Formen inzitativer Rede bei Meister Eckhard: Untersuchungen zur literarischen Konzeption der deutschen Predigt [Reprint 2012 ed.] 9783110929737, 9783484360327


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German Pages 306 [308] Year 1992

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VORWORT
1. EINLEITUNG
1.1. Die Lehrform der Predigt
1.2. Sprachuntersuchung als Textbeschreibung
2. TEXTLINGUISTISCHE BESCHREIBUNGSKRITERIEN
2.1. Predigt als Handlungs- und Sinneinheit
2.2. Wiederaufnahmestruktur
2.3. Elemente thematischer Kohärenz
2.4. Text im Kontext: Pragmatische Kohärenz
2.5. Der kritisch-hermeneutische Rahmen der Textanalyse
2.6. Das kommunikative Paradigma als Auswahlkriterium
3. PREDIGT Q 12: POSTULAT DER GELASSENHEIT
3.1. Thematische Kohärenz
3.2. Systematische Basis der Stufung
3.3. Pragmatische Kohärenz
4. PREDIGT Q 30: AUFFORDERUNG ZU EINER PRAXIS AUS DER EINHEIT
4.1. Das Immanenztheorem als thematische Basis
4.2. Thematische Kohärenz
4.3. Pragmatische Kohärenz
5. PREDIGT Q 49: VERHEISSUNG DER EINHEIT ALS AUFHEBUNG DER FREMDHEIT
5.1. Das kommunikative Paradigma als homiletischer Anspruch
5.2. Thematische Kohärenz
5.3. Pragmatische Kohärenz
6. GRUNDZÜGE EINES MODELLS INZITATIVER REDE
6.1. Paradigmatische Substitution und konditionale Relation als dominante Strukturmuster
6.2. Die Relativierung instruktiv-appellativer Rede
6.3. Selbstbewußtsein als Ziel religiöser Deutung
Textanhang
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Formen inzitativer Rede bei Meister Eckhard: Untersuchungen zur literarischen Konzeption der deutschen Predigt [Reprint 2012 ed.]
 9783110929737, 9783484360327

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TEXTE U N D TEXTGESCHICHTE

Herausgegeben von Klaus Grubmüller, Konrad Kunze und Georg Steer

Burkhard Hasebrink

Formen inzitativer Rede bei Meister Eckhart Untersuchungen zur literarischen Konzeption der deutschen Predigt

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992

Bei der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster bedanke ich mich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses.

D6 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hasebrink, Burkhard: Formen inzitativer Rede bei Meister Eckhart: Untersuchungen zur literarischen Konzeption der deutschen Predigt / Burkhard Hasebrink. - Tübingen : Niemeyer, 1992 (Texte und Textgeschichte; 32) NE: GT ISBN 3-484-36032-1

ISSN 0174-4429

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten/Allgäu Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

IX

1. EINLEITUNG

1

1.1. Die Lehrform der Predigt

3

1.2. Sprachuntersuchung als Textbeschreibung

8

2. TEXTLINGUISTISCHE BESCHREIBUNGSKRITERIEN

12

2.1. Predigt als Handlungs- und Sinneinheit

14

2.2. Wiederaufnahmestruktur

16

2.2.1.

Substitution

18

2.2.2.

Parallelismus

20

2.3. Elemente thematischer Kohärenz

22

2.3.1.

Basissatz

24

2.3.2.

Informativität

25

2.3.3.

Formen thematischer Entfaltung

27

2.4. Text im Kontext: Pragmatische Kohärenz

36

2.4.1.

Das Sprechhandlungskonzept

40

2.4.2.

Kontextualität

43

2.4.3.

Korrelation von Themenentfaltung und Textfunktion . . .

46

2.4.4.

Handlungsbereich Öffentlichkeit

48

2.5. Der kritisch-hermeneutische Rahmen der Textanalyse

52

2.6. Das kommunikative Paradigma als Auswahlkriterium

54 V

3. PREDIGT Q 12: POSTULAT DER GELASSENHEIT

63

3.1. Thematische Kohärenz

64

3.1.1. 3.1.1.1. 3.1.1.2. 3.1.1.3. 3.1.1.4.

Stufung der Einheitsaussage Exegese des Schriftwortes qui audit me Gleichsetzung des Hörenden mit Gottes Sohn Explizierung des ethischen Potentials Das ein als Konvergenzpunkt

64 64 68 72 74

3.1.2.

Erläuterung im Bildfeld der Emanation

80

3.1.3. Paränetische Umsetzung 3.1.3.1. Verneinung des Eigenwillens 3.1.3.2. Radikalisierung des Gelassenheitspostulats

85 85 87

3.2. Systematische Basis der Stufung

92

3.2.1.

Das analoge Dependenzmodell

93

3.2.2.

Die Variante des Hörens als analoges Schema

95

3.2.3.

Die Sohnschaft als univokes Korrelationsverhältnis . . . .

97

3.2.4.

Einheit als Ununterschiedenheit

103

3.3. Pragmatische Kohärenz

104

3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3.

Pragmatische Implikationen der konditionalen Relation . Einführende Demonstration Begriffsbestimmung Pragmatisches Funktionsspektrum

106 106 107 111

3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.2.2. 3.3.2.3.

Die Predigt als komplexe Anweisungshandlung Auflistung der konditionalen Relationen Struktur der Anweisungshandlung Modifizierung der Anweisungshandlung

115 115 128 133

. . . .

4. PREDIGT Q 30: AUFFORDERUNG ZU EINER PRAXIS AUS DER EINHEIT 4.1. Das Immanenztheorem als thematische Basis

137

4.2. Thematische Kohärenz

139

4.2.1. Exegese des Schriftwortes praedica verbum 4.2.1.1. Substitution der Benennungen des Hervorbringens 4.2.1.2. Verweis auf die Einheit des Wortes VI

137

. . .

141 141 152

4.2.2. 4.2.2.1. 4.2.2.2. 4.2.2.3.

Exegese des Schriftwortes in omnibus labora Umformulierung der Paternoster-Bitte Begründung des Gelassenheitspostulats Spezifizierung des Handelns aus der Einheit

155 157 158 160

4.2.3. Exegese des Schriftwortes ministerium tuum imple 4.2.3.1. Ableitung eines neuen Selbstbewußtseins 4.2.3.2. Bitte um Vollkommenheit

. . .

170 171 174

4.3. Pragmatische Kohärenz 4.3.1.

175

Imperative als Träger der Appellfunktion

177

4.3.2. Unterstützung der Appellfunktion 4.3.2.1. Argumentativer Status des Imperativs

179 180

4.3.2.2. Komplexes Realisierungsmuster der Akzeptanzsicherung

185

4.3.3.

Didaktische Vermittlung des Immanenztheorems . . . .

189

4.3.4.

Hinordnung der Aufforderungshandlungen auf die Ichkonstitution

192

5. PREDIGT Q 49: VERHEISSUNG DER EINHEIT ALS AUFHEBUNG DER FREMDHEIT

196

5.1. Das kommunikative Paradigma als homiletischer Anspruch

. .

5.2. Thematische Kohärenz 5.2.1. 5.2.1.1. 5.2.1.2. 5.2.1.3.

Predigtprolog Auslegung des Wortereignisses als Sohnesgeburt Bedingungsrahmen der Einheit Situationskommentar

196 203 203 204 207 215

. . . .

5.2.2. Exegese des Schriftwortes Luk. 11,28 5.2.2.1. Sinnerschließung des göttlichen Sprechens als Selbstmitteilung 5.2.2.2. Exemplifizierung 5.2.2.3. Die Provokation der Selbstkonstitution des Menschen in der Einheit 5.2.2.4. Thematische Entfaltung durch Variation

215 215 220 221 223

5.3. Pragmatische Kohärenz

233

5.3.1.

Neubestimmung des Charakters der Handlungsmaxime

.

233

5.3.2.

Textfunktion des Predigtprologs

236

5.3.3.

Textfunktion des Hauptteils

248 VII

5.3.3.1. Abgrenzung vom Predigtprolog 5.3.3.2. Obligationsfunktion 5.3.3.3. Verheißung als Realisationsform der Obligationsfunktion

248 249 250

5.3.4.

256

Predigt und Verheißung

6. GRUNDZÜGE EINES MODELLS INZITATIVER REDE

259

6.1. Paradigmatische Substitution und konditionale Relation als dominante Strukturmuster

260

6.2. Die Relativierung instruktiv-appellativer Rede

265

6.3. Selbstbewußtsein als Ziel religiöser Deutung

268

Textanhang

271

Literaturverzeichnis

283

Sachregister

293

VIII

Vorwort

Die deutschen Predigten Meister Eckharts gelten auch heute noch vielen als Höhepunkt mittelalterlicher Mystik. Ihre Sprache genoß stets Bewunderung; eine das Predigtverfahren erschließende Untersuchung der textuellen Kohärenz einzelner Predigten blieb jedoch Desiderat. Ließen sich aber die Texte auch ohne Rückgriff auf einen vermeintlichen hermeneutischen Sonderstatus mystischer Rede erschließen? Mein Vorhaben, durch die textlinguistische Analyse einen neuen Zugang zur literarischen Konzeption der Predigt Eckharts zu eröffnen, hätte ich ohne die engagierte Unterstützung von Klaus Grubmüller nicht durchführen können. Seinem vertiefenden Fragen verdanke ich entscheidende Perspektiven, seinem zielsicheren Eingreifen den notwendigen Halt. Nach ihm möchte ich Burkhard Mojsisch danken, der am Rande eines Hauptseminars an der Ruhruniversität Bochum bereitwillig auf meine Fragen einging. Spontane Ermunterung erfuhr ich von Paul Michel; auch ihm möchte ich für wichtige Präzisierungen danken. Den Herausgebern der Reihe »Texte und Textgeschichte« gilt mein Dank für die Aufnahme, aber auch für Zuspruch und Denkanstöße. Dem Max-Niemeyer-Verlag danke ich gerne für entgegenkommende Betreuung. Gedeihen konnte meine Arbeit nur im Rahmen wissenschaftlichen Interesses und freundschaftlichen Austausche: Danken möchte ich allen, die angefangen vom beiläufigen Zuhören bis hin zum intensiven Nachfragen mir immer wieder Gelegenheit zur Darstellung gaben und mir oft wichtige Anregungen und Hilfestellungen gaben. Christoph Knüppel, Klaus Sachs-Hombach und Burkhardt Tutsch danke ich darüber hinaus für tatkräftige Hilfe bei der Überarbeitung und Fertigstellung, die mich sehr entlastet hat. Neben meinen Freunden gilt ein inniger Dank meinen Eltern, die mich stets in meinem Vorhaben bestärkt haben. Tief berührt hat mich das Interesse meines Vaters, das er meiner Arbeit noch in seinen letzten Wochen entgegenbrachte. Schließlich möchte ich besonders Manfred Wien danken, der aus nächster Nähe die Entstehung der Arbeit mitgetragen hat. Münster, im Oktober 1990

Burkhard Hasebrink IX

1. Einleitung

Etelich werk würket unser herre got äne underscheit selbe, etelich mit underscheide und mit helfe. Mähte diu gnade, diu in min wort gebunden ist, äne underscheit komen in die sele, als ob ez got selbe spräche oder wörhte, diu sele würde alzehant bekeret und würde heilic und enmöhte sich nicht da vor enthalten. Als ich gotes wort spriche, so bin ich ein mitewürker gotes und ist diu gnäde gemenget mit der creature und enwirt niht genzliche enpfangen in die sele

Sprechen im Bewußtsein von Differenz - diese Formel kann als erstes Merkmal für das Programm gelten, die Literarizität der deutschen Predigten Meister Eckharts ohne Rückgriff auf hermeneutische Sonderregeln zu beschreiben. Solche hermeneutischen Sonderheiten sind oft für das Verständnis der deutschen Predigten in Anschlag gebracht worden, die als Zeugnisse mittelalterlicher Mystik in zweifacher Hinsicht vom Signum der Unmittelbarkeit geprägt seien. Auf der einen Seite ging es dabei um die Verfassung der Texte. Unmittelbarkeit hieß hier mystische Erfahrung, während auf der anderen Seite, der Seite der Rezeption, eine existentielle Offenheit für die Texte dem Gang analytischer Aneignung vorauszugehen hatte. Im Zuge grundsätzlicher Kritik an den intuitionistischen Konzepten der idealistischen Ästhetik ist diese Auffassung in der aktuellen Forschungsdiskussion weitgehend überwunden. Konsequenzen für die literaturwissenschaftliche Arbeit in Form von Textanalysen sind daraus nur in Ansätzen gezogen worden; eine Untersuchung zur literarischen Form der Predigten Eckharts fehlte bislang. Ebenso fehlte das dazu erforderliche methodische Rüstzeug, das über die bisherigen syntaktischen Beschreibungsansätze hinaus die Textualität der Predigten zu erfassen erlaubt hätte. Indem diese Arbeit mit textlinguistischem Instrumentarium eine Analyse ausgewählter Predigten unternimmt, sucht sie den Texten nicht ihre Wertigkeit im Bezugsgeflecht religiöser Selbstvergewisserung, philosophischer Begründung und dominikanischer Predigtseelsorge zu nehmen, sondern diese durch die Beschreibung der jeweiligen Vermittlung im Medium der Predigt zu bestimmen und zu sichern. Diese Vermittlungsleistung erbringt die einzelne Predigt vor ihrem Gattungshorizont je1

Diese Sprecherreflexion trägt Meister Eckhart in der Predigt Fluminis impetus vor. DW 3, S. 398,9-14.

1

weils neu; ihre Beschreibung hat daher diesen Horizont bewußt zu halten: »Jede Interpretation muß von dem literarischen genus des Werkes ausgehen und die Zielsetzung berücksichtigen.« 2 In der Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters gelten die volkssprachigen Predigten Eckharts als Texte von hohem Rang. Dieser Rang wird durch ein Faktorenbündel begründet, das den metaphysischen Gehalt, die textuelle Form, den Bezug zur mystischen Literatur, den Verwendungszusammenhang im Rahmen dominikanischer Predigtpraxis und ihre besondere pragmatische Funktion umfaßt. Entsprechend vielseitig wurden diese Predigten auf wissenschaftlichem Gebiet rezipiert. Philosophen, Theologen und Germanisten versuchen seit der Wiederentdeckung Meister Eckharts zu Anfang des 19. Jahrhunderts, seine deutschen Predigten im Kontext seines Gesamtwerkes, aber auch im Kontext philosophischer Theoriebildung, theologischer Spekulation und literarischer Tradition zu orten3. Die Zuständigkeit verschiedener Fakultäten belegt die Komplexität der Texte und ihres Wirkzusammenhangs, birgt aber zugleich die Gefahr, den Zugang, den die jeweiligen Disziplinen bieten, gegenüber anderen Zugängen zu verabsolutieren. Wenn A L B E R T sich gar veranlaßt sieht, die Eckhartforschung als »bellum omnium contra omnes« 4 zu charakterisieren, ist es an der Zeit, die Beschränkung auf die Perspektive der eigenen Disziplin zu betonen, verabsolutierende und objektivistische Tendenzen zu vermeiden und dadurch den im Grunde selbstverständlichen interdisziplinären Dialog zu fördern. Ziel dieser Arbeit ist es, die thematische und pragmatische Kohärenz ausgewählter deutscher Predigten Eckharts zu rekonstruieren. Für dieses Vorhaben habe ich das Instrumentarium der Textlinguistik, das im zweiten Kapitel vorgestellt wird, in den Dienst genommen, habe aber bewußt eine formale Analyse der Textualität vermieden. Die Verwendung textlinguistischer Beschreibungskriterien für literarische Texte ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie in die Reflexion nicht-formaler, hermeneutischer Verfahren der Interpretation eingebunden wird. Wo diese Einbindung unterbleibt, gelangt die Textanalyse über die Erhebung isolierter Daten nicht hinaus. 2

Winfried TRUSEN, Der Prozeß gegen Meister Eckhart. Vorgeschichte, Verlauf und Folgen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1988, S. 32. 3 Vgl. die Darstellungen von Wolfram Malte FUES, Mystik als Erkenntnis? Kritische Studien zur Meister-Eckhart-Forschung, Bonn 1981. Ingeborg DEGENHARDT, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967. Neuerdings steht auch eine sachlich geordnete Bibliographie zur Verfügung: Nikiaus LARGIER, Bibliographie zu Meister Eckhart, Freiburg/Schw. 1989. 4 Karl ALBERT, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, Saarbrücken/Kastellaun 1976, S. 265.

2

1.1. Die L e h r f o r m der Predigt Die Neubestimmung des Predigtamtes, die Auseinandersetzung um die Laienpredigt und die Entstehung des Predigerordens sind Indizien für die außerordentlich bedeutende Rolle, die die Predigt im Mittelalter spielt. Auch wenn die dominikanische Predigt im allgemeinen wie die Predigt Eckharts im besonderen aufgrund ihrer theoretischen und literarischen Leistung in eigener Weise hervorzuheben sind, bedarf auch ihre Einschätzung der Vergegenwärtigung der allgemeinen Bedingungen der Predigt als kirchliche Lehrform. Sie verband zwei zentrale Funktionen, zum einen die Tradierung kirchlicher Legitimations- und Interpretationsansprüche und zum anderen die Aufrechterhaltung autoritativer Kommunikationsstrukturen, die die Herrschaftsstrukturen der mittelalterlichen Gesellschaft, in denen die Kirche eingebunden war5, abbildeten. Die Predigt war, wie ZERFASS zuspitzend formuliert, »das einzige >Massenmedium< der Gesellschaft« 6 . Ihre bedeutende Position bezog sie zum einen aus ihrer Verbindlichkeit. Der Prediger berief sich in seiner Rede auf die Heilige Schrift und auf den dogmatischen Bestand kirchlichen Glaubens und war darüber hinaus auch als Person durch die kirchliche Ordination in besonderer Weise zur Predigt befugt. Zum anderen konnte die Predigt im Mittelalter aber nur deswegen diesen hohen Stellenwert im Rahmen gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse einnehmen, weil sie als eine der ganz wenigen Formen öffentlicher Rede aufgrund von Merkmalen wie Mündlichkeit, Volkssprachlichkeit und didaktischer Intention in einer durch ein starkes Bildungsgefälle geprägten Gesellschaft einen Verbreitungsgrad. erzielte, der von kaum einem anderen didaktischen oder literarischen Medium erreicht werden konnte. Mit wenigen Worten: Die Verwendungssituation der Predigt war durch eine besondere kirchliche Autorisierung des Predigers, durch eine gezielte didaktische Bearbeitung der Exegese und durch den inferioren Status des Laien als illitteratus gekennzeichnet. Ähnliches ließe sich auch für die Beschreibung der heutigen Situation anführen. Daß aber die Predigt »zur Binnenkommunikation eines gesellschaftlichen Subsystems«7 abgesunken ist, liegt im Funktionswandel 5

Vgl. Kurt FLASCH, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1986. S. 134 f. 6 Rolf ZERFASS, Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. und 13. Jh., Freiburg/Basel/Wien 1974, S. 368. Die Einleitung stützt sich im wesentlichen auf seine Ausführungen. 7

ZERFASS, Streit, S. 368.

3

und veränderten Verbindlichkeitsanspruch religiöser Deutungsmuster begründet. Während diese heute beispielsweise mit wissenschaftlichen Deutungsmustern konkurrieren müssen und selbst nicht »von der kritischen Kraft hypothetischen Denkens« 8 ausgenommen werden, behaupteten sie im Mittelalter eine Machtstellung, die es der Kirche bekanntlich erlaubte, abweichende Denkansätze als Häresie zu verfolgen und die Betroffenen entsprechend belangen zu lassen. Dies hat der Kirche zwar viel Kritik eingetragen, doch überwiegen in der Darstellung mittelalterlichen Inquisitionswesens häufig Züge rein machtpolitischer Bestrebungen kirchlicher Führungskreise, die sich in theologischen Kontroversen nur einen Anlaß gesucht hätten. So aufgeklärt-politisch diese Version im ersten Moment auch klingen mag, verfehlt sie doch das grundlegende Problem von Dogmatismus und Pluralismus und damit den faktischen Wahrheitsanspruch der Religion und den Stellvertretungsanspruch der Kirche, die sich durch jede Form abweichenden Denkens auch in aus heutiger Sicht nicht-religiösen Fragen prinzipiell in Frage gestellt sehen mußte. Das Häresieproblem entstand also nicht als Randerscheinung einer möglicherweise von menschlichem Reichtum und weltlicher Macht geblendeten Kirche, sondern aus ihrem inneren Selbstverständnis und aus ihrer systemlegitimierenden Funktion heraus. Auch Meister Eckhart, dessen deutsche Predigten hier in Auswahl zur Untersuchung anstehen, geriet in die Mühlen der Inquisition. Nachdem gegen ihn anfangs ein Ketzerprozeß angestrengt worden war, schränkte die Kurie das Vorgehen gegen Eckhart auf ein Zensurverfahren ein9. Am 27. März 1329 wurden 17 Aussagen des Theologieprofessors als häretisch und weitere elf als häresieverdächtig erklärt10. In der Verurteilungsbulle In agro dominico findet sich auch eine Beschreibung des >Vergehens< Eckharts, die die vorgetragene Einschätzung bestätigt.

8

Jürgen HABERMAS, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1982, S. 297. 9 Vgl. die eingehenden Untersuchungen TRUSENS, der die Beschränkung des Ausmaßes des Verfahrens auf die Zensierung einzelner Artikel betont, nachdem der ursprüngliche Vorwurf der Häresie nach dem Widerruf fallengelassen worden war: »Rechtlich gesehen ist durch diesen Widerruf seine mögliche Verurteilung als Häretiker unterbunden worden.« TRUSEN, Prozeß, S. 121. 10 Vgl. Kurt RUH, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker, München 1985, S. 13 u. S. 183 ff. Gerade durch seine Charakterisierung Johannes' XXII. als geldgierigen Potentaten entschärft RUH in diesem Zusammenhang sowohl das Häresieproblem im allgemeinen wie die Verurteilung dieser Sätze Eckharts im besonderen. Vgl. TRUSEN, Prozeß, S. 122.

4

Zwei Sachverhalte werden angesprochen: zum einen der Verstoß gegen die »helleuchtende Wahrheit des Glaubens« und zum anderen der Umstand, daß er »hauptsächlich vor dem einfachen Volke in seinen Predigten lehrte« 11 . Die Stoßrichtung der Bulle ist offenkundig. »Der Hauptschlag sollte den Prediger und Seelsorger treffen.« 12 Mit dieser Bewertung wird implizit der Verdacht ausgesprochen, daß die Inkriminierung von 28 für häretisch oder häresieverdächtig befundenen Artikeln auf die Diskreditierung der Predigttätigkeit Eckharts insgesamt abzielte, auch wenn - wie TRUSEN hervorhebt - weder Eckhart als Person noch seine Lehre insgesamt verurteilt wurde 13 . Eckhart hatte der Predigt ein Profil gegeben, das ihre Funktion als institutionell-autoritatives Medium der Glaubensverkündigung modifizierte und ihr eine Verwendung im Bereich individueller religiöser Selbstdeutung ermöglichte. Diese Arbeit macht sich zur Aufgabe, dieses veränderte literarische Profil als Integrationszusammenhang von thematisierter Einheit, metaphysischer Begründung, kommunikativem Anspruch und sprachlicher Umsetzung transparent werden zu lassen. Erst die Beschreibung der Predigt als Integrationszusammenhang dieser Faktoren läßt die veränderte Funktion der Predigt Eckharts und ihr Angebot einer nicht auf kirchlich-sakramentaler Vermittlung, sondern auf der realen Einheit basierenden Heilsgewinnung und Selbstfindung Prägnanz gewinnen. Obwohl sich die Arbeit dabei auf die textuellen Strukturen thematischer wie pragmatischer Kohärenz konzentriert, ist sie bemüht, den angesprochenen historischen Kontext der Kommunikationssituation der Eckhartschen Predigt präsent zu halten. Dabei ist die Zensierung jener 28 Sätze als Versuch zu werten, einen tiefen Konflikt um den Anspruch kirchlicher Heilsvermittlung und theologischer Sinnstiftung mit Mitteln dogmatischer und juristischer Art zu entscheiden, wobei gerade diese Konfliktlösungsstrategie den Hintergrund des Konfliktes beleuchtet. Die beachtlichen Bemühungen Eckharts, seine Lehraussagen zu erklären, demonstrieren, daß er den Konflikt auf einer anderen Ebene zu lösen suchte, obwohl er sich - wie TRUSEN gezeigt hat - auch formaljuristisch auf die jeweiligen Bedingungen des Verfahrens einzustellen wußte 14 . Er mußte sich durch den isolierten Vergleich seiner Aussagen Zitiert nach RUH, Eckhart, S. 184. RUH, Eckhart, S. 185. 13 Vgl. TRUSEN, Prozeß, S. 123 ff. 14 Vgl. auch RUH, Eckhart, S. 178-183; Till BECKMANN, Daten und Anmerkungen zur Biographie Meister Eckharts und zum Verlauf des gegen ihn angestrengten Inquisitionsprozesses. Mit einer Bibliographie von Texten, Übersetzungen und Interpretationen, Frankfurt a. M. 1978. 11

12

5

mit theologischen Glaubenssätzen schon methodisch grundlegend mißverstanden fühlen. Sein Anspruch, die beanstandeten Sätze im zu Unrecht ausgeblendeten Zusammenhang theologisch-philosophischer Theoriebildung als wahr zu erweisen, war so weitreichend, daß er seinen Anklägern Unkenntnis in den für sein Denken zentralen Strukturelementen der Äquivozität, Analogie und Univozität vorwarf15. Der bedrückende Verlauf des gegen Eckhart angestrengten Prozesses läßt also schon vor jeder inhaltlichen Klärung der theologischen Sachfragen die grundlegende Problematik des Versuches erkennen, die an der Tradition geschulte Begründung der Einheitslehre in der Predigtseelsorge der Sache nach aufrechtzuerhalten. Die inhaltliche Ebene, die Einheit von Gott und Mensch, sofern er die Kategorien der geschaffenen Welt hinter sich gelassen hat, die methodische Ebene, diese These mit den Mitteln philosophischer Reflexion zu sichern, und die kommunikative Ebene, diese These im Medium der volkssprachigen Predigt vor allem im Rahmen der Frauenseelsorge zu exponieren und damit erst praktisch werden zu lassen: diese drei Komponenten bilden in ihrer Verbindung erst jenes explosive Gemisch, das durch seinen Kontakt mit den sozialen Bewegungen gezündet werden konnte, auch wenn es selbst als Entschärfung häretischer Strömungen gedacht gewesen sein sollte. Eine Beschreibung der deutschen Predigten Eckharts von Hochheim hat ihren Gegenstand demnach als Funktionszusammenhang dieser drei Ebenen zu begreifen. Blendet sie eine von ihnen aus, reduziert sie die Predigt Eckharts zwangsläufig auf Teilaspekte, und die Wahrnehmung des spezifischen homiletischen Modells Eckharts muß mißlingen. Grenzt man den inhaltlichen Aspekt aus, erscheint die Predigt als leeres Strukturgefüge argumentativ-relativer Rede. Auch wenn die Gefahr einer solchen Einschränkung gering ist, ergibt die Untersuchung des thematischen Aufbaus Anhaltspunkte für eine solche >Leere< der Predigten. Aber auch der durch Strukturelemente wie Metonymie und Synonymie erzeugte Eindruck semantischer >Leere< wird durch die Untersuchung als bedeutungstragendes Konstitutionsprinzip der Predigt erkannt. Realer ist die Ausblendung der methodischen Ebene. Ihr entspricht eine Klassifizierung der Predigt als Spiritualität im Rahmen dominikanischer Verkündigungstätigkeit. Kennzeichnend für einen solchen Ansatz ist, daß man den deutschen Predigten Eckharts zwar in großer Zahl aufweisbare terminologische und systematische Verbindungslinien zum lateinischen Werk zugesteht, die Texte selbst aber in ihrer Tiefenstruktur nicht als konzeptionell-systematisch beschreibt. 15

6

Zum letzten Teil der Soester Handschrift vgl. TRUSEN, Prozeß, S. 96 ff. Zum Problem der Bezeichnung >Rechtfertigungsschrift< vgl. TRUSEN, Prozeß, S. 84 ff.

Auch die Ausgrenzung der kommunikativen Ebene verzerrt das Gesamtbild der Predigt. Die Wahl der Textsorte Predigt ist nicht nur Resultat einer als sekundär anzusehenden Übermittlungsaufgabe, sondern der Intention angemessen, die metaphysische Spekulation für die Selbstdeutung des einzelnen fruchtbar werden zu lassen. Diese Programmatik konnte in der spätmittelalterlichen Situation vorzugsweise im Medium der Predigt realisiert werden, weil sie der Möglichkeit nach durch Kriterien wie Öffentlichkeit, Volkssprachlichkeit, Mündlichkeit, besondere Qualifikation des Predigers und nicht zuletzt durch ihre institutionelle Einbindung in den kulturpolitischen Funktionsrahmen kirchlicher Praxis eine Verbindung zwischen den kulturellen Sphären der litterati und der illitterati darstellte. Diese Bedingungen verdichteten sich konzeptionell im Selbstverständnis des Predigerordens und konnten sich in der Aufgabe der cura monialium16 produktiv entfalten. So sehr sich aber auch die Schematisierung der Gegensätze von Wissenschaft und Lebenspraxis, Latein und Deutsch sowie Klerus und Laien heuristisch für die Statusbestimmung der deutschen Predigt Meister Eckharts als produktiv erweist17, so problematisch ist es andererseits, Eckharts deutsche Predigten als Konzept einer Laientheologie zu deuten. Die Bedingungen der Möglichkeit von Theologie, wie Eckhart sie auch als Philosoph betreibt, bleiben im zeitgenössischen Kontext klerikaler Bildung und Wissenschaft verhaftet. Die theologische Kompetenz, die mit der Figur des Lesemeisters (lector) umschrieben werden kann, fundiert erst die Kompetenz des Predigers und Lebemeisters. Indem Eckhart aber die Bedeutung vermittelnder Heilszugänge des kirchlich-religiösen Lebens durch die Lehre von der Einheit von Gott und Seelengrund problematisiert und zugleich eine neue Grundlage für Ichbildung und Selbstbewußtsein anbietet, löst er als Theologe und als Prediger die Klammer, die die Erlangung von scelicheit als Heilsziel mit der Befolgung und Erfüllung konventionell formulierter Normen verbunden hatte. Daß also die Verbindung zwischen den kulturellen Sphären der litterati und illitterati von Eckhart dazu genutzt wurde, einen Reflexionsstand, der mit klar umrissenen Begründungsfunktionen nur dem Kreis der Gelehrten zugänglich war, auch dem Ungelehrten - wiewohl man diese Kategorie für die Nonnen- und Beginenseelsorge modifizieren muß 16

Über Eckharts Funktion in der cura monialium handelt detailliert Otto LANGER, Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit, München/Zürich 1987, S. 41-46 und S. 9 ff. 17 Vgl. Christa ORTMANN, Eckharts Lehre für die Ungelehrten. Zum Verhältnis von Deutsch und Latein in der deutschen Predigt, S. 3 5 0 , in: Klaus GRUBMÜLLER U. a. (Hrsg.), Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft, Tübingen 1 9 7 9 , S. 3 4 2 - 3 9 1 .

7

zur Qualifizierung seiner Heils- und Identitätssuche anzubieten, mußte das pragmatische Profil der Predigt verändern. Die Rekonstruktion thematischer und pragmatischer Kohärenz ausgewählter Predigten hat sich zum Ziel gesetzt, die Leistung der deutschen Predigten Eckharts im Bezugsrahmen von theoretischem Anspruch und praktischer Absicht schärfer zu konturieren. Sie versucht aufzuzeigen, wie Eckhart in der Predigt als Handlungs- und Sinneinheit die philosophisch durchdachte Lehre von der Einheit, die Erwartung der Rezipierten auf Heilsvermittlung und die textsortenspezifischen Bedingungen zu einer inzitativen Rede mit innovatorischem Impuls verknüpft.

1.2. Sprachuntersuchung als Textbeschreibung Das Vorhaben, anhand der Erarbeitung von Textkohärenz die Leistung der Predigt zu beschreiben, die darin besteht, abstrakte theologische Sachverhalte im Rahmen öffentlich-didaktischer Rede als philosophisch begründetes Fundament einer neuen religiösen Lebensform18 anzubieten, ist noch von einer weiteren Perspektive her gefordert. Nachdem sich die Ansicht, daß Eckharts bedeutendste sprachliche Leistung in der Schöpfung einer deutschen philosophischen und theologischen Begriffssprache bestehe, als unzutreffend erwiesen hatte19, haben auch die beiden Versuche, über eine Untersuchung der Syntax20 »dieser Sprache das Geheimnis ihres Erfolges abzugewinnen« 21 , nicht zu ei18

Als grundlegend gilt die These GRUNDMANNS, daß Eckharts Predigten im Zusammenhang mit den religiösen Bewegungen zu sehen seien: »Denn gerade das theologische System und die spekulativen Lehren der deutschen Mystiker sind eben nicht die Grundlage, der Ausgangspunkt und Quellgrund, sondern die gedankliche Rechtfertigung und der Versuch einer theoretischen Einordnung und theologischen Bewältigung jener religiösen Erfahrungen, die zuerst in der Erlebnismystik der religiösen Frauenbewegung erwachsen sind.« Herbert GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jh. und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (Anhang: Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegungen im Mittelalter), Berlin 1935, 4., unveränd. Nachdr., Darmstadt 1977, S. 430 f. 19 »Eckhart ist keineswegs der titanische Begründer einer deutschen Philosophen- und Gelehrtensprache, als den man ihn gerne hat sehen wollen.« Alois M. HAAS, Geistliches Mittelalter, Freiburg/Schw. 1984, S. 197. Dort auch Verweise zur Revision dieser Ansicht aufgrund der Forschungsarbeiten zur deutschen Scholastik. 20 John MARGETTS, Die Satzstruktur bei Meister Eckhart, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1969. Gabriele von SIEGROTH-NELLESSEN, Versuch einer exakten Stiluntersuchung für Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, München 1979. Vgl. Paul MICHEL, Rezension zu: SIEGROTH-NELLESSEN, Versuch, in: AfdA 95 (1984), S. 75-87. 21 FUES, Mystik, S. 173.

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ner befriedigenden Klärung des Phänomens der volkssprachigen Predigt Eckharts und ihrer schon von Zeitgenossen bekundeten Wirkung 22 geführt 23 . Ihr beider Grundproblem liegt darin, daß das von ihnen herangezogene sprachwissenschaftliche Instrumentarium rein satzbezogen ist, beide aber Ergebnisse über die untersuchten Texte als Ganze anstreben und dabei den methodischen Fehler der Übertragung von Merkmalen der Satzstruktur auf die Ebene des Textes bzw. des Stils machen. In jüngerer Zeit neigt die germanistische Forschung nicht unbeeinflußt von neueren Entwicklungen in der Textwissenschaft zu zwei neuen Forderungen. Die von RUH erhobene Forderung zielt darauf, die Predigt als Ganzes zu untersuchen 24 , während die zweite Forderung die Aufgabe umreißt, neben den thematischen Motiven der Predigten auch ihre thematische Struktur und ihre spezifische kommunikative Funktion gerade im Hinblick auf ihre Wechselbeziehung zu untersuchen 25 . Dem Ansatz von HAAS, von Eckharts eigener Sprachauffassung auszugehen, kann hier aber nicht gefolgt werden. Eckharts Sprachtheorie ist, soweit sie sich überhaupt als solche erheben läßt, Bestandteil des Untersuchungsgegenstandes und kann daher nicht Bedingung des Untersuchungsverfahrens sein. Darüber hinaus bietet Eckharts Sprachauffassung kaum Anhaltspunkte, aus denen man ein operationales Verfahren der Textanalyse entwickeln könnte, da für Eckhart eher wortsemantische Fragen im Vordergrund stehen26. Methodisch vollzieht die germanistische Eckhartforschung mit den genannten Zielvorgaben den Paradigmawechsel von der Satzebene als grundlegender sprachlicher Einheit zur Textebene, wie ihn die Textlinguistik unter Einbeziehung des Handlungscharakters der Sprache in Gang gesetzt hat. Die Forderung, die Appellstruktur der Predigten Eckharts zum Gegenstand des Interesses-zu machen, läßt sich auf dieser Basis methodisch sinnvoll umsetzen, ohne dabei den theologischen Gehalt der Predigten aus den Augen zu verlieren.

22

Vgl. FUES, Mystik, S. 376, Anm. 7. FUES beruft sich auf einen erklärten Gegner Eckharts, den Franziskanergeneral Michael von Cesana, der Eckharts große Wirkung habe eingestehen müssen. Vgl. auch MARGETTS, Satzstruktur, S. 146, der dasselbe Zitat (und zwar ohne Auslassungen, die gerade die öffentliche Wirkung Eckharts betreffen) anführt, es aber anderen Franziskanern zuschreibt. 23 RUH hält die bisherigen linguistischen Untersuchungen für noch »keineswegs ausgereift«. RUH, Eckhart, S. 194. 24 Vgl. RUH, Eckhart, S. 136 f. 25 »Diese Appell-Struktur der Eckhartschen Texte [...], die müßte ausführlich dargestellt werden.« HAAS, Mittelalter, S. 200. 26 Vgl. dazu Lauri SEPPÄNEN, Meister Eckeharts Konzeption der Sprachbedeutung. Sprachliche Weltschöpfung und Tiefenstruktur in der mittelalterlichen Scholastik und Mystik? Tübingen 1985, S. Vm.

9

Die Erarbeitung textlinguistischer Beschreibungskriterien im zweiten Kapitel zielt daher auf die Gewinnung eines Untersuchungsverfahrens, das die Ergebnisse der textlinguistischen Forschung für die Eckhartphilologie nutzbar macht. Ein solches Verfahren ermöglicht, thematische und pragmatische Muster in ihrer Wechselbeziehung wahrzunehmen, um aus ihnen die Umrisse eines Modells inzitativer Rede entwickeln zu können, wie es uns in den deutschen Predigten Eckharts begegnet. Die Erarbeitung textlinguistischer Kriterien, die besonderes Gewicht auf die Beschreibungsmöglichkeit textsortenspezifischer Kohärenzmerkmale legt und dadurch eine Verengung der Textlinguistik auf eine reine Satzverknüpfungslehre vermeidet27, wird durch Überlegungen zum systematischen Ort der Textanalyse im Rahmen einer kritischen Hermeneutik und durch die Begründung der Auswahl der zu untersuchenden Predigten ergänzt. Die Forderung, die M I C H E L in seiner Rezension gegenüber SIEGROTHNELLESSEN erhob, den Zusammenhang »zwischen den topologischen Gestaltungsmustern und jenen einfachen kommunikativen Funktionen, die der logisch-semantisch-sprechaktlichen Funktion hierarchisch nachgeordnet sind«28, zu erforschen, hätte ihr methodisches Programm, das auf die Ebene der syntaktischen Form ausgerichtet war, überfordert. Auf der Grundlage eines textlinguistischen Ansatzes, der den von MICHEL aufgeführten Zusammenhang von thematischen und pragmatisch-kommunikativen Gesichtspunkten methodisch zum Programm erhebt, läßt sich ein Verfahren entwickeln, das das »Sprachwunder« 29 der Predigten Eckharts nicht auf einen seiner Faktoren beschränkt, sondern es in der Textkonstitution der Predigt als Ganzes aufsucht. Diese Arbeit grenzt sich darüber hinaus von solchen Ansätzen ab, die über eine Stiluntersuchung oder eine rhetorische Analyse das Profil der Predigten Eckharts zu charakterisieren versuchen. Die isolierte Beschreibung von Stilmitteln und rhetorischen Figuren, die sie, ohne den Bedingungsrahmen der Textsorte zu reflektieren, als unmittelbaren Ausdruck eines mystischen Gestaltungswillens interpretiert, übersieht die kompositorische Ganzheit der Texte, ihren metaphysisch-theoretischen Hintergrund und ihre pragmatische Situierung in dem Bereich religiöser Lehrformen. Der Erklärungsgrund dieser Elemente, der ihr Vorkommen als konzeptionell notwendig und damit spezifisch ausweisen sollte, kann erst auf dieser methodischen und sachlichen Grundlage an Festigkeit 27

Auf diesen Punkt zielt die Kritik von Kurt NIKOLAUS, Zur Kritik der Textlinguistik, in: Manfred K O H R T / Jürgen LENERZ (Hrsg.), Sprache: Formen und Strukturen. Akten des 15. Linguistischen Kolloquiums in Münster 1980, Bd. 1, Tübingen 1981, S. 281-291.

28

MICHEL, Rezension, S. 87. HAAS, Mittelalter, S. 200.

29

10

gewinnen. Sie werden demzufolge als Bestandteile der Umsetzung eines homiletischen Programms wahrgenommen, das dem Interesse an religiöser Orientierung eine Lehre der Immanenz Gottes im Seelengrund entgegenbringt und dafür die Lehrform der Predigt an die Grenzen der Möglichkeit inzitativer Rede führt.

11

2. Textlinguistische Beschreibungskriterien

Unter dem Anspruch, die deutschen Predigten Meister Eckharts nicht »als eine bloß rhetorische Ausformung der Theorie der lateinischen Schriften« 30 anzusehen, sondern sie angesichts ihrer Verwendungssituation als eigenständige literarische Gattung mit eigenen Intentionen, Motiven und Ausdrucksmöglichkeiten anzuerkennen, erhebt sich die Forderung nach einem adäquaten Beschreibungsinstrumentarium, das die konstitutiven Bedingungen dieser Textsorte erfassen kann. Der Status der deutschen Predigten Eckharts bleibt weiter umstritten, wobei die Klassifizierung als >mystische Predigt< im Zentrum der Auseinandersetzung steht31. Insoweit sich die Debatte um den >Mystiker< Eckhart zur Bekenntnisfrage entwickelt, bleibt sie in der Tat für die Erforschung seiner Texte, ihrer Konstitution und Funktion wenig förderlich, denn nur auf der Grundlage einer /Theorie der Mystik< ließen sich historische und systematische Einordnungsversuche sinnvoll vornehmen. Wenn seitens der Germanistik >Mystik< weiterhin als literarhistorische Kategorie gebraucht wird, zu der auch die deutschen Texte Eckharts in Beziehung zu setzen sind, so steht dahinter das Bemühen, poetische, didaktische und expressiv gefärbte Aufarbeitungen theologischer Einheitslehren in volkssprachiger Literatur als einheitliches Phänomen zu fassen, obwohl sie sich hinsichtlich ihrer theoretisch-systematischen und auch funktionsgebundenen Durchformung zum Teil kategorial unterscheiden 32 . Die vorliegenden textanalytischen Studien sind bemüht, diesen Fragekomplex zu umgehen, um durch die Erarbeitung 30

FLASCH, D e n k e n , S. 421.

31

Beispielhaft für diese Polarisierung: die Identifizierung Eckharts als Mystiker durch RUH, Eckhart, S. 187-195, und die subjektive Bemerkung< FLASCHS, »daß ich heute das Wort >Mystik< nicht nur für entbehrlich, sondern für die Erforschung Eckharts eher schädlich halte.« Kurt FLASCH, Procedere ut imago. Das Hervorgehen des Intellekts aus seinem göttlichen Grund bei Meister Dietrich, Meister Eckhart und Berthold von Moosburg, S. 131, in: Kurt RUH (Hrsg.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, Stuttgart 1986, S. 125-134. 32 Die Frage, »wann genau eine Eckhartdeutung grotesk wird«, beantwortet FLASCH folgendermaßen: »Sie wird es, denke ich, wenn sie glaubt, aus dem Substantiv Mystik Fakten zur Interpretationshilfe heraussaugen zu können.« Kurt FLASCH, Meister Eckhart und die >Deutsche Mystiksituationslosen< Texten bedarf es genauerer Spezifizierungen des Kontextbegriffes. Auf ihn wird unter dem Stichwort der pragmatischen Kohärenz< noch näher einzugehen sein. Ziel ist es aber in dieser Arbeit nicht, die historische Verwendungssituation zu klären, sondern die Indikatoren des Handlungspotentials der Predigten zu bestimmen.

14

angelegt ist, sich erst auf der pragmatischen Ebene der Verwendung bildet41. Für die Untersuchung der Textkonstitution der deutschen Predigt ist daraus die Forderung abzuleiten, als Untersuchungsgegenstand einzelne Predigten auszuwählen und sie als Ganze auf thematische und pragmatische Bezüge hin zu untersuchen. Denn erst auf dem Hintergrund der Predigt als Ganzes läßt sich die Funktionalisierung textueller Elemente bestimmen. Rhetorische Figuren, Wiederaufnahmestrukturen, poetische Elemente, Zitate, Paränese, argumentative Strukturen, thematische Motive, Indikatoren der Handlungsabsicht - alle diese Momente sind in der Predigt zu einer Sinn- und Handlungseinheit verknüpft, aus der heraus der Stellenwert der einzelnen Momente abzuleiten ist. Wenn neben ausgewählten Predigten in ihrer Gesamtheit auch Phänomene thematischer und pragmatischer Relevanz außerhalb ihres textuellen Zusammenhangs angeführt werden, dann geschieht dies, um die Häufigkeit des jeweiligen Musters zu dokumentieren und um die Untersuchung der angesprochenen Predigten auf die konstitutive Rolle dieser Muster hinzuweisen. Denn wenn sich diese Arbeit auch auf einzelne Predigten beschränkt, gilt als Fernziel doch die Erforschung eines repräsentativen Predigtprofils Eckharts, für die entsprechende Vorarbeiten erst zu leisten sind. Von den zahlreichen Arbeiten zu den Schriften Meister Eckharts haben sich nur wenige mit dieser Perspektive beschäftigt, so daß Einzelanalysen bisher weitgehend fehlen42. Dagegen dominieren solche Arbeiten, die von bestimmten Fragestellungen aus auf alle Schriften als Bezugspunkt zurückgreifen. Sie tendieren zu einer Gesamtdarstellung der Eckhartschen Lehre, müssen sich aber immer den Vorwurf gefallen lassen, das für die deutschen Predigten bislang ungelöste Problem der Binnendifferenzierung zu ignorieren und die Funktionalisierung einzelner Textelemente im allgemeinen und der philosophisch-theologischen Theoreme im besonderen im kommunikativen Funktionszusammenhang der Predigt zu übersehen. Unter dem Titel »Alte Texte lesen« bietet neuerdings eine Gruppe von Linguisten und Mediävisten eine auf Anwendbarkeit im literaturwissenschaftlichen Betrieb hin angelegte Einführung in textlinguistisches Arbeiten mit älterer Literatur. Ihr Ziel ist es, einen nachprüfbaren 41

Vgl. Dieter WUNDERLICH, Studien zur Sprechakttheorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1978, S. 86 ff. 42 Zu nennen sind zusätzlich folgende Arbeiten: Reinhard KIRCHNER, Meister Eckharts Predigt >Iusti vivent in aeternumPostulat der Gelassenheit auch den Basissatz >Wenn der Mensch das göttliche Wort hören will, dann muß er vollkommen gelassen sein< zugrunde legt, erhält man die verschiedenen Elemen79

80 81

Wolfgang DRESSLER: Einführung in die Textlinguistik, Tübingen 1972, S.17. In der Einführung von 1981 ist das eher generative Konzept des Basissatzes durch die zweidimensionale Darstellung der Kohärenz als Netz semantischer Relationen ersetzt. Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 51. Vgl. BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 100.

24

te des Themas (göttliches Wort, Hören, Mensch, gelassener Mensch, Vollkommenheit, Gelassenheit) wie auch - repräsentiert durch die konditionale Relation - seine Grundstruktur als praktischen Schluß. Die Beschreibung der thematischen Kohärenz wird dann die Aufgabe haben, der Entfaltung des Themas und seiner Elemente nachzufolgen und Schwerpunktbildungen wie Substitutionsverfahren (beispielsweise die Substitution von >göttliches Wort< durch >Sohngöttliches WortGelassenheit< beiden Predigten gemeinsam ist. Eine solche vergleichende Betrachtung könnte von der Hypothese ausgehen, daß den Predigten Eckharts in ihrer Gesamtheit oder einzelnen abgrenzbaren Gruppen von Predigten ein Basissatz oder Basissätze zugrunde liegen, die bei grundlegender semantischer Äquivalenz dennoch in unterschiedlicher lexematischer Form jeweils repräsentiert werden (bsplw. >Gelassenheit< in anderen Predigten als >Leere< oder >innere ArmutAbwertung< in Form von Begründungen und Erklärungen wieder auf ein ausgeglichenes, mittleres Maß an Informativität zurückgeführt werden müssen. Die Informativität kann aber auch durch beständige Wiederholung bestimmter Propositionen so stark absinken, daß der Sprecher, will er die Aufmerksamkeit des Empfängers nicht verlieren oder nicht durch gezielte Wiederholungen bewußt Irritation oder Spannung erzeugen, durch geeignete Maßnahmen wie Hervorhebung, Präzisierung oder durch die Eingabe neuer Informationen und die Rückbindung an Bekanntes die Ausgewogenheit der Informativität und damit die Kontinuität des Textes wiederherstellen muß. 83

26

LW 1, Prol. gener. n. 2, S. 149,1.

Wir sprechen also künftig von der ersten Stufe der Informativität, ihrer Aufwertung auf die zweite Stufe als ausgewogenes Mittelmaß, der dritten Stufe und ihrer Abwertung84. Als operationales Verfahren läßt sich vor allem der Fragetest verwenden, der nach den thematischen Schwerpunkten von Propositionen (Fokus85) fragt und in einem zweiten Schritt durch einen Vergleich dieser Schwerpunkte und der Beschreibung der Topikbildung 86 ergänzt werden muß. Das Kriterium der Informativität erlaubt es, die Art und Weise der Informationsdarbietung, also die textuell manifestierten Formen thematischer Kohärenz, selbst als bedeutungstragend und funktional aufzufassen, und sie nicht einmal isoliert als stilistische Phänomene zu beschreiben und ein andermal von ihnen abzusehen, um den angeblichen Gehalt als Lehre Eckharts auch aus den deutschen Predigten herausdestillieren zu können. Sehr anschaulich wird dies am Phänomen der Paradoxie, das zwar seit langem von der philologischen Eckhartforschung als stilistisches Merkmal erkannt worden ist, ohne daß es meines Wissens bisher in seiner strukturellen Verflechtung im Kontext einer bestimmten Predigt untersucht worden wäre. Versteht man aber eine Paradoxie als Aussage höchster Informativität und sucht nach den entsprechenden Verfahren der Abwertung, rückt der methodische Zusammenhang der paradoxen Aussage ebenso wie ihr funktionaler Stellenwert für die thematische Kohärenz der Predigt in den Blick87. 2.3.3. Formen thematischer Entfaltung Während unter dem Stichwort der Informativität die Neuheit von Propositionen und Anbindungsrelationen beschrieben wird, zielt die Frage nach der thematischen Entfaltung auf die Zuordnung solcher semantischer Relationen zu globalen Mustern der Bedeutungsbildung. Während eine Mikroanalyse thematischer Zusammenhänge bei den Beziehungen zwischen einzelnen Ausdrücken ansetzt88, geht BRINKER von der Makrostruktur thematischer Kohärenz aus und nennt drei grundlegende Formen thematischer Entfaltung: Explikation, Argumentation 84

Vgl. BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 145 ff.

85

»Bezeichnung für das >Informationszentrum< des Satzes«, Hadumod BUSSMANN, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 1983, S. 144. Zum Fragetest: Werner KALLMEYER u. a., Lektürekolleg zur Textlinguistik. Bd. 1. Einführung, Frankfurt a. M. 1974, S. 86. 86 »Unter semantischem Aspekt bezieht sich Topic auf das in einer Äußerung als bekannt Vorausgesetzte«, BUSSMANN, Lexikon, S. 547. 87 Über die Rolle der Synchronizität und Perspektivität als inhaltliche Konstituenten der Paradoxie wird bei gegebenem Anlaß zu sprechen sein. 88 Vgl. das detaillierte Konzept bei BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 100 ff.

27

und Deskription89. Der mikrostrukturelle Ansatz BEAUGRANDE/DRESSLERS bietet zwar den Vorteil, daß er in präziser Ausführlichkeit die semantischen Relationen zwischen den einzelnen Ausdrücken auch innerhalb der Satzgrenze erfassen kann, hat aber den Nachteil, daß er zur Beschreibung globaler Muster der Themenentfaltung, wie sie sich in den genannten Grundformen niederschlagen, nicht verwendbar ist. Einen Ansatz zur Klassifizierung der gesammelten Detailinformationen als Zuordnung semantischer Relationen zu den genannten Grundformen bietet dieses Konzept nicht. Eine makrostrukturell ausgerichtete Klassifizierung erlaubt es, die Textbildung in Abhängigkeit von der Verwendungsabsicht zu beschreiben, die wiederum mit entsprechenden globalen Mustern der Themenentfaltung assoziiert ist. Auch der technische Aspekt spricht gegen eine umfassende Analyse thematischer Mikrostrukturen 90 . Bei umfangreichen Texten wird der Erkenntnisgewinn, den die Analyse veschafft, durch die Unüberschaubarkeit der bei BEAUGRANDE/DRESSLER graphisch umgesetzten semantischen Relationen wieder aufgehoben 91 . Angesichts des Interesses, die Integration theologisch-philosophischer Theorieteile in den Funktionszusammenhang öffentlich-didaktischer Rede zu beschreiben, kommt dem am Konzept der Makrostruktur orientierten Ansatz, Formen der Themenentfaltung zu untersuchen, eine bedeutende Rolle zu. Die Analyse der thematischen Entfaltung erfolgt in zwei Schritten92. Im ersten Schritt wird der >inhaltliche Beitrags den einzelne Propositionen oder propositionale Komplexe zur thematischen Kohärenz beisteuern, in Form einer substantivischen Wortgruppe oder eines Aussagesatzes erfaßt. Dieses Verfahren war unter dem Stichwort >Basissatz< bereits Gegenstand der Darstellung. Der zweite Schritt besteht darin, die semantischen Relationen zu bestimmen und - das ist der wichtige Unterschied zur mikrostrukturellen Analyse - zu kategorisieren. Auf diesem Verfahren basieren die Untersuchungen der thematischen Kohärenz der ausgewählten Predigten, auch wenn es sich im Interesse der eigenen Übersichtlichkeit oft schwerpunktmäßig auf darstellungswürdige Muster der Konnexion konzentriert. Dabei wird als selbstverständlich 89

Auf die vierte Form, die narrative Form der Themenentfaltung, geht BRINKER, wie bereits erwähnt, in dieser Einführung nicht ein. Wenn auch die Unterschiede zwischen den Kriterien der Informativität und der thematischen Entfaltung analytisch sinnvoll begründet und mit ihnen unterschiedliche Phänomene beschrieben werden können, wirken beide bei der Erzeugung einer Sinnkontinuität zusammen. 90 Das schließt keineswegs die punktuelle Beschreibung auch kleinster Bedeutungseinheiten aus; bloß wird sie nicht zum Prinzip der Untersuchung erhoben. 91

Vgl. BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 112 f.

92

Vgl. zum Folgenden: BRINKER, Textanalyse, S. 56 ff.

28

vorausgesetzt, daß die Analyse und Zuordnung selbst weder formalisierenden Verfahren genügen kann noch will; auch bei dem Bemühen um methodische Transparenz und begriffliche Präzision ist sich die Untersuchung ihres hermeneutischen Rahmens und ihres kritischen Interesses bewußt. Ein Anspruch auf empirisch gebundene Exaktheit besteht also nicht93. Die drei von BRINKER dargestellten Grundformen thematischer Entfaltung lassen sich mit wenigen Worten skizzieren. Diese Skizzierung verzichtet dabei auf Vollständigkeit und konzentriert sich auf die Merkmale, die für die Textsorte Predigt relevant sind. Die erste Grundform, die deskriptive Themenentfaltung, ist für informative Texte, zu denen auch die wissenschaftliche Abhandlung gezählt wird, charakteristisch94. »Bei der deskriptiven Themenentfaltung wird ein Thema in seinen Komponenten (Teilthemen) dargestellt und in Raum und Zeit eingeordnet. Die wichtigsten thematischen Kategorien sind also Spezifizierung (Aufgliederung) und Situierung (Einordnung).« 95

Eine Beschreibung versucht demnach, einzelne Beobachtungen in einen generalisierbaren Zusammenhang einzuordnen 96 . Insofern ist sie innerhalb einer Predigt dafür geeignet, die Darstellung der theologischen Lehre ausgehend von der Exegese des Schriftwortes thematisch zu strukturieren. Sie findet sich daher gehäuft in den ersten Abschnitten der Texte. Textuelle Indikatoren dieser Form sind - bezogen auf die zu untersuchenden Texte - das Tempus (vorzugsweise Präsens), häufige Verwendung finiter Formen von >seinErklären< betont, bezieht sich dieses H-O-Schema vornehmlich auf die Erklärung physikalischer Tatsachen". Implizit findet sich diese Einschränkung auch bei BRINKER, so daß für ihn empirisch nachprüfbare Kausalitätsbeziehungen, wie man seinen Beispielen und den ansonsten eher spärlichen Ausführungen zu diesem Punkt entnehmen kann, zum Kriterium explikativer Themenentfaltung avancieren. Einen weniger objektivistischen als konventionalistischen Tatsachenbegriff verwendet SÖKELAND bei dem Versuch, Erklärung und Argumentation voneinander abzugrenzen. Für ihn besteht ein wichtiger Unterschied zwischen diesen Formen der Themenentfaltung darin, daß das Explanandum durch eine Tatsachenaussage, d. h. in einer Feststellung realisiert ist, während die Konklusion einer Argumentation eine »strittige Aussage über einen Sachverhalt« 100 darstellt, also eine Behauptung ist. Unterscheidendes Kriterium ist nicht die objektive Tatsächlichkeit, sondern die allgemeine Anerkennung eines Sachverhalts als Tatsache, die im Fall der Erklärung nicht >strittig< sein darf. Mit dieser Neuakzentuierung begegnet uns ein Ansatz, wie wir ihn auch im Zusammenhang mit den Konzepten Argumentation und Instruktion beobachten können. Die Frage nach der objektiven Wahrheit eines Sachverhalts wird in bezug auf sprachliche Verständigung konventionalistisch durch die Frage ihrer Anerkennung und allgemeinen Geltung ersetzt101. Auf dieser Basis, daß die allgemeine Geltung und Anerkennung eines Sachverhalts bzw. die Annahme dieser allgemeinen Anerkennung Tatsächlichkeit stiftet, läßt sich das angeführte Erklärungsmodell bei der Analyse der Predigttexte verwenden. Dieser Vorbehalt ist darüber hinaus grundsätzlich für die Beschreibung der thematischen Kohärenz nützlich, 98

BRINKER, Textanalyse, S. 64.

"Vgl. Klaus BAYER, Einige Aspekte des Sprechhandlungstyps >Erklären Deshalb, Ο, K,

Wenn nicht AB

Aufgrund von S

An dieser Stelle sei auch das Beispiel TOULMINS aufgeführt: »Um ein spezielles Beispiel zu nehmen: Zur Stützung der Behauptung (K), daß Harry britischer Staatsangehöriger ist, berufen wir uns auf das Datum, daß er auf den Bermudas geboren wurde. Die Schlußregel kann also in der Form geschrieben werden: >Von jemandem, der auf den Bermudas geboren wurde, kann man annehmen, daß er britischer Staatsbürger ist.< Da jedoch Fragen der Nationalität immer Einschränkungen und Ausnahmebedingungen unterliegen, müssen wir ein einschränkendes >vermutlich< (O) vor die Schlußfolgerung einfügen und die Möglichkeit anmerken, daß unsere Schlußfolgerung für den Fall (AB), daß sich herausstellt, daß beide seiner Eltern Ausländer waren oder daß er später in Amerika eingebürgert wurde, zurückgewiesen wird110. Schließlich kann die Stützung für die Schlußregel angegeben werden, falls diese selbst angegriffen wird. Die Stützung wird die Laufzeit und das Datum des Inkrafttretens des Parlamentsgesetzes oder anderer gesetzlicher Vorschriften berichtigen [record, also eher verzeichnen oder berichten, B. H.], die bestimmen, welche Nationalität in den britischen Kolonien Geborene haben.«111 Bei der Übertragung dieses Modells auf theologisch-homiletische Argumentation ändert sich der Bereich, aus dem Kriterien und Standards 109

Vgl. TOULMIN, Gebrauch, S. 95.

110

Zum Status der Ausnahme als Argumentationskonstituente vgl. MICHEL, Alieniloquium, S. 122 f. Sein Einwand, Ausnahmen anzusetzen entspräche keinem logischen ErfordernisEinbettung< und >Wertbasis< zu ergänzen, um damit die relative Geltung von Schlußregeln und Stützungen in unterschiedlichen normativen, theoretischen und historischen Kontexten zu berücksichtigen, lagert offensichtlich die Unterscheidung TOULMINS zwischen Varianten und invarianten bzw. bereichsabhängigen und bereichsunabhängigen Faktoren der Argumentation durch die zusätzlichen Kategorien aus dem Modell aus und problematisiert dadurch den Anspruch dieses Modells, für alle Bereiche zu gelten. Denn TOULMIN hatte gerade mit der Kategorie des Bereichs eine Bestimmung in sein Modell eingebracht, die die Konzeption einer invarianten Rolle der Argumentation auch für wechselnde Verwendungszusammenhänge, in denen die jeweiligen Schlußfolgerungen und Stützungen gültig sind bzw. akzeptiert wer35

den, ermöglicht. Wenn BRINKER diese Gültigkeit durch die Kriterien der Einbettung und Wertbasis zu sichern sucht, verlagert er die Notwendigkeit, die Schlußregel und die Stützung selbst in den Rang einer These zu erheben und auch sie durch eine neue Argumentation zu begründen: »Um eine strittige Behauptung stützen zu können, muß das hierzu verwendete Argument selbst als hinreichend begründet gelten. Das erfordert bisweilen, daß innerhalb eines Argumentationsganges aus einer zu begründenden Aussage durch Subargumente eine hinreichend begründete gemacht wird, die dann ihrerseits als Argument die strittige These stützen kann.«117

Je mehr daher nicht-deterministische Begründungszusammenhänge dargestellt und entsprechend argumentative statt explikative Formen der Themenentfaltung vorgezogen werden, desto größer ist der Begründungsbedarf auch der Begründungen selber. Eckharts methodisches Programm, per rationes naturales118 zu verfahren, mußte besonders im Rahmen appellativ-didaktischer Rede homiletische Konzeptionen ersetzen, die durch moralische und allegorische Ausdeutung der Schrift Verhaltensanweisungen ohne rationalen Begründungsanspruch vorgegeben hatten.

2.4. Text im Kontext: Pragmatische Kohärenz Kaum eine literarische Gattung legt in so programmatischer Weise die textkonstitutive Funktion der Verwendungsabsicht offen wie die Predigt. Die in den artes praedicandi des Mittelalters niedergelegten homiletischen Konzeptionen verfolgten ausdrücklich das Interesse, angemessene Formen der textuellen Realisierung institutionell vorgegebener Funktionen und Verwendungsabsichten anzugeben119, und belegen dadurch eindeutig die reflektierte Handhabung des Mediums der Predigt im kulturellen Kontext kirchlicher Verkündigung und im normativen Rahmen religiös motivierter Handlungsorientierung. In seiner Forma praedicandi faßt Robertus de Basevorn die Verwendungsabsicht der Predigt in eine knappe These: Est autem praedicatio pluribus facta persuasio ad merendum120. Textsortenspezifisches Merkmal der Predigt ist, will 117

SÖKELAND, Erklärungen, S. 263. Vgl. hierzu BRINKER, Textanalyse, S. 74 ff. und zur Differenzierung von Bereich und Rolle im Argumentationsmodell TOULMIN, Gebrauch, S. 17 ff. und S. 33 ff. 118 LW 3, In loh. n. 2, S. 4,6. 1,9 Vgl. HANSEN, Aufbau, S. 24-29. 120 Zit. nach Th.-M. CHARLAND, Artes Praedicandi. Contribution a l'histoire de la rhetorique au moyen äge, Paris/ Ottawa 1936, S. 238.

36

man sich an dieser These beispielhaft orientieren, nicht ihr thematischer Gehalt, sondern ihr Handlungsprofil, das unter dem Stichwort der pragmatischen Kohärenz beschrieben werden soll. Auch wenn das eher theoretisch ausgerichtete und durch den Vernunftanspruch der Philosophie methodisch fundierte Interesse des lateinischen Werkes in den deutschen Predigten nicht suspendiert ist, wird es doch durch das eher emanzipatorische Interesse, den Empfänger von dem Einfluß vermeintlich heilsgarantierender Formen religiöser Praxis zu entlasten und ihn in einen unmittelbaren Bezug der wise äne wise zu Gott zu stellen, ergänzt, so daß Eckhart »seine Predigt in jedem Fall als direkte religiös-theologisch geprägte Rede mit inzitativ-paränetischen Absichten konzipiert.« Der Predigt, so HAAS weiter, komme daher schon aus dem »Zwang der literarischen Gattung« heraus eine unverwechselbare Funktion zu. Eckhart gelange in seiner Predigt »zu einer direkten Theologie im Wortsinn, die sich werbend, auffordernd und autoritativ auf das Geheimnis einer möglichen Einheit des Menschen mit Gott einläßt.«121 Zwei Momente sind in unserem Zusammenhang zu erörtern: die inzitativ-paränetischen Absichten und die werbende und auffordernde Funktion, die beide im theoretischen Rahmen der kommunikativen Funktion der Predigt angesiedelt werden müssen. In dem von BREUER in seiner Einführung in die pragmatische Texttheorie referierten Modell von Ch. W . M O R R I S stellt die überwiegend inzitive ( = inzitative) Verwendung von sprachlichen Zeichen das funktionale Merkmal religiöser Abhandlungen dar, wobei >inzitiv< von 122 BREUER als >bewegend< und >handlungsantreibend< übersetzt wird . Auch G R A B N E R - H A I D E R spricht - ohne sich dabei auf M O R R I S ZU beziehen - von einer inzitativen oder präskriptiven Verwendung religiöser Sprache. Diese Funktion siedelt er im nicht-aussageartigen Bereich religiöser Sprache an, von der er den aussageartigen Bereich, der deskriptive Aussagen über das Glaubenssystem macht, abgrenzt: »Insofern sie [religiöse Sprache, Β. H.] zu e i n e m b e s t i m m t e n H a n d e l n anleitet, ist sie auch inzitativ oder präskriptiv.« 1 2 3

121

HAAS, Mittelalter, S. 201. Und TRUSEN, Prozeß, S. 53: »Die deutschen Werke und besonders die Predigten mußten eine andere Zielrichtung haben. Hier wollte er ansprechen, aufrütteln, ermahnen.« 122 Vgl. Dieter BREUER, Einführung in die pragmatische Texttheorie, München 1974, S. 3 8 - 4 3 . 123

Anton GRABNER-HAIDER, Theorie der Theologie als Wissenschaft, München 1974, S. 1 4 0 . Auf diese Arbeit beruft sich HAAS und gibt sie als Quelle seines Begriffs >inzitativ< an. 37

Wie Auffordern bewegt sich inzitative Rede im Feld des Appells, nimmt aber zugleich den direktiven Charakter des Aufforderns zurück. Indem ich die Predigten Eckharts als inzitative Rede bezeichne, möchte ich diese Ambivalenz zum Ausdruck bringen: die Veränderung appellativer Rede durch die Verminderung ihrer direktiven Möglichkeiten, so daß der Appell mit der unterstellbaren Heilserwartung des Empfängers harmonisiert. Der Begriff der Appellfunktion, wie er für die Beschreibung der pragmatischen Kohärenz der Predigten zentral ist, enthält eine Zweideutigkeit. Einerseits bezeichnet er die für jeden Text als kommunikatives Ereignis konstitutive »Relation zwischen Sprachzeichen und Empfängen«124, wie sie sich in der pragmatischen Kohärenz als dem Zusammenhang verschiedener textuell manifestierter sprachlicher Handlungen125 aufweisen läßt. Diese Bedeutung der Appellfunktion geht bekanntlich auf das BüHLERsche Organonmodell zurück, das grundlegend zwischen den Ebenen des Ausdrucks, der Darstellung und des Appells unterschied. Wo BÜHLER von >Appell< spricht, verwenden wir den Begriff der Textfunktion als »Sinn, den ein Text in einem Kommunikationsprozeß erhält«126. Der Terminus >Appell< wird dadurch andererseits zur Bezeichnung einer Unterklasse der Textfunktionen verfügbar, die sich als Aufforderung bestimmen läßt127. Der allgemeine Verwendungsaspekt eines Textes wird demnach unter dem Stichwort der kommunikativen Funktion angesprochen. Da in einem Text in der Regel mehrere Funktionen manifestiert sind, ist es für die pragmatisch fundierte Textsortenabgrenzung erforderlich, die jeweils für einen Text oder Textabschnitt dominante kommunikative Funktion zu erfassen. Diese dominante kommunikative Funktion eines Textes oder eines abgrenzbaren Textabschnittes nennen wir Textfunktion 128 . Für die Beschreibung der Predigttexte gewinnen wir damit ein Kriterium, das es erlaubt, signifikante Kombinationen von kommunikativen Funktionen bzw. Sequenzen aus Sprechakten mit unterschiedlichen illokutionären Rollen unter eine einheitlich pragmatische Hinsicht zu fas124

BUSSMANN, Lexikon, S. 38.

125

Mit dem Begriff sprachliches Handeln< soll eine zu große Nähe zur Sprechakttheorie vermieden werden. Sie repräsentiert ein Konzept sprachlichen Handelns, das vor allem wegen einer zu statischen Auffassung der Regelhaftigkeit sprachlichen Handelns kritisiert wird. Vgl. hierzu BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 123 ff.

126

BRINKER, Textanalyse, S. 77.

127

HAAS

128

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 77 f.

38

meint diese Bedeutung, wenn er fordert, die Appellstruktur der Predigten Eckharts zu untersuchen. Vgl. HAAS, Mittelalter, S. 200.

sen. Vor allem ist es aufgrund der Unterscheidung von kommunikativer Funktion und Textfunktion möglich, die Verwendung einer bestimmten illokutionären Rolle bzw. kommunikativen Funktion in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen zu beschreiben. Denn in der Predigt als komplexem Handlungssystem können bestimmte Handlungseinheiten (illokutionäre Rollen) in Hinblick auf die übergeordnete Textfunktion durch die Kombination mit anderen Handlungseinheiten unterschiedlich funktionalisiert werden. Die Sequenz bestimmter Sprechakte braucht daher nicht additiv beschrieben, sondern kann integrativ als Umsetzung einer homiletischen Konzeption rekonstruiert werden. In Anlehnung an die Sprechakttheorie lassen sich folgende Funktionen unterscheiden: -

Informationsfunktion Appellfunktion Obligationsfunktion Kontaktfunktion Deklarationsfunktion

Auch hier ist die poetische Funktion von Texten ausgeklammert. Die Klassifizierung der auf Äußerungen bezogenen Sprechakttheorie ist mit dieser Einteilung in textuelle Grundfunktionen allerdings nicht kongruent; sie basiert auf dem einheitlichen Kriterium des kommunikativen Kontakts zwischen Sender und Empfänger, während der Klassifikationsansatz SEARLES auch nach verschiedenen Referenzarten differenziert129. Dieser kurze Überblick zum Thema Textfunktion und pragmatische Kohärenz soll in drei Richtungen vertieft werden. In einem ersten Abschnitt sollen die konzeptionellen Grundlagen der Sprechakttheorie und ihre Anwendung auf den Text als Handlungseinheit, aber auch kritische Einwendungen gegen diesen Ansatz vorgestellt werden. In Anbetracht des Umfangs dieses Themas beschränkt sich unsere Erörterung auf die zentralen Aspekte der Sprechakttheorie und vor allem auf die Frage nach ihrer Operationalisierung für die Beschreibung der vorliegenden Texte. Ergebnisse dieser Erörterung können nur vorläufige Geltung beanspruchen; das Verhältnis von Textlinguistik und Sprechakttheorie ist an dem Punkt der Übertragbarkeit der sprechaktbezogenen Klassifizierungen auf die Ebene des Textes in der aktuellen Diskussion noch nicht übereinstimmend geklärt.

129

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 97 f.

39

Textlinguistische Analysen von Einzeltexten neigen dazu, sich rein auf textintern repräsentierte textuelle Relationen zu beschränken und kontextuelle Faktoren zu vernachlässigen, wenn nicht gar ganz auszublenden. Eine solche Analyse gerät nur allzuleicht in die Nähe rein werkimmanenter Interpretation, die die Historizität und gesellschaftliche Bedingtheit der Sinnkonstitution unterschlägt. Durch eine Kontexttheorie hat M E Y E R versucht, dieses Defizit zu beheben und auch textexterne Faktoren in ihrer Relevanz für die kommunikative Funktion von Texten zu bestimmen. Dieses Kontextmodell wird in einem zweiten Abschnitt vorgestellt. Während im dritten Abschnitt die Wechselbeziehung von Themenentfaltung und Textfunktion in ihrer Bedeutung für das textsortenspezifische Handlungsprofil der Predigt thematisiert wird, stellt der vierte Abschnitt den Handlungsbereich der Öffentlichkeit als Spezifizierung des institutionellen Kontextes der Predigt vor. 2.4.1. Das Sprechhandlungskonzept »Als theoretisch-begriffliche Grundlage für eine adäquate Explikation des Begriffs der Textfunktion« eignet sich die Sprechakttheorie, so daß sich aus ihr eine »handlungstheoretisch fundierte Definition der Textfunktion« 130 gewinnen läßt. An dieser Stelle muß es genügen, zentrale Problemfelder und Begriffe der Sprechakttheorie herauszustellen. Der Ausgangspunkt des Sprechhandlungskonzeptes der Sprechakttheorie131 ist die Auffassung sprachlicher Äußerungen als »eine innerhalb unserer Gesellschaft besonders wichtige Form kommunikativen Handelns«132. Diese Auffassung - auch sie wirkt wie die Rede vom Text als originärem sprachlichen Zeichen in ihrer Selbstverständlichkeit fast banal - gilt neben dem Wechsel von der Spracheinheit Satz zur Spracheinheit Text als zweites Kennzeichen einer pragmatisch orientierten Textlinguistik. Vollzieht man diesen zweifachen Wechsel in der Durchführung einer Sprachuntersuchung als Textbeschreibung, wird man erst der Predigt als Integrationszusammenhang von theologischphilosophischer Lehre und appellativ-inzitativer Rede gerecht. 130

BRINKER., Textanalyse, S. 78.

131

Zwischen Sprechakttheorie und Sprechhandlungskonzepten zu unterscheiden ist deshalb notwendig, weil es neben ihr auch andere Theorien gibt, die den Handlungscharakter der Sprache thematisieren. BEAUGRANDE/DRESSLER kritisieren ausgehend von den Konversationsmaximen GRICES vor allem den Begriff der Regel, der der tatsächlichen Kommunikation unangemessen sei. Dieses Problem ist aber, da es sich auf die generative Ebene eines Textes bezieht, im Rahmen unseres analytischen Zugangs tolerabel. Vgl. BEAUGRANDE/DRESSLER, Einführung, S. 123 ff. MICHEL, Alieniloquium, S. 84.

132

BRINKER, Textanalyse, S. 79.

40

Die Sprechakttheorie differenziert eine sprachliche Handlung - neben dem eigentlichen Akt der Äußerung - nach zwei Komponenten: dem illokutionären und dem propositionalen Aspekt133. Der illokutionäre Aspekt bezeichnet den Sprechhandlungstyp, gibt also an, welche Handlung ein Sprecher vollzieht, wenn er eine bestimmte Äußerung macht (ζ. B. Versprechen, Raten, Empfehlen). Der propositionale Teil enthält den Inhalt einer Handlung, gibt also an, was ein Sprecher äußert, wenn er eine bestimmte Handlung ausführt. Als Komponenten des Sprechaktes werden diese Teile als illokutionärer und propositionaler Akt bezeichnet. Daneben sind noch der Äußerungsakt als solcher zu ergänzen, der die Ausdrucksweise betrifft, und der perlokutionäre Akt, der die mögliche Wirkung auf den Rezipienten angibt (ζ. B. jemanden erheitern, jemanden überzeugen). Die Verben, die den in einer Äußerung vollzogenen illokutionären Akt indizieren, nennt man performative Verben. In unserem Zusammenhang ist vor allem die Unterscheidung zwischen illokutionärem und propositionalem Akt bzw. zwischen illokutionärer Rolle und propositionalem Gehalt von Bedeutung. Sie wird auf der Ebene des Textes in den Kategorien der thematischen und der pragmatischen Kohärenz zum methodischen Fundament der Textbeschreibung. Sie erlaubt es, den im Text in der Regel integrativ repräsentierten Zusammenhang der philosophisch erarbeiteten theologischen Theorie und deren Funktionalisierung für die Identifizierung des Empfängers als Instanz des Heilsereignisses der Einheit analytisch zu trennen und dadurch die spezifische Leistung der Textsorte zu bestimmen, ohne allein auf den theologischen Gehalt zurückgreifen zu müssen. Diese auf die Äußerung bezogenen Kriterien der Sprechakttheorie versucht BRINKER durch den Begriff der Textfunktion, wie er in der Übersicht bereits skizzenartig vorgestellt wurde, von der Ebene des Satzes auf die komplexer strukturierte Ebene des Textes zu transponieren. Nach einer Differenzierung zwischen der Textfunktion und der Absicht des Textproduzenten, die für den Literaturwissenschaftler vom Umgang mit narrativen Texten bereits vertraut ist, die aber auch nachdrücklich für nichtfiktionale Texte in Anspruch genommen wird, läßt sich der Begriff der Textfunktion dahingehend präzisieren, daß man ihn auf die im Text encodierte Intention bezieht134. Die Intention des Autors wird also im Text vermittels sprachlicher Ausdrucksformen realisiert, die konventionell geprägt sind oder auf konventionelle Prägung Bezug 133 134

Zu den folgenden Ausführungen vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 82 f. Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 86, Anm. 25. Hier bezieht er sich auf den Begriff der Textfunktion bei GROSSE.

41

nehmen. Ob ein Textproduzent seine Intention möglichst unverfälscht in einen Text einbringen kann, ist eine Frage seiner sprachlichen und kommunikativen Kompetenz, läßt sich aber durch eine Textanalyse selbst nicht bestimmen. Ebenso wie von der Absicht des Textproduzenten ist der Begriff der Textfunktion auch von der Textwirkung abzuheben, die weder konventionalisiert ist noch auf die in der Textfunktion angelegten Möglichkeiten reduziert werden kann. Die Textwirkung aber nur als rezeptionspsychologisches Phänomen zu begreifen, vernachlässigte den außersprachlichen Kontext, in den jede Kommunikation eingebunden ist, und den MEYER in einem dreistufigen Modell differenziert hat. Mit dieser Präzisierung des Begriffs der Textfunktion leistet BRINKER aber die Begründung der Übertragbarkeit des sprechakttheoretischen Konzepts der illokutionären Rolle auf die Ebene des Textes nicht. Er vollzieht sie, indem er eine Entsprechung zwischen der Textfunktion GROSSES und der illokutionären Rolle konstatiert, da beide Intentionalität und Konventionalität auf ähnliche Weise miteinander verknüpfen. Durch seine Kritik an GROSSE, der die Textfunktion durch das quantitative Merkmal der Häufigkeit bestimmter satzbezogener Sprechhandlungstypen in einem Text zu markieren versucht, gleicht BRINKER diese Unterlassung durch konzeptionelle Weiterentwicklung wieder aus. Drei Grundtypen von Indikatoren der Textfunktion, die sowohl textintern als auch textextern angesiedelt werden, sind zu nennen: 1. die direkte, textinterne Signalisierung (durch die Verwendung expliziter Repräsentationsmuster der jeweiligen Textfunktion, ζ. B. Imperative für Aufforderungen), 2. die indirekte textinterne Signalisierung (durch implizite Äußerung von Wertungen, Wahrscheinlichkeiten, Einstellungen und Wünschen) und 3. die kontextuelle Indizierung. Hier wird die Textfunktion durch textexterne soziale, institutionelle und gesellschaftliche Bedingungen, aber auch durch textsortenspezifische Eingrenzungen bestimmt. Aus der Unterscheidung zwischen illokutionärem und propositionalem Akt läßt sich für die Textanalyse die Differenzierung zwischen funktionaler und thematischer Ebene ableiten, doch läßt sich die Textfunktion nicht als Summe von Sprechhandlungen mit einheitlicher illokutionärer Rolle oder auch nur als Dominanz solcher Sprechhandlungen definieren. Denn sie kann zwar auch textuell explizit gemacht werden, umfaßt aber auch Sprechhandlungen, die selbst durch eine abweichende illokutionäre Rolle geprägt sind. Gerade für komplexe Aufforderungshandlungen ist es zum Zwecke hoher Billigungsbereitschaft des Empfängers erforderlich, möglichst explizite Realisierungen der Ap42

pellfunktion zu vermeiden, sie teilweise sogar vollständig durch Informationshandlungen zu ersetzen und die Indizierung textexternen Faktoren zu überlassen. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand lassen sich auch hieraus erste Schlüsse ziehen. Das Konzept der Textfunktion erlaubt es, das Handlungsprofil der Predigt als Zuordnung singulärer Sprechhandlungen mit divergierenden illokutionären Rollen zu einer leitenden Textfunktion und dadurch als pragmatisch kohärent zu beschreiben. Es ermöglicht auch, die Ergebnisse der Textanalyse mit Informationen über den kulturhistorischen Rahmen der Predigten methodisch begründet miteinander in Verbindung zu setzen und dadurch auch hier die Gefahr einer rein textimmanenten Betrachtung zu vermeiden. 2.4.2. Kontextualität In Analogie zu den Illokutionsindikatoren der einfachen Sprechhandlung hatte BRINKER drei Grundtypen von Indikatoren der Textfunktion vorgestellt. Er hatte dabei betont, daß dem Kontext »eine fundamentale Bedeutung für die kommunikativ-funktionale Interpretation von Texten«135 zukommt, so daß er ihm für die Bestimmung der Textfunktion eine letztlich ausschlaggebende Rolle zuerkennt. Gemessen an dieser hohen Bedeutung sind seine weiteren Ausführungen zu diesem Punkt kaum ausreichend; in unserem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, inwieweit diese fundamentale Bedeutung auch für Texte wie die vorliegenden Predigten, die als Lesepredigten kaum situativ gebunden sind, sondern als religiöse Gebrauchsliteratur einen situationsunabhängigen theoretischen Anspruch erheben, in Anschlag gebracht werden kann. Mit anderen Worten: Der Kontextbegriff BRINKERS reicht in seiner allgemeinen Fassung nicht aus, um der Lage situationsloser Texte, die nichtsdestotrotz in einem übergreifenden institutionellen Kontext eingebunden sind, gerecht zu werden, so daß eine Ergänzung an dieser Stelle sinnvoll ist. In Anlehnung an das Modell des kommunikativen Handlungsspiels von SCHMIDT unterscheidet MEYER drei verschiedene Kontextbegriffe: 1. den sprachlichen Kontext, der alle Bestandteile eines Textes umfaßt (Hier ist BRINKER mit seiner Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Signalisierung der Textfunktion differenzierter.), 2. den individuell-situativen Kontext, der die konkrete Kommunikationssituation meint, in der sich die Kommunikationsteilnehmer gegenseitig individuell identifizieren können (Dieser Kontext entspricht sach135

BRINKER,

Textanalyse, S. 91.

43

lieh der »Ebene der situationeilen Pragmatik« 136 WUNDERLICHS, der diesen Kontext auch als >raumzeitlichen Kontextsoziale Situation< und damit als Kontext umschreibt, der »die involvierten Personen und den vorangehenden verbalen und nichtverbalen Kontext«137 berücksichtigt.) und 3. den institutionellen Kontext, der als komplexe Voraussetzungssituation138 über das Wissen beispielsweise von institutionellen Rahmenbedingungen aktualisiert werde. Zu diesen Rahmenbedingungen ist - in der Anwendung auf unseren Untersuchungsgegenstand - die Funktion der dominikanischen Predigt im Rahmen der cura monialium zu zählen, aber auch die für das dominikanische Predigtverständnis zentrale, von Thomas von Aquin geprägte homiletische Formel contemplata aliis traderem. Die von Humbertus de Romanis, dem fünften Ordensgeneral der Dominikaner, unter Berufung auf Gregor den Großen überlieferte Ausfaltung dieser Formel, die HAAS ebenfalls heranzieht, läßt aber den legitimatorischen Effekt dieser Formel deutlich erkennbar werden. Denn die Gegenüberstellung von status religiosus und status saecularis dient der Hervorhebung des Mönchsstandes140, der sich durch die Kontemplation vor dem Laienstand auszeichnet und dadurch in besonderer Weise für das Predigtamt prädestiniert zu sein scheint. Durch die Kontemplation wird also die Predigttätigkeit des Ordens gegenüber den Laien, aber auch gegenüber dem Weltklerus qualitativ abgegrenzt. Kontemplation wird zum homiletischen Kompetenzkriterium. Insofern präzisieren auch die institutionell definierten und theologisch gerechtfertigten Rollenzuweisungen von Prediger und Zuhörer (bzw. Leser), von lit136

137

WUNDERLICH, Studien, S. 105.

WUNDERLICH, Studien, S. 86 u. 88. Zum Situationsbegriff vgl. auch MICHEL, Alieniloquium, S. 118: »Situation in diesem Sinne meint nicht: was an einem Ich-hier-jetztPunkt alles empirisch erfasst werden könnte; nicht nur, was wahr ist, sondern auch, was im Horizont der zu rechtfertigenden Handlungsanweisung relevant ist« (Hervorhebung durch MICHEL). Die konkrete Kommunikationssituationen übersteigenden Geltungsansprüche fassen wir unter dem Begriff des institutionellen Kontextes. 138 Die Kontextdifferenzierung nach: Paul Georg MEYER: Sprachliches Handeln ohne Sprechsituation, Studien zur theoretischen und empirischen Konstitution von illokutiven Funktionen in >situationslosen< Texten, Tübingen 1983, S. 20 f. Zum Begriff der Voraussetzungssituation: Siegfried J. SCHMIDT, Texttheorie, Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation, 2., verb. u. erg. Aufl., München 1976, S. 104. Die komplexe Voraussetzungssituation enthält »alle spezifischen Bedingungen, Beschränkungen und Bestimmungen, unter denen Kommunikationspartner in Kommunikationsprozessen stehen.« 139 Zit. nach HAAS, Mittelalter, S. 197. Contemplatio ist aber der lectio, dem Grundbegriff des Buchstudiums, nicht entgegengesetzt, sondern baut auf dieser auf. 140 HAAS übersetzt status religiosus mit geistlichem Stand, so daß ihm die spezifisch monastische Selbstlegitimation auch in Abgrenzung gegen den Weltklerus entgeht.

44

terati und illitterati, von Kleriker, Mönch (religiosus) und Laie141 kontextuell den pragmatischen Rahmen der Sinnkonstitution der Predigttexte. Der institutionelle Kontext, nach WUNDERLICH die »Ebene der institutionellen Pragmatik«, erschließt sich aber nicht als Summe statischer Größen, sondern als komplexes »Handlungssystem«142, das jeweils für einen institutionellen Kontext charakteristisch ist und als normatives Bezugssystem für sprachlich-kommunikatives Handeln den Handlungsspielraum der Interaktanten konventionell absteckt. Die Forderung WUNDERLICHS, dieses Handlungssystem »durch intensive empirische Untersuchungen überhaupt erst herauszufinden«143, deutet auf die geringe Explizität dieses normativen Bezugssystems; doch läßt sich mit Blick auf die deutschen Predigten Eckharts ein Faktorenbündel von homiletischer Programmatik, dominikanischer Lehrpraxis, kirchlichen Instruktionen und einer aus der Auseinandersetzung um die Laienpredigt hervorgehenden Präzisierung des Handlungssystems >Predigt< ausmachen, das als normativer Bezugsrahmen und damit als institutioneller Kontext für diese Predigten in Anschlag gebracht werden kann. Diese Arbeit wird sich darauf beschränken müssen, diesen Bezugsrahmen mit Verweis auf die entsprechende Forschungsliteratur stichwortartig bei der Textanalyse und der Auswertung ihrer Ergebnisse präsent zu halten. Die innovatorische Leistung der Predigten Meister Eckharts und ihre häufig gerühmte Wirkung wird man demnach nicht ohne Blick auf diesen normativen Bezugsrahmen kirchlicher Predigtpraxis angemessen beurteilen können. Wie aber generell reduktionistische Modelle eines deterministischen Verhältnisses von soziokultureller Wirklichkeit und literarischen Produkten abzulehnen sind, ist einzugestehen, wie dünn der Boden ist, auf dem sich die Funktionsbestimmung der deutschen Predigten Eckharts bewegt. Wenn aber auch der institutionelle Kontext nur fragmentarisch rekonstruiert werden kann, gilt es doch die Fragestellung offenzuhalten, um den vollen Sinn der Predigten Eckharts zu erfassen. Eine rein textimmanente Betrachtung - sei es im philosophischen, sei es im spirituellen Gewand - verkürzte diese Texte auf ihren propositionalen Gehalt hin und unterschlüge die herausragende kommunikative Leistung der deutschen Predigten Eckharts. Andererseits stellt sehr aufschlußreich den Prozeß der Realitätsgewinnung der Kategorien ordo praedicatorum, ordo continentium und ordo coniugatorum, die ursprünglich einer theologisch-normativen Anthropologie entsprungen seien, dar, der in der Ausdifferenzierung in ordo clericorum, ordo monachorum und ordo laicorum seinen Abschluß fand.

' 4 1 ZERFASS

ZERFASS, Streit, S. 180. 142

WUNDERLICH, Studien, S. 86.

143

WUNDERLICH, Studien, S. 87.

45

muß eine derartige Untersuchung, die unter dem Stichwort der pragmatischen Kohärenz den Handlungscharakter der Texte aufsucht, es vermeiden, inhaltliche Fragen im thematischen Umkreis der Sohnesgeburt im ungeschaffenen Seelengrund auszublenden. Doch stellt sie erst die hinreichende Bedingung dafür dar, die Emanzipation von kirchlich-autoritativen Strukturen der Heilsvermittlung wie - und das wiegt für Eckhart noch stärker, darf aber nicht ohne Bezug zum Vorhergehenden gesehen werden - von internalisierten Ansprüchen einer Heilsgewinnung durch Intensivierung affektiver Erfahrungsformen getrennt von ihrer theologisch-philosophischen Legitimation beschreiben zu können. 2.4.3. Korrelation von Themenentfaltung und Textfunktion Von der Annahme eines Handlungssystems auf der Ebene der institutionellen Pragmatik führt der Weg wieder zur Form der Themenentfaltung oder zu den textuell manifestierten »Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung«144 zurück. Geht man davon aus, daß Textsorten pragmatisch durch institutionell gebundene normative Bezugsrahmen für kommunikatives Handeln vorgeprägt werden - und diese These liegt den Ausführungen W U N D E R L I C H S implizit zugrunde -, wird man auch textintern ein pragmatisch ausgerichtetes Struktur- und Ordnungsprinzip korrelativ zur Themenentfaltung herausarbeiten wollen. Pragmatische Kohärenz konstituiert sich auf diesem Hintergrund in identifizierbaren Textsorten wie der Predigt nicht allein als Resultat individuellen kommunikativen Handelns, sondern auch als Realisation und Modifikation normativer Handlungssysteme, die den institutionellen Kontext komplexer Sprechhandlungen bilden. Kommunikative Kompetenz bei der Erzeugung von Texten erweist sich also nicht nur als Fähigkeit, grammatisch und inhaltlich akzeptable Sätze zu erzeugen, sondern auch als Fähigkeit, speziellen Handlungsanweisungen gerecht werden zu können; »nicht jeder [...] kann predigen«, wie VAN D I J K diesen Sachverhalt lakonisch zusammenfaßt 145 . Durch eine derartige Sicht pragmatischer Kohärenz, die theoretisch bisher kaum ausgearbeitet ist, sich aber aus den referierten Ansätzen wohl bei konsequenter Auslegung ableiten läßt, würde, wie SCHLIEBEN-LANGE ZU Recht bemerkt, die Diskussion um die Übertragbarkeit der Sprechakttheorie auf die Ebene des Textes wesentlich entspannt146. Das von VAN D I J K entwickelte Konzept der Su144

Brigitte SCHLIEBEN-LANGE, Linguistische Pragmatik, 2., Überarb. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1979, S. 119. Der Begriff stammt von KALLMEYER, auf den sich SCHLIE-

145

Teun A. VAN DIJK, Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung, Tübingen

146

Vgl. SCHLIEBEN-LANGE, Pragmatik, S. 119.

BEN-LANGE b e z i e h t . 1 9 8 0 , S. 130.

46

perstrukturen 147 , das sachlich dem entspricht, was wir unter dem Terminus Themenentfaltung behandeln, trägt methodisch der Einsicht in die Wechselbeziehung von Themenentfaltung und Textfunktion nur zum Teil Rechnung. Es betont zwar über die makrostrukturelle Vernetzung thematischer Elemente hinaus besondere Formen der Themenentfaltung und -darstellung, untersucht aber nicht konsequent ihre Abhängigkeit von und Rückkopplung an die Verwendung eines Textes in unterschiedlichen Kommunikationssituationen. Operationalisiert man diese Überlegungen für die Untersuchung der pragmatischen Kohärenz der vorliegenden Predigten, ergibt sich folgende Frage: Wie organisiert Eckhart in der Handlungseinheit Predigt informative und appellative Funktionen und wie setzt er sie in entsprechende Formen der Themenentfaltung um? Beantwortet man diese Frage, gewinnt man einen Ausgangspunkt, um die kommunikative Leistung der Predigten Eckharts im Vergleich zu ihrem institutionellen Kontext zumindest hypothetisch zu erfassen. Einen wichtigen Hinweis für die methodische Fundierung der Textanalyse gibt BRINKER. Er warnt davor, »einzelne Ausdrücke aus dem Textzusammenhang herauszugreifen und einer isolierenden Betrachtung [zu] unterziehen; es kommt vielmehr darauf an, die zugrunde liegende Form der Themenentfaltung (die thematische Grundstruktur) und die Art ihrer Realisierung [...] herauszuarbeiten und die einzelnen sprachlichen und rhetorischen Mittel darauf zu beziehen«148. An der Darstellung einer argumentativen Themenentfaltung wird beispielhaft deutlich, daß die Themenentfaltung indirekt die jeweilige Textfunktion signalisieren kann. In diesem Fall ist die Realisierung der argumentativen Themenentfaltung persuasiv, da sie den Text als indirekte Aufforderung charakterisiert149. Auch an anderen Stellen finden sich Hinweise zu jeweiligen Zuordnungen von Textfunktion und Themenentfaltung, die zwar nicht systematisch erörtert werden, für die Bestimmung der Textfunktion aber von großem heuristischen Wert sind. So findet sich neben der Zuordnung von argumentativer Themenentfaltung und appellativer Textfunktion die Korrelation von deskriptiver Themenentfaltung und informativer Textfunktion 150 , während die explikative The147

unterscheidet analog zur traditionellen Distinktion von Inhalt und Form Makrostrukturen und Superstrukturen von Texten. In einer Makrostruktur wird die »globale Bedeutungsstruktur« abstrakt repräsentiert, während Superstrukturen globale Strukturen meinen, die den Typ eines Textes kennzeichnen, also eine Art Schema darstellten, auf welches hin der Text angepaßt wird. VAN DIJK, Textwissenschaft, S. 41, 128 f.

V A N DIJK

148

BRINKER, Textanalyse, S. 106 f.

149

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 109.

150

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 64, 76 u. 109 f.

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menentfaltung für Textsorten charakteristisch ist, die auf Erweiterung des Wissens zielen151. Jedesmal wird aber betont, daß solche Korrelationen vorherrschende, aber keine obligatorischen Zuordnungen wiedergeben : »Wir können feststellen, daß hier kein 1:1-Verhältnis besteht. Die besprochenen Verfahren [der Themenentfaltung, Β. H.] werden durchaus in verschiedenen Textsortenklassen verwendet, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung. [...] Wenn zwischen den Textfunktionen und den Formen der thematischen Entfaltung auch keine 1:1 -Beziehung gegeben ist, so haben wir doch wohl Grade der Kompatibilität zu unterscheiden.« 152

Bei der Analyse der Textfunktion kann also die Form der Themenentfaltung eine funktionsindizierende Rolle einnehmen, während andererseits die Textfunktion bestimmte Formen der Themenentfaltung bzw. ihrer textuellen Realisation präjudiziert. Analyse und Bestimmung der Textfunktion auf der Basis ihrer Signalisierung durch sprachlichen, situativen und institutionellen Kontext führen somit wieder zur Frage des thematischen Gehalts und seiner angemessenen strukturellen Entfaltung zurück; zu analytischen Zwecken lassen sich beide Komplexe trennen, während ihre Verflechtung als sinnvolle Kombination grammatischer Verknüpfung, thematischer Präferenz, struktureller Darlegung, funktionaler Ausrichtung und kontextueller Einbettung Textualität erst schafft. 2.4.4. Handlungsbereich Öffentlichkeit Nachdem BRINKER die Textsortendifferenzierung vornehmlich an der dominanten kommunikativen Funktion, der Textfunktion, orientiert hat, versucht er in einem zweiten Schritt, weitere Kriterien für die Unterscheidung von Textsorten mit gemeinsamer Textfunktion zu entwikkeln. Es handelt sich dabei einmal um die Kommunikationsform, die die Art des kommunikativen Kontaktes innerhalb einer bestimmten Kommunikationssituation erfaßt, wie face-to-face-Kommunikation, Telefon, Rundfunk, Fernsehen und Schrift153. Die Kommunikationsrichtung (monologisch oder dialogisch), der Kommunikationsort (räumlich und zeitlich getrennt oder nicht getrennt) und die Äußerungsform (mündlich oder schriftlich) bilden weitere mögliche Differenzierungskriterien für Textsorten154. 151

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 68. '"BRINKER, Textanalyse, S. 131

'"Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 126. 154 Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 126. Während man noch bei den aufgeführten Kommunikationsformen an der Übertragbarkeit auf mittelalterliche Texte zweifeln mag, so gewinnt man durch die Explizierung dieser Formen in Kommunikationsrichtung, -ort und Äußerungsform Beschreibungskategorien, die die oft ein wenig unübersichtlichen

48

Die deutschen Predigten Meister Eckharts lassen sich hinsichtlich ihrer Kommunikationsform in zweifacher Weise fassen. Zum einen handelt es sich um Predigten, die in der Volkssprache vorgetragen wurden und durch räumlich-zeitliche Einheit, also durch eine Kommunikationssituation, in der Äußerung und Aufnahme synchron erfolgen, durch monologische Ausrichtung und durch Mündlichkeit gekennzeichnet sind. Bei den vorliegenden Predigten handelt es sich aber vornehmlich um Lesepredigten155, die in schriftlicher Form verbreitet wurden und dadurch die räumlich-zeitliche Einheit von Predigtvortrag und Predigtrezeption aufbrachen. Unsere Untersuchung betrifft daher vorrangig die Lesepredigt, zielt aber über sie hinaus, insofern sie die mündlich vorgetragene Predigt dokumentiert. Denn vor allem temporale und lokale Deixis156 in den Predigten können als Indikatoren für die große Nähe zwischen mündlich vorgetragener und schriftlich fixierter Predigt gewertet werden157, so daß beide Formen trotz unterschiedlicher Weisen der Verbreitung als Umsetzungen eines einheitlichen homiletisch-didaktischen Konzepts begriffen werden müssen. Erst wenn sich der Handlungsbereich - und damit kommt das zweite Kriterium ins Spiel158 ändert, die Predigt also beispielsweise statt im Rahmen der cura monialium in die theologische Ausbildung integriert ist, wird man die Frage nach dem homiletisch-didaktischen Konzept neu zu prüfen haben. Diese Frage spielt für Eckhart nach dem heutigen Stand vor allem bei der Bewertung des Stellenwertes der Predigten, die im Paradisus anime intelligentis überliefert sind, eine gewichtige Rolle. Den Begriff des Handlungsbereiches erläutert BRINKER - und dabei zeigt sich, daß der Begriff >Bereich< hier ebenso zu monosemieren ist wie im Argumentationsmodell TOULMINS - folgendermaßen: Forschungsergebnisse zum kommunikativen Status der deutschen Predigten Eckharts geordneter darlegen helfen. 155 Vgl. RUH, Eckhart, S. 174 und noch apodiktischer Kurt RUH, Kleine Schriften II: Scholastik und Mystik im Spätmittelalter, hrsg. von Volker MERTENS, Berlin/New York 1984, S. 300: »Was uns an deutschen Predigten überliefert ist, ist so grundsätzlich Lesepredigt, nicht das Kanzelwort, das im Wortlaut zu dokumentieren nur in Ausnahmefällen Anlaß sein mochte.« RUH insistiert nachdrücklich auf die mit der Verschriftlichung einhergehende Literarisierung der Predigt, stellt aber die inhaltliche Nähe zu den jeweiligen mündlichen Predigten fest. 156 Unter Deixis versteht die Linguistik die »Eigenschaft bzw. Funktion sprachlicher Ausdrücke, die sich auf die Person-, Raum- und Zeitstruktur von Äußerungen in Abhängigkeit von der jeweiligen Äußerungssituation bezieht.« BUSSMANN, Lexikon, S. 83. Gemeint sind solche Äußerungen Eckharts, die sich auf identifizierbare Orte und Zeitabstände beziehen. Dazu treten performative Verben und perlokutionäre Akte, die eine mündliche Vortragssituation umreissen. 157 Die Vorrede der untersuchten Predigt Q 49 gibt darüber näheren Aufschluß. 158 Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 128-130.

49

»Die Kommunikationssituationen, die den Rahmen für Textsorten bilden, sind bestimmten gesellschaftlichen Bereichen zugeordnet, für die jeweils spezifische Handlungs- und Bewertungsnormen gelten. Alltagswelt, Welt der Wissenschaft, des Rechts, der Kunst, der Religion sind ζ. B. solche Bereiche.«159 Da aber diese Bereiche noch nicht hinreichend in ihrer Bedeutung als kommunikationsnormierende Faktoren untersucht seien, sei es vorerst sinnvoll, die Bereiche nicht inhaltlich zu bestimmen, sondern drei Arten des Rollenverhältnisses zwischen Kommunikationspartnern in den Vordergrund zu rücken und zwischen privater, offizieller und öffentlicher Kommunikation zu unterscheiden160. Blickt man auf die Indikatoren der Textfunktion (direkte textinterne Signalisierung, indirekte textinterne Signalisierung, kontextuelle Indizierung, die wir mit MEYER und W U N D E R L I C H noch weiter nach situativem und institutionellem Kontext aufgegliedert haben), ist die Ähnlichkeit des Kriteriums >Handlungsbereich< zum Indikator >Kontext< unübersehbar. Diese Ähnlichkeit ist dadurch zu erklären, daß die Gebrauchssituation der Texte sowohl für die Bestimmung der Textfunktion (Kontextindizierung) als auch für die nähere Eingrenzung von Textsorten (Handlungsbereich) zum Ausgangspunkt gemacht wird. Verknüpft man über BRINKER hinaus beide Kriterien systematisch miteinander, lassen sich die drei genannten Handlungsbereiche (private, offizielle und öffentliche Kommunikation) als Differenzierung des globalen Konzepts >Kontext< auffassen. Diese drei Arten des Rollenverhältnisses, die grundlegend Handlungsbereiche abgrenzen, auf die spätmittelalterlichen Gegebenheiten zu übertragen, ist methodisch abzusichern. Denn obgleich der Begriff der Öffentlichkeit für das Mittelalter in einem ganz anderen Sinne gilt, ist er doch meines Erachtens für die Funktionsbestimmung der Predigten Eckharts unverzichtbar. Denn einerseits lag der Hauptakzent der dominikanischen Lehrtätigkeit auf der Predigt als öffentlicher Rede (verbum dei pro populo proponere), und zwar ausdrücklich im Kampf gegen Häresie, zum anderen wurde Eckhart beinahe die öffentliche Verbreitung subtiler theologischer Spekulation mehr zum Vorwurf gemacht als diese selbst161.

159

B R I N K E R , Textanalyse, S. 128. Vgl. dazu BEAUGRANDE/ D R E S S L E R , Einführung, S. 153 f. Diese Bereiche der >realen Welt< sind nach B E A U G R A N D E / D R E S S L E R kognitiv wiederum in >Glaubenssystemen< und >Weltmodellen< repräsentiert.

160

Vgl. BRINKER, Textanalyse, S. 128.

161

ö f f e n t l i c h e Verbreitung< heißt dann nicht im modernen Sinne, das heißt vom Rezipienten aus gedacht, ein allgemein zugänglicher Vortrag, sondern eine Verbreitung durch einen autorisierten Prediger.

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Dieser Vorwurf verrät, daß es auch im Spätmittelalter einen Gegenbegriff zur Öffentlichkeit gab. Öffentlichkeit wurde nicht als eigenständiger Bereich der Privatsphäre gegenübergestellt, sondern konstituierte sich durch die symbolisch-rituelle Darstellung eines Machtanspruchs, der sich in dieser Repräsentation entfaltete. HABERMAS hat dafür den Begriff der repräsentativen Öffentlichkeit eingeführt, um die Abhängigkeit jedweder Öffentlichkeit von der Anwesenheit anerkannter gesellschaftlicher oder kirchlicher Autorität deutlich zu machen162. Der Gegenbegriff zu Öffentlichkeit war aus kirchlicher Sicht nicht das Private, sondern das Okkulte in seiner Wortbedeutung: Jede »separatistische Heimlichtuerei« 163 war Zeichen potentieller häretischer Gesinnung. Ein Satz aus einem Hirtenschreiben Innozenz' III. aus dem Jahre 1199 belegt über den konkreten Anlaß (Kontroverse mit den Waldensern) hinaus die »Auswirkungen auf das innerkirchliche Bewußtsein«164: »Per hoc manifeste denuntians, quod evangelica praedicatio non in occultis conventiculis, sicut haeretici faciunt, sed in ecclesiis iuxta morem catholicum est publice proponenda,«165

Diese kurzen Bemerkungen genügen, um die Relevanz des für die spätmittelalterliche Situation modifizierten Begriffs der Öffentlichkeit für die Funktionsbestimmung der Predigten Eckharts ins Bewußtsein zu heben. Durch seine Predigten hat Eckhart aber nicht nur die philosophisch durchdachte theologische Lehre von der Einheit von Gott und Mensch im ungeschaffenen Seelengrund öffentlich gemacht, sondern durch die These von der unvermittelten Präsenz Gottes im Seelengrund die Vermittlungsfunktion kirchlicher Lehre und Pastoral problematisiert und damit zumindest im kirchlichen Bereich die Grenzen bloß repräsentativer Öffentlichkeit gesprengt. Mit der Situierung der Predigten in den Handlungsbereich Öffentlichkeit ist die Bestimmung der Textfunktion durch den situativen und institutionellen Kontext angesprochen und damit der Bereich textinterner Signalisierung verlassen. Eine solche Situierung muß aber solange 162

Vgl. Jürgen HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 17. Aufl., Darmstadt/Neuwied 1987, S. 17-25. 163 ZERFASS, Streit, S. 52. 164 ZERFASS, Streit, S. 51. 165 Zit. nach ZERFASS, Streit, S. 52, Anm. 164. Vgl auch die Formel palam vel occulte aus der Kölner Erklärung Eckharts vom 13. Februar 1327. Marie H. LAURENT, Autour du proces de Maitre Eckhart. Les documents des Archives Vaticanes, in: Divus Thomas 39 (1936), S. 331-348, 430-447. Hier S. 345. Vgl. RUH, Eckhart, S. 182 u n d TRUSEN, Prozeß,

S. 104. Zu beachten ist auch die im Rahmen des Ketzerprozesses notwendige Öffentlichkeit des Widerrufs. Dazu TRUSEN, Prozeß, S. 107.

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hypothetisch bleiben, wie eine kommunikationssoziologische Untersuchung von Formen und Funktionen volkssprachiger Predigt im Mittelalter und allgemein eine historisch fundierte Pragmatik der Predigt fehlt. Obschon diese Arbeit bemüht ist, bei der Beschreibung der pragmatischen Kohärenz diese Perspektive als notwendige Fragestellung offenzuhalten, ihr entsprechende Forschungsergebnisse als Antwortversuche zuzuordnen und ansatzweise diese Versuche weiterzuentwickeln, liegt ihr Schwerpunkt auf der Analyse der textinternen direkten und indirekten Signalisierung der Textfunktion. Denn diese Signalisierung kann zwar durch den übergeordneten Kontext verifiziert, aber nicht suspendiert werden; die anhand textueller Elemente indirekt oder direkt signalisierte kommunikative Funktion wird analytisch als Basis der Bestimmung der Textfunktion in Anspruch genommen.

2.5. Der kritisch-hermeneutische R a h m e n der Textanalyse Mit der Einbeziehung der außersprachlichen Kontextualität in die Untersuchung der pragmatischen Funktion sind die konzeptionellen Grenzen textlinguistisch und handlungstheoretisch orientierter Textanalyse noch nicht überschritten. Der Verweis auf die entsprechenden Ansätze konnte zeigen, welchen eigenständigen Platz die Berücksichtigung textexterner Faktoren innerhalb der Textanalyse selbst einnimmt. Damit sind aber Bedenken seitens einer kritischen Hermeneutik gegen ein analytisch ausgerichtetes Verfahren noch nicht ausgeräumt. Denn auch eine eher literatursoziologisch als textanalytisch geprägte Erarbeitung des außersprachlichen Kontextes garantiert nicht von vornherein, daß die Predigten im kulturellen Kontext ihrer Verwendung kritisch gewürdigt werden. Gegen den Positivismusverdacht, dem sich Analyse und Beschreibung schnell ausgesetzt sehen können, ist demnach auch die konzeptionelle Einbeziehung des situativen und institutionellen Kontextes nicht grundsätzlich gefeit. Ebenso wie der Forderung nach einer allein dem Gegenstand angemessenen intuitiven Rezeptionshaltung 166 wird diesem Verdacht in der Arbeit der Versuch entgegengestellt, durch die betonte Verwendung analytischer Verfahren das Verständnis der Predigten dergestalt zu qualifizieren, daß durch die Untersuchung der spezifischen Struktur der Lehrform die Umrisse eines Modells inzitativer Rede sichtbar werden. Die Textanalyse instrumenteil in den Dienst einer Reflexion zu stellen, die 166

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Diese Forderung begegnet weniger im wissenschaftlichen als im außerwissenschaftlichen Bereich der Eckhartrezeption.

nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Rede von Gelassenheit und Einheit nachgeht, ohne ihren historischen Ort zu ignorieren, wird als Weg verstanden, einer >Fiktion der Unmittelbarkeit^ 67 vorzubeugen. Zwar sind die Prämissen der werkimmanenten Interpretation in der literaturwissenschaftlichen Arbeit weitgehend überwunden, doch taucht eine solche Fiktion der Unmittelbarkeit in einer von den Gegenständen selbst abgeleiteten Forderung nach »existentieller Identifikation« 168 wieder auf. Die Alternative von Identifikation und Objektivation ist aber insofern falsch, als sie die Möglichkeit einer angeblich unvermittelten Aneignung der tradierten Texte bereits ins Auge faßt. Die Textanalyse stellt sich vor diesem Hintergrund auch als Versuch dar, gegen unbewußt wirkende Vermittlungsleistungen wachsam zu sein und dadurch erst eine adäquate Traditionsvermittlung zu ermöglichen: »Traditionsvermittlung m u ß zu e i n e m komplizierten, wissenschaftlich vermittelten Prozeß werden, sobald die, w e n n auch nur provisorische, Objektivierung u n d Distanzierung des zu verstehenden Sinnes durch hermeneutische Abstraktion v o n der normativen G e l t u n g m ö g l i c h geworden ist.« 1 6 9

Daß Eckharts volkssprachige Predigten selbst eine Form der Traditionsvermittlung darstellen, führt uns nach diesen Reflexionen über den Ort der Textanalyse im Rahmen einer kritischen Traditionsaneignung 170 wieder zum Gegenstand zurück. Je deutlicher die Traditionslinien werden, die Eckhart in seinen Texten verknüpft, um so dringlicher wird die Anwendung von Beschreibungsverfahren, die Form und Funktion dieser Verknüpfung nachweisen und dadurch einer Reduktion des Phänomens der volkssprachigen Predigt Eckharts sowohl auf mystische Rede als auch auf philosophische Lehre wirkungsvoll begegnen können.

167

Nach: Theodor W. ADORNO, Ästhetische Theorie, hrsg. v. Gretel ADORNO und Rolf TIEDEMANN, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1981, S. 518. 168 Alois M. HAAS, Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik, Freiburg/Sch. 1979, S. 309. 169 Karl-Otto APEL, Transformation der Philosophie. 2. Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, Frankfurt a. M. 1973, S. 119 f. Zitiert nach: HAAS, Sermo, S. 308, Anm. 32. 170 Die Diskussion über diesen Ort hier zu entfalten, führte in zwei Richtungen. Einerseits wären die inneren Bedingungen der Affinität der Textlinguistik zu einem eher affirmativen Beschreibungsverfahren aufgrund eines konventionalistisch und strategisch ausgerichteten Handlungsbegriffs zu untersuchen. Ansätze dazu finden sich mit Verweis auf entsprechende Literatur in Burkhard HASEBRINK, Die Invarianz der Begegnung. Zur Textkonstitution der Predigt Meister Eckharts: Surrexit autem Saulus de terra, Magisterarbeit (Masch.) Münster 1984. Andererseits wäre die hermeneutische Berechtigung angesichts angeblich mystischer Texte prinzipiell herauszustellen. Vgl. HAAS, Sermo, S. 307-309, der zwar einer Ideologiekritik einen hermeneutischen Sinn einräumt, den Texten dann aber doch eine hermeneutische >Heiligkeit< zubilligt.

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2.6. Das kommunikative Paradigma als Auswahlkriterium Eine überzeugende Begründung der Auswahl zu untersuchender Predigten liefern letzten Endes erst die Ergebnisse dieser Arbeit, so daß eine vorangestellte Begründung eher das Interesse offenzulegen hat, das zu der Auswahl der Predigten Q 12, Q 30 und Q 49 geführt hat. Wir müssen davon ausgehen, daß mit den Untersuchungen einzelner Predigten171 oder Predigtgruppen auch verläßliche Grundlagen zur Charakterisierung der deutschen Predigten Eckharts mit dem Ziel einer Binnendifferenzierung bislang weitgehend fehlen. Solange also gesicherte Zuordnungen, die aufgrund chronologischer, thematischer, überlieferungsgeschichtlicher oder gebrauchsorientierter Gesichtspunkte vorgenommen werden können, noch ausstehen, kann Repräsentativität keine Begründung für die Auswahl der behandelten Predigten sein. Von »typischen Strukturen«172 zu sprechen, erscheint mir besonders dann recht waghalsig, wenn einige Zeilen später die »Untersuchung anderer Predigten« aufgrund der in dieser Arbeit differenzierten Strukturaspekte oder die Untersuchung der Verbindung einzelner Strukturelemente als »lohnende Aufgabe«173 angeboten werden. Die lateinischen Sermones de tempore und Sermones de sanctis, die als vierter Band der lateinischen Werke herausgegeben sind, weisen schon durch ihren Entwurfcharakter 174 auf den intendierten Gebrauch für Prediger. Sie methodisch mit den deutschen Predigten auf eine Stufe zu stellen liegt deshalb von ihrem pragmatischen Status her fern. Wenn aber in einem Fall mit gebotener Vorsicht eine Passage eines lateinischen Sermo als Folie für eine deutsche Predigt beispielhaft herangezogen wird, dann geschieht dies, um besonders die Veränderungen hinsichtlich des pragmatischen Status' und seiner sprachlichen Umsetzung zeigen zu können. Eine nur auf die inhaltliche Ebene beschränkte Synopse vernachlässigt gerade die jeweilige Einbindung theologischer Theoreme in das appellativ-informative Funktionsspektrum der Predigt. 171

Gemeint sind solche Untersuchungen, die das gesamte Spektrum der Textkohärenz abdeckten und nicht die Predigten auf ihren theologischen Gehalt reduzieren. Ausnahmen bilden ehestens die genannten Arbeiten von O R T M A N N , R U H , EGERDING und KIRCHNER, die sich aber auch im wesentlichen auf den theologischen Gehalt konzentrieren.

172

EGERDING, G o t , S. 10.

173

EGERDING, G o t , S. 10.

174

LW 4, S. XXIXff.; vgl. auch RUH, Eckhart, S. 27 und S. 74: »Es handelt sich freilich um keine ausgeführten Predigten, nur um Predigtentwürfe: das ist die Regel bei der schriftlichen Überlieferung lateinischer Sermones.« Ausnahmen sind ein Sermo Paschalis von 1294, eine Festpredigt, die Eckhart als Magister am 28. August 1303 in Paris gehalten hat (vgl. RUH, Eckhart, S. 20 f. und S. 24 f.), und zwei Sermones über Ecclesiasticus 24,23 und 27 (vgl. RUH, Eckhart, S. 27-30).

54

Wenn eine Auswahl also nicht von einem Kriterium, das spezifisch für die deutschen Predigten oder für einzelne Predigtgruppen wäre, deduktiv hergeleitet werden kann, muß sie von dem Interesse der Untersuchung abhängig gemacht werden, das sich auf die homiletische Konzeption, wie sie in den Predigten zum Ausdruck kommt, konzentriert. Die spezifische Verbindung von argumentativen und appellativen Elementen wird dabei hypothetisch als der vielversprechendste Zugang zu dieser Konzeption angesehen. Auf der einen Seite stellt nämlich die argumentative Themenentfaltung, die in den Predigten Eckharts vorherrscht, ein textkonstitutives Korrelat zur spekulativen Methode seiner Theologie und Metaphysik dar, so daß die Akzeptabilität der Predigten in weit höherem Maße auf argumentativer Stringenz als etwa auf literarisch inszenierter biographischer Authentizität beruht, wie dies in zahlreichen Texten der Frauenmystik der Fall ist175. Auf der anderen Seite verlangt die Predigt als persuasive Textsorte appellative Elemente, die nicht nur die theoretische Anerkennung des Gesagten, sondern auch dessen praktische Befolgung fordern. Die Verbindung von argumentativer Themenentfaltung und der für die Predigt obligatorischen Appellfunktion kennt vielfältige Möglichkeiten, die sowohl von der Strenge der Argumentation als auch vom jeweiligen Aufforderungstypus abhängig sind. Um die spezifische Verbindung dieser beiden textkonstitutiven Faktoren herauszuarbeiten und sie auf dem Hintergrund der paränetischen und soteriologischen Funktion der Predigten Eckharts darzustellen, werden Predigten vorgestellt, in denen Verbindungsmöglichkeiten vorliegen, die den kommunikativen Anspruch Eckharts geeignet dokumentieren. Dieser Anspruch, der bis in die Textkonstitution der Predigten hinein wirksam ist, bestimmt das kommunikative Verhältnis von Prediger und Rezipienten nach Maßgabe der thematisierten Einheit. Er durchbricht die traditionelle Rollenzuweisung, indem er die Autorität des Predigers von seiner Kompetenz als Lesemeister abrückt und auf seine Kompetenz als Lebemeister bezieht.

175

Vgl. Ursula PETERS, Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts, Tübingen 1988. Einen »Paradigmenwechsel in der Einschätzung« (S. 6) frauenmystischer Literatur zu vollziehen und religiöse Erfahrung nicht als unmittelbaren und außerliterarischen Gestaltungsgrund literarischer Texte, sondern als literarisch Gemachtes< zu begreifen, verlangt auch hier eine textanalytische Rekonstruktion der literarischen Machart. Bei PETERS steht aber nicht die literarhistorische Analyse, sondern die »Überlegungen zu den kulturhistorischen und organisatorischen Voraussetzungen« (S. 8) religiöser Frauenliteratur im Vordergrund.

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Dadurch kristallisiert sich ein weiteres Kriterium der Auswahl heraus. Es betrifft die thematische Perspektive, unter der die kommunikative Leistung des Predigers zu fassen ist. Im Rahmen der Bedingungen, die institutionell wie textsortenspezifisch vorgegeben sind, sucht Eckhart die Position des Rezipienten neu zu bestimmen. Diese Bestimmung resultiert zwangsläufig aus der thematisierten Einheit und ihrer ontologischen wie spirituellen Bedingungen, so daß die Rollenverteilung von Prediger und Rezipient ebenso wie ihre konkrete Ausdifferenzierung nicht als institutionelle Konstante bestimmt werden kann, sondern als Resultat der Theologie und Metaphysik Eckharts. Die Art und Weise seines Predigens repräsentiert und aktualisiert sein Modell der Einheit. In ihr gründet seine Glaubwürdigkeit als Lebemeister. Der entscheidende Unterschied zu jeder Art biographischer Deutung liegt darin, daß die Bestimmung des Predigers als Lebemeister nicht auf die Person des Predigers, also auf Meister Eckhart, bezogen wird, sondern auf die textuell umgesetzte Beziehung von Prediger und Rezipient. Denn die Figur des Lebemeisters ist nicht durch persönliche Authentizität allein qualifiziert, sondern wesentlich durch die Adäquatheit von Lehrform und Lehrinhalt. Erst in der Fähigkeit, sein sprachliches Handeln an dem Anspruch der Einheit auszurichten, beweist .sich die Kompetenz des Lebemeisters und damit auch die Glaubwürdigkeit des Predigers. Methodisch läßt sich aus diesem Zusammenhang die Forderung ableiten, neben der pragmatischen auch die thematische Ebene auf Aussagen über das Bedingungsgefüge der Predigt als kommunikativen Akts hin zu untersuchen. Denn der Versuch, im kommunikativen Akt der Predigt die zeitübersteigende Aktualität der Einheit für den Rezipienten lebendig werden zu lassen, erfordert ein sprachliches Handeln, das die ontologischen und spirituellen Bedingungen der Einheit reflektiert und als Maßstäbe auch für den interaktionellen Raum der Predigt berücksichtigt. Die Weg- und Weiselosigkeit der Einheit verbietet eo ipso eine Predigt, die den Rezipienten eine Rolle als Empfänger von Verhaltensanweisungen zuweist, die einen medial und instrumenteil differenzierbaren Zugang zur Einheit der Seele mit Gott vorzeichnen. Die These von der Unmittelbarkeit der Einheit würde von dem sprachlichen Handeln des Predigers selbst schon in Zweifel gezogen, wenn er glaubte, den Rezipienten die angeblich dafür notwendigen Mittel an die Hand geben zu müssen. Die Bedingungen der Einheit, die auf der thematischen Ebene argumentativ entfaltet werden, gelten also übertragen und modifiziert auch für die Kommunikationssituation der Predigt. Als zweites Kriterium für die Auswahl ist daher bestimmend, inwieweit die Texte die Einheit als ein Wortereignis ansprechen. 56

Hypothetisch wird angenommen, daß die Übertragung der Bedingungen der Einheit auf die Kommunikationssituation der Predigt am ehesten an diesem worttheologischen oder kommunikativen Paradigma der Gottesgeburt orientiert ist. Die Parallelisierung beider Kommunikationsverhältnisse versteht sich aber weniger als sachliche Herleitung denn als methodischer Versuch, dem >Geheimnis< der Predigten Eckharts auf die Spur zu kommen. Die worttheologischen Ausführungen Eckharts lassen sich in vier Aspekte differenzieren: das Sprechen als Hervorbringung (1), die Herleitung des >auswendigen Wortes< aus dem ewigen, ersten Wort176 (2), die Namenlosigkeit und Unaussprechbarkeit Gottes (3) und die Dialogizität von göttlichem Sprechen und Hören, Behalten und Zurücksprechen des inneren, gelassenen Menschen als Umschreibung der Einheit von Gott und Seele (4). Diese vier Momente lassen sich unterscheiden, obwohl sie keine getrennten Sachverhalte ansprechen. Sie benennen aber unterschiedliche Motive der Verwendung worttheologischer Inhalte. Sie betonen die Prävalenz des Logos für die Wirklichkeit des Seienden (1), führen in die Grundlagen einer sachsemantischen Bedeutungslehre ein (2), halten die Forderungen der negativen Theologie aufrecht (3) und präsentieren eine kommunikative Variante der Einheitsaussage (4). Zwar ist dieser Sachbereich in zahlreichen Predigten thematisch einbezogen, bleibt aber in den meisten Fällen sekundäres Material zur Ergänzung oder Erweiterung der Aussage. Gemeinsam ist diesen Fällen, daß die worttheologischen Elemente (das ewige Wort177, seine Geburt178, seine Identifizierung mit dem göttlichen Sohn179, der Anfang des Johannesevangeliums180, das Hören des göttlichen Wortes181, die Einschränkung der Zeichenhaftigkeit des Wortes durch ontische Hierarchie182, Un176

Eine Besonderheit liegt in der Predigt Intravit Jesus in quoddam castellum vor (DW 3, S. 481,8-9). Hier spricht der Text ausnahmsweise von den ewigen werten. Die Handschriften Stl, G5 und B5, deren Übereinstimmung ansonsten von schwerem Gewicht ist (DW 3, S. 478), bieten die Einzahl dem ewigen worte. Bei dem nachfolgenden Relativsatz wäre in Betracht zu ziehen, ob sich die Mehrzahl nicht auf das vorausgegangene Begriffspaar trist und lust beziehen könnte, was allerdings schwierig ist. Zur Begründung Q U I N T S vgl. DW 3, S. 493, Anm. 3. 177 Vgl. Q 15, DW 1, S. 252,3; Q 16b, DW 1, S. 272,6-273,3; Q 24, DW 1, S. 420,5-10; Q 27, DW 2, S. 50,8-51,2; Q 69, DW 3, S. 168,8-10; Q 73, DW 3, S. 266,3-8. 178 Vgl. Q 2, DW 1, S. 31,2-4; Q 31, DW 2, S. 118,1-2; Q 38, DW 2, S. 229,1-230,1. 179 Vgl. Q 44, DW 2, S. 344,4-6; Q 46, DW 2, S. 379,3-380,5 und S. 381,6-382,3; Q 61, DW 3, S. 35,5-36,5; Q 78, DW 3, S. 352,1-3; Q 84, DW 3, S. 454,4-455,6. 180 Vgl. Q 6, DW 1, S. 106,5-6 und 109,2-3; Q 39, DW 2, S. 257,4; Q 42, DW 2, S. 306,13-307,3; Q 61, DW 3, S. 39,5-40,4. 181 Vgl. Q 10, DW 1, S. 169,11-170,2. Weitere Belegstellen werden in den Untersuchungskapiteln aufgeführt. 182 Vgl. Q 17, DW 1, S. 285,5-6.

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aussprechbarkeit und Wertlosigkeit183, Wort als spruchem, die Abhängigkeit des äußeren Wortes185) selbst nicht zum Gegenstand des Interesses werden, sondern als erklärungsfähige und verständnisfördernde Informationen eingebracht werden. Neben den ausgewählten Predigten entfaltet Eckhart seine sprachtheoretischen und logostheologischen Spekulationen noch in weiteren Texten, wobei das Wirken des göttlichen Vaters und die Mitteilung seiner göttlichen Natur als Selbstmitteilung und als Sprechen des ewigen Wortes im Vordergrund stehen186. Daneben tritt eine ausführliche sprachtheoretische Begründung für die Namenlosigkeit Gottes. Wir können Gott weder einer höheren Ursache zuordnen, noch ihn mit Gleichwertigem vergleichen, noch ihn seiner Werke nach benennen, denn kein Geschöpf vermag ihn zu offenbaren 187 . Eine Vermittlung zwischen der Lehre der negativen Theologie und der Deutung göttlichen Wirkens als Sprechen des Sohnes versucht Eckhart in der Predigt Misit dominus manum suam unter Berufung auf Augustinus, indem er darauf verweist, daß nur Gott das göttliche Wort als Akt der Selbstvermittlung sprechen kann. Weil er als Sprecher (Vater) ungesprochen, als Wort (Sohn) aber gesprochen ist, kann Eckhart folgende Paradoxie formulieren: Got ist gesprochen und ist ungesprochenm. Variiert erscheint das Motiv der Ungesprochenheit des göttlichen Wortes in der Predigt Quasi Stella matutina, die als >Schlüsselpredigtapud deum< sonat in qandam aequalitatem. LW 3, In loh. n. 5, S. 7,3^.

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Von der Obacht auf die Sprecherperspektive ist die im engeren Sinne kommunikative Situation mit einer eher dialogischen Strukur des Verhältnisses von Gott und Seele abzuheben: Swenne daz wort sprichet in die sele und diu sele widersprichet in dem lebenden worte, da wirt der sun lebende in der sele.191 Der Predigtschluß greift diese Erweiterung des göttlichen Sprechens durch das Widersprechen der Seele erneut auf: Da sprichet ir in daz ewige wort daz leben; da wirt diu sele lebende und widersprechende in dem worte. Daz wir also in dem ewigen worte widersprechende werden, des helfe uns got.192 Eine für Eckhart seltene poetische Bearbeitung des dialogischen Motivs führt in die Nähe der Minnemetaphorik der Frauenmystik. Nachdem er in der Auslegung von Ier. 1,9 Misit dominus manum suam et tetigit os meum den obersten Teil der Seele, den Seelengrund, als munt der sele vorstellt, fährt er fort: daz ist der kus der sele: dä ist munt ze munde komen, dä gebirt der vater sinen sun in die sele, und dä ist ir >zuogesprochenSohnschaft< zu denken.«194 Ziel ist aber keine umfassende Rekonstruktion der logostheologischen Spekulation Eckharts, sondern die Beschreibung der Einbindung und Funktionalisierung des worttheologischen Paradigmas in der thematischen Struktur und ihrer Kohärenzrelationen in den ausgewählten Predigten. Im Johanneskommentar legt Eckhart selbst den exemplarischen 191

Q 18, DW 1, S. 305,3-5. Biblische Ich-Rede unterschiedlichen Sprechern zuordnend formuliert Eckhart in Q 60 einen Dialog zwischen der ewigen Weisheit und der Seele: diu ewige wisheit koset mit der sele und sprichet: >ich hän ruowe gesuochet in allen dingender mich geschaffen hat, der hat geruowet in minem gezeltet. Ze dem dritten mäle sprichet diu ewige wisheit: >an der geheiligeten stat ist min ruowe. < DW 3, S. 10,3-11,3. »Das Verfahren, aus verschiedenen Schrifttexten ein Zwiegespräch zwischen der Seele und Gott (der ewigen Weisheit) herzustellen, hat Eckhart auch in der Pr. 21, DW 1 S. 357 ff., insbesondere 359,9 ff. angewandt.« DW 3, S. 10 f., Anm. 2. 192 Q 18, DW 1, S. 307,2-6. 193 Q 53, DW 2, S. 537,7-8. 194 Kurt FLASCH, Die Intention Meister Eckharts, S. 3 1 1 , in: Heinz RÖTTGES U. a. (Hrsg.), Sprache und Begriff. Fs. für Bruno Liebrucks, Meisenheim a. G. 1 9 7 4 , S. 2 9 2 - 3 1 8 . Nebenbei bemerkt: FLASCH übernimmt hier ein Verfahren Eckharts, nämlich auf der Textoberfläche ganz allgemein von >Mensch< und >Gott< zu sprechen, obwohl die Aussage des wechselseitigen Sprechens, hier verstanden als kommunikatives Paradigma der Einheitsaussage, im strengen Sinne nur zwischen Gottvater und dem wahren, inneren, gelassenen Menschen statthat. Dieses Substitutionsverfahren wird im Untersuchungsteil detailliert vorgeführt und in seiner textkonstitutiven Funktion beschrieben.

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Charakter offen, der der jeweiligen Verhältnisbestimmung, hier das Verhältnis von Sprecher und Hörer, dort das Verhältnis vom Gerechten und der ihn hervorbringenden Gerechtigkeit, »für alles Vorausgehende und manches andere, von dem wir noch öfter zu sprechen haben«195, zukommt. Da die Rede vom Sprechen des ewigen Wortes und vom Hören (Q12196), Behalten (Q49) und Hervorbringen (Q 30197) dieses Wortes durch die Seele als Variation der Aussage, Gott und Seele seien eins, begriffen wird, liegt das Hauptaugenmerk auf der variantenübergreifenden inneren Struktur dieser Einheit' 98 , ihrer Repräsentation in den jeweiligen Varianten der Einheitsaussage und der literarischen Verwendung und Verknüpfung dieser Varianten im pragmatischen Funktionsspektrum der Predigt. Ein Merkmal kann, wie bereits angedeutet, nicht Kriterium der Auswahl sein: die Zuordnung einzelner Predigten zu Untergruppen, die durch chronologische, thematische, überlieferungsgeschichtliche oder gebrauchsorientierte Gesichtspunkte abgegrenzt werden können. Dagegen spricht zum einen die erwähnte fehlende Sicherheit bei der Zuordnung. Auch wenn für eine Reihe von Predigten in bezug auf einen oder mehrere der genannten Gesichtspunkte respektable Einschätzungen vorliegen, fehlt doch ein philologischer Schlüssel, der die unterschiedlichen Gesichtspunkte zu einem dominierenden Ordnungskriterium integrieren könnte, das ähnlich wie das von Q U I N T gewählte Kriterium des Echtheitsgrades akzeptiert wird. Zum anderen deuten zahlreiche Äußerungen Eckharts in den verschiedensten Predigten darauf hin, daß auf der thematischen Seite aufgrund der zentralen Position der Lehre von der Gottesgeburt in der Seele eine Unterteilung eher schwer zu begründen wäre. Hinzu kommt, daß auch die konzeptionelle Struktur der Predigten, die sich hypothetisch als Substitution und Explikation unterschied195

LW 3, S. 13 (Übersetzung von den Herausgebern). Zum Hören des Wortes vgl. auch Q 23, DW 1, S. 393,4-8 und S. 396,6-397,2. 197 Eine enge Parallele zu Q 30 findet sich in der Predigt Sta in porta domus domini et loquere verbum: Mer: in dem ersten uzbruche, da diu wärheit üzbrichet und entspringet, in derporte des goteshüses, sol diu sele stän und sol üzsprechen und vürbringen daz wort. DW 1, S. 317,1-3. 198 Die Arbeit SEPPÄNENS wird hier nur in Einzelfällen herangezogen, weil sie die Verhältnisbestimmungen der Analogie und der Univozität, deren hoher Stellenwert durch ihre Abstraktion und Übertragbarkeit auf die Varianten der Einheitsaussage bestätigt wird, für das logostheologische Paradigma kaum in Anschlag bringt. So findet sich nur ein kuzer Verweis auf die analogia entis (SEPPÄNEN, Konzeption, S. 73). Entsprechend unterscheiden sich die Perspektiven. Während SEPPÄNEN die sprachphilosophische Theorie von Bedeutung im Rahmen der Ontologie und Schöpfungstheologie Eckharts aufsucht, versuche ich der textuellen Valenz dieser Variante im Rahmen einer literarischen Konzeption nachzugehen. 196

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licher literarischer, theologischer, metaphysischer und exemplarischer homiletischer Varianten des monothematischen Ereignisses der Gottesgeburt bestimmen ließe, nur zu leicht ein Ergebnis bewirken könnte, das sich allein auf die Textoberfläche bezieht. Ein Predigtprogramm, das für jede einzelne Predigt reklamierbar ist, wäre in seiner literarischen Konzeption nicht erfaßt. Die Kapiteleinteilung in RUHS Eckhartmonographie suggeriert eine Dreiteilung des Predigtwerkes Meister Eckharts. Die erste Gruppe bildet die Predigt >Vom edelen MenschenBuch der göttlichen Tröstung< angeschlossen ist, welche zusammen den Liber benedictus bilden199. Die zweite Gruppe umfaßt die Predigten aus dem Erfurter Paradisus anime intelligentis. Die dritte Gruppe besteht schließlich aus den Predigten der Straßburger und Kölner Zeit. Abgesehen von der Grobmaschigkeit ist diese Unterteilung auch sonst als Kriterium für die Auswahl kaum geeignet. Denn der überlieferungsgeschichtliche Gesichtspunkt, der für die Abgrenzung oder Ausgrenzung einer zweiten Gruppe in Anschlag gebracht wird, hat schon für die dritte Gruppe keine Relevanz mehr. Die Unterteilung des Predigtwerkes in zwei große Predigtgruppen ist auch deshalb wenig hilfreich, weil sie durch die Textuntersuchung einzelner Predigten der beiden Gruppen kaum hinreichend belegt wird noch durch eine detaillierte Analyse der Korrespondenz zwischen beiden Gruppen erhärtet ist. Mit welcher Sicherheit läßt sich aber annehmen, daß (mehr oder weniger) keine der Predigten aus dem Paradisus der Straßburger oder Kölner Zeit entstammt? RUH verweist200 darauf, daß bis auf eine, anscheinend eher die Regel bestätigende Ausnahme keine der Predigten im Paradisus enthalten ist, aus denen die als häretisch verurteilten Sätze entnommen sind. Er sieht daher in der Erfurter Sammlung die Möglichkeit eines nachträglichen Rechtfertigungsversuchs, der eine zumindest ordensinterne Rehabilitierung Eckharts hätte einleiten können. Mit dieser Einschätzung aber baut RUH ein Gegenargument gegen seine eigene Unterscheidung in zwei große Gruppen auf. Denn ein bewußter nachträglicher Rechtfertigungsversuch kann doch nur bedeuten, daß der Redaktor bewußt aus einer größeren Anzahl von Predigten diejenigen auswählt, die keine inkriminierten Sätze enthalten und unter der dominikanischen Doktrin der Priorität der Vernunft zu subsumieren sind. Die andere Möglichkeit wäre die, daß der Redaktor das Eckhartbild dadurch hat retten wollen, daß er auf den frühen, als Provinzial in 199

Vgl. dazu noch RUH, Eckhart, S. 136, wo er als erste Gruppe Predigten aus dem Umkreis der rede der underscheidunge (RdU) annimmt. 200 Vgl. RUH, Eckhart, S. 62.

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Erfurt wirkenden, orthodoxen Eckhart verweist. Dadurch würde aber das Predigtwerk Eckharts nicht als Ganzes gerechtfertigt, sondern auf einen frühen ersten Teil reduziert. Diese Reduktion könnte aber die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß Eckharts späteren Predigten Sätze entnommen werden konnten, die als häretisch und übelklingend verurteilt wurden. Die Zweiteilung des Predigtwerkes in den die früheren Erfurter Predigten umfassenden Paradisus und in die Predigten der Straßburger und Kölner Zeit wächst sich damit zu einer Unterscheidung von einem früheren, im großen und ganzen nicht häresieverdächtigen Eckhart und einem in der Tendenz von der Kurie für häretisch befundenen >späten< Eckhart aus. Das Verfahren der Kurie und der späte Rechtfertigungsversuch des Redaktors des Paradisus-Korpus wirkten dann Hand in Hand und hätten erreicht, was Eckhart durch die in der >Rechtfertigungsschrift< erfolgte Autorisierung vermeiden wollte: die Aufspaltung seines Predigtwerkes in orthodoxe und häretische oder häresieverdächtige Aussagen. Das Paradisus-Korpus scheint eher einen Eckhart präsentieren zu wollen, der der kurialen Prüfung standhält. Daher liegt näher, daß Predigten mit inkriminierten Sätzen bewußt zurückgehalten wurden. Aus welcher Zeit welche Predigten stammen, ist dadurch noch nicht beantwortet. Ob die thematische Präferenz der Charakterisierung Gottes als vernünfticheit ein hinreichender Grund für die Annahme einer frühen Predigtgruppe ist, muß bezweifelt werden. Ein Blick in die Arbeit IMBACHS, der die Predigten mit dem >Primat der Vernunft< gegenüber dem Sein bespricht201, zeigt, wie problematisch die Zuordnung von thematischer Präferenz und einer frühen Predigtgruppe ist, denn von den neun aufgeführten Predigten sind nur drei im Paradisus überliefert. Um aber möglichen Problemen von vornherein auszuweichen, wurden nur Predigten ausgewählt, die nicht in der Paradisus-S&mm\xin% vertreten sind.

201

Vgl. Ruedi IMBACH, Deus est intelligere. Das Verhältnis von Sein und Denken in seiner Bedeutung für das Gottesverständnis bei Thomas von Aquin und in den Pariser Quaestionen Meister Eckharts, Freiburg/Schw. 1976, S. 163-65.

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3. Predigt Q 12: Postulat der Gelassenheit

Die Predigt Q 121 nimmt deswegen in der Reihe der deutschen Predigten Meister Eckharts eine prominente Stellung ein, weil sie den »Schlüssel für das Verständnis der Eckhartschen Gelassenheitsvorstellung und ihre Entstehung« gibt. In dieser Vorstellung ist ein »neuer Wert absoluten Losgelöstseins vom Kreatürlichen erfaßt« 2 , der insofern den Bedingungsrahmen des Hörens als Empfang des göttlichen Wortes übersteigt, als er in seiner Absolutheit den Heilszustand der Einheit des gelassenen Menschen mit Gott selbst bezeichnet. Entsprechend ist Gelassenheit als neuer Wert der Überwindung alles Geschaffenen auf zwei Ebenen der Predigt repräsentiert. Zum einen ist ihr theoretischer Status in der theologischen Spekulation zu beachten, die den Einheitsgedanken expliziert und damit den sachlichen Gehalt der Argumentation ausführt. Dieser Zusammenhang wird unter dem Stichwort der thematischen Kohärenz untersucht. Zu diesem thematischen Aspekt der Gelassenheit tritt der Aspekt der didaktischen Mobilisierung, die den Bedingungszusammenhang von Gelassenheit und Einheit in Handlungsmaximen mit implizitem Anweisungscharakter umwandelt. Diese didaktische Mobilisierung wird als zentrales Kohärenzmerkmal aufgefaßt und unter dem Stichwort der pragmatischen Kohärenz zum Gegenstand gemacht.

1

Die Predigt Q 12 Qui audit me stammt aus der Zeit der Kölner Predigttätigkeit Meister Eckharts und wurde - so QUINT - im Kölner Makkabäerkloster der Benediktinerinnen gehalten. Vgl. DW 1, S. 372 f.; LANGER, Erfahrung, S. 46. Im Rahmen der cura monialium haben Dominikaner auch vor Benediktinerinnen gepredigt (vgl. LANGER, Erfahrung, S. 45). 2 Ludwig VÖLKER, »Gelassenheit«. Zur Entstehung des Wortes in der Sprache Meister Eckharts und seiner Überlieferung in der nacheckhartschen Mystik bis Jacob Böhme, S. 282, in: Franz H U N D S N U R S C H E R / U l r i c h MÜLLER (Hrsg.), >Getempert und Gemischet< für Wolfgang MOHR zum 65. Geburtstag von seinen Tübinger Schülern, Göppingen 1972, S. 281-312.

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3.1. Thematische Kohärenz Durch die Integration theologischer Lehre in den institutionell vorgegebenen Rahmen persuasiver Rede im Handlungsbereich der Öffentlichkeit verändern sich die Möglichkeiten, die eigenen Ergebnisse theologischer Spekulation begründend in die Traditionslinie theologischen und philosophischen Denkens einzureihen. Wenn aber auch das Interesse an expliziter Begründung der Aussagen im Medium der Predigt hinter dem Interesse an didaktischer Vermittlung zurückzustehen scheint, ist der Anspruch auf rationale Durchdringung des Vorstellungskomplexes von Gelassenheit und Einheit dadurch keineswegs aufgehoben. Was der globalen inhaltlichen Interpretation verborgen bleiben muß, kann die Analyse der Struktur thematischer Entfaltung offenlegen. Die Entfaltung der thematisierten Beziehung von Gelassenheit und Einheit über die Stufen des Hörens des göttlichen Wortes, der Sohnesgeburt, der Explizierung des ethischen Potentials bis hin zum ungeschaffenen Seelengrund als Konvergenzpunkt vollzieht strukturell die Bewegung der Einheitsaussage von der Ebene analoger Dependenz über die Ebene univoker Korrelationalität bis hin zur Ebene indistinkter Einheit nach, ohne sie auf der Textoberfläche explizit zu machen 3 . Diese Beobachtungen greifen weit über den Stand der Analyse der thematischen Kohärenz hinaus und verweisen auf die systematische Basis der Stufung der Einheitsaussagen dieser Predigt. Sie geben aber zu Beginn der Untersuchung einen ersten Überblick über die Auswertung der Textanalyse, die, orientiert an der Textprogression, thematische Schwerpunkte und ihre kohärente Verknüpfung beschreibt4. 3.1.1. Stufung der Einheitsaussage 3.1.1.1. Exegese des Schriftwortes qui audit me Zu Beginn der Predigt erfolgt in den Sätzen (2)-(4) die Lectio der Perikope und daran anschließend die Präparierung ihres ersten Teils zum Gegenstand der Predigt5: Swer mich hoeret, der enschamet sich niht (Ec3

Diese drei Theorieteile unterscheidet Burkhard MOJSISCH, Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983. Ihre Vorstellung erfolgt im Abschnitt über die systematische Basis der Stufung. 4 Die Zweiteilung in >Aufbau der Predigt< und interpretations wie sie EGERDING in seiner Arbeit prägt, scheint mir Ergebnis dessen zu sein, daß die im Ansatz zustimmungswürdigen Thesen zur »Ordnung des Textes einer Predigt« (EGERDING, Got, S. 12) nicht konsequent auf die methodische Reflexion hin verfügbar gemacht werden. 5 Von der Konventionalität des Predigtanfangs (vgl. HANSEN, Aufbau, S. 24) darf allerdings nicht auf einen zu hohen Einfluß der ars praedicandi auf Predigtaufbau und

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clesiasticus/Jesus Sirach 24,30)6. Mit diesem Schriftwort als Ausgangspunkt entwickelt Eckhart bereits im ersten Abschnitt der Predigt die Deutung des Hörens als Vollzug der Einheit und befindet sich damit von Anfang an im Mittelpunkt seiner Lehre von der Einheit der Seele mit Gott. Der unmittelbare Einstieg ist bezeichnend für das hohe Abstraktionsniveau, das die Predigten Eckharts wie auch seine Schriften insgesamt prägt. In den deutschen Predigten finden sich indes geeignete Kohärenzrelationen, die der Komplexität der theologischen Spekulation entgegenwirken und die Akzeptabilität der Texte besonders unter den verschärfenden Bedingungen des Bildungsstandes der Rezipienten und der öffentlichen Verbreitung gewährleisten helfen. Als erste Relation ist die Rekurrenz zu nennen 7 , die sich in auffallender Weise schon in den ersten Sätzen, kombiniert mit paradigmatischer Substitution, nachweisen läßt. Rekurrenz und Substitution des Ausdrucks diu ewige wisheit des vaters, den Eckhart im ersten Satz zur Kennzeichnung des originären Sprechers der Schriftstelle verwendet, tragen wesentlich zur Kohärenz des ersten Abschnittes, der noch dazu von metakommunikativen Äußerungen des Predigers über sein Vorgehen durchsetzt ist, bei: diu ewige wisheit des vaters mich8 mir mich diu ewige wisheit mich die ewige wisheit des vaters die ewige wisheit des vaters (9) daz ewige wort O l ) daz ewige wort (1) (2) (3) (4) (6) (7) (8)

Neben dem der Rekurrenz eigenen Effekt der Topikbildung (im Zusammenhang mit mehrmaliger betonter Stellung am Satzende) wird durch die Substitution der Gegenstand des Hörens als ewiges wort präzisiert. Das Qui audit me der Perikope läßt sich dementsprechend um-verfahren bei Eckhart geschlossen werden. »Sie hat auch für die volkssprachliche Predigt bei weitem nicht dieselbe Bedeutung wie für den lateinischen Sermon.« RUH, Schriften II, S. 297. 6 Zu Scham als natürliche Reaktion auf einen Mangel oder auf Unvollkommenheit vgl. LW 1, In Gen. II n. 124, S. 589,4-7. 7 Auf den Parallelismus als formales Muster der Kohärenz wird später noch einzugehen sein. 8 Der Wechsel der Sprecherperspektive ist durch die wörtliche Rede bedingt.

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formulieren, wobei auch die Substitution des Pronomens swer durch wir in (9) und der mensche in (11) zu beachten ist. Mit der sowohl in Hinblick auf den Rezipienten (wir) als auch in Hinblick auf den Gegenstand (ewiges wort) erfolgten Präzisierung ist eine Aussage gebildet, die wir im Vorgriff auf das Folgende als Einheitsaussage identifizieren können. Das ewige, göttliche Wort zu hören, bedeutet, wie es in (11) heißt, in einicheit zu wohnen. Parallel zu dieser Präzisierung nennt der Prediger in (8) die Bedingungen des Hörens; Bedingungen allerdings, die nicht als Voraussetzungen den richtigen Weg zum Hören weisen, sondern bereits den Zustand des Hörens selbst umschreiben: 1. inne sin Diese Bedingung ist mit einem Hinweis auf Predigt Q 10 und auf Sermo XLVII ZU erhellen. In Predigt 10 ist inne Synonym für grünt der sele und für vernünfticheit9. Die metaphysischen Konnotationen dieses Innen 10 lassen sich zwar durch den Bezug auf diese Texte rekonstruieren, sind aber in dieser Predigt nicht explizit gemacht. Nur in (42) spricht Eckhart diesen Seelengrund als etwaz in der sele an, doch wird das Wesen dieses Innen, die vernünfticheit, in dieser Predigt an keiner Stelle erwähnt11. 2. da heime sin Auch die Monosemierung dieses Begriffs ist an dieser Stelle nur durch den Rückgriff auf eine andere Predigt möglich. In Q 1 wird die Seele als der Tempel bezeichnet, in dem Gottes Sohn da heime ist, wenn die Seele keine fremden Gäste hat12. Mit dieser Metapher wird also der erste Begriff des Innen variiert. Doch erst mit der dritten Bedingung wird die abstrakte Ebene erreicht, die den Zustand des hörenden Menschen ohne Bezug auf räumliches Denken anspricht. 3. ein sin Wenn es ein Anliegen Eckharts ist, »ein von ihm stets beklagtes Problem, die Selbstentfremdung des Menschen, überwinden zu helfen« 13 , dann ist mit der Bedingung des ein -Seins ein Gegenbegriff dazu gesetzt. Wenn der Mensch, so ließen sich diese drei Bedingungen zusammenfas9

DW 1, S. 173,11. LW 4, Serm. XLVII, 1 n. 482, S. 397,13: ubi nihil intrat corporate. 11 Interessanterweise bieten BT und El, deren Übereinstimmung QUINT in der Regel folgt (vgl. DW 1, S. 191), in (30) für vriuntschaft vernünftikeit. QUINT orientiert sich aber zu Recht an der >Rechtfertigungsschrift< (amicitia). 12 Vgl. DW 1, S. 15,7. 10

13

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MOJSISCH, E c k h a r t , S. 13.

sen, in seinem Innen zu Hause ist und mit sich eins ist, dann kann er das göttliche Wort hören und - weitergehend - mit Gott eins sein. Diesen drei Bedingungen werden drei Hinderungsgründe entgegengestellt, die sich auf den vor allem durch die ersten beiden Bedingungen evozierten Bereich des Außen, des Körperlichen und damit auf die Kategorien des Geschaffenen insgesamt beziehen: 1. liplicheit 2. manicvalticheit 3. zitlicheit Die Überwindung dieser Hindernisse 14 führt wiederum positiv zur Einheit, metaphorisch lokalisiert 1. in ewicheit (Überwindung des dritten Hinderungsgrundes; Bezug zu daz ewige wort bzw. zu diu ewige wisheit) 2. in dem geiste (Überwindung des ersten Hinderungsgrundes; Bezug zum inne sin als vernün/ticheif, Aufnahme der platonisch-augustinischen Tradition 15 ) 3. in einicheit (Überwindung des zweiten Hinderungsgrundes; Bezug zum ein sin) 4. in der wüestunge Die Verwendung des Bildes der Wüste verweist auf die letzte Konsequenz der Gelassenheit, Gott um seiner selbst willen zu lassen, wie sie im weiteren Verlauf der Predigt entfaltet wird. Die Wüste als »Verneinung aller Kategorien« 16 ist auf dem Hintergrund der biblischen Erfahrung des Exodus zugleich auch Bejahung des göttlichen Willens. Denn Gott wird als Einöde und Wüste vorgestellt, deren Konnotationen jeden Gedanken an eine noch den Maßstäben des Kreatürlichen verhaftete Glückseligkeit von vornherein verbieten.

14

»Eckhart verlangt die Aufhebung der kategorialen Formen der Erfahrung, den Rückzug aus der Raum-Zeitlichkeit in die Einheit vor aller Differenzierung.« Mit dieser Feststellung bezieht sich Walter HAUG, Das Wort und die Sprache bei Meister Eckhart, S. 28, in: Walter HAUG u. a. (Hrsg.), Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Dubliner Colloquium 1981, Heidelberg 1983, S. 25-44, ausdrücklich auf diese Stelle. Für Eckhart handelt es sich aber nicht um kategoriale Formen allein der Erfahrung, sondern - im ontologischen Sinne - des Geschaffenen selbst, das sich eben durch diese Kategorien vom göttlichen Sein unterscheidet. 15 Vgl. für diesen Zusammenhang die zusammenfassende Darstellung bei RUH, Eckhart, S. 146 ff. 16 HAAS, Sermo, S. 172. Sieht man in der Aufzählung eine Steigerung, läßt sich daran eine Überwindung des Zustandes der einicheit ablesen in Richtung des Nichtwissens der Einheit.

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Zusammenfassend läßt sich in bezug auf die Kohärenz dieser Abschnitt, den man von (1) bis (11) ansetzen wird, als Folge von Lectio der Perikope und des Themas, einer positiven Bedingungsrelation, einer negativen Bedingungsrelation und einer Zielrelation zum ersten Teil des Themas beschreiben. Als dominantes Merkmal der Kohärenz lassen sich Rekurrenz und Substitution des Objekts des Hörens ausmachen. Das Schriftwort wird dadurch in Richtung auf eine Einheitsaussage umgeformt. Diese Umformung kann thematisch als Basissatz dieses Abschnittes gelten, der paraphrasiert folgendermaßen lautet: Der Mensch, der das ewige Wort hört, steht in der Einheit. Das inklusive wir als Substituens des Pronomens swer kann als deiktischer Indikator für die kommunikative Funktion der Predigt gewertet werden, der den Rezipienten neben seiner Rolle als Empfänger der Predigt auch als Subjekt des Heilsereignisses der Einheit identifiziert. Der Empfänger der Predigt kann das göttliche Wort hören, wenn er die Kategorien der geschaffenen Welt überwindet. Noch verkleidet in die homiletische Variante des Hörens des göttlichen Wortes sind damit die Grundzüge der Einheitsspekulation Eckharts vorgestellt und in ihrer Bedeutung für den Empfänger betont. Mit dem folgenden Schriftwort (Luk. 14,26) wendet sich der Prediger der Frage zu, was der Mensch tun muß, um das göttliche Wort hören zu können. 3.1.1.2. Gleichsetzung des Hörenden mit Gottes Sohn Das die temporale Folge markierende Gliederungssignal Nü leitet die Lectio eines weiteren Schriftwortes in (12) ein, das eine zusätzliche Bedingung des Hörens vorträgt: niemart enhoeret min wort noch mine lere, er enhabe denne sich selben geläzen (Luk. 14,26). Gelassenheit, die zentrale ethische Forderung Eckharts, wird als notwendige Bedingung der Einheit, die hier weiterhin metaphorisch im hermeneutisch-kommunikativen Prozeß des Hörens gebunden ist, invoziert. Gegenstände der Gelassenheit sind aber nicht mehr in einem spezifizierten Sinne die Kategorien der erfahrbaren Welt oder, neuzeitlich gedacht, die Kategorien der Erfahrung selbst, sondern in einem vorgängigeren Sinne das proprium, das Eigene, das selbst des Menschen. Die Einheit mit Gott wird dadurch zu jeder Art von solipsistischer Selbsterfahrung in Distanz gesetzt. Wie wenig das selbst des Menschen als psychologisches Phänomen angesprochen ist, zeigt ein Vergleich mit der Predigt 10. Denn dort heißt es im Anschluß an die Forderung, sich selbst zu lassen, um das göttliche Wort zu hören (Luk. 14,26): Alle creatüren in in selber ensint niht17. Das selbst, das der Mensch lassen soll, ist für 17

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DW 1, S. 170,3.

Eckhart die Illusion einer Existenz ohne Gott. Denn seine Existenz hat der Mensch erst durch seine Partizipation am göttlichen Sein. Das Seiende, außerhalb dieses Seins gedacht, wäre identisch mit dem Nichts. In (14), dem paraphrasierenden Kommentar des Predigers, nimmt das Gelassene/'/! 18 die Position des Fokus ein. Gelassensein ist die Bedingung der gnoseologischen Prämisse der Gleichheit, die in (14) hermeneutisch umformuliert und in (16) durch die trinitätstheologische Aussage der Identität von wir und eingebornen sune überhöht wird. Die als Sohn Gottes identifizierte Seele ist der ausschließliche Bereich göttlichen Sprechens, Lehrens und Wirkens. Die ursprüngliche Themenstellung ist dadurch bereits strukturell überwunden; die Differenz von Subjekt und Objekt, die sich ja in der ersten Variante der Einheitsaussage »Wir hören das göttliche Wort« noch ausgedrückt hatte, muß nicht erst durch einen verbindenden Rezeptionsakt des hörenden Subjekts ausgeglichen werden, sondern wird aufgehoben durch die Reduktion des hermeneutischen Problems der Dialogizität auf die ontologische Ebene des Sohn-Seins. Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und - auf das Kommunikationsverhältnis von Gott und Seele bezogen - des dreiphasigen Kommunikationsmodells Sender-Botschaft-Empfänger (GottWort-Mensch) wird besonders durch die Identitätsaussage in (15) evident. Subjekt (daz dä haret) und Objekt {daz da gehceret wirf) fallen zusammen, so daß diese Variante der Einheitsaussage auch auf der syntaktischen Ebene die Koinzidenz von Subjekt und Objekt realisiert. Diese Koinzidenz kündigt an, was im nächsten Satz ausgesprochen wird: die Einheit von Hervorgebrachtem und Hervorbringendem 19 , die Einheit von Vater und Sohn und erweitert die Einheit von Gott und Mensch. 18

Zum Wechsel von >gelassen haben< zu >gelassen sein< vgl. VÖLKER, »Gelassenheit«, S. 282. LANGER spricht mit Bezug auf diese Predigt, aber im Zusammenhang gesamtinterpretatorischer Überlegungen die Gelassenheit als »gnadenhafte neue Seinsweise« an (LANGER, Erfahrung, S. 195). Der »Übergang vom Sich-selbst-gelassen-haben zum geläzen sin« (S. 194), auf den er sich bezieht, ist aber schon in (14) - nicht erst in (80) - thematisch. Von der Gnade spricht Eckhart hier wie in der ganzen Predigt nicht; das Gelassensein leitet über in die Sohnschaft des Menschen und in die Offenbarung der göttlichen Natur, wie es in (16) heißt. 19 »Productum non est extra producentem nec aliud, sed unum cum producente«, LW 1, In Gen. II n. 9, S. 480,12-13. Die Synonymität von Sprechen und Hervorbringen: »quia dicere est facere, et ipsum facere, ipsum producere est dicere, non aliud«. LW 1, In Gen. II n. 47, S. 514,8-9. Die Offenbarung des göttlichen Wesens durch das Wort, das als Sohn nicht aus dem Einen heraustritt: »quod pater caelestis id quod est et sui ipsius essen tiam pandit, manifestat, dicit et loquitur verbo et actu interiori, qui est dicere et >verbumin principioErkenntnis< lassen sich Erkennender und Erkanntes, unter >Minne< Liebender und Geliebtes subsumieren23. So bieten diese Relationsbegriffe neue Möglichkeiten, das Thema der Einheit von Hervorgebrachtem und Hervorbringendem sprachlich-homiletisch zu variieren und es anschaulich zu machen. Die22 23

Vgl. DW 1, S. 194, Anm. 3. Zu beachten ist, daß Eckhart in der Exodusauslegung Gott von den zehn aristotelischen Kategorien neben der Substanz nur die Relation zuspricht, alle übrigen sind in der Kategorie der Substanz aufgehoben. Die Relation ist weder Sein, noch bringt sie Unterschiede in Sein. Vielmehr unterscheidet sie gegenüberstehende Personen. Dort liegt systematisch der Ausgangspunkt für die scheinbare Paradoxie des Menschen, in der Einheit mit Gott zur Autonomie zu gelangen. Vgl. LW 2, In Exod. n. 72, S. 74,5-14.

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se Möglichkeit wird an dieser Stelle jedoch nicht ausgeschöpft, sondern überboten: Dirre mensche [...] enwirt kein anderz, dan daz got selber ist. Dies kein anderz ist als non aliud in der lateinischen Metaphysik eine Umschreibung des unum, des Einen. Damit ist eine dritte Stufe der Einheitsaussage - nach der Variante des Hörens und der Gleichsetzung mit Gottes Sohn die Aussage von der Einheit mit Gott - erreicht. Der zweite Abschnitt - von (12) bis (22) - führt also die im Schriftwort vorgebrachte Forderung der Gelassenheit, die sich neben der Einheit als zweites zentrales Thema der Predigt zu etablieren beginnt, unmittelbar zur höchsten Informativität in der Einheitsaussage. Vorherrschende kohäsive Muster, wie kataphorische Verwendung der Pro-Form, des Parallelismus oder der Rekurrenz, und kohärenzstiftende Elemente, wie die identische und die konditionale Relation, sind dieser Hinführung zugeordnet. 3.1.1.3. Explizierung des ethischen Potentials Die auf Gott hin qualifizierte Minne, die uns schon als perspektivische Darstellungsmöglichkeit der Einheitsaussage begegnet ist, wird in diesem Abschnitt, der die Zeilen (23) bis (30) umfaßt, auf die soziale Ebene ethisch reflektierter Praxis bezogen, deren anthropologischer Ausgangspunkt die Eigenliebe ist. Kritisiert wird soziale Präferenz; einen Menschen lieber haben als einen anderen wird als Konsequenz einer anthropologisch begründeten 24 Eigenliebe aufgezeigt. Die Einheitsaussage in (24), der mensche ist got und mensche25, der in einem Menschen alle Menschen liebe, wird zum Kristallisationspunkt einer Argumentation, die die Eigenliebe aus ihrem anthropologischen Zusammenhang löst und sie theologisch neu als Reflex der Gottesminne fundiert. Die Folge dieser Eigenliebe ist nicht mehr die Freundschaft zu einigen Menschen, sondern die alle Menschen umfassende universale Liebe. Durch diese Einheitsaussage stagniert die Steigerung der Varianten, denn sie rekurriert auf die Aussage in (22). Weniger als das Thema der Einheit steht die Frage im Vordergrund, welche Folgen denn diese Einheit für den Rezipienten hat, der mit dem Personalpronomen der zweiten Person (personale Deixis) erstmals in dieser Predigt direkt in (23) angesprochen wird. Auch die Behandlung des möglichen Einwandes in (26) durch eine sehr bildliche Erklärung und das Verständnis für die >natürliche< Eigenliebe und Präferenz signalisieren die kommunikative 24 25

Anthropologisch meint hier den Bezug auf >NatürlichesSatz< verhindert bei SIEGROTH-NELLESSEN, Versuch, S. 216, eine ausreichende Funktionsbestimmung dieser Pro-Form. "Etwa der Art: Der Mensch, der gelassen ist, ist Gottes Sohn. Ihm ist eigen, was Gott eigen ist. >Ist< als Identitätsprädikat. 27

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ist die These in (23): Wenn du dich selber lieb hast, hast du alle Menschen so lieb wie dich selbst. Diese These wird in (24) näher erläutert, aber nicht im strengen Sinne begründet. Diese Begründung läßt sich, wie wir gesehen haben, indes aus dem Kontext rekonstruieren, wird also in der Erläuterung impliziert. Von (25) bis (29) folgt die Behandlung eines selbst vorgebrachten Einwandes, mit der Eckhart sich auf den Erwartungshorizont seiner Rezipienten einläßt30. In (30) wird die These durch die Definition der w a h r e m Freundschaft veranschaulicht. Das Pauluswort enthält die conclusio, die mit der Invozierung eines neuen Aspekts der Gelassenheit verknüpft ist. Die conclusio enthält gegenüber der These dadurch das Moment der Steigerung oder Verschärfung: Gelassenheit transformiert universelle Liebe zur Abgeschiedenheit von Gott. Dieser Zustand war in (11) bereits metaphorisch als wüestunge angesprochen worden. In dieser Transformation artikuliert sich die Denkbewegung, die in ihrer prozessualen Abstraktion auch noch die Einheit mit Gott hinter sich läßt und die Gelassenheit von der Gefährdung befreit, sich selbst als letztes und äußerstes Mittel der Heilsgewinnung vorzubehalten. 3.1.1.4. Das ein als Konvergenzpunkt Waren es im zweiten Abschnitt die Gelassenheit seiner selbst und im dritten Abschnitt die Gelassenheit vom Freund als Absage an jede Bindung und Präferenz in sozialen Beziehungen31, die den Bedingungsrahmen der trinitarischen und gottmenschlichen Einheit absteckten, ist es paradoxerweise die Gelassenheit von Gott, die ganz zur Einheit hinführt. Diese Zwiespältigkeit kommt in (33) deutlich zum Ausdruck: Warum sollte der Mensch Gott lassen, denn: von gote scheiden ist hellischiu pine ? Bevor Eckhart aber auf diese Frage eingeht und erklärt, was mit dieser Forderung gemeint ist, beschäftigt er sich mit der Frage, ob Paulus in ganzer volkomenheit stand. Die Kohärenz zum Vorhergehenden ist bei dieser Frage gering. Volkomenheit als ethische Qualität und als Merkmal der Universalien ist bisher nicht explizit angesprochen, und auch wenn man eine semantische Verbindung dieser Qualität zu Gelassenheit und Abgeschiedenheit einräumt, stellt sich die Frage, ob es sich um mehr handelt als um eine Absicherung der persönlichen Autorität des Apostels. Auch hier wirkt die Zuhilfenahme des lateinischen Werkes erhellend. In der Exodusauslegung unterscheidet Eckhart zwischen den Vollkommenheiten des 30

In der Rhetorik als Figur der sermocinatio bekannt. Vgl. Heinrich F. PLETT, Einführung in die rhetorische Textanalyse, 6. Aufl., Hamburg 1985, S. 66 f. 31 Damit spricht Eckhart implizit auch die zölibatär-monastische Lebensform an.

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Menschen, die in Gott keine und überflüssig seien, und der Vollkommenheit Gottes, die mit seiner Substanz zusammenfalle 32 . Statt in der menschlichen Vollkommenheit in der göttlichen als >ganzer< Vollkommenheit zu stehen, heißt, in der Einheit mit Gott zu stehen, und setzt daher die Gelassenheit als Negation der Kategorien des Geschaffenen voraus. Erst von diesem Stand aus läßt sich die zweite Stufe, die sich dadurch prinzipiell von einer dem geschaffenen Seienden allein verhafteten Gottlosigkeit unterscheidet, erreichen. Die scheinbar rein exkursorische Bemerkung dient also nicht allein formal der Versicherung der Glaubwürdigkeit, sondern erfüllt die Aufgabe, die Abstraktionsleistung der Abgeschiedenheit von Gott vor dem Sturz ins Nichts des Geschaffenen zu bewahren, so daß es der Prediger wagen kann, den Rezipienten mit der verschärften Forderung nach Gelassenheit von Gott und in Korrelation dazu mit der Negation der Negation33, dem ein, zu konfrontieren. Gelassensein wird substituiert durch von gote gescheiden sin, und erst in der tractatio durch läzen restituiert. Die höchste Stufe der Gelassenheit, daz ist, daz er got durch got läze, wird als erster Schritt der tractatio in (38) definiert, um im nächsten Satz auf die narrative Ebene der Römerbriefexegese, markiert auch durch Tempuswechsel ins Präteritum, bezogen zu werden. Dadurch wird die Exegese unmittelbar für die im wesentlichen explikative Struktur dieses Abschnitts funktionalisiert. Was bedeutet - um die Eckhartsche Fragestellung aufzugreifen, die aber nicht nur Monosemierung meint, sondern immer auch im Kontext pragmatischer Sinnkonstitution reflektiert werden muß - >Lassen von Gott