklich nicht. 341 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (874). 342 So bereits Kern, Diskriminierungskläger, S. 145 ff sowie Adomeit/Mohr, NZA 2007, S. 179 (182). 336
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
formelle Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt habe, sondern die Anforderungen, welche an die jeweilige Tätigkeit nach „der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung“343 gestellt würden. Die objektive Eignung sei nicht mit der individuellen fachlichen oder persönlichen Qualifikation des Bewerbers gleichzusetzen. Durch diese Unterscheidung werde gewährleistet, dass der Arbeitgeber einerseits den Aufgabenbereich des Arbeitsplatzes im Rahmen seiner Unternehmerfreiheit privatautonom bestimmen könne, aber andererseits nicht durch das Stellen von für die Aufgabe nicht erforderlichen Anforderungen die Vergleichbarkeit der Situation selbst gestalten und den Schutz des AGG damit im Ergebnis beseitigen könne. Für die objektive Eignung komme es demnach letztlich nur darauf an, ob der Bewerber die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten könne. cc) Stellungnahme (1) Ausschluss nicht ernsthafter und ungeeigneter Bewerber als Folge der Orientierung am Ausgleichsprinzip Der Standpunkt der herrschenden Meinung ist im Ergebnis zu begrüßen. Handelt es sich bei § 15 Abs. 2 AGG nach privatrechtskonformem Verständnis um das auf Restitution gerichtete Schutzrecht, das den Schaden am erweiterten Persönlichkeitsrecht ausgleichen soll, so sind subjektiv nicht ernsthafte sowie objektiv ungeeignete Bewerber in der Tat nicht anspruchsberechtigt. Allerdings zeigt sich insbesondere beim Problem der fehlenden subjektiven Ernsthaftigkeit die Widersprüchlichkeit der herrschenden Meinung bezüglich der Funktion von § 15 Abs. 2 AGG. Denn diejenigen, die auch den AGG-Hoppern einen Anspruch zugestehen wollen, haben insoweit Recht, als sie dies basierend auf der Annahme einer echten Präventionsfunktion für konsequent erachten. Geht man von einem general- oder spezialpräventiven Normzweck aus, lässt sich die Herausnahme des professionellen Diskriminierungsklägers tatsächlich nicht begründen.344 Es ist nämlich völlig klar, dass sich an dem verwerflichen Verhalten des Arbeitgebers, das es für die Zukunft zu verhindern gilt, allein dadurch nichts ändert, dass der Bewerber kein Interesse am Erhalt der Stelle hat oder ungeeignet für sie ist. Wer vorrangig Verhaltenssteuerung betreiben will oder gar Vergeltung für begangenes Unrecht fordert, kann den professionellen Diskriminierungskläger nicht ausschließen. Dieser fördert unzweifelhaft den Normzweck ganz entscheidend. Er ist sogar weitaus besser geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen, als ein ernsthafter Bewerber. Der Scheinbewerber kann gerade wegen der fehlenden immateriellen Beeinträchtigung sehr viel emotionsloser und pragmatischer vorgehen. Zudem verfügt er über Erfahrung im Führen von Entschädigungsprozessen und kann verbotene Verhaltensweisen und diskriminierende Praktiken weitaus besser aufdecken als ein echter Bewerber. Dieser 343 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (874); 19. 8. 2010, 8 AZR 466/09, NZA 2011, S. 203 (205). 344 So auch Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (21 f).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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wird vielfach schon Hemmungen haben, überhaupt Klage zu erheben. Wer missbilligenswerte Verhaltensweisen aufspüren und wirksam bekämpfen will, kann auf diese erfahrenen „Hilfssheriffs“ nicht verzichten. Dass deren Motivation überwiegend finanzieller Art sein wird, kann keine Rolle spielen. Zudem muss dies auch nicht zwingend der Fall sein.345 Interessant wäre es zu wissen, wie die herrschende Meinung den Fall eines diskriminierungsrechtlichen „Robin Hood“ beurteilen würde, der nicht aus Gewinnstreben, sondern aus ehrlicher Empörung diskriminierende Einstellungspraktiken bekämpft und die in seinen Prozessen erstrittenen Entschädigungszahlungen unverzüglich für wohltätige Zwecke (bspw. an einen Antidiskriminierungsverband) spendet. Die bisher weniger durch ein dogmatisches Konzept, sondern vielmehr durch das Gerechtigkeitsgefühl geleitete herrschende Meinung würde wohl ernstlich ins Grübeln geraten. Nach alledem muss man sich meines Erachtens entscheiden: Entweder man bekennt sich zu den zivilrechtlichen Grundsätzen, insbesondere zum schadensrechtlichen Ausgleichsprinzip, und verneint den Anspruch der nicht ernsthaften und ungeeigneten Bewerber. Oder man setzt auf Abschreckung und Verhaltensteuerung und gesteht diesen Bewerbern einen Anspruch zu. Mal den einen und mal den anderen Aspekt zu betonen,346 um im Einzelfall zu „gerechten“ Ergebnissen zu kommen, erscheint dogmatisch fragwürdig und ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. (2) Die fehlende Ernsthaftigkeit (a) Indizien für die fehlende Ernsthaftigkeit Das Problem der mangelnden subjektiven Ernstlichkeit der Bewerbung hat mit dem Problem der fehlenden objektiven Eignung an sich nichts zu tun.347 Es ist ein Unterschied, ob ein Bewerber keinerlei Interesse an einer Stelle hat oder aber ehrlich interessiert ist und nur die maßgeblichen Stellenanforderungen nicht erfüllt. Trotzdem werden die Probleme oftmals vermischt und einheitlich unter dem Begriff des professionellen Diskriminierungsklägers diskutiert. Der Grund hierfür liegt, wie so oft im Antidiskriminierungsrecht, im Tatsachenbereich. Die subjektive Ernsthaftigkeit ist eine schwer festzustellende innere Tatsache. Um ihr Vorliegen 345
So auch Kern, Diskriminierungskläger, S. 135, Fn. 488. Wenn das BAG in den oben zitierten Entscheidungen klarstellt, dass es im AGG nicht um die Sanktionierung unredlicher Gesinnungen und missbilligter Verhaltensweisen, sondern um den Schutz vor Benachteiligungen geht, so ist dies als Bekenntnis zum Ausgleichsprinzip zu begrüßen. Wenn es in einer dieser Entscheidungen (BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 [1131 f]) aber eine Entschädigung gewährt, obwohl die Tatsacheninstanzen (vgl. LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 [129]) rechtskräftig das Fehlen eines immateriellen Schadens festgestellt haben, so ist dies höchst widersprüchlich und nicht hinnehmbar. 347 Siehe Kern, Diskriminierungskläger, S. 136: Zwei unterschiedliche Sachverhalte, die eine unterschiedliche dogmatische Begründung erfordern. 346
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bzw. Fehlen zu beweisen, bedarf es objektiver Indizien. Relativ leicht festzustellen ist die (fehlende) objektive Eignung eines Bewerbers, zumal es dabei ja nur darum gehen soll, ob der Bewerber die Tätigkeit grundsätzlich verrichten kann. Es liegt nun nahe, aus einer offensichtlichen Ungeeignetheit auf die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit zu schließen. Wer sich für eine Stelle bewirbt, für die er eindeutig und offensichtlich nicht qualifiziert ist, der leidet entweder an einer erheblichen Selbstüberschätzung oder vermutet eine diskriminierende Einstellungspraxis und versucht hieraus Kapital zu schlagen. Letzteres liegt freilich näher, geht man einmal davon aus, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht an Größenwahn leiden dürfte.348 Bewirbt sich beispielsweise die Schulabbrecherin A auf eine Stelle als „Leiter der Rechtsabteilung“ bei einem großen Unternehmen, so ist zu vermuten, dass sie nicht ernsthaft an den Erhalt der Stelle glaubt, sondern die diskriminierend formulierte Stellenanzeige vielmehr als günstige Gelegenheit betrachtet, um an eine Entschädigung zu gelangen. Demnach ist die fehlende objektive Eignung zunächst das wichtigste Indiz für das Vorliegen einer nicht ernsthaften Bewerbung.349 Weitere Indizien können sein:350 – das Absenden unzähliger, nahezu wortidentischer351 Bewerbungen auf Stellen im gesamten Bundesgebiet, wobei die Indizwirkung nochmals steigt, wenn die Bewerbungen sich auf unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschriebene Stellen beschränken,352 – eine offensichtliche Überqualifikation,353 – mit zahlreichen Fehlern behaftete und unvollständige354 Bewerbungsunterlagen (unseriöse Anschreiben, fehlende Zeugnisse etc.),355 – die Äußerung exorbitanter Gehaltsvorstellungen sowie
348
Im Ergebnis ebenso Kern, Diskriminierungskläger, S. 145 f. So auch MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 17; Kern, Diskriminierungskläger, S. 146. 350 Siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199) m.w.N; Kern, Diskriminierungskläger, S. 182 ff. 351 Vgl. LAG Hamburg, 12. 1. 2009, 3 Ta 26/08, juris: weitestgehend aus Textbausteinen zusammengesetztes Bewerbungsschreiben. 352 Siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199); vgl. dazu auch Diller/Kern/Zeh, NZA 2009, S. 1386 (1388), die den Fall eines 43-jähriger Groß- und Außenhandelskaufmann aus Norddeutschland schildern, der sich nachweislich in mindestens 116 Fällen im ganzen Bundesgebiet auf diskriminierend ausgeschriebene Stellenanzeigen bewarb und nach seiner Ablehnung auf Entschädigung klagte. Siehe LAG Schleswig-Holstein, 29. 1. 2009, 4 Sa 346/08, juris sowie ArbG Celle, 20. 6. 2007, 2 Ca 35/07, juris. 353 Dazu Kern, Diskriminierungskläger, S. 185. 354 Vgl. ArbG Frankfurt, 17. 12. 2007, 17 Ca 3529/07: Kurzbewerbung per Einschreiben ohne Anlagen. 355 Siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199); Kern, Diskriminierungskläger, S. 186 ff. 349
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– die Bewerbung aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus mit wesentlich höherer Vergütung.356 Allerdings handelt es sich, wie gesagt, lediglich um Indizien und muss in jedem Einzelfall überprüft werden, ob diese für sich betrachtet ausreichen, um von einer fehlenden Ernstlichkeit auszugehen. Wer sich aus einem wesentlich besser dotierten Arbeitsverhältnis heraus auf eine Stelle bewirbt, kann auch ehrlich um „Downshifting“ bemüht sein. Wer sich massenhaft im ganzen Bundesgebiet bewirbt, mag, gerade bei vorheriger langer Arbeitslosigkeit, einfach nur verzweifelt sein oder aber besonders motiviert, endlich irgendwo irgendetwas zu finden.357 Gleiches gilt für den überqualifizierten Bewerber, der bereit ist alles zu tun, um endlich wieder zu arbeiten. (b) Die dogmatische Begründung der Anspruchsversagung Das BAG hat in seinen jüngsten Entscheidungen die Frage nach der subjektiven Ernsthaftigkeit als Anspruchsvoraussetzung ausdrücklich offengelassen und nur zur fehlenden objektiven Eignung Stellung bezogen.358 Es bestehen jedoch angesichts der Begründung des BAG keine Zweifel daran, dass das Gericht auch diese Ernsthaftigkeit fordern wird, sollte es einmal hierauf ankommen. Sieht man mit dem BAG in § 15 AGG gerade kein Instrument der Bekämpfung missbilligter Verhaltensweisen oder unredlicher Gesinnungen, sondern des Persönlichkeitsschutzes, so kann dem Scheinbewerber kein Anspruch zustehen. Denn es geht diesem nicht um den Ausgleich einer tatsächlich erfolgten Kränkung, sondern um ganz andere Ziele, zumeist um finanzielle Vorteile. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung ist nur vorgeschoben. Die wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit verschärfte Ehrposition ist in Wahrheit nicht tangiert. Der Scheinbewerber leidet nicht unter seiner Zurückweisung. Weder seine innere noch seine äußere Ehre ist betroffen. Die Ablehnung trifft ihn nicht in seinem Selbstwertgefühl, sondern er erhofft sie sich geradezu.359 Der Scheinbewerber strebt nicht nach Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeit. Auch will er nicht die konkrete Arbeitsstelle als Einkommensquelle und somit als Grundlage seiner Persönlichkeitsentfaltung nutzen, sondern gerade die massenhafte Versagung von Arbeitsstellen. Er strebt nicht 356 Siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (199); vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, 11. 1. 2008, 6 Sa 522/07, NZA-RR 2008, S. 343 f: Krankenpfleger mit 2.400 E Monatsgehalt, der sich auf eine Stelle als Arzthelferin mit 1.300 E Monatsgehalt beworben hatte. 357 Vgl. LAG Schleswig-Holstein, 9. 12. 2008, 5 Sa 286/08, juris, Leitsatz 3: „Allein der Umstand, dass sich ein Arbeitnehmer parallel und zeitnah auf zahlreiche Stellen im gesamten norddeutschen Bereich beworben hat, ist für sich genommen nicht geeignet, die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung in Frage zu stellen, insbesondere wenn er sich ganz überwiegend auf ,neutrale‘ Stellenanzeigen ohne diskriminierenden Inhalt beworben hat, seit langem arbeitslos und gegenüber vier Personen unterhaltsverpflichtet ist“. Das LAG hat im konkreten Fall jedoch aufgrund anderer Umstände die Ernstlichkeit trotzdem verneint (Rn. 44). 358 Siehe BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (873); BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 530/09, juris, Rn. 32. 359 Ebenso Kern, Diskriminierungskläger, S. 141.
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nach Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeit, sondern die Versagung von Arbeit ist die Grundlage seines „Gewerbes“. Nach alledem ist dem professionellen Diskriminierungskläger bereits der Ratio der Rechtszuweisung entsprechend ein Entschädigungsanspruch zu versagen. Von den dogmatischen Lösungsansätzen hat der Vorschlag von Annuß/Rupp360, wonach von der Widerlegung der Vermutung eines immateriellen Schadens auszugehen ist, den Nachteil, dass er auf das Schadensrecht beschränkt ist. Es geht aber beim Scheinbewerber nicht ausschließlich um ein schadensrechtliches Phänomen, sondern um ein Problem auf der vorgelagerten Ebene der Rechtsverletzung. Andernfalls könnte der Scheinbewerber zwar keine Schadensersatzansprüche, aber unter Umständen Bereicherungs-, Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche geltend machen. Deshalb erscheint es vorzugswürdig, entweder eine Benachteiligung und somit eine Rechtsverletzung zu verneinen, indem die genannten Rechtszuweisungsvorschriften teleologisch reduziert werden. Der professionelle Diskriminierungskläger wäre danach von der Rechtszuweisung schon per se nicht erfasst. Oder man arbeitet tatsächlich mit § 242 BGB und hält die Berufung auf das verschärfte Persönlichkeitsrecht durch den Scheinbewerber für missbräuchlich. Denn das Recht wurde wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit zugewiesen und nicht zur Generierung von Einnahmen durch Entschädigungsklagen. Überzeugender dürfte es letztlich sein, schon das Vorliegen einer Rechtsverletzung zu verneinen und nicht erst die Berufung auf die Rechtsverletzung durch eine entgegenstehende Einrede zu versagen. Denn § 7 Abs. 1 AGG setzt im Kern eine Persönlichkeitsrechtsrelevanz voraus, die beim professionellen Diskiminierungskläger gerade nicht gegeben ist. Dieser scheint nur in seiner Ehre verletzt, in Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, er freut sich über die erfolgte Ungleichbehandlung, die er angestrebt hat. Das gebotene materielle Verständnis der Rechtszuweisungsnormen lässt den Schluss, dass beim Scheinbewerber eine Rechtsverletzung vorliegt, auf die er sich lediglich nicht berufen kann, kaum zu. Zudem hat die Lösung über § 242 BGB auch bloß auf den ersten Blick beweisrechtliche Vorteile. Im Ergebnis kann es keinen Zweifel daran geben, dass der Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sein muss. Von jedem Kläger zu fordern, er möge für die Schlüssigkeit seiner Klage zur Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung vortragen und gegebenenfalls Beweis erbringen, erscheint nicht sinnvoll.361 Eine solche Beweisverteilung würde vor allem auch dem tatsächlichen Regel-Ausnahmeverhältnis nicht gerecht.362 Die überwiegende Mehrheit der Bewerber wird ehrlich
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HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 6. Vgl. Kern, Diskriminierungskläger, S. 152; a.A. Adomeit/Mohr, 2007, § 3 AGG, Rn. 36 ff. 362 So bereits Annuß, EzA zu § 611a BGB, 1999, S. 11 (17). 361
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und aufrichtig an einer ausgeschriebenen Stelle interessiert sein. Um Scheinbewerber handelt es sich in den wenigsten Fällen.363 Genau wegen dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses kann aber auch bei der hier favorisierten Lösung die Darlegungs- und Beweislast genauso verteilt werden wie bei der Lösung über § 242 BGB. Der Kläger muss zwar, anders als bei einer Einrede, an sich die Rechtsverletzung als anspruchsbegründende Tatsache darlegen und beweisen. Da diese Rechtsverletzung aber nur höchst ausnahmsweise an der fehlenden Ernsthaftigkeit der Bewerbung scheitert, obliegt dem Beklagten die Beweisführung hinsichtlich des Vorliegens eines Ausnahmefalls, der zu einer teleologischen Reduktion führt. (3) Die fehlende objektive Eignung (a) Die fehlende objektive Eignung als Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit Wie gezeigt ist die fehlende objektive Eignung zunächst einmal ein maßgebliches Indiz für die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung.364 In zahlreichen Fällen, in denen die Rechtsprechung sich mit der Feststellung der fehlenden objektiven Eignung begnügt hat, ging es in Wahrheit um die subjektive Ernsthaftigkeit und damit um den soeben erörterten Punkt. Die Gerichte betrachteten in diesen Fällen die fehlende objektive Eignung schlicht als ein so gewichtiges Indiz für die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit, dass es der Heranziehung zusätzlicher Kriterien nicht mehr bedurfte.365 Im Ergebnis ist dies zutreffend. Die Bewerbung eines eindeutig ungeeigneten Bewerbers kann, wie bereits erwähnt, nur zwei Gründe haben (Scheinbewerbung oder erhebliche Selbstüberschätzung),366 wobei der erstgenannte Fall wesentlich 363
Nicht überzeugend ist es deshalb, wenn ein Anspruch schon verneint wird, weil Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer Bewerbung bestehen (unrichtig deshalb LAG Rheinland-Pfalz, 11. 1. 2008, 6 Sa 522/07, NZA-RR 2008, S. 343 [344]; krit. dazu Maier, AuR 2008, S. 273 [273 f]). Verdichten sich die Zweifel nicht zu einer hinreichenden Gewissheit, muss weiterhin vom Regelfall ausgegangen und ein Anspruch bejaht werden. A.A. Kern, Diskriminierungskläger, S. 150 ff, der zwar auch davon ausgeht, dass zur Schlüssigkeit der Klage nicht zur Ernsthaftigkeit vorgetragen werden muss, sondern der Beklagte zunächst Indizien beizubringen hat, die auf eine Scheinbewerbung hindeuten. Von dieser Beweisführungslast unterscheidet Kern aber die Beweislast, die weiterhin beim Bewerber liege, was dazu führe, dass er bei einer non-liquet Konstellation unterliege. 364 Vgl. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 17, für den die fehlende objektive Eignung sogar ausschließlich Indizcharakter für eine nicht ernsthafte Bewerbung hat und darüber hinaus ohne Bedeutung ist. 365 Verwirrend ist es deshalb, wenn das BAG beim Fehlen der objektiven Eignung behauptet, die Frage nach dem Erfordernis einer subjektiven Ernstlichkeit könne dahinstehen, BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09 NZA 2010, S. 872 (873). Vielmehr bedurfte es lediglich keiner weiteren Indizien, um eine Scheinbewerbung anzunehmen. 366 Siehe oben 4. Kap. A. II. 1. a) cc) (2) (a); vgl. auch Kern, Diskriminierungskläger, S. 145 f.
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wahrscheinlicher ist, da von einem hybrischen Leiden nicht ohne Weiteres ausgegangen werden kann. Mithin ist der Schluss von der objektiven Ungeeignetheit auf den Mangel an subjektiver Ernstlichkeit in aller Regel berechtigt. (b) Die fehlende objektive Eignung als Folge einer Selbstüberschätzung Einer weitergehenden Überprüfung, welcher der beiden Fälle vorliegt, bedarf es letztlich auch deshalb nicht, weil auch im Falle der erheblichen Selbstüberschätzung kein Anspruch besteht. Hier mag der Bewerber zwar anders als bei einer bloßen Scheinbewerbung tatsächlich nach einer Entfaltung seiner Persönlichkeit streben und bei der Zurückweisung eine echte Kränkung empfinden.367 Die immateriellen Beeinträchtigungen basieren dann jedoch auf der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und nicht auf der eigentlichen Benachteiligung. Den Hang zum Größenwahn will § 7 Abs. 1 AGG jedoch nicht schützen, sondern nur der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit Rechnung tragen. Entscheidend ist deshalb nicht nur, ob ehrlich auf den Erhalt der Stelle gehofft wird, sondern auch, ob diese Hoffnungen realistisch und in diesem Sinne berechtigt sind.368 Eine Entsprechung hierzu findet sich im Bereich des allgemeinen zivilrechtlichen Ehrschutzes. Dort ist anerkannt, dass die Grenzen des Schutzes der inneren Ehre nicht der alleinigen Selbstbestimmung des Betroffenen überlassen werden können und dieser folglich nicht durch Überhöhung seiner Fähigkeiten den Umfang seiner Ehre selbst bestimmen kann.369 Im Ergebnis hat somit der objektiv ungeeignete Bewerber keinen Anspruch, egal ob er die Stelle tatsächlich erhalten will oder nicht. Liegt der Bewerbung eine Selbstüberschätzung zugrunde, so kann aber rechtsdogmatisch von vornherein nicht mit § 242 BGB argumentiert werden.370 Dies ist überhaupt nur möglich, wenn die fehlende objektive Eignung Indiz für eine Scheinbewerbung ist. Bei der Selbstüberschätzung wird man deshalb, wie beim Scheinbewerber auch, im Ergebnis von einer teleologischen Reduktion der Rechtszuweisungsnormen und somit vom Fehlen einer Rechtsverletzung371 ausgehen müssen. 367
So auch Wank, FS Richardi, S. 441 (448); a.A. Kern, Diskriminierungskläger, S. 149, der unzutreffend und ohne weitere Begründung behauptet, beim objektiv ungeeigneten Bewerber werde kein Gefühl der Zurücksetzung ausgelöst. 368 Vgl. Annuß, EzA zu § 611a BGB, 1999, S. 11 (15): Der objektiv ungeeignete Bewerber darf sich keine Hoffnungen machen; dies verkennt Wank, FS Richardi, S. 441 (448). 369 Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 21. 370 Ebenso Kern, Diskriminierungskläger, S. 150. 371 Freilich heißt dies nicht, dass im Fall des objektiv ungeeigneten Bewerbers jegliche Persönlichkeitsverletzung ausgeschlossen ist. Betrachtet man etwa den Extremfall, in dem einem dunkelhäutigen Bewerber von einem rassistischen Arbeitgeber offen mitgeteilt wird, dass die fehlende objektive Eignung für die Ablehnung absolut irrelevant ist und der Bewerber die Stelle ganz allein aufgrund seiner Hautfarbe nicht bekommen hat, so kann in diesem Fall eine Persönlichkeitsverletzung zweifellos vorliegen. Es handelt sich dann aber um eine nach den allgemeinen Regeln zu behandelnde Beleidigung, die lediglich bei Gelegenheit einer beruflichen Einstellungsentscheidung erfolgt. Mit der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von
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Unglücklich erscheint jedoch die Anknüpfung des BAG an das Merkmal der Vergleichbarkeit. Denn dies ist nur ein Tatbestandsmerkmal von § 3 Abs. 1 AGG und im Wortlaut von § 3 Abs. 2 AGG gar nicht genannt. Für eine unterschiedliche Behandlung des Phänomens bei unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen gibt es jedoch keinen einleuchtenden Grund. Zudem könnte man bei Anknüpfung an ein konkretes anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal geneigt sein, die Beweislast dem anspruchsstellenden Kläger aufzuerlegen. Dies wäre jedoch auch bei der Frage nach der fehlenden objektiven Eignung nicht sachgerecht. In der Regel wird sich kaum jemand auf eine Stelle bewerben, für die er ersichtlich überhaupt nicht qualifiziert ist. Es handelt sich mithin wiederum um einen Ausnahmefall, weshalb die Beweislast auch hier beim Arbeitgeber liegen muss.372 (c) Die Voraussetzungen einer fehlenden objektiven Eignung Letztlich bleibt zu klären, wann eine objektive Ungeeignetheit vorliegt. Dabei ist dem BAG darin zuzustimmen, dass es nicht darauf ankommen kann, dass der Bewerber das Anforderungsprofil der Stelle in jeder Hinsicht erfüllt.373 Denn im Anforderungsprofil einer Stelle hält ein Arbeitgeber typischerweise nur seine Idealvorstellungen fest. Es ist jedoch allen Beteiligten klar, dass nicht jede einzelne Voraussetzung auch zwingend für eine erfolgreiche Bewerbung ist. Deshalb kann bei geringen Abweichungen vom Anforderungsprofil nicht davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung gar nicht ernst gemeint war. Auch leidet ein solcher Bewerber keinesfalls an Selbstüberschätzung. Er macht sich vielmehr die (berechtigte) Hoffnung, dass er den Arbeitgeber trotz des Abweichens von dessen Idealvorstellungen überzeugen kann, oder auch nur, dass sich kein anderer bewirbt, der dem Idealbild besser entspricht. Ein Anspruch wird danach tatsächlich nur in den Fällen ausgeschlossen sein, in denen eine erhebliche Abweichung vom Anforderungsprofil besteht und der Bewerber nach der Verkehrsauffassung für diese Stelle gar nicht in Betracht kommt.374 Ein Beispiel hierfür wäre der jüngst vom BAG entschiedene Fall einer Bewerberin ohne Hochschulabschluss auf eine Stelle zur „Schulung von Multiplikatorinnen/-en im Bereich der beruflichen Integration von erwachsenen Migrantinnen/-en“. Für Arbeit als Grund der Rechtszuweisung in § 7 Abs. 1 AGG hat dieser Fall nichts mehr zu tun. Denn der Arbeitgeber stellt nicht die beruflichen Fähigkeiten aufgrund einer Pauschalisierung in Frage, sondern er offenbart gerade, dass es ihm nur darum geht, den Bewerber ganz unabhängig von seinen beruflichen Kenntnissen und Qualifikationen zu demütigen. Nicht die berufliche, sondern die allgemeine Ehre ist betroffen, weil der sich selbst offensichtlich überschätzende Bewerber keine schutzwürdige Erwartungshaltung hat, sich in diesem Beruf zu verwirklichen. 372 Im Ergebnis ebenso MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 17. 373 BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09 NZA 2010, S. 872 (874); 19. 8. 2010, 8 AZR 466/09, NZA 2011, S. 203 (205). 374 Siehe BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 466/09, NZA 2011, S. 203 (205 f); unzutreffend deshalb LAG Rheinland-Pfalz, 11. 1. 2008, 6 Sa 522/07, NZA-RR 2008, S. 343, wonach eine „vollständige objektive Vergleichbarkeit“ zu fordern ist.
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diese Stelle war ein Hochschulabschluss verlangt, was nach der Verkehrsauffassung auch nicht unüblich ist.375 Andererseits kann bei einer Stelle als Gleichstellungsbeauftragter, für die nach der Stellenausschreibung ein Hochschulabschluss in „einer pädagogischen bzw. geisteswissenschaftlichen Fachrichtung“ verlangt war, auch ein wirtschaftswissenschaftlicher Hochschulabschluss ausreichend sein.376 Nach der Verkehrsanschauung mag es für den Beruf eines Gleichstellungsbeauftragten zwar eine Rolle spielen, ob überhaupt eine Ausbildung abgeschlossen wurde, in deren Rahmen der Bewerber gelernt hat, Probleme zu analysieren und systematische Lösungen zu erarbeiten. Auf bestimmte, im Rahmen eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums nicht vermittelte Inhalte kommt es dagegen in aller Regel bei diesem Beruf nicht an.377 Man könnte nun einwenden, dass ein solches Abstellen auf die Verkehrsauffassung der Unternehmerfreiheit nicht gerecht wird. Denn jeder Arbeitgeber kann privatautonom die Stellenanforderungen selbst bestimmen und darf auch über den normalen Standard hinausgehende Qualifikationen, beispielsweise einen bestimmten Studienabschluss, verlangen. Dies ist für sich zwar vollkommen richtig. Trotzdem erscheint die Verkehrsauffassung als zutreffender Maßstab. Nur ein Vergleich der nach der Verkehrsauffassung für eine Stelle erforderlichen Mindestanforderungen mit den vorhandenen Qualifikationen des Bewerbers wird zeigen, ob sich der Bewerber ehrliche Hoffnungen auf eine Stelle macht oder sich nur zum Schein bewirbt bzw. seine Hoffnungen einer erheblichen Selbstüberschätzung entspringen. Erfüllt der Bewerber den gängigen Qualifikationsstandard für eine Stelle, so kann das Abweichen vom konkreten Anforderungsprofil nicht mehr als Indiz für eine Scheinbewerbung gesehen werden. Auch eine Selbstüberschätzung liegt dann nicht vor. Es wird in aller Regel vielmehr davon auszugehen sein, dass der Bewerber schlicht darauf vertraut, der erhöhte Standard im Stellenprofil sei eine idealtypische Vorstellung des Arbeitgebers, von der er im Laufe des Besetzungsverfahrens abrücken werde. Deshalb liefert trotz der zu schützenden Unternehmerfreiheit bei der Schaffung und Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes die Verkehrsauffassung hier die richtigen Ergebnisse. dd) Zwischenergebnis Der herrschenden Meinung ist somit im Ergebnis zuzustimmen. Subjektiv nicht ernsthafte und objektiv ungeeignete Bewerber haben keinen Entschädigungsanspruch. Dies ergibt sich aus einer teleologischen Reduktion der Rechtszuweisungsnormen. Inkonsequent ist es aber, eine der Abschreckung dienende echte
375 376 377
BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 466/09, NZA 2011, S. 203 (205 f). Siehe BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09 NZA 2010, S. 872 (874). BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09 NZA 2010, S. 872 (874).
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Präventionsfunktion zu bejahen und gleichwohl die ungeeigneten und/oder nicht ernsthaft interessierten Bewerber auszuschließen. b) Die Anspruchsberechtigung bei der mittelbaren Benachteiligung aa) Die Ansichten in der Literatur Des Weiteren ist in der Literatur umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob bei der mittelbaren Benachteiligung auch der Minderheit innerhalb einer benachteiligten Gruppe Ansprüche zustehen sollen. Exemplarisch soll hier der Fall eines alleinerziehenden Mannes behandelt werden. Wird pauschal die Gruppe der Alleinerziehenden benachteiligt, so trifft dies statistisch betrachtet zu 90 % Frauen, weshalb eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung vorliegt.378 Vielfach wird die Anspruchsberechtigung des Minderheitsangehörigen mit unterschiedlichen Begründungen verneint. Manche379 verneinen die Aktivlegitimation. Andere halten das Problem für ein schadensrechtliches. Annuß/Rupp380 etwa gehen davon aus, dass die Vermutung eines immateriellen Schadens in diesem Fall, wie auch im Fall des professionellen Diskriminierungsklägers, als widerlegt anzusehen sei. Auch Thüsing381 ist der Ansicht, dass diesen Personen kein immaterieller Schaden entstehe, zumindest kein solcher, der auf die Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals zurückzuführen sei. Andere382 wollen jedoch auch diesem Personenkreis einen Anspruch zugestehen. Die immateriellen Einbußen seien bei Angehörigen des an sich bevorzugten Personenkreises zwar geringer als bei Angehörigen des in der Mehrheit benachteiligten Personenkreises. Trotzdem liege ein auszugleichender Schaden vor. bb) Stellungnahme Meines Erachtens handelt es sich entgegen der zuletzt genannten Stimmen um kein rein schadensrechtliches Problem. Als immaterieller Schaden zu bezeichnende innere Wirkungen sind auch bei zurückgewiesenen Angehörigen der an sich bevorzugten Gruppe wahrscheinlich. Werden Alleinerziehende sachgrundlos schlechter behandelt als gemeinsam Erziehende, so wird auch ein alleinerziehender Mann von der Zurücksetzung innerlich betroffen sein. Sein immaterieller Schaden wird auch nicht deshalb geringer ausfallen, weil er weiß, dass er zu der an sich bevorzugten Gruppe der Männer gehört. Im Gegenteil mag die subjektive Betroffenheit im Einzelfall sogar größer sein, weil dieser Mann als Außenseiter innerhalb 378 379 380 381 382
Vgl. oben 4. Kap. A. II. 1. Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 93. HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 8. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 7. Lehmann, S. 137.
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der Gruppe der Alleinerziehenden zusätzlich mit den minderheitsspezifischen Problemen zu kämpfen hat. Auch die vom immateriellen Schaden zu unterscheidende Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls (innere Ehre) oder des gesellschaftlichen Ansehens (äußere Ehre) muss bei einem solchen Mann nicht geringer ausfallen als bei einer alleinerziehenden Frau. Trotzdem ist es im Ergebnis zutreffend, dem benachteiligten alleinerziehenden Mann einen Entschädigungsanspruch zu versagen. Es handelt sich um ein Kausalitätsproblem auf der Ebene der Rechtsverletzung. Die schlechtere Behandlung des Mannes beruht nicht auf seinem Geschlecht, sondern einzig auf einem Merkmal (alleinerziehend), dessen Träger Männer regelmäßig nicht sind. Der alleinerziehende Mann wird nicht wegen eines Männermerkmals benachteiligt, sondern weil ihm ungewöhnlicherweise ein Frauenmerkmal anhaftet. Die individuelle Benachteiligung erfolgt dann aber nicht „wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes“, wie § 7 Abs. 1 AGG als zentrale Rechtszuweisungsvorschrift voraussetzt, sondern wegen eines anderen Grundes, namentlich der Exotenstellung innerhalb der überwiegend weiblichen Gruppe der Alleinerziehenden. Dies macht das Handeln des Arbeitgebers zwar nicht weniger verwerflich. Darum geht es aber auch nicht. Es geht um den Umfang der Rechtszuweisung selbst und damit letztlich um die Grenzziehung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz. Man mag es rechtspolitisch für falsch oder zum Erhalt eines Rests an Privatautonomie für richtig halten, dass ein Arbeitgeber auch nach Inkrafttreten des AGG weiterhin in vielerlei Hinsicht willkürlich differenzieren darf. Solange der Gesetzgeber jedoch die Merkmale in § 1 AGG beschränkt, können dem genannten Personenkreis keine Ansprüche zustehen. Für den alleinerziehenden Mann stellt sich die Benachteiligung letztlich nicht anders dar als eine sachgrundlose Benachteiligung wegen seines Körpergewichts. Sie mag subjektiv schmerzhaft und objektiv unmoralisch sein, rechtlich ist sie jedoch erlaubt. Die Verschärfung des Persönlichkeitsrechts betrifft gerade nicht alle Seiten der Persönlichkeit, sondern nur einige ausgewählte Merkmale. In diesem Umfang ist die Rechtszuweisung begrenzt. Die Verneinung der Ansprüche des alleinerziehenden Mannes ist eine unmittelbare Folge dieser beschränkten Rechtszuweisung. Man könnte über einen Umweg letztlich aber doch dazu gelangen, auch den Angehörigen der an sich bevorzugten Gruppe das erweiterte Persönlichkeitsrecht zuzugestehen. Nimmt man einmal an, ein Arbeitgeber würde freiwillig eine diskriminierende Einstellungspraxis derart abändern, dass er aus dem Kreis der Alleinerziehenden einzig die Frauen herausnähme und sie mit gemeinsam erziehenden Eltern gleichstellte. Dies würde zweifellos eine unmittelbare Benachteiligung von Männern darstellen. Ihnen würde eine Gleichstellung einzig und allein aufgrund ihres Geschlechtes versagt. Man könnte nun argumentieren, dass die Gegenansicht, die eine Rechtsverletzung des alleinerziehenden Mannes verneint, letztlich dazu führt, dem Arbeitgeber genau dieses Verhalten als Rechtspflicht aufzuerlegen. Weiter könnte man meinen, dass es dem Sinn und Zweck des Gesetzes
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widerspräche, den Arbeitgeber zu einem unmittelbar geschlechterdiskriminierenden Verhalten zu verpflichten. Zumal ein Rechtfertigungsgrund gemäß §§ 8 ff AGG in der Regel nicht eingreifen wird. Eine solche Argumentation ist jedoch zirkulär. Wenn man den alleinerziehenden Männern Ansprüche versagt, mag dies zweifellos im Ergebnis zu einer unmittelbaren Benachteiligung von Männern führen. Diese ist dann aber gerade dadurch gerechtfertigt, dass der Arbeitgeber bei der Befriedigung der Ansprüche der Frauen lediglich einer Rechtspflicht nachgekommen ist und sich insoweit gesetzeskonform verhalten hat. Will das AGG sich nicht selbst ad absurdum führen, muss es einen solchen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund neben §§ 8 ff AGG anerkennen. Alternativ könnte man auch § 5 AGG weit auslegen und die Erfüllung einer diskriminierungsrechtlichen Verbindlichkeit als Ausgleichsmaßnahme im Sinne der Vorschrift betrachten. Den AGG-rechtlichen Schutz speziell alleinerziehender Männer könnte man nach alledem allenfalls über einen weiteren Umweg erreichen: Man müsste den missverständlichen383 Begriff der „Mutterschaft“ in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG weit im Sinne von „Mutter eines/mehrerer Kindes/r“ interpretieren. Damit wäre auch der Fall der alleinerziehenden Mutter erfasst. Ihre Benachteiligung würde nach der gesetzlichen Anordnung eine unmittelbare und nicht nur eine mittelbare Diskriminierung darstellen. Man müsste sich dann weiter fragen, ob es einen sachlichen Grund für die unterbliebene Normierung der ebenso weit zu verstehenden „Vaterschaft“ gibt. Da ein solcher schwerlich zu finden sein dürfte,384 könnte man eine aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 Abs. 3 GG) gebotene Analogie zur „Mutterschaft“ in Erwägung ziehen mit der Folge, dass auch alleinerziehende Väter unmittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt wären. Allerdings würde diese Auslegung dem Regelungzweck des § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG nicht gerecht. Die „Mutterschaft“ steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der „Schwangerschaft“. Die Regelung soll sicherstellen, dass eine Diskriminierung wegen Mutterschutzvorschriften als unmittelbare Diskriminierung angesehen wird, weil diese Vorschriften eine Eigenschaft voraussetzen, die nur bei Frauen vorliegen kann.385 Demnach muss davon ausgegangen werden, dass der Begriff der „Mutterschaft“ eng zu interpretieren ist.386 Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung387, die darauf verweist, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG der Umsetzung von Art. 2 Abs. 7 der Richtlinie 76/207/EWG (heute Art. 2 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2006/54/EG) dient, der wiederum davon spricht, dass „[d]ie ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub im Sinne der 383
Siehe Erman/Armbrüster, 2008, § 3 AGG, Rn. 13. Siehe Erman/Armbrüster, 2008, § 3 AGG, Rn. 13: „wäre […] nicht erklärlich“. 385 Siehe Schiek/Schiek, 2007, § 3 AGG, Rn. 18. 386 So auch Erman/Armbrüster, 2008, § 3 AGG, Rn. 13: „Es geht um die biologisch begründete Schwäche und Schutzbedürftigkeit nach der Geburt“. 387 Siehe BT-Drucks 16/1780, S. 32. 384
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Richtlinie 92/85/EWG […] als Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie [gilt]“. Damit geht es gerade um Benachteiligungen wegen besonderer Mutterschutzvorschriften (Mutterschaftsurlaub) und nicht um Benachteiligungen wegen der Eigenschaft als Mutter eines Kindes. Anzumerken bleibt letztlich, dass die Befürworter einer echten Präventivfunktion nur schwer zu einer Verneinung des Anspruchs gelangen können. Für sie muss es gerade einen Unterschied machen, ob der Arbeitgeber wegen des Körpergewichts differenziert oder wegen der Alleinerziehung eines Kindes. Das erstgenannte Verhalten ist erlaubt, das zweite ist als mittelbare Geschlechterdiskriminierung verboten. Will man verbotene Verhaltensweisen bekämpfen, so muss man konsequenterweise aber auch dem alleinerziehenden Mann einen Anspruch zugestehen. Dessen nachteilige Betroffenheit steht außer Zweifel. Mehr kann aber für eine Anspruchsberechtigung nicht erforderlich sein, wenn man einen präventiven Zweck des Entschädigungsanspruchs annimmt. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Betrachtungsweise freilich die für die Bestimmung des Substanzrechts entscheidende Erkenntnis: dass das Verhalten nur zum Schutz von Frauen verboten ist und folglich auch nur diesen das erweiterte Persönlichkeitsrecht zukommt. c) Die Anspruchsberechtigung bei der assoziierten Diskriminierung Im Rahmen der Anspruchsberechtigung ist des Weiteren die Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung problematisch. In diesen Fällen wird ein Beschäftigter benachteiligt, weil eine ihm nahestehende Person Merkmalsträger ist. Ein Beispiel wäre der Fall eines Bewerbers, der wegen der Homosexualität seines Sohnes nicht eingestellt wird.388 Genau genommen sind in diesen Fällen zwei Fragen zu klären: Erstens, ob der Sohn als Merkmalsträger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Arbeitgeber hat. Und zweitens, ob dem unmittelbar betroffenen Vater Ansprüche zustehen, obwohl er selbst kein Merkmalsträger ist. aa) Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur Der EuGH hatte in der Rs. Coleman bereits über eine assoziierte Diskriminierung zu entscheiden.389 Die Entscheidung betraf den Fall einer englischen Arbeitnehmerin, die wegen der Behinderung ihres Kindes vom Arbeitgeber benachteiligt wurde. Dabei ging es aber nur um die zweite der genannten Fragen, also um die Anspruchsberechtigung der nicht behinderten Mutter. Der EuGH bejahte eine solche Anspruchsberechtigung. Dabei verwies der Gerichtshof zunächst auf den Wortlaut der maßgeblichen Richtlinie 2000/78/EG. 388 389
Vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 97. Siehe EuGH, 17. 7. 2008, C-303/06, NZA 2008, S. 932 ff.
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Dieser stelle nicht auf eine bestimmte Kategorie von diskriminierten Personen ab, sondern wolle allgemein Benachteiligungen aus bestimmten Gründen verhindern. Nach dem Wortlaut von Art. 1 und 2 der Richtlinie sei es ausreichend, wenn die Benachteiligung auf eine Behinderung zurückgehe und das könne folglich auch die eines Dritten sein.390 Zudem argumentierte der EuGH mit dem effet-utile-Grundsatz: Die praktische Wirksamkeit der Richtlinie würde eingeschränkt, wenn keine Anspruchsberechtigung der Mutter angenommen würde. Die Entscheidung stieß verbreitet auf Kritik. Allerdings weniger im Ergebnis als vielmehr hinsichtlich der Begründung. Schlachter391 merkte an, dass der bloße effetutile-Grundsatz eine saubere Argumentation nicht ersetzen könne. Der EuGH postuliere das vermeintliche Ziel der Richtlinie, anstatt es zu begründen. Zudem sei die Wortlautauslegung des EuGH unzureichend. Betrachte man die Gesamtheit aller Antidiskriminierungsrichtlinien, so zeige sich, dass die unterschiedlichen sprachlichen Fassungen der Richtlinien bereits nicht einheitlich seien. Mal werde eine Identität zwischen Merkmalsträger und Benachteiligtem vorausgesetzt und mal nicht. Daran anknüpfend deutete das BAG392 in einer neueren Entscheidung an, dass sich die Argumentation des EuGH nicht auf die Geschlechterdiskriminierungsrichtlinie 2006/54/EG übertragen lasse. Denn (in der deutschen Fassung) dieser Richtlinie werde gerade vorausgesetzt, so das BAG, dass der Benachteiligte gleichzeitig selbst Merkmalsträger sei. Sutschet393 kritisierte im Anschluss an die Entscheidung des EuGH die unterbliebene Auseinandersetzung des Gerichtshofs mit der Frage, wer eigentlich diskriminiert sei: die Mutter oder das Kind. Die Ausführungen des Generalanwalts Poiares Maduro394, dem der EuGH im Ergebnis gefolgt sei, legten nahe, dass es eigentlich um eine Diskriminierung des Kindes gehe. Der Generalanwalt hatte argumentiert, dass „[d]er direkte Angriff auf eine Person mit einem besonderen Merkmal […] nicht die einzige Art [sei], in der sie diskriminiert werden [könne]“. Ein andere Art, „die Würde und Selbstbestimmung von Menschen, die zu einer bestimmten Gruppe gehören, zu untergraben, [sei] es, nicht sie selbst, sondern Dritte anzugreifen, die mit ihnen eng verbunden [seien] und selbst nicht in die Gruppe fallen“. Dadurch werde „die Würde der Person, die in die fragwürdige Kategorie fällt, untergraben“. Nach Ansicht Sutschets lassen diese Erwägungen aber lediglich den Schluss zu, dass das Kind Ansprüche aus der Schlechterbehandlung der Mutter
390
EuGH, 17. 7. 2008, C-303/06, NZA 2008, S. 932 (934). Schlachter, RdA 2010, S. 104 (107 f). 392 BAG, 22. 4. 2010, 6 AZR 966/08, NZA 2010, S. 947 (949); i.E. zustimmend Adomeit/ Mohr, RdA 2011, S. 102 (108). 393 Sutschet, EuZA 2009, S. 245 ff. 394 Schlussantrag vom 31. 1. 2008, C-303/06, juris, II. 12. f. 391
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herleiten könnte. Für die Begründung des vom EuGH bejahten Anspruchs der Mutter sei die Argumentation mit der Würde des Kindes untauglich.395 Bereits vor der Entscheidung des EuGH war das Problem assoziierter Diskriminierungen im Schrifttum vereinzelt behandelt worden. Dabei drehte sich der Streit allerdings nur um die Frage einer Anspruchsberechtigung des „merkmalslosen“ Beschäftigten.396 bb) Stellungnahme Die Begründung der Coleman-Entscheidung des EuGH überzeugt in der Tat wenig. Die sprachlichen Fassungen der einzelnen Richtlinien sind uneinheitlich. Zudem macht es im Ergebnis wenig Sinn, bei den unterschiedlichen Merkmalen je nach Richtlinientext zu unterschiedlichen Ergebnissen zu gelangen. Eine bewusste Differenzierung kann dem Richtliniengeber nicht unterstellt werden. Es wäre auch nicht einsichtig, warum gerade beim Geschlecht als ältestem und wohl auch wichtigstem Merkmal assoziierte Diskriminierungen folgenlos bleiben sollten, während sie hinsichtlich einer Behinderung, des Alters oder der Weltanschauung verboten sind.397 Zudem wurde bereits eingangs kritisch angemerkt, dass die schlichte Argumentation mit dem effet-utile-Grundsatz durch den EuGH für zahlreiche dogmatische Wirrungen im Antidiskriminierungsrecht verantwortlich war und ist.398 Zu Recht weist Schlachter deshalb darauf hin, dass die Argumentation mit der erhöhten praktischen Wirksamkeit allein keine tragfähige Begründung darstellt.399 Dennoch erscheint das Ergebnis des EuGH auch auf dem Boden des deutschen Privatrechtsverständnisses vertretbar.400 Nach diesem Verständnis folgt der Rechtsschutz zwangsläufig der Rechtszuweisung nach. Dem vorrangig zu bestimmenden 395
Sutschet, EuZA 2009, S. 245 (248 f); ähnlich Schlachter, RdA 2010, S. 104 (108). Dafür Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 97; a.A. Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (21), der das Problem zu lösen versuchte, in dem er in den Entwurfstext zum AGG die ungeschriebene Voraussetzung hineinlas: „… wegen eines Merkmals, dessen Träger er selbst ist oder angeblich ist“. 397 Ähnlich Adomeit/Mohr, RdA 2011, S. 102 (108): „[Es] sind keine sachlichen Gesichtspunkte ersichtlich, weshalb eine drittbezogene Benachteiligung beim Diskriminierungsverbot wegen der Behinderung unzulässig sein soll, wohingegen sie beim Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts erlaubt wäre. Das letzte Wort scheint hier somit noch nicht gesprochen, zumal der EuGH bislang nicht mit der Zulässigkeit drittbezogener Benachteiligungen wegen des Geschlechts befasst war“. 398 Vgl. auch die Urteilsanmerkung von Melot de Beauregard, RiW 2009, S. 18 (20), wonach der effet-utile-Grundsatz seit jeher als „Totschlagargument“ diene, mit dessen Hilfe der EuGH bereits in vielen Bereichen die „Umsetzung Brüsseler Regelungswut“ in die nationalen Rechtsordnungen vorangetrieben habe. 399 A.A. Lindner, NJW 2008, S. 2750 (2752), der die Argumentation des EuGH „überzeugend“ findet. 400 A.A. Melot de Beauregard, RiW 2009, S. 18 ff: „Systemfremde[r] Instrumentarismus“ (S. 21); der „Pönalisierung diskriminierenden Verhaltens [werden] weitere Türen geöffnet“ (S. 22). 396
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Rechtsträger steht der Schutzanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu. Zutreffend kann das Ergebnis des EuGH demnach nur sein, wenn eine Rechtsverletzung der Mutter anzunehmen ist. Daran ließe sich, anknüpfend an die Ausführungen des Generalanwalts, aber zweifeln. Sutschet wirft die für die Lösung des Problems entscheidende Frage auf: Wer wird diskriminiert? Die Mutter oder das Kind? Geht man davon aus, dass § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. §§ 1, 3 AGG das allgemeine Persönlichkeitsrecht wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit konkretisiert und verschärft, so ist die Antwort des EuGH folgerichtig: Die Mutter als benachteiligte Beschäftigte ist Anspruchsinhaberin. Sie muss Nachteile auf dem für die Persönlichkeitsentfaltung so wichtigen Arbeitsmarkt hinnehmen, nicht ihr Kind. Folglich ist sie Trägerin des besonderen Persönlichkeitsrechts und damit auch Inhaberin des Schutzrechts. Generalanwalt Poiares Maduro ist zwar darin zuzustimmen, dass in der Benachteiligung der Mutter auch ein Angriff auf die Würde des Kindes liegen kann. Dieser Angriff kann jedoch allenfalls allgemeine deliktsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. AGG-rechtlich ist er völlig irrelevant. Denn der Grund der Rechtszuweisung in § 7 Abs. 1 AGG liegt in der Beschäftigungssituation und deren Persönlichkeitsrelevanz. Dies kann wegen des europarechtlichen Ursprungs des AGG auch gar nicht anders sein. Aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigungen steht der Europäischen Gemeinschaft keine allumfassende Regelungskompetenz für das allgemeine Deliktsrecht zu. Allgemeine Persönlichkeitskonkretisierungen könnte der europäische Gesetzgeber gar nicht vornehmen.401 Der Anwendungsbereich der Richtlinien ist daher folgerichtig im Wesentlichen auf das Arbeitsrecht beschränkt. Für diesen Bereich besteht eine Regelungsbefugnis. Das Persönlichkeitsrecht im beruflichen Bereich ist tauglicher Regelungsgegenstand und einer Konkretisierung und Verschärfung durch europäische Richtlinien zugänglich. Damit ist letztlich aber noch nicht geklärt, ob eine solche Konkretisierung auch erfolgt ist und der Umfang der Rechtszuweisung die Fälle der assoziierten Diskriminierung tatsächlich erfasst. Dies könnte man mit ähnlichen Kausalitätserwägungen wie im Fall des alleinerziehenden Mannes verneinen.402 Genauso wenig wie dieser wegen seines Geschlechts benachteiligt wird, wird die Mutter wegen ihrer Behinderung benachteiligt. Unmittelbare Träger des in concreto geschützten Merkmals sind beide nicht. Andererseits gibt es aber auch Unterschiede zwischen den beiden Fällen.
401 Keine ausreichende Kompetenz zum Erlass von Antidiskriminierungsregeln im allgemeinen Zivilrechtsverkehr enthält § 19 AEUV. Die darin dem Rat übertragene Zuständigkeit zur Bekämpfung von Diskriminierungen ist nach einstimmiger Auffassung nicht allumfassend zu verstehen, sondern beschränkt sich auf Bereiche, in denen andere Normen des AEUV der Gemeinschaft die Kompetenz zum Erlass von Hoheitsakten verleihen, siehe Maier-Reimer, NJW 2006, S. 2577 (2578). 402 Siehe dazu oben 4. Kap. A. II. 1. b).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Der erste Unterschied besteht darin, dass im Fall des alleinerziehenden Mannes feststeht, dass das Verhalten des Arbeitgebers (Benachteiligung Alleinerziehender) verboten ist, wenn auch nur zum Schutz von Frauen. Im Falle der assoziierten Diskriminierung ist jedoch genau das die vorrangige Frage. Selbst für die Anhänger einer echten Präventivfunktion ist deshalb die Lösung hier nicht leicht. Denn sie müssen genauso zunächst klären, ob überhaupt ein verbotenes Verhalten vorliegt, das für die Zukunft verhindert werden soll. Ein zweiter Unterschied der Fallgruppen besteht in Folgendem: Den alleinerziehenden Mann trifft die Benachteiligung beiläufig. Es handelt sich um einen „Kollateralschaden“ im Rahmen der Frauenbenachteiligung. Die Rechtszuweisung beschränkt sich dann auch auf die Angehörigen des mittelbar benachteiligten weiblichen Geschlechts. Bei der assoziierten Diskriminierung liegt dagegen eine gezielte Benachteiligung eines bestimmten Beschäftigten vor. Letztlich unterscheiden sich die Fälle auch darin, dass der alleinerziehende Mann in keiner Beziehung zu den geschützten Merkmalsträgerinnen steht. Ihn trifft die Benachteiligung nur, weil ihm ein frauentypisches Kriterium anhaftet. Die Benachteiligung der geschützten alleinerziehenden Frauen ist für ihn aber ohne Relevanz, weil er keine emotionale Verbindung zu diesen Frauen und somit zum geschützten Merkmal hat. Jedenfalls beim benachteiligten Angehörigen eines Merkmalsträgers ist dies wegen des engen Näheverhältnisses403 aber anders. Angesichts der vielfältigen Unterschiede kann das oben gefundene Ergebnis nicht ohne Weiteres auf die hiesige Konstellation übertragen werden. Weder die Gesetzesmaterialien noch der Wortlaut der zentralen Rechtszuweisungsvorschriften im AGG lassen mit letzter Sicherheit darauf schließen, ob von der Rechtszuweisung auch die Fälle assoziierter Diskriminierung erfasst sein sollen. Klar ist anhand der Grundnorm in § 7 Abs. 1 AGG lediglich, dass als Rechtsträger nur die Beschäftigten und nicht die unmittelbaren Merkmalsträger in Betracht kommen. Des Weiteren scheint der Wortlaut von §§ 1 und 3 AGG eher für als gegen eine Rechtszuweisung in den Fällen assoziierter Benachteiligung zu sprechen. Anders als in den Richtlinien wird hier einheitlich nicht auf die benachteiligte Person als Merkmalsträger abgestellt, sondern schlicht auf den Grund der Benachteiligung 403 Wobei noch zu klären sein wird, welche Anforderungen an das Näheverhältnis zu stellen sind: Muss es familiärer Natur sein (Angehöriger), reicht eine sonstige persönliche Beziehung aus (Freund) oder kann etwa auch das allgemeine Engagement für eine Gruppe von Merkmalsträgern eine ausreichende Beziehung darstellen (z. B. im Fall des Weißen, der sich für Dunkelhäutige einsetzt und deshalb vom Arbeitgeber benachteiligt wird)? Selbst wenn auch der letztgenannte Fall einzubeziehen sein sollte, liegt doch ein Unterschied zu den Fällen der mittelbaren Diskriminierung vor, in denen die emotionale Beziehung des Benachteiligten zu den unmittelbaren Merkmalsträgern keine Rolle spielt, sondern die Benachteiligung beiläufig geschieht, weil etwa der alleinerziehende Mann zufällig ein Merkmal in seiner Person verwirklicht, das typisch für die geschützten Merkmalsträgerinnen ist. Wie der alleinerziehende Mann zu diesen unmittelbaren Merkmalsträgerinnen steht, welche Beziehung er zu ihnen hat, ist ohne Bedeutung.
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(„wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes“).404 Andererseits ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass es sich dabei mehr um Zufall als um ein bewusstes Regelungskonzept handelt. Insbesondere wäre ein klarstellender Zusatz, dass Merkmalsträger und Beschäftigter nicht identisch sein müssen, regelungstechnisch problemlos möglich gewesen. Der Gesetzgeber hat sich in § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG eines solchen klarstellenden Zusatzes an anderer Stelle ausdrücklich bedient. Andererseits kann eine Einbeziehung der assoziierten Diskriminierung nicht mit dem Argument verneint werden, dass eine Regelung entsprechend § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG unterblieben ist. Man kann die Vorschrift nämlich ebenso gut zur Begründung des Gegenteils heranziehen: Wenn von der Rechtszuweisung nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG schon der Fall erfasst sein soll, in dem der Arbeitgeber nur irrig ein Merkmal beim Beschäftigten annimmt, aber in Wahrheit gar kein Merkmalsträger vorhanden ist, dann muss dies erst recht für den Fall gelten, in dem es tatsächlich einen Merkmalsträger gibt und dieser nur mit dem Beschäftigten nicht identisch ist. Zudem kann man aus § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG ein weiteres Argument gewinnen, das für eine Einbeziehung der Fälle assoziierter Diskriminierungen spricht. Bei der irrigen Annahme des Vorliegens eines Merkmals in der Person des Beschäftigten (§ 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG) wird ein an sich merkmalsloser Beschäftigter wie ein Merkmalsträger behandelt und deshalb benachteiligt. Dies trifft bei den assoziierten Diskriminierungen regelmäßig ebenfalls zu. Der merkmalslose Beschäftigte stellt für den Benachteiligenden wegen seiner Beziehung zum Merkmalsträger einen Repräsentanten dieser Gruppe dar, weshalb er ihn der Gruppe zuschlägt und wie einen Merkmalsträger behandelt. Entscheidend kommt bei der assoziierten Diskriminierung nun hinzu, dass der Benachteiligte nicht nur wie ein Merkmalsträger oder Gruppenmitglied behandelt wird, sondern dass er das Merkmal wegen der emotionalen Beziehung zum Merkmalsträger im weiteren Sinne auch als „sein eigenes“ empfindet.405 Durch die Verbindung zum Merkmalsträger stellt sich nach dem inneren Empfinden des Beschäftigten die Situation nicht grundlegend anders dar als bei der Benachteiligung aufgrund eines eigenen Merkmals. Durch die Beziehung zum Merkmalsträger ist es für den Benachteiligten, als hafte ihm das Merkmal selbst unmittelbar an. Wegen seiner Verbindung zum Merkmalsträger wird er in „Sippenhaft“406 bzw. „Gruppenhaft“ genommen. Seine emotionale Beziehung zum Merkmalsträger wird auf die 404 Nicht überzeugend ist allerdings das Argument von Alenfelder, Gleichbehandlungsgesetz, S. 9, Rn. 42, der § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG den Grundsatz entnehmen will, dass aus einer engen Beziehung zu einem Dritten (Schwangerschaft) eine eigene Diskriminierung folgen kann. 405 Dies ist ein wichtiger Unterschied zu den Fällen der mittelbaren Diskriminierung. Durch die Beiläufigkeit der Benachteiligung in diesen Fällen (Stichwort „Kollateralschaden“) empfindet der Beschäftigte das Merkmal keinesfalls „als eigenes“. Der alleinerziehende Mann wird vom Arbeitgeber auch nicht als Repräsentant der Frauen gesehen und deshalb quasi „als Frau“ benachteiligt, sondern weil ihm zufällig das frauentypische Merkmal anhaftet. 406 So Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 98; krit. Schlachter, RdA 2010, S. 104 (108).
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Probe gestellt. Die Verbindung führt unmittelbar zu Nachteilen in dem für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtigen Arbeitsbereich. Für den Benachteiligten wäre es zwar theoretisch möglich, sich von der Verbindung loszusagen und vom Merkmalsträger zu distanzieren. Ähnlich wie bei der Weltanschauung oder der Religion wäre diese Preisgabe aber ein „sacrificium intellectus“407, das dem Einzelnen von der Rechtsordnung nicht zugemutet werden kann. Sowohl aus Sicht des Benachteiligenden (Zuordnung des Gegenüber zur Gruppe der Merkmalsträger) als auch aus Sicht des Beschäftigten (Gefühl der emotionalen Zugehörigkeit zur Gruppe bzw. zu einem ihrer Mitglieder) liegt damit ein Fall vor, der dem klassischen Fall, in dem der Beschäftigte selbst Merkmalsträger ist, so nahe steht, dass es letztlich vorzugswürdig erscheint, die Fälle gleich zu behandeln und die assoziierte Diskriminierung in die Rechtszuweisung einzubeziehen. Bei einem solchen Verständnis kann das familiäre Band freilich nicht ausschlaggebend sein kann.408 Es wird aber regelmäßig ein starkes Indiz dafür darstellen, dass der Beschäftigte das Merkmal wie ein eigenes empfindet. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass eine ähnlich emotionale Beziehung zu einem Menschen besteht, zu dem keine familiäre Verbindung existiert. Andererseits kann auch bei einer engen familiären Verbindung jegliche emotionale Nähe im Einzelfall fehlen. Fraglich ist, ob die Beziehung zu einem konkreten Merkmalsträger verlangt werden muss oder auch das bloße allgemeine Engagement für die Gruppe der Merkmalsträger ausreichend ist. Dies betrifft etwa den Fall eines heterosexuellen Beschäftigten, der sich offen für Homosexuelle einsetzt und deshalb vom homophoben Arbeitgeber benachteiligt wird. Man wird letztlich nach dem oben Gesagten auch diesen Fall einbeziehen müssen. Auch hier wird der Beschäftigte vom Arbeitgeber als Repräsentant des Merkmals betrachtet und wie ein Merkmalsträger behandelt. Zudem wird auch bei einem allgemeinen Engagement für eine bestimmte Gruppe von Merkmalsträgern eine hinreichende emotionale Beziehung zur Gruppe bestehen, die dazu führt, dass sich der Benachteiligte derart mit dem Merkmal identifiziert, dass er es „als eigenes“ empfindet. Obwohl damit an die Beziehung zwischen Merkmalsträger und Beschäftigtem keine hohen Anforderungen zu stellen sind, erscheint es dennoch unrichtig, unter Heranziehung des effet-utile-Grundsatzes auf jegliche qualifizierte Verbindung zu verzichten.409 Denn ohne eine hinreichende Verbindung kann man kaum mehr davon sprechen, dass der Beschäftigte das Merkmal wie ein eigenes empfindet und ihn die Benachteiligung deshalb genauso trifft, wie wenn er selbst Merkmalsträger wäre.
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Vgl. Neuner, JZ 2003, S. 57 (62). Im Ergebnis ebenso Bayreuther, NZA 2008, S. 986 (987), wonach „jede enge Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten“ ausreichen muss; vgl. auch Lindner, NJW 2008, S. 2750 (2752). 409 So aber Sutschet, EuZA 2009, S. 245 (252 f); wie hier Schlachter, RdA 2010, S. 104 (109). 408
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d) Die Anspruchsberechtigung vermeintlicher Merkmalsträger Fraglich ist des Weiteren die Anspruchsberechtigung vermeintlicher Merkmalsträger. Kann etwa ein Bewerber Ansprüche stellen, den der homophobe Arbeitgeber nicht einstellt, weil er irrig von einer Homosexualität des Bewerbers ausgeht? Das Problem wird vorwiegend unter dem Schlagwort der „Putativdiskriminierung“ erörtert.410 Über das Ergebnis ist man sich dabei weitestgehend einig, lediglich die Begründung wirft Fragen auf. Die Einigkeit bezüglich des Ergebnisses überrascht nicht. Der eben bereits angesprochene § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG regelt den Fall ausdrücklich. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liegt danach auch vor, wenn der Benachteiligende das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes irrig annimmt. Die Vorschrift könnte man gerade als Beispiel dafür sehen, dass es im AGG um Verhaltenssteuerung bzw. Bestrafung und nicht um Rechtsgüterschutz geht.411 In diese Richtung geht auch eine neue Entscheidung des BAG, in der das Gericht unter Heranziehung strafrechtliche Terminologien in Bezug auf § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG von einem „Versuch am untauglichen Objekt“ spricht.412 Kontrovers diskutiert wird auch die Sinnhaftigkeit der Regelung. Während Thüsing413 jede andere Regelung für „kaum verständlich“ hielte, sieht Schlachter414 die Vorschrift kritisch, weil sie die Gefahr von professionellen Diskriminierungsklägern deutlich erhöhe. So könnten Beschäftigte geneigt sein, das Vorliegen eines Merkmals vorzutäuschen, um später Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Meines Erachtens lässt sich § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG sehr wohl mit dem Ausgleichsprinzip begründen. Die Bezeichnung als „Versuch am untauglichen Objekt“ suggeriert zwar, dass keine Rechtsverletzung als tatbestandlicher Erfolg und demnach auch kein auszugleichender Schaden vorliegen muss.415 Dies ist aber nicht zutreffend. Betrachtet man beispielhaft den Fall eines heterosexuellen Bewerbers, den der homophobe Arbeitgeber aufgrund bestimmter Äußerlichkeiten oder Verhaltensmuster für homosexuell hält und deshalb ablehnt, so wird sofort klar, dass auch hier eine Ehrverletzung vorliegt. Die Zurückweisung wird den Bewerber nicht weniger hart treffen, als wenn er tatsächlich homosexuell wäre. Oftmals wird das Gegenteil der Fall sein. Die Verbitterung eines Bewerbers darüber, bei seiner Per410
Siehe Adomeit/Mohr, NZA 2007, S. 179 (181); Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 7 AGG, Rn. 10; Greiner, DB 2010, S. 1940 ff. 411 Für Greiner, DB 2010, S. 1940 (1941) zeigt § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG deutlich, dass ein Stück „Gesinnungszivilrecht“ Einzug ins deutsche Privatrecht gehalten hat. 412 BAG, 17. 12. 2009, 8 AZR 670/08, NZA 2010, S. 383 (384); ebenso Meinel/Herms, DB 2004, S. 2370 (2371); krit. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 96; vgl. dazu bereits oben 4. Kap. A. I. 2. a) bb). 413 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 7. 414 ErfK/Schlachter, 2011, § 7 AGG, Rn. 2; vgl. auch Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 7 AGG, Rn. 12. 415 Siehe dazu bereits oben 4. Kap. A. I. 2. a) bb).
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sönlichkeitsentfaltung wegen einer Eigenschaft benachteiligt zu werden, die er gar nicht hat, wird häufig sogar größer sein. Denn ein Bewerber wird eher bereit sein, für seine tatsächlichen Persönlichkeitsmerkmale Nachteile hinzunehmen als für Merkmale, die andere nur in ihn hineininterpretieren. Genau dies will § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG jedoch ausweislich der Gesetzesbegründung verhindern. Danach416 wird durch § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG gerade berücksichtigt, dass Menschen oft bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden, z. B. dass sie allein auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes als homosexuell identifiziert werden. Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, die zu einem kompensationsfähigen immateriellen Schaden führt, liegt somit auch in den Fällen des § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG vor. Einer Präventiv- oder gar Pönalfunktion bedarf es zur Erklärung der Norm nicht. Dieser Befund wird verstärkt, wenn man sich klarmacht, dass die Vorschrift auch einen wichtigen beweisrechtlichen Zweck erfüllt, der ebenfalls dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Geschädigten dient.417 Der Diskriminierte soll von dem Nachweis entbunden werden, dass er tatsächlich, wie vom Arbeitgeber angenommen, Merkmalsträger ist.418 Andernfalls müsste im Beispielsfall der Bewerber, den der homophobe Arbeitgeber als „schwul“ identifiziert und deshalb abgelehnt hat, zur Anspruchsbegründung beweisen, dass er tatsächlich homosexuell ist!419 Dieses Ergebnis wäre jedoch absurd. Es würde auch kaum den europarechtlichen Verpflichtungen genügen, wonach gerade durch die Beweisverteilung sichergestellt werden muss, dass die Antidiskriminierungsregeln praktisch wirksam werden. Der Terminologie des BAG (untauglicher Versuch) ist letztlich aber entschieden zu widersprechen, weil sie die Gefahr grundlegender dogmatischer Fehlinterpretationen in sich birgt. Dies wird deutlich an einem Aufsatz von Greiner420. Dieser befasst sich mit dem bereits erwähnten Fall des ArbG Stuttgart, in dem eine Bewerberin wegen ihrer Herkunft aus Ostdeutschland abgewiesen wurde. Greiner vertritt die Ansicht, dass es sich um eine sanktionsbedürftige Putativdiskriminierung wegen der ethnischen Herkunft handele. Schließlich zeige § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG deutlich, dass es allein auf die subjektive Vorstellung des Arbeitgebers ankomme. Wer wegen der geographischen Herkunft benachteilige, diskriminiere in Wahrheit immer wegen der subjektiv angenommenen Ethnie. Schließlich werde das negative Vorstellungsbild dadurch verursacht, dass mit der geographischen Herkunft bestimmte abgrenzbare charakterliche, psychische, sprachliche oder körperliche
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BT-Drucks. 16/1780, S. 34. Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 7 AGG, Rn. 12 sprechen gemäß der gängigen strafrechtlichen Terminologie von „Opferschutz“. 418 Siehe Bauer/Göpfert/Krieger, a.a.O.; Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 96. 419 Siehe zu diesem Fall auch MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 7. 420 Greiner, DB 2010, S. 1940 ff. 417
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Merkmale verbunden würden.421 Es liege mithin ein untauglicher Versuch gemäß § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG vor. Dies ist keinesfalls zutreffend. Zunächst kann ein strafrechtliches Institut nicht aufgrund der ganz bestimmten Lesart einer Vorschrift auf das Zivilrecht übertragen werden, ohne dass andere, zivilrechtskonforme Lesarten auch nur in Erwägung gezogen werden. Des Weiteren sollte die (abzulehnende) Übertragung eines strafrechtlichen Instituts zumindest konsequent geschehen. Im Strafrecht kommt aber der von Greiner wohl verkannten, jedenfalls in keinem Wort erwähnten Unterscheidung zwischen strafbarem untauglichem Versuch und straflosem Wahndelikt entscheidende Bedeutung zu.422 Die Abgrenzung ist äußerst schwierig und in den Einzelheiten umstritten.423 Ein untauglicher Versuch könnte nach den im Strafrecht vertretenen Lehren aber allenfalls dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber davon ausging, dass es sich bei Ostdeutschen um eine eigene Ethnie handelt. Selbst wenn man auf eine Parallelwertung in der Laiensphäre abstellt, wird man dies aber bei einer Anknüpfung an die geographische Herkunft nicht pauschal bejahen können. Auch hierfür sind bestimmte Mindestvorstellungen über die Voraussetzungen einer Ethnie zusammen mit der (irrigen) Bejahung dieser Voraussetzungen im konkreten Fall erforderlich. Die Vorstellung, „etwas Falsches“ oder gar „Unrechtmäßiges“ zu tun (Zurückweisung aufgrund eines unsachlichen Kriteriums – Herkunft aus Ostdeutschland), begründet noch lange keinen untauglichen Versuch! Sonst hätte auch derjenige, der eine fremde Stromleitung anzapft, um Strom zu entwenden, schon vor Inkrafttreten von § 248c StGB wegen des untauglichen Versuchs eines Diebstahls gemäß §§ 242, 22, 23 Abs. 3 StGB bestraft werden können. Auch diesem Täter war sicherlich klar, dass sein Tun von der Rechtsordnung nicht akzeptiert würde. Trotzdem war er nach zutreffender Ansicht des Reichsgerichts straflos, weil Strom eben keine bewegliche Sache darstellt und der Täter sich hierüber in seiner Laienspähre auch keine falschen Vorstellungen gemacht hatte.424 Gleiches wird man für den Arbeitgeber im Fall des ArbG Stuttgart sagen können. Anzunehmen, dieser habe sich bei der Ablehnung auch nur irgendwelche Gedanken darüber gemacht, ob es sich bei Ostdeutschen um eine eigene Ethnie handelt und dies zu allem Überfluss dann 421
Greiner, DB 2010, S. 1940 (1940): „Die reine geographische Herkunft kommt als Anknüpfungspunkt eines Unwerturteils und damit einer Benachteiligung schlechthin nicht in Betracht. Zur Benachteiligung kommt es nur, wenn von der Herkunft auf bestimmte abgrenzbare, der Person anhaftende Merkmale geschlossen wird, durch die diejenigen Menschen, die aus der jeweiligen Region kommen, von anderen negativ abgrenzt werden. Das gerade in der Benachteiligung zum Ausdruck gebrachte Vorurteil, mit der geographischen Herkunft seien einstellungserhebliche Besonderheiten der Person untrennbar verbunden, macht die Benachteiligung wegen der geographischen Herkunft zu einer Putativ-Benachteiligung wegen der Ethnie“. 422 Siehe Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Zaczyk, 2010, § 22 StGB, Rn. 34 ff. 423 Ausführlich Schönke/Schröder/Eser, 2010, § 22 StGB, Rn. 78 ff; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Zaczyk, 2010, § 22 StGB, Rn. 41 ff. 424 Vgl. RG, 20. 10. 1896, 2609/96, RGSt 29, S. 111 ff; zur Entstehungsgeschichte von § 248c StGB, siehe Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kindhäuser, 2010, § 248c StGB, Rn. 1.
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entgegen der herrschenden Ansicht auch noch bejaht, kommt einer Fiktion gleich. Allenfalls wähnte der Arbeitgeber sich im Unrecht, weil er möglicherweise dachte, er dürfe dieses unsachliche Kriterium nicht anlegen. Dies entspricht jedoch der Konstellation des Wahndelikts und ist kein Fall von § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG, selbst wenn man hierin die Sanktionswürdigkeit des untauglichen Versuchs erkennen wollte.425 Greiner ist letztlich zugutezuhalten, dass seine Konstruktion dem Bestreben geschuldet sein dürfte, wertungsharmonische Ergebnisse zu erzielen. Unbefangen betrachtet ist es in der Tat schwer einzusehen, warum in dem Fall des ArbG Stuttgart kein Schadensersatz geschuldet ist, nur weil Ostdeutsche keine Ethnie sind. Solche normativen Ungereimtheiten sind jedoch gerade in der Struktur des AGG angelegt und demnach genauso unvermeidlich wie hinzunehmen. Die Beschränkung der Merkmale in § 1 AGG ist notwendig zur Wahrung gegenläufiger Interessen. Wenn im Einzelfall eine Erweiterung des Katalogs an verbotenen Merkmalen vorgenommen werden sollte, was nach dem oben Gesagten kaum zu wünschen ist,426 dann kann dies einzig durch den Gesetzgeber erfolgen, nicht aber mittels zweifelhafter Kunstgriffe durch die Wissenschaft. e) Die Anspruchsberechtigung „zu später“ Bewerber aa) Die Ansichten in der Rechtsprechung Die letzte der im Rahmen der Aktivlegitimation diskutierten Fallgruppen betrifft eine Konstellation, über die sowohl der achte427 als auch der neunte428 Senat des BAG unlängst zu entscheiden hatte. Die Entscheidung des achten Senats betraf den Fall eines schwerbehinderten Bewerbers, der sich auf eine zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits vergebene Stelle beworben hatte. Der Arbeitgeber hatte lediglich vergessen, die im Internet veröffentlichte Stellenanzeige, die keine konkrete Bewerbungsfrist enthielt, zu löschen. Allerdings hatte der Arbeitgeber es ebenfalls versäumt, vor der Schaltung der Anzeige und der Vergabe der Stelle mit der Bundesagentur für Arbeit Kontakt aufzunehmen. Gemäß § 81 Abs. 1 SGB IX hätte er dies tun müssen, um zu klären, ob die Stelle mit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen hätte besetzt werden können. Nach überwiegender Ansicht stellt ein Verstoß gegen diese Vorschrift ein Indiz dafür dar, dass die nachfolgende Zurückweisung eines 425 Vgl. Schmitz-Scholemann/Brune, RdA 2011, S. 129 (133), nach denen § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG eine Konstellation enthält, „die wir strafrechtlich wohl irgendwo zwischen Wahndelikt und untauglichem Versuch ansiedeln würden“. 426 Siehe oben 3. Kap. B. III. 3. b). 427 BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 ff; zustimmend LAG Köln, 1. 10. 2010, 4 Sa 796/10, juris, Rn. 41 ff. 428 BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 ff.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Bewerbers auf seiner Behinderung beruht.429 Gleiches gilt für den Verstoß gegen die gesetzlich vorgesehene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Auch diese war im konkreten Fall unterblieben. Trotzdem kam der achte Senat des BAG zu dem Schluss, dass dem Kläger kein Entschädigungsanspruch zustehe. Wie die Vorinstanz430 äußerte das BAG bereits Zweifel an der Aktivlegitimation des Klägers. Selbst wenn man annehme, dass der Kläger durch die Einreichung der Bewerbungsunterlagen auf die im Internet noch ausgeschriebene Stelle zum Bewerber geworden sei, so sei doch zweifelhaft, ob er in Anbetracht der zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Stellenbesetzung zum „Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis“ wurde, wie § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG fordere.431 Letztlich ließ der achte Senat diese Frage jedoch dahinstehen, da der Kläger jedenfalls als Beschäftigter keine Benachteiligung erfahren habe. Denn durch die zuvor bereits besetzte Stelle fehle es an der Vergleichbarkeit mit den übrigen Bewerbern gemäß § 3 Abs. 1 AGG. Der Kläger habe in die differenzierende Auswahlentscheidung weder einbezogen werden können, noch müssen.432 Zu einem völlig anderen Ergebnis gelangte der neunte Senat des BAG in seiner fast zeitgleich ergangenen Entscheidung, die zudem einen nahezu identischen Sachverhalt betraf. Wiederum hatte sich ein schwerbehinderter Bewerber erst nach Vergabe der Stelle beworben. Auch in diesem Fall lagen Indiztatsachen gemäß § 22 AGG vor, weil der Arbeitgeber das Verfahren nach § 81 Abs. 1 SGB IX nicht beachtet hatte. Ein Unterschied bestand jedoch darin, dass der Arbeitgeber sich selbst nicht an eine in der Ausschreibung gesetzte Frist gehalten und die Stelle vor Fristablauf besetzt hatte. Der neunte Senat entschied, dass die Besetzung einer Stelle vor Eingang einer Bewerbung eine Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG nicht generell ausschließe. Die Chance auf Einstellung oder Beförderung könne dem Bewerber auch durch eine diskriminierende Gestaltung des Bewerbungsverfahrens genommen werden, z. B. weil ein Arbeitgeber die ausgeschriebene Stelle vor Ablauf einer von ihm gesetzten Bewerbungsfrist besetzt habe, weil er das Verfahren nach § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht habe einhalten wollen oder ein diskriminierendes Verhalten des Arbeitgebers den Bewerber von einer früheren Bewerbung abgehalten habe. Dies entspreche auch der vom EuGH in seiner Feryn-Entscheidung433 geäußerten Rechtsansicht. Im konkreten Fall habe die Arbeitgeberin verhindert, dass alle schwerbehinderten Arbeitnehmer eine noch berücksichtigungsfähige Bewerbung abgeben konnten. Denn diese Arbeitnehmer hätten sich darauf verlassen dürfen, dass bis zum Fristablauf eingehende Bewerbungen noch bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt wür429
ErfK/Rolfs, 2011, § 81 SGB IX, Rn. 4; BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, juris, Rn. 35. LAG Baden-Württemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 29. 431 BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 (201). 432 BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 (201 f). 433 EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929 ff mit Anm. Lobinger, EuZA 2009, S. 365 ff. 430
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
den. Mit der nicht kommunizierten Fristverkürzung habe die Arbeitgeberin ein Verhalten gezeigt, das objektiv geeignet gewesen sei, „schwerbehinderten Beschäftigten keine oder schlechtere Chancen als die ihnen gesetzlich zustehenden einzuräumen“434. bb) Stellungnahme Das Urteil des neunten Senats überzeugt nicht. Es leuchtet nicht ein, warum allein die Besetzung der Stelle vor Ablauf der selbst gesetzten Bewerbungsfrist dazu führen soll, dass die zu späte Bewerbung berücksichtigt werden muss. Die unangekündigte Verkürzung der Frist mag zwar formal nicht korrekt gewesen sein. Eine besondere nachteilige Betroffenheit schwerbehinderter Bewerber ergibt sich daraus jedoch nicht.435 Auch jeder nichtbehinderte Bewerber, der auf die Möglichkeit einer Bewerbung während der vollen Fristdauer vertraute, wurde durch die vorgezogene Einstellungsentscheidung um seine Chance gebracht. Eine schlechtere Behandlung schwerbehinderter Bewerber stellt die Verkürzung der Frist nicht dar. Der einzige tatsächliche Unterschied zum Sachverhalt, über den der achte Senat zu entscheiden hatte, trägt das gegenteilige Ergebnis des neunten Senats somit nicht.436 Dies gilt insbesondere deshalb, weil nach Ansicht des neunten Senats bereits die Vermeidung des in § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX vorgesehenen Verfahrens Beleg für eine diskriminierende Gestaltung des Bewerbungsverfahrens und somit Auslöser eines Entschädigungsanspruchs sein soll. Eine Verletzung dieser Vorschrift lag jedoch auch im Fall des achten Senats vor. Des Weiteren überzeugt die Entscheidung des achten Senats, wenn man den Zweck des Entschädigungsanspruchs auf den Schadensausgleich beschränkt. Denn der zurückgewiesene Bewerber mag zwar eine subjektive Kränkung erfahren haben, die er angesichts des Verfahrensfehlers und der pauschalen Zurückweisung437 zunächst auch auf seine Behinderung zurückführen konnte. Als er Kenntnis davon 434 BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (157); a.A. die Vorinstanz LAG Hamm, 26. 6. 2008, 15 Sa 198/08, juris, Rn. 60 f. 435 Krit. zum Urteil des neunten Senats auch Grobys/Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2010, S. 723 (724): „Es erscheint fraglich, ob das Schwerbehindertenrecht oder die im AGG verankerten Diskriminierungsverbote tatsächlich auf eine derart formale ,Disziplinierung‘ abzielen. Wer ein Bewerbungsverfahren in Gang setzt, muss auch das Recht haben, es gegebenenfalls vorzeitig abzubrechen. Es ist kaum verständlich, dass allein das Versäumnis einer Frist die Sanktion einer Entschädigungszahlung wegen angeblicher Diskriminierung nach sich ziehen soll“. 436 Wobei der achte Senat sein konträres Ergebnis gerade mit diesem Sachverhaltsunterschied zu begründen versucht, dabei aber geflissentlich unterschlägt, dass nach Ansicht des neunten Senats die Verkürzung der Bewerbungsfrist nur ein Anzeichen von mehreren für die diskriminierende Gestaltung des Bewerbungsverfahrens ist, vgl. BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/ 09, NZA 2011, S. 200 (202) sowie BAG, 17. 8. 2010, 9 AZR 839/08, NZA 2011, S. 153 (157). 437 Die Arbeitgeberin hatte zunächst die Absage lediglich damit begründet, dass die Stelle nun anderweitig vergeben sei, nicht jedoch darauf hingewiesen, dass die Besetzung schon vor Bewerbungseingang erfolgte. Vgl. zum Sachverhalt, LAG Baden-Württemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 2 ff.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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erlangte, dass die Stelle zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs bereits vergeben war, entpuppte sich die Kränkung aber als Folge einer reinen Fehleinschätzung und eben nicht als Resultat einer tatsächlichen Benachteiligung. Zurück blieb allenfalls eine nicht kompensationsfähige Frustration über die zu späte Bewerbung. Zumindest ein kausaler Schaden lag somit nicht vor.438 Richtigerweise war jedoch bereits die Benachteiligung und somit die subjektive Rechtsverletzung zu verneinen.439 Es lag schon keine „weniger günstige Behandlung“ des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG vor. Die als Behandlung zu qualifizierende Einstellungsentscheidung konnte den Kläger mangels vorangegangener Bewerbung gar nicht treffen. Die konkrete Zurückweisung hatte ihren Grund einzig darin, dass es keine Stelle mehr zu besetzen und somit nichts mehr zu entscheiden gab. Sie war damit keine materielle „Behandlung“, sondern nichts anderes als die Mitteilung der Tatsache, dass die Bewerbung zu spät kam.440 Auch die Feryn-Entscheidung zwingt entgegen der Ansicht des neunten Senats zu keinem anderen Ergebnis.441 In dieser Entscheidung hatte der EuGH die Ansicht vertreten, die öffentliche Äußerung eines Arbeitgebers, er werde keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Rasse einstellen, begründe eine unmittelbare Diskriminierung bei der Einstellung gemäß Art. 2 II lit. a der Richtlinie 2000/43/EG, da solche Äußerungen bestimmte Bewerber ernsthaft davon abhalten könnten, ihre Bewerbungen einzureichen.442 Zunächst einmal ist die Begründung der Entscheidung alles andere als stimmig.443 Es passt kaum mit dem in den Richtlinien hervorgehobenen Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes zusammen, dass das bloße „Abhalten-Können“ bereits eine Diskriminierung darstellen muss. Die Richtlinien enthalten vielmehr zahlreiche Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass es eines konkreten Diskriminierungsopfers bedarf. Art. 2 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2000/43/EG definiert die unmittelbare Benachteiligung als ungünstigere Behandlung „eine[r] Person“. Auch Art. 7 Abs. 1 438 So auch LAG Baden-Württemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 31: Eine Klagestattgabe „verlangt auch nicht der § 15 Abs. 2 AGG innewohnende Präventionscharakter. [Zu] einer Schadenersatz- bzw. Entschädigungsverpflichtung eines nicht korrekt handelnden Arbeitgebers im Zusammenhang mit den Vorschriften des AGG [bedarf es] jedenfalls einer gewissen Kausalität zwischen Diskriminierung und eingetretenem oder vermutetem Schaden, der aber dann vollständig fehlt, wenn die Bewerbung um eine Stelle erfolgt, die zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs bereits besetzt ist“. 439 Ebenso Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 82. 440 Vgl. LAG Baden-Württemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 29: „Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs keine Entstellungsentscheidung zu treffen, sie hatte die Bewerbung des Klägers nicht mit anderen Bewerbungen zu vergleichen, sie konnte niemanden dem Kläger gegenüber bevorzugen und damit auch den Kläger nicht, auch nicht wegen seiner Behinderung, benachteiligen“. 441 So auch BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 (202); LAG BadenWürttemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 32. 442 EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929, Leitsatz 1. 443 Siehe die krit. Anmerkung von Lobinger, EuZA 2009, S. 365 (369 ff).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
der Richtlinie fordert die Mitgliedsstaaten auf sicherzustellen, dass „alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche […] geltend machen können“. Art. 7 Abs. 2, der die Beteiligung von Verbänden zur Bekämpfung von Benachteiligungen vorsieht, hat eine reine Hilfsfunktion im Rahmen des subjektiven Rechtsschutzes, wie sich schon aus dem Wortlaut444 ergibt. Der Versuch des EuGH, diese von ihm durchaus erkannten Argumente mit dem schlichten Verweis auf den achten Erwägungsgrund der Richtlinie zu widerlegen,445 misslingt. Zur Erreichung des darin angesprochenen Ziels, günstigere Bedingungen für einen Arbeitsmarkt zu schaffen, der die soziale Integration fördert, ist es keinesfalls zwingend notwendig, auch abstrakte Gefährdungen einzubeziehen. Will man dies wie der EuGH entgegen Wortlaut und Systematik der Richtlinie dennoch tun, so genügt zur Begründung die pauschale, nicht näher belegte Behauptung, dass das Ziel des achten Erwägungsgrundes andernfalls „schwerlich erreicht würde“446, kaum. Auf dem Boden der geltenden Richtlinien hätte deshalb allenfalls argumentiert werden können, dass dann, wenn eine bestimmte diskriminierende Äußerung des Arbeitgebers nachweislich dazu geführt hat, dass eine Bewerbung unterblieb, eine Benachteiligung des dann konkret verhinderten Bewerbers angenommen werden muss. Die besseren Gründe sprechen gleichwohl dafür, auch die Beantwortung dieser Frage den nationalen Rechtsordnungen zu überlassen. Denn es ist kaum verständlich, dass das europäische Recht anders als das deutsche Recht zwar keine merkmalsneutrale Ausschreibung verlangt,447 selbst wenn hierdurch konkret Bewerber abgeschreckt werden, andererseits aber andere Verhaltensweisen, die wesentlich we444 „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die gemäß den in ihrem einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung […] Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können.“ – Hervorhebungen durch den Verfasser. 445 EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929 (930 f): „Ziel der Richtlinie ist […] laut ihrem achten Erwägungsgrund, ,günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarkts zu schaffen, der die soziale Integration fördert‘. Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 I lit. a der Richtlinie, dass sie sich insbesondere auf die Auswahlkriterien und die Einstellungsbedingungen bezieht. Das Ziel, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarkts zu schaffen, der die soziale Integration fördert, würde schwerlich erreicht, wenn der Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/43/EG nur auf diejenigen Fälle beschränkt wäre, in denen ein Bewerber um eine Stelle, der erfolglos geblieben ist und sich als Opfer einer unmittelbaren Diskriminierung sieht, gerichtliche Schritte gegen den Arbeitgeber eingeleitet hätte“. 446 Ähnlich Lindner, RdA 2009, S. 45 (Fn. 16): „[Es] lässt sich aus der Zwecksetzung einer Rechtsnorm nicht ohne weiteres ableiten, dass der Normgeber sämtliche Mittel zur Zweckerreichung zulässt (also nicht nur die Sanktionierung konkreter, sondern auch abstrakter Benachteiligungen)“. 447 Siehe EuGH, 21. 5. 1985, C-248/83, NJW 1985, S. 2076 (2080): „[…] die Einfügung von § 611b BGB [kann] nicht als die Erfüllung einer durch die Richtlinie 76/207 auferlegten Verpflichtung angesehen werden, sondern diese Vorschrift [ist] als eine autonome Rechtsnorm anzusehen, die zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erlassen worden ist“.
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niger geeignet sind, Bewerbungen zu verhindern, unmittelbare Benachteiligungen darstellen sollen.448 Vorzuziehen ist es deshalb, diskriminierende Äußerungen oder diskriminierende Verhaltensweisen wie etwa die Nichteinhaltung des in § 81 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen Verfahrens als Indiz für das Vorliegen einer später stattfindenden konkreten Benachteiligung zu betrachten und damit mittelbare Konsequenzen hieran zu knüpfen.449 Liegt eine solche nachteilige Behandlung jedoch nicht vor, weil es zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs nichts mehr zu entscheiden gibt, so wäre die Bejahung eines Entschädigungsanspruchs nichts anderes als reine Abschreckung oder gar Bestrafung. Und diese Bestrafung könnte etwa in den Fällen des BAG jeder Schwerbehinderte bis zur Grenze der Verwirkung bzw. Verjährung durchsetzen. Erforderlich wäre nur eine Bewerbung auf die unter Umständen schon seit Monaten oder Jahren vergebene Stelle, die einmal entgegen § 81 Abs. 1 SGB IX besetzt worden war.450 Mit einem zivilrechtlichen Sanktionskonzept ließe sich dieses Ergebnis jedoch nicht vereinbaren. Weder § 15 Abs. 2 AGG noch § 81 Abs. 1 SGB IX stellen „Arbeitgeberbußgeldauferlegungsvorschrift[en] um ihrer selbst Willen“451 dar. Dies gilt umso mehr, als bestimmte Verfahrensverstöße, wie etwa die unterbliebene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, bereits gemäß § 156 Abs. 1 SGB IX bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten darstellen und damit auch gar kein Sanktionsbedürfnis besteht.452
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Siehe Lobinger, EuZA 2009, S. 365 (370). Auch der neunte Senat sieht in der Indizwirkung eines Verstoßes gegen § 81 SGB IX eine hinreichende Sanktion im Sinne der Feryn-Entscheidung, siehe BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/ 09, NZA 2011, S. 200 (202): „Bei identifizierbaren beschwerten Personen wird […] ein effektiver Schutz durch die Regelung der Beweislastumkehr, wie sie die Richtlinien vorsehen, gewährleistet“. 450 Vgl. Bissels, jurisPR-ArbR 32/2009 Anm. 4: „Richtigerweise muss zumindest ein (gewisser) kausaler Zusammenhang zwischen der Diskriminierung und dem Schaden bestehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich schwerbehinderte Bewerber bis zur Grenze der Verjährung/Verwirkung nachträglich auf längst besetzte Stellen, bei denen das Verfahren nach § 81 SGB IX nicht eingehalten wurde, bewerben und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen. Diese Konsequenz ist aber nicht gerechtfertigt, wenn der Verstoß gegen § 81 SGB IX und die konkrete – letztlich diskriminierungsfreie – Einstellungsentscheidung in keinerlei – nicht einmal mittelbarem – Zusammenhang mehr stehen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber bislang davon Abstand genommen hat, Verstöße gegen die arbeitgeberseitigen Pflichten aus dem SGB IX flächendeckend zu sanktionieren. Die Arbeitsgerichte sollten nicht durch die Hintertür eine entsprechende Strafbewehrung über den Umweg §§ 7, 15 AGG einführen“. 451 Siehe LAG Baden-Württemberg, 26. 3. 2009, 11 Sa 83/08, juris, Rn. 24; ähnlich Grobys/ Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2010, S. 723 (724); vgl. auch Bayreuther, NZA 2008, S. 986 (989), der infolge der Feryn-Entscheidung für die Einführung eines separaten öffentlichrechtlichen Sanktionsinstrumentariums (Ordnungswidrigkeitentatbestand) in das AGG plädiert. 452 So auch BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 (202). 449
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
2. Die Passivlegitimation a) Die Haftung des Arbeitgebers als Normalfall § 15 AGG nennt als Verpflichteten lediglich den Arbeitgeber. Dieser ist in § 6 Abs. 2 AGG legal definiert. Voraussetzung ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG ist bei der Leiharbeit auch der Entleiher als Arbeitgeber anzusehen. Das auf Restitution gerichtete Schutzrecht scheint demnach nicht das gesamte Substanzrecht zu erfassen. Denn, wie gezeigt, wird in § 7 Abs. 1 AGG eine absolute Rechtsposition zugewiesen.453 Angesichts der Tatsache, dass in aller Regel der Arbeitgeber Urheber der Diskriminierung sein wird und für gewöhnlich auch nur er die spezifisch persönlichkeitsrechtsverletzende Handlung vornehmen kann,454 erscheint die Beschränkung in § 15 AGG als nachvollziehbar. b) Die Sonderkonstellationen – Ansichten in Rechtsprechung und Literatur Andererseits wurde oben455 bereits angesprochen, dass zumindest drei weitere Gruppen Personalauswahlentscheidungen treffen oder maßgeblich bestimmen können: externe Personalberatungsunternehmen, Beschäftigte in der Personalabteilung sowie Kunden.456 Ihre Haftung soll nun im Folgenden untersucht werden. 453
Vgl. oben 3. Kap. B. V. 2. Dies gilt zumindest für die hier besonders interessierenden Benachteiligungsformen in §§ 3 Abs. 1 und 2 AGG. Bei (sexuellen) Belästigungen gemäß §§ 3 Abs. 3 und 4 AGG kommen demgegenüber regelmäßig auch bzw. gerade die Kollegen als Rechtsverletzter in Betracht. Vgl. zum Unterschied der Benachteiligungsvarianten unten 4. Kap. A. II. 3. a). 455 3. Kap. B. V. 2. b) aa). 456 Freilich sind dies nicht alle Fallgruppen, in denen Dritte als Anspruchsgegner in Betracht kommen. Das ArbG Düsseldorf, 18. 9. 2007, 7 Ca 1969/07, juris, hatte bspw. einen Fall zu entscheiden, in dem die Personalauswahl durch die beklagte Konzernmutter der Arbeitgeberin erfolgt war. Diese Konstellation ist jedoch dem Fall der Auswahl durch ein externes Personalberatungsunternehmern so ähnlich, dass auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden kann. Besonders problematisch ist des Weiteren die Haftung von Tarifvertragsparteien, die diskriminierende Regelungen schaffen. § 15 Abs. 3 AGG trifft hierzu keine Aussage, sondern beschränkt lediglich die Haftung des Arbeitgebers für diesen Fall. Eine genaue Untersuchung dieser Problematik würde zunächst die Klärung des Legitimationsgrundes tarifvertraglicher Regelungen voraussetzen (dazu etwa Bayreuther, Tarifautonomie, S. 169 ff m.w.N.). Geht man mit der h.L. (etwa ErfK/Dieterich, 2011, Art. 9 GG, Rn. 51 ff) von einem echten normativen Verständnis aus, so würde sich die Haftung der Tarifvertragsparteien als Haftung für legislatives Unrecht darstellen (siehe Wiedemann, NZA 2007, S. 950 [954]), die ganz eigenen Grundsätzen folgt. Anders wäre dies hingegen dann, wenn man die Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie betrachtet und ein streng mandatarisches Verständnis zugrunde legt (dafür etwa Picker, NZA 2002, S. 761 [768 f]; das BAG schwankt permanent zwischen einem mandatarischen und einer delegatarischen Verständnis der Legitimation der Tarifautonomie, siehe 454
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aa) Die Haftung von Personalberatungsunternehmen Die Haftung von externen Personalberatungsunternehmen für benachteiligende Nichteinstellungen wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Umstritten ist bereits, ob eine solche Haftung sich aus § 15 AGG ergeben kann. Überwiegend wird dies wegen der Nennung des Arbeitgebers in § 15 Abs. 1 AGG und der Legaldefinition in § 6 Abs. 2 AGG, die Personalberatungsfirmen nicht nennt, verneint.457 Für § 15 Abs. 1 AGG besteht demnach auch weitgehend Einigkeit, dass hiernach nur der Arbeitgeber für Vermögensschäden einzustehen hat.458 Bei den Nichtvermögensschäden ist dies jedoch bereits anders. § 15 Abs. 2 AGG nennt den Arbeitgeber als Anspruchsgegner nicht. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, weil es sich der Systematik nach ersichtlich um eine bloße haftungs-
hierzu die Kritik von Lobinger/Hartmann, RdA 2010, S. 235 [240 f]). Da dies einen höchst umstrittenen und komplexen Problemkreis betrifft, würde eine genaue Untersuchung der Haftung der Tarifvertragsparteien für diskriminierendes Tarifrecht den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Siehe zur Problematik: Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 3 AGG, Rn. 91 ff, der eine gesamtschuldnerische Haftung der Tarifvertragsparteien neben dem Arbeitgeber wegen einer Anweisung zur Diskriminierung gemäß § 3 Abs. 5 AGG im Außenverhältnis befürwortet, im Innenverhältnis aber nur den Arbeitgeber haften lassen will, weil das deutsche Recht eine Haftung für legislatives Unrecht grundsätzlich nicht kenne. Eine Unterscheidung zwischen normativer und einzelvertraglicher Tarifbindung trifft Deinert nicht; a.A. Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 3 AGG, Rn. 56 ff sowie Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 3 AGG, Rn. 169 ff, die nur bei normativer Tarifbindung eine Haftung der Tarifvertragsparteien neben dem Arbeitgeber befürworten, wobei im Innenverhältnis nicht der Arbeitgeber, sondern die Tarifvertragsparteien je zur Hälfte haften sollen; Dornbusch/Kasprzyk, NZA 2009, S. 1000 (1002) wollen sogar nur die Tarifvertragsparteien als Urheber der Diskriminierung (gesamtschuldnerisch) haften lassen, den Arbeitgeber aber von der Haftung befreien; siehe auch Krebber, EuZA 2009, S. 200 (216, insb. Fn. 66), der eine Haftung der Tarifvertragsparteien für diskriminierendes Tarifrecht im geltenden Recht für „kaum [zu] konstruieren“ erachtet. Die Lösung über § 3 Abs. 5 AGG überdehne den Begriff der Anweisung; ebenso Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 60; auch ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12 sowie MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 40 lehnen eine Haftung der Tarifvertragsparteien de lege lata ab; vgl. auch Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (954): „Die Richtlinien und das Umsetzungsgesetz wollen keine Verantwortung der Parteien des Tarifvertrages oder der Betriebsvereinbarung für ,legislatives Unrecht‘ begründen“; auch die Gesetzesbegründung spricht gegen eine Haftung der Tarifvertragsparteien, BT-Drucks. 16/1780, S. 38: „Eine Haftung der vertragsschließenden Tarifvertragsparteien bzw. Betriebsparteien fordert das europäische Recht nicht und wird auch durch dieses Gesetz nicht begründet“. 457 Schwab, NZA 2007, S. 178 (179); Fischer, NJW 2009, S. 3547 (3548); Adomeit/Mohr, FS Kreutz, S. 3 (5 f); vgl. auch ArbG Düsseldorf, 18. 9. 2007, 7 Ca 1969/07 mit. Anm. Mohr, SAE 2008, S. 106 ff; bestätigt durch LAG Düsseldorf, 14. 2. 2008, 11 Sa 1939/07, juris, Rn. 48 f. 458 Statt aller Stoffels, RdA 2009, S. 204 (207); auch v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 35, der bislang für eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 1 AGG auf benachteiligende Dritte plädierte, hat seine Ansicht mittlerweile aufgegeben.
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ausfüllende Norm handelt.459 § 15 Abs. 2 AGG enthält keinerlei haftungsbegründende Voraussetzungen, auch der für die Haftung zentrale Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG ist nur in § 15 Abs. 1 AGG genannt. Dennoch interpretieren Teile der Literatur460 und ihr folgend das BAG461 § 15 Abs. 2 AGG als eigenständige Anspruchsgrundlage. So sei es möglich, das angeblich462 richtlinienwidrige Ergebnis einer Übertragung des Verschuldenserfordernisses aus § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG auf den Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu vermeiden. Auf die Annahme, bei § 15 Abs. 2 AGG handele es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, stützen schließlich diejenigen Autoren ihre Argumentation, die sich für eine Haftung Dritter, vor allem externer Personalberatungsfirmen, aussprechen. Schlacher ist der Ansicht, dass „[o]bwohl sich die Ansprüche der übrigen Absätze [von § 15 AGG] ausdrücklich nur gegen den Arbeitgeber richten, […] dies keine zwingende Vorgabe für Abs. 2 [sei]“463. Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Entschädigung wegen Benachteiligung im Bewerbungsverfahren auch gegen solche Dritte geltend gemacht werden könne, denen der Arbeitgeber das Vorauswahlverfahren übertragen habe.464 Auch Diller465 gelangt zu einer Haftung des externen Personalberaters, wobei er nicht § 15 Abs. 2 AGG, sondern die c.i.c.-Regeln sowie den Gedanken der Sachwalterhaftung aus § 311 Abs. 3 BGB zur Begründung heranzieht. Bediene der Arbeitgeber sich eines Personalberaters bzw. Headhunters dergestalt, dass dieser die Vorauswahl mache und letztlich nur den oder die besten Kandidaten dem Arbeitgeber präsentiere, so sei der Personalberater „Herr der Vorauswahl“. Sinn der Einschaltung des Personalberaters sei es für den Arbeitgeber gerade, dass er mit dem Schalten der Anzeige, dem Sichten der Bewerbungen, der Vorauswahl und den ersten Vorstellungsgesprächen nichts zu tun haben wolle. Deswegen spreche viel dafür, in solchen Fällen dem diskriminierten Bewerber einen Entschädigungsanspruch direkt gegen denjenigen zuzusprechen, der Urheber der Diskriminierung sei. Andererseits sei der Arbeitgeber in diesen Fällen von der Haftung befreit.466 459 Siehe Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15, Rn. 54; Adomeit/ Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 35; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 31; MüKo-BGB/ Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 5; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 5. 460 In der Literatur betrachten § 15 Abs. 2 AGG als eigene Anspruchsgrundlage: Meinel/ Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 56 ff; Willemsen/Schweibert NJW 2006, S. 2583 (2589); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 26; Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 6; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 9. 461 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951). 462 Zur Unrichtigkeit dieser Ansicht, siehe unten 4. Kap. A. II. 4. d). 463 ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 5; ebenso v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 ff. 464 ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 5. 465 Diller, NZA 2007, S. 649 ff. 466 Diller, NZA 2007, S. 649 (651 f).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Diese letztgenannten Ansichten spiegeln jedoch nicht die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur wider. Diese geht vielmehr davon ausgeht, dass einzig der Arbeitgeber haftet und nur er passiv legitimiert für den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ist.467 Fischer468, der diese herrschende Ansicht grundsätzlich teilt, hat jedoch Bedenken hinsichtlich der Europarechtskonformität des Ergebnisses.469 Die dem AGG zugrunde liegenden Richtlinien beschränkten sich im Geltungsbereich nicht auf den Arbeitgeber. Nach dem Wortlaut und der Zielsetzung der Richtlinien bestehe ein Diskriminierungsverbot für alle, die mit der Einstellung von Bewerbern befasst seien. Fischer schlägt deshalb eine richtlinienkonforme Auslegung von § 15 Abs. 2 AGG dahingehend vor, dass einem diskriminierten Bewerber ein Entschädigungsanspruch nicht nur gegen den Arbeitgeber, sondern auch gegen einen Dritten, den der Arbeitgeber mit der Personalauswahl beauftragt hat, zustehen soll.470 Kamanabrou471 betont ebenfalls, dass die einschlägigen Richtlinien lediglich von notwendigen Sanktionen bei Verstößen gegen die nationalen Umsetzungsvorschriften sprechen, jedoch nicht vorsehen, um wessen Verstöße es sich handelt und wer haften soll. Hinzu komme, dass die Rechtsprechung des EuGH immer darauf abgezielt habe, den Urheber der Diskriminierung zu belangen. Eine reine Haftung des Arbeitgebers sei damit nicht vereinbar, zumal in einigen Fällen die Zurechnung benachteiligenden Drittverhaltens zum Arbeitgeber nur schwer möglich sei und demnach hier eine Haftungslücke drohe. Zudem führe es zu einer „totalen Schieflage der Haftung“, wenn Dritte, die im Arbeitsleben diskriminieren, nicht haften sollen, der Arbeitgeber aber bis zum Exzess (verschuldensunabhängig) einzustehen habe.472 Kamanabrou fordert deshalb de lege ferenda die Einführung einer Regelung zur Haftung benachteiligender Dritter entsprechend der Haftung des Arbeitgebers. bb) Die Haftung anderer Beschäftigter Ist die AGG-Haftung von Personalberatungsunternehmen noch umstritten, besteht doch weitestgehend Einigkeit darin, dass andere Arbeitnehmer nicht in gleichem Umfang wie der Arbeitgeber haften sollen. Diller etwa, der sich für die Haftung externer Personalberater ausspricht, lehnt die Passivlegitimation von Beschäftigten 467
Jacobs, RdA 2009, S. 193 (195) m.w.N. in Fn. 24; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15, Rn. 8 f; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 45 sowie 145; Adomeit/Mohr, FS Kreutz, S. 3 (7 f); Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 28; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 1; LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (130); ArbG Düsseldorf, 18. 9. 2007, 7 Ca 1969/07, juris, Rn. 39 ff, bestätigt durch LAG Düsseldorf, 14. 2. 2008, 11 Sa 1939/07, juris, Rn. 48 f. 468 Fischer, NJW 2009, S. 3547 ff. 469 Ebenso v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 b. 470 Fischer, NJW 2009, S. 3547 (3548). 471 Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (340). 472 Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (343).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
der Personalabteilung ab. Er zieht diese nicht einmal ernsthaft in Erwägung. Vielmehr dient ihm umgekehrt die Annahme, dass etwa der diskriminierende Personalleiter nicht persönlich haftet, als Beleg für den vertraglichen Charakter von § 15 Abs. 2 AGG: „[I]n der Tat [muss] § 15 Abs. 2 AGG als vertraglicher Anspruch verstanden werden […] (sonst würde ein benachteiligender Personalchef persönlich auf Entschädigung haften, während sich der Arbeitgeber regelmäßig über § 831 BGB exkulpieren könnte!)“473.
Auch sonst wird nahezu ausnahmslos die Haftung benachteiligender Beschäftigter nach dem AGG verneint und lediglich eine Haftung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 823 Abs. 1, 826 BGB sowie §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 174 ff StGB in Betracht gezogen.474 Allerdings wird vielfach vertreten, dass auch § 7 Abs. 1 AGG (und nicht nur §§ 174 ff StGB) Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei.475 Was hieraus für die Haftung Dritter folgt, wird dann aber zumeist offengelassen. Schleusener/Suckow/Voigt beispielsweise betrachten § 7 Abs. 1 AGG ohne Weiteres als Schutzgesetz476 und vertreten zudem mit der herrschenden Ansicht die These, dass sich § 7 Abs. 1 AGG an jedermann richte.477 Ob daraus aber auch folgt, dass unmittelbar benachteiligende Dritte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG haften sollen oder dies nur zu einem mit § 15 Abs. 2 AGG konkurrierenden Anspruch gegen den Arbeitgeber führt, bleibt wie auch bei den meisten478 anderen Autoren unklar. Diejenigen, die § 7 Abs. 1 AGG nicht als Schutzgesetz im Sinne des 473 Diller, NZA 2007, S. 649 (651); Warum die Haftung des Personalleiters jedoch so problematisch wäre, schreibt Diller nicht. Berücksichtigt man die Möglichkeit des Personalchefs, im Innenverhältnis zum Arbeitgeber Freistellung nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zu verlangen, erscheint eine Außenhaftung als erwägenswert (und m. E. als vorzugswürdig, s.u.). Zudem ist Dillers These, dass eine Exkulpation gemäß § 831 BGB dem Arbeitgeber regelmäßig gelingen würde, sachlich unzutreffend, da § 12 AGG dem Arbeitgeber umfassende Überwachungs-, Auswahl- und Organisationspflichten auferlegt. 474 Siehe etwa Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 146; vgl. auch Däubler/ Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 299, der sogar vertragliche Ansprüche zwischen den Beschäftigen zulassen will, da § 7 Abs. 3 AGG die Wertung zu entnehmen sei, dass der Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem hier ausnahmsweise Schutzwirkung zugunsten der anderen Beschäftigten entfalte. 475 Palandt/Weidenkaff, 2010, § 7 AGG, Rn. 7; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 7; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 7; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 124; Schrader/Schubert, AGG, S. 149, Rn. 480; Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 67; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 91; Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG, Rn. 51; v. Roetteken, AGG, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 24; LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (131). 476 Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 26. 477 Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 7 AGG, Rn. 4. 478 Lediglich vereinzelt und dann zumeist auch ohne Begründung und ohne Erörterung der Haftungsvoraussetzungen wird vertreten, dass der einen Kollegen diskriminierende Arbeitnehmer gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG haftet, so Steinkühler, AGG, 2007, Rn. 151; Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG, Rn. 51; etwas ausführlicher v. Roetteken, AGG, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 24.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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§ 823 Abs. 2 BGB anerkennen wollen,479 tun dies oftmals gerade, um eine Haftung Dritter zu vermeiden.480 Ganz vereinzelt wird jedoch die Haftung diskriminierender Beschäftigter unmittelbar nach dem AGG bejaht. So vertritt v. Roetteken481 die Ansicht, dass auch benachteiligende Kollegen gemäß § 15 Abs. 2 AGG haften. Dabei beruft er sich maßgeblich auf den weiten Umfang des Verbots in § 7 Abs. 1 AGG. Mit dieser Norm müsse ein „Gleichklang“ hergestellt werden.482 Nach Ansicht v. Roettekens ist § 15 Abs. 2 AGG gegenüber benachteiligenden Dritten als „deliktische[r] Anspruch eigener Art“ anzusehen.483 cc) Die Haftung diskriminierender Kunden Weitgehende Einigkeit besteht in der Literatur insoweit, als die Haftung diskriminierender Kunden soweit ersichtlich nirgends ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Auch v. Roetteken geht hierauf nicht ein. Die Fälle diskriminierender Kundenerwartungen werden zwar in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert. Es geht dabei aber regelmäßig nur um die Frage, ob diese Kundenerwartungen die Benachteiligung durch den Arbeitgeber rechtfertigen können und deshalb die Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen ist.484 Ob anstelle des Arbeitgebers oder neben ihm auch der Dritte haftet, bleibt offen. In der Rechtsprechung wurde die Haftung eines diskriminierenden Kunden nach dem AGG jedoch bereits einmal relevant. Und zwar in dem oben485 bereits beschriebenen „Messefall“. Zur Erinnerung: Die Beklagte zu 1, die Messedienstleistungen anbot, hatte die Klägerin aus Altersgründen abgelehnt, weil sie diesbezügliche Vorgaben der Beklagten zu 2, einer Messebetreiberin, als zwingend erachtete. Die Beklagte zu 2 war die wichtigste Kundin der Beklagten zu 1. Es handelt sich mithin um einen klassischen Fall diskriminierenden Kundenverhaltens. Die Beklagte zu 2 hatte der Beklagten zu 1 altersdiskriminierende Vorgaben für deren Einstellungspraxis gemacht. Da diese sich hieran gebunden sah, 479 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 50; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 562; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 110; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 7 AGG, Rn. 7; Hanau, ZIP 2006, S. 2189 (2200). 480 Siehe Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 110: „Durch die Einordnung als Schutzgesetz würde die alleinige Verantwortlichkeit des Arbeitgebers gemäß § 6 Abs. 2 AGG umgangen. Über § 823 Abs. 2 BGB könnten nämlich auch Ansprüche gegenüber Dritten geltend gemacht werden“. 481 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 ff. 482 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 b. 483 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 a. 484 Siehe dazu etwa Krause, FS Adomeit, S. 377 ff sowie Lobinger, EuZA 2009, S. 365 (371 ff). 485 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (3).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
wurde die klagende Bewerberin zurückgewiesen. Eigentliche Urheberin der Diskriminierung war damit die Beklagte zu 2. Das in der Berufung mit dem Fall befasste LAG Niedersachsen486 prüfte zunächst einen Anspruch gegen die Beklagte zu 2 aus § 15 Abs. 2 AGG. Mit der herrschenden Ansicht verneinte es jedoch eine Haftung Dritter nach dieser Vorschrift, weil sich aus der systematischen und historischen Auslegung ergebe, dass nur die Arbeitgeberin passiv legitimiert für den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG sei.487 Es folgten umfangreiche Ausführungen zu der Frage, ob ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorlag und die Beklagte zu 2 demnach gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG als Arbeitgeberin im Sinne des AGG angesehen werden konnte. Wenig überraschend verneinte das Gericht dies und wendete sich sodann § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG zu. Trotz Unterstellung eines Verstoßes der Beklagten zu 2 gegen § 7 Abs. 1 AGG und trotz Bejahung des Charakters der Vorschrift als Schutzgesetz verneinte das LAG auch diesen Anspruch. Dabei griff das Gericht auf die Rechtsprechung des BGH zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurück. Die vom BGH aufgestellte Voraussetzung einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung sei auch im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG zu prüfen, „da es bei den deliktsrechtlichen Voraussetzungen bleib[e] und nur das Schutzgesetz dem § 7 Abs. 1 AGG entnommen [werde]“488. Eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung konnte das LAG dem Sachverhalt jedoch nicht entnehmen. Folglich wurde die Klage gegen die Beklagte zu 2 abgewiesen. dd) Die Konsequenz der h.M.: Umfassende Zurechung von Drittverhalten zum Arbeitgeber Spricht sich die vorherrschende Ansicht somit weitestgehend gegen eine unmittelbare Haftung diskriminierender Dritter aus, so versucht sie die entstehende Haftungslücke durch eine weite Zurechnung diskriminierenden Drittverhaltens zum Arbeitgeber zu schließen.489 Überwiegend wird dafür plädiert, § 278 BGB auf § 15 AGG anzuwenden, ohne dass danach differenziert wird, ob ein (vor-)vertragliches Schuldverhältnis vorliegt oder, was bei Bewerberdiskriminierungen nicht selten ist,490 ein solches nicht ange-
486 Das nachfolgende Urteil des BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff befasste sich nicht mehr mit dieser Frage, weil die Revision sich hierauf nicht erstreckte. 487 LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (130). 488 LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 (131). 489 Der direkte Zusammenhang wird bei Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1090) besonders deutlich: „§ 15 AGG erklärt ausschließlich den Arbeitgeber für passivlegitimiert […]. Diese Kanalisierung erfordert als Komplement eine umfassende Zurechnung von Benachteiligungen […]. Der Arbeitgeber haftet im Außenverhältnis und kann auf der Grundlage von §§ 280 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 3 AGG Regress im Innenverhältnis nehmen. Zudem lassen sich nur auf diese Weise breite Sanktionslücken schließen“. 490 Siehe oben 3. Kap. B. V. 2. b) bb).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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nommen werden kann.491 Darüber hinaus wird § 278 BGB sehr exzessiv ausgelegt und eine Benachteiligung bei Erfüllung einer Verbindlichkeit schon dann bejaht, wenn das Verhalten in irgendeinem Zusammenhang zur Arbeit steht. Dies soll etwa bei (sexuellen) Belästigungen durch Vorgesetzte ganz regelmäßig der Fall sein,492 weshalb der Arbeitgeber hierfür unabhängig davon einzustehen habe, ob er ausreichende Vorkehrungen gegen solche Belästigungen getroffen habe oder nicht. Manche493 vertreten sogar die Ansicht, dass zur Erfüllung der den Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 4 AGG treffenden Pflicht, die Arbeitnehmer vor Diskriminierungen zu schützen, jeder Beschäftigte gegenüber seinen Kollegen berufen sei. Denn der Arbeitgeber werde sich regelmäßig aller Beschäftigter bedienen, um diese Schutzpflicht zu erfüllen. Demnach sei dem Arbeitgeber das diskriminierende Verhalten eines Beschäftigten gegenüber einem anderen Beschäftigten unabhängig von der Vorgesetztenfunktion gemäß § 278 BGB immer zuzurechnen.494 Die Anwendung von § 278 BGB bereitet allerdings insoweit Schwierigkeiten, als zumindest bei § 15 Abs. 2 AGG ein Vertretenmüssen nach herrschender Meinung überhaupt nicht verlangt ist495 und § 278 BGB zunächst lediglich eine Verschuldenszurechnung bewirkt. Insoweit wird vertreten, § 278 BGB analog anzuwenden und hierüber eine objektive Zurechnung des diskriminierenden Verhaltens vorzunehmen.496 Auch das BAG hatte bereits zu § 611a BGB die Ansicht vertreten, dass der Arbeitgeber sich das diskriminierende Verhalten eines von ihm eingeschalteten Dritten (dort der Bundesagentur für Arbeit, die eine nicht geschlechtsneutrale Stellenanzeige formuliert hatte) umfassend und verschuldensunabhängig zurechnen lassen müsse. Dabei hatte das Gericht jedoch die Frage nach der Zurechnungsnorm ausdrücklich offengelassen und ausgeführt: „Es geht […] nicht um die Zurechnung des Verschuldens des eingeschalteten Dritten, sondern allein um die Zurechnung von dessen Handlungsbeitrag […]. Im Ergebnis besteht jedenfalls eine volle Verantwortlichkeit desjenigen, der sich des Dritten bedient“497. 491
Siehe Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1090); vgl. auch KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 15 f; BeckOK-BGB/Fuchs, Stand: 1. 2. 2010, § 7 AGG, Rn. 51; Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 10. 492 So Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 298; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (209); a.A. Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (894). 493 Siehe BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 3 AGG, Rn. 37. 494 Vgl. auch Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 18 ff, die es für „dogmatisch begründbar“ halten, jeden Beschäftigten als Erfüllungsgehilfen im Hinblick auf die dem Arbeitgeber gegenüber allen Beschäftigten obliegende Fürsorgepflicht anzusehen, im Endeffekt aber eine solche weite Zurechnung über § 278 BGB ablehnen. 495 Dazu sogleich. 496 Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 41 ff; vgl. auch Simon/Greßlin, BB 2007, S. 1782 (1783). 497 BAG, 5. 2. 2004, 8 AZR 112/03, NZA 2004, S. 540 (544); vgl. auch LAG Hamm, 24. 4. 2008, 11 Sa 95/08, juris, zu dem Fall, in dem eine geschlechtsneutrale Ausschreibung der Bundesagentur für Arbeit vom Internetportal „meinestadt.de“ verkürzt und in diskriminierender Form publiziert wurde.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Vereinzelt wird auf dem Boden der herrschenden Meinung allerdings versucht, eine ausufernde Haftung des Arbeitgebers für diskriminierendes Drittverhalten einzudämmen. So wird vertreten, die Erfüllungsgehilfeneigenschaft sei nur bei weisungsbefugten Vorgesetzten zu bejahen.498 Andere sind der Ansicht, dass es letztlich doch auf eine diskriminierende Handlung des Arbeitgebers ankomme und dieser dann nicht hafte, wenn er alles seinerseits Erforderliche getan habe, um die Benachteiligung zu verhindern, insbesondere seinen Schulungs- und Organisationspflichten aus § 12 AGG nachgekommen sei.499 Adomeit/Mohr wollen, obwohl sie § 15 AGG als (vor-)vertragliche Vorschrift einordnen, nicht § 278 BGB, sondern § 831 BGB analog mitsamt der Exkulpationsmöglichkeit anwenden.500 Auch laut Schwab bietet sich eine solche Lösung an.501 c) Stellungnahme aa) Das „Ob“ der Haftung Dritter Die Funktion der Schutzrechte, die Sicherung der zugewiesenen Rechtsposition zu gewährleisten, lässt zunächst keinen zwingenden Rückschluss auf die Person des Anspruchsgegners zu. Vielmehr muss überhaupt nur gewährleistet sein, dass es einen umfassenden Schutz des Substanzrechts gibt, weil ansonsten die Rechtszuweisung sinnlos wäre. Ob der Schadensersatzanspruch als Teil der Trias an Schutzrechten sich gegen den unmittelbaren Schädiger (bspw. den Personalvermittler) oder gegen einen Dritten (den Arbeitgeber) richtet, ist hierfür zunächst bedeutungslos. (1) Allgemeine Gründe für die Haftung Dritter Trotzdem erscheint es bereits aus rein nationaler Perspektive als vorzugswürdig, auch den tatsächlichen Urheber der Diskriminierung als Anspruchsgegner heranzuziehen. Gerade wenn man § 7 Abs. 1 AGG als Zuweisung einer gegenüber jedermann geschützten Rechtsposition begreift, wäre eine Haftung beschränkt auf eine
498 Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (894); a.A. Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 140: „zu eng“. 499 So Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, AGG, S. 343, Rn. 56; siehe auch Lehmann, S. 28: „Einem Arbeitgeber, der sich vorbildlich in Bezug auf alle an ihn gestellten unionsrechtlichen und nationalen Anforderungen verhält, eine Gefährdungshaftung für das Verhalten Dritter aufzubürden, auf die er selbst mit seinem vorbildlichen Verhalten (inkl. Schulungen etc.) keinen Einfluss hat, dafür besteht keine Notwendigkeit“; a.A. Stoffels, RdA 2009, S. 204 (209); Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 15; Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (894). 500 Adomeit/Mohr, NJW 2007, S. 2522 (2524); dies., 2007, § 3 AGG, Rn. 177 ff; dies., NZA 2007, S. 179 (182); a.A. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 298, der meint, die Gesetzestreue stehe einer solchen These entgegen. 501 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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bestimmte Schädigergruppe ein Novum im deutschen Deliktsrecht.502 Eine direkte Haftung der unmittelbaren Schädiger vermeidet auch die von Kamanabrou angesprochene „Schieflage der Haftung“ und die exzessive Ausdehnung der Zurechnung schädigenden Drittverhaltens zum Arbeitgeber. Diese übermäßige Zurechnung erscheint der herrschenden Ansicht gerade deshalb als unumgänglich, da ansonsten der Geschädigte keine Kompensation für die verletzte Rechtsposition erlangen würde, weil die Haftung per se nur den Arbeitgeber treffen können soll. Warum der Arbeitgeber jedoch gemäß § 278 BGB i.V.m. § 7 Abs. 3 AGG auch über die Fälle des Vorliegens einer vorvertraglichen Sonderverbindung hinaus503 für schädigendes Drittverhalten umfassend verschuldensunabhängig504 einstehen soll, ist noch schwerer verständlich als die Anwendung von § 278 BGB in den Fällen der culpa in contrahendo selbst.505 Indes soll hier nicht versucht werden, die in vielerlei Hinsicht rätselhafte Vorschrift des § 278 BGB zu entschlüsseln.506 Ihren Anwendungsbereich jedoch über die herkömmlichen c.i.c.-Fälle hinaus weit in den außervertraglichen Bereich hinein auszudehnen, erscheint bereits angesichts der deliktischen Sonderregelung in § 831 BGB als falsch.507 Zumal in § 831 BGB der deliktsrechtliche Grundsatz zum Ausdruck kommt, dass eine Zurechnung nur beim Vorliegen eines zumindest sorgfaltspflichtwidrigen eigenen Verhaltens (Auswahl- oder Überwachungsverschulden) möglich ist.508 Mag das Verschuldensprinzip im vertraglichen Bereich auf dem Rückzug sein;509 es dominiert doch weiterhin im Deliktsrecht, und das aus guten Gründen.510 502 Siehe v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 b, der § 15 Abs. 2 AGG auf alle benachteiligenden Dritten anwenden will, weil nur so der „erforderliche Gleichklang mit § 7 Abs. 1 AGG hergestellt“ werde. 503 Wie gezeigt liegt in den bedeutenden Fällen der Bewerberdiskriminierung oftmals gar keine Sonderverbindung vor, siehe oben 3. Kap. B. V. 2. b) bb). 504 Vgl. MüKo-BGB/Grundmann, 2007, § 278 BGB, Rn. 3 m.w.N. 505 Dazu ausführlich Fundel, S. 92 ff; wobei eines der Ziele, das mit der Konstruktion der c.i.c. erreicht werden sollte, gerade die Umgehung der als lästig empfundenen Exkulpationsmöglichkeit des § 831 BGB und die Anwendung von § 278 BGB war, dazu Medicus/Petersen, BR, 2009, Rn. 800. Die Anwendung von § 278 BGB auf „deliktische“ Tatbestände im Rahmen der Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB, d. h. auf solche Fälle, für die das Leistungsversprechen ohne Relevanz ist, ist allerdings wegen der großen Bedeutung des Verschuldensprinzips nicht frei von Zweifeln. Siehe dazu unten 4. Kap. A. II. 4. 506 Vgl. zu den Erklärungsmodellen Fundel, S. 56 ff; Delmere, S. 67 ff. 507 Krit. zur Tendenz der ständigen Ausweitung von § 278 BGB Soergel/Wiedemann, 1990, vor § 275 BGB, Rn. 179; siehe auch Fundel, S. 57: „Anwendungsvoraussetzung der Haftung für Verschulden des Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB [ist] das Bestehen eines Schuldverhältnisses […]. Die Durchbrechung des Verschuldensprinzips ist nach dem geltenden Recht nur möglich, soweit ein Gehilfe in das Pflichtenverhältnis von durch das Schuldverhältnis bestimmten Personen eingeschaltet wird. Das Einschalten in eine gegenüber jedermann bestehende Pflicht genügt nach der bestehenden Rechtsordnung nicht, um eine Durchbrechung des Schuldprinzips zu rechtfertigen“. 508 Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1168. 509 Siehe Schneider, S. 289 ff, der sich für eine umfassende vertragliche Garantiehaftung ausspricht; ähnlich Sutschet, Garantiehaftung, für den die vertragliche Haftung auf das Er-
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Schwab verweist für die Frage der Zurechnung des Verhaltens von Hilfspersonen zutreffend darauf, dass „[w]enn das AGG den Kreis der Schuldverhältnisse [und damit zusammenhängend auch die Haftung für Hilfspersonen] über die §§ 241, 311 Abs. 2 und 3 [i.V.m. § 278 BGB] hinaus hätte erweitern wollen, dann hätte dieser gravierende Eingriff in das modernisierte Schuldrecht klar ausgesprochen werden müssen“511. Meines Erachtens ist deshalb, wie von Adomeit/Mohr512 und Schwab513 vorgeschlagen, § 831 BGB analog auf § 15 AGG anzuwenden.514 füllungsinteresse eine Garantiehaftung darstellt (S. 250 ff; 309), die Haftung auf das Integritätsinteresse demgegenüber nur dann eine Garantiehaftung ist, wenn ein Erfolg (Unversehrtheit des Rechtsgutes) und nicht lediglich ein Verhalten versprochen ist (S. 284 ff; 316). Ansonsten sei hier, wie im außervertraglichen Bereich, weiter das Verschuldensprinzip maßgebend. 510 So zu recht Kreuzer, FS Lorenz, S. 123 (124); vgl. auch E.Schmidt, AcP 170 (1970), S. 501 (531 f): „Der gesteigerte soziale Kontakt mit seinen besonderen Vertrauensgewährungen und -erwartungen ist es, der die weite Einstandspflicht [im Bereich der Sonderverbindung gemäß § 278 BGB] rechtfertigt. Das Deliktsrecht kennt solche gezielten Verantwortlichkeiten nicht. In ihm muß die Haftung für fremdes Verschulden wie ein Fremdkörper wirken, der die ständige Gefahr einer Systemaufweichung und damit einer weitgehend unkontrollierbaren Billigkeitsrechtsprechung heraufbeschwört“; näher zum Verschuldensprinzip unten 4. Kap. A. II. 4. 511 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666). 512 Adomeit/Mohr, NJW 2007, S. 2522 (2524); dies., 2007, § 3 AGG, Rn. 177 ff; dies., NZA 2007, S. 179 (182). 513 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666); auch v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 32 zieht die analoge Anwendung von § 831 BGB in Betracht, bevorzugt jedoch im Endeffekt eine weite Zurechnung von Drittverhalten zum Arbeitgeber (was freilich einem Verzicht auf jegliche Zurechnung sehr nahe kommt); vgl. auch Diller, NZA 2007, S. 649 (652), der ebenfalls die Möglichkeit einer Enthaftung des Arbeitgebers und somit einer Alleinhaftung des Personalberaters sieht. Da Diller sich den Weg über § 831 BGB jedoch verbaut hat, weil er § 15 AGG als vertragliche Schadensersatznorm begreift (S. 651), gelangt er auf anderem Weg zu diesem Ergebnis: Er plädiert dafür, auf § 278 BGB die Rechtsprechung des BGH aus dem Maklerrecht anzuwenden. Danach hafte der Geschäftsherr für den von ihm eingeschalteten Makler grundsätzlich nicht nach § 278 BGB, denn der Makler führe ein eigenes Geschäft, nicht das seines Auftraggebers. Anders sei es nur, wenn die Tätigkeit des Maklers über den typischen Geschäftskreis eines Maklers hinausgehe, er also Aufgaben mit übernehme, die eigentlich in der geschäftlichen Sphäre seines Auftraggebers lägen. Übertragen auf die Personalsuche scheide eine Haftung des Arbeitgebers neben dem Personalberater danach regelmäßig aus (S. 652); a.A. Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 298. 514 Soweit es dabei um Mitarbeiter der Personalabteilung geht, ist dies unproblematisch, weil deren soziale Abhängigkeit, die für „Verrichtungsgehilfen“ in § 831 BGB verlangt wird (siehe MüKo-BGB/Wagner, 2009, § 831 BGB, Rn. 14 ff m.w.N.), zweifellos vorliegt. Externe Personalberater werden dieses Kriterium zwar häufig nicht erfüllen. Dennoch ist anerkannt, dass auch außerhalb von § 831 BGB deliktische Verkehrspflichten bestehen, die gleich der Vorschift vom „Geschäftsherrn“ verlangen, eine Hilfsperson sorgfältig auszuwählen und zu überwachen, auch wenn es sich nicht um einen „Verrichtungsgehilfen“ handelt (BeckOK-BGB/Spindler, Stand: 1. 10. 2007, § 831 BGB, Rn. 11 m.w.N. „[E]ine sorgfältige Auswahl und Überwachung der Tätigkeitsausführung durch den anderen Unternehmer [wird von der Rechtsprechung] auch außerhalb von § 831 verlangt“. Dem Kriterium „Verrichtungsgehilfe“ kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
293
Der Arbeitgeber hat danach grundsätzlich die Möglichkeit, einer Haftung nach dem AGG515 für diskriminierendes Drittverhalten einer Hilfsperson zu entgehen, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er bei der Einschaltung des Dritten sorgfaltsgemäß gehandelt hat und auch seinen Überwachungs- und Schulungspflichten nachgekommen ist.516 An eine erfolgreiche Exkulpation werden freilich nicht zuletzt angesichts der Regelung in § 12 AGG hohe Anforderungen zu stellen sein.517 Danach muss der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen, auch vorbeugender Art, zum Schutz vor Benachteiligungen ergreifen (§ 12 Abs. 1 AGG), insbesondere muss er seine Mitarbeiter ausreichend schulen (§ 12 Abs. 2 AGG) sowie bei der Benachteiligung durch Kollegen diese umsetzen, versetzen, abmahnen oder notfalls kündigen (§ 12 Abs. 3 AGG). Auch dann, wenn betriebsfremde Dritte das durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesene Recht verletzen oder zu verletzen drohen, hat der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen zu ergreifen (§ 12 Abs. 4 AGG). Die Vorschrift erhält damit gerade für den Fall der Drittbenachteiligung einen umfassenden Pflichtenkatalog, den der Arbeitgeber zur Exkulpation einerseits erfüllen muss, bei dessen Erfüllung er aber andererseits nicht mehr unmittelbar haftbar nach den AGGVorschriften gemacht werden kann. Die Möglichkeit einer Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 278 BGB bleibt freilich bestehen, vorausgesetzt eine Sonderverbindung liegt vor.518 Dem Diskriminierten wird insoweit nichts genommen, weil er einen Direktanspruch gegen den unmittelbar Benachteiligenden (externer Personalberater, Personalleiter etc.) erhält. Diese Ansicht ist nicht schon deshalb abzulehnen, weil dieser unmittelbar Benachteiligende unter Umständen weniger solvent als der Arbeitgeber ist. Denn hierin drückt sich nur das allgemeine Lebensrisiko eines jeden Geschädigten aus, von einem weniger zahlungskräftigen Schädiger verletzt zu werden. Bei der Haftung des Arbeitgebers für diskriminierende Kundenwünsche besteht von Anfang an kaum je ein Zurechnungsproblem, weil der Arbeitgeber hier immer selbst handelt und sich für seine Haftung (zur Haftung des Kunden sogleich) damit nur die Frage stellt, ob der Kundenwunsch rechtfertigend wirken kann. Eine „Hilfsperson“ stellt ein Kunde kaum jemals dar. 515 Dies bedeutet freilich nicht, dass § 278 BGB in Diskriminierungskonstellationen ohne jegliche Bedeutung ist. Akzeptiert man die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschrift im Rahmen der c.i.c.-Haftung (krit. oben 4. Kap. Fn. 505), so ist diese auch für den mit § 15 AGG konkurrierenden Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 AGG zu bejahen, vgl. dazu unten 4. Kap. A. III. Dies setzt allerdings das Vorliegen eines Schuldverhältnisses nach den allgemeinen Regeln voraus, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass das AGG den Kreis der Schuldverhältnisse erweitern wollte, siehe Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (666) sowie bereits oben 3. Kap. B. V. 2. b). 516 Siehe Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 24: „Unterlässt der Arbeitgeber Schulungen, so kann dies seine Exkulpation im Rahmen der Anwendung von § 831 BGB bei der Benachteiligung durch Arbeitskollegen ausschließen“; ein nach eigenem Bekunden „leicht überspitzes“, aber dennoch passendes Beispiel für eine gelungene Exkulpation findet sich bei Adomeit/Mohr, 2007, § 3 AGG, Rn. 185. 517 Vgl. zur Bedeutung von § 12 AGG Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 126 sowie Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 137 ff. 518 Siehe oben 4. Kap. Fn. 515 sowie unten 4. Kap. A. III.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Zudem ist etwa ein Personalberatungsunternehmen nicht zwingend weniger solvent als der es beauftragende Arbeitgeber. Letztlich wird in den allermeisten Fällen der unmittelbare Urheber der Diskriminierung parallel zum Arbeitgeber haften, weil an die Auswahl-, Überwachungs- und Organisationspflichten schon wegen § 12 AGG hohe Anforderungen zu stellen sind. Regelmäßig wird der Diskriminierte somit nach der hier vertretenen Auffassung besser stehen: Er erhält einen zusätzlichen Schuldner. Die von Fischer und Kamanabrou in den Vordergrund gerückte europarechtliche Argumentation erscheint mir demgegenüber als lediglich unterstützender Begründungsansatz zutreffend eingeordnet. Der EuGH hat zwar die Haftung des Urhebers der Diskriminierung tatsächlich mehrmals betont und auch die Richtlinien sind hinsichtlich der Frage, von wem Schadensersatz verlangt werden kann, keinesfalls auf den Arbeitgeber beschränkt.519 Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass es nach diesen Vorgaben für eine Urheberhaftung ausreichen würde, wenn der Urheber lediglich mittelbar über einen Regress des Arbeitgebers haftete. Letztlich erscheint mir das Argument aber trotzdem insoweit als tragfähig, als diesem Regress im Einzelfall eine interne Haftungsfreistellung, etwa im Vertrag zwischen Personalberatungsunternehmen und Arbeitgeber, entgegenstehen könnte. Diese würde die Haftung des Personalberaters als Urheber der Diskriminierung dann letztlich doch ausschließen. Demnach kann man durchaus zu der Ansicht gelangen, dass die europarechtlich geforderte wirksame Haftung des Urhebers in allen Fallkonstellationen nur mittels eines Direktanspruchs des Diskriminierungsopfers gegen den Urheber sichergestellt ist. (2) Im Besonderen: Die Haftung diskriminierender Beschäftigter Meines Erachtens bedarf es auch keiner Sonderbehandlung der diskriminierenden Beschäftigten. Ist beispielsweise der Personalleiter Urheber einer diskriminierenden Nichteinstellung, so ist nicht einzusehen, warum er im Außenverhältnis gegenüber dem Bewerber nicht genauso haften soll, wie ein Arbeitnehmer auch ansonsten gegenüber demjenigen haftet, den er in Ausübung seiner Tätigkeit schädigt. Man kann zwar zugegebenermaßen daran zweifeln, ob die Außenhaftung von Arbeitnehmern an sich sachlich richtig ist.520 De lege lata ist sie jedoch unumgänglich.521 Die Besonderheiten des Arbeitsrechts werden nach der herrschenden Meinung durch die Anwendung der Regelungen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich im Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber hinreichend berücksichtigt.522 Da es sich bei Einstellungen oder Beförderungen zweifellos um betrieblich veranlasste Tätigkeiten
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A.A. Lehmann, S. 29 auf Basis einer kaum nachvollziehbaren Wortlautauslegung. Dazu ausführlich Denck, S. 297 ff; Katzenstein, RdA 2003, S. 346 ff. 521 Katzenstein, RdA 2003, S. 346 (352 ff); ders., Haftungsbeschränkungen, S. 356, Denck, S. 301 ff. 522 Siehe zum innerbetrieblichen Schadensausgleich, Waltermann, JuS 2009, S. 193 ff. 520
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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des Personalleiters handelt, finden diese Grundsätze auch Anwendung.523 Hiernach hat der Arbeitnehmer analog § 670 BGB einen Anspruch gegen den Arbeitgeber, ihn aus der Haftung gegenüber dem Diskriminierungsopfer freizustellen, soweit die aus den Umständen des Einzelfalls zu ermittelnde Haftungsquote des Arbeitgebers reicht.524 Dass der Personalleiter den Schaden danach alleine tragen muss, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Bewerber ungerechtfertigt benachteiligt, ist wie auch sonst im Rahmen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung hinzunehmen.525 (3) Im Besonderen: Die Haftung diskriminierender Kunden Schwieriger ist die Haftung diskriminierender Kunden. Richtigerweise wird eine solche Haftung nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Kunden nehmen schon deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie anders als externe oder interne Personaler niemals die Letztverantwortlichen für eine diskriminierende Nichteinstellung oder eine unterbliebene Beförderung sind. Unmittelbar wird die spezifische persönlichkeitsrechtsverletzende Kränkung in diesen Fällen immer vom Arbeitgeber verursacht, der dem Kundenwunsch nachgibt. Bei mittelbaren Verletzungshandlungen ist weithin anerkannt, dass es einer besonderen Pflichtverletzung in Bezug auf den konkreten Erfolg bedarf.526 Eine solche wird auch hier zu fordern sein, weshalb besondere Voraussetzungen für die Haftung erfüllt sein müssen. Nicht unmittelbar anwendbar ist allerdings § 3 Abs. 5 AGG. Danach stellt die Anweisung zu einer Benachteiligung selbst eine gemäß § 7 Abs. 1 AGG verbotene Benachteiligung dar. Dies setzt nach herrschender Ansicht jedoch das Bestehen eines Rechtsverhältnisses voraus, das den Angewiesenen zur Befolgung der Weisung verpflichtet.527 Dies ist im Verhältnis Kunde/Arbeitgeber in aller Regel nicht der Fall. Dennoch enthält § 3 Abs. 5 AGG ein entscheidendes Kriterium auch für die Lösung der vorliegenden Fälle: das „Bestimmen“ zur Benachteiligung. Dies ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung der Anweisung, sondern auch das entscheidende Kriterium für die zivilrechtliche Anstiftung gemäß § 830 Abs. 2 BGB.528 Aus diesem Institut lassen sich die wichtigsten Voraussetzungen der Haftung eines Kunden ableiten. Zumeist wird der Kunde, der diskriminierende Vorgaben macht, nämlich als 523 Vgl. zur Anwendung dieser Regelungen auf den Regressanspruch des Arbeitgebers, Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 104; Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 509. 524 Siehe Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 148; allgemein zum Freistellungsanspruch gemäß § 670 BGB analog, siehe Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/ Reichold, 2009, § 52, Rn. 14; nach Zahlung gegenüber dem Dritten wandelt sich der Anspruch in einen Erstattungsanspruch, a.a.O., Rn. 19. 525 Siehe Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 104. 526 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 365 ff; BeckOK-BGB/Spindler, Stand: 1. 10. 2007, § 823 BGB, Rn. 10. 527 Siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 19; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 3 AGG, Rn. 79: „Anweisungsbefugnis“. 528 Diese orientiert sich an der strafrechtlichen Anstiftung gemäß § 26 StGB, siehe MüKoBGB/Wagner, 2009, § 830 BGB, Rn. 13.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Anstifter der nachfolgenden Rechtsverletzung in Betracht kommen, weil der Kundenwunsch in den seltensten Fällen die Benachteiligung durch den Arbeitgeber rechtfertigen wird.529 Ist dies ausnahmsweise doch einmal der Fall,530 liegt in Ermangelung einer widerrechtlichen „Haupttat“ zwar keine Anstiftung, sondern eine „mittelbare Täterschaft“ des Kunden mit dem Arbeitgeber als „Tatmittler“ vor.531 Dies mag für den persönlichen Schuldvorwurf und somit für die strafrechtliche Bewertung relevant sein, für die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung des Kunden ist der Unterschied aber von nachrangiger Bedeutung.532 In beiden Fällen ist entscheidend, ob der Arbeitgeber bewusst und zielgerichtet zur Benachteiligung „bestimmt“ wurde, der Kunde mithin den Entschluss zur Benachteiligung vorsätzlich beim Arbeitgeber hervorgerufen oder bestärkt hat.533 Grundvoraussetzung für ein solches „Bestimmen“ ist zunächst, dass der Kunde über eine hinreichende Macht verfügt, die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers tatsächlich maßgeblich zu beeinflussen (zu „bestimmen“). Nur ein hinreichend einflussreicher Kunde ist hierzu in der Lage. Es ist zwar sicherlich auch möglich, dass eine Vielzahl von für sich betrachtet unbedeutenden Kunden in der Masse einen erheblichen Druck auf den Arbeitgeber ausüben kann. Dies ist jedoch nicht genug für eine Haftung des einzelnen Kunden. Eine besondere Pflichtverletzung, die es rechtfertigen würde, ihn als Anstifter neben oder als mittelbaren Täter anstelle des Arbeitgebers haften zu lassen, ist seinem Verhalten dann nicht zu entnehmen. Die hinreichende Macht eines wichtigen Kunden reicht jedoch nicht aus, ihn für die Benachteiligung des Arbeitgebers haftbar zu machen. Von einem „Bestimmen“ kann erst dann gesprochen werden, wenn diese Macht offen und gezielt eingesetzt wird, um die erwünschte Benachteiligung zu bewirken. Der Kunde muss Einwirkung auf die Arbeitgeberentscheidung „durch offenen – mehr oder weniger kollusiven – geistigen Kontakt“534 nehmen. Nicht genügend ist es, wenn der Arbeitgeber aus Angst vor dem Verlust des Kunden dessen Wünsche in vorauseilendem Gehorsam befriedigt, ohne dass es zu einer konkreten Einflussnahme seitens des Kunden kam. 529
Siehe zu den engen Voraussetzungen einer solchen Rechtfertigung etwa Lobinger, EuZA 2009, S. 365 ff; Krause, FS Adomeit, S. 377 ff. 530 So wird beispielsweise eine Rechtfertigung des Arbeitgebers bejaht, wenn der Bestand des Betriebs oder Unternehmens gefährdet ist, falls der Arbeitgeber sich dem Kundenwunsch widersetzt, siehe MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 8 AGG, Rn. 20. 531 Siehe etwa Schulze/Staudinger, 2009, § 830 BGB, Rn. 13: Nur bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat kommt eine Anstiftung in Betracht, sonst bleibt eine mittelbare Täterschaft möglich. 532 Zivilrechtlich ist es im Außenverhältnis ohne Relevanz, ob eine Haftung als „Täter“ oder als „Teilnehmer“ besteht, weil in jedem Fall jeder Beteiligte als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB) voll haftet. Lediglich im Innenverhältnis kann es für die Frage nach dem Gesamtschuldnerausgleich von Bedeutung sein, ob mit dem Arbeitgeber ein haftender „Haupttäter“ existiert oder der Kunde als mittelbarer „Täter“ Alleinverantwortlicher ist. 533 Vgl. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 3 AGG, Rn. 78. 534 Siehe BeckOK-StGB/Kudlich, Stand: 1. 2. 2011, § 26 StGB, Rn. 13: „Theorie vom geistigen Kontakt“.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Der Kunde muss vielmehr die diskriminierende Entscheidung ausdrücklich oder zumindest konkludent einfordern. Diese bereits aus der Anstiftungssituation folgenden einschränkenden Voraussetzungen (bewusste und gezielte Beeinflussung des Arbeitgebers durch einen hinreichend einflussreichen Kunden) genügen meines Erachtens aber nicht, um eine Haftung des Kunden zu begründen. Eine solche wird vielmehr nur dann in Betracht kommen, wenn die Einflussnahme auf den Arbeitgeber ohne einen anerkennenswerten Sachgrund erfolgt. Eine besondere Pflichtverletzung kann nicht in allen Fällen angenommen werden, in denen eine Benachteiligung ungerechtfertigt geschieht. Insbesondere die strengen Voraussetzungen der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung (§§ 8 ff AGG) müssen nicht erreicht werden. Es liegt im Falle des diskriminierenden Kundenwunsches zwar keine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG vor, sondern bloß eine mittelbare Verletzungshandlung mit dem Arbeitgeber als „Tatmittler“ bzw. „Haupttäter“. Dennoch passen meines Erachtens die entschärften Rechtfertigungsvoraussetzungen dieser Norm ebenso. Der Kunde mag zwar vom Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst sein. Trotzdem ist ihm allein wegen seiner Entfernung zur eigentlichen Auswahlentscheidung in weiterem Umfang als dem Arbeitgeber ein benachteiligendes Verhalten zuzugestehen. Dies gilt umso mehr, als genauso wie bei mittelbaren Benachteiligungen auch bei Benachteiligungen durch mittelbare Verletzungshandlungen die Gefahr einer unverhältnismäßigen Ausuferung der Haftung zu Lasten der Handlungsfreiheit besteht.535 Durch die Einbeziehung der mittelbar schädigenden Kunden in die Haftung wird die Einschränkung des Wirtschaftslebens erheblich verstärkt. Dieser Gefahr kann wie in § 3 Abs. 2 AGG dadurch begegnet werden, dass jeder legitime Sachgrund die Benachteiligung durch den Kunden rechtfertigt, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Danach haftet etwa ein rassistischer Großkunde, der mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen für den Fall droht, dass der Arbeitgeber dunkelhäutige Arbeitnehmer einstellt. Andererseits haftet im Fall des LAG Niedersachsen die Messebetreiberin als Großkundin dann nicht, wenn sie nachvollziehbare (auch wirtschaftliche) Gründe für die altersdiskriminierenden Vorgaben anführen kann. Bei einer Messe für Produkte, die sich an junge Leute richten, kann es angebracht sein, eine repräsentative Stelle mit einem jungen Bewerber besetzen zu wollen, auch wenn das Alter keine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG für die konkrete Stelle sein mag.
535 Siehe zur Gefahr einer ausufernden Haftung bei mittelbaren Benachteiligungen oben 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (1).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
bb) Das „Wie“ der Haftung Dritter Erscheint es damit als vorzugswürdig, auch Dritte in bestimmten Fällen haftbar zu machen, stellt sich die weitergehende Frage, auf welcher Grundlage eine solche Haftung zu erfolgen hat. (1) Die Anspruchsgrundlage Bei der Haftung externer Personalberatungsunternehmen wurde bereits die Lösung über § 15 Abs. 2 AGG beschrieben, die durch den offenen Wortlaut der Vorschrift ermöglicht wird.536 Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass eine solche Haftung unvollkommen wäre, weil sie nur Nichtvermögensschäden, aber keine Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG einbezieht. Denn, wie gezeigt, stellt § 15 Abs. 2 AGG die maßgebliche Haftungsnorm dar.537 § 15 Abs. 1 AGG gewährt, zumindest nach systemkonformem Verständnis, lediglich einen Ersatz vermögensmäßiger Begleitschäden. Auch in der Praxis spielt § 15 Abs. 2 AGG die entscheidende Rolle. Dennoch hat eine Lösung über § 15 Abs. 2 AGG den Nachteil, dass sie dem Charakter der Vorschrift als bloßer haftungsausfüllender Norm widerspricht. Zwar begreift die herrschende Meinung § 15 Abs. 2 AGG als echte Anspruchsgrundlage. Diese Ansicht basiert jedoch auf der unzutreffenden538 Annahme, dass § 15 Abs. 2 AGG aus europarechtlichen Gründen zwingend verschuldensunabhängig ausgestaltet sein müsse. Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG wird deshalb versucht, § 15 Abs. 2 AGG von § 15 Abs. 1 AGG abzukoppeln. Versteht man § 15 Abs. 2 AGG jedoch zutreffend als bloße Rechtsfolgenregelung, so kann über die Beschränkung der Haftung auf den Arbeitgeber in § 15 Abs. 1 AGG kaum hinweggesehen werden. Eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 1 und 2 AGG539 scheitert bereits am Fehlen einer Regelungslücke. Die deliktische Haftung Dritter für benachteiligende Handlungen ist ausreichend über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG gewährleistet.540 Am Schutzgesetzcharakter von § 7 Abs. 1 AGG bestehen meines 536
Vgl. dazu insbesondere auch v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 ff. Siehe oben 4. Kap. A. I. 2.; vgl. zur insoweit einhelligen Ansicht Jacobs, RdA 2009, S. 193 (194): „§ 15 Abs. 2 AGG ist die maßgebliche Sanktion bei Diskriminierungen – vor allem im Bewerbungsverfahren, das wohl auch in Zukunft Anwendungsschwerpunkt bleiben wird“; ähnlich Hanau, ZIP 2006, S. 2189 (2201). 538 Dazu ausführlich unte 4. Kap. A. II. 4. d). 539 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 35 befürwortete demgegenüber bis vor kurzem die Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 15 Abs. 1 AGG auf benachteiligende Dritte. Nunmehr hat er sich im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG der h.M. angeschlossen und bevorzugt bzgl. der Vermögensschäden jetzt eine umfassende Haftung des Arbeitgebers anstatt einer Haftung Dritter als Urheber der Diskriminierung. Für immaterielle Schäden will v. Roetteken jedoch weiterhin § 15 Abs. 2 AGG auch auf Dritte anwenden, v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 57 ff. 540 Auch v. Roetteken, AGG, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 24 misst § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG eine zentrale Bedeutung für die Haftung diskriminierender Dritter bei. 537
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Erachtens keine Zweifel. Überwiegend541 wird hierfür verlangt das Vorliegen einer Rechtsnorm, die ein ausdrückliches Ge- oder Verbot ausspricht. Die Norm muss zudem zumindest auch dem Schutz eines individuellen Interesses dienen. Der Geschädigte muss darüber hinaus in den Schutzbereich der Norm fallen. Letztlich muss die Vorschrift gerade auch vor der konkreten Art der Schädigung schützen, das Verhaltensge- oder verbot muss den Schutz des individuellen Interesses bezwecken. Bei Anwendung dieser Vorgaben ergibt sich Folgendes: § 7 Abs. 1 AGG hat gewiss Rechtsnormcharakter und spricht ein ausdrückliches Verbot ungerechtfertigter Benachteiligungen gegenüber Beschäftigten aus, das sich nach seinem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers an jedermann richtet. Der konkrete Verhaltensbefehl zielt dabei insbesondere auf diejenigen Dritten, die gleich dem Arbeitgeber die spezifischen persönlichkeitsrechtsverletzenden Kränkungen hervorrufen können. Des Weiteren ist der Schutz der individuellen Persönlichkeit vor kränkenden Zurückweisungen im Berufsleben primärer Zweck des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots. Die Art der Schädigung des Persönlichkeitsrechts ist bei Zurückweisungen durch den Arbeitgeber dieselbe wie bei Zurückweisungen durch Personalberatungsunternehmen oder durch Beschäftigte der Personalabteilung. Eine andere Art der Schädigung stellt lediglich das Einwirken der hinreichend einflussreichen Kunden auf den Arbeitgeber dar, das diesen wiederum zu einer persönlichkeitsrechtsverletzenden Zurückweisung veranlasst. Allerdings soll nach der Gesetzesbegründung gerade auch diese mittelbare Verletzungshandlung von § 7 Abs. 1 AGG umfasst sein.542 Danach richtet sich die Norm ausdrücklich auch an Kunden, die niemals unmittelbar eine Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung treffen können und immer nur mittelbare Schädiger bleiben werden.543 § 7 Abs. 1 AGG stellt nach alledem unter Anwendung der gängigen Kriterien ein Schutzgesetz dar. Letztlich ließe sich erwägen, nicht § 823 Abs. 2 BGB, sondern § 823 Abs. 1 BGB anzuwenden, weil nach herrschender Ansicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die besonderen Persönlichkeitsrechte bereits zu den „sonstigen Rechten“ gehören. Bei § 7 Abs. 1 AGG handelt es schließlich nach hiesigem Verständnis nicht um die Zuweisung einer völlig neuen, andersartigen Rechtsposition, sondern um eine Konkretisierung des Deliktsschutzes der persönlichen Ehre im beruflichen Bereich. Als Abgrenzungskriterium zwischen § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB wird in der Literatur mitunter gerade danach gefragt, ob es sich um eine neuartige Rechtspo541 Zu den Anforderungen, die nach h.M. an ein Schutzgesetz zu stellen sind, vgl. CoesterWaltjen, Jura 2002, S. 102 (102 ff); Dörner, JuS 1987, S. 522 (528); ein umfassendes Prüfungsschema von § 823 Abs. 2 BGB findet sich bei Kothe, Jura 1988, S. 125 (131). 542 Dazu bereits oben 3. Kap. B. V. 2. b) aa). 543 Wenn der Arbeitgeber selbst rechtswidrig handelt (rechtswidrige „Haupttat“) und somit eine Anstiftungskonstellation gegeben ist, kann bei diskriminierenden Kunden als Anspruchsgrundlage zusätzlich § 830 Abs. 2 BGB zitiert werden. Bedeutung und Rechtscharakter der Vorschrift sind jedoch nicht unumstritten, siehe MüKo-BGB/Wagner, 2009, § 830 BGB, Rn. 4 f.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
sition handelt (dann § 823 Abs. 2 BGB) oder lediglich um die Inhaltsbestimmung eines bereits etablierten Gutes (dann § 823 Abs. 1 BGB).544 Auf welchen der beiden Absätze man abstellt, ist jedoch letztlich belanglos. Funktionale Unterschiede bestehen zwischen § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht. In den beiden Absätzen kommen lediglich die unterschiedlichen Regelungstechniken zur Beschreibung der Substanzrechte zum Ausdruck.545 Für eine Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB spricht meines Erachtens aber die Beweislastverteilung bezüglich des Verschuldenserfordernisses. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass ein objektiver Verstoß gegen ein Schutzgesetz zu einer Beweislastumkehr zulasten des Schädigers führt.546 Dieser muss zeigen, dass er den Verstoß gegen das Schutzgesetz nicht zu vertreten hat. Zwar ist auch bei § 823 Abs. 1 BGB eine Beweislastumkehr ausnahmsweise möglich. Bei § 823 Abs. 2 BGB wird sie aber als Regelfall angesehen.547 Eine solche Beweisbelastung des Schädigers entspricht der Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 BGB, die die Haftung des Arbeitgebers betrifft. Sie ist auch europarechtlich geboten, weil der Diskriminierte den Verschuldensnachweis nur schwer erbringen kann. Dies wird im Folgenden548 noch näher ausgeführt werden. (2) Die Voraussetzungen der Haftung Dritter Entgegen der Ansicht des LAG Niedersachsen549 bedarf es für eine solche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG keiner schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung. Zwar hat der BGH550 tatsächlich im Rahmen der Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB die Auffassung vertreten, dass auch hier ein Geldersatzanspruch nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Betracht kommt. Indes wurde bereits gezeigt, dass das AGG einen verschärften und konkretisierten Ehrschutz für den beruflichen Bereich anordnet. Durch die §§ 1 – 3 und 7 ff AGG werden die verbotenen Verhaltensweisen und somit das geschützte Substanzrecht detailliert umschrieben. Die Grenze des Erlaubten, die laut BGH beim Persönlichkeitsrecht so schwer zu bestimmen ist, weshalb das Gericht die zusätzliche Voraussetzung der schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung entwickelte, wird damit präzise gezogen und zwar wesentlich präziser als dies etwa in den §§ 185 ff StGB der Fall ist. Deshalb bedarf es im Rahmen des § 15 Abs. 2 AGG keiner schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung, um einen Entschädi-
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Siehe Picker, FS Lange, S. 625 (683 f). Siehe Picker, AcP 178 (1978), S. 499 (502); Bernhard, FS Picker, S. 83 (107, Fn. 117) m.w.N. 546 Siehe MüKo-BGB/Wagner, 2009, § 823 BGB, Rn. 364 m.w.N. 547 Siehe Kothe, Jura 1988, S. 125 (129, Fn. 42). 548 Siehe unten 4. Kap. A. II. 4. d). 549 Siehe oben 4. Kap. A. II. 2. b) cc). 550 BGH, 9. 7. 1985, VI ZR 214/83, NJW 1985, S. 2644 (2645). 545
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gungsanspruch zu begründen.551 Für den ebenfalls deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG kann nichts anderes gelten. Gleiches gilt für die Voraussetzungen eines schweren Verschuldens sowie einer umfassenden Interessensabwägung. Auch diese Kriterien sollen beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht den großen Schwierigkeiten Rechnung tragen, die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz zutreffend zu bestimmen. Angesichts der detaillierten Umschreibung der beruflichen Ehre im AGG, bedarf es auch dieser Voraussetzungen nicht. Letztlich wird man aber auf den Anspruch gegen den Dritten aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG die Ausschlussfristen in § 15 Abs. 4 AGG sowie § 61b ArbGG analog anwenden müssen.552 Denn diese Fristen sollen bezwecken, dass Dokumentationen von Bewerbungsverfahren nicht für einen unzumutbar langen Zeitraum vorgehalten werden müssen.553 Dieser vom EuGH554 mittlerweile als europarechtskonform anerkannte Regelungsgedanke greift jedoch auch ein, wenn nicht der Arbeitgeber selbst, sondern etwa ein externer Personalberater das Bewerbungsverfahren durchführt, so dass eine vergleichbare Interessenlage besteht. cc) Zwischenergebnis Die Ansprüche gemäß § 15 AGG richten sich ausschließlich gegen den Arbeitgeber. Allerdings ergeben sich im Einzelfall weitestgehend voraussetzungsgleiche Ansprüche gegen diskriminierende Dritte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG (i.V.m. § 830 Abs. 2 BGB).555 Dritte kommen als Anspruchsgegner dann in Betracht, wenn sie die spezifische Persönlichkeitsrechtsverletzung verursachen können. Grundsätzlich möglich ist dies bei externen Personalberatern, Beschäftigten der Personalabteilung sowie hinreichend mächtigen Kunden. Diese können im Einzelfall die wahren Herren über die Auswahlentscheidung und somit über die Verteilung der Arbeitsplätze sein. Bei der Haftung von diskriminierenden Beschäftigten sind die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs anzuwenden. Diskriminierende Kunden haften als bloße mittelbare Schädiger nur unter bestimmten Voraussetzungen (hinreichende Mächtigkeit; gezielte Beeinflussung der Auswahlentscheidung; Fehlen legitimer Sachgründe). Ob es sich dabei um einen Fall
551
Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. So auch Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (897), allerdings bezogen auf konkurrierende Ansprüche gegen den Arbeitgeber; a.A. Fischinger, NZA 2010, S. 1048 (1050). 553 Siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12. 554 EuGH, 8. 7. 2010, C-246/09, NJW 2010, S. 2713 ff (insb. 2715) mit Anm. Kock; siehe dazu unten 4. Kap. A. II. 5. 555 Im Fall eines Kunden mit diskriminierenden Wünschen, sofern eine Anstiftungskonstellation gegeben ist. Siehe oben 4. Kap. Fn. 543. 552
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
der Anstiftung oder der mittelbaren Täterschaft handelt, ist für die Außenhaftung556 der Kunden nicht entscheidend. Wegen der weitgehenden Auswahl-, Aufsichts- und Organisationspflichten wird der Arbeitgeber regelmäßig neben dem Dritten haften. Ihm verbleibt jedoch die grundsätzliche Möglichkeit, sich analog § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu exkulpieren. 3. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot Zentrale Voraussetzung einer Haftung gemäß § 15 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Mit diesem Verstoß steht die Rechtsverletzung fest, weil § 7 Abs. 1 AGG die zentrale Rechtszuweisungsvorschrift darstellt. Sie wird ergänzt und konkretisiert durch eine Reihe weiterer Regelungen, allen voran die Definition der Benachteiligungstatbestände in § 3 AGG und die Aufzählung der geschützten Merkmale in § 1 AGG. Auch die Rechtfertigungsnormen der §§ 8 ff AGG gehören hierzu. Sie beschreiben detailliert die Grenze zwischen Persönlichkeitsrecht und Handlungsfreiheit. Von hoher praktischer Bedeutung ist die Reichweite der einzelnen Rechtfertigungsgründe. Aus dogmatischer Sicht sind sie jedoch von eingeschränktem Interesse. Da erklärtes Ziel dieser Arbeit ist, die Grundstrukturen des AGG auf ihre privatrechtliche Systemkonsistenz zu überprüfen, soll eine umfangreiche Untersuchung der einzelnen Rechtfertigungsgründe unterbleiben. Insoweit ist auf die einschlägigen Kommentare zu verweisen. Hervorzuheben sei an dieser Stelle jedoch nochmals die grundlegende Unterscheidung zwischen der mittelbaren und der unmittelbaren Benachteiligung. Wie oben557 bereits ausführlich dargelegt, enthält § 3 Abs. 2 AGG als Tatbestandsmerkmal die dem Persönlichkeitsrecht immanente Interessenabwägung weiterhin. Nur bei unmittelbaren Benachteiligungen wird der Integritätsschutz der konkurrierenden Handlungsfreiheit ohne eine solche Abwägung vorgeordnet. Von den zahlreichen Einzelproblemen im Rahmen des Benachteiligungstatbestandes, die teilweise bereits im Rahmen der Aktiv- bzw. Passivlegitimation behandelt wurden, sollen im Folgenden noch einige weitere gesondert erörtert werden: a) Formen der Benachteiligung § 3 AGG enthält unterschiedliche Benachteiligungsformen.
556 Für die Frage nach dem Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis kann diese Unterscheidung aber Bedeutung erlangen, siehe oben 4. Kap. Fn. 532. 557 Siehe 3. Kap. B. II. 2. b) bb) (2).
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aa) Die (sexuelle) Belästigung Aus der Reihe fällt dabei die (sexuelle) Belästigung, die gemäß § 3 Abs. 3 und 4 AGG als Benachteiligung gilt. Bei ihr handelt es sich nicht um einen Übergriff durch Differenzierung, wie dies bei § 3 Abs. 1 und 2 AGG der Fall ist, sondern vielmehr um einen klassischen Eingriff in die Integrität des Persönlichkeitsrechts. Die Würdeverletzung ist hier als ausdrückliches Tatbestandsmerkmal genannt. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat diese Benachteiligungsform auch weniger Kritik geerntet als die anderen Benachteiligungsformen. Von besonderem dogmatischen Interesse ist die (sexuelle) Belästigung nicht, weshalb der Fokus dieser Untersuchung auf den anderen Benachteiligungsformen liegt. bb) Die unmittelbare Benachteiligung Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines verbotenen Merkmals eine weniger günstige Behandlung im Vergleich mit einer anderen Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Entscheidend bei der unmittelbaren Benachteiligung ist die Homogenität der Vergleichsgruppen bezüglich eines bestimmten Merkmals.558 Präziser gesagt ist die Homogenität der benachteiligten Gruppe entscheidend. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG, der die Benachteiligung wegen der Schwangerschaft als unmittelbare Benachteiligung einordnet, ist die allgemeine Wertung zu entnehmen, dass es auf die Homogenität der begünstigten Gruppe nicht ankommen kann;559 denn die Gruppe der NichtSchwangeren besteht aus Männern und Frauen. Wird beispielsweise wegen des Ableistens der Wehrpflicht benachteiligt, so liegt hierin eine unmittelbare Männerbenachteiligung, obwohl nicht alle Männer „gedient“ haben und die bevorzugte Gruppe somit inhomogen ist.560 Entscheidend ist nur, dass durch das Differenzierungskriterium ausschließlich Männer nachteilig betroffen sind. Hinsichtlich der bevorzugten Person oder Gruppe, mit der verglichen werden soll, nimmt der überwiegende Teil des Schrifttums561 zu recht eine bestimmte Prüfungsreihenfolge der unterschiedlichen Varianten von § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG an: Zunächst ist danach zu fragen, ob eine aktuelle Vergleichperson („erfährt“) vorhanden ist. Bei den hier primär interessierenden Bewerberdiskriminierungen ist deshalb zunächst zu prüfen, ob ein anderer Bewerber vorhanden war, dessen Einstellungschancen aufgrund des Nichtvorliegens des jeweiligen Merkmals entsprechend größer waren. Fehlt ein derartiger Bewerber im konkreten Bewerbungsver558
ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 2. Siehe Rupp, RdA 2009, S. 307 (308). 560 Siehe Rupp, RdA 2009, S. 307 (308 f); krit. zu § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG Wank, FS Richardi, S. 441 (454 ff), der die Benachteiligung einer schwangeren Bewerberin als mittelbare Geschlechterbenachteiligung ansieht. 561 Statt vieler Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, S. 887 (892). 559
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fahren, so ist weiter zu prüfen, ob er in vergangenen Einstellungsverfahren existierte und dort besser behandelt wurde („erfahren hat“). Erst wenn auch dies nicht der Fall ist, kann auf eine hypothetische Vergleichsperson abgestellt werden. Keinesfalls sollte in die Formulierung „erfahren würde“ hineingelesen werden, dass bereits die Gefahr einer Diskriminierung eine Benachteiligung darstellt.562 Es ist nicht nachvollziehbar, bereits die bloße Gefährdung des Persönlichkeitsrechts als Rechtsverletzung zu begreifen. Vielmehr ist diese Rechtsverletzung nur in einer tatsächlich begangenen Benachteiligung zu sehen. Die (wiederholte) Gefahr einer Rechtsverletzung ist bei der Ausgestaltung des auf Unterlassung gerichteten Schutzrechts zu berücksichtigen, nicht bei der vorrangigen Zuweisung des Substanzrechts. Schlachter merkt zutreffend an, dass Zweck der Tatbestandsvariante „erfahren würde“ die „Einbeziehung von Betätigungsfeldern ist, die traditionell überwiegend von Angehörigen eines bestimmten Merkmals besetzt werden“563. Ihnen hilft die Einbeziehung von hypothetischen Vergleichspersonen. Eine in einem traditionellen Frauenberuf tätige Arbeitnehmerin kann so zeigen, dass ein Mann, würde er in diesem Beruf und bei diesem Arbeitgeber beschäftigt, in der konkreten Situation günstiger behandelt worden wäre. Erforderlich sind allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Vergleichsperson tatsächlich besser gestellt worden wäre.564 Diese Anhaltspunkte werden naturgemäß schwierig beizubringen sein, so dass die praktische Bedeutung dieser Variante gering bleiben dürfte. Die möglichen benachteiligenden Arbeitgebermaßnahmen („Behandlungen“) können nicht abschließend aufgelistet werden. Betrachtet man den Grund der Zuweisung des verschärften Persönlichkeitsrechts, so ist die Einstellungsdiskriminierung die wichtigste Maßnahme. Denn erst durch die Gewährung des gleichen Zugangs zum Arbeitsmarkt wird die Persönlichkeitsentfaltung möglich. An sich müsste die Kündigung eine ebenso große Bedeutung haben, weil hierdurch der Arbeitsplatz und somit die Grundvoraussetzung der Selbstverwirklichung wegfällt. Wegen des umfassenden deutschen Kündigungsschutzes ist dies jedoch nicht der Fall, so dass die Entlassung zwar eine wichtige „Behandlung“ im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG bleibt,565 in ihrer Bedeutung jedoch an die Ablehnung eines Bewerbers nicht heranreicht. Des Weiteren hat der berufliche Aufstieg ebenfalls eine große Relevanz für die Selbstverwirklichung des Einzelnen, wenn auch nicht in gleichem Maße wie die 562 Siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 3; anders aber die Gesetzesbegründung BTDrucks. 16/1780, S. 32 und ihr folgend Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert, 2008, § 3 AGG, Rn. 30 („konkrete Gefahr“); siehe aber auch BAG, 19. 8. 2010, 8 AZR 370/09, NZA 2011, S. 200 – Orientierungssatz 4: „Eine abstrakte Diskriminierung ohne konkrete eigene Benachteiligung löst einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG nicht aus“. 563 ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 3. 564 Siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 3. 565 Insbesondere steht § 2 Abs. 4 AGG dem nicht entgegen, da die Vorschrift zumindest europarechtskonform auszulegen ist, was wegen des offensichtlichen Widerspruchs zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG (Entlassungsbedingungen) auch möglich ist, siehe dazu ErfK/Schlachter, 2011, § 2 AGG, Rn. 16 f; Horn, S. 160 ff; BAG, 22. 10. 2009, 8 AZR 642/08, NZA 2010, S. 280 ff m.w.N.
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Einstellung. Als mögliche weitere diskriminierende Maßnahmen sind zu nennen: Versetzung, Anfechtung, Entgeltbenachteiligung, Benachteiligung bei den Arbeitsbedingungen etc.566 Demgegenüber stellt das Schalten einer diskriminierenden Stellenanzeige genauso wie eine diskriminierende Aussage für sich betrachtet noch keine das konkretisierte Persönlichkeitsrecht verletzende Maßnahme dar.567 Es fehlt hier bereits an der nachteiligen „Behandlung“ einer konkreten Person. Die unter Verstoß gegen § 11 AGG geschaltete Anzeige bleibt aber das wichtigste Indiz gemäß § 22 AGG568 für das Vorliegen einer späteren Einstellungsbenachteiligung. cc) Die mittelbare Benachteiligung Eine mittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 2 AGG liegt vor, wenn das gewählte Differenzierungskriterium nur dem Anschein nach neutral ist, tatsächlich aber einen durch § 1 AGG geschützten Personenkreis überwiegend nachteilig betreffen kann. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur unmittelbaren Benachteiligung ist die Inhomogenität der benachteiligten Gruppe bezüglich des verbotenen Merkmals. Da durch das Verbot mittelbarer Benachteiligungen eine Vielzahl an sich erlaubter Differenzierungsgründe in Verdacht gerät und dies zu einer übermäßigen Einschränkung der Handlungsfreiheit (insb. der Privatautonomie) führen kann, ist die Interessenabwägung wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch hier Tatbestandsmerkmal.569 Des Weiteren wurde oben bereits dargelegt, dass es entgegen einer weit verbreiteten Ansicht gelingt, mittelbare Benachteiligungen als integritätsverletzendes Unrecht zu qualifizieren, weshalb ein privatrechtliches Verständnis der Rechtsfigur durchaus möglich ist.570 Wichtigstes Hilfsmittel zur Bestimmung einer mittelbaren Benachteiligung sind statistische Daten.571 Verteilt sich ein bestimmtes, scheinbar neutrales Differenzierungskriterium empirisch betrachtet wesentlich ungleich auf die Geschlechter, Religionen, Ethnien etc., so muss es sich der umfassenden Interessenabwägung stel-
566
Siehe im Einzelnen Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 7 AGG, Rn. 8 ff sowie § 2 Abs. 1 AGG. 567 ErfK/Schlachter, 2011, § 11 AGG, Rn. 2; Feuerborn, JR 2008, S. 485 (488); a.A. BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 3 AGG, Rn. 2 unter Berufung auf EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929 ff; dazu bereits oben 4. Kap. A. II. 1. e). 568 Vgl. zu dieser in praktischer Hinsicht äußerst bedeutsamen Vorschrift, Wörl, S. 20 ff; eine genaue Untersuchung der zentralen Beweisnorm ist im Rahmen dieser Arbeit weder für den Untersuchungsgegenstand erforderlich, noch in einem überschaubaren Umfang zu leisten. 569 Dazu ausführlich oben 3. Kap. B. II. 2. b) bb). 570 Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. c) dd). 571 Kritisch dazu Adomeit/Mohr, FS Bauer, S. 1 (6 ff).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
len.572 Allerdings trägt § 3 Abs. 2 AGG dem Umstand Rechnung, dass oftmals aussagekräftige Statistiken über die Verteilung der verpönten Merkmale schwer verfügbar sind oder Datenmaterial aus datenschutzrechtlichen Gründen erst gar nicht gesammelt wird.573 Nach dem Wortlaut genügt es deshalb, wenn bestimmte Maßnahmen eine besondere Benachteiligung auslösen „können“. Dies bedeutet, dass es eines konkreten statistischen Nachweises nicht bedarf. Es genügt vielmehr, wenn das herangezogene Kriterium typischerweise geeignet ist, eine besondere Betroffenheit auszulösen.574 Hierdurch wird allerdings nicht auf die Darlegung einer besonderen Betroffenheit durch den Beschäftigten verzichtet. Es wird ihm lediglich die Möglichkeit gegeben, diese Betroffenheit auf andere Art und Weise als durch Beibringung einer Statistik aufzuzeigen.575 Freilich wird die Beibringung statistischer Daten in der Praxis weiterhin im Vordergrund stehen.576 dd) Die Anweisung zur Benachteiligung Gemäß § 3 Abs. 5 AGG ist schließlich die Anweisung zur Benachteiligung ebenfalls als Benachteiligung zu betrachten. Da, wie oben bereits erwähnt, eine Weisungsbefugnis von der Norm vorausgesetzt wird, ist ihr unmittelbarer Anwendungsbereich äußerst gering. Nach der hier vertretenen Auffassung liefert die Norm jedoch wertvolle Hinweise für die Haftung Dritter, insbesondere von Kunden.577 b) Kausalität Sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Benachteiligung setzen voraus, dass die Schlechterbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Merkmals erfolgt. Vorausgesetzt wird somit eine Kausalität zwischen verbotenem Merkmal und benachteiligender Maßnahme. Die Feststellung dieser Kausalität wird durch die Beschränkung der verbotenen Merkmale in § 1 AGG erschwert. Da unzählig viele unsachliche und sachliche Ablehnungsgründe verbleiben, bei denen die Handlungsfreiheit dem Persönlichkeitsschutz vorgeordnet bleibt, gibt es auch unzählige rechtmäßige Verhaltensweisen, die genauso zu der benachteiligenden Maßnahme geführt hätten. Verschärft wird die Problematik in tatsächlicher Hinsicht durch den Umstand, dass das Motiv einer Ungleichbehandlung als innere Tatsache schwer feststellbar ist. Oftmals wird zudem gar kein einzelnes Motiv, sondern ein ganzes Motivbündel existieren, das zu einer 572
Beispiele bei BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 3 AGG, Rn. 23 ff. Siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 8. 574 So nun ausdrücklich BAG, 18. 8. 2009, 1 ABR 47/08, NZA 2010, S. 222 (224 f). 575 Näher zum Ganzen ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 8. 576 So Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert, 2008, § 3 AGG, Rn. 41. 577 Siehe auch oben 4. Kap. Fn. 456 zur Frage, ob eine Haftung der Tarifvertragsparteien aufgrund der Vorschrift möglich ist. 573
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bestimmten benachteiligenden Maßnahme geführt hat. Von einigen Autoren578 wird deshalb eingewandt, dass ein Kausalitätszusammenhang praktisch niemals vorliegen könne. Denn bei klassischem Verständnis werde hierfür eine „erforderliche Bedingung“ im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel verlangt. Trete das unzulässige Motiv aber im Bündel mit anderen, zulässigen Motiven auf, die ebenfalls zu der benachteiligenden Maßnahme geführt hätten, so fehle es an der Kausalität. Der Benachteiligende könne dann immer den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erheben.579 Dem ist bereits im Jahr 1993 das BVerfG580 und ihm folgend das BAG581 entgegengetreten. Das BVerfG verwarf in einer viel beachteten Entscheidung eine LAGRechtsprechung, die für § 611a BGB a.F. verlangt hatte, dass das Geschlecht alleinige Ursache der Benachteiligung war. Dies stelle, so das BVerfG, einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG dar. Danach müsse es ausreichen, wenn das Geschlecht überhaupt zulasten des Benachteiligten berücksichtigt worden sei. Jede negative Bewertung im Rahmen einer Auswahlentscheidung genüge, um eine verbotene Benachteiligung anzunehmen. Daran anknüpfend wird auch unter Geltung des AGG überwiegend vertreten, dass es für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs ausreiche, wenn das verbotene Merkmal Teil eines Motivbündels ist.582 Eine besondere Bedeutung innerhalb dieses Motivbündels wird nicht gefordert. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Die Gegenansicht hätte zur Folge, dass etwa bei der Einstellungsdiskriminierung überhaupt nur ein Bewerber in seinen Rechten verletzt wäre, nämlich der Bestqualifizierte.583 Dies widerspräche aber dem Grund der Rechtszuweisung, der darin besteht, persönlichkeitsrechtsverletzende Zurückweisungen aufgrund bestimmter Merkmale umfassend auszuschließen. Es geht ersichtlich darum, dass bestimmte Kriterien ohne Rechtfertigungsgrund überhaupt keine Rolle spielen dürfen, und nicht darum, dass sie nur nicht die alles entscheidende Rolle spielen sollen. Für die Ehrverletzung macht es lediglich einen graduellen, nicht aber einen kategorialen Unterschied, ob die Einstellungswahrscheinlichkeit ohne das Merkmal hoch oder niedrig war.584 Auch bei einem rein privat578
Adomeit/Mohr, NZA 2007, S. 179 (182); dies., 2007, § 3 AGG, Rn. 4. Siehe dazu auch Schlachter, AP Nr. 9 zu § 611a BGB, I. 2. b). 580 BVerfG, 16. 11. 1993, 1 BvR 258/86, NJW 1994, S. 647 f. 581 BAG, 5. 2. 2004, 8 AZR 112/03, NZA 2004, S. 540 (544); 21. 7. 2009, 9 AZR 431/08, NZA 2009, S. 1087 (1090); 18. 3. 2010, 8 AZR 77/09, NZA 2010, S. 872 (874). 582 Däubler/Bertzbach/Däubler, 2008, § 1 AGG, Rn. 19; LAG Bremen, 29. 6. 2010, 1 Sa 29/ 10, NZA-RR 2010, S. 510 (511). 583 Wobei sich sogar einwenden lässt, dass nicht einmal dieser anspruchsberechtigt wäre, weil ja immer eine Vielzahl zulässiger Ablehnungsgründe verbleibt und die Bestimmung der Bestqualifizierung deshalb tatsächlich und rechtlich gar nicht möglich ist, siehe oben 4. Kap. A. I. 1. b) ee). 584 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) bb) (1) (a), wonach bei einer großen Einstellungswahrscheinlichkeit die Entschädigung auch höher ausfallen kann. 579
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rechtlichen Verständnis ist es sehr wohl möglich, eine Rechtsverletzung bei den Minderqualifizierten anzuerkennen. Dies wurde oben585 bereits gezeigt. Mittelbar wird dies durch § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestätigt, wonach der Entschädigungsanspruch von Bewerbern, die auch ohne die Benachteiligung nicht eingestellt worden wären, lediglich der Höhe nach begrenzt ist. Es ließe sich allerdings erwägen, zumindest eine gewisse Bedeutung des unzulässigen Kriteriums im Rahmen des Motivbündels zu verlangen. Handelt es sich um ein völlig nebensächliches Motiv, könnte man geneigt sein, den Kausalzusammenhang zwischen Merkmal und Benachteiligung abzulehnen. Man würde dann zwar keine entscheidende Bedingung verlangen, aber andererseits eine völlig untergeordnete Bedingung nicht ausreichen lassen.586 Auch wenn dieser Vorschlag in der Sache durchaus erwägenswert ist, so dürfte er doch praktisch undurchführbar sein.587 Bereits grundsätzlich kann man sich bei der Feststellung des Motivs der Ungleichbehandlung nur auf mehr oder minder überzeugende Indizien (§ 22 AGG) verlassen. Diese werden aber allenfalls als Hilfestellung für die Beantwortung der Frage dienen können, ob das verbotene Merkmal überhaupt von Relevanz für die maßgebliche Entscheidung war. Mit Indizien darüber hinaus auf die Bedeutung des Motivs innerhalb des Motivbündels zu schließen, erscheint aussichtslos. Zudem sprechen sowohl die Gesetzesbegründung als auch die geschichtliche Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts dafür, dass es um den umfassenden Ausschluss bestimmter beleidigender Motivationen zugunsten des Persönlichkeitsrechts des Einzelnen gehen soll. Letztlich kann die unwesentliche Bedeutung eines Merkmals im Motivbündel, sofern sie tatsächlich einmal festgestellt werden kann, auf Rechtsfolgenseite bei der Bestimmung des immateriellen Schadens berücksichtigt werden. Je mehr sachliche Gründe im Motivbündel enthalten sind, desto verständlicher wird die Zurückweisung und desto geringer die Kränkung des abgewiesenen Bewerbers ausfallen. Andererseits wird die Kränkung zwar nicht geringer ausfallen, wenn ein erlaubtes, aber unsachliches Motiv entscheidungsleitend war und das verbotene Merkmal lediglich am Rande berücksichtigt wurde. Trotzdem wird der Entschädigungsanspruch in diesem Fall entsprechend geringer zu bemessen sein, weil der immaterielle Schaden hier nicht in vollem Maße auf die Rechtsverletzung zurückzuführen ist. Mit anderen Worten: Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist eine Berücksichtigung der relativen Bedeutung des Motivs im Motivbündel möglich.
585
Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. a) cc) (1). In diese Richtung: Schiek/Horstkötter, NZA 1998, S. 863 (863): Merkmal muss eine „wesentliche Rolle“ spielen; Preis, ZESAR 2007, S. 308 (314); ders., Arbeitsrecht, S. 454: „maßgebliches Motiv“; Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (652): „ausschlaggebende[r] Grund“. 587 So auch Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 94. 586
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c) Absichtserfordernis Des Weiteren ist umstritten, inwieweit der Benachteiligungstatbestand ein Absichtserfordernis enthält. Adomeit/Mohr588 sprechen sich für eine solche Voraussetzung aus. Der Begriff der Diskriminierung enthalte einen derart starken Vorwurf, dass er nur durch die bewusste und gewollte Zurücksetzung erfüllt werden könne. Das AGG fordere an zahlreichen Stellen dazu heraus, Diskriminierungen als Vorsatzdelikte zu begreifen. So sei nach einer systematische Betrachtung der §§ 3 Abs. 5, 7 Abs. 1 Satz 2, 8 – 10 und 22 AGG „unabweisbar“, dass der Gesetzgeber bereits für die Erfüllung des Benachteiligungstatbestandes Vorsatz fordere.589 Dies gelte zumindest bei der unmittelbaren Benachteiligung. Bei dem Verbot der mittelbaren Benachteiligung könne allenfalls deshalb auf subjektive Momente verzichtet werden, weil es hier um den vereinfachten Nachweis einer unmittelbaren Diskriminierung gehe und nach dieser Zwecksetzung auch der Vorsatznachweis entbehrlich sein könnte.590 Der überwiegende Teil des Schrifttums591 spricht sich jedoch zu recht gegen ein Absichts- oder sonstiges Vorsatzerfordernis im Rahmen des Benachteiligungstatbestandes aus. Richtig ist zwar, dass es bei dem Verbot von Benachteiligungen um unzulässige Motive und somit um innere Tatsachen geht. Mit einem Absichts- oder Vorsatzerfordernis ist dies aber nicht gleichzusetzen. So ist es durchaus möglich, dass auch eine unmittelbare Benachteiligung unvorsätzlich erfolgt. Dies gilt etwa für den Fall, dass die Benachteiligung unbewusst geschieht, weil sich der Benachteiligende von Vorurteilen leiten lässt. Bauer/Göpfert/Krieger592 nennen hierfür das Beispiel eines Arbeitgebers, der nicht einmal auf die Idee kommt, einen behinderten Beschäftigten für eine Beförderungsstelle in Betracht zu ziehen, weil er unterbewusst davon ausgeht, die mit der Beförderung verbundene zusätzliche Belastung sei mit der Behinderung des Arbeitnehmers unvereinbar. Bei der mittelbaren Benachteiligung wird es noch deutlicher: Sie wird regelmäßig unvorsätzlich593 erfolgen, wenn sich der Arbeitgeber über den Ausgang der tatbestandlichen Interessenabwägung irrt oder die diskriminierende Wirkung des scheinbar neutralen Kriteriums verkennt. Der Einwand von Adomeit/Mohr, in dem Begriff Diskriminierung stecke ein so erheblicher Vorwurf, dass Vorsatz zu fordern sei, trägt nicht. Zunächst ist dieser Begriff zwar im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus negativ besetzt. Andererseits besteht in der 588 Adomeit/Mohr, 2007, § 3 AGG, Rn. 41 ff und § 15 AGG, Rn. 19; Mohr, SAE 2008, S. 106 (107). 589 Ähnlich Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (21). 590 Adomeit/Mohr, 2007, § 3 AGG, Rn. 98. 591 Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert, 2008, § 3 AGG, Rn. 38, 63; Preis, ZESAR 2007, S. 308 (313); ErfK/Schlachter, 2011, § 3 AGG, Rn. 2; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 3 AGG, Rn. 10, 29; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 3 AGG, Rn. 30; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 3 AGG, Rn. 12. 592 Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 3 AGG, Rn. 10. 593 Nicht unverschuldet! Denn Fahrlässigkeit wird zumeist vorliegen.
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rechtswissenschaftlichen Diskussion doch Einigkeit, dass ein marktwirtschaftliches System auf Diskriminierungen im Sinne eines Auswahl-, Unterscheidungs- und Bewertungsverfahrens geradezu angewiesen ist und es demnach durchaus positive Diskriminierungen gibt.594 Zudem taucht der Begriff der Diskriminierung im Gesetzestext gar nicht auf, sondern ist durch den Begriff der Benachteiligung ersetzt worden. Dieser trägt selbst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keinen besonderen Vorwurf in sich. Letztlich wäre es auch äußerst ungewöhnlich, wenn einerseits die Substanzrechtsverletzung von einem besonderen Schuldvorwurf (Vorsatz) abhängen würde und andererseits das nachgelagerte, auf Restitution gerichtete Schutzrecht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 AGG eine geringere Schuldform (Fahrlässigkeit) genügen ließe.595 Demnach reicht für das Vorliegen einer Benachteiligung eine objektive Ungleichbehandlung aus. Die notwendige Beziehung zwischen innerer Motivation und ungünstiger Behandlung wird allein durch das Merkmal der Kausalität gewährleistet. 4. Das Vertretenmüssen Ein weiterer großer Streitpunkt im Rahmen von § 15 AGG betrifft die Frage des Vertretenmüssens. § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, durch den Nachweis mangelnden Verschuldens eine Schadensersatzhaftung abzuwenden. Die Reichweite dieser Exkulpationsmöglichkeit ist jedoch genauso streitig wie ihre Europarechtskonformität. Um die rechtsdogmatische Relevanz596 dieses Streits besser zu verstehen, soll zunächst ein kurzer Abriss über die Bedeutung des Verschuldenserfordernisses gegeben werden. Dies wird insbesondere auch für die Beantwortung der Frage wichtig sein, ob eine verschuldensunabhängige Haftung in den Diskriminierungsfällen tatsächlich „systemwidrig“ wäre, wie oftmals597 behauptet wird. a) Das Verschuldenserfordernis im deutschen Schadensrecht aa) Begrifflichkeiten: Vertretenmüssen und Verschulden Hinsichtlich der Begrifflichkeiten gilt es zunächst sich klarzumachen, dass Verschulden und Vertretenmüssen an sich nicht gleichbedeutend sind. Das Vertretenmüssen ist in § 276 Abs. 1 BGB geregelt und setzt das Bestehen eines (vor-) vertraglichen Schuldverhältnisses voraus. Wenn man vom Verschulden spricht, meint man regelmäßig Vorsatz und Fahrlässigkeit. § 823 Abs. 1 BGB enthält diese 594
Dazu bereits oben 1. Kap. E. Siehe BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 6. 2010, § 3 AGG, Rn. 12. 596 In praktischer Hinsicht hat der Streit um das Verschuldenserfordernis des § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG lediglich eine untergeordnete Bedeutung, wie noch gezeigt werden wird. 597 Statt vieler Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259); Annuß, NZA 1999, S. 738 (742). 595
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Elemente in seinem Tatbestand als Haftungsvorsaussetzung und ist somit Ausdruck des deliktsrechtlichen Verschuldensprinzips. Vertretenmüssen und Verschulden überschneiden sich oftmals. Dies ergibt sich aus § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach „[d]er Schuldner […] Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten [hat], wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist“. Vertretenmüssen bedeutet somit Verschulden mit der Möglichkeit von Abweichungen nach oben oder unten. Die beiden Regelbeispiele für Haftungsverschärfungen bzw. -milderungen offenbaren jedoch bereits, dass der Unterschied zwischen Vertretenmüssen und Verschulden für den hier interessierenden Bereich des § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG ohne besondere Relevanz ist. Sowohl die Übernahme einer Garantie als auch die Übernahme eines Beschaffungsrisikos betreffen Haftungsverschärfungen kraft rechtsgeschäftlicher Abrede.598 Gerade in den bedeutenden Fällen der Bewerberdiskriminierung liegt jedoch eine rechtsgeschäftliche Abrede nicht vor. Wie oben ausgeführt, handelt es sich nach vorzugswürdiger Ansicht bei den Antidiskriminierungsregeln um deliktsrechtliche Vorschriften, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Jedermannsbereich konkretisieren und ein (vor-) vertragliches Schuldverhältnis nicht voraussetzen. Hinzu kommt, dass selbst innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses der Unterschied zwischen Verschulden und Vertretenmüssen regelmäßig nur hinsichtlich der Leistungspflichten relevant wird. Die Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisiko bezieht sich auf den Leistungsgegenstand und beinhaltet in aller Regel599 nicht auch das Versprechen, ohne Verschulden für Integritätsschäden haften zu wollen, die mit der Erbringung der Leistung in keinem Zusammenhang stehen. Nach alledem können für die hiesigen Zwecke die Begriffe Vertretenmüssen und Verschulden synonym verwendet werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der noch näher zu besprechenden Ansicht, die im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG dem Unterschied der beiden Begriffe maßgebliche Bedeutung beimessen will. Denn diese Ansicht versucht damit gerade die (vermeintlich) europarechtlich gebotene Abschaffung des Verschuldenserfordernisses zu erreichen.600 § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB dient lediglich als Mittel zur Erzielung europarechtskonformer Auslegungsergebnisse, indem davon ausgegangen wird, dass durch die Antidiskriminierungsrichtlinien und ihrer Auslegung durch den EuGH „etwas anderes“ im Sinne der Norm, die Verschuldensunabhängigkeit, „bestimmt“ ist. Dies betrifft aber einen völlig anderen Punkt, nämlich die Frage, ob trotz Anordnung des Verschuldensprinzips durch den nationalen Gesetzgeber aus europarechtlichen Gründen hierauf verzichtet werden kann. Im Ausgangspunkt besteht demnach aber Einigkeit, dass das Vertretenmüssen in § 15 598 599 600
Siehe MüKo-BGB/Grundmann, 2007, § 276 BGB, Rn. 172. Ein solches Versprechen ist natürlich im Rahmen der Vertragsfreiheit möglich. Dazu sogleich ausführlich unter 4. Kap. A. II. 4. b) bb) (2).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Abs. 1 Satz 2 AGG nach dem Willen des Gesetzgebers mit dem Verschulden gleichbedeutend sein soll und die Vorschrift demnach Ausdruck des Verschuldensprinzips ist. bb) Der Grundgedanke des Verschuldensprinzips Ausgangspunkt des Verschuldensprinzips ist der Grundsatz casum sentit dominus: Die Folgen einer zufälligen Schädigung hat der geschädigte Rechtsinhaber grundsätzlich selbst zu tragen.601 Diese „Selbstverständlichkeit“ weist einen „elementare Gerechtigkeitsgehalt“602 auf: Jedes Privatrechtssubjekt trägt sein allgemeines Lebensrisiko und kann es ohne besonderen Grund nicht auf andere abwälzen. Ein solcher Grund zur Risikoübertragung stellt insbesondere das verschuldete Fehlverhalten eines anderen dar. Die Verantwortung für das eigene Tun stellt die Kehrseite der Freiheit dar. In einer freiheitlichen Ordnung muss jeder für die Folgen seines Handelns einstehen. Es ist ihm verwehrt, andere zu schädigen (neminem laedere).603 Tut er dies trotzdem, so ist er grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet. Allein die eine Schädigung verursachende Handlung kann die Schadensverlagerung jedoch nicht rechtfertigen.604 Würde man eine Haftung für jegliches rechtswidrige Verhalten anordnen, ohne Rücksicht darauf, ob dem Einzelnen die Überschreitung der rechtlichen Grenzen vorgeworfen werden kann, würde dies die Handlungsfreiheit stark einengen. Die bloße Rechtsverletzung allein taugt nach zutreffender Ansicht als ethische Legitimation einer Zurechnung nicht.605 Bereits die Reichstagskommission zur Beratung des BGB ging davon aus, dass nur verschuldetes Unrecht die Überwälzung entstandener Schäden legitimieren könnte.606 Das Prinzip der Verschuldenshaftung ist insoweit eine „moderne Fortbildung des elementaren Verbots des neminem laedere“607. Verboten ist die vorwerfbare Schädigung eines anderen. Das Verschuldensprinzip verschiebt die Haftungsgrenze zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz zugunsten des erstgenannten Wertes.608 Es
601
Siehe Staudinger/Hager, 1999, Vorb. zu §§ 823 ff BGB, Rn. 24. So Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 351. 603 Dazu bereits oben 1. Kap. C. II. 604 Staudinger/Hager, 1999, Vorb. zu §§ 823 ff BGB, Rn. 24; Jhering kam bereits 1867 zu dem Schluss: „Nicht die Zufügung des Schadens verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld!“, zitiert nach v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), S. 5 (6). 605 Siehe v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), S. 5 (22). 606 Bericht der RT-Kommission, S. 98: „Die Annahme einer Schadensersatzpflicht für unverschuldetes Unrecht würde die Freiheit der Bewegung in bedauerlichster Weise beschränken“; siehe dazu auch Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 (892), der „ähnliche grundlegende Erörterungen“ im Abschlussbericht der Schuldrechtskommission vermisst (Fn. 12). 607 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 352. 608 Siehe Kreuzer, FS Lorenz, S. 123 (125): Das Verschuldensprinzip dient dem Schutz der individuellen Handlungsfreiheit und Verantwortungsfreude. 602
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ist damit eines von mehreren Mitteln, mit denen das Gesetz den auftretenden Zielkonflikt zu lösen sucht.609 Das Verschuldensprinzip hat nach v. Caemmerer610 eine positive und eine negative Seite, in denen sich die beiden soeben genannten Ziele wieder finden. Positiv gewendet bringe das Verschuldensprinzip zum Ausdruck, dass jeder, der einen anderen schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig an dessen Rechtsgütern schädige, den Schaden zu ersetzen habe. Die negative Seite des Verschuldensprinzips wolle demgegenüber die Handlungsfreiheit sichern. Hiernach gelte grundsätzlich: „Wer mit bestem Wissen und Können keinen Schaden voraussieht, soll handeln dürfen, ohne eine vielleicht unabsehbare Haftung für dennoch eingetretene Schäden befürchten zu müssen“611. Derselbe Gedanke spiegelt sich in den Ausführungen Deutschs612 wider, wonach das Verschuldensprinzip „Grund und Grenze der Haftung“ ist. Als Haftungsgrund sei es Zurechnungsprinzip und Ausdruck persönlicher Verantwortung. Als Haftungsgrenze beschreibe es „de[n] Freiraum, in dem man sich zur Wertschöpfung bewegen können soll, ohne mit Schadensersatzansprüchen rechnen zu müssen“. Zu beachten gilt, dass das Verschuldensprinzip nicht für jegliche Form der Haftung gilt. Es bleibt beschränkt auf den Restitutionsanspruch. Die anderen beiden Schutzrechte, namentlich der bereicherungsrechtliche Abschöpfungsanspruch sowie der negatorische Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch sind verschuldensunabhängig ausgestaltet. Dies lässt sich insbesondere damit rechtfertigen, dass der Restitutionsanspruch eine wesentlich größere Belastung des Haftenden darstellt: Es wird ihm hier abverlangt, unter Rückgriff auf seine eigenen Rechtsgüter, insbesondere sein Vermögen, ein fremdes Rechtsgut wiederherzustellen. Die Restitutionspflicht hat enteignende Wirkung, weshalb es hier eines besonderen Grundes (z. B. Verschulden) für die Haftung bedarf.613 Die anderen beiden Schutzrechte fordern keinen derartigen Mitteleinsatz und beeinträchtigen auch die Handlungsfreiheit damit weit weniger. Das Verschuldensprinzip gilt grundsätzlich für deliktische sowie für vertragliche Schadensersatzansprüche. Regelmäßig, beispielsweise in § 823 Abs. 1 BGB sowie § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB, genügt dabei die einfache Fahrlässigkeit als Zurechungsgrund. Teilweise, etwa in § 826 BGB, wird jedoch Vorsatz als schärfere der beiden Schuldformen verlangt.
609 Vgl. zu dem Zielkonflikt zwischen Betätigungsfreiheit und Bestandsschutz auch Picker, JZ 1987, S. 1041 (1052 f); Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 276 BGB, Rn. 7. 610 v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), S. 5 (6 f). 611 v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), S. 5 (7). 612 Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 (893). 613 Siehe Lobinger, JuS 1997, S. 981 (983), wonach das Verschulden Legitimationsgrund für die Enteignungswirkung des Restitutionsanspruchs ist. Demgegenüber stellt die negatorische Haftung keine „Enteignung“ dar.
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cc) Die Einschränkungen des Verschuldensprinzips Das Verschuldensprinzip erfährt zahlreiche Einschränkungen, die im beschriebenen Zielkonflikt die Grenze wieder ein Stück zurück zulasten der Handlungsfreiheit und zugunsten des Rechtsgüterschutzes verschieben.614 Zudem gibt es weitere Zurechnungsgründe, die neben das Verschuldensprinzip treten und die enteignende Wirkung615 des Restitutionsanspruchs ebenfalls legitimieren können. Der äußerst komplexe Rechtsbegriff der Fahrlässigkeit ist in § 276 Abs. 2 BGB als Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beschrieben. Die erforderliche Sorgfalt ist nach herrschender Meinung weitestgehend objektiv-typisierend anhand von Verkehrskreisen zu bestimmen.616 Begründet wird dies mit dem notwendigen Verkehrsschutz. Auf individuelle Schwächen eines Einzelnen kann grundsätzlich keine Rücksicht genommen werden. Es gelten die Verhaltenstandards des jeweiligen Verkehrskreises in einer bestimmten Situation.617 Hat jedoch in einem Verkehrskreis der „allgemeine Schlendrian“ Einzug gehalten, dann soll nicht der übliche Standard gelten, sondern das objektiv Erforderliche.618 Zudem ist auch weitestgehend irrelevant, inwieweit ein vereinzeltes Zurückfallen hinter den Sorgfaltsstandard menschlich ist. Auch wenn in einer bestimmten Situation sich jedermann irgendwann einmal fehlerhaft verhält, bleibt eine Person haftbar, wenn aus ihrem nachvollziehbaren Fehler ein Schaden resultiert. Der moralische Vorwurf mag dann gering sein, der rechtliche Vorwurf bleibt bestehen. Der Fahrlässigkeitsbegriff ist somit in weitem Maße objektiviert, was eine beträchtliche Einschränkung des Verschuldensprinzips darstellt.619 Subjektive Momente enthält die Fahrlässigkeit nur insoweit, als kein völlig verallgemeinernden Maßstab angelegt, sondern eben auf Verkehrskreise abgestellt wird, sowie durch die 614 Vgl. zum Ganzen Kreuzer, FS Lorenz, S. 123 (125 ff); Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 276 BGB, Rn. 7. 615 Siehe dazu Lobinger, JuS 1997, S. 981 (983). 616 Siehe BeckOK-BGB/Unberath, Stand: 1. 2. 2009, § 276 BGB, Rn. 20 ff m.w.N. 617 Vgl. dazu Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 (900): „Die Sorgfalt als normatives Element passt sich den Gegebenheiten an. Es wird ein Verhalten vorausgesetzt, das die mögliche Gefahr minimiert und ihre Verwirklichung deutlich herabsetzt. Dabei wird eine Abwägung nach dem Wert der beteiligten Rechtsgüter getroffen. Die Sorgfalt ist auch ein typisierender Begriff, da sie nämlich an typische Gegebenheiten anknüpft. So hat etwa der Berufsausübende die normale und erwartete Sorgfalt in einem Berufskreis aufzubringen, z. B. der Kraftfahrer oder der Facharzt. Er wird damit nicht gehört, dass er diesen Teil seiner Kunst nicht beherrsche. Typisierend ist die Sorgfalt, auch soweit sie herabgesetzt wird, wenn es sich um Jugendliche oder alte Leute handelt. Von ihnen erwartet der Verkehr nicht das besondere Maß an Sorgfalt. Sie sollen als Jugendliche durch Versuch und Irrtum aufwachsen können. Als alte Leute sollten sie Schonung und nicht Forderung erfahren. Das Verschuldensurteil setzt ein Verhaltensprogramm voraus, das der Schuldner zu beobachten hat, einen Weg, den er gehen sollte, aber nicht gegangen ist. Das Verhaltensprogramm ist daran bemessen, welcher Umgang mit den Schutzgütern des anderen als sachgemäß verlangt werden muss“. 618 MüKo-BGB/Wagner, 2009, Einl. zu § 823 BGB, Rn. 36. 619 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 353.
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Berücksichtigung des Alters des Schädigers.620 Eine gewisse Re-Subjektivierung ist zudem darin zu sehen, dass ein Schädiger mit besonderen, überdurchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht mit dem Argument gehört wird, er habe die übliche Sorgfalt walten lassen. Wer über spezielle Fähigkeiten verfügt, muss sie nach herrschender Meinung einsetzen, wenn er der Haftung entgehen will.621 Die weitgehende Objektivierung der Fahrlässigkeit führt zu Abgrenzungsproblemen mit dem Rechtswidrigkeitsbegriff, insbesondere im Bereich der Verkehrsicherungspflichten des § 823 Abs. 1 BGB, aber auch im Rahmen von § 280 Abs. 1 BGB bei der Abgrenzung zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen.622 Überschneidungen der beiden Bereiche lassen sich nicht leugnen.623 Dennoch behält die Fahrlässigkeit als Teil des Verschuldens insoweit eine maßgebliche eigene Bedeutung, als die so genannte „innere“ Sorgfalt betroffen ist.624 Diese beschreibt das der Zurechnung zu Grunde liegende persönliche Verantwortungselement. Die „äußere“ Sorgfalt betrifft die (Nicht-)Einhaltung eines Verhaltensprogramms, das nach dem bisher Gesagten weitgehend objektiv festgelegt wird. Die „innere“ Sorgfalt als Kern des Verschuldens richtet sich „auf die Erkenntnis der äußeren und auf die Befolgung des Normbefehls“625. Das Verhaltensprogramm und somit auch das mit ihm umschriebene Substanzrecht muss als solches erkannt werden. Angesprochen sind dabei insbesondere Irrtümer über den Verlauf der rechtlichen Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Bestandsschutz und somit über den Umfang der Rechtsposition selbst. Auch Tatsachenirrtümer betreffen die innere Sorgfalt. Neben dem weitgehend objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab schränken insbesondere auch Beweislastverschiebungen das Verschuldensprinzip ein, ohne es gleichwohl abzuschaffen oder grundsätzlich in Frage zu stellen.626 §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 4, 831 f, 833 S.2, 834, 836 bis 838 BGB enthalten eine Haftung für vermutetes Verschulden. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zur reinen Verschuldenshaftung dar. Der beweisrechtliche Vorteil von § 280 Abs. 1 BGB gegenüber § 823 Abs. 1 BGB war ein wichtiger Grund für die Ausdehnung der vertraglichen Haftung bei Integritätsschäden und somit auch für die Entstehung von Rechtsinstituten wie
620
MüKo-BGB/Wagner, 2009, Einl. zu § 823 BGB, Rn. 37. MüKo-BGB/Wagner, 2009, Einl. zu § 823 BGB, Rn. 37 bezeichnet den Sorgfaltsmaßstab der h.M. als „komplexe[s] Mischsystem, das zwar von den Fähigkeiten eines verständigen Durchschnittsmenschen ausgeht, jedoch mehrere Einfallstore für Subjektivierungen enthält, indem es die objektiven (Durchschnitts-)Anforderungen den Kapazitäten des konkret Handelnden anpasst“. 622 Dazu Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 ff; Zieglmeier, JuS 2007, S. 701 ff. 623 MüKo-BGB/Wagner, 2009, Einl. zu § 823 BGB, Rn. 41 kritisiert eine „Verdoppelung der Fahrlässigkeitsprüfung“, die zugleich „zwei Systemstellen“ zugewiesen werde. 624 Vgl. dazu ausführlich Kötz/Wagner, Rn. 119 f. 625 Deutsch, AcP 202 (2002), S. 889 (903). 626 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 353; Staudinger/Löwisch/Caspers, 2009, § 276 BGB, Rn. 5. 621
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der culpa in contrahendo oder dem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter. Schon dies zeigt die große Bedeutung der Beweislastumkehr. Die genannten Normen setzen für eine Haftung die Feststellung eines Verschuldens nicht voraus. Vielmehr wird dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, sich zu exkulpieren. Er ist diesbezüglich vollumfänglich darlegungs- und beweispflichtig. Ein non liquet geht zu seinen Lasten. Zieglmeier stuft die praktische Bedeutung der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB derart hoch ein, dass sie seines Erachtens den Schadensersatzanspruch „mitunter […] in die Nähe einer Garantiehaftung bring[t]“627. Die Haftung für vermutetes Verschulden verkörpert demnach eine Zwischenstufe auf dem Weg von der Verschuldenshaftung zur verschuldensunabhängiger Haftung. Sie steht gemäß der jeweils typischen Beweissituation mal dem einen und mal dem anderen Extrem näher. Entscheidend ist dabei insbesondere auch, welche Anforderungen in einer bestimmten Konstellation an den Entlastungsbeweis gestellt werden.628 Zumeist sind die Anforderungen recht hoch.629 Nicht nur das Gesetz, sondern auch die Rechtsprechung bedient sich oftmals einer Beweislastumkehr, um die Folgen des reinen Verschuldensprinzips abzuschwächen. Gerade in Konstellationen, in denen der Schädiger den schadensverursachenden Vorgängen typischerweise wesentlich näher steht als der Geschädigte, hat die Rechtsprechung630 eine Beweislastumkehr angenommen. Genannt sei allen voran die Produzentenhaftung.631 Eine wichtige Bedeutung kommt der Beweislastumkehr auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten632 und Schutzgesetzen633 zu. Auch hier nimmt die herrschende Meinung eine Beweislastumkehr an und schließt somit aus dem Rechtsverstoß auf eine vorwerfbare Sorgfaltswidrigkeit. Diese Vermutung kann der Schädiger freilich ebenso wie bei den gesetzlichen Tatbeständen widerlegen. Die Haftung für vermutetes Verschulden stellt mithin einen gängigen und gerade in
627 Zieglmeier, JuS 2007, S. 701 (701); wobei es sich nach Zieglmeier streng genommen gar nicht um eine bloße Beweislastumkehr, sondern um eine materielle Einwendung des Schädigers handelt. Praktisch relevant wird diese Differenzierung jedoch nur dann, wenn der Schädiger im Prozess säumig ist, vgl. S. 702. Man wird Zieglmeier wohl zumindest insoweit Recht geben müssen, als er davon ausgeht, dass auch die Darlegungslast den Schädiger trifft. 628 Siehe Staudinger/Belling, 2008, § 831 BGB, Rn. 7. 629 Vgl. dazu für § 831 BGB BeckOK-BGB/Spindler, Stand: 1. 10. 2007, § 831 BGB, Rn. 26; krit. hinsichtlich zu scharfer Anforderungen an den Entlastungsbeweis Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 353 sowie S. 483. 630 Exemplarisch BGH, 2. 2. 1999, VI ZR 392 – 97, NJW 1999, S. 1028 ff m.w.N. 631 Dazu Kötz/Wagner, Rn. 611. 632 Vgl. Staudinger/Hager, 2009, § 823 BGB, E 72: Ob es zu einer vollen Umkehr der Beweislast kommt oder lediglich ein Anscheinsbeweis eingreift, ist umstritten. 633 Siehe dazu bereits oben 4. Kap. A. II. 2. c) bb).
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praktischer Hinsicht bedeutsamen Kompromiss zwischen den beiden Haftungsextremen dar.634 Eine wichtige Ausnahme vom Verschuldensprinzip ist die Gefährdungshaftung.635 Es handelt sich dabei nicht um eine Einschränkung der Verschuldenshaftung, sondern um einen eigenständigen, neben das Verschulden tretenden Zurechnungsgrund.636 Der dahinter stehende Gedanke, der die enteignende Schadensüberwälzung ethisch legitimiert, ist folgender: Die jeweilige gefährliche Handlung, zumeist der Betrieb einer technischen Anlage, trägt typischerweise ein derart hohes Unfallrisiko in sich (bspw. das Führen von Kraftfahrzeugen), dass die Rechtsordnung hierauf normalerweise mit einem Verbot reagieren würde. Andererseits ist die Tätigkeit jedoch von hoher, zumeist637 wirtschaftlicher Relevanz, so dass beachtliche Interessen einem Verbot entgegenstehen. Die Gefährdungshaftung geht zur Lösung dieses Konflikts einen Mittelweg: Die Tätigkeit bleibt erlaubt,638 jedoch muss der Handelnde gleichsam als „Preis“639 für den Freiheitsgewinn hinnehmen, dass er für typischerweise auftretende Schäden auch dann einzustehen hat, wenn ihm persönlich nichts vorgeworfen werden kann. Der Einzelne kann sich dann in Abwägung von Nutzen und Risiko frei entscheiden, ob er auf die gefährliche Tätigkeit verzichten oder diese trotz der erhöhten Haftungsrisiken ausüben will. Ebenfalls als Ausnahme vom Verschuldensprinzip wird teilweise die Aufopferungshaftung angesehen. Paradigmatisch hiefür ist der Schadensersatzanspruch aus § 904 S. 2 BGB. Abgesehen davon, dass selbst dort die mitunter640 angenommene Verschuldensunabhängigkeit von anderen641 in Frage gestellt wird, ist die Legiti634 Siehe Kreuzer, FS Lorenz, S. 123 (125): „Es handelt sich um eine Zwischenstufe, ein Übergangsstadium von der Verschuldenshaftung zur objektiven Haftung“. 635 Ausführlich Deutsch, NJW 1992, S. 73 ff; Kötz/Wagner, Rn. 491 ff. 636 Als Zurechnungsgründe werden allgemein genannt: Verschulden, Gefährdung und Aufopferung. 637 Das Halten eines sog. Luxustieres, das gemäß § 833 S. 1 BGB eine Gefährdungshaftung auslöst, hat zweifellos keinen wirtschaftlichen, sondern vielmehr einen ideellen Hintergrund; zur Sonderstellung der Tierhalterhaftung, Kötz/Wagner, Rn. 493 f. 638 Auch wenn die Tätigkeit selbst erlaubt ist, so ist doch der Übergriff in die fremde Rechtssphäre (das fremde „Substanzrecht“) rechtswidrig. Auch die Gefährdungshaftung als besonders ausgestaltete Variante des auf Restitution gerichteten Schutzrechts setzt demnach ein zuweisungswidriges Verhalten bzw. einen zuweisungswidrigen Zustand voraus, vgl. Katzenstein, FS Picker, S. 425 (432 f). 639 So BAG, 2. 7. 1991, VI ZR 6/91, NJW 1991, S. 2568 (2568); ebenso Hirsch, NZV 2011, S. 16 (16); Lobinger, Leistungspflichten, S. 303 f bezeichnet die Gefährdungshaftung als „kompensatorische Maßnahme für einen Freiheitsgewinn an anderer Stelle“; krit. zur Gefährdungshaftung als Preis für die Zulassung an sich verbietungswürdiger Verhaltensweisen, Kötz/Wagner, Rn. 499; MüKo-BGB/Wagner, 2009, vor § 823 BGB, Rn. 17 begründet die Gefährdungshaftung mit „distributiven Erwägungen“: Die ungleiche Verteilung der Vorteile und Lasten technischer Risiken werde dadurch kompensiert, dass der Geschädigte de facto auf Kosten des Schädigers versichert werde. 640 Palandt/Bassenge, 2010, § 904 BGB, Rn 5. 641 BeckOK-BGB/Fritzsche, Stand: 1. 5. 2010, § 904 BGB, Rn. 17.
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mation für eine solche Haftung offensichtlich: Der Einzelne erhält sie als Kompensation dafür, dass es ihm auf Primärebene verwehrt ist, die ohne die Notsituation an sich unzulässige Einwirkung auf seine Rechtsgüter zu verhindern.642 Zurechnungsgrund ist die ausnahmsweise erlaubte Inanspruchnahme eines fremden Rechtsguts.643 Selbst wenn man von der Verschuldensunabhängigkeit der Aufopferungshaftung ausgeht, wäre dies eine ausreichende Legitimation. Die Garantiehaftung stellt eine weitere Ausnahme zum Verschuldensprinzip dar. Ihre Legitimation basiert auf dem Garantieversprechen und somit dem Willen des Schädigers, für einen verursachten Schaden verschuldensunabhängig einstehen zu wollen. Soweit eine gesetzliche Garantie vorliegt (bspw. § 536a Abs. 1 Var. 1 BGB644), steht diese ebenfalls in direktem Zusammenhang mit einem Versprechen des Schuldners:645 Es wird in diesen Fällen vom Gesetz schlicht unterstellt, dass das Leistungsversprechen die Garantie des Leistungserfolges beinhaltet. Der Garantiegedanke wird gerade in jüngster Zeit vermehrt zur Einschränkung des Verschuldensprinzips im Rahmen der vertraglichen Haftung bemüht. Dabei geht es jedoch vorrangig um die Haftung auf das Erfüllungsinteresse, die nach Ansicht mancher Autoren646 stets verschuldensunabhängig sein soll. Soweit auch für Integritätsschäden eine solche Haftung befürwortet wird, begründet man dies ebenfalls mit dem Versprechen des Schuldners.647 Dieses soll im konkreten Einzelfall auch die Unversehrtheit der Rechtsgüter des Vertragspartners umfassen. Für den hier interessierenden Bereich spielen diese „modernen“ Tendenzen jedoch keine Rolle. Ein Leistungsversprechen liegt in den bedeutendsten Antidiskriminierungsfällen, bei den Bewerberdiskriminierungen, nicht vor.648 Wenn es vorliegt, wie in den Beförderungsfällen, hat es für die Falllösung keine Relevanz. Nach zutreffendem Verständnis handelt es sich bei den AGG-Vorschriften um deliktsrechtliche Regelungen.649 Mit einem gesteigerten Haftungswillen im Sinne eines Garantieversprechens lassen sie sich nicht erklären. Die von den genannten Autoren beschworene „Abkehr vom Verschuldensprinzip“650 meint die Vertragshaftung und ist deshalb hier ohne Relevanz.
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MüKo-BGB/Säcker, 2009, § 904 BGB, Rn. 1. Kreuzer, FS Lorenz, S. 123 (136). 644 Dazu MüKo-BGB/Häublein, 2008, § 536a BGB, Rn. 6 f. 645 Ausführlich dazu im Anschluss an das EuGH-Urteil in Rs. Draehmpaehl: Ehmann/ Emmert, SAE 1997, S. 253 (259). 646 Sutschet, Garantiehaftung, S. 309; Schneider, S. 289 ff. 647 Sutschet, Garantiehaftung, S. 316. 648 Eine Garantiehaftung deshalb ablehnend Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259); a.A. wenig überzeugend Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 58: Bei § 15 Abs. 2 AGG handele es sich um „eine Art Garantiehaftung für ein diskriminierungsfreies Verfahren“. 649 Siehe oben 3. Kap. B. V. 2. b). 650 Schneider, S. 479 ff. 643
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Auch § 278 BGB stellt eine Einschränkung des Verschuldensgrundsatzes dar. Anders als in § 831 BGB wird ein eigenes Verschulden des Geschäftsherrn hier nicht vorausgesetzt. Die Zurechnung wird allein durch die Einschaltung des Erfüllungsgehilfen im eigenen Pflichtenkreis ersetzt. Eine stringente Erklärung von § 278 BGB ist, wie oben angedeutet, meines Erachtens bisher nicht erfolgt. Auch hier kann es nicht Aufgabe sein, das Problem zu lösen. In jedem Fall sollte man den Anwendungsbereich der Norm auf den Bereich der Sonderverbindung beschränken, um die Grenze zum Deliktsrecht nicht völlig zu verwischen. Im originär deliktischen Bereich, in dem wir uns im Diskriminierungsrecht befinden, ist der auf dem Verschuldensgrundsatz basierende § 831 BGB vorrangig heranzuziehen.651 dd) Zwischenergebnis Das Verschuldensprinzip dominiert das deutsche Schadensrecht, insbesondere im außervertraglichen Bereich. Es ist Ausdruck des Grundsatzes, dass in einer freiheitlichen Zuweisungsordnung jegliche Pflicht mit Enteignungswirkung eines besonderen Grundes bedarf.652 Seine ethische Legitimation bezieht das Verschuldensprinzip aus dem Gedanken der persönlichen Verantwortung. Einschränkungen erfährt es insbesondere durch den objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab sowie durch zahlreiche Beweiserleichterungen bezüglich des Verschuldenserfordernisses. Die Garantiehaftung sowie § 278 BGB als weitere Einschränkungen betreffen den vertraglichen Bereich und sind somit für die Antidiskriminierungsfälle ohne Bedeutung. Gefährdungs- und Aufopferungshaftung ergänzen die Verschuldenshaftung. Es handelt sich um eigenständige Zurechnungskriterien, die eine enteignende Haftung ebenfalls ausreichend legitimieren können. Keinesfalls verdrängen sie den Verschuldensgrundsatz, der ein Wesensmerkmal des deutschen Schadensrechts bleibt. b) Das Verschuldenserfordernis im Rahmen der Haftung für Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG – Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG muss der Arbeitgeber den entstandenen Vermögensschaden nur dann ersetzen, wenn er sich wegen seines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nicht exkulpieren kann. Die Haftung aus § 15 Abs. 1 AGG ist demnach dem Wortlaut nach eine Haftung für vermutetes Verschulden. Auch die Gesetzesbegründung653 lässt hieran keine Zweifel. Insoweit besteht auch in Rechtsprechung und Literatur weitestgehend Einigkeit.654
651 652 653 654
Siehe oben 4. Kap. A. II. 2. c). Siehe Lobinger, JuS 1997, S. 981 (983). BT-Drucks. 16/1780, S. 38. Vgl. die Nachweise bei Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210 f).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Die Streitigkeiten beginnen bei der Folgefrage, ob § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG europarechtskonform ist. Angeheizt wird die Diskussion durch ein Vertragsverletzungsverfahren, das die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der angeblich unzureichenden Umsetzung der Richtlinie 2000/ 78/EG eingeleitet hat. In ihrem Schreiben an die Bundesregierung vom 31. 1. 2008 rügt die Kommission unter anderem die Tatsache, dass das deutsche Recht einen Schadensersatzanspruch nur bei einem Verschulden vorsieht. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 17 der Richtlinie dar.655 Soweit die Europarechtskonformität des Verschuldenserfordernisses verneint wird, stellt sich weiter die Frage, ob trotz des eindeutigen Wortlauts und Willens des Gesetzgebers eine europarechtskonforme Auslegung möglich ist. aa) M.M.: Europarechtskonformität der Regelung Eine wohl als Mindermeinung zu bezeichnende Ansicht hält die Haftung für vermutetes Verschulden für richtlinienkonform.656 Es sei zwar zutreffend, dass die Richtlinien eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion verlangten. Zudem habe der EuGH in Dekker sowie Draehmpaehl auch entschieden, dass dies nur bei einer verschuldensunabhängigen Haftung gewährleistet sei. Diesen Anforderungen an die Haftung des Arbeitgebers sei jedoch bereits durch die Statuierung des verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs in § 15 Abs. 2 AGG entsprochen.657 Dieser enthalte die maßgebliche Sanktion, so dass die Verschuldenshaftung für materielle Schäden nicht weiter ins Gewicht falle.658 Des Weiteren stelle die Beweislastumkehr eine zusätzliche Einschränkung der Verschuldenshaftung dar. Das haftungsrechtliche Gesamtsystem, bestehend aus dem verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch für vermutetes Verschulden bei Vermögensschäden, genüge aber den europarechtlichen Anforderungen.659
655
Aufforderungsschreiben der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 31. 1. 2008, Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362, K (2008) 0103, S. 9 f. 656 Hanau, ZIP 2006, S. 2189 (2201) Walker, NZA 2009, S. 5 (6); Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (893); Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 15; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 16; Busche, Effektive Rechtsdurchsetzung, S. 176 f; Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 3; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 4; Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 129. 657 Bauer/Evers, NZA 2006, S. 893 (893); Roesner, Gleichbehandlungsgesetz, S. 148; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 4. 658 Walker, NZA 2009, S. 5 (6). 659 Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 129; Wendeling-Schröder/ Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 16; Busche, Effektive Rechtsdurchsetzung, S. 176 f.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
321
Auch die Bundesregierung hält die Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG für richtlinienkonform. Eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage660 beantwortete sie wie folgt:661 „Mit der Festlegung eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruches in § 15 Absatz 2 AGG wurden ausreichende Maßnahmen getroffen, um die Vorgaben der Richtlinien korrekt umzusetzen. Bereits mit diesem Entschädigungsanspruch erfüllt Deutschland die Verpflichtungen aus der Richtlinie. Der darüber hinausgehende zusätzliche Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Absatz 1 AGG ergibt sich nicht aus den Vorgaben des europäischen Rechts“.
Die Rechtsansicht der Bundesregierung geht mithin sogar über die zuletzt geäußerte Literaturansicht hinaus, nach der das Gesamtsystem bestehend aus § 15 Abs. 2 AGG (verschuldensunabhängig) und § 15 Abs. 1 AGG (vermutetes Verschulden) den europäischen Vorgaben genügt. Nach der Auffassung der Bundesregierung ist ein Ersatz materieller Schäden vielmehr überhaupt nicht europarechtlich geboten. § 15 Abs. 1 AGG stellt hiernach lediglich eine Art nationale Zugabe dar. bb) H.M.: Europarechtswidrigkeit der Regelung Die herrschende Ansicht662 folgt diesen Argumenten freilich nicht. Die Europarechtswidrigkeit von § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG sei im Gegenteil geradezu „offenkundig“663. (1) Die Argumente für eine Richtlinienwidrigkeit Ein wirksamer und abschreckender Ausgleich im Sinne der Richtlinien setze einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch auch hinsichtlich der Vermögensschäden zwingend voraus.664 Die Beschränkung der verschuldensunabhängigen Haftung auf immaterielle Schäden gewährleiste keinen vollen Ausgleich 660 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 17/851; eine vorausgehende, nahezu inhaltsgleiche Anfrage (BT-Drucks. 17/377) hatte die Bundesregierung noch unbeantwortet gelassen mit dem Argument, im derzeitigen Stadium des Vertragsverletzungsverfahrens müsse die Vertraulichkeit der Schriftwechsel zwischen Mitgliedsstaat und Kommission gewährleistet sein (BT-Drucks. 17/421). 661 BT-Drucks. 17/994, Antwort zu Frage 4, S. 3. 662 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210 f); Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1084 (1091); Däubler/ Bertzbach/Deinert 2008, § 15 AGG, Rn. 30; ders., DB 2007, S. 398 (399); Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (336); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 19; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 15 AGG, Rn. 3; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 24 und 33; Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 1; Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, § 8, Rn. 57; Meinel/ Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 32 ff; KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 4; Rust/Falke/ Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 11; KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 11 ff; KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 134; Feuerborn, JR 2008, S. 485 (490). 663 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1084 (1091). 664 BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 15 AGG, Rn. 3.
322
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
der entstandenen Einbußen.665 Dies gelte insbesondere dann, wenn die materiellen Schäden groß seien, etwa im Fall der unterbliebenen Einstellung eines Bestqualifizierten.666 Der EuGH habe in Dekker und Draehmpaehl entschieden, dass grundsätzlich die volle Haftung des Urhebers einer Diskriminierung unabhängig vom Verschulden gesichert sein müsse.667 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung sei die Europarechtswidrigkeit von § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG „unabweisbar“668. Insbesondere habe der EuGH in Draehmpaehl auch das Argument der Bundesregierung zurückgewiesen, dass der Nachweis des Verschuldens wegen der Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit ohnehin einfach zu führen und die deutsche Regelung deshalb europarechtskonform sei.669 Damit stehe aber gleichzeitig fest, dass auch die Umkehr der Beweislast nicht ausreichend im Sinne dieser Rechtsprechung sein könne.670 Zudem liege ein Verstoß gegen die Absenkungsverbote der Richtlinien671 vor. § 611a Abs. 2 BGB in seiner letzten Fassung sowie § 81 Abs. 2 SGB IX seien umfassend, d. h. auch bezüglich der Vermögensschäden verschuldensunabhängig ausgestaltet gewesen. Dahinter dürfe § 15 Abs. 1 AGG nicht zurückbleiben.672 Diese Position vertritt insbesondere auch die Europäische Kommission im eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren. Obgleich dieses Verfahren sich noch auf der ersten Stufe673 befindet, hätte der EuGH beinahe bereits zum Verschuldenser665
KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 4. Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210). 667 Aufforderungsschreiben der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 31. 1. 2008, Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362, K (2008) 0103, S. 9. 668 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210). 669 Vgl. EuGH, 22. 4. 1997, Rs C 180/95, NZA 1997, S. 645 (646): „Diese Schlussfolgerung [= die Europarechtswidrigkeit des Verschuldenserfordernisses] kann durch das Argument der deutschen Regierung nicht entkräftet werden, dass der Nachweis für ein solches Verschulden leicht zu erbringen sei, da sich die Verschuldenshaftung nach deutschem Recht auf vorsätzlich und fahrlässig begangene Handlungen erstrecke. Insoweit ist auf die im vorerwähnten Urteil Dekker […] getroffene Feststellung hinzuweisen, dass die Richtlinie keinen Rechtfertigungsgrund vorsieht, auf den sich der Urheber einer Diskriminierung mit haftungsbefreiender Wirkung berufen könnte, und den Ersatz eines solchen Schadens nicht vom Vorliegen eines Verschuldens abhängig macht, gleichgültig, wie leicht der Nachweis dafür zu erbringen ist“. 670 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210); dies überzeugt freilich nicht. Aus der Tatsache, dass dem EuGH die Fahrlässigkeitshaftung nicht genügte, kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass auch die Fahrlässigkeitshaftung mit einer zusätzlichen Umkehr der Beweislast nicht ausreichend ist. 671 Siehe Art. 8 e Abs. 2 RL 76/207/EWG, Art. 8 Abs. 2 RL 2000/78/EG, Art. 6 Abs. 2 RL 2000/43/EG, vgl. auch Art. 27 Abs. 2 RL 2006/54/EG. 672 Rust/Falke/Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 11 ff; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 33; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 15 AGG, Rn. 3; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210). 673 Das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV (vormals Art. 226 EGV) ist 3stufig: Eröffnet wird das Verfahren durch ein Mahnschreiben der Kommission, auf welches der betroffene Mitgliedsstaat erwidern kann (1. Stufe). Es folgt eine mit Gründen versehene 666
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
323
fordernis des § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG Stellung genommen. Das VG Frankfurt hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG mit dem europäischen Recht vereinbar sei. Das VG Frankfurt hatte diese Frage selbst mit der herrschenden Ansicht verneint.674 Der EuGH675 beantwortete die Frage jedoch nicht. Er kam vielmehr zu dem Schluss, dass in dem konkreten Fall schon gar keine ungerechtfertigte Benachteiligung vorlag. Die Frage, ob das Verschulden eine zulässige Haftungsvoraussetzung im Falle einer solchen ungerechtfertigten Benachteiligung ist, konnte somit offenbleiben. (2) Die (Un-)Möglichkeit einer europarechtskonformen Auslegung de lege lata Innerhalb der herrschenden Meinung besteht jedoch keine Einigkeit, was aus dem Richtlinienverstoß folgt. Teilweise wird § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung in Mangold sowie Kücükdeveci für unanwendbar erklärt.676 Zu einem solchen Ergebnis gelangt man jedoch nur, wenn man die konkreten Sanktionsanforderungen der Richtlinien als bloße Konkretisierung inhaltsgleicher primärrechtlicher Diskriminierungsverbote betrachtet.677 Andererseits wird auch vertreten, dass eine richtlinienkonforme Auslegung durch eine exzessive Interpretation der nationalen Vorschriften noch gewährleistet werden könne.678 Danach müsse das Vertretenmüssen entgegen seiner sonstigen Bedeutung in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG als bloßes allgemeines Zurechnungskriterium verstanden werden.679 Für eine solche Auslegung sei deshalb genug Raum, weil ein Vertretenmüssen gemäß der Legaldefinition in § 276 Abs. 1 BGB nicht zwingend Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetze, sondern in der Vorschrift auch eine strengere oder mildere Haftung vorbehalten sei. Eine solche strengere Haftung ergebe sich zwinStellungnahme der Kommission, woraufhin der betroffene Mitgliedsstaat erneut Gelegenheit zur Verteidigung oder Beseitigung des gerügten Gemeinschaftsrechtsverstoßes bekommt (2. Stufe). Auf der 3. Stufe folgt sodann das gerichtliche Verfahren vor dem EuGH, das durch eine Klageerhebung seitens der Kommission eingeleitet wird. Siehe zum Vertragsverletzungsverfahren Calliess/Ruffert/Cremer, 2007, Art. 226 EGV, Rn. 1 ff. Der Lissabon-Vertrag hat die Grundstruktur dieses Verfahren unangetastet gelassen, siehe dazu Thiele, EuR 2010, S. 30 (34 f). 674 VG Frankfurt, 21. 4. 2008, 9 E 3856/07, juris, Rn. 133. 675 EuGH, 12. 1. 2010, C-229/08, EuZW 2010, S. 142 (145). 676 Däubler/Bertzbach/Deinert 2008, § 15 AGG, Rn. 30; ders., DB 2007, S. 398 (399); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 20; v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 52 f. 677 So insbesondere v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 52. 678 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 35; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/ Oetker, 2009, § 15, Rn. 49; KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 14; KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 134; Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 1. 679 So Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 35; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15, Rn. 49; KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 14; KR/Pfeiffer, 2007, AGG, Rn. 134; a.A. Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
gend aus den europarechtlichen Vorgaben.680 Diese Ansicht knüpft an Stimmen an, die bereits zum Zweiten Gleichberechtigungsgesetz die Ansicht vertraten, dass das Vertretenmüssen in § 611a Abs. 2 BGB (2. Fassung) einer besonderen Auslegung bedürfe und danach europarechtskonform im Sinne einer bloßen objektiven Pflichtwidrigkeit verstanden werden müsse.681 Andere halten zwar eine europarechtskonforme Auslegung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht für möglich, meinen jedoch, durch einen Rückgriff auf die Generalklauseln richtlinienkonforme Resultate erzielen zu können.682 Überwiegend wird die Erzielung europarechtskonformer Ergebnisse aber de lege lata nicht für möglich gehalten.683 Der Wortlaut der Vorschrift und der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers ließen keinen Spielraum für eine europarechtskonforme Interpretation.684 Zudem könne auch die EuGH-Rechtsprechung in Mangold nicht zur Einschränkung des Verschuldenserfordernisses fruchtbar gemacht werden. In der ohnehin höchst umstrittenen Mangold-Entscheidung sei lediglich eine Regelung685 vom EuGH für unanwendbar erklärt worden, die selbst unmittelbar gegen das primärrechtliche, durch die Richtlinien lediglich konkretisierte Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen habe. Aus dieser Entscheidung könne aber nicht geschlossen werden, dass auch eine Vorschrift wie § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG, die selbst nicht diskriminiere, sondern vielmehr eine Sanktion für eine solche Diskriminierung von bestimmten Voraussetzungen abhängig mache, wegen eines Verstoßes gegen primärrechtliche Diskriminierungsverbote unanwendbar sei.686 § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG verletze keinesfalls Primärrecht, sondern lediglich eine (möglicherweise) in den Richtlinien vorgegebene Vorstellung von der Effektivität der Sanktionen.687 Demnach könne § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG wegen des (auch im Antidiskriminierungsrecht688) weiterhin geltenden Verbots der horizontalen Drittwirkung von Richtlinien
680
Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15, Rn. 49. Schieck, Gleichberechtigungsgesetz, Rn. 94. 682 So wenig überzeugend BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 3. 2010, § 15 AGG, Rn. 3, der §§ 826, 242 BGB als Ausweg ausgemacht haben will. 683 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210 f); HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 3; MüKoBGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 24 und 33; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 17; Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, § 8, Rn. 58; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1091). 684 Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1091); MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 24. 685 § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. 686 Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, § 8, Rn. 58; ebenso bzgl. § 15 Abs. 3 AGG, Jacobs, RdA 2009, S. 193 (198). 687 Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 17. 688 Generalanwalt Bot hatte in seinem Schlussantrag in der Rs. Kücükdeveci dafür plädiert, beschränkt auf das Antidiskriminierungsrecht eine horizontale Drittwirkung von Richtlinien anzuerkennen, siehe Schlussantrag vom 7. 7. 2009, C-555/07, juris, Rn. 70 ff. 681
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
325
grundsätzlich nicht einfach unangewandt bleiben. Lediglich gegenüber staatlichen Arbeitgebern sei ein solches Vorgehen möglich.689 c) Das Verschuldenserfordernis im Rahmen der Haftung für Nichtvermögensschäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG – Die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur aa) H.M.: Verschuldensunabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs § 15 Abs. 2 AGG sieht für den Ersatz von Nichtvermögensschäden kein Verschuldenserfordernis vor. Allerdings enthält § 15 Abs. 2 AGG auch im Übrigen keine Haftungsvoraussetzungen. Selbst der zentrale Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist lediglich in § 15 Abs. 1 AGG genannt. Dies scheint eindeutig für ein Verständnis der Vorschrift als bloße haftungsausfüllende Norm zu sprechen.690 Dennoch ist § 15 Abs. 2 AGG nach herrschender Meinung eine echte Anspruchsgrundlage.691 Begründet wird dies gerade mit dem Verschuldenserfordernis aus § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG. Würde man § 15 Abs. 2 AGG als bloße Rechtsfolgenregelung692 begreifen, so müsste man die Verschuldensvermutung auch auf den Entschädigungsanspruch übertragen. Dies würde aber nach herrschender Meinung ein richtlinienwidriges Ergebnis darstellen.693 Deshalb sei § 15 Abs. 2 AGG als echte, verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage zu verstehen. Für den Charakter der Vorschrift als echte Anspruchsgrundlage spreche auch § 15 Abs. 4 AGG, wo von einem „Anspruch nach Absatz 1 oder 2“ die Rede sei.694
689
MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 24 und 33; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (211); HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 3. 690 Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15, Rn. 54; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 35; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 31; MüKo-BGB/ Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 5; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 516; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 5. 691 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951); Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 56 ff; Willemsen/Schweibert, NJW 2006, S. 2583 (2589); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 26; Palandt/Weidenkaff, 2010, § 15 AGG, Rn. 6; Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 4; Erman/Belling, 2008, § 15 AGG, Rn. 8; in diese Richtung auch Jacobs, RdA 2009, S. 193 (196). 692 KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 32 sowie Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 56 sprechen missverständlich von einem möglichen (aber ihrer Meinung nach abzulehnenden) Verständnis der Vorschrift als „Rechtsfolgenverweisung“. Eine Verweisung enthält die Norm aber offensichtlich nicht. 693 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 56; KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 32; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (196); Göpfert/Siegrist, NZA 2007, S. 473 (476); BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951) mit zust. Anm. von Schlachter, AP Nr. 1 zu § 15 AGG und Deinert, AP Nr. 1 zu § 15 AGG; BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1131). 694 So etwa Jacobs, RdA 2009, S. 193 (196).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Das Ergebnis einer verschuldensunabhängigen Haftung wird weitestgehend auch von denjenigen695 geteilt, die an sich am Charakter der Vorschrift als haftungsausfüllender Norm festhalten wollen. An einer europarechtskonformern Auslegung führe aber beim Entschädigungsanspruch kein Weg vorbei. Auch jene Autoren,696 die das Verschuldenserfordernis in § 15 Abs. 1 AGG noch akzeptieren wollen, entscheiden für § 15 Abs. 2 AGG weitestgehend anders. Vielen dient die Verschuldensunabhängigkeit von § 15 Abs. 2 AGG gerade als Argument für die europarechtliche Unbedenklichkeit der verschuldensunabhängigen Haftung für Vermögensschäden. Die herrschende Meinung hat insbesondere auch die Gesetzesbegründung auf ihrer Seite. Dort wird der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ausdrücklich als verschuldensunabhängig bezeichnet.697 Mit dem Entschädigungsanspruch soll den Vorgaben der Richtlinien und der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen werden.698 Anders als im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG wird eine europarechtskonforme Auslegung von § 15 Abs. 2 AGG auch nahezu einhellig für möglich gehalten.699 Bereits Wortlaut und Systematik ließen eine erweiterte Auslegung zu. Hinzu komme der in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers. bb) M.M.: Verschuldensabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs Auch im Rahmen des § 15 Abs. 2 AGG gibt es jedoch, wenn auch lediglich vereinzelte, Gegenstimmen. Allen voran Thüsing700 vertritt die Ansicht, dass die besseren Argumente für eine Verschuldensabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs sprächen. Nach Wortlaut und Gesetzessystematik handele es sich eindeutig um eine Rechtsfolgenregelung. Die Gesetzesbegründung passe nicht zum Text. Dies resultiere daraus, dass die Begründung sich noch auf einen anders lautenden Gesetzentwurf bezogen habe und später einfach übernommen worden sei. Die sei ein simples „gesetzestechnisches Versehen“. Zudem wäre das Ergebnis eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs „grob sinnwidrig“, weil dann Nichtvermögensschäden leichter zu ersetzen wären als Vermögensschäden und dies ein „Unikum im deutschen Recht“ darstellen würde. Thüsing hält mithin die Verschuldensabhängigkeit des Anspruchs zwar de lege lata für das zutreffende Auslegungsergebnis. Andererseits hält aber auch
695
Etwa Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 32. Siehe dazu oben 4. Kap. Fn. 656. 697 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 698 So auch die Bundesregierung in Beantwortung der kleinen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen BT-Drucks. 17/994 S. 3. 699 Vgl. Jacobs, RdA 2009, S. 193 (196). 700 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 5; ders., Diskriminierungsschutz, Rn. 516. 696
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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er dies für richtlinienwidrig.701 Die Argumente gleichen insoweit denen der herrschenden Ansicht: Ein verschuldensabhängiger Anspruch verhindere eine wirksame und abschreckende Sanktion. Der EuGH habe in Dekker und Draehmpaehl eine Verschuldensunabhängigkeit gefordert. Und letztlich liege ein Verstoß gegen das Absenkungsverbot der Richtlinien vor. Soweit ersichtlich, vertritt diese Ansicht einer de lege lata gebotenen Verschuldenshaftung, die jedoch europarechtswidrig ist, neben Thüsing lediglich Voggenreiter702. Eine europarechtskonforme Auslegung kommt ihrer Meinung nach nicht in Betracht, weil der entgegenstehende Wille des Gesetzgebers in Wortlaut und Systematik von § 15 Abs. 2 AGG keinen Niederschlag gefunden habe. Ohne einen derartigen Anknüpfungspunkt müsse eine europarechtskonforme Auslegung ausscheiden. d) Stellungnahme: Die Europarechtskonformität des Verschuldenserfordernisses Zu folgen ist keiner der vorgenannten Auffassungen. Die Haftung für ungerechtfertigte Diskriminierungen als Haftung für vermutetes Verschulden auszugestalten, ist keinesfalls richtlinienwidrig. Genauso wenig widerspricht eine solche Regelung der richtig verstandenen Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Richtlinien. Dies gilt sowohl für den Anspruch aus § 15 Abs. 1 AGG als auch für den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG. Es handelt sich in beiden Fällen um europarechtskonforme Ansprüche aus vermutetem Verschulden. aa) Die Vereinbarkeit des Verschuldenserfordernisses mit den Richtlinien Maßgebend sind zunächst die Richtlinien selbst. Diese enthalten ihrem Regelungscharakter entsprechend lediglich verbindliche Zielvorgaben. Die Wahl der Mittel bleibt weitestgehend den Mitgliedstaaten überlassen. Schadensersatzansprüche werden überhaupt nur in RL 2006/54/EG als Sanktion verlangt. Ansonsten wird lediglich gefordert, dass Sanktionen vorgehalten werden, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. Auch der von der Kommission bemühte
701
Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn. 516, 544 ff; grob widersprüchlich ist es, dass Thüsing im Rahmen des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots ebenfalls von einer Europarechtswidrigkeit des Vertretenmüssens (§ 21 Abs. 2 Satz 2 AGG) ausgeht, hier jedoch plötzlich eine europarechtskonforme Auslegung für möglich hält, MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 21 AGG, Rn. 15 i.V.m. Rn. 45 ff. Dabei läge es doch wesentlich näher, bei § 15 Abs. 2 AGG von der Möglichkeit einer europarechtskonformen Auslegung auszugehen, da hier, anders als bei § 21 Abs. 2 AGG, die Gesetzesmaterialien, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung, für eine solche Auslegung streiten. 702 Rudolf/Mahlmann/Voggenreiter, 2007, § 8, Rn. 65.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Art. 17 der RL 2000/78/EG703 enthält lediglich diese Formel. Ganz und gar nicht überzeugend ist das Argument der Kommission, dass bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift „ein ,Verstoß‘ […] kein Verschulden voraus[setzt], um eine Sanktion auszulösen“704. Art. 17 Satz 1 verpflichtet die Mitgliedsstaaten überhaupt nur dazu, Sanktionen bei Verstößen gegen nationale Umsetzungsnormen vorzusehen. In das Wort „Verstoß“ irgendwelche inhaltlichen Anforderungen hineinzulesen, ist nicht nachvollziehbar. Zumal es gerade um einen Verstoß gegen nationales Recht geht, das die Mitgliedsstaaten unter Beachtung der Richtlinienziele inhaltlich selbst gestalten können. Aus dem Wortlaut der Richtlinien folgt somit wenig für die Frage nach der Europarechtskonformität bzw. -widrigkeit eines Verschuldenserfordernisses.705 Nimmt man jedoch die Merkmale „wirksam“ und „abschreckend“ ernst, so lassen sich hieraus Anforderungen an die Sanktionen gewinnen. Nationale Haftungsvoraussetzungen, die dazu führen, dass eine Sanktion zwar auf dem Papier besteht, gleichwohl aber praktisch irrelevant ist, widersprechen danach in jedem Fall den europarechtlichen Anforderungen.706 Diese hohe Schwelle der praktischen Bedeutungslosigkeit muss andererseits aber nicht erreicht werden. Man wird eine Sanktion auch dann als unzureichend betrachten müssen, wenn nach ihren Voraussetzungen nicht sichergestellt ist, dass die weit überwiegende Mehrheit der nach dem Richtlinienzweck sanktionsbedürftigen Fälle erfasst wird. Bei dem von Erkenntnis- und Beweisschwierigkeiten durchsetzten Antidiskriminierungsrecht ist hierfür zuvorderst eine angemessene Beweislastverteilung sicherzustellen. Würde man von dem diskriminierten Arbeitnehmer etwa verlangen, das Motiv einer Ungleichbehandlung oder eine immaterielle Beeinträchtigung konkret nachzuweisen, würden zahlreiche Fälle unerlaubter, persönlichkeitsrechtsverletzender Diskriminierungen sanktionslos bleiben und tatsächlich entstandene immaterielle Beeinträchtigungen oftmals nicht ausgeglichen. Darum enthält § 22 AGG eine Beweiserleichterung hinsichtlich des Vorliegens eines unerlaubten Motivs und deshalb ist auch im Rahmen von § 15 Abs. 2 AGG ein immaterieller Schaden grundsätzlich zu vermuten.707
703 Art. 17 lautet wie folgt: „Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein […]“. 704 Aufforderungsschreiben der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 31. 1. 2008, Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362, K (2008) 0103, S. 9. 705 So auch Wank, FS Richardi, S. 441 (446). 706 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 459 sowie ders., FS Maurer, S. 889 (898 f): „Man wird […] lediglich sagen können, daß völlig fehlende, evident ungeeignete oder (bezogen auf das Verhältnis von innerstaatlichem und Gemeinschaftsrecht) ungleichwertige Sanktionsregelungen gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen“. 707 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (2).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Gleiches gilt nun für das Verschuldenserfordernis. Wie oben708 bereits erläutert, würde es die praktische Wirksamkeit der Richtlinien tatsächlich einschränken, wenn man die Haftung des Diskriminierenden vom Nachweis eines Verschuldens durch den Arbeitnehmer abhängig machte. Ein solcher Nachweis wäre wohl noch schwerer zu führen als der Nachweis eines unzulässigen Motivs für die Ungleichbehandlung.709 Im Ergebnis würde danach eine Haftung in all den Fällen ausscheiden, in denen der Diskriminierende zwar sorgfaltspflichtwidrig oder gar vorsätzlich handelte, dies vom Arbeitnehmer jedoch nicht positiv dargelegt und bewiesen werden kann. Dies entsprach der deutschen Rechtslage bis 1998 und war eine Schwäche von § 611a Abs. 2 BGB in den beiden ersten Fassungen, die noch ein Verschuldenserfordernis enthielten. Insoweit war es nachvollziehbar, dass der EuGH diese Fassungen als richtlinienwidrig betrachtete. Diese Schwäche der ersten beiden Fassungen von § 611a Abs. 2 BGB teilt § 15 AGG jedoch nicht. § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG ist § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nachgebildet710 und enthält demnach eine Beweislastumkehr. Der Arbeitgeber haftet für vermutetes Verschulden. Gleiches gilt für diskriminierende Dritte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG. Auch hier wird ein Verschulden vermutet.711 Dies hat die Europäische Kommission ersichtlich nicht erkannt. In ihrem Schreiben vom 31. 1. 2008 stellt sie die deutsche Rechtslage wie folgt dar:712 „Nach deutschem Recht haftet der Arbeitgeber […] nur, wenn auf seiner Seite ein Verschulden (,Vertretenmüssen‘) festgestellt werden kann. Ein solches Verschuldenserfordernis ist indes europarechtswidrig“. Die Feststellung eines Verschuldens wird durch § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG aber gerade nicht verlangt. Der Diskriminierende haftet vielmehr für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot immer; es sei denn, es wird festgestellt, dass er nicht erkannt hat, dass er mit einer Maßnahme oder Entscheidung einen Arbeitnehmer unerlaubt benachteiligt und dies auch unter Anwendung der objektiv gebotenen Sorgfalt nicht hätte erkennen können. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Nimmt man zu der Beweislastumkehr den im deutschen Recht vorherrschenden objektiven Fahrlässigkeitsbegriff hinzu und legt, wie ebenfalls üblich, einen hohen Sorgfaltsmaßstab an, so dürften sich die Fälle einer erfolgreichen Exkulpation auf einige wenige Extremfälle beschränken. Schon zum alten Recht, in dem es noch keine Beweislastumkehr gab, war vielfach die Auffassung vertreten worden, dass kaum Fälle denkbar seien, in denen der Arbeitgeber einen Verstoß gegen das Be708
Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. e). So Möller, S. 215, Fn. 622. 710 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 711 Siehe oben 4. Kap. A. II. 2. c) bb). 712 Aufforderungsschreiben der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 31. 1. 2008, Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362, K (2008) 0103, S. 9 – Hervorhebung durch den Verfasser. 709
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
nachteiligungsverbot nicht zu vertreten habe.713 Als einziges Beispiel für einen unverschuldeten Verstoß wurde in der Literatur der Fall Kalanke genannt.714 Dort sei das BAG715 von einem unverschuldeten Verstoß gegen das Verbot der Geschlechterbenachteiligung ausgegangen. Selbst dies ist jedoch nur eingeschränkt zutreffend. In Kalanke hatte das BAG über einen Schmerzensgeldanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund einer Diskriminierung zu entscheiden. Diesen Anspruch verneinte das Gericht, weil es keine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts feststellen konnte und es zudem „bereits an dem gemäß § 823 Abs. 1 BGB erforderlichen Verschulden [fehle]“716. Wie oben gezeigt, ist bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das für § 823 Abs. 1 BGB erforderliche Verschulden aber nicht das normale Verschulden einschließlich leichter Fahrlässigkeit. Es wird in ständiger Rechtsprechung von BGH und BAG vielmehr ein schweres Verschulden verlangt. Dieses Verschulden konnte nicht festgestellt werden, weshalb das BAG einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB verneinte. Der Fall taugt somit nur sehr eingeschränkt als Beispiel für einen in jeglicher Hinsicht unverschuldeten Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Kommt nun die gerade in der Praxis so bedeutsame Beweislastumkehr hinzu, so bleiben wahrlich wenige Fälle übrig, in denen ein Anspruch am Verschuldenserfordernis scheitern dürfte.717 Von einer spürbaren Einschränkung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien durch die Exkulpationsmöglichkeit des Arbeitgebers kann deshalb keine Rede sein718. Wie Raab bereits im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in Draehmpaehl zutreffend feststellte, ist „nicht einzusehen, warum nur ein verschuldensunabhängiger […] Anspruch den Anforderungen an eine wirksame Sanktion genügen soll“ und warum dem „Problem des Verschuldensnachweises […] nicht mit einer Beweislastumkehr […] Rechnung getragen werden [kann]“719. Letztlich ist auch zu beachten, dass in den wenigen Fällen, in denen die Haftung eines Diskriminierenden trotz objektivem Fahrlässigkeitsmaßstab und Beweislastumkehr am Vertretenmüssen scheitert, auch nach dem Richtlinienzweck kein Be713 Treber, NZA 1998, S. 856 (859); Zwanziger, BB 1995, S. 1404 (1405); Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259); Ebert, S. 351. 714 Siehe Kandler, S. 201; Treber, NZA 1998, S. 856 (859, Fn. 61), der gleichzeitig darauf verweist, dass es sich um eine „besonders gelagerten Fall“ handelt. 715 BAG, 5. 3. 1996, 1 AZR 590/92, NJW 1996, S. 2529 ff. 716 BAG, 5. 3. 1996, 1 AZR 590/92, NJW 1996, S. 2529 (2533). 717 So auch Schulze/Ebert, 2009, § 15 AGG, Rn. 1; dies., Pönale Elemente, S. 351 mit Fn. 579 bezeichnete unter Geltung von § 611a BGB a.F. den Irrtum über die (fehlende) Unverzichtbarkeit des Geschlechts für eine bestimmte Tätigkeit als einzig denkbare Konstellation, in der eine unverschuldete Diskriminierung überhaupt in Betracht käme. Auch dies sei aber „kaum vorstellbar“; siehe auch Schlachter, AP Nr. 13 zu § 611a BGB. 718 Ebenso Franzen, FS Maurer, S. 889 (900), der die diesbezügliche Auffassung des EuGH in Draehmpaehl für „überzogen“ hält. 719 Raab, DStR 1999, S. 854 (855); ebenso Franzen, FS Maurer, S. 889 (905).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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dürfnis für eine Haftung besteht. Denn denkbar sind letztlich überhaupt nur Fälle, in denen eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung sich unvorhergesehen ändert oder sich ein nationales, die Benachteiligung rechtfertigendes Gesetz im Prozess als europarechtswidrig und gleichzeitig unanwendbar herausstellt. Geht es um eine höchstrichterliche Rechtsprechungsänderung, wie zum Beispiel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung im Einstellungsgespräch,720 so wird man oftmals sogar einen leichten Fahrlässigkeitsverstoß annehmen können. Denn eine solche Rechtsprechungsänderung kommt in den seltensten Fällen völlig überraschend, sondern deutet sich in Literatur und Rechtsprechung zumeist an.721 Zudem wird allgemein angenommen, dass ein Vertrauen in das Fortbestehen einer gefestigten Rechtsprechung im Gegensatz zum Vertrauen in ein Gesetz nur einen eingeschränkten Vertrauensschutz genießt.722 Auch bezüglich des Fragerechts nach der Schwerbehinderung könnte man auf dem Boden dieser Ansicht eine leichte Fahrlässigkeit annehmen.723 Wobei die unrechtmäßige Frage dann wiederum ein Indiz für eine unrechtmäßige Ablehnung und somit für eine rechtswidrige und entschädigungspflichtige Benachteiligung darstellen würde.724
720
Die Frage nach der Schwerbehinderung wurde früher als zulässig angesehen, siehe BAG, 18. 10. 2000, 2 AZR 380/99, NZA 2001, S. 315 ff. Das LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/ 09, juris, Rn. 41 ff (Revision anhängig) vertritt jedoch mit der überwiegenden Literaturansicht neuerdings die Auffassung, dass sich dies nach Inkrafttreten des AGG geändert habe; a.A. LAG Hamm, 30. 6. 2010, 2 Sa 49/10, juris, Rn. 29 ff (Revision anhängig). 721 So auch im Falle der Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich des Fragerechts nach der Schwerbehinderung. In der Literatur hatte sich bereits nach Inkrafttreten von § 81 SGB IX a.F. die Ansicht durchgesetzt, dass die Frage nun nicht mehr zulässig sei, vgl. Düwell, BB 2001, S. 1527 (1529 f); Messingschlager, NZA 2003, S. 301 ff; nach Inkrafttreten des AGG ebenso Joussen, NZA 2007, S. 174 ff; Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, S. 169 (173); Düwell, BB 2006, S. 1741 (1743); Hamann, Jura 2007, S. 641 (643); siehe zum Ganzen Hausmann, S. 87 ff. 722 Vgl. etwa BAG, 18. 4. 2007, 4 AZR 652/05, NJW 2008, S. 102 (106): „Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht. Urteile oberster Bundesgerichte ändern die Rechtslage nicht, sondern stellen diese lediglich auf Grund eines – prinzipiell irrtumsanfälligen – Erkenntnisprozesses fest“; allerdings darf dabei nicht verkannt werden, dass ein fehlender Vertrauensschutz hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer gefestigten Rechtsprechung oder sogar eines Gesetzes nicht gleichbedeutend ist mit der Verschuldensfrage. Fehlender Vertrauensschutz bedeutet zunächst einmal Anwendbarkeit der „neuen“ Rechtslage im konkreten Verfahren, nicht aber automatisch auch das Vorliegen von Verschulden hinsichtlich Sekundäransprüchen. 723 Siehe LAG Hessen, 24. 3. 2010, 6/7 Sa 1373/09, juris, Rn. 49 (Revision anhängig), das dennoch einen Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ablehnte, weil es ausnahmsweise die Vermutung eines immateriellen Schadens als widerlegt ansah, da die benachteiligende Anfechtung ins Leere ging und wegen der jahrzehntelangen gefestigten Rechtsprechung auch das Ausmaß des Verschuldens gering zu bewerten sei. 724 Andererseits sprechen meines Erachtens die besseren Argumente dafür, den Fall der Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung wie den Fall der Nichtanwendbarkeit eines diskriminierenden Gesetzes zu behandeln. Siehe dazu Höpfner, RdA 2006, S. 156 ff, der sich mit beachtlichen Argumenten für einen stärkeren Vertrauensschutz bei höchstrichterlichen Rechtsprechungsänderungen ausspricht.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Damit bleiben überhaupt nur die Fälle des Vertrauens in eine gesetzliche Regelung übrig.725 Der Fall Kücükdeveci726 dient hierfür als Beispiel. Er betraf zwar im Kern nur die Frage der Vereinbarkeit von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit europäischem Recht sowie die Folgefrage, was aus dem vom EuGH angenommenen Verstoß gegen Primärrecht für die Kündigungsfrist im Streit zwischen den Arbeitsvertragsparteien folgt. Unter diesen Aspekten wurde er auch überwiegend diskutiert.727 Allerdings stellt sich darüber hinaus die weitergehende Frage, ob rechtswidrig mit zu kurzer Frist gekündigte Arbeitnehmer gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung wegen der darin liegenden Alterdiskriminierung verlangen können.728 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Exkulpationsbeweis dem Arbeitgeber hier durchaus gelingen könnte. Zwar war die Europarechtswidrigkeit von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB im Vorfeld bereits von einigen Autoren in Zweifel gezogen worden. Es bestand jedoch eine sehr alte gesetzliche Regelung, auf die der Arbeitgeber vertraut hatte. Auch wenn dieses Vertrauen nach Ansicht des LAG Düsseldorf729 nicht dazu führte, dass im konkreten Fall § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB weiterhin zur Anwendung gelangte, wird doch zumindest anzunehmen sein, dass der Vorwurf eines Sorgfaltspflichtverstoßes hierdurch entfiel.730 Alles andere würde die Sorgfaltsanforderungen weit überspannen. Geht man jedoch mit der herrschenden Meinung von der Verschuldensunabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs aus und nimmt man zudem mit der ebenfalls herrschenden Ansicht an, dass § 15 Abs. 2 AGG trotz § 2 Abs. 4 AGG in Kündigungsfällen Anwendung findet, so scheint alles für eine Haftung des Arbeitgebers zu sprechen. Der Umstand, dass er nur ein seit Jahrzehnten geltendes Gesetz vollzog, könnte dann nur bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe berücksichtigt werden.731 Unberücksichtigt bliebe dabei aber, dass ein praktisches Bedürfnis nach einer Sanktion, wie sie die Richtlinien fordern, in diesem Sonderfall gar nicht besteht. Der Arbeitgeber hatte keinerlei rechtsfeindliche Gesinnung offenbart, sondern nur im guten Glauben ein bestehendes Gesetz angewandt. Auch unter Berücksichtigung eines europarechtlich gewollten verschärften Rechtsgüterschutzes wäre eine Entschädigungszahlung in einem solchen Fall überzogen. Die Richtlinien fordern keine Sanktion um jeden Preis, sondern eine angemessene Sanktion. Das eine
725 Wobei diesem Fall der Fall des Vertrauens in die Rechtmäßigkeit eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages gleichzustellen ist, siehe dazu unten 4. Kap. A. II. 4. e). 726 EuGH, 19. 1. 2010, C-555/07, NJW 2010, S. 427 ff. 727 Siehe Mörsdorf, NJW 2010, S. 1046 ff; Seifert, EuR 2010, S. 802 ff. 728 Dies bejahen Gaul/Köhler, BB 2010, S. 503 (504 ff); dies., ArbRB 2010, S. 53 (55 f). 729 LAG Düsseldorf, 17. 2. 2010, 12 Sa 1311/07, NZA-RR 2010, S. 240 ff. 730 Zum Unterschied zwischen der Frage nach Vertrauensschutz bezüglich der Anwendbarkeit der „alten“ Rechtslage und der Verschuldensfrage, siehe oben 4. Kap. Fn. 722. 731 So ausdrücklich Gaul/Köhler, BB 2010, S. 503 (505).
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Haftung in derartigen Extremfällen ausschließende Verschuldenserfordernis steht somit durchaus im Einklang mit den Zielen der Richtlinien.732 bb) Die Vereinbarkeit des Verschuldenserfordernisses mit der Rechtsprechung des EuGH Auch aus der angesprochenen Rechtsprechung des EuGH in Draehmpaehl und Dekker ergibt sich nichts anderes. In Dekker ging es um eine niederländische Regelung, die den Nachweis des Verschuldens dem Arbeitnehmer auferlegte. Mit der Vorlage durch das niederländische Gericht wurde auch nur die Europarechtskonformität einer derartigen Regelung in Frage gestellt. In Draehmpaehl hatte der EuGH über eine Norm (§ 611a Abs. 2 BGB [2. Fassung]) zu entscheiden, die nach ihrem Wortlaut den Verschuldensnachweis ebenfalls dem Arbeitnehmer auferlegte. Allerdings war die Vorlagefrage hier weiter formuliert als in Dekker, da gefragt wurde, ob das Erfordernis des Vertretenmüssens an sich richtlinienwidrig sei. Wie bereits ausführlich dargestellt,733 verkannte der EuGH jedoch den Unterschied zwischen einer Verschuldenshaftung und einer Haftung für vermutetes Verschulden vollkommen. Das Gericht verwies zur Begründung seiner Entscheidung in Draehmpaehl lediglich pauschal auf seine Entscheidung in Dekker. In Dekker war es jedoch ausschließlich um das Problem des Verschuldensnachweises gegangen und hatte der EuGH auch nur eine dahingehende Aussage getroffen. Mit Dekker ließ sich somit zwar tatsächlich die Richtlinienwidrigkeit von § 611a Abs. 2 BGB (2. Fassung) erklären, weil die Beweislastverteilung in der Vorschrift unzureichend erfolgt war. Keinesfalls ließ sich mit dem Pauschalverweis auf Dekker jedoch begründen, warum das Erfordernis eines Vertretenmüssens an sich richtlinienwidrig sein sollte, wie es der apodiktische734 Leitsatz des EuGH in Draehmpaehl nahelegte. Wie es zu der zu überschießenden Antwort kommen konnte, wurde oben735 bereits erläutert. Richtigerweise wird man den Leitsatz und somit die Beantwortung der Vorlagefrage in Draehmpaehl den Entscheidungsgründen anpassen müssen. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung in Draehmpaehl einen über die Entscheidung in Dekker hinausgehenden Gehalt hat. Bei richtiger Lesart der beiden Urteile steht damit lediglich fest, dass eine reine Verschuldenshaftung richtlinienwidrig ist. Über eine Haftung für vermutetes Verschulden enthalten die Entscheidungen demgegenüber keine Aussage.736 Eine solche Regelung lag keinem
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Vgl. auch Krebber, EuZA 2009, S. 200 (214), wonach es aus europarechtlicher Sicht zulässig ist, keine Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber in denjenigen Fällen vorzusehen, in denen ein Gesetz Grundlage der Ungleichbehandlung ist. 733 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. h). 734 So Oetker, ZIP 1997, S. 802 (802 f). 735 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. h). 736 A.A. die h.M., siehe Stoffels, RdA 2009, S. 204 (210) m.w.N.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
der beiden Rechtsstreitigkeiten zu Grunde. Nach dem soeben Ausgeführten steht eine Haftung für vermutetes Verschulden jedoch im Einklang mit den Richtlinien. Dem stehen insbesondere auch die Absenkungsverbote der Richtlinien nicht entgegen. Abgesehen davon, dass die primärrechtliche Zulässigkeit von Absenkungsverboten bereits grundsätzlich umstritten ist,737 könnten sie in concreto ohnehin nur die Fälle der Geschlechter- und der Behindertendiskriminierung erfassen. Nur in diesen Bereichen bestanden zuvor Regelungen, die eine verschuldensunabhängige Haftung vorsahen.738 Auch hinsichtlich dieser beiden Merkmale wird man einen Verstoß letztlich jedoch nicht annehmen können. Denn die verschuldensunabhängige Haftung in § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) und im nachgebildeten § 81 Abs. 2 SGB IX basierte ersichtlich auf einem falschen Verständnis der Entscheidung des EuGH in Draehmpaehl durch den Gesetzgeber. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) ging der Gesetzgeber davon aus, er müsse nun eine verschuldensunabhängige Haftung statuieren.739 Dieser Irrtum erscheint angesichts des kategorischen Leitsatzes des EuGH auch verständlich. Zudem vertrat auch der weit überwiegende Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur nach der Entscheidung in Drahmpaehl die Auffassung, dass nun kein Weg an einer verschuldensunabhängigen Haftung vorbeiführe.740 Die gegenteiligen, aber zutreffenden Stimmen von Raab741, Franzen742 und mit Einschränkungen auch von Oetker743 waren nahezu ohne Resonanz verhallt. Nun soll ein Absenkungsverbot nach seinem Zweck sicherstellen, dass europäisches Recht nicht als Begründung zur Absenkung eines national gegebenen Schutzes dient.744 Hat jedoch gerade die missverständliche Auslegung des europäischen Rechts durch den EuGH einen nationalen Gesetzgeber erst dazu veranlasst, einen bestimmten Schutz einzuführen und stellt sich heraus, dass die Annahme eines europarechtlichen Zwangs zur Einführung dieses Schutzes unrichtig war, so kann das Absenkungsverbot einer Irrtumskorrektur schwerlich entgegenstehen.
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Dazu MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 33. § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) und § 81 Abs. 2 SGB IX. 739 BT-Drucks. 13/10242, S. 6. 740 Siehe oben 2. Kap. A. II. 2. j). 741 Soergel/Raab, 1998, § 611a BGB, Rn. 50; ders., DStR 1999, S. 854 (855). 742 Franzen, FS Maurer, S. 889 (905). 743 Vgl. Oetker, ZIP 1997, S. 802 (802 f), der zutreffend einwandte, dass den Vorgaben aus Dekker auch mit einer Beweislastumkehr entsprochen hätten werden können. Neuerdings geht aber auch Oetker davon aus, dass eine verschuldensunabhängige Haftung zwingend geboten und § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG demnach europarechtswidrig ist, wenn man die Vorschrift nicht im Sinne einer allgemeinen Zurechenbarkeit interpretiere, siehe Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Oetker, 2009, § 15, Rn. 48. 744 Siehe MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 33. 738
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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cc) Die Geltung dieser Grundsätze für § 15 Abs. 1 und 2 AGG Die dargelegten Argumente gelten sowohl für den Anspruch auf Ersatz der Vermögensschäden gemäß § 15 Abs. 1 AGG als auch für den Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Weder in den Richtlinien noch in der Rechtsprechung des EuGH sind Anhaltspunkte für eine Differenzierung enthalten. Insbesondere ist mit den angeführten Argumenten auch widerlegt, dass lediglich das Gesamtsystem aus verschuldensabhängigem Vermögensschadensersatzanspruch und verschuldensunabhängigem Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden den europarechtlichen Anforderungen genügt. Die geforderte praktische Wirksamkeit wird durch die sich auf beide Schadensarten beziehende Verschuldensvermutung zusammen mit dem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab gewährleistet. Insgesamt kann aufgrund der äußerst geringen Zahl an überhaupt denkbaren Fällen, in denen sich der Diskriminierende erfolgreich exkulpieren kann, von einer Einschränkung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien nicht ausgegangen werden.745 Europarechtlich ist damit insbesondere auch eine Verschuldensunabhängigkeit von § 15 Abs. 2 AGG nicht gefordert. Dies heißt freilich nicht, dass der nationale Gesetzgeber einen solchen Anspruch nicht trotzdem schaffen kann. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll § 15 Abs. 2 AGG kein Verschulden voraussetzen. Entspräche dies tatsächlich dem Willen des Gesetzgebers, so wäre dieser zweifellos zu respektieren. Thüsings Erklärung746, wie es zu der fraglichen Passage in der Gesetzesbegründung kam, lässt sich für einen am Gesetzesverfahren Unbeteiligten747 schwer nachvollziehen. Ob es sich deshalb tatsächlich um ein bloßes gesetzestechnisches Versehen handelt, kann seriös hier nicht beurteilt werden. Eines erscheint jedoch angesichts der Gesetzesbegründung klar: Der (vermeintliche) Wille des Gesetzgebers, eine verschuldensunabhängige Regelung zu schaffen, resultierte keinesfalls aus seiner freien Überzeugung, dass dies die richtige Lösung sei. Es sollten vielmehr „die Forderungen der Richtlinien sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes [erfüllt]“ werden.748 Der Wille des Gesetzgebers stellt sich somit nicht als Ergebnis einer mehrheitsfähigen rechtspolitischen Überzeugung dar, sondern er wurde einzig aufgrund eines scheinbaren europarechtlichen Zwangs gebildet. Von einem echten autonomen Willen zur Schaffung eines verschuldensunabhängigen Anspruchs kann deshalb gar nicht gesprochen werden. Es handelt sich vielmehr um den bloßen Vollzug einer heteronom gesetzten Vorgabe. Steht aber fest, dass es einen europarechtlichen Zwang zur Schaffung einer verschuldensunabhängigen Haftung 745
Aus nationaler Perspektive lässt sich hinzufügen, dass das deutsche Schadensersatzrecht auch sonst seine Güter grundsätzlich nur verschuldensabhängig schützt und diesem Schutzsystem die Effektivität kaum abgesprochen werden kann. 746 Siehe dazu oben 4. Kap. A. II. 4. c) bb). 747 Thüsing selbst war als Rechtsexperte am Verfahren unmittelbar beteiligt. 748 BT-Drucks. 16/1780, S. 38.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
gar nicht gibt, dann entpuppt sich der vermeintliche „Wille“ des Gesetzgebers vollends als Erfüllung einer real gar nicht existierenden Verpflichtung. Die Gesetzesmaterialien sind Ausdruck eines falschen Gehorsams gegenüber einem gar nicht erteilten europarechtlichen Befehl und deshalb ohne Aussagekraft.749 dd) Die Systemwidrigkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung Gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber auch ohne europarechtlichen Zwang eine verschuldensunabhängige Haftung schaffen wollte, spricht nun allen voran die Systemwidrigkeit750 einer solchen Haftung. Wie gezeigt, stellt das Verschuldensprinzip im außervertraglichen Bereich das wichtigste Zurechnungskriterium im deutschen Recht dar. Es erfährt notwendige Einschränkungen (objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab, Beweiserleichterungen), bleibt aber im Kern unangetastet. Die daneben stehenden Zurechnungsgründe passen allesamt nicht auf die Antidiskriminierungsregeln. Vertragliche Zurechnungsgründe wie das Garantieversprechen scheiden bereits mangels rechtsgeschäftlicher Erklärung von vornherein aus.751 Mangels vertraglicher Abrede erscheint auch ein Vergleich mit der Gastwirthaftung752 gemäß §§ 701 ff BGB als abwegig, handelt es sich dort doch um eine Vertragshaftung. Auch eine Aufopferungshaftung liegt mehr als fern. Entgegen einer in der Literatur vereinzelt753 vertretenen Auffassung ordnet sich § 15 Abs. 2 AGG auch nicht ins System der Gefährdungshaftung ein. Die Einstellung von Arbeitnehmern stellt kein gefährliches Verhaltens dar, das lediglich wegen seines besonderen wirtschaftlichen Nutzens erlaubt ist.754 Eine verschuldensunabhängige Haftung kann ersichtlich nicht als Kompensation für die gewonnene Freiheit, Arbeitnehmer einzustellen, angesehen werden. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern ist ein von vornherein sozial erwünschtes und kein an sich culposes,755 d. h. verbietungswürdiges Verhalten. Zudem zeigt sich an einem weiteren Punkt, dass die Haftung gemäß § 15 Abs. 2 AGG nicht als Gefährdungshaftung angesehen werden kann: Für gewöhnlich verleibt dem Schuldner bei der Gefährdungshaftung die Wahl, ob er sich dem erhöhten Risiko aussetzen will, um in den Genuss der Vorteile des gefährlichen Verhaltens zu kommen. Der Einzelne kann sich überlegen, 749 Wobei auch nochmals darauf hinzuweisen ist, dass die Befolgung des vermeintlichen Befehls aus dem objektiven Gesetzestext nicht ersichtlich wird. 750 Ebenso Walker, NZA 2009, S. 5 (6); Benecke/Kern, EuZW 2005, S. 360 (362); Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (19). 751 Siehe oben 4. Kap. A. II. 4. a) cc). 752 So aber Ebert, S. 353 zu § 611a BGB a.F. 753 KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 11 bezeichnet den heutigen § 15 Abs. 2 AGG als „Gefährdungshaftungstatbestand“; ähnlich Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 58, der von einer „Art Garantiehaftung für ein diskriminierungsfreies Verfahren“ spricht. 754 Zutreffend Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259). 755 Vgl. Kötz/Wagner, Rn. 498 f.
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ob er sich ein Tier anschaffen will oder nicht. Er kann wählen, ob er es vorzieht, bei erhöhtem Haftungsrisiko seine Fortbewegung mittels eines Kfz zu gestalten, oder ob er doch lieber Bus und Bahn fährt. Eine solche Wahl hat der Arbeitgeber nicht. Er benötigt Arbeitnehmer und es ist in höchstem Maße sozial erwünscht, dass er in großer Anzahl Arbeitnehmer einstellt. Ihn auf die Wahl zu verweisen, durch fortschreitende Rationalisierungsmaßnahmen verstärkt auf technische und nicht mehr auf menschliche Ressourcen zurückzugreifen, erscheint schlichtweg absurd. Mit der überwiegenden Ansicht756 ist deshalb davon auszugehen, dass es sich um keinen Gefährdungshaftungstatbestand handelt. Ein verschuldensunabhängiger Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG wäre somit tatsächlich etwas gänzlich Neues. Systemwidrig wäre diese Neuerung insoweit, als im deutschen Recht ein Schadensersatzanspruch aufgrund seiner Enteignungswirkung einer Legitimation durch einen besonderen Zurechnungsgrund (Verschulden, Gefährdung, Aufopferung, Garantieversprechen, Billigkeit) bedarf.757 Ein solcher materieller Grund ist in den Diskriminierungsfällen außer dem Verschulden aber nicht ersichtlich.758 Selbstverständlich kann der Gesetzgeber im Rahmen der weiten verfassungsrechtlichen Vorgaben auch neue Zurechnungsgründe schaffen.759 Eine verfassungsrechtliche Überhöhung des zivilrechtlichen Verschuldensprinzips wäre kritisch zu betrachten. Auf den ersten Blick erscheint es als nicht ausgeschlossen, dass selbst eine völlige Abschaffung des Verschuldensprinzips durch den Gesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten würde.760 Dies bedürfte freilich einer genaueren Untersuchung. Eine solche erübrigt sich in Bezug auf § 15 Abs. 2 AGG jedoch. Denn hätte der Gesetzgeber tatsächlich einen neuartigen Zurechnungsgrund schaffen oder das Verschuldensprinzip partiell abschaffen wollen, so hätte es eines expliziten Hinweises in den Gesetzesmaterialien bedurft. Der bloße Verweis auf den vermeintlichen europarechtlichen Zwang zeugt aber nicht von einem Willen, eine neuartige Zurechnung zu schaffen oder gar mit einem Elementarprinzip des deut756 Walker, NZA 2009, S. 5 (6); Armbrüster, KritV 2005, S. 41 (42); Benecke/Kern, EuZW 2005, S. 360 (362); Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (19); zu § 611a BGB (3. Fassung) bereits Ehmann/Emmert, SAE 1997, S. 253 (259); Annuß, NZA 1999, S. 738 (742). 757 Zu den Zurechnungsgründen, siehe auch Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, S. 2 ff. 758 Wank, NZA-Sonderbeilage zu Heft 22/2004, S. 16 (19); zu § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) bereits Annuß, NZA 1999, S. 738 (742). 759 Wendeling-Schröder, DB 1999, S. 1012 (1014) vertrat zu § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) die Ansicht, der Gesetzgeber habe ein neues Zurechnungsprinzip geschaffen: das Diskriminierungsverbot. Dies überzeugt freilich nicht, reicht doch das rechtswidrige Verhalten allein als Zurechnungsgrund gerade nicht aus. Es handelt sich damit keinesfalls um einen neuen Zurechnungsgrund, sondern vielmehr um einen Verzicht auf einen Zurechungsgrund. 760 Vgl. Annuß, NZA 1999, S. 738 (742), der verfassungsrechtliche Bedenken bzgl. der Verschuldensunabhängigkeit bei § 611a Abs. 2 BGB (3. Fassung) nur insoweit hatte, als die Norm pönalen Zwecken dienen sollte. Für den kompensatorischen und somit privatrechtlichen Teil beschränkten sich seine Bedenken auf die „mangelnde Systemkonformität, wohingegen darüber hinausgehende verfassungsrechtliche Einwände nicht zu erheben [seien]“.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
schen Schadensrechts zu brechen. Der Wille zum Systembruch geht aus den Materialien nicht hervor. Letztlich hat selbst der „erzwungene Wille“ zum Systembruch keinen hinreichenden Ausdruck im Gesetzestext gefunden. Nach Wortlaut und Systematik ist § 15 Abs. 2 AGG eine reine Rechtsfolgenregelung. Hieran ändert auch § 15 Abs. 4 AGG nichts. Zunächst wäre es doch reichlich überraschend, wenn der einzige Hinweis auf die Qualität von § 15 Abs. 2 AGG als Anspruchsgrundlage sich im Rahmen der Fristenregelung befände. Darüber hinaus spricht die Formulierung „Anpruch nach Absatz 1 oder 2“ keinesfalls so eindeutig für ein Verständnis von § 15 Abs. 2 AGG als Anspruchsgrundlage, wie die h.M. behauptet. Im Gegenteil liegt es näher, diesem Zusatz nur eine klarstellende Funktion einzuräumen. Die gewählte Formulierung ist danach Ausdruck eines gesetzgeberischen Willens, jegliche Zweifel an einer Geltung der Ausschlussfrist für alle Arten von Schäden bereits im Ansatz zu ersticken.761 Dies wird deutlich, wenn man sich klar macht, welche Formulierungsalternativen es gab. Wäre lediglich von einem „Anspruch nach Abs. 1“ die Rede, so hätte ein großer Spielraum für Missinterpretationen bestanden. Denn die konkrete Bezugnahme auf Absatz 1 hätte dazu verleiten können anzunehmen, dass für immaterielle Schäden keine Auschlussfrist gelten soll. Andererseits klingt die Formulierungsvariante „Anspruch nach Absatz 1 oder Absatz 1 i.V.m. Absatz 2“, die bei einem Verständnis von § 15 Abs. 2 AGG als Rechtsfolgenregelung sachlich zutreffend gewesen wäre und dennoch die erstrebte Klarstellung beinhaltet hätte, reichlich umständlich. Insoweit liegt es nahe, dass die gewählte Formulierung nur eine Kurzform der letztgenannten Formulierung ist und den schlichten Zweck erfüllt, jeglichen Zweifeln am Geltungsbereich der Ausschlussfrist vorzubeugen. ee) Fazit und Ausblick Damit kann die offensichtliche Divergenz zwischen Gesetzesbegründung auf der einen und Wortlaut sowie Systematik von § 15 Abs. 1 und 2 AGG auf der anderen Seite nur zugunsten von Wortlaut und Systematik aufgelöst werden. Die Gesetzesbegründung offenbart tatsächlich nicht den Willen des Gesetzgebers, sondern beinhaltet nur die Fortsetzung der unendlichen Geschichte des Missverständnisses um das Verschuldenserfordernis. Die Zeichen dafür, dass es bald zu einer Korrektur dieses Missverständnisses kommen könnte, stehen freilich schlecht. Die vermeintliche Verschuldensunabhängigkeit von § 15 Abs. 2 AGG hat das BAG unlängst762 anerkannt. Und dies völlig 761 Betrachtet man den Streit hinsichtlich des Geltungsbereichs von § 61 b Abs. 1 ArbGG, der sich einzig aus der (wohl versehentlich) unterbliebenen Anpassung des Wortlauts der Vorschrift an die gegenüber § 611a BGB a.F. geänderte Terminologie des AGG ergibt, so ist dies zweifellos ein berechtigtes Anliegen. Zu diesem Streit siehe etwa Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 116 m.w.N. 762 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 ff; bestätigt in BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1131).
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ohne Not. Denn nach dem konkreten Sachverhalt wäre der Arbeitgeberin eine Exkulpation niemals gelungen. Sie hatte hierzu überhaupt nicht substantiiert vorgetragen, sondern lediglich abstrakt eingewandt, das für § 15 Abs. 2 AGG erforderliche Verschulden liege nicht vor. Zudem hatten die Tatsacheninstanzen ein Verschulden sogar positiv festgestellt und dies bei der Entschädigungshöhe, vom BAG unbeanstandet,763 berücksichtigt. Die vom BAG im Sinne der herrschenden Meinung beantwortete Frage stand somit in Wahrheit gar nicht zur Entscheidung an. Dennoch kann nicht erwartet werden, dass das Gericht seine Rechtsauffassung in Kürze wieder ändert. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre allenfalls der Umstand, dass es sich in dem der Leitentscheidung zu Grunde liegenden Fall um eine staatliche Arbeitgeberin (das Land Berlin) handelte. Dies macht insofern einen Unterschied, als in einer solchen Konstellation eine richtlinienwidrige Tatbestandsvoraussetzung tatsächlich schlicht unangewendet bleiben kann, während dies im Rechtsstreit zwischen Privaten nicht ohne Weiteres möglich ist. Dass das BAG in einem solchen Rechtsstreit anders entscheiden wird, gilt angesichts der nicht differenzierenden Urteilsgründe aber als ausgeschlossen.764 Zudem würde dies auch nur eine Bestätigung der Auffassung von Thüsing und Voggenreiter darstellen. Auch diese gehen jedoch unzutreffend von einer Europarechtswidrigkeit der Verschuldenshaftung des § 15 Abs. 2 AGG aus und wollen dies lediglich wegen des eindeutigen Wortlauts und der Systematik der Norm im Rechtsstreit zwischen Privaten bei der Rechtsanwendung außer Acht lassen.765 Im Rahmen des Ersatzes der Vermögensschäden steht zu befürchten, dass der EuGH die Haftung für vermutetes Verschulden mit Verweis auf seine Rechtsprechung in Dekker und Draehmpaehl für richtlinienwidrig erklärt, wenn er die Möglichkeit hierzu bekommt. Nochmals wird sich der EuGH die Chance nicht nehmen lassen, hierzu Stellung zu beziehen. Und wenn nicht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, dann jedenfalls im Rahmen des bereits eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens. Es bleibt lediglich die vage Hoffnung, dass der Unterschied zwischen einer Haftung für nachgewiesenes und für vermutetes Verschulden
763 BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (953): „Zutreffend hat das LAG auch den Verschuldensgrad in die Abwägung einbezogen. Seine Annahme, das bekl. Land habe fahrlässig gehandelt, hält ebenfalls einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand“. 764 Zumal BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 (1131) die Leitentscheidung in einem Fall bestätigt, in dem ein „echter“ privater Arbeitgeber beklagt war. 765 Diese Ansicht überzeugt m. E. nach noch weniger als die h.M. Wenn man tatsächlich von einer Richtlinienwidrigkeit des Verschuldenserfordernisses ausgeht, dann ist angesichts der Gesetzesbegründung, die bei unreflektierter Betrachtung im Rahmen des § 15 Abs. 2 AGG gegen ein Verschuldenserfordernis spricht, eine richtlinienkonforme Auslegung zweifellos möglich. Zu allem Überfluss bejaht Thüsing im Rahmen von § 21 AGG die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung, obwohl hier keine entsprechende Passage in der Gesetzesbegründung zu finden ist und deshalb eine Auslegung entgegen Gesetzeswortlaut und -systematik hier viel schwieriger zu begründen ist. Siehe zu diesem groben Widerspruch bereits oben 4. Kap. Fn. 701.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
auch in Luxemburg bzw. Brüssel766 bald erkannt wird. Dies würde freilich voraussetzen, dass dieser Aspekt in der nationalen Diskussion endlich wieder767 in den Vordergrund rückt. e) Haftungsbeschränkung bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen Eine kontrovers diskutiertes Sonderproblem hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses betrifft die in § 15 Abs. 3 AGG angeordnete Haftungsbeschränkung bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen. Nach dieser Vorschrift haftet der Arbeitgeber nur dann, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Die Gesetzesbegründung768 rechtfertigt die Beschränkung mit der „vermutete[n] höhere[n] Richtigkeitsgewähr“ einer solchen Kollektivvereinbarung, wobei hierunter insbesondere Tarifverträge, Dienst- und Betriebsvereinbarungen zu verstehen seien.769 Einigkeit besteht ausschließlich darüber, dass die Vorschrift handwerklich schlecht gemacht ist.770 Zunächst einmal scheint der Wortlaut nahezulegen, dass sich die Haftungsbeschränkung auf die bewusste oder sorgfaltswidrige Anwendung der Kollektivnorm bezieht. Allerdings wäre dies schlicht unsinnig, weil der Arbeitgeber einen Tarifvertrag oder eine andere Kollektivnorm immer absichtlich anwenden wird, weshalb der Wortlaut korrigierend dahingehend zu verstehen ist, dass es um die erkannte oder grob fahrlässig verkannte Rechtswidrigkeit des tarifvertraglichen Inhalts geht.771 Des Weiteren ist umstritten, ob sich die Vorschrift nur auf den Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 AGG bezieht,772 wie insbesondere der Wortlaut nahelegt, oder auch auf den Ersatz materieller Schäden,773 wofür Gesetzeszweck und Syste766 Zu der ersichtlich falschen Vorstellung der Europäischen Kommission von der deutschen Rechtslage, siehe oben 4. Kap. A. II. 4. d) aa). 767 Anknüpfend an Soergel/Raab, 1998, § 611a BGB, Rn. 50 sowie ders., DStR 1999, S. 854 (855); Franzen, FS Maurer, S. 889 (905); Oetker, ZIP 1997, S. 802 (802 f). 768 BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 769 Trotz ihres kollektiven Bezugs nicht erfasst sind Gesamtzusagen, betriebliche Übungen, Regelungsabreden und arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (197). 770 Siehe Wolf, FS Hromadka, S. 511 (524): „legislatorisch missglückt“. 771 Siehe Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (337); Schlachter, ZESAR 2006, S. 391 (398); Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (953); MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 34; KR/ Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 44. 772 So Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 92; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 38; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 10; dies., ZESAR 2006, S. 391 (398); v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 67; Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 51; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (211) – Arg.: europarechtskonforme Auslegung; ebenso Jacobs, RdA 2009, S. 193 (198). 773 So Annuß, BB 2006, S. 1629 (1635); Lingemann/Gotham, NZA 2007, S. 663 (669); Krebber, EuZA 2009, S. 200 (215); Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 45; Bauer/
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matik sprechen. Diese Kontroverse ist aus hiesiger Sicht freilich relativ uninteressant. Denn § 15 Abs. 1 AGG dient danach nur dem Ersatz vermögensmäßiger Begleitschäden und hat deshalb eine äußerst beschränkte praktische Bedeutung.774 Will man den Streit dennoch entscheiden, so liegt eine einheitliche Lösung näher. § 15 Abs. 2 AGG enthält, wie oben dargelegt, keine eigene Anspruchsgrundlage, sondern eine bloße Rechtsfolgenregelung. Das tatbestandliche Kriterium des Verschuldens, das § 15 Abs. 3 AGG modifiziert, findet sich überhaupt nur in § 15 Abs. 1 AGG. Dies spricht dafür, die Haftungsprivilegierung auch auf die Vermögensschäden anzuwenden. Die Privilegierung auf Tatbestandsebene umfasst danach alle Rechtsfolgen. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, die von einer Verschuldensabhängigkeit auch des Entschädigungsanspruchs ausgeht, so ist § 15 Abs. 3 AGG zudem keinesfalls paradox. Dies wird auf dem Boden der herrschenden Meinung mitunter behauptet.775 Tatsächlich ließe es sich nur schwer erklären, warum die vermeintlich verschuldensunabhängige Haftung auf Entschädigung bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen nun plötzlich sogar von einem qualifizierten Verschulden abhängig sein sollte. Insoweit spricht § 15 Abs. 3 AGG nochmals für die Verschuldensabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs. Ebenfalls als Paradoxon wird der Umstand bezeichnet, dass sich die Haftungsbeschränkung nur auf die Anwendung von Kollektivvereinbarungen bezieht, nicht jedoch auch auf die Anwendung benachteiligender Gesetze.776 Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchlichkeiten wird dafür plädiert, im Wege eines Erst-RechtSchlusses die Regelung aus § 15 Abs. 3 AGG auch auf die Anwendung von Gesetzen zu übertragen, weil diesen eine noch höhere Richtigkeitsgewähr als Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zukomme.777 Richtigerweise ist davon auszugehen, dass Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen anders als Gesetzen überhaupt keine rechtliche Richtigkeitsgewähr zukommt. Eine Richtigkeitsgewähr ist zwar für Tarifverträge anerkannt. Richtig bedeutet dabei aber niemals rechtmäßig, sondern immer nur inhaltlich gerecht, so dass
Evers, NZA 2006, S. 893 (897); Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (294); Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 62; Lingemann/Müller, BB 2007, S. 2006 (2014); BeckOK-Arbeitsrecht/ Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 15 AGG, Rn. 9; Wolf, FS Hromadka, S. 511 (524). 774 Siehe oben 4. Kap. A. I. 1. b) ii). 775 Siehe BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 15 AGG, Rn. 9; vgl. auch Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 90: „[Die Haftungsbeschränkung] muss […] schon ins Leere gehen, weil es auf ein Verschulden des Arbeitgebers aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen gar nicht ankommen darf“. 776 Siehe Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 89; vgl. auch Meinel/Heyn/ Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 82. 777 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 63 und 65; Krebber, EuZA 2009, S. 200 (214).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
sich diesbezüglich eine Inhaltskontrolle verbietet.778 Eine vollständige Rechtskontrolle bleibt aber möglich. Sinn macht die Gesetzesbegründung nur dann, wenn man sie so versteht, dass sie den Arbeitgeber hinsichtlich eines Rechtsirrtums privilegieren will.779 Der Arbeitgeber, der auf das rechtmäßige Handeln, insbesondere der Tarifvertragsparteien, vertraut, soll für seinen Irrtum nicht einstehen müssen. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass grundsätzlich vom Vorliegen eines Verschuldens in diesen Fällen auszugehen ist. Angesichts des generell hohen (objektiven) Sorgfaltsmaßstabes ist es auch nicht fernliegend anzunehmen, dass der Arbeitgeber bei der Anwendung eines benachteiligenden Tarifvertrages dessen Rechtswidrigkeit erkennen muss,780 zumal er wegen der fehlenden rechtlichen Richtigkeitsgewähr eben nicht auf die Rechtmäßigkeit vertrauen darf, sondern die tarifvertraglichen Regelungen grundsätzlich auf ihre Vereinbarkeit mit dem Benachteiligungsverbot zu prüfen hat.781 Dabei haftet er nach allgemeinen Regeln auch für einen leicht fahrlässigen Rechtsirrtum. In einen rechtlichen Konflikt mit dem Zwang zur Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen (§ 4 Abs. 1 TVG) kommt er dabei allerdings nicht.782 Denn ein solcher Zwang besteht nur hinsichtlich wirksamer Tarifvertragsnormen. Eine benachteiligende Tarifvertragsklausel ist jedoch nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Was bleibt, ist das Prognoserisiko.783 Oftmals wird es bei rechtlichen Grenzfällen nur schwer möglich sein, die Vereinbarkeit einer Tarifvertragsvorschrift mit dem Benachteiligungsverbot festzustellen.784 Von diesem Risiko will § 15 Abs. 3 AGG den Arbeitgeber entlasten. 778
Siehe Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 89; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (197); Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (337). 779 Siehe Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 90, der die Haftungsmilderung aber für wenig einsichtig hält; ebenso Walker, NZA 2009, S. 5 (6 f): „Es ist nicht einzusehen, warum gerade dieser Rechtsirrtum beachtlich sein soll“; a.A.: Willemsen/Schweibert, NJW 2006, S. 2583 (2591): „leuchtet grundsätzlich ein“. 780 A.A. Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (340); dies., RdA 2006, S. 321 (338; Fn. 161): Regelmäßig kein Verschulden. 781 Siehe zur Prüfpflicht Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (291 ff); gegen einer Prüfpflicht Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (340). 782 Siehe Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (337); Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 91: „Man [wird] in dem Kollektivvertragsprivileg nicht eine Art rechtfertigenden Notstandes in dem Sinne erkennen können, dass der Arbeitgeber der zwingenden Wirkung des Tarifvertrages nach §§ 4, 5 TVG nicht entgehen könnte. Denn die Tarifnorm diskriminierenden Inhalts ist ihrerseits gemäß § 7 Abs. 2 AGG nichtig“; a.A. Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (290): „Zwickmühle“. 783 Siehe Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (292): „Der Arbeitgeber kann […] in der Regel nicht ad hoc erkennen, ob die kollektivrechtliche Regelung gegen das AGG verstößt oder nicht, so dass ihm auf die bloße Vermutung einer Benachteiligung hin nicht geraten werden kann, die betroffene kollektivrechtliche Regelung nicht anzuwenden, da er zu deren Anwendung an sich verpflichtet ist“. 784 Zumal streitig ist, ob die AGG-Widrigkeit einer Tarifnorm im Verfahren nach § 9 TVG überprüft werden kann; dafür: ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12; dagegen: Nebeling/ Miller, RdA 2007, S. 289 (293), die zudem auch eine negative Feststellungsklage für nicht zulässig halten; siehe zum Ganzen auch Rieble/Zedler, ZfA 2006, S. 273 (290).
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Diesen Gesetzeszweck mag man für gerecht oder ungerecht halten. Rechtlich bedenklich ist er jedoch nicht. Insbesondere ist die Vorschrift nicht europarechtswidrig, auch wenn dies weit überwiegend785 angenommen wird. Die in diesem Kontext vielfach angeführten Entscheidungen des EuGH in Drahmpaehl sowie Dekker taugen nicht zum gegenteiligen Schluss. Denn dort ging es nur um die Haftung des Urhebers der Diskriminierung.786 Bei der bloßen Anwendung tarifvertraglicher Regelungen ist jedoch nicht der Arbeitgeber, sondern sind die Tarifvertragsparteien Urheber der Benachteiligung. Dies gilt zumindest dann, wenn es sich um einen Verbandstarifvertrag oder einen kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung gültigen Tarifvertrag handelt.787 Hieran ist der Arbeitgeber im Gegensatz zu Firmentarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme gültigen Tarifverträgen nicht unmittelbar beteiligt.788 Hinzu kommt, dass, anders als oftmals behauptet, der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot keinesfalls sanktionslos bleibt, wenn der Arbeitgeber wegen § 15 Abs. 3 AGG nicht haftet. Dies gilt selbst dann, wenn man eine eigene Haftung der Tarifvertragsparteien bzw. Betriebspartner für die benachteiligenden Kollektivnormen ablehnt.789 Denn der Arbeitgeber muss auch bei fehlendem Verschulden gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog die Benachteiligung beseitigen, weil es sich um eine fortdauernde Beeinträchtigung des durch § 7 785 Siehe Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2005, S. 32 (35): „klar europarechtswidrig“; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (198): „eindeutiger geht es nicht“; Stoffels, RdA 2009, S. 204 (211): „ziemlich klar“; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 81: „eindeutig“; HWK/Annuß/ Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 11; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 93; ders., DB 2007, S. 398 (401); Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (338); Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 52; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 15 AGG, Rn. 10; Walker, NZA 2009, S. 5 (6); KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 47; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1091); a.A. Krebber, EuZA 2009, S. 200 (214): „kein Grund ersichtlich, an der […] Vereinbarkeit von § 15 Abs. 3 AGG mit den Vorgaben des Europarechts zu zweifeln“; Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (954); wohl auch Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 39; offengelassen in BAG, 22. 1. 2009, 8 AZR 906/07, NZA 2009, S. 945 (951). 786 Siehe Krebber, EuZA 2009, S. 200 (214): „Ein Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch gegen den Arbeitgeber, der nicht Verursacher der Ungleichbehandlung ist, wird vom Europarecht überhaupt nicht verlangt“. 787 Beachte hinsichtlich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags aber noch die sogleich folgenden Erwägungen. 788 Insoweit ließe sich eine Differenzierung durchaus erwägen. § 15 Abs. 3 AGG würde danach für die zuletzt genannten (Anwendung-)Formen von Kollektivvereinbarungen nicht gelten. Hiergegen spricht jedoch, dass es bei § 15 Abs. 3 AGG nicht um die Beteiligung an der Erschaffung einer benachteiligenden Vorschrift geht, sondern um ihre Anwendung trotz Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis ihres benachteiligenden Charakters, siehe Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (338 f). Man könnte allenfalls annehmen, dass der Arbeitgeber das Risiko einer falschen Rechtsansicht bei der Überprüfung der AGG-Konformität einer Vorschrift dann eher tragen muss, wenn er die Regelung selbst geschaffen oder zumindest arbeitsvertraglich ihre Anwendung vereinbart hat. 789 Siehe dazu bereits oben 4. Kap. Fn. 456; vgl. auch Rieble/Zedler, ZfA 2006, S. 273 (293 f).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Abs. 1 AGG zugewiesenen Rechts handelt.790 Dies genügt den europarechtlichen Erfordernissen „voll und ganz“791. Damit bleibt zu klären, ob § 15 Abs. 3 AGG, wie bereits angedeutet, auf benachteiligende Gesetze entsprechend anzuwenden ist. Tatsächlich fehlt es aber sowohl an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Letztere liegt bereits deshalb nicht vor, weil Gesetzen anders als Kollektivvereinbarungen eine rechtliche Richtigkeitsgewähr zukommt. Hinsichtlich potentiell benachteiligender Gesetze besteht keine Prüfpflicht der Normanwender.792 In aller Regel wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass der Arbeitgeber, der wie im Falle des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ein unter Umständen jahrzehntelang geltendes Gesetz anwendet, das sich erst im laufenden Verfahren als diskriminierend herausstellt, einem unverschuldeten Rechtsirrtum erliegt. Die Frage nach dem Verschulden ist dabei von der Frage, ob ein schützenswertes Vertrauen in die weitere Anwendbarkeit des Gesetzes besteht, zu trennen.793 Da somit bei Gesetzen von vornherein kein Verschulden vorliegt und deshalb eine Haftung wegen der Verschuldensabhängigkeit von § 15 Abs. 1 und 2 AGG ausscheidet,794 besteht auch kein Regelungsbedarf und folglich keine Regelungslücke. Eine solche könnte man nur dann annehmen, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Verschuldensabhängigkeit der Ansprüche verneinte. Ein von vornherein fehlendes Verschulden wird man letztlich nicht nur bei formellen Gesetzen annehmen müssen, sondern auch bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen.795 § 15 Abs. 3 AGG spielt deshalb für diese Tarifverträge keine Rolle.796 Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung stellt einen Akt der Rechtsetzung dar; sie bringt ein eigenes staatliches Rechtsetzungsverfahren zum Abschluss.797 Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales prüft vor der Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit die Wirksamkeit des Tarifvertrages und somit auch seine
790
Ausführlich dazu unten 4. Kap. C. IV. 2. b) cc). So Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (954); ebenso Krebber, EuZA 2009, S. 200 (214); dagegen ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12. 792 Ebenso Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (291). 793 Dazu bereits oben 4. Kap. Fn. 722; dies verkennen Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 82. 794 A.A. bezüglich § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB Gaul/Koehler, ArbRB 2010, S. 53 (55 f), die einen Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen der vermeintlichen Verschuldensunabhängigkeit bejahen wollen. 795 Darüber hinaus spricht viel dafür, die „Entdeckung“ der AGG-Widrigkeit einer höchstrichterlichen Rechtsprechung genauso zu behandeln wie die höchstrichterliche Feststellung der AGG-Widrigkeit eines Gesetzes, siehe dazu bereits oben 4. Kap. Fn. 724. 796 Vgl. Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (291): „Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 AGG [ist bezüglich allgemeinverbindlichen Tarifverträgen] möglicherweise ganz versperrt“. 797 Löwisch/Rieble, 2004, § 5 TVG, Rn. 60. 791
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
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Vereinbarkeit mit § 7 Abs. 1 AGG.798 Anders als sonstige Tarifverträge beinhaltet der allgemeinverbindliche Tarifvertrag deshalb eine rechtliche Richtigkeitsgewähr, weshalb die Prüfpflicht des Arbeitgebers entfällt.799 Dies führt dazu, dass die Anwendung einer diskriminierenden Regelung, die Bestandteil eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages ist, vom Arbeitgeber grundsätzlich nicht zu vertreten ist. Ansprüche gemäß § 15 Abs. 1 und 2 AGG scheiden hier in aller Regel aus,800 bis die Rechtmäßigkeitsvermutung durch eine (höchstrichterliche) Entscheidung widerlegt ist. 5. Die Ausschlussfristen in § 15 Abs. 4 AGG und § 61 b Abs. 1 ArbGG Von geringem dogmatischen Interesse sind die Ausschlussfristen in § 15 Abs. 4 AGG und § 61 b Abs. 1 ArbGG. Eine vertiefte Behandlung der in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen soll deshalb unterbleiben.801 Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass der EuGH802 entgegen einer im Schrifttum stark vertretenen Ansicht803 die Europarechtskonformität von § 15 Abs. 4 AGG in einer jüngeren Entscheidung
798
Vgl. BeckOK-Arbeitsrecht/Giesen, Stand: 1. 12. 2010, § 5 TVG, Rn. 14. Siehe Nebeling/Miller, RdA 2007, S. 289 (291): „Der Gesetzgeber des AGG hat, soweit erkennbar, jedenfalls keine Prüfungspflicht von Arbeitgebern im Hinblick auf solche Regelungen einführen wollen, die quasi Gesetzeskraft erlangen oder die ansonsten auf staatliche Hoheitsakte zurückgehen“; vgl. auch ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12: „Von der Rechtmäßigkeit allgemeinverbindlicher Tarifverträge kann der Arbeitgeber ausgehen“; Bauer/ Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 39 sowie Lingemann/Gotham, NZA 2007, S. 663 (669): „Bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen ist die Richtigkeitsgewähr […] besonders hoch“; a.A. Jacobs, RdA 2009, S. 193 (197): „keine höhere Rechtmäßigkeitsvermutung“; Däubler/ Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 95: „Es fragt sich, warum ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag eine höhere Rechtmäßigkeitsvermutung mit sich bringen soll als andere Tarifverträge“. 800 Richtigerweise gilt dies unabhängig von § 15 Abs. 3 AGG; überwiegend wird aber darauf abgestellt, dass bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen das grobe Verschulden gemäß § 15 Abs. 3 AGG zu verneinen sei, siehe ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 12; Bauer/ Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 39; v. Steinau-Steinrück/Schneider/Wagner, NZA 2005, S. 28 (31). 801 Siehe dazu ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 13 f; Fischinger, NZA 2010, S. 1048 ff. 802 EuGH, 8. 7. 2010, C-246/09, NJW 2010, S. 2713 ff (Bulicke) mit Anm. Kock; so auch schon BAG, 24. 9. 2009, 8 AZR 705/08, NZA 2010, S. 387 ff; zustimmend Kolbe, EuZA 2011, S. 65 ff; Mückl, EWiR 2010, S. 589 f; ablehnend Fischinger, NZA 2010, S. 1048 ff; v. Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2011 Anm. 1. 803 Siehe ausführlich v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 102 ff; WendelingSchröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 66 f; Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 56; Rust/ Falke/Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 50; Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG; Rn. 32; Fischinger, NZA 2010, S. 1048 ff; BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 15 AGG, Rn. 12; a.A. KR/Treber, 2009, § 15 AGG, Rn. 51; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (200 f). 799
346
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
im Grundsatz804 bestätigt hat. Es bleibt hinsichtlich anderer Streitfragen805 zu hoffen, dass diese Entscheidung keine einmalige Unterbrechung der bisherigen Rechtsprechungslinie ist, die dem Grundsatz „je effektiver, desto besser“ zu folgen schien und gegenläufige Interessen wenig beachtete.
III. Konkurrenzen Schließlich ist das Verhältnis von § 15 AGG zu den übrigen Schadensersatzvorschriften zu klären. Gemäß § 15 Abs. 5 AGG bleiben Ansprüche, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt. Die herrschende Meinung, die die arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG als (vor-)vertragliche Regelungen begreift, schließt daraus überwiegend, dass § 823 BGB anwendbar bleibt.806 Gleichzeitig soll § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) jedoch von § 15 AGG als lex specialis verdrängt werden.807 Vereinzelt wird § 15 Abs. 2 AGG auch als eine abschließende Sonderregelung verstanden, die alle anderen Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden verdrängt.808 Versteht man die Normen des AGG demgegenüber wie hier als deliktische Vorschriften, die eine Konkretisierung sowie einen korrespondierenden Schutz des Persönlichkeitsrechts im Jedermannsbereich bewirken, so wird man eine Verdrängung von § 823 BGB durch § 15 AGG annehmen müssen, soweit es um eine Haftung des Arbeitgebers geht. § 15 AGG ist dann lex specialis zu den allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften. Andererseits kann nicht ohne Weiteres von einer Verdrängung der (vor-)vertraglichen Schadensersatzregelungen ausgegangen werden. Grundsätzlich bleiben diese anwendbar. Voraussetzung ist bei Bewerberdis804
Der EuGH hat lediglich in Übereinstimmung mit der bis dahin schon im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht gefordert, dass maßgeblich für den Fristbeginn die Kenntnis der Benachteiligung sein muss, siehe dazu ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 14. § 15 Abs. 4 AGG lässt hierfür genügend Auslegungsspielraum, siehe Jacobs, RdA 2009, S. 193 (201). 805 Wie insbesondere hinsichtlich der Europarechtskonformität des Verschuldenserfordernisses in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG. 806 ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 15; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (195); Bauer/ Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 65; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 124 ff; a.A. Walker, NZA 2009, S. 5 (11). 807 Stoffels, RdA 2009, S. 204 (214); Richardi, NZA 2006, 881 (886); HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 14; Erman/Belling, 2008, § 15 AGG, Rn. 13; Wendeling-Schröder/Stein, 2008, § 15 AGG, Rn. 88; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 95; Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 66; ErfK/Schlachter, 2011, § 15 AGG, Rn. 15; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 124 ff; a.A. Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 65; Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 121 f; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 23; v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 113; Küttner/Kania, 2010, Diskriminierung, Rn. 129. 808 So Walker, NZA 2009, S. 5 (11) sowie Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG, Rn. 19; in diese Richtung auch Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 100, die sich hauptsächlich auf die Formulierung „im Übrigen“ berufen.
A. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG
347
kriminierungen jedoch, dass ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach den allgemeinen Regeln tatsächlich vorliegt. Die unaufgeforderte Einsendung der Bewerbungsunterlagen reicht dafür nicht aus.809 Zudem wird eine diskriminierende Stellenanzeige oder die Ankündigung einer diskriminierenden Einstellungspraxis dem von Rechtsprechung und Schrifttum im Rahmen der c.i.c.-Haftung überwiegend geforderten Vertrauen entgegenstehen. Nicht überzeugend ist es, auf das „generelle Vertrauen“810 in ein diskriminierungsfreies Verfahren abzustellen. Fraglich ist jedoch, welche Schäden über § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) überhaupt zu ersetzen sind. Nach Ansicht v. Roettekens811 spricht die historisch-genetische Auslegung für eine Beschränkung auf materielle Schäden. § 15 Abs. 5 AGG wurde im Gesetzgebungsverfahren erst eingefügt, als die Ersatzfähigkeit der Vermögensschäden in das Gesetz aufgenommen wurde. Zunächst war entsprechend § 611a Abs. 2 BGB a.F. nur ein Anspruch auf Entschädigung vorgesehen. Der federführende Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betrachtete die Einfügung von § 15 Abs. 5 AGG als „redaktionelle Folgeänderung, die sich aus der Neufassung von § 15 Abs. 1 ADG ergibt“812. Dies scheint tatsächlich dafür zu sprechen, dass es dem Gesetzgeber bei § 15 Abs. 5 AGG nur darum ging, konkurrierende Ansprüche auf Ersatz materieller Schäden nicht auszuschließen. Solche können sich beispielsweise ergeben, wenn der letztlich abgelehnte Bewerber aufgrund dahingehender Äußerungen des Arbeitgebers auf den Erhalt der Stelle vertraut und deshalb sein bisheriges Arbeitsverhältnis gekündigt hatte.813 Immaterielle Schäden wären dann ausschließlich gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu ersetzen.814 Allerdings hat die vermeintliche Begrenzung im Wortlaut von § 15 Abs. 5 AGG keinen Niederschlag gefunden. Dort ist allgemein von Ansprüchen nach anderen Rechtsvorschriften die Rede. Zudem spricht die Gesetzesbegründung auch nur davon, dass „insbesondere“ materieller Schadensersatz nach anderen Vorschriften in Betracht komme.815 Deshalb liegt es näher, auch konkurrierende vertragliche Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden zuzulassen. Fraglich ist des Weiteren, ob immaterieller Schadensersatz auf vertraglicher Grundlage nur dann in Betracht kommt, wenn die Benachteiligung eine echte Körper- oder Gesundheitsverletzung zur Folge hat (§ 253 Abs. 2 BGB). Manche Autoren gehen wie selbstverständlich davon aus, dass ein immaterieller Schaden 809
Siehe oben 3. Kap. B. V. 2. b) bb). So Kandler, S. 115; siehe dazu bereits oben 3. Kap. B. V. 2. b) bb). 811 Siehe v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 111, der freilich dennoch zu einem anderen Ergebnis kommt. 812 BT-Drucks. 15/5717, S. 37. 813 Siehe dazu bereits oben 4. Kap. A. I. 1. b) ii). 814 So ausdrücklich Walker, NZA 2009, S. 5 (11); Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG, Rn. 19. 815 Siehe BT-Drucks. 16/1780, S. 38. 810
348
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
gemäß § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) nur in einem solchen Fall ersetzbar ist.816 In der Tat fällt auf, dass generell bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts fast ausschließlich § 823 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage für Schadensersatz genannt wird.817 Überzeugend wäre eine solche Einschränkung freilich nicht. Auch bei anderen absoluten Rechtsgütern wie dem Eigentum ist anerkannt, dass sie im Rahmen einer Sonderverbindung über §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB genauso geschützt sind wie über § 823 Abs. 1 BGB, im bestehenden Schuldverhältnis freilich mit den Vorteilen der Verschuldensvermutung (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) sowie der verschuldensunabhängigen Haftung für bestimmte Dritte (§ 278 BGB). Ein nur deliktischer Schutz einer absoluten Rechtsposition lässt sich kaum rechtfertigen. Zumal die vertragliche und die deliktische Integritätshaftung an sich homogen sind und sich nur unterschiedlicher Filter zur Haftungsbegrenzung bedienen.818 Sind mit der Sonderverbindung und der absoluten Rechtsposition aber beide Filter vorhanden, so besteht auch ein besonders weitgehender Schutz der Rechtsposition. Das Persönlichkeitsrecht ist deshalb in der Sonderverbindung geschützt und eine Verletzung hat neben deliktischen auch vertragliche Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden zur Folge.819 Dies gilt sowohl für das allgemeine als auch für das verschärfte Persönlichkeitsrecht. Einen Vorteil hat dies für den Arbeitnehmer, wenn es bei bestehendem Schuldverhältnis um die Haftung für das benachteiligende Verhalten eines Dritten geht. Anders als im Rahmen von § 15 Abs. 1 und 2 AGG kann der Benachteiligte bei § 280 Abs. 1 BGB auf § 278 BGB zurückgreifen und die Exkulpationsmöglichkeit des Arbeitgebers entfällt. Trotzdem wird der Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in seiner praktischen Bedeutung nicht über die Ansprüche aus § 15 AGG hinausgehen. Bei § 280 Abs. 1 BGB wird das persönlichkeitsrechtsverletzende Verhalten für den Anspruchssteller nämlich viel schwieriger zu beweisen sein. Dies resultiert aus der fehlenden Anwendbarkeit von § 22 AGG auf mit § 15 AGG konkurrierende Schadensersatzansprüche.820 Selbst wenn man die Beweislastregel auch im Rahmen von 816
Vgl. Walker, NZA 2009, S. 5 (10). Vgl. etwa Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 368 der davon spricht, dass Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts neben § 823 BGB nur „ausnahmsweise“ auf Vertrag gestützt werden können. 818 Siehe oben 1. Kap. C. II. 819 Vgl. BAG, 24. 4. 2008, 8 AZR 347/07, NJW 2009, S. 251 (252): „Jeder Vertragspartei erwachsen aus einem Schuldverhältnis nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten zur Rücksichtnahme und zum Schutz der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils, § 241 II BGB. […] Der Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch zum Schutz der […] Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers verpflichtet“. 820 Siehe Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 22 AGG, Rn. 5; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 22 AGG, Rn. 8; Windel, RdA 2007, S. 1 (8); Adomeit/Mohr, 2007, § 22 AGG, Rn. 17; Simon/ Greßlin, BB 2007, S. 1782 (1786); KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 25; Jacobs, RdA 2009, S. 193 (200); Palandt/Weidenkaff, 2011, § 22 AGG, Rn. 10; Grobys, NZA 2006, S. 898 (899 f), der jedoch wenig überzeugend auch bei Ansprüchen gemäß § 1004 BGB analog § 22 AGG nicht anwenden will. 817
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
349
§ 280 Abs. 1 BGB für anwendbar hält,821 hat § 280 Abs. 1 BGB außer der verschärften Haftung für Dritte gemäß § 278 BGB keine wesentlichen Vorteile für den Anspruchssteller. Denn anders als § 823 Abs. 1 BGB enthält § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG bereits eine Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens, so dass das Deliktsrecht dem vertraglichen Integritätsschutz hier nicht nachsteht. Zuletzt wird man im Rahmen eines Anspruchs gemäß § 280 Abs. 1 BGB auch die Beschränkungen aus § 15 Abs. 3 und 4 AGG sowie § 61 b ArbGG anwenden müssen.822 Zwar spricht der Wortlaut dagegen. Sinn und Zweck der Beschränkungen passen auf die konkurrierenden Ansprüche aber genauso.
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht I. Einführung in die Problematik Wie eingangs erläutert, ist nach dem der Arbeit zugrunde liegenden Privatrechtsverständnis jedes Substanzrecht durch die Rechtsordnung umfassend zu schützen. Ohne einen vollkommenen Schutz wäre die Rechtszuweisung wertlos. Am Beispiel des für unsere Privatrechtsordnung paradigmatischen Eigentumsrechts wurde gezeigt, dass grundsätzlich ein dreifacher Schutz vor Rechtsverletzungen besteht. Nachdem mit dem Schadensersatzanspruch das auf Restitution gerichtete Schutzrecht eingehend untersucht wurde, stellt sich nun die Frage, ob dem durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Recht auch ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich nachfolgt. So kühn, wie diese Fragestellung auf der ersten Blick anmutet, ist sie jedoch keineswegs. Sie ist auch nicht rein theoretischer Natur. Gerade im Diskriminierungsrecht sind Sachverhalte, in denen der Diskriminierer aus der Benachteiligung einen finanziellen Vorteil zieht, nicht selten. Dies sei anhand eines Beispiels verdeutlicht: Gastwirt G betreibt sein Lokal in einer kleinen, abgelegenen Stadt (S). In S leben sehr wenige Ausländer und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Ein Großteil der Bevölkerung, darunter auch der komplette Stammtisch von G, ist fremdenfeindlich eingestellt. Als G eine Stelle als Kellner ausschreibt, bewirbt sich der junge Marokkaner M. G befürchtet das Ausbleiben seiner Stammgäste und lehnt M wegen seiner fremdländischen Herkunft ab. Tatsächlich 821
So Wörl, S. 22 ff; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 22 AGG, Rn. 5; Schleusener/Suckow/ Voigt, 2011, § 22 AGG, Rn. 9; differenzierend ErfK/Schlachter, 2011, § 22 AGG, Rn. 8. 822 Staudinger/Richardi/Fischinger, 2011, § 611 BGB, Rn. 138; Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 67; Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 117; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 74; Bauer/Evers, 2006, S. 893 (897); Simon/Greßlin, BB 2007, S. 1782 (1786); a.A. Palandt/Weidenkaff, 2011, § 22 AGG, Rn. 10; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 97; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 48; KDZ/Zwanziger, 2008, § 15 AGG, Rn. 25; HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 14; differenzierend Koch, VersR 2007, S. 299 (292).
350
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
hätten die meisten Gäste angesichts eines ausländischen Kellners das Lokal zukünftig gemieden. Begeistert von der „kameradschaftlichen“ Einstellung des G beschließen die Stammgäste nun jedoch sogar, ihren Stammtisch dreimal wöchentlich statt wie bisher zweimal wöchentlich abzuhalten. Hierdurch entsteht G ein zusätzlicher Gewinn in Höhe von 1.000 E/Monat. Hätte er M eingestellt, wäre sein monatlicher Gewinn dagegen um 2.000 E gesunken.
Der Fall verkörpert die typische Konstellation diskriminierender Kundenwünsche („customer preferences“). Die Kunden erwarten eine diskriminierende Einstellungspraxis vom Arbeitgeber. Abgesehen von den wenigen Fällen, in denen Kundenwünsche die Zurückweisung zu rechtfertigen vermögen,823 erwartet die Rechtsordnung vom Arbeitgeber, den Kundenwünschen zu widerstehen. Und dies selbst dann, wenn dadurch finanzielle Nachteile drohen oder Vorteile entgehen. Sind jedoch solche Vor- bzw. Nachteile zu erwarten, wird der rein wirtschaftlich denkende Arbeitgeber trotz rechtlichem Verbot nicht selten benachteiligen, falls eine umfassende Kalkulation ihm einen positiven Saldo verspricht. Sachverhalte, in denen eine Benachteiligung auf einer diskriminierenden Kundenerwartung basierte, haben die Gerichte bereits beschäftigt.824 Dennoch hat weder die Rechtsprechung noch die Rechtswissenschaft sich mit dem Problem des Bereicherungsausgleichs bisher befasst. Soweit ersichtlich, wurde das Problem bislang noch nicht einmal gesehen. Dies ist insoweit verständlich, als eine umfassende dogmatische Aufarbeitung des AGG noch nicht erfolgt ist. Zu verlockend ist es, alle auftretenden Schwierigkeiten mit der vermeintlich europarechtlich indizierten Präventivfunktion des Entschädigungsanspruchs zu lösen. Immaterieller Schaden, angemessene Entschädigung, Abschreckung, Prävention, Sanktion: Es kursieren genügend diffuse und höchst interpretationsbedürftige Rechtsbegriffe im Antidiskriminierungsrecht, mit denen sich arbeiten lässt und mit denen auch das Problem der Gewinnerzielung aufgrund von Benachteiligungen scheinbar erfasst werden kann. Hinzu kommt, dass der Diskussionsstand im Bereicherungsrecht zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht825 nicht gerade dazu einlädt, weitergehende Betrachtungen im Antidiskriminierungsrecht anzustellen. Selbst wenn man die sachliche Nähe von Antidiskriminierungsrecht und Persönlichkeitsrecht erkennt, scheint ein Bereicherungsausgleich im Antidiskriminierungsrecht deshalb nicht naheliegend. Letztlich kommt erschwerend hinzu, dass das Gesetz selbst zur Frage des Bereicherungsausgleichs schweigt. Von den Schutzrechten ist nur der Restitutionsanspruch ausdrücklich im AGG geregelt, § 15 Abs. 2 AGG. Diese mangelnde gesetzliche Regelung bereitet allerdings die geringsten Schwierigkeiten. Genauso wie beim negatorischen Schutzrecht § 1004 BGB analog 823
Dazu oben 4. Kap. Fn. 217. EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929 ff; LAG Niedersachsen, 15. 9. 2008, 14 Sa 1769/07, NZA-RR 2009, S. 126 ff; vgl. auch nachfolgend BAG, 18. 3. 2010, 8 AZR 1044/08, NZA 2010, S. 1129 ff. 825 Dazu bereits oben 2. Kap. B. I. 2. d) cc) und ausführlich sogleich. 824
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
351
für alle Substanzrechte herangezogen wird, werden auch die §§ 812 ff BGB auf alle Rechte angewandt, für die es keine spezialgesetzliche Regelung gibt.826 Mit der Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB wäre deshalb durchaus eine Anspruchsgrundlage vorhanden, um im Beispielsfall zu einer Abschöpfung zu gelangen. Die weitere Lösung des Problems erfordert zunächst eine Darstellung und Klärung der äußerst umstrittenen Rechtslage zum Bereicherungsausgleich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Da es im AGG um einen verschärften und konkretisierten Ehrschutz wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit geht,827 können die beim Persönlichkeitsrecht erzielten Erkenntnisse auf das Antidiskriminierungsrecht übertragen werden.
II. Der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Bereicherungsabschöpfung bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts 1. Die Rechtsprechungsansicht Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurde bereits auf das lange Zeit vernachlässigte Bereicherungsrecht hingewiesen. Die Entwicklung der Genugtuungsfunktion im Schadensrecht, die vom BGH in den Caroline-Entscheidungen zur echten Präventivfunktion ausgebaut wurde, lässt sich ganz wesentlich mit den (vermeintlichen) Unzulänglichkeiten des Bereicherungsrechts erklären. Für die als notwendig erachtete Abschöpfung der Gewinne, die durch die mediale Zwangskommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts Caroline von Monacos erzielt worden waren,828 kam für den BGH nur eine Lösung über den immateriellen Schadensersatz in Betracht. Diese scheinbare Notwendigkeit ergab sich zunächst aus der Tatsache, dass nach herrschender Ansicht über die §§ 812 ff BGB im Falle der unbefugten Nutzung eines fremden Rechts nicht der volle Gewinn, sondern nur der objektive Wert der Nutzung herauszugeben ist.829 Dieser wird in der marktüblichen Lizenzgebühr, die für eine entsprechende Nutzung zu leisten ist, zutreffend ausgedrückt. Schwierigkeiten entstehen jedoch dann, wenn für ein Persönlichkeitsgut an sich keine Lizenzen vergeben werden und eine marktübliche Gebühr deshalb nicht bestimmbar ist. Einen Markt, auf dem ein Rechtsinhaber frei erfundene Interviews über sich selbst anbietet, gibt es aber nicht.
826 827 828 829
Siehe etwa MüKo/Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 253 ff. Siehe oben 3. Kap. B. Frei erfundenes Interview; Suggerierung einer Krebserkrankung auf der Titelseite. Siehe Canaris, FS Deutsch, 1999, S. 85 (91).
352
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Ein weiteres Hindernis, das einer Lösung der Caroline-Fälle über das Bereicherungsrecht scheinbar entgegenstand, war die vom BGH seit 1958 in ständiger Rechtsprechung angewandte Herrenreiter-Doktrin. Diese besagte, dass ein Bereicherungsausgleich dann ausscheiden müsse, wenn der Persönlichkeitsrechtsinhaber einer Kommerzialisierung und somit einer Vermarktung seines Rechts unter keinen Umständen zugestimmt hätte. Denn in diesen Fällen, so der BGH, komme es nicht zu der von §§ 812 ff BGB vorausgesetzten Vermögensverschiebung.830 Caroline von Monaco hätte der Veröffentlichung eines frei erfundenen Interviews oder eines Artikels, der ihre Erkrankung an Brustkrebs suggerierte, aber niemals zugestimmt. Auch ein Ersatz der entgangenen Lizenzgebühr als eines materiellen Schadens erschien in diesen Fällen nicht möglich. Eine abstrakte Schadensberechnung kam nach Ansicht des BGH nicht in Betracht, „weil sie dem [Rechtsinhaber] ein Verhalten unterstelle, das er […] als kränkend und als erneute Persönlichkeitsminderung empfinden müsste“831. Selbst in den Fällen, in denen der Rechtsinhaber zur Kommerzialisierung bereit gewesen wäre, ging der BGH lange Jahre primär den Weg über das Schadensrecht und nicht über das Bereicherungsrecht. Die fiktive Lizenzgebühr wurde etwa im Fall Dahlke832 im Wege der abstrakten Schadensberechnung als Teil des entgangenen Gewinns gemäß § 252 BGB und somit als materieller Schaden betrachtet. In der Entscheidung Lafontaine hat der BGH unlängst jedoch seine Rechtsprechung geändert und dem Bereicherungsanspruch wieder eine größere Bedeutung beigemessen.833 Obwohl es im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich war, erklärte der BGH ausdrücklich die Abkehr von der Herrenreiter-Doktrin. Es komme weder für einen Bereicherungsausgleich noch für einen Schadensersatzanspruch darauf an, ob der Inhaber des Persönlichkeitsrechts „bereit und in der Lage“ gewesen wäre, die Abbildung gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr zu gestatten. „Der Zahlungsanspruch fingiert nicht eine Zustimmung des Betroffenen, er stellt vielmehr den Ausgleich für einen rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositionsbefugnis dar“834. Deshalb war es nach Ansicht des BGH für den Anspruch des ehemaligen Finanzministers Lafontaine gegen den Autovermieter Sixt auf Ersatz einer fiktiven Lizenzgebühr wegen unerlaubter Verwendung eines Bildes zu Werbezwecken unschädlich, dass Lafontaine sein Bild niemals für diese Zwecke hergegeben hätte und dass ihm dies wegen des für 830
BGH, 14. 2. 1958, I ZR 151/56, GRUR 1958, S. 408 (409). BGH, a.a.O.; krit. statt vieler Ullmann, AfP 1999, S. 209 (212): „Eine solche moralisierende Erwägung hat mit der nüchternen Feststellung, ob einem Schmarotzer ein Vermögensvorteil verbleiben darf, nichts zu tun“. 832 BGH, 8. 5. 1956, I ZR 62/54, NJW 1956, S. 1554 (1555), wobei das Gericht hier ergänzend feststellte, dass sich der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Lizenzgebühr in diesen Fällen auch aus dem Bereicherungsrecht ergebe. 833 Dazu bereits oben 2. Kap. B .I. 2. d) cc). 834 BGH, 26. 10. 2006, I ZR 182/04, NJW 2007, S. 689 (690). 831
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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Bundesminister geltenden Verbots anderer besoldeter Tätigkeiten gemäß Art. 66 GG wohl auch gar nicht erlaubt gewesen wäre.835 Letztlich wurde ein Anspruch allein deshalb verneint, weil in der Interessenabwägung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung Lafontaines nicht festgestellt werden konnte. 2. Die Literaturansichten Um die unterschiedlichen Literaturansichten zur Frage der Abschöpfung von finanziellen Vorteilen bei der Ausnutzung von Persönlichkeitswerten besser verstehen zu können, ist es hilfreich, nach den insoweit zum Bereicherungsrecht vertretenen Theorien zu differenzieren. Dabei geht es ausschließlich um die Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB. Eine Leistung im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB liegt in den hier interessierenden Fällen regelmäßig nicht vor. a) Die Rechtswidrigkeitstheorie Die weithin als Rechtswidrigkeitstheorie bezeichnete Literaturansicht sieht als wesentliches Merkmal der Eingriffskondiktion die Widerrechtlichkeit des rechtsverletzenden Verhaltens an. Das Merkmal „auf Kosten“ wird maßgeblich unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Eingriffsaktes definiert. Die auf Schulz zurückgehende Lehre erzeugt bewusst die Nähe zum ebenfalls verhaltensorientierten Schadensrecht. Sie begreift die Bereicherung gleichsam als „Umkehrung des Schadensgedankens“836. Ein zum Bereicherungsausgleich führender Eingriff liegt nach dieser Lehre immer schon dann vor, wenn der Kondiktionsgläubiger die widerrechtliche Handlung hätte verbieten können. Einschränkend wird allenfalls vorausgesetzt, dass das durch den Eingriff Erlangte „im Widerspruch zu einem Recht des anderen mit vermögensrechtlicher Tragweite“ erworben wurde.837 Diese Voraussetzung wird jedoch beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht weithin als erfüllt angesehen. Jakobs etwa gelangt zu dem Schluss: „Erkennt man das allgemeine Persönlichkeitsrecht an, […] so muß man auch der Idee des Rechts auf den Eingriffserwerb gemäß die Bereicherungshaftung auf jeden kausal durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts erzielten Gewinn anerkennen“838. b) Die Lehre vom Zuweisungsgehalt Die herrschende Lehre, der in weiten Teilen auch die Rechtsprechung folgt, geht jedoch einen anderen Weg. Sie kritisiert die Rechtswidrigkeitstheorie zunächst als 835 836 837 838
BGH, a.a.O., str. siehe unten 4. Kap. Fn. 870. Schulz, AcP 105 (1909), S. 1 (7). Jakobs, S. 64. Jakobs, S. 104.
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unzureichend, da es ihr nicht gelinge, das Grundproblem des Bereicherungsrechts zu lösen, nämlich die Vermögenssphären der Beteiligten gegeneinander abzugrenzen.839 Das bloße Rechtswidrigkeitskriterium alleine reiche nicht aus, um festzustellen, ob der Eingriff die Vermögensinteressen des Kondiktionsgläubigers berührt habe. Im Ergebnis schaffe die Rechtswidrigkeitstheorie das entscheidende Merkmal „auf Kosten“ ab und verändere somit die Funktion des Bereicherungsrechts.840 Erst durch dieses Merkmal werde ermöglicht, erzielte Nutzungen und Vermögensvorteile in wertender Betrachtung den Beteiligten zuzuordnen. Zu einer solchen Zuordnung gelangen die Vertreter der Zuweisungslehre, indem sie die subjektiven Rechte danach unterscheiden, ob ihnen ein konkreter vermögensrechtlicher Zuweisungsgehalt zukommt oder nicht. Sie fragen danach, ob die vorgefundene Vermögenslage, und nicht das Eingriffsverhalten, im Widerspruch zur Rechtszuweisung steht.841 Da der Begriff des Zuweisungsgehalts in höchstem Maße unbestimmt und wertungsoffen ist,842 verwundert es jedoch wenig, dass unter den Vertretern der Zuweisungslehre keine Einigkeit besteht, nach welchen Kriterien bestimmt werden soll, ob eine Rechtsposition ihrem Inhaber auch die wirtschaftliche Verwertung der Position ermöglicht. Gerade im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht führt dies zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen. So lehnen es manche Autoren rundheraus ab, Persönlichkeitsrechten einen bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt zuzusprechen.843 Das Persönlichkeitsrecht sei dazu geschaffen worden, die Menschenwürde des Einzelnen und seine persönliche Entfaltungsfreiheit zu schützen. Es handele sich um ein reines Abwehrrecht und um keinen vermögensrechtlich nutzbaren Herrschaftsgegenstand. Der Einzelne habe deshalb per se kein Recht, seine Persönlichkeit wirtschaftlich zu verwerten.844 Der überwiegende Teil der Zuweisungslehre versucht jedoch, die vermögensrechtlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts von den rein ideellen Bestandteilen zu trennen. In Anlehnung an die von Kant hervorgehobene Dichotomie von
839
Siehe Witzleb, S. 167 m.w.N. So Schlechtriem, FS Hefermehl, S. 445 (448). 841 Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 169 ff m.w.N. 842 Die Kritiker bezeichnen den Begriff als Leerformel, siehe Jakobs, S. 104: „Mit dem Zuweisungsgehalt läßt sich eben alles und deswegen nichts begründen“; ähnlich Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 101, Fn. 146: „alles und damit nichtssagende Rede von der Zuweisung“; ebenso Hartmann, S. 17. 843 Mestmäcker, JZ 1958, S. 521 (525); Peukert, Güterzuordnung, S. 829; anders noch ders., ZUM 2000, S. 710 (719 f). 844 Vgl. auch Hubmann, S. 134 und 363, der zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den gesetzlich geregelten Persönlichkeitsrechten unterscheiden will. 840
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Würde und Preis845 wird die Doppelnatur846 des Persönlichkeitsrechts betont.847 Das Persönlichkeitsrecht bestehe sowohl aus vermögenswerten wie auch aus immateriellen Bestandteilen. Letztere seien nur negatorisch und schadensrechtlich, nicht aber bereicherungsrechtlich geschützt.848 Helle sieht in der privatautonomen Entscheidung des Einzelnen, ein Persönlichkeitsmerkmal zu vermarkten, den wesentlichen Grund für die Anerkennung eines vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalts. Dem Rechtsträger allein und niemandem sonst stehe die Entscheidungsbefugnis über die Umwandlung des ideellen zum kommerziellen Persönlichkeitsrecht zu. Alles andere sei „mit dem Wesen des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde, in der es seine Wurzel hat, […] nicht zu vereinbaren“849. Helle bedauert deshalb die Aufgabe der Herrenreiter-Doktrin durch den BGH.850 In ihr sei zutreffend zum Ausdruck gekommen, dass allein der Inhaber des Persönlichkeitsrechts im Rahmen seiner privatautonomen Selbstbestimmung über die vermögenswerte Vermarktung des Rechts entscheide. Wenn der Rechtsinhaber zur Vermarktung nicht fähig oder nicht bereit sei, dann sei dies zu akzeptieren und der Zuweisungsgehalt folglich zu verneinen.851 Hiergegen wird zu recht eingewandt, dass es wertungswidersprüchlich erscheint, mit dem hohen moralischen Wert der privatautonomen Selbstbestimmung zu argumentieren, wenn dies letztlich dazu führt, dass gerade bei skrupellosen und schwerwiegenden Rechtsbeeinträchtigungen ein Anspruch ausscheidet, weil der Rechtsinhaber sich hiermit niemals einverstanden erklärt hätte.852 Zudem würde eine solche Ansicht denjenigen benachteiligen, der eine Kommerzialisierung gerade wegen seiner hohen moralischen Wertvorstellungen ablehnt. Letztlich wird gegen die Herrenreiter-Doktrin von der herrschenden Lehre853 zu Recht der Einwand er845 Kant, S. 72: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“. 846 So Götting, Persönlichkeitsrechte, S. 275. 847 Vgl. zu den unterschiedlichen Erklärungsmodellen Ahn, S. 128 ff, der selbst ein monistisches Verständnis des Persönlichkeitsrechts vorzieht (S. 139 ff); a.A. (dualistisches Modell): Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 132; vgl. auch Beuthien/Schmölz, S. 25 ff; die Gemeinsamkeiten betont Ehmann, AfP 2005, S. 237 (239). 848 Siehe Ehmann, AfP 2007, S. 81 (83 f). 849 Helle, JZ 2007, S. 444 (448). 850 Helle, JZ 2007, S. 444 (445); a.A. Balthasar, NJW 2007, S. 664 (665). 851 Ebenso Möller, S. 197 f. 852 Vgl. Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 355: „Es ist auch falsche Moral, demjenigen den Vermögenswert zu belassen, der ihn durch rechtswidrigen Eingriff in moralisch nicht zu billigender Weise ausnutzt, nur damit der Verletzte nicht in den Verdacht gerät, evtl. selbst das Rechtsgut auch unmoralisch verwertet zu haben, wenn er nur gekonnt hätte“; ebenso ders., AfP 2007, S. 81 (83). 853 Canaris, FS Deutsch, 1999, S. 85, (89); Ehmann, AfP 2005, S. 237 (246); ders., AfP 2007, S. 81 (84); Balthasar NJW 2007, S. 664 (665); MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 274; Götting, FS Ullmann, 2006, S. 65 (68); Schlechtriem, FS Hefermehl, S. 445 (463 f);
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hoben, dass sie ein schadensrechtliches Kriterium unzulässig ins Bereicherungsrecht implantiert. Denn bei den §§ 812 ff BGB handelt es sich um eine „Be- und nicht um eine Entreicherungshaftung“854. Eine Vermögensverschiebung wird gerade nicht vorausgesetzt.855 Deshalb ist es für einen Bereicherungsausgleich irrelevant, ob der Rechtsinhaber ohne den Eingriff einen vermögenswerten Vorteil erzielt hätte. Für den materiellen Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns ist die Vermarktungs- oder Lizenzbereitschaft andererseits ein zulässiges Kriterium. Fehlt sie, so liegt nach der Differenzhypothese kein adäquat kausaler Schaden vor. Insoweit wäre die Aufgabe der Herrenreiter-Doktrin für das Schadensrechts sicherlich nicht richtig.856 Die Aussage857 des BGH in der Entscheidung Lafontaine, die auf eine Abkehr von der Herrenreiter-Doktrin auch für das Schadensrecht schließen lässt, wird man als Redaktionsversehen bewerten müssen. Dies liegt insoweit nahe, als die Aussage in einer Passage der Entscheidungsgründe zu finden ist, in der es ausschließlich um den Bereicherungsanspruch geht. Andere Vertreter der Zuweisungslehre wollen an die Stelle der Entscheidung des Einzelnen über die Umwandlung des ideellen Persönlichkeitsrechts in ein vermögenswertes Recht die Entscheidung des Marktes setzen.858 Die Zuerkennung eines vermögenswerten Zuweisungsgehalts erfolge allein durch den Markt, weil kein Recht aus sich heraus einen immanenten Vermögensgehalt habe, sondern dieser ihm erst nach den Regeln des Marktes durch Angebot und Nachfrage verliehen werde.859 Die gewinnorientierte Verletzung aktualisiere den kommerziellen Wert des Persönlichkeitsgutes. Hiergegen wird jedoch vorgebracht, dass das Bestehen eines Marktes zwar ein wichtiges Indiz für den Zuweisungsgehalt eines Persönlichkeitsdetails liefere, andererseits aber weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung hierfür sei.860 Denn auf der einen Seite würde die Beschränkung auf vorhandene Märkte Siemes, AcP 201 (2001), S. 202, (222); Ullmann, AfP 1999, S. 209 (212); a.A. Steffen, NJW 1997, S. 10 (13 f). 854 So Canaris, FS Deutsch, 1999, S. 85 (89). 855 Jauernig/Stadler, 2009, § 812 BGB, Rn. 3. 856 Ebenso Ehmann, AfP 2007, S. 81 (84); Erman/ders., 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 355. 857 BGH, 26. 10. 2006, I ZR 182/04, NJW 2007, S. 689 (690): „Soweit sich der Rechtsprechung des BGH entnehmen lässt, dass ein Schadens- oder Bereicherungsausgleich auf der Grundlage einer angemessenen Lizenzgebühr ein grundsätzliches Einverständnis des Abgebildeten mit der Vermarktung seines Rechts am eigenen Bild voraussetze […], wird daran nicht festgehalten.“ – Hervorhebung durch den Verfasser. 858 Schlechtriem, DRiZ 1975, 65 (69); ders., FS Hefermehl, S. 445 (453); Siemes, AcP 201 (2001), S. 202, (218 ff); Ullmann, AfP 1999, S. 209 (211); Beuthien/Schmölz, S. 18; vgl. die scharfe Kritik hieran von Helle, JZ 2007, S. 444 (450). 859 Siemes, AcP 201 (2001), S. 202, (219); Götting, Persönlichkeitsrechte, S. 54; Schlechtriem, FS Hefermehl, S. 445 (453). 860 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 172 sprechen davon, dass der Markt als Faktum „in doppelter Hinsicht“ ungeeignet für die Bestimmung des Zuweisungsgehalts sei.
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einen bereicherungsrechtlichen Schutz neuartiger Nutzungen von vornherein verhindern, obwohl es hier ganz besonders einer Entscheidung bedürfe, wem die aus der Nutzung gewonnenen Vorteile rechtlich zugewiesen seien.861 Auf der anderen Seite führe die Maßlosigkeit der Märkte aber dazu, dass auch mit Persönlichkeitsgütern gehandelt werde, deren Nutzung die Rechtordnung insgesamt ablehne. So könne letztlich „[j]eder Aspekt einer Persönlichkeit, jede Abartigkeit, jede Scheußlichkeit, jede Gemeinheit […] heutzutage einen Marktwert bekommen und vermarktet werden“862. Die Beantwortung der Frage, ob die Rechtsordnung eine wirtschaftliche Nutzung dem Rechtsinhaber vorbehalte, könne sich deshalb nicht allein an dem faktischen Bestehen von Angebot und Nachfrage orientieren.863 Deshalb stellt der überwiegende Teil der Zuweisungslehre864 für die Bestimmung des Zuweisungsgehalts auf die Entgeltfähigkeit des Persönlichkeitsgutes ab. Es komme darauf an, ob die Rechtsordnung dem Betroffenen erlaube, seine Individualität gegen Entgelt zu nutzen oder nicht. Ein Bereicherungsanspruch werde durch jeden rechtswidrigen Eingriff in eine dem Betroffenen ausschließlich zugewiesene Dispositionsbefugnis ausgelöst. Eine solche Dispositionsbefugnis bestehe nicht, wenn die Rechtsordnung aus übergeordneten Interessen die vermögenswerte Nutzung untersage. Dies sei dann der Fall, wenn ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) einer Verwertung entgegenstehe oder die Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) durch eine Nutzung überschritten werde.865 Dabei wird überwiegend danach gefragt, ob die Nutzung eines Persönlichkeitsbestandteils durch den Rechtsinhaber sitten- oder verbotswidrig wäre.866 Allein dies ist auch konsequent. Denn dass die ohne Einwilligung des Rechtsinhabers erfolgte Nutzung durch Dritte in aller Regel verbots- oder zumindest sittenwidrig sein wird, liegt auf der Hand.867 Hierauf kann es jedoch nicht ankommen. Sonst würde selbst im
861
Witzleb, S. 170. Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 247; ders., AfP 2007, S. 81 (83); ders., AfP 2005, S. 237 (238) unter Zitierung von Max Webers Aussage „der Markt kennt keine Ehre“. 863 Funkel, S. 174; Witzleb, S. 170. 864 MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 234; MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 250 und 272; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 171; Witzleb, S. 170; Funkel, S. 174. 865 MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 274; Kleinheyer, JZ 1970, S. 471 (476); Ehmann, AfP 2007, S. 81 (83); Staudinger/Lorenz, 2007, Vor §§ 812 ff BGB, Rn. 62; Koppensteiner/Kramer, S. 83 f; Balthasar, ZUM 2005, S. 874 (874); Siemes, AcP 201 (2001), S. 202, (222 ff); a.A. Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, C 251; Beuthien/Schmölz, S. 43 ff; Schwerdtner, JuS 1978, S. 289 (294), Götting/Schertz/Seitz, 2008, § 52, Rn. 40, die auch bei Sittenwidrigkeit der eigenen Vermarktung Ansprüche anerkennen wollen; ähnlich Larenz/ Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 172. 866 Vgl. Ehmann, AfP 2007, S. 81 (83). 867 Insoweit erscheint die Differenzierung von Dreier, Kompensation, S. 369, Fn. 57, zwischen Konstellationen, in denen der Verletzer neben dem Eingriff noch einen zusätzlichen Sitten- bzw. Gesetzesverstoß begeht (dann Bereicherungsausgleich), und Konstellationen, in 862
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Falle der Vermarktung eines gestohlenen Fotos durch den Dieb ein Bereicherungsanspruch ausscheiden müssen, obwohl nach ganz einhelliger Auffassung das Recht am eigenen Bild ein disponibles Persönlichkeitsdetail darstellt. Die rechtliche Missbilligung des Marktes kann mithin nicht ausschlaggebend sein. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Rechtsordnung es akzeptieren würde, wenn der Rechtsinhaber mit dem Persönlichkeitsaspekt als Anbieter am Markt aufträte. Legt man dies als Maßstab an, so verwundert es nicht, dass die LafontaineEntscheidung des BGH unter den Anhängern der Zuweisungslehre auch auf Kritik gestoßen ist. Denn neben der weithin begrüßten Abkehr von der Herrenreiter-Doktrin ließ sich der BGH in dem Urteil zu der Aussage hinreißen, dass es einer Bejahung des Bereicherungsanspruchs nicht entgegenstehe, dass der ehemalige Finanzminister unter Umständen gar nicht dazu „in der Lage“ war, sein Bild zu Werbezwecken zu vermarkten.868 Überwiegend wurde diese Aussage so interpretiert, dass das Gericht hiermit die Irrelevanz der rechtlichen Unmöglichkeit der Vermarktung meinte.869 Denn in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war nicht nur zweifelhaft, ob eine faktische Möglichkeit der anderweitigen Vermarktung des Bildes bestand. Es war vielmehr umstritten, ob der ehemalige Finanzminister wegen Art. 66 GG bzw. § 1 UWG aus Rechtsgründen hierzu in der Lage gewesen wäre.870 Damit war aber gerade fraglich, ob die Rechtsordnung Lafontaine als Anbieter auf dem Markt akzeptiert hätte. Eine solche umfassende Interpretation der Aussage des BGH erscheint meines Erachtens aber zu weitgehend. Der BGH wähnte sich offensichtlich in Übereinstimmung mit der herrschenden Zuweisungslehre. Das zeigen nicht zuletzt die von ihm zitierten Fundstellen. Für die Zuweisungslehre ist die rechtliche Möglichkeit der Vermarktung aber das wesentliche Kriterium. Zudem setzte der BGH sich mit der Frage nach der rechtlichen (Un-)Zulässigkeit einer Vermarktung gemäß Art. 66 GG inhaltlich gar nicht auseinander. Die ohnehin lediglich obiter erfolgten Aussagen dienten einzig dazu, die Abkehr von der viel kritisierten Herrenreiter-Doktrin zu vollziehen. Hierauf wurde keine sonderlich große Sorgfalt verwandt, wie schon der Umstand zeigt, dass sich diese Abkehr dem Wortlaut nach auf das Schadensrecht erstreckte, obwohl das Gericht an sich nur Bereicherungsansprüche prüfte und die Herrenreiter-Doktrin im Schadensrecht nahezu unumstritten war und ist.871 Die vom BGH in Lafontaine beiläufig bemerkte Irrelevanz der Unmöglichkeit einer Vermarktung ist deshalb wohl rein faktisch zu verstehen. Dies entspricht auch der herrschenden Zuweisungslehre. Danach hat die fehlende tatsächliche Möglichkeit denen im Eingriff selbst der Verstoß liegt (dann kein Bereicherungsausgleich mangels Zuweisungsgehalt), als Trivialität. 868 BGH, 26. 10. 2006, I ZR 182/04, NJW 2007, S. 689 (690). 869 Krit. dazu Staudinger/Lorenz, 2007, Vor §§ 812 ff BGB, Rn. 62; Helle, JZ 2007, S. 444 (446). 870 Bejahend OLG Hamburg, 9. 11. 2004, 7 U 18/04, ZUM 2005, S. 164 (167); verneinend Ehmann, AfP 2005, S. 237 (241); ders., AfP 2007, S. 81 (83); Helle, JZ 2007, S. 444 (446). 871 Hierauf weist Helle, JZ 2007, S. 444 (447) zu recht hin.
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der anderweitigen Vermarktung durch den Rechtsinhaber keinen Einfluss auf die Bestimmung des Zuweisungsgehalts.872 Hätte der BGH in Abweichung hierzu mit „in der Lage“ auch die rechtliche (Un-)Möglichkeit gemeint, so hätte er dies mit Sicherheit nicht ohne jegliche Begründung getan. Damit spricht alles dafür, dass der BGH über die Abkehr von der Herrenreiter-Doktrin hinaus keine revolutionären Neuheiten verkünden wollte. Bestenfalls handelt es sich um eine ungeschickte Wortwahl, schlimmstenfalls um die Verkennung des Umstandes, dass Vermarktungsbereitschaft und Vermarktungsberechtigung nicht dasselbe ist. Mit der Einführung des Kriteriums der Sitten- und Verbotswidrigkeit hat die Zuweisungslehre freilich nicht viel gewonnen. Denn wer den Zuweisungsgehalt für entscheidend betrachtet, diesen anhand der Disponibilität des Rechts bestimmen will und diese wiederum dann verneint, wenn die Vermarktung sittenwidrig wäre, der tauscht einen unbestimmten Rechtsbegriff gegen den nächsten aus. Insofern verwundert es auch nicht, dass die Vertreter derselben Ansicht zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, wenn es an die Betrachtung der einzelnen Persönlichkeitsdetails geht. So meinen manche, inspiriert durch den Fall Caroline von Monacos, der Einzelne könne selbstverständlich einem anderen gegen Entgelt gestatten, ein persönliches Interview frei zu erfinden. Dieser Persönlichkeitsaspekt sei mit dem eigenen Bild und dem Namen vergleichbar.873 Er sei disponibel und ein Zuweisungsgehalt folglich zu bejahen.874 Andere Vertreter der Zuweisungslehre halten ein solches Verhalten jedoch für unvereinbar mit den geltenden Moralvorstellungen und deshalb für sittenwidrig gemäß § 138 BGB. Folglich verneinen sie einen Zuweisungsgehalt dieses Persönlichkeitsdetails.875 Den hier besonders interessierenden Persönlichkeitsaspekt „Ehre“ halten die wenigsten Autoren für disponibel.876 Zumeist wird die Vermarktung der Ehre als sittenwidrig angesehen. Die hierfür vorgebrachten Argumente sind von ernüchternder Schlichtheit. Sie erschöpfen sich größtenteils in der Behauptung, der Ein872
Siehe Palandt/Sprau, 2010, § 812 BGB, Rn. 42, der gerade zwischen rechtlicher und tatsächlicher Möglichkeit der Nutzung differenziert. 873 Canaris, FS Deutsch, S. 85 (90 f). 874 MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 812 BGB, Rn. 274; Götting, FS Ullmann, 2006, S. 65 (71); Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (224). 875 Witzleb, S. 184 f; Schlobach, S. 120 f; Peukert, ZUM 2000, S. 710 (720); neuerdings unter Aufgabe seiner differenzierenden Sichtweise den bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt aller Persönlichkeitsaspekte verneinend, ders., Güterzuordnung, S. 829, Fn. 159; Dreier, Kompensation, S. 279, Fn. 167, der sich, was die Ablehnung des Zuweisungsgehalts betrifft, irrig in Übereinstimmung mit Canaris, FS Deutsch, S. 85 ff wähnt. 876 Für eine Bereicherungsabschöpfung bei Ehrverletzungen Kleinheyer, JZ 1970, S. 471 (477); Koppensteiner/Kramer, S. 82; dagegen: Ellger, S. 783; Dreier, Kompensation, S. 369; Wandtke, GRUR 2000, S. 942 (948); Witzleb, S. 184; Funkel, S. 181; v. Holleben, S. 110; Peukert, ZUM 2000, S. 710 (720); Schlobach, S. 122 f; Wagner, VersR 2000, S. 1305 (1309); Schlechtriem, FS Hefermehl, S. 445 (449 f); wohl auch Helle, JZ 2007, S. 444 (448).
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zelne dürfe seine Ehre nicht gegen Geld verkaufen. Diese sei kein Gut, über das der Betroffene rechtlich verfügen könne.877 Die Ehre sei nicht kommerzialisierbar, der Einzelne habe an ihr kein marktgängiges Verwertungsrecht.878 Mangels Zuweisungsgehalt seien die durch eine Ehrverletzung erzielten Vermögenswerte nicht auf Kosten des Rechtsinhabers erlangt. Eine Abschöpfung über die Eingriffskondiktion müsse deshalb unterbleiben. Mit diesem Ergebnis wollen sich zahlreiche Vertreter der Zuweisungslehre dann aber doch nicht abfinden. Denn es würde bedeuten, dass der Rechtsverletzer beträchtliche finanzielle Vorteile behalten dürfte.879 Dies erscheint eine derart große Zumutung für das Gerechtigkeitsempfinden zu sein, dass die unterschiedlichsten Lösungs(aus)wege propagiert werden, um trotz Ablehnung des Zuweisungsgehalts zu einer Abschöpfung zu gelangen: Nicht wenige geben dabei offen zu, dass es nun einzig aus Präventions- oder Sühnegesichtspunkten um die Verhinderung eines verwerflichen Verhaltens gehe. Ihr Lösungsansatz führt dann häufig wieder zurück ins Schadensrecht zum Entschädigungsanspruch.880 Die zahlreichen Erkenntnisprobleme und unbestimmten Rechtsbegriffe beim Ersatz von Nichtvermögensschäden verleiten gerade dazu, hier eine Lösung zu suchen. Die schöne Dogmatik des Bereicherungsrechts soll nicht verdorben werden, wenn ein anderes Schutzsystem zur Verfügung steht, in dem bereits große Verwirrung herrscht und die Dogmatik schon im Ansatz „verdorben“ ist. Diese Rest-Dogmatik wird zugunsten der Reinheit des Bereicherungsrechts dann geopfert.881 Ähnlich verfahren diejenigen Autoren, die eine Lösung über § 687 Abs. 2 BGB suchen.882 Auch hier lässt sich wenig an vorhandener Dogmatik zerstören. Die Einordnung der Vorschrift in ein schlüssiges Gesamtkonzept gilt als noch nicht abschließend geglückt.883 Das Spannungsverhältnis aus dem verhaltensorientierten Vorsatzerfordernis und dem Tatbestandsmerkmal der Fremdheit des Geschäfts, das einen Zuweisungsgehalt vorauszusetzen scheint, wirkt schwer auflösbar. Hinzu 877
Witzleb, S. 184. Dreier, Kompensation, S. 369. 879 Zur Vermeidung dieses „seltsam anmuten[den]“ Ergebnisses bejaht Kleinheyer, JZ 1970, S. 471 (477) den Zuweisungsgehalt der Ehre; aus denselben Gründen will Staudinger/ Hager, 1999, § 823 BGB, C 251 ganz auf das einschränkende Kriterium der Sittenwidrigkeit verzichten. 880 Siehe Wagner, VersR 2000, S. 1305 (1309): Bei Beschimpfungen bleibe „der Ansatz beim Immaterialschaden auch in Zukunft richtig“; zust. Schlobach, S. 123 f; Dreier, Kompensation, S. 369. 881 Vgl. auch die vielsagende Aussage des ehemaligen BGH-Richters Steffen, NJW 1997, S. 10 (13 f): Die Lösung über den immateriellen Schadensersatz sei „das adäquatere Äquivalent“, da sie den Vorteil habe, dass die Gewinne nicht „mit dem spitzen Stift“ ausgerechnet werden müssten. 882 Witzleb, S. 195 ff. 883 So etwa Staudinger/Bergmann, 2006, § 687 BGB, Rn. 11; ähnlich Hartmann, S. 294. 878
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kommt, dass mit der Gewinnherausgabe in § 687 Abs. 2 BGB eine Rechtsfolge zur Verfügung steht, die weder für das Schadensrecht noch für das Bereicherungsrecht typisch ist. Nicht der erzielte Gewinn, sondern nur der entgangene Gewinn ist ein Schadensposten (§ 252 BGB).884 Und von § 816 Abs. 1 BGB abgesehen ist nach herrschender Ansicht nur der objektive Wert bzw. allenfalls der auf die Nutzung einer Rechtsposition entfallende Gewinnanteil Bereicherungsgegenstand, nicht aber der volle Gewinn.885 Die eigentümliche Mischung unterschiedlicher Elemente in § 687 Abs. 2 BGB macht es sowohl den Gegnern als auch den Befürwortern eines solchen Lösungsweges leicht zu argumentieren. Die Gegner führen an, § 687 Abs. 2 BGB helfe nicht weiter, weil das Tatbestandsmerkmal „fremd“ genauso wie das Merkmal „auf Kosten“ im Bereicherungsrecht einen Zuweisungsgehalt voraussetze.886 Wer den Zuweisungsgehalt im Bereicherungsrecht verneine, könne bei § 687 Abs. 2 BGB nicht anders entscheiden. Canaris interpretiert das Merkmal des „fremden Geschäfts“ sogar schärfer als das bereicherungsrechtliche Merkmal „auf Kosten“. Während er bei frei erfundenen Interviews einen bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt bejahen will, lehnt er die Annahme eines „fremden Geschäfts“ hier wie selbstverständlich ab.887 Die Befürworter888 einer Lösung über § 687 Abs. 2 BGB sind von Tatbestand und Rechtsfolge gleichermaßen angetan. Mit dem Vorsatzerfordernis enthält die Vorschrift ein Kriterium, das auf die maßgeblichen Fälle zugeschnitten zu sein scheint. Denn das oben erwähnte Gerechtigkeitsgefühl, das es den Anhängern der Zuweisungslehre nicht erlaubt, bei ihren bereicherungsrechtlichen Ergebnissen stehen zu bleiben, ist in den Vorsatzfällen besonders angesprochen. Zudem will man auch aus Präventionsgesichtspunkten gerade dann zu einer Abschöpfung gelangen, wenn eine bewusste und gewollte Persönlichkeitsrechtsverletzung zu finanziellen Vorteilen führt.889 Auch die Rechtsfolge erscheint passend. Anders als im Bereicherungsrecht muss hier kein objektiver Wert anhand der üblichen Lizenzgebühr bestimmt werden oder gar der auf die Nutzung der Rechtsposition entfallende Gewinnanteil. Vielmehr ist der gesamte Gewinn herauszugeben, also insbesondere auch der Anteil, der auf die 884 Für eine Änderung de lege ferenda durch Einführung eines § 251 Abs. 3 BGB bei gleichzeitiger Streichung von § 687 Abs. 2 BGB, Wagner, Perspektiven, S. A 97. 885 Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 265 ff. 886 Schlobach, S. 122 f; Funkel, S. 182; Bergmann, S. 461; Stuhlmann, S. 323; Dreier, Kompensation, S. 278; vgl. auch Palandt/Sprau, 2010, § 687 BGB, Rn. 5. 887 Canaris, FS Deutsch, S. 85 (86); a.A. Hartmann, S. 302; Funkel, S. 182 f; Witzleb, S. 199, Fn. 27; vgl. auch MüKo-BGB/Seiler, 2009, § 687 BGB, Rn. 20, der für eine Anwendung der Herrenreiter-Doktrin bei der Bestimmung des „fremden Geschäfts“ plädiert. 888 Witzleb, S. 195 ff; Beuthien/Schmölz, S. 50 ff; Dünnwald, ZUM 2000, S. 949 (951). 889 Besonders deutlich wird dies bei Witzleb, S. 199 f, der davon spricht, dass es „eher angemessen“ sei, dem Verletzten den Gewinn zuzuweisen als dem Verletzer, und dass das Erfordernis einer „wirksamen Prävention“ es erfordere, bei Bestimmung der „Fremdheit“ auf den Zuweisungsgehalt der Rechtsposition zu verzichten.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Eigenleistung des Verletzers zurückzuführen ist.890 Allerdings ist auch diese Rechtsfolge (Herausgabe des gesamten Gewinns) nicht unumstritten. Es gibt durchaus Stimmen, die auch bei § 687 Abs. 2 BGB für eine lediglich anteilige Herausgabe des Gewinns plädieren.891 Kritiker warnen deshalb davor, die Vorschrift als „Allheilmittel“ zu begreifen.892 Canaris wählt letztlich einen besonders kreativen Weg. Er will § 687 Abs. 2 BGB zwar eng verstehen. Jedoch erscheinen ihm die sonstigen Voraussetzungen sowie die Rechtsfolge der Norm als durchaus angemessen. Deshalb plädiert er für eine Anwendung von §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 i.V.m. § 285 BGB.893 Diese Lösung teilt mit der Lösung über die angemaßte Eigengeschäftsführung sowohl das Vorsatzerfordernis auf Tatbestandsseite wie auch die weite Rechtsfolge (Gewinnherausgabe). Allerdings will Canaris diesen Weg wohl nur in den Fällen gehen, in denen ein Zuweisungsgehalt nach den bereicherungsrechtlichen Kriterien zu bejahen ist. Hierzu ist Canaris freilich in relativ weitem Umfang bereit, wie der Fall des erfundenen Interviews zeigt. Allgemein will Canaris für die Bestimmung des Zuweisungsgehalts die deliktsrechtlichen Wertungen heranziehen. Man müsse von dem Grundsatz ausgehen, dass der Zuweisungsgehalt durch den Deliktsschutz indiziert werde.894 Als Einschränkung hierzu sieht Canaris aber die Fälle der fehlenden Entgeltfähigkeit einer Rechtsposition, etwa im Falle der sexuellen Selbstbestimmung.895 Zum Zuweisungsgehalt der Ehre äußert sich Canaris, soweit ersichtlich, nicht. c) Die Lehre vom „rechtwidrigen Haben“ Eine dritte im Schrifttum vertretene Ansicht versucht die zutreffenden Aspekte von Rechtswidrigkeits- und Zuweisungslehre zu verbinden. Sie sieht die „positive Funktion des Rechtswidrigkeitsurteils“ als Grundlage der Eingriffskondiktion.896 Die Zuweisungslehre lehnen die Vertreter dieser Ansicht ab. Die Frage, ob ein Recht einen bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt habe oder nicht, sei sinn-
890 So die h.M. vgl. Beuthien/Schmölz, S. 53; Palandt/Sprau, 2010, § 687 BGB, Rn. 4; MüKo-BGB/Seiler, 2009, § 687 BGB, Rn. 25; Witzleb, S. 199 m.w.N. 891 Krumm, S. 92 bezeichnet diese (von ihm nicht geteilte) Ansicht gar als h.M.; krit. wegen des mangelnden Präventiveffekts Wagner, AcP 2006, S. 352 (376). 892 Siehe Schlobach, S. 122; ähnlich Bergmann, S. 461. 893 Canaris, FS Deutsch, S. 85 (91 ff). 894 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 170 f; zustimmend Lutz/Schapiro, ZIP 2008, S. 1212 (1216) m.w.N.; a.A. Ellger, S. 382 ff. 895 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 171; ebenso Kleinheyer, JZ 1970, S. 471 (476); Helle, JZ 2007, S. 444 (451) zieht diese Lösung nach Inkrafttreten des ProstG in Zweifel; dagegen Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1068: „Hieran hat das Inkrafttreten des ProstG nichts geändert“. 896 Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 90 ff; Hartmann, S. 25: „[d]ie positive Kehrseite des Rechtswidrigkeitsurteils“.
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los.897 Durch sie werde in Wahrheit das Recht selbst in Zweifel gezogen. Rechte ohne Zuweisungsgehalt gebe es nicht. Vielmehr sei die maßgebliche Frage immer, wie weit die Rechtszuweisung gehe. Der Rechtsumfang und die aus ihm folgenden vermögensrechtlichen Konsequenzen seien entscheidend für den Bereicherungsausgleich.898 Es müsse gefragt werden, welchen vermögensrechtlichen Vorteil der Bereicherungsschuldner „in Umsetzung der fremden Rechtsposition“ erlangt habe. Vorrangig sei deshalb der Umfang der Rechtsposition zu bestimmen. Hierfür sehen die Vertreter dieser Lehre das Rechtswidrigkeitsurteil als maßgeblichen Indikator, allerdings nicht in seiner negativen Ausprägung als Sanktion für vergangenes Fehlverhalten. In Abgrenzung zur Rechtswidrigkeitslehre wird vielmehr die positive Funktion des Rechtswidrigkeitsurteils betont.899 In ihm drücke sich die entscheidende Wertung aus, nämlich dass „dem Berechtigten ein Gut zugewiesen ist und deshalb die Aneignung dieses Gutes durch den Nichtberechtigten untersagt wird, daß die Rechtsordnung insbesondere dem Berechtigten die Verfügung über sein Gut vorbehält und deshalb dem nichtberechtigt Verfügenden einerseits die Verfügung über dieses Gut verbietet und andererseits den Verfügungserfolg als dem Berechtigten gebührenden Nutzen oder Erlös aus seinem Gut abnimmt“900. Bei der Bestimmung des Umfangs der zugewiesenen Rechtsposition seien die Wertungen aus §§ 134, 138 BGB allerdings zu berücksichtigen. Die Verbotsgesetze und auch die guten Sitten beschränkten gerade den Umfang der Rechtszuweisung. Stehe dem Rechtsinhaber keine Verfügungsbefugnis zu, so gebühre ihm auch der Verfügungserfolg nicht, weil sein Recht diesen Erfolg dann gerade nicht umfasse und somit kein rechtswidriges Haben seitens des Anspruchsgegners vorliege.901 Gegen die Lehre vom rechtwidrigen Haben wird vorgebracht, dass es nicht weiterführend sei, das Kriterium des Zuweisungsgehalts gegen den ebenso unbestimmten Rechtsbegriff der widerrechtlichen Vermögensherrschaft einzutauschen.902 Beide Begriffe bedürften in hohem Maße der normativen Ausfüllung.
897
Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 95. Hoffmann, 2. Kap. A. III. 3. b) cc) (2); Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 93. 899 Ebenso für den mit den §§ 812 ff BGB verwandten Anspruch aus § 285 BGB, Hartmann, S. 25 ff. 900 Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 93. 901 Vgl. für den Fall der Warenzeichenverletzung Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 94 ff, insb. S. 96. 902 Ellger, S. 144 ff; dagegen Hartmann, S. 26 f. 898
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
3. Stellungnahme a) Die irrige Aufteilung in Rechte mit und ohne Zuweisungsgehalt Die herrschende Zuweisungslehre, die auch von der Rechtsprechung vertreten wird, hat meines Erachtens die entscheidende Schwäche, die Rechtsordnung in unterschiedliche Klassen von Rechten einteilen zu wollen: solche mit und solche ohne Zuweisungsgehalt. Woher diese Differenzierung kommen soll, bleibt dabei völlig offen. Es wird schlicht unterstellt, dass es unterschiedliche Rechtstypen gibt:903 solche, die lediglich dazu berechtigen, einem anderen ein bestimmtes Verhalten zu verbieten und den Ausgleich entstandener Schäden zu verlangen, und solche, die darüber hinaus noch eine Vermögenszuordnung treffen und deshalb einen bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt haben. Dabei erscheint es als das geringere Problem, dass der Begriff der Zuweisung wertungsbedürftig ist. Ohne Wertungen kommen auch die anderen beiden Lehren nicht aus. Viel entscheidender ist, dass der Blick auf die eigentlichen Probleme durch den komplexen Begriff des Zuweisungsgehalts verdeckt wird. Es wird erst gar nicht versucht, ein einheitliches Systemdenken zu entwickeln. Vielmehr wird mit dem Zuweisungsgehalt ein Kriterium eingeführt, mit dem allgemeine sowie spezifisch bereicherungsrechtliche Probleme gelöst werden sollen. Bei dem Versuch, zu „gerechten“ Lösungen zu kommen, betrachtet man jedes Schutzsystem für sich. Nur vereinzelt werden Brücken geschlagen, etwa wenn Canaris den bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt vorrangig anhand des deliktischen Schutzes bestimmen will. Auch hier werden jedoch wieder Rückausnahmen gebildet (Entgeltfähigkeit), wobei unklar bleibt, ob diese bereicherungsrechtlichen oder allgemeinen Wertungen entspringen.904 Das Kriterium des Zuweisungsgehalts dient dabei der Lösung der unterschiedlichsten Probleme. Mit der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und den gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) werden allgemeine Wertungen in den Begriff aufgenommen. Gleichwohl bleibt das Kriterium auf das Bereicherungsrecht beschränkt. Zudem wird versucht, spezifisch bereicherungsrechtliche Fragestellungen mit Hilfe des Zuweisungsgehalts zu beantworten. So dient der Begriff dazu, Bewertungs- und Erkenntnisschwierigkeiten zu überwinden, die sich bei der Bestimmung des Herausgabeinhalts ergeben.905 Solche Probleme treten insbesondere dann auf, wenn die
903 Kritisch dazu und insgesamt zur bereicherungsrechtlichen Zuweisungslehre Hoffmann, Zession, S. 51 ff. 904 Vgl. Witzleb, S. 170, der darauf verweist, dass Canaris‘ Theorie gerade in den Fällen nicht weiterhelfe, in denen der Zuweisungsgehalt zweifelhaft sei; denn die Entgeltfähigkeit lasse sich nicht mit den Wertungen des Deliktsrechts bestimmen. 905 Vgl. Witzleb, S. 174, wonach die Ablehnung des Zuweisungsgehalts im Falle der Sittenwidrigkeit der Vermarktung auch dem Umstand Rechnung trägt, dass in diesem Fall ein angemessenes Entgelt und somit der Wert des Erlangten nicht bestimmt werden kann; vgl. auch Medicus/Petersen, BR, 2009, Rn. 833, die darauf verweisen, dass die Bestimmung der üblichen
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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Berechnung des Wertersatzes (§ 818 Abs. 2 BGB) in Form der angemessenen Lizenzgebühr für die Erlaubnis der Rechtsnutzung mangels Markt nicht objektiv bestimmt werden kann. Der Begriff des Zuweisungsgehalts ist damit so vielschichtig,906 dass die einfließenden Wertungen alles andere als offen zu Tage treten. Für eine auf Transparenz angewiesene Rechtsordnung besteht dabei die latente Gefahr, dass die Wertungen nicht mehr dem Gesetz, sondern dem subjektiven Gerechtigkeitsgefühl des Rechtsanwenders entstammen. Hierin liegt meines Erachtens ein maßgeblicher Vorteil der Lehre von der rechtswidrigen Vermögensherrschaft. Sie trennt die unterschiedlichen Problemkreise besser voneinander ab. Es werden keine unterschiedlichen Rechtstypen erfunden. Es erfolgt keine Kategorisierung in Rechte mit und ohne Zuweisungsgehalt. Vielmehr wird die Rechtszuweisung an die Spitze gestellt und von dem generellen Prinzip ausgegangen, dass jedes Recht dreifach geschützt und die Rechtszuweisung dadurch abgesichert ist. Beschränkungen, die sich aus gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) oder den guten Sitten (§ 138 BGB) ergeben, werden dann als Probleme der Rechtszuweisung und damit als Probleme aller Schutzsysteme erkannt. Natürlich gibt es zahlreiche gesetzliche Wertungen und öffentliche Interessen, die den Umfang eines Rechts bestimmen und dem Privatrecht insgesamt Grenzen setzen. Wenn jedoch diese allgemeinen Wertungen in die einzelnen Schutzsysteme ausgelagert werden, entsteht die latente Gefahr eines Wertungswiderspruchs.907 Insoweit ist Hartmann zuzustimmen: Es besteht ein „diametraler Unterschied“ zwischen der Lehre von der Rechtszuweisung und der Lehre von der widerrechtlichen Vermögensherrschaft insoweit, „als das Kriterium des rechtswidrigen Habens den umfassenden Schutz jeder Rechtsposition voraussetzt, also sie nie danach fragt, ob ein bestimmtes subjektives Recht bereicherungsrechtlich geschützt ist, sondern sich immer nur darauf beziehen kann, wie weit die Grenzen der betroffenen Rechtsposition zu ziehen sind“908. Dadurch wird ermöglicht, allgemeine Probleme von spezifisch bereicherungsrechtlichen Fragestellungen sachgerecht zu trennen und nicht alles im diffusen Begriff des Zuweisungsgehalts verschwimmen zu lassen. b) §§ 134, 138 BGB als Grenzen der Rechtszuweisung Versucht man sich dem Problem des Bereicherungsausgleichs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, insbesondere bei Ehrverletzungen, zu nähern, so muss man deshalb zunächst auf der vorrangigen Ebene der Rechtszuweisung ansetzen. Die §§ 134, 138 BGB beschreiben dabei Grenzen der Rechtszuweisung. Das PersönLizenzgebühr dort nicht möglich sei, wo es keine Anhaltspunkte für die Höhe eines solchen üblichen Entgelts gebe, weil kein Markt existiere; a.A. Schwerdtner, JuS 1978, S. 289 (294). 906 Zu den diversen Funktionen des Begriffs, vgl. Ellger, S. 403 ff. 907 Vgl. Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (223). 908 Hartmann, S. 26 f.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
lichkeitsrecht umfasst nicht jegliche Verwertungs- und Verfügungsbefugnisse. Es gibt durchaus übergeordnete, zumeist öffentliche Interessen, die einer Verwertung entgegenstehen können. Bestimmte personale Rechtsgüter sind der Disposition durch den Rechtsinhaber entzogen. Allen voran ist hier das Rechtsgut Leben zu nennen. Es ist nicht disponibel.909 Der Einzelne darf darüber nicht verfügen. Einem Vertrag, in dem ein Mensch sein Leben, etwa an einen Kannibalen,910 verkauft, würden wir mit Sicherheit die Anerkennung versagen. Diese allgemeine Wertung der Rechtsordnung ist in § 216 StGB enthalten und findet über § 134 StGB Einzug ins Privatrecht.911 Wegen der überragenden Bedeutung des menschlichen Lebens als Teil des unveräußerlichen Menschenwürdekerns muss das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen hier zurücktreten. Auf deliktischer Ebene findet sich diese Wertung im Rahmen der Einwilligung912 wieder: Wegen der Indisponibilität des Rechts ist die Einwilligung in die Fremdtötung unwirksam.913 Deshalb können die Erben oder gemäß § 844 BGB auch die Angehörigen des Getöteten trotz Einwilligung Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger geltend machen.914 Und letztlich wirkt sich diese allgemeine Wertung auch auf das Bereicherungsrecht aus. Der Auftragskiller, der gegen Geld getötet hat, hat nichts in Umsetzung der Rechtsposition des Getöteten erlangt; denn dem Getöteten stand die Befugnis zur Verfügung über sein Leben nicht zu. Diese war von der Rechtszuweisung gerade nicht erfasst. Deshalb können die Erben nicht über das Bereicherungsrecht das erlangte Geld vom Auftragskiller kondizieren. Das Geld unterliegt, vorbehaltlich einer Abschöpfung nach § 687 Abs. 2 BGB,915 allerdings gemäß §§ 73 ff StGB dem Verfall.916 Eine weitere grundsätzlich anerkannte, jedoch in den Einzelheiten durchaus umstrittene Grenze bezüglich der Zuweisung personaler Güter findet sich in § 228 StGB.917 Hiernach wird die Einwilligung in eine Körperverletzung als unwirksam betrachtet, wenn diese Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Auch die körperliche Integrität ist demnach gemäß den allgemeinen gesetzlichen Wertungen, die nicht nur über die Brücke des § 134 StGB, sondern auch über die §§ 138, 826, 817 BGB ins Privatrecht inkorporiert werden, ein lediglich begrenzt disponibles 909
Siehe Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1187. Der Fall mag absurd klingen. Wie der Sachverhalt in BGH, 22. 4. 2005, 2 StR 310/04, NStZ 2005, S. 505 ff zeigt, ist er aber leider nicht nur theoretischer Natur. 911 Siehe Kothe, AcP 185 (1985), S. 105 (131). 912 Umfassend zur Einwilligung im Privatrecht Kothe, AcP 185 (1985), S. 105 ff. 913 Palandt/Sprau, 2010, § 823 BGB, Rn. 39. 914 Siehe Staudinger/Röthel, 2007, § 844 BGB, Rn. 8. 915 Dazu unten 4. Kap. B. IV. 916 Dazu Schönke/Schröder/Eser, 2010, § 73 StGB, Rn. 4 ff. 917 Im Strafrecht wird die Vorschrift verbreitet für verfassungswidrig gehalten, vgl. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, 2010, § 228 StGB, Rn. 2 f. 910
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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Rechtsgut. Der Einzelne darf aus Rechtsgründen niemandem erlauben, seinen Körper zu verstümmeln.918 Ein darüber geschlossener Vertrag wäre unwirksam. Gleiches gilt für die Einwilligung, weshalb der Verletzte trotz Zustimmung zur Verletzung hinterher Schadensersatz beanspruchen könnte. Auch diese Wertung müsste man konsequent auf das Bereicherungsrecht übertragen. Dies würden die Vertreter der Zuweisungslehre in beiden Fällen wohl auch tun. Eine Gesetzeswidrigkeit bzw. Sittenwidrigkeit würden sie umfassend für alle Schutzbereiche annehmen und den Zuweisungsgehalt von Leben und körperlicher Unversertheit deshalb verneinen. c) Die überschießende Annahme einer Sittenwidrigkeit im Bereicherungsrecht Im hier besonders interessierenden Fall der Ehrverletzung ist jedoch sehr fraglich, ob die Vertreter der Zuweisungslehre tatsächlich zu einheitlichen Ergebnissen gelangen würden. Eine konsequente Übertragung des im Bereicherungsrecht weithin bejahten Sittenwidrigkeitsurteils auf alle Rechtsbereiche würde wohl unterbleiben.919 Dies sei anhand von vier kleinen Fällen kurz illustriert: Fall 1: Der vermögende A hat aufgrund einer zweifelhaften Persönlichkeitsstruktur Spaß daran, andere Leute zu beleidigen. Da ihm dies in der Vergangenheit schon öfter Probleme bereitet hat (insb. einige Strafverfahren sowie Verurteilungen zur Zahlung von Schmerzensgeld) beschließt er, neue Wege zu gehen. Er bietet B 1.000 E an, damit A ihn mit einer Schimpftirade überziehen darf. B willigt ein und es geschieht wie vereinbart. Fall 2: A ist nun nicht nur reich und hat seltsame Neigungen, er ist auch feige. Er bietet deshalb C 1.000 E, wenn dieser den ihm verhassten B einmal so richtig beleidigt. C wittert ein günstiges Geschäft, willigt ein und beschimpft B wüst. Fall 3: A beleidigt nicht nur gern, er hat auch große Freude an Gewalt gegen Sachen. Er bietet B 1.000 E, wenn er die Windschutzscheibe von Bs Wagen mit einem Baseballschläger zertrümmern darf. B weiß, dass die Windschutzscheibe nur 300 E wert ist. Er willigt deshalb ein. Fall 4: A verspricht C 1.000 E, wenn dieser die Windschutzscheibe von Bs Wagen zerstört. Nach einer umfassenden Kalkulation unter Einbeziehung aller Kosten und Risiken willigt C ein und zertrümmert die Scheibe von Bs Auto.
Wenden wir uns zunächst den ersten beiden Fällen zu, in denen es um originäre Ehrverletzungen geht. Fall 2 beinhaltet die hier primär interessierende bereicherungsrechtliche Konstellation. Für die Frage nach einem Bereicherungsanspruch des B gegen C würde die herrschende Zuweisungslehre genauso wie die Lehre vom 918 Siehe Palandt/Sprau, 2010, § 823 BGB, Rn. 39; wenig überzeugend Kothe, AcP 185 (1985), S. 105 (131), wonach sich ein allgemeines Verbot der Selbstverstümmelung schon aus § 109 StGB ergeben soll. 919 Vgl. Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (223), die den „innere[n] Widerspruch“ der Zuweisungslehre kritisiert.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
rechtswidrigen Haben zuvorderst nach der Verfügungsbefugnis des B über seine Ehre fragen. Wie gezeigt, lehnt der weit überwiegende Teil der Zuweisungslehre eine solche Verfügungsbefugnis ab und verneint deshalb mangels Zuweisungsgehalt einen Bereicherungsanspruch bei Ehrverletzungen. Wenn überhaupt eine Begründung hierfür gegeben wird, wird auf die vermeintliche Sittenwidrigkeit einer solchen Verfügung gemäß § 138 BGB verwiesen.920 Allein, ist dies tatsächlich konsequent? Bei den §§ 134, 138 BGB handelt es sich um allgemeine Wertungen, die nicht auf das Bereicherungsrecht beschränkt bleiben können. Würden wir aber einem Vertrag, der eine Ehrverletzung zum Gegenstand hat, wirklich die Anerkennung versagen? Würden wir in Fall 1 das Urteil der Sittenwidrigkeit über den gemeinsamen Willen von A und B stellen, weil wir B nicht das Recht geben wollen, über seine Ehre zu disponieren? Würden wir es B verwehren, die Zahlung der 1.000 E zu beanspruchen, wenn A sich nach der Schimpftirade weigert zu zahlen? Und würden wir tatsächlich B einen deliktischen Schmerzensgeldanspruch zusprechen, wenn er sich nach der Beschimpfung gekränkt fühlt und, trotz vereinbarungsgemäßen Verhaltens von A, nun gegen diesen vorgehen will? Wohl kaum. Wir würden B vielmehr an seinem Willen festhalten und auf seine Einwilligung in die Rechtsverletzung verweisen. Wenn wir B die Verfügungsbefugnis über seine Ehre absprechen, können wir dies allerdings kaum tun. Denn nach ganz herrschender Ansicht ist die Disponibilität des Rechtsgutes eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung.921 Ein deliktischer Anspruch des B ließe sich in jedem Fall nicht auf die §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB stützen. Denn in der strafrechtlichen Literatur ist es nahezu unumstritten, dass eine Einwilligung in die §§ 185 ff StGB möglich ist, es sich mithin bei der Ehre um ein disponibles Rechtsgut handelt.922 Lediglich ganz vereinzelt wird auch bei Ehrverletzungen § 228 StGB herangezogen und grob menschenunwürdige Ehrverletzungen für sittenwidrig und somit für nicht einwilligungsfähig gehalten.923 In der Regel wird aber die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts betont, das ebenfalls in der Menschenwürde wurzelt und dem Einzelnen die grundsätzliche Verfügbarkeit über sich selbst zugesteht. Die Menschenwürde wird mitunter sogar als „das Gegenteil einer Einwilligungsschranke“ bezeichnet.924 Angesichts der strafrechtlichen Disponibilität der Ehre würde eine andere Bewertung im Zivilrecht höchst seltsam erscheinen. So hat doch die Geschichte des 920
Siehe oben 4. Kap. B. II. 2. b). Vgl. Kothe, AcP 185 (1985), S. 105 (131). 922 Siehe MüKo-StGB/Regge, 2003, § 185 StGB, Rn. 36; Schönke/Schröder/Lenckner/ Eisele, 2010, § 185 StGB, Rn. 15 sowie ebenda/Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff StGB, Rn. 37; Lackner/Kühl, 2007, § 185 StGB, Rn. 12. 923 So etwa noch Schönke/Schröder/Lenckner, 2006, vor §§ 32 ff StGB, Rn. 37. 924 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, 2010, vor §§ 32 ff StGB, Rn. 37, die deshalb die Entscheidung BVerwG, 15. 12. 1981, 1 C 232/79 NJW 1982, S. 664 ff kritisieren, in der eine Peepshow als sittenwidrig angesehen wurde. 921
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Persönlichkeitsrechts gezeigt, dass die §§ 185 ff StGB auch für den zivilrechtlichen Ehrschutz von Anfang an maßgeblich sein sollten.925 Auch über § 823 Abs. 1 BGB könnte man in Fall 1 deshalb kaum zu einem Schadensersatzanspruch des B gegen A gelangen, weil eine wirksame Einwilligung des Rechtsinhabers B vorliegt. Die Wirksamkeit der deliktsrechtlich relevanten Einwilligung in eine Ehrverletzung scheitert nach alledem genauso wenig wie die Wirksamkeit des ihr zugrunde liegenden Vertrages an § 134 BGB i.V.m. § 228 StGB oder an § 138 BGB.926 Insbesondere ist zu beachten, dass die Bejahung einer Sittenwidrigkeit eine erhebliche staatliche Bevormundung darstellen würde.927 Das Selbstbestimmungsrecht als Kernstück personaler Freiheit müsste dann allgemeinen Moralvorstellungen weichen. Da dies in einer individualistisch-freiheitlichen Rechtsordnung nur schwer erträglich ist, ist bei der Annahme der Sittenwidrigkeit einer Disposition über ein eigenes Recht Zurückhaltung geboten.928 Wenn der Einzelne nach seinem freien Willen wirklich „will“, dann darf er vieles mit seinen Rechtsgütern tun. Lediglich in absoluten Ausnahmefällen muss aus Gemeinwohlgründen oder zum Schutz der Rechte Dritter der autonome Wille, über die eigenen Rechtsgüter zu verfügen, unbeachtlich bleiben.929 Das Leben und, bereits mit erheblichen Einschränkungen, die körperliche Integrität betreffen derartige Fälle, weil es hier um den absoluten Kern der Menschenwürde geht. Hier sind objektive Werte betroffen, über die der Einzelne nicht verfügen darf. Die Zuweisung der personalen Rechte ist in diesem Umfang bereits beschränkt. Soweit es um den Kern der Menschenwürde geht, handelt es sich um keine Rechte des Betroffenen, sondern um Allgemeingüter. Bei bloßen Ehrverletzungen ist dieser Punkt meines Erachtens jedoch nicht erreicht. Wenn jemand bereit ist, mir für ein paar böse Worte Geld zu geben, dann darf ich mich hierauf einlassen. Dadurch werden weder die Interessen Dritter in Mitleidenschaft gezogen noch geht es um elementare Bestandteile der Menschenwürde, die mit dem Leben oder der körperlichen Integrität vergleichbar wären.930 Auch im öffentlichen Recht sind die Fälle, in denen wegen Berührung des nicht veräußerlichen Menschenwürdekerns eine Sittenwidrigkeit angenommen wurde, höchst umstritten. Ob es dem Einzelnen wirklich verwehrt sein soll, in einer 925
Vgl. zum zivilrechtlichen Ehrschutz Hager, AcP 196 (1996), S. 168 ff. Nach h.M. sind Einwilligung und Grundgeschäft nicht abstrakt, siehe Kothe, AcP 185 (1985), S. 105 (136); Götting, Persönlichkeitsrechte, S. 158 ff. 927 Vgl. Ahn, S. 59: „staatliche[r] Paternalismus, der dem verfassungsrechtlichen Freiheitsprinzip diametral entgegensteht“. 928 Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (224). 929 Zutreffend Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (224); Witzleb, S. 175. 930 Dabei muss man sich klarmachen, dass wegen des für die Menschenwürde ebenfalls zentralen Selbstbestimmungsrechts sogar die Indisponibilität dieser Rechtsgüter immer mehr in Zweifel gezogen wird (Stichwort: Sterbehilfe). Die §§ 216, 228 StGB stehen im Strafrecht zunehmend unter „erheblichem Legitimationsdruck“, so Schönke/Schröder/Stree/SternbergLieben, 2010, § 228 StGB, Rn. 1. 926
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Peepshow aufzutreten931 oder beim Zwergenweitwurf mitzumachen,932 wenn er sich freiwillig hierzu bereit erklärt, ist in der Tat zweifelhaft.933 Gerade im freiheitlichen Privatrecht sollte man mit der Annahme einer fehlenden Verfügungsbefugnis aufgrund von Sittenwidrigkeit vorsichtig sein. Bei bloßen Beschimpfungen und Beleidigungen kann man deshalb meines Erachtens kaum zu einer Indisponibilität gelangen. Weshalb sollte dies nun im Bereicherungsrecht bei der Eingriffskondiktion anders sein als im Deliktsrecht oder im Vertragsrecht? Wieso fordert die herrschende Meinung hier die Disponibilität des Gutes für die Anerkennung eines Zuweisungsgehalts und verneint dies bei der Ehre? Wieso würde sie in Fall 2 einen bereicherungsrechtlichen Anspruch des B wegen Sittenwidrigkeit der Vermarktung verneinen? Die zweifellos anzunehmende Sittenwidrigkeit der Vereinbarung zwischen A und C (wegen der nachteiligen Drittbetroffenheit) kann nach dem oben Gesagten nicht der Grund sein. Denn es geht gerade um die hypothetische Frage, ob eine Vermarktung durch B gegen die geltenden Moralvorstellungen verstoßen würde. Das Sittenwidrigkeitsurteil fällt im Bereicherungsrecht viel schärfer aus als im Deliktsrecht oder im Vertragsrecht.934 Dort würde dem autonomen Willen der Beteiligten eine viel größere Bedeutung eingeräumt. Einen nachvollziehbaren Grund für die unterschiedliche Behandlung gibt es aber nicht. Die Gründe, die die Vertreter der Zuweisungslehre zu einer Verneinung des Bereicherungsanspruchs veranlassen, müssen demnach andere sein als die Sittenwidrigkeit der Verfügung und somit die fehlende Disponibilität des Rechts. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Beispielsfälle 3 und 4 näher betrachtet. Gegenstand der jeweiligen Vereinbarungen zwischen A und B bzw. A und C ist hier die dem Eigentümer ohne jeden Zweifel gemäß § 903 BGB zustehende Befugnis, sein Eigentum zu zerstören. In Fall 3 liegt die Annahme einer Sittenwidrigkeit deshalb fern. B darf selbstverständlich über sein Eigentum verfügen und es von einem anderen gegen Geld zerstören lassen. Der Vertrag ist genauso wie die Einwilligung wirksam, weshalb B nicht im Nachhinein Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 303 StGB verlangen kann. Bei der Frage nach dem Bereicherungsanspruch des B gegen C in Fall 4 gerät man jedoch ins Nachdenken. Soll B wirklich neben dem ihm zweifellos zustehenden Schadensersatzanspruch auch einen Teil des Gewinns von C herausverlangen können? So mancher Vertreter der Zuweisungslehre würde dies wohl verneinen. Hat man den schwammigen Begriff des Zuweisungsgehalts einmal eingeführt, liegt die Annahme nicht fern, dass der Gewinn nicht „auf Kosten“ von Bs Rechtsposition erzielt 931
So BVerwG, 15. 12. 1981, 1 C 232/79, NJW 1982, S. 664 ff. So VG Neustadt, 21. 5. 1992, 7 L 1271/92, NVwZ 1993, S. 98 ff. 933 Vgl. die scharfe Kritik am Urteil des BVerwG von v. Olshausen, NJW 1982, S. 2221 ff; zum Streitstand umfassend Ahn, S. 58 ff m.w.N. 934 Vgl. Siemes, AcP 201 (2001), S. 202 (223): „innerer Widerspruch“. 932
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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worden ist, weil das Eigentum derartige Befugnisse nicht erfasst. Alternativ könnte man zwar den Zuweisungsgehalt bejahen, aber bestreiten, dass C „etwas erlangt“ hat, das auf der Umsetzung der Rechtsposition von B basiert. Anders als in dem von jedermann schnell als unproblematisch erkannten Fall 3, würden die wenigsten in Fall 4 unmittelbar zu der Einschätzung gelangen, das B ein Bereicherungsanspruch zustehen muss. Allein dies zeigt aber, dass es hier um spezifisch bereicherungsrechtliche Schwierigkeiten geht, die uns, genau wie in Fall 2, zögern lassen. Denn in Fall 4 steht die für die Zuweisungslehre entscheidende Disponibilität des Rechtsgutes außer Frage. Auch in Fall 2 müssen es dann in Wahrheit aber andere Gründe als die vermeintliche Sittenwidrigkeit bzw. Indisponibilität sein, die uns an einem Bereicherungsanspruch zweifeln lassen. d) Das Fehlen eines rationalen Marktes als Grund der Verneinung des Zuweisungsgehalts Meines Erachtens kommen dabei zweierlei Gründe in Betracht: Der erste besteht in unserem Unverständnis bezüglich des Entstehens eines Marktes für derartige Güter. Die Beteiligten in den vier Beispielsfällen handeln in unseren Augen nicht vernünftig. Schon bei der ersten Lektüre der Sachverhalte denkt man sich, dass dies doch äußerst theoretische Überlegungen werden dürften.935 Aus unserer Realität sind uns derartige Fälle jedenfalls kaum bekannt. Wer gibt schon Geld dafür aus, einem anderen die Windschutzscheibe einschlagen oder ihn beleidigen zu dürfen? Und wer lässt so etwas für Geld mit sich machen? Wir würden es in jedem Fall nicht tun und bewerten das Verhalten, zumindest auf Nachfrageseite, im Sinne unserer subjektiven Vernunft als irrational. Unsere Verwunderung besteht dann aber darin, dass wir das Entstehen des Marktes einfach nicht begreifen können. In der Regel gibt es für so etwas keinen Markt. Aus unserem Unverständnis gegenüber der Vereinbarung fließt das Unbehagen, sie anzuerkennen. Deshalb sind die Vertreter der Zuweisungslehre hier relativ schnell bereit, einen fehlenden Zuweisungsgehalt anzunehmen. Der zweite Grund hängt eng mit dem Vorgesagten zusammen. Das Fehlen eines nachvollziehbaren Marktes führt dazu, dass auf Rechtsfolgenseite enorme Bewertungsschwierigkeiten entstehen. Der gemäß § 818 Abs. 2 BGB für das erlangte Etwas (nach h. M. die unbefugte Nutzung des fremden Rechts936) zu leistende 935 Vgl. Staudinger/Hager, 1999, § 823 BGB, C 251, der das Problem des Bereicherungsausgleichs bei sittenwidrigen Vermarktungen als „weitgehend theoretische Frage“ bezeichnet. 936 Siehe Dreier, Kompensation, S. 370 ff, der sich auch eingehend mit allen sonst in Betracht kommenden Lösungen befasst; krit. zur h.L. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 309 ff, der die Ersparnisaufwendungen als primären Bereicherungsgegenstand ansieht. Ein Unterschied ergibt sich insbesondere in Fällen, in denen der Eingreifende das Recht entgeltlich nicht in Anspruch genommen hätte (Bsp.: Flugreisefall) oder sich anderweitig we-
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Wertersatz kann ohne einen Markt kaum bestimmt werden. Will man mit dem Bereicherungsrecht Vorteile abschöpfen, so müssen sich diese in Geld ausdrücken lassen. Bei der rechtswidrigen Aneignung der Nutzung einer fremden Rechtsposition ist wegen der Unmöglichkeit der Herausgabe des primär Erlangten nach überwiegender Auffassung gemäß § 818 Abs. 2 BGB der objektive Wert herauszugeben.937 Dieser bestimmt sich anhand des Betrages, der gewöhnlicherweise gezahlt werden muss, um an eine die Nutzung rechtfertigende Lizenz zu gelangen. Die Bestimmung einer solchen fiktiven Lizenzgebühr setzt aber voraus, dass es einen Markt gibt, auf dem üblicherweise derartige Lizenzen vergeben werden. Andernfalls kann der objektive Wert der erlangten Nutzung nicht bestimmt werden. Genau dies ist in den Fällen der Ehrverletzungen aber das Problem: Es gibt keinen Markt, auf dem mit Lizenzen für Beleidigungen gehandelt wird. Einen Markt gibt es nicht, weil es irrational und unlogisch ist, Geld für böse Worte einzutauschen, und weil dies für gewöhnlich niemand tut. Die Nichtexistenz des Marktes hängt aber keineswegs damit zusammen, dass ihm wegen Sittenwidrigkeit die rechtliche Anerkennung versagt werden müsste und deshalb der Zuweisungsgehalt fehlt. Um eine rechtliche Wertung geht es bei der Bestimmung des Bereicherungsgegenstandes nicht mehr; es geht hier um ein rein bereicherungsspezifisches Erkenntnis- und Bewertungsproblem auf tatsächlicher Ebene. Dieses Problem ist aber lösbar.938 Man muss nur den kleinen Markt betrachten, der sich scheinbar irrational gebildet hat. Es gab ein Angebot und eine Nachfrage. Die Parteien haben kalkuliert und sind zu einem konkreten Preis gelangt. Dieser „MiniMarkt“ liefert dann aber auch den „üblichen“ Lizenzwert.939 Die Besonderheit besteht letztlich nur darin, dass es außerhalb dieser Vereinbarung keinen Markt gibt. Gäbe es regelmäßig derartige Vereinbarungen, so würde man ab einer gewissen Größenordnung von einem Markt sprechen. Der Mittelwert der Preise würde dann den objektiven Marktwert, die übliche Lizenzgebühr verkörpern. Soll der Bereicherungsausgleich aber wirklich davon abhängen, ob es bereits 10, 100 oder 1.000 vergleichbare Vereinbarungen gab und deshalb ein Markt existiert? Wohl kaum. Selbst die Vertreter der Zuweisungslehre verweisen darauf, dass die Nichtexistenz eines Marktes einem Bereicherungsausgleich nicht entgegenstehen darf, weil ansonsten in der Phase der Etablierung neuer Märkte sich keine sachgerechten Er-
sentlich billiger hätte behelfen können. Für das hier im Vordergrund stehende Problem der Bezifferung des Bereicherungsgegenstandes ergibt sich jedoch m. E. nach kein wesentlicher Unterschied. 937 Siehe Ellger, S. 888 ff m.w.N.; Dreier, Kompensation, S. 381 ff m.w.N.; Witzleb, S. 186 ff; a.A. die Anhänger der subjektiven Werttheorie, vgl. Ermann/Westermann/Buck-Heeb, 2008, § 818 BGB, Rn. 18: Gewinnhaftung. 938 Vgl. Schwerdtner, JuS 1978, S. 289 (294). 939 Auch Vertreter der h.M. verweisen darauf, dass bei Fehlen eines Marktes der konkret erzielte Erlös der einzige Anhaltspunkt zur Bestimmung des objektiven Werts darstellt, siehe Beuthien/Schmölz, S. 49 f; vgl. auch Hartmann, S. 281 m.w.N.
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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gebnisse erzielen ließen.940 Konsequenzen aus dieser abstrakten Erkenntnis werden dann freilich kaum gezogen. Ist die konkrete Vereinbarung als „Mini-Markt“ aber maßgeblich, so sind der herauszugebende Wert der rechtswidrig angemaßten Nutzung des fremden Rechts und der vereinbarte Preis identisch. Der nach herrschender Meinung herauszugebende objektive Wert (Marktpreis) entspricht dann gerade dem subjektiven Wert (Vertragspreis).941 Insoweit kommen die subjektive942 und die herrschende objektive943 Werttheorie hier zwangsläufig zu dem gleichen Ergebnis. Eng verwandt mit diesem Problem der Wertbestimmung gemäß § 818 Abs. 2 BGB ist das zumeist im Rahmen des § 818 Abs. 1 BGB diskutierte Problem der Herausgabe eines rechtsgeschäftlichen Surrogats (commodum ex negotiatione)944. Die hier behandelten Fälle weisen auch nicht zu übersehende Parallelen zu den Fällen der Veräußerung einer unrechtmäßig erlangten Sache durch den Bereicherungsschuldner auf. In beiden Fällen wird der Wert der Sache durch vom Rechtsinhaber verschiedene Dritte bestimmt und in einem konkreten Preis ausgedrückt. Im Fall des rechtsgeschäftlichen Surrogats ist aber höchst umstritten, ob der Veräußerungserlös oder der objektive Wert der veräußerten Sache zu ersetzen ist. Die herrschende Meinung entscheidet hier bei § 816 Abs. 1 BGB anders als bei §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, 818 Abs. 1 BGB.945 Der zentrale Unterschied zu den Surrogationsfällen ist nun, dass es im Fall der vermarkteten Ehre keinen vom konkreten Veräußerungserlös zu trennenden objektiven Wert gibt. Genauso im Fall der vermarkteten Zerstörung einer fremden Windschutzscheibe. In den Beispielsfällen 2 und 4 wurde ein objektiver, in Geld bezifferbarer Wert erst durch die konkreten Vereinbarungen von A und C geschaffen. Vorher gab es keinen Markt für Beleidigungen oder für die Zerstörung fremder Windschutzscheiben und damit auch keinen objektiven Wert dieses Persönlichkeitsoder Eigentumsaspekts. Durch die Vereinbarungen von A und C wurde ein solcher 940
Witzleb, S. 169 f. Selbst wenn ein Markt existiert, wird vielfach vertreten, dass aus der Vereinbarung eines Preises oberhalb des Marktwertes regelmäßig der Schluss gezogen werden kann, dass der bisher angenommene objektive Marktwert in Wahrheit höher als ursprünglich angenommen, nämlich auf der Stufe des konkreten Preises, liegt („ex-post“-Bestimmung des Wertes), vgl. Larenz/ Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 277 f; BeckOK-BGB/Wendehorst, Stand: 1. 10. 2007, § 818 BGB, Rn. 28; MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 818 BGB, Rn. 79 sowie Rn. 96; Staudinger/Lorenz, 2007, § 818 BGB, Rn. 27 („der erzielte Preis [verkörpert] den objektiven Marktwert“). 942 Ermann/Westermann/Buck-Heeb, 2008, § 818 BGB, Rn. 16 ff. 943 MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 818 BGB, Rn. 75 f m.w.N. 944 Auf den engen Zusammenhang weisen u. a. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 277 hin. 945 Siehe Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 264 ff; krit. hins. dieser Differenzierung Hartmann, S. 281 ff, der in beiden Fällen einheitlich den partiellen Gewinnanteil zusprechen will; für eine einheitliche Lösung auch MüKo-BGB/Schwab, 2009, § 816 BGB, Rn. 43 und § 818 BGB, Rn. 76, der jeweils auf den objektiven Verkehrswert abstellt. 941
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Wert aber gerade geschaffen. Der objektive Wert und der konkret erzielte Erlös (subjektiver Wert) sind in diesen Fällen folglich identisch. Deshalb muss man hier, anders als in den Surrogationsfällen, nicht danach fragen, welcher der beiden Werte als Bereicherungsgegenstand herauszugeben ist. Letztlich gilt zu beachten, dass der Wert der Rechtspositionen in den Beispielsfällen nicht in den vollen 1.000 E zu sehen ist. Denn B kann nur den Teil des Erlöses herausverlangen, der in Umsetzung seiner Rechte erzielt wurde. Die ganzen 1.000 E sind aber mit Sicherheit nicht auf seine Rechtspositionen zurückzuführen. Vielmehr sind mehrere Posten in Abzug zu bringen: Allen voran sind hier die von C erwarteten Aufwendungen zu nennen. Diese wurden von ihm als Passivposten in die Kalkulation des Preises eingestellt. Deshalb sind sie auch für die Bestimmung des Werts der Rechtspositionen maßgeblich. Denn die Parteien hatten nicht allein der jeweiligen Rechtsposition einen Wert von 1.000 E zugemessen, sondern die erwarteten Ausgaben bei der Bestimmung dieses Preises bereits berücksichtigt. Zu den Aufwendungen zählt insbesondere auch, was C zur Wiederherstellung der Rechte von B in seine Kalkulation einstellte. Erwartete er in Fall 2 Ansprüche auf Ersatz des Nichtvermögensschadens in Höhe von 300 E und, ungleich besser kalkulierbar, in Fall 4 Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens in derselben Höhe für die kaputte Windschutzscheibe, so mindert dies jeweils den Wert der Rechtsposition. In Fall 4 sind die von C einkalkulierten Kosten des Baseballschlägers ebenfalls abzuziehen. Zudem wäre neben den Aufwendungen auch zu berücksichtigen, inwieweit der Gewinn auf einer besonderen Eigenleistung, dem speziellen Know-how oder auch nur besonderen faktischen Möglichkeiten von C basiert. Man stelle sich etwa vor, dass in Fall 4 der Wagen des B in einem Hof abgestellt wäre, in den man nur unter Überwindung einer hohen Mauer gelangte. Und wenn es dem C lediglich aufgrund seiner besonderen Kletterkünste überhaupt möglich gewesen wäre, zu dem Auto zu gelangen und dort vereinbarungsgemäß die Windschutzscheibe zu zertrümmern, so wäre der Wert dieser Eigenleistung ebenfalls vom Erlös abzuziehen. Denn bei der Kalkulation des Preises wurden die besonderen Fähigkeiten von C zweifellos berücksichtigt. Gleiches würde in Fall 2 gelten, wenn es sich bei B um eine prominente, bestens bewachte Person handelte, an die nicht jedermann ohne Weiteres herankäme und die deshalb nicht jedermann persönlich beleidigen könnte. Wäre dies aber dem C möglich, weil er als Hausangestellter persönlichen Kontakt zu B herstellen kann, so würde diese besondere Zugangsmöglichkeit sich ebenfalls im Preis wiederfinden. Ihr Wert müsste ebenfalls vom Erlös substrahiert werden, um den korrekten Gewinnanteil zu bestimmen, der auf die Umsetzung der Rechtsposition des B zurückzuführen ist. Diese Überlegungen sollen aber nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass der gesamte Gewinn allein auf die Eigenleistung von C zurückzuführen wäre und der Anteil am Erlös, der auf die Umsetzung von Bs Rechtspositionen entfällt, Null
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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beträgt.946 Eine solche Annahme würde außer Betracht lassen, dass es ohne Inanspruchnahme der Rechte von B (Fall 2: Ehre; Fall 4: Eigentum) dem C gar nicht möglich gewesen wäre, überhaupt einen Gewinn zu erwirtschaften. Die beiden Rechtspositionen leisteten einen notwendigen und nicht unerheblichen Beitrag für die Gewinnerzielung. Deshalb basieren die Erlöse zumindest teilweise auf der Umsetzung von Bs Rechtpositionen. Herauszugeben ist gemäß §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, 818 Abs. 2 BGB dann aber gerade dieser anteilige Gewinn, der sich durch die unbefugte Nutzung der Rechte von B widerrechtlich in Cs Vermögen befindet. Die Bestimmung des Umfangs der Bereicherung anhand der konkreten Beitragswerte der Beteiligten am Erfolg wurde für das verwandte Problem des rechtsgeschäftlichen Surrogats bereits von Wilburg947 vorgeschlagen.948 Seine Übertragung auf diejenigen Fälle, in denen durch das Rechtsgeschäft Dritter einer Rechtsposition überhaupt erst ein wirtschaftlicher Wert zugemessen wird, der mit dem anteiligen Erlös identisch ist, erscheint konsequent. Denn diese Lösung steht auch hier, „im Einklang mit dem Zweck bereicherungsrechtlicher Ansprüche, dem Schuldner diejenigen Anteile seines Vermögens zu nehmen, die er in Umsetzung einer fremden Rechtsposition erlangt hat“949. Es soll hier freilich nicht geleugnet werden, dass es enorme tatsächliche Schwierigkeiten mit sich bringt, den Anteil am Gesamterlös herauszufiltern, der auf die Umsetzung der jeweiligen Rechtsposition zurückzuführen ist.950 Dies ist dann auch der hauptsächliche Einwand gegen die Lehre Wilburgs. Larenz/Canaris bemängeln die „erhebliche Rechtsunsicherheit“ dieses Lösungsansatzes.951 Es mag indes bezweifelt werden, ob ein Mehr an Rechtssicherheit dadurch gewonnen wird, dass man mit dem normativen Begriff des Zuweisungsgehalts auf Tatbestandsebene ein vieldeutiges Kriterium einführt, mit dem die auf Rechtsfolgenseite auftretenden tatsächlichen Schwierigkeiten gelöst werden sollen. Das Kriterium des Zuweisungsgehalts lässt eine derartige Wertungsvielfalt zu, die es ermöglicht, dass Anhänger derselben Lehre bei der Bestimmung des Zuweisungsgehalts der einzelnen Rechtspositionen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.952 Rechtssi946 Dies stellt einen allgemeinen Einwand von Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 265 f gegen die bereicherungsrechtliche Gewinnhaftung dar. Häufig sei der Gewinn teilweise oder gänzlich dem Know-how oder dem Geschäftsbetrieb des Bereicherungsschuldners zu verdanken. 947 Wilburg, S. 128 ff, insb. 132 f. 948 Siehe Hartmann, S. 289. 949 So Hartmann, S. 289 zum Problem des rechtsgeschäftlichen Surrogats. 950 Diese gilt insbesondere dann, wenn kein bloßes „summenmäßige[s] Zusammenwirken“ mehrerer Rechtspositionen zu dem wirtschaftlichen Ertrag führt, sondern der Gewinn auf dem „Zusammenwirken[…] mehrerer Faktoren“ basiert, siehe zu dieser Unterscheidung Hartmann, S. 296 f. Handelt es sich bei dem Gewinn um ein Produkt und nicht um eine Summe, so ist die Bestimmung der Beitragswerte entsprechend schwieriger. 951 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, S. 265. 952 Siehe oben 4. Kap. B. II. 2. b).
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
cherheit wird dadurch keineswegs bewirkt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Kapitulation vor den tatsächlichen Bewertungsschwierigkeiten im Bereicherungsrecht dazu führt, dass von vielen Vertretern der Zuweisungslehre im Schadensrecht mit der Genugtuung bzw. Prävention weitere in höchstem Maße wertungsbedürftige Rechtsbegriffe eingeführt werden, um doch noch zu einer Abschöpfung zu gelangen. Der Preis an dogmatischer Inkonsistenz, der bei einer solchen alternativen Lösung gezahlt wird, ist meines Erachtens zu hoch. Die Überwindung einer rein faktischen bereicherungsrechtlichen Schwierigkeit legitimiert einen solch folgenreichen Systembruch nicht. Die vorzugswürdige Lösung erscheint deshalb, dem Problem dort zu begegnen, wo es entsteht: auf Rechtsfolgenseite im Bereicherungsrecht. Eine solche Lösung wird um eine großzügige Anwendung von § 287 ZPO analog zur Bestimmung des konkreten Bereicherungsgegenstandes nicht herumkommen.953 Auch die herrschende Meinung muss bei Bejahung eines Zuweisungsgehalts den üblichen Lizenzbetrag oftmals anhand von § 287 ZPO analog bestimmen.954 Insoweit ist dieser Weg keineswegs unüblich. Wenn eine konkrete Berechnung des auf die Rechtsposition entfallenden Erlösanteils nicht möglich ist, so ist dieser zu schätzen. Soweit eine konkrete Berechnung möglich ist, wie etwa bei den vom Erlös abzuziehenden Aufwendungen, ist sie selbstverständlich vorrangig. Ist sie unmöglich, so ist ein weiter richterlicher Ermessensspielraum bei der Bestimmung des auf der Umsetzung der Rechtsposition basierenden Gewinnanteils anzuerkennen. Die Rechtsprechung wird, wie auch im Rahmen des Schmerzensgeldes bei § 287 ZPO geschehen, konkrete Kriterien zu entwickeln haben, anhand derer eine Schätzung vorzunehmen ist. Dabei wird man davon ausgehen können, dass der auf der Umsetzung der Rechtsposition basierende Anteil einerseits und die Eigenleistungen sowie das Know-How und das Verhandlungsgeschick des Kondiktionsschuldners andererseits regelmäßig nicht von grundsätzlich unterschiedlichem Gewicht für die Bestimmung des Preises sind. Entscheidend ist freilich die Bedeutung der Faktoren bzw. Summanden955 im konkreten Einzelfall. Als abschließende Bemerkung kann hier nur wiederholt werden, was bereits zum Entschädigungsanspruch ausgeführt wurde: Das gewonnene Maß an Systemkonsistenz rechtfertigt die Hinnahme suboptimaler Berechnungsergebnisse in jedem Fall.
953 Vgl. Hartmann, S. 298, der im Fall des rechtsgeschäftlichen Surrogats für eine entsprechende Anwendung von § 287 ZPO zur Bestimmung der konkreten Gewinnbeiträge plädiert, wenn die bloße Subtraktionsmethode wegen des Zusammenwirkens mehrerer Faktoren nicht angewandt werden kann, siehe dazu oben 4. Kap. Fn. 950. 954 Aus neuerer Rechtsprechung z. B. OLG Hamburg, 10. 8. 2010, 7 U 130/09, ZUM 2010, S. 884 (886); vgl. auch Canaris, FS Deutsch, S. 85 (96). 955 Siehe dazu oben 4. Kap. Fn. 950 und Fn. 953.
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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e) Zwischenergebnis Die herrschende Zuweisungslehre teilt die Rechtspositionen dogmatisch höchst zweifelhaft in unterschiedliche Kategorien ein: Rechte mit und Rechte ohne Zuweisungsgehalt. Mit dem normativen Rechtsbegriff des Zuweisungsgehalts will sie auf Tatbestandsseite im Bereicherungsrecht sowohl allgemein rechtliche Probleme (§§ 134, 138 BGB) als auch rein faktische Rechtsfolgenprobleme des Bereicherungsrechts lösen. Diese Vermischung führt zu einer kaum hinzunehmenden Rechtsunsicherheit. Zudem treten Wertungswidersprüche zu anderen Rechtsbereichen (Deliktsrecht, Vertragsrecht) auf, etwa bei der Bestimmung der Disponibilität eines Rechtsgutes. Besonders deutlich wird dies bei der Ehre, der die Vertreter der Zuweisungslehre nahezu einhellig den Zuweisungsgehalt absprechen, weil eine Vermarktung sittenwidrig sei und es deshalb an der Disponibilität fehle. Dies steht in Widerspruch zu der weithin akzeptierten Einwilligungsfähigkeit in eine Ehrverletzung. Die Lehre vom rechtswidrigen Haben vermeidet diese inneren Widersprüche, in dem sie auf der vorgelagerten Ebene der Rechtszuweisung allgemeine Fragestellungen einheitlich für das gesamte Privatrecht beantwortet. Fehlt danach die Disponibilität eines Gutes, so ist der aus einer Vermarktung folgende Ertrag dem Rechtsinhaber schon gar nicht zugewiesen. Der rechtswidrig disponierende Dritte übt dann aus der Sicht des Rechtsinhabers keine widerrechtliche Vermögensherrschaft aus. Die Indisponibilität einer Rechtsposition kann sich nur dann ergeben, wenn eine Verfügung durch den Rechtsinhaber wegen Berührung des absoluten Menschenwürdekerns oder wegen einer nachteiligen Drittbetroffenheit nicht hinzunehmen wäre. Wegen des ebenfalls in der Menschenwürde wurzelnden Rechts auf personale Selbstbestimmung, ist eine Indisponibilität nur in absoluten Ausnahmefällen (Leben, körperliche Unversehrtheit etc.) anzunehmen. Bei der Ehre ist dieser Punkt wohl noch nicht erreicht, wie insbesondere die Tatsache zeigt, dass im Strafrecht der weit überwiegende Teil des Schrifttums von einer Disponibilität dieser Rechtsposition ausgeht. Von diesen allgemeinen Erwägungen zu unterscheiden ist das zusätzliche, spezifisch bereicherungsrechtliche Problem, dass es für die Ehre üblicherweise keinen Markt gibt. Einen solchen Markt gibt es nicht, weil es höchst unvernünftig anmutet, Geld für die Möglichkeit einer Beleidigung einzutauschen. Da es keinen Markt gibt, kann die übliche Lizenzgebühr als Bereicherungsgegenstand scheinbar nicht bestimmt werden. Dieses Problem ist jedoch überwindbar, wenn man die konkrete Vereinbarung als „Mini-Markt“ akzeptiert. Der vereinbarte Preis (subjektiver Wert) entspricht dann dem objektiven Wert. Allerdings sind von dem konkreten Preis noch die Aufwendungen und sonstigen Gewinnbeiträge abzuziehen. Der auf die Rechtsposition entfallende Gewinnbeitrag ist notfalls gemäß § 287 ZPO analog zu schätzen.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
III. Übertragung der gefundenen Ergebnisse auf das Antidiskriminierungsrecht Diese im Bereich des allgemeinen Ehrschutzes gefundenen Ergebnisse können nun für die Lösung des bereicherungsrechtlichen Diskriminierungsfalls fruchtbar gemacht werden. Denn wie gezeigt handelt es sich in § 7 Abs. 1 AGG um eine Konkretisierung und Verschärfung der beruflichen Ehre wegen der besonderen Persönlichkeitsrelevanz von Arbeit. Da es sich somit um besonderen Ehrschutz handelt, liegt eine Übertragung der zur allgemeinen Ehre gewonnenen Erkenntnisse zunächst nahe. 1. Die Möglichkeit der Überwindung der bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgenprobleme Hinsichtlich der spezifisch bereicherungsrechtlichen Problematik spricht in der Tat nichts gegen eine Übertragung des soeben aufgezeigten Lösungsweges auf den eingangs geschilderten Diskriminierungsfall. Gastwirt G hat die Nutzung der fremden Rechtsposition, der durch § 7 Abs. 1 AGG dem M zugewiesenen, konkretisierten Ehre, rechtswidrig erlangt. Da eine Herausgabe des Erlangten nicht möglich ist, hat er gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Dieser bestimmt sich für gewöhnlich anhand der marktüblichen Lizenzgebühr für eine entsprechende Nutzungsgestattung. Allein die Tatsache, dass es ansonsten keinen Markt für die Umsetzung dieser Rechtsposition gibt, steht einem Bereicherungsausgleich nicht entgegen. Denn dieses rein tatsächliche Problem kann durch Berücksichtigung der (konkludenten) Vereinbarung zwischen G und seinen Kunden gelöst werden. Der Gewinnanteil, der auf die Umsetzung der Rechtsposition des marokkanischen Kellners M zurückzuführen ist, kann auf die gleiche Art und Weise bestimmt werden wie im oben beschriebenen Beleidigungsfall. Auch im Diskriminierungsfall hat G kalkuliert und unter Abzug aller Aufwendungen, Kosten und Risiken einen positiven Saldo errechnet. Ohne die Verletzung der Rechtsposition von M hätte er diesen Gewinn keinesfalls erwirtschaften können, so dass der Gewinn zumindest partiell auf die Umsetzung dieses Rechts zurückzuführen ist. Der genaue Anteil könnte unter Zuhilfenahme von § 287 ZPO analog geschätzt werden. Zudem liegt zwar keine ausdrückliche Vereinbarung vor, in der dem Recht des M ein konkreter Vermögenswert beigemessen wurde. Indes kann ein stillschweigender Konsens durchaus angenommen werden. Die Stammkundschaft ließ G unmissverständlich wissen, welche finanziellen Nachteile er bei rechtmäßigem Verhalten zu befürchten hätte und wie er diese abwenden und sogar neue Vorteile erzielen könnte. Die Rechtsverletzung war mithin Gegenstand einer konkludenten Vereinbarung.
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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2. Die Indisponibilität der durch § 7 Abs. 1 AGG geschützten Ehrposition Dennoch muss ein Bereicherungsausgleich ausscheiden. Dies ergibt sich jedoch aus allgemeinen und nicht aus spezifisch bereicherungsrechtlichen Erwägungen. Richtigerweise wird man die Disponibilität der gemäß § 7 Abs. 1 AGG verschärften Ehrposition im Gegensatz zu weiten Teilen der herkömmlichen Ehre verneinen müssen. Die Vermarktungsbefugnis ist in den AGGFällen nicht Teil der Rechtszuweisung. Wegen der überragenden Bedeutung des personalen Selbstbestimmungsrechts kann einer Disposition durch den Rechtsinhabers zwar nur dann die rechtliche Anerkennung versagt werden, wenn der absolute Menschenwürdekern oder Rechte Dritter nachteilig betroffen sind. Beide Aspekte sind in den arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsfällen jedoch berührt. Zunächst steht die Nähe des Antidiskriminierungsrechts zur Menschenwürde außer Frage. Durch das Verbot von Diskriminierungen soll ausgeschlossen werden, dass der Einzelne wegen bestimmter ihm unverändert anhaftender persönlicher Merkmale eine nachteilige Behandlung in dem für seine Persönlichkeitsentwicklung zentralen Arbeitsleben erfährt. Der Einzelne soll im beruflichen Bereich aufgrund seiner Leistung oder seines Versagens eingeschätzt und behandelt werden, nicht aufgrund von Eigenschaften, die den Trägern dieser Merkmale üblicherweise zugeschrieben werden. Die Wahrung der Menschenwürde des Einzelnen durch Schutz vor „Zwangskollektivierung“ im Arbeitsleben wird als wesentlicher Zweck des Antidiskriminierungsrechts betrachtet.956 Auch die Gesetzesbegründung verweist einleitend auf die „Grundüberzeugung, dass alle Menschen in ihrer Würde, ihrem Wert und ihrem Rang gleich sind“957. Dies ist der Grund, warum die allgemeine Handlungsfreiheit, insbesondere die in ihr wurzelnde Privatautonomie, zugunsten des Persönlichkeitsrechts des Einzelnen eingeschränkt und eine verschärfte Ehrposition zugewiesen wird. Ob jedoch allein dieser enge Menschenwürdebezug die Annahme einer Indisponibilität rechtfertigt, ist zweifelhaft. Man müsste sich fragen, ob es unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts nicht hinnehmbar wäre, wenn M im Beispielsfall sein Recht vermarkten würde. Dies könnte etwa so aussehen, dass G dem M die Kundenwünsche offenbart und ihm eine Beteiligung am Gewinn in Aussicht stellt, wenn M die rechtsverletzende Zurückweisung akzeptiert. Die entscheidende Frage ist dann, ob die Annahme dieses Angebots durch M und somit die Vermarktung seines Rechts rechtlich inakzeptabel wäre. Allein wegen der Nähe zur Menschenwürde ist dies wohl noch nicht der Fall. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da zumindest zusammen mit dem zweiten Aspekt, der zu einer Indisponibilität führen kann, ein solches Verhalten nicht hinnehmbar wäre.
956 957
Schiek/Schiek, 2007, AGG, Einl., Rn. 43. BT-Drucks. 16/1780, S. 20.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Denn die Gestattung einer Diskriminierung gegen Entgelt durch einen Merkmalsträger und die darin liegende Kommerzialisierung des Merkmals würde nachteilig in die Rechte Dritter, namentlich aller anderen Merkmalsträger, eingreifen. § 7 Abs. 1 AGG reagiert auf die Ausgrenzung bestimmter Gruppen von dem für die Persönlichkeitsentwicklung so relevanten Arbeitsmarkt und verschärft in diesem Bereich den Ehrschutz. Der Einzelne soll nicht pauschal anhand von negativen Eigenschaften, die bestimmten Gruppen zugeschrieben werden, eingeschätzt und beurteilt werden. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe soll keine Rolle für die berufliche Persönlichkeitsentwicklung spielen. Diese Gruppenzugehörigkeit hat deshalb eine zentrale Bedeutung im Antidiskriminierungsrecht. Eine kränkende Zurückweisung wird den Einzelnen immer auch deshalb so hart treffen, weil er neben seinen eigenen diskriminierenden Erfahrungen auch die negativen Erlebnisse der anderen Merkmalsträger und die allgemeinen Statistiken kennt. Eine Benachteiligung wird dann als Bestätigung angesehen, dass „wir Dunkelhäutige“, „wir Frauen“ oder „wir Homosexuelle“ schlechter behandelt werden und es schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben. Genau dies ist aber der Grund, warum die Vermarktung des konkretisierten Persönlichkeitsrechts durch einen Merkmalsträger immer auch die anderen Merkmalsträger nachteilig betrifft. Das Handeltreiben mit dem Merkmal müssen die anderen Angehörigen der Gruppe als weitere Beleidigung auffassen. Der Einzelne verkauft hier eben nicht nur ein Stück von sich, wie dies der Fall ist, wenn er sich gegen Geld als „Idiot“ oder „Depp“ beschimpfen lässt. Er verkauft vielmehr immer auch ein Stück der Ehre der anderen, weil die Gruppenzugehörigkeit gerade der Anlass der kränkenden Benachteiligung ist. Das besondere Moment der Diskriminierung liegt in ihrem Drittbezug.958 Es geht hier nicht mehr ausschließlich um eine Abwägung des Selbstbestimmungsrechts des einverständlich Diskriminierten mit dem Kern der Menschenwürde als objektiver Wert. Es geht darüber hinaus um die rechtlichen Interessen der anderen Merkmalsträger, die eben keine unbeteiligten Zuschauer der Diskriminierung, sondern bei einer Kommerzialisierung indirekt ebenfalls Betroffene sind. Das Zusammenspiel dieser Drittbetroffenheit mit dem engen Menschenwürdebezug ist der Grund für das rechtliche Verbot der Vermarktung des Diskriminierungsmerkmals durch einen Merkmalsträger. Die Befugnis zur Vermarktung des Rechts ist vom Umfang der Rechtszuweisung demnach nicht umfasst. Deshalb hat G nichts in Umsetzung der Rechtsposition von M erlangt, weshalb ein Bereicherungsausgleich im Ergebnis ausscheiden muss. Letztlich ist anzumerken, dass diese Erwägungen nicht streng auf das AGG begrenzt bleiben können. Es kann durchaus auch außerhalb des AGG im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Fälle geben, in denen wegen des stark diskriminierenden Charakters eines Verhaltens sowohl ein enger Menschenwürdebezug als auch ein hinreichender Drittbezug vorliegt. So lässt sich meines Erachtens beispielsweise das Verbot der Vermarktung der eigenen Ehre durch eine kleinwüchsige
958
Darauf weist insbesondere Ahn, S. 60 hin.
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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Person im Rahmen des Zwergenweitwurfs rechtfertigen.959 Andererseits ist ein ausreichender Drittbezug im Fall der Peepshow960 wohl nicht gegeben. Hier steht kein Merkmal derart im Vordergrund, dass sich etwa alle Frauen durch das Verhalten der gewerblich in einer solchen Show auftretenden Damen unmittelbar beleidigt fühlen müssten. Anders als in den im AGG geregelten Fällen wird man einen hinreichenden Drittbezug außerhalb des AGG nicht grundsätzlich annehmen können, genauso wie in Ermangelung konkretisierender Vorschriften im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Rechtsverletzung ohnehin in jedem Einzelfall in Abwägung der jeweiligen Umstände festgestellt werden muss. 3. Zwischenergebnis Die gemäß § 7 Abs. 1 AGG verschärfte Ehrposition ist im Gegensatz zu weiten Teilen der allgemeinen Ehre nicht disponibel. Dies ergibt sich aus ihrer besonderen Nähe zum unveräußerlichen Menschenwürdekern zusammen mit der Tatsache, dass eine Vermarktung der eigenen Diskriminierung die Rechte der anderen Merkmalsträger nachteilig betreffen würde. Die Befugnis zur Vermarktung des Rechts ist deshalb bereits nicht Teil der Rechtszuweisung. Demnach hat ein Dritter, der einen Gewinn aus einer rechtswidrigen Benachteiligung zieht, nichts in Umsetzung der fremden Rechtsposition erlangt. Insbesondere in den Fällen diskriminierender Kundenerwartungen kann ein Bereicherungsausgleich deshalb nicht stattfinden.
IV. Abschöpfung gemäß § 687 Abs. 2 BGB als Notbehelf Scheidet demnach ein Bereicherungsanspruch aus, stellt sich weitergehend die Frage, ob zur Schließung einer ansonsten entstehenden Rechtsschutzlücke eine Gewinnabschöpfung über § 687 Abs. 2 BGB erfolgen kann. Eine abschließende Beantwortung dieser Frage kommt um eine umfassende Klärung der Ordnungsfunktion von § 687 Abs. 2 BGB nicht herum. Wie bereits angedeutet, herrscht hier große Uneinigkeit.961 Manche Autoren gehen von einem deliktsrechtlichen Charakter der Norm aus.962 Andere sehen in ihr eine bereicherungsrechtliche Regelung.963 Reichard hält sie für eine bloße Wiederholung von
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Siehe Ahn, S. 60. Siehe dazu oben B. II. 3. c). 961 Vgl. zu den unterschiedlichen Erklärungsmodellen: Staudinger/Bergmann, 2006, § 687 BGB, Rn. 11 sowie Krumm, S. 93 ff. 962 Wittmann, S. 151; Wenckstern, AcP 200 (2000) S. 240 (263 ff); Dreier, Kompensation, S. 278. 963 Jakobs, S. 90 ff; Haines, S. 8 ff. 960
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
§ 819 BGB an einem „dogmengeschichtlich überholten Ort“964. Ehmann ist der Ansicht, die Regelung könne als Strafschadensersatzanspruch oder als verschärfte Eingriffskondiktion begriffen werden.965 Witzleb will die Gewinnhaftung auf das allgemeine Prinzip zurückführen, dass „niemand aus der vorsätzlichen Verletzung fremder Rechte Gewinn erzielen soll“966. Letztlich wird § 687 Abs. 2 BGB auch als eigenständige Ergänzung des Delikts- und Bereicherungsrechts967 oder als Norm zur Schließung einer ansonsten bestehenden Schutzlücke bei bewusst widerrechtlicher Inanspruchnahme fremder Rechtspositionen968 betrachtet. Eine umfassende Aufarbeitung dieser Ansichten würde den Umfang dieser Arbeit sprengen und kann deshalb nicht geleistet werden. Ein möglicher Lösungsweg sei hier, bei aller verbleibender Unsicherheit, dennoch angedeutet: Es lässt sich meines Erachtens durchaus in Betracht ziehen, § 687 Abs. 2 BGB eine originär präventive Funktion zur Vermeidung bewusster Rechtsverletzungen zuzumessen.969 Will man eine Schutzlücke nicht hinnehmen, erscheint es nicht unangebracht, § 687 Abs. 2 BGB als eigenständige „vierte Spur“ heranzuziehen, wenn die drei übrigen Schutzrechte ausnahmsweise einen wirksamen Schutz der Rechtszuweisung nicht gewährleisten können und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht ausreichend präventiv wirken. In aller Regel wird durch die drei zentralen Schutzrechte ein hinreichender präventiver Effekt erzielt werden können. Wer auf eigene Kosten eine Rechtsusurpation beenden, ein beschädigtes Recht wiederherstellen und die in Umsetzung eines fremden Rechts erzielten Vermögensvorteile herausgeben muss, wird in der weit überwiegenden Anzahl an Fällen keinen großen Drang zur Rechtsüberschreitung verspüren. Dies gilt vor allem dann, wenn ein zusätzlicher Hemmeffekt von strafrechtlichen Normen oder Ordnungswidrigkeitstatbeständen ausgeht, die das privatrechtliche Rechtsschutzsystem flankieren. Sollte im Einzelfall diese präventive Wirkung nicht ausreichen, stellt § 687 Abs. 2 BGB eine probate und relativ schonende970 Möglichkeit zur Schließung der 964
Reichard, AcP 193 (1993), S. 567 (600). Ermann/Ehmann, 2008, § 687 BGB, Rn. 7. 966 Witzleb, S. 196. 967 Staudinger/Bergmann, 2006, § 687 BGB, Rn. 11; Jauernig/Mansel, 2009, § 687 BGB, Rn. 1; vgl. auch Hartmann, S. 295: „jedenfalls zum Teil eigenständige Ordnungsfunktion“. 968 Gebauer, Jura 1998, S. 128 (134 f); Krumm, S. 151 f, der allerdings mit der ad hoc wenig überzeugenden These aufwartet, dass § 687 Abs. 2 BGB eine Sanktion darstellt für bereits abgeschlossene Rechtsverletzungen auf der Grundlage der Fiktion der Rechtslage, unter der die konkrete rechtswidrige Handlung des Verletzers als rechtmäßig erscheinen würde. 969 Vgl. Gebauer, Jura 1998, S. 128 (134); Witzleb, S. 196; krit. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 318, Fn. 79. Siehe zu dessen eigenem Lösungsansatz, a.a.O., S. 319 ff. 970 Schonend deshalb, weil keine systemwidrigen Anpassungen der drei klassischen Schutzrechte erfolgen, sondern die Billigkeitserwägungen in ein eigenes Institut „ausgelagert“ werden. 965
B. Das bereicherungsrechtliche Schutzrecht
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Schutzlücke dar. Insbesondere dann, wenn bewusst und gewollt eine fremde Rechtsposition verletzt wird, um finanzielle Vorteile zu erwirtschaften, erscheint eine umfassende Gewinnabschöpfung, d. h. einschließlich derjenigen Anteile, die auf eigene Leistungen, Fähigkeiten oder Know-how zurückgehen, berechtigt.971 Fraglich ist jedoch, ob eine solche Gewinnabschöpfung auch in den Fällen erfolgen kann, in denen aus übergeordneten öffentlichen Interessen oder zum Schutz Dritter die vermögensmäßige Nutzung eines Rechts dem Rechtsinhaber nicht gestattet ist und die Rechtszuweisung somit von vornherein beschränkt ist. Krumm etwa vertritt die Auffassung, dass ein Anspruch aus § 687 Abs. 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn der Rechtsinhaber über seine Rechtsposition auch disponieren kann. Nur dann verfüge er über eine eigene materiale Berechtigung.972 Auch Gebauer will mit § 687 Abs. 2 BGB „dem Rechtszuweisungsgedanken widersprechende Sanktionslücken“ schließen.973 Wie bereits erwähnt, sind die meisten Vertreter der Zuweisungslehre ohnehin der Ansicht, dass eine Gewinnabschöpfung über § 687 Abs. 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn durch die bewusste Inanspruchnahme einer fremden Rechtsposition mit bereicherungsrechtlichem Zuweisungsgehalt ein Vermögensvorteil erwirtschaftet wurde.974 Dies alles könnte gegen eine Gewinnabschöpfung bei fehlender Disponibilität eines Rechtsgutes sprechen. Denn wenn die vermögensmäßige Vermarktung schon gar nicht Inhalt der Rechtszuweisung ist, besteht scheinbar auch keine dem Rechtszuweisungsgedanken widersprechende Lage. Diese Schlussfolgerung greift allerdings zu kurz. Allein die Tatsache, dass die vermögensmäßige Vermarktung eines Rechts aus bestimmten Gründen nicht Teil der Rechtszuweisung ist, bedeutet noch lange nicht, dass es gar keine zu schützende Rechtszuweisung gibt. Am Beispiel des indisponiblen Rechtsgutes Leben wird dies besonders deutlich. Auch wenn der Einzelne über das Recht nicht verfügen darf, bleibt es doch sein Recht und muss diese Rechtszuweisung vehement verteidigt werden, damit auch kein Dritter sich einer Verfügung über das Recht anmaßt. Es geht dann nicht um den Schutz der Vermarktungsbefugnis, sondern um den Schutz der eigentlichen Rechtsubstanz selbst. Insoweit muss ganz zweifellos dafür gesorgt werden, dass der Auftragskiller keinerlei Anreiz erhält, das fremde Recht zu verletzen. Freilich geschieht der präventive Rechtsschutz beim Rechtsgut Leben schon in erheblichem Maße über das Strafrecht, mit der Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe in § 211 StGB für die entgeltliche Tötung (Mordmerkmal Habgier) und dem mit der Straftat einhergehenden Verfall aller erzielter Vermögensvorteile gemäß §§ 73 ff StGB.975 971
Ebenso Witzleb, S. 195 ff. Krumm, S. 206. 973 Gebauer, Jura 1998, S. 128 (134). 974 Siehe oben 4. Kap. B. II. 2. b). 975 Versteht man § 687 Abs. 2 BGB als reine Lückenfüllervorschrift bei unzureichendem Rechtsschutz durch das gesamte Rechtssystems, so bleibt freilich die Frage, ob die Norm in 972
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Jedenfalls dort, wo keine den zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz flankierenden Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften existieren und mithin die Erzielung des Vermögensvorteils aus Sicht des Rechtsverletzers relativ gefahrlos möglich ist, erscheint es aber notwendig, diesen Vermögensvorteil umfassend abzuschöpfen. Genau dies ist im arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrecht der Fall. Die gemäß § 7 Abs. 1 AGG verschärfte Ehrposition wird durch §§ 185 ff StGB nur äußerst unzureichend geschützt. Entgegen dem vielfachen Rat in der arbeitsrechtlichen Literatur976 wurden die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien nicht (zusätzlich) mittels eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestandes umgesetzt. Da es sich zudem nach dem oben Gesagten um eine indisponible Rechtsposition handelt und ein Bereicherungsausgleich deshalb ausscheiden muss, gleichzeitig aber die Fallkonstellation der bewussten Rechtsverletzung zur Gewinnerzielung wegen der Fälle diskriminierender Kundenerwartungen nicht unüblich ist, besteht durchaus die Notwendigkeit, eine Rechtsschutzlücke zu schließen. Nach alledem erscheint in den Fällen des vorsätzlich zur Gewinnerzielung diskriminierenden Arbeitgebers bzw. Dritten ein Abschöpfungsanspruch gemäß § 687 Abs. 2 BGB als möglich. Sieht man in § 687 Abs. 2 BGB einen präventiven Notbehelf, so muss man sich allerdings im Klaren sein, dass es sich dann kaum noch um originäres Privatrecht im eingangs beschriebenen Sinn handelt. Vielmehr wird im Mantel des Privatrechts ein systemfremdes Ziel verfolgt. Die BGB-Norm dient dazu, den aufgrund von Lücken in anderen Teilrechtsordnungen unvollkommenen, aber gleichwohl notwendigen Rechtsschutz sicherzustellen. Vorzugswürdig wäre es sicherlich, die Lücken dort zu schließen, wo sie bestehen, namentlich durch Einführung eines Ordnungswidrigkeiten- oder Straftatbestandes.977 Besteht eine solche pönale Vorschrift jedoch nicht, so bleibt einzig die Möglichkeit einer Notkonstruktion über das Zivilrecht,978 will man sich nicht mit der Alternative einer Hinnahme der Schutzlücke abfinden.979
einem solchen Fall, in dem ein strafrechtlicher Schutz besteht (§§ 73 ff, 211 ff StGB), überhaupt anwendbar ist. Diese Frage lässt sich jedoch wiederum kaum beantworten, ohne § 687 Abs. 2 BGB eingehender zu untersuchen, als dies im Rahmen dieser Untersuchung möglich ist. Für die hier interessierenden Fälle stellt sich die Frage ohnehin nicht, weil eine strafrechtliche Vorschrift, die Diskriminierungen verbietet, gerade fehlt. 976 Siehe Kamanabrou, ZfA 2006, S. 327 (337) – kumulativer Ordnungswidrigkeitstatbestand; Benecke/Kern, EuZW 2005, S. 360 ff – alternativer Ordnungswidrigkeitstatbestand; so auch bereits Annuß, NZA 1999, S. 738 (744). 977 Siehe oben 4. Kap. Fn. 976. 978 Eine Lückenfüllung über das Strafrecht scheitert ersichtlich am strafrechtlichen Analogieverbot und Bestimmtheitsgebot. 979 Die (vorübergehende) Hinnahme der Schutzlücke hätte den Vorteil, dass die dann entstehende unbefriedigende Rechtslage den Druck auf den Gesetzgeber zur Schließung der Lücke am systemkonformen Ort (im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht) erhöhen würde. Für den Rechtsinhaber wäre dies freilich ein schwacher Trost.
C. Das negatorische Schutzrecht
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V. Ergebnis In Fällen, in denen durch die Diskriminierung eines Beschäftigten ein wirtschaftlicher Vorteil erwirtschaftet wird (insbesondere bei Entsprechung diskriminierender Kundenerwartungen), scheidet ein Bereicherungsanspruch auf Grundlage der Eingriffskondiktion aus. Dies resultiert jedoch nicht aus dem fehlenden Zuweisungsgehalt der durch § 7 Abs. 1 AGG verschärften Ehrposition. Vielmehr ist aus übergeordneten Allgemeininteressen und zum Schutz Dritter der Inhalt der Rechtszuweisung bereits beschränkt und die Vermarktungsbefugnis dem Beschäftigten entzogen. Es handelt sich dabei um ein allgemeines und nicht um ein bereicherungsrechtliches Problem. Das spezifisch bereicherungsrechtliche Problem der fehlenden Bestimmbarkeit des objektiven Werts der fremden Rechtsnutzung wäre mit Hilfe von § 287 ZPO analog überwindbar. Allerdings erscheint in den Fällen der vorsätzlichen widerrechtlichen Benachteiligung zur Erzielung eines konkreten Vermögensvorteils die Abschöpfung des Gewinns gemäß § 687 Abs. 2 BGB als möglich.
C. Das negatorische Schutzrecht I. Die fehlende Regelung im arbeitsrechtlichen Teil des AGG Letztlich bleibt damit noch zu klären, wie es sich mit dem negatorischen Schutzrecht verhält. Wie beim bereicherungsrechtlichen Schutzrecht fehlt es auch hier an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im arbeitsrechtlichen Teil des AGG. Lediglich im zivilrechtlichen Teil findet sich in § 21 Abs. 1 AGG eine Grundlage für Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung einer Benachteiligung. Allein die fehlende Anspruchsgrundlage steht einem Anspruch jedoch sicherlich nicht entgegen. Denn eine Vorschrift wie § 1004 BGB beim Eigentum gibt es auch sonst bei nur wenigen Rechtspositionen. Dennoch besteht Einigkeit darin, dass § 1004 BGB zumindest auf alle Rechtspositionen, denen deliktischer Schutz zukommt, analog angewandt werden kann.980 Auch die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass zu den Ansprüchen, die gemäß § 15 Abs. 5 AGG von § 15 Abs. 1 und 2 AGG unberührt bleiben sollen, unter anderem solche aus § 1004 BGB gehören.981
980 Vgl. Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB, Rn. 16; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 21 AGG, Rn. 7. 981 BT-Drucks. 16/1780, S. 38.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
II. § 1004 BGB bzw. § 21 Abs. 1 AGG analog als Anspruchsgrundlage Überwiegend wird diese Aussage in der Gesetzesbegründung allerdings derart gedeutet, dass lediglich bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts negatorische Ansprüche gemäß § 1004 BGB analog möglich sind.982 Nur bei schweren Beeinträchtigungen, die den Grad einer herkömmlichen Würdeverletzung erreichten und somit bereits nach bisherigem Verständnis das Persönlichkeitsrecht verletzten, seien Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche anzuerkennen. Eine wohl als Mindermeinung zu bezeichnende Ansicht vertritt allerdings die Auffassung, dass § 1004 BGB analog bei allen Verletzungen des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots herangezogen werden kann.983 V. Roetteken984 etwa sieht als Haftungsgrund von § 1004 BGB „die Inanspruchnahme eines einer anderen Person zugewiesenen Rechts“ und folgert weiter aus § 7 Abs. 1 AGG, „dass niemand eine Befugnis zusteht, Beschäftigte hinsichtlich eines in § 1 AGG genannten Merkmals [ungerechtfertigt] zu benachteiligen“. Hieraus resultiere aber gerade, dass es um eine „dem Eigentum vergleichbare Rechtsposition“ gehe, weshalb § 1004 BGB analog anzuwenden sei. Es reiche jede rechtswidrige Benachteiligung aus, um Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche zu begründen. Allein diese letztgenannte Ansicht ist basierend auf dem eingangs dargelegten Privatrechtsverständnis konsequent. Wenn § 7 Abs. 1 AGG eine verschärfte Ehrposition zuweist, kann es für das negatorische Schutzrecht nicht darauf ankommen, ob die hiervon verschiedene allgemeine Ehre beeinträchtig ist. Genauso wenig wie beim Schadensersatzanspruch eine Herabwürdigung oder eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Voraussetzung ist,985 muss auch der negatorische Rechtsschutz hiervon unabhängig sein. Aus der umfassenden und erweiterten Rechtszuweisung folgt vielmehr automatisch auch der erweiterte negatorische Schutz. Des Weiteren kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bewusst und gewollt auf einen negatorischen Rechtsverwirklichungsanspruch im arbeitsrechtlichen Teil des AGG verzichtet hat. In § 1 AGG wird es gerade als Ziel des gesamten Gesetzes genannt, Benachteiligungen nicht nur zu beseitigen, sondern
982 Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 111 f; Nicolai, AGG, Rn. 571; Bauer/Göpfert/ Krieger, 2008, § 15 AGG, Rn. 66; HWK/Annuß/Rupp, 2010, § 15 AGG, Rn. 14; MüKo-BGB/ Thüsing, 2007, § 15 AGG, Rn. 51; KR/Pfeiffer, 2007, § 15 AGG, Rn. 171; Hey, 2009, § 15 AGG, Rn. 123. 983 Siehe Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 125; v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 116 f; Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (953); wohl auch Rust/Falke/ Bücker, 2007, § 15 AGG, Rn. 60; Nollert-Borasio/Perreng, 2008, § 15 AGG, Rn. 41; Jauernig/ Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 2. 984 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 116. 985 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (1).
C. Das negatorische Schutzrecht
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auch im Vorhinein „zu verhindern“986. Auch die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 1 AGG verweist darauf, dass eine „hinreichend konkrete Gefahr [einer Benachteiligung] Ansprüche [auslöst]“, wobei hierunter eine „Wiederholungsgefahr – bei bereits erfolgter Benachteiligung – oder eine[…] ernsthafte[…] Erstbegehungsgefahr“ zu verstehen sei.987 Zudem wäre es höchst widersprüchlich, wenn die Arbeitnehmer als Träger des konkretisierten Persönlichkeitsrechts keinen vorbeugenden Rechtsschutz geltend machen könnten, Betriebsrat sowie Gewerkschaft, die naturgemäß als Rechtsträger ausscheiden, aber gemäß §§ 17 Abs. 1 AGG i.V.m 23 Abs. 3 BetrVG hierzu berechtigt wären.988 Hinzu kommt, dass in der Gesetzesbegründung keinerlei Anhaltspunkte zu finden sind, die auf einen Willen des Gesetzgebers schließen lassen, vom privatrechtlichen Fundamentalgrundsatz des dreifachen Rechtsschutzes989 gerade im Bereich des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts abzuweichen. Insbesondere dann, wenn es um die Grundstrukturen der Privatrechtsordnung geht, kann ohne eine ausdrückliche dahingehende Erklärung kein Wille des Gesetzgebers zum Systembruch unterstellt werden.990 Die Beschränkung auf den Schadensersatzanspruch gerade im Arbeitsrecht würde auch ersichtlich dem sonstigen gesetzlichen Regelungskonzept des AGG zuwiderlaufen, nach dem der Persönlichkeitsschutz im arbeitsrechtlichen Teil des Gesetzes stärker ausgeprägt ist als im zivilrechtlichen Teil. Dies zeigt sich etwa daran, dass anders als im arbeitsrechtlichen Teil im zivilrechtlichen Teil gemäß § 20 Abs. 1 AGG nicht nur bei mittelbaren, sondern auch bei unmittelbaren Benachteiligungen ein sachlicher Grund zur Rechtfertigung genügt.991 Es würde kaum Sinn machen, im Arbeitsrecht die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz weiter als im Zivilrecht zulasten der Handlungsfreiheit zu verschieben, dann aber dem entstandenen Recht einen schlechteren Schutz zukommen zu lassen. 986
ErfK/Schlachter, 2011, § 1 AGG, Rn. 2 weist in diesem Zusammenhang auf den Widerspruch hin, dass „das Gesetz ausdrücklich weder einen Unterlassungs- noch einen Beseitigungsanspruch normiert, obwohl es ihn inhaltlich voraussetzt“. 987 BT-Drucks. 16/1780, S. 32. 988 Siehe dazu auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/1780, S. 39: „Liegt ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften des zweiten Abschnitts vor, können Betriebsräte oder im Betrieb vertretene Gewerkschaften eine erforderliche Handlung, Duldung oder Unterlassung [Hervorhebung durch den Verfasser] des Arbeitgebers verlangen, um Benachteiligungen wirksam zu unterbinden“; ausführlich zum Unterlassungsanspruch des Betriebsrates, Lobinger, ZfA 2004, S. 101 ff; bei § 23 Abs. 3 BetrVG handelt es sich um die Geltendmachung fremder Rechte, siehe Lobinger, RdA 2011, S. 76 (84). 989 Dazu oben 2. Kap. B. I. 990 Siehe dazu bereits oben 1. Kap. Fn. 85 a.E. 991 Ausgenommen hiervon ist das Merkmal „Alter“, bei dem auch im arbeitsrechtlichen Teil gemäß § 10 Abs. 1 AGG jeder legitime, die Verhältnismäßigkeit wahrende Sachgrund die Benachteiligung ausschließt.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Somit bleibt es zwar unverständlich, warum im arbeitsrechtlichen Teil des AGG die Normierung negatorischer Ansprüche entsprechend § 21 Abs. 1 AGG unterblieben ist. Eine bewusste Regelungslücke, die einer Analogie entgegenstehen würde, kann nach dem Vorgesagten aber nicht angenommen werden. Auch liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. Die Interessen bezüglich eines negatorischen Rechtsschutzes sind im zivilrechtlichen Teil keine anderen als im arbeitsrechtlichen Teil des Gesetzes. Demnach liegt eine analoge Anwendung von § 21 Abs. 1 AGG nahe. Andererseits könnte man die bereits erwähnte Passage in der Gesetzesbegründung992 so deuten, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Anwendung von § 1004 Abs. 1 BGB befürwortete.993 Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Die Heranziehung von § 21 Abs. 1 AGG analog erscheint zunächst näher liegend, weil es auch hier um Benachteiligungen geht und die Vorschrift somit spezieller als § 1004 BGB ist. Andererseits umschreibt § 1004 BGB das negatorische Schutzrecht paradigmatisch und dient deshalb hinsichtlich zahlreicher anderer Rechtspositionen als analoge Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift hat zudem den Vorteil, dass sie mit dem „Störer“ den Anspruchsgegner benennt, während § 21 Abs. 1 AGG hierzu schweigt, weshalb man zur Auslegung dieser Vorschrift auf § 1004 BGB zurückgreifen muss.994 Sachliche Unterschiede zwischen den beiden Lösungsvarianten bestehen danach nicht, weshalb eine definitive Entscheidung über die Anspruchsgrundlage unterbleiben kann.995 Als wichtige Erkenntnis ist nur festzuhalten, dass nach dem Vorgesagten eine Analogiebasis zweifellos vorhanden ist und der Anspruch eine Verletzung des durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen besonderen Persönlichkeitsrechts, nicht aber des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraussetzt.
III. Die Bedeutung von § 1004 BGB im Rahmen des allgemeinen Ehrschutzes Des Weiteren erscheint es lohnend, zunächst die Bedeutung von § 1004 BGB im Rahmen des allgemeinen Ehrschutzes zu betrachten, da die dort gefundenen Er992 BT-Drucks. 16/1780, S. 38: „Absatz 5 stellt klar, dass sich aus sonstigen allgemeinen Rechtsvorschriften ergebende Ansprüche gegen einen benachteiligenden Arbeitgeber unberührt bleiben. In Betracht kommen insbesondere Ansprüche auf Unterlassung nach § 1004 BGB […]“. 993 So etwa Jauernig/Mansel, 2009, § 15 AGG, Rn. 2. 994 Schwab, DNotZ 2006, S. 649 (663): „So kann im Zivilrechtsverkehr der Benachteiligte Beseitigung und Unterlassung verlangen (§ 21 Abs. 1 AGG), es ist aber nicht gesagt, von wem, und wir müssen aus dem allgemeinen Zivilrecht den Störerbegriff (§ 1004 Abs. 1 BGB) herübernehmen, um zu einer funktionierenden Norm zu kommen“. 995 Im Folgenden wird auf die Nennung von § 21 AGG analog verzichtet und nur § 1004 BGB analog als Anspruchsgrundlage angegeben. Dies geschieht lediglich aus Gründen der besseren Lesbarkeit.
C. Das negatorische Schutzrecht
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gebnisse unter Umständen auf den besonderen Ehrschutz des AGG übertragen werden können. 1. Die Kausalitätslehren Die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur will den zentralen Begriff der Beeinträchtigung im Wesentlichen unter Rückgriff auf die aus dem Schadensrecht bekannten Kriterien adäquater Kausalität und wertender Zurechnung bestimmen.996 Sie fragt danach, ob die drohende oder fortdauernde Beeinträchtigung der fremden Rechtsposition vom Anspruchsgegner zu verantworten ist. Anknüpfungspunkt ist deshalb in erster Linie ein Verhalten des Schuldners („Störers“), auf das die Beeinträchtigung zurückzuführen ist. Besteht eine Verantwortlichkeit des Schuldners für eine Beeinträchtigung, so sind die von der herrschenden Meinung angenommenen Rechtsfolgen äußerst weitgehend, insbesondere hinsichtlich des Beseitigungsanspruchs: Der Schuldner muss danach nicht nur die fremde Rechtsposition frei machen, er muss darüber hinaus auch die verbleibenden Folgen der Rechtsbeeinträchtigung beseitigen. So muss er beispielsweise im direkten Anwendungsbereich von § 1004 BGB (d. h. beim Eigentum) die auf ein Nachbargrundstück eingedrungenen Wurzeln nicht nur abschlagen und fortschaffen. Er muss darüber hinaus auch den aufgewühlten Boden einebnen und sogar einen auf dem Nachbargrundstück gelegenen zerstörten Tennisplatz wiederherstellen.997 Im Bereich des zivilrechtlichen Ehrschutzes spielen die Ansprüche aus § 1004 BGB analog eine große Rolle. Sind widerrechtliche ehrenrührige Aussagen oder Handlungen zu befürchten, so kann der Rechtsinhaber entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Unterlassung klagen. Neben diesem Unterlassungsanspruch spielt in den Medienfällen als wichtigstem Anwendungsgebiet des zivilrechtlichen Ehrschutzes der Anspruch auf Widerruf oder Richtigstellung ehrenrühriger unwahrer Tatsachenbehauptungen eine zentrale Rolle.998 Er fügt sich nahtlos in das Verständnis der herrschenden Meinung von § 1004 BGB ein. Der Störer ist danach verpflichtet, die Folgen seiner widerrechtlichen Aussage durch Widerruf der unrichtigen Tatsachen zu beseitigen. Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Die Verpflichtung zum Widerruf muss lediglich verhältnismäßig sein.999
996 Vgl. die Nachweise bei MüKo-BGB/Baldus, 2009, § 1004 BGB, Rn. 26 ff; zu den Zurechnungskriterien der h.M. siehe auch Wenzel, NJW 2005, S. 241 ff. 997 Siehe BGH, 18. 4. 1997, V ZR 28/96, NJW 1997, S. 2234 ff. 998 Dazu MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 204 ff. 999 MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 208.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
2. Die Usurpationstheorie Dem Grundverständnis der herrschenden Meinung zu § 1004 BGB widerspricht die Usurpations- oder Rechtsüberlagerungstheorie.1000 Sie wirft der herrschenden Meinung vor, die Grenze zwischen dem verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch und dem verschuldensunabhänigen Beseitigungsanspruch zu verwischen. Durch den vorherrschenden Beeinträchtigungsbegriff und die Folgenbeseitigung als von der herrschenden Meinung anerkannte Rechtsfolge werde die Ordnungsfunktion von § 1004 BGB verkannt.1001 Genau wie die Spezialregelung in § 985 BGB diene auch § 1004 BGB als Grundtatbestand allein der künftigen Rechtsverwirklichung.1002 Der negatorische Beseitigungsanspruch setze wie die Vindikation einen gegenwärtig andauernden Zustand voraus, der dem Inhalt der Rechtsposition widerspreche, weil er den Rechtsinhaber an der Ausübung seines Rechts hindere. Haftungsgrund sei in beiden Fällen die „faktische Usurpation fremder Rechte“1003. Die Beseitigung ziele darauf, die volle Rechtsherrschaft wiederherzustellen, indem die faktische Überlagerung der Rechtskreise beendet und dem Rechtsinhaber die ihm ausschließlich zustehenden Freiheiten wieder eingeräumt würden.1004 Ziel der Negatoria sei die Abschöpfung desjenigen, was der Störer rechtswidrig an fremder Rechtsmacht innehabe und der Rechtsinhaber sich nicht selbst – ohne seinerseits rechtswidrig zu handeln – wieder beschaffen könne.1005 Dieser grundlegende Unterschied zur herrschenden Meinung wird jedoch hinsichtlich des Widerrufs ehrverletzender Äußerungen teilweise relativiert. Auf dem Boden der Usurpationstheorie wird vertreten, dass dann, wenn der Schuldner an seiner ursprünglichen Aussage nicht festhalte, er zwar nicht gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Widerruf gezwungen werden könne, weil keine fortdauernde 1000 Grundlegend Picker, Beseitigungsanspruch, passim; ders., AcP 183 (1983), S. 369 (513); ders., FG 50 Jahre BGH, Bd. I, 2000, S. 693 (748 ff); ders., FS Bydlinski, S. 269 (290 ff); Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB, Rn. 4 ff sowie Rn. 135 ff; ders., JR 1989, S. 397 ff; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1256 ff; Lobinger, JuS 1987, S. 981 (982 ff); Altenhain, S. 61 ff m.w.N. 1001 Siehe Picker, FS Bydlinski, S. 269 (280): „[D]er unvermeidliche rechtssystematische Schluß [der h.M.], § 1004 erfülle im BGB als ein um das Verschulden verkürzter § 823 noch einmal dessen Ordnungsfunktion, offenbart das verfehlte dogmatische Fundament dieser Sicht“. 1002 Siehe Picker, FS Bydlinski, S. 269 (292): „[D]ie vom BGB in § 1004 geregelten Abwehransprüche [erweisen sich] als das erwähnte Derivat des dinglichen Herausgabeanspruchs“. 1003 Siehe Picker, FS Bydlinski, S. 269 (309); ders., Beseitigungsanspruch S. 50, 82. 1004 Picker, Beseitigungsanspruch, S. 50: „Die negatorische Haftung tritt nur ein, wenn ein Dritter der Verwirklichung des geschützten Rechts im Wege steht; sie setzt deshalb voraus, dass die von Rechts wegen gegeneinander abgegrenzten Rechtskreise einander überlagern, sodass der tatsächliche Herrschaftsbereich beider Beteiligten dem vom Recht bestimmten Umfang nicht mehr entspricht, der Berechtigte vielmehr, soweit und solange die Grenzverschiebung seine Herrschaftsmacht einschränkt, faktisch zu Gunsten des Gegners enteignet ist, der in den fremden Eigentumsraum übergreift“. 1005 Siehe Lobinger, JuS 1987, S. 981 (983): „abschöpfende Funktion“.
C. Das negatorische Schutzrecht
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Rechtskreisüberlagerung mehr bestünde. Andererseits sei es aber richtig, einen verschuldensunabhängigen Widerrufsanspruch anzunehmen, da der Verletzte sein Recht niemals selbst reparieren könne, sondern er immer auf den Äußernden angewiesen sei.1006 Andere Vertreter der Usurpationstheorie halten demgegenüber einen Widerruf ehrverletzender unwahrer Behauptungen aufgrund von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog für möglich.1007 Wenn der Äußernde seine Ansicht aufgegeben habe, so sei zwar das Ansehen und der Ruf des Rechtsinhabers nicht mehr von den Rechten des Äußernden überlagert. Eine Rechtsusurpation bestehe aber noch insoweit, als der Äußernde ohne den Widerruf immer noch das fremde Recht auf Selbstdarstellung besetzt halte. Erst durch die ausdrückliche Zurücknahme der unrichtigen Behauptung werde das Recht auf Selbstdarstellung, das seinerseits im Persönlichkeitsrecht wurzele, wieder frei.
IV. Die Negatoria in den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen 1. Die Bedeutungslosigkeit eines Anspruchs auf Widerruf Der im Rahmen der Medienfälle zentrale Anspruch auf Widerruf einer ehrenrührigen Behauptung spielt in den Diskriminierungsfällen keine Rolle. Denn ein solcher Widerruf ist überhaupt nur dann möglich, wenn es sich um eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung handelt. Beleidigende Werturteile sind eines Widerrufs nach nahezu einhelliger Meinung aber nicht zugänglich.1008 Auch die Ansicht, die für den Widerruf auf die Usurpation des Rechts auf Selbstdarstellung abstellt, stützt sich maßgeblich auf die Unwahrheit der Behauptung.1009 Wahr oder unwahr können jedoch immer nur Tatsachenbehauptungen, nicht aber Werturteile sein. Bei dem Verbot rechtswidriger Diskriminierungen geht es nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen, sondern um negative Wertungen, die mit einem bestimmten Merkmal verbunden werden. Insbesondere der Unterscheidungs- und Auswahlprozess im Einstellungsverfahren beruht maßgeblich auf einer Bewertung der Persönlichkeiten der Bewerber. Für diese Bewertung mag zwar die Annahme wahrer oder unwahrer Tatsachen eine Rolle spielen. Das Unrecht einer rechtswidrigen
1006
Rn. 13. 1007
Siehe Picker, Beseitigungsanspruch, S. 89 f; Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB,
Siehe Altenhain, S. 104 ff. MüKo-BGB/Rixecker, 2006, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 207; BeckOK-BGB/Bamberger, Stand: 1. 5. 2010, § 12 BGB, Rn. 209; krit. Erman/Ehmann, 2008, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 335 f. 1009 Siehe Altenhain, S. 103 f; der pauschale Titel („Negatorischer Ehrschutz“) täuscht insoweit, geht es inhaltlich doch nur um den negatorischen Schutz der Ehre vor unwahren Tatsachenbehauptungen. 1008
392
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Ablehnungsentscheidung als deliktische Handlung besteht aber immer im Vergleich von Bewerbern anhand eines verbotenen Merkmals und damit in einer Wertung. 2. Verbleibende Anwendungsbereiche Der praktisch bedeutendste Anwendungsbereich von § 1004 BGB bei zivilrechtlichen Ehrverletzungen, der Widerruf, spielt damit in den Diskriminierungsfällen keine Rolle. Insgesamt dürften Sachverhaltskonstellationen, in denen es um die Beseitigung oder Unterlassung einer Beeinträchtigung des durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Rechts geht, in der Praxis seltener vorkommen als schadensrechtliche oder auch bereicherungsrechtliche Konstellationen.1010 Gleichwohl gibt es durchaus Fälle, die sich als fortdauernde Beeinträchtigungen einordnen lassen und in denen der Betroffene folglich über die Negatoria sein Anspruchsziel erreichen kann. a) Anspruch auf Unterlassung analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB Der Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB richtet sich im Bereich des allgemeinen Ehrschutzes nicht lediglich gegen Tatsachenbehauptungen, sondern auch gegen Werturteile.1011 Eine bevorstehende rechtswidrige Benachteiligung kann der Merkmalsträger entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB abwehren. Insbesondere kann er versuchen, eine drohende diskriminierende Einstellungsoder Beförderungsentscheidung mit einem Unterlassungsanspruch abzuwehren. Liegen objektiv starke Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine zu treffende Entscheidung unzulässig von einem verbotenen Kriterium motiviert sein wird, so ist vorbeugender Rechtsschutz zu gewähren, um das Eindringen in den Rechtskreis des Bewerbers zu verhindern. Derartige Anhaltspunkte werden insbesondere in denjenigen Fällen anzunehmen sein, in denen Indizien im Sinne von § 22 AGG für eine spätere Ungleichbehandlung aufgrund eines verbotenen Motivs vorliegen. Neben unter Verstoß gegen § 11 AGG verfassten Stellenanzeigen1012 betrifft dies hauptsächlich diskriminierende Äußerungen des Arbeitgebers („Ich stelle grundsätzlich keine Marokkaner ein.“1013) sowie die bereits erwähnten Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften des § 81 Abs. 1 SGB IX bei der Einstellung von Schwerbehinderten. Durch Beibringung derartiger Tatsachen kann die hinreichende Ge-
1010
Vgl. Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 15 AGG, Rn. 6: „[I]n der arbeitsrechtlichen Praxis keine erhebliche Bedeutung“. 1011 Siehe BeckOK-BGB/Bamberger, Stand: 1. 5. 2010, § 12 BGB, Rn. 217. 1012 Vgl. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 21 AGG, Rn. 38 für diskriminierende Zeitungsanzeigen als Indiz einer Verletzungsgefahr im Rahmen von § 21 Abs. 1 Satz 2 AGG. 1013 Vgl. EuGH, 10. 7. 2008, C-54/07, NZA 2008, S. 929 ff (Feryn).
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fahr1014 einer Rechtsverletzung bei einer bevorstehenden Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung dargelegt und ein Unterlassungstitel erstritten werden. Dabei ist nochmals darauf hinzuweisen, dass diese Indizien vor der eigentlichen Einstellungsentscheidung lediglich auf eine drohende Rechtsverletzung hindeuten, zu diesem Zeitpunkt aber noch keine akute Rechtsverletzung vorliegt. Insbesondere stellt die diskriminierend verfasste Stellenanzeige selbst keine „Behandlung“ im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG dar.1015 Da das Ziel des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs allein die Verhinderung des Eindringens in den geschützten Rechtsraum und der damit verbundenen Rechtsverletzung ist, kann nicht schon gegen das vorgelagerte Schalten einer diskriminierenden Anzeige oder gegen die allgemeine Äußerung über eine diskriminierenden Einstellungspraxis vorgegangen werden. Erst wenn die konkrete Bewerbung eines betroffenen Merkmalsträgers vorliegt, können die genannten Umstände als Indizien für die Gefahr einer Rechtsverletzung bei der anstehenden Entscheidung über die Bewerbung einen Unterlassungsanspruch stützen. Dieser ist darauf gerichtet, bei der Entscheidung über die Bewerbung den Anspruchssteller nicht aufgrund des Merkmals zu benachteiligen.1016 Eine wichtige Einschränkung ist jedoch bei der anschließenden Vollstreckung des Unterlassungstitels zu machen. Keinesfalls darf zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen das titulierte Handlungsverbot auf dieselben Indizien zurückgegriffen werden, die bereits die Rechtsverletzungsgefahr begründeten. Beispielsweise 1014
Dabei kann es sich sowohl um eine Erstbegehungs- als auch um eine Wiederholungsgefahr handeln. Anders als die Wortlaute von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB und § 21 Abs. 1 Satz 2 AGG glauben machen, muss der Rechtsinhaber keine Verletzung abwarten, um nachfolgende Verletzungen abwehren zu können. Er kann vielmehr bei hinreichenden Anhaltspunkten auch vorbeugend tätig werden, siehe bzgl. § 1004 BGB MüKo-BGB/Baldus, 2009, Rn. 134 und bzgl. § 21 AGG MüKo-BGB/Thüsing, 2007, Rn. 38. 1015 Siehe dazu bereits oben 4. Kap. A. II. 3. a) bb) a.E. 1016 Anders als im öffentlichen Recht im Rahmen von Art. 33 Abs. 2 GG bei der Ernennung von Beamten kann mit dem Anspruch aber nicht verhindert werden, dass ein konkurrierender Bewerber eingestellt wird. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, der zumeist zunächst im einstweilligen Rechtsschutz geltend gemacht wird, soll nämlich wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität verhindern, dass zu Lasten des nach Eignung und Befähigung besten Bewerbers die Stelle besetzt wird und dadurch unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden, siehe dazu und zu den neusten Entwicklungen im Bereich der öffentlich-rechtlichen Konkurrentenklage Schenke, NVwZ 2011, S. 321 ff. Zunächst gibt es diesen Grundsatz der Ämterstabilität im privaten Arbeitsrecht nicht. Viel wichtiger ist aber, dass ein Anspruch eines bestimmten Bewerbers auf Einstellung im privaten Arbeitsrecht nicht besteht. Der Arbeitgeber muss nicht den objektiv geeignetsten Bewerber einstellen, er kann vielmehr privatautonom die maßgeblichen Einstellungskriterien weitestgehend frei wählen und muss sich zudem nicht einmal konsequent an die einmal gewählten Kriterien halten, siehe oben 4. Kap. A. I. 1. b) ee). Da weder die Bewerber noch die Gerichte über die Auswahl der maßgeblichen Kriterien entscheiden, sondern einzig der Arbeitgeber, kann der einzelne Bewerber auch kein bestimmtes Einstellungsverhalten bezüglich anderer Bewerber einfordern. Er kann nur verlangen, dass ein ganz bestimmtes, in § 1 AGG genanntes und ihm anhaftendes Kriterium bei der Entscheidung über seine Einstellung nicht nachteilig berücksichtigt wird.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
kann eine lediglich in weiblicher Form gefasste Stellenanzeige einem männlichen Bewerber nicht sowohl zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs als auch im Falle der nachfolgenden Ablehnung der Bewerbung zur Darlegung einer Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel dienen. Dies gilt unabhängig davon, ob man die abermalige Verwendbarkeit desselben Indizes für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs wegen einer diskriminierenden Zurückweisung gemäß §§ 15 Abs. 2, 22 AGG bejaht oder, wofür meines Erachtens durchaus gute Argumente sprechen,1017 verneint. Denn selbst wenn man dasselbe Indiz sowohl zur Substantiierung des Unterlassungsanspruchs (bezüglich der Gefahr einer Benachteiligung) als auch des Entschädigungsanspruchs (bezüglich einer erfolgten Benachteiligung) akzeptiert, heißt dies noch lange nicht, dass man hinsichtlich einer Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel ebenso entscheiden muss. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Vollstreckung eines solchen Unterlassungstitels nicht mehr privatrechtlicher Natur ist. Die Ordnungsmittel des § 890 ZPO haben strafoder strafähnlichen Charakter. Sie sind vorrangig repressiver Rechtsnatur.1018 Das beizutreibende Ordnungsgeld kommt auch nicht dem Titelgläubiger, sondern vielmehr wie eine Geldstrafe der Staatskasse zugute.1019 Mit den strafrechtlichen Verfahrensgrundsätzen wäre es jedoch unvereinbar, dasselbe Verhalten sowohl zur Beschaffung eines Titels als auch zur Darlegung einer Zuwiderhandlung gegen denselben zu verwenden. Erforderlich ist vielmehr die Berufung auf Umstände, die sich nach der Titulierung ereigneten, um einen Verstoß gegen das Handlungsverbot darzulegen und zu beweisen. Dabei darf nicht auf § 22 AGG zurückgegriffen werden. Zwar leistet die Vorschrift wertvolle Dienste zur Überwindung der mannigfaltigen Erkenntnisschwierigkeiten im Bezug auf die privatrechtlichen Schutzansprüche, allen voran im Rahmen des Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG. Sie als Grundlage für die Anordnung von Ordnungsmitteln mit Strafcharakter zu verwenden, wäre jedoch mit der Unschuldsvermutung kaum in Einklang zu bringen.1020 1017 So könnte man durchaus annehmen, dass die Erwirkung eines Unterlassungstitels unter Rückgriff auf bestimmte Indizien (z. B. diskriminierende Stellenanzeige zur Darlegung der Beeinträchtigungsgefahr) eine Zäsur darstellt und für einen Entschädigungsanspruchs wegen einer nachfolgenden Zurückweisung andere (spätere) Indizien beigebracht werden müssen. Denn ein Unterlassungstitel mitsamt der Ankündigung von Ordnungsmitteln führt dem Titelschuldner – zumeist dem Arbeitgeber – die Unzulässigkeit eines bestimmten Verhaltens unmissverständlich und nachdrücklich vor Augen und wird deshalb regelmäßig einen Sinneswandel herbeiführen, auch wenn der Arbeitgeber vorher zu einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot entschlossen war (sei es aus verwerflichen Gründen oder einfach nur, weil er die Rechtslage hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe falsch beurteilt hatte). Insoweit lässt eine Tatsache wie eine diskriminierende Stellenanzeige, die zeitlich vor Ergehen des Unterlassungstitels auftrat, sich nicht mehr ohne Weiteres als hinreichendes Indiz für einen späteren Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot begreifen. 1018 Siehe MüKo-ZPO/Gruber, 2007, § 890 ZPO, Rn. 2. 1019 Siehe MüKo-ZPO/Gruber, 2007, § 890 ZPO, Rn. 38. 1020 Allerdings wird mitunter vertreten, dass im Einzelfall für die Zuwiderhandlung gemäß § 890 ZPO ein Anscheinsbeweis oder sogar eine Umkehr der Beweislast in Betracht komme,
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An die Darlegung einer Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel sind letztlich auch deshalb hohe Anforderungen zu stellen, weil andernfalls eine erhebliche Missbrauchsgefahr bestünde. Bewirbt sich etwa ein Bewerber auf eine lediglich in weiblicher Form verfasste Stellenanzeige und macht gleichzeitig (erfolgreich) einen Unterlassungsanspruch geltend, so entsteht ein enormer Druck auf den Arbeitgeber, gerade diesen Bewerber einzustellen. Denn im Falle der Zurückweisung droht ihm nicht nur eine Entschädigungszahlung, sondern darüber hinaus auch die Vollstreckung des Titels durch die Anordnung von Ordnungshaft oder Ordnungsgeld. Insoweit besteht die Gefahr, dass der Unterlassungsanspruch von einem Bewerber dazu eingesetzt wird, sich einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorteil gegenüber den anderen Bewerbern zu verschaffen und nicht lediglich dazu, eine drohende Benachteiligung abzuwenden. Zwar ist zuzugeben, dass auch befürchtete Schadensersatzansprüche (§ 15 AGG) im Einzelfall dazu führen können, dass der Arbeitgeber einen Merkmalsträger bei der Einstellungsentscheidung nunmehr sogar bevorzugt und nicht bloß gleichwertig behandelt.1021 Die Ordnungsmittel bei Zuwiderhandlung gegen einen Unterlassungstitel erreichen jedoch eine gänzlich andere Dimension (Ordnungshaft; Ordnungsgeld in einer Höhe von bis zu 250.000 E) und würden bei der vorschnellen Bejahung der Vollstreckungsvoraussetzungen die vom Gesetz angestrebte gleichwertige Behandlung regelmäßig ins Gegenteil verkehren. b) Anspruch auf Beseitigung analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB Der Anspruch auf Beseitigung analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, um den es bei dem skizzierten Theorienstreit zwischen Usurpationslehre und herrschender Meinung primär1022 geht, kann in den Diskriminierungsfällen ebenfalls Bedeutung erlangen.
siehe MüKo-ZPO/Gruber, 2007, § 890 ZPO, Rn. 15. Dies erscheint angesichts des Charakters der Vorschrift als höchst zweifelhaft; ebenso KG 28. 9. 1990, 5 W 4639/90, GRUR 1991, S. 707 (707): „Der Vorschrift des § 890 ZPO kommt auch Strafcharakter zu und dem Strafverfahren sind Beweiserleichterungen fremd“. 1021 Dies ist einer der zahlreichen rechtpolitischen Einwände gegen den Entschädigungsanspruch des AGG, vgl. auch Adomeit, FS Westermann, S. 19 (23): „Ein Gesetz, das die vom Unternehmer getroffene Auswahl zugunsten des einen Kandidaten, notwendig unter Zurücksetzung aller anderen, missbilligt, kann aus logischen Gründen nicht Gleichbehandlung, nur Andersbehandlung fordern, nämlich eine andere Auswahl zu treffen, mit der Konsequenz, die Vertrauens- oder sogar schon Vertragsbeziehung zum positiv ausgewählten Bewerber zu zerstören“. 1022 Freilich bestehen auch hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs Meinungsunterschiede, vgl. Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB, Rn. 210. Diese wirken sich jedoch im Ergebnis weniger gravierend aus.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
aa) Kein Kontrahierungszwang Von vornherein abzulehnen sind jedoch Überlegungen, anhand des Beseitigungsanspruchs eine Pflicht zum Vertragsschluss zu konstruieren. Es entspricht der weit überwiegenden Ansicht zum arbeitsrechtlichen Teil des AGG, dass es einen Kontrahierungszwang auf Grundlage eines Beseitigungsanspruchs nicht geben kann.1023 Allerdings wird hierzu vornehmlich auf § 15 Abs. 6 AGG verwiesen, der nicht nur für den Schadensersatzanspruch gelte, sondern auch einem Kontrahierungszwang als Rechtsfolge eines Beseitigungsanspruchs analog § 1004 BGB entgegenstehe.1024 Ansonsten würde der Zweck von § 15 Abs. 6 AGG „ins Leere laufen“1025. Dies scheint für viele Autoren jedoch das einzige Argument zu sein, das gegen einen Kontrahierungszwang als Folge des Beseitigungsanspruchs spricht. Eine überwiegende Mehrheit entscheidet im Rahmen des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nämlich anders und bejaht hier einen Kontrahierungszwang aufgrund des negatorischen Beseitigungsanspruchs gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AGG.1026 Ohne die ausdrückliche Regelung in § 15 Abs. 6 AGG würden die Vertreter dieser Ansicht gewiss auch im Rahmen des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog beim arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbot einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Abschluss des aus ihrer Sicht rechtswidrig vorenthaltenen Vertrages bejahen.1027 Eine solche Sichtweise ist jedoch unzutreffend. § 15 Abs. 6 AGG hat bei der Beantwortung der Frage nach einem Kontrahierungszwang keine zentrale Bedeutung. Richtigerweise handelt es sich um eine rein deklaratorische Regelung.1028 Hinter ihr steht ein Leitprinzip des Privatrechts: die in der Privatautonomie wurzelnde Abschlussfreiheit und das hieraus folgende Willensdogma. Rechtskreiserweiternde Leistungspflichten sind danach nur dann möglich, wenn ein dahinge-
1023 v. Roetteken, AGG, April 2010, § 15 AGG, Rn. 117; Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 112; Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 15 AGG, Rn. 131; Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 15 AGG, Rn. 97; a.A. wohl Schiek/Kocher, 2007, § 15 AGG, Rn. 71, die § 15 Abs. 6 AGG ausdrücklich auf Schadensersatzansprüche aus § 15 Abs. 1 und 2 AGG beschränken will. 1024 Vgl. Adomeit/Mohr, 2007, § 15 AGG, Rn. 112: „Wegen § 15 Abs. 6 AGG ist der Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung nicht auf eine Pflicht zum Vertragsschluss gerichtet“. 1025 KR/Pfeiffer, 2007, § 15 AGG, Rn. 171. 1026 Wendt/Schäfer, JuS 2009, S. 206 (207); Däubler/Bertzbach/Deinert, 2008, § 21 AGG, Rn. 24 und 75 ff; Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, S. 21 ff; Wagner/Potsch, JZ 2006, S. 1085 (1098); Schmidt-Räntsch, NZM 2007, S. 6 (14); BeckOK-BGB/Wendtland, Stand: 1. 2. 2010, § 21 AGG, Rn. 13; a.A. Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 ff; Erman/ders., 2008, § 21 AGG, Rn. 15 ff; Jauernig/Jauernig, 2009, § 21 AGG, Rn. 3; Adomeit/Mohr, 2007, § 21 AGG, Rn. 6. 1027 Besonders deutlich wird dies bei Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 21 AGG, Rn. 6, die einen Kontrahierungszwang bei § 21 Abs. 1 Satz 1 AGG befürworten, da eine Regelung entsprechend § 15 Abs. 6 AGG fehle. 1028 Ebenso Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 (1496).
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hender Wille des Verpflichteten auszumachen ist.1029 Die zentralen Grundprinzipien des Privatrechts werden im AGG keinesfalls aufgegeben,1030 sondern lediglich zugunsten des Persönlichkeitsschutzes eingeschränkt. Bei dem verschärften Persönlichkeitsschutz geht es aber gerade nicht um die Gewährung von Teilhabe- und Entfaltungsschancen, die in einer Verpflichtung zum Vertragsschluss münden könnten. Denn derartige aus sich selbst heraus auf Rechtskreiserweiterung gerichtete Persönlichkeitsrechte gibt es im Verhältnis zwischen Privaten nicht. Lediglich als Rechtsreflex ist eine teilhaberechtliche Wirkung möglich.1031 Bezweckt ist einzig der Schutz vor Integritätsbeeinträchtigungen, die durch die rechtswidrige Zurückweisung aufgrund eines bestimmten Merkmals entstehen.1032 Einen Kontrahierungszwang kann es bereits aus diesem Grund nicht geben. Des Weiterem würde die Annahme eines Kontrahierungszwanges analog § 1004 BGB dem negatorischen Charakter des Anspruchs zuwiderlaufen. Ein Kontrahierungszwang wäre weit mehr als die Freigabe der usurpierten Rechtsposition und der damit verbundene Rückzug in den eigenen Rechtskreis. Die Pflicht zum Vertragsschluss würde vielmehr auf eine Erweiterung des fremden Rechtskreises und nicht nur auf dessen Verlassen zielen. Die Pflicht zum Abschluss des gewünschten Vertrages stellt deshalb keine bloße Beseitigung einer fortdauernden Störung der Rechtposition, sondern deren Vergrößerung dar.1033 Die Bejahung eines Kontrahierungszwangs gemäß § 1004 BGB würde bedeuten, dass das auf Rechtsverwirklichung zielende Schutzrecht über das zu verwirklichende Recht hinausgreift. Dies wäre mit der dienenden Funktion der Schutzrechte1034 nicht zu vereinbaren. Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung auch eine Pflicht zur Beseitigung der Folgen einer fremden Rechtsbeeinträchtigung aufgrund von § 1004 BGB anerkennt,1035 wäre der Kontrahierungszwang eine „überschießende Rechtsfolge“1036. 1029 1030
Rn. 7. 1031
Dazu bereits oben 1. Kap. C. I. Ebenso Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 (1497); Palandt/Grüneberg, 2010, § 21 AGG,
Siehe oben 3. Kap. B. VI. 2. c). Vgl. Erman/Armbrüster, 2008, § 21 AGG, Rn. 19: „Es geht nicht um die Verweigerung des Vertragsschlusses als solchen – sie steht aufgrund der Privatautonomie grds. jedermann frei […] –, sondern um die persönliche Herabwürdigung, die in dem an ein geschütztes Merkmal anknüpfenden Grund für jene Verweigerung liegt“. 1033 Gegen einen Kontrahierungszwang aufgrund von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog) auch Bydlinski, AcP 180 (1980), S. 1 (12 f); a.A. Wendt/Schäfer, JuS 2009, S. 206 (207): auch Busche, Kontrahierungszwang, S. 230 ff spricht sich grundsätzlich für die Möglichkeit eines Kontrahierungszwangs gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB aus, allerdings nur im Falle der qualifizierten Vertragsverweigerung. 1034 Siehe dazu oben 1. Kap. Fn. 235 ff. 1035 Statt vieler BeckOK-BGB/Fritzsche, Stand: 1. 8. 2010, § 1004 BGB, Rn. 58 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur; vgl. auch Schmidt-Räntsch, NZM 2007, S. 6 (14), der diese Grundsätze explizit auf § 21 Abs. 1 AGG übertragen will und daraus folgert: „Der Gesetzgeber hat […] mit § 21 Abs. 1 AGG einen eigenständigen Folgenbeseitigungsanspruch geschaffen“; siehe zum Theorienstreit bereits oben 4. Kap. C. III. 1032
398
4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
Denn auch die Pflicht zur Beseitigung der Folgen im fremden Rechtskreis bedeutet doch keinesfalls die damit einhergehende Pflicht zur Vergrößerung dieses Rechtskreises, zumindest dann nicht, wenn man mit dem Vorgesagten anerkennt, dass es keine Rechtskreise gibt, die aus sich selbst heraus auf eine Erweiterung durch Dritte gerichtet sind.1037 Nach alledem ist der herrschenden Meinung zwar in dem Ergebnis zuzustimmen, dass im arbeitsrechtlichen Teil des AGG ein Kontrahierungszwang als Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs nicht besteht. Dies resultiert jedoch nicht, wie allgemein angenommen, aus einer Übertragung von § 15 Abs. 6 AGG auf § 1004 BGB analog, sondern aus privatrechtlichen Grundprinzipien. bb) Gegenständliche Diskriminierungen Einen konkreten Anwendungsbereich hat der Beseitigungsanspruch zunächst im Fall gegenständlicher Diskriminierungen, wobei es sich dabei oftmals um Belästigungen gemäß § 3 Abs. 3 AGG handeln wird. Sind etwa auf der Toilette eines Betriebes oder sogar an Betriebsmitteln (Maschinen etc.) rassistische Schmierereien vorhanden, denen ausländische Arbeitnehmer täglich ausgesetzt sind, so ist der Arbeitgeber ihnen gegenüber verpflichtet, die Schmierereien analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entfernen,1038 und zwar völlig unabhängig davon, wer die Schmierereien angebracht hat. Ein dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten muss nicht vorliegen. Er haftet vielmehr aufgrund der Überlagerung seines Rechtskreises mit den Rechtskreisen der betroffenen Arbeitnehmer, die nicht selbst, ohne ihrerseits in das Eigentumsrecht des Arbeitgebers einzugreifen, die Schmierereien entfernen können. Aus diesem Grund ist eine fortdauernde Beeinträchtigung anzunehmen. Liegt eine reine Belästigung vor, so steht dem Arbeitgeber auch nur eine Form der Beseitigung zu, nämlich die Entfernung der diskriminierenden Inschriften oder Gegenstände. Problematisch sind jedoch die Fälle, in denen es nicht um Belästigungen, sondern vielmehr um Benachteiligungen geht, bei denen das Unrecht im Vergleich zur Behandlung anderer und nicht in der Handlung selbst liegt (§ 3 Abs. 1 und 2 AGG). Beispielhaft genannt sei hier der Fall eines Arbeitgebers, der in seinen Werkshallen 1036
So Armbrüster, NJW 2007, S. 1494 (1497). Vgl. Salzwedel, FS Jahrreiss, S. 339 (350): „Die Korrektur der Diskriminierung kann niemals dadurch erfolgen, daß der Zugang zu der privaten Einrichtungen [oder einem Vertrag] erzwungen wird. Denn dann würde der Betroffene mehr erhalten als ihm zusteht und der Diskriminierende plötzlich einer Leistungspflicht unterworfen, die ihm Verfassung und Gesetz nicht auferlegt haben“. 1038 Vgl. BAG, 24. 9. 2009, 8 AZR 705/08, NZA 2010, S. 387 ff: Die Beschriftungen „Scheiß Ausländer, ihr Hurensöhne, Ausländer raus, ihr Kanaken, Ausländer sind Inländer geworden“ waren zusammen mit Hakenkreuzen in den Toilettenräumen angebracht und zielten auf die gemäß § 1 AGG geschützten Merkmale der Rasse und der ethnischen Herkunft. 1037
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zum Ärger der islamgläubigen Belegschaftsteile eine Vielzahl gut sichtbarer Kruzifixe und weitere christliche Symbole anbringen lässt. Bekannt ist die Problematik aus dem öffentlichen Recht. Im Jahr 1995 hatte das BVerfG1039 ein bayrisches Gesetz, das die Anbringung von Kruzifixen in den Klassenzimmern staatlicher Schulen vorsah, wegen eines Verstoßes gegen die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt. Auf mögliche Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 oder 3 GG ging das Gericht dabei nicht ein. Soweit ersichtlich spielte auch in der nachfolgenden (hitzigen) Diskussion1040 weder der Gleichheitssatz noch die Diskriminierungsverbote eine Rolle. Dies wäre im Arbeitsrecht unter Geltung des AGG anders. Däubler1041 bezeichnet dies als „Privileg der Gleichheitsrechte“ im Arbeitsrecht. Gemeint ist damit der durch das AGG vermeintlich bewirkte Vorrang des Diskriminierungsschutzes vor den Freiheitsrechten. Das neue Gesetz schafft unmittelbare Verhaltenspflichten zwischen Privatpersonen.1042 Durch das Verbot ungerechtfertigter Ungleichbehandlung aufgrund bestimmter Merkmale ist Art. 3 Abs. 3 GG damit (teilweise) ins Privatrecht implantiert. Auf der anderen Seite sind die Freiheitsgrundrechte im privaten Arbeitsrecht weiterhin kein unmittelbar geltendes Recht. Sie wirken lediglich mittelbar über die Generalklauseln in die arbeitsrechtlichen Beziehungen hinein. Unmittelbar an Art. 4 Abs. 1 GG kann der arbeitsrechtliche Kruzifix-Fall deshalb nicht gemessen werden.1043 Für Däubler entsteht hierdurch tatsächlich ein Vorrang der Gleichheitsrechte vor den Freiheitsrechten im Arbeitsrecht. Wäre dies zutreffend, so würde dies eine Umkehrung der Verhältnisse im Vergleich zum öffentlichen Recht darstellen. Dort stehen die Freiheitsrechte eindeutig im Vordergrund, was sich bereits darin ausdrückt, dass sie in der Grundrechtsprüfung nach einhelliger Meinung vor den Gleichheitsrechten geprüft werden.1044 Den aus seiner Sicht durch das AGG entstandenen Vorrang der Gleichheitsrechte im Arbeitsrecht sieht Däubler allerdings
1039 BVerfG, 16. 5. 1995, 1 BvR 1087/91, NJW 1995, S. 2477 ff; zum gleichen Ergebnis gelangte vor kurzem der EGMR, 3. 11. 2009, Az. 30814/06, BeckRS 2010, 90137 anhand der EMRK in dem Fall staatlich angeordneter Kruzifixe in italienischen Schulen; ein guter Vergleich der beiden Urteile findet sich bei Augsberg/Engelbrecht, JZ 2010, S. 450 (454 ff). 1040 Vgl. dazu Czermak, NJW 1995, S. 3348 ff sowie Stricker, NJW 1996, S. 440 f. 1041 Däubler, GS Zachert, S. 227 (227). 1042 Damit wird gleichzeitig ein subjektives Privatrecht in Form eines verschärften Persönlichkeitsrechts zugewiesen, siehe oben 3. Kap. B. I. 2. a). 1043 Ausweislich des (nachgebesserten) Leitsatzes des BVerfG-Beschlusses war gerade entscheidend, dass das von Staats wegen erzwungene, staatlich angeordnete „Lernen unter dem Kreuz“ gegen Art. 4 Abs. 1 GG verstieß, siehe Stricker, NJW 1996, S. 440 (441); wobei dies nach Ansicht Flumes, NJW 1995, S. 2904 f nicht hinreichend in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kam; a.A. Stricker, a.a.O. 1044 Statt aller Schmalz, Rn. 359; vgl. zur „Präponderanz der Freiheit“ auch Maunz/Dürig/ Dürig/Scholz, 2010, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 120 ff.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
kritisch.1045 Freilich zielt seine Kritik nicht auf das neue Gesetz, sondern dient im Gegenteil als Argument dafür, den Schutz der Freiheitsrechte im Arbeitsrecht dem bereits erhöhten Schutzniveau der Gleichheitsrechte anzupassen. Tatsächlich statuiert das AGG nach hiesigem Verständnis aber keinen besseren Schutz der Gleichheitsrechte im Vergleich zu den Freiheitsrechten. Vielmehr liegt eine Besserstellung des hinsichtlich bestimmter Merkmale im Arbeitsrecht verschärften Persönlichkeitsrechts als Freiheitsrecht gegenüber anderen Freiheitsrechten vor.1046 Es geht um das Verbot von Übergriffen in den Rechtskreis der Arbeitnehmer bzw. Bewerber durch die ungleiche Behandlung. Insoweit ist es allerdings tatsächlich zutreffend, dass Fälle wie der obige Kruzifix-Fall im Arbeitsrecht nunmehr vorrangig unter diesem Aspekt zu betrachten sind. Es geht folglich nicht darum, ob die negative Religionsfreiheit der islamgläubigen Arbeitnehmer durch das Aufhängen der Kruzifixe verletzt ist. Insbesondere kann die bloße Anbringung der Kruzifixe auch nicht als Belästigung gemäß § 3 Abs. 3 AGG gewertet werden, weil hierdurch kein durch „Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ geschaffen wird und auch die erforderliche Würdeverletzung nicht vorliegt. Andererseits ist für § 3 Abs. 1 und 2 AGG eine solche Würdeverletzung gerade nicht erforderlich,1047 so dass ihr Fehlen einer Einordnung des Sachverhalts unter diese Vorschriften nicht entgegensteht. Man wird des Weiteren durchaus annehmen können, dass im Beispielsfall die islamgläubigen Arbeitnehmer wegen ihrer Religion schlechter behandelt werden als die christlichen Arbeitnehmer. Sie sind anders als die christlichen Arbeitnehmer während ihrer Anwesenheit in den Werkshallen dauerhaft fremden religiösen Symbolen ausgesetzt. Eine Ungleichbehandlung gemäß § 3 Abs. 1 AGG in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) liegt damit vor. Die entscheidende Frage ist damit, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Selbst wenn man dabei die Grundrechte des Arbeitgebers (Art. 4, 12, 14 GG) in die Auslegung einbezieht, dürfte es schwierig werden, die engen Voraussetzungen der Rechtfertigung einer unmittelbaren Ungleichbehandlung (§§ 8 ff AGG) zu bejahen. Insbesondere wird eine „wesentliche und entscheidende beruflichen Anforderung“ kaum angenommen werden können. Eine abschließende Beantwortung
1045 Siehe Däubler, GS Zachert, S. 227 (237 f): „Auch weiter entwickelte Gleichheitsrechte können Freiheitsrechte nicht ersetzen. Diese dürfen […] am Arbeitsplatz nicht zu Grundrechten zweiter Klasse werden. […] [Freiheitsrechte] weniger zu schützen als Gleichheitsrechte, kann in einer demokratischen Gesellschaft nicht akzeptiert werden“. 1046 Siehe auch oben zum Verständnis des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutzes als Integritätsschutz 2. Kap. A. I.; vgl. auch Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (950): „Schon der Titel des Gesetzes [AGG] ist befremdlich, denn es behandelt nicht Art. 3 I GG oder den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, konkretisiert vielmehr ausschließlich diskriminierende Benachteiligungsverbote im Arbeits- und Zivilrecht, die ihrerseits starke Elemente des Persönlichkeitsschutzes einbringen“. 1047 Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa) (1).
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dieser Frage würde jedoch einer genaueren Untersuchung der Rechtfertigungsgründe bedürfen, die in dieser Arbeit bewusst unterblieben ist.1048 Verneinte man jedoch eine Rechtfertigung, wofür vieles spricht, so würde ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot und somit eine Rechtsverletzung vorliegen. Diese Rechtsverletzung würde sich auch als gegenwärtige und fortdauernde Beeinträchtigung im Sinne von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog darstellen, weil die betroffenen Arbeitnehmer rechtmäßige Zustände nicht einseitig ohne Eingriff in den Rechtskreis des Arbeitgebers herstellen könnten. Andererseits wäre es jedoch Sache des Arbeitgebers zu entscheiden, wie er die Überlagerung der Rechtskreise aufheben und damit rechtmäßige Zustände herstellen will. Denn wie der Beseitigungspflicht nachgekommen wird, entscheidet im Rahmen von § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ganz allein der Störer.1049 Wird die fortdauernde Rechtsverletzung aber gerade durch eine Ungleichbehandlung bewirkt, so bestehen regelmäßig zumindest zwei Möglichkeiten, rechtmäßige Zustände herzustellen. Im Beispielsfall kann der Arbeitgeber entweder die Kruzifixe und sonstigen christlichen Symbole wieder entfernen. Oder er gestattet den islamgläubigen Beschäftigten, eigene religiöse Symbole neben den christlichen Symbolen anzubringen. Beides würde die spezifische Rechtsverletzung beseitigen.1050 Schwieriger ist die Frage nach dem Anspruchsinhalt, wenn ein atheistischer Arbeitnehmer Gleichbehandlung einfordert. Man könnte argumentieren, dass in Ermangelung atheistischer Symbole1051 dann eben nur eine Möglichkeit der Gleichbehandlung, nämlich das Abhängen der Kreuze, besteht. Andererseits könnte man hiergegen einwenden, dass der Atheist dann im Ergebnis die Freiheit von fremden religiösen Symbolen und damit seine negative Religionsfreiheit einfordern könnte, obwohl ihm nach dem Inhalt der Rechtsposition nur Gleichbehandlung zustehen soll. Der Grund für diesen Vorteil im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, etwa den Muslimen, besteht aber gerade in der Symbollosigkeit der atheistischen Weltanschauung. Man könnte nun durchaus in Erwägung ziehen, dass der Atheist 1048
Siehe oben 4. Kap. A. II. 3; Man könnte erwägen, dass eine rechtswidrige Benachteiligung dann ausscheidet, wenn sich das Aufhängen der Kruzifixe als reines Bekenntnis des Arbeitgebers darstellt. Allerdings wird man in diesem Fall kaum das Vorliegen einer Benachteiligung verneinen können, da das Handeln in Ausübung der Religionsfreiheit an der tatbestandlichen Ungleichbehandlung nichts ändert. Eine Auslegung der Rechtfertigungsgründe im Lichte von Art. 4 Abs. 1 GG könnte jedoch u. U. die Rechtswidrigkeit entfallen lassen. 1049 Siehe Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB, Rn. 147 sowie Picker, Beseitigungsanspruch, S. 170; unrichtig und ohne Begründung deshalb v. Roetteken, Stand: April 2010, § 15 AGG, Rn. 118: „Ansprüche aus § 1004 BGB enthalten kein Ermessen des Störers, wie er die Störung, den Eingriff, die Ungleichbehandlung beseitigt“. 1050 Näheres dazu sogleich. 1051 Dem Verfasser sind zumindest keine bekannt. Sollten adäquate Symbole existieren, stellt sich das Problem nicht.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
dann eben das Risiko dieser Symbollosigkeit trägt. Denn statt der Freiheit vor fremden religiösen Symbolen kann er nur verlangen, dass er nicht im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern religiösen Symbolen ausgesetzt ist, ohne dass sein eigenes Symbol darunter ist. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist dann aber mangels atheistischer Symbole unmöglich. cc) Vorenthalten von Leistungen Auch das Aufrechterhalten einer diskriminierenden (Sonder-)Vergütungsordnung kann zu einem Beseitigungsanspruch der benachteiligten Arbeitnehmer gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog führen. Ein Beispiel wäre der Fall eines Arbeitgebers, der den männlichen Beschäftigten beim Mittagstisch in der Kantine täglich einen kostenlosen Nachschlag gewährt, den weiblichen Beschäftigten dies jedoch verweigert, weil diese „ja nicht soviel brauchen“. Oder der (realistischere) Fall eines Arbeitgebers, der den monatlich gezahlten Familienzuschlag allen in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft lebenden Arbeitnehmern vorenthält, auch wenn diese Kinder zu versorgen haben.1052 Die derart Benachteiligten können die Beseitigung der diskriminierenden Vergütungsstrukturen gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog verlangen. Durch die in kurzen Abständen (täglich, monatlich) regelmäßig wiederkehrenden Leistungsgewährungen wird ein fortdauernder Zustand rechtswidriger Beeinträchtigungen geschaffen, wobei die Grenze zum Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog hier fließend ist. Dies ist jedoch auch im originären Anwendungsbereich von § 1004 BGB keine Seltenheit.1053 Letztlich muss aber auch bei dem Vorenthalten von Leistungen gelten, was bereits bei den gegenständlichen Benachteiligungen angesprochen wurde: Der Arbeitgeber hat grundsätzlich die Wahl, wie er die Störung beseitigen will. Dies wird bei diskriminierenden Vergütungsstrukturen in der Literatur allerdings mehrheitlich1054 bestritten und pauschal eine Anpassung „nach oben“1055 verlangt, 1052
Siehe zur Benachteiligung eingetragener Lebenspartner in der Hinterbliebenenversorgung, BAG, 15. 9. 2009, 3 AZR 294/09, NZA 2010, S. 216 ff. 1053 Siehe Staudinger/Gursky, 2006, § 1004 BGB, Rn. 136 zu dem Fall der actio negatoria gegen ein störendes Handeln des Anspruchsgegners: „Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 und der Unterlassungsanspruch rücken hier ganz eng zusammen, ja sie gehen fast nahtlos ineinander über“. 1054 Siehe Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 46 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 16; Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a; Löwisch, DB 2006, S. 1729 (1731 f); v. Roetteken, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 47; Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 7 AGG, Rn. 47 ff – einschränkend jedoch hinsichtlich Benachteiligungen durch Altersstufen in Tarifverträgen; a.A. Bauer/Krieger/ Göpfert, 2008, § 7 AGG, Rn. 25 f; Adomeit/Mohr, 2007, § 8 AGG, Rn. 117. 1055 Vgl. Krebber, EuZA 2009, S. 200 (207 f), der zutreffend darauf hinweist, dass gar nicht in allen Fällen mit Sicherheit bestimmt werden kann, was eine Angleichung „nach oben“ und
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also eine Besserstellung der bisher ausgegrenzten Arbeitnehmer. Auch die Rechtsprechung, sowohl vor Inkrafttreten des AGG im Bereich der Geschlechterdiskriminierungen als auch nach aktueller Rechtslage, tendiert überwiegend zu dieser Ansicht.1056 Die Diskussion wird dabei vornehmlich1057 im Rahmen von § 7 Abs. 2 AGG bei der Frage geführt, wie mit diskriminierenden Bestimmungen in Tarifverträgen umzugehen ist. Dies überrascht zunächst, regelt die Vorschrift an sich doch lediglich die Unwirksamkeit von gegen das Benachteiligungsverbot verstoßenden Regelungen und sagt über die weitere Rechtsfolge nichts aus. Auffällig ist dann auch, dass bei den meisten Autoren offenbleibt, woher der Anspruch auf Anpassung nach oben kommen soll. Wenn überhaupt dazu Stellung genommen wird, wird § 7 Abs. 2 AGG wenig überzeugend als Anspruchsgrundlage bemüht1058 oder pauschal behauptet, der Anspruch sei ein Erfüllungs- und kein Schadensersatzanspruch.1059 Auch die „Wertung von § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 2 AGG“1060 wird mitunter zur Anspruchsbegründung herangezogen. Als Argument für eine Anpassung nach oben dient primär der europarechtliche effet-utile-Grundsatz. Das Gemeinschaftsrecht verlange effektive Sanktionen bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot, was bei der Möglichkeit einer Anwas eine solche „nach unten“ ist und auch gar nicht in jeder Konstellation ein „unten“ und ein „oben“ gegeben ist. 1056 BAG, 10. 11. 2011, 6 AZR 481/09, juris, Rn. 22 ff: „Die Ungleichbehandlung kann nur durch eine Anpassung ,nach oben‘ beseitigt werden“; BAG, 15. 9. 2009, 3 AZR 294/09, NZA 2010, S. 216 (218): „Liegt […] eine nach dem AGG unerlaubte Benachteiligung vor, hat der betroffene Arbeitnehmer einen Anspruch auf das vorenthaltene Arbeitsentgelt“; ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 11. 9. 2008, 20 Sa 2244/07, NZA-RR 2009, S. 378 (381); LAG Hessen, 22. 4. 2009, 2 Sa 1689/08, NZA 2009, S. 799 ff; auch der EuGH, 7. 2. 1991, C-184/89, NVwZ 1991, S. 461 ff vertritt diese Ansicht; krit. dazu Adomeit/Mohr, 2007, § 8 AGG, Rn. 107; siehe zum Ganzen die zahlreichen Rechtsprechungsnachweise bei Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 39 ff. 1057 Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 58 sowie Schiek/Schmidt, 2007, § 7 AGG, Rn. 5 und Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen von Individualvereinbarungen nicht anderes gelten könne; allerdings wird überwiegend eine Verschärfung der Problematik bei Tarifverträgen wegen dem Erfordernis hinreichender Beachtung der Tarifautonomie gesehen, vgl. dazu auch die Vorlage des BAG, 20. 5. 2010, 6 AZR 319/09, NZA 2010, S. 768 (771 ff) an den EuGH sowie nachfolgend BAG, 10. 11. 2011, 6 AZR 481/09, juris, Rn. 22 ff. 1058 Schleusener/Suckow/Voigt, 2011, § 7 AGG, Rn. 47; zu § 612 Abs. 3 BGB (a.F.) ebenso BAG, 20. 8. 2002, 9 AZR 710/00, NZA 2003, S. 510 (511); a.A. Adomeit/Mohr, 2007, § 8 AGG, Rn. 105, wonach die Nichtregelung der Rechtsfolgen in § 7 Abs. 2 AGG nahelegt, dass der Gesetzgeber die alte Rechtsprechung nicht übernehmen wollte; auch für Gaul/Naumann, ArbRB 2007, S. 47 (48) spricht § 7 Abs. 2 AGG gegen eine generelle Pflicht zur Anpassung nach oben. 1059 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 18 – wobei der Rechtsgrund des Erfüllungsanspruchs nicht genannt wird; ähnlich BeckOK-Arbeitsrecht/Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 8 AGG, Rn. 17. 1060 BAG, 15. 9. 2009, 3 AZR 294/09, NZA 2010, S. 216 (218); BeckOK-Arbeitsrecht/ Roloff, Stand: 1. 12. 2010, § 8 AGG, Rn. 17.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
passung nach unten nicht gewährleistet sei.1061 Das Ziel der Europäischen Union sei schließlich gemäß Art. 151 AEUV (früher Art. 136 EGV) die Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, weshalb nur eine Anhebung des Vergütungsniveaus in Betracht komme.1062 Letztlich sei es im Regelfall auch „dogmatisch [!] schwierig“, die Ansprüche der Begünstigten einseitig und womöglich gar rückwirkend zu beseitigen.1063 Zu folgen ist dieser wohl herrschenden Ansicht aber nicht.1064 Für sich betrachtet nicht überzeugend ist zunächst die schlichte, aber im Bereich des AGG geradezu inflationär gebrauchte Argumentation mit dem effet-utileGrundsatz. Natürlich trifft es den Arbeitgeber härter und ist es abschreckender, wenn er generell eine Anpassung nach oben vornehmen muss. Allein dies stellt jedoch kein Argument dar, und zwar auch dann nicht, wenn man den Gedanken in schneidige Formulierungen verpackt wie „nicht soft law, sondern hard law wird [vom Europarecht] verlangt“1065. Auch die Argumentation mit Art. 151 AEUV überzeugt nicht. Das Ziel der Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen stellt nicht mehr und nicht weniger als einen allgemeinen Programmsatz dar. Zur Herleitung konkreter Rechtsfolgen hinsichtlich eines spezifischen Sonderproblems ist die Vorschrift kaum geeignet.1066 Zudem ist Art. 151 AEUV systematisch allenfalls zusammen mit Art. 157 AEUV zu lesen, der das Gebot gleichen Entgelts für Frauen und Männer festschreibt. Ein Zusammenhang mit den sonstigen Diskriminierungsverboten besteht aber nicht. Wenn überhaupt etwas aus dem Programmsatz des Art. 151 AEUV folgt, dann beschränkt auf den engen Bereich der Entgeltgleichheit der Geschlechter. Für andere Anwendungsbereiche, insbesondere auch für andere Merkmale, greift das Argument sicher nicht.1067 1061 MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 16; Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a; v. Roetteken, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 47; a.A. Krebber, EuZA 2009, S. 200 (205 ff), wonach sich der Rechtsprechung des EuGH zu den Anti-Diskriminierungsrichtlinien ein Gebot der Angleichung nach oben nicht entnehmen lasse. Eine solches sei nur für den Bereich der Entgeltgleichheit wegen des Geschlechts (Art. 157 AEUV) anzuerkennen, nicht aber für die sonstigen Ungleichbehandlungen. 1062 So bereits EuGH, 8. 4. 1976, Rs. 43/75, NJW 1976, S. 2068 (2086) (Defrenne II): „Insbesondere erlaubt es die Verknüpfung des Art. 119 EWGV [heute: Art. 157 AEUV] mit der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Wege des Fortschritts [heute: Art. 151 AEUV], den Einwand zurückzuweisen, daß dieser Artikel auf andere Weise als durch eine Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter befolgt werden könne“. 1063 Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a. 1064 Gegen eine generelle Pflicht zur Anpassung nach oben auch Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 7 AGG, Rn. 20 ff; Gaul/Naumann, ArbRB 2007, S. 47 (48); Adomeit/Mohr, 2007, § 8 AGG, Rn. 105; vgl. auch Schiek/Schmidt, 2007, § 7 AGG, Rn. 5. 1065 So MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 16. 1066 So auch Adomeit/Mohr, 2007, § 8 AGG, Rn. 107. 1067 Konsequent deshalb die Differenzierung von Krebber, EuZA 2009, S. 200 (208 f) basierend auf der Rechtsprechung des EuGH, siehe dazu bereits 4. Kap. Fn. 1061 f.
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Sieht man nicht die bloße Sanktionierung als Aufgabe des AGG, sondern vielmehr den Schutz des verschärften und konkretisierten Persönlichkeitsrechts, so ist eine Anpassung nach oben keinesfalls zwingend.1068 Die Rechtsverletzung liegt in der persönlichkeitsverletzenden Ungleichbehandlung aufgrund eines bestimmten Merkmals und eben nicht in dem Vorenthalten der Leistung selbst.1069 Es geht bei der Zuweisung der Rechtsposition nicht darum, bestimmten Merkmalsträgern ein gewisses Vergütungsniveau zu sichern, sondern einzig darum, sie vor beleidigenden Differenzierungen zu schützen. Aufgrund ihres Merkmals sollen sie nicht anders behandelt werden als „merkmalslose“ Beschäftigte. Der störungsfreie Zustand besteht damit einzig in der Gleichbehandlung. Die Rechtsposition stellt an das Niveau dieser Gleichbehandlung keinerlei Anforderungen. Die Argumentation v. Roettekens1070 aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz selbst ergebe sich die Pflicht zur Anpassung nach oben, weil „sein Inhalt […] darauf gerichtet [sei], keine schlechtere Behandlung als andere zu erfahren, also ebenso wie diese behandelt zu werden“, und deshalb den Benachteiligten „die ihnen vorenthaltenen Vorteile in dem Umfang zu gewähren [seien], wie sie den Begünstigten zufließen“, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass eine generelle Pflicht zur Anpassung nach oben letztlich nichts anderes bedeuten würde als eine Pflicht zur Rechtskreiserweiterung. Wegen des bereits mehrfach erwähnten Willensdogmas kann sich ein Anspruch auf Gütermehrung jedoch nicht aus der bloßen Verletzung einer Pflicht, noch dazu einer deliktischen, ergeben. Nach alledem ist es zweifellos möglich, die Beeinträchtigung des Rechts durch eine Anpassung nach oben oder nach unten zu beseitigen. Da es Sache des Störers ist, seinen Rechtskreis zu korrigieren und die Rechtskreisüberlagerung aufzulösen, kann er die Art der Beseitigung grundsätzlich frei wählen, solange er die Rechtskreisüberlagerung nur vollständig auflöst. Zu diesen rechtlichen Argumenten kommt ein praktischer Aspekt hinzu. Eine generelle Pflicht zur Anpassung nach oben würde in zahlreichen Fallkonstellationen zu fragwürdigen, wenn nicht sogar absurden1071 Konsequenzen führen. Wollte etwa ein Arbeitgeber allen über 60-jährigen Arbeitnehmern eine freiwillige Alterszulage in Höhe von 500 E jährlich gewähren und stellte sich heraus, dass hierin ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu sehen ist, so müsste der Arbeitgeber als Rechtsfolge der Ungleichbehandlung nun zwingend allen Arbeitnehmern die jähr1068
Siehe Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 7 AGG, Rn. 26; vgl. auch Dornbusch/Kasprzyk, NZA 2009, S. 1000 (1002), die die Pflicht zur Anpassung nach oben als „Bestrafung“ des Arbeitgebers bezeichnen. 1069 Vgl. MüKo-BGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 14: „Es geht um den eigenen Nachteil, nicht den Vorteil des anderen“. 1070 v. Roetteken, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 47. 1071 So Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 7 AGG, Rn. 29; vgl. auch Hanau, ZIP 2006. S. 2189 (2200): „radikale Lösung“ sowie Wiedemann, NZA 2007, S. 950 (953): „argumentum ad horrendum“.
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4. Kap.: Die arbeitsrechtlichen Schutzansprüche im AGG
liche Zulage zahlen.1072 Unberücksichtigt bliebe hierdurch die immense und kaum zu rechtfertigende Vergrößerung des Dotierungsrahmens.1073 Letztlich bleibt anzumerken, dass diese grundsätzliche Möglichkeit einer wahlweisen Beseitigung der Beeinträchtigung durch Angleichung nach oben oder nach unten dann nicht besteht, wenn der Arbeitgeber der begünstigten Gruppe den Vorteil gar nicht mehr entziehen kann. Ist die Alterszulage im letztgenannten Fall oder die Familienzulage bzw. der Anspruch auf kostenlosen Essensnachschlag in den eingangs genannten Beispielen für den Arbeitgeber nicht mehr ohne Weiteres zu beseitigen, etwa weil sein Freiwilligkeitsvorbehalt1074 oder Widerrufsvorbehalt unwirksam ist und auch eine Änderungskündigung gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 KSchG nicht durchgreifen würde,1075 so bleibt einzig die Anpassung nach oben. Dies ist jedoch ein völlig anderes Problem, das lediglich mittelbare Konsequenzen für den Beseitigungsanspruch hat. Keinesfalls darf das möglicherweise bestehende Unvermögen 1072 Fall nach Bauer/Krieger/Göpfert, 2008, § 7 AGG, Rn. 29 ff, die als Lösung eine Unterscheidung nach der Größe der benachteiligten Gruppe vorschlagen. Werde eine kleine Gruppe bevorzugt, erfolge eine Anpassung nach unten, andernfalls eine Anpassung nach oben; ähnlich Kamanabrou, RdA 2006, S. 321 (334); dies., NZA-Beilage 2006, S. 138 (143); ErfK/ Schlachter, 2011, § 7 AGG, Rn. 6: Gewährung einer Übergangsfrist zur Neuregelung, wenn eine große Gruppe benachteiligt wird; dagegen Meinel/Heyn/Herms, 2010, § 7 AGG, Rn. 43; Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a; v. Roetteken, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 47; das BAG, 20. 5. 2010, 6 AZR 319/09, NZA 2010, S. 768 (773 f) hat dem EuGH u. a. die Frage vorgelegt, ob die Einräumung einer Übergangsfrist zur Neuregelung für die Tarifvertragsparteien unionsrechtskonform wäre. 1073 In einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten bei einem Anteil über 60-jähriger von 5 % würden die Kosten von 25.000 E auf 500.000 E steigen; das Problem erkennt auch MüKoBGB/Thüsing, 2007, § 7 AGG, Rn. 14: „Mit einer Zuwendung nur an eine Arbeitnehmergruppe [hat der Arbeitgeber] eine bestimmte Kostenerwartung verbunden. Die Kosten aber können sich vervielfachen, wenn jüngere Arbeitnehmer den ältesten Arbeitnehmern, die Frauen den Männern gleichgestellt werden müssten“; das BAG, 20. 5. 2010, 6 AZR 319/09, NZA 2010, S. 768 (773) hat bezüglich der Rechtsfolgen einer potentiellen Diskriminierung durch Staffelung der Grundvergütung nach Lebensalter im BAT angemerkt, dass eine Anpassung nach (ganz) oben, d. h. auf die Endstufe der Grundvergütung „angesichts der überaus großen Anzahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten und der teilweise ganz erheblichen Vergütungsdifferenz zwischen den Lebensaltersstufen außergewöhnlich hohe Mehrkosten für die betroffenen Arbeitgeber zur Folge [hätte und dies] eine unangemessene finanzielle Belastung sein [könnte]“; auch das LAG Hessen, 22. 4. 2009, 2 Sa 1689/08, NZA 2009, S. 799 (803) erkennt die „enorme Steigerung des Volumens“ als Problem, ohne jedoch Schlüsse hieraus zu ziehen; krit. hierzu deshalb Dornbusch/Kasprzyk, NZA 2009, S. 1000 (1001); nach Ansicht v. Roettekens, GW 2007, § 7 AGG, Rn. 47 können die hohen Kosten per se kein Argument gegen eine Anpassung nach oben darstellen. 1074 Vgl. zur AGB-rechtlichen (Un)-Zulässigkeit eines solchen Vorbehalts, BAG, 30. 7. 2008, 10 AZR 606/07, NZA 2008, S. 1173 ff. 1075 Siehe zu den hohen Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Entgeltanpassung, Berkowsky, NZA-Beilage 2010, S. 50 (52 ff); in Fällen wie dem genannten Fall einer Alterszulage für die über 60-jährigen müsste man bei der Frage nach der sozialen Rechtfertigung einer Änderungskündigung m. E. nach auch die finanziellen Konsequenzen einer Anpassung nach oben für den Arbeitgeber in die Interessensabwägung einbeziehen, siehe dazu oben 4. Kap. Fn. 1073.
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des Arbeitgebers, eine einheitliche Behandlung auf dem niedrigeren Niveau herbeizuführen als Argument für eine generelle Anpassungspflicht nach oben herhalten. Wer derart argumentiert,1076 vermischt unzulässig zwei Problemkreise, die rein gar nichts miteinander zu tun haben.1077
V. Ergebnis Das negatorische Schutzrecht ist damit auch in den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen anzuerkennen. Konstruktiv lässt es sich auf § 1004 BGB analog oder § 21 Abs. 1 AGG analog stützen. Eine Herabwürdigung wird nicht verlangt. Es genügt vielmehr jeder Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Der im Bereich des allgemeinen Ehrschutzes zentrale Widerrufsanspruch hat in den Diskriminierungsfällen keine Bedeutung, weil es um eine verbotene Wertung und nicht um das rechtswidrige Verbreiten von Tatsachen geht. Praktische Bedeutung hat jedoch der Unterlassungsanspruch, der sich insbesondere auch gegen drohende Einstellungs- und Beförderungsdiskriminierungen richten kann. Bei der Vollstreckung des Anspruchs ist zu beachten, dass nicht auf dieselben Indizien sowohl zur Substantiierung der Gefahr einer Rechtsverletzung als auch der Rechtsverletzung selbst zurückgegriffen werden darf. Der Beseitigungsanspruch kann einen Kontrahierungszwang im Falle der Vertragsverweigerung nicht begründen. Allerdings kann er dazu dienen, gegenständliche Diskriminierungen als dauerhafte Beeinträchtigungen zu beseitigen. Darüber hinaus kommt ihm auch im Fall unzulässiger Vergütungsdifferenzierungen eine nicht unerhebliche praktische Bedeutung zu. Allerdings steht es dem Störer auch im Antidiskriminierungsrecht grundsätzlich frei zu entscheiden, wie er die Störung beseitigen will. Eine Rechtspflicht zur Anpassung nach oben besteht deshalb nicht, auch wenn dies in Einzelfällen der einzig gangbare Weg zur Aufhebung der Rechtskreisüberlagerung sein wird.
1076 Etwa Däubler/Bertzbach/Dette, 2008, § 7 AGG, Rn. 104a; LAG Hessen, 22. 4. 2009, 2 Sa 1689/08, NZA 2009, S. 799 (803); auch das BAG, 10. 11. 2011, 6 AZR 481/09, juris, Rn. 24 ff verkennt, dass es sich hier um unterschiedliche Probleme handelt. 1077 Vgl. Krebber, EuZA 2009, S. 200 (203 f): „Wie und unter welchen Voraussetzungen eine entsprechende Anpassung nach unten möglich ist, richtet sich […] abschließend nach dem mitgliedsstaatlichen Verfassungs-, Tarifvertrags- und Individualarbeitsrecht. Das Europarecht lässt diese Form der Anpassung zu, ermöglicht sie indessen nicht“.
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Ziel der Arbeit war es herauszufinden, inwieweit der arbeitsrechtliche Teil des AGG privatrechtlich denkbar ist und welche Konsequenzen sich aus einem solchen Verständnis des Gesetzes ergeben. Die wichtigsten der dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen im Folgenden thesenartig zusammengefasst werden: 1. Es ist weitestgehend möglich, das AGG privatrechtlich als Persönlichkeitsschutzgesetz zu begreifen. Die für ein privatrechtskonformes Verständnis erforderliche Zuweisung einer konkreten Rechtsposition wird insbesondere durch § 7 Abs. 1 AGG, aber auch durch die das Benachteiligungsverbot ergänzenden Vorschriften in §§ 1 – 3 sowie 6 ff AGG, bewirkt. Der Charakter von § 7 Abs. 1 AGG als Verhaltensverbot steht einer Einordnung als Rechtszuweisungsvorschrift nicht entgegen. Es handelt sich um einen bloßen rechtstechnischen Unterschied, der aus der fehlenden Möglichkeit resultiert, unkörperliche Rechtspositionen substantiell zu beschreiben.1 2. Bei der zugewiesenen Rechtsposition handelt es sich um keine völlig neuartige Position, sondern um eine Konkretisierung und Verschärfung des persönlichen Ehrschutzes im beruflichen Bereich. Die Verschärfung legitimiert sich aus der in mehrerlei Hinsicht überragenden Bedeutung abhängiger Beschäftigung für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen.2 3. Die Einwände gegen ein Verständnis des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz greifen nicht durch: a) So werden von den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsregeln zwar auch Fälle erfasst, die sich nach herkömmlichem Verständnis nicht als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen, weil nach der erforderlichen Interessensabwägung keine Herabwürdigung oder Diffamierung vorliegt (etwa bei mittelbaren Benachteiligungen sowie bei Benachteiligungen aus paternalistischen Motiven). Auch die für den Geldersatzanspruch erforderliche schwere Verletzung des Rechts sowie das schwere Verschulden werden oftmals fehlen. Allerdings steht es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative frei, das Persönlichkeitsrecht im Arbeitsrecht zulasten der Handlungsfreiheit, insbesondere der Vertrags- und Berufsfreiheit, auszuweiten. Auch wenn hierdurch zweifellos zentrale Eckpfeiler eines freiheitlichen Privatrechts berührt werden, so ist eine solche Verschiebung der Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsposition doch insoweit
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Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. Siehe oben 2. Kap. B. II. 1. sowie 3. Kap. B. I. 2. c).
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systemkonform, als es sich tatsächlich um Integritätsschutz und damit um einen privatrechtskonformen Regelungszweck handelt.3 Die Behauptung, es könne sich bei den Regelungen des AGG nicht um Persönlichkeitsschutz handeln, nur weil das verbotene Verhalten oftmals nicht die Schwere erreichen wird, die ansonsten (also ohne das verschärfende Gesetz) für Persönlichkeitsrechtsverletzungen verlangt wird, überzeugt nicht. Die Gründe für eine Verschärfung des Persönlichkeitsrechts im beruflichen Bereich bestehen in der besonderen Persönlichkeitsrechtsrelevanz von Arbeit sowie der vom Gesetzgeber angenommen Verbreitung diskriminierender Verhaltensweisen und der daraus folgenden Sensibilisierung bestimmter Gruppen, die besonders häufig kränkende Benachteiligungen erleiden. Diese speziellen Gründe rechtfertigen eine Höhergewichtung des Integritätsschutzes gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit. Der objektive Unwertgehalt einer Benachteiligung besteht dabei in der Diskrepanz zwischen dem Maß an in Anspruch genommener und gewährter Individualität durch den Benachteiligenden. Er will einerseits seine individuellen Präferenzen voll verwirklichen und bewertet anderseits sein Gegenüber nicht in einer Gesamtheit als Individuum, sondern sieht ihn lediglich als Repräsentant einer Gruppe, der er bestimmte negative Eigenschaften zuschreibt.4 b) Wegen des im Vergleich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht präzisierten Verlaufs der Grenze zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz bedarf es bei unmittelbaren Benachteiligungen keiner Interessenabwägung zur Feststellung einer Rechtsverletzung. Die Interessenabwägung stellt keine naturrechtliche Voraussetzung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Sie dient beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht vielmehr dazu, die mannigfaltigen Erkenntnisschwierigkeiten bei der Bestimmung des exakten Verlaufs der Grenze des geschützten Rechtsraumes zu überwinden und dadurch ein Ausufern der Rechtsposition zu verhindern. Diese Gefahr besteht jedoch nicht mehr, wenn die Rechtsposition, wie im AGG geschehen, umfassend beschrieben und konkretisiert wird. Das Risiko der Uferlosigkeit ist allerdings der Rechtsfigur der mittelbaren Benachteiligung (§ 3 Abs. 2 AGG) immanent, weil durch sie eine unbestimmte Vielzahl an verbotenen Differenzierungsgründen hinzukommt und zudem ein einziger Sachverhalt in vielerlei Hinsicht überprüfbar wird. Diese Gefahr hat der Gesetzgeber indes gesehen und in § 3 Abs. 2 AGG die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht bekannte Interessenabwägung als negatives Tatbestandsmerkmal in die Definition der mittelbaren Benachteiligung aufgenommen.5 c) Ebenfalls der Überwindung der zahlreichen Erkenntnis-, Bewertungs- und Beweisprobleme dienen beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Voraussetzungen einer schweren Rechtsverletzung sowie eines schweres Verschulden für den auf 3 4 5
Siehe oben 1. Kap. E. Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. c). Siehe oben 3. Kap. B. II. 2.
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Geld gerichteten Schadensersatzanspruch. Das AGG begegnet diesen Schwierigkeiten mit der Vermutung, dass als echte immaterielle Einbußen zu bezeichnende innere Wirkungen beim Zurückgewiesenen entstehen. Dabei ist die oftmals nicht hinreichende Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und immateriellem Schaden zu beachten: Die Rechtsverletzung steht mit einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unwiderlegbar fest. Ein immaterieller Schaden wird demgegenüber widerlegbar vermutet.6 d) Der Einwand, es könne sich im AGG schon deshalb nicht um Persönlichkeitsschutz handeln, weil das Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht durch vertragliche Regelungen nicht konkretisiert werden könne, zeugt von einem falschen Verständnis des vertraglichen Integritätsschutzes. Dieser ist an sich mit dem deliktischen Integritätsschutz vollkommen homogen, bedient sich nur unterschiedlicher Mittel zur Haftungsbegrenzung (absolutes Recht; Sonderverbindung). Es wäre zweifellos möglich, einem absoluten Recht in der Sonderverbindung einen erweiterten Schutz zukommen zu lassen. Dennoch handelt es sich nach vorzugswürdiger Ansicht nicht um eine Konkretisierung im vertraglichen Bereich, sondern um die Zuweisung einer absolut geschützten Rechtsposition. Dies resultiert aus dem Wortlaut der zentralen Grundnorm in § 7 Abs. 1 AGG und wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Zudem liegt in den praktisch bedeutsamen Fällen einer Bewerberdiskriminierung oftmals gar keine Sonderverbindung, auch nicht gemäß § 311 Abs. 2 BGB, vor. Letztlich spricht auch die historische Auslegung für ein deliktsrechtliches Verständnis. Demgegenüber können weder die missglückte Vorschrift in § 7 Abs. 3 AGG noch die Nennung des Arbeitgebers in § 6 Abs. 2 AGG und in § 15 Abs. 1 AGG diesen Befund erschüttern.7 e) Des Weiteren spricht auch die Beschränkung der Merkmale in § 1 AGG nicht gegen ein Verständnis des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz. Einerseits spricht zwar die Vielschichtigkeit und Individualität einer Persönlichkeit gegen die Erhebung bestimmter persönlicher Merkmale über andere. Andererseits lebt das Diskriminierungsrecht aber gerade von Selbstbeschränkungen und lässt sich zudem die Auswahl der in § 1 AGG genannten Merkmale durchaus begründen. Bei Beachtung der dem Gesetzgeber eingeräumten Einschätzungsprärogative bei der Schaffung der Substanzrechte ist der mit der Auswahl dieser Merkmale beschrittene (Mittel-)Weg nicht zu beanstanden, obwohl es im Einzelfall sicherlich zu Wertungswidersprüchen kommen kann. Die in Art. 21 EU-Charta angelegte Erweiterung der Diskriminierungsverbote hin zu einer Generalklausel ist jedoch kritisch zu betrachten. Eine solche Generalklausel sähe sich all jenen Einwänden ausgesetzt, die schon gegen die Anerkennung eines Rechts auf Arbeit erhoben wurden.8 6 7 8
Siehe oben 3. Kap. B. I. 2. d) sowie 4. Kap. A. I. 2. b) aa). Siehe oben 3. Kap. B. V. 2. Siehe oben 3. Kap. B. III. 3.
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f) Unvereinbar mit der Privatrechtsidee wäre es allerdings, dem AGG einen echten teilhaberechtlichen Zweck beizumessen. Substanzrechte sind aus sich heraus niemals auf Rechtskreiserweiterung gerichtet. Hierfür bedarf es vielmehr einer rechtsgeschäftlichen Legitimation (Willensdogma).9 Auch sonst hat das pivatrechtliche Persönlichkeitsrecht, anders als das ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete öffentlich-rechtliche Persönlichkeitsrecht, keine teilhaberechtliche Dimension. Entwicklungsgeschichtlich ging es immer nur um die Abwehr von Verletzungen der personalen Integrität. Im privaten Arbeitsrecht sind zwar durchaus auf Rechtskreiserweiterung gerichtete Rechtsinstitute anerkannt, die auf das Persönlichkeitsrecht gestützt werden ([Weiter-]Beschäftigungsanspruch etc.), auch dies aber nur im vertraglichen Bereich, weshalb eine rechtsgeschäftliche Erklärung dieser Institute weitgehend gelingt.10 Im außervertraglichen Bereich ist bei der Einschränkung des Fragerechts des Arbeitgebers eine teilhaberechtliche Wirkung des Persönlichkeitsrechts anerkannt. Aus dem primär bezweckten Integritätsschutz ergibt sich ein solcher Effekt, der in tatsächlicher Hinsicht in seiner Bedeutung für den Rechtsträger im Vordergrund stehen kann. Dieser Gedanke lässt sich auf die AGG-Regeln übertragen: Bezweckt ist danach Integritätsschutz, während der Teilhabe als bloßem Reflex in rechtlicher Hinsicht eine untergeordnete Bedeutung zukommt.11 4. Hieraus ergibt sich eine bedeutende Konsequenz für die Frage, worauf der Schadensersatzanspruch in § 15 Abs. 1 AGG abzielt. Ein Ersatz des positiven Interesses würde wirtschaftlich betrachtet einer Pflicht zur Rechtskreiserweiterung bzw. Güteraufstockung gleichkommen. Da ein diese Pflicht legitimierender Wille zumeist nicht vorliegt, wäre eine auf Teilhabe gerichtete Rechtsfolge systemwidrig; denn geschützt sind immer nur Substanzrechte und keine Rechtsreflexe. Daran ändern auch die Begrenzungsversuche der herrschenden Ansicht nichts. Eine außervertragliche Haftung auf das Erfüllungsinteresse ist nicht anzuerkennen. Zudem sprechen auch die historische Auslegung sowie die fehlende rechtliche und tatsächliche Bestimmbarkeit des „bestqualifizierten“ Bewerbers für einen Ersatz des negativen Interesses. Ein Ersatz des positiven Interesses ist auch europarechtlich nicht geboten. Weder die einschlägigen Richtlinien noch die Entscheidungen des EuGH schreiben vor, welche Sanktionen nationales Recht vorsehen muss. Insbesondere wird auch nicht vorgeschrieben, welcher Schaden bei Diskriminierungen entsteht und auszugleichen ist.
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Siehe oben 1. Kap. C. I. Siehe oben 2. Kap. B. II. 2. c). 11 Siehe oben 3. Kap. B. VI. 2.
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Gemäß § 15 Abs. 1 AGG ist deshalb allein das negative Interesse zu ersetzen. Es handelt sich um einen bloßen Anspruch auf Ersatz vermögensmäßiger Begleitschäden von untergeordneter praktischer Bedeutung.12 5. § 15 Abs. 2 AGG beinhaltet das auf Restitution gerichtete Schutzrecht des in § 7 Abs. 1 AGG zugewiesenen Substanzrechts. Die Vorschrift hat weder einen pönalen noch einen präventiven Zweck. Sie lässt sich vielmehr mit dem schadensrechtlichen Ausgleichsprinzip erklären. Auch das Europarecht verlangt keinen über den Schadensausgleich hinausgehenden Entschädigungsanspruch. Die von den Richtlinien und vom EuGH geforderte Abschreckungswirkung der Sanktionen gebietet lediglich die Überwindung der im Persönlichkeits- und speziell im Diskriminierungsrecht vorherrschenden mannigfaltigen Erkenntnis-, Bewertungs- und Beweisschwierigkeiten. Die präventive Wirkung wird durch den vollen Schadensausgleich unter Überwindung dieser rechtstatsächlichen Probleme (zusammen mit den anderen Schutzrechten) bewirkt. Der Anerkennung einer echten Präventivfunktion bedarf es entgegen einer weit verbreiteten Ansicht deshalb nicht.13 6. Eine Überwindung der Erkenntnisschwierigkeiten wird hauptsächlich durch die Vermutung eines immateriellen Schadens bewirkt. Bei privatrechtskonformem Verständnis muss diese Vermutung jedoch immer widerlegbar sein, wenn auch nur in besonderen Konstellationen.14 7. Legt man für die Bemessung des immateriellen Schadens einen am Ausgleichsprinzip orientierten Maßstab an und akzeptiert zur Überwindung der Erkenntnisprobleme dennoch all jene Kriterien, bei denen ein Bezug zur inneren Gefühlslage des Betroffenen denkbar ist, so ergibt sich Folgendes: Zulässige Kriterien sind danach der Verschuldensgrad, Art, Schwere und Grund der Benachteiligung, die Dauer und die Bedeutung der erstrebten Tätigkeit für den Betroffenen, die Folgen der Benachteiligung, insbesondere die (Un-) Wirksamkeit einer benachteiligenden Maßnahme sowie eine erfolgte Wiedergutmachung durch den Schädiger. Auch die (unter Umständen erst im Prozess) erkannte Einstellungswahrscheinlichkeit kann ein taugliches Bemessungskriterium für den immateriellen Schaden sein. Zu ihrer Bestimmung müssen aber alle sachlichen und unsachlichen Einstellungskriterien, wie sie vom Arbeitgeber privatautonom definiert werden, herangezogen werden, sofern es sich nicht um gemäß § 1 AGG unerlaubte Kriterien handelt. Letztlich bewegt sich auch die Anknüpfung an das Monatseinkommen für die Bestimmung der Entschädigungshöhe in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG wohl noch im Rahmen des gesetzgeberischen Regelungsspielraums, weil sich in der Lohnhöhe die individuelle Wertschätzung der beruflichen Fähigkeiten und das Zutrauen in sie ausdrückt und die Lohnhöhe als Messgröße für das Maß an ver12 13 14
Siehe oben 4. Kap. A. I. 1. b). Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. a) cc). Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) aa).
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weigertem Zutrauen deshalb nicht völlig willkürlich ist. Da die Regelung gleichwohl einen zweifelhaften Gerechtigkeitsgehalt hat, bietet sich de lege ferenda eine Änderung an. Demgegenüber kann entgegen der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Parteien genauso wenig zur Bemessung der Entschädigung herangezogen werden wie das „Abschreckungsbedürfnis“ oder die wiederholte „Tätereigenschaft“ des Benachteiligenden. Allenfalls die wiederholte „Opfereigenschaft“ des Beschäftigten kann Berücksichtigung finden.15 8. Subjektiv nicht ernsthafte Bewerber (AGG-Hopper) sowie objektiv ungeeignete Bewerber sind nicht anspruchsberechtigt. Dies ergibt sich aus einer teleologischen Reduktion der Rechtszuweisungsnormen. Scheinbewerber streben nicht nach Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeit, sondern die Versagung von Arbeit ist Grundlage ihres Gewerbes. Weder die innere noch die äußere Ehre ist bei Scheinberwerbern betroffen. Gleiches gilt bei objektiv ungeeigneten Bewerbern, wobei dies nur solche Bewerber sind, denen die nach der Verkehrsauffassung wesentlichen Voraussetzungen für die Stelle fehlen. Zumeist wird die fehlende objektive Eignung schon auf die subjektive Unernsthaftigkeit schließen lassen. Andernfalls liegt eine erhebliche Selbstüberschätzung vor, durch die der Umfang der eigenen Ehre nicht vergrößert werden kann. Nicht schlüssig ist es, wenn man mit der herrschenden Meinung eine der Abschreckung dienende echte Präventivfunktion bejaht und dennoch den nicht ernsthaften und/oder ungeeigneten Bewerbern einen Anspruch versagt.16 9. Der Angehörige der Minderheit innerhalb einer benachteiligten Gruppe bei der mittelbaren Diskriminierung (bspw. der alleinerziehende Mann) ist ebenfalls nicht anspruchsberechtigt. Dies ist eine unmittelbare Folge der Beschränkung der Merkmale in § 1 AGG. Erkennt man jedoch eine Präventivfunktion an, so ist die Anspruchsversagung wiederum kaum zu rechtfertigen.17 10. Bei der assoziierten Diskriminierung kommt als Anspruchsinhaber von vornherein nicht der Merkmalsträger, sondern nur der Beschäftigte in Betracht. Denn die Verschärfung der Ehrposition in § 7 Abs. 1 AGG hat ihren Grund in der besonderen Persönlichkeitsrelevanz abhängiger Beschäftigung. Die besseren Argumente sprechen zudem für die Bejahung eines solchen Anspruchs, wenn der Beschäftigte durch die Verbindung zur Gruppe vom Benachteiligenden wie ein
15 16 17
Siehe oben 4. Kap. A. I. 2. b) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 1. a) cc). Siehe oben 4. Kap. A.I I. 1. b) bb).
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Merkmalsträger behandelt wird und er wegen der Verbindung das Merkmal als eigenes empfindet. Dabei kann das familiäre Band nicht ausschlaggebend sein.18 11. Die Anspruchsberechtigung vermeintlicher Merkmalsträger (§ 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG) lässt sich privatrechtskonform widerspruchsfrei erklären. Der verbreitete Rückgriff auf die strafrechtliche Figur des untauglichen Versuchs ist dafür nicht nötig und birgt die Gefahr systemwidriger Fortentwicklungen des Diskriminierungsrechts in sich.19 12. Bewerber, die sich erst nach einer Stellenvergabe bewerben, sind nicht anspruchsberechtigt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber gegen besondere Verfahrensvorschriften (z. B. § 81 Abs. 1 SGB IX) verstoßen oder die Bewerbungsfrist unangekündigt verkürzt hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Feryn.20 13. Neben dem Arbeitgeber können auch externe Personalberatungsunternehmen, hinreichend mächtige Kunden sowie Beschäftigte der Personalabteilung das in § 7 Abs. 1 AGG zugewiesene Recht verletzen. Auch diese Gruppen können deshalb passiv legitimiert hinsichtlich der Schutzansprüche sein. In schadensersatzrechtlicher Hinsicht folgt ihre Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG (beim Kunden u. U. i.V.m. § 830 Abs. 2 BGB). Die Voraussetzungen dieser Haftung entsprechen weitgehend denen der Haftung des Arbeitgebers gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Angehörige der Personalabteilung können jedoch nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs beim Arbeitgeber Regress nehmen. Zudem haften diskriminierende Kunden als bloße mittelbare Schädiger, zumeist als Anstifter, nur unter bestimmten Voraussetzungen (hinreichende Mächtigkeit; gezielte Beeinflussung der Auswahlentscheidung; Fehlen legitimer Sachgründe). Wegen der weitgehenden Auswahl-, Aufsichts- und Organisationspflichten (§ 12 AGG) wird der Arbeitgeber regelmäßig neben dem Dritten haften. Ihm verbleibt jedoch die Möglichkeit, sich analog § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu exkulpieren. Die gegenteilige Lösung, die eine Alleinhaftung des Arbeitgebers annimmt und zur Kompensation eine umfassende Zurechnung von Drittverhalten zum Arbeitgeber befürwortet, verkennt den Umfang der Rechtszuweisung und führt zu einer nicht hinzunehmenden Schieflage der Haftung.21 14. Die (sexuelle) Belästigung gemäß § 3 Abs. 3 und 4 AGG stellt eine vollkommen anders geartete Benachteiligung dar, bei der ein systemkonformes Verständnis wesentlich leichter fällt als in den Fällen des § 3 Abs. 1 und 2 AGG.22 15. Insbesondere wegen der tatbestandlichen Interessenabwägung hat der Unterschied zwischen mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligung entscheidende 18 19 20 21 22
Siehe oben 4. Kap. A. II. 1. c) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 1. d). Siehe oben 4. Kap. A. II. 1. e) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 2. c). Siehe oben 4. Kap. A. II. 3. a) aa).
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Bedeutung. Abgrenzungskriterium ist die Homogenität der benachteiligten (nicht der bevorzugten) Gruppe.23 16. Die abstrakte Benachteiligungsgefahr stellt keine Benachteiligung dar.24 17. Es ist für eine Haftung ausreichend, wenn eines der in § 1 AGG genannten Merkmale Teil eines Motivbündels ist. Eine bestimmte Bedeutung des verbotenen Motivs wird für die Rechtsverletzung nicht verlangt, kann aber im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes Berücksichtigung finden.25 18. Eine Diskriminierungsabsicht ist keine Voraussetzung der Rechtszuweisung.26 19. Sowohl die Haftung für Vermögensschäden (§ 15 Abs. 1 AGG) als auch die Haftung für Nichtvermögensschäden (§ 15 Abs. 2 AGG) setzt ein Verschulden voraus. Es handelt sich in beiden Fällen um eine europarechtskonforme Haftung für vermutetes Verschulden. Weder die dem AGG zugrunde liegenden Richtlinien noch die Rechtsprechung des EuGH stehen dem entgegen. Die Richtlinien verlangen zwar wirksame und abschreckende Sanktionen. Indes sind wegen des objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstabes sowie der kumulativen Beweislastumkehr kaum Fälle denkbar, in denen eine Haftung am Verschulden scheitert. In den wenigen Fällen, in denen eine Exkulpation gelingt, wie beispielsweise bei der Anwendung diskriminierender Gesetze, besteht kein Sanktionsbedürfnis. Auch die Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Rs. Draehmpaehl führt zu keinem gegenteiligen Ergebnis. Sie betraf nur § 611a BGB (2. Fassung) und erschöpfte sich in einem Generalverweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rs. Dekker, in der es lediglich um die Frage des Verschuldensnachweises gegangen war. Anders als § 611a BGB (2. Fassung) bürdet § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG nun dem Benachteiligenden die Beweislast auf. Mehr ist europarechtlich nicht gefordert. Die vollkommene Abschaffung des Verschuldens in § 611a BGB (3. Fassung) resultierte aus einem Irrtum des Gesetzgebers, der sich wiederum aus der verwirrenden Formulierung des Draehmpaehl-Urteils ergab. Die Absenkungsverbote der Richtlinien stehen der in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG erfolgten Irrtumskorrektur nicht entgegen. Eine verschuldensunabhängige Haftung wäre systemwidrig. Es fehlen Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien, die für einen gesetzgeberischen Willen zum Systembruch sprechen. Der vom Gesetzgeber angenommene, aber real nicht existierende europarechtliche Zwang zur Verschuldensunabhängigkeit der Haftung kann einen solchen Willen nicht ersetzen.27 23 24 25 26 27
Siehe oben 4. Kap. A. II. 3. a) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 3. a) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 3. b). Siehe oben 4. Kap. A. II. 3. a) bb). Siehe oben 4. Kap. A. II. 4. d).
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20. § 15 Abs. 3 AGG will den Arbeitgeber hinsichtlich eines Rechtsirrtums privilegieren. Die Einschränkung des Prognoserisikos hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Inhalts einer Kollektivvereinbarung ist europarechtlich unbedenklich, weil die Richtlinien nur die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung verlangen. Zudem bleibt auch bei Eingreifen von § 15 Abs. 3 AGG die Benachteiligung nicht sanktionslos, weil insbesondere der verschuldensunabhängige Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch weiterhin eingreift. § 15 Abs. 3 AGG gilt nicht, auch nicht analog, für benachteiligende Gesetze. In diesen Fällen wird es vielmehr in aller Regel an jeglichem Verschulden fehlen.28 21. § 15 AGG als lex specialis verdrängt bezüglich der Haftung des Arbeitgebers § 823 BGB. § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) bleibt anwendbar. Erforderlich ist jedoch das Vorliegen einer Sonderverbindung nach den allgemeinen Grundsätzen. § 22 AGG ist auf konkurrierende Ansprüche nicht anwendbar.29 22. Grundsätzlich ist auch bei Ehrverletzungen ein Bereicherungsausgleich anzuerkennen. Die herrschende Lehre vom bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt vermengt sachwidrig Rechtsfolgenprobleme des Bereicherungsrechts mit allgemeinen Problemen der Grenzen der Rechtszuweisung und erzeugt dadurch Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen Schutzsystemen. Das Problem der Berechnung des Inhalts des Bereicherungsanspruchs ist sowohl hinsichtlich der allgemeinen Ehre als auch hinsichtlich der gemäß § 7 Abs. 1 AGG verschärften beruflichen Ehre überwindbar. Durch die konkrete Vereinbarung eines Preises für die Verletzung der Ehrposition wird dieser ein „Markt“wert zugemessen. Von dem durch eine Ehrverletzung erzielten Vermögenswert sind diejenigen Aufwendungen und Werte abzuziehen, die neben der Rechtsposition in die Berechnung des Preises eingeflossen sind. Notfalls ist eine Schätzung vorzunehmen, um zu bestimmen, welcher Anteil auf die Umsetzung der Rechtsposition entfällt. Dabei kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass der auf die Umsetzung der Position entfallende Anteil auf der einen Seite und das Verhandlungsgeschick, Know-How etc. des Kondiktionsschuldners auf der anderen Seite nicht von grundsätzlich unterschiedlichem Gewicht sind. Anders als die allgemeine Ehre ist die durch § 7 Abs. 1 AGG zugewiesene besondere Ehre jedoch nicht disponibel. Es handelt sich um eine Grenze der Rechtszuweisung und somit um eine allgemeine Wertung. Der Benachteiligte kann über die Rechtsposition vermögensmäßig nicht verfügen, weil eine solche Verfügung die rechtlich geschützten Interessen der anderen Merkmalsträger verletzen würde und die Position zudem eine besondere Nähe zum unveräußerlichen Menschenwürdekern aufweist. Die Befugnis zur Vermarktung des Rechts ist deshalb aus übergeordneten Gründen nicht Teil der Rechtszuweisung. 28 29
Siehe oben 4. Kap. A. II. 4. e). Siehe oben 4. Kap. A. III.
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Allerdings erscheint in den Fällen der vorsätzlichen widerrechtlichen Benachteiligung zur Erzielung eines konkreten Vermögensvorteils die Abschöpfung des Gewinns entsprechend § 687 Abs. 2 BGB als möglich. Es handelt sich dabei um einen Notbehelf zur Schließung einer ansonsten bestehenden Schutzlücke und nicht um originäres Privatrecht.30 23. Das negatorische Schutzrecht folgt in den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen aus § 1004 BGB bzw. § 21 Abs. 1 AGG analog. Es setzt lediglich einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, aber keine zusätzliche Herabwürdigung voraus. Beim Unterlassungsanspruch (etwa gegen drohende Einstellungs- oder Beförderungsdiskriminierungen) gilt zu beachten, dass im Rahmen der Vollstreckung nicht auf dieselben Indizien sowohl zur Substantiierung der Gefahr einer Rechtsverletzung als auch der Rechtsverletzung selbst (und somit der Zuwiderhandlung gegen den Titel) zurückgegriffen werden darf. Ein Kontrahierungszwang kann durch den Beseitigungsanspruch unabhängig von § 15 Abs. 6 AGG nicht begründet werden. Der Anspruch kann jedoch zur Beseitigung gegenständlicher Benachteiligungen genauso wie zur Beseitigung diskriminierender Vergütungsdifferenzierungen verwandt werden. In allen Fällen besteht jedoch keine rechtliche Pflicht zur Anpassung „nach oben“, auch wenn dies oftmals die einzige verbleibende Möglichkeit sein wird. Vielmehr steht es dem Benachteiligenden wie jedem Störer grundsätzlich frei, seinen Rechtskreis auf die von ihm gewählte Art zu korrigieren.31
30 31
Siehe oben 4. Kap. B. Siehe oben 4. Kap. C.
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Sachwortverzeichnis Abschreckungserfordernis – Entwicklung durch den EuGH 62 f – Siehe auch Prävention AGG-Hopper siehe Professioneller Diskriminierungskläger Aktivlegitimation 249 ff – Angehörige der Minderheit bei der mittelbaren Benachteiligung 263 ff – Assoziierte Diskriminierung 266 ff – Subjektiv nicht ernsthafte/objektiv ungeeignete Bewerber 250 ff – Vermeintliche Merkmalsträger 273 ff – Zu späte Bewerber 276 ff Anpassung nach „oben“ bzw. „unten“ 402 ff Antidiskriminierungsrecht – Entwicklung 50 ff Ausschlussfristen 73, 345 f
Benachteiligung – Als deliktsrechtliches Verhalten 168 ff – Als Persönlichkeitsrechtsverletzung 30, 65, 67, 84, 138 ff – Anweisung 84, 306 – Assoziierte 266 ff – Aus paternalistischen Gründen 68, 130 ff, 144 f, 238 – Bei Massengeschäften 140 – Belästigung 84, 117, 303 – Benachteiligungsabsicht 309 f – Bereicherungsabschöpfung 378 ff – Durch Dritte 171, 282 ff – Durch Vorenthalten von Leistungen 402 ff – Gegenständliche 398 ff – Mittelbare 83 f, 133 f, 145 f, 150 ff, 263 ff, 305 f – Rationale 162 ff – Rechtfertigung 69, 83 f, 131, 185, 230, 296, 302, 401 – Unmittelbare 84, 150, 237, 303 ff Benachteiligungsabsicht 309 f
Bereicherungsausgleich im Antidiskriminierungsrecht 349 ff Bereicherungsrecht – Abschöpfung beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht 105, 351 ff – Abschöpfung des Verletzergewinns 102 f – Abschöpfung im Antidiskriminierungsrecht 378 ff – Zuweisungsgehalt 106, 219, 353 ff, 364 ff Bereicherungsverbot 220 ff Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 39 – Beim allgemeinen Ehrschutz 388 ff – In den Diskriminierungsfällen 391 ff Bestenauslese 53 f, 113 Betriebsverfassungsrechtliches Überwachungsgebot 54 ff Beweislast 61 – Beweislastrichtlinie 81 f – Mittelbare Benachteiligung 153 f – Motiv 82 – Subjektive Ernsthaftigkeit/Objektive Eignung 251 ff – Ungleichbehandlung 82 – Verschulden 70 ff, 76 ff, 300, 315 ff, 328 ff Bewerber – Bestqualifizierte 64 ff, 73 f, 79, 87, 188 f, 199 ff, 233 f, 307 – Objektiv ungeeignete 250 ff, 259 ff – Schwangere 69, 162, 183 f, 239, 265 – Subjektiv nicht ernsthafte 250 ff 255 ff – Vermeintliche Merkmalsträger 273 ff – Zu späte 276 ff Caroline-Rechtsprechung 104 ff, 163,351 f Customer Preferences 33, 151, 230, 350 Diskriminierung siehe Benachteiligung Diskriminierungsverbote – Im Arbeitsrecht 54 ff – In der Verfassung 50 ff
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Sachwortverzeichnis
Effet-Utile-Grundsatz 64, 70, 223, 267 f, 272, 403 Ehre 47, 88 ff, 95 ff, 110 f, 141 ff, 243, 257 ff, 359 f, 368, 373, 378, 386 Einschätzungsprärogative 37 f, 49, 137, 143, 160 f, 182, 198 f Entfaltung – Vertrag als Mittel der Entfaltung 40 f – Siehe auch Teilhabe Entschädigung – Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden 64 ff, 74 ff, 209 ff – Unterschied Schaden/Rechtsverletzung 223 ff – Unzulässige Bemessungskriterien 246 ff – Verschuldens(un-)abhängigkeit 325 ff, 335 ff – Zulässige Bemessungskriterien 233 ff – Zweck 209 ff Fragerecht bei Einstellungen 114 ff, 164, 180 ff, 331 Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 55 f, 120, 143 Genugtuungsfunktion 30, 96 ff, 219, 236, 351 Gleichbehandlungsgrundsatz 56 ff, 120, 123, Grundrechte – Art. 3 GG 50 ff – Drittwirkung 44, 52 f, 156 f – Funktionen 44 f, 93 f Herrenreiter-Doktrin 106 f, 219, 352 ff Immaterieller Schaden siehe Entschädigung Integritätsschutz 48 – Als statische Komponente des Privatrechts 41 ff – Im Arbeitsrecht 116 ff Interessenabwägung – Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht 100 ff – Fehlen bei unmittelbaren Benachteiligungen 147 ff, 302 – Tatbestandsvoraussetzung bei mittelbaren Benachteiligungen 150 ff, 302
Kausalität 306 Konkurrenzen 346 ff Kontrahierungszwang 37, 94, 108, 189, 194, 197 f, 386 ff, 396 ff Marktwirtschaft 47, Fn. 85 Massengeschäft 140 Merkmale – Beschränkung 150, 155 ff – Gründe für die Auswahl in § 1 AGG 160 ff Negatives Interesse siehe Vermögensschaden Negatoria siehe Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch Nichtvermögensschaden siehe Entschädigung Passivlegitimation – Kollegen 285 ff, 294 f – Kunden 287 f, 295 ff – Personalberatungsunternehmen 283 ff Persönlichkeitsrecht – Bedeutung im Arbeitsrecht 110 ff, 141 ff, 168 – Bereicherungsabschöpfung 351 ff – Entwicklung 40 ff, 87 ff – Genugtuungsfunktion 30, 96 ff, 219, 236, 351 – Interessenabwägung 97 ff, 147 ff – Unterschied privatrechtliches/öffentlichrechtliches Persönlichkeitsrecht 93 ff, 108 – Verletzung durch Vertragsverweigerung 107 ff, 129 ff Pönalfunktion 100, 214, 274 Positives Interesse siehe Vermögensschaden Prävention – § 687 Abs. 2 BGB als präventiver Notbehelf 381 ff – Als Reflex des Schadensausgleichs 215 ff – Bereicherungsverbot 220 ff – Durch vollen Schadensaugleich 215 ff – Präventionsfunktion 29 f, 39 f, 103 ff, 209 ff, 246 – Präventive Wirkung der Schutzrechte 40, 216, 219 f, 382 – Siehe auch Verhaltenssteuerung Privatautonomie
Sachwortverzeichnis – Beschränkung durch das AGG 46 f, 166, 194, 199 ff – Siehe auch Privatrecht Privatrecht – Grundgedanken 35 ff – Integritätsschutz als statische Komponente 41 f – Schutzrechte 38 ff – Substanzrechte 36 f, 135 f – Vertrag als dynamische Komponente 40 f – Vorrang der Vertragsfreiheit 139 – Willensdogma 40 f, 45, 121, 208, 217, 396 f, 405 – Zuweisungsordnung 36 ff Professioneller Diskriminierungskläger 248 ff Punitive damages siehe Strafschadensersatz Recht auf Arbeit 112 f Rechtswidrigkeitstheorie 353 Schaden siehe Vermögensschaden sowie Entschädigung Schutzrecht siehe Privatrecht Strafschadensersatz 74, 80, 83, 103 ff, 127, 209 f, 218, 225 f, 382 Substanzrecht siehe Privatrecht Summenbegrenzungsverfahren 73, 75, 79 Systemwidrigkeit 29 f – Entfaltung/Teilhabe als privatrechtliche Funktion 179 ff – Ersatz des Positiven Interesses 197 ff – Fehlen eines negatorischen Schutzrechts 387 – Pönalfunktion 213 ff – Präventionsfunktion 216 ff – Rechte ohne Zuweisungsgehalt 364 ff – Unzulässige Kriterien bei der Bestimmung der Entschädigungshöhe 246 ff
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– Verschuldensunabhängige Restitutionspflicht 80 f, 336 ff – Von Antidiskriminierungsregeln 49 Teilhabe – Im Arbeitsrecht 118 ff – Keine eigenständige Funktion 115, 179 ff – Rechtsreflex des Integritätsschutzes 108 ff, 159, 182 ff – Teilhabefunktion der Grundrechte 44 – Unterschied öffentliches Recht/Privatrecht 44, 93 ff Unterlassungsanspruch siehe Beseitigungsund Unterlassungsanspruch Verhaltenssteuerung 29, 39 ff, 97, 273 – Siehe auch Prävention – Wirkung des Integritätsschutzes 40, 182 ff Vermögensschaden – Endloshaftung 66, 192 ff – Negatives Interesse 60, 74 ff, 191 ff, 207 ff – Positives Interesse 41, 60 f, 74 ff, 188 ff – Verschuldens(un-)abhängigkeit 319 ff, 335 ff Verschulden – Abgrenzung zum Vertretenmüssen 310 ff – Beweislast 70 ff, 76 ff, 300, 315 ff, 328 ff – Einschränkungen des Verschuldensprinzips 314 ff – Grundgedanke des Verschuldensprinzips 312 ff Vertrag – Dynamische Komponente des Privatrechts 40 f – Irrelevanz für den Integritätsschutz 41 ff – Siehe auch Privatrecht Vertretenmüssen siehe Verschulden Willensdogma 40 f, 45, 121, 208, 217, 396 f, 405