»Bei Hof, bei Höll«: Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller [Reprint 2012 ed.] 9783110947267, 9783484180567


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German Pages 317 [320] Year 1979

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Table of contents :
EINLEITUNG
ERSTER HAUPTTEIL. Die Entfaltung der topischen literarischen Hofkritik in der humanistischen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts
1. Die Verurteilung höfischer Schmeichelei durch Philippe de Commynes
2. Die Höflingsklage des Humanisten Aeneas Sylvius Piccolomini
3. Politische Indoktrination und Schmeichlerschelte in Sebastian Brants ,Narren Schyff‘
4. Erasmus von Rotterdam: Hofkritische Fürstenerziehung und unhöfisches Lebensprinzip
5. Hofkritische Implikationen der ‚Utopia‘ des Thomas Morus und Probleme ihrer Rezeption in Deutschland bis zum 18. Jahrhundert
6. Huttens Rechtfertigung seines Hofdienstes und Agrippas Ver¬unglimpfung des Hoflebens
7. Hofkritik als Anlaß für die Neukonzipierung des Höflings¬ideals in Castigliones ,Libro del Cortegiano‘
8. Fray Antonio de Guevara als Hofmeister und Hofkritiker für das Europa des 16. und 17. Jahrhunderts
9. Kritische Sichtung des Hoflebens in Hoftraktaten, Florilegien und Sprichwörtersammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts
ZWEITER HAUPTTEIL. Hofkritik im Zeitalter der ,höfischen‘ Barockliteratur
1. Hofkritische Implikationen in Barclays Roman ,Argenis‘ und ihre Hervorhebung in den deutschen Übersetzungen von Opitz und Talander
2. Tendenzen und Erscheinungsformen der Hofkritik in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts
3. Hofkritik als Komponente von Graciáns Welt- und Lebens¬lehre
4. Hofkritik als Medium des Widerstandes gegen das politisch¬galante Menschenideal des Thomasius
DRITTER HAUPTTEIL. Topoi der traditionellen Hofkritik in der bürgerlichen Literatur des 18. Jahrhunderts
1. Johann Michael von Loen: Gemäßigte Hofkritik im Horizont des Thomasianischen Menschenideals und des Aufgeklärten Absolutismus
2. Zitation literarischer Hofkritik und antifranzösische Wendung im Werk des Friedrich Carl von Moser
3. Die produktive Weiterverwendung traditioneller hofkritischer Denkschemata durch Gotthold Ephraim Lessing
4. Hofkritik in den Dramen Friedrich Schillers: Politischer Pro¬test und Kontrastmotiv zur Konzeption des ästhetischen Staats
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»Bei Hof, bei Höll«: Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller [Reprint 2012 ed.]
 9783110947267, 9783484180567

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

B a n d 60

Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Friedrich Sengle

Helmuth Kiesel

>Bei Hof, bei Höll< Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kiesel, Helmuth: „Bei Hof, bei Holl" : Unters, zur literar. Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller / Helmuth Kiesel. - Tübingen : Niemeyer, 1979. (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 60) ISBN 3-484-18056-0

ISBN 3-484-18056-0 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Motto

Exeat aula qui vult esse pius. (Marcus Annaeus Lucanus, Bellum civile, Vili, 493-494) in summa aut nequitiae, malitiae, impietatae insistendum, aut aula cedendum. Non impune licet, nisi cum fatis, exeat aula, qui vult esse pius. (HENRICI coRNELii Agrippae ab Nettesheym, De incertitudine & uanitate scientiarum declamatio inuectiua (1530), S. ρ ijr)

Lang zu hofe / lang zu helle. (Sybenhundert vndfiinfftzig Teiitscher Sprichwörter / verneüwert vrtdgebessert. Iohan. Agrìcola (1534), Nr. 262) Lang zu hof / lang zu hell. (SPrichworter / Schone / Weise / Herrliche Clágreden / vnnd Hoffsprüch ... Beschriben vnndaußgeleget/ Durch Sebastian Franken (1541), S. 139v) Daß ich also mit Gott bezeügen kan, daß wo es allenthalben, also zu hoff her gehen will, der ienige nichts als die lautere Wahrheit gesagt habe, welcher spricht Exeat ex Aula qui volet esse pius. (Hans Michael Moscherosch, Patientia (um 1627), ed. Pariser, S. 24) Zu Hoff / zu Holl! (Hans Michael Moscherosch: VISIONES DE DON QUEVEDO. Wunderliche vnd Warhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt (1642), S. 286 und 406) Omnium in ore est illud eminentis aulici: Exeat aulâ, qui volet esse pius. (DANIEL,

Siue

R. P. ADAMO

DE STATV,

CONTZENE.

VITA Soc.

VIRTVTE

AVLicoRVM

IESV(1630),

S.

35)

atque

MAGNATVM

Authore

Exeat aulâ, qui volet esse pius, lang zu Hoff / lang in der Hóll. (FASCICULUS SEYBOLDI(1654),

ADACIORUM S.

LATI NO-GERM A NÌCOR UM . . .

Operâ

JOHANNIS

GEORCII

95)

Gleichwohl wird nicht vergeblich gesagt, daß nahe bey Hofe, sey nahe bey der Hölle, . . . (Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste ... Verlegts Johann Heinrich Zedier, Artikel >HofmannReineke Fuchs< gegenüber seiner Vorlage, wie sie noch Gottsched präsentiert hatte, ganz entschieden an hofkritischer Brisanz. Wie immer man dies bewerten mag, als >Veruntreuung< eines traditionsreichen hofkritischen Textes durch einen in die höfische Welt integrierten Dichter oder als > legitime Umformung< dieses Textes in der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution - das jahrhundertealte Fuchs-Epos bewies gerade in dieser Krise der höfischen Welt eine provozierende Aktualität, die Goethe denn doch zu dem bewundernden >Xenion< veranlaßte: »Reinecke Fuchs. Vor Jahrhunderten hätte ein Dichter dieses gesungen? Wie ist das möglich? Der Stoff ist ja von gestern und heut«.62

Dieselbe anhaltende Gültigkeit und Aktualität, die Goethe dem Reineke-Epos zuerkannte, sprach der schon erwähnte Friedrich Carl von Moser der Heiligen Schrift zu: 58

Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. 2. Band. - Zu Goethes >Reineke Fuchs< vgl. Lazarowicz, Verkehrte Welt, S. 272ff. "Vgl. dazu auch Goethes Brief vom 28. Juni 1794 an Charlotte von K.alb ! Weimarer Ausgabe, IV. Abtheilung, 10. Band, S. 168; vgl. L. Schwab, S. 98f. und bes. Menke, S. 95 Anm. 3. 60 Vgl. L. Schwab, S. 2, 5, 96ff„ 128ff. 41 Vgl. ebd., S. 99. 62 Weimarer Ausgabe, 1. Abtheilung, 5/1. Band, S. 244 (Nr. 270). 14

Die Könige und Fürsten, ihre Räthe und Höflinge [...] sehen heut zu Tage noch immer so aus, wie sie schon in Davids Psalmen, im Prediger und den Sprüchen Salomons und im Hofrath Sirach abconterfeit sind; wir sagen nur auf Deutsch, Lateinisch oder Französisch, was jene längst auf Ebräisch und Syrisch gesagt.63 D i e Heilige Schrift, die schon v o n Verfassern mittelalterlicher Fürstenspiegel für Grundsätze der H o f h a l t u n g ausgewertet worden war, 64 galt weithin als fundamentaler Text der literarischen Hofkritik, wobei sich die Hofkritiker vor allem auf das Alte Testament mit seiner Geschichte des fragwürdigen israelischen Königtums beriefen. 65 Besonders geeignet für hofkritische Auslassungen waren die Berichte über Salomons Palastbau (1 Könige 7, 1-12) 6 6 und über seinen Harem (1 Könige 11, 1-10); 6 7 beliebte A n k n ü p f u n g s p u n k t e waren ferner die frühen >Königsgesetze< in 5 Mose 17, 14-20, 68 der fürstenspiegelähnliche Psalm 101, 69 die Klage über die menschliche Hinfälligkeit der Fürsten im 3. Vers v o n Psalm 146, 70 die Warnung v o n Prediger 1 0 , 1 6 - 1 9 vor >unmündigen< Fürsten, 71 u n d die Geschichte Daniels a m Hof des Darius, (Daniel 6), die v o n Johannes Chryseus 1544/45 als D r a m a und v o n Friedrich Carl v o n Moser 1763 als Epos bearbeitet wurde. Der protestantische Pfarrer 63

Doctor Leidemit. Von Frhrn. F. C. von Moser, S. 33f. Zu den mittelalterlichen Fürstenspiegeln vgl. Werminghoff, Die Fürstenspiegel der Karolingerzeit; Booz, Die Fürstenspiegel des Mittelalters bis zur Scholastik; Röder, Das Fürstenbild in den mittelalterlichen Fürstenspiegeln auf französischem Boden; Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters; Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit. Was die Verwendung der Bibel angeht vgl. bes. Werminghoff, S. 204ff. ; Booz, S. 6f.; Anton, S. 419ff. - Vgl. insbesondere: Hincmarus, De ordine palatii, edidit Victor Krause; J. Schmidt, Hinkmars >De ordine palatii< und seine Quellen, S. 32f. " Vgl. vor allem 1 Sam 8, 1-9 und 10-22; 2 Sam 7, 1-29; Könige; Chronik. Vgl. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments. Teil 1 : Gott und Volk, S. 295ff. und S. 302ff. ; von Rad, Theologie des Alten Testaments. Band 1 : Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, S. 318ff., bes. S. 338f. ; speziell zu dem wichtigen Kapitel 1 Sam 8 vgl. Hertzberg, Die Samuelbücher, S. 53ff. ; allgemein vgl. Soggin, Zur Entwicklung des alttestamentlichen Königtums. - Vgl. Hos 9, 15 und 10, 3 u. 4. Vgl. Weiser, Das Buch der zwölf kleinen Propheten. Teil 1, S. 76f. und 78f. ; von Rad, a. a. O., S. 348f.: Nur zwei Könige erhalten im AT uneingeschränktes Lob, sechs weitere werden bedingt anerkannt. 66 Vgl. dazu Noth, Könige, bes. S. 137ff. und S. 238. 47 Vgl. ebd., S. 239ff. 68 Vgl. von Rad, Das fünfte Buch Mose, S. 85ff. 69 Vgl. Weiser, Die Psalmen. Zweiter Teil, S. 443ff. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. Zimmerli (u. a.), Sprüche, S. 237f. 64

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Chryseus gab seinem Drama im übrigen den Titel >HofTeuffelTeutschen Fürsten-StaatHofteufel< ließ Friedrich Carl von Moser 1786 im 5. Band seines Patriotischen Archivs abdrucken (S. 285ff.). 73 Vgl. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, bes. S. 24f. 74 Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat, Additiones S. 189.

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kann gewissermaßen als der Begründer des ältesten und beliebtesten Gemeinplatzes der Hofkritik gelten: des Vorwurfs der Schmeichelei und Kriecherei. Im Rahmen seines Werkes >De civitate Dei< (413-426), das den ersten Fürstenspiegel eines christlichen Herrschers enthält,75 benannte Augustinus das wahre Glück eines Regenten, das keinesfalls in politischen und militärischen Erfolgen gesehen werden darf (Buch V, Kap. 4): Sed felices eos dicimus, si iuste imperant, si inter linguas sublimiter honorantium et obsequia nimis humiliter salutantium non extolluntur, sed se homines esse meminerunt. 76

Dieser zentrale Satz wurde von Hinkmar von Reims in >De regis persona et regio ministerio< (zw. 860 und 870)77 und von Thomas von Aquin in >De regimine principum< (um 1265)78 wörtlich zitiert, und an den hofkritischen Schriften, die für die vorliegende Arbeit untersucht wurden, erweist sich, daß Augustinus für die Kritik höfischer Schmeichelei auch über das Mittelalter hinaus von Bedeutung blieb. Erasmus von Rotterdam, der in seiner >Institutio principis christiani< (1515-16) die Schmeichelei scharf verurteilte, hatte den Kirchenvater ausführlich studiert und benutzte Kap. V, 4 als Quelle seines Fürstenspiegels.79 Sein Zeitgenosse Guevara empfahl um 1540 mit einem Verweis auf Augustinus, gegen Schmeichler Gott um Hilfe zu bitten, um ihre Doppelzüngigkeit entlarven zu können.80 Ein wörtliches Zitat der oben genannten Stelle findet sich dann wieder bei dem Jesuiten Adam Contzen in seinem Hofleutespiegel >DANIEL< (1630), bezeichnenderweise dort wo er über die »epistola dedicatoria« handelt.81 1653 berief sich der protestantische Staatsdenker Dietrich Reinking in seiner hofkritischen >Bibli75

Vgl. Dempf, Sacrum Imperium, S. 128; vgl. auch Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus, S. 82ff. 76 Migne, Patrologia Latina XLI. S. Aurelii Augustini tomus septimus, S. 170, vgl. Augustinus, Der Gottesstaat, S. 72. 77 Vgl. Tiralla, Das augustinische Idealbild der christlichen Obrigkeit als Quelle der >Fürstenspiegel< des Sedulius Scottus und Hincmar von Reims, S. 53. 78 Vgl. S. Thomae Aquinati, Opuscula omnia. Bd. 1. Ed. R. P. P. Mandonnet, S. 332 = Thomas von Aquin, Über die Herrschaft der Fürsten, S. 38. - Zur Frage, wie weit diese Schrift Thomas zugeschrieben werden kann, vgl. Grabmann, Die Werke des Hl. Thomas von Aquin, S. 330ff. 79 S. u. im Kap. über Erasmus und die dort angegebenen Editionen von Born, S. 163 und Herding, S. 155. 80 Vgl. Antonio de Guevara, Güldene Sendschreiben [ . . . ] Übersetzt von Aegidius Albertinus. München 1598, Teil II, S. 160f. 81

V g l . DANIEL, S i u e DE STATV, VITA, VIRTVTE AVLICORVM. A u t h o r e R . P. ADAMO CONTZEN [. . .] COLONIAE AGRIPPINAE [. . .] 1 6 3 0 , S. *5.

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sehen Policey< auf Augustinus. 82 Und schließlich wurde Augustinus noch von Friedrich Carl von Moser als Zeuge der unabänderlichen Falschheit der Höflinge angeführt. 83 Beispielhaft dokumentiert sich darin die Kontinuität der Hofkritik und die Langlebigkeit hofkritischer Vorstellungen, die vom frühen Mittelalter bis zum Ende >Alteuropas< immer wieder mit denselben Stellen und Autoritäten belegt wurden. War die Absicherung gegen Sanktionen seitens der Höfe ein wichtiger Grund für die andauernde Berufung auf biblische, antike und zeitgenössische Autoritäten und für die Anwendung des topischen Verfahrens, so konnten sich die Autoren dadurch keineswegs völlig salviert fühlen. Was sie notfalls als abgedroschene Gemeinplätze hinstellten, konnte im adeligen und höfischen Bereich durchaus als aktuelle und strafwürdige Lästerung verstanden werden. Der von Klaus Schreiner detailliert dargestellte Fall des Tübinger Dichter-Humanisten Nikodemus Frischlin ist dafür vielleicht das krasseste und anschaulichste Beispiel.84 Für die folgenden Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis zu Friedrich Schiller gehören die Forschungsergebnisse von Claus Uhlig zu den unabdingbaren Voraussetzungen. Meine Ausführungen zu Aeneas Sylvius Piccolomini, Sebastian Brant, Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus, Ulrich von Hutten und Antonio de Guevara überschneiden sich mit den Darlegungen von Claus Uhlig. In einigen Fällen wurden allerdings abweichende Schlüsse gezogen. Zudem konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die deutsche Literatur und auf die Rezeption ausländischer literarischer Hofkritik in Deutschland, während sich Uhlig primär mit der englischen Literatur und der insularen Rezeption befaßte. Unter chronologischen Gesichtspunkten beginnen die vorliegenden Untersuchungen mit der zweiten von Uhlig behandelten Epoche, mit der Renaissance, führen dann aber weiter bis zum Ende des höfisch geprägten >Alteuropa< im Zeitalter der Französischen Revolution. Die Darstellung hält sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - an die chronologische Abfolge der hofkritischen Schriften und konzentriert sich meist auf einen einzelnen Autor. Für diese Verfahrensweise, die zugegebenermaßen additiv wirkt und zu einer katalogartigen Präsentation der Ergebnisse führt, waren folgende Gründe 82

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Vgl. Dietrich Reinking, Biblische Policey [ . . . ] Frankfurt am Main 1653, S. 176. Vgl. Friedrich Carl von Moser, Betrachtungen über die Aufrichtigkeit. Nach den Würckungen der Natur und der Gnade. Ohne Ortsangabe 1753, S. 99. Vgl. Schreiner, Frischlins 'Oration vom Landleben'.

ausschlaggebend : 1. Die Entfaltung und Tradierung der literarischen Hofkritik, die allmähliche Herausbildung ihrer fundamentalen Denkschemata und ihrer wichtigsten Argumente sowie deren geschichtliche Modifizierung und Ergänzung können in keiner anderen Darbietungsform besser demonstriert werden. Jede andere Anordnung - etwa nach sachlichen Gesichtspunkten: Kritik am höfischen Zeremoniell, am höfischen Luxus, an höfischen Kleidermoden usw. - würde die Entwicklungsmomente der Hofkritik und das literarische Bezugssystem, in dem der betreffende hofkritische Text steht, weit weniger durchscheinen lassen und würde notwendigerweise zu einem verwirrenden Apparat von Querverweisen führen. Als nicht plausibler erwiesen sich auch Gliederungsversuche nach nationalen, sozialen und konfessionellen Gesichtspunkten oder nach literarischen Kriterien wie ζ. B. der Gattungszugehörigkeit der verschiedenen Texte. Zwar muß jedes dieser Momente bei der Untersuchung der Texte in seinem je spezifischen Stellenwert mitbedacht werden; aber keines von ihnen prägt die Hofkritik bestimmter Autoren so entschieden, daß es besonders einleuchtend oder gar zwingend notwendig wäre, ihre Texte nach den oben genannten oder ähnlichen Aspekten zu unterteilen. 2. Die Konventionalität einer hofkritischen Schrift einerseits, ihr spezifischer Charakter andererseits und ihre weitere Bedeutung für die literarische Hofkritik sind im Rahmen einer chronologisch ausgerichteten Darstellung am schärfsten auszumachen. 3. Die chronologische und auf einzelne Schriften und Autoren sich jeweils konzentrierende Darstellungsweise genügt am besten dem für die Tradierung und Präsentierung hofkritischer Vorstellungen so wichtigen Faktum, daß sich in der Literatur vom 15. bis zum 18. Jahrhundert ein ständig wachsender Kanon von immer wieder zitierten Schriften und Autoritäten herausbildete, eine Traditionskette, auf die in hofkritischen Texten häufig verwiesen wurde. Ihre nur sukzessiv zu vermittelnde Kenntnis ist eine notwendige Voraussetzung für das Verständnis einzelner Texte und für die Bewertung der in ihnen enthaltenen Hofkritik vor dem Hintergrund der jeweiligen Entstehungs- und Rezeptionssituation. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei noch einmal betont: Es geht in der folgenden Untersuchung um literarische Hofkritik vorzugsweise in ihrer traditionellen topischen Erscheinungsform (nach dem Beispiel der an den Anfang gesetzten hofkritischen Sprichwörter) und um die Probleme der aktuellen Verwendung und Rezeption herkömm19

licher hofkritischer Denkschemata und Vergleiche (im Sinne des eingangs zitierten Briefes von Johann Heinrich Merck). Es geht also nicht um Hofkritik, wie sie manchmal in literarisch nicht durchgeformten Akten der höfischen Administrationen vorzufinden ist (als knapp formuliertes Resultat von Beratungen etwa über die Kürzung des Hofetats) oder wie sie eventuell in antihöfischen Aktionen (etwa während der Bauernkriege oder im Umkreis der Französischen Revolution) zum Ausdruck kam. Das Phänomen der >institutionalisierten< Hofkritik, wie sie ζ. B. durch Hofprediger oder - auf anderer Ebene - durch Hofnarren geübt wurde, wird gelegentlich angesprochen, jedoch nicht ausführlich dargestellt. Die zeitliche Einschränkung auf das 16., 17. und 18. Jahrhundert findet ihre Begründung in der eingangs erwähnten politischen und sozialen Prädominanz der Höfe während dieser Epoche. Daß hinsichtlich der Traditionsgeprägtheit der literarischen Hofkritik dieser Zeit auf das Mittelalter und die Antike zurückzugreifen ist, hat Claus Uhlig gezeigt; daß die Topoi der literarischen Hofkritik durch das 19. Jahrhundert hindurch bis ins 20. hinein weiterverfolgt werden könnten, steht außer Frage.

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ERSTER HAUPTTEIL

Die Entfaltung der topischen literarischen Hofkritik in der humanistischen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts 1. Die Verurteilung höfischer Schmeichelei durch Philippe de Commynes

Der Diplomat und Höfling Philippe de Commynes(Cominaeus) schrieb seine >Chronique et Histoire [...] contenant les choses advenues durant le règne du roi Louis XI. et Charles VIII.Mémoires< genannt,' in den Jahren 1489-91 und 1497-98.2 Bald nach ihrem Erscheinen (1524/1528) zeitigten die vielgelesenen,3 immer wieder neu aufgelegten und übersetzten4 >Mémoires< eine lang anhaltende Wirkung, und dies auch unter hofkritischen Aspekten. So enthält die zweite Auflage der hofkritischen Anthologie >AVLICA VITA< des Henricus Petreus (Herdesianus), die 1578 in Frankfurt am Main erschien, einen zweiseitigen Textauszug aus einer lateinischen Übersetzung der >Mémoires< mit der Überschrift >Philippi Cominaei [...] Praeceptio AulicaSPECVLI A V L I C A R V M ATQVE Politica1

Zitiert wird nach den Ausgaben von Mandrot und Ernst unter Angabe des Buches und Kapitels und der jeweiligen Seite, auf der das Zitat zu finden ist. Daneben wurden benutzt: Philippe de Commynes, Mémoires. Édités par Joseph Calmette; Die Denkwürdigkeiten Philipps von Commynes Herrn von Argenton. Übersetzt und eingeleitet von Dr. S. Aschner. 2 Knapp zur Entstehung und Überlieferung des Textes: Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, S. 149. 3 Eine (unvollständige) Liste >berühmter< Leser der >Mémoires< bei S. Aschner, S. 13f. 4 Bezeichnenderweise fand auch f ü r die >Mémoires< die oft gebrauchte Hyperbel Anwendung, »sie gehörten nach der Bibel zu den am häufigsten gedruckten Büchern« : vgl. Ernst, S. IX. Eine (unvollständige) Liste von Ausgaben bei Mandrot, Bd. II, S. CXXX. Jöchers Gelehrten-Lexicon (Bd. 1, Sp. 2036f.) und Zedlers Universal-Lexicon (Bd. 6, 1733, Sp. 815ff.) r ü h m e n die weite Verbreitung und Übersetzung der >Mémoires< in allen europäischen Sprachen. Einige Angaben zur frühen Rezeption in Deutschland bei Arnold, Die ethischpolitischen Grundanschauungen des Philipp von Comynes, S. 5ff. 5 Zur >AVLICA VITA< des Petreus s. u.; der genannte Text S. 121 f.

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rum obseruationum Libelli quatuor Flores & Sententiae insigniores, Ex Philippo CominaeoMémoires< zur Belehrung von Fürsten und Diplomaten über politische und militärische Angelegenheiten, wobei aber auch die »inconstantis fortunae ludibria, & miseria vitae humanae« 8 in die Betrachtung miteinbezogen sind. Von da an taucht der Name Commynes/Cominaeus in hofkritischen Schriften immer wieder auf. Unter den Autoren, deren hofkritisches Werk im folgenden näher besprochen werden soll, sind es Weihe,9 Contzen,10 Moscherosch," Reinking,' 2 Schupp13 und Logau,14 die ihn als Autorität zitieren oder ihn als Exempel ihrer eigenen hofkritischen Ausstellungen anführen. Aber Commynes war nicht nur in der hofkritischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts präsent, sondern auch in der des 18. Jahrhunderts. Friedrich Carl von Moser, der am Ende des hier zu betrachtenden Zeitraums steht und zu den schärfsten Hofkritikern zählt, besaß ein Exemplar15 der >Mémoires< und bedauerte, daß die Minister seiner eigenen Zeit keine Memoiren wie Commynes hinterließen.16 Die Wertschätzung, die Moser Commynes entgegenbrachte, ist vollauf berechtigt: begründeten die >Mémoires< doch die Gattung der historisch-politischen Memoiren, die in der französischen Historiogra6

Zu dieser Textsammlung s. u. Flores & Sententiae insigniores, Ex Philippo Cominaeo Historicorum Recentium facile principe selecti, ad quotidianum loquendi scribendique usum accommodati, per Lambertum Schenckelium Dvsilvivm [...]. O. O. 1599, 89 Seiten. 8 Ebd. Titelblatt. 'Vgl. Durus de Pascolo ( = Eberhard von Weihe), AVLICVS POLITICVS (1596), 7

S e n t e n z e n N r . XLII, LXXI. 10

Vgl. Adam Contzen, DANIEL (1630), S. 116. Im dritten Teil der >Gesichte Philanders von Sittewalt< (1645), S. 17, 116, 121, 291,415. 12 In >Biblische Policey< (1653), S. 24. 13 In >Salomo< Oder Regenten-Spiegek (1659), S. LXIr: Commynes gilt hier als Gewährsmann dafür, daß ein zukünftiger König - wie seinerzeit Ludwig xi. nicht »unter der Fuchsschwäntzerey oder Schmeicheley / und unter den Vanitäten« eines verderbten Hofes wie des damaligen französischen aufwachsen dürfe. 14 Vgl. Friedrichs von Logau Sämmtliche Sinngedichte, S. 468: >Vom Cominaeo< (III/2/41). 15 Vgl. Verzeichnis der Bücher, welche Friedrich Carl Freiherr von Moser [...] hinterlassen, S. 85. 16 Vgl. Friedrich Carl Freyherr von Moser, Über Regenten, Regierung und Ministers, S. 205. 11

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phie größte Bedeutung erlangen sollte17 und im übrigen auch zu einem bevorzugten Ort der Hofkritik wurde.18 Die Entstehungsbedingungen waren allerdings günstig. Commynes" kam 1464 als Siebzehnjähriger an den Hof Karls des Kühnen von Burgund bzw. damals noch des Grafen von Charrolais. Er erlebte die prächtige und ritterliche Atmosphäre des burgundischen Hofes,20 dessen Ausstrahlung auf die Bevölkerung der reichen burgundischen Städte er später in den >Mémoires< mit einem negativen Unterton beurteilte.21 Aus heute nicht mehr einsehbaren Gründen ging Commynes 1472 zum Erzfeind des burgundischen Herzogs über und spielte fortan im Hofstaat des französischen Königs Ludwig XI.22 eine bedeutende Rolle. Diesem verschlagenen, argwöhnischen und politisch außerordentlich klugen Herrscher gelang es, die Entwicklung der absoluten französischen Monarchie im Kampf gegen die große Feudalität zu einem ersten Abschluß zu bringen.23 Die militärischen und politischen Kämpfe, die damit zusammenhingen, konnte Commynes von dem Zentrum der Macht, vom Hof aus, beobachten und selbst mitgestalten. Darauf beruht der große Wert der >Mémoires< als Höflingsschrift und zugleich ihre besondere historiographische Problematik.24 17

Vgl. Fueter, S. 152; Ernst, S. Χ, XXV, XXXIIff. ; vgl. auch Glaser, Beiträge zur Geschichte der politischen Literatur Frankreichs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, hier S. 223. 18 Man denke für die spätere Zeit nur an das riesenhafte Memoirenwerk des Herzogs von Saint-Simon oder an die kurzen >Memoiren< Voltaires über seine Beziehungen zu Friedrich Ii. von Preußen. - Friedrich Carl von Moser schöpfte für seine Hofkritik vor allem aus französischen Memoiren. 19 Eine biographische Tabelle ist in der deutschen Ausgabe der >Mémoires< von Ernst, S. 410 zu finden; ausführlicher zur Biographie vgl. Mémoires, ed. Calmette, Bd. 1, S. Iff. und Arnold, S. lOff. und 25. 20 Zur spezifischen Atmosphäre des burgundischen Hofes vgl. Huizinga, Herbst des Mittelalters, bes. S. 85ff. und 177ff. 21 Vgl. VI,2 und VI,5 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 14f. und 38f. = ed. Emst, S. 245 und 256. 22 Eine positive Charakterisierung Ludwigs xi. ist - außer bei Commynes kaum zu finden. Über die Mißtrauensatmosphäre am Hof Ludwigs xi. sagte René von Anjou, daß man »alles betrachten, jedoch nichts sehen, auf alles lauschen, doch nichts hören und auch kein Wort von dem verlauten lassen dürfe, was man täglich sehe und erlebe« : zit. aus Evans, Das Leben im mittelalterlichen Frankreich, S. 160. 23 Baethgen, Europa im Spätmittelalter, S. 121. Vgl. zu einzelnen Schritten dieser Entwicklung: Loserth, Geschichte des späten Mittelalters; Hassinger, Das Werden des neuzeitlichen Europa, S. 71 f. ; Bourde, Frankreich vom Ende des Hundertjährigen Krieges bis zum Beginn der Selbstherrschaft Ludwigs xiv., S. 728ff.; Calmette, L'Élaboration du Monde moderne, S. 478ff. 24 Zur Frage, wie weit Commynes zuverlässig bzw. objektiv sei vgl. Bittmann,

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C o m m y n e s , der bei Karl d e m K ü h n e n stets Zutritt in das herzogliche G e m a c h gehabt hatte, 25 gehörte bei Ludwig XI. für g e w ö h n l i c h zur Tafel 26 und war in d e n letzten Jahren einer der w e n i g e n Vertrauten und Pfleger des kranken Königs. 27 Wie k a u m ein anderer konnte er die A n f ä n g e der m o d e r n e n höfischen Lebens- und Regierungsweise beobachten und analysieren. D e n n die Wandlung v o n der mittelalterlichen curia regis z u m neuzeitlich-modernen Hof hatte sich bereits vollzogen, 28 auch w e n n der Hof häufig auf Reisen war 29 und noch viel von der G r ö ß e und v o m G l a n z des französischen H o f e s späterer Zeiten fehlte. 30 Entscheidend war, daß die Politik jetzt nicht mehr auf großen Hoftagen gemacht wurde, sondern in der unmittelbaren U m g e b u n g des Königs. 31 Im Vergleich zu früheren Zeiten, in d e n e n die großen Vasallen, die fideles, zur Beratung in die curia regis gerufen worden waren, gew a n n e n die ständigen Berater des Königs, die Höflinge, die curiales, palatini oder domestici, die h o m m e s de court, i m m e r mehr Möglichkeiten, die Entscheidungen des Königs zu lenken. Nicht umsonst k o m m t C o m m y n e s in den >Mémoires< i m m e r wieder auf das gegenseiLudwig χι. und Karl der Kühne; Dufournet, La destruction des mythes dans les mémoires de Philippe de Commynes; einige weitere Untersuchungen zu diesem Problem bei Glaser, S. 224 Anm. 51 ; Positionen der älteren Forschung referiert Arnold, S. 8f. 25 Vgl. 11,7 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 138 = ed. Ernst, S. 69. 26 Vgl. V,13 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 402f. = ed. Ernst, S. 206. 27 Vgl. VI,6 ed. Mandrot, Bd. II, S. 39ff. = ed. Ernst, S. 256ff. 28 Vgl. Bourde, S. 728f. ; Göhring, Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich, S. 49ff. ; Heers, L'Occident aux xiv e et xv c siècles, S. 259f. ; für die frühen Stufen dieser Entwicklung vgl. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, S. 205, 237, 289f., 369; Luchaire, Histoire des institutions monarchiques de la France sous les premiers Capétiens, Bd. I, bes. S. 196ff. und ders., Manuel des institutions Françaises période des Capétiens directs, S. 518ff., bes. S. 53 Iff.; zur Gesamtentwicklung bis zu Ludwig xi. einschließlich vgl. Bourassin, La Cour de France a l'époque féodale. 29 Der Hof war für Wanderungen eingerichtet und reiste mit einem Troß: vgl. VIII,2 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 236 = ed. Ernst, S. 338. 30 Die Hofkultur nahm in der Folge der italienischen Expeditionen zu, insbesondere unter Franz T., als auch die Renaissance-Schlösser im Tal der Loire entstanden, welche die Entfaltung eines höfisch-repräsentativenund luxuriösen Lebens förderten: vgl. Bourde, S. 748; Hansmann, Das Tal der Loire. Schlösser, Kirchen und Städte im >Garten FrankreichsMémoires< ein Muster dafür, wie aus konkreten Situationen des Hoflebens allgemeinere politische Lehren erwachsen konnten. Ungebildet war Commynes keineswegs. Er besaß mehrere Handschriften, darunter auch eine französische Übersetzung von Augustinus< >De Civitate Den. 40 Ohne eine literarische Abhängigkeit behaupten zu wol32

Vgl. dazu auch Arnold, S. 39ff. Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Erster Theil herausgegeben von Christian Gottlieb Jöcher, Leipzig 1750, Sp. 2036: Gemeint sind die Eisenkäfige, die Ludwig χι. als Gefängniszellen anfertigen ließ: vgl. Mémoires, VI, 11 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 77 = ed. Ernst, S. 274. 34 Vgl. den >AVLICVS POLITICVS< des Eberhard von Weihe ( = Durus de Pascolo), Sentenz Nr. II (in den bereits erwähnten >SPECVLI AVLICARVM . . . Libelli quatuorMémoires< etwa dreißigmal wieder aufgegriffen und unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt wird. Im Prolog an den Erzbischof von Vienne schrieb Commynes über Ludwig XI.: En luy et tous aultres princes que j'ay congneuz ou servis, ay congneu du bien et du mal, car ilz sont hommes comme nous: à Dieu seul appartient la perfection. Mais quant en ung prince la vertu et les bonnes condictions precedent les vices, il est digne de grant louange, veu qu'ilz sont plus enclins en toutes choses voluntaires que aultres hommes, tant pour la nourriture et petit chastoy qu'ilz ont en leur jeunesse, que aussi pour ce que venans en l'eage d'homme, la pluspart des gens taschent à leur complaire, et à leurs condictions. 42

Mehrmals heißt es noch, viele Diener und Berater hätten nur das eine Ziel vor Augen, ihren Fürsten zu willfahren und zu gefallen.43 Die Folge davon ist, daß die großen Fürsten sont beaucop plus souspessonneux que aultres gens, pour les doubtes et advertissement qu'on leur faict, et tres souvent par flateries et sans nul besoing qui en soit. 44

Argwohn, Mißtrauen und Menschenfurcht, hervorgerufen durch das Verhalten der Diener, werden zur Krankheit der Fürsten45 und zu einem Teil ihres Fegefeuers4* schon auf Erden, wie sich am Beispiel Ludwigs XI. erwies.47 Alt und krank geworden, zog er sich in sein festungsähnliches Haus von Le-Plessis-les-Tours zurück, schloß sich von fast allen Menschen ab, bangte um seine Macht und tyrannisierte die Höflinge: 41

Vgl. De Civitate Dei V,24. Prolog = ed. Mandrot, Bd. I, S. 2 = ed. Ernst, S. lf. 43 Prägnant in 11,6 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 133 = ed. Ernst, S. 66 und V,6 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 378 = ed. Ernst, S. 193; weitere Stellen im folgenden. 44 1,5 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 50 = ed. Ernst, S. 23. 45 Als generelle Aussage in VIII,20 = ed. Mandrot, Bd. II. S. 342 = ed. Ernst, S. 386. 46 VI, 11 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 79 = ed. Ernst, S. 274. 47 Vgl. die eindrucksvolle Schilderung der letzten Zeit des Königs in VI,6 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 39ff. = ed. Ernst, S. 256ff., hier S. 259. 42

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Il faisoit d'aspres pugnitions, pour estre crainct et de paour de perdre obéissance (car ainsi le me dist il), remuoit offices et cassoit gens d'armes, roignoit pensions, oustoit de tous pointz; et me dist peu de jours avant sa mort qu'il passoit temps à faire et à deffaire gens. 48

So fiel der Argwohn des Fürsten, an dem die Höflinge mitschuldig waren, auf sie selbst zurück und wurde zur Pein des Hoflebens. Die Fürsten wurden durch schmeichlerische und gefallsüchtige Berater zu falschen Entschlüssen verleitet, die besonders im Krieg schädliche Folgen hatten. Commynes führte Ludwig XI. und Karl den Kühnen als Beispiele an, 4 ' besonders aber Karl VIII. mit seinem unglücklichen Italienzug.50 Buch VII und VIII der >Mémoires< behandeln den Italienzug, und beide Bücher beginnen mit der Behauptung, die Schuld am ganzen Kriegszug und an einzelnen Versäumnissen habe nicht beim unreifen und schwächlichen jungen König gelegen, sondern bei seinen unvernünftigen Beratern.51 In Friedenszeiten berührte der schlechte Einfluß schmeichlerischer Berater die Grundverfassung des Königreichs als einer monarchia mixta. Commynes, der so ständefreundlich 52 wie königstreu dachte und in England bereits das Ideal eines gut verfaßten Staats sah,53 stellte fest, daß die absolutistischen Tendenzen weniger von den Königen selber als von bestimmten Höflingen vertreten wurden. Diese rieten, weil sie angeblich gute Diener sein wollten, dazu, die ständischen Mitspracherechte zu mißachten und vergingen sich dadurch gegen ihren Herrn; 54 sie sprachen von der Einberufung der Stände als einem »crime de lese majesté«, weil sie befürchten mußten, von einer Ständeversammlung in ihrer schmeichlerischen Nichtswürdigkeit bloßgestellt zu 48

VI,7 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 56 = ed. Emst, S. 263. Vgl. 111,1 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 176 = ed. Ernst, S. 91 und 111,3 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 186 = ed. Ernst S. 96. 50 Zur italienischen Expedition (1494/95), an der Commynes als Gesandter teilnahm, vgl. Bourde, S. 74If. Danach treffen Commynes' Behauptungen völlig zu. Vgl. auch Arnold, S. 28f. 51 Vgl. VII,1 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 97f. = ed. Ernst, S. 284 und VIII, 1 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 230f. = ed. Ernst, S. 336. 52 In der zentralen Frage der Steuererhebungen hielt Commynes strikt am Bewilligungsrecht der Stände fest und sah darin sogar ein Merkmal der Unterscheidung zwischen einem christlichen Königreich und einer orientalischen Despotie: vgl. V,19 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 443ff. = ed. Ernst, S. 226f. und VI, 12 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 96 = ed. Ernst, S. 283. 53 Vgl. V,19 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 444 = ed. Ernst, S. 227 und V,20 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 454 = ed. Ernst, S. 233. 54 Vgl. V,19 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 445 = ed. Ernst, S. 227.

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werden. 55 So sehr C o m m y n e s die politische Durchsetzungskraft Ludwigs XI. schätzte: auch unter d e m Eindruck dieses politisch so erfolgreichen Königs und vor der Irreführung der königlichen Macht Karls VIII. durch die h ö f i s c h e n Berater hielt er an ständischen Kontroll- und Mitspracherechten fest. 56 Daraus ergab sich das Paradoxon, daß der entschiedene Bewunderer 5 7 des ersten >absolutistischen< Königs auch z u m überzeugten Fürsprecher ständischer Rechte und z u m scharfen Kritiker unkontrollierter H ö f l i n g s m a c h t wurde. Ob er damit als früher Theoretiker ständischer Widerstandsbewegungen gelten darf, sei dahingestellt. 58 Jedenfalls: das Mißtrauen gegen den Hof und die Höflingsmacht, das in C o m m y n e s ' >Mémoires< artikuliert wird, gehört nicht weniger z u m Absolutismus als die Glorifizierung der fürstlichen Person. Schmeichlerische Berater betrachtet Commynes, der Gott über den Fürsten walten sah, 59 als ein Werkzeug der göttlichen Strafe für Fürst u n d Land. W e n n Gott, der allein dazu fähig ist,60 einen Fürsten strafen 55

V,19 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 445 = ed. Ernst, S. 228. Die Bücher V und VI, welche die in Anm. 52 schon genannten ständefreundlichen Stellen enthalten, wurden zwischen 1489 und 1491 niedergeschrieben (vgl. Ernst, S. XV), während der Italienzug Karls vm. erst 1494/95 stattfand. 57 Commynes selber sagt zwar, er wolle Ludwig xi. nicht nachträglich noch schmeicheln (vgl. VI,9 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 69 = ed. Ernst, S. 269), aber Bourde nennt ihn gerade Ludwigs »Schmeichler« (S. 736). 58 In diese Richtung denkt vor allem Glaser, S. 223f., 233 und 262. 59 Vgl. 1,12 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 83f. = ed. Ernst, S. 41 ; 111,2 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 186 = ed. Ernst, S. 96; V,13 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 404f. = ed. Ernst, S. 207: grundsätzliche Führung des Fürsten durch Gott; punktuelle Eingriffe vgl. IV, 1 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 267 = ed. Ernst, S. 136; IV, 13 = ed. Mandrot, S. 341 = ed. Ernst, S. 175; V,6 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 374 = ed. Ernst, S. 190; VIII,11 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 276f. = ed. Ernst, S. 356; VIII, 13 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 292 = ed. Ernst, S. 363. - Fortuna, später die Göttin des Hofes, ist für Commynes eine dichterische Erfindung (vgl. IV, 12 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 333f. = ed. Ernst, S. 171), und deswegen spricht er für gewöhnlich von Gott und gebraucht nur in seltenen Fällen das Wort »Fortune» / »Fortuna« (vgl. VII,10 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 162 = ed. Ernst, S. 309 und VII, 12 - ed. Mandrot, Bd. II, S. 171 = ed. Ernst, S. 312). Den Aspekt, daß Commynes nicht, wie später Machiavelli, theologische Überlegungen ganz aus seinem politischen Denken heraushielt, betont vor allem Schramm, Der König von Frankreich, S. 256. Ausführlich dazu äußert sich Glaser, S. 229ff., mit der Tendenz, daß Commynes' religiös-moralistische Vorstellungen innerhalb seines realistischen politischen Denkens inkonsequent seien und möglicherweise nur zur Schau getragen würden. Glaser basiert dabei auf Arnold, bes. S. 25ff., der allerdings die Echtheit menschlicher Gefühle bei Commynes betont und ihn deswegen in Opposition zum gewissenlosem Machttechniker Machiavelli stellt: S. 62f. 60 Vgl. V,19 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 448f. = ed. Ernst, S. 229. 56

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will, vermindert er seinen Verstand und läßt Zwietracht und Aufruhr in seinem Haus entstehen: Le prince tumbé en telle indignation vers Nostre Seigneur, fuyt les conseilz et compaignées des saiges, et en eslève de tous neufz, mal saiges, mal raisonnables, violans, qui luy complaisent à ce qu'il diet. S'il fault imposer ung denier, ilz disent deux; s'il menace ung homme, ilz dient qu'il le fault pendre, et de toutes aultres choses semblable, et que sur tout il se face craindre et que se monstre fier et couraigeux: et esperans qu'ilz seront crainctz par ce moyen, comme si auctorité estoit leur heritaige. 61

Die entlassenen guten Berater gehen an andere Höfe; im Innern des Landes entsteht Zwietracht, äußere Feinde fallen ein, der Fürst wird argwöhnisch und gewalttätig:62 Seine schmeichlerischen Berater haben ihn zum Tyrannen gemacht. Ausführlich und mit modellhafter Klarheit beschrieb Commynes damit die Verführbarkeit des Fürsten durch seine Günstlinge, ein Thema, das in der hofkritischen Literatur immer wieder aufgegriffen und im 17. und 18. Jahrhundert in einer Reihe von Trauerspielen bis zu Lessings >Emilia Galotti< und darüber hinaus dramaturgisch genutzt wurde. Das heißt aber auch: Hinter der dramaturgisch so ergiebigen Dreierkonstellation >Fürst - schmeichlerischer Intrigant - Gruppe der Betroffenen, der Opfer (gleichgültig ob aus dem höfischen oder nichthöfischen Bereich)< stand für die literarisch-historisch Gebildeten eine jahrhundertealte Erfahrung aus der Praxis des Hoflebens, die literarisch oft und in verschiedenen Formen beschrieben und überliefert wurde. Commynes empfahl, um den üblen Machenschaften schlechter Höflinge vorzubeugen, die Selbstregierung des Fürsten, 63 sofern dieser nicht seinen eigenen Willen über alle Einsichten auch der guten Ratgeber und weisen Männer stellte,64 die er um sich versammeln sollte.65 Sie waren dazu auserkoren, den Fürsten die Grenzen ihrer Macht über die Untertanen aufzuweisen. Aber: Peu les hantent qui le saichent; et sie aulcuns en y a qui en savent, s'ilz ne le veulent ilz dire, de peur de leur desplaire. 66 61

V,20 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 452 = ed. Ernst, S. 232. Vgl. ebd. 63 Prägnant: 11,6 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 133f. = ed. Ernst, S. 66f.; Gegenbeispiele: VI,3 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 19 ed. Ernst, S. 247 und VIII,19 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 338 = ed. Ernst, S. 384. 44 Prägnant: VI,8 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 63f. = ed. Emst, S. 266. 65 Prägnant: 11,3 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 118f. = ed. Ernst, S. 59; als väterlicher Rat Ludwigs xi. an Karl v m . vgl. VI,10 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 69f. = ed. Ernst, S. 269f. 66 V,18 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 440 = ed. Ernst, S. 224. 62

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Es ist daher unerläßlich, daß ein Fürst durch seine Erziehung und Ausbildung zur Selbstregierung fähig gemacht wird,67 und daß er sich selbst durch die Lektüre historischer Schriften über politische Handlungsund Verhaltensweisen unterrichtet. 68 Zu dieser >Selbsterziehung< der Fürsten wollte Commynes einen Beitrag leisten : Et aussi faiz mon compte que bestes ne simples gens (ne) s'amuseroient point à lire ces Mémoires, mais princes ou gens de court y trouveront de bons advertissemens, à mon advis. 69

An anderer Stelle sprach Commynes nur zu seinen Standesgenossen, den Hofleuten und Fürstenberatern, um sie zu ermahnen, sich der Gunst des Fürsten durch Liebe zu ihm und nicht durch ungebührliche Machtansprüche zu versichern, um ihnen Zurückhaltung im Umgang mit dem Fürsten und den Kollegen zu empfehlen, und um sie zu erinnern, daß Undank ihr Lohn sei: Ainsi en tous estatz y a bien affaire à vivre en ce monde, et faict Dieu une grand grace à ceulx à qui il donne bon sens naturel. 70

Dieser Satz steht am Ende des dritten Buches und am Ende der oben genannten Empfehlungen, die Henricus Petreus, wie schon erwähnt, 1578 als >Philippi Cominaei Praeceptio Aulica< in die Anthologie >AVLICA VITA< aufnahm. Innerhalb einer Sammlung, die vorwiegend poetische und philosophische Texte mit hofkritischer Tendenz enthielt, war dies ein Moment der realistischen und deswegen nicht weniger kritischen Betrachtung des Hoflebens. Commynes, dessen analytische Begabung und realistische Denkweise oft gerühmt wurde,71 wollte sich in seinen Memoiren auf wesentliche Dinge beschränken, über Fakten berichten ohne ständig auf Exempel zu verweisen,72 und er wollte absonderliche Begebenheiten gar nicht erwähnen.73 Dies hatte offensichtlich zur Folge, daß vieles von dem, was in anderen Texten und insbesondere in späteren Memoiren an hofkritischem Material enthalten ist, bei Commynes ungenannt blieb. Nur 67

Vgl. das negative Urteil über die gewöhnlich untaugliche Erziehung von Prinzen in 1,10 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 74. = ed. Ernst, S. 36. 68 Vgl. 11,6 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 132f. = ed. Ernst, S. 66. " 111,8 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 225. = ed. Ernst, S. 117 und S. IX. 70 111,12 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 259. = ed. Ernst, S. 132. 71 Vgl. Ernst, S. XXIIIf.; Fueter, S. 151; Huizinga, S. 143f., 177, 344; Romano und Tenenti, Die Grundlegung der modernen Welt, S. 171 f. - Commynes selber betont, er berichte nur wahre Dinge (V,13 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 404f. = ed. Emst, S. 207). 72 Vgl. 111,4 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 194 = ed. Ernst, S. 100. 73 Vgl. 11,14 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 172 = ed. Ernst, S. 88.

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in wenigen Ausnahmefällen, wenn nämlich die politischen Entscheidungen und Angelegenheiten unmittelbar dadurch beeinträchtigt wurden, ließ Commynes Kritik am ausschweifenden Hofleben durchschimmern,74 erwähnte er die Frivolität der Hofleute75 (ein häufiger Vorwurf gegen die Höfe in späterer Zeit), oder klagte er über den Neid der Hofleute,76 eines ihrer Hauptlaster. Aber dies geschah äußerst knapp und ohne daß Commynes auf die moralistischen Argumente und rhetorischen Mittel zurückgriff, die schon siebzig Jahre vor ihm der Sekretär und Hofdichter des späteren Karls VII., Alain Chartier, in seinem Brief >De vita curiali< (um 1427) zur Kritik an der politischen Unfähigkeit des damaligen Hofes und zur Warnung vor dem Hofdienst eingesetzt hatte.77

2. Die Höflingsklage des Humanisten Aeneas Sylvius Piccolomini

Bei streng chronologischer Vorgehensweise hätte der italienische Humanist Aeneas Sylvius Piccolomini, seit 1458 Papst Pius II., vor dem französischen Politiker Commynes betrachtet werden müssen. Aeneas Sylvius Piccolomini starb im selben Jahr 1464, in dem Commynes seine Höflingslaufbahn begann; und es wäre wünschenswert zu wissen, ob Commynes den zu seiner Zeit schon berühmten 1 Brief >De curialium miseriis< kannte, in dem Aeneas Sylvius 1444 das Leben am Hofe un74

Vgl. 111,5 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 207 = ed. Ernst, S. 107 und VIII.19 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 337 = ed. Ernst, S. 383. 75 Vgl. V,20 und dazugehörig VI,8 = ed. Mandrot, Bd. I, S. 455 und Bd. II, S. 64f. = ed. Ernst, S. 234 und 267. 76 Vgl. VIII, 15 = ed. Mandrot, Bd. II, S. 301 f. = ed. Ernst S. 368. 77 Zu Alain Chartier vgl. unter hofkritischem Aspekt: C. Uhlig, Hofkritik, S. 225ff.; Huizinga, Herbst des Mittelalters, S. 182; weitere Literatur bei Uhlig; darüberhinaus noch Lewis, Later Medieval France, S. 119ff. - Textausgabe: Alain Chartier, Le Curial, Texte français du xv e siècle avec l'original latin publiés d'après les manuscrits par Ferdinand Heuckenkamp. Halle a. d. S. 1899. Heuckenkamp informiert in seiner Einleitung auch über den Verfasser des lateinischen Originals, den Mailänder Humanisten und Sekretär des Herzogs von Orléans, Ambrosius de Miliis. 1 Der Brief >De curialium miseriis< wurde 1473 in Rom erstmals gedruckt und erlebte noch im 15. Jahrhundert eine Reihe von Neuauflagen und Übersetzungen: vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 176 Anm. 3; zur Verbreitung in Frankreich vgl. Smith, The Anti-Courtier Trend, S. 22f.

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nachsichtig angeprangert hatte. Die Hofkritik, die C o m m y n e s in seinen >Mémoires< vorbrachte, läßt indessen keine Abhängigkeit von Aeneas Sylvius' hofkritischem Brief erkennen. Vielmehr muß Commynes als völlig eigenständige Erscheinung in der Tradition der literarischen Hofkritik bewertet werden, und das ist auch der Grund, warum er hier außerhalb der chronologischen Ordnung an den Beginn der Untersuchung gestellt wurde. Er war ausschließlich von praktischen Erfahrungen und von politischen Interessen an seinem Objekt geprägt und zog es nie in Erwägung, den Hof als einen Ort mühseliger Dienstbarkeit auf der Suche nach ländlicher Glückseligkeit zu verlassen, während Aeneas Sylvius - bei all seinen praktischen Erfahrungen 2 - durchaus literarisch orientiert war und sich bei seiner Hofkritik von der Vorstellung einer glückerfüllten ländlichen vita privata leiten ließ, die für den besitzlosen Kanzlisten freilich unerreichbar blieb. Aeneas Sylvius griff auf die Bibel, auf die mittelalterliche Literatur und vor allem auf die antiken Autoren als hofkritische »Sehhilfen« zurück. 3 Er wurde z u m »Wiederentdecker« der Hofkritik von europäischer Wirkung. 4 Auch in Deutschland erschien vermutlich schon 1512 eine Übersetzung des Briefes >De miseriis curialium< unter dem Titel >Eneas Silvius von höfen, hoffleuten und dienern der FürstenDe curialium miseriis< auch im 17. und 18. Jahrhundert noch zur Unterrichtung über das Hofleben tauglich zu sein. Reinking verwendet ihn,8 Zedlers >Universal-Lexicon< führt ihn an, 9 und Friedrich Carl von Moser zitiert aus ihm in der Einleitung zum zweiten Band des >Teutschen Hof-RechtsDe miseriis curialium< nieder, in dem er die Summe seiner höfischen Erfahrungen bis zu diesem Zeitpunkt zog. Die biographische Situation für diese hofkritische Abrechnung ist beispielhaft, und der hofkritische Brief, so sehr er literarischen Vorlagen folgt (Lukian und Peter von Blois),25 trägt autobiographische Züge und ist das Zeugnis einer Gewissenskrise. Der neununddreißigjährige Höfling war im Begriff, den Priesterrock zu nehmen; 26 zudem mußte er 1444 vor der Pest aus Wien nach Bruck an der Mur fliehen. Von dort schrieb er am 13. November seinem Freund Johann Lauterbach einen Brief,27 der zum größten Teil aus einer Paraphrase der zweiten Epode des Horaz besteht und - mit leichtem hofkritischen Unterton - die Freuden des Landlebens aufzählt. Wer auf dem Land lebt, findet Ge" Vgl. ed. Wolkan, Bd. 1/1, S. 228f. = ed. Mell/Bürck, S. 93; zur Literaturauswahl vgl. Burckhardt, Kultur der Renaissance, S. 165. 20 Vgl. ed. Wolkan, Bd. 1/1, S. 225 = ed. Mell/Bürck, S. 88; zum Problem der Schmeichelei bei Aeneas Sylvius vgl. auch Uhlig, Hofkritik, S. 185. 21 Vgl. ed. Wolkan, Bd. 1/1, S. 232 = ed. Mell/Bürck, S. 98. 22 Vgl. ed. Wolkan, Bd. 1/1, S. 228 = ed. Mell/Bürck, S. 93. 23 Vgl. Briefwechsel, ed. Wolkan. Bd. II, S. 103ff. : >De institutione liberorum> / >Über die Erziehung der KinderNarrenschiff< insbesondere im Kapitel 99 zu finden, das sich nicht nur durch seine außerordentliche Länge von allen übrigen Kapiteln des Werks abhebt, sondern auch durch sein besonderes Pathos und die darin zum Ausdruck kommende persönliche Anteilnahme des Verfassers an dem Thema dieses Kapitels.13 Brant, der hier viel lieber die »narrenkapp alleyn« tragen' 4 als einem andern zur Strafe übergeben will,15 wendet sich mit diesem Kapitel an die »herren groß / vnd kleyn«, 16 hält ihnen den desolaten Zustand der Kirche 17 und des Reichs 18 vor Augen und erinnert sie an ihre Standespflicht" wie an ihre Verantwortung für »den nutz der gemeyn«. 20 Wenn Brant im Kapitel 99 als anteilnehmender Berater und unerschrockener Mahner auftritt - und im drittletzten Vers (212) kündigt ' Vgl. ebd., S. XXXff. Vgl. Knepper, Nationaler Gedanke und Kaiseridee bei den elsässischen Humanisten, S. 79ff., hier S. 81; vgl. ebd., S. 82 Anm. 3: Brant wußte, daß er durch seine Lobpreisungen Maximilians den Vorwurf niederer Schmeichelei auf sich zog. 11 Vgl. Zarncke, S. XXXff. ; Beispiele ebd., S. XXXVII (Nr. 5 und Nr. 8, auch Nr. 10), S. 162f., S. 173, S. 184ff„ S. 196ff. - Zu Brants >Beraterstellung< bei Kaiser Maximilian vgl. knapp Newald, S. 383f. und ausführlich Wuttke, Sebastian Brant und Maximilian I. Mertens, Maximilian I. und das Eisass. 12 Vgl. Zeydel, S. 55; Rosenfeld, S. 534. 13 Vgl. ed. Zarncke, S. 441 (Kommentar) und vgl. bes. Gaier, Studien zu Sebastian Brants Narrenschiff, S. 184ff. und S. 363ff. 14 Vgl. Narrenschiff, Kap. 99, Motto. 15 Vgl. ebd., Vers. 213f. 16 Vgl. ebd., Motto. "Vgl. ebd., Vers Iff. 18 Vgl. ebd., Vers 95ff. 19 Vgl. ebd., Vers 203ff. 20 Vgl. ebd., Motto und komplementär Vers 187. 10

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er dies auch für die Zukunft an -, so handelt er besser als jene Narren, die er im Kapitel 46 und im Kapitel 100 ausführlich beschreibt und kritisiert. Kapitel 46 >vö de gwalt der narrêVon gluckes fall< und erneut im Kapitel 56 >von end des gewalttes< aller Macht und Herrschaft als immanente Gesetzlichkeit zuschreibt. Als eine gewisse Ausnahme erscheint allerdings - in Kapitel 56 - das Heilige Römische Reich, denn dieses »blibt so lang got will«.23 Das heißt: Das Heilige Römische Reich ist nicht dem allgemeinen Gesetz des Verfalls aller Macht unterworfen, sondern ist in seiner Dauer wie in seiner Vergänglichkeit dem besonderen Walten Gottes unterstellt. Bekanntlich sprachen die geschichtstheologischen Spekulationen des Mittelalters und der frühen Neuzeit, mit denen Brant vertraut war,24 dem Heiligen Römischen Reich eine heilsgeschichtliche Bedeutung zu, die darin bestand, daß es unter Gottes besonderer Fürsorge bis zum Beginn des Reiches Christi dauern sollte.25 Die inhaltlichen Beziehungen zwischen den Kapiteln 37, 46 und 56, die das Problem der Machtausübung und des Machtverlusts betreffen, hat bereits Ulrich Gaier herausgearbeitet. 26 Darüberhinaus scheint es jedoch möglich zu sein, zwischen Kapitel 56, in dem die exklusive Stellung des Heiligen Römischen Reichs angesprochen wird, und Kapitel 99, mit dem Brant die Fürsten an ihre Verantwortung für das Reich erinnert, ebenfalls eine inhaltliche Verbindung anzunehmen. Jedenfalls wird der im Kapitel 56 (Vers 90-95) geäußerte Wunsch nach ei21 22

23 24 25

26

Vgl. ed. Zarncke, S. 38 Iff.; Gaier, Studien, S. 132ff. und S. 277ff. Vgl. Narrenschiff, Kap. 46, bes. Vers 77ff. Das Wort >verffirt< in Vers 78 bedeutet wohl wie in Vers 36 (vgl. dazu Zarnckes Kommentar) >zugrunde gerichtetNarrenschiff< Gaier als Refutatio bestimmte, sozusagen als Widerlegung der Machthaber der zur Narrheit tendierenden Gesellschaft, 30 eine höchst aktuelle politische Kritik und Beratung, die Brant auf eindrucksvolle Weise mit einer direkten adhortativen Anrede an die Fürsten beschließt (Vers 203-210), vorbereitet durch ein Gebet für die Obrigkeiten (Vers 185-190) sowie durch eine Mahnung an die Adresse aller Stände (Vers 191-198) und unmittelbar eingeleitet durch den biblischen Aufruf: »Wer oren hab / der merck vnd hör« (Vers 199). Freilich, mit dem Appell an die Aufnahmebereitschaft der Fürsten ist das Problem der politischen Beratung in Fürstenstaaten nicht gelöst, ja nicht einmal vollständig erfaßt. Was nützte eine noch so große Bereitwilligkeit der Fürsten, sich politisch beraten zu lassen, wenn es an guten und aufrichtigen Beratern mangelte? Konsequenterweise wandte sich Brant mit dem nächsten Kapitel dem Hof zu, um ganz unverblümt den von Philippe de Commynes und Aeneas Sylvius Piccolomini schon vorgetragenen Verdacht zu bestätigen, daß die Höflinge generell nur eine geringe Neigung zur verantwortungsvollen und gemeinnützigen Beratung an den Tag legten, dafür aber um so eifriger nach einem luxuriösen Leben und nach persönlicher Bereicherung strebten. Durch die Überschrift >vö falbë hengst strichë< stellte Brant Kapitel 100 in den Traditionszusammenhang der älteren hofkritischen Literatur, aus der die metaphorische Ausdrucksweise >den falben Hengst streichen< zur Bezeichnung höfischer Schmeichelei und höfischen Schmarotzertums herrührte. 31 Möglicherweise war diese Metapher nicht allgemein be27

Vgl. ebd., S. 365 (wobei diesmals auch der geschichtstheologischen Konzeption vom Fortbestand des Heiligen Römischen Reichs Rechnung getragen wird). 28 Vgl. Wuttke, S. 155 und S. 172. 29 Vgl. Gaier, Studien, S. 186. 30 Vgl. ebd., S. 181 und S. 184ff., bes. S. 186. - Allgemein zum Begriff >Refutatio< vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 147ff. (§ 262) und S. 236 (§ 430) u. ö. 31 Vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 125f., bes. S. 126 Anm. 100 und S. 195 Anm. 61; vgl. auch Gaier, Studien, S. 370.

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kannt, denn Jacob Locher wählte für seine lateinische Übersetzung des >Narrenschiffs< eine zwar farblose, aber auf Anhieb verständliche Überschrift für Kapitel 100: >De assentatoribus & parasytisEunuchus< erinnerte und der humanistisch gebildeten Leserschaft, für die seine Übersetzung bestimmt war, entgegenkam).33 Auch Johann Geiler von Kaysersberg hielt die von Brant verwendete Metapher in seinen Predigten über das >Narrenschiff< für erklärungsbedürftig und stellte fest: »Entesima turba stultor est. Adulator / precipue aulicorü [hoffnarren] qui irrönabiliter laudant. [...] Isti nolani multis noibus [den falwen hengst streiche / kautzen Streicher / kreiden Streicher/ feder leser / Schmeichler«.34 mit diesen deutschen Synonymen griff Geiler diejenigen Ausdrücke auf, die auch Brant im Kapitel 100 verwendete, als er den Höflingen ein Schiff mit besonderem Deck wünschte: Mir kem eyn verdeckt schiff yetz recht Dar jn ich setzt der herren knecht Vnd ander die zû hoff gont schlecken Vnd heymlich by den herren stecken Do mit sie sássen gar alleyn Vnd vngetrengt von der gmeyn Dann sie sich nit wol mögen lyden Der feyn klubt fädern / der stricht kryden Der liebkoßt / der runt jnn die oren Das er vff kum jn kurtzen joren Vnd sich mit deller schlecken ner [...] (Vers 1-11).

Damit ist das Ziel schmeichlerischer Höflinge, deren Eigenschaften und Handlungen in den folgenden Versen noch mit einigen anderen eingängigen Formulierungen umschrieben werden, benannt: genüßliches Leben auf Kosten anderer und persönliche Bereicherung. Sind Charakter und Absichten der Höflinge verwerflich, so werden sie bedauerlicherweise dadurch noch begünstigt, daß der Hof gerade für sie offen steht: Wer schlagen kan / hör vnder woll Der selb zü hoff gern bliben soll 52 33

34

Stultifera Nauis, S. piv. Zu Lochers Übersetzung vgl. Kärtner, Des Jakob Locher Philomusus Stultifera navis< und ihr Verhältnis zum >Narrenschiff< des Sebastian Brant. Nauicula siue specula fatuorü, S. Nnij v ; vgl. ed. Zarncke, S. 443.

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Do ist er worlich lieb / vnd wert Der erberkeyt man do nit bgert (Vers 19-22).

In den folgenden Versen (25-28) wird dann als Hauptgefahr für die Höflinge geschildert, wie übertriebene und falsche Schmeichelei zum Entzug der fürstlichen Gunst und damit auch des höfischen Auskommens führen können. Dies entspräche zwar Brants Vorstellungen und Wünschen, doch hält er die Entlarvung von Schmeichlern für höchst unwahrscheinlich, weil es am Hof an echter Weisheit mangelt und alle sich gut zu verstellen wissen (Vers 29-33). Daher kommt es nicht dazu, daß die vielen Narrenkappen der Höflinge frei werden (Vers 34), sondern es bleibt bei der schon getroffenen Feststellung: Mit torheit dûnt sie all vmb gon Went mir die narrenkapp nit Ion (Vers 23-24).

Diese beiden Verse haben innerhalb des Kapitels 100 eine exponierte Stellung: In der von Gaier als Ratiocinatio bestimmten Form dieses Kapitels stehen sie am Ende der Approbatio (Vers 1-18) und Assumptio (Vers 19-24), d. h. der Beschreibung der niedrigen Absichten der Höflinge und der entsprechend niedrigen Erwartungen seitens der Höfe, und sie leiten die Approbatio (Vers 25-28) und die Complexio (Vers 29-34) ein, d. h. die Behauptung, daß eine Entlarvung höfischer Schmeichelei zwar möglich ist, aufgrund der allgemeinen Verstellung am Hofe aber recht selten vorkommt. Zugleich weist Vers 24 zurück auf Kapitel 99, in dessen Motto Brant den ihm in Kap. 100, Vers 24 versagten Wunsch erstmals formulierte: Ich bitt üch herren groß / vnd kleyn Bedencken den nutz der gemeyn Lont mir myn narrenkapp alleyn (Kap. 99, Motto).

Unter dem Aspekt verantwortungsvoller politischer Beratung, wie sie am Hof geübt werden sollte und beim damaligen Zustand des Reichs nach Brants Meinung mehr als nötig gewesen wäre, bildet das hofkritische Kapitel 100 mit seiner Schilderung eigennütziger und schmeichlerischer Höflinge einen scharfen Kontrast zu Kapitel 99, wo Brant sich als unerschrockener und nur am Gemeinwohl interessierter Mahner und Berater geriert. Zugleich aber leitet Kapitel 100 die abschließende Kapitelfolge ein (Kap. 100-112), nach Gaiers Analyse die Peroratio, d. h. die eindringliche Darstellung jener besseren, weniger törichten menschlichen Verhaltensweise, die aus der richtigen Anwendung der bisher entfalteten Gedankengänge des >Narrenschiffs< hervorgehen würde. 35 Erneut werden dabei - wie Zeydel aufgewiesen hat36 - die Zen35

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Vgl. Gaier, Studien, S. 181 und bes. S. 186ff. sowie S. 370ff. Zum Begriff

tralbegriffe Falschheit, Wahrheit und Weisheit in kunstvoll verwobener Steigerung demonstriert. Mit dem Ziel einer möglichst nachhaltigen affektuösen Beeinflussung geschieht dies - wie Gaier dargelegt hat37 - nicht nur durch die Vorstellung der richtigen, durch Wahrheit und Weisheit geprägten Lebensform (Kap. 106, 107, 112), sondern auch durch die abschreckende Schilderung von Verhaltensweisen, die der Falschheit verhaftet sind. Daß Brant zu diesem Zweck mit der Schilderung einer durch Heuchelei und Verstellung bestimmten Hofsphäre einsetzte, ist gewiß kein Zufall: Zum einen traf dies die aus den politischen Verhältnissen resultierende Tatsache, daß sich Falschheit gerade am Hof für die Allgemeinheit verderblich auswirkte; zum andern entsprach dieser Einsatz dem in der moralistischen Literatur seit dem Mittelalter sich verfestigenden Klischee, daß der Hof der bevorzugte Sitz der Falschheit sei. Mithin wußte Brant die traditionelle literarische Hofkritik wirkungsvoll im Sinne der politischen Intentionen einzusetzen, die er mit dem Kapitel 99 seines >Narrenschiffs< verfolgte. Mit Kapitel 101 >Von oren blosen< setzt Brant die Schilderung der auf die Zeit des kommenden Antichristen hindeutenden Falschheit fort, doch will er die in diesem Kapitel dargestellten Handlungs- und Verhaltensweisen der Verleumdung und der Leichtgläubigkeit als allgemeinmenschliche Laster verstanden wissen. Ein Bezug dieses Kapitels auf den Hof wird explizit nicht hergestellt, obwohl dies beim Thema der Ohrenbläserei naheliegend wäre (vgl. Kap. 100, Vers 9). Nur noch die Exempla, die dem Alten Testament entnommen sind und auf Geschehnisse an altorientalischen Höfen anspielen, 38 verleihen auch diesem Kapitel einen höfischen Erfahrungshintergrund und machen es - wenn der Leser dies will - für die Hofkritik brauchbar. Ein derartiges Verweisen auf Exempla aus der höfischen Sphäre läßt sich auch in einigen anderen Kapiteln beobachten (vgl. Kap. 7, 8, 12, 15, 24, 26, 37, 46, 53, 56), wo mitunter an Gestalten und Episoden erinnert wird, die auch in der sonstigen hofkritischen Literatur immer wieder Erwähnung finden (z. B. in Kap. 24 die vielzitierte Begegnung zwischen Alexander dem Großen und dem Philosophen Diogenes). Dergestalt aber war das >Narrenschiff< für Brants Zeitgenossen und für die folgenden Generationen zu einem ganz ansehnlichen Teil auch un36

37 38

>Peroratio< vgl. Lausberg, S. 236ff. Vgl. Edwin H. Zeydel, Some Literary Aspects of Sebastian Brant's >NarrenschiffVon nuwen funden< die allgemeine Modesucht unter den Menschen als Narrheit verurteilte, modifizierte und amplifizierte der englische Übersetzer des >NarrenschiffsShip of Fools< dieses Kapitel auf eine solche Weise, daß es sich in erster Linie gegen die direkt angesprochenen Höflinge und Stutzer am Hof der frühen Tudors richtete.39 Für diese aktualisierende hofkritische Ausrichtung und Bearbeitung des Kapitels 4 kann eine gewisse Begründung darin gesehen werden, daß die Modesucht bereits in der früheren moralistischen und hofkritischen Literatur in besonderer Weise den Höflingen nachgesagt wurde. Ein vergleichbarer Grund für die hofkritische Amplifizierung eines anderen Kapitels konnte jedoch bei dem folgenden Beispiel nicht ausfindig gemacht werden, und so erscheint es als ziemlich willkürlich, daß Johann Geiler von Kaysersberg das Thema der höfischen Schmeichelei in seinen Predigten über das >Narrenschiff< ausgerechnet anhand von Kapitel 40 >An narré sich stossen< behandelt, wo es bei Brant nicht im entferntesten berührt wird.40 Etwas näherliegend ist es wieder, wenn Geiler in seiner Predigt über das oben schon erwähnte Kapitel 56 >von end des gewalttes< die Überheblichkeit der Mächtigen anprangert, die sich durch Wucher und Raub die Mittel für den Bau ihrer Burgen und Paläste verschafften.41 Aber auch hier geht er weit über seine Vorlage hinaus, wenn er den verderblichen Einfluß von Höflingen auf die Fürsten beschreibt: et qdê aliqñ cü dñi clemêtes essent natura aut institutiöe: aulicis impulsi et adulatoribus / crudeles efficiunt I subditos.42 Manchmal sind aber auch die Herrn selbst von Natur oder durch gute Erziehung milde, sie werden aber durch die Aufreizungen ihrer Hofleute und Schmeichler hart und grausam gegen ihre Unterthanen.43 39

40

41 42 43

46

Vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 190ff„ bes. S. 193ff.; Kap. 4 in Barclays Übertragung auch bei Zarncke, S. 238ff. Vgl. Geiler, Nauicula, S. Oiiij' (Turba X X X I X ) ; Geilers von Kaisersberg ausgewählte Schriften in freier Bearbeitung von Philipp de Lorenzi, Bd. 2, S. 106f. Vgl. Geiler, Nauicula, S. Τ viijv (Turba LV) = ed. Lorenzi, S. 154. Geiler, Nauicula, S. U. Ed. Lorenzi, S. 155.

Diese Stelle, die stark an die von Commynes erhobenen Vorwürfe gegen tyrannisch gesinnte Hofleute erinnert, wurde in einer deutschen Ausgabe von Geilers Predigten, die 1574 in Basel erschien, noch einmal erweitert: Hergegen aber sein etliche Herren von natur geneigt auff die Tyranney, vnd wenn sie schon etwann milte vnd barmhertzige Räth haben, behalten sie dieselben nicht lang, sondern nemmen jhres gleichen, die auch ein Tyrannisch gemüth haben wie er. Diese liebet er, weil sie jhm allzeit zu ohren tragen, vnd jm in allen dingen schmeichlen vnd gewonnen geben. 44

Mit dieser zusätzlichen Kommentierung von Geilers Predigt über Kapitel 56 des >Narrenschiffs< liegt ein erstes Beispiel für die im Verlauf eines Jahrhunderts vorgenommene sukzessive Erweiterung und Verschärfung eines hofkritischen Textes vor. Komplementär zu der von Geiler genannten Möglichkeit, daß ein Fürst durch seinen Hof zum Tyrannen gemacht wird, erscheint hier die andere Möglichkeit, daß sich ein tyrannischer Fürst einen gleichgesinnten Hofstaat heranzieht. Gegenüber >guten< Höflingen, von denen in der hofkritischen Literatur freilich selten die Rede ist, mag dies ein Akt der Gerechtigkeit gewesen sein; die fürstlich-höfische Regierungsform indessen wurde dadurch noch mehr in Verruf gebracht: Die Tendenz zur Tyrannis schien vorherrschend gewesen zu sein, gleichgültig ob der erste Anstoß von Höflingen oder vom Fürsten ausging, und der Hof schien allenfalls zur Verstärkung dieser Tendenz zu taugen, nicht zur Abschwächung, wenn erst der Fürst zu einer tyrannischen Politik entschlossen war. Die Kritik am Hof als der politisch entscheidenden Institution ergänzte Geiler in seiner Predigt über Kapitel 99, in welcher er sich an die »Haubt narre / regier narren / fürst narren« 45 wandte, noch um einen weiteren Punkt, indem er die Ansicht vertrat, daß ein Land nicht wohl regiert sein könne, wenn sein Fürst sich den für die Höfe typischen Lastern der Hurerei, der Völlerei und des Spielens hingebe. 46 Die Unverblümtheit, mit der Brant und Geiler ihre Hofkritik vorbrachten, wirft die Frage auf, ob sich dadurch niemand betroffen oder beleidigt fühlte und zum Einschreiten veranlaßt sah? Freilich, die Kritik war allgemein gehalten, kein Hof mußte sich als unmittelbar angegriffen betrachten, und was den ersten und engeren Wirkungsraum des >Narrenschiffs< und der >Narrenschiff-Predigten< angeht, so fehlte im zersplitterten Elsaß eine leitende Dynastie und ein zentraler Hof,47 der 44 45 46

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Welt Spiegel, oder Narren Schiff, S. 213ff., hier S. 533. Geiler, Nauicula, S. Mm iiij r (unpaginiert). Geiler, Nauicula, S. Mm iiij v (unpaginiert) = ed. Lorenzi, S. 257 = Welt Spiegel, S. 748. Vgl. Mertens, S. 187. 47

sich gegenüber derartiger Kritik als unduldsam erweisen hätte können. Welchem Hof aber galt dann die Kritik, die Brant und Geiler so unerschrocken vorbrachten, und aus welchen Gründen gaben sie ihr so viel Raum in ihrem Werk? Bei Brant muß an seine politischen Intentionen erinnert werden, die ihn an den Kaiser, an die Fürsten und an ihre Höfe appellieren ließen. Doch bei Geiler, der vor dem reichsstädtischen Publikum Straßburgs predigte, sind vergleichbare Absichten nicht festzustellen, und folglich muß nach anderen Gründen für seine Hofkritik gesucht werden. Für Geiler - und allerdings auch für Brant - muß möglicherweise in Betracht gezogen werden, daß Hofkritik allmählich als ein obligatorisches und zudem beliebtes Thema der Moralistik betrachtet wurde, das in einer Moralsatire vom Umfang und Anspruch des >Narrenschiffs< und in einem darauf basierenden Predigtenzyklus nicht mehr fehlen durfte. Daß andererseits durch das Medium dieser Schriften bzw. Predigten die Popularität des Themas Hofkritik beträchtlich gesteigert und seine Argumentation und Topik verfestigt wurde, versteht sich von selbst, zumal bei der ungeheuren Wirkung, die Brants >Narrenschiff< und die Predigtenliteratur generell zeitigten.48 Die bisher aufgewiesenen hofkritischen Partien von Brants >Narrenschiff< beziehen sich im wesentlichen auf die Abweichung von der Wahrheit und von der gemeinnützigen Beratertätigkeit am Hof (vgl. Kap. 37, 46, 56, 99, (101)) sowie auf das eigennützige höfische Schmarotzertum (Kap. 100). Dies waren Erscheinungen der höfischen Welt, die unabhängig vom höfischen oder nichthöfischen Standpunkt des Beobachters als kritikwürdig gelten mußten, solange Wahrheit, Aufrichtigkeit und Gemeinnutz als religiöse und moralische Normen für alle Teile der Gesellschaft Verbindlichkeit hatten. In der Tat nahmen immer wieder auch Höflinge, die sich nicht völlig einem höfischen Karrieredenken und Parasitendasein unterworfen hatten, an Schmeichelei und Schmarotzertum Anstoß und verarteilten sie als menschenunwürdige, moralisch verwerfliche und politisch unverantwortliche Handlungs- und Verhaltensweisen. Philippe de Commynes und Aeneas Sylvius Piccolomini lieferten dafür nur die ersten Beispiele. Darüber hinaus setzt aber Sebastian Brant an einigen Stellen des >Narrenschiffs< zu einer von spezifisch städtisch-bürgerlichen Normvorstellungen getragenen Kritik an einigen genuin höfischen Verhaltensformen an. So folgt aus Kapitel 26 >von vnnutzë wunschë< und Kapitel 50 >Von 48

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Zur Wirkungsgeschichte des >Narrenschiffs< erübrigen sich Angaben; zur Breitenwirkung der Predigtenliteratur vgl. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 17.

wollustvon nachtes hofyeren< kritisiert Brant, daß die Gewohnheit des nächtlichen Ständchenbringens, die durch die Kapitelüberschrift und durch Geilers Exegese als ursprünglich höfische ausgewiesen wird,30 allmählich auch in den Städten um sich greift, obwohl daraus nur Schade und Schande erwachsen. Noch deutlicher kommt das Ressentiment gegen höfische Lebensformen in Kapitel 32 >Von frowen huetten< zum Vorschein. Brant charakterisiert in diesem Kapitel das >zuchtvolle< und >schickliche< Betragen von Frauen, und neben anderem verlangt er, daß die »fröme frow [...] nit hoffwort mit yederman« austausche (Vers 25-28). Schon Zarncke erläuterte, daß unter dem Begriff >hoffwortDerbheit< bürgerlicher Sitten zurückzuführen ist, oder auf eine hinsichtlich des geselligen Umgangs beider Geschlechter besonders rigide bürgerliche Moralität, die manchen Ton und viele Formen des höfischen Umgangs von Mann und Frau als lasziv empfinden mußte. Jedenfalls aber zeigt sich bei Brant die Tendenz, städtisch-bürgerliche Sitten von höfischen abzugrenzen und bürgerliche Verhaltensnormen in der Auseinandersetzung mit höfischen zu formulieren. Insofern können einige Ansätze von Brants Hofkritik als spezifisch bürgerlich bezeichnet werden. Dabei wäre es undifferenziert, zu sagen, daß der Hof von Brant durchweg als negative Gegenwelt zu einer zwar kritikwürdigen, gleichwohl aber besseren bürgerlichen Sphäre betrachtet worden wäre. Im Gegenteil räumt Brant dem Hof Vorbildlichkeit in Fragen der Tischsitten ein. So kritisiert er in Kapitel 110a >Von disches vnzucht< diejenigen, die sich bei Tisch nicht zu benehmen wissen und durch ihre 49 50

51

Vgl. ed. Mähl, S. 100 Anm. 11. Gegen das >hofieren< wendet sich Brant noch einmal in Kap. 110b, Vers. 73. Zur Wortgeschichte vgl. ed. Zarncke, S. 261 und bes. S. 398 = Geiler, Nauicula, S. y iij v f. Vgl. ed. Zarncke, S. 365.

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schlechten Manieren auffallen. Gegenüber solcher »grobheyt« (Vers 188) besteht Brant auf dem Festhalten an der mehrmals genannten »hofzucht« (Vers 6, 20, 114 und auch Vers 14, 135, 159, 187, 198), die auch schon in der 1492 von Brant übersetzten >Thesmophagia< als Norm gilt.52 Mit anderen Worten: Brant verlangte vom Bürgertum die Kultivierung der Tischsitten nach den Normen einer als vornehm betrachteten Art des Speisens, die den Höfen bzw. der höfischen Oberschicht zugeschrieben wurde. 53 Somit erscheint Brants Verhältnis zur höfischen Welt, wie es sich im >Narrenschiff< abzeichnet, als ambivalent: Einerseits kritisierte Brant höfische Phänomene, die seinen politischen Intentionen und seinem sozialen Verantwortungsgefühl nicht entsprachen (Pervertierung der Höflings- und Beraterstellung) oder seinem moralischen Rigorismus zuwiderliefen und von ihm als die verwerflichen Vorbilder des bürgerlich-städtischen Sittenverfalls aufgefaßt wurden (Luxus, Hofieren und Komplimentieren). Andererseits ist der Hof für Brant nicht nur Ausgangspunkt einer beklagenswerten Depravation bürgerlicher Sitten, sondern wird von ihm auf dem Gebiet der Tafelbräuche und der Geselligkeit bei Tisch als vorbildlich anerkannt. Und diese Ambivalenz ist auch bei anderen und späteren Hofkritikern immer wieder zu beobachten. Sogar einige der schärfsten bürgerlichen Kritiker zeigen sich fasziniert vom Reiz vollkommener höfisch-aristokratischer Umgangsformen, solange diese nicht auf irgendeine Weise übertrieben oder durch die Überbetonung einer ihrer Komponenten entstellt sind.

4. Erasmus von Rotterdam: Hofkritische Fürstenerziehung und unhöfisches Lebensprinzip

Wie Sebastian Brant nutzte auch Erasmus von Rotterdam 1 in seinem so oft mit Brants >Narrenschiff< verglichenen moralistisch-satirischen " Vgl. ed. Zarncke, S. 147ff„ bes. Vers 48, 105, 300, 561, 574, 664, 704, 747; vgl. ebd., S. XXXIV. 53 Vgl. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, S. 75ff. (wo Brant allerdings nicht erwähnt wird). 1 Als neuere umfassende Arbeiten zu Erasmus mit ausführlicher Einbeziehung der Forschungsliteratur vgl. Tracy, Erasmus; Stupperich, Erasmus von Rotterdam und seine Welt (konnte für die vorliegende Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden).

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Traktat >Μωρίας Εγκώμιον sive Laus Stultitiae< (1509 verf., 1511 pubi.)2 die Gelegenheit, einige von ihm wie schon von der älteren Hofkritik als negativ bewertete Erscheinungen des höfischen Lebens anzuprangern, insbesondere das Lotterleben allzuvieler Hofschranzen. 3 Bereits im 16. Jahrhundert wurde das >Lob der Torheit< in hofkritischem Kontext angeführt," und noch im 18. Jahrhundert, als das Büchlein in fast 160 Auflagen Verbreitung gefunden hatte, 5 wurde es für die Hofkritik verwendet. 6 Möglicherweise resultiert jedoch die starke Beachtung, die das >Lob der Torheit< als hofkritische Schrift fand, nicht so sehr aus dem ursprünglichen Text des Erasmus als vielmehr aus der ersten deutschen Übersetzung des Sebastian Franck, die 1534 unter dem Titel >Das Theür vnd Künstlich Büchlin Morie Encomion / das ist. Ein Lob der Thorhait< 7 erschien. Die hofkritische Tendenz ist darin entschieden verstärkt. Während nämlich Erasmus ein ironisch-sarkastisches >Lob< auf die Schmeichelei als allgemeinmenschliche Verhaltensweise ausbrachte, ohne sie namentlich auf den Hof zu beziehen, 8 sah Franck in den Schmeichlern gleich »ein groß und empsig gesind an den fürstenhöfen«, mit dem Erasmus nach Francks Ansicht offensichtlich zu milde verfahren war. Franck fügte an dieser Stelle eine seiner drei großen Anmerkungen ein und bezichtigte in einem Ton, der aller lukianischerasmianischen Ironie entbehrt, die »zutüttler, [...], zungentrescher, [...], holwanger, federklauber, jaherrn, liebkoser, orenkrauer, zungentrager, heuchler, gleißner, [...], Gnatones, wortverkaufer, zuschmeichler, liebtraber«, zu allen Zeiten aus Fürsten Tyrannen gemacht und 2

Vgl. Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Werner Welzig. Bd. 2. Eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Wendelin Schmidt-Dengler. - Ausführlich zum >Moriae Encomium< vgl. Könneker, Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, S. 248ff. 3 Vgl. ed. Welzig, S. 160ff. (Kap. 56). 4 Vgl. die jüngere Glosse zum >Reynke de vos< (1539), III/10, ed. Brandes, S. 170 = Gottschedsche Übersetzung (1752), ed. Birke, S. 372. 5 Vgl. Eckert, Erasmus von Rotterdam, Bd. 1, S. 140f. 6 Vgl. Seckendorf^ Teutscher Fürsten-Staat, Jena 1737, S. 459 (Anmerkung); vgl. auch Friedrich Carl von Moser, Der Herr und der Diener, S. 62; vgl. Kaegi, Erasmus im 18. Jahrhundert. 7 Benutzte Ausgabe: Das Theür vnd Künstlich Büchlin Morie Encomion das ist. Ein Lob der Thorhait / von Erasmo Rotterodamo schimpfflich gespilt / zü lesen nit weniger nützlich / dann lieblich / verteütscht. (Ohne Ort und Jahr); Das Lob der Thorheit (Encomion Moriae) aus dem Lateinischen des Erasmus von Rotterdam verteütscht von Sebastian Fran(c)k. Bevorwortet und mit Anmerkungen versehen von Ernst Goetzinger. ; vgl. Kommoß, Sebastian Franck und Erasmus von Rotterdam, bes. S. 29f. und S. 93ff. 8 Vgl. ed. Welzig, S. 102ff. (Kap. 44).

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Land und Leute verdorben zu haben.9 Die Bibel und »alle historien« werden zum Beweis angeführt, und Francks Erfindungsgabe, das schädliche Tun der Schmeichler in immer neuen Metaphern zu beschreiben, ist bewunderungswürdig. Wenn es möglich wäre, von der Vielzahl der Bezeichnungen und Bildvergleiche für Schmeichler und Schmeichelei auf deren Bedeutung für das höfische bzw. das gesamte gesellschaftliche Leben zu schließen, so könnte sie kaum überschätzt werden.10 Francks Anmerkung zum >Lob< der Schmeichelei ist zudem ein weiteres Beispiel dafür, wie das hofkritische >Potential< eines literarischen Werks durch eine editorische Zutat herausgestellt werden konnte. Freilich wußte auch Erasmus von Rotterdam, daß die Schmeichelei als das Hauptübel der Höfe galt. Seine Ausführungen in der >Institutio Principis Christians (1515-16)" lassen keinen Zweifel daran, daß er die Wirkung der höfischen Schmeichelei als äußerst folgenschwer betrachtete. Von den historisch-biographischen Voraussetzungen12 und vom Gedankengang13 dieses Fürstenspiegels, der in der ersten Ausgabe dem gerade mündigen Prinzen Karl von Burgund, dem späteren Kaiser Karl V.,14 und in der zweiten Ausgabe seinem Bruder Ferdinand gewidmet 9

Vgl. ed. Franck, S. 36Γ = ed. Goetzinger, S. 81 (hier Kap. 23). Vgl. Smith, The Anti-courtier Trend, S. 9 Anm. 2: 1593 wußte man in Frankreich über 50 Epitheta zum Wort >courtisanInstitutioInstitutio< von Christian, S. XIVff.; Gail, S. 9ff., bes. S. 25ff.; detailliert zur Entstehung: Herding, S. 97ff. 13 Vgl. dazu Herding, S. 118ff. ; Ludwig Enthoven, Über die Institutio Principis Christiani des Erasmus. 14 Vgl. Gail, S. 26 und Herding, S. 102. Es gibt Indizien dafür, daß Karl V. die >Institutio< zur Kenntnis nahm und auch für die Instruktion an seinen Sohn verwendete (vgl. Eckert, Bd. 1, S. 176). 10

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war, 15 kann hier nur besprochen werden, was für den hofkritischen Charakter dieser Schrift unmittelbar von Bedeutung ist oder ihre hofkritische Komponente ausmacht. 1 6 Die staatspolitischen Überlegungen können nur soweit, wie unbedingt nötig, ins Blickfeld miteinbezogen werden.' 7 Gleich zu Beginn der >Institutio< betont Erasmus - im Hinblick auf die Regierungsform der Erbmonarchie - die Notwendigkeit einer besonders guten Erziehung des zukünftigen Herrschers. 1 8 E r geht dabei von der Prämisse aus, daß jede erzieherische Anstrengung für gewöhnlich Erfolg zeitigt. 19 Es darf daher - zum Wohl der Allgemeinheit und des Vaterlands 2 0 - von frühester Kindheit an 2 ' keine Mühe gescheut werden, den Prinzen zu einem guten Menschen und guten Herrscher zu erziehen, 22 zu einem wahrhaft philosophischen König, 2 3 der wie ein guter Hausvater 2 4 und als echter Statthalter Gottes 25 nach den Grundsätzen christlicher Liebe über die Seinen herrscht, 2 6 von hohem sittlichem Vgl. Herding, S. 102 und Christian, S. XV. Ferdinand ließ Erasmus mitteilen: »libellum De Principis institutione semper habet in manibus« (Herding, S. 102). " Vgl. Hinweise bei Uhlig, Hofkritik, S. 202. 17 Ausführlich dazu (unter Einbeziehung auch anderer Schriften): Geldner, Die Fürstenlehre und Staatsauffassung des Erasmus von Rotterdam; von Koerber, Die Staatstheorie des Erasmus von Rotterdam. - Knapp skizzierend: Gail, S. 9ff. - Im folgenden können nur die jeweils zentralen Stellen genannt werden. Bei der Breite von Erasmus' Ausführungen und der Vielzahl seiner Anspielungen taucht selbstverständlich fast jeder wichtige Gedanke mehrmals auf. 18 Vgl. ed. Christian, S. 114/115. " V g l . ebd., S. 116ff./117ff. 20 Vgl. ebd., S. 116ff./l 17ff. 21 Vgl. ebd., S. 114/115. 22 Ed. Christian, S. 220: »Si potes simul esse Princeps et vir bonus, fungere pulcerrimo muñere: sin minus, abjice Principem potius quam ut ea gratia vir malus fias.« Erasmus hält an einer Vereinbarkeit von Herrscheramt und menschlicher Qualität fest, die immer mehr in Frage gestellt (vgl. ed. Herding, S. 121 f.) und in der hofkritischen Literatur bis zum 18. Jahrhundert als wichtiges Thema behandelt werden sollte. 23 Vgl. ed. Christian, S. 134/135 = ed. Gail, S. 58/59 = ed. Herding, S. 144f. Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich Erasmus andernorts mit dem platonischen Ideal (Rep. 473d und 503b) auseinandersetzt (vgl. das Adagium IV 8,89 und das Kap. 24 im >Encomium MoriaeInstitutio< das Ideal des Philosophen >christianisiert< : vgl. dazu die Erläuterungen von Herding, S. 122f. und Gail, S. 13. " V g l . ed. Christian, S. 178/179 (paterfamilias). 25 Vgl. ed. Christian, S. 150/151 (Dei vicarium). 26 Vgl. ed. Christian, S. 140/141, bes. S. 192ff./193ff. 15

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Adel ist,27 mit gründlicher Sachkenntnis28 seinen Regierungspflichten obliegt29 und sich nicht in höfischen Vergnügungen verliert.30 Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt Erasmus eine Reihe von pädagogischen Maßnahmen vor: die ständige akustische und optische Vergegenwärtigung von Sinnsprüchen und Gleichnissen,31 das Studium von Biographien großer Männer,32 Fabelauslegungen,33 die ethische Deutung der Herrscherinsignien,34 die kontrastive Darstellung schlechter und guter Fürsten, um Abscheu vor den einen und Begeisterung für die anderen zu wecken,35 die Betrachtung der Tierwelt.36 Das ganze Erziehungswerk muß aber in den Händen eines sorgfältig ausgewählten37 Erziehers liegen, der die natürlichen Veranlagungen des Prinzen zu erforschen weiß,38 und es versteht, sie durch die richtige Reaktion in gute Bahnen zu lenken: Ejusmodi debet esse futuri Principis institutor, ut (quemadmodum eleganter a Seneca dictum est) et objurgare norit citra contumeliam, et laudare citra adulationem: quem ille simul et revereatur ob vitae severitatem, et amet ob morum jucunditatem. 39

Der Prinzenerzieher bildet im pädagogischen Konzept der >Institutio Principis Christiane den sittlichen Gegenpol zur verdorbenen Hofgesellschaft, welcher der zukünftige Herrscher unter gar keinen Umständen überantwortet werden darf : Ne nutricibus quidem quibuslibet est committendus imperio natus, sed integris et ad id ipsum praemonitis et edoctis: nec collusoribus quibusvis admiscendus, sed bonae verecundaeque indolis pueris, ac liberaliter sancteque habitis et institutis. Lascivorum juvenum, ebriosorum, turpiloquorum, in primis autem adulatorum turba procul ab hu jus auribus atque oculis erit arcenda, dum nondum praeceptis confirmatus animus. Cum pleraque mortalium 27

Vgl. ed. Christian, S. 136f./137f. ; vgl. dazu in den >Colloquia familiaria< das Colloquium >Ementita nobilitas< (Ausgewählte Schriften, ed. Welzig, Bd. VI, S. 472ff.). 28 Vgl. ed. Christian, S. 250/251 ; vgl. dazu die Anmerkung von Herding, S. 120. 29 Vgl. ed. Christian, S. 330f./331f. 30 Vgl. ed. Christian, S. 332/333. 31 Vgl. ed. Christian, S. 122/123Í. 32 Vgl. ed. Christian, S. 124/125. 33 Vgl. ed. Christian, S. 126/127. 34 Vgl. ed. Christian, S. 138/139 und S. 214/215ff. 35 Vgl. ed. Christian, S. 160/161. " V g l . ed. Christian, S. 168/169. 37 Vgl. dazu die sarkastischen Auslassungen des Erasmus, ed. Christian, S. 118/119. 38 Vgl. ed. Christian, S. 122/123. 39 Ed. Christian, S. 118/119.

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ingenia vergant in malum, ad haec porro nullum tarn feliciter natum ingenium, quod perversa educatione non corrumpatur: quid nisi magnum malum exspectes ab eo Principe, qui quocumque natus ingenio (ñeque enim imagines, ut regnum, ita mentem quoque praestant) statim ab ipsis incunabulis, stultissimis inficitur opinionibus, enutritur inter stultas mulierculas, adolescit inter lascivas puellas, inter collusores perditos, inter abjectissimos assentatores, inter scurras et mimos, inter combibones et aleatores, ac voluptatum architectes juxta stultos ac nequam: inter quos nihil audit, nihil discit, nihil imbibit, nisi voluptates, delicias, fastum, arrogantiam, avaritiam, iracundiam, tyrannidem : atque ab hac schola mox adhibetur ad regni gubernacula. Cum caeterarum artium optima quaeque sit difficillima, nulla autem neque pulcrior ars, neque difficilior, quam bene regnandi: cur ad hanc unam nullam desideramus institutionem, sed satis esse ducimus natos esse.40 Uhlig hat mit Recht festgestellt, daß Erasmus mit seinen hofkritischen Auslassungen weithin literarischen Vorbildern folgte, die er zum Teil selbst schon bearbeitet hatte. 41 Entscheidend ist aber, daß die Hofkritik in der >Institutio< im R a h m e n eines umfassenden 4 2 Konzepts der Fürstenerziehung erscheint. Einzelne Teile dieses Konzepts reagieren sozusagen direkt auf Hauptvorwürfe der traditionellen Hofkritik und zielen auf eine Praxis, die diesen Vorwürfen enthoben ist. Dies zeigt sich nicht nur in der Gegenüberstellung von Prinzenerzieher und Hofgesellschaft, sondern noch viel deutlicher im zweiten Kapitel der >InstitutioDe adulatione vitanda Principi^ 4 3 Die Schmeichelei ist allgemein. Sie tritt dem jungen Prinzen entgegen in Gestalt der Ammen, 4 4 der Spielkameraden und Diener, 4 5 bedauerlicherweise auch der Erzieher, 4 4 der Ärzte, 4 7 der Beichtväter und Priester, 48 der Redner und Dichter, deren Schmeichelei allerdings weniger schädlich ist, weil bekannt ist, daß sie den Fürsten nicht nach dessen Verdienst, sondern nach ihrer Begabung loben. 49 A m gefährlichsten sind diejenigen, die unter dem Anschein von Freimut und FreundEd. Christian, S. 120/121. Vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 202; überhaupt ist die >Institutio< nicht bedeutend durch die Originalität der Gedanken, vielmehr durch die Auswahl aus der überlieferten Fürsten- und Staatslehre: vgl. ed. Herding, S. 119ff.; zu Erasmus' Quellen: S. 120 Anm. 90 und Anmerkungen zum Text. 42 Vereinzelte Vorschläge finden sich schon bei Aeneas Sylvius und Commynes. 43 Ed. Christian, S. 226ff./227ff. = Gail, S. 124ff./125ff. = ed. Herding, S. 175ff. (mit Belegstellen); vgl. dazu Uhlig, S. 202f. 44 Vgl. ed. Christian, S. 228/229. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. ebd., S. 230/231. 47 Vgl. ebd., S. 232/233. 48 Vgl. ebd. 49 Vgl. ebd. und dazu unten Anm. 71. 40 41

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schaft ihre Schmeichelei geschickt als Tadel oder Lob Verkleiden.50 Daneben darf die Schmeichelei nicht unterschätzt werden, die von Bildern, Statuen und Titeln,51 ja sogar von den Gesetzen52 ausgeht. Nachdrücklich schärft Erasmus seinen Lesern die verderblichen Folgen der Schmeichelei ein: Et ne quis hoc ceu leve malum existimet negligendum, sciat florentissima summorum Regum imperia, Unguis adulatorum fuisse subversa. Nec usquam gravi tyrranide legimus oppressam Rempublicam ubi non praecipuae partes tragoediae fuerint assentatorum. 53

Als Schutzmittel gegen die Schmeichelei entwirft Erasmus für den heranwachsenden Fürsten ein umfangreiches Lektüreprogramm, das vorzugsweise die antiken Moralisten und Historiker sowie die Weisheitsliteratur des Alten Testaments in sich schließt.54 Erasmus nennt als Urheber dieses Gedankens den athenischen Staatsmann Demetrius von Phaleron,55 doch taucht der Vorschlag, der Fürst solle sich durch Lektüre gegen Irreführungen schützen, auch in größerer zeitlicher Nähe zu Erasmus auf, so z. B. bei Aeneas Sylvius56 und bei Commynes.57 Er scheint dann zu einem fürstlichen >Hausmittel< gegen Schmeichelei und Irreführung geworden zu sein; wenigstens empfahl auch Ludwig XIV. seinem Nachfolger, zu diesem Zweck zu lesen.58 Ausgehend von der oben zitierten Formulierung, daß »die Schmeichler die Hauptrolle in der Tragödie« einer jeden Tyrannis spielten, könnte im übrigen auch neues Licht auf die Bedeutung der Schmeichelei in der Tragödienliteratur fallen. Läßt man die genannte Behauptung als Leseerfahrung59 des >Gelehrten< Erasmus gelten; bedenkt man ferner, 50

Vgl. ebd., S. 232f./233f. ; dazu und zu Erasmus' Gewährsmann Plutarch vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 202. 31 Vgl. ed. Christian, S. 234ff./235ff. 52 Vgl. ebd., S. 238/239. 53 Ed. Christian, S. 226/227. 54 Vgl. ed. Christian, S. 238ff./239ff. 55 Vgl. ed. Christian, S. 238f./239f. = ed. Herding, S. 179 mit Tradierungsnachweis in Anm. 413. D. war von 317-307 v. Chr. Archon. 56 S. o. und vgl. Briefwechsel des Aeneas Silvius Piccolomini, ed. Wolkan, Bd. l / \ , S. 228 = Briefe, ed. Mell/Bürck, S. 93. 57 S. o. und vgl. Commynes, Mémoires, II/6, ed. Mandrot, Bd. I, S. 132f. = ed. Ernst, S. 66. - Für Erasmus kommen die >Mémoires< als Quelle allerdings kaum in Betracht, da sie bis 1524 nur in einigen handschriftlichen Kopien vorlagen (vgl. ed. Ernst, S. XXXV). 58 Vgl. Ludwig XIV., Memoiren, S. 12. 59 Erasmus war nicht nur ein guter Kenner der antiken Geschichtsschreibung, sondern betrachtete auch die römische Kaisergeschichte als beispielhaft für die Fürsten seiner Zeit (vgl. Institutio, ed. Herding, S. 151 Anm. 447). Vgl. hierzu : Kohls, die Bedeutung literarischer Überlieferung bei Erasmus; Harth, Sprachpragmatismus und Philologie bei Erasmus von Rotterdam.

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daß Commynes aufgrund seiner Beobachtungen am Hof Ludwigs XI. und Karls VIII. von Frankreich zu einer ganz ähnlichen Feststellung kam,60 dann wird die wichtige Rolle verständlicher, die der schmeichlerische Intrigant als Initiator tyrannischer Machenschaften in der Tragödienliteratur der folgenden Epochen zu spielen bekam,61 in einer Literatur zumal, die wesentlich als Exempel der Geschichte62 und höfischer Aktionen63 erscheinen wollte bzw. als Darstellung der Folgen höfischer Aktionen für die Gesellschaft.64 Literarische Überlieferung und reale Erfahrungen schienen dafür zu sprechen, die Entartung der legitimen Herrschergewalt zur Tyrannei nicht von der - gottbegnadeten Person des Herrschers ihren Ursprung nehmen zu lassen, sondern von seiner schmeichlerischen höfischen Umgebung. Doch mußdie Schmeichler· und Intrigantenrolle nicht nur als Spiegelung von Wirklichkeit und als Salvierung der Ideologie des Gottesgnadentums verstanden werden; sie muß auch im Hinblick auf die paränetischen Intentionen der Trauerspielliteratur betrachtet werden, die Harsdörffer als »die Schul der Könige« bezeichnete.65 Konnte von der Bühne nicht eine eben so deutliche Warnung vor der Schmeichelei ausgehen wie von der Lektüre der Alten und der Bibel? Die fürstenerzieherischen Intentionen zumindest einiger protestantischer Schuldramen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat zuletzt Marianne Kaiser überzeugend nachgewiesen.66 Erasmus deklarierte seine eindringliche Warnung vor der Schmeichelei als Konsequenz seiner Lektüreerfahrungen. Für ihn selbst wäre es zweifellos auch nicht tunlich gewesen, eigene dahingehende Erfahrungen öffentlich bekannt zu machen.67 Aber Erasmus verfügte über sol60

S. o. und vgl. Commynes, Mémoires, V/19, ed. Mandrot, Bd. I, S. 445 = ed. Ernst, S. 227 und V/20, ed. Mandrot, Bd. I, S. 452 = ed. Ernst, S. 232. 61 Vgl. vor allem Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 45ff., bes. S. 93ff. - Gerade Benjamin setzt die wichtige Rolle des Intriganten in der Ökonomie des Trauerspiels in unmittelbare Beziehung zu dessen didaktischer Absicht. 62 Vgl. Schings, Consolatio Tragoediae. " Vgl. dazu die bekannten Definitionen der Barocktragödie, beispielhaft im 5. Kapitel von Opitz' >Buch von der Deutschen PoetereyEmilia Galotti< und für Schillers >Kabale und LiebeFuchsschwänzereiInstitutio Principis Christiani< entstand unmittelbar nach Erasmus' letztem Aufenthalt in England (1516), wo er von König Heinrich VIII. (seit 1509) enttäuscht worden war. Erasmus hatte große Hoffnungen auf ihn gesetzt, mußte aber erleben, daß auch bei diesem jungen Herrscher die Gelehrten allenfalls der höfischen Repräsentation dienten, und alle Versuche, auf den König im Sinne einer verantwortlichen Regierungsführung Einfluß zu nehmen, an den Versäumnissen seiner Erziehung scheiterten. 68 An fürstenerzieherischen Mahnungen ließ es Erasmus allerdings auch nach 1516 nicht fehlen. Am 9. September 1517 ermunterte er den König in Form eines Lobes, die Gebildeten seines Hofes weiterhin zu schätzen und mit der Lektüre nützlicher Bücher fortzufahren. 69 Der Brief war das Begleitschreiben für eine Abhandlung Plutarchs, die Erasmus ins Lateinische übersetzt und 1516 mit einer Widmung an Heinrich VIII. veröffentlicht hatte: >Quomodo dignosci possit amicus ab adulatoreAntibarbarigroßen Welt< gemacht und ein wichtiger Gemeinplatz der Hofkritik christlich fundiert. Und man darf - wiederum trotz der Konventionalität der Formulierungen - annehmen, daß Erasmus hier auch für sich selber sprach.82 Seine betonte Distanzierung vom höfischen Leben wurde auch später noch als vorbildlich betrachtet,83 und Erasmus galt als prototypisch für die bisweilen stolze Zurückhaltung vieler Humanisten vom Hofdienst.84 Erasmus hatte das >Enchiridion< »amico cuidam aulico« gewidmet, der angeblich des Hoflebens müde war,85 nämlich dem berühmten Geschützgießer Johann Poppenruyter.86 Der ließ sich jedoch von seinem etwas ausschweifenden Lebenswandel nicht abbringen, sondern avancierte 1515 zum »Hofstückgießer« Karls (V.). In diesem Fall mußte Erasmus 1518 die Wirkungslosigkeit seines >Handbüchleins< und seiner Abmahnungen vom Hofle79

Ebd., S. 352ff./353ff. Vgl. Uhlig, Hofkritik, bes. S. 162 f.. 81 Ed. Welzig, S. 356/357. 82 Vgl. Huizinga, Europäischer Humanismus, S. 50. 83 Noch im 17. Jahrhundert führte der Höfling und Moralist La Bruyère in den >Charakteren< (ed. Gerhard Hess, S. 40) Erasmus als Muster des geistig bedeutenden Menschen ohne Titel und Ämter an; vgl. auch Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Zweyter Theil herausgegeben von Christian Gottlieb Jöcher, Leipzig 1750, Sp. 372. 84 Vgl. Kaegi, Erasmus ehedem und heute, S. 11. 85 Ed. Welzig, S. 56/57. 86 Vgl. O. Schottenloher, Erasmus, Johann Poppenruyter und die Entstehung des Enchiridion militis christian!. 80

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ben eingestehen, »siquidem et es adeo se non revulsit ab aula, ut multo altius indies immergatur«.87

5. Hofkritische Implikationen der >Utopia< des Thomas Morus und Probleme ihrer Rezeption in Deutschland bis zum 18. Jahrhundert

Als Thomas Morus' im September 1516 seinem Freund Erasmus das Manuskript seines Buches >von der besten Staatsverfassung und der neuen Insel UtopiaUtopia< und der gleichzeitig entstandenen >Institutio< durchaus seine Berechtigung.4 Aber in einem Zentralproblem des ersten Teils der >Utopia< fehlte jede Gemeinsamkeit der Auffassungen, in der Frage nämlich, ob der Philosoph, der Weise, an den Hof gehen und sich als Fürstenberater an der Regierung beteiligen dürfe. Erasmus hatte durch seine Lebensweise eine klare Antwort darauf gegeben. Der Londoner Richter Morus, der Mitglied einer königlichen Gesandtschaft war, kam jedoch zu einem anderen Schluß. Es genügte ihm offensichtlich nicht, Piatons Ideal vom Philosophen-Herrscher nur »durch die Herausgabe vieler Bücher« anzustreben.5 Seine Auffassung legte Morus im ersten Teil der >Utopia< dar, der dadurch zu einer geistigen Auseinandersetzung mit Erasmus' ablehnender Haltung gegenüber dem Hof wurde und sich zudem wie eine vorweggenommene Apologie von Morus' Entscheidung für den Hof Heinrichs VIII. liest.6 87

Ed. Welzig, S. 2/3. ' Zur Biographie vgl. Chambers, Thomas More; Grundzüge der Biographie und des Werkes in größerem Rahmen bei Meissner, England im Zeitalter von Humanismus, Renaissance und Reformation, S. 80ff. ; Elton, Thomas More. 2 Der lateinische Originaltitel lautet: Libellus vere aureus nec minus salutaris quam festiuus de optimo reip. statu, deq noua Insula Vtopia authore clarissimo viro Thoma Moro inclytae civitatis Londinensis ciue vicecomite [...]. 5 Vgl. Utopia, ed. Ritter/Oncken, S. 14*. 4 Vgl. zur Entstehung Oncken, S. 11 *ff. ; zur Übereinstimmung von >Utopia< und >Institutio< vgl. L. K. Borns Einleitung zu >The Education of a Christian PrinceInstitutioAula< gar nicht. 35

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te.5 Auf dem Wort >pertrahere< besteht Erasmus und begründet es später: Cur enim non dicam pertraheret? Nullus vnquam vehementius ambiit in aulam admitti quam hic studuit effugere. 6

Erasmus fährt dann fort, Morus sei ein vorbildlicher Hofmann und Beamter geworden, wie man sich ihn an der Spitze eines Staats nur wünschen könne; er habe seine alten Freunde nicht vergessen, vernachlässige die Wissenschaften nicht, und er habe sich auch bei Hofe seine Frömmigkeit bewahrt,7 kurzum: Wenn Morus im ersten Teil der >Utopia< das Leben am Hof mit einem Rollenspiel verglich, so zeigt das Portrait, das Erasmus von ihm entwirft, daß Morus diese Rolle auszufüllen vermochte, ohne daß seine Persönlichkeit und seine Beziehungen zum Kreis der humanistischen Freunde darunter litten. Erasmus ausführliche Argumentation zeigt aber auch, wie schwer es für einen Humanisten zu diesem Zeitpunkt war, sich von der Hoffeindlichkeit zu distanzieren und den Schritt an den Hof entweder selber zu wagen oder bei einem anderen zu akzeptieren. In Ulrich von Hutten, 8 mit dem er seit 1514 persönlich bekannt war,9 hatte Erasmus vielleicht den geeignetsten Adressaten für seine Apologie des Morus gefunden. Hutten war nach seiner langen Scholarenzeit, schon berühmt als Humanist und poeta laureatus, im September 1517 als »consiliarius«,10 in den Dienst des Erzbischofs und Humanistenfreunds Albrecht von Mainz" getreten, war vom Oktober 1517 bis zum Januar 1518 als Gesandter am Hofe des französischen Königs gewesen 'Vgl. ed. Allen, Bd. IV, S. 15. Ebd., S. 20 = ed. Köhler/Flitner, S. 256. 7 Ed. Allen, Bd. IV, S. 21 = ed. Köhler/Flitner, S. 257. 8 Zur Biographie vgl. Neue Deutsche Biographie, Bd. 10, S. 99ff. ; Grimm, Ulrich von Hutten; Holborn, Ulrich von Hutten; Strauß, Ulrich von Hutten, bes. S. 209ff.; Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation, bes. S. 47ff.; Kalkoff, Hutten als Humanist; Newald, Probleme und Gestalten des deutschen Humanismus, S. 280ff. Die Frage der höfischen Praxis von Hutten ist umstritten: vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 207 Anm. 101. - Lesenswert ist auch der ausführliche Artikel >Hutten< im 13. Band von Zedlers Universal-Lexicon (1735), Sp. 1314ff., wo unter anderem hervorgehoben wird, daß Hutten sogar am Hof seine Studien trieb (Sp. 1318) und ansehnliche Angebote des französischen Königs ausschlug (Sp. 1319). 9 Zu den Beziehungen zwischen Erasmus und Hutten vgl. Kaegi, Hutten und Erasmus. 10 Diesen Titel führt Hutten im kurmainzischen Bestallungsbrief für die Frankreichmission: ed. Böcking, Bd. V, S. 507. 11 Recht kritisch über Albrechts Mäzenatentum und Hofhaltung äußert sich Kalkoff, Hutten und die Reformation, S. 51 f. 6

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und hatte im August 1519, also kurz bevor Erasmus den zitierten Brief an ihn schrieb, den kurmainzischen Dienst wieder verlassen. Inzwischen hatte er den hofkritischen Dialog >Aula< (1518) verfaßt und publiziert, von dem Erasmus am Ende seines Briefes meinte, er wäre anders ausgefallen, wenn Hutten - wie Morus - am englischen Hof gelebt hätte.12 Nicht nur Erasmus reagierte kritisch auf Huttens Dialog. Gleich nach dessen Erscheinen schrieb Willibald Pirckheimer dem zweifellos überraschten Autor in einem leicht ironischen Brief: »immatura res mihi tua videtur Aula«,13 gab eine kurze Begründung für dieses wenig schmeichelhafte Urteil und äußerte den Wunsch, Hutten möge den Hof verlassen und sich wieder den Wissenschaften widmen. Darauf antwortete Hutten mit einem ausführlichen Brief an Pirckheimer, in welchem er seine Entscheidung für den Hofdienst begründete (Brief vom 25. Oktober 1518).'4 Dieser Brief, der eine hervorragende Quelle für die Sozialgeschichte derjenigen Angehörigen des niederen Adels ist, die ähnlich wie Hutten ihre Position durch gelehrte Studien und Hofdienste behaupten oder verbessern mußten, ist von persönlicher Betroffenheit gekennzeichnet. Pirckheimers Abmahnung vom Hofdienst15 begegnet Hutten mit der Erinnerung an die Misere seiner Scholaren- und Söldnerzeit;16 mit dem Verweis auf das armselige und gefährliche Leben, das er als Ritter auf abgelegenen und unbequemen Burgen führen müßte,17 während die Bürger die Bequemlichkeit der Städte genössen;18 mit der Behauptung, daß ihn die pure Notwendigkeit an den Hof gezwungen habe,19 daß er, um die Qualen des Hoflebens20 abschütteln zu können, schlimmere auf sich nehmen müsse;21 mit dem Bekenntnis schließlich, er könne die 12

Vgl. den oben genannten Brief an Hutten, ed. Allen, Bd. IV, S. 22. Pirckheimers Brief vom Oktober 1518 an Hutten ist abgedruckt in Huttens Schriften, ed. Böcking, Bd. I, S. 193f., hier S. 193 §2. 14 Vgl. Huttens Schriften, ed. Böcking, Bd. I, S. 195ff.; eine deutsche Übersetzung von Annemarie Holborn liegt vor in: Ulrich von Hutten, Deutsche Schriften. Herausgegeben von Peter Ukena, S. 317ff. 15 Vgl. Pirckheimers Brief, ed. Böcking, Bd. I, S. 194 §5f. ; Hutten kommt darauf in seinem eigenen Brief zurück: ed. Böcking, Bd. I, S. 201 §35 = ed. Ukena, S. 324. 16 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 207 §70 = ed. Ukena, S. 331. 17 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 201f. §37ff. = Ukena, S. 324f. 18 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 201 §36 = ed. Ukena, S. 324. 19 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 203 §46 und 205 §57 = ed. Ukena, S. 326 und 328. 20 Von solchen ist an späterer Stelle die Rede; vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 206 §64 = ed. Ukena, S. 330. 21 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 201 §35 = ed. Ukena, S. 324. 13

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Ruhe und Untätigkeit eines Gelehrtenlebens fern vom Hof noch nicht ertragen.22 Der Brief schließt mit dem epochalen Ausruf: »O seculum! o literae! Iuvat vivere«, dem der meist nicht beachtete Zusatz folgt: »etsi quiescere nondum iuvat«.23 Für Hutten schien zu diesem Zeitpunkt der Hof die Voraussetzung für die persönliche Entfaltung zu sein, und so versuchte er, die wichtigsten Argumente, die gegen sein Verbleiben am Hof sprachen, zu entkräften: der Ehrgeiz habe ihn nicht an den Hof getrieben und halte ihn auch nicht dort;24 der Hofdienst sei für ihn eine »edle und ehrenwerte Knechtschaft« von begrenzter Dauer,25 während der er immer als derselbe Hutten durch die »ungleichmäßigen Akte des Lebens schreiten« werde;26 am Hof wolle er in keine zu hohe Stellung aufstreben;27 er werde seine Studien nicht aufgeben28 und finde auch am Hof die nötige Ruhe dazu29, denn überall sei es so unruhig wie am Hof,30 und Einsamkeit sei auch inmitten der Turbulenz des Hofes möglich.31 Der Zurückweisung dieser möglichen Argumente, die dem Reservoir bereits traditioneller hofkritischer Aussetzungen entnommen waren, fügte Hutten einen Angriff auf die unhöfische und gleichwohl betriebsame Lebensweise des Patriziers, Gelehrten, Diplomaten und Militärfachmanns Pirckheimer32 hinzu, indem er unterstellte, dieser lebe doch selber »in aula omnium turbulentissima« :33 bemerkenswert als eines der wenigen Beispiele, wo die Hofkritik der humanistischen Gelehrten umgedreht und gegen sie selbst bzw. gegen die städtisch-bürgerliche Sphäre gewendet wurde. 22

Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 196 §6 und S. 201 §32 und S. 210 §83 = ed. Ukena, S. 318 und S. 323 und S. 333; auf das Problem der vita activa vs. vita contemplativa geht Holborn, Ulrich von Hutten, Leipzig 1929, S. 78ff. und Göttingen 1968, S. 83ff. ausführlich ein. 23 Ed. Böcking, Bd. I, S. 217 §119 = ed. Ukena, S. 340. 24 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 203 §48 = ed. Ukena, S. 326. 25 Ed. Ukena, S. 327 = ed. Böcking, Bd. I, S. 204 §51: »porro servitus illa ut honesta est ac liberalis«. 26 Ed. Ukena, S. 328 = ed. Böcking Bd. I, S. 205 §58: »vitae actus« ; Hutten hatte die Schauspielmetapher am Anfang des Briefes eingeführt: ed. Böcking, Bd. I, S. 196 §6 = ed. Ukena, S. 318. 27 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 210 §86 = ed. Ukena, S. 334. 28 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 196 §10 = ed. Ukena, S. 318. " Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 201 §33 = ed. Ukena, S. 323. 30 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 204 §53 = ed. Ukena, S. 327. 31 Vgl. ed. Böcking, Bd. I, S. 206 §63 = ed. Ukena, S. 329. 32 Zu Pirckheimer vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 26, S. 810ff. Pirckheimer legte zweimal seine städtischen Ämter nieder: 1501 bis 1504 und endgültig 1522. 33 Ed. Böcking, Bd. I, S. 200 §30 = ed. Ukena, S. 323: »in dem allerbetriebsamsten Hofe«.

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Es kann nach diesem Brief kein Zweifel m e h r daran bestehen, daß sich das Hauptproblem vieler hofkritischer Traktate dieser Zeit, nämlich die Frage, ob es möglich sei, a m - existenzsichernden - Hof seine Persönlichkeit und seine Identität als >Humanist< zu bewahren, 3 4 für Hutten im Jahr 1518 als vitales Problem stellte. Wird aber der apologetische Brief Huttens, der genetisch aufs engste mit d e m Dialog >Aula< zusammenhängt, bei der Analyse des Dialogs außer acht gelassen, 35 kann der Eindruck entstehen, es handle sich u m ein » a u t o n o m e s Kunstprodukt«, 3 6 das ältere Quellen ausschöpfe und im übrigen k a u m Zeugniswert besitze. Allerdings folgte Hutten i m Dialog >Aula< (1518) 37 weitg e h e n d Lukian 38 und Aeneas Sylvius, 39 doch ist dies kein Beweis dafür, daß der Dialog nur ein neues Arrangement traditioneller Elemente der Hofkritik und mithin die bloße Fortsetzung eines lebenskräftigen literarischen Gemeinplatzes war. Der Hof-Meer-Vergleich, der v o n Lukian 4 0 h e r k o m m t u n d bei Aeneas Sylvius 41 wieder zu f i n d e n ist, sowie die Schauspiel-Metapher, die 34

Hutten verwendet die Formulierung: »[...] unquam desertor mei invernar« (ed. Böcking, Bd. I, S. 205 §58) / »[...] niemals als ein Flüchtling vor mir selber zu erscheinen« (ed. Ukena, S. 328). 35 Am entsprechenden Ort bei Uhlig, Hofkritik S. 205ff., bes. S. 207 Anm. 100 findet sich nur der Hinweis auf Pirckheimers Kritik, aber kein Hinweis auf Huttens Entgegnung. 36 Uhlig, Hofkritik, S. 208. 37 Ulrichi Hutteni Equitis Germani Misaulus Dialogus. In: Ulrichi Hutteni Opera / Ulrichs von Hutten Schriften. Herausgegeben von Eduard Böcking. Bd. IV. Leipzig 1860, S. 46ff. - In den Ausgaben des 16. Jahrhunderts trug der Dialog die Bezeichnung >AulaAula< mit Lukians >De mercede conductisDe Curialium Miseriis< die Enea Silvio Piccolomini e il >Misaulus< di Ulrico von Hutten. . 40 Lukian verglich das Schicksal griechischer Gelehrter in den Häusern reicher Römer mit dem von Schiffbrüchigen (vgl. Luciani Samostatensis opera. Edidit Guilelmus Dindorf. Vol. I. Lipsiae 1858, S. 244ff.: περί τών ε π i μισθφω συνόντων). Erasmus übersetzte den Text ins Lateinische (vgl. Desiderii Erasmi Roterodami opera omnia, ree. Joannes Clericus. Vol. I. Leiden 1703, Sp. 297ff. : De iis, qui mercede conducti degunt). In Erasmus' Übersetzung wurde der Traktat von Petreus in die hofkritische Sammlung >AVLICA VITA< aufgenommen, die unten ausführlicher behandelt wird. Deutsche Übersetzung: Lucians von Samostata sämmtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen von C. M. Wieland. Fünfter Theil. Wien 1813, S. 96ff. ( = C. M. Wielands sämmtliche Werke, Bd. 50). 41 Vgl. die oben zitierte Briefstelle (ed. Wolkan, Bd. 1/1, S. 115 (ep. 38) und Uhlig, Hofkritik, S. 186 Anm. 28. 69

ebenfalls von Lukian42 verwendet und von Erasmus und Morus43 wieder aufgegriffen wurde, sind - mit unterschiedlichem Stellenwert - konstitutiv für den Dialog zwischen dem enttäuschten Höfling Misaulus und dem unerfahrenen Castus, der nun Genaueres über das von ihm bewunderte Höflingsdasein erfahren will. Misaulus' erste Andeutungen über die Sklaven-, Gefangenen- und Verbanntenexistenz der Höflinge,44 über den Zwang, der auf ihnen lastet, über ihre Verstellungen, ihre Servilität, ihren Neid, ihre Schmeicheleien, ihre Ängste und ihre Unnatürlichkeit 45 zerstören in Castus alle Illusionen über das Hofleben, und er ruft aus: CASTVS. MISAVLVS.

Mare malorum commémoras. Recte ais mare, et si libet adde Tyrium mare [.. ,].46

Damit ist gleich zu Beginn der Hof-Meer-Vergleich eingeführt, auf den im Verlauf des Dialogs, verwoben mit Motiven aus der Odyssee, noch mehrmals angespielt wird, um die höfischen Schmarotzer anzuprangern,47 die »Hofwinde« zu benennen (Gunst, Neid, Habgier, Ehrsucht, Üppigkeit, Umgang, Dürftigkeit etc.),48 die Ehrenstellen und die höfische Unzucht als Sandbänke, Scyllen und Charybden des Meeres,49 den Zorn des Fürsten schließlich als die gefährlichste aller Hofklippen zu charakterisieren.50 Die Vergleichspunkte sind so vielfältig, daß Castus gegen Ende des Gesprächs resümiert: « [...] omni a parte navigatio est vita aulica«.5' Trotzdem will Misaulus nicht alle Höfe, Fürsten und Höflinge verurteilen; es gäbe etliche weise Fürsten und viele Höflinge, die klug wie Odysseus alle Gefahren des Meeres durch geschicktes Verhalten ausmanövrierten. Danach verbindet Castus mit einer Formulierung, die stark an Morus' >Utopia< erinnert,52 den MeerVergleich unmittelbar mit der Schauspiel-Metapher: 42

Vgl. Gewerstock, Lucían und Hutten, S. 73; Weiteres bei Barner, Barockrhetorik, S. 94ff. 43 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 96. 44 Vgl. Ulrichi Hutteni Opera / Ulrichs von Hutten Schriften, ed. Böcking, Bd. IV, S. 46 §3 = ed. Schubart, S. 238 (zu dieser deutschen Übersetzung vgl. unten Anm. 70 und 71). 45 Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 46 §5 = ed. Schubart, S. 239f. 46 Ed. Böcking, Bd. IV, S. 46 §6 = ed. Schubart, S. 240. 47 Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 52 §25 = ed. Schubart, S. 247. 48 Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 57 §39 = ed. Schubart, S. 251. 49 Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 61 §49f. = ed. Schubart, S. 256. 50 Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 61 §51 = ed. Schubart, S. 257. 51 Ed. Böcking, Bd. IV, S. 69 §79 = ed. Schubart, S. 265 (ohne Übersetzung dieser Stelle). 52 S. o.; vgl. Utopia, ed. Michels/Ziegler, S. 36 = ed. Ritter/ Oncken, S. 35.

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CASTVS. MISAVLvs.

Et non recte fit hoc quod isti suadent, ut nos tempori conformemus et scenae, ut fertur, serviamus. Cum decoro recte si possis. quantum dedecet enim άλωπεκίζειν πρός έτέραν άλώπεκα, quod aula in primis exigit.53

Somit ist erstmals schon die von Morus gegebene Empfehlung des anständigen und verantwortlichen Rollenspiels kritisiert, und zwar mit dem frühesten und beliebtesten Gemeinplatz der Hofkritik, mit der Fuchsschwänzerei, der verschlagenen und schmeichlerischen Unaufrichtigkeit. War Castus am Anfang des Dialogs überzeugt, nur am Hof sein Glück machen zu können, so ist er am Schluß, nach der langen und drastischen Schilderung höfischer Übelstände weitaus skeptischer.54 Aber warum wollte er überhaupt an den Hof? Castus begründet seinen Entschluß mit der mangelnden Lebenspraxis des Gelehrten. Und dabei lehnt er jenes Lebensprinzip des >Sich-selbst-lebens< ab, das Aeneas Sylvius am Ende seines Briefes >De curialium miseriis< zum Ideal erhoben und mit der Aufforderung verbunden hatte, den Hof zu verlassen: CASTVS.

mihi enim vivere non videtur qui, quod nostri aiunt, sibi vivit.55

Castus kritisiert dann die Arroganz, mit welcher die Stubengelehrten und insbesondere die Mönche alle Dinge der Welt tadelten und zu verachten lehrten. Für sich selbst zieht er daraus den Schluß, der dann allerdings durch das Gespräch mit Misaulus wieder in Frage gestellt wird: Quae cum video, et quam non deceat hominem nihil agere consydero, ac quae ipsum me circumstant intueor, cum iam tempus sit ut vivere incipiam, non deserendi quidem studia consilium capio, sed emergendi ex his sordibus viam prospicio.56

Die Parallelität zu Huttens Brief vom 25. Oktober 1518 an Pirckheimer ist offenkundig. Und wenn jener Brief - trotz unverkennbarer Stilisierung" - als authentisches Zeugnis für Huttens »humanistisches Lebensbewußtsein«58 gelten darf, so gibt es keinen Grund, den Dialog >Aula< 53

Ed. Böcking, Bd. IV, S. 48 §9 = ed. Schubart, S. 241. Vgl. ed. Böcking, Bd. IV, S. 49 §14 und S. 69 §80 = ed. Schubart, S. 243 und 266. 55 Ed. Böcking, Bd. IV, S. 50 §16 = ed. Schubart, S. 244. 56 Ed. Böcking, Bd. IV, S. 51 §19 = ed. Schubart, S. 245. 57 Darauf weist auch Holborn hin: Ulrich von Hutten, Leipzig 1929, S. 78 = Göttingen, S. 83. Zum autobiographischen Charakter von Huttens Brief vgl. auch Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. IV/2, S. 680f. 58 So lautet in der Ausgabe Leipzig 1929 Holborns Überschrift zum 6. Kapitel, in dem der Dialog > Aula< und der Pirckheimer-Brief kurz betrachtet werden.

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nicht eben so ernst zu nehmen. Bei allen literarischen Konventionen und Entlehnungen scheint er doch eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Problem der Höflingsexistenz eines philosophisch gebildeten Menschen zu sein. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Dialog von außen, durch Huttens Freund Heinrich Stromer, Leibmedikus des Mainzer Erzbischofs und Herausgeber von Aeneas Sylvius' Brief >De curialium miseriisAulaAula< war in kurzer Zeit über ganz Europa verbreitet,64 erschien im 16. Jahrhundert in mindestens elf Ausgaben65 und in einer s

* Stromers Ausgabe von Aeneas Sylvius' Brief >De curialium miseriis< war 1517 erschienen (vgl. Böcking, Bd. I, S. 31 *). Hutten urteilte über Stromer und sich »[...] simpliciores esse nos quam aulicorum consuetudini aptum sit« (ed. Böcking, Bd. I, S. 219 §10). 60 Vgl. Huttens Praefatio zum Dialog >Aula< für Stromer, ed. Böcking, Bd. I, S. 217ff. 61 Ed. Böcking, Bd. I, S. 212 §93 = ed. Ukena, S. 336; vgl. auch ed. Böcking, Bd. I, S. 220 § 13. Dazu : Best, The Humanist Ulrich von Hutten, S. 53ff., bes. S. 56. 62 Ed. Böcking, Bd. I, S. 174 §8. " Vgl. Holborn, Ulrich von Hutten, Leipzig 1929, S. 77 = Göttingen 1968, S. 83. - Die von Kaegi, Hutten und Erasmus, S. 169 vorgetragene These, Castus sei mit Hutten vor dem Hofdienst gleichzusetzen, und Misaulus mit dem enttäuschten Hutten, überzeugt nicht. 64 Vgl. Smith, The Anti-Courtier Trend, S. 24f. und Uhlig, Hofkritik, S. 205 und S. 208 Anm. 105. 65 Vgl. die Aufstellung bei Böcking, Bd. I, S. 27*ff. und vgl. Benzing, Ulrich von Hutten und seine Drucker, S. 49ff.

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weiteren in den Dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts. 66 Obwohl der Dialog danach nicht mehr in Separatausgaben erschien,67 war er auch im 18. Jahrhundert nicht vergessen. Friedrich Carl von Moser zitierte aus ihm 1754 in der Vorrede zum zweiten Band seines >Teutschen HofRechts^68 1791 veröffentlichte der königlich Preußische Legationssekretär Ludwig (Albrecht) Schubart eine Hutten-Biographie, 6 ' und als Ergänzung dazu erschien 1792 in der >Deutschen Monatsschrift eine von ihm angefertigte deutsche Übersetzung des Dialogs, wahrscheinlich die erste.70 Im Vorwort zu >Ulrich von Huttens Gespräch Ueber das HoflebenAula< auch 1792 noch für einen bestimmten Personenkreis von Interesse war: für alle, die auf die Höfe setzten und ihrer Wirkungsmöglichkeiten wegen nach Hofämtern strebten, zu einem Zeitpunkt, als die Französische Revolution das Ende des absoluten höfischen Vorranges angekündigt hatte. Die Bedeutung, die Goethe in seiner Autobiographie dem eng mit dem Dialog >Aula< verwandten Brief Huttens an Pirckheimer gab,76 ist ein Indiz für die soziogenetische und psycho66

Vgl. Böcking, Bd. I, S. 31* (Rudolstadt 1632). Eine angebliche Ausgabe von Leipzig 1718 hält Böcking (ebd.) für einen Irrtum (statt 1518). 68 Friedrich Carl von Moser, Teutsches Hof-Recht, Bd. II, S. 3V. 69 Ludwig (Albrecht) Schubart, Ulrich von Hutten, 1791 (vgl. Hamberger-Meusel, Das gelehrte Teutschland, Bd. VII, Lemgo 51798, S. 337.) 70 Böcking, Bd. I, S. 31* stellt »eine alte zu Straßburg erschienene deutsche Ubersetzung« in Frage. 71 Ulrich von Huttens Gespräch Ueber das Hofleben. Aus dem Lateinischen von Hrn. L. S. Schubart, S. 235ff. 72 Ebd., S. 236. 73 Ebd., S. 235. 74 Ebd., S. 235. 75 Ebd., S. 237. 76 Vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 17. Buch, Hamburger Ausgabe, Bd. 10, S. 117f. Goethe benutzte die Edition von 1717 durch Jacobus Burckhard (vgl. ebd., S. 613). Diese kommentierte Edition enthält S. 124ff. alle Briefe und

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genetische Verwandtschaft der Vorstellungen über Adel und Hofdienst, wie sie im 16. Jahrhundert von Humanisten und im 18. Jahrhundert von bürgerlichen Literaten entwickelt wurden.77 Hatte Hutten bei dem Versuch, seine Höflingsexistenz literarisch zu erhellen, trotz scharfer Sprache und harter Vorwürfe gegen den Hof deutliche Ansätze zu einer gerechten Beurteilung des Hoflebens gerade im Vergleich mit dem Gelehrtendasein erkennen lassen, so verzichtete sein Zeitgenosse Agrippa von Nettesheim78 auf jeglichen Versuch, das Hofleben anders als negativ erscheinen zu lassen. Während seines abenteuerlichen Lebens - zeitweise als Leibmedikus der Königinmutter von Frankreich und später als Geheimrat am Hof der Statthalterin Margarete zu Meckeln - hatte Agrippa mehrere Höfe kennengelernt und war mehrmals in hochfürstliche Händel verwickelt worden. Er, der Scharlatan und Hochstapler, der Doktor zweier Fakultäten und angemaßte Edelmann, wurde wahrhaft zum Opfer des wechselhaften Hofglücks und sah anscheinend die Niederungen des Hoflebens noch deutlicher als etwa der distanzierte Erasmus oder der am Hof nur kurz verweilende Hutten. Und Agrippa scheute sich nicht, seine Verärgerung über den Hof in ungezügelter Weise zum Ausdruck zu bringen, nicht nur in seinen Briefen, deren scharfe antihöfische Polemik Bayle im >AgrippaDictionaire< eigens erwähnt. In Agrippas skeptisch-zynischem Pamphlet >De incertitudine & uanitate scientiarum declamatio inuectiua< (verf. 1526, pubi. 1530),79 das einen großen Angaben, die für die Beurteilung von Huttens Verhältnis zum Hof wichtig sind: Equitis [ . . . ] Vlrichi de Hvtten ad B. Pirckheymer [ . . . ] Epistola [ . . . ] subjecit Jacobus Burckhard [ . . . ] Wolfenbutteli 1717; vgl. dazu Borchmeyer, Höfische Gesellschaft und französische Revolution bei Goethe, S. 116ff. 77 Vgl. auch Elias, Prozeß der Zivilisation, Bd. 1, S. 95ff. 78 Zu Agrippa vgl. Neue Deutsche Biographie, Bd. 1, S. 105ff. ; Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1, S. 156ff. ; Morley, The Life of Henry Cornelius Agrippa von Nettesheim; Prost, Les Sciences et les Arts occultes au xvi e Siècle. Corneille Agrippa, sa Vie et ses OEuvres; vgl. Einleitung von Fritz Mauthner in seine unten genannte Edition von Agrippas >Die EitelkeitAgrippa< im Dictionaire historique et critique par Mr. Pierre Bayle, Cinquième edition, Tome 1, Amsterdam usw. 1740, S. 103ff. = Herrn Peter Baylens [ . . . ] Historisches und Critisches Wörterbuch [...], Erster Theil, Leipzig 1741, S. 105ff. ; Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 1, Sp. 829f.; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Erster Theil, Sp. 154f. - Einen detaillierten Lebensüberblick bietet: Jegel, Die Lebenstragödie des Dr. jur. et med. Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim. 79 Benutzte Ausgaben: H E N R I C I CORNELII Agrippae ab Nettesheym, De incertitudine & uanitate scientiarum declamatio inuectiua, denuo ab autore recognita, & marginalibus annotationibus aucta. (Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen ohne Orts- und Jahresangabe; laut Katalog 1530 erschienen);

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publizistischen Erfolg hatte, beginnt das für die Hofkritik einschlägige Kapitel 68 >De oeconomia regia siue aulica> / >Von fürstlicher Haushaltung zu Hofe< mit einer Klimax hoffeindlicher Invektiven: Est igitur reuera aula nil aliud quàm collegium gigantum, hoc est, nobilium famosorumque nebulonum conuentus, theatrumque pestimorum sattelitum, morum corruptissimorum schola, & excrabilium scelerum asylum. 80

Danach folgt - in nicht zu überbietender Kraßheit formuliert - der inzwischen bekannte Katalog höfischer Laster, der von Hochmut, Verschwendung, Neid, Zorn, Fressen, Hurerei etc. bis hin zu Schmeichelei und Verleumdung reicht, den obligatorischen Vorwürfen der Hofkritik. Der Hof ist für Agrippa gleichsam eine Herde von Bestien, eine Ansammlung von Menschen, die in ihrem Verhalten den Tieren und den monströsen Erscheinungen der Mythen gleichen. Unter ihnen ist für rechtschaffene Menschen freilich kein Platz, und so zieht Agrippa mit Lucans berühmter Sentenz die Konsequenz: in summa aut nequitiae, malitiae, impietatae insistendum, aut aula cedendum. Non impune licet, nisi cum fatis, exeat aula, qui vult esse pius.81

Dann taucht bei Agrippa, der in einer Zeit schrieb, als Kaiser, Könige und Fürsten noch mit ihren Hofstaaten durch die Lande zogen und die Residenzen innerhalb der Territorien bisweilen noch von einer Stadt in die andere verlegt wurden, der Vorwurf auf, daß der Hof wie eine ansteckende Pest den Ruin der betroffenen Stadt mit sich bringe.82 Denn alle Laster der Höflinge sieht Agrippa auf das Volk übergreifen; und wie lasterhaft und liederlich die Höflinge in seinen Augen sind, schildert er in den drei folgenden Kapiteln überdeutlich. Gleichermaßen stark zieht Agrippa über die adligen Hofleute (>De nobilibus aulicisDe plebeijs aulicisDe Mulieribus aulicisExeat aula< Lucans, und man darf getrost annehmen, daß der geringste höfische Gunsterweis zu seiner Revision geführt hat. Dennoch verdient diese selbsterteilte Maßregelung - gerade im Hinblick auf den Zusammenhang bzw. auf das übliche Nebeneinander von literarischer Hofkritik und höfischer Existenz vieler Humanisten - ernst genommen zu werden. Denn ganz unmißverständlich manifestiert sich darin die Einsicht, daß literarische Hofkritik, auch wenn sie nur in einem Neuarrangement konventioneller Argumente besteht, das Maß des Tolerablen übersteigen konnte und mit einer Höflingsexistenz nicht mehr zu vereinbaren war. Indem Agrippa ganz ausschließlich schwere Vorwürfe gegen den Hof aneinanderreihte und auf jede Relativierung dieser Vorwürfe oder auf einen deutlichen Ansatz zu einer ausgewogenen Beurteilung des Hoflebens verzichtete, überführte er die Hofkritik in eine bloß noch polemische Verunglimpfung des Hoflebens. Der Versuch einer Höflings86

Vgl. De incertitudine, S. ρ ijv und S. ρ iiijr = Die Eitelkeit, Bd. 1, S. 309 und S. 313. 87 Uhlig, Hofkritik, S. 212. 88 De incertitudine, S. ρ viiiv = Die Eitelkeit, Bd. 1, S. 322.

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existenz, wie ihn viele Humanisten unternahmen und wie ihn Hutten unter spezifisch humanistischen Gesichtspunkten reflektiert hatte, war danach kaum mehr möglich. Und dessen war sich Agrippa auch bewußt, wie aus seiner Schlußformulierung zu folgern ist. Die antihöfischen Passagen seines Pamphlets repräsentieren somit eine radikale Form der literarischen Hofkritik, die - wäre sie allgemein akzeptiert und als verbindlich anerkannt worden - notwendigerweise das Ende der von manchen angestrebten Symbiose von Hof und Humanismus bedeutet hätte. Indessen ist in Agrippas Verunglimpfung des Hoflebens nicht die einzig mögliche Endstufe der humanistisch-literarischen Hofkritik zu sehen, sondern lediglich ihre Radikalisierung durch eine überempfindliche und obendrein besonders aggressiv veranlagte Persönlichkeit. Die extrem antihöfische Position, die Agrippa mit Hilfe der traditionellen Hofkritik formuliert hatte, wurde aber keineswegs von allen Zeitgenossen geteilt; vielmehr setzten Bestrebungen ein, die literarische Hofkritik auf das sachlich vertretbare Maß zu reduzieren, das Hofleben in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen und es auch für anspruchsvolle Geister als erträglich, ja sogar als erstrebenswert darzustellen. Unmittelbar gegen die ihm als übertrieben erscheinende humanistische Hofkritik wandte sich der Mediziner und spätere Probst an der Kirche St. Adelbert zu Aachen, Guilielmus Insulanus, genannt Menapius.89 In seinem Dialog >Aula< (1539) erhob er namentlich gegen Aeneas Sylvius Piccolomini und gegen Ulrich von Hutten den Vorwurf, sie hätten, indem sie nur Gemeinplätze (»locos communes«) traktierten, ein falsches und undifferenziertes Bild von den Höfen entworfen,90 um dessen Richtigstellung sich Menapius bemühte.

7. H o f k r i t i k als A n l a ß f ü r die Neukonzeption des Höflingsideals in Castigliones >Libro del Cortegiano
Hof>dialog 1609 in Frankfurt und 1612 in London zusammen mit Bartholomaeus Clerkes lateinischer Über" Zu Insulanus/Menapius vgl. Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Zweyter Theil, Sp. 1891 ; Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 20, Sp. 613. '"Vgl. Uhlig, Hofkritik, S. 210. 77

Setzung von Castigliones >Libro del Cortegiano< erschien,1 ist signifikant für die Verwandtschaft beider Schriften hinsichtlich ihrer Intention, der immer schärfer werdenden humanistisch-literarischen Hofkritik entgegenzutreten. Auch der italienische Graf Baidassare Castiglione2 hatte die anhaltende Kritik an Höfen und Höflingen zum Anlaß genommen, in seinem >Libro del Cortegiano< (1528)3 ein neues Höflingsideal zu entwerfen und der Hofwelt vor Augen zu führen. Freilich darf Castigliones Neukonzeption eines Höflingsideals nicht primär als Reaktion auf die literarische Hofkritik betrachtet werden. Vielmehr trägt sie, wie aus Alfred von Martins Studie >Soziologie der Renaissance^ zu schließen ist, dem Wandel von der städtisch-bürgerlichen zur höfisch-aristokratischen Barockgesellschaft Rechnung.5 Somit liegt Castigliones Wendung gegen die traditionelle Hofkritik, die er als Anlaß seiner Neukonzeption hinstellte, in der Konsequenz eines gesellschaftlichen Prozesses von europäischer Tragweite.6 Neben der Kurie, dem päpstlichen Hof in Rom,7 entstanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mehrere glanzvolle Hofhaltungen, etwa in Ferrara, Mantua, Urbino und nicht zuletzt in Florenz.8 Auf dem Fundament des gewaltigen Reichtums, der durch das Verschmelzen von Feudalität und Handels- und Finanzkapitalismus zustande1

Angaben nach Uhlig, Hofkritik, S. 210. Zur Biographie vgl. ausführlich Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 5, Sp. 1353ff. ; vgl. die Einleitungen zu den in Anm. 3 genannten Editionen von Maier, S. 5Iff.; Baumgart, S. Vllff.; Wesselski, Bd. I, S. 5ff.; ferner vgl. Willy Andreas, Graf Baidassare Castiglione und die Renaissance, hier S. 247. 3 Benutzte Ausgaben: Il Libro del Cortegiano con una scelta delle Opere minori di Baldesar Castiglione. A cura di Bruno Maier. Seconda edizione. Torino 1964. - Der Vollkommene Hofmann Und Hof-Dame Von dem Graf BALTHASAR de CASTILLON. Vormahls In Italiänischer Sprach beschrieben / Anjetzo [...] Zum erstenmahl Verteutscht Durch I. C. L. L. I. Franckfurt am Mayn 1684. (Es handelt sich dabei allerdings nicht um die erste deutsche Übersetzung; diese war schon 1565 erschienen. Vgl. ein Verzeichnis der frühen deutschen Übersetzungen bei Wesselski, Bd. I, S. 12f., wo aber die hier benutzte Übersetzung von 1684 (Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen) auf 1584 datiert ist, anscheinend versehentlich). - Das Buch vom Hofmann. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Fritz Baumgart. Berlin, Darmstadt, Wien 1960. - Der Hofmann des Grafen Baldesar Castiglione. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Albert Wesselski. 2 Bde. München und Leipzig 1907. 4 Vgl. Alfred von Martin, Soziologie der Renaissance. 5 Vgl. ebd., S. 104ff. 6 Vgl. ebd., S. 113f. 7 Vgl. Brandl, Die Renaissance, S. 236ff. 8 Vgl. Brandi, S. 250ff. ; vgl. Hellmut Diwald, Anspruch auf Mündigkeit, S. 74ff. und S. 114ff. 2

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g e k o m m e n war, 9 und vor d e m Hintergrund der Ausbildung absolutistischer Machtstrukturen, begann an einigen H ö f e n die Rearistokratisierung der Gesellschaft. N a c h d e m zuvor bürgerliche Elemente emp o r g e k o m m e n waren, wurde n u n wieder auf adlige H e r k u n f t Wert gelegt - auch Castiglione verlangt sie v o m idealen Hofmann.' 0 Zugleich setzte eine Verfeinerung der Hofkultur ein, in der n u n m e h r neue humanistische Ideale mit traditionellen ritterlichen Tugenden eine Synthese eingingen. Castiglione wurde in diese höfische Welt hineingeboren, lernte in seiner Jugend die bedeutendsten H ö f e Italiens kennen, hielt sich a m >glänzenden< Hof Leos X. auf und ertrug zuletzt als päpstlicher Gesandter das strapaziöse Leben a m spanischen Hof Karls V." A n höfischer Erfahrung mangelte es i h m also nicht, als er sich gegen pauschale Kritik an den H ö f e n zur Wehr setzte. Castiglione ließ die Hofkritik als Generationskonflikt erscheinen. D i e älteren Leute, so schrieb er, loben mit verzeihlicher Vorliebe für ihre Jugend die H ö f l i n g e jener Zeit allzu überschwenglich. Sie behaupten, e che nelle corti allor regnavano tanti boni costumi, tanta onestà, che i cortegiani tutti erano come religiosi; [...] e per lo contrario dicono in questi tempi esser tutto l'opposito; e che non solamente tra i cortegiani è perduto quell' amor fraterno e quel viver costumato, ma che nelle corti non regnano altro che invidie e malivolenzie, mali costumi e dissolutissima vita in ogni sorte di vicii; le donne lascive senza vergogna, gli omini effemminati: Dannano ancora i vestimenti, come disonesti e troppo molli.12 daß selbiger Zeit an denen Höfen so viel gute Sitten und eine so große Erbarkeit geherrschet habe / daß die Hofschrantzen wie lauter Geistliche und Closter Leute gelebt / [ . . . ] Hergegen / sagen sie / seye in dieser Zeit überall das Widerspiel zu sehen / und daß nicht allein unter denen Hofleuten diese brüderliche Liebe verloschen / und diese löbliche Gewonheit zu leben verschwunden; sondern es regiere an den jetzigen Höfen allein der Neyd / Mißgunst / böse Sitten und Gebräuche / ein üppiges und in allen Lastern ersoffenes Leben; der Weiber Geilheit werde durch keine Schamhafftigkeit und gute Zucht zurückgehalten / und die Männer seyen gantz weibisch. Sie schmehlen auch über die Kleider, daß sie allzu unehrbar und prächtig sey* Vgl. Hassinger, Das Werden Europas, S. 50ff. ; vgl. Hermann Kellenbenz, Der italienische Großkaufmann und die Renaissance, bes. S. 157, 162f., 166. 10 Vgl. Libro del Cortegiano, 1/1; vgl. Loos, Baidassare Castigliones >Libro del CortegianoGenerationsmodellCortegiano< heißt zunächst >Höfling< im guten bzw. neutralen Sinn; die Übersetzung durch >Hofschranze< ist möglich, aber verächtlich machend; den Satz über die Hofdamen übersetzen Wesselski (Bd. 1, S. 120) und Baumgart (S. 106f.) dem Original gemäß sehr viel weniger derb. 14 11,2 = ed. Maier, S. 191 (Anschluß an erstes Zitat). 15 11.2 = ed. 1684, S. 186f. (Anschluß an erstes Zitat). 16 Vgl. Hassinger, Das Werden des neuzeitlichen Europa, S. 61. 17 Vgl. 11,2 mit den Anmerkungen von Maier in seiner Edition des >CortegianoLibro del Cortegiano< als Gegenentwurf zur Hofkritik. Der Hofmann soll sich Bescheidenheit und Zurückhaltung angewöhnen, schon um einem Hauptlaster des Hofes, dem Neid, zu entgehen;31 in der Kleidung soll er sich nach der Mehrzahl richten und Eitelkeiten meiden,32 Spiele sind ihm nur in geringem Umfang erlaubt;33 grobianisches Benehmen, - hier bringt Castiglione drastische Beispiele - soll er unterdrücken; 34 ebenso soll er sich vor extremen Gewohnheiten im Essen und Trinken hüten,35 soll sich gottloser Scherze enthalten,36 Possen und Betrügereien unterlassen.37 Die Schicklichkeitsregeln für den Hofmann gelten auch für die Hofdame (donna di palazzo),38 doch kommt eine besondere Verhaltensanweisung hinzu. Sie betrifft »Der Hof-Dame Behutsamkeit... Im verliebten Conversieren«,39 oder anders gesagt, das im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert so heftig angeprangerte höfische Laster der Galanterie: Però la maniera dell'intertenersi nei ragionamenti d'amore, ch'io voglio che usi la mia donna di palazzo, sarà il rifiutar di creder sempre che chi le parla d'amore, l'ami però; [ . . . ] .40 30

Burckhardt, Kultur der Renaissance, S. 36If. Vgl. Libro del Cortegiano, 11,7. 32 Vgl. 11,26 und 27. " V g l . 11,31. 34 Vgl. 11,36. 35 Vgl. 11,38. 36 Vgl. 11,63. 37 Vgl. 11,89. 38 Vgl. Buch III. 39 Registereintrag der dt. Übersetzung von 1684. 40 111,54 = ed. Maier, S. 416. 31

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Die Manier aber / welche meine Hof-Dame in den Liebs-Gesprächen gebrauchen soll / muß eigentlich darinn bestehen / daß sie nemlich zu verstehen gebe / nicht allezeit zu glauben / daß wer ihr von der Liebe rede / sie deßwegen in der That liebe; [...] .4I

Die Hofdame wird versuchen abzulenken, wird so tun, als verstünde sie nichts, wird schließlich das ganze Gespräch als einen Scherz betrachten, kurzum: ihre Klugheit läßt es nicht zu jenen Verstrickungen kommen, über die in späteren Zeiten so laut lamentiert wird, und die, wenn man nach literarischen Beispielen sucht, das Elend einer Princesse de Clèves ebenso verschulden wie einer Emilia Galotti. Gehört die Galanterie bei Castiglione gleichsam zu den Adiaphora des Hoflebens,42 so ist er sich in der strengen Verurteilung der Schmeichelei mit der gesamten Hofkritik einig. Dem Schmeichler, Heuchler und Verleumder stellt er den Hofmann gegenüber, der dem Fürsten in liebevoller Verehrung zugetan ist und ihm selbstlos dient.43 Die Kritik der Schmeichler einerseits und der Entwurf eines positiven Gegenbildes andererseits sind für Castiglione allerdings von größter Bedeutung. Denn sie berühren die politisch relevanten Aspekte seines Höflingskonzepts. Die höchste Aufgabe des Hofmanns sieht Castiglione darin, daß dieser als Erzieher oder Berater44 den Fürsten auf dem politisch und moralisch richtigen Kurs halte, né ascolti gli adulatori, né i malèdici e bugiardi, e conosca il bene e'I male ed all'uno porti amore, all'altro odio, tende ad ottimo fine'45 daß er keines Wegs denen Fuchsschwântzern und Heuchlern / noch auch den Lästermäulern und Lügnern Gehör gebe / sondern das Gute und das Böse erkenne / beydes zu unterscheiden wisse / und dem einen gewogen / dem andern gehässig sey.44

Die weiteren Ausführungen in den nächsten Kapiteln zeigen, wie wenig Castiglione den Fürsten seiner Zeit zutraute,47 und wie schwierig er die Aufgabe des Hofmanns einschätzte, den Regenten nicht zu schulmeistern,48 sondern ihn zu einem wahren Fürsten heranzubilden. 49 Seinen Idealismus hatte Castiglione schon in der Dedikation des >Libro del Cortegiano< verteidigt,50 und gegen Ende des Werks bekannte er 41

111,54 = ed. 1784, S. 548. Vgl. auch Andreas, S. 256f. 43 Vgl. 11,18. 44 Vgl. Buch IV. 45 IV,5 = ed. Maier, S. 451. 46 IV,5 = ed. 1684, S. 608. 47 Vgl. IV,5-10. 48 Vgl. IV,36. 49 Vgl. IV,36 und 51. 50 Vgl. Proemio, Cap. III.

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sich noch einmal dazu: »Von möglichen Dingen, wenn sie auch schwierig sind, kann man hoffen, daß sie sein werden.5' Castiglione muß im Rahmen dieser Arbeit nicht nur wegen seiner Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Hofkritik berücksichtigt werden, sondern auch wegen der überraschenderweise ambivalenten Wirkung seines >Libro des CortegianoPhilosophe de CourtLibro del Cortegiano< beeinflußte im 16. und 17. Jahrhundert die Adelserziehung in Europa nachhaltig72 und blieb über die Französische Revolution hinaus eine der Grundlagen vieler Versuche, das Menschenideal der alteuropäischen Adelswelt zu erhalten.73 Wenn sich der >bürgerliche< Sittenkodex besonders im 18. Jahrhundert immer mehr von dekorativen Verhaltensnormen und vom weltmännisch-galanten Geselligkeitsideal entfernte und den Ausdruck des unmittelbar Gefühlshaften und Empfindsamen begünstigte; wenn dann der spielerisch auftretende und zugleich äußerst kontrolliert wirkende Gesellschaftsmensch Castiglionescher Prägung als ganz und gar >unbürgerlicher< Typ erscheinen mußte, so konnten aus Castigliones Menschenideal doch wieder neue regulative Ideen gezogen und literarisch dem Bürgertum vermittelt werden.74 Goethes Reflexionen aus >Wilhelm Meisten über das Problem >adligen Scheinens< im Gegensatz zu >bürger68

Zu Gracián s. u. ; im >Oráculo manual< vgl. hierzu vor allem den Aphorismus 127, der mit seinem Zentralbegriff >despejo< / >edle, freie Unbefangenheit (so Schopenhauers Übersetzung) auf die aristokratische Herkunft verweist: vgl. Jansen, Die Grundbegriffe des Baltasar Gracián, S. 49; den allgemeinen, nicht ausschließlich höfischen Charakter von Graciáns Vorstellungen betont Schröder, Gracián und die spanische Moralistik, bes. S. 262f. und 266. 69 Vgl. Nicolson, Vom Mandarin zum Gentleman, bes. S. 182ff. ; vgl. dazu die Rez. von Schumann, Gentleman wider Honnête Homme, bes. S. 396; vgl. auch Schrinner, Castiglione und die englische Renaissance, bes. S. 150ff. 70 Vgl. Carl J. Burckhardt, Honnête Homme, S. 367 (mit einer Ansprache des Prinzen an adlige Offiziere, die exakt Castigliones Ideal der gentilezza und grazia entspricht). - Vgl. auch Braubach, Träger und Vermittler romanischer Kultur im Deutschland des 18. Jahrhunderts; Oehler, Prinz Eugen im Urteil Europas. 71 Vgl. Braubach, Prinz Eugen von Savoyen, Bd. 5, S. 119ff. und 335ff. - Etwas skeptischer bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Prinzen: Braubach, Prinz Eugen und das 18. Jahrhundert, bes. S. 295. 72 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 369ff.; zu England vgl. die in Anm. 69 genannten Arbeiten; zu Frankreich: Klesczewski, Die französischen Übersetzungen des >Cortegiano< von Baidassare Castiglione; zu Spanien: Margherita Morreale, Castiglione y Boscán: El ideal cortesano en el Renacimiento Español. 73 Vgl. Heinz Otto Burger, Europäisches Adelsideal und deutsche Klassik. 74 Vgl. ebd., S. 232.

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lichem SeinVorwurf< des Mediaevalismus geht zurück bis auf die Auseinandersetzungen, die Guevara gerade wegen der fingierten Quellen des >Libro áureo< mit Humanisten zu führen hatte, (vgl. dazu Bayle, ed. Gottsched, S. 674). In der Forschung wird die Mediaevalismus-These vertreten von Lida, Fray Antonio de Guevara: Edad Media y Siglo de Oro español. 5 Vgl. Tiemann, Das spanische Schrifttum, S. 73. 6 Vgl. Moscherosch, Visiones De Don Quevedo [...], Straßburg 1642, S. 497, 504f., 507 ( = Siebendes Gesichte. Hoff-Schule). Zu Moscherosch s. u. 7 Zur Verbreitung von Guevaras Werken in ganz Europa bis ins 18. Jahrhundert hinein vgl. Karl, Note sur la fortune des œeuvres d'Antonio de Guevara à l'étranger; Cañedo, Las obras de Fr. Antonio de Guevara: Ensayo de un catálogo completo de sus ediciones.; für Frankreich: Smith, The Anti-Courtier 3

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Berühmt wurde Guevara durch den >Libro áureo de Marco Aurelio emperadora der - zwischen 1518 und 1524 verfaßt - 1528 in Sevilla unautorisiert gedruckt wurde, aber bereits im nächsten Jahr in einer überarbeiteten, erweiterten und autorisierten Fassung unter dem Titel >Libro llamado relox de príncipes enei quai va encorporado el muy famoso libro de Marco Aurelio< (1529) in Valladolid ein zweites Mal erschien.8 Beide Fassungen wurden europäische Bucherfolge. In Deutschland erschien der >Libro llamado relox de principes< in mehreren Übersetzungen,9 von denen die des Aegidius Albertinus aus dem Jahr 1599 die meistverbreitete war und unter Titeln wie >Horologium Principum, Das ist: Fürstliche Weckvhr vnd LustgartenKrankheit< ausgewiesen, wird für das Landleben durch einen Affekt ersetzt, der nach Guevara den Namen eines Christen erst rechtfertigt: 123 das Mitleid. Neben dem Landleben nennt Guevara noch eine zweite Alternative zum Hof: das Klosterleben. In einem seiner >Guldenen Sendschreiben< (1539-41) erläutert der ehemalige Franziskanermönch dem Abt von Montserrat, »wie viel besser das Closterliche Leben sey / dann das Hoff leben«.124 Die üblichen und an anderen Stellen breit ausgeführten Vorwürfe gegen den Hof werden schlagwortartig aneinandergereiht, um zu beweisen, daß das Leben im Kloster »so wol für den Leib / als für die Seel besser ist als vnser Hoff leben«.125 Doch bringt die so entschieden vorgetragene Verurteilung des Hofes Guevara in die problematische 119

De molestiis aulae, S. 14. Vgl. ebd., S. 24. 121 Vgl. ebd., S. 30f. 122 Ebd., S. 31. 123 Vgl. Müller, Das Ethos, S. 32. 124 Vgl. Sendschreiben, Teil I, S. 73ff. 125 Ebd., S. 74. 120

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Situation, sein Verbleiben am Hof entgegen seiner eigenen Kritik rechtfertigen zu müssen. Da dies bei der Schärfe seiner Vorwürfe kaum möglich ist, versucht er, sich durch das Eingeständnis seiner Schwäche und Sündhaftigkeit zu salvieren. Daß er sich nicht vom Hof losreißen kann, ist seiner erlahmenden Tugend und dem Einfluß anderer Personen zuzuschreiben : Freunde raten ihm zu, Verwandte bestehen darauf, Feinde verführen ihn, der Kaiser überhäuft ihn mit Geschäften. Aber auch dies ist als Begründung noch zu wenig, und Guevara fragt sich zuletzt gar, ob ihn »d'böß feindt also anficht«. 126 Ein größerer Widerspruch als der zwischen Guevaras hofkritischen Äußerungen und seinem Verbleiben im Hofdienst scheint kaum denkbar zu sein. Doch ist in Rechnung zu stellen, daß Guevara, wie schon mehrfach gesagt, eine absolute Verurteilung des Hofes und des Hoflebens nie formulierte. Hinzu kommt ein nicht weniger wichtiges stilistisches Moment: Gerade seine schärfste Hofkritik, den Traktat >Menospreck» / >De molestiis aulaeSimplicissimus< zu ersehen ist.13' Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts vollzog sich indessen eine Wen126 127

128 129

130 131

Ebd. Applicatio zu >De molestiis aulaepraeceptio Aulica< (s. o. im Abschnitt über Commynes). 13

17

SPECVLI AVLICARVM ATQVE P o l i t i c a r u m o b s e r u a t i o n u m L i b e l l i q u a t t u o r

ni-

mirum 1. D e concilijs & consilarijs Principum Fridericvs Fvrivs, &c. 2. Consilarius Hyppoliti à Collibus. 3. Aulicus Politicus, Duri de Pascolo. 4. Hypomneses Politicae Francisci Gvicciardini. D e n v o ob penvriam exemplarivm omnes coniunctim, correctius, in vsum Aulicorum atque Politicorum o m n i u m atque aediti. Procurante Lazaro Zetznero Bilbiopola Argentiniensi, 1599. 18

IDEA CONSILARII: H o c est, DE CONSILIIS ET CONSILIARIIS PRINCIPUM, EORVMQVE Q u a l i t a t i b u s , V i r t u t e a c E l e c t i o n i b u s , LIBELLVS: E x FRIDER. FVRII C E R i o l a n i

Tractatu Hispánico, DE INSTITVTIONE Principis, in Italicam, inde in Latinam linguam translatam. - Zu Furius vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 9, Sp. 2931; Bayle, Dictionaire historique et critique, Bd. 2, S. 523 = Bayles Historisches und Critisches Wörterbuch, ed. Gottsched, S. 559, wo der Traktat nachdrücklich gelobt wird. 19 Vgl. Speculi/Idea, S. 4ff. 20 Vgl. ebd., S. 15ff.

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ze, nach denen ein Fürst seine Räte auswählen solle.21 Hier aber bezieht der Traktat über den Rat des Fürsten, also die >Regierung< im engeren Sinn, unverhüllt Position gegen das Hofschranzentum: Quarto Princeps animaduertat, ne in adoptione Consiliariorum contentus sit his, quos in aula fouet, [ . . . ] sed diligenter inquirat [ . . . ] atque perlectis accersantur, qui omnium maximè idonei existimabuntur: praesertim autem, qui in aula incogniti erunt. 22

Unausgesprochen steht dahinter der Grundsatz, daß der Höfling nicht für den Rat tauge, und der Rat möglichst wenig mit dem Hof in Berührung kommen solle. Das zweite Büchlein 23 beschäftigt sich wiederum diskursiv mit der Person des Fürstenberaters; das dritte mit dem Titel > A V L I C V S P O L I TICVSHof< in Zedlers >UniversalLexicon< (1735) enthalten, 25 und es ist auch bei Lessing wieder zu finden, wo er sich mit der Hofkritik Guevaras auseinandersetzt. 26 21

Vgl. ebd., S. 6Iff. Ebd., S. 67. " S. 8Iff.: Hippolyti a Collibvs consiliarivs. 24 S. 167-261: AVLICVS POLITICVS: D I V E R S I S REGVLIS, PRAECEPTIS: siue vt. ictus IAVOLENVS loquitur, Definitionibus selectis, videlicet CCCLXII. Antiquorum & Neotericorum prudentiae Ciuilis Doctorum instructus: Cura & opera DVRI DE PASCOLO. - Unter dem Pseudonym verbirgt sich Eberhard von Weihe (oder auch Weyhe); vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 55, Sp. 1191ff.; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Vierter Theil, Sp. 1922f. 25 Vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 13, Sp. 405. 26 S. u. und vgl. Lessings Rezension von Guevaras >De molestiis aulae< vom August 1751, ed. Lachmann/Muncker, Bd. 4, S. 347f. 22

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Daran zeigt sich, daß nicht nur die Argumente und Denkschemata der Hofkritik über Jahrhunderte hinweg tradiert wurden, sondern auch Argumentationsmuster mit deren Hilfe hofkritische Vorwürfe - sofern sie sich nicht auf eindeutig feststellbare Fakten bezogen - wiederlegt oder zumindest entschärft werden konnten. Die Behauptung, daß der Hof nicht lasterhafter und schlechter als die Welt und das Hofleben nicht mühseliger als das Leben überhaupt seien, war das gängigste dieser Gegenargumente: eine defensive Anwendung des im 17. Jahrhundert so wichtigen Hof-Welt-Vergleichs, wodurch die Hofkritik relativiert und die höfischen Laster und Strapazen harmloser als in der hofkritischen Literatur dargestellt wurden. Vor allem hatte dieses Gegenargument den Vorteil, daß es - aufgrund seiner pauschalen Gleichsetzung von Hof und Welt - in fast jedem Fall geltend gemacht werden konnte und ohne weitere Erläuterung einleuchtend war. Im Vergleich dazu erforderte das Generations- und Gleichgewichtsmodell der Tugenden und Laster, das von Castiglione verwendet wurde und von Georg Rodolph Weckherlin wieder aufgegriffen wurde, einen viel größeren argumentativen Aufwand und war nur im Rahmen bestimmter geschichtsphilosophischer Vorstellungen akzeptabel. Der von Guilielmus Insulanus (Menapius) erhobene Vorwurf der Topizität der Hofkritik, die dadurch realitätsfern, übertrieben und unglaubwürdig wirke, konnte in den für diese Arbeit untersuchten Schriften nicht mehr ausfindig gemacht werden; der Substanz nach ist dieses Gegenargument jedoch wieder bei Lessing zu finden, wenn er in der erwähnten Auseinandersetzung mit Guevaras Hofkritik den Hof gegen diejenigen in Schutz nimmt, die ihn nur aus Büchern kennen und ihn mit den weltfremden Augen eines Gelehrten betrachten (ein Vorwurf, den Lessing von einem Rezensenten der >Emilia Galotti< später auch selber zu hören bekam). Freilich konnte dieses Gegenargument sinnvoll nur dann gebraucht werden, wenn der Kritiker deutlich erkennbar mit den topischen Vorstellungen · der literarischen Hofkritik gearbeitet hatte. Das Generalargument der Kritik an der Hofkritik, einsetzbar gegen die literarisch-gemeinplätzliche Hofkritik ebenso wie gegen die unmittelbar realitätsbezogene Kritik an den Mängeln eines ganz bestimmten Hofes, war der apologetisch verwendete Hof-Welt-Vergleich, auf den Weihe mit der zitierten sechsten Sentenz anspielte. Im Mittelpunkt der folgenden Sentenzen steht der >aulicus consiliariusaulicusconsiliarius< wird vorweg ein Verhaltensgrundsatz ge-

geben: Bonum aulicum Consiliarium nec tempus immutat, nec rumpit necessitas, nec insolentia exulcerat, nec imbrobitas malorü h o m i n u m defatigat. Sed, c u m Socrate, semper idem manet (xvi).

Nach dieser Ermahnung, die eigene Identität zu bewahren, werden Leitsätze für verschiedene Situationen gegeben, z. B. für das Verhalten an einem zerstrittenen Hof (xxi), gegenüber Höflingen, die aus niederen Positionen zur Macht gelangt sind (LXIX ff.), gegenüber dem Fürsten: Aulicus non perpetuò adsit Principi, ñeque diu nimium absit: quorum aiterum, parit odium & satietatem; alterum, obliuionem (LXXVIII). Aulici e n i m prudentes cum Principe tanquam cum igne agant: à quo non adeò aberunt, vt illius calore foueri non possint: nec sic íili appropinquabunt, vt illius incendio ipsi conflagrent (LXXIX). Aulicus perfectè perdiscat naturam ingenium Principis, & quibus modis temperanter se habeat« (CLXXXII). Prudens aulicus nunquam voluptatibus principis, si modo honestae sint, adversetur. nam à gratia excidet, & frustra se opponet (CCLIII).

Diese Reihe ließe sich erweitern, und ähnliche könnten leicht gebildet werden. Es muß für den damaligen Leser, der entweder über gute Kenntnisse der hofkritischen Literatur oder über eigene höfische Erfahrungen oder - im Idealfall - über beides verfügte, reizvoll gewesen sein, die einzelnen Sentenzen aufeinander zu beziehen und sie gegeneinander abzuwägen. Die Konfrontation der einzelnen Sentenzen führte zu einem Denkprozeß und regte zum kritischen Räsonnement über den Hof an. Gerade Weihes Florilegium war dafür geeignet, weil die einzelnen Verhaltensweisen in je verschiedenen Sentenzen beschrieben oder empfohlen und dann wieder kritisch beleuchtet werden. Und schließlich fehlt auch nicht die Verurteilung der bekanntesten höfischen Laster wie Unwahrheit (xvn), Neid (LXXXI ff.), Schmeichelei ( C X L V , CLXIX, CCCXXVII), Ehrgeiz (ebd.) und anderer Untugenden schlechter Höflinge (CLXXXII ff.). Aber obwohl das Hofleben mit einem Schiffbruch verglichen (LXXXVI) und an anderer Stelle als Inbegriff der miseria humana betrachtet wird (ccxvm), nimmt die allerletzte Sentenz die Betrachtungsweise der oben zitierten Sentenz vi wieder auf, betont - wiederum unter Berufung auf Guevara - die gleichermaßen große Unsicherheit von Hof und Welt und schließt die Sammlung mit den Sätzen ab: 111

Ex aulis itaque transiturus operam det, vt ex hac aula immunda & lubrica, in mundam & aeternam transiré, & in futura vita dies aeternitatis inuenire possit. FINIS. Vanitas vanitatum, & omnia vanitas (CCCLXII).

Auch im vierten Büchlein kommen dann noch einmal hofkritische Gedanken zur Sprache, 28 aber sie sind vereinzelt, führen über das Bekannte nicht hinaus und sollen hier nicht weiter berücksichtigt werden. Es wäre falsch, am Realitätsbezug und an der Nützlichkeit dieser Anthologien von vornherein zweifeln zu wollen. Gewiß handelt es sich um Kompilationen, die weniger höfische Erfahrungen als literarische Kenntnisse voraussetzen. Doch in einer Zeit, in welcher der Hofdienst für viele Adlige und Gelehrte zum Teil eine Notwendigkeit, zum Teil eine Chance war, boten sie Gelegenheit, in den Denkbahnen von Autoritäten und auf dem Fundament der europäischen Moralistik seit der Antike über das Leben am Hof nachzudenken, Erfahrungen vorwegzunehmen oder die gemachten Erfahrungen geistig zu klären und auf ihren Nenner zu bringen. Sie besaßen vitalen Informationswert, hatten paränetische Absichten und wirkten notfalls auch konsolatorisch. Die Vielzahl der Ausgaben läßt auf ein beträchtliches Leserinteresse schließen. Eberhard von Weihes >AVLICVS POLITICVS< Z. B. erschien 1596 und 1600 in Hanau, 1596 in Halle und in Antwerpen, 1597 in Leipzig und in Rostock, 1600 in Straßburg, 1602 in Frankfurt, 1603 in Verona, 1615 und 1622 in Frankfurt, wobei nur die Einzelausgaben erfaßt sind.29 Im übrigen zeigt die Lage der Erscheinungsorte, daß das Interesse an einem Buch wie Weihes >AVLICVS POLITICVS< nicht auf das Ursprungsland mit seinen spezifischen kleinstaatlichen Verhältnissen beschränkt war, sondern ein durchaus kontinentaleuropäisches Phänomen war (zumal wenn man die Bedeutung von Frankfurt als Zentralplatz des auropäischen Bücherverkehrs in Rechnung stellt). Und dieses allgemeinere Interesse resultiert zweifellos aus der grundlegenden politischen und sozialen Neuordnung, die zu dieser Zeit fast den gesamten europäischen Kontinent erfaßt hatte: aus dem Entstehungsprozeß des absolutistischen Fürstenstaates, in dem der Hof zum politisch entscheidenden und gesellschaftlich tonangebenden Faktor wurde. Wer in dieser Epoche literarische Anregungen für die kritische Auseinandersetzung mit der Institution >Hof< suchte, war allerdings nicht auf die speziell höfisch ausgerichteten und lateinisch geschriebenen Sammlungen des Petreus oder Weihe angewiesen. Nachdem schon der Tübinger poeta laureatus und Professor der Beredsamkeit Heinrich Be28 29

S. 263ff. : Hypomneses Politicae Francisci Gvicciardini. Angaben nach Zedlers Universal-Lexicon. Bd. 55, Sp. 1193.

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bel in seinen beiden 1508 - freilich noch in lateinischer Sprache erschienenen Sprichwort- und Schwänkesammlungen > Proverbia Germanica< und >Libri facetiarum< das Thema Hofleben mit seinen spezifischen Problemen gelegentlich berührt hatte,30 brachte Johannes Agricola31 eine Sammlung von insgesamt >Sybenhundert vnd fünfftzig Teütscher Sprichwórter< (1529 bzw. 1534)32 heraus, die eine Reihe von hofkritisch verwendbaren Sprichwörtern samt entsprechenden Kommentaren enthält.33 So lautet beispielsweise Nr. 262: »Lang zu h o f e / lang zu helle«, und in der folgenden Auslegung dieses Sprichworts heißt es im Anschluß an eine lange Aufzählung höfischer Laster: Wo nu solche Laster gemeyne sind / damit die Fürsten hôfe vergifftet sind / wil folgen / das sie Gott mus straffen mit dem tode vnd der helle / daher auch erwachssen ist dis Sprichwort / Lang zu hofe / lang zu helle / Wer lang sundiget / der wird lang gestraffet / Wer andern leutten hie gewalt thut / der mus yñ der hellen von andern gewalt leiden.

Konsequenterweise wird mit dem folgenden Sprichwort Nr. 263 die Behauptung aufgestellt, daß ein Fürst höchst selten im Himmel anzutreffen sein werde, eine Behauptung, die im übrigen auch für Hofleute geltend gemacht wird. Ihnen wird >Durchtriebenheit< als Voraussetzung ihrer höfischen Karriere unterstellt (Nr. 266); Verdienste jedenfalls, dies machen die drei folgenden Sprichwörter deutlich, zählen bei Hofe nicht und sind kaum tauglich, die Gunst des Fürsten zu erwerben und zu erhalten (Nr. 267, 268, 269). Die fürstliche Gunstzuwendung erscheint als purer und willkürlicher Gnadenakt (Nr. 267), und der 30

Vgl. Heinrich Bebel's Proverbia Germanica, Nr. 40, 160, 191, 240, 275, 420, 529; Heinrich Bebel, Facetien, Nr. III, 4 und 85. - Zu Bebel vgl. Zapf; Bebermeyer, Tübinger Dichterhumanisten, S. 7ff. ; Haller, Anfänge der Universität Tübingen, S. 212ff. 31 Zu Agricola vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1, S. 146ff. ; Neue Deutsche Biographie, Bd. 1, S. lOOf. ; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Erster Theil, Sp. 150f. ; Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 1, Sp. 820f. ; vgl. Latendorf, Agrícolas Sprichwörter; Grau, Die Leistung Johannes Agrícolas als Sprichwortsammler. 32 Benutzte Ausgaben: Dreyhundert Gemeyner Sprichwörter / der wir Deutsche vns gebrauchen / vñ doch nicht wissen woher sie kommen / durch D. Johaft. Agricolam von Eysleben / an den durchleuchtigen / hochgebornen Fürsten vñ Herren / H e r r n Johann. Friedrich / Hertzogen zu Sachssen etc. geschrieben vnd klerlich ausgelegt. M.D.XXX. - Das Ander teyl gemeyner Deutscher sprichwortter / mit yhrer außlegung / hat funfft halb hundert newer wortter. Johann Agricola Eißleben. 1529. - Sybenhundert vnd Fünfftzig Teütscher Sprichwörter / verneüwert vnd gebessert. Johan. Agricola. Hagenaw M. D. xxxiiij. 33 vgl. auch Rau, S. 216ff.

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versierte Reformationstheologe Agricola sah darin d a s Exempel für die Lehre von der göttlichen Gnadenwahl: Wie ein Fürst seine zeitlichen Güter so vergibt auch Gott die ewige Seligkeit nicht nach Verdienst, sondern aus Gnade - ein Vergleich, dessen Problematik aus einem der hofkritischen Epigramme Logaus ersichtlich wird.34 Einige Sprichwörter und ihre Erklärungen wiederholen bereits bekannte hofkritische Anschauungen, so z. B. den Vergleich des Fürsten mit einem wärmenden, zugleich aber auch gefährlichen Feuer (Nr. 266, 270), oder die Vorstellung, daß Fürstengunst so wechselhaft sei wie »Weiber gemüt« und »Aprillen wetter« (Nr. 281). Und selbstverständlich gelten auch einige Sprichwörter dem für die Hofkritik so wichtigen Thema der Ohrenbläserei (Nr. 279), der aufrichtigen Beratung und der angemessenen Vertrauenshaltung des Fürsten gegenüber seinen Beratern (Nr. 306, 307, 308). Zwei andere Sprichwörter dienen der grundsätzlichen Erörterung der Problematik der höfischen Existenz und des Hofdienstes. Sprichwort Nr. 271, für das sogar ein Höfling als Urheber genannt wird, bietet eine originelle Variante der bekannten Klage über die Unfreiheit am Hof und über die Falschheit des angeblichen Hofglücks: »Es ist vmb das hofeleben gethan / eben wie vmb die hüner die ym korbe sitzen / vfl die draussen frey gehen«, nämlich so, daß die freien Hühner das reichliche Futter der im Korb sitzenden begehren, die gefangenen Hühner sich indessen nach Freiheit sehnen: Also ist es auch mit denen / die nicht zu hofe sind / dieselbigen meynen / es sey / eitel gold zu hofe / vnd weren gerne hynan / die aber zu hofe sind weren gerne herunter / denn sie sind gefangen / yhre freiheit ist yhn benomen / vnd müssen reden / gehen / stehen / thun vnd lassen was yhr herr wil / vnd nicht was sie wollen.

Sieht man dieses letzte Sprichwort im Zusammenhang mit den bereits angeführten Sprichwörtern, so rundet sich das durchweg negative Bild vom Hofleben ab. Zur sittlichen Gefährdung durch die höfische Lasterhaftigkeit und zur Unbeständigkeit des Hofglücks kommt die - gerade für den vom Glück Begünstigten - bittere Erfahrung größter psychischer und physischer Unfreiheit, die durch den Genuß des höfischen Luxus nicht gemildert wird. Mithin bietet Agricola in seiner Sprichwörtersammlung dem Leser kaum einen Anreiz, das Hofleben auf sich zu nehmen. Vielmehr bilden Agrícolas Hofsprichwörter eine nicht weniger rückhaltlose Abmahnung vom Hofleben, als sie etwa in Aeneas Sylvius Piccolominis Brief >De miseriis curialium< enthalten ist. 34

S. u. im Kap. über das 17. Jh.

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Und dies ist umso bemerkenswerter, als Agricola seine Sprichwörtersammlung dem Herzog Johann Friedrich von Sachsen gewidmet hatte. Lediglich zu einer Einschränkung seiner Hofkritik zeigte sich Agricola bereit. Sprichwort Nr. 282 lautet: »Als bald Petrus gen hofe kam / ward ein schalck draus.« Die Auslegung dieses auf den biblischen Bericht von der Verleugnung Christi durch Petrus im Hof des Hohen Priesters 35 verweisenden Sprichworts hält zunächst an der traditionellen Behauptung fest, daß Frömmigkeit und Liebe zu Gott am Hof nicht praktiziert werden könnten, geht dann aber ganz unvermittelt in eine prinzipielle und ebenfalls durch biblische Exempla abgesicherte Salvierung des Hoflebens über: Der hof ist an yhm selbs nicht bóse / der herrn dienst ist auch nicht bóse / Denn Johannes der Teuffer sagte den kriegsknechten vnd Fürsten dienern / wie sie wol mûgen Göttlich den herrn dienen. Also hat Joseph gedienet dem Pharao. Daniel dem KÓnige von Babylonien. Naaman dem Könige von Syrien / vnd der frome leutte viel mehr / Aber dauon sagt man / das zu hofe viel vrsachen sind / nicht from zu bleiben / Denn Gottes ehre ligt da stille / fressens vnd sauffens ist da kein masse / Was denn aus solchem folgt / weys man leyder wol / Vmb des herrn gunst willen geschieht offt ynn Worten vnd wercken / das vnrecht ist vnd schalckheit / Liese das wort / Lang zu hofe / lang zu helle [ . . . ] .

Durch diesen Rückverweis auf das oben schon zitierte Sprichwort (wodurch auch der Zusammenhang der Hofsprichwörter innerhalb der Sammlung unterstrichen wird) und durch eine von Agricola anschließend noch wiedergegebene hofkritische Äußerung Morszheims wird die so überraschend eingefügte Salvierung des Hoflebens wieder abgeschwächt. Ohnehin wirkt sie nicht besonders überzeugend, nicht zuletzt deswegen, weil die biblischen Exempla nicht ergänzt werden durch spätere und zeitgenössische. In keinem der Sprichwörter wird auf einen zeitgenössischen Hof verwiesen, der als vorbildlich gelten könnte, oder auf die Verhaltensweise eines Hofmanns, die als nachahmenswürdig erscheinen würde. Wenn ein einziges Mal der Hof des Königs Artus, den Agricola mit dem Hof Salomons gleichsetzt, als nichtbiblisches Idealbild einer geordneten Hofhaltung vorgestellt wird (Nr. 668), so geschieht dies nur, damit im Kontrast zu dem versunkenen Ideal des Artus-Hofes die Sittenverderbnis in der zeitgenössischen höfischen Welt umso deutlicher hervortritt. Ähnlich wird in Sprichwort Nr. 277 »zu hofe gibt man viel hende / vnd wenig hertzen« die zeitgenössische höfische Unredlichkeit und Untreue als bedauerli35

Vgl. Mt 26, 69-75; Mk 14, 66-72; Lk 22, 54-62; Joh 18, 15-17. 115

cher Verzicht auf die von Tacitus gerühmte Wahrhaftigkeit und Treue der alten »Deudschen« angeprangert 36 - ein Denkansatz, der in der Alamode- und Hofkritik des 17. Jahrhunderts erst richtig entfaltet werden wird. Mit den bisher genannten Sprichwörtern war Agrícolas Vorrat an Redewendungen, die zum kritischen Betrachten des Hoflebens anregten, noch lange nicht erschöpft. Im Gegenteil: Die von Agricola 1548 herausgebrachte Sammlung »Fünfhundert Gemainer Newer Teütscher Sprüchwórter< 37 konzentriert sich auf den Bereich des Hoflebens und des Regiments. Wenngleich nicht alle in dieser - dem markgräflichbrandenburgischen Kanzler gewidmeten - Sammlung enthaltenen Sprichwörter unmittelbar und ausschließlich auf den Hof bezogen werden können, so ist doch - im Vergleich zur vorherigen Sammlung - die starke Ausweitung des Themas >Hofleben< bemerkenswert. Sie findet allerdings in der Vita Agrícolas eine Erklärung, denn der Reformationstheologe, der mit Melanchthon und mit Luther in einen Konflikt geraten war (antinomistischer Streit), hatte 1540 das Amt des Oberhofpredigers am Berliner Hof angenommen. Und daraus resultiert wohl nicht nur Agrícolas gesteigertes Interesse am Thema >HoflebenInstitutio Principis Christiane entwickelten Vorstellungen und gegenüber der von Hutten formulierten Apologie der Höflingsexistenz nicht gerechtfertigt ist, der durchaus aber gegen Agricola selbst gerichtet werden könnte. Nach dem apologetischen Ton der Dedikation überrascht es nämlich, daß die Sprichwörtersammlung den Hof in einem durchweg schlechten Licht erscheinen läßt. Sie enthält so gut wie kein Sprichwort und keinen Kommentar, in dem der Hof uneingeschränkt positiv beurteilt würde. Wenn Sprichwort Nr. 308 lautet: »Kaiser / Künig vnnd Fürsten HÓfe / sollen der tugent vnd Erbarkait Schülen sein«, so macht der Kommentar - einige Verse aus dem von Agricola häufig zitierten >Renner< Hugos von Trimberg (um 1300)46 - deutlich, daß damit ein versunkenes Ideal angesprochen ist, und die folgende Sentenz Nr. 309 charakterisiert dann den gegenwärtigen Zustand: »Es ist kain zucht mehr an der Herrn Höfe«. Damit ist gewisermaßen zusammengefaßt, was durch alle übrigen den Hof betreffenden Sprichwörter im einzelnen ausgesagt wird, sei es nun, daß sie höfische Laster anprangern (z. B. Nr. 69: Untreue, Nr. 70 und 86: Falschheit, Nr. 97ff. : Schmeichelei), sei es, daß sie Klugheitsregeln für Höflinge enthalten (z. B. Nr. 192: sich an den Fürsten nicht herandrängen), oder daß sie konsolatorisch wirken wollen (z. B. Nr. 233 : »Durch gedult / wirt ain Fürst versûnet«). Allent43 44 45 46

Ebd., S. Aa iiij r und vgl. Nr. 67. Ebd., S. Aa vj v . Ebd. Vgl. dazu Wagner, Sprichwort und Sprichworthaftes als Gestaltungselemente im >Renner< Hugos von Trimberg, bes. S. 29ff.: Gesellschaftskritisches und bürgerlich-praktisches Denken; vgl. auch Grau, S. 7Iff. 117

halben kommen die in der früheren hofkritischen Literatur schon beschriebene Lasterhaftigkeit des Hoflebens und die Unbeständigkeit des Hofglücks zum Vorschein, während die in der Dedikation vorgenommene Apologie des Hoflebens nur ein einziges Mal durch einige Beispiele beglaubigt wird (Nr. 339). Zu fragen bleibt, wie die Diskrepanz zwischen der apologetischen Absicht des Herausgebers Agricola und dem durchaus hofkritischen Charakter seiner Sammlung zu erklären ist. Zwei Antworten können gegeben werden. Möglicherweise stellte Agricola die apologetische Dedikation seiner Sammlung sozusagen als Salvierung voran, um die hofkritischen Implikationen der Sprichwörter zu mildern und um die höfischen Leser nicht ganz offen und ungeschützt anzugreifen. Bereits mit seiner ersten Sprichwörtersammlung hatte Agricola schlechte Erfahrungen gemacht, hatte sich den anhaltenden Zorn des Herzogs Ulrich von Württemberg zugezogen.47 Eine gewisse Vorsicht bei der Herausgabe seiner neuen Sammlung ist ihm also nicht zu verdenken. Aber der Widerspruch zwischen der Verteidigung des Hoflebens in der Dedikation und der Verurteilung durch die Sprichwörter muß nicht unbedingt auf die persönlichen Erfahrungen Agrícolas und eine daraus resultierende Vorsichtshaltung zurückgeführt werden. Vielmehr muß auch in Rechnung gestellt werden, daß Agricola zur Unterstützung seiner - möglicherweise sehr ernst zu nehmenden - apologetischen Intention keine geeigneten Sprichwörter fand. In der Tat legt die Betrachtung einiger weiterer Sprichwortsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts den Schluß nahe, daß hoffreundliche Sprichwörter nicht im Umlauf waren (wenn man nicht annehmen will, daß sie von den Sprichwortsammlern einhellig unterschlagen worden wären). Auch in Wanders >Sprichwörter-Lexikon< (1870), das die alten Sammlungen voll ausschöpft, ist unter 242 Hofsprichwörtern nur ein einziges positiv deutbares zu finden (Nr. 58: »Der Hof macht kluge (höfliche) Leute«).48 Agrícolas erste Sprich Wörtersammlung von 1529 diente als Grundlage für eine 1532 in Frankfurt erschienene Sammlung mit dem Titel >Sibenthalbhüdert Sprichw6rterSPrichwórter / Schöne / Weise / Herrliche Clügreden / vnnd HoffsprüchAnnder theyl der Sprichwórter< eine Folge von sechs Sprüchen, die besagen, daß es sich im Umkreis großer Fürsten gut leben lasse,54 aber der Kommentar schließt mit der ernüchternden Feststellung: Darumb ist diß Sprichwort ietz falsch / vnd außgangen / vnd gehört auff die alten weit / oder auff wenig fromm fûrsten vnd groß herrn noch / die vâtter jres lands vnd armer leut / sich niessen lassen / vnd irem bracht ein zil stecken / nit so vii dar legen / daß sie reich bleiben / vnnd geben mögen / nit nur nemen müssen. 55 Franck wird diese Sammlung, die eine geschickte Verlegerleistung Egenolphs ist, fälschlicherweise in Verbindung gebracht). 30 Vgl. ebd., Nr. 311, 313, 315, 316, 317, 374, 375, 376, 656. 51 Zu Franck vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 7, S. 214ff.; Neue Deutsche Biographie, Bd. 5, S. 320f.; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Zweyter Theil, Sp. 719f.; Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 9, Sp. 1678; Peuckert, Sebastian Franck, Ein deutscher Sucher, bes. S. 456ff. : Die Sprichwörter. 52 Sprichwörter /Schöne /Weise /Herrliche Clügreden / vnnd Hoffsprüch / Darinnen der alten vnd nachkommenen / aller Nationen vnnd Sprachen gröste vernunfft vnnd klûgheyt. Was auch zü ewiger vnnd zeitlicher Weißheyt / tugent / Zucht / Kunst / Haußhaltung vnnd wesen dienet / gespürt vnnd begriffen würt. Zusammen tragen in ettlich Tausent. Inn lustig höflich Teutsch bekürzt / Beschriben vnnd außgeleget / Durch Sebastian Francken [...] Franckenfurt am Meyn [...] 1541. - Vgl. dazu Meisser, Die Sprichwörtersammlung Sebastian Francks von 1541. - Die verschiedenen Auflagen von Francks Sammlung sind erfaßt von Kaczerowsky (Hrsg.), Sebastian Franck. Bibliographie, S. 120ff. 55 Vgl. Franck, SPrichwÖrter, S. 139v. 54 Vgl. ebd., Annder theyl, S. 206v. 55 Vgl. ebd., S. 208v.

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Wie Franck an dieser Stelle einige tendenziell positive Hofsprichwörter zu entwerten versucht, so will er andernorts die Gültigkeit negativer Hofsprichwörter beglaubigen. Der Kommentar zu acht Sprichwörtern über Undankbarkeit der Fürsten, schnell wechselnde Hofgunst etc. bringt eine erneute Aufzählung der gängigsten hofkritischen Sprichwörter (ζ. B. »Lang zu hof / lang zu hell«) und schließt: Wer wolt sich nit entsetzen ab den Sprichwörtern / so die erfarung vnseren vorfaren vnd vns in mund gelegt haben. Wiltu vnsern vorfarn / gemeynen leuffigen Sprichwörtern (so der Welt Euangelium seind / vnnd ja nicht gewissere hat) nit glauben / so erfars. 56

Entschiedener konnte der Wahrheitsgehalt der Sprichwörter für Francks Zeit wohl nicht ausgedrückt werden als durch deren Gleichsetzung mit dem Evangelium, und nachdrücklicher konnte auch ihre Verbindlichkeit für die Praxis des menschlichen Lebens nicht betont werden. Und daß dies gerade am Ende eines Kommentars zu einigen hofkritischen Sprichwörtern geschieht, dürfte kein Zufall sein. Denn wo wäre die Gefahr, sich über die Mahnungen und Warnungen der Sprichwörter hinwegzusetzen, größer gewesen als beim Hofleben, dessen Glanzseiten dem Außenstehenden zunächst einmal jede Hofkritik als ungerechtfertigt und unglaubwürdig erscheinen ließen. Das abschließende »so erfars« wirkt ja nicht nur drohend; es schwingt auch Resignation mit, die aus dem Wissen herrührt, daß die literarische Hofkritik, so eindringlich sie auch vorgebracht wurde, selten etwas ausrichten konnte gegen die Verlockungen der höfischen Macht und des höfischen Luxus. Das Eingeständnis, entgegen den Maximen vieler Bücher an den Hof gegangen zu sein und dort die angekündigten schlechten Erfahrungen tatsächlich auch gemacht zu haben, ist in der hofkritischen Literatur keine Seltenheit.57 Unter dem Aspekt der Verbreitung und Wirksamkeit hofkritischen Gedankenguts ist nicht nur das Vorhandensein der hofkritischen Sprichwörter in Francks beliebter Sammlung wichtig, sondern auch die Form ihrer Präsentation. Gleich im Titel der Sammlung wird auf die »Hoffsprüch« hingewiesen, das Register weist das Stich wort »Hof leben« auf, und innerhalb der Sammlung sind die zuerst genannten hofkritischen Sprichwörter durch die - mit auffallend größeren Lettern gedruckte - Überschrift »Hoffsprichwörter« hervorgehoben.58 "Vgl. ebd., S. 91v. 57 Beispielhaft formuliert von Moscherosch in seiner >PatientiaHofleben< entgegengebracht wurde. Wo dieses Interesse aufgrund anderer politisch-sozialer Verhältnisse nicht vorhanden war, mußte die einmalige Überschrift über den Hofsprichwörtern als unangebracht erscheinen. Konsequenterweise wurde sie von dem Züricher Verleger Eustachin Froschouer, der Francks Sammlung unter dem Titel >Sprüchwórter Gemeiner Tütscher Nation< (1545)59 herausbrachte, wieder getilgt.60 Für das eidgenössische Publikum, dem Froschouer die Francksche Sprichwörtersammlung durch eine sorgfältige sprachliche Überarbeitung nahe brachte, war das Thema >Hofleben< obsolet geworden. In Deutschland wurde indessen das Interesse am Thema >Hofleben< zusehends stärker. Während die Hofkritik in Agrícolas erster Sammlung von 1529 bzw. 1534, die nicht speziell auf den Hof ausgerichtet war, wie auch in Francks Sammlung von 1541 einen relativ geringen Raum einnimmt und nicht breiter repräsentiert ist als etwa die Kritik am Juristenstand oder am Klerus, wird sie in der von Julius Wilhelm Zincgref61 herausgegebenen Sammlung >Der Teutschen Scharpffsinnige kluge Sprûch> / >Apophthegmata< (1626)62 sehr viel breiter aufgefächert. Die häufige Bezugnahme der >Apophthegmata< auf den Hof erscheint zunächst nur als Folge der Vielzahl fürstlicher und mithin höfischer Personen, die als Urheber der zitierten Apophthegmata zur Sprache gebracht werden ; Zincgref nannte die > Apophthegmata< nicht umsonst auch »Hoffreden«, 63 entsprechend »dem Sprichwort: Magnatum sermo brevis: Grosse Herrn machen kurtze wort«.64 Diese Bevorzugung fürstlicher Redewendungen - abgesehen davon, daß es zu den Eigenschaften der apophthegmatischen Gattungsform gehörte, vorwiegend Äußerungen berühmter und hochstehender Persönlichkeiten festzuhalten65 - ist aber auch ein Indiz dafür, daß die Höfe in Deutschland 59

Sprüchwörter Gemeiner Tütscher nation / erstlich durch Sebastian Francken gesamlet / nüwlich aber in komliche Ordnung gestellt vft gebessert. Getruckt zü Zürich by Eustachin Froschouer (1545). 60 Vgl. ebd., Teil II, S. xcj. " Z u Zincgref vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 45, S. 306ff.; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Vierter Theil, Sp. 221 Of. ; Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 62, Sp. 826ff. 62 Der Teutschen Scharpffsinnige kluge Sprûch / Durch Julium Wilhelm Zincgrefen / der Rechten Doctorn. Straßburg/Anno M.D.C.XXVI. 63 Vgl. Titel und S. 3 (unpaginiert: Vorrede). 64 Vgl. ebd., S. 3. 65 Vgl. Verweyen, Apophthegma und Scherzrede, S. 37f. 121

im Zuge der fortschreitenden Ausbildung des fürstlich-höfischen Regiments immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen. Freilich : Indem ihre politische Potenz und ihr gesellschaftliches Prestige zunahmen, erschienen die Höfe in den Augen des Moralisten nicht besser, und Zincgrefs >Apophthegmata< bedeuten keineswegs einen Wendepunkt in der Beurteilung des Hoflebens. Den rund vierzig unmittelbar hofkritischen Apophthegmata,66 die meist aus der Schilderung einer fragwürdigen Situation des höfischen Lebens einen allgemeingültigen hofkritischen Satz ableiten, steht nicht ein einziger Versuch gegenüber, das Hofleben insgesamt zu rechtfertigen oder einzelne höfische Tugenden zu preisen. Das von den Humanisten im Rückgriff auf ältere Quellen erneuerte Verdikt über das Hofleben wird in Zincgrefs Sammlung beibehalten. Einmal jedoch wird ein gewisser Vorbehalt gegenüber der Hofkritik laut, wenn nämlich über »Doctor Stabius / Keyser Maximiliani Mathematica« berichtet wird: Auff dem Reichstag zu A u g s p u r g / Anno 1517. sein vieler Fürsten Râth vnd Diener bey einander gestanden / hat je ein jeder geklagt / wie es jhm ergehe / mit dem anhang / er wolte auff mittel vnd weg trachten / wie er von Hoff kommen möchte. Da diese klag nuhn lang wehrete / sagt Stabius endlich: Wer den Herren zu nahe ist: der will ersticken / vnd wer weit von jhnen ist / der will erfrieren. Weret jhr nicht am Hoff / so hettet jhr kein ruhe / biß jhr dran kompt / itzo da jhr dran seit / habt jhr kein ruhe / biß jhr darvon kompt. 67

Durch dieses Apophthegma wird keineswegs der grundsätzliche Wahrheitsgehalt der Hofkritik bestritten, ebensowenig ihre generelle oder spezielle Berechtigung. Daß das Hofleben bedrückend sei, räumt auch der gegenüber den Hofkritikern skeptische Stabius ein, und er bedient sich dabei nicht zufällig einer beliebten Sentenz der traditionellen Hofkritik (»Wer den Herren nahe ist: der will ersticken«). Was durch die Äußerung des Stabius in Zweifel gezogen wird, ist vielmehr die auf die Person des jeweiligen Kritikers bezogene Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit seiner aktuellen Kritik am Hofleben. Aber gerade damit trafen Stabius und in seiner Gefolgschaft Zincgref die wohl schmerzlichste Stelle vieler Hof kritiker, denen trotz ihrer Abneigung gegen das Hofleben und trotz ihrer schlechten Erfahrungen am Hof nichts anderes übrig blieb, als in höfischen Diensten auszuharren: ein Dilemma, das 66

Vgl. Zincgref, Apophthegmata, S. 3, 8, 57ff., 67, 71, 78, 110, 122, 135, 138, 146, 154,165, 184f„ 238, 242, 251, 253, 256, 275, 284, 331, 345, 352, 359ff., 367, 383, 385. 67 Ebd., S. 275.

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von Aeneas Sylvius Piccolomini über Ulrich von Hutten und Friedrich von Logau bis zu Friedrich Carl von Moser immer wieder eingestanden und beklagt wurde. Die Glaubwürdigkeit der Hofkritiker wurde durch ihr Verbleiben am Hof allerdings geschmälert, und der Anschein konnte entstehen, als trage Hofkritik - zumindest in einigen Fällen - lediglich verbalen Charakter, als sei sie nicht echter Ausdruck eines für manchen Höfling fast unerträglichen Leidens an der höfischen Gesellschaft, als habe sie nur die Qualität einer rhetorischen Übung, die sich losgelöst von der Wirklichkeit und von den tatsächlichen Empfindungen der Kritiker - bloß in den gängigen Redewendungen und Formeln über das Hofleben verbreitete. In der Tat muß ja auch damit gerechnet werden, daß literarische Hofkritik mitunter nicht aus persönlichen Erfahrungen im Hofleben resultiert, sondern die Frucht einschlägiger Lektüre ist. Und hierfür kam den Sprichwörtersammlungen und Florilegien eine besondere Bedeutung zu, weil in ihnen Hofkritik prägnant formuliert und leicht auffindbar war, am leichtesten in dem vom Speyrer Stadtschreiber Christoph Lehmann 68 herausgebrachten >FLORILEGIUM Politicum< (1630).69 Von den 286 >Stichwörtern< dieses beliebten und in kurzer Zeit mehrmals aufgelegten Nachschlagewerks berühren zumindest drei den Hof unmittelbar und in kritischer Weise. So heißt es unter der Überschrift >HerrenObrigkeit< und >Regenten< verwiesen wird: 1. Mit grossen Herren sol man selten oder wenig vnd angenemes reden. [...] 3. Je näher einer der Sonnen sitzt / je eher er schwitzt.70

Insgesamt aus dreißig ähnlichen Maximen und Sentenzen, wie sie aus der hofkritischen Literatur und aus Hofschulen zu dieser Zeit wohl bekannt waren, besteht der ganze Artikel über die >HerrenHeucheley< wiederum dreißig Sentenzen aneinandergereiht, von denen zwei lauten : 21. Kein Vestung ist jemahl so hart belágert / alß ein Fürst von Heuchlern belágert ist. [...] 23. Ein Fürst were glückselig / wann er das Kraut Moly wider seine Heuchler am Hoff haben kônte / wie Ulysses dieß kraut wider Circes Heucheley vnd Zauberey gebraucht." 68

Zu Lehmann vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 16, Sp. 1428; Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Zweyter Theil, Sp. 2342; Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 18, Leipzig 1883, S. 132ff. ''Benutzte Ausgabe: FLORILEGIUM Politicum: Politischer BlumenGarten [...] Durch Christophorum Lehmann. O. O. 1637. 70 Ebd., S. 390. 71 Ebd., S. 393.

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Ähnliche Gedanken und Beispiele finden sich auch in dem Artikel >Hoff/HoffglûckFruchtbarkeit< der literarischen Hofkritik, sondern auch für die Bedeutung des Hofes und der Hofkritik. Eine klar überschaubare Anordnung der dargebotenen Sentenzen nach bestimmten Gesichtspunkten ist nicht auszumachen, die Abfolge scheint willkürlich zu sein. Aber der Leser kann - wie bei Weihes >AVLICVS POLITICVS< - nach eigenem Interesse und Gutdünken die Auswahl treffen und Gruppen bilden. So belehren ζ. B. die drei folgenden Sentenzen über die Art der Menschenbehandlung und der Belohnung bei Hof: 6. Zu Hof gehet man mit Leuten vmb wie Kinder mit Poppen / die sie bald schmucken vnd liebeln / bald schlagen / schelten / vnd hinweg werffen / hernach so der zorn fûrûber / wider holen vnnd wider liebeln. 7. W e r bey Hof dienet / der muß böse Wort hören / vnnd dieselb mit Dienst vnd Danck belohnen. [ . . . ] 35. Hofleut sind wie Rechenpfenning / gelten bald viel / bald wenig / bald gar nichts / darnach sie gesetzt werden. 7 3

Zwei weitere Sentenzen können hinzugenommen werden, in denen das angesprochene Thema gleichsam aus der Sicht des Herren betrachtet wird: 26. W e ñ Herren jhren Hofleuten etwas schencken / so ists eben / als wenn ein privatus ein Saw mest / wann sie feist ist / vnd man Speck bedarff / so muß sie auff die Metzelbanck / vnd wider zollen / davon sie feist ist worden. 27. Ein Herr acht offt viel mehr ein Pferdt oder Hund / als ein Menschen / wann der stirbt / so sind gleich andere / die vmb die Stell bitten / ein Pferdt oder Hund muß er vmb viel Gelt kauften. 7 4

Bei soviel unterstellter Geringschätzung des Fürsten für seine Hofleute, die unterhalb der Pferde und Hunde rangieren und nur mit den verwertbaren Haustieren zu vergleichen sind, muß der Leser nach den Gründen fragen, aus denen der behauptete Andrang nach dem Hof herrührt. Zur Beantwortung kann er folgende Sentenzen in Betracht ziehen: 16. Zu Hof sitzt der Schmeichel-Hund beym Herren a m Tisch / der G a u l / Ochs / Esel mâssen arbeiten / vnd wann sie dem Herren zu nahe gehen / lohnt man sie mit Prügeln ab. [ . . . ] 39. Hofleut machen jhre Herrn zu Göttern / nur daß sie jhres Gewalts vnd Reichthumbs geniessen. W a n n sie dieselbe wol berupfft / vnd aller federn entblôst / so stellen sie den Herrn seinen 72 73 74

Ebd., S. 397ff. Ebd., S. 397f. und S. 400. Ebd., S. 399.

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Vnterthanen für / als ein blossen Vogel / klagen seine noht / begehre daß sie jhn wider fidern / zieren vnd schmücken / daß sie die Hofleut wider ein weil zu rupffen haben / denn was man den Herren gibt / das ist der Diener. 75

Das ist eine deutliche und vergleichsweise scharf formulierte Kritik am höfischen Schmarotzertum, die durch einen entschieden außerhöfischen Standpunkt bestimmt ist. Da wird nicht mehr über die Mühseligkeiten des Hoflebens< geklagt und der höfische Luxus als bescheidene Entschädigung dafür gerechtfertigt, vielmehr wird klargestellt, welche Teile des Volkes tatsächlich unter dem kostspieligen Hofleben zu leiden haben. Dabei ist bemerkenswert, daß die Ausbeutung des Volkes nicht dem Fürsten angekreidet wird, sondern daß sie als das üble Werk der Höflinge hingestellt wird. Dies entspricht der allenthalben feststellbaren Tendenz, den Fürsten als das Haupt der von Gott eingesetzten Obrigkeit auf Kosten seines Hofes zu entschuldigen. Mithin war Hofkritik auch eine Art der politischen Kritik, die Mißtände in durchaus scharfer Form angreifen konnte, ohne dadurch die über jede Kritik erhabenen Person des Monarchen direkt anzutasten oder die monarchische Herrschaftsform prinzipiell in Frage zu stellen. Die Frage nach den Quellen der von Lehmann präsentierten Sentenzen führt zurück auf die älteren Sprichwörtersammlungen und auf die traditionelle moralistische und hofkritische Literatur. Sentenz Nr. 54 »Da S. Peter gen Hof kam / ward er ein Schalck« könnte unmittelbar aus Agrícolas erster Sammlung entnommen sein (dort Nr. 282). Bei einigen der lateinischen Sentenzen sind die Urheber angegeben: Seneca (Nr. 45), Sallust (Nr. 49), Aeneas Sylvius Piccolomini (Nr. 23). Und die Tradition wird nicht nur durch das Zitat gepflegt, sondern auch durch die Vergegenwärtigung der herkömmlichen Exempla der hofkritischen Literatur. So wird eben von Aeneas Sylvius Piccolomini, dem nachmaligen Papst Pius II., berichtet: 64. Bapst Pius der II. als er auffm Todtbett lag / vnd die Medicos fragte / ob sie sein Kranckheit für tôdtlich hielten / gaben sie jhme guten Trost / vnd sagten / sie spürten keine gefâhrlichkeit / darauff sagte der Bapst / das ist der Fürsten sonder Vnglûck vnd Elend / daß sie auch im tôdtlichen Abschied die Warheit nicht hören / vnnd von den Heuchlern geplagt seyn müssen. 76

Offensichtlich wurde dieses Diktum des Papstes und Hofkritikers als ein besonders erschütterndes Zeugnis für das Ausgeliefertsein von Fürsten an Heuchler und Schmeichler empfunden; es scheint wenigstens kein Zufall zu sein, daß rund einhundert Jahre später der Verfasser des 75 76

Ebd., S. 398 und S. 400. Ebd., S. 401 f.

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Artikels >Schmeicheley< in Zedlers >Universal-Lexicon< den Ausspruch des Papstes erneut anführte. 77 Die Tradition wahrt schließlich auch der 75. und letzte Punkt des Artikels >Hoff< mit des »Erasmi Hofregeln«:78 Die darunter angeführten zehn Sentenzen bieten einen Extrakt aus Erasmus' Schrift >De conscribendis epistolisPRAECEPTA AVLICA< für seine >AVLICA VITA< bezogen hatte.79 So bietet Lehmanns >FLORILEGIUM Politicum< nicht nur ein schönes Beispiel für das Festhalten an der überlieferten literarischen Hofkritik, sondern demonstriert auch die Möglichkeit, den ständig anwachsenden Schatz hofkritischer Texte und Formulierungen aufs Äußerste zu verknappen und in einer möglichst gedrängten Form für den Gebrauch bereitzuhalten. Lehmann präsentierte sozusagen nur >Kernsätze< der Hofkritik und verzichtete auf begründende oder einschränkende Kommentare, wie sie von Agricola und von Franck geboten wurden, und ebenso verzichtete er auf die Schilderung des situativen Kontexts der jeweiligen hofkritischen Sentenz, wie sie bei Zincgref zu finden ist. Das >FLORILEGIUM Politicum< war für einen recht vielfältigen Gebrauch gedacht, wie aus dem Titelblatt hervorgeht: »Politischer BlumenGarten«, heißt es auch, »Darinn Auszerlesene Sententz / Lehren / Regulen vnd Sprichwörter Auß Theologis, Jurisconsultis, Politicis, Historicis, Philosophis, Poeten, vnd eigener erfahrung vnter 286. Tituln / zu sonderm nutzen vnd Lust Hohen vnd Niedern im Reden / Rathen vnd Schreiben / das gut zubrauchen vnd das b0ß zu meiden In locos communes zusammengetragen«. 80 Und dies verdient - im Rahmen der vorliegenden Arbeit - vor allem wegen der Verwendung des Begriffes >locus communis< eine größere Beachtung: Zeigt sich hier doch deutlich, was zu Beginn dieser Arbeit und erneut am Anfang dieses Kapitels im Anschluß an Claus Uhlig über den weitgehend topischen Charakter der literarischen Hofkritik gesagt wurde. In beispielhafter Weise erscheint in einer vorwiegend deutschsprachigen Gemeinplatzsammlung, die von einem literarisch so gebildeten wie praktisch erfahrenen Politiker angefertigt wurde, der für die literarische Hofkritik zentrale locus communis >Hoff< und wird hofkritisches Material auch unter den benachbarten Gemeinplätzen >Herren< und >Heucheley< abgelagert. Somit ist die Kontinuität der literarischen Hofkritik nicht nur hinsichtlich des Inhalts gewahrt, sondern auch hinsichtlich der Methode, wichtiges Amplifikations- und Illustrationsmaterial unter den einschlägigen 77

Vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 35, Sp. 301. Vgl. FLORILEGIUM Politicum, S. 402f. 79 S. o. in diesem Kapitel Anm. 7. 80 Titelblatt der Ausgabe 1637. 78

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Gemeinplätzen für hofkritische Zwecke gewissermaßen auf Abruf bereitzuhalten. Der Kompilator der Sammlung bot Gedankenmaterialien und Beispiele - seien sie nun die Früchte eigener Erfahrung oder der Lektüre -, durch die das Hofleben in vielfältiger Weise kritisch gespiegelt wurde; dem Leser blieb - entsprechend seinem jeweiligen Interesse - die Auswahl und die Umsetzung in die Lebenspraxis ebenso wie die Verwendung in literarischen Arbeiten überlassen. Er konnte sich der vorgefundenen Materialien bedienen und konnte sie zur Bildung seines eigenen Urteils gebrauchen, ohne dabei von vornherein in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden wie etwa bei der Lektüre eines hofkritischen Traktats oder - in die andere Richtung weisend - bei der Lektüre des Artikels >Hof< in Zedlers >Universal-LexiconLiberalität< eine gute Voraussetzung für die oft in einer Vielzahl von Auflagen dokumentierte Brauchbarkeit und Beliebtheit derartiger Gemeinplatzsammlungen. Und schon deswegen sollte ihre Bedeutung für die literarische Hofkritik, für ihre weithin gleichbleibende Formelhaftigkeit während der gesamten hier betrachteten Epoche, nicht unterschätzt werden. Was immer sich in allen möglichen Texten an hofkritischen Formulierungen finden läßt, kann durch eine Gemeinplatzsammlung vermittelt sein. Es sei daran erinnert, daß Goethe für die >Verse für und gegen den HofArgenis< korrespondiert mit der Etablierung des französischen Absolutismus zur Zeit Ludwigs xm. nach Beendigung der Religions- und Bürgerkriege«.5 Der Roman, der über konfessionelle und nationale Grenzen hinweg ein Höchstmaß an Publikumswirksamkeit erreichte,6 wurde von den Zeitgenossen als entschieden politisches Werk verstanden, und alsbald war das Gerücht im Umlauf, »daß der Cardinal von Richelieu die Argenis beständig gelesen, 1

Benutzte Ausgaben s. u. Anm. 22, 23, 24. Zur Biographie vgl. The Dictionary of National Biography, Volume I, S. 1082f. - Biographie und Interpretation der Werke verbinden: Becker, Johann Barclay; The Cambridge History of English Literature, Volume IV, S. 253ff. Vgl. Zedlers UniversalLexicon, Bd. 3, Sp. 438f. 3 Vgl. Koselleck, Kritik und Krise, S. 13f. 1 Vgl. Becker, S. 35ff. ; die Biographie Barclays Vita und sein politisches Denken hängen eng zusammen mit den konfessionellen Auseinandersetzungen in England, Schottland und Frankreich; vgl. dazu Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 3, S. 719ff. und S. 904ff. 5 Vgl. Voßkamp, Romantheorie in Deutschland, S. 25, besondere Beachtung verdient Naumann, Politik und Moral, S. 22ff. 6 Vgl. Schmid, John Barclays Argenis. 2

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und aus diesem Buche die Rathschläge und Staatsmittel gezogen habe, wodurch er Frankreich in einen so vortheilhaften Zustand gesetzt«.7 Aber was Bayle in seinem >Dictionaire historique et critique< (1695ff.) deutlich als »on dit« hinstellte, galt einem der deutschen Übersetzer der >ArgenisArgenisArgenis< von Müller, Höfische Kultur der Barockzeit, S. 145. " Vgl. The Cambridge History of English Literature, Vol. IV, S. 257. 14 Sie ist in den unten in Anm. 22 und 23 genannten Ausgaben gedruckt. 15 Vgl. Becker, S. 96ff. 16 Zum disputatorischen Element des Romans vgl. Müller, Höfische Kultur, S. 152 und Barner, Barockrhetorik, S. 405. - Vgl. auch Kafitz, Lohensteins >ArminiusArgenisLiebesgeschichtesizilianischen Brautwerbung< ausführlich rekapituliert werden muß,21 wobei drei verschiedene Ausgaben zugrundegelegt werden: die Editio m des Pariser Originalverlegers Buon von 1623,22 die deutsche Übersetzung von Martin Opitz von 162623 und die Übersetzung von Talander (d. i. August Bohse) von 1701.24 Für diese vergleichende Vorgehensweise gibt es zwei rezeptionsgeschichtliche Gründe. Zum einen beruhte zwar die »ungeheure Wirkung«, ja »Kanonizität« der >Argenis< während der Barockzeit auf ihrer latinitas,25 doch bilden auch die Übersetzungen einen nicht zu vernachlässigenden Rezeptionsfaktor, was allein schon aus ihrer Häufigkeit hervorgeht.26 Zum andern zeigt sich, daß die Übersetzer Mittel fanden, um die hofkritischen Inhalte des Romans noch hervorzuheben. Daß die >Argenis< solche aufweist, betonte Barclay selbst in seinem Widmungsschreiben an Ludwig xm. : " Im letzten Drittel des 4. Buches. Vgl. Müller, Höfische Kultur, S. 147. 21 Knapp bei Müller, Höfische Kultur, S. 147 und bei Becker, S. 88ff. ; detaillierte Analyse des Aufbaus: Kettelhoit, Formanalyse der Barclay-Opitzschen >ArgenisArgenis< mit d e m Blick - unter anderem auch - auf hofkritische Elemente musterte. Opitz fertigte innerhalb v o n vier Tagen ein Register zu seiner Übersetzung an, 48 und dieses enthält mehrere topische hofkritische Eintragungen, wie z. B. : Freundschafft wird von denen hingelegt / welche bey Hofe steigen. [...] Dieselbe fürgeben ist Hofe list [...]. Fürsten sollen sich keinem theil ihrer Leute anhängig machen. [...] Sollen Gelährte / Kriegserfahrne / vnd Kunstreiche Leute in jhren Höfen haben vnd hegen. [...] Sie haben die Glücksäligkeit wie priuat Personen nicht. [...] Sie hören sich gerne vnmässig loben / aber zu jhrem Verderb. [...] Ihre Gnade ist mißlich vnd warumb [...] Ihre Freunde mangeln der Freyheit [...]. Gelehrte Leute sind seltzam. [...] Sollen in Höfe befördert werden. [...]. Höfe sind rechte vnd freye schulen. [...] Sind ein sitz heimlicher Verleumbdung. [...] Dahin sol man statliche gemiither nicht kommen lassen. [...] Hofe gunst ist vergenglich / vnd warumb. [...]. Lob das vnmässig ist verderbet Fürsten. [...]. Schlösser in gar zu grosser Anzahl sind einem Lande schädlich. [...]. Schmeicheley der Fürsten Verderb. [.. .].49 Somit hat jeder der beiden Übersetzer zwei Möglichkeiten genutzt, die hofkritische T e n d e n z der >Argenis< stärker zu betonen, als dies in d e n ersten lateinischen Ausgaben der Fall ist. Talanders Übersetzungen sind stilistisch verschärft; beide Ausgaben k e n n z e i c h n e n die SchmeichSchmid, S. 44f. und 77 sowie Schulz-Berend, S. 460f.) - Bohse folgt einer anderen Vorlage als Opitz (vgl. Schmid, S. 80) und hat infolgedessen auch eine andere Kapiteleinteilung; umso auffälliger ist, daß auch bei ihm an dieser Stelle eine Kapitelüberschrift steht. - Zum Problem der Kapitelüberschriften im höfisch-historischen Roman vgl. Wieckenberg, Zur Geschichte der Kapitelüberschrift im deutschen Roman vom 15. Jahrhundert bis zum Ausgang des Barock, S. 88ff., zur >Argenis< S. 91 und 100. 45 Vgl. Argenis 1623, S. 1012ff.; vgl. Stadler, Der einsame Ort, S. 58ff„ bes. S. 62ff. 46 Argenis, ed. Opitz, S. 576 (V,14). 47 Vgl. Argenis, ed. Talander (Bohse), S. 1103f. (V,12). 48 Schulz-Berend, S. 459. 49 Argenis, ed. Opitz, S. 619ff. : [...] bedeutet Seitenzahl oder eine andere, nicht hofkritische Eintragung. 135

lerschelte ; Opitz ermöglicht es dem Leser durch sein Register, die hofkritischen Ausstellungen des Romans gezielt nachzuschlagen. In einem Fall wenigstens läßt sich die hofkritische Wirkung der >Argenis< auch belegen. 1653 wurde Barclay von Reinking in der biblischen Policey< mit einer Stelle aus der >Argenis< als Autorität in Sachen Hofkritik angeführt, neben den Evangelien, dem Hofprediger Jeremias Drexel und Lucan, deren Klagen über das Hofleben durch Barclay bestätigt werden: »Et in simili Joh. Bardai, in Argenid. lib. I. Pessimo inquit, loco sumus, nisi pati iniurias ita possumus, ut videamur non sensisse«.50 Daß die Bedeutung der >Argenis< selbstverständlich weit darüber hinausreichte, als nur eine Quelle der Hofkritik zu sein, wurde schon dargelegt. Sie dokumentiert sich am besten darin, daß Christian Weise den Roman wegen seiner >politischen< Modernität in das gymnasiale Programm aufnahm 51 und daß zu Bohses Zeiten auch am Gymnasium in Halle die >Argenis< zum Unterricht in Realien, Affektenlehre, Moral und Politik herangezogen wurde.52 Mithin wurde aber auch durch den gymnasialen Unterricht gerade den Schülern, die später in führende kirchliche und staatliche Ämter einrückten, hofkritisches Gedankengut vermittelt.

2. Tendenzen und Erscheinungsformen der Hofkritik in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts

Die Analyse von Barclays epochalem Roman >Argenis< (1621) und seiner beiden wichtigsten deutschen Übersetzungen (1626 und 1701) hat ein Ergebnis erbracht, das für die Literatur des 17. Jahrhunderts allgemeinere Gültigkeit besitzt: Neben der Propagierung höfisch-absolutistischer Ideale bleibt die hofkritische Tradition weiterhin wirksam und wird, wo immer es möglich ist, zur Geltung gebracht. Dies ist aber keine Tendenz, die der von Günther Müller1 aufgewiesenen höfischen Ausrichtung der Literatur dieses Jahrhunderts entgegenläuft, ebensowenig wie sie dem neuerdings von Conrad Wiedemann2 hervorgeho50

Reinking, Biblische Policey, S. 218. Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 255f. 52 Vgl. Argenis, ed. Bohse, S. 2ff. (Dedikation). 1 Vgl. Müller, Höfische Kultur der Barockzeit. - Vgl. dazu von Martin, Zur Soziologie der höfischen Kultur; Barner, Barockrhetorik, S. 27ff. 2 Zu Wiedemann vgl. die Angaben in den Anmerkungen 6 und 7 der Einleitung. 51

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b e n e n panegyrischen Grundzug barocken Dichtens widerspricht. A u c h dadurch wurde Hofkritik nicht unterbunden; vielmehr blieb sie als K o m p o n e n t e selbst der höfisch geprägten Literatur und sogar des Fürstenlobs durchgehend erhalten. D i e >Koexistenz< v o n h ö f i s c h e m und hofkritischem Bewußtsein beides durch das 16. Jahrhundert vorgeprägt - k o m m t beispielhaft in Kapitel 242 des sechsten Teils der >FRAVENZIMMER GESPRECHSPIELE< (1646) 3 v o n Georg Philipp Harsdorf fer 4 z u m Ausdruck. Harsdörffer charakterisiert darin nacheinander den guten und den schlechten H ö f l i n g : Folgender Weise wollen wir auch die Tugend und Laster eines Hofmanns betrachten / und derselben Kennzeichen erzehlen: Massen das besagte sich nur zu denen Edlen / schikket / welche auf ihren Gütern ohne Herrendienste leben. Der Hofmann ist von dem Eisen / welches durch die Gedult nach Belieben kan geformet werden. 5 In sechs Abschnitten werden die Tugenden des guten H o f m a n n s beschrieben, wobei die traditionelle Hofkritik unverkennbar den Hintergrund bildet. So lautet z.B. der vierte Abschnitt: Er überhebt sich seines Fürsten Gnade nicht / noch in den Hertzen / noch in den Worten. Vermeidet alle Fuchsschwäntzerey / und zugleich auch den Neid seiner Mitbedienten: Achtet alle Gnaden für ein Feuer / zu welchen man noch zu viel nahen / noch zu ferne tretten sol.6 D i e Abschnitte 7 - 1 2 zeigen dann den schlechten H ö f l i n g : 7. J. Nun wollen wir auch von den Lastern reden. Ein Gottloser Hofmann hat seine Hölle auf dieser Welt / in dem er mit aller Üppigkeit /Schanden und Lastern gemartert wird: und seinen Himmel in des Fürsten Gnade sihet. Sein Hertz ist eine Pfütze / in welcher alles Bitten / (so er anzubringen ersuchet wird) verfaulet / und stehen bleibet: Da hingegen es eine Qwelle seyn solte / solche zu des Fürsten Ohren zu leiten. 8. R. [...] Er ist ein Diener mit versetzten Buchstaben / Ich sage ein Neider / und wolt gerne des Fürsten Gnad allein besitzen. 9. A. Kein Wassersüchtiger ist so durstig/ als er nach Ehren: zu der Schwindsucht seiner Hofnung gebrauchet er die Rache für die letzte Artzney. Er glimmet hohe und gefährliche Steige hinauf / denket aber nicht / daß er wieder herabkommen müsse / sihet auch nicht zurukke / als in dem Fall. Er ist ein Äff seines Herrn Sitten [...]. 3

FRAVENziMMER GESPRECHSPiELE / s o b e y E h r - u n d T u g e n d l i e b e n d e n

Gesell-

schafften / mit nutzlicher Ergetzlichkeit / beliebet und geübet werden mögen [...] Nürnberg 1641-1949 (VI. Teil 1646). 4 Zu Harsdörffer vgl. Neue Deutsche Biographie, Bd. 7, Sp. 704ff. ; eine ausführliche biographische Einleitung bei Narciß, Studien zu den Frauenzimmergesprächspielen, S. Iff. 5 Gesprächspiele, VI. Teil, S. 231 ( = Nr. CCXLII). 6 Ebd., S. 232. 137

12. V. Er ist ein unruhiger Herr über sich selbsten / der sich mit dem Gegenwärtigen niemals ersättigen lässt. Er ist gleich einem Maulwurff / der aller Orten a u f w ü r f f t / mit grundlosen Worten die Weide verderbet / und niemand nutzet / in dem er seinen Nutzen allein zu erheben bemühet ist. 7

Dieser kurze Text weist eine Reihe von Anklängen an die traditionelle Hofkritik auf, beginnend gleich damit, daß die Höflingsexistenz im Gegensatz zum gutsherrlichen Landleben gesehen wird. Überheblichkeit und Fuchsschwänzerei als Hauptlaster der Höflinge sowie Neid als größte Gefahrenquelle des Hofes sind längst bekannt, ebenso die metaphorisch ausgedrückte Klugheitsregel am Ende des vierten Abschnitts. Weihes >AVLICVS POLITICVS< (1596) zum Beispiel bietet für alle diese Punkte eine zeitlich relativ nahe gelegene und auf älteren hofkritischen Texten basierende Quelle.8 Aber Harsdörffer war auf solche Vermittlung nicht angewiesen. Er las Castiglione im Original9 und kannte selbstverständlich auch die Schriften Guevaras,10 um die beiden wichtigsten Autoritäten für die Entwicklung des modernen Höflingsideals und die Entfaltung der Hofkritik zu nennen. Auf den Nachweis von Quellen und Parallelstellen kommt es hier jedoch gar nicht an. Wichtiger ist die Feststellung, daß Harsdörffer ziemlich genau zu Beginn der mit 1648 in Deutschland verstärkt einsetzenden höfisch-absolutistischen Epoche" seinem großbürgerlichen und adligen Publikum' 2 nicht nur das reine Höflingsideal in Erinnerung ruft,13 sondern ihm auch die quasi natürliche Deformierbarkeit des Höflings andeutet (»nach Belieben kan geformet werden«), ihm seine mögliche Lasterhaftigkeit in ihren typischen Erscheinungsformen vorhält und seine Schädlichkeit vor Augen führt. Mit diesem letzten Punkt geht Harsdörffer sogar noch einen Schritt über die rein moralistische Kritik hinaus, die sich in den Klagen etwa über die Falschheit und Ehrbegierde des Höflings äußert, oder auch in der Beschreibung des höfischen >FallprinzipsAVLICVS POLITICVS< s. O. ; die Klugheitsregel ist dort zitiert. ® Vgl. Narciß, S. 104 bes. Zeller, Spiel und Konversation im Barock, S. 29 und 8 Iff. 10 Vgl. ebd., S. 109. 11 Vgl. dazu von Kruedener, Die Rolle des Hofes im Absolutismus, S. 4f., S. 8f. (Ausgabensteigerung und Personalentwicklung als Indikatoren). 12 Vgl. Narciß, S. 60. 13 Vgl. außer dem oben zitierten Text auch Gesprächspiele, III. Teil, Nr. c x x v i i i , S. 139ff. : » V o m Lob eines H o f m a n n s « (enthält zwölf der wichtigsten Punkte von Castigliones Hofmannsideal). 8

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sehen Fürst und Bittsteller nicht erfüllt, sondern die Kontaktaufnahme verhindert, verleiht Harsdörffers Höflingskritik eine politische Qualität. Denn für die Stände und den Untertanenverband überhaupt stellte sich die Isolation des Fürsten durch den Hof als vitales politisches Problem, insofern als dadurch die Möglichkeiten der Beratung und Beeinflussung der fürstlichen Entscheidungen seitens der außerhöfischen Gesellschaftsgruppen stark eingeschränkt waren. Nicht umsonst wurde daraus ein Dauerthema der literarischen Hofkritik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, für dessen Behandlung ein 1618 veröffentlichtes »kurzweiliges Possenspil« des Nürnbergers Jakob Ayrer mit dem Titel >HOFFLEBENS KURTZER BEGRIFFGESPRECHSPIELEN< ist es naheliegend, die Kontrastierung des Höflingsideals durch ein hofkritisches Gegenbild zum einen auf die soziale Situierung des reichsstädtisch-patrizischen Verfassers und zum andern auf die pädagogisch-didaktische Zielsetzung der Gattung zurückzuführen. Beides, die jeweilige soziale Position der Autoren und die Gesetzlichkeiten der Gattungen, in denen sie sich betätigen, müssen generell als Determinanten der literarischen Hofkritik berücksichtigt werden, etwa im Hinblick auf den Grad der Schärfe der hofkritischen Ausstellungen oder im Hinblick auf ihre argumentative Explikation. Auf den ersten Blick dürfte einleuchtend sein, daß Hofkritik in der Festdichtung des Stuttgarter Hofdichters Weckherlin anders erschien als in Logaus Epigrammen oder in Seckendorffs staatswissenschaftlichem Werk, um drei Beispiele zu nennen. Diese sozial bedingten und gattungsspezifischen Differenzen herauszustellen, daneben aber auch auf trotzdem vorhandene Übereinstimmungen hinzuweisen, sind zwei der Ziele der folgenden Ausführungen. Daß dafür ein exemplarisches Vorgehen notwendig ist und die Auswahl der zu betrachtenden Texte sehr eng bleiben muß, versteht sich von selbst, wenn man sich vor Augen hält, daß Hofkritik in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts fast überall zu finden ist: in den verschiedenen Formen des Romans,16 in der hohen Barocktragödie,17 im prote14

Vgl. Ayrers Dramen. Herausgegeben von Adelbert von Keller. Vierter Band. 28-49. Stuttgart 1865, S. 2589ff. (39). 15 Vgl. ebd., bes. S. 2590ff., 2606f. 16 Als Beispiel soll hier das Kap. über Barclays >Argenis< genügen; im übrigen vgl. Cohn, Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman im 17. Jahrhundert; Hirsch, Bürgertum und Barock im Deutschen Roman. 17 Als Beispiel s. u. den Abschnitt über Andreas Gryphius. 139

stantischen Schultheater,18 auf der Jesuitenbühne,19 im Volksbuch,20 in der Satire,21 in der Epigrammatik,22 im moralistisch-politischen Traktat23 ebenso wie in der staatswissenschaftlichen Literatur,24 in der Schäfer· und Landlebendichtung,25 in der höfischen Gelegenheitsrede26 und nicht zuletzt in autobiographischen Schriften wie z. B. in D. Polycarpus Leysers >Apologie seines geführten Hofprediger-AmtsTriumpfDeutschen National-Litteratun, herausgegeben von Rochus Freiherr von Liliencron: Lucifers Königreich und Seelengejaidt von Aegidius Albertinus. Berlin und Stuttgart o. J., S. Vlllff. 39 Vgl. ζ. B. in >Recreation< (s. u.), S. 578 und in >Thurnierplatz< (s. u.), S. 124. 60 Vgl. die in >ThurnierplatzDer Teutschen recreation oder Lusthauß / Darinn das Leben der allerfürnembsten vnnd denckwürdigisten Mans: vnd Weibspersonen / so von anfang der Welt hero gelebt [...] Durch AEGIDIVM ALBERTINVM colligirt vnd zusamen getragen [...] München 1612; auch hierin warnt der sterbende König David seinen Sohn Salomon »vor den Schmeichlern vnd Ohrenblasern«. " V g l . Newald, S. 126. 63 Vgl. Newald, S. 123. 64 Vgl. Liliencron, Einleitung zu Lucifers Königreich, S. V. 65 Vgl. Newald, S. 99 und 121 ff. H Zitate nach dem 1613 erschienenen Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen: Der Welt Tummel: vnd Schaw-Platz. Sampt der bitter: süssen Warheit. Darinn mit einführung viler schöner vnd fürtrefflicher Discursen / nit allein die Natürliche / sondern auch Moralische vnd sittliche Eigenschafften vnd Geheimnussen der fürnembsten Creaturen vnd Geschöpff Gottes sehr lustig / Geist- vnd Politischer weiß erklärt / vnd auff die Weltläuf gezogen werden. [...] München 1613.

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decken. Hofkritik ist organisch in die Schilderung und Deutung des Weltgebäudes eingefügt, traditionellerweise in das Kapitel »Vom Meer«,67 oder, wie es im Register genauer heißt: »Bedeutung was das Meer sey«.68 Der achte und letzte Vergleichspunkt ist gegen das Hauptlaster der Schmeichelei gerichtet,69 das noch einmal im Kapitel >Vom Fuchß< abgehandelt wird70 und am eindringlichsten bei der Deutung des menschlichen Körpers. Am Ohr als der »Thür deß Hertzens« müssen »discretio oder bescheidenheit« als Türhüter verhindern, daß ein »Feindt der Seelen« wie »Fraw Adulatio« eindringt; Christus, der einst »seine heilige Ohren« mit einer Dornenkrone bedeckte, wird zum Vorbild für die christlichen Fürsten und Prälaten, die allesamt der Schmeichelei verfallen sind71 und also in der Nachfolge Christi versagen. Mit großer Geschicklichkeit unterlegt Albertinus die bekannten hofkritischen Denkmuster biblisch, bezieht sie einerseits auf alle Christen und spricht andererseits die Fürsten und Prälaten ganz besonders an. Daß die Schmeichlerschelte bei der Deutung des Mundes weitergeführt 72 und am Schluß des Werkes, beim Vergleich des menschlichen Körpers mit einem Königreich noch einmal aufgegriffen wird,73 sei nur erwähnt. Hierbei wendet sich Albertinus auch gegen die Ausbeutung des Volkes durch die »Königliche Fiscäl« ( = Milz),74 und gegen höfische Vergnügen wie »Thurnieren / Ringlrennen / Pancketen / Gastereyen / Mummereyen / Jagen / Schlagen / Tantzen / Musiciren«.75 Höfische Feste der Art, wie sie Weckherlin in Stuttgart inszenieren half, wurden von Albertinus in Bausch und Bogen abgelehnt, die >alamodischen< ebenso wie die >altdeutschenDer Welt Thurnierplatz< (1614)76 ist ein Ständespiegel für geistliche und weltliche Personen. Unter den weltlichen Personen, die abgehandelt werden, finden sich auch »ein guter vnd böser König / das Hofgesind / die Räth / der Adel [...] Schalcksnarren / Schmarotzer«.77 Al67

Ebd., S. 108. Ebd., S. 3. 49 Vgl. ebd., S. 114f. 70 Vgl. ebd., S. 176f. 71 Vgl. ebd., S. 946f. 72 Vgl. ebd., S. 949ff., bes. S. 951. 73 Vgl. ebd., S. 999 und 1006. 74 Vgl. ebd., S. 1000. 75 Ebd., S. 1006. 76 Der Welt Thurnierplatz / Darinn Erstlich die Geistlichen Manns- vnd WeibsPersonen in jhren Zierden vnd Eigenschafften / folgends die Weltlichen [ . . . ] auffziehen: Letzlichen kompt Christus, als Obrister Praesident vñ R i c h t e r / machet disem Thurnier den garauß / vnd belohnet einen jeglichen nach seinem verdienst. [...] München 1614. 77 Ebd., Titelblatt. 68

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len Ständen will Albertinus »heylsame praecepta« für ein ehrbares Leben geben,78 aber für Regenten und Hofleute scheint ihm dies besonders nötig zu sein. Denn: Das Hofleben ist mit dem Ehrgeitz / Geilheit / Fraß / Neid / Affterred / simulationibus vnd duellis behafft.79

Im >Thurnierplatz< treten die Laster als schreckliche »Meerwunder« 80 in Erscheinung, und in der Umgebung von Fürsten tragen sie die Namen »Ambitio« oder »Ehrgeitz«,81 »Geltgeitz«82 einerseits und »verschwendlichkeit«83 andererseits. Die Regenten warnt Albertinus ganz besonders vor »dem erschröcklichen vnd den Fürsten vnd Herrn hochschädlichen monstro oder Meerwunder / welches man Adulatio oder Schmaichlerey zu nennen pflegt«.84 Aus niederen Beweggründen wie Geiz und Bosheit unterstützen die Schmeichler die Laster ihrer Fürsten85 und stürzen dadurch Land und Leute ins Verderben :86 Albertinus gibt hier seiner Hofkritik einen deutlichen politischen Akzent, indem er ausführlich beschreibt, welche negativen Folgen sich für ein Land aus einem Laster ergeben, das am Hof unvermeidbar zu sein scheint. Wie die Fürsten vor der Schmeichelei, so werden die Höflinge besonders vor dem Neid gewarnt. Er gilt als Wurzel vieler weiterer Übel, die insgesamt das Leben am Hof beschwerlich und beklagenswert machen.87 Trotzdem aber glaubt Albertinus, »allen Ehrlichen guten Leuthen« zum Hof- und Fürstendienst raten zu können,88 wenn sie sich nur mit Gottvertrauen, Gleichmut und Geduld wappnen. 8 ' Es gilt, am Hof klösterlich zu leben, wie Albertinus in einem anderen Werk empfiehlt,90 und die Modetorheiten und Ausschreitungen der Höflinge zu meiden.9' Am schärfsten fällt Albertinus' Hofkritik in >Lucifers Königreich 78

Ebd., Widmung (unpaginiert: S. 1). Ebd., Widmung (unpaginiert: S. 2). 80 Vgl. den Anfang der Allegorese, S. 65ff. 81 Vgl. ebd., S. 112. 82 Vgl. ebd., S. 117. 83 Vgl. ebd., S. 120. 84 Ebd., S. 139. 85 Vgl. ebd., S. 142. 86 Vgl. ebd., S. 140f. und bes. S. 146f. 87 Vgl. ebd., S. 13lf. 88 Vgl. ebd., S. 133. 89 Vgl. ebd., S. 134. 90 Vgl. Newes zuuor vnerhörtes Closter = vnd Hofleben / je lenger, je lieber [...] München 1618, prägnant S. 462. 91 Vgl. ebd., S. 463 eine knappe Aufstellung hofkritischer Vorwürfe. 79

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vnd Seelengejäidt (1616) aus.92 Im Korpus des Luciferischen Reiches werden die Hofleute mit einem - wider Erwarten - niederen Organ verglichen, freilich mit einem verzehrenden und ausbeuterischen: Sein Bauch / welcher mit Koth vnd Vnrainigkeit erfült ist / seynd die Hofleut / vnd in disem Bauch stecken 9. Boßheiten / erstlich der Ehrgeitz der Officiern / Am andern die schmaichlerey vnnd falschheiten / 3. Die vngerechte einnemmung der Schanckungen / vnd die verkauffung der Embter vnnd Gerechtigkeit / 4. Der Neid vnd Mißgunst / 5. Die Gleisnerey / 6. Die factiones, 7. Der grosse Pracht vnd Hoffart / 8. Die grosse Vnordnung im essen vnd trincken / 9. Die grosse forcht / sorg vnd dienstbarkeit des armen Hofgesinds / hergegen die grosse Vndanckbarkeit der Herrn.93 Mit anderen Worten: Der Hof als der Aufenthaltsort der Hofleute ist der Sammelplatz des Elends und der Laster, die nach und nach abgehandelt werden. Einen Schwerpunkt bildet dabei ganz selbstverständlich die Verurteilung der Schmeichelei, 94 einen anderen die Kritik am allmählich sich entfaltenden Ideal des Politicus, das Albertinus auf Machiavelli 95 zurückführt: Wer anjetzo die Welt nur mit eusserlichen Augen ansihet / der möchte vermainen / es seyen die Gemüter der Weltmenschen / vnd sonderlich der Hofleuten / die allerbeste/redlichste vnnd trewhertzigste / dann es wissen sich etliche Politische Neydharten mit Geberden / Worten vnnd Wercken dermassen zuerzeigen / vnnd so gar artlich vnnd fein in alle Possen zuschicken / als were an Frombkeit vnnd Redligkeit nichts über sie: derowegen lobt man sie/ vnnd spricht: E y / wie ein feiner/stiller/freundlicher/fleissiger/eyfriger/hóflicher Mann ist der / er kan sich je gar fein gegen mánnigklich accommodiren vnnd schicken / seine reden kan er artlich stellen / den sachen ein gestalt vnnd flrbl geben / den Mantel nach dem Wind kehren / hinder dem Berg halten / vnd zweyen widerwertigë Herrn dienen. Dergleichen Leut lobt vnd ehret der gemaine Mann / sie werden auch ûr die fûrnembste vnnd beste gehalten / aber inwendig im Hertzen seynd sie Politische Phariseer / Heuchler / Laruierte vnnd Vermumbte Feinde / vor denen man sich nicht hüten noch fürsehen kan / seytemal man sie nicht kennet: Sie seynd auch nicht allein einer Statt oder gantzen Gemein / sondern auch dem gantzen Landt ein grosser Schaden / Vnnd sie seynd die jenigen / von denen geschriben stehet: Gaudium hypocrite ad instar puncti, Die Frewd deß Gleißners / weret nur ein Augenblick.96 Es ist offensichtlich, daß Albertinus, der als Vermittler der spanischen Hofschule in Deutschland gilt, einen klaren Blick für die Pervertier92

Lucifere Königreich vnd Seelengejäidt: Oder Narrenhatz. [...] München 1616. 93 Vgl. ebd., S. 13. 94 Vgl. ebd., S. 43ff. 95 Vgl. ebd., S. 351. 96 Ebd, S . 350f. 148

barkeit des Höflingsideals und seines Akkommodationsprinzips hatte. Albertinus läßt gelegentlich das Ideal eines v o l l k o m m e n e n Hofes 9 7 sowie tugendhafter Herrscher und Höflinge 9 8 in Erscheinung treten ; aber die Hofkritik ist in s e i n e m Werk unübersehbar - nicht nur durch die gebündelte Wiederholung der traditionellen Vorwürfe, sondern auch durch ihre Stellungnahme gegen das neue Ideal des Politicus und gegen >machiavellistisches< D e n k e n . Eine Generation vor Moscherosch lag damit i m katholischen Süden Deutschlands ein umfangreiches hofkritisches Werk vor, das an den traditionellen Ausstellungen der Hofkritik festhielt und auf die für das 17. Jahrhundert wichtigste F o r m des höfischen Menschenideals bereits kritisch reagierte. U n d dies m u ß gegenüber älteren Forschungsmeinungen betont werden. Das hofkritische bzw. gegenhöfische D e n k e n unterlag keinen konfesstionellen G r e n z e n und läßt sich nicht als Spezifikum des Protestantismus behaupten, wie dies vor allem Erika Vogt getan hat. 99 Kurz nach d e m Erscheinen der hofkritischen Übersetzungen und >Original>werke des Aegidius Albertinus entstand im U m k r e i s des kurbayrischen H o f e s ein weiteres und umfangreiches hofkritisches Werk, verfaßt v o n d e m Jesuiten A d a m Contzen, 100 der mehrere Jahre Beicht97

Vgl. ebd., S. 29. " V g l . dazu >Christi vnsers HErrn Königreich vnd Seelengejaidt: Darinn tractiert wird von der Beschaffenheit / Herrlichkeit vnd Hochheit deß Reichs Christi[.. .]München 1618Mirantische Wald-Schalmey< (1688) das Politicus-Ideal und das am Ausland orientierte >unredliche< Höflichkeits- und Alamodewesen verurteilte." 6 Sein Ordensbruder Rudolf Gas111

Ebd., S. 42. Ebd., S. 43. 113 Ebd., S. 46. 114 Vgl. ebd., S. 40 und S. 44. 115 Vgl. dazu Barner, Barockrhetorik, S. 123f.; ausführlich vgl. Breuer, Der >Philoteus< des Laurentius von Schnüffis, S. 113ff. : Hofkritik, S. 118ff. : Fortuna, S. 192ff. : Der Hofaufenthalt. 116 Vgl. Mirantische Wald-Schalmey/Oder: Schul wahrer Weisheit / Welche Einem Jungen Herrn und seinem Hof-Meister / als Sie auß frembden Ländern heimbkehrend / in einem Wald irr-geritten / von zweyen Einsidlern gehalten worden [ . . . ] Constantz 1688, hier bes. S. 116ff. : Torheit, nach Fürstengunst zu trachten; S. 198ff.: Kritik am Politicus-Ideal; S. 235ff.: Kritik an Kavaliersreisen, weil dadurch alamodisches Unwesen nach Deutschland kommt und das Geld außer Landes geht: »Wie vil Millionen kosten das

112

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ser negierte in seinem dreibändigen Roman >Vernunft-Trutz< (1686-88) die höfischen Ideale allesamt; der Roman endet nicht - wie die meisten Staatsromane - mit dem Herrschaftsantritt eines Fürsten, sondern damit, daß vier königliche Prinzen der Krone entsagen und den geistlichen Stand wählen, gefolgt von ihrem Hofstaat."7 Wenn Johann Michael Moscherosch"8 als Repräsentant einer bürgerlich-protestantischen oder wie immer auch gearteten"9 antihöfischen Bewegung betrachtet wird, so ist auch bei ihm im Auge zu behalten, daß Moscheroschs Hofsatire auf der traditionellen Hofkritik beruht. Die kaum bekannten Fragmente des Lehrgedichts >PatientiaEin traurig gesprächRomanen< in: Laurentius von Schnüffis, Gedichte. Eine Auswahl. Herausgegeben von Urs Herzog. Stuttgart 1972. 117 Vgl. Hirsch, Barockroman und Aufklärungsroman, S. 106. ' " Z u r Biographie vgl. Grunwald, A Biography of Johann Michael Moscherosch; Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 22, S. 35Iff. - Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Dritter Theil, Sp. 698f. 119 Die protestantischen Ursprünge von Moscheroschs antihöfischer Haltung behauptet Erika Vogt (Die gegenhöfische Strömung, S. 1, 20f., 27ff., 38); bei der Zuordnung Moscheroschs zu einer bestimmten sozialen Schicht ist sie vorsichtiger und bleibt vage (vgl. ebd., S. 51 f. und 48). Neuerdings betont nun Marianne Kaiser (Mitternacht/Zeidler/Weise, S. 96f.) in Auseinandersetzung mit Vogt die bürgerlichen, in das 16. Jahrhundert zurückreichenden Wurzeln von Moscheroschs gegenhöfischem Denken. 120 Die Patientia von H. M. Moscherosch. Nach der Handschrift der Stadtbibliothek zu Hamburg zum erstenmal herausgegeben von Ludwig Pariser. München 1897. 121 Ebd., S. 22ff. 122 Vgl. ebd., S. 16 und 24; dazu Grunwald, S. 21 ff.; Faber du Faur, Philander, der Geängstigte, und der Expertus Robertus, bes. S. 492 und 497. 123 Moscherosch züchtigte die drei Söhne des Grafen körperlich und schlug dem mittleren das Achselbein ab, worauf er entlassen wurde. Er nahm die drei Pelzröcke seiner Zöglinge mit und entschuldigte sich damit, sie seien den Jungen ohnehin zu klein und die Gräfin habe ihnen bereits neue versprochen; vgl. Grunwald, S. 21 f.; Faber du Faur, S. 497. 124 Vgl. Patientia, S. 24 Anm. 1. 125 Patientia, S. 24; zu Lucans >Exeat aula< s. o. Einleitung.

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Hofkritik bekannte Sentenz wird mehrmals variiert 126 und schließlich wieder in e i n e n typisierten Erfahrungsbericht überführt: Hülff Gott was iammer hab ich da erlitten, wie sind meine feinde mit mir so meisterlich verfahren; Anfangs gienge ich daher sine fuco et fallaciis ma jorum more wie ein guter teütscher, was der Mündt redete das meinte das Hertz, da war kein falsch, kein betrug, in summa ich meinte es wohl vndt gut, das weiß Gott: dan ich mir andere gedancken nicht machen kunte als es were hie wie auff hohen schulen, da Ehrliche vndt fleissige Studenten synceritatis ergo einander von hertzen, Vndt ohne gefehrde trewlich vndt wohl meinen [...]. Nun so meinte ich würde es auch zu hoffe hergehen, dan ich nimmer geglaubet hatte, daß es also wie ich offtmahlen in büchern hien vndt wider gelesen beschaffen were, welches ich aber iezo mit meinem schaden wohl durch einen gantzen tractat wahr sein erweisen könte [.. .].127 D i e akademisch-humanistischen Wurzeln v o n Moscheroschs Ressentim e n t gegen den Hof sind in der Amplifikation des traditionsreichen hofkritischen Vorstellungsmodells >Schule vs. Hof< 128 so deutlich z u erk e n n e n wie in seiner reumütig vorgebrachten Rechtfertigung der älteren hofkritischen Literatur, die er gelesen hatte und zu deren Bestätigung und Ergänzung er sich jetzt, nach eigenen höfischen Erfahrungen, berufen fühlte. Auf diese Literatur griff Moscherosch auch in den >VISIONES DE DON QUEVEDO. Wunderliche vnd Warhafftige Gesichte Philanders v o n Sit-

tewalt< (1640/1643) 1 2 9 zurück, doch ist im einzelnen oft ungeklärt oder umstritten, wie weit der Einfluß ausländischer und deutscher Quellen reicht. 130 D u r c h Moscheroschs Verweise steht aber fest, daß er sich im 126

Unter anderem auch in Form eines Epigramms, das Moscherosch in seine >Epigramme< aufgenommen hat, von denen mehrere hofkritische Charakter haben ; vgl. Patientia, S. 24 Anm. 2. 127 Patientia, S. 24f. - Ähnliche Klagen über die schlechten Hoferfahrungen finden sich auch in den >GesichtenGesichte Philanders von SittewaldHoff-Schule< (1/7),151 das für das Thema Hofkritik zentral ist, auch auf Guevaras >Horologium Principum< stützte, das oben schon als ein Hauptwerk der Hofkritik behandelt wurde: »Der Praeceptor oder Hofmeister lerne Was Antonius Guevara in seinem Horologio Principum schreibet,'32 heißt es vor Beginn eines längeren Zitats aus dem >HorologiumSchule der Weltweisheit< ist nicht zu ersehen, und das Register zum ersten Teil der >Visiones< vermerkt unter >Hof< nur hofkritische Eintragungen.137 Ein gewisser Neuansatz ergibt sich allendings im zweiten Teil der >Gesichte Philanders von Sittewalt< (1643)'38 daraus, daß Moscherosch die Hofkritik in die Alamodekritik und die damit verbundene Propagierung altdeutschen Wesens integriert. Manchmal wirken die einzelnen hofkritischen Hiebe etwas unvermittelt, wie in folgendem Beispiel: 131

Visiones, S. 405ff. Ebd, S. 504. 133 Vgl. ebd., S. 497 und 507. 134 Z. B. in der Schmeichlerkritik (bei Moscherosch vgl. ebd., S. 33, 71, 154, 416, 494, 501, 512ff., 536f. ; bei Guevara vgl. die oben im Guevara-Kapitel genannten Stellen), in der Klage über die Schädlichkeit der Mediziner (bei Moscherosch vgl. ebd., S. 507ff.; bei Guevara vgl. Weckvhr, S. 101 = Horologium, S. 193) oder in der Beschreibung der Höflingsqualen (bei Moscherosch vgl. ebd., S. 70ff., 154ff., 406ff.; bei Guevara vgl. oben). 135 Im ersten Teil der Visiones wird das Hofleben zweimal mit der Hölle verglichen (S. 153 und 414); einmal erscheint die Formel »zu Hoff zu Holl« in der Marginalie (S. 286), und schließlich steht sie am Anfang der Vorrede zur >Hoff-Schule< (S. 406). 136 Vgl. ebd., S. 538. 137 Vgl. ebd., H. S. 553ff. (unpaginiert). 138 Benutzte Ausgabe : Anderer Theil der Gesichte Philanders von Sittewalt. Straßburg [ . . . ] 1643 (Nachdruck Hildesheim und New York 1974; in einem Band mit dem oben in Anm. 129 genannten ersten Teil, mit neu einsetzender Paginierung). 132

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Eva / vnsere Erste Mutter / hat vns mit dem á la mode / mit der Newsüchtigkeit / mit der Newen speiß / welche jhr doch verbotten ward / in Leiden und Leyd gebracht: die altte speise hatte jhr nicht mehr schmacken (zu Hoff sagt man / Munden: Warumb nicht / Zungen? Gurgeln? oder Bauchen? weil ja zu Hoff die Zung = Gurgel - vfl - Bauch - frewde dem Ewigen Leben vorgehet) sie hat gern etwas á la mode, etwas Newes Essen wollen.139

Aber alle Einzelausstellungen140 werden durch das zugrunde liegende hofkritische Konzept zusammengehalten. Dieses besteht zum einen in der direkten Polemik gegen den französischen Einfluß auf die deutschen Höfe,141 zum andern in der Darstellung des >altdeutschen< Hoflebens auf Burg Geroldseck: am Hof der >altdeutschen< Helden142 wird der alamode gekleidete Philander wie ein »Meerwunder« betrachtet ;143 und er selbst muß entgegen allen seinen vorherigen höfischen Erfahrungen lernen, daß an diesem Hof Lüge und Schmeichelei unerwünscht sind.144 Anstößig am >altdeutschen< Wesen ist ihm nur das »Vollsauffen« und »Pancketieren«145 - Auswüchse höfischer Festivitäten, die auch schon Aegidius Albertinus und der Jesuit Adam Contzen angeprangert hatten. Neben den >GesichtenSatyrische Gesichtet die 1645 als dritter Teil der >Visiones< erschienen.147 Ihr Verfasser wendet sich gegen die »A la modische Politic« der »Ratio status« und des Machiavellismus; er hat die Absicht, »die an Fürstlichen Höfen im Schwang-gehende Laster Schertz-Weise« darzustellen.148 Zu diesem Zweck wird Philander vom >altdeutschen< Hof an 139

Ebd., S. 16. Vgl. dazu Vogt, S. 8ff. ; hervorgehoben seien folgende Stellen: S. 53: schlechte Kammerdiener am Hof; 58: Kritik an Hofnarren; 85ff.: Modekritik; 98f.: Schmeichlerkritik; 105f.: Vorwurf der Verweichlichung; S. 107f.: Kritik an verschwenderischen Gastereien; S. 125: Kritik an höfischen Begriffen und Idealen wie »Reputation« und »Raison d'Etat«; S. 151ff: Ablehnung des Komplimentierens und Aufschneidens; S. .158: Jagdkritik; S. 302f.: Modekritik; S. 307: Sittenverderbnis am Hof. 141 Vgl. ebd., S. 17f„ S. 104f. (nationalökonomisch) und S. 113ff. (politisch). 142 Vgl. ebd., S. 32. 143 Vgl. ebd., S. 34. 144 Vgl. ebd., S. 42. 145 Vgl. ebd., S. 218ff. und 230f. 146 Vgl. Schmidt, Die unechten Gesichte Philanders von Sittewald. 147 Benutzte Ausgabe: Les Visiones Don de Quevedo. Continuatio. Satyrische Gesichte Philanders vom Sittewalt. III vnd IIII theil. Francofurti anno 1645. Der dritte Teil umfaßt sechs Gesichte: 1. Ratio status; 2. Renth-Cammer; 3. Peinlicher Proceß; 4. Zauber-Becher; 5. Kauff-Hauß; 6. Phantasien-Hospital. Der vierte Teil umfaßt : 1. Pflaster / wider das Podagram ; 2. Soldaten-Leben. 148 Ebd., S. 6 (Vorrede). 140

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einen alamodischen und politischen Hof geführt, an dem Betrug, Eigennutz, Schmeichelei, Rechtsbeugungen usw. gang und gäbe sind. Das Arsenal der sogenannten machiavellistischen Politik wird vorgeführt: Staatsmäntel wie das >bonum publicum< und die >conservatio religionis< zum Betrug des Volkes,149 dazu passende Staatslarven wie die >calumniaMerksprüchen< eine Warnabsicht zur Geltung: Hoff-Suppen sind lieblich zu lecken / Werden aber gewiirztzt mit Schrecken. 152

Philander wird gerade noch davor bewahrt, an diesem Hof Dienste anzunehmen. 153 So kann er als unbeteiligter Beobachter mitansehen, wie das Chaos am Hof wächst und das lasterhafte Regiment zusammenbricht. 154 Er verläßt danach diesen Hof, heuert auf einem Schiff an und gerät mit dem »weitberühmten Seefahrer Vlyssem«155 in eine von hofkritischen Erfahrungen geprägte Seereise.156 Die hofkritischen Möglichkeiten waren in den echten >Gesichten Philanders von Sittewalt< noch längst nicht ausgeschöpft. Die >Gesichte< initiierten weitere Hofkritik und wirkten anregend nicht nur auf den Verfasser des unechten dritten Teils, sondern auch auf Grimmelshausen 157 und Weise.158 Im Hinblick auf Moscheroschs antihöfische Denkrichtung ist eine Korrektur bzw. Ergänzung, die Marianne Kaiser gegenüber Erika Vogt vorbringt, von besonderer Bedeutung. Marianne Kaiser stellt fest, »daß Moscherosch als Anhänger der ständestaatlichen Herrschaftsform auf kulturellem Sektor den Kampf gegen das Vordringen eines höfischen 149

Vgl. ebd., S. 26 (1. Gesicht). Vgl. ebd., S. 29. 151 Ebd., S. 29. 152 Ebd., S. 41. 153 Vgl. ebd., S. 115. 154 Vgl. ebd., S. 114ff. (2. und 3. Gesicht). 155 Vgl. 245ff. (4. und 5. Gesicht). 156 Höhepunkte S. 275f. (Höflingsklage), S. 369ff. (höfische Gunstverteilung), S. 408f. (Vita Aulica). 157 Vgl. Klamroth, S. 82ff. 158 Vgl. Klamroth, S. 94ff. ; Beinert, Christian Weises Romane in ihrem Verhältnis zu Moscherosch und Grimmelshausen. 150

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Selbstverständnisses in der protestantischen Oberschicht führte, das sein Vorbild in der Kultur bereits absolutistisch reregierter Länder hatte«.' 59 Sie sieht Moscheroschs Hofsatire damit im Rahmen der epochalen Auseinandersetzung zwischen Fürsten und Ständen im 17. Jahrhundert160 und setzt sie dadurch in Beziehung zur gegenhöfischen und antiabsolutistischen Tendenz der Schuldramen von Mitternacht, Zeidler und Weise. Bei ihnen stand die herkömmliche moralistische Kritik über aufgeblasene Hofschranzen, höfische Verschwendung, Fuchsschwänzerei etc.161 im Kontext einer bei Mitternacht ganz entschiedenen, bei Zeidler schon abgeschwächten162 und bei Weise resignativen163 Stellungnahme gegen eine absolutistische Politik in den betreffenden Territorien. Bei allen drei Autoren zeitigte die politisch motivierte antihöfische Haltung auch formale und stilistische Konsequenzen für die Dramen: alle drei mißachteten die sogenannte Ständeklausel und verließen die hohe Stilebene des höfisch-barocken Trauerspieles.164 Beides ist jedoch nicht nur als Protest zu verstehen, sondern diente auch dem didaktischen Ziel der Fürstenbelehrung bei Mitternacht und Zeidler165 sowie der Erziehung der politisch-administrativen Führungsschicht bei Weise.166 Dadurch darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, als sei das höfisch-barocke Trauerspiel, das nur hochfürstliche Personen auf der 159

Marianne Kaiser, Mitternacht/Zeidler;Weise. Das protestantische Schultheater nach 1648 im Kampf gegen höfische Kultur und absolutistisches Regiment, S. 95. - Zu dieser Arbeit vgl. die Rezension von Wilfried Barner, in: Germanistik 14 (1973), S. 838f. - Durch diese These von M. Kaiser wird auch die Ansicht von Knight, a. a. O., S. 31 widerlegt, daß »Moscherosch's patriotism is ethical, religious and cultural, but has no political relevance«. Festzuhalten bleibt jedoch an Knights weiteren Ausführungen, daß Moscherosch die Sozialpyramide und die Fürstenherrschaft als gottgegeben betrachtete, gegen Entgleisungen der Fürsten und Höflinge nur einen moralischen Protest erlaubte, und daß es gerade die >Fütstenpredigt< in der >Hofschule< ist, »which reveals both the ethical force and the practical weakness of his opposition to the courts« (ebd.).

Vgl. Kaiser, S. 12, 14, 53, 73 und die dort angegebene Literatur. Vgl. ebd., S. 40f., bes. 45f„ 50, 99, bes. 116, 131. 162 Vgl. ebd., S. 112f. 163 Vgl. ebd., S. 133. 164 Vgl. ebd., S. 59, 71ff„ bes. 75f., 106f., 158ff.; zu Weise vgl. auch Wiek, Studien zu den Dramen Christian Weises, S. 96ff. 165 Vgl. Kaiser, S. 38, 51f„ 58f„ 112, 117. 166 Vgl. ebd., S. 121 ff. und 164ff.; vgl. Horn, Christian Weise als Erneuerer des deutschen Gymnasiums im Zeitalter des Barock, bes. S. 162ff.: Zahl und Herkunft der Schüler des Gymnasiums unter Weises Rektorat; vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 21 Off. 160 161

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Bühne präsentierte und sie im feierlichen Alexandriner agieren ließ,167 nicht der Hofkritik fähig gewesen. Das Gegenteil erweisen die Trauerspiele des Andreas Gryphius,168 der sich als Syndicus der Glogauer Landstände (ab 1650) mit den zentralistischen Tendenzen der kaiserlichen Politik auseinanderzusetzen hatte und die ständischen Rechte durch eine Edition der »Landes Privilegia aus den Originalen« von 1490 bis 1638 zu sichern bemüht war.169 Doch ungeachtet der Bedrohung der ständischen Libertät durch den kaiserlichen Hof zeigen Gryphius' Trauerspiele - die vor dem Amtsantritt wie die danach verfaßten - eine starke Affinität zur absolutistischen Staatstheorie'70 mit ihren ausgeprägten Ordnungsvorstellungen, die allein in dieser Zeit eine Garantie für den lang entbehrten Frieden und die lebensnotwendige Sicherheit zu bieten schienen. Zugleich aber stellen die Trauerspiele von >Leo Armenius< (1640/47) über >Catharina von Georgiern (1649/50) und >Carolus Stuardus< (1649/50 und 1662) bis zu >Aemilius Paulus Papinianus< (1657-59) eine entschiedene Warnung vor dem Mißbrauch fürstlicher Macht171 und eine eindrucksvolle Demonstration der Brüchigkeit monarchischer Herrschaft dar. Geradezu modellhaft wiederholt das Erstlingswerk >Leo Armenius, Oder Fürsten-Mord Trauerspiel· eine byzantinische Palastrevolution172 als überzeugendes Beispiel für 167

Aus der umfangreichen Literatur zum Trauerspiel sei verwiesen auf Schings, Consolatio Tragoediae. 168 Allgemein zu Gryphius vgl. Mannack, Andreas Gryphius. - Zu Biographie und Werk vgl. Flemming, Andreas Gryphius; Szyrocki, Andreas Gryphius. Die Trauerspiele werden zitiert nach Andreas Gryphius, Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. 4-6: Trauerspiele. Herausgegeben von Hugh Powell. Tübingen 1964-66. Zur Interpretation seiner Trauerspiele sei vorab genannt: Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen. Herausgegeben von Gerhard Kaiser. 169 Vgl. Szyrocki, S. 34; Flemming, S. 74. Im einzelnen vgl. Schmelzeisen, Staatsrechtliches in den Trauerspielen des Andreas Gryphius.; Hildebrandt, Die Staatsauffassung der schlesischen Barockdramatiker, S. 43ff.; wichtig auch Voßkamp, Untersuchungen zur Zeitund Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein. 171 Außer Catharina von Georgien sind alle Herrscherpersonen der Trauerspiele mehr oder minder schwer durch Machtmißbrauch schuldig. 172 Zur Modellhaftigkeit von Gryphius' Stück vgl. die Ausführungen über die zugrunde liegende Episode aus der byzantinischen Geschichte bei Maier (Hrsg.), Byzanz, S. 125f. ; zur Quelle, der Gryphius folgte, vgl. Leo Armenius. Trauerspiel. Herausgegeben von Peter Rusterholz. Stuttgart 1971, S. 115ff. ; vgl. auch Eggers,Wirklichkeit und Wahrheit im Trauerspiel von Andreas Gryphius, S. 158f. Ansonsten vgl. Kaiser, Leo Armenius, Oder Fürsten-Mord. In: G. Kaiser (Hrsg.), Die Dramen des Andreas Gryphius, S. 3ff. - Wegen vieler Textnachweise noch lesenswert: Mawick, Der anthropologische und soziologische Gehalt in Gryphius' Staatstragödie >Leo ArmeniusReyen der Hófflinge< bringt den »Wechsel aller dinge« und die »vnbestendigkeit« des Glücks gerade der Fürsten zur Sprache (V. 597ff.) ; bereits in der ersten >Abhandelung< beklagt sich Kaiser Leo, der sich »als ein gekrönter Knecht« versteht (V. 153) und sich von »Neyd / Vntrew' Argwohn / H a ß / Schmertz/ Angst vnd Furcht« verfolgt fühlt (V. 156), über die Wankelmütigkeit seiner Höflinge: Wen nimbt er auf den H o f f ? den der sein Leben wagt / Bald für / bald wider jhn / vnd jhn vom hofe jagt / Wenn sich das spiel verkehrt [ . . . ] (V. 161-163).

Bezeichnenderweise hängt auch Kaiser Leo, der höfischen Verstellung (vgl. Abh. I, V. 163ff.) und der Regierungslast (vgl. Abh. I, V. 347ff.) überdrüssig, dem Traum eines einfachen Lebens »Weit von der Burg« nach (Abh. III, V. 11 ff., hier V. 13), wo man nicht mit den Gefahren konfrontiert wird, die das stürmische Meer des Hoflebens birgt (vgl. Abh. III, V. 29ff.). Deutlich erkennbar wird mit Hilfe der topischen Formulierungen der traditionellen Hofkritik das Bild des Hofes als Ort eines glänzenden Elends reproduziert. Prägnant erscheint das - neuerdings von Harald Steinhagen interpretierte173 - Bild des von heuchlerischer Verstellung und schonungsloser Feindseligkeit bestimmten Hoflebens auch in den Äußerungen des Kaisermörders Michael und der Kaiserwitwe Theodosia. Gleich in der ersten >Abhandelung< erhebt Michael den Vorwurf der Günstlingswirtschaft: Was ist der hof nunmehr als eine Mördergruben? Als ein Verrâther platz? ein Wohnhauß schlimmer Buben. Wer artig pflaumen streicht / und leugt so viel er kan Den zeucht man Fürsten vor: ein vnverzagter Man Der ein gerüstet Heer offt in die flucht geschlagen / Steht vnerkánt / vnd schmacht [...] (V. 23-28).

Von da an wiederholt Michael seine Vorwürfe gegen die Günstlinge und »Hoffheuchler« (Abh. I, V. 489) mit einer Beständigkeit, die symptomatisch ist für die antihöfische Einstellung des Offiziers, der »wol reden nie gelehr't« und sich »zu heuch'len nie beflissen« (Abh. II, V. 98-99), der also die Kunst höfischen Redens nicht beherrscht und am Hof durch seine unvorsichtigen Äußerungen wie »auf glattem Eyß« (V.

173

rota, Geschichte, Politik und Gesellschaft im Drama des 17. Jahrhunderts, S. 63ff. und S. 127ff. Vgl. Steinhagen, Wirklichkeit und Handeln im barocken Drama, bes. S. 57ff.

160

137) zu Fall kommt. Seine Verhaftung und seine Verurteilung sind ein Beispiel für die Gefährlichkeit der Rede, die im ersten >Reyen der Höfflinge< thematisiert wird. Zwischen der ersten und zweiten >Abhandelung< erscheint der erste Reyen in besonderer Weise als Reflexion auf die Macht der Rede am Hof, und zu Recht hat Wilfried Barner in seiner Interpretation dieses Reyens auf den Kontext der zeitgenössischen >Hofliteratur< aufmerksam gemacht.174 Michael entgeht allerdings der Hinrichtung. Nachdem seine Mitverschwörer Kaiser Leo ermordet haben, setzt er sich - wie es in der von Gryphius benutzten Quelle heißt - »mit den Fesseln an den Füßen auf das kaiserliche Ruhelager« :'75 als neuer Gefangener seines Hofes und als weiteres Opfer höfischer Intrigen und Machtkämpfe. Die eingangs vorgebrachten Hofklagen werden gegen Ende des Stücks von der Kaiserwitwe Theodosia wiederholt - als Fluch für den neuen Kaiser und als Prophezeiung eines neuen höfischen Trauerspiels: Nimb die / durch list vnd blutt / vnd mord / erworb'ne Krön Vnß ist der hoff bekandt / das vnrecht der Pallâste: Die Mißgunst / falsche trew' / vnd die verfluchten gâste Der Fürsten: müh vnd furcht. Erheb dich / wie du wilt: [...] Vnd wetz' ein Schwerd das dir noch wird die brüst durchstechen (Abh. V, V. 382-385, 392).

Wird in >Leo Armenius< der höfische Machtkampf durch topisch formulierte Klagen über das Elend des Hoflebens eingerahmt und als absurd gedeutet, so erscheint in Gryphius' letztem Werk >Großmüttiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Aemilius Paulus Papinianus. TrauerSpil' das Hofleben durch »Neid / Verleumbdung und Verdacht« bestimmt - durch Zentralbegriffe der traditionellen literarischen Hofkritik, die das Trauerspiel von der Inhaltsangabe an leitmotivisch durchziehen. Die Inszenierung der von dem ehrgeizigen und neidischen Laetus betriebenen Intrige gegen den >offenen< und der höfischen Verstellung und Anpassung nicht fähigen Papinian wird durch den dezidiert hofkritischen ersten >Reyen der Hofe-Junckern Papiniani< kontrastiert : Wie selig ist der Hof und Macht / Und der beperlten Zepter Pracht / Auß den vergnügten Sinnen stellt / Und sich in engen Grántzen hält / 174

175

Vgl. Barner, Gryphius und die Macht der Rede, bes. S. 346; zum ersten Reyen vgl. auch Schöne, Emblematik und Drama, S. 162ff. ; Steinhagen, S. 105f. Vgl. Leo Armenius, ed. Rusterholz, S. 121.

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Der nicht nach leichtem Glück und hohen Aemptern steht Und bloß mit reiner Seel und Gott zu Rathe geht. Er zeucht zwar nicht in Purpur auff Kein scharff- mit Stahl-bewehrter Hauff / Umbgibt sein unbewahrte Seit Er führt kein Heer zu rauhem Streit / Er schreibt den Fürsten nicht Gesetz und Schlüsse vor; Doch hat er Wonn und Lust die sein Gemüt erkor.

[...] Doch siht er auß der stillen Ruh D e m unbedachten Pôfel zu. Und weiß nichts von dem blassen Neid / Nichts von dem innern Hertzensleid / Das in Palästen wohnt und dem die Jahre kürtzt Der offt von höchster Höh in tieffsten Abgrund stûrtzt. [...] Er lebt vor sich jhm selbst zu gut Bebaut das Land mit gleichem Mut / Vertreibt die bange Traurigkeit; Mit Fällen längst verjährter Zeit. Und was die Reich empört und Throne stûrtzen kan Das siht er unverzagt gleich einem Schaw-Spiel an. [..·].'176

Auch hier ist der Hintergrund der traditionellen hofkritischen Literatur unverkennbar, und zumal bei dem Polyhistor Gryphius erübrigt es sich, mögliche Vorbilder und Parallelen im einzelnen aufzuweisen. Die wichtigsten Gedankengänge und Vorstellungen des >Reyen der HofeJunckern< sind ja bereits am Beginn der modernen Hofkritik bei Aeneas Sylvius Piccolomini zu finden, wo das stoisch-humanistische Ideal einer selbstbestimmten, von allen Hofübeln befreiten und das unheilvolle Geschehen im Bereich der geschichtlichen Mächte nur aus weiser Distanz beschauenden vita beata ebenfalls schon in der Form des Landlobs erschien. Und daß die Realisierung dieses Ideals die Preisgabe aller politischen Wirkungsmöglichkeiten bedeutete, für die der Hof den Ausgangspunkt bildete, war aus den Darlegungen des Aeneas Sylvius so deutlich herauszulesen wie aus Gryphius' Reyen. So erweisen sich die traditionellen hofkritischen Denkmuster und Argumente am Beispiel des Andreas Gryphius als gültig auch für die hohe Barocktragödie. Ins- besondere trifft dies für die seit Commynes und Erasmus häufig wiederholte Behauptung zu, daß der Ursprung tyrannischer Fürsten176

Zum ersten Reyen der »Hofe-Junckern Papiniani« vgl. Steinhagen, S. 222ff.; zum Trauerspiel >Papinianus< vgl. Schings, Großmüttiger Rechts-Gelehrter, S. 170ff„ bes. S. 187.

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herrschaft in der höfischen Schmeichelei zu suchen sei: Die >Andere Abhandelung< des >PapinianFürstenstaatTeutschem FürstenstaatDer Teutsche FürstenstaatVerschwendungsargumentAulicus politicusReineke FuchsBiblische Policey< ist daher auch von einem starken Mißtrauen gegen den Hof geprägt. Dies zeigt sich am deutlichsten in den >Axiomata< 94-103, die durch die Überschrift »Vom Hoffwesen« als eigenständiges Kapitel gekennzeichnet sind.2'9 Die ersten Axiomata davon lauten: »Hoff- vnd Herren Gnade ist sehr mißlich / vnd ein Verständiger verläst sich darauff nicht»(94); »Angebottene Hoff- vnd Herren Gnade wird offt weißlicher abgeschlagen / als angenommen»(95); »Die Hoffgänge bekommen manchem sehr übel« (96). Beispiel wird an Beispiel gereiht und aus der oben erwähnten Literatur belegt und kommentiert. Mitunter werden die Erläuterungen merksatz- oder sprichwortähnlich zusammengefaßt. Axioma 99 lautet: »Wann ein Hoffdiener mercket/ daß sein Stern bey Hoff nicht mehr scheinen wil / thut er am besten / daß er denselben quitiret vnd sich bey Zeiten retiriret«.220 Eine zweiseitige Amplifikation schließt dann: »Andere sagen / der Hoff sey wie eine Huhre / wird eines bald satt / vnd giebet einen vmb den andern. Aula velut meretrix, hunc nunc, nunc suscipit illum. Et quem suscepit, deiicit & reiicit. Johan. Leibi, in suis studentic. Apophtegmat.«22' Zur entlarvenden Darstellung des Hofwesens wird hier, im politisch-mora212

Vor allem Tacitus wird laufend zitiert. Zitiert z. B. S. 181. 214 Zitiert z. B. S. 224 und 225. 2,5 Zitiert z. B. S. 232. 216 Vgl. Biblische Policey, S. 156. 217 Vgl. ebd., S. 161 f. 2,8 Vgl. ebd., S. 182 und 229. 219 Vgl. ebd., S. 21 Off. 220 Ebd., S. 224. 221 Ebd., S. 225. 213

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listischen Traktat, der >scharfsinnige< Vergleich benützt, der in besonderem Maße zu den Gattungseigentümlichkeiten des Epigramms zählt und in der Tat auch die Vielfalt von Logaus epigrammatischer Hofkritik ausmacht. Hofkritik ist in Friedrichs von Logau222 bzw. in >Salomons von Golaw deutscher Sinn-Getichte drei Tausend< (1654)223 ein hervorstechendes Thema, das in etwa 200 der rund 3750 Sinngedichte direkt zur Sprache kommt und aus vielen weiteren noch herausgelesen werden kann. Komposita wie »Hofefalschheit«, »Hofefüchse«, »Hofeleben«, »Hofemotten«, »Hofeschmarotzer« finden sich häufig als Überschrift von Epigrammen und bilden im Sachregister von Gustav Eitners Ausgabe der >Sinngedichte< die weitaus größte Sparte.224 Fast alle Punkte der traditionellen Hofkritik werden einmal oder öfter berührt, so auch das von Reinking ausführlich behandelte Thema der wechselhaften Hofgunst: Hofe-Gunst. Der unter zehnen vor in Gunsten war der einer, Wird unter zehnen hier in Gunsten bald ein keiner.225

Die >Hofe-Gunst< erscheint noch zwölfmal in der Überschrift, und in einigen weiteren Sinngedichten wird sie in Zusammenhang mit anderen schon bekannten Vorwürfen der Hofkritik gebracht: Hofe-Warheit. Wer um Warheit Gunst wil kauffen, Muß von Hofe bald entlauffen. 226

In einem anderen Epigramm wird eine Verbindung zwischen der >HofeGunst< und der protestantischen Prädestinationslehre hergestellt - ein Gedanke, der bereits in Johannes Agrícolas Sprichwörtersammlung von 1530 angeklungen war (s. o.), freilich viel unkomplizierter als bei Logau: Himmel- und Hofe-Leben. Hofegunst und ewig Leben Wird nicht aus Verdienst gegeben.227 222

Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 19, S. 107ff. Auf dieser von Logau noch selbst zusammengestellten Sammlung basiert die hier benutzte Ausgabe: Friedrichs von Logau Sämmtliche Sinngedichte, Herausgegeben von Gustav Eitner. Stuttgart 1872 (Zur Textgestalt vgl. S. 740 und 747f.). 224 Vgl. ebd., S. 800f. 225 Ebd., S. 355 ( = II/7/52). 226 Ebd., S. 171 ( = 1/8/43). 227 Ebd., S. 473 ( = III/2/81). 223

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Der Vergleich ist zunächst einmal einleuchtend: Dem Höfling erscheint der fürstliche Gunsterweis als ebenso willkürlich und unwägbar wie die göttliche Gnadenwahl dem Menschen überhaupt. Aber was besagt diese Gleichsetzung außer dem, daß sie möglicherweise eine persönliche Betroffenheit des protestantischen Höflings Logau von der Prädestinationslehre erkennen läßt? Wollte Logau die Ungerechtigkeit höfischer Gunstvergabe durch den Vergleich mit der - nach menschlichen Kriterien - ebenso >ungerechten< göttlichen Gnadenzuteilung legitimieren? Oder wollte er im Gegenteil die Willkür fürstlicher Gunstbezeugung, die nach göttlichem Vorbild das Gewicht von Verdiensten ignorierte, als menschliche Anmaßung kritisieren? Diese Fragen müssen offen bleiben. Während bei fast allen anderen hofkritischen Epigrammen Logaus die satirische Intention bei der Schilderung höfischer Verhaltensweisen deutlich zu erkennen und die positive Norm, von der Logau ausgeht, leicht zu erschließen ist, verbleibt diesem Epigramm eine Mehrdeutigkeit, die zur Legitimierung willkürlicher höfischer Gunstvergabe ebenso gut genutzt werden konnte wie zur Kritik. Für den Leser bedeutet dies eine gewisse Verunsicherung, die dadurch noch erhöht wird, daß das zitierte Epigramm im Kontext einer Reihe weiterer zu sehen ist, die fürstliche Gunsterweise jeweils als Folge gelungener Schmeicheleien oder Täuschungen hinstellen. Ist dann aber die sozusagen gesteuerte fürstliche Gunstvergabe überhaupt noch sinnvoll mit der dem Menschen uneinsehbaren göttliche Gnadenwahl zu vergleichen? Und wenn der Vergleich unternommen wird, fällt dann nicht von der vielgeschmähten Hofgunst her ein Schatten auf die Gnadenwahl bzw. auf die Prädestinationslehre? Auch darauf sind verschiedene Antworten denkbar. Logau überläßt sie dem Leser, und sie hängen - wenn man sich einen potentiellen Leser des 17. Jahrhunderts vorstellt - von seinem konfessionellen Standpunkt einerseits und von seinen positiven oder negativen höfischen Erfahrungen andererseits sowie vom Grad seiner hofkritischen Voreingenommenheit ab. Daß gerade auch dieses Epigramm in einem Zeitalter, das durch konfessionelle Streitigkeiten geprägt war und in dem die unablässig behauptete Gottähnlichkeit des Fürsten der theologischen Legitimierung absolutistischer Fürstenmacht diente, provozierend wirkte, kann kaum bezweifelt werden. Dies war ja das Ziel der >Sinngedichte< überhaupt: durch überraschende und »scharfsinnige^ zugleich einleuchtende und schlagende Vergleiche wollte Logau mit seinen Epigrammen auf die Laster und Mißstände des Zeitalters aufmerksam machen und sie satirisch geißeln.228 Daß dabei die Hofkritik einen so breiten Raum einnimmt, daß 228

Vgl. dazu Lindqvist, Die Motive und Tendenzen des deutschen Epigramms

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sie mit soviel Einfallsreichtum und mit solcher Schärfe vorgetragen wird, ergibt sich schon aus den Lebensumständen Friedrichs von Lo229

gau. Der früh verwaiste Sproß eines völlig verarmten schlesischen Adelsgeschlechts fand im Herzog von Brieg einen Förderer, der ihm ein Jurastudium ermöglichte. Anschließend war Logau, um seine Existenz zu sichern, zum Hofdienst in Brieg und zuletzt in Liegnitz gezwungen. Hier machte er offensichtlich die unerfreulichen Erfahrungen, die sich in der Vielzahl seiner kleinen hofkritischen Epigramme, in der ausführlichen Beschreibung der FuchsschwäntzereyVom Hofe-LebenSich-selber-lebens< mit aller Deutlichkeit und mit unverkennbarer Anlehnung an die stoizistisch-humanistische Tradition der Hofkritik signalisiert: Vom Hofe-Leben. Wer ihm selbst kan frey befehlen, Wer ihm selbst gehorchen kan, Mag sich unter diese zehlen, Die der Himmel lachet an. Wer sein selbst kan füglich seyn, Geh kein andre Pflichten ein. Der, der andren denckt zu leben, Dem bleibt von ihm selbst nicht viel, Muß ihm selbsten Urlaub geben, Darff nicht wollen, was er wil: Wer sein selbst kan füglich seyn, Geh kein andre Pflichten ein. Grossen Herren sich verbinden, Heist für seine Müh und Treu im 17. Jahrhundert. - Zu Logaus Epigrammatik in formaler Hinsicht vgl. Hempel, Die Kunst Friedrichs von Logau; Erb, Die Pointe in Epigramm, Fabel, Verserzählung und Lyrik von Barock und Aufklärung; vgl. auch W. Brinkmann, Logaus Epigramme als Gattungserscheinung, bes. S. 517f. 229 Die Vielzahl und Schärfe der hofkritischen Epigramme betonen schon Eitner, Schlußwort, S. 722 und Lindqvist, S. 324ff. 2,0 Vgl. Sämmtliche Sinngedichte, ed. Eitner, S. 630ff. ( - III Zugabe 1/102): Daß Logau sich gerade bei diesem Hauptthema der Hofkritik als Übersetzer betätigte, zeigt am deutlichsten, wie sehr die hofkritische Literatur auch auf ihn einwirkte. 231 Vgl. ebd., S. 624ff. ( = Iii/Zugabe 1/97). 232 Vgl. ebd., S. 741f. die chronologische Übersicht.

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Ungunst erndten, Unruh finden Und verdienen nichts als Reu: Wer sein selbst [.. ,].233

Komplementär zur Klage über das Hofleben findet sich auch bei Logau das Lob des Landlebens. Zunächst scheint dies nur der Konvention zu entsprechen, die Darstellung des luxuriösen, aber auch lasterhaften und entfremdeten Hoflebens durch den Entwurf eines so tugendhaften wie selbstgenügsamen ländlichen Daseins zu verschärfen (oder umgekehrt die Schilderung eines glücklichen Landlebens durch den Kontrast eines bedrückenden Hoflebens zu verschönen).234 Bei dem verarmten Gutsherrensproß Logau ist aber die persönlich empfundene Sehnsucht nach Selbstverwirklichung im adligen Landleben unverkennbar, wenn er das ganz konventionell klingende Gedicht >Das Dorff< mit der geradezu erlebnis- und bekenntnishaften Präzisierung »Mein Gut« einleitet: Das Dorff. Mein Gut besucht ich nechst; das Feld war voller Segen; Sonst war mirs nicht so gut, wie in der Stadt, gelegen: Mein Tisch, der war ein Bret; [...] Noch dennoch war mir wol und alles viel geliebet, Weil Ruh mir wolgefiel. Das zancken der Parteyen, Der Überlauff deß Volcks, deß Hofes Schwelgereyen, Verleumdung, Neid und Haß, Trug, Heucheley und Höhnen, Die ausßgeschmückten Wort und fälschliches beschönen, Das hatte hier nicht stat; ich kunte seyn mein eigen. Und alle meine Müh zu meinem besten neigen. O Feld, o werthes Feld, ich muß es nur bekennen, Die Höfe sind die Holl, und Himmel du zu nennen.235

Auch dieses Gedicht entstand in den letzten Lebensjahren Logaus und scheint zeitlich noch etwas später zu liegen als das Gedicht >Vom HöfeLebern. Von beiden aber läßt sich ein weiter Bogen zurückschlagen zu einem sehr frühen Epigramm, in welchem Logau zwei Lebensmaximen formuliert hatte: »Wer andren lebt, lebt recht; wer ihme lebt, lebt gut. [...] .236 Die erwünschte Wahlmöglichkeit zwischen einem Leben im Dienst anderer und einem Leben für sich selbst blieb ihm jedoch zeitlebens vorenthalten. Aus ökonomischen Zwängen ertrug er das Hofleben, freilich unter einem dauernden Protest, für den die Sinngedichte 233

Ebd., S. 624f. ( = IH/Zugabe 1/97). Vgl. Garber, Der locus amoenus, S. 203ff. ; Lohmeier, Lob des adligen Landlebens. 235 Vgl. Sämmtliche Sinngedichte, ed. Eitner, S. 643 ( = IH/Zugabe 11/56). 236 Vgl. ebd., S. 36 ( = 1/2/15). 234

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das Ventil waren.237 Allerdings gab es auch Momente, in denen er sich dulderisch und zugleich kämpferisch zu seinem Schicksal bekannte. Er griff dafür auf die Schauspielmetapher zurück, die seit Thomas Morus und Ulrich von Hutten dazu diente, die besondere Problematik der Höf lingsexistenz anschaulich zu machen : Die Person, die ich jetzt führe, auff dem Spielplatz dieser Welt, Wil ich nach Vermügen führen, weil sie mir so zugestellt; [ . . . ] , 2i>

Bemerkenswert ist vor allem, daß Logau hier die Schauspielmetapher in positivem Sinn für sich selbst verwendet, während er sonst alle Scheinhaftigkeit der höfischen Welt und des >politischen< Agierens darin verurteilt. Das berühmte Epigramm >Heutige Welt-Kunst< ist beispielhaft dafür.239 Aber für sich selbst äußert Logau die Absicht, seine Rolle »nach Vermügen« auch auszufüllen, sie nicht nur durch jene Kunst der Weltklugheit vorzutäuschen, die sich als >politische< Bewegung an den Höfen ausbreitete und eben zu Logaus Zeit in den seltsam oszillierenden Lebensregeln des spanischen Jesuiten Gracián als »filosofía cortesana< ihre bis heute faszinierende Form bekam. Im 17. Jahrhundert verhallte Logaus Protest gegen das >Alamodewesenpolitische< Bewegung fast ungehört; zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren er und seine >Sinngedichte< so gut wie unbekannt.241 Zur Wirkung wurden sie erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch den jungen Lessing gebracht,242 der auf Logau als Vorbild für seine eigene Hofkritik zurückgreifen konnte. Auf diese Weise kam die Hofkritik der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts gerade in ihrer schärfsten Form in das 18. Jahrhundert hinüber und trug dazu bei, das durch die Gracián-Rezeption und die kulturelle Vorherrschaft von Versailles dominierend gewordene politisch-galante Menschenideal243 in Frage zu stellen. 237

Eitner spricht den Epigrammen einen starken autobiographischen Charakter und Augenblicksgehalt zu (vgl. sein Schlußwort, S. 706f. und 718f.). 238 Sämmtliche Sinngedichte, ed. Eitner, S. 646 ( = HI/Zugabe II/74). Eitner ordnet dieses Epigramm der letzten Rangerhöhung Logaus zu (vgl. ebd., S. 715). - Zur weiteren Interpretation vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 109f. 239 Ebd., S. 200 ( = 1/9/71): »Anders seyn und anders scheinen, / Anders reden, anders meinen, / [ . . . ] Wer sich dessen wil befleissen, / Kan politisch heuer heissen.« - Zur Interpretation vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 121 f. 240 Vgl. Vogt, Die gegenhöfische Strömung, S. 31 f. 241 Vgl. Eitner, Schlußwort, S. 744ff. 242 Vgl. ebd., S. 746f.; Heuschkel, Untersuchungen über Ramlers und Lessings Bearbeitung von Sinngedichten Logaus. 243 Vgl. Steinhausen, Galant, Curiös und Politisch.

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3. Hofkritik als Komponente von Graciáns Welt- und Lebenslehre »Todo está ya en su punto» / »Alles hat heutzutage seinen Gipfel erreicht«, so beginnt Baltasar Graciáns >Oráculo manuale Und diese Feststellung, mit der Gracián seine eigene historische Situation als Zeit der >Perfektion< deutete, kann ohne Übertreibung auf die Hofkritik angewendet werden, die in seinem Spätwerk >E1 Criticón< enthalten ist.' Denn während ihrer desillusionierenden Welt- und Lebensreise, die nicht zufällig immer wieder in den Bereich eines Hofes führt, lernen die beiden Wanderer Andrenio und Critilo die höfische Welt - und damit die Welt überhaupt 2 - gründlich durchschauen, und sie begegnen so grotesken und absonderlichen höfischen Gestalten, wie sie in der hofkritischen Literatur vor und nach Gracián nirgends zu finden sind. Aber trotz dieser kaum steigerungsfähigen hofkritischen Komponente ist es schwierig, Graciáns Bedeutung für die Hofkritik zu veranschlagen, zumal wenn die wirkungsgeschichtlichen Aspekte in die Betrachtung miteinbezogen werden. Es muß zu denken geben, daß Zedlers >Universal-Lexicon< 1735 dem angehenden Hofmann Graciáns >Oráculo manual< als Hofschule empfiehlt:3 Gracián kann demnach keineswegs als hofkritische Autorität gegolten haben wie etwa Guevara, der an vergleichbarer Stelle mit >De molestiis aulae< angeführt wird, während seine >Institutiones vitae aulicae< keine Erwähnung mehr finden.4 Baltasar Gracián5 war am Hof der spanischen Habsburger weder heimisch noch ganz fremd gewesen. Er war in der entthronten Residenzstadt Toledo aufgewachsen und teilte die lokale Aversion6 gegen das 1

Nicht umsonst bezieht sich Uhlig, Hofkritik, S. 3f., in der Einleitung seines Buches auf Graciáns >E1 Criticóne das dann allerdings nicht mehr analysiert wird. 2 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 117ff. 3 Vgl.ZedlersUniversal-Lexicon,Bd. 13,Sp.442(EndedesArtikels>HofmannHofEssayHéroe< (1637)8 den Beifall Philipps IV. gefunden hatte, und als Gracián mit dem >Politico Don Fernando el Católico< (1640)9 den Ruhm der Dynastie verkündete, durch Lohensteins Übersetzung sogar in Deutschland.10 Aber bald beklagte sich Gracián über die »aufgeblasene Hofkamarilla«" und zog sich in die Jesuitenkollegs zurück. Geistig war Gracián der späthumanistischen Bildungstradition mit ihrem für Spanien spezifischen tacitistischen und senecanischen Einschlag verpflichtet,12 gesellschaftlich war er durch die Zugehörigkeit zur Societas Jesu13 und durch die Integration in die aristokratischen Kreise um seinen Freund und Gönner Lastanosa geprägt.14 Demgegenüber war die relativ kurze und unerfreuliche Berührung mit dem Hof, der in Spanien überhaupt eine viel bescheidenere gesellschaftliche Rolle spielte als vergleichsweise in Frankreich,15 von keiner besonderen Bedeutung für Gracián. Wenn trotzdem gesagt wird, daß Graciáns Weltverständnis höfisch ausgerichtet ist, so ist damit gemeint, daß bei Gracián - anders als etwa bei Castiglione und Faret16 - der Hof nicht an und für sich von Bedeutung ist, sondern als Exempel der Welt,17 als »Ausgangspunkt und Mo7

Zur Bedeutung des festen Hofes angesichts des Autonomiedenkens der spanischen Provinzen vgl. Rabe, Die iberischen Staaten im 16. und 17. Jahrhundert, S. 615. ' O b r a s completas, ed. del Hoyo, S. Iff.; vgl. dazu ebd., S. XXXVff. und CXIXff. 9 Obras completas, ed. del Hoyo, S. 35ff. : El Político Don Fernando el CatólicoOráculo manual< und die Tradition der politischen Aphorismensammlungen in Spanien. 13 Zum problematischen Verhältnis Graciáns zur Societas Jesu vgl. del Hoyo, S. XXXVIff. und LXVIIff. ; Barner, Barockrhetorik, S. 362. 14 Vgl. del Hoyo, S. XXIXff. 15 Vgl. Krauss, Graciáns Lebenslehre, S. 79; Schröder, Baltasar Graciáns >CriticónBalthasar Gracians Oracul, d. i. Kunst-Regeln der Klugheit< zurück;41 aber auch dieses durch einen pedantischen Anmerkungsapparat aufgeblähte Werk wurde als Hofschule empfohlen, 42 was mit einer noch so verharmlosenden Übersetzung des >Criticón< kaum möglich gewesen wäre. Die Hintergründigkeit der »filosofía cortesana« des >Criticón< konnte schlechterdings nicht verdeckt werden, und wenn man Borinski glauben darf, wirkte das >CriticónOráculo manual< und dem >Criticón< eine vielfältige Übereinstimmung.45 Dazu gehört vor allem, daß in beiden Werken zwischen Welt und Hof nur scheinbare Unterschiede sind, und daß der Hof im >Criticón< prinzipiell die gleiche Einschätzung erfährt wie im >Oráculo manuale So lobt der treffsichere Entzifferer der Welt und der Charaktere den guten Geschmack (buen gusto) der beiden Wanderer Critilo und Andrenio: en andaros viendo mundo, y más en sus cortes, que son escuelas de toda discreta gentileza. Seréis hombres tratando con los que lo son, que eso es propiamente ver mundo. 46 man kan nichts nützlicheres thun / als daß man die Welt und absonderlich die Höfe besiehet. Diese sind die Schulen / wo man die Weißheit / Artigkeit und anständige Maniren zu leben lernet. 47

Führer durch diese höfische Welt48 und zugleich auf dem Weg zur >PersonOráculo< und der vielschichtigen Allegorese des >Criticón< vgl. Krauss, Graciáns Lebenslehre, S. 22 und 120; Schröder, Graciáns >CriticónCriticón< für Graciáns Lebenslehre vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 130f. und Vossler, Poesie der Einsamkeit, S. 53. 46 Criticón, Parte III, Crisi 4, ed. del Hoyo, S. 877. Bezeichnenderweise lautet die Überschrift über den 2. Teil des >Criticón< : »Juiciosa cortesana filosofía en el otoño de la varonil edad« (ed. del Hoyo, S. 666) = »Die vernünfftige WeltWeißheit der Hof-Leute / welche sie zu dem Herbste ihrer Jahre führen soll« (ed. Gottschling, S. II/l). 47 Criticón, Buch III, Cap. IV, ed. Gottschling, S. 111. 48 Vgl. Kassier, S. 41 ff. 49 Vgl. dazu Jansen, S. 135ff. 50 Vgl. Critilos Bericht in Parte I, Crisi 4 = ed. del Hoyo, S. 539ff. = ed. Studniezka, S. 27ff. 51 Vgl. Andrenios Bericht in Parte I, Crisi 1 = ed. del Hoyo, S. 519ff. = ed. Studniczka, S. 7ff.

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sehen Hof« Falimundos einen Lehrgang zu machen hat.52 Unter Anleitung von Proteus trinkt Andrenio aus dem >Quell der TäuschungenAula< Odysseus als Vorbild guter und kluger Hofleute hinstellte,61 52

Vgl. Parte I, Crisi 7 = ed. del Hoyo, S. 574ff., hier S. 576: »en una corte tan política« = ed. Studniczka, S. 50ff., hier S. 52. 53 Ebd., ed. Studniczka, S. 53 = ed. del Hoyo, S. 577: »que no hiciera más un áulico«. 54 Ebd., ed. Studniczka, S. 55 = ed. del Hoyo S. 580: »vacilando siempre en la virtud«. 55 Vgl. die Erlebnisse am Hof Falimundos (Parte I, Crisi 7 = ed. del Hoyo, S. 580ff. = ed. Studniczka, S. 56ff.) bis zum Bericht über die Hoferfahrungen der Artemia (Parte I, Crisi 8 = ed. del Hoyo, S. 596: »Vida de Corte« = ed. Studniczka, S. 70). - Bei Studniczka fehlen die beiden folgenden Kapitel, wo vor allem in Crisi 1,10 die antihöfische Haltung der Artemia deutlich wird (vgl. del Hoyo, S. 610: sie geht nicht nach Valladolid, weil es dort immer noch nach dem Hof riecht) und ihre Ermahnungen an Critilo und Andrenio für deren Besuch in der Residenz erfolgen. 56 Vgl. Parte I, Crisi 11 = ed. del Hoyo, S. 620ff„ hier S. 626 = ed. Studniczka, Buch I, Kap. 9, S. 7Iff., hier S. 74. 57 S. o. das Kap. über Castiglione und vgl. >Libro del Cortegianopolitischen< Bewegung vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 135ff. 11 Vgl. Von Nachahmung der Franzosen, ed. Sauer, S. 246. 14 Vgl. ebd., S. 247. 188

auf Gracián - zumal im Originaltext 15 - resultierte bei Thomasius daraus, daß er sich mit der exklusiven höfischen Ausformung des Ideals des >honnête homme< in »Farets Tractátgen« nicht begnügen wollte16 und mit Amelots Adaption der Graciánschen Lebenslehre auf den Hof nicht einverstanden war.' 7 Thomasius begriff Graciáns Aphorismensammlung als Instrument, mit dem er den überkommenen Lebensstil der zeitgenössischen Universitäten bekämpfen und zugleich seine Studenten an das frühaufklärerische Ideal eines lebensklugen und vorurteilslosen Menschen heranführen konnte. Thomasius bedauerte, »daß eines Teils die Hof-Manier oder Höflichkeit / anders Teils aber die Pedanterey oder Schulfüchserey einander pflegen entgegengesetzet zu werden / weil diese beiden letztern gemeiniglich mit einer Grobheit und Unhöflichkeit pflegen vergesellschaftet zu sein«. 18 Diesem Zustand versuchte er abzuhelfen. In seiner Vorlesung über das Thema >Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solleEines alten Theologi Christliches Bedencken< (1689)24 auf das von Thomasius angestrebte neue Gelehrten- und Menschenideal. Er hielt am christlich-weitabgewandten Gelehrtenideal fest,25 verteidigte Aristoteles26 und die Heilige Schrift27 als Eckpfeiler aller Gelehrsamkeit, und ging dann zur Generalabrechnung mit der höfisch-politischen Richtung des Thomasius über. Gegen sie wird - kurz vor Beginn des 18. Jahrhunderts - die traditionelle Hofkritik noch einmal mobilisiert. Der anonyme Kontrahent erhebt zunächst einmal den Vorwurf, daß die »Politici« allesamt von der Richtschnur der Heiligen Schrift abgewichen seien, daß aber trotzdem »der Herr Thomas« versucht habe, gerade diesen zu gefallen, »wie er dann die Fürstliche Höffe / die rechte Schul der Menschlichen Conversation nennet«.28 Danach räumt der Thomasius-Gegner zwar ein, daß es einige ordentliche Höfe und eine Reihe vorzüglicher Hofleute gegeben habe oder noch gebe, und daß es nicht ganz und gar unmöglich sei, am Hof in hohem Ansehen zu stehen, ohne sein gutes Gewissen verloren zu haben und sein ewiges Heil zu verscherzen. Dann aber setzt er die umfangreiche Aufzählung seiner Vorbehalte gegenüber dem Hof fort: Dann es ist hingegen auch dieses nicht zu laugnen; daß man bey Hoff sehr selten die wahre Treu / und die unverfälschte Aufrichtigkeit samt der Christlichen Liebe finde / welche doch daß Fundament ist / worauff die gantze Sitten-Lehr sich gründen soll; [ . . . ] die wahre Treu und Auffrichtigkeit ist ein seltsames Wildprât bey Hoff / also daß auch der Sohn Gottes selbst (welcher die Wahrheit und die Tugend selbsten ist) an dem Hoff Herodis und Pilati nur verspottet worden ist / der heilige Johannes der Táuffer hat gar seinen Kopff / an dem Hoff Herodis / weilen er nicht simuliren konte / unschuldiger Weiß müssen dahinden lassen. Der Prophet Daniel und gröste 22

Vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 43, Sp. 1586. Vgl. Wolf, S. 389. 24 Eines alten Theologi Christliches Bedencken / Uber deß Hn. Christian Thomas gehaltene Rede an die Herren Studenten zu Leipzig. Als er ihnen zwey Collegia I. Über die Christliche Sitten-Lehre II. über das Jus Publicum eröffnet. 1689. - Diese Streitschrift wurde von Thomasius in seine Kleinen Teutschen Schrifften aufgenommen (S. 116ff.) und wird danach zitiert. 25 Vgl. ebd., S. 119f. 26 Vgl. ebd., S. 137. 27 Vgl. ebd., S. 143ff. 28 Vgl. ebd., S. 156. 23

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Favorit oder Staats-Mann an dem Babylonischen Hof / ist an solchem Hof gar biß in die Lówen-Gruben / ja biß in den feurigen Ofen verfolget worden / in welchen feurigen Ofen der Teufflischen Verláumdungen noch mancher tapfferer / Gottseliger Hoff-Mann in geist- und weltlichen Stand schwitzen muß. Was hat der redliche / tapffere / kluge Hofmaft David an dem Hof Sauls / der getreue Germanicus an dem Hof Tiberii, der gerechte Papinianus und andere ausstehen müssen? Was hat der gewissenhafte Cantzler in Engelland / Thomas Morus, der Christliche Michael Hospitali Cantzler in Franckreich bey Hoff erdulden müssen? Die Verláumdungen haben den meisten das Leben genommen. Dann weilen iederzeit bey Hoff / und fast überall in der Welt / die Unwissenden und Lasterhaften sich in grösserer Anzahl befinden. So treten sie die Gelehrten und Tugendhafften mit Füssen / und fressen ihnen die Schalcks-Narren / Schmeichler / Particenmacher / Cortisanen und Comedianten das Brod vor dem Maul hinweg / Die Höffe sind See / worinn plötzlich grosse Sturm-Wind entstehen / wo die Ungnad des Fürsten dem Fall der Hoffleuten / wie das Himmel-Blitzen dem Donnerschlag vorhergehet / verblendet / und zu gleicher Zeit niderschláget / und wird derjenige / welcher von dem Glück beseeliget / und von dem sanfften Wind der Gnade des Fürsten angewehet / viel Jahr hat schiffen können / und wissen zu seeglen / offt nahe bey dem Ufer von einem unversehenen und grimmigen Platz-Regen überfallen / und gezwungen Schiffbruch zu leiden. Der Hoff ist nicht der Mittel-Punct der Gelehrten / und sonderlich der Gottseligen Männer/ welche die wahre Glückseligkeiten in Tranquillitate animi (worinn sie auch warhafftig bestehet) suchen: Man verderbet sich auch da mit auffwarten und schmeicheln / die Höffe sind Notwendigkeiten die Zeit zu verliehren / sich zu beschützen für einen Verlâumder / bald fur einen Neidischen / bald für einen Nacheiferer / welcher ihn suchet aus dem Nest und Dienst zu bringen. Was für ein beschwerlich und gefährlich Leben alle HofLeute führen; daß hat mit sehr gelehrter Feder Herr Guevarra, welcher lang an dem grossen Hoff des tapfferen und Christlichen Klysers Caroli V. als ein Hoff-Prediger und grosser Bischoff gelebt / entworffen. 29 Es ist evident, daß diese Protestschrift gegen das weltmännische Bildungskonzept des Thomasius auf der traditionellen Hofkritik basiert und o h n e ihre genaue Kenntnis nicht denkbar wäre. Der Verfasser führt das in diesem Z u s a m m e n h a n g wichtigste D e n k s c h e m a der Hofkritik an, die Opposition der ethischen Prinzipien v o n H o f w e l t und Gelehrtenwelt, v o n Hofdienst und Tugendhaftigkeit, wodurch der Hof für den christlichen Gelehrten z u m Bereich des U n h e i l s oder mindestens der größten religiösen Gefährdung wird. D a n n folgen Exempelfiguren, die demonstrieren, daß Personen v o n besonderer Tugend für Verfolgungen am Hof gleichsam prädestiniert sind: D i e Aneinanderreihung v o n N a m e n aus der Heiligen Schrift, aus der Geschichte des römischen Kaisertums und aus der neueren europäischen Geschichte ist charakteristisch für das Kontinuitätsbewußtsein der Hofkritik und " V g l . ebd., S. 157-159. 191

für ihren Anspruch auf überzeitliche Gültigkeit ihrer Vorwürfe. Danach werden die Höflinge pauschal als Toren, Komödianten, Schmeichler usw. verurteilt, wie es seit Aeneas Sylvius Piccolomini und seit Erasmus von Rotterdam immer wieder geschehen war, und erneut wird eine grundsätzliche Feindseligkeit der Höflinge gegenüber den Gelehrten behauptet, die schon Guevara beklagt hatte. Mit Hilfe des für die Hofkritik so aussagekräftigen und wichtigen Hof-Meer-Vergleichs wird noch die allgemeine Gefährlichkeit des Hoflebens und das Unglück des plötzlichen Verlusts der Fürstengunst beschrieben, um schließlich zu dem Fazit zu kommen, daß der Hof nicht der Mittelpunkt der Gelehrtenwelt und der Tugendhaftigkeit sei, sondern der bevorzugteste Sammelplatz von allerlei Beschwernissen und Lastern: eine Behauptung, die zuletzt noch durch die - allmählich ins Wanken kommende - Autorität Guevaras abgesichert wird und trotz einiger wiederholt benannter Ausnahmefälle in ihrer prinzipiellen Gültigkeit als unwiderlegbar festgeschrieben wird. Nach diesen Ausführungen wendet sich der anonyme Kontrahent wieder unmittelbar gegen das Bildungsprogramm des Thomasius und stellt den von Thomasius empfohlenen Autoren bezeichnenderweise genau die Literatur entgegen, die seit jeher eine wichtige Grundlage der literarischen Hofkritik gewesen war: Es ist also hieraus zu sehen / daß man behutsamer die Sach zu geben hab / wenn man von den Höffen Sitten-Lehr hernehmen will / und daß man vornehmlich auff die hochlöblichste und best eingerichtete Hoffhaltungen / welche in geist- und weltlichen Historien zu finden seyn / das Absehen richten / und die Hoffhaltung Davids und Salomons gleichsam für eine Ideam und Muster vorzustellen haben / daß man neben den weltlichen Moralisten, sonderlich auch die Geistliche zu Rath ziehen / und aus den Büchern der Könige in Juda und Israel; Item der Propheten / den Psalmen / der Sprüchen Salomonis / die schönste Moralische Sprûch heraus zu lesen / und wie die Gottliche Providenz über die Könige und Hoff-Leut / ja über gantz Königreich walte / und alle Sûnd / Schand und Laster grausam straffe / nachdrücklich vor Augen zu stellen habe [.. .].30

An der Überzeugungskraft einer derartigen hofkritischen Mahnrede mitsamt ihren Lektüreempfehlungen muß freilich gezweifelt werden. Was konnte - betont abwertend gesagt - ein solches Ableiern von Formeln, die dem gelehrten Leser aus der älteren und aus der zeitgenössischen Literatur bis zum Überdruß bekannt waren, noch ausrichten? Wenn die zitierten Passagen aus >Eines alten Theologi Christliches Bedencken< als Summierung traditioneller Hofkritik bemerkens30

Vgl. ebd., S. 169.

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wert sind, so fällt doch auch ihre Phantasielosigkeit auf. Nicht nur, daß alle Exempla wohl bekannt und alle Einzelargumente längst abgedroschen waren: Gegenüber dem von Thomasius propagierten Ideal der >honnêteté< und im Vergleich zu der vielschichtigen Lebensklugheit Graciánscher Prägung wirkt die Wiederholung antihöfischer Prinzipien und die Katalogisierung hofkritischer Stereotypen grobschlächtig, als Kritik unangemessen und veraltet. Mit der für die traditionelle Hofkritik fundamentalen Gemeinplatzmethode, die in der gegen Thomasius gerichteten Polemik des >alten Theologi< zugegebenermaßen eine starre und schematische Anwendung erfuhr, war dem nuancenreichen Bild des >honnête homme< nicht beizukommen. Die Schrift erweist sich somit als ein letzter massiver Versuch, mit Hilfe der traditionellen literarischen Hofkritik den universitären Argwohn gegenüber dem Hof zu befestigen, das höfische Menschenideal weiterhin als fragwürdig erscheinen zu lassen und die sittlich-moralische Überlegenheit des Gelehrtenstandes und seiner >alten Tugenden< von neuem zu behaupten: eine radikal konservative Haltung, die ihre Legitimation aus dem sicher zutreffenden - Gefühl ziehen zu können glaubte, daß die intellektuelle Reformation< des Thomasius sich auf den auch als christlich definierten Gelehrtenstand zunächst einmal destruktuv auswirken mußte.31 Eine vergleichbar konservative Position - allerdings ohne den Bezugspunkt eines dezidiert christlichen Gelehrtenideals - manifestiert sich auch in einer weiteren Streitschrift gegen Thomasius. Nachdem dieser erneut ein Erziehungsprogramm für einen juristisch und philosophisch ausgebildeten »honnet und galant homme« vorgelegt hatte,32 schrieb wiederum ein anonymer Kontrahent ein »Wohlmeinendes Gutachtern 33 dagegen. Er versuchte, Thomasius' Kritik an der akademischen Pedanterei und Schulfüchserei zu entkräften und sein Erziehungsprogramm in Zweifel zu ziehen, indem er spottete: 31 32

33

Allgemein zu Thomasius' Folgen für das religiöse Leben vgl. Wolf, S. 377. Christian Thomas eröffnet Der Studierenden Jugend Einen Vorschlag / Wie er einen jungen Menschen / der sich ernstlich fürgesetzt / Gott und der Welt dermaleins in vita civili rechtschaffen zu dienen / und als ein honnet und galant homme zu leben / binnen dreyer Jahre Frist in der Philosophie und singulis Jurisprudentiae partibus zu informieren gesonnen sey. In: Kleine Teutsche Schrifften, S. 233ff. Wohlmeinendes Gutachten Uber Herrn Thomas Bißherige Art zu schreiben / Nach dem unlängst heraus gekommenen Vorschlag / Wie Er einen jungen Menschen binnen drey Jahren in der Philosophie und singulis Jurisprudentiae partibus zu informieren gesonnen sey. Entworffen von einem Unbekannten. - Von Thomasius ebenfalls in die Kleinen Teutschen Schrifften, S. 271 ff., aufgenommen (danach hier zitiert).

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[ . . . ] ey in was vor Finsterniß haben doch bißher die guten Leute gesteckt / sind die Logici nicht dumme Teuffei gewest / aber hier / hier ist der Mann / der die Barbarische Finsternüß vertreiben und die Leute per force zu Aulicis machen kan / lese doch dieses theure Buch / es wird wenig Zeit verstreichen / so werdet ihr alle zu hohen Chargen bey Hofe employrt werden. Ich muß bekennen / ich wollte auch nicht der Letzte seyn / ein Philosophus Aulicus zu werden / ward dannenhero begierig zu sehen / wie denn die Sache recht anzufangen sey / und was denn vor arcanen in diesem Buch enthalten wären. 34

Doch gegen Ende, nach der Auseinandersetzung mit Thomasius' Vorstellungen von gesellschaftlicher Schicklichkeit, nahm der neue Kontrahent einen wesentlich ernsteren Ton an und beharrte darauf, daß die standesspezifischen Verhaltensnormen und Schicklichkeitsgrenzen nicht aufgegeben oder nivelliert werden dürften: Aber was sind das für Personen / die für etwas sonderliches in der menschlichen Gesellschafft aestimiert werden? Sind es Hoff-Leute? So haben dann Gelehrte / oder Kauff-Leute / oder auch Handwercks-Leute kein decorum? Oder sollen alle diese sich nach jenen richten / das wird sich auch nicht schicken. 35

Auf den Gelehrtenstand bezogen - und diesen betraf diese akademische Kontroverse primär, während andere Stände nur gelegentlich ins Blickfeld rückten - wird die Brisanz der Fragestellung deutlicher erkennbar, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, welche Aversionen gegen die Höflinge seitens der Gelehrten im Verlauf der letzten Jahrhunderte entwickelt und bruchlos überliefert worden waren. Unter Ausnutzung dieser Aversionen wird hier der Protest gegen die von Thomasius inaugurierte >Umerziehung< des Gelehrtenstandes formuliert, die das Ende seiner seit dem Humanismus tendenziell hoffeindlichen Tradition und seiner als unhöfisch deklarierten Lebensformen bedeutete. Nachklänge dieser spezifischen Hofkritik aus der >Gelehrtenstube< finden sich - trotz der Wirksamkeit eines Thomasius und eines Weise36 - auch noch im 18. Jahrhundert, wo gerade der Topos vom >contemptus vitae aulicae< für den Gelehrtenstand ein wichtiges Moment des Selbstverständnisses war.37 So heißt es auch in Christoph August Heumanns Abhandlung >Der Politische PHILOSOPHVS< (erstmals 1717; überarbeitet und ergänzt 1724)38 in einer Anmerkung über die »Klugheit im Conuersiren« mit ranghöheren Personen: 34 35 36 37 38

Ebd., S. 286. Ebd., S. 318. Zu Christian Weise vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 190ff. Vgl. von Graevenitz, Innerlichkeit und Öffentlichkeit, bes. S. 67. Zu Heumann vgl. Fortsetzung und Ergänzung zu Christian Gottlieb Jöchers

194

Ich habe hierbey dieses auch zu erinnern, daß ein Philosophus, und überall ein wegen Gelehrsamkeit wohlangesehener Mann, Fürstliche Höfe, und die Conuersation der Hoffleute, meiden solle, so viel als möglich ist. Denn zu Hofe wird die Gelehrsamkeit nicht pro s u m m o bono gehalten, und ein Gelehrter, der in foro literatorio eine grosse figur machet, wird von den meisten Hoffleuten unter den Titel eines Pedanten verachtet. So sind auch die mores eines aulici gantz unterschieden von denen moribus eines literati, sonderlich eines Philosophi: und kan es also nicht fehlen, es muß einer vor dem andern in seinem Hertzen gleichsam einen Eckel und Antipathie empfinden. 3 9

Die traditionelle Abneigung des Gelehrten gegenüber dem Höfling erscheint hier - anders als in der selbstbewußten antihöfischen Polemik des >alten Theologi< - fast als Unterlegenheitsgefühl, als Furcht vor Bloßstellung und Verachtung seitens der höfischen Gesellschaft, der ein Gelehrter an Lebensart nicht gleichkam und die von seinen geistigen Fähigkeiten und seinem literarischen Ruhm keine Notiz nahm. Aber nicht nur dem Gelehrten, auch dem Landedelmann wird in Heumanns > Politischem PHILOSOPHvs< das Hofleben verleidet, diesem mit einer Anspielung auf den Hof-Meer-Vergleich und durch die Idealisierung eines unabhängigen Lebens auf dem Lande.40 Im letzten, 1724 hinzugefügten Kapitel >Von der Freundschaffthonneten< Men-

39 40 41

allgemeinen Gelehrten-Lexico, Zweyter Band, Sp. 1977ff. ; Meusel, Lexikon der vom Jahre 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. 5, S. 448ff.; von Graevenitz, S. 14ff. - Benutzte Ausgabe: Der Politische PHILOSOPHVS, Das ist, Vernunfftmäßige Anweisung Zur Klugheit Im gemeinen Leben, Ehemahls aufgesetzet von C. A. H., Anjetzo aber Bey dieser dritten Auflage verbessert und vermehret Von A. S. P. Franckfurt und Leipzig 1724. Der Bearbeiter der Ausgabe von 1724 wird auch von Meusel nicht namhaft gemacht. Politischer PHILOSOPHVS, S. 36f. Anm. p. Vgl. ebd., S. 238 Anm. i. Ebd., S. 276.

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schenideals war Bewegung in das System der ständisch differenzierten Verhaltensmuster und Lebensnormen gekommen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ging der Gelehrtenstand - pointiert gesagt - durch die >Hofschule< und näherte sich dem Kavaliersideal an, ein Vorgang, der in groben Zügen schon von Borinski 42 und Zaehle 43 dargestellt und zuletzt - mit dem Schwergewicht auf der >politischen< Bewegung - von Barner untersucht wurde. 44 Als Ergebnis dieses Prozesses konstatierte bereits Wieser das Auftauchen eines neuen Gelehrtentypus: Dieser »hatte sich unter dem französischen Lebensideale gebildet, und er verschmolz oft mit dem Typus des galanten Hofmanns oder Politikers, der nach spanischem Lebensstil lebte und nun sich mit religiösen oder philosophischen Fragen zu beschäftigen begann«. 45 Als Exempel dafür kann Goethes Oheim Johann Michael von Loen gelten, dessen Schriften unter dem Aspekt der Hofkritik noch betrachtet werden sollen. Nur verwiesen werden kann hier auf Christian Garves Abhandlung >Ueber die Maxime Rochefoucaults: das bürgerliche Air verliehrt sich zuweilen bey der Armee, niemahls am Hofe< (1792),46 worin am Ende des 18. Jahrhunderts das ambivalente, zwischen Bewunderung und Ablehnung schwankende Verhältnis des bürgerlichen Gelehrtentums zum Hof noch einmal formuliert wird: Warum ist besonders der Hof - diejenige Gesellschaft der Menschen, welche den Beherrscher des Landes umgiebt, - zu allen Zeiten, und in allen Ländern, für die Schule der Artigkeit gehalten worden? Und, in der That, wer kann den wahren Hofmann, wenn er zugleich Verstand und Charakter hat, anders als liebenswürdig finden, - so abgeschmackt auch der nachgeäffte und verfehlte Hofton ist.47

Die Übernahme des höfisch-galanten Lebens- und Menschenideals durch das Großbürgertum wurde am Beispiel des Hamburger Patriziers Barthold Heinrich Brockes von Martens beschrieben. 48 Gleichzeitig zeigte Martens, wie sich seit etwa dem dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gegenüber der Dominanz des >Höfischen< das >Bürgerliche< neu formierte, wie im Gegensatz zur galant-höfisch-repräsentativen Lebensart eine dezidiert bürgerliche Lebensauffassung mit ihren spezifi42

Vgl. Borinski, Baltasar Gracian und die Hoflitteratur, S. 73ff. Vgl. Zaehle, Knigges Umgang mit Menschen, S. 135ff. 44 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 135ff. 45 Vgl. Wieser, Der sentimentale Mensch, S. 147. 46 Enthalten in: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben von Christian Garve. Erster Theil. Breslau 1792, S. 295ff. 47 Ebd., S. 309. 48 Vgl. Martens, Bürgerlichkeit in der frühen Aufklärung. 43

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sehen Tugenden (Redlichkeit, Fleiß, Selbstgenügsamkeit, Nützlichkeitsdenken, Gemeinsinn, Offenheit, Geselligkeit usw.) deutlicher als zuvor in Erscheinung trat, und wie sich der Begriff >bürgerlich< als sozialer Wertbegriff zur Bezeichnung der als positiv akzeptierten und als progressiv empfundenen gesellschaftlichen Phänomene herausbildete. Die unübersehbaren ideologischen Momente dieser begrifflichen Opposition, die in der bürgerlich-aufklärerischen Literatur eine überaus bedeutende Rolle spielte, hat neuerdings Paul Mog herausgearbeitet. 49

49

Vgl. Mog, Ratio und Gefühlskultur.

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DRITTER HAUPTTEIL

Topoi der traditionellen Hofkritik in der bürgerlichen Literatur des 18. Jahrhunderts 1. Johann Michael von Loen : Gemäßigte Hofkritik im Zeichen des Thomasianischen Menschenideals und des Aufgeklärten Absolutismus

Im Thomasius-Schüler Johann Michael von Loen' spiegelt sich die differenzierte Haltung des neuen, von Thomasius geprägten Gelehrtentypus gegenüber dem Hof. Durch Erziehung und Studium war Loen zum Hof- und Staatsdienst befähigt,2 durch lange Reisen war er mit den wichtigsten deutschen und europäischen Höfen soweit vertraut, daß seine Beschreibungen einiger Höfe bis heute als historische Quellen beachtet werden.3 Abgesichert durch eine reiche Erbschaft, durch ein Landhaus vor den Toren Frankfurts (das Meriansche Haus) und ein Rittergut (Mörfelden), hielt er sich jedoch höfischen Ämtern fern und lebte nach einer - traditionsreichen - Maxime seines Lehrers Thomasius: »Nemo sit alterius, qui suus esse potest«.4 Als Loen sich 1720 um die Stelle eines königlich preußischen Ministers am Oberrheinischen Kreis bemühte, um ein politisch-administratives Amt fern vom Hof also, von Friedrich Wilhelm I. aber ein »Patent als Hofrath« erhielt, machte ihn dies »mehr bestürzt als erfreut, weil es auf eine wirkliche 1

Zu Johann Michael von Loen vgl. Meusel, Lexikon der vom Jahre 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftssteiler, Bd. 8, S. 324ff. ; Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 19, S. 86ff. - Heyden, Johann Michael von Loen; Cohn, Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman, S. 212ff.; Sieber, Johann Michael von Loen; Wieser, Der sentimentale Mensch, S. 186ff.; Gotting, Goethes Großoheim Johann Michael von Loen; Haeckel, Johann Michael von Loen und die deutsche Aufklärung; Naumann, Politik und Moral, S. 136ff. 2 Zu Erziehung und Studium von Loens vgl. Gotting, S. 179f. 3 Die Hofberichte sind zu finden in: Des Herrn von Loen gesammlete Kleine Schrifften: Besorgt und herausgegeben von J. C. Schneidern. 4 Bde. Frankfurt und Leipzig 1749-1752, Bd. 1, nach neuer Paginierung S. 5ff„ Bd. 4, S. 463ff.; die Reiseberichte ebd., Bd. 4, S. 347ff. - Zu Loens Hofaufenthalten vgl. Heyden, S. 536ff., 543f.; zur Bedeutung seiner Reisen vgl. Wieser, S. 195f. "Vgl. Gotting, S. 177.

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Bedienung am berlinischen Hofe, und nicht auf jene Stelle gieng«.5 In der autobiographischen >Abbildung des Verfassers in seiner JugendDie Wahl der besten LebensartReliquien< ein Kapitel »Der Hoff«, das aus elf hofkritischen Aphorismen besteht;34 ebenfalls enthält >Doctor Luther's Fürsten-Spiegel< ein Kapitel »Hof und Adel« sowie ein anschließendes Kapitel »Räthe und Dienerschaft überhaupt« mit Auszügen aus Luthers Werken35 zu den herkömmlichen Stichwörtern der Hofkritik, z. B. : Aulica vita similis est libris tragoediarum, qui foris ornati sunt auro et purpura, intus autem pieni miseriis & mille miserias pro una continent. (Melanchton). 36

Oder eine andere Sentenz : Geitz regieret allenthalben an der Könige und Fürsten Höfen, man dienet um Hofsuppen, um die Schlösser und Dörfer und Gnadenlehen. 37 28

Ueber Regenten, S. 180f. ' Vgl. Staats-Freygeisterey, S. 143. 30 Vgl. Neues Patriotisches Archiv, Bd. 2, S. 290 (vgl. auch 285 und 367). 31 Vgl. beispielhaft Doctor Leidemit, S. 54ff., S. 98ff. 32 Vgl. Der Charakter eines Christen, S. 7. 33 Vgl. z.B. ebd., S. 52; Betrachtungen über die Aufrichtigkeit, S. 124; Der Christ, der beste Unterthan, S. 386; bes. Doctor Leidemit, S. 213f. 34 Vgl. Reliquien, S. 127ff. 35 Doctor Luther's Fürsten-Spiegel, S. 54ff. 36 Ebd., S. 54. 37 Ebd., S. 56. 2

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Im ersten Band des Patriotischen Archivs< werden hofkritische Aphorismen als »Alphabet der Hofleute« aufgeführt, 38 und in den >Mannichfaltigkeiten< ist nach einem längeren Auszug aus Huttens Dialog >AulaHofleben< fort, für die exemplarisch noch einmal an Petreus' Sammlung >AVLICA VITA< erinnert sei (danach ζ. B. an Reinkings Kapitel »Vom Hoffwesen« 41 und an La Bruyères Kapitel »De la Cour«). 42 Bezeichnend für Moser ist aber, daß er nicht nur an diesen älteren Formen der Hofkritik festhielt, sondern sich auch der im 18. Jahrhundert modisch gewordenen Gattung der Fabel zuwandte und sie für die Hofkritik nutzte. >Der Hof in Fabeln< enthält 50 Fabeln, 43 die sich ζ. B. um den Regierungsantritt eines jungen Löwenkönigs und die Einrichtung eines neuen Hofstaats drehen 44 oder um das beliebte Thema der Fürstengunst 45 (doch fehlt bei einigen Fabeln der Bezug auf den Hof). Hofkritik hatte bei Friedrich Carl von Moser, sofern sie sich auf deutsche Höfe bezog, einen historischen und zugleich nationalen Aspekt, den er im Rahmen des >Teutschen Hof-Rechts< in einer kritischen »Geschichte des Teutschen Hof-Wesens« ausführlich erörterte 46 und auch an anderen Stellen knapp ansprach. 47 Moser war weit entfernt davon, die Zeiten, »da ein Kayser mit Ochsen-Fuhren im Reich herum gezogen«, zu verherrlichen. 48 Doch seit dem Westfälischen Frieden, verstärkt nach dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. und der Ausgestaltung seines glanzvollen Hofes, sah er Prachtliebe und Verschwendungssucht an den deutschen Höfen wachsen, und ebenso »den Despotismus unserer Deutschen Fürsten«. 49 Den französischen Einfluß auf die deutschen Höfe bewertete Moser als ausgesprochen negativ: In der »Fran38

Vgl. Patriotisches Archiv, Bd. 1, S. 499ff. " V g l . Mannichfaltigkeiten, Bd. 1, S. 145ff. 40 Vgl. ebd., S. 150f. 41 Reinking, Biblische Policey, S. 21 Off. 42 La Bruyère, Les Caractères, ed. Garapon, S. 22Iff. 43 Mir lag die Originalausgabe Leipzig 1752 vor; nach Meusel, S. 291, erschien 1786 eine Neuauflage mit 72 Fabeln. 44 Vgl. Der Hof in Fabeln, Nr. 3-5. 45 Vgl. ebd., Nr. 45. 46 Vgl. Hof-Recht, S. 27ff., 80ff„ 147ff. 47 Vgl. Über Regenten, S. 40Iff. = Politische Wahrheiten, Bd. 1, S. lOOff. 48 Vgl. Hof-Recht, S. 27. 49 Vgl. Politische Wahrheiten, Bd. 1, S. 100; vgl. auch H o f - R e c h t , . S. 45ff., 147ff. und Beherzigungen, S. 414f.

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zösischen Politesse oder Artigkeit« sah er ein Mittel der »Statisten«, den Despotismus auf gefällige Weise noch zu vertiefen; 50 eine galante Hofhaltung nach dem Vorbild von Versailles betrachtete er als zwingenden Grund für die Verelendung des Volks: 51 Der Hoff, das ist der Herr und sein Adel, kan nicht prächtig und galant seyn, als auf Unkosten des Landes, reicht die gewöhnliche Einnahme dazu nicht hin, so giebts erst Schulden, so dann neue Auflagen. 52 Moser wollte die von den H ö f e n ausgehende finanzielle Zerrüttung mancher Territorien nicht generell auf französische Einflüsse zurückführen. Er räumte ein, daß die deutschen Höfe auch ohne französisches Zutun zu ihrem »Schulden-System« kämen, 53 beharrte aber darauf, daß die Sitten unserer Höfe durch solche Fremdlinge nicht gebessert, sondern vilmehr noch mehrers verdorben werden und besonders dem Unglauben, der Freygeisterey, der Unbarmhertzigkeit gegen die Unterthanen, der Unzucht und Frechheit nebst andern Mode-Lastern Thür und Thor geöffnet wird.54 A n die Stelle redlicher und treuer deutscher Hofleute sah Moser plauderige, schmeichlerische, witzige und verschwenderische Franzosen treten, 55 und dies in einem solchen Ausmaß, daß er für manche Höfe befürchtete, der Fürst selbst sei dort der einzige Deutsche. 56 Insbesondere die mittleren und kleineren Höfe sah er durch ihre Sucht, »Franckreich en migniature zu copiren«, gefährdet. 57 1794, nach der Revolution also, rief er dann dazu auf, mit den französischen Prinzipien und Formen an den H ö f e n Schluß zu machen, vor allem mit der Unterwürfigkeit: Ich leg mich Ihr Durchlaucht zu Füßen. / Diese Redensart ist durch Französischen Wind zu uns nach Deutschland gewehet worden, und wird hoffentlich mit Ende dieses Jahrhunderts wieder außer Mode kommen, da die Franzosen selbst mit dem Hinknien vor dem Thron nichts mehr zu schaffen haben wollen. [...] Zu hoffen ist, daß sich mit Ende dieses Jahrhunderts kein rechtlicher Mann einem deutschen Fürsten, weder mündlich, noch schriftlich, am allerwenigsten persönlich, zu Füßen legen wird.58 50

Vgl. Beherzigungen, S. 386f.; auch S. 371. Vgl. ebd., S. 407ff. " E b d . , S. 412f. 53 Vgl. Hof-Recht, S. 81. 54 Ebd., S. 82. 55 Ebd., S. 80f. 56 Ebd., S. 87. 57 Ebd., S. 85. 58 Neues Patriotisches Archiv, Bd. 2, S. 335 und 337. 51

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Moser bejahte die Französische Revolution nicht unbedingt;59 aber was die Höfe anlangt, hoffte er, die Revolution würde den Anstoß zu Reformen geben, wie sie seit den Tagen Emsts des Frommen von SachsenGotha60 und Friedrich Wilhelms I. von Preußen" nicht mehr stattgefunden hatten. Denn obwohl der Hof nach Mosers Vorstellungen die erste der drei Hauptsorgen eines jeden Regenten sein sollte,62 kamen auch die notwendigsten Reformen am Hof für gewöhnlich nicht über den Vorsatz hinaus.63 Moser konstatierte einen allgemeinen moralischen und teilweise auch ökonomischen Verfall der Höfe seiner Zeit, wobei seine negative Bestandsaufnahme in ihren Einzelpunkten und durch ihre Ausdrucksmittel allerdings stark an die traditionelle Hofkritik erinnert: Der Hof ist für ihn ein unfruchtbares Terrain,64 die Höflinge sind »Hof- und Staats-Patienten und Gefangene im moralischen Sinn«.65 Sie sind Sklaven, die zur unwürdigsten Schmeichelei gezwungen werden, und dafür hat Moser - hierin ein Schüler Montesquieus66 - einen abstoßenden Vergleich, der bezeichnenderweise auf den asiatischen Despotismus verweist: Tartarische Prinzen essen als einen seltenen Lecker-Bissen den Koth des großen Lama und sein Urin ist der kostbarste ihrer Liqueurs. Das thut das Ungeziefer der Schmeichler wohl nicht in natura, sie nähren sich aber von den moralischen Exkrementen ihres Herrn und suchen mit ihrem stinckenden Athem die Tugend eben so zu vertreiben, wie das unreine Cameel mit seinem Auswurf das edle Pferd verscheucht. 67 59

Zum Wandel des Verhältnisses Mosers zur Französischen Revolution vgl. Kaufmann, S. 168f. und Wolf, Teil D. 60 Auf Ernst von Gotha spielte Moser mit der oben zitierten Stelle (zu Anm. 10) an; Hinweise auf ihn als frommen Fürsten und Hofreformer sind in Mosers >Hof-Recht< und in anderen Schriften laufend zu finden; prägnant vgl. Herr und Diener, S. 82. 61 Vgl. Von der Zeit, S. 353f. ; Beherzigungen, S. 75. 62 Vgl. Herr und Diener, S. 66. 63 Vgl. Der Hof in Fabeln, S. 107 (Nr. 49). 64 Vgl. Ueber Regenten, S. 1 und 15. 65 Vgl. ebd., S. 9. 66 In den >BeherzigungenDe l'Esprit des Loix< (1748) als systematischen Kontrast zu der von ihm idealisierten abendländischen monarchia mixta das verzerrte Bild einer orientalischen Hofdespotie entworfen (vgl. bes. Buch II, Kap. 5); ergänzend findet sich bei ihm auch ein prägnanter Katalog von Höflingslastern (111,5), den Moser in den >Beherzigungen< abdruckte: S. 353. 67 Beherzigungen, S. 540f.

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Im Kreis der Schmeichler ist der Ehrenmann, der Wahrheitsliebende ein Tor,68 und er wird, wie Moser an anderer Stelle mit einem seiner beliebtesten Ausdrücke sagt, zum »Staats-Märtyrer«.69 Der Fürst ist den Schmeichlern durch seine doppelte Erbsünde ausgeliefert, denn zur angeborenen moralischen Anfälligkeit kommt bei ihm noch eine verderbliche Erziehung.70 So stellt der Hof ein Gebilde dar, an dem die Wahrheit so gut wie keine Chance hat, zur Geltung zu kommen, Schmeichelei aber alles bewirkt. Moser belegt dies mit einer kaum absehbaren Menge von Beispielen und Vergleichen. Ein anderes traditionelles Thema der Hofkritik ist die prinzipielle Unmöglichkeit von Freundschaft am Hof, die Moser ebenfalls konstatiert.71 Das Hofleben erscheint daher auch als ein mit allen Mitteln geführter Krieg der Höflinge um die Gunst des Fürsten.72 Diese zu erschleichen und für sich zu bewahren, ist das einzige und allerdings auch notwendigste Ziel aller Höflinge. Denn sie alle gehören einem Stand an, der untauglich für andere Aufgaben und für die Mitmenschen unnütz ist.73 Die Existenz als Hofmann scheint deswegen für Moser nur in einem Zustand sozusagen der ethischen Besinnungslosigkeit erträglich oder aber durch einen dauernden Schuldkomplex belastet zu sein: Wann ein Hofmann, dieser in seinen und anderer Augen so glückliche und beneidenswûrdig scheinende Mensch, in einer stillen Stunde bey sich überdächte, welche seiner Handlungen er wohl am Ende des Laufs selbst würdig hielte, in der Ewigkeit angeschrieben und deren wieder erinnerlich zu seyn, wann er die Summa seiner ausgeübten Pflichten und Tugenden zusammen zählet, wann er den grossen Zweck des Menschen bedenckt, und dagegen die Reihen von Realitáten-Iosen Kleinigkeiten hält, in und mit welchen er 20. 30. und mehr Jahre bereits hingebracht hat, würde er nicht gleich als aus einem tiefen Traum erwachen und sich selbst bey einem halbweg ernstlichen Ueberlegen vor einen sehr entbehrlichen, unbrauchbaren und unnützen Menschen, bey weiterm Nachdencken aber allerdings vor überaus unglücklich halten, ein Mensch und nur in denen Stunden ein brauchbarer Mensch zu seyn, wann sein Herr ermüdet ist, seinen Verstand auf ernsthafte Dinge zu wenden. Er würde keinen vergnügten Augenblick mehr haben. Weil man aber gleichwohl dergleichen Menschen haben muß, so ist ein Hofmann, der einen vortheilhaften Begrif von seinem Stand hat, oder mindestens sich darüber zu trösten weiß, daß er ein Stück von dem nothwendigen Uebel 68

Vgl. ebd., S. 540. " Vgl. Betrachtungen über die Aufrichtigkeit, S. 249. 70 Vgl. ebd., S. 105 und Politische Wahrheiten, Bd. 1, S. 65. 71 Vgl. Der Charakter eines Christen.. .bey Hofe, S. 29f. ; Betrachtungen über die Aufrichtigkeit, S. 63f. und 90ff.; Ueber Regenten, S. 273. 72 Vgl. Herr und Diener, S. 67ff. 73 Vgl. Neues Patriotisches Archiv, Bd. 2, S. 282.

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in der Welt mit seye, weit ruhiger, mithin glücklicher, als der, den innere Schaam und Bedauren seiner selbst anwandelt, so oft er bedenckt, daß er seines gnädigsten Herrn hochbestallter Müßigganger seye.74

Zur Sinnlosigkeit des Hoflebens kommen die für Moser erschreckende Unchristlichkeit75 und die extreme Gefährdung durch Luxus und Vergnügungen.76 Daher rät er jedem, den Hof noch rechtzeitig zu verlassen, als Mann spätestens im Alter von sechzig Jahren, als Frau schon mit fünfzig Jahren.77 Doch Moser weiß so gut wie die älteren Hofkritiker, wie schwer es ist, vom Hof Abschied zu nehmen, und wie unecht die Einsamkeitssehnsucht der Hofleute in Wirklichkeit ist.78 Fast alle diese Ausstellungen am Hofleben finden sich in >Daniel in der Löwen-Grube< (1763) wieder, einer Bearbeitung des für hofkritische Zwecke geeigneten - und schon im 16. Jahrhundert dazu verwendeten79 - sechsten Kapitels des Buches Daniel.80 Das Prosaepos in sechs Gesängen, das zur Jugendlektüre Goethes gehörte81 und dessen Generation hofkritisches Gedankengut vermittelte, braucht hier nicht näher besprochen zu werden, weil es für Friedrich Carl von Moser als Hofkritiker keine neuen Ergebnisse erbringt. Bemerkenswert ist jedoch die Resonanz, die das Epos in den von Nicolai, Lessing und Mendelssohn publizierten >Briefe(n) die neueste Literatur betreffend< fand.82 In den >Briefen< waren bereits >Der Herr und der Dienen, 83 die >BeherzigungenDer Charakter eines Christen und ehrlichen Manns bey HofeHof-Teufel, das sechste Capittel Danielis, trost, [...] durch Joannem Chryseumc dazu s. o. Einleitung. 80 Vgl. zum höfischen Hintergrund der Geschehnisse: Das Buch Daniel. Übersetzt und erklärt von W. Porteous, S. 7, 12f., 67ff. 81 Vgl. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 9, S. 79 und 141 (Dichtung und Wahrheit, 1/2 und 4). 82 Friedrich Nicolai, Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn, Briefe die neueste Literatur betreffend. 24 Theile in 4 Bänden. Nachdruck der Ausgabe Berlin usw. 1759ff., Hildesheim und New York 1974. 83 Vgl. Teil 5, S. 145ff. (88. Brief). 84 Vgl. Teil 11, S. Iff. (178. und 179. Brief). 85 Vgl. Teil 18, S. 47ff. (279. Brief). 75

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zensiert worden, von stilkritischen Anmerkungen abgesehen. Diese standen jedoch bei der Besprechung des Epos >Daniel< im Vordergrund und führten zu einem beinahe völligen Verriß. 86 Der durch die früheren Werke erworbene literarische Ruhm Mosers wird anerkannt, 87 das Epos >Daniel< jedoch als eine trockene, sklavische und wortreiche Nacherzählung abgelehnt, die eines Mosers nicht würdig sei.88 Es fehle an jeglicher Imagination; die Charaktere seien schlecht gezeichnet, die Höflinge nur plumpe Schelme. 89 Dann erfolgt jedoch eine überraschende Ehrenrettung: »An einer einzigen Stelle, wo er Gelegenheit findet, den bösen Fürsten das Gewissen zu schärfen, ist er auf einmahl in seinem Elemente, alles ist verändert; Gedanken, Sprache alles! Es ist nicht mehr der aufgedunsene, plaudernde, schwärmende Dichter, es ist der körnigte, nachdrucksvolle Prosaist«. 90 Die anschließend abgedruckte Stelle aus Mosers >Daniel< bezieht sich auf das Thema des Epos, die Undankbarkeit und Unzuverlässigkeit der Fürsten sowie die Macht der Schmeichler und Intriganten über diese: das Hauptthema von Mosers hofkritischen Schriften überhaupt. Hierin war Moser zur Autorität geworden, zum anerkannten Wortführer einer hofkritischen Literaturbewegung, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder verstärkte. Moser war einer der mutigsten Vertreter dieser Bewegung; und zugleich war er durch seine kontinuierlich erscheinenden, das Thema Hofkritik immer und immer wieder berührenden Publikationen ein zweifellos bedeutender Vermittler von Materialien und Argumenten für das hofkritische Denken der letzten Jahrzehnte vor der Französischen Revolution. Nicht umsonst nannte ihn Goethe in D i c h tung und Wahrheit< als Exempel für eine aus der Misere der Welt der kleinen Höfe resultierende »Ungeduld in einem Zustand, mit dessen Verhältnissen man (!) sich nicht versöhnen und den man doch nicht los werden kann«. 91 Friedrich Carl von Moser gab im übrigen seiner Hofkritik eine klare politische, oder genauer gesagt, verfassungsrechtliche und mithin unrevolutionäre Tendenz. Von der Anfälligkeit der Fürsten für alle Laster ging er in fast allen seinen Werken aus, und die Untertanen hielt er wegen ihrer fürstenfreundlichen Gesinnung in >Der Herr und der Dien e n (1759) für unfähig, den Ausschreitungen der Potentaten vorzubeu86 87 88 89 90 91

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Teil 20, S. 73ff. (299. Brief). ebd., S. 74. ebd., S. 80f. ebd., S. 83f. ebd., S. 89. Anm. 81.

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gen oder sie zu ahnden.92 Ein qualifizierter, moralisch und rechtlich denkender Hofstaat schien ihm unter diesen Umständen eine Voraussetzung für eine gute Herrschaft zu sein. Dies legte Moser in >Der Herr und der Dienen ausführlich dar. Doch wo gab es Hofleute, welche ihren König lieben, so lang er sich der Nation liebenswürdig macht, die nicht blind seynd an seinen Fehlern und Untugenden und Großmuth genug haben, die einträglichste Hof-Dienste niederzulegen, so bald sich der König auf eine der Nation bedenckliche Seite lenckt. 93

Bezeichnenderweise handelt dieser Satz von England und stammt aus den >Beherzigungen< (1761), in denen sich Moser - in der Gefolgschaft Montesquiens94 - anglophil zeigte95 und dem Hof gegenüber die Stände als Organ der Mitbestimmung und Kontrolle wiederum aufgewertet wissen wollte.96 Eine Besserung der Zustände, insbesondere der finanziellen Belastung der Länder durch die Hofhaltungen, erwartete Moser nicht, bevor nicht der »müßige Hof-Adel« als »der eigentliche Blut-Igel eines Landes«97 in seiner Einflußnahme auf den Fürsten - und vor allem auf seine Ausgabenpolitik - eingeschränkt würde. Vorerst betrachtete Moser es als Pflicht eines Patrioten, die Fürsten mit ihren Leidenschaften und die Höfe mit ihren Stürmen zu ertragen.98 Auf Reformen drängte er mit seinen hofkritischen Publikationen unentwegt; daß er mit seinen Reformplänen in Hessen-Darmstadt scheiterte, lag nicht an ihm selbst.

3. Gotthold Ephraim Lessing: Antihöfisches Literaturprogramm und Topoi der Hofkritik im bürgerlichen Trauerspiel

In Friedrich Carl von Moser ist der Typus des Hofkritikers zu erkennen, der - ähnlich wie z. B. Reinking - die ältere literarische Hofkritik sehr gut kannte und sie zur Beglaubigung und Exemplifizierung seiner ausgiebigen eigenen Erfahrungen in sein Werk miteinbezog. Frei92

Vgl. Vgl. 94 Vgl. 95 Vgl. 96 Vgl. 97 Vgl. 98 Vgl. 93

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Herr und Diener, S. 12. Beherzigungen, S. 466f. Anm. 66. Beherzigungen, S. 412. ebd., bes. S. 623. ebd., S. 259. ebd.

lieh geschah dies weitgehend nur anekdotenhaft oder zitatweise. Im Zitat einer hofkritischen Sentenz oder eines Exempels und einem davon ausgehenden aktuellen Räsonnement lag Mosers Stärke. Er konservierte dadurch die traditionellen hofkritischen Vorstellungen, doch gelang es ihm nicht, sie in einem größeren poetischen Werk, das dem Geschmack der Zeit entsprochen hätte, eindrucksvoll und überzeugend zu präsentieren, obwohl er diesen Versuch mit seinem Epos >Daniel< unternahm. Daß jedoch eine nicht bloß in der Zitation verharrende Integration traditioneller hofkritischer Denkschemata in ein modernes und bahnbrechendes poetisches Werk möglich war, zeigt sich an Lessings Trauerspiel >Emilia Galottifreier< Schriftsteller3 schien ihm die Möglichkeit zu bieten, »sich selbst zu leben«,4 also jenes humanistisch-stoizistische Ideal zu verwirklichen, das seit Aeneas Sylvius Piccolomini ununterbrochen in der hofkritischen Literatur propagiert wurde und auch bei Lessing in einer deutlich antihöfischen Passage der >Emilia Galotti< auftaucht. 5 Während der Zeit, die Lessing als >freier< Schriftsteller verbrachte, kam anscheinend der Hof Friedrichs II. von Preußen mehrmals als Rahmen einer gesicherten Existenz in Betracht, sei es, daß Lessing die Stelle eines Prinzeninformators 6 oder die eines Bibliothekars7 einnehmen sollte oder wollte. Indessen standen die fünfziger und sechziger Jahre im Zeichen entschiedener Absagen an jedes Dienstverhältnis, von dem Lessing - zumal unter Friedrich II. - eine Einschränkung seiner geistigen Bewegungsfreiheit befürchtete. 8 Die in 1

Zitiert wird nach Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Herausgegeben von Karl Lachmann. Dritte, a u f s neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. 23 Bde. Stuttgart/ (ab Bd. 12) Leipzig 1886ff. 2 Vgl. Weber, Das Menschenbild des bürgerlichen Trauerspiels, bes. S. 112ff. 3 Zum problematischen Verhältnis zwischen >freiem< Schriftsteller und ständischer Gesellschaft vgl. Haferkorn, Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers im Deutschland zwischen 1750 und 1800, bes. S. 177ff. und S. 214ff. 4 Vgl. den Brief an Nicolai vom 29. November 1756: ed. Lachmann/ Muncker, Bd. 17, S. 76 Zeile 6. 5 Vgl. 11,4; ed. Lachmann/Muncker, Bd. 2, S. 396 Zeile 27. 6 Vgl. Daunicht (Hrsg.), Lessing im Gespräch, Nr. 186. 7 Vgl. ebd., Nr. 179, Nr. 335 Anm., Nr. 379, Nr. 380; vgl. auch Lessings Brief an seinen Vater vom 21. Dezember 1767: ed. Lachmann/ Muncker, Bd. 17, S. 239ff. 8 Vgl. prägnant im Brief an den Vater vom 13. Juni 1764 (ebd., S. 207ff. und bei Daunicht, Lessing im Gespräch, Nr. 277 (hier S. 171).

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diese Richtung zielenden privaten Äußerungen Lessings finden innerhalb des literarischen Werks eine Ergänzung durch die Absage an das Hofpoetentum in der Ode >An MäcenDas vergnügte Land- und beschwerliche Hofleben< erschien, schrieb Lessing für die >Berlinische Privilegirte Zeitung< eine Rezension, die - trotz der äußersten Knappheit des Umfangs - zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Guevaras Hofkritik geriet: Unter hundert Dichtern, welche die Wuth des stürmenden Meeres beschreiben, ist vielleicht kaum einer, welcher sie aus eigner Erfahrung kennt. D e m Hofe geht es nicht anders. Aus dem innersten seiner Studierstube zieht oft ein Mann wider ihn los, der, ungeschickt sich an demselben zu zeigen, ihn nur mit fremden Augen sieht, und die Menschen nur aus Büchern kennt, worinne 15

Ebd., S. 71 ; vgl. Barner u. a., Lessing: Epoche, Werk, Wirkung, S. 317. Vgl. Weber, S. 63ff., 140ff, 158ff. "Schriftliche Belege für die Kenntnis von Brants >NarrenschiffEmilia Galotti< auf Schiller vgl. Dvoretzky, Lessing in Schillers Kabale und Liebe. ; zur Bedeutung von Fr. C. von Moser für Schiller vgl. von Wiese, Friedrich Schiller, S. 63ff. - Für die zeitgeschichtlichen und biographischen Hintergründe von Schillers Hofkritik ist - neben der genannten Biographie von Benno von Wiese - besonders aufschlußreich: Berger, Schiller, bes. Bd. 1, S. 38ff.; ferner Buchwald, Schiller, bes. Bd. 1, S.

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literarischem Gebiet vor allem das Werk Montesquieus zu nennen, mit dem sich Schiller schon auf der Hohen Karlsschule befaßte, 2 daneben die politische Publizistik Wilhelm Ludwig Wekhrlins 3 und Christian Daniel Friedrich Schubarts. 4 Diese muß im übrigen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung der württembergischen Landstände mit Herzog Carl Eugen von Württemberg gesehen werden, 5 der mit den Geldern des Landes verschwenderisch umging 6 und gegenüber den führenden Persönlichkeiten der landständischen Opposition nicht einmal vor offenkundigen Rechtsbeugungen zurückschreckte. 7 Die Pracht des herzoglichen Hofes gehörte ebenso zu den Erfahrungen des seit 1766 in der Residenz- und Garnisonsstadt Ludwigsburg 8 ansässigen Schiller wie später der Besuch bei dem auf Hohenasperg eingekerkerten Schubart. 9 Mit anderen Worten: Schiller lernte frühzeitig nicht nur den höfischen Pomp kennen, mit dem sich der Herrscher eines mittelgroßen deutschen Territoriums umgab, sondern auch seine despotischen Machtmittel. Als Eleve der Hohen Karlsschule erfuhr der junge Schiller die Macht des Herzogs auch persönlich in Form des fast ein Jahrzehnt lang auszuhaltenden Erziehungsdrucks seitens des pedantischen >Pädagogen< Carl Eugen.10 Schon während der Zeit auf der Hohen Karlsschule, wo Schiller die Namenstags- und Geburtstagsfeiern der herzoglichen Mätresse mit fast schmeichlerischen Gedichten und Reden verbrämen mußte," kündigte 11 Off. - Zitiert wird nach Friedrich Schiller, Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch. München 4 1965. - Vorweg ist noch zu nennen: Schunicht, Intrigen und Intriganten in Schillers Dramen. 2 Vgl. von Wiese, Schiller, S. 82 und vgl. Ayrault, Schiller et Montesquieu. 3 Vgl. von Wiese, S. 74ff. 4 Vgl. ebd., S. 70ff. und Berger, Schiller, Bd. 1, S. 93f.; vgl. Wohlwill, Schubart und Schiller. 5 Vgl. von Wiese, Schiller, S. 12ff. und S. 54ff. 6 Vgl. Klein, Geschichte der öffentlichen Finanzen in Deutschland, S. 74ff. 7 Vgl. von Wiese, Schiller, S. 15. 8 Vgl. ebd., S. 56; vgl. Berger, Schiller, Bd. 1, S. 38ff. und Buchwald, Schiller, Bd. 1, S. 119ff. ; zum Hof Carl Eugens vgl. Belschner, Ludiwgsburg im Wechsel der Zeiten. 9 Vgl. Berger, Schiller, Bd. 1, S. 193f. und Wohlwill, Schubart und Schiller, S. 274f. 10 Vgl. Berger, Schiller, Bd. 1, S. 53ff.; Buchwald, Schiller, Bd. 1, S. 139ff.; bes. von Wiese, Friedrich Schiller, S. 20ff. ; über Schiller hinaus vgl. zur Karlsschule: Uhland, Geschichte der Hohen Karlsschule in Stuttgart, bes. S. 53, 125, 177, 272ff. 11 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 15ff. (Empfindungen der Dankbarkeit) und Bd. 5, S. 243ff. (mit 1074ff.) sowie S. 280ff. (mit 1080ff.): sog. Karlsschulreden; ebd. auch S. 1075 (Inschriften für ein Hoffest).

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sich seine Opposition gegen das persönliche Regiment des Herzogs und seine höfische Erscheinungsform an: im sezessionistischen Freundschaftskult,' 2 in freiheitlichen Stammbucheinträgen für befreundete Mitschüler 13 und in einigen Gedichten, in denen Schiller Themen wie die höfische Mätressenwirtschaft mit bitterem Pathos behandelte. 14 An ihnen zeigt sich, daß Schiller schon sehr früh über wichtige Topoi und Exempla der traditionellen Hof- und Fürstenkritik verfügte, nicht zuletzt als Folge seiner guten rhetorischen Ausbildung. 15 Mithin war die Zeit, die Schiller auf der Hohen Karlsschule verbringen mußte, in mehrfacher Weise Voraussetzung seiner späteren Hofkritik: durch die Erfahrung des vom Landesherrn persönlich ausgeübten Diktats; daneben durch die erzwungene Aneignung französisierend-höfischer Denk-, Sprach- und Verhaltensschablonen, die später beispielsweise in der Gestalt des Hofmarschalls von Kalb karikiert wurden; 16 außerdem durch die erste >Einübung< in die literarische Fürsten- und Hofkritik als Reaktion auf das oktroyierte Elevendasein, das der Existenzweise von Höflingen durchaus vergleichbar war. Nicht zufällig glaubte Schiller eines Tages, sich dagegen wehren zu müssen, »unter dem schändlichen Karakter eines Ohrenbläsers« 17 betrachtet zu werden: eine Äußerung, die zumal in einem medizinischen Bericht über einen anderen Eleven nur durch die höfische Atmosphäre der herzoglichen Akademie zu erklären ist. Als >Einübung< dürfen nicht nur die dezidiert hof- und fürstenkritischen Gedichte betrachtet werden, sondern auch die Byzantinismen der Karlsschulreden. Wie Schiller kurz nach seiner Flucht selbst feststellte, war es von der »Lobrede« auf fürstliche Personen zum »Pasquill« auf dieselben nur ein kleiner Schritt, der sich für ihn aus seiner damaligen Gewohnheit, »satyrisch und scharf« zu schreiben, wie von selbst ergab.18 Daraus wird ersichtlich, daß die Kenntnis des Kanons 12

Vgl. von Wiese, Schiller, S. 33ff. Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 158ff., bes. S. 159 (für Hr. Frdr. Ldwg. Orth). 14 Vgl. ebd., S. 18ff. (Der Venuswagen); vgl. weiterhin ebd., S. 12ff. (Der Eroberer) und S. 104ff. (Die schlimmen Monarchen); vgl. Nationalausgabe, Bd. 1, S. 14 (Fragment: Die Gruft der Könige). 15 Vgl. Ueding, Schillers Rhetorik, S. 3. 16 Vgl. Bloch, Schiller und die >Europe Françaises 17 Vgl. Schillers Brief vom 23. Juli 1780 an den Obersten von Seeger; zit. nach: Schillers Briefe, Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Fritz Jonas. Kritische Gesamtausgabe. 7 Bde. Stuttgart usw. 1892ff., hier: Bd. 1, S. 30. "Vgl. Schillers Brief vom 13./14. Nov. 1783 an Henrielte von Wolzogen; ed. Jonas, Bd. 1, S. 165.

13

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fürstlicher Tugenden und die Beherrschung epideiktischer Rhetorik, die Schiller wie viele vor und nach ihm zum Fürstenlob anwenden mußte, auch zur Kritik befähigte. Und Schiller, nachdem er der Fuchtel Carl Eugens durch seine Flucht (1782) entkommen war, tendierte zu einer radikalen Kritik an den Höfen, die er mit dem Blick eines Moralisten maß und zugegebenermaßen auch mit der ständischen Voreingenommenheit der bürgerlichen Literaturbewegung darstellte: Mein Verhältnis mit der bürgerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter als dem Kabinett, und vielleicht ist eben diese politische Schwäche zu einer poetischen Tugend geworden. 19

Wenn sich der rigorose Moralismus der >Sturm und DrangDie Räuber< (1781)20 in den Aktionen von Moors Bande gegen die korrupte Führungsschicht einer inhumanen Gesellschaft wendet,21 so werden mehrmals auch Höfe als Ausgangspunkte menschlichen Leidens ins Blickfeld gerückt: durch die Darstellung der intriganten und tyrannischen Machenschaften des Franz von Moor (1,1 ; II, 1 und 2) und durch die Erzählung Kosynskis von der Intrige eines Hofes gegen ihn und seine Braut (III,2).22 Andeutungsweise erscheint eine Hofwelt als Hintergrund für das Rächertum des Karl von Moor, der nicht zufällig die Aufzählung seiner Racheakte mit der >Bestrafung< eines despotischen Ministers und Günstlings beginnt (11,3). Diese deutlich erkennbaren Motive der literarischen Hofkritik tragen zwar zum >antityrannischen< Charakter des Dramas bei, machen es aber noch nicht zu einem dezidiert hofkritischen Stück. Ähnlich verhält es sich mit dem republikanischen Trauerspiel >Die Verschwörung des Fiesco zu Genua< (1783),23 wo unmittelbar hofkritische Vorstellungen an einer Stelle zur Sprache kommen, die für die moralische und psychische Entwicklung Fíeseos vom Haupt der republikanischen Verschwörung zum potentiellen neuen Tyrannen ent" Vorrede zu >FiescoGalanterieRolle spielenPerson sein< und >Geschmack haben< typisiert wird,26 dient die Verwendung des traditionellen Hof-Land-Gegensatzes dazu, Fíeseos Existenzproblem begrifflich zuzuspitzen und ihn unmittelbar vor Beginn der Revolte zur Entscheidung zu zwingen, entweder für die Freiheit der Republik oder für seine Macht und seine Reputation als zukünftiger Alleinherrscher zu kämpfen. Dieser dramaturgisch geschickte Einsatz des Hof-Land-Schemas sollte für Schillers spätere Dramen von noch größerer Bedeutung sein. Spielte Hofkritik in den >Räubern< und im >Fiesco< nur eine periphere Rolle, so wurde sie im bürgerlichen Trauerspiel >Kabale und Liebe< (1784)27 zu einem zentralen Thema. Schiller selbst sah in diesem Stück »die allzufreie Darstellung einiger mächtigen Narrenarten« 28 und sprach bei anderer Gelegenheit von einer »vielleicht allzufreien Satyre, und Verspottung einer vornehmen Narren- und Schurkenart«. 29 Für den Wirklichkeitsbezug dieser hofkritischen »Satyre« wurden einige Anhaltspunkte im Umkreis des Hofes Carl Eugens ausfindig gemacht. 30 Bloß literarisch gesehen, verdeutlicht >Kabale und Liebe< einige Tendenzen von Lessings >Emilia GalottiEin Augenblick Fürst hat das Mark des ganzen Daseins verschlungene 27 Ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 755ff. 28 Vgl. Schillers Brief vom 27. März 1783 an Reinwald; ed. Jonas, Bd. 1, S. 107. 29 Vgl. Schillers Brief vom 3. April 1783 an H. von Dalberg; ed. Jonas, Bd. 1, S. 110. 30 Vgl. Burger, Die bürgerliche Sitte, S. 201 ; Berger, Schiller, Bd. 1, S. 356; Kraft (Hrsg.), Kabale und Liebe, S. 145 (Brief von Schillers Mutter an Schiller 1793). 31 Vgl. Dvoretzky; vgl. auch Eugen Kühnemann, Schiller, S. 21 Off. 25

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ebenso eindeutig nichthöfische agieren und die trotz der Kluft zwischen höfischem und nichthöfischem Bereich entstandene >Liebe< zweier Personen durch ihre >Kabale< zu hintertreiben versuchen. Der moralische und soziale Antagonismus kommt beispielhaft zum Ausdruck, wenn der Stadtmusikant Miller über sich selbst sagt, er sei »halt ein plumper gerader teutscher Kerl« 32 und gleich darauf den Haussekretär des Präsidenten, Wurm, charakterisiert: Ist mirs doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federnfuchser zu Gesichte krieg. Ein konfiszierter widriger Kerl, als hätt ihn irgendein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert - Die kleinen tückischen Mausaugen - die Haare brandrot - das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da angefaßt, und in irgendeine Ecke geworfen hätte [.. .].33

Diese erste, mit ihren physiognomischen Anspielungen fast satirisch zu nennende Höflingskritik wird nach der höfischen Seite hin ergänzt durch das Auftreten des lächerlich aufgeblasenen Hofmarschalls von Kalb 34 und die brutal sich äußernde Immoralität des Präsidenten mit seinen drastischen Schilderungen der höfischen Sittenlosigkeit, 35 nach der nichthöfischen Seite hin durch die Charakterisierung des von der höfischen Gesellschaft sich abwendenden Präsidentensohnes Ferdinand, der als empfindsamer und strikt moralisch denkender Charakter erscheint. Diesen krassen Gegensatz bringt der Sekretär Wurm im Gespräch mit dem Präsidenten auf den Nenner: Die Grundsätze, die er ( = Ferdinand) aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art, groß und klein zu sein. Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack am langsamen, krummen Gang der Kabale zu finden [.. .].36

Schlagworte der bürgerlich-aufklärerischen Emanzipationsbewegung sind hier in Opposition zu den >politischen< Klugheitsregeln eines Höflings gestellt. Und dieser Gegensatz wird während des gesamten Dramas durch den laufenden Szenenwechsel zwischen dem bürgerlichen Haus und der höfischen Sphäre sowie durch den Kontrast von bürgerlicher und höfischer Sprache 37 noch verdeutlicht. Was den Hof angeht, 32

Vgl. Vgl. 34 Vgl. 35 Vgl. 36 Vgl. 37 Vgl. 33

238

1,2; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 762. ebd., S. 762f. 1,6. 1,5 und 7 sowie III, 1 und 2. 111,1; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 799. Müller-Seidel, Das stumme Drama der Luise Millerin, bes. S. 134f.

ergibt sich insgesamt das Bild einer totalen sittlichen und moralischen Verrohung. Unter einem vergnügungssüchtigen und durch Verschwendung zum Soldatenhandel gezwungenen Fürsten mißbrauchen einige intrigante Höflinge ihre Macht auf kriminelle Weise und ohne auch nur irgendeine Strafe befürchten zu müssen. Unter diesen Umständen bleibt für moralisch denkende Charaktere nur die Sezession aus der höfischen Gesellschaft, wie sie von Ferdinand angestrebt38 und von der >bekehrten< fürstlichen Mätresse, Lady Milford, auch vollzogen wird.39 In >Kabale und Liebe< wird nicht nur der Widerspruch von Moralität und »Hofkunst« 40 als unüberwindlich dargestellt und erscheint nicht nur eine ethisch verantwortbare Existenz am Hof als unmöglich, vielmehr führt die Absage an die höfische Gesellschaft und die Auflehnung gegen die Pläne und Machenschaften der Höflinge aufgrund ihrer mißbräuchlich ausgeübten Macht zum tragischen Untergang der sich Empörenden, sofern ihnen nicht die Flucht gelingt. Verschiedentlich wurde kritisch gegenüber Schiller eingewandt, er habe in >Kabale und LiebeDer Adel und die Revolution anhand von > Kabale und Liebelasterhaften< Hof- und Adelssphäre mit den >tugendhaften< niederen Ständen um das »politische Dogma« des vorrevolutionären Jahrzehnts handelte.43 Gleiches konstatierte auch Goethe in seiner Autobiographie für die durch Lessings >Emilia Galotti< antihöfisch radikalisierte bürgerlich-aufklärerische Literaturbewegung.44 Ist dadurch Schillers Polemik als zeittypisch bestimmt, so Vgl. 111,4. Vgl. IV,9. 40 111,1 ; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 1, S. 800. 41 Vgl. H. O. Burger, a. a. O., S. 201. 4 2 Vgl. Malsch, Der betrogene Deus iratus in Schillers Drama >Luise MillerinKabale und Liebe< die prinzipiellen Mängel absolutistisch-höfischer Herrschaft nicht weniger konsequent als wirkungsvoll aufweisen wollte, ist keinesfalls auszuschließen (zumal er später das Ancien régime und die folgende Revolution mit eindeutiger Formulierung als » d i e zwey entgegengesetzten Arten der W i l l k ü h r « bezeichnete). 46 >Kabale und Liebe< ist vor dem Hintergrund einer hofkritischen Literatur zu sehen, die seit Philippe de Commynes und Erasmus von Rotterdam dem - für Schiller nicht zuletzt durch Montesquieu nachdrücklich ins Bewußtsein gerufenen Verdacht Ausdruck

verliehen

hatte, daß Höflinge aufgrund

ihres

Machtpotentials zu amoralischen und illegitimen Handlungen tendierten. Ferner ist >Kabale und Liebe< im Kontext einer Trauerspielliteratur zu sehen, die immer wieder den Machtmißbrauch von Fürsten und Höflingen zum Vorwurf genommen hatte. Insbesondere hatte sich im bürgerlichen Trauerspiel ein Personal- und Handlungsschema ausgeprägt, das den H o f mit Vorliebe als Ausgangspunkt von bürgerfeindlichen Intrigen zeigte und ihn damit zum hauptsächlichen Störfaktor des gesellschaftlichen Friedens abstempelte.47 Hierin zeigt sich ebenso ein grundsätzliches Mißtrauen gegen die absolutistisch-höfische Herrschaftsform, wie sie auch in der politischen Diskussion der letzten Jahrzehnte vor der Französischen Revolution, in ihren verfassungstheoretischen Überlegungen und verfassungsrechtlichen Forderungen immer stärker zum Ausdruck kam.48 >Kabale und Liebe< basiert auf literari-

45 46 41

48

Vgl. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 55. Vgl. Schillers Brief v o m 19. Febr. 1795 an H u b e r ; ed. Jonas, Bd. 4, S. 127. Vgl. Schaer, Die Gesellschaft im deutschen bürgerlichen Drama des 18. Jahrhunderts, bes. S. 148ff. Vgl. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815; Koselleck, Kritik und Krise, bes. S. 8 I f f . ; Weis, Absolute Monarchie und R e f o r m im Deutschland des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts.

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sehen Traditionen und resultiert aus persönlichen Erfahrungen Schillers, die den Hof als ein wichtiges Herrschaftsinstrument des Absolutismus grundsätzlich ebenso stark belasteten wie die einzelnen Fürsten und Höflinge, die zum jeweils aktuellen Mißbrauch ihrer höfischen Macht geschritten waren. Das Stück meldet dagegen öffentlichen Protest an und wirft - ohne eindeutig auf Revolution zu drängen 49 - die Frage auf, wie lange die Vormacht der Höfe noch zu ertragen sei : eine Frage, die nicht nur Kritik am höfischen Despotismus impliziert, sondern auch am bürgerlichen Untertanengeist. Im >Don Carlos< (1787)50 führte Schiller seine Auseinandersetzung mit »dem geistlichen, politischen und häuslichen Despotismus« 51 fort, und das »Familiengemälde aus einem königlichen Hause«, 52 wie Schiller das Stück im Zuge seiner dramentheoretischen Überlegungen einmal bezeichnete, hält an der Aversion des bürgerlichen Trauerspiels gegen den Hof und alles Höfische fest. Deutlicher noch als in der 1787 publizierten und später überarbeiteten Endfassung zeigt sich dies in den ersten Skizzen und in den früheren Ausarbeitungen, die von Schiller zwischen 1785 und 1787 in seinen Zeitschriften >Rheinische Thalia< und >Thalia< veröffentlicht wurden (sog. Thalia-Fragment). 53 Beispielsweise ist das von der Königin im Thalia-Fragment verwendete Wort »Hofgaleere« 54 in der Endfassung getilgt. Ebenso fehlt in der Endfassung die scharfe Kritik der Königin an der Unnatur der Gärten der königlichen Sommerresidenz Aranjuez, die durch ihre »prächtige Verstümmlung« ein Abbild des sklavischen Hofstaats Philipps II. sind55 eine Kritik am höfischen Barockgarten, die durch das Vordringen des englischen Landschaftsgartens zeitüblich geworden war und von Schiller auch andernorts vorgebracht wurde.56 Stärker als die Endfassung demonstriert das Thalia-Fragment auch den Widerspruch zwischen höfischem Statusaufbau und menschlichem Bedürfnis nach freundschaftlicher Verbindung über alle Rangunterschiede hinweg. Ausdrücklich 4

® Vgl. Müller-Seidel, Deutsche Klassik und Französische Revolution, S. 41 f. Ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 7ff. - Vgl. Pörnbacher (Hrsg.), Don Carlos. Erläuterungen und Dokumente. 51 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 255 (9. Brief über Don Carlos). 52 Vgl. ebd., S. 224 (Fußnote in der >ThaliaBrief über Don Carlos< an dem Gedanken festhielt, die Ziele des Marquis Posa und vorübergehend auch die des Prinzen seien identisch mit denen des Freimaurerbundes und des Illuminatenordens. 59 Ohne explizite Bezugnahme auf die beiden politisch und sozial motivierten Geheimbünde, die auf viele führende Gestalten der Aufklärung eine starke Faszination ausübten, erscheint der Brudergedanke, durch den der Abstand zwischen Herrscher und Untertan aufgehoben und in ein Verhältnis der freimütigen Beratung überführt werden soll, allerdings auch in der Endfassung, wobei die antihöfischen Aspekte deutlich hervortreten. Unmittelbar vor der Verbrüderung zwischen Prinz Carlos und Marquis Posa formuliert der Prinz die Ziele, die hinter dem Angebot des brüderlichen »Du« stehen, im Rückgriff auf den ältesten und wichtigsten Gemeinplatz der Hofkritik, der hier bezeichnenderweise durch die >Tränenseligkeit< des unheroischen und unhöfischen Menschenideals der bürgerlichen Literaturbewegung ergänzt ist: Dann auch, wenn der Wurm Der Schmeichelei mein unbewachtes Herz Umklammerte - wenn dieses Auge Tränen Verlernte, die es sonst geweint - dies Ohr Dem Flehen sich verriegelte, willst du, Ein schreckenloser Hüter meiner Tugend, Mich kräftig fassen, meinen Genius Bei seinem großen Namen rufen? 6 0 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 1164 (Thalia-Fragment 11,8). S. u. in der Zusammenfassung die Anmerkungen zu dem Freimauer und Illuminaten Knigge und zu Weishaupt. " V g l . den 10. Brief über Don Carlos (ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 257f.), wo Schiller Beziehungen zwischen den Zielen der Freimaurerei und denen des Marquis Posa herstellt; mit der Freimaurerei war Schiller schon durch seinen Stuttgarter Lehrer Abel in Berührung gekommen, mit den Illuminaten durch den Mannheimer Intendanten Dahlberg. 6 0 1 , 9 ; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 43.

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Der Bruderbund soll den zukünftigen Regenten vor dem Hauptlaster des Hofes, vor der Schmeichelei, schützen und soll das in der hofkritischen Literatur oft genannte Manko der positionsbedingten Freundschaftsunfähigkeit und Einsamkeit des Fürsten, über das in >Don Carlos< König Philipp klagt, ausgleichen. Doch muß dieser Bund, durch den Carlos ein besseres und menschlicheres Königtum als das seines Vaters herbeiführen will, notwendigerweise schimärisch bleiben, wie Schiller im dritten >Brief über Don Carlos< darlegt.61 Die zufällig zustande gekommene Freundschaft zwischen Carlos und Posa beseitigt nicht die grundsätzliche Ungleichheit zwischen dem Kronprinzen und einem aristokratischen Untertanen, die durch die absolutistische Regierungsform festgeschrieben ist ; und der in akademischen Erinnerungen schwelgende Freundschaftskult täuscht über die tatsächliche Machtverteilung hinweg. Diese spiegelt sich eher in der höfischen Hierarchie und in der Etikette, unter der eben auch der oppositionell gestimmte Kronprinz zu leiden hat. Bei Theateraufführungen des >Don Carlos< legte Schiller auf höfisches Gepränge großen Wert. Dem Hamburger Theaterdirektor Friedrich Schröder empfahl er für die Szenen, in denen Schröder als König Philipp mit seinen Granden auftrat: »Uebrigens stellen Sie mir bei solchen Gelegenheiten soviel Spanische Granden auf die Bühne, als Sie Röcke haben. Die Menschen denk ich werden sich hier schon dazu finden, wie in der wirklichen Welt«." Nach dieser Bemerkung, mit der Schiller selbst den aktuellen kritischen Charakter der höfischen Szenerie des >Don Carlos< bestätigte, fügte er noch hinzu: »Und Sie als König Philipp sind gebeten - auf das spanische Etikette Ihrer Vasallen zu sehen«, 63 was in diesem Zusammenhang nichts anderes meint als ein äußerstes Maß an höfischer Subordination, Gezwungenheit und Unnatürlichkeit. Der Zwang der Etikette wird von Carlos und von der Königin laut kritisiert. 64 Denn die Etikette, die alle menschlichen Gefühle unter61

Vgl. ebd., S. 230ff. und vgl. Wertheim, Schillers >Fiesco< und >Don CarlosDon Carlos< vgl. Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 88ff. 62 Vgl. Schillers Brief vom 13. Juni 1787 an Schröder; ed. Jonas, Bd. 1, S. 346. 63 Ebd. 64 Vgl. 1,2; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 18: Carlos: ».. .Von Etikette ringsum eingeschlossen« (Vers 289); vgl. 1,3, ebd., S. 2Iff., bes. S. 24 (Vers 464ff.), wo die Königin ihr Kind nicht sehen darf, weil die dafür vorgesehene Stunde noch nicht gekommen ist, und ebd. (Vers 470ff.), wo die Königin Schwierigkeiten hat, einen Brief von ihrer Mutter ausgehändigt zu bekommen: demonstrativ an den Anfang gestellte Beispiele für die Unmenschlichkeit der höfischen Etikette; vgl. auch 1,9, ebd., S. 41 (Vers 929ff.), wo Carlos vom

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drückt und als »bange Scheidewand [ . . . ] zwischen Sohn und Vater« 65 eben auch zwischen dem König und seinem Nachfolger ein menschliches Vertrauensverhältnis unterbindet, 66 ist die deutlichste Manifestation der zur Tyrannis erstarrten Herrschaft Philipps und der spezifisch höfischen Bedingungen, unter denen die Versuche einer politischen Liberalisierung und einer Ausrichtung der Politik an den Grundsätzen der Moral und an den Forderungen der Humanität tragisch scheitern müssen. Der König, von Höflingen stets umgeben und durch ihr formelles Verhalten jeder menschlichen Vertraulichkeit entwöhnt, sieht hinter den nur ausnahmsweise möglichen freien Gefühls- und Meinungsäußerungen des Prinzen und des Marquis von vornherein ein »Gaukelspiel« 67 oder einen neuen Trick der Schmeichelei. 68 Die sachlich gebotene und von Carlos wie von Posa verfolgte Offenheit der Beratung, die der zeremonialen Unterwürfigkeit vor dem König entbehrt, macht ihn mißtrauisch und unsicher. Aus diesem Grund versuchen schließlich auch Carlos und Posa, den König durch geheime Manipulationen zu lenken, wie es die Höflinge vom Schlage Albas und Domingos längst praktizieren. Dadurch aber kommt es zu jenen mehrfach sich überlagernden Intrigen, in denen die skrupellosen Höflinge die Oberhand behalten, während sie für Posa und Carlos tödlich ausgehen. Der Schluß des Dramas läßt den Hof als Garanten einer despotischen Politik erscheinen und damit auch als falsch gewählten Ansatzpunkt für deren moralische Erneuerung. Offensichtlich war die Wirkung des >Don Carlos< nichts weniger als schockierend oder revolutionär. Nachdem Schiller am 26. Dezember 1784 den ersten Akt des Dramas vor dem Hessen-Darmstädtischen Hof und dem jungen Herzog Carl August von Weimar vorgelesen hatte, wurde ihm am nächsten Tag durch ein herzogliches Handschreiben der Titel eines Weimarischen Rats verliehen, woran sich Schiller zwanzig Jahre später »mit gerührtem Herzen« erinnerte. 69 Auch für die Pensi-

65 66

47 68 69

»Possenspiel des Ranges« spricht usw. - Vgl. zum spezifisch >bürgerlichen< Moment von Schillers Kritik an der spanischen Etikette de Ferdinandy, Die theatralische Bedeutung des spanischen Hofzeremoniells Kaiser Karls v., bes. S. 315f. Vgl. 11,2; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 46 (Vers 1056f.). Die von Borchmeyer, S. 52 und S. 81 vertretene These, daß Schiller »kein Gesprür mehr für die Unentrinnbarkeit des höfischen Repräsentationszwanges gehabt« habe und den (höfisch-rationalen) »Sinn der Etikette« nicht erfaßt habe, wird m. E. durch das Stück eindeutig widerlegt. Vgl. 11,2; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 46 (Vers 1065). Vgl. 111,10; ebd., S. 122 (Vers 3082ff.). Vgl. Berger, Schiller, Bd. 1, S. 421 und Pörnbacher, S. 138f. Zitat aus Schillers Brief vom 8. Juni 1804 an Herzog Karl August; ed. Jonas, Bd. 7, S. 154.

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on, die Schiller 1791 vom Erbprinzen Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg erhielt, war >Don Carlos< ein wichtiger Beweggrund. 70 Und noch 1804 schenkte die russische Zarin dem Dichter einen »kostbaren Ring«, weil sie »viel Geschmack an dem >Carlos< gefunden« hatte.71 Diese Liberalität und Generosität dreier Fürsten gegenüber einem bekanntermaßen scharfen Kritiker der Höfe und der systembedingten Möglichkeiten höfischen Machtmißbrauchs ist indessen weder außergewöhnlich noch überraschend. Lessing konnte es wagen, seine >Emilia Galotti< am Geburtstag der Herzogin von Braunschweig im Hoftheater erstmals aufführen zu lassen (am 13. März 1772), ohne daß erkennbare negative Sanktionen erfolgt wären (beispielsweise ein Entzug der vom Herzog genau einen Monat vorher gewährten Zensurfreiheit). 72 Freilich wurden andere, wie ζ. B. Schubart und beide Moser für ihre Freimütigkeit gegen Fürsten und Höfe bestraft; und die Zensur sorgte, wie auch an >Don Carlos< nachgewiesen wurde, 73 für die Tilgung oder Milderung der schärfsten Formulierungen. Trotzdem muß gesagt werden, daß - unter Wahrung bestimmter, vom Publikum jedoch leicht durchschaubarer Vorsichtsmaßnahmen wie ζ. B. der Verlagerung des Geschehens an einen ausländischen Hof und in die Vergangenheit - ein hohes Maß an Kritik möglich war. Als Grund dafür kommt nicht nur die politische Liberalisierung in Frage, die in einigen Territorien im Zuge der Aufklärung eingetreten war, sondern auch die allmähliche Gewöhnung des höfischen und nichthöfischen Publikums an eine noch so scharfe Hofkritik. Es ist zu bedenken, daß Publizisten wie Friedrich Carl von Moser über Jahrzehnte hinweg die ältere, von anerkannten Autoritäten wie Commynes, Erasmus, Morus, Hutten, Guevara usw. verfaßte hofkritische Literatur einem breiteren Publikum wenigstens auszugsweise bekannt machten und damit auch die neu entstehende hofkritische Literatur absicherten, möglicherweise auf Kosten ihrer Wirkung. Schillers Nachricht, daß es bei der ersten Aufführung des >Don Carlos< in Berlin zu »Gesumse im Paterre« gegen den anwesenden König Friedrich Wilhelm II. gekommen sei, und daß die Unterredung zwischen Posa und Philipp dem preußischen König »sehr ans Herz gegangen« sei, darf mit einiger Skepsis betrachtet werden, zumal in einem anderen Bericht von Ermüdung und Langeweile beim Publikum die Rede ist.74 70

Vgl. Berger, Schiller, Bd. 2, S. 75. Vgl. Schillers Brief vom 22. Nov. 1804 an Körner; ed. Jonas, Bd. 7, S. 187 (und S. 196) und vgl. Harder, Schiller in Rußland, S. 15ff. 72 Vgl. Daunicht (Hrsg.), Lessing im Gespräch, S. 318f. (Nr. 541). 73 Vgl. Albrecht, Schillers dramatischer Jambus, S. 163ff. 74 Vgl. Schillers Brief vom 11. Dez. 1788 an Lotte von Lengefeld; ed. Jonas, Bd. 2, S. 175 und den dazugehörigen Kommentar S. 456.

71

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Für Schiller bildete der Vortrag des ersten Akts von >Don Carlos< und die daraufhin erfolgte Verleihung des weimarischen Ratstitels, der dem württembergischen Flüchtling höchst willkommen war, den Auftakt einer neuen Annäherung an die höfische Welt. Hatte er sich im November 1784 in der Ankündigung der >Rheinischen Thalia< mit geradezu juristischen Formulierungen aus der Untertanenschaft eines bestimmten Fürsten losgesagt und sich als »Weltbürger, der keinem Fürsten dient«, 75 bekannt, so widmete er den ersten Akt des >Don Carlos< in der ersten Nummer der >Rheinischen Thalia< vom Frühjahr 1785 mit fast schmeichlerischen Worten und »untertänigst« dem »fürstlichen Kenner« und »edelsten Menschen« Carl August von Weimar, um der unsicheren Verbindung zum Weimarer Hof einen offiziellen und festen Charakter zu geben.76 Die ersten Versuche, sich am Hof von Weimar zu etablieren, verliefen jedoch nicht zu Schillers Zufriedenheit, und alsbald äußerte er sich abfällig über den Hof und die fürstlichen Personen. Er wurde, wie H. Guenther Ner jes im Untertitel seiner diesbezüglichen Studie formulierte, zum »Kritiker des Weimarer Musenhofes«, 77 der etwa »den Herzog nur dann schätzt, wenn dieser die nötigen Mittel liefert, deren er bedarf«. 78 Auch sein Plan, als Prinzenerzieher zu wirken, war hauptsächlich von Hoffnungen auf »eine sehr erträgliche Existenz« bestimmt, während über die Aussicht, einen künftigen Regenten für die oft verkündeten Ideale begeistern zu können, kein Wort verloren wird.79 Gegenüber fürstlichen Personen hatte Schiller - nach eigenen Worten generell die Erwartung, sie müßten ihm in irgendeiner Weise zunutze werden. 80 Schillers Briefe geben durch ihre Fülle von hofkritischen Äußerungen einige Anhaltspunkte für den engen Zusammenhang zwischen dem persönlichen Erfahrungshorizont und der gesellschaftlichen Position Schillers als unterstützungsbedürftigem Schriftsteller einerseits und den hofkritischen Passagen seines Werks andererseits. Neben den Themen der Freundschaft, der literarischen Produktion und der schriftstellerischen Existenz stehen die Beziehungen zum höfischen Bereich 75

Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 5, S. 855; vgl. Stubenrauch, Schillers Fall - Mannheim 1784. 76 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 220. 77 Nerjes, Ein unbekannter Schiller. Kritiker des Weimarer Musenhofes. 78 Vgl. ebd., S. 72; vgl. auch Nerjes, Schiller und Karl August von Weimar. 79 Vgl. Nerjes, Ein unbekannter Schiller, S. 78 (Zitat aus dem Brief Schillers vom 4. Okt. 1793 an Körner; ed. Jonas, Bd. 3, S. 361). 80 Vgl. Schillers Briefe, ed. Jonas, Bd. 3, S. 35 und S. 56; Bd. 4, S. 331; Bd. 6, S. 388.

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immer wieder im Mittelpunkt der Briefe: Zunächst dokumentieren sie die allmähliche psychische Distanzierung vom württembergischen Herzog Carl Eugen; 81 dann finden sich in den Briefen an den Freund Gottfried Körner die ersten Hinweise auf die sich anbahnenden Verbindungen zum Weimarer Hof, 82 danach die Berichte über die ersten Annäherungsversuche von zweifelhaftem Erfolg und über die endlich gelungene Integration in den literarischen Umkreis des Hofes; 83 daneben enthalten die Briefe eine Reihe von Bemerkungen über den für spätere Zeiten erhofften Mäzen Karl Theodor Anton Maria von Dalberg 84 und über einige andere fürstliche Personen, mit denen Schiller gelegentlich in Berührung kam.85 Vor allem während der ersten Monate in Weimar bedachte Schiller die Hofgesellschaft mit Formulierungen, wie sie für die Hofkritik bürgerlicher Literaten typisch sind. Auch Lessing könnte geschrieben haben, was Schiller über seinen ersten Besuch bei der Herzogin zu berichten hatte: »Wir waren zwei Stunden dort, es wurde Thee gegeben und von allem möglichen viel schaales Zeug geschwazt«. 86 Im Club traf er »einige seichte hiesige Cavaliers«, 87 die adlige Gesellschaft langweilte ihn gehörig,88 über den Zeitverlust durch ein höfisch-städtisches Fest ärgerte er sich.89 Auch am Weimarer Hof sah er die Menschen »krumm und schief« gehen. 90 Das fürstendienerische Verhalten Wielands mißbilligte er,91 und die befreundete Charlotte von Kalb bedauerte er bei Gelegenheit als »ein armes Schlachtopfer des Hoflebens«. 92 Er selbst fühlte sich - schon mangels einer hoffähigen Garderobe - »als ein 81

Vgl. ebd., Bd. 1, S. 60f., 63f., 65ff., 84, 90, 169, 249, 358; Bd. 2, S. 317,; Bd. 3, S. 126, 3 4 4 , 3 5 1 , 3 5 9 , 4 1 5 , 4 2 6 . " V g l . ebd., Bd. 1, S. 230, 232, 352ff, 356f. 83 Vgl. ebd., Bd. 2, S. 360ff., 363, 370, 379ff., 385ff., 392f., 396ff., 404, 423, 419ff.; Bd. 2, S. 14, 20f., 34, 5 8 f , 182, 186, 338ff., 386, 399, 403, 418f., 421, 425; Bd. 3, S. 3ff„ 17, 135, 174, 181, 188f„ 361; Bd. 4, S. 129ff„ 151f„ 153f„ 157, 159ff.;Bd. 5, S. 221 f.; Bd. 6, S. 8, 56, 87,91,93, 101, 116, 126, 130, 133f., 152, 158, 169; Bd. 7, S. 86, 146f„ 150f„ 153ff„ 159f„ 164, 167f„ 179, 228; vgl. dazu die Studien von Nerjes (s. o. Anm. 77 und 78). 84 Vgl. ebd., Bd. 2, S. 363, 369; Bd. 3, S. 35, 56, 67, 128, 326; Bd. 4, S. 52, 91, 159; Bd. 5, S. 38f.; Bd. 6, S. 427. 85 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 244, 332, 389f.; Bd. 3, S. 56, 98, 155; Bd. 4, S. 52; Bd. 6, S. 393, 409; Bd. 7, S. 49, 69ff., 74, 83, 109, 183f„ 186f. " V g l . ebd., Bd. 1, S. 361. 87 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 366. 88 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 383 und Bd. 2, S. 37. 89 Vgl. ebd., Bd. 2, S. 102. ,0 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 382 und S. 389. " Vgl. ebd., Bd. 1, S. 386 und S. 399f. "Vgl. ebd., Bd. 1, S. 451 f.

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unbedeutender bürgerlicher Mensch unter dem Adel« zurückgesetzt93 und stilisierte sich zum entschieden unhöfischen Menschen, wobei er freilich sein früheres Ressentiment gegen das Hofleben nur wieder zu mobilisieren brauchte. Denn schon 1783 hatte er aus dem Bauerbacher Refugium an Henriette von Wolzogen geschrieben: »Daß Ihnen das Hofleben ekelhaft vorkommt, hör ich sehr gerne [...]. Man dürfte mich zwischen Spandau und einer >Assemblée< wälen lassen. Ich wüßte wol, was geschähe; doch das bedeutet nicht viel, was allenfalls in meinem Kopf geschähe«.94 Aber 1788 brachte er die im letzten Satz sich abzeichnende Toleranz gegenüber jemandem, der über das Hofleben möglicherweise anders dachte, nicht mehr auf. An Lotte von Lengefeld, seine spätere Frau, schrieb er in diesem Jahr: »Ich habe nie glauben können, daß Sie, in der Hof- und — -Luft sich gefallen; ich hätte eine ganz andre Meinung von Ihnen haben müssen, wenn ich das geglaubt hätte. Verzeihen Sie mir; so eigenliebig bin ich, daß ich Personen, die mir theuer sind, gern meine eigne Denkungsart unterschiebe«.95 In frappierender Parallelität zu den Dramen - es sei nur an die oben zitierte Stelle aus >Fiesco< erinnert - gründet sich auch hier die Sympathie auf die gemeinsame Ablehnung einer höfischen Existenz. Wie wichtig für Schiller der Konsens darüber war, geht aus einem weiteren Brief an Lotte hervor: »Sie haben mir selbst einmal gesagt, daß eine ländliche Einsamkeit im Genuß der Freundschaft und schöner Natur Ihre Wünsche ausfüllen könnte. Hier wäre schon eine sehr wesentliche Übereinstimmung zwischen uns. Ich kenne kein höheres Glück. Mein Ideal von Lebensgenuß kann sich mit keinem andern vertragen«.96 Die Anerkennung dieses antihöfischen Lebensideals war für Schiller die Voraussetzung für die Fortdauer der Freundschaft mit Lotte. Später fühlte er sich in seinem Bild von Lotte bestätigt, wie indirekt aus einer Bemerkung über ihre Mutter zu ersehen ist. Luise von Lengefeld war gerade Hofmeisterin der Töchter des Erbprinzen von Rudolstadt geworden, und Schiller schrieb über sie: »sie ist für den Hof gebildet, und was ihre Frau und Fräulein Töchter ( = Caroline und Lotte) drücken und zur Verzweiflung bringen würde, ist ihr ein Spiel«.97 Mithin unterschied Schiller klar zwischen höfischen und unhöfischen Menschen, und für sich selbst hielt er zeitlebens daran fest, zur Kategorie der unhöfischen Menschen zu gehören. Als er geadelt wurde, damit Lotte 93 94 95 96 97

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

248

ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,

Bd. Bd. Bd. Bd. Bd.

1, 1, 2, 2, 2,

S. S. S. S. S.

413. 129. 28f. 38f. 241.

ihre durch die Heirat mit Schiller verlorene Hoffähigkeit zurückerlangte,98 schrieb er an Cotta: »Sie können übrigens leicht denken, daß mir, für meine eigene Person, die Sache ziemlich gleichgültig ist«.99 Über Lotte, die er einst auf ein gänzlich unhöfisches Leben verpflichten wollte, bemerkte er mit gelassener Ironie: »Lolo ist jetzt recht in ihrem Element, da sie mit ihrer Schleppe am Hofe herumschwänzelt«. 100 Überblickt man die vielen Äußerungen Schillers, die sich auf den Weimarer Hof beziehen, so zeichnet sich in den Anfangsjahren ein zwiespältiges, zwischen Verachtung und Anbiederung schwankendes Verhältnis zum Hof ab, in den späteren Jahren eine stärkere Integrationsbereitschaft und Tendenz zur Versöhnung. Inkonsequenzen und Ungereimtheiten treten zutage, die an der Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit von Schillers Hofkritik manchmal zweifeln lassen. Aber bei jedem Versuch einer Beurteilung dieses Verhaltens ist zu bedenken, daß es für einen bürgerlichen Literaten nichts anderes war als die schier unvermeidbare Konsequenz aus den politischen und sozialen Verhältnissen dieser Epoche: Wer sich wie Schiller als >freier< Schriftsteller den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet fühlte, sah sich zur Kritik an Fürsten und Höfen laufend veranlaßt und mußte sich, aufgrund der noch ungenügenden Entfaltung des literarischen Markts und der mangelnden Kaufkraft des bürgerlichen Lesepublikums, doch wieder an Fürsten als potentielle Mäzene wenden und den Kontakt zu den größeren Höfen als den tonangebenden gesellschaftlichen Zentren suchen.101 So stehen - nicht nur bei Schiller - im Werk bürgerlicher Literaten Hofkritik und Byzantinismen oft nahe beieinander. In Schillers frühen Dramen bis zu >Don Carlos< einschließlich wird Hofkritik in durchaus scharfer Form vorgebracht. Dies gilt auch für die historischen Schriften, für die >Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung< (1788), in der Schiller aktualisierend auf seine Epoche bezogen - den Beginn des bürgerlichen Emanzipationskampfes gegen die absolutistische Monarchie im 16. Jahrhundert zu fassen und seinen Zeitgenossen zu verdeutlichen suchte,102 und für die >Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs< (1790). Aller" Zum Problem des Ranges von Lotte in der Weimarer Gesellschaft vgl. ebd., Bd. 2, S. 403, 405, 419, 423, 426; Bd. 3, S. 15f., 23, 27; Bd. 6, S. 341 f., 432f. " Vgl. ebd., Bd. 6, S. 432. 100 Vgl. ebd., Bd. 7, S. 15. 101 Speziell zu Schiller vgl. Neumann, Der Künstler in der bürgerlichen Gesellschaft, bes. S. 37ff. : Weimar - Sozialstruktur höfischer Gesellschaft und dichterische Existenz. 102 Vgl. Hahn, Schiller und die Geschichte, bes. S. 33.

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dings muß für beide Werke die Einschränkung gemacht werden, daß Hofkritik vor allem aus den Charakteren und Verhaltensweisen der dargestellten Personen resultiert, wie dies auch in der Erzählung >Der Geisterseher< (1786-89), die in der zwielichtigen Randzone der höfischen Welt spielt, der Fall ist. Nach der Französischen Revolution, die Schiller als den Ansatz zu einer historischen Fehlentwicklung und als politischen Irrweg betrachtete (wenngleich er vom notwendigen Untergang des Ancien régime überzeugt war),103 machte sich bei Schiller zumindest im Ton seiner Hofkritik eine deutliche Zurückhaltung geltend. In der >WallensteinMaria Stuart< (1800)'07 kaum der Kritik unterzogen. Ebenso fehlen in diesem Trauerspiel kriecherische und platte Höflingstypen wie etwa der Sekretär Wurm und der Hofmarschall von Kalb aus >Kabale und LiebeMaria Stuart< Hofkritik nicht so sehr in expliziten Äußerungen laut als vielmehr durch den Verlauf der dramatischen Handlung veranschaulicht (wie ja das Drama generell die Möglichkeit hat, hofkritisch auch da zu wirken, wo nicht ausdrücklich über oder gegen den Hof geredet wird), so evoziert >Maria Stuart< mindestens tendenziell das Urteil, daß der Hof, bevorzugte Wirkungsstätte von Intriganten und Machttechnikern, schwerlich der Ausgangspunkt einer moralischen und humanen Politik sein konnte. Deren Konzipierung aber war eines der denkerischen Zentral109

11,8; ebd., S. 611 (Vers 1932ff.). 11,7; ebd., S. 603 (Vers 1664ff.). 1,1 Ebd. (Vers 1669f.). 112 IV,11 ; ebd., S. 659 (Vers 3315ff.). 113 Vgl. IV, 12. 114 Vgl. IV, 14 und 15. 110

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Probleme Schillers, nachdem er im Anschluß an die Willkür des Absolutismus den Terror der Revolution wenigstens aus der Ferne gesehen hatte. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution suchte Schiller nach einer ästhetisch-politischen und geschichtsphilosophischen Neuorientierung," 5 in deren Konsequenz auch die Einschränkung der Hofkritik in den nachrevolutionären Dramen lag. Dabei sind folgende Momente zu berücksichtigen: 1. Als Folge seiner neuen, im Jahrzehnt zwischen >Don Carlos< und >Wallenstein< ausgebildeten Konzeption des Ästhetischen wandte sich Schiller von den Grundsätzen des bürgerlichen Trauerspiels ab, unter denen - insbesondere in >Kabale und Liebe< - die Darstellung höfischer Menschen und ihrer Verhaltensweisen in die Nähe der Karikatur und des Grotesken gekommen war." 6 Die Folgen dieser Abwendung von der »bürgerlichen Empörungs- und Empfindungsdramatik« charakterisiert Sternberger wie folgt: »Was einst in fratzenhafter Höflings-, Minister-, Sekretärs- und Priestergestalt den Aufstand des empörten Herzens hervorrief, die Poesie selber wider die Politik auf den Schauplatz brachte, das hat sich nun, wenn nicht mit Herz, so doch mit überlegener Menschlichkeit erfüllt«." 7 2. Die im vorrevolutionären Werk geübte Kritik an der depravierten Adels- und Hofkultur verlor für Schiller nach der Französischen Revolution an Dringlichkeit. Statt dessen bemühte er sich im Rahmen seiner ästhetischen Überlegungen um die Konzipierung des Ideals einer ästhetischen Erziehung, die - tendenziell orientiert am aristokratischen Menschenideal Alteuropas" 8 - zugleich eine quasi politische Erziehung für ein öffentliches Leben involviert und über die ästhetisch-politische Erneuerung des Individuums eine - im Vergleich zum Ancien régime wie zum nachrevolutionären Staat - vollkommenere Epoche der menschlichen Gesellschaft herbeiführen soll: den ästhetischen Staat bzw. den Vernunftstaat." 9 3. Waren Schillers vorrevolutionäre Dramen geprägt von einer »Gegenläufigkeit des Politischen und Menschlichen« (Sternberger),120 so 115

Vgl. Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit; Kiel, Die deutsche Klassik und ihr Publikum. 116 Vgl. Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 76ff. 117 Vgl. Sternberger, S. 294 und 300. 118 Vgl. oben in dieser Arbeit den Schluß des Kapitels über Castiglione. ' " Z u r politisch-ästhetischen Erziehung vgl. Borchmeyer, S. 96ff. und Ueding, Rhetorik und Ästhetik, passim. 120 Vgl. Sternberger, S. 291.

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zeigt sich seit dem >Wallenstein< und insbesondere in den drei letzten, klassischen Dramen die Tendenz zur »Ineinsbildung beider Sphären«, 121 die Humanisierung des Politischen und Staatlichen. Der dadurch qualifizierte gesellschaftliche »Heilszustand«, 122 die Utopie einer ästhetischen Menschheitsepoche leuchtet in den klassischen Dramen momentan auf123 - gebrochen durch die Vergegenwärtigung des schlechten Zustands der geschichtlichen und gegenwärtigen Welt. Und hierbei bekommt das traditionsreiche Hof-LandSchema für Schiller eine neue Bedeutung. Bevor dargelegt wird, wie Schiller in seinen letzten drei Dramen auf den in der hofkritischen Literatur so beliebten Hof-Land-Gegensatz zurückgriff, muß klargestellt werden, daß Schiller den ideologischen Charakter des Hof-Land-Schemas durchaus erkannt hatte. Spätestens 1787 hatte er während eines knapp zweiwöchigen Aufenthalts in Meiningen durch eigene Anschauung erfahren, daß das Hof-Land-Schema mit seiner stereotypen Kontrastierung von >gutem< Leben auf dem Land und >schlechtem< Leben bei Hof - als werde dies durch einen jeweils guten oder schlechten >genius loci< garantiert - der Wirklichkeit des menschlichen Lebens unangemessen war. Er sah, wie das >Land< zum >Hof< gemacht werden und wie >Hofleben< sich auch auf dem >Lande< abspielen konnte. Seinem Freund Körner berichtete er darüber: Ich habe in der Gegend einige interessante Familien gefunden. Ζ. B. da ist auf einem Dorfe Hochheim eine edelmännische Familie von fünf Fräulein und zusammen von zehn Personen, die die alten Patriarchen- oder Ritterzeiten wieder aufleben läßt. Niemand in der Familie trägt etwas, was nicht da gemacht wird. Schuhe, Tuch, Seide, alle Meubles, alle Bedürfnisse des Lebens und fast alle des Luxus werden auf dem Gute erzeugt und fabricirt, vieles von den Händen des Frauenzimmers, wie die Prinzessinnen in der Bibel und in den Zeiten der Chevalerie zu thun pflegten. Die äußerste Reinlichkeit, Ordnung (selbst nicht ohne Glanz und Schönheit) gefällt dem Auge; von den Fräulein sind einige schön, und alle sind einfach und wahr wie die Natur, in der sie leben. Der Vater ist ein wackerer, braver Landjunker, ein vortrefflicher Jäger und ein gutherziger Wirth, auch ein burschikoser Tabaks121

Vgl. Borchmeyer, S. 91ff. (Zitat S. 115). Zu diesem Terminus vgl. von Wiese, Die Utopie des Ästhetischen bei Schiller, S. 86. 123 Vgl. Borchmeyer, S. 115 und im übrigen S. 46ff.; zum Problem der Idylle bei Schiller vgl. Rüdiger, Schiller und das Pastorale; Sautermeister, Idyllik und Dramatik im Werk Friedrich Schillers; Kaiser, Johannas Sendung; ders., Die Idee der Idylle in Schillers >Braut von MessinaHofHof< in diesem Kontext eindeutig nicht eine Lokalität gemeint ist, sondern eine Existenzweise und Geselligkeitsform benannt wird. Daß dabei die negativen Konnotationen des Begriffes >Hof< hervortreten, versteht sich beim Hofkritiker Schiller von selbst und wird im übrigen durch die Charakterisierung der Frau von Stein noch deutlicher. Danach kann kein Zweifel mehr bestehen, daß sich Schiller der Unwahrheit jeder einseitigen Lokalisierung des >Guten< auf dem Land und des Schlechtem am Hof wohl bewußt war. Folglich konnte er, ohne unwahr zu werden, das Hof-Land-Schema mit seiner schlechten Hofseite nicht mehr als glaubhaftes Abbild der höfischen Gesellschaft und zugleich mit seiner guten Landseite als überzeugendes Modell ihrer moralischen Besserung darbieten, wie es in den früheren Dramen wenigstens ansatzweise geschehen war und wie es Schiller in den oben zitierten Briefen an Lotte von Lengefeld auch seinem persönlichen Lebensplan untergelegt hatte. Um so mehr überrascht es, daß Schiller das als ideologische Verzerrung erkannte Hof-Land-Schema auch in seinen letzten Dramen wieder verwendete. Am deutlichsten ausgeprägt findet sich das Hof-Land-Schema in der romantischen Tragödie >Die Jungfrau von Orleans< (1801). 125 Nach dem Prolog in einer »ländliche(n) Gegend«, 126 der mit der Skizzierung eines locus amoenus und mit der Vorstellung einer Harmonie von Mensch und Natur die abendländische Idyllentradition fortsetzt127 und in Johannas Vision auch den Entwurf eines idealen Königtums leistet,'28 spielt ' " V g l . Schillers Brief vom 8. Dez. 1787 an Körner; ed. Jonas, Bd. 1, S. 441 f. (Hervorhebung von mir). 125 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 687ff. 126 Vgl. ebd., S. 689. 127 Vgl. Sautermeister, S. 88f. 128 Vgl. ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 699f. (Prolog 3).

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der erste Akt bezeichnenderweise im »Hoflager König Karls zu Chinon«, eröffnet durch Dunois' Verurteilung sorglos-galanter Hoffeste in einer Zeit der größten militärischen Bedrohung.129 Zwar wird der Hof Karls nicht als verächtlich dargestellt; doch spiegelt sich in der regressiven Troubadour-Idylle, in die sich Karl flüchtet,130 die Haltung einer gleichsam kindischen Verantwortungslosigkeit gegenüber den großen Aufgaben, welche die Geschichte dem Königtum zuweist. Mit der schematischen Abfolge von Land und Hof ist zugleich der Weg vorgezeichnet, der die Jungfrau Johanna aus einem Zustand >arkadischelysischen< Menschlichkeit führt:' 31 Schuldlos trieb ich meine Lämmer Auf des stillen Berges Höh. Doch du rissest mich ins Leben, In den stolzen Fürstensaal, Mich der Schuld dahinzugehen, Ach! es war nicht meine Wahl. 132

In der dialektisch verlaufenden inneren Entwicklung Johannas repräsentiert das Geschehen während der langen Kampfpause in der »Ruhe eines müßgen Hofs«133 die Phase des Schuldigwerdens durch den Verstoß gegen das ihr auferlegte Liebesverbot: dramatisches Vehikel für das Scheitern Johannas in der menschheitsgeschichtlichen Dimension ihres Auftrags.134 Denn die Schluß-Apotheose der Jungfrau darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die im Prolog avisierte höhere Idylle einer harmonischen Versöhnung des einzelnen und der Gemeinschaft, die Idee des ästhetischen Staats, nur als eine geschichtlich verhinderte erscheint.135 Johannas Vision eines idealen Königtums bleibt politisch uneingelöst. Prinzipiell verschließt sich der bisher dargelegte Interpretationsansatz, der auf den geschichtsphilosophischen Gehalt des Dramas abhebt, auch einer prononciert politischen Interpretation nicht, wie sie neuerdings von Hans-Günther Thalheim vorgelegt wurde.136 Thalheim 129

Vgl. ebd., S. 702. Vgl. ebd., S. 703ff.; vgl. dazu Sautermeister, S. 112f. 131 Vgl. Kaiser, Johannas Sendung. 132 IV,1; ed. Fricke/Göpfert, Bd. 2, S. 775f. (Vers 2608ff.). 133 111,3; ebd., S. 755 (Vers 2019). 134 Vgl. Kaiser, Johannas Sendung, S. 221 ff. und Sautermeister, S. 140ff. 135 Vgl. Sautermeister, S. 144f. und S. 160f. 136 Vgl. Thalheim, Schillers Dramen von >Maria Stuart< bis >DemetriusBraut von Messina< und in >Wilhelm Tell< sieht Thalheim - wie übrigens schon die ältere Forschung vereinzelt138 - eine Auseinandersetzung Schillers mit der aktuellen politischen Situation,139 zugleich aber die Fortsetzung »des poetisch gestalteten geschichtlichen Experiments« und die Inszenierung von Schillers »Idealvorstellung von der Umwälzung der feudalen Gesellschaft«.140 Beide Interpretationen schließen sich jedoch nicht aus, wie am deutlichsten wiederum am Beispiel der >Jungfrau von Orleans< zu sehen ist. Denn auch für Thalheim ist Johanna »nicht nur ein Individuum im ästhetischen Sinne, sondern als >edles Bild der Menschheit zugleich ein überzeitlicher Typus, der mit seinem Schicksal die menschliche Gattung und ihre Vollendung im bürgerlichen Humanitätsideal symbolisieren soll«.141 In einem weiteren Schritt fügt Thalheim dem eine politische und tendenziell klassenkämpferische Deutung hinzu: »Johannas Moralität und Aktivität antizipiert im Blick auf Deutschland die eigentlich dem dritten Stand< zustehende führende geschichtliche Rolle. Sie verkörpert die utopisch vorausgedachte Hegemonie-Funktion der bürgerlichen Klasse«.142 Mithin spricht Thalheim der >Jungfrau von Orleans< gegenüber dem von Schiller analysierten geschichtlichen Stand der Gesellschaft einen realistischen und zugleich adhortativen Charakter zu: Sie zeige die noch bestehende Machtlosigkeit des Bürgertums in Deutschland und dränge die politisch noch ausschlaggebende Aristokratie, für die Ideale des Bürgertums als die gesellschaftlich progressiven aktiv zu werden.'43 Zumindest was die Einschätzung der aktuellen politischen Situation durch Schiller angeht, kann diese Deutung akzeptiert werden, wodurch allerdings die hofkritischen Aspekte der >Jungfrau von Orleans< eine Ergänzung erfahren: Der Hof ist dann nicht nur, wie oben ausgeführt 137

Ebd., Heft 1, S. 29. Vgl. Berger, Schiller, Bd. 2, S. 535f„ 575ff„ 640f„ 666. 139 Vgl. Thalheim, Heft 2, S. 102 und S. 107. 140 Vgl. ebd., S. 107. 141 Vgl. ebd., Heft 1, S. 28. 142 Vgl. ebd., S. 30. 143 Vgl. ebd., S. 31. 138

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wurde, das geschichtsphilosophisch zu interpretierende Symbol für die Sphäre einer schwerwiegenden geschichtlichen Verantwortungslosigkeit (Karl) und Fehlleistung (Johanna); er ist darüber hinaus auch als Ansatzpunkt für Schillers aktuelle Kritik an der Politik der deutschen Höfe zu sehen. Diese Auffassung wird dadurch gestützt, daß Schiller zu dieser Zeit über die wankelmütige Politik der deutschen Fürsten empört war und sich nur noch zu einer »Satyre auf das deutsche Reich« fähig fühlte, 144 wie er zu Beginn des Jahres 1801 an Göschen schrieb. Ein Ansatz zu einer grundsätzlichen geschichtlich-politischen Abrechnung mit der höfischen Sphäre ist in dem vermutlich 1797 entstandenen Odenfragment >Deutsche GrößeVerderbnis< schlechthin hypostasiert. Terminologisch wird der Ineinssetzung von aktueller politischer Kritik und weit ausholender geschichtlicher, ja geschichtsphilosophischer Betrachtungsweise Vorschub geleistet. >Hof< bedeutet nicht nur Residenz von Fürsten und Königen; der >Hof< gilt prinzipiell als »Schoß der Verderbnis«, als Ausgangspunkt geschichtlicher Depravation. Diese Doppeldeutigkeit des Begriffes >HofMaximen< von La Rochefoucauld. München 1972. Anton, Hans Hubert: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit. Bonn 1968. Arendt, Gerard-Η.: Die satirische Struktur des mittelniederländischen Tierepos >Van den Vos ReynaerdeDon CarlosLeo ArmeniusFürstenstaatEurope Française·«. In: Klaus L. Berghahn (Hrsg.), Friedrich Schiller zur Geschichtlichkeit seines Werkes, S. 32Iff. Blüher, Karl Alfred: Graciáns Aphorismen im >Oráculo manual< und die Tradition der politischen Aphorismensammlungen in Spanien. In: Gerhard Neumann (Hrsg.), Der Aphorismus. Darmstadt 1976, S. 413ff. Booz, Ernst: Die Fürstenspiegel des Mittelalters bis zur Scholastik. Freiburg i. B. 1913. Borchmeyer, Dieter: Höfische Gesellschaft und französische Revolution bei Goethe. Adliges und bürgerliches Wertsystem im Urteil der Weimarer Klassik. Kronberg/Ts. 1977. - Tragödie und Öffentlichkeit - Schillers Dramaturgie im Zusammenhang seiner ästhetisch-politischen Theorie und die rhetorische Tradition. München 1973. Borgmann, Heinrich: Über den Wert der hochdeutschen Reinke-Übersetzung vom Jahr 1544 und ihr Verhältnis zu der niederdeutschen Vorlage einerseits und zu der späteren lateinischen Bearbeitung von Hartmann Schopper andrerseits. Diss. Straßburg/Lingen 1908. Borinski, Karl: Baltasar Gracian und die Hoflitteratur in Deutschland. Halle a. S. 1894. Bornscheuer, Lothar: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main 1976. Bourassin, Emmanuel: La Cour de France a l'époque féodale (987-1483) Des rois pasteurs aux monarques absolus. Paris 1975. Bourde, André: Frankreich vom Ende des Hundertjährigen Krieges bis zum Beginn der Selbstherrschaft Ludwigs xiv. (1453-1661). In: Josef Engel (Hrsg.): Die Entstehung des neuzeitlichen Europa ( = Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 3). Stuttgart 1971, S. 728ff. Brandi, Karl: Die Renaissance. In: Propyläen-Weltgeschichte. Herausgegeben von Walter Goetz. Vierter Band: Das Zeitalter der Gotik und Renaissance. Berlin 1932, S. 157ff. Braubach, Max: Prinz Eugen und das 18. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 179 (1955), S. 273ff. - Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie. 5 Bde. München 1963ff. - Träger und Vermittler romanischer Kultur im Deutschland des 18. Jahrhunderts. In: M. B., Diplomatie und geistiges Leben im 17. und 18. Jahrhundert. Ges. Abh. Bonn 1969, S. 519ff. Bremer, Klaus-Jürgen: Montesquieus >Lettres persanes< und Cadalsos >Cartas marruecasPhiloteus< des Laurentius von Schnüffis. Zum Typus des geistlichen Romans im 17. Jahrhundert. Meisenheim am Glan 1969. Brinkmann, Richard u. a. : Deutsche Literatur und Französische Revolution. Sieben Studien. Göttingen 1974. Brinkmann, Wiltrud : Logaus Epigramme als Gattungserscheinung. In : Zeitschrift für deutsche Philologie 93 (1974), S. 507ff. Bruford, Walter H.: Kultur und Gesellschaft im klassischen Weimar 1775-1806. Göttingen 1966. Brunner, Otto: Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688. Salzburg 1949.

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