Forschungsfreiheit und Embryonenschutz: Eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen [1 ed.] 9783428498901, 9783428098903


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Forschungsfreiheit und Embryonenschutz: Eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen [1 ed.]
 9783428498901, 9783428098903

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EKATERINI ILIADOU

Forschungsfreiheit und Embryonenschutz

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 799

Forschungsfreiheit und Embryonenschutz Eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen

Von Ekaterini Iliadou

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Diadou, Ekaterini: Forschungsfreiheit und Embryonenschutz : eine verfassungs- und europarechtliche Untersuchung der Forschung an Embryonen / von Ekaterini Iliadou. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 799) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09890-0

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09890-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern, Eleni und Nikolaos

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/1999 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Oktober 1998 abgeschlossen; Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Udo Steiner, der trotz seines viel belasteten Arbeitsprogramms als Richter am Bundesverfassungsgericht immer die Zeit hatte, mir wichtige Hinweise und Anregung zu geben und bedeutende Hilfe zu leisten. An dieser Stelle möchte ich ferner dem zweiten Gutachter meiner Dissertation, Herrn Prof. Dr. Rainer Arnold, für die lehrreichen Diskussionen über die Rechtsfragen des Embryonenschutzes und für seine Anmerkungen danken. Ein besonderer Dank gilt auch meinen Professoren des öffentlichen Rechts an der Aristoteles Universität Thessaloniki in Griechenland, vor allem Herrn Prof. Dr. Wassilios Skouris, Herrn Prof. Dr. Antonis Manitakis und Herrn Prof. Dr. Evangelos Venizelos, die meine Vorliebe für das öffentliche Recht geweckt haben. Ferner möchte ich meiner Schwester Irini, die meine Arbeit mit ihrem fachlichen Wissen wesentlich erleichtert hat, meinen Freunden in Regensburg, die mir als Gesprächspartner beigestanden haben, und vor allem meinen Eltern für ihre psychische Unterstützung während meines Aufenthalts in Deutschland danken. Danken möchte ich auch Herrn Dr. Martin Bauer, Herrn Dr. Thomas Strauss und Herrn Heinz Weidt für ihre Geduld, das Rohmanuskript zu lesen und zu korrigieren. Diese Arbeit ist durch die unentbehrliche finanzielle Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ermöglicht worden, dem ich hierfür herzlich danken möchte. Thessaloniki, im Juli 1999

Ekaterini

Iliadou

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Rechtsfragen der humanmedizinischen Forschung II. Embryonenforschung als Rechtsproblem

19 24

1. Entstehung des Problems

24

2. Sachverhaltsdarstellung und -eingrenzung

30

III. Gang der Untersuchung

34

Erster Teil Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

A. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

36

I. Embryonenforschung bis zum Embryonenschutzgesetz

36

1. Embryonenschutz vor dem Embryonenschutzgesetz

36

2. Entwicklung der Diskussion

39

3. Regelungskonzepte

41

4. Regelungsvorschläge

46

a) Absolute Ablehnung

47

b) Ausnahmsklausel und Genehmigungsvorbehalt

48

5. Strafrechtliche Lösung II. Regelung der Embryonenforschung durch das Embryonenschutzgesetz 1. Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes über Embryonenforschung

48 51 51

a) Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken

51

b) Forschung an vorhandenen menschlichen Embryonen

52

nsverzeichnis c) Forschung mit genetischem Erbmaterial

55

d) Manipulative Versuche an menschlichen Embryonen

56

2. Zusammenfassende Würdigung und Bewertung der gesetzlichen Regelung

57

III. Embryonenschutzgesetz und Grundgesetz

60

B. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

62

I. Forschungsfreiheit als relevantes Grundrecht

62

1. Grundrechtsträger

64

2. Adressaten

66

3. Inhalt

67

II. Rechtsgut „Forschungsfreiheit" 1. Vorgaben für die Bestimmung des Rechtsguts

68 68

a) Freiheitsgewährleistung

68

b) Tatbestand „Forschung"

69

c) Synthese

70

2. Kompetenz für die Bestimmung des Rechtsguts

71

a) Unschlüssigkeit zwischen Definitionsverbot und -gebot für die öffentliche Gewalt

71

b) Erläuterungen zum gesetzgeberischen Definitionsgebot

74

3. Bestimmung des Rechtsguts

76

4. Forschungsfreiheit und Embryonenforschung

79

III. Abwehrrechtliche Funktionsweise der Forschungsfreiheit

79

IV. Grenzen des Abwehranspruchs auf freie Forschung

80

1. Notwendigkeit einer staatlichen Freiheits-„begrenzung"

80

2. Lösungsvorschläge für das Schrankenproblem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte

84

a) Versuche einer Begrenzung des Schutzbereichs

87

aa) Mißbrauchstheorie

88

bb) Normbereichsanalyse

88

cc) Die allgemeinen Gesetze als immanente Grundrechtsgrenze

90

nsverzeichnis b) Kollisionsmodell

7 92

aa) Kollisionslösung durch Abwägung

93

bb) Kollisionslösung nach dem Modell der „situationsbeteiligten Entscheidungsnormen"

95

c) Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung 3. Würdigung und Stellungnahme

96 97

a) Bewertung der engen Tatbestandstheorien

97

b) Bewertung des Kollisionsmodells

99

aa) Allgemeine Einwände

99

bb) Einwände gegen das Abwägungsmodell

100

cc) Einwände gegen das Modell der „situationsbeteiligten Entscheidungsnormen"

101

c) Würdigung der Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung aa) Werteproblematik bb) Verfahrensüberlegungen d) Ergebnis V. Zusammenfassung

C. Embryonenschutz im Bereich der Embryonenforschung I. Embryonenschutz als verfassungsrechtliches Problem

102 103 104 105 106

106 106

1. Orientierung an den Grundrechten

106

2. Neue Herausforderungen für das klassische Grundrechtsverständnis

107

a) Eigenart der humangenetischen Rechtsprobleme

107

b) Risikovorsorge als gesetzgeberische Aufgabe

110

3. Die ontologische Voraussetzung des Embryonenschutzes

112

4. Grundrechtliche Diskussionsgrundlagen des Embryonenschutzes

114

II. Relevanz der Garantie der Menschenwürde für die Embryonenforschung

117

1. Vorgehensweisen für die Bestimmung des Garantiegehalts der Menschenwürde . 118 2. Menschenwürde und Embryonenschutz

119

a) Entkoppelung des Embryonenschutzes von der Garantie der Menschenwürde 119 b) Verknüpfung des Embryonenschutzes mit der Garantie der Menschenwürde 121 aa) Grundsatz

121

bb) Anwendung auf das embryonale Leben

124

cc) Kritik

125

nsverzeichnis c) Stellungnahme

127

aa) Ausgangspunkt

127

bb) Grenzfälle

127

cc) Gefahr einer „Biologisierung" der Garantie

131

dd) Gefahr einer Entpersonalisierung der Garantie

132

3. Anwendung auf die Embryonenforschung III. Embryonenschutz durch den verfassungsrechtlichen Schutz des Lebens 1. Embryonales Leben als Schutzgut des Grundrechts auf Leben

133 135 135

2. Embryonenschutz durch die abwehrrechtliche Dimension des Grundrechts auf Leben 137 a) Grundrechtsberechtigung menschlicher Embryonen

137

aa) Notwendigkeit der Erörterung

137

bb) Problematik der Erörterung

139

cc) Meinungsstand und Stellungnahme

139

dd) Besonderheiten bei den in-vitro befindlichen Embryonen b) Umwandlung der Unterlassungspflicht zum Schutzgebot

143 145

aa) Darstellung

145

bb) Kritik

146

3. Embryonenschutz aus der Schutzpflicht für das Leben

149

a) Die Schutzpflicht für das Leben

149

b) Ableitung der Schutzpflicht für das Leben

151

aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

151

bb) Kritik und Alternativen

153

c) Funktionsweise der Schutzpflicht für das Leben

155

IV. Bisherige Ergebnisse

156

D. Spannungsverhältnis zwischen Forschungsfreiheit und Embryonenschutz

156

I. Kollisionsfrage II. Rolle des Gesetzgebers zwischen Forschungsfreiheit und Embryonenschutz

156 158

1. Grundrechtsbindung

158

2. Einschätzungsprärogative

161

a) Begründung

161

nsverzeichnis b) Einschätzungsprärogative und Embryonenforschung

9 162

aa) Umsetzung von Schutzpflichten

162

bb) Regelung der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung

163

3. Methode der Ausfüllung des gesetzgeberischen Spielraums III. Kollisionslösung

164 167

1. Abwägungsrichtlinien aus der Verfassungsentscheidung für den Lebensschutz .. 167 a) Absoluter Lebensschutz

168

aa) „Heiligkeitsargument"

168

bb) Faktische Argumente und Wesensgehaltsgarantie

168

cc) „Vitale Basis" der Menschenwürde

169

dd) Biologische Gesellschaftsvoraussetzung

169

b) Relativer Lebensschutz

170

aa) Argumente für einen relativen Schutz des Lebens

170

bb) Berücksichtigung der Gegenargumente

172

cc) Ergebnis für den Gesetzgeber

174

2. Abwägungsrichtlinien aus der Verfassungsentscheidung für die Forschungsfreiheit

174

a) Embryonenforschung und Schwangerschaftsunterbrechung

175

b) Forschung als Legitimationsgrund für Ausnahmen vom Lebensschutz

176

3. Bisheriges Ergebnis IV. Grenzen und Kontrollierbarkeit der Grundrechtsgesetzgebung

178 179

1. Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit

179

2. Anwendbarkeit des Obermaßverbots

180

3. Klassische Funktionsweise des Obermaßverbots

182

a) Legitimer Zweck

182

b) Teilaspekte

183

c) Relativität

187

4. Übermaßverbot und Schutzpflichtendogmatik

188

a) Verfassungsrechtlich gebotener Maß an Schutz

188

b) Kontroverse um das Untermaßverbot

189

aa) Kongruenzthese

189

bb) Gegenargumente

191

nsverzeichnis c) Stellungnahme

192

aa) Ausgangspunkt

192

bb) Schutzpflicht und Untermaßverbot

193

cc) Kontrollweite

194

dd) Kontrolldichte

195

5. Anwendung auf das Forschungsverbot des Embryonenschutzgesetzes V. Bisherige Ergebnisse

196 197

Zweiter Teil Europarechtliche Aspekte der Embryonenforschung

A. Embryonenforschung als internationales und europäisches Rechtsproblem

199

B. Embryonenforschung und Recht des Europarats

201

I. Notwendigkeit einer speziellen Regelung der Embryonenforschung

201

1. Biomedizinische Problematik vor dem Europarat

201

2. Vorhandene Menschenrechtsverbürgungen a) Forschungsfreiheit

203 203

b) Embryonenschutz II. Europäisches Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin

204 207

1. Entstehungsgeschichte

207

2. Normative Bedeutung

209

3. Kritische Bemerkungen

212

a) Spezialisierungs- und Regionalisierungstendenz

212

b) Kompromißcharakter

213

c) Lückenhaftigkeit

214

d) Inhaltliche Ambivalenz

214

III. Embryonenforschung im Europäischen Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin 215 IV. Bewertung der Regelungen im Lichte des Grundgesetzes 1. Embryonenschutz a) Materiell-rechtliche Überlegungen

218 219 220

nsverzeichnis

11

b) Systematische Argumente

221

c) Ergebnis

223

2. Forschungsfreiheit V. Zusammenfassendes Ergebnis

C. Embryonenforschung und europäisches Gemeinschaftsrecht I. Biomedizinische Problematik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft

224 225

225 226

1. Biomedizinische Forschung

226

a) Kompetenzgrundlagen

226

b) Anwendung

227

2. Biomedizische Rechtsfragen

228

3. Grundrechtsfragen der Embryonenforschung im geltenden Gemeinschaftsrecht 230 a) Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten aa) Wertende Rechtsvergleichung

233 233

bb) Wissenschaftsfreiheit

234

cc) Embryonenschutz

235

dd) Stellungnahme

237

b) Europäisches Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin als Erkenntnisquelle von allgemeinen Prinzipien des Gemeinschaftsrechts

237

II. Teilnahme der Europäischen Gemeinschaft am Europäischen Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin 239 1. Europarat und Europäische Gemeinschaft

239

2. Voraussetzungen einer Teilnahme

240

a) Handlungskompetenz aa) Vertragsschließungskompetenz

240 240

bb) Kompetenz zum Abschluß von Menschenrechtskonventionen

241

cc) Ergebnis

242

b) Organkompetenz

244

3. Rechtliche Bedeutung

245

III. Zusammenfassendes Ergebnis

247

Thesen

248

Literatur· und Materialienverzeichnis

252

Sachwortregister

293

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

ABl

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

Abs.

Absatz

abw. M.

abweichende Meinung

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a.F.

alte Fassung

Äff.

Affaire

AfP

Archiv für Presserecht

AI

Artifizielle Insemination

AJDA

L'Actualité Juridique - Droit Administratif

AK-GG

Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Reihe Alternativkommentare

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

AMG

Arzneimittelgesetz

Anm.

Anmerkung

Ann.fr.Dr.int.

Annuaire français du Droit international

Antr.

Antrag

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ArchVR

Archiv des Völkerrechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

AT-

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVerf

Verfassung des Freistaates Bayern

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Sammlung der Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs)

Bd.

Band

Beschl.

Beschluß

Beschw.

Beschwerde

betr.

betreffend

BFHE

Entscheidungen des Bundesfinanzhofes

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGE

Schweizerisches Bundesgericht

BGH

Bundesgerichtshof

Abkürzungsverzeichnis BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BioethikL

Lexikon zur Bioethik

BK-GG

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BMFT

Bundesminister für Forschung und Technologie

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BR

Bundesrat

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BSG

Bundessozialgesetz

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT

Bundestag

BT-

Besonderer Teil

BV

Schweizerische Bundesverfassung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CAHBI

Comité ad hoc d'experts sur la Bioéthique

CAHGE

Comité ad hoc d'experts sur les problèmes éthiques et juridiques de la génétique humaine

CCPR

International Convenant on Civil and Political Rights

CDBI

Comité directeur pour la Bioéthique

CDDH

Comité directeur des Droits de l'Homme

CESP

Comité européen de la santé

DABI

Deutsches Ärzteblatt

ders.

derselbe

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

d. h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DMW

Deutsche Medizinische Wochenschrift

DNS

Desoxyribonukleinsäure

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DRB

Deutscher Richterbund

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

Drs.

Drucksache

DVB1

Deutsches Verwaltungsblatt

EAGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft

Ed.

Editor/Éditeur

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EG

Europäische Gemeinschaft

2 Iliadou

13

14

Abkürzungsverzeichnis

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EGKSV EGMR

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/Entscheidungen

Einf.

Einführung

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte

des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention)

EMRÜ-Biomedizin

Europäisches Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin

EP

Europäisches Parlament

Erl.

Erläuterung

ESchG ESLA

Embryonenschutzgesetz Ethische, soziale und gesetzliche Aspekte menschlicher Genomanalyse

ET

Embryotransfer

ETS / STE

European Treaty Series / Série des Traités Européens

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechte - Zeitschrift

EuR

Europarecht

EuRatS

Satzung des Europarats

EUV

Vertag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EvStL

Evangelisches Staatslexikon

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

f. / ff.

folgend / folgende

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - Ehe und Familie im

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote

privaten und öffentlichen Recht

FORUM

Forum du Conseil de l'Europe

FS

Festschrift

FTE

Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration

G

Gericht, Gesetz

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht

GAEIB

Group of Advisers on Ethical Implications of Biotechnology

GenTG GenTR/BioMedR

Gentechnikgesetz Recht der Gentechnik und der Biomedizin - Kommentar und Materialien Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GG GIFT

Gamete intrafallopian tube transfer - intratubarer Gametentransfer

Abkürzungsverzeichnis GS

Gedächtnisschrift

GT

Gametentransfer

GVB1

Gesetz- und Verordnungsblatt

HandkommEUV / EGV

Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union

HbArztR

Handbuch des Arztrechts

HbStR

Handbuch des Staatsrechts

HbVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts

HbWissR

Handbuch des Wissenschaftsrechts

HDSW

Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

HEF

Human Embryo and Foetus

HEFA

Human Fertilisation and Embryology Act

HER

Human Embryo Research

HerrChE

Herrenchiemseer Entwurf

HessLT

Hessischer Landtag

HRG

Hochschulrahmengesetz

H.R.L.J.

Human Rights Law Journal

Hrsg.

Herausgeber

HUG

Hessen - Universitätsgesetz

IBC

International Bioethics Comitee

ICSI

Intracytoplasmatische Spermieninjektion

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

i.e.S.

im engeren Sinne

15

IPbpR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPwskR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

IVF

In-vitro-Fertilisation

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

JbWissEthik

Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

Komm

Kommentar

KOV-AnpG

Kriegsopferversorgung - Anpassungsgesetz

LG

Landgericht

Lief.

Lieferung

2*

Abkürzungsverzeichnis

16 lit.

littera

LK-StGB

Strafgesetzbuch - Leipziger Kommentar

MBO-Ä

Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MedR

Medizinrecht

MJECL

Maastricht Journal of european community law

MLR

Modern Law Review

MMW

Münchner Medizinische Wochenschrift

MPG

Max-Planck-Gesellschaft / Gesetz über Medizinprodukte

MünchKomm-BGB

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

MünchKomm-ZPO

Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung

N.F.

Neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK-StGB

Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OGHSt

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone

ÖR

Öffentliches Recht

in Strafsachen ÖsterVfGH

Österreichischer Verfassungsgerichtshof

PROST

Pronuclear Stage Tubal Transfer

RdJB

Recht der Jungend und des Bildungswesens

RDP

Revue du Droit Public et de la Science Politique en France et à

RDT

Recherche et développement technologique

Req.

Requête

RFDAdm

Revue française de Droit Administratif

RGBl

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

R.I.D.C.

Revue international de Droit comparé

l'étranger

RMC

Revue du Marché Commun et de l'Union Européenne

Rn.

Randnummer

Rs.

Rechtssache

Rspr.

Rechtsprechung

Rz.

Randzahl

S.

Seite, Satz

s.

siehe

SFHÄndG

Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz

SK-StGB

Systematischer Kommentar

Abkürzungsverzeichnis

sig.

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz

sog.

sogenannt

Sp.

Spalte

St.

ständig

StGB

Strafgesetzbuch

StL

Staatslexikon

STOA

Science and Technology Options Assessment Group

StrR

Strafrecht

StrSchV

Strahlenschutzverordnung

sz

17

Süddeutsche Zeitung

Tb.

Teilband

u. a.

und andere

UNESCO

United Nations Educational Scientific and Cultural Organization

UPR

Umwelt und Plannungsrecht

Urt.

Urteil

V.

von, vom

VerfBremen

Verfassung der Freien Hansestadt Bremen

VersR

Versicherungsrecht - Juristische Rundschau für die Individualversicherung

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VR

Verwaltungsrundschau

Vorb.

Vorbemerkung

Vorbem

Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Health Organisation

VVDStRL WHO WissR

Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung

WVÜ

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969

YbECHR

Yearbook of the European Convention on Human Rights

ζ. B.

zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

ZfL

Zeitschrift für Lebensrecht

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZIFT

intratubarer Zygotentransfer

zit.

zitiert

18

ZÖR ZPO ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis

Zeitschrift für öffentliches Recht - Austrian Journal of Public and International Law Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung I. Rechtsfragen der humanmedizinischen Forschung Die humanmedizinische Forschung hat immer schwierige ethische und rechtliche Fragen aufgeworfen, denn „Objekt" dieser Forschung ist der Mensch selbst, der aber zugleich Subjekt einer anthropozentrisch orientierten Rechtsordnung ist. Daher sind solche Vorgänge anders als die Forschung in anderen wissenschaftlichen Gebieten rechtlich zu bewerten und zu regeln. Als traditionelles Problem dieses Bereichs ist die Forschung am lebenden Menschen zu erwähnen. Wenn bereits die medizinische Heilbehandlung ein umstrittenes Problem für die Rechtswissenschaft darstellt1, ist die rechtliche Beurteilung des medizinischen Experimentierens an Menschen noch schwieriger. Die medizinischen Versuche an Menschen können nicht nur als Heilversuche stattfinden, als Eingriffe also, die der Heilung eines bestimmten, an einer Krankheit leidenden Menschen dienen, sondern auch als klinische Experimente, bei denen das wissenschaftliche oder allgemein medizinische Interesse im Vordergrund steht.2 Als Unterscheidungsmerkmal wird das Vorliegen einer medizinischen Indikation betrachtet. 1 Nach der Rechtsprechung ist die ärztliche Heilbehandlung, soweit sie die Integrität des Körpers berührt, ungeachtet ihres Ergebnisses als Körperverletzung (§ 223 StGB) anzusehen; die Rechtfertigung der Tat erfolgt lediglich durch die Einwilligung des Patienten; s. RGSt 25, 375; BGHSt 11, 111; zuletzt s. BGH, Urt. v. 19.1100.1997-3 StR 271/97, NJW 1998, S. 1802 ff. (1803); s. auch BVerfGE 52, 131 (168 ff.); die Einwilligung kann auch eine mutmaßliche sein; RGSt 25, 375 (381 f.); 61, 242 (256); ferner s. Hirsch, in: LK-StGB, Vor § 223, Rn. 3; Lackner, StGB-Komm, § 226 a, Rn. 14; Eser, in: Schönke/Schröder, StGBKomm, § 223, Rn. 29. Der Rechtsprechung zustimmend Jescheck/Weigend, AT-StrR, S. 379; Paeffgen, in: NK-StGB, § 226 a, Rn. 34; Arzt/Weber, BT-StrR 1, Rn. 320 f.; dagegen qualifiziert ein großer Teil der Literatur den ärztlichen Eingriff schon von Anfang an nicht als Körperverletzung, da die gelungene Heilbehandlung den Körperzustand bessert oder bewahrt; Lackner, StGB-Komm, § 223, Rn. 8; Hirsch, in: LK-StGB, Vor § 223, Rn. 3 ff. und § 226 a, Rn. 14; Tröndle, StGB-Komm, § 223, Rn. 9 b; s. auch die Ansätze v. Eser, in: Schönke/ Schröder, StGB-Komm, § 223, Rn. 30 ff.; Horn, in: SK-StGB, § 223, Rn. 33 f. und § 228, Rn. 11 ff. 2 Eine solche Unterscheidung wurde schon in den vom Reichsministerium des Innern erlassenen Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche an Menschen aus dem Jahr 1931 vorgenommen; s. die Richtlinien in: DMW 1931, S. 509; aus der Rechtsprechung s. BGHZ 20, 61 (66); ferner Laufs, in: HbArztR, § 130, Rn. 5 ff.; Laufs, Arztrecht, Rn. 675 ff.; Eser, Art. „Humanexperiment/Heilversuch", in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 503 ff. (503 f.); Jürgens, KritV 1998, S. 34 ff. (34 f.).

Einleitung

20

Obwohl die beiden Kategorien nicht von einander völlig abgetrennt werden können und Grenzfälle nicht selten sind 3 , orientiert sich die rechtliche Beurteilung eines Heilversuchs normalerweise am Vorliegen einer Einwilligung des Patienten.4 Auch das klinische Experiment aber, das aus ethischer und rechtlicher Hinsicht besonders bedenklich erscheint, weil dabei der Eingriff nicht an einen unmittelbaren Heilzweck gebunden ist, kann legitimierbar und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein. Meist beruft man sich hinsichtlich der objektiven Zulässigkeit eines solchen Forschungsvorhabens auf die ärztliche Vertretbarkeit der aus dem Versuch für den Teilnehmer ausgehenden Risiken. 5 Darüber hinaus ist auch in diesem Fall die freie Einwilligung des Probanden notwendig, der eine Aufklärung über die Risiken des Eingriffs vorausgehen muß. 6 Solche Rechtsfragen sind besonders schwierig für die Rechtswissenschaft, weil trotz der großen Bedeutung der medizinischen Experimente an Menschen keine umfassende Regelung dieses Bereichs in Deutschland existiert. Nur Teilbereiche sind durch besondere Rechtsvorschriften geregelt 7, nämlich die Versuche mit Arzneimitteln, für die § § 4 0 ff. des A M G gelten 8 , die experimentielle Anwendung von 3 Das ist der Fall, wenn medizinische Maßnahmen angewandt werden, die einerseits die Behandlung eines Kranken bezwecken, andererseits aber auch einen experimentellen Charakter aufweisen, weil sie unsichere Verfahren anwenden; dazu s. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, § 223, Rn. 50 a. 4 Für die Einwilligung des Patienten als Voraussetzung eines Heilversuchs s. BVerfGE 89, 120 (130); Hirsch, in: LK-StGB, § 226 a, Rn. 47; Deutsch, Forschung, S. 46 ff.; ferner auch Jürgens, KritV 1998, S. 34 ff. (36). 5 Daß hier eine Risiko-Nutzen-Analyse notwendig ist: Lackner, StGB-Komm, § 226 a, Rn. 22; Deutsch, Forschung, S. 43 ff.; Eser, Art. „Humanexperiment/Heilversuch", in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 503 ff. (508). 6 Die Aufklärung muß bei Eingriffen experimentellen Charakters besonders intensiv sein; dazu s. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, § 223, Rn. 50 a; Lackner, StGB-Komm, § 226 a, Rn. 22; Deutsch, Forschung, S. 48 f.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 226 a, Rn. 63; zur Aufklärungspflicht des Arztes s. ferner Horn, in: SK-StGB, § 228, Rn. 12 ff.; Hirsch, in: LKStGB, § 226 a, Rn. 19 ff. 7 Die medizinische Forschung betreffen ferner der Nürnberger Codex von 1947 (abgedruckt in NJW 1949, S. 377), der Art. 7 S. 2 des IPbpR von 1966 und vor allem die Deklaration des Weltärztebundes v. 1964 (Helsinki) in der revidierten Fassung v. 1975 (Tokio), 1983 (Venedig), 1989 (Hongkong) und 1996 (Sommerset West), die trotz ihres deklaratorischen oder empfehlenden Charakters beinahe in der ganzen Welt anerkannt und befolgt wird; s. dazu Deutsch, NJW 1995, 3019 ff. (3024); s. auch die Empfehlung Nr. R(90) 3 des Ministerkomitee des Europarates, abgedruckt in: Conseil de Γ Europe, CDBI/INF (93) 2 Rév., S. 49 ff.; s. ferner auch die Regelung des § 15 Abs. 1 der MBO-Ä 1997, die eine Pflicht des Arztes vorschreibt, sich vor der Durchführung biomedizinischer Forschung am Menschen durch eine bei der Ärztekammer oder bei einer Medizinischen Fakultät gebildeten Ethik-Kommission über die mit seinem Vorhaben gebundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen beraten zu lassen (MBO-Ä 1997, Β III § 15, abgedruckt in: NJW 1997, S. 3076 ff.); kritisch der neuen Regelung gegenüber Laufs, NJW 1997, S. 3071 ff. (3072); vgl. die ähnliche frühere Regelung des § 1 Abs. 4 der MBO von 1988 (abgedruckt in: HbArztR, Anhang zu Kapitel 1, S. 27 ff.); dazu Laufs, in: HbArztR, § 130, Rn. 16 f.; Laufs, Arztrecht, Rn. 685 ff.

s Dazu s. BGHZ 130, 259 (275).

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radioaktiven Substanzen an Menschen, die durch § 41 der Verordnung über den Schutz von Schäden durch ionisierende Strahlen vom 13. Oktober 1976 geregelt wird 9, und die klinische Prüfung von Medizinprodukten gemäß §§17 und 18 des Gesetzes über Medizinprodukte10. Aus der Sicht des Patienten bzw. Probanden ist immer erheblich, wie weit er durch Einwilligung über gewichtige eigene Rechtsgüter verfügen kann. Soweit grundrechtlich geschützte Rechtsgüter in Frage gestellt werden, ist die Problematik hauptsächlich verfassungsrechtlicher Art. Ohne in die Diskussion eintreten zu wollen, ist es hier zu bemerken, daß eine allgemeine Bestimmung der Verfügungsmacht über grundrechtliche Schutzgüter problematisch ist. Es ist daher notwendig, eine fallbezogene Bestimmung der Verfügbarkeitsgrenzen zu unternehmen.11 Auf jeden Fall soll eine Verfügungsmacht nicht dazu führen, den Garantiegehalt grundrechtlicher Wertentscheidungen zu entleeren bzw. in ihren Gegenteil umzukeh12

ren. Der Fortschritt im medizinischen Gebiet während der letzten Jahrzehnte und insbesondere die Entwicklung neuer technologischen Möglichkeiten haben neuartige Handlungsalternativen für die Ärzte eröffnet und ihnen neue Macht erteilt, Einfluß auf Leben und Tod zu nehmen. Es ist deshalb oft die Rede von einem „Paradigmwechsel"13 im Arztberuf, soweit der Mediziner nicht nur Helfer und fördernder Begleiter des menschlichen Schicksals, sondern zugleich „Schöpfer", Herr über Leben und Tod, zu werden scheint14. Eine solche qualitative Änderung ist alles andere als selbstverständlich. Die Frage, ob die Medizin alles tun darf, was sie kann, wurde in der Öffentlichkeit wiederholt und kontrovers diskutiert. Sie stellte sich zunächst als ein Problem der angewandten Ethik 15 und konkreter als ein Problem 9 Strahlenschutzverordung - StrSchV, neu bekannt gemacht i.d.F. v. 30. Juni 1989 (BGBl. I, S. 1321 ff.); § 41 der StrSchV wurde durch die Verordnung zur Einrichtung eines Strahlenschutzregisters v. 3. April 1990, BGBl. I, S. 607 ff., und durch den Art. 8 § 11 des Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetzes - GNG v. 24. Juni 1994, BGBl. I, S. 1416 ff. (1422), geändert. "> Gesetz über Medizinprodukte- MPG v. 2. August 1994, BGBl. I, S. 1963 ff. (1970 f.). π Lerche, in: HbStR, Bd. V, § 122, Rn. 45; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 ff. (536 ff.); Sachs, VerwArch 1985, S. 398 ff. (419 ff.); Pieroth/Schlink, Rn. 135 ff.; Bleckmann, JZ 1988, S. 57 ff. (59). 12 Deshalb ist der Meinung von Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 2 II, Rn. 12 zuzustimmen, wenn er annimmt, daß das Grundrecht auf Leben kein Verfügungsrecht über das eigene Leben miteinschließt; ähnlich Lorenz, in: HbStR, Bd. VI, § 128, Rn. 62. 13 Zur Bedeutung und Rolle der „Paradigmata" für die Wissenschaft und zum Übergang zu einem anderen Paradigma (Paradigmwechsel), s. Kuhn, S. 28 ff., 68 ff., 128 ff. 14 So Laufs, in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 114 ff. (114 f.); zur Rolle des Arztes als Helfer s. Laufs, Art. ,Arztrecht", in: BioethikL, Bd. I, S. 261 ff. (261); vgl. auch § 1 der MBO-Ä 1997 (MBO-Ä 1997, Β I § 1, abgedruckt in: NJW 1997, S. 3076 ff.), nach dem der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung dient und zur Aufgabe hat, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.

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der medizinischen Ethik 1 6 , deren Interessenbereich sich entsprechend des ärztlichen Aufgabenbereichs erweitert hat 1 7 . Auch aus juristischer Sicht wurde aber diese Frage öfters erörtert. Der Grund dieses juristischen Interesses ist in der fehlenden Erzwingbarkeit der ethischen Reflexion zu sehen, die nur eine begrenzte normative Kraft ihrer Regeln garantiert. 18 Vor allem aber spielte hier die Tatsache eine Rolle, daß die neuen medizinischen Behandlungsmethoden erhebliche Gefahren für dritte Rechtssubjekte bzw. fremde Rechtsgüter mit sich gebracht haben. 19 In diesem Zusammenhang sollen auch die Entwicklungen im Bereich der Humangenetik und der Reproduktionstechnologien betrachtet werden. 20 Zunächst hais Die Begriffe „angewandte" und „praktische" Ethik sind gleichbedeutend; soweit aber der Begriff „praktische Ethik" mit der gesonderten Theorien des australischen Philosophen P. Singers gleichgesetzt wird, wird er vermieden; s. dazu Kettner, in: Apel/ Kettner (Hrsg.), S. 9 ff. (11). Der Terminus „medizinische Ethik" oder „Medizinethik" wird hier statt des öfters benutzten Terminus „Bioethik" bevorzugt. Der Begriff „Bioethik" wurde seit der 70er Jahre vom amerikanischen Professor für Onkologie van Rensselaer Potter in seinem Buch ,3ioethics - A Bridge to the Future" (1971) geprägt und vorgeschlagen, um die Notwendigkeit einer neuen Wissenschaft zu betonen, die sich mit Fragen desrichtigenUmgangs mit dem Wissen befassen sollte („Science of Survival"). Demnach sollte der Terminus die Verbindung von biologischem Wissen und Wertdenken und die Notwendigkeit einer interdisziplinären Problemerörterung zum Ausdruck bringen; vgl. Potter, S. 1 f., 6 f., 26. Dieser Begriff wird aber oft mißverstanden und mit einer bestimmten Richtung des in der Medizinethik vom australischen Philosophen Siriger vertretenen utilitaristischen Ansatzes gleichgesetzt; s. beispielsweise die Kritik von Dörner, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung einer am 17. Mai 1995 durchgeführten öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses, des Ausschusses für Gesundheit und des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technologiefolgenabschätzung des BT zum Entwurf einer „Bioethik"- Konvention, BTRechtsausschuß, 13. Wahlperiode, Protokoll 17, Anlage vom 23. Juli 1995, S. 2 ff. (3). kritisch zum Begriff in der schriftlichen Stellungnahme zur selben Anhörung auch Paul, BTRechtsausschuß, 13. Wahlperiode, Protokoll 17, S. 43 ff. (50 f.). Für die Kritik der Gleichsetzung der Bioethik mit dem utilitarischen Ansatz Nida-Rümelin, in: Nida-Rümelin (Hrsg.), S. 833 ff.; ferner s. die Bestimmung des Begriffs ,3ioethik" von Korff, Einführung, in: BioethikL, Bd. I, S. 7 ff. (7). π Schöne-Seifert, in: Nida-Rümelin (Hrsg.), S. 552 ff. (623 ff.): Traditionell hat sich die Medizinethik mit dem Umgang des Arztes mit den Patienten beschäftigt. Heute fallen in ihren Interessenbereich auch die moralischen Probleme in bezug auf die Grenzen des Lebens, wie Schwangerschaftsabbruch und Euthanasie, aber auch die Fortpflanzungstechnologien. 18 Daß die ethische Reflexion aufgrund ihrer fehlenden Erzwingbarkeit allein nicht zu einer Lösung der Probleme der wissenschaftlichen Entwicklung imstande ist, s. Schreiber, in: Kurzrock (Hrsg.), S. 84 ff. (86); zur fehlenden Erzwingbarkeit des moralischen Handelns s. auch Böckle, in: Flöhl (Hrsg.), S. 86 ff. (87). Auf der anderen Seite soll auch nicht vernachlässigt werden, daß die Ethik ein weiteres Feld als das Recht umfaßt, und damit auch die Aufgabe hat, das Recht zu ergänzen; so auch D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (59). 19 Über die Umwandlung der bioethischen Fragestellungen zu Rechtsproblemen s. Broekman, Rechtstheorie 28 (1998), S. 1 ff. 20 Als Humangenetik wird die Lehre von der Vererbung und deren Mechanismen und pathologischen Erscheinungen beim Menschen bezeichnet; s. Kaiser, in: ESchG-Komm, Anhang 6, Glossar, S. 293. In der juristischen Literatur werden unter den Begriff der Humangenetik die verschiedenen Verfahrensweisen der Reproduktionstechnologie eingeordnet, wie

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ben sie innovative Behandlungsmöglichkeiten wie die künstliche Befruchtung als Methode der Sterilitätstherapie ermöglicht. Gleichzeitig öffneten sie aber den Horizont für die pränatale Diagnose, die Genomanalyse, die Gentherapie und die Forschung an Embryonen. Solche Handlungsalternativen wurden nicht nur und nicht immer als medizinische Innovationen begrüßt, sondern auch von kontroversen ethischen und rechtlichen Fragen begleitet. Jeder von den erwähnten neuartigen Behandlungsmethoden kann daher auch als ein spezieller Problemkreis erfaßt werden, der schwierige Rechtsfragen aufwirft. Verfassungsrechtlich garantierte Rechte, wie das Recht auf Leben, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht, Institutsgarantien wie die Ehe und die Familie werden je nach Problembereich in Frage gestellt.21 Eine allgemeine und pauschale Annahme oder Verleugnung dieser Methoden scheint schon aus diesem Grund nicht möglich bzw. vermeidbar zu sein, und jeder erwähnte Problemkreis bedarf daher der speziellen Untersuchung. Die Akzeptanzschwierigkeiten der neuen Handlungsmöglichkeiten der Medizin hängen mit der allgemeinen Technologie- und Ökologiekontroverse zusammen, die den Wissenschafts- und Technikoptimismus der Vergangenheit in Frage gestellt22 und die Ambivalenz des technologischen Fortschritts betont hat 23 . Die Besonderheit, die die biomedizinischen Technikmöglichkeiten im Vergleich mit den anderen Anwendungsgebiete der Technik24 aufweisen, betrifft den unmittelbaren und drastischen Charakter ihrer Auswirkungen für die biologischen Grundlagen des Menschen25. Diese Unmittelbarkeit begründet auch die besondere Fragwürdigkeit der Fragestellung. die extrakorporale Befruchtung, die Forschung an Embryonen, die Kryokonservierung, das Klonen, die Erzeugung von Chimären und Hybridwesen, die Genomanalyse und das Verfahren der Gentherapie: Laufs, in: HbArztR, § 129, Rn. 2; H.-G. Koch, Art. „Humangenetik", in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 523 ff. (523 f.); grundsätzlich muß man zwischen den Fortpflanzungstechnologien, der Humangenetik und der Gentechnologie unterscheiden; s. dazu Bichel, VerwArch 1996, S. 169 ff. (172 f.). 21 s. Deutsch, NJW 1986, S. 1971 ff. (1972); Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (471). 22 Ronellenfitsch, in: GenTR/BioMedR, Teil II, A, Einf., Rn. 1 f.; dazu auch Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 14; Zacher, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 7 ff. (8); von der zunehmenden philosophischen Literatur zum Thema der Beziehung zwischen Wissenschaft und Technik einerseits und der Ethik andererseits s. Agazzi , S. 15 ff.; zur Legitimationskrise der Wissenschaft s. auch Lepenies, in: Kurzrock, (Hrsg.), S. 9 ff.; zur ideengeschichtliche Entwicklung des Widerstands gegen den technischen Fortschritt s. van der Pot , S. 93 ff. 23 Zum Ambivalenzgedanken in bezug auf den technischen Fortschritt, s. van der Pot, S. 153 ff. 24 Man unterscheidet zwischen drei großen Anwendungsgebieten der Technik: die Techniken der Produktion und Erzeugung sachhafter Güter, die Techniken der Organisation, der Beherrschung und der Erzeugung von sozialen Beziehungen und die Techniken der Veränderung und Erzeugung des seelischen und geistigen Innenlebens des Menschen; dazu s. Schlesky, S. 444 f.; die biomedizinischen Technikmöglichkeiten gehören insoweit zu einer anderen Kategorie, als sie die Beeinflüssung oder Veränderung des menschlichen biologischen Schicksals betreffen.

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Die Fragwürdigkeit der Problematik ist aber auch darin zu sehen, daß sie als die Verwirklichung älterer Visionen, Traditionen, Mythen und Sagen erscheint, die den Menschen zum „Schöpfer" emporhebt.26 Sie ist mit einem Alptraum der Menschheit verbunden, nämlich der Anmaßung der göttlichen Schöpfungskräfte, die als menschliche Hybris bzw. Sünde immer vom Mißerfolg gekrönt wurde.27 Schließlich ist es nicht ohne Bedeutung, daß bei der Diskussion um die Bewertung der wissenschaftlichen Entwicklungen auf diesem Gebiet oft an die geschichtlichen Erfahrungen vor allem aus der Zeit des Nationalsozialismus28 verwiesen wird, die auf die Manipulationsgefahr der neuen Technikmöglichkeiten hinweisen sollen. Beide Parameter lassen Angst und gegebenenfalls auch eine Tendenz zur Fortschrittsfeindlichkeit in die Gesellschaft eindringen. Alle diese Gründe machen die Auseinandersetzung mit den rechtlichen Fragen in diesem Bereich besonders interessant und können damit die Auswahl der bestimmten Thematik begründen.

I L Embryonenforschung als Rechtsproblem 1. Entstehung des Problems Der Problemkreis der Forschung an menschlichen Embryonen steht im engen Zusammenhang mit der Entwicklung der Methoden von medizinisch assistierter Reproduktion29, die den Zugang der Wissenschaftler zu den Lebensanfängen ermöglicht hat. Die ungewollte Kinderlosigkeit, die nach der Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 3 0 als Krankheit betrachtet wird 31 , betrifft einen 25 Kirchhof, NVwZ 1988, S. 97 ff. (98); zur Besonderheit der biotechnologischen Entwicklung s. auch D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (55). 26 Für die Erschaffung von Androiden, Golems und Hominculi als Motiv der Sagen und Legendenliteratur s. van der Pot, S. 113 ff. und S. 811 ff.; zur Verbindung dieser Idee mit der neuen Möglichkeiten der Biomedizin, s. Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (470). 27 Zum Gedanken einer Gefährdung des Menschen durch auf künstliche Weise entstandenen Lebewesen s. van der Pot, S. 811 ff.; zur Idee der Hybris als Folge der technischen Fortschritt s. van der Pot, S. 288 ff.; J. Hoffmann, in: Flöhl (Hrsg.), S. 104 ff. (138). 28 Zum Problem s. Müller-Hill, in: R. Schmitt/Altner/Burkhardt (Hrsg.), S. 41 ff.; s. auch die Hinweise in Selb, S. 49 und 123; Ostendorf, JZ 1984, S. 597 ff. (598). 29 Die Begriffe assistierte Reproduktion und künstliche Befruchtung sind gleichbedeutend; dazu s. ferner Beier, Reproduktion, S. 9. 30 Nach der Definition in der Präambel der Satzung der WHO ν. 22. 7. 1946 wird als Gesundheit der „Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen" verstanden; s. Bekanntmachung der Satzung der Weltgesundheitsorganisation v. 22. 1. 1974, BGBl. II, S. 43 ff. (45). Diese Definition ist offen und auslegungsbedürftigt; ihre Offenheit erlaubt es, sie wenigstens als Basis für eine

Einleitung wichtigen Teil der Bevölkerung, nämlich ungefähr 15% aller Ehepaare 32 . Für ihre Behandlung sind verschiedene Methoden der technisch assistierten Reproduktionsmedizin entwickelt worden, die in zwei Kategorien unterschieden werden können: a) Methoden, nach denen die Zeugung, die Verschmelzung der Kerne der Keimbahnzellen also, innerhalb des mütterlichen Körpers erfolgt. Das ist der Fall bei der artifiziellen Insemination ( A I ) 3 3 , beim Gametentransfer ( G T ) 3 4 , beim intratubaren Zygotentransfer (ZIFT), sowie auch beim Transfer von befruchteten Eizellen im Vorkernstadium (PROST: Pronuclear stage tubal transfer) 35. b) Methoden der extrakorporalen Befruchtung, vor allem die „klassische" In-vitro-Fertilisation (IVF) mit anschließendem Embryotransfer ( E T ) . 3 6 In diesem Fall findet die Befruchtung von technisch entnommenen Eizellen im Reagenzglas statt. Anschließend werden die so befruchteten Zellen, wenn sie das 4-Zellstadium ihrer Entwicklung erreichen, in die inneren Genitalorgane der Frau mit der Methode des Embryotransfers (ET) eingebracht. 37 Die Schwangerschaft kann sich danach normal entwickeln. 38 Diskussion über das Verständnis von Gesundheit und Krankheit zu gebrauchen; s. dazu auch Breckwoldt, Art. „Fortpflanzungsmedizin", in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 348 ff. 31 Umstritten bleibt, ob die Unfruchtbarkeit sowohl als Sterilität (impotentia generandi) als auch als Infertilität eine Krankheit ist, weil keine allgemeingültige Definition für eine objektive Bestimmung von Begriffen wie Krankheit und Gesundheit vorhanden ist. Vielmehr wird angenommen, daß es dabei um relative Begriffe geht, deren Inhalt auch von soziokulturellen Gegebenheiten abhängt; Reiter, Art. „Fortpflanzungsmedizin", in: Lexikon Medizin Ethik - Recht, Sp. 354 ff. (356 f.); zuletzt s. Rüsken, NJW 1998, S. 1745 ff. (1745); Lanzerath, Art. „Krankheit", in: BioethikL, Bd. II, S. 478 ff. (481 ff.). In der Rechtsprechung wird die Fortpflanzungsunfähigkeit einer verheirateten Person als Krankheit anerkannt in: BSGE 26, 240 (242 f.); 39, 167 (168); 59 119 (121); 66 248 (249); BGHZ 99, 228 (231); BGH, Urteil v. 12. 11. 1997 - IV ZR 58/97 (Köln), NJW 1998, S. 824 f.; BFHE 183, 476 (478). Aus der Gesetzgebung s. § 27 a BSG V i.d.F. gemäß Art. 2 Nr. 2 des KOV-AnpG v. 26. Juni 1990, BGBl. I, S. 1211 ff. (1214); die Abdeckung der Kosten einer homologen künstlichen Befruchtung durch die Krankenversicherung setzt voraus, daß die schicksalhafte Unfruchtbarkeit als Krankheit anerkannt wird. 32 Breckwoldt, in: Martius/ Breckwoldt/Pfleiderer (Hrsg.), S. 373. 33 Als artifizielle Insemination wird das Einbringen von Samenflüssigkeit in den weiblichen Genitaltrakt mit Hilfe spezieller Instrumente bezeichnet; Kaiser, in: ESchG-Komm, Einführung, AVI, Rn. 13; die artifizielle Insemination kann als Intrauterine Insemination bzw. als prä- oder intrazervikale Insemination stattfinden; Pschyrembel/ Strauss /Petri (Hrsg.), S. 618. 34 Als Gametentransfer wird das instrumentelle Einbringen von Eizelle und Spermien in den Uterus (intrauteriner GT) oder in den Eileiter (GIFT) bezeichnet; Kaiser, in: ESchGKomm, Einführung, AVI, Rn. 18. 35 Alle diese Therapie-Varianten haben sich bis heute nicht durchgesetzt, da ihre Erfolgsraten nicht sehr groß sind; dazu s. Beier, Reproduktion, S. 28 f. 36 Diese Methode bildet immer noch die häufigste Behandlungsvariante der Unfruchtbarkeit; s. Beier, Reproduktion, S. 22 f. Zu erwähnen ist hier auch die aktuelle Methode der Mikrochirurgischen Spermienapplikation (ICSI), die seit 1992 angewandt wird; diese Methode unterscheidet sich von der klassischen IVF insoweit als sie in der Injektion eines einzelnen Spermiums in eine Eizelle besteht; ferner dazu Beier, Reproduktion, S. 26 und S. 50 ff. 37 s. dazu D. Krebs, Art. „In-vitro-Fertilisation", in: BioethikL, Bd. II, S. 291 ff. (293).

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Die Methode der I V F wurde zum ersten Mal im Jahre 1978 in England erfolgreich angewandt und hat zahlreichen Paaren, die unter Kinderlosigkeit litten, geholfen. Seitdem wurden weltweit mehr als 100.000 Kinder auf diese Art gezeugt und geboren. 39 Trotzdem hat diese Möglichkeit auch eine heftige Diskussion auf internationaler Ebene entzündet 40 , die einerseits mit der Künstlichkeit der Zeugung, andererseits mit der hohen Mißerfolgsrate der Methode und dem Verlust an embryonalem Leben zusammenhing 41 . Besonders bedenklich erschien darüber hinaus die Möglichkeit einer Anwendung der Methoden der assistierten Zeugung nicht nur als homologes, sondern auch als heterologes Modell, das aber den vorhandenen Familienbegriff in Frage stellen könnte. 42 38 s. hier BGHZ 99, 228 (232). 39 In Deutschland wurden etwa 7.000 Kinder auf dieser Weise erzeugt und geboren; s. DFG, S. 32. 40 Lange, in: Günther /Keller (Hrsg.), S. 3 ff. 41

Ethische Bedenken betreffen die Sterilitätstherapie selbst, s. Merz, S. 57 ff.; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 63 f.; aus ethisch-theologischer Sicht s. Höver, ZfL 1994, S. 18 f.; J. Hoffmann, in: Flöhl (Hrsg.), S. 104 ff. (130 f.). In der Rechtswissenschaft wird heutzutage vertreten, daß extrakorporalen Befruchtungsvorgängen als solche keinen unmittelbaren Bedenken aus Art. 1 Abs. 1 GG begegnen; Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 85 und 87; die homologe IVF wird als Heilbehandlung angesehen (s. Deutsch, Medizinrecht, Rn. 438) und nur die heterologe Befruchtung erscheint bedenklich zu sein; kategorisch als Verstoß gegen die Menschenwürde wird die heterologe Insemination von Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 69 abgelehnt; ebenso Dürig, in: Maunz/Dürig, GGKomm, Art. 1 I, Rn. 39; vgl. aber die Kritik hierzu von Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Abs. 1 und 2, Rn. 91; differenzierend auch für die heterologe Insemination Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 36 - Stichwort: „Künstliche Befruchtung". Zuletzt s. Brohm, JuS 1998, S. 197 ff. (202), nach dem die Technisierung der Befruchtung selbst keine Verletzung der Menschenwürde darstellt, sogar unabhängig davon, ob die Befruchtung als homologe oder heterologe Insemination stattfindet; vielmehr wird vom aus der Menschenwürde abgeleiteten Persönlichkeitsrecht des Keimgutträgers auch seine Entscheidung geschützt, über die Art und Weise der Zeugung zu befinden, jedoch mit einigen Einschränkungen aus dem Persönlichkeitsrecht des künftigen Kindes. Aus der Rechtsprechung s. für die homologe IVF als Heilbehandlung BGHZ 99, 228 (231 f.); BFHE 183, 476 (480); dazu s. Rüsken, NJW 1998, S. 1745 ff. (1746); vgl. ferner § 27 a BSG V i.d.F. gemäß Art. 2 Nr. 2 KOV-AnpG v. 26. Juni 1990, BGBl. I, S. 1211 ff. (1214), wonach die Leistungen der Krankenbehandung auch die homologe künstliche Befruchtung umfassen. Dagegen wird die heterologe künstliche Befruchtung als Mittel zur Behandlung der Unfruchtbarkeit nicht anerkannt, obwohl - vorbehaltlich der Ausnahme des § 4 Abs. 1 Nr. 3 EschG - kein allgemeines Verbot für die heterologe künstliche Befruchtung vorliegt; s. dazu BSGE 66, 248 (250); BGHZ 99, 228 (235 f.) sieht eine schlichte Übertragung der Grundsätze, die eine homologe künstliche Befruchtung regeln, auf den Sachverhalt der heterologen künstlichen Befruchtung als unmöglich; a.A. Rüsken, NJW 1998, S. 1745 ff. (1750). 4

2 Im Moment gibt es in Deutschland kein einheitliches Fortpflanzungsmedizingesetz über die Anwendung dieser Methoden; daher wird die IVF teilweise durch das ESchG und hauptsächlich durch die „Richtlinien zur Durchführung von IVF mit Embryotransfer (ET) und des intratubaren Gameten- und Embryotransfers als Behandlungsmethoden der menschlichen Sterilität" (abgedruckt in: Weißbuch, S. 173 ff.) der Bundesärtzekammer geregelt, die durch Beschluß des 91. Deutschen Ärztetags (Frankfurt 1988) Teil der Berufsordnung wurden. Zu erwähnen sind hier auch zahlreiche Leitlinien und Empfehlungen der wissenschaftlichen

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Die Fragwürdigkeit der In-vitro-Fertilisation (IVF) betraf schließlich die Möglichkeit, über extrakorporal gewonnene Embryonen43 unmittelbar zu verfügen. Zum ersten Mal wurde den Wissenschaftlern ermöglicht, das menschliche Leben in seiner frühesten Entwicklungsphase zu betrachten und zu verstehen. Ihnen wurde aber dadurch auch ermöglicht, in die Entwicklung des menschlichen Lebens einzugreifen und sie zu manipulieren. Die Methode der IVF öffnete am Ende auch die Möglichkeit, menschliche Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken zu erzeugen. Das wissenschaftliche Hantieren mit dem Rechtsgut „menschliches Leben" machte diese Möglichkeiten zu rechtlichen Problemen. Die Diskussion über den Schutz des Lebens an seinem Anfang verließ damit den Rahmen der historisch belasteten, sozial und politisch umstrittenen Abtreibungsregelung und stellte sich in einen anderen Kontext.44 Da die Erfolgsraten der In-vitro-Fertilisation heute immer noch im Vergleich zu einer natürlichen Zeugung gering sind45, wird üblicherweise mehr als eine Eizelle in vitro befruchtet, nur eine kleine Zahl wird aber in den mütterlichen Uterus übertragen. Die „übriggebliebenen" Embryonen werden danach konserviert, so daß sie in einem weiteren Verfahren benutzt werden können, falls der erste Versuch erfolglos bleibt. Eine übliche Methode dafür ist die Kryokonservierung, d. h. die Aufbewahrung der übriggebliebenen Embryonen in tiefgefrorenem Zustand bei ungefähr -196 °C. Diese Methode kann keine absolute Überlebensmöglichkeit der aufgetauten Embryonen garantieren, es ist aber sehr wichtig, daß dadurch die zukünftige Mutter nicht wieder eine operative Entnahme von Eizellen erleben muß, und daß das biologische Verhalten der Embryonen, die dieses Verfahren überleben, und das der Embryonen, die niemals kryokonserviert waren, gleich sind.46 Viele der kryokonservierten Embryonen haben keine Chance, wieder zurück in die Frau zu kommen, von der die Eizellen stammen. Das kann verschiedene Gründe haben, ζ. B. Tod der Frau oder ein erfolgreicher erster Versuch oder auch der Wegfall des Interesses, ein Kind zu bekommen. Oft werden diese Embryonen als medizinischen Fachgesellschaften, die sich auf die Anwendung neuer Methoden beziehen; dazu s. Neiden, MedR 1998, S. 347 ff. (349). 43

Die Begriffe „Embryo" und „ungeborenes Leben" werden als gleichbedeutend benutzt. Für die psychologische Wirkung, die in der öffentlichen Diskussion die Benutzung des Begriffs „Embryo" oder „Leben" in Gegenüberstellung zu Begriffen wie „befruchtete Zelle" hat, s. Betta , Embryonenforschung, S. 25. 44 Beide Probleme betreffen den Schutz des Lebens an seinem Anfang und sind voneinander nicht völlig zu trennen. Auf der anderen Seite sollen aber auch die Unterschiede zwischen beider Problemkreise nicht unterschätzt werden; zu Grenzen des Vergleichs zwischen Schwangerschaftsabbruch und Forschung an Embryonen s. unten Teil 1, Kap. D, III, 2, a). 4 5 Die Erfolgsquoten solcher Verfahren werden in BGHZ 99, 228 (235) zwischen 15 und 30% bewertet; im Jahre 1995 wurde die Erfolgsquote auf 28,5% eingeschätzt; s. dazu D. Krebs, Art. „In-vitro-Fertilisation", in: BioethikL, Bd. II, S. 291 ff. (294).

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Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 3.

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„überzählig" bezeichnet, was deren eventuelle „Nutzlosigkeit" für die Herbeiführung einer ursprünglich gewollten Schwangerschaft betont, gleichzeitig aber den Eindruck vermittelt, das ungeborene Leben selbst sei etwas, worüber man einfach verfügen könne. Diese Unzulänglichkeiten der Kryokonservierung sollen durch andere technische Möglichkeiten vermieden werden, etwa die Konservierung von befruchteten Eizellen im Vorkernstadium, d. h. vor der Verschmelzung der Kerne. 47 Diese Methode ist immer noch mit einer erheblich geringeren Schwangerschaftsrate verbunden als wenn kryokonservierte Embryonen verwendet werden.48 Deshalb spielt immer noch weltweit die Kryokonservierung von Embryonen eine wichtige Rolle bei der assistierten Reproduktionstechniken.49 Auch wenn angenommen wird, daß solche Methoden eine ebenso effektive Aufbewahrung von Ei- und Samenzellen für die Durchführung einer extrakorporalen Befruchtung mit anschließendem Embryotransfer garantieren, stellen sich die Probleme der Bewertung von neuen Möglichkeiten der Medizin weiterhin. Die Möglichkeit der extrakorporalen Erzeugung von überzähligen menschlichen Embryonen ist in jedem Fall vorhanden, und jede neue technische Entwicklung hat eine inhärente Neigung zur Anwendung.50 Auch wenn das Recht die extrakorporale Erzeugung nur einer bestimmten Zahl von menschlichen Embryonen und nur zum Zweck der Durchführung einer Schwangerschaft für zulässig hält, und dadurch die Entstehung von überzähligen Embryonen vorzubeugen versucht51, können Embryonen übrigbleiben: So ζ. B. wenn die genetische Mutter ihre Einwilligung zurücknimmt oder aus faktischen Gründen der Transfer ausbleibt, d. h. wenn der Gesundheitszustand der Frau es vorübergehend oder auf Dauer nicht erlaubt, den Transfer vorzunehmen52. Daher stellt sich die Frage des Schicksals übriggebliebener extrakorporaler Embryonen immer noch als brisantes Rechtsproblem. Drei Lösungsmodelle sind im wesentlichen dafür vorgeschlagen worden: Entweder könnte man diese Embryonen ihrem Schicksal überlassen, d. h. man könnte sie absterben lassen53, oder man 47 Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 4. 48 DFG, S. 35. 49 Dazu s. Siebzehnrübl, Art. „Kryokonservierung", in: BioethikL, Bd. II, S. 497 ff. (498). 50 Angedeutet wird hier die - nicht notwendig fatalistisch zu verstehende - Eigengesetzlichkeit des technischen Fortschritts, s. die Darstellung und Kritik dieser Theorie in: van der Pot, S. 735 ff., 743 ff.; zur Zwangsläufigkeit der Anwendung von technischem Wissen auch Köck, AöR 121 (1996), S. 1 ff. (5). 51 Das ist heute die Lösung des deutschen Gesetzgebers; dazu s. unten Teil 1, Kap. A, II. 52 Laufs, in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 114 ff. (130); Günther, Art. „Kryokonservierung", in: BioethikL, Bd. II, S. 499 f. (500). 53 Hier soll auch bemerkt werden, daß dieses „Absterbenlassen" nur einer Redeweise entspricht; in Wahrheit geht es hier um passive Euthanasie kryokonservierter Embryonen; daß für die Rechtfertigung dieses Absterbenlassens nicht auf die Analogie zur Natur hingewiesen werden kann, s. Beckmann, ZRP 1987, S. 80 ff. (86).

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könnte das Spenden von solchen Embryonen erlauben; oder schließlich könnte man sie zu Forschungszwecken benutzen und anschließend vernichten. Keine dieser Lösungen kann in ethischer und rechtlicher Hinsicht als absolut unbedenklich bewertet werden. Vielmehr sind sie mit ethischen Bedenken verknüpft, und jede von ihnen berührt den Bereich verschiedener verfassungsrechtlicher Verbürgungen, wie das Recht auf Leben, den Schutz der Familie oder die Garantie der Menschenwürde. Das Embryonenschutzgesetz schweigt darüber.54 Besonders problematisch ist die Forschung an Embryonen, in der sich der verfassungsrechtliche Schutz des werdenden Lebens mit Fragen der ebenso verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit verbindet. Solche Forschungen im Rahmen der Humanmedizin stellen gegenwärtig eines der besonders kontrovers diskutierten Themen in Deutschland dar, trotz des am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetzes55. Schon während der öffentlichen Diskussion vor der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes bestand keine einheitliche Meinung zur Regelung der Forschung an menschlichen Embryonen. Vielmehr wurden verschiedene Ansichten in bezug auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Forschung in diesem Bereich vertreten. 56 Die Diskussion wurde mit der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes, nach dem die Forschung in diesem Bereich strafrechtlich verboten ist, jedoch nicht beendet. Immer noch wird die Richtigkeit dieser gesetzgeberischen Lösung diskutiert57, um so mehr als die neuen Entwicklungen in diesem Bereich auch die Notwendigkeit einer Überprüfung der einfachgesetzlichen Lage bringen sollten58. Als sehr umstrittenes Problem stellt sich die Forschung an Embryonen im gesamten europäischen Raum. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß die Forschung an Embryonen von den verschiedenen Rechtsordnungen Europas unterschiedlich geregelt wird und viele verwandten Rechtsordnungen in Europa im Gegensatz zu Deutschland die Embryonenforschung unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig halten.59 Diese Regelungsverschiedenheiten erschweren wesentlich den Ver-

54 Günther, in: ESchG-Komm, Einführung, Β V, Rn. 18 f.; kritisch dieser Gesetzeslage gegenüber Neidert, MedR 1998, S. 347 (351). 55 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13. Dezember 1990, BGBl. I, S. 2746 ff. 56 s. dazu unten Teil 1, Kap. A, 1,2. 57 Vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 380 ff.; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 72 ff.; Laufs, in: HbArztR, § 129, Rn. 18; Laufs, NJW 1998, S. 1750 ff. (1753); DFG, S. 35 ff.; Wolfrum, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 43 ff. (52); F.-C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff.; Brohm, JuS 1998, S. 197 ff.; Neidert, MedR 1998, S. 347 ff. (348). 58 Vgl. die Bemerkungen der DFG in bezug auf die Entwicklung der Methode der intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI), die eine deutliche Störung der männlichen Fertilität überwinden kann, und auf die Eröffnung von neuen diagnostischen Möglichkeiten, DFG, S. 36 ff. 59 Über die verschiedenen Regelungen des Problems im europäischen Raum s. Andorno, R.I.D.C. 1994, S. 141 ff. 3 Iliadou

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such, die erforderlichen 60 gemeinsamen Regeln und Standards in diesem Bereich zu finden, wie schon die Entstehungsgeschichte des Europäischen Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin beweist.

2. Sachverhaltsdarstellung und -eingrenzung Als Forschung an menschlichen Embryonen werden Untersuchungen verstanden, die das früheste, der Vereinigung von Ei- und Samenzellen unmittelbar folgende Entwicklungsstadium betreffen. 61 In Betracht kommen hier vorwiegend die extrakorporalen Embryonen. Forschungen an sich im mütterlichen Körper entwikkelnden Embryonen bleiben damit außer Betracht. Ferner sollen solche Probleme, die sich mit der Anwendung schon etablierter wissenschaftlicher Methoden an menschlichen Embryonen befassen, nicht behandelt werden. Der Problemkreis der Forschung an Embryonen besteht aus verschiedenen Fragestellungen, die zunächst dargestellt werden sollen, um einen Auswahl vorzunehmen. Zunächst stellt sich die Frage, ob man überhaupt menschliche Embryonen zu ausschließlichen Forschungszwecken erzeugen darf. Dabei wird die IVF nicht für die Durchführung einer Schwangerschaft angewandt, sondern um Forschungsmaterial, d. h. frühe menschliche Embryonen, zu erhalten. Zweitens kommen Forschungsvorhaben in Betracht, die ein besonderes Manipulationspotential in sich tragen wie das Klonen und die Chimären- und Hybridbildung. Das Klonen besteht in die künstliche Herstellung eines Embryos, der das gleiche Erbmaterial wie ein anderes menschliches Lebewesen trägt. 62 Die Chimärenbildung besteht in der „Herstellung eines mit dem Erbgut von mindestens vier Eltern versehenen Embryos aus den Zellen verschiedener Lebewesen derselben oder verschiedener Säugetierspezies", und kann daher als Intra- oder als Interspezieshimärenbildung erscheinen.63 Die Hybridbildung betrifft zuletzt die Herstellung von Lebewesen mit gemischtem Erbgut, das aus menschlichen und tierischen Zellen besteht.64 Die Instrumentalisierung des menschlichen Lebens wird in allen bisher erwähnten Fällen überdeutlich65, so daß in der folgenden Untersuchung darauf nicht umfassend eingegangen wird. Von diesen Forschungsvorhaben sind die Fragen zu trennen, ob man überhaupt mit den im Rahmen einer Sterilitätstherapie entstandenen Embryonen forschen, 60 Zur Erforderlichkeit einer internationalen Regelung der Probleme in diesem Zusammenhang s. Deutsch, in: Flöhl (Hrsg.), S. 232 ff. (247), Jung, ZStW 100 (1988), S. 3 ff.(4). 61 s. dazu die Definition des Begriffs in der Richtlinien der Bundesärztekammer von 1985, in: Weißbuch, S. 32. « Günther, in: ESchG-Komm, § 6, Rn. 1.

63 Günther, in: ESchG-Komm, § 7, Rn. 1. 64 Günther, in: ESchG-Komm, § 7, Rn. 1. 65 Statt vielen s. Laufs, in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 114 ff. (129); Selb, S. 124 ff.

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und ob man diagnostische oder therapeutische Forschung am genetischen Erbmaterial von menschlichen Embryonen durchführen darf. Um die Forschungsprojekte an schon vorhandenen menschlichen Embryonen rechtlich zu beurteilen, unterscheidet66 man im wesentlichen zwischen Forschung im Rahmen einer Heilbehandlung (Experimente an Embryonen) und verbrauchender 67 Forschung an Embryonen (Experimente mit Embryonen)68. Bei Experimenten an Embryonen stehen Leben und Gesundheit des Embryos im Vordergrund, während bei Experimenten mit Embryonen hauptsächlich der Gewinn neuen Wissens interessiert. Entsprechend betrifft die erste Kategorie extrakorporal erzeugte Embryonen, die zunächst zum Embryotransfer bestimmt sind, während die zweite sich mit den sog. überzähligen Embryonen befaßt. Die Möglichkeit, menschliches Leben in der Retorte zu erzeugen und die so erzeugten Embryonen für einen längeren Zeitraum zu konservieren, hat das Interesse der medizinischen Forschung am frühen menschlichen Leben geweckt. Nicht nur das Zustandekommen der Befruchtung, die Erhaltung der befruchteten Eizellen und ihre erfolgreiche Einpflanzung sind für die Forscher interessant, sondern auch die Entwicklung neuer Methoden für die Krankheitsvorbeugung und -therapie.69 Große Bedeutung haben diese Forschungsaufgaben durch die gleichzeitige Entwicklung der Genetik erlangt 70, die eine neue „Epoche", für die Vorbeugung und Therapie von Krankheiten versprechen könnten, nämlich die Ermöglichung der Keimbahntherapie und der somatischen Gentherapie. Der Versuch einer Keimbahntherapie71, bei der die Gesundheit des Embryos im Vordergrund stehen würde, sollte aus rechtlicher Hinsicht wie der Heilversuch an Menschen betrachtet werden72. Da aber in diesem Bereich keine standardisierten Methoden vorhanden sind, sondern es immer um neue und unsichere Therapiemethoden geht, gleichen diese Behandlungen mehr den klinischen Experimenten. Ihre

66 Lange, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 3 ff. (10). 67 Der Terminus „verbrauchende" Experimente wurde von Wuermeling vorgeschlagen, um damit die Fragwürdigkeit dieser Experimente auch in der Begriffswahl zum Ausdruck zu bringen, dazu s. Wuermeling, MMW 1983, S. 1189 ff.; Eser, Bedrohungen, S. 7; vgl. aber die Kritik zum Begriff von Hofschneider, in: MPG (Hrsg.), Leben, S. 13 ff. (20), nach dem der Begriff falsche Assoziationen und den Eindruck einer verantwortungslosen Forschung erweckt; nach dieser Meinung sei .vielmehr auf andere Merkmale der Forschung abzustellen, wie ζ. B. auf die Frage, ob es um „klinisch gut kontrollierte(n) Studien" geht. Der Begriff wird hier lediglich deswegen benutzt, weil er deutlicher das unterschiedliche Ziel zwischen beiden Forschungsmöglichkeiten ausdrückt. 68 Wuermeling, in: Wuermeling (Hrsg.), S. 40 ff. (43). 69. s. dazu DFG, S. 36 ff. 70 Ruderisch, ZRP 1992, S. 260 ff. 71 Der Begriff Keimbahntherapie betrifft die Anwendung genmanipulierender Methoden (genetic engineering) als Behandlungsmaßnahme; dazu Kaiser, in: ESchG-Komm, Einführung, A VIII, Rn. 26 ff. 72 So D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (64). 3*

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rechtliche Beurteilung ist aber noch schwieriger als diejenige der Heilversuche bzw. der klinischen Experimente an Menschen. Zunächst wird bei solchen Behandlungen oft der Tod der für Forschungszwecke eingesetzten Embryonen in Kauf genommen, was bei den klinischen Versuchen der Fall nicht sein kann. Darüber hinaus haben die Embryonen keine Einwilligungsfähigkeit, wobei eine Verfügung über so elementare Rechtsgüter wie das Leben ohnehin abzulehnen ist. Hinzu kommen weitere Gründe, die eine rechtliche Beurteilung von solchen Forschungsprojekte erschweren. Die Veränderung der genetischen Informationen eines Menschen bedeutet, daß auch die Erbinformation aller seiner Nachkommen verändert sein wird. Die Unsicherheit der Ergebnisse eines solchen Therapieverfahrens für die künftigen Menschen begründet schwerwiegende Bedenken gegen seine Anwendung.73 Im Gegensatz dazu begegnet die Möglichkeit einer somatischen Gentherapie keinen grundsätzlichen Einwänden. Auch bei der somatischen Gentherapie wird die Korrektur eines Gendeffekts durch Einfügen rekombinanter DNS versucht. Dabei werden aber nur einzelne Zellen, Gewebe oder Organe des Organismus geändert, ohne daß die Weitergabe der rekombinanten DNS an die Nachfolgen möglich wäre. 74 Aus diesem Grund wird die somatische Gentherapie als innovative Therapiemethode begrüßt75, und ihre Anwendung gehört nicht zum Problembereich der Forschung an Embryonen76. Besonders problematisch scheint aus verfassungsrechtlicher Sicht die „verbrauchende" Forschung an Embryonen zu sein, denn sie hat ein anderes Ziel als die oben erwähnten Heilexperimente. Sie kann auch an völlig gesunden menschlichen 73 s. das Positionspapier der Gesellschaft für Humangenetik e.V., in: GenTR/BioMedR, Teil II, F, Gesellschaft ßr Humangenetik, Humangenetik, S. 14; Bickel, VerwArch 1996, S. 169 ff. (174); aus ethischer Sicht s. Reiter, in: Flöhl (Hrsg.), S. 198 ff. (203). 74 s. Kaiser, in: ESchG-Komm, Einführung, A VII, Rn. 21; Bickel, VerwArch 1996, S. 169 ff. (174). 75 Zur Bewertung der somatischen Gentherapie s. den Abschlußbericht der Bund-LänderArbeitsgruppe „Somatische Gentherapie" v. Mai 1997, in: Bundesanzeiger Nr. 80a v. 29. April 1998 (abgedruckt auch in: GenTR/BioMedR, Teil II, F, Bund-Länder-Arbeitsgruppen, Gentherapie); insbesondere für die pränatale somatische Gentherapie, s. Punkt 6.2 des Berichts (S. 34 f.); ebenso s. die Stellungnahme der DFG zur somatischen Gentherapie, in: GenTR/BioMedR, Teil II, F, DFG, Somatische Gentherapie, S. 1 ff.; hauptsächlich wird für die Regelung der somatischen Gentherapie auf die Vorschriften des AMG verwiesen; s. auch Laufs, NJW 1998, S. 1750 ff. (1754); vgl. ferner die Richtlinien zum Gentransfer in menschliche Körperzellen des Ständigen Arbeitskreises ,3iomedizinische Ethik und Technologiefolgenabschätzung" beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer v. 20. Januar 1995, abgedruckt, in: GenTR/BioMedR, Teil II, F, Bundesärztekammer, Gentransfer, S. 3 ff.; auch aus ethischer Sicht wird die somatische Gentherapie als erlaubt angesehen: Reiter, in: Flöhl (Hrsg.), S. 198 ff. (202 f.). 76 Aus der Sicht des Embryonenschutzes entstehen hier jedoch Fragestellungen, die sich mit der fehlenden Einwilligungsfähigkeit menschlicher Embryonen verbinden, und die in die allgemeine Problematik über die Rechtsstellung des Embryos als Patienten einzuordnen sind; dazu s. Kapp, MedR 1986, S. 275 ff. (277 f.).

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Embryonen durchgeführt werden und bezweckt nicht die Therapie einer Krankheit, sondern die Gewinnung von Erkenntnissen, die nur fremdem Leben zugute kommen werden. Dabei kommt es im Regelfall zum Absterben des Embryos. Das wissenschaftliche Interesse richtet sich hier auf verschiedene Zwecke wie die Optimierung der Einzelschritte der I V F / E T 7 7 , die Aufklärung der menschlichen Frühentwicklung78, die Aufklärung der Mechanismen der Konzeption79, der Einsatz embryonaler Zellen in neuartigen Therapie verfahren 80 und die Krebstherapie81. Die Fragestellungen, die von solchen Forschungsvorhaben gestellt werden, sind von besonderem Interesse.82 Sie lösen große Bedenken aus, weil hier der Verlust von Leben vorauszusehen ist. 83 Sie verbinden sich ferner einerseits mit dem Problem des absurden Schicksals der überzähligen Embryonen, andererseits mit der Hoffnung und dem Versprechen einer Verbesserung der Krankheitsvorbeugung und -therapie. Aus diesen Gründen werden sie den Schwerpunkt der Arbeit bilden. Die Kategorien von Forschungsvorhaben, die menschliche Embryonen betreffen können, sollen nicht als von einander völlig abtrennbar verstanden werden. Eine verbrauchende Forschung kann anfänglich einen Therapiezweck haben, eine genetische Forschung kann ebenfalls mehr oder weniger zu manipulierender Ergebnissen führen. Ähnliches gilt für die im Rahmen der juristischen Beurteilung der Embryonenforschung öfters referierte Unterscheidung zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter oder klinischer Forschung.84 Demnach soll die klinische For77 Dabei versucht man die günstigsten Bedingungen für die Gewinnung und Befruchtung von intakten Eizellen zu ermitteln und die Belastung und Gefährdung der Eispenderin zu reduzieren. Darüber hinaus soll durch Erforschung der geeignetsten Modalitäten für die Kultivierung und Konservierung von Embryonen in den frühesten Teilungsstadien das Risiko des Verlusts oder der Beschädigung von Embryonen minimiert werden. Dazu s. Merz, S. 43; Lange, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 3 ff. (10 f.); Buchborn, in: Fuchs (Hrsg.), S. 127 ff. (131 f.). 78 Dadurch kann man Kenntnisse erwerben über die Ursachen von Frühestaborten, die zur Senkung der hohen Abortrate der IVF führen können. Weiter kann man die Entstehung von Mißbildungen erklären, um Hinweise auf Therapie oder Vorbeugung von Fehlbildungen und Erbkrankheiten zu bekommen; s. Merz, S. 44; Beier, in: MPG (Hrsg.), Leben, S. 58 ff. (73 ff.) 79

Der Zweck ist hier, die Ursachen von Störungen bei der Befruchtung zu erforschen sowie neue Kontrazeptionsmethoden zu entwickeln; s. Wuermeling, in: Wuermeling (Hrsg.), S. 40 ff. (44). 8° Bei tierexperimentellen Untersuchungen ist darauf hingewiesen worden, daß durch embryonale Stammzellen therapeutische Erfolge bei immunologischen, neuronalen und endokrinalen Störungen erzielt werden können; s. Merz» S. 45. ei Durch die Erforschung der Reifung der Immunität im Embryo kann man Anstöße für die Therapie maligner Neoplasmen erzielen. Ebenfalls aus Tierexperimenten ist bekannt, daß ein Embryo in der Lage ist, eine primär bösartige Zelle in eine gutartige zu verwandeln; s. D. Krebs, in: Wuermeling (Hrsg.), S. 9 ff. (18); Buchborn, in: Fuchs (Hrsg.), S. 127 ff. (133 f.). 82 So auch Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 29. 83 Wuermeling, in: Braun/Mieth/Steigleder (Hrsg.), S. 54. 84 Für die Unterscheidung im allgemeinen s. Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff. (263 f.); s. auch Weißbuch, S. 32.

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schung diagnostischen oder therapeutischen Motiven folgen und damit die prospektive Beurteilung ihrer Ergebnisse erlauben. Dagegen dient die Grundlagenforschung einem schlichten Erkenntnismotiv, das nur retrospektiv beurteilt werden kann.85 In diesem Sinne läßt sich nicht von Anfang an entscheiden, ob eine Grundlagenforschung wichtig für eine Krankheitsdiagnose und -heilung ist oder nicht. Die Forschung formt einen einheitlichen Sachverhalt, in dem Kategorien und Unterscheidungen von der Realität oft überholt oder sogar geleugnet werden. Jedoch können solche Unterscheidungen sich aus juristischer Sicht für die abstrakte Abgrenzung typischer Sachverhalte als nützlich erweisen. Sie sollen auf dieser Weise als Denkmodelle funktionieren, die nicht notwendig einer naturwissenschaftlichen Vorgehensweise entsprechen. Im folgenden konzentriert sich die Untersuchung auf die Forschung an menschlichen Embryonen, die im Rahmen einer Sterilitätsbehandlung entstanden sind. Es wird angenommen, daß beim heutigen Stand der wissenschaftlichen Entwicklung im Rahmen solcher Forschungsvorhaben meistens mit dem Absterben des Embryos gerechnet wird und sie deshalb als „verbrauchende" Forschung qualifizierbar sind. Vereinzelte Fragestellungen werden nur punktuell erörtert, wenn es notwendig erscheint, um sie und ihre rechtliche Beurteilung vom erheblichen Sachverhalt abzugrenzen.

I I I . Gang der Untersuchung Im ersten Teil der folgenden Untersuchung werden die innerstaatlichen Aspekte der Rechtsfragen der Embryonenforschung erörtert. Zunächst werden hier die ersten Regelungsversuche sowie die Entwicklung der Diskussion in Deutschland über die materiell-rechtliche Regelung der Embryonenforschung vor dem Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes wiedergegeben. Hierzu gehört auch die Darstellung der heutigen Regelung des Problems durch das Embryonenschutzgesetz sowie die Bewertung der geltenden Gesetzesregelung. Den Schwerpunkt bildet die Erörterung der grundrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber bei der Regelung der Forschung an Embryonen. Sie werden zunächst aus der Sicht der Forschungsfreiheit und anschließend aus der Sicht des Embryonenschutzes präzisiert. Ferner werden diese Vorgaben auch als gesetzgeberische Aufgaben erfaßt. Schließlich wird auch die Frage gestellt, wie weit und mit welchen Maßstäben die gesetzliche Entscheidung kontrollierbar ist. Im zweiten Teil wird die europarechtliche Dimension der Fragestellung erörtert. Hauptsächlich interessieren hier die Vorschriften des in Deutschland öfters ambivalent kritisierten und sehr umstrittenen Europäischen Menschenrechtsübereinw s. die Unterscheidung und ihre Kritik bei Hofschneider, (18 f.).

in: MPG (Hrsg.), Leben, S. 13 ff.

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kommens zur Biomedizin, das im Rahmen des Europarats vorbereitet wurde. Diesem Übereinkommen, obwohl es noch nicht in Kraft getreten ist, kommt eine besondere Bedeutung zu, weil es das erste Bemühen einer einheitlichen Regelung des Problems auf internationaler Ebene bildet. Darüber hinaus ist dieses Übereinkommen von besonderem Interesse, weil es unter gewissen Voraussetzungen eine Bedeutung für die Regelung des entsprechenden Problemkreises innerhalb der Europäischen Union erwerben könnte; deshalb wird es auch unter diesem Gesichtspunkt erörtert.

Erster Teil

Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung A. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung I. Embryonenforschung bis zum Embryonenschutzgesetz 1. Embryonenschutz vor dem Embryonenschutzgesetz Bis zum Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes enthielt das deutsche Recht keine explizite, unmittelbare Regelung der Rechtsfragen der Embryonenforschung. Insbesondere wurde den Embryonen im extrakorporalen Zustand kein strafrechtlicher Schutz gewährt.1 Menschliche Embryonen konnten nicht den Schutz der §§ 218 ff. StGB genießen, denn diese Vorschriften setzen eine Schwangerschaft, d. h. ein „symbiotisches Verhältnis zwischen Frau und Embryo"2 voraus und betreffen deshalb den Embryo erst ab dem Abschluß der Einnistung.3 Sie finden keine Anwendung, wenn der Embryo außerhalb des mütterlichen Leibs existiert. Auch für den im Mutterleib befindlichen Embryo bestand vor dem Abschluß der Einnistung kein strafrechtlicher Schutz, denn der Gesetzgeber bewertete Einwirkungen auf den Embryo vor diesem Zeitpunkt nicht als Abbruch einer Schwangerschaft.4 Keinen Schutz gewährleisteten darüber hinaus die Tötungstatbestände (§§ 211 ff. und 222 StGB), die als Handlungsobjekt einen anderen geborenen „Menschen" voraussetzen und deshalb das pränatale Entwicklungsstadium des Menschen nicht ι Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β I, Rn. 1 ff., Pap, MedR 1986, S. 229 ff. (230); Laufs, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 89 ff. (104); Benda, in: Flöhl (Hrsg.), S. 205 ff. (220); Ostendorf, JZ 1984, S. 595 ff. (597 f.); Bilsdorfer, MDR 1984, S. 803 ff. (804 f.). 2 H.-G. Koch, MedR 1986, S. 259 ff. (263); Deutsch, MDR 1985, S. 177 ff. (180). 3 s. die zweite Entscheidung zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, nach der die Vorschriften der §§ 218 ff. StGB nur den Zeitraum der Schwangerschaft betreffen, d. h. vom Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter bis zum Beginn der Geburt: BVerfGE 88, 203 (251). 4 § 218 Abs. 1, Satz 2 StGB, der die nidationshemmenden Eingriffe betrifft, dazu s. Rudolphi in: SK-StGB, Vor § 218, Rn. 9 ff., § 218, Rn. 4 ff.; Maurach/E-C. Schroeder/Maiwald, BT-StrR, Tb. 1, § 7, Rn. 1, S. 91; Tröndle, StGB-Komm, § 218, Rn. 4; Lüttger, in: FS Sarstedt, S. 169 ff. (176 ff.).

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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umfassen. 5 Aus demselben Grund konnte der strafrechtliche Schutz menschlicher Embryonen nicht über die Anwendung der Körperverletzungstatbestände (§§ 223 ff. StGB) erfolgen. 6 Das gleiche gilt für den Versuch eines strafrechtlichen Schutzes des Lebens in vitro durch die Anwendung von Tatbeständen, die zum Schutze des Eigentums vorgesehen sind (§§ 242, 246, 303 StGB), denn die Sacheigenschaft der Keimbahnzellen endet spätestens mit der Befruchtung. 7 Es mag dahinstehen, ob der Embryo Personenqualität hat, in keinem Fall dürfen Embryonen lediglich als Sachen bzw. Objekte betrachtet werden. 8 Keinen Schutz für den menschlichen Embryo bot im übrigen auch das Gentechnikgesetz.9 Wenn auch die Ausklammerung der Humangenetik vom Anwendungs5 Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β I; Rn. 4; Horn, in: SK-StGB, § 212, Rn. 3; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, Vorbem §§ 211 ff., Rn. 12; Tröndle, StGB-Komm, Vor § 211, Rn. 2; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211, Rn. 2 f.; s. auch hier das Problem der Abgrenzung zwischen Schwangerschaftsabbruch und Totungsdelikten: BGHSt 31, 348 (350 ff.); 32, 194; ferner s. Lüttger, NStZ 1983, S. 481 ff. (483); Eser, in: Schönke/Schröder, StGBKomm, Vorbem §§ 211 ff., Rn. 15; Horn, in: SK-StGB, § 212, Rn. 4; Jähnke, in: LK-StGB, Vor § 211, Rn. 4; Maurach/F.-C. Schroeder/Maiwald, BT-StrR, Tb. 1, § 1 III, Rn. 9, S. 13. 6 Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, § 223, Rn. 1; Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β I; Rn. 5; Horn, in: SK-StGB, § 223, Rn. 2; Tröndle, StGB-Komm, § 223, Rn. 1; umstritten ist jedoch die Frage, ob pränatale Einwirkungen als Körperverletzung des später geborenen Menschen bewertetjcönnen; ablehnend: Hirsch, in: LK-StGB, Vor § 223, Rn. 7 und § 223, Rn. 2; Lackner, StGB-Komm, § 223, Rn. 2; Maurach/F.-C. Schroeder/Maiwald, BT-StrR, Tb. 1, § 8 I, Rn. 6, S. 95; a.A. LG Aachen, Beschl. v. 18.1200.1970-4 Kms 1 /68, 15-115/67 (Contergan-Beschluß), JZ 1971, S. 507 ff. (509 ff.); Tepperwien, S. 94 f.; Arzt/ Weber, BT-Str 1, Rn. 411; Weiß, G A 1995, S. 373 ff. (377); differenzierend Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, § 223, Rn. 1 a. Zur pränatalen Einwirkung als Körperverletzung i. S. d. § 823 BGB s. Mertens, in: MünchKomm-BGB, § 823, Rn. 78; vgl. auch BGHZ 58,48 (50 ff.). 7 Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β I, Rn. 6; Eser in: Schönke/Schröder, StGBKomm, § 242, Rn. 10; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 242, Rn. 10; Selb, S. 24 und 42 ff.; vgl. aber auch die frühere Meinung, nach der menschliche Embryonen als Sachen angesehen und dem Eigentumsrecht zugeordnet wurden, so daß eine Anwendung des § 303 StGB möglich war, in: Bilsdorfer, MDR 1984, S. 803 ff. (804 f.). Heutzutage ist schon vor der Befruchtung die Sacheigenschaft der menschlichen Keimbahnzellen zweifelhaft; wenn sie als Sachen verstanden werden, werden sie entsprechend dem Eigentumsrecht unterstellt; dem Eigentumsrecht korrespondiert auch die Zulässigkeit einer Enteignung. Eine Enteignung von Keimbahnzellen kann aber nicht angenommen werden, weil sie die Bausteine potentiellen Lebens sind. Daher wird für die Keimzellen nur ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausfließendes Selbstbestimmungsrecht des Keimträgers anerkannt; so Brohm, JuS 1998, S. 197 ff. (201). Vgl. ferner den Versuch von Starck, Gutachten A, 56. DJT, Bd. I, S. A 7 ff. (17), den Schutz der Menschenwürde schon auf die unbefruchtete Eizelle zu erweitern. Aus der Rechtsprechung vgl. BGHZ 124, 52 (56) in dem eine Spermakonserve, die der Erhaltung der Fortpflanzungsmöglichkeit ihres Spenders dienen sollte, dem Schutzbereich der Körpersphäre zugeordnet und ihr die Sachqualität abgesprochen wird; s. auch die Kritik zu dieser Rechtsprechung von Taupitz, JR 1995, S. 22 ff. β Pap, MedR 1986, S. 229 ff. (230); Jung, ZStW 100 (1988), S. 3 ff. (19); H.-G. Koch, MedR 1986, S. 259 ff. (262); ebenso im Ergebnis auch Mersson, S. 54 ff.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

bereich des Gentechnikgesetzes ursprünglich nur in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kam 10 , enthält § 2 Abs. 2 GenTG seit der Gesetzesnovellierung von Dezember 1993 eine Ausschlußklausel, die klarstellt, daß das Gesetz für die Anwendung von gentechnisch veränderten Organismen am Menschen nicht gilt. 11 Als Ergebnis wurde die Meinung vertreten, daß vor Erlaß des Embryonenschutzgesetzes der Forscher nach Belieben mit den extrakorporal erzeugten und nicht übertragenen Embryonen verfahren und experimentieren konnte.12 Die Abwesenheit von speziellen Vorschriften bedeutet aber nicht ohne weiteres, daß die Forschung an Embryonen vor dem Embryonenschutzgesetz als rechtmäßig anzusehen wäre. 13 Ein Verhalten ist nicht schon deswegen rechtmäßig, weil es nicht strafbar bzw. nicht geregelt ist. Die Regelungsfreiheit eines Sachverhalts bedeutet nicht gleichzeitig, daß die Handlung irgendwie „gestattet" wurde. Eine solche Konzeption der Rechtsordnung als allumfassende Regelung des Zusammenlebens ist schon deswegen nicht annehmbar, weil die Freiheit des Menschen nach dem liberalen Freiheitsverständnis originär ist und vom Staat lediglich gesichert wird. 14 Festzustellen bleibt, daß verfassungsrechtliche Parameter der Embryonenforschung schon vor dem Embryonenschutzgesetz bestanden. Bei der Abtreibungsdiskussion und der entsprechenden Auseinandersetzung war von Anfang an klar, daß embryonales Leben nicht nur einen ethischen Status hat, sondern auch verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Man hätte daher auf diejenigen Verfassungsvorschriften zurückgreifen können, die für den Embryonenschutz eine erhebliche Bedeutung erweisen. Das wäre besonders interessant gewesen, um eine „Ausstrahlungswirkung" dieser Vorschriften auf die zivilrechtliche Rechtsordnung und dadurch einen mittelbaren Schutz menschlicher Embryonen zu begründen.15 Zwar 9 GenTG v. 20. Juni 1990, BGBl. I, S. 1080; Novellierung v. 16. Dezember 1993, BGBl. I, S. 2066. 10 s. die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 11/5622 v. 9. 11. 1989, S. 19 ff. (22 f.); kritisch dazu Herdegen, GenTR/BioMedR, Bd. 1, Teil I, B, § 2 GenTG, Rn. 8 und 28. h Bender/Sparwasser/Engel, S. 488, Rn. 54; J. Simon/Weyer, NJW 1994, S. 759 ff. (765); Ronellenfitsch, GenTR/BioMedR, Bd. 2, Teil II, A, Einf., Rn. 6; zum Umfang der Ausschlußklausel des § 2 Abs. 2 GenTG s. Herdegen, GenTR/BioMedR, Bd. 1, Teil I, B, § 2 GenTG, Rn. 29 ff. ι 2 Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β I, Rn. 2; Betta, Embryonenforschung, S. 87; Eser, Art. „Humanexperiment / Heilversuch", in: Lexikon Medizin - Ethik - Recht, Sp. 503 ff. (510 f.) 13 Schon das Verständnis von „rechtswidrig" und „nicht rechtswidrig" als kontradiktorische Gegensätze ist verfehlt und kann nur dann eine Bedeutung erlangen, wenn etwas von der Rechtsordnung überhaupt geregelt ist; Roxin, AT-StrR, § 14, Rn. 26. 14 Für das Gebiet des Strafrechts s. Roxin, AT-StrR, § 14, Rn. 26. 15 In diese Richtung Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (478), der darin eine vorläufige Lösung des Problems bis zum Ergreifen gesetzgeberischer Maßnahmen sieht; allgemein zur Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das Privatrecht s. die grundlegende Entscheidung

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hat eine solche Entwicklung nicht stattgefunden. Die neuartigen Fragestellungen im Problembereich der Fortpflanzungstechnologien haben aber vor ungefähr 15 Jahren eine interessante öffentliche Diskussion in Deutschland ausgelöst, an der verschiedene gesellschaftliche Gruppen und spezifische Gremien teilgenommen haben.

2. Entwicklung der Diskussion Bei der Auseinandersetzung mit den Rechtsfragen der Humangenetik bestand Meinungsübereinstimmung hauptsächlich in bezug auf die Grundrechtsrelevanz der neuen Möglichkeiten des Umgehens mit menschlichen Embryonen. Besonders in bezug auf die Rechtsfragen der Embryonenforschung wurde nicht selten darauf hingewiesen, daß dieser Bereich durch das Zusammentreffen mehrerer grundrechtlicher Garantien geprägt wird. Auf dieser Weise erheben die Forschungsfreiheit, der Lebensschutz am Lebensbeginn und die Garantie der Menschenwürde jeweils einen Regelungsanspruch für den einschlägigen Sachverhalt, wobei deren „friedliche" Zuordnung alles anderes als selbstverständlich ist. In seiner 25. Jahrestagung vom 13. bis 15. Oktober 1983 in Berlin beschäftigte sich der Deutsche Juristinnenbund mit dem Thema „Genmanipulation- medizinische, rechtliche und moralethische Aspekte der Veränderung am menschlichen Erbgut". 16 Daraus entstand eine Arbeitsgruppe, deren Thesen im Jahr 1986 veröffentlicht wurden. Demnach dürfen zum einen Embryonen nicht zu Forschungszwecken erzeugt werden. Zum anderen wurde eine strafrechtliche Sanktion für den wirksamen Schutz von Embryonen für angebracht gehalten.17 Mit den Problemen der künstlichen Befruchtung befaßte sich auch der 56. Deutsche Juristentag, was zu einem besseren Verständnis der juristischen Aspekte der Diskussion beigetragen hat. 18 Nach seinen Beschlüssen (1) entsteht „mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ( . . . ) menschliches Leben, das einen kontinuierlichen Entwicklungsprozeß ohne entscheidende qualitative Zäsuren nimmt. (2) Bereits in diesem Zeitpunkt setzt der Schutz der Verfassung (Art. 11, Art. 2 Π GG) ein, und zwar unabhängig von der Art der Zeugung und davon, ob die Entwicklung innerhalb oder außerhalb des Mutterleibes stattfindet. (3) Embryonen dürfen nur mit dem Ziel der späteren Implantation und nicht zu Forschungszwecken erzeugt werden." Hinzu werden Begrenzungen zur Zahl der zu befruchteten Eizellen und des BVerfGE 7, 198 (205 ff.) - Lüth; ferner s. Pieroth/Schlink, //. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 57 ff. 16 Deutscher Juristinnenbund (Hrsg.), S. 58 ff.

Rn. 81; Schmalz, Rn. 271 ff.;

17 Thesen einer Arbeitsgruppe des Deutschen Juristinnenbundes zu künstlichen Befruchtungen, JZ 1986, S. 777 f. is s. insbesondere das Gutachten von Starck, Gutachten A, 56. DJT, Bd. I, S. A 7 ff., und die Beschlüsse der zivilrechtlichen Abteilung der 56. DJT, Bd. II, S. Κ 233 ff.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

zur Anwendung der Kryokonservierungstechnik angeführt (4). Als einzige erlaubte Verwendung von überzähligen Embryonen wird die Implantation bei einer anderen Frau angesehen (5). Embryonen, bei denen es keine Implantationsmöglichkeit gibt, sind ihrem Schicksal zu überlassen (6). Diagnostische und therapeutische Eingriffe in einen zur Implantation vorgesehenen Embryo dürfen schließlich nur in seinem Interesse vorgenommen werden (7). Im selben Jahr (1986) hat auch der Deutsche Richterbund zu Problemen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik Stellung genommen und dabei die These vertreten, daß die extrakorporale Befruchtung nur zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft zulässig sei, daß die Achtung vor menschlichem Leben es verbiete, mit übriggebliebenen Embryonen zu experimentieren und daß es aus ethischer Sicht nur annehmbar sei, diese „ihrem natürlichen Schicksal" zu überlassen. Darüber hinaus wurde jeglicher Eingriff in menschliches Erbgut, der irreversible Einwirkungen für die Nachkommenschaft haben könnte, als unzulässig angesehen. Schließlich wurde der Gesetzgeber aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß die neuen Möglichkeiten der Medizin und der Humangenetik keine Menschenwürdeverletzungen zur Folge haben.19 Die Kirchen haben ebenfalls an der Diskussion teilgenommen, und die Forschung an Embryonen grundsätzlich abgelehnt.20 Nach der Meinung der Katholischen Kirche sind nur solche Eingriffe der medizinischen Forschung an lebenden Embryonen moralisch zu verantworten, bei denen die Sicherheit besteht, daß weder dem Leben noch der Integrität des Ungeborenen und der Mutter ein Schaden droht, und unter der Voraussetzung, daß die Eltern nach entsprechender Information ihre freie Zustimmung zum Eingriff gegeben haben.21 Aus dem parteipolitischen Bereich sind insbesondere die Vorschläge zur Lösung von Problemen der Unfruchtbarkeit und der Anwendung gentechnologischer Methoden beim Menschen der SPD vom Oktober 1985 22 , die rechtspolitischen Grundsätze von CDU und CSU zur Fortpflanzungsmedizin 23 und zur Gentechnik am Menschen24, sowie die Leitsätze zu rechtsethischen und rechtspolitischen Fragen 19 Thesen des Deutschen Richterbundes, DRiZ 1986, S. 229 f. 20 s. die Stellungnahme „Extrakorporale Befruchtung, Fremdschwangerschaft und genetische Beratung - Eine Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur ethischen Urteilsbildung", abgedruckt in: Evangelische Akademie Hofgeismar (Hrsg.), S. 74 ff. (75 f.); für die Position der Katholischen Kirche s. die „Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung - Antworten auf einige aktuelle Fragen", abgedruckt in: Wekowsky (Hrsg.), S. 3 ff. (15). Kurze Informationen darüber in: Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β III, Rn. 8; Wurzel/Born, BayVBl 1991, S. 705 ff. (707); Döring, S. 96 ff. 21 „Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung - Antworten auf einige aktuelle Fragen", in: Wekowsky (Hrsg.), S. 3 ff. (13). 22 Däubler-Gmelin (Hrsg.), Forschungsobjekt, S. 1 ff. 23 Seesing (Hrsg.), Teil 1.

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der Fortpflanzungsmedizin des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen vom 25. Januar 1986 25 und die Leitsätze zur Zeugung im Reagenzglas des Arbeitskreises der Juristen der CSU vom 19. Juli 198626 zu erwähnen.

3. Regelungskonzepte Für die Regelung der Rechtsfragen der Embryonenforschung konkurrieren zwei Regelungskonzepte, einerseits das Konzept der Selbstregulierung, andererseits die Regelung durch formelles Gesetz. Das erste Konzept entspricht der Qualifikation der ärztlichen Berufe als „freie Berufe". Nach ihm ist keine gesetzliche Regelung bezüglich der Fragestellungen im biomedizinischen Bereich notwendig.27 Eine vorzeitige gesetzliche Regelung könnte sich für den Fortschritt in diesem Bereich als schädlich erweisen, ohne zugleich notwendig zu sein. Nach dieser Meinung sollten Gesetze anhand von Fakten und fundierten Überlegungen erlassen werden und nicht auf der Basis von Denkmodellen, d. h. auch künftig einzutretende Gefahren. Der Fortschritt bringt inhärent in seiner dynamischen Entwicklung Unsicherheiten mit, die aber keine Panik verursachen sollten.28 Das Recht, dessen Entwicklung durch den wissenschaftlichen Fortschritt realisiert wurde 29, darf in diesem Sinn nicht als eine „bürokratische Blockade" funktionieren. 30 In diesem Sinne stammte das erste Bemühen um eine normative Bewältigung der mit der künstlichen Befruchtung zusammenhängenden Probleme aus dem ärztlichen Standesrecht. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat auf seiner Sitzung am 4. Oktober 1985 die von einer interdisziplinären, berufsübergreifenden Kommission seines Wissenschaftlichen Beirates erarbeiteten und vom Wissenschaftlichen Beirat verabschiedeten „Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen" beraten und beschlossen und versuchte dadurch die Embryonenforschung zu reglementieren.31 24 Seesing (Hrsg.), Teil 2. 25 Abgedruckt in: Seesing (Hrsg.), Teil 1, S. 90 ff. 26 Abgedruckt in: Seesing (Hrsg.), Teil 1, S. 93 f. 27 s. diese Meinung zunächst in der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutze von Embryonen, Weißbuch, S. 104 ff. (104 f.); zuletzt diese Meinung in: DFG, S. 35; zu erwähnen ist auch, daß während der Geltungszeit der Richtlinien der Bundesärztekammer keine Verletzungen dieser Richdinien bekannt worden sind; dazu Wolfrum, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 43 ff. (52). 28 D. Krebs, in: Wuermeling (Hrsg.), S. 9 ff. (21), Doerfler, in: BMFT (Hrsg.), Benda-Bericht, Anlage II, S. 52 ff. (53); gegen die Regelung von Sachverhalten, deren Realisierungsmöglichkeit nicht nachgewiesen ist, Vitzthum, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 61 ff. (77). 29 Zum Einfluß der Technikentwicklung auf die Rechtsordnung, s. Berg, JZ 1985, S. 401 ff. (403). 30 Däubler-Gmelin, in: FS H. Simon, S. 485 ff. (490).

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Nach dieser Richtlinien könnten Embryonen beim Vorliegen der Einwilligung der genetischen Eltern zu Forschungszwecken verwendet werden, soweit sie nicht über einen bestimmten Entwicklungsstand hinaus in vitro kultiviert waren, der dem 14. Tag nach Befruchtung in vivo entsprach. Zusätzlich wurde eine solche Forschung unter der Überwachung eines zuständigen Gremiums (Ethikkommission) gestellt.32 Die Kompetenz der Bundesärztekammer, solche Richtlinien zu erlassen, ist jedoch fraglich. Zu erwähnen ist zunächst, daß die Bundesärztekammer ein nicht rechtsfähiger Verein ist, der keine verbindliche Rechtsvorschriften erlassen kann.33 Die von ihr erlassenen Richtlinien entfalten nur in dem Sinne Normativität, als sie sich an die ärztlichen Einzelkammern der Länder wenden, die ihre Mitglieder sind. Sie sollen daher als Vorbild für die von den zuständigen Einzelkammern zu erlassenen Berufsordnungen dienen.34 Für die Berufsangehörigen selbst können sie aber keine unmittelbare Verbindlichkeit entfalten. 35 Die Kritik konzentrierte sich hauptsächlich auf die fehlende materiell-rechtliche Kompetenz der Standesvertretungen, solche Probleme zu reglementieren, die nicht nur die Berufsausübung betreffen, sondern Grundrechtsrelevanz aufweisen. Diese wurde abgelehnt, mit dem grundsätzlichen Argument, daß nur der demokratisch legitimierte Gesetzgeber über Eingriffe in grundrechtlich garantierte Rechtsgüter entscheiden dürfte. 36 Seit dem Facharztbeschluß des Bundesverfassungsgerichts gehört nicht zur autonomen Satzungsgewalt die Setzung von Regeln, welche sich nicht auf die Regelung der Berufsausübung begrenzen, sondern auch Drittbetroffenheit aufweisen, d. h. eventuell die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte Nichtberufsangehöriger berühren. 37 31 Weißbuch, S. 31. 32 Weißbuch, S. 32 ff. 33 Laufs, Arztrecht, Rn. 66; die Satzungsautonomie steht nur in den Staat eingeordneten juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu, Ossenbiihl, in: Erichsen (Hrsg.), § 6, Rn. 63, S. 143 f. 34 Auf diese Weise sollten die Landesärztekammern die Richtlinien in die Berufsordnungen einführen und damit zum verbindlichen Berufsrecht erheben; Keller, in: ESchG-Komm, Einführung Β III, Rn. 4; die Frage, ob die Landesärztekammern eine Regelungskompetenz haben, orientiert sich am Vorliegen einer landesrechtlichen Ermächtigung. Die Gültigkeit dieser Ermächtigung setzt immer das Vorliegen landesrechtlicher Kompetenz voraus, wovon die Kammer ihre Kompetenz ableitet. 35 Taupitz, Standesordnungen, S. 748 ff., insbesondere S. 750; im Gegensatz dazu ergehen die Entscheidungen der Landesärztekammern als Verwaltungsakte und binden ihre Mitglieder; dazu s. Laufs, Arztrecht, Rn. 63. 36 Günther, ZStW 102 (1990), S. 269 ff. (278); Günther, MedR 1990, S. 161 ff. (164); Af. Schröder, VersR 1990, S. 243 ff. (249); Laufs,in: HbArztR, § 129, Rn. 11; Laufs, in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 114 ff. (117 f.); Wahl, in: Bertazzoni/Fasella/Klepsch/Lang (Hrsg.), S. 201 ff. (204); vgl. auch den Vorschlag einer Regelung auf verschiedenen Ebenen, Deutsch, MDR 1985, S. 177 ff. (178).

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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Die Drittbetroffenheit einer Regelung der Forschung an Embryonen ist deutlich. Zunächst betrifft sie auch Forschungsinteresse von Biologen oder anderen Naturwissenschaftler und Unternehmen.38 Eine Regelung standesrechtlichen Ursprungs kann aber ausschließlich für die Mitglieder der jeweiligen Standesorganisation gelten und nur ihr Verhalten bestimmen. Die Entscheidungen der Ärztekammer können demnach die Handlungen der Ärzte, die ihre Mitglieder sind, reglementieren, nicht aber auch das Verhalten der Biologen oder anderer Naturwissenschaftler, die an gleichermaßen relevanten Forschungsprojekten teilnehmen können.39 Zugleich trifft eine solche Standesregelung auch existentielle Entscheidungen über das Leben bestimmter menschlichen Embryonen, die völlig schutzlos sind. Eine solche Bindung Außenstehender durch Satzungsvorschriften der Selbstverwaltungskörperschaften könnte nur durch besondere gesetzliche Ermächtigung unter Berücksichtigung des Demokratieprinzips erfolgen. 40 Angesichts dieser Argumente, die für die fehlende Kompetenz der Standesvertretung sprechen, ist anzunehmen, daß eine Standesregelung der Rechtsprobleme der Embryonenforschung nur eine vorläufige Lösung darstellen konnte.41 Damit sollte man sich am Konzept einer Regelung durch parlamentarisches förmliches Gesetz orientieren. Schon die Grundrechtsrelevanz, die die Forschung an Embryonen aufweist, soweit sie die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Forschungsfreiheit, den Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) betrifft, erlaubt es dem Staat nicht, sich den Problemen der neuen Fortpflanzungstechnologien gegenüber gleichgültig zu verhalten. Das ergibt sich aus dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes im Zusammenhang mit der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts formulierten Wesentlichkeitslehre, derzufolge es allein Aufgabe des Gesetzgebers sein soll, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen" 42. Die Grundrechte vermitteln einen wichtigen Ge-

37 BVerfGE 33,125 (158 ff.) - Facharztbeschluß; ferner auch 71,162 (172) - Werbeverbot für Ärzte; 76, 171 (185) - Standesrichtlinien für Rechtsanwälte; über den Inhalt der Normen der Satzungsautonomie, s. auch Ossenbiihl, in: Erichsen (Hrsg.), § 6, Rn. 68 f., S. 147; Ossenbiihl, in: HbStR, Bd. III, § 66, Rn. 27 f. 38 Das wird ζ. B. im Punkt 4.2 der Richtlinien deutlich; dort ist die Rede nicht von Ärzten, sondern von Wissenschaftlern im allgemeinen, die ein Interesse an der Durchführung von Forschungen an menschlichen Embryonen haben. 39 C. Hirsch, MedR 1986, S. 237 ff. (238); s. auch den Abschlußbericht der Bund-LänderArbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin", Bundesanzeiger v. 6. 1. 1989, Beilage, Bd. 41, Nr. 4a, S. 24. 40 Ossenbühl, in: HbStR, Bd. III, § 66, Rn. 32 f. 41 So Benda, NJW 1985, S. 1730 ff. (1734); Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (478).

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

sichtspunkt für die Erörterung des wesentlichen Charakters einer Entscheidung.43 Das ist vor allem dann der Fall, wenn verschiedene Grundrechtspositionen sich treffen und eventuell in Kollision miteinander geraten. Dabei hat der Gesetzgeber „solche Kollisionen zum Ausgleich zu bringen".44 Die dogmatische Begründung des Entscheidungsmonopols des Gesetzgebers stützt sich auf zwei der grundlegenden Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung, nämlich auf das Demokratie- und auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG). Das Demokratieprinzip ist in dem Sinne einschlägig, daß es die Gestaltung des Gemeinwesens durch objektives und auf eine Willensentscheidung des unmittelbar vom Volk legitimierten Parlaments zurückgehendes Recht fordert. 45 Die Rechtsstaatlichkeit verlangt darüber hinaus eine Verwirklichung der im Grundgesetz verankerten Rechte.46 Diesen Forderungen kann nicht durch autonomes Satzungsrecht der beteiligten Berufsverbände ausreichend Rechnung getragen werden.47 Desweiteren legitimiert die parlamentarische Verantwortung48, sowohl in ihrer justiziablen Form als auch im Sinne der politischen Verantwortung, unter anderem die gesetzgeberische Rechtsetzungsprärogative, insbesondere wenn es um die Regelung von mit Unsicherheit belasteten Sachlagen der Technikentwicklung geht, wie diejenige der Forschung an embryonalem Leben. Die Standesorganisationen tragen dagegen nicht in dem Maße Verantwortung für ihre Entscheidungen wie der Gesetzgeber. Darüber hinaus garantiert das offene, öffentliche, förmliche und verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren auch eine weitgehende inhaltliche Rationalität bei der Bildung staatlicher Entscheidungen49, insbesondere wenn 42 BVerfGE 49, 89 (126) - Kalkar; schon früher BVerfGE 34, 165 (192 f.) - Hessische Förderstufe; 40, 237 (249) - Rechtsschutzverfahren im Strafvollzug; 41, 251 (260) - SpeyerKolleg; 45, 400 (417 f.) - Gymnasiale Oberstufe in Hessen; 47, 46 (78 ff.) - Sexualkundeunterricht; 48, 210 (221) - Steuerbegünstigung; zuletzt BVerfG, Urt. v. 14. 7. 1998-1 BvR 1640/97, NJW 1998, S. 2515 ff. (2520) - Rechtschreibreform; ferner s. Stern, in: HbStR, Bd. V, § 109, Rn. 84. 43 BVerfGE 47,46 (79) - Sexualkundeunterricht; Kriele, in: HbStR, Bd. V, § 110, Rn. 57. 44 BVerfGE 57, 295 (321); 83, 130 (142) - Josefine Mutzenbacher; Lücke, in: Sachs, GGKomm, Art. 80, Rn. 20. 45 Umbach, in: FS Faller, S. 111 ff. (115); Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 503; H. Dreier, in: H. Dreier/J. Hofmann, Souveränität, S. 11 ff. (43); vgl. hier die Kritik von v. Arnim, DVB1. 1987, S. 1241 ff. (1242 f.); die Kritik weist darauf hin, daß in der parlamentarischen Demokratie kein Vorrang des Parlaments gegenüber den anderen verfassungsunmittelbaren Organen allein aus dem Gedanken der direkten demokratischen Legitimation begründet werden kann; s. auch BVerfGE 49, 89 (125 f.) - Kalkar; 68,1 (88) - Nachriistungsbeschluß. 46 Stern, Staatsrecht, Bd. III /1, § 73, S. 1257 ff. 47 Spiekerkötter, S. 101. 48 Für das Verhältnis zwischen dem Wesentlichkeitsgrundsatz und der parlamentarischen Verantwortung s. Roßnagel, ZRP 1992, S. 55 ff. (55 f.). 49 Schulze-Fielitz, Gesetzgebung, S. 459; v. Arnim, DVB1. 1987, S. 1241 ff. (1243 f.); zur „Richtigkeit" einer normativen Entscheidung auch als Zweck der Kompetenzverteilung s.

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es um die normative Bewältigung gesellschaftlich umstrittenen Rechtsprobleme geht.50 Die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung ergibt sich aber auch aus anderen Gründen. Gesetzesregeln können dazu beitragen, ethisch begründete Verhaltensweisen zu formen und durchzusetzen. Schon die bloße Existenz von Sanktionen etwa auf dem Feld des Lebensschutzes beeinflußt die Wertvorstellungen und das Verhalten der Bürger 51, zumindest in dem Sinne, daß sie eine deutliche Grenzlinie zwischen Recht und Unrecht markieren. 52 Es kann ferner nicht hingenommen werden, daß man sich ohne Bedenken der Macht der technisch-wissenschaftlichen Experten unterwirft. 53 Die Regelung und die Kontrolle im Bereich des naturwissenschaftlichen Fortschrittes ist vorzüglich ein politisches, soziales und normatives Problem54, weil dieser unausweichlich mit den Grundentscheidungen über die gesellschaftliche Realität verflochten ist. 55 Deshalb verlangt die demokratische Ordnung auch eine parlamentarische Entscheidung über die Voraussetzungen, unter denen die wissenschaftlich-technologische Entwicklung stattfinden soll. Diese Entscheidung, die die Interessen verschiedener Personen betreffen kann, soll auf keinen Fall durch die Meinung der Wissenschaftler ersetzt werden, die sich mit dem Argument ihres Spezialistentums als am geeignetsten für die Bewertung ihrer Arbeit darstellen wollen.56 Wenn gewichtige Rechtsgüter auf dem Spiel steBVerfGE 68, 1 (86) - Nachrüstungsbeschluß; BVerfG, Urt. v. 14.700.1998-1 BvR 1640/97, NJW 1998, S. 2515 ff. (2520) - Rechtschreibreform. so Neidert, MedR 1998, S. 347 ff. (353). 51 BVerfGE 39,1 (57 f.); 88, 203 (253); BVerfGE 45, 187 (254, 256) - lebenslange Freiheitsstrafe; Laufs, in: HbArztR, § 4, Rn. 31; D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (75); Kriele, JZ 1975, S. 222 ff. (222); Mersson, S. 142; Steiner, in: Piazolo (Hrsg.), S. 107 ff. (123 f.); Steiner, in: Reiter/Keller (Hrsg.), S. 170 ff. (180); Rössner, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 247 ff. (251); kritisch zum durch Zwang ermittelten Konsens, Isensee, in: Piazolo (Hrsg.), S. 49 ff. (57); ders., NJW 1977, S. 545 ff. (551). 52 Über die moralische Reflexwirkung von regelnden Sätzen insbesondere im Strafrecht, Haverkate, S. 20; Müller-Dietz, in: FS Dreher, S. 97 ff. (113); kritisch dazu Kaufmann, in: FS Oehler, S. 649 ff. (657 und 668); ders., in: Flöhl (Hrsg.), S. 259 ff. (276); F. Herzog, ZStW 105 (1993), S. 727 ff. (745); ferner für die nur teilweise Überschneidung des Gesetzes mit der Moral s. Isensee, Essener Gespräche 11 (1977), S. 92 ff. (95). 53 Daß die Technik im allgemeinen ein Machtphänomen ist s. Schlesky, S. 453 ff.; Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 34; für die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Macht und Wissen s. darüber hinaus Denninger, KritV 1992, S. 123 ff. (134 f.); Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 13. Vgl. hier auch den Begriff „Biomacht" (biopouvoir) und die Funktion der Entwicklung des Wissens über das Leben im Rahmen dieser Macht in Foucault, S. 184 ff. 54 Rapp, in: Lenk/Ropohl (Hrsg.), S. 31 ff. (41). 55 Adorno, in: Lenk/Ropohl (Hrsg.), S. 22 ff. (23 f.); daß die wissenschaftliche Entwicklung auch unsere Vorstellung von uns selbst und der Welt ändert, s. Schlesky, S. 439 ff.; in bezug auf die humanmedizinischen Fragestellungen auch Bjarup, Rechtstheorie 1991, Beiheft 11, S. 337 ff. (341). 56 D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (74 f.).

4 Iliadou

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

hen, würde ein Verzicht auf die Reglementierung auch das Inkaufnehmen deren eventueller Vernichtung bedeuten.57 Das muß aber nicht notwendig zu einer Mißachtung der naturwissenschaftlichen Meinungen führen. Ihre Berücksichtigung ist dagegen erforderlich, damit die Diskussion vom Sachverstand und nicht von unreflektierten Befürchtungen geprägt wird. 58 Es geht hauptsächlich um das Interdisziplinaritätserfordemis, das heute wie nie zuvor für die gesetzliche Bewältigung der technologischen Probleme an Bedeutung gewinnt.59 Wenn man alle diese Gesichtspunkte berücksichtigt, kommt man zum Ergebnis, daß es Wissenschaft und Technik außerhalb einer staatlichen Verantwortung unter dem Grundgesetz nicht geben darf. 60 Die Postulierung eines „rechtsfreien Raums"61 für den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt, im Sinne der Abwesenheit jeglicher staatlichen Regelung ist nicht realisierbar, weil der rechtsfireie Raum dort endet, wo fremde Rechtsgüter in Anspruch genommen werden.62 Die Sicherheitsfunktion des Rechts für diese Rechtsgüter kann und muß die Entwicklung von Wissenschaft und Technik steuern.63

4. Regelungsvorschläge Der weitgehenden Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der neuen Handlungsmöglichkeiten der Medizin standen aber Meinungsverschiedenheiten gegenüber, die sich mit dem Inhalt des zu erlassenden Gesetzes befaßten. Ein solcher Dissens herrschte auch innerhalb der verschiedenen öffentlichen Gremien, die sich mit den Problemen der Humangenetik und der Fortpflanzungsmedizin befaßt haben. Aus inhaltlicher Sicht können die Regelungsvorschläge in zwei Kategorien eingeteilt werden. Eine Seite lehnt jegliche Forschung an 57 Kriele, JZ 1975, S. 222 ff. (222). 58 Riesenhuber, in: BMFT (Hrsg.), Fachgespräch, S. 47 ff. (49). 59 Allgemein für die Notwendigkeit der sachverständigen Beratung des Staates s. auch Brohm, in: HbStR, Bd. II, § 36, Rn. 1 ff.; insbesondere für die Gesetzgebung, Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 97 ff.; ferner für eine Typologie der Beiträge von Sachverständigen zum Gesetzgebungsverfahren, s. Schulze-Fielitz, Gesetzgebung, S. 461 ff. 60 So Köck, AöR 121 (1996), S. 1 ff. (12). 61 s. Feick, BayVBl 1986, S. 449 ff. (454). Zur Bedeutung des Begriffs „rechtsfreier Raum" s. Kaufmann, in: FS Maurach, S. 327 ff. (337); demnach sind diejenigen rechtlichen wie auch menschlich problematischen Konfliktfälle rechtsfrei, in denen gleichwertige oder rational nicht bewertbare Güter bzw. Pflichten miteinander kollidieren, wobei kein rationales Kriterium für die Lösung dieser Kollision vorhanden ist. 62 Vgl. für den Unrechtsbereich Roxin, AT-StrR, § 14, Rn. 28; H.-J. Hirsch, in: FS Boekkelmann, S. 89 ff. (105). 63 s. auch Berg, JZ 1985, S. 401 ff. (403 f.).

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Embryonen rundweg ab, die andere möchte die Forschungsprojekte in diesem Bereich unter bestimmten Voraussetzungen erlauben.

a) Absolute Ablehnung Ein Verbot der Forschung an Embryonen wurde im Rohentwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" 64 ausgesprochen.65 Ebenso wurde die embryonenverbrauchende Forschung als verboten und strafbar angesehen im Gesetzentwurf der Bundesregierung von 25. Oktober 1989 66 und in der Bundesratsentschließung vom 16. Mai 1986, die den von den Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern zugeleiteten Anträgen für eine Entschließung gegen Mißbräuche bei der extrakorporalen Befruchtung und zur Genund Fortpflanzungstechnologie folgte 67. Dasselbe gilt für den Vorläufigen Arbeitsentwurf eines Landesgesetzes über Fortpflanzungsmedizin von Rheinland-Pfalz (14. Oktober 1986), in dem ein Verbot der Verwendung von Embryonen zu Forschungszwecken vorgesehen wurde, falls eine solche Verwendung den Tod oder eine Gesundheitsbeschädigung der Embryonen zur Folge haben könnte.68 Gleiches gilt für den Arbeitsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen des Bundesministers der Justiz (Oktober 1988)69, für den Antrag von einzelnen Abgeordneten und der SPD-Fraktion im Bundestag vom 18. Januar 1988 70 über die Regelung der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimbahnzellen, und für den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen der Fraktion SPD vom 16. 11. 198971.

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Diese Arbeitsgruppe wurde vom Bundesminister der Justiz auf eine Bitte des Bundesrates (BR-Drs. 210/1986 v. 5. 5. 1986, S. 5) und der 57. Konferenz der Justizminister und Justizsenatoren vom 16. bis 18. September 1986 mit dem Auftrag eingesetzt, ein Gesamtkonzept über den staatlichen Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin zu erarbeiten und Lösungsvorschläge vorzulegen. 65 s. den Abschlußbericht der Arbeitsgruppe, Bundesanzeiger v. 6. 1. 1989, Beilage, Bd. 41, Nr. 4a, Anlage 1, S. 31 ff.; s. auch die Empfehlungen der Arbeitsgruppe zum Thema Embryonenschutz, S. 24 ff. « BT-Drs. 11/5460 V. 25. 10. 1989. 67 BR-Drs. 210/86 v. 5. 5. 1986.

68 Hülsmann/H.-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch/Wiesenbart, Regelungen, Bd. I, S. 106 ff. 69 Hülsmann/H.-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch/Wiesenbart, Regelungen, Bd. I, S. 92. 70 BT-Drs. 11/1662 V. 18. 1. 1988. 71 BT-Drs. 11/5710 v. 16. 11. 1989, S. 5. 4*

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

b) Ausnahmsklausel und Genehmigungsvorbehalt Die im Mai 1984 vom Bundesminister der Justiz und dem Bundesminister für Forschung und Technologie berufene interdisziplinär zusammengesetzte »Arbeitsgruppe In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie", die nach ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts kurz als „Benda-Kommission" bezeichnet wird, hat sich zu folgendem Votum entschlossen: „Die Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken ist grundsätzlich nicht vertretbar. Im übrigen sind Versuche mit menschlichen Embryonen nur insoweit vertretbar, als sie dem Erkennen, Verhindern oder Beheben einer Krankheit bei dem betreffenden Embryo oder der Erzielung definierter, hochrangiger medizinischer Erkenntnisse dienen."72 In diese Richtung bewegte sich auch der Rohentwurf eines Bayerischen Gesetzes zur Regelung von Fragen der Fortpflanzungsmedizin (1986), der die Verwendung von Embryonen zu Forschungszwecken im Falle einer Gefahr der Schädigung oder Abtötung des Lebens als strafbar kennzeichnete, jedoch einen Genehmigungsvorbehalt des Staatsministeriums des Innern vorsah, wenn ein bis zum Nidationsstadium befindlicher Embryo auf keine Frau übertragbar war, und es um eine Forschung ging, die der Bewahrung des menschlichen Lebens diente und die erhofften Erkenntnisse nicht anderweitig gewonnen werden konnten. Darüber hinaus sollte eine Ethikkommission das Projekt befürworten und eine schriftliche Einwilligung derjenigen, aus deren Gameten der Embryo entstanden ist, nach hinreichender Aufklärung vorliegen.73 Ebenso wurde in dem Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen, den der Bundesminister der Justiz am 29 April 1986 vorlegte, ein Erlaubnisvorbehalt durch zuständige oberste Landesbehörden vorgesehen.74

5. Strafrechtliche Lösung Der deutsche Gesetzgeber hat früh die mit den neuen technischen Möglichkeiten der extrakorporalen Befruchtung verbundenen potentiellen Anwendungen, Risiken und Auswüchse erkannt und ist durch Erlaß des Gesetzes zum Schutz von Embryonen, seiner demokratisch und rechtsstaatlich begründeten Aufgabe zur Regelung und Bewertung des technisch-wissenschaftlich Möglichen gerecht geworden.75 72 BMFT (Hrsg.), Benda-Bericht, S. 28, Punkt 2.4.1.2. 73 Hülsmann/H.-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch/Wiesenbart, Regelungen, Bd. I, S. 102 ff. 74 Hülsmann/ H.-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch/Wiesenbart, Regelungen, Bd. I, S. 90; diese Regelung hat auch die Zustimmung der MPG gefunden: s. die Stellungnahme der MPG von 1987 zum Diskussionsentwurf für ein Embryonenschutzgesetz aus dem Bundesjustizministerium, abgedruckt in: MPG (Hrsg.), Leben, S. 212 ff. (223 f.).

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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Das Embryonenschutzgesetz ist ein strafrechtliches Nebengesetz 76 , das keine umfassende Regelung aller Fragen im Bereich der Fortpflanzungstechnologien und Medizin auf der Ebene des Bundesrechts darstellt 77 . Es regelt nicht die spezifischen Problemen einer Anwendung der Genetik am Menschen, kann nicht als Steuerungsinstrument in diesem Bereich fungieren und bildet in diesem Sinne kein „Pendant" zum Gentechnikgesetz78. Auf dieser Weise beschränkt sich das Gesetz darauf, strafrechtliche Tatbestände nur hinsichtlich der Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter zu formulieren 79 , also für Sachverhalte bei denen ein gesetzgeberischer Schutz unverzichtbar erscheint 80 . 75 Durch den ESchG haben die frühere Richtlinien der Bundesärztekammer zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen ihre Gültigkeit verloren; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 81; Laufs, in: HbArztR, § 129, Rn. 37; Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (722 f.). Nach der MBO-Ä 1997 sind die Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken sowie der Gentransfer in Embryonen und die Forschung an menschlichen Embryonen und totipotenten Zellen verboten; verboten sind darüber hinaus auch diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe, mit der Ausnahme solcher Maßnahmen, die den Ausschluß schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinne des § 3 ESchG bezwecken (MBO-Ä 1997, C I V Nr. 14, abgedruckt in: NJW 1997, S. 3076 ff.) 76 BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10. 1989, S. 7; Vieweg, in: FS Stree und Wessels, S. 981 ff. (982); Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (723); Pap, ZfL 1995, S. 14 ff. (15). 77 Es ist dabei fraglich, ob das Strafrecht das geeignetste normative Instrument für die Bewältigung der Probleme des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts ist. Damit gerät man aber schon in die Diskussion über die Rolle und den Zweck der Kriminalisierung, die hier ausführlich nicht erörtert werden kann. Zu erwähnen sind die Erwägungen des XIV. Internationalen Strafrechtskongresses in bezug auf das Strafrecht als Kontrollmechanismus im biomedizinischen Gebiet; demnach ist das Strafrecht als ultima ratio einzusetzen, wobei die Strafwürdigkeit, die Strafbedürftigkeit und die Straftauglichkeit eines Verhaltens besonders zu beachten sind: ZStW 102 (1990), S. 983 ff. (687 f.). Für ein strafgesetzgeberisches Verbot: D. Giesen, in: FS Mikat, S. 55 ff. (65); Jung, ZStW 100 (1988), S. 3 ff. (33); Keller, in: Wuermeling (Hrsg.), S. 54 ff. (67); Laufs, JZ 1986, S. 769 ff. (775); Günther, ZStW 102 (1990), S. 269 ff. (274 f.); Wahl, in: Bertazzoni/Fasella/Klepsch/Lang (Ed.), S. 201 ff. (208), jedoch nur für Tatbestände, bei denen mit absoluter Sicherheit eine strafrechtliche Sanktion gefordert werden kann; Mersson, S. 137 ff. (140 ff.); Schirmer, S. 250 ff. (258). Gegen ausnahmslose gesetzliche Restriktionen: Deutsch, in: Flöhl (Hrsg.), S. 232 ff. (240); Eser, Bedrohungen, S. 54 ff.; Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (659); H. Hofmann, JZ 1986, S. 253ff.; Schick, in: FS Göppinger, S. 611 ff. (628); Schreiber, in: FS Schwewe, S. 120 ff. (128).

78 Ronellenfltsch, GenTR/BioMedR, Bd. 2, Teil Π, A, Einf., Rn. 7. 79 BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10, 1989, S. 6; so auch der Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) des Deutschen Bundestags vom 5. Oktober 1990, BT-Drs. 11/8057 v. 8. 10. 1990, S. 12. 80 Wegen seines zum Teil fragmentarischen Charakters wurde das Gesetz als „ lückenhaft " bezeichnet, denn es hat bedeutende Fragen des individuellen und sozialen Lebens, wie die Probleme der heterologen, homologen und quasi-homologen Insemination, oder die Anwendung der IVF bei Nichtverheirateten Personen und bei alleinstehenden Frauen nicht berührt; Keller, in: ESchG-Komm, Einführung, Β II, Rn. 2; Reiter, Herder Korrespondenz 12 (1990), S. 571 ff. (572 f.); Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 72 f.; zu den vom ESchG offen gelassenen Problemen s. auch Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (723). Zur Erforderlichkeit eines Gesetzes zur Regelung der Verwendung von Spendersamen und der Anwendung der Methoden der künstlichen Befruchtung außerhalb einer Ehe äußert sich auch der Bundesrat in seinem

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Eine umfassende Regelung der gesamten Problematik der Fortpflanzungstechniken durch ein System von differenzierten rechtlichen Instrumenten zu verabschieden 81 , wäre aber auch sehr schwierig gewesen, denn sie hätte eine Grundgesetzänderung vorausgesetzt, die die Kompetenz des Bundesgesetzgebers in diesem Bereich ergänzt.82 Nach Art. 74 Nr. 19 und 19a GG besaß der Bundesgesetzgeber die Kompetenz nur für einen Ausschnitt der gesamten Regelungsmaterie des Gesundheitswesens, während dessen Regelung im übrigen den Ländern vorbehalten war. Deshalb konnte der Bundesgesetzgeber nur unter Inanspruchnahme seiner konkurrierenden Zuständigkeit für das Strafrecht bestimmte Handlungen pönalisieren, aber kein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz erlassen.83 Eine andere Lösung, die eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzte, hätte auch einen größeren Zeitaufwand verlangt und wurde deshalb zurückgewiesen.84 Das Embryonenschutzgesetz verfolgt zwei Hauptziele: Zum einen die mißbräuchliche Anwendung der medizinischen Möglichkeiten der IVF zu verhindern, zum anderen mißbräuchliche Verwendungen, Zugriffe und Manipulationen bezüglich des extrakorporalen Embryos auszuschließen.85 Damit soll einer „gespaltenen Mutterschaft" vorgebeugt, die extrakorporale Befruchtung nur zu Fortpflanzungszwecken erlaubt, das Entstehen von überzähligen Embryonen verhindert und das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Fortpflanzung gewährleistet werden. Außerdem soll der Schutz des Lebens des Embryos gewährleistet, das Experimentieren mit Embryonen in der Retorte verhindert und die Eugenik ausgeschlossen werden.86

Beschluß zum Gesetz zum Schutz von Embryonen von 9. November 1990, BR-Drs. 745/90 (Beschluß) v. 9. 11.1990, abgedruckt in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 397. 81 Dieses Konzept wurde durch den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschlichen Keimzellen der Fraktion SPD vom 16. 11. 1989 vorgeschlagen: BT-Drs. 11 /5710 v. 16. 11. 1989. 82 Vgl. den Entwurf eines Siebenunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 74 Nr. 19 a -neu-) der Fraktion SPD vom 16. 11. 1989, BT-Drs. 11/5709 v. 16. 11. 1989. Damit wurde vorgeschlagen, in Art. 74 GG eine neue Nr. einzufügen, die die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf das Gebiet der künstlichen Befruchtung bei Menschen erstrecken sollte. Eine solche Gesetzgebungskompetenz besteht jetzt durch das Gesetz v. 27. 10. 1994 (BGBl. I, S. 3146), das den Nr. 26 in Art. 74 Abs. 1 GG eingeführt hat; nunmehr erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch auf das Gebiet der künstlichen Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen und auf Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben. » Laufs, in: HbArztR, § 129, Rn. 19; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 74; DFG, S. 34; für die Kompetenzfragen s. auch Starck Gutachten A, 56. DJT, Bd. I, S. 7 ff. (49 f.). 84 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) vom 5. Oktober 1990, BT-Drs. 11/8057 v. 8. 10. 1990, S. 12 f. S5 Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (432); Pap, ZfL 1995, S. 14 ff. (15). «> Günther, in: ESchG-Komm, Vor § 11, Rn. 4.

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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I I . Regelung der Embryonenforschung durch das Embryonenschutzgesetz 1. Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes über Embryonenforschung Das Embryonenschutzgesetz berührt den vielschichtigen Sachverhalt der Embryonenforschung in mehrfacher Hinsicht, was zunächst dargestellt werden soll.

a) Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG wird derjenige bestraft, der eine künstliche Befruchtung zu einem anderen Zweck als dem Herbeiführen einer Schwangerschaft vornimmt. Im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung haben früher die Bundesärztekammer in ihren Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen87 wie auch die gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz (Benda-Kommission) in ihrem Bericht 88 nur eine grundsätzliche Unzulässigkeit der Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken vorgeschlagen, da innerhalb dieser Gremien in dieser Frage kein Konsens erzielt werden konnte89. Die ausschließliche Reservierung der Methoden der künstlichen Befruchtung zum Zweck des Herbeiführens einer Schwangerschaft hat zur Folge, daß die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken ausgeschlossen bleibt.90 Ähnliche Zwecke91 verfolgt auch der § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG, der in seinem systematischen Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ESchG die Befruchtung von mehr als drei Eizellen, also der Anzahl, die innerhalb eines Zyklus übertragen werden können, unter Strafe stellt. Auch dadurch versucht der Gesetzgeber, das Entstehen von überzähligen Embryonen auszuschließen. Das Ziel ist, nicht nur einer gespaltenen Mutterschaft vorzubeugen, sondern auch jegliche mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen auszuschließen.92 Das Bereitstellen von Embryonen zu Forschungszecken soll auch § 1 Abs. 1 Nr. 6 ESchG verhindern, 87 Weißbuch, S. 34 (Punkt 3.2 der Richtlinien). 88 BMFT (Hrsg.), Benda-Bericht, S. 28, Votum im Punkt 2.4.1.2. 89 s. Kommentar zu Punkt 3.2 der Richtlinien der Bundesärztekammer in: Weißbuch, S. 38 f.; s. auch den Bericht der Benda-Kommission in: BMFT (Hrsg.), Benda-Bericht, S. 28, Votum im Punkt 2.4.1.2. 90 Begründung des Entwurfs eines Embryonenschutzgesetzes, BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10.1989, S. 8; Pap, ZfL 1995, S. 14 ff. (15). 91 Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 2 f.; Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (432). 92 Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 2; s. auch die Begründung des Entwurfs eines Embryonenschutzgesetzes, BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10.1989, S. 9.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

indem die Entnahme von Embryonen vor deren Einnistung in der Gebärmutter für fremdnützige Zwecken verboten wird. 93 Das Schutzgut dieser Regelungen zu bestimmen scheint durchaus schwierig zu sein. Geschützt soll das Leben sein94, obwohl vom „werdenden" Leben hier nicht in ähnlicher Weise wie in den §§ 218 ff. StGB die Rede sein kann. Bei der Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken wird von Anfang an angenommen, daß diese keine Chance haben werden, sich als werdendes Leben zu entwickeln. Mit Recht wurde also darauf aufmerksam gemacht, daß Schutzgut dieser Vorschriften nur die „Lebensgerichtetheit" des menschlichen Lebens sein kann.95 Die gesetzliche Regelung soll vorbeugend funktionieren und die Entstehung überzähliger Embryonen verhindern. Offengelassen wurde aber die Frage, was mit den menschlichen Embryonen geschehen soll, die entstanden sind, aber nicht zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft eingesetzt werden können.96

b) Forschung an vorhandenen menschlichen Embryonen Ein nachträglicher Schutz von Embryonen wird gewährleistet, indem es verhindert wird, an schon vorhandene Embryonen zu forschen. Dieses Ziel bezweckt zunächst § 2 Abs. 1 ESchG, der die mißbräuchliche Verwendung von extrakorporal erzeugten und existierenden Embryonen und von Embryonen, die vor ihrer Einnistung in der Gebärmutter entnommen worden sind, verbietet. Der Wortlaut des Gesetzes umfaßt nicht nur die entgeltliche Veräußerung von Embryonen, ihre Abgabe oder ihren Erwerb, sondern stellt jede Verwendung, die nicht ihre Erhaltung bezweckt, unter Strafe. Diese letzte Tatbestandsformulierung schließt das Wegschütten des Embryos oder die Präimplantationsdiagnostik und auch den Fall der „verbrauchenden" Forschung an Embryonen ein. 97 Für die Unrechtsverwirklichung wird zusätzlich ein subjektives Tatbestandsmerkmal98 vorausgesetzt, nämlich die Absicht des Täters, den Embryo zu fremd93 Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (432). 94 BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10. 1989, S. 8; so auch Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 2, Rn. 2; Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 6 (auch die Menschenwürde soll durch diese Vorschrift geschützt sein); Keller, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 3, Rn. 1 und § 1 Abs. 1 Nr. 4, Rn. 1; als Schutzgut des § 1 Abs. 1 Nr. 6 soll das Kindeswohl und die Eindeutigkeit der Mutterschaft fungieren; s. dazu Keller, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 6, Rn. 4; warum das aber auch für die zweite Alternative des Tatbestands - d. h. die Verwendung für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck - angenommen werden soll, bleibt ungeklärt. 95 Ε -C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (537 f.). 96 Günther, in: ESchG-Komm, Einführung, Β V, Rn. 18. 97 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 30; Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (432); Geilen, ZStW 103(1991), S. 829 ff. (838). 98 Jescheck/Weigend,

AT-StrR, S. 316 ff.

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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nützigen Zwecken zu verwenden. Diese zusätzliche Anforderung macht vom § 2 Abs. 1 ESchG einen Tendenzdelikt.99 Das Merkmal „seiner Erhaltung dienender Zweck" bedeutet nicht zwangsläufig das Herbeiführen einer Schwangerschaft 100, sondern ist umfassender und betrifft jede Handlung, die die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern versucht.101 Aus diesem Grund sind diagnostische oder therapeutische Experimente mit dem Embryo nicht als Tatbestandsverwirklichung, sondern als zulässige Heilversuche zu qualifizieren, soweit sie mit dem Ziel durchgeführt werden, sein Leben und seine Gesundheit zu erhalten, und wenn eine vorherige Einwilligung der Gametenspender vorliegt. 102 Dasselbe gilt für Experimente mit dem Ziel der Verbesserung der Methoden der In-vitro-Fertilisation, wenn sie weder zur Vernichtung von Embryonen, noch zu einem Eingriff in die Erbinformationen der menschlichen Keimbahnzellen führen, denn im letzteren Fall greift das ausnahmslose Verbot des § 5 Abs. 1 ESchG ein. 103 Die Kryokonservierung von Embryonen ist nicht allgemein verboten. 104 Das Gesetz sieht keinen ausdrücklichen Verbot vor, und sie wird nicht vom Tatbestand des Art. 2 ESchG erfaßt, soweit sie die Überlebenschancen des Embryos dient. 105 Auf der anderen Seite steht jede Forschung an Embryonen unter einem kategorischen Verbot, wenn sie zum Absterben von Embryonen im Reagenzglas führt. 106 Jedoch ist hier zu bemerken, daß der Schutz des § 2 Abs. 1 ESchG nur auf Embryonen im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG begrenzt ist. Als Embryo gilt also die befruchtete% entwicklungsfähige Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung und ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Auch die Entwicklungsfähigkeit der befruchteten Eizelle 99 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 6 und 24. 100 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 37: das Merkmal „seiner Enthaltung dienenden Zweck" ist extensiv auszulegen und bedeutet nicht dasselbe wie im § 1 Abs. 1 Nr. 6, Alt. 2. ιοί Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 38. 102 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 42.

103 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 43. ι 0 4 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 41; Günther, Art. „Kryokonservierung", in: BioethikL, Bd. II, S. 499 f. (499); dagegen wird die Kryokonservierung überzähliger Embryonen vom Verbot der Befruchtungen „auf Vorrat", den § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG bewirkt (s. dazu Günther, in: ESchG-Komm, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 18), miteingeschlossen. 105 Die Erklärung des Berichterstatters Seesing in der Parlamentsdebatte (BT-Plenarprotokoll 11/230, Sten. Bericht v. 24. 10. 1990, 18207 ff. (18209), daß die Konservierung von Embryonen nur ausnahmsweise zuzulassen sei, wenn der Gesundheitszustand der Frau den Embryotransfer vorübergehend nicht erlaubt, ist dem Gesetz nicht ausdrücklich zu entnehmen; ähnlich die Auslegung des Gesetzes von Günther, Art. „Kryokonservierung", in: BioethikL, Bd. II, S. 499 f. (499). Das Fehlen eines ausdrücklichen Verbots schließt aber die Gefahr eines wissenschaftlichen Zugriffs auf extrakorporale Embryonen nicht aus; dazu s. Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 76. 106 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 50.

an

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

wird vom Gesetz (§ 8 Abs. 2 ESchG) präzisiert. Nach der Gesetzesdefinition gilt eine befruchtete menschliche Eizelle in den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Kernverschmelzung als entwicklungsfähig, es sei denn, daß schon vor Ablauf dieses Zeitraums festgestellt wird, daß sich diese nicht über das Einzellstadium hinaus zu entwickeln vermag. Diese gesetzliche Bestimmung des Tatobjekts führt zu dem Ergebnis, daß manche Forschungsvorhaben als zulässig anzusehen sind. Dementsprechend können zu Forschungszwecken überzählige, imprägnierte Eizellen benutzt werden, also Eizellen in die Samenzellen schon eingedrungen sind, jedoch noch vor dem Entwicklungsstadium der Konjugation, d. h. der Vereinigung der haploiden Chromosomensätze.107 Ähnliches gilt für die nicht entwicklungsfähigen befruchteten Eizellen wie auch für die nicht entwicklungsfähigen, totipotenten Zellen, die wieder zu Forschungszwecken benutzt werden können.108 Das geschützte Rechtsgut des § 2 Abs. 1 ESchG soll die Menschenwürde der Embryonen sein. 109 Für diese Annahme wird einerseits auf die Begründung des Regierungsentwurfs 110, andererseits auf die Tathandlung des entgeltlichen „Veräußerns", die keine Einwirkungen auf das Leben des Embryos voraussetzt111, Bezug genommen. Dem Rechtsgut „Leben" soll in diesem Sinne für alle Handlungsalternativen des § 2 Abs. 1 ESchG nur akzessorische Bedeutung zukommen.112 Das kann aber für diejenigen Modalitäten des Delikts nicht einwandfrei angenommen werden, für die eine zusätzliche Innentendenz, nämlich die Absicht des Täters, den Embryo zu fremdnützigen Zwecken einzusetzen, als Voraussetzung der Tatbestandsverwirklichung wirkt. Für die Handlungsalternative der Verwendung von Embryonen zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck, die für den Sachverhalt der Forschung an Embryonen einschlägig ist, soll dagegen als zu schützendes Rechtsgut zunächst das Leben der menschlichen Embryonen gelten.113 Die primäre Bedeutung des Lebens dabei kann dadurch begründet werden, daß die Durchführung der gleichen Handlung mit dem Ziel der Lebenserhaltung die Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 1 ESchG 107 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 10. 108 Damit gerät aber die Forschung in eine „Grauzone", denn es sind wieder die Forscher, die über die Entwicklungsfähigkeit der Embryonen zu entscheiden haben; s. Betta, Embryonenforschung, S. 110 und 195. 109 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 5. no Vgl. aber BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10. 1989, S. 10: „Dahinter steht die Erwägung, daß menschliches Leben grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden darf. Dies muß auch für menschliches Leben im Stadium seiner frühesten embryonalen Entwicklung gelten." m Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 24. h 2 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 6. 113 s. hier F.-C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (538), nach dem auch für diesen Tatbestand als Schutzgut die Lebensgerichtetheit des menschlichen Lebens in Betracht kommt.

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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entfallen läßt. Ob die Menschenwürde hinzu als zu schützendes Rechtsgut in Betracht kommen soll, kann dahingestellt bleiben. Die generelle Formulierung des § 2 Abs. 1 ESchG wird in § 2 Abs. 2 ESchG konkretisiert, der das Humanexperiment der Ektogenese, der extrakorporalen Weiterentwicklung des embryonalen menschlichen Lebens also, unter Strafe stellt und so das Herstellen einer „künstlichen Gebärmutter" verhindert. 114

c) Forschung mit genetischem Erbmaterial § 5 Abs. 1 ESchG verbietet die künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahnzellen, während die weitere Verwendung von genetisch veränderten Keimbahnzellen zur Befruchtung vom § 5 Abs. 2 ESchG verboten wird. Eine Legaldefinition der Keimbahnzellen ist im § 8 Abs. 3 des ESchG zu finden, der alle Zelle der befruchteten Eizelle, die totipotenten embryonalen Zellen, die körpereigenen Keimbahnzellen, die Keimzellen selbst (Ei- und Samenzellen) und die imprägnierte Eizelle und ihre Vorkerne umfaßt. 115 Das Verbot des § 5 Abs. 1 ESchG betrifft die Keimbahntherapie, d. h. den Versuch, durch Veränderungen im genetischen Material Erbkrankheiten vorzubeugen und die Nachkommen davor zu schützen. Das Rechtsgut, das hier von Bedeutung ist, ist hauptsächlich die körperliche Integrität und insbesondere das unveränderte genetische Erbmaterial. 116 Ratio legis ist dabei die Bekämpfung von Gefahren für das Leben, die körperliche Integrität und die Menschenwürde, die eine unsichere Methode für den Einzelnen haben kann. 117 Es ist davon auszugehen, daß § 5 Abs. 1 ESchG ein konkretes Gefährdungsdelikt bildet und nicht im allgemeinen die Verhinderung der positiven Eugenik bezweckt.118 Ähnlich ist die ratio legis auch in bezug auf das Verbot der Verwendung genetisch veränderter Keimzellen zur Befruchtung (§ 5 Abs. 2 ESchG). Den Hintergrund der gesetzgeberischen Entscheidung bildet auch hier der Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde des zu entstehenden Embryos. 119 Soweit solche Versuche nur als „verbrauchende Forschung" möglich sind, kommt dem Lebensschutz eine besondere Bedeutung zu. Die Beschreibung des Tatbestands 114 Begründung eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen, BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10. 1989, S. 10. 115 Dazu s. Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 9. 116 Bickel VerwArch 1996, S. 169 ff. (174). in s. dazu BT-Drs. 11/5460 v. 25. 10. 1989, S. 11; ähnlich Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 3; kritisch F C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (540 f.). ne Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 3 und 5. 119 Es ist hier auch zu erwähnen, daß dabei schon die Absicht des Täters genügt, die genetisch veränderte Keimzellen zur Befruchtung einzusetzen; es braucht daher nicht tatsächlich zu einer Befruchtung gekommen zu sein; dazu s. Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 24.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

des § 5 Abs. 2 ESchG bringt aber nicht unmittelbar diesen Unrechtsaspekt zum Ausdruck, mit dem Ergebnis, daß im Falle einer Forschung mit dem genetischen Material von Embryonen, die zusätzlich auf ihr Leben einwirkt, das Konkurrenzverhältnis des § 5 Abs. 2 mit § 2 Abs. 1 ESchG schwierig bestimmbar wäre. Im 4. Absatz des § 5 ESchG werden ferner Ausnahmen vom Verbot des ersten Absatzes abschließend vorgesehen, die als negative Tatbestandsmerkmale fungieren sollen.120 Demnach findet der § 5 Abs. 1 ESchG keine Anwendung, wenn eine außerhalb des menschlichen Körpers befindliche Keimzelle künstlich verändert wird und ausgeschlossen ist, daß diese zur Befruchtung verwendet wird (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 ESchG). Ähnliches gilt für die künstliche Veränderung der Erbinformation einer sonstigen körpereigenen Keimbahnzelle, die einer toten Leibesfrucht, einem Menschen oder einem Verstorbenen entnommen worden ist, unter der Voraussetzung, daß die Übertragung dieser Keimbahnzelle auf einen Embryo, Fötus oder Menschen bzw. ihre Verwendung für die Entstehung einer Keimzelle ausgeschlossen bleiben (§ 5 Abs. 4 Nr. 2 ESchG). Innerhalb der Schranken dieser Vorschriften bleibt die Veränderung der Erbinformation von Keimzellen und Keimbahnzellen für die Zwecke der zellbiologischen Forschung zulässig.121 Besondere Bedeutung kommt der dritten Kategorie dieser Ausnahmen zu. Damit findet der § 5 Abs. 1 ESchG keine Anwendung bei Impfungen, Strahlentherapien, chemotherapeutische oder andere Behandlungen, soweit mit ihnen keine Veränderung der Erbinformation von Keimbahnzellen beabsichtigt wird (§ 5 Abs. 4 Nr. 3 ESchG). 122 Die letzte Alternative ermöglicht die somatische Gentherapie, die auch dann als vertretbar erscheint, wenn sie zu einem unbeabsichtigten Keimbahneingriff führt. 123

d) Manipulative Versuche an menschlichen Embryonen Weitere spezielle Vorschriften regeln manipulative Eingriffe an menschliche Embryonen. Spezielle Verboten gelten für solche Vorgänge, die ein erhöhtes Gefährdungspotentiel aufweisen, namentlich das Klonen, die Bildung also von Individuen mit gleicher 124 Erbinformation (§ 6 ESchG) wie auch die Hybrid- und Chi120 Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 15; BT-Drs. 11/5460 v. 25.10. 1989, S. 11. 121 Herdegen, GenTR/BioMedR, Teil I, B, § 2 GenTG, Rn. 36. 122 Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 19. 123 Dazu s. den Punkt C.2.4.1 des Abschlußberichtes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Somatische Gentherapie" v. 30. 5. 1997, abgedruckt in: GenTR/BioMedR, Bd. 2, Teil II, F, Bund-Länder-Arbeitsgruppen, Gentherapie, S. 124; zum grundsätzlichen Ausschluß der somatischen Gentherapie vom Tatbestand des § 5 ESchG s. Günther, in: ESchG-Komm, § 5, Rn. 6. 124 Unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Entwicklung im Bereich des Klonens, insbesondere nach der Entstehung des geklonten Schafs „Dolly" durch das Verfahren der Zellkernübertragung in schottischem Roslin-Institut, fand eine Diskussion statt, ob die

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märenbildung (§ 7 ESchG). Beim Klonen und bei der Hybridbildung ist als geschütztes Rechtsgut das unveränderte Erbmaterial der menschlichen Embryonen anzusehen125, wobei für die Chimärenbidung (soweit es um Chimären geht, die ausschließlich aus menschlichen genetischen Material hergestellt werden) als geschütztes Rechtsgut mehr der vorhandene Familienbegriff gelten soll 126 .

2. Zusammenfassende Würdigung und Bewertung der gesetzlichen Regelung Die Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes formulieren ein statisches127 und absolutes Forschungsverbot128 für jedes Forschungsprojekt an Embryonen. Das gilt ohne Unterscheidung auch für die Embryonen, für die keine Chance besteht, in ihre genetische Mutter übertragen zu werden. Die Lösung des Diskussionsentwurfs von 1986 129 , die Strafbarkeit der Forschung an Embryonen vom Vorliegen der Genehmigung einer obersten Landesbehörde abhängig zu machen, wurde zurückgewiesen. Die Entscheidung für ein absolutes Verbot ist einerseits damit zu begründen, daß die Strafbarkeit eines Verhaltens in sensiblen Bereichen des Zusammenlebens nicht von einer Verwaltungsentscheidung abhängen soll 130 , andererseits aber auch dadurch, daß im Moment der Verabschiedung des Gesetzes keine solche Forschungsinteressen präsentiert wurden, die eine entsprechende Regelung rechtfertigen könnten131. Hinzu kommen Erwägungesetzliche Formulierung in diesem Punkt das Verbot des Klonens nur insoweit vorsieht, als es um die Herstellung von absolut identischen Menschen geht oder nicht (Klonen durch Embryo-Splittting); daß dabei die Herstellung von Menschen mit „gleichem" Erbmaterial für die Anwendung des strafrechtlichen Verbots ausreicht, s. v. Bülow, DÄB194 (1997), S. B-570 ff.;

ferner s. die Stellungnahme des Bundesjustizministers im Deutschen Bundestag am 21. März 1997 zum Verbot des Klonens am Menschen in: RECHT 1997, S. 21 f.; s. auch den Bericht

eines Gutachtergremiums für den BMBF: Eser/Frühwald/Honnefeider/Markl/Reiter/ 125 Vgl. aber hierZfL die Begründung desa.A. ESchG in BT-Drs. v. S. 25.10. ner/Winnacker, 1997, S. 28 ff.; Keller, in: FS11/5460 Lenckner, 477 ff.1989, (487S. f.)11 f., die hauptsächlich auf die Menschenwürde als geschütztes Rechtsgut dieser Vorschriften hinweist; zustimmend Keller, in: FS Lenckner, S. 477 ff. (480 f.); kritisch zu dieser Begründung F.-C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (541 f.). 126 F.-C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (542). 127 Für die Unterscheidung zwischen statischen und flexiblen Foschungsbeschränkungen, s. Wolfrum, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 43 ff. (49). 128 Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 310; Günther in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 50, Wurzel/ Born, BayVBl 1991, S. 705 ff. (710); Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff. (297); Wolfrum, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 43 ff. (51). 129 Hülsmann/H-G. Koch, in: Eser/H.-G. Koch/Wiesenbart, Regelungen, Bd. I, S. 90. 130 Rössner, in: Günther/ Keller (Hrsg.), S. 247 ff. (253);Jung, ZStW 100(1988), S. 3ff. (33). 131 Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (432); Jung, ZStW 100 (1988), S. 3 ff. (33); Günther, MedR 1990, S. 161 ff. (163 f.); Günther, ZStW 102 (1990), S. 269 ff. (290 f.); Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 79.

Tan-

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

gen in Betracht, die sich auf die Schwierigkeiten beziehen, Unterscheidungen auf Grund des Forschungszieles zu begründen132, so daß letztlich ein Genehmigungsvorbehalt nicht praktikabel wäre. Schließlich führen teleologische Überlegungen zu einem absoluten Verbot der Embryonenforschung. Erlaubnisvorbehalte könnten für die Erzeugung menschlicher Embryonen zu ausschließlichen Forschungszwekken mißbraucht werden. 133 Es mag auch immer Regelungslücken geben, wie ζ. B. in bezug auf den strafrechtlichen Schutz der bereits nach der Nidation fortentwickelten Leibesfrucht, nämlich des spontan abgegangenen, des legal oder illegal mittels Schwangerschaftsabbruch gewonnenen und noch lebenden Embryos, dessen mißbräuchliche Verwendung weder von den Tatbeständen des Embryonenschutzgesetzes noch von den §§ 211 ff., 223 ff. StGB erfaßt wird. 134 Grundsätzlich schreibt aber das Embryonenschutzgesetz, soweit es nicht um einen Heilversuch geht, der keinen genetischen Eingriff darstellt, ein absolutes Forschungsverbot fest. 135 Auch in den Fällen, in denen es nicht um ein direktes Verbot geht, führen doch die durch das Gesetz geformten Umstände zu einer solchen Behinderung der Forschung, daß sie im Ergebnis einem Verbot gleichzusetzen sind. 136 Dabei spielt die begriffliche Unklarheit und die entsprechende Unsicherheit einer Tatbestandsverwirklichung eine Rolle, die oft demotivierend für die Forscher und die Nachwuchskräfte fungieren können.137 Die Rechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Handlung durch Anwendung des § 34 StGB scheitert grundsätzlich aus. § 34 StGB setzt eine Interessenabwägung voraus, die zum Ergebnis führen muß, daß dem von der tatbestandsmäßigen Handlung geförderten Rechtsgut wesentlich überwiegende Bedeutung zukommt. Kein Forschungsinteresse kann aber eine solche Bedeutung haben, wenn es mit dem Leben kollidiert. 138 Die grundsätzliche Anerkennung eines absoluten Lebensschutzes, die im Rahmen des Strafrechts nach der herrschenden Meinung angenommen wird 139 , spricht dagegen.

132 Wurzel/Born,

BayVBl 1991, S. 705 ff. (710).

133 Wurzel/Born, BayVBl 1991, S. 705 ff. (711). 134 Günther, in: ESchG-Komm, § 2, Rn. 23; Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff. (297); daß hier insoweit ein Wertungswiderspruch vorliegt, als der bereits in der Gebärmutter eingenistete Embryo weniger als der in-vitro lebende Embryo oder der Embryo im vornidationellen Phase geschützt wird, s. Weiß, GA 1995, S. 373 ff. (375); zuletzt auch Brohm, JuS 1998, S. 197 ff. (203). 135 Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 38; das Verbot ist nicht absolut, weil immer noch einige Forschungsmöglichkeiten offen bleiben; s. dazu Steiner, Leben, S. 24. 136 Zur Unmöglichkeit einer gänzlichen Unterscheidung zwischen Forschungsbehinderung und -verbot, s. Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff., (298). 137 DFG, S. 34. 138 Günther, MedR 1990, S. 161 ff. (165); Bentert, Art. „Embryonenforschung", in: BioethikL, Bd. I, S. 559 ff. (559).

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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Das absolute und strafbewehrte Verbot jeglicher Forschung an menschlichen Embryonen hat Anlaß zur Kritik vor allem durch die Forschungsorganisationen in Deutschland gegeben, die das Embryonenschutzgesetz als ein neben anderen nicht erforderlichen gesetzlichen Forschungshindernissen eingeordnet haben.140 Auf Kritik stieß auch die Voreiligkeit des Gesetzgebers Tatbestände, obwohl sie nicht realisierbar waren bzw. immer noch nicht realisierbar sind, zu pönalisieren.141 Seit dem Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes sind aber auch von der Rechtsprechung keine Strafen auf seiner Grundlage verhängt worden. Das Fehlen jeglicher - jedenfalls bekannt gewordener - Tatbestandsverwirklichung in der Praxis bekräftigt die Einwände bezüglich der praktischen Bedeutung einer gesetzlichen Regelung des Sachverhalts. Es kann leicht der Verdacht entstehen, daß das Gesetz eine mehr oder weniger symbolische Funktion für das Gemeinschaftsleben hat. 142 Die Festlegung eines strafrechtlichen Verbots hat es ferner nicht erlaubt, die Methoden der Anwendung gentechnologischer Verfahren am Menschen zu reglementieren. 143 Ebenso hat es verhindert, eine Kontrollbehörde für die Überwachung des wissenschaftlichen Verhaltens in diesem Bereich zu errichten. 144 Damit erschwert sich aber die Feststellung der eventuellen Tatbestandsverwirklichung. Zumindest kann sie aber der Öffentlichkeit verborgen bleiben, weil sie hochgradig spezialisiertes Wissen voraussetzt. Die Unklarheit der gesetzlichen Begriffe, die auch zur Unklarheiten bezüglich der Tatbestandsverwirklichung führt 145 , belastet diese Lage noch mehr. 139 s. dazu Tröndle, StGB-Komm, § 34, Rn. 10; Wessels, AT-StrR, Rn. 316; Wessels, BTStrR, Rn. 2; Jescheck/Weigend, AT-StrR, S. 361; Samson, SK-StGB, § 34, Rn. 49 f.; Maurach/Zipf, AT-StrR, Tb. 1, § 27, Rn. 25 f., S. 381 f.; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, StGBKomm, § 34, Rn. 23 f.; Küper, JuS 1981, S. 785 ff. (792 f.); Roxin, AT-StrR, § 16, Rn. 33; vgl. aber auch G. Jakobs, AT-StrR, 13. Abschn., Rn. 23; U. Neumann, NK-StGB, § 34, Rn. 73 ff. Aus der Rechtsprechung s. OGHSt 1,221 ff. (334); 2,117 ff. (121); BGH, Urteil v. 28.1100.1952-4 StR 23/50, NJW 1953, S. 513 f. (514); BGHSt 35, 374 (349 f.). 140 s. hier DFG, S. 34 ff.; Wolfrum, in: MPG (Hrsg.), Forschung, S. 43 ff. (52); s. ferner für die Kritik dieser Untersagung der Forschung und gleichzeitiger Entmachtung der Profession, s. Betta, Embryonenforschung, S. 113: „Diese (die Entmachtung der Profession) wird dadurch bewirkt, daß die Logik der Selbstkontrolle zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Medizin auch in der Bundesrepublik de facto und de jure gebrochen wird." 141 F. C. Schroeder, in: FS Miyazawa, S. 533 ff. (547). 142 Jung, JuS 1991, S. 431 ff. (433); vgl. hier Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (724), nach dem es unzutreffend wäre, dem Gesetz nur eine symbolische Rolle zuzumessen. 143 Ronellenfitsch, GenTR/BioMedR, Bd. 2, Teil II, A, Einf., Rn. 7. 144 Betta, Embryonenforschung, S. 113; vgl. hier die Richtlinien der Bundesärztekammer, die die Errichtung einer zentralen Kommission für die Überwachung der Forschung in diesem Bereich vorsehen; in: Weißbuch, S. 35. 145 Vgl. die Kritik bei Betta, Embryonenforschung, S. 110 ff.; anders aber Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (724), nach dem das ESchG von einer „weitgehend tatbestandlichen Klarheit" charakterisiert wird. Die begriffliche Klarheit der Regelungen von Sachverhalten, die unter stetiger Entwicklung stehen, wird mit ihren Grenzen konfrontiert, wenn eine neue

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Charakteristisch ist schließlich das strenge Schutzniveau, das das Gesetz den extrakorporal befindlichen Embryonen gewährleisten will, so daß kritische Betrachter hier einen Wertungswiderspruch im Vergleich mit anderen Strafrechtsnormen insbesondere mit §§ 218 ff. StGB, die ab der Nidation anwendbar sind, gesehen haben.146 Es gebe demnach den Eindruck, daß das in vitro Leben strenger als das natürlich erzeugte zu schützen sei, denn während im zweiten Fall eine Abwägung zwischen dem Lebensrecht des Embryos und dem Persönlichkeitsrecht der Mutter von § 218 StGB rechtlich bewertet wird, gewährleistet das Embryonenschutzgesetz einen (fast) absoluten Schutz für die extrakorporal erzeugten Embryonen.147 Plausibel erscheint schließlich der Einwand, daß ein Wertungswiderspruch zwischen dem Verbot therapeutischer Maßnahmen an genetischem Erbmaterial während der pränidativen Phase (§ 5 Abs. 2 ESchG) und der Anerkennung der embryopathischen Indikation als Aspekt der medizinischen Indikation beim Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB vorliegt. 148

I I I . Embryonenschutzgesetz und Grundgesetz Mit Blick auf die durch die Verfassung begrenzte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in bezug auf die Regelung eines komplexen grundrechtsrelevanten Lebensbereichs ist zu untersuchen, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber vorliegen. Auch in dem Fall, in dem der Gesetzgeber seine Normierungsfunktion wahrgenommen und entsprechende Regeln erlassen hat, bleiben die verfassungsrechtlichen Aspekte des Problems immer noch neben der einfachgesetzlichen Regelung bestehen, denn sie bilden die Basis und den Maßstab der Legitimität und Verfassungsmäßigkeit des gesetzgeberischen Handelns. Technik solche Verhaltensweise ermöglicht, die zur Zeit der Regelung nicht vorstellbar waren; vgl. hier die Diskussion, ob der Tatbestand des § 6 ESchG auch das Klonen von Menschen durch das für den Schaf „Dolly" angewandte Verfahren erfaßt oder nicht; s. dazu oben Fn. 124. 146 Das ESchG schützt den Embryo nur in seinem vornidationellen Zustand: Günther, in: ESchG-Komm, Vor § 1 I, Rn. 2; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, Vorbem §§ 218 ff., Rn. 11; Tröndle, StGB-Komm, Vor § 218, Rn. 18 a. 147 Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, Vorbem §§ 218 ff., Rn. 11; Günther, in: ESchG-Komm, Vor § 1 I, Rn. 6; Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 370; Eser, Bedrohungen, S. 57; Tröndle, StGB-Komm, Vor § 218, Rn. 18 f.; Geilen, ZStW 103 (1991), S. 829 ff. (840); Deutsch, NJW 1991, S. 721 ff. (724); Hepp, Der Frauenarzt 1997, S. 389 f. (390); zu dem ethischen Widerspruch zwischen den beiden Regelungen s. Isensee, Diskussionsbeitrag in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 107; ferner zum Vergleich zwischen Schwangerschaftsabbruch und Forschung an Embryonen s. unten Teil 1, Kap. D, III, 2, a). 148 Zum Wertungswiderspruch s. Herdegen, GenTR/BioMedR, Teil I, B, § 2 GenTG, Rn. 37; zur Einordnung der embryopathischen Indikation in § 218 a Abs. 2 StGB nach dem Wegfall des § 218 a Abs. 2 Nr. 1 a.F. StGB s. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB-Komm, § 218 a, Rn. 37 f.; ferner s. auch die Begründung zum Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG), BT-Drs. 13/1850 v. 28. 6.1995, S. 25 f.

Α. Rechtliche Bewältigung der Embryonenforschung

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Die von der materiellen Rechtsstaatsidee geprägte Verfassung regelt nicht nur die staatliche Organisation, die Funktionen sowie die Kompetenzverteilung zwischen der staatlichen Gewalt und den Privaten 1 49 , sondern enthält auch materielle Regeln unvollkommenen und offenen Charakters, die nach der normativen Umklammerung des Gemeinschaftslebens streben 150 und den Grundkonsens einer Gesellschaft wiederspiegeln 151 . Die rechtliche Struktur des Verfassungsstaates versteht damit die Verfassung als „Rahmenordnung" 152 und erkennt so ihre inhaltliche und nicht nur prozessuale Fundamentalität für das Gemeinschaftsleben an. Die Grundlagen jeder Entscheidung über das Zusammenleben sind von der Verfassung her schon normiert, und sie kann auf dieser Weise auch für solche Probleme eine normative Bedeutung erhalten, für die sie ursprünglich nicht konzipiert war. Dieses Ergebnis wird in der Weise erreicht, daß die Verfassungsvorschriften oft grundlegend, punktuell und lapidar formuliert werden 1 5 3 , so daß sie einer spezifischen Verfassungsregeltechnik entsprechen, die der Dauerhaftigkeit der Verfassungsnormen dienen soll. 1 5 4 Dadurch wird auch eine größere Anpassungsfähigkeit an die Entwicklungen des gesellschaftlichen Lebens erreicht 155 und die Stabilisie149 Jellinek, Staatslehre, S. 419. 150 Vgl. BVerfGE 19,206 (220): „... das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gesellschaft zu sein."; Kägi, S. 41 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 16 ff.; F. Müller, Methodik, S. 174 ff.; Radura, Staatsrecht, A, Rn. 7, S. 7; Morlok, Verfassungstheorie, S. 110; Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 143 ff. (164). Diese kurze Beschreibung des Inhalts der Verfassung läßt sich auf die von Frankenberg, S. 19 ff. strukturierte »Architektonik konstitutioneller Programme" projizieren; demnach versucht die Verfassung eine Antwort zu geben, (a) zu Gerechtigkeitsfragen durch die Gewährleistung von Grundrechten und strukturellen Prinzipien, wie ζ. B. dem Rechtsstaatsprinzip (S. 20 f.), (b) zu Gemeinwohlsfragen durch die Postulierung von Staatszielen oder Pflichten, die auch als Werte der politischen Ethik zu verstehen sind (S. 21 f.), (c) zu Fragen der politischen Klugheit durch das Festschreiben von organisatorischen Normen (S. 23 f.), und schließlich (d) zu Fragen der Verfassungsgeltung durch MetaRegeln, die den Vorrang der Verfassung selbst garantieren wollen, wie ζ. B. die Vorschriften über das Verfahren einer Verfassungsänderung (S. 24 f.). 151 Für die Funktion der Verfassung als Konsensbildung s. Morlok, Verfassungstheorie, S. 96 ff. 152 Zum Begriff der Rahmenordnung s. Böckenförde, in: FS Scupin, S. 317 ff. (322); Bökkenförde, NJW 1976, S. 2089 ff.(2091); Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff. (407); Gusy, S. 94; Isensee, in: HbStR, Bd. VII, § 162, Rn. 43; Starck, in: HbStR, Bd. VII, § 164, Rn. 5 ff.; vgl. aber auch Nipperdey/Wiese, in: Die Grundrechte, Bd. I V / 2 , S. 741 ff. (750), der die Verfassung als eine „Gesamtordnung" des Lebens im Staate begreift; vgl. hier auch Smend, Verfassung, S. 75 ff., 78 f., 153 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 19 ff.; Badura, in: HbStR, Bd. VII, § 163, Rn. 5. Diese Eigenartigkeit des Formulierungsstils des Verfassungsgebers soll aber nicht die Verfassung zum „Torso" umwandeln: vgl. Isensee, in: HbStR, Bd. VII, § 162, Rn. 51; Böckenförde, in: FS Scupin, S. 317 ff. (321). Diese Eigenschaften treffen nicht auf jede Art von Verfassungsnorm zu; Verfassungsvorschriften können sehr bestimmt sein, wie dem organisatorischen Teil der Verfassung zu entnehmen ist; dazu Morlok, Verfassungstheorie, S. 110. 154 Kägi, S. 52. 155 Hesse, in: HbVerfR, § 1, Rn. 16. 5 Iliadou

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

rungsfunktion der Verfassung verwirklicht. Gleichzeitig erlaubt diese Verfassungsregeltechnik auch die maximale sachliche Reichweite der Verfassung, da die knappe Formulierung auch einen hohen Generalisierungsgrad 156 der Verfassungsnormen ermöglicht. Dies gilt auch für die Grundrechtsbestimmungen, die dadurch einen lückenlosen Grundrechtsschutz gewährleisten können.157 Die Rahmenordnung Verfassung verweist ferner für die „Vervollständigung"158, „Erfüllung" 159 oder »Ausgestaltung"160 ihrer Bestimmungen auf den einfachen Gesetzgeber, der sich im Rahmen des Gewaltenteilungssystems und durch seine offene und öffentliche Arbeitsweise am geeignetsten dafür erweist, der Lebenswirklichkeit zu folgen und darauf normativ zu reagieren. Dafür genießt er eine Einschätzungsprärogative, um sein politisches Programm problemlos einführen und durchsetzen zu können.161 Auf der Grundlage dieser Arbeitsteilung zwischen der Verfassung und dem Gesetzgeber kann angenommen werden, daß die Verfassung auch dazu ausgerüstet ist, neuartige Fragestellungen normativ „einzufangen". Das soll nicht heißen, daß sie Antworten für jedes Problem des sozialen Lebens parat hat, sondern daß sie die Argumentationsbasis der zutreffenden Entscheidungen bilden kann. Das soll auch für den Embryonenschutz gelten und wird im folgenden untersucht.

B. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung I . Forschungsfreiheit als relevantes Grundrecht Die gesetzgeberische Formulierung eines Forschungsverbots im Embryonenschutzgesetz bezüglich der Forschung an menschlichen Embryonen weist auf den ersten zu erörternden Aspekt der verfassungsrechtlichen Bewertung hin. Die Forschungsfreiheit, die als menschliche Handlungsmöglichkeit im Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet ist, wird durch das gesetzgeberische Verbot berührt. 162 Von erheblicher Bedeutung für den Sachverhalt der Forschung an Embryonen ist das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in seiner freiheitlichen, liberalen, ab156

Morlok, Verfassungstheorie, S. 89. 157 Dazu s. Bethge, DVB1. 1989, S. 841 ff. (848); 158 Badura, in: HbStR, Bd. VII, § 163, Rn. 5. 159 Isensee, in: HbStR, Bd. VII, § 162, Rn. 50; Starck, in: HbStR, Bd. VII, § 164, Rn. 6. 160 Häberle, AöR 114 (1989), S. 361 ff. (383). 161 Starck, in: HbStR, Bd. VII, § 164, Rn. 7; Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff. (507). ι 6 2 Die thematische Berührung des Grundrechts bildet demnach die Basis jeder Untersuchung; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 38.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

63

wehrrechtlichen Dimension.163 Aus dieser Dimension ergibt sich, in welchem Umfang die im Forschungsbereich tätigen Personen einen Unterlassungsanspruch gegen mögliche Einwirkungen der öffentlichen Gewalt und in diesem Sinne auch gegen ein gesetzliches Forschungsverbot haben können.164 Die Wahl des Aspekts der Freiheit als Schwerpunkt ist eine Konsequenz der Funktion der grundrechtlichen Ordnung als einer freiheitssichernden Ordnung.165 Diese Blickrichtung auf den abwehrrechtlichen Charakter der Freiheit soll nicht als der willkürliche Wahl einer Grundrechtstheorie 166 mißverstanden werden. Sie entspricht der ideellen Grundlage des Grundgesetzes selbst167, wie das von der Entscheidung für eine liberale abwehrrechtliche Sicherung der Grundrechte als Antwort auf die Freiheitsverletzungen während der Zeit des Nationalsozialismus 168 bewiesen wird. Den Vorrang der Grundrechte als Abwehrrechte beweist darüber hinaus auch die Ausgestaltung des Grundrechtskatalogs selbst, durch das Bekenntnis in Art. 1 Abs. 2 GG zu vorstaatlichen Menschenrechten als Gemeinschaftsgrundlage 169, die Betonung der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte in Art. 1 Abs. 3 GG, die Begrenzung der Eingriffsmöglichkeiten im Grundrechtsbereich durch Art. 19 Abs. 1 und 2 GG, und die Normierung einer gerichtlichen Kontrolle der gesetzgeberischen Aktivität (Art. 93 Abs. 1 und 100 GG). Auch die sprachliche Formulierung der grundrechtlichen Vorschriften ist hier zu erwähnen: Es geht immer um die Gewährleistung von individuellen „Rechten" oder „Freiheiten". 170

163 Für die Systematisierung der anderen, neben der abwehrrechtlichen Funktion geltenden Funktionen der Forschungsfreiheit in der Vergangenheit und heute s. Dickert, S. 143 ff.; auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 81; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 6 ff.; Badura, Staatsrecht, C, Rn. 78, S. 172 ff.; Häberle, AöR 110 (1985), S. 329 ff. (358 f.); Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff. (276 f.); Losch, NVwZ 1993, S. 625 ff. (625); ders., Wissenschaftsfreiheit, S. 136 ff.; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 125 ff.; Meusel, WissR 25 (1992), S. 124 ff. (129). 164 Schultze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 5; Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 35 und 60; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 257. 165 BVerfGE 7, 198 (204) - Lüth; st. Rechtsprechung; daß die Grundrechte in ihrer geschichtlichen Entstehung nicht zuvörderst als Abwehrrechte verstanden wurden, s. H. Dreier, Dimensionen, S. 29 ff.; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 46. 166 Für die Systematisierung der Grundrechtstheorien s. Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. 1 67 Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 65. 168 Vgl. hier beispielsweise die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933 (RGBl I, S. 83), durch die auf Grund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung die wichtigsten „individuellen" Freiheiten der Verfassung außer Kraft gesetzt wurden. 169 v. Mangoldt/Klein, GG-Komm, Die Grundrechte, Vorb. Β IV 1; v. Mangoldt, in: Parlamentarischer Rat, Bericht, S. 5 ff.; v. Mangoldt, AöR 75 (1949), S. 273 ff. (275 ff.). no Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. ( 1537); H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 45; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 9. *

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Die Forschungsfreiheit, die als Erscheinungsform der Wissenschaftsfreiheit im Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet wird und deswegen als wissenschaftliche Forschung zu verstehen ist 1 7 1 , erweist auf dieser Weise vor allem einen abwehrrechtlichen Charakter 172 und formt dadurch einen Teil des status libertatis im klassischen Sinne 173 . Als subjektives Freiheitsrecht setzt sie sich aus drei Elemente zusammen. Sie hat bestimmte Träger, Adressaten und Inhalte, die zu erörtern sind.

1. Grundrechtsträger Träger der Forschungsfreiheit ist jeder, der eigenverantwortlich im Bereich der Forschung tätig ist oder tätig werden will 1 7 4 , ohne daß der Nachweis einer bestimmten Ausbildung erforderlich wäre 175 . Andererseits reicht eine wissenschaftliche Ausbildung nicht aus, um bejahen zu können, ob jemand wissenschaftlich tätig ist oder nicht. 176 Den erheblichen Ansatzpunkt für die Grundrechtsberechtigung bildet immer die Tätigkeit, die ausgeübt wird. Die Forscher sind oft aber nicht notwendig177 im Rahmen von bestimmten Hochschulen oder an außeruniversitären (öffentlichen oder privaten) Forschungseinrichtungen wissenschaftlich tätig. 178 Dies ist eine Folge des hohen Sachauf171 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 721; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 9 und 85; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 221; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 2; Dickert, S. 162; Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (108); ders., in: Eser/Schumann (Hrsg.), S. 77 ff. (78); Röttgen, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 291 ff. (296); R. Dreier, DVB1. 1980, S. 471 ff. (471); Lüthge, in: Denninger (Hrsg.), HRG-Komm, Vor § 3, Rn. 21; Trute, S. 132 f.; Wendt, in: v. Münch/Kunig, GGKomm, Art. 5, Rn. 100; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 75; Ipsen, Grundrechte, Rn. 499. Dagegen aber Hailbronner, Forschung, S. 55. 172 BVerfGE 35, 79 (112) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; 81, 108 (116); 88, 129 (136); 90, 1 (11) - Wahrheit für Deutschland; 95, 193 (209); BVerfG, Beschl. v. 9. 6. 1992-1 BvR 824/90, NJW 1993, S. 916 f. (916); BVerwGE 102, 304 (307). Von der Literatur s. insbesondere Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 217; Lerche, in: Lukes/Scholz (Hrsg.), S. 88 ff. (91); Hailbronner, WissR 13 (1980), S. 212 ff. (214); Schmidt-Aßmann, JZ 1989, S. 205 ff. (208); Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 135 f.; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 120; Roellecke, JZ 1969, S. 726 ff. (727); Wegehaupt, S. 45. Gegen einen individualrechtlichen Charakter Köttgen, in: Die Grundrechte, Bd. Π, S. 291 ff. (302 und 310). 173 Jellinek, System, S. 87. 174 In diesem Sinne ist die Freiheit des Art. 5 Abs. 3 ein Jedermannsgrundrecht: BVerfGE 15, 256 (263 f.); 35,79 (112) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; 81,108(116); 88, 129(136); 90,1 (11)-Wahrheit für Deutschland; 95,193 (209); BVerwGE 102, 304 (307); dazu s. Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 27. 175 BVerwGE 80, 265 (266); Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 108. 176 BVerwGE 29, 77 (78); BVerwG, Beschl. v. 24. März 1988-6 Ρ 18.85, ZBR 1988, S. 257. 177 Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 209.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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wands, den wissenschaftliche Arbeit heutzutage voraussetzt. 179 Dabei ist die Anerkennung der Grundrechtsberechtigung unabhängig davon, in welchem Arbeitsverhältnis der Wissenschaftler bei der in Frage kommenden Einrichtung steht. Ebenso ist es unerheblich, ob die Einrichtung öffentlich- oder privatrechtlich organisiert ist.180 Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG sind Träger des Grundrechts darüber hinaus inländische juristische Personen des Privatrechts, für die die Anerkennung einer „staatsfreien" Sphäre von Bedeutung für ihre Tätigkeit ist. 1 8 1 Dies gilt nicht nur, wenn sie selbst durch die Schaffung entsprechender Institute Wissenschaft betreiben, sondern auch wenn sie nur die Wissenschaft fördern. 182 Im Rahmen der außeruniversitären Forschung 183 kommt eine besondere Bedeutung der Industrieforschung 184 zu. Die Unternehmen sind ein aktiver und interessanter Forschungsakteur, zumal sie mehr Mittel für Forschung verwenden als alle übrigen Forschungseinrichtungen zusammen 185 , und werden als formelle Grundrechtssubjekte des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG anerkannt 186 .

178 Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 34. 179 Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 109; Püttner, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 79 ff. (81); für die Probleme einer Instrumentalisierung der Wissenschaft als mittelbare Folge des erheblichen finanziellen Aufwands von Forschungsprojekten s. Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, §27, Rn. 18. 180 Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 109; Wegehaupt, S. 58. lei Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 35; Ipsen, Grundrechte, Rn. 497; Manssen, Rn. 171; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 115 ff.; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 118, Rn. 58; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Art. 5, Rn. 79 a; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 257. 182 Ipsen, Grundrechte, Rn. 497; unterscheidend Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 112 f.; a. A. aber Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 28 f. 183 Die außeruniversitäre Forschung wird hier weit verstanden und erfaßt nicht nur die außeruniversitären Forschungseinrichtungen; anders aber Meusel, WissR 25 (1992), S. 124 ff. (125). 184 Für die Unterscheidung zwischen Forschung in öffentlichen und privaten Einrichtungen und Industrieforschung s. Löwer, in: HbWissR, Bd. II, S. 1219 ff.; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 7 f. Die große Bedeutung der Industrieforschung, die nicht nur die Zukunft und die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Industrie betrifft (Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 33), sondern auch eine wichtige Rolle für die Volkswirtschaft spielt (diese Bedeutung machen auch die staatlichen Verschonungssubventionen bzw. Steuervergünstigungen deutlich, die an Forschungsprojekte durchführenden Unternehmen erteilt werden; dazu s. Löwer, in: HbWissR, Bd. II, S. 1219 ff., 1229), wird durch die große Anzahl der Patentanmeldungen in der BRD dokumentiert, die aus der Industrie stammen; vgl. Grellen, in: HbWissR, 1. Aufl., Bd. II, S. 1235 f.; Dickert, S. 84; s. auch den Bundesbericht Forschung 1996, BR-Drs. 350/ 96 v. 10.5.96, S. 125 ff. 185 s. den II. Teil des Bundesberichts Forschung 1996, BR-Drs. 350/96 v. 10. 5. 96, S. 59; Grellert, in: HbWissR, 1. Aufl., Bd. Π, S. 1235; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 5 f. 186 Hartmut Krüger, in: HbWissR, Bd. I, S. 261 ff. (278 f.).

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Träger der Forschungsfreiheit sind schließlich unter denselben Voraussetzungen, die für private juristische Personen gelten (Art. 19 Abs. 3 GG), ausnahmsweise auch statusunabhängige juristische Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen sind. 1 8 7 Dies gilt insbesondere für die Hochschulen und die Fakultäten 188 , aber auch für die öffentlich-rechtlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen 189.

2. Adressaten Grundrechtsverpflichtet ist gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die öffentliche Gewalt in all ihren Funktionen. 190 Für das hier erhebliche Problem der Festschreibung eines gesetzlichen Forschungsverbots interessiert vor allem die Bedeutung des Freiheitsrechts für den Gesetzgeber, der durch Art. 1 Abs. 3 GG zu den Grundrechtsadressaten gerechnet w i r d . 1 9 1 Auf der Seite insbesondere des Gesetzgebers führt die Freiheitsgarantie zu einer Auslagerung des betreffenden Bereichs aus seiner Regelungsbefugnis. Das Grundrecht funktioniert als eine negative Kompetenzbestimmung. 192 Der Bereich der Forschung wird damit nicht automatisch ins Aktivitätsfeld des Gesetzgebers einbe-

187 BVerfGE, 15, 256 (262); 21,262 (373); 31, 314 (322); 39, 302 (313); Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 117; Starck, in: v. Mangodt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 257; Rüfner, in: HbStR, Bd. V, § 116, Rn. 71. 188 Zu unterscheiden von der Grundrechtsfähigkeit mittels Art. 19 Abs. 3 GG ist die Frage, ob die Universitäten gerade aus Art. 5 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt sind, ob also die Freiheit des Art. 5 Abs. 3 GG als ein „Grundrecht der deutschen Universität" zu verstehen ist; vgl. dazu Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 57. Das BVerfG hat diese Frage zunächst offengelassen: BVerfGE 15, 256 (264); 35, 79 (116 f.) - Niedersächsisches GesamthochschulG; jedoch wird in der neueren Rechtsprechung anerkannt, daß den öffentlichen Einrichtungen, die einen wissenschaftlichen Zweck verfolgen, das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG unmittelbar zugeordnet ist: BVerfGE 85, 360 (384) - Akademie der Wissenschaften; s. ferner Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 5, Rn. 112; Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 29; Hailbronner, in: Hailbronner (Hrsg.), HRG-Komm, § 3, Rn. 25; Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 59. Nur von Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 124 und von Wegehaupt, S. 59 f. wird die Wissenschaftsfreiheit durch Art. 19 Abs. 3 GG der Universität zugeordnet; zustimmend zur direkten Berechtigung der Universität aus Art. 5 Abs. 3 GG: Rüfner, in: HbStR, Bd. V, § 116, Rn. 75; Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 35 f.; Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 210; Schmalz, Rn. 628; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5, Rn. 79 a. Vgl. hier auch BVerwGE 102, 304 (309); demnach wird der Universität und ihrer Organen durch Art. 5 Abs. 3 GG kein der subjektiven Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Hochschullehrers entsprechendes, gleichwertiges Recht gegenübergestellt. 189 s. dazu Meusel, WissR 25 (1992), S. 124 ff. (129 ff.). 190 H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 77. 191 Für die Beziehung des Gesetzgebers zu den Grundrechten s. unten Teil 1, Kap. D, II, 1. 192 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 291.

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zogen. Die Gewährleistung eines Freiheitsrechts entzieht vielmehr dem Gesetzgeber seine Regelungskompetenz, die er nur beim Vorliegen bestimmter Umständen wiederzugewinnen vermag. Das bedeutet zunächst eine Pflicht des Gesetzgebers, die Freiheit zu respektieren. Dieser Begrenzung des Gesetzgebers liegt das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip zugrunde, nachdem die Freiheit des einzelnen prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates dagegen prinzipiell begrenzt ist 193 , und das einem vorstaatlichen, natürlichen Freiheitsverständnis korrespondiert. Eine solche Unterlassungspflicht des Gesetzgebers schließt jedoch nicht seine Zuständigkeit dafür aus, durch abstrakte und generelle Normierungen die Freiheit erträglich mit anderen Verfassungsbestimmungen in Einklang zu bringen, so daß die Einheit der Verfassung erhalten bleibt.

3. Inhalt Nach dem traditionellen Verständnis soll das Abwehrrecht dem einzelnen einen prinzipiellen „Freiraum" garantieren 194, in dem er sein Grundrecht - hier die Forschungsbetätigung - ungestört „ausüben" kann 195 . Es geht um eine „Privat-" oder „staatsfreie" Sphäre, die der staatlichen Herrschaft entzogen und unter private Selbstbestimmung gestellt wird 196 , und die ihrem Träger eine Freiheit zum Belieben garantiert 197. Von diesem, aus dem liberalen Verteilungsprinzip 198 stammenden „Raum-" oder ,3ereichsdenken", das häufig als unzutreffend kritisiert wurde 199, soll im Wege einer differenzierten Betrachtung des normativen Inhalts der Grundrechte abgewi193 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 158 und 175. 1 94 Pieroth/Schlink, Rn. 231 ff.; Jellinek, System, S. 85; das Raumdenken ist auch bei der Rechtsprechung des BVerfG deutlich: BVerfGE 7, 377 (404) - Apotheken-Urteil; 12, 1 (3); 35, 202 (220) - Lebach; in Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit s. BVerfGE 35, 79 (112) Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; 88,129 (136); BVerfG, Beschl. v. 9.6. 1992-1 BvR 824/90, NJW 1993, S. 916 f. (916); BVerwGE 102,304 (307). 195 Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 17; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 65, S. 569 und § 66; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 46; Badura, Staatsrecht, C, Rn. 78, S. 173. 196 BVerfGE 35, 79 (113) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 2; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 45. 197 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 11 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ/1, § 66, S. 628. Zur Kritik eines solchen Freiheitsverständnisses, s. Suhr, JZ 1980, S. 166 ff. (170 und 173); ders., Entfaltung, S. 54 ff. 198 Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. (1530); Ossenbühl, NJW 1976, S. 2100 ff. (2101). 199 Ipsen, JZ 1997, S. 473 ff. (475); H. Dreier, Dimensionen, S. 35 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 26, Fn. 47; Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 351 ff. (373 ff.); Hübe rie, Wesensgehaltgarantie, S. 46; Enderlein, Freiheit, S. 117; Rupp, in: HbStR, Bd. I, § 28, Rn. 19; Pieroth/Schlink, Rn. 231 f.

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chen werden. Dementsprechend ist im Rahmen des negatorischen Inhalts der Grundrechte eine Unterscheidung zwischen ihren zwei Elementen vorzunehmen: Der Inhalt des Grundrechts bezieht sich demnach auf ein Rechtsgut, das den grundrechtlichen Schutzgegenstand bildet 200 , und hat darüber hinaus eine bestimmte Funktionsweise.

II. Rechtsgut „Forschungsfreiheit" Das Rechtsgut der Forschungsfreiheit ist die Forschung als freie menschliche Aktivität. Geschützt wird damit nicht die Forschung als solche, sondern die Freiheit, Forschung auszuüben. Die Forschungsfreiheit hat in diesem Sinne einen zweigliedrigen Grundrechtstatbestand.201 Dieser besteht sowohl aus einer Freiheitsgewähr als auch aus der Bestimmung des grundrechtlich geschützten Gutes „Forschung".

1. Vorgaben für die Bestimmung des Rechtsguts a) Freiheitsgewährleistung Die Freiheitsverbürgung der Forschung wird in ihrem liberalen und formalen Sinne als Freiheit „schlechthin", unabhängig von Zwecken und Zielen, verstanden und garantiert. 202 Dieses vorrangig liberale Freiheitsverständnis bedeutet Selbstbestimmung203, Selbstprogrammierung 204, Recht auf Selbstentscheidung über alle Fragen, die im Bereich der Freiheit auftauchen, oder klassisch gesprochen Autonomie und Eigengesetzlichkeit205. Mit diesem Freiheitsverständnis korrespondiert ein gewisses Staatsverständnis, nämlich das des neutralen Staates, dessen Aktivitäten durch das Prinzip der NichtIdentifikation bestimmt werden. 206 Dieses Prinzip postuliert, daß der Staat sich 200 Stern, Staatsrecht, Bd. III /1, § 66, S. 622 ff. 201

Für die Unterscheidung zwischen ein- und zweigliedrigen Grundrechtstatbeständen s. Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 41. 202 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (129). 203 BVerfGE 35, 79 (113) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47 327 (367). 204 Morlok, Selbstverständnis, S. 380. 205 BVerfGE 90, 1 (11 ff.) - Wahrheit für Deutschland; Morlok, Selbstverständnis, S. 380; zur Eigengesetzlichkeit als Kennzeichen der Wissenschaftsfreiheit s. Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 ff. (61 ff.); Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 106 ff. (115; 130); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 221. 206 Zum Prinzip Herbert Krüger, Staatslehre, S. 181 ff.; Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 ff. (55); in bezug auf die Gewissensfreiheit s. BVerfGE 93, 1 (16 f.) - Kruzifixurteil.

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nicht mit einer sozialen, ideologischen oder religiösen Besonderheit identifizieren läßt 2 0 7 , sondern dazu verpflichtet ist, den sozialen Pluralismus zu achten 208 . Die Gewährleistung einer Freiheit im Forschungsbereich darf in diesem Sinne vor allem als ein Pluralismuspostulat verstanden werden 2 0 9 , das der wissenschafts- und forschungspolitischen Neutralität des Staates entspricht 210 .

b) Tatbestand „ Forschung " Pluralismus wird nicht nur durch die Gewährleistung der Freiheit für den Bereich der Forschung postuliert, sondern auch vom Grundrechtsgegenstand des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG selbst. Forschung ist eine außerrechtliche, empirisch erfaßbare Tätigkeit 2 1 1 , die vornehmlich durch „rechtsexogene Gegebenheiten" 212 bestimmt wird. Der Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist dementsprechend „ausschließlich sachgeprägt" 213 und nicht rechtserzeugt 214 . Die Verankerung der Forschung im Verfassungstext erhebt sie aber zum Rechtsbegriff. 215 Dabei geht die ursprüngliche Sachbezogenheit der Forschung nicht verloren. Der Begriff muß vielmehr in seiner „Doppelbödigkeit" 216 verstanden werden. 207 Damit erscheint das Prinzip als Ausdruck des Toleranzgebotes; daß allen geistigen Freiheiten die Idee der Toleranz zugrunde liegt, s. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 ff. (45). Ferner für das Prinzip der Toleranz und seinen Zusammenhang mit der staatlichen Neutralität, s. Steiner, Art. „Toleranz", in: EvStL, Bd. II, Sp. 3630 ff. (3636). 208

Der Prinzip der Nicht-Identifikation muß nicht notwendig als Indifferenz oder staatliche Untätigkeit mißdeutet werden; s. dazu die Kritik von Schiaich, Neutralität, S. 239 ff. Dem Staat ist es letztlich nicht verboten, Besonderheiten zu berücksichtigen und vor allem im Auftrag des sozialen Staates (Art. 20 Abs. 1 GG) tätig zu werden. 209 So auch Häberle, Menschenbild, S. 66; Pluralismus darf nicht mit Wertneutralität verwechselt werden. Seine Annahme bedeutet nicht die Leugnung eines Wertverständnisses der Verfassungsordnung. Es geht hier um ein strukturelles Element der demokratischen Freiheitsordnung; Kimminich, in: Kimminich (Hrsg.), S. 53 ff. (74 ff.); für die Bedeutung des Pluralismus im heutigen Staat s. auch Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 9. 2 "> Zur wissenschafts- und forschungspolitischen Neutralität des Staates s. Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 24; Papier, NuR 1991, S. 162 ff. (168); Kloepfer/ Rossi, JZ 1998, S. 369 ff. (337). 2

" R. Herzog, in: FS Zeidler, S. 1415 ff. (1416 f.); Scholz, in: Maunz/Diirig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 87; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 95, S. 1719 ff.; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 39. 2 2

'

Rupp, VVDStRL 27, S. 113 ff. (119). Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 96 214 Für die Unterscheidung zwischen sach- und rechtsgeprägten Grundrechten s. Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 51; Manssen, Rn. 253 ff. Die rechtserzeugten Grundrechtstatbestände beziehen sich meistens auf Institutionen oder Kompetenzen; dazu s. F. Müller, Methodik, S. 143; Majewski, S. 88 ff.; als Beispiele dafür werden Schutzgüter wie „Eigentum", „Ehe", „Rechtsgehör" u. a. genannt. 213

215 216

Isensee, Freiheitsrechte, S. 49. Isensee, Freiheitsrechte, S. 49.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Der sachgeprägte Charakter des Tatbestands „Forschung" im Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verursacht auf der anderen Seite seine semantische Offenheit 217 und bedingt eine wirklichkeitsbezogene Auslegung. Die Annahme eines Forschungsbegriffs, der sachfremd und abstrahiert von der empirischen Erscheinung der Forschung selbst wäre, ist nicht sachgerecht218 und deshalb zu vermeiden219. Die wirklichkeitsbezogene Auslegung von Rechtsnormen wird auf der anderen Seite vom sozialen und kulturellen Pluralismus der Gesellschaft mitgeprägt 220 In der sozialen Wirklichkeit sind verschiedene Auffassungen über den Begriff „Forschung" vorhanden: Der Begriff wird zuerst in einer Laiensphäre empirisch verstanden.221 Darüber hinaus versteht jeder Wissenschaftler je nach seiner Spezialisierung die Forschungstätigkeiten entsprechend. Davon abzugrenzen sind die Auffassungen der verschiedenen Wissenschaftstheorien, die die Forschung als philosophisches bzw. soziales Problem betrachtet, begriffen und gedeutet haben.222 Im Forschungsbereich ist der Pluralismus darüber hinaus durch die reale innere Logik des Forschungsprozesses bedingt. Da die Suche nach der Wahrheit nie abgeschlossen ist 2 2 3 , müssen alle möglichen Forschungsansätze als prinzipiell unabgeschlossen betrachtet werden. 224 Der Zweifel als ein Grundprinzip der Wissenschaft und die daraus resultierende Vorläufigkeit ihrer Methoden und Ergebnisse müssen anerkannt werden 2 2 5

c) Synthese Eine Interpretationsmethode, die sich für die Bestimmung von Verfassungsbegriffen zwischen normativen und empirischen Daten bewegt, verspricht ein plurali217 BVerfGE 90, 1 (12) - Wahrheit für Deutschland; Alexy, Theorie, S. 58; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 80 f.; Losch, NVwZ 1993, S. 625 ff. (625). 218 Daß die rein „normativistische" Betrachtung des Verfassungsrechts überholt ist, s. Morlok, Verfassungstheorie, S. 61. Allgemein zur Methode einer von der Wirklichkeit abstrahierenden Begriffsjurisprudenz und ihre Probleme, Kaufmann, in: Kaufmann / Hassemer (Hrsg.), S. 30 ff. (140 ff.) 219 Häberle, Pluralismus, S. 48. 220 Häberle, Pluralismus, S. 55; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 81; für den Pluralismus als soziales Kennzeichen der „offenen Gesellschaft" s. Popper, Bd. I, S. 207 ff.; zur Korrelation zwischen „offener Verfassung" und „offener Gesellschaft" s. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 82 ff. 221 Für die verschiedene Bedeutungsebenen des Forschungsbegriffs s. Dickert, S. 122 f.; Freundlich, S. 86 f. 222 Dickert, S. 123 ff.; zur Vielsichtigkeit und zur Bedeutung des Begriffs Wissenschaftstheorie s. Menne, Art. „Wissenschaftstheorie", in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), StL, Bd. 5, Sp. 1104 ff. 223 BVerfGE 35, 79 (114 f.) - Niedersächsisches GesamthochschulG. 224 V. Brünneck, JA 1989, S. 165 ff. (169). 225 Trute, S. 59.

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stisches Verständnis der grundrechtlichen Tatbestände. Es geht nämlich um das Verständnis der Grundrechte als „sachbestimmte Ordnungsmodelle".226 Die Grundrechte, also Normen, werden nicht mit ihrer sprachlichen Fassung {Normtext) identifiziert, sondern strukturell analysiert. Ihre Analyse beweist, daß sie aus zwei Teilen bestehen, nämlich aus einem Normprogramm, das besagt, was gelten soll, und aus einem Normbereich. Der letztere umfaßt die ausgewählten Elemente der Wirklichkeit, drückt sie objektivierend aus und fügt dadurch der Norm ihre realen Gegebenheiten hinzu. 227 Wenn der Normbereich so verstanden wird, ist die Norm nicht mehr als isoliertes und rein hypothetisches Sollensurteil erfaßbar. Vielmehr erhält sie soziale Bezogenheit. Das Geltende wird auch von der empirischen Wirklichkeit mitbestimmt. Damit erwirbt die soziale Wirklichkeit als Bestandteil der Norm auch eine gewisse Normativität. 228 Durch diese Theorie wird der Staat nicht mehr als eine von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abstrahierte Organisation betrachtet, sondern er versucht zu integrieren. 229

2. Kompetenz für die Bestimmung des Rechtsguts a) Unschlüssigkeit zwischen Definitionsverbot für die öffentliche Gewalt

und -gebot

Wegen des soeben bezeichneten, von den empirischen Gegebenheiten geprägten Charakters der wissenschaftlichen Forschung wurde eine Diskussion über die Zuständigkeit bezüglich ihrer Definition eröffnet. 230 Das ursprünglich für die Kunstfreiheit formulierte Definitions verbot 231 wurde auch für die Freiheit der Wissen226 Zum Begriff s. F. Müller, Rechtslehre, S. 168 ff.; zustimmend für die Anwendung der Theorie auf die Wissenschaftsfreiheitsgarantie Trute, S. 58 f.; kritisch gegen einen solchen Interpretationsansatz, weil er zum Festschreiben eines gegenwärtigen Freiheitsgebrauchs im normativen Inhalt des Grundrechts führe, Enderlein, Freiheit, S. 115 f. Dem ist nicht zuzustimmen, soweit diese Theorie nicht notwendig zementierend funktionieren muß; Aktualität ist eine allgemeine Anforderung jeder Auslegung, die durch diese Theorie nicht notwendigerweise geleugnet wird. 227 Zur Unterscheidung zwischen Normprogramm und Normbereich, s. F. Müller, Rechtslehre, S. 184 ff. und 263 ff. 228 F: Müller, Methodik, S. 141 ff. (144). Darüber hinaus kann durch die Norm selbst gesteuert werden, welche Aspekte der Wirklichkeit für die Normauslegung erheblich sind, denn sie werden durch das Normprogramm aus dem Sachbereich der Lebenswirklichkeit ausgewählt und zum Normbereich erhoben: F. Müller, Rechtslehre, S. 251. 229 Zu dieser Funktion des Normbereichs s. auch Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 95, S. 1720. 230 Daß die Diskussion über die Definitionszuständigkeit von der inhaltlichen Bestimmung des Begriffs nicht völlig abzutrennen ist, Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 43 ff. 231 Knies, S. 217 ff.; diese Übertragung auf die Wissenschaftsfreiheit war wegen der strukturellen Gleichheit der beiden Grundrechte möglich. Diese Gleichheit bringt schon die Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck; s. BVerfGE 35, 79 (112) - Niedersächsisches Ge-

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schaft propagiert. Demgemäß besäße der Staat keine Zuständigkeit für das Definieren dieses Begriffes. Vielmehr seien Wissenschaftler selbst ausschließlich zuständig für die Bestimmung des Wissenschaftsbegriffs. 232 Mit diesem Verbot korrespondiere weiter die Figur des „Selbstverständnisses" als maßgebliches Auslegungskriterium. 233 Das zentrale Argument für ein solches Definitionsverbot geht auf den Begriff der Freiheit selbst zurück und besteht darin, daß „rechtliche Freiheit dadurch kennzeichnet ist, daß der Staat den Inhalt der Freiheit nicht definiert". 234 Damit wird der Eindruck vermittelt, eine solche Betrachtungsweise respektiere völlig die liberale Dimension der Forschungsfreiheit. Dadurch werden jedoch die zwei Elemente des grundrechtlich geschützten Rechtsguts des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG miteinander vermischt. Die Freiheitsgewähr und das Sachgebiet „Forschung" werden als eins betrachtet. Es wurde schon oben angenommen, daß diese beiden Elemente nicht völlig abgetrennt voneinander zu verstehen sind. 235 Ihre absolute Gleichstellung ist auf der anderen Seite nicht nur dogmatisch nicht annehmbar, sondern führt in eine Sackgasse. Die reine Ausprägung236 des Definitionsverbots ist zunächst logisch nicht hinnehmbar, denn sie mißachtet vor allem eins: Wenn der Staat eine Tätigkeit als „frei" garantieren und schützen will, muß er auch definieren können, worin diese Tätigkeit besteht.237 Die Freiheitsgarantie verliert dadurch notwendigerweise an Durchsetzbarkeit 238, weil sie ein „vager Topos der Rechtsordnung"239 bleibt. Sie erlaubt darüber hinaus keine Abgrenzung der verschiedenen Grundrechtstatbestände zwischen inhaltlich verwandten Grundrechten 240, verursacht unvermeidliche Konkurrenzen zwischen den Grundrechtsnormen und kann als Mittel für die MultisamthochschulG und insbesondere BVerfGE 47, 327 (368 f.) - HUG, mit Verweis an BVerfGE 30,173 - Mephisto. 232 Ridder, S. 135; Knies, S. 217 ff.; in bezug auf die Freiheit des Gewissens eine abw. M. Hirsch in BVerfGE 48, 185 ff. (188). 233 Isensee, Freiheitsrechte, S. 17; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 21 ff.; Morlok, Selbstverständnis, S. 386 ff. und 393 ff. 234 Knies, S. 218 mit Anknüpfen an C. Schmitt, in: Aufsätze, S. 140 ff. (167): „Was Freiheit ist kann nämlich im letzter Instanz nur deijenige entscheiden, der frei sein soll."; s. auch Denninger, JZ 1975, S. 545 ff. (545); Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 65. 235 s. dazu oben Teil 1, Kap. Β, II, 1, c). 236 Nach der Unterscheidung von Isensee, Freiheitsrechte, S. 18. 237 Argument ursprünglich in Arndt, NJW 1966, S. 26 ff. (28); so auch Isensee, Freiheitsrechte, S. 35; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III, Rn. 25 und 88; Bauer, S. 27 f.; Kimminich, WissR 18 (1985), S. 116 ff. (122) betont dagegen, daß keine Notwendigkeit zur Definition des Begriffs besteht, wenn es um Auslegung und Anwendung der Vorschrift geht. 238 Dickert, S. 171. 239 Lerche, in: HbStR, Bd. V, § 121, Rn. 1. 240 Zur Notwendigkeit einer solchen Abgrenzung, s. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 ff. (45).

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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plikation von Einschränkungsmöglichkeiten fungieren 241. Eine solche Meinung unterstellt die Bestimmung des Begriffes der absoluten individuellen Willkür und ist untauglich, den gleichen Genuß des Rechtes für alle seine Träger zu gewährleisten.242 Schließlich ist sie schwer hinnehmbar, da sie der rechtsstaatlich geforderten Rechtsklarheit und Voraussehbarkeit243 als den Zielen eines jeden Auslegungsvorgangs244 nicht gerecht wird. Den Einwand der unvermeidlichen Ungleichheit des Freiheitsgenusses hat eine zweite Formulierung des Definitionsverbots zu überwinden versucht. Dabei wurde auf die Drittanerkennung als Auslegungsmaßstab verwiesen, also auf eine Definition des Begriffs der Forschung durch die schon etablierten und anerkannten Wissenschaftler. 245 Auch diese Fassung des Definitionsverbots aber kann nicht den Einwand des Subjektivismus ausräumen. Sie ersetzt freilich die individuelle Willkür jedes Wissenschaftlers mit derjenigen der etablierten wissenschaftlichen Gruppen oder Gremien ohne gleichzeitig nachweisen zu können, von wem und nach welchen Kriterien die Entscheidungen gefällt werden. 246 Sie garantiert auf diese Weise keine Neutralität, sondern kann kreativitätshemmend wirken, indem sie potentiell zur Etablierung einer bestimmten Wissenschaftsauffassung beitragen kann. 247 Schließlich ist zu betonen, daß der Definitionsverbot eine Mißachtung von Rechten und Gütern Dritter zur Folge haben kann, die den Kontrollinstanzen des Staates entzogen wären. Diese Gefahr wird deutlich, wenn man berücksichtigt, daß die Einordnung einer Tätigkeit zum Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG nicht unterliegt. 248 Ein solches Ergebnis ist nicht hinnehmbar.249 241 Rupp, JZ 1970, S. 165 ff. (166); Dickert, S. 171; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 87 f. 2*2 Isensee, Freiheitsrechte, S. 36; Dickert, S. 172; s. aber auch das Gegenargument dazu, das sich auf die Zugehörigkeit des einzelnen zum Kommunikations- und Handlungszusammenhang „Wissenschaft" beruft, der keinen Raum für einen unkontrollierbaren Subjektivismus bietet; so Trute, S. 62. Diese Meinung setzt eine ideale soziale Lage voraus, und kann nicht die hier angenommenen Einwände ausräumen. Eine solche mittelbare Begrenzung des Subjektivismus kann nicht den gleichen Freiheitsgenuß gewährleisten, weil sie sich auf einen sozialen Prozeß bezieht, der in jedem Fall anders sein kann. 243 Für die rechtsstaatliche Basis dieser Gebote im allgemeinen, s. Schnapp, in: v. Münch/ Kunig, GG-Komm, Art. 20, Rn. 25 f. 244 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 51. 245 Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 31, Rz. 18; Preuß, Mandat, S. 105. 246 Dickert, S. 175; Bauer, S. 26. 247 Dickert, S. 172; Bauer, S. 26. Als Gegenargument wurde hier das Paradox betont, daß im Zweifel dem Staat eher Freiheitswahrung zugetraut wird als den Grundrechtsausübenden selbst; so Trute, S. 62. Dieser Meinung ist nicht zuzustimmen, wenn anerkannt wird, daß die private Macht ebenso wie die staatliche als Freiheitsbedrohung fungieren kann. 248 BVerfGE 35,79 (112) - Niedersächsisches GesamthochschulG. 249 Vgl. BVerfGE 90, 1 (12 f.) - Wahrheit für Deutschland: „Die Einordnung unter die Wissenschaftsfreiheit ( . . . ) kann nicht allein von der Beurteilung desjenigen abhängen, der

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Die Auseinandersetzung mit der Diskussion über ein Definitionsverbot führt letztlich zur Ablehnung einer rein subjektivistischen Auslegungsmethode. Demnach gelangt man zur gegenteiligen Figur der Dogmatik, nämlich dem Definitionsgebot 250 zugunsten der öffentlichen Gewalt. Dieses Gebot betrifft ferner jede Funktion der öffentlichen Gewalt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten.251

b) Erläuterungen zum gesetzgeberischen Definitions gebot Die Anerkennung eines Definitionsgebotes zugunsten der öffentlichen Gewalt bezieht sich unvermeidlich vor allem auf den Gesetzgeber. Das angenommene gesetzgeberische Definitionsgebot muß von einer etwaigen Ausgestaltungsmacht des Gesetzgebers wie auch von einem gesetzgeberischen Auslegungsmonopol abgegrenzt werden. Die Anerkennung des Definitionsgebotes bedeutet nicht gleichzeitig die Anerkennung einer Ausgestaltungsmacht des Gesetzgebers, die er notwendigerweise aktivieren muß, um dadurch den Schutz von freien Forschungstätigkeiten zu effektuieren und zu gewährleisten.252 Die Auffassung über eine unentbehrliche grundrechtsausgestaltende Funktion des Gesetzgebers, die als notwendige Voraussetzung der Grundrechtsaktualisierung begriffen wird und die konstitutiv als Inhaltsbestimmung funktioniert, wird nicht angenommen. Sie ist unentbehrlich mit einem solchen institutionellen Verständnis der Grundrechte verknüpft, das nicht konnex, komplementär oder alternativ 253 zu ihrer individuell-abwehrrechtlichen Dimension auftritt, sondern die abwehrrechtliche Dimension korrelativ bedingt. Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte und als Institutionen werden nach dieser Meinung untrennbar miteinander existieren. 254 Durch diese Gleichsetzung öffnet eine solche Meinung den Weg, die Freiheit zur Pflicht zu umwandeln.255

das Grundrecht für sich in Anspruch nimmt. Soweit es auf die Zulässigkeit einer Beschränkung zum Zwecke des Jugendschutzes ( . . . ) oder eines anderen verfassungsrechtlich geschützten Gutes ( . . . ) ankommt, sind vielmehr auch Behörden und Gerichte zu der Prüfung befugt, ob ein Werk die Merkmale des - weit zu verstehenden - Wissenschaftsbegriffs erfüllt." 250 BVerfGE 35, 79 (112) - Niedersächsisches GesamthochschulG; so auch BVerfGE 75, 369 (377) in bezug auf die Kunstfreiheit; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 88; Dickert, S. 176; Isensee, Freiheitsrechte, S. 36; Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 207; Freundlich, S. 89. 251 Daß es nicht nur umrichterliche Auslegung geht, Isensee, Freiheitsrechte, S. 41. 252 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 180 ff. (184 f.). 253 c. Schmitt, in: Aufsätze, S. 140 (167 ff. und 171); auch Böckenförde, NJW 1974,

S. 1529 ff. (1531).

254 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 105. 255 Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. (1533); s. auch die ausdrückliche Annahme eines »Pflichtelements" der Freiheit, in: Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 101.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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Die Grundrechte sind zwar nicht schrankenlos gewährleistet, aber sie bleiben trotzdem aufgabenfrei, während die Institutsgarantien „aufgabenbezogen" und „zweckgerichtet" sind. 256 Daß die Bedingung der Freiheit und ihrer Gebrauch von Zielen und Aufgaben zur ihrer Entkräftung taugt 257 , braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Darüber hinaus ist eine solche Macht des Gesetzgebers insbesondere bezüglich des Tatbestands „Forschung" nicht anzunehmen, weil diese als naturwüchsige und nicht als rechtserzeugte charakterisiert wurde. Zum rechtserzeugten Tatbestand wird die Forschung lediglich im Funktionszusammenhang von öffentlich-rechtlichen Institutionen258, wo aber wieder besondere Prärogative für die Forschenden anerkannt werden, die auch die Funktionstüchtigkeit der Forschung ermöglichen259. Noch weniger geht es hier um eine authentische oder ausschließliche Auslegungsbefugnis des Gesetzgebers. Zunächst verfügt der Gesetzgeber über keinerlei Macht, eine authentische Auslegung der Verfassung durchführen zu können. Eine solche Macht kommt nur dem förmlichen verfassungsändernden Gesetzgeber zu, und das auch nur in den materiellen Grenzen (Art. 79 Abs. 3 GG), die die Verfassung selbst bestimmt.260 Der einfache Gesetzgeber hat dagegen immer den Vorrang der Verfassung zu respektieren. Wenn er den Gehalt einer Grundrechtsbestimmung definiert, kann er dabei keine Authentizität beanspruchen.261 Außerdem besitzt er auch kein Auslegungsmonopol, da seine Entscheidungen immer unter der Kontrollzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts stehen. Sie werden von diesem nachgeprüft im Rahmen der abstrakten oder inzidenten Kontrolle und gegebenenfalls für nichtig erklärt (§ 78 S. 1 BVerfGG). 262

256 Dagtoglou, Pressefreiheit, S. 12 ff. 257 Dagtoglou, Pressefreiheit, S. 16; s. auch Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. (1533). 258 BVerfGE 35, 79 (112 ff.) - Niedersächsisches GesamthochschulG: Wissenschaft, Forschung und Lehre sind nur teilweise als institutionalisiertes Rechtsprinzip anerkannt. 259 BVerfGE 35, 79 (115) - Niedersächsisches GesamthochschulG: „Im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebs, d. h. in einem Bereich der Leistungsverwaltung, hat der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist. Daraus ergibt sich einmal, daß auch im Bereich der Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsbetrieb jedenfalls der oben umschriebene Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung grundsätzlich der Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers vorbehalten bleiben muß." 260 Steiner, Verfassunggebung, S. 90. 261 s. bezüglich der Definition des § 3 von HRG, Reich, HRG-Komm, § 3, Rn. 2; Hailbronner, in: Hailbronner (Hrsg.), HRG-Komm, Bd. 1, § 3, Rn. 1 - 2 und 36 ff. 262 Soweit die Entscheidungen des BVerfG mit Gesetzeskraft ausgestattet und für alle konstituierten Staatsorgane verbindlich sind (§31 Abs. 1 BVerfGG), kommt ihnen ein besonderes Gewicht bezüglich des Interpretationsvorganges zu; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 95, S. 1702 ff ; Isensee, in: Piazolo (Hrsg.), S. 49 ff. (53); Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 50.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Es kann also festgehalten werden, daß der Gesetzgeber keine konstitutive Rolle in bezug auf den Tatbestand der wissenschaftlichen Tätigkeit „Forschung" haben kann. Er ist nicht dazu berufen, das Schutzobjekt der Freiheitsverbürgung positiv und erschöpfend zu definieren. 263 Dagegen verpflichtet die Definition mehr die rechtsanwendenden Organe, denn sie geraten aus Anlaß eines bestimmten Sachverhalts regelmäßig unter Definitionszwang, weil ohne Definition keine Subsumtion möglich ist. 264 Eine weitere Frage ist es, ob auch diese Staatsorgane ein Auslegungsmonopol haben oder ob ihre Kompetenz mehr als „amtliches Konkretisierungsprimat" 265 zu verstehen ist. Die Antwort auf diese Frage wird durch die Entscheidung für oder gegen eine offene Grundrechtsinterpretation bedingt.266 Soweit man auf ein liberales Verständnis der Freiheitsverbürgungen und der damit implizierten Offenheit abstellt, kann die Orientierung für eine solche Wahl gewissermaßen von der Verfassung her als vorentschieden betrachtet werden. Private Selbstverständnisse sind in dieser Weise als strukturelle Elemente eines pluralen Grundrechtskonkretisierungsprozesses von Staatsorganen zu berücksichtigen.267

3. Bestimmung des Rechtsguts Wenn die Verfassung selbst die Forschung als offen und pluralistisch versteht, hat jeder Definitionsversuch diese Merkmale zu respektieren. Die Offenheit des Begriffs und das Pluralismusgebot führen zu Besonderheiten bei der Definition. Demnach ist Forschung nicht nach Klasse oder Typus zu definieren, sondern formt einen Rahmenbegriff 268, der nur den Umfang der Tätigkeit bestimmt und keine qualitativen Bewertungen innerhalb dieses Umfangs bewirken will. Es ist also nicht eine ontologische Definition der Forschung, die gesucht wird, sondern eine Grenzbestimmung269, die es ermöglicht, eine Tätigkeit, die als Forschung den Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG genießt, von anderen Tätigkeiten ab-

263 Von diesen allgemeinen Aussagen über die Rolle des Gesetzgebers im Freiheitsbereich sind die Fragen des gesetzgeberischen Tätigwerdens im Rahmen der institutionellen Organisation der Wissenschaft und der Forschungsforderung zu trennen; dazu s. Dickert, S. 185 f.; BVerfGE 85, 360 (382) - Akademie der Wissenschaften; 81,108 (116). 264

Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 73. 265 Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 90 f. 266 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 342 ff.; ders., JZ 1975, S. 297 ff.; ders., JZ 1989, S. 913 ff.; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 76; Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 73; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 2; dagegen Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 69. 267 s. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 54 ff., 90 f. 268 Zur Unterscheidung s. Isensee, Freiheitsrechte, S. 46 f. 269 Ähnlich für den Begriff der Kunst, F. Müller, Kunst, S. 39; kritisch einer solchen Bestimmung der Forschung gegenüber Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 17.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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zugrenzen270. Dabei bleiben jedoch minimale inhaltliche Kriterien, die eine Hilfsfunktion für die Beurteilung von Grenzfällen erweisen können, unverzichtbar. 271 Diese Rolle der Abgrenzung kann die Forschungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts trotz ihrer von der Literatur nachgewiesenen Unschlüssigkeiten272 grundsätzlich erfüllen. Demnach versteht das Gericht als Wissenschaft „alles, was nach Inhalt und Form als planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist" 273 , und definiert mit Anlehnung an den Dritten Bundesbericht Forschung274 die Forschung als „die geistige Tätigkeit mit dem Ziele in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen". In diesem Sinne unterstellt es dem freien Forschungsbereich „insbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung". 275 Auf dieser Weise werden vom Begriff die wesentlichen Merkmale der wissenschaftlichen Tätigkeit, d. h. das Streben nach Erkenntnisgewinn 276 , das methodische (planmäßige) Bemühen darum 277, die Irrtumsoffenheit 278 und die prinzipielle Offenheit zur Kommunikation279 miteingeschlossen. Dem Staat wird auf der anderen Seite eine Definitionsmacht über den „richtigen" oder „falschen" Gebrauch der Freiheit 280, über den ethischen oder morali270 Für die Abgrenzung der Forschung mit der Politik; s. BVerfGE 5, 85 (145 f.) - KPDUrteil; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 93; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 225. Für die Abgrenzung der Forschung mit dem nachwissenschaftlichen Bereich s. Dickert, S. 214. 271 Freundlich, S. 113. 272 Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 2; Schmalz, Rn. 627; Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 14; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 221; Dikkert, 203 ff.; Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (471 f.). 273 BVerfGE 47, 327 (367) - HUG; 90, 1 (12) - Wahrheit für Deutschland; BVerwGE 80, 265 (266); 102,304 (308, 311); auch so Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 206; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 2. 274 BT-Drs. 5/4335 v. 12. 6. 1969, S. 4. 275 BVerfGE 35, 79 (112) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; BVerwGE 102, 304 (307). 276 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 101; Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 41. 277 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (116); Scholz, in: Maunz/Dürig, GGKomm, Art. 5 III, Rn. 101; vgl. hier auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 222; kritisch zur Planmäßigkeitsanforderung ferner Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (472). 278 Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 31, Rz. 16 f. 279 Kimminich, WissR 18 (1985), S. 116 ff. (120); Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 16 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 101. 280 Das kann nur wissenschaftlich beurteilt werden: BVerfGE 90, 1 (12) - Wahrheit für Deutschland; die Gerichte dagegen haben keine Zuständigkeit darüber zu entscheiden: BVerfGE 5, 85 (145) - KPD-Urteil. Auch Mindermeinungen und Forschungsansätze, die sich als irrig oder fehlerhaft, lückenhaft oder einseitig erweisen, werden dem Rechtsgut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zugeordnet; BVerwGE 102, 304 ff. (307, 311); Bethge, in: Sachs, GG-Komm, 6 Iliadou

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

sehen Charakter der Freiheitsausübung 281 und eine Befugnis zur Vorbestimmung von Zielen, Gegenständen 282 oder Methoden des einzelnen Forschers wie auch die Errichtung eines Wissenschaftsrichtertums 283 verweigert. Er bleibt deshalb an technisch-formale Kriterien gebunden und dadurch begrenzt. 284 Der wissenschaftliche Pluralismus verbietet die Durchsetzung einer bestimmten Wissenschaftsauffassung oder -theorie. 2 8 5 Eine Differenzierung auf der Basis der Methoden, der Ergebnisse oder der Rahmenbedingungen des Forschungsprojekts ist unzulässig. 286 Die Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und experimenteller Entwicklung ist ohne verfassungsrechtliche Relevanz. 2 8 7 Auch Zweck- und Auftragsforschung fallen unter den Forschungsbegriff, soweit die „Gesetze wissenschaftlich-methodologischer Reflexion oder erkenntnistheoretisch-unabhängiger Untersuchung" nicht mißachtet werden. 2 8 8 In diesem Sinne fällt auch die Industrieforschung unter den Schutz des Art. 5 Abs. 3 . 2 8 9 Art. 5, Rn. 206; Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 15. Es ist etwas anderes,wenn trotz des Differenzierungsverbots für den Staat, zwischen „gutem" und „schlechtem" Freiheitsgebrauch zu unterscheiden - dem leistenden Staat noch die Möglichkeit der Förderung gemeinwohldienlichen Grundrechtsgebrauchs verbleibt; s. dazu Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 115, Rn. 262. 281 Vitzthum, in: Braun/Mieth/Steigleder, S. 263 ff. (275); Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 31, Rz. 15. 282 Es gibt keinen Bereich des Wissens über Natur und Menschen, der dem Wissenschaftler verschlossen bleiben müßte: F. Herzog, ZStW 105 (1993), S. 727 ff. (729). 283 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 8; Friauf, WissR 1994, Beiheft 12, S. 77 ff. (108 ff.); zum selben Ergebnis auch Schlink, Abwägung, S. 202; Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 30. 284 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (115); Classen, Wissenschaftsfreiheit, S. 73. Isensee, AfP 1993, S. 619 ff. (623), betont in bezug auf die Kunstfreiheit, daß hier die Form und nicht die Qualität als Grundrechtskriterium gilt. Dagegen plädiert für eine inhaltliche Auffassung Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 ff. (34 f.). 285 BVerfGE 35, 79 (113) - Niedersächsisches GesamthochschulG; 47, 327 (367) - HUG; 90, 1 (12) - Wahrheit für Deutschland; BVerfG, Beschl. v. 9. 6. 9 2 - 1 BvR 824/90, NJW 1993, S. 916 f. (916); s. auch das Sondervotum in BVerfGE 35, 148 (157 f.). Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 206; Bauer, S. 40; Dickert, S. 158; Friauf, WissR 1994, Beiheft 12, S. 79 ff. (109); Häberle, AöR 110 (1985), S. 329 ff. (356); Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 24. Zum Pluralismus als ein Gebot des Verfassungsauftrags „Kulturstaat" s. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 8. 286 BVerfGE 90 1 (12) - Wahrheit für Deutschland; Schultze-Fielitz, Rn. 3.

in: HbVerfR, § 27,

287 Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 3; Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 28; ähnlich auch Hailbronner, in: Hailbronner (Hrsg.), HRG-Komm, § 3, Rn. 34; Kloepfer /Rossi, JZ 1998, S. 369 ff. (377); a.A. Lübbe, NuR 1994, S. 469 ff. (472); für die Unterscheidung zwischen angewandter Forschung und der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche von der Wissenschaftsfreiheit nicht geschützt wird, s. auch Wegehaupt, S. 41 f. 288 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 98 f.; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 224; Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm,

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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4. Forschungsfreiheit und Embryonenforschung Soweit die Strukturmerkmale des angenommenen Forschungsbegriffs vorhanden sind, ist auch Forschung an Embryonen ohne weiteres als „Forschung" qualifizierbar. 290 Die Unterscheidung zwischen „verbrauchender" Forschung und Forschung als Heilbehandlung ist ohne verfassungsrechtliche Relevanz und kann nicht von sich aus die Einordnung einer bestimmten Tätigkeit zum Rechtsgut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bestimmen. Auch die Forschung an Embryonen, die von einer Unternehmen organisiert wäre, wäre als Forschung im verfassungsrechtlichen Sinne.291 Das Forschungsverbot des Embryonenschutzgesetzes kann in diesem Sinne nicht als mittelbare Definitionsbestimmung verstanden werden. Das Problem der Forschung an menschlichen Embryonen besteht vielmehr darin, daß fremde Rechtsgüter für die Durchführung eines Forschungsprojekts herangezogen werden. Die entscheidende Frage ist, ob dies als verfassungsmäßig angesehen werden kann. Die Frage eröffnet ein anderes Diskussionsfeld, das sich zwischen dem Schutzbereich und den Grenzen der Forschungsfreiheit bewegt. Die Einordnung der Forschung an Embryonen zum verfassungsrechtlichen Begriff der Forschung und zum Rechtsgut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist jedoch insoweit von Bedeutung, als sie die Voraussetzung für eine gerichtliche Kontrolle des vom Embryonenschutzgesetz festgeschriebenen Forschungsverbots bildet.

I I I . Abwehrrechtliche Funktionsweise der Forschungsfreiheit Nachdem das Rechtsgut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bestimmt wurde, ist auch die Funktionsweise des Grundrechts zu erörtern. In seiner klassischen „liberalen" Funktion wird dem Grundrecht ein Abwehranspruch entnommen, der als seine prozessuale Dimension fungiert. 292 Im Interesse der Durchsetzung der Freiheit wird Art. 5, Rn. 101; Pernice , in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 Abs. ΠΙ (Wissenschaft), Rn. 25; Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 14; Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 16 und 25; Köngen, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 291 ff. (306); Wegehaupt, S. 41. 289 Grellert, in: HbWissR, 1. Aufl., Bd. II, S. 1242; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 98. 290 Wahl, Freiburger Universitätsblätter 1987, S. 19 ff. (29); Eser, in: Flöhl (Hrsg.), Genforschung, S. 248 ff.; Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (472). 291 Die Forschung an Embryonen könnte insbesondere eine große Bedeutung für die Pharmaindustrie gewinnen. Die Möglichkeit, neue Therapiemethoden und Heilmittel zu entdekken, betrifft die Gesundheits- und Lebenserwartungsperspektiven der Menschen. Zugleich ist sie für die Konkurrenzfähigkeit der Pharmaunternehmen im globalen Wettbewerb bedeutsam. 292 Für die große rechtspraktische Relevanz dieser Dimension, s. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 66, S. 671 ff. *

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

damit dem einzelnen ein gerichtlich verfolgbarer Abwehranspruch eingeräumt, der ihn vor jeglichen staatlichen Einwirkungen und Einflüssen zu schützen vermag. Jedoch kann dieser Abwehranspruch nicht ein unbeschränkter sein. Wie weit der individuelle Abwehranspruch tatsächlich durchsetzbar ist, bildet den zentralen Punkt der Problematik. Die Frage hat nicht nur für den einzelnen Forscher Bedeutung, sondern ist eine grundsätzliche, weil ihre Antwort zugleich die Reichweite der gesetzgeberischen Regelungskompetenz293 bestimmt. Solche Ergebnisse sind nicht unmittelbar aus der kurzen Formulierung einer Grundrechtsgewährleistung zu entnehmen. Von Bedeutung ist aber, daß durch den Abwehranspruch die grundrechtserhebliche staatliche Aktivität formalisiert und rationalisiert wird, in dem Sinne, daß sie bestimmten inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen muß und daß sie letztlich anhand bestimmter verfassungsrechtlicher Kriterien überprüfbar bleibt. 294

IV. Grenzen des Abwehranspruchs auf freie Forschung

1· Notwendigkeit einer staatlichen Freiheits-,, begrenzung" Das bisher akzeptierte Freiheitsverständnis, das die Freiheit prinzipiell unbegrenzt und als Selbstzweck begreift - mag es auch von der Verfassung als Basis des Grundrechtssystems akzeptiert sein - kann trotzdem den Einwand des Reduktionismus nicht ausräumen. Denn es setzt einen sozial isolierten Menschen voraus, legt deshalb eine utopische vor- oder außergesellschaftliche Existenz des Menschen zugrunde295 und führt zu dem Mißverständnis eines grenzenlosen Individualismus, der weder funktionsfähig, noch vorstellbar ist. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht von der Annahme einer Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums aus, die dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht, ohne jedoch die Eigenständigkeit der Person in Frage zu stellen.296 293

Der Begriff wird hier nicht in seinem technischen Sinn, wie etwa in Art. 70 ff. GG gebraucht. Gemeint ist hier die objektive Funktion der Grundrechte als negative Kompetenzbestimmungen, dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 291; Denninger, JZ 1975, S. 545 ff. (549). 294 Dazu s. H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 49. 295 Morlok, Selbstverständnis, S. 381 ff.; zur sozialen Bedingtheit der menschlichen Existenz selbst, Kaufmann, Sittlichkeit, S. 16; hierauf wurde auch die Kritik zum liberalen Grundrechtsverständnis gestützt; s. dazu Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 46 f.; Suhr, Entfaltung, S. 51 ff.; Grabitz, Freiheit, S. 201 ff.; Schachtschneider, Res publica, S. 305 ff. 296 Grundlegend zur Menschenbildformel BVerfGE 4, 7 (15) - InvestitionshilfeG; s. auch BVerfGE 8, 274 (329) - Preisgesetz; 12, 45 (51) - Kriegdienstverweigerung; 27, 1 (7) - Mikrozensus; 27, 344 (351); 30, 1 (20) - Abhör-Urteil; 33, 303 (334); 45, 187 (227) - lebenslange Freiheitsstrafe; 50, 166 (175) - Ausweisung aus generalpräventiven Gründen; 50, 290 (353 f.) - Mitbestimmungsurteil; für die Wissenschaftsfreiheit s. BVerfGE 47, 327 (369) HUG; zur Akzentuierung durch die Menschenbildformel der Gemeinschaftsbezogenheit des

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Die Freiheit gewährleistet nicht nur dem einzelnen einen „Freiraum" eigener Verantwortung. 297 Sie schafft gleichzeitig die Voraussetzungen für sozialen Kontakt, sie ist Mittel der Kooperation und initiiert das „Herstellen" in sozialer Umgebung. 298 Dadurch wird dem einzelnen die Möglichkeit gewährt, zu interagieren und Gegenseitigkeitsbeziehungen zu formen. 299 Die Freiheit hat damit eine Doppelfunktion, denn sie schützt das Individuum in seiner Eigenartigkeit und gibt ihm gleichzeitig Autonomie für Kommunikations- und Schaffenskraftsentwicklung. 300 In ihrem sozialen Zusammenhang trifft die Freiheit des einen mit derjenigen des anderen zusammen. Häufig prallen gegenläufige Interessen aufeinander. Es ist dann notwendig, ein Gleichgewicht zwischen ihnen zu finden, wozu in erster Linie die Grundrechtsträger selbst berufen sind. 301 Wenn aus irgendwelchen Gründen der gesellschaftliche Konsens nicht bewirkt werden kann, dann fällt es in die staatliche Zuständigkeit, das Gleichgewicht zu finden und die Koexistenz der verschiedenen Belange zu ermöglichen.302 Die Freiheit der verschiedenen Subjekte muß untereinander erträglich gehalten werden 303, und das sogar um der Freiheit selbst willen 304 . Es besteht also auch eine Notwendigkeit zur staatlichen Freiheitsbegrenzung. Diese erscheint als eine Äußerung der Doppelstellung des Menschen als „Individuum" und als „Sozialperson", als Ausgleich zwischen personaler Freiheit und Gemeinschaftsanspruch. 305 Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, durch allgemeine und abstrakte Normen den Freiheitsausgleich zu bewirken. 306 Dazu wird er im Rahmen des Verfassungsstaats durch die Annahme eines generellen Gesetzesvorbehalts angehalten. Der Gesetzgeber wird damit nicht nur als die institutionelle Antithese der Grundrechte verstanden. Auch erhält das einfache Recht nicht lediglich die Rolle des „Eingreifenden" in den Grundrechtsbereich. Vielmehr erhalten beide eine posiIndividuums und zu ihrer Funktion als Freiheitsbegrenzung, s. Becker, Menschenbild, S. 84 ff., 101 ff.; diese Akzentuierung soll aber nicht so mißverstanden werden, als ob die Menschenbildformel ausschließlich als Freiheitsbegrenzung füngieren kann, s. dazu Häberle, Menschenbild, S. 45 ff. 297 Für die Wissenschaftsfreiheit s. Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 222. 298 Für die Bedeutung der Freiheit als Möglichkeit des „Herstellens", Haverkate, S. 155 ff. 299 Haverkate, S. 202 ff. 300 BVerfGE 21, 362 (369). 301 Isensee, in: Paus (Hrsg.), S. 131 ff. (157). 302 Die Basis dieser Gedanken bildet das Subsidiaritätsprinzip; dazu Isensee, in: Paus (Hrsg.), S. 131 ff. (159); ders., in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 142. 303 in diesem Sinn erscheint der Staat als „Koordinator" der Freiheitsrechte: Isensee, in: Schwartländer (Hrsg.), S. 70 ff. (87). 304 Saladin, Verantwortung, S. 132 und 210 ff. 305 Stern, Staatsrecht, Bd. I I I / 1 , § 58, S. 32 f.; BVerfGE 4, 7 (15 f.) - InvestitionshilfeG. 306 Besonders betont von Schmidt-Aßmann, JZ 1989, S. 205 ff. (210); Waechter, Der Staat 30(1991), S. 19 ff. (22 f.).

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

tive Rolle, da sie letzten Endes die unabdingbaren Voraussetzungen einer wirklichen und sozialen Freiheit ermöglichen.307 Besonders problematisch erscheint diese gesetzgeberische Aufgabe in bezug auf die Begrenzung der Grundrechte, die im Grundgesetz ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind 308 , wie es auch bei der Forschungsfreiheit der Fall ist 309 . Das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts bedeutet hier nicht etwa die Annahme einer außergesellschaftlichen Entwicklung des Forschungsprozesses, die irrelevant für die rechtliche Ordnung bleiben sollte.310 Weder ist die Forschung von der Gesellschaft isoliert, noch kann ihre Freiheitsgewährleistung eine außerrechtliche Entfaltung genießen.311 Die Notwendigkeit ihrer Begrenzung wurde dagegen öfters in bezug auf ihr Risikopotential erörtert, auch wenn es nur im Labor als Experiment verläuft. 312 Laborrisiken, Mißbrauchsgefahren und Folgelasten313 sind heutzutage nicht mehr die Ausnahme, sondern begleiten fast jede wissenschaftliche Forschung, die nicht rein theoretisch verläuft. 314 Die Notwendigkeit einer Begrenzung der Forschungsfreiheit wird dementsprechend nicht bezweifelt. Auch die Gesellschaft teilt diese Ansicht. Das beweist schon die Enttabuisierung der Beschränkungen an das grundgesetzlich ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistete Grundrecht der Forschungsfreiheit durch die Verfassungsdiskussion in den neuen Bundesländern und die positivrechtliche Anerkennung von Beschränkungen der Forschungsfreiheit durch die Landesverfassungen, die in den letzten Jahren verabschiedet worden sind.315 Zu erwähnen sind hier die 307 Isensee, in: Paus (Hrsg.), S. 131 ff. (149). 308 Für die Entstehung von vorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistungen aus der Abkehr von den Allgemeinvorbehalten des Art. 21 Abs. 3, 4 HerrChE (in: v. Doemming/Füßlein/ Matz, JöR N.F. 1 (1951), S. 176), s. Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, § 81, S. 501 ff. 309 Für eine Begründung der „schrankenlosen" Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit, s. Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 166 ff.; daß die Treuklausel des Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG nur die wissenschaftliche Lehre und nicht die Forschungsfreiheit betrifft, s. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 261 und 271. 310 Vgl. BVerwGE 102, 304 (308): „Der Freiraum (des Art. 5 Abs. 3) ist nach der Wertung des GG nicht für eine von Staat und Gesellschaft isolierte, sondern für eine letztlich dem Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert." 311 In diesem Sinne kann zwischen dem internen wissenschaftlichen „Freiraum" und der Forschungstätigkeiten, die einen „Sozialkontakt" auslösen, nicht völlig unterschieden werden; so auch Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 15; vgl. aber diese Unterscheidung bei Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 222 f. 312 Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 33. 313 Für eine Typologie der Forschungsrisiken s. Dickert, S. 27 ff. 314 Dickert, S. 28. 315 Erwähnenswert ist auch die ältere Vorschrift des Art. 12 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen. Diese hat nicht nur eine singuläre Entscheidung für den höheren Wert, den der Mensch im Vergleich mit der Technik genießt, getroffen (Art. 12 Abs. 1); sie errichtete ferner Ingerenzrechte für die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen. Diese Vorschrift eröffnete zugleich weite Begrenzungsmöglichkeiten der

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Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 316 , die in Art. 10 Abs. 3 S. 2 vorsieht, daß die Freiheit der Forschung nicht von der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen entbinden kann. Ähnlich wird die Forschungsfreiheit in Art. 31 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 317 , wie auch in Art. 7 Abs. 2 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993 318 , unter gesetzlichen Beschränkungen gestellt319. In diesem Sinn steht es außer Frage, daß das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts keine unbeschränkte Geltung der Freiheit bedeutet320, und daß die ForschungsfreiWissenschaftsfreiheit, die einem Gesetzesvorbehalt gleichzusetzen wären, und ist insoweit als ungültig anzusehen; s. dazu H. Neumann, VerfBremen-Komm, Art. 12, Rn. 6. 316 GVB1 (Sachsen-Anhalt), S. 600. 317 GVB11 (Brandenburg), S. 298. 318 GVB1, S. 372/GS M.-V. Gl. Nr. 100-4. 319 Die Frage, ob solche Beschränkungen bzw. Beschränkungsmöglichkeiten mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sind, wurde von der Literatur unterschiedlich beantwortet: In bezug auf die Verfassungsbestimmungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die eine Beschränkung der Forschungsfreiheit durch Gesetz erlauben, statt eine tatbestandliche Ausgrenzung zu bewirken, wurde die Meinung vertreten, diese widersprächen der prinzipiellen Aussage des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und seien also nichtig; gleiches soll für Art. 10 Abs. 3 S. 2 der Verfassung von Sachsen-Anhalt nicht gelten, weil dort die Erwähnung der Menschenwürde und der natürlichen Lebensgrundlagen einfach eine Warnsignalfunktion habe, die lediglich eine tatbestandliche Ausgrenzung bewirkt; vgl. in diesem Sinne, Kanther, S. 166 ff.; Starck, in: HbStR, Bd. IX, § 208, Rn. l\\Dietlein, Bundesländer, S. 116 f. bemerkt dagegen, daß die Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern nur „systematisch unkorrekt" ist, ohne eine andere Folge für die Gültigkeit der Vorschrift davon zu ziehen. Ebenfalls zustimmend für die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften, soweit sie nur die Ergebnisse der Grundrechtsauslegung von Art. 5 Abs. 3 GG ausdrücklich formulieren, Löwer /Menzel, WissR 29 (1996), S. 237 ff. (247), oder soweit sie nur deklaratorischen Schranken benennen, Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 42. Die Verfassungsmäßigkeit von solchen Einschränkungsmöglichkeiten ist nur dann zu verneinen, wenn sie nicht grundgesetzkonform ausgelegt werden können; so Starck, in: HbStR, Bd. IX, § 208, Rn. 70. Der Gesetzesvorbehalt ergibt sich letzten Endes auch aus dem Bundesverfassungsrecht (Starck, in: HbStR, Bd. IX, § 208, Rn. 71), wenn man insb. die Wesentlichkeitstheorie berücksichtigt; es ist deshalb vielmehr auf die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung abzustellen, um die Übereinstimmung einer landesverfassungsrechtlichen Vorschrift mit dem GG zu beurteilen. Problematisch ist nicht nur die Frage, ob die Vorschrift einer Landesverfassung mit dem GG übereinstimmt oder nicht, sondern auch die Folgen des eventuellen Konflikts zu bestimmen. Zwei Gegenmeinungen können hier referiert werden: (a) Das Landesverfassungsrecht sei auf den grundgesetzlichen Standard aufzufüllen oder (b) es sei nichtig. Die erste Meinung ist nicht zu bejahen, zumal keine Pflicht für die Annahme einer Grundrechtsverbürgung in den Landesverfassungen besteht. Mit Recht wurde aber auch darauf aufmerksam gemacht, daß die verfassungsrechtliche Verbürgung eines Grundrechts mit weiteren Möglichkeiten es zu begrenzen nicht schon deshalb einer Begrenzung gleichzustellen ist, vor allem weil die Bindung der Landesorgane durch das GG immer bestehen bleibt. Zur Kontroverse im allgemeinen s. Sachs, DÖV 1985, S. 496 ff. (477 f.); in bezug auf die Verfassungen der neuen Bundesländern s. Sachsofsky, NVwZ 1993, S. 235 ff. (238); Wolf, VR 1994, S. 117 ff. (120); in bezug auf die brandenburgischeVerfassung s. Franke/KneifelHaverkamp, JöR N.F. 42 (1994), S. 111 f.

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heit im Vergleich zu den übrigen Grundrechten keinen abstrakt höheren Geltungsrang beanspruchen k a n n 3 2 1 . Ihrer Vorbehaltlosigkeit ist ein anderer Sinn beizumessen. Sie kann als eine ,3onus" 322 -Gewährleistung für die vorbehaltlos gewährten Grundrechte verstanden werden mit der Folge, daß sie im Sinne „größtmöglicher Liberalität" auszulegen sind 3 2 3 . Eine mit dem System des Grundgesetzes kohärente Schrankenbestimmung gehört immer noch zu den umstrittenen Fragen der Grundrechtsdogmatik.

2. Lösungsvorschläge für das Schrankenproblem vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die auch weitgehend die Zustimmung der Literatur gewonnen h a t 3 2 4 , sollen die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte ihre Grenzen nur in der Verfassung selbst finden, insbesondere wenn eine Kollision des betroffenen Rechts mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern vorhanden ist. Nur durch kollidierendes Verfassungsrecht kann also eine verfassungskonforme Grenzziehung erfolgen. 325

320 w. Schmidt, NJW 1973, S. 585 ff. (586 f.); Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (178); Bettermann, S. 7 f.; Wahl, Freiburger Universitätsblätter 1987, S. 19 ff. (24); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 5 III, Rn. 183 und 51; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 1 Abs. 3, Rn. 176; Schmidt-Aßmann, JZ 1989, S. 205 ff. (210); Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 ff. (21); Lerche, in: FS Mahrenholz, S. 515 ff. (522). 321 Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 82, S. 614 f.; Rüfner, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (463); Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 208 f.; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 89; a.A. Blaesing, Grundrechtskollisionen, S. 143 ff.; Leisner, Privatrecht, S. 392; Lepa, DVB1. 1972, S. 161 ff. (167); vgl. auch Jansen, Der Staat 36 (1997), S. 27 ff. (48 ff.), nimmt eine direkte Normierung des prima facie hohen Ranges von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten an (insb. S. 51). 322 Lerche, in: FS Mahrenholz, S. 515 ff. (523). 323 Oppermann, in: HbStR, Bd. VI, § 145, Rn. 27; so auch im Ergebnis Jansen, Der Staat 36(1997), S. 27 ff. (51). 324 Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, § 82, S. 624 f. und auch Stern, Staatsrecht, Bd. I I I / l , § 69, S. 930; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Vorb. vor Art. 1, Rn. 37 f.; Starck, in: v. Mangolt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1, Rn. 176 f.; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GGKomm, Vorb., Rn. 57; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 312 und 403; Pieroth/Schlink, Rn. 260 und 318 ff.; H Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 88; Pernice, in: H. Dreier, GGKomm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 33 f.; Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 223; Sachs, in: Sachs, GG-Komm, Vor Art. 1, Rn. 94 ff.; Mahrenholz, in: HbVerfR, § 26, Rn. 64 ff.; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 9; dagegen kritisch Kriele, in: HbStR, Bd. V, § 110, Rn. 70. 325 Diese Rechtsprechung betrifft alle vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte. Für die Glaubensfreiheit s. BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegdienstverweigerung; 32, 98 (108) - Unterlassene Hilfsleistung; 93, 1 (21) - Kruzifixurteil. Für die Kunstfreiheit s. BVerfGE 30, 173 (193) - Mephisto; 33, 52 (71) - Der lachende Mensch; 35, 202 (244) - Lebach; 67, 213 (228) - Anachronistischer Zug; BVerfG, Beschl. v. 19. 3. 1984-2 BvR 1/84, NJW 1984,

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Die Lösung ist hier nach Maßgabe der grundrechtlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit des Wertsystems des Grundgesetzes durch eine Abwägung zu finden. In diesem Abwägungsverfahren kommt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die tragende Rolle zu. 3 2 6 Dieses System soll auch für die Forschungsfreiheit gelten.327 Das System des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Begrenzung von Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt besteht aus drei Komponenten: Ein gegensätzliches Verfassungsgut begründet die Freiheitsbegrenzung, eine Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern formt die Methode der Kollisionslösung, die Verhältnismäßigkeit ist Kontrollmaßstab für die Überprüfung der Abwägung. Es bleiben jedoch noch ungeklärten Fragen zu erörtern, die insbesondere die Voraussetzungen für die Annahme einer Kollision zwischen Verfassungsgütern, den Verlauf der Abwägung als Methode der Kollisionsschlichtung und die Abwägungszuständigkeit betreffen. Ungeklärt bleibt ebenfalls, ob bei einer solchen Grundrechtsbegrenzung die Tätigkeiten, die außerhalb der Freiheitsgrenzen stehen, anfänglich oder nachträglich dem grundrechtlichen Schutz entzogen werden. 328 Es gibt verschiedene Modelle und theoretische Lösungsansätze für die Begrenzung von vorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistungen, die generell in zwei Hauptrichtungen eingeordnet werden können.329 Nach der ersten Richtung wird die Freiheit als „präformierte", ihre Grenzen schon in sich selbst tragende Norm verstanden. Dieses Modell korrespondiert mit einem einstufigen Prüfungsschema und basiert auf einer entsprechenden dogmatischen Konstruktion in bezug auf den grundrechtlichen Schutzbereich. Schematisch korrespondiert es mit der Anerkennung von Grenzen der Freiheit, die als dogmatische Figur den Schranken gegenübergestellt werden. Die zweite Richtung begreift die Begrenzung als Schrankenziehung zu einem a priori als umfassend verstandenen Schutzbereich. Sie entspricht einem zweistufigen Prüfungsmodell und basiert auf der Unterscheidung zwischen dem ursprüngliS. 1293 ff. (1294) - Sprayer von Zürich. Für die Koalitionsfreiheit s. BVerfGE 94, 268 (284) - Lektoren. 326 s. die oben zitierte Rechtsprechung. 327 BVerfGE 47, 327 (370) - HUG; BVerfG, Beschl. v. 15. 9. 9 7 - 1 BvR 406/96 und 1214/97, ZBR 1998, S. 24 f. (25). 328 Die Rede in der Rechtsprechung des BVerfG ist meistens von Grenzen, die den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten gesetzt werden; vgl. BVerfGE 28, 243 (261) - Kriegdienstverweigerung; 30, 173 (193) - Mephisto; 32, 52 (70); 32, 98 (108) - Unterlassene Hilfsleistung; 41,29 (50); 47, 327 (369) - HUG; 52,223 (247); 83,130 (139) - Josefine Mutzenbacher, 81,278 (292). Dagegen ist von Schranken die Rede in: BVerfGE 93, 1 (21) - Kruzifixurteil; 77, 240 (253); 57, 70 (99). Meist entspricht aber die Formulierung des Gerichts der Notwendigkeit einer sprachlichen Kohärenz, die von der Annahme gefordert wird, daß das Grundgesetz die Beschränkungsmöglichkeiten der Grundrechte erschöpfend regelt, indem es bestimmte Gesetzesvorbehalte enthält. 329 Daß es dabei um zwei gegenläufige Konzeptionen der „Freiheit" geht, s. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 87.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

chen Schutzbereich des Grundrechts und dem Bereich der effektiven Grundrechtsgewährleistung, der verbleibt, nachdem die verfassungsgemäßen Eingriffe in den Schutzbereich berücksichtigt worden sind. Dabei ist dieser letzte Bereich deijenige, der die tatsächlichen Dimensionen des Grundrechts zum Ausdruck bringt. 330 Nicht untersucht werden hier die Versuche einer Übertragung (auch wenn sie mittelbar gedacht ist) von Schranken anderer Grundrechte, wie ζ. B. die Übertragung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG 3 3 1 , der Schranken des Art. 5 Abs. 2 G G 3 3 2 oder auch der Treuklausel des Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG unter Beachtung der Logik des grundgesetzlichen Schrankensystems, das insbesondere auf der Spezialität der Beschränkungsmöglichkeiten beruht 333. Solche Lösungen gelangen zu einem von Verfassungsgeber nicht gewollten Ergebnis, denn die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte scheinen letzten Endes durch die Annahme einer allgemeinen Beschränkungsmöglichkeit schwächer geschützt zu sein als die Grundrechte mit einfachem und allgemeinem Gesetzesvorbehalt.334 Ebenfalls wird der Versuch, die Möglichkeiten der Grundrechtsbegrenzung durch die Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich der Grundrechtsausübung zu differenzieren 335, nicht untersucht. Eine solche Unterscheidung gleicht einer künstlichen „Zersplitterung" des einheitlichen Sachverhalts Forschung336, und mißachtet, daß die „Übergänge zwischen den beiden Bereichen fließend sind" 337 .

330 Für die Unterscheidung s. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 26. 331 s. insbesondere eine Anwendung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG von Klein, in: v. Mangoldt/Klein, GG-Komm, Die Grundrechte, Vorb. Β XV 3a, der diese als allgemeine verfassungsunmittelbare Schranken versteht; für die Forschungsfreiheit insb. Klein, in: v. Mangoldt/ Klein, GG-Komm, Art. 5, Anm. X 6. Eine solche Anwendung wird auch von Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 2 I, Rn. 71 befürwortet; jedoch wird dort Art. 2 Abs. 1 GG als Auslegungsregel zur Interpretation des Sinngehalts anderer Grundrechte konzipiert, so daß der „Soweit-Satz" als Verfassungsvorbehalt zur Interpretation immanenter Grundrechtsschranken verstanden wird; s. auch die Kritik dazu von Alexy, Theorie, S. 107 ff. 332 s. aber die Meinung von Rüfner, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (457), der einer solchen Übertragung zustimmt, mit dem Argument allerdings, Art. 5 Abs. 2 GG bringe einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, der für alle Freiheitsrechte Geltung habe. 333 So BVerfGE 30, 173 (191 f.) - Mephisto; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKomm, Art. 5 Abs. 3, Rn. 261; R. Dreier, DVB1. 1980, S. 471 ff. (472); Hailbronner, WissR 13 (1980), S. 212 ff. (221); Bethge, in: Sachs, GG-Komm, Art. 5, Rn. 223; Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 10; s. auch Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG-Komm, Art. 5, Rn. 17, S. 241 i.V.m. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG-Komm, Vorb. Art. 1, Rn. 20, S. 125. 334 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 355. 335 s. dazu Kimminich, WissR 18 (1985), S. 116 ff. (126); Scholz, in: Maunz/Dürig, GGKomm, Art. 5 ΠΙ, Rn. 187 ff. 336 Kirchhof, Wissenschaft, S. 8; Turner, ZRP 1986, S. 172 ff. (173). 337 BVerfG, Beschl. v. 3.11. 1987-1 BvR 1257/84 u. a., NJW 1988,325 ff. (326); s. auch Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 ff. (34).

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Ähnliches gilt auch für die Differenzierung zwischen der Fragestellung eines Forschungsvorhabens und den Mitteln der Durchführung dieser Fragestellung. Demnach soll die Fragestellung selbst als der unverletzbare „Kern" des Grundrechtes angesehen werden, während die Auswahl und das Hantieren mit den Mitteln der Forschung, einer Beschränkung der allgemeinen Rechtsordnung unterliegen.338 Auch dieser Ansatz bewirkt eine Zersplitterung des Sachverhalts, und wird deshalb nicht berücksichtigt.339 Das gleiche gilt schließlich für den Vorschlag, das „Hantieren mit für Forschungszwecke aufzubereitenden Materialien" 340 zu den verfassungsrechtlich nicht geschützten „Vorhöfen" der Forschung zuzuordnen und es damit vom Schutzbereich der Forschungsfreiheit auszunehmen.341

a) Versuche einer Begrenzung des Schutzbereichs Als gemeinsamer Topos der engen Tatbestandstheorien wird das Argument vorgestellt, die Freiheitsrechte schützen nicht eine unbegrenzte Freiheit des einzelnen in einem naturrechtlichen Sinn, sondern sie sollten als der verfassungsrechtliche Ausdruck der Anerkennung eines höheren Schutzbedürfnisses in bestimmten Konfliktsituationen verstanden werden, die durch geschichtlichen Erfahrungen bedingt sind. Deshalb sind sie auf abgrenzbare Bereiche des Gemeinschaftslebens bezogen und haben folglich einen ausgewählten und bestimmten Schutzbereich. Demnach beziehen sie sich auf einen von Anfang an begrenzten Rechtsraum, der ermittelt werden muß. Der zweite Schritt besteht in der Annahme, die Verfassung habe selbst die Eingriffsmöglichkeiten in die verschiedenen Grundrechtsverbürgungen erschöpfend aufgezählt. Demnach können bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten solche Eingriffe nicht im Sinne einer externen Grenzziehung bewirkt werden. Auf diese Weise erweckt diese Theorierichtung den Eindruck, daß sie den Wortlaut der verfassungsrechtlichen Normen in vollem Umfang respektiert. Ob dieses System letztlich überzeugt oder nicht, ist nach der Darstellung der verschiedenen Tatbestandsbestimmungsmodelle, die in der Literatur vorgeschlagen werden, zu untersuchen.

338 Diese Unterscheidung wurde von Wahl, Freiburger Universitätsblätter 1987, S. 19 ff. (33) vorgeschlagen; vgl. hier aber auch BVerfGE 35, 79 (113) - Niedersächsisches GesamthochschulG, nach der die Forschungsfreiheit insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung umfaßt. Diese ist aber keine ausschließliche Auszählung der von Freiheit gedeckten Aktivitäten. 339 s. Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 25. 340 Köngen, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 291 ff. (297 f.); auch so Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 ff. (45). 341 Kritik von Schmitt-Glaeser,

WissR 7 (1974), S. 107 ff. (111); Dickert, S. 255 f.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

aa) Mißbrauchstheorie Die Mißbrauchstheorie will aus dem Grundrechtsbereich denjenigen Freiheitsgebrauch ausnehmen, der als Mißbrauch qualifiziert werden kann. 342 Ein Grundrechtsmißbrauch343 liegt dann vor, wenn durch die Grundrechtsausübung eine Verletzung von Interessen eines anderen am Grundrechtsverhältnis Beteiligten, nämlich eines anderen Grundrechtsträgers 344, der Allgemeinheit345 oder der staatlichen Gewalt 346 , verursacht wird. Einer solchen pauschalen Lösung des Problems ist nicht zuzustimmen. Zunächst besteht die Gefahr, daß die Freiheit unbestimmten Vorbehalten unterworfen wird und damit jede beliebige gesetzliche Einschränkung legitimiert werden kann. 347 Vor allem aber kann eine staatliche Zuständigkeit für die Bestimmung der Maßstäbe zum „richtigen" Grundrechtsgebrauch mißbraucht werden. 348 Unter Berücksichtigung des Rechtsguts ,»Forschungsfreiheit" wie sie oben definiert wurde 349, ist ein solches Ergebnis zu vermeiden.

bb) Normbereichsanalyse Basierend auf der These, daß eine Grundrechtsbegrenzung nur von der Verfassung selbst vorgenommen werden kann 350 , und daß es darüber hinaus keine Befugnisse einer weiteren Grundrechtsbegrenzung gibt 351 , versucht die Normbereichsanalyse mit einer engen Fassung des grundrechtlichen Tatbestands die Schrankenproblematik auch bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten zu lösen und steht der Tendenz eines vorschnellen Appellierens an Grundrechtskollisionen kritisch gegenüber. Demnach wird die sachlich-normative Reichweite jedes Grundrechts zu bestimmen versucht. Die Grenzen werden als von der Verfassung gezogen betrachtet. Sie konturieren den Normbereich, worin die geschützte Aktivität sich frei entfalten 342

Der Grundrechtsmißbrauch wird deshalb als „Handeln ohne Recht" charakterisiert; s. Gallwas, Mißbrauch, S. 101. 343 Gallwas, Mißbrauch, S. 35; daß diese Lehre den Mißbrauch nicht mit dem Verwirkungstatbestand des Art. 18 GG identifiziert, da die Verwirkungsfälle erschöpfend von Verfassung geregelt sind (Enumerationsprinzip), s. F. Müller, Positivität, S. 28; Herbert Krüger, DVB1. 1953, S. 97 ff. (99). 344 Gallwas, Mißbrauch, S. 38 ff. 345 Gallwas, Mißbrauch, S. 66 ff. 346 Gallwas, Mißbrauch, S. 87 ff.

547 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 356. 348 Herbert Krüger, DVB1. 1953, S. 97 ff. (99). 549 s. oben Teil 1, Kap. Β, II, 3. 350 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 312; F. Müller, Kunst, S. 53. 351 F. Müller, Kunst, S. 53.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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kann. Dieser Schutzbereich umfaßt nur grundrechtssachspezifische bzw. grundrechtstypische Aktivitäten.352 Als spezifisch werden Ausübungsformen qualifiziert, die nachweisbar einen sachlichen Zusammenhang mit der Struktur des grundrechtlichen Normbereichs haben.353 Als Kriterium dafür wird die Austauschbarkeit einer Aktivität vorgeschlagen.354 Handlungen stehen außerhalb des in Frage kommenden Schutzbereichs, falls sie nur bei Gelegenheit355 einer Grundrechtsausübung vorgenommen werden. Demnach ist eine Handlungsmodalität dann unspezifisch, wenn demjenigen, dem die bestimmte Modalität verweigert wird, eine austauschbare, gleichwertige Möglichkeit aus dem Normbereich des Grundrechts zur Verfügung steht.356 Zwei Argumente sprechen gegen diese Theorie. Zunächst ist sie nicht haltbar, weil sie zu einer Freiheitsverkürzung führen kann. Sie basiert nicht auf stabilen Maßstäben für die Interpretation der Freiheit, sondern auf manipulierbaren Kriterien, die je nach subjektiver Auffassung zu kontroversen Ergebnissen führen können. Denn es ist fast immer möglich, bei einer Grundrechtsausübung zu behaupten, andere Möglichkeiten stünden dem Freiheitssubjekt ebenfalls zu Verfügung. 357 Dadurch vermittelt die Theorie den Eindruck, als ob nur das „daß" einer Grundrechtsausübung geschützt wäre, aber nicht das „wie", „wann" oder „wo". Freiheit besteht dagegen in der freien Wahl der Handlungsmodalitäten und nicht nur in der Möglichkeit, eine Tätigkeit überhaupt vorzunehmen.358 Mittelbar führt diese Theorie zur inhaltlichen Bestimmung der Freiheit, die mit einem liberalen Verständnis der Freiheit nicht zu vereinbaren ist. 359 Im übrigen erweisen sich die Kriterien der Spezifität und der Austauschbarkeit als untauglich für eine Abgrenzung der grundrechtlich geschützten von der ungeschützten Freiheitsausübung.360 Das Problem liegt vielmehr im Zusammentreffen 352 F. Müller, Kunst, S. 57. 353 F. Müller, Kunst, S. 65. 354 F. Müller, Kunst, S. 63. 355 F. Müller, Einheit, S. 203; s. eine Anwendung dieses Kriteriums bei der Wissenschaftsfreiheit in Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 4. 356 F. Müller, Positivität, S. 101. Als Beispiel einer unspezifischen Grundrechtsausübung wird in bezug auf die Kunstfreiheit das Malen auf einer Straßenkreuzung genannt, das als vom Normbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 nicht abgedeckt betrachtet wird; s. F. Müller, Kunst, S. 59 f. 357 Dickert, S. 245 f. 358 Schmitt-Glaeser, WissR 7 (1974), S. 107 ff. (119 und 133), der betont, daß das Kriterium des „strukturell Notwendigen" zur Fremdbestimmung innerhalb der Freiheit führt; der Wissenschaftler muß auch wählen können, was ihm als notwendig im Sinne seines Zieles erscheint. In bezug auf die Kunstfreiheit so auch Mahrenholz, in: HbVerfR, § 26, Rn 67. 359 Grabitz, Freiheit, S. 57 f.; Alexy, Theorie, S. 285. 360 Zum obengenannten Beispiel (Fn. 195) wäre die Beurteilung des Malens auf einer Straßenkreuzung nicht zwangsläufig dieselbe gewesen, wenn es um das Malen auf einer gesperrten Straßenkreuzung ginge. Alexy, Theorie, S. 112 und 284 f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 160.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

von mehreren Grundrechtspositionen.361 Dieser Parameter bleibt von der Normbereichsanalyse mißachtet bzw. ignoriert. Die Anwendung des Kriteriums der Austauschbarkeit auf die Forschung an Embryonen beweist, wie problematisch dieses Modell ist. Der Wissenschaftler kann behaupten, es stehe ihm keine andere Möglichkeit zu Verfügung, sein Forschungsziel zu erreichen, so daß ein Verbot seines Vorhabens legitimiert sein könnte. Die Rechtsordnung kann aber sich nicht auf bloßen Notwendigkeitserwägungen stützen, wenn sie gleichzeitig ihre Entscheidung über die Schutzwertigkeit von gewissen Rechtsgütern bewahren will. Sie kann deswegen nicht leugnen, daß der gegebene Sachverhalt vom Zusammentreffen mehrerer verfassungsrechtlichen Garantien gekennzeichnet wird.

cc) Die allgemeinen Gesetze als immanente Grundrechtsgrenze Als dritter theoretischer Versuch zur Bestimmung von grundrechtlichen Schutzbereichen kommt die Behauptung in Betracht, daß alle Grundrechten, auch diejenigen ohne Gesetzesvorbehalt, ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen fänden. Bei der Grundrechtsausübung seien auch die vorhandenen allgemeinen Gesetzen immer zu beachten, und das Berufen auf ein Grundrecht könne von dieser Pflicht keinesfalls entlasten.362 Als Grund dafür wird der Gleichheitsgedanke angeführt. Demnach rechtfertige die Grundrechtsausübung keine privilegierte Position gegenüber den anderen Mitbürgern. 363 Deshalb wird diese Theorie besonders bei Grundrechten befürwortet, bei denen große Gefahr besteht, daß ihr Gebrauch zu Privilegien fuhren (wie die Kunst- und Forschungsfreiheit) und damit die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz in Frage stellen kann. 364 Dabei ist es aber notwendig zu bestimmen, welche Gesetze als „allgemein" anzusehen sind. Diese Theorie verwendet ein sachlich365-formal 366 verstandenes Kriterium. Allgemein sind diejenigen Gesetze, die nicht „spezialgesetzliche(r) Be361 Im Beispielsfall treffen in diesem Sinne die Kunstfreiheit und die Gewährleistung eines ungehinderten Verkehrs aufeinander; so auch Alexy, Theorie, S. 284 f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 160. 362 Rüfner, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (457); Bettermann, S. 26 f.; Kriele, JA 1984, S. 629 ff. (636); ders., in: HbStR, Bd. V, § 110, Rn. 72 f.; Deutsch, in: BMFT (Hrsg.), Fachgespräch, S. 17 ff. (17); Geiger, in: FS Leibholz, S. 198 ff.; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 266 ff.; H. Hofmann, JZ 1986, S. 253 ff. (255). Für die ähnliche Problematik bezüglich der Kunstfreiheit, Knies, S. 230 ff.; Isensee, AfP 1993, S. 619 ff. 363 Bettermann, S. 25 f.; Hailbronner, WissR 13 (1980), S. 212 ff. (224); Roellecke, JZ 1969, S. 726 ff. (729). 364 Bettermann, S. 27. 365 Nach Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 ff. (51). 366 Nach Alexy, Theorie, S. 287, in Gegenüberstellung zur Theorie, die ein materielles Verständnis der Allgemeinheit bevorzugt, wie bei Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 ff. (51); Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 32.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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schränkungen der (Meinungs)Freiheit" enthalten367, und solche, die den Schutzbereich des Grundrechts nicht berühren, weil es schon von vornherein als begrenzt verstanden wird 368 . Sie müssen also nicht speziell mit dem Rechtsgebiet der betreffenden Grundrechtsbestimmungen zu tun haben und nicht auf die Einschränkung der betreffenden Grundrechte zielen. Allgemein sind im Ergebnis nur diejenigen Gesetze, die bei der Regelung von irgendwelchen anderen Materien zwangsläufig auch eine Grundrechtsbestimmung miteinschränken. Mit Recht aber wurde entgegengesetzt, daß das hier vorgeschlagene Kriterium untauglich ist, weil es denselben Gedanken lediglich aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt. 369 Ein Gesetz ist allgemein, weil es nicht in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreift, und wenn es nicht in den Schutzbereich eingreift, ist es allgemein! Zentrale Aufgabe dieser Theorie ist auch hier die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs.370 Dabei bleibt aber die Frage immer noch offen, nach welchen Kriterien der Schutzbereich begrenzt wird. 371 Bei der Forschung an Embryonen, wie auch bei den anderen Rechtsproblemen der technologischen Entwicklung werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Theorie besonders deutlich aufgezeigt. Als die Fragestellung der Forschung mit menschlichen Embryonen entstand, gab es noch keine gesetzliche Regelung, die einen solchen Sachverhalt als Tatbestand erfassen konnte.372 Die Notwendigkeit eines Gesetzes, das speziell zu neuen Problemen eine Antwort geben sollte, war somit nicht zu leugnen. Man kann nicht auf der anderen Seite behaupten, daß das Forschungsverbot des Embryonenschutzgesetzes auf den Schutzbereich der Forschung gerade nicht unmittelbar zutrifft. Ganz im Gegenteil richtet sich das 367 Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 ff. (51); so auch Geiger, in: FS Leibholz, Bd. II, S. 187 ff. (199). 368 Rüfher, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (458). 369 Alexy, Theorie, S. 288; zustimmend, Dickert, S. 242. 370 Rüfher, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (458 und 460). 371 Dafür wurde eine Probe vorgeschlagen: Man stelle sich vor, die Gegenposition, die die bestimmte Grundrechtsausübung zu verhindern vermag, befinde sich weder ausdrücklich noch implizit im Grundgesetz. Wenn die bestimmte Modalität trotzdem nicht als grundrechtlich geschützt betrachtet werden kann, steht sie außerhalb des garantierten Schutzbereichs; so Rüfner, in: FG BVerfG II, S. 453 ff. (460). Die Probleme, die sich bei einer solchen Probe ergeben, sind am Beispiel des Verbots einer Prozession wegen Seuchengefahr nachgewiesen worden. Nach dieser Theorie könnte die Seuchengefahr auch dann, wenn sie kein im Grundgesetz enthaltener Grund für ein solches Verbot wäre, ein Verbot legitimieren, weil eine solche Grundrechtsausübung außerhalb des garantierten Schutzbereichs liegt. Das Ergebnis wäre aber nicht dasselbe, wenn angenommen wird, daß die Seuchengefahr überhaupt kein Grund für ein solches Verbot bietet. Nach diese Theorie wäre es dann nicht möglich, die Prozession zu verbieten. Dieses Ergebnis führt zur Anerkennung der Notwendigkeit eines Gegen-Grundes, der für die Freiheitsbeschränkung tauglich ist. Diese Tauglichkeit erweist aber der Gegen-Grund, nur soweit er ein grundrechtlich geschützter ist; vgl. Alexy, Theorie, S. 289. 372 s. dazu oben Teil 1, Kap. A, 1,1.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Verbot unter Berücksichtigung des oben dargestellten Forschungsbegriffs gerade gegen diese Forschungsaktivitäten und will sie zielgerichtet verbieten, und dies sogar mit den Mitteln des strafrechtlichen Zwanges.

b) Kollisionsmodell Der Konzeption einer präformierten Freiheit steht das Konzept einer a priori grenzenlosen Freiheit gegenüber.373 Nach diesem Konzept kann ein vorbehaltlos garantiertes Grundrecht nur im Falle einer Kollision mit anderen Verfassungsvorschriften beschränkt werden. Die Kollisionslösung bringt die Reichweite der endgültigen Verfassungsnorm, die im konkreten Fall gilt, zum Ausdruck. 374 Es handelt sich also um eine „weite Tatbestandstheorie"375. Freiheit wird hier prinzipiell als anfänglich unbegrenzt und umfassend begriffen. Ihre eventuellen Verkürzungen werden als Schranken betrachtet, die legitimationsbedürftig 376 sind und dem richterlichen Prüfungsmechanismus unterliegen377. Auf diese Weise wird ein zweistufiges Prüfungsschema bei jeder gesetzlichen Regelung im Freiheitszusammenhang konstruiert. Die Verfassungsmäßigkeit der Freiheitsschranken wird anhand einer zweiten Verfassungsregel, die eine gegenläufige Wirkungsrichtung entwickelt, überprüft. Es kann logisch inkonsequent erscheinen, das Zugreifen auf Rechtsgüter Dritter als prinzipiell vom Freiheitsrecht gedeckt anzusehen378, um sie danach durch einen legitimierbaren staatlichen Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich zu verbieten. Das ist aber vom Standpunkt der Beachtung rechtsstaatlicher Garantien aus geboten. Dabei kommen insbesondere die Beachtung der SchrankenSchranken und die Durchsetzungrichterlicher Kontrollmechanismen in Betracht. Diese Garantien entfalten ihre volle Wirkung nur von dem Hintergrund des Eingriffsdenkens. 379 Das Eingriffsdenken bietet - ungeachtet jeglicher verborgenen liberalen Ideologie - den großen Vorteil eines umfassenden Freiheitsverständnis-

373 Pernice , in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 25; Bleckmann, Staatsrecht II, S. 327 ff.; Alexy, Theorie, S. 291; Dickert, S. 423 ff. 374 Für die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regel s. Alexy, Theorie, S. 71 ff. 375 Pernice, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 25; Bleckmann, Staatsrecht Π, S. 327 ff.; Alexy, Theorie, S. 291. 376 Eser, in: Flöhl (Hrsg.), S. 248 ff. (250). 377 Damit bleibt der Weg einer Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG offen. 378 s. Kritik von Starck, JuS 1981, S. 237 ff. (245). 379 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 327 und 332; Dickert, S. 425; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 99. 380 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 99.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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Was die Kollisionsschlichtung betrifft, wurden hauptsächlich zwei Lösungsformeln vorgeschlagen, das Abwägungsmodell und das Modell der „situationsbeteiligten Entscheidungsnormen".

aa) Kollisionslösung durch Abwägung Nach dem Abwägungsmodell hängt die Verfassungsmäßigkeit der Freiheitsschranken vom Vorliegen eines anderen Verfassungsguts ab, das ebenfalls den Schutz und die Achtung des Gesetzgebers beansprucht und das mit der in Frage kommenden Freiheit kollidiert. 381 Grundsätzlich für dieses Modell ist die dogmatische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien. 382 Demnach sind Regeln als Alles-oder-nichts-Normen zu verstehen, während Prinzipien als Optimierungsgebote funktionieren, die in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können. Als Prinzipien werden demnach solche Normen definiert, die gebieten, „daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird". 383 Die Grundrechte werden sowohl als Regeln als auch als Prinzipien verstanden. 384 In ihrer Dimension als Prinzipien werden sie wegen ihrer ähnlichen Funktionsweise mit den „Werten" gleichgestellt, denen man in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts häufig begegnet. Beide sind in stufbarer Weise erfüllbar, kollidieren miteinander und unterliegen Abwägungen, die notwendig sind, um die letztlich gültige Norm jeweils zu formulieren. Als einziger Unterschied zwi381 Dazu s. Alexy, Theorie, S. 290 ff. 382 Gemeint wird hier die Unterscheidung, die Alexy (Theorie, S. 75 f.) unter Anknüpfung an die Grundrechtstheorie von Dworkin (Rights, S. 24 ff.) entwickelt hat; s. auch die kurze Darstellung von H. Hofmann, Rechtsphilosophie, S. 12 ff. Die theoretische Bearbeitung einer Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien geht auf Esser (Grundsatz, S. 50 ff.) zurück, wobei dort als Abgrenzungskriterium die Bestimmbarkeit der Anwendungsfälle ausgewählt wird; ähnliches Unterscheidungskriterium bei Boulanger, in: Études Ripert, S. 51 ff. (56); für die Wirkung von Rechtsgrundsätze im öffentlichen Recht s. Wolff, in: GS Jellinek, S. 33 ff.; für weitere Ansatzpunkte, die eine Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien untermauern, s. zusammenfassend Schilling, S. 86 f. 383 Alexy, Theorie, S. 75 f.; diese Prinzipiendefinition ist mehrfach auf Kritik gestoßen: (a) Durch ihre Qualifikation als Optimierungsgebote nähern sich die Prinzipien den Regeln an, sie enthalten „regelhafte Züge"; dazu s. Rossen, in: Grabenwarter (Hrsg.), S. 41 ff. (57); Sieckmann, Regelmodelle, S. 65 f.; Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff. (169); Lerche, in: FS Stern, S. 197 ff. (205). (b) Kritisiert wurde ferner das Abstellen auf das Kriterium einer optimalen Anwendung für die Abgrenzung zwischen Regeln und Prinzipien; dazu Schilling, S. 90 f.; Lerche, in: FS Stern, S. 197 ff. (206). (c) Schließlich betraf die Kritik das Abstellen auf die graduelle Erfüllbarkeit von Prinzipien als Abgrenzungskriterium, insoweit als es auch Regel vorhanden sind, die graduell erfüllbar sind; dazu s. Enderlein, Abwägung, S. 88 f.; Sieckmann, Regelmodelle, S. 71 ff. 384 Zum Regel/Prinzipien Modell s. Alexy, Theorie, S. 117ff.; S. 122 ff. 7 Iliadou

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

sehen Werten und Prinzipien wird die Tatsache betrachtet, daß Prinzipien zu den deontologischen Begriffen gehören, also das „Gesollte" bestimmen, während Werte zu den axiologischen einzuordnen sind und deshalb das „Gute" bestimmen. 385 Die Heranziehung des Begriffs „Wert" ist demnach nutzlos, denn die Prinzipien können ihre Rolle genauso gut erfüllen, ohne den Verdacht der Heranziehung einer materialen Wertphilosophie zu erwecken. 386 In ihrer Dimension als „Prinzipien" können die Grundrechte miteinander kollidieren. Dem Staat obliegt dann eine Abwägungspflicht, um beantworten zu können, welches Grundrecht im gegebenen Fall als „gewichtiger" anzusehen ist. 3 8 7 Soweit eine Kollision zwischen a priori geltenden Prinzipien festgestellt wird, wird also ein Abwägungsverfahren notwendig, um zu ermitteln, welchem Prinzip jeweils die größere Bedeutung zukommt. 3 8 8 Diese Entscheidung hat kollisionslösende Wirkung, da als wirksame Regel letzten Endes die Rechtsfolge des vorgehenden Prinzips anerkannt w i r d . 3 8 9 Dabei sind hinsichtlich der Art und Weise des Abwägungsverfahrens verschiedene Variationen denkbar. Es kann als normorientiertes, einzelfallorientiertes oder gemischtes Modell angewandt werden. 3 9 0 Angenommen wird auf jeden Fall, daß die Abwägung als ein Argumentationsverfahren zu verstehen ist und rationalen Verfahrensgrundsätzen folgen m u ß . 3 9 1 Dafür wird ein ,Ab385 Alexy; Theorie, S. 133. 386 Damit wird die „Säkularisierung" des vielgescholtenen Wertverständnisses der Grundrechte versucht, zur Kritik des Wertverständnisses s. F. Müllen Methodik, S. 62 ff.; Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 67 ff. (81 ff.); Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 ff. (1534). Wegen der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Prinzipien und Werten wurde von der Literatur oft die Leistung dieser Theorie für das Verständnis der abwägenden Rechtsprechung des BVerfG im Grundrechtsbereich wie auch ihr Verdienst für die präzise Formulierung der früheren dogmatischen Disparitäten anerkannt; dazu s. H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Vorb., Rn. 40, Rossen, in: Grabenwarter (Hrsg.), S. 41 ff. (51); Morlok, Verfassungstheorie, S. 122 f. Damit erklärt sich auch die häufige Auseinandersetzung mit der Theorie von Alexy; s. beispielsweise Hellermann, Freiheitsrechte, S. 100 und 203; Schilling, S. 85 ff.; Sieckmann, Regelmodelle, S. 62 ff.; ders., ARSP 1997, S. 14 ff.; Stern, Staatsrecht, III/1, § 65, S. 501 f.; Jansen, Der Staat 36 (1997), S. 27 ff.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff. (21); Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff.; Penski, JZ 1989, S. 105 ff.; Rossen, in: Grabenwarter (Hrsg.), S. 41 ff. (insb. S. 51 ff.). Jedoch ist auch die Kritik zur Gleichsetzung von Prinzipien und Werten zu erwähnen: Werte sind demnach teleologische Begriffe, die genau wegen dieses Charakters als Orientierungshilfe bei einem Entscheidungsprozeß fungieren können. Diese Rolle können Prinzipien nicht erfüllen, weil sie dem verfolgten Zweck neutral gegenüberstehen. Deshalb können die Prinzipien keine Hinweise zu einer problemorientierten Bestimmung der Fälle geben, in denen sie anzuwenden sind. Dadurch entsteht die Gefahr einer Multiplikation der anzuwendenden Prinzipien in einer bestimmten Fallkonstellation; dazu s. Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff. (168). 387 Für die Lösung der Kollisionen zwischen Prinzipien geht also das Modell davon aus, daß die Prinzipien (hier Grundrechtsnormen) relative „Gewichte" haben; dazu s. Dworkin, Rights, S. 26. 388 Dworkin, Rights, S. 26; Alexy, Theorie, S. 79 ff., 291; Jansen, Der Staat 36 (1997), S. 27 ff. (41). 389 Alexy, Theorie, S. 84. 390 Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III / 2, § 81, S. 563 ff.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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wägungsgesetz" vorgeschlagen, nach dem das zulässige Maß der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips vom Wichtigkeitsgrad der Erfüllung des anderen abhängt.392

bb) Kollisionslösung nach dem Modell der „situationsbeteiligten Entscheidungsnormen" Ein zweiter Lösungsansatz für die Lösung von Grundrechtskollisionen beruft sich auf die Notwendigkeit der Formulierung von situationsbeteiligten Entscheidungsnormen393. Nach diesem Ansatz ist bei einer Kollision zuerst ihr „Lösungsraum" zu finden, also der Raum der real-möglichen Ausübungsmodalitäten, aus dem ein ,»Lösungspunkt" ausgewählt wird. Diese Auswahl kann nur im Form einer Einzelfallentscheidung getroffen werden, denn nach dem Verständnis der Theorie sind die Kollisionen stets situationsbedingte Lagen. 394 Die Auswahl des richtigen Lösungspunktes erfolgt anhand des maximalen Begründungswerts. 395 Die Kollisionslösung erscheint als Ergebnis eines inhaltlich offenen Argumentationsprozesses, in dem abstrakt-generelle und konkret-individuelle Argumente zusammenfließen. 396 Nach dieser Theorie kann die Anwendung des Übermaßverbots bei der Auswahl des richtigen Lösungspunktes der Kollision nicht helfen. Es wird angenommen, daß der jeweilige Lösungsraum einer Grundrechtskollision eine „pareto-optimale" Menge darstellt. 397 Der Begriff der „Pareto-Optimalität", der aus den Wirtschaftswissenschaften stammt, soll eine Verteilungslage beschreiben, in der keiner bessergestellt werden kann, ohne daß ein anderer schlechter gestellt wird. 398 Entsprechend soll hier der Lösungsraum der Kollision aus Paaren von Ausübungsmodalitäten bestehen, die in einer solchen wechselseitigen Abhängigkeit voneinander stehen, daß die Intensivierung der einen Modalität nur auf Kosten der anderen stattfinden kann. Beide Teile dieser Paare sind variabel. Das Übermaßverbot kann hier nicht angewandt werden, um eine Entscheidung zu treffen, weil es seiner Konzeption nach zur Bestimmung des mildesten Mittels nur bei solchen Entscheidungssituationen hilft, in denen ein variables Mittel und ein konstantes Ziel vorhanden sind. 399 391 Alexy, Theorie, S. 152; für ein rationales Abwägungsmodell s. letztlich Jansen, Der Staat 36 (1997), S. 27 ff. 392 Dazu s. Alexy, Theorie, S. 146 ff. 393 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 49 ff. 394 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 60. 395 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 61. 396 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 61. 397 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 60. 398 Zum Begriff der Pareto-Optimalität s. Kirsch, Bd. III, S. 77; Schlink, Abwägung, S. 181.

7*

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

c) Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung Auf einem anderen Konzept als die oben angeführten Theorien basiert die Theorie einer Begrenzung der vorbehaltlosen Grundrechte durch die allgemeine Rechtsordnung. Auf der Basis eines Verständnisses der Verfassung als Einheit, als Ganzes kombiniert mit dem dazu anzuschließenden Gebot einer „ganzheitlichen" Verfassungsauslegung400, werden die Grundrechte in einer gegenseitigen Bedingtheit verstanden, so daß ihr Inhalt und ihre Grenzen aus ihrem Verhältnis untereinander zu bestimmen sind 401 . Die Formel für das Verständnis der Grundrechte als Teile der materiellen Allgemeinheit der Verfassung lautet: Grundrechte stehen unter dem Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze".402 Die allgemeinen Gesetze werden nunmehr im Gegensatz zur oben dargestellten Meinung403 materiell bestimmt. In diesem Sinne sind diejenigen Gesetze allgemein, die im Hinblick auf das betreffende Grundrecht verfassungsrechtlich gleich- oder höherwertige Rechtsgüter schüt404

zen. Dieses Verständnis der allgemeinen Rechtsordnung als Grenze der Grundrechte wird auf zwei dogmatische Annahmen gestützt. Zuerst werden die Grundrechte unvermeidlich objektiviert. Sie werden als Werte oder Verfassungsrechtsgüter 405 betrachtet und nicht mehr als ausschließlich individuelle Rechte, die sich in einem Abwehranspruch widerspiegeln. Die Qualität der Subjektivität werden die Grundrechte wiedergewinnen, wenn die zweite Voraussetzung des Modells erfüllt wird, die sich auf die Notwendigkeit eines Abwägungsverfahrens bezieht, an dem die verschiedenen Verfassungswerte teilnehmen. Diese werden dabei gewichtet, um festzustellen, welche im gegebenen Fall als gewichtiger erscheinen. In diesem Modell versteckt sich wieder ein Kollisionsgedanke und ein Abwägungserfordernis, allerdings hat nach dieser Theorie das Ergebnis der Abwägung eine Rückwirkung, 399 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 49 ff. (60). 400 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 4 ff. 401 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 31 und 35. 402 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 32. 403 Vgl. oben Teil 1, Kap. Β, IV, 2, a), cc). 404 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 32, unter Anknüpfung an Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 ff. (51 f.) und E. Kaufmann, VVDStRL 4 (1928), S. 77 ff. (81 f.); vgl. dazu die Kritik von Bettermann, S. 24, der das materiell konzipierte Kriterium der allgemeinen Gesetze als Rückgriff auf die Lehre vom Gemeinwohl versteht und folgerichtig ablehnt. Die materielle Bestimmung der allgemeinen Rechtsordnung soll aber nicht mit der frühen Rechtsprechung des BVerwG gleichgestellt werden, nach der die in Anspruch genommenen Grundrechte nicht die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährden dürfen; BVerwGE 1,48 (52); 1,92 (94); 2,295 (300). Eine solche Annahme beinhaltet in ihrer Generalität den Verdacht, daß die Grundrechte unter einem Gemeinwohlsvorbehalt gewährleistet seien; s. auch die nicht angenommene Formulierung des Art. 21 Abs. 3 HerrChE. Gemeint sind vielmehr nur bestimmbare Verfassungsgüter; ihnen kann eine Gemeinwohlfunktion zukommen, aber das ist nicht das entscheidende Kriterium für ihren Vorzug durch die Rechtsordnung. 405 Häberle, Wesensgehaltgarantie., S. 7.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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weil es als Grenzbestimmung des grundrechtlichen Schutzbereichs funktioniert. Grundrechte werden demgemäß stets als Regeln 406 verstanden, deren Garantiegehalt im Zusammenhang mit den material bestimmten, allgemeinen Gesetzen zu präzisieren ist. Zwischen den Grundrechten und der allgemeinen Rechtsordnung findet darüber hinaus eine Wechselwirkung statt. Sie beeinflussen sich gegenseitig.407 Aus dieser Beziehung ergeben sich die tatsächlichen Dimensionen der Grundrechte. Das Grundrecht wird dabei diskursiv verstanden, in die einheitliche Verfassungsumgebung gestellt und dadurch interpretiert. 408 Dieses Freiheitsverständnis, das die Freiheit mit objektiv-rechtlichen Elementen verknüpft, begreift diese damit in ihrer Koexistenz und gegenseitigen Bedingtheit vom Recht und vermeidet die reduktionistische Auffassung einer natürlichen, außerrechtlichen, aber auch unpragmatischen Freiheit. 409 Die allgemeine Rechtsordnung erscheint hier als Positivierung eines Prinzips, das seinen Ursprung in den Naturrechtslehren findet, nämlich des Nichtschädigungsgrundsatzes (Neminem laedere). 410 Die Rolle des Gesetzgebers wird gleichzeitig nicht vernachlässigt, wie es im Falle des engen Freiheitsverständnisses passiert. Der Gesetzgeber hat die notwendigen Abwägungen durchzuführen und sie in allgemeinen Gesetze, die als typisierte Fälle formuliert sind, festzuschreiben.

3. Würdigung und Stellungnahme a) Bewertung der engen Tatbestandstheorien Die engen Tatbestandstheorien haben den Vorteil, den Wortlaut des Grundgesetzes in vollem Umfang zu respektieren. Sie fügen keine Schranken oder Beschränkungsmöglichkeiten hinzu, wo die Verfassung selbst die Geltung eines Grundrechts ohne Gesetzesvorbehalt gewährleisten wollte. Ferner sind sie auch dazu 406

Der Begriff wird hier im Sinne von Alexy benutzt; dazu s. oben Teil 1, Kap. Β, IV, 2,

b), aa). 407

Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 34 f. 408 Für die Notwendigkeit einer diskursiven Interpretationsmethode, Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 39. 409 Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 42 ff. (47); Hesse, in: Tohidipur (Hrsg.), Bd. I, S. 290 ff. (301); für ein solches Modell im Bereich der Wissenschaftsfreiheit, s. Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 171 ff. 410

CJC, Dig. I 10 (Ulpian); für die Entwicklung der „goldenen Regel" als „Grundregel aller Sozialethik" s. Maihofer, in: Kaufmann (Hrsg.), S. 52 ff. (78), Fn. 75; für die Nichtstörungsschranke als einer „immanenten" Schranke der Grundrechte, s. Ipsen, Grundrechte, Rn. 167; Isensee, Diskussionsbeitrag in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 148 ff. (150); zur Beziehung zwischen dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Schädigungsverbot s. auch Isensee, in: FS Sendler, S. 39 ff. (52).

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

tauglich, durch die Vorbestimmung des Schutzbereichs jedes Grundrechts eine gewisse Rechtssicherheit zu gewährleisten. Von Anfang an wird als fest vorgegeben betrachtet, was zum Schutzbereich eines Grundrechts gehört. Zweifel über das geltende Recht werden durch ein verallgemeinerungsfähiges dogmatisches Kriterium ausgeräumt. Dafür aber bringen sie einen wichtigen Nachteil mit sich, namentlich die erhebliche Freiheitsverkürzung, die sie bewirken können. Gewisse Aktivitäten werden von Anfang an vom Grundrechtstatbestand ausgeschlossen. Der Grund dafür ist, daß diese Theorien die Grundrechte stets als Regeln betrachten, deren Inhalt entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden kann. 411 Wenn dieses Modell für einige Lehrbuch-Beispiele - wie das Beispiel des Wissenschaftlers, der die für seine Arbeit notwendige Bücher stiehlt, oder des Musikers, der mitten in der Nacht komponiert - problemlos funktionieren kann, werden jedoch schwierige Probleme bei den Grenzfällen verursacht. 412 Das zweite Argument gegen diese Theorien knüpft an die Funktion des Gesetzgebers an. Wenn sich eine Handlung außerhalb des Grundrechtsbereichs befindet, dann scheint der Erlaß eines einschränkenden Gesetzes entbehrlich zu sein. Die Verwaltung kann dann auch ohne gesetzliche Grundlage in die „Freiheit" eingreifen 413 , wenn sie nicht durch das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) dazu gezwungen ist. Der Unterschied im Vergleich zu einer weiten Tatbestandstheorie ist dabei groß. Wenn man als alleinige rechtliche Basis für die Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlassen von notwendigen freiheitsbeschränkenden Gesetzen den Art. 20 Abs. 3 GG betrachtet, dann hat der einzelne kein subjektives Recht mehr, das ihn dazu berechtigt,richterliche Kontrolle dieser Voraussetzung zu verlangen. Art. 20 Abs. 3 GG formuliert eine rein objektiv-rechtliche Vorschrift und kann nicht zur Erhebung individueller Ansprüche verhelfen. 414 Dieses Argument ist indes nicht stichhaltig, denn für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde genügt die ,3ehauptung" (§§ 90 Abs. 1 und 92 BVerfGG) einer Grundrechtsverletzung, und diese allein, auch wenn sie „hinreichend substantiiert" sein muß, kann einen Prozeß eröffnen. 415 Wenn eine Beschwerde einmal für zulässig erklärt ist, kann das Gericht die Kontrolle des staatlichen Handelns auch unter Berücksichtigung sonstiger Regeln des spezifischen Verfassungsrechts durchfüh416

ren. Das Problem einer solchen anfänglichen Freiheitsbegrenzung besteht deshalb vielmehr in den Auswirkungen auf das substantielle Recht. Hätte das Bundesver411

Der Begriff der Regel wird hier nach Alexy, Theorie, S. 76 bestimmt. 412 Alexy, Theorie, S. 284 f. 4

13 So auch Bleckmann, Staatsrecht II, S. 333.

414

Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 88. *5 Lechner/Zuck, BVerfGG-Komm, § 90, Rn. 51 ff. und § 92, Rn. 10; Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn. 559 ff. 416 Pestalozzi, Verfassungsprozeßrecht, § 12, Rn. 29 ff. 4

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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fassungsgericht eine solche Theorie akzeptiert, dann wäre die Freiheitsverkürzung nicht mehr mit den rechtsstaatlich fundierten Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der anderen Schranken-Schranken, mit denen die gesetzgeberische Aktivität im Grundrechtsbereich normalerweise gemessen wird, überprüfbar. 417 Die engen Tatbestandstheorien verstecken die eigentliche Natur der Freiheitsbegrenzung als Dezision über den Inhalt eines Grundrechts selbst.418 Sie ignorieren also, daß die Entscheidung darüber, was in den Grundrechtsbereich gehört und was außerhalb davon bleibt, immer noch eine Entscheidung normativen Gehalts ist. Die Leugnung dieses Charakters hindert auch die Überprüfung der Entscheidung mit rechtsstaatlichen Maßstäben. Es ist also nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der Forschung an Embryonen schon vorgegebene Grenzen zu wiederholen hatte. Eine solche Lösung, die dem einfachen Gesetz nur eine deklaratorische Funktion zuspricht, überanstrengt die Leistungsfähigkeit der Verfassung. Sie entspricht der Vorstellung, daß die Verfassung nicht nur ein Rahmen der Rechtsordnung, sondern auch ein Text mit kodifikatorischen Eigenschaften ist. Diese Überlegungen führen zur Überprüfung der weiten Tatbestandstheorien.

b) Bewertung des Kollisionsmodells aa) Allgemeine Einwände Das wichtigste Argument für eine weite Tatbestandstheorie ist - wie oben schon angesprochen - ihre freiheitsschonende Funktion. Freiheit ist hier umfassend, und ihre einfachgesetzliche Beschränkung unterliegt der gerichtlichen Kontrolle mit den rechtsstaatlichen Mitteln. Diese freiheitsschonende Funktion hat aber einen hohen Preis, denn die Kollisionen, die sie verursacht, gleichen der Einführung eines „Quasi-Gesetzesvorbehalts". Damit wird aber der Wortlaut der Verfassung insoweit nicht beachtet, als vorbehaltlos garantierte Grundrechte eingeschränkt werden. 419 Das Argument ist formalistisch und deshalb nicht zutreffend. Ähnliche Einwände können auch gegen die engen Tatbestandstheorien vorgebracht werden, denn sie versuchen dort das Tatbestandsmäßige aus dem Tatbestand selbst zu entnehmen, wo gerade das Grundgesetz keine solche Differenzierungen erlaubt. 420 Ferner wird auf die Gefahr hingewiesen, den Garantiegehalt der vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte insoweit zu unterhöhlen, als diesen Grundrechten mittelbar ungeschriebene Vorbehalte zugeschrieben werden. Zu beachten ist damit, daß im Endeffekt jede gesetzliche Regelung auf eine Verfassungsbestimmung zu417

Bleckmann, Staatsrecht II, S. 328 f.; Dickert, S. 240. 18 Ipsen, JZ 1997, S. 473 ff. (475). 4 19 F. Müller, Methodik, S. 67. 4 20 Alexy, Theorie, S. 293. 4

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

rückgeführt werden könne.421 Das steht aber im Gegensatz zum Willen des Verfassungsgebers , der gerade die Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt effektiver garantieren wollte. Diese Tendenz aber betrifft die grundrechtsbezogene Gesetzgebung auch dort, wo es geschriebene Vorbehalte gibt. Man muß daher auf die Leistungsfähigkeit der Kontrollmechanismen der Gesetzgebung vertrauen, mit deren Hilfe eine solche Gefahr überwunden werden kann. Das eigentliche Problem einer solchen Betrachtung besteht in der unscharf konturierten Beziehung der Grundrechte zur Gesetzgebung einerseits und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts andererseits, die keiner der angeführten Lösungsansätze überwinden kann. Sie kann deshalb auch die Einwände der „Vergrundrechtlichung" der gesamten Rechtsordnung und der Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts nicht überwinden.

bb) Einwände gegen das Abwägungsmodell Wichtige Einwände betreffen insbesondere das Abwägungsmodell. Kritisiert wurde zunächst die Tendenz dieses Modells, Kollisionsfällen zu vermehren und den stetigen Rückgriff auf die Verfassung zu fördern, was schließlich zu einer „Vergrundrechtlichung" 422 des einfachen Rechts führen kann. Das Ergebnis dieser Vergrundrechtlichung wäre eine Ausweitung der Kontrollbefügnisse des Bundesverfassungsgerichts. 423 Was die „Vergrundrechtlichung" der einfachen Rechtsordnung betrifft, ist sie mit der Erläuterung der Beziehung zwischen Gesetzgeber und Verfassung zu lösen. Wenn die Verfassung als Rahmenordnung verstanden wird, weisen alle gesetzgeberischen Entscheidungen zwangsläufig auch Verfassungsbezug auf. Es steht nicht mehr zur Wahl, welches Problem als verfassungsrechtlich zu betrachten ist. Interessanter ist deshalb eine andere Frage, nämlich ob ein Problem auch als verfassungsrechtliches Problem überhaupt diskutiert zu werden braucht oder nicht. Das kann mit Hilfe einer Unterscheidung zwischen aktuellen und potentiellen Grundrechtsfällen bestimmt werden. 424 Die fehlende Expansion der Grundrechtsfälle kann auch den Einwand der Expansion der Kontrollbefugnisse der Verfassungsgerichtsbarkeit zurückweisen. Die Überschreitung der Kontrollbefugnisse des Verfassungsgerichts ist nicht von den Grundrechtsfällen ausgehend zu bestimmen, die zur Entscheidung vorgebracht werden, sondern bezieht sich auf die inhaltliche Argumentation einer Entscheidung.425 Problematisch in diesem Modell bleibt jedoch, 421 Kriele, JA 1984, S. 629 ff. (631); ders., in: HbStR, Bd. V, § 110, Rn. 72; W. Schmidt, NJW 1973, S. 585 ff. (586 f.); Hailbronner, WissR 13 (1980), S. 212 ff. (222 f.). 422 Starck, JuS 1981, S. 237 ff. (246); ähnliche Bedenken Kriele, JA 1984, S. 629 ff. (631); Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff. (178 f.). 423 Starck, JuS 1981, S. 237 ff. (246); Habermas, Faktizität, S. 315. 424 s. dazu Alexy, Theorie, S. 295 ff. 425 Alexy, Theorie, S. 298 f.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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daß es nicht besagt, von wem und nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, ob ein Grundrechtsfall als potentiell oder aktuell einzustufen ist. Genau hier können sehr verschiedene Meinungen entstehen, so daß das Problem am Ende nur verschoben wird. Die Kritik betraf ferner die Rechtsunsicherheit, die jedes Abwägungsvorgehen notwendigerweise mit sich bringt. 426 Dies kann zu einer unreflektierten Zurückdrängung mancher Grundrechte führen 427 oder kann subjektiv-irrationalen und deshalb vermeidbaren Wertungen Vorschub leisten428. Das Argument der Rechtsunsicherheit, die durch die dogmatische Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln verursacht wird, kann schwer entkräftet werden. Das Abwägungsgebot, das diese Theorie einschließt, bringt inhärent Unsicherheit. Ob diese Unsicherheit im Rechtsstaatskonzept erträglich oder mit der Grundrechtssystem zu vereinbaren ist, ist fraglich. 429 Zu beachten ist jedoch, daß Unsicherheit jeden interpretatorischen Versuch charakterisiert. Das gilt vor allem im Rahmen der Grundrechte, deren Text nicht nur knapp und punktuell formuliert 430 , sondern auch politisch431 belastet ist. Als das eigentliche Problem des Modells wird hier demnach nicht das die Unsicherheit produzierende Abwägungserfordernis angesehen, sondern die Unklarheit bezüglich der Kompetenz, Abwägungen durchzuführen. Solange die Frage, wer zuständig ist, eine Abwägung zwischen kollidierenden Prinzipien-Grundrechten vorzunehmen, nicht klar beantwortet wird, besteht die Gefahr einer bedenklichen Ausweitung der Judikatur zu Lasten des Gesetzgebers. Damit ist dieses Modell abzulehnen, zumal es zu einer demokratisch unkontrollierbaren Macht der Judikative führen kann.

cc) Einwände gegen das Modell der „situationsbeteiligten Entscheidungsnormen" Die Probleme des Abwägungsmodells sollte der Vorschlag einer Kollisionsschlichtung durch situationsbeteiligte Entscheidungsnormen lösen. Der Erfolg einer solchen Entscheidungsbildung ist jedoch zu bestreiten, da die Bestimmung des maximalen Begründungswerts eines Lösungspunktes sich als genauso schwierig erweist wie die Rationalisierung des Abwägungsverfahrens selbst. Insbesondere

426 Leisner, NJW 1997, S. 636 ff. (638); Habermas, Faktizität, S. 315 f. 427 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72; F. Müller, Methodik, S. 67. 428 F. Müller, Methodik, S. 62 f.; 67 f.; Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff. (172 ff.). 429 Leisner, NJW 1997, S. 636 ff.; ders., Abwägungsstaat, S. 153 ff.; Peters, ZÖR 51 (1996), S. 159 ff. (177 f.). 430 Pieroth/Schlinlc,

Rn. 4; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 21.

431 Pieroth/Schlink,

Rn. 7.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

wird das sichtbar, wenn man auf die Definition des maximalen Begründungswerts 432 zurückgreift. Die Theorie ist aber nicht nur wegen der mit ihr verbundenen Anwendungsschwierigkeiten abzulehnen, sondern auch weil sie die Funktionsweise des Gesetzesvorbehalts im demokratischen Staat vernachlässigt. Zwar wird die Lösung von Grundrechtskollisionen durch den Gesetzgeber für zulässig, aber nicht für unbedingt erforderlich erachtet. 433 Kollisionen treten als konkret-individuelle Konflikte auf, deren Schlichtung zweifelsfrei Aufgabe der Rechtsprechung ist. Eine solche These, zumal sie verfassungsrechtlich verbürgte Freiheitsrechte betrifft, kann schwerlich in Einklang mit der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts gebracht werden. 434 Immerhin verbleibt der Theorie aber der Verdienst, auf die Notwendigkeit einer fallorientierten Lösung von Kollisionen hingewiesen zu haben. c) Würdigung der Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung Die Theorie einer Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung wählt einen Mittelweg zwischen der engen und der weiten Tatbestandstheorie. Sie gehört nicht zu den engen Tatbestandstheorien435, weil sie eine Abwägung zwischen Verfassungswerten vornimmt. Dabei gewinnt sie an Elastizität bezüglich der Reichweite eines Freiheitsschutzbereichs und vermeidet die Freiheitsverkürzung, die die engen Tatbestandstheorien mit sich bringen. Gleichzeitig vermeidet sie die dogmatische Konstruktion der Prima-facie-Rechte (Prinzipien), die erst beschränkt werden müssen, um anwendbar zu sein. Durch die rückwirkende Begrenzung der Freiheit, die sie bewirkt, gewinnt sie zugleich an Rechtssicherheit und vermeidet die Schrankensetzung genau dort, wo das Grundgesetz selbst es nicht gewollt hat. Noch weniger kann sie demnach als weite Tatbestandstheorie436 klassifiziert werden, da sie als Grenzziehung zu verstehen ist. 432

Fohmann, Konkurrenzen, S. 257. 433 Fohmann, EuGRZ 1985, S. 61. 434 Dazu s. oben Teil 1, Kap. A, I, 3. 435 So aber Alexy, Theorie, S. 286. Ähnlich bewertet diese Theorie Kluge, NVwZ 1994, S. 869 ff. (872), mit Bezug auf den Aufsatz von Lorenz, in: FS Lerche, S. 267 ff.; er behauptet, daß durch eine solche Theorie die Abhängigkeit der Schranken der Forschungsfreiheit vom Auffinden kollidierender Verfassungsgüter zugunsten einer Begrenzung des Grundrechtstatbestands aufgehoben werden sollte. Das ist aber mißverständlich für die Stellungnahme von Lorenz, der außerhalb des Grundrechtsschutzes stehend nur den Gebrauch von fremden GrundrechtssteMungen wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Persönlichkeitssphäre und Eigentum versteht; vgl. Lorenz, in: FS Lerche, S. 267 ff. (270). 436 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 35. Daraus ist die erste Folge zu ziehen: Grundrechte befinden sich stets in einer ,Auslegungsnot", müssen für jede neu entstehende Konfliktsituation auch neu aktualisiert und konkretisiert zu werden. Dadurch gewinnt man Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für ein als ganzheitlich verstandenes Wertsystem der Verfassung, jedoch mit der notwendigen Folge eines normativen Defizits der Grundrechte.

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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aa) Werteproblematik Soweit diese Theorie mit einem Wertverständnis der Grundrechte verknüpft ist, begegnet ihr Kritik. 437 Die früheren Bedenken gegen eine wertbezogene Auslegung der Grundrechte, die sich auf die Gefahr der Einfügung wertphilosophischer Argumente bei der juristischen Argumentation beriefen 438, sind heute angesichts der langjährigen, stetigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die seit dem ersten Urteil zum Wertverständnis 439 der Grundrechte folgte, weitgehend überholt. Solche Befürchtungen zerstreute das Bundesverfassungsgericht, indem es stets auf „verfaßte" und nicht etwa willkürlich ausgewählte oder fiktive Werte bezug nahm. 440 Mehr Beachtung verdienen dagegen die Befürchtungen einer Entrationalisierung der Jurisprudenz, die durch die Übertragung rechtsexogener, werttheoretischer Argumente in die Entscheidungsbildung gefördert werden könnte.441 Solche Gedanken hängen mit Einwänden gegen die Abwägung als Entscheidungsmethode zusammen. Die Abwägung, die für die Schlichtung von Kollisionen zwischen Werten notwendig ist, ist nicht mit der tradierten juristischen Argumentationsmethode zu vereinbaren. Der Abwägungsprozeß öffnet dem Richter wegen seiner Irrationalität die Tür für subjektive Bewertungen442 und kann ferner wegen der dafür typischen Einzelfallbezogenheit zur Situationsjurisprudenz führen 443. Die andere Alternative, bei der die Werte in einer hierarchisch organisierten, abstrakten Rangordnung 444 erfaßt werden, nimmt die notwendigen Präferenzrelationen bereits vorweg. Dadurch erscheint sie noch willkürlicher, denn sie entbehrt eines Kriteriums, nach dem eine solche Ordnung konstruiert werden kann und führt deshalb zur berühmten „Tyrannei der Werte" 445 . 437 s. dazu zusammenfassend Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 69, S. 912 ff.; Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 67 ff. (81); ders., NJW 1974, S. 1529 ff. (1533 f.); Alexy, Theorie, S. 136 ff.; Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 69; Goerlich, passim. 438 Vor allem wurde die Verbindung der gerichtlichen Argumentation mit der materiellen Wertethik im Sinne von Max Scheler und Nicolai Hartmann kritisiert; dazu s. Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, S. 67 ff. (71 ff.); F. Müller, Methodik, S. 62. 439 BVerfGE 7, 198 (205) - Lüth. 440 Hollerbach, in: Tohidipur (Hrsg.), Bd. I, S. 206 ff. (215); harem, in: FS Klingmüller, S. 235 ff. (238); Erichsen, Jura 1996, S. 527 ff. (531); Morlok, Verfassungstheorie, S. 118. 441 Goerlich, S. 133 f.; Denninger, JZ 1975, S. 545 ff. (546). 442 Schlink, Abwägung, S. 141. 443 F. Müller, Methodik, S. 63; Forsthoff, in: Tohidipur (Hrsg.), Bd. I, S. 177 ff. (195 f.); Denninger, JZ 1975, 545 ff. (547). 444 Zu zwei Modellen von kardinalen und ordinalen Ordnungen s. Alexy, Theorie, S. 138 ff.; Schlink, Abwägung, S. 130 ff. 445 s. C. Schmitt, in: Ebracher Studien, S. 37 ff., mit Anschluß an N. Hartmann; Schlink, Abwägung, S. 135; Alexy, Theorie, S. 142; darauf konzentrierte sich die Kritik am Begriff der grundrechtlichen „Wertrangordnung" in der früheren Rechtsprechung des BVerfG; dazu s. insb. Goerlich, S. 137 ff.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Ein letzter Einwand hängt mit den anderen zusammen. Die Annahme eines Wertcharakters der Grundrechte führt zur Erweiterung der Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, da es nunmehr Einschätzungen und Abwägungen vornimmt, die zum gesetzgeberischen Spielraum gehören. Dies wurde als die wichtigste Gefahrenquelle für den Rechtsstaat und als Weg zur Errichtung eines Justizstaates 446 angesehen. Was schon oben in bezug auf die Abwägungsmethode als Argumentationsweg angeführt wurde, ist auch hier relevant. 447 Größere Beachtung verdient die Warnung vor einer solchen Änderung, die mit der Durchbrechung des institutionellen Gleichgewichts droht. Eine Systemdurchbrechung kann aber nicht allein durch die Argumentationsweise der Verfassungsgerichtsbarkeit stattfinden. Wichtig ist dafür, wie die anderen Verfassungsorgane ihre Kompetenzen wahrnehmen. Vor allem ist von Belang, wie der Gesetzgeber seine Rolle versteht und wie er seine Aufgaben erfüllt. Das versucht das Modell der Begrenzung vorbehaltloser Grundrechte durch die allgemeine Rechtsordnung zu unterstreichen, indem es auf den Gesetzgeber hinweist, dem hauptsächlich die Kompetenz zukommt, Grundrechtsgrenzen zu konkretisieren.

bb) Verfahrensüberlegungen Ein zweiter Bewertungspunkt betrifft die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der grundrechtskonkretisierenden Gesetzgebung. Diese bleibt vorhanden sowohl hinsichtlich der Verfahrensvoraussetzungen als auch in materieller HinSicht.448 Das Grundrecht in seiner objektivierten Dimension zu betrachten, bedeutet nicht einen Verlust für seinen Träger, sondern verstärkt vielmehr den Grundrechtsschutz.449 Die individuelle Freiheit wird nicht lediglich abstrahiert von ihrer realen rechtlichen Umgebung verstanden, sondern in sie hineingestellt. Wenn jemand behauptet, seine Grundrechte seien zu sehr eingeschränkt, kann er das vor Gericht geltend machen. Die Möglichkeiten der Überprüfung des Abwägungsergebnisses mit den rechtsstaatlich fundierten Schranken-Schranken und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgebot verlieren durch ein solches Verständnis nichts von ihrer 446 Forsthoff, in: Tohidipur (Hrsg.), Bd. I, S. 177 ff. (200 ff.); Denninger, JZ 1975, S. 545 ff. (548); s. zuletzt die Warnung vor der Gefahr eines ,Justizstaates" in: Böckenförde, Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), S. 1 ff. (25). 447 s. dazu oben Teil 1, Kap. Β, IV, 3, b), bb). 448 Lerche, in: HbStR, Bd. V, § 121, Rn. 41.; s. auch in bezug auf die Berufsfreiheit, BVerfGE 61, 291 (311); BVerwG, Urteil v. 18. 10. 9 0 - 3 C 2/88, NJW 1991, S. 1766 ff. (1767). 449 BVerfGE 7, 198 (204 f.) - Lüth: „... daß das Grundgesetz,... in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt".

Β. Forschungsfreiheit im Rahmen der Embryonenforschung

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Funktionsfähigkeit. Darin liegt auch die Bedeutung der Anerkennung einer Wechselwirkung zwischen Grundrechten und der allgemeinen Rechtsordnung450, denn sie hätte überhaupt keinen Sinn, wenn sie nur dem guten Willen des Gesetzgebers anvertraut wäre.

d) Ergebnis Das Dilemma zwischen einer anfänglichen und einer nachträglichen Begrenzung vorbehaltlos garantierter Grundrechte wird in der Weise gelöst, daß eine Begrenzung durch die materiell zu verstehende allgemeine Rechtsordnung bevorzugt wird. Dafür spielen eine wichtige Rolle die Einwände, die gegen die beiden anderen Modelle ausgeführt wurden. Im Rahmen der Forschung an Embryonen wird also die Forschungsfreiheit in diskursiven Zusammenhang zu den anderen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gütern gestellt, wodurch sie schließlich ihre notwendigen Grenzen findet. In diese Richtung bewegt sich auch eine Meinung, die bei der Erörterung der Rechtsfragen solcher naturwissenschaftlicher Forschungsmöglichkeiten vertreten wurde, bei denen Manipulation und Hantieren mit der Forschungsobjekte nicht selten unumgänglich sind. In diesem Zusammenhang gehört auch die Diskussion um die Embryonenforschung. Vom Grundrechtsschutz seien demnach Experimente ausgenommen, wenn bei ihrer Durchführung fremde Rechtsgüter in Anspruch genommen werden. 451 Keinesfalls enthält die Forschungsfreiheit auch eine Befugnis zur Verletzung bzw. zur Bedrohung von fremden Rechtsgütern.452 Dabei wird die Forschung mit Rechtsgütern Dritter vom Tatbestand des Art. 5 Abs. 3 GG nicht gegenständlich ausgegrenzt. Eine solche gegenständliche Ausgrenzung hätte dazu geführt, daß medizinische Forschung an Menschen stets und von Anfang an als unzulässig zu beurteilen wäre. Das wird aber hier nicht behauptet. Versuche mit Rechtsgütern Dritter sind lediglich verfassungsrechtlich nicht privilegiert, so daß sie durch die allgemeine Rechtsordnung geregelt und eventuell verboten werden können.453 Damit wird im Endeffekt nur eine Begrenzung der 450 Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 34 f. 451 Dieses Kriterium schon in: BVerwGE 102, 304 (308); Lerche, in: Lukes/Scholz (Hrsg.), S. 88 ff. (91); Steiner, Leben, S. 21; F. Herzog, ZStW 105 (1993), S. 727 ff. (730 f.); Pieroth/Schlink, Rn. 624 ff.; zustimmend auch Laufs, in: Essener Gespräche (22) 1988, S. 114 ff. (130); Lorenz, in FS Lerche, S. 267 ff. (270 ff.), mit der engeren Ansicht, daß nicht schon jede Beeinträchtigung außerhalb des Freiheitstatbestands liege, sondern nur eine echte Verletzung von Rechtsgütern Dritter; kritisch hierzu aber Hermes, Leben, S. 247 f. Siehe auch Eser, in: GS H. Schröder, S. 191 ff. (206 f.); Wiese, in: FS Duden, S. 719 ff. (743); Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I, Rz. 55. 452 Kirchhof, Voraussetzungen, S. 21; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG-Komm, Art. 5, Rn. 17, S. 241.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Durchsetzbarkeit des Abwehranspruchs aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als möglich angenommen. Eine tatbestandliche Ausgrenzung scheidet dagegen im Einklang mit der Überlegungen aus, die in bezug auf die Bestimmung des Rechtsguts Forschungsfreiheit angeführt wurden.

V. Zusammenfassung Als erste Verfassungsnorm, die einen Regelungsanspruch für die Forschung an Embryonen enthält, kommt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in Betracht. Der Blick auf die Freiheitsgewährleistung im ersten Schritt ist nicht zufällig, sondern eine Folge der unbezweifelten primären Rolle der Grundrechte als Freiheitsgewährleistungen. Es wird angenommen, daß auch die Forschung an menschlichen Embryonen als „Forschung" im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG anzusehen ist, und zwar unter denselben Voraussetzungen, die für die anderen Forschungsaktivitäten gelten. Damit soll nicht geleugnet werden, daß die Embryonenforschung ein besonderes Freiheitsbegrenzungsproblem aufwirft. Die Forschungsfreiheit gehört zu den Grundrechten, die ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und deswegen zusätzliche Probleme hinsichtlich ihrer Begrenzung bereiten. Nach dem Modell der Begrenzung durch die allgemeine Rechtsordnung wie auch nach dem Entscheidungsmodell des Bundesverfassungsgerichts spielt für die Begrenzung eine wichtige Rolle, welche Verfassungsgüter jeweils in Betracht kommen, um eine Begrenzung der Freiheit zu begründen. Die Erörterung dieser Rechtsgüter soll gleichzeitig der erste Schritt zur Lösung des Schrankenproblems sein.

C. Embryonenschutz im Bereich der Embryonenforschung I . Embryonenschutz als verfassungsrechtliches Problem

1· Orientierung an den Grundrechten Das Grundgesetz bezieht sich in keiner seiner Vorschriften ausdrücklich auf die menschlichen Embryonen. Von seinem Wortlaut kann keine klare Stellungnahme zu ihrem Status bzw. zum Interesse der Rechtsordnung für das embryonale Leben überhaupt abgeleitet werden. Der Embryonenschutz ist in der Verfassung nicht normiert. 454 Zwar gehört nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG die Regelung der Rechtsfra453 Lerche, in: Lukes/Scholz (Hrsg.), S. 88 ff. (92 f.).

C. Embryonenschutz im Bereich der Embryonenforschung

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gen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und der Untersuchung und der künstlichen Veränderung von Erbinformationen zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Von dieser Kompetenzbestimmung allein kann aber kein materiell-rechtliches Schutzgebot für die menschliche Embryonen abgeleitet werden. 455 Auf der anderen Seite bedeutet dieses „Schweigen" nicht notwendigerweise eine verfassungsrechtliche Indifferenz zu den Fragen des Embryonenschutzes. Schon während der langjährigen Auseinandersetzung mit den Rechtsfragen der Schwangerschaftsunterbrechung wurde bewußt, daß der Problemkreis des Embryonenschutzes eine verfassungsrechtliche und konkreter eine grundrechtliche Dimension aufweist. Das erklärt auch, warum die Abtreibungsdiskussion sich zum großen Teil mit der Auslegung verfassungsrechtlicher Normen befaßte. Der Embryonenschutz als verfassungsrechtliches Problem wird also durch Grundrechtsnormen bestimmt.456

2. Neue Herausforderungen für das klassische Grundrechtsverständnis a) Eigenart der humangenetischen Rechtsprobleme Trotz der Eignung der Verfassung für die Lösung neuartiger Probleme des technologischen Fortschritts, die ihre Funktion als Rahmenordnung begründet457, besitzen die Rechtsfragen der Biomedizin und damit auch die rechtlichen Probleme der Embryonenforschung einige Besonderheiten, die zu einer Erprobung des klassischen Verständnisses der Grund- und Menschenrechte führen können. Das wird durch einen Vergleich zwischen den klassischen und den neuartigen Rechtsfragen der Humanmedizin deutlich. Die Lösung der Grundrechtsfragen der klassischen Humanmedizin sind innerhalb des universalen Grund- und Menschenrechtsdenkens zu finden. Die Fragen 454 Vgl. hier die Schutzklausel zugunsten des ungeborenen Lebens in Art. 8 Abs. 2 der Brandenburgischen Verfassung v. 20. August 1992. 4 55 Pestalozzi, in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG-Komm, Art. 74 Abs. 1 Nr. 26, Rn. 1926 f.; vgl. hier Art. 2 4 n o v i e s der schweizerischen BV (angenommen in der Volksabstimmung v. 17. 5. 1992), der zunächst eine Kompetenzzuweisung an den Bund enthält, Vorschriften im Bereich der Fortpflanzungs- und der Gentechnologie zu erlassen; s. dazu Häfelin/Haller, Rn. 1177b; nach der Rechtsprechung wird aber angenommen, daß diese Vorschrift Grundentscheidungen verfassungsrechtlicher Natur und somit auch materielle Vorgaben an den Gesetzgeber enthält; s. dazu BGE, Urteil v. 22. 12. 1993, 1P.741/1990, EuGRZ 1994, S. 223 ff. (228). 456 Eine andere Lösung wäre, eine Staatszielbestimmung „Embryonenschutz" in das Grundgesetz durch Verfassungsänderung einzuführen; zum Begriff der Staatszielbestimmungen s. den Bericht der gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000 v. 5.11.1993, S. 77.

457 Dazu s. oben Teil 1, Kap. A, III.

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

der rechtlichen Beurteilung von Heilversuchen und Humanexperimenten betreffen die Rechte des abstrakten, universellen und autonomen Subjekts „Mensch".458 Die Gefahrenlage ist hier für den einzelnen Menschen schon bestimmbar, die Ergebnisse einer Handlung voraussehbar und das Kausalitätsverhältnis zwischen der ärztlichen Handlung und dem Ergebnis für den Patienten bzw. Probanden linear oder „normal". Dem Staat kommt in diesem Zusammenhang die Rolle einer „Eingriffsabwehr" zu, die er entweder durch strafrechtliche Vorschriften oder durch die Gewährleistung eines Anspruchs auf Entschädigung erfüllen kann. Diesem Modell entspricht die Regelung von Art. 7 S. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, wonach die freiwillige, persönlich erklärte Zustimmung des Menschen als Legitimationsgrund von wissenschaftlichen Experimenten angesehen wird. 459 Im Gegensatz zu diesem Modell betreffen die neuartigen Probleme der biomedizinischen Entwicklung stets den geschichtlich bestimmbaren Menschen im technologischen Zeitalter. 460 Als Gegner der menschlichen Freiheit wird hier zunächst der Mitmensch - Wissenschaftler begriffen, derjenige also, der das notwendige Wissen beherrscht 461, während der Staat als „entmächtigt" und stets auf deren Sachverstand angewiesen verstanden wird. Solche Fragestellungen betreffen schließlich oft nur die Vermutung des Machbaren. Diese Entwicklung hat zu einer qualitativ neuen Richtung in der Diskussion über die Menschenrechte geführt und sie nunmehr auf die ,3io-Rechte", auf die Rechte des biologischen Menschen, orientiert. 462 Die Blickrichtungsänderung betrifft zunächst das Subjekt dieser Rechte. In der Mitte der Diskussion steht nicht immer der universelle Mensch als einheitliche Existenz mit besonderen physischen und psychischen Charakteristika, die seine Autonomieanspruch begründen, sondern oft der einzelne in bezug auf seinem Körper bzw. seinem genetischen Erbmaterial 463 oder sogar die menschliche Gattung insgesamt464. Das Subjekt solcher 458 Zur klassischen Funktion der Grund- und Menschenrechte s. Stern, in: HbStR, Bd. V, § 108, Rn. 51 f.; für den universellen und zeitunabhängigen Charakter der klassischen Menschenrechte, s. Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 115, Rn. 34. «9 Nowak, CCPR-Komm, Art. 7, Rn. 30. 460 s. Denninger, KJ 1989, S. 147 ff. 461 s. dazu auch Damm, KritV 1991, S. 279 ff. (286). 462 Betta, KritV 1997, S. 66 ff.(75 ff); Py, RDP 1996, S. 1319 ff. (1320 f.; 1329 ff.); über die Herausbildung neuer Rechte s. auch Damm, KritV 1991, S. 279 ff. (284). 463 Diese Bemerkung ist auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der UNESCO überprüfbar, denn dort wird das menschliche Genom zum zentralen Bezugspunkt des individuellen Schutzes gemacht; das wird nicht nur vom Titel bewiesen, sondern auch von der Wiederholung des Wortes „Genom" in fast allen Artikeln der Erklärung. Diese Tendenz ist auch im Artikel 2 4 n o v i e s der Schweizerischen BV deutlich. 464 Besonders deutlich ist diese Tendenz in der allgemeinen Erklärung zum menschlichen Genom und zu den Menschenrechten der UNESCO, wo das menschliche Genom durch Art. 1 symbolisch als das „gemeinsame Erbe der Menschheit" charakterisiert und durch Art. 12 lit. b) der Forschung die Aufgabe der Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens

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neuen Menschenrechte verliert damit an Bestimmbarkeit465, und seine Ansprüche können entsprechend an Durchsetzbarkeit verlieren 466. Solche ,3iorechte" sind stets daran orientiert, zwischenmenschliche Beziehungen zu regeln, besonders die Beziehung des Wissenschaftlers zu anderen Menschen. Ihre Bedeutung für den Staat ist nur sekundär. Sie beziehen sich ferner oft auf noch nicht realisierte Handlungsmöglichkeiten. Im Gegensatz dazu sind die Menschenrechte die Errungenschaft des Widerstands gegen geschichtliche Unrechtserfahrungen. 467 Die älteren, einfachen Kausalitätsverhältnisse zwischen Eingriff und Rechtsgutverletzung lösen sich schließlich in die Ungewißheit der neuen wissenschaftlich-technischen Handlungsmöglichkeiten auf. 468 Man gewinnt somit den Eindruck, daß die neuen Rechtsfragen der Humanmedizin auch das traditionelle Menschenrechtsdenken überholen haben. Der Bezug des Menschen zu seinem Körper steht aber schon seit dem 18. Jahrhundert im Zentrum der politischen Diskussion, als Themen wie Lebenserwartung, Gesundheitsniveau, Geburtenzahlen, Geburtenregulierung usw. zu politischen469 und entsprechend rechtlichen470 Fragen geworden waren. Die Problematik ist in diesem Sinn für das Verfassungsrecht nicht so neuartig wie es auf dem ersten Blick scheint. Die grundsätzliche Lösung der mit dem Embryonenschutz verflochtenen Rechtsprobleme ist damit innerhalb der gegebenen Verfassung zu finden, die letzten Endes auch fähig ist, durch verfassungsmäßige Änderungen eventuelle Regelungslücken, die von neuartigen Problemlagen verursacht werden, zu schließen.471

des einzelnen und der Menschheit auferlegt wird. Zur Notwendigkeit, die Theorie der Menschenrechte auf den Schutz der menschlichen Gattung auszurichten, s. Cornavin, Droits 1985, S. 99 ff. (104); s. auch die Kritik von Betta, KritV 1997, S. 66 ff. (77 f.); zur Expansion der Rechtssubjektivität im Problembereich von Medizin- und Gentechnik, s. Denninger, KJ 1989, S. 147 ff. (148); Damm, KritV 1991, S. 279 ff. (283); vgl. hier auch die „Erklärung der Rechte künftiger Generationen", in: Saladin/Zenger, S. 46 ff. 465 Ob darin auch eine Ermächtigung der einzelnen Person liegt, steht zur Diskussion; ablehnend Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ/1, § 58, S. 12 f.; Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (127 f.); vgl. auch Benda, in: Flöhl (Hrsg.), S. 205 ff. (210 f.). 466

s. dazu Denninger, KJ 1989, S. 147 ff. (148): gemeinsames Merkmal der neuen Rechte des technologischen Zeitalters ist ihre programmhafte Unbestimmtheit und Nichteignung für den unmittelbaren administrativen Vollzug; auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts werden sie damit als Staatszielbestimmungen oder Gesetzgebungsaufträge verstanden. ™ Bielefelds ZRP 1988, S. 423 ff. (428 ff.). «« Köck, AöR 121 (1996), S. 1 ff. (18); daß die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens auch eine „Explosion des Nichtwissens" mit sich bringt, s. Denninger, KritV 1992, S. 123 ff. (131 f.). Foucault, S. 183 f. 4 ?o Foucault, S. 189 f. 471 Für die Offenheit der Verfassung, auch solche Sachverhalte normativ zu erfassen, die zur Zeit der Verfassungsgebung nicht bekannt waren, s. Benda, in: HbVerfR, § 6, Rn. 41 ; für die Gefahren, die sich für die integrierende Funktion der Verfassung aus der detaillierten Regelung von Einzelfragen ergeben können, s. Hesse, JöR N.F. 46 (1998), S. 1 ff. (13). 8 Iliadou

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1. Teil : Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

b) Risikovorsorge

als gesetzgeberische Aufgabe

Die Eigenart, die die neuartigen Rechtsfragen der Humanmedizin in bezug auf die Privatisierung der Machtauseinandersetzungen und die Ausblendung der Kausalverhältnisse zwischen Eingriff und Rechtsgutverletzung erweisen, bedingt jedoch eine Änderung der Blickrichtung im Verfassungsrecht. Es scheint damit notwendig, den Aufgaben der innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung agierenden Staatsorgane Beachtung zu schenken. Vordringlich interessieren die Aufgaben des Gesetzgebers, weil er von seiner funktionellen Natur her am nähesten zur Verfassung steht und weil er durch allgemeinverbindliche Normen die „Spielregeln" der Freiheit festsetzen kann. 472 Man muß also von der Verfassung her solche Aufgaben des Gesetzgebers begründen, die ihn dazu verpflichten, für die kontinuierliche Gestaltung und Aufrechterhaltung von solchen Lebensbereichen zu sorgen, die unter stetiger Gefährdung stehen wie der Bereich der Technikentwicklung.473 Vom Gesetzgeber wird auf diese Weise eine mehr oder weniger umfassende Normierung derjenigen Lebensbereiche gefordert, die von der technologischen Entwicklung beeinflußt werden. 474 Die zu Beginn des liberalen Rechtsstaates legitime Trennung von Staat und Gesellschaft 475, die den Staat auf die Rolle der Gefahrenabwehr begrenzen wollte, tritt auf diese Weise zugunsten einer umfassenden staatlich organisierten Risikovorsorge zurück. 476 Eine bedeutende Rolle spielt auch die steigende Komplexität der heutigen gesellschaftlichen Strukturen, die ständig durch die treibende Kraft des wissenschaftlich-technischen Fortschritts umgestaltet werden. 477 Die Forderung nach einer Risikovorsorge ist vornehmlich im Grundrechtsteil der Verfassung zu erörtern. 478 Der Grund dafür liegt darin, daß den Grundrechten 472 Rupp, in: HbStR, Bd. I, § 28, Rn. 43. 473 Hesse, JZ 1995, S. 265 ff. (271); Häberle, AöR 114 (1989), S. 361 ff. (381). 474 Grimm, in: Zukunft, S. 159 ff. (168); Schmidt-Aßmann, JZ 1989, S. 205 ff. (210); Schulze-Fielitz, in: HbVerfR, § 27, Rn. 25 ff. 475 Für den klassisch-liberalen Dualismus von Staat und Gesellschaft s. Forsthoff, Industriegesellschaft, S. 21 ff. 476 Grimm, in: Zukunft, S. 397 ff. (416); Hesse, JöR N.F. 46 (1998), S. 1 ff. (15); Köck, AöR 121 (1996), S. 1 ff. (18 f.); Denninger, KJ 1989, S. 147 ff. (153); Kunig, in: v. Münch/ Kunig, GG-Komm, Art. 2, Rn. 68; Roßnagel, ZRP 1992, S. 55 ff. (56). Der Begriff Risikostatt Gefahrenvorsorge wird bevorzugt; der Grund dafür liegt im Unterschied zwischen den beiden Sachlagen: Während der Gefahrenbegriff „erfahrungsorientiert" und an einem normalen Kausalverlauf angeknüpft ist, bringt der Risikobegriff die in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung inhärente Ungewißheit über den Schadensverlauf und seine Eintrittswahrscheinlichkeit zum Ausdruck. Zum Unterschied zwischen beiden Begriffen s. Ladeur, KritV 1991, S. 241 ff. (242); Di Fabio, NuR 1991, S. 353 ff. (354); Nida-Rümelin, in: Nida-Rümelin (Hrsg.), S. 806 ff. (809 f.). 477 Ob hier die Klausel „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" (vgl. § 7 Abs. 2 AtomG) immer für die Gewährleistung der notwendigen Risikovorsorge genügt, steht zur Diskussion; dazu s. Denninger, KJ 1989, S. 147 ff. (154).

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ein doppelter Charakter zukommt. Die Grundrechte funktionieren damit nicht nur als eine negative Grenze für das staatliche Handeln, sondern erscheinen auch als positive Handlungsaufträge für die öffentliche Gewalt. Ein »Aufgabendenken" wird deshalb als die notwendige Ergänzung der liberalen grundrechtlichen Konzeption begriffen. 479 Diese Risikovorsorge bezieht sich darüber hinaus nicht nur auf gegenwärtige Rechtsgüter und kommt nicht nur existierenden Rechtssubjekten zugute. Dagegen wirkt der Schutz der Rechtsordnung auch gegenüber der Nachwelt, wenn sie von heutigen Risiken bedroht wird. 480 Für die Begründung einer solchen Erweiterung werden hauptsächlich Argumente aus dem objektiven Gehalt der Grundrechte 481, aus dem Amtseid des Bundespräsidenten gem. Art. 56 GG 4 8 2 . aus der „Unverjährbarkeit" der Grundrechte als Menschenrechte im Sinne des Art. 1 Abs. 2 G G 4 8 3 und aus dem Heranziehen der Verantwortung vor Gott und den Menschen in der Präambel des GG vorgebracht 484, die eine Verantwortung des Staates für die Zukunft begründen können. Nunmehr kann man ein Argument aus der ausdrücklichen Anerkennung der staatlichen Verantwortung für die künftige Generationen im Art. 20a GG hinzufügen. Diese erweiterten Staatsaufgaben sind auch für die Lösung der Fragestellungen, die durch die Entwicklungen im humanmedizinischen Bereich statt gefunden haben, von besonderer Bedeutung. Auch für die normative Bewältigung der Rechtsprobleme in Zusammenhang mit dem Embryonenschutz muß man sich zunächst an der Verfassung orientieren und in ihr eine Lösung finden. Das bedeutet nicht, daß sie als ein „allgemeines Gesetzbuch" zu verstehen ist, in dem alle Entscheidungen schon vorgeschrieben sind 4 8 5 Es signalisiert aber die Notwendigkeit, die Verfassung als kontinuierliches Prozeß zu erfassen 486, der auch für die Zukunft eine Stabilisierungsfunktion entfalten kann.

478 Badura, in: HbStR, Bd. VII, § 163, Rn. 8 ff.; Starck, in: HbStR, Bd. VII, § 164, Rn. 4; Häberle, AöR 114 (1989), S. 361 ff. (382). 479 Häberle, AöR 111 (1986), S. 595 ff. (602); Isensee, in: HbStR, Bd. III, § 57, Rn. 148; Ipsen, VVDStRL 48 (1990), S. 177 ff. (179). 480 Murswiek, Verantwortung, S. 207; Vollmer, S. 56; Saladin/Zenger, S. 15ff.; Hesse, JöR N.F. 46 (1998), S. 1 ff. (15). 481 H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 261 f.; Murswiek, Verantwortung, S. 207 f.; Isensee, in: HbStR, Bd. V, § 111, Rn. 95; Vollmer, 55; Saladin/Zenger, S. 75 ff, 99 f. 482 H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 262 ff. 483 H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 266 ff.; Saladin/Zenger, S. 77. 484 Kritisch zu einer Ableitung der staatlichen Verantwortung für Langzeitrisiken aus der Präambel des GG Murswiek, Verantwortung, S. 209, Fn. 7; so auch Vollmer, S. 57; Zuleeg, in: AK-GG, Präambel, Rz. 15, sieht in der Präambel dagegen eine taugliche Basis der staatlichen Verantwortung für zukünftige Generationen; so auch H Hofmann, Rechtsfragen, S. 270 ff.; ähnlich Huber, in: Sachs, GG-Komm, Präambel, Rn. 36; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Präambel, Rn. 22; Wiegand, JöR N.F. 43 (1995), S. 31 ff. (39 ff). 485 Vgl. dazu Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351 ff. (361 f.). 8*

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3. Die ontologiche Voraussetzung des Embryonenschutzes Die Rechtsfragen des Embryonenschutzes sind vom Problem der Anerkennung eines rechtlichen Schutzes der Nachwelt vor gentechnologischen Gefährdungen insoweit abzugrenzen, als fundamentale Unterschiede zwischen beiden Problemkreisen vorliegen. Insbesondere bezieht sich die Problematik, ob die Rechtsordnung ihre Schutzwirkung auch auf die Nachwelt erweitert 487, nicht auf konkret und aktuell vorliegendes menschliches Leben. Die Lage ist dagegen eine andere, wenn es um den Schutz menschlicher Embryonen geht. Das Vorliegen menschlichen Lebens wird deshalb als die ontologische Voraussetzung488 des Embryonenschutzes angesehen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Frage, ab wann menschliches Leben im Sinne des Grundgesetzes vorliegt, weder ausdrücklich noch klar. Im ersten Abtreibungsurteil hat das Gericht angenommen, Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums bestehe jedenfalls vom 14. Tage nach der Befruchtung an. 4 8 9 Damit wurde die Frage offen gelassen, ob das menschliche Leben vor diesem Zeitpunkt auch als „Leben" anzusehen ist. 490 Das zweite Urteil versuchte jede Anwort auf das Problem zu vermeiden, mit dem Argument, diese sei nicht notwendig für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Abtreibungsregelung.491 Dennoch betont das Gericht in seinem Ur486 Insbesondere die Metaregeln über die Verfassungsgeltung und Änderung verdeutlichen, daß die Verfassung nicht als „einmaliger Stiftungsakt", sondern als alltäglicher „Prozeß der Neugründung" verstanden wird; dazu s. Frankenberg, S. 19 und 25. 487

Zustimmend zu einer solchen Erweiterung Saladin/Zenger, S. 77 f.; Murswiek Verantwortung, S. 209 ff. (211 f.); H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 259 ff. und 268 f.; Haverkate, S. 252; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 7. Eine weitere Frage ist es, ob künftige Generationen auch als Subjekte grundrechtlicher Ansprüche anerkannt werden können; zustimmend dazu Saladin/Zenger, S. 99 f., 107 ff.; a.A. H. Hofmann, Rechtsfragen, S. 260. Das wichtigste Argument gegen eine solche Erweiterung (die vordringlich durch eine entsprechende Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG stattfindet) betrifft die möglichen Freiheitsbegrenzungen, die ein solches Verständnis vorbereiten könnte; dazu s. Enders, EuGRZ 1986, S. 241 ff. (252). Für die Gefahr einer „Verewigung" heutiger Konzepte über die Menschenwürde und die Grundrechte sowie die Gegenargumente dazu s. Saladin/ Zenger, S. 30 ff. Es sollte dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber belassen sein, ob und unter welchen Voraussetzungen er einen solchen Schutz für die künftigen Generationen gewährleisten will. Nach dieser Ansicht ist die Einfügung des Art. 20a im GG durch die Verfassungsreform von 1994 (Gesetz v. 27. 10. 1994, BGBl. I, S. 3146) zu begrüßen. Für die rechtlichen Konsequenzen des Verantwortungsbezugs in Art. 20a GG, s. Murswiek in: Sachs, GGKomm, Art. 20a, Rn. 32. 488 Oder die „Grundvoraussetzung": Adam, S. 4; Spiekerkötter, S. 49. 489 BVerfGE 39,1 (37). 490 Geddert-Steinacher, S. 63. 491 BVerfGE 88, 203 (251); zustimmend auch Beckmann, ZRP 1987, S. 80 ff. (81). Zu bemerken ist dabei, daß sich auf diese Weise die Problematik der strafrechtlichen Bewertung der Abtreibung von der Fragestellung nach dem Anfang des Lebens weitgehend entkoppelt; daß die Abtreibungsproblematik eine besondere ist, die nicht zu Schlußfolgerungen für den

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teil den medizinisch-anthropologischen Befund, daß menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entstehe.492 Die Frage nach dem Anfang des Lebens ist unvermeidlich mit medizinischen, religiösen und philosophischen Parametern verbunden und deshalb eine der besonders schwierigen Problembereiche für die Rechtswissenschaft.493 Nichtdestoweniger ist dieses Problem auch ein juristisches, und seine Lösung bildet eine normative Entscheidung.494 Letztere muß aber immer an naturwissenschaftlichen Erkenntnisse orientiert sein, wenn sie nicht eine willkürliche sein soll. 495 Die in der Literatur herrschende Meinung bezieht den Anfang des Lebens auf einen biologisch bestimmbaren Zeitpunkt. Damit beginnt das menschliche Leben mit der Chromosomenverschmelzung.496 Dieser Zeitpunkt sei die einzige klare Zäsur zwischen Existenz und Nichtexistenz, fixiere ferner die genetischen Merkmale des einzelnen und seine Individualität. Dabei fange der Entwicklungsprozeß des Lebens als etwas „werdendes" und nicht als etwas schon vorhandenes an. 497 Andere Kriterien für die Festsetzung des Anfangs menschlicher Existenz, wie die Beseelung 498 oder die Abstellung auf die gesellschaftliche Existenz des Menschen499, werden somit sämtlich abgelehnt. Embryonenschutz im allgemeinen führen darf s. Selb, S. 47 f.; vgl. auch unten Teil 1, Kap. D, III, 2, a). 492 BVerfGE 88, 203 (251). 493 s. dazu die ausführliche Darstellung von Schlingensiepen-Brysch, ZRP 1992, S. 418 ff.; auch Adam, S. 4 ff.; Spiekerkötter, S. 46. 494 Daß es beim Begriff des „Lebens" nicht um einen medizinischen, sondern um einen juristischen geht s. Leisner, in: Leisner/Goerlich, S. 21. 495 Dusik, S. 18 f.; Beckmann, ZRP 1987, S. 80 ff. (83); zur Notwendigkeit den medizinischen Erkenntnisstand in diesem Bereich zu berücksichtigen, s. Hillgruber, JZ 1997, S. 975 ff. (975). 496 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 11, Rn. 24; Lorenz, in: HbStR, Bd. VI, § 128, Rn. 10; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 2, Rn. 49; Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 2 II, Rn. 24; Isensee, NJW 1986, S. 1645 ff. (1646); Beckmann, ZRP 1987, S. 80 ff. (83); Vitzthum, JZ 1985, S. 201 ff. (208); Vitzthum, MedR 1985, S. 249 ff. (252); Vitzthum, in: Günther / Keller (Hrsg.), S. 61ff. (71); Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (658); Pap, MedR 1986, S. 229 ff. (230); v. Mutius, Jura 1987, S. 109 ff.(lll); Selb, S. 43 ff; Mersson, S. 153; Reis, S. 139; Dickert, S. 55 f. und 438; Classen, in: Beckmann/Istel/Leipoldt/Reichert (Hrsg.), S. 93 ff. (98); v. d Daele, KJ 1988, S. 16 ff. (18 ff.); Steiner, Leben, S. 11; Keller, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 111 ff. (117) und S. 193 ff. (195); Schirmer, S. 103; Sternberg-Lieben, JuS 1986, S. 673 ff. (677); Geddert-Steinacher, S. 64; Classen, WissR 22 (1989), S. 235 ff. (242); Kunig, Jura 1991, S. 415 ff. (418); Kluth, TS? 36 (1989), S. 115ff. (117); Laufs, in: Günther/Keller (Hrsg.), S. 89ff. (103); Brohm, JuS 1998, S. 197ff. (201); Dusik, S. 33; ebenso die Thesen des Deutschen Richterbundes, DRiZ 1986, S. 229 und die Beschlüsse des 56. DJT, Bd. II, S. Κ 233 ff. (239), VII 1; ebenso auch die Entschließungen des XIV. Internationalen Strafrechtskongresses, ZStW 102 (1990), S. 683 ff. (695). Aus der ethischen Diskussion s. Eibach, S. 23; Büchner, S. 74; aus theologischer Sicht s. J. Hoffmann, in: Flöhl (Hrsg.), S. 104 ff. (133 ff.). Zu erwähnen ist hier auch, daß die Chromosomenverschmelzung einen komplexen biologischen Prozeß darstellt; s. dazu die Bemerkungen von Beier, in: Fuchs (Hrsg.), S. 67 ff. 497 BVerfGE 39,1 (37); 88,203 (252).

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Wenn nun Einigkeit darin besteht, daß bereits menschliche Embryonen „Leben" sind, sollte beim Vorliegen möglicher Bedrohungen ihr Schutz durch die Verfassung in Erwägung gezogen werden. Das gilt auch für den Fall der In-vitro-Fertilisation. Auch hier ist die Chromosomenverschmelzung als Anfang des Lebens zu betrachten, und das Verfassungsrecht kann dieses Vorhandensein menschlichen Lebens nicht übergehen.

4. Grundrechtliche Diskussionsgrundlagen des Embryonenschutzes Nunmehr ist der Blick auf die Verfassungsbestimmungen zu richten, die eine Schutzwirkung für die menschlichen Embryonen entfalten könnten. Sachverhalte, die entweder unvermeidlich zum Absterben der betroffenen Embryonen führen oder mittelbar deren Absterbenlassen bewirken, können aus verfassungsrechtlicher Sicht unter zwei Teilaspekten bewertet werden: Unter dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme von Embryonen als Forschungs- oder Beobachtungsobjekte der wissenschaftlichen Neugier sowie unter dem Aspekt der Vernichtung der Embryonen, nachdem das Ziel des wissenschaftlichen Vorhabens erreicht worden ist und diese nicht mehr implantationstauglich sind. Auf den ersten Blick werden deshalb zwei Verfassungsgarantien tangiert. Der erste Aspekt berührt die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Würde des Menschen verfassungsrechtlich verbürgt und im wesentlichen verbietet, einen Menschen als „Objekt" zu behandeln.500 Der zweite Aspekt betrifft den Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, der den Lebensschutz gewährleistet und dadurch grundsätzlich die vorprogrammierte und gezielte Vernichtung des Lebens verbietet.501 Die Diskussion bezüglich der Embryonenforschung drehte sich hauptsächlich um die Garantie der Würde des Menschen.502 Die zweite Vorschrift, die einen Re4

98 Zur Theorie der Beseelung, die auf Artistoteles zurückgeht und die von der mittelalterlichen Lehre teilweise übernommen wurde, s. Dusik, S. 20 f.; Eser, in: Gernhuber (Hrsg.), S. 377 ff. (386, 388). 499 s. ζ. B. Rüpke, ZRP 1974, S. 73 ff. (74 ff.). 500 BVerfGE 27, 1 (6) - Mikrozensus; 45, 187 (228) - lebenslange Freiheitsstrafe; 87,209 (228) - Horrorfilm; BVerfG, Beschl. v. 21. 4. 1993-2 BvR 930/92, NJW 1993, S. 3315 ff. (3315); BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 1997-1 BvR 479/92 und 1 BvR 307/94, MDR 1998, S. 216 ff. (219). 501 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 2, Rn. 44. 502 Beschlüsse des 56. DJT, Bd. II, S. Κ 233 ff. (233), I. 5; Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin", Bundesanzeiger v. 6. 1. 1989, Beilage, Bd. 41, Nr. 4a, S. 24 f.; Enders, EuGRZ 1986, S. 241 ff.; Blankenagel, KJ 1987, S. 379 ff. (385); Laufs, in: Günther /Keller (Hrsg.), S. 89 ff. (91, 105); Pap, MedR 1986, S. 229 ff. (231); Classen, WissR 22 (1989), S. 235 ff. (242); Benda, in: Flöhl, S. 205 ff.; Benda, in: HbVerfR, § 6, Rn. 39 ff.; Adam, S. 30; Merz, S. 177 f.; Schirmer, S. 102, 120 und 242 ff.; Vitzthum, MedR 1985, S. 249 ff. (256); Vitzthum, ZRP 1987, S. 33 ff. (36); aus philosophischer Sicht s.

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gelungsanspruch erhebt, wurde dagegen oft vernachlässigt. Es stellt sich demnach die Frage, ob esrichtig ist, für alle Fragen in diesem Bereich auf die Garantie der Menschenwürde zurückzugreifen. Der Rückgriff auf die Menschenwürde in der Diskussion um die Rechtsfragen der Embryonenforschung kann einfach erklärt werden. Zunächst enthält die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG eine explizite und objektive Schutzverpflichtung des Staates. 503 Sie kann somit einerseits die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Grundrechtsberechtigung menschlicher Embryonen, andererseits die dogmatische Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten ersparen. Wenn man ferner auf die Ungewißheit und die Risiken ähnlicher Sachverhalte und auf deren moralische Relevanz abstellt, wird verständlich, warum diese so intensiv das „Menschenwürdegefühl" irritieren können. Die erste Reaktion darauf ist der Versuch, ihre Realisierungsmöglichkeiten für immer auszuschließen. Die Menschenwürde bildet dafür insoweit die taugliche Basis innerhalb der Verfassungsordnung 504, als ihre Inanspruchnahme ein „Gewinnargument par exellence"505 darstellt. Die Tendenz einer inflationären Berufung auf die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG wurde aber auch kritisiert. Die Garantie der Menschenwürde hat sowohl wegen ihrer gesetzestechnischen Stellung vor der Aufzählung der „nachfolgenden Grundrechte" als auch wegen ihres fundamentalen Charakters für die gesamte Rechtsordnung und das soziale Zusammenleben506 und ihrer semantischen Offenheit 507 eine besondere Stellung im Grundgesetz, die sie von den „nachfolgenden" Grundrechten unterscheidet. Die Eigenart der Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG als Verfassungsnorm besteht aber vor allem in ihrer Unbeschränkbarkeit, in der absoluten Formulierung ihrer Gewährleistung508 und in ihrer Unabänderlichkeit509. Nach Birnbacher, in: Braun/Mieth/Steigleder (Hrsg.), S. 77 ff.; kritisch gegenüber einem Rückgriff auf die Menschenwürde: Vitzthum, ZRP 1987, S. 33 ff. (34); Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (657); H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 35. 503 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 29 ff.; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 67; Düng, in: Maunz/ Dürig, GG-Komm, Art. 1 I, Rn. 4; Dietlein, Schutzpflichten, S. 28 f. 504 s. hier Enders, EuGRZ 1986, S. 241 ff. (242); Steiner, Leben, S. 12 f. 505 U. Neumann, ARSP 1988, Beiheft 33, S. 139 ff. (139). 506 s. die Rechtsprechung des BVerfG, die sie als „tragendes Konstitutionsprinzip44 BVerfGE 6, 32 (36) - Elfes-Urteil; 50, 166 (175) - Ausweisung aus generalpräventiven Gründen; 72, 105 (115); 87, 209 (228) - Horrorfilm, oder „obersten Wert44 der Verfassung BVerfGE 6, 32 (41) - Elfes-Urteil; 12,45 (53) - Kriegdienstverweigerung; 27,1 (6) - Mikrozensus qualifiziert. 507 Geddert-Steinacher, S. 22 ff.; Blankenagel, KJ 1987, S. 379 ff. (387); Höfling, JuS 1995, S. 857 ff. (858). 508 So auch Höfling, JuS 1995, S. 857 ff. (859); ähnlich Enders, Menschenwürde, S. 103 ff. 509 Nach Art. 79 Abs. 3 GG ist die Menchenwürde einer Verfassungsänderung entzogen; diese Unabänderlichkeit gilt für die einzelne Grundrechte nur, soweit ihrer sog. „Menschenwürdegehalt44 angetastet wird, daß heißt nur soweit ihrer Garantiegehalt mit der Menschenwürde deckungsgleich ist; Pieroth/Schlink, Rn. 352; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm,

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

dem Wortlaut des GG ist die Menschenwürde stets als „unantastbar" garantiert, und demgemäß erträgt sie keine Relativierung 510 und ist keine Abwägung zugängl i c h 5 1 1 . Jede Beeinträchtigung der Menschenwürde ließe sich automatisch als ihre verfassungswidrige, nicht legitimierbare Verletzung qualifizieren 512 . Wegen dieses Charakters, der sie zur „eisernen Ration" 5 1 3 der Verfassung erhebt, ist auch ein besonders vorsichtiger Umgang mit ihr zu verlangen, damit sie letzten Endes nicht als „kleinen Münze" oder § 242 des Verfassungsrechts 514 in der rechtspolitischen Diskussion eingesetzt wird. Das bedeutet aber, daß eine restriktive Berufung auf die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt ist. 5 1 5 Zu diesem Ergebnis führt auch die Entstehungsgeschichte der Garantie der Menschenwürde, die als Antwort auf die groben Menschenwürdeverletzungen während der Zeit des Nationalsozialismus konzipiert wurde 5 1 6 , auch wenn ihre normative Bedeutung nicht nur auf Fälle einer krassen Verachtung des Menschen begrenzt sein soll. 5 1 7

Art. 79, Rn. 9; die Idee eines Menschenwürdegehalts der Grundrechte, der einer verfassungsändernden Gewalt entzogen ist, schon bei Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 1 II, Rn. 73 ff. (insb. 81); kritisch H Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 1 I, Rn. 97. Zum Problem s. BVerfGE 94,49 (102 f.) - sichere Drittstaaten. 510 Von der Unabwägbarkeit der Menschenwürde wird auch die unmittelbare Drittwirkung der Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet; so Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 27; v. Münch, JuS 1997, S. 248 ff. (250); vgl. hier auch Häberle, Rechtstheorie 11 (1980), S. 389 ff. (415): „Allgemeinwirkung" der Menschenwürde. su BVerfGE 93, 266 (293); Höfling, in: Sachs, GG-Komm, Art. 1, Rn. 10. 512 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1 Rn. 4; Spiekerkötter, S. 37; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Art. 1, Rn. 10; Höfling, in: Sachs, GG-Komm, Art. 1, Rn. 11; Pieroth/Schlink, Rn. 365; Ipsen, Grundrechte, Rn. 228; Albrecht, S. 46; s. auch BVerfGE 75, 369 (380); vgl. aber auch Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 85: der Schutz der Menschenwürde ist Differenzierungen und Abwägungen zugänglich; ebenso Vitzthum, MedR 1985, S. 249 ff. (253). 513 Vitzthum, ZRP 1987, S. 33 ff. (34). 514 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 11, Rn. 29; ähnlich, H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 35; Albrecht, S. 45 f.; Vitzthum, ZRP 1987, S. 33 ff. (33). 515 Nipperdey, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 1 ff. (17); Spiekerkötter, S. 38; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Art. 1, Rn. 3; Höfling, in: Sachs, GG-Komm, Art. 1, Rn. 18; Maunz/Zippelius, S. 165; Koppernock, S. 24 f. 516 s. dazu v. Mangoldt, in: Parlamentarischer Rat, Bericht, S. 5 ff. (6); so auch Maihofer, S. 25; Höfling, in: Sachs, GG-Komm, Art. 1, Rn. 18; Höfling, JuS 1995, S. 857 ff. (860); H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 1 I, Rn. 32; Ipsen, Grundrechte, Rn. 210; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Art. 1, Rn. 1; Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Abs. 1 und 2, Rn. 11. 517 Vgl. BVerfGE 1, 97 (104) - Fürsorgeentscheidung; 1, 333 (348) und BVerfGE 45, 187 (228) - lebenslange Freiheitsstrafe.

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I I . Relevanz der Garantie der Menschenwürde für die Embryonenforschung Die Annahme einer Relevanz der Garantie der Menschenwürde für den Sachverhalt der Forschung an menschlichen Embryonen setzt die Erläuterung ihres Garantiegehalts voraus. Damit soll verhindert werden, die Menschenwürde als petitio principii 518 in die Diskussion einzusetzen. Die Auseinandersetzung mit der Garantie der Menschenwürde stellt ein besonders schwieriges Problem für die Verfassungsauslegung dar. 519 Dies gilt zunächst für die Tatbestandsseite des Art. 1 Abs. 1 GG. Menschenwürde bezieht sich auf keine menschliche Aktivität, wie die nachfolgenden Grundrechte. 520 Sie ist auch keine bestimmbare Qualität des Menschen, sondern hängt zusammen mit der Subjektivität des Menschen521 und entsprechend mit der Anerkennung des Menschen durch die Rechtsordnung als Rechtssubjekt.522 Daher ist auch verständlich, warum die Bestimmung des Begriffs der Menschenwürde häufig durch die Anknüpfung an die menschliche Personalität bzw. Persönlichkeit bewirkt wurde. 523 Eine juristische Bestimmung der Menschenwürde ist nicht zuletzt deshalb schwierig, weil sie sich nicht von der philosophischen Diskussion524 trennen läßt, die vor der Erhebung der Menschenwürde zum positiven Rechtswert525 geführt 518 Koppernock S. 24 ff. 519 Höfling, JuS 1995, S. 857 ff. (857); zu den Schwierigkeiten bezüglich der Auslegung des Begriffs der Menschenwürde s. Leisner, Privatrecht, S. 140 ff.; Geddert-Steinacher, S. 22 ff. 520 Aus diesem Grund ist es schwieriger, den Schutzbereich der Menschenwürde zu bestimmen, als denjenigen des Art. 2 Abs. 1 GG; letzterer ist ähnlich offen formuliert, bezieht sich aber immer auf die nicht von speziellen Freiheitsrechten erfaßten Aspekte der Freiheitsausübung und kann somit als Auffangtatbestand verstanden werden; zuletzt BVerfGE 96,171 (181); zur Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 anderer Grundrechten gegenüber BVerfGE 94, 372 (389); 95,173 (188); zu strukturellen Unterschieden zwischen Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG s. Geddert-Steinacher, S. 24; H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 96. 521 H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (364); ähnlich auch Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 46 ff., insb. Rn. 52, wenn er annimmt, daß die Sicherung der personalen Identität den Kern der Menschenwürde ausmacht. 522 Kriele, Staatslehre, S. 214; Enders, Menschenwürde, S. 501 ff.; Stern, in: HbStR, Bd. V, § 108, Rn. 3 ff.; Stern, in: FS Scupin, S. 627 ff. (629); Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 116; BVerfGE 5, 85 (204) - KPD-Urteil; 30,1 (25) - Abhör-Urteil. 523 Zum Verhältnis zwischen Menschenwürde und menschlicher Personalität s. BVerfGE 30, 173 (194) - Mephisto; ferner Dürig, JR 1952, S. 259 ff.; s. auch die Kritik Künkele, S. 12 f. 524 Für die ideengeschichtliche Entwicklung der Idee der Menschenwürde, die auf die antike Philosophie zurückgeht, s. Geddert-Steinacher, S. 38 ff.; H. Dreier, in: H. Dreier, GGKomm, Art. 1 I, Rn. 4; Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Abs. 1 und 2, Rn. 2 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 2 ff. 525 Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (117); Leisner, Privatrecht, S. 143; Stern, in: FS Scupin, S. 627 ff. (632); zur früheren Diskussion s. Künkele, S. 30 ff.

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wurde. Zweieinhalb Jahrtausende haben den Begriff wesentlich geprägt und bedingen auch sein juristisches Verständnis.526 Auf der anderen Seite zeigt die Auslegung der Menschenwürde auch das zeitliche, zivilisatorische und kulturelle Verständnis einer bestimmten Gesellschaft an, weshalb letzten Endes allgemeine Aussagen mit universalem Wahrheitsanspruch nicht möglich sind. 527

1. Vorgehensweisen für die Bestimmung des Garantiegehalts der Menschenwürde Man unterscheidet im wesentlichen zwischen Auslegungen, die auf eine negative Umschreibung des Garantiegehalts der Menschenwürde abstellen und solchen, die positiv den Inhalt der Menschenwürde präzisieren wollen. Zur ersten Kategorie gehört die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.528 Im Rahmen dieser Betrachtungsweise stellt das Gericht auf die Verletzungssachverhalte ab, um genau zu bestimmen, was als menschenwürdewidrig gilt. 529 Im allgemeinen kann der Vorzug einer negativen Bestimmung des Inhalts des Art. 1 Abs. 1 GG darin gesehen werden, daß dadurch die fundamentale Vorschrift der Verfassung für die Zukunft offen bleibt und an Flexibilität gewinnt. Sie kann auf diese Weise auch solche Sachverhalte normativ erfassen, die neuartige Bedrohungen der Menschenwürde darstellen.530 Als Nachteil bringt diese negative 526 Pieroth/Schlink Rn. 353; Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (473); Höfling, JuS 1995, S. 857 ff. (858); damit soll nicht vernachlässigt werden, daß die juristische Erörterung des Garantiegehalts der Menschenwürde weitgehend von seiner ideengeschichtlichen Entwicklung abzutrennen ist; s. zum Verhältnis zwischen dem Verfassungsbegriff und der philosophischen Diskussion über die Würde des Menschen Geddert-Steinacher, S. 38 ff. 527 Für die Abhängigkeit des Verständnisses der Menschenwürde von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen, s. BVerfGE 45, 187 (229) - lebenslange Freiheitsstrafe; BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 1997- 1 BvR 479/92 und 1 BvR 307/94, MDR 1998, S. 216 ff. (219); Pieroth/Schlink, Rn. 353; kritisch hier Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm, Art. 1, Rn. 4. Auf der anderen Seite sollte die Zeit- und Kulturabhängigkeit des Garantiegehalts der Menschenwürde nicht im Sinne einer absoluten Relativität leerlaufen; in diesem Sinne ist der Meinung von Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 48 f. zuzustimmen, wenn er eine gewisse Kulturabhängigkeit der Identitätsbildung annimmt, die als Bedingung des Inhalts der Menschenwürde verstanden wird (Rn. 47), andererseits aber auch betont, daß gewisse interkulturell gültige Komponenten menschlicher Persönlichkeit vorhanden sind (Rn. 51), die es möglich machen, von der tendenziell universellen Zügen der Menschenwürde zu sprechen (Rn. 53). Das ist umso mehr annehmbar, als in der heutigen Weltgemeinschaft die globalen Kommunikationsmöglichkeiten keine kulturelle Isolierung erlauben. 528 So Pieroth/Schlink, Rn. 358; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 1 I, Rn. 28; zustimmend zu einer fallorientierten Bestimmung des Begriffs auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 22; Stern, Staatsrecht, Bd. III /1, § 58, S. 24; Classen, in: Beckmann/Istel/Leipoldt/Reichert (Hrsg.), S 93 ff. (93 f.). 529 BVerfGE 30, 1 (25) - Abhör-Urteil; BVerfG, Beschl. v. 21. 4. 1993 - 2 BvR 930/92, NJW 1993, S. 3315 f. (3315). 530 H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 37.

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Erörterung der Menschenwürde eine begrenzte Leistungsfähigkeit für die Bewertung umstrittener Probleme mit sich. 531 Das Abstellen auf den Verletzungssachverhalt setzt immer ein „Vorverständnis" des Verletzbaren voraus. 532 Auf der anderen Seite gibt es auch verschiedene Versuche, den Garantiegehalt der Menschenwürde inhaltlich-positiv zu bestimmen.533 Hierzu gehört auch die Aufzählung der Komponenten der Würde. 534 In diesem Sinne werden als Bedingungen der Würde die Existenzsicherung, die Gewährleistung rechtlicher Gleichheit, die Wahrung menschlicher Identität und Integrität, die Begrenzung staatlicher Gewaltanwendung und die Achtung der körperlichen Kontingenz der Menschen genannt.535 Diesem Konzept wird nicht gefolgt, soweit es keine Maßstäbe für die Unterscheidung zwischen Grundrechtseingriff und Verstoß gegen die Menschenwürde geben kann. 536 Die vorgeschlagenen Kategorien können aber als Orientierung für die Überprüfung einer eventuellen Verletzung der Menschenwürde dienen. Damit müssen beide Vorgehensweise nicht notwendig als strikt alternativ verstanden werden. 537

2. Menschenwürde und Embryonenschutz Weiter können die Theorien, die eine Inhaltsbestimmung des Garantiegehalts der Menschenwürde bezwecken, auf Grund ihres Ergebnisses in bezug auf den Embryonenschutz unterschieden werden.

a) Entkoppelung des Embryonenschutzes von der Garantie der Menschenwürde Die „Leistungstheorie" geht von der Annahme einer positiven Bestimmung des Garantiegehalts der Menschenwürde aus, verneint ihr Verständnis als eine Naturausstattung und verknüpft ihre Gewährleistung mit der Leistung der IdentitätsbilH. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 38. 532 Enders, Menschenwürde, S. 386; vgl. Suhr, Entfaltung, S. 76 f. 533 s. eine Darstellung und Kritik in Enders, Menschenwürde, S. 10 ff. 534 Die folgende Aufzählung der „Würdekomponenten" findet zwar ihre Wurzel in der Leistungstheorie von Luhmann (dazu s. unten Teil 1, Kap. C, II, 2, a), besitzt aber auch ihr gegenüber eine gewisse Selbständigkeit (Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 45) und wird deshalb getrennt untersucht. 535 Podlech, in: AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rz. 17 ff.; Gallwas, Grundrechte, Rn. 24; eine ähnliche Komponentenaufzählung auch bei Höfling, in: Sachs, GG-Komm, Art. 1, Rn. 19 ff. 536 s. auch die Kritik von Geddert-Steinacher, S. 117. 537 So auch H Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 44; s. auch Häberle, HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 45, wo die positive Aufzählung der Würdekomponenten als „pragmatische Integration" bewertet wird.

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dung. 538 Die Leistungstheorie basiert auf dem Autonomiegedanken, auf der freiheitlichen Entscheidung des einzelnen, selbst den Inhalt seiner Würde zu bestimmen. 539 Sie hat auf diese Weise den Vorzug, auf individuellen Menschen abzustellen, und ihre Aussagen können sich auf konkrete Situationen beziehen.540 Eine solche Interpretation kann aber in Fällen, wo die Leistung einer Identitätsbildung nicht möglich oder die „mißlungen" ist, nicht oder nur schwierig funktionieren und wurde deshalb besonders kritisch betrachtet.541 Das gilt insbesondere für die menschlichen Embryonen, die keine Identität bilden können. Eine Auslegung, die die Menschenwürde an den Eigenschaften, der Leistung oder dem sozialen Status des Menschen messen, wird auch vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.542 Gerade und nur die Zugehörigkeit zur Gattung „Mensch" sei das erhebliche Kriterium, um den Schutz durch die Garantie der Menschenwürde zuzusprechen.543 Die „Kommunikationstheorie"544 konzentriert sich auf die Funktion der Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG innerhalb der geltenden Rechtsordnung als Staatsfundamentalnorm.545 Sie präzisiert die Menschenwürde als das gemeinschaftliche Versprechen der Rechtsgenossen zueinander, sich gegenseitig als gleichwürdige Mitglieder der Gemeinschaft anzuerkennen und die Eigenart und Individualität jedes einzelnen zu respektieren. 546 Auf diese Weise bringt die Würde des Menschen mehr als die einzelnen Grundrechte zum Ausdruck, weil sie den Menschen als Teil der solidarischen Gemeinschaft schützen will. 5 4 7 Im Vordergrund der Erörterung des normativen Gehalts des Art. 1 Abs. 1 GG steht nicht mehr, worin die Würde des Menschen besteht, sondern wodurch eine Demütigung des Menschen entsteht, durch welche Handlungen andere Menschen entwürdigt werden können.548 Dadurch wird die universelle Idee der Menschen538 Luhmann, Grundrechte, S. 68 ff. 539 Podieck, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rz. 11; in dieser Richtung auch Koppernock, S. 20 ff. 540 Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rz. 11.

541 Pieroth/Schlink, Rn. 356; H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (362); Vitzthum, JZ 1985, S. 201 ff. (207); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 14; Häberle, in: HbStR, Bd. I, § 20, Rn. 44; Kunig, in: v. Münch /Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 13; Starck, Gutachten A, 56. DJT, Bd. I, S. A 7 ff. (15); hierzu vgl. auch GeddertSteinacher, S. 119 f.; vgl. aber Koppernock, S. 21 f. 542 Zuletzt s. BVerfG, Beschl. v. 12. 11. 1997-1 BvR 479/92 und 1 BvR 307/94, MDR 1998, S. 216 ff. (219); zur Würde als allgemeinmenschliches Rechtsgut auch Low, S. 26. 543 BVerfGE 87, 209 (228) - Horrorfilm; Classen, in: Beckmann/Istel/Leipoldt/Reichert (Hrsg.), S. 93 ff. (96 f.). 544 H. Dreier, in: H. Dreier, GG-Komm, Art. 11, Rn. 43. 545 Oder „Staatsfundamentierungsnorm": H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (367 ff.). 546 H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (370). 547 H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (370). 548 Vgl. die Darstellung der Theorie in: U. Neumann, ARSP 1998, S. 153 ff. (165).

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würde von ihrer Gewährleistung durch die Verfassung einer nationalen Gemeinschaft entkoppelt. Letztere soll weniger zum Inhalt haben als die philosophische Idee der Menschenwürde, weil sie sich nur auf die Außenbeziehungen des einzelnen bezieht. Der Embryo kann keine Beziehungen zu den anderen Mitglieder seiner Gesellschaft haben und ist deshalb nicht in der Lage, Mißachtung zu erleben oder Demütigung zu empfinden. Er wird deshalb als solcher nicht als mögliches Subjekt eines sozialen Achtungsanspruchs anerkannt.549 Bei der Diskussion um den Embryonenschutz erwirbt Art. 1 Abs. 1 GG nur in dem Sinne Bedeutung, als zu beantworten ist, welchen Schutz man dem ungeborenen Leben um seiner Selbstachtung willen schuldet.550 Das Abstellen auf die Empfindens- und Erlebnisfähigkeit des Subjekts der Menschenwürde führt zu Ergebnissen, die mit dem traditionell akzeptierten wertbezogenen Gehalt der Menschenwürde nicht zu vereinbaren sind. Nach einer solchen Meinung wäre die Bezugnahme auf die Menschenwürde nicht sinnvoll, um den Fall einer hirntoten Schwangeren, deren vitale Funktionen nur zum Schutz des Lebens des Embryos aufrechterhalten werden, zu beurteilen.551 Dieser Kommunikationstheorie kann also in ihrer Absolutheit nicht gefolgt werden, soweit die Garantie der Menschenwürde von ihren ideengeschichtlichen Wurzeln weitgehend abgetrennt wird. Es ist vielmehr auf eine Interpretation abzustellen, die das Menschenwürdeprinzip im Zusammenhang mit seiner ideen- und entstehungsgeschichtlichen Entwicklung versteht. 552

b) Verknüpfung des Embryonenschutzes mit der Garantie der Menschenwürde aa) Grundsatz Zu einem anderen Ergebnis führen solche Interpretationsansätze, die auf die ideengeschichtliche Entwicklung und die Tradition der christlichen Theologie oder die Tradition der Aufklärung zurückgehen. Es wird hier hauptsächlich auf die Idee der Imago-dei-Lehre 553 und auf die Moralphilosophie Kants Bezug genommen554. 549 Damit verbleibt aber die Möglichkeit, den Embryo als mögliches Objekt einer Rechtspflicht zu schützen; H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (376); s. auch Hamann/H. Lenz, GG-Komm, Art. 1, Erl. Β 2. 550 Η. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 ff. (376). 551 Beispiel und Kritik nach U. Neumann, ARSP1998, S. 153 ff. (166). 552 So auch Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2, Rn. 3; Maihofer, S. 10; Benda, Gefährdungen, S. 15; Riedel, EuGRZ 1986, S. 469 ff. (473 f.). 553 s. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 3; Starck, Gutachten A, 56.DJT, Bd. I, S. A 7 ff. (14); Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (653 f.); zur Lehre der Gottebenbildlichkeit s. die Beiträge von Pöschl und Kondylis, Art. „Würde", in: Brunner/

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1. Teil: Embryonenforschung in der deutschen Rechtsordnung

Eine Relevanz für die juristische Auslegung des Begriffs erwirbt ein solches Verständnis, wenn berücksichtigt wird, daß auch der Parlamentarische Rat bei der Vorbereitung des Art. 1 Abs. 1 GG von diesem theoretischen Hintergrund ausg i n g 5 5 5 , ohne daß dabei die Versteinerung auf einen ideengeschichtlichen Bezugspunkt erwünscht oder gefördert wäre 5 5 6 . Im Rahmen dieser Theorie wird die Menschenwürde als der W e r t 5 5 7 gesehen, der dem Menschen wegen seiner Selbstbestimmungskraft 558 oder von seiner Natur her zukommt 5 5 9 und ihm einen sozialen Achtungs- und Schutzanspruch gewährleistet, nicht einer seine Subjektqualität in Frage stellenden Behandlung ausgesetzt zu werden 5 6 0 . Auch etymologisch betrachtet bringt der Begriff der Menschenwürde einen Wert zum Ausdruck. 561 Innerhalb dieses Verständnisses der Menschenwürde wird die Objektformel eingeordnet 562 , die ihre philosophischen Wurzeln in der Moralphilosophie Kants finConze/Koselleck (Hrsg.), Grundbegriffe, Bd. 7, S. 637 ff. und 645 ff. entsprechend; zum Problem einer Übernahme der christlichen Lehre für die Auslegung der vom neutralen Staat garantierten „Menschenwürde" s. Dusik, S. 50. 554 Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (654 f.); Low, S. 23. 555 Vgl. die Formulierungsentwürfe für Art. 1 GG in der Entstehungsgeschichte des GG, s. v. Doemming/ Füßlein /Matz, JöR N.F. 1 (1951), S. 48 ff. und die Diskussion im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rats vom 18. 1. 1949, 42. Sitzung, in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen, S. 529 ff.; zum Hintergrund der Verfassungsgebung s. auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1; Denninger, JZ 1982, S. 225 (227); Podieck, in: AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rz. 9; Benda, in: HbVerfR, § 6, Rn. 15; Stern, in: FS Scupin, S. 627 ff. (631); Künkele, S. 14. 556 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm, Art. 1, Rn. 19 f.; ebenso Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 58, S. 21; skeptisch dazu U. Neumann, ARSP 1988, Beiheft 33, S. 139 ff. (142 f.); kritisch auch Fechner, JZ 1986, S. 653 ff. (655 f.). 557 Die Qualität der Würde als unvertretbarer Wert muß dabei unterstrichen werden; zum philosophischen Ursprung dieser Idee, Vitzthum, JZ 1985, S. 203 ff. (205 f.); Künkele, S. 14. Mit dem Wertverständnis der Menschenwürde korreliert oft das Verständnis des Grundrechtskatalogs als ein lückenloses Wertsystem, wobei der Grundrechtscharakter des Art. 1 Abs. 1 GG verneint wird; so Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (122); Dürig, in: Maunz/Dürig, GGKomm, Art. 11, Rn. 4; zuletzt auch Enders, Menschenwürde, S. 127 ff. 558 Maihofer, S. 31; Low, S. 23. 559 Deshalb ist ihre Anerkennung durch die Rechtsordnung auch nur von deklaratorischer Bedeutung; so Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (120). Für ein naturrechtlich fundiertes Wertverständnis der Menschenwürde s. Nipperdey, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 1 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Komm, Art. 1 I, Rn. 17 ff.; Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (125 ff.); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm, Art. 1 Abs. 1, Rn. 13. 560 BVerfGE 30,1 (26) - Abhör-Urteil; 87,209 (228) - Horrorfilm. 561 S. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, „Würde"