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German Pages 344 Year 2014
Cécile Stephanie Stehrenberger Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee
Histoire | Band 39
Cécile Stephanie Stehrenberger (Dr. phil.) ist Oberassistentin am Historischen Seminar der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Körperund Wissensgeschichte sowie die historische Katastrophenforschung.
Cécile Stephanie Stehrenberger
Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee Folklore, Nation und Geschlecht im »Colonial Encounter«
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt Danksagung | 7 Einleitung | 9 Akteure und Schauplätze | 41 La Guinea Española | 41
Die Sección Femenina und die Coros y Danzas | 50 Die Coros y Danzas in Äquatorialguinea | 72 Die Mission | 83
Die Erarbeitung der authentischen spanischen Folklore | 84 Botschafterinnen eines freundlichen Staates | 115 Hispanisieren | 127 Eine wohlwollende Geste einer wohltätigen Kolonialmacht | 145 Dem Fortschritt entgegen | 155 Kriegsmaschine | 164 Die Tänzerinnen | 173
Einheitlich und koordiniert | 175 Gehorsam und fröhlich | 178 Aufopfernd, mitfühlend, fromm, rein | 181 Agil, selbstbeherrscht und ausdauernd | 191 Sexy | 198 Weiblich, sich Spanien zugehörig fühlend, sympathisch, authentisch | 207 Das Scheitern der Mission | 213
Unerwünschte Vorkommnisse, Ambivalenzen | 213 Ungünstige performances | 233 Gefährliche Technologien und Instrumente | 239 Fremde Begegnungen | 248 Vor- und Parallelgeschichten | 265 Das Instituto de Estudios Africanos | 266 Tarzan und Clara | 286
Nachgeschichten | 295
Marina Alene | 295 Bichos raros | 303 Schluss | 309
Bibliographie | 321
Danksagung
Für die engagierte Betreuung meiner Dissertation, auf der diese Publikation beruht, möchte ich mich zunächst herzlich bei Philipp Sarasin und Svenja Goltermann bedanken. Ein grosser Dank gilt auch Alicia Campos Serrano, Jo Labanyi, Susan Martin-Márquez, Benita Sampedro Vizcaya und Jakob Tanner, die mich schon in der Planung meines Forschungsvorhabens mit Rat und Tat unterstützt haben. Weiter danke ich Mirjam Bugmann, Nicole Burgermeister, Sophie Caflisch, Julia Chang, Alexander Hasgall, Olga Hernando, Simon Hofmann, Gesine Hübner, Stefan Keller, Daniela Landert, Llorenç Picorell, Christina Rickli, Alba Valenciano und Dorothe Zimmermann, die meine Arbeit, in den verschiedenen Stadien ihres Voranschreiten mit kritischen Anmerkungen, sprachlichen Korrekturen und allerlei Hinweisen begleitet haben. Für die unzähligen Diskussionen über Franquismus, Äquatorialguinea und Postkoloniale Theorie, ohne die diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können, gebührt mein allergrößter Dank Yanik Avila, Jovita dos Santos Pinto, Lou-Salamoé Heer, Rosa Medina Doménech, Gustau Nerín i Abad, Sandra Vera Nicolodi, Lucas Platero, María Rosón, Bettina Stehli, Mirjam Stoll und Virginia Villaplana. Schließlich danke ich Andrés Antolín Hofrichter, Anna Catharina Hofmann und Urs Lindner, die meinem Manuskript auf verschiedene Art und Weise den letzten Schliff verliehen haben.
Einleitung
„Keine Politik, nur Volkskunst“1, so kommentierte angeblich im Jahr 1949 eine chilenische Tageszeitung den Auftritt von über hundert spanischen Tänzerinnen, die in Santiago de Chile einem begeisterten Publikum bulerías, sardanas und den baila de Ibio vorgetanzt hatten. Bei dem Ensemble handelte es sich um mehrere regionale Gruppen der Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange. Von 1942 bis 1975 tourten Folkloregruppen der weiblichen Abteilung der Falange Partei in Westeuropa und Amerika, in mehreren afrikanischen Ländern sowie in Japan. Aufzuzeigen, dass es sich bei ihren Auftritten sehr wohl um Politik handelte, und zu untersuchen, inwiefern und aus welchen Gründen diese Politik erfolgreich war, das ist das Ziel dieser Studie. Den Schwerpunkt meiner Untersuchung bilden die großen Auslandsreisen, die die Folkloregruppen von 1948 bis 1960 unternahmen, in einem Zeitraum, der durch eine Annäherung Spaniens an Westeuropa und die USA gekennzeichnet war und eine kritische Phase in der spanischen Kolonialpolitik darstellte. Ein besonderer Fokus meiner Arbeit liegt auf den Reisen, die in den Jahren 1954 und 1957 drei Gruppen aus Murcia und Cádiz in die damalige spanische Kolonie Äquatorialguinea führten. Mich interessiert die Wirkung der Auslandsauftritte der Folkloregruppen auf zweierlei Arten von Publikum: zum einen auf dasjenige, das der Bühnenshow live beiwohnte, und zum andern auf dasjenige, das den Tänzerinnen über die breite Medienberichterstattung in Spanien begegnete. Diese Berichterstattung war äußerst umfangreich. Sie umfasste Presseartikel mitsamt Fotografien, Dokumentarfilme, einen Spielfilm und einen Reiseroman. Die Tänzerinnen waren in einer politischen Mission unterwegs, welche die außen- wie auch die innenpolitische Konsolidierung des franquistischen Regimes
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„Nada de política, sólo arte popular: esto son las bellas danzarinas falangistas.“ Zitiert bei: García Serrano, Rafael: Bailando hasta la Cruz del Sur, Madrid 1984 (1953), S. 326. Ich schreibe deswegen „angeblich“, weil der Autor sein Zitat nicht belegt.
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befördern sollte. Sie hatten in Westeuropa und vor allem in den USA Sympathien für Spanien hervorzurufen, um dem Regime die dringend benötigte politische und ökonomische Unterstützung zu sichern. Ebenso wichtig war der Beitrag zur Regierung der Bevölkerung, den die Folkloregruppen zu leisten hatten. Unter der Wendung „Regierung der Bevölkerung“ verstehe ich mit Foucault ein Führen und Lenken von Individuen und Kollektiven, das eine Interaktion verschiedener Machttechnologien und Formen der Subjektivierung wie Disziplin, Normalisierung und biopolitische Regulierung implizierte.2 Die Auftritte der Coros y Danzas zielten darauf ab, in ihrem Publikum Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien zu erzeugen. Gleichzeitig tanzten die Tänzerinnen modellhaft vor, wie sich im Franco-Staat, das heißt in Spanien, aber auch in dessen Kolonien, Subjekte zu verhalten hatten. Die Folkloregruppen sollten so die Hispanisierung ihrer ZuschauerInnen vorantreiben. Unter dem Begriff ‚Hispanisierung‘ verstehe ich in Anlehnung an Rosa Medina Doménech eine Enkulturierung mit ganz bestimmten Werten, die von allen angeblich durch das „spirituelle“, „biologische“ und „historische“ „Band“ der Hispanidad verbundenen „Völker“ geteilt werden sollten.3 Ihre Hispanisierung war ein entscheidendes Element in der Regierung der Bevölkerung im Franco-Staat, jedoch nicht das einzige. Die Auftritte der Folkloregruppen hatten auch eine einschüchternde Wirkung auf potentielle WidersacherInnen des Regimes auszuüben. Indem die Tänzerinnen Spanien als wohlwollende Kolonialmacht repräsentierten und über ihre Auftritte die Fortschrittlichkeit des Regimes inszeniert wurde, sollten die Coros y Danzas ihre spanischen und guineischen ZuschauerInnen ‚befrieden‘ und dazu bewegen, die Kolonialpolitik des Regimes auch finanziell zu unterstützten. Gleichzeitig boten diese Inszenierungen eine Gelegenheit, KritikerInnen des Regimes in den USA und Westeuropa Spaniens Harmlosigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu demonstrieren. Um ihre Mission zu erfüllen, mussten die Tänzerinnen mit einer Reihe ganz bestimmter Eigenschaften auftreten. Und zwar auf der Bühne, während der Cocktailparties, zu denen sie von Botschaftern eingeladen wurden, und bei der Besichtigung touristischer Sehenswürdigkeiten. Wenn ich daher in meiner Studie von der performance der Tänzerinnen spreche, dann meine ich damit sowohl die Büh-
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Vgl. Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Frankfurt am Main 2004. Vgl. Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Frankfurt am Main 2004.
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Vgl. Medina Doménech, Rosa: Scientific Technologies of National Identity as Colonial Legacies. Extracting the Spanish Nation from Equatorial Guinea, in: Social Studies of Science 39, 1 (2009), S. 81-112, hier S. 87f.
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nenshow der Folkloregruppen als auch das performative Vorführen oder Rezitieren gewisser gesellschaftlicher Normen durch die Tänzerinnen. Zu diesen Normen gehörten ebenso eine eindeutige Geschlechtsidentität wie Gehorsam und Fröhlichkeit. Die Fotografien oder Filmaufnahmen von den Coros y Danzas lösen noch heute begeisterte Reaktionen bei SpanierInnen, GuineerInnen und AmerikanerInnen aus. Auch die in den Quellen meiner Untersuchung gemachten Aussagen verleiten auf den ersten Blick dazu, die Geschichte der Folkloretänzerinnen als Erfolgsgeschichte eines der bedeutendsten Instrumente der franquistischen Kulturpolitik zu schreiben. Im Zuge meiner Recherche wurden aber schnell Brüche, Widersprüche und Hinweise auf ‚Schwierigkeiten‘ sichtbar. Den Misserfolgen der Coros y Danzas nachzuspüren, ist mir nicht zuletzt deswegen wichtig, weil ich zeigen möchte, dass auch in einer Untersuchung „along the archival grain“4, also basierend auf den Quellen, die „das Imperium“ selber produzierte, gegen die Hypothese seiner ‚Allmacht‘5 angeschrieben werden kann. Dabei ist es notwendig, die Quellendokumente nicht nur auf direkte, eindeutige Belege für Misserfolge hin zu analysieren, sondern auch auf das Potential der Auftritte zu scheitern. Nach einer Vorstellung der Akteure und Schauplätze der Coros y DanzasReisen im Vorspann dieser Arbeit behandle ich die verschiedenen Komponenten ihrer Mission (Kapitel 3) und die Eigenschaften der Tänzerinnen (Kapitel 4). In Kapitel 5 widme ich mich Momenten des Scheiterns der Mission der Tänzerinnen. Untersucht wird, inwiefern die unerwünschten Vorkommnisse, von denen die Quellen berichten, den Ambivalenzen, die der Mission der Folkloregruppen inhärent war und den ungünstigen performances der Tänzerinnen geschuldet waren. Ich zeige auf, dass die Technologien und Instrumente, mit denen die Tänzerinnen geformt wurden und mit denen sie ihr Publikum formen sollten, nicht vollständig kontrollierbar waren und dass ihre Auslandsreisen mit ‚fremden Begegnungen‘ verbunden waren. Der Ausgang solcher Begegnungen war nur bedingt vorhersehbar und ihre Konsequenzen konnten das Unterfangen der Coros y Danzas unterminieren. Ich betrachte die Geschichte der Coros y Danzas als ein „entanglement [...], in dem die miteinander in Beziehung stehenden Entitäten [...] selbst zum Teil ein
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Stoler, Ann Laura: Along the Archival Grain. Epistemic Anxieties and Colonial Com-
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Vgl. Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita: Postkoloniale Theorie. Eine kriti-
mon Sense, Princeton/Oxford 2009. sche Einführung, Bielefeld 2005, S. 92.
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Produkt ihrer Verflechtung“6 sind. Dies bedeutet, dass ich die Geschichte der Folkloregruppen und der Konsolidierung des franquistischen Regimes, der sie dienen sollten, als eine globale Geschichte verstehe, die sich nicht auf Vorkommnisse, die sich auf der Iberischen Halbinsel ereigneten, reduzieren lässt. Derek Hook schreibt in Anlehnung an Foucault: „The given object of analysis is far more a complex of events, a posed momento of various intersections of force rather than a self-sustained, autonomous entity.“ Und weiter: „The analyst of discourse must race a ‚laterality‘, plot a series of ‚sideways‘ elements of discourse, be able, in other words, to grasp discourse as a ‚horizontal‘ series of often diverse components rather than in the terms of a ‚vertical directionality‘.“7 Die Geschichte der Coros y Danzas-Reisen spielte sich nicht nur parallel an verschiedenen Orten ab, sondern auch bevor und nachdem die Reisen stattfanden. Um das entanglement, das mein Forschungsgegenstand darstellt, zu verstehen, werde ich mich von seinem Zentrum entfernen – nach hinten, nach vorne und zur Seite. Bei meiner Suche nach Erklärungen für die Ereignisse, zu denen es während der Coros y Danzas-Reisen kam, behandle ich in Kapitel 6 Vor- und Parallelgeschichten der Tourneen der Folkloregruppen. Vergangene Erfahrungen und zirkulierendes Wissen, von denen mit Bergland gesagt werden könnte, „[they] embody and [...] animate a strange imaginary entity that is both there, and not there“8 geisterten in den Köpfen der Akteure der Coros y DanzasTourneen herum, beeinflussten Wahrnehmungen und Handlungen. Kapitel 7 führt mich auf meiner Spurensuche weiter in Richtung Gegenwart, ja sogar in diese. In zwei Nachgeschichten suche ich weitere Hinweise auf die Wirkung, welche die Coros y Danzas-Auftritte in Äquatorialguinea und in Spanien hinterlassen haben.
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Conrad, Sebastian/Randereia, Shalini: Einleitung. Geteilte Geschichte – Europa in einer postkolonialen Welt, in: dies. (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, S. 9-49, hier S. 17.
7
Hook, Derek: Genealogy, Discourse, ,effective History‘. Foucault and the Work of Critique, in: Qualitative Research in Psychology 2, 1 (2005), S. 3-31, hier S. 13 und S. 10.
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Bergland, Renée: The National Uncanny. Indian Ghosts and American Subjects, Hannover (NH) 2000, S. 5f.
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Forschungsstand Zu den Coros y Danzas ist bislang erst eine Monographie erschienen. Estrella Casero bietet einen knapp gehaltenen Überblick über die verschiedenen Aktivitäten der Folkloregruppen.9 Wichtig für meine Studie sind Caseros Untersuchungen zur Feldarbeit, welche die Sección Femenina im Zuge der Erarbeitung der „authentischen spanischen Folklore“ betrieb, sowie zu den Transformationen, die an den dabei „geretteten“ Tänzen vorgenommen wurden. Damit beschäftigen sich auch zwei zu den Coros y Danzas veröffentlichte Aufsätze.10 Zwei weitere untersuchen primär die Rolle der Folklore in den Bildungsinstitutionen der Sección Femenina.11 Diese vier Publikationen sind eher deskriptiv denn analytisch ausgerichtet, ferner richten sie ihren Fokus auf Aspekte der Coros y Danzas-Aktivitäten, die ich nur am Rand behandeln werde. Für diese Arbeit relevant ist hingegen Amador Carreteros Studie zu Ladislao Vajdas Ronda española von 1952, eine meiner Filmquellen. Dies insbesondere deswegen, weil die Autorin darin auf die Modellfunktion der Tänzerin hinweist.12 Den Umgang der Coros y Danzas mit der Pluralität der spanischen Folklore behandelt Carmen Ortiz, deren Ausführungen zur Folklorisierung regionaler Diversität für meine Studie bedeutsam sind.13
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Vgl. Casero, Estrella: La España que bailó con Franco. Coros y Danzas de la Sección Femenina, Madrid 2000.
10 Vgl. Lizarazu de Mesa, María Asunción: En torno al folklore musical y su utilización. El caso de las Misiones Pedagógicas y la Sección Femenina, in: Anuario musical. Revista de musicología del CSIC 51 (1996), S. 233-246. Vgl. Berlanga, Miguel Ángel: El uso del folklore en la Sección Femenina de Falange. El caso de Granada, in:, María Isabel Cabrera García et al. (Hg.): Dos décadas de cultura artística en el franquismo (1936-1956), Bd. 2, Granada 2001, 115-134. 11 Vgl. Luengo Sojo, Antonia: El arquetipo de mujer en la Sección Femenina. Contribución de la actividad musical a la consecución de un modelo, in: M. Gloria Espigado Tocino, Mary Josephine Nash/María José de la Pascua Sánchez (Hg.): Pautas históricas de sociabilidad femenina; rituales y modelos de representación. Actas del V coloquio internacional de la Asociación Española de Investigación Histórica de las Mujeres, Cádiz 1999, S. 163-174. 12 Vgl. Amador Carretero, María Pilar: La mujer es el mensaje. Los Coros y Danzas de la Sección Femenina en Hispanoamérica, in: Feminismo/s. Revista del Centro de Estudios sobre la mujer de la Universidad de Alicante 2 (2003), S. 101-120. 13 Vgl. Ortiz, Carmen: The Uses of Folklore by the Franco Regime, in: The Journal of American Folklore 112, 446 (1999), S. 479-496, hier S. 479-496.
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Die für mich wichtigste Sekundärliteratur zur Sección Femenina sind die Forschungsarbeiten Inbal Ofers, insbesondere ihre 2009 publizierte Dissertation, da die israelische Autorin die Organisation auch unter körpergeschichtlichen Aspekten analysiert.14 Des Weiteren orientiere ich mich an den Studien von Mary Vincent, die sich unter anderem mit Formen von Maskulinität im Franquismus auseinandersetzt15, und an der 2003 erschienenen Monographie von Kathleen Richmond, die zu einem wesentlichen Teil auf Oral History-Quellen basiert.16 Die Magisterarbeit von Frauke Kersten-Schmunk bietet neben einem umfassenden Überblick über die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Sección Femenina auch Ausführungen zum Umgang der Organisation mit männlichen „Experten“ und Politikern.17 Sie nimmt überdies eine Klassifizierung der in den 1990er Jahren entstandenen Arbeiten zur Sección Femenina vor und behandelt auch die von Gallego Méndez verfasste erste Studie zur Organisation aus dem Jahr 1983.18 Es liegen bisher keine Publikationen vor, die sich spezifisch mit der Kolonialpolitik der Sección Femenina befassen. Gustau Nerín i Abads Einleitung zu den von ihm transkribierten und herausgegebenen Quellendokumenten stellt lediglich ein sehr kurzes Resümee der Tätigkeit der Organisation in Äquatorialguinea dar.19 Zur Geschichte des spanischen Protektorats in Marokko sind seit den 1990er Jahren nicht nur Monographien, sondern auch Sammelbände erschienen, worunter besonders El Protectorado español en Marruecos. Gestion colonial e identidades, herausgegeben von Fernando Rodríguez Mediano und Helena de Felipe aufgrund der vielfältigen kulturgeschichtlichen Beiträge erwähnenswert ist.20 Vor allem der Rifkrieg hat bereits Ende der 1960er Jahre US-
14 Vgl. Ofer, Inbal: Señoritas in Blue. The Making of a Female Political Elite in Franco’s Spain, Brighton 2009. 15 Vgl. Vincent, Mary: The Martyrs and the Saints. Masculinity and the Construction of the Francoist Crusade, in: History Workshop Journal 47 (1999), S. 69-98. 16 Vgl. Richmond, Kathleen: Women and Spanish Fascism. The Women’s Section of the Falange, 1934-1959, London/New York 2003. 17 Vgl. Kersten-Schmunk, Frauke: „Fémina, Española y Falangista“. Die Sección Femenina der Falange in den 1940er Jahren. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Darmstadt 2005. 18 Vgl. Gallego Méndez, María Teresa: Mujer, Falange y franquismo, Madrid 1983. 19 Vgl. Nerín i Abad, Gustau: La Sección Femenina de la Falange en la Guinea Española, 1964-1969, Barcelona 2007. 20 Vgl. Rodríguez Mediano, Fernando/de Felipe, Helena (Hg.): El Protectorado español en Marruecos. Gestión colonial e identidades, Madrid 2002.
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amerikanische und später auch deutsche ForscherInnen beschäftigt.21 In Bezug auf Äquatorialguinea hingegen musste Benita Sampedro im Jahr 2008 in einem Aufsatz, der den Bestand sowohl an (neo-)kolonialen als auch an anti- und postkolonialen literarischen und wissenschaftlichen Texten über und aus Äquatorialguinea resümiert, schreiben: „The time has come to move beyond obstructive representational markers and anxieties, direct inheritances of imperial scrambles, and to allow Equatorial Guinea a space in contemporary debates relating to colonialism in Africa, Western imperial practices, and the diverse decolonization strategies.“22 In der Tat waren zum Zeitpunkt der Publikation von Sampedros Artikel nur wenige kritische geschichtswissenschaftliche Arbeiten zu Spaniens Subsahara-Kolonie zu verzeichnen. Zu den wenigen damals schon existierenden gehören die Überblicksdarstellungen von Mariano de Castro und Donato Ndongo23 und von Ibrahim Sundiata24 sowie die verschiedenen Publikationen von Alicia Campos Serrano, Gustau Nerín i Abad und María Dolores Fernández Fígares. Die beiden letztgenannten sind für diese Arbeit von großer Bedeutung, da sie zu den wenigen Untersuchungen gehören, die spezifisch die franquistische Kolonialherrschaft in Äquatorialguinea behandeln. Campos Serranos rechtshistorischer Aufsatz Colonia, derecho y territorio untersucht die Rolle juristischer Kategorien in der Legitimierung der Ausbeutung der guineischen Bevölkerung.25 Noch wichtiger für meine Studie ist Nerín i Abads Monographie Guinea Ecuatorial, historia en blanco y negro, weil sich der Autor darin mit der Rolle von Geschlecht und Sexualität im franquistischen Kolonialdiskurs auseinandersetzt.26 María Dolores Fernández Fígares’ Monographie wiederum enthält eine erste und umfassende Analyse der Dokumentarfilme, welche Hermic
21 Vgl. Woolman, David S.: Abd el Krim and the Rif Rebellion, Standford 1968. Vgl. Kunz, Rudibert/Müller, Rolf-Dieter: Giftgas gegen Abd el Krim. Deutschland, Spanien und der Gaskrieg in Spanisch-Marokko 1922-1927, Freiburg im Breisgau 1990. 22 Sampedro Vizcaya, Benita: Rethinking the Archive and the Colonial Library. Equatorial Guinea, in: Journal of Spanish Cultural Studies 9, 3 (2008), S. 341-363, hier S. 341. 23 Vgl. Castro, Mariano de/Ndongo, Donato: España en Guinea. Construcción del desencuentro. 1778-1968, Madrid 1998. 24 Vgl. Sundiata, Ibrahim K.: From Slaving to Neoslavery. The Bight of Biafra and Fernando Poo in the Era of Abolition, 1827-1930, Madison 1996. 25 Vgl. Campos Serrano, Alicia: Colonia, Derecho y Territorio en el Golfo de Guinea. Tensiones del colonialismo español en el siglo XX, in: Quaderni Fiorentini 33 (2005), S. 1-25. 26 Vgl. Nerín i Abad, Gustau: La Guinea Ecuatorial, historia en blanco y negro. Hombres blancos y mujeres negras en Guinea Ecuatorial, 1843-1968, Barcelona 1998.
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Films, ein staatlich finanziertes Filmteam, in den 1940er und 1950er Jahren in Äquatorialguinea drehte.27 Hermic produzierte auch einen Dokumentarfilm zur ersten Äquatorialguineareise der Coros y Danzas, der eine der Hauptquellen meiner Arbeit darstellt. Weiter verweise ich auf Olegario Negrín Fajardos Überblick über das koloniale Bildungswesen28, auf Rosa Medina Doménechs Untersuchung zur Malariabekämpfung im kolonialen Äquatorialguinea29 und auf die Monographie Guinea en patués von José Manuel Brunet et al., die auf der Basis von ZeitzeugInnengesprächen den Alltag spanischer SiedlerInnen in der Kolonie dokumentiert.30 Im selben Jahr wie Sampedros oben erwähnter Artikel Rethinking the Archive and the Colonial Library erschien Susan Martin-Márquez’ Monographie Disorientations. Spanish Colonialism in Africa and the Performance of Identity, in der die Autorin in Anwendung eines vielfältigen theoretischen Instrumentariums die Konstruktion spanischer Identität über afrikanische Alterität untersucht. Wichtige Analysekategorien sind dabei Geschlecht und Sexualität.31 Im Jahr 2009 wurden zwei weitere bedeutsame Arbeiten veröffentlicht: In ihrem Aufsatz Scientific Technologies of National Identity as Colonial Legacies beschäftigt sich Rosa Medina Doménech mit an der guineischen Bevölkerung durchgeführten medizinischen und anthropologischen Untersuchungen.32 Unter anderem geht sie auf die Experimente des Instituto de Estudios Africanos ein, das ich im vorletzten Teil meiner Arbeit behandle. Die Autorin, die mit verschiedenen innovativen Ansätzen der feministischen und postkolonialen Wissenschaftstheorie operiert, zeigt in ihrem Aufsatz, welche Rolle die koloniale Wissenschaft sowohl für die Hispanisierung der guineischen Bevölkerung als auch für die Konstruktion einer spanischen Identität spielte. Anlässlich des 40jährigen Jubiläums der äquatorialguineischen Unabhängigkeit gab Sampedro ei-
27 Vgl. Fernández Fígares y Romero de la Cruz, María Dolores: La colonización del imaginario. Imágenes de África, Granada 2003. 28 Vgl. Negrín Fajardo, Olegario: Historia de la Educación en Guinea Ecuatorial. El modelo educativo colonial hispano, Madrid 1993. 29 Vgl. Medina Doménech, Rosa: Paludismo, explotación y racismo científico en Guinea Ecuatorial, in: Esteban Rodríguez Ocaña et al. (Hg.): Terratenientes y parásitos. Historia social del paludismo en España, Madrid 2003, S. 383-427. 30 Vgl. Brunet, José Manuel/Cosculluela, José Luis/Mur, José María: Guinea en patués. De los bueyes del valle de Benasque al cacao de la isla de Fernando Póo, Huesca 2008. 31 Vgl. Martin-Márquez, Susan: Disorientations. Spanish Colonialism in Africa and the Performance of Identity, New Haven 2008. 32 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies.
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nen Sammelband heraus, in dem über dreißig HistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, SchriftstellerInnen und FilmemacherInnen literarische und wissenschaftliche Texte veröffentlichten. Der für mich wichtigste Beitrag in diesem Band ist derjenige von Francesca Bayre und Alba Valenciano, der die Hermic-Filme auf deren Repräsentation guineischer Körper hin untersucht.33 Ebenfalls mit dem Thema Kolonialismus und Film beschäftigen sich mehrere vor 2008 entstandene Arbeiten von Alberto Elena.34 Der Schwerpunkt liegt bei diesen allerdings auf den spanischen Kolonialgebieten in Marokko. Sein 2010 veröffentlichtes Buch Llamada de Africa beschäftigt sich jedoch unter anderem auch mit einer Reihe von während des Franquismus produzierten Spielfilmen, deren Handlung in Äquatorialguinea angesiedelt ist. Diesen Spielfilmen kam im Rahmen der von mir behandelten Vor- und Parallelgeschichten zu den Coros y Danzas-Reisen eine gewisse Bedeutung zu. Zudem finden sich bei Elena Anmerkungen zu den Hermic-Filmen, die für meine Untersuchung aufschlussreich sind.35 Ebenfalls im Jahr 2010 schrieb Carlos Tabernero seine Masterarbeit, in der er sich mit der Repräsentation der spanischen Kolonialmedizin in den Hermic-Filmen auseinandersetzt. Die von ihm sorgfältig analysierten Filme reproduzieren interessanterweise verschiedene koloniale Stereotypen, die auch in der Berichterstattung zu den Coros y Danzas-Reisen nach Äquatorialguinea präsent sind.36 Im selben Jahr publizierte Javier Bandrés zusammen mit Rafael Llavona zwei Artikel zu den Forschungen einzelner Psychiater des IDEA.37 Beide Artikel liefern wertvolle Hintergrundinformationen für meine eigenen Ausführungen zu
33 Vgl. Bayre, Francesca/Valenciano, Alba: Cuerpos naturales, mentes coloniales. Las imágenes de Hermic Films en la Guinea Española, in: Afrco-Hispanic Review 28, 2 (2009), S. 245-258. 34 Vgl. Elena, Alberto: Romancero marroquí. Africanismo y cine bajo el franquismo, in: Secuencias 4 (1996), S. 83-119. Vgl. ders.: Cine para el imperio. Pautas de exhibición en el Marruecos español (1939-1956), in: Julio Pérez Perucha (Hg.): De Dalí a Hitchcock. Los caminos en el cine, A Coruña 1995, S. 155-166. 35 Vgl. ders.: La llamada de África. Estudios sobre el cine colonial española, Barcelona 2010. 36 Vgl. Tabernero Holgado, Carlos: Discursos y representaciones médico-sanitarias en el cine documental colonial español de la posguerra, 1936-1950. Unveröffentlichte Masterarbeit, Barcelona 2010. 37 Vgl. Bandrés, Javier/Llavona, Rafael: Psicología y colonialismo en España (I). La inteligencia del negro guineano, in: Psychologia Latina 1, 2 (2010), S. 144-153. Vgl. dies.: Psicología y colonialismo en España (II). En busca del conciente intelectual del negro, in: ebd., S. 154-162.
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dieser Institution. Ein Jahr später erschien eine weitere Publikation von Gustau Nerín i Abad, in der er die nicht staatliche spanische Entwicklungshilfe kritisiert.38 Ein weiterer Artikel von Valenciano und Bayre präsentiert eine detaillierte Studie des Films Misiones de Guineas, für den dasselbe gilt wie für die von Tabernero behandelten Filme.39 Im Frühjahr 2012 erschienen ist schließlich eine Sonderausgabe der Zeitschrift Iberoromania, in der sich verschiedenen AutorInnen wie Stephanie Fleischmann, Max Doppelbauer, Joaquín Mbomio und Mischa Händel sowohl mit kolonialer als auch postkolonialer Literatur aus Äquatorialguinea und Marokko beschäftigen.40 Sampedros im Jahr 2008 gemachtem Aufruf zur Aufarbeitung von Spaniens kolonialer Vergangenheit in Äquatorialguinea sind in den letzten Jahren also einige AutorInnen mit bedeutenden Projekten gefolgt. Abgeschlossen ist diese Aufarbeitung allerdings – und dies gilt speziell für die franquistische Zeitepoche – noch lange nicht. Anders verhält es sich mit dem Forschungsstand zum Problemkreis Franquismus und Geschlecht, in dem meine Arbeit zu den Coros y Danzas auch angesiedelt ist. Zahlreiche AutorInnen haben seit den 1980er Jahren hierzu Nachforschungen angestellt. Von größter Bedeutung für meine Studie sind dabei die Publikationen von Jo Labanyi und Eva Woods, die sich beide mit der geschlechtergeschichtlichen Bedeutung des Kinos während des Franquismus sowie mit der Rolle von Geschlecht in der Konstitution nationaler Identität und des spanischen Nationsstaats befassen.41 Letzteres leisten auch die Arbeiten von Aurora Morcillo Gómez, besonders ihr 2010 erschienenes Buch The Seduction of Modern Spain, das darüber hinaus die Wirkung der touristischen Öffnung Spaniens auf die dort herrschenden Geschlechterverhältnisse untersucht.42 Schließlich werde ich mehrfach auf die intersektionalen Analysen von Raquel Lucas
38 Vgl. Nerín i Abad, Gustau: Blanc bo busca negre pobre, Barcelona 2010. 39 Vgl. Bayre, Francesca/Valenciano, Alba: „Basta saber algo de nuestra historia...“. Alteritat colonial a la pel·lícula Misiones de Guinea (Hermic Films, 1948), in: Quaderns-e 16, 1-2 (2011), S. 201-217. 40 Vgl. Iberoromania 73-74, 1 (2012). 41 Vgl. Labanyi, Jo: Internalisations of Empire. Colonial Ambivalence and the Early Francoist Missionary Film, in: Discourse 23, 1 (2001), S. 25-42. Vgl. Woods Peiró, Eva: Identification and Disconnect through Popular Melodrama, in: Studies in Hispanic Cinemas 2, 2 (2005), S. 125-135. 42 Vgl. Morcillo Gómez, Aurora: The Seduction of Modern Spain. The Female Body and Francoist Body Politic, Lewisburg 2010.
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Platero verweisen, die sich mit weiblicher Homosexualität im Franquismus auseinandersetzt.43 Der Umstand, dass die Geschichtsschreibung den Coros y Danzas bislang so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, legt die Vermutung nahe, dass auch die Forschung noch nicht erkannt hat, dass es sich bei den Auftritten der Folkloregruppen nicht um harmlose „Volkskunst“, sondern um Politik handelte. In diesem Sinne soll meine Arbeit, gerade indem sie diesen politischen Charakter der Coros y Danzas sowie die Versuche seiner Verschleierung analysiert, zu einer weiteren Auseinandersetzung mit den Tanzgruppen anregen. Der obige Überblick über den Forschungsstand dürfte gezeigt haben, dass sich im Rahmen der Analyse der franquistischen Geschlechtergeschichte nur äußerst wenige AutorInnen mit der spanischen Kolonialpolitik beschäftigt haben und dass Geschlecht als Analysekategorie in den Studien zur franquistischen Kolonialpolitik noch kaum berücksichtigt worden ist. Indem meine Studie die Wechselwirkung franquistischer Kolonial- und Geschlechterpolitik untersucht, soll sie Impulse zur Erfüllung dieser beiden Forschungsdesiderate geben. Außerdem besteht, wie dargestellt, wieterhin die Notwendigkeit zur Aufarbeitung der franquistischen Kolonialgeschichte in Äquatorialguinea, weswegen sich die folgende Untersuchung als Beitrag zu einem noch immer vernachlässigten Aspekt der Aufarbeitung der franquistischen Vergangenheit versteht. Schließlich sei angemerkt, dass nach wie vor viele Arbeiten in sämtlichen der erwähnten Felder, in denen meine Auseinandersetzung mit den Coros y Danzas situiert ist, die analytische Tiefenschärfe vermissen lassen, welche die erwähnten Ausnahme-AutorInnen vorweisen. Auch diesbezüglich ist das Ziel meiner Arbeit, an die oben aufgelisteten wegweisenden Studien anknüpfen zu können.
Q UELLEN
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Ü BERSETZUNGEN
Fotografien, Namenslisten, Filmausschnitte, Zeitungsartikel – die Quellen dieser Arbeit lassen sich mehr als nur einer Quellengattung zuordnen. Ich werde sie nachfolgend – der Reihe oder der Gattung nach – kurz präsentieren, erklären, wie ich sie übersetzte, und dabei ausführen, wie ich Zugang zu ihnen erhalten habe. Ich beginne mit den Text-Quellen: Zu ihnen gehören zunächst ‚interne‘, d. h. nur innerhalb der Organisation zirkulierende Dokumente, welche die Sección
43 Vgl. Platero, Raquel: Lesboerotismo y la masculinidad de las mujeres en la España franquista, in: Bagoas 3 (2009), S. 15-38.
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Femenina zu den Coros y Danzas-Reisen erstellt und archiviert hat. Hierzu zählen Korrespondenzen, Rundschreiben, Formulare, Reiseberichte (informe de viaje), Listen mit Namen, Wohnort und Alter der TeilnehmerInnen der jeweiligen Reisen, Telegramme, Manuskripte von Reden, Hotelrechnungen, aber auch Vorschriftenkataloge und Handbücher, allen voran das 1952 gedruckte, über 200 Seiten umfassende Reglement Normas de la Regiduría de Cultura para los Coros y Danzas44. Einen zweiten Text-Quellen-Komplex stellen die Zeitungsberichte zu den Reisen dar, die in der in- und ausländischen Presse erschienen. Sección Femenina-Beamtinnen haben sehr viele solcher Artikel ausgeschnitten und auf offizielles Sección Femenina-Papier aufgeklebt. Sie befinden sich gegenwärtig im Archivo General de Administración (AGA) in Alcalá de Henares.45 Die meisten der im Folgenden analysierten Artikel aus der US-amerikanischen und der äquatorialguineischen Presse habe ich hingegen in der Biblioteca Nacional in Madrid und der New York Public Library eingesehen, wo sie digital oder auf Mikrofilm verfügbar sind. Weiter untersuche ich verschiedene Publikationen der Sección Femenina. Vor allem beschäftige ich mich mit einigen der zahlreichen von der Sección Femenina publizierten Katalogen, welche die von den Coros y Danzas vorgeführten Tänze beschreiben, namentlich mit Coros y Danzas de España46, der im Jahr 1965 in zwei Versionen erschien – auf Spanisch und doppelsprachig auf Spanisch und Englisch – und mit Canciones y Danzas de España47 aus dem Jahr 1956. Zu meinen wichtigsten nicht von der Sección Femenina produzierten Textquellen gehört der 1953 erschienene, 500-seitige Reisebericht Bailando hasta la Cruz del Sur des falangistischen Schriftstellers Rafael García Serrano.48 Dieser begleitete 1949 als Korrespondent der Zeitung Arriba eine Coros y DanzasDelegation auf ihrer Lateinamerikatournee.
44 Vgl. Sección Femenina de la F.E.T. y de las J.O.N.S. (Hg.): Normas Relacionadas con el Departamento de Música de la Regiduría Central de Cultura, Madrid 1954. 45 Nicht selten wurde bei der Beschriftung das Datum weggelassen, oder der Name des Verfassers ist nicht ersichtlich. In solchen Fällen markiere ich dies mit: „F.A.“, für „fehlende Angaben“. 46 Vgl. Sección Femenina de la F.E.T. y de las J.O.N.S. (Hg.): Coros y Danzas de España, Madrid 1965 (Spanisch). Vgl. Sección Femenina de la F.E.T. y de las J.O.N.S. (Hg.): Coros y Danzas de España, Madrid 1965 (Spanisch und Englisch). 47 Vgl. Sección Femenina de la F.E.T. y de las J.O.N.S. (Hg.): Canciones y Danzas de España, Madrid 1956. 48 Vgl. García Serrano, Bailando.
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Crónica de la Sección Femenina y su tiempo49 heißt ein rund 540 Seiten umfassendes Werk, das, obgleich erst im Jahr 1993 publiziert, eine weitere Quelle meiner Arbeit darstellt. Es handelt sich dabei um eine Chronik der Sección Femenina, die von deren Veteraninnen-Verein herausgegeben wurde und Pilar Primo de Rivera gewidmet ist. Das Kapitel zu den Coros y Danzas liest sich in Kontinuität mit den Berichterstattungen, die zeitgleich mit ihren Auftritten entstanden. Dies verwundert wenig angesichts der Tatsache, dass der Mediävist Luís Suárez Fernández, der sich als Chronist in den Dienst der Asociación Nueva Andadura stellte, sich ebenso wenig wie diese je von dem Regime, für das er Zeit seines Lebens arbeitet(e), distanziert hat.50 Sowohl Suárez Fernández als auch García Serrano berufen sich ferner auf einen Brief des spanischen Botschafters in Peru, José Maria Doussinague, an Pilar Primo de Rivera aus dem Jahr 1950. Doussinagues Brief enthält einen ausführlichen Bericht über die Auftritte der Coros y Danzas in Lateinamerika und wurde von der Falange als zwanzigseitige Broschüre publiziert.51 Schließlich werde ich auch Dokumente des US-amerikanischen Joint AntiFascist Refugee Commitee, einer antifaschistischen Gruppierung, die im Jahr 1953 in New York und San Francisco Proteste gegen die dortigen Coros y Danzas-Auftritte organisierte, hinzuziehen. Die untersuchten Korrespondenzen und Berichte in der Vereinszeitung Free Spain befinden sich im New Yorker Archiv
49 Vgl. Suárez Fernández, Luis: Crónica de la Sección Femenina y su tiempo, Madrid 1993. 50 Suárez Fernández hatte von 1955 an diverse Lehrstühle an verschiedenen spanischen Universitäten inne. 1972 wurde er zum Generaldirektor des Staatsdepartements für Universitäten und Forschung (universidades e investigación) ernannt. Nach Francos Tod erhielt das Opus Dei-Mitglied einen Lehrstuhl an der neu eröffneten Universidad Autónoma de Madrid. Seit seiner Pensionierung widmet er sich vor allem seiner Arbeit in der Fundación Francisco Franco, der Real Academia de Historia und der Hermandad del Valle de los Caídos. Im Juni 2011 geriet Suárez mit seinem Beitrag zu Francisco Franco im von der RAH herausgegebenen Diccionario Biográfico Español ins Kreuzfeuer der Kritik. Der Autor beschreibt das Franco-Regime darin unter anderem als „autoritär aber nicht totalitär“, was lautstarke Proteste zahlreicher WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und KünstlerInnen hervorrief. Vgl. Constenla, Tereixa et al.: „Contra el falseamiento de la Historia“, in: El País, 02.06.2011. 51 Doussinague, José María: Carta dirigida a la Delegada Nacional de la Sección Femenina Camarada Pilar Primo de Rivera, con motivo de la visita a tierras de América de los Coros y Danzas de la Sección Femenina (Seminario de Estudios Políticos de la Falange), Almería 1950.
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der Veteranenorganisation der Abraham Lincoln Brigade, einem US-amerikanischen Freiwilligenkorps, das auf Seiten der Republik im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte.52 Unter den unbewegten Bildern, die ich untersuche, befinden sich Illustrationen in Werbematerial und vor allem Fotografien, die Coros y Danzas-Mitglieder beim Tanzen, aber auch bei Aktivitäten abseits der Bühne zeigen. Die Mehrzahl von ihnen wurde von professionellen Fotografen aufgenommen. Bei einigen handelt es sich um Studio-Fotografien oder um Bilder, die in professionellen Fotoshootings unter freiem Himmel entstanden. Daneben gehören zu den Quellen dieser Arbeit auch Bilder, die Coros y Danzas-Tänzerinnen selbst und Personen, die sie auf ihren Auslandsreisen begleiteten, aufgenommen haben. Zu den bewegten Bildern, die ich analysieren werde, gehören diverse Dokumentarfilme und der 1951 in den spanischen Kinos angelaufene Spielfilm Ronda española. Regie führte in letzterem Ladislao Vajda, der 1942 aus Ungarn nach Spanien emigriert war, wo er zahlreiche weitere Filme drehte, die sich durch eine hohe filmtechnische Qualität und regimekonforme Plots auszeichnen.53 Das Drehbuch zu Ronda española schrieb der konservativ-katholische Autor José María Sánchez Silva zusammen mit dem bereits genannten Rafael García Serrano. Gedreht wurde hauptsächlich in den Chamartín Studios in Madrid mit einigen bekannten SchauspielerInnen wie José Suárez oder Elena Salvador. Vor allem aber treten in dem Film Coros y Danzas-Mitglieder als Darstellerinnen ihrer selbst auf. Die Hauptfigur wird von der Tänzerin Clotilde Poderós gespielt. Der Film erzählt die Geschichte von Victoria, die auf einer Coros y DanzasTournee in Lateinamerika ihren exilierten Bruder Pablo, der im Bürgerkrieg für die Republik gekämpft hatte, aufspürt und ihn mit Hilfe ihrer Freundin Ángeles überzeugen kann, gemeinsam mit den Tänzerinnen in das franquistische Spanien zurückzukehren. Eine Gruppe von Exilrepublikanern plant jedoch, die Auftritte der Folkloregruppen zu sabotieren. Der Akt wird allerdings nicht ausgeführt, weil die Männer, von der Bühnenshow überwältigt, ihre Pläne vergessen. Der Film wurde vom staatlichen Bildungsdepartement als „von nationalem Interesse“ („de interés nacional“) klassifiziert und mit den entsprechenden Subventionen honoriert.54 Er spielte hohe Einnahmen ein, von denen 15 Prozent an die Sección
52 Vgl. ALBA VF2. 53 Vgl. Llinás, Francisco: Ladislao Vajda. El húngaro errante, Valladolid 1997. 54 Seit 1944 wurde diese Klassifizierung an in Spanien von Spaniern produzierte Filme verliehen, die überdies folgendes Kriterium erfüllen sollten: „It should contain ‚unequivocal examples of the exaltation of the racial values or archetypes of our moral
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Femenina gingen. Es sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass Kinobesuche im Franco-Spanien zu den wichtigsten Freizeitbeschäftigungen insbesondere der Arbeiterklasse gehörten und dass das Kino ein vom Regime privilegiertes Medium zur politischen Indoktrinierung darstellten. Wie Woods aufzeigt, hing seine politische Wirksamkeit von der Bereitschaft der ZuschauerInnen ab, sich über Klassen- und Geschlechtergrenzen hinweg mit Filmcharakteren zu identifizieren.55 Dies verlieh ihnen gleichzeitig ein subversives Potential, auf das ich in Kapitel 5 zu sprechen kommen werde. Eine weitere Filmquelle ist der Dokumentarfilm zur ersten Coros y DanzasReise nach Äquatorialguinea. Im Jahr 1941 gründete der Hobbyfotograf Manuel Hernández Sanjuán die Gruppe Hermic Films. Er drehte mehrere Dokumentarfilme in Marokko, bevor er im Jahr 1944 von der Kolonialdirektion mit der Produktion einer Reihe von Dokumentarfilmen in Äquatorialguinea beauftragt wurde. Ziel der Hermic-Filme war es „in Spanien die Kolonialisierungsarbeit bekannt zu machen“56. Es handelte sich dabei, mit anderen Worten, um Kolonialpropaganda. Zusammen mit Santos Nuñez (Kommentar und Drehbuch), Segismundo Pérez de Pedro (Kamera) und Luis Torreblanca (Montage) drehte Sanjuán von 1944 bis 1946 31 Kurzfilme und schoss 5500 Fotografien. Wie Bayre und Valenciano bemerken, war es insbesondere deren „ästhetischer Wert“, den Pere Ortín und Vic Pereiró in ihrer 2007 im ethnologischen Museum der spanischen Stadt Valencia installierten Ausstellung zu den Hermic-Filmen und -Fotografien und im dazugehörigen Buch Mbini: Cazadores de imágenes zu unterstreichen suchte. Wie Bayre und Valenciano betonen, ging es den Ausstellern laut eigenen Angaben darum „,zu zeigen ohne zu interpretieren‘, die Bilder für sich selbst sprechen zu lassen“57. Die Autorinnen weisen weiter auf die positive Resonanz hin, die das Projekt sowohl im Kolonialnostalgiker-Internetforum Crónicas de la Guinea Ecuatorial (bioko.net/galeriaFA/) als auch in konservativen Tageszeitungen wie El Mundo erfuhr. In letztgenannter hieß es, dass die Bilder „jenseits von ihrer propagandistischen Intention Dokumente von großem historischem, anthropologischem und kinematographischem Wert“58 seien.
and political prinicples‘.“ Triana Toribio, Nuria: Spanish National Cinema, London/New York 2003, S. 55. 55 Vgl. Woods, Identification, S. 126f. 56 Fernández Fígares, Imaginario, S. 234. 57 Bayre/Valenciano, Cuerpos naturales, S. 246. 58 „[...] más allá de la intención propagandística, constituyen un documento de gran valor histórico, antropológico y cinematográfico.“ Rodríguez, Memorias (españolas) de Africa. Zitiert in: ebd., S. 247.
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Die meisten Hermic-Filme lassen sich gemäß Crawfords für den anthropologischen Film als Bildungs- und Informationsfilme charakterisieren, wobei die meisten auch Elemente des Forschungsfilms und des travelogues beinhalten.59 Fernández Fígares ordnet die im Zeitraum von 1944 bis 1946 entstandenen Hermic-Filme den Themenbereichen „Flora“, „Ethnologie“, „Fauna“ und „Naturphänomene“, „Krankheiten und Gesundheitspolitik“, „Missionare“, „Technik und Entwicklung“ sowie „militärische Erfolge“ zu.60 Sie nehmen mancherorts den Charakter ethnographischer Spektakel an und erlauben es den ZuschauerInnen, ihrerseits zu Reisenden und zu AnthropologInnen zu werden, ohne ihre gewohnte Umgebung zu verlassen.61 Es sei betont, dass die Hermic-Filme größtenteils nicht aus Aufnahmen zufällig angetroffener Menschen bestanden, sondern aus Vorführungen von DarstellerInnen, die eine ganz bestimmte Rolle zu spielen hatten.62 Dies illustriert ein Interview, in dem sich Sanjuán an die Dreharbeiten zum Film Balele erinnert: „Es war spektakulär. Wir bereiteten den Dreh mit den Tänzern, die auftreten wollten, sehr gut vor. Es waren sehr viele nativos da und wir wollten, dass alles sehr indígena-mäßig wirke. Viele Mädchen trugen Büstenhalter und ein Kruzifix, das sie ihnen in der Mission gegeben hatten. Sie trugen sie aus Scham, eines dieser absurden Dinge der damaligen Zeit. Es wurde sehr gut vorbereitet. Alles mit indígena-Kostümen, sehr sorgfältig und sehr wahrheitsgetreu. [...] Um ihn [den Film] zu vertonen, ordnete dort der General de Marruecos y Colonias an, Soldaten und Guineer herbeizuholen, um Chöre zu bilden und zu sin gen [...].“63
59 Vgl. Crawford, Peter Ian: Film as Discourse. The Invention of Anthropological Realities, in: ders./David Turton David (Hg.): Film as Ethnography, Manchester 1992, S. 66-82, hier S. 74. 60 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 236ff. 61 Vgl. Tobing Rony, Fatimah: The Third Eye. Race, Cinema and Ethnographic Spectacle, Durham 1996, S. 85. 62 Vgl. ebd., S. 24. 63 „Fue espectacular. Preparamos muy bien el rodaje con los bailarines que querían salir. Había muchos nativos y queríamos que saliera todo muy en plan indígena. Muchas de las chicas llevaban sostén y una cruz que les habían dado en la misión. Se las habían puesto por pudor, cosas de esas absurdas de aquella época. Se preparó muy bien. Todas con los trajes indígenas muy cuidados y verdaderos. [...] Para sonorizarla allí el director general de Marruecos y Colonias ordenó llevar soldados y gentes de Guinea para que hicieran los coros, cantaran [...].“ Ortín, Pere/Pereiró, Vic: Mbini. Cazadores de imágenes en la Guinea Ecuatorial, Barcelona 2006, S. 25.
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In den 1950er Jahren drehte Hermic weitere Dokumentarfilme in Äquatorialguinea, allerdings, anders als von 1944 bis 1946, nicht in Serie. Gezeigt wurden die von 1944 bis 1946 gedrehten Hermic-Filme zum ersten Mal im Mai 1946 vor einem großen Publikum im Madrider Palacio de la Música. José Díaz de Villegas, der Director General de Marruecos y Colonias, führte in die Präsentation ein. Die Presse berichtete ausführlich über die Filme. Laut Tabernero wurde das Material in den Folgejahren mehrere weitere Male in Madrid, aber auch in Äquatorialguinea, sowohl in einer Vorführung für spanische SiedlerInnen als auch vor einem Publikum von GuineerInnen, gezeigt.64 Fernández Fígares führt aus, dass Ausschnitte aus einzelnen Filmen wegen ihrer hohen filmischen Qualität auch in verschiedenen Spielfilmen verwendet wurden.65 Alberto Elena geht allgemein davon aus, dass die Hermic-Filme auf ein weit breiteres Interesse stießen und ein größeres Publikum fanden, als dies deren Produzenten in den letzten Jahren versuchten glaubhaft zu machen.66 In einem Brief, den die Leiterin der ersten Coros y Danzas-Äquatorialguineareise aus Santa Isabel an Pilar Primo de Rivera sandte, heißt es: „Das alles haben sie gefilmt und wenn die Filme gut herauskommen, wird es ein sehr interessantes Dokument sein.“67 Tatsächlich entstand ein achtminütiger Film von hoher technischer Qualität, der die Coros y Danzas aus Murcia und Cádiz auf verschiedenen Stationen ihrer 1954 stattgefundenen Äquatorialguineareise beim Tanzen sowie bei nicht tänzerischen Aktivitäten zeigt (eine detailliertere Beschreibung folgt in Kapitel 2.3). Wann und wie die Filmrolle in das Archiv der Filmoteca Nacional in Madrid gelangte, ist unbekannt. Lange Zeit lagerte sie in einem feuchten Kellerraum des Archivs. Die Tatsache, dass sie annähernd unbeschädigt geblieben ist, ist erstaunlich. Dass es sich bei den Aufnahmen um eine Hermic-Produktion handeln könnte, schloss Mariano Gómez von der Filmoteca Nacional bei unserer ersten Sichtung daraus, dass er in der Stimme des Kommentators diejenige von Santos Nuñez Pérez zu erkennen glaubte sowie aufgrund des Logos, das am Ende der Aufnahmen kurz erscheint. María Dolores Fígares bestätigte diese Identifizierung bzw. meine Vermutung, dass es sich bei den Aufnahmen um Danzas de España en el trópico handeln würde, einem verschwunden geglaubten Film, den aber Sanjuán in einer Auflistung sämtlicher Hermic-Produktionen, die er Fernández Fígares übergab, aufgeführt hatte. Den
64 Vgl. Tabernero, Representaciones médico-sanitarias, S. 31. 65 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 244. 66 Vgl. Elena, Llamada de África, S. 90f. 67 „Todo esto lo han filmado y si las películas salen bien será un documento muy interesante.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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dortigen Angaben entsprechend wurde der Film von demselben Team gedreht, das auch die Hermic-Filmreihe von 1944 bis 1946 produziert hatte, mit dem einzigen Unterschied, dass nicht Sanjuán persönlich, sondern Alejandro Perla Juderías Regie führte.68 Eine letzte filmische Quelle dieser Arbeit stellt der Komplex der über 200 Coros y Danzas-Kurz-Dokumentarfilme dar, die das staatliche Fernseh-Produktions-Unternehmen No-Do (Noticiarios y Documentales) zwischen 1956 und 1976 drehte. Es handelt sich dabei um wenige Minuten lange Aufnahmen einzelner Tanzgruppen, die jeweils einen ganz bestimmten Tanz vorführen. Die Filme sind seit kurzem auf der Internetseite des spanischen Ministerio de Cultura einsehbar.69 Mit der Auflösung der Sección Femenina am 1. April 1977 wurde ein Teil ihrer Dokumente vernichtet.70 „Kein Archiv ohne Draußen“71 gilt schon deshalb auch für das aufbewahrte Material zu den Coros y Danzas. Ein Teil ihrer Aktenbestände nahm die Veteraninnenorganisation der Sección Femenina, die Asociación Nueva Andadura, an sich, um sie in ihrem Privatarchiv zu ordnen. Zugang zu ihnen hatten nur Mitglieder der Organisation und Suárez Fernández, der auf deren Basis seine Crónica de la Sección Femenina y de su Tiempo erstellte. Im Dezember 1998 gelangten die Dokumente in die Real Academia de Historia (RAH), wo Suárez Fernández zwischenzeitlich als Mitglied aufgenommen worden war. Der wohl größte Teil der Sección Femenina-Dokumente wurde 1978 ins AGA und zusätzlich in einige regionale und munizipale Archive transferiert. Im AGA sind verschiedene Bestände der Sección Femenina dem großen Bestand Movimiento Nacional bzw. seinen Divisionen zugeordnet. Die verschiedenen Dokumente zu den Coros y Danzas gehören zum Bereich „Kultur“. Auch einige der nicht zerstörten Dokumente der Frauensektion der Falange fanden nie ihren Weg in ein öffentliches Archiv. Im Juni 2009 übergab mir ein ehemaliges Kadermitglied der Sección Femenina (im Folgenden Maite genannt) in Barcelona eine Schachtel mit sechs Ringheften.72 Diese enthalten zum Teil Kopien aus Suárez Fernández’ Crónica und diverser publizierter Sección Femenina-Texte, einiger Presseartikel, aber auch interner Dokumente der Organi-
68 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 247. 69 Vgl. Ministerio de Cultura, http://www.mcu.es/archivos/MC/AGA/DANZAS/Danzas.html vom 21.09.2012. 70 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 24. 71 Derrida, Jacques: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression, Berlin 1997, S. 25. 72 Maite Doc. 1-Maite Doc. 6.
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sation, darunter auch Fotografien. Ferner sind in den Ringbüchern zwischen den Dokumenten kaum leserliche handschriftliche Notizen eingeschoben. Auf mehreren mit „Mai 2009“ datierten Seiten fasst die Person, die das Material zusammengetragen hat – offenbar eine enge Bekannte von Maite – die Institutionsgeschichte zusammen, gibt Erklärungen zu diversen Einrichtungen ab und betont, dass sie das viele Material, das „fast als Grundlage für eine Doktorarbeit dienen könnte“, mit „dem Eifer der Jugendjahre“ zusammengestellt habe.73 Ein großer Anteil der von mir untersuchten Fotografien befindet sich nicht in Archiven. Sie wurden mir von verschiedenen ZeitzeugInnen übergeben. Im Juni 2009 erhielt ich von einem ehemaligen Äquatorialguinea-Siedler acht Fotografien zu den dortigen Coros y Danzas-Auftritten. Einige Wochen später überließ mir eine Teilenehmerin der zweiten Äquatorialguineareise (nachfolgend Eva genannt) einen Umschlag zur Ansicht, der über fünfzig Fotografien, entstanden auf dieser Reise, aber auch von anderen Coros y Danzas-Veranstaltungen, enthielt. Im August desselben Jahres händigte mir eine Teilnehmerin der ersten Coros y Danzas-Äquatorialguinea-Tour (nachfolgend Nina genannt) ein Album mit knapp fünfzig Fotografien von dieser Reise aus. Darin sind die Bilder auf schwarzes Papier aufgeklebt und mit Beschriftungen (meist Ort und Datum der Aufnahme) versehen. Oftmals hat Nina kleine Zeichnungen zur Verzierung hinzugefügt. Die Bilder, die mir diese drei Privatpersonen überlassen haben, wurden von professionellen Fotografen, aber auch von den TeilnehmerInnen der verschiedenen Coros y Danzas-Reisen aufgenommen. Ich habe sie digitalisiert und die Originale zurückgegeben. „[...] die technische Struktur des archivierenden Archivs bestimmt auch die Struktur des archivierbaren Inhalts [...]. Die Archivierung bringt das Ereignis in gleichem Maße hervor, wie sie es aufzeichnet“74, schreibt Derrida. Die „archivarische Gewalt“75, mit der ich in meinen Recherchen konfrontiert wurde, war eine multiple. Nicht nur das Material von Maite war vorsortiert und von der Organisation, die ich angetreten war zu untersuchen, zusammengestellt worden. Ich hatte es auch in der RAH und im AGA mit Archiven im Archiv zu tun. Dies verdeutlichten allein die Kartonregister mit Jahreszahlen, die zwischen den losen Blättern in den Schachteln lagen und nicht von den ArchivarInnen des AGA bzw. der RAH angefertigt worden waren. Auch hier hatten die Sección FemeninaBeamtinnen die Fotografien zu Alben zusammengefügt. Mit Nachdruck ver-
73 „[...] material casi para una tesis doctoral [...] con el entusiasmo de los años mozos.“ Maite Doc. 2. 74 Derrida, Dem Archiv verschrieben, S. 35. 75 Ebd., S. 18.
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bietet es sich angesichts dieser Situation, das Archiv zu einem „Fetisch, zum Substitut einer immer schon verlorenen Realität der Vergangenheit“76 zu machen. Ebenso wenig wie in den Erzählungen von García Serrano oder in der Crónica von Suárez Fernández sind in den verschiedenen Archiven die Coros y DanzasAuftritte als originäre Ereignisse vor ihrer nachträglichen Strukturierung durch die Falange erreichbar. Aufgespürt werden können nur die Spuren, welche die Geschehnisse im Material hinterlassen haben. Oder, um mit Schulze zu sprechen: „Somit bedeutet Archivarbeit zuallererst Spurensuche und Spuren lesen, um dann aus den Einzelteilen ein Bild zu formen. Dieses Bild jedoch muss aufgrund der vielfältigen Vermittlungsstufen und damit einhergehenden Zeichensysteme verschwommen bleiben.“77 Wie erwähnt wurde mir ein Großteil des in dieser Arbeit untersuchten Quellenmaterials im Verlauf von längeren Gesprächen übergeben, die ich im Sommer 2009 in Barcelona, Cádiz und Ronda führte. Zu meinen GesprächspartnerInnen gehörte Alberto (Pseudonym), der 1954 als spanischer Siedler in Äquatorialguinea lebte und die Auftritte der Tänzerinnen im Publikum mitverfolgte. Ich sprach außerdem mit fünf ehemaligen Coros y Danzas-Mitgliedern und mit Maite, einem ehemaligen Kadermitglied der Sección Femenina. Letztere gehörte zu den einflussreichsten Angehörigen der Führungsschicht der Sección Femenina. Nina und Galia (Pseudonyme) nahmen als Tänzerinnen an der ersten Äquatorialguineareise teil, Eva und Toni (Pseudonyme) tanzten bzw. musizierten während der zweiten Tour. Irina (Pseudonym) nahm an zahlreichen anderen Coros y Danzas-Reisen teil und gründete in Ronda ihre eigene Tanzschule, die noch immer in Betrieb ist. Die geführten Gespräche mussten informeller Art bleiben, ich durfte sie nicht aufzeichnen und meine GesprächsparterInnen müssen in dieser Arbeit anonym bleiben. Nur unter diesen Bedingungen erklärten sie sich bereit, mir Auskünfte zu geben und mir ihr Quellenmaterial zu überlassen. Die geführten Gespräche stellen keine Hauptquelle meiner Arbeit dar. Sie haben mich aber unweigerlich in meiner Quellenrecherche und -analyse beeinflusst. Die InformantInnen lieferten mir Hinweise darauf, wo ich hinsichtlich bestimmter Forschungsfragen weiteres Quellenmaterial finden konnte und die Gespräche bestätigten gewisse Interpretationen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt von den Quellen gemacht hatte, ließen mich andere in Frage stellen und führten mich auch zu neuen
76 Ernst, Wolfgang: Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002, S. 47. 77 Schulze, Janine: Tanzarchive. ‚Wunderkammern‘ der Tanzgeschichte? in: Inge Baxmann/Franz Anton Cramer (Hg.): Deutungsräume. Bewegungswissen als kulturelles Archiv der Moderne, München 2005, S. 119-131, hier S. 122.
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Hypothesen. Ich werde den Einfluss jener ZeitzeugInnen-Gespräche in meiner Quellenanalyse durch entsprechende Anmerkungen in den Fußnoten sichtbar machen. Wo ich eine bestimmte Hypothese, die ich aufstelle, nicht mit einer konkreten Quellenstelle belegen kann, füge ich Hinweise auf InformantInnenGespräche in den Haupttext ein. Dasselbe gilt für Hypothesen, für deren Ausformulierung jene Gespräche eine besonders große Rolle gespielt haben. Schließlich werde ich in den Fußnoten einige wenige Informationen aus den Gesprächen ausführen, zu denen ich keinerlei andere Anhaltspunkte in den Quellen gefunden habe, die ich aber dennoch nicht unerwähnt lassen möchte. Die in den Kapiteln 6 und 7 behandelten Geschichten, die den Coros y DanzasAuftritten vorausgingen und sich nach ihnen ereigneten, untersuche ich ebenfalls anhand von Primärquellen. Zu diesen Quellen gehören Publikationen des Instituto de Estudios Africanos, die in der Biblioteca Nacional de España und in verschiedenen spanischen Universitätsbibliotheken aufbewahrt werden, sowie interne Dokumente der Sección Femenina, welche die Tätigkeit der Organisation in Äquatorialguinea dokumentieren. Letztere befinden sich im AGA und der RAH, wobei Gustau Nerín i Abad einen Teil der AGA-Dokumente transkribiert und mit einem einleitenden Kommentar publiziert hat.78 Schließlich werde ich auch auf die Plantagenromane der katalanischen Schriftstellerin Liberata Masoliver eingehen, die zu den populärsten Erzeugnissen der franquistischen Kolonialliteratur gehören. Übersetzen und Spekulieren „Wie die Tangente den Kreis flüchtig und nur in einem Punkte berührt und wie ihr wohl diese Berührung, nicht aber der Punkt, das Gesetz vorschreibt, nach dem sie weiter ins Unendliche ihre geraden Bahnen zieht, so berührt die Übersetzung flüchtig und nur in dem unendlich kleinen Punkte des Sinnes das Original, um nach dem Gesetz der Treue in der Freiheit der Sprachbewegung ihre eigenste Bahn zu verfolgen“79, schreibt Walter Benjamin und verweist damit auf die Unmöglichkeit einer vollständigen Erfassung der vermeintlich originären Bedeutung eines Ausdruckes in dessen Übersetzung. „Denn in seinem Fortleben [in der Übersetzung], das so nicht heißen dürfte, wenn es nicht Wandlung und Erneuerung des Lebendigen wäre, ändert sich das Original.“80 Der vorliegende Text
78 Vgl. Nerín i Abad, Sección Femenina. 79 Benjamin, Walter: Die Aufgabe des Übersetzers, in: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1961, S. 56-69, hier S. 67. 80 Ebd., S. 60.
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ist Resultat verschiedener Übersetzungsarbeiten. Ich übersetzte Begriffe von einem im Franco-Staat in der spanischen Metropole, aber auch in der Kolonie sowie in Lateinamerika gesprochenen Spanisch in mein Deutsch und Aussagen aus Bildern in Worte.81 Weiter übersetzte ich, um in Anlehnung an Hayden White zu sprechen, einige ausgewählte Informationen, die ich aus Quellen herauslese, in literarische Geschichten.82 Meine Übersetzungen sind notwendigerweise immer mit Bedeutungsselektionen verbunden, weil die Übersetzung des Originals nicht existiert. Oder in den Worten von Fludernik: „History as the actuality of the past cannot be recuperated by narrative; it can only be (re)constructed, in fact invented, in close reliance on the available sources.“83 Die Geschichten, die HistorikerInnen schreiben, können, wie Southgate betont, nie vollständig abgeschlossen sein.84 Dies schon deshalb, weil 99 Prozent aller historischen Ereignisse keine Aufzeichnungen hinterlassen oder nur solche, die HistorikerInnen nicht zugänglich sind.85 Welche Informationen zu einem Ereignis in ein Archiv oder in die Erinnerung von Zeitzeugen Eingang finden und wie sie gespeichert werden, hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der politischen Konstellation, in der die Aufnahme stattfindet. Welche Art von Informationen ich aus einem Quellendokument herauslese bzw. herausübersetzte und in welcher Art und Weise ich welchen Teil davon in einem Text übersetze, hängt davon ab, in welcher Erzählform die Informationen in den Quellen erscheinen. Meine Übersetzung ist davon beeinflusst, wie ich Zugang zu den Quellen erhalten habe und sie ist durch meinen epistemologischen Standpunkt geprägt. Diese Faktoren beeinflussen sich wechselseitig. Meine Perspektive ist geprägt von meiner vergangenen und gegenwärtigen sozialen Position innerhalb lokaler und globaler Kräfteverhältnisse, meiner emotionalen Verstri-
81 Die spanischen Originaltexte meiner Quellen, von denen viele der heutigen spanischen Rechtschreibung nicht entsprechen, füge ich jeweils in den Fußnoten bei. Wo ein Maskulinum generisch ist und wo nicht, lässt sich nur in Berücksichtigung des größeren Kontextes, in dem die Quellenstelle steht, bestimmen – und oftmals nicht mit abschließender Sicherheit. In der Übersetzung verwende ich keine geschlechtsneutralen Formen. 82 Vgl. White, Hayden: Tropics of Discourse. Essays in Cultural Criticism, Baltimore/London 1978, S. 92. 83 Fludernik, Monika: Experience, Experimentality and Historical Narrative. A View from Narratology, in: Thiemo Breyer/Daniel Creutz (Hg.): Erfahrung und Geschichte. Historische Sinnbildung im Pränarrativen, Berlin 2010, S. 40-72, hier S. 40. 84 Vgl. Southgate, Beverley: History Meets Fiction, Harlow 2009, S. 182f. 85 Vgl. ebd., S. 195.
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ckung mit dem Forschungsgegenstand und meinen politischen Anliegen.86 Diese Komponenten führen dazu, dass mein Blick auf die Quellen weder unbeteiligt noch unschuldig sein kann. Mein Standpunkt beeinflusste zusammen mit einer Reihe von Kontingenzen nicht nur die Interpretation meines Materiales, sondern auch dessen Selektion aus dem mir zur Verfügung stehenden Komplex sowie, welches Material mir überhaupt zur Verfügung stand und wie es in meine Verfügung gelangte. Alberto, einen Zeitzeuge, der mir Quellenmaterial zu den Coros y Danzas-Reisen in Äquatorialguinea übergab, traf ich zum ersten Mal im Rahmen einer großen Tagung anlässlich der 40-jährigen Unabhängigkeit Äquatorialguineas in New York City in der Schlange vor dem Frühstücksbuffet. Nachdem ich einige Monate später mit ihm in Barcelona gesprochen hatte, verschaffte er mir Kontakt zu einem Bekannten aus Cádiz. Bei diesem handelte es sich um den Sohn ehemaliger Äquatorialguinea-Siedler, der wiederum mit einer Teilnehmerin der zweiten Coros y Danzas-Äquatorialguineareise befreundet war. Über ihn lernte ich in Cádiz Eva kennen, die mich wiederum Toni vorstellte und den Kontakt mit Nina und Irina herstellte. Nina stellte mich Galia vor. Den Kontakt zu Maite vermittelte mir deren Großnichte, mit der mich ein Freund bekannt machte, der zum damaligen Zeitpunkt im Betrieb dieser Großnichte arbeitete. Es waren also komplizierte punktuelle und dauerhafte Überschneidungen von akademischen, privaten und beruflichen Beziehungen, die mich in einer ‚Reise‘ voller Zufälle von einem Privat-Archiv zum nächsten führten. Es mag viele Gründe dafür gegeben haben, warum die betreffenden Personen mir bereitwillig einen Teil ihrer Dokumente übergaben. Meine soziale und geographische Herkunft, die sichtbare Beschaffenheit meines Körpers (z.B. meine Hautfarbe) und mein Verhalten während der Gespräche spielten dabei, wie ich meine, eine entscheidende Rolle. Mein epistemologischer Standpunkt veränderte sich bereits während des Zusammentragens der Quellen, indem er bestimmte Emotionen generierte und politische Anliegen formierte. Zu einer weiteren Veränderung kam es während der Quellenlektüre selbst. Schließlich wandelte sich mein Standpunkt auch durch die Präsentation von ersten Übersetzungen meiner Lektüre an Tagungen und vor Sti-
86 Vgl. Code, Lorraine: Taking Subjectivity into Account, in: Alcoff/Potter (Hg.), Feminist Epistemologies, S. 15-48. Vgl. Harding, Sandra: Rethinking Standpoint Epistemology. What is Strong Objectivity? in: Alcoff/Potter (Hg.), Feminist Epistemologies, S. 49-82. Vgl. Jones, Briony/Ficklin, Lisa: To Walk in their Shoes. Recognising the Expression of Empathy as Research Reality, in: Emotion, Space and Society 5, 2 (2012), S. 103-112. Vgl. Burgermeister, Nicole: Sich irritieren lassen, in: Rosa. Die Zeitschrift für Geschlechterforschung 42 (2011), S. 20-23.
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pendienkomissionen. Dort erhielt ich inhaltliche Rückmeldungen und es wurden mir finanzielle Mittel zugesprochen, die auch eine Veränderung meiner sozialen Position bewirkten. Dieser Wandel beeinflusste wiederum das Zusammentragen und Übersetzen der Quellen. Die spezielle Quellenlage zu meinem Untersuchungsgegenstand, wie ich sie oben beschrieben habe, hat zur Folge, dass ich in der Beantwortung einiger meiner Forschungsfragen Aussagen machen muss, die noch spekulativer sind als dies Geschichtsschreibung immer ist. Es geht mir dabei nicht um Spielereien, die ich nur zum Zwecke der Unterhaltung meiner Leserschaft in meinen Text integriere. Obschon die Geschichten, die ich schreibe, notwendigerweise fiktional sind, sind sie dies im Sinne einer fictio. Um erneut Fludernik zu zitieren: „Although the story constructed from the sources is a fictio, an invention in terms of its chronological and motivational-causal reconstruction of events in a storyline, it is not a fictum (as in literary narrative) since it refers to a ‚reality out there‘.“87 Wenn ich an gewissen Stellen mehr als an anderen „the art of speculation“88 hinzuziehe, um mit Martha Hodes zu sprechen, dann tue ich dies, weil sie die einzige mir zur Verfügung stehende Methode darstellt, um meine Tangenten an den Kreis zu legen.
K ONZEPTUALISIERUNGEN Ich verwende in dieser Arbeit zahlreiche Begriffe oder vielmehr Konzeptionen, über deren Bedeutung nicht einmal in den Kulturwissenschaften – geschweige denn außerhalb von ihnen – Konsens besteht. Zu dreien dieser Konzepte möchte ich bereits an dieser Stelle einige wenige Punkte erörtern und klären, was ich unter ihnen verstehe. Ethnographische Spektakel Ich betrachte die Auftritte der Coros y Danzas, und zwar sowohl ihre live-performances als auch die Berichterstattung über diese als ethnographische Spektakel. Ich verwende die Bezeichnung „Spektakel“ in Anlehnung an Griffiths folgendermaßen: „From the Latin spectaculum (or spectare, meaning ‚to watch‘) spectacle in Webster’s dictionary is defined as ‚something exhibited to view as unusual, notable or entertaining‘, although its use to define an object or person as
87 Fludernik, Experience, S. 41. 88 Hodes, Martha: The Sea Captain’s Wife. A True Story of Race, Love and War in the Nineteenth Century, New York 2007, S. 36.
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a thing of curiosity or contempt is equally important.“89 Bei den Coros y Danzas wurden Menschen als RepräsentantInnen ganz bestimmter „Ethnien“, „Völker“ oder „Rassen“ zur Schau gestellt. Sie selbst und was sie vorführten wurde als „typisch“ „spanisch“, „katalanisch“ oder „baskisch“ präsentiert. Daher betrachte ich in dieser Arbeit die verschiedenen Formen, in denen die Folkloregruppen auftraten, immer wieder als ethnographische Spektakel. Wie Goode und Medina Doménech aufzeigen – und wie auch im Verlauf meiner Arbeit deutlich werden wird – waren franquistische „Völker“- und „Rassen“-Konzepte äußerst ‚flexibel‘, und sowohl kulturelle als auch biologische „Charakteristika“ wurden zur Definition herangezogen.90 Sie ähnelten darin den Konzeptionen von „Ethnien“, die in Wissenschaft und Populärkultur in den 1950er Jahren in Westeuropa und den USA verbreitet waren und sich auch in der ausländischen Berichterstattung zu den Coros y Danzas-Auftritten manifestierten.91 Die Bühnenauftritte der Coros y Danzas können als Völkerschauen verstanden werden, in denen das jeweilige Publikum „typische“ Repräsentantinnen eines „Volkes“ live in ihrem „typischen“ Verhalten – dem Tanzen – beobachten konnten. Völkerschau-Umzüge teilten mit den Völkerschauen ihre liveness und damit eine „liveliness“, generiert durch die (wenn auch stark beschränkte) Möglichkeit zur direkten Interaktion mit den ProtagonistInnen.92 Die Berichte zu den Auftritten der Coros y Danzas und die von der Sección Femenina herausgegebenen Publikationen zur „authentischen spanischen Folklore“ waren ethnographische Ausstellungen in Papierform, die in vielerlei Hinsicht in Museen anzutreffenden ethnographischen Ausstellungen glichen. Schließlich betrachte ich auch diverse Szenen aus dem Coros y Danzas-Filmmaterial als ethnographische Spektakel. Die Mitglieder der Folkloregruppen waren nicht die einzigen ProtagonistInnen ihrer performance. Die ZuschauerInnen der Auftritte waren ebenso wie diverse Personen, welche die Tänzerinnen auf ihren Reisen begleiteten, Teil der Show. Während den Äquatorialguineareisen der Coros y Danzas wurden auch GuineerInnen in ethnographischen Spektakeln als typische indígenas vorgeführt, und
89 Griffiths, Alison: Shivers Down your Spine. Cinema, Museums and the Immersive View, New York 2009, S. 17. 90 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 87. Vgl. Goode, Joshuah: Impurity of Blood. Defining Race in Spain 1870-1930, Baton Rouge 2009, S. 6ff. 91 Vgl. Comaroff, John L./Comaroff, Jean: Ethnicity Inc., Chicago/London 2009, S. 34ff. 92 Vgl. Ames, Eric: Carl Hagenbeck’s Empire of Entertainment, Seattle 2009, S. 87ff.
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zwar den Mitgliedern der spanischen Folkloregruppen, aber auch dem Publikum der Coros y Danzas, demjenigen vor Ort und demjenigen der Berichterstattung zu den Reisen. Die Coros y Danzas-Auftritte sollten „emotional, sensual and memorable experiences“93 darstellen, welche die ZuschauerInnen nachhaltig affizieren würden.94 Sie sollten daher möglichst immersiv sein. Das heißt, ihr Publikum sollte in einen Raum, in dem es sich physisch nicht befand, eintauchen, sich fühlen, als wäre es tatsächlich dort. In den Worten von Griffiths schafft Immersion „a sense of being in closer communion with something other than the here and now, something that takes us into a virtual reality that could be defined as an interspatial place where we are never fully there because our bodies can never fully leave the here“95. Die Instrumente, die bei den Coros y Danzas angewandt wurden, um Immersion zu erzeugen, variierten je nach Art des aufgeführten ethnographischen Spektakels. Zu ihnen gehörten der Rhythmus aber auch spezielle kinematographische Techniken wie der Wechsel von Nah- und Fernaufnahmen, Beleuchtung, Kontrast, Überblendungen und die Kombination von Musik und Bild. Bei den von mir untersuchten Völkerschauen, Völkerschau-Umzügen und ethnographischen Film-Spektakeln handelte es sich zu einem großen Teil um ZurSchau-Stellungen von Menschen, die sich darüber im Klaren waren, Teil einer Show zu sein und daher von mir als DarstellerInnen behandelt werden. Ich lehne mich in dieser Betrachtungsweise an die Studien von Ames und insbesondere Tobing Rony an, die in Bezug auf die chronophotographischen Aufnahmen, die Félix Regnault im Jahr 1895 „schoss“, schreibt: „[...] the West Africans and Malagasy filmed were performers, and not just bodies. These performers were people who returned gazes and who spoke [...].“96 Emotionen „Ich habe ihre Reise verfolgt und ich kann Ihnen sagen, dass ihr Erfolg vor allem auf dem Sentimentalen basiert und genau dies ist das Gefährliche“97, so warnt im Film Ronda española ein Exilrepublikaner seine Freunde vor der politischen
93 Griffiths, Shivers, S. 217. 94 Vgl. ebd., S. 225. 95 Ebd., S. 285. 96 Vgl. Tobing Rony, Third Eye, S. 24. Vgl. Ames, Hagenbeck, S. 74. 97 „He seguido su viaje y puedo decirles que su exito sobre todo se basa en lo sentimental y esto es precisamente lo peligroso.“ Ronda española (ES 1951, R: Ladislao Vajda).
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Sprengkraft der Coros y Danzas-Auftritte. Auch ich interpretiere die Auftritte der Folkloregruppen als Emotions-Politik, die darauf abzielte in den Menschen, die ‚betanzt‘ wurden, ganz bestimmte Gefühle für ganz bestimmte Objekte zu erzeugen. Der Emotional-, Affective-, Sentimental- oder Feeling-Turn in den verschiedensten kulturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch in den Lebenswissenschaften, hat stark divergierende Erklärungsansätze hinsichtlich der Frage, was denn nun Emotionen genau sein sollen, hervorgebracht.98 Ich wähle einen der vielen verfügbaren Ansätze als Arbeitshypothese aus und betrachte Emotionen mit Reddy als „activation of thought material that exceeds the translating capacity of attention within a short time horizon“99. Ich füge dem hinzu, dass ich mich mit Ahmed und Hochschild von der Annahme distanziere, dass Emotionen im tiefen Innern von Gehirnen oder „Instinkten“ schlummern und durch bestimmte Stimuli an eine Oberfläche gebracht werden würden. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sie erst durch die Begegnungen mit Objekten als Eindruck, welche diese hinterlassen sowie durch emotion-work erzeugt werden.100 Das Publikum der Coros y Danzas sollte von bestimmten Emotionen für die Tänzerinnen und für andere Objekte ergriffen werden, die mit ihnen gemeinsam live, aber auch in der Berichterstattung zu ihrer performance auftraten. In einer weiteren Verschiebung sollte es die Emotionen, die es für die Tänzerinnen empfand, auf das Spanien, das diese repräsentierten, übertragen. Damit diese Übertragung gelingen konnte, mussten die Tänzerinnen, wie ich weiter unten zeigen werde, als „typische“ Vertreterinnen dieses Spaniens in Erscheinung treten. Die Emotionspolitik der Coros y Danzas zielte in zweierlei Richtungen. Zum einen hatten die Auftritte der Folkloregruppen zum Ziel, bei ihrem europäischen und US-amerikanischen Publikum Wohlwollen oder, in den Worten der New York Times, „warmer feelings“101 gegenüber dem franquistischen Spanien auszulösen, die dem Franco-Staat in seiner Außenpolitik zum Vorteil gereichen mochten. Zum anderen sollten die Folkloregruppen zu jener richtigen Verteilung von Emotionen – wer musste was, wofür, in welcher Intensität empfinden? – beitragen, die für die Regierung der Bevölkerung in Spanien und den spanischen Kolonien uner-
98
Vgl. Despret, Vinciane: Our Emotional Makeup. Ethnopsychology and Selfhoof,
99
Reddy, William M.: The Navigation of Feeling. A Framework for the History of
New York 2004, S. 4. Emotions, New York 2002, S. 128. 100 Vgl. Ahmed, Sara: The Promise of Happiness, Durham 2010, S. 14. 101 Martin, John: „Spanish Dancers Give Varied Show“, in: The New York Times, 05.06.1953.
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lässlich war. Ich lehne mich in dieser These an die Ausführungen Stolers an, die schreibt: „The role of the state is not only as Antonio Gramsci defined it, in the business of ,educating consent‘, more basically such consent is made possible, not through some abstract process of ,internalization‘ but by shaping appropriate and reasoned affect, by directing affective judgments, by serving some affective bonds and establishing others, by adjudication of what constituted moral sentiments – in short, by educating the proper distribution of sentiments and desires.“102 Ich gehe davon aus, dass im Franco-Staat regierte Menschen einem ganz bestimmten emotional regime unterworfen waren, worunter mit Reddy „the set of normative emotions and the official rituals, practices, and ‚emotives‘ that express and inculcate them; a necessary underpinning of anystable political regime“103 zu verstehen ist. Emotional regimes – und hierin unterscheiden sie sich von weniger normativen emotional communities104 – zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen bestimmte emotional styles gewaltsam durch (das Androhen von) Sanktionen wie Gerede, Ausschluss oder Erniedrigung institutionalisiert werden. Um erneut Reddy zu zitieren: „‚Style‘ becomes ‚regime‘ when the sum of the penalties and exclusions adds up to a coherent structure and the issue of conformity becomes defining for the individual.“105 Die Coros y Danzas-Auftritte hatten ihre emotionspolitische Wirkung auf zweierlei Arten zu erzielen. Einerseits sollten sie im Publikum unmittelbar, das heißt in dem Moment, in dem es dem Spektakel live beiwohnte oder die Berichterstattung dazu sah, Emotionen hervorrufen. Hierfür waren die ergreifenden Effekte von Musik, insbesondere von Rhythmus, entscheidend. Was diesen genau zugrunde liegt, wird seit dem 18. Jahrhundert in Untersuchungen, auf die ich in dieser Arbeit nicht weiter eingehen kann, eifrig erforscht.106 Es sei hier lediglich festgehalten, dass die Forschungsliteratur weitgehend annimmt, dass ein
102 Stoler, Along the Archival Grain, S. 69. 103 Reddy, Navigation of Feeling, S. 129. 104 Vgl. Rosenwein, Barbara H.: Problems and Methods in the History of Emotions, in: Passions in Context I, 1 (2010). http://www.passionsincontext.de vom 18.08.2012, S. 11ff. 105 Reddy zitiert in: Plamper, Jan: The History of Emotions. An Interview with Wiliam Reddy, Barbara Rosenwein, and Peter Stearns, in: History and Theory 49, 2 (2010), S. 237-265, hier S. 242. 106 Vgl. Brotman, Charles: The Undulating Self. The Rhythmic Conception of Music and the Emotions, in: Penelope Gouk/Helen Hills (Hg.): Representing Emotions. New Connections in the Histories of Art, Music and Medicine, Aldershot 2005, S. 209-222, hier S. 209ff.
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solcher ergreifender Effekt von Rhythmus existiert und ich für meine Überlegungen diese Annahme teile.107 Weiter gehe ich davon aus, dass verschiedene immersive textuelle und kinematographische Techniken das Entstehen einer emotionalen Verbindung zwischen den ZuschauerInnen und dem Dargestellten befördern sollten. Andererseits wurden in den Coros y Danzas-Auftritten und in der Berichterstattung über diese ganz bestimmte Gefühle als gesellschaftliche Normen zitiert, die sich die ZuschauerInnen in ihrem Subjekt-Werden durch emotion work aneignen sollten. „Emotion work refers more broadly to the act of evoking or shaping, as well as suppressing, feelings in oneself“108, schreibt Hochschild. Sie betont, dass emotion work „deep-acting“ impliziere und es dabei nicht nur darum gehe „to try to appear to feel“, sondern auch „to try to feel.“109 Hochschild macht diverse emotion work-Techniken aus: „One is cognitive: attempts to change images, ideas or thoughts in the service of changing the feelings associated with them. A second is bodily: attempts to change somatic or other physical symptoms of emotion (e.g. trying to breath slower, trying not to shake). Third, there is expressive emotion work: trying to change expressive gesture in the service of changing inner feeling (e.g. trying to smile or to cry).“110 Menschen, die im Franco-Staat normative Emotionen zum Ausdruck brachten, rezitierten diese in einem performativen Prozess. Wie ich die Funktionsweise eines solchen verstehe, erkläre ich im nächsten Abschnitt. Subjekt-Werden Meine Arbeit beschäftigt sich zu wesentlichen Teilen mit Prozessen der Subjektwerdung. Ich untersuche, wie sowohl die Tänzerinnen als auch ihr Publikum zu ganz bestimmten Subjekten hätten werden sollen und wie sie (möglicherweise) zu ganz anderen wurden. Ich betrachte Subjektivierungsprozesse als nie abge-
107 Vgl. Juslin, Patrik N. et al.: How does Music Evoke Emotions? Exploring the Underlying Mechanisms, in: Juslin/Sloboda, Handbook of Music and Emotion, S. 605-644, hier S. 605ff. 108 Hochschild, Ariel: Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structure, in: The American Journal of Sociology 85, 3 (1979), S. 551-575, hier S. 561. 109 Ebd., S. 560. 110 Ebd., S. 562.
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schlossen und wandelbar.111 Sie vollziehen sich auf verschiedenen miteinander verbundenen, materiellen und semiotischen Ebenen, sind sprachlich, körperlich und emotional und implizieren Machttechnologien.112 Zunächst war es das performative Rezitieren gesellschaftlicher Normen, durch das Menschen für, mit und durch die Coros y Danzas zu bestimmten Subjekten werden sollten. Diese Normen umfassten bestimmte Verhaltensweisen, zu denen sowohl bestimmte Handlungen als auch gewisse Gefühle gehörten. Zitiert wurden die Normen, die es zu wiederholen galt, in mündlichen Sprechakten, Texten, Bildern und in Praktiken, die ganz bestimmte Körpertechniken involvierten.113 Menschen sollten sie rezitieren, indem sie sie ihrerseits in spezifischen Sprechakten, Bewegungen und Handlungen aufführten bzw. performten.114 Individuen sollten ihre Körper so zurecht machen, dass sie die gesellschaftlichen Normen verkörperten. Im franquistischen Spanien und seinen Kolonien wurden Menschen unter anderem als „Frau“ und als „spanisch“ angerufen.115 Sie sollten darauf reagieren, indem sie sich so verhielten, wie es von Subjekten dieser Kategorien erwartet wurde. Im Idealfall identifizierten sie sich mit den Subjektpositionen, die ihnen zugewiesen wurden. Sie sollten sich, in anderen Worten, diesen Kategorien zugehörig fühlen und begehren, entsprechend verortet zu werden. Wie Bell in Anlehnung an Proyben betont, beinhaltet „belonging“, das englische Wort für Zugehörig-Sein, auch das Element „longing“116. Ich werde im Verlauf dieser Arbeit aufzeigen, wie über die Coros y Danzas versucht wurde, aus den in Spanien lebenden Menschen, aber auch aus Spaniens Kolonisierten Subjekte zu machen, die sich der Kategorie „(zu) Spanien gehö-
111 Vgl. Müller, Birgit: Dekonstruktion, Körper, Bewegung, in: Gabriele Klein (Hg.): Tanz Theorie Text (Jahrbuch Tanzforschung, 12), Münster 2002, S. 351-365, hier S. 356ff. 112 Vgl. Law, John: Actor Network Theory and Material Semiotics, Draft Version 25.04.2007. http://www.heterogeneities.net/publications/Law2007ANTandMaterial Semiotics.pdf vom 18.8.2012. 113 Vgl. Mauss, Marcel: Die Techniken des Körpers, in: ders.: Soziologie und Anthropologie, Bd. 2, Frankfurt am Main 1978, S. 197-220. 114 Vgl. Musner, Lutz/Uhl, Heidemarie (Hg.): Wie wir uns aufführen. Performanz als Thema der Kulturwissenschaften, Wien 2006. 115 Vgl. Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt am Main 2002, S. 101f. 116 Vgl. Bell, Vikki: Performativity and Belonging. An Introduction, in: dies. (Hg.): Performativity and Belonging, London 1999, S. 1-10, hier S. 1f.
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rend“ zugehörig fühlten. Die entsprechende Subjektposition einzunehmen, erforderte es, diversen Normen wie etwa Frömmigkeit zu entsprechen. Sich mit ihr zu identifizieren, bedeutete das Verlangen zu haben, diese Normen zu wiederholen und sich ihnen damit aus freien Stücken zu unterwerfen.117 Eine solche Identifikation implizierte, sich dem Konstrukt „Spanien“ zugehörig zu fühlen. Auf dieselbe Art und Weise sollten sich Menschen mit der Subjektposition „Frau“ identifizieren. Das heißt, sie sollten nicht nur begehren, sauber und gehorsam zu sein, sondern auch Zugehörigkeitsgefühle zum Konstrukt „Frau“ entwickeln. Ich untersuche aber nicht nur performative Prozesse, sondern, zumindest am Rande, auch strategisch eingesetzte subjektkonstitutive emotionspolitische Stimulationen. Die unmittelbaren Reaktionen, die sie in den gereizten Menschen hervorrufen sollten, hatten diese Menschen nachhaltig zu transformieren. Es wird im Verlaufe meiner Ausführungen deutlich werden, dass bei den Coros y Danzas nicht immer diejenigen Subjekte entstanden, die hätten entstehen sollen. Ich werde Ursachen hierfür suchen und Überlegungen dazu anstellen, ob möglicherweise jenseits der dokumentierten noch andere Fälle fehlgeschlagener Subjektivierungen auftraten. Wie ich in Kapitel 5 aufzeigen werde, ist performativen Prozessen stets ein hohes Potential inhärent, andere Subjekte als intendiert hervorzubringen. Darüber hinaus waren einige der Instrumente, mittels derer bei den Coros y Danzas Normen zitiert wurden, ‚gefährlich‘. Des Weiteren kam es im Verlauf der Coros y Danzas-Reisen immer wieder zu fremden Begegnungen zwischen Menschen und Menschen, Dingen und Menschen und Menschen und fremden Kräfteverhältnissen. Diese Begegnungen formierten die Beteiligten auf unvorhergesehene Art und Weise. Sie produzierten in ihnen Veränderungen, die einen Einfluss auf ihre unmittelbare Verfasstheit hatten, sich aber auch in ihre Körper einschrieben und längerfristig beeinflussten, wie sie sich aufführten.
117 Vgl. Butler, Psyche der Macht, S. 101f.
Akteure und Schauplätze
In einer ersten Vorstellungsrunde möchte ich im folgenden die Schauplätze, das Publikum und die ProtagonistInnen des ethnographischen Spektakels, das Äquatorialguinea in den Jahren 1954 und 1957 heimsuchte, präsentieren. Wie lässt sich die Geschichte der Sección Femenina im Allgemeinen und diejenige der Coros y Danzas im Besonderen resümieren? Wer führte während der Coros y Danzas-Reisen nach Äquatorialguinea was vor wem auf? Was war Äquatorialguinea?
L A G UINEA E SPAÑOLA Im Austausch gegen mehrere Gebiete im heutigen Uruguay trat im Jahr 1778 Portugal das zwischen den heutigen Staaten Kamerun und Gabun, vor dem Golf von Guinea gelegene Gebiet Río Muni und die Inseln Fernando Póo (heute Bioko), Annobón, Corisco, Elobey Grande und Elobey Chico an Spanien ab. Die nur 28000 km2 umfassende, hauptsächlich von Regenwald bedeckte Region war zu jenem Zeitpunkt – und ist es noch heute – bewohnt von einer Bevölkerung, die sich aus zahlreichen verschiedenen Kulturgruppen zusammensetzt, von denen die größten die Fang, die Bubi und die Ndowé sind. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in den Guinea Ecuatorial oder Guinea Española genannten Territorien ein „imperialismo informal“.1 Nicht staatliche Akteure, sondern verschiedene MissionarInnen und Privatunternehmer verfolgten in der Kolonie ihre Interessen. Dominikanische cocepcionista Nonnen und die claretinischen Mönche des Inmaculada Corazón-Ordens versuchten die GuineerInnen zu „zivilisieren“ und zu hispanisieren. Zu den Unternehmern, die in Äquatorialguinea durch den Handel mit Palmprodukten, Tropenholz und die
1
Campos Serrano, Colonia, derecho y territorio, S. 4.
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Kakao-Kultivierung reich wurden, gehörten auch ehemalige Sklaven, die aus verschiedenen Gebieten der westafrikanischen Küste, allen voran Sierra Leone und Liberia, aber auch aus der Karibik, nach Fernando Póo immigriert waren. Ihre Nachkommen wurden als fernandinos bezeichnet.2 Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Kolonialisierung auch von staatlicher Seite vorangetrieben, indem die Übersiedlung spanischer Bauern gefördert wurde, die als Großgrundbesitzer den Boden Fernando Póos kultivieren sollten. Da die lokale Bubi-Bevölkerung sich nur unter großer Gewaltanwendung für die Arbeit in den Plantagen der SiedlerInnen rekrutieren ließ, heuerten diese SiedlerInnen Taglöhner aus Siedlungen an der Küste des Kontinentalgebietes und später aus Nigeria an. Im spanischen Bürgertum stieß das Kolonialisierungsprojekt bis zur Jahrhundertwende auf nur wenig Zustimmung.3 Diese „apatía colonial“, um mit Campos Serrano zu sprechen, war primär eine Folge der immensen menschlichen und finanziellen Verluste des Spanisch-Amerikanischen Krieges von 1898, in dem Spanien (vergeblich) um seine letzten Überseekolonien gekämpft hatte.4 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dann aber Stimmen laut, die auf Spaniens „Bestimmung zum Imperium“ beharrten. Ende der 1920er Jahre verbreitete sich unter dem Begriff der Hispanidad eine Ideologie, die eine spirituelle Verbundenheit aller Menschen „hispanischer Rasse“ behauptete und proklamierte, Spanien müsse seiner historischen und theologischen Bestimmung nachkommen und die im 15. Jahrhundert in seinem Imperium geschaffene „Einheit“ zwischen Spanien und Lateinamerika wieder herstellen. Ramiro de Maeztu argumentierte in seinem Defensa de la Hispanidad (1934), dass das Wiederbeleben jener spirituellen Einheit in Spanien selbst zu einer Rückkehr zu sozialem Frieden und Wohlstand führen würde.5 Bei falangistischen Autoren, allen voran José Antonio Primo de Rivera, wurde aus dem kulturimperialistischen Konzept Hispanidad ein „Wille zum Imperium“ und der Weg zu spiritueller Einheit führte über territoriale Expansion. Damit sollte Spanien nicht nur innere Stabilität gewinnen, sondern auch den Platz einnehmen, der ihm in Europa zustand. Durchgesetzt werden müsste Spaniens „Wille zum Imperium“, falls nötig, auch mit mi-
2
Vgl. Clarence-Smith, W. G.: African and European Cocoa Producers on Fernando
3
Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 118.
4
Campos Serrano, Régimen colonial franquista, S. 85.
5
Vgl. Juan-Navarro, Santiago: Una sola fe en una sola lengua. La Hispanidad como co-
Póo, 1880s to 1910s, in: The Journal of African History 35, 2 (1994), S. 179-199.
artada ideológica en el pensamiento reaccionario español, in: Hispania 89, 2 (2006), S. 392-399.
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litärischer Gewalt. In José Antonios 27-Punkte-Programm für die Falange von 1934 heißt es: „Wir besitzen einen Willen zum Imperium. Wir halten daran fest, dass die historische Vervollkommnung Spaniens das Imperium ist. Wir fordern für Spanien eine herausragende Stellung in Europa. Wie ertragen weder die internationale Isolation noch eine fremde Einmischung [...]. Unsere Streitkräfte auf der Erde, zu See und in der Luft müssen so fähig und groß sein wie nötig, um Spanien zu jedem Moment die totale Unabhängigkeit und den Platz in der weltweiten Hierarchie, der ihm zusteht, zu sichern.“6
Da eine Rückeroberung der lateinamerikanischen Territorien unrealistisch war, konzentrierten sich die imperialen Aspirationen auf Afrika. In den Worten Sampedros: „Equatorial Guinea would become, along with Morocco, the essential locus for covering the economic and psychological trauma and contributing to the formation of a public imperial imaginary.“7 Mit dem Konzept der Hispanidad stand eine kolonialistische Argumentationsstrategie in Verbindung, die der Historiker Gustau Nerín i Abad aufgrund ihrer Parallelen zum portugiesischen Lusotropicalismo8 als Hispanotropicalismo bezeichnet.9 Dabei wurde unter Verweis auf eine kulturelle und biologische Verwandtschaft zu Afrika für Spanien eine privilegierte Stellung in der Kolonialisierung Afrikas eingefordert. Wie Martin-Márquez erörtert, lässt sich die Herkunft des Hispanotropicalismo bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. SpanierInnen wurden damals von politischen Gegnern, allen voran von England, ‚afrikanisiert‘. Die Nähe zu Afrika und die „mestizaje“ mit den maurischen SiedlerInnen hätten, so der in Spanien als Leyenda negra bezeichnete Diskurs, zu ei-
6
„Tenemos voluntad de Imperio. Afirmamos que la plenitud histórica de España es el Imperio. Reclamamos para España un puesto preeminente en Europa. No soportamos ni el aislamiento internacional ni la mediatización extranjera [...]. Nuestras fuerzas armadas – en la tierra, en el mar y en el aire – habrán de ser tan capaces y numerosas como sea preciso para asegurar a España en todo instante la completa independencia y la jerarquía mundial que le corresponde.“ Primo de Rivera, José Antonio: Norma Programática de la Falange. Obras Completas, http://www.rumbos.net/ocja/jaoc0075.html vom 21.09.2012.
7
Sampedro, Rethinking the Archive, S. 343.
8
Vgl. Simoes da Silva, Tony: Raced Encounters, Sexed Transactions. Luso-tropcialism and the Portuguese Colonial Empire, in: Pretexts. Literary and Cultural Studies 11, 1 (2002), S. 27-39.
9
Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 12.
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ner „rassischen Minderwertigkeit“ der SpanierInnen geführt, die für deren angebliche Brutalität, Leidenschaftlichkeit und ihren religiösen Fanatismus verantwortlich wären, die sich zum einen in der Inquisition und zum anderen in der Behandlung der Kolonialisierten in Lateinamerika manifestiert hätten.10 SpanierInnen reagierten, indem sie sich von den als anders deklarierten AfrikanerInnen abgrenzten, aber auch, indem sie ihr „afrikanisches Erbe“ als besondere Qualität betonten. Diese positive Umdeutung wurde während der Romantik vorangetrieben, indem die von Reisenden exotisierten SpanierInnen sich selbst weiter exotisierten. Spätestens im 19. Jahrhundert begann sich dann in Spanien eine „Ideologie des unreinen Blutes“ herauszubilden, die während des Franquismus zu neuer Bedeutung gelangte: „Racial strength, in Franco’s view, emanated from bringing races together, not the domination of one pure race over all mixed ones“11, so Goode. Dieser führt weiter aus, wie bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Ärzte, Biologen und Zoologen versuchten, die „Rassenvermischung“, zu der es auf der iberischen Halbinsel im Zuge der maurischen Besiedlung gekommen sei, zu belegen und die „Überlegenheit der spanischen Rasse“, die aus ihr resultiert hätte, zu beweisen. Im 20. Jahrhundert traten die verschiedenen Kolonialmächte in der Betonung der „Menschlichkeit“ ihres Regierungsstils geradezu in einen Wettstreit. Während Frankreich hervorhob, in seinen Territorien eine Assimilierungs-Politik zu verfolgen, verstand sich Großbritannien als „respektvoll“ gegenüber „indigenen Kulturen“. Spanien transformierte die „schwarze“ in eine „weiße Legende“, der zufolge Spaniens geographische, historische und biologische Verbundenheit zu Afrika die Spanier zu besonders wohlwollenden Kolonialherren machen würde. Wie Nerín i Abad feststellt, betonte der Hispanotropicalismo darüber hinaus, dass die katholische Mission des spanischen Kolonialismus ökonomischen Interessen entgegengesetzt sei, und dass spanische Kolonialherren als Katholiken „schwarze“ und „weiße“ Seelen als vor Gott gleich betrachten würden, weswegen sie nicht rassistisch seien.12 Dieser Rhetorik gegenüber stand nicht nur die Ausbeutung der guineischen Bevölkerung, sondern auch die Einrichtung dessen, was Martin-Márquez mit einer „Apartheid-Gesellschaft“ vergleicht. Sie schreibt: „[...] until the late 1950s and early 1960s the colony resembled an apartheid society, with separate elementary schools, separate library reading rooms, separate hospital wards, separate seating in buses, at sporting events, in cinemas, and
10 Vgl. Martin-Márquez, Disorientations, S. 39f. 11 Goode, Impurity of Blood, S. 1. 12 Vgl. Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 17.
A KTEURE
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even in churches, and separate social clubs for the white and black elites.“13 Diverse Hispanotropicalsimo-Autoren argumentierten, dass es während der Kolonialisierung Afrikas erneut zu einer Vermischung spanischen und afrikanischen Blutes kommen sollte. Allerdings verurteilten und verfolgten Missionare und Kolonialregierung die „mestizaje“ auch immer wieder. Während Verbindungen zwischen spanischen Siedlern und guineischen Frauen in beschränkten Maß toleriert wurden, waren solche zwischen spanischen Frauen und guineischen Männern undenkbar.14 Während des Franquismus erlebte der Hispanotropicalismo eine Hochkonjunktur, und zwar in politischen Schriften und wissenschaftlichen Texten, aber auch in populärkulturellen Erzeugnissen. Diese neue Blüte lässt sich, wie ich meine, unter anderem dadurch erklären, dass Spanien mit seiner Kolonialpolitik zunehmend unter internationalen Druck geriet und darauf reagierte, indem es seine Selbstinszenierung als wohlwollende Kolonialmacht weiter vorantrieb. Im Jahr 1904 erließ die spanische Regierung ein Dekret, das de facto eine Legitimierung der Enteignung der guineischen Bevölkerung darstellte. Die Verteilung von kleinsten Ländereien an GuineerInnen und die Kontrolle ihrer Nutzung wurde jefes de tribu übertragen, welche die Kolonialregierung ernannte. Diese „Stammesoberhäupter“ hatten ihre Untertanen über ein System von „Bräuchen und Gewohnheiten“ („usos y costumbres“) zu regieren, die allerdings, so hielt es ein 1907 erlassenes Reglement fest, nicht „wilden Charakters“ sein durften. Die Auslegung des Terminus „wilder Charakter“ war dabei den MissionarInnen, den Kolonialbeamten und den SiedlerInnen überlassen, welche die jefes de tribu überwachten.15 Sowohl bei der Figur des jefe de tribu als auch bei den entsprechenden „Bräuchen“ handelte es sich um eine von Spanien initiierte „Erfindungen“ von Tradition.16 Da auch die jefes de tribus bei ihren Untergebenen einen minimalen Grad an „Zivilisierung“ zu bewirken hatten und sie lehren sollten „Liebe für Spanien“ zu demonstrieren, bezeichnen Castro und Ndongo das äquatorialguineische System als eine Mischung zwischen dem französischen der Assimilierung und demjenigen der Autogestion – auch „indirekte Herrschaft“
13 Martin-Márquez, Disorientations, S. 281. 14 Vgl. Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 12ff. 15 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 154. 16 Vgl. Nerín i Abad, Gustau: Un Guàrdia Civil a la selva, Barcelona 2006, S. 108. Zur Erfindung „afrikanischer Traditionen“ im Zuge der Einführung der indirekten Herrschaft in englischen Kolonialgebieten vgl. Ranger, Terence: The Invention of Tradition in Colonial Africa, in: Hobsbawm/Ranger (Hg.), Invention of Tradition, S. 211262, hier S. 242ff.
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genannt –, das in englischen Kolonialgebieten angewandt wurde.17 Die jefes de tribu hatten in ihrem Verhalten gegenüber ihren Regierten einen enormen Handlungsspielraum, was eine Gesellschaftsstruktur generierte, die Campos Serrano als „despotismo indirecto“18 bezeichnet. Die Kolonialregierung stützte sich auf die jefes de tribu unter anderem zur Durchsetzung eines im Jahr 1906 erlassenen Reglemento del trabajo indígena. Dieses verpflichtete Landlose zu sogenannten „prestaciones personales“, sprich zur unbezahlten Arbeit in europäisch geleiteten Plantagen und „örtlichen Arbeiten allgemeinen Nutzens“ wie dem Straßenbau. Die Kolonialbeamten gingen, wie Gustau Nerín i Abad aufgezeigt hat, bei der Durchsetzung des Gesetzes mit größter Brutalität vor.19 Ein weiteres zentrales Instrument in der Regierung der landlosen guineischen Bevölkerung stellte neben den jefes de tribu das 1904 gegründete Patronato de Indígenas dar. Das Institut agierte als Vormund der GuineerInnen, die nur mit dessen offizieller Erlaubnis heiraten und Güter erwerben oder verkaufen durften. Gleichzeitig richtete das Patronato Waisenhäuser, Kinderkrippen und Leprösenheime ein und trat im Kolonialdiskurs als wohltätiger Beschützer auf.20 Im Statut der Institution aus dem Jahr 1938 ist auch eine Definition der Bezeichnung indígena zu finden: „Es werden als indígenas nicht nur diejenigen verstanden, die im kolonialen Territorium geboren wurden, sondern auch alle Individuen farbiger Rasse („raza de color“), die aufgrund eines Arbeitsvertrages oder weil sie Immobilien besitzen, in der Kolonie leben.“21 Auch aus den Quellen meiner Arbeit geht meist nicht hervor, woher die als indígenas, nativos oder morenos bezeichneten Menschen, von denen die Rede ist, stammten; ob sie Bubi- oder Fang-Kulturen angehörten oder ob es sich bei ihnen um nigerianische Taglöhner handelte. Einzig die fernandinos werden häufig gesondert genannt. Gezwungenermaßen verwende auch ich in der dieser Arbeit einen generalisierenden Ausdruck: Ich spreche von GuineerInnen, wenn ich über die regionale Herkunft der in den Quellen als indígenas bezeichneten Menschen nicht Bescheid weiß.
17 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 153. 18 Campos Serrano, Regimen colonial franquista, S. 84. 19 Vgl. Nerín i Abad, Guàrdia Civil, S. 83ff. 20 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 122. 21 „[...] se entiende por indígenas, no sólo los nacidos en el territorio colonial, sino todos los individuos de raza de color que, por razón de un contrato de trabajo, o por poseer bienes inmuebles, residan en la Colonia.“ Statut Patronato de Indígenas. Zitiert bei: Campos Serrano, Régimen colonial franquista, S. 96.
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Im Jahr 1938 führte die Kolonialmacht den Rechtsstatus emancipado ein. „Kolonisierte[n], die ein Niveau von Kultur aufweisen, das ihre Bevormundung durch das Patronato unnötig macht“22 wurde eine carta de emancipación ausgehändigt und der damit verbundene Status „Bürger“ verliehen. Dieser Status gewährte den Personen, denen er verliehen wurde, offiziell dieselben Rechte wie den spanischen Siedlern. Allerdings war er reversibel und bedeutete in der Praxis keine Aufhebung der Diskriminierung von als nicht weiß behandelten Menschen. Die Einführung der Kategorie „emancipado“ resultierte primär aus der Notwendigkeit einer separaten Rechtseinheit zur Erfassung der fernandinos, auf deren Partizipation im Handel, insbesondere mit Plantagen-Produkten, die Kolonialökonomie nicht verzichten konnte. Bis zu Beginn der 1930er Jahre beschränkte sich die spanische Präsenz in Äquatorialguinea weitgehend auf die Insel Fernando Póo und die Küstenorte des Kontinentalgebietes. Erst zur Zeit der Regierung des Diktators Miguel Primo de Riveras (1923-1930) wurde mit der brutalen militärischen Erschließung des Innern von Río Muni begonnen. Der Wandel Spaniens zu einer Republik im Jahr 1931, der auf der iberischen Halbinsel kurzfristig massive soziale Umbrüche bewirkte, führte in der Kolonie zu keinen gesellschaftlichen Veränderungen.23 Der Bürgerkrieg und die ihm folgende politische und ökonomische Isolierung Spaniens führten zu Bestrebungen, die Erträge der kolonialen Landwirtschaft zu vergrößern, um die spanische Bevölkerung in der Metropole mit Importen versorgen zu können.24 Nach wie vor leisteten die Bubi erbitterten Widerstand gegen die Zwangsarbeit auf den spanischen Plantagen. Gleichzeitig gestaltete sich im Zuge der Großen Depression und später des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs der Import von Arbeitkräften aus den Nachbarländern nach Äquatorialguinea als zunehmend schwierig. Infolgedessen versuchte die Kolonialregierung den Ertrag der kolonialen Landwirtschaft auch dadurch zu steigern, dass sie die Kultivierung durch guineische Kleinbauern förderte. Ein im Jahr 1948 erlassenes Eigentumsgesetz führte die Instanz des patrimonio familiar ein. Kirchlich getrauten, kinderreichen guineischen Ehepaaren, die sich durch besonders vorbildliches katholisches Verhalten auszeichneten, überließ die Kolonialregierung relativ große Landstücke zur Bewirtschaftung. Sie schloss mehrere patrimonio familiares zu Siedlungen mit Grundschulen und Kapellen zusammen. Campos
22 „[...] los colonizados en cuanto éstos demuestran el grado de cultura suficiente para hacer innecesaria la tutela del Patronato.“ Art. 6, Decreto 29.9.1938. Zitiert bei: Ebd., S. 97. 23 Vgl. ebd., S. 88. 24 Vgl. ebd., S. 87.
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Serrano vergleicht die auf diesem Weg eingeführten Strukturen mit einer „juristischen Kultur des Ancien Regime“25. An der Spitze des kolonialen Administrationsapparates stand der Gobernador General de las Provincias de la Guinea Española, der direkt der Dirección General de Marruecos y Colonias in Spanien unterstellt war. Die Kolonie wurde in demarcaciones territoriales unterteilt, die von einem Administrador Territorial verwaltet wurden. Ihm unterstellt waren zum einen die jefes de tribu und zum anderen die municipios. Letztere bestanden aus einer Ansammlung von Siedlungen, bewohnt von spanischen SiedlerInnen und indígenas emancipados, die durch ein sogenannter Consejo de Vecinos, eine Art Bürgerrat, verwaltete. Im Jahr 1943 erließ der koloniale Bildungsminister Heriberto Ramón Álvarez ein Dekret, das das koloniale Bildungswesen reformieren sollte, um die Hispanisierung der Bevölkerung weiter voranzutreiben. Die Reform beinhaltete erstens Bestrebungen, die Grundschulbildung zu universalisieren. Zweitens wurden neue sekundäre Bildungsinstitutionen und Berufsschulen eröffnet, in denen auch oder hauptsächlich Guineer hätten ausgebildet werden sollen. Die wichtigsten dieser neuen Schulen waren die Escuela Superior Indígena in Santa Isabel und das Centro de Banapé. Álvarez’ Neuerungen hatten zum Ziel, ein guineisches Bürgertum und eine Elite („minoría dirigente“26), bestehend aus Beamten, Lehrern und Priestern, zu schaffen, die als Intermediatoren zwischen den indígenas no emancipados und den spanischen SiedlerInnen figurieren sollten. Die Ausbildung beinhaltete, dass die Schüler – das Maskulinum ist nicht generisch, denn an diesen Schulen wurden keine Frauen unterrichtet – ein „Bewusstsein dafür entwickelt sollten, dass sie „spanisch waren, aber weniger“27, wie Castro/Ndongo formulierten. Diese Politik – sie kann, wie ich in Kapitel 3.3 ausführen werde, als koloniale Strategie der Mimikry begriffen werden – zielte auf ein nur sehr kleines Segment der guineischen Bevölkerung ab und änderte nur wenig daran, dass die Gesellschaft scharf „Rassen“-getrennt blieb. Ohnehin begrüßten bei weitem nicht alle spanischen SiedlerInnen und Kolonialbeamten, wie Negrín Fajardobetont, diese Assimilierungspolitik.28 Die lange Amtszeit des Gobernador Generals Faustino Ruíz González von 1949 bis 1962, in die beide Coros y Danzas-Auftritte fielen, zeichnete sich durch einen Boom in der Kolonialökonomie, eine Weiterführung der Assimilierungspolitik, Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitspolitik und bauli-
25 Campos Serrano, Colonia, derecho y territorio, S. 22. 26 Negrín Fajardo, Educación, S. 120. 27 Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 186. 28 Vgl. Negrín Fajardo, Educación, S. 70.
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che Maßnahmen zur Erschließung der Verkehrswege aus. Vor allem aber formierte sich während seines Mandats der antikoloniale Widerstand. Zunächst bildeten sich – und dies in einem grenzübergreifenden Prozess zu Kamerun und Gabun – Fang-Bewegungen wie Elat Ayong und Ngoan Ntang, die von der Regierung Ruíz González brutal als Sekten verfolgt wurden. Im Jahr 1948 überreichte Carmelo Nguema Ndongo Asumu in Micomenseng dem aus Madrid angereisten Admiral Carrero Blanco ein Manifest. Dieses forderte eine „bessere Behandlung“ der Kolonialisierten und war von zahlreichen Vertretern der neuen guineischen Elite unterzeichnet worden.29 Ruíz González ließ alle an der Aktion Beteiligten verhaften, foltern und auf die Insel Annabón deportieren. In den Folgejahren schlossen sich diverse lokale Widerstandsparzellen zusammen und 1950 wurde das Movimiento Nacional de Liberación de Guinea Ecuatorial (MONALIGE) gegründet. Gleichzeitig kam es im Bildungszentrum von Banapé zu Protesten, in denen die Schüler eine bessere Ausbildung verlangten. Darüber hinaus bildeten Exil-GuineerInnen in Kamerun antikoloniale Bewegungen wie die Idea Popular de Guinea Ecuatorial in Kamerun. Nur kurze Zeit nachdem Spanien im Jahr 1955 als Mitglied in die UNO aufgenommen worden war, sandte deren Generalsekretär einen Brief nach Madrid, in dem er sich bei der Franco-Regierung erkundigte, ob Spanien im Besitz von Territorien sei, die nicht autonom regiert würden. Im November 1958 antwortete Spanien, dass es keine solchen Gebiete sein eigen nennen könne, zumal die Territorien des marokkanischen Protektorats abgegeben worden seien und Spaniens übrige Besitztümer in Afrika keine Kolonien, sondern spanische Provinzen seien, deren BewohnerInnen über dieselben Rechte verfügen würden wie die auf der iberischen Halbinsel wohnhaften spanischen Bürger. Die Aussage wurde etwas wahrer, als 1959 die juristische Umwandlung der äquatorialguineischen Territorien zu spanischen Provinzen tatsächlich vollzogen wurde.30 Anfang der 1960er Jahre begannen sich Angehörige verschiedener Unabhängigkeitsbewegungen mit Protestschreiben an die Vereinten Nationen zu wenden. Der Druck auf Spanien, seine Kolonien aufzugeben, wuchs. 1963 wurde Äquatorialguinea schließlich für autonom erklärt und es wurden zwei Parlamente, eine Asamblea General sowie ein Consejo de Gobierno, eingerichtet. Allerdings stand diesen weiterhin ein spanischer Comisario General voran. 1966 lud Spanien Beobachter eines UNO-Sonderkomitees für Kolonialpolitik zu einer Visite nach Äquatorialguinea ein, in der sich dessen Mitglieder von der Zufriedenheit der
29 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 187. 30 Vgl. Mba Ncony, Diosdado: Muchos actores para una independenica. Guinea Ecuatorial, in: Afro-Hispanic Review 28, 2 (2009), S. 203-208, hier S. 205ff.
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Bevölkerung mit dem Autonomiestatus überzeugen sollten. Die UN-Gesandten stellten jedoch einen mehrheitlichen Wunsch nach Unabhängigkeit fest. Infolgedessen sah sich Spanien gezwungen, diesem Ansinnen nachzukommen und berief eine Verfassungskonferenz ein. Der Verfassungstext, der im Juli 1968 ausgearbeitet, aber nicht von allen guineischen Delegierten ratifiziert worden war, wurde am 12. Oktober den guineischen Bürgern in einer Volksabstimmung vorgelegt. Ferner wählten die GuineerInnen in dieser Abstimmung einen Staatspräsidenten, und zwar Francisco Macias Nguema, einen aus dem Kontinentalgebiet stammenden Beamten, der seit 1964 als Vizepräsident der autonomen Regierung gewaltet hatte. Rasch nach seiner Machtübernahme entwickelte sich Macias’ Regime zur brutalen Terrorherrschaft. Sämtliche Parteien wurden zu einer Einheitspartei zusammengefasst, es begann ein Personenkult exorbitanten Ausmaßes und Tausende wurden der Opposition verdächtigt, inhaftiert und hingerichtet. Am 3. August 1979 wurde Macias von seinem Neffen Teodoro Obiang gestürzt und hingerichtet. Die Herrschaft des nach wie vor amtierenden Obiang zeichnet sich ihrerseits durch Korruption und Menschenrechtsverletzungen aus. Seitdem im Jahr 1991 große Erdöl- und 2001 Erdgas-Vorkommen entdeckt worden sind, ist die äquatorialguineische Wirtschaft explosionsartig gewachsen. Hiervon profitieren allerdings nur die US-amerikanischen, chinesischen, spanischen und deutschen Großunternehmen, welche die Förderung übernommen haben, sowie die Familie des Diktators. Der guineischen Bevölkerung hat der wirtschaftliche Aufschwung weder eine Verbesserung ihrer materiellen Lage noch politische Freiheiten gebracht. Die ökonomischen Interessen spanischer Unternehmen in der ehemaligen Kolonie führen dazu, dass die spanische Regierung Obiang nach wie vor unterstützt. Sie haben eine politische und ökonomische Konstellation geschaffen, die als neokolonial zu bezeichnen ist. Auch einige der in dieser Arbeit besprochenen Elemente des franquistischen Kolonialdiskurses haben darin ein Weiterleben gefunden und tragen zur Stabilisierung dieser Konstellation bei.
D IE S ECCIÓN F EMENINA
UND DIE
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Die ersten faschistischen Gruppierungen wurden in Spanien im Jahr 1931 gegründet. Die einzige Organisation, die sich nicht innerhalb weniger Monate wieder auflöste, waren die von Ramiro Ledesma und Onésimo Redondo nach italienischem Vorbild aufgebauten Juntas de Ofensiva Nacional-Sindicalista (J.O.N.S.). Hitlers Erfolg verschaffte ihnen 1933 starken Zulauf und dürfte wohl auch José Antonio Primo de Rivera, den Sohn des Diktators Miguel Primo de
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Rivera, und seine Mitstreiter in ihrer Gründung der Falange Española am 29. Oktober desselben Jahres beeinflusst haben. Ziel der Falange war die Schaffung eines totalitären Nationalstaats. Sie erklärte sich nicht offen als faschistisch, aber als antiparlamentarisch, antimarxistisch und antiliberal. Im Februar 1934 schloss sie sich mit den J.O.N.S. zusammen. José Antonio erstellte ein 27 Punkte umfassendes Parteiprogramm, das unter anderem Forderungen nach nationaler Einheit, der Abschaffung des Parlamentsystems und der Verstaatlichung aller Banken enthielt. Obgleich vage formuliert, machte es deutlich, dass die F.E./J.O.N.S. – und hierin unterschied sie sich von konservativen rechten Gruppierungen wie der Acción Católica – nicht lediglich auf die Wiederherstellung der vorrepublikanischen Ordnung aus war, sondern einen dezidierten Imperialismus und „Antikapitalismus“ vertrat und sich als Kämpferin für „soziale Gerechtigkeit“ verstand. In Straßenkämpfen mit linken Gruppierungen erprobte sie die gewaltsame „Eroberung des Staates“. Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges blieb die F.E./J.O.N.S. allerdings politisch bedeutungslos und zählte nur wenige Mitglieder. Im Juni 1934 wurde die Sección Femenina als Teilorganisation der F.E./ J.O.N.S. gegründet. Zu ihrer Leiterin ernannte José Antonio seine Schwester, Pilar Primo de Rivera. Die Frauen halfen zunächst bei der Rekrutierung neuer Mitglieder und der Beschaffung von Spendengeldern für die Falange. Vor allem aber unterstützen sie die männlichen Falangisten in ihren Straßenkämpfen, indem sie Waffen schmuggelten, die zahlreichen inhaftierten Mitglieder in den Gefängnissen besuchten und sich um die Angehörigen der „gefallenen“ Kämpfer kümmerten. Bei den Parlamentswahlen im Februar 1936 erhielt die angetretene Falange kein einziges Mandat und die linke Volksfrontregierung, die aus den Wahlen hervor ging, verbot die F.E./J.O.N.S. nur einen Monat später. Durch die Illegalität der Falange gewann die Sección Femenina an Bedeutung, denn sie organisierte nun die Parteilogistik und die Kommunikation im Untergrund. Am 14. März 1936 wurde José Antonio in Madrid festgenommen und angeklagt, in die Vorbereitungen für einen Militärputsch gegen die republikanische Regierung involviert gewesen zu sein, der schließlich am 18. Juli 1936 erfolgte. Der Putsch scheiterte und es kam zu einem beinahe drei Jahre dauernden Bürgerkrieg. José Antonio wurde am 20. November 1936 in Alicante hingerichtet, womit die Falange ihren charismatischen Anführer verlor und ihren wichtigsten Märtyrer gewann. Seine ideologische Haupterbin sollten seine Schwester und die Sección Femenina werden. Ihr Status als ‚Witwe‘ der wichtigsten Symbolfigur der Falange war es, der Pilar Primo de Rivera erst ihren großen politischen Spielraum ermöglichte. Dazu Labanyi: „In all of Pilar Primo der Rivera’s speeches and writings, her dead brother José Antonio is constantly invoked. While this could
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be seen as female deferrence to his superior male intelligence, it is also a canny manipulation of dynastic credentials and, on a personal level, the introjeciton of a masculine other who speaks ‚through her‘, allowing her a public voice while disclaiming ownership of it.“31 In den Regionen, welche die Rebellen bei ihrem Putsch nicht hatten einnehmen können, operierte die Falange weiterhin im Untergrund. An der Front standen Sección Femenina-Frauen als Wäscherinnen und Krankenschwestern im Einsatz. In den „befreiten“ Zonen wurde die Sección Femenina zu einer der wichtigsten Stützen des neuen Staates. Sie organisierte weitgehend die Heimfront und übernahm die Versorgung der notleidenden Bevölkerung. Die Organisation gründete den Auxilio Social, ein Hilfswerk, in dem freiwillige Helferinnen Nahrungsmittel verteilten und Waisenhäuser errichteten – auch für Waisen republikanischer Eltern. Der ‚humanitäre Einsatz‘ der Sección Femenina stellte einerseits ein wichtiges Propagandainstrument des Regimes dar.32 Andererseits diente er der Disziplinierung der Bevölkerung. Wer Hilfe beziehen wollte, wurde meist registriert.33 Im April 1939 ging der Bürgerkrieg mit dem bedingungslosen Sieg der Aufständischen zu Ende und hinterließ ein ökonomisch zerstörtes Land und eine Gesellschaft von Siegern und Besiegten. Ende Mai desselben Jahres bestimmte Franco an einer von der Sección Femenina für seine Truppen organisierten Siegesfeier das Mandat der Organisation in der Konsolidierung des neuen Spaniens: Die Sección Femenina sollte ihr Wohlfahrtsprogramm ausbauen und wurde mit dem umfassenden Bildungsauftrag betraut, alle spanischen Frauen auf die Erfordernisse des Lebens in der Nachkriegszeit vorzubereiten. Auch Pilar Primo de Rivera hielt auf dieser Feier eine Rede: „[...] die einzige Mission, die den Frauen als vaterländische Pflicht zukommt, ist der Haushalt. Deshalb werden wir jetzt im Frieden die Arbeit, die wir in unseren Ausbildungsstätten begonnen haben, fortführen, um den Männern das Familienleben so ange-
31 Labanyi, Jo: Resemanticising Feminine Surrender. Cross-Gender Identifications in the Writings of Spanish Female Fascist Activists, in: Ofelia Ferrán/Katheleen M. Glenn (Hg.): Women’s Narrative and Film in Twentieth-Century Spain, London/New York 2002, S. 75-90, hier S. 79. 32 Vgl. Molinero, Carme: La captación de las masas. Política social y propaganda en el régimen franquista, Madrid 2005, S. 163. 33 Vgl. Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 80.
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nehm zu machen, dass sie zu Hause all das finden, was ihnen früher fehlte, so dass sie nicht in den Kneipen oder im Casino Momente der Entspannung suchen müssen.“34
Sie stellte damit klar, dass das Bildungsprogramm der Sección Femenina primär auf die Formierung perfekter Ehefrauen und Mütter abzielte. Solche hatten ihre Ehemänner sauber, sprich von Kneipen fernzuhalten. Gleichzeitig mussten sie das Haus, das der Ehemann der Taverne vorziehen sollte, von Bazillen reinigen, um nicht die Gesundheit der Kinder, die es dort in möglichst großer Anzahl zu produzieren galt zu gefährden.35 Um die Frauen in ganz Spanien zu lehren, wie sie zur Gesundung des Volkskörpers beizutragen hatten, bildete die Sección Femenina zunächst divulgadoras sanitarias und enfermeras visitantes aus, Krankenschwestern, die in ihrem Kampf gegen die hohe Kindersterblichkeit in systematischen Hausbesuchen ignorante Mütter über Hygienemaßnahmen aufklärten und ihnen zu Kleinkrediten verhalfen. Somit war die Sección Femenina Teil des biopolitischen Programms des Franco-Staates. Sie trug nicht nur durch ihre rassistischen Diskurse dazu bei, innerhalb eines biopolitischen Dispositivs das Töten zu rechtfertigen, sondern auch zu dessen Hauptanstrengung: dem „Leben Machen“.36 Nach den Hausbesuchen wurden Informationen über die ökonomischen, politischen und religiösen Verhältnisse in den Familien an die örtlichen Autoritäten (Bürgermeister und Pfarrer) übergeben.37 Die Instruktionen zu hygienischer Mutterschaft und Haushaltsführung fanden rasch Eintritt in das öffentliche Schulsystem: Ab 1938 unterrichtete die Sección Femenina in Mädchen-Mittelschulen und ab 1945 auf Grundschulen formación poíitico-social, eine Art Staatskunde kombiniert mit der Vermittlung sozialer Umgangsformen, Turnunterricht (educación física) sowie Hauswirtschaftslehre
34 „[…] la única misión que tienen asignadas las mujeres en la tarea de la Patria, es el hogar. Por eso ahora, con la paz, ampliaremos la labor iniciada en nuestras escuelas de formación, para hacerles a los hombres tan agradable la vida de familia, que dentro de la casa encuentren todo aquello que antes les faltaba, y así no tendrán que ir a buscar en la taberna o en el casino los ratos de expansión.“ Primo de Rivera, Rede in Medina de Campo 1939, in: Primo de Rivera, Pilar: Discursos, Circulares, Escritos, Madrid (o.J.), S. 152f. 35 Zur Pronatalitätspolitik der Sección Femenina vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 97f. 36 Vgl. Foucault, Michel: Vorlesung vom 17. März 1976, in: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76), Frankfurt am Main 1999, S. 276-305. 37 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 100f.
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(enseñanza de hogar). An den Mittelschulen wurde letztere in separaten Räumlichkeiten und ausschließlich von Sección Femenina-Lehrerinnen gelehrt, wobei der Unterricht aus Haushaltsökonomie, Handarbeit, Kochen und Musik bestand. Die Sección Femenina eröffnete gleichzeitig diverse Institutionen zur Erwachsenenbildung wie die escuelas de formación, die escuelas de hogar oder die escuelas mixtas, in denen Frauen neben hauswirtschaftlichen Fähigkeiten auch Lesen und Schreiben sowie „ein Mindeststandard an Kultur“38 vermittelt wurde. In ländlichen Gegenden errichtete die Sección Femenina Landwirtschaftsschulen (granjas escuelas rurales), in denen Beamtinnen der Organisation Bäuerinnen Anbau- und Verarbeitungsmethoden zur Ergänzung der normalen Produktion erklärten. Die Schulen verteilten auch Saatgut und Kleinvieh zur Umsetzung des Gelernten. Die granjas escuelas rurales dienten mit ihrer Anleitung zur weiblichen Subsistenzwirtschaft der Implementierung der franquistischen Autarkiepolitik und verschafften der Sección Femenina Zugriff auf die ihrer Indoktrinierung ansonsten schwer zugängliche weibliche Landbevölkerung.39 Zumindest temporären Kontakt mit dem Bildungsprogramm der Organisation ‚ermöglichten‘ diesen Frauen die ab 1945 im Einsatz stehenden catédras ambulantes. Eine catédra bestand aus vier Lastwagen mit Anhängern, die während drei Monaten am jeweiligen Ort stationiert wurden. Die Wagen funktionierten als mobile ArztPraxen, escuelas de hogar und Bibliotheken, in denen Sección FemeninaKrankenschwestern Kinder impften, Frauen das Kochen erlernten und sich alle DorfbewohnerInnen mit den Schriften José Antonio Primo de Riveras vertraut machen konnten. Ferner überreichten Beamtinnen Geschenke wie Saatgut und organisierten Filmvorführungen sowie Kurse in Gymnastik oder Kleintierzucht. Eine weitere temporäre Bildungsstätte der Sección Femenina war der Servicio Social, der bereits im Oktober 1937 per Dekret ins Leben gerufen wurde, als die Anzahl freiwilliger Helferinnen für den Auxilio Social sukzessive zurückging. Er war als Pendant zum männlichen Militärdienst konzipiert und verpflichtete alle unverheirateten Frauen im Alter zwischen 17 und 35 Jahren dazu, ein halbes Jahr lang unentgeltlichen Sozialdienst in den Einrichtungen des Auxilio Social zu leisten. Der Servicio Social versorgte den Staat mit zahlreichen kostenlosen Arbeitskräften und der Sección Femenina garantierte er die Möglichkeit zur Beeinflussung eines großen Teils der weiblichen Bevölkerung. Schließlich erfasste das umfangreiche Bildungsprogramm der Organisation auch die Frauen, die es nicht zu schulen, sondern umzuschulen galt: In den Gefängnissen wurden die gewöhnlichen und vor allem die politischen Gefangenen
38 Suárez Fernández, Crónica, S. 108. 39 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 107.
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zu sauberen Haus- und Ehefrauen umerzogen.40 Ihre Kinder wurden zusammen mit denjenigen von Personen, die in Besserungsanstalten gesteckt wurden – Alkoholikerinnen, Prostituierte, etc. –, in die Waisenhäuser des Auxilio Social interniert. Sección Femenina-Beamtinnen und katholische Ordensschwestern begaben sich in diese Institutionen, um eine Umerziehung von Kleinkindern und Säuglingen vorzunehmen, in der Absicht, das vorbelastete Erbgut zu korrigieren.41 Solche Praktiken waren Teil des rassenhygienischen Diskurses des FrühFranquismus. In dessen Zentrum stand die nationalsozialistisch inspirierte Psychiatrie, in der beispielsweise der Psychiater Vallejo-Nájera unter anderem das „gen rojo“ studierte.42 Nach ihrer Umerziehung wurden die Kinder aus den Waisenhäusern zur Adoption freigegeben. In den Institutionen des Auxilio Social begannen sich, wie jüngst angestellte Untersuchungen zeigen, Adoptions-Netzwerke von Ärzten, Ordensschwestern und Beamten zu bilden, die ihren Aktionsradius bald auch auf Spitäler ausdehnten.43 Der systematische Kindsraub wurde bis in die 1980er Jahren weiter betrieben. Die Nachforschungen hierzu haben erst begonnen und das Ausmaß der Machenschaften ist noch unklar. Es wird von rund 300000 sogenannten „niños robados“ ausgegangen, rund 30000 bis zum Jahr 1954.44 Die Organisationsstruktur der Sección Femenina war zentralistisch und hierarchisch aufgebaut. Die Leiterinnen (delegadas) der verschiedenen Stufen – national, regional und lokal – wurden von der nächsthöheren Ebene eingesetzt. Die verschiedenen Tätigkeiten und deren Koordination wurden in 13 verschiedenen Abteilungen, regidurías genannt, organisiert. Wie einer von Kersten-Schmunk erstellten Auflistung zu entnehmen ist, zählten dazu u.a. eine Abteilung für Leibeserziehung (educación física), eine für Kultur, eine für den Servicio Social sowie eine Rechtsabteilung. Sämtliche regidurías entstanden zwischen 1934 und 1940; nach 1945 fand keine Veränderung in ihrer Struktur mehr statt. Die ein-
40 Vgl. Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 15f. 41 Vgl. Cenarro, Angela: Los niños del Auxilio Social, Madrid 2009. 42 Vgl. Vallejo-Nájera, Antonio: Psiquismo del Fanatismo Marxista. Investigaciones Psicológicas en Marxistas Femeninos Delincuentes, in: Revista Española de Medicina y Cirugía de Guerra 9 (1939), S. 398-413. Vgl. Polo Blanco, Antonio: Gobierno de las poblaciones en el primer franquismo, 1939-1945, Cádiz 2006. Vgl. González Duro, Enrique: Los psiquiatras de Franco, Barcelona 2008. 43 Vgl. Rodríguez Arias, Miguel Ángel: El caso de los niños perdidos del franquismo. Crimen contra la humanidad, Barcelona 2008. 44 Vgl. Asociación Nacional de Afectados por Adopciones Irregulares. http://anadir.es vom 20.10.2012.
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zelnen Departemente waren in eine nationale, eine regionale und bisweilen eine lokale Abteilung untergliedert. Jeder regiduría standen nationale und regionale Leiterinnen (regidoras) vor. An der Spitze der organisatorischen Hierarchie der Sección Femenina operierte Pilar Primo de Rivera, die Delegada Nacional bzw. Jefe Nacional. Sie besaß die höchste und alleinige Entscheidungsgewalt.45 Die Mitglieder der Organisation wurden ihrem Alter gemäß unterteilt. Mädchen von sieben bis zehn Jahren gehörten zu den Margaritas, von elf bis dreizehn Jahren zu den Flechas und von 14 bis 17 Jahren zu den Flechas Azules. Als Aktivmitglieder (militantes) der Organisation wurden nur unverheiratete Frauen unter 35 Jahren aufgeführt, allen anderen stand lediglich die passive Mitgliedschaft offen. Die allermeisten von ihnen waren Angehörige einer urbanen Mittelklasse. Ihre genauere soziale Verortung ist aufgrund der Quellenlage ebenso schwierig wie ihre Bezifferung.46 Fest steht, dass die Sección Femenina vor Beginn des Bürgerkriegs nur wenige 10000 Frauen zu mobilisieren vermochte und in dessen Verlauf einen Zustrom erhielt, der die Mitgliederzahl bis 1939 auf ungefähr 580000 ansteigen ließ. Die Zähmung der Falange Im April 1937 wurde die Falange mit Karlisten und Traditionalisten zur Falan ge Española Tradicionalista y de las Juntas Ofensivas Nacional-Sindicalistas (F.E.T/J.O.N.S) zwangsvereinigt. Franco ernannte sich selbst zum Vorsteher der neuen Einheitspartei und setzte seinen Schwager Serrano Suñer an die Spitze der Falange, nachdem er den bisherigen Parteichef Hedilla hatte verhaften lassen. Der „umgekehrte Staatsstreich“47, wie Dionisio Ridruejo die Vereinigung genannt hat, bedeutete eine massive Einschränkung der politischen Unabhängigkeit der Falange und machte erste Anpassungen der falangistischen Diskurse an diejenigen der konservativen Kräfte der partido único erforderlich. Es begann so bereits während des Bürgerkriegs ein vielschichtiger Prozess, den Payne als „Zähmung“ der Falange bezeichnet.48 Der Status der Falange im Nach-Bürgerkriegs-Spanien veränderte sich in Abhängigkeit des Verlaufes des Zweiten Weltkriegs. Saz unterscheidet drei Phasen: Von 1939 bis 1941 kam es vor dem Hintergrund der Erfolge der Achsenmächte zu einer Faschisierung der „Fassade“ der Einheitspartei und des Re-
45 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 73. 46 Vgl. ebd., S. 84ff. 47 Saz Campos, Ismael: Fascismo y franquismo, Valencia 2004, S. 159. 48 Vgl. Payne, Stanley: Fascism in Spain, 1923-1977, Madison 1999, S. 367ff.
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gimes, vorangetrieben durch die falangistische Kontrolle von Propaganda und Presse. Die dadurch gesteigerte öffentliche Präsenz der Falange vermochte über die Schwächung ihrer tatsächlichen machtpolitischen Position hinwegzutäuschen. Letztere resultierte aus den Konflikten mit Militär und Kirche, der vor allem auf das vehemente Drängen der Falange für einen Kriegseintritt Spaniens an der Seite der Achsenmächte zurückzuführen war. Die Phase von 1941 bis 1942 markierte trotz weiterer Siege der Achsenmächte für die Falange einen Rückschlag:49 Von Juli 1941 bis zu ihrem Rückzug im Oktober 1943 kämpfte die División Azul, eine 15000 Soldaten zählende falangistische Freiwilligentruppe zur Unterstützung von Nazideutschland an der Ostfront. Die Truppe bestand hauptsächlich aus camisas viejas, Falangisten erster Stunde, deren Tod an der Front wesentlich zum Verlust des Bewegungscharakters der Falange beitrug.50 Die Verluste der Achsenmächte in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs stellten die Ausgangslage für den Beginn einer Entfaschisierung der „Fassade“ des Regimes dar, die in einem ersten Schritt die Verbannung besonders nationalsozialistisch gesinnter Falangisten aus der Parteispitze mit sich brachte.51 Die große Mehrheit der Falangisten akzeptierte ihre Zähmung als Preis für die Machtbeteiligung und kollaborierte bereitwillig mit dem Regime. Es regte sich jedoch auch Widerstand. „Despite the weakness and internal division of the party, radicals within the FET remained sporadically aggressive, convinced that the historical and international situation favoured them“52, schreibt Payne. Diese „sporadische Aggressivität“ einiger Parteifunktionäre manifestierte sich immer wieder in größeren und kleineren Konspirationsversuchen und in der Bildung von Untergruppen treuer Urfalangisten wie dem Circulo Nosotros oder der Alianza Sindicalista.53 Die radikalsten falangistischen Stimmen waren allerdings nicht unter den Parteifunktionären der männlichen Falange zu finden, sondern bei der Sección Femenina, die sich als Bewahrerin der reinen josé-antoninischen Lehre gar von ersterer abgrenzte. In einem Brief an Franco aus dem Jahr 1941 schrieb Pilar Primo de Rivera: „[Die Falange] ist nichts mehr als eine matte/kraftlose/deprimierte Desorganisation/Unordnung, in der einzig die Sección Femenina stand-
49 Saz Campos, Fascismo y franquismo, S. 161. 50 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 45. Vgl. auch: Moreno Juliá, Xavier: La División Azul. Sangre Española en Rusia. 1941-1945, Barcelona 2005. 51 Vgl. Payne, Fascism in Spain, S. 367. 52 Ebd., S. 376. 53 Vgl. ebd., S. 403f.
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haft bleibt.“54 In der von ihr im Jahr 1941 herausgegebenen Agenda positioniert die Sección Femenina auch einen Beleg der Anerkennung ihrer Radikalität seitens der männlichen Falange. Das als Leitspruch zum 19. Januar aufgeführte Zitat lautet: „Der Präsident der Junta Política sagte in seiner Schlussrede zur IV. Versammlung der Sección Femenina in Toledo: ‚Die Sección Femenina ist nach meinem Urteil das Reinste, das Lebendigste und Effektivste der der Besitztümmer der Falange.‘“55 Nicht nur die Sección Femenina, auch andere AutorInnen des Quellenmaterials meiner Untersuchungen sind dem radikalen Flügel der Falange zuzuordnen. Dazu gehörten Eugenio Montes, der in mehreren Artikeln in der Zeitung Arriba von der Coros y Danzas-Reise in den Vorderen Orient von 1951 berichtete56 und Rafael García Serrano, der Chronist der Coros y Danzas-Reise nach Lateinamerika von 1949. „Kaum je“, so schreibt Rodríguez Puertolas, „ist die faschistische Praxis in der spanischen Sprache zu einem derart klaren Ausdruck gelangt“57 wie in dessem Werk. „Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Kameraden hat García Serrano seine faschistische Attitüde und Ideologie beibehalten, sowohl in der Literatur als auch in den bedeutsamen beruflichen Positionen, die er besetzt hat [...]. Mit seinen beharrlich vorgetragenen Ansichten ließe sich eine wahre Anthologie des spanischen Faschismus schreiben, sowohl im Franquismus als auch in der darauffolgenden Demokratie.“58 In seinen beruflichen Funktionen als Chefredakteur der falangistischen Zeitung Arriba, aber auch in seinem literarischen Schaffen in Romanen und Reiseberichten sowie zuletzt in seinen Memoiren verschrieb sich García Serrano bis zu seinem Tod im Jahr 1988 dem Kampf für das, „was hätte sein können und nie war“59: einer falangistischen Revolution.
54 Pilar Primo de Rivera a Franco. Manuscrito. Mayo 1941, in: Fundación Nacional Francisco Franco (Hg.): Documentos Inéditos para la Historia del Generalísimo Franco, Bd. 2, 2. Madrid 1992, S. 139ff. Zitiert bei und übersetzt von: Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 71. 55 „El Presidente de la Junta Política dijo en la clausura del IV Consejo de la Sección Femenina en Toledo: ,La Sección Femenina es, a mi jucio, lo más puro, lo más vivo y efectivo del acervo actual de la Falange.“ Sección Femenina, Agenda, 1941. 56 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 57 Rodríguez Puertolas, Julio: Literatura fascista española, 2 Bde., Madrid 1987, S. 238. 58 Ebd., S. 508. 59 Ebd., S. 510.
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Die Sección Femenina-Geschlechterideologie Die von der Sección Femenina offiziell angestrebte Geschlechterordnung forderte eine Trennung der Sphären: dem Mann die öffentliche, der Frau die häusliche, und eine Unterordnung der Frau unter den Willen des Mannes.60 In ihrem öffentlichen Engagement zur Durchsetzung dieser Ordnung verstießen die Sección Femenina-Mitglieder selbst gegen sie. Die altos mandos, die Kadermitglieder der Organisation, reisten in Erfüllung ihrer Mission – der Koordinierung aller Programme, welche die spanischen Frauen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereiten sollten – unaufhörlich durch das ganze Land. Sie pflegten einen politischen Umgang mit Männern und hatten Machtpositionen inne, die ihnen aufgrund ihres Frau-Seins gemäß der offiziellen Doktrin der Sección Femenina keineswegs zugestanden hätten. Ihr Lebensstil hatte kaum etwas mit dem Ideal des ángel de hogar, dem Engel des Heims, das sie verbreiteten, gemein.61 Sie waren ledig und gebildet und ihre öffentliche Präsenz ließ bezweifeln, dass sie die nötige Zeit aufzubringen vermochten, um ihren Haushalt so in Stand zu halten, wie dies in den escuelas de hogar gelehrt wurde.62 Dies mussten sie freilich auch nicht, da sie praktisch ausschließlich einer sozialen Oberschicht angehörten und Bedienstete ihre Haushaltungen in Stand hielten. Barrachina stellt in ihrem Artikel „Ideal de la mujer falangista. Ideal falangista de la mujer“ fest, dass in der Rhetorik der Sección Femenina große Unterschiede zwischen dem Idealbild der falangistischen Frau und dem falangistischen Idealbild der Frau bestanden.63
60 In der Forschungsliteratur wird des Öfteren die folgende Aussage von Pilar Primo de Rivera zitiert, um die gottgegebene Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann, welche die Organisation behauptete, zu illustrieren: „Die Frauen entdecken nie etwas. Es fehlt ihnen dafür natürlich das kreative Talent, von Gott für die männliche Intelligenz reserviert. Wir können nichts weiter tun, als mehr oder weniger gut zu interpretieren, was die Männer uns vorgeben.“ „Las mujeres nunca descubren nada. Les falta, desde luego, el talento creador, reservado por Dios para inteligencias varoniles. Nosotras no podemos hacer más que interpretar, mejor o peor, lo que los hombres nos dan de hecho.“ Pilar Primo de Rivera, 1943. Zitiert bei: Luengo Sojo, Arquetipo, S. 164. 61 Vgl. Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 101ff. 62 „Komm mir bloß nicht damit“, meinte Maite mir gegenüber, während sie mit ihren Händen Strickbewegungen imitierte „mein Ding war das Schreiben und Edieren“. Ihre Haushälterin – eine lateinamerikanische Immigrantin in Dienstmädchen-Uniform, servierte dabei Tee. 63 Vgl. Barrachina, Marie-Aline: Ideal de la mujer falangista. Ideal falangista de la mujer, in: Ministerio de Asuntos Sociales. Instituto de la Mujer (Hg.): III Jornadas de
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Die Sección Femenina begriff sich selbst als Eliteorganisation. Ihre Kadermitglieder sahen für sich eine andere Geschlechterrolle vor als für die ‚breite Masse‘, die sie zu formieren hatte. Als Angehörigen einer Elite, die durch die Erfordernisse der Nachkriegszeit „gezwungen“ war, eine Führungsposition einzunehmen, stand es ihnen zu, in Erfüllung dieser Pflicht die dafür notwendigen Freiheiten in Anspruch zu nehmen.64 Wie Richmond schreibt, wurden die Sección Femeninamandos in der spanischen Öffentlichkeit nicht selten als vermännlicht und als lesbisch wahrgenommen: „their forthrightness and determination could be interpreted as indicators of lesbianism or at the very least denoting a masculine, military style.“65 Bis zur Auflösung der Organisation wich deren Führungsspitze nicht von ihrer martialischen Ästhetik – von ihren Uniformen oder vom Strammstehen – ab, wobei sie sich offensichtlich wenig um ihre eigene Vermännlichung kümmerte. In dieser Vermännlichung war die Führungsspitze, so meine These, wiederum mit der von ihr verbreiteten Geschlechterideologie, dergemäß Weiblichkeit nicht mit Führung und Aktivität vereinbar war, stimmig. Die Sección Femenina-mandos stellten sich schließlich selbst auch nicht als Modelle für die ideale spanische Frau dar. Diese Aufgabe hatten andere Frauen wie die Coros y Danzas-Tänzerinnen zu übernehmen. Der Umstand, dass die mandos ihre Vermännlichung zuließen, könnte gar dahingehend interpretiert werden, dass sie damit signalisieren wollten, dass sie mit ihren Tätigkeiten keine Rollenmodelle für Frauen waren. Mit dem Ideal der Hausfrau und Mutter, das die Sección Femenina für die weibliche Bevölkerung vorgesehen hatte, kontrastierten allerdings auch gewisse Aktivitäten, welche die Sección Femenina nicht nur ihren Mitgliedern, sondern allen Frauen ermöglichte bzw. vorschrieb. Dazu zählte die educación física. Die weibliche Falange ließ ihre Mitglieder in ihren escuelas de hogar, während dem Servicio Social oder in Sommerlagern Basketball und Tennis spielen, wandern und insbesondere Gymnastik treiben. Die Sección Femenina förderte die Integration von Sportunterricht in Grundschulen und auch nach 1945 fanden MassenGymnastik-Vorführungen statt, die eine frappante Ähnlichkeit mit denen des
estudios monográficos, Salamanca 1989, S. 211-217, hier S. 211ff. Vgl. auch Agullo Díaz’s tabellarische Darstellung der beiden Modelle: Agullo Díaz, M. del Carmen: Entre la retòrica i la realitat. Juventudes de la Sección Femenina. Valencia, 19451957, in: Educació i Història. Revista d’Història de l’Educació 7 (2004), S. 247-272, hier S. 256. 64 Vgl. Barrachina, Ideal de la mujer falangista, S. 213ff. 65 Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 113.
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BDM oder der Giovani Italiane aufwiesen.66 Selbst denjenigen männlichen Falangisten, die einen „modernist outlook on the human body“ teilten, schien laut Ofer eine Übertragung dieses Modells auf den weiblichen Körper unangebracht.67 Die katholischen Kirche wertete die Sport treibenden Frauen, die in aller Öffentlichkeit ihre Körper zur Schau stellten, als „Skandal“68. KritikerInnen fürchteten ferner eine Vermännlichung der Sportlerinnen.69 Es handelte sich bei diesen Befürchtungen freilich um keinen exklusiv spanischen Diskurs; vielmehr scheinen, wie Halberstame aufzeigt, Muskeln noch heute nicht nur die Weiblichkeit, sondern auch die Heterosexualitiät von Sportlerinnen zu gefährden.70 Die Sección Femenina begegnete den Einwänden gegen ihr Sportprogramm, indem sie die Körper der Sport treibenden Frauen verhüllte und einschnürte.71 Die durch die Sección Femenina bereitgestellte Möglichkeit, Sport zu treiben, generierte nach Ofer einen geschützten Raum, in dem Frauen eine Form von Körperwahrnehmung gewährt wurde, die außerhalb davon nicht toleriert wurde. „The SF’s physical education instructors taught new generations of girls and young women to enjoy and take pride in their bodies, to nurture them and even publicly expose them.“72 Ofer weist darauf hin, dass die Freiräume, die so innerhalb des Sportprogramms der Sección Femenina entstanden, über die Intentionen der Organisation hinausgingen und erwähnt die Kontrollmechanismen, die eingeführt wurden, um den Körperkontakt zwischen den Sportlerinnen, beispielsweise beim Duschen, möglichst zu verhindern. Als bewusst geführten Kampf für politische und soziale Veränderungen zugunsten der weiblichen Bevölkerung versteht Ofer hingegen die Anstrengungen, welche die Sección Femenina ab Ende der 1950er Jahre zur Modifikation gewis-
66 Vgl. Offermanns, Alexandra: „Die wussten, was uns gefällt“. Ästhetische Manipulation und Verführung im Nationalsozialismus, illustriert am BDM-Werk „Glaube und Schönheit“, Münster 2004, S. 133ff. Vgl. Gori, Gigliola: Italian Fascism and the Female Body. Sport, Submissive Women and Strong Mothers, London/New York 2004, S. 147ff. 67 Ofer, Inbal: Am I that Body? Sección Femenina de la FET and the Struggle for the Institution of Physical Education and Competitive Sports for Women in Franco‘s Spain, in: Journal of Social History 39, 4 (2006), S. 989-1010, hier S. 994. 68 Alcalde, Carmen: Mujeres en el franquismo. Exiliadas, nacionalistas y opositoras, Barcelona 1996, S. 80. 69 Vgl. Platero, Lesboerotismo, S. 24f. 70 Vgl. Halberstame, Judith: Female Masculinity, Durham/London 1998, S. 267ff. 71 Vgl. Ofer, Am I that body? S. 1000. 72 Ofer, Am I that body? S. 1005.
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ser Gesetzesartikel unternahm.73 1958 bewirkte die Sección Femenina eine Änderung des nach dem Bürgerkrieg wieder eingeführten napoleonischen Código Civil, 1961 die Einführung eines Gesetzes für politische- und Arbeitsrechte der Frau und 1966 dessen Ergänzung. Der Status von Minderjährigen, den der Código Civil verheirateten Frauen auferlegt hatte, wurde aufgehoben. Auch ohne die Unterschrift ihrer Ehemänner durften sie nun Bankkonten eröffnen und Arbeitsverträge unterzeichnen. Ehebruch wurde auch für Frauen als Scheidungsgrund anerkannt und Witwen verloren nicht mehr automatisch das Sorgerecht für ihre Kinder, wenn sie sich neu verheirateten. Ofer wertet die juristische Arbeit der Sección Femenina als Ausdruck eines Wandels der Organisation in eine ‚pressure-group‘, welche die Interessen der Frauen gegenüber der Regierung vertrat.74 Tatsächlich geriet die Sección Femenina in ihrem Einsatz für Frauensport und Arbeitsrechte mit anderen Instanzen des Regimes in Konflikt. Ebensowenig wie die anderen Freiheiten, die das Franco-Regime seiner Bevölkerung im Zuge der apertura gewährte, um sie weiter regieren zu können, sind diejenigen, welche die Sección Femenina den Spanierinnen verschaffte, m.E. als Epiphänomene der Disziplinarmacht des Regimes zu betrachten. Die Frauensektion der Falange war bestrebt, auch die weibliche Bevölkerung durch Konsum-, Verkaufs- und Ausdrucksfreiheiten an das Regime zu binden. Ich werde auf diesen Einzug gewisser liberaler Gouvernementalitätstechnologien in die franquistische Regierung der Bevölkerung, zu der es in den 1960er Jahren kam, im Schlusswort dieser Arbeit erneut kurz eingehen. Hier sei festgehalten, dass Ofer die von der Sección Femenina bewirkten Gesetzesänderungen als Versuch einer Annäherung des falangistischen Ideales der Frau an das Ideal der falangistischen Frau interpretiert.75 Demgegenüber möchte ich betonen, dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Idealen stets entlang einer Klassengrenze verliefen.76 Und selbst wenn angenommen würde, die Sección Femenina hätte sich jemals von ihrem Selbstverständnis als Eliteorganisation distanziert, so müsste doch eingeräumt werden, dass sie mit ihrem oben beschriebenen Beitrag zur Stabilisierung des Regimes und zur Verfestigung dieser Klassenverhältnisse im Franco-Staat beitrug. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Organisation mit ihren Vorstößen zwar bei anderen Interessengruppen des Regimes Anstoß erregte, sich dadurch aber gleich-
73 Vgl. Ofer, Inbal: La legislación de género de la Sección Femenina de la FET. Acortando distancias entre la política de élite y la de masas, in: Historia y política. Ideas, procesos y movimientos sociales 15, 1 (2006), S. 219-242. 74 Vgl. ebd., S. 238. 75 Vgl. ebd., S. 236ff. 76 Vgl. Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 106.
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zeitig ihr politisches Überleben innerhalb der franquistischen Staatsstruktur sichern konnte. Dieses war wesentlich daran geknüpft, wie viele Frauen die Organisation zu mobilisieren vermochte. Diese Mobilisierungskraft hing wiederum von ihrer Attraktivität ab. Nach Richmond nahm letztere während den 1950er Jahren stark ab und konnte nur durch die Bereitstellung neuer Freiräume wiederhergestellt werden.77 Am 1. April 1977 wurde die Sección Femenina aufgelöst. Im selben Jahr wurde der Veteraninnenverein Nueva Andadura gegründet, der sich der Organisation kommemorativer Anlässe und vor allem der Bearbeitung des Archivs der Sección Femenina widmete. Die Sección Femenina in Äquatorialguinea Anfang der 1960er Jahre wurde immer absehbarer, dass Spanien seine Kolonialgebiete in Äquatorialguinea und in der spanischen Sahara nicht mehr länger würde halten können. Die Sección Femenina versuchte durch ein intensives kolonialpolitisches Schulungsprogramm die Kolonialisierten über die kaum mehr abwendbare Unabhängigkeit hinaus an Spanien zu binden. Im Jahr 1963 unternahm Dolores Bermúdez Cañete, die Leiterin der falangistischen Studentenorganisation SEU, eine „Inspektionsreise“ in das Ifni Gebiet, um Flora, Fauna und die „Lage“ der mujer nativa zu studieren. Ein Jahr später tat sie dasselbe in Äquatorialguinea. In den Folgejahren begann die Organisation damit, in den Kolonialgebieten esculeas de hogar zu errichten, in denen Mädchen und Frauen spanische Sauberkeit anerzogen wurde. Ambulante Krankenschwestern untersuchten auch in abgelegenen Gebieten Säuglinge und unterwiesen Frauen in der hygienischen Kleinkindererziehung. 1964 sandte die Organisation neunzehn Mädchen aus Ifni nach Spanien, wo sie zusammen mit spanischen Kindern den Sommer über in ein Feriencamp interniert wurden: „Der Schock war äußerst hart: die nativas wussten nicht, wie man isst, in einem Bett schläft, sich alleine zurechtfindet“78, berichtet Suárez Fernández. Muslimische Mädchen gingen in Spanien auf „Kulturreise“, und zwar wohl nicht zufälligerweise nach Andalusien, wo sie die Alhambra und die Kathedrale von Córdoba besichtigten. Auch guineische Mädchen wurden in albuerges geschickt und besuchten auf „Kulturreisen“ das Valle de los Caídos. 1965 sandte die Sección Femenina ihre catédras ambulantes nach Äquatorialguinea aus, um auch die in schwer zugäng-
77 Vgl. ebd., S. 96f. 78 „Fue durísismo el choque: las nativas no sabían comer, dormir en cama, valerse por si mismas.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 374.
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lichen Gebieten lebenden GuineerInnen in formación familiar zu unterweisen. Im selben Jahr wurden in Santa Isabel und in Bata Primarschulen errichtet und die Organisation übersandte guineische „Stipendiatinnen“ nach Spanien, wo sie in örtlichen Sección Femenina-Institutionen zu Lehrerinnen ausgebildet wurden. Von jenen Stipendiatinnen erhoffte sich die Organisation, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Äquatorialguinea in der Kolonie in escuelas de hogar als Lehrerinnen eingesetzt werden könnten. Dass sich diese Erwartungen nicht erfüllen sollten, werde ich in Kapitel 7.1 aufzeigen. Die Coros y Danzas Auf dem zweiten nationalen Kongress (Congreso Nacional) der Sección Femenina im Jahr 1938 wurde die Regiduría de Cultura gegründet, jene Abteilung, in deren Zuständigkeitsbereich die escuelas de hogar, die catédras ambulantes sowie die Musikerziehung, und damit die Coros y Danzas fielen. 1939 begann die Organisation in speziellen Kursen in Madrid und Barcelona Musiklehrerinnen (instructoras de música) auszubilden. Einige von ihnen reisten nach Abschluss ihrer Schulung in die verschiedenen Provinzen, um in „Feldarbeit“ „beinahe vergessene“ „authentische Tänze des spanischen Volkes“ aufzuspüren. Bald wurden in sämtlichen Regionen Folkloretanzgruppen gebildet, welche die „wieder-gefundenen“ Tänze erlernten und in ihren Dörfern vortanzten. Ab 1942 fanden regelmäßig im ganzen Land regionale und nationale Wettbewerbe statt, bei denen die einzelnen Gruppen gegeneinander antraten.79 Ebenfalls im Jahr 1942 besuchten 33 Coros y Danzas-Tänzerinnen in deutschen Hospitälern stationierte Soldaten der División Azul, der Truppe, die Franco zur Unterstützung Nazideutschlands an die Ostfront geschickt hatte. Die ersten großen Expeditionen führten mehrere Folkloregruppen aus verschiedenen Regionen 1948 auf eine erste Lateinamerikatour (Argentinien, Brasilien) und 1949 auf eine zweite (Peru, Chile, Venezuela, Ecuador, Kolumbien, Dominikanische Republik). 1950 folgte eine Reise nach Athen, Istanbul, Jerusalem, Ägypten und in den Libanon. 1951 traten Gruppen in Paris, Belgien, Italien und Kalifornien auf; 1952 in London, Deutschland und den Niederlanden. 1953 wurde die große USA-Tournee durchgeführt, die ich in dieser Arbeit eingehender besprechen werde, und 1955 tanzten die TänzerInnen erneut in Belgien, Holland und in Kuba. In den Folgejahren traten nur noch kleinere Coros y Danzas-Delegationen im Ausland auf. Von herausragender Bedeutung waren die Darbietungen einiger Tänzerinnen auf der Länderausstellung von Brüssel im Jahr 1958 und insbeson-
79 Vgl. Casero, La España que bailó, S. 40ff.
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dere im spanischen Pavillon der New Yorker Weltausstellung von 1964. Die Auftritte in Äquatorialguinea waren nicht die einzigen Vorstellungen, welche die Folkloregruppen in spanischen Kolonien gaben. 1955, also ein Jahr bevor das spanische Protektorat seine Unabhängigkeit erlangte, tourten die Tänzerinnen in Marokko. Bis in die frühen 1960er Jahren traten auf Auslandsreisen keine männlichen Tänzer auf. Warum dies so war, ist unklar. Casero behandelt den Umstand als eine Art Zensur, angewandt, um die Tanzerei sittlicher zu machen.80 M.E. dürften organisationstechnische Gründe ebenso eine Rolle gespielt haben. Laut meinen Gesprächspartnerinnen war es schwierig, männliche Tänzer zu finden, die bereit waren, an solchen Reisen teilzunehmen – für eine solche Erklärung spricht auch die Tatsache, dass nicht in allen Provinzen gleich früh männliche Tänzer in die Gruppen integriert wurden. Auf alle Fälle machte der Mangel an Tänzern den Auftritt von TänzERinnen notwendig. Dazu Casero: „Es hätte keine skandalösere Transgression der Tradition begangen werden können, als die Essenz der Tänze bis zu dem lächerlichen Punkt zu modifizieren, Paare von Frauen zu bilden, bei denen eine als Frau und die andere als Mann gekleidet waren oder bei denen beide als Frauen gekleidet war, aber eine die Männerrolle übernahm.“81 Bei den andalusischen Tänzen, welche die Coros y Danzas aus Cádiz in Äquatorialguinea vorführten, z.B. beim vito oder der farruca, tanzte eine der Tänzerinnen in der sogenannten traje de amazona. Hierbei handelte es sich um ein cordobesisches Reitkostüm, das Ähnlichkeit mit der entsprechenden männlichen Tracht hatte und gelegentlich von Frauen an andalusischen Frühlingsmessen (ferias) – reitenderweise – getragen wurde. Mit diesem ‚cross-dancing‘ der Tänzerinnen werde ich mich in Kapitel 5 eingehender auseinandersetzen. Die Tänzerinnen wurden auf ihren Reisen von einigen wenigen männlichen Musikern begleitet. Hinsichtlich dieser instrumentistas, oder músicos, schreibt die Vorschriftensammlung der Regiduría de Cultura vor: „Es ist absolut notwendig, dass es sich um Personen handelt, die der Delegación Provincial bestens bekannt sind und ein gutes Benehmen aufweisen; wenn dies nicht gegeben ist, sollten Musiker nie für Reisen mit der Sección Femenina ausgewählt werden. Vorzugsweise handelt es sich bei ihnen um Kameraden; aber dies ist keine unerlässliche Bedin-
80 Vgl. ebd., S. 65. 81 Ebd., S. 78.
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Die instrumentistas wurden von der Sección Femenina unter Vertrag genommen und erhielten im Gegensatz zu den Tänzerinnen eine Entlohnung für ihre Auftritte. Der Vertrag, den die Musiker, welche die Tänzerinnen 1957 nach Äquatorialguinea begleiteten, zu unterzeichnen hatten, sah eine Bezahlung von 50 Peseten pro Tag sowie freie Kost und Logis an von der Sección Femenina bestimmten Orten vor. In Klausel Nummer acht heißt es: „Die Musiker müssen die Befehle befolgen, die ihnen die leitenden mandos der S.F. bezüglich Proben und Auftritten geben.“83 Mehrere informes de viaje deuten darauf hin, dass die Sección Femenina von den instrumentistas auch Gehorsam jenseits des Trainings und der Auftritte verlangte. Im Report einer Italienreise von 1955 findet sich folgende Anmerkung: „Unter den Burschen gibt es manche wie JUAN MORENO und JORGE BLANCO [Namen geändert], denen man anmerkt, dass sie weniger wohlerzogen sind als die anderen, aber sie haben bewiesen, dass sie sich anstrengen und bereit sind, auch der kleinsten Anweisung zu gehorchen [...].“84
Laut meinen GesprächspartnerInnen waren die meisten instrumentistas keine Falangemitglieder. Viele von ihnen waren aber mit Sección Femenina-Mitgliedern oder gar mit Tänzerinnen verwandt oder bekannt. Miguel, ein Musiker der Äquatorialguineareise von 1957, war ein Vetter von Esther und eng befreundet mit Claudia, die beide an derselben Reise teilnahmen (Die Tatsache, dass Claudia und Eva Schwestern waren, komplettiert das Bild verwandtschaftlicher Verflech-
82 „Es absolutamente necesario que sean personas muy conocidas por la Delegación Provincial y que reúnan buena conducta; sin esto nunca deben elegirse instrumentistas para viajes con la Sección Femenina. Será preferible que sean camaradas; pero esto no es condición indispensable: lo que sí lo es, es que sean personas de absoluta garantía moral y adhesión al Movimiento.“ Sección Femenina, Normas, S. 235. 83 „Los Músicos deberán acatar cuantas órdenes se les den por los mandos directores de S.F. en lo que respecta a ensayos y actuaciones.“ AGA, (03)051.023 LEG 63 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 84 „Entre los muchachos hay alguno como JUAN MORENO y JORGE BLANCO [Namen geändert], que se nota que son menos educados que los demás, pero han demostrado esforzarse, dispuestos a obedecer a la menor indicación [...].“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No.1
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tungen). Während die obige Quelle zwei spezifische instrumentistas als „weniger wohlerzogen“ bezeichnet, erklärten mir Eva und Nina, dass die Musiker im Allgemeinen „weniger fein“ als die Tänzerinnen gewesen seien. Wohl noch größer als zwischen instrumentistas und Tänzerinnen dürfte der Klassenunterschied zwischen den Musikern und den Sección Femenina-mandos gewesen sein, welche sie befehligten. Womöglich war es diese Differenzhierarchie, die eine Situation ermöglichte, die nicht den in der franquistischen Gesellschaft vorherrschenden Geschlechterverhältnissen entsprach: Frauen, die Männer vertraglich zu ihren Angestellten machten und zurechtwiesen. Generell gilt, dass die Musiker in den Quellendokumenten wenig Erwähnung finden. Dies trifft in gesteigertem Ausmaß auf ‚externe Dokumente‘ zu wie Presseartikel, den Film Ronda española oder den Roman Bailando hasta la Cruz del Sur. Deswegen spielen sie auch in meiner Untersuchung eine nur untergeordnete Rolle. Die Größe der Truppen, die verreisten, variierte stark. Maximal war mit 128 Tänzerinnen diejenige des Trosses auf der zweiten Coros y DanzasLateinamerikareise im Jahr 1949. Auch waren die Delegationen jeweils aus unterschiedlich vielen verschiedenen Gruppen zusammengesetzt. Während bei manchen Reisen nur zwei oder gar nur eine regionale Gruppe – wie bei der zweiten Reise nach Äquatorialguinea nur die Gruppe aus San Fernando, Cádiz – unterwegs waren, reisten 1951 Gruppen aus sieben verschiedenen Provinzen nach Ägypten. Damit gelang es nicht allen Delegationen gleich gut, die regionale Diversität Spaniens zu repräsentieren und die Orchestrierung einzelner Elemente zu einem komplexen Ganzen zu inszenieren. Beides waren, wie in Kapitel 3.1 und 4.1. dargestellt, wichtige Aspekte der Mission der Folkloregruppen. Für jede Gruppe bestimmte die Delegada Provincial unter den Tänzerinnen eine instructora genannte Gruppenchefin, die das Training der Tänzerinnen leitete. Die Gesamtverantwortung oblag der Reisechefin (jefe de viaje). Es handelte sich bei ihr um eine mando der Sección Femenina, die meistens bedeutend älter als die Tänzerinnen war und häufig über keinerlei musikalische Kenntnisse verfügte. Zu ihren Aufgaben gehörten die Verhandlungen mit Festival-Veranstaltern, HotelmanagerInnen und JournalistInnen. Vor allem aber hatten sie die Gruppe rund um die Uhr zu überwachen. Nach Ende der Reise mussten sie einen Rapport (informe de viaje) verfassen, in dem sie die Auftritte selber, aber auch den restlichen Verlauf der Tour, Transport, Unterbringung und insbesondere das Verhalten der Tänzerinnen und der Musiker kommentierten. Die zu den verschiedenen Reisen archivierten informes divergieren hinsichtlich ihrer Ausführlichkeit, des Stiles und der grammatikalischen und orthographischen Korrektheit stark. Diese Faktoren indizieren die Position der jeweiligen mando innerhalb der Sección Femenina-Hierarchie und ihr Bildungsniveau. Während mancher Reisen
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verfassten mandos auch Zwischenberichte in Form von – teils langen – Briefen oder von Telegrammen, die sie noch während der Reise nach Madrid schickten. Das Verhältnis zwischen den mandos und den Tänzerinnen war oftmals gekennzeichnet durch Spannungen und Versuche seitens der Tänzerinnen, sich der Kontrolle durch die mandos zu entziehen. Die Tänzerinnen, die ins Ausland reisten, wurden sorgfältig ausgewählt. Tänzerisches Können war dabei nicht das wichtigste Kriterium. Im Juli 1950, vor einer Coros y Danzas-Reise in die Philippinen, instruierte María Josefa Sampelayo, die langjährige Vorsitzende des Sección Femenina-Kulturdepartements (Delegada Central de Cultura), die Delegada Provinical von Castellón mit einem Schreiben: „Es ist daher notwendig, dass du eine Gruppe auswählst, die in künstlerischer Hinsicht mit absoluter Perfektion auftritt und im Gesellschaftlichen die Falange würdig vertritt. Zwischen zwei Kameradinnen, die seit gleich langer Zeit auftreten und den Tanz in vergleichbarer Art und Weise vorführen und deren Werdegang in der Falange auch ähnlich ist, sollst du diejenige auswählen, von der du glaubst, dass sie aufgrund ihrer Bildung, Kultur sowie ihrer sozialen Herkunft und Erziehung die Sección Femenina in einem besseren Licht erscheinen lassen kann, denn die Erfahrung zeigt uns, dass dies sehr wichtig ist, da auf diesen Reisen die Kameradinnen nicht nur in Theatern tanzen, sondern auch bei Festen, die ihnen zu Ehren die Botschaften, Staatsoberhäuptern etc. in den Ländern, die sie besuchen, ausgerichtet werden und bei denen sie in ihrer Eigenschaft als Ehrengäste mit dem gesamten nahmhaften Diplomaten-Korps der Botschaften verkehren müssen, Leuten, die großen Wert auf gesellschaftliches Benehmen legen: damit sie [die Tänzerinnen] nicht das peinliche Spektakel abgeben, sich verstohlen zu den Tischen zu schleichen, wo die Aperitifs, Imbisse, Getränke etc. serviert werden, dessen wir einige Male nicht nur bei unseren Mitgliedern, sondern auch bei den Leuten im Allgemeinen Zeuge wurden.“85
85 „Es por tanto necesario que elijas un conjunto que desde el punto de vista artístico, actúe con absoluta perfección y que, socialmente representa a la Falange dignamente. Entre dos camaradas que actúen desde igual número de años e interpreten a la Danza de un modo parecido y su historial falangista sea también similar, elegirás a la que tú comprendas que por su formación, cultura, trato social y educación puede dejar mejor a la Sección Femenina, pues la experiencia nos dice que esto es muy importante, ya que en estos viajes las camaradas no se limitan a bailar solamente en el teatro, sino también en fiestas que se dan en su honor por las embajadas, jefes de estado, etc., de los países que se visitan donde, en calidad de invitadas de honor, tienen que alternar con todo el Cuerpo Diplomático acreditado en las embajadas, gente que aquilata mucho el comportamiento social: para que no den el desagradable espectáculo, que algu-
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Die Regiduría de Cultura verlangte also, dass die Tänzerinnen, die ins Ausland reisten, gebildet und mit guten Manieren ausgestattet waren. Dies führte in der Praxis, wie mir meine GesprächsparternInnen berichteten, dazu, dass Tänzerinnen, die für die Reisen ausgewählt wurden, mehrheitlich mindestens einer gehobenen Mittelschicht angehörten. Ein anderer Grund hierfür lag in der Tatsache, dass es sich Bäuerinnen oder Arbeiterinnen selten leisten konnten, wochenlang ihrer bezahlten und unbezahlten Arbeit fernzubleiben. Die tatsächliche soziale Herkunft der Tänzerinnen stand damit in einem deutlichen Widerspruch zu ihrer diskursiven Verortung in „sämtliche soziale Klassen“ oder als ‚Mädchen vom Land‘, die ich in Kapitel 3.1 behandeln werde. Es scheint den für die Selektion der Tänzerinnen verantwortlichen regionalen delegadas und regidoras nicht immer leicht gefallen zu sein, die von Sampelayo aufgestellten Vorgaben zur Selektion der Tänzerinnen zu erfüllen. Dies lässt ein Schreiben der Delegada Provincial der Insel Teneriffa vor der USA-Tour im Jahr 1953 vermuten: „Der Auftritt, den wir am Tag der Heiligen Teresa absolvierten, war sehr hässlich, und wir haben uns entschlossen, diejenigen [...] von Gomera zu nehmen, aber bedenke, dass sie weder Stiefel, noch Strümpfe noch Hosen haben und wir nicht wissen, was für Schuhe diese Mädchen tragen sollen, und wir haben auch kein Geld. [...] Veränderungen: Wir haben geplant, keine vorzunehmen, falls du uns nicht nach dem Besuch in Paris solche vorschreibst. Die Ungleichheit in Paris war uns bereits aufgefallen, aber du weißt ja um die Eile, mit der alles gemacht wurde. Glaube nicht, dass ich die Vorschriften, die ihr zur Auswahl der Kameradinnen für die Reisen vorgebt, nicht beachte, aber weil man so viele Dinge beachten muss, ist es schwierig, denn die, die gut tanzt, ist dick oder sehr klein oder sehr groß oder hat andere Mängel und wenn du ein Mädchen findest, das alle Eigenschaften vereint, erhält sie keine Erlaubnis von der Arbeit oder von zu Hause.“86
nas veces hemos presenciado, no solamente entre nuestras afiliadas, sino por gente en general, de largarse vergonzosamente a las mesas donde están servidos los aperitivos, meriendas, bebidas etc.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 86 „La actuación que hicimos el día de Sta. Teresa nos resultó muy fea, y decidimos hacer los de la Gomera, pero ten en cuenta que no tienen botas, ni medias ni pantalones, pues no sabemos en lo que calzan esas niñas, ni tenemos dinero [...] Cambios. No hemos pensado hacer ninguno, si tu después de la visita de Paris no nos ordenas alguno. La desigualdad que encontró Paris, ya nosotras lo tuvimos en cuenta, pero ya sabes con la rapidez que se hizo todo. No creas que ignoro las normas que dais para seleccionar las camaradas que van a los viajes, pero como hay que tener en cuenta muchas
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Diese Stelle verweist auf Einiges. Erstens wird ersichtlich, dass neben guten Tischmanieren auch gutes Aussehen ein Selektionskriterium war, um als Tänzerin zu einer Auslandreise zuglassen zu werden. Zweitens fällt auf, dass Tanzgruppen aus Teneriffa offensichtlich nicht in „ihren typischen“ Trachten, sondern in denjenigen der Insel Gomera tanzten und aufgrund eines Mangels an finanziellen Mitteln den Folkloregruppen essentielle Elemente jener Tracht nicht zur Verfügung standen. Es wurden folglich Modifikationen vorgenommen. Solche gefährdeten die Authentizität des Vorgeführten, die herzustellen, wie ich später ausführen werde, eines der wichtigsten Ziele der Sección Femenina war. Drittens macht die Quellenstelle deutlich, dass es vorkam, dass Tänzerinnen von ihren Eltern keine Erlaubnis gewährt wurde, um an Reisen teilzunehmen. Dies überrascht wenig, beinhalteten solche Reisen doch ein Überschreiten des normalen Bewegungsradius von Frauen, das öffentliche Zur-Schau-Stellen des weiblichen Körpers und das wochenlange Zusammenleben mit fremden Männern (den instrumentistas). Die Tänzerinnen, die auf Auslandsreisen die typische spanische Frau repräsentieren sollten, waren aufgrund ihrer sozialen Herkunft und der Bereitschaft ihrer Umfeldes, sie überhaupt an den Reisen teilnehmen zu lassen, alles andere als repräsentativ. Sie waren auch innerhalb der Sección Femenina ‚etwas Besonderes‘. Zunächst unterschied sie ihre soziale Herkunft von anderen Basis-Mitgliedern der Organisation wie den divulgadoras rurales oder den Turnerinnen, die bei öffentlichen Gymnastik-Vorführungen auftraten. Denn von diesen waren einige auch Angehörige einer unteren Mittelklasse.87 Eine ebenso grundlegende ‚Besonderheit‘ mancher Coros y Danzas-Tänzerinnen offenbart die folgende Stelle aus einem informe de viaje von einer Reise einer Folkloregruppe in die Schweiz im Jahr 1949: „Isabel García González [Name geändert] hat sich die ganze Zeit über sehr gut benommen. Komplett diszipliniert und aufmerksam. [...] Aber ich finde es völlig absurd, dass die [Delegada] Provincial sie für die Reise vorgeschlagen und darauf beharrt hat, denn sie ist
cosas, resulta difícil, ya que la que baila bien es gruesa, o muy baja, o muy alta o tiene algún otro inconveniente, y cuando encuentras una niña que reúne todo, no le dan permiso en el empleo o en su casa.“ AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 87 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 84ff.
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eine Person, der man anmerkt, dass sie keine Falangistin ist und keinen Kontakt mit der Sección Femenina gehabt hat.“88
Auch gemäß den Aussagen meiner GesprächspartnerInnen beschränkte sich das Sección Femenina-Engagement von ihnen selbst, aber auch von anderen Tänzerinnen, auf ihre Teilnahme an den Auslandsreisen und war nicht in erster Linie politisch motiviert.89 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass viele Tänzerinnen keine überzeugten Falangistinnen waren und nur deswegen an den Auslandsreisen teilnahmen, weil diese die einmalige Gelegenheit boten, vor einem großen Publikum aufzutreten oder schlicht ein aufregendes Reiseerlebnis darstellten. Zu dieser Annahme bewegen mich die Aussagen meiner GesprächspartnerInnen, aber auch die Tatsache, dass es die Sección Femenina für nötig befand, auf den Registrierungsformularen der Tänzerinnen – mehr zu diesen in Kapitel 3 – zu vermerken, ob diese estilo falangista besäßen oder nicht. Das ‚unpolitischSein‘ mancher Tänzerinnen beförderte möglicherweise das unpolitisch-Erscheinen der Folkloregruppen, das, wie ich im Verlaufe dieser Arbeit aufzeigen werde, für diverse Aspekte ihrer politischen Mission zentral war. Möglicherweise führte es aber auch zu Spannungen innerhalb der Gruppen und zwischen den jefes de viaje und den einzelnen Tänzerinnen. Schließlich ist auch denkbar, aber keineswegs zwingend, dass Tänzerinnen, die keine überzeugten Falangistinnen waren, die von der Sección Femenina für die spanische Frau aufgestellten Normen nicht verinnerlicht hatten und daher ein größerer Kontrollaufwand nötig war, um sie dazu zu bringen, diese zu performen. Bereits an dieser Stelle sei betont, dass die Coros y Danzas zu den bedeutendsten Kulturproduktionen des Franco-Regimes gehörten. Die Tatsache, dass in fast jedem spanischen Dorf Folkloregruppen gegründet wurden und vor allem die umfangreiche Berichterstattung über die Auftritte der besten Gruppen im Inund Ausland sorgten dafür, dass die Folkloregruppen in der franquistischen Ge-
88 „Isabel García González [Name geändert] se ha portado bien todo el tiempo. Completamente disciplinada y atenta. […] Pero encuentro completamente absurdo que la Provincial la propusiera e insistiera para el viaje, pues es una persona a la que se le nota que no es falangista, no ha tenido contacto con Sección Femenina.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 89 Auch Agullo Díaz’ Oral History-Untersuchung zur Teilnahme der lokalen weiblichen Bevölkerung in verschiedenen Sección Femenina-Programmen in der Region von Valencia hat ergeben, dass die meisten der von ihr befragten Frauen, die sich bei den Coros y Danzas engagierten, an keinen weiteren Sección Femenina-Aktivitäten teilnahmen. Vgl. Agullo Díaz, Entre la retòrica i la realitat, S. 247-272. S. 268.
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sellschaft omnipräsent waren. Diese Allgegenwart allein dürfte allerdings das nicht nur gespenstische, sondern auch materielle Weiterbestehen der Gruppen im heutigen Spanien nicht erklären.90 Viele renommierte Folkloretanzschulen des Landes werden noch immer von ehemaligen Tänzerinnen oder ihren ‚Nachfolgerinnen‘, sprich von Personen, die den Tanz- und Unterrichtsstil ihrer ehemaligen Mentorinnen beibehalten haben, geleitet. Beispiele sind die Paca Briseña-Schule in Cádiz, das Institut Pepa Guerra in Málaga oder die Tanzschule einer meiner Gesprächspartnerinnen in Ronda. Noch heute werden, wie auch Casero bemerkt, selbst von den schärfsten KritikerInnen der Sección Femenina die Coros y Danzas positiv beurteilt.91 M.E. kann dieser Umstand als Hinweis darauf gelesen werden, dass die Sección Femenina in ihrem Bestreben, die „authentische spanische Folklore“ zum nationalen Fetisch-Objekt zu erheben, das ich im Verlauf dieser Arbeit untersuchen werde, nachhaltig erfolgreich war.
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IN
Ä QUATORIALGUINEA
Am 12. April 1954 verließ das Schiff Domine nach einer großen Abschiedsfeier den Hafen von Cádiz und erreichte am 27. April um 16 Uhr Santa Isabel. An Bord befanden sich fünfzehn Tänzerinnen und fünf Musiker der Coros y Danzas aus Murcia und aus Cádiz sowie Faustino Ruíz González, der Gobernador General de las Provincias de la Guinea Española, der nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Madrid in die Kolonie zurückkehrte. Hunderte von jubelnden Menschen und Reportern empfingen den Tross bei seiner Ankunft. Drei Wochen lang tourten die Folkloregruppen sowohl auf der Insel Fernando Póo als auch im Kontinentalgebiet Río Muni. Jefe de viaje war die normalerweise in Avila lebende Sección Femenina-Beamtin Catalina Enrich Auliach, die am Ende der Reise ein informe de viaje verfasste und von Bata aus direkt an Pilar Primo de Rivera (und nicht etwa an María Josefa Sampelayo, die Regidora Central de Cultura) einen informellen Zwischenbericht in Briefform sandte. In dem informe de viaje und insbesondere in dem Brief lobte und kritisierte Enrich die Teilneh-
90 Zu ‚franquistischen Gespenstern‘ im heutigen Spanien siehe: Labanyi, Jo: History and Hauntology; or, What Does One Do with the Ghosts of the Past? Reflections on Spanish Film and Fiction of the Post-Franco Period, in: Joan Ramon Resina (Hg.): Disremembering the Dictatorship: The Politics of Memory since the Spanish Transition to Democracy, Atlanta 2000, S. 65-82. 91 Vgl. Casero, La España que bailó, S. 9.
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merInnen der Reise, berichtet von vor Ort vorgefundenen Schwierigkeiten und brachte eine Reihe von Vorschlägen für weitere Coros y Danzas-Reisen an. Der persönliche Tonfall des Briefes lässt darauf schliesßen, dass Enrich bei Primo de Rivera in hoher Gunst stand. Die jefe de viaje zeigt sich in dem Brief auch um die Dokumentation und Presseberichterstattung zur Reise bedacht. Sie gab an, dem Schreiben Fotografien „der Mädchen beim Tanzen“ beizulegen: „Ich glaube einige könnten gut für die Presse sein“92, kommentierte sie. Ferner erwähnte sie, wie bereits oben aufgeführt, die Tatsache, dass während der Reise Filmaufnahmen von den Folkloregruppen gemacht worden seien. Die Kritik, die Enrich äußerte, bezog sich unter anderem auf organisatorische Mängel in der Vorbereitung der Reise: „Murcia. Sehr gut die Kleidung für die Tänze, ordentlich. Sehr gut die Trainingsuniform. Mäßig die persönliche Garderobe. Daran war die delegada provincial schuld, die den Mädchen sagte, sie bräuchten keine Kleider, da sie auf die Feste in Regionaltracht gehen würden. So war es auch während der Gala oder dort, wo sie aufgetreten sind, aber dann wurden viele Feste am Abend und Aperitifs für sie veranstaltet, wo sie individuell gekleidet hingehen mussten und so sind sie in einen Engpass gekommen.“93
Trotz dieser und anderer Probleme wertete die jefe de viaje die Reise in ihren Berichten als Erfolg. Ich vermute, dass die Kolonialregierung diese Einschätzung teilte und dass dies mit ein Grund dafür war, dass es drei Jahre später zu einer zweiten Reise kam. „Bis zu mir sind Gerüchte vorgedrungen, dass der Gobernador von Guinea die Tanzgruppe aus San Fernando eingeladen hat, für einen Auftritt in die genannte Stadt zu reisen. Ich bitte dich, mich zu informieren, was es damit auf sich hat, denn uns hat niemand um Er-
92 „Te mando unas fotos de las niñas bailando, creo que alguna de ellas puede servir para prensa.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TO P23/27.704-28.302 GR7 No1. 93 „Murcia. Muy bien el vestuario de Danzas, ordenado. Muy bien el uniforme para los ensayos. Regular el vestuario particular. Esto fue culpa de la delegada provincial que les dijo a las niñas que no necesitaban trajes de vestir porque a las fiestas irán de regional. Así ha sido en las de gala o en las que iban a actuar, pero luego les han dado muchas fiestas de tarde y aperitivos donde tenían que ir de particular y se han visto muy apuradas.“ Ebd.
74 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE laubnis für diese Reise gefragt und es verwundert uns sehr, dass ihr ohne unsere Zustimmung akzeptiert“94,
schrieb am 16. April 1957 María Josefa Sampelayo, die Regidora Central de Cultura, an die Regidora Provincial de Cultura aus Cádiz. Diese antwortete, dass der Gobernador General die Tanzgruppe aus San Fernando während eines Folklore-Festivals, dem er in Spanien beiwohnte, eingeladen habe, und versprochen habe, sich mit konkreten Vorschlägen für eine Reise bei der nationalen Zentralstelle der Sección Femenina zu melden und dort um „Erlaubnis“ für einen Coros y Danzas-Besuch in der Kolonie bitten würde.95 Wie schon die erste Äquatorialguineareise fand also auch die zweite auf Initiative von und finanziert durch Faustino Ruíz González statt. Stärker noch als bei der ersten Tour war er in die Planung der zweiten Reise involviert. Nicht irgendeine spanische Gruppe, sondern eine, die nicht nur wie beim letzten Mal aus seiner Heimatprovinz (Cádiz), sondern sogar aus seiner Heimatstadt (San Fernando) stammte, lud er nach Äquatorialguinea ein. Am 26. April bat Ruíz González Pilar Primo de Rivera persönlich um Erlaubnis, die Tanzgruppen nach Äquatorialguinea ‚holen‘ zu dürfen. Auf besonders dickem, kostbar wirkendem Papier heißt es: „Meine verehrte Freundin: Im Jahr 1954 kam wir in den Genuss, die Coros y Danzas de España als Gäste dieses Gobierno General bei uns zu haben, vertreten durch die Gruppen von Cádiz und Murcia, die einen erfreulichen Eindruck in dieser Provinz hinterlassen haben. Nun hätte ich gerne, dass der Coro de San Fernando (Cádiz) unter den gleichen Bedingungen wie beim letzten Mal kommt, das heißt, eingeladen durch dieses Gobierno General.“96
94 „Hasta mi llegan rumores de que el Gobernador de Guinea ha invitado al grupo de danzas de San Fernando a que se desplace a dicha ciudad para una actuación. Te ruego me informes de lo que hay sobre esto ya que a nosotras nadie nos ha pedido autorización para este desplazamiento y nos extraña aceptéis sin nuestro consentimiento.“ AGA, (03)051.023 LEG 63 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 95 Vgl. ebd. 96 „Mi distinguida amiga: En el año 1.954, tuvimos la satisfacción de tener como huéspedes de este Gobierno General a los Coros y Danzas de España representados por las Agrupaciones de Cádiz y Murcia, las cuales dejaron un grato recuerdo en esta Provincia. Ahora quisiera que viniera el Coro de San Fernando (Cádiz), en las mismas condiciones que la otra vez, es decir, invitado por este Gobierno General.“ Ebd.
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Die Wortwahl – „nun hätte ich gerne“ –, das Betonen der Tatsache, dass das Gobierno General das einladende und damit finanzierende Organ gewesen war und wieder sein würde sowie die informelle Anrede indizieren, dass der oberste Befehlshaber Äquatorialguineas bereits in diesem ersten Schreiben den Anspruch erhob, auch oberster Befehlshaber seiner Coros y Danzas-Gruppe zu sein. In nüchternem Tonfall schrieb Primo de Rivera zurück und versprach, dass „13 Frauen und 3 Männer und eine mando“ nach Äquatorialguinea reisen würden.97 Ruíz González reagierte am 29. Mai mit einem weiteren Brief, in dem er angab, sich sogleich um die Reservierung der Reisetickets zu kümmern, sich bedankte, seine „große Befriedigung“ ausdrückte und nach der offiziellen Grussformel seiner Unterschrift von Hand ein schwungvolles „¡Arriba España!“ hinzufügte.98 Rund eine Woche später fühlte sich Maria Josefa Sampelayo scheinbar erneut hintergangen. Sie schrieb an die Regidora Provincial de Cultura de Cádiz: „Es verwundert mich, dass ihr uns nichts bezüglich der Reise der Tanzgruppe aus San Fernando nach Guinea kommuniziert habt. Wir haben euch am Telefon gesagt, ihr sollt uns die Dokumente schicken und nichts haben wir erhalten.“99 Diese Kommunikationsstörungen bzw. die Konflikte, zu denen es offenbar in der Sección Femenina kam, verhinderten nicht, dass die Coros y Danzas aus San Fernando schließlich vom 6. bis zum 27. Juli 1957 Äquatorialguinea bereisten. Nur eine einzige der Tänzerinnen in dieser Formation war in der ersten Reise im Jahr 1954 mit von der Partie gewesen. Keine der Teilnehmerinnen war älter als 28 Jahre alt, vier waren unter 20, Claudia, Evas Schwester, war sechzehn und sie selbst war 20 Jahre alt.100 Die interne Berichterstattung zur Reise im Jahr 1957 unterschied sich deutlich von derjenigen zur ersten Äquatorialguineatour. Unter den archivierten Unterlagen fehlen die üblichen Zwischenberichte und das informe de viaje der Gruppenleiterin. Informationen über den Verlauf der Reise wurden indes folgendermaßen kommuniziert: Zum einen telegraphierte Ruíz González, der die Tänzerinnen auf den meisten Stationen ihrer Reise begleitete, Kurzberichte an die Abteilung für auswärtige Angelegenheiten (Servicio Exterior) in Madrid, wo ein Beamter die Informationen paraphrasierte und an Pilar Primo de Rivera oder an die Regidora Central de Cultura weiterleitete. Zum anderen übermittelte Ruíz
97
Vgl. ebd.
98
Ebd.
99
„Me extraña no nos hayáis comunicado nada sobre el viaje del grupo de danzas de San Fernando a Guinea. Por teléfono os dijimos que nos enviárais la documentación y nada hemos recibido.“ Ebd.
100 Vgl. ebd.
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González Telegramme an den mit ihm befreundeten Bürgermeister von San Fernando. Dieser sandte die Telegramme zusammen mit Begleitschreiben an die Regidora Provincial de Cultura nach Cádiz, die sie wiederum – ihrerseits unter Beilage von ‚Kurz-Memos‘ – an die Regidora Central de Cultura nach Madrid schickte. Einige der Begleitschreiben, mit denen der Direktor des Servicio Exterior die Telegramme verschickte, tragen den Stempel „urgente“. Zur Veranschaulichung ihres Stils zitiere ich hier eines der Telegramme: „Aufenthalt der Coros y Danzas in dieser Provinz. Bei ihrer Ankunft wurden sie im Hotel Monterrey in Santa Isabel untergebracht. Samstag 6. um 13 Uhr wurden sie im Palacio del Gobierno durch meine Autorität empfangen und mit einem Glas spanischem Wein bewirtet. Per Bus bereisten sie die Siedlung. Um 20 Uhr im Stadion traten sie vor einem großen Publikum von Europäern und indígenas auf, die ihnen äußerst warmherzig Applaus zollten.“101
Ruíz González präsentierte sich in diesem, aber auch in den anderen Telegrammen, gegenüber den spanischen Behörden, an die er sie sandte, als militärisch exakter Dirigent eines perfekt orchestrierten triumphalen Ereignisses, in dem sich die von ihm gelenkten Menschen gut dressiert zeigten und den spanischen Tänzerinnen applaudierten. Bereits der Stil der Telegramme des Gobernador General lässt sich als Argument für eine der zentralen Thesen meiner Untersuchung aufführen. Und zwar derjenigen, dass die Auftritte der Coros y Danzas in Äquatorialguinea von Ruíz González dazu benutzt wurden, um die Errungenschaften seiner Regierung gegenüber der Metropole zu ‚vermarkten‘ und seine Position in einem Moment zu sichern, in dem sie durch den wachsenden antikolonialen Widerstand gefährdet war. Die Coros y Danzas-Auftritte in Äquatorialguinea hatten verschiedene Zielgruppen. Entsprechend traten die Folkloregruppen in einer Vielzahl von Lokalitäten auf. Erstens tanzten sie für die koloniale ‚high society‘. Hierzu zählten die Angehörigen der Kolonialregierung, Armeeoffiziere und reiche spanische SiedlerInnen. Sie wurden im Regierungsgebäude, im Casino, auf dem Flughafen oder im Tennisclub, in den diversen Fabriken und Plantagen, welche die Folkloregruppen besuchten, betanzt. Das nicht weiße Publikum der Tänzerinnen lässt sich
101 „Estancia Coros y Danzas en ésta provincia. A su llegada fueron alojadas en Hotel Monterrey de Santa Isabel. Sábado 6 a 13 horas fueron recibidas en el Palacio del Gobierno por mi autoridad y obsequiadas con una copa de vino español. En autobús recorrieron la población. A las 20 horas en el Estadio actuaron entre numerosísimo público europeo e indígena que les tributó cariñosísimas ovaciones.“ Ebd.
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unterteilen in indígenas emancipados und indígenas no emancipados. Speziell auf letztere ausgerichtet waren die Besuche der Folkloregruppen in abgelegenen Dörfern, die Auftritte in Batas Freiluft-Kino, die Besichtigungen des Patronato de Indígenas, von Waisenheimen, Grundschulen und Internaten sowie dem Leprösenheim in Micomenseng. Zu den indígenas emancipados zählte zum einen die kreolische Elite der fernandinos, reiche Unternehmer liberianischer, sierraleonischer oder auch kubanischer Herkunft, deren Familien zu den ersten gehört hatten, welche die Kakaoplantagen Äquatorialguineas bewirtschafteten und dadurch reich geworden waren. Vor ihnen traten die Coros y Danzas speziell im Club Fernandino auf. Zum anderen wurde der Status indígena emancipado denjenigen Kolonialisierten verliehen, die in spanischen Bildungsinstitutionen ausgebildet worden waren und danach als Beamte und Lehrer Mittler zwischen der Kolonialregierung und den übrigen Kolonialisierten sein sollten. Die Coros y Danzas traten in solchen Schulen auf, namentlich der Escuela Superior Indígena oder dem Ausbildungszentrum in Banapé. Eine Vielzahl der Coros y Danzas-Auftritte fand vor einem heterogenen Publikum statt, das sowohl aus spanischen SiedlerInnen als auch GuineerInnen verschiedener sozialer Zugehörigkeit bestand. Besonders erwähnenswert sind hier die Vorführungen im Sportstadion von Santa Isabel oder in der Kaserne der Guardia Civil in Río Benito. Bei solchen Auftritten befanden sich unter dem Publikum auch Spanier, die nicht zur kolonialen ‚high society‘ gehörten. Nicht wenige von ihnen waren aus ärmlichen Verhältnissen stammende Arbeiter und Bauern. Solche Männer fuhren oftmals mit der Absicht nach Äquatorialguinea, dort in kurzer Zeit als Vorarbeiter auf Plantagen ein Vermögen zu erarbeiten und danach nach Spanien zurückzukehren. Viele von ihnen blieben jedoch bis zu ihrem Lebensende oder bis zu Äquatorialguineas Unabhängigkeit in der Kolonie.102 Alleinstehenden spanischen Frauen war es während der Franco-Zeit verboten, sich in Äquatorialguinea niederzulassen, und die Plantagenbesitzer stellten in den 1940er und frühen 1950er Jahren beinahe ausschließlich unverheiratete Siedler als Vorarbeiter an. Erst Ende der 1950er Jahren änderte sich diese Politik und im Jahr 1962 machten Frauen noch immer nur ein Drittel der spanischen Bevölkerung aus.103 Das spanische Publikum der Coros y Danzas-Auftritte in Äquatorialguinea dürfte daher – und auch die Bilddokumente von den Auftritten weisen hierauf hin – mehrheitlich männlich gewesen sein. Bezüglich der Geschlechteraufteilung unter den guineischen ZuschauerInnen vermag ich lediglich aufzuführen, dass auf den Bilddokumenten von Veranstaltungen im Sportstadion
102 Vgl. Brunet/Cosculluela/Mur, Guinea en patués, S. 121ff. 103 Vgl. Martin-Márquez, Disorientations, S. 279f.
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von Santa Isabel, in Micomenseng oder in Río Benito ungefähr gleich viele guineische Frauen wie Männer im Publikum zu sehen sind. Einige der Primarschulen und Internate, welche die Tänzerinnen besuchten, waren allerdings reine Mädchen-Institutionen. Auch hinsichtlich der performances der Coros y Danzas in Äquatorialguinea gilt die in der Einleitung gemachte allgemeine Feststellung, dass mich in dieser Arbeit auch die Wirkung, welche die Auftritte der Folkloregruppen auf ihr virtuelles Publikum hatten, interessiert. Dieses dürfte auch im Falle der Aufführungen in der Kolonie groß gewesen sein, zumal sie eine umfangreiche Berichterstattung in Massenmedien begleitete. Bevor ich weiter unten auf diese Berichterstattung und damit auf die Zusammensetzung jenes virtuellen Publikums eingehe, möchte ich an dieser Stelle erneut betonen, dass die Coros y Danzas-Tänzerinnen nicht die einzigen ProtagonistInnen ihrer Auftritte und, in Äquatorialguinea, nicht das einzige ethnographische Spektakel in ihrer Show waren. Gruppen tanzender GuineerInnen wurden bei der Ankunft der Tänzerinnen im Jahr 1954 in einem Umzug durch Santa Isabel geführt. Während beider Reisen der Folkloregruppen traten baleleTanzformationen vor den Coros y Danzas auf. Balele war im kolonialen Äquatorialguinea ein generischer Begriff für sämtliche guineische Tänze, weswegen aus den schriftlichen Quellendokumenten jeweils nicht exakt hervor geht, welcher Tanz genau präsentiert wurde.104 Das wohl größte Spektakel fand 1954 in Micomenseng statt und wurde fotografiert und gefilmt. Auf beiden Reisen tanzten ferner SchülerInnen der Schulen, welche die Coros y Danzas besuchten, vor den Folkloregruppen. Im Jahr 1954 verfolgten die Folkloretänzerinnen – ebenfalls gefilmt von Hermic – im Stadion von Santa Isabel Sportwettkämpfe der Schüler der Escuela Superior Indígena. Darüber hinaus ließen sich die Coros y Danzas-Tänzerinnen 1957 mit einer Reihe guineischer Männer und Frauen auf Santa Isabels Markt fotografieren. Sowohl das guineische als auch das spanische Publikum des Coros y Danzas-Spektakels war, wie im Verlaufe meiner Arbeit ersichtlich werden soll, ein zentraler Bestandteil der Inszenierung der Reisen der Fokloregruppen. Auch die ZuschauerInnen der Auftritte hatten live, in der Presseberichterstattung sowie in Foto- und Filmaufnahmen eine entscheidende Rolle zu spielen. Nicht immer taten sie dies gleich gut. Wichtige ProtagonistInnen des Spektakels der Folkloregruppen waren neben Tänzerinnen und ‚gewöhnlichen‘ ZuschauerInnen die diversen Beamten der spa-
104 Vgl. Molina Martos, Isabel: El Español en Guinea Ecuatorial. Aspectos sociolingüísticos, Madrid 2006, S. 15.
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nischen Regierung, die zusammen mit den Tänzerinnen nach Äquatorialguinea reisten. Die bedeutendste Figur war der falangistische Offizier Miguel Ángel Samaniego, der für die Zeitung Arriba einen Reisebericht verfasste. In der Kolonie selbst wurden die Tänzerinnen bei ihren Reisen von Beamten der Kolonialregierung begleitet und traten gemeinsam mit Soldaten der spanischen Flotte und Mitgliedern der Guardia Colonial in Erscheinung. Letztere existierte seit 1904 als bewaffnete Polizeieinheit, bestehend aus nicht europäischen und per definitionem nicht in Äquatorialguinea geborenen Beamten, die aus den Nachbarländern der Kolonie stammten. Das Korps wurde von einem spanischen Beamten der Guardia Civil befehligt und seine Aufgaben bestanden darin, für „öffentliche Ordnung“ und die „Einhaltung des Gesetzes“ durch die guineische Bevölkerung zu sorgen. Insbesondere mussten die Beamten sicherstellen, dass die GuineerInnen vor der spanischen Flagge salutierten, nicht wilderten oder illegale Abholzungen tätigten und den Befehlen der jefes de tribu Folge leisteten. Ferner war es laut den Statuten des Korps Aufgabe der Mitglieder der Guardia Colonial, „den Charakter“ der GuineerInnen zu „studieren“, was, so meine These, sowohl der Kolonialregierung als auch Wissenschaftlern nützliche Informationen über die Kolonialisierten verschaffen sollte. Die Konzerte der Musikgruppe der Guardia Colonial, die auch anlässlich der Coros y Danzas-Besuche in der Kolonie auftrat, waren ferner wichtiger Bestandteil des Unterhaltungsangebotes für die in Äquatorialguinea lebenden spanischen SiedlerInnen.105 Eine weitere Hauptfigur des kolonialen Spektakels der Folkloregruppen war schließlich „seine Exzellenz“ Don Faustino Ruíz González. Der im Jahr 1900 geborene Gaditano kommandierte während des spanischen Bürgerkriegs mehrere Kriegsschiffe. Während seiner Regierungszeit in Äquatorialguinea von 1949 bis 1962 zeichnete er sich als Initiator verschiedener Modernisierungsbestrebungen und als brutaler Unterdrücker der wachsenden Widerstandsbewegung aus.106 Bei seiner Rückkehr nach Spanien wurde er zum Admiral und obersten Befehlshaber der spanischen Flotte ernannt. Die Sección Femenina und die Kolonialregierung organisierten für beide Äquatorialguineareisen eine umfangreiche Berichterstattung in den Massenmedien. Erstens berichtete die koloniale Tageszeitung Ebano von den tänzerischen und nicht tänzerischen Aktivitäten der Folkloregruppen. Exemplare der Zeitung sind in der Biblioteca Nacional de Madrid auf Mikrofilm archiviert, wobei die Ausgaben aus den Monaten Mai bis August des Jahres 1954, in denen die Folkloregruppen die Kolonie bereisten, fehlen. Jedoch hat die Sección Femenina ei-
105 Vgl. Nerín i Abad, Guàrdia Civil, S. 56. 106 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 171.
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nen Artikel ausgeschnitten und archiviert, den ich Ebano zuordne. Im Jahr 1957 erschienen in Ebano – und aus diesem Jahr ist die Archivierung in Madrid lückenlos – vier Artikel, die detailliert von den tänzerischen und nicht tänzerischen Aktivitäten der Folkloregruppen berichten. Im ersten von ihnen heißt es, dass bei dem Empfang der Folkloregruppen im Palacio del Gobierno auch „der Chronist, Sr. Angulo, begleitet von seiner Frau“107 anwesend gewesen sei. Es ist unklar, ob es dieser Chronist war, der die Ebano-Artikel verfasst hat und wenn ja, ob er die Folklore-Gruppen auf ihrer Tour begleitete oder ob er seine Berichte auf Basis der Telegramme von Ruíz González zusammenstellte. Darüber hinaus publizierte Ebano am 22. Juli 1957 einen Kommentar zu einem Auftritt der Tänzerinnen, der mit dem Namen Centauro unterzeichnet ist. Im Jahr 1954 berichtete weiter die monatlich von den claretinischen Mönchen herausgegebenen Zeitschrift La Guinea Española ausführlich in einem langen Artikel und einem kurzen Kommentar von der Ankunft der Tänzerinnen in Santa Isabel und dem ersten Auftritt der Gruppen im Stadion. Auf derselben Reise wurden die Tänzerinnen von dem falangistischen Attaché Miguel Ángel Samaniego begleitet, der einen längeren Bericht von der Tour in der spanischen Tageszeitung Arriba verfasste. Von der 1957er-Tour berichteten auch die Zeitung ABC und die andalusische Tageszeitung Ayer – letztere mit zwei Artikeln – über die Auftritte der gaditanischen Tänzerinnen in der Kolonie. Von beiden Reisen machte ein professioneller Fotograf Aufnahmen. Darüber hinaus traten die Gruppen im Jahr 1954 sowohl in Santa Isabel als auch in Bata im örtlichen Radio auf. „Nur Gesang“108 ist hierzu in den Dokumenten vermerkt. Ob dies bedeutete, dass die Tänzerinnen sich lediglich auf das Singen beschränkten und nicht etwa darüber hinaus Fragen eines Moderators beantworteten, bleibt offen. Den Höhepunkt der Berichterstattung von den Reisen stellte der HermicFilm Danzas de España en el trópico von der 1954er Reise dar. Der achtminütige Film setzt mit der Ankunft der Coros y Danzas und von Ruíz González im Hafen von Santa Isabel ein. Als nächstes wird deren Marsch zum Palacio Nacional eingeblendet, gefolgt von einem Völkerschau-Umzug von VertreterInnen der población nativa. Dem folgt eine Sequenz im Sportstadion von Santa Isabel, in der Schüler einer guineischen Eliteschule in Sportwettkämpfen, welche die Coros y Danzas-Mitglieder und Ruíz González auf der Tribüne verfolgen, ge-
107 „A este saludo a S. E. asistió también el cronista Sr. Angulo, acompañado de su Sra.“ F.A.: „La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas en España“, in: Ebano, 08.07.1957. 108 „solo canto“. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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geneinander antreten. Als nächstes ist zu sehen, wie die Coros y Danzas in San Carlos die Ankunft von Ruíz González und einen Umzug der Guardia Civil als Publikum verfolgen. Die anschließende Sequenz zeigt die Überfahrt der Coros y Danzas nach Bata. In der sechsten Filmminute sind die Folkloregruppen zum ersten Mal beim Tanzen zu sehen, und zwar auf einer Freilichtbühne in Río Benito. Der nächste Abschnitt inszeniert den Besuch der Coros y Danzas in einem Leprösenheim, wobei die Tänzerinnen nicht in der Aufnahme erscheinen. Die Bilder, die zuerst eine Straße, gesäumt von Menschen und Hütten, und danach die vernarbten und bandagierten Gesichter von guineischen Männern, Frauen und Kindern zeigen, sind, wie es scheint, mit einer anderen Kamera gefilmt worden. Möglicherweise stammen sie aus dem Film Los enfermos de Mikomeseng, den das Hermic-Team zwischen 1944 und 1946 produzierte. Die nächste Sequenz zeigt, wie die Coros y Danzas-Tänzerinnen in Mikomenseng einer baleleTanz-performance beiwohnen und an deren Ende Geschenke erhalten. In den letzten beiden Teilen des Films ist Ruíz González beim Besichtigen von Baustellen für ein neues Spital, ein neues Regierungsgebäude und eine neue Kathedrale in Bata zu sehen. Die unkommentierten Szenen des Filmes sind mit einer langsamen 4/4-Takt Marschmusik unterlegt. Die Sequenzen, in denen die Coros y Danzas tanzen, sind kommentiert und nur sehr leise ist im Hintergrund andalusische Folklore-Musik zu hören. Die Tonspur zu der balele-Tanz-Vorführung stammt möglicherweise aus dem Film balele aus dem Jahr 1933.109 Wer genau den Hermic-Film wo genau gesehen hat, ist unklar. Klar ist hingegen, und hiermit seien die oben angestellten Ausführungen resümiert, dass ein großer Aufwand betrieben wurde, eine hohe Anzahl spektakulärer tänzerischer und nicht tänzerischer Auftritte der Folkloregruppen in Äquatorialguinea zu inszenieren. Und zwar sowohl vor einem live-Publikum als auch vor einem virtuellen Publikum, wobei sich letzteres zum einen in der Kolonie und zum anderen – und wohl vor allem – in der Metropole befand. Nur, wozu das Ganze? Welche politischen Ziele wurden mit dieser kolonialen Super-Show verfolgt? Welchem Zweck sollten auch die anderen Auslandauftritte der Coros y Danzas dienen? – Genau diesen Fragen werde ich im nächsten Teil meiner Arbeit nachgehen, sie präzisieren und eine Reihe möglicher Antworten präsentieren.
109 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 237.
Die Mission
Hinter den Coros y Danzas existierte kein ‚Masterplan‘, der im Jahr 1939 im Detail festgelegt hätte, welchen politischen Zweck die Folkloregruppen in den kommenden vierzig Jahren auf welche Weise zu erfüllen hatten. Dies heißt nicht, dass es nicht konkrete politische Intentionen gewesen wären, welche die Tänzerinnen bewegten. Nur handelte es sich dabei um unterschiedliche – teilweise gar widersprüchliche – Intentionen verschiedener Akteure, die sich über die Zeit hinweg wandelten. Dieser Wandel vollzog sich in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren, unter anderem des Verlaufs der Reisen selber. Vor allem aber trugen jene Akteure durch ganz bestimmte Handlungen und alltägliche Praktiken – in Verfolgung ‚persönlicher Interessen‘ – zur Erfüllung politischer Interessen bei, ohne dass ihnen bewusst gewesen wäre, wie genau, oder dass sie dies überhaupt taten. Was ich damit sagen will, ist, dass die politische Mission der Coros y Danzas nicht mit einer klar definierten Strategie verwechselt werden darf. Vielmehr handelte es sich bei ihr um ein kontingentes Gefüge politischer Projekte, in deren Richtung sich Menschen bewusst oder unbewusst bewegten. Und zwar durch selbstreflektierte Aktionen, aber auch, indem sich in ihren Körpern hegemoniale Diskurse materialisierten und sie gesellschaftliche Normen rezitierten. Wie ich im Folgenden aufzeigen möchte, geht aus den Quellen hervor, dass die Tänzerinnen zum einen ‚Kultur-Botschafterinnen‘ waren, deren Aufführungen im Ausland das Ansehen des Franco-Staates in Westeuropa und den USA verbessern sollten. Anderseits hatten die Folkloregruppen zur Regierung der Bevölkerung in Spanien und den spanischen Kolonien beizutragen. Ich untersuche in diesem Kapitel sechs Teilaspekte dieser Mission.
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D IE E RARBEITUNG DER AUTHENTISCHEN SPANISCHEN F OLKLORE Die Erarbeitung der „authentischen spanischen Folklore“ durch die Sección Femenina gehörte zu den wichtigsten Traditions-Erfindungs-Projekten der FrancoDiktatur. Die Sección Femenina-Beamtinnen griffen verschiedene, kaum mehr praktizierte regionale Bräuche auf, transformierten diese und institutionalisierten sie als nationale Traditionen.1 Es handelte sich dabei um einen vielschichtigen Prozess, der sich auf mehreren Ebenen vollzog, die ich im Folgenden getrennt voneinander betrachte, obwohl sie sich zeitlich überschnitten und in einer Wechselwirkung zueinander standen. Ich werde erläutern, wie die Organisation in „Feldarbeit“ in sämtlichen spanischen Provinzen „beinahe vergessene“ Tänze aufspürte, ‚reinigte‘ und „dem Volk“ neu beibrachte, und wie die neu formierten Coros y Danzas-Gruppen sie zunächst in Spanien und danach im Ausland zur Schau stellten und verbreiteten. Feldarbeit Unmittelbar nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs begannen Sección Femenina-Beamtinnen, von denen die allermeisten Angehörige Spaniens urbaner Mittel- und Oberschicht waren, damit, in den abgelegenen Dörfern („pueblos“) des Landes, im tiefsten „inneren Spanien“ ihr eigenes ‚internes Anderes‘2 zu erforschen. Sie untersuchten Spaniens „Volk“ („el pueblo“) und seine verschiedenen „Völker“ („pueblos“) bzw. Manifestation von deren „rassischen“ Eigenarten. Sie studierten diese in jenem Medium, in dem solche Charakteristika – so die Annahme – sich am deutlichsten zu präsentieren pflegten: „Der Tanz und das Lied offenbaren eindeutig die Persönlichkeit einer Region. Das Lied zeigt direkt den Charakter, die Gefühle. Der Tanz das Temperament, die rassischen Modalitäten“3, heißt es in einem undatierten Manuskript mit dem Titel Danzas Populares de Cataluña. Die an dieser Stelle geäußerte Vorstellung, dernach die „Essenz“ eines „Volkes“ am deutlichsten in Ritualen und insbesondere im Tanz erkennbar
1
Vgl. Hobsbawm, Eric: Introduction. Inventing Traditions, in: ders./Ranger (Hg.), In-
2
Vgl. Sinclair, Alison: Interior and Internal Spain. Visison of the Primitive at the Cul-
vention of Tradition, S. 1-14, hier S. 6. tural Interface, in: Romance Studies 22, 3 (2004), S. 209-22, hier S. 209ff. 3
„La danza y la canción revelan claramente la personalidad de una región. La canción muestra directamente el carácter, los sentimientos. La danza el temperamento, las modalidades raciales.“ Maite Doc. 2.
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sei, war unter US-amerikanischen und westeuropäischen Ethnologen schon Ende des 19. Jahrhunderts weit verbreitet.4 Gerade FolkloreforscherInnen interpretierten seit dem späten 18. Jahrhundert – oft mit Bezug auf Herders Konzept des „Volksgeistes“ – „folk music as a valuable medium for revealing the origins and essential character of the people occupying a territory.“5 Ab 1939 sandte die Sección Femenina in sämtliche Provinzen Forscherinnenteams aus, die aus zwei bis drei Frauen bestanden, von denen mindestens eine instructora de música sein und über tänzerische und gesangliche Fähigkeiten verfügen musste. Ihre Aufgabe war es, in den verschiedenen Regionen die „authentische spanische Folklore“ zu ‚rekompilieren‘ – der von der Organisation verwendete Ausdruck „recopiliar“ lässt sich sowohl als „wieder-einsammeln“ als auch als „neu-zusammenstellen“ übersetzen. In einem von Casero transkribierten Rundschreiben der Regiduría de Cultura aus dem Jahr 1939 ist zu lesen: „Jene instructoras sollen Lieder des authentischen Volkes – am besten diejenigen ruraler Prägung, da sie am repräsentativsten sind – sammeln, indem sie Melodien, Rhythmus, Takt und Ausdruck und Stil getreu in den Notenlinien wiedergeben, stets darauf achtend, dass die getreue Wiedergabe nicht nur die Musik erfasst, sondern auch die Lyrik, deren Texte sie mit pedantischer Exaktheit kopieren sollen [...], um nicht ihre Authentizität und ihre genaue Beschaffenheit zu verfremden.“6
Die von der Sección Femenina-Zentrabteilung für Kultur in Madrid ausgesandten Forscherinnen sammelten üblicherweise während zwei bis drei Tagen in den besuchten Regionen Information über die dort getanzten Folkloretänze. Nach ihrer Rückkehr füllten sie für einen jeden „gefundenen“ Tanz ein Formular aus, in
4
Vgl. Stone Peters, Julie: Drama, Primitive Ritual, Ethnographic Spectacle. Genealogies of World Performance, ca. 1890-1910, in: Modern Language Quarterly 70, 1 (2009), S. 67-96, hier S. 92.
5
Gold, John R./Revill, George: Gathering the Voices of the People? Cecil Sharp, Cultural Hybridity, and the Folk Music of Appalachia, in: GeoJournal 65 (2006), S. 5566, hier S. 55.
6
„Dichas instructoras habrán de recoger, trasladándolas fielmente al pentagrama en me-
lodías, ritmos, compás y expresión y estilo, canciones del auténtico pueblo, preferentemente las de aspecto rural por ser las más representativas, cuidando que esa fidelidad no se circunscriba a la parte musical sino también a la poética, cuya letra deberán copiar con escrupulosa exactitud [...] para no desvirtuar su autenticidad y su exacto carácter.“ Informe del Departamento de Música, 1939. Zitiert in: Casero, La España que bailó, S. 42.
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dem sie Angaben bezüglich Takt, Rhythmus, Choreographie und der „traditionsgemäß“ bei seiner Aufführung getragenen Tracht machen mussten. Ab 1946 wurde diese ‚Rekompilierungs‘-Arbeit auch vom Personal der cátedras ambulantes geleistet. Die Methode, mit der die Sección Femenina-Mitglieder die „authentische“ Folklore zusammentrugen, wird in den Quellen als „labor de campo“ bezeichnet. Der Ausdruck ließe sich mit dem deutschen Wort „Feldstudie“ oder „Feldforschung“ übersetzen. Ich bevorzuge den Begriff Feldarbeit, denn wie Murphy schreibt: „All research is research-creation, even if some research pretends otherwise. All research is necessarily, if at some times more weakly than others, an assemblage to produce the new.“7 Bereits im Moment des Studierens wird ein neues Feld erarbeitet und ein bereits bestehendes Feld bearbeitet. Bevor ich die Elemente jener Feldarbeit genauer analysiere bzw. beschreibe, wie die Sección Femenina-Beamtinnen nach der authentischen Folklore suchten, werde ich ausführen, was sie dabei fanden. Maite erzählte mir von ihren Sección Femenina-Expeditionen in die extremensische Region Las Hurdes, die seit Anfang des 17. Jahrhunderts als Inbegriff des „primitiven“, „inneren“, von „Wilden“ bewohnten Spaniens galt. Sie griff dabei die wichtigsten Topoi auf, die schon Jahrhunderte vor Buñuels Film Las Hurdes, tierra sin pan (1933) in Wissenschaft und Literatur über das Berggebiet kursierten.8 Sie betonte, dass es in den 1950er Jahren in Spanien viele Regionen wie Las Hurdes gegebenen habe und berichtete vom Gestank und Schmutz, der dort geherrscht habe, von Menschen, die mit Tieren schliefen, von Parasiten, Geschwüren und Inzest. So schmutzig wie die Häuser und Körper der BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ war angeblich auch die von ihnen getanzte Folklore. Sie war voller obszöner Anspielungen und derber Witze.9 Gravierender war jedoch eine andere Art von Unreinheit: Die Sección Femenina-Beamtinnen fanden statt Authentizität Verfälschung und Dekadenz: „Innovationen und geschmacklose Details [....] haben zur Degeneration und Pro-
7
Murphie, Andrew: Clone Your Technics, in: Infexions 1, 1 (2008). http://www.in
8
Über Las Hurdes-Berichte aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert schreibt Sinclair:
flexions.org/volume_4/n1_murphiehtml.html vom 24.08.2012. „[...] as in the literature of the New World, the Hurdanos were defined at the extremes of the exotic, confirming the ‚normality‘ of those who observed them.“ Sinclair, Interior and Internal Spain, S. 212. Die Autorin führt weiter aus, dass im frühen 20. Jahrhundert ein „pious concern“ um die Hurdienses ins Zentrum der sie betreffenden Diskurse rückte und versucht wurde, ihre materielle und spirituelle Armut nicht nur zu beobachten, sondern in einer zivilisatorischen Mission zu bekämpfen. Vgl. ebd., S. 213. 9
Vgl. Casero, La España que bailó, S. 57ff.
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stitution des Fandanguillos geführt“10, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1951. Sogar die Trachten, welche die instructoras bei ihrer Feldarbeit sahen, waren nicht mehr authentisch. Hierauf lässt die Vorlage des Formulars schließen, das die Beamtinnen in Madrid für jede vorgefundene Tracht auszufüllen hatten. Darauf war auch die Frage nach „Modifizierungen, welche die Tracht erlitten hat? Existieren noch authentische Trachten (angeben wo)?“11 zu beantworten. Bevor ich darauf eingehe, wie die Sección Femenina mit diesen Verfälschungen umging, seien hier die Methoden behandelt, welche die Sección Femenina-Forscherinnen zur „Rekompilierung“ der authentischen spanischen Folklore anwandten. Die Beamtinnen beobachteten die Tänze, die auf Dorffesten getanzt wurden und befragten die Dorfältesten über deren Herkunft, Bedeutung und die „ursprünglich“ bei dem Tanz verwendeten Instrumente und Requisiten. Vor allem aber veranlassten sie die DorfbewohnerInnen dazu, ihnen vorzutanzen. Die instructoras de música und ihre Gehilfinnen machten dabei Choreographie-Skizzen der Schrittabfolgen, versuchten die Noten der Gesänge zu erfassen und notierten die Liedertexte. Bisweilen bemühten sie sich auch, die Gesänge und Schrittfolgen ihrerseits zu erlernen, um sie später einer anderen, kundigeren instructora zur Transkription vorzuführen.12 Die Feldarbeit der Coros y Danzas beinhaltete ein physisches Ordnen der studierten Menschen – das „Volk“ hatte sich beim Vortanzen in Linien, Kreise und Paare zu gruppieren – und ein erstes Ordnen ihrer Tänze in den Notizen, welche die Beamtinnen vor Ort machten. Diese Aufzeichnungen bildeten die Ausgangslage der Ordnung, welche die Beamtinnen in Madrid in den bereits erwähnten Katalogisierungs-Formularen herstellten. Dort wurden die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ über ihre Folklore „dem Volk“, bestimmten „Völkern“ und einer vergangenen Zeit zugeordnet. Dieses Kategorisieren verstehe ich als Disziplinartechnologie des Tableaus, die Foucault folgendermaßen umschreibt: „Sie ermöglicht sowohl die Charakterisierung des Individuums wie auch die Ordnung einer gegebenen Vielfalt. Sie ist die erste Bedingung für die
10 „Innovaciones y detalles de mal gusto [...] han llevado al fandaguillo a su degenración y prostitución.“ F.A. Hagas del Lunes, 11.1951. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 11 „Modificaciones sufridas en el traje? Existen aún trajes auténticos (indicar dónde)?“ Sección Femenina, Normas, S. 288f. 12 Vgl. Casero, La España que bailó, S. 83f.
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Kontrolle und Nutzbarmachung einer Gesamtheit verschiedener Elemente: die Basis für eine Mikrophysik der Macht, die man ‚zellenförmig‘ nennen könnte.“13 Weitere Disziplinartechnologien kamen während der Befragungen und beim Vortanzen zum Einsatz: Dabei wurden den DorfbewohnerInnen Informationen über die eigene Folklore und die der Ahnen, über die eigene politische Vergangenheit und über die des Nachbarn abgepresst, weswegen sie Geständnis- und Denunzierungs-Charakter besaßen. Das Volk zum Tanzen bringen Ziel der Sección Femenina war es, die „authentische spanische Folklore“ nicht nur zu „rekompilieren“, sondern sie auch „wiederzubeleben“ („revitalizar“). Das „Volk“ sollte (wieder) Folklore tanzen, aber „authentische Folklore“. Sport- und Musiklehrerinnen der Sección Femenina stellten in den Dörfern Coros y DanzasGruppen zusammen und brachten einzelnen DorfbewohnerInnen die Tänze bei, die angeblich einst ihre Tänze gewesen waren und es nun wieder werden sollten (ich verwende an dieser Stelle die geschlechtsneutrale Formulierung, möchte aber betonen, dass in den allermeisten Coros y Danzas-Gruppen bis Mitte der 1950er Jahre ausschließlich Frauen tanzten). Die Gruppen präsentierten sodann das Gelernte vor den restlichen DorfbewohnerInnen, wobei Sección FemeninaInstruktorinnen hierzu „Erklärungen“ abgaben – und zwar „nicht nur unter einem künstlerischen, sondern auch unter einem moralischen und erzieherischen Gesichtspunkt“14, wie einem Bericht der Regiduría de Cultura aus dem Jahr 1939 zu entnehmen ist. Die Sección Femenina vermutete eine pädagogische Wirkung der Folklore: „Spanien sang nicht und wir wollen aus Spanien ein musikalisches Land machen. Denn Musik verfeinert die Sensibilität, erzieht und kultiviert den Geist“15, sprach Pilar Primo de Rivera 1948 in einer öffentlichen Rede. Allerdings sollte das Singen und Tanzen der Folklore nicht nur kultivieren, sondern auch produktiver machen. Oder besser: kultivieren, um produktiver zu machen. In einer Sonderbeilage zur Zeitung Arriba aus dem Jahr 1943 ist zu lesen:
13 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1994, S. 191. 14 „[...] desde el punto de vista no sólo artístico sino también moral y educativo“. Informe der Regiduría de Cultura, 1939. Zitiert bei: Casero, La España que bailó, S. 42. 15 „España no cantaba, y queremos hacer de España un país musical. Porque la música afina la sensibilidad, educa y cultiva el espíritu.“ Primo de Rivera, Rede am 12. nationalen Kongress der Sección Femenina 1948, in: Primo de Rivera, Discursos, S. 99.
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„Die Restauration der Folklore ist genauso ein soziales, intellektuelles und moralisches Problem wie ein künstlerisches. Ihre Integration in unsere Existenz muss begünstigt werden, indem Gewohnheiten etabliert werden, die ihre Entwicklung und normale Verbreitung erleichtern: Die Liebe zur Arbeit, die Rückkehr zum Handwerkertum, die landwirtschaftliche Arbeit [...].“16
Eine „normale“ Verbreitung der Folklore sollte mit einer Verbreitung von „Liebe zur Arbeit“ einhergehen und so normalisierend wirken. Der Glaube der Sección Femenina an das zivilisatorische und produktivitätssteigernde Potential der „authentisch spanischen Folklore“ war freilich nicht authentisch spanisch. Bereits frühe FolkloreforscherInnen wie Cecil Sharp beschäftigten sich mit der Frage, wie sich die „Volkskultur“ zur Erziehung des „Volkes“ einsetzen ließe. Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert interessierten sich in Europa Ärzte, Ökonomen und Psychologen dafür, wie nicht nur Folklore, sondern Musik und Rhythmus überhaupt auf menschliche Körper einwirken würden. Letztere begriffen sie dabei als rhythmisch funktionierende Organismen, wobei sie nicht nur den Puls, sondern auch die Bewegungen während des Koitus herangezogen. Von besonderer Bedeutung erschien ihnen die Frage nach dem Einfluss von Musik auf die menschliche Arbeitsleistung.17 Bald schon unternahm die Sección Femenina Anstrengungen, um mehr als nur die BewohnerInnen abgelegener Dörfer durch Folklore zu erziehen. Folkloregesangs und -tanzunterricht wurde in das (Um)-Erziehungsprogramm annähernd aller Sección Femenina-Institutionen integriert. Das wohl wichtigste Instrument, das die Sección Femenina einsetzte, um Spaniens „Volk“ – oder zumindest die spanischen Frauen – zum Tanzen zu bringen, waren regionale und nationale Folklorewettbewerbe. Der erste nationale Wettbewerb wurde vom 27. Februar bis zum 3. März 1942 in Madrid ausgetragen. In Vorausscheidungen traten zuerst die Gruppen der verschiedenen Dörfer der einzelnen Provinzen und danach die siegreichen Gruppen jeder Provinz gegeneinander an, um die Vertretung der jeweiligen Region in dem nationalen Wettbewerb zu ermitteln. Von 1942 bis 1976 wurden zwanzig nationale Wettbewerbe durchgeführt. Die Teil-
16 „La restauración del folklore es un problema social, intelectual y moral, tanto como artístico. Su integración a nuestra existencia ha de ser favorecida con la instauración de costumbres que faciliten su desarrollo y su expansión normal: el amor al trabajo, la vuelta al artesanado, el oficio de campesino […].“ Sí. Suplemento Semanal del Diario Arriba, 25.04.1943. RAH, ANA, Carp. 30. 17 Brotman, The undulating Self, S. 218f.
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nehmerInnenzahl erreichte 1960 mit 1572 Tanzgruppen und 23378 Personen ihren Rekord. In Canciones y Danzas de España heißt es: Die Wettbewerbe waren fundamental, um über den Konkurrenz-Geist alle diese Dörfer zu stimulieren, die, genauso wie sie schon früher ihre charakteristischen Musik und Tänze vergessen hatten, sie auch jetzt ohne eine Organisation, die alles lenkt, vergessen hätten; eine Organisation, die das Interesse und den Enthusiasmus jeder Provinz aufrecht erhielt und vergrößerte. Die Canciones y Danzas de España riefen also einen jährlich stattfindenden Wettbewerb ins Leben, an dem auch das letzte, bescheidenste und abgelegenste Dorf Spaniens teilnehmen konnte.“18
Wohl ging es nicht nur darum, über den „Konkurrenz-Geist“ das Tanzen zu fördern, sondern vielmehr auch darum, durch das Tanzen so etwas wie einen Konkurrenz-Geist, der die „Liebe zur Arbeit“ vergrößern sollte, erst zu schaffen. Doch die Tänze, die dem „Volk“ wieder beigebracht wurden, mussten, bevor dies geschehen konnte, ‚gereinigt‘ werden. Zunächst galt es, sie zu entsexualisieren. Ein Beispiel hierfür stellt die Behandlung des asturianischen Tanzes Corri Corri dar. Dessen von Casero transkribierte Beschreibung in einer Folklorestudie aus dem Jahr 1922 lautet: „Es nehmen sechs Frauen und ein Mann, genannt bailín, daran teil. [...] Die Frauen tragen einen Lorbeerzweig und flüchten tanzend vor dem bailín; dieser verfolgt sie, von der einen zur anderen wechselnd und plötzlich nähern sie sich ihm, um sogleich ihre Meinung zu ändern und wieder zu flüchten.“19 Casero zufolge soll der Corri Corri „ursprünglich“ ein vorchristlicher Ritualtanz gewesen sein, bei dem der Lorbeerzweig Fruchtbarkeit symbolisierte und der Tänzer am Ende des Tanzes eine der Tänzerinnen „auswählte“. In die Coros y Danzas-Version des Corri Corri integrierte die Sección Femenina einen Chor, der während der Verfolgung der Tänzerinnen durch den bailín „Válgame Nuestra Señora, válgame la Madre Santa“ („Segne mich, Unsere Herrin, Segne mich Heilige Mutter“) sang. Allgemein versuchte die Sección Femenina die spanische Folklore zu ‚ent-vulgarisieren‘, sprich obszöne und der-
18 „Esto del concurso era fundamental para estimular, con el espíritu de competencia, a todos estos pueblos, que igual que antes habían olvidado sus músicas y danzas características, las hubieran olvidado ahora sin una organización que lo dirigiera todo, manteniendo y exaltando el interés y el entusiasmo de cada provincia. Así, las Canciones y Danzas de España crearon un concurso anual, en el que puede inscribirse hasta el último, hasta el más modesto y remoto pueblo español.“ Sección Femenina, Canciones y Danzas de España, S. 3. 19 Casero, La España que bailó, S. 63.
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be Elemente in ihr zu tilgen. Die Presse attestierte der Organisation, hierin erfolgreich gewesen zu sein: In der am 1. Juni 1947 erschienen Beilage Sí der Tageszeitung Arriba wurde der „Doktor Historiker“ Ramón Menéndez Pidal nach dem Besuch einer Coros y Danzas-Vorführung mit folgenden Worten zitiert: „Diesbezüglich möchte ich nicht unerwähnt lassen, wie frei von einem vulgären Anstrich die aufgeführten Tänze waren. Ein sehr schätzenswerter Umstand, wenn man bedenkt, dass solche volkstümlichen Manifestationen oft Gefahr laufen, eine wenig delikate Wendung zu nehmen.“20
Die „authentische spanische Folklore“ zur Schau stellen Die Aussicht, an nationalen Folklorewettbewerben in der Hauptstadt teilnehmen zu dürfen, sollte für die Bewohnerinnen des „inneren Spanien“ einen Anreiz darstellen, sich in Coros y Danzas-Gruppen einzuordnen und dadurch disziplinieren zu lassen. Für die madrilenischen StadtbewohnerInnen waren diese Wettbewerbe eine Völkerschau. Das rurale „primitive“ Spanien wurde in einem live-Spektakel, das travelogue und Zeitmaschine zugleich war, als „living habitat“ vorgeführt. Ohne die Hauptstadt zu verlassen, konnten die ZuschauerInnen in die „abgelegensten“, „rückständigsten“ Regionen Spaniens reisen und deren BewohnerInnen bei ihren ‚natürlichen‘ Tätigkeiten, also dem Tanzen und Singen, beobachten. Die von der Regidura Central de Cultura aufgestellte Regel, dass jede Gruppe nur „ihre eigenen Tänze“ aufführen durfte, sollte die „Authentizität“ der Show garantieren.21 Schon Ende der 1940er Jahre begann die Sección Femenina, die „authentische spanische Folklore“ und mit ihr die sie tanzenden Menschen auch in Texten und Bildern zur Schau zu stellen. In diesen Bildern wurden die Folklore und die sie tanzenden Menschen ‚gereinigt‘ und „authentisch“ gemacht. Die Sección Femenina fotografierte dabei nicht, was sie bei ihrer Feldarbeit vorfand. Denn, um mit Tobing Rony zu sprechen: „The irony – and this irony is at the heart of taxidermy – is that ‚reality‘ filmed does not appear real. The filmmaker must use artifice to convey truth. One way he or she can do this is by inviting the indige-
20 „En tal aspecto, no quiero dejar de notar lo desprovistos de la nota vulgar que resultaron los bailes presentados, cosa muy apreciable si se tiene en cuenta el peligro que corren muchas veces estas manifestaciones populares de tomar un giro poco delicado.“ Sí. Suplemento Semanal del Diario Arriba, 01.07.1947. Maite Doc. 3. 21 Vgl. Casero, La España que bailó, S. 46.
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nous people who are the subjects of the film to act out their lives.“22 Die im Feld nicht vorhandene Authentizität wurde in Fotostudios erfunden, in Bildern, in denen Darstellerinnen als das ‚sie selbst‘, das sie auch außerhalb dieser Darstellung hätten sein sollen, posierten. Nicht als Individuen, sondern als „Typen“23 wurden „Sevillanerinnen“ oder „Aragonesinnen“ – so die Bildunterschriften – in von ‚Verfälschungen‘ (zu kurze Ärmel, zu lange Maschen etc.) gesäuberten Trachten und zusammen mit authentischen Artefakten (Körben, Sicheln, Tonkrügen, Rosenkränzen) fotografiert.24 Diese Studioaufnahmen zeigen wohlgemerkt keine tanzenden Frauen, sondern sind Portraitaufnahmen, ging es doch hier nicht um tänzerische Fähigkeiten, sondern darum, typische Vertreterinnen des oder eines spanischen „Volkes“ darzustellen. In Außenräumen wiederum wurden die Tänzerinnen als „Typen“ in ihrem ‚natürlichen Lebensraum‘ fotografiert. Gebäude mit einem spezifischen Architekturstil (z.B. maurisch für Andalusien) oder „typische“ Naturelemente wie Olivenbäume (Andalusien) oder Palmen (Kanaren) akzentuierten die Typisierung der Exponate. Interessant ist, dass auf einigen dieser Bilder auch Männer abgelichtet wurden, obschon bis Ende der 1950er Jahre kaum männliche Tänzer auf Auslandsreisen tanzten. Ob damit auf eine wahrgenommene Gefährdung der Authentizität der Show reagiert wurde, die, wie ich später aufzeigen werde, diese Abwesenheit von Tänzern während des Spektakels implizierte, ist unklar. Aus einigen der „Typen“-Fotografien von Folkloretänzerinnen und der Aufnahmen der Folkloregruppen in ihrer ‚natürlichen Umgebung‘ wurden Postkarten fabriziert. Sie zierten Programmbulletins für die Auftritte von Coros y Danzas-Gruppen oder erschienen in der Presse. Andere wiederum wurden in Publikationen, welche die Sección Femenina herausgab, integriert. Anfang der 1950er Jahre begann die Sección Femenina in spanischer und englischer Sprache dünne Bücher und Hefte herauszugeben, von denen später auch Übersetzungen ins Französische und Deutsche angefertigt wurden. Darin wurden die „authentische spanische Folklore“ und die sie repräsentierenden BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ gleichzeitig kategorisiert, zur Schau gestellt und zum Konsum angepriesen. Aufgrund dieser mehrfachen Funktion bezeichne ich jene Publikationen mit dem sowohl in der Wissenschaft, in musealen Ausstellungspraktiken als auch im Marketing gebräuchlichen Begriff des Kataloges als Folklorekataloge. Bei Auftritten der Folkloregruppen in bedeutenden
22 Tobing Rony, Third Eye, S. 116. 23 Landau, Paul S.: Empires of the Visual. Photography and Colonial Imagination in Africa, in: ders./Deborah D. Kaspin (Hg.): Images and Empire. Visuality in Colonial and Postcolonial Africa, Berkeley 2002, S. 141-171, hier S. 151. 24 Vgl. AGA, (03)037 F4418.
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Theatern (insbesondere im Ausland) wurden Programmbulletins verteilt, die ähnlich aufgebaut waren wie die Kataloge und oft inhaltliche Zusammenfassungen von diesen darstellten. Ich betrachte die Kataloge und Bulletins als ethnographische Ausstellungen in Papierformat, die unabhängig von Völkerschauen, sprich Coros y Danzas-Bühnenauftritten, besucht werden konnten. Sie waren wie Museumsausstellungen immersiv und auch bis zu einem gewissen Grad interaktiv. Gleichzeitig bereiteten sie das Publikum von Coros y Danzas-Völkerschauen auf die Show vor, formierten seine Erwartungen und beeinflussten damit die Wahrnehmung des Vorgeführten bereits im Vorfeld. Hatten die ZuschauerInnen keine Gelegenheit, die Kataloge vor den Bühnenauftritten zu lesen, konnten sie dies während der Auftritte tun, wobei die Programm-Bulletins zu Ausstellungsführern wurden, die das Sehen und Hören der ZuschauerInnen ad hoc anleiteten. Ferner dienten die Broschüren und Hefte der Nachbereitung des live-Erlebnisses und modellierten so die Erinnerung an das Gesehene. Neben Typen-Fotografien sind in den Folklorekatalogen auch Bilder von tanzenden Gruppen zu sehen. Um die Fotografien herum sind Texte gruppiert, die verschiedene Tänze beschreiben und ‚Hintergrundinformationen‘ zu diesen liefern. In einigen Publikationen sind auch Notensätze und Liedertexte eingefügt worden, was der notenschrift-kundigen Leserschaft ermöglichte, das Ausgestellte nicht nur zu sehen, sondern auch – außerhalb der live-Show – zu hören und zu imitieren. Sie stellten damit ein interaktives Element dar. Weiter sind in einigen Katalogen auch bunte Zeichnungen zu sehen. Mancherorts sind sie neben Texte platziert worden, andernorts füllen sie ganze Seiten. In Spanish Folk Dances erscheinen Zeichnungen von Figürchen von nebeneinander angeordneten Tänzerinnen bereits auf der Titelseite. In der Mitte des Kataloges sind die Figürchen auf einer doppelseitigen Karte von Spanien auf ihren jeweiligen Regionen platziert. Die Coros y Danzas-Auftritte und die Sección Femenina-Folklorekataloge stellten die „authentische spanische Folklore“ zur Schau, indem sie Zur-SchauStellungen der „authentischen baskischen Folklore“, der „authentischen katalanischen Folklore“, der „authentischen andalusischen Folklore“ etc. aneinanderreihten. In den Folklorekatalogen werden die folkloristischen Schätze einer jeden Region separat behandelt. Zunächst erklären einige wenige Sätze geographische, klimatische und volkspsychologische Eigenschaften der entsprechenden Region und deren Einfluss auf die Folklore. In Canciones y Danzas des España heißt es im Abschnitt „Bilbao“: „Das baskische Volk ist ruhig, bedächtig und überlegt, und es gibt daher in seinen Äußerungen weder großartige und überbordende
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Fröhlichkeit noch übertriebenes Geschrei, nicht einmal auf Volksfesten, die eigentlich zum Jubeln geschaffen sind.“25 Und über „Galizien“ steht geschrieben: „Die gesamte galizische Landschaft ist durchtränkt von einer sanften Melancholie, und vielleicht deshalb ist ihre Musik süß, rhythmisch, herzlich und durchdringend [...]. Trotzdem sind die galizischen Tänze fröhlich und sehr bewegt und unter ihnen ist es die muñeira, die am stärksten mit den rassischen Charakteristika im Einklang steht.“26
Die Texte enthalten Angaben bezüglich Takt und Rhythmus, eingesetzten Instrumenten, von den Tänzerinnen getragenen Trachten und vor allem zur „Herkunft“ der verschiedenen Tänze. So heißt es in der englischen Version von Coros y Danzas de España über den Redoble de Cacéres: „The dance reached its greatest eminence as a characteristically local form of expression in the Cáceres of the second half of the nineteenth century. Craftsmen and peasants danced the Redoble at the doors of their houses to the sound of tambors, while their songs were full of their pride and spirit and their rivalry with the neighboring district. These small local feuds are like a memory of the old fighting bands led by the great lords of the historic city.“27
Die extremensische Folkore und mit ihr die sie tanzenden Menschen wurden in eine andere Zeit verortet als die der ‚modernen Menschen‘, die extremensische Folkloretänzerinnen im In- und später im Ausland betrachteten. Eine Zeit, die so weit zurückreichte, dass sie gar nicht mehr genau benannt, sondern nur diffus mit den „great lords of the historic city“ assoziiert wurde. Auch in Folklorekatalogen kam es zu einer Beseitigung der ‚Verfälschungen‘, welche die Sección Femenina-Beamtinnen bei ihrer Feldarbeit angetroffen hatten. García Matos etwa, der Folkloreexperte, der die Sección Femenina bei der Produktion von Folklorekatalogen nicht nur als Berater unterstützte, sondern
25 „El pueblo vasco es tranquilo, pausado y reflexivo, y no hay, por tanto, en sus manifestaciones externas, ni siquiera en las fiestas populares, hechas para servir de regocijo, ni alegría grande y estruendosa ni exageradas algazaras.“ Sección Femenina, Canciones y Danzas de España, S. 4. 26 „Todo el paisaje gallego está impregnado de una suave melancolía, y tal vez por eso su música es dulce, cadenciosa, entrañable y penetrante [...]. Sin embargo, las danzas gallegas son alegres y muy movidas, y, entre ellas la Muñeira es la que mejor concuerda con las características raciales.“ Ebd., S. 6. 27 Sección Femenina, Coros y Danzas de España, Spanisch und Englisch, S. 8.
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auch selber Feder führte, negierte in einer 1971 erschienen Studie schlicht, dass es je zu derartigen Verunreinigungen gekommen sei: „Zusammen mit den fremden Modeerscheinungen, die mit der Bourbonenmonarchie in die Nation gelangten, hielten auch fremde Tänze Einzug. […] Aber auf dem Land, in den Dörfern und Weilern, änderte sich nichts: deren einfache Bewohner, taub gegenüber Verboten jeglicher Art, frei von jeglichem Hunger nach Modernisierung, tanzten weiter, glühend, bei den heiligen Prozessionen und mit nicht weniger Elan, ohne die typischen Bräuche zu verfälschen, bei den oben erwähnten Gelegenheiten und Festen, womit sie bis in unsere Tage den Erhalt dieses wundervollen und unübertrefflichen Schatzes nationaler Kunst ermöglicht haben, der unsere Folkloretänze sind – allseits anerkannt als die stolzesten, schönsten und faszinierendsten, die es auf der Erde gibt.“28
Die ‚Reinigung‘ ging hier mit einer Entvulgarisierung einher. Betonte doch García Matos, dass die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ ihre „typischen Bräuche“ auch dann nicht „verfälschten“, wenn diese statt in einer religiösen Zeremonie in einem Fest zelebriert wurden. Texte und Fotografien waren nicht die einzigen Medien, in denen die Tänzerinnen zur Schau gestellt wurden. Zwischen 1956 und 1976 drehte No-Do über 200 Dokumentarfilme zu den Coros y Danzas. Viele von ihnen wurden am Rande von Folklorewettbewerben aufgenommen und zeigte die Gruppen entweder auf einer Bühne oder – und diese Aufnahmen interessieren mich an dieser Stelle mehr – auf einem Feld oder auf einem Dorfplatz. Der Aufwand, mit dem die einzelnen Filme produziert wurden, variiert stark. Viele sind mit einer MusikTonspur unterlegt, aber unkommentiert. Während bei den meisten von ihnen nur die Vorführungen der Tänze zu sehen sind, wird in anderen auch die Umgebung aufgenommen. Im Film Seguilladas de la Ciudad Real ist zuerst von einer Berg-
28 „Accedían las danzas foráneas que junto a foráneas modas llegaban a la nación con los príncipes borbónicos. [...] Pero en el campo, en los pueblos y aldeas nada cambió: sus sencillos pobladores, sordos a prohibiciones de toda laya, horros de apetencias modernizantes, continuaron danzando, ardidos, en las sacras procesiones, y con brío no menor, sin torcer la usanza típica, en las ocasiones y coyunturas antes enunciadas, con lo que hicieron posible la perduración hasta los días actuales de ese marvilloso y soberano tesoro de arte nacional que son nuestros bailes folclóricos, reconocidos universalmente como los más gallardos, hermosos y fascinadores que en la tierra existen.“ Sección Femenina de la F.E.T. y de las J.O.N.S (Hg.): Danzas Populares de España, Realizador: M. García Matos. Del Instituto Español de Musicología del Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid 1971, S. II.
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anhöhe aus ein Tal zu sehen, bevor die Kamera über ein weites Feld fährt, zum Himmel schwenkt und schließlich eine Coros y Danzas-Gruppe vor einem Haus auf einem Platz tanzend zu sehen ist. Zum Schluss ist eine historische Brücke eingeblendet. Wie in den oben beschriebenen Fotografien sind auch hier die „authentische spanische Folklore“ und die sie tanzenden Menschen in ihre ‚natürliche Umgebung‘ eingebettet. Es ist unklar, an wie vielen Orten und in welchem Kontext diese Filme zu sehen waren. Wahrscheinlich wurden die meisten nie einem größeren Publikum präsentiert. Viele von ihnen, insbesondere diejenigen, die in einer nur wenig aufwendigen Weise gefilmt wurden, sind im Vorspann mit dem Untertitel „para Archivo“ versehen. Wie auch Suárez Fernández anmerkt, war wohl eine Hauptintention hinter den Filmen diejenige, „Aufnahmen des akkumulierten Folklore-Materials zu machen“29, um das Archiv der Sección Femenina zu erweitern. Einige waren hingegen durchaus für öffentliche Vorführungen vorgesehen. Dies gilt insbesondere für den im Jahr 1960 von Manuel Augusto García Viñolas gedrehten Film Don Aire de España. Darin nimmt eine sich als „Herr Wind“ präsentierende voice-over-Stimme die ZuschauerInnen mit auf einen Streifzug durch verschiedene Regionen Spaniens und die dort überall angetroffenen, Folklore tanzenden Menschen. Als unsichtbare BeobachterInnen können sie sich zusammen mit Herrn Wind in ein Dorffest in Cacares einschleichen oder in La Mancha einer exotischen Prozession im Schatten einer Windmühle beiwohnen. Der Film wurde beim Folklore-Film-Festival in Siena im Jahr 1961 prämiert. Bemerkenswert an den No-Do Dokumentarfilmen ist ihr „second life of heritage“30: Im Jahr 1978 wurden die Filmrollen dem AGA übergeben. Seit 1987 lagern die Originale in der Filmoteca Nacional in Madrid und DVD-Kopien befinden sich im AGA. Seit kurzem ist ein Großteil der Filme mit google-earth auf der Internetseite des spanischen Kulturministeriums einsehbar. In einer Benutzeranleitung heißt es dort: „Der Bürger kann sich auf der Karte von Spanien bewegen, sich den Punkten seines Interesses annähern und auf rasche und flexible Weise die Aufnahmen von derjenigen Region oder Ortschaft, die er möchte,
29 „[...] hacer grabaciones del material folclórico acumulado.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 470. 30 So der Titel eines Referates von James Clifford zur aktuellen identitätspolitischen und ökonomischen Bedeutung von Kodiak-Masken aus dem 19. Jahrhundert in Alaska. Bard Graduate Center, New York City, 13.10.2010. Der Begriff ist dabei Sandler entlehnt: Sandler, Jeffrey: Adventures in Yiddishland. Postvernacular Language and Culture, Berkeley 2006, S. 51.
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visualisieren.“31 Der Gesamtkomplex aller von No-Do produzierten Coros y Danzas-Dokumentarfilme ist so zu einem ‚Super-travelogue‘ geworden. Bereits haben Menschen damit begonnen, einzelne Filme von der Internetseite herunterund auf youtube hochzuladen, wo sie eifrig (mehrheitlich äußerst begeistert) kommentiert werden.32 Ich werde weiter unten aufzeigen, wie die Tänzerinnen auch in der Berichterstattung zu ihren Reisen als „authentische Typen“ erschienen und diese Berichterstattung somit das ethnographische Spektakel, das die Folkloregruppen aufführten, reproduzierte. Zunächst aber stelle ich die These auf, dass die „authentische spanische Folklore“, die von den Coros y Danzas zur Schau gestellt wurde – auf der Bühne, in den Folklorekatalogen, und in der Berichterstattung zu ihren Auftritten –, zu einem nationalen Fetisch-Objekt erhoben wurde. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird laut McClintock kollektive Identität primär in Konsum-Spektakeln erfahren. Nationalismen funktionieren als Fetischismen. Die Idee der Nation nimmt in Fetisch-Objekten wie Flaggen, Uniformen, Flugzeugen, Hymnen oder Nationalblumen und in Fetisch-Spektakeln wie Militärparaden, Umzügen oder Fussballturnieren Gestalt an und wird über sie ‚impassioniert‘.33 Als Fetisch verschleierte die „authentische spanische Folklore“ ihre Produktionsbedingungen bzw. diejenigen der Nation, die über sie ‚impassioniert‘ werden sollte, namentlich die gewaltförmige soziale Ungleichheit im franquistischen Nationalstaat. Ihre Inszenierung konnte, wie ich mit Buck-Morss argumentieren möchte, eine (an)ästhetisierende Wirkung entfalten. Diese bestand weiter darin, zu verschleiern was mit den Aufführungen bezweckt wurde: „The aesthetics allow an anaesthetization of reception, a viewing of the ‚scene‘ with disinterested pleasure even when that scene is the preparation through ritual of a whole society for unquestioning sacrifice and ultimately, destruction, murder and death.“34 Die Gestalt, welche die spanische Nation in den Zur-Schau-
31 „El ciudadano puede moverse por el mapa de España, acercarse a los puntos de su interés y visualizar de forma ágil y flexible las grabaciones vinculadas a la región o localidad que desee.“ Ministerio de Cultura, http://www.mcu.es/archivos/MC/AGA/ DANZAS/Danzas.html vom 21.09.2012. 32 Vgl. z. B. Jota Manchega, Ciudad Real, Noticiario Documental (No-Do) (ES 1956), http://www.youtube.com/watch?v=mcLhoUB8-qI vom 21.09.2012. 33 Vgl. McClintock, Anne: No Longer in a Future Heaven. Gender, Race and Nationalism, in: dies./Aamir Mufti/Ella Shohat (Hg.): Dangerous Liasons. Gender, Nation and Postcolonial Perspectives, Minneapolis/London 1997, S. 89-111, hier S. 102. 34 Buck-Morss, Susan: Aesthetics and Anaesthetics. Walter Benjamin’s Artwork Essay Reconsidered, in: October 62 (1992), S. 3-41, hier S. 38.
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Stellungen der Coros y Danzas annahm, war diejenige einer vielfältigen Einheit. In wenigen Seiten präsentiert sich in den Folklorekatalogen der Sección Femenina Spanien in seiner ganzen Diversität. Die sich stark voneinander unterscheidenden folkloristischen Produkte einer Vielzahl von (sich stark voneinander unterscheidenden) Provinzen vereinen sich so zu einem bunten Ganzen. In der Einleitung zu Coros y Danzas de España heißt es: „The costumes, types, dances and dresses of the northern, eastern and southern provinces are unlike and we could even say that they are antagonistic. Which is not surprising if one considers the diversity of climates and lands and their different racial origin. Each region, each province, we could almost say each town has its own characteristics; however, all unite in the common line of Hispanism.“35
Auf subtilere Art und Weise rief ein anderer Folklorekatalog die Einheit in der Vielheit auf den Plan, indem er sämtliche Tänze einer jeden Provinz als spezifisch regional definierte und gleichzeitig betonte, dass irgendeine Form der jota in sämtlichen Regionen getanzt werde. Mehr noch schrieb er über die jota Spanien eine eigentliche Essenz (über seine Vielfältigkeit hinaus) zu: „Die jota ist das ausdrucksvollste Symbol des spanischen Geistes, derjenige Tanz und diejenige Musik, welche die Charakteristika der Rasse am besten erfasst hat. Ungestüm, mutig, individualistisch, gleichzeitig voller Stärke und Schönheit hat sie ihre Wurzeln in der eigentlichen Essenz des spanischen Volkes, das keinerlei folkloristische Kontaktpunkte mit anderen Ländern aufweist. Formen der jota lassen sich in ganz Spanien finden, in jedem Winkel von Kastilien oder der Levante, denn sie keimt mit spontaner Kraft in den unterschiedlichsten Provinzen.“36
Die Coros y Danzas leisteten einen wesentlichen Beitrag zu den franquistischen Bestrebungen, regionalistische Bewegungen zu neutralisieren, indem über sie regionale Differenz folklorisiert, in ein nationales Fetisch-Objekt verwandelt
35 Sección Femenina, Coros y Danzas de España, Spanisch und Englisch, S. 2. 36 „La jota es el símbolo más expresivo del espíritu español, la danza y música que mejor comprendían las características de la raza. Impetuosa, valiente, individualista, llena al mismo tiempo de fuerza y de belleza, tiene sus raíces en la esencia misma del pueblo español, sin punto de contacto con las manifestaciones folclóricas de ningún otro país. Formas de jota pueden encontrarse por toda España, en cualquier rincón de Castilla o del Levante, porque brota con espontáneo vigor hasta en las regiones más distintas.“ Sección Femenina, Canciones y Danzas de España, S. 23.
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und dadurch politisch harmlos gemacht wurde. Hierzu Ortiz: „The project, therefore, was to turn regionalism into an aesthetic and emotional element, thus making regional diversity an unproblematic aspect in the composition of the general framework of the nation.“37 Einen expliziten Ausdruck fanden die Bemühungen der Sección Femenina, über die Coros y Danzas nationale Einheit zu schaffen, in einer öffentlichen Rede von Pilar Primo de Rivera schon im Jahr 1939: „Wenn die Katalanen die Gesänge Kastiliens singen können, wenn man in Kastilien auch die sardanas kennt und weiß, dass das txistu gespielt wird; wenn der andalusische Gesang die ganze Tiefe und seine ganze Philosophie präsentiert; wenn man die Gesänge Galiziens in der Levante kennt, wenn sich fünfzig- oder siebzigtausend Stimmen vereinen, um dasselbe Lied zu singen, dann werden wir die Einheit unter den Menschen und Landesteilen Spaniens erreicht haben.“38
Wie Donna Haraway zeigt, spielt in ethnographischen Ausstellungen nicht selten der Verweis auf die heroische ‚Jagd‘ nach den Exponaten eine wichtige Rolle.39 So auch bei der Sección Femenina: Pilar Primo de Rivera erklärte 1948 in ihrer Rede am zwölften nationalen Kongress der Organisation: „Die Spanier [...] hatten vergessen, dass sie in den Eingeweiden der Erde den größten folkloristischen Reichtum der Welt besaßen und so musste die Sección Femenina mit der ganzen Kraft ihrer Jugendverbände und mit ihrem ganzen falangistischen Willen kommen, um von Dorf zu Dorf die Gesänge und Tänze aufzuspüren.“40
37 Ortiz, The Uses of Folklore, S. 488. 38 „Cuando los catalanes sepan cantar las canciones de Castilla; cuando en Castilla se conozcan también las sardanas y sepan que se toca el txistu; cuando el cante andaluz enseñe toda su profundidad y toda la filosofía que tiene; cuando las canciones de Galicia se conozcan en Levante, cuando se unan cincuenta o sesenta mil voces para cantar una misma canción, entonces sí habremos conseguido la unidad entre los hombres y las tierras de España.“ Pilar Primo de Rivera, F.A. Zitiert bei: Casero, La España que bailó, S. 46. 39 Vgl. Haraway, Donna: Teddy Bear Patriarchy. Taxidermy in the Garden of Eden. New York City, 1908-1936, in: Social Text 11 (1984), S. 20-64, hier S. 26ff. 40 „Los Españoles [...] habían olvidado que en la entraña de la tierra tenían la mayor riqueza folklórica del orbe. Y ha tenido que venir la Sección Femenina, con todo el vigor de sus Juventudes y toda su voluntad falangista a desenterrar pueblo por pueblo la canción y la danza.“ Primo de Rivera, Rede auf dem zwölften nationalen Kongress der Sección Femenina 1948, in: Primo de Rivera, Discursos, S. 99.
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Andernorts wurde präzisiert, dass die authentische Folklore vor der Intervention der Sección Femenina nicht nur kurz davor gestanden hätte, dem Vergessen anheimzufallen, sondern gar im Begriff gewesen sei, verdrängt zu werden. „Wie ein wunderbarer Schatz, begraben in den Eingeweiden der Erde, so kann man sagen, befand sich in Spanien unsere unvergleichliche Volkskunst. Jeden Tag ging mehr verloren, ging mehr davon unter, in jeglicher ihrer Formen: die Bräuche, die wunderschönen regionalen Trachten, die Lieder, die Tänze. Und sogar auf den traditionellen Volksfesten machte der tamborilero, die Flöte, die vihuela oder das txistu, die alten typischen Instrumente, die ihre Stimme einzig den noblen altertümlichen Klängen leihen konnten, den schrecklichsten charangas Platz, die – und Gott weiß wie! – die Tanzmusik aus dem letzten, unter deftigem Gebrüll im Dorfkino gezeigten Films spielten.“41
Fremde Einflüsse, so betonte dieser Abschnitt, hatten die „authentische spanische Folklore“ bedroht. Diese Bedrohung wird anderorts personifiziert. Und zwar durch die Figuren, welche im hegemonialen franquistischen Geschichtsbild die historischen Widersacher der Nation darstellten. Neben den Bourbonen führte García Matos auch die „Araber“ als – besiegte – Feinde der authentischen spanischen Folklore auf.42 Der oben zitierten Abschnitt in Canciones y Danzas de España lamentierte wiederum, dass die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ statt zum Txistu zu Filmmusik, zu ‚moderner Musik‘, zu charangas, tanzten. Der Ausdruck charanga bezeichnete im franquistischen Spanien Ensembles, die während Festivitäten, insbesondere dem Karneval, die beliebtesten Titel der Populärmusik nachspielten und dabei gelegentlich musizierender Weise durch die Straßen zogen.43 Gleichzeitig handelte es sich dabei um eine spezifische Be-
41 „Como un maravilloso tesoro sepultado en la entrañas de la tierra, así puede decirse que se encontraba en España nuestro incomparable arte popular. Cada día se perdía, se hundía más, en cualquiera de sus manifestaciones: las costumbres, los bellísimos trajes regionales, las canciones, las danzas. Y ya hasta en las fiestas tradicionales de los pueblos el tamborilero la flauta la vihuela o el txistu, los viejos instrumentos típicos que no podían prestar su voz sino a los nobles sones ancestrales iban dejando paso a las horrísonas charangas que interpretan – ¡Dios sabe como! – los bailables de la última película proyectada entre mujidos del ,sonoro‘ en el cine del pueblo.“ Sección Femenina, Canciones y Danzas de España, S. 2. 42 Vgl. Sección Femenina, Danzas Populares, S. II. 43 Vgl. Schrauf, Robert W.: La Comparsa y el Concurso. Andalusian Carneval On-Stage, in: Anthropological Quarterly 17, 2 (1998), S. 74-88, hier S. 77ff.
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zeichnung für Formationen, welche die populäre kubanische Tanzmusik spielten, die sich im Europa der 1940er Jahre großer Beliebtheit erfreute.44 Nicht nur in Folklorekatalogen, sondern auch in der externen Berichterstattung zur Sección Femenina-Feldarbeit sind ähnliche Inszenierungen der Bedrohung der „authentischen spanischen Folklore“ durch fremde Einflüsse zu finden. In einer falangistischen Zeitschrift, die der Feldarbeit der Sección Femenina bereits im Jahr 1940 einen Artikel widmete, hieß es: „Es begeistert uns, daran zu denken, dass aus unserer Heimat die exotische Musik mit ihrer ganzen Begleitung aus negros und Gummimenschen, deren Körper und Seelen verrenkt sind, verbannt wird.“45 Auch erwähnt sei hier, dass in Ronda española, während die Exilrepublikaner ihren Plan aushecken, die Coros y Danzas-Show zu sabotieren, sowie in der Bar, in der der Exilrepublikaner Pablo Heiligabend verbringt, Jazzmusik erklingt. Eine weitere, nicht weiße Bedrohung lauerte in Spanien selbst. Pilar Primo de Rivera sprach von einer „Deformation des Andalusischen.“46 Suárez Fernández wurde deutlicher: „Das spanische Publikum hatte eine variantenreiche Folklore vor sich, welche die Falschheit dieses gitano Pseudo-Flamencos bewies, auf den man das Spanische und den Reichtum, den alle und jede einzelne der Regionen Spaniens besitzen, reduzieren wollte.“47 Suárez Fernández und Primo de Rivera bezogen sich in ihren Aussagen auf die Vermischung der „ursprünglichen“ andalusischen Folklore mit Flamencotänzen in spektakulären Präsentationen in den „tablaos“ von Flamenco-Lokalen, wo seit Mitte des 19. Jahrhunderts spanische Großbürger, Bohemiens und ausländischen Touristen „Gipsy-Exotik“ konsumierten. Ab den 1930er Jahren präsentierten PerformerInnen FolkloreFlamenco-Hybride auch in den Cabarets und auf den Bühnen von Paris, London
44 Vgl. Neustadt, Robert: Buena Vista Social Club versus La Charanga Habanera. The Politics of Cuban Rhythm, in: Journal of Popular Music Studies 14, 2 (2006), S. 139162. 45 „Nos entusiasma pensar en que sea desterrada de nuestra Patria la música exótica, con todo su acompañamiento de negros y bailarines contorsionistas y descoyuntados espiritual y físicamente.“ Semenario nacionalsindicalista 27.01.1940. Zitiert bei: Otero, Luis: La Sección Femenina, Madrid 1999, S. 214. 46 „Deformación de lo andaluz.“ Primo de Rivera, Rede am 12. nationalen Kongress der Sección Femenina 1948, in: Primo de Rivera, Discursos, S. 99. 47 „El público español se encontró en presencia de un variado folclore que demostraba la falsedad de ese pseudo-flamenco gitano a que se había querido reducir lo español y la riqueza que, en cambio, poseen todas y cada una de las regiones españolas.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 233.
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und New York. „Pseudo-Flamenco“-InterpretInnen waren auch in der in- und ausländischen Filmindustrie erfolgreich. Ihre Vorführungen prägten insbesondere im Ausland die Vorstellung davon, was „spanische Folklore“ sei bzw. zu sein habe, und KünstlerInnen versuchten, in ihren Auftritten diesen Vorstellungen zu entsprechen.48 Nicht so – laut der Sección Femenina oder auch laut Suárez Fernández – die Coros y Danzas. Sie tanzten „authentische“, unverfälschte andalusische Folklore und auch dies nur als eine Nummer in einem Programm, das die ganze regionale Diversität Spaniens vorführte. In nationalen Fetisch-Spektakeln war und ist, wie McClintock bemerkt, die Darstellung der Bedrohung und Verteidigung des Fetisch ein häufig anzutreffendes Element. Dass dabei meist Frauen als Bewahrerinnen auftraten und auftreten, ist kein Zufall (vgl. Kapitel 4.6). In der Verteidigung der „authentischen spanischen Folklore“ wurde ein antagonistisches Außen (re-)definiert, wobei sich zwischen den einzelnen Menschen, die sich Spanien zugehörig fühlen sollten, diesem gegenüber eine Äquivalenzkette bilden ließ, eine Verbundenheit, welche die sozialen Ungleichheiten zwischen ihnen in den Hintergrund rücken sollte.49 Die Bedrohung schuf darüber hinaus die Möglichkeit, dass Menschen sich durch die Arbeit der Verteidigung noch enger mit dem Fetisch und über ihn mit der Idee der Nation verbanden. Diese Arbeit vermochte eine jede Person zu leisten, denn sie konnte nur schon darin bestehen, statt Jazzmusik Folkloremusik zu hören. Die Ausbreitung der „authentisch spanischen Folklore“ Ab Ende der 1940er Jahre entwickelten sich die Coros y Danzas zum wohl erfolgreichsten Unternehmen der Sección Femenina. Ihre volle innen- und außenpolitische Bedeutung entfalteten die Folkloregruppen, indem sie Spanien verließen und ihr Spektakel immer spektakulärer wurde. Immer mannigfaltiger wurde das Publikum der Coros y Danzas-Auftritte, immer außergewöhnlicher und kommerzieller die Veranstaltungen, in deren Rahmen die Tänzerinnen zur Schau gestellt wurden. Die Folkloregruppen tanzten nun für arabische Diplomaten, den Papst, Prinzessin Beatrix von Holland und Rita Hayworth. Sie traten im Londoner Stoll Theater, in Kinos, auf Airbase-Stationen, in Tennisclubs oder
48 Vgl. Steingress, Gerhard: Über Flamenco und Flamencokunde. Ausgewählte Schriften 1988-1998, Münster 2006, S. 33ff. 49 Vgl. Laclau, Ernesto: La razón populista, Buenos Aires 2005, S. 113. Vgl. ders.: Was haben leere Signifikanten mit Politik zu tun? in: ders.: Emanzipation und Differenz, Wien 2002, S. 65-79, hier S. 67.
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Pavillons auf Weltausstellungen auf. Zunehmend ließ die Sección Femenina ihre Shows von vor Ort ansässigen Managern organisieren. Die Vergrößerung und Diversifizierung ihres live-Publikums machte Modifikationen der Coros y Danzas-Auftritte erforderlich. Eine der fundamentalsten Neuerungen bestand darin, dass die Gruppen weniger politisch erscheinen durften. Aus den Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange wurden die Coros y Danzas de España. Besonders unpolitisch mussten die Tänzerinnen dort sein, wo sie als Repräsentantinnen eines friedlichen, um internationale Integration bemühten Staates auftraten. Ich werde diese ‚Entpolitisierungsmaßnahmen‘, welche die OrganisatorInnen der entsprechenden Reisen trafen, in Kapitel 3.2 ausführlicher behandeln und dort deren außenpolitische Bedeutung eingehend analysieren. Die Auftritte der Coros y Danzas zeichneten sich immer mehr dadurch aus, dass die Folkloregruppen tanzten, was sich am besten verkaufen ließ. Ich habe weiter oben erwähnt, dass die Sección Femenina bemüht war, zu betonen, dass die von ihr vorgeführte andalusische Folklore von den ‚Verfälschungen‘ eines „Pseudo-Flamenco gitano“ frei sei. Zu dererlei Aussagen steht die Tatsache im Widerspruch, dass Coros y Danzas-Gruppen in ihren Aufführungen Tänze wie die bulería tanzten, die zum Standardprogramm von Flamenco-Spektakeln gehörten. Die Kostüme, welche die Teilnehmerinnen der zweiten Äquatorialguineareise bei manchen Auftritten trugen, werden in den Dokumenten als „traje gitana“50 bezeichnet. Ein Zeitungsartikel kündigte den Auftritt der Coros y Danzas in der New Yorker Carnegie Hall im Jahr 1953 mit folgenden Worten an: „Passionate rhythms and lusty movements of flamenco dancing and singing, in the gypsy style of Andalusia will be a feature of the performance.“51 Auch die Coros y Danzas versuchten mit ihren Auftritten die Erwartungen eines westeuropäischen und US-amerikanischen Publikums, das „Pseudo-Flamenco gitano“ sehen wollte, zu erfüllen. Eine weitere Transformation, die das Coros y DanzasBühnenprogramm im Zuge seiner Ausbreitung erfuhr, war die Aufnahme zahlreicher bolero-Tänze ins Repertoire, wie des Olé de la Curra, den die Coros y Danzas aus Cádiz in Äquatorialguinea vorführten. Auf genau solche boleroTänze bezog sich García Matos im oben zitierten Abschnitt, als er von den „fremden Tänzen“ sprach, die mit den Bourbonen nach Spanien gekommen seien und die „authentische spanische Folklore“ bedroht hätten. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Regel, wonach die Tänzerinnen nur „ihre eigenen
50 AGA, (03)051.023 LEG 63 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 51 F.A., Coros y Danzas, Clippings, New York Public Library for the Performing Arts, MGZR.
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Tänze“ aufführen durften, bei weitem nicht eingehalten wurde. ‚Publikumslieblinge‘ wie die sevillanas wurden auch von nicht sevillanischen Gruppen getanzt. In Äquatorialguinea sang eine Tänzerin der Gruppe aus Cádiz 1954 kanarische folias.52 Nicht nur das Programm der Tänzerinnen, auch diese selbst mussten immer mehr Menschen gefallen: „Während der ersten Tage hätte uns niemand dazu gebracht, uns zu schminken, um auf die Bühne zu treten, und die Männer, unsere instrumentistas, flüchteten durch das ganze Theater vor unseren Maskenbildnern, so dass man sie beinahe mit dem Lasso einfangen musste. Es verstieß gegen ihre männlichen Prinzipien, geschminkt aufzutreten; aber jetzt, da wir bei anderen Gruppen den verschönernden Effekt der Schminke, die sie auf unsere Gesichter auftragen, gesehen haben, ist es nicht mehr nötig, dass uns der Unternehmer den Vertrag zeigt, wo diese Verpflichtung festgeschrieben steht, denn wir gehen freiwillig ins magische Kämmerlein und nehmen die Männer mit, die jetzt schon eher bereit sind, sich schminken zu lassen.“53
So berichtete eine Tänzerin 1952 aus London. Der Impetus des Gefallen-Müssens ging weit über die Applikation von Bühnen-Make-up hinaus. Wie ich in Kapitel 4.5 detaillierter aufzeigen werde, kam es zu einer regelrechten Erotisierung der Tänzerinnen, die ein weiteres zentrales Element der Vermarktung der Coros y Danzas darstellte. Bereits die Auswahl der Teilnehmerinnen der Auslandsreisen fand unter entsprechenden Gesichtspunkten statt. Dies belegen mehrere Quellenstellen, von denen ich hier nur zwei aufführen möchte: „Wohlwissend, dass ich hier ein schwieriges Thema anspreche und es möglicherweise ohnehin zu spät ist, um irgendetwas diesbezüglich zu unternehmen, erlaube ich mir, euch zu raten, dass ihr, so gut ihr könnt, auf die physische Erscheinung der Mädchen achtet, denn,
52 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. Vgl. Casero, La España que bailó, S. 100ff. 53 „Los primeros días no había quien nos hiciera maquillarnos para salir a escena, y los hombres, nuestros instrumentistas, andaban huidos por todo el teatro de los maquilladores, que casi tenían que cazarlos a lazo. Iba contra sus principios masculinos salir pintados; pero ahora que nosotras hemos visto en otros grupos el efecto embellecedor de los mejunjes que nos aplican a la cara, no necesitamos que el empresario nos enseñe el contrato, donde se hace constar esa obligación, pues acudimos voluntariamente al camerino mágico y llevamos con nosotras a los hombres, que ya, más convenidos, se dejan pintar.“ F.A., AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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wie du sehr wohl weißt, lebt der Mensch/Mann nicht allein von Folklore, und die Person, die 150 Francs für einen Sitzplatz bezahlt, erwartet, nicht nur in einem künstlerischen, sondern, wenn möglich, auch in einem ästhetischen Sinne unterhalten zu werden, und du wirst verstehen, dass ich dir diese Dinge nur aus meinem Wunsch heraus sage, dass ihr einen wirklich überwältigenden Triumph feiern mögt“54,
schrieb der spanische Konsul in Belgien, Joaquín Juste, am 7. April 1955 an die Leiterin einer Coros y Danzas-Expedition nach Brüssel. In einem bereits weiter oben zitierten Brief, den die Regidora Provincial de Cultura von Tenerifa 1952 an María Josefa Sampelayo sandte, ist zu lesen: „Glaube nicht, dass ich die Vorschriften, die ihr zur Auswahl der Kameradinnen für die Reisen vorgebt, nicht beachte, aber weil man so viele Dinge beachten muss, ist es schwierig, denn die, die gut tanzt, ist dick oder sehr klein oder sehr groß oder hat andere Mängel […]. Was García [Name geändert] anbelangt, so habe ich immer schon gedacht, dass sie ein wenig pummelig ist, aber nicht derart, als dass sie die ganze Gruppe verunstalten würde, denn sie ist sehr süß und was den Rest anbelangt, bringt sie sehr gute Voraussetzungen mit und wird Gruppenleiterin werden.“55
Ebenso wie die Tänzerinnen selbst wurden auch die Bühnen, auf denen sie tanzten, geschmückt. Von einem 1955 in Marokko stattgefundenem Auftritt existiert
54 „Aunque comprendo que esto es ya meterme un poco en camisa de once varas y aunque de todas formas quizás sea ya un poco tarde para poder hacer nada en este sentido, yo me permitiría aconsejaros que cuidéis en la medida de vuestras fuerzas el aspecto físico de las muchachas, pues como tú no ignoras, no solo de folklore vive el hombre y la persona que paga 150 francos por una butaca aspira que se le recree no solamente en el aspecto artístico, sino a ser posible, en el aspecto estético y ya comprenderás que estas cosas no os las digo más que por mi deseo de que obtengáis un triunfo verdaderamente clamoroso.“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 55 „No creas que ignoro las normas que dais para seleccionar las camaradas que van a los viajes, pero como hay que tener en cuenta muchas cosas, resulta difícil, ya que la que baila bien es gruesa, o muy baja, o muy alta o tiene algún otro inconveniente [...]. Respecto a García [Name geändert], siempre he pensado que estaba un poco gordita pero no tanto como para estropear el grupo, pues es muy mona y por lo demás tiene unas condiciones muy buenas y será la Jefe del grupo.“ AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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eine Liste der verschiedenen Kulissen, die während der Tänze aufgestellt werden sollten: „Nr. 1 Kastilien. Im ersten Abschnitt Haus, Feld und Dorf im Hintergrund. Nr. 2 Kastilien. Feld und Kirche im Hintergrund [...]. Nr. 5 Baskenland. Fischerboote unter Brücke. Landschaft und in der Mitte Kreuz und links Baum [...]. Nr. 9 Balearen: Strand mit Dorf im Hintergrund. Nr. 10 Katalonien: Schloss, in Mitten eines Frühlingsfelds. Nr. 11 Kanaren: Tropische Pflanzen und im Hintergrund schneebedeckter Berg [...]. Nr. 16 Andalusien: Hintergrund mit Landschaft und Alhambra.“56
Die Tänzerinnen erschienen nicht nur auf „Typen“-Fotografien und in ethnographischen Filmen in ihrer ‚natürlichen Umgebung‘, diese ‚natürliche Umgebung‘ wurde auch auf die Bühne geholt. Eine große Rolle spielte die Reproduktion einer aufwendigen Bühnendekoration auch in Ronda españanola. Der Film zeigt zuerst eine mallorquinische Gruppe, die vor einer übergroßen Landkarte der Balearen tanzt. Danach treten asturianische Tänzerinnen vor einer dreidimensionalen Kulisse auf, die ein „typisches“ Dorf darstellen soll. Während der performance der valenzianischen Gruppe wird die Kulisse aktiv: Es explodieren Feuerwerkskörper – wohl in Referenz auf die Fallas-Festivitäten. Das Bühnenbild sollte sowohl live als auch in der Berichterstattung zur Show die immersive Qualität des Coros y Danzas-Spektakels erhöhen. Es suchte die ZuschauerInnen in eine bestimmte Idee von Spanien eintauchen zu lassen und sie auf der Reise zu leiten, auf die sie sich beim Betrachten der Show der Folkloregruppen begaben. Ein weiterer entscheidender Schritt in der Steigerung der Spektakularität der Bühnenshow stellte die Verwendung ausgeklügelter Beleuchtungssysteme und Mikrofone dar. Unter den mir von Maite übergebenen internen Sección Femenina-Dokumenten befindet sich eine undatierte Liste, die den Titel „TECHNISCHE ANWEISUNGEN FÜR DAS SPEKTAKEL“ trägt, und aufführt, welche
56 „No 1 Castilla. En primer termino casa, campo y pueblo al fondo. No 2 Castilla. Campo e Iglesia al fondo. [...] No 5 Vascongadas. Barcas de pesca debajo de puente. Paisaje y en el centro cruz y a la izquierda árbol. [...] No 9 Baleares: Playa con pueblo al fondo. No 10 Cataluña: Castillo, en el medio de un campo en primavera. No 11 Canarias: Plantas tropicales y al fondo monte nevado. [...] No 16 Andalucía: Fondo de paisaje con la Alhambra.“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Broschüren während einer bestimmten Auslandreise (wohin, ist nicht ersichtlich) verteilt werden sollten und wie die Stühle im Saal angeordnet werden mussten. Weiter heißt es: „Beleuchtung: Es ist überaus wichtig, über eine gute Beleuchtung zu verfügen, basierend auf starken fixierten Scheinwerfern, die je nach Auftritt der Gruppe die Farbe wechseln.“57 In einem Zeitungsbericht über einen Auftritt der Coros y Danzas im Stadion in Santa Isabel im Jahr 1954 ist zu lesen: „[…] das Gelände des Stadions, das mit einer gut gewählten Verteilung von Lichtern ausgestattet wurde, damit man aus allen seinen Winkeln die Auftritte der Gruppen aus Cádiz und Murcia im Boxring sehen konnte, der vor der Präsidententribüne aufgebaut und mit den Nationalfarben geschmückt worden war. Die Montage von Mikrofonen und Lautsprechern erlaubte es, den aus Gitarren und Gesang bestehenden musikalischen Teil überall auf dem Sportplatz zu hören […].“58
Dass die Coros y Danzas zunehmend Tontechnik während ihrer Auftritte einsetzten, ist nicht zuletzt deswegen erwähnenswert, weil deren Aufkommen, wie Auslander zeigt, in diversen Musikgenres als Gefährdung, aber auch als Sicherung der liveness von Bühnenshows begriffen wurde und wird.59 Gleichzeitig, so möchte ich in Anlehnung an Garofalo betonen, schufen Mikrofone mehr „Intimität“ zwischen ZuschauerInnen und Tänzerinnen, zumal die Musik, zu der diese tanzten, über Verstärker auch dann hörbar war, wenn sie leise vorgetragen wurde.60 Dadurch wurde befördert, dass eine Verbindung zwischen Tänzerinnen und Publikum entstand, die für die emotionspolitische Wirkung ihrer Auftritte entscheidend war.
57 „INDICACIONES TECNICAS PARA EL ESPECTACULO [...] Iluminación: Es importantísimo disponer de una buena iluminación a base de potentes focos fijos que variarán de color según la actuación de los grupos.“ Maite Doc. 2. 58 „[...] el recinto del estadio, que había quedado con una acertada distribución de luces para que, desde todos los ángulos de lo cuales pudieran verse las intervenciones de las agrupaciones de Cádiz y Murcia en el ring montado frente a la presidencia, y adornado con los colores nacionales. La colocación de micrófono y altavoces permitió escuchar la parte musical de guitarras y cantares a todos los ámbitos del campo de deportes […].“ Ebano? 1954. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 59 Vgl. Auslander, Philip: Liveness. Performance in a Mediatized Culture, London/New York 1999, S. 53ff. 60 Vgl. Garofalo, Reebee: Politics, Mediation, Social Context, and Public Use, in: Juslin/Sloboda, Handbook of Music and Emotion, S. 725-755, hier S. 733.
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Je spektakulärer die Coros y Danzas-Auftritte wurden, desto mehr wurde von den Tänzerinnen zur Schau gestellt. Nicht mehr nur die Bühnenauftritte, sondern auch die Auftritte der Tänzerinnen off-stage waren sorgfältig inszeniert. Die Schiffe, mit denen sie reisten, wurden in Spanien in großen Zeremonien, an denen Pilar Primo de Rivera und andere Kadermitglieder der Organisation Reden hielten, verabschiedet bzw. empfangen. Auch in den Ländern, die sie besuchten, begleiteten teilweise aufwendige Festivitäten die Ankunft bzw. Abfahrt der Folkloregruppen. Die Tänzerinnen erschienen jeweils bereits beim Einlaufen der Schiffe in ihren Trachten auf Deck, um zu winken und danach in entsprechender Montur an Land zu gehen.61 Bei ihrer Ankunft in Santa Isabel im Jahr 1954 schritten die Tänzerinnen in einem Umzug vom Schiff zum Palacio del Gobierno. Auch während ihrer Lateinamerika- und Europa-Reisen marschierten die Tänzerinnen immer wieder in Umzügen durch die besuchten Lokalitäten. Wie Dreesbach ausführt, wurden auch am Rande der großen Völkerschauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland stattfanden, DarstellerInnen in Umzügen durch die Städte geführt. Solche Völkerschau-Umzüge waren sowohl ein Spektakel für sich als auch eine Werbeaktion, die das Publikum zu den übrigen Völkerschau-Veranstaltungen locken sollte.62 Beide Aspekte waren, so meine ich, auch Teil der Coros y Danzas-Völkerschau-Umzüge. Die Tänzerinnen besuchten ferner in ihren Gastländern öffentlichkeitswirksam verschiedenste touristische Sehenswürdigkeiten, aber auch botanische Gärten, Hospitäler, Schulen und Sportwettkämpfe. Oftmals unternahmen sie derartige Ausflüge ebenfalls in Folkloretracht gekleidet.63 Mit der Spektakularität der Auslandtouren der Coros y Danzas nahm auch die Berichterstattung über die Reisen der Folkloregruppen zu. Gleichzeitig intensivierte sich die Aufmerksamkeit, die diese Berichterstattung den Aktivitäten der Coros y Danzas abseits der Bühne zukommen ließ. Der Tonfall von Presseberichten wurde unterhaltender, der Stil anekdotischer. In einem weiteren Schritt avancierten nicht nur die Aktivitäten, sondern auch die Äußerungen, Gedanken, Gefühle und Lebensgeschichten der Tänzerinnen zum Gegenstand der Berichterstattung – eine Entwicklung, die insbesondere durch das Aufkommen von Interviews befördert wurde. Die Journalisten versuchten vermehrt, die Ereignisse während und rund um die Auftritte als sensationelle Geschichten zu erzählen, in denen die Tänzerinnen die Hauptrolle spielten. Immer bekanntere Namen si-
61 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 62 Vgl. Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung ‚exotischer‘ Menschen in Deutschland, Frankfurt am Main 2005, S. 117ff. 63 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP23/27.704-28.302 GR7 No1.
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gnierten nicht mehr einzelne Artikel, sondern „Chroniken“ zu den jeweiligen Reisen. Berühmte Schriftsteller wie José María Pemán, Eugenio Montes und Rafael García Serrano begleiteten die Tänzerinnen auf ihren Reisen und versorgten die Leserschaft der meistgekauften Zeitungen des Landes über Wochen hinweg beinahe täglich mit Geschichten zu den neuesten Abenteuern der Tänzerinnen.64 García Serrano verarbeitete seine Erlebnisse mit den Coros y Danzas zum 500seitigen Reiseroman Bailando hasta la Cruz del Sur. Darauf basierend verfasste er das Drehbuch für den Spielfilm Ronda española. Die Tänzerinnen selbst wurden im Zuge dieser Entwicklung zu nationalen Stars, zu von Kameras verfolgten Berühmtheiten. Dies gilt insbesondere für Clotilde Poderós, die Hauptdarstellerin von Ronda española, und für Pepa Guerra, eine der Hauptfiguren aus Bailando hasta la Cruz del Sur. Interessant ist ferner, dass Tänzerinnen in manchen Berichterstattungen zu Autorinnen wurden. So berichteten María del Rosario Blanco García und María Sofia de Miguel der Leserschaft der Zeitungen Nueva España und Mañana aus London und Ägypten von ihren Erfahrungen mit vollen Theatern, schmutzigen Hotelzimmern und Kamelen.65 Solche Berichterstattungen steigerten erstens die Möglichkeit, dass sich Menschen mit den Tänzerinnen identifizieren konnten. Zweitens erhöhten sie den immersiven Effekt des Coros y Danzas Spektakels, indem die Leserschaft der entsprechenden Berichte mit den Tänzerinnen zusammen auf Reisen gehen konnte. Gleichzeitig verliehen diese Berichte den Tänzerinnen eine ‚eigene Stimme‘ in einem öffentlich Raum, indem Frauen eine solche Stimme üblicherweise nicht zustand. Ein weiterer Aspekt der zunehmenden Ausbreitung der Coros y DanzasShow bestand darin, dass die Tänzerinnen begannen, Seite an Seite mit anderen spanischen Konsumgütern aufzutreten. Suárez Fernández fasst den Inhalt des Vertrages, den die Tänzerinnen für ihre USA-Reise im Jahr 1953 mit dem TourManager Sokol unterschrieben, folgendermaßen zusammen: „Die Coros y Danzas-Gruppen [...] verpflichteten sich dazu, dass der erste Auftritt zu Gunsten des Kampfes gegen den Krebs sein würde und dass gleichzeitig eine große spanische Kunsthandwerksausstellung in Los Angeles, Kalifornien organisiert werden würde. Kulturelle und ökonomische Interessen vereinten sich in einem Ziel: Spanien bekannt zu machen.“66 Ich werde in Kapitel 3.2 ausführen, inwiefern die Coros y
64 Vgl. ebd. 65 Vgl. Blanco García, María del Rosario: F.A., Nueva España. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. Vgl. De Miguel, Sofia: F.A., Lucha, 10.02.1951. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP23/27.704-28.302 GR7 No1. 66 „Los grupos de Coros y Danzas realizarían una gira por Estados Unidos, comprometiéndose a que la primera exhibición fuese a beneficio de la lucha contra el cáncer, al
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Danzas-Auftritte insbesondere in den USA auch zur touristischen Vermarktung Spaniens beitragen sollten. Dabei traten die Tänzerinnen beispielsweise anlässlich der Weltausstellungen in Belgien und New York (1958 bzw. 1964) in spanischen Pavillons auf, in denen nicht nur „typisch spanisches“ Kunsthandwerk, sondern auch „typisch spanisches“ Essen feilgeboten wurde.67 Über die Einnahme der Paella wurden die Tänzerinnen mit konsumiert; ein „eating the other“, das Ahmed in Anlehnung an Belle Hooks folgendermaßen beschreibt: „The white consuming subject is invited to eat the other: to take it in, digest it, and shit out the waste. The exotic and strange foods are incorporated into the bodies of Western consumers as that which is different, but assimilable.“68 Die Kommodifizierung der Tänzerinnen fand einen weiteren Ausdruck: Fotografien zeigen, wie diese im Jahr 1955 der niederländischen Prinzessin Beatrix Folkloretänzerinnnen-Püppchen übergaben: „Die damalige Königin Beatriz empfing erfreut das Geschenk einiger Puppen gekleidet mit regionalen spanischen Kostümen“69, kommentiert Suárez Fernández. Schließlich wurden einige der „Typen“-Fotografien, die von den Tänzerinnen gemacht wurden, zu Postkarten verarbeitet. Ein Stück Coros y Danzas konnte so billigst erworben, zu Hause in einem Kultakt an das nationale Fetisch-Objekt „authentische spanische Folklore“ aufgestellt oder weiterverschickt werden.70 Was waren die Effekte der Verbreitung des Coros y Danzas-Spektakels? Ich gehe davon aus, dass die Auslandauftritte die innenpolitische Bedeutung der Coros y Danzas steigerten. Erstens wurden durch die intensivierte Berichterstattung, die mit diesen Reisen einherging, immer mehr SpanierInnen mit den Tänzerinnen konfrontiert, wodurch diese ihre volle Wirkung als Rollenmodelle und als Kriegsmaschine (vgl. Kapitel 3.3 und 3.6) entfalten konnten. Zweitens erweiterten die Auslandauftritte bzw. die Berichterstattung zu diesen die Erhe-
mismo tiempo una magna exposición de artesanía española sería celebrada en Los Ángeles de California. Intereses culturales y económicos se aunaban en una meta: dar a conocer España.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 238. 67 Vgl. Samuel, Lawrence R.: The End of the Innocence. The 1964-65 New York World’s Fair, Syracuse 2007, S. 154. 68 Ahmed, Sara: Strange Encounters. Embodied Others in Post-Coloniality, London/New York 2000, S. 117. 69 „La actual reina Beatriz recibió encantada el obsequio de unas muñecas ataviadas con trajes regionales españoles.“ Suárez Fernández, Crónica, Bildlegende (o.S.). 70 Laut Ames war die Möglichkeit am Rande von kolonialen Völkerschauen wie derjenigen von Hagenbeck, Artefakte zu erwerben, ein wichtiger Bestandteil ihres Settings. Vgl. Ames, Hagenbeck, S. 45.
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bung der „authentischen spanischen Folklore“ zum nationalen Fetisch-Objekt um eine entscheidende Komponente. Die Erfolge der Coros y Danzas im Ausland wurden in der Berichterstattung zu den Reisen als internationaler Triumphzug eines nationalen Produktes inszeniert. Als Beispiel sei hier García Serranos Roman zitiert: „Und letztendlich werdet ihr von eurem brüderlichen und geliebten Amerika friedlich und glorreich triumphierend zurückkehren. Ihr seid ein anmutiges Regiment Spaniens, das wahrlich beeindruckende Siege errungen hat für ein Vaterland, das bis dahin mit den schrecklichsten Verleumdungen und Ungerechtigkeiten zu kämpfen hatte.“71
Derartige Inszenierungen in Texten wurden ergänzt durch Bildmaterial, das die Tänzerinnen nicht nur vor applaudierenden ausländischen ZuschauerInnen zeigt, sondern auch dabei, wie sie in Trachten gekleidet den öffentlichen Raum oder gar die Nationalsymbole der Länder, die sie besuchen, einnehmen. Die Fotografien der Folkloregruppen vor dem Eiffelturm verbildlichten, wie die „authentische spanische Folklore“, und mit ihr Spanien, Frankreich eroberten.72 Die „authentische spanische Folklore“ war nicht nur erfolgreich vor den fremden Eindringlingen, wie den „Arabern“ oder den „Charangas“, verteidigt worden. Sie trat nun einen siegreichen Feldzug an und eroberte die Welt. Ich werde diesen Aspekt der Coros y Danzas-Reisen in Kapitel 3.6 erneut aufgreifen. Bevor ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit untersuchen werde, inwiefern die Verbreitung der „authentischen spanischen Folklore“ dazu diente, im Ausland ein Bild von Spanien als friedlichem Staat und wohlwollender Kolonialmacht zu präsentieren, möchte ich über die dortige Wirkung des Spektakels bereits an dieser Stelle einige Überlegungen vorausschicken. Die Coros y Danzas-Auftritte wurden im Ausland als Spektakel geschätzt. Am 5. Juni 1953 schrieb Walter Terry vom New York Herald Tribune über den ersten Coros y Danzas-Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall: „Spanish dance is not only varied but it is also complex technically. In truth, it is naturally theatrical.“73 Insbesondere wurden die Aufführungen in ihrer Qualität als travelogue und Völkerschau begeistert gefeiert und dabei in der Berichterstattung als ethnographische
71 „Y, en fin de cuentas, vosotras, de vuestra América fraterna y amada, volveréis pacífica y gloriosamente triunfadoras; sois un gentil regimiento de España que ha cosechado victorias, impresionantes de verdad, para una Patria batida hasta el momento por las más atroces calumnias e injusticias.“ García Serrano, Bailando, S. 505. 72 Vgl. AGA, (03)037 F4416. 73 Terry, Walter: „Dancers of Spain“, in: New York Herald Tribune, 06.05.1953.
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Spektakel reproduziert: „The panorama here offered is so rich that, in something over two hours, you can travel the length and breadth of Spain“74, hieß es in der London Times über die 1952 stattgefundenen Auftritte im Londoner Stoll Theater. The Observer schrieb über das dort präsentierte „portable museum of Spanish provincial art“ in einem Kommentar, der auch in seiner Orientalisierung der Tänzerinnen bemerkenswert ist: „The program of Songs and Dances of Spain [...] offers something from every province in Spain. The effect is rich and bewildering as Aladdin’s Cave.“75 Über dieselben Veranstaltungen war in der britischen Zeitschrift Ballet zu lesen: „One of the outstanding impressions I received from Coros y Danzas was the perfect selection of types [...]. Whoever it was that chose the four Majorcan dancers with their […] distinctive Mediterranean features has clearly the keen eye of the anthropologist; for nobody could have been found more representative of that lovely island.“76
In der Los Angeles Times wiederum wurden die Coros y Danzas-Aufführungen in Kalifornien im Jahr 1953 als „Dance Travelogue“ bezeichnet: „Actually, the evening shaped up as a choreographic travelogue through Spain.“77 Anlässlich des USA-Debuts der Folkloregruppen von 1950 untertitelte dieselbe Zeitung eine Fotografie von einer Tänzerin folgendermaßen: „AUTHENTIC TYPES – Typical for the dancers that will appear in Old Spanish Days Fiesta at Santa Barbara, Aug. 23-26, are these members of troupe of 60 native dancers from Spain.“78 Die Begeisterung, welche die Mitglieder der Folkloregruppen als „authentische Typen“ hervorrief, ist erneut vor dem Hintergrund älterer Diskurse zu verstehen. Und zwar unter Berücksichtigung der Faszination („the Spanish Craze“), die Spanien als das ‚archaische Andere‘ bereits Anfang des 19. Jahrhunderts unter europäischen und US-amerikanischen Reisenden und ‚Kunstliebhabern‘ auslöste: „Travellers [...] visited Spain in search of the picturesque, a term that also embraced the idea of authenticity, naturalness, along with a society and a culture still relatively untouched by the twin forces of industrialization
74 Beaumont, Cyril: „Spanish Heritage“, in: The New York Times, 24.02.1952. 75 Buckle, Richard: „Coros y Danzas de España“, in: Observer (London), 04.02.1952. 76 Brunneleschi, Elsa: Songs and Dances of Spain, in: Ballet 12, 4 (1952), S. 26-30, hier S. 28. 77 F.A.: „Spanish Group Scores in Program at Shrine“, in: Los Angeles Times, 26.06.1953. 78 F.A.: „Folk Dancers from Spain to Feature Fiesta“, in: Los Angeles Times, 24.07.1950.
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and modernization [...]. Spain in this sense appeared ‚authentic‘ in a way that other European cultures were not“, schreibt Kagan und zitiert weiter einen Century Magazine-Artikel aus dem Jahr 1889: „The author, Susan Carter, Director of Painting at New York’s Cooper Union, drew upon well established racial tropes to describe what she wed as the timeless, unchanging character of the ‚Spanish type‘. ,One is constantly amused and surprised‘, she wrote ‚to see that habits and manners of the Spanish people, as well as their faces, are precisely the same today as when Velázquez painted his sharp wiry faces in the ,Buveurs‘ or Murillo his dark children.‘“79 Bereits indem die Sección Femenina „authentische“ SpanierInnen vorführte, die deswegen „authentisch“ waren, weil sie archaisch erschienen, erfüllte sie eine im Ausland schon bestehende Erwartung. Dadurch, dass sie „authentische“ Menschen „gipsy-style“-Flamenco tanzen ließ, ging sie noch mehr auf diese Sehnsüchte ein. Auch die Berichterstattung zu den Lateinamerika-Reisen der Coros y Danzas reproduzierte die Typisierung der Tänzerinnen. Doussinage schrieb von den „zierlichen Mädchen von den Balearen“ und verband so bestimmte physische Eigenschaften mit regionaler Herkunft.80 Der Journalist Waldo de Mir ging ähnlich vor, wobei bei ihm das Merkmal „Schönheit“ war. In einer Wiedergabe eines Interviews, das er mit einer Coros y Danzas-Gruppe aus Pamplona geführt hatte, schrieb er: „Die ersten, mit denen ich spreche, sind aus Navarra, Mädchen die durch und durch Pamplonensinnen sind. [...] (Rafael García Serrano hatte Recht, als er sagte, dass seine Landsfrauen [aus Navarra] die schönsten von Spanien seien).“81 In der argentinischen Zeitung Democracia hieß es im Jahr 1948: „Jedes dieser Mädchen besitzt das charakteristische Merkmal seiner Region; sie brauchen sich nicht ihre schönen Trachten und Aufputz anzuziehen, um auseinandergehalten und individuell wahrgenommen werden zu können. Die stillen kleinen Baskinnen, die opulenten Katalaninnen, die lebhaften Asturianerinnen, die bescheidenen Kastilierinnen, alle vermit-
79 Kagan Richard L.: The Spanish Craze. The Discovery of Spanish Art and Culture in the United States, in: Suárez-Zuloaga, Ignacio et al. (Hg.): When Spain Fascinated America, Boston 2010, S. 25-45, hier S. 36. 80 „[...] las finísimas y delicadas muchachas de Baleares [...].“ Doussinague, Carta a Pilar Primo de Rivera, S. 9f. 81 „Las primeras con quienes hablo son las de Navarra, unas chicas que respiran pamplonismo por los cuatro costados. (Rafael García Serrano tenía razón al decir que sus paisanas eran las chicas más hermosas de España).“ F.A., Alerta, 08.08.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
114 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE teln sie uns wie diejenigen aus den anderen Regionen, die sie begleiten, das spezifische Kennzeichen ihrer Herkunft.“82
Fazit Kurz nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs begannen Sección FemeninaBeamtinnen damit, im „inneren Spanien“ die „authentisch spanische Folklore“ in Feldarbeit zu „rekompilieren.“ In den Bildern und Texten, welche die Sección Femenina verbreitete, präsentierte die Organisation von ‚Verfälschungen‘ und vulgären Elementen ‚gereinigte‘ regionale Tänze als nationale Traditionen. „Das Volk“ sollte sich diese Folklore aneignen und beim Tanzen „Konkurrenzgeist“ und „Liebe zur Arbeit“ entwickeln. In Folklorewettbewerben in Spanien, während der Auslandauftritte ausgewählter Folkloregruppen und in der Berichterstattung über diese wurde die „authentische spanische Folklore“ in ethnographischen Spektakeln zur Schau gestellt und dabei zum nationalen Fetisch-Objekt erhoben, über das die ZuschauerInnen die Idee der spanischen Nation als vielfältige Einheit ‚impassionieren‘ sollten. Im Zuge der Verbreitung des Coros y Danzas-Spektakels wurde dieses immer spektakulärer. Das Programm der Folkloregruppen richtete sich nach den Erwartungen eines immer mannigfaltiger werdenden Publikums. Die gesteigerte Berichterstattung beschied den Tänzerinnen eine gesteigerte Präsenz in der franquistischen Öffentlichkeit, was unter anderem ihrer Mission dienlich war, Rollenmodelle für das ideale im Franco-Staat regierte Subjekt zu sein.
82 „Cada chica de éstas posee el rasgo característico de su región; no necesitan ponerse sus vistosos trajes y atavíos para ser distinguidas e individualizadas. Las vasquitas silenciosas, las catalanas opulentas, las asturianas vivares, las castellanas austeras, nos transmiten en suma junto con las de las demás regiones que les acompañan el detalle distintivo de su origen.“ F.A., Democracia, 09.05.1948. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP23 /27.704-28.302 GR7 No1.
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B OTSCHAFTERINNEN
EINES FREUNDLICHEN
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S TAATES
„Habt ihr noch nicht bemerkt, [...] dass die Initialen der Coros y Danzas und die des Cuerpo 83
Diplomático identisch sind?“
Weil Spanien während des Zweiten Weltkriegs die Achsenmächte unterstützte, wurde es nach dessen Ende von der internationalen Gemeinschaft isoliert. Im Dezember 1946 schlossen die Vereinten Nationen den Franco-Staat aus sämtlichen neu entstandenen internationalen Organisationen aus und riefen ihre Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Botschaften aus Madrid abzuziehen. Die franquistische Außenpolitik war in den Folgejahren zunächst durch eine Intensivierung der Beziehung zu „Freunden“ des Regimes gekennzeichnet; wichtigste Partner waren das peronistische Argentinien und das salazaristische Portugal.84 Als Freundschaftsbekundung besuchte die argentinische Präsidentengattin Eva (Evita) Duarte 1947 Madrid. Das Motiv der ersten Überseereise der Coros y Danzas von 1948 nach Buenos Aires war es, so Suárez Fernández, diesen Besuch zu erwidern und Spaniens Dankbarkeit für eben jene Freundschaft zum Ausdruck zu bringen.85 Bald wagten sich die Coros y Danzas auch in ‚feindlichere‘ Gebiete vor. Im Anschluss an einen Folklorewettbewerb in Llangollen im Jahr 1949 reiste eine Formation für einige Auftritte nach Manchester und Liverpool. „Von diesem Jahr an“, so schreibt Casero, „wurden die Coros y Danzas von der Regierung bewusst als Botschafterinnen eines von der demokratischen internationalen Gemeinschaft isolierten Spaniens genutzt. Sie präsentierten sich dort, wo die franquistischen Politiker nicht anwesend sein konnten; in Ländern, die das totalitäre Regime ablehnten oder wo eine starke Gemeinschaft von Exilierten ansässig war.“86 Bei diesen Reisen fiel den Tänzerinnen der weiblichen Abteilung der Falange die Aufgabe zu, ein „weicheres“87 und „liebenswürdiges“88 Bild eines
83 „¿No os habéis fijado […] que las iniciales de Coros y Danzas y las del Cuerpo Diplomático son las mismas?“ García Serrano, Bailando, S. 134. 84 Vgl. Moradiellos, Enrique: La España de Franco, 1939-1975. Política y sociedad, Madrid 2000, S. 97. 85 Vgl. Suárez Fernández, Crónica, S. 216. 86 Casero, La España que bailó, S. 52. 87 „[…] suavizar la imagen de dureza del regimen […].“ Blasco Herranz, Inmaculada: Armas femeninas para la contrarevolución. La Sección Femenina en Aragón (19361950), Malaga 1999, S. 97.
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gänzlich entfaschisierten Spaniens zu vermitteln und damit Spaniens Ausschluss aus der internationalen Gemeinschaft als ungerechtfertigt darzustellen. Es ging dabei freilich nicht darum, dass die Tänzerinnen versuchen sollten, ihr Publikum in politischen Reden mit wohlformulierten Argumenten zu überzeugen. Vielmehr zielten ihre Auftritte darauf ab, in den ZuschauerInnen wohlwollende Gefühle für Spanien zu erzeugen. Das Spektakel sollte im Publikum Sympathien für die Tänzerinnen hervorrufen, weswegen diese live und in der Berichterstattung zu ihren performances mit Eigenschaften, die als sympathisch und verführerisch empfunden werden konnten, auftraten. Diese Sympathien sollten sodann auf das Spanien, das die Mitglieder der Folkloregruppen repräsentierten, übertragen werden. Damit diese Übertragung gelingen konnte, war es, wie in meinen nachfolgenden Quellenstudien ersichtlich wird, entscheidend, dass die Tänzerinnen nicht als Instrumente politischer Propaganda, sondern als „typische“ Vertreterinnen des spanischen „Volkes“ erschienen und die Folklore, die sie vorführten, als historisch invariabel präsentiert wurde. Immer mehr gelangte das franquistische Regime Ende der 1940er Jahre zur Einsicht, dass nur eine politische Annäherung an die USA eine Besserung der ökonomischen Situation Spaniens bewirken konnte. Die Truman-Regierung wiederum legte ihre Vorbehalte gegenüber dem Franco-Regime spätestens mit der Südkorea-Invasion im Juni 1950 beiseite. Rosendorf führt hierzu aus: „Despite Truman’s persistent lathing of El Caudillo as a character akin to Hitler and Stalin and Dean Acheson’s blunt declaration that it was commonly known that Spain had a fascist government, the State Department concluded late in 1950 that ‚our immediate objective should be to develop the military potentialities of Spain’s strategic, geographic position for the common defense‘.“89 Im Juni 1950 gab eine Coros y Danzas-Gruppe ihr USA-Debüt und zwar bezeichnenderweise in der Hollywood Bowl in Los Angeles. Die Truppe wurde vom Pianisten und Hollywoodschauspieler José Iturbi gemanagt und trat an der Seite der Sängerin Mona Paulee auf. Diese interpretierte Amor Brujo, ein in franquistischen Publikationen nicht selten als Nonplusultra der ‚Verfälschung‘ der „authentischen spanischen Folklore“ verschrienes Balletstück.90 Ich möchte hier die These aufstellen, dass die zunehmende Spektakularität der Coros y Danzas, die ich in Kapitel 3.1 beschrieben habe, eine Bedingung für ihre politische Akzeptanz war. Je mehr die
88 „[…] una imagen amable de España.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 229. 89 Rosendorf, Neal Moses: Be El Caudillo’s Guest. The Franco Regime’s Quest for Rehabilitation and Dollars after World War II via the Promotion of Tourism to Spain, in: Diplomatic History 30, 3 (2006), S. 367-407, hier S. 375. 90 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP23 /27.704-28.302 GR7 No1.
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Folkloregruppen dasjenige vorführten, was allen gefiel, und je mehr sie dies zusammen mit KünstlerInnen taten, die allen gefielen, desto besser standen die Chancen, dass sie an Orten auftreten konnten, wo politisch akzeptable bzw. angeblich unpolitische Kulturproduktionen üblicherweise aufgeführt wurden. Dies wiederum erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass das Publikum die Tänzerinnen und mit ihnen das Spanien, das sie repräsentierten, als unpolitisch wahrnahmen. Der Einsatz der Coros y Danzas im Rahmen der franquistischen Bemühungen um internationale Integration wurde über die Jahre immer kalkulierter: „Die Unterstützung durch die Repräsentanten der arabischen Länder in der Generalversammlung der UNO [...] empfahl es, diesem Teil der Welt große Aufmerksamkeit zu schenken. Wie im Fall Amerikas galt es, die Coros y Danzas als Vermittlerinnen guten Willens einzusetzen. [...] Die spanische Regierung, der man versichert hatte, dass Israel sich enthalten und dadurch Spanien den Eintritt in die UNO ermöglichen würde – was es dann aufgrund des Drucks der sozialistischen Internationalen nicht tat –, wollte allzu enge Verbindungen mit den Arabern vermeiden. Deshalb wurde auch Athen in den Reiseplan aufgenommen.“91
So fasst Suárez Fernández die Überlegungen zusammen, welche die Reise der Coros y Danzas nach Athen, Istanbul, Jerusalem, Kairo und in den Libanon motivierten, zu der sich die Tänzerinnen im Dezember 1950 aufmachten. „Guten Willen“ zu zeigen galt es auch in Paris, wo die Coros y Danzas Ende April 1951 in Saint-Denis, dem „roten Gürtel“ der Stadt, auftraten.92 Durch die Verschärfung des Kalten Krieges verschwanden die Berührungsängste der US-Regierung gegenüber dem Regime zunehmend, bis im September 1953 schließlich in Madrid ein Abkommen zwischen Spanien und den USA, der sogenannte Pact of Madrid, unterzeichnet wurde. Die USA installierten in Torrejón und Zaragoza Luftwaffenbasen und in Rota eine U-Boot-Station. Von 1954 bis 1964 flossen ungefähr 1.5 Milliarden Dollar von Washington nach Madrid. Drei Monate vor
91 „El apoyo prestado por los representantes de los países árabes en la Asamblea General de la O.N.U. […] aconsejaba prestar mucha atención a esa parte del mundo. Como en el caso de América, se trataba de utilizar Coros y Danzas como vehículo de buena voluntad. […] El Gobierno español, a quien se habían asegurado que Israel votaría en blanco, asegurando con su abstención el ingreso en la O.N.U. – cosa que, por presiones de la Internacional socialista no hizo – deseaba evitar excesos en la vinculación con los árabes. Por esta causa también se incluyó en la gira Atenas.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 228. 92 Vgl. ebd., S. 229ff.
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der Unterzeichnung des Pakts waren 66 Coros y Danzas-Tänzerinnen zu einer ausgedehnten USA-Tournee aufgebrochen, die vor Ort der Import-Export-Unternehmer Henry Sokol organisierte. Die wichtigsten Stationen der Reise waren Auftritte in der New Yorker Carnegie Hall, in einem Veteranenhospital für Versehrte aus dem Koreakrieg in San Diego und die Vorstellungen im San Francisco War Memorial Opera House. In den Jahren 1951, 1952 und 1953 tourten weitere ‚Coros y Danzas-Diplomatinnen‘ in Westeuropa, namentlich in Westdeutschland, Frankreich, Belgien, Holland und Großbritannien. Die meisten ihrer Reisen beinhalteten, genauso wie die großen Lateinamerikatouren, viele Auftritte der Folkloregruppen in Botschaftsgebäuden oder Diplomatenhäusern. Diese Anlässe waren oft mit Banketten oder Cocktailparties verbunden. García Serrano beschreibt in Bailando hasta la Cruz del Sur eine rauschende Feier in der spanischen Botschaft in Buenos Aires, in deren Verlauf ein skandinavischer Minister sevillanas tanzen lernt und ein Vertreter des „zentraleuropäischsten aller Länder“ anfängt, mit Kastagnetten zu spielen. Der Autor bezeichnet die Coros y Danzas als „beste[n] aller Marshallpläne“ und kommentiert das Bankett mit folgenden Worten: „Wären die Barbaren mit spanischen Gitarren und Weinen ins Römische Reich eingefallen, würde man sich an ihre schreckliche Invasion auf dieselbe Art und Weise erinnern wie an dieses Fest.“93 In ihrer Funktion als Botschafterinnen eines friedlichen Staates hatten die Tänzerinnen so unpolitisch wie nur möglich zu erscheinen. Um das Einreiseverbot für faschistische Gruppierungen zu umgehen, traten die Tänzerinnen in den USA nicht als Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange auf, sondern als „Coros y Danzas de España, a national civic organization promoting and perpetuating an interest in the folklore of the country.“94 Suárez Fernández erwähnt, dass Henry Sokol, der Manager der 1953er USA-Tournee, die Sección Femenina-Beamtinnen auf mögliche Schwierigkeiten bei der Einreise hingewiesen habe, und kommentiert diesen Umstand mit den Worten: „Aber die Sección Femenina wollte nichts verheimlichen, denn ihr Ziel war es gerade zu zeigen, was die Falange war.“95 Dass die Folkloregruppen – ob sie es wollten oder nicht – in der Tat ‚unter falschem Namen‘ einreisten, erwähnt der Autor nicht. Ich
93 „Si los bárbaros hubieran invadido el Imperio romano con guitarras y vinos españoles, su tremenda invasión se recordaría igual que esta fiesta.“ García Serrano, Bailando, S. 147. 94 F.A.: „Young Spanish Artists with José Itrubi at Bowl“, in: Los Angeles Times, 21.08.1950. 95 „Pero la Sección Femenina no quería disimulos, porque su objetivo era, precisamente, hacer manifestación de lo que Falange era.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 238.
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werte die Passage bei Suárez Fernández als Hinweis darauf, wie schwer es den Sección Femenina-mandos gefallen sein muss, die Coros y Danzas unpolitisch dahertanzen zu lassen. María Josefa Sampelayo, die Leiterin der USA-Tournee von 1953, lamentierte in einem Brief an Pilar Primo de Rivera vom 18. Juli 1953: „In diesem Land lässt sich, so glaube ich, politisch wenig bewirken, dennoch interessiert sie [die AmerikanerInnen] alles sehr, was mit der Bildung der Frauen zu tun hat, weswegen mich kleine Broschüren interessieren – sende sie mir bitte nach Los Angeles [...]. Hier haben sie Angst vor den Worten formación política, sie bringen alles mit Deutschland in Verbindung, so dass man nicht einmal davon sprechen kann.“96
Offensichtlich mussten einige mandos sogar von den Organisatoren ihrer Auftritte explizit zur „Vorsicht“ ermahnt werden: Jaime Caldevilla G. Villar, ein Mitglied der spanischen Botschaft in Kuba, schrieb vor einem Auftritt der Coros y Danzas in Havanna an die Reiseleiterin: „Was die Broschüren der Sección Femenina anbelangt, so gilt es mit größter Vorsicht vorzugehen, denn selbst die unschuldigste politische Absicht kann euren Erfolg zunichte machen. Hier sind die Gemüter noch nicht in einer der Propaganda förderlichen Stimmung. In diesem Sinn kann nicht genug zu Besonnenheit gemahnt werden.“97
Laut Suárez Fernández warnte auch W. de Basili, der Organisator der Coros y Danzas-Auftritte in Paris von 1951, davor, „politische Aspekte mit künstlerischen zu vermischen [...].“98 Ebenso bestand Miguel Primo de Rivera, der spani-
96 „En este país políticamente creo se puede hacer poco, sin embargo les interesa mucho todo lo relativo con la formación femenina por lo que me interesan folletos pequeños, enviémelos por favor a Los Angeles […]. Aquí tienen miedo a las palabras formación política, lo relacionan todo con Alemania y entonces no se puede ni hablar.“ AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 97 „En cuanto a folletos de la Sección Femenina hay que obrar con cautela suma, pues la más inocente intención política puede derrumbar vuestro éxito. Aquí no están los ánimos todavía para tener un ambiente propicio a la propaganda. Toda recomendación de prudencia en este sentido siempre será poca.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 98 „[...] no mezclar los aspectos políticos con los artísticos […].“ Suárez Fernández, Crónica, S. 230.
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sche Botschafter in London, darauf, dass die Coros y Danzas bei ihrem dortigen Auftritt im Jahr 1952 auf politische Akte verzichten sollten.99 Nicht nur fiel es den Sección Femenina-Beamtinnen schwer, ihre Propagandaaktivitäten zu kaschieren, um so das Bild der Harmlosigkeit der Folkloregruppen aufrechtzuerhalten. Auch waren in vielen der Länder, in denen die Tänzerinnen auftraten, diverse Gruppierungen bestrebt, die Coros y Danzas zu ‚entlarven‘ und es kam an vielen Orten, an denen die Tänzerinnen auftraten, zu lautstarken Protesten. Der Daily Graphic vom 20.02.1952 berichtete von „Zwischenfällen“ beim Auftritt der Coros y Danzas im Londoner Stoll Theater: „As the curtain was about to rise on the first performance of Songs and Dances of Spain at Stoll Theatre last night thousands of anti-Franco leaflets were scattered from the upper circle, the dress circle and boxes by members of the Spanish National Confederation of Labour.“100
Die New York Times berichtete über eine Protestaktion, die das Joint Anti-Fascist Refugee Commitee anlässlich der Auftritte der Coros y Danzas in der New Yorker Carnegie Hall Anfang Juni 1953 organisiert hatte: „Since, obviously, they could not very well have been assembled and brought over without the official consent of the present Spanish Government, and since Harry Sokol, who was responsible for having assembled them, is said to be attempting to better Hispano-American relations, unpleasant political overtones could not be avoided. The hall was copiously picketed by anti-Franco organizations.“101
Das Joint Anti-Fascist Refugee Commitee schrieb im Juni desselben Jahres in seinem Monatsbulletin Free Spain: ANTI-FACISTS OF N.Y. HAIL VICTORY The Damon Runyon Memorial Fund for Cancer Research, at last minute, rejected the proceeds from a performance in Carnegie Hall of a Spanish Falangist dance group. As a result of the picketing demonstration and distribution of leaflets before Carnegie Hall on June 4th and 5th by the Joint Anti-Fascist Refugee Committee, the Veterans of the Abraham Lincoln Brigade, and other anti-fascist groups, scores of people who had bought tickets asked for their money back and refused to go into the hall. [...] the mask has been torn
99
Vgl. ebd., S. 234.
100 Daily Graphic, 20.02.1952. RAH, ANA, Carp. 167B, Doc. 2B. 101 Martin, Spanish Dancers Give Varied Show.
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from the face of this Franco propaganda troupe! [...] The Joint Anti-Fascist Refugee Committee calls upon all Americans to boycott this Franco group wherever it appears and to demonstrate that Americans want no part of Franco, ally of Hitler and oppressor of the Spanish people.“102
Helen Pell und Frank Brown vom Spanish Refugee Appeal bzw. von den Veteranen der Abraham Lincoln Brigades wandten sich mit einem Protestschreiben an das San Francisco War Memorial Opera House. Sie baten darin dessen Kuratorium, die Tänzerinnen nicht im Opera House auftreten zu lassen und wiesen darauf hin, dass im Jahr zuvor auch einem anderen Künstler aus politischen Motiven nicht gestatt worden war, die Räumlichkeiten für einen Auftritt zu mieten.103 Auch in Los Angeles organisierten die Lincoln-Veteranen und das Joint Anti Fascist Commitee vor Coros y Danzas-Auftritten im Jahr 1953 Demonstrationen.104 In San Francisco wurden, wie in Free Spain weiter zu lesen ist, die Protestaktionen auch von Samuel B. Gatch, dem Herausgeber der California Jewish Voice unterstützt: „A picketing demonstration was organized on July 11th and 12th, when the group appeared. Many people asked for their money back and refused to cross the picket lines. The second night of the performance the Opera House was practically empty; about 600 of the 3300 seats were filled. Louis Sokol, an importer from Los Angeles who brought the falangist dance group from Spain as a so-called ,good-will gesture‘, found it rather tough to sell his latest ,Franco importation‘ to the American people.“105
Zumindest in einem Brief an Pilar Primo de Rivera zeigte sich der in dem Artikel erwähnte Sokol allerdings von jenen Protesten unbeeindruckt: „[…] even with the interference of the Communists and walking around with signs and telling the people not to patronize the group, but it didn’t do them any good, because I did everything possible to overcome that, and told the people to pay no attention to those Commies because Spain was the first country who fought Communists, and His Excellency, Generalissimo Franco, should be congratulated for what he did and for how hard he fought
102 Free Spain, Juni 1953, ALBA VF2. 103 Vgl. Schreiben H. Pell an San Francisco War Memorial Opera House, 10.07.1953, ebd. 104 Vgl. Free Spain, August 1953, ebd. 105 Ebd.
122 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE the Communists and how wonderful he succeeded in winning the liberation of his country.“106
Ebenso unbeeindruckt wie Sokol und geradezu enerviert gab sich auch die USamerikanische Presse angesichts der Protestaktionen. John Martin schrieb in der New York Times zu den Carnegie Hall-Aktionen: „What was seen on the stage, however, was an age-old expression of the genius of the Spanish people, who possesses one of the richest of all dance cultures. It has existed since centuries before Franco and the Falange were ever thought of, and will doubtlessly continue to exist after both have become part of the long-forgotten past. [...] Mr. Sokol’s venture, then, may well contribute to a warmer feeling for the peoples of Spain, irrespective of the state of their political domination of the moment. [...] For those who are able to put their political convictions temporarily in their pockets it is, in itself, a highly rewarding program.“107
Martin anerkannte, dass die Auftritte eine Mission hatten, eben das Hervorrufen eines „warmen Gefühls“ für die SpanierInnen. Der Autor bemerkte weiter, dass der Erfolg dieser Mission davon abhing, ob die ZuschauerInnen über politische Bedenken hinwegsahen. Er versuchte dies zu befördern, indem er den Inhalt der Bühnenshow der Tänzerinnen, sprich die „authentische spanische Folklore“, als unpolitisch darstellte. Das Mittel, das er hierfür einsetzte, war die Behauptung, dass sie von jeglichem historischen und damit politischen Wandel unberührt und unberührbar war. Die ‚Reinigung‘ regionaler Bräuche von historischen ‚Verfälschungen‘, welche die Sección Femenina in ihrer Verarbeitung der „authentischen spanischen Folklore“ vollzog, machte diese Folklore in jener Interpretation also auch unpolitisch. Schließlich plädierte der Artikel dafür, das spanische „Volk“, dessen „typische“ Vertreterinnen die Tänzerinnen angeblich waren, und seine Regierung als separate Entitäten zu betrachten. Dass der Autor dabei von der Darstellung inspiriert war, welche die Sección Femenina in ihren Folklorekatalogen und Programm-Bulletins vom „spanischen Volk“ zeichnete, halte ich für wahrscheinlich. Denn darin erschienen seine Angehörigen als im tiefen Innern des Landes hausende, vom historischen Wandel unbetroffene, archaische Wesen. Ich habe diese Inszenierung in Kapitel 3.1 als Teil jener Exotisierung der Folkloregruppen beschrieben, die sie als ethnographische Spektakel attraktiv machte. Hier nun wird die außenpolitische Nützlichkeit der Ent-Historisierung der Be-
106 AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 107 Martin, Spanish Dancers Give Varied Show.
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wohnerInnen des „inneren Spaniens“ und ihrer Folklore, welche die Sección Femenina in der Erarbeitung der „authentischen spanischen Folklore“ bewirkt hatte, erkennbar. Sie bestand darin, die Tänzerinnen und mit ihnen das Spanien, das sie repräsentierten, politisch harmlos erscheinen zu lassen. Auch der San Francisco Chronicle reproduzierte eine solche Verharmlosung der Coros y Danzas und äußerte sich diffamierend über die Proteste gegen deren Auftritte: „An indignant group, opposing the scheduled weekend appearance of a Spanish dance group spent yesterday afternoon looking for someone to accept their protests. The 14-man protest group arrived shortly before 3 p.m. at the War Memorial Opera House, where the dancers will appear tomorrow and Sunday. […] Edward Sharkey managing director for the Opera House, asked the group into the meeting room […]. For the next two hours, the meeting reviewed the history of the Spanish Civil War, Spain’s contribution to the German war effort and the banning of singer Paul Robeson from the War Memorial House last year. [...] Sharkey answered that the application had been passed in a routine form, that a total of only four protests had been received (and those only yesterday) and did the protestants have any proof that these dancers were fascists? He promised to pass their protests on to those trustees out of town or on vacation, and to check whether the Spanish Government was recognized by the United States.“108
Zwei Tage später erschien in derselben Zeitung folgende Erklärung: „There is something peculiarly intolerant about the fact of protesting an artistic performance because of antipathy to the artist’s politics. […] No doubt, as said by the Joint Anti-Fascist Refugee Committee, the troupe is an ,authorized and sanctioned representative of a regime that has earned the contempt of the majority of the world’s people‘ we would still not be a party to suppressing their art.“109
Bei den Coros y Danzas-Auftritten handelte es sich um eine Ästhetisierung des Politischen, die den politischen Gehalt dessen, was sie ästhetisierte, zu neutralisieren vermochte. Während in diesem Kommentar die Zugehörigkeit der Coros y Danzas zu Franco-Spanien als irrelevant behandelt wurde, stellte sie der San Francisco Chronicle-Artikel in Frage – „did they have any proof that these dancers were fascist?“ In einem anderen Pressebericht wurde diese Zugehörigkeit, ebenfalls in Reaktion auf Protestaktionen, gar negiert:
108 F.A.: „Group Called Falangist. Spanish Dancers’ Recitals Protested“, in: San Francisco Chronicle, 10.07.1953. 109 F.A.: Artists’ Politics Are Not the Issue“, in: San Francisco Chronicle, 13.07.1953.
124 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE „La scène stupide provoquée par les moscoutaires bruxellois a profondément peiné les spectateurs qu’avait attirés à ce théâtre une manifestation artistique de l’Espagne de tous les temps. Car ce n’est ni l’Espagne de Franco, pas plus que celle du ,Frente popular‘ qui s’exprime dans les ballets espagnols. C’est l’Espagne de Goya, de Velasquez, de Granados; c’est le peuple espagnol lui même.“110
So lautete der Kommentar von Le Libre Belgique vom 15. April 1951 zu den antifranquistischen Demonstrationen anlässlich der Auftritte der Coros y Danzas in Brüssel. Auch hier verlief die Entpolitisierung der Coros y Danzas über eine EntHistorisierung des Vorgeführten und die Darstellung der Mitglieder der Folkloregruppen als „Volk“. Schließlich war bezüglich der Proteste gegen einen 1951 stattgefundenen Auftrtitt in Marseille in einem Zeitungsausschnitt, der nicht zugeordnet werden kann, zu lesen: „Comme si l’art avait quelque chose à voir avec la politique.“111 Die Coros y Danzas gaben hier gar Anlass zu einer allgemeinen Trennung von Politik und Kunst.112 Hinzuzufügen ist, dass der San Fransico Cronicle in seinem Artikel zu den Aktionen gegen die Coros y Danzas anmerkte: „The Joint Anti-Fascist Refugee Committee and the Veterans of the Abraham Lincoln Brigade have both been cited as subversive organizations by the Department of Justice.“113 Im Klima zunehmender antikommunistischer Hetze sollte der Verweis auf die Kategorisierung der organisierenden Gruppierungen als „subversive Organisationen“ – mehrere Mitglieder der Abraham Lincoln Brigades wurden immer wieder strafrechtlich verfolgt – wohl dazu beitragen, die Proteste gegen die Folkloregruppen nicht nur als unberechtigt, sondern auch als illegal darzustellen. Es lassen sich freilich allein auf Basis der oben untersuchten Presseartikel keine Aussagen über die Wirksamkeit der Proteste gegen die Coros y Danzas machen, ebensowenig darüber, wie gut es den Mitgliedern der Falange gelang, als harmlose Folkloregruppe aus einem harmlosen Staat aufzutreten. Die Tatsache jedoch, dass einige der wichtigsten US-amerikanischen Meinungsmacher wie die New York Times die Folkloregruppen für unpolitisch erklärten, erscheint mir signifikant. Es ist daher durchaus möglich, dass in einigen Ländern, in denen die
110 F.A., Le Libre Belgique, 15.04.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.70428.302 GR7 No1. 111 F.A., 25.05.1951. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 112 Vgl. allgemein zu den ideologischen Hintergründen der Trennung von Kunst und Politik: Raunig, Gerald: Immanente Transgression, in: Gau/Schlieben (Hg.), Spektakel, S. 85-108, hier S. 87. 113 F.A., Group Called Falangist.
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Coros y Danzas vor Botschaftern und Regierungsbeamten auftraten und an exklusiven Banketten teilnahmen, ihre performance die Ansichten von politischen Entscheidungsträgern unmittelbar beeinflusste. Allerdings wären wohl die Madrider Verträge im September 1953 auch ohne die Coros y Danzas-Auftritte unterschrieben worden. Möglicherweise aber trugen diese Auftritte dazu bei, die massive Unterstützung eines autoritären Regimes gegenüber einer breiten Öffentlichkeit ‚verkaufbar‘ zu machen. Dies dürfte, gerade aufgrund der Proteste, die gegen die Auftritte organisiert wurden, geschehen sein. Denn diese Proteste beförderten die umfangreiche Berichterstattung in den Massenmedien über die Tanzgruppen. Wie aber reagierte die franquistische Berichterstattung auf die Proteste gegen die Coros y Danzas-Auftritte im Ausland? Zunächst machten sich Presseartikel, Ronda española oder García Serrano über die DemonstrantInnen lustig und deklarierten deren Vorhaben als gescheitert. Gleichzeitig wurde die Gelassenheit betont, mit der die Tänzerinnen auf die Proteste reagiert haben sollen. Die Inszenierung dieser Proteste machte die Geschichten rund um die Coros y DanzasAuftritte abenteuerlicher, spektakulärer, immersiver. Dies war diversen Aspekten der Coros y Danzas-Mission dienlich, insbesondere der Hispanisierung der Bevölkerung, indem über diese Geschichten Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien vorgeschrieben wurden und die Tänzerinnen als modellhafte SpanierInnen auftreten konnten. Interessant ist darüber hinaus eine Passage bei García Serrano. In einem Fazit der Lateinamerikareise von 1949, das er zwei Tänzerinnen ziehen lässt, heißt es: „Sie haben uns Blumen zugeworfen, Luftschlangen, Bonbons und Pralinen, Zettelchen und Konfetti – faule Eier, Pfeffer und den einen oder anderen Stein. – Genau. Das Beste, was sie zu uns gesagt haben: ‚spanische Falangisten'. Das Schlimmste, was sie uns zugerufen haben [...] ‚Künstler‘, ausgezeichnete Chorsänger‘. Es sei festgehalten, dass jeder, der so etwas sagt, es mit bester Absicht tat. – Dies ist wohl wahr.“114
Diese Stelle verweist auf das oben besprochene ‚falangistisches Unbehagen‘ mit der Verschleierung des politischen Charakters der Coros y Danzas und auf die Schwierigkeiten, welche die ‚Zähmung‘ der Falange dem franquistischen Re-
114 „Nos han tirado flores, serpentinas, caramelos y bombones, octavillas, confetis – huevos podridos, pimienta y alguna piedra. – Exacto. Lo mejor que nos han dicho: ,españoles falangistas‘. Lo peor que nos han llamado […] ,artistas, distinguidas coristas‘. Y conste que quien lo dijo, lo dijo con la mejor intención. – Eso, sí.“ García Serrano, Bailando, S. 517.
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gime im Allgemeinen bereitete. Ich werde auf diese ‚Zähmung‘ und den Widerstand gegen sie in Kapitel 3.6 genauer eingehen und die Coros y Danzas dabei als eine Kriegsmaschine im Deleuze’schen Sinne betrachten, also als eine Einheit, die mit dem Rest des Staates, den sie eigentlich im Ausland vertreten sollte, latent auf Kriegsfuß tanzte. An dieser Stelle erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die politische Integration Spaniens in die internationale Gemeinschaft auch im Zusammenhang mit der touristischen Öffnung des Landes stand, die wiederum von einem ganz bestimmten Interessengefüge getragen wurde: Namentlich, um mit Rosendorf zu sprechen, von einer „potent synergy between American travel, tourism, and entertainment business entrepreneurship and Spanish political-economic ambitions in an altered international relations environment.“115 Seit 1946 begannen US-amerikanische Unternehmen wie American Express, Hilton Hotels und TransWorld Airlines massive Investitionen im spanischen Tourismusgeschäft zu tätigen. Gleichzeitig priesen Reiseschriftsteller, allen voran Temple Fielding, die Qualitäten Spaniens als Feriendestination an. Dabei wurde betont, dass die politische Lage in Spanien in keiner Art und Weise das Reisevergnügen stören würde. Schließlich wurden zahlreiche Hollywood-Filme am Billigst-Produktionsort Spanien gedreht, was dem Land weitere Devisen und zusätzliche touristische Propaganda einbrachte. Im Allgemeinen bestand jene Propaganda zu einem nicht geringen Teil aus einer Vermarktung erotisierter und gefügiger Frauenkörper. In einer nur wenig subtilen Form wurden, wie Rosendorf aufzeigt, potentielle Touristen in den US-Zeitschriften über das Angebot an Prostituierten in Spanien informiert bzw. wurde dieses in eindeutig doppeldeutigen Kampagnen angepriesen.116 Die Coros y Danzas-Auftritte in Westeuropa und den USA können durchaus auch als Promotionstouren für die Reisedestination Spanien betrachtet werden. Dies gilt insbesondere für die Auftritte der Tänzerinnen in den spanischen Pavillons der Weltausstellungen von 1958 in Brüssel und 1964 in New York. Im Jahr 1955, also zwischen den beiden Äquatorialguinea-Auftritten, wurde Spanien in die U.N.O. aufgenommen. Trotzdem sah sich der Franco-Staat weiterhin internationaler Kritik ausgesetzt, insbesondere aufgrund seines Kolonialbesitzes. Ich werde in Kapitel 3.4 näher hierauf eingehen. Im nächsten Kapitel beschäftige ich mich jedoch zunächst mit der Hispanisierung der Bevölkerung, zu der die Coros y Danazs beitragen sollten.
115 Rosendorf, Be el Caudillo’s Guest, S. 368. 116 Vgl. ebd., S. 399.
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H ISPANISIEREN „Was hat die Sección Femenina in Bezug auf die politische Bildung gemacht? Nichts weniger als mit Hilfe ihrer Mitglieder in den Spaniern das Bewusstsein zu wecken, was es bedeutet, Spanier zu sein.“117 So sprach Pilar Primo de Rivera am 12. Nationalkongress der Sección Femenina von 1948 – eine passende Umschreibung für jenes politische Projekt, das ich als Hispanisierung der Bevölkerung bezeichne, und zu welchem beizutragen eine der Hauptaufgaben der Coros y Danzas war. Die Auftritte der Folkloregruppen und deren maßenmediale Reproduktion sollten in einem ersten Schritt in ihrem Publikum Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien erzeugen. Sie sollten dies einerseits auf eine unmittelbare Art und Weise tun, das heißt, die ZuschauerInnen sollten, in dem Moment, in dem sie die Bühnenshow oder die Berichterstattung darüber sahen, von Gefühlen zu Spanien ergriffen werden. Anderseits wurden solche Zugehörigkeitsgefühle in einem performativen Prozess als normative Emotionen zitiert. In einem weiteren Schritt tanzten die Tänzerinnen als Modellfiguren eine Reihe anderer Eigenschaften vor, die sich zu Spanien gehörende Personen – also nicht nur SpanierInnen, sondern auch GuineerInnen – über diese Zugehörigkeitsgefühle hinaus anzueignen hatten. Wer warum hispanisiert werden musste In zwei Sektoren des Coros y Danzas-Publikums war die Hispanisierung besonders dringlich: Bei SpanierInnen, die sich von Spanien abgewandt hatten oder Gefahr liefen, dies zu tun, sowie bei GuineerInnen. Ich komme zuerst zu letzteren: Wie in Kapitel 2.1 ausgeführt, wurde Ende der 1940er Jahre in Äquatorialguinea das patrimonio familiar eingeführte: Kirchlich getrauten guineischen Ehepaaren, die durch besonders gutes katholisches Benehmen auffielen, wurden verhältnismäßig große Landparzellen zur Bewirtschaftung überlassen. Mehrere patrimonios wurden zu spanischen Idealsiedlungen zusammengefügt. Den BewohnerInnen dieser Siedlungen, aber auch den durch die Institutionen des Patronato de Indígenas bevormundeten und in den Schulen der MissionarInnen erzogenen Menschen wurden Ehrfurcht vor Spanien und Gott gelehrt und „spanische Werte“ wie Sauberkeit, Gehorsam und Monogamie anerzogen. Anfang der
117 „En cuanto a la formación política, ¿qué ha hecho la Sección Femenina? Nada menos que despertar en los españoles, por medio de sus afiliadas, conciencia de lo que supone el ser español.“ Pilar Primo de Rivera, Rede am 12. nationalen Kongress der Sección Femenina 1948, in: Primo de Rivera, Discursos, S. 96.
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1950er Jahre intensivierte die spanische Kolonialregierung ihre Bemühungen, eine guineische Elite auszubilden, deren Angehörigen der Status negro emancipado verliehen wurde. In ihnen galt es den höchsten Grad an Hispanisierung zu erzielen, sollten sie doch als Beamte und Lehrer nach abgeschlossener Ausbildung als Mittelsmänner zur Verwaltung der restlichen guineischen Bevölkerung beitragen.118 Diese Absicht fand ihren Ausdruck in einem Text des Armeeoffiziers Carlos Conesa: „Die neue Pámue-Generation, unter dem guten Einfluss der kolonialen Aktion Spaniens, ist eine eindeutige Realität und die beste Waffe, um die Atavismen der schwarzen Rasse zu bekämpfen und zu besiegen“119, hieß es darin. Durch den positiven Anreiz von „Aufstiegschancen“ sollten diese Menschen zu den wichtigsten Komplizen der KolonialherrInnen werden wollen und sich dabei mit dem kolonialen Unternehmen, für das sie arbeiteten, identifizieren. Über die Escuela Superior Indígena, eine der wichtigsten Institutionen zur Ausbildung jener guineischen Elite, schrieb der Pädagoge Jésus de la Serna Burgaleta in einem Handbuch für die dort tätigen guineischen Lehrer: „Wir haben in diesem wunderschönen afrikanischen Land bereits die spanische Schule errichtet; eine Schule die, voller traditioneller Essenz unserer Heimat, die Bildung unserer indígenas hin zu einer überschäumenden Dankbarkeit und Liebe zu Spanien lenkt.“120 Die Auftritte der Coros y Danzas waren, so meine These, eine der „traditionellen Essenzen“, die bei den Schülern der Escuela Superior Indígena „Liebe zu Spanien“ erzeugen sollte. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts widmeten sich die concepcionista-Nonnen der Hispanisierung von Guineerinnen. In den von ihnen geleiteten Mädchenschulen und -internaten wurden diese zu strickenden, putzenden, singenden, katholischen Ehefrauen erzogen.121 Es ist auffällig, in wie vielen solcher Institutionen die Coros y Danzas auftraten. Zu den wichtigsten gehörten das Colegio Santa Teresita, das Colegio Internado de Basilé und die Misión von Río Benito.
118 Vgl. Negrín Fajardo, Educación en Guinea Ecuatorial, S. 120. 119 „La nueva generación pámue benéficamente influenciada por la acción colonizadora de España es una patente realidad y la mejor arma para luchar y vencer los atavismos de la raza negra.“ González Conesa, Francisco: De la Guinea continental española, in: Ejército 3 (1950), S. 39-44, hier S. 44. 120 „Hemos instalado ya en estas hermosas tierras africanas la escuela española; una escuela que plena de esencias tradicionales de nuestra Patria, dirige la educación de nuestros indígenas hacia una gratitud y amor exaltados a España.“ De la Serna Burgaleta, Jesús: El niño guineano. Estudio antropométrico y psicotécnico del niño negro, Madrid 1956, hier S. 13. 121 Vgl. Negrín Fajardo, Educación en Guinea Ecuatorial, S. 71ff.
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Die Hispanisierung der guineischen Bevölkerung kann auch als koloniale Strategie der Mimikry analysiert werden. Homi Bhabha umschreibt diese als eine Politik, die darauf abzielte, Kolonialisierte in „reformierte erkennbare Andere“ zu transformieren. Sie sollten Subjekte werden, die den KolonisatorInnen ähnlich aber doch anders – „nicht ganz/nicht weiß“ – waren. So ging es der englischen Kolonialmacht, wie Bhabha zeigt, darum, „europäisierte Eigeborene“ zu schaffen, die zwar die Verhaltensnormen der KolonialherrInnen internalisieren sollten, aber doch in „Blut und Farbe“ als zu ihren KolonialherrInnen different wahrgenommen werden und sich selbst wahrnehmen mussten. Diese Fixierung der ontologischen Differenz der Kolonisierten sollte sie auf der Position der Minderwertigkeit festhalten.122 Die Coros y Danzas-Auftritte waren im franquistischen Äquatorialguinea Teil dieser Mimikry-Strategie, indem die Tänzerinnen vortanzten, was die GuineerInnen fast exakt imitieren sollten. In ihrem Streben, zugleich Ähnlichkeit und Differenz zu produzieren, war die Mimikry-Strategie um eine Ambivalenz herum konstituiert. „Die Autorität jener Form des kolonialen Diskurses“, war, wie Bhabha ausführt, „daher unvermeidlich mit einer Unbestimmtheit behaftet.“123 Diese Unbestimmtheit öffnete den Raum für Hybridität, für ein verfremdetes Zerrbild des Kolonisators, das in der verunsichernden Wirkung, die es auf die KolonialherrInnen ausübte, deren Autorität zu destabilisieren vermochte. Bhabha schreibt hierzu: „Die Wiederholung des ‚Selben‘ kann in Wirklichkeit seine eigene De-Platzierung sein, kann die kulturelle Autorität genau in dem Moment, in dem sie sich äußert, in ihren eigenen Un-sinn verwandeln.“124 Auch im kolonialen Äquatorialguinea kam es zu un-sinnigen Kopien. Einer von ihnen sollten die Coros y Danzas entgegenwirken. In der Zeitschrift La Guinea Española hieß es zu den kolonialen Auftritten der Folkloregruppen im Jahr 1954: „Das penetrante Geklirre von Flaschen und Löffeln sowie die geschmacklosen rancheros wurden und sollen durch unsere regionalen Chöre, ausgebildet und erzogen a la española, ersetzt werden.“125 Bei jenen rancheros dürfte
122 Vgl. Castro Varela/Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 91. 123 Bhabha, Homi K.: Von Mimikry und Menschen. Die Ambivalenz des kolonialen Diskurses, in: ders., Verortung, S. 125-136, hier S. 126. 124 Ders.: Die Artikulation des Archaischen. Kulturelle Differenz und kolonialer Unsinn, in: ders., Verortung, S. 181-206, hier 203. 125 „El penetrante tintineo de botellas con cucharillas y los rancheros de mal gusto han sido y deben suplantarse por nuestros coros regionales, educados y formados a la española.“ Sena: „Supo a poco“, in: La Guinea española, 10.05.1954, S. 177, hier S. 177.
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es sich um das von González Echegaray in einer musikethnologischen Untersuchung aus dem Jahr 1956 behandelte „Gitarrenlied“ gehandelt haben: „Das Gitarrenlied, aber mit einer europäischen, oder besser gesagt spanischen Gitarre, begleitet von zwei Pseudoinstrumenten, Martyrium für die Ohren des Weißen, während der langen Weihnachtsnächte: die Flasche, gekratzt mit einem Nagel oder einer Gabel, und eine Art Reibe aus Blech, die den Rhythmus angibt. Diese Gitarrenlieder, die ihren Einzug mit den Schallplatten ausländischer Herkunft (Kamerun, Kongo und Angola) fanden, werden an die tribus unserer Kolonie angepasst und auf ihnen aufbauend werden neue Melodien geschaffen.“126
Wohl fühlte sich der Autor der Zeilen aus La Guinea Española von derartigen Darbietungen deswegen besonders gestört, weil es sich dabei um eine unerlaubte, ‚verfälschende‘ Aneignung spanischer Tradition handelte und er sich mit einer verstörend verfremdeten Darstellung seines Selbst konfrontiert sah. Es liegt in ihrer Funktionsweise selbst begründet, dass performative Akte stets die rezitierten Normen transformieren. Dies gilt in gesteigertem Maß für diejenigen Wiederholungen, zu denen es im Rahmen der kolonialen Politik der Mimikry kommen sollte, zumal bereits diese auf die Produktion von Differenz abzielten. Musik- und Tanzdarbietungen waren für GuineerInnen aber auch Instrument des aktiven Widerstandes, „Waffe in den Händen eines selbstbewussten Subjektes.“127 Laut Nerín i Abad waren sie Mittel zur „systematischen Verballhornung“128 der KolonisatorInnen. Wahrscheinlich deshalb war der Autor der oben zitierten Passage aus La Guinea Española so froh darüber, dass die Coros y Danzas angetreten waren, die „geschmacklosen rancheros“ durch „Chöre“ „a la española“ zu ersetzen, oder in anderen Worten, die Bevölkerung zu ‚re-hispanisieren‘, indem durch eine erneute Anwendung von Mimikry das Entgleiten vorangegangener Hispanisierungsbemühungen aufgefangen sollte.
126 „La canción de guitarra, pero guitarra europea, o mejor dicho, española, guitarra acompañada de dos seudo-instrumentos, martirio de los oídos del blanco en las largas noches de las Navidades: la botella, tañida con un clavo o tenedor y una especie de rallador de hoja de lata, que marca el ritmo. Estas canciones de guitarra introducidas con los discos de gramófono de procedencia extranjera (Camerun, Congo y Angola), se van adaptando a las tribus de nuestra colonia y sobre su molde se crean nuevas melodías.“ González Echegaray, Carlos: La música indígena en la Guinea Española, in: Archivos del IDEA 38 (1956), S. 19-30, hier S. 23. 127 Castro Varela/Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 92. 128 Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 57.
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Zu den SpanierInnen, die hispanisiert werden mussten, gehörten alle Menschen, die sich mit der spanischen Republik und damit mit den entsprechenden Idealen identifiziert hatten. Die Tatsache, dass die Coros y Danzas in verschiedene lateinamerikanische Länder reisten, in denen viele ExilrepublikanerInnen lebten, könnte dahingehend verstanden werden, dass die dortigen Auftritte eben jene Exilierten hispanisieren sollten. Eine solche Interpretation legen die Presseberichte zu den Reisen, der Roman Bailando hasta la Cruz del Sur oder der Film Ronda española nahe, betonen sie doch, dass verlorene Schafe auf den Pfad der Heimat zurückzuführen ein – erfolgreich erfüllter – Teilaspekt ihrer Mission gewesen sei. M.E. jedoch war die Darstellung der erfolgreichen Hispanisierung von ExilrepublikanerInnen an Menschen, die sich in Spanien befanden gerichtet: an Menschen, die mit republikanischem Gedankengut sympathisiert hatten und auf die eine oder andere Art und Weise noch immer von diesem beeinflusst waren. Zu ihnen gehörten insbesondere Familienangehörige von gefallenen oder inhaftierten ehemaligen RepublikanerInnen. Weiter sollten die Coros y Danzas insbesondere Spanierinnen hispanisieren. Denn diese waren nicht nur während Republik und Bürgerkrieg mit der ‚unspanischen‘ Idee von Frauenrechten konfrontiert worden, sondern auch im Zuge der ökonomischen Modernisierung Spaniens in den 1950er Jahren neuen Gefährdungen durch alternative Frauenbilder ausgesetzt (mehr hierzu in Kapitel 3.5). Erwachsene Frauen galt es zurück zu „spanischen“ Gefühlen und Verhaltensweisen zu führen, und spanische Mädchen sollten von klein an „spanisch“ erzogen werden. Schließlich waren eine weitere Zielgruppe der Hispanisierungsmission Coros y Danzas in Äquatorialguinea lebende spanische SiedlerInnen, die sich mehr als nur geographisch von Spanien entfernt hätten und darum von den Tänzerinnen an „spanische Werte“ erinnert werden mussten. Es handelte sich dabei um SpanierInnen, die Gefahr liefen, den unheilvollen Weg des going natives zu begehen, oder – in meiner freien Übersetzung dieses Terminus – zu ‚vertropen‘; mithin um Männer und Frauen, die abseits der großen Städte lebten und die schon viel Zeit fernab von „spanischer Kultur“ und zu nahe bei nicht weißen Körpern zugebracht hatten. Ich verstehe unter dem Begriff going native mit Eves eine kulturelle und moralische Annäherung der KolonisatorInnen an die Kolonialisierten, die in kolonialen Diskursen als eine „degeneration“ hin zu einer „white savagery“129 behandelt wurde. Unter diesen Topos fiel zum einen der Verzehr
129 Eves, Richard: Going Troppo. Images of White Savagery, Degeneration and Race in Turn-of-the-Century Colonial Fictions of the Pacific, in: History and Anthropology 11, 2-3 (1999), S. 351-385, hier S. 353.
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von einheimischem Essen, das Tragen einheimischer Kleider, die Vernachlässigung der Körperhygiene und insbesondere der sexuelle Kontakt zu Kolonialisierten. Zum anderen beschrieb er den moralischen Abstieg in eine „primitive“ und „wilde“ Gewalttätigkeit.130 Dazu konnte auch ein körperlicher Kontrollverlust gehören, der sich in Alkoholismus, Völlerei, Raserei oder einer effeminisierenden Nervenschwäche, sprich einem „colonial breakdown“131 manifestierte. Going native bedeutete ein „falling disgracefully“, das die Überlegenheit der „weißen Rasse“ und der Kultur der Kolonialmacht in Frage stellte. Dazu Weaver-Hightower: „The behavior of someone choosing to go native calls into question the supposed superiority of European cultures.“132 Dem kolonialen Diskurs wurde mit dem Abklingen der kulturellen Überlegenheit der Kolonialmacht ein entscheidendes Argument zur Legitimierung der Kolonialisierung entzogen. Wie viele Menschen in Äquatorialguinea tatsächlich ‚vertropten‘, sprich den Topos des going natives in ihrem Verhalten erfüllten, lässt sich nicht belegen. Mehr als der Wahrheitsgehalt solcher Berichte interessiert mich hier die Tatsache, dass sowohl in Äquatorialguinea als auch in Spanien zahlreiche Geschichten, die von derartigem going native berichteten, zirkulierten. Wie Nerín i Abad ausführt, sorgte bereits in den 1930er Jahren der in Micomenseng stationierte Guardia Civil-General Ayala für Empörung, als er sich selbst bei Besuchen in Madrid von seiner guineischen Geliebten begleiten ließ, die er in aller Öffentlichkeit wie eine Ehefrau behandelte.133 Regelmäßig sandten spanische Missionare Protestschreiben an das spanische Ministerium für Kolonialpolitik, in denen sie den ausschweifenden Lebensstil diverser Kolonialbeamter und SiedlerInnen denunzierten. Unter anderem machten sie geltend, dass die SpanierInnen damit „schlechte Beispiele“ für die guineische Bevölkerung abgeben würden und die Errungenschaften der Zivilisierungsarbeit der Mönche gefährden würden.134 Die Hispanisierung der
130 Vgl. ebd., S. 365. 131 Anderson, Warwick: The Tresspass Speaks. White Masculinity and Colonial Breakdown, in: The American Historical Review 102, 5 (1997), S. 1343-1370. 132 Weaver-Hightower, Rebecca: Empire Islands. Castaways, Cannibals, and Fantasies of Conquest, Minneapolis/London 2007, S. 134f. 133 Vgl. Nerín i Abad, Guàrdia Civil, S. 116. 134 Vgl. ders., Blanco y negro, S. 130. Auch die von Brunet/Cosculluela/Mur interviewten aragonesischen Siedler erinnerten sich: „Wer sich gehen ließ, endete sehr übel, wie im übrigen auch manch einer, dem man sogar das Rückreiseticket bezahlen musste.“ „El que se abandonaba acababa muy mal, como acabo alguno, por cierto que hasta le tuvieron que dejar dinero para volver.“ Brunet/Cosculluela/Mur, Guinea en patués, S. 135.
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GuineerInnen erforderte diesen Berichten gemäß also zuvorderst eine Hispanisierung der ‚vertropten‘ SpanierInnen. Das going native von SpanierInnen wurde auch in Romanen, Filmen und Hörspielen thematisiert. Zu ihnen zählten ins Spanische übersetzte ‚Genre-Klassiker‘ wie Robinson Crusoe oder das „Multimediaphänomen“135 Tarzán, aber auch spanische Produktionen. Unter den Geschichten, die in Äquatorialguinea spielen, ist der 1955 erschienene, mit dem Premio Novela Elisenda de Montcad ausgezeichnete Roman Efún besonders erwähnenswert. Die Katalanin Liberata Masolivier erzählt darin die Geschichte einer Reihe von Männern, die fernab der „Zivilisation“ und fernab von weißen Frauen im Kontinentalgebiet Äquatorialguineas eine Plantage bewirtschaften. Dabei verfallen sie dem Alkoholismus, werden grausam und teilen ihre Hütten mit Ungeziefer, Gorillaweibchen und Guineerinnen. Bereits in Efún hat auch Clara ihren ersten Auftritt, eine Frau, die in den Tropen ihre Haare kurz schneidet und Hosen trägt.136 Im Folgeroman La mujer del colonial (1962) ist Clara die Hauptprotagonistin und übernimmt von ihrem abwesenden Gatten die Leitung seiner Plantage.137 Masolivers Erzählungen – sie hat sich in ihrer Ausarbeitung von den Geschichten inspirieren lassen, die ihr aus der Kolonie zurückgekehrte SiedlerInnen in Spanien zutrugen – sind als Spuren tatsächlich stattgefundenen ‚Vertropens‘, aber vor allem als Spuren einer Angst vor der Möglichkeit solcher Dekadenz zu lesen. Gleichzeitig trugen sie dazu bei, diese Angst zu mehren. Einen anderen Ausdruck fanden dementsprechende Befürchtungen in der Tatsache, dass männliche Siedler, die allzu exzessivem Alkoholkonsum verfielen und sich allzu öffentlich mit guineischen Frauen einließen, nach Spanien zurückgeschickt wurden.138 Vor allem aber kann die in Kapitel 2.1 beschriebene strikte „Rassen“-Trennung als Versuch interpretiert werden, solches going native zu verhindern. Das ‚Vertropen‘ der spanischen SiedlerInnen sollte schließlich auch verhindert bzw. erste Anzeichen eines solchen korrigiert werden, indem für die spanischen SiedlerInnen spanische Bräuche und Konsumgüter in die Kolonie importiert wurden. So wurden Fußballpartien und Stierkämpfe organisiert und die allermeisten Nahrungsmittel wurden direkt aus Spanien eingeschifft.139 Einen wei-
135 Krüger, Gesine/Mayer, Ruth/Sommer, Marianne: Figuren des Dazwischen. Menschenaffen und Affenmenschen als Grenzwesen. Eine Einleitung, in: dies.: „Ich Tarzan.“ Affenmenschen und Menschenaffen zwischen Science und Fiction, Bielefeld 2008, S. 7-22, hier S. 14. 136 Vgl. Masoliver, Liberata: Efún, Barcelona 1955, S. 55. 137 Vgl. dies.: Mujer del Colonial, Barcelona 1962. 138 Vgl. Martin-Márquez, Disorientations, S. 279. 139 Vgl. Ortín/Pereiró, Mbini, S. 33.
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teren derartigen Import und mithin einen Versuch, die in Äquatorialguinea lebenden SpanierInnen auf dem rechten, weißen Weg zu halten bzw. auf einen solchen zurückzuführen, stellten die Coros y Danzas-Reisen dar. Zugehörigkeitsgefühle unmittelbar hervorrufen In einem ersten Schritt der Hispanisierung sollten die Coros y Danzas-Tänzerinnen in ihrem Publikum Gefühle der Zugehörigkeit zu Spanien hervorrufen. Die Art und Weise, in der sich die ZuschauerInnen Spanien zugehörig fühlen bzw. die Form der Zugehörigkeit, die sie begehren sollten, variierte je nach Zielpublikum. Während indígenas no emancipados als Schutzbefohlene Spaniens ihrem Patron in Treue und Dankbarkeit verbunden sein sollten, hatten sich SpanierInnen spanisch und indígenas emancipados „spanisch, nur weniger“ (vgl. Kapitel 2.3) zu fühlen. In einem Artikel in einer Zeitschrift aus dem Jahr 1947 hieß es zu Coros y Danzas-Wettbewerben in Madrid: „Die ganze Emotion der Regionen Spaniens, herangeflogen an einem Nachmittag, der sich des Öfteren wiederholen sollte. Denn während man die Tänze Spaniens bewundert und die Farbenpracht seiner Trachten betrachtet, während man den Nuancen seiner Gesänge lauscht, lernt man eine wundervolle und unvergessliche Lektion der Liebe zu Spanien.“140
Die live-Show der Coros y Danzas bediente sich verschiedener Technologien und Instrumente, um in ihrem Publikum unmittelbar Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien zu erzeugen. Zunächst sollten die ergreifenden Qualitäten der Musik (insbesondere des Rhythmus) eine Verbindung zwischen ZuschauerInnen und Tänzerinnen bewirken. Genauso wie beim ausländischen Publikum, das „warme Gefühle“ für Spanien aufbringen sollte (vgl. Kapitel 3.2), war hier entscheidend, dass die ZuschauerInnen die Emotion, die sie für die Tänzerinnen empfanden – in diesem Fall das Gefühl der Verbundenheit, der Zugehörigkeit – auf das Spanien, das diese repräsentierten, übertrugen. Die immersiven Kulissenbilder, die bestimmte Regionen Spaniens darstellten, sollten diese Übertragung befördern. Diese Kulissen sollten auch per se Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien erzeugen, und zwar insbesondere in Personen, die sich von Spanien entfernt hatten, aber doch in irgendeiner Form (positiv konnotierte) Erinnerungen zu Spanien als geo-
140 „Toda la emoción de las regiones de España voleada en una tarde que debiera repetirse a menudo. Porque admirando los bailes de España, contemplando el colorido de sus trajes, oyendo los matices de sus cantos, se aprende una maravillosa e inolvidable lección de amor a España.“ F.A., 1947, Maite Doc. 3.
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graphischem Ort hatten. Den Quellen ist weiter zu entnehmen, dass die Tänzerinnen während ihrer Auftritte direkt mit ihrem Publikum in Kontakt traten. In Ronda española stößt ein Zuschauer während eines Auftrittes der Gruppe aus San Sebastian einen Irrintzi aus – den hohen gellenden Schrei, der in der baskischen Folklore als Ausdruck der Freude gilt –, worauf eine Tänzerin ihrerseits einen Irrintzi erklingen lässt und den Zuschauer so in einen Freudentaumel versetzt. Dass es während der Auftritte tatsächlich zu derartigen Interaktionen kam, kann nicht ausgeschlossen werden. Vor allem aber belegen die Quellen, dass die Tänzerinnen auch abseits der Bühne mit ihren ZuschauerInnen in direkten Kontakt traten – sei es während Völkerschau-Umzügen, bei Besuchen von Schulen oder Kulturzentren oder in Interviews. Wie die Zeitung Ebano von der 1957 stattgefundenen Äquatorialguineareise berichtete, logierten die Tänzerinnen auch gelegentlich in den Häusern von spanischen SiedlerInnen.141 Der direkte Kontakt und die Kommunikation zwischen Tänzerinnen und ZuschauerInnen erhöhten, wie ich meine, die Chancen, dass zwischen ihnen eine emotionale Verbindung entstehen konnte. Auch während des Betrachtens der massenmedialen Reproduktionen der Auftritte sollten deren AdressatInnen – zu denen die GuineerInnen, die großteils keinen Zugang zu diesen hatten, nicht gehörten – unmittelbar von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien ergriffen werden. Filmischen Aufnahmen, allen voran Ronda española, standen dabei besondere kinematographische Möglichkeiten zur Verfügung, um die Bilder der Tänzerinnen mit immersiven Bildern Spaniens zu verschränken. Ladislao Vajda ließ die Tänzerinnen in den Darstellungen ihrer Lateinamerika-Auftritte in mehreren Szenen auf einer Bühne tanzen, die sich während der jeweiligen Einstellung in ganz bestimmte spanische Örtlichkeiten oder eine Wiese unter freiem Himmel transformiert. In einer Szene öffnet sich die Bühne nach hinten und wird zu einem Dorfplatz, der sich mit DorfbewohnerInnen füllt, mit denen die Coros y Danzas-Tänzerinnen Arm in Arm zu flanieren beginnen. Auch das Kinopublikum sollte sich von den Tänzerinnen an die Hand nehmen und dadurch nach Spanien führen lassen. Die ZuschauerInnen des Films sollten sich insbesondere in dem Moment mit den ZuschauerInnen im Film identifizieren, in dem diese von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien überwältigt werden. Während einer Szene, die einen Bühnenauftritt der Tänzerinnen darstellt, wechselt der Fokus der Kamera während eines jeden Tanzes von der Bühne zu einer Nahaufnahme des verklärten Blicks eines Mannes, der aus derselben Region wie der vorgeführte Tanz stammt. Die Musik wechselt und die Bilder der
141 Vgl. F.A.: „La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas en España“, in: Ebano, 10.07.1957.
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spanischen Heimat, welche die Coros y Danzas-Show in dem entsprechenden Zuschauer hervorruft, werden eingeblendet – es handelt sich dabei um „typische“ Merkmale der entsprechenden Region (ein Platz in Málaga, das Aquädukt von Segovia oder die San Fermines-Festivitäten in Pamplona). Die Kamera zeigt in der darauffolgenden Einstellung diese Zuschauer jeweils enthusiastisch den Darbietungen der Folkloregruppe aus ihrer Region applaudierend. Interessant ist, dass keine Kollektiv-Überwältigung dargestellt wird, sondern verschiedene Tänze die verschiedenen Männer zu spezifischen spanischen Lokalitäten zurückkehren lassen. Die Nation erzeugt Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien in dessen ‚korrekter‘ Gestalt, das heißt als vielfältige Einheit. Ein Mitfühlen der ZuschauerInnen mit den Filmfiguren beförderte die Tatsache, dass die Coros y DanzasTänzerinnen im Film keine Schauspielerinnen waren und die Filmfiguren daher etwas sahen, was das Kinopublikum oftmals auch schon gesehen hatte oder noch sehen konnte. Bereits in Kapitel 3.1 habe ich ausgeführt, dass das Publikum der Folkloregruppen über die spektakuläre Inszenierung der zum nationalen Fetisch-Objekt erhobenen „authentischen spanischen Folklore“ die Idee von Spanien ‚impassionieren‘ sollte. Dies konnte allerdings nur bei denjenigen Menschen gelingen, die sich bereits auf die eine oder andere Art und Weise Spanien zugehörig fühlten. Bei ihnen konnten Fetisch-Spektakel ihre Verbundenheit zu einer ganz bestimmten Vorstellung von Spanien verstärken. Zugehörigkeitsgefühle vorschreiben Die Darstellungen von ZuschauerInnen, die ob der Coros y Danzas-Auftritte von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien ergriffen wurden, sollten nicht nur unmittelbar überwältigen, sondern auch das Empfinden solcher Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien vorschreiben. Zugehörigkeitsgehörigkeitsgefühle zu Spanien zu empfinden und diese beispielsweise durch ein Sich-ergreifen-Lassen von nationalen Fetisch-Spektakeln zu manifestieren – durch einen entrückten Gesichtsausdruck, Lachen, enthusiastisches Applaudieren oder bestimmte Sprechakte (z.B. „¡Viva España!“) – war Teil des emotional regime im Franco-Staat (vgl. Kapitel 1.2). In einer Szene in Ronda española ermahnt die jefe de viaje die Tänzerinnen vor einem Auftritt: „Niemand soll denken, dies wäre eine Szene aus einem Theaterstück, denn dies ist der Dorfplatz einer jeden von euch. Ihr müsst so tanzen, wie ihr es dort tun würdet. Das ist es, was von euch verlangt wird. So werden die, die da draußen sind, sich erneut wie in der Heimat fühlen. Denkt daran, dass sich einige von ihnen nicht nur physisch von ihr entfernt
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haben, sondern auch auf eine schwerwiegendere, endgültigere Art und Weise und denkt daran, dass das, was ihr in Kürze beginnen werdet, eine Botschaft ist, kurz: tanzt aus voller Seele.“142
Mit den Menschen „da draußen“ – draußen im Publikum, aber auch geographisch und vor allem moralisch außerhalb Spaniens – sind hier ExilrepublikanerInnen gemeint. Geschichten rund um deren erfolgreiche Läuterung durch die Coros y Danzas, die als Bekehrung, sprich ‚Rückkehrung‘, nach Spanien dargestellt wurden, nahmen in der massenmedialen Reproduktion der Reisen der Folkloregruppen einen prominenten Platz ein. Die Läuterung war dabei kein Zur-Vernunft-Kommen, kein rationaler Entschluss, sondern Resultat einer emotionalen Überwältigung. Diese ist derart vollkommen, dass in Ronda Española ein geplanter Sabotageakt gegen die Tänzerinnen nicht einfach scheitert, sondern gar nicht erst zur Ausführung kommt. Denn die Exilrepublikaner sind zusammen mit einem greisen Priester Teil jenes Publikums, das, wie oben erwähnt, in Bilder der Heimat versinkt. Die Bilder der Heimat, die in ihnen der Coros y Danzas-Auftritt evoziert, entwaffnen sie, so dass sie nicht einmal mehr willens sind, ihren Sabotageakt durchzuführen. Sie können, von den Auftritten übermannt, gar nicht anders, als den Folkloregruppen und dem Spanien, das diese repräsentieren, zu applaudieren.143 Ähnlich ergeht es den Exilrepublikanern in den Textquellen: „Diese Leute fielen, nachdem sie den Klang der gaita und des tamboril, und den Gesang der jota gehört und den Tanz der malageñas gesehen hatten, in sich zusammen wie Kartenhäuser; sie weinten wie kleine Kindern, und viele von ihnen haben wieder begonnen, von ganzem Herzen an Spanien zu glauben.“144
142 „Nadie piense que esto es el escenario de un teatro, esto es la plaza del pueblo de cada una de vosotras; tenéis que bailar como lo haríais allí. Eso se os pide. De este modo quienes están ahí fuera se creerán de nuevo en la patria. Pensar que algunos se alejaron de ella no sólo físicamente, sino de manera más grave y definitivia, y pensar que lo que vais a comenzar dentro de un rato es un mensaje, en fin, bailar con toda el alma.“ Ronda española. Zitiert bei: Casero, La España que bailó, S. 79. 143 Vgl. Ortiz, The uses of Folkore, S. 493. 144 „Estas gentes, cuando han oído sonar la gaita y el tamboril, cantar la jota y bailar las malagueñas, se han derrumbado como un castillo de naipes, han llorado como chicos y muchos de ellos han vuelto a creer, otra vez íntegramente, en España.“ Mujeres de España (= Temas Españoles Nr. 74), 1953 (o.O.), S.18.
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So hieß es 1953 in der Zeitschrift Mujeres de España. Auch in ihren Aktivitäten jenseits der Bühne vermochten die Tänzerinnen laut den Quellen emotionale Zusammenbrüche herbeizuführen. Doussinage beschrieb die Tänzerin „Lolita, von herausragender Schönheit und mit einem verführerischen Lächeln“145, als „Symbol der gesamten España Nacional, des nationalen Spaniens, das ihr [der Exilrepublikaner] Herz gewinnen will, das nicht will, dass wieder von der Vergangenheit geredet werde, auf dass nicht zusätzlich Öl ins Feuer des Hasses gegossen werde, und das will, dass aller Gram hinter sich gelassen werde, das ihnen auf die Brust eine Blume einer Braut legt, die sie trotzt ihrer Fehler liebt.“146
Als Lolita während einer Coros y Danzas-Tour in Peru ein republikanisches Zentrum betrat, nahm sich angeblich ein Exilrepublikaner beschämt das republikanische Abzeichen von seiner Jacke. In das dadurch entstandene Loch steckte Lolita eine Blume.147 Die Coros y Danzas brachten laut den Quellen nicht nur Männer zum Weinen, sie machten auch Frauen zur „Ameise“. Doussinage berichtete von den 1948er-Auftritten der Coros y Danzas in Chile: „An dem Tag, an dem wir im Bildungsministerium waren, sagte eine der Direktorinnen, eine höchst intellektuelle Person, freilich mit offensichtlich linken Ideen, wie alle in jenem Haus, zur Leiterin der Tournée, Mercedes Sanz, in einem Ton der Bewunderung und gleichzeitig voller Selbsterniedrigung: ‚Wie konnten sie nur etwas so Schönes finden, dem sie ihr Leben widmen? Ich dagegen ... wir alle ... ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen könnte, außer, dass ich mich neben Ihnen wie eine Ameise fühle.‘“148
145 „Lolita, de espléndida hermosura y sonrisa cautivadora.“ Doussinage, Carta a Pilar Primo de Rivera, S. 13. 146 „[...] símbolo de toda la España Nacional que quiere ganarles el corazón, que quiere que no se vuelva a hablar de los pasados, que no se eche más leña al fuego de los odios y se dejen atrás todos los rencores, poniéndoles en el pecho una flor de novia que les ama aún en sus errores.“ Ebd., S. 14. 147 Vgl. ebd., S. 13. 148 „El día que estuvimos en el Ministerio de Educación una de las más altas Jefas del mismo, persona de gran categoría intelectual y, claro está, de ideas declaradamente izquierdistas como todos los de aquella casa, le dijo a la directora de la expedición, Mercedes Sanz, con un tono de admiración y al mismo tiempo de humillación para sí misma: , ¿Cómo ha podido encontrar una cosa tan bella a la que dedicar su vida? En cambio yo ... todas nosotras ... no sé qué decirle, sino que a su lado me siento como una hormiga.‘“ Ebd., S. 16.
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In den Geschichten über ihre emotionale Überwältigung durch die Coros y Danzas werden die Besiegten des Bürgerkriegs erneut besiegt. Nicht auf dem Feld, sondern von Frauen, die sie mit Hochzeitsblumen zu Bräuten Spaniens machen. Solche Beschreibungen schrieben das Manifestieren von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien vor. Und zwar in einer Anrufung, die mit der Warnung verbunden war, das wer sich von Spanien entfernen würde, unweigerlich damit rechnen musste, von Spanien wieder eingeholt zu werden und dabei zusammenzubrechen. Ebenfalls von Spanien entfernt hatten sich die in Äquatorialguinea lebenden spanischen SiedlerInnen, denen die Coros y Danzas bei ihren Auftritten „das abwesende Spanien ins Gedächtnis rufen“ mussten. In der Zeitung Ayer war zu lesen: „Die dort lebenden Spanier, vom Gobernador General bis zum letzten Siedler, haben sich gegenseitig in der Bewirtung unserer Mädchen übertroffen, die, so sportlich und anmutig, hunderte von Meilen in langen Tagen der Schiffsreise zurückgelegt hatten, nur um ihnen die Botschaft der Aura und Klänge unserer Heimat zu überbringen, womit sie ihnen das ferne Spanien in Erinnerung riefen.“149
Gleich wie die Exilrepublikaner waren angeblich auch die spanischen SiedlerInnen in Äquatorialguinea während der Coros y Danzas-Auftritte von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien überwältigt. In einem anderen Zeitungsausschnitt, der wahrscheinlich Ebano entstammt, hieß es: „Genau das war gestern Nacht das Wundervolle an den Coros y Danzas, dass die Tänze des Südens die Spanier aus Süden und Norden, Westen und Osten erschaudern ließen. Denn so wie die gestern Nacht vorgeführten Tänze die glühende und leidenschaftliche Stimme Spaniens sind, so ist die jota ihr Kriegsgesang. Beides sind repräsentative Stimmen, die obschon regional, allen Spaniern gehören, die mit ihnen sehnsüchtig werden.“150
149 „Los españoles allí residentes, desde el gobernador general al último colono, se han volcado en agasajos a nuestras muchachas que, tan deportiva y donosamente, han recorrido cientos de millas, en lentos días de navegación, sólo para llevarles el mensaje de los aires y sones de nuestra tierra, evocándoles la ausente España.“ F.A., Safari con castañuelas, in: Ayer, 01.08.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.70428.302 GR7 No1. 150 „Eso fue anoche lo maravilloso de Coros y Danzas, que los bailes del sur, pusieron escalofríos en los españoles del meridión y del norte, de levante y de occidente. Y es que las danzas trenzadas anoche son la voz ardiente y pasional de España como la jota es su canto de guerra. Ambas son voces representativas que, aunque regionales,
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Auffallend sind hier die expliziten Worte, in denen ausgedrückt wird, dass nur diejenigen SpanierInnen dazu berechtig waren, die „Stimmen Spaniens“ zu besitzen, die ob dieser Stimmen Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien empfanden. Weiter interessant ist, dass die andalusischen und murcianischen Tänzerinnen laut der Zeitung Ebano mit ihren Tänzen alle SpanierInnen zu ergreifen vermochten. Was das Publikum laut der Beschreibung des Autors erschaudern ließ, war nicht Murcia oder Andalusien, sondern Murcia-und-Andalusien-als-Teil-von-Spanien. In einer in La Guinea Española abgedruckten Radioansprache von Ruíz González hieß es: „Diese außergewöhnliche Gesandtschaft, die die Heimat uns sendet und in der die Jugend, die Schönheit und die Stärke Spaniens so würdig vertreten sind, war von euch mit überschäumender Ungeduld erwartet worden, mit patriotischer Sehnsucht und Inbrunst, die sich gestern in Santa Isabel beim Empfang für die Coros y Danzas entluden und die sich, ich bin mir sicher, erneut überall in der Kolonie zeigen werden, so immer sie auch auftreten werden, wie gestern bei der Ankunft unserer Schiffe […].“151
Die Norm, um die es hier ging, war „patriotische Sehnsucht und Inbrunst“, eine Sonderform des Zugehörigkeitsgefühls zu Spanien. Zitiert wurde sie, indem sie den Menschen als schon lange gefühlt, vor kurzem zum Ausdruck gebracht und auch im weiteren Verlauf der Coros y Danzas-Tour ausgedrückt werdend zugeschrieben wurde. Die Radioansprache selbst, wurde sie denn tatsächlich so gehalten, hatte aufgrund der Verwendung des Futurs beinahe den Charakter eines direkten Befehls an die ZuhörerInnen, an ganz bestimmten Tagen anläßlich der Coros y Danzas-Auftritte „patriotische Sehnsucht und Inbrunst“ auszudrücken. Die abgedruckte Version der Rede von Ruíz González erschien in der Zeitschrift La Guinea Española allerdings, nachdem die Tour der Folkloregruppen bereits beendet war. Es wurde so kein Befehl erteilt, in einem konkreten Moment Zugehö-
pertenecen a todos los españoles, quienes con ellas añoran.“ F.A., Ebano (?), 1954. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 151 „Esta embajada extraordinaria que la Patria nos envía y en la que la juventud, la belleza y la fuerza de España están tan dignamente representadas, era esperada por vosotros con impaciencia desbordante, con anhelo y afán patrióticos, que se han manifestado ayer en Santa Isabel en el recibimiento tributado a los Coros y Danzas y que, estoy seguro, se volverán a manifestar en cuantos lugares de la Colonia se presenten, así como a la llegada de nuestros barcos capitaneados por el crucero Canarias.“ Gómez, Francisco: „Perfíl colonial“, in: La Guinea Española, 10.05.1954, S. 173-175, hier S. 174.
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rigkeitsgefühle zu Spanien zu bekunden. Vielmehr wurde auf die Norm hingewiesen, zu jedem nur erdenklichen Zeitpunkt solche Emotionen zu entwickeln. „Als Siedler habe ich von den baleles, den Casinos gekostet und habe mich fast schon an sie gewöhnt, aber angesichts dieser Injektion von patriotischer Fröhlichkeit fühlte ich einen innersten und glühenden Stolz auf Spanien“152, gestand Centauro in Ebano. In Danzas de España en el trópico lautet der Kommentar zu der ersten Szene, in der die Coros y Danzas auf dem Kontinentalgebiet tanzen: „Vor den verblüfften indígenas wird die ganze Farbenvielfalt der regionalen Trachten und die ganze Grazie unsere Tänze aufgeführt, die diese Mädchen der Sección Femenina bewahren und auf der ganzen Welt verbreiten.“153 Die Bilder hingegen zeigen nicht nur GuineerInnen, sondern auch spanische SiedlerInnen. Einige stehen, andere sitzen mit überkreuzten Beinen auf dem Boden. In der nächsten Szene schweift die Kamera während eines Coros y Danzas-Auftritts in Río Benito von einer Gruppe guineischer ZuschauerInnen hoch zur von riesigen Palmen gesäumten Bühne und zurück nach unten zu einer Gruppe von spanischen SiedlerInnen. In der ersten Reihe sitzen weiße Frauen in schmucklosen Kleidern und mit Tropenhelmen auf den Knien, dahinter stehen weiße Männer in kurzen Hosen und offenen Hemden. Die Bildsequenz wird folgendermaßen kommentiert: „Die ganze Eleganz des spanischen Südens, gewidmet den einfachen gentes nativas. Unseren ungeschliffenen Siedlern, Männern der Holzwirtschaft, der Kaffee- und Kakaoplantagen. Die Einsamkeit des Waldes gewohnten Männer, die mit ihrer aufopfernden Arbeit zur Prosperität unserer Besitztümer beitragen.“154
Gentes nativas und „derbe Siedler“ werden in diesem Kommentar einander auffällig nahe gerückt. In den Bildern trennen die beiden Gruppen die oberhalb von beiden platzierten Coros y Danzas. In der vorangegangene Szene ertönt der Kom-
152 „Como colonial había gustado de los baleles, casinos y casi me había acostumbrado a ellos, pero ante esta inyección de patriótica alegría, he sentido, íntimo y ardiente, orgullo de España.“ Centauro: „Embajada Andaluz“, in: Ebano, 22.07.1957. 153 „Ante los indígenas absortos se despega todo el colorido de los trajes regionales y toda la gracia de nuestras danzas que estas muchachas de la Sección Femenina conservan y difunden por el mundo.“ Danzas de España en el trópico (ES 1955, R: Alejandro Perla Juderías). 154 „Todo el galán del sur de España dedicado a los sencillas gentes nativas. A nuestros rudos coloniales, hombres de las explotaciones forestales, de las fincas de café y cacao. Hombres acostumbrados a la soledad del bosque y que con su abnegado trabajo contribuyen a la prosperidad de nuestras posesiones.“ Ebd.
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mentar, der von verblüfften indígenas spricht, in dem Moment, in dem auch spanische Siedler zu sehen sind. Der oben zitierte Text von Centauro weist dort, wo der Autor ausführt, im Moment der Coros y Danzas-Auftritte „Stolz auf“ Spanien empfunden zu haben, nachdem er sich zuvor schon an die balele-Tänze „gewöhnt“ habe, Spuren einer gefährlichen Distanzierung zu Spanien auf. Der Filmkommentar wiederum inszeniert den going native-Topos, indem die bildlich gefallenen, am Boden sitzenden Siedler mit denselben Ausdrücken wie die indígenas beschrieben werden, wobei laut Eves ein zentrales Element von going native-Erzählungen erfüllt wird: „These stories use the same primitivist language to represent both colonizer and colonized.“155 Wichtig an beiden Darstellungen, sowohl in Ebano als auch in Danzas de España en el trópico, ist, dass die ‚vertropten‘ Spanier geläutert werden, sich wieder Spanien zugehörig fühlen und den Folkloregruppen enthusiastisch applaudieren. Vortanzen, was es heißt, zu Spanien zu gehören Die Coros y Danzas sollten in ihrem Publikum nicht nur Gefühle der Zugehörigkeit zu Spanien hervorrufen, sie sollten ihm auch vermitteln, was es genau beinhaltete, Spanien zugehörig zu sein. Sie taten dies, indem sie exemplarisch vortanzten, wie sich Spanien zugehörige Menschen zu verhalten hatten, als Individuen und als Gruppen. Oder, wie Enrich Auliach in ihrem informe de viaje von der ersten Coros y Danzas-Äquatorialguineareise schrieb: „Wir für unseren Teil haben versucht, in einem jeden Moment die Falange und die Arbeit der S.F. bekannt zu machen und beispielhaft zu sein, damit die Kolonie durch uns einen guten Eindruck erhalte.“156 Die Coros y Danzas als Ganzes und jede einzelne Gruppe für sich waren in ihrer Produktivität und Koordination Modelle für sämtliche Gruppierungen, in die sich ihre ZuschauerInnen eingliedern bzw. die sie formieren sollten: Fabriken, Familien, den Staat. Die einzelnen Tänzerinnen waren auf der Bühne und auch abseits der Bühne Rollenmodelle. „Etwas vom wichtigsten, was ihr erreicht habt, ist die Bewunderung aller für das Verhalten
155 Eves, Going Troppo, S. 352. 156 „Nosotras por nuestra parte hemos procurado en todo momento dar a conocer la Falange y la labor de la S.F. y ser ejemplares para que la Colonia llevase, a través de nosotras, una buena impresión.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP23/27.704-28.302 GR7 No1.
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jeder Einzelnen von euch“157, schrieb Primo de Rivera 1948 in der Zeitung Arriba anlässlich der Rückkehr von Coros y Danzas-Gruppen von einer Lateinamerikareise in einer „Dankesbotschaft“ an die Teilnehmenden. Als ideale, vom Franco-Staat regierte Subjekte, mit denen sich die ZuschauerInnen ihrer Show identifizieren sollten, verkörperten die Tänzerinnen als lebendige Zitate diejenigen Eigenschaften, die sich im Franco-Staat regierte Menschen aneignen sollten. Kolonialisierte, Frauen, Besiegte des Bürgerkriegs und ArbeiterInnen sollten so weiblich, so rein, so ausdauernd und so gehorsam werden, wie die Coros y Danzas-Mitglieder. Sie sollten auch so fröhlich und glücklich sein wie diese, glücklich über die Welt, in der sie lebten, über die soziale Position, in der sie sich in ihr befanden, und sie sollten einen „sense of continuity, a sense of being generally okay“158 entwickeln. Ich habe im ersten Teil dieser Arbeit kurz ausgeführt, wie ich die Funktionsweise performativer Subjekt-Werdungs-Prozesse verstehe. Ich möchte die dort angestellten Überlegungen hier lediglich mit drei Bemerkungen ergänzen: Repression und Gewalt waren im Franco-Staat omnipräsent und die Betonung beim Zitieren von gesellschaftlichen Normen in Schulen, Familien, Kirchen oder während Machtdemonstrationen auf Siegesfeiern lag auf der Darstellung der schrecklichen Konsequenzen, die zu tragen hatte, wer sich weigerte, sich diese normativen Verhaltensweisen anzueignen. Auch die oben untersuchten Darstellungen zusammenbrechender Exilrepublikaner sind als Drohgebärden zu verstehen und in Kapitel 3.6 werde ich ausführen, wie die Tänzerinnen zu einer einschüchternden Kriegs-Maschine wurden. Gleichzeitig waren aber bei den Coros y Danzas die gesellschaftlichen Normen, die zitiert wurden, verpackt in sympathische, attraktive, glückliche Körper, mit denen Menschen mitfühlen konnten. Identifikationsfiguren, die den Wunsch auslösen sollten, ihnen nahe zu sein, ein Verlangen erzeugten, wie sie zu werden. So sollten sie ihre ZuschauerInnen dazu bringen, die Normen, die sie verkörperten, aus freien Stücken zu rezitieren. Wie Platero betont, gehörten im franquistischen Spanien Geschichten rund um exemplarische Frauen zu den wichtigsten Skripten, in denen Geschlechternormen zitiert wurden.159 Modellfiguren waren darin üblicherweise Heilige und Königinnen –
157 „[...] una de las cosas más importantes que allí habéis conseguido, es el asombro de todos ante el comportamiento de cada una de vosotras.“ Primo de Rivera, Pilar, Arriba, 08.08.1948. Zitiert bei: Suárez Fernández, Crónica, S. 218. 158 Berlant, Lauren: The Female Complaint. The Unfinished Business of Sentimentality in American Culture, Durham 2008, S. 9. 159 Vgl. Platero, Lesboerotismo, S. 24.
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sprich Figuren, deren „superpersonhood“160 zwar nachgeeifert werden konnte, die aber doch unerreichbar blieben. Die Coros y Danzas-Tänzerinnen hingegen wurden dem Publikum in einer Berichterstattung, die im Detail über ihre alltäglichen Aktivitäten informierte, als „typische spanische Frauen“ präsentiert, die in einem außergewöhnlichen Kontext – im Ausland, vor vielen Menschen – das Gewöhnliche taten, nur perfekt: tanzen, putzen, essen, (Spanien und spanische Männer) lieben etc. Sie waren damit im Gegensatz zu Heiligen und Königinnen viel ‚realere‘ Modelle. Schließlich sei angemerkt, dass sich auch die allermeisten Coros y Danzas-ZuschauerInnen, die in der Berichterstattung zu den Folkloregruppen porträtiert wurden, vorbildlich verhielten. Sie applaudierten den Folkloregruppen enthusiastisch und ließen in keinem Moment Zweifel an ihrer Begeisterung aufkommen. Dennoch können sie, so meine ich, nicht auf dieselbe Art und Weise als Rollenmodelle betrachtet werden wie die Tänzerinnen. Ihre vorbildlichen Handlungen beschränkten sich auf ihre Reaktion auf die Coros y Danzas-Auftritte, während die Tänzerinnen rundum perfekt waren (oder hätten sein sollen) und damit geradezu als Skripte für das normative Subjekt-Werden im Franco-Staat funktionierten. Diejenigen ZuschauerInnen, die in der Berichterstattung zu den Coros y Danzas-Spektakeln Franco-Spanien zu Beginn feindlich gegenüber standen und sich dann bekehren ließen, figurierten noch weniger als Modelle, zumal ihre Bekehrung keine vorbildliche Handlung war, sondern eine Überwältigung, die im Grunde genommen gegen ihren Willen geschah. Diejenigen ZuschauerInnen wiederum, die sich zu keinem Zeitpunkt überwältigen ließen, waren Antimodelle – hierzu gehörten diejenigen Exilrepublikaner in Ronda española, mit denen Pablo in Streit gerät, weil sie nicht von ihren Sabotageplänen ablassen wollen und schließlich verhaftet werden. Es sei allerdings betont, dass diese zu keinem Zeitpunkt mit den Coros y Danzas in direkten Kontakt traten, wodurch das Bild der Unwiderstehlichkeit der Folkloregruppen aufrecht erhalten blieb. Erneut weise ich darauf hin, dass die instrumentistas, welche die Tänzerinnen auf ihren Reisen begleiteten, in der Berichterstattung eine nur sehr untergeordnete Rolle spielten und kaum ausführlichere Aussagen zu ihnen gemacht werden. Daher konnten auch sie keine Modellfiguren sein. Die Hispanisierung der Bevölkerung in Spanien und in den Kolonien war ein Instrument, um sie zu regieren. Die richtigen Gefühle für die richtigen Objekte zu erzeugen, war dabei zentral, zumal dies den Überwachungsaufwand des Staates reduzierte. Gleichzeitig ließ sich, wie ich im folgenden Kapitel aufzeigen werde, jene Hispanisierung als Argument in Spaniens Selbstdarstellung als wohlwollende Kolonialmacht einsetzen.
160 Berlant, Female Complaint, S. 44.
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WOHLWOLLENDE G ESTE EINER WOHLTÄTIGEN K OLONIALMACHT „Man muss S.E. [Seiner Exzellenz] dem Herrn Gobernador D. Faustino Ruíz González für diese Aufmerksamkeit danken, mit der er alle beschenken wollte, anlässlich seiner dritten Rückkehr zu seinem Posten in der Regierung der Kolonie“161, kommentierte die Zeitschrift La Guinea Española die Ankunft der Coros y Danzas in Santa Isabel im Jahr 1954. Die Auftritte der Folkloregruppen in Äquatorialguinea wurden als wohlwollende und dankbar empfangene Geste der Annäherung an die guineische Bevölkerung inszeniert. Ein Grundelement dieser Inszenierung war, dass die Coros y Danzas-Tänzerinnen auf die guineische Bevölkerung zutanzten, sich ihr annäherten. Nicht nur traten sie in Bata und Santa Isabel an Orten auf, die von GuineerInnen frequentiert wurden, sie unternahmen auch sichtlich große Anstrengungen, um diejenigen Kolonialisierten zu erreichen, die nicht in den urbanen Zentren wohnten. So begaben sich die Tänzerinnen in Waisenhäuser und Kinderheime und bemühten sich in abgelegene Siedlungen des Kontinentalgebietes. Sie wagten sich sogar in das Leprösenheim in Micomenseng vor, sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzend, nur um den Kranken ihre „frohen Lieder“ zu überbringen. Eva und ihre Freundin posieren auf Fotografien, wie sie auf einem Markt in Santa Isabel mit GuineerInnen auf ‚Tuchfühlung‘ gehen und elegant gekleidet vor einer Pfütze auf einer ungeteerten Straße stehen, die links und rechts mit schäbigen Hütten gesäumt ist. Die Tänzerinnen interessierten sich auch – gefilmt von Hermic – für die Darbietungen von GuineerInnen. Sie wohnten in einem regelrechten ‚Kultur-Austausch‘ balele-Vorführungen bei und verfolgten im Stadion von Santa Isabel die Sportwettkämpfe der Schüler der Esucela Superior Indígena. Danzas de España en el trópico stellt diese Annäherung der Tänzerinnen an die GuineerInnen auch filmtechnisch her, indem immer wieder der Blick der Tänzerinnen auf die GuineerInnen gefilmt wird und beide aus denselben Perspektiven heraus aufgenommen werden. „Die Mädchen der Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange setzen zum ersten Mal einen Fuß auf diese liebenswerte Erde, so weit entfernt von Mutter Heimat. Für die Leute von Guinea stellt dieser Besuch ein noch nie dagewesenes Geschenk dar und die
161 „Es para agradecer a S.E. el Sr. Gobernador, D. Faustino Ruíz González, este obsequio con que quiso regalar a todos en su tercer regreso a su puesto al frente de la Colonia.“ Sena, Supo a poco, S. 177.
146 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE Jubelrufe auf unsere höchste koloniale Autorität sind der beste Beweis ihrer [der „Leute“] Dankbarkeit.“162
So lautet der Kommentar zu den Hermic-Bildern, die zeigen, wie die Coros y Danzas-Mitglieder und Ruíz González bei ihrer Ankunft in Santa Isabel von applaudierenden GuineerInnen empfangen werden. Die Darstellung der Coros y Danzas-Reisen als Geschenk einer wohlwollenden Kolonialmacht implizierte die Inszenierung der Dankbarkeit der Beschenkten. Auch die schriftlichen Quellen betonten die Präsenz jubelnder Kolonialisierter während der Coros y DanzasAuftritte. „Seit den ersten Momenten des Tages [...] war eine außergewöhnliche Aufgeregtheit spürbar, die im Laufe des Vormittags nicht aufhörte zu wachsen, als zahlreiche und enthusiastische Gruppen aus allen Dörfern der Insel ankamen“163, schrieb Francisco Gómez in La Guinea Española. Er berichtete weiter, dass bereits Stunden vor der Ankunft des Domine die Innenstadt Santa Isabels einem „menschlichen Ameisenhaufen“ geglichen habe und in den Hauptstraßen kein Durchkommen gewesen sei. Riesige Menschenmengen, darunter eine „große Anzahl von nativos aus den abgelegensten Orten“164, seien herbeigeströmt, um die Coros y Danzas zu empfangen. Nochmals Gómez: „Als der Domine in den Hafen einläuft, fährt ihm als Eskorte eine gewaltige Flotte von cayucos jeder Größe entgegen, von der wir nicht wissen, woher sie kommen konnte, und alle hatten die Nationalflagge gehisst.“165 Von dieser Szene berichteten auch die Zeitung Arriba166 und der Film Danzas de España en el trópico. Angeblich waren
162 „Las muchachas de Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange ponen pie por primera vez en estas entrañables tierras tan alejadas de la madre patria. Para las gentes de Guinea esta visita constituye un regalo sin precedentes y las aclamaciones a nuestra primera autoridad colonial son la mejor prueba de su agradecimiento.“ Danzas de España en el trópico. 163 „Desde las primeras horas del día [...] se notaba en la ciudad una animación extraordinaria que no ceso de crecer a lo largo de la mañana con la llegada de grupos numerosos y entusiastas que procedían de todos los poblados de la Isla.“ Gómez, Perfíl colonial, S. 173. 164 „gran cantidad de nativos llegados de los lugares más remotos.“ Ebd. 165 „Cuando el Domine se dispone a entrar en boyas, sale a su encuentro para darle escolta una flota imponente de cayucos de todos los tamaños, que no sabemos de donde han podido salir, laciendo todos la bandera nacional […].“ Ebd. 166 Vgl. Samaniego, Miguel Ángel: Coros y Danzas de España en Guinea, Arriba, 26.05.1954. AGA, (03)051.023 LEG 50 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. Vgl. Danzas de España en el trópico.
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das Staunen und die Begeisterung der GuineerInnen nicht nur bei der Ankunft der Tänzerinnen, sondern auch später, während der Bühnenshow der Folkloregruppe, immens: Die Zeitung Ayer schrieb am 1. August 1957: „[...] danach Auftritte in Casinos und Theatern, in katholischen Missionen, in kirchlichen Schulen, mit einem überraschten Publikum kleiner, schwarzer, weiß gekleideter Mädchen in Sportstadien, [...] mit einer Bühne in der Mitte des Platzes und den Tribünen gefüllt mit morenos, die mit offenen Mündern und bewegt die anmutigen Drehungen und Schritte unserer Mädchen zum Klang der virtuosen Gitarren betrachteten. [...] Triumphale ‚Safari‘ des Friedens in diesem so fernen, Spanien aber so verbundenem afrikanischem Land, bei der die einzige Trophäe die Herzen waren, die mit den Tänzen und Gesängen dem abwesenden Spaniens erlagen. Und, wieso nicht auch [die Herzen?] der lustigen hombres de color, die, wie man uns sagt, so begeistert und warm den Mädchen aus Cádiz applaudiert haben [...].“167
Der oben zitierte Artikel war bemüht, die Coros y Danzas-Reise als wohlwollende Geste zu präsentieren. Die Darstellung applaudierender morenos war diejenige begeisterter Kinder, die von dem Vorgeführten überwältigt waren, ohne es richtig zu verstehen. Noch deutlicher zeichnete dieses Bild ein Artikel aus der Zeitung Ebano: „Und ich konnte nicht anders als die bewundernden Gesichter der indígenas anzustarren, die Applaus mit vollen Armen vausteilten. An wen richteten sie wohl den Eifer dieses Applauses? Wenn wir sie fragen würden, würden sie sagen, an diese Mädchen, die tanzen und an diese Musiker, die spielen und singen. Sie würden dies sagen, ohne zu zögern, ohne zu merken, dass sie nicht die Wahrheit sagen. Denn ich weiß, wem sie applaudierten.
167 „[...] después, actuaciones en casinos y teatros, en misiones católicas, en colegios de religiosas con un sorprendido auditorio de chiquillas negras vestidas de blanco en estadios deportivos […] con un tablado en el centro de la cancha y los graderíos atestados de ,morenos‘ que contemplaban boquiabiertos y emocionados, los giros y pasos llenos de garbo, de nuestras chavalas, al son de las guitarras ingeniosas. [...] Triunfal ,safari‘ de paz por esas lejanas tierras africana, tan ligadas a España, que los únicos trofeos han sido los corazones rendidos con los bailes y canciones de la ausente España, y ¿Por qué no también? de los sandungueros hombres de color que tan entusiástica y calurosamente, según nos dicen, han aplaudido a las chavalas de Cádiz [...].“ F.A., Safari con castañuelas, in: Ayer, 01.08.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
148 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE Ich weiß es ganz sicher. Sie applaudierten Spanien, repräsentiert im Charme und der Grazie seiner sympathischen folkloristischen Botschafterinnen.“168
Die Kolonialisierten beschränkten ihre Dankbarkeitsbekundungen angesichts des erhaltenen Geschenks nicht auf das Applaudieren. Sie schenkten zurück und überreichten den Tänzerinnen Objekte, die, wie Enrich Auliach in einem Schreiben an Primo de Rivera beeindruckt feststellte, von „immensem Wert“ waren: „[...] viele Geschenke, Papageien, Lanzen, [...], Körbe [...], Figuren und Fetische aus Ebenholz etc. Dinge, die sie nicht oft herzugeben pflegen und die deshalb einen immensen Wert besitzen.“169 Diese Geschenkübergabe wurde von Hermic gefilmt. Sie folgt in Danzas de España en el trópico derjenigen Szene, in der GuineerInnen den SpanierInnen balele vortanzen, ein Akt, der an sich bereits als Gegengeschenk begriffen werden könnte. Interessant ist überhaupt der Umstand, dass die Annäherung der Coros y Danzas-Tänzerinnen an die GuineerInnen hier, gleich wie auf den Streifzügen von Eva durch den Markt von Santa Isabel, mit der Inbesitznahme von guineischen Gütern verbunden war und dass diese Inbesitznahme als Ausdruck nicht von Eroberung oder Ausbeutung, sondern als deren Gegenteil, ja als wohltätige Aktion präsentiert wurde. Es handelte sich dabei um Darstellungen von „Reziprozität“, einem durch Austausch erzielten Ausgleich: eine jener Geschichten, die laut Pratt (in Anlehnung an Marcel Mauss und Marx) „der Kapitalismus sich selbst über sich erzählt“170, um die fundamentale Ungleichheit dieses Austausches zu verschleiern. Die Coros y Danzas-Reisen nach Äquatorialguinea waren nicht nur insofern Momente der Inszenierung Spaniens als wohlwollende und wohltätige Kolonialmacht, als die Auftritte der Tänzerinnen selbst als Geschenk an die Kolonialbevölkerung dargestellt wurden. Die Besuche der Folkloregruppen wurden auch
168 „Y no he podido menos de fijarme en los rostros amirados de los indígenas que derrocharon aplausos a manos llenas. ¿A quién dirigían el fervor de estos aplausos? Si les preguntáramos nos dirían que a esas chicas que bailan y a esos músicos que tocan y cantan. Lo dirían sin titubeos, sin darse cuenta que no decían la verdad. Porque yo sé a quien aplaudían. Los sé seguro. Aplaudían a España representada en el salero y la gracia de sus simpáticos embajadores folclóricos.“ Centauro, Embajada andaluz. 169 „Los Jefes de los poblados nos trajeron muchos regalos, loros, lanzas, [...], cestas [...], figuras y fetiches de ebano, etc. cosas de las cuales no se suelen desprender con frecuencia y que por lo tanto tienen un valor inmenso.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 170 Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. 2. Auflage, London/New York 2008 (1. Aufl.: 1992), S. 82.
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genutzt, um auf andere – größere – Wohltaten, die Spanien an den GuineerInnen vollbrachte, aufmerksam zu machen. Namentlich besuchten die Folkloregruppen, begleitet von Journalisten und Kameras, Errungenschaften der generösen Bildungs- und Gesundheitspolitik, mit der Spanien die Kolonie angeblich beglückte. So begaben sich die Coros y Danzas-Tänzerinnen, wie bereits erwähnt, in das Leprösenheim von Micomenseng, in das Hospital von Bata, in diverse Mädchenschulen und zu den Schülern der Escuela Superior Indígena. Diese Inszenierung Spaniens als wohlwollende Kolonialmacht über die Coros y Danzas steht im größeren Kontext eines franquistischen Kolonialdiskurses, der, wie MartinMárquez erläutert, die spanische Kolonialmacht als Heilsbringerin darstellte, die ihre afrikanischen Schützlinge nicht unterjoche, sondern ihnen materielle und spirituelle Rettung bringe.171 Die spanische Bildungs- und Gesundheitspolitik wurde dabei als besonders wohltätig dargestellt.172 Der spanische Kolonial-Paternalismus basierte auf einer Infantilisierung der Kolonialisierten, aus der ein Bedürfnis nach Schutz abgeleitet wurde, den zu gewähren Spaniens heilige Pflicht sei.173 Viele Orte, welche die Coros y Danzas in Äquatorialguinea besuchten, waren solche, an denen sich jener paternalistische Diskurs materialisierte. Dazu gehörte allen voran das Patronato de Indígenas, die Zentralstelle, welche die Bevormundung der rechtlich als Minderjährige (menores de edad) behandelten indígenas no emancipados administrierte und die verschiedenen Waisen- und Kinderheime, welche die Coros y Danzas ebenfalls besuchten, verwaltete. Die Infantilisierung der Kolonialisierten wurde, wie die oben zitierte Passage aus Ayer belegt, auch in der Berichterstattung zu den Auftritten der Folkloregruppen vollzogen. Ein argumentatives Rückgrat der Inszenierung Spaniens als kolonialer Wohltäterin bildete der Hispanotropicalismo, der eine spezielle, jahrhundertealte kulturelle und biologische Verbundenheit Spaniens zu Afrika konstatierte. Von dieser Verbundenheit ausgehend argumentierten seine VertreterInnen, dass es Spaniens – und nur Spaniens – historische und theologische Bestimmung wäre, Äquatorialguinea zu „retten“. Allerdings – und damit sei der Kontext erweitert, vor dem es die Coros y Danzas-Reisen zu interpretieren gilt – war, wie Ahmed aufzeigt, die Inszenierung kolonialer Ausbeutung als Geschenk kein auf den spanischen
171 Vgl. Martin-Márquez, Disorientation, S. 239ff. 172 Wie Tabernero betont, wurde die spanische Gesundheitspolitik in Äquatorialguinea auch in anderen Hermic-Filmen als „benefactora“ und „caritativa“ dargestellt. Vgl. Tabernero, Representaciones médico-santiarias, S. 39. 173 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 97f.
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Kolonialdiskurs beschränktes Phänomen.174 Dasselbe gilt, wie von Mary Pratt ausgeführt, für die damit einhergehende Rhetorik des „anti-contest“. Dabei handelt es sich um eine „utopian, innocent vision of European global authority“, oder eine „strategy of representation whereby European bourgeois subjects seek to secure their innocence in the same moment as they assert European hegemony“175. Sie hielt im 18. Jahrhunderts mit der Aufnahme des unbeteiligten naturhistorischen Blickes des „seeing man“ und einer „erruption of the sentimental mode“176 Einzug in europäische Erzählungen kolonialer Begegnungen. Die Betonung der Verbundenheit Spaniens und Äquatorialguineas in der oben zitierten Darstellung der Coros y Danzas-Reise als „Safari des Friedens“ werte ich als ‚hispanotropicalistisch‘. Die angeführte Passage aus Ebano, in der die Coros y Danzas die GuineerInnen dazu bringen, ohne es zu merken Spanien zu applaudieren, ist wiederum als Form des literarischen und filmischen Topos der „trick translation“ zu lesen, den Mayer folgendermaßen umschreibt: „The colonizer’s eloquence tricks the natives into submission, even as weapons misfire and the Europeans are hopelessly outnumbered.“177 An wen richtete sich Franco-Spaniens Selbstdarstellung als wohlwollende und wohlwollend empfangene Kolonialmacht? Erstens demonstrierten Geschichten, die davon berichteten, dass sich Kolonialisierte mit Geschenken ‚austricksen‘ ließen, deren Manipulierbarkeit. Sie können als Teil einer Kolonialpropaganda verstanden werden, die ein Publikum von potentiellen Investoren und Siedlern davon zu überzeugen versuchte, dass die Kolonialisierten ungefährlich und einfach, das heißt, ohne große Kosten, beherrschbar seien. Der Umstand, dass sich die Kolonialisierten durch einen von Ruíz González organisierten Trick begeistern ließen und sich dabei ‚wohl dressiert‘ verhielten, sollte der franquistischen Regierung in Spanien demonstrieren, dass der Gobernador General die Kolonialbevölkerung unter Kontrolle hatte. Zweitens stellt sich die Frage, ob die OrganisatorInnen der Coros y DanzasReisen die Besuche der Folkloregruppen tatsächlich den GuineerInnen selbst als wohlwollende Geste an sie zu ‚verkaufen‘ versuchten und was die Sección Femenina und die Kolonialregierung dabei zu ‚gewinnen‘ erhofften. In ihrem informe de viaje – einem Dokument, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war und sich, wie schon ausgeführt, dadurch auszeichnet, dass die Au-
174 Vgl. Ahmed, Happiness, S. 125. 175 Pratt, Imperial Eyes, S. 9 und S. 38. 176 Ebd., S. 9 und S. 72. 177 Mayer, Ruth: Artificial Africas. African Images in Times of Globalization, Hannover (NA)/London 2002, S. 29.
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torin darin auch offen über Misserfolge und Schwierigkeiten schrieb – berichtete Enrich Auliach: „Vom ersten Augenblick an und vor allem nach der ersten Vorstellung hat sich ein Strom der Sympathie und der Zuneigung zwischen uns und der Kolonie gebildet.“178 Die Coros y Danzas-Auftritte fanden vor dem Hintergrund einer Kolonialpolitik statt, die immer wieder versucht hatte, einerseits durch die Veranstaltung von großen Festivitäten, bei denen Beamte auch Geschenke und Alkohol verteilten, die guineische Bevölkerung zu einem kooperativen Verhalten zu bewegen.179 Andererseits war, wie Fernández Fígares aufzeigt, die regelmäßige Unterhaltung der GuineerInnen durch Kinofilme in Freiluftkinos ein wichtiges Instrument in der Regierung der Kolonialisierten.180 Gleichzeitig versicherten koloniale Abenteuerromane und wissenschaftliche Untersuchungen (siehe Kapitel 6) ihrer Leserschaft, dass GuineerInnen auch tatsächlich durch vorgeführte Spektakel ‚befriedet‘ werden konnten. Augrund dieser Tatbestände ist davon auszugehen, dass die OrganisatorInnen der Coros y Danzas-Reisen durchaus daran glaubten, dass die Auftritte der Folkloregruppen von der guineischen Bevölkerung als wohlwollende Geste entgegengenommen werden würden und dass Gefühle der Sympathie solche der Wut neutralisieren würden. Die GuineerInnen ‚zu befrieden‘ war Mitte der 1950er Jahre, also zum Zeitpunkt, an dem die Auftritte stattfanden, zu einer dringlichen Angelegenheit geworden, weil in diesen Jahren der antikoloniale Widerstand stark angestiegen war und sich zunehmend organisierte. An dieser Stelle ist es nötig, diese Politik des befriedenden ‚Sympathieerzeugungstricks‘ von derjenigen des Hispanisierens zu unterscheiden bzw. als dieser vorgängig zu betrachten. Letztere, sprich das Hervorrufen von Zugehörigkeitsgefühlen und das Vorschreiben eines Komplexes verschiedener normativer Verhaltensmuster, richtete sich an Individuen, die bereits ein gewisses Maß an Sympathie, eine minimale positive emotionale Verbindung zu Spanien aufwiesen.181 Viel eher ist diese Sympathieerzeugungsstrategie zur ‚Befriedung‘ der Kolonia-
178 „Desde el primer momento y sobre todo después de la primera actuación, se estableció una corriente de simpatía y cariño entre nosotras y la colonia.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 179 Vgl. Brunet/Cosculluela/Mur, Guinea en patués, S. 115. 180 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 237ff. 181 Die zu hispanisierenden SpanierInnen, die sich von Spanien entfernt hatten, mochten keine Sympathien für den Franco-Staat empfinden, aber dennoch (so die Darstellung in den Quellen) waren sie Spanien einmal nahe gewesen und besaßen daher eine emotionale Verbindung, die durch die Coros y Danzas-Auftritte wieder-hervorgerufen werden konnte.
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lisierten mit derjenigen vergleichbar, durch die die Coros y Danzas Spanien in Westeuropa und den USA als friedliche Nation zu vermarkten suchten. Neben den in der Metropole lebenden SpanierInnen (Regierungsabgeordnete, Investoren und Siedler) und der guineischen Bevölkerung in der Kolonie hatten die Auftritte der Folkloregruppen als Repräsentantinnen einer wohlwollenden und wohltätigen Kolonialmacht ein weiteres Zielpublikum. Es waren dies die internationalen Kritiker der spanischen Kolonialpolitik. Es gilt hier zu bedenken, dass die zweite Reise der Folkloregruppen nach Äquatorialguinea nur ein Jahr, nachdem Spanien von den Vereinten Nationen offiziell dazu aufgefordert worden war, Angaben bezüglich seines Kolonialbesitzes zu machen, stattfand. Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einer Reihe von Bemerkungen, die nicht nur die Äquatorialguineareisen betreffen, sondern auch andere Aktivitäten der Folkloregruppen und der Sección Femenina. Es kann argumentiert werden, dass die Inszenierungen der Lateinamerikareisen der Coros y Danzas eine Darstellung Spaniens als wohlwollende ehemalige Kolonialmacht bzw. als wohlwollende neo-imperiale Protektorin beinhalteten. Die Bilder chilenischer und peruanischer Arbeiter, die den Tänzerinnen in Ronda española mit den „liebevollsten unserer Grüße“182 huldigten, sind Darstellungen von Dankbarkeit. Sie sind vor dem Hintergrund des Konzepts der Hispanidad zu verstehen, das eine spirituelle und eine Blutsverbundenheit Spaniens zu seinen ehemaligen Kolonien proklamierte und aus dieser Verbundenheit post-imperialistische Ansprüche gegenüber Lateinamerika ableitete. Exemplarisch in dieser Hinsicht ist auch eine andere Szene in Vajdas Spielfilm, in der in einem peruanischen Hafen ein Matrose sich bei den Tänzerinnen, die sich an Deck ihres Schiffes aufhalten, erkundigt, wie es „Spanien gehe“, und die Tänzerinnen schüchtern fragt, ob sie ihm nicht vielleicht etwas vortanzen könnten. Eine Tänzerin antwortet: „Natürlich, los Mädchen, eine sevillana für den Armen!“183 – und sogleich laufen alle Tänzerinnen in ihre Kabinen, werfen sich in ihre Trachten und tanzen an Deck die versprochene Nummer. Die Geste, für einen einzigen „armen“ Arbeiter ein derart aufwendiges Spektakel zu inszenieren, ist an Generosität kaum zu übertreffen. In den Sección Femenina-Folklorekatalogen und in der Berichterstattung zu den Coros y Danzas ist Ende der 1950er Jahre eine Verschiebung erkennbar: der Ausschluss von arabischen und von Flamenco-Einflüssen aus dem Konzept „authentische spanische Folklore“ wich einer Betonung derselben. „The Spanish people has always had the virtue of assimilating foreign influences, and adapting them to its own peculiar genius. In this way its own historical tradition becomes
182 „Con los más cariñosos de nuestros saludos“. Ronda Española. 183 „¡Claro! ¡Vamos niñas una Sevillana para el pobre!“ Ebd.
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more varied and more rich without allowing these foreign elements to become predominant and to deface the Spanish racial personality“184, hieß es 1965 in Coros y Danzas de España. Diese Verschiebung kann als Teil der umfassenderen franquistischen Bemühungen zur Herausbildung eines „nacionalflamenquismo“185 betrachtet werden. Im Zuge der touristischen Öffnung Spaniens seit den 1950er Jahren wurde das kommerzielle Potential des Flamencos ausgenutzt, indem er in das Bild der Nation inkorporiert wurde. Die damit einhergehende scheinbare Integration einer nationalen Minderheit bot dem Regime Gelegenheit, deren Widerstandspotential zu neutralisieren und sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft als toleranter Staat zu profilieren.186 Die Betonung arabischer Einflüsse in der authentischen spanischen Folklore kann wiederum als Sonderform des Hispanotropicalismo betrachtet werden und ihr Auftreten zu einem Zeitpunkt, an dem Spanien aktiv den Beistand arabischer Länder in der UNO suchte, war wohl nicht zufällig. Diese Verschiebung war jedoch nicht derart radikal, dass nicht auch noch in den 1970er Jahren Stimmen auf der Reinheit des von den Folkloregruppen Vorgefundenen und Getanzten beharrt hätten. Es ist bemerkenswert, dass Coros y Danzas-Gruppen auch in Nordamerika vor und zu Gunsten von kranken und verstümmelten Menschen auftraten. Bei ihrer USA-Tournee von 1953 besuchten sie in San Diego in einem Hospital verletzte Soldaten des Koreakriegs und der Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall war eine Benefiz-Veranstaltung zur Unterstützung der Krebsforschung (vgl. 3.1 und 3.2). Der Umstand, dass sich Spanien dabei nicht nur wohlwollend, sondern auch wohltätig zeigte, dürfte wesentlich zum freundlichen Bild beigetragen haben, das die Coros y Danzas von Spanien zu vermitteln versuchten und das von großen Zeitungen wie der New York Times und dem San Francisco Chronicle reproduziert wurde (vgl. Kapitel 3.2). Die Sección Femenina inszenierte verschiedenste ihrer nicht Coros y Danzas-Aktivitäten in Spanien als karitative Gesten. Hierzu gehörten die Tätigkeit des Auxilio Social, der bereits während des Bürgerkriegs in den „befreiten Zonen“ Nahrungsmittel und Kleider verteilte, ebenso wie die ambulanten Krankenschwestern, die in abgelegenen Dörfern und den Armenviertel der Großstädte Kleinkinder impften, und die catédras ambulantes. Letztere versorgten die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ nicht nur mit Bildung und Impfstoff, sondern auch mit Unterhaltung in Form von Kinofilmen und später TV-Geräten.
184 Coros y Danzas de España, Spanisch und Englisch, S. 2. 185 Washabaugh, William: Flamenco. Passion, Politics and Popular Culture, Oxford 1996, S. 14. 186 Vgl. ebd., S. 16ff.
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Ihre „anti-conquest“-Rhetorik behielt die Sección Femenina auch während ihrer späteren kolonialen Intervention in Äquatorialguinea und selbst nach deren Ende aufrecht. In ihrem Abschlussbericht zur Sección Femenina-Kolonialpolitik schrieb Pilar Primo de Rivera über die Coros y Danzas-Besuche: „Der erste Kontakt, den die Sección Femenina mit den afrikanischen Provinzen hatte, fand im Jahr 1954 statt, als, auf Einladung vom damaligen Gobernador General de las Provincias de Guinea, Admiral D. Faustino Ruíz, die Coros y Danzas von Murcia und Cádiz in einem Streben des Kennenlernens und der Annäherung dorthin reisten.“187
Der Bericht schließt mit den Worten: „Das war die Zusammenfassung der Arbeit der Sección Femenina, die es verstanden hat, Respekt und Zuneigung hervorzurufen und sie [die GuineerInnen] hat einsehen lassen, dass wir nur in ihr Land gekommen sind mit dem Wunsch, den Frauen zu helfen, den Platz, der ihnen als Frauen in der Gesellschaft zusteht, einzunehmen, ohne ihnen irgendetwas aufzwingen zu wollen.“188
Die Äquatorialguinea-Dokumente der Sección Femenina versicherten ihrer Leserschaft, dass es der Organisation nicht darum gegangen sei, die guineischen Frauen zu beherrschen, sondern vielmehr darum, sie zu ‚befreien‘. Und zwar von nichts anderem als der Unterdrückung durch den guineischen Mann, dessen „Sklavin“189 die Guineerin bis zur Intervention der Sección Femenina gewesen sei. Der frauenrechtlerische Kolonialdiskurs der Sección Femenina war nicht originell. Er war schon von den Concepcionista-Nonnen eingeführt und sogar in einem HermicFilm aus dem Jahr 1948 reproduziert worden.190 Wie Spivak aufzeigt, wurde bereits die britische Besetzung Südasiens im 19. Jahrhundert als Mission von
187 „El primer contacto que tuvo Sección Femenina con las Provincias Africanas, fué en el año 1.954, en que invitadas por el entonces Gobernador General de las Provincias de Guinea, Almirante D. Faustino Ruíz, se desplazaron los grupos de Coros y Danzas de Murcia y Cádiz, en un afán de conocimiento y acercamiento con ellos.“ AGA, Ca. 251, LEG 2. 188 „Este a sido el resumen de la labor de la Sección Femenina que ha sabido despertar el respeto y cariño y hacerles ver que solamente hemos ido a su país, con el deseo de ayudar a las mujeres a ocupar el lugar que les corresponde en la sociedad como mujeres, sin haber pretendido imponerles nada.“ AGA, Ca. 251 LEG 2. 189 „esclava“. AGA, Ca. 248, LEG 1. 190 Vgl. Bayre/Valenciano, Alteritat colonial, S. 212f.
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„white men saving brown women from brown men“191 inszeniert. Die Geschichte von „white women saving brown women from brown men“ wiederum lässt sich bis zu den Suffragetten verfolgen.192 Im franquistischen Kolonialdiskurs schließlich tauchte das Motiv, wie ich in Kapitel 6.2 aufzeigen werde, nicht nur bei der Sección Femenina, sondern auch in den Romanen von Liberata Masoliver auf.
D EM F ORTSCHRITT
ENTGEGEN
Die ZuschauerInnen der Coros y Danzas sollten „Konkurrenzgeist“ und „Liebe zur Arbeit“ entwickeln. Sie sollten in den Fabriken und auf den Feldern, auf denen sie arbeiteten, in einen produktiven Gleichtakt kommen und jedeR Einzelne von ihnen hatte auf einer individuellen Ebene fleißig und effizient zu werden. Die Folkloregruppen sollten durch das disziplinierende Ordnen von Menschen zu Tanzformationen und durch das Vortanzen von Betriebsamkeit Spanien in Richtung ökonomischen Fortschritt bewegen. Sie tanzten dem Fortschritt aber auch entgegen, indem sie gegen ihn antanzten, das heißt, indem sie als sein Anderes auftraten. Die Coros y Danzas waren Teil einer ökonomischen Modernisierung, die weitgehend auf einer soziokulturellen Anti-Modernisierung basierte und in deren Verlauf sich eine „janusköpfige Idee von Nation herauskristallisierte, deren
191 Spivak, Gayatri: Can the Subaltern Speak? in: Cary Nelson/Lawrence Grossberg (Hg.): Marxism and the Interpretation of Culture, Chicago 1988, S. 271-312, hier S. 297. 192 Vgl. Nestel, Sheryl: (Ad)ministering Angels. Colonial Nursing and the Extension of Empire in Africa, in: Journal of Medical Humanities 19, 4 (1998), S. 257-277, hier S. 262. Es sei angemerkt, dass Stimmen von „white women/white men saving brown women from brown men“, die im Namen von Frauenrechten zu neo-imperialistischen und rassistischen Interventionen in ehemaligen Kolonialgebieten, aber auch in Europa und Nordamerika, aufrufen, heutzutage alles andere als verstummt sind. Ich spreche hier nicht nur von Burka-Verboten und humanitären Interventionen, sondern auch vom „desire for development“ westlicher FrauenrechtlerInnen. Vgl. Dietze, Gabriele: Okzidentalismuskritik. Möglichkeiten und Grenzen einer Forschungsperspektive, in: dies./Claudia Brunner/Edith Wenzel (Hg.): Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht, Bielefeld 2010, S. 23-54. Vgl. Heron, Barbara: Desire for Development. Whiteness, Gender, and the Helping Imperative, Walterloo 2007.
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eines Gesicht in Richtung einer nebulösen Vergangenheit und deren anderes in eine unbestimmte Zukunft ausgerichtet war.“193 Im Folgenden werde ich zeigen, wie die traditionelle Geschlechterordnung, welche die Coros y Danzas vortanzen sollten, fortschrittsfördernd war und wie die Tänzerinnen als archaische Figuren das Moderne der ‚modernen Errungenschaften‘ des Franco-Staats in Spanien und der Kolonie hervorheben sollten. Schließlich waren die Coros y Danzas-Auftritte auch Anlass zu einer Inszenierung der Rückständigkeit der GuineerInnen, welche die Notwendigkeit, sie (noch weiter) zu „zivilisieren“, deutlich machen und gleichzeitig die Fortschrittlichkeit Spaniens betonen sollte. Der ökonomische Aufschwung Spaniens seit den 1950er Jahren basierte zu wesentlichen Teilen auf einer raschen Industrialisierung und der touristischen Öffnung des Landes. Beides war, wie Richards und Morcillo Gómez erläutern, mit immensen sozialen Kosten verbunden. Nur durch die Konsolidierung einer vorrepublikanischen Gesellschaftsstruktur und die Neutralisierung jedes potentiellen Klassenkampfs durch einen integrativen, auf dem enactment von Tradition beruhenden Nationalismus waren sie realisierbar.194 Die Coros y Danzas stellten ein ebensolches enactment dar. Sozialer Frieden wurde im Franco-Staat unter anderem durch eine Wiederherstellung der während Republik und Bürgerkrieg gefährdeten traditionellen Geschlechterordnung gesichert. Labanyi schreibt in diesem Zusammenhang: „Under Francoist dictatorship, men were not, after a period of militarization, returning to civilian life but found themselves denied civic rights and forced into a purely private existence; indeed, one suspects that the regime’s massive reneging on women’s rights was necessary to give men, denied of active civic participation, a sense of continuing privilege.“195 Die Re-Etablierung traditioneller Geschlechterrollen sollte die ökonomische Modernisierung Spaniens auch vorantreiben, indem die Festschreibung der Bestimmung der Frau zur Mutterschaft die Grundlage der franquistischen Pronatalitätspolitik bildete, mit der das Regime glaubte, die Konjunktur ankurbeln zu können. „Women’s bodies became repositories of national reproduction not only figuratively but clearly in biological terms as well. The immediate postwar years’
193 McClintock, Future Heaven, S. 91f. 194 Vgl. Richards, Mike: Terror and Progress. Industrialization, Modernity, and the Making of Francoism, in: Helen Graham/ Jo Labanyi (Hg.): Spanish Cultural Studies. An Introduction, Oxford 1995, S. 173-182, hier S. 175. 195 Labanyi, Internalisations, S. 30.
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demographic policies called for the goal of forty million Spaniards“196, schreibt Morcillo Gómez. Darüber hinaus basierte die touristische Öffnung Spaniens – der wohl wichtigste Motor des desarrollo – auf der Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft, konkreter der Gratisarbeit von Frauen in Hotellerie und Gastronomie und dem Ausverkauf von Frauenkörpern in der Unterhaltungsindustrie und der Prostitution.197 Die Coros y Danzas trugen als Rollenmodelle für eine „typische spanische Frau“, die gefügig und fröhlich war, zu einer fortschrittsfördernden traditionellen Sozialstruktur bei, in der Frauen sich der Mutterschaft und dem fröhlichen Bedienen von Ehemännern oder Touristen widmeten. Die touristische Öffnung des Landes gefährdete gleichzeitig jene traditionelle Geschlechterordnung, auf welcher der wirtschaftliche Aufschwung basierte. In ihrem Verlauf gelangten alternative Weiblichkeitsbilder, wie skandinavische Touristinnen in Bikinis und leicht bekleidete Hollywoodstars, nach Spanien. Diese Frauen nahmen sich im Zuge ihrer neu gewonnen Konsumfreiheiten auch andere Freiheiten – oder die Freiheit, das ‚Falsche‘ auf die falsche Art und Weise zu konsumieren. Ihnen sollte das Bild der „traditionellen spanischen Frau“, wie es die Coros y Danzas-Tänzerinnen exemplarisch vortanzten, entgegengehalten werden. Dazu erneut Morcillo Gómez: „The women’s section tried to maintain the docile Christian mother model that consumerism threatened to topple. The transition to consumerism posed a continuous tension between the centripetal forces of change and the centrifugal pull of the regime’s continuity.“198 Wie bereits ausgeführt (vgl. Kapitel 3.3), erschienen die Tänzerinnen in den Quellen auch neben dem Antimodell der intellektuellen sozialistischen Frau. In Ronda española tritt eine offenbar ebenfalls linksgerichtete Frau auf, die Teil der Gruppe von ExilrepublikanerInnen ist, die plant, die Coros y Danzas-Auftritte zu sabotieren. Sie wird allerdings nicht als Intellektuelle dargestellt, sondern trinkt kokett gekleidet zusammen mit den Männern Whisky und hört Jazzmusik. Die Coros y Danzas tanzten jedoch nicht nur als Rollenmodelle dem Fortschritt entgegen: Die Bilder des Archaischen, die ihre Körper evozierten, sollten die vollzogene Modernisierung Spaniens und seiner Kolonien betonen. Ich orientiere mich bei dieser These an McClintock, die Walter Benjamins Ausführungen zur zeitlichen Paradoxie von Modernität folgendermaßen zusammenfasst: „For Benjamin, a central feature of nineteenth century industrial capitalism was the ‚use of archaic images to identify what was historically new about the nature of
196 Morcillo Gómez, Seduction of Spain, S. 151. 197 Vgl. Rosendorf, Be el Caudillo’s Guest, S. 399. 198 Morcillo Gómez, Seduction of Spain, S. 196.
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commodities.‘ According to Benjamin, the mapping of ‚progress‘ depends on systematically inventing images of archaic time to identify what is historically ‚new‘ about enlightened, national progress.“199 McClintock führt weiter aus, dass die zeitliche Anomalie des Konzeptes Modernität mit der Produktion einer Geschlechterdifferenz einherging. Während Männer Fortschritt und revolutionäre Diskontinuität verkörperten, wurden Frauen als ursprüngliche Körper definiert, deren Natur das Prinzip konservativer Kontinuität eingeschrieben war.200 Es überrascht daher nicht, dass auch im franquistischen Spanien Frauen das Archaische verkörperten und konservierten. Auffällig ist, wie oft Ruíz González die Tänzerinnen an Orten auftreten ließ, die Erfolge seines Projekts der Modernisierung Äquatorialguineas markieren sollten. Die Tänzerinnen logierten im luxuriösen Hotel Monterrey, traten anlässlich der Eröffnung der Brücke Puente del Generalísimo in Sendje auf, besuchten zusammen mit Regierungsabgeordneten die „modellhafte“ Leprösensiedlung in Micomenseng und das neu erbaute Hospital in Bata. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich viele der Orte, welche die Tänzerinnen besuchten, im Kontinentalgebiet Río Muni befanden, das erst während der Regierungszeit von Ruíz González vollständig erschlossen wurde. Samaniego berichtete im Mai 1954 in der spanischen Zeitung Arriba begeistert: „Die Familien der Insel haben untereinander um die Aufmerksamkeit rivalisiert, die sie [den Tänzerinnen] entgegen brachten. Alle wollten sie, dass sie zu ihren Fincas kämen, ihr Leben mit ihnen teilten, wahre Karawanen von Automobilen und ‚Jeeps‘ folgten den Wagen, welche die Regierung den Coros y Danzas zur Verfügung gestellt hat.“201
Die Automobile, mit denen die Tänzerinnen gut sichtbar chauffiert wurden, waren keine normalen Autos, sondern „Jeeps“, von denen es in Äquatorialguinea „Karawanen“ gab. Die Coros y Danzas reisten aber auch in Motorbooten, und am 12. Mai 1957 um zehn Uhr morgens hoben die Mitglieder der Folkloregruppen in Begleitung von Ruíz González in einem Kleinflugzeug zu einem mehrstündigen touristischen Rundflug über der Insel Fernando Póo ab. Die Tänzerinnen tanzten auch in den bedeutendsten Privatunternehmen der Kolonie. Dazu gehör-
199 McClintock, Future Heaven, S. 92. 200 Vgl. ebd., S. 92. 201 „Las familias de la isla han rivalizado en atenciones con ellas. Todas deseaban que asistieran a sus fincas, que compartieran sus vidas; verdaderas caravanas de automóviles y de ,jeeps‘ siguen a los coches que el Gobierno ha puesto a disposición de los Coros y Danzas.“ Samaniego, Miguel Ángel: Coros y Danzas de España en Guinea, Arriba, 26.05.1954. AGA, (03)051.023 LEG 50 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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ten die Finca Tiburón, die Finca Domenech, die Finca Sampaka und die Holzverarbeitungs-Firma Aseni. Der Kontrast archaische Tänzerinnen versus modernisierte Kolonie wurde auch in der Berichterstattung über die Coros y DanzasReisen inszeniert. In einem Ebano-Artikel zu den Coros y Danzas-Aufführungen von 1954 ist zu lesen: „Gestern haben wir die Coros y Danzas tanzen gesehen. Und wir haben sie tanzen gesehen im Innenhof des Gobierno General, das mit seiner neuen Struktur auch ein weiteres Stück des spanischen Südens ist.“202 In Danzas de España en el trópico folgen den Bildern von Coros y Danzas-Auftritten solche, die den Gobernador General bei der Besichtigung der Baustellen des neuen Hospitals, der neuen Kathedrale und des neuen Regierungsgebäudes in Bata zeigen.203 Der Coros y Danzas-Besuch auf der Finca Peritos Agrícolas scheint eine durchorganisierte Marketingveranstaltung gewesen zu sein, dessen Beschreibung sich in Ebano wie ein Text aus einer Werbebroschüre für die Firma liest: „Vormittags um halb zwölf besuchten sie den Servicio de Colonización, wo sie, begleitet vom Herr Ingenieur Alonso, Peritos Agrícolas und den Ehefrauen der Beamten, verschiedene Orte der Farm besuchten, den Erklärungen lauschend, die ihnen der Herr Ingenieur Alonso Peritos und die Peritos Agrícolas, die sie begleiteten, zu den verschiedenen Pflanzen gaben. Nach dem Besuch gingen sie zum Laboratorium des Servicio, wo sich eine kunstvoll angeordnete Ausstellung der Früchte von Guinea befand. Die Mädchen konnten Früchte sehen und probieren, von denen ihnen viele unbekannt waren, und deren Form und Farbe bewundern. Anschließend wurden sie mit einem Glas spanischem Wein bewirtet und
202 „Ayer hemos visto bailar a los Coros y Danzas de España y los hemos visto bailar en el patio del Gobierno General que, con su nueva estructura, es también como otro trozo del sur de España.“ F.A., Ebano? AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23 /27.70428.302 GR7 No1. 203 Wie Tabernero aufzeigt, stellt die Inszenierung von Fortschritt – insbesondere im medizintechnologischen Bereich – auch in in den anderen Hermic-Filmen einen Schwerpunkt dar. Der Umstand, dass der Drehbuchautor und Kommentator Santos Nuñez hauptberuflich Arzt war, dürfte hierbei eine Rolle gespielt haben. Vgl. Tabernero, Representaciones médico-sanitarias, S. 30ff. Zur Darstellung in Spanien erzielter medizintechnologischer Errungenschaften in den No-Do-Dokumentarfilmen siehe: Medina Doménech, Rosa/Menéndez Navarro, Alfredo: Cinematic Representations of Medical Technologies in the Spanish Official Newsreel (1943-1970), in: Public Understanding of Science 14, 4 (2005), S. 393-408. Und: Menéndez Navarro, Alfredo: Una cámera para nuestro amigo el átomo. Representaciones de las tecnologías médicas nucleares en No-Do, in: Quaderns de Cine 4 (2009), S. 47-56.
160 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE nach dem Besuch wurden ihnen zur Erinnerung kunstvolle kleine Pakete überreicht, die Zimt und Vanille, produziert im Servicio, enthielten. [...] Die Mädchen verabschiedeten sich äußerst zufrieden mit dieser Besichtigung vom Chefingenieur, den Beamten und deren Ehefrauen.“204
Im Laboratorium, sprich dem ‚Innovationszentrum‘, einer der wichtigsten Plantagen der Kolonie, bestaunen die Tänzerinnen die Formen und Farben der für sie neuen, neu präparierten Früchte. Ziel dieser Passage war wohl, eine Art „Faszination an der Faszination des Anderen“205 zu erzeugen und die Leserschaft durch die Beschreibung des Staunens der Tänzerinnen dazu zu bringen, ihrerseits das von den Tänzerinnen Bestaunte zu bestaunen; und sei es nur wegen dessen magischer Kraft zu erstaunen. Die lokale Presse führte weiter aus, dass sich die Tänzerinnen auch mit den karitativen Institutionen, die sie besuchten, sehr „zufrieden“ zeigten: „Um zwölf Uhr besuchten sie das Waisenheim Nuestra Señora de la Almudena. Sie wurden von der leitenden Schwester Micaela Elisalde empfangen und vom übrigen Personal der Institution begrüßt. Sie besichtigten die Abteilungen des Gebäudes, die Kapelle, die Speisezimmer, die Schlafräume etc. Sie waren sehr zufrieden mit der Ordnung und der geschmackvollen Einrichtung aller Räumlichkeiten. Zum Schluss wurden sie mit einer Erfrischung und Keksen bewirtet.“206
204 „Por la mañana a las once y media asistieron al Servicio de Colonización donde atendidas por el Ingeniero Sr. Alonso, Peritos Agrícolas y esposas de los funcionarios, recorrieron diversos lugares de la granja escuchando las explicaciones que sobre las diversas plantas que les daba el Ingeniero Sr. Alonso y los Peritos Agrícolas que les acompañaban. Terminada la visita marcharon al laboratorio del Servicio donde se hallaban artísticamente instalada una exposición de frutos de Guinea. Las muchachas pudieron ver y probar frutos muchos de ellos desconocidos por ellas y apreciar sus formas y coloridos. Seguidamente fueron obsequiados por una copa de vino español y terminada la visita se les entregó como recuerdo unos artísticos paquetitos conteniendo canelas y vanilla producida en el Servicio. [...] Las Muchachas se despidieron del Ingeniero Jefe, funcionarios y sus esposas muy complacidas por esta visita.“ F.A.: „La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas en España“, in: Ebano, 09.07.1957. 205 Taussig, Michael: Mimesis und Alterität. Eine eigenwillige Geschichte der Sinne, Hamburg 1997, S. 218. 206 „A las doce visitaron el Orfanato de Nuestra Señora de la Almudena. Fueron recibidos por la Superiora sor Micaela Elisalde y saludados por el resto del personal de la
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Diese Beschreibung erscheint wie eine Reportage einer Betriebsbesichtigung. Es handelte sich dabei um einen Betrieb, der sich durch ein typisches Charakteristikum der Moderne auszeichnet, und zwar durch „Ordnung“. Genau diese habe der guineischen Gesellschaft vor Ankunft der Spanier gefehlt, so der spanische Kolonialdiskurs. Letzterer – und er war darin nicht einzigartig – umschrieb den Kolonialismus als Geschenk, welches die indígenas aus ihrer Rückständigkeit befreie und sie von der Wildnis in die Kultur, von der Urzeit in die Gegenwart führen würde – als ein Projekt des Fortschritts also.207 Es sei hier erneut der Armeegeneral González Conesa zitiert: „Die neue Pámue-Generation, unter dem guten Einfluss der kolonialen Aktion Spaniens, ist eine eindeutige Realität und die beste Waffe, um die Atavismen der schwarzen Rasse zu bekämpfen und zu besiegen.“208 Die erfolgreiche Umsetzung des Fortschrittsprojektes Zivilisierung suchte auch die verhältnismäßig langen Sequenzen des Films Danzas de España en el trópico zu inszenieren, in denen die Schüler der Escuela Superior Indígena beim Basketballspielen und bei der Leichtathletik zu sehen sind. Die Körper der Guineer sind europäisch gekleidet und in einen europäisch bzw. US-amerikanisch konnotierten Bewegungsablauf hineindiszipliniert. Es findet hier eine ähnliche Hervorhebung der spanischen Zivilisierungsleistung über das Vorführen disziplinierter guineischer Körper statt, wie sie Bayre und Valenciano auch im Hermic-Film Misiones de Guinea festgestellt haben.209 Die Coros y Danzas-Marketinghostessen begleiten diese Vorführung mit ihrem Beifall. Interessant ist zudem, dass die Presse die modernen technischen Gerätschaften betonte, welche die Vorführung der archaischen Tanzgruppen optimierten. Es sei an den weiter oben zitierten Artikel erinnert, der die Beleuchtung des Sportstadions, in dem die Coros y Danzas auftraten, erwähnte, und von den Mikrofonen und Lautsprechern berichtete, die dabei zum Einsatz kamen (vgl. 3.1).210 Schließlich soll hier noch Enrich Auliachs Informe de viaje zitiert werden: „In Micomenseng gibt es eine modellhafte Leprösensiedlung, die innerhalb von we-
Institución. Recorrieron los departamentos del edificio, capilla, comedores, dormitorios etc. quedan muy complacidas con el orden y gusto en la instalación de todos los cuartos. A la terminación fueron obsequiadas con unos refrescos y galletas.“ F.A., La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas de España, 10.07.1957. 207 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 94f. 208 „La nueva generación pámue benéficamente influenciada por la acción colonizadora de España es una patente realidad y la mejor arma para luchar y vencer los atavismos de la raza negra.“ González Conesa, De la Guinea continental española, S. 44. 209 Vgl. Bayre/Valenciano, Alteritat Colonial, S. 405ff. 210 Vgl. F.A., Ebano? AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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nigen Jahren 1500 Lepröse geheilt verlassen haben und die momentan 3500 Kranke beherbergt. Dorthin fuhren wir mit unseren Liedern und Tänzen.“211 Es scheint, als wurden den Coros y Danzas-Tänzerinnen während ihres Besuches in der Leprösensiedlung die dort erzielten Erfolge und ihre Fortschrittlichkeit genau erklärt, wohl in der (sich erfüllenden) Hoffnung, dass die Mitglieder der Folkloregruppen und ihre Leiterin diese Erklärungen weiterverbreiten würden. Es stellt sich die Frage, an wen die Inszenierung der Modernisierung Äquatorialguineas durch die archaischen spanischen Tänzerinnen adressiert war. Zum einen sollte sie, wie ich meine, die spanische Öffentlichkeit beeindrucken und KritikerInnen der spanischen Kolonialisierung in der Metropole verstummen lassen. Anderseits sollten die Erfolge spanischer Unternehmer in der Kolonie weitere Investoren anlocken. Schließlich ging es aber auch darum, mit der Fortschrittlichkeit Äquatorialguineas der internationalen Kritik an Spaniens Kolonialpolitik entgegenzutreten. Dies wurde in einer Darstellung intendiert, in der die Kolonialregierung sich gewissermaßen als Entwicklungshelferin porträtierte, die moderne karitative Einrichtungen unterhielt und die Gesundheitsversorgung, Bildung und Mobilität der Kolonialbevölkerung auf fortschrittliche Art und Weise sicherstellte. Die Coros y Danzas tanzten schließlich dem Fortschritt entgegen, indem während ihrer Auftritte die – trotz aller bislang erzielten Fortschritte noch immer vorhandene – „Rückständigkeit“ der Kolonialisierten betont wurde. So wurden in der oben erwähnten Basketball-Szene aus Danzas de España en el trópico die Spieler auch mit den Tänzerinnen verglichen. Sie sollten dabei zwar europäisch, aber nicht so europäisch wie jene erscheinen. Anlässlich der Besuche der spanischen Folkloregruppen traten als „Stammesgruppen“ verkleidete Guineerinnen mit balele-Tanzvorführungen in Micomenseng auf und defilierten in einem Völkerschau-Umzug bei der Ankunft der Tänzerinnen in Santa Isabel. La Guinea Española berichtete: „Während man in der Galerie des Palacio die Anwesenden bewirtete, wurde der Umzug der Guardia Colonial und der Völker [poblados] abgehalten, wobei die nativos mitten auf der Plaza España die Festakte, die sie an den Feiertagen in ihren Dörfern aufführen, nachstellten.“212
211 „En Micomenseng hay una leprosería modelo de la cual en pocos años han salido curados unos 1.500 leprosos, y actualmente tiene 3.500 enfermos. Allí fuimos con nuestros cantos y bailes.“ Ebd. 212 „Mientras en la galería del palacio se obsequiaba a los asistentes, se realizó el desfile de la Guardia Colonial y de los poblados, reproduciendo los nativos en plena Plaza
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In diesem Satz wurden die abgelegenen Dörfer der „Völker“ der urbanen Plaza España und die archaischen Völker den modernen, im Regierungspalast bewirteten SpanierInnen gegenübergestellt. Die anlässlich der Coros y Danzas-Reisen veranstalteten Vorführungen von GuineerInnen in ethnographischen Spektakeln fanden im größeren Kontext der Erfindung guineischer Tradition statt. Diese war Teil der Organisation des kolonialen Administrationssystems der „indirekten Herrschaft“. Die „indirekte Herrschaft“ sollte eine effiziente, fortschrittliche Administration und ökonomische Ausbeutung von Land und Leuten sichern. Die Auftritte von balele-Gruppen während des Coros y Danzas-Besuches waren ein enactment von angeblich guineischen Traditionen, den sog. „costumbres“, gemäß dener die jefes de tribu die Bevölkerung zu verwalten hatten. Dieses enactment diente zunächst der Konsolidierung der „indirekten Herrschaft“ in Äquatorialguinea, indem es die Position der jefes de tribu symbolisch legitimierte. Die Berichterstattung zu den Spektakeln sollte zum einen spanischen BeobachterInnen die Fortschrittlichkeit der Kolonialadministration anpreisen. Gleichzeitig sollte die Wildheit der Kolonialisierten in der Darstellung dieser encactments die spanische Öffentlichkeit davon überzeugen, dass, obschon die Zivilisierungsarbeit in der Kolonie bereits viele Fortschritte erzielt habe, noch immer viel Arbeit bzw. Kapital benötigt würde, um sie zu vollenden. Im gemeinsamen Auftritt von Fandango- und balele-Tänzerinnen in Micomenseng verstärkten die Coros y DanzasTänzerinnen – bekleideter, weißer und damit fortschrittlicher als die Guineerinnen – deren Archaisierung. Gleichzeitig modernisierten die balele-Tänzerinnen im Umkehrprozess die Coros y Danzas-Tänzerinnen und mit diesen das repräsentierte Spanien. Denn selbst das Archaische von Spanien war noch moderner als das Guineische. Einen vergleichbaren Effekt macht Martin-Márquez in den Marokko-Fotografien von Ortiz Echagüe aus: „Spain’s precarious position vis-à-vis modernity might appear strengthened through comparison with Morocco: that is, the only way to figure Spain as modern is by figuring the protectorate as even less so. [...] For example, the brilliant photographer and military aviator José Ortiz Echagüe [...] also ,shot‘ Moroccans of both sexes and all ages with his camera, highlighting the persistence of traditional ways of life.“213 Besonders interessant ist auch die Inszenierung der Ankunft der Coros y Danzas auf dem Motorboot Domine in Danzas de España en el trópico. Die Kamera wechselt von kleinen guineischen Ruderbooten zum großen Schiff der Folkloregruppen und den darauf winkenden Tänzerinnen zurück zu einer Nahaufnahme der Ru-
España las escenas festivas que ejecutan en sus poblados en los días de regocijo popular.“ Gómez, Perfíl colonial, S. 173. 213 Martin-Márquez, Disorientations, S. 237f.
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derboote, auf denen guineische Ruderer mühsam gegen die Wellen ankämpfen. Die Fortschrittlichkeit der Domine wird betont durch die Archaik der Tänzerinnen und durch die Rückständigkeit der Ruderboote. Gleichzeitig sind hier die archaischsten Vertreterinnen Spaniens fortschrittlicher und zivilisierter als die Kolonialisierten, weil sie nicht nur bekleideter sind, sondern auch mit dem Domine reisen. In einer weiteren Weise sollte das Auftreten der Coros y Danzas-Tänzerinnen als Anderes des Modernen in seiner außenpolitischen Wirkung fortschrittsfördernd sein. Es sollte die Bereitschaft der AmerikanerInnen erhöhen, den Pacto de Madrid und damit die Unterstützung Spaniens mit staatlichen ‚Entwicklungsgeldern‘ zu goutieren, indem das Archaisch-Sein der Tänzerinnen die Entwicklungsbedürftigkeit Spaniens demonstrierte. Ferner lockte das Versprechen, in Spanien dem Archaisch-„Primitiven“ zu begegnen, mit der geographischen Reise mithin eine Zeitreise zu machen, Touristen und mit ihnen Gelder, die den ökonomischen Fortschritt vorantrieben, ins Land. Es war also gerade das ArchaischSein der Tänzerinnen, das die Coros y Danzas-Auftritte zu potentiell erfolgreicher Tourismuspromotion machte.
K RIEGSMASCHINE „Und es erschien in der Bucht von Santa Isabel das Schiff aus Spanien, eskortiert von einer riesigen Ansammlung con cayucos, besetzt mit indígenas, welche die spanische Flagge und Plakate schwingend eine Ehrengarde für die elegante, weiße Figur des Domine bildeten, die sich majestätisch durch die stillen Gewässer der Bucht voranbewegte. Mich befiel in jenem Moment der Gedanke, dass Schiffe eine Seele haben, dass sie leiden und dass sie in diesem Moment an unserer Freude teilhatten. Zu den nativos unserer Kolonie gesellten sich diejenigen der angrenzenden Gebiete, verbrüdert miteinander in der Huldigung Spaniens. Das Spektakel war wundervoll. Es erklang die Nationalhymne, gespielt von der virtuosen Kappelle der Guardia Colonial. Die Schiffe, die sich in der Bucht befanden, ließen ihre Sirenen aufheulen und der Kreuzer ‚Cánovas del Castillo‘ feuerte Ehrensalven ab.“214
214 „Y apareció en la bahía de Santa Isabel el barco de España, escortado por una magna concentración de cayucos, tripulados por indígenas, que enarbolando banderas españolas y pancartas prestaban guardia de honor a la esbelta y blanca figura del ,Domine‘, que avanzaba señorial por las serenas aguas de la bahía. Me asaltó en ese momento el pensamiento de que los barcos tienen una alma; que sienten, que sufren, que, en esta ocasión, participaban de nuestro gozo. A los nativos de nuestra colonia se sumaban
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So beschrieb Miguel Ángel Samaniego die Ankunft der Coros y Danzas in Santa Isabel im April 1954. In der zitierten und in vielen anderen Textpassagen, in Bildern und während ihrer Auftritte, wurden die Folkloregruppen zu einer Kriegsmaschine. Die Tänzerinnen repräsentierten einen Staat, der über sie seine Macht und seine Gewaltbereitschaft inszenierte, mit dem Ziel potentielle WidersacherInnen in seinem Inneren einzuschüchtern. Wie in Samaniegos Artikel sind die Coros y Danzas auch in Danzas de España en el trópico vom ersten Moment ihres Äquatorialguineaauftritts an umgeben von Waffen und Soldaten. Die ersten Töne im Film sind die auch bei Samaniego erwähnten Nebelhörner anderer Schiffe bzw. deren Rekonstruktion. Bereits im vorangegangenen Kapitel habe ich beschrieben, wie in dieser Eingangssequenz von Danzas de España en el trópico guineische Ruderbote mit der „majestätischen Figur des Domine“ verglichen werden. Die Szene stellt die spanischen BesucherInnen allerdings nicht nur einfach als fortschrittlicher, sondern auch als stärker und mächtiger als die Kolonisierten dar. Die Filmaufnahmen lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass die guineischen Ruderer aufpassen mussten, nicht vom Domine überrollt zu werden. Die nächste Einstellung wiederum zeigt drei andere große Schiffe, eines davon möglicherweise der Canovas del Castillo. Darauf folgt eine Sequenz, in der Ruíz González vor den Truppen der Guardia Colonial defiliert, wobei zwei Schüsse abgegeben werden – sichtbar sind zwei kleine Rauchwolken. Interessant ist das Zusammenspiel von den Schüssen und dem voice-over Kommentar: „Seine Exzellenz, der Gobernador General unserer Besitztümer im äquatorialen Afrika [1. Schuss] nimmt unmittelbar nach seiner Ankunft eine Parade der Kolonialtruppen ab. Er kommt aus Spanien und bringt eine fröhliche und äußerst anmutige Gesandtschaft mit sich. [2. Schuss. Übergang zur nächsten Einblendung] Die Mädchen der Coros y Danzas der Sección Femenina de la Falange betreten zum ersten Mal dieses liebenswerte Land, so weit entfernt von Mutter Heimat.“215
los de zonas fronterizas, hermanados unos y otros en el homenaje a España. El espectáculo era maravilloso. Sonó el Himno Nacional, interpretado por la vistosa banda de música de la Guardia Colonial. Los barcos surtos en la bahía hicieron sonar sus sirenas, y el cañonero ,Cánovas del Castillo‘ disparaba las salvas de ordenanza.“ Samaniego, Miguel Ángel: Coros y Danzas de España en Guinea, Arriba, 26.05.1954. AGA, (03)051.023 LEG 50 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 215 „Su Excelencia el Gobernador General de nuestras posesiones en la África Ecuatorial pasa revista a las tropas coloniales momentos después de desembarcar. Viene de España y trae una alegre y gentilísima embajada. Las muchachas de Coros y Danzas
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Tänzerinnen, Gewehre und Soldaten werden im Hermic-Film nebeneinandergestellt, in Relation zueinander inszeniert, miteinander zu einer einzigen Kriegsmaschine verschmelzend. Die Schüsse wirken hier wie Titel, Teil der Namen sowohl des Gobernador General als auch der Tänzerinnen. Eine andere Szene zeigt, von oben herab gefilmt, wie die Coros y Danzas-Gruppen und die Truppen der Guardia Colonial, einen zweigeteilten Block formierend, gemeinsam auf den oder die BetrachterIn zumarschieren. Ziel des Marsches der Tänzerinnen war, wie La Guinea Española berichtete, der Palacio del Gobierno, wo die Tänzerinnen auf Ruíz González trafen und in einer Rede, die dieser für das lokale Radio hielt, erneut mit Soldaten verschmolzen, namentlich mit denjenigen der spanischen Flotte: „An alle Bewohner der Kolonie [...]. Bei dieser Gelegenheit hat meine Ankunft die fröhliche und äußerst angenehme Besonderheit, dass sie in Begleitung der Mitglieder der Coros y Danzas der Sección Femenina der Falange aus Cádiz und Murcia vonstatten geht [...]. Aber es gibt noch etwas: In diesem Augenblick segeln der Kreuzer ‚Canarias‘ und vier UBoote mit Kurs auf Santa Isabel. Ihre Mannschaft besteht aus etwa 1500 Männern und sie werden neben Santa Isabel auch Bata, Puerto Iradier und Annabón besuchen. Schon seit langem wünscht sich die Generalregierung, dass die Kolonie von irgendeinem Kreuzer unserer Flotte besucht werde, und daher ist sie überaus zufrieden, dass ihre Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern gar übertroffen worden sind [...].“216
Die Kriegsmaschine, welche die Coros y Danzas gemeinsam mit den Soldaten der Guardia Colonial und insbesondere mit denjenigen der spanischen Flotte formierten, war ein Instrument der Einschüchterung, eine Warnung, adressiert an all jene in Äquatorialguinea lebenden Menschen, die an Widerstand dachten. Die Regierung hatte sich schon seit längerem ein solches Instrument der Einschüchterung gewünscht, weil die verschiedenen Widerstandsbewegungen der Kolonia-
de la Sección Femenina de la Falange ponen pie por primera vez en estas entrañables tierras tan alejadas de la madre patria.“ Danzas de España en el trópico. 216 „A todos los habitantes de la Colonia. […] En esta ocasión, tiene mi llegada la alegre y simpática particularidad de llevarse a cabo acompañado del personal que integra los Coros y Danzas de la Sección Femenina de Falange de Cádiz y Murcia, […]. Pero hay algo más; en estos momentos navegan rumbo a Santa Isabel el crucero ,Canarias‘ y cuatro submarinos. Componen sus dotaciones unos 1500 hombres y visitarán además de Santa Isabel, Bata, Puerto Iradier y Annobón. Hace tiempo que este Gobierno General deseaba fuese visitada la Colonia por algún crucero de nuestra Flota y por eso le satisface plenamente que sus aspiraciones no solo hayan sido atendidas sino superadas […].“ Gómez, Perfíl colonial, S. 174.
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lisierten in den 1950er Jahren gewachsen waren. Ruíz González richtete sich mit seiner Rede „an alle [Hervorhebung C.St.] Bewohner“ der Kolonie, und zwar per Radio, dem Massenmedium, das eine maximale Verbreitung seiner Botschaft ermöglichte. Indem er erklärte, dass Spaniens militärische Stärke selbst seine eigenen Erwartungen übertroffen habe, gab er potentiell Widerständigen zu verstehen, dass diese Stärke auch ihre Erwartungen übertreffen würde. Die Vereinigung der Coros y Danzas mit der spanischen Flotte wurde nicht nur massenmedial, sondern auch live vorangetrieben. Laut Angaben von Enrich Auliach tanzten die Coros y Danzas zwei Mal auf dem Kreuzer Canarias, und die am 28. April 1954 in Santa Isabels Stadion stattgefundene lange Vorstellung richtete sich an „Mitglieder der Flotte, indígenas und Europäer.“217 Die Präsenz der Soldaten während dieser Show war, so meine These, Teil der performance und sollte das anwesende Publikum einschüchtern. Als die Coros y Danzas in Ruíz González’ oben zitierter Radio-Ansprache mit der Flotte verschmolzen, vereinten sie sich auch mit deren Geschichte: „Diese außergewöhnliche Gesandtschaft, die die Heimat uns sendet und in der die Jugend, die Schönheit und die Stärke Spaniens so würdig vertreten sind, war von euch mit überschäumender Ungeduld erwartet worden, mit patriotischer Sehnsucht und Inbrunst, die sich gestern in Santa Isabel beim Empfang für die Coros y Danzas entluden und die sich, ich bin mir sicher, erneut überall in der Kolonie zeigen werden, so immer sie auch auftreten werden, wie gestern bei der Ankunft unserer Schiffe, angeführt vom Kreuzer Canarias, dem Schiff, das während unseres Befreiungskriegs ständig auf See, mit dieser unheimlichen Wendigkeit, die kriegerischen Missionen eigen ist, mehr Meilen zurücklegte als sechs Umsegelungen der Welt es gewesen wären, hunderte Schiffe kaperte und die rote Flotte auf dem Meer in die Flucht schlug, nachdem es einige ihrer Einheiten versenkt hatte.218
217 „miembros de la flota, indígenas y europeos.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 218 „Esta embajada extraordinaria que la Patria nos envía y en la que la juventud, la belleza y la fuerza de España están tan dignamente representadas, era esperada por vosotros con impaciencia desbordante, con anhelo y afán patrióticos, que se han manifestado ayer en Santa Isabel en el recibimiento tributado a los Coros y Danzas y que, estoy seguro, se volverá a manifestar en cuantos lugares de la Colonia se presenten, así como a la llegada de nuestros barcos capitaneados por el crucero Canarias, el buque que durante nuestra Guerra de Liberación, constantemente en la mar, navegando con esa inquietante movilidad propia de las misiones guerreras que le fueron encomendadas recorrió un numero de millas superior a al que supone dar seis veces la vuelta al mundo,
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In diesem Abschnitt seiner Rede drohte der Gobernador General nicht nur mit der schieren Größe seines Heeres, sondern auch mit der Beweglichkeit und Agilität der Flotte und mit ihrer ‚Erfahrung‘ im Kampf gegen Widerständige. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die potentiellen Widerständigen, die Ruíz González in diesem Teil seiner Radioansprache mit Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg einzuschüchtern suchte, nicht nur Angehörige der guineischen Bevölkerung, sondern auch spanische SiedlerInnen zweifelhafter politischer Loyalität waren. Der in Äquatorialguinea geschehenen Verschmelzung von Coros y Danzas und Bürgerkriegssoldaten waren solche in Bailando hasta la Cruz del Sur vorausgegangen. Die Ankunft einer Folkloregruppe in der argentinischen Stadt Córdoba im Jahr 1948 beschrieb der Autor mit folgenden Worten: „[...] vier einfache Busse erweckten den Eindruck, als ob die ganze Stadt voll mit den unverkennbaren Trachten sei. Den Spanientreuen erklärte ich, dass es der General Queipo ganz ähnlich mit Sevilla gemacht habe.“219 García Serrano bezog sich hier auf die Einnahme der andalusischen Stadt während der ersten Tage des Bürgerkriegs durch eine nur 200 Mann umfassende Truppe. Er schrieb weiter: „Es scheint mir – und ich bin sicher, dass alle, die in Bilbao warten, dasselbe denken –, dass ihr eure Trachten nicht mehr herrichten solltet als die Männer der Brigaden von Navarra, die unter den Flaggen von Kastilien Kämpfenden, die galizischen ‚mariscos‘ oder jede andere Einheit während unseres Krieges ihre Uniformen hätte herrichten können, kurz bevor sie offiziell in eine befreite Stadt einmarschierten. Schließlich habt ihr als spanische Truppe gekämpft und schließlich habt auch ihr neben fulminantem Applaus in dem einen oder anderen unglücklichen Ort die Gefahr und die Beleidigung kennengelernt. Ihr sollt heimkehren, wie es sich gebührt. Als spanische Landsleute, die nach einer glücklichen Schlacht in die Heimat zurückkehren. Mein Direktor pflegt zu sagen, dass die beiden großen Unterfangen Spaniens in der Welt, die beiden großartigen Exporte nach dem Sieg, falangistisch sind und heißen: División Azul und Coros y Danzas de la S.F. Habt ihr noch nicht gemerkt, dass eure Trachten Uniformen sind?“220
apresando cientos de buques y ahuyentando de la mar a la flota roja, después de hundir algunas de sus unidades.“ Gómez, Perfíl colonial, S. 174. 219 „[…] cuatro simples autobuses daban la impresión de que toda la ciudad estaba llena de trajes típicos. A los leales de España les explicaba yo que de un modo muy parecido lo hizo el General Queipo con Sevilla.“ García Serrano, Bailando, S. 122. 220 „Me parece a mí – y creo que en Bilbao pensarán lo mismo todos cuantos esperen – que no debéis arreglar los trajes más de lo que pudieran haberse arreglado sus uniformes los tíos de las brigadas de Navarra, o de las banderas de castilla, o los ,mariscos‘
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Die Berichterstattung über die Coros y Danzas rückte die Tänzerinnen auch immer wieder in die Nähe anderer berühmter spanischer Krieger: „Entzückt vom Wirbel ihrer Bewegungen und von den aufrichtigen Gefühlen der jungen Frauen begriffen wir, dass Spanien mit ein paar Mädchen eine reconquista Amerikas begonnen hat, die so wahrhaftig ist wie die conquista der Männer zu Zeiten des Imperiums“221,
hieß es 1951 in der Zeitung Pueblo. Die Assoziierung der Tänzerinnen mit den conquistadores, den Eroberern Lateinamerikas, ist in der Berichterstattung über die Coros y Danzas noch häufiger anzutreffen als diejenige mit den Bürgerkriegssoldaten. Sie scheint insbesondere während der großen LateinamerikaTourneen der Tänzerinnen derart omnipräsent gewesen zu sein, dass sich die Tänzerinnen diesen Vergleich offenbar aneigneten – zumindest, wenn man den Worten, mit denen sie in Zeitungsinterviews zitiert wurden, glauben will: „Spanien muss nach Amerika gehen. Das haben sie uns überall gesagt. In Lima versicherten sie uns, dass die zweite conquista wir durchgeführt hätten“222, erklärte die Tänzerin Josefina Martín Blásquez in der Zeitung Hierro. In beiden zuletzt zitierten Quellenstellen wurden die Tänzerinnen nicht mehr nur mit Kriegern verglichen, sondern als Kriegerinnen benannt. Andere Quellenstellen bezeichnen die
gallegos, o los de cualquier unidad de nuestra guerra, un poco antes de su acceso oficial a una ciudad rescatada. Al fin y al cabo, como tropa de España habéis luchado, y, al fin y al cabo, también vosotras, junto a la magnificencia de los aplausos, conocísteis en algún desventurado lugar el peligro y la ofensa. Debéis tornar como es de mérito. Como española gente que vuelve a la Patria tras una feliz campaña. Mi director suele decir que las dos empresas de España en el mundo, sus dos grandiosas salidas después de la Victoria, son falangistas y se llaman: División Azul y Coros y Danzas de la S.F. ¿No os dais cuenta de que vuestros trajes son uniformes?“ Ebd., S. 505. 221 „Y nosotros, arrebatados en el torbellino de sus movimientos y el sentimiento sincero de las chicas, comprendemos que España está haciendo su reconquista de América por medio de unas niñas, tan auténticamente como fue aquella conquista de hombres, de edad del Imperio.“ F.A., Pueblo, 10.05.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 222 „Josefina Martín Blázquez del grupo de Murcia: España necesita ir a América. Eso nos dijeron en todos los sitios. En Lima nos aseguraban que la segunda conquista la habíamos realizado nosotras.“ F.A., Hierro, 09.03.1950. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Coros y Danzas auch ohne einen historischen Bezug als „Truppe“ oder „guerrilla danzante“.223 Die Auftritte der Folkloregruppen aus Murcia und Cádiz in Äquatorialguinea waren nicht der erste Moment, in dem Coros y Danzas-Formationen auch live zu Kriegsmaschinen wurden. Während sie in Äquatorialguinea zusammen mit Soldaten auftraten, tanzten sie anderorts als Soldaten. In einer undatierten Broschüre wird der kantabrische Tanz baila de Ibio folgendermaßen beschrieben: „Die Kriegstänze, wie der baila de Ibio, stellen ein beeindruckend primitives Spektakel dar. Nicht zu dulzaina, pito, chirmía oder der gaita wird getanzt, sondern zum monorhythmischen und monotonen Klang einer Meeresschnecke oder eines großen Muschelhorns, dem ältesten Musikinstrument der Erde, das wohl die prähistorischen Stämme Santanders gebrauchten, um von Altamira herab Gefahr zu signalisieren oder eine Schlacht oder Jagd anzukündigen.“
224
Laut Gomarín Guirado soll der baila de Ibio „ursprünglich“ ein „exklusiv männlicher“ Lanzentanz gewesen sein, der zu Frühlingsbeginn oder als Totentanz aufgeführt wurde. Anfang der 1930er Jahre erfand die sozialistische Frauenrechtlerin Matilde de la Torre ihn als „traditionellen Kriegstanz“ mit einem entsprechenden Narrativ und einem Muschelhorn und ließ ihn durch Frauen aus den von ihr gegründeten Voces de Cantabria aufführen. Im Zuge der Feminisierung des Tanzes ersetzte de la Torre die laut Gomarín einst zum Tanz gehörenden Lanzen durch Blumenbögen. Die Sección Femenina übernahm de la Torres Traditionserfindung, ohne jedoch die Lanzen durch Blumenbögen zu ersetzen.225 Der baila de Ibio wird auch in Ronda española getanzt. Es ertönt das Muschelhorn, und auf einem weiten Feld unter freiem Himmel setzen sich die Tänzerinnen mit ihren Lanzenstäben und feierlich entschlossener Mimik in Bewegung. Ihr Tanz wird immer wieder überblendet von einer Sequenz, in der ein Ritter in voller Rüs-
223 AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 224 „Las danzas guerreras como la baila de Ibio constituyen un espectáculo primitivo impresionante. En lugar de dulzaina, pito, chirimía o gaita, bailan al son monorrítmico y monódico de una caracola o gran bígaro, el instrumento musical más antiguo de la tierra, el que debieron utilizar para dar la señal de peligro, combate o cacería desde la Altamira las tribus prehistóricas de Santander.“ Sección Femenina (Hg.): Breves notas sobre algunas de las danzas populares españoles, o.O. o.J. 225 Vgl. Gomarín Guirado, Fernando: La ,Danza de las Lanzas‘ y su transformación a partir de Matilde de la Torre, in: Revista de Folklore 65 (1986), S. 167-172, hier S. 167ff.
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tung zu Trompetenfanfaren hoch zu Pferd einhergallopiert. Triana beschreibt die Sequenz folgendermaßen: „[…] a series of dissolves representing medieval knights at war and used as background to one of the Santander dances which is shot as a documentary sequence, raises the repressed memory of the violence of the Civil War [...].“226 Amador Carretero erkennt in den Kriegern, mit denen die Tänzerinnen in der Szene zu einer Kriegsmaschine verschmelzen, nicht irgendwelche mittelalterliche Ritter, sondern conquistadores.227 Dieser Szene geht eine andere voraus, in der zunächst nur eine Landkarte Nord- und Lateinamerikas zu sehen ist. Langsam füllt sich das Bild, zuerst mit Schatten und dann mit der dazugehörenden Formation von Tänzerinnen in verschiedenen regionalen Trachten, die nicht nach Regionen geordnet, sondern miteinander vermischt eine nationale Einheit bildend von Norden nach Süden über die Karte hüpfen, bis diese unter ihren Füßen vollkommen verschwindet. Vor dem Hintergrund der brutalen Repression, die der Franco-Staat insbesondere in den Kolonien praktizierte, um Widerstand im Keim zu ersticken, kann davon ausgegangen werden, dass diese Bilder eine einschüchternde Wirkung nicht gänzlich verfehlten. Gleichzeitig waren die Schilderungen der Folkloregruppen als triumphierende Truppen Fetisch-Spektakel in Papier- oder Filmform, die in den LeserInnen und ZuschauerInnen ihre Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien verstärken sollten. Die in diesem dritten Teil meiner Arbeit angestellten Überlegungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Auch wenn die Coros y Danzas auf ihren Reisen versuchen mussten, so unpolitisch wie möglich zu erscheinen, wurde auch in der Berichterstattung zu ihrer Show nicht verschwiegen, dass die Folkloregruppen in einer politischen Mission unterwegs waren. Manche Aspekte ihrer Mission, wie diejenige, DiplomatInnen eines freundlichen Staates zu sein, wurden in den Dokumenten häufig und in klaren Worten als politische Aufgaben der Tänzerinnen benannt. Andere erschienen weniger explizit, waren aber wohl mindestens ebenso bedeutsam. Ich habe in diesem Kapitel versucht, in tieferen und oberflächlicheren Grabungen Hinweise auf die genaue Beschaffenheit der Mission der Tänzerinnen freizulegen und zu ordnen. Ich habe dabei argumentiert, dass die Folkloregruppen erstens einen Beitrag zur Regierung der Bevölkerung in Spanien und in den Kolonien leisten sollten, indem sie zu deren Hispanisierung, Einschüchterung und ‚Befriedung‘ beitrugen. Außerdem tanzten sie dem Fortschritt entgegen, indem sie als archaisches Anderes Neuerungen betonten und gleichzeitig Gegen-
226 Triana, Spanish National Cinema, S. 62. 227 Vgl. Amador Carretero, La mujer es el mensaje, S. 115.
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bilder zu diesen darstellten. Dies war zusammen mit der Repräsentation einer wohlwollenden Kolonialmacht ebenso außen- wie innenpolitisches Ziel der Auftritte der Folkloregruppen. In Kapitel 5 werde ich aufzeigen, dass sich in den Quellen auch Hinweise darauf finden lassen, dass die Tänzerinnen mit ihrer Mission nicht immer erfolgreich waren und dass dieser Mission ein großes Potential zu scheitern inhärent war. Zunächst aber werde ich näher auf die Eigenschaften eingehen, welche die Tänzerinnen zur Darstellung zu bringen hatten, um ein Gelingen ihrer Mission zu ermöglichen.
Die Tänzerinnen
Diverse Machttechnologien statteten auf verschiedenen materiellen und semiotischen Ebenen die nach bestimmten Kriterien für Auslandsreisen ausgewählten Coros y Danzas-Mitglieder mit Eigenschaften aus, die ihrer politischen Mission förderlich sein sollten. Diäten, Korsette, Kosmetik und Gymnastikübungen modellierten die äußere Form, die Haltung und die Bewegungen der Tänzerinnen. Und zwar sowohl dann, wenn sie mit der Sección Femenina unterwegs waren, als auch in ihrem Alltag; wenn sie von Lehrerinnen oder Eltern überwacht wurden ebenso wie dann, wenn sie sich selbst überwachten. Im Tanztraining sollten sie durch das Einüben der Tanzschritte zu „gelehrigen“, „analysierbaren“ und „manipulierbaren“ Körpern werden.1 Sie waren somit gleichzeitig Objekte und Effekte einer Disziplin, die ich als produktive Machttechnologie begreife. In einem Interview informierte der Kapitän eines der Schiffe, auf denen die Coros y Danzas reisten: „[...] ich werde ihnen ein Geheimnis, das ich bewahrt habe, verraten, ich hoffe sie [die Tänzerinnen] werden es mir verzeihen. – Kommen sie, das Geheimnis – Alle haben zwischen sechs und neun Kilogramm zugenommen – Fantastisch!“2 Die Stelle belegt die „peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten“3, der die Tänzerinnen unterworfen waren. Weitere Hinweise darauf liefern die Formulare zur Registrierung der Mitglieder der einzelnen Folkloregruppen, auf denen Angaben zu machen waren über verschiedene in der Sección Femenina absolvierte Kurse und erworbene Auszeichnungen, aber auch über „Dienstbereitschaft“, „soziales Umfeld, in dem sie lebt“, „Benehmen in der Sec-
1
Foucault, Überwachen und Strafen, S. 175.
2
„[…] le voy a descubrir un secreto que guardaba y que espero que lo perdonarán ellas. – Venga el secreto – Que todas han engordado entre seis y nueve kilogramos – ¡Estupendo!“ F.A., La Gaceta del Norte, 09.03.1950. AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
3
Foucault, Überwachen und Strafen, S. 175.
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ción Femenina“ und „Beruf des Vaters“.4 Für die Teilnehmerinnen einer Expedition nach Amélie les Bains vom September 1955 wurde ein weiteres Formular zu ihrer „Historia Clínica“ ausgefüllt. Darauf vermerkt sind „Gewicht“, „Größe“, „Konstitution“, „Ernährungszustand“, „Frühere Krankheiten“, „Impfdaten“ sowie „Herzfunktionstest nach ... Liegestützen“. Weiter unten ist in einer Fußnote vermerkt: „normale Kameradinnen sollen 20 Liegestützen machen. Schwache Kameradinnen sollen 10 Liegestützen machen.“5 Zudem sind verschiedene Organe aufgelistet, wie „Haut“, „Augen“ und „Mund“, über deren Beschaffenheit oder Zustand Angaben zu machen waren. „Normal“6 ist die vorherrschende Bezeichnung, mit der die einzelnen Felder auf den Formularen ausgefüllt wurden. Genauso wie die Formulare, mit denen die Sección Femenina-Beamtinnen nach ihrer Feldarbeit die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ ordneten (vgl. Kapitel 3.1), betrachte ich diese Registrierungskarten als disziplinartechnische Tableaus, die eine „zellenförmige“ Machtausübung vorbereiteten, das heißt einen durch kleinste Elemente präzise kontrollierenden und regulierenden Zugriff auf die verschiedensten Aspekte des Lebens. Während des Tanztrainings, der sonstigen Schulung durch die Sección Femenina, aber auch in ihrem Alltag außerhalb der Organisation wurden den Tänzerinnen bestimmte Subjektpositionen zugewiesen, indem sie als ganz bestimmte Subjekte, namentlich als Frauen, als Spanierinnen, als Katholikinnen oder als Europäerinnen angerufen wurden. Weiter wurden um sie herum kontinuierlich diejenigen Normen zitiert, die sie sich als Spanierinnen und als Frauen anzueignen hatten und rezitieren sollten, indem sie bestimmte Dinge taten und fühlten. Auf ihren Reisen sollten die Coros y Danzas-Mitglieder solche normativen Verhaltensweisen und eine Reihe weiterer politisch nützlicher Eigenschaften auch vor Publikum, auf und neben der Bühne aufführen, indem sie ihre Körper in einer ganz bestimmten Art und Weise bewegten und ganz bestimmte Aussagen machten. Ihre performance war mitbestimmt durch die räumlichen Verhältnisse, in denen sie stattfand und durch die Interaktion mit anderen Körpern (menschlichen und nicht-menschlichen). Der größte Teil des Coros y Danzas-Publikums hatte genauso wenig wie ich Zugang zu live-Auftritten der Tänzerinnen und begegnete ihnen in Bildern und Texten. Fotografien und Filme versahen die Tänzerinnen mit politisch nützlichen Eigenschaften, indem sie sie in gewissen Posen, aus bestimm-
4
„Estilo“, „Espiritu de servicio“, „Ambiente social en que vive“, „Profesión del padre“, „Convivencia con la S.F.“ Sección Femenina, Normas, S. 286.
5
„Las camaradas normales harán 20 flexiones. Las camaradas débiles harán 10 flexio-
6
„normal“. Ebd.
nes.“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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ten Perspektiven, in Verwendung spezifischer Schnitt- und Beleuchtungstechniken in einer ganz bestimmten Umgebung abbildeten. Schließlich nahmen die Körper der Tänzerinnen auch in Presseartikeln, Programmbroschüren oder in Rafael García Serranos Bailando Hasta la Cruz del Sur Gestalt an, indem ihnen gewisse Charakteristika zugeschrieben wurden. Einige dieser Charakteristika sollen im Folgenden untersucht werden.
E INHEITLICH
UND KOORDINIERT
Auf vielen Fotografien, in den No-Do-Dokumentarfilmen und insbesondere in Ronda española, bewegen sich die Mitglieder der einzelnen Coros y DanzasGruppen und die einzelnen Gruppen innerhalb größerer Coros y Danzas-Delegationen in perfekt abgestimmter Koordination. Auch die Presse attestierte ihnen, „exakt in den Formationen“7 gewesen zu sein. Sie waren geordnete, produktive Organismen, zusammengesetzt aus optimal interagierenden Elementen. Sie glichen „Tanzmaschinen“, um einen Ausdruck zu gebrauchen, mit dem in den 1920er Jahren Revuetanzformationen wie die Tillergirls beschrieben wurden, die ihren Kommentatoren in ihrer Funktionstüchtigkeit die Ideale des Scientific Management zu verkrörpern schienen.8 Die Koordination und Funktionstüchtigkeit der Coros y Danzas-Gruppen war eine Bedingung dafür, dass sie als Kriegsmaschinen ihre einschüchternde Wirkung entfalten konnten. Gleichzeitig handelte es sich dabei um Eigenschaften, die sie modellhaft vortanzten: Die Mehrzahl der Coros y Danzas-ZuschauerInnen hatte sich in ihrem Alltag in koordinierte, funktionstüchtige, produktive Organisationsstrukturen zu integrieren bzw. solche zu bilden. Zu ihnen gehörten ArbeiterInnen in spanischen Fabriken und auf guineischen Plantagen, Familienmitglieder oder Schulkinder. Die Basis der Koordiniertheit und Funktionstüchtigkeit der Tänzerinnen sollte ihre Einheit sein. Diese Einheit wurde als beispielhafte Vereinigung von Siegern und Besiegten des Spanischen Bürgerkriegs im Franco-Staat präsentiert: „Dies ist eure grundsätzliche Aufgabe: Die Physiognomie der spanischen Völker moralisch und materiell zu verändern. Jenen Groll beizulegen, der zwischen einigen Familien schwelt
7
„[...] exactas en las formaciones [...].“ F.A., La gracia de España conquista America, La Mañana, 29.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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McCarren, Felicia: Dancing Machines. Choreographies of the Age of Mechanical Reproduction, Stanford 2003, S. 144.
176 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE und der Generationen überdauert hat; die Alten mochten sich für die ein oder andere Partei bekämpfen, aber ihr habt damit nichts mehr zu tun; ihr seid nichts weiter als Falangistinnen, einander Kameradinnen, die geschworen haben, in heiliger Schwesternschaft mit allen der Falange zu leben.“9
So hieß es in einem 1941 von der Sección Femenina vertriebenen Kalender. Oberhalb des Textes ist eine Fotografie von drei lächelnden Coros y Danzas-Tänzerinnen abgedruckt. Die Folkloregruppen sollten eine „wiedervereinte“ Nation repräsentieren, in der Sieger und Besiegte des Bürgerkriegs Arm in Arm tanzten. Teil dieser Inszenierung war auch die Geschichte Victorias, die der Film Ronda española erzählt: Als es der Tänzerin während einer Coros y Danzas-Reise gelingt, in Panama ihren exilierten Bruder Pablo aufzuspüren, kommt es zu folgendem Dialog zwischen diesem und Victorias Freundin Ángeles: A: Würde dir etwas passieren, wenn du nach Spanien zurück kämst? P: Was meinst du? A: Ob du erwartest, verhaftet zu werden? P: Ich war ein einfacher Soldat. A: In dem Fall, Pablo... P: Ich will kein Besiegter sein. A: In Spanien gibt es keine Besiegten.“10
Die Aussage, Spanien sei eine Gesellschaft, in der keine Sieger und Besiegten mehr existieren würden und die Aufforderung, „den Groll beizulegen, der in einigen Familien noch immer schwelt“, wurde in einem Land geäußert, in dem tausende von Menschen als politische Gefangene inhaftiert waren, in dem im Valle de los Caídos die Hände von Besiegten ein kolossales Monument für die Sieger des Bürgerkriegs meißelten und in dem das Regime diesen Sieg alljährlich in aufwendigen Zeremonien feierte. Die in Ronda española formulierte Feststellung, es gäbe in Spanien keine Sieger und Besiegten mehr, kann also kaum als Appell an das Filmpublikum verstanden werden, die entsprechenden Kategorien zu eliminieren. Sie lässt sich vielmehr dahingehend übersetzen, dass die Version der Geschichte der Besiegten zu verschwinden habe. Sie war eine Auf-
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„Ésta es vuestra obra en general: cambiar la fisionomía de los pueblos de España moral y materialmente. Acabar con aquellos rencores que hay entre algunas familias y que duran de generación en generación; los viejos pudieron pelearse por un partido o por otro, pero vosotras ya no tenéis nada que ver con eso; vosotras no sois nada más que falangistas, camaradas unas de otras, que habéis jurado vivir en santa hermandad con todos los de la Falange.“ Sección Femenina, Agenda.
10 „– ¿Te pasaría algo al llegar a España? – ¿Que dices? – Si esperas ser detenido. – Yo he sido un simple soldado. – Entonces, Pablo... – No quiero ser un vencido – En España no hay vencidos.“ Zitiert bei: Casero, La España que bailó, S. 80f.
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forderung an jene Besiegten, als reuige Sünder bereitwillig ihre Strafe abzusitzen und sich devot in eine Gesellschaft einzufügen, in der Sieger-Besiegte als Achse der Ungleichheit funktionierte. Die Aussage stellte dar, was Ahmed als „perverse performativ“ bezeichnet: „The speech act brings into existence what it cannot admit that it wants, or even that very thing that it says that it does not want.“11 Gleichzeitig war die Behauptung, es gebe in Spanien keine Besiegten und Sieger mehr, an die internationale Gemeinschaft gerichtet, in die sich der Franco-Staat zu integrieren suchte und der gegenüber er sich als nicht-repressiv präsentieren wollte. In Kapitel 3.1 habe ich ausgeführt, dass die Coros y Danzas zu einer Folklorisierung regionaler Differenz im Franco-Staat beitrugen, die deren politische Sprengkraft neutralisieren sollte. In den Folklorekatalogen der Sección Femenina erschien Spanien als vielfältige Einheit. In der Berichterstattung zu den Auftritten wurden die Folkloregruppen selbst zu einem nationalen Korpus vereinter regionaler Diversität. Murcia neben Galizien neben Katalonien hinter Andalusien vor San Sebastián: Nicht regionale Blöcke, sondern einen Block aus verschiedenen Regionen bildend, hüpfen die Tänzerinnen in einer Schlüsselszene des Filmes Ronda española über den Bildschirm. Auch in den Berichten über ihre offstage-Auftritte wurden die Coros y Danzas als Einheit in der Vielheit präsentiert – Fotografen und Reporter waren bemüht, möglichst viele verschiedene Trachten nebeneinander zu fotografieren und Gruppeninterviews mit Tänzerinnen aus verschiedenen Regionen – die sich untereinander bestens verstanden – zu machen. Eine Anfangsszene in Ronda española zeigt drei Tänzerinnen, oder vielmehr drei Regionen, beim Bezug ihrer Schiffskabinen. Die beiden ersten Ankömmlinge stellen sich einander nicht mit ihren Eigennamen, sondern mit „Cataluña“ und „Galicia“ vor, während sie auf das Erscheinen der dritten Tänzerin, „San Sebastián“, warten. Auch im Bezuge auf diese regionale Diversität figurierten die Folkloregruppen als Modelle der Nation, mit der sich die ZuschauerInnen der Coros y Danzas-Spektakel identifizieren sollten. Die Präsentation Spaniens als Staat, in dem regionale Diversität nicht unterdrückt, sondern augenscheinlich gefördert wurde, war gleichzeitig Teil der Selbstdarstellung des Franco-Staats nach außen als freundlichem und tolerantem Regime.
11 Ahmed, Happiness, S. 201.
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G EHORSAM
UND FRÖHLICH
Eine der wichtigsten Eigenschaften, welche die Coros y Danzas-Tänzerinnen vorzutanzen hatten, war ihr Gehorsam: „Wohlgemerkt muss euer Gehorsam in allen Bereichen gewährleistet sein: auf dem Schiff und außerhalb des Schiffes, in euren privaten Unternehmungen und im offiziellen Leben, das zu führen ihr gezwungen sein werdet. Denn sie werden euch und Spanien nicht nur danach beurteilen, was sie auf der Bühne sehen, sondern auch danach, was ihr sagt, bezogen auf eure Kameradschaft, danach, wie ihr euch bewegt, nach euren Lebensstil, nach eurem allgemeinen Verhalten und eurer guten gesellschaftlichen Erscheinung“.12
Dies sagte Pilar Primo de Rivera in einer öffentlichen Rede bei der Verabschiedungszeremonie der Coros y Danzas-Delegation, die 1948 zu einer Lateinamerika-Tournee aufbrach. Die Rede war ein an die Tänzerinnen gerichteter Befehl, gehorsam zu sein. Gleichzeitig war sie ein Zitat von Gehorsam als Norm, die sich sämtliche im Franco-Staat regierten Menschen anzueignen hatten. Das Publikum dieses Zitates weitete sich aus, als die Rede später abgedruckt und publiziert wurde. Laut internen Dokumenten der Sección Femenina kamen die Tänzerinnen auf der Reise der Aufforderung nach und gehorchten. Und zwar gehorchten sie nicht irgendwie, sie gehorchten fröhlich. In einem informe de viaje von einer Lateinamerikareise steht: „Die Gruppe im Allgemeinen ausgezeichnet, diszipliniert, fröhlich kommentieren sie keinen einzigen Befehl und sie nehmen sie stets mit guter Laune entgegen.“13 Einen Befehl fröhlich entgegenzunehmen, erscheint hier als Gegenteil davon, ihn zu kommentieren. Die Fröhlichkeit der Tänzerinnen in ihrem Gehorchen überrascht wenig, entsprach sie doch einer expliziten Norm der Regiduría de Cultura:
12 „Pero bien entendido que esta obedencia tiene que ser en todo: en el barco y fuera del barco, en vuestras salidas particulares y en la vida oficial que venís obligadas a llevar. Porque van a juzgar de vosotras y de España no sólo por lo que vean en el escenario, sino por lo que habléis, por vuestra camaradería, por cómo os mováis, por la vida que llevéis, por vuestra conducta en general y buena aparencia social […].“ Pilar Primo de Rivera, Rede zur Verabschiedung der Monte Ayala 1949, in: Primo de Rivera, Discursos, S. 242. 13 „El grupo en general buenísimo, disciplinado, alegre, no comentan ninguna orden y las reciben siempre de buen humor.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.70428.302 GR7 No1.
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„Unser immerwährender und freudiger Wille zu dienen führt dazu, dass ein Falangist alles, was er tut, stets mit Fröhlichkeit ausführt. Sieh zu, dass alles, was du für die Heimat tust, mit Fröhlichkeit und niemals mit Bitterkeit geschehe.“14
Das fröhliche Gehorchen der Tänzerinnen begeisterte auch die Presse: „[…] die Befehle werden erteilt und angenommen mit derselben Gestik, mit der man ein willkommenes Geschenk überreicht und entgegennimmt. Immer humorvoll, immer fröhlich, immer leicht und feminin, aber exakt in den Formationen, devot in ihren Gebeten, enthusiastisch in der Pflichterfüllung“ 15,
war im Jahr 1948 in der Zeitung La Mañana zu lesen. Mit größter Heiterkeit befolgen auch in Ronda española die Tänzerinnen die Befehle ihrer mandos und erscheinen zu den Versammlungen, zu denen mit einem Glöcklein gerufen wird, aufgeregt lachend und hüpfend. Nicht einfach nur zu gehorchen, sondern dies freudig zu tun, signalisierte dabei Einverständnis mit der Situation des Gehorchen-Müssens. Die Tänzerinnen erschienen nicht nur beim Gehorchen fröhlich. Konstant lächelnd, lachend, kichernd, hüpfend und trällernd gaben sie zu verstehen, wie zufrieden und glücklich sie waren. Sie zitierten damit eine im emotional regime des Franco-Staats zentrale normative Emotion. Die in diesem Regime regierten Menschen sollten fröhlich und zufrieden sein, weil sie so leichter zu regieren waren. Um mit Ahmed zu sprechen: „To be conditioned by happiness is to like your condition. The happy world is drugged up; the feel-good soma makes people feel good; consensus is produced through sharing happy objects, creating a blanket whose warmth covers over the potential of the body to be affected otherwise.“16 Besonders dringlich war im Franco-Staat das Glücklich-Werden von Menschen, die sich in Positionen befanden, in denen sie besonders viel zu gehorchen hatten.
14 „Nuestra permanente y gozosa voluntad de servicio hace que la actuación del falangista tenga siempre una manera alegre. Haz siempre que lo que hagas en nombre de la Patria venga en son de alegría, nunca en son de acritud.“ Sección Femenina, Normas, S. 220. 15 „[...] las órdenes se dan y se reciben con el mismo gesto con que se da y se recibe un regalo grato. Siempre de broma, siempre alegres, siempre ligeras y femeninas, pero exactas en las formaciones, devotas en sus rezos, entusiastas en el cumplimiento de los deberes.“ F.A., La gracia de España conquista America, La Mañana, 29.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 16 Ahmed, Happiness, S. 192.
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Wie Martín Gaite ausführt, wurde auf die Erziehung von Frauen hin zu einer Glücklichkeit, die sie in einem fröhlichen Dauerlächeln manifestieren sollten, besonderer Wert gelegt.17 Ferner hatten die Besiegten des Bürgerkriegs und die Kolonialisierten in besonderem Maße glücklich zu sein. Letzteres war, wie Ahmed aufzeigt, wiederum kein exklusiv spanisches Phänomen.18 Schließlich galt es im Franco-Spanien Klassendifferenz in einer kollektiven Fröhlichkeit aufzulösen: „Laiensängerinnen und -tänzerinnen verschiedenster sozialer Herkunft hatten eine gemeinsame Verbindung: die Fröhlichkeit und eine disziplinierte Zerstreuung“19, heißt es bei Suárez Fernández über die Coros y Danzas. „Happiness is imagined as social glue, as being what sticks people together“20, schreibt Ahmed. Die Coros y Danzas waren in ihrer kollektiven Fröhlichkeit Modelle für eine solche und gleichzeitig suchten ihre Auftritte eine solche Konformität stiftende Fröhlichkeit ad hoc herzustellen. Die Tänzerin María Sofía de Miguel berichtete 1951 in der Zeitung Lucha aus Kairo: „Die überwältigende Kameradschaft, die auf dem Fest herrscht und die gesunde Fröhlichkeit, mit der wir uns amüsieren und die von allen Anwesenden geteilt wurde (Mandos, religiöse Berater, Chronist, Musiker, die Gruppen der sieben Provinzen, aus der sich Coros y Danzas zusammensetzen und die Botschaftsmitglieder, mit ihren Familien) ruft zunächst Neugier unter denen hervor, die zum Hotel gekommen sind, um das Jahresende zu feiern und sich unserem Festsaal nähern. Die Neugier verwandelt sich nach und nach in Sympathie und schließlich rufen alle enthusiastisch: Hoch lebe Spanien! Hoch lebe Franco! Und wir beschließen die Nacht, indem wir das Cara al Sol singen.“21
17 Vgl. Martín Gaite, Carmen: Usos amorosos de la postguerra española, Barcelona 1987, S. 40ff. 18 Vgl. Ahmed, Happiness, S. 125ff. 19 „Cantantes y danzantes no profesionales, que procedían de los más variados sectores sociales, tenían un nexo común: la alegría y el disciplinado desprendimiento.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 233f. 20 Ahmed, Happiness, S. 121. 21 „La camaradería tan grande que reina en la fiesta y la sana alegría con que nos divertimos, participada por todos los reunidos (Mandos, Asesores Religiosos, Cronista, Músicos, los Grupos de las siete provincias que integramos los ‚Coros y Danzas‘ y los miembros de la Embajada, con sus familias) causa curiosidad primero entre los que han venido al hotel para festejar la despedida del año y que se acercan hasta nuestro salón. La curiosidad se va transformando en simpatía y terminan por gritar entusiasmados ¡Viva la España!; ¡Viva Franco! Finalizamos la noche cantando el Cara al Sol.“
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Die Zufriedenheit, die sich die Coros y Danzas und ihr Publikum anzueignen hatten, sollte sich in einer gesunden Fröhlichkeit äußern. Es handelte sich um eine Fröhlichkeit, an der auch Familien und Priester teilhaben konnten, und die weder vulgär noch allzu exzessiv war. Die Fröhlichkeit der Tänzerinnen war jedoch auch ein Instrument in der außenpolitischen Mission der Folkloregruppen. Suárez Fernández beschreibt die Coros y Danzas als „originelle Gesandtschaft, ohne direkte politische Botschaft, unbekümmert und fröhlich.“22 Das Lächeln der Tänzerinnen sollte ihre politische Harmlosigkeit markieren und die Inszenierung Spaniens als friedlichem Staat und wohlwollender Kolonialmacht erleichtern. Ein Staat, der seine ehemaligen Feinde und seine Kolonialisierten – über die Tänzerinnen – anlächelte, musste es – so die offenbar intendierte Botschaft – gut mit diesen meinen. Schließlich gehe ich auch davon aus, dass die Coros y Danzas-Fröhlichkeit ein kommerzieller Erfolgsfaktor ihres Spektakels war. Dies nicht zuletzt deswegen, weil sie damit ein Spanien-Stereotyp bedienten, das in den USA und Westeuropa seit dem 19. Jahrhundert zirkulierte und mit dem Tourismusboom nach dem Zweiten Weltkrieg neuen Aufschwung erhielt.23 Eine Anzeige, erschienen 1950 im New York Times Magazine, belegt die Vermarktung des Topos des fröhlichen Spaniens: „Holiday in enchanted Spain: land of infinite beauty and striking contrasts; of fabulous art and colorful folklore; of inexpensive and bountiful pleasure, and above all, of festive gaiety and charm.“24 Begeistert berichtete der Londoner Observer 1952 von einem Auftritt der Coros y Danzas: „The performers look handsome and happy.“25
A UFOPFERND ,
MITFÜHLEND , FROMM , REIN
Eine der Eigenschaften, welche die im Ausland eingesetzten Coros y DanzasTänzerinnen laut den Normas der Regiduría de Cultura zu erfüllen hatten und deren Besitz oder Mangel in den Registrierungskarten der Tänzerinen vermerkt wurde, war „Opferbereitschaft“:
F.A., Lucha, 10.2. 1951. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 22 „Original embajada, sin mensajes políticos directos, desenvuelta y alegre.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 216. 23 Vgl. Kagan, Spanish Craze, S. 35. 24 Zitiert bei: Rosendorf, Be el Caudillo’s Guest, S. 384. 25 Buckle, Coros y Danza de España.
182 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE „Sowohl auf den Reisen in Spanien als auch auf jenen ins Ausland werden sie [die Tänzerinnen] viele Gelegenheiten haben, [...] ihre Opferbereitschaft unter Beweis zu stellen, denn oft werden sie die Orte, die sie besuchen, kaum sehen können, denn mit den Proben, Auftritten, Einladungen etc. werden sie kaum Zeit für irgendetwas haben.“26
Laut den Quellen opferten die Tänzerinnen weit mehr als nur die Gelegenheit, touristische Attraktionen zu bewundern. Um Victoria die Teilnahme an der in Ronda española thematisierten Coros y Danzas-Lateinamerika-Tour zu ermöglichen, fingiert eine ihrer Kameradinnen im Vorfeld während des Trainings eine Verletzung, so dass Victoria an ihrer Stelle mitreisen darf. Ángeles wiederum ist bereit, auf ihr Liebesglück mit Pablo zu verzichten, sollte dieser sich nicht ‚bekehren‘ lassen. Die „Opferbereitschaft“, welche die Tänzerinnen an den Tag legten, war auch Ausdruck von Mitgefühl – so beispielweise im Fall von Victorias Freundin, die für sie auf die Teilnahme an der Reise verzichtet, weil sie um deren Hoffnung, in Panama ihren Bruder zu treffen, wusste. Mitgefühl beweisen die Tänzerinnen in Ronda española auch, indem sie sich liebevoll umeinander kümmern, sich um die Seekrankheit oder das Liebesglück ihrer Freundinnen sorgen oder einen greisen Priester zur Zuschauertribüne führen und darum bemüht sind, ihm eine möglichst gute Sicht auf das Spektakel zu ermöglichen. Wie Fröhlichkeit war auch Mitgefühl eine normative Emotion, welche die Tänzerinnen ihrem Publikum zur Aneignung vortanzten, ganz besonders gewissen Sektoren dieses Publikums. Erstens war und ist, wie Lauren Berlant aufzeigt, Mitgefühl auch außerhalb des franquistischen Spaniens eine Tugend, die insbesondere Frauen zu kultivieren und zu verbreiten haben und hatten. Sie wurde und wird Frauen in Verbindung mit ihrer Rolle als Mutter und allgemein als „caregiver“ zugeschrieben und als „natürliche“ Eigenschaft gedeutet. Berlant bemerkt: „Women are not only expected to be compassionate and understanding but to act both as teacher of compassion and surrogates for another’s refusals or incapacities to feel appropriately and intelligently.“27 Zweitens wurde, wie ich in Kapitel 6 aufzeigen werde, in wissenschaftlichen und populärkulturellen Diskursen GuineerInnen und ‚vertropten‘ Spaniern
26 „Tanto en los viajes por la península como por el extranjero, tendrán muchas ocasiones de demonstrar su [...] espíritu de sacrificio, porque en muchas ocaciones apenas podrán ver la población que visitan, ya que con las pruebas, actuaciones, invitaciones, etc. no tendrán tiempo para casi nada.“ Sección Femenina, Normas, S. 222f. 27 Berlant, Female Complaint, S. 170. Vgl. auch: Ferrer Senabre, Isabel: Canto y cotidianidad. Visiblidad y género durante el primer franquismo, in: Trans – Revista Transcultural de Música/Transcultural Music Review 15 (2011), S. 1-27, hier S. 4.
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mangelndes Mitgefühl vorgeworfen, was das Vortanzen von solchen Gefühlen auch in der Kolonie zu einem zentralen Element im Hispanisierungsprogramm der Coros y Danzas machte. Das Mitgefühl der Tänzerinnen, zur Schau gestellt bei Besuchen von Kriegsinvaliden in den USA und Leprösen in Äquatorialguinea, erhöhte ferner ihre Glaubwürdigkeit als Repräsentantinnen eines freundlichen Staates und einer wohlwollenden Kolonialmacht. Der Gehorsam und die Opferbereitschaft der Tänzerinnen standen auch mit ihrer Frömmigkeit in einem Zusammenhang. Zunächst führten die Coros y Danzas Tänze auf, die im Zuge ihrer Aufarbeitung zur „authentischen spanischen Folklore“ katholisiert worden waren (vgl. 3.1). Auf ihren Auslandsreisen besuchten die Coros y Danzas – begleitet von ZuschauerInnen und Reportern – Messen in bedeutenden Kathedralen, wie der San Francisco in Santiago de Chile und der Santa Maria la Menor in Santo Domingo. Im Jahr 1951, so die Zeitung Extremadura, wurde eine Coros y Danzas-Delegation und mit ihr der spanische Staat von Papst Pius XII. abgesegnet: „Es war neun Uhr und wir gingen in unseren Regionaltrachten und stellten uns in Gruppen geordnet in einem großen Saal auf. Es erschien der Pontifex, in Weiß gekleidet daherschreitend, und einer der Jungen aus der Gruppe sagte: ‚Die Falange Española für den Papst!‘. Und alle im Chor: ‚Spanien für den Papst!‘. Er antwortete uns vier oder fünf Mal: ‚Der Papst für Spanien!‘“28
In Äquatorialguinea tanzten die Tänzerinnen in Kinderheimen und Schulen, die unter der Leitung katholischer Ordensschwestern standen. Die koloniale Presse berichtete hiervon und Danzas de España en el trópico zeigt, wie die Folkloregruppen ihren tanguillo de Cádiz vor „monjitas morenas“29 tanzten und inszeniert die Auftritte der Tänzerinnen zusammen mit einem Besuch von Ruíz González auf der Baustelle zur neuen Kathedrale in Bata. Ein weiterer Faktor, der die Religiosität der Coros y Danzas unterstrich, war die Tatsache, dass die Folkloregruppen auf nicht wenigen Reisen vom Benediktinermönch Fray Justo Pérez de
28 „Eran las nueve y fuimos con los trajes regionales, colocándonos en una amplia sala por grupos. Apareció el Pontífice vestido de blanco andando y uno de los chicos dijo: ¡La Falange Española por el Papa! Y todas a coro ¡España por el Papa! El nos contestó cuatro o cinco veces ¡El Papa por España!“ F.A., Extremadura, 21.05.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 29 „Tanguillo de Cádiz delante de las monjitas morenas.“ Danzas de España en el trópico.
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Urbel, dem ‚Hausgeistlichen‘ der Sección Femenina, begleitet wurden.30 Die Frömmigkeit der Tänzerinnen war auch ein prominentes Thema in der Berichterstattung über ihre nicht tänzerischen Aktivitäten. In Bailando hasta la Cruz del Sur beschreibt García Serrano die Hingabe, mit der die Tänzerinnen an Gottesdiensten teilnahmen ebenso wie die Inbrunst, mit der sie in jeder nur erdenklichen Alltagssituation beteten.31 An einer Stelle macht er sie gar zu Nonnen: „jenes Kommen und Gehen der Mädchen der S.F. in den Schulen und Dörfern, die Leben retten und Tänze vorführen, die Anleitung zur Haushaltsführung geben, Spanien von Schweinereien befreien und die Heimat reinwaschen […]. Ihre Mission, so heilig und so fröhlich, ist, als wären sie kleine, muntere Nonnen von Spanien.“32
Die Tänzerinnen tanzten ihre Frömmigkeit sämtlichen zu hispanisierenden Menschen zur Nachahmung vor, zunächst insbesondere den Frauen. Sämtliche Institutionen des Franco-Regimes verfolgten eine Geschlechterpolitik, in der die ReKatholisierung der weiblichen Bevölkerung, wie Morcillo Gómez ausführlich beschreibt, eine der zentralsten Strategien zur Aufrechterhaltung der bestehenden Geschlechterverhältnisse war, indem die Bestimmung der Frau zur Mutterschaft und ihre Unterordnung unter den Mann als religiöse Vorschriften definiert wurden.33 Neben den Frauen galt es besonders diejenigen Männer, die sich von Spanien entfernt hatten und diejenigen, die Spanien noch nie nahe gewesen waren, zu katholisieren. Während in Ronda española diejenigen Spanier, die sich von Spanien abgewandt haben, Pläne zur Sabotage der Coros y Danzas-Show aushecken, besuchen die Tänzerinnen die Messe. Bei seinem Erscheinen auf dem Schiff wird der Exilrepublikaner Pablo von den Mitgliedern der Folkloregruppen zunächst gar nicht bemerkt, da diese in ein gemeinsames Gebet vertieft sind. Danach wird
30 Vgl. Kersten-Schmunk, Fémina, Española y Falangista, S. 81f. 31 Vgl. García Serrano, Bailando, S. 37. 32 „[…] ese ir y venir de las muchachas de la S.F. por colegios y aldeas, salvando vidas y enseñando bailes, instruyendo para el hogar, quitándole porquería a España, lavando la casa de la Patria […]. Su misión, tan sagrada y tan alegre, es como la de ser gozosas monjitas de España.“ Ebd., S. 201. 33 Vgl. Morcillo Gómez, Aurora: Shaping True Catholic Womanhood. Francoist Educational Discourse on Women, in: Enders/Radcliff (Hg.), Spanish Womanhood, S. 5169. Vgl. Roca i Girona, Jordi: Los (no)lugares de las mujeres durante el franquismo, in: Géronimo de Uztariz 21 (2005), S. 81-99, hier S. 84.
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die Rückkehr „des verlorenen Schafes in die Gemeinde“34 gefeiert und die spanischen Flagge gehisst. Die Szene markiert so die Untrennbarkeit von Religion und Nation im Franco-Staat.35 Sich zu Spanien zu bekennen implizierte, so wird darin deutlich gemacht, sich zum Katholizismus zu bekennen. Im Jahr 1957 sahen sich die spanischen Bischöfe genötigt, folgende Deklaration zu verfassen: „Wenn wir die allgemeine öffentliche Moral unserer Heimat betrachten, müssen wir sagen, dass sie uns nicht gefällt, dass sie unbefriedigend ist und vieles zu wünschen übrig lässt. […] Die heimliche und halb-heimliche Pornografie bringt mit einheimischen und fremden Beiträgen alle ihre Fertigkeiten zum Einsatz, um die moralische Zügellosigkeit voranzutreiben. Wir wollen gar nicht auf die Plage der Nacktheit zu sprechen kommen, die, besonders im Sommer, in unsere Straßen einfällt und die Schuld daran tragen nicht allein die Touristen, die von jenseits unserer Heimatgrenzen herkommen; und man kann auch nicht die Scheinheiligkeit entschuldigen, mit der eben diese Nacktheit sich mit derart raffinierten Schleiern zu bedecken versucht, die nur dazu dienen, die niedrigen Leidenschaften überhaupt erst aufflammen zu lassen. […] Auch kommen wir nicht umhin, auf die modernen Tänze aufmerksam zu machen, Tortur der Beichtväter, Virus für die frommen Vereinigungen, Lieblingsfest des Satans. Die Ursachen, welche die momentane Entwicklung der öffentlichen Unmoral vorantreiben, sind Irrtümer in der Geisteshaltung. Die gegenwärtige Rückkehr zum Heidentum ist eine natürliche Folge des Schreis der Rebellion, den der Mönch Luther gegen die Kirche ausstieß.“36
34 Vgl. Casero, la España que bailó, S. 81. 35 Vgl. Ortiz, The Uses of Folklore, S. 487. 36 „Mirando en sí el conjunto de la moralidad pública de nuestra patria, tenemos que decir que no nos gusta, que no es satisfactorio y que deja mucho que desear. [...]. La pornografía clandestina y semiclandestina pone en juego todas sus artes, con aportaciones nativas y extranjeras para fomentar el libertinaje moral. No necesitamos subrayar la plaga de desnudismo, que invade nuestras calles, sobre todo en verano, y no siempre por culpa de los turistas que vienen de allende las fronteras de nuestra patria; ni se puede excusar la hipocresía del mismo desnudismo, que trata de cubrirse con velos tan sutiles que sirve más bien para aumentar el reclamo de la bajas pasiones. [...] Tampoco podemos dejar de llamar la atención sobre los bailes modernos, tortura de confesores, virus de las asociaciones piadosas, feria predilecta de Satanás. Las causas que favorecen el actual desarrollo de la inmoralidad pública son los errores en las ideas. La vuelta actual hacia el paganismo ha sido una evocación lógica del grito de rebeldía lanzado por el monje Lutero contra la Iglesia.“ Editorial: „La moralidad pública“, in: La Guinea Ecuatorial, 25.07.1957, S. 207f. (Die Deklaration, die der Artikel
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Der Abschnitt illustriert, wie sehr im Franco-Staat gewisse Kreise die Nebenwirkungen der touristischen Öffnung Spaniens und die Herausbildung einer Konsumgesellschaft fürchteten. Interessant ist, dass die Bischöfe, wie auch die Sección Femenina, ganz besonders über die „neuen Tänze“ besorgt waren, die nach Spanien gelangt waren. Nun entstammt diese Quellenstelle aber der in Äquatorialguinea von Missionaren herausgegebenen Zeitschrift La Guinea Española und der bereits wiedergegebenen Passage folgt diese: „Diese Ansichten, die einigen vielleicht grausam, übertrieben oder unbesonnen erscheinen mögen, sind nicht die unsrigen, sondern diejenigen der spanischen Bischöfe der Metropole, die sich zu ihrer jährlichen Konferenz versammelt haben. Es sind also die Vorstellungen und Normen der aktuellen spanischen Kirchenhierarchie, der allerhöchsten Vertretung Gottes in Spanien. Indem wir sie für diese spanische Provinz in Afrika niederschreiben, erkennen wir sie demütig an und bitten alle Christen, die sie lesen, sich der Pflicht bewusst zu werden, deren Erfüllung uns allen auferlegt wurde.“37
Die Menschen, die sich in Äquatorialguinea von Spanien entfernt hatten, liefen Gefahr, sich auch von Gott zu entfernen und, noch schlimmer, sich guineischem Aberglauben zuzuwenden, und die örtlichen Geistlichen sahen sich dazu veranlasst, auf die katholischen Verhaltensregeln hinzuweisen, die in allen spanischen Provinzen – und damit auch in Äquatorialguinea – gelten würden. Wie aber ist der Umstand zu interpretieren, dass sie dies mit dem Eingeständnis taten, dass die zitierten Ideen durchaus „grausam“, „unbesonnen“ und „übertrieben“ erscheinen konnten? Waren die Priester, die ‚vertropte‘ Spanier an spanische Werte erinnern sollten, selbst bereits so weit im ‚Vertropen‘ begriffen, dass sie Zweifel an der Richtigkeit dieser Normen nicht mehr verurteilten? Neben den zu hispanisierenden spanischen SiedlerInnen waren es die zu hispanisierenden GuineerInnen, die in Äquatorialguinea mit den Coros y Danzas spanische Religiosität vorgeführt bekamen. Das zivilisatorische Projekt, das der spanische Staat mit den
zitierte, erschien als: Conferencia Episcopal Española. Instrucción sobre la moralidad pública, 31. Mai 1957). 37 „Estas ideas que quizás a alguien podrían parecer crueles, exageradas o imprudentes no son nuestras sino de los obispos metropolitanos españoles reunidos en su anual conferencia. Son pues las ideas y normas de la actual jerarquía española, representación suprema de Dios en España. Mientras las transcribimos para esta provincia española de África las acatamos humildemente y rogamos a todos los cristianos que las leyeren se percaten del deber a que nos obligamos todos en hacerlas cumplir.“ Ebd., S. 208.
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katholischen Missionaren teilte, bestand zu einem wesentlichen Teil in der Zwangsbekehrung der guineischen Bevölkerung zum katholischen Glauben.38 Die massenmediale Verbreitung der Frömmigkeit der Tänzerinnen wurde von der Sección Femenina rege vorangetrieben. Ein Beispiel hierfür entdeckte ich in einem im AGA archivierten Fotoalbum der Organisation. Einige Bilder darin hatten sich teilweise vom Untergrund, auf dem sie aufgeklebt worden waren, abgelöst, so dass bei einer Fotografie, die wohl für die Publikation in einer Sección Femenina-Zeitschrift vorgesehen war, ein handschriftlicher Text auf der Rückseite sichtbar geworden ist. Abgebildet sind darauf Frauen in einer Folkloretracht, zu der ein langer Schleier gehörte, beim Verlassen einer Kirche. Der Text auf der Rückseite lautet: „Nicht wahr, liebe Leserinnen, so besteht keinerlei Gefahr für die Moral? Vergleicht jetzt diesen Schleier, der eher dem Gewand einer mittelalterlichen Abtei ähnelt, mit den heutigen Badeanzügen.“39 Der Text zeigt, genauso wie die oben zitierte Darstellung der Tänzerinnen als Nonnen, die Spanien von „Schweinereien“ säuberten, dass es bei der Betonung ihrer Frömmigkeit auch um eine Betonung ihrer Reinheit ging, oder vielmehr um ihre Verteidigung. Ich habe bereits erwähnt, dass die Sección Femenina mit ihren Aktivitäten, insbesondere ihrem Sportprogramm, immer wieder mit den konservativen Fraktionen des Regimes in Konflikt geriet, da diese die öffentliche Zurschaustellung sporttreibender Frauenkörper für unmoralisch befanden. Es scheint so, als sollte beispielsweise der Text auf der Rückseite jener Fotografie eine ähnliche Kritik an der moralischen Vertretbarkeit der Coros y Danzas vorwegnehmen. Bezeichnend ist auch folgende Stelle aus dem Brief, den Enrich Auliach 1954 aus Äquatorialguinea an Pilar Primo de Rivera sandte: „Auf der Rückkehr von diesem Ausflug fuhren wir nach Río Benito, wo wir auch tanzten und die Mission besuchten. Übrigens habe ich dort erfahren, dass der Herr Bischof eine Nachricht an alle Missionen gesandt hat, dass sie unsere Tänze sehen dürfen, da es sich dabei um vollkommen moralische und der Bildung förderliche Auftritte handelt. Ich habe vergessen, dir in meinem letzten Brief zu sagen, dass der erste Besuch, den wir in Santa Isabel machten, der beim Herrn Bischof war.“40
38 Vgl. Castro/Ndongo, España en Guinea, S. 168f. 39 „¿Verdad lectoras que con ésto no hay peligro alguno para la moral? Comparad ahora ese sayal, que más bien parece el uniforme de alguna abadía medieval con los vestidos playeros de nuestros días.“ AGA, (03)037 F4418. 40 „De regreso de esta excursión fuimos a Río Benito, donde también bailamos y visitamos la misión. Por cierto que allí me enteré que el Sr. Obispo había mandado aviso a todas las misiones que podían ver nuestros bailes por tratarse de un espectáculo com-
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Ziel von Enrichs Besuch beim Bischof von Santa Isabel war wohl nicht nur, dass die Coros y Danzas die Erlaubnis erhielten, ihr Spektakel in den verschiedenen unter klerikaler Leitung stehenden Bildungsinstituten aufzuführen. Vielmehr ging es um eine allgemeine ‚Absegnung‘ des Programms, zumal, wie Fernández Fígares erwähnt, die Missionare regelmäßig die moralische Vertretbarkeit diverser öffentlicher Veranstaltungen, wie Theater- oder Kinovorführungen, in Äquatorialguinea in Frage stellten.41 Es war, wie ich meine, entscheidend, dass die Vertreterinnen der Sección Femenina ihre eigene Frömmigkeit gegenüber den örtlichen Geistlichen unter Beweis stellten, um von diesen bei ihren Tätigkeiten nicht behindert zu werden. Es sei hier erwähnt, dass die spätere Kollaboration der Sección Femenina mit den MissionarInnen in Äquatorialguinea zwischen 1964 und 1968 nicht gänzlich konfliktfrei verlief. Mit ihrem Kolonialisierungsprogramm trat die Sección Femenina in Konkurrenz zu den Concepcionista-Nonnen, die vor der Ankunft der Falangistinnen die allermeisten Institute zur Mädchenerziehung betrieben hatten. Wie Nerín i Abad feststellt, wird in den Dokumenten der Sección Femenina, welche die Äquatorialguinea-Tätigkeiten der Organisation in den 1960er Jahren betreffen, häufig Kritik an den Ordensschwestern geübt. Hauptsächlich bestand diese im Vorwurf, dass die Schwestern die Bildung der Guineerinnen stets auf niedrigstem Niveau gehalten hätten.42 Bekanntlich wehrten sich spanische Autoren seit dem 17. Jahrhundert gegen die „schwarze Legende“, indem sie Spaniens Kolonialpolitik als spirituelle Mission darstellten und betonten, dass sich Spanien aufgrund seiner katholischen Prägung durch einen besonders humanen Umgang mit seinen Kolonialisierten auszeichnen würde. Zudem versuchte das Franco-Regime, wie Tusell betont, in den außenpolitischen Krisenjahren vor der Aufnahme Spaniens in die Vereinten Nationen das christliche Fundament seiner Regierung als das „große Argument“ für seine politische Harmlosigkeit aufzuführen.43 Die Auftritte der Coros y Danzas als „embajada espiritual“44 werte ich als Teil der Betonung des katholischen Charakters Spaniens nach außen, mit der sich das Franco-Regime als friedlicher Staat und wohlwollende Kolonialmacht zu inszenieren suchte.
pletamente moral y educativo. Se me olvidó decirte en mi anterior carta que la primera visita que hicimos en Santa Isabel fue precisamente al Sr. Obispo.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 41 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 300f. 42 Nerín i Abad, Sección Femenina, S. 3. 43 Vgl. Tusell, Javier: Franco y los Católicos. La política interior española entre 1945 y 1957, Madrid 1984, S. 83ff. 44 F.A., Mundo Hispánico, 1946. RAH, ANA, Carp. 46A, Doc. 4.
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Die Frömmigkeit der Tänzerinnen implizierte auch Reinheit. Sie waren unverheiratete Katholikinnen und damit unbefleckte Jungfrauen, deren Körper sorgfältig verhüllt wurden. Während ich auf die Keuschheit der Tänzerinnen weiter unten zu sprechen kommen werde, soll hier zunächst von ihrer Sauberkeit die Rede sein. Diese wird beispielsweise in Ronda española in Szene gesetzt, wo die Mitglieder der Folkloregruppen fröhlich singend in einer relativ langen Sequenz ihre Trachten schrubben. Auch die Zeitung Ebano informierte ihre Leserschaft darüber, dass die Tänzerinnen während ihrer zweiten Äquatorialguineareisen einen ganzen Morgen lang ihre Kostüme gesäubert hätten.45 Diese Bilder kontrastieren allerdings mit den Spesenbelegen für die Reinigung der Kleider in Waschsalons, die von einer Coros y Danzas-Reise nach Nizza archiviert worden sind und mit der Aussage von Eva, wonach die Kleider der Tänzerinnen in Äquatorialguinea von „boys“ präpariert worden seien. 46 Aus dem Vorschriftenkatalog der Sección Femenina-Kulturabteilung geht hervor, dass die Organisation großen Wert darauf legte, dass die Tänzerinnen auch bei ihren live-Auftritten einen sauberen Eindruck hinterließen, und zwar überall: „Essen: beim Essen, das in Bussen, Zügen, auf Feldern etc. eingenommen wird, soll vermieden werden, überall Reste davon zu hinterlassen […] alle Reste sind mit einer Serviette einzusammeln und, wenn man auf Fahrt ist, aus dem Fenster zu werfen; und wenn es sich um ein offenes Feld handelt, ist alles auf einem Haufen zurückzulassen, jedoch immer an einem geeignetem Ort, will heißen, es soll nicht an die sichtbarste und ungeeignetste Stelle geworfen werden.“47
Spezielle Beachtung sollten die Tänzerinnen der Sauberkeit in den Hotelzimmern schenken, in denen sie logierten. Besonders wichtig scheint es der Sección Femenina gewesen zu sein, dass niemand die Tänzerinnen mit Fäkalien assoziierte: „Manchmal führt Zeitdruck dazu, dass die Zimmer in einem bedauernswert unordentlichen Zustand hinterlassen werden, unschicklich für Frauen, besonders für disziplinierte. Daher ist es notwendig, diese in einem möglichst ordentlichen Zustand zu hinterlassen, so dass,
45 Vgl. F.A., La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas de España, 10.07.1957. 46 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 165 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 47 „Comidas: en las comidas que se realicen en los autobuses, trenes, campo, etc. se evitará dejar por todas partes residuos de éstas [...] deberán recogerse todos los restos en papeles y bien tirarlos por la ventanilla, si se trata de viajes, bien si es en el campo, dejarlo todo en un montón, pero siempre en lugar adecuado, es decir, no tirarlo en el lugar más visible y menos indicado.“ Sección Femenina, Normas, S. 218.
190 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE wer auch immer hereinkommt, nichts bezüglich der Ordnung und Sauberkeit bemängeln muss. Sehr wichtig ist die Aufmerksamkeit, die man den Toiletten widmen muss. Es macht einen jämmerlichen Eindruck, wenn diese nur wenige Augenblicke, nachdem eine Gruppe ankommt, verunreinigt werden. Das kann und muss um jeden Preis vermieden werden […].“48
Die Tänzerinnen sollten in ihrer Sauberkeit vorbildlich sein. Wie sie, sollten auch ihre ZuschauerInnen, ihre Körper und ihre Umgebung schrubben. Ferner hatten sich manche von ihnen von einem ‚schmutzigen Verhalten‘ abzuwenden bzw. es zu sühnen. Manche hatten mehr zu schrubben als andere, weil ihren Körpern gemäß wissenschaftlichen und religiösen Diskursen ‚Schmutz‘ geradezu angeboren war. Dabei handelte es sich erstens um Frauen, die durch Evas Erbsünde befleckt waren.49 Zweitens attestierte der spanische Kolonialdiskurs den GuineerInnen einen Mangel an Sauberkeit, insbesondere ein „Stinken“ als biologische Kondition, dem nur eine radikale „Zivilisierung“ entgegengewirken konnte.50 Zu den Menschen, die sich durch gewisse Handlungen schmutzig gemacht hatten und sich daher reinwaschen mussten, gehörten Personen, die sich durch ihre Sympathien für die spanische Republik versündigt hatten, aber auch solche, die in Äquatorialguinea ‚vertropten‘. Am allerschmutzigsten machten sich letztere freilich durch einen zu intimen Kontakt mit GuineerInnen. In Masolivers Erzählungen vernachlässigen ‚vertropte‘ Spanier auch ihre Körperhygiene und hausen mit Tieren in schmutzigen Hütten voller Ungeziefer; ähnlich wie dies die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ taten, die „die authentische spanische Folklore“ verunreinigt hatten. Die Reinheit der Tänzerinnen war nicht nur eine ihrer modellhaften Eigenschaften, sondern symbolisierte auch die Reinheit der Folklore, die sie aufführten
48 „A veces el apresuramiento por falta de tiempo hace dejar las habitaciones en un estado de desarreglo deplorable, impropio de mujeres y menos sometidas a una disciplina; por eso es preciso dejar éstas en el mayor orden posible, que cualquiera que pueda entrar no tenga que decir sobre el orden y pulcritud en que se quedaron. Muy importante es el cuidado que debe tenerse con los servicios. Es de efecto deplorable se estropeen éstos nada más llegar una expedición; esto puede evitarse, y hay que evitarlo a toda costa […].“ Ebd., S. 218. 49 Vgl. Roca i Girona, (no) lugares, S. 84. 50 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 94f. Bereits Kant behauptete, dass aufgrund einer biologischen Kondition (Phosphorausdünstung) „alle Neger stinken“ würden. Vgl. Hentges, Gudrun: Die Erfindung der „Rasse“ um 1800 – Klima, Säfte und Phlogiston in der Rassentheorie Immanuel Kants, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 56 (2004), S. 47-66, hier S. 55.
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und als nationales Fetisch-Objekt verteidigten. Die Sauberkeit der Tänzerinnen steigerte schließlich auch ihre Glaubwürdigkeit in der Repräsentation eines ‚sauberen Staates‘, der nach 1945 von den Vereinten Nationen nicht länger mit dem nationalsozialistischen Deutschland assoziiert werden wollte und sich als wohlwollende Kolonialmacht gebärdete.
A GIL ,
SELBSTBEHERRSCHT UND AUSDAUERND
Alle ehemaligen Coros y Danzas-Tänzerinnen, mit denen ich sprach, erschienen mir wesentlich jünger, als sie es zum Zeitpunkt unserer Gespräche waren. Dies lag wohl am sorgfältig aufgetragenen Make-up, am blondierten Haar und der jugendlichen Kleidung. Aber auch daran, dass mir ihre Bewegungen so flink erschienen und sie schwere Dinge scheinbar mit Leichtigkeit zu heben vermochten. Auch die Regiduría de Cultura assoziierte eine bestimmte Art sich zu bewegen mit Jugendlichkeit. In den Normas der Kulturabteilung steht geschrieben: „Alter der Kameradinnen, die den Coros y Danzas zugeordnet sind: Darf nicht älter als 28 sein, weil danach, außer in Ausnahmefällen, die Agilität nicht mehr dieselbe ist.“51 Das aber heißt, dass die Tänzerinnen sowohl auf der Bühne als auch neben ihr nicht nur jung, sondern auch agil waren. Und zwar live und in der massenmedialen Reproduktion ihrer performances. Auf Fotografien, in No-Do-Dokumentarfilmen oder in Ronda española trippeln die Tänzerinnen leichtfüßig über Landschaften und Landkarten, drehen sich flink um ihre eigene Achse, heben und senken ihre Glieder, als wären diese schwerelos. Tanzen scheint für diese Körper keine Arbeit zu sein. Sie erinnern an die 1925 von Giese beschriebenen US-amerikanischen „girl-groups“ im Revuetanz, deren „Frische“ und „Sportsgeist“ der Autor pries.52 Solche Eigenschaften attribuierte die Zeitung Ayer auch den Coros y DanzasTänzerinnen der Äquatorialguineareise aus dem Jahr 1957. In einem Artikel war die Rede davon, dass „die Mädchen“ „sportlich und anmutig hunderte von Meilen in langen Tagen der Schiffsreise zurückgelegt hatten.“53
51 „Edad de la camaradas encuadradas en Danzas: No podrá ser superior a veintiocho años, pues es natural que pasada esta edad la agilidad, salvo casos extraordinarios, no es la misma.“ Sección Femenina, Normas, S. 31. 52 Giese, Fritz: Girlkultur. Vergleiche zwischen amerikanischem und europäischem Lebensgefühl, München 1925, S. 97. 53 „Los españoles allí residentes, desde el gobernador general al último colono, se han volcado en agasajos a nuestra muchachas que, tan deportiva y donosamente, han recorrido cientos de millas, en lentos días de navegación, sólo para llevarles el mensaje
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Weiter oben habe ich die Coros y Danzas-Gruppen und -Delegationen in ihrer funktionstüchtigen Einheitlichkeit und Koordination als Tanzmaschinen bezeichnet. Hier nun möchte ich argumentieren, dass die Agilität der einzelnen Tänzerinnen sie auch als Individuen zu Tanzmaschinen machte. Laut McCarren ist die Assoziierung von Tänzerinnen und Maschinen so alt wie das Konzept der Maschine: „In scientific traditions, in the literary imagination, and in stage representation, our technologies have often been anthropomorphized by dancers who appear to be simultaneously superhuman in their feats of flexibility and endurance, and superhuman in their wordless physicality.“54 Im Verlaufe der Geschichte dieser Verknüpfung sind zwei Arten von Tanzmaschinen aufgetaucht. Die eine davon ist der Tanzautomat, der sich durch „hidden mechanics“ oder „concealed labor“ auszeichnet und ein „dancing that conceals its mastery“55 aufführt. Es war zum einen die Gewandtheit, mit der sich die Coros y Danzas-Tänzerinnen auf der Bühne bewegten, die sie zu Tanzautomaten werden ließ. Zum anderen war es die Mühelosigkeit, mit der sie in der Berichterstattung zu ihren Reisen auch nicht tänzerische Aktivitäten bestritten; sei es das Kleiderwaschen, sei es das Drehen eines Filmes, das Dinieren mit Ministern oder das Reisen. In den Beschreibungen und Visualisierungen der Bewältigung dieser Aufgaben scheinen diese den Coros y Danzas-Tänzerinnen vollkommen leicht gefallen zu sein. Kein Hindernis, das die Mitglieder der Folkloregruppen nicht spielerisch überwunden hätten. Selbst Steine werfende Demonstranten brachten sie angeblich nicht aus der Fassung: „Als sie in ihren Bussen vom Nationaltheater her kamen, [...] machten ein paar feige Lümmel die ‚antifranquistische Geste‘, Steine und Eier gegen die Wagen zu werfen. Die Mädchen reagierten mit einer fantastischen Gelassenheit. Sie beschränkten sich darauf, zu lachen und zu singen sowie die Fenster zu schließen.“56
So berichtete García Serrano über einen „Zwischenfall“, der sich auf einer Coros y Danzas-Tour in Venezuela ereignet haben soll.
de los aires y sones de nuestra tierra, evocándoles la ausente España.“ F.A., Safari con castañuelas, in: Ayer, 01.08.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 54 McCarren, Dancing Machine, S. 12. 55 Ebd., S. 14. 56 „Cuando venían en sus autobuses, camino del teatro nacional [...] unos cuantos mozalbetes cobardes tuvieron el ‚gesto antifranquista‘ de lanzar piedras y huevos sobre los coches. Las chicas respondieron con estupenda serenidad. Se limitaron a reír, cantar y subir los cristales de las ventanillas.“ García Serrano, Bailando, S. 434.
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Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Was steckte hinter dem Umstand, dass für die Tänzerinnen weder das Tanzen noch andere Aktivitäten scheinbar eine Anstrengung implizierten? – Meine Antwort lautet: Arbeit. „Sind Fälle von Seekrankheit registriert worden? – Nein, nicht einer. Diese Mädchen sind sehr tapfer“57, erklärte der Kapitän eines der Schiffe, mit denen die Coros y Danzas reisten, in einem Interview. Die Aussage kann als Hinweis für die von den Coros y DanzasTänzerinnen geleistete Arbeit der Selbstbeherrschung betrachtet werden. Eine andere Art von Arbeit verbarg sich hinter der Mühelosigkeit, mit der die Tänzerinnen auf der Bühne ihre Glieder zu verrenken vermochten. Die meisten von ihnen waren zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Schulbildung oder in Sección Femenina-Institutionen mit dem Gymnastikprogramm der Organisation in Berührung gekommen. Eva, die Trainerin der Gruppe, die 1957 Äquatorialguinea bereiste, war gar zur Turnlehrerin ausgebildet worden. Die Sección Femenina-Gymnastikübungen wurden im Wesentlichen vom Arzt Luís Agosti entwickelt. Er orientierte sich dabei an den Ansätzen der sogenannten Schwedischen Schule von Ling, die „harmonische“ und „leichte“ Bewegungen vorschrieb.58 Über die Educación física-Ausbildung, welche die meisten Tänzerinnen und Tanztrainerinnen in irgendeiner Form genossen, erhielt somit ein Streben nach Agilität Einzug in die Coros y Danzas-Tanzerei. Darüber hinaus wurde das Tanzprogramm der Folkloregruppen ‚balletisiert‘. Die ballettartig getanzten bolero-Tänze wurden aufgrund ihrer Beliebtheit beim ausländischen Publikum in das Repertoire integriert und teilweise in „traje clásico“ getanzt. Schließlich trugen die andalusischen Tänzerinnen die Geschichte eines bestimmten Diskurses mit sich, der ihre Konstruktion als agile Körper beförderte. Seit der Romantik war „Leichtigkeit“ ein „typisches“ Merkmal, das AndalusierInnen sowohl von Reisenden als auch von Wissenschaftlern häufig zugeschrieben wurde.59 „Die Körperhaltung des Andalusiers ist anmutig, leicht, ungezwungen und ausdrucksstark“60, vermerkte 1869 Antonio Machado y Núñez, ein Gründungsmitglied der Sociedad Antropologica de Sevilla in seinem Catálogo Metódico y Razonado de los Mamíferos de Andalucía.
57 „¿No se registraron mareos? – En absoluto. Estas chicas son muy valientes.“ F.A., Gaceta del norte, 1950. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 58 Vgl. Manrique Arribas, Juan Carlos: La mujer y la educación física durante el franquismo, Valladolid 2008, S. 249. und Ofer, Señoritas in Blue, S. 108f. 59 Vgl. Steingress, Über Flamenco und Flamencokunde, S. 33ff. 60 „La postura del andaluz es graciosa, ligera, desembarazada y enfática.“ Machado y Núñez, Antonio: Catálogo metódico y razonado de los mamíferos de Andalucía, clasificados según el sistema del Dr. Enrique Schinz, Sevilla 1869, S. 8.
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Die Agilität der Coros y Danzas-Tänzerinnen und der Umstand, dass sie zu Tanzautomaten wurden, war ihrer politischen Mission in mehrerlei Hinsicht nützlich. Sämtliche Hindernisse mühelos zu überwinden, sämtliche Aufgaben ohne Anstrengung, ohne Arbeit zu erledigen, schwere Lasten zu tragen, als wären sie leicht, war eine Fähigkeit, die sich wohl nicht wenige Menschen im Publikum der Coros y Danzas-Shows wünschten. Ihre Mühelosigkeit war, wie ich meine, eine der Eigenschaften, welche die Attraktivität der Coros y Danzas als Identifikationsfiguren und damit als Rollenmodelle erhöhen sollten. Sie sollte die Bereitschaft des Publikums erhöhen, sich die anderen Eigenschaften der Tänzerinnen, die als ‚Geheimnis‘ ihrer Leichtigkeit präsentiert wurden, anzueignen. „Was kann uns schon so etwas so Leichtes wie ein Haufen Tänzerinnen anhaben?“61 lässt in Ronda española die Frau in der Gruppe der Exilrepublikaner verlauten, als einer von diesen die Folkloregruppen als gefährliche franquistische Propaganda bezeichnet. Die Agilität der Tänzerinnen trug, so meine These, dazu bei, sie unpolitischer, den Staat, den sie repräsentierten, leichter und harmloser erscheinen zu lassen. Gleichzeitig machte die Leichtigkeit, mit der die Tänzerinnen in Ronda española einen Kontinent unter ihren Füßen verschwinden lassen und die Gelassenheit, mit der sie feindlichen Attacken zu begegnen vermögen, die Geste der Einschüchterung bedrohlicher. Die Coros y Danzas-Mitglieder repräsentierten einen Staat, der seinen potentiellen WidersacherInnen zu verstehen gab, dass er sie mit Leichtigkeit niederzumachen vermochte. Ich fasse daher die Agilität der Tänzerinnen als Bestandteil ihrer Funktion als Kriegsmaschinen auf. Die oben zitierte Aussage des Kapitäns bezüglich der nicht registrierten Seekrankheit der Tänzerinnen macht die Arbeit der Tänzerinnen, genauer deren Selbstbeherrschung sichtbar. Derartiges Sichtbarmachen ist in den Quellen häufig anzutreffen. Es machte die Tänzerinnen nicht zu Automaten, sondern zum zweiten Typus Tanzmaschine, den McCarren folgendermaßen umschreibt: „In a second conception of the machine […], the ,human motor‘ focuses on the machines’ manifest rather than concealed mechanics, and on expenditure of energy rather than external control. Whereas the automat hides its work and agency in a exercise of inanimate animation, the human motor openly exhibits both […].“62 Die Quellen zu den Äquatorialguineareisen der Coros y Danzas, insbesondere die Chronik in Ebano von 1957, listeten eine beeindruckende Vielzahl von besuchten Orten und absolvierten Aktivitäten der Tänzerinnen auf und ließen diese nur schon dadurch äußerst fleißig erscheinen. Die Normas der Regiduría de Cultura begründen die Altersgrenze für Coros y Danzas-Mitglieder, die ins Ausland
61 „¿Qué importa algo tan ligero como un montón de bailarinas?“ Ronda española. 62 McCarren, Dancing Machine, S. 14.
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verreisen durften, auch damit, dass eine solche notwendig sei, um die „Resistenz“ der Tänzerinnen zu gewährleisten: „Da die Mehrheit der Reisen hart und ermüdend und die Proben sehr intensiv sind, muss die Bedingung gelten, dass die Gruppen sich aus jungen Kameradinnen zusammensetzten.“63 Die Quellen berichten immer wieder ausführlich von Strapazen, welche die Tänzerinnen auf ihren Reisen tapfer ertrugen. Im informe de viaje einer Reise nach Nizza im Jahr 1955 hieß es: „Verhalten der Gruppe: Alle haben bei jeder Gelegenheit bewundernswert reagiert, ohne sich zu beklagen, ohne eine einzige Beschwerde, obschon wir weder auf der Hin- noch auf der Rückfahrt eine warme Mahlzeit einnehmen konnten und sogar, obwohl wir einige Stunden ganz ohne etwas zu essen verbrachten, da der Zug nicht hielt.“64
Auch ‚externe‘ Dokumente erwähnen den heroischen Umgang der Coros y Danzas-Mitglieder mit ungenießbarer oder ausbleibender Nahrung. Die Tänzerin María del Rosario Blanco García berichtete in der Zeitung Nueva España von dem „drittklassigen Essen“, mit dem sich die Mitglieder ihrer Gruppe in London zufrieden gaben. Die Qualität dieses Essens soll sich allerdings verbessert haben, nachdem die Tänzerinnen das Hotelpersonal mit ihrer Fröhlichkeit und Herzlichkeit für sich gewinnen konnten.65 García Serrano wiederum beschreibt, wie sich in einem Restaurant in Venezuela ein Kellner aus politischen Motiven weigerte, die Coros y Danzas zu bedienen und wie die Tänzerinnen, statt sich über das Ausbleiben des Essens zu beklagen, begannen Lieder zu singen.66 Nicht nur Hunger, auch Schlafmangel hatten die Tänzerinnen zu ertragen. Vor einem Auftritt einer valenzianischen Coros y Danzas-Gruppe in Madrid kündigte die Zeitung Pueblo deren Erschöpfung Tage vor den Auftritten einer Publikumsattraktion gleich an: „Die Coros y Danzas aus Valencia werden in Madrid
63 „Al ser la mayoría de los viajes duros y cansados y los ensayos muy intensos, debe prevalecer en dichos grupos la condición de estar formados por camaradas jóvenes.“ Sección Femenina, Normas, S. 31. 64 „Comportamiento de grupo: Todos han respondido en todas la ocasiones admirablemente, sin una queja ni reclamación, a pesar de que ni al ir ni al volver, pudimos hacer una comida caliente, incluso por no tener parada el tren, pasamos bastantes horas sin comer nada.“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 65 Vgl. Blanco García, María del Rosario: F.A., Nueva España. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 66 Vgl. García Serrano, Bailando, S. 434.
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erschöpft, beinahe ohne geschlafen zu haben, ankommen, um zu tanzen“67, hieß es dort. Die Quellen berichteten auch davon, wie die Tänzerinnen mentale Herausforderungen bewältigten. „Jetzt fahren sie nach Kalifornien: Sie reisen zum ersten Mal in einem Flugzeug, und wenn sie Angst haben, so ertragen sie diese“68, schrieb die Zeitung Arriba im August 1950. Der Coros y Danzas-Motor offenbarte nicht nur, dass er arbeitete, er verriet auch, was sein ‚Treibstoff‘ war. Ich zitiere erneut Blanco Garcías Chronik der Londoner Auftritte von 1950: „[...] wir hatten in drei Tagen nur neun Stunden geschlafen: Aber was bedeutet schon das Vergangene, wenn unsere Fröhlichkeit einzigartig ist und unser Optimismus uns dazu zwingt, zu lachen und zu singen, alle vergangenen Erschöpfungen und die, die auf uns warten, vergessend.“69
Eine Ingredienz des Zaubertranks, der die Coros y Danzas derart resistent und ausdauernd machte, war, so suggerierte dieser Abschnitt ebenso wie García Serranos Episode mit dem Kellner, Fröhlichkeit. Hier wurde der Leserschaft Fröhlichkeit nicht nur an sich schmackhaft gemacht, sondern auch als Mittel zum Zweck. In den Worten von Ahmed: „Not only does happiness become an individual responsibility, a redescription of life as a project, but it also becomes an instrument, as a means to an end, as well as an end.“70 Ein anderes Geheimnis der Ausdauer der Coros y Danzas-Tänzerinnen lüftete Ismael Medina im Jahr 1951 in der Zeitung Ayer: „In Schondorf mussten die Coros y Danzas de la Sección Femenina das ‚Cara al Sol‘ singen. [...] Ich habe gesehen, wie Elena, ihr Gesicht so kindlich, so anmutig, zwischen den
67 „Las Chicas de los Coros y Danzas de Valencia, agotadas, casi sin dormir, vendrán a Madrid a bailar.“ F.A., Pueblo, 15.11.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP23/27.70428.302 GR7 No1. 68 „Ahora van a California: Montan en avión por primera vez y si tienen miedo se lo aguantan.“ F.A., Arriba, 10.08.1950. AGA, (03)051.023 LEG 34 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 69 „[...] llevábamos durmiendo sólo nueve horas en tres días: pero qué importa todo lo pasado si nuestra alegría es única y nuestro optimismo nos obliga a reír y cantar, olvidando todas las fatigas pasadas y las que nos pueden esperar.“ Blanco García, María del Rosario: Francia vista desde el autobús, in: La Nueva España, F.A., AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 70 Ahmed, Happiness, S. 10.
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Strophen Tränen vergossen hat und wie sie und alle anderen danach getanzt haben, wie sie es nie zuvor getan hatten, die ganze Erschöpfung von zwei Wochen ohne Schlaf und ohne Ruhe überwindend.“71
Es war das kollektive Singen der Falange-Hymne, die im franquistischen Spanien üblicherweise neben der Marcha Real als zweite Nationalhymne gespielt wurde, das den Coros y Danzas-Motor auf Hochtouren laufen ließ. Wohl sollte die Leserschaft der obigen Passage weiter folgern, dass das Singen des Cara al Sol in den Tänzerinnen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Spanien evozierte und dass es dieses Gefühl war, das sie antrieb. Die Selbstbeherrschung und die Ausdauer der Tänzerinnen wurden nicht als Distinktionsmerkmale betont. Sie sind nicht zu vergleichen mit der altgriechischen entráteia, die Foucault als befreiende Selbstpraktik analysiert72, sondern mehr mit jener Art von christlicher Askese, die – auch gemäß Foucault – nach Reinheit und Unsterblichkeit strebte.73 Die Selbstbeherrschung und Ausdauer der Tänzerinnen waren Eigenschaften, die sich die „typische“ (und damit katholische) spanische Frau, für welche die Folkloregruppen Modell tanzen sollten, anzueignen hatte. Die große Mehrheit der spanischen Bevölkerung war im Fraco-Staat der 1940er und 1950er Jahren täglich allergrößten Strapazen ausgesetzt. Dazu gehörten Hunger, viel und harte Arbeit, aber auch physische und psychische Gewalt. Wie Martín Gaite gezeigt hat, wurden insbesondere Frauen in Kirche, Familie und Schule von klein an dazu angehalten, durch Fröhlichkeit und durch das beflügelnde Gefühl der Zugehörigkeit zu Spanien die Widrigkeiten ihres Alltags zu überwinden.74
71 „En Schondorf los Coros y Danzas de la Sección Femenina hubieron de cantar el ,Cara al Sol‘. […] Yo he visto como Elena con su cara tan infantil y tan graciosa, se le iban las lágrimas entre las estrofas del himno y como ella y todas han bailado luego como nunca lo han hecho, venciendo el cansancio de dos semanas sin sueño y sin sosiego.“ Ismael Medina, F.A., Ayer, 31.03.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.70428.302 GR7 No1. 72 Vgl. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit II, Frankfurt am Main 1989, S. 51ff. 73 Vgl. ders.: Zur Genealogie der Ethik. Ein Überblick über laufende Arbeiten, in: Dits et Ecrits – Schriften in vier Bändern, Bd. 4, hrsg. von Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt am Main 2005, Nr. 326, S. 461-498, hier S. 483. 74 Vgl. Martín Gaite, Usos amorosos, S. 40.
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S EXY Die Sección Femenina bemühte sich, Tänzerinnen für die Coros y Danzas-Reisen auszuwählen, deren Körper den gültigen Schönheitsidealen entsprachen, um die Erwartungen eines Publikums zu erfüllen, das auch in einem „ästhetischen Sinne unterhalten“ werden wollte (vgl. Kapitel 2.2). Doch die Tänzerinnen sollten nicht einfach nur schön sein, sondern auch als erotisierte Köper erotische Begehren auslösen. So zum Beispiel im Kinofilm Ronda española. Die Rückführung des Exilrepublikaners Pablo nach Spanien, die der Film inszeniert, wird ermöglicht durch eine erotische Verführung: Pablo verliebt sich in Ángeles, die Freundin seiner Schwester, und diese droht ihm in einer schummrigen Bar in Curaçao mit Liebesentzug. Sie beschimpft ihn als feige und unmännlich und vermag ihn so zur Rückkehr nach Spanien zu bewegen. Es kommt in dem Film so zu einer Darstellung erotisierter Frauenkörper „as erotic object for the character within the screen story, and as erotic object for the spectator within the auditorium“75, die laut Mulvey eines der Hauptmerkmale des kommerziellen Kinos ausmacht. Nicht nur im Film, sondern auch live sollten die Tänzerinnen Begehren hervorrufen. Die Sección Femenina hat einen Ausschnitt eines Presseberichtes zu einem Auftritt einer Coros y Danzas-Gruppe auf einer airbase in Puerto Rico im Jahr 1950 archiviert. Der Artikel indiziert, dass die Schönheit der Mitglieder der Folkloregruppe zumindest dort eine betörende Wirkung zu entfalten vermochte. Gleichzeitig reproduzierte der Bericht die Erotisierung der Tänzerinnen und machte deren sexyness seiner Leserschaft zugänglich: „The acute girl shortage at this base was briefly relieved last week when 128 dancers and singers came aboard to entertain and be entertained. [...] Other airmen became so bewildered at the sudden influx of so many beautiful girls that they were unable to even try to sign gimmicks. They stood around in small groups looking very interested but frustrated beyond immediate help.“76
Die Stelle beinhaltet eine derart deutliche Erotisierung der Tänzerinnen, dass diese beinahe in die Nähe eines military pinup77 rücken. Doussinage, der spanische
75 Mulvey, Laura: Visual Pleasure and Narrative Cinema, in: dies.: Visual and Other Pleasures, Bloomington 1989, S. 14-26, hier S. 19. 76 F.A., AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 77 Vgl. Kakoudaki, Despina: Pinup. The American Secret Weapon in World War II, in: Linda Williams (Hg.): Porn Studies, Durham 2004, S. 335-369.
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Botschafter in Peru wiederum schrieb über einen dortigen Auftritt der Coros y Danzas: „Der grenzenlosen Bewunderung ihres Auftritts und ihres künstlerischen Reichtums folgte sogleich ein weiterer Schritt, der der Bewunderung für diese Art von Mädchen: Die aus Badajoz, die eben erst 17 Jährchen alt geworden ist, die außerordentlich feingliedrigen und zierlichen Mädchen von den Balearen […], die großen, immer zum Himmel blickenden Augen von Antoñita, einer der Tänzerinnen aus Córdoba, die sanfte Grazie der kleinen Galizierin […], die sanfte Art zu sprechen der blonden Teresa aus San Sebastián, […] die absolute und immer lächelnde Vollkommenheit der Gesichtszüge jenes Mädchens aus Murcia, das Anita heißt.“78
Weiter unten in seinem Bericht schildert der Autor die Szene, in der eine Tänzerin in einem republikanischen Zentrum einem Exilrepublikaner eine Blume ins Knopfloch steckt. Die Tänzerin wird beschrieben als „Lolita, von herausragender Schönheit und mit einem verführerischen Lächeln.“79 Allgemein, so der Autor, war es der „Reiz“ der Tänzerinnen, der politische Feinde zu bezwingen vermochte: „Gegner unserer Politik oder, was noch schlimmer ist, diejenigen, die ihr gleichgültig oder geringschätzig gegenüberstehen, spürten, wie sie von diesem Etwas, das über der ganzen Gruppe schwebte, durchdrungen wurden, dieser mysteriösen und eigenartigen weiblichen Anziehungskraft […].“80
Eine weitere Erotisierung von Coros y Danzas-Tänzerinnen lässt sich in einem Interview finden, das 1951 in der spanischen Zeitung Voz del Sur erschien:
78 „A la admiración ilimitada ante este despligue de riqueza artística, sucedió immediatamente otra etapa, la de admiración hacia este tipo de muchachas: la de Badajoz que acaba de cumplir 17 añitos, las finísimas y delicadas muchachas de Baleares [...], los ojos grandes mirando siempre al cielo de Antoñita, una de las bailarinas de Córdoba, la suave gracia de la galleguita [...], la suave dicción de la rubia donostiarra Teresa, [...] la correción absoluta y siempre sonriente de las facciones de esa muchacha murciana que se llama Anita.“ Doussinague, Carta a Pilar Primo de Rivera, S. 9f. 79 „Lolita de espléndida hermosura y sonrisa cautivadora.“ Doussinague, Carta a Pilar Primo de Rivera, S. 13. 80 „Personas adversas a nuestra política, o lo que es peor, indiferentes y menospreciadoras, se van advirtiendo a sí mismas, penetradas y confortadas por ese algo que flota por encima de todo el grupo, por ese misterioso atractivo femenino y extraño […].“ Ebd., S. 11f.
200 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE „Der Autor gesteht sein verliebtes Erstaunen und bedauert es, dass seine Bitte, ‚offizieller Chronist der Reise‘ zu sein, nicht erhört wurde. Aber so ist das Leben. Und so sind auch sie: schön wie nur sie. [...] Der eben erst Angekommene [...] setzt sich wie ein Sultan auf einen Stuhl, verbirgt seinen Enthusiasmus und schießt mit einer Frage los: Wohin wollen diese hübschen Gesichter? Alle sprechen. Alle lachen. Dem Journalisten ist es egal, dass er nichts versteht, denn er ist sehr zufrieden und fühlt, wie sich zeitweise seine Pläne für ein Junggesellendasein verflüchtigen.“81
Die Tänzerinnen wurden hier geradezu auf ihre sexyness reduziert. Der Ausdruck „sultanescamente“ evoziert des Weiteren den orientalistischen Topos des Harems als Ansammlung von „infinitely interchangeable female subjects to the control of a central male gaze.“82 Einige Zeitungsartikel erwähnten, dass die Tänzerinnen in Spanien einen Verlobten („novio“) hätten, oder, dass sie sich auf der Reise verlobt hätten. Derartige Schilderungen rückten die Tänzerinnen in den Bereich des ‚Verlobbaren‘, sprich – vor dem Hintergrund der franquistischen Geschlechterordnung – des Besitzbaren. Gleichzeitig grenzte ein Artikel aus der Zeitung Amanecer die Menge der potentiellen Besitzer ein und entrückte die Tänzerinnen der ‚Gefahrenzone Landesverräterin‘. Betonte doch der Autor, dass die Tänzerinnen während ihrer Reisen auf das Werben ihrer nicht spanischen Bewunderer nicht eingegangen seien: „Und obwohl die Argentinier – wie sie sagen – verrückt waren nach den Spanierinnen, hielten diese ihre Treue zu ‚den hiesigen‘, so dass keine einzige mit einem Freund zurückkam.“83 Eine andere Form der Erotisierung der Tänzerinnen, die sie als besitzbar markierte, bestand in der Betonung ihrer Keuschheit. Visualisiert wurde diese durch die sogenannten bombachos, bis unter die Knie reichende weiße Baumwollun-
81 „El periodista confiesa su enamorado asombro y lamenta que no haya tenido lugar su ruego de ser ‚cronista oficial del viaje‘. Pero la vida es así. Y ellas son también así: Guapas como ellas solas. […] El recién llegado […] se sienta ,sultanescamente‘ en una silla, disimula su entusiasmo y dispara pregunta: ¿A dónde van esas caras bonitas? Hablan todas. Ríen todas. Al periodista no le importa no enterarse de nada, porque está muy contento y siente desangrarse por momentos sus proyectos de soltería.“ F.A., Voz del Sur, 1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 82 Martin-Márquez, Disorientations, S. 246. 83 „Y aunque los argentinos – dicen – se volvían locos por las españolas, éstas llevaron su fidelidad a ,los de acá‘ hasta el punto de venirse sin un solo novio.“ Amanecer, 28.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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terhosen, welche die Tänzerinnen gemäß den Normen der Regiduría de Cultura unter ihrer Tracht zu tragen hatten. Die bombachos gehörten auch zur Sección Femenina-Sportuniform und werden in der Forschungsliteratur nicht selten als das Symbol der sexuellen Repression im franquistischen Spanien gewertet.84 Tatsächlich waren insbesondere die konservativen Entitäten des Franco-Staats bestrebt, in Spanien im Zuge seiner Re-Katholisierung eine neue alte Schamhaftigkeit herzustellen. Und genau diese Bestrebungen sexualisierten den weiblichen Körper. Überall wurde in ihm die „heimtückische Präsenz“85 des Sexes aufgespürt, in der Art zu gehen, zu sprechen oder sich zu frisieren und in Form der Knie, die beim Tanzen zum Vorschein kommen konnten.86 Lautstark wurde dieser Sex versteckt, zum Geheimnis gemacht und dabei entdeckt. Ähnlich wie die Vorhänge zwischen den Betten in den Bildungsanstalten des 18. Jahrhunderts „in beredenster Weise auf die Sexualität der Kinder“87 verweisen, legten die bombachos vom Sex der Coros y Danzas-Tänzerinnen Zeugnis ab. Grell leuchten die langen weißen Unterhosen auf Fotografien und blitzen in Filmaufnahmen auf, sobald sich die Tänzerinnen drehen oder von unten aufgenommen werden. In manchen Bildern scheint es gar so, als würde die Kamera geradezu auf sie fokussieren. Wohl wusste die Regiduría de Cultura um die Sichtbarkeit der bombachos. Schrieb sie deshalb vor, dass diese „mit derselben Sorgfalt bezüglich Spitzen etc. behandelt werden müssen wie die äußeren Stoffe“?88 Nicht nur Bilder, auch Texte besprachen, was sich unter den Röcken der Tänzerinnen nur halb verbarg. Die bombachos waren sowohl in Bailando hasta la Cruz del Sur als auch in der Presse ein Thema und wurden auch von den Tänzerinnen selbst zum Thema gemacht. In bzw. durch mehrere Texte, wie Blanco Garcías Chronik, avancierten die langen Unterhosen zum Publikumserfolg: „Eines der vielen Dinge, welche die Engländer bei unserem Auftritt überraschen, ist die Unterwäsche, die wir zu den Regionaltrachten tragen. Daran gewöhnt, überall Beine zu sehen, gefallen ihnen unsere weißen und gestärkten Unterröcke mit breitem Spitzensaum und unsere Unterhosen mit Spitzenrüschen, die uns bis unter die Knie reichen; es amüsiert
84 Vgl. Gallego Méndez, Mujer, Falange y franquismo, S. 55ff. 85 Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt am Main 1983, S. 49. 86 Vgl. Werner, Carmen: Convivencia Social. Formación Familiar y Social. Tercer Curso, Madrid 1955, S. 45ff. 87 Foucault, Wille zum Wissen, S. 41. 88 „Toda la ropa interior debe realizarse con igual cuidado en puntillas, etc. que las prendas exteriores.“ Sección Femenina, Normas, S. 95.
202 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE sie, wenn wir sie in schnellen Drehungen hervorblitzen lassen und wir wissen, dass dies einen sehr vorteilhaften Eindruck hinterlässt.“89
Es ist beachtlich, dass die Tänzerin hier nicht etwa davon sprach, dass die bombachos unbeabsichtigterweise sichtbar geworden wären, sondern davon, dass die Tänzerinnen diese hervorblitzen ließen („lucir“), wohlwissend um die Wirkung, die sie damit bei ihrem Publikum auslösen würden. Foucault schreibt in seiner Abhandlung zur Psychiatrisierung der perversen Lust von einer „Lust, eine Macht auszuüben, die ausfragt, überwacht, belauert, erspäht, durchwühlt, betastet, an den Tag bringt.“90 Die Coros y Danzas-ZuschauerInnen waren in der Machtposition, die bombachos der Tänzerinnen, die sie „belauerten“, bei der wilden Drehung zu „erspähen“, sie wussten dann um den Sex der Körper, die sich da bewegten. Diejenigen unter ihnen, die über das Spektakel schrieben und es fotografierten oder gar filmten, teilten diese Lust mit ihrer Leserschaft. Es war dies auch eine voyeuristische Lust, die in der Überschreitung eines Verbots bestand, des Sehens von etwas, das nicht gesehen werden durfte. „Beine zeigen gegen die Regeln“, lautete die Überschrift einer Reportage in der brasilianischen Zeitung Diario da Noite. Darunter befand sich eine große Fotografie einer Tänzerin, die sich gerade ihre Strümpfe anzieht. Unwiderstehlich muss der Reiz gewesen sein, den Artikel zu lesen: „Als sie den Blitz des Fotografen wahrnahm, war es schon zu spät. Werde ich so erscheinen, wie ich mir die Strümpfe anziehe?! – fragte lachend Isabel, eine Lehrerin aus Tenerifa. Die anderen wiederholten erschrocken, dass ein Stück von Isabels Bein erscheinen würde. – Das ist gegen das Reglement – bestätigte einer der Musiker, pittoresk mit langen samtenen Schleifen geschmückt. Sie diskutierten [...]. Sie dürfen es publizieren – entschieden sie schließlich.“91
89 „Una de las muchas cosas nuestras que sorprenden a los ingleses en nuestro espectáculo son las ropas interiores que llevamos con los trajes regionales. Acostumbrados a ver piernas por todas partes nuestras blancas y almidonadas enaguas de anchas puntillas y los calzones de volantes de encajes que nos llegan más abajo de la rodilla, les hace gracia cuando en las vueltas rápidas los lucimos y sabemos que esta impresión es muy favorable.“ Blanco García, María del Rosario: F.A., Nueva España, 12.03.1952. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 90 Foucault, Wille zum Wissen, S. 61. 91 „Quando ela percebeu o ,flach‘ do fotografo, já era tarde. – Mas vou aparecer assim, calçando as meias?! […] - preguntou sorrindo, Isabel, a professora de Tenerife. As outras repetiam assustadas que ìa aparecer um pedaço da perna de Isabel. – E’contra o
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Nicht nur die bombachos verschufen den Coros y Danzas eine erotische Keuschheit. Es war auch ihre Religiosität. In einem Artikel des gaditanischen Schriftstellers José María Pemán aus der Zeitung ABC war zu lesen: „[…] und sobald ein jeder Tanz zu Ende ist, wird die Schüchternheit der spanischen Frau wiederhergestellt. Mit dem letzten Takt des am stärksten bewegten und wuchtigen Tanzes fielen ihre Arme in einer plötzlichen Beunruhigung, als ob sie etwas Böses getan hätten. Nicht einmal zu grüßen vermögen sie mehr kokett. Sie fliehen geradezu von der Bühne. Und diese Flucht erschreckter Rehe bewegt beinahe so sehr wie das Feuer und die Ungezwungenheit des Tanzes. [...] Eine halbe Stunde nachdem sie die wildeste bulería getanzt hat, schaut die Tänzerin, der man in einer Ehrerweisung, der man sich nicht erwehren kann, einen Drink offeriert, aus dem Augenwinkel auf ihre kleine Armbanduhr, um nachzusehen, ob es bereits Mitternacht ist: Denn morgen geht sie in die Kirche. Und das ist es, was den Coros y Danzas ein besonderes Parfum verleiht. Sie stellen die Wucht unseres Tanzes und die Mäßigung unserer Frauen dar.“92
Auch die folgende Stelle aus den Vorschriften der Regiduría de Cultura veranschaulicht, dass es ihre Reinheit war, welche die Tänzerinnen hätte anziehend machen sollen. „Exzessive Schminke, die einen vollkommen künstlichen Anstrich verleiht, ist zu vermeiden, vor allem übertriebene Schminke rund um die Augen. Es ist eine Sache, dass sie sich moderat schminken, denn sich zurechtzumachen, steht einer Frau immer gut, und eine an-
regulamento – afirmou um dos musicos, pittorescamente adornado de longo cinto de veludo. Discutiram […]. Pode publicar – resolveram finalmente.“ F.A., Diario de Noite, 16.06.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 92 „[…] y en lo rápidamente que al acabar cada danza se reintegraba su timidez de mujer española. Con el último compás del baile más movido e impetuoso, sus brazos caían en un azoramiento súbito, como si hubieran hecho algo malo. Ni saludar saben ya con coquetería. Se van de los escenarios como huyendo. Y aquella fuga de corzas asustadas conmueve casi tanto como el fuego y la desenvoltura del baile. […] A la media hora de acabar las más furiosas bulerías, la danzarina, a la que ofrecen una copa en el agasajo inevitable, mira de reojo su relojito de pulsera a ver si es medianoche: porque mañana va ir a la iglesia. Esto es lo que da a Coros y Danzas un perfume distinto. Ellos exhiben el furor de nuestras danzas y la moderación de nuestras mujeres.“ Pemán, José Maria, F.A., ABC, 23.02.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.70428.302 GR7 No1.
204 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE dere Sache ist es, dass sie wie wahre Masken daher kommen, die ihnen mit diesen Kunstgriffen sogar den Reiz ihrer Jugend rauben.“93
Interessant ist, dass die Reinheit der Tänzerinnen offenbar nicht einen völligen Verzicht auf Schminke implizieren sollte. Oder war es vielmehr so, dass sie erst durch Schminke herstellbar war? Die Libidobesetzung jungfräulich keuscher Körper ist ungefährlich, solche Frauen kastrieren nicht94, und wer sie erobert, muss sich mit keinem vor ihm Dagewesenen messen. Die Lust, die der keusche Körper verspricht, ist diejenige der Machtposition des Eroberers von terra incognita. Die Keuschheit der Coros y Danzas-Tänzerinnen war besonders sexy, weil sie zusammen mit Tänzen inszeniert wurde, die trotz aller Anstrengungen, sie im Zuge ihrer Erarbeitung zu entsexualisieren, ihre erotischen Narrative erhalten hatten. Die wilde bulería war ein Versprechen, indizierte den Sex, der sich unter den langen Röcken verbarg. Der Sex war da – die Ungezwungenheit der bulería bewies es ebenso wie die bombachos. Auch in Danzas de España en el trópico lenkt die Kamera den Blick auf die bombachos der Tänzerinnen. Anders als auf anderen Reisen waren sie in Äquatorialguinea aber auch häufig ohne bombachos, ohne Strümpfe, in ärmellosen Kleidern anzutreffen, was die sexyness bedeckter Haut um diejenige nackter Haut ergänzte. Die Tatsache, dass der koloniale Diskurs „so vollkommen sexualisiert“95 war, wird auch in Texten zu den Coros y Danzas-Auftritten manifest, und zwar auch dort, wo über die Natur, in der die Folkloregruppen auftraten, gesprochen wird: „Unter einem Himmel nackter Sterne, durchbrochen von sinnlichen Palmen, in einem tropischen Klima voller großer Nachtfalter und Insekten mit irisierenden Flügeln, am Mee-
93 „Evitarán la excesiva pintura que da un aire totalmente artificial, sobre todo con la exagerada pintura alrededor de los ojos. Una cosa es que se pinten moderadamente, porque el arreglo en la mujer siempre dice bien, y otra cosa que vayan como verdaderas caretas, restándole incluso el atractivo a su juventud con estos artificios.“ Sección Femenina, Normas, S. 217. 94 Vgl. Theweleit, Klaus: Männerphantasien, 2 Bde., München 2000, S. 98, S. 130f. 95 Vaughn, Megan: Curing their Ills. Colonial Power and African Illness, Oxford 1991, S. 129.
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resufer und neben den liturgischen Feuern wilder tribus stampften die Inselmädchen voller Anmut den ‚el vito‘“96,
schrieb die Zeitung Ayer. Neben der Sexualisierung der Natur war auch die Sexualisierung nicht weißer Menschen integraler Bestandteil vieler kolonialer Diskurse. Die Vergewaltigung der nicht weißen Frau symbolisierte dabei die Eroberung des jungfräulichen Territoriums.97 So auch bei García Serrano, dem Autor von Bailando hasta la Cruz del Sur. In dem vier Jahre vor seinem Coros y Danzas-Roman erschienenen Cuando los Dioses nacían en Extremadura beschreibt er die „Begegnung“ des Conquistadors Cortés mit der Aztekin Marina folgendermaßen: „So fanden sie die Umarmung, das erste Wort, und Hernán Quetzalcoalt, geboren in Medellín, befruchtete auch die Erde und die Erde wurde feucht mit seinem Samen und seinem Tau. Er liebte die Frau und er liebte die Erde.“98 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten sich Afrika und Amerika zu „porno-tropics“99, Projektionsflächen für verbotene europäische Begehren und Ängste. Abenteurer und Wissenschaftler stellten die nicht weiße Frau als hypersexuell dar, anziehend und abstossend zugleich, gefährlich begehrenswert, eine vagina dentatis. Ihr Körper symbolisierte gleichzeitig „the pleasures and profits of empire“100 und die rassische Minderwertigkeit der Kolonialisierten, ihren Man-
96
„Bajo un cielo de estrellas desnudas recortado por sensuales palmeras en un clima tropical de grandes mariposas nocturnas y mosquitos de alas irisadas, al borde del mar y de las fogatas litúrgicas de tribus salvajes, la niñas de la Isla han zapateado donosamente ‚el vito‘.“ F.A., Alegrías de Cádiz en la Guinea Español, Ayer, 18.07.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. Mit Insel ist hier San Fernando, die Vorstadt von Cádiz, gemeint.
97
Vgl. Balce, Nerissa S.: The Filipina’s Breast. Savagery, Docility and the American
98
„Así encontraron el abrazo, la primera palabra, y Hernán Quetzalcoalt, natural de
Empire, in: Social Texts 24, 2 (2006), S. 89-110, hier S. 89ff. Medellín, fecundaba también la tierra y la tierra se humedecía con su semilla y su rocío. Amaba a la mujer y amaba a la tierra.“ García Serrano, Rafael: Cuando los dioses nacían en Extremadura, Madrid 2001 (1949), S. 149f. Siehe allgemein zur Reproduktion der Cortéz-Marina Geschichte im Franquismus: Escudero, María A.: „Cortes and Marina.“ Gender and the Reconquest of America under the Franco Regime, in: Enders/Radcliff (Hg.), Spanish Womanhood, S. 71-93. 99
McClintock, Anne: Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, London/New York 1995, S. 22.
100 Balce, Filipina’s Breast, S. 98.
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gel an Disziplin und Zivilisation, den die KolonialherrInnen zu beheben hatten.101 Gustau Nerín i Abad behandelt in Guinea Ecuatorial, historia en blanco y negro nicht nur die sexuelle Ausbeutung guineischer Frauen durch spanische Siedler und Reisende. Er untersucht auch franquistische Kolonialliteratur, die Guineerinnen eine obszöne, abstoßende und gefährliche Hypersexualität zuschrieb. Der Guineerin wird darin die weiße Frau als gleichzeitig reiner und sexuell attraktiver gegenübergestellt.102 In Masolivers Efún entsetzt sich die reine Ana angesichts des „Tanzes der Brüste“, der ihr als „das lebendige Bild der Wolllust“103 erscheint. Weiter tritt als Antagonistin und Gegenfigur zu Ana die hypersexuelle Obama auf, die auf agressive Art und Weise versucht, den spanischen Arzt Isart zu verführen. Dieser wiederum fühlt sich zu Ana hingezogen, gerade weil die Spanierin im Vergleich zu Obama so rein ist. Die unschuldige, nicht kastrierende Keuschheit von Ana erlangt so, indem sie der guineischen Hypersexualität gegenübergestellt wird, den Status einer ‚Gegen-Erotik‘.104 Die Coros y Danzas wurden während ihres Besuchs in Micomenseng im Jahr 1954 neben barbusigen guineischen Tänzerinnen fotografiert und gefilmt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es dabei zu einer ähnlichen Verschiebung wie in Efún kam: Die nackten Brüste guineischer balele-Tänzerinnen betonten die Reinheit und Keuschheit der Coros y Danzas-Tänzerinnen und verstärkten so deren oben beschriebene ‚Keuschheitssexyness‘. Inwiefern nützte die Erotisierung der Tänzerinnen der politischen Mission der Coros y Danzas? Zunächst gilt es zu betonen, dass die Erotisierung der Tänzerinnen wichtiger Bestandteil der Spektakularität ihrer Show war und damit zum kommerziellen Erfolg der Folkloregruppen beitrug. Gezielt wurde sie auch zu diesem Zweck vorangetrieben. So warb z.B. ein Programmbulletin mit der erotischen Keuschheit der Tänzerinnen für ihren Auftritt in Argentinien im Jahr 1948: „Die payesa aus Lérida ähnelt einer Dame aus dem 18. Jahrhundert, mit ihrem schwarzen seidenen Haarnetz und ihren Trauerhandschuhen, die sich den dunkeln Ärmeln nähern und ein kleines Stück rosige, nackte Haut freilassen, die durch den Kontrast geadelt wird.“105
101 Vgl. ebd., S. 93. 102 Vgl. Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 109ff. 103 „Termina el ,nku‘ y empieza el ,nbang-nsogo‘, la danza de los pechos. [...] Esa danza le parece a Ana la viva imagen de la lujuria.“ Masoliver, Efún, S. 213ff. 104 Vgl. z.B. ebd., S. 135ff. 105 „La payesa de Lérida parece una dama del siglo XVIII, con su redecilla de seda negra y sus mitones enlutados, que acercándose a la oscura manga, dejan un breve trozo de piel rosada y desnuda, enaltecida por el contraste.“ RAH, ANA, Carp. 46A, Doc. 6.
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Die Erotisierung der Tänzerinnen war jedoch mehr als ein Faktor ihres kommerziellen Erfolges: Verführerische Körper waren besonders geeignet, um einen verführerischen Staat darzustellen. Schließlich dürfte ihre sexyness die Tänzerinnen auch zu guten ‚Hostessen‘ gemacht haben, als sie die Errungenschaften von Ruíz González’ Modernisierung Äquatorialguineas anpriesen. Genauso wie ihre Fröhlichkeit und ihre Mitgefühl machte ihre sexyness die Tänzerinnen sympathisch; genauso wie ihre Fröhlichkeit und ihr Mitgefühl war auch sie an die Weiblichkeit der Tänzerinnen gekoppelt, die ich als Nächstes behandle.
W EIBLICH ,
SICH S PANIEN ZUGEHÖRIG FÜHLEND , SYMPATHISCH , AUTHENTISCH
Die wohl wichtigste Eigenschaft, welche die Tänzerinnen auf und neben der Bühne, live und in der Berichterstattung zu ihren Auftritten, aufzuweisen hatten, war ihre Weiblichkeit; ihre eindeutige Weiblichkeit. Diese wurde zunächst dadurch hergestellt, dass die Tänzerinnen permanent als -innen benannt wurden und sich benannten. Weiter performten sie ihre Weiblichkeit, indem sie unter eindeutig weiblicher Kleidung und Make-up ostentativ weibliche Gesichter und Körperformen erkennen ließen (statt großem Bizeps Brüste, statt Bartwuchs Dauerwelle) und sich auf typisch weibliche Art und Weise bewegten.106 Schließlich waren sie, wie es sich für ledige Frauen gehörte, keusch, aber doch willig, sich mit Männern zu verloben. Wieso war das Frau-Sein der Tänzerinnen derart wichtig? – Eine erste Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Nur als eindeutig weibliche Körper konnten die Tänzerinnen Rollenmodelle für solche sein und so zur (Re-)Etablierung der vorrepublikanischen Geschlechterordnung in Spanien und in Äquatorialguinea beitragen. Eine zweite Erklärung ergibt sich aus der Beziehung von Weiblichkeit und dem von den Tänzerinnen präsentierten Produkt: „Folklore is related to the image of a pastoral, primordial pre-modern natural way of life, embodied in customs and habits [...]. Some theorists indicate that social discourse translates the difference between men and women in a symbolic manner, pairing femininity with nature and masculinity with culture, or femininity with folklore and mascu-
106 Vgl. Young, Iris Marion: On Female Body Experience. „Throwing Like a Girl“ and Other Essays, Oxford 2005.
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linity with civilization.“107 Roginsky zeigt in ihrer Studie zur Rolle von Folklore in der Formierung von Konzepten der israelischen Nation, wie der „weibliche“ Körper als „traditional body“108 auftrat, der als solcher zum privilegierten Medium der Übermittlung von Tradition werden konnte. Die Geschichte der Diskurse, die dieser Konstruktion zugrunde liegen, lässt sich weit zurück verfolgen. Wie Neustadt und Bendix ausführen, ermittelten die US-amerikanische und die deutsche Folklorewissenschaft eine Verbindung zwischen Frau und Folklore bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert. Sie war dabei einerseits inspiriert von darwinistischen Thesen, die Frauen gleichsam wie „unterentwickelten Rassen“ eine „primitive Natur“ zuschrieben, die angeblich eine rasche Auffassungsgabe und eine Begabung zu Imitation und Intuition beinhaltete. Andererseits war sie angeleitet von William I. Thomas’ Theorie eines geschlechterspezifischen Stoffwechsels, die den weiblichen Körper als Energie konservierenden und den männlichen Körper als Energie konsumierenden Organismus beschrieb. Frauen wurden dementsprechend als für höhere Bildung ungeeignet und als von Natur wegen zur Bewahrung von Haushalt und Traditionen vorbestimmt behandelt. Dies hatte den Effekt, dass zum einen viele Folklorestudien die Folkloreproduktion von Frauen untersuchten und dass zum anderen die Tätigkeit von Frauen in Folklore-Konservierungs- und Folklore-Wissenschafts-Vereinen begrüßt wurde.109 In einer 1907 erschienen Schrift vertrat der deutsche Folkloreforscher Eugen Mogk die These, dass Bildung „the worst enemy“ der Folklore sei und diese deshalb am besten von Bauern, Kindern und Frauen ‚gehegt‘ werde: „women, who of the two sexes have a decidedly stronger tendency toward associative thinking and thus nurture folklore [...] better than the male gender.“110 Wie Morcillo Gómez ausführt, kursierten in Spanien noch in den 1950er Jahren wissenschaftliche Publikationen, die feststellten, dass der weibliche Körper einen „konservierenden“ Stoffwechsel besäße, der die Eignung der Frau zur Bewahrung der Haushaltssphäre begründen
107 Roginsky, Dina: Nationalism and Ambivalence. Ethnicity, Gender and Folklore as Categories of Otherness, in: Patterns of Prejudice 40, 3 (2006), S. 237-258, hier S. 248. 108 Ebd., S. 238. 109 Vgl. Neustadt, Katherine D.: The Nature of Woman and the Development of American Folklore, in: Women’s Studies International Forum 9, 3 (1986), S. 227-234. Vgl. allgemein zur historischen Entwicklung der Konzeptualisierung des Verhältnisses FrauNatur: Schiebinger, Londa: Nature’s Body. Gender in the Making of Modern Science, Boston 1993. 110 Bendix, Regina: In Search of Authenticity. The Formation of Folklore Studies, Madison/London 1997, S. 112.
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würde. Namentlich war es Gregorio Marañón, der in einem 1926 erstmals erschienen und 1951 neu aufgelegten Essay Frauen als „anabolisch kumulierenden“ Organismus beschrieb und daraus ableitete, dass die einzige Erfüllung ihres „biologischen Schicksals“ in der Mutterschaft liegen könne.111 Als Mutter kam der Frau, so wurde im franquistischen Spanien weiter argumentiert, auch eine privilegierte Stellung in der Tradierung von Folklore zu. So hieß es 1943 in der Zeitung Arriba: „Das Lied der Mutter ist für jedes Kind wie ein treuer Stern über seinem Kopf, denn die Mutter weiß zu sagen oder zu denken: ‚Wenn meine Stimme mit meinem Tod verstummen wird, so wird mein Lied in deinem lebendigen Herzen bleiben.‘ Und dies ist der erste Schritt zur Bewahrung der Folklore.“112
Neustadt resümiert die Bedeutung der Verschränkung Frau-Folklore folgendermaßen: „The connection between women and Folklore like the evolutionary perspective that informed it and the Victorian sexual obsession which gave it vigor can be shown to have had a lasting effect on the perception of the field of Folklore.“113 Wie McClintock aufzeigt, wurden und werden seit dem 19. Jahrhundert nicht nur in Spanien Frauen mit Bezug auf ihre Mutterrolle zu idealen „Grenzfiguren“ stilisiert, die nicht nur Folklore, sondern nationale Fetisch-Objekte im Allgemeinen bewahren und verteidigen.114 Es war nicht nur ihre Mutterrolle, die im franquistischen Spanien Frauen besonders dafür qualifizierte, einheimische Tradition vor fremden Zugriffen zu beschützen. Es war vielmehr auch die ihnen aufgebürdete Pflicht zur ‚Verteidigung‘ ihrer Jungfräulichkeit, das heißt, zur Sicherung ihrer individuellen Körpergrenzen, die sie zu idealen Wächterinnen über die Grenzen des Nationalen machte. In viktorianischen, aber auch in spanischen Diskursen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen Frauen zudem als für karitative Tätigkeiten prädestiniert. Auch hier wurde mit ihrer Mutterrolle argumentiert, die Fürsorglichkeit
111 Vgl. Morcillo Gómez, Seduction of Spain, S. 151. 112 „La canción de la madre es para cada hijo, como una estrella fiel sobre su cabeza, porque la madre sabe decir o pensar: ‚cuando mi voz enmudezca con la muerte, mi canción te seguirá en tu corazón vivo.‘ Y este es el primer paso para la conservación del folclore.“ F.A., Sí, Suplemento semanal del diario Arriba, 25.04.1943. RAH, ANA, Carp. 30, Doc. 7. 113 Neustadt, Nature of Women, S. 232. 114 Vgl. McClintock, Future Heaven, S. 104ff.
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angeblich in die Natur der Frau einschreiben würde.115 Vor diesem Hintergrund vermochte wohl ihre Weiblichkeit die Coros y Danzas-Tänzerinnen besonders dazu befähigen, Spanien als wohlwollende Kolonialmacht zu repräsentieren. Dies besonders dort, wo die entsprechenden Inszenierungen einen Kontakt mit Kindern implizierten, wie bei den Besuchen der Coros y Danzas in äquatorialguineischen Schulen und Waisenhäusern. Auch um „ohne direkte politische Botschaft“ ein harmloses Bild Spaniens zu vermitteln, waren weibliche Körper besser geeignet als männliche. Dies aufgrund ihrer „supposedly apolitical nature.“116 Beinahe so wichtig wie ihre Weiblichkeit war, dass sich die Tänzerinnen sichtbar Spanien zugehörig fühlten. Schließlich tanzten sie Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien einem großen Teil ihres Publikums als normative Emotion zur Nachahmung vor. Die Quellen, die den Tänzerinnen Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien attestierten, sind zahlreich. Spektakulär inszeniert wird es z.B. in Ronda española. Stolzerfüllt schwenkt Victoria vor einem Auftritt auf der Bühne die spanische Fahne. Diese Fahne wird von den Tänzerinnen in der Szene, in der Pablo auf dem Schiff erscheint, geradezu angebetet und Ángeles wiederum macht die Zukunft ihrer Liebesbeziehung zu Pablo davon abhängig, ob dieser willens ist, nach Spanien zurückzukehren. Weiter oben habe ich einen Zeitungsartikel behandelt, der beschreibt, wie das Singen der Nationalhymne die Tänzerin Elena zu Tränen rührt und die ganze Gruppe die Anstrengungen ihrer Tour vergessen und so großartig wie nie zuvor tanzen lässt. Mir erscheint die Stelle auch deshalb interessant, weil Elena darin von dem Gefühl der Zugehörigkeit zu Spanien geradezu überwältigt wird. Ähnlich ging es angeblich auch einer andalusischen Tänzerin, die bei der Rückkehr von einer Lateinamerikareise einem Reporter erklärt haben soll: „Was kann ich dir anderes erzählen, in diesem Moment [...], in dem ich wieder mein Land betrete – sagt uns Amparito – als dass ich außer mir bin vor Freude, einer Freude, die mich keinen einzigen Gedanken ordnen lässt?“117 Diese Aussage machte deutlich, was hinter der Fröhlichkeit der Coros y Danzas-Tänzerinnen steckte. In den Worten von Ahmed: „Happiness is thus promised in return for loy-
115 Vgl. Morcillo Gómez, Seduction of Spain, S. 72ff. 116 Vincent, Mary: Spain, in: Kevin Passmore (Hg.): Women, Gender, and Fascism in Europe, 1919-1945, Manchester 2003, S. 189-213, hier S. 213. 117 „¿Qué puedo yo contarte en este momento de […] pisar nuevamente mi tierra – nos dice Amparito – que no sea estar loca de alegría, alegría que no me deja ordenar idea alguna?“ F.A., Sevilla, 29.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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ality to the nation.“118 Es gilt zu betonen, dass die Tänzerinnen sich Spanien, aber auch ihrer Region, das heißt Spanien als vielfältiger Einheit, zugehörig fühlten. In der bereits erwähnten Szene in Ronda española, in der „Cataluña“ und „San Sebastián“ gemeinsam eine Kabine beziehen, manifestieren die einzelnen Tänzerinnen nicht nur ihre Verbundenheit mit ihrer Region, sondern auch Freude darüber, Teil einer so diversen Einheit zu sein. Über die Coros y Danzas wurde das Modell Spaniens als Einheit in der Vielfalt nicht nur in das neu formierte nationale Fetisch-Objekt „authentische spanische Folklore“ eingemeißelt, sie tanzten auch Zugehörigkeitsgefühle zu genau diesem Modell vor. Auch hier lassen sich Ahmeds Ausführungen auf den in dieser Arbeit untersuchten Gegenstand übertragen: „Interestingly, the idea of Britishness is explicitly linked to diversity: becoming British is about positively embracing diversity, where diversity itself becomes a national attribute: [...] The nation is imagined as happily diverse, or as being happy with its diversity.“119 Eine weitere Form der performance von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien ist dort auszumachen, wo die Tänzerinnen deklarieren, sich von allem nicht Spanischen abgestoßen zu fühlen. „Alles [...] erschien uns am Anfang verhasst: der Tagesablauf, die Stille, das Essen, die Ernsthaftigkeit der Leute“120, berichtete María del Rosario Blanco García 1951 aus London. Wie erfolgreich die Tänzerinnen in ihrer Repräsentation eines freundlichen Staates und einer wohlwollende Kolonialmacht sowie in ihrer Funktion als Rollenmodelle waren, hing davon ab, inwiefern es ihnen gelang, sympathisch zu sein. Damit meine ich, dass sie als Individuen und Persönlichkeiten in Erscheinung treten und als solche emotionale Verbundenheit, Zuneigung und Mitgefühl (eben sym-pathos) in ihren ZuschauerInnen auslösen mussten. Nur sympathische Tänzerinnen vermochten bei Diplomaten und US-amerikanischen ZeitungsleserInnen „warmherzige Gefühle“ für Spanien auszulösen. Gleichzeitig beförderte das Sympathisch-Sein der Tänzerinnen die Bereitschaft ihres Publikums, sich mit ihnen zu identifizieren, sich die von ihnen verkörperten gesellschaftlichen Normen anzueignen und dasselbe zu fühlen, wie die Tänzerinnen angeblich fühlten. Es ist davon auszugehen, dass verschiedene der Eigenschaften der Tänzerinnen das Potential hatten, sie sympathisch wirken zu lassen und dass es von den jeweiligen ZuschauerInnen abhing, inwieweit sie die Fröhlichkeit, die sexyness, die Agilität
118 Ahmed, Happiness, S. 122. 119 Ebd., S. 130f. 120 „Todo [...] se nos hacía odioso al pricipio: el horario, el silencio, las comidas, la seriedad de las gentes.“ Blanco García, María del Rosario: F.A., Nueva España. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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oder die Opferbereitschaft der Tänzerinnen besonders anziehend fanden und als Anreize annahmen, um die übrigen Charakteristika der Tänzerinnen zu rezitieren. Schließlich sei hier auf eine bislang unerwähnte Bedeutung verwiesen, die der Fabrikation der Coros y Danzas-Tänzerinnen zu authentischen Vertreterinnen des spanischen Volkes, die nicht schauspielerten, sondern sie selbst waren, zukam. Sie sicherte den Erfolg der Auftritte der Folkloregruppe als ethnographischem Spektakel und beförderte ihr Unpolitisch-Sein. Gleichzeitig aber verbesserte, wie ich meine, ihre Echtheit ihre Wirkung als Rollenmodelle und den emotionspolitischen Erfolg ihrer Spektakel. Dies deswegen, weil ihre Authentizität die Mitglieder der Folkloregruppen glaubwürdig und sympathisch erscheinen ließ. Um letzteren Punkt zu veranschaulichen, erinnere ich an den Journalisten der Zeitung Pueblo, der sich und andere ZuschauerInnen als „entzückt“ von den „aufrichtigen Gefühlen der jungen Frauen“121 beschrieb. Die Tänzerinnen traten auf der Bühne, in Texten und Bildern mit einem Set von miteinander in Verbindung stehenden Eigenschaften auf. Es waren dies Eigenschaften, mit denen sie durch Disziplinartechnologien in ihrem Alltag, im Tanztraining, aber auch bei den Auftritten bzw. in der Berichterstattung zu diesen sich ausstatteten und ausgestattet wurden. Viele dieser Eigenschaften tanzten sie ihrem Publikum zur Nachahmung vor. Sie befähigten die Mitglieder der Folkloregruppen dazu, als Rollenmodelle für das ideale im Franco-Staat regierte Subjekt zu figurieren. Verschiedene Charakteristika der Tänzerinnen beförderten aber auch andere Aspekte ihrer politischen Mission. Ihre Agilität ließ sie in einer Kriegsmaschine bedrohlich wirken und ihre Fröhlichkeit steigerte ihre Glaubwürdigkeit als Repräsentantinnen einer wohlwollenden Kolonialmacht. Genauso wie ihre sexyness trug sie auch zum kommerziellen Erfolg der Auftritte im Ausland bei, der wiederum erst ermöglichte, dass die performances ihre volle Wirkung als innenpolitisches Instrument entfalten konnten. Ihre Weiblichkeit und ihre Reinheit machten sie zu besonders qualifizierten Bewahrerinnen der „authentischen spanischen Folklore“ bzw. authentisierten die vorgeführten Tänze. Letzteres gilt auch für die bereits in Kapitel 3.1 besprochene Authentisierung der Tänzerinnen selbst. Diese gewährleistete darüber hinaus ein Unpolitisch-Sein der Tänzerinnen und machte sie als Rollenmodelle wirksamer.
121 „[…] sentimiento sincero de las chicas.“ F.A., Pueblo, 10.05.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
Das Scheitern der Mission
Die Quellen zu den Coros y Danzas-Reisen bergen Hinweise darauf, dass die Tänzerinnen in ihrer Mission nicht immer erfolgreich waren und dass dieser Mission ein großes Potential inhärent war, zu scheitern. Solchen Hinweisen werde ich im Folgenden nachgehen. Dabei soll aufgezeigt werden, dass die unerwünschten Vorkommnisse, zu denen es (möglicherweise) während der Tourneen der Folkloregruppen kam, mit ungünstigen performances in Verbindung standen und dass ihre Ursachen in der Ambivalenz der Mission begründet lagen, in den gefährlichen Technologien und Instrumenten, die in ihrer Erfüllung angewandt wurden und in den fremden Begegnungen, welche die Mission implizierte.
U NERWÜNSCHTE V ORKOMMNISSE , A MBIVALENZEN Die Sección Femenian-Beamtinnen sahen sich bereits bei ihrer Feldarbeit zur „Rekompilierung“ der „authentischen spanischen Folklore“ mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert: Den angeblich schmutzigen DorfbewohnerInnen, welche die spanische Folklore verunreinigt hatten, soll es an Respekt gemangelt haben: vor Körpergrenzen, ihren eigenen Traditionen, aber auch vor Autorität. Ein zusammenfassender Bericht über den Einsatz von cátedras ambulantes von 1945 bis 1974, verfasst im Jahr 1975, führt als „Probleme“, denen die Sección Femenina-Mitglieder bei ihren Visiten begegneten, auf: „Mangel an Kollaboration und Misstrauen gegenüber öffentlichen Körperschaften, Institutionen und Autoritäten.“1 Die Sección Femenina-Beamtinnen dokumentierten derart unkooperatives Verhalten auch auf individueller Ebene. Laut Richmond sammelten sie während Hausbesuchen in abgelegenen Dörfern auch Daten bezüglich der politi-
1
„Falta de colaboración y desconfianza en los organismos, instituciones y poderes públicos.“ Maite Doc.1.
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schen Gesinnung und (Bürgerkriegs-)Vergangenheit einzelner DorfbewohnerInnen und leiteten diese an andere Behörden weiter.2 Wie Richmond schreibt, begegneten die männliche Bevölkerung und insbesondere die Dorfgeistlichen in den spanischen Dörfern der Arbeit der Frauensektion der Falange nicht selten mit Misstrauen oder gar Missbilligung. Die Männer ließen ihre Ehefrauen und Kinder nur ungern an den Kursen der catédras teilnehmen und waren oft nur schwer dazu zu bewegen, ihrerseits an dem Freizeitprogramm, das die Organisation anbot, teilzunehmen.3 Auch Studienobjekte der Folkloreforscherinnen der Sección Femenina widersetzten sich dem Studiert-Werden: „Ohne die entschiedene Unterstützung der Hierarchien und Autoritätspersonen wäre die Arbeit der instructoras trotz ihres Enthusiasmus’ und ihres Interesses fruchtlos, weil die einfachen Dorfbewohner misstrauisch sind und nicht vor fremden Personen tanzen oder singen wollen, aus Angst, ausgelacht zu werden, oder weil sie glauben, sich lächerlich zu machen, indem sie vortragen, was sie in ihrer Ignoranz für wertlos halten, da es ihnen zu alt und unmodisch erscheint. Es ist notwendig, diese Angst zu überwinden und die falschen Vorstellungen dieser guten Leute zu ändern, indem wir ihr Vertrauen gewinnen und ihnen auf wirkungsvolle Art und Weise klarmachen, dass sie sich irren. Diese Arbeit ist sehr schwierig, wenn dabei nicht wohlüberlegte und überzeugende Mittel angewandt werden. Die Autoritätspersonen, die mit diesen einfachen Leuten zusammenleben, können den instructoras am besten helfen, vor allem die Priester, die wegen ihres hohen Rangs das Vertrauen [...] dieser einfachen Leute genießen.“4
2
Vgl. Richmond, Women and Spanish Fascism, S. 80.
3
Vgl. ebd., S. 86.
4
„Sin el apoyo decidido de jerarquías y autoridades, la labor de las instructoras sería infructuosa, a pesar de su entusiasmo y su interés, ya que las sencillas gentes pueblerinas, son desconfiadas y no se prestan, por temor de ser burladas, a cantar o bailar ante personas extrañas o creen hacer el ridículo interpretando lo que ellas consideran, en su ignorancia sin valor por ser demasiado viejo y pasado de moda. Es preciso vencer este temor y cambiar este falso concepto de las buenas gentes, dándoles confianza y explicándoles eficazmente el error en que están. Esta labor es una gran dificultad si no se usan en ella medios hábiles y persuasivos. Las autoridades que conviven con estas gentes sencillas son las que más pueden ayudar a las instructoras, especialmente los sacerdotes, que son quienes, que por su alto ministerio tienen la confianza […] a las gentes sencillas.“ RAH, ANA, Carp. 1013, Doc. 9. Auch Lizarazu de Mesa berichtet über den „fehlenden Enthusiasmus“ der Dorfbevölkerung bei der Unterstützung der Coros y Danzas in ihrer Rettungsarbeit. Vgl. Lizarazu de Mesa, En torno al folklore muscial, S. 241.
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Es ist durchaus denkbar, dass nicht Scham, sondern Aversion die DorfbewohnerInnen daran hinderte, den Sección Femenina-Beamtinnen vorzutanzen. Die abgelegenen Dörfer und die sie umgebenden Berge waren in den 1940er Jahren noch immer bewohnt von ehemaligen RepublikanerInnen, die antifranquistische Guerillas bildeten bzw. diese logistisch unterstützten oder schlicht versuchten, so wenig wie möglich vom Regime regiert zu werden, indem sie sich, wo immer dies möglich war, dessen Propaganda entzogen.5 Es kann vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden, dass Menschen im Rahmen der Feldarbeit der Sección Femenina auch aktivere Formen des Widerstands wählten, indem sie z.B. den Beamtinnen absichtlich fehlerhafte Informationen lieferten. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Feldarbeit der Frauensektion der Falange behinderte, war der konstante Mangel an finanziellen Mitteln, der dazu führte, dass den instructoras de música meist keine Aufnahmegeräte zur Verfügung standen und auf prekäre Arbeitsmethoden zurückgegriffen werden musste, welche die wissenschaftliche Autorität der Folklorestudien der Sección Femenina gefährdeten. Zusätzlich vergrößert wurde diese Gefahr durch die Inkompetenz des Sección Femenina-Personals. Die Instructoras de música besaßen eine nur rudimentäre musikalische Bildung, die meisten ihrer Gehilfinnen, ebenso wie das Personal der cátedras ambulantes, gar keine.6 Wohl führte der Mangel an finanziellen Mitteln, aber auch die fehlenden Hotels oder Restaurants in vielen Ortschaften dazu, dass die Beamtinnen hinsichtlich ihrer Unterbringung vor Ort auf die Unterstützung der DorfbewohnerInnen angewiesen waren. Die Forscherinnen mussten, so meine These, diesen so auch jenseits ihrer Arbeit näher kommen, als ihnen vermutlich lieb war. Die Sección Femenina versuchte die ‚Verunreinigungen‘, mit denen die BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ die spanische Folklore „verfälscht“ hatten, zu eliminieren und eine im Rahmen der Feldarbeit nicht vorgefundene Authentizität herzustellen. Nur eine solche ‚gereinigte‘ Folklore konnte dem „Volk“ wieder beigebracht werden. Diese ‚Reinigung‘ zu vollziehen scheint ein äußerst schwieriges Unterfangen gewesen zu sein: Im Protokoll der Jahresversammlung der Sección Femenina im Jahr 1960 ist zu lesen: „Eine der Angelegenheiten, bei denen die größten Versäumnisse festzustellen sind, und wir sagen es bei jeder Gelegenheit, ist folgende: die Jugend muss vor allen anderen Din-
5
Vgl. Domingo, Alfonso: El canto del búho. La vida en el monte de la guerrilla antifranquista, Madrid 2002. Vgl. Villaplana Ruiz, Virginia: El Instante de la Memoria. Una novela documental, Madrid 2010, S. 161ff.
6
Vgl. Casero, La España que bailó, S. 92ff.
216 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE gen Chorgesänge und Romanzen singen und nur gelegentlich kann ein regionales Kinderlied ins Repertoire aufgenommen werden, aber nur in Ausnahmefällen. Im Allgemeinen gilt für Jugendherbergen, colegios etc.: nur Chorsätze, Festlieder, Romanzen und andere zweistimmige Sätze. Darauf ist bitte zu achten und so soll es angeordnet werden und es ist mit Nachdruck bei allen instructoras darauf zu insistieren, dass wir von ihnen oder den Chorleiterinnen ein für allemal keine persönlichen Darbietungen mehr wollen, dass das, was wir wollen, eine Verbesserung des Geschmacks ist, und dass sie authentische und schöne Dinge singen sollen und nicht den Kitsch, der irgendeiner Person in den Sinn kommt. Und bei den instructoras ist auch auf den Ton der Mädchen zu insistieren: Die Mädchen sollen nicht schreien beim Singen, nicht nur, weil es nicht schön ist, sondern auch, weil es ihren Stimmbändern schadet.“7
Die „authentische spanische Folklore“ war demnach Volkskultur, aber nicht low culture, nicht Kitsch. Wie gesagt stammt diese Stelle, die offenlegt, dass die Sección Femenina Schwierigkeiten hatte, ihr Personal dazu zu bringen, in Sección Femenina-Institutionen ihren SchülerInnen authentische, geschmackvolle Folklore beizubringen, aus dem Jahr 1960. Es stellt sich die Frage, ob die Organisation noch immer mit denjenigen ‚Verfälschungen‘ der vermeintlich authentischen Folklore zu kämpfen hatte, zu denen es gekommen war, bevor die Frauensektion der Falange damit begonnen hatte, die „echten spanischen Tänze“ zu retten und zu reinigen, oder ob neue ‚Verunreinigungen‘ drohten. Letzteres ist nicht zuletzt deswegen wahrscheinlich, weil sich, wie Pavlovic aufzeigt, in den 1950er Jahren melodramatische Musicalfilme mit ihrer Kitschmusik in spanischen Kinos wachsender Beliebtheit erfreuten.8 Viele dieser Filme wurden vom Regime gefördert
7
„Una de las cosas donde más se falla y lo decimos a cada momento, las Juventudes tienen ante todo que cantar canciones de coro, romances ante todo y sólo únicamente de vez en cuando puede incluirse una canción regional infantil, pero solo como cosa extrañísima. En general en albergues, colegios, etc., solo canciones de coro, villancicos, romances y otra cosa a dos voces. Esto por favor vigilarlo y ordenarlo e insistir mucho con todas las instructoras para que de una vez para siempre que no queremos lucimiento personal de ellas o de los que dirigen los coros, que lo que queremos es mejorar el gusto y que canten cosas auténticas y bellas y no las cursilerías que se le puedan ocurrir a tal o cual persona, y también insistir con las instructoras en el tono, no deben las niñas gritar al cantar, no solo porque no es bonito, sino también porque puede ser perjudicial para sus cuerdas bucales.“ Doc. Interno: XX consejo nacional – enero 1960, Maite Doc. 4.
8
Vgl. Pavlovic, Tatjana: Despotic Bodies and Transgressive Bodies. Spanish Culture from Francisco Franco to Jesús Franco, Albany 2003, S. 66.
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und könnten mit Berlant als Teil einer Konformität stiftenden Sentimentalität interpretiert werden.9 Das Sección Femenina-Streben nach Authentizität konkurrierte hier also gewissermaßen mit einem anderen Aspekt franquistischer Kulturpolitik.10 Gravierender war der Umstand, dass auch die erhöhte Spektakulartiät der Coros y Danzas-Auftritte selbst der Authentizitätsrhetorik der Sección Femenina entgegenlief. So wurde dem Coros y Danzas-Spektakel vorgeworfen, nicht „repräsentativ“ zu sein. In einer Rezension zu den Auftritten im Londoner Stoll Theater im Jahr 1952 war zu lesen: „[...] for reasons undisclosed […] the group consist of about six women to every man, and the majority of the men are instrumentalists, not dancers. Unless Spanish dancing is suffering a newly-imposed cultural twist under the existing regime, and for reasons far from obvious this program is not strictly representative; the vitality and inevitable virility that have always marked the common people’s dancing in Spain grow directly from the fact that dancing is always as much a male relaxation as it used to be, once upon a time, in all the other countries with a marked pastoral and agricultural economy.“11
Ich habe wenige Dokumente gefunden, in denen ähnliche Kritik am repräsentativen Charakter bzw. der „Authentizität“ des von den Coros y Danzas Vorgeführten auftaucht. Ob dies bedeutet, dass sie nicht geäußert wurde, ob sie nicht verschriftlicht wurde oder ob entsprechende Dokumente von der Sección Femenina nicht archiviert wurden, vermag ich nicht zu sagen. Auf alle Fälle werte ich zahlreiche Stellen, die ich in den Quellen vorgefunden habe, entweder als Reaktion auf diese Kritik oder als Versuche, sie vorwegzunehmen. Die „Authentizität“ des Spektakels zu verteidigen war von allergrößter Notwendigkeit, weil sie es war, die sich kommerzialisieren ließ und dadurch jene Ausbreitung erst ermöglichte, welche die außen- und innenpolitischen Bedeutung der Folkloregruppen vergrößerte. Allerdings gefährdete just diese Ausbreitung und die damit verbundene erhöhte Spektakularität die „Authentizität“. Verschiedene AutorInnen betonten – kompensatorisch und proaktiv – nicht nur die „Authentizität“ der vorgeführten Tänze, sondern insbesondere diejenige der Folk-
9
Vgl. Berlant, Female Complaint, S. 21ff.
10 Für einen Überblick zur Kitschkritik in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert vgl. Dettmar, Ute/Küpper, Thomas (Hg.): Kitsch. Texte und Theorien, Stuttgart 2007, insb. S. 110ff und S. 156 ff. 11 F.A., Spanish Seranade. Songs and Dances of Spain Stoll Theater February 19th 1952. AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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loregruppen selbst. Der falangistische Schriftsteller Eugenio Montes insistierte in seiner Crónica über eine Coros y Danzas-Show in Kairo: „[...] die Falange ist kein Theaterunternehmen, das Spektakel vorführt, sondern eine Anstrengung, damit Spanien all seine vielfältigen Traditionen zurückgewinne.“12 Verschiedene AutorInnen verteidigten die Authentizität des Coros y Danzas-Spektakels, indem sie betonten, dass es sich bei den Tänzerinnen nicht um professionelle Performerinnen, sondern um „typische“ spanische Frauen handeln würde, die auf der Bühne einer „typisch“ spanischen Aktivität nachgingen, die sie auch in ihrem Alltag praktizierten. In einem Interview aus dem Jahr 1954 ließ Vicky Eiroa verlauten: „Die Coros y Danzas de España sind keine professionelle Gruppe von Chorsängern oder ein Ballett [...], sie sind eine Formation bestehend aus einer Auswahl von Mädchen aus ganz Spanien, Tänzerinnen und Musikern sämtlicher sozialer Klassen, die auf spontane Art und Weise die traditionellen Lieder und Rhythmen unserer Heimat kultivieren.“13
Während Eiroa eine Herkunft der Tänzerinnen aus allen sozialen Klassen behauptete, wurden sie anderorts eindeutiger als Teil des spanischen „Volkes“ beschrieben: „Diese Mädchen, die in Amerika die authentische spanische Folklore bekannt machen werden, sind keine professionellen [Tänzerinnen]. Viele von ihnen verlassen zum ersten Mal Spanien und sogar einige erstmals ihren Weiler, [...] wo sie sich damit vergnügten, ohne ein bestimmtes Ziel, nur um ihre Fröhlichkeit zum Ausdruck zu bringen, ihre Tänze vorzuführen.“14
12 „[…] la Falange no es una empresa teatral montadora de espectáculos, sino un esfuerzo para hacerle recobrar a España todas sus plurales tradiciones.“ Montes, Eugenio: Felices como Ulisses regresan Coros y Danzas, Solidaridad Nacional, 14.01.1951. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 13 „Los Coros y Danzas de España, no son un grupo profesional de intérpretes corales o de ballet [...] es un conjunto formado a través de toda España, mediante la selección de muchachas, danzantes y músicos, de todas clases sociales, que espontáneamente cultivan las canciones y los ritmos tradicionales de nuestras tierras.“ F.A., Entrevista Vicy Eiroa, 1954. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 14 „Estas muchachas que en América van a dar a conocer el auténtico Folklore español no son profesionales. Muchas de ellas salen por primera vez de España, y aún algunas, de sus aldeas, donde […] se recreaban, en interpretar sus danzas sin ningún fin particular mas que el de mostrar su alegría.“ Mundo Hispánico, 1946. RAH, ANA, Carp. 46A, Doc. 4.
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Den Tänzerinnen war als Spanierinnen, wie in einem Folklorekatalog der Organisation nachzulesen ist, das Tanzen sozusagen angeboren: „Dancing is everywhere an art; in Spain it is a manifestation of life. Nothing is commoner than to see a little boy or girl start to dance, keeping the steps in time by the snapping of fingers in place of castanets. Here the dance has retained its primitive spontaneity: it is not the mechanical repetition of steps invented by some teacher, but the gay overflowing of an irrepressible vitality.“15
Interessant ist hier, dass die ‚natürliche Affinität‘, die den SpanierInnen zur Tanzerei zugeschrieben wird, als eine Art nationaler Wettbewerbsvorteil erscheint. Ein ähnliches Argument ist im selben Text weiter unten auszumachen, wo es heißt, dass die SpanierInnen das Tanzen quasi erfunden hätten: „In the history of the dance, as a human expression of feelings and emotions, Spain has always held an outstanding place. The oldest depiction of men engaged in dancing that has been found in Europe is the wall-paintings of the cave of Cogul, in Lérida Province. It seems clear that these, and others found in these same district, belong to the beginning of the Neolithic period, which gives the dances an impressive antiquity.“16
Das Argument eines sehr frühen In-Existenz-Tretens von Tanz im Leben einer jeden SpanierIn verbindet sich hier mit demjenigen eines frühen In-ExistenzTretens in der Geschichte Spaniens. Das eindringlichste Insistieren auf die Authentizität der Coros y Danzas habe ich in Texten zum Spielfilm Ronda española gefunden. In der Zeitschrift Fotogramas war im Juli 1951 zu lesen: „Wenn man viele Male gesagt hat, dass im Kino alles Bühnenmaschinerie sei, so ist es nur gerecht zu sagen, dass zumindest bei dieser Gelegenheit sich das Kino der Realität bedient und dass alles, was sich momentan vor den Kameras befindet, welche die Chamartín Superproduktion Ronda española filmen, die Wahrheit selbst ist.“17
15 Sección Femenina: Spanish Songs and Folk Dances, Madrid 1965, S. 3. 16 Ebd., S. 4. 17 „Si muchas veces se ha dicho que en el cine todo es tramoya, justo será decir que al menos en esta ocasión el cine se sirve de la realidad y que cuanto hay actualmente ante las cámaras que filman la superproducción Chamartín Ronda Española es la verdad misma.“ F.A., Fotogramas, 07.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Der Leserschaft einer anderen Zeitung wurde versichert, dass die Tänzerinnen selbst als Schauspielerinnen nicht wirklich zu Schauspielerinnen geworden seien. In einem Interview, das der Regisseur Ladislao Vajda der Zeitung Unidad im Juli 1951 gab, hieß es: „Mussten sich die Mädchen der Sección Femenina schminken? – Ein nur ganz leichtes Make-Up, kaum wahrnehmbar, gerade soviel, dass die Kameras nicht die Blässe der natürlichen Farbe der Gesichter wiederspiegelten.“18 Ebenfalls in Fotograma schrieb Gómez Mesa: „Sie brauchen nicht zu üben, denn sie kennen bis ins kleinste Detail, ohne jedes Schwanken, ihre Tänze, zu denen schon das verschiedenartigste Publikum applaudiert hat.“19 Der Umstand, dass die Coros y Danzas die „authentische spanische Folklore“ nur verbreiten und damit erarbeiten konnten, indem ihre Show an Spektakularität zunahm und dass diese erhöhte Spektakularität die Authentizität des Vorgeführten zugleich bedrohte, stellte eine der grundlegenden Ambivalenzen der Mission der Fokloregruppen dar. Letzten Endes scheint das Coros y Danzas-Spektakel der Sección Femenina definitiv zu spektakulär geworden zu sein. Suárez Fernández schreibt: „Auf dem 17. Consejo Nacional im Januar 1954 wurde von der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Erneuerung bei den Coros y Danzas gesprochen. Es wurde vor dem Risiko gewarnt, dass sie zu reinen Ausstellungsstücken oder Repräsentationsobjekten verkommen würden, gewiss perfektioniert in ihrer Form und wertvoll in ihrer stetig verbesserten Technik, aber entfernt von jenen zwei anfänglichen Absichten: in den Tiefen der spanischen Folklore eine Lebensader zu entdecken und einen großen Geist der Solidarität zu erschaffen.“20
18 „Las muchachas de la Sección Femenina, han tenido que maquillarse? – Un maquillaje leve y apenas perceptible, lo justo para que las cámaras no reflejasen la palidez del color natural de los rostros.“ F.A., Unidad, 09.05.1951. Ebd. 19 „No necesitan ensayar, porque se saben en sus menores detalles, sin ninguna vacilación, sus danzas, que han aplaudido los más diversoso públicos del mundo.“ Gómez Mesa, Luis: Coros y Danzas de España en nuestro Cine, Fotogramas, 27.04.1951. Ebd. 20 „En el XVII Consejo Nacional, de Enero de 1954, se habló de la necesidad de una renovación continuada en Coros y Danzas. Se advertía el riesgo de que llegaran a convertirse en meras exhibiciones o representaciones, ciertamente depuradas en su forma y valiosas en una técnica cada vez mejor, pero alejada de aquellos dos propósitos iniciales: descubrir vetas ahondando en las profundidades del folclore español y crear el gran espíritu de la solidaridad.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 239.
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Während des Kongresses wurde beschlossen, „der internen Arbeit viel größere Wichtigkeit als den Reisen ins Ausland beizumessen.“21 Diese neue Gewichtung wurde auch in externen Publikationen betont. In Canciones y Danzas de España aus dem Jahr 1956 ist zu lesen: „Es muss festgehalten werden, dass die triumphalen Touren nicht der bedeutendste Aspekt dieser Arbeit sind, sondern ein anderer, weniger sichtbarer und strahlender, der fröhlich, fruchtbar und hartnäckig, Tag für Tag, Schritt für Schritt in Spanien vollbracht wird.“22 Den Auslandtouren weniger „Wichtigkeit“ beizumessen, dürfte mit der Gewährung geringerer finanzieller Unterstützung einhergegangen sein. Dies scheint nicht so sehr dazu geführt zu haben, dass die Coros y Danzas weniger auf Reisen gingen. Vielmehr bedeutete es, dass die Auftritte selbst vermehrt Geld generieren mussten, zum Beispiel indem die Folkloregruppen für ihre Vorführungen an Festivals oder in Theatern höhere Gagen verlangten: „Wundern Sie sich nicht, wenn wir Ihnen dieses Jahr andere Bedingungen vorschlagen als in vorangegangen Reisen, denn diese haben uns ziemlich viel Geld gekostet und wir können nicht dieselben Konditionen beibehalten“23, schrieb Vicy Eiroa im November 1955 dem Organisator eines Auftritts in Brüssel. Diese Entwicklung dürfte, so meine These, die Spektakularität der Folkloregruppen weiter gesteigert und damit das Gegenteil dessen herbeigeführt haben, was die Gelderverschiebung hätte bewirken sollen. Keineswegs wurde in den an ein spanisches Publikum adressierten Quellen verschwiegen, dass die Mission der Folkloretruppen im Ausland eine hochpolitische war. Zu denken ist hier insbesondere an García Serrano, der in Bailando hasta la Cruz del Sur die Tänzerinnen als „Cuerpo Diplomático“ bezeichnete und ausführlich ihre Auftritte in Botschaftsgebäuden schilderte (vgl. 3.2). Er machte damit die Aktivität der Coros y Danzas als eine kenntlich, die den hegemonialen franquistischen Weiblichkeitsbildern widersprach. Es war augenscheinlich, dass die Tänzerinnen in der Erfüllung ihrer Mission eine Mobilität und eine öffentliche Präsenz erlangten, wie sie der „typischen spanischen Frau“ bei weitem nicht
21 „[…] mucha más importancia a la labor interna que a las salidas al exterior.“ Ebd., S. 240. 22 „[...] conviene decir que no es éste de las giras triunfales el aspecto más transcendental de esta labor, sino aquél otro, menos asequible y brillante, que se realiza, alegre, fecunda y tenazmente, día a día y palmo a palmo, sobre las tierras de España.“ Sección Femenina, Canciones y Danzas de España, S. 3. 23 „No le extrañe que le presentemos este año distintas condiciones que en anteriores viajes, porque éstos nos han costado bastante dinero y no podemos seguir manteniendo aquellas condiciones.“ AGA, (03)051.023 LEG 62 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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zustand und auch nicht zustehen sollte. Dasselbe gilt für die Zur-Schaustellung ihres erotisierten Körpers und das Zusammenleben mit fremden Männern – alles Aspekte, die für die Erfüllung ihrer Mission unabdingbar waren. Auch sie gefährdeten gleichzeitig ihre Funktion als Rollen-Modelle für die ideale spanische Frau. Diese Ambivalenz führte zu dem, was Judith Butler einen performativen Widerspruch nennt: „ein Sprechakt, der genau dadurch, dass er ausgeführt wird, eine Bedeutung produziert, die die Bedeutung untergräbt, auf die er zielt.“24 Nicht zuletzt als ‚kompensatorisch‘ ist vor diesem Hintergrund der erläuterten Gefährdungen die explizite Betonung der traditionellen Frauenrolle der Tänzerinnen, wie beispielsweise in einer Rede des Bürgermeisters von Bilbao zu bewerten, wiedergegeben in der Zeitung El correo español: „Er beendete seine bewegende Rede, indem er den Kameradinnen der Coros y Danzas-Gruppen sagte: ‚Wir hoffen, dass Ihr, zukünftige Mütter von Spaniern, der Heimat Kinder schenken werdet, die es verstehen werden, die Geschichte Spaniens fortzuschreiben.‘“25 Auch in einer Zeitung aus der dominikanischen Republik trat eine männliche Autoritätsfigur auf den Plan, die der Leserschaft die Rückkehr der Tänzerinnen zu einem traditionellen weiblichen Leben versicherte. In einem Interview ließ der Benediktinermönch Antonio García Fígar, der die Coros y Danzas begleitete, Folgendes verlauten: „– Gut, Vater, und diese Mädchen der Coros y Danzas, können wir sie als häuslich einstufen? – Was für eine Frage... In der Tat, sie sind häuslich: die Kunst ist für sie kein Beruf. Sie kommen, um den Schwesternationen eine spirituelle Botschaft zu überbringen. Danach werden sie, glücklich über ihre Mission, zu ihren Haushalten zurückkehren. [...] Die Mission der neuen spanischen Frau ist die Mutterschaft.“26
24 Butler, Judith: Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt am Main 2006, S. 134. 25 „Terminó sus emotivas palabras diciendo a las camaradas de los grupos de Coros y Danzas: ,Vosotras, futuras madres de españoles, esperamos que daréis a la Patria hijos que sepan continuar la Historia de España.‘“ F.A., El Correo Español, 09.03.1950. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 26 „Bueno, Padre, y estas chicas de Coros y Danzas, ¿podemos catalogarlas de hogareñas? — Vaya una pregunta… Pues sí, son hogareñas: el arte para ellas no es una profesión. Vienen a traer un mensaje espiritual a las naciones hermanas. Después retornarán a sus hogares dichosas de su misión. […] La misión de la nueva mujer española es la maternidad.“ F.A., La Nación, República Dominicana, 26.01.1950. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Ein Interview mit der Tänzerin Clotilde Puertolas, die im Film Ronda española die Hauptrolle spielte, verweist darauf, dass insbesondere die Berühmtheit, welche die Tänzerinnen im Zuge der zunehmenden Spektakularität ihrer Missison erlangten, problematisch war: In einem Interview, das den Titel „Die junge Zaragossin Clotilde Poderós will kein ‚Star‘ sein“ trug, erklärte diese gegenüber der Zeitung Amanecer: „– Ah! Aber war es nicht Cupido, der dich aus Los Angeles zurückkehren ließ? – Es war meine große Liebe zu Spanien und der glühende Wunsch, weiterhin bei der Sección Femenina arbeiten zu können. [...] Ich will halt kein Kino machen. – Außer in Ronda española. – Das wird mein erster und mein letzter Film sein. – Tatsächlich? – Genauso wie ich es sage. Und die Sección Femenina weiß genau, dass ich nur für unsere Organisation, um die nationale Folklore zu rühmen, eine der Hauptrollen angenommen habe.“27
Die erhöhte Spektakularität der Show bescherte den Tänzerinnen einen celebrityStatus, der ihre Funktion als Rollenmodelle für das ideale im Franco-Staat regierte Subjekt gefährdete. Dieses sollte kein Begehren nach ‚Glamour‘ entwickeln oder danach, auf irgendeine Art und Weise speziell zu sein. Symbolisierte dieser Ruhm doch nichts weniger als einen sozialen und auch materiellen Aufstieg, den das Coros y Danzas-Publikum gerade nicht anstreben sollte. Daher stellte Poderós klar, dass „Liebe zu Spanien“ und „Star“-Sein nicht miteinander vereinbar waren und dass die Auftritte der Tänzerinnen in einem Spielfilm kein Akt der Selbstverwirklichung, sondern ein patriotisches Opfer waren. Und auch der falangistische Schriftsteller Eugenio Montes berichtete über eine Coros y Danzas-Show in Kairo: „Coros y Danzas de la Falange Femenina haben, vielleicht bis zum Ex-
27 „-Ah! ¿Pero no fue Cupido quien te hizo regresar de Los Ángeles? – Fue mi gran amor a España y el deseo ferviente de seguir trabajando en la Sección Femenina. […] Que no quiero hacer cine, vamos. – Excepto en Ronda española. – Será ésta mi primera y última película. – ¿De veras? – Como lo oyes. Y bien sabe la Sección Femenina que ha sido por nuestra organización, por exaltar el folclore nacional el que haya aceptado uno de los papeles de protagonista.“ Guerra, Adrian: La joven zaragozana Clotilde Poderós no quiere ser estrella, Amanecer, 30.05.1951. Ebd.
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zess, jede Form des Protagonismus unterdrückt, aus Furcht der Eitelkeit zu verfallen.“28 Rollenmodelle für das ideale im Franco-Staat regierte Subjekt zu sein, war nur ein Teil des Beitrags zur Hispanisierung der Bevölkerung, den die Coros y Danzas zu leisten hatten. Die Quellen machen deutlich, dass die Tänzerinnen auch in anderen Aspekten ihrer diesbezüglichen Misserfolge einstecken mussten. So vermochten die Coros y Danzas in ihren ZuschauerInnen nicht immer die ‚richtigen‘ Zugehörigkeitsgefühle hervorzurufen. Der spanische Äquatorialguinea-Siedler Centauro bekannte in der Zeitung Ebano: „Ich habe nicht, wie gewisse höhergebildete Nationen, die Vorstellung, dass alles Spanische Flamenco sei und noch weniger denke ich, dass jemand, der sich nicht von andalusischer Folklore erheitern lässt, ein schlechter Patriot wäre. Ein Herr zieht eine sardana einen ‚seguiriyas‘ vor? Nun, er ist für mich genauso ein Spanier wie derjenige, der eine jota oder einfach einen modernen ‚Foxtrott‘ bevorzugt. Damit will ich sagen, dass ich in dieser Frage unparteiisch bin [...]. Und ausgerüstet mit dieser Unparteilichkeit wollte ich diese künstlerische Gesandtschaft unserer Heimat beurteilen. Und ich konnte es nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht urteilen konnte, sondern, dass ich nicht unparteiisch sein konnte. Denn von dem Moment an, in dem ich hörte, wie sie mit ihren Kastagnetten klapperten und sah, wie sie ihre Arme in diesen antianatomischen Verrenkungen bogen, die nur spanische Arme machen können, als ob sie an den entscheidenden Stellen die Arme gebrochen hätten, fühlte ich mich flamenco ... oder besser gitano, olivfarben. Und ohne es zu merken, feuerte ich im bajini den cimbreo der Tänzerinnen und den jipío der Sängerin (“cantaora“ [Geschrieben, wie mit andalusischem Akzent gesprochen] ) an.“29
28 „Coros y Danzas de la Falange Femenina han suprimido, quizás hasta el exceso, todo protagonismo posible, por temor a caer en la vanidad.“ Montes, Eugenio: Felices como Ulisses regresan Coros y Danzas, Solidaridad Nacional, 14.01.1951. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 29 „No tengo, como ciertas naciones más ilustradas, el concepto de que todo lo español es flamenco y ni mucho menos pienso que es un mal patriota aquel que no se alegre con el folklore andaluz. ¿Que un señor prefiere una sardana a unas ,seguiriyas‘? Pues tan español para mi es como el que prefiere una jota o un simple ,fox-trot‘ moderno. Quiero decir con esto que soy imparcial. [...] Y acorazado en tal imparcialidad he querido juzgar esta embajada artística de nuestra Patria. Y no he podido. No es que no haya podido juzgar, es que no he podido ser imparcial, porque desde el momento en que oí como repiqueteaban sus castañuelas y vi curvarse sus brazos en esas contorsiones antianatómicas, que sólo brazos españoles pueden mover, como si tuvieran rotos los huesos en los lugares precisos, me sentí flamenco... más bien gitano, de color acei-
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Centauro war auch nach dem Coros y Danzas-Auftritt noch immer der Ansicht, ein Mensch, der einen modernen Foxtrott einer sardana bevorzugen würde, sei genauso Spanier – und genauso Herr – wie jeder andere. Vor allem aber lösten die Folkloregruppen in ihm nicht ein Sich-spanisch-Fühlen aus, sondern ein Sichgitano-Fühlen, das er auch ausdrückt, indem er sich als eines spezifischen ‚Flamenco-Vokabulares‘ kundig zu lesen gibt. Das Rassenkonzept gitano konstruiert die dieser Kategorie zugeordneten Menschen als nicht weiß.30 Konsequenterweise fühlte sich Centauro „olivfarben.“ Sich olivfarben fühlende Spanier waren entschieden nicht das erwünschte Resultat der Hispanisierungsmission der Coros y Danzas. Die Aussage ist doppelt fatal, weil der Autor im selben Artikel ausführt, sich bereits an die guineischen balele-Tänze gewöhnt zu haben. Die zitierten Aussagen beschreiben somit einen Fall, in dem ein ‚vertropter‘ Spanier während der Coros y Danzas-Auftritte noch weiter ‚vertropte‘. Eine Stelle aus Enrich Auliachs informe de viaje deute ich als Hinweis darauf, dass die jefe de viaje davon ausging, dass auch die Tänzerinnen im Hervorrufen von Zugehörigkeitsgefühlen zu Spanien als Einheit in der Pluralität nur beschränkt erfolgreich waren. Sie schrieb: „Meiner Meinung nach sei zur Berücksichtigung angemerkt, dass, wenn irgendeine weitere Reise nach Guinea unternommen werden sollte, mindestens drei Gruppen fahren sollten, denn sonst wird das Ganze ein wenig monoton und bei den langen Auftritten, bei denen sich die Mädchen zwischen den Tänzen nicht ausruhen können, vor allen Dingen erschöpfend. Es könnte ferner berücksichtigt werden, dass die größte Siedlergruppe die der Basken und Katalanen ist, gefolgt von den Andalusiern und dass die anderen Regionen nur zu geringfügiger Zahl vertreten sind.“31
tuna. Y sin darme cuenta jaleaba por lo ,bajini‘ el cimbreo de las bailarinas y el ,jipío‘ de la cantaora.“ Centauro, Embajada andaluz. 30 Die „ethnic invention“ gitano, die während der Francozeit sowohl in Selbst- als auch in Fremdzuschreibungen vorangetrieben wurde, war bereits während der Romantik durch den Mythos der indischen oder ägyptischen Herkunft der in Spanien lebenden „gitanos“ geprägt worden. Vgl. Washabaugh, Flamenco, 40ff. 31 „A mi entender y para tenerlo en cuenta si se realiza algún otro viaje a Guinea, debían de ir por lo menos tres grupos, pues sino resulta algo monótono y sobre todo agotador en las actuaciones largas donde las niñas no pueden recuperarse entre baile y baile. También podrían tenerse en cuenta que el mayor contingente de coloniales son vascos y catalanes, seguidos de los andaluces y ya en menor proporción de las demás regiones.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Einige Personen zeigten sich von den Coros y Danzas-Auftritten nicht nur ungerührt, sondern kritisierten diese sogar. In Ebano hieß es: „Natürlich gibt es auch die Unzufriedenen zwischen neidischen Halbstarken und schlecht in die Gesellschaft integrierten Leuten, die leider überall existieren und hier nicht fehlen konnten. Und da diese Beleidigungen ausstoßen wollen, ohne in der Position zu sein, beleidigen zu können, versuchen sie die Kunst dieser Gesandtschaft herabzuwürdigen, ohne selber ein Ansehen zu besitzen, und wir übrigen, die wir glücklicherweise die ehrenvolle Mehrheit darstellen, sollten uns darauf beschränken, sie zu vergessen und aus ihren Händen nicht einmal ein Glas Wasser anzunehmen.“32
Ich habe die Hispanisierungsmission der Tänzerinnen im kolonialen Kontext als koloniale Strategie der Mimikry interpretiert, die unter anderem darauf abzielte, die Resultate eines Entgleitens vorangegangener Mimikry aufzufangen (vgl. Kapitel 3.3). Dass hierbei die Mimikry erneut entglitt, legt ein Bericht von Sena zur 1954 stattgefundenen Bühnenshow im Estadio von Santa Isabel nahe: „Unsere Insulaner [...] sind das Ihrige gewöhnt und jedes Gesetz und jede Regel, die man aufzustellen beabsichtigt, wissen sie zu veräppeln, indem sie sich entziehen oder sagen, ‚ich wusste es nicht‘.“33 Ich habe weiter oben ausgeführt, dass GuineerInnen sich spanische Musik-traditionen ‚fehlaneigneten‘ und dabei auch im Sinne eines aktiven Widerstands die KolonisatorInnen verspotteten. Obige Quellenstelle lässt mich vermuten, dass sich einige von ihnen auch über das Coros y Danzas-Hispanisierungsprogramm lustig machten, das gerade angetreten war, jene satirischen rancheros zu „ersetzen“. Die Strategie der Mimikry war in ihrem Kern ambivalent. Oder, nochmals in den Worten Bhabhas: „Die Autorität jener Form des kolonialen Diskurses, die ich Mimikry genannt habe, ist daher unvermeidlich mit einer Unbestimmtheit behaftet.“34 Die Differenz, die das Streben generierte, Kolonialisierte zu formen, die ihren KolonialherrInnen ähnlich, aber nicht gleich
32 „Claro que también hay sus descontentos entre envidiosos gamberros y gente mal encajada en la sociedad que, por desgracia existen en todas partes y no podían faltar aquí. Y como estos pretenden infringir humillaciones sin tener categoría para humillar y pretenden desprestigiar el arte de esta embajada sin tener ellos prestigio propio, nosotros los restantes que afortunadamente somos una honrosa mayoría nos limitaremos a olvidarnos de ellos ya no admitir de sus manos ni un simple vaso de agua.“ Centauro, Embajada andaluz. 33 „Nuestros isleños […] están acostumbrados a las suyas y toda ley y regla que se intente, saben muy bien burlarla con la dispensa, o no lo sabía.“ Sena, Supo a poco, S. 174. 34 Bhabha, Mimikry und Menschen, S. 126.
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wie sie waren, schuf auch eine Leerstelle. In ihr konnte es zu subversiven Hybriditäten und anderen Entgleitungen kommen. Die Quellen belegen, dass es einer Anstrengung seitens der Kolonialregierung bedurfte, um die GuineerInnen dazu zu bewegen, für Fotografen und Filmkameras gut sichtbar den Coros y Danzas zuzujubeln, und dass diese Anstrengungen nicht immer fruchtbar waren. Sena schreibt über den ersten Auftritt der Coros y Danzas im Stadion in Santa Isabel: „Um nicht zu übertreiben, sage ich nicht, dass das ganze Stadion voll gewesen sei. Aber, sagen wir, es waren viele Leute da, sehr viele Leute aller Kategorien und sozialen Klassen unserer Hauptstadt. Der Eintritt war gratis und damit war alles gesagt.“35 Trotz Gratiseintritten blieben die Sitze im Stadion offenbar leer. Damit war nicht einmal die Grundvoraussetzung für die Hispanisierung oder für die ‚Befriedung‘ der GuineerInnen gegeben. Bezüglich letztgenannter Aufgabe der Tänzerinnen bzw. der Mission, eine wohlwollende Kolonialmacht zu repräsentieren, lässt sich darüber hinaus Folgendes feststellen: In zahlreichen Fotografien und Aufnahmen aus Danzas de España en el trópico ist zu sehen, wie Beamte der Guardia Colonial die Menschen, die am Straßenrand den Folkloregruppen zujubeln, zurückhalten und ordnen. Diverse Fotografien weisen darauf hin, dass Eva und ihre Freundin bei ihrer Annährung an die guineische Bevölkerung auf dem Markt von Santa Isabel von uniformierten Beamten der Guardia Colonial umgeben waren. Die balele-Tänzerinnen, die im Hermic-Film zu sehen sind, werden von den jefes de tribu zurechtgewiesen. Genauso wenig wie diese Vorführungen war das Jubilieren der GuineerInnen, welche die Coros y Danzas bei ihrer Ankunft in Santa Isabel empfingen, eine spontane Darbietung. Es handelte sich dabei vielmehr um aufwendig inszenierte Spektakel, in denen nicht alle DarstellerInnen ihre Rolle gut spielten. Die wichtigste Eigenschaft, welche die GuineerInnen in der Inszenierung Spaniens als wohlwollender Kolonialmacht hätten zur Schau stellen sollen, war Begeisterung, ausgedrückt durch Jubilieren, oder zumindest eine beeindruckte und fröhliche Mimik und eine Vertrauen kommunizierende Körperhaltung. Auf den Fotografien und Filmaufnahmen von beiden Äquatorialguineareisen der Coros y Danzas ist auf vielen guineischen Gesichtern kein Lächeln auszumachen. Kinder weinen und Körper ducken sich weg, statt zu applaudieren oder sich vertrauensvoll den Tänzerinnen zu nähern. Auf den Fotografien, die Eva und ihre Freundin auf dem Markt zeigen, kniet eine Frau, die einen Schirm trägt, vor den Tänzerinnen nie-
35 „Para no ser hiperbólico, no digo que todo el estadio estaba lleno. Pero, sí digamos que hubo mucha gente, muchísima gente de todas las categorías y clases sociales de nuestra Capital. La entrada fue gratuita y con esto se dijo todo.“ Sena, Supo a Poco, S. 177.
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der. Die anti-contest-Rhetorik der Annäherungsgeste wird dabei durch eine ‚contest-Pose‘ untergraben. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich Emotionen und die Art und Weise, wie sie von Individuen zum Ausdruck gebracht werden, als historisch und kulturell variabel betrachte.36 Es geht mir jedoch hier nicht um die Frage, ob hinter der Mimik und Körperhaltung der GuineerInnen im HermicFilm tatsächlich Angst oder Wut steckten. Vielmehr vertrete ich die These, dass das europäische und US-amerikanische Publikum, an das diese Inszenierung adressiert waren, die Absenz eines Lächelns und Wegducken als Ausdruck eines Mangels an Enthusiasmus und Vertrauen gelesen haben mag. Denn Lächeln war in Franco-Spanien die normative Ausdrucksform von Freude und Zustimmung. Den Hoffnungen auf die Wirkmächtigkeit von Spektakeln in der ‚Befriedung‘ der Kolonialisierten stand ein anderer Diskurs gegenüber, der, wie ich in Kapitel 6 ausführen werde, sowohl in wissenschaftliche als auch in literarische Texte Eingang fand. Und zwar derjenige, der eine Undurchschaubarkeit der GuineerInnen feststellte, und konstatierte, dass sich deren ‚wahre‘ Gefühle und emotionalen Zustände stets der Kenntnis der KolonialherrInnen entziehen würden. Der oder die indígena wird dabei zu einer unberechenbaren Figur, einer Figur, deren Reaktion auf politische Maßnahmen unlesbar blieb. Spuren dieses Diskurses sind auch im folgenden Bericht aus der Zeitung Ayer erkennbar: „Man hätte unsere Mädchen tanzen sehen müssen, im improvisierten ‚tablao‘37 im Stadion von Santa Isabel vor einem Publikum in kurzen Hosen und Tropenhelmen und den verblüfften Blicken der indígenas, die alle Tribünen füllten! Was mochten wohl in diesen hombres de color, in deren Ohren die Dschungelrhythmen des ‚tam-tam‘ allzu präsent waren, die superzivilisierten und gehaltvollen Klänge der Melodien unserer Heimat hervorgerufen haben? Niemand kann es wissen. Aber Tatsache ist, dass die ‚morenos‘ überschäumend unseren Mädchen der Insel38 applaudierten, die sich niemals einen derartigen Empfang in diesen entfernten Breiten hätten vorstellen können.“39
36 Vgl. Rosenwein, History of Emotions, S. 2ff. 37 „Tablao“ wurden und werden die kleinen Showbühnen in Flamencolokalen genannt. 38 Mit „Insel“ ist hier San Fernando, die Vorstadt von Cádiz, gemeint. 39 „¡Habría que ver a nuestras muchachas bailando en el improvisado ,tablao‘ del Estadio de Santa Isabel ante un público de pantalones cortos y salakof y las miradas atónitas de las indígenas que atestaban todos los graderíos! ¿Qué cosas sugerirían a esos hombres de color, que tienen demasiado recientes en sus oídos los ritmos selváticos del ,tam-tam‘, los sones supercivilizados y enjundiosos de los aires de nuestra tierra? Nadie puede saberlo. Pero lo cierto es que los ,morenos‘ aplaudieron desaforadamente a las muchachas de la Isla, que nunca podían imaginarse, en tan lejanas latitudes, una
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Selbst wenn die GuineerInnen applaudierten, so wusste doch zumindest der Autor dieser Passage nicht, was dabei wirklich in ihnen vorging. Ich möchte nicht ausschließen, dass auch andere BetrachterInnen – namentlich die OrganisatorInnen der Auftritte, spanische SiedlerInnen oder auch die Tänzerinnen selbst – ähnlich unsicher waren, ob hinter der freundlichen Geste auch tatsächlich eine freundliche Gesinnung stand. Waren die Folkloregruppen mit ihrem ‚Trick‘ erfolgreich oder handelte es sich beim Applaus um die schiere Maskerade einer „schlauen Höflichkeit“40, um mit Bhabha zu sprechen? Die „schwelende Paranoia“, welche die KolonisatorInnen dazu veranlasste, „kontinuierlich die finsteren Intentionen der ‚Eingeborenen‘ zu erraten“, interpretiert Bhabha – und darauf sei hier nur am Rande verwiesen – als Effekt, den die koloniale Strategie der Mimikry auf die KolonialherrInnen ausübte.41 Denn diese zwang die Kolonialisierten in eine Maskerade, zielte sie doch auf die Produktion von Subjekten ab, die nur fast weiß sind. Auch der Weg, auf dem die Coros y Danzas dem Fortschritt entgegen tanzten, barg Fallgruben. Mehrere Fotografien zeigen, dass die Tänzerinnen gelegentlich bei der Präsentation von Modernisierungserrungenschaften nicht einmal mehr archaische Trachten trugen. Zum anderen muteten die durch Ruíz González erzielten Modernisierungen in ihrer inszenierten Form nicht immer so glamourös an, wie sie erscheinen sollten: Die Leprösensiedlung in Micomenseng, die in Danzas de España en el trópico zu sehen ist, macht mit den schäbigen Holzhütten und den auf einer ungepflasterten Straße stehenden vernarbten Menschen in zerlumpten Kleidern einen alles andere als „modellhaften“ Eindruck. Heikel war auch, wie nahe balele- und Coros y Danzas-Tänzerinnen in den Fotografien und Filmaufnahmen der Reise von 1954 nebeneinander standen. Besonders in dem Moment, in dem den spanischen Tänzerinnen „primitive“ Gegenstände wie Bastkörbe, Fetisch-Figürchen und Lanzen in die Hand gedrückt wurden, reduzierte sich die Distanz zwischen den archaischen SpanierInnen und den primitiven GuineerInnen auf eine Art und Weise, welche die Betonung von Spaniens Fortschrittlichkeit gefährdete. Ähnliches beobachtet Martin-Márquez in den Fotografien von Echagüe: „Yet Ortiz Echagüe’s celebrated photographs of both Moroccans and Spaniards in fact expose the astonishing similarities between lifestyle and culture on either side of the strait of Gibraltar.“42
acogida semejante.“ F.A., Alegrías de Cádiz en la Guinea española, Ayer, 18.07.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 40 Bhabha, Homi K.: Schlaue Höflichkeit, in: ders., Verortung, S. 137-150. 41 Vgl. Castro Varela/Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 92. 42 Martin-Márquez, Disorientations, S. 238.
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Das Aufgehen der Tänzerinnen in einer Kriegsmaschine stand zum einen – und hierin liegt eine weitere grundlegende Ambivalenz der Coros y Danzas-Mission – im Widerspruch zu ihrem Auftreten als Repräsentantinnen eines friedlichen Staates und zur Inszenierung ihrer Auftritte als Geschenk einer wohlwollenden Kolonialmacht. Zum anderen gefährdete die metaphorische Verwendung des Soldaten in der Beschreibung die Weiblichkeit der Tänzerinnen. Metaphern können, wie Ricoeur beschreibt, als „Kategorienfehler“43 verstanden werden, die darin bestehen, dass „Tatsachen, die zu einer bestimmten Kategorie gehören, in einer zu einer anderen Kategorie gehörigen Ausdrucksweise dargestellt werden.“44 Metaphern konstruieren damit eine Ähnlichkeit, so dass „bisher entfernte Dinge [...] plötzlich als nahe zueinander“45 erscheinen. Die verschiedenen Kategorien, denen Tänzerinnen und Soldaten angehörten, waren ihr jeweiliges Geschlecht. Soldatentum und Männlichkeit waren im Franquismus untrennbar miteinander verbunden und wurden als Gegenpol zu Weiblichkeit inszeniert. „Soldiering was the ultimate example of true manliness“46, schreibt Vincent in ihrer Analyse franquistischer Männlichkeitsbilder und erläutert die Gleichsetzung des „common man“ mit dem „soldier“.47 Die Ähnlichkeit der Tänzerin zum Soldaten, die der Gebrauch der Metapher schuf, umfasste eine Ähnlichkeit zu seiner Essenz, also zu seinem Geschlecht. Was dabei entstand, war geschlechtlich uneindeutig. Noch stärker als die metaphorische Beschreibung der Tänzerinnen als Soldaten ‚attackierte‘ ihr Auftreten als Soldaten in Lanzentänzen ihre Weiblichkeit. „A woman who masquerades as a soldier, [...] violates social expectations“48, schreibt Enloe in ihrer Analyse diverser historischer Soldatinnen, wie Molly Pitcher oder sandinistischen Guerilleras. Die Geschichte kriegerischer Frauen ist geprägt durch eine regelrechte Undenkbarkeit der Kombination Frau-kriegerisch. Wie ich andernorts ausgeführt habe, fand diese Undenkbarkeit während des Spanischen Bürgerkrieges einen klaren Ausdruck: Die milicianas, die in den anarchistischen, trotzkistischen und sozialistischen Miliztruppen und in der republikanischen Propaganda auftauchten, lösten auf franquistischer Seite großes Entsetzen aus. In den Zeitschriften der Sección Femenina wurden sie als vermännlichte Anti-Modelle behandelt, und die
43 Ricoeur, Paul: Die lebendige Metapher, München 1986, S. 88. 44 Ebd., S. 87. 45 Ebd., S. 82. 46 Vincent, Martyrs and Saints, S. 70. 47 Ebd., S. 71. 48 Enloe, Cynthia: Does Khaki Become You? The Militarization of Women’s Lives, London 1983, S. 120.
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franquistische Psychiatrie untersuchte sie als Psychopathinnen.49 Die Geschichte dieses Umgangs mit der miliciana dürfte den genderblurring-Effekt, den die Coros y Danzas-Auftritte als Soldatinnen auf die Tänzerinnen hatten, verstärkt haben. Ein Hinweis darauf, dass die Aufführungen des baila de Ibio durch die Coros y Danzas als potentielle Gefährdung der geschlechtlichen Eindeutigkeit der Tänzerinnen angesehen wurden, ist selbst in einer falangistischen Publikation zu finden: „Besonders erwähnen müssen wir diesen regionalen Tanz des urspanischen Dorfes Ibio. Die Mädchen aus Cabezón de la Sal waren die ersten, die diesen Tanz vorgeführt hatten, denn bisher war er nur von Männern interpretiert worden. [...] Die Mädchen dieser Gruppe haben wunderbar und auf anmutige Weise ihre schwierige Aufgabe gemeistert, die von ihnen gleichzeitig feminine Feinfühligkeit und männliche Stärke erforderte.“50
Besonders interessant ist hier auch, dass der Autor die perfekte Beherrschung der schwierigen Gratwanderung zwischen den Geschlechterrollen, die die Tänzerinnen angeblich bewiesen, in einem Atemzug mit dem Spanisch-Sein des Dorfes Ibio hervorhob. In dieser Betonung offenbart sich, wie eng das Konzepts „spanisch“ im Franco-Staat an eine rigide Geschlechterordnung gekoppelt war. Was aber geschah mit der Weiblichkeit der Tänzerinnen, wenn die Coros y Danzas eine Kriegsmaschine bildeten, indem sie neben Soldaten gestellt wurden? Es könnte argumentiert werden, dass ein örtliches Zusammentreffen von Tänzerinnen und Soldaten deren Weiblichkeit im Sinne eines Kontrastes betonte. Dies geschah etwa, als die Tänzerinnen 1948 für US-amerikanische Soldaten auf einer airbase in Puerto Rico auftraten. In Äquatorialguinea hingegen traten die Coros y Danzas nicht so sehr für, sondern zusammen mit Soldaten auf, wobei es zu einer fatalen Übertragung des Soldatischen und damit auch des Männlichen kam. Weiter gewöhnten sich, wie ich später aufzeigen werde, die einzelnen Mitglieder der Coros y Danzas-Kriegsmaschine an das Attackieren und entwickelten eine Gewohnheit des Attackierens, die sie auch in ihrem Dasein außerhalb der
49 Vgl. Stehrenberger, Cécile Stephanie: Nuestro soldadito de chocolate, in: Rosa. Die Zeitschrift für Geschlechterforschung 33 (2006), S. 53-54, hier S. 53f. 50 „Hemos de hacer mención especial de esta danza regional del pueblo españolisimo de Ibio. Las muchachas de Cabezón de la Sal han sido las primeras en interpretarla, pues antes siempre era represntada por hombres [...]. Las muchachas de este grupo desempeñaron maravillosa y graciosamente su difícil tarea, que les exigía al tiempo delicadeza femenina y fortaleza varonil.“ Las Danzas mas bellas del Folklore español interpretada por camaradas de la S.F. (Zeitschrift der Falange oder der S.F.), Maite, Doc. 2.
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Kriegsmaschine auslebten. Einige Tänzerinnen wurden, wie noch zu sehen sein wird, während ihrer Reisen ungehorsam und frech und manche entwickelten sich, zurück in Spanien, zu „bichos raros“, die sich außerhalb der Parameter derjenigen Weiblichkeit, die sie repräsentieren sollten, bewegten. Deleuze und Guattari schreiben über Kriegsmaschinen: „they animate a fundamental indiscipline of the warrior, a questioning of hierarchy, perpetual blackmail by abandonment or betrayal, and a very volatile sense of honor, all of which, once again impedes the formation of the State.“51 In Mille Plateaux verstehen die Autoren die Kriegsmaschine als eine sich außerhalb des Staates befindliche, geradezu gegen den Staat gerichtete Entität, die jedoch vom Staat territorialisiert und inkorporiert werden kann und sich von der Guerilla zur Armee transformieren lässt. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen könnten die Coros y Danzas auch in ihrer Stellung als Teil der Sección Femenina als Kriegsmaschine betrachtet werden. Die Ursprünge der Falange lagen in einer gegen den Staat (die spanische Republik) gerichteten Bewegung, die im Zuge der Formierung eines neuen Staates (des franquistischen) in diesen inkorporiert wurde. Die Zähmung der Falange, die ich weiter oben erwähnt habe, könnte als deren „Territorialisierung“ bezeichnet werden. Die Sección Femenina widersetzte sich ihr sehr viel stärker als die männlichen Falangisten. Sie blieb widerspenstig und geriet mit ihrem Festhalten am urfalangistischen Diskurs immer wieder mit den anderen Institutionen des Franco-Staats in Konflikt, bekriegte diese gewissermaßen (vgl. 2.2). Es scheint, dass das allzu sichtbare Kriegsmaschine-Werden der Tänzerinnen bei manchen Beobachtern auch Unbehangen auslöste, das sie zu einer ‚Entmilitarisierung‘ der Coros y Danzas-Mitglieder veranlasste: „Nein: Die Disziplin unter diesen Mädchen der Sección Femenina muss ganz anders verstanden werden als diejenige, die in den Kasernen gelebt wird. Die Chefinnen sind einfach nur weitere Kameradinnen, ohne sich von den anderen zu unterscheiden. Die Befehle werden erteilt und mit derselben Gestik entgegengenommen, wie man ein erfreuliches Geschenk überreicht und empfängt. Immer humorvoll, immer fröhlich, immer leicht und feminin,
51 Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: A Thousand Plateaus, London/New York 2004, S. 395.
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aber exakt in der Ausbildung, devot in ihren Gebeten, enthusiastisch in der Pflichterfüllung“,52
hieß es 1948 in der Zeitung La mañana.
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PERFORMANCES
Das gelegentliche Scheitern der Coros y Danzas-Mission – dasjenige, das die Quellen belegen, aber auch dasjenige, zu dem es möglicherweise kam – hatte mehrere Ursachen. Eine davon waren die grundlegenden Ambivalenzen, auf die ich oben hingewiesen habe. Eine andere war, dass die Tänzerinnen und andere ProtagonistInnen ihres Spektakels die Eigenschaften, die sie hätten zur Schau stellen sollen, bisweilen schlecht performten oder ‚falsche‘ Eigenschaften aufführten. Ein weiteres Problem – und dieses ist wiederum der oben beschriebenen Ambivalenz in der Mission geschuldet – bestand darin, dass die meisten Eigenschaften der Tänzerinnen, die einem Teil ihrer politischen Mission zu Gute kamen, gleichzeitig einen anderen gefährdeten. Beide letztgenannten Effekte sind bereits im oben besprochenen Umstand, dass das Kriegsmaschine-Werden der Tänzerinnen ihre Weiblichkeit gefährdete, deutlich geworden. Eine Reihe weiterer ungünstiger performances sollen im Folgenden behandelt werden. Bisweilen waren die von den Coros y Danzas vorgeführte Einheitlichkeit und Koordiniertheit defizitär. Erstens stand es um den nationalen Zusammenhalt unter Sección Femenina-Angehörigen aus verschiedenen Regionen nicht immer zum Besten. Dem informe de viaje einer Lateinamerika-Tour im Jahr 1948 ist zu entnehmen: „Vigo: Gruppenleiterin – María Fernández [Name geändert]. Gut, aber wenig Charakter mit ihrer Gruppe, nicht so sehr aufgrund eines Mangels an Führungsqualitäten, sondern weil sie Galizierin ist und nur im galizischen Stil schimpfen kann [...] Bilbao: [...] Die
52 „No: la disciplina entre estas muchachas de la Sección Femenina se entiende muy de otra forma que la que se vive en los cuarteles. Las jefes son otras tantas camaradas, sin un distinto; las órdenes se dan y se reciben con el mismo gesto con que se da y se recibe un regalo grato. Siempre de broma, siempre alegres, siempre ligeras y femeninas, pero exactas en las formaciones, devotas en sus rezos, entusiastas en el cumplimiento de los deberes.“ F.A., La gracia de España conquista America, La Mañana, 29.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
234 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE Gruppe weist als hauptsächlichen Defekt ein Übermaß an Überheblichkeit auf, vielleicht dem bilbanesischen Charakter eigen, der ohne separatistisch sein zu wollen, sich für besser als der Rest von Spanien hält [...].“53
Man darf vermuten, dass innerspanische Rassismen wie diejenigen, die sich in der zitierten Passage manifestieren, die Organisation der Coros y Danzas-Auftritte störten und möglicherweise auch dem Publikum nicht gänzlich verborgen blieben. Des Weiteren dürfte die perfekt abgestimmte Koordination unter den einzelnen Tänzerinnen dem Showpublikum allerhöchstens in der massenmedialen Reproduktion der Vorführungen perfekt erschienen sein. „Nur sehr wenig Einheit in der Gruppe. Man merkte, dass es neue Mädchen gab, die nicht tanzen konnten“54, schrieb Enrich Auliach in ihrem informe de viaje zur ersten Äquatorialguineareise. Erneut möchte ich hier auch auf den Brief einer kanarischen delegada verweisen, die gegenüber Maruja Sempalayo die „Ungleichheit“ in ihrer Gruppe damit rechtfertigte, dass weder genügend Zeit noch Geld zur Verfügung gestanden habe, um eine einheitliche Gruppe zusammenzustellen.55 Im Gegensatz zur externen Berichterstattung über die Coros y Danzas-Reisen offenbaren die internen Quellen, dass die Tänzerinnen nicht immer vollkommen devot waren. So steht im Bericht zu einer 1949 unternommenen Reise in die Schweiz: „In der Gruppe aus Pamplona gibt es zwei Schwestern Gómez [Name geändert], die den Rest der Gruppe lenken und dirigieren. Diese Mädchen sind sehr angeberisch und besitzen einen maßlosen Hang, sich in den Mittelpunkt zu stellen. [...] Auf alle Fälle ist Anita [Name geändert] viel schlimmer als Concepción, die möglicherweise ohne ihre Schwester gut funktionieren würde.“56
53 „Vigo: Jefe de Grupo. – María Fernández [Name geändert]. Buena, pero poco carácter con su grupo, más que por falta de dotes de mando, porque es Gallega y por tanto, no sabe reñir más que al estilo gallego… [...] Bilbao: […] El grupo tiene como principal defecto un exceso de soberbia, tal vez propio del carácter bilbaíno que se cree superior al resto de España, sin querer ser separatistas […].“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 54 „Muy poca unidad en el grupo. Se notaba que había niñas nuevas que no sabían bailar.“ Ebd. 55 Vgl. AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 56 „En el grupo de Pamplona sucede que hay dos hermanas Gómez [Name geändert] que manejan y dirigen el resto del grupo. Estas niñas son muy presumidas y con un afán inmoderado de destacar. […] De todos modos Anita [Name geändert] es mucho peor
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Dass die Schwestern (statt zu gehorchen) „dirigierten“, wird hier interessanterweise mit ihrem „Hang, sich in den Mittelpunkt zu stellen“ in Verbindung gebracht. Dies verweist wiederum auf den bereits angesprochenen problematischen celebrity-Status der Tänzerinnen, der ihre Funktion als Rollenmodelle deswegen gefährdete, weil sich die ideale Spanierin ganz und gar nicht danach sehnen sollte, öffentlich in Erscheinung zu treten und dafür auch noch besondere Anerkennung einzuheimsen. Schlimmer noch als der (unvermeidbare) Umstand, dass die Tänzerinnen im Mittelpunkt standen, war, dass sich einige von ihnen dorthin drängten. Könnte der Versuch eines Menschen, sich in den Mittelpunkt zu stellen, und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, nicht bereits als ein Versuch zu dirigieren – statt sich nur regieren zu lassen – betrachtet werden? Wenn ja, könnte gefolgert werden, dass auch dies ein Grund war, warum das ImMittelpunkt-Stehen der Tänzerinnen als von diesen völlig ungewollt dargestellt werden musste, als etwas, was keinesfalls genossen werden konnte, damit die Mitglieder nicht zu Anti-Modellen wurden. Bereits erwähnt worden ist, dass die GuineerInnen angesichts der Coros y Danzas nicht immer so begeistert jubelten, wie sie dies hätten tun sollen. Weiter unten wird sich zeigen, dass auch die Fröhlichkeit der Tänzerinnen bisweilen mangelhaft war bzw. dass auch ihr Lächeln gelegentlich ausblieb. Diese Fröhlichkeit konnte aber auch problematisch sein: Nach einem Auftritt in Panama treffen in Bailando hasta la Cruz del Sur die Tanzgruppen auf dem Rückweg zu ihrem Schiff auf eine Gruppe von „rojos“: „Plötzlich begannen sie der Hafenpolizei zuzurufen. Sie denunzierten uns. – Verhaftet sie; sie sind Faschisten, Feinde der Demokratie; sie sind Falangisten, sie hassen die Vereinigten Staaten, sie hassen die Freiheit und den Fortschritt.“57 García Serrano fand das „Spektakel“ äußerst „komisch“, obschon er sich am passiven Verhalten der Polizei störte: „Wir lachten, ohne uns um die weibischen Stimmen der Denunzianten zu kümmern“58, berichtete er. In derartigen Szenen erschienen die Coros y Danzas als „alegre batallón“59 – so eine Bezeichnung der Zeitung Arriba –, in dem das Lächeln der Tänzerinnen als Waffe zum Einsatz kam. Dieses martialische Lachen stand al-
que Concepción [Name geändert] quien quizá sin su hermana funcione bien.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 57 „De pronto comenzaron a dar voces ante la policía portuaria. Nos denunciaban. – Deténganlos; son fascistas, enemigos de la democracia; son falangistas, odian a los Estados Unidos, odian a la libertad y al progreso.“ García Serrano, Bailando, S. 381. 58 „Nosotros nos reíamos sin dar importancia a las voces afeminadas de los denunciadores.“ Ebd., S. 471. 59 F.A., Arriba, 07.1951. AGA, (03)051.023 LEG 36 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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lerdings in einem deutlichen Widerspruch zum Bild eines freundlichen Staats und einer wohlwollenden Kolonialmacht, das die Folkloregruppen verbreiten sollten. Auch die Art und Weise, in der die Tänzerinnen ihre Frömmigkeit zum Ausdruck brachten, beinhaltete eine Gefährdung eines Teilaspekts ihrer Mission. So ist denkbar, dass der Umstand, dass die von den Coros y Danzas besuchten Kathedralen zugleich Monumente von Spaniens imperialer Vergangenheit waren, das „große Argument“, als das Spanien seinen Katholizismus in seiner Selbstdarstellung als freundlicher Staat und wohlwollende Kolonialmacht benutzte, durchkreuzte. In der Kirche San Francisco in Santiago de Chile legten die Tänzerinnen Blumen vor dem Bild der Jungfrau von Socorro nieder, das der conquistador Pedro de Valdivia bei seiner Eroberung Chiles bei sich getragen haben soll.60 Die Kathedrale Santa María la Menor in Santo Domingo, welche die Tänzerinnen 1948 besuchten, wurde 1530 als erste in der „Neuen Welt“ fertiggestellt und war einer der wichtigsten Gedächtnisorte des spanischen Imperialismus.61 Weiter konnte der Umstand, dass die Tänzerinnen zu Tanzmaschinen wurden, ihre Mission gefährden: In Anlehnung an Eric Ames ist die „Lebendigkeit“ der Darstellenden, die an ihre „Authentizität“ gekoppelt ist, als zentrales Element der Attraktivität von Völkerschauen und Völkerschau-Umzügen zu verstehen.62 Eine Faszination ob der Lebendigkeit der Coros y Danzas-Tänzerinnen ist in einem Bericht zu einem Auftritt der Folkloregruppen im New York Herald Tribune zu erkennen: „It would be difficult to imagine a more proficient or personable group of Spanish folk performers then our present visitors. They are amateurs and they comport themselves as they would at any folk gathering. They gasp when they’re out of breath (professionals get breathless too but are not permitted to show it), dampen dry lips with their tongues, straighten costumes, slouch a bit while awaiting a musical cue, behave naturally.“63
Tanzmaschinen ist es, wie McCarren aufzeigt, eigen, in ihrer Unermüdlichkeit ‚roboterhaft‘ zu erscheinen.64 Dies widerfuhr auch den Coros y Danzas: „Sie sind verblüfft wegen unserer guten Laune und ich denke, wir erschreckten sie sogar ein wenig, obwohl sie nicht einmal wussten, dass wir in drei Tagen nur neun Stun-
60 Vgl. García Serrano, Bailando, S. 317. 61 Vgl. Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Die Gedächtnisorte, in: ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, S. 11-33. 62 Vgl. Ames, Hagenbeck, S. 22. 63 Terry, Dancers of Spain. 64 Vgl. McCarren, Dancing Machine, S. 15.
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den geschlafen haben“65, berichtete Blanco García aus Frankreich. Das ‚Roboterhafte‘ machte die Tänzerinnen dort einschüchternd, wo sie es nicht hätten sein sollen und beeinträchtigte, so meine ich, jene so zentrale „Lebendigkeit“ der Tänzerinnen und minderte damit ihre Attraktivität als Völkerschau. Die sexyness der Tänzerinnen war nur bedingt mit dem franquistischen Frauenbild, das diese zu verbreiten hatten, vereinbar. Schilderungen, in denen die verführerische Kraft der schönen Tänzerinnen Männer durchdringt und in sich zusammenbrechen lässt, rückten die Tänzerinnen in eine gefährliche Nähe zum Topos der Femme fatale, „the woman who, by means of her overwhelmingly seductive charms, leads men into danger, destruction, and even death.“66 Dieser Figur ist eine gewisse Androgynität eigen. Die schiere Initiative, welche die Femme fatale in ihren Handlungen an den Tag legt, und insbesondere die von ihr ausgehende Aggression sind männlich konnotiert. Keesy schreibt: „[...] the aggressive qualities of the Femme fatale blurred the distinction between ‚appropriate‘ male and female social behaviour.“67 Das Begehren, das die Tänzerinnen auslösten, konnte auch eine Intensität erreichen, die offenbar zumindest den Tänzerinnen selbst nicht mehr geheuer war. So wird eine von ihnen in der Zeitung La Mañana mit folgenden Worten zitiert: „Die Galanterie der Argentinier war derart außerordentlich, dass sie das Schiff mit Blumen überfluteten. Wir mussten sie außerhalb der Kabinen aufbewahren, in den Bullaugen und man sah unser Schiff blühen vom Heck bis zum Bug. In der Nacht konnten wir nur in Gruppen ausgehen, begleitet von irgendeinem Verwandten, den wir im Land hatten.“68
65 „Les asombra nuestro humor y hasta creo que les asustamos un poco, y eso que no sabían que llevábamos durmiendo sólo nueve horas en tres días […].“ Blanco García, María del Rosario: Francia vista desde el autobús, La Nueva España, F.A. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 66 Keesey, Pam: Vamps. An Illustrated History of the Femme Fatale, San Francisco 1997, S. 59. 67 Ebd., S. 67. 68 „La galantería de los argentinos era tan extraordinaria que nos inundaban el barco de flores. Las teníamos que colgar fuera de los camarotes, en los ojos de buey, y era de ver nuestro barco florido de popa a proa. De noche sólo podíamos salir en grupos, acompañadas de algún pariente que tuviéramos en el país.“ F.A., La gracia de España conquista America, La Mañana, 29.07.1948. AGA, (03)051.023 LEG 30 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Weiter oben habe ich argumentiert, dass der Umstand, dass die Folkloregruppen zu Kriegsmaschinen wurden, die eindeutige Weiblichkeit ihrer Mitglieder gefährdete. Verschiedene AutorInnen verwendeten metaphorisch die männlich konnotierte Figur des Soldaten, um die Tänzerinnen zu beschreiben und bezeichneten die Mitglieder der Folkloregruppen gar als Soldaten. Zu derartigen Benennungen kam es dort, wo die Tänzerinnen in Paartänzen den männlichen Part übernahmen, nicht. Sie wurden weder als Tänzer bezeichnet noch mit Tänzern verglichen. Daher war dabei auch nicht die Weiblichkeit der Tänzerinnen in Gefahr. Die Problematik bei dieser Form des ‚cross-dancings‘ war eine andere: Die Tänzerinnen traten nicht als Männer auf, sondern als Frauen, die Männerrollen übernahmen. Sie taten dies entweder in einer vollkommen ‚weiblichen Tracht‘ oder in der traje de amazona, einem Reitkostüm, das demjenigen andalusischer Tänzer sehr ähnlich war, aber doch abgeändert wurde. Wie Butler aufzeigt, ist drag-performances das subversive Potential inhärent, den performativen Charakter von Geschlecht selbst augenscheinlich zu machen. Für die Autorin ist „drag in dem Maße subversiv, in dem es die Imitationsstruktur widerspiegelt, von der das hegemoniale Geschlecht produziert wird, und in dem es den Anspruch der Heterosexualität auf Natürlichkeit und Ursprünglichkeit bestreitet.“69 In Anlehnung an Butler möchte ich mich von der Annahme distanzieren, dass drag-performances per se subversiv sein müssen.70 Dennoch bin ich geneigt, dem Coros y Danzas-,cross-dancing‘ wenn nicht einen die vorherrschende Geschlechterordnung störenden Effekt zuzugestehen, so doch die These aufzustellen, dass es die Mission der Tänzerinnen, zur (Re-)Etablierung der angestammten Geschlechterordnung beizutragen, gefährdete. Und dies, gerade weil es sich dabei nicht um eine Parodie handelte, die versucht hätte, Transgressionen der Geschlechterordnung der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielmehr wurde suggeriert, dass die Tänzerinnen fähig seien, die Rolle von Tänzern zu spielen, und zwar genauso gut, wie es Männer gekonnt hätten. Und sie mussten hierfür nicht einmal als Tänzer auftreten: „not the transformation of man-to-woman, or woman-to-man, but the subversive parade of manas-woman, woman-as-man“71, um mit McClintock zu sprechen. Erneut sei hier auf eine bereits zitierte Rezension eines Coros y Danzas-Auftrittes in London verwiesen, welche die Show der Folkloregruppen aufgrund des Fehlens männlicher Tänzer und das ‚cross-dancing‘ als „nicht repräsentativ“ kritisierte. Der Verlust
69 Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt am Main 1997, S. 178. 70 Vgl. dies.: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991, S. 204. 71 McClintock, Anne: Maid to Order. Commercial Fetishism and Gender Power, in: Social Text 37 (1993), S. 87-116, hier S. 98.
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der eindeutigen Weiblichkeit der Tänzerinnen gefährdete also auch die Authentizität ihrer Bühnenshow. Die ungünstigen Aufführungen der Tänzerinnen waren, wie dargelegt, zum Teil den Ambivalenzen der Coros y Danzas-Misision geschuldet. Wie im nächsten Unterkapitel ersichtlich wird, waren sie – und mit ihnen die unerwünschten Vorkommnisse, die sie generierten – aber auch Resultat der ‚gefährlichen Technologien und Instrumente‘, die angewandt wurden, um einerseits die Tänzerinnen und andererseits deren Publikum zu formieren. Der Einsatz dieser Technologien und Instrumente führte, wie ich argumentieren werde, dazu, dass der Mission der Folkloregruppen auch ein großes Potential zu scheitern inhärent war. Es ist daher auch nicht auszuschließen, dass die in den Quellendokumenten registrierten nicht die einzigen Misserfolge der Coros y Danzas waren.
G EFÄHRLICHE T ECHNOLOGIEN
UND I NSTRUMENTE
Es waren performative Prozesse, in denen die Tänzerinnen zu exemplarischen Subjekten werden und zur Formierung ihres Publikums beitragen sollten. Solche Prozesse müssen nicht nur im kolonialen Kontext, wo sie zur politischen Strategie der Mimikry werden, sondern ganz allgemein als ‚gefährlich‘ betrachtet werden. Die Tänzerinnen waren gehalten, die permanent in ihrem Alltag und in ihrer Tätigkeit mit der Sección Femenina zitierten normativen Verhaltensweisen zu internalisieren und in einer absolut perfekten Aufführung auf und neben der Bühne zu rezitieren. In der massenmedialen Reproduktion ihrer Reisen kam es zu einem weiteren Zitat der genannten Vorschriften, indem das vorbildliche Verhalten von ZuschauerInnen und anderen ProtagonistInnen des Coros y Danzas-Spektakels geschildert wurde. Bestenfalls rezitieren in performativen Prozessen Menschen Normen deswegen, weil sie sich mit ihnen und den sie vortragenden Modellfiguren identifizieren. Die Subjektivierung in performativen Prozessen birgt zahlreiche Risiken, nicht die gewünschten Resultate hervorzubringen. Erstens sind den Sprechakten, in denen Normen zitiert werden, Verzeitlichung und Verräumlichung inhärent. Diese différance72 führt dazu, dass Aussagen zwangsläufig polysem sind. Um mit Villa zu sprechen: „Textuelle Codes im weiteren Sinne – Begriffe im engeren – verweisen endlos aufeinander und über sich hinaus, es gibt keinen ,transzendentalen Signifigkanten‘. So entfaltet sich Bedeutung [...] in der permanenten ‚Verschie-
72 Vgl. Derrida; Jaques: Signatur, Ereignis, Kontext, in: ders.: Die différance. Ausgewählte Texte, Stuttgart 2004, S. 68-109, hier S. 101f.
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bung‘ von Sinn, einem ‚beständigen Gleiten‘. Diese Bewegung wird intensiviert durch die Tatsache, dass jeder Begriff bzw. jeder Code immer wieder in neuen, anderen Kontexten verwendet wird und allein deshalb prinzipiell offen ist für Bedeutungsverschiebungen.“73 Aus diesem Umstand folgt, dass „das Sprechen sich stets in gewissem Sinne unserer Kontrolle entzieht“74, wie Butler betont. Daher sagten auch die Tänzerinnen und die BerichterstatterInnen zu ihrer performance, wenn sie sprachen, schrieben, fotografierten oder tanzten, stets mehr als sie wollten.75 In die durch die différance eröffneten Zwischenräume schlichen sich Spuren eines ‚anderen Sprechens‘ ein, welche die lineare Bedeutungsproduktion störten. Zu jenem anderen Sprechen gehörten die Vorgeschichten, die ich in Kapitel 6 untersuchen werde. Diese Geschichten führten unter anderem dazu, dass sich die Tänzerinnen und andere ProtagonistInnen ihres Spektakels bisweilen unangebracht verhielten und diejenigen Personen, die darüber berichteten, dies in einer für die Mission der Folkloregruppen ungünstigen Art und Weise taten. Ich meine mit einem ‚anderen Sprechen‘ aber auch Texte, welche die entsprechenden Autoren verfasst hatten, bevor sie über die Coros y Danzas schrieben. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle kurz auf die Bücher eingehen, die García Serrano vor seinem Bailando hasta la Cruz del Sur verfasst hatte. „Ich diene in der Literatur wie ich in einem Geschwader dienen würde. Mit derselben Intensität und mit denselben Zielen. Alles andere würde mir wie ein Verrat erscheinen“76, gab der Autor 1944 zu Protokoll. Immer wieder betonte García Serrano, den ich in Anlehnung an Pavlovic als „warrior/writer“77 klassifiziere, in seinen Publikationen sein eigenes Kämpfer- und Soldat-Sein.78 Im Bürgerkrieg wurde er verwundet und schrieb Teile seiner ersten Erzählung Eugenio o proclamación de primavera, die Rodríguez Puertolas als „leidenschaftlichen Gesang an den Kriegsgeist“79 bezeichnet, in einem Lazarett.
73 Villa, Paula-Irene: Subjekte und ihre Körper. Kultursoziologische Überlegungen, in: Monika Wohlrab-Sahr (Hg.): Kultursoziologie. Paradigmen – Methoden – Fragestellungen, Wiesbaden 2012, S. 251-274S, hier 261. 74 Butler, Hass spricht, S. 31. 75 Vgl. ebd., S. 23. 76 „Yo sirvo en la literatura como serviría en una escuadra. Con la misma intensidad y el mismo objetivo. Cualquier otra cosa me parecería una traición.“ Zitiert bei: Rodríguez Puertolas, Literatura fascista I, S. 268. 77 Pavlovi, Despotic Bodies, S. 23. 78 Vgl. z. B. García Serrano, Bailando, S. 318. 79 Rodriguez Puertolas, Literatura fascista I, S. 237.
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Sein erster, stark autobiographischer Nachkriegsroman, La fiel infantería wurde wenige Monate nach seiner Veröffentlichung wegen „unangebrachter, obszöner Ausdrücke“ bis 1958 verboten.80 García Serrano umschreibt darin den Bürgerkrieg folgendermaßen: „Wir bereisten ganz Spanien in einem fröhlichen, bewaffneten Tourismus. Genau dem Tourismus, den Spanien in diesem Moment brauchte.“81 Held der Erzählung ist Mario, ein zu Beginn desinteressierter Individualist, der sich in deren Verlauf zu einem eifrigen falangistischen Soldaten entwickelt. Ein „longing to kill“82 stellt Pavlovi in Sätzen wie dem folgenden fest: „Nichts befriedigt in einer Schlacht mehr, als hinter einem Busch eine Maschinengewehrsalve gegen ein menschliches Ziel zu entleeren.“83 Gänzlich entmenschlicht wird dabei der Feind: „Sie sind nicht einmal mehr Raubtiere, denn sie werden nicht satt. Es sind einmal mehr rasende Männer, Bluttrinker. Männer, Scheiße ist es, was sie sind.“84 Wie bei anderen warrior/writer sind Heldentum, Ehre und Stärke die Kernthemen von García Serranos gesamten literarischem Schaffen.85 Verkörpert werden solche Ideale stets von Kriegern – wenn nicht von Soldaten aus dem Spanischen Bürgerkrieg, dann von Helden aus Spaniens imperialer Vergangenheit, wie den conquistadores von Mexiko in Cuando los dioses nacían en Extremadura, einem kurz vor den Lateinamerikareisen der Coros y Danzas erschienenen Roman. Untrennbar ist in García Serranos Texten Männlichkeit mit Soldatentum verbunden und seine Protagonisten sind unweigerlich männlich. Durchaus tauchen auch Frauen in seinen Erzählungen auf. Sie sind die süßen Mädchen, um deren „feuchten Blicke“ willen gekämpft wird, das Symbol für die Heimat, die beschützt werden muss und das Territorium, das erobert werden kann. So heißt es in La fiel infantería: „Der Moment, in dem er hinter der Musik hermarschiert, trunken von Fahnen und von Geschichte. Diese Familiengeschichte des Großvaters, der im anderen Krieg starb oder des Vaters, der ein Kriegsverdienstkreuz besitzt – denkt der Mann, rasend vor Manneskraft,
80 Vgl. ebd., S. 510. 81 „Recorríamos España en alegre turismo armado. El turismo que precisamente le estaba haciendo falta a España.“ García Serrano, Rafael: La fiel infantería, Madrid 2004 (1943), S. 57. 82 Pavlovic, Despotic Bodies, S. 37. 83 „Nada satisface más en combate que vaciarle una ametralladora a un objetivo humano detrás de los arbustos.“ García Serrano, La fiel infantería, S. 71. 84 „Ya no son ni fieras, porque no se hartan; son otra vez hombres enfurecidos, bebedores de sangre. Hombres, mierda éso son.“ Ebd., S. 209. 85 Vgl. Pavlovic, Despotic Bodies, S. 23.
242 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE dass es nichts damit Vergleichbares gibt, Soldat zu sein und sein Leben für das Vaterland zu lassen, ja, aber auch für das süße Mädchen, das ihn umarmt oder ihm ein Glas Wein, Brot oder einen feuchten Blick schenkt.“ 86
Die Botschafterinnentätigkeit der Coros y Danzas-Tänzerinnen, der sie abertausende Kilometer entfernt von der einzig legitimen Einflusssphäre der spanischen Frau – ihrem Haushalt – nachgingen, implizierte einen weiblichen Protagonismus, der nicht nur einen allgemeinen Bruch mit der Geschlechterordnung im Franquismus bedeutete, sondern insbesondere auch den Geschlechterkonstruktionen in García Serranos literarischen Produktionen vor Bailando hasta la Cruz del Sur entgegengesetzt war. Niemals zuvor hatte der Autor Protagonismus anders als männlich und kriegerisch darzustellen vermocht. Dies gelang ihm auch in den Berichten zu den Coros y Danzas nicht vollständig; er übertrug ein Stück Männlichkeit und Kriegertum, das in all seinen anderen Erzählungen notwendige Bedingung war, um handeln zu können, auf die Tänzerinnen, und leistete dabei einen entscheidenden Beitrag zum KriegERinnen-Werden der Coros y DanzasMitglieder. Performativ waren bei den Coros y Danzas nicht nur mündliche Aussagen und Texte, sondern auch Bilder und Bewegungen. Auch in ihnen wurden Normen zitiert, die sich die Tänzerinnen und ihr Publikum aneignen sollten. Und auch ihnen waren Verzeitlichung und Verräumlichung inhärent.87 Sie sagten mehr, als intendiert war, weil sich fremde Bewegungen oder fremde Bilder in die Zwischenräume, welche die différance öffnete, einschlichen. Menschen sind in der Nachahmung von Normen, die in polysemen Aussagen zitiert werden, zu kreativen Nachahmungen geradezu gezwungen. Das Zitat muss sich daher in seiner Widerholung ständig verändern. Dies gilt auch für die Art und Weise, wie Normen inkorporiert werden. Villa schreibt: „Verhältnisse sind nicht Verhalten [...]. Man wird sie nie so verkörpert vorfinden.“88 Die Soziologin geht weiter davon aus, dass Menschen sich auch bewusst ihren „Reim auf die Verhältnisse machen, in denen sie ihre Praxis vollziehen und durch die Praxis
86 „A la hora de marcar el paso tras la música, borracho de banderas y de historia. Esa historia familiar del abuelo que murió en la otra guerra o del padre que tiene una cruz – loco de virilidad, el hombre piensa que nada hay comparable a ser soldado y dar la vida por la Patria, sí, pero también por la dulce muchacha que le abraza o que le da un vaso de vino o pan o una mirada húmeda.“ García Serrano, La fiel infantería, S. 44. 87 Vgl. Müller, Dekonstruktion, S. 364. 88 Villa, Subjekte, S. 268.
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des Reimens neue Reime produzieren.“89 Sie schreibt weiter: „Mensch gewordene Verhältnisse, verkörperte Diskurse wären eine unmenschliche Zumutung.“90 Im Franco-Staat wurde den Regierten mit Nachdruck zugemutet, genau solche verkörperten Diskurse zu sein, was unter anderem die Unmenschlichkeit des Regimes ausmachte. Sich in einer allzu sichtbaren Form einen eigenen Reim auf die Verhältnisse zu machen, war für die meisten Menschen gefährlich. Einige taten es trotzdem und bezahlten hierfür mit ihrem Leben, Gefängnisstrafen, gesellschaftlichem Ausschluss oder Exil. Andere lebten in Subkulturen im Untergrund ihre eigenen Reime. Und nochmals andere übten sich ‚im Kleinen‘ in kreativer Nachahmung; um mit de Certeau zu sprechen, in „mikrobenhaften Operationen [...], die sich im Inneren der technokratischen Strukturen verbreiten und deren Funktionsweise durch eine Vielzahl von Taktiken unterlaufen, die sich in den Details des Alltäglichen artikulieren.“91 Besipielsweise identifizierten sich Personen insgeheim mit den falschen Modellfiguren oder mit den ‚falschen Eigenschaften‘ der ‚richtigen Modellfiguren‘. So verweist Eva Woods auf Oral-History-Untersuchungen, die ergeben haben, dass sich im franquistischen Spanien KinozuschauscherInnen nicht nur mit den Helden, sondern auch anderen Charakteren der Filme, die sie sahen, identifizierten.92 Rosa Medina Doménech zeigt in ihrer Analyse von Briefen und Antworten aus Ratgeberkolumnen von Frauenzeitschriften auf, wie Frauen das Konzept der komplementären Liebe für sich uminterpretierten.93 Die Art und Weise, in der sich Menschen mit fiktiven oder realen Figuren identifizieren, lässt sich nicht restlos kontrollieren. Die Gefahr von fehlerhaften Identifikationen steigt dort, wo die falschen Modellfiguren sympathisch bzw. die richtigen unsympathisch sind, oder dort, wo – wie im Fall der Coros y Danzas-Tänzerinnen – die richtigen Modellfiguren viele ‚falsche‘ Eigenschaften aufweisen. In der Modellierung der Coros y Danzas-Tänzerinnen wurde neben dem performativen Zitieren von Normen eine weitere ‚gefährliche‘ Technologie eingesetzt: ein ihre Körper stärkendes Training. Die Effekte, die dieses Training auf die physische und psychische Verfasstheit der Tänzerinnen hatte, waren in nur bedingtem Maß regulierbar. So liefen ihre Körper Gefahr, zu muskulös zu werden und nicht mehr dem Bild idealer spanischer Weiblichkeit zu entsprechen. Ich habe schon weiter oben darauf hingewiesen, dass sich die Sección Femenina mit ih-
89 Ebd., S. 252. 90 Ebd., S. 268. 91 De Certeau, Michel: Kunst des Handelns, Berlin 1988, S.16. 92 Vgl. Woods, Identification, S. 130. 93 Vgl. Medina Doménech, Rosa: Ciencia y sabiduría del amor. Una historia cultural del Franquismo (1940-1960), Madrid 2012 (im Erscheinen).
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rem Sportprogramm harscher Kritik seitens der konservativen Institutionen des Franco-Regimes ausgesetzt sah. Diese stellten die moralische Vertretbarkeit einer öffentlichen Zur-Schau-Stellung sich bewegender Frauen in Frage und argumentierten, dass die Zunahme an Muskelmasse mit einem Verlust an Weiblichkeit (insbesondere der Gebärfähigkeit) der trainierenden Körper einhergehen würde. Die befürchtete Vermännlichung war aber auch eine des Verhaltens. Jo Labanyi schreibt: „The gymnastics displays and regional dancing (Coros y Danzas) for which the Sección Femenina was famous were, above all, a form of body training designed to give girls a paradoxical sense of ego boundaries through the submission of self to a greater whole; a public exhibition of the female body in which the self is denied and affirmed.“94 Mit anderen Worten heißt das, dass auch die Coros y Danzas-Mitglieder in ihrem Training zusammen mit der Stärkung ihrer Muskulatur eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins erfuhren. Dieses Selbstbewusstsein war mit dem franquistischen Frauenbild nicht konform und wo immer es zum Ausdruck kam, z.B. in einem „Drang, sich in den Mittelpunkt zu stellen“, gefährdete es die politische Misison der Folkloregruppen. Es resultierte darüber hinaus, wie ich meine, aus der Erfahrung im Mittelpunkt gestanden zu haben. Damit sei betont, dass Erfahrungen eine nachhaltige Wirkung auf das Subjekt-Werden einer Person haben und Menschen sich ein Verhalten, dass sie sich in gewissen Konstellationen angewöhnen, in anderen Umständen – oft fatalerweise – weiter praktizieren. Der Erfolg der Coros y Danzas-Mission basierte auf einem gelungenen Einsatz von Emotionspolitik. Nicht immer stellte sich dieser Erfolg ein. Menschen fühlten, was sie nicht hätten fühlen sollen oder fühlten es für das falsche Objekt: Sie waren erzürnt ob der Coros y Danzas-Auftritte oder fühlten sich einer nicht weißen „Rasse“ zugehörig. Es ist wahrscheinlich, dass es auch zu einem von den Quellen nicht belegten Scheitern der Coros y Danzas-Emotionspolitik kam, weil eine solche Politik grundsätzlich mit gewissen Risiken verbunden ist. Das performative Vorschreiben von normativen Emotionen barg erstens dieselben Gefahren wie das performative Vorschreiben anderer Verhaltensweisen: Den Zitaten war eine Polysemie inhärent und sowohl die Tänzerinnen als auch ihre ZuschauerInnen mussten sich das Vorgeschriebene in kreativer Nachahmung aneignen. Die indentifikatorische Verbindung zwischen Tänzerinnen und ZuschauerInnen, die Bedingung war für die unmittelbare emotionspolitische Wirkung der Auftritte und der Berichterstattung, war zahlreichen äußeren Störfaktoren, wie etwa der
94 Labanyi, Resemanticising, S. 80.
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Präsenz anderer Menschen im Publikum, unterworfen.95 Und schließlich läuft Emotionspolitik nicht nur Gefahr, falsche Gefühle oder Gefühle für ‚falsche Objekte‘ zu erzeugen, sondern auch, Gefühle in einer falschen Intensität hervorzurufen. So kann es etwa zu emotionalen Exzessen kommen. Dass solche rund um die Coros y Danzas-Auftritte zumindest befürchtet wurden, lässt z.B. die in Kapitel 3.1 zitierte ‚Expertenmeinung‘ vermuten, die betonte, dass Folkloreveranstaltungen nicht selten „undelikate Wendungen“ nehmen würden (und die Coros y Danzas Spektakel dies bemerkenswerterweise nicht tun würden). Bezeichnend ist aber auch der Kommentar eines Journalisten zu einem Empfang einer Coros y Danzas-Delegation in Bilbao: „Es macht ein wenig Angst, zu sehen, wie die Menge den Hafen entlang rennt, ohne zu schauen, wo sie mit den Füßen hintreten und es könnte sein, dass hinter unserem Rücken jemand ins Wasser gefallen ist.“96 Offenbar fürchtete der Autor, dass die Begeisterung der jubelnden Masse derart groß werden könnte, dass sie unüberlegt handeln würde. Gefährliche Instrumente Zu den Instrumenten, welche die Coros y Danzas in ihrer Emotionspolitik anwandten, gehörten Tanz und Rhythmus. Zahlreiche empirische und tanztheoretische Studien zeigen auf, dass Tanzveranstaltungen in ihrer Wirkung auf Tanzende und ZuschauerInnen unberechenbar sind. Der Zustand der Entrückung oder der „liminal state“97 – um mit Fischer-Lichte zu sprechen –, den sie provozieren, lässt sich laut diesen Studien nicht vollständig kontrollieren, weder während des Tanzens selbst noch in den nachhaltigen Transformationen, die sie in Tänzerinnen und ZuschauerInnen auslösen können. Möglicherweise wurden auch die ZuschauerInnen der Coros y Danzas von dem Vorgeführten auf eine ‚falsche‘ Art und Wei-
95 Vgl. Hanich, Julian: Collective Viewing. The Cinema and Affective Audience Interrelations, in: Passions in Context I, 1 (2010). http://www.passionsincontext.de vom 22.08.2012. 96 „Da un poco miedo ver a la multitud correr por el borde de los muelles sin mirar donde ponen los pies y puede que a nuestras espaldas alguien se haya caido al agua.“ Hernández Navarro, Antonio José: Bilbao tributa un emocionado recibimiento a los Coros y Danzas de la S. F., Hierro, 08.03.1950. AGA, (03)051.023 LEG 31 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 97 Fischer-Lichte, Erika: On the Threshold. Aesthetic in Performance, in: Sabine Gehm/Prisko Husemann/Katharina von Wilcke (Hg.): Knowledge in Motion. Perspectives of Artistic and Scientific Research in Dance, Bielefeld 2007, S. 227-233, hier S. 231.
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se mitgerissen, etwa, indem sie die Auftritte der Tänzerinnen als Kriegsmaschine nicht einschüchterten, sondern aufrüttelten. Es ist auch vorstellbar, dass der schnelle Trommelrhythmus der jota und das Lanzenklirren im baila de Ibio das Publikum in eine geradezu aggressive Stimmung versetzten. Eingesetzt wurde Tanz von der Sección Femenina im Rahmen einer Art von Festpolitik. Verschiedenste Arten von Festen wurden rund um die Auftritte der Folkloregruppen gefeiert. Zum einen fanden „rauschende Feiern“ in elitären Rahmen wie Cocktailparties in Botschaftgebäuden, Poolparties oder Casinobälle statt. Zum anderen wurden am Rande der Coros y Danzas-Veranstaltungen auch regelrechte Volksfeste abgehalten. Feste entziehen sich meist der totalen Kontrolle ihrer OrganisatorInnen, zumal sie den möglichen Exzess als notwendiges Element enthalten. Volksfeste können darüber hinaus, wie immer wieder in der Festival-Forschungsliteratur mit Bachtin argumentiert wird, symbolische Räume des Widerstandes eröffnen: Der Rausch ist naturgemäß nur schwer kontrollierbar.98 Nicht irgendwelche Tänze tanzten die Coros y Danzas vor, sondern Folklore. Wie ich in Kapitel 3.1 aufgezeigt habe, erschien es der Sección Femenina notwendig, die von ihr geretteten „authentischen Tänze Spaniens“ im Zuge ihrer Erarbeitung gründlich zu ‚reinigen‘. Dass es der Organisation dabei gelang, sie von sämtlichen obszönen und erotischen Anspielungen zu befreien, möchte ich bezweifeln. Dies deswegen, weil ihnen die Geschichte ehemals aufgewiesener erotischer Narrative und obszöner Elemente anhaftete. Diese Geschichte generierte ein Potential für „wenig delikate Wendungen“ und sabotierte die Reinheit der Tänzerinnen. Manche der von den Coros y Danzas aufgeführten Tänze trugen nicht nur die Geschichte erotischer, sondern auch anderer ‚gefährlicher‘ Narrative mit sich. So wurde in der jota oftmals die Befreiung Zaragozas im spanischen Unabhängigkeitskrieg besungen und nicht selten dabei die Rolle der Soldatin Agustina de Aragón darin gefeiert.99 Die Geschichte der jota warf somit die Schatten eines Guerillakrieges, in dem sich Männer und Frauen erfolgreich gegen eine Besatzungsmacht gewehrt hatten und eines genderblurring auf die performance
98 Vgl. Rothe, Matthias: Protest und Karneval. Bachtin und seine Übersetzung ins politische Programm, in: Gau/Schlieben (Hg.), Spektakel, S. 65-84, hier S.68. Vgl. Pfaff, Steven/Yang, Guobin: Double-Edged Rituals and the Symbolic Resources of Collective Action. Explaining Protest in Eastern Europe and China in 1989, in: Theory and Society 30, 4 (2001), S. 539-589. 99 Vgl. Schubert, Adrian: Women Warriors and National Heroes. Agustina de Aragón and her Indian Sisters, in: Journal of World History 22, 2 (2012), S. 279-313, hier S. 304.
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der Coros y Danzas. Dass diese Schatten sich ungünstig auf die Kapazität der Folkloregruppen, ihre politische Mission zu erfüllen, auswirkten, ist nicht auszuschließen. Schließlich möchte ich erneut auf den Umstand hinweisen, dass viele der andalusischen Tänze, welche die Coros y Danzas aufführten, Hybride und nicht weißen Ursprungs waren, was selbst manche Publikationen der Sección Femenina hervorhoben. Der ‚gitano-Gehalt‘ der Tänze, welche die gaditanischen Tänzerinnen in Äquatorialguinea aufführten, dürfte eine der Hauptursachen für das ‚Sich-gitano-Fühlen‘, das Centauro während der Show ergriff, gewesen sein. Ein gewisses Potential, „olivfarbene“ Gefühle zu verursachen, war, so meine ich, den andalusischen Tänzen aufgrund ihrer Ethnisierung inhärent. Die Coros y Danzas-Missison war auch deswegen prekär, weil ihr Erfolg vom Funktionieren eines Netzwerkes interagierender menschlicher und nicht menschlicher Akteure abhing. Aufgrund seiner relativ hohen Komplexität – es umfasste ziemlich viele Akteure mit verschiedensten Interessen und einen weiten geographischen und zeitlichen Raum – war es für Störungen besonders anfällig. Als solche Störungen können Konflikte entlang der verschiedenen Instanzen der Sección Femenina-Hierarchie, wie sie im Vorfeld der zweiten Äquatorialguineareise auftraten (vgl. Kapitel 2.3), gelten oder Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit ausländischen Tourmanagern. In einem Schreiben an Pilar Primo de Rivera beklagte sich die Gruppenchefin der USA-Reise im Jahr 1953 über die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Tourmanager: „Einmal mehr ist es Herr Sokol, der uns Sorgen bereitet. Er war lediglich zwei Stunden in der Stadt und hat rein gar nichts getan, um die Werbung vorzubereiten, die erwartet wurde.“100 Am 30. Oktober 1953 wurde der „Import-Export-Unternehmer“ Henry J. Sokol in Texas verhaftet. Er hatte versucht, eine Hotelrechnung im Umfang von 900 Dollar der Coros y Danzas-Gruppen, deren USA-Tournee er organisiert hatte, mit ungedeckten Schecks zu begleichen.101 Nicht zuletzt kann das in den Quellen belegte und das potentielle Scheitern der Coros y Danzas-Mission auch als Resultat von fremden Begegnungen, zu denen es im Verlauf der Reisen kam, interpretiert werden. Solche Begegnungen, die unmittelbare Schwierigkeiten verursachten, aber auch Menschen in einer nachhaltig ungünstigen Art und Weise formieren konnten, werde ich im Folgenden behandeln.
100 „Una vez más lo que nos preocupa es el Sr. Sokol. Sólo estuvo dos horas en la ciudad y no hizo absolutamente nada para preparar la publicidad que se esperaba.“ AGA, (03)051.023 LEG 61 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 101 Vgl. ebd.
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F REMDE B EGEGNUNGEN Sara Ahmed schreibt in ihrem Buch Strange Encounters: „Bodies materialize in a complex set of temporal and spatial relations to other bodies, including bodies that are recognised as familiar, familial and friendly, and those that are considered strange.“102 Im Verlauf der Coros y Danzas-Reisen begegneten Menschen anderen menschlichen und nicht menschlichen Akteuren. Viele dieser Begegnungen waren „fremde Begegnungen“, um mit Sara Ahmed zu sprechen, deren Konsequenzen nicht voraussehbar waren. Nicht immer waren diese „fremden Begegnungen“ der Mission der Coros y Danzas förderlich. Im April 2010 brach der Vulkan Eyjafjallajökull aus und das Flugzeug, mit dem ich zu einer Tagung hätte fliegen sollen, um mein Dissertationsprojekt zu präsentieren, hob nicht ab. Auf diese Weise entgingen mir Rückmeldungen, die vielleicht dazu geführt hätten, dass sich meine Perspektive verschoben hätte und meine Arbeit eine ganz andere hätten sein lassen. Gleichzeitig gab mir die ungeplante Verlängerung meines Aufenthalts in New York die Möglichkeit, im Gespräch mit anderen vor Ort ansässigen HistorikerInnen wichtige Thesen dieser Arbeit auszuformulieren, unter anderem solche, die den Einfluss von Naturphänomenen auf die Coros y Danzas-Reisen betrafen: „Für einen Moment schien es so, als ob dieser Auftritt in Basilé in einem geschlossenen Raum hätte stattfinden müssen. Denn es hörte nicht auf zu regnen, aber plötzlich hörte es doch auf, und die Coros traten im prachtvollen Innenhof auf“103, war in einem Artikel vom 8. Juli 1957 in Ebano zu lesen. Weniger Wetterglück war den Folkloregruppen bei einem anderen Auftritt beschieden: „Eher als geplant und wegen des Regens, der den Aufenthalt der Mädchen im Casino ein wenig verkürzte, zogen sich diese zurück und gingen in ihre Unterkunft“104, hieß es in demselben Zeitungsartikel. Die tropischen Regenschauer hinterließen ihre Spuren. Und diese galt es zu beseitigen, wie erneut Ebano zwei Tage später berichtete: „Gestern morgen widmeten sich die Coros y Danzas der Pflege ihrer Kleidung, die im feuchten Wetter der
102 Ahmed, Strange Encounters, S. 40. 103 „Por un momento pareció que esta actuación en Basilé iba a tenerse que efectuar en local cerrado, pues la lluvia no cesaba pero a los pocos momentos lo hizo completamente, y los coros actuaron en el magnífico patio central.“ F.A., La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas de España, 08.07.1957. 104 „Antes de lo previsto y debido a la lluvia que deslució un poco la estancia de las muchachas en el Casino, éstas se retiraron marchando a su alojamiento.“ Ebd.
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letzten Tage sehr gelitten hatte.“105 Die Nässe ließ wohl den Stoff fleckig, die weißen Spitzenstickereien grau und das Leder der Stiefel, die zur traje de amazona getragen wurden, brüchig werden; die Säume der Röcke wurden schmutzig, als die Tänzerinnen über den vom Regen aufgeweichten Erdboden schreiten mussten. Auch der Schweiß, der den Tänzerinnen in dem tropischen Klima ausbrach, dürfte Flecken auf ihren Kleidern hinterlassen haben. Ob sie in ihren verschwitzten und nassen Kostümen gerochen haben? Die „schreckliche Hitze“ beeinträchtigte auch die Gesundheit der Tänzerinnen und ihre tänzerische Leistung. Um die ihrer Ansicht nach „eher schwachen“ Auftritte der Gruppe aus Cádiz zu erklären, führte Enrich Auliach in ihrem Bericht auf: „Es gilt zudem zu berücksichtigen, dass das Klima von ihnen eine doppelte Anstrengung verlangte.“106 Die jefe de viaje schlug daher für eine zukünftige Reise nach Äquatorialguinea Folgendes vor: „Meiner Meinung nach sei zur Berücksichtigung angemerkt, dass, wenn irgendeine weitere Reise nach Guinea unternommen werden sollte, mindestens drei Gruppen fahren sollten, denn sonst wird das Ganze ein wenig monoton und bei den langen Auftritten, bei denen sich die Mädchen zwischen den Tänzen nicht ausruhen können, vor allen Dingen erschöpfend.“107
Fotografien aus den Alben von Nina und Eva zeigen, dass sich die Tänzerinnen in Äquatorialguinea angesichts des tropischen Klimas die Freiheit nahmen, massiv gegen die Kleidervorschriften der Regiduría de Cultura zu verstoßen. Die Bilder zeigen die Tänzerinnen mit unbedeckten Oberarmen, strumpflosen Beinen, in offenen Sandalen, mit Tropenhelmen und gar in Hosen. Die Coros y DanzasMitglieder hatten auch mancherorts mit dem Wind zu kämpfen, der die kunstvollen Frisuren zerzauste und auf dem Meer Wellen wachsen ließ, die seekrank machten. Die Seekrankheit dürfte die Tänzerinnen geschwächt und ihre Leistungsfähigkeit vermindert haben.
105 „Ayer por la mañana, los Coros y Danzas se dedicaron al arreglo de trajes que con el tiempo húmedo de estos días pasados, habían sufrido mucho.“ F.A., La estancia en Santa Isabel de los Coros y Danzas de España, 10.07.1957. 106 „Además hay que tener en cuenta el clima, que requería por su parte doble esfuerzo.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 107 „A mi entender y para tenerlo en cuento si se realiza algún otro viaje a Guinea, debían de ir por lo menos tres grupos, pues sino resulta algo monótono y sobretodo agotador en las actuaciones largas donde las niñas no pueden recuperarse entre baile y baile.“ Ebd.
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„In diesem Augenblick ist der Urwald sehr nahe“108, kommentiert die voiceover Stimme in Danzas de España en el trópico die Bilder eines Coros y Danzas-Auftrittes auf einer von Palmen gesäumten Freilichtbühne in Río Benito. Auch Zeitungsartikel und Fotografien inszenierten die Tänzerinnen zusammen mit der kolonialen Pflanzenwelt, in der sie auftraten. Auch sie betonten das Wilde der Wildnis, in die sich spanische Zivilisation Schritt für Schritt ihren Weg tanzte. Gleichzeitig signalisierten „nackte Sterne“ und „sinnliche Palmen“ die latente Erotisierung der Tänzerinnen (vgl. Kapitel 4.5). Von der Flora zur Fauna: Einen wichtigen Platz in den Erzählungen der Tänzerinnen, nahmen ekelhafte „bichos“ – Käfer, Mücken, Falter, Spinnen etc. – ein, vor denen sie sich nach eigenen Angaben gefürchtet haben. Diese mir gegenüber mündlich geäußerten Ängste decken sich mit dem Rapport, den Bermúdez Cañete nach ihrer 1964 unternommenen Inspektionsreise nach Äquatorialguinea verfasste: „Obschon es nicht dazu kam, dass eines von ihnen mir Schaden zufügte, kleine Tiere gibt es hier im Übermaß. Von den verschiedenen Arten von Moskitos bis zu den Dschungeltieren (Elefant, Schlangen, etc.) und sogar den Haifischen, die sich gefährlich nahe der Küste nähern, weswegen es, obgleich es an der Küste von Río Muni wundervolle Strände gibt, nicht ratsam ist, zu schwimmen.“109
Die Quellen berichten auch von den Begegnungen zwischen Tänzerinnen und Tieren außerhalb Äquatorialguineas: Die Zeitschrift Lucha zitierte im Jahr 1951 die Tänzerin María Sofia de Miguel, die von einer Coros y Danzas-Reise nach Ägypten berichtete, mit folgenden Worten: „Genau wie bei den Pyramiden machen wir viele Fotos von uns, einige auf dem Boden und andere auf den Kamelen. Wir freuen uns alle darauf, sie zu besteigen, denn es ist sehr lustig zuzuschauen, wie die anderen hochsteigen, aber selbst hochzusteigen, das ist etwas
108 „En la presente ocasión la selva esta muy cerca.“ Danzas de España en el trópico. 109 „Aunque yo no llegué a sufrir ninguno, insectos y otros animalitos hay en abundancia. Desde los mosquitos de muy diversos tipos hasta los animales de la selva (elefante, serpientes, etc.) e inclusive los tiburones que se acercan peligrosamente a la costa por lo que aunque hay playas estupendas en el litoral de Río Muni no es aconsejable nadar mar adentro.“ AGA, Ca. 248, LEG 1.
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anderes: man kann nicht vollkommen sicher sein, dass, wenn man heruntersteigt, alle Glieder am gleichen Platz sind wie beim Hochsteigen. Was für ein Schreck!“110
In Kapitel 3.1 habe ich argumentiert, dass die Fotografien, welche die Coros y Danzas vor Monumenten wie dem Eiffelturm zeigen, symbolisieren sollten, wie die „authentische spanische Folklore“ und über sie die zu ‚impassonierende‘ Idee der spanischen Nation die Welt eroberten. Auch die Texte, in denen die Tänzerinnen nicht nur Türme, sondern gar die Fauna der Länder, die sie besuchten, bestiegen, sollten diese Eroberung versinnbildlichen. Die Bilder von SpanierInnen auf Kamelen evozierten auch die koloniale Herrschaft Spaniens über die von Kamelen bevölkerten Gebiete in Marokko und Ifni. Sie erinnern an die zentrale Bedeutung, die den Schilderungen eines weiblichen Beherrschens kolonialer Reittiere in der kolonialen Reiseliteratur aus dem 19. Jahrhundert zukam.111 Genauso wie die Begegnung mit fremden Menschen kann diejenige mit fremden Gegenständen Körper auf eine unvorhergesehene Art und Weise formieren, die politische Pläne zu sabotieren vermag. Ich habe in Kapitel 3.5 ausgeführt, dass die Tänzerinnen unter anderem dadurch dem Fortschritt entgegen tanzten, dass sie als Verkörperungen des Archaischen neben Errungenschaften von Modernisierungsprogrammen positioniert wurden, um letztere zu betonen. Zu diesen Errungenschaften zählten in Äquatorialguinea Flugzeuge, „Jeeps“, Laboratorien und Baustellen. Die Fotografien zeigen allerdings, dass die Tänzerinnen gewissen modernen Objekten derart nahe kamen, dass sie mit ihnen verschmolzen und selbst modern wurden. Ich spreche hier von Kleidern, Schuhen und Schmuck, die der neuesten Mode entsprachen. Die Übergabe „primitiver“ Gegenstände durch Guineerinnen an die Coros y Danzas-Tänzerinnen beförderte und sabotierte zugleich Spaniens Selbstdarstellung als wohlwollende Kolonialmacht. Einerseits drückten die GuineerInnen durch diese Geschenke ihre Dankbarkeit aus, die sie angesichts der ihrerseits als Geschenk inszenierten Coros y Danzas-Auftritte empfanden. Anderseits lief in dem Moment, in dem eine der Tänzerinnen die Lanze,
110 „Nos hacemos al igual que en las pirámides, muchas fotografías, unas en tierra y otras en los camellos. A todas, nos ilusiona subirnos a ellos, porque es muy gracioso ver cómo se suben las demás, pero subirte ya es otra cosa; no tienes plena seguridad de que bajarás con todos los miembros en su sitio, como cuando has subido. ¡Que susto!“ De Miguel, Sofia: F.A., Lucha, 10.02.1951. AGA, (03)051.023 LEG 37 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 111 Vgl. Landry, Donna: Horsy and Persistently Queer. Imperialism, Feminism and Bestiality, in: Textual Practice 15, 3 (2001), S. 467-485.
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die ihr übergeben wurde, in der Hand hielt, die „anti-conquest“-Rhetorik Gefahr, gestört zu werden. „Am ersten Tag traten wir in Bata auf, für indígenas und Spanier [...], in einem Kino unter freiem Himmel. Dies war der schlimmste Auftritt für die Mädchen. Die negros waren vorne, ganz nahe bei ihnen. In einer schrecklichen Hitze und angesichts einer so enormen Masse von Leuten, dass es wahrlich beklemmend war, zu tanzen.“112
Dies berichtete Enrich Auliach im Mai 1954 aus Santa Isabel. Die Begegnung mit ihrem nicht weißen Publikum scheint die Coros y Danzas-Tänzerinnen derart beklommen gemacht zu haben, dass ihre Bühnenshow darunter litt. Die Hermic-Kamera zeigt jene „Mädchen“ bei ihrer Ankunft in Santa Isabel, und zwar in Nahaufnahmen ihrer Gesichter. Während die Tänzerinnen über einen Steg an Land gehen, spähen sie nach links und nach rechts zu den guineischen Hafenarbeitern. Manche Blicke gleiten danach zu Boden, andere bleiben starrend hängen. Galia führt die Hand schützend zu ihrer Brust, den Mund halb offen, nicht lächelnd. Nina zieht den Kopf ein. Ich lese die Gestik der Tänzerinnen in dieser Filmszene als Versuch, durch das Sichern von Körpergrenzen Differenz zu fixieren: eine Bewegung des Rückzuges von einem in der Bewegung als abjekt verworfenen Anderen, die den sich zurückziehenden Körper als von dem abjekten unterschiedlich markieren sollte.113 Wie ist dieses Zurückweichen in seiner Wirkung für die politische Mission der Coros y Danzas zu werten? Es entsprach zum einen der Hispanisierungsmission der Tänzerinnen, zumal diese dabei den ‚vertropenden‘ spanischen SiedlerInnen das Sichern solcher Körpergrenzen als normative Handlung vorzeigten. Allerdings sabotierten der Rückzug und das ausbleibende Lächeln die Geste der Annäherung, mit der sich das Franco-Regime als wohlwollende Kolonialmacht zu inszenieren versuchte. Auch die einschüchternde Wirkung, welche die Coros y Danzas hätten erzielen sollen, wurde dort, wo die Tänzerinnen selbst eingeschüchtert erschienen, untergraben. Die Kriegsmaschine fiel in sich zusammen und gab sich der Lächerlichkeit preis. Mit Ahmed gehe ich davon aus, dass sich die Gesten des Rückzugs in die Körper der Tänzerinnen einschrieben: „The withdrawal
112 „Actuamos el primer día en Bata para indígenas y españoles […]. En un cine al aire libre. Esta ha sido la actuación más penosa para las niñas. Los negros quedaban delante, junto a ellas. Con un calor espantoso y una masa de gente tan enorme que daba verdadera angustia bailar.“ AGA(03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 113 Vgl. Ahmed, Strange Encounters, S. 44.
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remains registered on the skin, on the boarder that feels.“114 Das gefühlte Unbehagen gefährdete, so meine These, die Agilität – und ich meine hier den mühelosen Umgang mit Strapazen – und die Leistungsfähigkeit der Tänzerinnen über den unmittelbaren Moment der Begegnung hinaus. Eine weitere Begegnung zwischen Coros y Danzas-Mitgliedern und GuineerInnen, die der Hermic-Film abbildet, sind die Sportwettkämpfe, denen die Tänzerinnen im Stadion von Santa Isabel beiwohnten. Zunächst sind sich ungeschickt bewegende Schüler der Escuela Superior Indígena beim Basketballspielen zu sehen: Pässe erreichen ihr Ziel nicht, die Spieler decken einander nicht, von drei Würfen landet nur einer im Korb. Im Kontrast hierzu beherrschen die in der nächsten Einstellung gezeigten Fußballer, unter denen sich auch weiße Spieler befinden, ihr Spiel und bewegen sich graziös über den Rasen. Dieser Vergleich, aber auch derjenige zwischen den unbeholfenen Basketballspielern und den von unten gefilmten, auf der Tribüne zuschauenden Tänzerinnen, sollte die Überlegenheit der „weißen Rasse“ veranschaulichen. Er könnte mit Tobing Rony als Inszenierung einer „,entertaining‘ narrative of evolution“115 beschrieben werden. Allerdings drücken die Gesichter der Tänzerinnen erneut ein Unbehagen und dieses Mal auch Langeweile aus und ihre Körperhaltung lässt an Grazie zu wünschen übrig. Am unbehaglichsten erscheint in den Bildern zu der 1954er Coros y DanzasReise jedoch die Begegnung zwischen Coros y Danzas-Tänzerinnen und baleleTänzerinnen. Die Coros y Danzas-Mitglieder verlagern nervös ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, wenden sich von dem Spektakel ab, nach links und rechts, einander zu, oder nach hinten zu den Coros y Danzas-instrumentistas und zu den spanischen Beamten. Sie flüstern miteinander und das Lächeln auf ihren Gesichtern erscheint verlegen. Die Tänzerinnen spielen ihre Rolle hier schlecht. Es gelingt ihnen weder Zuneigung noch Agilität an den Tag zu legen. Laut Diprose formieren sich Körper in einem „intercorporeal ‚transfer‘ of movements and gestures and body bits and pieces“ 116. Vermochten die Coros y Danzas nicht mitzuspielen, weil die guineischen ProtagonistInnen des Spektakels ihrerseits nicht mitspielten? Die guineischen Tänzerinnen lächelten nicht und mussten sichtbarerweise von den jefes de tribu instruiert werden, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Ebenfalls auf den Aufnahmen zu sehen sind die Anstrengungen, welche die Beamten der Guardia Colonial unternehmen mussten, um die guineischen ZuschauerInnen im Hintergrund in Schach zu halten.
114 Ebd., S. 46. 115 Tobing Rony, Third Eye, S. 83. 116 Diprose, Rosalyn: Corporeal Generosity. On Giving with Nietzsche, Merleau-Ponty and Levinas, Albany 2002, S. 54.
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Die Begegnungen mit GuineerInnen lösten bei den Coros y Danzas-Mitgliedern jedoch nicht nur Beklemmung aus. In Danzas de España en el trópico ist zu sehen, wie eine der Tänzerinnen während der balele-Vorführung leicht hin und her wippt, als würde sie mittanzen. Ein schönes Bild der wohlwollenden Kolonialmacht Spanien, welche die Kultur ihrer Kolonialisierten nicht nur achtet, sondern sogar schätzt. Dass sich jedoch das Vibrieren spanischer Körper zu baleleRhythmen mit der Mission der Folkloregruppen, die spanischen SiedlerInnen vom ‚Vertropen‘ abzubringen, vereinbaren ließ, erscheint zweifelhaft. Weiter möchte ich auf die Begegnungen zwischen Tänzerinnen und instrumentistas hinweisen, zu denen es auf Coros y Danzas-Reisen kam. Das wochenlange Zusammenleben lediger, nicht miteinander verwandter Männer und Frauen in den relativ beengten Räumlichkeiten von Zügen, Autobussen, Schiffen, Flugzeugen und Hotels war ein Ausbruch aus einem ausgeprägt geschlechtergetrennten Lebensraum und stellte daher für die Beteiligten eine fremde Begegnung dar. Dass sich zwischen Musikern und Tänzerinnen oftmals nicht nur eine Geschlechter-, sondern auch eine Klassengrenze befand und die Musiker weniger „fein“ waren als die Tänzerinnen, habe ich bereits erwähnt. Keine solche Grenze trennte die Tänzerinnen von den Offizieren und Beamten, welche die Folkloregruppen in Äquatorialguinea begleiteten. Möglicherweise war das Fehlen dieser Grenze ein Grund dafür, dass in den Begegnungen zwischen diesen Männern und den Tänzerinnen andere Grenzen überschritten wurden und es zu Liebschaften und Skandalen kam. In der Presseberichterstattung war von mehreren Ehen die Rede, die aus Begegnungen resultierten, welche die Tänzerinnen mit den Offizieren und anderen Beamten machten, die sie auf ihren Reisen begleiteten. Den Dokumenten der Sección Femenina ist zu entnehmen, dass es auch im Rahmen der ersten Coros y Danzas-Tour nach Äquatorialguinea zu einer Verlobung kam.117 Beim Galadinner im Regierungspalast oder nach Auftritten im Casino tanzten die Coros y Danzas-Tänzerinnen nicht mehr nur für, sondern auch mit den anwesenden männlichen Gästen. Dies ist auch auf den in privaten Fotoalben sich befindlichen Bildern von einem Fest, das 1954 nach einem Auftritt der Coros y Danzas in Santa Isabel im Hotel Monterrey stattfand, zu sehen. Die Festivitäten, welche am 28. April 1954 nach einem Auftritt der Coros y Danzas im Casino in Santa Isabel abgehalten wurden, hatten ein Nachspiel. Zusammen mit den anderen Dokumenten zur ersten Äquatorialguineareise der Folkloregruppe ist im AGA folgender Brief archiviert, den ich hier in seiner vollen Länge zitieren möchte:
117 Vgl. AGA, Ca. 248 LEG 1.
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„CATALINA ENRICH AULIACH, JEFE DE EXPEDICION DER COROS Y DANZASGRUPPEN DER SECCION FEMENINA VON CADIZ UND MURCIA; GEREIST IN DIE SPANISCHEN TERRITORIEN IM GOLF VON GUINEA, MIT DOMIZIL IN LAS NAVAS DEL MARQUES, PROVINZ AVILA, ESCUELA NACIONAL DE INSTRUCTORAS DE JUVENTUD WÄHREND DER MONATE OKTOBER BIS EINSCHLIEßLICH JULI UND IN PAMPLONA, AVENIDA DE CARLOS II, 34-6 WÄHREND DER MONATE JULI, AUGUST UND SEPTEMBER, BEKUNDET IN IHREM EIGENEN NAMEN UND IM NAMEN ALLER KAMERADINNEN, DIE UNTERSCHREIBEN: Dass wir am vergangenen 12. April an Bord des Motorschiffs ‚Domine‘, das der Gesellschaft Transmediterránea gehört und von Kapitän D. FRANCISCO PEREZ LLORCA gesteuert wurde, aus dem Hafen von Cádiz ausliefen. Vom ersten Moment an erhielten wir seitens des Kapitäns jegliche Art von Aufmerksamkeit und Hilfestellung, um unsere Mission zu erfüllen, und er stellte uns in allen Belangen seine Hilfe und Mitarbeit zur Verfügung. Während unseres Aufenthalts in Santa Isabel auf Fernando Póo waren wir weiterhin auf dem Schiff untergebracht und daher unter der Obhut des Herrn Kapitän. Am 28. April veranstaltete das Casino von Santa Isabel einen Galaball zu Ehren seiner Exzellenz des Gobernador General, zu dem wir eingeladen wurden und an dem wir, unter anderem in Begleitung des Kapitäns und weiterer Beamten, teilnahmen. Bei der Rückkehr nach dem Ball, der sich bis um vier Uhr nachts hinzog, dem Zeitpunkt, an dem der Gobernador General sich zurückzog, wollten einige Beamten und Herren, die uns begleiteten, den Ball im Musiksalon des Schiffs fortsetzen, was wir ablehnten. Der Kapitän und ich forderten [die Herren] dreimal freundlich dazu auf, sich zurückzuziehen, bis schließlich der Kapitän den endgültigen Befehl erteilte, dass sich alle zurückzuziehen hätten. Dies verärgerte, so schien es, einige Beamten und ganz besonders den Attaché D. MIGUEL ANGEL SAMANIEGO, der seine Verwandtschaft zu Minister Generalsekretär [des movimiento] ausnutzte, um eine Stimmung der Disziplinlosigkeit und des Komplotts gegen den Kapitän zu schaffen, und dabei sogar so weit ging, ein Telegramm an D. Raimundo Fernández Cuesta zu funken, in dem er behauptete, aus politischen Gründen von Bord zu gehen. Das ist falsch. Es gibt keine politischen Gründe, sondern einzig und allein persönliche und der erwähnte MIGUEL ANGEL SAMANIEGO, der von sich behauptet, Falangist zu sein, hat unserer Ansicht nach einen gravierenden Fehler begangen und andere dazu gebracht, es ihm nachzutun. Zur Bestätigung dieses Sachverhalts und damit der Kapitän D. FRANCISCO PEREZ LLORCA die ihm erforderlich erscheinenden Maßnahmen auf Grundlage des vorliegenden
256 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE Schriftstücks ergreifen kann, unterschrieben wir an Bord des Motorboots ‚Domine‘ am 25. Mai 1954. La Jefe de Expedición
La Subjefe de Expedición
Grupo de Cádiz
Grupo de Murcia“118
118 CATALINA ENRICH AULIACH, JEFE DE EXPEDICION DE LOS GRUPOS DE COROS Y DANZAS DE LA SECCIÓN FEMENINA DE CÁDIZ Y MURCIA, DESPLAZADOS A LOS TERRITORIOS ESPAÑOLES DEL GOLFO DE GUINEA, CON DOMICILIO EN LAS NAVAS DEL MARQUES, PROVINCIA DE AVILA, ESCULEA NACIONAL DE INSTRUCTORAS DE JUVENTUD DURANTE LOS MESES DE OCTUBRE A JUNIO INCLUSIVES Y EN PAMPLONA, AVENIDA DE CARLOS II, 34-6 DURANTE LOS MESES DE JULIO, AGOSTO Y SEPTIEMBRE, EN NOMBRE PROPIO Y DE TODAS LAS CAMARADAS QUE SUSCRIBEN HAGO CONSTAR: Que el día 12 de abril pasado zarpamos del puerto de Cádiz a bordo de la Motonave ,Domine‘, de la Compañía Trasmediterránea y mandada por el Capitán D. FRANCISCO PEREZ LLORCA. Desde el primer momento fuimos objeto por parte del capitán de toda clases de atención y facilidades para llevar a cabo nuestra misión y nos prestó su ayuda y colaboración en todo. Durante la permanencia en Santa Isabel de Fernando Poo continuamos alojadas en el barco y por lo tanto bajo la custodia del Sr. Capitán. El día 28 de abril el Casino de Santa Isabel ofreció un baile de gala en honor de su Excelencia el Gobernador General al que fuimos invitadas y asistimos acompañadas, entre otras personas, del capitán y oficiales. De regreso del baile, que prolongó hasta las cuatro de la madrugada hora en que se retiró su Excelencia, pretendían algunos oficiales y señores que nos acompañaban continuar el baile en el Salón de Música del buque, cosa a la que nos negamos. El capitán y yo invitamos amablemente por tres veces a que se retirasen sin conseguirlo hasta que por fin el capitán dio una orden terminante de retirarse todo el mundo. Esto por lo visto molestó a algunos oficiales y especialmente al agregado D. MIGUEL ÁNGEL SAMANIEGO, el cual aprovechando de su parentesco con el Ministro Secretario General ha creado un ambiente de indisciplina y complot contra el capitán llegando incluso a enviar un radio a D. Raimundo Fernández Cuesta diciendo que desembarcar por motivos políticos. Esto es falso. No hay motivos políticos sino puramente personales y el mencionado MIGUEL ÁNGEL SAMANIEGO, que dice ser falangista a nuestro entender ha cometido grave falta e inducido a otros que le imitasen. Y para que así conste y pueda el capitán D. FRANCISCO PÉREZ LLORCA hacer el uso que crea oportuno del presente escrito lo firmamos a bordo de lo motonave „Domine“ a veinticinco de mayo de mil novecientos cincuenta y cuatro.“ AGA, (03)051.023 LEG 60 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Auf dem Dokument befindet sich keine einzige Unterschrift. Es ist nicht ersichtlich, ob es sich dabei um eine Kopie eines Dokumentes handelt, das tatsächlich unterschrieben und vom Kapitän in irgendeiner Form eingesetzt wurde. Ich rekonstruiere die Vorkommnisse so, dass am 28. April 1954 die Gruppe von spanischen Beamten rund um Samaniego auch nach dem Ball nicht genug hatte vom Kontakt mit den Tänzerinnen. Enrich Auliach befürchtete wohl, sollten die Festivitäten nicht beendet werden, dass die Tänzerinnen aufgrund des Schlafmangels am nächsten Tag schlechte Leistungen vollbringen würden. Sie dürfte sich aufgrund der relativ intimen Berührungen beim Tanzen auch um die Reinheit der Tänzerinnen Sorgen gemacht haben. Laut der Aussage von Nina wollten auch die Tänzerinnen weiter tanzen und teilten dies ihrer Reiseleiterin mit. Dies bedeutet – wenn es denn so war –, dass die Mitglieder der Folkloregruppen Teil des von Samaniego geschaffenen „Ambiente der Disziplinlosigkeit“ geworden waren. Offenbar erkannten zumindest Samaniego und die Männer – vielleicht aber sogar die Tänzerinnen – die Autorität von Enrich nicht mehr an. Die jefe de viaje wusste sich nicht anders zu helfen, als den Kapitän zur Hilfe zu holen, der zwar nicht im Bezug auf seine berufliche Stellung, aber dafür in der franquistischen Geschlechterhierarchie (im Gegensatz zu Enrich) auf derselben Stufe wie Samaniego stand. Samaniego war offenbar über den Kapitän erbost. Wohl weil dieser versuchte, einen höhergestellten Beamten zu befehligen und erst recht, weil er dies im Namen einer Frau tat. Sein Zorn veranlasste Samaniego anscheinend dazu, im von Enrich erwähnten Telegramm die politische Integrität von Pérez Llorca in Frage zu stellen. Er wandte sich dabei an eine Person, die in der franquisitschen Ämterhierarchie deutlich höher gestellt war als er, und zwar an den (2006 von Baltasar Garzón wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten) Minister und Generalsekretär des Movimiento Fernández Cuesta, mit dem er offenbar gute Beziehungen pflegte. Interessant ist, dass Enrich anscheinend glaubte, dass es eine Stelle geben könnte, an der ihr Wort glaubwürdiger als jenes von Samaniego erscheinen könnte. Sie versuchte durch ein Anzweifeln der falangistischen Gesinnung von Samaniego dessen Aussagen zu neutralisieren. Diese Strategie erscheint plausibel, zumal die Sección Femenina am ur-falangistischen Diskurs festhielt und sich Samaniego an Fernádez Cuesta, eine camisa vieja, einen persönlichen Freund von José Antonio Primo de Rivera, gewandt hatte, um den Kapitän zu beschuldigen. Welche Konsequenzen der Vorfall vom 12. April und die nachfolgende Affäre für den Kapitän, für Samaniego, für den weiteren Verlauf der Reise und für Samaniegos Berichterstattung nach sich zogen, ist unklar. Offen bleibt beispielsweise, ob Samaniego außer dem Artikel, der am 26. Mai in der Zeitung Ar-
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riba erschien119, weitere Presseberichte verfasste: Dokumente, welche die Sección Femenina nicht archiviert hat, und wenn ja, ob dieses nicht Archivieren mit den Vorkommnissen in Verbindung steht. Nicht gelungen ist es mir, in Samaniegos Artikel vom 26. Mai Spuren der Ereignisse zu lesen. Vielleicht aber ist genau das völlige Unerwähnt-Bleiben von Festivitäten wie jenem Galadinner eine Spur? In der Berichterstattung zu einigen Coros y Danzas-Reisen fanden auch Begegnungen der Tänzerinnen mit anderen europäischen Frauen Erwähnung. In einem in ungewöhnlich informellen Stil verfassten informe de viaje der Reise einer Coros y Danzas-Gruppe aus Teruel nach Nizza im Jahr 1955 ist zu lesen: „Cannes: erster Zusammenstoß mit der Côte d’ Azur und ihrem ‚Ambiente‘. Ich erkenne Cannes, indem ich mich an eine lange Straße erinnere, nur schwer passierbar mit unserem Auto, mit Bürgersteigen voller halbnackter Leute. Ein Anblick von Leuten, so vollkommen anders, als der, den ich kenne, und der mir ganz und gar nicht gefallen hat, mich vielmehr abgestoßen hat. [...] Huy! Wenn so eine in Teruel auftauchen würde...“120
Die Tänzerinnen sollten den Spanierinnen als Gegenmodelle zu ausländischen Touristinnen, die ihre Bikinis nach Spanien brachten, dienen. Den Abscheu, welche die Tänzerinnen offenbar zum Ausdruck brachten, als sie mit solchen „halbnackten Leuten“ zusammentrafen, dürfte ihrer diesbezüglichen Aufgabe dienlich gewesen sein. Ob es ihrer Mission, im Ausland einen freundlichen Staat zu repräsentieren, zugute kam, ist wiederum eine andere Frage. Schließlich begegneten sich die Coros y Danzas-Tänzerinnen in ihren Aktivitäten auch gegenseitig auf eine ‚fremde‘ Art und Weise. Und zwar in Paartänzen, in denen eine der beiden Tänzerinnen den männlichen Part tanzte. Ich habe weiter oben die These aufgestellt, dass die Auftritte von Frauen in Männerrollen der Aufgabe der Tänzerinnen, zur Aufrechterhaltung der bestehenden Geschlechterordnung beizutragen, abträglich waren, weil solche Auftritte den performativen Charakter von Geschlecht selbst offenbarten. Ich habe auch erwähnt, dass die Show der Folkloregruppen aufgrund dieses ‚cross-dancings‘ von einem britischen Kritiker für nicht repräsentativ befunden wurde. Wieso aber bin ich in den
119 Vgl. Samaniego, Miguel Ángel: Coros y Danzas de España en Guinea, Arriba, 26.05.1954. AGA, (03)051.023 LEG 50 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 120 „Cannes: primer tropiezo con la Costa Azul y su ,ambiente‘. Identifico a Cannes recordando una calle larga, difícil de atravesar con nuestro coche, con las aceras cuajadas de gente medio desnuda. Un aspecto de gentes, totalmente distinto a los que conocía y que no me gustó nada, es más que me repugnó. [...]: ¡huy! si aparece una así en Teruel...“ AGA, (03)051.023 LEG 82 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1.
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Quellen nicht auf mehr Kritik oder vielmehr auf eine Kritik gestoßen, die in eine andere Richtung zielte? Sah niemand, was ich heute beim Betrachten der ‚crossdancing‘-Bilder sehe? – Die Begegnung, ja Berührung zweier Körper gleichen Geschlechts in der Aufführung eines erotischen Spiels? Es gibt viele mögliche Antworten auf diese Frage. Es ist denkbar, dass Texte existieren, in denen Hinweise auf ‚meine Sicht‘ lesbar wären. Spuren, die ich nicht zu lesen vermochte, Texte, die ich nicht gefunden habe. Texte, welche von der Sección Femenina nicht archiviert worden sind. Möglicherweise wurden entsprechende Aussagen gemacht – auf Zuschauertribünen, auf dem Marktplatz, in der Bar –, die nie verschriftlicht worden sind. Es muss aufgrund des nach wie vor repressiven Klimas im FrancoStaat der 1950er Jahre davon ausgegangen werden, dass abschätzige Kommentare oft aus Angst gar nicht erst geäußert wurden.121 Es könnte hier auch die Hypothese aufgestellt werden, dass tatsächlich niemand sah, was ich heute sehe, weil die Existenz weiblicher Homosexualität in Franco-Spanien undenkbar war.122 Als Gegenargument ist zum einen die Behandlung weiblicher Homosexualität in psychiatrischen Kliniken anzuführen und die explosive Zunahme wissenschaftlicher Diskurse über Homosexualität im Zusammenhang mit ihrer Integration in das „Vagabunden-Gesetz“ (Ley de vagos y maleantes) im Jahr 1954. Zum anderen sprechen auch die Erinnerungen der in ihren Familien, ihrer Nachbarschaft und an ihren Arbeitsplätzen als „tortilleras“, „marimachos“ und „bolleras“ geächteten Lesben gegen die ‚Undenkbarkeits-Hypothese‘.123 Ferner fällt es mir schwer, daran zu glauben, dass das ‚cross-dancing‘ der Coros y Danzas von niemandem als homoerotisch interpretiert worden sein soll, weil die mandos der Sección Femenina unter Homosexualitätsverdacht gerieten und sich in internen Dokumenten auffällig darauf bedacht zeigten, dass ihre Basismitglieder nicht in einen allzu nahen Kontakt zueinander traten – und zwar sowohl dort, wo solcher sichtbar war, als auch dort, wo er es nicht war. Ich beziehe mich hier auf die von Ofer zitierte Anweisung, dass Athletinnen beim Posieren für Fotografien nicht nahe nebeneinander zu stehen hätten und auf ein (von Ofer übersetztes) Dokument, in dem es heißt: „In the dressing rooms one must take extra care when dressing and undressing together. The fact that we are all women does not mean we should forget our moral obligations.“124 Wenngleich ich
121 Vgl. Ortiz Heras, Manuel: Control social y represión en la dictadura franquista, in: Abdón Mateos López (Hg.): La España de los cincuenta, Madrid 2008, S. 15-44. 122 Vgl. Pérez Cánovas, Nicolás: Homosexualidad, homosexuales y uniones homosexuales en el Derecho español, Granada 1996, S. 24. 123 Vgl. Platero, Lesboerotismo, S. 22. 124 Ofer, Señoritas, S. 121.
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keine internen Dokumente gefunden habe, die sich besorgt über den engen Kontakt der Coros y Danzas-Mitglieder beim ‚cross-dancing‘ zeigen, so scheint die Organisation angesichts der Möglichkeit von Berührungen in anderen Kontexten sehr wohl beunruhigt gewesen zu sein: „In jedem Fall, das heißt, in Hotels oder in escuelas de mandos, können die Zimmer kollektiv belegt werden, aber immer mit Einzelbetten; in gar keinem Fall darf die delegada local zustimmen, dass dies nicht so gemacht werde, selbst dann nicht, wenn die Kameradinnen darum bitten, weil sie angeblich Angst haben. Das ist grundloser Unsinn und eine sehr antihygienische Sache, die nicht erlaubt werden darf.“125
Besonders interessant an dieser Vorschrift aus den Normas der Regiduría de Cultura ist zum einen, dass der allzu enge Kontakt unter Tänzerinnen als hygienisches Problem behandelt wird, und dies zu einem Zeitpunkt, als der medizinische Diskurs einer der Orte war, an denen „Lesben“ am häufigsten in Erscheinung traten.126 Zum anderen erinnert der Verweis darauf, dass auch Angst keine Entschuldigung für Berührungen dieser Art darstellen würde, an die Hermic-Aufnahmen, in denen die Tänzerinnen von den balele tanzenden Menschen zurückund dabei zueinander hin weichen.127
125 „En cualquiera de los casos, es decir, ya sea en hoteles o escuelas de mandos, las habitaciones pueden ser colectivas, pero con camas individuales; en ningún caso la delegada local puede consentir que ésto no se cumpla así, ni cuando las camaradas lo pidan por decir que tienen miedo; esto es una tontería sin ningún fundamento y una cosa muy antihigiénica, que no debe consentirse.“ Sección Femenina, Normas, S. 227. 126 Vgl. Platero, Lesboerotismo, S. 20ff. 127 Casero erklärt die Abwesenheit von männlichen Tänzern bei den Coros y Danzas (vgl. Kapitel 2.2) damit, dass der zweigeschlechtliche Paartanz von der Organisation als unsittlich erachtet worden sei. Die ehemaligen Tänzerinnen, mit denen ich sprach, versicherten mir, dass spätestens seit Beginn der 1950er Jahren die Sección Femenina durchaus daran interessiert gewesen sei, männliche Tänzer in die Coros y DanzasGruppen aufzunehmen, dass sich dies aber insbesondere in Andalusien als schwierig gestaltet habe. Die Männer hätten, so Eva, einfach nicht tanzen wollen, und Andalusien sei damals die „machistische Region Spaniens“ gewesen. Auf meine Frage, was sie damit meine, erklärte mir die ehemalige Tänzerin, dass tanzende Männer als „schwul“ und „tuntig“ angesehen worden seien. Laut diesen Angaben war es also die Angst von Menschen, unter Homosexualitätsverdacht zu geraten, die dazu führte,
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Die oben beschriebenen Objekte und Menschen, welchen die Coros y Danzas auf ihren Reisen begegneten, waren den Tänzerinnen nicht nur an sich fremd. Vielmehr standen sie auch in Kräfteverhältnissen, die den Tänzerinnen fremd waren. In Äquatorialguinea hatte jeder Mensch weißer Hautfarbe, unabhängig von seiner oder ihrer sonstigen gesellschaftlichen Position, eine ganze Bevölkerung ‚unter sich‘: SpanierInnen, deren Leben in Spanien prinzipiell darin bestanden hatte bzw. bestanden hätte zu gehorchen, hatten auch in Äquatorialguinea zu gehorchen – Ehefrauen ihren Ehemännern, Kinder ihren Eltern, Angestellte ihren Arbeitgebern. Aber sie alle konnten in der Kolonie auch befehlen.128 Die Immunität, die völlige Narrenfreiheit in der Behandlung von Untergebenen stand hier ungleich mehr Menschen zu als in Spanien. Und ein Großteil der spanischen SiedlerInnen lebte laut Nerín i Abad in einer „orgía colonial“, in einem „Ambiente kontinuierlicher Festivitäten, in dem weder Spiel, Alkohol noch Sex fehlten.“129 Donato Ndongo äußert sich hierzu in einem Interview wie folgt: „In diesem kolonialen Schwarz-Afrika war alles erlaubt. Die Weißen herrschten. Sie waren wie kleine Könige, hatten Bedienstete. Ich nehme an, das gab ihnen ein gewaltiges Gefühl unbegrenzter Macht. Sie hatten immer recht. Sie fühlten sich wie Götter in ihrem kleinen Paradies.“130 Diese Feststellung deckt sich mit der Darstellung ihrer paradiesischen Lebensverhältnisse in der Kolonie, die ehemalige Siedler in ihren nostalgischen Memoiren vermitteln.131 Dass solche Memoiren weiterhin gedruckt, gelesen und selten kritisch kommentiert werden, verweist wiederum auf die kolonialen Kontinuitäten, von denen ich weiter unten noch sprechen werde. Die enormen Freiheiten, die sich SpanierInnen in Äquatorialguinea nahmen, verursachten in Spanien auch Angst, dass sich einige Landsleute ob diesen Freiheiten zu weit von Spanien entfernen würden. Solche Befürchtungen fanden ihren Ausdruck in Geschichten ‚vertropter‘ SpanierInnen. Begegnet wurde ihnen unter anderem mit dem Einsatz der Coros y Danzas, die „typische spanische“ Werte wie
dass sich Tänzerinnen in einer Art und Weise begegneten, die, wie ich meine, das Potential hatte, als homoerotisch wahrgenommen zu werden. 128 Vgl. Brunet/Cosculluela/Mur, Guinea en patués, S. 128. 129 Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 119. Vgl. Brunet/Cosculluela/Mur, Guinea en patués, S. 121ff. 130 Ndongo in einem Interview in: Ortín/Pereiró, Mbini, S. 178. 131 Vgl. Nerín i Abad, Gustau: Nuestro sur. La imagen de Guinea Ecuatorial y de los Guineanos en las literaturas española y catalana, in: Antoni Castel/José Carlos Sendín Gutiérrez (Hg.): Imaginar África. Los estereotipos occidentales sobre África y los africanos, Madrid 2010, S. 107-128, hier S. 120.
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„Liebe zu Arbeit“ und Freude am Gehorchen vortanzen sollten. Allerdings scheinen die Coros y Danzas-Tänzerinnen ihrerseits phasenweise mehr Teil von statt Gegenprogramm zu jenem Ambiente exzessiver Freiheiten geworden zu sein. Aus den internen Dokumenten der zweiten Äquatorialguineareise geht hervor, dass bereits ein Großteil der Reiseplanung von Ruíz González und nicht von der Sección Femenina übernommen worden war. Vor Ort traten die Tänzerinnen – meist in seiner Begleitung – zu denjenigen Anlässen auf, die ihm opportun erschienen. Darunter waren eindeutig mehr und ausschweifendere Festivitäten, als sie die Sección Femenina-mandos üblicherweise als Stationen einer Coros y Danzas-Reise planten. Den mandos scheint während der Reisen die Kontrolle über ihre Truppen zumindest partiell entglitten zu sein. Die Mitglieder der Folkloregruppen machten, „wozu wir Lust hatten“, wie sich Eva ausdrückte. „Es war, wie sich das Korsett auszuziehen“, meinte die ehemalige Tänzerin weiter und bezog sich dabei nicht nur auf den Umstand, dass die klimatischen Bedingungen, wie oben beschrieben, eine Entschuldigung für leichtere Bekleidung dargestellt hätten. Die Tänzerinnen konnten wie auf keiner anderen Reise zuvor ihre Beziehungen zu anderen Menschen ausleben, ungehorsam werden und selbst befehlen. Auf eindrückliche Art und Weise belegen dies die Fotografien aus Ninas Album, welche die gaditanischen Tänzerinnen dabei zeigen, wie sie mit guineischen Bediensteten auf dem Markt flanieren und sich in einem ‚cross-dressing‘ aus Jux in die Kostüme der Gruppe aus Murcia hüllen. Mit diesem Benehmen gefährdeten sie zumindest ihren Status als Rollenmodelle. Viele Selbstdarstellungen von „colonial ladies“132 in (neo)kolonialen Massenmedienprodukten wie Autobiographien, Belletristik und Kinofilmen lassen sich mit McClintock folgendermaßen umschreiben: „European women in brisk white shirts and safari green supposedly found freedom in empire.“133 Dies trifft auch auf die Figur von Clara in Liberata Masolivers Romanen zu. Die dort erzählten Geschichten inszenieren den Genuss daran, nicht mehr länger nur regiert zu werden, sondern in ungekanntem Ausmaß selbst zu regieren, das befreiende Gefühl, andere zu beherrschen. Oftmals ist die Inszenierung dieser Grandiositätserfahrung Teil von Abenteuergeschichten. Dabei verstehe ich Abenteuer als das Beherrschen einer Situation, einer Natur und von Menschen, von denen angenommen wird, dass sie sich in jedem Moment der kompletten Beherrschung entziehen könnten. Abenteuer zeichnen sich durch „the momentary loss of control on foreign ground, only to reaffirm the imperialists’ superior wit eventually“134 aus. Die oben aufgeführten, mir gegenüber geäußer-
132 Mayer, Artificial Africas, S. 121. 133 McClintock, Imperial Leather, S. 15. 134 Mayer, Artificial Africas, S. 26.
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ten Bekundungen der Coros y Danzas-Tänzerinnen sprechen ebenfalls von einem solchen Genuss zu herrschen. In diesem Gefühl waren die Tänzerinnen wohl geleitet von Geschichten wie den Masoliver-Romanen, aber auch von der Berichterstattung zu ihrer Reise, die diese als „Safari mit Kastagnetten“135 und als „Abenteuer“ bezeichnete: „Bei dieser Gelegenheit ist der Urwald sehr nahe und es ist möglich, dass diese Gruppen, die nach Äquatorialguinea gekommen sind, wie auf keiner anderen Reise den Geschmack des Abenteuers in Erinnerung behalten werden, den ein Besuch im Herzen Afrikas immer hinterlässt.“136
So kommentiert die voice-over Stimme in Danzas de España en el trópico die Aufnahmen eines Auftritts der Coros y Danzas in Río Benito. Mit anderen Worten, es scheint, dass sich die Tänzerinnen in Äquatorialguinea an den Genuss des Regierens gewöhnten und dass sie, wieder zurück in Spanien, die „Erinnerung an den Geschmack des Abenteuers“ noch abenteuerlicher werden ließ und mit dafür verantwortlich war, dass aus ihnen jene „bichos raros“ werden konnten, die ich in Kapitel 7.2 beschreiben werde. Die Coros y Danzas-Tänzerinnen nahmen in fremden Begegnungen mit einer fremden Natur, fremden Menschen und fremden Objekten Gestalt an. Diese Begegnungen waren oft ungeplant und in ihrem Ausgang auch unplanbar. Sie stellten einen unberechenbaren Faktor in der politischen Mission der Folkloregruppen dar. Bisweilen formten sie die Tänzerinnen in einer Art und Weise, die ihrer Mission zuträglich war, andernorts waren sie ihrer Aufgabe eher abträglich. Festzuhalten gilt, dass die fremden Begegnungen, welche die Tänzerinnen machten, sie ebenso fremd wie merkwürdig werden ließen. Sie entfernten die Tänzerinnen von der typischen spanischen Frau, die sie hätten darstellen sollen. Dies zum einem im Moment, als es zu diesen Begegnungen kam – sprich auf den Reisen selbst, beispielsweise als Eva und Nina in und mit Hosen und Tropenhelm flirteten. Zum anderen aber schrieben sich die fremden Begegnungen in ihre Körper ein und ließen sie nachhaltig un-„typisch“ werden. Ein letzter Punkt: Die Coros y Danzas-Reisen enhielten nicht nur Begegnungen der Tänzerinnen mit anderen Menschen und Gegenständen. Sie brachten auch
135 F.A., Safari con castañuelas, Ayer, 01.08.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 136 „En la presente ocasión la selva esta muy cerca y es probable que estos grupos llegados a Guinea recuerden como en ninguno de los otros viajes el sabor de aventura que deja siempre la visita al corazón de África.“ Danzas de España en el trópico.
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verschiedene andere Menschen zusammen. Äquatorialguinea war zu Zeiten der Coros y Danzas-Auftritte nach wie vor eine äußerst „rassen“-getrennte Gesellschaft. Bei den Auftritten der Tänzerinnen wurden im Zuge der Inszenierung Spaniens als wohlwollender Kolonialmacht jedoch nicht nur die Annäherung der Tänzerinnen an die Kolonialisierten, sondern auch ein harmonisches Zusammenleben von spanischen SiedlerInnen und GuineerInnen für die Kameras inszeniert. Die Inszenierung dieses Kontakts brachte einen tatsächlichen Kontakt mit sich. GuineerInnen und EuropäerInnen wurden in der Formierung der jubelnden Massen, die bei den Umzügen der Coros y Danzas die Straßen säumten, und während einiger Auftritte im Publikum in unmittelbarer Nähe zueinander platziert. Dieser Kontakt lief der Coros y Danzas-Mission unmittelbar entgegen, ‚vertropte‘ Menschen, die nicht nur guineischen Sitten, sondern auch guineischen Körpern zu nahe gekommen waren, zu hispanisieren. Nerín i Abad weist darauf hin, dass die Mehrheit der spanischen SiedlerInnen die Anstrengungen der Kolonialregierungen in den 1960er Jahren, die „Rassen“-segregation ein wenig zu lockern, nicht goutierte.137 Dementsprechend dürften sich auch viele SpanierInnen in der Nähe zu den GuineerInnen, die bei den Coros y Danzas-Auftritten entstand, unwohl gefühlt haben.
137 Vgl. Nerín i Abad, Blanco y negro, S. 49.
Vor- und Parallelgeschichten
Um weiteren Hinweisen über die Beschaffenheit und die Wirkung der Coros y Danzas-Mission nachzugehen, werde ich im Folgenden den Fokus der Untersuchung zeitlich ausdehnen und gleichzeitig Nebenschauplätze der Ereignisse analysieren. Ausführlicher als bisher möchte ich im Folgenden mehrere Vor- und Parallelgeschichten behandeln, welche die Planung und den Verlauf der Coros y Danzas-Reisen, besonders derjenigen nach Äquatorialguinea, beeinflussten. In Kapitel 6.1 und 6.2 werde ich aufzeigen, wie wissenschaftliche Untersuchungen, Romane und Kinofilme Afrika-Stereotype verbreiteten, die den Hintergrund verschiedener Aspekte der Coros y Danzas-Mission bildeten. Diese Stereotype prägten die Wahrnehmung der SpanierInnen in dem Moment, in dem sie GuineerInnen begegneten. Dies trifft sowohl auf live-Begegnungen zu – z.B. auf diejenigen, welche die Tänzerinnen in Äquatorialguinea hatten – aber auch auf die Rezeption der Berichterstattung über die Reisen der Folkloregruppen. In den Worten von Sara Ahmed: „The encounters we might yet have with other others hence surprise the subject, but they also reopen the prior histories of encounters that violate and fix others in regimes of difference. Encounters are meetings, then, which are not simply in the present: each encounter reopens past encounters.“1 Konkreter lässt sich mit Tobing Rony sagen: „The exotic is always already known.“2 Ich gehe davon aus, dass die nachfolgend erörterten Stereotype auch die Sección Femenina-Beamtinnen in ihrer Behandlung der „primitiven“ BewohnerInnen des „inneren Spaniens“ ‚inspirierten‘. Auch weisen die Methoden, welche die Beamtinnen der weiblichen Falange in ihrer Feldarbeit in Spanien und später in Äquatorialguinea anwandten, Parallelen zu denen des nachfolgend präsentierten Instituto de Estudios Africanos (IDEA) auf.
1
Ahmed, Strange Encounters, S. 8.
2
Tobing Rony, Third Eye, S. 6.
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E STUDIOS A FRICANOS
Im Juli 1945 wurde in Madrid das Instituto de Estudios Africanos (IDEA) gegründet und dem Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (C.S.I.C.), dem Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung, angegliedert. Geleitet wurde es vom jeweiligen Director General de Marruecos y Colonias. Das IDEA war ein äußerst heterogenes Netzwerk von verschiedensten Experten – das Maskulinum ist hier nicht generisch, da meines Wissens keine Frauen unter den Forschenden waren3–, vereint im Bestreben, wissenschaftliche Erkenntnisse hervorzubringen, welche die kolonialpolitischen Projekte Franco-Spaniens vorantreiben sollten. In den bis 1966 erschienenen 325 Monographien, 81 Ausgaben der Zeitschrift Archivos del IDEA und in öffentlichen Vorträgen informierten Archäologen, Ärzte, Historiker, Psychiater, Ethnologen, Sprachwissenschaftler, Missionare, Kolonialbeamte und Armeeangehörige ein breites Publikum über die Eigenschaften der Pflanzen, Tiere und Menschen, die Spanien in Marokko und Äquatorialguinea zu beherrschen hatte sowie über Spaniens ‚afrikanische Geschichte‘. Die Manuskripte von Konferenzreferaten erschienen nachträglich in Archivos del IDEA. Das IDEA übernahm auch die bis zu diesem Zeitpunkt von Francisco Franco edierte Zeitschrift Revista de tropas coloniales und gab sie nach 1945 unter dem neuen Namen África heraus. IDEA-Mitglieder, wie Carlos González Conesa, veröffentlichten auch Artikel in nicht-IDEA-Publikationen, beispielsweise in der Armeezeitschrift Ejército. Das Institut unterstützte ferner die Produktion von Filmen, organisierte Fotoausstellungen und vergab jährlich den Literaturpreis África.4 Nach Francos Tod wurde das IDEA aufgelöst. 1985 gründeten einige seiner ehemaligen Mitglieder die Asociación Española de Africanistas, die noch heute die Zeitschrift Estudios Africanos publiziert.5 Ann Laura Stoler schreibt über die Wissensgenese in niederländischen Kolonien: „If knowledge is made not for understanding but for cutting as Foucault 3
In einigen Fällen war es zudem so, dass die Forscher nur Männer untersuchten. Vgl.
4
Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 232f.
5
Vgl. Darias de las Heras, Victoriano: El africanismo español y la labor comunicadora
Bandrés/Llavona, Psicología II, S. 157.
del Instituto de Estudios Africanos, in: Revista Latina de Comunicación Social 46, 1, (2002). www.ull.es/publicaciones/latina/2002/latina46enero/4601darias.htm vom 16.10.2012. Für eine ausführlichere Analyse des IDEA vgl. Stehrenberger, Cécile Stephanie: Wissenschaftliche Formierungen von Körpergrenzen im colonial contact. Die Äquatorialguinea-Studien des Instituto de Estudios Africanos, 1945-1966, in: Figurationen 12, 2 (2011), S. 30-42.
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charged then here is knowledge that has participated in its own self-mutilation.“6 Diese Analyse lässt sich, wie ich meine, auf das IDEA übertragen. Das vom IDEA hervorgebrachte Wissen war schneidend: Indem es auf verschiedenen materiellen und semiotischen Ebenen eines wissenschaftlichen Diskurses Menschen zurechtschnitt, suchte es das alltägliche Beschneiden ihres Lebens zu legitimieren. Es handelte sich dabei allerdings um ein Wissen, das, wie ich weiter unten zeigen werde, zum zweischneidigen Schwert werden und seine Produzenten gefährden konnte. Ich verstehe die Aktivitäten des IDEA als expository science. Der Ausdruck „expository“ beschreibt dabei „[...] a continuum of methods and practices utilized both within research and far beyond, for purposes of conveying science-based information, whether as pure cognition, pedagogy, or in terms of social and economic problems.“7 Die IDEA-Studien waren populärwissenschaftlicher Art. Dies bedeutet, dass in ihrer Analyse die Produktion und die Verbreitung von Wissen als zusammenhängende Prozesse behandelt werden müssen. Um mit O’Connor zu sprechen, entstanden die Studien nicht in einem „one-way process of knowledge transfer, but [in] a heterogeneous network of cultural exchanges and feedback loops between different social groups.“8 Die verschiedenen Experten – viele von ihnen selbst Amateure – waren in ihrer Arbeit stets von den (potentiellen) Reaktionen eines breiten Publikums beeinflusst, aber auch von den populärkulturellen Erzeugnissen, die sie umgaben.9 Zu diesem breiten Publikum gehörten auch die ZuschauerInnen der Coros y Danzas-Auftritte, die AdressatInnen der Berichte darüber sowie die VerfasserInnen dieser Berichte. Nicht wenige von ihnen dürften aufgrund der weiten Verbreitung der IDEA-Arbeiten auf direktem oder indirektem Weg mit deren Inhalten in Berührung gekommen und von ihnen in ihrer Wahrnehmung der Reisen der Folkloregruppen beeinflusst worden sein. Die IDEAPublikationen stellten eine Sonderform von „expository science“ dar: Ebenso wie die Folklorekataloge der Sección Femenina betrachte ich sie als zu Papier gebrachte ethnographische Ausstellungen, deren spektakuläre Inszenierung von Wissen sie eben jenem breiten Publikum zugänglich machen sollten.
6
Stoler, Along the Archival Grain, S. 8.
7
Shinn, Terry/Whitley, Richard (Hg.): Expository Science. Forms and Functions of
8
O’Connor, Ralph: Reflections on Popular Science in Britain: Genres, Categories and
Popularization, Dordrecht 1985, S. VII. Historians, in: Isis 100, 2 (2009), S. 333-345, hier S. 336. 9
Vgl. Nieto-Galán, Agustí: Los públicos de la ciencia. Expertos y profanos a través de la historia, Madrid 2011. Vgl. Heer, Lou Salomé: „Das wahre Geschlecht“. Der populärwissenschaftliche Geschlechterdiskurs im SPIEGEL, 1947-2010, Zürich 2012.
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Wer sollte was mit den IDEA-Studien anfangen können? Zunächst sollte das IDEA praktisches, für das tägliche Regieren der Bevölkerung nützliches Wissen produzieren. Die Untersuchungen des Instituts dienten zunächst als „native census“10, das heißt der Erfassung der Kolonialisierten. So entnahm eine Gruppe von Ärzten bereits im Jahr 1945 der guineischen Bevölkerung 289058 Blutproben. Drei Jahre später sammelten verschiedene Ärzte und Anthropologen weitere anthropometrische Daten und Fingerabdrücke.11 Es galt die Grenzen eines zu regierenden Kollektivkörpers – der guineischen Bevölkerung – festzulegen. Dabei entstand ein vergeschlechtlichtes Gebilde, zumal die Registrierten den Kategorien „weiblich“ oder „männlich“ zugeteilt wurden. Letzteres geschah sehr viel häufiger oder anders gesagt: Viele Wissenschaftler untersuchten ausschließlich „Männer“. Hinter dieser Auswahl steckte ein, wie Sandra Harding zeigt, besonders in kolonialen Kontexten weit verbreiteter wissenschaftlicher Androzentrismus, in dem Männer die Erhebung des Männerkörpers zur Norm vorantrieben.12 Die erwähnte Registrierung, zu der es im Verlauf der Untersuchungen kam, ermöglichte auch die Überwachung der Kolonialisierten. Frühzeitig konnten potentiell aufständische oder kranke Individuen identifiziert, getötet und in Gefängnisse oder Leprösenheime weggesperrt werden. Gleichzeitig erleichterte der Zensus die Nutzbarmachung der GuineerInnen als Arbeitskräfte: „The health census [...] transformed colonial bodies into labouring bodies in custody“13, schreibt Medina Doménech. Die Registrierung der GuineerInnen verbesserte gleichzeitig die Optionen für gesundheitspolitische Maßnahmen in der Kolonie. Die koloniale Biopolitik zielte darauf ab, das Leben der Bevölkerung zu vermehren – quantitativ wie auch qualitativ. Es sollte mehr Kolonialisierte geben, die länger leben und kräftiger sein sollten, um mehr und besser zu arbeiten. Zu den erforderlichen Maßnahmen zählte zum einen die Behandlung kranker Menschen in neu errichteten Hospitälern und mobilen Sanitätsstationen.14 Zum anderen galt es, die Kolonialisierten hin zu einem ‚hygienischen Verhalten‘ zu erziehen, was wiederum Teil ihrer allgemeinen Hispanisierung war (Kapitel 4.3). Die IDEA-Wissenschaftler sollten so mit medizinischen Studien, aber auch mit pädagogischen Untersuchungen zur Gesundung der Kolonie beitragen.
10 Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 84. 11 Vgl. ebd., S. 89. 12 Vgl. Harding, Sandra: Postcolonial and Feminist Philosophies of Science and Technology. Convergences and Dissonances, in: Postcolonial Studies 12, 4 (2009), S. 407-421. 13 Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 85. 14 Vgl. Medina Doménech, Paludismo, S. 390ff.
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Dass die Publikationen der Experten auch auf anderen Ebenen die Hispanisierung der GuineerInnen unterstützen sollten, zeigt Jesús de la Serna Burgaletas „Anthropometrische und psychotechnische Studie des niño negro“ aus dem Jahr 1956: „Dieses Buch ist dafür gedacht und geschrieben worden, um ein Werkzeug in unseren Schulen in Guinea zu sein“15, heißt es darin. Das Buch ist den Lehrern der Escuela Superior Indígena gewidmet, einer der wichtigsten Hispanisierungsinstitutionen der Kolonie. De la Serna untersuchte nicht nur die Fähigkeiten der indígenas, sondern ebenso ihre emotionale Funktionsweise. Schließlich zielte der Unterricht in der Schule auch darauf ab, in den Schülern ganz bestimmte Emotionen zu erzeugen. De la Serna hoffte, sein Buch könne diesen „Lehrern in ihrer Doppelmission dienen: den Schüler zu belehren und zu erziehen und in ihm Liebe und Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien erblühen zu lassen.“16 Der Autor betonte auch die Notwendigkeit, GuineerInnen vor ihrer Hispanisierung zu „de-tribalisieren“17, das heißt, ihnen ihre guineischen Traditionen abzuerziehen. In diesem Zusammenhang führte er aus: „Die Seele des schwarzen Kindes ist nicht der weiche Ton, den der Erzieher mit relativer Leichtigkeit formt; sie ist schon fast gehärtetes und definiertes Material, dessen sich bildende Verkrustungen (angestammte Bräuche) entrissen, dessen Deformationen (dominante Instinkte) gelöscht und dessen Konturen geglättet werden müssen.“18
De la Serna stellte el niño negro als Geschöpf dar, das zwar radikal, aber nicht vollkommen transformierbar sei. Diese Darstellung war konform mit dem Umstand, dass die koloniale Strategie der Mimikry darauf abzielte, Subjekte zu schaffen, die eben „nur fast“ ganz weiß waren (vgl. Kapitel 3.3). IDEA-Autoren wie
15 „Este libro ha sido pensado y escrito con mirada a que pueda ser un instrumento de aplicación en nuestras escuelas de Guinea.“ De la Serna Burgaleta, Niño guineano, S. 21f. 16 „La Escuela Superior Indígena es uno de los más claros exponentes de la acción cultural de España en el África negra. A ella, y especialmente a los Auxiliares-Maestros forjados en tan hermoso crisol, dedico este libro, con la esperanza de que pueda serles útil en la doble misión que han de cumplir: Educar e instruir al niño indígena, y hacer florecer en él amores y sentirse español.“ Ebd., Widmung. 17 Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 87. 18 „El alma del niño negro no es la blanda arcilla que el educador modela con relativa facilidad; es material ya casi forjado y definido al que hay que arrancar sus incipientes costras (constumbres ancestrales) suprimir sus deformidades (instintos dominantes) y suavizar sus contornos.“ De la Serna Burgaleta, Niño guineano, S. 19.
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de la Serna präsentierten in ihren Schriften also wissenschaftliche Argumente für die Hispanisierungsmission, der auch die Coros y Danzas-Auftritte in Äquatorialguinea dienen sollten. Um die „angestammten Bräuche“ der Kolonialisierten auszumerzen, mussten diese genau studiert werden – eine Aufgabe, der einige ethnologischen Studien des IDEA nachkamen.19 Gleichzeitig galt es, im Zuge der Implementierung des Systems der indirekten Herrschaft auch jene „usos y costumbres“ zu erfinden, denen gemäß die jefes de tribu ihre Untergebenen zu regieren hatten. Die IDEAEthnologen vollzogen in ihren Studien solche Akte der Erfindung von Tradition oder produzierten zumindest eine Ausgangsbasis dafür. Von jefes de tribu geleitete ethnographische Spektakel, wie sie anlässlich der Coros y Danzas-Reisen stattfanden, führten die Erfindung solcher Traditionen weiter, indem sie die von Wissenschaftlern „entdeckten“ Bräuche nachspielten. Wie in der Feldarbeit der Sección Femenina beinhaltete im Rahmen der IDEAUntersuchungen bereits die Datenerhebung Momente der Disziplinierung der Bevölkerung. Menschen wurden von den Forschern und ihren GehilfInnen voneinander isoliert, geordnet und physischer und psychischer Gewaltanwendung ausgesetzt, während ihnen Wissen abgepresst wurde. Zudem waren schon die Psycho-Tests, in denen GuineerInnen spanische Sätze wiederholen mussten, Anwendungen der kolonialen Strategie der Mimikry. Ein weiteres an ‚praktischem Wissen‘ interessiertes Zielpublikum des IDEA waren Kolonialbeamte und Privatpersonen, denen daran gelegen war, zu erfahren, auf welche Art und Weise GuineerInnen für welche Arbeit am besten eingesetzt werden konnten. Zu ihnen gehörten Plantagenbesitzer, aber auch Hausfrauen, die an einer Effizienzsteigerung der für sie arbeitenden Kräfte interessiert waren. Unter diesen ‚ArbeitgeberInnen‘ waren auch reiche fernandinos und indígenas emancipados. Die IDEA-Publikationen sollten auch einem unbehaglichen Gefühl der in der Kolonie lebenden EuropäerInnen entgegenwirken. Und zwar dem Gefühl, die GuineerInnen, die sie umgaben, ja umzingelten, nicht zu kennen, das heißt, nicht zu wissen, was in ihnen vorging, welche Interessen sie verfolgten, was sie taten, wenn sie sich der Beobachtung der KolonialherrInnen zu entziehen vermochten. Einen Hinweis auf die diesbezügliche Funktion der IDEA-Studien liefert folgende Quellenstelle:
19 Vgl. z. B. De Larrea Palacín, Arcadio: Algunos costumbres y mitos de los bujebas de nuestra Guinea Ecuatorial, in: Archivos del IDEA 28 (1954), S. 35-66.
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„Natürlich wird sich Ihnen eine Frage aufdrängen: [...] die indígenas, mit denen ich es zu tun gehabt habe, die ich getauft habe, die fast alle spanisch sprechen, von denen die Mehrheit in Kontakt mit den Siedlern, mit der Administration und mit den Missionaren steht, praktizieren sie noch immer die Riten, die ich im Folgenden beschreiben werde?“20
So leitete der Ethnologe und Folklorewissenschaftler Arcadio de Larrea Palacín seine Ausführungen zu den „Bräuchen und Mythen der Bujeba“ ein. Wie im weiter oben behandelten Kommentar zu einer Äquatorialguinea-Show der Coros y Danzas, der anmerkt, niemand könne wissen, was in den applaudierenden morenos tatsächlich vorgehe, äußert sich hier eine „schwelende Paranoia“ der KolonisatorInnen. Diese veranlasste die Europäer dazu, „kontinuierlich die finsteren Intentionen der ‚Eingeborenen‘ zu erraten“. Bhabha interpretiert sie als Effekt, den die koloniale Strategie der Mimikry auf die KolonialherrInnen ausübte21, welche die Kolonialisierten in eine Maskerade zwang. Zwei weitere Zielgruppen der IDEA-Aktivitäten galt es einer Kolonialpropaganda auszusetzen. Zum einen sollten spanische Unternehmer dazu bewegt werden, in der Kolonie zu investieren. Zum anderen war es nötig, SpanierInnen, die dem Kolonialisierungprojekt kritisch gegenüberstanden, entgegenzutreten: „Die missionierende und zivilisatorische Arbeit, die Spanien in diesen Territorien vollbringt, muss bewundert und darf niemals durch die Ungeduldigen kritisiert werden. Jedes Land hat seine Zeit, und diejenige dieses zentralen Afrikas ist äußerst langsam“22, schrieb de Larrea. Welche Erkenntnisse gewannen die IDEA-Experten? Die Menschen, deren Erforschung sich das IDEA in Äquatorialguinea widmete, werden in den Publikationen des Instituts als indígenas oder nativos bezeichnet. Bisweilen klassifizierten die Autoren sie als Mitglieder eines „Stammes“ oder einer „Ethnie“, z.B. als Fang oder Bubi. In jedem Fall aber untersuchten die Experten negros, morenos oder hombres de color. In den Publikationen ist ein Os-
20 „Naturalmente surgirá una pregunta en ustedes: […] Es decir, los indígenas que yo he tratado, bautizado, casi todos ellos hablando español, la mayoría en contacto con los colonos, con la Administración y con los misioneros, siguen practicando los ritos que voy a describir?“ De Larrea Palacín, Bujebas, S. 38. 21 Vgl. Castro Varela/Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 92. 22 „La labor misionera y civilizadora que España desarrolla en esos territorios ha de ser admirada y nunca criticada por los impacientes. Cada país tiene su tiempo, y el de esta África central es lentísimo.“ De Larrea Palacín, Bujebas, S. 38.
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zillieren zwischen einer Auflösung und einer Fixierung von Rasse feststellbar.23 Es kam zu einer Vervielfältigung der Rassenkategorie indígena in neue Unterkategorien, aber auch zu einer Neudefinition der Oberkategorie negro. In diesem Prozess verlor die Hautfarbe ihren Status als ultimatives Bestimmungsmerkmal. Wichtiger wurden physiognomische Marker wie die Breite der Nase. Besonders ausgeprägt ist diese Verschiebung in de Larreas Untersuchung von Nachkommen äquatorialguineischer SklavInnen, die sich im 18. Jahrhundert in der spanischen Provinz Huelva niederließen und dort den entsprechenden klimatischen Bedingungen ausgesetzten waren: „Diese Leute haben ihre charakteristische Farbe verloren, so dass es nicht überraschend ist, dass sich heute in Niebla kein negro, der es auch ist [ningun negro que lo sea], finden lässt.“24 Die Vervielfältigung von Rasse in neue Unterkategorien wiederum, das wissenschaftliche Klassifizieren der GuineerInnen als Angehörige verschiedener „Stämme“, produzierte zum einen administrative Kategorien, welche die Verwaltung der Bevölkerung erleichtern sollten.25 Zum anderen war sie Teil der ‚Tribalisierung‘ der GuineerInnen. Die Zuteilung von Menschen zu verschiedenen „Stämmen“ und jefes de tribu im Rahmen der indirekten Herrschaft wurde begleitet von einem wissenschaftlichen Betonen jener „Stammes“-Kategorien und der Existenz entsprechender „Stammes“-„Traditionen“. Die IDEA-Studien präsentierten die indígenas als wild, faul, kannibalistisch, hypersexuell, infantil, dekadent und effeminiert. Diese Eigenschaften der Kolonisierten sollten nahe legen, dass sie zu „zivilisieren“ Spaniens heilige Pflicht wäre. José Antonio Moreno Moreno beispielsweise schrieb in Bezug auf die kannibalistischen Rituale der Mbueti-Sekte: „Diese Vorkommnisse und dieser einfältige Ausdruck sind der absolute Beweis des minderwertigen Geistes dieser Unglücklichen [...].“26 Wie Weaver-Hightower feststellt, funktionierte die „Idee Kannibalismus“ in kolonialen Diskursen regelmäßig als ultimative Rechtfertigung zur
23 Vgl. Hanke, Christine: Zwischen Auflösung und Fixierung. Zur Konstruktion von Rasse und Geschlecht in der Physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld 2008, S. 262. 24 „Esas gentes habían perdido el color característico por lo que no es de extrañar que en Niebla no se pueda hallar, hoy en día un solo negro que lo sea.“ De Larrea Palacín, Arcadio: Los negros de la Provincia de Huelva, in: Archivos del IDEA 20 (1953), S. 39-57, hier S. 52. 25 Vgl. Landau, Empires of the Visual, S. 151. 26 „Aquellos hechos y esta ingenua expresión son muestra patente del espíritu inferior de esos desgraciados […].“ Moreno Moreno, José Antonio: Formas de antropofagia en los territorios españoles del Golfo de Guinea, in: Archivos del IDEA 17 (1951), S. 6985, hier S. 85.
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Anwendung von Gewalt in der „Zivilisierung“ der Kolonialisierten.27 Sie schreibt weiter: „[...] texts recodified indigenous resistance and colonial competition into tales of the cannibal and pirate, thus transferring the messiness of imperial expansion into a simplified story of a man successfully defending his legitimately earned space.“28 Die „Dekadenz“, welche die IDEA-Autoren der guineischen Bevölkerung zuschrieben, und die es ihnen zufolge aufzuhalten galt, umfasste einen physischen Zerfall und einen Traditionsverlust.29 Dafür verantwortlich machten die Experten den Kontakt mit den KolonisatorInnen.30 Der Verweis auf letzteren leitete die Notwendigkeit der Kolonialisierung aus den Folgen ebendieser ab, womit sich der Kolonialismus aus sich selbst heraus legitimierte. Hypersexualität führte beispielsweise der Psychiater Ibarrola als Merkmal rassischer Minderwertigkeit auf den Plan. Der Autor sprach in seiner Untersuchung zum „geistigen Niveau der indígenas von Guinea“ aus dem Jahr 1951 von einer „Abnahme des Denkvermögens“31, das bei guineischen Jugendlichen bei deren Eintritt in die Pubertät und dem Erwachen ihrer Sexualität feststellbar sei. Ibarrola orientierte sich in seiner Untersuchung stark an derjenigen des Arztes Vincente Beato, die bereits 1944 unter dem Titel La Capacidad Mental del Negro erschien und im Jahr 1953 neu herausgegeben worden war. Die Minderwertigkeit der indígenas wurde in IDEA-Studien ferner daran festgemacht, dass die Kolonialisierten gewisse Geschlechternormen missachteten. Der Hobby-Ethnologe Graf Carlos Crespo Gil-Delgado schrieb über „den nativo“: „Er fühlt sich durch keine Beschimpfung oder Beleidigung angegriffen, nicht einmal durch den Ehebruch seiner Frauen.“32 Wie Medina Doménech zeigt, attestierten diverse IDEA-Autoren wie Bonelli und Salanova den Kolonialisierten ei-
27 Vgl. Weaver-Hightower, Empire Island, S. 97. 28 Ebd., S. 109. Siehe auch Eva Bischoffs postkoloniale und geschlechtergeschichtliche Analyse der Rolle von Kannibalismus im deutschen Kolonialdiskurs und der Kriminalistik der Weimarer Republik. Bischoff, Eva: Kannibale-Werden. Eine postkoloniale Geschichte deutscher Männlichkeit um 1900, Bielefeld 2011. 29 Vgl. González Echegaray, Música indígena, S. 27. 30 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 83. 31 „regresión de la capacidad intelectual“. Ibarrola, Ricardo: Aportación al estudio del nivel mental de los indígenas de Guinea, in: Archivos del IDEA 18 (1951), S. 7-29, hier S. 25. Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 93. 32 „No se siente ofendido ante las injurias ni ante cualquier ofensa, incluso el adulterio por parte de sus mujeres.“ Crespo Gil-Delgado, Carlos: Notas para un estudio antropológico y etnológico del Bubi de Fernando Poo, Madrid 1949, S. 79.
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nen Mangel an intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten. Sie beschrieben in ihren Aufsätzen indígenas als unvernünftig und als ein „emotional vacuum“33, unfähig, menschliche Gefühle wie „Liebe“ zu empfinden. Während die oben genannten Eigenschaften der Kolonialisierten ihre Kolonialisierung legitimieren sollten, hatten andere die Richtigkeit konkreter kolonialpolitischer Maßnahmen zu beweisen. So ergaben Ibarrolas Psycho-Tests, dass seine Untersuchungsobjekte keine Begabung für abstraktes Denken hätten und es deswegen nicht lohnenswert sei, sie in Schulen auszubilden. Dafür würden die Kolonialisierten außerordentliche manuelle Fähigkeiten besitzen, die auf Plantagen oder in Bauarbeiten optimal einsetzbar wären – eine Aussage, die wie Bayre/ Valenciano zeigen, im Hermic-Film Misiones de Guinea (1948) repetiert wurde.34 De La Serna hingegen hielt el niño negro für durchaus lernfähig.35 Ähnlich wie er – und damit gegen Ibarrola und Beato – argumentierten auch Álvarez García und Iglesias de la Riva.36 Der Armeeoffizier González Conesa wiederum gestand den indígenas auch menschliche Emotionen und Affizierbarkeit zu: „Unser moreno, der Pámue aus dem Bantu-Stamm, der das Innere Kontinental-Guineas bevölkert, ist trotz seines beachtlichen Aussehens, seiner Größe und seiner athletischen Konstitution ein äußerst freundlicher und respektvoller Mann, vielleicht, wenn man will, zu Beginn ein wenig reserviert, bis er mit Zuneigung und Herzlichkeit gewonnen werden kann, und dann [...] mit seinen Waffen und seinen Gerätschaften in unser Lager [...] übertritt [...]. Der indígena ist leicht zu beeindrucken durch alles, was man vor seinen Augen präsentiert, die an Fantasie und Übernatürliches gewohnt sind.“37
Gyan Prakash schreibt in Bezug auf die britische Kolonialpolitik:„Seeking from Indians the recognition of Western knowledge’s authority but unwilling to acknowledge them as knowing subjects, the British had to regard Indians as always
33 Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 94. 34 Vgl. Ibarrola, Nivel mental, S. 28f. Vgl. Bayre/Valenciano, Altertitat Colonial, S. 213. 35 Vgl. De la Serna Burgaleta, Niño guineano, S. 90. 36 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 97f. 37 „Nuestro moreno, el Pámue, de la rama Bantu, que puebla el interior de la Guinea continental, a pesar de su admirable aspecto físico, con su gran talla y complexión atlética, es hombre extremadamente afable y respetuoso, un poco, si se quiere, reservado al principio, hasta que es ganado por el afecto y cariño […] y para mayor contraste, se pasará con todas sus armas y bagajes a nuestro campo […]. El indígena es fácilmente impresionable a cuanto se sepa presentar ante sus ojos, ambientados de fantasía y con pinceladas de sobrenatural.“ González Conesa, De la Guinea continental española, S. 40.
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less than adequate, always lacking some key attribute. This justified colonial dominance, but it also conceded that the colonial project would never achieve complete success, the Indians would remain unconquerable in the last instance.“38 In Spanien existierte dieselbe Problematik. Um ihren AdressatInnen die Richtigkeit der teuren Hispanisierungspolitik, welche die Kolonialregierung seit Ende der 1940er Jahren intensivierte, plausibel machen zu können, mussten die IDEAWissenschaftler die GuineerInnen als nicht nur vernunft- sondern auch als emotions-begabte Wesen darstellen: als Wesen, die fähig waren, sich spanische Werte anzueignen und Zugehörigkeitsgefühle für Spanien zu entwickeln, ja Spanien „lieben“ zu lernen. Die koloniale Bildungsreform, die Heriberto Álvarez durchführte (vgl. Kapitel 2.1), stieß in Spanien und bei den in der Kolonie lebenden Siedlern auf heftige Kritik.39 Dass sich die IDEA-Wissenschaftler hinsichtlich der Lernfähigkeit, die sie den GuineerInnen zu- oder absprachen, widersprachen, war Teil dieser Debatte. Vor dem Hintergrund dieses Disputs erscheint meine obige These, wonach die Meinungen über die Wirksamkeit der Coros y Danzas-Auftritte im Rahmen der Hispanisierungs- und Befriedungspolitik geteilt waren, umso plausibler. Ein und dieselbe IDEA-Studie konnte gleichzeitig einem bestimmten politischen Ziel dienen und ein anderes sabotieren. Die Kolonialisierten als besonders wild, faul und krank darzustellen, rechtfertigte zwar die Kolonialisierung, machte aber GuineerInnen nicht zu der Sorte Humankapital, in das spanische Unternehmer investieren wollten. Außerordentliche physische Stärke hingegen tat dies, trug aber gleichzeitig zusammen mit Krankheit, Aggressivität, Hypersexualität und Kannibalismus dazu bei, el negro als furchteinflößendes Geschöpf zu konstruieren. Die Kolonialisierten erschienen so als Wesen, vor denen es sich empfahl so zurückzuweichen, wie die Coros y Danzas-Tänzerinnen es vor ihrem guineischen Publikum taten (vgl. Kapitel 5.4). Zahlreiche IDEA-Studien beschäftigen sich in der einen oder anderen Weise, wenn auch nur am Rande, mit balele-Tänzen. Dies überrascht wenig, zumal „indigene“ Tänze im Verlaufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch außerhalb Spaniens zu einem der wichtigsten ethnologischen Untersuchungsgegenstände avancierten.40 Die IDEA-Autoren assoziierten balele-Tänze mit Kriegertum, Kannibalismus, übernatürlicher Stärke und Hypersexualität. González Echegaray las seinem Publikum während eines musikethnologischen Vortrags, den er im Jahr
38 Prakash, Gyan: Another Reason: Science and the Imagination of Modern India, Princeton 1999, S. 48. 39 Vgl. Bandrés/Llavona, Psicología II, S. 161. 40 Vgl. Stone Peters, World Perfomance, S. 81.
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1955 in Madrid hielt, den Text eines „Kriegsgesangs“ vor, bevor er diesen abspielte: „Der, der in den Kriegen an vorderster Front schreitet, zerstört, zerstückelt die Rücken, zerlegt nicht die Lenden der Tiere, er zerstückelt die Rücken der Männer, der Anführer des Krieges.“41 Moreno Moreno beschrieb, wie baleleTänzerInnen während eines Rituals der kannibalistischen Mbueti-„Sekte“ Rauschmittel einnahmen: „Seine Einnahme [die Einnahme des Rauschmittels] wirkt auf das zentrale Nervensystem und verursacht Phänomene der Überreizung, gefolgt, wenn in hohen Dosen eingenommen, von Krämpfen und Lähmungen. Wegen seiner aphrodisierenden Eigenschaften wird es von den indígenas geschätzt, denn damit erreichen die Läufer und Tänzer eine hohe Muskelaktivität.“42
Weaver-Hightower behandelt die Furcht vor Kannibalismus als eine Furcht vor „counterincorporation“43, einer Umkehrung des Prozesses des Verschlingens der Kolonialisierten durch die KolonisatorInnen. Die Angst vor Kannibalismus war auch eine Angst, selbst zum Kannibalen zu werden, und zwar, wie Avramescu ausführt, als Teil einer „anthropophagous chain“44, die entsteht, wenn ein Mensch ein Tier isst, das einen Menschen gegessen hat. Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle die Aussage des Hermic-Filmregisseurs Sanjuán, wonach er sich beim Verzehr von Affenfleisch wie ein Kannibale vorkam. In einem Interview ließ er 2008 verlauten: „Wir haben sie einige Male in den abgelegensten Dörfern im Inneren des guineischen Dschungels gegessen. Na ja, sie bringen sie dir so, als Ganzes gebraten, mit dieser Form, die sie hatten, mit den Händchen und so. Die Wahrheit ist, dass es so schien, als ob du ein
41 „El que va delante en las guerras rompe, descuartiza las espaldas, no parte los lomos de los animales, descuartiza las espaldas de los hombres, de los jefes de guerra.“ González Echegaray, Música indígena, S. 21. 42 „[...] su absorción actúa sobre el sistema nervioso central provocando fenómenos de hiperexcitabilidad, seguidos, si la dosis es fuerte, de convulsiones y parálisis. Por sus propiedades afrodisíacas es apreciada por los indígenas, pues con ella logan una gran actividad muscular los corredores y bailarines.“ Moreno Moreno, Formas de antropofagia, S. 82. 43 Weaver-Hightower, Empire Island, S. 93. 44 Avramescu, Cãtãlin: An Intellectual History of Cannibalism, Princeton 2009, S. 130.
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Kind essen würdest. Ich glaube, dass eine gute fabada asturiana oder eine paella besser ist, aber manchmal, an einigen Orten, hatte man keine andere Wahl, als sie zu essen.“45
Beinahe scheint es so, als wollte Moreno Moreno versuchen, im folgenden Abschnitt die Unheimlichkeit seiner Kannibalismusgeschichten zu reduzieren, indem er betonte, dass GuineerInnen nur ihresgleichen verspeisen würden. Gleichzeitig sollte die Abgrenzung zur Populärliteratur die Aussagen von Moreno Moreno wissenschaftlicher erscheinen lassen. Er schrieb: „Bevor ich fortfahre, erscheint es angebracht, eine ziemlich verbreitete falsche Auffassung aus dem Weg zu räumen: Der Verzehr von menschlichem Fleisch ist beim heutigen indígena weder Resultat einer physischen Notwendigkeit noch Ausdruck des Hasses gegen den Weißen, wie es in einer sehr verbreiteten Art von Jugendliteratur vermittelt wird.“46
Und weiter: „Die Anthropophagie, die wir untersuchen, wird nur an anderen indígenas praktiziert und an bereits totem Fleisch. Glücklicherweise ist kein Fall eines europäischen Opfers unter unseren indígenas bekannt, und falls – was sehr zu bezweifeln ist – ein Fall von Anthropophagie vorgekommen sein sollte, ist dem nie ein Mord vorausgegangen, sondern höchstens ein heimliches Ausgraben der Leiche [...].“47
45 „Los comimos algunas veces en los poblados más remotos del interior de la selva guineana. Hombre, te los sacan así, asados enteros, con aquella forma que tenían con las manitas y eso. La verdad es que parecía que te estuvieras comiendo a un niño. Creo que es mejor una buena fabada asturiana o una paella, pero, a veces, en algunos lugares no había mas remedio que comérselos.“ Ortín/Pereiró, Mbini, S. 25. 46 „Conviene antes de seguir adelante, salir al paso de una opinión errónea bastante generalizada. El comer carne humana no es en el indígena actual resultado de una necesidad fisiológica ni tampoco obra de odio hacia el blanco, según la representación que de ellas nos ha dado una literatura juvenil muy extendida.“ Moreno Moreno, Formas de antropofagia, S. 74. 47 „La antropofagia que estudiamos tan sólo se practica sobre otros indígenas y sobre carne ya muerta. Afortunadamente, no se conoce caso alguno de sacrifico de europeos entre nuestros indígenas, y de haber ocurrido algún caso de antropofagía cosa dudosisima, no ha precedido a ello nunca el asesinato, sino, a lo más, el desenterramiento subrepticio del cadáver [...].“ Ebd.
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Die ausgeprägte Fantasie und Fähigkeit zur Imitation, welche die IDEA-Wissenschaftler GuineerInnen zuschrieben, machte sie zu guten SchülerInnen, aber auch zu guten LügnerInnen, die sich über die KolonialherrInnen lustig machten und deren Aussagen man nicht trauen konnte. Ich habe weiter oben das ‚Unbehagen‘ erwähnt, das die guineischen rancheros bei den TeilnehmerInnen der Coros y Danzas-Reisen und den Berichterstattern zu ihren Auftritten auslösten. Auch die Experten des IDEA fassten die Musik und den Tanz als ein privilegiertes Satiremedium der Kolonisierten auf. González Echegaray berichtete 1955 in einem Vortrag von einem Combé-Tanz: „Er wird getanzt von Frauen, die einen Kreis bilden, während die Männer spielen und singen. Der Text wird gewöhnlich improvisiert und kann Dankbarkeit, Spott, Drohung etc. ausdrücken.“48 Der Autor sprach zudem von seinen Nachforschungen zu den Ritualtänzen der Mbueti-Sekte: „Ich muss sagen, dass – nachdem ich es geschafft hatte, diverse Eingeweihte zu identifizieren – es nicht einfach war, zu erreichen, dass sie sich im Geheimen versammelten, um das zu singen, was wir nun hören werden, und was ich für das Merkwürdigste und vielleicht für das ästhetisch Wertvollste dieser kurzen Anthologie der guineischen Musik halte.“49
Die IDEA-Wissenschaftler wurden in ihrer Erforschung von Geheimnissen und Gefährlichem zu wahren Abenteurern. Das schwer Aufzufindende aufzuspüren, war bereits ein wichtiger Teil ihrer Forschungsleistung. González Echegaray teilte die Mbueti-Geheimnisse mit seinen LeserInnen und machte sie damit zu Eingeweihten. Die mysteriöse Qualität eines Forschungsgegenstandes limitierte allerdings auch, wieviel der Wissenschaftler darüber in Erfahrung zu bringen vermochte: „Ich kann den Text dieser Lieder nicht übersetzten, da es sich um eine Geheimsprache der Sekte handelt, deren Übersetzung sie [die Eingeweihten] behaupteten, nicht zu kennen, und die nur den Anführern bekannt sein soll“50, schrieb González Echegarray. Moreno Moreno sah sich in seiner Kannibalismusfor-
48 „Es bailado por las mujeres colocadas en círculo, mientras los hombres tocan y cantan. La letra suele improvisarse y puede expresar agradecimiento, burla, amenaza, etc.“ González Echegaray, Música indígena, S. 25. 49 „Excuso decir que no me fue la cosa fácil el conseguir – después de haber logrado identificar a varios iniciados – que se reunieran secretamente para cantar esto que vamos a oír y que considero como lo más curioso y quizá de más valor estético en esta breve antología musical de la Guinea.“ Ebd., S. 27f. 50 „No puedo traducir el texto de estas canciones por ser esta una lengua secreta de la secta, cuya traducción decían ignorar y ser sólo conocida de los dirigentes.“ Ebd., S. 28.
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schung mit einer ähnlichen Problematik konfrontiert: „Wer kann schon sein Verschwinden [dasjenige des Kannibalismus] versichern, angesichts des unauflösbaren Mysteriums, das für den Europäer die intimen Gedanken des indígena nach wie vor sind“51, hieß es in seiner Studie. Die Behauptung, dass den Aussagen von indígenas kein Glaube geschenkt werden könne, entwertete wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf solchen Aussagen basierten – beispielsweise in psychologischen Tests oder Befragungen. Wie generierten die IDEA-Wissenschaftler ihre Erkenntnisse ? Was für Formen der Klassifizierung, was für Apparate, was für Bilder, was für Ausdrücke, was für Kollaborateure benutzten die IDEA-Wissenschaftler, um Evidenz zu erzeugen? Was war der „style of reasoning“52, den das IDEA anwandte bzw. entwickelte? Eine erste Antwort auf diese Frage ist, dass in den IDEAStudien viele verschiedene Methoden, viele verschiedene „styles of reasoning“ herangezogen und entwickelt wurden: Dazu gehörten Blutanalysen, das Studium von Archivdokumenten, psychologische Experimente, anthropometrische Vermessungen und die Beobachtung im Rahmen von Feldarbeit. Nicht selten stellten Autoren, wie de la Serna oder de Larrea, in einer einzigen Studie medizinische Fachtermini neben Ausdrücke wie „eher schmallippig“ und „achocolatado“, Gaußkurven neben handgemalte Abbildungen von Hütten. Die verschiedenen AdressatInnen des IDEA sollten mit verschiedenen „styles of reasoning“ angesprochen werden. Zunächst galt es in einer Sprache zu sprechen, die einer breiten „perceptual habit“53 entsprach. Der Bezug auf alltagsnahe Bilder, wie beispielsweise mit dem Begriff „achocolatado“, war hierbei fundamental. Da aber zumindest einige der IDEA-Wissenschaftler durchaus Aspirationen auf eine akademische Karriere hatten, war auch eine gewisse Fachsprache vonnöten. In dieselbe Richtung zielte auch der Gegensatz zwischen der Anwendung nachvollziehbarer und imitierbarer Methoden, wie der Beobachtung und Befragung von zufällig auf der Straße angetroffenen Menschen (z.B. in de Larreas Untersuchung der Negros de la Provincia de Huelva), und dem Gebrauch statistischer Formeln. War das wilde Methodendurcheinander verstörend? Kann mit derart verschiedenen Evidenzerzeugungsstrategien über einen Gegenstand wahr gesprochen wer-
51 „Pero […] quién es capaz de asegurar su desaparición en el intrincado misterio que aún sigue siendo para el europeo el pensamiento intimo del indígena […]?“ Moreno Moreno, Formas de antropofagia, S. 85. 52 Hacking, Ian: Historical Ontology, Cambridge 2002, S. 180. 53 Daston, Lorraine: On Scientific Observation, in: Isis 99, 1 (2008), S. 97-110, hier S. 109.
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den? Denkbar ist, dass gerade der Umstand, dass es „messy“54 war, dem IDEA wissenschaftliche Autorität verlieh. Suggerierte doch das Beleuchten der Kolonialisierten aus jeder nur möglichen Position mit einer Vielzahl von Lichtern einen Überblick, dem sich kein Stückchen Haut, keine einzige Zelle entziehen konnte. Oft wurden in IDEA-Studien bei der Beobachtung und im Experiment Methoden der mechanischen Objektivität und des subjektiven Urteils kombiniert. Autoren machten die Spezifität ihres epistemologischen Standpunktes sichtbar und wiesen auf die aus ihm hervorgegangen Partikularitäten ihrer Forschung hin. Als geradezu mangelhaft wurde diese Forschung dort beschrieben, wo de la Serna zugab, dass es „von größerem wissenschaftlichen Wert gewesen wäre, die Lungenkapazität zu messen“55, wo Ibarrola lamentierte, dass der von ihm gesammelte Datensatz nur sehr klein sei56, und wo Moreno Moreno anmerkte, dass andere Experten bezüglich einer bestimmten Frage kompetenter hätten Auskunft geben können als er.57 Auch González Echegaray verwies auf die Grenzen seiner Expertise: „Als erstes muss ich darauf hinweisen, dass ich kein Musikologe bin, so dass das, was ich Ihnen zu sagen habe, keine technischen Erklärungen oder weit reichende Theorien über die música negra sein werden.“58 Ich glaube nicht, dass derartige Eingeständnisse das IDEA-Wissen weniger wissenschaftlich und seine Wissenschaftler weniger objektiv erscheinen ließen. Vielmehr vermochten sich die Experten auf diese Weise durch ihre Flexibilität und ‚Abenteuertauglichkeit‘ zu profilieren: De la Serna maß statt der Lungenkapazität den Brustumfang und Ibarrola betonte immer wieder, dass er die Aufgaben in seinen Tests an die örtlichen Verhältnisse angepasst habe.59 Diese Anpassungen verliehen der Studie den Schein gesteigerter Objektivität und ließen die dahinter stehende Kolonialmacht ‚sensibler‘ wirken. Der Verweis auf andere Experten, die besser geeignet gewesen wären, eine bestimmte Frage zu beantworten, zeugte von einer gewissen Kenntnis des Forschungsstands und belegte, dass der Autor in ein Netzwerk in-
54 Verran, Helen: A Postcolonial Moment in Science Studies. Alternative Firing Regimes of Environmental Scientists and Aboriginal Landowners, in: Social Studies of Science 32, 5-6 (2002), S. 729-762, hier S. 757. 55 „Mas valor científico hubiera tenido sustituir estas mediciones por las de la capacidad pulmonar.“ De la Serna Burgaleta, Niño guineano, S. 151. 56 Vgl. Ibarrola, Nivel mental, S. 25f. 57 Vgl. Moreno Moreno, Formas de antropofagia. S. 74. 58 „Ante todo he de advertir que no soy un musicólogo, de forma que lo que he de decirles a ustedes no serán discusiones técnicas ni teorías transcendentales acerca de la música negra.“ González Echegaray, Música indígena, S. 19. 59 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 96.
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tegriert war. Jenes Netzwerk war zum einen ein IDEA-internes – die Angehörigen des Instituts zitierten einander gegenseitig.60 Zum anderen war es international. So verwies Beato auf die Unterstützung durch die deutschen Ärzte Kremer und Zschucke61 und de la Serna auf die Studien eines Dr. Laurente, durchgeführt im Kongo an „Subjekten, die unseren nativos sehr ähnlich sind“62. Die ungenügende Anzahl gesammelter Daten, die Ibarrola konstatierte, schrie wiederum nach weiteren Datenerhebungen. Während ich nicht denke, dass die Autorität des IDEA durch die „messiness“ seiner Studien beeinträchtigt wurde, glaube ich doch, dass bei manchen Autoren die Art und Weise der Wissensgenese Momente der Selbstgefährdung beinhaltete. Als erstes möchte ich diesbezüglich die Feldarbeit, die privilegierte anthropologische Methode der IDEA-Wissenschaftler, erwähnen. Dazu Stone Peters: „Such work differed from the build of nineteenth-century anthropological writing in several respects. It was narrowly local and presentist [...]. It was insistently first-hand, avoiding analysis based on prior studies [...]. And it was doggedly descriptive, often forgoing analysis altogether.“63 Persönliche Erfahrung sicherte auch bei den IDEA-Wissenschaftlern den Wahrheitsgehalt der erzählten Geschichten. Dabei kamen manche von ihnen ihrem Forschungsgegenstand gefährlich nahe und entsprachen annähernd dem ‚Berufsbild‘ des ‚vertropten‘ Anthropologen.64 So schrieb Gónzalez Conesa: „Es ist nötig, unter ihnen zu leben und sich ein wenig mit diesem exotischen Ambiente zu identifizieren [...], dabei so weit zu gehen, sie zu verstehen und ihre Sorgen und Freuden, ihre Befriedigungen und Enttäuschungen zu teilen.“65 Wie ich weiter oben beschrieben habe, musste auch González Echegaray den Status eines Initiierten erlangen, um überhaupt Aussagen über die geheimen Prozessionen des Mbueti-Kultes machen zu können. Der Arzt Vicente Beato bemerkte in seiner Studie, in der er die intellektuelle Unterlegenheit der
60 Vgl. De Larrea Palacín, Bujebas, S. 37. Nicht selten kam es auch zu einem – zwar nicht als solches kenntlich gemachten, aber doch geleisteten – gegenseitigen Zitieren: Wie Bandrés und Llavona zeigen, lehnte sich z.B. Ibarrola in seinen Studien stark an diejenige von Beato y Villarino aus dem Jahr 1945 an. Vgl. Bandrés/Llavona, Picología II, S. 157. 61 Vgl. dies., Psicología I, S. 145. 62 „sujetos muy afines a nuestros nativos.“ De la Serna Burgaleta, Niño Guineano, S. 122. 63 Stone Peters, World Performance, S. 83. 64 Vgl. ebd., S. 84. 65 „Hay que vivir entre ellos e identificarse un poco con ese ambiente exótico […] hasta llegar a comprenderlos e incluso participar de sus penas y alegrías, de sus satisfacciones y de sus desengaños.“ González Conesa, De la Guinea continental española, S. 39.
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GuineerInnen „bewies“, dass eine gründlichere Untersuchung es erfordert hätte, so eng mit den indígenas zusammenzuleben, „wie dies Malinowski auf den Trobriand-Inseln tat.“66 Dass zumindest die offizielle spanische Kolonialpolitik bestrebt war, ein going native von SpanierInnen in Äquatorialguinea zu verhindern, und zwar unter anderem durch den Einsatz der Coros y Danzas, habe ich im Verlaufe dieser Arbeit ausgeführt. Erwähnt habe ich auch, dass die vom IDEA verbreitete Behauptung, dass Aussagen von indígenas kein Glaube geschenkt werden könne, Erkenntnisse, die aus Befragungen derselben gewonnen wurden, prekär erscheinen ließ. Befragungen waren jedoch integraler Bestandteil der Feldarbeit des IDEA. Interessant ist, dass die Methode auch dort, wo die InformantInnen keine GuineerInnen waren, von den Autoren selbst als unverlässlich umschrieben wurde. In einer Fussnote vermerkte de Larrea: „Wir haben Nachrichten hinsichtlich der Existenz von morenos in Aroche erhalten, [...] aber sie waren derart konfus, dass wir uns mangels persönlicher und minutiöser Prüfung auf diesen flüchtigen Hinweis beschränken.“67 Möglicherweise setzte der Autor diese Fußnote auch in der Hoffnung, der Hinweis darauf, dass er derart ‚diffuses‘ Material nicht berücksichtigte, ließe die Studie wissenschaftlicher erscheinen. Wie bei der Feldarbeit der Sección Femenina war die Verfügbarkeit technischer Apparate für die Durchführung der IDEA-Studien von größter Relevanz.68 Dies veranschaulicht folgende Stelle aus Ibarrolas Text: „Die einfache Reaktionszeit auf auditive Stimuli wurde mit einem Chronoskop untersucht, das es erlaubt, die Zeit in Hundertstelsekunden zu messen und das von der Firma Kelvin in Madrid hergestellt und speziell für die Expedition geeicht wurde und uns exzellente Resultate lieferte, trotz der klimatischen Bedingungen, in denen wir arbeiteten und den stetigen Transporten, denen wir es aussetzten.“69
66 „A manera como lo ha hecho Malinowski en las islas Trobriand.“ Beato González/Villarino, Capacidad mental, S. 103f. Zitiert bei: Bandrés/Llavona, Psicología I, S. 146. 67 „Hemos recibido noticia de la existencia de morenos en Aroche, […] pero eran tan confusas que, a falta de comprobación personal y minuciosa, nos limitamos a esta somera anotación.“ De Larrea Palacín, Negros de Huelva, S. 41. 68 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 84. 69 „El tiempo de reacción simple a estímulos auditivos se ha explorado mediante un cronoscopio que permite apreciar el tiempo en centésimas de segundo y que fue construido y especialmente acondicionado para la expedición por los talleres Kelvin de Madrid, habiéndonos dado el aparato un excelente resultado, a pesar de las condiciones climá-
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Bemerkenswert ist hier neben der Tatsache, dass Ibarrola eine Art Marketing für den Gerätehersteller betrieb, dass er speziell erwähnte, dass das Gerät trotz der kolonialen Bedingungen einwandfrei funktioniert habe. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass dies üblicherweise nicht der Fall war. Apparate und allgemein das in Untersuchungen verwendete Material konnte im colonial encounter unbrauchbar werden. So berichtete Moreno Moreno davon, dass es sich als schier unmöglich gestaltete, zur Erforschung von Kannibalismus Leichen zu untersuchen, da diese so schnell verwesten.70 Vor allen Dingen widersetzten sich die Studienobjekte dem Studiert-Werden: „[...] es war notwendig, sich mit Individuen zusammenzutun, mit denen die Forschung einfach sein würde“71, schrieb Ibarrola. Medina Doménech bemerkt, dass der Psychiater von GuineerInnen regelrecht veräppelt wurde. Sie ‚interpretierten‘ im Rorschachtest nicht die Tintenflecken selber, sondern die weißen Räume dazwischen.72 Wie Bandrés und Llavona ausführen, lamentierte Beato, dass einige seiner Studienobjekte sich während der Binet-Tests weigerten, die an sie gestellten Fragen zu beantworten.73 Eine andere Strategie des Widerstands gegen die Wissenschaftler bestand darin, im Rahmen von Befragungen zu schweigen oder rätselhafte Angaben zu machen: „[...] es ist keine genaue Wiedergabe möglich, wegen des streng gehüteten Geheimnisses, mit dem sich die indígenas stets umgeben“74, schrieb Moreno Moreno. Eine letzte stilistische Eigenschaft der IDEA-Studien, auf die ich aufmerksam machen möchte, ist ihre Unterhaltsamkeit. Besonders ausgeprägt war diese in Moreno Morenos Kannibalengeschichte, in der der Autor davon berichtete, wie die Leichen von Kannibalismusopfern autopsiert wurden und in Zeugenvernehmungen die Behörden nach den Tätern suchten. In schaurigen Details rekonstruierte der Autor den Tathergang. De la Sernas Schilderungen in seiner Untersuchung von guineischen Kindern fielen weniger spannend und anschaulich aus: Erst nach über dreißig Seiten unkommentierter Aneinanderreihung von Tabellen
ticas en las que operábamos y los constantes transportes a que lo sometimos.“ Ibarrola, Nivel mental, S. 14. 70 Vgl. Moreno Moreno, Formas de antropofagia, S. 71. 71 „[...] se hacía preciso relacionarse con individuos con quienes la investigación fuese fácil.“ Ibarrola, Nivel mental, S. 9. 72 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 96. 73 Vgl. Bandrés/Llavona, Psicología I, S. 147. 74 „[...] no sea posible la minuciosidad en el relato por el secreto cuidadosamente guardado con que se rodean siempre los indígenas.“ Moren Moreno, Formas de antropofagia, S. 71.
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mit statistischen Formeln und Gaußkurven formulierte der Autor seine Konklusionen in einigen wenigen trockenen Sätzen. Diese fehlende literarische Attraktivität bereitete de la Serna Sorgen: „All diese Forschungsarbeiten pflegen für die Laien oder diejenigen, die an genanntem Studienobjekt nicht interessiert sind, an einer Schwierigkeit des Kontextes, fehlender Abwechslung und mangelnder ausstellerischer Mobilität zu leiden. Dieses Werk kann hier keine Ausnahme sein; aber wir glauben doch [...], dass diejenigen, die an der Bildung der nativos interessiert sind, die Intention und die Anstrengung des vorliegenden Buches schätzen werden, die zweifelsohne ein Beweis der Sorge und eines Dranges zur Verbesserung des niño indígena sind, die sie als Spanier und Lehrer notwendigerweise fühlen.“75
Wie um sich selbst zu widersprechen, operierte der Autor in diesem Eingeständnis mit emotionsgeladenen Begriffen wie „Sorge“, „Drang“ und „Anstrengung“. Das IDEA studierte nicht nur die koloniale Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt, sondern auch die spanische. Als solche Studie verstehe ich die bereits zitierte Untersuchung de Larreas zu den in Spanien lebenden Nachkommen guineischer Sklaven. Der Autor kam darin zum Schluss, dass jene negros kaum von der restlichen andalusischen Bevölkerung unterscheidbar seien, „höchstens in manchen Fällen aufgrund der Nase“76, und dass diese Ununterscheidbarkeit Resultat von „mestizaje“ und kultureller Integration sei. Eine ganze Reihe von IDEA-Studien untersuchte die ‚afrikanischen Spuren‘, welche die geographische Nähe und insbesondere das tolerante Zusammenleben verschiedener Religionen in Spanien in den SpanierInnen und in deren Kultur (beispielsweise in der Folklore oder der Literatur) hinterlassen haben sollen.77 Das IDEA bot dabei dem Hispanotropicalismo (vgl. Kapitel 2.1) argumentative Stützen.
75 „Todos estos trabajos de investigación suelen adolecer, para los profanos o desinteresados de la cuestión objeto de estudio, de cierta pesadez del contexto, de ausencia de variedad y de falta de movilidad expositiva. Esta obra no puede ser una excepción; pero si creemos […] que los interesados en la educación de los nativos sabrán estimar la intención y el esfuerzo del presente libro, que es, sin duda, manifestación de las inquietudes y ansia de mejoramiento del niño indígena, que ellos, como españoles y educadores, necesariamente sienten.“ De la Serna Burgaleta, Niño guineano, S.158. 76 „Es muy difícil identificarlos por los rasgos fisionómicos; si acaso, la conformación especial de la nariz en algunos de ellos.“ De Larrea Palacín, Negros de Huelva, S. 52. 77 Vgl. z.B. Morales Oliver, Luis: La resonancia de África en Cervantes, in: Archivos del IDEA 17 (1951), S. 7-27.
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Schließlich sei hier erwähnt, dass einige IDEA-Wissenschaftler, allen voran Ethnologen und Psychiater, auch außerhalb ihrer IDEA-Tätigkeit forschten. Wie die Sección Femenina-Beamtinnen in ihrer Feldarbeit, untersuchten sie die rassischen Merkmale verschiedener spanischer Völker und des spanischen Volkes. Ibarrola beispielsweise leitete seit dem Bürgerkrieg das Instituto Nacional de Psicotécnia und publizierte im Jahr 1942 die Studie Raza y Constitución, in der er die verschiedenen „mentalen Charakteristika“ der „nórdicos“, „alpinos“ und „mediterráneos“ erläuterte.78 Der Arzt Jesús Fernández Cabeza, der 1951 die Studie La persona pamue desde el punto de vista biotipológico publizierte, war gleichzeitig Sekretär des spanischen Instituts für Anthropologie Bernardino de Sahagún.79 Die IDEA-Psychiater waren ferner Teil einer nationalsozialistisch inspirierten Akademie, die sich der Erforschung „degenerierter Rassen“ – Alkoholiker, Prostituierte, Homosexuelle oder „Marxistas Femeninos Delincuentes“ – widmete (vgl. Kapitel 2.2). Die Ähnlichkeiten, welche die entsprechenden Studien hinsichtlich ihres „style of reasoning“ aufweisen, sind frappierend. Auch die spanischen Untersuchungen zu falschen Bettlern, dem „gen rojo“ oder Homosexuellen waren nicht selten an ein breites Publikum gerichtet. Dies überrascht wenig, spielten doch in der Umerziehung der Kinder von RepublikanerInnen und der Durchsetzung des „Vagabundengesetzes“ Polizeiinspektoren, Nonnen, Lehrer und Nachbarn eine wichtige Rolle. Wie Medina Doménech betont, standardisierten IDEA-Angehörige in der Kolonie Methoden, die auch für die biopolitische Regierung der Bevölkerung in der Metropole elementar waren, wie z.B. die Analyse großer Bluttest-Samples.80 Ähnlich wie in anderen kolonialen Kontexten dienten die Kolonien auch hier als „Experimentierraum“81. Im IDEA kollaborierten Experten- und Laienwissenschaftler aus verschiedensten wissenschaftlichen Kontexten. Ihre Studien wurden auch von den kolonialen Stereotypen, die in Literatur, Film und Konsumgüterindustrie zirkulierten, geprägt und prägten diese wiederum mit. Einige von ihnen werde ich im nächsten Unterkapitel behandeln. An dieser Stelle möchte ich mit dem Hinweis darauf schließen, dass einzelne IDEA-Publikationen auch von der Fachwelt außerhalb des IDEA kritisiert wurden. Bandrés und Llavona verweisen auf einen Artikel der Kinderärztin Avemaría Vila Coro, die bemängelte, dass Ibarrola in seinem Intelligenztest den kulturellen Hintergrund seiner Untersuchungsobjekte nicht berück-
78 Vgl. Bandrés/Llavona, Psicología II, S. 157. 79 Vgl. ebd., S. 155. 80 Vgl. Medina Doménech, Scientific Technologies, S. 91. 81 Van Laak, Dirk: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planung für die Erschließung Afrikas, 1880-1960, Paderborn 2004, S. 257.
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sichtigt habe.82 Es handelte sich hierbei allerdings nicht um eine grundsätzliche Kritik am IDEA und gerade de la Serna, der in seiner Publikation betonte, seine Untersuchungen angepasst zu haben, vermochte diese Beanstandung zu inkorporieren.
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Die Klassiker der Afrika-Abenteuerliteratur waren auch im franquistischen Spanien Bestseller. Hergé, Conrad und Rider Haggards wurden viel gelesen und machten die SpanierInnen mit dem Kongo, Dahomey und den Minen von König Salomon vertraut. Seit Ende des 19. Jahrhunderts zirkulierten in Spanien auch Erzählungen, deren Handlungen in Äquatorialguinea situiert waren. Hierzu gehörten die Berich te von Missionaren, spanischen Siedlern und Reisenden. Diese erschienen allerdings nur in kleinen Verlagen und in geringen Auflagen. Aufgrund des trockenen Schreibstils, worin die Autoren primär ethnographische Beschreibungen zu Papier brachten, fanden sie wenig Anklang. Ausnahmen stellten die Berichte des Entdeckers Manuel Iradier und, in franquistischer Zeit, die Erzählungen von Bartolomé Soler dar. Soler reiste Ende der 1940er Jahre nach Äquatorialguinea und berichtete in einem 1951 erschienenen travelogue, den Nerín i Abad als „profundamente racista“83 bezeichnet, von seinen Erlebnissen unter den „rassisch minderwertigen“ GuineerInnen. La selva humillada war derart erfolgreich, dass das Buch in mehreren Auflagen erschien.84 Gleichzeitig erschien eine Reihe von Äquatorialguinea-Romanen. Besonders erwähnenswert sind die Plantagenromane Efún (1955) und La mujer del colonial (1962). Ihrem – bei der Leserschaft äußerst beliebten – Genre entsprechend schildern sie den heroischen Kampf von spanischen SiedlerInnen, die fernab der „zivilisierten Welt“ täglich den Gewalten der Natur, den wilden Kolonialisierten und der Einsamkeit trotzen. Sautier Casaseca produzierte 1953 eine Plantagen-Radionovela, die sich beim Publikum großer Beliebtheit erfreute. Auch auf der Leinwand begegneten SpanierInnen wild tanzende, kannibalistische AfrikanerInnen. In den 1920er Jahren wurden, von staatlichen und von privaten Initiatoren finanziert, erste Dokumentarfilme in Äquatorialguinea gedreht und dort sowie in Madrid gezeigt. 1932 produzierte ein Team um Segis-
82 Vgl. Bandrés/Llavonas, Psicología II, S. 161. 83 Nerín i Abad, Nuestro sur, S. 113. 84 Soler, Bartolomé: La selva humillada, Barcelona 1951.
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mundo Pérez de Pedro, dem Kameramann von Danzas de España en el trópico, seinen ersten Film namens balele.85 In den 1940er Jahren drehte die Gruppe dann jene umfangreiche Serie von Äquatorialguinea-Dokumentarfilmen, auf die ich in Kapitel 1.1 näher eingegangen bin. Nicht nur Dokumentar-, auch Spielfilme versorgten SpanierInnen mit stereotypen Afrikabildern. Zum einen waren in spanischen Kinos Tarzan, King Kong und andere Hollywoodfilme zu sehen. Zum anderen brachten spanische Produzenten Afrika-Abenteuer in die örtlichen Kinos. Im Jahr 1944 lief der erste spanische Kinofilm an, dessen Handlung in Äquatorialguinea spielte. Ihm folgten bis zu den ersten Coros y Danzas-Auftritten in der Kolonie sechs weitere.86 Speziell zu erwähnen ist Misión blanca (ES 1946, R. Juan de Orduña), ein Film, der das going native eines Plantagenbesitzers behandelt, der unter anderem sexuelle Kontakte zu guineischen Frauen unterhält.87 Eine weitere Sphäre, in der SpanierInnen auf Afrikabilder trafen, waren Konsumgüter und die Werbung für diese. Prominentestes Beispiel hierfür dürfte el negrito de Cola-Cao sein, mit dem auf Verpackungen und in TV-Spots für ein Kakaogetränk geworben wurde.88 In diversen kleineren und größeren Völkerschauen konnten SpanierInnen darüber hinaus tanzende „Wilde“ auch live betrachten. So traten 1929 in der Exposición Iberoamericana in Sevilla auch guineische TänzerInnen auf.89 Schließlich begegneten SpanierInnen GuineerInnen in den mündlichen Erzählungen, die Afrikaabenteurer, ehemalige SiedlerInnen oder Missionare nach ihrer Rückkehr nach Spanien in ihren Heimatdörfern verbreiteten. „Tatsächlich hatte man in der Metropole immer Nachrichten davon, was in Guinea passierte“90, schreibt Nerín i Abad. Liberata Masoliver beispielsweise, die niemals nach Äquatorialguinea gereist war, ließ sich nach eigenen Angaben für ihre Äquatorialguinea-Romane von den Geschichten inspirieren, die ihr Bekannte erzählten,
85 Vgl. Fernández Fígares, Imaginario, S. 226. 86 Vgl. ebd., S. 250. 87 Vgl. Elena, Llamada de África, S. 175ff. 88 Vgl. Pedrosa, José Manuel: Negros músicos, negros poetas: esterotipos y representaciones en occidente de la oralidad africana y afroamerica, in: Oráfrica. Revista de oralidad africana 4 (2008), S. 11–28, hier S. 13. 89 Vgl. Sánchez Gómez, Luis Ángel: África en Sevilla. La exhibición colonial de la Exposición Iberoamericana de 1929, in: Hispania 66, 224 (2006), S. 1045-1082, hier S. 1075. 90 Nerín i Abad, Guàrdia Civil, S. 240.
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die längere Zeit in Äquatorialguinea gelebt hatten.91 Ich halte es für wahrscheinlich, dass auch zahlreichen Menschen aus dem Coros y Danzas-Publikum diverse Afrikageschichten in Form von mündlichen Erzählungen zu Ohren gekommen waren. Dies gilt, wie ich meine, in gesteigertem Maße für die BewohnerInnen wichtiger Hafenstädte wie Cádiz, von wo aus beinahe sämtliche Schiffe, die Güter, Menschen und Gerüchte in die und aus der Kolonie transportierten, ein- und ausliefen. So hatten auch die gaditanischen Coros y Danzas-Tänzerinnen, die nach Äquatorialguinea reisten, laut eigenen Angaben bereits vor ihrer Abreise von Verwandten und Bekannten Geschichten über Äquatorialguinea gehört. Inwiefern beeinflussten die genannten Geschichten die Wahrnehmung und die Handlungen der OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen der Coros y DanzasReisen sowie diejenigen ihres Publikums? Zunächst inszenierten sie den Topos des going native und forcierten damit Ängste bezüglich der Existenz ‚vertropter‘ SpanierInnen, die mit Hilfe spanischer Importe wie den Coros y Danzas auf den rechten Weg zurückgeführt werden mussten. In Masolivers Erzählung werden nicht nur ein ‚Sich-Gehen-Lassen‘ spanischer SiedlerInnen (mangelnde Körperhygiene, Alkoholismus, Völlerei) und ihr sexueller Kontakt mit Kolonialisierten portraitiert, sondern auch ihr emotionales Abstumpfen und das Verrohen ihrer Umgangsformen. In Efún vermag jedoch eine modellhafte spanische Frau – so rein, fröhlich und ausdauernd, wie es die Coros y Danzas-Tänzerinnen hätten sein sollen – bei einem Mann den ‚Vertropungs‘-Prozess vorübergehend aufzuhalten: „Isart wird sich des verängstigten Verhaltens von Ana bewusst. Er macht ihr Angst mit seinen Gewalttätigkeiten, ohne Zweifel. Diese Furcht seiner Begleiterin stört ihn und er ärgert sich über sich selbst, dass er seine Impulse nicht zu zügeln vermochte. Guinea hat ihn in diesen zehn Jahren in einen Grobian verwandelt. Dessen wird er sich zum ersten Mal bewusst.“92
91 Vgl. Amills Bibiloni, Roser: Última entrevista a Liberata Masoliver, novel-lista, in: En Busca del Fuego: http://roser.bitacoras.com/archivos/2009/09/30/ultima-entrevistaa-liberata-masoliver-novel-lista vom 23.08.2012. 92 „Isart se da cuenta de la actitud miedosa de Ana. Le inspira miedo con sus violencias, sin duda. Ese temor de su compañera le resulta molesto y se enfada consigo mismo por no haber sabido frenar sus impulsos. La Guinea lo ha convertido en un bruto durante estos diez años. Se da cuenta por primera vez.“ Masoliver, Efún, S. 109. Vgl. zu den Afrika-Abenteuerromanen von Masoliver auch: Stehrenberger, Cécile Stephanie: Manifestaciones (a-)típicas del discurso colonial franquista en las novelas de aventura africana de Liberata Masoliver, in: Iberoromania 73-74, 1 (2012), S. 61-75.
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Auch die weiblichen Hauptfiguren von Masolivers Romanen verändern sich in der Kolonie. Sie genießen nicht nur ihr „massa“-Dasein, sprich das Beherrschen ihrer guineischen Bediensteten, sondern lehnen sich zumindest temporär gegen ihr Frauenschicksal auf und finden „freedom in empire.“93 Ana, die Hauptfigur aus Efún, begibt sich nach dem Tod ihrer Ziehmutter nach Äquatorialguinea, um ihren Verlobten Juan zu heiraten, mit dem sie jahrelang nur in Briefkontakt gestanden hatte. Als sie sich in der Kolonie mit den Resultaten von Juans going native konfrontiert sieht, das heißt mit mehreren Kindern, die er mit der Guineerin Obama gezeugt hatte, entscheidet sie kurzerhand, die Verlobung aufzulösen. Mehr noch als die sexuelle Transgression schockiert Ana die Verantwortungslosigkeit und Gefühlskälte des Mannes, der sich um seine Kinder nicht im Geringsten kümmert. Ana wartet bis Juan, der sich auf einer Expedition befindet, nach Bata zurückkehrt, um ihm die Botschaft zu übermitteln. In der Zwischenzeit erlebt sie zusammen mit dem Arzt Carlos Isart eine Reihe von Abenteuern und avanciert gar zur „Jungle Nurse“94. Bereits in Efún tritt als Nebenfigur Clara auf, die in der Abwesenheit ihres Ehemanns ihre Röcke gegen einen Overall („mono“) tauscht und die Leitung der gemeinsamen Plantage übernimmt. Die Geschichte von Clara stellt den Hauptplot von La mujer del Colonial dar. Es kann aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades von Masolivers Romanen nicht ausgeschlossen werden, dass diejenigen Coros y Danzas-Tänzerinnen, die während ihrer Äquatorialguineareisen die Freiheiten genossen, die ihnen die Kräfteverhältnisse in einer kolonialen Gesellschaft eröffneten, in diesem Genuss und in ihrer nachfolgenden Selbstwahrnehmung als Abenteurerinnen von Masoliver-Geschichten beeinflusst waren. Des Weiteren ist sowohl in Efún als auch in La mujer del colonial der Topos der schwarzen Frau, die vor dem schwarzen Mann gerettet werden muss, vertreten. Retten kann sie bei Masoliver nicht nur der weiße Mann, sondern auch die weiße Frau. Wie in Kapitel 3.4 erläutert, führte dieses Motiv auch die Sección Femenina auf den Plan, um ihren Einsatz in Äquatorialguinea zu begründen. Ob die Darstellungen in Efún hierbei inspirierend wirkten? Dort heißt es z.B.: „Jede Frau trägt ihr schweres Bündel an der Seite. Einige Ehemänner, frei von Lasten, überwachen sie und zeigen ihre nackten Oberkörper, aufgerichtet, glänzend. Ana betrachtet das unverständliche Spektakel sehr überrascht. ‚Das schreit geradezu nach der Rückkehr zum Matriarchat!‘ Isart lächelt angesichts ihrer Empörung. Er ist schon daran gewöhnt, dies zu
93 McClintock, Imperial Leather, S. 15. 94 Zur Rolle von europäischen und amerikanischen Krankenschwestern in der kolonialen Medizin und in literarischen Texten vgl. Nestel, (Ad)ministering Angels.
290 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE sehen. In Guinea behandelt der Mann die Frau schlechter als seine Ziegen oder seine Hunde. Er zwingt sie dazu, im Haushalt und auf dem Feld zu arbeiten, und füllt sie mit Kindern.“95
Ana und Isart retten im Verlauf der Geschichte das Leben von Enfumí, der Ehefrau von Isarts Bedienstetem Esono. Dieser hatte Enfumí trotz mehrerer schwieriger Geburten erneut geschwängert und sie, als die Wehen einsetzten, im Stich gelassen. Clara wiederum erschießt die Schlange, die ihre weibliche Hausangestellte bedroht, und bewahrt sie vor einer Heirat mit einem Guineer. Denn dieser besitzt trotz seiner spanischen Erziehung „keine Moral“ und lebt polygam. Dort, wo guineische Frauen die in der zitierten Passage aufgelisteten Tätigkeiten statt für guineische Männer für spanische Männer und Frauen ausüben, wird dies freilich nicht problematisiert. Die Herrscherinnen in dem Matriarchat, das sich Ana wohl primär für sich selbst herbeisehnte, hätten wohl nicht guineisch sein sollen. Neben zahlreichen anderen stereotypen Afrikabildern transportierten die oben aufgeführten Geschichten auch das Topoi-Cluster Tanz/Kannibalismus/Hypersexualität/übernatürliche Stärke/Kriegertum, das, wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, auch in den wissenschaftlichen Studien des IDEA anzutreffen ist. Beispielsweise kommentiert im Hermic-Film Misiones de Guinea aus dem Jahr 1946 die voice-over-Stimme eine Tanzszene wie folgt: „Wenn man durch die Siedlungen geht, ist es leicht, baleles indígenas beizuwohnen, die häufig extravagante Ansichten und absurden Aberglauben ausdrücken.“96 In Masolivers Efún sind beinahe alle Topoi aus diesem Cluster in ein und derselben Passage verwoben: „Sie beginnen erneut mit gespreizten Beinen auf den Boden zu schlagen und dieses Schlagen hört nicht auf. Schwitzend und keuchend wechseln sie sich immer wieder ab. Ana begreift nicht, wie sie so viel aushalten können. [...] Der ‚nku‘ endet und es beginnt der ‚nbang-nsogo‘, der Tanz der Brüste. [...] Dieser Tanz erscheint Ana als das lebendige Bild der Wollust mit den kreisenden Bewegungen, die immer die Brüste hervorheben. Sie wagt
95 „Cada mujer tiene su pesado bulto al lado. Algunos maridos, libres de toda carga, las vigilan, mostrando sus torsos desnudos, erectos, brillantes. Ana mira el incomprensible espectáculo muy sorprendida. ,¡Eso pide a gritos la vuelta al matriarcado!‘ Isart sonríe ante su indignación. El está ya acostumbrado a verlo. El marido, en la Guinea, trata a la mujer peor que a sus cabras o a sus perros. La hace trabajar en el hogar, en el cultivo de la tierra, y la llena de hijos.“ Masoliver, Efún, S. 121. 96 „Yendo por los poblados es fácil presenciar los baleles indígenas, que expresan mucha veces creencias extravagantes y absurdas supersticiones.“ Misiones de Guinea.
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es nicht, ihren Begleiter anzusehen. [...] Wie viele morenos! [...] So viele nativos auf einem Haufen, sie stinken. Ebita stinkt am schlimmsten, darum ist er wohl der jefe. Ana wagt es nicht, tief einzuatmen, weil sie Angst hat, dass ihr schwindelig werden könnte. [...] Sie entfernt sich so weit wie möglich von Ebita. Ihre linke Schulter hat mehrere Male die Schläfe von Isart gestreift [...]. Huch, ein heftiger Schlag mit den Handflächen auf die Haut der Trommeln bringt zwölf indígenas auf die Tanzfläche, bereit, den jahrtausendealten Tanz des Malaní vorzuführen. Es ist, als ob sie in eine Schlacht ziehen würden. Sie beginnen heftig, die Trommeln zu schlagen und die Tänzer stürzen sich in den vermeintlichen Angriff, wutentbrannt die Augen, wild, unerbittlich. Die Spitzen ihrer bedrohlichen Lanzen glänzen im Fackelschein. Als Ana sie wie besessen schreien sieht, neigt sie sich zu ihrem Begleiter. Isart fühlt ihren rasenden Herzschlag [...]. Als dieser frenetische Wahnsinn vorbei ist, dreht Ana den Kopf und betrachtet beinahe erschrocken die anderen morenos.“97
Das in Danzas de España en el trópico in der balele-Tanz-Szene zu sehende Verhalten der Coros y Danzas-Tänzerinnen während ihrer Begegnungen mit GuineerInnen ähnelt frappant demjenigen von Ana im obigen Abschnitt. Wie Ana weichen sie vor GuineerInnen – besonders vor dem jefe de tribu – und vor den Lanzen zurück. Wie Ana weichen sie zu einer anderen Person hin (zu den in-
97 „Vuelen a golpear el suelo con las piernas abiertas y ese golpeteo no termina nunca. Sudorosas, jadeantes, se turnan una y otra vez. Ana no comprende cómo pueden aguantar tanto. [...] Termina el ,nku‘ y empieza el ,nbang-nsogo‘, la danza de los pechos. [...] Esa danza le parece a Ana la viva imagen de la lujuria con los movimientos circulares, siempre en aumento de los senos. No osa mirar a su compañero. [...] ¡Cuántos morenos! […] Tantos nativos hacinados, huelen mal. Ebita huele peor, que por esto es el jefe. Ana no se atreve a respirar fuerte por miedo de marearse. […] Se aparta todo lo posible de Ebita. Su hombro izquierdo ha rozado varias veces la sien de Isart. [...] ¡Vaya! Un vivo golpeteo con la palmas de las manos sobre la piel de los tambores, lanza a la pista a doce indígenas dispuestos a bailar la milenaria danza del Malaní. Es como si se dirigieran a un combate. [...] Se ponen a redoblar los tambores violentamente y los bailarines se lanzan a un supuesto ataque, encendidos de rabia los ojos, feroces, implacables. Las puntas de sus amenazadoras lanzas brillan bajo la luz de las antorchas. Al verlos avanzar gritando como posesos, Ana se inclina sobre su compañero. Isart siente los desordenados latidos de su corazón. […] Cuando esta locura frenética se apaga, a Ana le da vueltas la cabeza y mira casi asustada a los otros morenos.“ Masoliver, Efún, S. 213ff. Eine ganz ähnliche Szene – inklusive dem Anlehnen der verängstigten Frau an ihren männlichen Begleiter – ist auch in La mujer del colonial zu finden. Vgl. Masoliver, Mujer del colonial, S. 80f.
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strumentistas und spanischen Offizieren hinter ihnen, aber auch zueinander). Die Mimik der Coros y Danzas-Tänzerinnen könnte als Ausdruck von Ekel und Angst interpretiert werden. Dass die Tänzerinnen wenn nicht Angst, dann doch „Beklommenheit“ angesichts einer großen Masse von GuineerInnen – „so vielen nativos auf einem Haufen“ – empfanden, berichtete auch Enrich Auliach in ihrem informe de viaje (vgl. Kapitel 5.4). Interessant am zitierten Abschnitt ist auch, dass Isart im Anschluss an das Spektakel versucht, Ana gegen ihren Willen zu küssen. Die Frau beschimpft ihn als „bestia“ und wirft ihm vor, dass ihm die „kecken Tänze der nativas zu Kopf gestiegen“98 seien. Die Hypersexualität der Kolonialisierten weckt in Efún nicht nur ein Begehren der KolonialherrInnen für die GuineerInnen, sondern lässt jene selbst – sozusagen in einer umgekehrten Mimikry – hypersexuell werden und die Kontrolle über ihre „Triebe“ verlieren. Hatten die TeilnehmerInnen und das Publikum des Coros y Danzas-balele-Spektakels Angst, dass ihnen Ähnliches widerfahren könnte? Bemerkenswert ist ferner, dass die Autorin, wohl um die Leserschaft mit Ana mitfühlen zu lassen, auch in ihren Schreibstil eine Art beschleunigten Rhythmus integriert und den Text mit vielen „exotischen“ Wörtern angereichert hat. Schließlich sei bemerkt, dass das in der obigen Passage fehlende Kannibalismus-Element an einer anderen Stelle im Roman durchaus auftaucht. Ganz ähnlich wie der IDEAWissenschaftler Moreno Moreno werden Isart und Ana mit einem schaurigen Leichenfund konfrontiert. Der Kadaver wird – wie in Moreno Morenos Studie – als Opfer eines kannibalistischen Akts, begangen durch Anhänger des MbuetiKultes, identifiziert, die Schuldigen werden gefunden und bestraft. Auch in La selva humillada, dem vielleicht meistgelesenen ÄquatorialguineaAbenteuerroman aus der Franco-Zeit, fehlen weder die hypersexuelle „BronzeVenus“, der balele noch der Kannibalismus. Bei seiner Suche nach einer Erklärung für die „barbarischen“ Taten der GuineerInnen wird Bartolomé Soler in einem weiteren, bereits im vorangegangen Kapitel behandelten kolonialen Topos fündig, und zwar demjenigen der Emotionslosigkeit der Kolonialisierten: „Kannibalismus, Kindsmorde und Muttermorde, Inzest und Polygamie, Fetischismus und Zauberei, Tätowierungen, barbarische Verstümmelungen, Menschenopfer... Alles erscheint mir logisch und möglich vor dem Hintergrund dieser Ungerührtheit ohne Puls und ohne
98 „Se te han subido a la cabeza las desenvueltas danzas de las nativas.“ Masoliver, Efún, S. 216.
V OR -
UND
P ARALLELGESCHICHTEN
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Seele, angesichts dieses Verhaltens, in dem sie mir wie in Fleisch verpackte Skelette vorkommen [...].“ 99
Was beeindruckte die OrganisatorInnen der Coros y Danzas wohl mehr, die Aussagen gewisser IDEA-Wissenschaftler, wonach die äquatorialguineischen indígenas durchaus vernunft- und emotionsbegabt seien und sich hispanisieren und emotionspolitisch regieren lassen würden, oder Solers Schilderungen, die Gegenteiliges nahelegten? Es ist anzunehmen, dass die Sección Femenina-Beamtinnen grundsätzlich davon ausgingen, dass ihre Mission durchaus gewisse Erfolgschancen haben könnte, sprich, dass sich GuineerInnen hispanisieren lassen würden und dass die Coros y Danzas-Auftritte sie affizieren könnten. Ich meine aber, dass der Topos der emotionslosen, zu ewigem Kannibalismus verdammten indígenas wohl doch gelegentlich Zweifel an der Wirksamkeit der Auftritte der Folkloregruppen und Unsicherheiten in den mandos zu provozieren vermochte. Ich vermute, dass auch unter den spanischen SiedlerInnen in Äquatorialguinea viele an die von Soler rezitierten Stereotype glaubten und daher möglicherweise den Sinn der Besuche der Coros y Danzas in guineischen Bildungsinstitutionen hinterfragten. Waren dies die von Centauro erwähnten Kritiker der Auftritte? Zu Zweifeln und Unsicherheit bezüglich der Wirkung der Folkloregruppen auf die guineische Bevölkerung dürfte ferner ein weiteres Stereotyp beigetragen haben. Wie die IDEA-Wissenschaftler stellten auch Bartolomé Soler und Liberata Masoliver die indígenas als für die SpanierInnen unergründliche Wesen dar, von denen man nie wissen konnte, was sie im Schilde führten, dachten oder fühlten. In Efún ist über Isarts Anstrengungen, die GuineerInnen zu durchschauen, Folgendes zu lesen: „Er hat viele der Mysterien dieses unheimlichen Landes entziffert, und obschon ihm noch viele weitere zu entziffern übrigbleiben, überraschen ihn die aborígenes in ihrem Verhalten nicht mehr. Manchmal vermag er sogar ihre Taten vorherzusagen und ihre primitiven
99 „Canibalismo, infanticidios y matricidios, incestos y poligamia, fetichismo y hechicería, tatuajes, bárbaras mutilaciones, sacrificios humanos ... Todo me parece lógico y posible a través de ese estatismo sin pulso y sin alma, a través de esa actitud en que me aparecen como esqueletos embutidos de carne […].“ Soler, Selva humillada, S. 57.
294 | F RANCOS T ÄNZERINNEN AUF A USLANDSTOURNEE und simplen Reaktionen vorauszusehen. Er hat zehn Jahre damit verbracht, sie zu studieren. Nur Obama kann er nicht durchschauen.“100
Wenn die Gedanken und Taten der indígenas unergründlich blieben, wie konnte dann der Erfolg der Coros y Danzas-Mission wirklich evaluiert werden? Ich habe in Kapitel 3.4 einen Zeitungsartikel angeführt, der derartige Zweifel explizit machte. „Was mochten wohl in diesen hombres de color [...] die superzivilisierten und gehaltvollen Klänge der Melodien unseres Landes hervorgerufen haben? Niemand kann es wissen [...]“101, war darin zu lesen. Der Topos der Unergründlichkeit gehört gewissermaßen zum Topoi-Cluster um die tanzenden, hypersexuellen, kriegerischen Kannibalen. War doch unergründlich, was den Tänzern ihre schier übernatürliche Ausdauer verlieh, ebenso wie ernst die kriegerische Gestik während dem balele gemeint war. Ihre Unergründlichkeit war ein zentraler Faktor, der dafür sorgte, dass die Kolonialisierten aus diesem Topoi-Cluster als gefährliche Wesen hervorgingen. Meine These ist, dass die Begegnungen mit GuineerInnen den Tänzerinnen deswegen Unbehagen bereiteten und sie zurück- und zueinander wichen, nicht lächelten und schlecht tanzten, weil ihnen indígenas unheimlich waren. Damit meine ich, dass sie die Kolonialisierten bereits als gefährliche Fremde erkannten. Denn, um Ahmed zu zitieren: „The stranger is not simply the one we have not yet encountered, but the one we have already encountered, or faced. The stranger comes to be faced as a form of recognition: we recognize somebody as a stranger, rather than simply failing to recognize them.“102 Das spanische Publikum der Berichterstattung über die Äquatorialguineareisen kannte die oben aufgeführten Topoi-Cluster ebenso wie die Tänzerinnen. Deswegen dürften ihm die Unternehmung der Folkloregruppen, die sich in derartige Gefahren begaben, besonders abenteuerlich erschienen sein – eine Einschätzung, die sich die Tänzerinnen wiederum zu eigen machten.
100 „Ha descifrado muchos misterios de este inquietante país, y aunque le queden otros tantos por descifrar los aborígenes ya no le asombran con su manera de obrar. Incluso puede, a veces, predecir sus actos y prever sus primitivas y sencillas reacciones. Ha pasado diez años estudiándolos. Sólo Obama escapa a su penetración.“ Masoliver, Efún, S. 72. 101 „¿Qué cosas sugerirían a esos hombres de color […] los sones supercivilizados y enjundiosos de los aires de nuestra tierra? Nadie puede saberlo.“ F.A., Alegrías de Cádiz en la Guinea española, Ayer, 18.07.1957. AGA, (03)051.023 LEG 52 TOP 23/27.704-28.302 GR7 No1. 102 Ahmed, Strange Encounters, S. 21.
Nachgeschichten
Im vorangegangenen Kapitel dieser Arbeit habe ich begonnen, den Untersuchungsraum der Geschichte der Coros y Danzas-Reisen auszudehnen und Geschichten behandelt, die sich vor den Auftritten der Folkloregruppen und parallel zu ihnen abspielten. Im Folgenden möchte ich nun zwei Nachgeschichten jener Auftritte untersuchen, um weitere Hinweise auf die Wirkung der Darbietungen der Folkloregruppen zu sammeln. Die eine Geschichte ereignete sich primär in Äquatorialguinea, die andere in Spanien.
M ARINA A LENE „Die Kameradinnen, welche die Expedition leiteten, machten sich bereits darüber Gedanken, was die Sección Femenina für die mujeres nativas dieser äquatorialen Region tun könnte, aber in diesem Moment konnte keinerlei Arbeit begonnen werden“1, so schrieb Pilar Primo de Rivera im Jahr 1968 in einem Resümee sämtlicher Aktivitäten der Sección Femenina in Äquatorialguinea. Bereits während der ersten Coros y Danzas-Reise nach Äquatorialguinea sollen sich die Beamtinnen also Gedanken über ein längerfristiges kolonialpolitisches Engagement in der Region gemacht haben. Die Coros y Danzas-Auftritte in den Jahren 1954 und 1957 stellten somit den Auftakt zur Kolonialpolitik der Sección Femenina in Äquatorialguinea dar. Die nächsten Schritte folgten sechs Jahre später. Angesichts der drohenden Unabhängigkeit Äquatorialguineas und SpanischSaharas, gelangte das franquistische Regime zur Einsicht, dass zur Aufrechterhaltung der kolonialen Ordnung geschlechterpolitische Maßnahmen notwendig
1
„Las camaradas que iban al mando de la expedición, ya sintieron la inquietud de lo que Sección Femenina podía hacer por las mujeres nativas en aquélla Región Ecuatorial, pero en aquel momento no se pudo comenzar labor alguna.“ AGA, Ca. 251 LEG 2.
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seien. So beauftragte das spanische Außenministerium im Jahr 1962 die Sección Femenina damit, mögliche Interventionen in den Kolonien zu evaluieren.2 Darauf begab sich im Frühjahr 1963 die Beamtin Dolores Bermúdez Cañete auf eine Inspektionsreise nach Fernando Póo und Río Muni. Sie verfasste einen ausführlichen Bericht, in dem sie die „Charakteristika“ der kolonialen Flora und Fauna sowie der nativos und insbesondere der nativas auflistete. Die Kolonialisierten wurden in einem Gesamttableau als weiteres Element der mit einem „unbeteiligten Blick“ beobachteten Natur beschrieben.3 Die Eigenschaften, die Bermúdez den Kolonialisierten zuschrieb, sind dieselben kolonialen Stereotype, die auch in den IDEA-Studien oder den Romanen von Liberata Masoliver erscheinen. Der Rapport der SEU-Leiterin diente wohl als eine Art Ausgangsbasis zur Planung der Sección Femenina-Tätigkeit in Äquatorialguinea von 1963-1968. Primär bestand diese Tätigkeit schließlich in einem intensiven Hispanisierungsprogramm. Sie kann als verzweifelter Versuch interpretiert werden, die guineische Bevölkerung an Spanien zu binden, um die Unabhängigkeit des Landes im letzten Moment zu verhindern. Gleichzeitig ist sie als Strategie, die auf ein neokoloniales Abhängigkeitsverhältnis abzielte, zu verstehen. Ich gehe davon aus, dass sich die politischen Ziele der Sección Femenina auch hier im Verlauf der Zeit wandelten und der letztgenannte Aspekt wichtiger wurde. Die paternalistische Rhetorik der Sección Femenina reproduzierend, umschreibt Suárez Fernández diesen Aspekt folgendermaßen: „[...] eine Unabhängigkeit in Feindschaft würde zu entsetzlichem Ruin und Hunger im Großteil Afrikas führen. Spanien versuchte dies zu verhindern, indem es in den letzten Jahren die ‚Hispanisierung‘ der Territorien mit dem Ziel intensivierte, dass, wenn es zu einer Unabhängigkeit kommen würde, eine vornehmliche Beziehung, eine wahrhafte Verbindung ihrer Industrie, ihrem Handel und ihren Finanzen geknüpft werden könnte.“4
Im Jahr 1964 wurden die ersten Sección Femenina-Beamtinnen unter Leitung von Carmen Obón und Concha Tentor nach Äquatorialguinea gesandt. Wie Nerín i Abad betont, agierten die mandos in der Kolonie in einer komplexen politischen
2
Vgl. Suárez Fernández, Crónica, S. 371.
3
Vgl. Pratt, Imperial Eyes, S. 72.
4
„[…] una independencia en hostilidad acabaría provocando la pavorosa ruina y el hambre de la mayor parte de África. España trató de evitarlo, intensificando en los últimos años la ,hispanización‘ de estos territorios a fin de que, cuando llegara la independencia, pudiera establecerse una relación preferencial, verdadera asociación en su industria, su comercio y sus finanzas.“ Suárez Fernández, Crónica, S. 371.
N ACHGESCHICHTEN
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Konstellation.5 Sie mussten gleichzeitig mit dem Gobernador General, mit spanischen MissionarInnen und mit den Vertretern von lokalen Bürgerräten (Municipios und Consejos de Vecinos) kollaborieren. Letztere wurden zu diesem Zeitpunkt von Guineern geleitet, die in spanischen Eliteschulen wie der Escuela Superior Indígena ausgebildet worden waren und nun zumeist dem Kader des Movimiento Unificado Nacional de Guinea Ecuatorial (MUNGE), einem guineischen Pendant zur spanischen Falange, angehörten. Die Frauensektion der Falange war bestrebt, in der Kolonie dieselben Institutionen und Programme einzurichten, die sie in Spanien unterhielt. Es wurden Haushaltsschulen eröffnet, divulgadoras sanitarias versandt und círculos de juventudes aufgebaut, in denen Sección Femenina-Beamtinnen Kurse in Haushaltsführung, politischer Bildung und educación física erteilten. Die Organisation führte auch in der Kolonie ein Servicio Social-Programm ein und ab 1965 fuhren catédras ambulantes in die abgelegenen Regionen Río Munis. Darüber hinaus wurden von 1964 bis 1968 jedes Jahr bis zu fünfzig guineische Mädchen in Ferienlager nach Spanien geschickt, wo sie zusammen mit spanischen Kindern an den üblichen Freizeitaktivitäten – Gymnastik, Wandern, Beten – teilnahmen, aber auch spezielle „Kulturreisen“, z.B. in das Valle de los Caídos, unternahmen. Die Sección Femenina versuchte eine Art weibliches guineisches Bürgertum zu schaffen, das die „minoría dirigente“ guineischer Mittelsmänner (vgl. Kapitel 3.3) um Mittelsfrauen ergänzen sollte. In den Jahren 1965 und 1966 sandte die Sección Femenina guineische „Stipendiatinnen“ nach Spanien, wo sie in Sección Femenina-Kaderschulen zu Lehrerinnen ausgebildet wurden. 1966 wurden in Santa Isabel und in Bata colegios menores eröffnet. Hierbei handelte es sich um Eliteinternate, die in minutiöser Nachahmung ihrer ‚Mutterinstitutionen‘ in Spanien operierten. Die Schülerinnen hatten im Turnunterricht und im Studium der Schriften von José Antonio als „spanische Werte“ deklarierte Normen wie Pünktlichkeit, „Haltung“ und „Selbstdisziplin“ zu internalisieren. Zudem sollten sie das Sticken und Putzen erlernen. Die Mädchen und jungen Frauen, die in den colegios menores erzogen und als „Stipendiatinnen“ nach Spanien geschickt wurden, waren größtenteils Töchter guineischer Lokalpolitiker und anderer indígenas emancipados. Für deren Ehefrauen veranstaltete die Sección Femenina auch Spezialanlässe, wie Weihnachtsfeiern oder Backwettbewerbe. Die Arbeit der Sección Femenina in Äquatorialguinea gestaltete sich als schwierig. Das war aufgrund eines konstanten Mangels an finanziellen Mitteln der Fall, aber auch wegen der wachsenden antikolonialen Stimmung, die sich gerade unter der guineischen Elite zunehmend ausbreitete. Die in spanischen Insti-
5
Vgl. Nerín i Abad, Sección Femenina, S. 3.
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tutionen ausgebildeten ehemaligen Stipendiatinnen kehrten nach Äquatorialguinea zurück und verlangten, dass die spanischen Beamtinnen ihnen ihre Kompetenzen übergeben sollten. Die spanischen Falangistinnen wandten sich an das neu eröffnete guineische Bildungsministerium, das die guineischen Falangistinnen dazu aufforderte, ihren spanischen Instruktorinnen weiterhin Gehorsam zu leisten. Die Guineerinnen weigerten sich, dies zu tun, und selbst unter den Mädchen in den Internaten ließ sich keine Disziplin mehr herstellen. Als Gegenmaßnahme willigten die spanischen Beamtinnen ein, eine Sección Femenina Nativa zu schaffen, wobei sie allerdings verlangten, diese Kompetenzübergabe zu überwachen. Der Beschluss wurde von der neugewählten guineischen Regierung begrüßt, zumal sie hoffte, dass ein von der spanischen Falange geleiteter Machttransfer der neu zu gründenden Institution weiterhin finanzielle Unterstützung von spanischer Seite sichern würde. Die spanischen Beamtinnen sahen sich allerdings mit einer zunehmend feindlichen Haltung ihrer ehemaligen Schülerinnen und derer Familienangehörigen konfrontiert, so dass sie am 22. Februar 1969 in einem Brief an die Zentralstelle in Madrid um die Erlaubnis baten, unverzüglich alle spanischen mandos aus der ehemaligen Kolonie abzuziehen. Die Zentralstelle widersetzte sich und die Lage der spanischen Beamtinnen wurde unkomfortabel. Sie verbarrikadierten sich nach Drohungen seitens der Juventudes de Marcha con Macías, die das colegio menor in Santa Isabel stürmten, im Quartier der Guardia Civil in Bata und flohen am 7. März zusammen mit einer Reihe spanischer SiedlerInnen nach Spanien. Nach ihrer Rückkehr reduzierte sich der offizielle Einfluss der spanischen Sección Femenina in der ehemaligen Kolonie darauf, dass ihr innerhalb der neokolonialen Entwicklungsabkommen zwischen Spanien und Äquatorialguinea zugestanden wurde, die vom spanischen Staat finanzierten guineischen Haushaltslehrerinnen zu ernennen.6 Die Zeitschrift La Guinea Española berichtete am 10. Oktober 1954 allerdings von einem nachhaltigen Erfolg der allerersten Hispanisierungsaktion, welche die Sección Femenina in Äquatorialguinea durchführte, namentlich von der Wirkung, die der Coros y Danzas-Auftritt aus dem Jahr 1954 in einem MädchenInternat angeblich erzielt hatte: „V. [Vater (p. für padre)] Poveda wollte, dass die Teresiana Einrichtung eine getreue Kopie der großen Teresa de Jesús würde und er hat dies wahrlich erreicht. Ihre Töchter sind ein Abbild dieser glorreichen Heiligen. Die Fröhlichkeit, ein Merkmal der Heiligen Teresa, ist auch eines der Teresianas, genauso wie ihre Liebe zur allerheiligsten Jungfrau. [...] Am Nachmittag gegen 3 kamen die Schülerinnen der Sta. Teresita mit den MM. [madres]
6
Ganze Seite vgl. ebd., S. 3ff.
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concepcionistas [...] sie tragen der Unbefleckten Dialoge, Gedichte, Lieder vor, sogar eine jota an die Jungfrau von Guadalupe, welche die Coros y Danzas ein einziges Mal im colegio der Sta. Teresita sangen und die ihr feines Musikgehör sich angeeignet und in ihr Repertoire aufgenommen hat.“7
Besonders bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass die guineischen Schülerinnen nicht nur die musikalische Darbietung, sondern auch die Fröhlichkeit der Coros y Danzas-Tänzerinnen imitiert haben sollen. Fröhlichkeit, hier als Merkmal der heiligen Teresa bezeichnet, war eine der wichtigsten normativen Emotionen, welche die Coros y Danzas ihrem Publikum vortanzten (vgl. Kapitel 4.2). Die koloniale Hispanisierung-Politik lässt sich mit Homi Bhabha als Strategie der Mimikry begreifen, die darauf abzielte, die Kolonialisierten als Subjekte herzustellen, die den KolonisatorInnen ähnlich, aber doch anders als sie sein sollten. Bermúdez Cañete machte in ihrem Inspektionsbericht die diesbezüglichen Ziele der Sección Femenina explizit: „Die Frau in diesen Territorien wird von uns verlangen, dass wir ihr helfen, sich zur menschlichen Person und zur Frau zu formen und weder zur Spanierin noch zur S.F. de F.E.T.-Angehörigen.“8 Wie weiter oben ausgeführt, kam es auch im kolonialen Äquatorialguinea zu einem Entgleiten von Mimikry, die in ihrem Streben nach Ähnlichkeit und Differenz eine Hybridität produzierte, welche die KolonialherrInnen verunsicherte. Ein Beispiel hierfür war die Art und Weise, in der GuineerInnen europäische Musik in ihrer Adaption transformierten. Auch nach der Unabhängigkeit Äquatorialguineas kam es in der ehemaligen Kolonie zu einer entglittenen Mimikry. Die Terrorherrschaft Francisco Macías Nguemas wies, wie Martin-Márquez bemerkt, eine frappante Ähnlichkeit zu derjenigen Franciso Francos auf. Nur, dass der guineische den
7
„El. P. Poveda quiso que la Institución Teresiana fuese una copia fiel de la gran Teresa de Jesús y a fe que lo logró. Sus hijas son un retrato de aquella gloriosa Santa. La alegría, característica de Sta. Teresa, es lo también de las Teresianas, al igual que su amor a la Virgen Santísima. [...] llegaron por la tarde hacia las 3, las internas de Sta. Teresita con las MM. Concepcionistas [..] pronuncian a la Inmaculada diálogos, poesías, cánticos, hasta una jota a la Virgen de Guadalupe que los Coros y Danzas cantaron una sola vez en el Colegio de Sta. Teresita y que su fino oído musical la cogió y sumó a su repertorio.“ Bedate, Anastasio C.M.F.: „Dos Peregrinaciones en Zaragoza“, in: La Guinea Española, 10.10.1954, S. 21.
8
„La mujer en estos territorios va a exigir de nosotras le ayudemos a formarse como persona humana y como mujer, y no como española ni de la S.F. de F.E.T.“ AGA, Ca. 248, LEG 1.
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spanischen Diktator in seiner Zelebrierung von Brutalität und dem exorbitanten Personenkult, den er installierte, noch übertraf.9 Eine andere Art entgleitender Mimikry zeichnete sich am Vorabend der Unabhängigkeit bei den Mitgliedern der Sección Femenina Nativa ab. Die aus Spanien zurückgekehrten „Stipendiatinnen“, die in den gleichen Institutionen wie die spanischen mandos ausgebildet worden waren, wollten bei ihrer Rückkehr nach Äquatorialguinea auch genau dieselbe Position wie diese, das heißt deren Position einnehmen. In einem Bericht an Pilar Primo de Rivera vom März 1969 beklagte sich Carmen Obón über das Verhalten von Marina Alene. Diese hätte nach ihrer Rückkehr aus Barcelona, wo sie zur Lehrerin ausgebildet worden war, an einer Schule in Bata Haushaltslehre und Sport unterrichten sollen. Die ehemalige „Stipendiatin“ hatte allerdings andere Ambitionen: „Marina ist besessen von Machtgier, sie will Delegada werden und Leiterin des Colegio, sie will unser Haus und das Auto und auch mit uns leben [...] um dies zu erreichen, wird ihr jedes Mittel Recht sein [...]. Sie hat ihre Regierung um die Gründung einer afrikanischen Sección Femenina gebeten, diese akzeptiert ihre Forderung und beauftragt sie [Marina] unter unserer Beratung eine Studie zu verfassen. Sie präsentiert dem Consejo eine Studie, die mit der spanischen identisch ist [...]. Ihr Haus ist der Versammlungsort, an dem Bestrafungszenarien für und Hass gegen Weiße beschlossen werden, ‚das hier muss aufhören und man muss die Köpfe der Weißen einschlagen‘, diese Worte hörten Conchita und Angela bei einem Besuch, den sie um ihretwegen der Sección Femenina machten.“10
Es handelte sich sowohl beim guineischen Diktator Macías Nguema wie auch bei den guineischen Falangistinnen um Fälle eines Entgleitens von Mimikry, die nicht eine verstörende Hybridität produzierten, wie z.B. die „geschmacklosen rancheros“ (vgl. Kapitel 3.3). Es wurde vielmehr ‚zu gut‘ oder ‚das Falsche‘ imitiert. Marina Alene wollte nicht nur die kulturellen, sondern auch die ökonomischen Güter der KolonialherInnen sich zu Eigen(tum) machen. Eine solche Lektüre er-
9
Vgl. Martin-Márquez, Disorientations, S. 299.
10 „Marina se obsesiona con el mando, quiere ser Delegada y Directora del Colegio, quiere nuestra casa y el coche y también vivir con nosotras [...] para conseguirlo utilizará todos los medios […]. Ha pedido a su Gobierno crear una Sección Femenina Africana, aceptan su petición y la encargan bajo nuestro asesoramiento de su estudio. Presenta al Consejo un estudio idéntico al de España […]. Su casa es el lugar de reunión en el cual se deciden situaciones castigos y odios para los blancos, ,hay que acabar y machacar la cabeza de los blancos‘ éstas palabras las oyeron Conchita y Ángela en una visita que le hicieron con relación a la Sección Femenina.“ AGA, Ca. 251, LEG 5.
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scheint mir angezeigt, da in den Worten von James Ferguson gilt: „[...] an anthropological insistence on interpreting gestures of similitude in terms of parody and magic has the effect of obscuring the continuing claims of Africans and others to full membership rights in a world society.“11 Die afrikanische Sección Femenina widmete sich nach der Unabhängigkeit Äquatorialguineas denselben Aktivitäten wie ihre spanische Vorgängerorganisation. Statt vor der Kolonialregierung defilierten die Mitglieder nun vor Macías Nguema und seinen Truppen. Trotz der Loyalität, welche die Mitglieder der Sección Femenina del Partido Unificado Nacional de Trabajadores dem Regime gegenüber bekundeten, waren auch sie den Repressalien des Diktators ausgesetzt. 1975 wurde die afrikanische Sección Femenina schließlich aufgelöst.12 Viele ihrer Mitglieder flohen nach Spanien oder in die Nachbarländer Äquatorialguineas ins Exil. Nach dem Sturz Macías Nguemas kehrten sie zurück und sind seitdem weiterhin in kulturellen und politischen Vereinen engagiert. In Gesprächen mit Nerín i Abad, durchgeführt im Jahr 2006, gaben sich einige der ehemaligen Sección Femenina-Schülerinnen als nach wie vor überzeugte Falangistinnen und betonen den Wohlstand und die Ordnung, die Spanien der Kolonie gebracht habe.13 „The social terrain on which colonial processes of ruination leave their material and mental marks are patterned by the social kinds those political systems produced, by the racial ontologies they called into being, and by the deficiencies and threats associated with them“14, schreibt Stoler. Die „imperialen Trümmer“, die der spanische Kolonialismus in Äquatorialguinea hinterlassen hat, bestehen zunächst in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Herrschaftsstrukturen, die von Spanien institutionalisiert worden sind. Darunter fällt die immense materielle und politische Ungleichheit, die entlang von Differenzkategorien wie Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit verteilt ist und durch ein diktatorisches Regime aufrechterhalten wird: durch ein Regime, das von den USA und Westeuropa – und damit auch von Spanien –, insbesondere seit der Entdeckung von großen Erdöl- und Erdgasvorkommnen massive Unterstützung genießt. Diese ist begründet in neokolonialen Interessen, die der spanische Parlamentspräsident José Bono im Februar 2011 anlässlich seines Besuches in Malabo folgendermaßen umschrieb: „Dieser Besuch dient dazu, die Verbindung zwischen unseren beiden
11 Ferguson, James G.: Of Mimicry and Membership. Africans and the „New World Society“, in: Cultural Anthropology 17, 4 (2002), S. 551-569, hier S. 558. 12 Vgl. Nerín i Abad, Sección Femenina, S. 7. 13 Vgl. ebd., S. 8f. 14 Stoler, Ann Laura: Imperial Debris. Reflections on Ruins and Ruination, in: Cultural Anthropology 23, 2 (2008), S. 191-219, hier S. 204.
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Ländern zu stärken, da wir eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache teilen, weshalb diese soziale Verbindung nötig ist. [...] Es ist notwendig, die ökonomischen und unternehmerischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu intensivieren, denn man kann nicht ignorieren, was uns verbindet, was sehr viel mehr ist als das, was uns trennt.“15 Die Notwendigkeit einer Intensivierung der ökonomischen und kulturellen Beziehungen zwischen Spanien und Äquatorialguinea begründete Bono mit dem Verweis auf die Folgen der Kolonialisierung. Diese Folgen bezeichnete er als „gemeinsame“ Sprache und Kultur und ihre Ursachen als „Verbindung“. Die Kolonialisierung Äquatorialguineas beschrieb er in einer „anti-contest“-Rhetorik als ausgleichenden Austausch (vgl. Kapitel 2.4). Diese Umschreibung erlaubte es ihm, die Kolonialisierung als Argument für die Zementierung eines neokolonialen Abhängigkeitsverhältnisses aufzuführen. Diese Verhältnisse wiederum stellte er, wie in einem Palimpsest, ihrerseits als ausgleichenden Austausch dar. Nicht wenige Menschen, die sich in Teodoro Obiangs Diktatur in politisch einflussreichen Positionen befinden, gehören zu jener Elite, die während der Kolonialzeit in spanischen Kaderschulen ausgebildet wurde und während der Herrschaft von Macías Nguema in das noch immer franquistische Spanien flüchtete. Kontinuitäten zur spanischen Kolonialzeit sind bis heute auch in den Techniken auszumachen, mit denen die Bevölkerung regiert wird. Hierzu gehören Einschüchterung und Gewalt, aber auch Bestrebungen, durch kulturelle und emotionspolitische Strategien eine Bindung der Menschen an den sie regierenden Staat zu schaffen. Interessant sind hier die Bemühungen zur Erfindung einer „guineischen Tradition“. Anfang der 1990er Jahre versuchte eine Gruppe von Frauen um Trinidad Morgades, die heutige Vizerektorin der äquatorialguineischen Nationaluniversität, eine guineische Nationaltracht zu schaffen, die Stoffe, Muster und Accessoirs aller sechs „Völker“ des Landes kombinieren und darüber hinaus mit „nationale Symbolen“ wie dem Ceiba-Baum bestückt sein sollte. Allen Frauen aus der Gruppe war gemein, dass sie als Mädchen in einer Sección FemeninaSchule in Santa Isabel ausgebildet worden waren. In einem Interview mit Alba
15 „Esta vista sirve para reforzar los lazos entre nuestros dos países, ya que compartimos una misma cultura, una misma lengua y es necesaria esta unión social. [...] Es necesario potenciar las relaciones económicas y empresariales entre ambos países porque no se puede ignorar lo que nos une, que es muchísimo más que lo que nos separa.“ EFE: José Bono se réune con el presidente de la Guinea Ecuatorial, Teodoro Obiang, in: El Périodico.com,10.02.2011. http://www.elperiodico.com/es/noticias/internacional/20110210/jose-bono-reune-conpresidente-guinea-ecuatorial-teodoro-obiang/703190.shtml vom 15.10.2012.
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Valenciano erklärte Morgades: „Spanien hat uns kolonialisiert, aber uns auch viele gute Dinge gebracht, die wir nicht vergessen dürfen, wie Werte und Bildung, die uns noch heute gut erscheinen, die wir aber leider im Begriff sind zu verlieren.“16 Die Coros y Danzas-Auftritte in Äquatorialguinea brachten Nachgeschichten mit sich, die sich ihnen direkt zuordnen lassen. Ein Beispiel hierfür sind die Schülerinnen des Santa Teresina-Internates, die eine von den Folkloregruppen vorgetanzte jota imitierten. Vor allem aber stellten die Auftritte den Auftakt zur späteren Kolonialpolitik der Sección Femenina in der Region dar. Mit dieser wiederum lassen sich auch später stattgefundene Geschichten in Verbindung bringen. Dazu gehörten bzw. gehören die Schaffung von Marina Alenes Sección Femenina Africana und ihre weiteren Tätigkeiten, aber auch die Kontinuität kolonialer Praktiken im heutigen Äquatorialguinea durch ehemalige Sección Femenina-Schülerinnen. Die Sección Femenina-Nachgeschichten, die sich seit 1968 in Äquatorialguinea abgespielt haben, sind vor einem größeren Kontext zu interpretieren; und zwar demjenigen von „imperialen Trümmern“, die von neokolonialen Kräfteverhältnissen am Leben erhalten werden. „Imperiale Trümmer“ existieren auch in Spanien. Auf sie und die Geschichten einzugehen, die sie dort seit 1968 beeinflusst haben, ist hier nicht möglich. Vielmehr möchte ich mich im folgenden Unterkapitel mit einer Nachgeschichte auseinandersetzten, die sich in Spanien noch während der Franco-Diktatur in Folge der Coros y Danzas-Äquatorialguineareisen ereignete.
B ICHOS
RAROS
Als ich Nina beim Betrachten einer Fotografie, die sie und Galia in Hosen auf dem Domine posierend zeigt, fragte, ob es Coros y Danzas-Tänzerinnen erlaubt gewesen wäre, auf ihren Reisen Hosen zu tragen, antwortete sie, dass dies strengstens verboten gewesen sei, aber: „Du weißt ja, dort in Guinea.“ Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs erzählte mir die ehemalige Tänzerin, dass sie nach ihren Coros y Danzas-Reisen immer öfter, bei allen möglichen Gelegenheiten auch in der Öffentlichkeit Hosen getragen haben, da sie das Tragen von Röcken je län-
16 „España nos colonizó, pero también nos dio muchas cosas buenas de las que no debemos olvidarnos, como son valores y educación que hoy, todavía, los consideramos buenos pero, desgraciadamente los estamos perdiendo.“ Valenciano, Alba: Vestido, identidad y folklore. La inventación de un vestido nacional de Guinea Ecuatorial, in: Revista de dialectología y tradiciones populares 67, 1 (2012), S. 267-296.
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ger je weniger ausgehalten habe: ja, es eigentlich schon immer nur mit Mühe ertragen hatte. Als ich weiter fragte, ob ihr Hosentragen nicht ‚Gerede‘ verursacht habe, meinte sie, dass dies durchaus der Fall gewesen sei, sie aber nicht im Geringsten gekümmert habe, und sie schon immer ein „komischer Käfer“ („bicho raro“) gewesen sei. Sämtliche ehemaligen Coros y Danzas-Tänzerinnen, mit denen ich gesprochen habe, erzählten mir, dass ihr Leben schon vor den Coros y Danzas-Reisen ein ungewöhnliches gewesen wäre. Unter der Wendung „bicho raro“, die mehrere von ihnen zur Selbstbeschreibung verwendeten, führt der Diccionario de la Real Academia auf: „Person, die aufgrund ihres Verhaltens vom Gewöhnlichen abweicht.“17 Wie bereits weiter oben erwähnt, waren die meisten der Coros y DanzasTänzerinnen, die im Ausland zum Einsatz kamen, Angehörige der spanischen Mittelklasse oder gar der Oberschicht. Viele von ihnen besaßen ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau und waren während ihrer Jugend in außergewöhnlich hohem Ausmaß körperlich aktiv. Das Leben meiner Gesprächspartnerinnen war bereits vor ihren Coros y Danzas-Reisen durch Mobilität geprägt gewesen. Sowohl die Familie von Eva als auch diejenigen von Irina und Galia migrierten mehrfach innerhalb Spaniens. Eva verließ im Alter von sechzehn Jahren ihre Heimatstadt Córdoba, um sich in Madrid zur Turnlehrerin ausbilden zu lassen. Nina wiederum unternahm mit und ohne ihre Eltern mehrere touristische Reisen im In- und Ausland und gehörte laut eigenen Angaben zu den ersten Frauen in Cádiz, die einen Führerschein erwarben. Irina und Nina betonten, wie „offen“, „modern“ und „liberal“ ihre Eltern gewesen seien, die ihnen erlaubt hätten, Aktivitäten nachzugehen, die sich eigentlich für Frauen im franquistischen Spanien nicht ziemten. In mehrerlei Hinsicht war es genau dieses „bichos raros“-Sein, das die Tänzerinnen für ihre Mission besonders qualifizierte. Zunächst erforderte die Erlaubnis, welche die Eltern für die Teilnahme an den Reisen zu geben hatten, von diesen ein gewisses Maß an „Offenheit“, zumal das monatelange Reisen, das Zusammenleben mit fremden Männern und das permanente Exponieren des eigenen Körpers, zu ebenjenen Aktivitäten zählten, die sich für Frauen im franquistischen Spanien nicht gehörten. Ihre soziale Herkunft und ihre Bildung sicherten die guten Manieren und die Konversationsfähigkeit der Tänzerinnen, die auf ihren Reisen im Umgang mit Diplomaten und der jeweiligen lokalen ‚High Society‘ unerlässlich waren.
17 „Persona que se sale de lo común por su comportamiento.“ Real Academia Española: Diccionario de la Lengua Española (DLE). Verfügbar auf: Real Academia Española, http://lema.rae.es/drae vom 18.08.2012.
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Die Biographien der ehemaligen Tänzerinnen weisen auch für die Zeitspanne nach ihren Coros y Danzas-Reisen ungewöhnliche Elemente auf. Keineswegs beschränkten sie sich nach Ende ihrer Coros y Danzas-Karriere darauf, ihrer angeblichen Bestimmung zu Ehe und Mutterschaft nachzukommen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Pepa Guerra. Neben bzw. nach ihrem Engagement bei den Folkloregruppen der Sección Femenina studierte die Tänzerin an der Universidad Complutense in Madrid. Sie gründete ihre eigene, heute noch bekannte Tanzschule und verfasste Folklorestudien, die sogar ins Japanische übersetzt wurden. Sie erhielt zahlreiche Ehrenauszeichnungen – darunter das goldenen Abzeichen der Stadt Málaga – und im Jahr 1993 wurde gar eine Straße nach ihr benannt. Auch meine Gesprächspartnerinnen verloren ebenso wenig ihre Faszination für sportliche wie für intellektuelle Aktivitäten. Sie spielten Tennis, schwammen, lasen und schrieben. Sie fuhren Auto und reisten. Ninas Berichte von ihren ausgedehnten, allein unternommenen Reisen quer durch den Nahen Osten, Asien und das kommunistische Russland nahmen einen äußerst prominenten Platz in ihren Erzählungen ein. Eva wiederum lebte sechs Jahre lang in Westdeutschland. Irina widmete sich in den 1960er Jahren der Politik und war eine der ersten Frauen, die in den Regierungsrat der Provinz Málaga gewählt wurden. Nina verschrieb sich der Kunst und fertigte Fächer an, die auch in Japan und Beirut ausgestellt wurden. Obwohl hochschwanger, stellte Irina ihre Tätigkeit als Grundschullehrerin nicht ein und hörte auch nach ihrer Heirat nicht auf zu tanzen. Weiterhin ging sie mit Coros y Danzas-Gruppen auf Auslandtournee. Sie verstieß damit gegen die Normen der Regiduría de Cultura, die das Alter der ins Ausland reisenden Tänzerinnen auf 28 Jahre beschränkten sowie gegen die inoffizielle Vorschrift, derzufolge eine Heirat das Ende einer Tänzerinnenkarriere zu markieren hatte. Eva gab nach ihrer Hochzeit das Tanzen auf, um es wieder aufzunehmen, nachdem sie sich von ihrem Ehemann getrennt und sich, wie sie sich ausdrückte, „befreit“ hatte. Nina wiederum blieb – „Gott sei Dank“ – Zeit ihres Lebens ledig und bekundete Mitleid mit ihren verheirateten Freundinnen, die von ihren Ehemännern „kontrolliert“ würden. Interessant erscheint mir auch die Vehemenz, mit der die ehemaligen Tänzerinnen mir gegenüber betonten, dass sie „damals“ wie heute sehr „offen“ und „natürlich“ gewesen wären und seien. Sie bezogen sich damit auf ihren Umgang mit Männern und auf die öffentliche Zurschaustellung ihrer eigenen und anderer erotisierter Körper. Im Fall von Eva fand diese Offenheit Ausdruck in ihrer Unterstützung der Modellkarriere ihrer Tochter. Allen von mir befragten Personen war ferner gemein, dass sie von sich aus immer wieder die amouröse Beziehungen, zu denen es im Verlaufe der Coros y Danzas-Reisen gekommen sei, ansprachen. In den Gesprächen mit Nina, Eva und Toni waren auch Körperpflege – gar die
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Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten zur Intimpflege – und Krankheiten wie „Durchfall“ Themen, die ohne mein Nachfragen zur Sprache kamen. Wie meine kurze Übersicht aufzeigt, tanzten die Coros y Danzas-Tänzerinnen auch nach ihren Reisen aus der Reihe und bewegten sich außerhalb der in der franquistischen Gesellschaft gültigen Parameter von Weiblichkeit. Nicht mehr nur durch ihre Mobilität und öffentliche Präsenz glichen sie nun ihren ehemaligen mandos, sondern – zumindest im Falle mehrerer der von mir befragten Frauen – auch mit ihrem Status als ledige, getrennt lebende oder trotz Heirat außerhäuslich tätige Frauen. Durch ihre Partizipation in den Coros y Danzas hatten sie zumindest auf lokaler Ebene Berühmtheit erreicht. Mit ihren Aktivitäten erregten sie Aufmerksamkeit und sorgten für Gerede. Es ist davon auszugehen, dass sie dabei auch weiterhin mit der Sección Femenina assoziiert wurden. Dies trifft insbesondere auf Personen wie Pepa Guerra zu, die von staatlicher Seite Auszeichnungen erhielten und die in den Massenmedien für ihr Werk geehrt wurden, wobei die Sección Femenina als Karrierestation Erwähnung fand. Das Benehmen der ehemaligen Tänzerinnen beeinflusste auf diese Weise weiterhin, wie die Frauensektion der Falange wahrgenommen wurde. Der Umstand, dass sie auch nach ihrer Aktivzeit bei den Folkloregruppen nicht – oder besser noch viel weniger – den Idealen entsprachen, welche die weibliche Falange den typischen spanischen Frauen vorschrieb, war daher problematisch. Er könnte als Fortsetzung des performativen Widerspruches, den bereits ihre Reisen selbst darstellten, interpretiert werden. Ihre Aktivitäten straften die Versicherungen, dass die Tänzerinnen nach ihren Reisen ihren Platz als Mütter und Hausfrauen einnehmen würden, Lügen und trugen zur Unglaubwürdigkeit der Bürgermeister und Priester bei, die diese Aussagen machten. Der Umstand, dass die Tänzerinnen auch nach ihren Reisen „komische Käfer“ blieben oder gar noch komischer wurden, lässt sich zum einen damit begründen, dass sie auch weiterhin einer sozialen Schicht angehörten, die über die nötigen finanziellen Mittel und die Zeit verfügte, um zu reisen, zu konsumieren, sich zu bilden und sich der Politik und Kunst zu widmen. Ihre Klassenzugehörigkeit erlaubte es den Tänzerinnen auch insofern, sich über Geschlechterkonventionen hinwegzusetzen, als sie es sich leisten konnten, sich nur bedingt um einen guten Ruf zu bemühen: Sie mussten weder Kredite aufnehmen noch eine Arbeitsstelle suchen. Zum anderen haben sich just die Erfahrungen, welche die Tänzerinnen auf ihren Reisen machten, in ihre Köpfe und Körper eingeschrieben und ihr ‚Komisch(er)-Werden‘ nach diesen Reisen gefördert. Zunächst machten das Training und der Tanz die Körper der Tänzerinnen noch muskulöser und noch ausdauernder. Damit unterschieden sich ihre Körper optisch von denen anderer Frauen. Die Tänzerinnen machten Körpererfahrungen,
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die den allermeisten Frauen während des Franquismus verwehrt blieben. Auf der Bühne bewegten sie sich auf eine Weise, in der ihre Glieder sich mehr und auf andere Art als gewöhnlich im Raum ausbreiten konnten. Mit Franke betrachte ich tanzende Körper als „Prozessspeicher“18, die Bewegungen speichern und zumindest teilweise in den Alltag übernehmen. Wie Marion Young aufzeigt, machen Frauen üblicherweise kurze Schritte, strecken ihre Körper selten in voller Länge aus und bewegen selten mehrer Körperteile gleichzeitig.19 Die Tänzerinnen dürften sich daher nur schon durch die Art und Weise, wie sie sich in Reproduktion der gespeicherten Tanzbewegungen in ihrem Post-Coros y Danzas-Alltag im Raum ausbreiteten, nicht mehr ‚typisch weiblich‘ bewegt haben. Wie bereits gezeigt, vermag laut Fischer-Lichte das Tanzen die Tanzenden in einen „liminal state“ zu versetzten.20 Auf diese Weise lässt sich möglicherweise das Gefühl erklären, das Eva, wie sie mir erzählte, während des Tanzens befiel: dasjenige, „eine andere Person zu werden“, sich aus sich selbst heraus zu tanzen. Auch diese Tanzerfahrung war eine, welche die Körper der Tänzerinnen nicht vergaßen, wenn die Musik aufhörte zu spielen. Die ihnen gezollte Aufmerksamkeit und Anerkennung nährte ferner ein Selbstbewusstsein, das sie auch nach ihrer Karriere nicht verlieren sollten. Weiter möchte ich argumentieren, dass es die in Kapitel 5 beschriebenen fremden Begegnungen waren, welche die Tänzerinnen merkwürdig werden ließen. Die Erfahrung eines engen Zusammenlebens mit Männern, denen sie nicht zu gehorchen hatten, sondern die vielmehr in gewisser Hinsicht ihnen gehorchen mussten (músicos und Guineer), minderte die Bereitschaft dieser Tänzerinnen, Männern, etwa im Rahmen einer Ehe, so zu gehorchen, wie es dem Ideal der „spanischen Frau“ entsprochen hätte. Dass sich die Tänzerinnen selbst als „offen“ verstanden und verstehen, mag mit der ‚offenen‘ Präsentation des eigenen erotisierten Körpers zusammenhängen. Schließlich gehe ich davon aus, dass die Tänzerinnen im kolonialen Rahmen Freiheiten genossen, die sie nicht vergessen konnten. Sie schnürten das Korsett, dessen sie sich in Äquatorialguinea entledigt hatten, nie wieder richtig zu. Es ist wohl auch kein Zufall, dass neben „bicho raro“ der andere Ausdruck, den die Tänzerinnen wählten, um sich selbst zu beschreiben, „Abenteurerin“ („aventurera“) war. Es scheint, als hätten sie die Attribute, die ihnen die Massenmedien im Rahmen ihrer „Safari“ zuschrieben, verinnerlicht.
18 Franke, Elk: Form der Bewegung – Bewegung als Form. Zum Wissen vom Bewegungswissen, in: Sabine Huschka (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld 2009, S. 117-131, hier S. 127. 19 Vgl. Young, Throwing like a Girl, S. 32 f. 20 Vgl. Fischer-Lichte, On the Threshold, S. 231.
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Nicht nur sich selbst, auch mich bezeichneten die Tänzerinnen während unserer Gespräche als „aventurera“. Sie waren fasziniert davon, dass ich meinen gewohnten Lebensraum in der Schweiz verlassen hatte, um ihren Geschichten hinterherzureisen, und sie in einer Hitze, die ich ertrug, „als wäre ich von hier“, in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache war, befragte. Diese Wahrnehmung meiner Person dürfte dazu beigetragen haben, dass die Befragten mir ausreichend Sympathie entgegenbrachten, um mir bereitwillig ihre Geschichten zu erzählen und vor allem auch Quellenmaterial zu übergeben. Ebenso wie bei den Tänzerinnen war es auch in meinem Fall im Wesentlichen meine soziale Position, namentlich als weiße, in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene, nicht behinderte Schweizerin, die es mir ermöglicht(e), abenteuerlich zu sein. Aus einer anderen Position heraus wäre mein Weg zur Universität, und damit nach Spanien, wesentlich steiniger gewesen.
Schluss
Im Jahr 1939 begannen Beamtinnen der Frauensektion der Falange in sämtlichen Provinzen des Landes die Lieder des „authentischen spanischen Volkes“ zusammenzutragen und Folkloretanzgruppen zu bilden, die das Wiederentdeckte neu beleben sollten. Regionale Bräuche wurden dabei von „Verfälschungen“ und vulgären Elementen ‚gereinigt‘ und als nationale Traditionen erfunden. In jährlich stattfindenden Wettbewerben traten die regionalen Coros y Danzas-Gruppen gegeneinander an und ab 1942 exportierten ausgewählte Gruppen die „authentische spanische Folklore“ ins Ausland. Die wichtigsten Reisen führten kleinere und größere Delegationen nach Westeuropa, in die USA und nach Lateinamerika. In den Jahren 1954 und 1957 suchten in einem colonial encounter die „authentische spanische Folklore“ und mit ihr Modelle spanischer Weiblichkeit und der spanischen Nation Äquatorialguinea heim. Die Auftritte der Folkloregruppen waren ethnographische Spektakel, die im Verlauf der Jahre immer spektakulärer wurden. „Keine Politik, nur Volkskunst“, so wurden die Coros y Danzas in den 1950er Jahren beschrieben. Aufzuzeigen, dass die Tänzerinnen sehr wohl in einer politischen Mission unterwegs waren, herauszuarbeiten, wie sich in dieser Mission franquistische Geschlechter- und Kolonialpolitik verschränkten, und der Frage nachzugehen, inwiefern sie erfolgreich war, das waren die Ziele dieser Studie. Die Darstellung der Folkloregruppen als unpolitisch war eine Voraussetzung dafür, dass sie eine ihrer wichtigsten Aufgaben erfüllen konnten: Die Tänzerinnen sollten in den USA und Westeuropa als ‚Kulturbotschafterinnen‘ Sympathien für Spanien hervorrufen. Dies konnte nur gelingen, solange die Auftritte der Folkloregruppe nicht als politisches Unternehmen wahrgenommen wurden, sondern als „authentische“ Darbietungen „typischer“ Vertreterinnen des „spanischen Volkes“, das von historischen und politischen Veränderungen unberührt geblieben war. Obschon die Tänzerinnen im Ausland als Coros y Danzas de España und nicht etwa als Coros y Danzas de la Sección Femenina de la Falange auftraten, wurden sie dort von linken Gruppierungen, wie den Veteranen der Abraham Lin-
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coln Brigades, als „franquistische Propaganda“ „entlarvt“. Infolgedessen erschienen die Folkloregruppen auch in den ausländischen Presseberichten zu diesen Protesten als Angehörige der Frauensektion der Falange. In den von mir untersuchten Artikeln aus der US-amerikanischen und belgischen Presse hieß es allerdings, dass diese Zugehörigkeit mit der „Kunst“, welche die Folkloregruppen vortrugen, in keinem Zusammenhang stünde. Solche Berichte trugen zu einer Ästhetisierung des Politischen bei, die eines der Basiselemente der franquistischen Regierungskunst ausmachte. Außenpolitisch förderte sie die Akzeptanz des Franco-Staats. In Spanien und seinen Kolonien übte sie eine (an)ästhetisierende Wirkung auf die Bevölkerung aus, die den Konsens schuf, ohne den sich die lange Existenz des franquistischen Regimes nicht erklären lässt. Die Ästhetisierung des Politischen ermöglichte es dem Regime unter anderem, eine Identitätspolitik umzusetzen, die diesen Konsens beförderte. Diese Identitätspolitik zielte darauf ab, in den SpanierInnen und den Kolonialisierten Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien zu erzeugen. Während sich SpanierInnen dabei spanisch fühlen sollten, sollten sich GuineerInnen als „spanisch, nur weniger“ fühlen, weswegen ich in ihrem Fall von einer kolonialen Politik der Mimikry gesprochen habe. Die Coros y Danzas-Auftritte sollten Zugehörigkeitsgefühle einerseits auf eine unmittelbare Art und Weise hervorrufen, indem das Publikum die Verbindung, die es zu den Tänzerinnen aufbaute, auf die Nation, die diese repräsentierten, übertrug. Dabei spielten die immersiven Qualitäten einer immer ausgeklügelteren Kombination von Rhythmus und Bildern eine ebenso entscheidende Rolle wie der direkte Kontakt zwischen Tänzerinnen und Publikum. Andererseits waren die Bühnenauftritte und die Berichte darüber performative Zitate, die Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien als normative Eigenschaften vorführten. Besonders wichtig war es, Gefühle der Zugehörigkeit zu Spanien bei GuineerInnen und bei SpanierInnen hervorzurufen, die Sympathien für die spanische Republik empfunden hatten oder in Äquatorialguinea Gefahr liefen zu ‚vertropen‘. Mit letzterem ist eine Assimilierung der KolonisatorInnen an die Kolonialisierten und deren Kultur gemeint. Menschen, die sich bereits in irgendeiner Art und Weise Spanien zugehörig fühlten, sollen über die Vorführung der zum nationalen Fetisch-Objekt erhobenen „authentischen spanischen Folklore“ die Idee der Nation weiter ‚impassionieren‘. Zu jener Erhebung kam es bereits in den von der Sección Femenina vertriebenen Folklorekatalogen, welche die Verteidigung der nationalen Folklore gegen das antagonistische Außen der Nation lobten. In der Berichterstattung, die den internationalen Triumph der Coros y Danzas feierte, wurde jene Erhebung weiter vorangetrieben. Entscheidend war dabei, dass über die „authentische spanische Folklore“ die Nation, die es zu ‚impassionieren‘ galt, in ihrer ‚korrekten‘ Form als Einheit in der Vielheit erschien.
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Auf diese Weise sollten die Folkloregruppen zu einer Folklorisierung regionaler Differenz und zu ihrer Integration in ein nationales Ganzes beitragen. In SpanierInnen und GuineerInnen Zugehörigkeitsgefühle zu Spanien zu entwickeln, war ein Aspekt ihrer Hispanisierung. Letztere beinhaltete weiter, die Menschen dazu zu bringen, sich mit der ihnen zugewiesenen Position in der Differenzhierarchie zu identifizieren, welche im Franco-Staat die Kategorien von Klasse, „Rasse“ und Geschlecht bildeten. Aus freien Stücken sollten sich Menschen auf diese Weise die gesellschaftlichen Normen, die mit jenen Positionen korrespondierten, aneignen. Die Auftritte der Folkloregruppen sollten eine solche Subjektivierung befördern, indem die Tänzerinnen diese Normen modellhaft vortanzten. Die Hispanisierung der Bevölkerung war nicht das einzige Element ihrer Regierung. Dazu gehörte auch, die Menschen bereits in ihrer Freizeit physisch zu koordinieren und in produktiven Einheiten zusammenzufassen, wie sie sie auch in ihrem Familien- und Arbeitsleben bilden sollten. So versuchte die Sección Femenina „das Volk“ zum Tanzen zu bringen, auf dass es dabei „Konkurrenzgeist“ und „Liebe zur Arbeit“ entwickeln würde. Weiter galt es, die Menschen einzuschüchtern. Die Berichte zu den Coros y Danzas in den Massenmedien führten ihren BetrachterInnen hierzu das Schicksal von Menschen vor Augen, die sich weigerten, sich in die franquistische Gesellschaftsordnung einzugliedern: Gemäß diesen Berichten fühlten sich ExilrepublikanerInnen angesichts der Tänzerinnen wie „Ameisen“ und brachen wie „Kartenhäuser“ in sich zusammen. Weiter wurden die Folkloregruppen auch als Kriegsmaschine inszeniert, die ihre WidersacherInnen – Hunger, Schlaflosigkeit oder DemonstrantInnen – mühelos zu besiegen vermochte. Ein solches Kriegsmaschine-Werden der Folkloregruppen vollzog sich insbesondere dort, wo die Tänzerinnen entweder zusammen mit Soldaten oder gar selbst als solche auftraten, und dort, wo Journalisten und Schriftsteller sie mit Bürgerkriegssoldaten verglichen und als „guerilla“ bezeichneten. Der Umstand, dass die Tänzerinnen zu Kriegsmaschinen wurden, stand nicht nur im Widerspruch zu ihrer Aufgabe, in Westeuropa und den USA als ‚Kulturbotschafterinnen‘ ein liebenswertes Spanien zu repräsentieren. Es ließ sich auch nur schwer mit dem Versuch vereinbaren, in Äquatorialguinea als wohltätige Geste einer wohlwollenden Kolonialmacht aufzutreten. Diese Geste war einerseits an die Kolonialisierten gerichtet, die angesichts einer wachsenden antikolonialen Bewegung ‚befriedet‘ werden mussten. Andererseits sollten die Berichte über diese Geste Kritik an der spanischen Kolonialpolitik verstummen lassen. Fundamental war, dass diese Darstellung auch die Dankbarkeit der Kolonialisierten zum Ausdruck brachte. Begeistert sollen diese applaudiert haben, als die Tänzerinnen die Escuela Superior Indigena oder ein Waisenheim besichtigten. Die Besuche der
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Tänzerinnen wurden an sich als „Geschenk“ dargestellt und dienten gleichzeitig dazu, das ‚große Geschenk‘ der Zivilisation in Szene zu setzen, das Spanien Äquatorialguinea angeblich in Form einer Hispanisierung seiner BewohnerInnen und einer allgemeinen Modernisierung des Landes machte. Diese Modernisierung wurde hervorgehoben, indem die archaischen Tänzerinnen den Fortschritt betonten, den die Flugzeuge, Brücken, Fabriken und Spitäler, die sie besuchten, veranschaulichten. Dabei ging es darum, den vielen spanischen KritikerInnen die Errungenschaften des Kolonialprojekts anzupreisen und weitere Investoren in die Kolonie zu locken. Darüber hinaus versuchte der Gobernador General Faustino Ruíz González auf diese Weise auch der Zentralregierung in Madrid seine Leistungen zu demonstrieren, um seinen Platz an der Spitze der Kolonie zu verteidigen. Die Coros y Danzas tanzten also dem Fortschritt entgegen, indem sie ihn als sein Anderes betonten. Gleichzeitig waren sie Modelle für ein traditionelles Frauenbild und sollten so zur Wiederherstellung jener vorrepublikanischen Geschlechterordnung beitragen, auf der Spaniens ökonomischer Fortschritt basierte. Diese Geschlechterordnung bildete die Grundlage der franquistischen Pronatalitätspolitik, mit der das Regime hoffte, die Konjunktur ankurbeln zu können. Weiter beruhte Spaniens Modernisierung auf der touristischen Öffnung des Landes, die wesentlich für die Entwicklung der spanischen Wirtschaft in den 1950er und 1960er Jahren verantwortlich war. Diese touristische Öffnung basierte auf der Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft in der Gastronomie und auf dem Ausverkauf von Frauenkörpern in der Unterhaltungsindustrie und Prostitution. Wie ich aufgezeigt habe, gilt es die Auftritte der Coros y Danzas auch insofern vor dem Hintergrund der touristischen Öffnung Spaniens zu verstehen, als die Folkloretänzerinnen in Westeuropa und insbesondere in den USA Spanien auch als Urlaubsdestination anpriesen, in der nicht nur Paella, sondern auch exotische Rückständigkeit konsumiert werden konnte. Schließlich wurde in Äquatorialguinea Spaniens Fortschrittlichkeit auch dadurch inszeniert, dass die Tänzerinnen neben balele-Tänzerinnen positioniert wurden. Durch den Vergleich der zwar archaischen, aber doch bekleideten Spanierinnen mit den barbusigen Guineerinnen und ihren „primitiven“ Gegenständen wurde gezeigt, dass selbst das archaische Spanien noch moderner war als Äquatorialguinea. So konnte dem Publikum der Coros y Danzas-Berichterstattung zudem vor Augen geführt werden, dass die Guineerinnen weiterhin mit noch mehr spanischem Geld ‚zivilisiert‘ werden mussten. Um ihre politische Mission erfüllen zu können, traten die Coros y DanzasTänzerinnen auf der Bühne, aber auch bei Banketten und in der Berichterstattung über sie mit einer Reihe von Eigenschaften auf, die dieser Mission dienlich waren: Jede einzelne Coros y Danzas-Gruppe und jede aus mehreren Gruppen bestehende Coros y Danzas-Delegation bildete eine koordinierte, produktive, viel-
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fältige Einheit: eine Tanzmaschine, die so funktionstüchtig war wie die Formationen, welche die SpanierInnen und GuineerInnen mit ihren Familien, an ihren Arbeitsplätzen oder als Staat bilden sollten. In ihrer Vielfalt stellten die Folkloregruppen ein Modell einer Nation dar, in der regionale Differenz sichtbar, aber in eine nationale Einheit integriert sein sollte. Die nationale Einheit von Besiegten und Siegern des Bürgerkrieges, die über die Folkloregruppen demonstriert wurde, sollte den Franco-Staat im Ausland tolerant erscheinen lassen. Den SpanierInnen kommunizierten die Massenmedien jedoch unmissverständlich, dass die erstrebte nationale Einheit in einer Unterordnung der Besiegten unter die Sieger bestand. Weiter sollten sich die Tänzerinnen Spanien zugehörig fühlen und gehorsam, fromm, fröhlich, rein, aufopfernd, mitfühlend, agil und eindeutig weiblich sein. Auch diese Eigenschaften hatte ihr Publikum zu imitieren. Gleichzeitig beförderten diese Charakteristika auch andere Aspekte der Coros y Danzas-Mission. Ihre Agilität verstärkte die einschüchternde Wirkung der Kriegsmaschine, die Weiblichkeit der Tänzerinnen machte sie unpolitischer und qualifizierte sie zusammen mit ihrer Reinheit dafür, als Bewahrerinnen der „authentischen spanischen Folklore“ zu figurieren. Ihre Fröhlichkeit machte sie als Repräsentantinnen einer wohlwollenden Kolonialmacht glaubwürdiger und erhöhte den kommerziellen Erfolg ihrer Show. Letzteres galt auch für die sexyness der Tänzerinnen, die sie wiederum zu verführerischen Repräsentantinnen eines verführerischen Staates machte. Wie ich gezeigt habe, standen die verschiedenen Eigenschaften der Tänzerinnen miteinander in Verbindung. So erschienen die Mitglieder der Folkloregruppen dort als besonders gehorsam, wo sie Befehle fröhlich ausführten. Ihre Reinheit war Teil ihrer Frömmigkeit und machte sie sexy, und ihre Weiblichkeit erleichterte es ihnen mitfühlend zu wirken. In meiner Studie ist deutlich geworden, dass die Missison der Folkloregruppen gelegentlich scheiterte bzw. ihr ein Potential zu scheitern inhärent war. So geht aus den Dokumenten hervor, dass die Sección Femenina-Beamtinnen auf ihrer Feldarbeit mit widerständigen DorfbewohnerInnen und unkooperativen männlichen Autoritätsträgern zu kämpfen hatten und dass die Knappheit der finanziellen Mittel Methoden erforderlich machte, welche die Wissenschaftlichkeit der Studien der Organisation gefährdeten. Die Auftritte der Folkloregruppen wurden von einem Journalisten in London als nicht repräsentativ kritisiert und erschienen letztlich auch der Sección Femenina als zu spektakulär. Je größer und aufwendiger die Auslandstourneen wurden, desto mehr war die falangistische Frauenorganisation auf die Zusammenarbeit mit verschiedensten Akteuren – von Managern über Lokalpolitiker und Journalisten bis hin zum Hotelpersonal – angewiesen. Diese Zusammenarbeit verlief mit
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dem US-amerikanischen Manager Louis Sokol, dem Attaché und Journalisten Miguel Ángel Samaniego und mit Faustino Ruíz González alles andere als reibungslos. Konflikte ergaben sich aber auch entlang der Hierarchie der Sección Femenina selbst. Der Versuch, das Coros y Danzas-Publikum zu hispanisieren, bewirkte zumindest im Fall des spanischen Äquatorialguinea-Siedlers Centauro, bei dem ein Auftritt der Folkloregruppen ein Sich-gitano-Fühlen auslöste, das Gegenteil dessen, worauf das Spektakel eigentlich abgezielt hatte. Auch ist in den Quellen die Rede von „Insulaner[n]“, die „alles [...] veräppeln“ würden, was darauf schließen lässt, dass sich manche GuineerInnen über die Darbietungen lustig machten. Wie auf Fotografien und in Danzas de España en el trópico ersichtlich, nahm das guineische Coros y Danzas-Publikum die wohltätige Geste der wohlwollenden Kolonialmacht Spanien nicht immer dankbar an. Die Bilder zeigen Beamte der Guardia Colonial, die das Publikum der Folkloreshow in Schach hielten. Auf den Gesichtern vieler GuineerInnen war das erwünschte Lächeln nicht auszumachen und Eroberungsgesten, wie das Niederknien einer Guineerin vor einer spanischen Tänzerin, untergruben die Rhetorik des „anti-contest“, welche – wie ich mit Pratt argumentiert habe – die Berichterstattung zu den ÄquatorialguineaAuftritten der Coros y Danzas prägte. Ein Berichterstatter äußerte auch Zweifel, ob anhand der äußeren Reaktionen der GuineerInnen auf deren tatsächliche Gedanken Rückschlüsse gezogen werden konnten. Hinter seiner Aussage steckte ein damals weit verbreitetes Unbehagen, ausgelöst dadurch, dass die Kolonialisierten ihren KolonialherrInnen undurchschaubar erschienen. Darüber hinaus ist einem Bericht der Zeitschrift La Guinea Española zu entnehmen, dass trotz Gratiseintritt viele Plätze im Sportstadion von Santa Isabel leer blieben, als die Folkloregruppen dort auftraten. In Ebano ist zu lesen, dass gar explizit Kritik an den Tänzerinnen vorgebracht wurde. Bezüglich der Bestrebungen, über die Coros y Danzas-Reisen die Modernisierung Äquatorialguineas hervorzuheben, habe ich festgestellt, dass diese Modernisierung in ihrer Inszenierung bisweilen nur wenig glamourös wirkte. Zudem verschmolzen die Tänzerinnen mit den modernen Errungenschaften, die sie hätten betonen sollten und wurden dabei fortschrittsgefährdend unarchaisch. Außerdem wurden die „primitiven“ GuineerInnen und die im Verhältnis zu ihnen doch modernen SpanierInnen in dem Moment, in dem erstere letzteren ihre „primitiven“ Gegenstände übergaben, zu nahe aneinander gerückt, als dass der Unterschied zwischen ihnen noch deutlich genug hervorgetreten wäre. Das Kriegsmaschine-Werden der Coros y Danzas sabotierte nicht nur die Auftritte der Folkloregruppen als RepräsentantInnen einer wohlwollenden Kolonialmacht und eines friedlichen Staates; es gefährdete auch die Weiblichkeit der
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Tänzerinnen. Mit der Rolle des Soldaten wurde auch ein Teil seiner Männlichkeit auf die Tänzerinnen übertragen, die so zu geschlechtlich uneindeutigen KriegERinnen wurden. Ferner habe ich aufgezeigt, dass die Folkloregruppen durch ihre Zugehörigkeit zur Sección Femenina Teil einer radikalen Strömung innerhalb der Falange waren, die auch nach der Zähmung der Partei eine vom franquistischen Staat nicht vollständig territorialisierte Kriegsmaschine bildete, die immer bis zu einem gewissen Grad auch gegen den Staat, dessen Interessen sie eigentlich vertreten sollte, gerichtet blieb. Nicht nur als Soldatinnen schlüpften die Tänzerinnen in eine Männerrolle, sondern auch dann, wenn sie in Paartänzen den männlichen Part übernahmen. Dieses ‚cross-dancing‘ legte, mehr als dass es die Weiblichkeit der Tänzerinnen gefährdet hätte, den performativen Charakter von Geschlecht offen. Nicht immer performten die Tänzerinnen die Eigenschaften, die sie präsentieren sollten, gut. Da bei der Selektion der Tänzerinnen, die im Ausland auftraten, das tänzerische Können bisweilen weniger Gewicht hatte als ihre Attraktivität und die guten Manieren, welche die oft einer sozialen Oberschicht angehörigen Frauen aufweisen konnten, tanzten einzelne Tänzerinnen schlecht und die Gruppen wirkten unkoordiniert. Aufgrund eines Mangels an finanziellen Mitteln ließ bisweilen die Ausstattung in punkto Einheitlichkeit und „Authentizität“ der getragenen Kleider zu wünschen übrigen. Weiter berichten die Quellen von Tänzerinnen, die zumindest einigen Sección Femenina-Beamtinnen auffallend „dicklich“ erschienen, von solchen, deren falangistische Gesinnung nur wenig ausgeprägt war, und von anderen, die ungehorsam wurden. Am gravierendsten dürfte gewesen sein, dass die Tänzerinnen gelegentlich nur wenig archaisch waren und auch in anderer Hinsicht nicht dem traditionellen Frauenbild entsprachen, das sie hätten verkörpern sollen. Die Ursache hierfür ist nicht nur darin zu finden, dass sie mit den modernen Gegenständen, neben denen sie platziert wurden, verschmolzen und in Männerrollen auf der Bühne standen. Ihre Mission verlangte von den Tänzerinnen, dass sie in einer Art und Weise mobil waren, mit fremden Männern zusammenlebten, ihre erotisierten Körper öffentlich zur Schau stellten, eine Stimme im öffentlichen Raum und eine Berühmtheit erlangten, die der „typischen“ Spanierin, die sie repräsentieren und für die sie Modelle hätten sein sollen, nicht zustanden. Eine weitere Ambivalenz ihrer Mission bestand darin, einerseits das Bild eines liebenswerten Staates und einer wohlwollenden Kolonialmacht zu repräsentieren und andererseits einschüchternd zu wirken. Diese sich überschneidenden Ansprüche führten dazu, dass dieselbe Eigenschaft der Tänzerinnen einem Aspekt ihrer Mission dienlich war, während sie einen anderen sabotierte. Die Agilität der Coros y Danzas-Mitglieder beförderte, dass sie ‚leicht‘ und unpolitisch wirkten, und war gleichzeitig eine der Eigenschaften, die sich das Publikum der Folk-
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loregruppen anzueignen hatte. In ihrer Agilität wurden die Tänzerinnen auch als Individuen zu Tanzmaschinen, die in ihrer Ausdauer im Ertragen von Strapazen imitiert werden sollten. Als solche Maschinen wirkten sie aber auch roboterhaft, was die Verbindung, die das Publikum zu ihnen aufbauen sollte, ebenso gefährdete wie die ‚Lebhaftigkeit‘ ihres ethnographischen Spektakels. Die sexyness der Tänzerinnen ließ zwar den Staat, den sie repräsentierten, verführerischer erscheinen. Mit dem Bild der traditionellen spanischen Frau war sie jedoch nicht vereinbar. Gelegentlich wurde aus dem fröhlichen Lächeln der Tänzerinnen ein Auslachen politischer Gegner. Dies erhöhte das Einschüchterungspotential der Folkloregruppen, erschien aber gleichzeitig wenig liebenswert oder wohlwollend. Der Mission der Tänzerinnen war jedoch nicht nur aufgrund ihrer Ambivalenz stets ein Potential inhärent zu scheitern. Auch waren die Technologien und Instrumente, die eingesetzt wurden, um Publikum und Tänzerinnen zu formen, ‚gefährlich‘. Der Versuch, in einem Publikum Emotionen unmittelbar hervorzurufen, läuft stets Gefahr, die falschen Gefühle in der falschen Intensität zu erzeugen. Massenspektakel, wie die Volksfeste, die rund um Coros y Danzas-Auftritte veranstaltet wurden, entziehen sich der totalen Kontrolle ihren OrganisatorInnen, weil sie notwendig einen Exzess beinhalten. Das Erzeugen von Emotionen in einem performativen Prozess ist deswegen ein riskantes Verfahren, weil dabei, wie stets in performativen Prozessen, Aussagen mehr sagen als intendiert ist. In die Leerstellen, welche die différance in solchen Aussagen öffnet, können sich Reste eines vorangegangen Sprechens einschreiben. So habe ich die Tatsache, dass García Serrano die Coros y DanzasTänzerinnen als KriegERinnen darstellte, auch dadurch erklärt, dass in seinen vor Bailando hasta la Cruz del Sur erschienenen Romanen die Protagonisten stets Krieger waren. Die Polysemie performativer Aussagen erfordert, dass Menschen beim Rezitieren der darin vorgeführten Normen zu kreativen Nachahmungen gezwungen sind, die zu ‚Fehlaneignungen‘ führen können. Dies ist insbesondere im Rahmen der kolonialen Strategie der Mimikry der Fall. Wie ich mit Bhabha argumentiert habe, musste diese geradezu zu Entgleitungen führen, da sie auf eine Differenz abzielte: auf die Formation von Kolonialisierten, die ähnlich waren wie ihre KolonisatorInnen, aber nicht gleich. Rhythmus und Tanz, die Instrumente, die in der Coros y Danzas einsetzten, um Menschen zu bewegen, waren deswegen ‚gefährlich‘, weil ihnen ein Potential inhärent war, Tanzende und Publikum aus sich heraus in einen Zustand der Liminalität zu entrücken. Viele der Folkloretänze, welche die Coros y Danzas vorführten, trugen auch nach ihrer ‚Reinigung‘ die Geschichte erotischer Narrative und vulgärer Elemente in sich, was ihre Darbietungen für „wenig delikate Wendungen“ anfällig machte. Auch integrierte die Sección Femenina – unter
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anderem, um auf die Vorlieben eines ausländischen Publikums einzugehen, das von „authentischer spanischer Folklore“ „gipsy-style“-Exotik erwartete – Flamenco-Tänze wie die bulería in ihr Repertoire. Dies dürfte für das Sich-gitano-Fühlen, das Centauro während eines Coros y Danzas-Auftrittes beschlich, mitverantwortlich gewesen sein. Darüber hinaus bestand die Gefahr, dass die Kriegstänze, welche die Coros y Danzas aufführten, ihr Publikum in eine aggressive Stimmung versetzten. Schließlich lief die Coros y Danzas-Mission deswegen stets Gefahr zu scheitern, weil die Tänzerinnen dabei zwangläufig, insbesondere im Rahmen von colonial encoutners, Begegnungen mit fremden Menschen, Tieren und Kräfteverhältnissen machten, deren Ausgang nur bedingt planbar war. Ich habe eine Reihe solcher Begegnungen untersucht und von tropischen Regenschauern berichtetet, welche die Auftritte beeinträchtigten, vom problematisch intimen Kontakt, in den die Tänzerinnen zu fremden Männern traten, und vom politischen Skandal, den dieser Kontakt verursachte. Weiter habe ich aufgezeigt, dass die ‚fremde‘ Art und Weise, in der sich die Tänzerinnen beim ‚cross-dancing‘ begegneten, die Gefahr mit sich brachte, dass die Mitglieder der Folkloregruppen unter Homosexualitätsverdacht geraten konnten. Vor allem hat sich gezeigt, dass die Begegnungen mit GuineerInnen die Tänzerinnen derart verunsicherten, dass sie schlecht tanzten und gerade vor den Menschen, denen gegenüber sie sich als Repräsentantinnen einer wohlwollenden Kolonialmacht hätten gebärden sollen, zurückwichen und mit ihrer Mimik und Körperhaltung weder Fröhlichkeit noch Agilität zum Ausdruck brachten. Die Tänzerinnen gaben so keine guten Rollenmodelle ab und ihre einschüchternde Wirkung reduzierte sich. Darüber hinaus erlebten die Mitglieder der Folkloregruppen in der Kolonie auch Abenteuer ungekannter Art. Wie nie zuvor kamen sie dort in den Genuss, sich ihres Korsetts zu entledigen und zu befehlen. Sie nahmen sich in diesen Kräfteverhältnissen die Freiheit, ungehorsam zu werden und gegen die Verhaltensnormen, die sie modellhaft hätten vorführen sollen, zu verstoßen. Um weitere Hinweise auf den Verlauf und die Wirkung der Coros y DanzasReisen zu sammeln, habe ich eine Reihe von Geschichten untersucht, die sich parallel zu den Tourneen der Folkloregruppen sowie vor und nach ihnen abspielten. Die Tänzerinnen, die OrganisatorInnen ihrer Auftritte und ihr Publikum waren in ihrem Verhalten im Ausland, aber auch in Spanien und in ihrer Wahrnehmung und Reaktion auf das ethnographische Spektakel der Coros y Danzas geleitet von Afrika-Stereotypen und kolonialen Topoi, die in Populärwissenschaft, Literatur und Film zirkulierten. Dies erklärt, warum die OrganisatorInnen der Tourneen der Folkloregruppen davon ausgingen, sie könnten ihr Publikum mit ihrer performance ‚befrieden‘ oder vor dem ‚Vertropen‘ bewahren. Die Bilder wilder, emo-
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tionsloser „Kannibalen“ prägten aber auch die Wahrnehmung von Tänzerinnen, OrganisatorInnen und Publikum. Sie ließen die Tänzerinnen vor ihrem guineischen Publikum zurückweichen und die SpanierInnen an den Erfolgschancen der Coros y Danzas-Mission zweifeln. Rund acht Jahre nach den dortigen Coros y Danzas-Auftritten startete die Sección Femenina ihr Langzeit-Kolonialisierungsprogramm in Äquatorialguinea. Die Erfahrungen, welche die Organisation mit den Coros y Danzas gemacht hatte – gemeint sind hier sowohl die Reisen nach Äquatorialguinea als auch die Feldarbeit zur Rettung der „authentischen spanischen Folklore“ – spielten in dessen Ausformulierung, wie ich argumentiert habe, eine Rolle. Im Wesentlichen bestand jenes Programm darin, die Bemühungen zur Hispanisierung der guineischen Bevölkerung, insbesondere der weiblichen, zu intensivieren. Aus den Dokumenten geht hervor, dass die koloniale Strategie der Mimikry dabei entglitt. Marina Alene und andere Schülerinnen der Sección Femenina wollten den spanischen Beamtinnen nicht nur ähnlich sein, sie wollten auch dieselben Güter und dieselben Kompetenzen wie diese besitzen. Im Jahr 1968, am Vorabend der Unabhängigkeit des Landes, wurde eine Sección Femenina Nativa gegründet und die Beamtinnen der spanischen Falange mussten zurück nach Spanien fliehen. Francisco Macías Nguema, der erste Präsident der unabhängigen Republik Äquatorialguinea, gebärdete sich franquistischer als Franco und die Mitglieder der Sección Femenina Nativa organisierten für die neuen Machthaber noch gewaltigere Jubelparaden, als es ihre ‚Mutterorganisation‘ für die Kolonialregierung getan hatte. Einige dieser Frauen besitzen auch heute, unter dem Diktator Teodoro Obiang, politischen Einfluss und bemühen sich insbesondere in der Bildungspolitik um die Aufrechterhaltung nationalkatholischer Werte. Interessanterweise widmen sie sich auch Projekten zur Erfindung einer guineischen Tradition. Ich habe die Bestrebungen zur Kreation einer Nationaltracht erwähnt. Es könnte hier durchaus von einem Langzeiterfolg des Hispanisierungsprogramms der Sección Femenina gesprochen werden – wenn auch unter anderen Vorzeichen. Zuletzt habe ich davon berichtet, wie sich die Coros y Danzas-Tänzerinnen nach ihren Reisen in Spanien aufführten. Ich bin dabei zum Schluss gekommen, dass viele von ihnen auch weiterhin nicht dem Bild der traditionellen spanischen Frau entsprachen. Die ehemaligen Tänzerinnen blieben „bichos raros“, weil die Erfahrungen, die sie mit den Coros y Danzas gemacht hatten, sie nachhaltig transformiert hatten. Die „komischen Käfer“ verursachten Gerede. In diesem Gerede wurden sie weiterhin mit der Sección Femenina assoziiert, weswegen der Umstand, dass sie offensichtlich nicht dem Modell spanischer Weiblichkeit entsprachen, das die Organisation vertrat, der Glaubwürdigkeit der Frauenorganisation der Falange geschadet haben dürfte.
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Die Frage – würde man sie denn so stellen wollen –, ob die Coros y Danzas in ihrer Mission erfolgreich waren oder nicht, könnte weder eindeutig bejaht noch verneint werden. Die Quellen – und zwar gerade diejenigen, die franquistische AutorInnen produziert haben – belegen Misserfolge, berichten von Schwierigkeiten, Unfällen und Widerstand. Vor allem aber geben sie zu erkennen, dass dem Unternehmen der Folkloregruppen ein großes Potential zu scheitern inhärent war. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht einige der untersuchten (potentiellen) Misserfolge zu einem späteren Zeitpunkt zu Erfolgen wurden. Ein Beispiel: Welchen Effekt hatte das ‚Komisch-Bleiben‘ der ehemaligen Coros y Danzas-Tänzerinnen im Spätfranquismus? Im Spätfranquismus folgte der ökonomischen Entwicklung und der touristischen Öffnung des Landes auch eine gewisse kulturelle Modernisierung. Diese bestand hauptsächlich darin, dass den SpanierInnen ungekannte Konsummöglichkeiten geboten wurden. Sie sollten nun – so propagierten es die Konsumgüterindustrie und so lebten es die Figuren, die in der wachsenden Unterhaltungsindustrie auftauchten, vor – dasselbe trinken und tragen, dasselbe arbeiten, besitzen, hören und sehen wie AmerikanerInnen oder Bikini-Touristinnen. Ohne den Menschen nennenswerte politische Freiheiten zu gewähren, vermochte sich auf diese Weise das franquistische Regime an der Macht zu halten: nicht so sehr, indem es auf Druck von unten reagierte, sondern vielmehr, indem Konsensbildung verhinderte, dass solcher Druck überhaupt erst entstehen konnte. Wie ich bereits in Kapitel 2.2 erwähnt habe, erweiterte auch die Sección Femenina in den 1960er Jahren ihr Erlebnisangebot und verhalf den SpanierInnen zu Konsumfreiheiten und Eigentumsrechten. Waren die modernen, so offenen, so freien „bichos raros“ der Coros y Danazs, ohne dass dies die Sección Femenina so beabsichtigt hätte, im Spätfranquismus Modellfiguren für die neue ideale Spanierin, die sich genau deswegen nicht nach politischen Freiheiten sehnte, weil sie in ihren Konsumfreiheiten aufging? Weiter ließe sich die Frage, ob die in den 1950er Jahre stattgefunden Auslandtourneen der Coros y Danzas in ihrer politischen Mission erfolgreich waren oder nicht, schlicht deswegen nicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten, weil deren Geschichte noch nicht abgeschlossen ist. Dies belegt das Nachleben der Folkloregruppen, das „second life of heritage“, das sie in Youtube-Kommentaren zu NoDo-Dokumentarfilmen und auf der KolonialnostalgikerInnen-Hompage Crónicas de la Guinea Ecuatorial führen. Wie das entanglement, das ich in dieser Arbeit untersucht habe, sich weiter entwickelt, hängt von den Bewegungen der sich darin befindenden Akteure ab. Zu diesen gehören ZeitzeugInnen, das heutige Publikum der Coros y Danzas, aber auch die Leserschaft dieser Studie. Sie alle mögen die kritische Auseinandersetzung mit den Folkloregruppen weiterführen.
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Die Suche nach weiteren Hinweisen zur Beschaffenheit und zur Wirkung der Coros y Danzas-Mission könnte – und zwar insbesondere für eine weiterführende Untersuchung des kolonialpolitischen Aspekts des Unternehmens – eine Studie der Auftritte der Folkloregruppen im kolonialen Marokko und des Programms der Sección Femenina im Ifni-Gebiet beinhalten. Besonders interessant wären Untersuchungen dazu, inwiefern die Tänzerinnen auch hier der Katholisierung ihres Publikums dienen sollten und welche orientalistischen Diskurse in der Berichterstattung zu den Auftritten erkennbar sind. Ferner ließen sich in der Analyse der von mir untersuchten Geschichten auch andere Quellen hinzuziehen. Zu denken ist hier an eine Berücksichtigung ausländischer Presseartikel aus den verschiedenen Ländern, in denen die Coros y Danzas auftraten, an einen stärkeren Einbezug von ZeitzeugInnen-Berichten und an eine eingehendere Untersuchung von Internet-Foren, wie der bereits erwähnten Kolonialnostalgiker-Seite Crónicas de la Guinea Ecuatorial (bioko.net/galeriaFA/) oder der Youtube-Kommentare zu den No-Do-Dokumentarfilmen. Anhand meiner Untersuchung der Coros y Danzas habe ich gezeigt, dass die innen- und außenpolitische Konsolidierung des franquistischen Nationalstaates eine Verschränkung von Kolonial- und Geschlechterpolitik implizierte. Diese Verschränkung gilt es im Rahmen der Aufarbeitung Spaniens kolonialer Vergangenheit und des Franquismus auch anhand anderer Forschungsgegenstände herauszuarbeiten. Sie wäre auch im Bezug auf Nation-Building in anderen geographischen und historischen Kontexten zu untersuchen. Meine Analyse des Einsatzes von Tanz und ethnographischer Spektakel zur außenpolitischen Repräsentations- und Emotionspolitik und in der Regierung der Bevölkerung ließe sich auf andere Untersuchungsfelder übertragen. Schließlich hoffe ich, dass HistorikerInnen auch andere Geschichten als entanglement-Geschichten schreiben werden, als kontingente Verflechtungen an mehreren Orten zu verschiedenen Zeitpunkten stattgefundener Ereignisse – als Rhizom1, in dem die HistorikerInnen und die Kräfteverhältnisse, in denen sie stehen, Teil des Untersuchungsgegenstandes sind.
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Alexandra Klei, Katrin Stoll, Annika Wienert (Hg.) Die Transformation der Lager Annäherungen an die Orte nationalsozialistischer Verbrechen 2011, 318 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1179-3
Michael März Linker Protest nach dem Deutschen Herbst Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des ›starken Staates‹, 1977-1979 2012, 420 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2014-6
Patrick Ostermann, Claudia Müller, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Der Grenzraum als Erinnerungsort Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa 2012, 266 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2066-5
Carola S. Rudnick Die andere Hälfte der Erinnerung Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989 2011, 770 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1773-3
Stefanie Samida (Hg.) Inszenierte Wissenschaft Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert 2011, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1637-8
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